Möglichkeiten und Grenzen der Streitbeilegung ethnischer Konflikte durch die OSZE,: dargestellt am Konflikt im ehemaligen Jugoslawien [1 ed.] 9783428487042, 9783428087044


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Möglichkeiten und Grenzen der Streitbeilegung ethnischer Konflikte durch die OSZE,: dargestellt am Konflikt im ehemaligen Jugoslawien [1 ed.]
 9783428487042, 9783428087044

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MARCUS WENIG

Möglichkeiten und Grenzen der Streitbeilegung ethnischer Konflikte durch die OSZEdargestellt am Konflikt im ehemaligen Jugoslawien

Schriften zum Völkerrecht

Band 124

Möglichkeiten und Grenzen der Streitbeilegung ethnischer Konflikte durch die OSZE dargestellt am Konflikt im ehemaligen Jugoslawien

Von Marcus Wenig

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Wenig, Marcus: Möglichkeiten und Grenzen der Streitbeilegung ethnischer Konflikte durch die OSZE : dargestellt am Konflikt im ehemaligen Jugoslawien I von Marcus Wenig. - Berlin : Duncker und Humblot, 1996 (Schriften zum Völkerrecht; Bd. 124) Zug!.: Trier, Univ., Diss., 1994 ISBN 3-428-08704-6 NE:GT

Alle Rechte vorbehalten © 1996 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0251 ISBN 3-428-08704-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 i§

Meinen Eltern

Vorwort Diese Arbeit lag der juristischen Fakultät der Universität Trier im Sommersemester 1994 als Dissertation vor. Im Hinblick auf die politischen Veränderungen und ihre rechtlichen Auswirkungen wurde die noch zu KSZE-Zeiten eingereichte Dissertation überarbeitet und befindet sich nun, auch hinsichtlich der Ereignisse im ehemaligen Jugoslawien, auf Stand Ende März 1995. Mein besonderer Dank gilt meinem verehrten Doktorvater, Herrn Professor Dr. Meinhard Schröder, für die nachhaltige Betreuung der Arbeit sowie dem Zweitgutachter, Herrn Professor Dr. Hanns W. Maull, für seine hilfreiche Unterstützung. Danken möchte ich auch Herrn Professor Dr. Karl Kaiser für die Vermittlung politikwissenschaftlicher Zusammenhänge während meines Studiums der Politologie an der Universität Köln, die sich bei der Erarbeitung des vorliegenden völkerrechtlichen Themas als sehr nützlich erwiesen. Mein Dank gilt ferner den Damen und Herren Diplomaten des Auswärtigen Amts, Dr. Reinhard Hilger, Ulrich Brandenburg, Franz-Josef Kremp, Angelika Viets, Konrad An von Straussenburg, Andre Scholz, Hans von Schroeder, Kurt Georg Stöckl-Stillfried sowie insbesondere Dr. Pascal Hector, die in Anbetracht der sich ständig ändernden Situation im ehemaligen Jugoslawien und der stetig voranschreitenden Institutionalisierung der KSZE bzw. OSZE eine sehr wertvolle Hilfe waren. Schließlich danke ich dem Geschäftsfiihrer des Verlags Duncker & Humblot, Herrn Professor Dr. Norbert Simon, für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe "Schriften zum Völkerrecht". Meine Eltern haben mit Geduld, Interesse und Ermutigung wesentlich zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen. Ihnen ist dieses Buch gewidmet. Trier, im Januar 1996

Marcus Wenig

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

23

Erstes Kapitel Die OSZE - Vom KonferenzprozeO zur Organisation

I.

27

Entstehung und Entwicklung der OSZE......................... ... ....................... ........ 27

II. Die Institutionen der OSZE .............................. .... ............... ......... ......... .. ......... 1. Einführung ................................................................................................... 2. Die Folgetreffen ........................................................................................... 3. Der Ministerrat(ehem. KSZE-Rat) und die Institution des amtierenden Vorsitzenden (aV) ........................................................................................ 4. Der Hohe Rat (ehem. Ausschuß Hoher Beamter, AHB) ................................ 5. Der Ständige Rat (ehern. Ständiger Ausschuß, StA) ...................................... 6. Der Generalsekretär (OSZE-GS) .................................................................. 7. Das OSZE-Sekretariat mit eingegliedertem Konfliktverhütungszentrum (KVZ) .......................................................................................................... 8. Das Büro fiir demokratische Institutionen und Menschenrechte (BDIMR) .... 9. Der Hohe Kommissar der OSZE fiir nationale Minderheiten (HKNM) ......... 10. Das OSZE-Fonun fiir Sicherheitskooperation (FSK) ..................................... 11. Der Vergleichs- und Schiedsgerichtshof der OSZE....................................... 12. Sonstige Institutionen ...................................................................................

34 34 36 37 41 43 47 48 51 54 55 56 58

m. Der Rechtscharakter der OSZE ..........................................................................

58

1. Die Rechtsnatur der OSZE-Dokwnente ........................................................ a) Begriffsbestimmung ................................................................................ b) Verbindliche und unverbindliche OSZE-Dokwnente ................................ c) Die Rechtsnatur der verbindlichen OSZE-Dokwnente.............................. (l) Die Rechtsnatur der Schlußakte von He1sinki .................................... (2) Die Rechtsnatur der anderen OSZE-Dokwnente ................................ (a) Die rechtliche Einordnung der anderen OSZE-Hauptdokwnente (Folgetreffen und Charta von Paris) ............................................. (b) Der Rechtscharakter des Kopenhagener Dokwnentes und die Problematik des "menschenrechtlichen soft-Iaw" ......................... (a) Stellungnahme zur völkerrechtlichen Verbindlichkeit.. .......... (ß) Stellungnahme zur Bezeichnung der Bestimmungen des Kopenhagener Dokwnents als "soft-Iaw" ...............................

58 58 60 61 62 66 66 67 68 70

10

Inhaltsverzeichnis (y) Ergebnis zur UntersuchWlg der BestimmWlgen des Kopenhagener Dokuments.............................................................. (3) Ergebnis der UntersuchWlg hinsichtlich der Rechtsnatur der verbindlichen OSZE-Dokumente ................................................ .................. (4) BedeutWlg Wld Konsequenzen des außerrechtlichen Charakters der OSZE-Dokumente....... ................. ......... ....... ..................................... (a) Die Vorteile des außerrechtlichen Charakters der OSZE-Dokumente .......................................................................................... (b) Die GewährleistWlg der EinhaltWlg der OSZE-Normen ............... d) Die rechtliche Relevanz der OSZE-Dokumente für die VölkerrechtsordnWlg ........................................................................................................ (I) Die deklaratorische Bekräftigoog Wld KonkretisierWlg geltender Völkerrechtsregeln............................................................................ (2) Die Transformation der außerrechtlichen OSZE-Normen in geltendes Völkerrecht..................... .................................... .............................. e) Die Rechtsnatur der Beschlüsse der KSZE-IOSZE-Institutionen ...... ........

72 72 73 73 73 74 75 75

77

2. Der völkerrechtliche Status der Organisation OSZE ..................................... 77 a) Einfuhnmg.............................................................................................. 77 b) Die Rechtsnatur der KSZE ...................................................... .... ............ (l) Der Begriff der internationalen Organisation.............. ............... ........ (2) Die AnwendWlg der Begriffskomponenten auf die KSZE .................. (a) Die funktionale Komponente ....................................................... (b) Die genetische Komponente........................................................ (a) Das Abstellen auf eine völkerrechtliche Willenseinigoog in Gestalt eines GründWlgsvertrages oder in anderer Form ........ (ß) Das Abstellen auf die InstitutionalisierWlg (Internationale Organisation qua Faktizität) .................................................. (aa) Die These..................................................................... (ßß) Die rechtliche EinordnWlg der ASEAN als Indiz für die EinordnWlg der KSZE............................................ ....... (yy) Übertragbarkeit der rechtlichen QualifIkation der ASEAN auf die KSZE Wld UntersuchWlg der Zubilligoog von von Organisationsqualität qua Faktizität......... (80) StellWlgnahme zur ZuerkennWlg von Organisationsqualität qua Faktizität.......... ............................. ............ (3) Zwischenergebnis ............................................................................. (4) Die Frage der Völkerrechtssubjektivität der KSZE ............................ (a) Der Begriff der Völkerrechtssubjektivität .................................... (b) KSZE Wld Völkerrechtssubjektivität...... ...................................... (5) Ergebnis........................................................................................... c) FolgerWlgen für die Rechtsnatur der OSZE. .............................................

78 78 79 79 80

80 81 81 82 84

85 85 85 85 86 90 91

3. Die OSZE als "regionale AbmachWlg" i.S.v. Kapitel vrn SVN ..................... 92

a) Einfuhnmg.............................................................................................. 92 b) Die Voraussetzungen einer regionalen AbmachWlg Wlter besonderer BerücksichtigWlg des GründWlgsvertrages Wld ihr Vorliegen bei der OSZE. 92 c) Ergebnis .................................................................................................. 97

Inhaltsverzeichnis

11

Zweites Kapitel

Die Streitbeilegungsmechanismen der OSZE und ihr Einsatz im Jugoslawienkonßikt

99

I. DarsteIhmg der bisher entwickelten Streitbeilegungsmechanismen. ................... 99 I. Einführung................................................................................................... a) BegritTsbestimmung................................................................................. b) Die Streitbeilegungsmechanismen und die Umbenennung der KSZE in OSZE ....................................................................................................... c) Hintergrund der Entwicklung der Streitbeilegungsmechanismen.. ............ . d) Die völkerrechtliche Bedeutung der Streitbeilegungsmechanismen ........... e) Die Einschränkungen des Konsensprinzips durch die Streitbeilegungsmechanismen . ... ... .. .............................. ....... ................. ............ ..... ... ........ t) Kurzübersicht und Darstellungsweise der Streitbeilegungsmechanismen ...

99 99

102 104

2. Der Mechanismus fur Konsultationen und Zusammenarbeit in bezug auf ungewöhnliche militärische Aktivitäten ........................................................ a) Überblick ................................................................................................. b) Darstellung des Verthllrens . .. ................... ................. .............. .... ........ ... .. c) Bewertung...............................................................................................

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3. Der Mechanismus ftlr Konsultation und Zusammenarbeit in dringenden Situationen ................................................................................................... a) Überblick ................................. .................... ............................................ b) Darstellung des Verfahrens ...................... ... ..... ............ .............. .............. c) Bewertung...............................................................................................

108 108 108 109

99 99 101

4. Der Mechanismus der menschlichen Dimension ............................................ a) Überblick ............................................................. ......................... ........... b) Darstellung des Verthllrens ...................................................................... ( 1) Das Konsultationsverthllren .. ...... .............. .. ... ..................................... (2) ÜberpTÜtimgen vor Ort ........................................................................ (a) Die Expertenmission .......................................................... ........... (b) Die Berichterstattermission ................................. ............ ..... ......... c) Bewertung............................................................................................... (1) Vergleich mit völkerrechtlichen Verfahren .......................................... (2) Vorteile und Schwächen des Mechanismus der menschlichen Dimension ...................................................................................................

110 110 111 111 112 112 114 116 116

5. Der Mechanismus für Frühwarnung und Frülunaßnahrnen des HKNM .......... a) Überblick ................................................................................................. b) Darstellung des Verfahrens ...................................................................... c Y Bewertung...............................................................................................

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6. Das Frühwamverfahren vor dem Hohen Rat.. ................................................ a) Überblick .......................................................... ....................................... b) Darstellung des Verthllrens ....................................................................... c) Bewertung..................................................................... .. .........................

126 126 127 128

117

12

Inhaltsverzeichnis 7. Erkundtmgs- und Berichterstatter- sowie Langzeitmissionen des Hohen Rates und des Ständigen Rates ............................................................................... 129 a) Überblick .......................................................................................... ....... 129 b) Darstellung des Verfahrens ..................................................... ........ ......... 129 c) Bewertung............................................................................................... 134 8. Friedenserhaltende Operationen der OSZE ................................................... a) Überblick ................................................................................................. b) DarsteJltmg des Verfahrens ...................................................................... c) Bewertung............................................................................................... 9. Der Mechanismus zur friedlichen Beilegung von Streitigkeiten (VallettaMechanismus) .............................................................................................. a) Entwicklung .................................................................... .... ........ ............. b) Überblick ...................................................... ... .. ...................................... c) Darstellung des Vertahrens ...................................................................... d) Bewertung ............................................................................................... (l ~Die grundsätzliche Problematik der friedlichen Streitbeilegung ........... (2) Die Subsidiaritätsregel des Abschnitts III ............................................ (3) Der Souveränitätsvorbehalt des Abschnitts XII .................................... (4) Die Beschränkung auf zwischenstaatliche Konflikte ............................ (5) Die tehlende Verbindlichkeit der Erklärungen des Mechanismus ....... (6) Das Verhältnis des Valletta-Mechanismus zum Dringlichkeitsmechanismus ................................................................................................ (7) Abschließende Bewertung .................................. .................................

136 136 137 138 140 140 142 143 145 145 146 148 149 150 151 151

10. Das Vergleichsvertahren vor der OSZE-Vergleichskommission im Rahmen des "Übereinkommens über Vergleichs- und Schiedsverfahren innerhalb der KSZE" .................................................................................................... a) Überblick ................................................................................................. b) Darstellung des Vertahrens ...................................................................... c) Bewertung...............................................................................................

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11. Das Schiedsvertahren vor dem OSZE-Schiedsgericht im Rahmen des "Übereinkommens über Vergleichs- und Schiedsvertahren innerhalb der KSZE" .... a) Überblick ................................................................................................. b) Darstellung des Vertahrens ...................................................................... c) Bewertung........................................................ .. .............. .. .....................

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12. Das Verfahren vor der OSZE-Vergleichskommission .................................... a) Überblick ................................................................................................. b) Darstellung des Vertahrens ................................................................. .. .... c) Bewertung................................................................................................

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13. Anhang: Die Bestimmungen über einen Vergleich auf Anordnung ................. a) Darstellung ............................................................................................... b) Einordnung ............................................................................................... c) Verhältnis zu Art. 33 Abs. I SVN ............................................................ d) Bewertung................................................ ................................................

167 167 167 167 168

Inhaltsverzeichnis

13

II. Der Einsatz der Streitbeilegungsmechanismen im Jugoslawienkonflikt .............. 168 1. Der Krieg im ehemaligen Jugoslawien: Ursachen und Ablauf,. ...................... 168 a) Einführung ............................................................................................... 168 b) Der geschichtliche Hintergrund (von der Staatsgründung 1918 bis zu den Unabhängigkeitserklärungen Sloweniens und Kroatiens) ................... 169 (1) Die Zwischenkriegszeit (1918-1941) ................................................... 169 (2) Die Kriegs- und unmittelbare Nachkriegszeit (1941-1945) .................. 172 (3) Dü: Ära Tito (1945-1980) ................................................................... 175 (4) Wirtschaftskrise und serbischer Nationalismus als Wegbereiter der Desintegration (die Jahre 1980-1990) ................................................. 177 (5) Der Zerfall Jugoslawiens (1990-1991) ................................................ 182 c) Der Krieg im ehemaligen Jugoslawien..................................................... 184 (1) Die kämpferischen Auseinandersetzungen in Slowenien ...................... 184 (2) Der Krieg in Kroatien ......................................................................... 186 (a) Die Entwicklung in Kroatien bis zur Unabhängigkeitserklänmg ..... 186 (b) Die serbische OlTensi ve im August 1991 und ihre Hintergründe.... 188 (c) Milosevics Ziel eines Großserbiens und die Folgen für Kroatien .... 189 (d) Die Entwicklung zwischen Januar 1992 und Dezember 1994 ......... 191 (e) Friedensperspektiven Kroatien unter Berücksichtigung der Situation in den serbisch besetzten Gebieten .................................. 195 (a) Die gegensätzlichen Standpunkte Kroatiens und der RSKRepräsentanten ........................................................................ 195 (ß) Belgrader Teilungspläne im Lichte machtpolitischer Veränderungen ..................................................................................... 195 (r) Die Folgen der fehlenden Mandatserfüllung der UNPROFOR in Kroatien .............................................................................. 200 (8) Die Situation im Frühjahr 1995 ............................................... 202 (3) Der Krieg in Bosnien-Herzegowina ..................................................... 204 (a) Die Entwicklung in Bosnien-Herzegowina bis zur Unabhängigkeitserklänmg ............................................................................... 204 (b) Die Auswirkung der Anerkennung Bosnien-Herzegowinas auf die dortige Situation ............................................................................ 208 ( c) Die kroatisch-muslimische Auseinandersetzung in Bosnien- Herzegowina .......................................................................................... 211 ( d) Die Ausrufung der Autonomen Provinz Westbosnien ..................... 212 (e) Internationale Friedenspläne und Teilungsvorschläge zwischen 1992 und 1993 .............................................................................. 213 (1) UN-Resolutionen zur Errichtung und militärischen Absicherung von Sicherheitszonen ..................................................................... 215 (g) Die NATO-Ultimaten von Sarajevo und Goraide ........................... 218 (h) Die Bildung der Föderation von Bosnien und Herzegowina ............ 219 (i) Der Friedensplan der Bosnien-Kontaktgruppe und die Haltung der bosnischen Serben ......................................................................... 221 (j) Die Ereignisse in Bosnien-Herzegowina bis März 1995 ................. 223 (k) Ausblick ........................................................................................ 224 (4) Weitere Konflikiherde im ehemaligen Jugoslawien ............................. 225 (a) Das Kosovo ................................................................................... 225 (b) Die Woiwodina ............. ................................................................ 228

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14

1nha1tsverzeic~s

(c) Der Sandschak .............................................................................. 230 (d) Die "Ehemalige Jugoslawische Republik Makedonien" .................. 232 2. Die BemühWlgen der KSZE zur StreitbeilegWlg im ehemaligen Jugoslawien. 235 a) Die Aktivierung des militärischen Krisenmechanismus Wld des Dringlichkeitsmechanismus als Reaktion auf das Eingreifen der jugoslawischen BWldesannee im Juni 1991 ...................................................................... 235 (1 ) Die Einsetzung des militärischen Krisenmechanismus ........................ 235 (a) Ablauf ........................................................................................... 235 (b) Bewertung ..................................................................................... 236 (2) Die Einsetzung des Dringlichkeitsmechanismus .................................. 238 (a) Ablauf .......................................................................................... 238 (b) BewertWlg ..................................................................................... 239 b) Die bisher von der KSZE ins ehemalige Jugoslawien entsandten Missionen ................................................................................................ 242 ( I ) Die Berichterstattermission zur Menschenrechtslage in Jugoslawien, sog. "Fleiner-Gerster-Mission", vom 12. bis 20. Dezember 1991 Wld 7. bis 10. Januar 1992 ......................................................................... 242 (a) Ablauf .......................................................................................... 242 (b) Bewertilllg ..................................................................................... 243 (2) Die Langzeitmissionen nach Kosovo, Woiwodina Wld Sandschak vom 8. September 1992 bis Mitte Juli 1993 ................................................ 245 (a) Ablauf........................................................................................... 245 (b).Bewertung ..................................................................................... 247 (3) Die Berichterstattermission nach Bosnien-Herzegowina zur UntersuchWlg von Menschenrechtsverletzungen, sog. "Thomson-Mission", vom 29. August bis 4. September 1992 Wld die Anschlußmission nach Serbien Wld Montenegro, sog. "Blackwell-Mission", vom 13. bis 18. Januar 1993 ........................................................................................ 248 (a) Ablauf .......................................................................................... 248 (b) Bewertilllg ..................................................................................... 248 (4) Die Beobachtermission nach Skopje, um eine AusbreitWlg des Konflikts im ehemaligen Jugoslawien nach Makedonien zu verhindern, sog. "spillover Mission", eingesetzt durch AHB-Beschluß vom 18. September 1992............................................................. ......... 249 (a) Ablauf .......................................................................................... 249 (b) Bewertung ...................................................................... :.............. 250 (5) Die Berichterstattermission zur UntersuchWlg von Berichten über Angriffe auf Zivilpersonen in Kroatien Wld Bosnien-Herzegowina, sog. "Corell-Mission", vom 30. September bis 5. Oktober 1992 .................. 251 (a) Ablauf .......................................................................................... 251 (b) Bewertung ..................................................................................... 251 (6) Die SanktionsWlterstützungsmissionen nach Albanien, Bulgarien, Kroatien, Makedonien, Rumänien, der Ukraine Wld Ungarn zur ÜberwachWlg der EinhaltWlg der UN-Sanktionen, eingesetzt durch EG Wld 16. AHB-Treffen mit Beschluß vom 18. September 1992 in Umsetzung des Mandats der Londoner Jugoslawien-Konferenz ........... 252 (a) Ablauf .......................................................................................... 252 (b)Bewertilllg ..................................................................................... 253

Inhaltsverzeiclmis (7) Die KSZE-Mission in Sarajevo, eingesetzt durch Beschluß des Ständigen Ausschusses vom 2. Juni 1994 ................................................... (a) Ablauf. .................................................................. , ....................... (b)Bewertung ..................................................................................... c) Die Behandlung der Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawiens durch die KSZE ....................................................................................... (1) Die Aufnahme von Slowenien, Kroatien und Bosnien-Herzegowina .... (2)Der Ausschluß "Jugoslawiens" (Serbien-Montenegros) von den KSZE-Tretlen und die Voraussetzungen flir eine Wiederzulassung ..... (a) Die Suspendierung der Teilnahme Jugoslawiens (Serbiens und Montenegros) an den Tretfen der KSZE ........................................ (b) Die Voraussetzungen tur eine Wiederzulassung Jugoslawiens zu den Treffen der OSZE unter besonderer Berücksichtigung der tormellen Erfordernisse .................................................................

15 254 254 255 255 255 256 256 258

3. Abschließende Bewertung der Bemühungen der KSZE zur Streitbeilegung im ehemaligen Jugoslawien .......................................................................... 259 Drittes Kapitel Handlungsalternativen

263

I. EintUhrung ................................................................................... ..................... 263 II. Die Verhängung von Wirtschaftssanktionen durch die OSZE ............................. 264 1. Die Zulässigkeit von Wirtschaftssanktionen durch die OSZE nach OSZENormen ........................................................................................................ a) Begritfsbestimmung .................................................................................. b) Dokumentenlage ...................... ........................ .................. ....................... c) Ergebnis .................................................................................................... 2. Die völkerrechtliche Zulässigkeit von Wirtschaftssanktionen im Rahmen der OSZE ........................................................................................................... a) Das OSZE-Handelsembargo und die völkerrechtliche Zulässigkeit eines individuellen Handelsembargos ................................................................ (I) Einführung ......................................................................................... (2) Mögliche völkerrechtliche Schranken der Verhängung eines individuellen Handelsembargos ................................................................... (a) Recht und Ptlicht zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit ................. (b) Gewaltverbot.. ............................................................................... (c) Interventionsverbot.. ..................... ................................................. (d) Diskriminierungsverbot ................................................................. (e) Das GATT als spezielle völkervertragsrechtliche Schranke ............ (l) Handelsverträge ............................................................................ (3) Zwischenergebnis und Rechtfertigungsgründe ..................................... (4) Ergebnis ............................................................................................. b) Das OSZE-Handelsembargo und die Beschränkung des Art. 53 SVN ........ (I) Einführung ........................................................................................

264 264 265 266 267 267 267 268 268 269 270 273 275 276 276 278 278 278

16

Inhaltsverzeichnis (2) Der Inhalt des Begriffs der "Zwangsmaßnalune" in Art. 53 SVN ......... (a) Systematik und Entstehungsgeschichte der UN-Charta ................... (b) Die Praxis des UN-Sicherheitsrates ............................................... (c) Die Bestimmung des Begriffs der "Zwangsmaßnalune" anhand der Ziele und Grundsätze der UN-Charta ............................................. (3) Ergebnis ............................................................................................. c) Die BelÜcksichtigung des außerrechtlichen Charakters der OSZE ............. d) Ergebnis ...................................................................................................

279 279 281 283 288 288 289

3. Die Etlizienz von Wirtschatlssanktionen ....................................................... 289 a) Die begrenzte Etlizienz regionaler Wirtschaftssanktionen ......................... 290 b) Der Grundsatz der Verhängung von Wirtschaftssanktionen und seine praktische Relevanz im Jugoslawienkonflikt .................................................... 290 c) Die Auswirkungen der UN-Wirtschaftssanktionen auf den Krieg im ehemaligen Jugoslawien ................................................................................. 292 (l) Das Wafl'enembargo der VN und seine Folgen .................................... 292 (2) Das Zögern der VN bei der Verhängung eines umfassenden Handelsembargos, insbesondere eines Ölembargos .......................................... 293 (3) Die Durchbrechungen der UN-Sank1ionen und ihre HintergIiinde ........ 295 d) Die Nebenfolgen von Wirtschaftssank1ionen am Beispiel des Handelsembargos gegen Restjugoslawien ................................................................... 299 e) W irtschatlssanktionen und ethnische Kriege ............................................. 300 4. Ergebnis.......................................................................................... ............. 301

m. Der Umbau der OSZE in ein System kollektiver Sicherheit.. .............. ...............

302

I. Eintlihrung und Begriffsbestimmung ............................................................. 302 2. Die Vorschläge zur Umwandlung der KSZE in ein System kollektiver Sicherheit ............................................................................................................... 303 3. Die Realisierungswahrscheinlichkeit dieser Vorschläge ................................ 308 a) Die grundsätzliche Problematik des Konzepts der kollektiven Sicherheit... 308 b) OSZE-immanente Hindernisse .................................................................. 310 4. Ergebnis ........... ...... ...... ............ .................................................................... 311

Viertes Kapitel

Abschließende Bewertung der Möglichkeiten der OSZE bei der Beilegung von Streitigkeiten unter besonderer Berücksichtigung der ihr im Rahmen ethnischer Konflikte erwachsenden Aufgaben

313

I. Die Bedeutung des präventiven Konfliktlösungsansatzes der OSZE fur die internationale Sicherheit.......................................................................................... 313 II. Die küntligen Aufgabentdder der OSZE .................................... .. ..................... 317 I. Überblick ............. ............. .. ......................................................................... 317

Inhaltsverzeichnis

17

2. Regionale Friedenssicherung durch Vertrauensbildnng nnd friedliche Streitbeilegnng.......... ...... ............................................... .............. ......................... 318 3. Die Präzisierung von Schutzbestimmnngen fiir Minderheiten innerhalb multiethnischer Staaten nnd ihre ImplementierWlg ................................................ 321 a) Einführung ............................................................................................... 321 b) Das derzeitige Konfliktpotential im OSZE-Raum nnd seine Hintergründe. 322 c) Die bisherige Beschränknng der OSZE auf individuelle Minderheitenrechte ....................................................................................................... 323 d) Autonome SelbstverwaltWlg im Rahmen toderaler Selbstbestimmnng zur Sicherung von Identität nnd Integrität ....................................................... 324 c) Die momentanen Grenzen der Gewährung autonomer Selbstverwaltnng im Rahmen fOderaler Selbstbestimmung am Beispiel des Minderheitenschutzes durch den Europarat... ................................................................. 326 f) Die künftigen Aufgabenfelder der OSZE im Bereich der Minderheitenrechte ....................................................................................................... 327 g) Die Konkretisierung von Minderheitenschutzbestimmnngen durch EG nnd Badinter Schiedskommission ............................................................. 328 (l) Individuelle Minderheitenrechte ................................. ........................ 328 (2) Kollektive Minderheitenrechte ............................................................ 330 h) Folgen für die OSZE ................................................................................. 330 4. Die Entwicklnng von Regelnngsmechanismen fiir die Auflösnng von Mehrvölkerstaaten, die Sezession von Teilgebieten nnd die Staatenneubildnng ..... a) Einführung ............................................................................................... b) Die Zubillignng eines Sezessionsrechtes ....... .. .......................................... c) Die Problematik der Anerkennnng .................................................... .. ...... d) Aufgaben fiir die OSZE ............................................................................ (1) Die Erarbeitnng von Richtlinien zur Sezession nnd Neugründnng von Staaten ............................................................................................... (2) Die inhaltliche AusgestaltWlg dieser Richtlinien ................................. (a) Die Ergebnisse der Badinter Schiedskommission ........................... (b) Die begrenzte flbertragbarkeit dieser Ergebnisse.......... .. ............ ... (c) Konsequenzen fiir die OSZE ..........................................................

331 331 332 333 334 334 335 335 336 337

5. Die Ausarbeitung von VerfahrensregeIn fiir Grenzkorrekturen nnd deren Überwachnng ................................................................................................ 338

m. Zusanunenfassnng ...................................... ...... ..................... ....................... ..... Zusammenfassung der Arbeit in Thesenform

341

Literaturveneichnis

345

Anhang (Übersichten nnd Abbildnngen)

2 Wenig

339

369

Abkürzungsverzeichnis Abs. AdG a.E. AHB AJIL Anm.

APZ

Art. ASEAN aV

AVR

Bd. BDIMR BdKJ BerM betr. BRJ BT-Drucks. BYIL bzgl. bzw. CFSP CIS CSCE CSO DA ders.

DGAP

d.h. EA ECOSOC ed. EG EGBGB EGV ehem.

EJIL

EMRK EPIL EPZ EU EuGRZ

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f. FAZ fT. Fn. FRJ FS FSK GASP GATI gern. ggü. grds. GS GUS GV GYIL HDZ

hins. h.L. HNKM Hrsg. HSFK IFSH IGHSt

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innerh. insb. IPbürgR i.S.v. JVA KAS-Al KP KPdSU KSE-Vertrag KSZE KSZE-GS KSZE-Rat KSZE-lNS KVAE KVZ LR LRI 2'

19

Vertrag über die Europäische Union Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Expertenmission Europäische Zeitung folgende Frankfurter Allgemeine Zeitung fortfolgende Fußnote Föderative Republik Jugoslawien Festschrift Forum fiir Sicherheitskooperation (der KSZE/OSZE) Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik General Agreement on TarifTs and Trade gemäß gegenüber grundsätzlich Generalsekrtär Gemeinschaft Unabhängiger Staaten Generalversammlung der Vereinten Nationen Gennan Yearbook of International Law Kroatische-Demokratische Gemeinschaft, (kroatische Partei in Kroatien; kroatische Partei in Bosnien-Herzegowina ) hinsichtlich herrschende Lehre Hoher Kommissar fiir Nationale Minderheiten Herausgeber Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung Institut filr Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg Statut des Internationalen Gerichtshofs International Law Commission innerhalb insbesondere Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte im Sinne von Jugoslawische Volksarmee Konrad Adenauer Stiftung, Auslandsinfonnationen Kommunistische Partei Kommunistische Partei der So\\jetunion Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa Generalsekretär der KSZE Rat der Außenminister der KSZE-Teilnehmerstaaten KSZE-Teilnehmerstaat Konferenz über Vertrauens- und Sicherheitsbildende Maßnahmen und Abrüstung in Europa Konf1iktverhütungszentrum Legationsrat Legationsrat I. Klasse

20 LS m.D. MfoR NACC NAKR nat. NATO NILR No. NQHR Nr.

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NZZ OAS ÖMZ OSZE OSZE-GS polit. Rdnr. rev. ed. RFEIRL RIW RSK S. SAOs Schw..JIR SDA SDS SED S+F SFRJ SFRY SR SIRes. StA

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UN UN-GS UNPAs UNPROFOR Verf. vgl. VKSE

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AbkülZlUlgsverzeichnis Legationssekretär menschliche Dimension Monatshefte rur osteuropäisches Recht North AtIantic Cooperation Council = NAKR Nordatlantischer Kooperationsrat nationale North Atlantic Treaty Organization Netherlands International Law Review number, Nummer Netherlands Quarterly of Human Rights Nummer Netherlands Yearbook ofInternational Law Neue Züricher Zeitung Organisation Amerikanischer Staaten Österreichische Militärzeitung Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa Generalsekretär der OSZE politisch Randnummer revised edition, überarbeitete Ausgabe/Auflage Radio Free EuropelRadio Liberty Recht der Internationalen Wirtschaft Republik Serbisch Krajina Seite Serbisch Autonome Gebiete Schweizerisches Jahrbuch fiir Internationales Recht Demokratische Aktionspartei, (muslimische Partei in BosnienHerzegowina; muslimische Partei im Sandschak) Serbische Demokratische Partei, (serbische Partei in BosnienHerzegowina) Sozialistische Einheitspartei Deutschlands Vierteljahresschrift für Sicherheit und Frieden Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien Socialist Federal Republik ofYugoslavia = SFRJ Sicherheitsrat der Vereinten Nationen SicherheitsratlResolution Ständiger Ausschuß der KSZE Satzung der Vereinten Nationen Süddeutsche Zeitung Teilnelunerstaat (der KSZE/OSZE) United Nations Generalsekretär der Vereinten Nationen United Nations Protection Areas United Nations Protection Force Verfasser vergleiche Verhandlungen über Konventionelle Streitkräfte in Europa Vortragender Legationsrat Vortragender Legationsrat I. Klasse

Abkilrzungsverzeichnis VMDK VMRO VN Vol. Vors. VSBM

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WEU WP WVRK ZaöRV Zif.

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zw.

Partei der ungarischen Minderheit in der Woiwodina Innere Makedonische Revolutionäre Organisation Vereinte Nationen; Vereinte Nationen (Zeitschrift) Volume, Band Vorsitzender Vertrauens- und Sicherheitsbildende Maßnahmen Yearbook of the International Law Cornrnission Westeuropäische Union Warschauer Pakt Wiener Vertragsrechtskonvention Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Zitler Zentralkornrnittee zwischen

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Einleitung Die Beendigung des Ost-West-Gegensatzes und der Zusammenbruch sowohl der sowjetischen Vorherrschaft in Osteuropa als auch der Sowjetunion selbst haben zu einer radikalen Transformation der internationalen Beziehungen geruhrt. Einerseits eröffneten sich fiir die Anfang der siebziger Jahre ins Leben gerufenen Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) infolge des Wegfalls der ideologisch oder machtpolitisch begründeten Auseinandersetzungen neue Perspektiven der Zusammenarbeit auf multinationaler Ebene. Andererseits traten ethnische Rivalitäten, die während der kommunistischen Vorherrschaft nicht beseitigt, sondern nur unterdrückt worden waren, mit gewaltiger Kraft wieder an die Oberfläche und fiihrten zu Krisen, Konflikten und Kriegen auf dem Boden der ehemals sozialistischen Staaten. In diesem Zusammenhang kommt der KSZE, die zum 1.1.1995 in Organisation fiir Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) umbenannt wurde, eine zentrale Bedeutung zu, da in ihr all jene Staaten Mitglied sind, auf deren Territorien die gegenwärtigen Konflikte und Krisen in Europa stattfinden. Die zur Entschärfung des Ost-West-Gegensatzes als lose Konferenzfolge ins Leben gerufenen KSZE wurde mit den im ehemaligen kommunistischen Machtbereich ausgebrochenen und gewaltsam ausgetragenen ethnischen Konflikten vor völlig neue Herausforderungen gestellt. Weder das aus der Zeit des Kalten Krieges stammende Prinzip der gegenseitigen Abschreckung noch die über fast zwei Jahrzehnte von KSZE-Diplomaten mit großem Erfolg praktizierte Verhandlungsmethode, Themen aus unterschiedlichen KSZE-Bereichen miteinander zu verknüpfen und zu gemeinsamen Paketen zusammenzuschnüren, bot sich rur die Lösung dieser Art von Konflikten an. Vor diesem Hintergrund entwickelte die KSZE im Rahmen ihrer auf dem Pariser Sondergipfel im November 1990 begonnenen Institutionalisierung ein ganzes Bündel von Verfahren zur Verhütung, Eindämmung und Beilegung von Streitigkeiten, die sog. Streitbeilegungsmechanismen. Diese reichen von Auskunftsersuchen über Erkundungs- und Berichterstattermissionen bis hin zu friedenserhaltenden Einsätzen und Verfahren vor dem KSZE- (nunmehr OSZE-) Vergleichs- und Schiedsgerichtshofin Genf. Ziel der vorliegenden, im Juni 1994 abgeschlossenen und auf Stand März 1995 aktualisierten Arbeit ist es, die Möglichkeiten und Grenzen der OSZE bei der Verhütung und Lösung von Koirllikten aufzuzeigen. Hierbei wird ein besonderes Gewicht auf die ethnischen Konflikte gelegt, da diese die größten Gefahren fiir Sicherheit und Stabilität im OSZE-Gebiet darstellen. Den Hin-

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Einleitlmg

tergrund der vorliegenden Untersuchung bildet der Konflikt im ehemaligen Jugoslawien. Bevor die von der OSZE entwickelten und zum Teil schon eingesetzten elf Streitbeilegungsmechanismen im einzelnen dargestellt und hinsichtlich ihrer Effektivität bewertet werden, erfolgt vorab zum besseren Verständnis der Verfahrensabläufe der jeweiligen Mechanismen und ihres Regelungscharakters in einem einführenden Kapitel eine Darstellung des Institutionengefiiges der OSZE sowie eine Untersuchung ihres Rechtscharakters. Ziel dieses einleitenden ersten Kapitels ist es zunächst, den sich erst aus der Gesamtbetrachtung einer Vielzahl von OSZE-Dokumenten ergebenden Institutionenaufbau der OSZE zu illustrieren und die jeweiligen Kompetenzen der OSZEInstitutionen aufzuzeigen. Darüberhinaus wird die Rechtsnatur der OSZEDokumente untersucht und der Frage nachgegangen, ob sich die fiir die Schlußakte von Helsinki getroffene Bewertung als außerrechtliche politische Abmachung auch auf die OSZE-Dokumente neueren Datums übertragen läßt, oder ob diese völkerrechtliche Rechte und Pflichten begründen, die Einhaltung ihrer Bestimmungen mithin mit dem völkerrechtlichen Sanktionsinstrument der Repressalie eingefordert werden kann. Des weiteren wird der völkerrecht1iche Status der Organisation OSZE überprüft und hierbei der bis zur Umbenennung der KSZE in OSZE strittigen Frage nachgegangen, ob es sich bei der KSZE in ihrer Gestalt seit der Charta VOn Paris um einen institutionalisierten Konferenzprozeß oder bereits um eine internationale Organisation handelte. Als letzte Vorfrage wird der Status der OSZE als "regionale Abmachung" i.S.v. Kapitel VIII SVN auf seine rechtliche Grundlage hin untersucht. Nach Klärung dieser notwendigen Grundlagen werden im zweiten Kapitel zunächst die elf Streitbeilegungsmechanismen der OSZE in einem grundsätzlich dreigliedrigen Schema dargestellt: Nach einem kurzen Überblick über das Regelungsziel des Mechanismus folgt eine Darstellung seines Verfahrens, an die sich eine Bewertung seiner Konfliktregelungsmöglichkeiten anschließt. Nach diesem grundlegenden Überblick wird der Einsatz der KSZEMechanismen im Jugoslawienkonflikt dargestellt. Um eine realistische Bewertung der Effizienz der OSZE-Streitbeilegungsmechanismen hinsichtlich einer dauerhaften Konfliktlösung vornehmen zu können, werden zunächst die Hintergründe des Krieges im ehemaligen Jugoslawien ausfiihrlich erläutert und dessen Ablaufbis zum Frühjahr 1995 geschildert. Danach folgt eine detaillierte Darstellung und Bewertung der von der KSZE unternommenen Bemühungen zur Streitbeilegung im ehemaligen Jugoslawien. Im dritten Kapitel wird untersucht, welche Möglichkeiten sich der OSZE bieten. auf Streitigkeiten, die diplomatischen Verhandlungslösungen nicht unmittelbar offenstehen, konfliktmindernd einzuwirken. Hierbei wird zunächst die rechtliche Zulässigkeit der Verhängung von Wirtschaftssanktionen durch die OSZE geklärt sowie die Effizienz derartiger Maßnahmen bei ethnischen Konflikten unter Berücksichtigung der Ereignisse im ehemaligen Jugoslawien

Einleitung

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hinterfragt. Des weiteren werden die Realisierungsmöglichkeiten der Umwandlung der OSZE in ein System kollektiver Sicherheit untersucht. Das letzte Kapitel der Arbeit dient der abschließenden Bewertung der Möglichkeiten der OSZE zur Beilegung ethnischer Streitigkeiten. Hierbei wird die Bedeutung der OSZE fur die internationale Sicherheit untersucht und es werden die Bereiche aufgezeigt, in denen die OSZE in den nächsten Jahren normkonkretisierend und normimplementierend tätig werden muß, um das von ihr erstrebte Ziel, die Förderung von Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, zu erreichen. Die Arbeit endet mit einer thesenfOrmigen Zusammenfassung der in ihr herausgearbeiteten Ergebnisse. In einem Anhang finden sich Übersichten zur Illustration des OSZE-Institutionengefiiges, der Verfahrensabläufe der komplizierteren OSZE-Streitbeilegungsmechanismen sowie der Ereignisse im ehemaligen Jugoslawien. Auf ein Stichwortverzeichnis wurde angesichts der ausfiihrlichen Gliederung und der mehr als 100 auf Seiten bezogenen Querverweise verzichtet.

Erstes Kapitel

Die OSZE - Vom Konferenzprozeß zur Organisation I. Entstehung und Entwicklung der OSZE Die Anfange der bis zum 31.12.1994 noch KSZE genannten OSZE 1 lassen sich zurückverfolgen bis in die sechziger Jahre, in denen nach sowjetischen Vorschlägen zur Einberufung einer gesamteuropäischen Sicherheitskonferenz ein mehrjähriger Notenwechsel zwischen den NATO-Staaten und jenen des Warschauer Paktes stattfand. Am 22.11.1972 begannen dann auf Grund eines Angebotes der finnischen Regierung die in Helsinki akkreditierten Missionschefs aller europäischen Staaten mit Ausnahme Albaniens sowie der USA und Kanadas mit Vorgesprächen über eine Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE).2 Ziel dieser Konferenz sollte es sein, die zwiI Für die in dieser Arbeit untersuchten Ereignisse wird, soweit sie vor dem 1.1.1995 liegen, die damalige Bezeichnung KSZE, soweit sie danach stattfanden oder es sich mn allgemeingültige Aussagen handelt, der Begriff OSZE verwandt. 2 Aus der umfangreichen Literatur, die sich mit der Entstehung und Entwicklung der KSZE befassen, seien hier allein von den Büchern folgende Werke genannt: Lehne, The CSCE in the I 990s: Common European House or Potemkin Village (1991); Ropers/Schlotter, Die KSZE: Multilaterales Konfliktmanagement im weltpolitischen Umbruch, Zukunftsperspektiven und neue Impulse filr regionale Friedensstrategien (1992), (zit.: Ropers/Schlotter, Multilaterales Konfliktmanagement); Meyer. Erst die Spitze eines Eisbergs, KSZE-Konfliktmanagement und nationale Minderheiten, HSFKReport 8/1992 (zit: Meyer, Nationale Minderheiten); von Bredow, Von der Zähmung zur Auflösung des Ost-West-Konflikts (1992); Staack (Hrsg.), Autbruch nach Gesamteuropa: Die KSZE nach der Wende im Osten (1992); Jaberg, KSZE 2001: Profil einer Europäischen Sicherheitsordnung (1992), (zit.: Jaberg, KSZE); Lucas (Hrsg.), The CSCE in the 1990s: Constructing European Security and Cooperation (1993); Carlsson (ed.), The Challenge of Preventive Diplomacy. The experience of the CSCE (1994); von Plate (Hrsg.), Europa auf dem Weg zur kollektiven Sicherheit?, Konzeptionelle und organisatorische Entwicklungen der sicherheitspolitischen Institutionen Europas (1994); Schlotter/RoperslMeyer, Die neue KSZE: Zukunftsperspektiven einer regionalen Friedensstrategie (1994). Einen guten Überblick bietet zudem die detaillierte EintUhrung von Schweisfurth unter Mitarbeit von Oellers-Frahm in der Reihe Beck-Texte im dtv, Nr. 5573, KSZE-Dokurnente (1993), (zit.: Schweisfurth, Einfiihrung bzw. Oellers-Frahm. KSZE-Kontrollmittel) sowie die Einfiihrung in der Loseblattsammlung von Fastenrath, KSZE, Dokumente der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (1995), (zit.: Fastenrath, KSZE - Einfiihrung). Eine Zusammenstellung der nunmehr über 30 KSZE-Dokumente fmdet sich in: Beck-Texte im dtv, Nr. 5573, KSZE-Dokumente (Stand Juli 1993); Fastenrath, KSZE,

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1. Kapitel: Die OSZE - Vom Konferenzprozeß zur Organisation

sehen Ost und West bestehenden Spannungen abzubauen und das Leben der von der Teilung Europas betroffenen Menschen zu erleichtern. Durch die Schaffung eines gemeinsamen Verhaltenskodex sollte die Zusammenarbeit der beiden antagonistischen Systemblöcke gefördert und Sicherheit und Stabilität in Europa gewährleistet werden. Die Beratungen endeten mit der Verabschiedung der "Schlußempfehlungen der Helsinki-Konsultationen vom 8.6.1973 "3 . In diesen wurde der Ablauf der Konferenz, die zu behandelnden Themen, unterteilt in drei Bereiche (genannt Körbe), und die anzuwendenden Verfahrensregeln, insbesondere das rur alle Konferenzbeschlüsse geltende und fiir die KSZE charakteristische Konsensprinzip4 festgelegt. Die Verabschiedung der Schluß empfehlungen folgte auf der vom 3. bis 7. Juli 1973 in Helsinki tagenden Konferenz der Außenminister der 35 KSZETeilnehmerstaaten, die ihrerseits die erste Phase der KSZE darstellte. In der zweiten Phase wurde in mehreren Kommissionen in Genf das Abschlußdokument ausgearbeitet, welches dann auf dem Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der KSZE-Teilnehmerstaaten vom 30. Juli bis zum l. August in Helsinki unter dem Titel "Schlußakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa"5 unterzeichnet wurde. Gemäß den Schlußempfehlungen gliedert sich die Schlußakte in drei Körbe: Korb I: Fragen der Sicherheit in Europa, Korb 11: Zusammenarbeit in den Bereichen der Wissenschaft und der Technik sowie der Umwelt, Korb III: Zusammenarbeit in humanitären und anderen Bereichen. Kernstück der Schlußakte ist der im ersten Korb verankerte Prinzipienkatalog mit seinen zehn Prinzipien zur Regelung eines friedlichen Zusammenlebens in Europa. Die Schlußakte von Helsinki wurde zwar an den Generalsekretär der Vereinten Nationen zur Weiterleitung an alle Mitglieder übersandt, ist aber mangels Absicht ihrer Unterzeichner, mit der Schlußakte Rechte und Pflichten nach Völkerrecht zu begründen, nicht als völkerrechtlicher Vertrag einzustu-

Dokmnente der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, Loseblattsammlung (Stand Januar 1995), (zit.: Fastenrath, KSZE-Dokumente) sowie Auswärtiges Amt (Hrsg.), Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, Dokumentation zmn KSZE-Prozeß (1990) und ders., 20 Jahre KSZE 1973-1993 (1993). 3 Abgedruckt in: Auswärtiges Amt (Hrsg.), Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Dokmnentation zmn KSZE-Prozeß (1990), (zit.: Auswärtiges Amt, Dokumentation zmn KSZE-Prozeß), S. 33 tT. 4 Vgl.: Schlußempfehlungen der Helsinki-Konsultationen vom 8.6.1973 (zit.: Helsinki-Schlußempfehlungen) ZitT. 69, in: Auswärtiges Amt, Dokumentation zmn KSZEProzeß, S. 45. 5 Abgedruckt in: Auswärtiges Amt, Dokmnentation zmn KSZE-Prozeß, S. 50 tT.

I. Entstehung und Entwicklung der OSZE

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fen, sondern lediglich als eine außerrechtliche zwischenstaatliche Abmachung, 6 allerdings eine von hoher moralisch politischer Wirkung. Um die Implementierung der Bestimmungen der Schlußakte zu überprüfen und den eingetretenen Entspannungsprozeß weiterzufiihren, kam es bis 1990 zu drei KSZE-Folgekonferenzen auf Außenministerebene: 1. Nachfolgekonferenz in Belgrad (Okt. 1977 - März 1978), 2. Nachfolgekonferenz in Madrid (Nov. 1980 - Sept. 1983), 3. Nachfolgekonferenz in Wien (Nov. 1986 - Jan. 1989).1 Der große Durchbruch gelang erst auf dem außerordentlichen Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der KSZE-Teilnehmerstaaten vom 19. bis 21. November 1990 in Paris. Dort wurde zunächst der Ost-West-Konflikt in einer gemeinsamen Erklärung der 22 der NATO und dem Warschauer Pakt angehörenden KSZE-Teilnehmerstaaten rur beendet erklärt, 8 danach der Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE-Vertrag) als erstes völkerrechtlich verbindliches KSZE-Dokument abgeschlossen und schließlich das zukunftsweisende Schlußdokument, die Charta von Paris./Ur ein neues Europa verabschiedet. 9 War die KSZE bis zum Ende des Ost-West-Konfliktes ein Prozeß aufeinanderfolgender multilateraler diplomatischer Konferenzen und Expertentreffen mit einem sich allmählich verdichtenden Normengeruge, so erhielt sie mit diesem Schlußdokument ständige Institutionen,1O deren Anzahl und Befug6 So Schweisfurth, Zur Frage der Rechtsnatur, Verbindlichkeit und völkerrechtlichen Relevanz der KSZE-Schlußakte, in: ZaöRV Bd. 36 (1976), (zit.: Schweisfurth, KSZE-Schlußakte), S. 695 f. Die Rechtsnatur der Schlußakte wie auch der nachfolgenden KSZE-Dokumente wird folgenden auf S. 62 ff. untersucht. 7 Zu Ablauf und Ergebnis dieser Konferenzen vgl. Buergenthal, The CSCE Rights System, in: The George Washington Journal ofInternational Lawand Econornics, Vol. 25 No. I (1991), S. 345 ff. Vgl. auch JopplMeyer/Ropers/Schlotter, Zehn Jahre KSZEProzeß - Bilanz und Perspektiven gesamteuropäischer Entspannung und Zusammenarbeit, in: APZ B37/85, S. 3 ff.; Ropers/Schlotter, Institutionalisierung des KSZEProzesses - Perspektiven und ihre Bewertung, in: APZ Bl-2/87, S. 16 ff.; Schneider, Die KSZE: Bilanz eines Prozesses gesamteuropäischer Kooperation, in: Jahrbuch der Europäischen Integration 1990191, S. 41 ff. 8 Vgl.: Gemeinsame Erklärung von zweiundzwanzig Staaten, in: Bulletin des Presse- und Informationsamts der Bundesregierung (zit.: Bulletin) Nr. 137/1990, S. 1422 f. 9 Abgedruckt in: Bulletin Nr. 13711990, S. 1409 ff. 10 Geschaffen wurde das KSZE-Sekretariat, der Rat der Außenrninister (KSZERat), der Ausschuß Hoher Beamter (AHB), das Konfliktverhütungszentrum (KVZ) und das Büro fiir freie Wahlen, das jetzige Büro filr demokratische Institutionen und Menschenrechte (BDlMR). Folge- und Gipfeltreffen wurden periodisiert. Vgl. hierzu: Zusatzdokument zur Durchflihrung einiger Bestimmungen der Charta von Paris fiir ein neues Europa (zit.: Zusatzdokument zur Charta von Paris), in: Bulletin Nr. 13711990, S. 1416 tr.

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1. Kapitel: Die OSZE - Vom Konferenzprozeß zur Organisation

nisse auf den nachfolgenden Treffen der KSZE noch erweitert wurden. Die operative Phase der KSZE, d.h. die Bearbeitung konkreter Probleme im Rahmen der neugeschaffenen Institutionen, konnte nun beginnen. Neben der Institutionalisierung war das zweite herausragende Merkmal der Charta von Paris die Verständigung der KSZE-Teilnehmerstaaten auf ein gemeinsames Wertespektrum. An die Stelle des ordnungspolitischen Grundkonfliktes zwischen Ost und West trat das gemeinsame Bekenntnis zur Verwirklichung von Menschenrechten, pluralistischer Demokratie und Rechtsstaatlichkeit als den tragenden Elementen einer neuen europäischen Ordnung. Um diese Werte besser schützen zu können, rückten die Außenminister der KSZE auf ihrem zweiten Treffen vom 30 zum 31. Januar 1992 in Prag von dem für die KSZE bisher konstitutiven Konsensprinzip ab und verabschiedeten das "Konsens-minus-eins" Verfahren. II Hiernach kann der Rat oder der Ausschuß Hoher Beamter (AHB) "in Fällen von eindeutigen, groben und nicht behobenen Verletzungen einschlägiger KSZE-Verpflichtungen angemessene Maßnahmen ... erforderlichenfalls auch ohne Zustimmung des betroffenen Staates (treffen)."12 Seit der Verabschiedung der Charta von Paris rückten unter dem Eindruck der ethnischen Konflikte in den ehemaligen Sowjetrepubliken und insbesondere im ehemaligen Jugoslawien Frühwarnung, regionale Konfliktverhütung und Krisenbewältigung immer mehr in den Vordergrund der KSZE-Aktivitäten. So erhöhte sich die Zahl der einsatzbereiten und teilweise schon eingesetzten Streitbeilegungsmechanismen von zwei im Jahre 1990 auf nunmehr elf. Höhepunkt dieser Entwicklung war die auf dem 4. KSZE-Folgetreffen in Helsinki vom 20. bis 21. Juli 1992 getroffene Entscheidung der KSZE, zukünftig als regionale Abmachung i.S.v. Kapitel VIII SVN zu fungieren und somit örtlich begrenzte Streitigkeiten selbst beizulegen, wozu auch die Durchführung von peace-keeping Einsätzen zählt. 13 Zudem wurde in Helsinki das Amt eines 11 Eine erste, wenngleich verklausulierte Durchbrechung des Konsensprinzips enthielt ZitT. 2.7 des auf der ersten Tagung des KSZE-Außenministerrates am 19. und 20. Juni 1991 in Berlin verabschiedeten Mechanismus fiir dringliche Situationen, derzufolge ein Teilnehmerstaat die Einberufung eines Dringlichkeitstreffens nicht unter Verweis auf mangelnde Stichhaltigkeit der Einberufungsglilnde verschieben oder gar verhindern kann. 12 Vgl.: Zweites Treffen des Rates der Außenminister der Teilnehmerstaaten der KSZE am 30./31. Januar 1992 in Prag. Prager Dokument über die weitere Entwicklung der KSZE-Institutionen und -Strukturen (zit.: Prager Dokument) Ziff. 16, in: Bulletin Nr. 12/1992, S. 81 ff. Zu den Einschränkung der durch das "Konsens-minus-eins" Verfahren der KSZE eröffneten Maßnahmen siehe im folgenden aufS. 102 f. 13 Vgl.: Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Helsinki D0kument 1992. Herausforderung des Wandels. Beschlüsse von Helsinki (zit.: Beschlüsse von Helsinki) Abschnitt m, Ziff. 17 ff. und Abschnitt IV, ZitT. 2, in: Bulletin Nr. 82/1992, S. 781 ff.

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I. Entstehung und Entwicklung der OSZE

Hohen Kommissars rur nationale Minderheiten (HKNM) geschaffen und das Forum rur Sicherheitskooperation (FSK) errichtet. .

.

Auf dem 3. Treffen des Rates der Außenminister der KSZE-Teilnehmerstaaten vom 14. bis 15. Dezember 1992 in Stockholm wurden weitere grundlegende Schritte zur Verstärkung der Möglichkeiten zur friedlichen Beilegung von Streitigkeiten ergriffen. So wurde zum einen mit dem Übereinkommen über Vergleichs- und Schiedsverfahren innerhalb der KSZE14 der zweite völkerrechtlich verbindliche Vertrag im Rahmen der KSZE geschlossen. 15 Zum anderen erfolgte in den Bestimmungen über einen Vergleich auf Anordnung 16 eine weitere Durchbrechung des Konsensprinzips, da nun der KSZERat oder der AHB im "Konsens-minus-zwei" Verfahren zwei beliebige KSZETeilnehmerstaaten auch gegen ihren Willen anweisen können, sich einem Vergleichsverfahren zu unterziehen. Darüber hinaus wurde in Stockholm die Institution des KSZE-Generalsekretärs geschaffen. Um die Ende 1990 begonnene Institutionalisierung der KSZE effizienter und übersichtlicher zu gestalten, beschlossen die Außenminister der KSZETeilnehmerstaaten auf ihrem vom 30. November bis 1. Dezember 1993 in Rom abgehaltenen 4. Ratstreffen 17 eine grundlegende Strukturreforrn18 und 14 Vgl.: Beschluß über friedliche Beilegung von Streitigkeiten des 3. Treffens des KSZE-Rates in Stockholm (zit.: Beschluß über friedliche Beilegung von Streitigkeiten), Anhang 2. Abgedruckt in: Bulletin Nr. 2/1993, S. 6 ff. 15 Das erste völkerrechtlich verbindliche KSZE-Dokwnent ist der auf dem Gipfel von Paris am 19. November 1990 von 24 KSZE-Teilnehmerstaaten unterzeichnete KSE-Vertrag. Der Anfang 1992 abgeschlossene völkerrechtlich verbindliche Vertrag über den Offenen Himmel (Open Skies-Vertrag) gehört nicht zum KSZE-Prozeß im engeren Sinne, da auf Betreiben der Vereinigten Staaten die Verhandlungen nur zwischen den beiden Militärblöcken NATO und WP geführt wurden. Durch seine Präambel, insb. dem allen KSZE-Teilnehmerstaaten eröffneten Beitritt sowie der anläßlich der Vertragsunterzeichnung von den Außenministern der KSZE-Teilnehmerstaaten abgegebenen "KSZEErklärung zum Vertrag über den Offenen Himmel" ist dieser Vertrag jedoch eng in den KSZE-Prozeß eingebunden worden. (So Fastenrath, Einführung, Abschnitt I 4. Die KSZE-Erklärung ist abgedruckt in: Auswärtiges Amt, 20 Jahre KSZE 1973-1993 (1993), S. 431). 16 Vgl.: Beschluß über friedliche Beilegung von Streitigkeiten, Anhang 4 Ziff 1. Abgedruckt in: Bulletin Nr. 2/1993, S. 14. 17 Vgl.: Viertes Treffen des Rates der Außenminister der KSZE-Teilnehmerstaaten, Abschnitt Beschlüsse (zit.: Beschlüsse von Rom), abgedruckt in: Bulletin Nr. 112/1993, S. 1234 ff. 18 So wurde der Konsultativausschuß als Beschlußgremium des KVZ abgeschaffi: und seine Kompetenzen dem neugegründeten Stlindigen Ausschuß sowie dem FSK übertragen. Das bisherige KSZE-Sekretariat in Prag wird als Büro weitergeführt, während in Wien ein neues KSZE-Sekretariat unter Leitung des Generalsekretärs der KSZE eingerichtet wurde. Vgl.: Beschlüsse von Rom, Abschnitt VII, Ziff. 1-8.

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1. Kapitel: Die OSZE - Vom Konferenzprozeß zur Organisation

einigten sich darauf, einigen KSZE-Institutionen Rechtsfähigkeit nach nationalem Recht zu verleihen 19 und den KSZE-Bediensteten sowie den Mitgliedern von KSZE-Missionen Vorrechte und Immunitäten zu gewähren. 20 Zudem wurden die vorhandenen Streitbeilegungsmechanismen weiter ausgebaut. 21 Als Konsequenz des grundlegenden Wandels der KSZE, den diese von einer losen Konferenzfolge zu einem Regelwerk sui generis mit ihr eigenen Institutionen und Verfahren zur Streitbeilegung gemacht hatte, beschlossen die Staats- und Regierungschefs der KSZE-Teilnehmerstaaten auf ihrem fünften Folgetreffen Anfang Dezember 1994 in Budapest, daß die KSZE ab dem 1. Januar 1995 den Namen Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) tragen wird. 22 Hiermit wurde nicht nur dem erreichten Institutionalisierungsgrad Rechnung getragen, sondern auch die gestärkte Rolle unterstrichen, die die KSZE als "die Sicherheitsstruktur, die Staaten von Vancouver bis Wladiwostok umspannt"23 , im Bereich der Konfliktprävention und Krisenbewältigung spielt. Die bestehenden Institutionen KSZE-Rat, AHB und Ständiger Ausschuß wurden bei gleichbleibender personeller Besetzung und Aufgabenverteilung in Ministerrat, Hohen Rat und Ständigen Rat umbenannt,24 die Befugnisse des Generalsekretärs und des Büros rur demokratische Institutionen und Menschenrechte erweitert. Zur Verdeutlichung, daß es sich bei der Namensände19 Dies betriffi das KSZE-Sekretariat und das BDIMR, vgl.: Beschlüsse von Rom, Absclmitt VII, ZifT. 11 sowie Zusätzlicher Beschluß des KSZE-Außenministerrates von Rom, Anhang 1, ZitT. 1, abgedruckt in: Bulletin Nr. 112/1993, S. 1242. 20 Vgl.: Beschlüsse von Rom, Abschnitt VII, ZifT. 11 sowie Zusätzlicher Beschluß des KSZE-Außenministerrates von Rom, Anhang 1, ZifT. 2 fT. In diesem Rahmen wurde auch die Ausstellung von KSZE-Personalausweisen beschlossen, vgl.: Beschlüsse von Rom, Absclmitt VII, ZifT. 11 sowie Zusätzlicher Beschluß des KSZEAußenministerrates von Rom, Anhang A. 21 So wurden insbesondere die Vorschriften des Mechanismus der menschlichen Dimension effizienter gestaltet und die Beratungen zur Durchfuhrung von peacekeeping Einsätzen unter der Ägide der KSZE intensiviert. Vgl. hierzu: Beschlüsse von Rom, Abschnitt 11 und IV sowie Anhang A. 22 Vgl.: Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Budapester D0kument 1994. Beschlüsse von Bu~pest (zit.: Beschlüsse von Budapest) Abschnitt I, ZifT. 1, in: Bulletin Nr. 120/1994, S. 1097 fT., (1100). 23 Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Budapester Dokument 1994. Gipfelerklärung von Budapest, ZifT. 3. 24 Während die KSZE am 1.1.1995 in OSZE umbenannt wurde, erfolgte die Umbenennung ihrer Institutionen KSZE-Rat, AHB und Ständiger Ausschuß bereits mit Annahme der Beschlüsse von Budapest am 6. Dezember 1994. So trat der ehemalige Ständige Ausschuß am 15. Dezember 1994 als Ständiger Rat zu seiner ersten Sitzung zusammen.

I. Entstehung und Entwicklung der OSZE

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rung um einen rein formellen Akt handelt, erklärten die Staats- und Regierungschefs im Budapester Dokument, daß "(sich) durch den Namenswechsel von KSZE zu OSZE weder der Charakter unserer KSZE-Verpflichtung noch der Status der KSZE und ihrer Institutionen (ändert). "25 Zudem wurde in Budapest beschlossen, daß die KSZE als "umfassende Rahmenstruktur rur die Sicherheit bereit sein (wird), als Sammelstelle rur frei ausgehandelte bilaterale und multilaterale Vereinbarungen und Übereinkünfte zu fungieren, sowie deren Umsetzung, falls von den Parteien gewünscht, zu verfolgen. "26 Unter Bezugnahme auf diese Erklärung wurde der am 20. März 1995 von den 52 OSZE-Teilnehmerstaaten auf Initiative der Europäischen Union in Paris angenommene Stabilitätspakt fiir Europa27 , der neben einer Deklaration über die Grundsätze gutnachbarlicher Beziehungen die Einbeziehung von rund 80 bereits bestehenden bilateralen Nachbarschafts- und Freundschaftsverträgen bzw. gemeinsamen Erklärungen enthält,28 der OSZE übergeben und ihr die Aufgabe übertragen, die Durchfiihrung dieses Paktes mit den ihr zur Verfiigung stehenden Instrumenten und Verfahren zu verfolgen. 29

25 Beschlüsse von Budapest, Abschnitt I, Ziff. 29. Der fiir die OSZE maßgebliche Rechtscharakter der KSZE und ihrer Dokumente wird im folgenden auf S. 58 ff. eingehend untersucht. 26 Beschlüsse von Budapest, Abschnitt I, Ziff. 27. 27 Abgedruckt in: Bulletin Nr. 24/1995, S. 24 ff. Zur Vorgeschichte des Stabilitätspaktes vgl. Benoit-RohmeriHardeman, The Pact on Stability in Europe: A Joint Action 01' the Twelve in the Framework of their Common Foreign and Security Policy, in: Helsinki Monitor 4/1994, S. 38 ff. 28 Diese Verträge bzw. Erklärungen enthalten u.a. Garantien fiir nationale Minderheiten, regeln den Verlauf von Grenzen oder den Abzug von Streitkräften, vgl.: Archiv der Gegenwart (AdG) 1995, S. 39854. 29 Vgl.: Stabilitätspakt für Europa, Ziff. 13. Um diese Durchfiihrung zu gewährleisten, bringen die OSZE-Teilnehmerstaaten in Ziff. 15 des Stabilitätspaktes ihre "Absicht zum Ausdruck, in den Fällen, in denen die Intervention der OSZE im Hinblick auf die Wahrung ihrer Grundsätze und die Erfullung ihrer Verpflichtungen bei der Anwendung der in den Pakt aufgenommenen Abkommen und Vereinbarungen erforderlich werden könnte, auf die Instrumente und Verfahren der OSZE - einschließlich deIjenigen, die die Konfliktverhütung, die friedliche Regelung von Streitfallen und die menschliche Dimension betreffen - zurückzugreifen. " 3 Wenig

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1. Kapitel: Die OSZE - Vom Konferenzprozeß zur Organisation

11. Die Institutionen der OSZE30 1. Einführung Die Institutionalisierung der KSZE begann im November 1990 mit der Schaffung des KSZE-Rates, des Ausschusses Hoher Beamter (AHB), des KSZE-Sekretariats, des Konfliktverhütungszentrurns (KVZ) und des Büros fur freie Wahlen. 3l Seither sind durch die Beschlüsse von 29 AHB-Treffen, vier Ratstreffen und zwei Folgetreffen32 die Befugnisse dieser Institutionen zum Teil erheblich modifiziert und eine Anzahl zusätzlicher Institutionen geschaffen worden, deren Kompetenzen ihrerseits im Laufe der Treffen weiter ausgebaut wurden. Die "Verfassung" der institutionalisierten KSZE bestand somit nicht aus einern einzigen Dokument, sondern aus den in einer Vielzahl von Beschlüssen verstreuten institutionellen Bestimmungen. Dies hat sich auch nach der auf dem Folgetreffen im Dezember 1994 in Budapest erfolgten Umbenennung der KSZE in OSZE nicht grundlegend geändert. Zwar werden in den Beschlüssen von Budapest Zusammensetzung, Tagungshäufigkeit und jeweilige Hauptaufgabe der neu benannten OSZEInstitutionen aufgefiihrt, doch handelt es sich hierbei nur um einen sehr kurzen, grundlegenden Überblick über den Aufbau der OSZE. Die Umbenennung des KSZE-Rates in Ministerrat, des AHB in Hohen Rat sowie des Ständigen Ausschusses in Ständigen Rat erfolgte lediglich zur Verdeutlichung der Organisationsqualität der KSZE. Die neubenannten Gremien sind also nicht nur hinsichtlich ihrer personellen Zusammensetzungskriterien mit den alten identisch, ihnen fallen auch all jene Handlungsbefugnisse zu, die ihrer jeweiligen Vorgängerinstitution seit 1990 durch KSZE-Dokumente bzw. im Rahmen der KSZE-Praxis eingeräumt wurden. 33 Aus diesem Grunde konnte in den Budapester Beschlüssen eine abschließende Kompetenzauflistung unterbleiben; fur eine umfassende Darstellung und Bewertung der Handlungsmöglichkeiten der OSZE ist allerdings, insbesondere angesichts der Tatsache, daß das Budapester Dokument keine Verweisungsvorschriften enthält, ein Rückgriff auf die ehemaligen KSZE-Institutionen im Sinne einer eingehenden Untersuchung ihrer Befugnisse unerläßlich. Die nachfolgende Darstellung der einzelnen OSZE-Institutionen und ihrer Handlungsmöglichkeiten geht daher zunächst von der Grundaussage der Bu-

30 Vgl. zur Übersicht das Schaubild im Anhang, S. 371. J 1 VgI.: Zusatzdokument zur Charta von Paris, Abschnitt I. 32 Stand März 1995. 33 Infonnation des Auswärtigen Amts.

ll. Die Institutionen der OSZE

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dapester Beschlüsse aus und zeigt dann anband der Auflistung der in zahlreichen KSZE-Dokumenten verstreuten Kompetenzen der Vorgängerinstitutionen, welche zusätzlichen Aufgaben und Befugnisse den Nachfolgeinstitutionen obliegen. Um nicht den Überblick zu verlieren, sei vorab zur Orientierung das architektonische GrundgeTÜst der OSZE kurz vorgestellt: Am ehesten läßt sich der institutionelle Aufbau der OSZE mit der Form einer Pyramide vergleichen, wobei die Häufigkeit der Zusammenkünfte der jeweiligen Institutionen von oben nach unten zunimmt, während ihre Entscheidungsbefugnisse abnehmen. Die untere Institution handelt zwischen den Sitzungen der ihr übergeordneten Institution -verallgemeinernd gesprochenals deren Beauftragter und ist ihr gegenüber rechenschaftspflichtig. An der Spitze stehen die zweijährig stattfindenden OSZE-Folgetreffen, die sich aus einer Überprüfungskonferenz und dem Treffen der Staats- und Regierungschefs zusammensetzen. Bei diesen Treffen werden die Richtlinien fiir die Zukunft der OSZE ausgearbeitet und verabschiedet.

Auf der nächsten Stufe folgen die in der Regel einmal pro Jahr abgehaltenen Treffen des Ministerrates (ehern. KSZE-Rat). Dieser setzt sich aus den Außenministern der OSZE-Teilnehmerstaaten zusammen und ist das zentrale Beschluß- und Lenkungsgremium. Die Treffen des Ministerrates finden in dem Teilnehmerstaat statt, der bei diesem Treffen den Ratsvorsitzenden stellt. Eine Besonderheit ist die Institution des amtierenden Vorsitzenden. Der Vorsitzende des Ministerrates amtiert auch nach Beendigung des Ministerratstreffens weiter und ist für Konsultations- und besondere Führungsaufgaben zuständig. Zudem trägt er die übergreifende Verantwortung für exekutive Maßnahmen. Auf der nächsttieferen Ebene folgt als operatives Lenkungsgremium der aus den politischen Direktoren der Außenministerien der OSZE-Teilnehmerstaaten bestehende Hohe Rat (ehern. AHB). Dieser tagt mindestens dreimal jährlich in Prag. Zudem tritt er einmal pro Jahr als Wirtschaftsforum der OSZE zusammen. Die darunter liegenden Ebene wird gebildet vorn Ständigen Rat (ehern. Ständiger Ausschuß, davor als Wiener Gruppe bezeichnet). Dieses mindestens einmal wöchentlich in Wien zusammentretende Gremium setzt sich aus ständigen Vertretern der OSZE-Teilnehmerstaaten zusammen und ist für die täglichen operativen Aufgaben zuständig. Den organisatorischen Unterbau der Pyramide bilden die unterstützenden Institutionen des OSZE-Generalsekretärs, der die Aufsicht über die OSZEInstitutionen führt, sowie das Sekretariat mit dem eingegliederten KVZ. Hinzu kommen als weitere OSZE-Institutionen das Büro fiir demokratische Institutionen und Menschenrechte (BDIMR) als Nachfolgerin des Büros für freie 3*

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1. Kapitel: Die OSZE - Vom Konferenzprozeß zur Organisation

Wahlen, der Hohe Kommissar für Nationale Minderheiten (HKNM), die Parlamentarische Versammlung, das Forum für Sicherheitskooperation (FSK) und der OSZE-Vergleichs- und Schiedsgerichtshof, deren gemeinsame Aufgabe es ist, spezifische Probleme zu erörtern und zu lösen bzw. im Falle einer Nichtlösung an den Hohen Rat als dem operativen Lenkungsgremium weiterzuleiten. 2. Die Folgetreffen Die als Nachfolgekonferenzen bezeichneten Folgetreffen stellten das Kernstück der alten KSZE dar. Aufgrund der im November 1990 mit der Charta von Paris begonnenen Institutionalisierung der KSZE hat sich ihre Bedeutung jedoch relativiert. Da seit diesem Zeitpunkt als zentrale Foren für politische Konsultationen der KSZE-Rat (nunmehr Ministerrat), der AHB (nunmehr Hohe Rat) und der Ständige Ausschuß (nunmehr Ständige Rat) zur Verfügung stehen, liegt seither die Aufgabe der Folgekonferenzen in der Überprüfung der Implementierung eingegangener Verpflichtungen und der Ausarbeitung von Richtlinien für die Zukunft. 34 Ihre Dauer konnte deshalb auf grundsätzlich drei Monate beschränkt werden. 35 Gleichzeitig wurde in der Charta von Paris festgelegt, daß die Folgetreffen alle zwei Jahre stattfinden. 36 Seit den Beschlüssen von Helsinki gliedern sich die Folgetreffen in die Oberprüjungskonjerenz (nunmehr OberprüjungstrejJen genannt) und das nachfolgende TrejJen der Staats- und Regierungschejs (GipjeltrejJen).37 Auf dem Überprüfungstreffen werden die Verwirklichung eingegangener Verpflichtungen im Rahmen einer Implementierungsdebatte überprüft und weitere

34 Vgl.: Charta von Paris, Abschnitt: Neue Strukturen und Institutionen des KSZEProzesses; Beschlüsse von Helsinki, Abschnitt I, Ziff. 2 ff. 35 Vgl.: Zusatzdokument zur Charta von Paris, Abschnitt I D. Die vorherigen KSZE-Folgekonferenzen hatten sich teilweise über mehrere Jahre hingezogen: Belgrad (Okt. 1977 bis März 1978), Madrid (Nov. 1980 bis Sept. 1983) und Wien (Sept. 1986 bis Jan. 1989). Grund hierfilr war vor allem der die Gespräche überschattende OstWest-Gegensatz. Neben der Institutionalisierung gestattete auch und gerade die Beendigung des Ost-West-Konfliktes und die damit einhergehende Entideologisierung der Verhandlungen die zeitliche Beschränkung der Dauer der Folgetreffen auf drei Monate. 36 Vgl.: Zusatzdokument zur Charta von Paris, Abschnitt I D. Ob es auch in Zukunft bei diesem zweijährigen Turnus bleibt, wird das 1996 in Lissabon stattfmdende GipteItreffen entscheiden. Vgl. hierzu: Beschlüsse von Budapest, Abschnitt I, Ziff. 15. 37 Vgl.: Beschlüsse von Helsinki, Abschnitt I, Ziff. 2 ff. sowie Beschlüsse von Budapest, Abschnitt I, Ziff. 25.

11. Die Institutionen der OSZE

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Schritte zur Stärkung der OSZE beraten. 38 Des weiteren wird ein auf Beschlüsse orientiertes Dokument erarbeitet, das vom nachfolgenden Treffen der Staats- und Regierungschefs anzunehmen ist. 39 Dieses Treffen dient der Festlegung der Richtlinien fiir die künftige Entwicklung der OSZE.40

3. Der Ministerrat (ehem. KSZE-Rat) und die Institution des amtierenden Vorsitzenden (aV) Der sich aus den Außenministern der 53 OSZE-Teilnehmerstaaten zusammensetzende Ministerrat ist das zentrale Beschluß- und Lenkungsgremium der OSZE.41 Er versammelt sich mindestens einmal jährlich, kann aber auch außerplanmäßig tagen. 42 Den Vorsitz hat der Vertreter des jeweiligen Gastgeberlandes des Ratstreffen inne. Der ursprünglich auf die jeweilige Ratssitzung begrenzte Vorsitz ist seit den Beschlüssen von Helsinki zu einer permanenten Institution geworden: 43 So amtiert der Vorsitzende des Ministerrates auch nach Beendigung des Ratstreffens weiter und ist bis zum Beginn des nächsten Ratstreffens als amtierender Vorsitzender (aV)44 im Namen des Ministerrates rur die Koordinierung der laufenden OSZE-Angelegenheiten und die Kommunikation mit den OSZE-Teilnehmerstaaten zuständig. 45 Der a V trägt zudem die übergreifende

38 Fand die Überprüfungskonferenz bislang am Ort des nachfolgenden Gipfeltreffens statt, so bestimmen die Beschlüsse von Budapest in ihrem Absclmitt I, Ziff. 25, daß die zukünftigen Überprüfungskonferenzen in Wien abgehalten werden. 39 Vgl.: Beschlüsse von Helsinki, Abschnitt I, ZitT. 4. 40 Vgl.: Ebenda, Absclmitt I, Ziff. 3. 41 Vgl.: Beschlüsse von Budapest, Absclmitt I, Ziff. 16. 42 So Abschnitt I A 3 und 4 des Zusatzdokumentes zur Charta von Paris. Die Tagungshäutigkeit ergibt sich auch aus der Gesamtbetrachtung der Bestimmungen zum Abschnitt I der Beschlüsse von Budapest. Während die den Ministerrat betreffende Ziff. 16 festlegt, daß "der Ministerrat in der Regel gegen Ende der Amtsperiode jedes Vorsitzenden auf Außenministerebene zusanunentreten (wird)", bestimmt die den amtierenden Vorsitzenden betreffende Ziffer 19, daß "die Amtszeit des Vorsitzenden normalerweise ein Kalenderjahr (beträgt)." 43 Vgl.: Beschlüsse von Helsinki, Absclmitt I, Ziff. 12 ff. 44 Beim Begriff des "amtierenden Vorsitzenden" handelt es sich um die deutsche Übersetzung des OSZE-Terminus "Chairman-in-Office". 45 So wurde dieses Amt beispielsweise in der Zeit vom 3. KSZE-Ratstreffen in Stockholm im Dezember 1992 bis zum Beginn des 4. KSZE-Ratstreffen im NovemberlDezember 1993 in Rom von der schwedischen Außenministerin bekleidet. Auf diesem 4. Ratstreffen folgte ihr der italienische Außenminister. Seit dem 5. Dezember 1994, dem Beginn des Treffens der Staats- und Regierungschefs der KSZETeilnehmerstaaten in Budapest, wird das Amt des amtierenden Vorsitzenden vom

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1. Kapitel: Die OSZE - Vom Konferenzprozeß zur Organisation

Verantwortung fiir alle exekutiven Maßnahmen und pflegt enge Kontakte sowie einen aktiven Dialog mit der Parlamentarischen Versammlung der OSZE.46 In Anlehnung an die in der EG bewährte Troika-Lösung kann der a V des Ministerrates bei seiner Arbeit von seinem Vorgänger und Nachfolger unterstützt werden. 47 Dies hat mehrere Vorteile: So wird zum einen durch die Berücksichtigung mehrerer Meinungen eine gewisse Kontinuität gewahrt und zum anderen die Verantwortung auf eine breitere Basis gestellt. Da insbesondere im Bereich der Konfliktverhütung und Krisenbewältigung oft die Beteiligung weiterer OSZE-Teilnehmerstaaten am Entscheidungsprozeß erforderlich ist, können auf Empfehlung des aV vom Ministerrat oder Hohen Rat Ad-hocLenkungsgruppen eingesetzt werden. 48 Um ihre Effizienz bei der Bearbeitung konkreter Streitigkeiten zu gewährleisten, ist die Anzahl der in einer Lenkungsgruppe vertretenen OSZE-Teilnehmerstaaten begrenzt und ihr Mandat genau beschrieben. Ist der a V mit einer Krise oder einem Konflikt befaßt, so kann er außerdem einen persönlichen Vertreter mit einem präzis gefaßten Mandat bestimmen. 49 Der Umstand, daß diese Kompetenzausfiihrungen des Helsinki-Dokuments unter einem eigenen, den Bestimmungen hinsichtlich der Befugnisse von Rat und AHB nachfolgenden Titel "Amtierender Vorsitzender" stehen und eine personelle Zuordnung weder in diesem noch in den bis Ende 1994 nachfolgenden KSZE-Dokumenten erfolgte, fiihrte dazu, daß die genaue Einordnung der Institution des a V nicht nur in der Literatur stark umstritten ist. So wird diese Institution ausschließlich auf den Rat,50 ausschließlich auf den AHB51 oder sowohl auf Rat, AHB und Ständigen Ausschuß bezogen. 52 Letzteres ungarischen Außenminister Laszlo K6vacs ausgeübt. Dies ist insofern eine Abweichung von der bisherigen Praxis, als daß das 5. Treffen des OSZE-Ministerrates, auf dem dieser Wechsel eigentlich hätte vollzogen werden müssen, nicht wie gewöhnlich im Jahresturnus Ende 1994 stattfand, sondern erst Ende 1995 in Budapest abgehalten wird. Festgelegt wurde diese Abweichung im Abschnitt XI der Beschlüsse von Rom, in denen es weiter heißt, daß Ungarn die Funktion des aV bis zum Ende des 5. Ratstreffens wahrnimmt. 46 Vgl.: Beschlüsse von Budapest, Abschnitt I, Ziff. 19 und 24. 47 Vgl.: Beschlüsse von Helsinki, Abschnitt I, Ziff. 15. 48 Vgl.: Ebenda, Abschnitt I, Zitf. 16 ff. 49 Vgl.: Ebenda, Abschnitt I, ZitT. 22. 50 So Jaberg, KSZE, S.15 f. 51 So Ropers/Schlotter, Vor den Herausforderungen des Nationalismus: Die KSZE in den neunziger Jahren, in: APZ BI5-16/93, S. 21 und Schweisfurth, EintUhrung, S. XXXIII. 52 Diese Autlassung wurde antlinglich auch von einigen deutschen Diplomaten vertreten. Für die AImalune, daß neben dem KSZE-Rat auch der AHB einen amtierenden

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hätte zur Folge, daß jede dieser drei Institutionen einen amtierenden Vorsitzenden besitzen würde, dem die im Helsinki-Dokument niedergelegten Befugnisse, wie etwa der Bestellung eines persönlichen Vertreters oder des Vorschlagsrechts zur Einsetzung von Ad-hoc-Lenkungsgruppen zustünde. Abschließende Klarheit läßt sich aus einem Anfang 1995 von der OSZE herausgegebenen sog. Faktenblatt gewinnen, in dem ausdrücklich festgehalten wird, daß der amtierende Vorsitzende der Außenrninister desjenigen Teilnehmerstaates ist, der die gegenwärtige Ministerratssitzung organisiert. S3 Die Institution des a V und die damit verbundenen Kompetenzen beziehen sich somit ausschließlich auf den Ministerrat. Hoher Rat und Ständiger Rat verfügen also "nur" über einen Vorsitzenden und keinen amtierenden Vorsitzenden. 54 Mit dieser im OSZE-Faktenblatt erstmals ausdrücklich schriftlich fest-

Vorsitzenden besitzt, konnte die Tatsache herangezogen werden, daß im Helsinki Dokument der Absclmitt "Amtierender Vorsitzender" nicht unmittelbar nach den Ausführungen zum Rat folgte, sondern den Kompetenzausführungen bzgl. Rat und AHB nachgestellt war. Zudem ließen die Ausflihrungen in Ziff. 12, Abschnitt I des Helsinki Dokuments, daß "der amtierende Vorsitzende im Namen des Rates/AHB in laufenden KSZE-Angelegenheiten fiir die Koordinierung und die diesbezügliche Kommunikation zuständig (ist)" in Verbindung mit der ausdrücklichen Kompetenzverweisung des Abschnitts m, Ziff. 9, derzufolge "der AHB Aufgaben an den amtierenden Vorsitzenden delegieren (kann)", den Schluß zu, daß es sich bei dieser Delegation aus Kompetenzerwägungen nur um eine solche durch den amtierenden Vorsitzenden des AHBs handeln kann. Schließlich wird in Ziff. 2 des von der KSZE beschlossenen Dringlichkeitsmechansimus ausdrücklich vom "amtierenden Vorsitzenden des Ausschusses Hoher Beamter" gesprochen. 53 Vgl. hierzu: OSCE Fact Sheet, Abschnitt OSCE Structures and Institutions: "The CIO (Chairman-in-Office) is vested with overall responsibility for executive action. He/she is the Foreign Minister of the Staate that organizes the current Ministerial Council Session. On 5 December 1994, Mr. Laszl6 Kovacs, the Hungarian Foreign Minister, became Chairman-in-Office." 54 Die eindeutige Zuweisung der Institution des a V auf den Ministerrat und somit die Unterscheidung zwischen aV (Ministerrat) und Vorsitzender (Hoher Rat und Ständiger Rat) zeigt sich auch in den von der OSZE verabschiedeten Dokumenten, vgl. nur OSCE Permanent Council, Journal No. 16, demzufolge der "chairman" Mr. Krasznai Erklärungen zum "report on the activities ofthe Chairman-in Office" abgab. Die eingangs erwähnte Bestimmung des Helsinki-Dokuments, derzufolge der AHB Aufgaben an den a V delegieren kann, stellt keine unzulässige Kompetenzverweisung von unten nach oben dar, da der AHB zwischen den Treffen des KSZE-Rates als dessen Beauftragter handelt. Vgl. hierzu Beschlüsse von Helsinki, Abschnitt I, Ziff. 9: "(D)er AHB (ist) zwischen den Treffen des KSZE-Rates fiir die Übersicht, Leitung und Koordination zuständig und faßt als Beauftragter des Rates entsprechende Beschlüsse. " Wenn schließlich in ZitT. 2 des Dringlichkeitsmechanismus vom "amtierenden Vorsitzenden des Ausschusses Hoher Beamter" gesprochen wird, so ist zu berücksichtigen, daß dieses Dokument im Jahre 1991 und somit vor der 1992 im HelsinkiDokument erfolgten lnstitutionalisierung und Kompetenzregelung des aVerfolgte. Um

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I. Kapitel: Die OSZE - Vom Konferenzprozeß zur Organisation

gehaltenen personellen Zuordnung der Institution des a V auf den Außenrninister des jeweiligen Gastgeberlandes des Ministerratstreffens wird die bisherige Praxis der KSZE bestätigt, derzufolge die im Helsinki-Dokument niedergelegten Kompetenzen des a V nur vom jeweiligen KSZE-Ratsvorsitzenden ausgeübt wurden. 55 Zur Verbesserung der Koordination zwischen Ministerrat, Hohem Rat und Ständigem Rat werden die Vorsitzenden der letzten beiden Institutionen von demselben OSZE-Teilnehmerstaat gestellt, der mit seinem Außenrninister auch den aV stellt. 56 Die Vorsitzenden des Hohen Rates und des Ständigen Rates amtieren über die jeweilige Sitzung hinaus als Vertreter des aV weiter. 57 Über die Institution des a V kann die OSZE bei Konflikten auch außerhalb ihrer Konsultationsgremien und Streitbeilegungsverfahren zur Situationsklärung und Konfliktbeilegung tätig werden. So wurden Krisenregionen vom a V selbst oder von einem von ihm benannten persönlichen Vertreter bereist und Gespräche mit den dortigen Konfliktparteien zur Entschärfung der Situation gefiihrt. 58 Im Tschetschenienkrieg entsandte der aV den Vorsitzenden des Hohen Rates, den ungarischen Botschafter Gyarmati, als seinen persönlichen Beauftragten nach Moskau, um die russische Regierung zu einem - später auf Ebene des Ständigen Rates erteilten - Einverständnis zur Entsendung einer OSZE-Berichterstattermission nach Tschetschenien zu bewegen. 59 Auch die Einzelheiten der fiir April 1995 geplanten OSZE-Unterstützungsmission wurVerwechslungen zu dem seither mit besonderen Befugnissen ausgestatteten aV zu vermeiden, ist die entsprechende Passage des Dringlichkeitsmechanismus als "Vorsitzender des AHB" zu lesen. 55 Information des Auswärtigen Amts. Auch in den Dokwnenten des AHB wurde zwischen dem "chairman" des AHB und dem "Chairman-in-Office" unterschieden, vgl. nur 27-CSO/Journal No. I. 56 Da fUr die Zeit vom 5. Dezember 1994 bis zum 5. OSZE-Ratstreffen im Dezember 1995 der ungarische Außenminister der aV der OSZE ist, führt der ungarische Hohe Beamte im Hohen Rat den dortigen Vorsitz. Ebenso ist der Vertreter Ungarns im Ständigen Rat in Wien Vorsitzender dieser OSZE-Institution. 57 Inlormation des Auswärtigen Amts. Somit ist auch der Umstand, daß etwa in Abschnitt Ill, Ziff. 39 des Helsinki-Dokument die "operative Gesamtleitung einer friedenserhaltenden Operation dem amtierenden Vorsitzenden übertragen" ist, in der Praxis die bisherigen KSZE-Missionen jedoch vom Vorsitzenden des AHB gesteuert werden, letztlich kein dokumentenwidriges Verhalten, da der Vorsitzende des AHB als Vertreter des aV tätig wurde. 58 Als Beispiele seien genannt: Mission der schwedischen Ratsvorsitzenden Margaretha afUgglas begleitet durch Vertreter der KSZE-Troika im ehemaligen Jugoslawien (19.-23.8.1992), Besuch der schwedischen Ratsvorsitzenden und eines Repräsentanten des BDIMR in den neuen zentralasiatischen Teilnehmerstaaten im Frühjahr 1993. 59 Vgl.: OSCE-Newsletter, January 1995, S. I.

11. Die Institutionen der OSZE

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den vom a V über den von ihm ernannten persönlichen Beauftragten ausgehandelt. 6o Dem a V kommt somit neben seiner Koordinationsfunktion und seiner übergreifenden Verantwortung für exekutive Maßnahmen eine bedeutende Rolle im Rahmen der Streitbeilegung durch die OSZE zu. 61

4. Der Bohe Rat (ehem. Ausschuß Boher Beamter, ABB) Der Hohe Rat ist das operative Lenkungsgremium der OSZE. Neben der Vorbereitung der Ministerratstagungen und der Ausführung der dort gefällten Beschlüsse ist er zwischen den Ratstreffen zuständig für die Leitung und Koordinierung aller OSZE-Aktivitäten. 62 Als Beauftragter des Rates obliegt ihm in dieser Zeit die Beschlußfassung. Im Hohen Rat werden grundsatzpolitische und allgemeine haushaltspolitische Richtlinien erörtert und beschlossen. Der Hohe Rat setzt sich aus den politischen Direktoren der Außenministerien oder entspreche:1den Vertretern zusammen. 63 Er tritt mindestens zweimal jährlich im Büro des OSZE-Sekretariates in Prag zusammen, ein zusätzliches Treffen findet vor dem Treffen des Ministerrates statt. Daneben wird der Hohe Rat einmal pro Jahr als Wirtschaftsforum einberufen. 64 Den Vorsitz bei den Treffen des Hohen Rates führt jeweils ein Vertreter desjenigen OSZETeilnehmerstaates, der beim vorangegangenen Treffen des Ministerrates den Vorsitzenden gestellt hat. 65 Da somit der Vorsitzende des Ministerrates und 60 Infonnation des Auswärtigen Amts.

61 Diese

besondere Bedeutung des a V wurde Anfang 1995 vom OSZEGeneralsekretär unterstrichen, demzufolge "der Ausbau der Handlungsmöglichkeiten des Vorsitzes der Einrichtung eines OSZE-«Sicherheitsrats» wahrscheinlich vorzuziehen ist." Vgl.: Beiträge der OSZE zu neuer Stabilität, Vortrag des Generalsekretärs der OSZE, Dr. Wilhe1m Höynck, vor der Deutschen Gesellschaft fur Auswärtige Politik und der Deutschen Atlantischen Gesellschaft in Bonn am 26. Januar 1995 (zit.: Höynck, Beiträge der OSZE zu neuer Stabilität), Abschnitt IV. Als eine Möglichkeit zum Ausbau der Handlungsmöglichkeiten des Vorsitzes wird die Ernennung eines "Ständigen Beauftragten" im Range eines früheren Regierungschefs oder Ministers genannt, der in Abstimmung mit dem aV zu dessen Entlastung tätig werden soll. Vgl. Höynck, Möglichkeiten und Grenzen der Konfliktvorbeugung und -vermeidung und nichtmilitärischer Konfliktlösungen, in: S + F 2/94, S. 87. 62 Vgl.: Prager Dokument, Abschnitt I, Ziff. 2 und Beschlüsse von Helsinki, Abschnitt I, ZitT. 9. 63 Diese bisher bei den AHB-Treffen ausgeübte Praxis (Vgl. Jaberg, KSZE, S. 16) wurde nun in ZitT. 17 des Abschnitts I der Beschlüsse von Budapest erstmals niedergeschrieben, in der "angeregt wird, daß die Teilnehmerstaaten auf der Ebene der politischen Direktoren oder einer entsprechenden Ebene vertreten sind." 64 Vgl.: Beschlüsse von Helsinki, Abschnitt VII, Ziff. 22; Beschlüsse von Budapest, Abschnitt I, Zitr 17. 65 Vgl.: Zusatzdokument zur Charta von Paris, Abschnitt I, B 4.

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I. Kapitel: Die OSZE - Vom Konferenzprozeß zur Organisation

des Hohen Rates vom gleichen OSZE-Teilnehmerstaat gestellt werden, wird die Koordination zwischen diesen beiden Institutionen gestärkt. Auf dem 4. KSZE-Folgetreffen in Helsinki 1992 wurden dem AHB zahlreiche Verantwortlichkeiten auf dem Gebiet der Frühwarnung übertragen,66 welche nach der Umbenennung des AHB - auch ohne ausdrückliche Verweisungsvorschrift im Budapester Dokument - nun dem Hohen Rat obliegen: 67 So trägt er die Hauptverantwortung für Früherkennung und vorbeugende Maßnahmen. 68 Auch im Rahmen der politischen Krisenbewältigung trägt der Hohe Rat als Beauftragter des Ministerrates die Gesamtverantwortung, um bei der Bewältigung der Krise eine Lösung herbeizuführen. 69 Demzufolge kann er den betroffenen Staaten Verfahrensweisen und Mechanismen zur friedliche Beilegung von Streitigkeiten empfehlen bzw. festlegen. Als Instrumente der Konfliktverhütung und Krisenbewältigung kann der Hohe Rat zudem Erkundungs- und Berichterstattermissionen entsenden. 70 Zu seiner Arbeitsentlastung kann der Hohe Rat Aufgaben an den a V, die Troika, Ad-hocLenkungsgruppen oder andere OSZE-Institutionen delegieren. 71 Des weiteren kann der Hohe Rat als Beauftragter des Ministerrates den Beschluß zur Entsendung von friedenserhaltenden Operationen fassen. 72 Ihm obliegt die politische Gesamtkontrolle über derartige Einsätze und er legt die Richtlinien für diese Operationen fest. 73 Auch im Rahmen der Streitbeilegungsmechanismen spielt der Hohe Rat eine herausragende Rolle. Er ist sozusagen die letzte Instanz der jeweiligen Mechanismen, falls eine direkte Einigung zwischen den betroffenen Parteien scheitert. In dieser Funktion kann er u.a. den Streitparteien Vorschläge und Empfehlungen zur Bewältigung der Streitigkeit machen. Seit dem im Dezember 1992 vom 3. KSZE-Ratstreffen verabschiedeten "Beschluß über friedliche Beilegung von Streitigkeiten" kann der Hohe Rat die Parteien sogar anweisen, sich einem Vergleichsverfahren zu unterziehen. 74 Vgl.: Beschlüsse von Helsinki, Abschnitt m. Vgl. hierzu S. 34. Vgl.: Beschlüsse von Helsinki, Abschnitt m, ZifT. 4. Vgl.: Ebenda, Abschnitt m, ZifT. 6 fT. Vgl.: Ebenda, Abschnitt m, ZitT. 8 und 13. Vgl.: Ebenda, Abschnitt m, ZifT. 9. Nach Auflösung des Konsultativausschusses des KVZ dürfte es sich bei den "anderen Institutionen" primär um den Ständigen Rat handeln. Zur Delegation von Aufgaben vom Hohen Rat an den aV vgl. Fn. 54,2. Absatz. 72 Vgl.: Beschlüsse von Helsinki, Abschnitt m, ZifT. 29. 73 Vgl.: Ebenda, Abschnitt m, ZifT. 39. Detailfragen der Missionen werden vom Ständigen Rat geregelt (Information des Auswärtigen Amts). 74 Vgl.: Beschluß über friedliche Beilegung von Streitigkeiten, Anhang 4, ZifT. 1.

66 67 68 69 70 71

II. Die Institutionen der OSZE

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5. Der Ständige Rat (ehem. Stindiger Ausschuß, StA) Der Ständige Rat ist das reguläre, fiir die politische Konsultation und Entscheidungsfindung zuständige Gremium. 75 Er trifft sich wöchentlich im Kongreßzentrum der Wiener Hofburg, kann aber aus Dringlichkeitsgriinden auch gesondert einberufen werden. Der Ständige Rat setzt sich aus den ständigen Vertretern der OSZE-Teilnehmerstaaten zusammen. 76 Neben diesen sich aus den Budapester Beschlüssen ergebenden Kompetenzen stehen dem Ständigen Rat aber noch weitere Befugnisse zu, die er von seiner Vorgängerinstitution, dem Ständigen Ausschuß (StA) übernommen hat, der seinerseits aus der damaligen Wiener Gruppe der KSZE entstanden ist. Ein Rückgriff auf diese beiden ehemaligen KSZE-Institutionen ist daher zur umfassenden Klärung der Befugnisse des Ständigen Rates notwendig: Vorgänger des im Dezember 1993 eingerichteten Ständigen Ausschusses der KSZE war die Wiener Gruppe, die zur Stärkung der operativen Fähigkeiten des AHB auf dem 3. KSZE-Ratstreffen in Stockholm Ende 1992 als Übergangsinstitution geschaffen wurde. 77 Diese Untergruppe des AHB, die mit den Leitern der KSZE-Delegationen in Wien besetzt war, tagte seit Beginn des Jahres 1993 jeden Donnerstag in der österreichischen Hauptstadt. 78 Mit der Einrichtung dieser ständigen Institution sollte nicht nur der AHB entlastet,79 75 Vgl.: Beschlüsse von Budapest, Abschnitt I, Ziff 18. 76 Vgl.: Ebenda. 77 Vgl.: Drittes TretTen des Rates der Außenrninister der KSZE-Teilnehrnerstaaten

am 14. und 15. Dezember 1992 in Stockholm, Beschlüsse (zit.: Stockholmer Beschlüsse), Abschnitt VII, abgedruckt in: EA 4/1993, S. D81 tT. Das zeitliche Mandat der Wiener Gruppe war auf dem Stockholmer RatstretTen auf den Abschluß der vom AHB durchzufiihrenden Überprüfung der KSZE-Strukturen festgelegt worden (vgl.: Stockholmer Beschlüsse, Abschnitt VII). Diese Überprüfimg fand ihren Abschluß in den Beschlüssen des 24. AHB-TretTens, das vom 27.29.11.1993 in Rom stattfand. Die AHB-Beschlüsse wurden auf dem unmittelbar danach abgehaltenen 4. RatstretTen von den Außenrninistern der KSZE-Teilnehmerstaaten gebilligt. 78 AustUhrungen des damals designierten Generalsekretärs der KSZE, Botschafter Dr. Höynck, im Rahmen eines Kolloquiums der Universität Trier am 17.5.1993. 79 So wurde der Wiener Gruppe vom AHB im April 1993 u.a. folgende bedeutsamen Aufgaben zugewiesen: 'Regelung der Zusammenarbeit zwischen der KSZEMission in Makedonien und der UNPROFOR, Vorbereitung einer Mission zur Überprüfung angeblicher Internierungslager in Serbien und Montenegro, Erarbeitung von Vorschlägen zur Geltendmachung der persönlichen Verantwortung fiir Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien, Überlegungen von Schritten, um dem KSZESekretariat, dem KVZ und dem BDIMR einen international anerkannten Status zu verschatlen. Vgl. zu den darüber hinaus zugewiesenen Aufgaben die Aufzählung bei Palmisano, Das KSZE-Forum fiir Sicherheitskooperation - Tätigkeitsbericht - I. Fortsetzung, in: ÖMZ 3/1993 (zit.: Palmisano, FSK-Tätigkeitsbericht), S. 268.

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I. Kapitel: Die OSZE - Vom Konferenzprozeß zur Organisation

sondern auch der von der KSZE beabsichtige Auf- und Ausbau eines umfassenden politischen Konsultationsmechanismus weiter verwirklicht werden. In diesem Gremium bestand die Möglichkeit, alle politischen Fragen anzusprechen und auch operative Fragen zu beraten. Darüber hinaus konnte die Wiener Gruppe auch Maßnahmen beschließen, sofern dies erforderlich war, um die unverzügliche und wirksame Durchfiihrung der Beschlüsse des AHB zu gewährieisten. 80 Demzufolge fiel der Wiener Gruppe eine entscheidende Rolle insbesondere im Rahmen der präventiven Diplomatie zu. 81 Auf dem 4. KSZE-Ratstreffen in Rom Ende 1993 wurde als Nachfolger der Wiener Gruppe der Ständige Ausschuß der KSZE (StA) als ständiges Gremium fiir politische Konsultationen und Entscheidungsbildung in Wien eingerichtet. 82 Die Teilnehmer dieses Gremiums waren personenidentisch mit denen der ehemaligen Wiener Gruppe. Zu den bisherigen Aufgaben der Wiener Gruppe (umfassende und regelmäßige Konsultationen sowie Beschlußfassung zwischen den AHB-Treffen) waren durch die in Rom Ende 1993 beschlossene Auflösung des Konsultativausschusses des KVZ neue Zuständigkeiten hinzugekommen. Der Umfang dieser nun auch dem Ständigen Rat als Nachfolger des StA zustehenden Aufgaben ergibt sich allerdings nur zum Teil aus den Übertragungsvorschriften der Beschlüsse von Rom, so daß fiir eine umfassende Zuständigkeitsregelung auf die Kompetenzen des ehemaligen Konsultativausschuß des KVZ zurückgegriffen werden muß: - Ausdrücklich festgelegt ist in den Beschlüssen von Rom nur, daß der StA und somit der Ständige Rat "Treffen der KSZE-Teilnehmerstaaten abhalten (wird), die entsprechend dem Mechanismus über ungewöhnliche militärische Aktivitäten einberufen werden können. "83 Ob hierunter auch das Abhalten von Sondertreffen fiir die sich aus den "Regelungen der Zusammenarbeit bei gefährlichen Zwischenfällen militärischer Art" ergebenden Fragen fällt, ist aus der Dokumentenlage nicht erkennbar. 84 Die Praxis wird daher zeigen müssen, ob diese Zuständigkeit des Konsultativausschusses auf den Ständigen Rat oder das Forum fiir Sicherheitskooperation (FSK) übergegangenen ist. - Zwar wird in den Beschlüssen von Rom festgestellt, daß der StA "Treffen" im Rahmen des militärischen Krisenmechanismus der KSZE abhalten kann, 80 Vgl.: Stockholmer Dokwnent, Abschnitt VII.

81 So der spätere KSZE-Generalsekretär Dr. Höynck am 17.5.1993 im Rahmen eines Kolloquiums an der Universität Trier. 82 Vgl.: Beschlüsse von Rom, Abschnitt 7.1. 83 Beschlüsse von Rom, Abschnitt 7.3. 84 Diese Treffen oblagen bis zum 4. KSZE-Ratstreffen dem Konsultativausschuß des KVZ. Vgl.: Wiener Dokument 1992 der Verhandlungen über Vertrauens- und Sicherheitsbildende Maßnahmen (zit.: Wiener VSBM Dokwnent 1992), Abschnitt n, Ziff. 18.1 und 18.4, in: Bulletin Nr. 31/1992, S. 293 ff.

II. Die Institutionen der OSZE

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rur den Übergang der dem Konsultativausschuß eingeräumten Befugnis, im Rahmen dieses Mechanismus auch Erkundungs- und Berichterstattermissionen zu veranlassen,85 findet sich aber keine ausdrückliche Regelung. Da der StA "Beschlüsse zu allen rur die KSZE wichtigen Fragen fassen (kann)"86 , ist davon auszugehen, daß die Befugnis zur Veranlassung derartiger Missionen im Rahmen des militärischen Krisenmechanismus sozusagen als Annexkompetenz zur Regelung hinsichtlich der Abhaltung von Treffen im Rahmen des militärischen Krisenmechanismus auf den StA und somit auf den Ständigen Rat mit übergegangen ist. - Schließlich war dem Konsultativausschuß neben dem AHB die Befugnis eingeräumt worden, über die Entsendung von Erkundungs- und Berichterstattermissionen zu entscheiden und derartige Missionen durchzufiihren. 87 Mangels eindeutiger Regelungen im Dokument des 4. KSZE-Ratstreffen kann die Frage, ob diese Kompetenz auf den StA und somit auf den Ständigen Rat übergegangen oder mit dem Konsultativausschuß weggefallen ist, nur durch generelle Überlegungen und die bisherige KSZE-Praxis geklärt werden. Für einen Übergang der Kompetenz auf den StA spricht die Tatsache, daß diese Befugnis zuvor beim Konsultativausschuß lag, dessen personelle Zusammensetzung mit der des StA identisch war. Da derartige Entsendungsentscheidungen "Beschlüsse" i.S. des Dokuments von Rom darstellen, ist jedoch auch die Kompetenz des übergeordneten AHB zu berücksichtigen, wird doch im Dokument von Rom unter dem den StA betreffenden Abschnitt ausdrücklich festgehalten, daß der AHB "auch künftig ... die wichtigsten Beschlüsse zwischen den Treffen des Rates fassen (wird)."88 Der Beschluß zur Einsetzung einer Erkundungs- und Berichterstattermission, die nur einige Tage dauert und deren Kosten relativ gering sind, stellt zwar einen wichtigen, nicht aber einen "wichtigsten" Beschluß dar. Etwas anderes könnte allerdings fiir die im Rahmen der Vorschriften von Erkundungs- und Berichterstattermissionen eingesetzten Langzeitmissionen gelten. Da sich diese über mehrere Monate erstrecken, sprach vieles dafür, den Entschluß zur Entsendung einer Langzeitmission schon allein aufgrund seiner finanziellen Auswirkungen rur die KSZE als einen "wichtigsten" zu qualifizieren. Auch die Praxis der KSZE war bis Mai 1994 eindeutig: sämtliche Langzeitmissionen Missionen wurden durch AHB-Beschluß eingesetzt. Eine Durchbrechung dieser Praxis erfolgte Anfang Juni 1994, als der StA auf seinem 23. Treffen den Beschluß zur Entsendung der Mission nach Sarajevo faßte. Diese Mission ist aufgrund ihrer

85 86 87 88

Vgl.: Prager Dokument, ZifT. 29. Beschlüsse von Rom, Abschnitt 7. 1. Vgl.: Beschlüsse von Helsinki, Abschnitt III, ZifT. 13. Vgl.: Beschlüsse von Rom, Abschnitt VII, ZifT. 7.1 a.E.

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1. Kapitel: Die OSZE - Vom Konferenzprozeß zur Organisation

Aufgabenstellung als eine Langzeitmission zu qualifizieren. 89 Für die Befugnis des StA zur Entsendung von Langzeitmissionen spricht zudem die Tatsache, daß die Entscheidungen über die Verlängerung der zunächst auf ein halbes Jahr terminierten Langzeitmissionen nicht vom AHB, sondern vom StA getroffen werden,90 und ihm somit doch die Befugnis zur Verabschiedung finanzpolitisch bedeutsamer Entschlüsse zufällt. - Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob der Ständige Rat ebenso wie der Hohe Rat oder der Ministerrat Beschlüsse im "Konsens-minus-eins" Verfahren fassen kann oder ob derartige Entscheidungen dem Hohen Rat und dem Ministerrat als "wichtigste" Beschlüsse vorbehalten sind. Auch hier muß die Praxis Aufschluß geben, wobei aber die Klassifizierung als "wichtigster" Beschluß angesichts der Durchbrechung des fiir die OSZE charakteristischen Konsensprinzips bei einem derartigen Abstimmungsverfahren naheliegt. Der StA tagte unter Leitung seines Vorsitzenden ebenso wie die ehemalige Wiener Gruppe im Wochenrhythmus, konnte bei Bedarf aber jederzeit zusammentreten. Zwischen den Zusammenkünften wurden die täglichen operativen Aufgaben in Arbeitsgruppen vorgeklärt und erledigt. Diese Arbeitsweise wird vom Ständigen Rat unter Leitung eines vom aV bestellten Stellvertreters91 weiterverfolgt. Der Ständige Rat dient somit ebenso wie zuvor StA und Wiener Gruppe als Konsultationsforum zur unmittelbaren Lösung von Problemen zwischen OSZE-Teilnehmerstaaten und kann Erkundungs- und Berichterstattermissionen sowie Langzeitmissionen entsenden. Zudem unterstützt der Ständige Rat die OSZE-Missionen in ihrer Tätigkeit sowohl politisch als auch im Hinblick auf ihre praktische Umsetzung. 92 Des weiteren werden die auf Grundlage von OSZE-Missionsberichten zu ergreifenden Folgemaßnahmen von ihm beschlossen. 93 Der wöchentlich tagende Ständige Rat ist somit die erste AnlaufsteIle fiir politische Konsultationen im Rahmen der OSZE. Ihm kommt daher eine entscheidende Rolle im Rahmen der präventiven Diplomatie zu.

89 Information des Auswärtigen Amts. Zu den Aufgaben dieser Mission vgl. im weiteren auf S. 254 f. 90 Information und Übersicht des Auswärtigen Amts über die Langzeitmissionen. Zudem werden vom StA Mandatserweiterungen und Detailregelungen beschlossen. 91 Vgl.: OSCE Fact Sheet, The Permanent Council. 92 Vgl.: Beschlüsse von Budapest, Abschnitt I, Ziff. 22. 93 Vgl.: Beschlüsse von Budapest, Abschnitt VIII, Ziff. 11.

II. Die Institutionen der OSZE

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6. Der Generalsekretär (OSZE-GS) Zur Verstärkung der Wirksamkeit der Arbeit der KSZE wurde von den Außenministern der KSZE-Teilnehmerstaaten auf ihrem 3. Treffen in Stockholm am 14-15.12.1992 das Amt eines Generalsekretärs der KSZE (KSZE-GS, nunmehr OSZE-GS) geschafIen. 94 Der OSZE-GS wird auf Empfehlung des Hohen Rates und des a V vom Ministerrat durch Konsensbeschluß für einen Zeitraum von drei Jahren ernannt; eine Verlängerung seiner Amtszeit um zwei Jahre ist möglich. Am 15.6.1993 nahm der deutsche Botschafter Dr. Wilhelm Höynck seine Arbeit als erster Generalsekretär der damals noch als KSZE bezeichneten OSZE auf. Der OSZE-GS handelt als Vertreter des aV und unterstützt ihn bei seinen Aktivitäten. 95 Er nimmt an den Ministertreffen der Troika teil. 96 Seine Hauptaufgabe liegt in der Verwaltung der OSZE-Strukturen und Operationen. 97 So obliegt ihm in enger Zusammenarbeit mit dem aV die Vorbereitung und Leitung der OSZE-Treffen sowie die Gewährleistung der Durchführung der dort gefaßten Beschlüsse. Zudem führt der OSZE-GS die Aufsicht über die Arbeit des OSZE-Sekretariats und des BDIMR.98 Als höchster administrativer Beamter der OSZE hält der OSZE-GS den Kontakt mit internationalen Organisationen aufrecht, befaßt sich mit der finanziellen Situation der OSZE und erstellt einen dem Ministerrat vorzulegenden Jahresbericht. 99

94 Vgl.: Stockholmer Beschlüsse, Anhang I. 95 So Wlternahm der OSZE-GS beispielsweise auf Bitten des aV Anfang Januar 1995 eine Reise nach Tadschikistan, wn sich über die bevorstehenden Parlamentswahlen sowie die Gespräche zwischen der RegierWlg Wld den Oppositionsgruppen zu informieren. Vgl.: OSCE-Newsletter, January 1995, S. 2. 96 VgL: Beschlüsse von Budapest, Abschnitt I, Ziff. 20. 97 Vgl.: Stockholmer Beschlüsse, Anhang 1, Ziff. 5 Abs. 1. 98 Vgl. StockhoImer Beschlüsse, Anhang 1, Ziff. 5 ii) sowie Abschnitt VII der Beschlüsse, in dem flir das KSZE-Sekretariat in Prag Wld das KVZ-Sekretariat in Wien die EinrichtWlg einer einzigen organisatorischen Struktur Wlter der LeitWlg des KSZEGS beschlossen wurde. Diesem Beschluß wurde mit der ErrichtWlg des KSZE-, nWlmehr OSZE-Sekretariates in Wien RechnWlg getragen, vgl.: Beschlüsse von Rom, Abschnitt VII, Ziff. 8. 99 Vgl.: Stockholmer Beschlüsse, Anhang 1, Ziff. 5 Abs. 4 Wld 5. Für eine StärkWlg der Rolle des Generalsekretärs tritt ein Decaux, CSCE Institutional Issues at the Budapest Conference, in: Helsinki Monitor 3/1994 (zit.: Decaux, CSCE Institutional Issues), S. 19 f.

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1. Kapitel: Die OSZE - Vom Konferenzprozeß zur Organisation

7. Das OSZE-Sekretariat mit eingegliedertem Konfliktverhütungszentrum (KVZ)

Bis zu den Beschlüssen des 4. KSZE-Ratstreffen Ende 1993 in Rom befand sich das im November 1990 gegründete KSZE-Sekretariat in Prag. Hauptaufgabe dieser Institution war die administrative Unterstützung der Treffen des Rates, des AHB und bei Bedarf auch sonstiger KSZE-Treffen. IOO Darüber hinaus fungierte das Sekretariat, das aus einem Direktor,IOI drei Beamten und administrativem Personal bestand, als Kontakt- und Informationsstelle. I02 Neben dem KSZE-Sekretariat in Prag bestand in Wien das Sekretariat des KVZ. Um die Wirksamkeit der Arbeit der KSZE zu verstärken, beschlossen die Außenminister der KSZE-Teilnehmerstaaten auf ihrem 3. Ratstreffen Ende 1992 in Stockholm "für die Sekretariate in Prag und Wien eine einzige organisatorische Struktur unter der Leitung des Generalsekretärs einzurichten." 103 Diesem Beschluß wurde Ende 1993 durch die Errichtung eines KSZE- (jetzt: OSZE-) Sekretariates in Wien Rechnung getragen. 104 Diese unter der Leitung des OSZE-Generalsekretärs stehende Institution umfaßt Abteilungen für Konferenzdienste, Verwaltung und Haushalt sowie die Unterstützung des amtierenden Vorsitzenden. 105 Das bisherige KSZE-Sekretariat in Prag existiert in Form eines dem neuen OSZE-Sekretariat in Wien angeschlossenen Büros weiter, dessen Personalbestand infolge der Aufgabenverlagerung nach Wien um zwei Drittel verkleinert ist. Die Aufgabe des Büros besteht nach wie vor in der administrativen Unter-

100 Vgl.: Zusatzdokwnent zur Charta von Paris, Abschnitt I E, ZifT. 1. Vgl. auch Eliasson, The Future of the CSCE Secretariat, in: Lucas, The CSCE in the 1990s,

S. 223 fT. 101 Dieser war über den AHB dem Rat gegenüber verantwortlich. 102 Vgl.: Zusatzdokwnent zur Charta von Paris, Abschnitt I E, ZifT. 1. 103 Stockholmer Beschlüsse, Abschnitt VII. Die nähere Ausgestaltung dieses Beschlusses wurde dem AHB übertragen. 104 Die Errichtung eines KSZE-Sekretariates in Wien war auf dem 24. AHB-TrefTen beschlossen worden und wurde auf dem nachfolgenden RatstrefTen Anfang Dezember 1993 in Rom von den Außenministern der KSZE-Teilnehmerstaaten gebilligt. Vgl.: Beschlüsse von Rom, Abschnitt VII, ZifT. 5 und 8. Dies war ein Ausfluß der alten Forderung "to end the geographical dispersal of the CSCE by concentrating core decision-making in Vienna", so Genseher, Foreword, in: Lucas, The CSCE in the 1990s, S. IX. 105 Vgl.: Beschlüsse von Rom, Abschnitt VII, ZifT. 8.

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stützung der in Prag stattfindenden Treffen des Hohen Rates; zudem fungiert es weiterhin als Kontakt- und Informationsstelle. 106 Dem neu eingerichteten KSZE- (jetzt: OSZE-) Sekretariat in Wien wurde durch die Beschlüsse von Rom zudem das KVZ eingegliedert, dessen Konsultativausschuß aufgelöst wurde. 107 Das KVZ war auf dem Pariser Sondergipfel Ende 1990 als eigenständige Institution mit Sitz in Wien gegründet worden. Seine Aufgabe war die Unterstützung der Rates beim Abbau von Gefahren und Konflikten. 108 So unterstützte das KVZ die Durchfiihrung der im November 1990 in Wien vereinbarten Vertrauens- und Sicherheitsbildenden Maßnahmen (VSBM) und nahm bis zum Dezember 1993 in zunehmendem Maße auch Aufgaben im Bereich der Konfliktvorbeugung und friedlichen Konfliktregelung wahr. 109 Das KVZ gliederte sich in zwei Ebenen: die Verwaltungsebene mit dem Sekretariat und einem Direktor an dessen Spitze sowie die Beschlußebene in Form des Konsultativausschusses. Der Konsultativausschuß 110 , der seit dem 2. KSZE-Ratstreffen Anfang 1992 mindestens einmal im Monat zusammentrat,111 war bis Mitte Juli 1992 das zentrale KSZE-Forum für die im Zusammenhang mit den VSBM stehenden Angelegenheiten 112 sowie für alle sonstigen Sicherheitsfragen mit politisch-militärischen Implikationen. 113 106 Vgl.: Beschlüsse des 24. AHB, denenzufolge "the office in Prague will service CSO meetings, maintain CSCE archives and distribute documents. "(CSO = Committee of Senior Officials = AHB) Die vom bisherigen Sekretariat in Prag wahrgenommene administrative Unterstützung der Ministerratstreffen dürfte dem neuen KSZE- bzw. OSZE-Sekretariat zufallen, das eine eigene Abteilung fiir Konferenzdienste besitzt. 107 Vgl.: Beschlüsse von Rom, Abschnitt VII, Ziff. 7.2 und 8. 108 Vgl.: Ebenda, Abschnitt I F, Ziff. 1 109 Vgl. hierzu: Greco, The Role of the Conflict Prevention Centre in the Security System ofthe CSCE, in: Helsinki Monitor 1/1994, S. 8 ff. 110 Dieser setzte sich aus den Vertretern der KSZE-Teilnehmerstaaten zusammen. Bis zum 4. Folgetreffen in Helsinki im Sommer 1992 waren dies die Delegationsleiter der VSBM-Verhandlungen. Seitdem wurde er von den Leitern der Delegationen zum Forum tUr Sicherheitskooperation gebildet (so Ropers/Schlotter, Multilaterales Konfliktmanagement, S. 13). Zur Unterstützung seiner Arbeit konnte der Konsultativausschuß subsidiäre Arbeitsorgane einrichten, darunter auch ad-hoc-Gruppen mit offener Zusammensetzung, die mit besonderen Aufgaben betraut wurden. Vgl.: Prager Beschlüsse, Abschnitt VI, Ziff. 35. 111 Vgl.: Prager Beschlüsse, Abschnitt VI, Ziff. 34. 112 So veranstaltete der Konsultativausschuß die Treffen der KSZE-Teilnehmerstaaten, die im Rahmen des Mechanismus betreffend ungewöhnlicher militärischer Aktivitäten einberufen werden können (vgl.: Zusatzdokument zur Charta von Paris, Abschnitt F, ZitI 4). 4 Wenig

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1. Kapitel: Die OSZE - Vom Konferenzprozeß zur Organisation

Auf dem 4. KSZE-Folgetreffen in Helsinki im Sommer 1992 wurde der Konsultativausschuß dem neugeschaffenen Forum für Sicherheitskooperation (FSK) als zweites Organ neben dem Besonderen Ausschuß zugeordnet. Zur Gewährung von Kohärenz wurden beide Ausschüsse personengleich besetzt. Dies führte dazu, daß sich unter verschiedenen Institutionen (dem Konsultativausschuß des KVZ, dem FSK und der Wiener Gruppe) die gleichen Personen trafen. Um dieses "triple-hating" zu vermeiden und die KSZE zugleich transparenter und vor allem effektiver zu machen, wurde auf dem 4. KSZE-Ratstreffen Ende 1993 der Konsultativausschuß des KVZ, also dessen Beschlußebene, aufgelöst und seine Kompetenzen auf den Ständigen Ausschuß als Nachfolger der Wiener Gruppe und das FSK übertragen. 114 Der administrative Bereich des KVZ, das Sekretariat mit seinem Direktor an der Spitze, wurde als Abteilung in das neu eingerichtete KSZE-Sekretariat

Des weiteren stand er als Infonnationsquelle und Konsultationsfonun für alle sich aus den Regelungen der Zusammenarbeit bei gefährlichen Zwischenfällen militärischer Art ergebenden Fragen zur Verfügung. Vgl.: Wiener Dokument 1992 der Verhandlungen über Vertrauens- und Sicherheitsbildende Maßnahmen (zit.: Wiener VSBM Dokument 1992), Abschnitt 11, Ziff. 18.1 und 18.4, in: Bulletin Nr. 3111992, S. 293 ff. Der Konsultativausschuß veranstaltete zudem jährliche Treffen zur Beurteilung der Durchftihrung der VSBM und diente als Fonun für die Erörterung der im Rahmen der VSBM ausgetauschten Infonnationen. 113 Vgl.: Prager Beschlüsse, Ziff. 27. Derartige Sicherheitsfragen konnten gemäß dieser Ziffer von jedem KSZE-Teilnehmerstaat umgehend aufgeworfen werden. Neben dieser umfassenden Konsultationsfunktion hatte der Konsultativausschuß auch eine Frühwarnfunktion. So konnte er den AHB jederzeit auf eine Situation aufmerksam machen, die seiner Meinung nach einer Prüfung durch den AHB bedurfte (vgl.: Ebenda, Ziff. 33). Im Rahmen des Mechanismus betreffend ungewöhnliche militärische Aktivitäten wurde dem Konsultativausschuß die Möglichkeit eingeräumt, Erkundungs- und Überwachungsmissionen zu veranlassen und mit Unterstützung des KVZ-Sekretariats durchzuftihren (vgl.: Ebenda, Ziff. 29). Schließlich wurde dem Konsultativausschuß sogar die Befugnis eingeräumt, Erkundungs- und Berichterstattermissionen unabhängig vom militärischen Krisenmechanismus der KSZE als eigene Verfahrensart zur Streitbeilegung durchzuftihren (vgl.: Beschlüsse von Helsinki, Abschnitt IlI, Ziff. 13). 114 Vgl.: Beschlüsse von Rom, Abschnitt VII, Ziff. 7.2 ff. Das Abhalten von Treffen im Rahmen des Mechanismus über ungewöhnliche militärische Aktivitäten und die Veranlassung von Erkundungs- und Berichterstattermissionen gehören nun zum Aufgabenbereich des Ständigen Rates, während alle mit VSBM zusammenhängenden Maßnahmen auf das FSK übergegangen sind.

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in Wien integriert. 115 Soweit es sich bei den bisherigen Tätigkeiten des KVZ um administrative und nicht um legislative i.S.v. beschlußfassende Maßnahmen handelt, sind diese beim KVZ verblieben. So obliegt dem KVZ weiterhin die organisatorische und logistische Unterstützung der OSZE- Missionen. Das KVZ ist mithin für die Beschaffung, Wartung und Zufiihrung von Fernmeldeund Transportmitteln sowie jedwede andere administrative Unterstützung der Mission verantwortlich. 116 Um diesen Aufgaben besser nachzukommen, wurde das KVZ Anfang 1993 um eine operative Abteilung, die sog. "operation cell" erweitert. 117 Schließlich bietet das KVZ im Rahmen des Mechanismus zur friedlichen Beilegung von Streitigkeiten die organisatorische Unterstützung bei der Zusammensetzung der Drittpartei. 118

8. Das Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte (BDIMR) Das zunächst als "Büro rur freie Wahlen"119 in Warschau gegründete BDIMR gilt als die "wichtigste Institution im Bereich der menschlichen Dimension" der OSZE.120 Es ist somit rur die Überwachung und Förderung der 115 Vgl.: Beschlüsse von Rom, Abschnitt VII, Ziff. 8. Hiermit wurde dem eingangs erwähnten Beschluß des 3. Ratstreffen Ende 1992 Rechnung getragen, demzufolge filr das Sekretariat in Prag und das KVZ-Sekretariat in Wien "eine einzige organisatorische Struktur unter der Leitung des Generalsekretärs einzurichten (sei)." (Vgl.: Beschlüsse von Stockholm, Abschnitt VII). 116 Vgl. hierzuPalmisano, FSK-Tätigkeitsbericht, S. 267. 117 Vgl. Palmisano, FSK-Tätigkeitsbericht, S. 266. Die Errichtung dieser Abteilung kann als erster Schritt zu der auf dem Stockholmer Ratstreffen im Dezember 1993 von den KSZE-Außenministern geforderten Stärkung der Fähigkeiten des KVZ bei der operativen Unterstützung vorbeugender diplomatischer Missionen und friedenserhaltender Aktivitäten gesehen werden. Vgl. zu dieser Forderung des Rates: Stockholmer Beschlüsse, Abschnitt VII. 118 Vgl.: Bericht über das Expertentreffen über die friedliche Regelung von Streitfällen, Abschnitt: Bestimmungen über ein KSZE-Verfahren zur friedlichen Beilegung von Streitigkeiten (zit.: Valletta-Bestimmungen), Abschnitt V sowie Berliner Dokument, Ziff. 8, in der das KVZ zur ernennenden Institution fiir den Mechanismus bestimmt wurde. 119 Die Umbenennung erfolgte auf dem 2. Treffen des Rates der Außenminister der KSZE-Teilnehmerstaaten am 30./31.1.1992 in Prag, vgl.: Prager Dokument, Ziff. 9. Gleichzeitig wurde der Aufgabenkreis des Büros erweitert, vgl.: Prager Dokument, Ziff. 10 ff. 120 Vgl.: Beschlüsse von Budapest, Abschnitt VIII, Ziff. 8. Der Begriff der "menschlichen Dimension" steht als Oberbegriff fiir die "in der Schlußakte und in anderen KSZE-Dokumenten eingegangenen Verpflichtungen betreffend die Achtung 4*

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I. Kapitel: Die OSZE - Vom Konferenzprozeß zur Organisation

in den KSZE-Dokumenten eingegangenen Verpflichtungen hinsichtlich menschenrechtlicher Fragen, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zuständig. Demzufolge liegt ein Schwerpunkt der Tätigkeit des BDIMR in der Überwachung von Wahlen 121 sowie der Erleichterung von Kontakten und Informationsaustausch, welche im Zusammenhang mit Wahlen stehen. 122 So werden vom Büro Informationen über Wahlen gesammelt und auf Anfrage weitergegeben. Des weiteren ist es Aufgabe des BDIMR, Kontakte zwischen Regierungen, Parlamenten oder Privatorganisationen, die Wahlen beobachten wollen, und den zuständigen Behörden des Staates, in dem die Wahlen bevorstehen, zu organisieren. Im Rahmen des Mechanismus der menschlichen Dimension nimmt das BDIMR eine zentrale Stellung ein: So führt es die Expertenliste und ist Veranstaltungsort fur die bilateralen Treffen im Rahmen des Konsultationsverfahrens. Darüber hinaus nimmt es die Berichte der Experten- und Berichterstattermissionen sowie die daraufhin erfolgenden Ausfuhrungen des betroffenen KSZE-Teilnehmerstaates entgegen. 123 Das BDIMR organisiert zudem die alle zwei Jahre stattfindenden Implementierungstreffen, auf denen die Durchfiihrung der Verpflichtungen im Bereich der menschlichen Dimension überprüft wird. 124 Außerdem werden vom Büro Seminare zu spezifischen Fragen der menschlichen Dimension durchgefuhrt. Als Koordinierungs- und Informationsstelle fiir Angelegenheiten der menschlichen Dimension hält das BDIMR zudem engen Kontakt zum Europarat und den am Aufbau demokratischer Institutionen aktiv beteiligten nichtstaatlichen Organisationen. 125 Angesichts der Erkenntnis, daß "Fragen der menschlichen Dimension fiir das umfassende Sicherheitskonzept der KSZE von grundlegender Bedeutung sind" 126 , beschlossen die Außenminister der KSZE-Teilnehmerstaaten auf

aller Menschenrechte und Grundfreiheiten, die menschlichen Kontakte und andere Fragen von gleichfalls humanitärer Art" (vgl.: Wiener Dokwnent, Abschnitt: Menschliche Dimension der KSZE). 121 Allein 1994 wurden vom BDIMR Wahlen in mehr als 12 Ländern Zentral europas und der frtiheren Sowjetunion beobachtet. Vgl.: Höynck, Beiträge der OSZE zu neuer Stabilität, Abschnitt ill. 122 Vgl.: Zusatzdokwnent zur Charta von Paris, Abschnitt I G, Ziff. 1 ff. sowie Anhang!. 123 Siehe hierzu im einzelnen aufS. 112 ff. 124 Vgl.: Beschlüsse von He1sinki, Abschnitt VI, Ziff. 9 ff. 125 Vgl.: Prager Dokument, Ziff. 10 und Beschlüsse von He1sinki, Abschnitt VI, Ziff. 5 c. 126 Beschlüsse von Rom, Abschnitt IV, Ziff. 1.

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ihrem 4. Ratstreffen Ende 1993 die vorgenannten Aufgaben und Befugnisse des BDIMR weiter auszubauen: 127 So wird die BDIMR-Datenbank von Experten in fiir die menschliche Dimension relevanten Bereichen erweitert und die Rolle des BDIMR bei der "umfassenden Wahlüberwachung" verstärkt. In seiner Funktion als Kontaktund Informationsstelle wird das BDIMR seine Zusammenarbeit mit internationalen und nichtstaatlichen Organisationen, die im Bereich der menschlichen Dimension tätig sind, verstärken sowie Informationen über die menschliche Dimension und das humanitäre Völkerrecht verbreiten. Eine weitere Stärkung insbesondere bei seiner Beteiligung an OSZEMissionen erfuhr das BDIMR auf dem zweiten Folgetreffen in Budapest Ende 1994. 128 So ist das Büro hinsichtlich des Mandats einer OSZE-Mission vor dessen Annahme zu konsultieren und wird zu den auf Grundlage der Missionsberichte zu ergreifenden Folgernaßnahmen seinen Beitrag leisten. 129 Die Teilnehmerstaaten werden hinsichtlich der personellen Zusammensetzung zukünftiger Missionen auf die beim BDIMR geführte Liste von Experten im Bereich der menschlichen Dimension verwiesen,130 was die besondere Bedeutung, die die OSZE der menschlichen Dimension und damit dem BDIMR beimißt, unterstreicht. Ein ständiger Kontakt zwischen BDIMR und OSZEMission wird dadurch erreicht, daß ein zu benennendes Missionsmitglied im Hinblick auf Fragen im Bereich der menschlichen Dimension in ständiger Verbindung mit dem BDIMR sowie mit nichtstaatlichen Organisationen stehen wird. 13 I Das BDIMR nimmt zudem dergestalt an den Diskussionen des Hohen Rates und des Ständigen Rates teil, als es in regelmäßigen Abständen über seine Tätigkeit berichtet und Informationen über Durchführungsfragen bereitstellt. 132

127 Vgl.: Beschlüsse von Rom, Abschnitt IV, Ziff. 4. 128 Hierbei wurden zu einem großen Teil die Empfehlungen des im Herbst 1993 ab-

gehaltenen Implementierungstreffens zu Fragen der menschlichen Dimension umgesetzt. Die Ergebnisse des Implementierungstreffens sind abgedruckt in: Helsinki Monitor 4/1993, S. 76 ff., die Vorschläge des Netherlands Helsinki Committee fiir dieses Treffen finden sich auf S. 44 ff. Zum Implementierungstreffen vgl. auch Bloed, The CSCE between Conflict Prevention and Implementation Review, in: Helsinki Monitor 4/1993 (zit.: Bloed, Conflict Prevention and Implementation Review), S. 44 ff. sowie Buchsbaum/Hammer/SuntingerlTretter, The First Human Dimension Implementation Meeting: Analysis 01' the Informal Recommendations, in: Helsinki Monitor 2/1994, S. 68 tr. 129 Vgl.: Beschlüsse von Budapest, Abschnitt VIIl, Ziff. 11. 130 Vgl.: Ebenda 131 Vgl.: Ebenda. 132 Vgl.: Beschlüsse von Budapest, Abschnitt VIIl, Ziff. 8.

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I. Kapitel: Die OSZE - Vom Konferenzprozeß zur Organisation

9. Der Hobe Kommissar der OSZE für nationale Minderbeiten (HKNM) Um die Fähigkeit der KSZE zur Frübwarnung und vorbeugenden Diplomatie zu stärken, beschlossen die KSZE-Teilnehmerstaaten auf dem 4. KSZEFolgetreffen in Helsinki im Sommer 1992 das Amt eines Hohen Kommissars rur nationale Minderheiten (HKNM) einzurichten. 133 Der HKNM wird auf Empfehlung des Hohen Rates vom Ministerrat fiir einen Zeitraum von drei Jahren ernannt. Seine Amtsperiode kann einmal um weitere drei Jahre verlängert werden. Zum ersten KSZE- (jetzt: OSZE-) Hochkommissar rur nationale Minderheiten wurde der ehemalige niederländische Außenminister Max van der Stoel auf dem 3. Treffen des KSZE-Außenministerrates am 14./15. Dezember 1992 ernannt. 134 Sein Büro ist in Den Haag und er besitzt einen Mitarbeiterstab bestehend aus drei Diplomaten der Außenministerien der Niederlande, Polens und Schweden sowie einen amerikanischen Experten. 135 Aufgabe des HKNM ist es, zum frühestmöglichen Zeitpunkt den Hohen Rat über Spannungen bzgl. Fragen nationaler Minderheiten mit potentiell zwischenstaatlichen Auswirkungen zu informieren und durch direkte Konsultationen mit den betroffenen Parteien den Dialog, das Vertrauen und die Zusammenarbeit unter ihnen zu fördern. 136 Hierzu wurde in Helsinki ein spezieller Mechanismus verabschiedet, der neben Frühwarnung auch Frühmaßnahmen des HKNM umfaßt. 137 Der HKNM ist somit "ein Institut zur Konfliktverhütung zum frühestmöglichen Zeitpunkt."138 Der HKNM arbeitet unter der Ägide des Hohen Rates und stützt sich bei seiner Tätigkeit auf die Ressourcen des BDIMR. 133 Vgl.: Beschlüsse von Helsinki, Abschnitt ll.

134 Vgl.: Stockholmer Beschlüsse, Abschnitt lll. Schlotter, Was kann die KSZE leisten?, HSFK-StandpWlkt Nr. 6, Dezember 1994, S. 10, schlägt vor, zur Stärkilllg der OSZE dieses Büro zu einem "OSZE-Zentnun" auszubauen, das "in der Lage ist, auf der Basis umfassender Analysen der vielfältigen Ursachen von Nationalitätenkonflikten Vorschläge illld Empfehlilllgen zu erarbeiten illld in die praktische Vermittlilllg vor Ort einzubringen. " . 135 Vgl. Bloed, CSCE Preventive Diplomacy in Operation, in: Helsinki Monitor 1/1993, S. 47. 136 Vgl. van der Stoel, The Role of the CSCE High Commissioner on National Minorities in CSCE Preventive Diplomacy, in: Carlsson, The Challenge of Preventive Diplomacy, S. 33 Ir; ders., Die KSZE und die Minderheitenti"age, in: EA 22/1 994 (zit.: va" der Stoel, KSZE und Minderheitenirage), S. 629 If.; Chigas, Bridging the Gap Between Theory and Practice: The CSCE High Commissioner on National Minorities, in: Helsinki Monitor 3/1 994, S. 27 tI. 137 Siehe hierm im einzelnen auf S. 120 tI. 138 Beschlüsse von Helsinki, Abschnitt II, Ziff. 2.

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10. Das OSZE-Forum für Sicberbeitskooperation (FSK) Auf dem 4. KSZE-Folgetreffen in Helsinki wurde die Errichtung eines KSZE-Forums fiir Sicherheitskooperation beschlossen. 139 Dieses Forum setzte sich bis zu den Beschlüssen des 4. KSZE-Ratstreffen Ende 1993 in Rom aus einem Besonderen Ausschuß und dem Konsultativausschuß des KVZ zusammen. Zur Gewährleistung von Kohärenz waren beide Ausschüsse identisch besetzt. 140 Nachdem der Konsultativausschuß des KVZ Ende 1993 aufgelöst worden ist, werden dessen Aufgaben, soweit sie nicht dem Ständigen Rat übertragen worden sind, vom FSK, mithin von dessen Besonderem Ausschuß wahrgenommen. Im Besonderen Ausschuß werden die zuvor getrennt verlaufenden Verhandlungen über Rüstungskontrolle, Abrüstung und Vertrauens- und Sicherheitsbildung fortgesetzt. Ziel dieser Verhandlungen ist die Ausarbeitung weiterer internationaler Verpflichtungen auf diesen Gebieten. 141 Im Besonderen Ausschuß werden außerdem sonstige Sicherheitsfragen erörtert. 142 Darüber hinaus können subsidiäre Arbeitsgruppen mit begrenzter Teilnehmerzahl zur Erörterung und Klärung regionaler Sicherheitsangelegenheiten oder spezifischer Sicherheitsprobleme eingerichtet werden. 143 Zu diesen Tätigkeiten kommen seit Ende 1993 die zuvor vom Konsultativausschuß des KVZ wahrgenommenen Aufgaben hinzu, soweit sie nicht dem 139 Zur Entstehungsgeschichte dieses Forums sowie seiner Arbeit in den ersten Jahren vgl. Kuglitsch, Das KSZE-Forum für Sicherheitskooperation, in: ÖMZ 6/1992, S. 485 ff.; Hurlburt P., The CSCE Forum on Security and Cooperation: Creating an Arms Control Negotiation for Post-Arms Control Europe, in: Helsinki Monitor 4/92, S. 20 ff.; Möller-Gulland, The Forum for Security Co-operation and Related Security Issues, in: Lucas, The CSCE in the 1990s, S. 31 ff. 140 Vgl.: Beschlüsse von Helsinki, Abschnitt V, Ziff. 32. 141 Vgl.: Ebenda, Abschnitt V, Ziff. 41. Vor der Errichtung dieses Forums waren schon der Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE-Vertrag), die Abschließende Akte der Verhandlungen über Personal stärken konventioneller Streitkräfte und der Vertrag über den Offenen Himmel als völkerrechtliche Verträge abgeschlossen worden, letztere aber nur mittelbar im Ralunen des KSZE-Prozesses, vgl. hierzu die Erläuterung zum Open-Skies Vertrag in Fn. 15. 142 Hierunter fallen u.a. Streitkräfteplanung, Rüstungskonversion, Nichtverbreitung, regionale Sicherheitsangelegenheiten, militärische Zusammenarbeit und Kontakte sowie die Ausarbeitung eines gemeinsamen Verhaltenskodex in Sicherheitsfragen. Vgl. hierzu: Beschlüsse von Helsinki, Abschnitt V, Ziff. 46 B. Dieser Verhaltenskodex wurde als politisch verbindliches Dokument auf dem Budapester Gipfeltreffen Ende 1994 angenommen und trat am 1. Januar 1995 in Kraft. Vgl.: Beschlüsse von Budapest, Abschnitt IV. Die (nur) politische Verbindlichkeit wird in Ziff. 39 jenes Abschnitts ausdrücklich festgehalten. 143 Vgl.: Beschlüsse von Helsinki, Abschnitt V, Ziff. 37 und 46 Unterziff. 11.

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1. Kapitel: Die OSZE - Vom Konferenzprozeß zur Organisation

StA übertragen wurden: 144 So ist das FSK nunmehr für die Verwirklichung der VSBM zuständig und veranstaltet die jährlichen VSBM-Implementierungstreffen. Zudem werden vom FSK Seminare über militärische Fragen vorbereitet. Das Forum für Sicherheitskooperation richtet zudem verstärkte Aufmerksamkeit auf die verbesserte Durchführung bestehender OSZEVerpflichtungen in bezug auf Vertrauens- und Sicherheitsbildung. 145 Das FSK befaßt sich somit mit allen Fragen des militärischen Bereichs, ausgenommen den militärischen Krisenmechanismus der OSZE, der dem Ständigen Rat zugeordnet ist. Dieser Aufgabenbereich wurde auf dem Budapester Gipfeltreffen Ende 1994 dergestalt erweitert, als daß das FSK verstärkt in die politischen sowie konfliktverhütenden und krisenbewältigenden Aktivitäten der OSZE einzubeziehen ist. Auf diese Weise soll eine praktische Zusammenarbeit zwischen dem FSK und dem Ständigen Rat bei der Behandlung von aktuellen, die militärische Sicherheit betreffenden Fragen, ermöglicht werden. 146 Auf dem Gipfeltreffen wurde das FSK darüber hinaus mit der Ausarbeitung eines Rahmens für die Rüstungskontrolle beauftragt, der als Grundlage für ein Programm zur Einführung neuer Rüstungskontro11maßnahmen dienen so11. 147 11. Der Vergleichs- und Schiedsgerichtshof der OSZE Um der im Prinzip V der Schlußakte von Helsinki niedergelegten Verpflichtung der Teilnehmerstaaten, zwischen ihnen entstehende Streitigkeiten ausschließlich mit friedlichen Mitteln zu regeln, neue Impulse zu geben, verabschiedeten die Außenminister auf ihrem 3. Ratstreffen Ende 1992 auf Initiative Frankreichs und Deutschlands den Text eines "Übereinkommens über Vergleichs- und Schiedsverfahren innerhalb der KSZE" 148 . Dieses völkerrechtliche Übereinkommen sieht die Errichtung eines Vergleichs- und Schiedsgerichtshofs der KSZE mit Sitz in Genf vor, der die Aufgabe hat, die ihm von den Vertragsstaaten dieses Übereinkommens unterbreiteten Streitig-

144 Vgl.: Beschlüsse von Rom, Abschnitt

vrr, Zitf. 7.4.

145 Vgl.: Beschlüsse von Budapest, Abschnitt V, Ziff. 2.

146 Vgl.: Beschlüsse von Budapest, Abschnitt V, Ziff. 7. 147 Vgl.: Ebenda, Abschnitt V, Ziff. 4.

148 Beschluß über friedliche Beilegung von Streitigkeiten des 3. Treffens des KSZE-Rates in Stockholm, Anhang 2.

II. Die Institutionen der OSZE

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keiten durch das Mittel des Vergleichs und gegebenenfalls der Schiedsgerichtsbarkeit beizulegen. 149 Das "Übereinkommen über Vergleichs- und Schiedsverfahren innerhalb der KSZE" ist nach dem KSE-Vertrag das zweite völkerrechtlich verbindliche Dokument der OSZE. Es basiert auf dem sogenannten "Optionenmodell"150 der OSZE, d.h. es wird den Teilnehmerstaaten freigestellt, ob sie dieses Übereinkommen unterzeichnen und ratifizieren oder nicht. 151 Zwei Monate nach Hinterlegung der zwölften RatifIkations- bzw. Beitrittsurkunde ist das Übereinkommen gemäß seinem Art. 33 am 5. Dezember 1994 in Kraft getreten. 152 Nach Art des Haager Ständigen Schiedsgerichtshofs 153 besteht der KSZE(nunmehr OSZE-) Vergleichs- und Schiedsgerichtshof aus einer Liste von Schlichtem bzw. Schiedsrichtern, die von den Vertragsstaaten, d.h. den Staaten, die das Abkommen ratifiziert haben, designiert werden,154 dem Präsidi149 Zu den Einzelheiten des Vergleichs- und des Schiedsverfahren innerhalb dieses Übereinkommens siehe im folgenden auf S. 152 ff, S. 158 ff. Zu den Hintergründen der Errichtung eines OSZE-Vergleichs- und Schiedsgerichtshofs vgl. Badinter, L' Europe du droit, in: 4 EJIL (1993), (zit.: Badinter, L' Europe du droit), S. 15 ff. Hinsichtlich der Verhandlungen zwn "Übereinkommen über Vergleichs- und Schiedsverfahren innerhalb der KSZE" vgl. Tanja, Peaceful Settlement of Disputes within the Framework ofthe CSCE, in: Helsinki Monitor 3/1994 (zit.: Tanja, Peaceful Settlement ofDisputes), S. 48 ff. 150 So LR I Kremp in einem Gespräch mit dem Verf. am 20.12.1993 im AuswärtigenAmt. 151 Die Einführung dieses Optionenmodells war aufgrund des amerikanischen und britischen Widerstandes gegen die Errichtung eines KSZE-Schiedsgerichts erforderlich. Zur amerikanischen und britischen Haltung vgl. DixoniHirschfeld, Adapting the CSCE to Modem Problems: Limits and Opportunities, in: von Plate, Europa auf dem Weg zur kollektiven Sicherheit?, S. 231 ff. 152 Vertragsstaaten des Übereinkommens sind mit Stand Ende März 1995 Dänemark, Deutschland, Frankreich, Italien, Kroatien, Liechtenstein, Monaco, Polen, San Marino, Schweden, Schweiz, Slowenien und Zypern. 153 Vgl. zum Haager Ständigen Schiedsgerichtshof Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 83. 154 Jeder Vertragsstaat hat innerhalb von zwei Wochen nach Inkrafttreten des Übereinkommens zwei anerkannte Fachleute auf dem Gebiet des Völkerrechts, der internationalen Beziehungen oder der Streitbeilegung als Schlichter zu ernennen, von denen mindestens einer sein Staatsangehöriger ist. Darüber hinaus sind im gleichen Zeitraum vom Vertragsstaat ein Schiedsrichter und ein Stellvertreter zu bestimmen, die eigene Staatsangehörige oder Staatsangehörige eines anderen OSZE-Teilnehmerstaates sein können. Die Schiedsrichter und ihre Stellvertreter müssen entweder die in ihrem Staat für die höchsten richterlichen Ämter erforderlichen Voraussetzungen erfUllen oder Völkerrechtsgelehrte von anerkanntem Ruf sein. Schlichter und Schiedsrichter sowie deren Stellvertreter werden f\ir eine Amtszeit von sechs Jahren

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1. Kapitel: Die OSZE - Vom Konferenzprozeß zur Organisation

um des Gerichtshofs l55 sowie einem Kanzler und weiteren Bediensteten. Die zur Lösung des konkreten Streitfalls berufene Vergleichskommission bzw. das jeweilige Schiedsgericht muß von den Streitparteien erst einvernehmlich nach bestimmten Verfahrensregeln gebildet werden. 156 Die Bestellung des Präsidiums des Gerichtshofes und die damit verbundene Arbeitsaufnahme des OSZE-Vergleichs- und Schiedsgerichtshofes ist für Mai 1995 zu erwarten. 157 12. Sonstige Institutionen Die OSZE verfugt außerdem über eine Parlamentarische Versammlung mit einem Sekretariat in Kopenhagen l58 und über ein Wirtschaftsforum. 159

IH. Der Rechtscharakter der OSZE 1. Die Rechtsnatur der OSZE-Dokumente a) Begriffsbestimmung

Die Ergebnisse der Treffen der Staats- und Regierungschefs, des KSZERates (nunmehr Ministerrat), des AHB (nunmehr Hoher Rat), des StA

ernannt; Wiederernennung ist zulässig, hinsichtlich der Schiedsrichter und ihrer Stellvertreter aber nur fiir die Dauer einer zweiten Amtszeit. Schlichter und Schiedsrichter setzen die Fälle, mit denen sie bereits befaßt sind, auch nach Ablauf ihrer Amtszeit fort. Vgl. hierzu Art. 3,4 des "Übereinkommens über Vergleichs- und Schiedsverfahren innerhalb der KSZE". 155 Dies wird aus der Mitte der Schlichter und Schiedsrichter gebildet und besteht aus einem Präsidenten, einem Vizepräsidenten und drei weiteren Mitgliedern. 156 Vgl. hierzu im folgenden aufS. 154 und 160. 157 Intormation des Auswärtigen Amts. 158 Die Parlamentarische Versammlung setzt sich aus den Mitgliedern der nationalen Parlamente der OSZE-TeiInehmerstaaten zusammen. In ihr können Erklärungen und Empfehlungen zur europäischen Sicherheit und Zusammenarbeit abgegeben werden, die allerdings keine Bindungswirkung fiir die anderen OSZE-Institutionen haben. Für weitere Informationen sei auf die Ausführungen in Jaberg, KSZE, S. 20 ff. verwiesen. Zur Arbeit der Parlamentarischen Versammlung vgl. Buchsbaum, The 1993 Session of the CSCE Parliamentary Assembly, in: Helsinki Monitor 411993, S. 26 ff.; ders., The 1994 Session ofthe CSCE Parliamentary Assembly, in: Helsinki Monitor 111995, S. 32 tf. 159 Vgl. ftir nähere Informationen Jaberg, KSZE, S. 19 f.

ill. Der Rechtscharakter der OSZE

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(nunmehr Ständiger Rat) sowie der zur Erarbeitung konkreter Probleme einberufenen Sonderkonferenzen 160 und Expertentreffen 161 werden in schriftlicher Form, den sog. OSZE-Dokumenten festgehalten, deren jeweilige Bezeichnung variiert. 162 Streng genommen handelt es sich bei den Dokumenten, die vor der am 1.1.1995 erfolgten Umbenennung der KSZE in OSZE verabschiedet worden sind, um Dokumente der KSZE und bei den darin enthaltenen Verpflichtungen um KSZE-Verpflichtungen. Den Beschlüssen von Budapest, denen zufolge "ab dem 1. Januar 1995 alle Bezugnahmen auf die KSZE als Bezugnahmen auf die OSZE betrachtet (werden)"163 und der Praxis der OSZE-

160 Die Sonderkonferenzen wurden zur Erfulhmg der in den Körben der KSZESchlußakte eingegangenen allgemeinen Verpflichtungen eingesetzt. So fanden zu Korb I (Fragen der Sicherheit in Europa) folgende Sonderkonferenzen statt: Die Konferenz über Vertrauens- und Sicherheitsbildende Maßnahmen und Abrüstung in Europa (KVAE), die von 1984 bis 1986 in Stockho1m stattfand und danach in Wien mit den Verhandlungen über Vertrauens- und Sicherheitsbildende Maßnahmen (VVSBM) sowie den Verhandlungen über Konventionelle Streitkräfte in Europa (VKSE) fortgefUhrt wurde. 1m Rahmen von Korb 11 (Zusammenarbeit in wirtschaftlichen Bereichen) wurde 1990 in Bonn die "Konferenz über Wirtschaftliche Zusammenarbeit in Europa" abgehalten. Zur Verwirklichung der in Korb ill (Zusammenarbeit im humanitären Bereich) eingegangenen Verpflichtungen wurde auf dem 3. KSZE-Folgetreffen die Einberufimg einer "Konferenz über die Menschliche Dimension der KSZE" beschlossen, in deren Rahmen es zu drei Treffen (Paris 1989, Kopenhagen 1990 und Moskau 1991) kam. Vgl. hierzu Fastenrath, Einführung, Abschnitt 11 2 b, der diese Konferenzen als "Spezialkonferenzen" bezeichnet. 161 Als Beispiele seien hier das Umweltschutztreffen in Sofia 1989, das KSZEExpertentreffen über die friedliche Regelung von Streitigkeiten in La Valletta 1991 und das KSZE-Expertentreffen über nationale Minderheiten in Genf 1991 genannt. 162 So wurden die Ergebnisse der 1973 abgeschlossenen Vorbereitungskonferenz fiir das erste KSZE-Haupttreffen als "Schlußempfehlungen der Helsinki-Konsultationen" bezeichnet. Die Resultate des Haupttreffens wurden in der "Schlußakte von Helsinki" niedergelegt. Die Folgetreffen endeten jeweils mit einem "Abschließenden Dokument". Das gesonderte Gipfeltreffen von Paris im Jahre 1990 brachte die "Charta von Paris" hervor. Die Ergebnisse des 4. KSZE-Folgetreffen in Helsinki wurden als "HelsinkiDokument" bezeichnet. Dieses Dokument unterteilt sich in die "Gipfelerklärung" und die nachfolgenden "Beschlüsse". Die Ergebnisse der Spezialkonferenzen über die menschliche Dimension, KVAE, VSBM und VKSE wurden als "Dokumente" bezeichnet. Auf Expertentreffen und Seminaren werden "Berichte" bzw. "Schlußberichte" erarbeitet. Die Ergebnisse der Ratstreffen gliedern sich in die "Zusammenfassungen der Schlußfolgerungen" und die "Beschlüsse", wobei fiir letztere beim 2. Ratstreffen die Bezeichnung "Dokument" gewählt wurde. Auf den Treffen des AHB (Hohen Rates) und des StA (Ständigen Rates) werden "Beschlüsse" erarbeitet. 163 Beschlüsse von Budapest, Abschnitt I, Ziff. 1.

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I. Kapitel: Die OSZE - Vom Konferenzprozeß zur Organisation

Institutionen 164 folgend, wird im weiteren der Begriff der OSZE-Dokumente bzw. OSZE-Verpjlichtungen sowohl fiir die vor als auch nach dem 1.1.1995 beschlossenen Dokumente und die darin enthaltenen Regelungen verwendet.

b) Verbindliche und unverbindliche OSZE-Dokumente Die auf den Treffen der Staats- und Regierungschefs sowie des KSZE-Rates gefaßten bzw. von den Sonderkonferenzen angenommenen Beschlüsse sind verbindlich,165 während die Berichte bzw. Vorschläge der Expertentreffen erst durch Annahme oder Billigung seitens des KSZE-Rates oder der Staatsund Regierungschefs der KSZE-Teilnehmerstaaten zu verbindlichen Dokumenten werden. Beschlüsse des Hohen Rates sind grundsätzlich verbindlich; soweit eine Beauftragung seitens des KSZE-Rates zur Prüfung bestimmter Sachfragen vorliegt, bedürfen die als Ergebnis der Untersuchung gefaßten AHB-Beschlüsse zur Erlangung von Verbindlichkeit einer Billigung durch den KSZE-Rat. 166 Für die Beschlüsse des StA gilt das gleiche; auch sie sind grundsätzlich verbindlich, bedürfen im Falle einer Beauftragung des StA durch KSZE-Rat oder AHB zur Erlangung von Verbindlichkeit jedoch einer Billigung durch die beauftragende Institution.

164 So wurden beispielsweise auf dem 1. Treffen des Hohen Rates am 30./3 I. März 1995 die von der KSZE beschlossen Verpflichtungen als "OSCE principles" bezeich-

net, vgI.: Ist OSCE Senior CounciI, Journal No. 2, item 6. 165 Grundsätzlich werden auf den Sonderkonferenzen "Beschlüsse" gefaßt, die infolge ihrer Annahme durch die Staatenvertreter in einem Schlußdokument Verbindlichkeit erlangen. Soweit auf Sonderkonferenzen lediglich "Schlußfolgerungen", "Bewertungen" oder "Empfehlungen" abgegeben werden, haben diese keinen verbindlichen Charakter. Als Beispiel sei hier die Konferenz über wirtschaftliche Zusammenarbeit in Europa 1989 genannt. Vgl. hierzu Schweisfurth, Einführung, S. XXXIX i. V.m. S. XXVII ff. 166 Vgl. als Beispiel: Beauftragung des AHB durch den Rat, "die KSZE-Strukturen und -Operationen umfassend zu überprüfen, um organisatorische Vorkehrungen zur ErtUllung dieser Erfordernisse (der Weiterentwicklung von KSZE-Institutionen, Anm. des Verf.) zu treffen." (Stockholmer Beschlüsse, Abschnitt VII). Beschluß des 24. AHB-Treffens zur Schaffimg eines KSZE-Sekretariates in Wien und Aufgabenzuweisung hinsichtlich des KSZE-Büros in Prag sowie Billigung dieser Beschlüsse auf dem 4. Ratstreffen (Beschlüsse von Rom, Abschnitt VII, Ziff. 5 und 8). Zu allgemein insoweit Fastenrath, EintUhrung, Abschnitt II 2 d, demzufolge Beschlüsse des AHB allgemein verbindlich sind sowie Schweisfurth, EintUhrung, S. XXXIX, der den AHB unter den Institutionen, die verbindliche Beschlüsse fassen können, nicht erwähnt. Die Verbindlichkeit beispielsweise der AHB Beschlüsse, die Vertreter Jugoslawiens (Serbien und Montenegro) zunächst zeitlich befristet und schließlich auf unbefristete Zeit von KSZE-Treffen auszuschließen (vgI.: 13. und 18. AHB-Treffen), steht indes außer Frage.

m. Der Rechtscharakter der OSZE

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Nach der Anfang Dezember 1994 erfolgten Umbenennung der Institutionen 167 sind demzufolge Beschlüsse des Ministerrates, Hohen Rates und Ständigen Rates grundsätzlich verbindlich, wobei es im Falle einer Beauftragung des Hohen Rates bzw. Ständigen Rates einer Billigung des Beschlusses durch die beauftragende Institution bedarf. c) Die Rechtsnatur der verbindlichen OSZE-Dokumente

Werden bestimmte OSZE-Dokumente als verbindlich angesehen, so stellt sich die Frage nach der Qualität der Bindung an sie: Sind die OSZETeilnehmerstaaten rechtlich an die verbindlichen OSZE-Dokumente und mithin an die in ihnen festgehaltenen Beschlüsse gebunden oder handelt es sich um eine nur außerrechtlich politische Bindung? Die Beantwortung dieser Frage ist äußerst bedeutsam hinsichtlich der Folgen, die im Falle der Verletzung dieser Beschlüsse durch Teilnehrnerstaaten eintreten können: Bei der Verletzung von Rechtsnormen des Völkerrechts können gegen den Rechtsbrecher Repressalien ergriffen werden; 168 werden hingegen nur politisch verbindliche außerrechtliche Normen verletzt, so liegt mangels Verletzung rechtlicher, hier völkerrechtlicher Normen kein völkerrechtliches Delikt vor. Gegen den die außerrechtliche Norm verletzenden Staat dürfen somit keine Repressalien ergriffen werden, so daß der Normverletzer keinen Eingriff in seine völkerrechtlich geschützten Rechtsgüter zu befurchten braucht. In Betracht kommt lediglich eine Retorsion, eine dem Völkerrecht nicht widersprechende, aber unfreundliche Handlung. 169 Zur Klärung der Frage der Rechtsnatur der verbindlichen OSZEDokumente gilt es, sich zunächst in einern ersten Schritt den Rechtscharakter der Schlußakte von Helsinki zu vergegenwärtigen und dann in einern zweiten Schritt zu prüfen, ob die hinsichtlich der Schlußakte getroffene Bewertung sich auch auf die nachfolgenden OSZE-Dokumente, insbesondere jene neueren Datums übertragen läßt.

167 Zwn illlterschiedlichen Zeitpunkt der UmbenennWlg der KSZE Wld ihrer Institutionen vgl. Fn. 24. 168 Als Repressalie bezeiclmet man den Eingriff eines in seinen völkerrechtlichen Rechten verletzten Staates in einzelne Rechtsgüter jenes Staates, der den Unrechtstatbestand gesetzt hat, wn ilm zur Beendigilllg des rechtswidrigen Zustandes bzw. zu einer Wiedergutmachilllg zu bewegen (vgl. hierzu Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 1342 ff.). 169 Hierbei handelt es sich zumeist wn den Abbruch diplomatischer BeziehWlgen oder die Einstellilllg nicht vertraglich versprochener, sondern nur einseitig gewährter Entwicklilllgshilfe (Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 1335).

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I. Kapitel: Die OSZE - Vom Konferenzprozeß zur Organisation

(1) Die Rechtsnatur der Schlußakte von Helsinki

Obschon die KSZE-Schlußakte auf den ersten Blick infolge der Festlegung detaillierter Verhaltensregeln und der Unterzeichnung durch die Staats- und Regierungschefs von 35 Staaten wie ein völkerrechtlicher Vertrag aussieht, stellt sie dennoch keinen Vertrag i.S. der Wiener Vertragsrechtskonvention (WVRK) dar, zumal ihr das ungeschriebene subjektive Element der Vertragsdefinition des Art. 2 Ziff. I lit. a WVRK, die "intention (of States) to create obligations and rights under international law"170 fehlt. Die fehlende Absicht der Staaten, mit der KSZE-Schlußakte völkerrechtliche Bindungen eingehen zu wollen, ergibt sich in erster Linie aus dem Text der Schlußakte selbst und wird durch den Inhalt des Übermittlungsschreiben der Republik Finnland an den UN-Generalsekretär sowie die Erklärungen der Staatenvertreter in Helsinki als auch den nachfolgenden innerstaatlichen Verfahrensverhalten der an der Konferenz beteiligten Staaten unterstützt: Das Hauptargument gegen eine Absicht der KSZE-Teilnehmerstaaten, mit der Schlußakte als völkerrechtlicher Vertrag Rechte und Pflichten nach Völkerrecht begründen zu wollen, findet sich im letzten Abschnitt der Schlußakte, in dem festgehalten wird, daß die Schlußakte "nicht registrierbar nach Artikel 102 der Charta der Vereinten Nationen ist"171. Hiermit haben die KSZETeilnehmerstaaten nicht nur die Registrierung, die hinsichtlich der Vertragsqualität keinen konstitutiven Charakter hat,l72 sondern die Registrierbarkeil der Schlußakte überhaupt ausgeschlossen und damit eindeutig klargestellt, daß mit der Schlußakte keine völkerrechtlichen Rechte und Pflichten begründet werden sollen: Ob ein Vertrag registriert wird oder nicht, ist ftir seine Wirksamkeit ohne Bedeutung; ein Dokument, das von seinen Erstellern aber als der Registrierung gar nicht fähig angesehen wird, kann kein Vertrag sein. 173 170 Die ILC hatte sich seinerzeit bei der Ausarbeitung des Konventionsentwurfs, der zur Grundlage der WVRK wurde, gegen die Ausformulie~ dieses subjektiven Elements im Vertragsbegriff entschlossen mit der BegründWlg, daß "the element of intention is embraced in the phrase «governed by international laW»." Die entsprechende Passage der deutschen FassWlg von Art. 2 Ziff. I Iit a) lautet "internationale übereinkunft zwischen Staaten". Vgl. hierzu Schweisfurth, KSZE-Schlußakte, S. 686 mit Verweis auf Rotter, Die Abgrenzung zwischen völkerrechtlichem Vertrag Wld außerrechtlicher zwischenstaatlicher AbmachWlg, in: Internationale Festschrift flir Alfred Verdross zum 80. Geburtstag (zit.: Rotter, AbgrellZWlg), S. 426 ff. sowie Verweis auf UN Doc. AlCONF.391l1/Add. 2, S. 9.· 171 Schlußakte von Helsinki, Abschnitt: Folgen der Konferenz, Ziff. 4. 172 Vgl. zur Registrierungsproblematik Geck, Die Registrierung Wld VeröffentlichWlg völkerrechtlicher Verträge, in: ZaöRV Bd. 22 (1962), S. 113 ff. 173 So die überzeugende Argumentation von Heusei, "Weiches" Völkerrecht: Eine vergleichende UntersuchWlg typischer ErscheinWlgsformen (zit.: Heusei, "Weiches" Völkerrecht), S. 180 f.

ill. Der Rechtscharakter der OSZE

63

Diese Auffassung spiegelt sich im Wortlaut des von allen KSZETeilnehmerstaaten konsentierten Schreibens 174 der Republik Finnland hinsichtlich der Übermittlung der KSZE-Schlußakte an den UN-Generalsekretär wieder, in dem es heißt, daß "diese Schlußakte weder ganz noch teilweise beim Sekretariat nach Artikel 102 der Charta der Vereinten Nationen registrierbar ist, wie das der Fall wäre, wenn es sich um einen Vertrag oder ein internationales Abkommen gemäß diesem Artikel handelte. "175 Dieser den KSZE-Teilnehmerstaaten gemeinsame Mangel einer Rechtsetzungsabsicht manifestierte sich zudem in den Äußerungen der Staatenvertreter während und nach der Schlußsitzung in Helsinki. So erklärten einige westliche Staatsmänner ausdrücklich, daß die Schlußakte "kein völkerrechtlicher Vertrag,,176 sei und auch die Äußerungen der Vertreter der sozialistischen Der Großteil der völkerrechtlichen Literatur stellt hingegen trotz des eindeutigen Wortlauts der Schlußakte auf den Registrierungsausschluß und nicht den Registrierbarkeitsausschluß ab und muß daher angesichts der Tatsache, daß die Registrierung fur die Vertragsqualität keinen konstitutiven Charakter hat, den fehlenden Vertragscharakter erst über einen - durchaus zutreffenden - Umkehrschluß begründen: Nach Artikel 102 SVN sind die Mitglieder der VN verpflichtet, die von ihnen geschlossenen Verträge registrieren zu lassen. Würden die KSZE-Teilnehmerstaaten, die mit Ausnahme der Schweiz alle UN-Mitglieder sind, die Schlußakte als Vertrag ansehen, so würden sie sich durch die Festlegung der Nichtregistrierungsfahigkeit der Schlußakte kollektiv ihren satzungsmäßigen Pflichten entziehen. Da ein derartiger konzertierter Bruch der UN-Charta nicht anzunehmen ist, kann die Schlußakte mithin kein Vertrag sein. Vgl. hierzu Mahnke, Die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) und die deutsche Frage, in: Deutschland-Archiv, Nr. 9/1975, S. 926; Schweisfurth, KSZE-Schlußakte, S. 690; Delbrück, Die völkerrechtliche Bedeutung der Schlußakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, in: 3. Deutsch-polnisches Juristen-Kolloquium (zit.: Delbrück, Schlußakte), S.40. Am Ende seiner Untersuchung der in Frage stehenden Wortpassage des HelsinkiDokuments kommt Schweisfurth, KSZE-Schlußakte, S. 690, zum selben Ergebnis wie HeuseI, indem er die Registrierunfahigkeit (somit also nicht den Registrierungs- sondern den Registrierbarkeitsausschluß) der Schlußakte betonend resümiert: "«Nicht registrierban> heißt daher nicht vereinbarter Verzicht auf die Registrierung eines an sich registrierfahigen Vertrages, sondern Registrierunfahigkeit der Schlußakte mangels Vertragscharakters. " 174 Vgl. Schweisfurth, KSZE-Schlußakte, S. 697. 175 Der vollständige Wortlaut des Übermittlungsschreibens ist abgedruckt in: EA 1975, S. D574. 176 So Bundesaußenminister Genscher in der Erklärung der Bundesregierung zur KSZE, vgl. Bulletin Nr. 94/1975, S. 887. Ebenso der britische Premierminister Wilson in seiner Rede während der Helsinki-Schlußkonferenz: "The Final Act of this Conference is not a treaty." (Vgl. hierzu und zu den gleichlautenden Äußerungen anderer westlicher Staatenvertreter: EA 1975, S. D542 ff.). Diese eindeutigen Äußerungen blieben von östlicher Seite unwidersprochen.

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1. Kapitel: Die OSZE - Vom Konferenzprozeß zur Organisation

Staaten ließen aufgrund ihres ambivalenten Charakters einen eindeutigen Schluß auf den Rechtscharakter der eingegangenen Verpflichtungen und somit auf einen Rechtsbindungswillen dieser Staaten gerade nicht zu. 177 Der Mangel der Rechtsetzungsabsicht zeigt sich zudem anband der Tatsache, daß in keinem Teilnehmerstaat das jeweilige fur internationale Verträge vorgesehene innerstaatliche Zustimmungsverfahren durchgefuhrt wurde. 178 Festzuhalten ist somit zunächst einmal, daß die KSZE-Schlußakte mangels Absicht ihrer Unterzeichner, mit diesem Dokument Rechte und Pflichten nach Völkerrecht zu begründen, keinen völkerrechtlichen Vertrag darstellt und mithin keine rechtliche Verbindlichkeit erzeugt.179 Dies gilt, wie sich aus dem von allen KSZE-Teilnehmerstaaten konsentierten Übermittlungsschreiben der Republik Finnland an den UN-Generalsekretär zeigt, fur die Schlußakte in toto. 180

177 So betonte der Generalsekretär des ZK der KPdSU, Bresclmew, die "besondere politische Bedeutung und moralische Durchschlagskraft" der KSZE-Vereinbarungen (EA 1975 S. D556 f, Hervorhebung vom Verf.) und der Erste Sekretär des ZK der SED, Erich Honecker, bezeiclmete die Schlußakte als einen "Kodex der Anwendung der Prinzipien der friedlichen Koexistenz", den die KSZE-Teilnehmerstaaten im Einklang mit dem Völkerrecht vereinbart hätten (vgl.: EA 1975, S. D544). Die Verwendung des Begriffes "Kodex" als Sanunelbegriff fur Normen beliebiger, also nicht nur juristischer Art (man denke etwa an Begriffe wie "Moralkodex" oder "Ehrenkodex") sowie die Absetzung des mit der Schlußakte festgelegten Kodexes gegen die Völkerrechtsordnung deuten darauf hin, daß auch Honecker die Schlußakte nicht als völkerrechtlichen Vertrag verstand. Weitere Beispiele gleichfalls ambivalenter Äußerungen östlicher Staatenvertreter fmden sich bei Reusel, "Weiches" Völkerrecht, S. 170 f, Fn. 374. 178 Vgl. Schweisfurth, KSZE-Schlußakte, S. 691; Delbrlick, Schlußakte, S. 41. Exemplarisch hierzu die bei Reusel, "Weiches" Völkerrecht, S. 172, Fn. 384 angeführten Ausführungen des schweizerischen Bundespräsidenten und Außenministers Graber aufgrund einer Anfrage im Ständerat (Schw. JIR xxxn, 1976, S. 73 f): Die Schlußakte habe keinen Rechtscharakter, erlege der Schweiz keinerlei Verpflichtungen auf und fUhre auch zu keinem Verzicht auf bestehende Rechte, sie brauche daher den Räten auch nicht zur Zustimmung vorgelegt zu werden. 179 Vgl. Schweisfurth, KSZE-Schlußakte, S. 692 f; Delbrück, Schlußakte, S. 42; Reusel, "Weiches" Völkerrecht, S. 180; Kimminich, Konferenz über Sicherheit und Zusanunenarbeit in Europa und Menschenrechte, in: Archiv des Völkerrechts 1976-78, S.281. 180 Schweisfurth, KSZE-Schlußakte, S. 697. Die entsprechende Passage des Übermittlungsschreiben lautet: "... daß diese Schlußakte weder ganz noch teilweise beim Sekretariat nach Artikel 102 der Charta der Vereinten Nationen registrierbar ist." Eine Zuerkennung von Rechtsverbindlichkeit hinsichtlich einzelner Teile der Schlußakte würde der Absicht der Unterzeiclmerstaaten zuwiderlaufen und kommt daher nicht in Betracht.

m. Der Rechtscharakter der OSZE

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Andererseits haben die KSZE-Teilnehmerstaaten in Helsinki mit der Unterzeichnung des Dokumentes ihre "Entschlossenheit" erklärt, "die Bestimmungen der Schlußakte der Konferenz gebührend zu berücksichtigen und sie anzuwenden" I 81 und somit klargestellt, daß die Bestimmungen der Schlußakte als Verhaltensregeln zwischen ihren Staaten gelten sollen. 182 Hierbei handelt es sich mithin nicht um einen bloßen Wunsch oder eine reine Absichtserklärung, sondern um eine gegenseitige Verpflichtung auf die in der Schlußakte festgelegten Verhaltensregeln. 183 Die KSZE-Schlußakte kann somit positiv definiert werden als "zwischenstaatliche Vereinbarung über Verfahrensarten nicht völkerrechtlicher Art"184 bzw. kurzgefaßt als "außerrechtliche politische zwischenstaatliche Abmachung" 185 . Soweit sich in der Schlußakte, insbesondere im Prinzipienteil, Bestimmungen wiederfinden, die rechtlich verbindlich sind, gilt es festzuhalten, daß sich die Rechtsverbindlichkeit dieser Bestimmungen nicht aus der nur politisch verbindlichen außerrechtlichen Schlußakte, sondern ausschließlich qua bestehender völkerrechtlicher Regelungen, hinsichtlich des Prinzipienkatalogs beispielsweise denen der UN-Charta, ergibt. 186

Die Tatsache, daß die KSZE-Teilnehmerstaaten die Schlußakte nur als einheitliches Dolewnent Wld nicht als SammlWlg von VereinbarlUlgen möglicherweise ganz Wlterschiedlichen Charakters verstanden wissen wollten, ergibt sich aus der auf das ganze Dokument bezogenen Präambel, aus seiner feierlichen UnterzeichnWlg sowie insb. aus dem in Prinzip X Abs. 2 (Korb 1) sowie in Abs. 3 der Präambel Wld Nr. 1 des Abschnitts "Folgen der Konferenz" erklärten Willen der KSZE-Teilnehmerstaaten, "die BestimmWlgen der Schlußakte" zu beachten. (Vgl. hierzu Heusei, "Weiches" Völkerrecht, S. 180). 181 Schlußakte von Helsinki, Abschnitt: Folgen der Konferenz, Ziff. 1. 182 So wird in Ziff. 4 des Abschnitts "Folgen der Konferenz" festgehalten, daß die "Hohen Vertreter der KSZE-Teilnehmerstaaten ... mit der Erklänmg ihrer Entschlossenheit, in ÜbereinstimmWlg mit den BestimmWlgen in den oben aufgefiihrten Texten zu handeln, ihre Unterschrift Wlter die vorliegende Schlußakte gesetzt (haben)." 183 So Schweisfurth, KSZE-Schlußakte, S. 698 f. Vgl. auch die an gleicher Stelle wiedergegebene FormuliefWlg des britischen Premierminister Wilson, demzufolge die Bestimmwlgen der Schlußakte "do represent more than good intentions, more than a desire to set our relations on a new course. They are a moral comrnitment." 184 Schweisfurth, KSZE-Schlußakte, S. 695. 185 Der Begriff der "außerrechtlichen zwischenstaatlichen AbmachWlg" geht zurück auf Rotter, AbgreUZWlg, S. 414, wurde aber von Schweisfurth; KSZE-Schlußakte, S. 696, erstmalig auf die KSZE-Schlußakte angewandt, im folgenden noch durch den Zusatz "politisch" ergänzt, vgl. Schweisfurth, EinfüllfWlg, S. XL. 186 So auch Schweisfurth, Einfllhrung, S. XLill. 5 Wenig

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1. Kapitel: Die OSZE - Vom Konferenzprozeß zur Organisation

(2) Die Rechtsnatur der anderen OSZE-Dokumente (a) Die rechtliche Einordnung der anderen OSZE-Hauptdokurnente (Folgetreffen und Charta von Paris) In Helsinki hatte sich der Mangel der Rechtssetzungsabsicht der Konferenzteilnehmer primär im in der Schlußakte niedergelegten Registrierbarkeitsausschluß manifestiert. Das erste Folgetreffen in Belgrad endete mit einem kurzen "Abschließenden Dokument", in dem im wesentlichen die "aufgetretenen Schwierigkeiten und Hindernisse" bei der Implementierung der Schlußakte konstatiert wurden. Da die mangelnde Rechtssetzungsabsicht bei Ausarbeitung dieses Dokuments allen KSZE-Teilnehmerstaaten offenkundig war, verzichteten sie auf einen ausdrücklichen Registrierbarkeitsausschluß und baten lediglich den Gaststaat, das Dokument zu Informationszwecken "dem Generalsekretär der Vereinten Nationen zu übermitteln."187 Diese Praxis wurde bei den nächsten beiden Folgetreffen in Madrid und Wien beibehalten, obschon gerade in Wien recht detaillierte Verhaltensregeln erarbeitet worden waren. Da die jüngeren Hauptdokumente, die Charta von Paris, die Gemeinsame Erklärung von zweiundzwanzig Staaten und das Helsinki-Dokurnent des 4. Folgetreffens, aufgrund ihrer detaillierten Regeln hinsichtlich zwischen- und innerstaatlichen Verhaltensweisen sowie bezüglich der Institutionalisierung die äußere Form von Verträgen haben,188 hielten es die Teilnehmerstaaten fiir angebracht, diesen Dokumenten erneut einen ausdrücklichen Registrierbarkeitsausschluß 189 beizufiigen l90 , um somit der Fehlinterpretation vorzubeu-

187 Diese Offenkundigkeit der mangelnden Rechtssetzungsabsicht war der eigentliche Grund des fehlenden ausdrücklichen Registrierbarkeitsausschlusses. Zweifelhaft erscheint die von Schweisfurth, Einfiiluung, S. XLI, vertretene Begründung, daß "die grundsätzliche Registrierungsunfähigkeit von KSZE-Dokumenten bereits bei der Übermittlung der KSZE-Schlußakte 1975 klargestellt worden war", da eine derartige KlarsteIlung fiir nachfolgende Dokumente weder in der Schlußakte selbst noch in dem von allen KSZE-Teilnehmerstaaten konsentierten ÜbermittIungsschreiben der Republik Finnland enthalten ist (Der Wortlaut des ÜbermittIungsschreibens ist abgedruckt in: EA 1975, S. D574). 188 So wird beispielsweise in Charta von Paris von der "Überprüfung der Durchfiihrung der einschlägigen KSZE-Verptlichtungen und Prüfung von Möglichkeiten zur Verbesserung einschlägiger Normen" gesprochen (Charta von Paris, Anhang m, Ziff. I 4 b). Irritierend insoweit die Äußerungen von Bundesaußenminister Genscher auf dem 2. Treffen des KSZE-Rates in Prag, in denen er in bezug auf die "grundlegenden Normen der Charta" vom möglichen "Rechtsverletzer" sprach. (Bulletin Nr. 1211992, S. 82). VgL hierzu im folgenden Fn. 221 189 Ungenau Schweisfurth, Einftihrung, S. XLII, der vom "Registrierungsausschluß" spricht VgL zu dieser Abgrenzung bereits aufS. 62.

ill. Der Rechtscharakter der OSZE

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gen, die von der KSZE nach Beendigung des Ost-West-Gegensatzes erarbeiteten Dokumente stellten völkerrechtliche Vereinbarungen dar und ihre Bestimmungen seien rechtlicher Natur. 191 Gleiches gilt fiir das Anfang Dezember 1994 auf dem fiinften KSZEFolgetreffen verabschiedete Budapester Dokument, dessen "Wortlaut fiir eine Registrierung nach Artikel 102 der Charta der Vereinten Nationen nicht in Betracht kommt." 192 Hinsichtlich des auf diesem Treffen angenommenen Verhaltenskodex zu politisch-militärischen Aspekten der Sicherheit haben die KSZE-Teilnehmerstaaten neben einem ausdrücklichen Registrierbarkeitsausschluß noch die Feststellung getroffen, daß die in dem Verhaltenskodex angenommenen Bestimmungen (nur) "politisch bindend sind"193 . (b) Der Rechtscharakter des Kopenhagener Dokumentes und die Problematik des "menschenrechtlichen soft-Iaw"

Hinsichtlich des Dokuments des im Juni 1990 in Kopenhagen abgehaltenen 2. Treffens der Konferenz über die Menschliche Dimension der KSZE194 wird von Teilen der Völkerrechtslehre die Auffassung vertreten, daß durch einzelne Passagen dieses Schriftstückes ein "Bestand partikulär (d.h. innerhalb der KSZE, Anm. des Verf.) völkerrechtlich geltender Minderheitenrechte"195 geschaffen wurde bzw. daß es sich bei den in Frage stehenden Normen um "menschenrechtliches soft-law" 196 handelt.

190 Vorletzter Absatz der Gemeinsamen Erklärung von zweiundzwanzig Staaten, Abschnitt "Neue Strukturen und Institutionen des KSZE-Prozesses" der Charta von Paris sowie Ziff. 46 der Gipfe1erklärung von He1sinki 1992. 191 So auch Schweisfurth, Einfuhrung, S. XLll. 192 Budapester Dokument, Gipfe1erklärung von Budapest, Ziff. 22 193 Beschlüsse von Budapest, Abschnitt IV, Ziff. 39. 194 Konferenz über die Menschliche Dimension der KSZE: Dokument des Kopenhagener Treffens vom 29. Juni 1990. 195 Breitenmoser/Richter, Die Verwirklichung der KSZE-Grundsätze zum Schutze nationaler Minderheiten durch Organleihe bei der EMRK, in: EuGRZ 1991 (zit.: Breitenmoser/Richter. KSZE-Gnmdsätze zum Schutze nationaler Minderheiten), S. 150. Bei diesen Regelungen des Kopenhagener Dokumentes handele es sich um "innerhalb der KSZE anerkannte, also partikulär geltende allgemeine Rechtsgnmdsätze, die ihren Geltungsgnmd im Verbandszweck der KSZE [mden." 196 So Tretter, Das Kopenhagener Abschlußdokument über die menschliche Dimension der KSZE, in: EuGRZ 1990 (zit.: Tretter, Kopenhagener Abschlußdokument), S. 238. Zurückhaltender Breitenmoser/Richter, KSZE-Grundsätze zum Schutze nationaler Minderheiten, S. 150, die lediglich von einer "soft law-ähnlichen Vorstufe der Verbindlichkeit" sprechen. 5*

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I. Kapitel: Die OSZE - Vom Konferenzprozeß zur Organisation

Als Argumente hierfür werden der fehlende "Registrierungsausschluß "197 des Kopenhagener Dokuments, die fehlende Feststellung der nur "politischen Verbindlichkeit"198 seiner Bestimmungen sowie der Wortlaut und die Stellung der betreffenden Passagen angefiihrt. 199 (a) Stellungnahme zur völkerrechtlichen Verbindlichkeit

Gegen eine völkerrechtliche Verbindlichkeit einzelner Passagen des Kopenhagener Dokumentes lassen sich gewichtige Argumente anfUhren: Der fehlende Ausschluß der Registrierbarkeit des Kopenhagener und auch des nachfolgenden Moskauer Dokuments200 erklärt sich aus der Tatsache, daß beide Dokumente überhaupt nicht an den UN-Generalsekretär übermittelt werden sollten und sich somit jeder Hinweis auf die Nicht-Registrierbarkeit erübrigte. 20 1 Darüber hinaus sind die Bestimmungen der Dokumente von Kopenhagen und Moskau durch die Regelungen des nur politisch verbindlichen Helsinki Dokumentes 1992 ergänzt worden. 202 Zwar können die Regelungen eines völkerrechtlichen Vertrages durch eine nachfolgende politische Übereinkunft weiterentwickelt werden, doch hat dies gern. Art. 31 Abs. 3 lit. (a) IGHSt nur Auswirkungen auf die Auslegung des Vertrages. Eine Verkürzung oder Erwei197 Breitenmoser/Richter, KSZE-Grundsätze zum Schutze nationaler Minderheiten, S. ISO. Genau gesagt geht es hier um den fehlenden Ausschluß der Registrierbarkeit und nicht der für den Vertragscharakter irrelevanten Registrierung. Zu dieser Abgrenzung vgl. die Ausfilhrungen auf S. 62. 198 Dieser Begriff war in dem zuvor verabschiedeten KVAE-Dokument (Ziff. 101) und Wiener VSBM-Dokument 1990 (Ziff. 157) erstmals verwandt worden. 199 Abgestellt wird hierbei auf Ziffer 30 des Kopenhagener Dokumentes, in dem die KSZE-Teilnehmerstaaten "bekräftigen ... , daß die Achtung der Rechte von Angehörigen nationaler Minderheiten als Teil der international anerkannten Menschenrechte ein wesentlicher Faktor fiIr Friede, Gerechtigkeit, Stabilität und Demokratie in den KSZETeilnehmerstaaten ist." Aus der in den folgenden Ziffern niedergelegten Aufzählung einzelner Rechte wird gefolgert, daß von den KSZE-Teilnehmerstaaten die so konkretisierten Minderheitenrechte "als Teil des unter ihnen geltenden Völkerrechts angesehen (werden)." (BreitenmoserlRichter, KSZE-Gnmdsätze zum Schutze nationaler Minderheiten, S. ISO). Die Konsequenz wäre, daß die KSZE-Teilnehmerstaaten sich mit der Verabschiedung des Kopenhagener Dokumentes völkerrechtlich an die von ihnen konkretisierten Rechte nationaler Minderheiten gebunden hätten. 200 Konferenz über die Menschliche Dimension der KSZE: Dokument des Moskauer TretTens vom 3. Oktober 1991. 201 Vgl. hierzu Schweisfurth, Einfiihrung, S. XLll. 202 Beschlüsse von Helsinki, Abschnitt VI, Ziff. 23 ff.

III. Der Rechtscharakter der OSZE

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terung des Vertragsinhaltes auf nicht rechtlicher Basis ist indes nicht möglich. 203 Die Ergänzung der Bestimmungen der Dokumente von Kopenhagen und Moskau durch die nur politisch verbindlichen Beschlüsse von Helsinki 1992 spricht somit rur die Annahme, daß diese beiden Dokumente von den Teilnehmerstaaten ebenfalls nur als politisch verbindliche außerrechtliche Übereinkünfte angenommen wurden. Zudem lassen sich als weiteres Argument gegen eine rechtliche Verbindlichkeit der Bestimmungen des Kopenhagener Dokuments die in der Folgezeit abgeschlossenen bilateralen Abkommen zwischen elmgen KSZETeilnehmerstaaten anfuhren, in denen die Vertragsparteien die "rechtliche Verbindlichkeit des im Dokument des Kopenhagener Treffens über die menschliche Dimension der KSZE ... niedergelegten Standards zum Schutz von nationalen Minderheiten" vereinbart haben. 204 Derartige bilaterale Transformationen der Regelungen des Kopenhagener Dokuments wären überflüssig und somit nicht vorgenommen worden, wenn die entsprechenden Bestimmungen schon qua Kopenhagener Dokument Völkerrechtsverbindlichkeit besäßen. Schließlich haben der KSE-Vertrag und das "Übereinkommen über Vergleichs- und Schiedsverfahren innerhalb der KSZE" gezeigt, daß die KSZETeilnehmerstaaten, wenn sie die völkerrechtliche Verbindlichkeit eines Dokuments beabsichtigen, dies durch entsprechende Formulierungen205 eindeutig zum Ausdruck bringen. Fehlen in einem KSZE-Dokument somit derartige

XLII. am 6. Februar 1992 zwischen der Bundesrepublik

203 So auch Schweisfurth, Einfiihrung, S. 204 So der hier zitierte Art. 19 des

Deutschland und der Republik Ungarn abgeschlossenen "Vertrages über freundschaftliche Zusammenarbeit und Partnerschatl in Europa" (abgedruckt in: BGBI., Jahrgang 1992, Teil 11, S. 475 ff.). Ähnliche Passagen enthalten auch die anderen Nachbarschafts- bzw. Partnerschaftsverträge, die von der Bundesrepublik Deutschland lnit Polen (BGBI. 1991 11, S. 1315 tn, Bulgarien (BGBI. 199211, S. 559), der CSFR (BGBI. 199211, S. 463) sowie Rumänien (Bulletin Nr. 43/1992, S. 393 ff.) abgeschlossen wurden; vgl. etwa Art. 20 Abs. 2 des deutsch-polnischen Vertrages über gute Nachbarschaft und freundliche Zusammenarbeit. 205 So ist in Kapitel V, Art. 33 des "Übereinkommens über Vergleichs- und Schiedsverfahren innerhalb der KSZE" festgelegt, daß "(d)ieses Übereinkommen der Ratifikation (bedarf)" und es "zwei Monate nach Hinterlegung der zwölften RatifIkations- oder Beitrittsurkunde in Kraft (tritt)". Zum RatifIkationserfordernis des KSEVertrages vgl. Ziff. 1 des "Schlußdokuments der Außerordentlichen Konferenz der Vertragsstaaten des Vertrags über Konventionelle Streitkräfte in Europa" vom 5. Juni. 1992.

1. Kapitel: Die OSZE - Vorn Konferenzprozeß zur Organisation

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Bestimmungen hinsichtlich des Ratiflkationserfordernisses,206 so handelt es sich um nur politisch und nicht rechtlich verbindliche KSZE-Dokumente. Die Bestimmungen des Kopenhagener Dokuments besitzen somit keinen unmittelbar völkerrechtlich verbindlichen Charakter. 207 (ß) Stellungnahme zur Bezeichnung der Bestimmungen

des Kopenhagener Dokuments als "soft-Iaw"

Auch die Annahme, die KSZE-Dokumente der menschlichen Dimension enthielten "menschenrechtliches soft-Iaw"208 bzw. Ziff. 35 Abs. 1 des Kopenhagener Dokuments209 habe eine "soft law-ähnliche Vorstufe der Verbindlichkeit"210 erreicht, sind nicht haltbar. Der Begriff des "soft law" wird nach h.L. für diejenigen Verhaltensregeln verwendet, die "außerhalb der in Art. 38 IGH-Statut kanonisierten Formen entstehen. "211 Doch schon der Begriff "soft law" als solcher ist problematisch, erweckt er doch den Eindruck einer abgestuften Rechtsverbindlichkeit von Völkerrechtsnormen. 212 Diese abgestufte Rechtsverbindlichkeit soll den Vorgang der Rechtsentstehung, den "law-creating process" in seiner eigenen normativen Bedeutung angemessen würdigen. 213 Im Interesse der Rechtssicherheit aber kann es keine unterschiedlichen Grade rechtlicher Bindung geben, eine Norm kann nur gelten oder nicht; sie 206 Eine Abstelhmg allein auf den Wortpassus des "in Kraft treten" wäre unzureichend, da auch außerrechtliche Vereinbarungen bestimmen können, ab wann sie verbindlich (aber eben nur politisch verbindlich) sein sollen und somit diesen Wortpassus enthalten können (vgl. etwa ZitT. 156 des Wiener VSBM-Dokurnents 1992: "Die in diesem Dokument vereinbarten Maßnahmen ... werden am 1. Mai 1992 in Kraft treten."). 207 Der Zusatz "unmittelbar" wurde im Hinblick auf die nachfolgende Problematik der Geltung dieser Bestimmungen als "soft law" gewählt. 208 Tretter, Kopenhagener Abschlußdokument, S. 238. 209 Der Wortlaut dieser Bestimmung ist: "Die KSZE-Teilnehmerstaaten werden das Recht von Angehörigen nationaler Minderheiten achten, wirksam an öffentlichen Angelegenheiten teilzunehmen, einschließlich der Mitwirkung in Angelegenheiten betreffend den Schutz und die Förderung der Identität solcher Minderheiten." 210 Breitenmoser/Richter, KSZE-Grundsätze zum Schutze nationaler Minderheiten, S. ISO.

211 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 654. 212 So Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 654. 213 So Heusei, "Weiches" Völkerrecht, S. 288 mit Verweis auf Pellet, Le "bon droit" et l'ivraie. Remarques sur quelques problemes de methode en droit international du Developpement, in: Chaumont-FS (1984), S. 488.

ID. Der Rechtscharakter der OSZE

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kann somit nur entweder rechtlich verbindlich sein und dann nach Maßgabe ihres Inhalts berechtigen oder verpflichten oder sie ist eben nicht rechtsverbindlich. 214 Eine Anwendung des Begriffes "soft law" auf die nur politisch bindenden außerrechtlichen Normen der OSZE-Dokumente215 ist in sich schon ein Widerspruch, da eine außerrechtliche Norm kein Recht, also auch kein "weiches Recht" (soft law) sein kann. Die Bestimmungen dieser Dokumente binden nicht rechtlich weniger, sie binden rechtlich gar nicht, ihre Bindungswirkung ist (nur) politischer Natur. Der Begriff des "soft law" sollte daher ausschließlich auf "weich" formulierte Verträge angewandt werden, d.h. auf Verträge, die "dem Schuldner ein sehr weitgehendes Ermessen geben, über die Erfiillung zu befinden oder die sonst vage formuliert sind", die aber "trotz ihrer weitgehenden Inhaltslosigkeit formell in einwandfreier Rechtsform ergangen sind. "216 Auch die Bezeichnung von Teilen des Kopenhagener Dokuments als "soft law-ähnliche Vorstufe von Verbindlichkeit" i.S. eines pre droit verkennt, daß es hinsichtlich der Einordnung RechtfNichtrecht einen dritten Weg aus Rechtssicherheitserwägungen nicht geben kann: entweder ist eine Rechtsnorm in Geltung oder sie befindet sich im Entwurfsstadium, in dem sie keine Rechtsgeltung beanspruchen kann. Neben diesen dogmatischen Gründen spricht auch die Intention der KSZETeilnehmerstaaten gegen eine solche "soft law-ähnliche Vorstufe von Verbindlichkeit" der Bestimmungen des Kopenhagener Dokuments: Bis auf zwei Ausnahmen217 wollten die KSZE-Teilnehmerstaaten in all ihren Dokumente weder eine "harte" noch eine "weiche" völkerrechtliche Bindung, sondern lediglich eine außerrechtlich politische. 218 Dies gilt auch für das Kopenhagener Dokument und die in Frage stehende Ziff. 35 Abs. 1. Die Bindung bezieht sich zudem, wie schon bei der Schlußakte von Helsinki geklärt, auf das jeweilige Dokument in toto,219 so daß die Zuerkennung von Rechts- bzw. Vorrechtsqualität hinsichtlich nur einzelner Passagen auch aus diesem Grunde abzulehnen ist. 214 So zutretlend Heusei, "Weiches" Völkerrecht, S. 287.

215 Eine Ausnahme bilden der KSE-Vertrages und das "übereinkommen über Vergleichs- und Schiedsvertahren innerhalb der KSZE", die beide aufgrund ihrer Ratifikationsregelungen völkerrechtliche Verträge sind und deren Bestimmungen somit fiir die ratifizierenden Staaten Rechtsverbindlichkeit besitzen. 216 So Heusei, "Weiches" Völkerrecht, S. 313 und 23 f. 217 KSE-Vertrag und "Übereinkommen über Vergleichs- und Schiedsverfahren innerhalb der KSZE". 218 So zutretlend Schweisfurth, Einfuhrung, S. XL. Zu den Hintergründen dieses Staatenverhaltens siehe im folgenden S. 73. 219 Vgl. auch Schweisfurth, Einführung, S. XLID.

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I. Kapitel: Die OSZE - Vom Konferenzprozeß zur Organisation

(y) Ergebnis zur Untersuchung der Bestimmungen des Kopenhagener Dokuments

Die Bestimmungen des Kopenhagener Dokuments sind nichtrechtlicher Natur, sie binden die KSZE-Teilnehmerstaaten (nur) politisch.

(3) Ergebnis der Untersuchung hinsichtlich der Rechtsnatur der verbindlichen OSZE-Dokumente Ebenso wie die Schlußakte von Helsinki stellen auch die in den darauffolgenden Jahren von der KSZE bzw. OSZE verfaßten "verbindlichen" Dokumente mit zwei Ausnahmen220 außerrechtlich politische Vereinbarungen dar. Diese nur politisch verbindlichen Dokumente haben keine rechtsgestaltende Wirkung; ihre Verletzung ist mithin kein völkerrechtliches Delikt, jedenfalls nicht insoweit, als die in ihnen festgeschriebenen Verhaltensregeln nur Bestandteil der Dokumente sind und nicht aus anderen Gründen Rechtsverbindlichkeit besitzen,221 so daß gegen OSZE-Teilnehmerstaaten, die gegen diese Bestimmungen verstoßen, keine Repressalien, sondern nur Retorsionsmaßnahmen ergriffen werden dürfen. 222

220 KSE-Vertrag und "Übereinkommen über Vergleichs- und Schiedsverfahren innerhalb der KSZE". 221 Der außerrechtliche Charakter von OSZE-Dokumenten schließt nicht aus, daß sich in ihnen Verhaltensregeln wiedertinden, die geltendes Völkervertrags- oder Völkergewohnheitsrecht sind. Die Rechtsverbindlichkeit dieser Bestimmungen ergibt sich aus ihrer völkerrechtlichen Grundlage und nicht aus dem nur politisch verbindlichen OSZE-Dokument. 222 Hierunter fallen als schärfste Maßnahmen die Suspendierung des betrotTenen Teilnehmerstaates von der Teilnahme an weiteren OSZE-TretTen oder gar sein Ausschluß aus der OSZE. Zu der damit verbundenen Problematik, daß der Staatengemeinschall mit dem Ausschluß des betrotIenen Staates die Möglichkeit genommen wird, diesen durch Verhandlungen zu einer Beachtung der von ihm verletzten Verpflichtung anzumahnen und ihn eventuell mittels Dialog zur Änderung seines Verhaltens bewegen zu können, vgl. Fukatsu, Coercion and the Theory of Sanctions in International Law, in: Macdonald/Johnston, The Structure and Process of International Law, S.1191.

ill. Der Rechtscharakter der OSZE

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(4) Bedeutung und Konsequenzen des außerrechtlichen Charakters der OSZE-Dokumente

(a) Die Vorteile des außerrechtlichen Charakters der OSZE-Dokumente Der fehlende Rechtscharakter der OSZE-Dokumente fiihrt zwar dazu, daß die in ihnen enthaltenen Bestimmungen nicht rechtlich einklagbar sind, eröffnet aber auf der anderen Seite den Staaten die Möglichkeit, Sachverhalte, die sie vertraglich zu normieren (noch) nicht bereit sind, zumindest außerrechtlich zu vereinbaren. 223 Dies gilt insbesondere für den Bereich der Menschenrechts- und Minderheitenfragen. Die außerrechtlichen Vereinbarungen besitzen insoweit Ersatzfunktion. 224 Ein anderer Grund für die Wahl außerrechtlicher Vereinbarungen ist die SchwerfaIligkeit der internationalen Rechtserzeugung infolge der Mitwirkung innerstaatlicher Gremien. 225 Der Regelung bedürftige Angelegenheiten können somit schneller, wenn auch nur politisch bindend, normiert werden. Zudem kann die Regelungsfähigkeit einzelner Normen erst einmal in der Praxis überprüft werden, bevor diese Normen dann "in Vertragsform gegossen werden. "226 (b) Die Gewährleistung der Einhaltung der OSZE-Normen

Aufgrund des nur politisch verbindlichen Charakters der OSZE-Dokumente sind die in ihnen festgelegten Verpflichtungen weder rechtlich einklagbar noch durch die Verhängung von Repressalien erzwingbar. Die Einhaltung der außerrechtlichen Normen muß also auf andere Weise gesichert werden. Das traditionelle Mittel hierzu ist, die Verpflichtungen der Staaten in ein ausgewogenes Gegenseitigkeitsverhältnis zu stellen: 227 Stehen zu erbringende Leistung und erwartete Gegenleistung in einem ausgewogenen Verhältnis, so bewirkt die Erwartung der Gegenleistung die Erfüllung der eigenen Pflicht. Dieses reziproke Interesse an der Erfüllung eigener Verpflichtungen wird 223 Vgl. Röynck, KSZE und Sicherheitskooperation, in: Souchon, Völkerrecht und Sicherheit (zit.: Röynck, KSZE und Sicherheitskooperation), S. 90; Fleck, Ziele und Grenzen einer aktiven deutschen Völkerrechtspolitik, in: Souchon, Völkerrecht und Sicherheit, S. 104; Buergenthal, The CSCE Rights Sytem, S. 384 tT. 224 Reuse!, "Weiches" Völkerrecht, S. 309 ff. 225 Zur Frage, ob ein Ausweichen in außerrechtliche Einigungsforrnen zur Umgehung nationaler Zustimmungsprozeduren verfassungsrechtlich zulässig ist, vgl. Reusel, "Weiches" Völkerrecht, S. 311. 226 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 655. Zu weiteren Gründen der Staaten, sich nur politisch binden zu wollen, vgl. Bothe, Legal and non-legal Norrns - A Meaningtul Distinction in International Relations?, in: NYIL 1980, S. 90. 227 Vgl. Reusel, "Weiches" Völkerrecht, S. 306 f.

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I. Kapitel: Die OSZE - Vom Konferenzprozeß zur Organisation

zusätzlich durch die der Gegenseite im Falle eigener Säumigkeit offenstehende Möglichkeit der Leistungsverweigerung im Rahmen der "Einrede der nicht erfüllten Vereinbarung" gefördert. 228 Dieses "Nonnerzwingungssystem im Kleinen"229 kann auf die OSZE aber nicht übertragen werden: Soweit ein Staat beispielsweise die OSZEMinderheitenbestimmungen gegenüber einer Volksgruppe mißachtet, die in einem anderen Staat die Titulamation bildet, kann jener Staat nun nicht seinerseits im Wege der Einrede der nicht erfüllten Vereinbarung der auf seinem Territorium lebenden Minderheit des nonnverletzenden Staates die in OSZEDokumenten festgelegten Minderheitenrechte vorenthalten. Dies würde letztlich zu einer völligen Entwertung der in der Charta von Paris seitens der Teilnehmerstaaten vereinbarten Verpflichtung auf Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit fuhren. Zur Gewährleistung der Einhaltung der in ihren Dokumenten festgelegten Verpflichtungen bedient sich die OSZE daher anderer Mittel: So besteht die Möglichkeit, OSZE-Missionen zur Überprüfung der Implementierung der OSZE-Bestimmungen in den betroffenen Teilnehmerstaat zu entsenden und jenen Staat im Wege des durch die Institutionalisierung gewährleisteten kontinuierlichen Dialogs immer wieder zur Beachtung der von ihm eingegangen Verpflichtungen anzumahnen. In Fällen von "eindeutigen, groben und nicht behobenen Verletzungen" von OSZE-Bestimmungen über Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit230 kann die OSZE den nonnverletzenden Staat schließlich von der Teilnahme an weiteren OSZE-Treffen suspendieren oder sogar völlig aus der OSZE ausschließen. d) Die rechtliche Relevanz der OSZE-Dokumente für die Völkerrechtsordnung

Trotz ihrer fehlenden Rechtsverbindlichkeit haben die außerrechtlichen OSZE-Dokumente eine nicht zu unterschätzende Bedeutung fiir die Völkerrechtsordnung:

228 Vgl. Heusei, "Weiches" Völkerrecht, S. 307. 229 Nach Wengier, Die Wirkung nichtrechtlicher Verträge zwischen Staaten, in: Archiv des Völkerrechts, Bd. 22 (1984), (zit.: Wengier, Nichtrechtliche Verträge), S. 320, stellt jede rechtliche oder außerrechtliche· Vereinbarung aufgrund der Einredemöglichkeit ein "eigenes kleines Normerzwingungssystem" dar. 230 Prager Dokument, Abschnitt IV, ZifI 16

m. Der Rechtscharakter der OSZE

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(1) Die deklaratorische Bekräftigung und Konkretisierung

geltender Völkerrechtsregeln

In zahlreichen OSZE-Dokumenten finden sich völkerrechtliche Regeln wieder. Durch die Aufnahme dieser Regelungen in die OSZE-Dokumente werden diese in den OSZE-Prozeß des kontinuierlichen Dialogs aufgenommen. Dieser ermöglicht ein permanentes Anmahnen der Einhaltung jener Normen und erhöht somit die Hemmschwelle ihrer Mißachtung. 231 Zudem werden in den OSZE-Dokumenten allgemein formulierte Völkerrechtsbestimmungen inhaltlich ausgestaltet und hinsichtlich ihres Geltungsbereichs präzisiert. Geänderte Interpretationsansätze können somit frühzeitig aufgenommen werden. Betrachteten beispielsweise die sozialistischen Staaten Osteuropas bis Ende der achtziger Jahre im Rahmen der von ihnen begründeten sozialistischen Völkerrechtslehre die Anmahnung der Einhaltung der Menschenrechte als eine dem Nichteinmischungsprinzip unterfallende völkerrechtlich unzulässige Einmischung in innere Angelegenheiten, so stellt das 1991 von ihnen miterarbeitete Moskauer Dokument fest, daß "Fragen der Menschenrechte, Grundfreiheiten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ein internationales Anliegen sind. "232 Demzufolge erklären die Teilnehmerstaaten, also auch die ehemals sozialistischen Staaten, im darauffolgenden Satz "mit großem Nachdruck und unwiderruflich, daß die im Bereich der Menschlichen Dimension der KSZE eingegangenen Verpflichtungen ein unmittelbares und berechtigtes Anliegen aller Teilnehmerstaaten und eine nicht ausschließlich innere Angelegenheit des betroffenen Staates darstellen. "233 Diese Auslegungen können später auf völkergewohnheitsrechtlichem Wege oder durch ihre Festschreibung in völkerrechtlichen Verträgen Rechtsverbindlichkeit erlangen. (2) Die Transformation der außerrechtlichen OSZE-Normen in geltendes Völkerrecht

Die in den OSZE-Dokumenten enthaltenen außerrechtlichen Bestimmungen können durch Bezugnahme in völkerrechtlichen Verträgen zu Völkerver231 Schweisfurth, Einf~g, S. XLIV. Als möglicher Nachteil der Wiederholung rechtsverbindlicher Normen in einem als außerrechtlich deklarierten Dokument wird von Wengier, Nichtrechtliche Verträge, S. 313, darauf hingewiesen, daß damit der Eindruck entstehen könne, die ursprtinglich völkerrechtliche Verpflichtung stehe nicht melrr in Kraft. 232 Konferenz über die Menschliche Dimension der KSZE: Dokument des Moskauer Tretfens, vor Abschnitt I. 233 Ebenda.

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1. Kapitel: Die OSZE - Vom Konferenzprozeß zur Organisation

tragsrecht werden. 234 Als Beispiel sei hier Art. 19 des deutsch-ungarischen Freundschaftsvertrages genannt, in dem die Vertragsparteien die "rechtliche Verbindlichkeit des im Dokument des Kopenhagener Treffens über die menschliche Dimension der KSZE vom 29. Juni 1990 sowie in weiteren KSZE-Dokumenten niedergelegten Standards zum Schutz von nationalen Minderheiten (vereinbaren). "235 Die von der KSZE erarbeiteten Minderheitenstandards werden hiermit im Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Ungarn in den Rang völkerrechtlich verbindlicher Normen erhoben. 236 Neben der völkervertraglichen Vereinbarung der rechtlichen Verbindlichkeit bestimmter OSZE-Normen besteht auch die Möglichkeit, daß die Vertragsparteien sich verpflichten, ihr Handeln an den in OSZE-Dokumenten niedergelegten Regelungen auszurichten. 237 Hiermit werden die entsprechenden OSZE-Bestimmungen zwar nicht zu Völkerrecht, doch verpflichten sich die Vertragsstaaten völkerrechtlich zu ihrer Beachtung. Die Transformation der außerrechtlichen OSZE-Bestimmungen zu Völkerrecht kann sich auch mit der Bildung von Völkergewohnheitsrecht vollziehen. Richten die Staaten ihr Handeln nach den OSZE-Bestimmungen aus, so liegt die zur Entstehung von Völkergewohnheitsrecht gern. Art. 38 Abs. 1 lit. b IGHSt erforderliche "Übung" vor. An die Annahme des zweiten Tatbestandsmerkmals, der Anerkennung dieser Übung "als Recht" durch die Staaten, sind indes sehr hohe Anforderungen zu stellen, da die OSZE-Teilnehmerstaaten 234 Dies geschieht, wie nachfolgend gezeigt wird, gnmdsätzlich durch Bezugnahme im völkerrechtlichen Vertrag auf OSZE-Dokumente und die in ihnen enthaltenen Bestimmungen. Möglich ist aber auch, daß bestimmte Textpassagen aus OSZEDokumenten direkt in den völkerrechtlichen Vertrag aufgenommen werden. Vgl. hierzu Schweisfurth, Einführung, S. XL VI mit Verweis auf das "Deutsch-russische Abkommen über kulturelle Zusammenarbeit" vom 16.12.1992. 235 Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Ungarn über freundschaftliche Zusammenarbeit und Partnerschaft in Europa, abgedruckt in: BGBl., Jahrgang 1992, Teil n, S. 475 tf., hier S. 480. 236 Zu weitgehend indes Schweisfurth, Einfiihrung, S. XL V, der in Art. 19 des deutsch-ungarischen Freundschaftsvertrages eine im bilateralen Verhältnis wirksame Transformation auch hinsichtlich der Menschenrechtsstandards "in allen künftigen KSZE-Dokumenten" sieht. Der eindeutige Wortlaut "niedergelegte" und nicht "niederzulegende Minderheitenstandards" spricht gegen einen so weitgehenden Bindungswillen der heiden Staaten. 237 So erklärten beispielsweise Deutschland und Ungarn in Art. 2 und 5 ihres Freundschaftsvertrages "in Übereinstimmung mit der Schlußakte von Helsinki vom I. August 1975, der Charta von Paris fitr ein neues Europa vom 21. November 1990 sowie den anderen KSZE-Dokumenten (zu) handeln" und in Krisenfällen "insbesondere die zur Krisenverhütung und Krisenlösung in Europa im Rahmen der KSZE geschaffenen Instrumente und Verfahren (zu) berücksichtigen."

ill. Der Rechtscharakter der OSZE

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sich ursprünglich nur politisch und nicht rechtlich verpflichten wollten, jene Rechtsüberzeugung somit gerade nicht vorlag. Die Bedeutung der OSZE-Dokumente für die Völkerrechtsordnung zeigt sich abschließend auch darin, daß in eigenen Dokumenten die Teilnehmerstaaten zum Beitritt oder zur Ratifikation von außerhalb des OSZE-Prozesses geschlossenen Verträgen angeregt werden238 bzw. der Abschluß völkerrechtlicher Verträge gefordert wird. 239 e) Die Rechtsnatur der Beschlüsse der KSZE-/OSZE-Institutionen

Der KSZE-Rat, AHB und auch die anderen KSZE-Institutionen wurden durch rechtlich nicht verbindliche Dokumente geschaffen. Da ein Beschluß dieser Institutionen aber keine stärkere Bindungswirkung haben kann als die Vereinbarung, auf der die Institution beruht, sind auch die von den KSZEInstitutionen gefaßten Beschlüsse, etwa zur Aktivierung von Streitbeilegungsmechanismen, nicht rechtlicher, sondern nur politischer Natur. 240 Gleiches gilt, da sich gemäß den Beschlüssen von Budapest durch den Namenswechsel von KSZE zu OSZE der Status der KSZE-Institutionen nicht ändert,241 auch für die Beschlüsse des Ministerrates, des Hohen Rates und des Ständigen Rates.

2. Der völkerrechtliche Status der Organisation OSZE a) Einführung

Im Budapester Dokument, in dem die Umbenennung der KSZE in OSZE festgelegt wurde, findet sich zum völkerrechtlichen Status der OSZE lediglich die Aussage, daß "sich durch den Namenswechsel von KSZE in OSZE weder der Charakter unserer KSZE-Verpflichtung, noch der Status der KSZE und ihrer Institutionen ändert. "242 Zur Klärung der Frage, ob die OSZE eine internationale Organisation mit Völkerrechtssubjektivität, also mit ihr eigenen 238 So das Abschließende Dokwnent des Wiener KSZE-FolgetretTens hinsichtlich der UN-Menschenrechtspakte, vgl.: Abschließendes Dokwnent des Wiener KSZEFolgetretTens, Fragen der Sicherheit, Abschnitt: Prinzipien, ZitT. 13.2. 239 So ruft die Charta von Paris dazu auf, "die Konvention über ein wirksarn verifizierbares, weltweites und wnfassendes Verbot chemischer WatTen so bald wie möglich abzuschließen." Vgl.: Charta von Paris, Leitsätze fi1r die Zukunft, Abschnitt Sicherheit. 240 So auch Schweisfurth, Einftihrung, S. XLill. 241 Vgl.: Beschlüsse von Budapest, Abschnitt I, ZitT. 29. 242 Ebenda.

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1. Kapitel: Die OSZE - Vom Konferenzprozeß zur Organisation

Rechten und Pflichten darstellt, ob sie also gegebenenfalls im Rahmen der Streitbeilegung durch eines ihrer Organe rechtsverbindliche Beschlüsse gegenüber einem oder mehreren ihrer Teilnehmerstaaten fassen kann, ist somit der Rechtscharakter der KSZE zu untersuchen. b) Die Rechtsnatur der KSZE

Die mit der Charta von Paris 1990 begonnene und in den darauffolgenden Jahren immer weiter vorangeschrittene Institutionalisierung der KSZE warf die bis zu den Beschlüssen der Konferenz von Budapest im Dezember 1994 kontrovers behandelte Frage nach der Rechtsnatur der KSZE auf: handelte es sich bei ihr nur um einen institutionalisierten Konferenzprozeß oder war die KSZE bereits eine internationale zwischenstaatliche Organisation, die eventuell sogar Völkerrechtssubjektivität besaß? Diese Frage hatte infolge der auf dem 4. KSZE-Ratstreffen in Rom Ende 1993 beschlossenen "Bestimmungen über die Rechtsfahigkeit der KSZE-Institutionen sowie über Vorrechte und Immunitäten"243 neue Aktualität gewonnen . . (1) Der Begriff der internationalen Organisation

Unter einer internationalen Organisation versteht man eine auf Dauer angelegte, einen bestimmten nicht rein fiskalischen Zweck verfolgende Verbindung zwischen mindestens zwei souveränen Staaten oder anderen Völkerrechtssubjekten, die über mindestens ein Organ verfugt, das einen eigenen, von dem der Mitglieder unterscheidbaren Willen bilden kann. 244 Ob für die Gründung in jedem Fall ein schriftlicher Gründungsvertrag erforderlich ist,245 bzw. ob auch eine in anderer Form vorliegende völkerrechtliche Willenseinigung aus-

243 Viertes Treffen des Rates der Außenminister der KSZE-Teilnehmerstaaten, Absclmitt: Zusätzlicher Beschluß des KSZE-Außenministerrates von Rom (zit.: Zusätzlicher Beschluß von Rom), Anhang 1, abgedruckt in: Bulletin Nr. 112/1993, S. 1242 ff. 244 Vgl. zu den in Einzelheiten differierenden Begriffsbestimmungen Bindschedler, International Organizations, General Aspects, in: Bemhardt, EPIL 5 (1983), (zit.: Bindschedler, International Organizations), S. 119 ff.; Seidl-Hohenveldem, Völkerrecht, Rdnr. 800 ff.; Ipsen, Völkerrecht, § 6 Rdnr. 3 ff.; Köck, Internationale Organisationen, in: Staatslexikon, Bd. 3, S. 150 ß~; Wolfrom, Internationale Organisationen, in: SeidlHohenveldem, Lexikon des Rechts, Bd. Völkerrecht (zit.: Wolfrom, Internationale Organisationen), S. 127 ff.; Meng, Das Recht der internationalen Organisationen, eine Entwicklungsstufe des Völkerrechts (1979), (zit.: Meng, Recht der internationalen Organisationen), S. 44 ff. 245 So Bindschedler, International Organizations., S. 120; Ipsen, Völkerrecht, § 27 Rdnr. 12.

ill. Der Rechtschara1cter der OSZE

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reicht246 oder ob schließlich eine internationale Organisation einfach durch die allmähliche Institutionalisierung periodisch erfolgender Zusammenkünfte,247 sozusagen faktisch entstehen kann, ist in der Völkerrechtsliteratur umstritten. Der Begriff der internationalen Organisation setzt sich somit aus einer funktionalen (Dauerhaftigkeit, Zweckverfolgung, Organ mit eigenem Willen) und einer - hinsichtlich ihres Inhaltes umstrittenen - genetischen Komponente (Gründungsereignis) zusammen. 248 Ob die internationale Organisation zudem Völkerrechtssubjekt ist, ob sie also von den Mitgliedstaaten mit ihr eigenen völkerrechtlichen Rechten und Pflichten versehen wurde, der "eigene Wille" des Organs somit nicht nur politischer, sondern rechtlicher Natur ist, ist eine zusätzliche, getrennt zu untersuchende Frage. 249 (2) Die Anwendung der Begriffskomponenten auf die KSZE

(a) Die funktionale Komponente Das Ziel der ursprünglich zum Abbau der zwischen Ost und West bestehenden Spannungen ins Leben gerufenen KSZE war nach Beendigung der Ost-West-Konfrontation die dauerhafte Wahrung und Förderung von Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sowie die friedliche Beilegung von Streitigkeiten. 250 Zur Erfüllung dieser Aufgaben besaß die KSZE mehrere Entscheidungsgremien (Rat, AHB, StA), unterstützende Institutionen (BDIMR, . HKNM, FSK, Parlamentarische Versammlung, Wirtschaftsforum, KSZE-Vergleichs- und Schiedsgerichtshof) sowie einen Verwaltungsunterbau in Form eines Sekretariates mit einem Generalsekretär an der Spitze. Diesen nach festgelegten Verfahrensregeln arbeitenden Gremien bzw. Einzelpersonen waren bestimmte Funktionen und Kompetenzen zugewiesen; sie konnten eigenständige Beschlüsse, etwa zur Aktivierung von Streitbeilegungsverfahren erlassen.

246 So Woifrum, Internationale Organisationen, S. 127. 247 So Seidl-Hohenveldem, Völkerrecht, Rdnr. 801; ders., Das Recht der Internationalen Organisationen einschließlich der Supranationalen Gemeinschaften (zit.: SeidlHohenveldem, Internationale Organisationen), Rdnr. 0402. 248 So auch Meng, Recht der internationalen Organisationen, S. 44 fT. 249 Vgl. hierzu im folgenden aufS. 85 tT. 250 Vgl.: Charta von Paris sowie die nachfolgenden Hauptdokwnente (HelsinkiDokument des 4. KSZE-FolgetretTens und Beschlüsse der Ratstretfen von Berlin, Prag, Stockholm und Rom).

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1. Kapitel: Die OSZE - Vom Konferenzprozeß zur Organisation

Hinsichtlich des Merkmals "eigener, von dem der Mitgliedstaaten unterscheidbarer Wille eines Organs" mochte die Tatsache problematisch erscheinen, daß die Mitglieder des Rates, AHB und StA Vertreter der Mitgliedstaaten waren. Ob dem Organ ein eigener Wille auch in den Fällen zugebilligt werden kann, in denen es vertraglich auf Konsensbeschlüsse festgelegt ist,251 kann hier dahingestellt blieben, da aufgrund des "Konsens-minus-eins" Verfahrens im KSZE-Rat, AHB und StA Beschlüsse nicht einstimmig gefaßt werden mußten. Der in einem solchen Verfahren gebildete Wille konnte mithin nicht der Wille aller Mitgliedsstaaten sein. Darüber hinaus sprachen die besonderen Befugnisse des a y252 für einen eigenen Willen dieses Gremiums. Unstreitig "eigene Beschlüsse" waren zudem die Entscheidungen des HKNM zur Durchführung einer Informationsreise, Abgabe einer Frühwarnerklärung an den AHB oder die Empfehlung von Frühmaßnahmen. Ein weiteres Indiz für die Behandlung der KSZE als eigenständige Organisation war die Tatsache, daß sie sich 1992 zu einer "regionalen Abmachung" i.S.v. Kapitel VIII SVN erklärte 253 und ihr 1993 ein Beobachterstatus bei der Vollversammlung der VN eingeräumt wurde. 254 (b) Die genetische Komponente (a) Das Abstellen auf eine völkerrechtliche Willenseinigung

in Gestalt eines Gründungsvertrags oder in anderer Form

Die genetische Komponente des Begriffs der internationalen Organisation beinhaltet nach herrschender Auffassung eine völkerrechtliche Willenseinigong zwischen mindestens zwei Staaten oder anderen Völkerrechtssubjekten zur Gründung einer internationalen Organisation. 255 Diese Willenseinigung liegt grundsätzlich in Gestalt eines schriftlich fixierten und der Ratifikation

251 Vgl. zu dieser Problematik Meng, Recht der internationalen Organisationen, S.47. 252 So hatte der aV beispielsweise die Möglichkeit, zu seiner Unterstützung bei der LösWlg einer Krise im KSZE-Gebiet einen persönlichen Vertreter zu bestellen (vgl.: Beschlüsse von Helsinki, Abschnitt I, ZitT. 12 tT, hier insb. ZitT. 22). 253 Vgl.: Beschlüsse von Helsinki, Abschnitt IV, ZitT. 2. Vgl. hierzu im folgenden aufS. 92 tT. 254 Vgl. hierzu Beschlüsse von Rom, Abschnitt VI, ZitT. 2. 255 Walfrom, Internationale Organisationen, S. 127; Ipsen, Völkerrecht, § 27 Rdnr. 12; Köck, Internationale Organisationen, S. 151. Einschränkend Bindschedler, International Organizations, S. 120, der einen multilateralen Vertrag voraussetzt.

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bedürftigen Gründungsvertrags vor, kann aber auch in anderer Gestalt erfolgen. 256 Von den KSZE-Teilnehrnerstaaten wurden zwar im Laufe des Bestehens der KSZE eine große Anzahl schriftlicher Dokumente erstellt, denen jedoch wie gesehen bis auf zwei Ausnahmen jegliche Rechtsverbindlichkeit fehlt. Ein der Ratifikation bedürftiger völkerrechtlicher Gründungsvertrag existiert nicht; das gesamte Institutionengefiige der KSZE beruht auf außerrechtlichen Abmachungen. Auch eine sich in anderer Form manifestierende Willenseinigung der KSZE-Teilnehmerstaaten zur Gründung bzw. Umwandlung der KSZE in eine internationale Organisation, etwa durch übereinstimmende nationale Gesetzgebungsakte, lag bis Ende 1994 nicht vor. (ß) Das Abstellen auf die Institutiona/isierung (Internationale Organisation qua Faktizität) (a.a.) Die These

Von einem Teil der völkerrechtlichen Literatur wird die Auffassung vertreten, eine internationale Organisation könne auch "dadurch entstehen, daß periodische Zusammenkünfte von Staatenvertretern nach und nach institutionalisiert werden"257, also gleichsam qua Faktizität. 258 Als ausreichend fiir die Institutionalisierung wird die Schaffung eines Sekretariates angesehen. 259

256 Wolfrnm, Internationale Organisationen, S. 127; Köck, Internationale Organisationen, S.15]; Seidl-Hohenveldem, Internationale Organisationen, Rdnr. 0402; Meng, Recht der internationalen Organisationen, S. 44 f So manifestierte sich die nicht in einem Gründungsvertrag festgehaltene Willenseinigung der Mitgliedstaaten zur Gründung des Nordischen Rates in übereinstimmenden Beschlüssen der Parlamente der betreffenden Staaten (vgl.: Seidl-Hohenveldem, Internationale Organisationen, Rdnr. 0402). Einschränkend hierzu Ipsen, Völkerrecht, § 27 Rdnr. 12, der mit seinem Verweis auf Art. 5 WVRK einen schriftlichen Vertrag vorauszusetzen scheint. Ausdrücklich einen schriftlichen Vertrag voraussetzend Bindschedler, International Organizations, S. 120, der in bezug auf die nur durch übereinstimmende nationale Gesetzgebungsakte errichteten Organisationen wie den Nordischen Rat erklärt: "lbis will not, however, be an international organization in the sense of internationallaw unless its status as a subject of international law can be based upon customary international law" und damit den Begriff der "internationalen Organisation" nur auf solche Vereinigungen beschränkt, die Völkerrechtssubjelctivität besitzen. 257 Seidl-Hohenveldem, Internationale Organisationen, Rdnr. 0402. 258 Ablehnend HeuseI, "Weiches" Völkerrecht, S. 291, demzufolge "(d)ie Gründung einer internationalen Organisation nur durch Rechtsakt möglich (ist)." Allerdings räumt er ein, daß "aber nicht jede Regelung, die eine zwischenstaatliche Institution ins 6 Wenig

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1. Kapitel: Die OSZE - Vom Konferenzprozeß zur Organisation

In diesem Zusammenhang wird vornehmlich auf das GATI verwiesen, 260 die naheliegendere Entwicklung der ASEAN (Association of Southeast Asian Nations) jedoch nicht erwähnt. Da die Entwicklung der ASEAN in weiten Bereichen der der KSZE entspricht, ihre rechtliche Einordnung zudem geklärt ist, sei hieraufkurz eingegangen: (66) Die rechtliche Einordnung der ASEAN als Indiz für die Einordnung der KSZE

Am 8. August 1967 schlossen sich in Bangkok Indonesien, Malaysia, die Philippinen, Singapur und Thailand zum Verband südostasiatischer Staaten ASEAN zusammen. 261 Im ASEAN-GfÜßdungsdokument, der ASEANDeclaration,262 legten die fünf Mitgliedstaaten263 die Ziele (Beschleunigung des Wirtschaftswachstums, des soziale Fortschrittes und der kulturellen Entwicklung sowie Förderung des Friedens, der Stabilität und der Zusammenarbeit in der Region) der Staatengemeinschaft fest und schufen folgende Gremien: jährliche Außenministerkonferenzen, einen ständigen Ausschuß für die Arbeit zwischen den Ministerkonferenzen, Ad-hoc- und permanente Ausschüsse für bestimmte Sachfragen sowie je ein Sekretariat in den Hauptstädten der fünf Mitgliedstaaten.

Leben ruft, notwendig eine rechtliche (ist)", denn die Parteien seien auch außerrechtlich in der Lage, regelmäßige Zusammenkünfte von Delegierten zu vereinbaren, solange diesem Gremium keine Rechtssetzungsbefugnis zukomme. Heusei setzt also die Gründung einer internationalen Organisation mit der Verleihung von Rechten, somit also mit dem Bestehen von Völkerrechtssubjektivität gleich, was zwar grundsätzlich, nicht aber zwangsläufig der Fall ist. Vgl. hierzu im folgenden aufS. 85 ff. 259 Seidl-Hohenveldem, Völkerrecht, Rdnr. 801 sowie ders., Internationale Organisationen, Rdnr. 3002 "Das GATI hat sich inzwischen auch ein Ständiges Sekretariat gegeben. Das GATI stellt somit eine selbständige Organisation dar." 260 Seidl-Hohenveldem, Völkerrecht, Rdnr. 801 sowie ders., Internationalen Organisationen, Rdnr. 3002. 261 Vgl. zur ASEAN: Shearer, Association of South-East Asian Nations, in: Bernhardt, EPIL 1 (1992), (zit.: Shearer, ASEAN), S. 275 ff.; Endres, Direktinvestitionen in den ASEAN-Staaten, in: Recht der Internationalen Wirtschaft (RIW), Nr. 8/1988, S. 598 ff.; Berber, Lehrbuch des Völkerrechts, § 38, Nr. 2. 262 Der Wortlaut der ASEAN-Declaration ist abgedruckt in: Peaslee, International Governmental Organizations, Constitutional Documents, rev. 3rd ed., part one, Vol. I,

S. 145 f. 263 Im Januar 1976 kam als sechstes Mitglied Brunei hinzu.

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Ebenso wie bei den Dokumenten der KSZE handelt es sich bei der ASEANDeclaration um eine rechtlich nicht bindende politische Vereinbarung. 264 Neun Jahre später, am 24. Februar 1976, schlossen die Mitgliedstaaten hinsichtlich der Organisation der ASEAN die ersten völkerrechtlich bindenden Verträge, den "Treaty of Amity and Cooperation", durch den ein "High Council" zur Streitschlichtung geschaffen wurde, sowie das "Agreement of Establishment of the Pennanent Secretariat", demzufolge ein gemeinsames Sekretariat mit einem Generalsekretär an der Spitze gegründet wurde. 265 Dem Sekretariat wurde ein Statut und Rechtsfahigkeit verliehen. 266 Von der Völkerrechtslehre wird der ASEAN allerdings schon seit der auf der rechtlich nicht verpflichtenden Declaration beruhenden Gründung im Jahre 1967 der Status einer internationalen Organisation zugebilligt.267 Ausschlaggebendes Motiv scheint die Errichtung von Gremien, im Sprachgebrauch der internationalen Organisationen Organe genannt, durch die ASEAN-Declaration zu sein.

264 Vgl. Endres, Direktinvestitionen in den ASEAN-Staaten, S. 598: "Mit VerpflichtWlgen im juristischen Sinne ist das Abkommen nicht verbWlden." Hierfür spricht neben dem Wortlaut der Dec1aration "the aims and purposes of the Association shall be" Wld "to cany out theses aims and purposes, the following machinery shall be established" (HervorhebWlg vom Verf.) vor allem die Tatsache, daß dieses Dokument keine RatifikationsbestinunWlgen enthält Wld innerstaatliche Umsetzungsakte in den Mitgliedsstaaten nicht stattfanden. 265 Shearer, ASEAN, S. 276 f. 266 So Seidl-Hohenveldem, Internationale Organisationen, Rdnr. 0402. 267 Dies wird zwar nichtexpressis verbis festgestellt, ergibt sich aber aus den folgenden Ausführungen: "ASEAN became a more active organization after February 1976" (Shearer, ASEAN, S. 275); "Thus, the Arab League was fOWlded in 1945 ... and ASEAN in 1967. All these organizations ... " (Bindschedler, International Organizations, S. 123). Diese Ausführung Bindschedlers ist um so erstaunlicher, als er auf S. 120 noch einen ratifikationsbedürftigen völkerrechtlichen GründWlgsvertrag fiir die ZuerkennWlg des Status "internationale Organisation" gefordert hat Wld auch fiir die von ihm angeführte Ausnahme eines völkerrechtlichen GründWlgsvertrages im Falle völkergewohnheitsrechtlich begründeter Völkerrechtssubjektivität (S. 120) hinsichtlich der ASEAN keinen Nachweis fuhrt. Ein weiterer Hinweis fiir die ZubilligWlg des Status einer internationalen Organisation ergibt sich aus der AuflistWlg der ASEAN in der von Peaslee 1974, also vor Abschluß der völkerrechtlichen ASEAN-Verträge, veröffentlichen ZusammenfassWlg der "Constitutional Documents 01" International Govemmental Organizations". 6'

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1. Kapitel: Die OSZE - Vom Konferenzprozeß zur Organisation

(yy) Übertragbarkeit der rechtlichen Qualifikation

der ASEAN auf die KSZE und Untersuchung der Zubilligung von Organisationsqualität qua Faktizität

Überträgt man diese hinsichtlich der ASEAN getroffene rechtliche Einordnung auf die KSZE, so würde diese mit Beginn der Verabschiedung der Charta von Paris, in der die Instititutionalisierung festgelegt wurde, eine internationale Organisation darstellen. Es erscheint allerdings fraglich, ob eine derartige Zubilligung von Organisationsqualität qua Institutionalisierung und somit qua Faktizität auch dann vorgenommen werden kann, wenn die Mitglieder der Vereinigung eine derartige Qualifikation gerade ablehnen, oder abstrakt formuliert: kann bei der willensunabhängigen Zubilligung von Organisationsqualität ein entgegenstehender Wille der Mitgliedsstaaten außer acht gelassen werden? Geht man von der im folgenden näher begründeten Prämisse aus, daß die Gründung einer internationalen Organisation und die Verleihung von Völkerrechtssubjektivität, d.h. die Ausstattung der Organisation mit ihr eigenen völkerrechtlichen Rechten und Pflichten, zwei voneinander zu trennende Vorgänge sind, so stellt die Gründung einer internationalen Organisation lediglich eine Festlegung ihres institutionellen Aufbaus und der in ihr anzuwendenden Verfahrensregeln dar. Ob diese Bestimmung auf rechtlicher Basis eines völkerrechtlichen Gründungsvertrages oder nur durch politische Abmachungen erfolgt, ist insoweit unbeachtlich, als allein durch die Zuerkennung von Organisationsqualität die Organisation keine eigenen völkerrechtlichen Rechte und Pflichten ausüben kann, die Mitgliedstaaten folglich nicht auf die Ausübung ihrer souveränen hoheitlichen Rechte verzichtet haben. Da durch die Zuerkennung von Organisationsqualität qua Faktizität die souveränen hoheitlichen Rechte der Mitgliedstaaten nicht beeinträchtigt werden, ist ein möglicherweise entgegenstehender Wille der Mitgliedstaaten unbeachtlich. Ergänzend sei hier in tatsächlicher Hinsicht noch kurz untersucht, ob unter den KSZE-Teilnehmerstaaten eine ablehnende Haltung gegenüber der Umformung der KSZE in eine internationalen Organisation ohne, und dies ist entscheidend, eigene Völkerrechtssubjektivität überhaupt bestand. Laut Generalsekretär Höynck ist es unter anderem wegen praktischer Probleme wie der Abhaltung einer Volksabstimmung in der Schweiz und der fraglichen Zustimmung des amerikanischen Kongresses zum Ratifizierungsgesetz bisher nicht zum Abschluß eines völkerrechtlichen Gründungsvertrags gekommen. 268 Zudem bestanden bei einigen, wenn auch wenigen, KSZE-

268 So der damals designierte Generalsekretär der KSZE, Dr. Höynck, in einem Gespräch mit dem Verf. am 14.5.1993 in der Universität Trier.

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Teilnehmerstaaten starke Vorbehalte gegen einen Gründungsvertrag. 269 Diese Vorbehalte richten sich indes nicht gegen die Zuerkennung einer - von der Völkerrechtssubjektivität getrennten - Organisationsqualität, sondern vielmehr dagegen, daß ein derartiger Akt als Verleihung von Völkerrechtspersönlichkeit (fehl)interpretiert werden könnte. Eine ablehnende Haltung im untersuchten Sinne bestand somit nicht. (86) Stellungnahme zur Zuerkennung von Organisationsqualität qua Faktizität Eine von der Zuerkennung von Völkerrechtssubjektivität getrennte Zubilligung von Organisationsqualität qua Faktizität ist vertretbar und wünschenswert, da hierdurch der bereits erreichte Institutionalisierungsgrad der in Frage stehenden Vereinigung hinreichend gewürdigt wird und ein Eingriff in die souveränen hoheitlichen Rechte der Mitgliedstaaten nicht erfolgt. (3) Zwischenergebnis

Die KSZE konnte somit schon in der Zeit zwischen der Charta von Paris im Jahre 1990 und der zum 1.1.1995 erfolgten Umbenennung in OSZE als internationale Organisation charakterisiert werden. Eine Aussage über die Völkerrechtssubjektivität der Organisation in jenem Zeitraum ist hiermit jedoch noch nicht getroffen. (4) Die Frage der Vö/kerrechtssubjektivität der KSZE

(a) Der Begriff der Völkerrechtssubjektivität Völkerrechtssubjektivität bedeutet die Fähigkeit, selbständiger Träger völkerrechtlicher Rechte und pflichten zu sein. Internationale Organisationen besitzen zwar grundsätzlich, nicht aber automatisch Völkerrechtssubjektivität. 270 Ob eine internationale Organisation eigene Völkerrechtspersönlichkeit 269 Aussage eines auf eigenen Wunsch nicht genannten Mitarbeiters des AuswärtigenAmts. 270 Vgl. Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, Rdnr. 808; ders. Internationale Organisationen, Rdnr. 0105; Wolfrum, Internationale Organisationen, S. 127. Bindschedler, International Organizations, S. 130, faßt treffend zusarrunen: "Whether an international organization posesses legal personality in international law depends upon its constitutent treaty. States are theretore free to accord legal personality to an organization, or to withhold it."

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1. Kapitel: Die OSZE - Vom Konferenzprozeß zur Organisation

besitzt, hängt davon ab, ob die Mitgliedstaaten der internationalen Organisation fiir die Zeit ihrer Zugehörigkeit auf die Ausübung eines Teils ihrer souveränen hoheitlichen Rechte verzichtet und die Organisation mit ihr eigenen Kompetenzen ausgestattet haben, so daß diese die entsprechenden Rechte in ihrem eigenen Namen wahrnehmen kann. Die Verleihung wie auch der Fortbestand der Völkerrechtssubjektivität einer internationalen Organisation geht also auf den Willen ihrer Mitglieder zurück. 271 Umfang und Reichweite dieser Rechte und Pflichten ergeben sich aus den ausdrücklich festgelegten Kompetenzzuweisungen des Gründungsvertrages oder müssen mit Hilfe der "implied powers" Lehre 272 aus diesem erschlossen werden. Die Völkerrechtssubjektivität ist somit funktionell auf die Kompetenzen der Organisation begrenzt. Mit der Verleihung von Völkerrechtssubjektivität ist die Zuerkennung von Rechtspersönlichkeit rur den Bereich des innerstaatlichen Rechts zwangsläufig verbunden. 273 Die Rechtssubjektivität nach innerstaatlichen Recht ermöglicht es der internationalen Organisation, eigenes Vermögen zu besitzen und darüber zu verfugen sowie vor Gericht aufzutreten; sie ist mithin eine notwendige Voraussetzung rur die Funktionsfähigkeit der internationalen Organisation. 274 (b) KSZE und Völkerrechtssubjektivität

Ein völkerrechtlicher Gründungsvertrag, der Bestimmungen enthält, die die Völkerrechtspersönlichkeit ausdrücklich festlegen 275 bzw. deren Bestehen

271 Seidl-Hohenveldem, Völkerrecht, Rdnr. 808 Wld 811. Insoweit kann man von einer "abgeleiteten Rechtspersönlichkeit" sprechen. (Seidl-Hohenveldem mit Verweis aufMosler ohne genauere Angabe). 272 Der "implied powers" Lehre zufolge treten neben die im GIiindWlgsvertrag ausdrücklich festgelegten Kompetenzen diejenigen "Kompetenzen, die zur ErfullWlg der vertraglich festgelegten Aufgaben der Organisation notwendig Wld daher in diese völkerrechtlich begründeten Aufgaben eingeschlossen sind." (lpsen, Völkerrecht, § 6 Rdnr. 9). Begrenzt werden diese abgeleiteten Kompetenzen durch' die vertraglich festgeschriebenen Aufgaben Wld Ziele der Organisation. (Vgl. statt vieler: Wolfrom, Internationale Organisationen, S. 128). 273 Seidl-Hohenveldem, Völkerrecht, Rdnr. 808 Wld 610 tT. 274 Wolfrom, Internationale Organisationen, S. 128. Die Rechtspersönlichkeit im nationalem Recht findet ihre Grenze in den Zielen Wld Aufgaben der internationalen Organisation (Bindschedler, International Organizations., S. 130). 275 So z.B. Art. 210 EGV. Die Tatsache, daß sich die in Art. 210 EGV der Gemeinschall zugewiesene "Rechtspersönlichkeit" auf das Völkerrecht bezieht, ergibt sich aus dem Vergleich dieser BestimmWlg mit Art. 211 EGV, der die innerstaatliche Rechtspersönlichkeit der Gemeinschaft regelt.

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eine Völkerrechtspersönlichkeit voraussetzen,276 existiert im Rahmen der KSZE nicht. Daher ist davon auszugehen, daß die KSZE-Teilnehmerstaaten keinen Willen hatten, der KSZE Völkerrechtssubjektivität zuzuerkennen. Dieser Umstand hat sich in den letzten Beschlüssen der KSZE, insbesondere denen des Ende 1993 abgehaltenen 4. KSZE-Ratstreffens klar gezeigt: Nachdem die Parlamentarische Versammlung der KSZE auf ihrem konstituierenden Treffen am 5. Juli 1992 den Wunsch zum Ausdruck gebracht hatte, der KSZE "eine rechtliche Grundlage zu geben"277, wiesen die Vertreter der KSZE-Teilnehmerstaaten auf dem 4. KSZE-Folgetreffen Mitte desselben Monats den AHB an, "die Zweckmäßigkeit einer Übereinkunft zu prüfen, die dem KSZE-Sekretariat, dem KVZ und dem BDIMR (und nicht der KSZE als solcher, Anm. des Verf.) einen international anerkannten Status verleiht."278 Auf Grundlage des Berichts einer vom AHB eingesetzten Gruppe von Rechtsund anderen Experten beschlossen die Außenrninister der KSZE-Teilnehmerstaaten auf ihrem 4. Ratstreffen Anfang Dezember 1993, daß "(d)ie KSZETeilnehmerstaaten nach Maßgabe ihrer verfassungsrechtlichen, gesetzgeberischen und sonstigen einschlägigen Voraussetzungen den folgenden Institutionen (KSZE-Sekretariat, BDIMR sowie allen anderen vom KSZE-Rat festgelegten KSZE-Institutionen, Anm. des Verf.) eine für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben erforderliche Rechtsfähigkeit gewähren (werden), insbesondere die Vertragsfähigkeit, die Fähigkeit, bewegliches und unbewegliches Vermögen zu erwerben und darüber zu verfUgen sowie rechtliche Verfahren anzustrengen und sich daran zu beteiligen. "279 Angesichts des irritierenden Wortlautes der Zusammenfassungen der Schlußfolgerungen des Ratstreffens von Rom, denen zufolge "ein Beschluß über die Rechtsfähigkeit der KSZE gefaßt (wurde)"280 gilt es zu unterstreichen, daß der gefaßte Beschluß die Verpflichtung enthält, einzelnen KSZEInstitutionen und nicht der KSZE als solcher, Rechtssubjektivität nach nationalem Recht und nicht nach Völkerrecht zu verleihen. Ziel dieser rechtlich

276 Beispielsweise die nur einem Völkerrechtssubjekt zustehende Kompetenz zum Abschluß völkerrechtlicher Verträge. 277 Budapester Erklärung der Parlamentarischen Versammlung der KSZE, Kapitel I, ZifT. 10. 278 Beschlüsse von Helsinki, Abschnitt I, ZifT. 25. 279 Zusätzlicher Beschluß von Rom, Anhang I, ZifT. I. 280 Zusammenfassungen der Schlußfolgerungen des RatstrefTens von Rom, letzter Absatz, ZifT. g).

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1. Kapitel: Die OSZE - Vom Konferenzprozeß zur Organisation

nicht verbindlichen Verpflichtung281 ist es, die Funktionsfähigkeit der KSZE zu stärken. Den KSZE-Institutionen war zwar durch unilaterale Maßnahmen der jeweiligen Sitzstaaten bereits Privatrechtsfähigkeit zuerkannt worden, ob hierdurch aber automatisch eine Privatrechtsfähigkeit der Institutionen auch in den anderen KSZE-Teilnehmerstaaten begründet worden ist, ist rechtlich strittig. 282 Durch die Beschlüsse von Rom werden die KSZE-Teilnehmerstaaten nun verpflichtet, ihrerseits entsprechende Beschlüsse zu treffen, d.h. entsprechende Implementierungsakte zu erlassen. 283 Bei den Beschlüssen von Rom ging es somit nicht darum, der KSZE als internationaler Organisation Völkerrechtsfähigkeit zu verleihen, sondern lediglich um die Verleihung von Rechtsfähigkeit nach nationalem Recht für einzelne ihrer Institutionen. Wie stark die Ablehnung unter den KSZE-Teilnehmerstaaten gegen eine völkerrechtliche Umformung der KSZE war, zeigt sich daran, daß die angestrebte Verleihung von Privatrechtsfähigkeit nicht in einem völkerrechtlich bindenden KSZE-Vertrag geregelt wurde, sondern lediglich in den rechtlich 281 Vgl. hierzu die Formulierung im Zusatzbeschluß von Rom, Ziff. 8: "Sie (die Außenminister, Anm. des Verf.) empfehlen den KSZE-Teilnehmerstaaten, diese Bestimmungen nach Maßgabe ihrer verfassungsrechtlichen und sonstigen einschlägigen Voraussetzungen durchzuführen." (Hervorhebung vom Verf.). 282 So ist beispielsweise für die Bundesrepublik Deutschland die innerstaatliche Anerkennung der Rechtsfahigkeit ausländischer Vereine, juristischer Personen und Gesellschatlen im EGBGB nicht geregelt. Art. 37 Nr. 2 EGBGB nimmt diese Rechtsinstitute ausdrücklich vom Anwendungsbereich der Art. 27 ff. EGBGB aus. Staatsverträge hierzu sind bisher noch nicht in Kraft getreten. Zwar hat die Bundesrepublik Deutschland das EWG-Übereinkommen über die gegenseitige Anerkennung von Gesellschafh:n und juristischen Personen vom 29.2.1968 ratifIziert, doch ist dieses Abkommen aufgrund des fehlenden Beitritts der Niederlande noch nicht in Kraft getreten. Gleiches gilt tlir das am 3.6.1971 in Luxemburg unterzeichnete Protokoll betreffend die Auslegung dieses Übereinkommens durch den EuGH. Auf die hierzu entwickelte GTÜndungstheorie oder die Sitztheorie sowie deren problematisches Verhältnis zu Art. 220 EGV braucht hier nicht näher eingegangen zu werden (vgl. hierzu Kegel, internationales Privatrecht, § 17), da es sich bei den betreffenden KSZE-Institutionen weder um Gesellschaften noch um Vereine bzw. juristische Personen handelt. 283 Für die Bundesrepublik Deutschland bieten sich für die Umsetzung der Beschlüsse von Rom, die zudem noch die Verleihung von Vorrechten und hnmunitäten für die KSZE-Mitarbeiter tordern, drei Möglichkeiten an: Sie kann unilateral einen entsprechenden Gesetzgebungsakt vollziehen, im Rahmen der EU (Europäischen Union) einen völkerrechtlichen Vertrag abschließen oder im Europäischen Rat bzw. im Rat darauf hinwirken, daß letzterer die Umsetzung zu einer "gemeinsamen Aktion" gern. Art. J. 3. EUV (Vertrag über die Europäische Union) erklärt. Diese drei Möglichkeiten werden zur Zeit in der EU beraten. (So LR I Kremp in einem Gespräch mit dem Verfasser am 20.12.1993 im Auswärtigen Amt).

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nicht verpflichtenden Beschlüssen von Rom. Selbst das im "Übereinkommen über Vergleichs- und Schiedsverfahren innerhalb der KSZE" entwickelte OptionenmodeII, das den KSZE-Teilnehmerstaaten die Unterschrift und Ratifikation des völkerrechtlichen Vertrages freistellt, war aufgrund des Widerstandes einiger Teilnehmerstaaten, insbesondere der Vereinigten Staaten, nicht praktizierbar, fürchteten diese doch, daß ein derartiger völkerrechtlicher Vertrag als Zuerkennung von Völkerrechtssubjektivität für die KSZE (miß)vcrstandcn werden könnte. 284 Da die KSZE-Teilnehmerstaaten zudem immer wieder unisono erklärt hatten, daß die KSZE ein politischer Prozeß sei und aufgrund der im Vergleich zu einer verrechtlichten Form der Zusammenarbeit größeren Flexibilität aus pragmatischen Gründen auch bleiben solIe, wurde die Zuerkennung von Völkerrechtssubjektivität von alIen KSZETeilnehmerstaaten abgelehnt. 285 Hieran ändert auch die 1992 in Helsinki abgegebene Erklärung der KSZETeilnehmerstaaten, daß die KSZE eine "regionale Abmachung" i.S.v. Kapitel VIII SVN ist, nichts, da diesem Begriff sowohl Staatenverbindung mit als auch ohne Völkerrechtspersönlichkeit unterfalIen. 286 Während 1993 noch Einigkeit über die Zukunft der KSZE als eine rein außerrechtliche politische Abmachung herrschte, schlug Rußland im Vorfeld des 284 Aussage eines auf eigenen Wunsch nicht genannten Mitarbeiters des Auswärtigen Amts, der an den Verhandlungen zu den Beschlüssen von Rom teilgenommen hat. Hintergrund der Weigerung der Vereinigten Staaten, die KSZE in eine mit Völkerrechtssubjektivität ausgestattete internationale Organisation umzuwandeln, ist ihre Sorge, daß dadurch letztlich die NATO geschwächt und somit der Einfluß der USA auf die europäische Sicherheitspolitik zurückgedrängt werden würde. Vgl. hierzu: Peters, Normen- und Institutionenbildung der KSZE im Widerstreit politischer Interessen: Die Durchsetzung des Gewaltverzichts als Prüfstein für die KSZE, in: von Plate, Europa auf dem Weg zur kollektiven Sicherheit? (zit.: Peters, Normen- und Institutionenbildung der KSZE), S. 174; von Plate, Ost- und Mitteleuropa: Eine Herausforderung für KSZE und NATO, in: ders. (Hrsg.), Europa auf dem Weg zur kollektiven Sicherheit? (zit.: von Plate, Ost- und Mitteleuropa), S. 80. 285 So LR I Kremp in einem Gespräch mit dem Verfasser am 20.12.1993 im Auswärtigen Amt. Der ablehnenden Haltung zur Zuerkennung von Völkerrechtssubjektivität hat sich mittlerweile auch Frankreich angeschlossen, das noch im Vorfeld des Helsinki-FolgetrefTens 1992 die Weiterentwicklung der KSZE zu einer mit Völkerrechtssubjektivität ausgestatteten internationalen Organisation sowie die Umwandlung der bisherigen KSZE-Schlußakte und der weiterfiihrenden Dokumente in völkerrechtliche Verträge propagiert hatte, sich mit diesen Vorschlägen aber aufgrund des Widerstandes insbesondere der Vereinigten Staaten nicht hatte durchsetzen konnte. Zu den französischen Vorschlägen vgl. Peters, Normen- und Institutionenbildung der KSZE, S. 173 f; Brauch, Nato und KSZE als institutionelle Elemente einer gesamteuropäischen Sicherheitsarchitektur, in: Politische Vierteljahresschrift, 1992, S. 376. 286 Vgl.: Hummer/Schweizer, in: Simma, Charta der VN, Art. 52 Rdnr. 58. Zur OSZE als regionaler Abmachung vgl. im folgenden auf S. 92 fr

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1. Kapitel: Die OSZE - Vom Konferenzprozeß zur Organisation

Ende 1994 in Budapest abgehaltenen KSZE-Gipfeltreffens die Umwandlung der KSZE in eine "Organisation der europäischen Sicherheit" vor. Die KSZE sollte eine eigene Charta als völkerrechtlichen Gründungsvertrag erhalten sowie eine als "Exekutivkomitee" bezeichnete, aus zehn Teilnehmerstaaten als ständigen Mitgliedern bestehende Zentralinstanz, die rechtlich bindende Entscheidungen fällen sollte. 287 Dieser Vorschlag Rußlands zur Umwandlung der KSZE in eine internationale Organisation mit Völkerrechtssubjektivität wurde von den anderen Teilnehmerstaaten erwartungsgemäß abgelehnt, da sie keine Verrechtlichung der KSZE anstreben. 288 Nachdem die Teilnehmerstaaten bei den Verhandlungen über den Inhalt des Budapester Dokuments den russischen Vertretern dahingehend entgegengekommen waren, daß in diesem Dokument die Umbenennung der KSZE von einer Konferenz in eine Organisation (OSZE) mit Wirkung zum 1.1.1995 festgelegt werden würde, gab Moskau sein Einverständnis zur Erklärung, daß diese Umbenennung den Status der KSZE nicht ändern werde und gab damit seine ursprüngliche Forderung nach Rechtsverbindlichkeit der KSZE auf. 289 (5) Ergebnis

Allgemein läßt sich somit festhalten, daß fiir die Zuerkennung von Völkerrechtssubjektivität einer internationalen Organisation auf den Willen der Mitgliedstaaten der Organisation abzustellen ist. Eine Zuerkennung von Völkerrechtssubjektivität qua Faktizität kommt nicht in Betracht, da der Verzicht eines Staates auf die Ausübung eines, wenn auch noch so geringen Teils, seiner souveränen hoheitlichen Rechte in völkerrechtlich zulässiger Art und Weise nur mit und nicht ohne bzw. erst recht nicht gegen seinen Willen erfolgen kann. 287 Vgl. hierzu Bacia, Die großen Pläne Rußlands für die internationale Aufwertung der KSZE, in: FAZ vom 5.12.1994 (zit.: Bacia, Pläne Rußlands), S. 2. 288 Hierbei spielte insbesondere die Sorge der Vereinigten Staaten, daß eine Verrechtlichung der KSZE die Position der NATO schwächen würde, eine besondere RoUe, sah doch der russische Vorschlag vor, daß der KSZE die Hauptverantwortung für die Aufrechterhaltung des Friedens in Europa übertragen werden sollte und sie in dieser Funktion KontroUbefugnisse über die NATO erhalten sollte, was nicht nur ein russisches Mitsprache-, sondern auch ein Vetorecht in den Belangen der Allianz bedeutet hätte. Ein weiterer Grund für die Ablehnung des russischen Vorschlags lag in der Tatsache begründet, daß die Einrichtung einer Zentralinstanz dem Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten insofern widersprochen hätte, als die nicht in diesem Gremium vertretenen Teilnehmerstaaten sich Anordnung dieses Organs hätten fügen müssen, obschon sie am Zustandekommen der Beschlüsse nicht beteiligt waren. 289 Intormation des Auswärtigen Amts.

m. Der Rechtscharakter der OSZE

91

Für die KSZE bedeutet dies, daß sie mangels eines von der Gesamtheit ihrer Teilnehmerstaaten getragenen Willens zur Zuerkennung von Völkerrechtspersönlichkeit keine Völkerrechtssubjektivität besaß. Hingegen stellte sie ab der Charta von Paris im Jahre 1990 eine internationale Organisation qua Institutionalisierung bzw. Faktizität dar, deren Organe indes nur politisch verbindliche Beschlüsse treffen konnten. Folgte man der hier vertretenen Trennung von der Einordnung als eine internationale Organisation und der Zuerkennung von Völkerrechtssubjektivität fur die internationalen Organisation nicht,290 so blieb nur die wenig ergiebige Feststellung, daß hinsichtlich der KSZE "der Trend zunehmend in Richtung auf QualifIkation als Internationale Organisation (geht)."291 Dies trug indes dem erreichten Institutionalisierungsgrad der KSZE und insbesondere der Tatsache, daß bereits Gremien existierten, die immerhin politisch verbindliche, sogar gegen den Willen eines Teilnehmerstaates zustande gekommene Entscheidungen treffen konnten,292 nicht hinreichend Rechnung und war daher abzulehnen. c) Folgerungen für die Recbtsnatur der OSZE

Die KSZE war somit schon vor der offiziellen Umbenennung in OSZE eine internationale Organisation, die jedoch keine Völkerrechtssubjektivität besaß. An dieser Tatsache hat sich auch durch die am 1.1.1995 erfolgte Umbenennung in OSZE nichts geändert: Das Budapester Dokument, in dem diese Umbenennung festgelegt wurde, stellt aufgrund seines nur politisch und nicht rechtsverbindlichen Charakters293 keine völkerrechtliche Willenseinigung der KSZE-Teilnehmerstaaten zur Gründung einer mit Völkerrechtssubjektivität ausgestatteten internationalen Organisation dar. Die von den Teilnehmerstaaten schon bezüglich der KSZE vertretene ablehnende Haltung im Hinblick auf die Zuerkennung von Völkerrechtssubjektivität wurde durch die Erklärung, daß sich "durch die Umbenennung in OSZE der Status der KSZE nicht än290 So Schweisfurth, Einflihrung, S. LXII. 291 So Oellers-Frahm, Die KSZE - Hoffuungsträger, S. 4. Ebenso zurückhaltend auch Schweisfurth, Einführung, S. LXII, demzufolge sich lediglich "Vorboten fiir die Umwandlung der KSZE in eine internationale Organisation" zeigen. Oellers-Frahm spricht allerdings auf Seiten 8 und 12 hinsichtlich der KSZE-Grernien schon von "Organen", verwendet mithin einen Begriff, der im Völkerrecht Handlungseinheiten internationaler Organisationen vorbehalten ist (vgl. Köck, Internationale Organisationen, S. 152 f). Die KSZE indes bezeichnet auch nach ihrer Umbenennung in eine Organisation ihre Handlungseinheiten weiter als Gremien bzw. Institutionen. 292 Diese Möglichkeit besteht bei den im "Konsens-minus-eins" Verfahren getroffenen Beschlüssen. 293 Vgl. hierzu bereits auf S. 66 f.

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I. Kapitel: Die OSZE - Vom Konferenzprozeß zur Organisation

dert"294, ausdrücklich auf die OSZE erstreckt. Den Institutionen der OSZE kommt somit ebensowenig wie denen der KSZE die Befugnis zu, rechtsverbindliche Beschlüsse etwa im Rahmen der Streitbeilegung gegen einen der OSZE-Teilnehmerstaaten zu treffen. Die zum 1.1.1995 erfolgte Umbenennung der KSZE in OSZE stellt somit eine folgerichtige, deklaratorische Bestätigung der bereits seit 1990 bestehenden Organisationsqualität der KSZE dar.

3. Die OSZE als "regionale Abmachung" i.S.v. Kapitel vm SVN a) Einführung

Auf ihrem 4. KSZE-Folgetreffen in Helsinki beschlossen die Staats- und Regierungschefs der KSZE-Teilnehmerstaaten am 10. Juli 1992, "(u)nter erneuter Bekräftigung der von ihnen gegenüber der Charta der Vereinten Nationen eingegangenen Verpflichtungen, daß sie sich einig sind, daß die KSZE eine regionale Abmachung im Sinne von Kapitel 8 der Charta der Vereinten Nationen ist und als solche ein wichtiges Bindeglied zwischen europäischer und globaler Sicherheit darstellt. "295 Weiter heißt es, daß "(d)ie Rechte und Verantwortlichkeiten des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen in seiner Gesamtheit unberührt (bleiben). "296 b) Die Voraussetzungen einer regionalen Abmachung unter besonderer Berücksichtigung des Gründungsvertrages und ihr Vorliegen bei der OSZE

Um eine "regionale Abmachung" i.S.v. Kapitel VIII SVN darzustellen,297 muß die OSZE eine auf Dauer angelegte, freiwillige 298 Verbindung von mehr als zwei,299 in räumlicher Nähe zueinander3°o stehenden Staaten301 sein, die

294 Beschlüsse von Budapest, Abschnitt I, Ziff. 29. 295 Beschlüsse von Helsinki, Abschnitt IV, Ziff. 2. 296 Ebenda. 297 Zu den Ursachen des Fehlens einer in der UN-Charta festgelegten Defmition von "regionaler AbmachlUlg bzw. EinrichtlUlg" lUld dem Erfordernis einer solchen BestimmlUlg vgl. nur HummerlSchweitzer, in: Simma, Charta der VN, Art. 52 Rdnr.

20 fT.

298 Vgl. HummerlSchweitzer, in: Simma, Charta der VN, Art. 52 Rdnr. 41; Pemice, SicherlUlg des Weltfriedens, S. 21. 299 Vgl. Pemice, SicheflUlg des Weltfriedens, S. 35. 300 Zum Kriterium der Regionalität vgl. HummerlSchweitzer, in: Simma, Charta der VN, Art. 52 Rdnr. 32 ff.; Pemice, SicheflUlg des Weltfriedens, S. 23 ff.

III. Der Rechtscharakter der OSZE

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über ein eigenes Verfahren zur Streitbeilegung302 sowie über Organe, die im Streitfalle von den Mitgliedstaaten angerufen werden können,303 verfugt und sich in einer mit den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zu vereinbarenden Weise304 mit der Behandlung von Angelegenheiten befaßt, die die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit betreffen. 305 All diese Voraussetzungen werden von der OSZE erfullt: Ihr gehören sämtliche Staaten des europäischen Kontinents, die zentralasiatischen Republiken der ehemaligen Sowjetunion sowie die Vereinigten Staaten und Kanada an. Aufgabe der auf Dauer angelegten OSZE ist die FTÜhwarnung, Konfliktverhütung und Krisenbewältigung in ihrer Region. 306 Hierzu verfugt sie über einen bislang einmaligen Katalog von Verfahren zur Streitbeilegung, die von Auskunftsersuchen über Erkundungs- und Langzeitmissionen bis hin zu Vergleichs- und Schiedsverfahren vor dem OSZE-Vergleichs- und Schiedsgericht reichen. Die OSZE besitzt zudem eigene Institutionen, die von ihren Teilnehmerstaaten im Rahmen der Mechanismen zum Zwecke der Streitbeilegung angerufen werden können. Die Hauptverantwortlichkeit des SR wird von der OSZE ausdrücklich betont307 und dem Unterrichtungserfordernis des Art. 54 SVN Genüge getan. 308 Als zusätzliches Merkmal einer Regionalorganisation i.S.v. Kapitel VIII SVN wird zudem die Existenz eines völkerrechtlichen GTÜndungsvertrages verlangt.309 Soweit die Regionalorganisation (nur) auf einem GTÜndungsvertrag beruht, stellt sie eine regionale Abmachung dar, werden der Organisation 301 Eine BeitrittsofTenheit der Abmachung fiir andere Staaten ist nicht erforderlich, vgl. Hummer/Schweitzer, in: Simma, Charta der VN, Art. 52 Rdnr. 37; Pernice, Sicherung des Weltfriedens, S. 34 f. 302 Vgl. Hummer/Schweitzer, in: Simma, Charta der VN, Art. 52 Rdnr. 60; Pernice, Sicherung des Weltfriedens, S. 38 303 Vgl. Hummer/Schweitzer, in: Simma, Charta der VN, Art. 52 Rdnr. 60. 304 Nicht nur das Wirken der regionalen Abmachung, sondern auch diese selbst muß den Zielen und Grundsätzen der VN entsprechen, vgl. hierzu Hummer/Schweitzer, in: Simma, Charta der VN, Art. 52 Rdnr. 54; Pernice, Sicherung des Weltfriedens, S. 35 ff.

305 Vgl. hierzu Hummer/Schweitzer, in: Simma, Charta der VN, Art. 52 Rdnr. 12. 306 Vgl. nur: Gipfelerklärung von Budapest, Zitf. 8. 307 Vgl.: Beschlüsse von Helsinki, Abschnitt IV, ZifT 2: "Die Rechte und Verantwortlichkeiten des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen bleiben in ihrer Gesamtheit unberührt. " 308 Vgl.: Beschlüsse von Helsinki, Abschnitt III, ZifT 20: "Der amtierende Vorsitzende wird dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen vollständig über friedenserhaltende Aktivitäten der KSZE berichten." 309 Vgl. Hummer/Schweitzer, in: Simma, Charta der VN, Art. 52 Rdnr. 39; Pernice, Sicherung des Weltfriedens, S. 20 f.; Beyerlin, Regionalabkommen, Rdnr. 2.

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1. Kapitel: Die OSZE - Vom Konferenzprozeß zur Organisation

im Grundungsvertrag zudem eigene Rechte verliehen, kann diese somit als internationale Organisation mit Völkerrechtssubjektivität durch ihre Organe rechtsverbindlich handeln, so handelt es sich um eine regionale Einrichtung. 3\0 Letzteres scheidet hinsichtlich der OSZE aus, da sie über keine Völkerrechtssubjektivität verfugt. Doch auch ein völkerrechtlicher GIiindungsvertrag lag 1992, als sich die KSZE zur regionalen Abmachung erklärte, nicht vor. An dieser Situation hat sich auch nach der Umbenennung in OSZE nichts geändert. Allerdings zeigt sich, daß die Vereinten Nationen im Hinblick auf die KSZE den Begriff der regionalen Abmachung recht weit fassen: Bereits vor der am 10. Juni 1992 in Helsinki verabschiedeten Erklärung der KSZE, sie sei eine regionale Abmachung, wurde vom SR mehrfach "unter Hinweis auf Kapitel VIII der Charta der Vereinten Nationen die mit Unterstützung der Teilnehmerstaaten der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa unternommenen Bemühungen der Europäischen Gemeinschaft und ihrer Mitgliedstaaten" zur Konfliktbeilegung im ehemaligen Jugoslawien gewürdigt.311 Konnte man hierbei noch darauf hinweisen, daß in diesen Resolutionen nur die "Teilnehmerstaaten" der KSZE, und - im Gegensatz zur ausdrucklieh erwähnten EG - nicht die KSZE als Organisation erwähnt wurden, so erfolgte in den Erklärungen des Präsidenten des SR vom 24. April und 12. Mai 1992 eine direkte Bezugnahme auf die KSZE. Hierin begrüßte der SR im Hinblick auf die Situation in Bosnien-Herzegowina "die Unterstützung, welche die KSZE den Bemühungen der Europäischen Gemeinschaft und der Vereinten Nationen zuteil werden läßt"312 und "würdigen und unterstützen die Mitglieder des Sicherheitsrats die Bemühungen, die im Rahmen der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) unternommen werden"313 hinsichtlich des Konflikts um Berg-Karabach. Bereits zwei Wochen nachdem sich die KSZE zur regionalen Abmachung erklärt hatte, bat der SR "die betreffenden europäischen regionalen Abmachungen und Organisationen, insbesondere die Europäische Gemeinschaft, bei ihren Bemühungen, zur Lösung der im ehemaligen Jugoslawien· auch weiterhin tobenden Konflikte beizutragen, stärker mit dem Generalsekretär zusam-

310 Vgl. nur Hummer/Schweitzer, in: Simma, Charta der VN, Art. 52 Rdnr. 39.

311 Vgl.: SRlRes. 713 (1991), abgedruckt in: VN 5/1991, S. 175; SRlRes. 743

(1992), in: VN 2/1992, S. 76; SRlRes. 762 (1992), in: VN 6/1992, S. 213; SRlRes. 764 (1992), in: VN 6/1992, S. 214. 312 Erklärung des Präsidenten des Sicherheitsrats vom 24. April 1992 (S/23842), in: VN 3/1992, S. \09. 313 Erklärung des Präsidenten des Sicherheitsrats vom 12. Mai 1992 (S/23904), in: VN 5/1992, S. 172.

Ill. Der Rechtscharakter der OSZE

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menzuarbeiten"314 und nahm somit, wenn auch nicht ausdrücklich, auf die KSZE als regionale Abmachung Bezug. Am 28. Oktober 1992 nahm die Generalversammlung der VN in ihrer Resolution 47/10 "die Erklärung der Staats- und Regierungschefs der Teilnehmerstaaten der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, sie seien sich darin einig, daß die Konferenz eine regionale Abmachung im Sinne von Kapitel VIII der Charta der Vereinten Nationen ist und als solche ein wichtiges Bindeglied zwischen europäischer und globaler Sicherheit darstellt" mit "Genugtuung" zur Kenntnis und beschloß, sich mit der "Zusammenarbeit zwischen den Vereinten Nationen und der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa" zu befassen. 315 Bereits am 17. Juni 1992 hatte der Generalsekretär der VN in seiner "Agenda für den Frieden" darauf hingewiesen, daß "(d)ie Charta den Begriff der regionalen Abmachungen und Einrichtungen absichtlich nicht genau ab(grenzt) und damit ein nützliches Maß an Flexibilität für das Vorgehen einer Gruppe von Staaten im Hinblick auf Angelegenheiten, bei denen regionale Maßnahmen angebracht sind, gewährt, was auch zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit beitragen könnte."316 Bei Zusammenschlüssen dieser Art könnte es sich um "Vertragsorganisationen" , aber auch einfach nur um "Gruppen" von Staaten handeln,317 womit wohl auch Staatenverbindungen, die auf außerrechtlichen Abmachungen beruhen, ins Auge gefaßt werden. Im Rahmen seiner darauffolgenden Würdigung der von regionalen Abmachungen und Einrichtungen unternommenen Maßnahmen zur Friedenssicherung unterstreicht der GS dann auch die zentrale Bedeutung der "mit Unterstützung der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa unternommenen Bemühungen der Europäischen Gemeinschaft und ihrer Mitgliedstaaten für die Bewältigung der Krise im Balkan und· in den benachbarten Gebieten. "318 Ende Januar 1993 stellte der Sicherheitsrat dann im Rahmen seiner Prüfung der "Agenda für den Frieden" hinsichtlich der Ausführungen des UN-GS zu den Regionalorganisationen fest, "wie wichtig die in der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa erzielte Vereinbarung ist, die KSZE

314 Erklärung des Präsidenten des Sicherheitsrats vom 24. Juni 1992 (S/24346), in: VN 611992, S. 215. HervorhebWlg vom Verfasser. 315 Der Text der Resolution ist abgedruckt in: VN 411993, S. 150. 316 S/24111, Ziff. 61. 317 Vgl.: Ebenda. 318 S/24111, Ziff. 62.

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I. Kapitel: Die OSZE - Vom Konferenzprozeß zur Organisation

als regionale Abmachung im Sinne von Kapitel VIII der Charta der Vereinten Nationen anzusehen"319. Die KSZE, nunmehr OSZE, wird somit nicht nur von ihren Teilnehmerstaaten, sondern auch von den Vereinten Nationen, d.h. vom Sicherheitsrat, der Generalversammlung und dem Generalsekretär als regionale Abmachung angesehen. Abweichende Ansichten seitens der UN-Mitgliedsstaaten sind nicht ersichtlich. Damit bleibt festzuhalten, daß hinsichtlich des Begriffs der "regionalen Abmachung" eine Vertragsinterpretation durch die politisch relevanten UNGremien dahingehend stattgefunden hat, daß im Falle der KSZE/OSZE vom bisherigen Erfordernis eines völkerrechtlichen Gründungsvertrages abgesehen wurde. Hintergrund hierfur dürfte das Bestreben der VN gewesen sein, angesichts der seit Ende des Kalten Krieges sich ständig erhöhenden Belastung der Weltorganisation und insbesondere des SR, die Regionalorganisationen vermehrt zur Konfliktprävention und friedlichen Konfliktbeilegung in ihren betreffenden Regionen heranzuziehen, um so die lokalen Kenntnisse und den politischen Einfluß der regionalen Akteure verstärkt in den Dienst der Friedenssicherung zu stellen und damit die Vereinten Nationen bei ihrer Aufgabe der Wahrung von Weltfrieden und internationaler Sicherheit zu entlasten. 320 Die KSZE bot sich hier nicht nur wegen ihres räumlichen Bereiches (Konfliktregionen ehemalige So\\jetunion und ehemaliges Jugoslawien), ihres auf der Tradition als Konsultationsforum beruhendem Ansehens,321 sondern auch wegen ihrer ausdifferenzierten und teilweise in den Konfliktregionen bereits zum Einsatz gekommenen Verfahren zur Streitbeilegung, von denen das Vergleichs- und Schiedsverfahren sogar auf einer völkervertragsrechtli319 Erklänmg des Präsidenten des Sicherheitsrats vom 28. Januar 1993 (S/23842), in: VN 411993, S. 151. 320 Vgl. hierzu die Ziffern 64 Wld 65 der "Agenda fiir den Frieden" (S/24111), die vom SR "mit GenugtuWlg zur Kenntnis genommen wurden". (Erklänmg des Präsidenten des SR vom 28. Januar 1993 (S/23842), in: VN 4/1993, S. 150). Vgl. auch Schlotter, Universalismus, Regionalismus, Kapitel VIll: Die KSZE Wld die Vereinten Nationen, in: VN 4/1993 (zit.: Schlotter, KSZE Wld VN), S. 137 fT.; Honsowitz, "OSZE zuerst", Die NeugestaltWlg des Verhältnisses zwischen UN Wld OSZE, in VN 2/1995 (zit.: Honsowitz,. "OSZE zuerst"), S. 49 ff. 321 Nach Honsowitz, "OSZE zuerst", S. 52, legt beispielsweise der "serbische Präsident Milosevic großen Wert auf die BeziehWlgen zur KSZE/OSZE. Im Grespräch mit Lord Owen führte er im Frühjahr 1993 aus, daß Serbien der UN oder der EU niemals die ErrichtWlg einer solchen Mission (gemeint sind die gemeinsam eingesetzten KSZE-Langzeitmissionen nach Kosovo, Sandschak Wld Woiwodina, Anm. des Verf) erlaubt hätte. Nur auf GfWld der besonderen Traditionen der KSZE Wld des jugoslawischen Anteils daran sei die Mission zugelassen worden."

ill. Der Rechtscharakter der OSZE

97

ehen Grundlage beruhen, in besonderem Maße an. Die Qualifizierung als regionale Abmachung eröffnete die Möglichkeit, das bisherige institutionelle Nebeneinander von KSZE und VN allmählich zu e:ner engen Verzahnung von Regional- und Universalorganisation auszubauen322 und so zu einer effektiveren Konfliktprävention und -lösung zu gelangen. Der Verzicht auf einen völkerrechtlichen Gründungsvertrag als Voraussetzung für die QualifIkation einer Staatengruppe als regionale Abmachung im Falle der KSZE stellt sich somit als eine am effet-utile orientierte teleologische Interpretation der UN-Charta durch ihre Organe dar. Ob hiermit zudem der Grundstein für eine spätere authentische Vertragsinterpretation323 gelegt wurde dahingehend, daß die rechtliche Qualifikation des Zusammenschlusses von Staaten für ihre Einordnung als regionale Abmachung generell irrelevant ist, wird sich zeigen müssen. Abhängen wird dies von der Frage, ob man der einer außerrechtlichen Abmachung innewohnenden erhöhten Flexibilität bei der Problemlösung grundsätzlich oder nur in bestimmten Fallkonstellationen den Vorrang einräumt vor der erhöhten Rechtssicherheit, die ein völkerrechtlicher GlÜndungsvertrag mit der Möglichkeit verstärkter Erzwingbarkeit der in ihm geregelten Verpflichtungen und der erschwerten KÜDdigungsmöglichkeit für seine Mitglieder beinhaltet. c) Ergebnis

Nach der am effet-utile orientierten teleologischen Interpretation der UNCharta durch ihre Organe Sicherheitsrat, Generalversammlung und General-

322 So wurde im Mai 1993 ein Rahmenabkommen über Koordination und Kooperation zwischen der KSZE und den VN abgeschlossen, in dem regelmäßige Konsultationen zwischen dem UN-Generalsekretär und dem a V der KSZE vereinbart wurden. Zudem wurde festgelegt, daß die Vertretung der KSZE am Amtssitz der VN in New York und beim Büro der VN in Genf durch die UN-Botschafter des jeweils in der KSZE den Vorsitz flihrenden Landes erfolgt. Im gleichen Jahr wurde der KSZE von der Generalversammlung der Beobachterstatus verliehen, was die Verabschiedung jährlicher Entschließungen durch die GV zur Zusammenarbeit zwischen UNO und KSZE zur Folge hat. Ebenfalls seit 1993 nimmt der Europa-Direktor in der Politischen Hauptabteilung des UN-Sekretariats in New York an den Sitzungen des AHB, nunmehr Hohen Rates, teil. Darüber hinaus fmden Treffen zwischen dem Genfer Büro der VN, dem Europarat und der KSZE-, nunmehr OSZE-Troika zum Zwecke der Kooperation in Bereichen der menschlichen Dimension statt. So Honsowitz, "OSZE zuerst", S. 51 f; vgL auch Decaux, La CSCE au 1endemain du Concei1 de Rome: un bi1an de 1a transition institutionelle, in: 5 EJIL 1994, S. 270. 323 Zu den formellen Voraussetzungen einer authentischen Vertragsinterpretation durch die UN-Organe SR und GV vgL Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, §§ 269,273. 7 Wenig

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1. Kapitel: Die OSZE - Vom Konferenzprozeß zur Organisation

sekretär ist die OSZE auch ohne völkerrechtlichen Gründungsvertrag eine "regionale Abmachung" i.S.v. Kapitel VIII SVN. Sie kann somit die ihr nach diesem Kapitel zufallenden Aufgaben wahrnehmen und vom SR mit der Durchfiihrung von Zwangsmaßnahmen betraut werden.

Zweites Kapitel

Die Streitbeilegungsmechanismen der OSZE und ihr Einsatz im Jugoslawienkonflikt I. Darstellung der bisher entwickelten Streitbeilegungsmechanismen 1. Einführung a) Begriffsbestimmung

Im Rahmen ihrer Institutionalisierung entwickelte die KSZE ein umfangreiches Bündel von Verfahren zur Verhütung, Eindämmung und Beilegung von Streitigkeiten. Diese Verfahren, zum Teil von der KSZE als Mechanismen l bezeichnet, werden im folgenden unter dem Oberbegriff der Streitbeilegungsmechanismen gefaßt. b) Die Streitbeilegungsmechanismen und die Umbenennung der KSZE in OSZE

Der zum 1. Januar 1995 eingetretene Namenswechsel von KSZE in OSZE hat für die Darstellung der Streitbeilegungsmechanismen nur insoweit Bedeutung, als daß die von der KSZE in ihren Dokumenten statuierten Befugnisse von Rat, AHB und Ständigem Ausschuß nun den Nachfolgeinstitutionen Ministerrat, Hohem Rat und Ständigem Rat obliegen. c) Hintergrund der Entwicklung der Streitbeilegungsmechanismen

Seit dem Pariser Sondergipfel im November 1990 erhöhte sich die Anzahl der einsatzbereiten und teilweise schon eingesetzten Streitbeilegungsmecha-

1 Der Begriff des "Mechanismus" wird im KSZE-/OSZE-Sprachgebrauch mit zweierlei Bedeutung benutzt: Grundsätzlich werden hierunter Verfahrensregeln zur Bewältigung spezifischer Probleme verstanden. In den Bestimmungen des OSZEMechanismus, also des OSZE-Verfahrens, fiir die friedliche Beilegung von Streitigkeiten steht der Begritf "Mechanismus" aber auch fiir die Drittpartei, d.h. eine oder mehrere Personen, die zur Streitbeilegung beitragen. 7*

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2. Kapitel: OSZE-Streitbeilegungsmechanismen lUld Jugoslawienkonflikt

nismen von damals zwei auf nunmehr elf. 2 Hierfiir sind zwei Gründe ausschlaggebend, die ihrerseits wiederum Auswirkungen der Beendigung des OstWest-Konfliktes sind: Einerseits wurde die KSZE mit Beendigung des Ost-West-Gegensatzes und der nachfolgenden Einigung auf ein gemeinsames Wertespektrum von der Last ideologisch oder machtpolitisch begründeter Auseinandersetzungen befreit. 3 Demzufolge konnte auch in zuvor höchst sensiblen Bereichen, wie etwa der obligatorischen Hinzuziehung einer Drittpartei zur Streitschlichtung, über die fast zwei Jahrzehnte erfolglos verhandelt worden war, recht schnell eine Einigung erzielt werden. 4 Andererseits entfiel mit der Beendigung des Kalten Krieges und dem Zusammenbruch der sowjetischen Vorherrschaft in Osteuropa und schließlich der Sowjetunion selbst jenes ordnungspolitische Grundgerust, das bisher Europa allerdings um den sehr hohen Preis der Unterdrückung der Völker jenseits des damaligen "Eisernen Vorhangs" - vor kriegerischen Auseinandersetzungen bewahrt hatte. Alte ethnische Rivalitäten, die während der Jahre der sowjetischen Vorherrschaft nicht beseitigt, sondern nur unterdrückt worden waren, traten mit gewaltiger Kraft wieder an die Oberfläche. Aus der bipola-

2 Hierbei werden die Vergleichs- lUld Schiedsverfahren vor dem noch nicht konstituierten OSZE-Vergleichs- lUld Schiedsgerichtshof mitgezählt. Die BestelllUlg des Präsidiums des Gerichtshofes lUld die damit verblUldene Arbeitsaufnahname ist ftir Mai 1995 zu erwarten. 3 Fortschritte oder Stagnation des KSZE-Prozesses waren immer von der übergeordneten EntwickllUlg der Ost-West-BeziehlUlgen abhängig. So drohte lUlter dem Eindruck der VerhänglUlg des Kriegsrechts in Polen am 13.l2.l98llUld den Auswirkungen des im vorhergehenden Jahr erfolgten Einmarsches der UdSSR in Afghanistan das 2. KSZE-Folgetreffen in Madrid zu scheitern, da die Mehrzahl der westlichen Staaten den Sinn weiterer VerhandllUlgen angesichts derartiger gravierender Verletzungen der KSZE-Prinzipien bezweifelte. Nur infolge der achtrnonatigen UnterbrechlUlg der Konferenz vom 12.3. 1982 bis 9.11.1 982 konnte ein Scheitern der Konferenz lUld damit des gesamten KSZE-Prozesses verhindert werden. 4 So hatten sich die VerhandllUlgen über die EntwickllUlg eines Mechanismus zur friedlichen BeileglUlg von Streitigkeiten seit 1973 ohne greifbare Ergebnisse hingezogen. Erst die Politik des "neuen Denkens" von Präsident Gorbatschow ermöglichte auf dem 3. KSZE-Folgetreffen in Wien im Jahre 1989 einen Durchbruch bei der bis dahin strittigen Frage der obligatorischen HinzuziehlUlg einer Drittpartei zur StreitschlichtlUlg. Bereits zu Beginn des Jahres 1991 gelang es auf dem KSZE-Expertentreffen in La Valletta ein Verfahren zur friedlichen Streitbeilegung zu entwickeln, das im Juni desselben Jahres vom Rat der KSZE-Außenminister angenommen wurde. Vgl. hierzu Mietzsch, Die KSZE als regionale Institution zur KonfliktverhütlUlg lUld StreitbeileglUlg, in: Staack, Aufbruch nach Gesamteuropa (zit.: Mietzsch, Streitbeilegung), S. 96 ff

I. Darstelhlllg der bisher entwickelten Streitbeilegungsmechanismen

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ren Weltordnung war eine multipolare "Weltunordnung"S mit zahlreichen Krisen und Konflikten insbesondere auf dem von der KSZE geographisch urnfaßten Gebiet der ehemals kommunistischen Staaten geworden. Die bisher mit großem Erfolg praktizierte Verhandlungspraxis der KSZE, Themen aus den einzelnen KSZE-Körben zu verknüpfen (Issue-Linking) und zu gemeinsamen Paketen zusammenzuschnüren (Package-Deal)6 bot für diese Art von Konflikten keine greifbaren Lösungen. Angesichts dieser Tatsache rückten Frühwarnung, Konfliktverhütung und Krisenbewältigung immer mehr in den Vordergrund der KSZE-Aktivitäten und fiihrten zur Entwicklung der nunmehr elf Streitbeilegungsmechanismen. d) Die völkerrechtliche Bedeutung der Streitbeilegungsmechanismen

Der Regelung dieser neuartigen Form der Sicherheitsbedrohung durch ethnische Konflikte sind indes durch das Völkerrecht in seiner jetzigen Form Grenzen gesetzt. Bei diesen Konflikten streben Volksgruppen oder Völker, die in einem Staat leben, dessen Titularnation ein anderes Volk ist, aus Gründen der Besitzstandwahrung, Assimilations- oder Unterdrückungsabwehr die Gewährung eines autonomen Status oder gar die Sezession des von ihnen besiedelten Gebiets an. 7 Das Konfliktpotential liegt also nicht mehr wie zur Zeit des Ost-West-Gegensatzes in dem dem Völkerrecht unterfallenden zwischenstaatlichen Bereich, sondern in der Situation innerhalb einzelner Staaten, in der das Völkerrecht aufgrund des in Art. 2 Abs. 7 SVN niedergelegten Nichteinmischungsprinzips nicht oder nur begrenzt anwendbar ist. Dieser Regelung zufolge kann eine Befugnis "zum Eingreifen in Angelegenheiten, die ihrem Wesen nach zur inneren Zuständigkeit eines Staates gehören, oder eine Verpflichtung der Mitglieder, solche Angelegenheiten der Regelung aufgrund dieser Charta zu unterwerfen, nicht abgeleitet werden. " Das Hauptanliegen der KSZE lag somit darin, konsensfähige Verfahrensweisen zu erarbeiten, die diese Hürde der Einmischung in innere Angelegenheiten beiseite schieben. Hierzu wurden seit 1989 insgesamt elf Streitbeilegungsmechanismen entwickelt, die auf dem Prinzip der Streitbeilegung durch Mitwirkung des betroffenen Staates basieren. Diese Mitwirkung ist entweder freiwillig oder in den durch Konsens angenommenen StreitbeilegungsmeS Der Begriff der "neuen We1tunordnung" wurde von Präsident Mitterand im bewußten Gegensatz zu der von Präsident Bush verkündeten "neuen Weltordnung" geprägt. 6 Vgl. hierzu Wagner B., Die KSZE - Struktur einer gesamteuropäischen Zukunft?, in: Staack, Autbruch nach Gesamteuropa, S. 15 ff., hier S. 44 ff. 7 Vgl. hierzu Senghaas, Friedensprojekt Europa, (1992), S. 117 ff; Ropers/ Schlouer, Multilaterales Konfliktmanagement, S. 26 ff.

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2. Kapitel: OSZE-Streitbeilegungsmechanismen und Jugoslawienkonflikt

chanismen als Mitwirkungspflicht festgeschrieben. So wurde in den ersten Mechanismen eine Mitwirkungspflicht des betroffenen Teilnehmerstaates beim Informationsaustausch in Form einer dem Anfragerecht des über eine bestimmte Situation beunruhigten Staates korrespondierenden Antwortpflicht sowie die Teilnahmepflicht an bilateralen und multilateralen Treffen festgeschrieben. Die zum Zwecke der Überprüfung einer konkreten Situation vor Ort entwickelten Streitbeilegungsmechanismen zur Entsendung von Missionen sind hingegen hinsichtlich ihrer Durchführung von der freiwilligen Mitwirkung des betroffenen Teilnehmerstaates abhängig, sei es in Form seiner Zustimmung zu dem dem Konsensverfahren unterworfenen Entsendungsbeschluß oder seiner Mitwirkung bei der Bestellung der Missionsmitglieder. 8 Die in den Streitbeilegungsmechanismen festgehaltenen Mitwirkungspflichten sind indes nur politischer und nicht rechtlicher Natur, da es sich bei den Dokumenten, in denen diese Verfahren festgehalten sind, um außerrechtliche politische Abmachungen handelt. 9 Verstöße gegen Mitwirkungspflichten stellen somit keine Völkerrechtsdelikte dar und können daher nicht mit dem völkerrechtlichen Sanktionsinstrument der Repressalie, sondern nur mit Retorsionsmaßnahmen geahndet werden. e) Die Einschränkungen des Konsensprinzips durch die Streitbeilegungsmechanismen

Das Konsensprinzip ist seit den Schlußempfehlungen der HelsinkiKonsultationen die tragende Beschlußfassungsregel der KSZE/OSZE.IO Ihmzufolge können Beschlüsse nur gefaßt werden, wenn "kein Vertreter einen Einwand erhebt und diesen als Hindernis für die ausstehende Beschlußfassung qualifiziert. "lI Dieses Beschlußverfahren trägt dem Prinzip der Gleichheit aller Staaten Rechnung. Die Kehrseite des Konsensprinzips liegt darin begründet, daß OSZE-Teilnehmerstaaten, die gegen OSZE-Verpflichtungen 8 Dies gilt, wie nachfolgend auf S. 117 ff. gezeigt, trotz gegenteiliger Auffassung einiger Autoren auch iUr die im Rahmen des Mechanismus der menschlichen Dimension vom Ständigen Rat oder Hohen Rat eingeleiteten Berichterstattermissionen. Mitwirkungsunabhängige Verfahrenseinleitung und mitwirkungsbedürftige Verfahrensdurchführung sind also streng zu trennen. 9 Vgl. hierzu S. 58 ff. 10 VgI.: Helsinki-Schlußempfehlungen, Ziff. 69. 11 Vgl.: Helsinki-Schlußempfehlungen, ZitT. 69. Somit ist also nicht, wie so oft zu lesen, Einstimmigkeit erforderlich, sondern lediglich das Fehlen von Gegenstimmen. Der Unterschied liegt darin begründet, daß bei Einstimmigkeit alle Staatenvertreter zustimmen müssen, wäluend beim OSZE-Abstimmungsverfahren gemäß der obigen Konsensdelinition auch bei Stimmenthaltung einer oder mehrerer OSZE-Teilnehmerstaaten ein Beschluß gefaßt werden kann.

I. DarstellWlg der bisher entwickelten Streitbeilegoogsmechanismen

103

verstoßen, durch das Einlegen ihres Vetos Gegenmaßnahmen der Gemeinschaft (und sei es auch nur eine formelle Verurteilung ihres Verhaltens) verhindern können. Mit der Ausarbeitung und Verabschiedung der einzelnen Streitbeilegungsmechanismen wurde das Konsensprinzip insoweit durchbrochen, als daß Verfahren zur Erörterung von Streitigkeiten und der Untersuchung ihrer Ursachen vor Ort auch gegen den Willen des betroffenen Staates eingeleitet werden können. Die Streitbeilegungsmechanismen können also als Durchbrechung des Konsensprinzips imformellen Bereich betrachtet werden. Eine Durchbrechung im materiellen Bereich, also hinsichtlich der Folgen eines Verstoßes gegen KSZE-Verpflichtungen, wurde auf dem 2. Treffen des Rates der Außenminister der KSZE-Teilnehmerstaaten in Prag im Januar 1992 beschlossen. So konnten vom Rat bzw. AHB in Fällen von eindeutigen, groben und nicht behobenen Verletzungen von KSZE-Verpflichtungen betreffend Menschenrechte, Demokratie oder Rechtsstaatlichkeit angemessene Maßnahmen erforderlichenfalls auch ohne Zustimmung des betroffenen Staates getroffen werden. 12 Diese Befugnis obliegt nach der Umbenennung der KSZE-Institutionen nun dem Ministerrat und dem Hohen Rat. Eine wesentliche Einschränkung dieses als "Konsens-minus-eins" bezeichneten Verfahrens ergibt sich jedoch aus dem Zusatz, daß "solche Maßnahmen politische Erklärungen oder andere politische Schritte (sind), die außerhalb des Territoriums des betroffenen Staates anwendbar sind."B So werden Beschlüsse zu Erkundungs- und Berichterstatter- sowie Langzeitmissionen als tragende Elemente der präventiven OSZE-Diplomatie zur Verhütung der Entstehung oder Ausweitung von Konflikten von dieser Ausnahme des Konsensprinzips nicht erfaßt, da sie innerhalb des Territoriums des betroffenen Staates anwendbare Maßnahmen darstellen. Auch darf nicht übersehen werden, daß bereits ein einziger Staat, der dem inkriminierten Staat nahesteht oder die Schaffung eines Präzedenzfalles befiirchtet, Gegenmaßnahmen der OSZE durch die Einlegung seines Vetos verhindern kann. Auf dem 3. Treffen des Rates der Außenminister der KSZE-Teilnehmerstaaten im Dezember 1992 in Stockholm wurde eine weitere Durchbrechung des Konsensprinzips, diesmal im formellen Bereich, beschlossen. So können Rat oder AHB, nunmehr Ministerrat bzw. Hoher Rat, im sog. "Konsensminus-zwei" Verfahren zwei beliebige OSZE-Teilnehmerstaaten auch gegen ihren Willen anweisen, sich einem Vergleichsverfahren vor dem OSZE-Ver-

12 Vgl.: Prager Dokument, ZitT. 16. 13 Prager DoI.:ument, Ziff. 16. HervorhebWlg durch den Verfasser.

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2. Kapitel: OSZE-Streitbeileg\Ulgsmechanismen \Uld Jugoslawienkontlikt

gleichs- und Schiedsgerichtshof oder der Vergleichskommission zu unterziehen. 14 t) Kurzübersicht und DanteIlungsweise der Streitbeilegungsmechanismen

Seit der Verabschiedung des Mechanismus der menschlichen Dimension auf dem 3. KSZE-Folgetreffen in Wien 1989 wurden folgende Streitbeilegungsmechanismen entwickelt: - Mechanismus der menschlichen Dimension - Mechanismus für Konsultation und Zusammenarbeit in bezug auf ungewöhnliche militärische Aktivitäten (Militärischer Krisenmechanismus) - Mechanismus für Konsultation und Zusammenarbeit in dringlichen Situationen (Dringlichkeitsmechanismus) - Mechanismus zur friedlichen Beilegung von Streitigkeiten (VallettaMechanismus) - Mechanismus für Friihwamung und Friihmaßnahmen des Hohen Kommissars der OSZE für nationale Minderheiten (Friihwammechanismus des HKNM) - Friihwamverfahren vor dem Hohen Rat - Erkundungs- und Berichterstatter- sowie Langzeitmissionen des Hohen Rates und des Ständigen Rates - Friedenserhaltende Operationen - Vergleichsverfahren vor dem OSZE-Vergleichs- und Schiedsgerichtshof - Schiedsverfahren vor dem OSZE-Vergleichs- und Schiedsgerichtshof - Verfahren vor der OSZE-Vergleichskommission Die OSZE-Streitbeilegungsmechanismen lassen sich trotz ihrer unterschiedlichen Anwendungsfelder (Menschenrechte, DemoKratie, RechtsstaatIichkeit, Minderheitenschutz, militärische Aktivitäten) anband des Schwerpunktes ihrer Konfliktregelungsbefugnisse in drei Gruppen unterteilen: (1) Im Vordergrund des militärischen Krisenmechanismus und des Dringlichkeitsmechanismus stehen zunächst auf bilateraler und dann auch auf multilateraler OSZE-Ebene abzuhaltende Konsultationen zum Zwecke der Konfliktvermeidung und Vertrauensbildung. 14 Vgl.: Beschluß über friedliche Beileg\Ulg von Streitigkeiten, Anhang 4, Ziff I.

1. Darstellung der bisher entwickelten Streitbeilegungsmechanismen

105

(2) Beim Mechanismus der menschlichen Dimension, Frühwarnmechanismus des HKNM, Erkundungs- und Berichterstatter- sowie Langzeitmissionen des Hohen Rates bzw. Ständigen Rates und bei friedenserhaltenden Operationen bildet der Einsatz unabhängiger Dritter vor Ort zum Zwecke der Überprüfung eingegangener OSZE-Verpflichtungen, der Konfliktvorbeugung sowie der Konflikteindämmung den Schwerpunkt des jeweiligen Mechanismus. (3) Eine dritte Gruppe bilden die Mechanismen, bei denen die friedliche Beilegung einer Streitigkeit durch bzw. mit Unterstützung einer Drittpartei im Vordergrund stehen: Valletta-Mechanismus, Vergleichs- bzw. Schiedsverfahren vor dem OSZE-Vergleichs- und Schiedsgerichtshof, Verfahren vor der Vergleichskommission. An dieser Unterteilung wird sich die nachstehende Darstellungsreihenfolge orientieren. 15 2. Der Mechanismus für Konsultationen und Zusammenarbeit in bezug auf ungewöhnliche militärische Aktivitäten l6 a) Überblick

Der Mechanismus für Konsultationen und Zusammenarbeit in bezug auf ungewöhnliche militärische Aktivitäten (militärischer Krisenmechanismus) 17 wurde im November 1990 im Wiener Dokument über Vertrauens- und Sicherheitsbildende Maßnahmen (VSBM) festgelegt18 und vom abschließenden Wiener Dokument über VSBM im März 1992 unverändert übemommen. 19

15 Da das Frühwamverfahren vor dem Hohen Rat oft die Vorstufe für Erkundungsund Berichterstattermissionen des Hohen Rates bildet, wird dieses Verfahren unmittelbar vor den Erkundungs- und Berichterstatter- sowie Langzeitmissionen des Hohen Rates behandelt. 16 Vgl. zur Übersicht das Schaubild im Anhang, S. 372. 17 Dieser Mechanismus wird in Anlehnung an den Ort seiner Annahme durch die Vertreter der KSZE-Teilnehmerstaaten auch als "Wiener Mechanismus" bezeichnet, so: Auswärtiges Amt, 20 Jahre KSZE, S. 470. Zur Entstehungsgeschichte des Mechanismus vgl. Vetschera, Die KSZEKrisenmechanismen und ihr Einsatz in der Jugoslawien-Krise, in: ÖMZ 5/1991 (zit.: Vetschera, KSZE-Krisenmechanismen), S. 405 fT. 18 Vgl.: Wiener Dokument 1990 der Verhandlungen über Vertrauens- und Sicherheitsbildende Maßnahmen, Abschnitt II, in: Bulletin Nr. 142/1990, S. 1493 f. 19 Vgl.: Wiener Dokument 1992 der Verhandlungen über Vertrauens- und Sicherheitsbildende Maßnahmen (zit.: Wiener VSBM Dokument 1992), Abschnitt II Absatz 17, in: Bulletin Nr. 3111992, S. 293 ff.

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2. Kapitel: OSZE-StreitbeilegWlgsmechanismen Wld Jugoslawienkonflilct

Ziel des Mechanismus ist es, der OSZE-Staatengemeinschaft innerhalb von 48 Stunden Auskünfte über besorgniserregende militärische Aktivitäten in einem OSZE-Teilnehmerstaat zu verschaffen, über die - falls weiterhin Anlaß zur Besorgnis besteht - innerhalb weiterer 48 Stunden beraten werden kann. b) DanteIlung des Verfahrens

Besteht in einem OSZE-Teilnehmerstaat Besorgnis wegen ungewöhnlicher und unvorhergesehener militärisch bedeutsamer Aktivitäten der Streitkräfte eines anderen OSZE-Teilnehmerstaats in der Anwendungszone für VSBM,20 so kann er an jenen Staat ein Ersuchen um Erklärung richten, welches binnen 48 Stunden zu beantworten ist. Sowohl Ersuchen als auch Antwort sind den anderen OSZE-Teilnehmerstaaten unverzüglich zu übermitteln. Sieht der anfragende Staat die Antwort als nicht ausreichend an, so kann er um ein Treffen zur Erörterung der Angelegenheit mit dem antwortenden Staat bzw. mit allen OSZE-Teilnehmerstaaten ersuchen. 21 Dieses Treffen hat binnen 48 Stunden zu beginnen. Im Falle eines bilateralen Treffens ist den übrigen OSZE-Teilnehmerstaaten ein Bericht über das Treffen zuzustellen. Bis Ende November 1993 diente das KVZ solchen Treffen als Forum. 22 Seit den Beschlüssen des 4. Ratstreffen am 30.11/1.12.1993 werden derartige Treffen vom neugegründeten Ständigen Ausschuß, nunmehr Ständigen Rat, abgehalten.

Zur Geschichte der VerhandlWlgen über Vertrauens- Wld Sicherheitsbildende Maßnahmen Wld den sicherheitspolitischen Aspekten der KSZE, vgl. Meier 0., Auf dem Weg zu einer Sicherheitsgemeinschaft? Die sicherheitspolitische Integration in die KSZE, in: Staack, Aufbruch nach Gesamteuropa (zit.: Meier 0., Sicherheitsgemeinschaft), S. 54 fT.; Barth, Der KSZE-Prozeß Wld die Gnmdzüge einer neuen europäischen Sicherheitsarchitektur, sowie Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (Hrsg.), Bericht zur RüstWlgskontrolle Wld AbrüstWlg 1990/91, S. 49 ff. 20 Die AnwendWlgszone der VSBM betriffi ganz Europa sowie das angrenzende Seegebiet Wld den angrenzenden Luftraum (also vom Atlantik bis zum Uralgebirge Wld Uraltluß). Vgl. hierzu: Abschließendes Dokument des Madrider Treffens der Vertreter der KSZE-Teilnehmerstaaten der Konferenz über Sicherheit Wld Zusammenarbeit in Europa, Abschnitt: Konferenz über Vertrauens- Wld Sicherheitsbildende Maßnahmen Wld AbrüstWlg in Europa, in: Auswärtiges Amt (Hrsg.), Dokumente zum KSZE-Prozeß S. 156 fT. 21 Die AbhaltWlg eines bilateralen Treffen ist, wie sich aus dem systematischen Zusammenhang von Ziff. 17.2 sowie Ziff. 17.2.1 Wld 17.2.2 des Wiener VSBM Dokuments von 1992 sowie seiner AnwendWlgspraxis (vgl. im folgenden S. 235 f.) ergibt, nicht VoraussetzWlg ftir ein Treffen des besorgten Teilnehmerstaates mit allen KSZETeilnehmerstaaten. Irritierend insoweit die Übersicht über diesen Mechanismus in: Auswärtiges Amt, 20 Jahre KSZE, S. 470. 22 Vgl.: Wiener VSBM Dokument 1992, Abschnitt n, Ziff. 17.2.1.4 Wld 17.2.2.2.

I. Darstelhmg der bisher entwickelten Streitbeilegungsmechanismen

107

Auf dem 2. Treffen des Rates der Außenminister der KSZE-Teilnehmerstaaten im Januar 1992 in Prag wurde zudem dem Konsultativausschuß des KVZ die Befugnis eingeräumt, im Rahmen dieses Mechanismus Erkundungsund Überwachungsmissionen zu veranlassen und mit Unterstützung des KVZSekretariats durchzufiihren. 23 Seit den Beschlüssen des 4. KSZE-Ratstreffen obliegt diese Befugnis nun dem Ständigen Rat. 24 Ergänzt wird der militärische Krisenmechanismus durch die Regelungen des Wiener VSBM Dokumentes über Zusammenarbeit bei gefährlichen Zwischenfällen militärischer Art: 25 . Ereignet sich in der Anwendungszone fiir VSBW 6 ein gefahrlicher Zwischenfall militärischer Art, so hat der OSZE-Teilnehmerstaat, dessen Streitkräfte an dem Zwischenfall beteiligt sind, den anderen OSZE-Teilnehmerstaaten unverzüglich die verfiigbaren Informationen zuzuleiten. Der von einem solchen Zwischenfall betroffene OSZE-Teilnehmerstaat kann um KlarsteIlung ersuchen. Derartige Ersuchen sind umgehend zu beantworten. Fragen, die sich an diese Informationen anschließen, konnten von den OSZE-Teilnehmerstaaten bisher im KVZ erörtert werden,27 und werden nunmehr entweder vom Ständigen Rat oder vom FSK beraten. c) Bewertung

Der Vorteil des militärischen Mechanismus liegt darin begründet, daß durch seine Inanspruchnahme Mißverständnisse oder Ungewißheiten in bezug auf militärische Aktivitäten vermieden bzw. abgebaut werden können und so eine häufige Kriegsursache beseitigt werden kann. 28 Als nachteilig ist festzuhalten, daß der Mechanismus nur das Verfahren bis zur Einberufung des Beratungstreffens regelt, konkrete Maßnahmen zur Entschärfung der Situation, wie etwa die Einrichtung eines Vermittlungsausschusses zwischen den Streitparteien aber nicht beinhaltet.

23 Vgl.: Prager Dokument, Ziff. 29. 24 VgL hierzu S. 44 f. 25 VgL: Wiener VSBM Dokument 1992, Abschnitt 11, Absatz 18. 26 Siehe hierzu bereits unter Fußnote 20.

27 Vgl.: Wiener VSBM Dokument 1992, Abschnitt 11, Absatz 18.4. 28 So ist Ungewißheit über das Verhalten und die Absichten der anderen Seite der

Auslöser Im fast die Hälfte aller Kriege der Neuzeit gewesen (Czempiel, Eine Institution, die Ungewißheit verringert. Was die Konferenz fur Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa leisten kann, in: FAZ vom 21.8.1990, S. 8).

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2. Kapitel: OSZE-Streitbeilegungsmechanismen Wld Jugoslawienkonflikt

3. Der Mechanismus für Konsultation und Zusammenarbeit in dringenden Situationen29 a) Überblick

Der Mechanismus für Konsultation und Zusammenarbeit in dringlichen Situationen (Dringlichkeitsmechanismus)30 wurde auf dem ersten Treffen des Rates der Außenminister der KSZE-Teilnehmerstaaten im Juni 1991 in Berlin beschlossen. 31 Ziel des Mechanismus ist es, den OSZE-Teilnehmerstaaten binnen 48 Stunden Auskünfte über mögliche Verletzungen der Schlußakte oder sonstiger besorgniserregender Zwischenfälle zu verschaffen. Sollte dies zu keiner Lösung der Situation fuhren, so kann eine Dringlichkeitssitzung des Hohen Rates einberufen werden. In seinem Aufbau lehnt sich der Dringlichkeitsmechanismus an den militärischen Krisenmechanismus an. b) Darstellung des Verfahrens

Voraussetzung der Aktivierung des Dringlichkeitsmechanismus ist die Auffassung eines OSZE-Teilnehmerstaats, daß eine "schwerwiegende dringliche Situation aufgrund der Verletzung eines Prinzips der Schlußakte oder größerer, den Frieden, die Sicherheit oder die Stabilität gefährdender Zwischenfälle" vorliegt.32 Der OSZE-Teilnehrnerstaat kann den oder die betroffenen Staaten um KlarsteIlung ersuchen, welche innerhalb von 48 Stunden zu erfolgen hat. Sowohl Ersuchen als auch Antwort sind den übrigen OSZETeilnehmerstaaten mitzuteilen. Führt die Antwort nicht zu einer Lösung der Situation, so kann jeder der am KlarsteIlungsverfahren direkt beteiligten Staaten an den Vorsitzenden des Hohen Rates ein Ersuchen um eine Dringlichkeitssitzung des Hohen Rates richten. 33 Hiervon werden alle OSZETeilnehmerstaaten sowie das OSZE-Sekretariat unverzüglich in Kenntnis gesetzt. Innerhalb von 24 Stunden nach Eingang des Ersuchens nimmt der Vorsitzende des Hohen Rates Kontakt mit den beteiligten Staaten auf. Wird das Ersuchen um die Dringlichkeitssitzung innerhalb von 48 Stunden von 29 Vgl. zur Übersicht das Schaubild im Anhang, S. 373.

30 Dieser Mechanismus wird in AnlehnWlg an den Ort seiner Annahme durch den

KSZE-Rat auch als "Berliner Mechanismus" bezeichnet, so Auswärtiges Amt, 20 Jahre KSZE, S. 467. 31 Vgl.: Erstes Treffen des Rates der Außenminister der Teilnehmerstaaten der KSZE (zit.: Berliner Dokwnent), Anhang 2, in: Bulletin Nr. 72/1991, S. 577 ff. 32 Berliner Dokwnent, Anhang 2, Einfiihnmg Wld Ziff. 1. 33 Zur AbgrellZWlg zwischen aV Wld Vorsitzendem des Hohen Rates Wld der daher bestehenden Problematik der Ziff. 2 des Dringlichkeitsmechanismus vgl.: Erstes Kapitel, Fn. 54 Abs. 3.

I. Darstelhmg der bisher entwickelten Streitbeilegungsmechanismen

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mindestens 12 OSZE-Teilnehmerstaaten durch entsprechende Mitteilung an den Vorsitzenden unterstützt, so findet die Sitzung frühestens zwei und spätestens drei Tage später statt. Tagungsort ist vorbehaltlich anderweitiger Vereinbarungen das Büro des Sekretariats in Prag. Das Ergebnis des höchstens zwei Tage dauernden Treffens können Empfehlungen oder Schlußfolgerungen zur Herbeifiihrung einer Lösung sein. Außerdem kann die Einberufung eines Treffens der Außenminister beschlossen werden. Zum Verhältnis zu anderen Streitbeilegungsmechanismen wird ausdrücklich festgehalten, daß dieses Verfahren "nicht anstelle des Mechanismus betreffend ungewöhnliche militärische Aktivitäten angewendet (werden kann). "34 c) Bewertung

Der Vorteil des Dringlichkeitsmechanismus liegt darin begründet, daß der betroffene Staat die Dringlichkeitssitzung nicht unter Verweis auf mangelnde Stichhaltigkeit der Einberufungsgründe verschieben oder gar verhindern kann, sondern sich der Sitzung des Hohen Rates stellen muß. 35 Diese Regelung stellt die erste Durchbrechung des für die OSZE konstitutiven Konsensprinzips dar. 36 Andererseits wird im Dokument des Dringlichkeitsmechanismus explizit darauf hingewiesen, daß "sämtliche Prinzipien der Schlußakte, einschließlich des Prinzips der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten ... von vorrangiger Bedeutung (sind) und ohne Vorbehalte Anwendung (finden). "37 Demzufolge konnte der betroffene Staat bis zur Verabschiedung des MoskauerDokuments im November 1991 auf der Dringlichkeitssitzung der Erörterung von Übergriffen auf ethnische Minderheiten das Nichteinmischungsprinzip 34 Berliner Dokmnent, Anhang 2, Ziff. 3. 35 Vgl.: Ebenda, Ziff. 2.7.

36 Vgl. Vetschera, KSZE-Krisenmechanismen, S. 409.

37 Berliner Dokmnent, Anhang 2, Einfilhrung. Die besondere Auffilhrung des Nichteinmischungsprinzips hat folgenden Hintergrund: Sowohl die Sowjetunion als auch Jugoslawien hatten bei der Berliner Ratstagung aufgrund der sich in ihren Ländern verschärfenden Sezessionskonflikte Vorbehalte gegenüber den Vorlagen zum Mechanismus geäußert, ebenso die Türkei wegen des Zypern-Problems. So hatte etwa die Sowjetunion darauf bestanden, daß sich unter den 12 Staaten, die die Einberufung der Dringlichkeitssitzung unterstützen müssen, auch deIjenige Staat befmdet, dessen Verhalten Gegenstand der Dringlichkeitssitzung ist. Eine derartige Regelung hätten dem betroffenen Staat die Möglichkeit gegeben, die Dringlichkeitssitzung zu verhindern. Erst nachdem das in der Schlußakte von Helsinki aufgefiihrte Nichteinmischungsprinzip im Mechanismus ausdrücklich erwähnt worden war, stimmten diese Länder dem Dringlichkeitsmechanismus zu. Vgl. hierzu: Meyer, Nationale Minderheiten, S. 6.

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2. Kapitel: OSZE-Streitbeilegungsmechanismen und Jugoslawienkonflikt

entgegenhalten. 38 Darüber hinaus bleiben die Entscheidungen des Dringlichkeitstreffens über Empfehlungen, Schlußfolgerungen oder der Einsetzung eines Ministertreffens dem Konsensprinzip unterworfen. 39 Doch selbst wenn der betroffene Staat derartigen Beschlüssen zustimmt, gilt es festzuhalten, daß weder die Empfehlungen noch die Schlußfolgerungen zur Herbeifiihrung einer Lösung bindenden Charakter haben, ihre Umsetzung also allein vorn Wohlwollen des betroffenen Staates abhängt. 4. Der Mechanismus der menschlichen Dimension 4o a)

Überblick

Der Mechanismus der menschlichen Dimension41 wurde in seinen Grundelementen auf dem 3. KSZE-Folgetreffen in Wien im Januar 1989 beschlossen42 und auf dem Kopenhagener43 und vor allem dem Moskauer Treffen über die menschliche Dimension44 (Juni 1990 bzw. Sept./Okt. 1991) weiter ausgebaut. 45 Die Effektivität des Mechanismus und die Möglichkeit seiner 38 Zu der im Moskauer-Dokument vereinbarten Einschränkung der dem Nichteinmischungsprinzip unterfallenden "inneren Angelegenheiten" vgl. S. 75. 39 Vgl.: Berliner Dokument, Anhang 2, Ziff. 2.14, derzufolge "(d)ie Verfahren zur Einberufung von Treffen nach diesem Mechanismus in anderen Situationen zu keiner Abänderung der Konsensregel (filhren)." 40 Vgl. zur Übersicht das Schaubild im Anhang, S. 374. 41 Dieser Mechanismus wird nach seinem englischen Titel auch als CHDMechanismus (CHD = Conference on the Human Dimension) bezeichnet, so in: Auswärtiges Amt, 20 Jahre KSZE, S. 468. 42 Vgl.: Konferenz über Sicherheit und Zusanunenarbeit in Europa. Abschließendes Dokument des Wiener KSZE-Folgetreffens (zit.: Wiener Dokument) Abschnitt: Menschliche Dimension der KSZE, in: Bulletin Nr. 10/1989, S. 77 ff. 43 Vgl.: Konferenz über die Menschliche Dimension der KSZE. Dokument des Kopenhagener Treflens vom 29. Juni 1990 (zit.: Kopenhagener Dokument) Abschnitt V, Ziff. 41 ff., in: Bulletin Nr. 88/1990, S. 757 ff. 44 Vgl.: Konferenz über die Menschliche Dimension der KSZE. Dokument des Moskauer Treffens vom 3. Oktober 1991 (zit.: Moskauer Dokument) Ziff. 1-16, in: Bulletin Nr. 115/1991, S. 909 ff. 45 Während auf dem Kopenhagener Treffen der zeitliche Rahmen fur Informationsersuchen und bilaterale Treffen bestimmt wurde, wurden auf dem Moskauer Treffen die recht allgemein gefaßten Verpflichtungen des Wiener Dokuments zu einem ausdifferenzierten Verfahren erweitert und insbesondere die Möglichkeit der Entsendung von Experten- und Berichterstattermissionen aufgenonunen. Auch wurden zur Erhöhung der EffIZienz des Mechanismus die zeitlichen Bestimmungen des Kopenhagener Dokuments weiter verkürzt. Zur Entwicklung des Mechanismus vgl. auch Brett, The Human Dimension Mechanism of the CSCE and the CSCE Response to Minori-

I. Darstellung der bisher entwickelten Streitbeilegungsmechanismen

111

Einsetzung wurden auf dem 4. KSZE-Ratstreffen Ende 1993 zusätzlich erweitert. 46 Der Begriff der "menschlichen Dimension" steht als Oberbegriff für die "in der Schlußakte und in anderen KSZE-Dokurnenten eingegangenen Verpflichtungen betreffend die Achtung aller Menschenrechte und Grundfreiheiten, die menschlichen Kontakte und andere Fragen von gleichfalls humanitärer Art. "47 Ziel des Mechanismus der menschlichen Dimension ist es, die Achtung von Menschenrechten, Grundfreiheiten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit durch Dialog und Zusammenarbeit zu fördern und zur Lösung bestimmter einschlägiger Fragen beizutragen. 48 b) Darstellung des Verfahrens

Der Mechanismus der menschlichen Dimension läßt sich in ein Konsultationsverfahren (Informationsersuchen und bilaterale Verhandlungen) und ein Verfahren zur Überprüfung vor Ort (Experten- bzw. Berichterstattermission) unterteilen. (1) Das Konsultationsverfahren

Jeder OSZE-Teilnehmerstaat, der über die Entwicklung der menschlichen Dimension in einern anderen OSZE-Teilnehmerstaat besorgt ist, kann ein Informationsersuchen an jenen Staat richten, das dieser innerhalb von zehn Tagen zu beantworten hat. Erweist sich die Antwort als unzureichend, so kann der ersuchende Staat den betroffenen Staat um bilaterale Verhandlungen ersuchen. Diese müssen so rasch wie möglich, "üblicherweise aber innerhalb einer Woche nach dem Ersuchen" abgehalten werden. 49 Darüber hinaus kann jeder OSZE-Teilnehmerstaat die anderen OSZETeilnehmerstaaten über Gegenstand und Ergebnisse des Konsultationsverfahrens informieren. Diese Informationen können dann Gegenstand weiterer ties, in: Lucas, The CSCE in the 1990s (zit.: Bren, CSCE Response to Minorities), S. 145 ff. 46 VgJ.: Beschlüsse von Rom, Anhang A. 47 VgJ.: Wiener Dokument, Abschnitt: Menschliche Dimension der KSZE. 48 Vgl.: Moskauer Dokument, Ziff. 1. Zu eng insoweit Ropers/Schloner, Multilaterales Kont1iktmanagement, S. 17, denenzufolge der Mechanismus der menschlichen Dimension nur bei Menschenrechtsverletzungen anwendbar ist. 49 VgJ.: Moskauer Dokument, Ziff. 2.

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2. Kapitel: OSZE-Streitbeilegungsmechanismen und Jugoslawienkonflikt

Erörterungen bei Treffen des Hohen Rates, Implementierungstreffen über Fragen der menschlichen Dimension und Überprüfungskonferenzen sein. 50 Des weiteren können der Ministerrat und Hohe Rat, "wann immer notwendig", mit der menschlichen Dimension verbundene Fragen erörtern. 51 (2) Überprüfungen vor Ort

Neben dem Konsultationsverfahren eröffnet der Mechanismus der menschlichen Dimension die Möglichkeit der Durchführung von Überprüfungen vor Ort in Form einer Experten- bzw. Berichterstatterrnission. 52 (a) Die Expertenrnission Die Expertenrnission besteht aus drei Personen, die der betroffene Staat (d.h. der Staat, auf dessen Territorium die Expertenmission ihre Tätigkeit ausüben wird) aus einer beim BDIMR53 gefiihrten Liste von Experten auswählt. 54 Um die Unabhängigkeit der Mission zu wahren, dürfen ihr keine

50 Vgl.: Beschlüsse von Helsinki, Abschnitt VI, ZifT. 7. 51 Vgl.: Prager Dokument, ZifT. 7. 52 Als Beispiele solcher im Rahmen des Mechanismus der menschlichen Dimension

eingesetzten Missionen seien hier die Berichterstattermission nach Kroatien und Bosnien-Herzegowina zur Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen (CorellMission) vom 30.9. -5.10.1992 und die Berichterstattermission nach Estland zur Untersuchung der Vereinbarkeit der estnischen Gesetzgebung und ihrer Anwendung mit universell akzeptierten Menschenrechtsnormen unter besonderer Berücksichtigung der Rechte der russischsprachigen Minderheit (Tomuschat-Mission) vom 2-5.12.1992 angefiihrt. Auf die Corell-Mission wird im folgenden auf S. 251 f. näher eingegangen. 53 Das Büro für freie Wahlen wurde auf dem zweiten TrefTen des Rates der Außenminister der KSZE-Teilnehmerstaaten am 30/31.1.1992 in Prag in Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte (BDIMR) umbenannt und mit den Aufgaben im Zusammenhang mit Experten- und Berichterstattermissionen im Rahmen des Mechanismus der menschlichen Dimension betraut. Vgl.: Prager Dokument ZifT. 9 und 14.

54 Jeder KSZE-Teilnehmerstaaten darf seit den Beschlüssen von Rom bis zu sechs Experten für die Liste bestimmen. Diese sollen - wann immer möglich - Experten mit Erfahrung in Fragen mit Bezug auf nationale Minderheiten sein, vgl. hierzu den abgeänderten Abs. 1 der ZifT. 3 des Moskauer Dokuments, in: Beschlüsse von Rom, Anhang A. Zur Auswirkung von Vorbehalten, die ein anderer OSZE-Teilnehmerstaat gegen die Ernennung eines Experten für die Liste geltend macht, vgl.: Moskauer D0kument, ZifT. 3, Abs. 2.

1. Darstellung der bisher entwickelten Streitbeilegungsmechanismen

113

Personen angehören, die Staatsangehörige des betroffenen OSZE-Teilnehmerstaats sind oder dort ihren Wohnsitz haben oder von diesem Staat fiir die Liste benannt worden sind. 55 Zweck der Expertenmission ist es, die Lösung einer bestimmten Frage oder eines Problems der menschlichen Dimension der OSZE zu erleichtern. Hierzu kann die Mission Informationen von den betroffenen Parteien einholen und diesen ihre Guten Dienste und Vermittlerdienste zur Verfiigung stellen. Der betroffene Staat ist verpflichtet, mit der Expertenmission in vollem Umfang zusammenzuarbeiten und deren Arbeit zu erleichtern. 56 Auch hat der betroffene Staat sich jeglicher Handlung gegen Personen, Organisationen oder Institutionen zu enthalten, die mit der Expertenmission in Kontakt gestanden haben. Eine Expertenmission kann auf drei verschiedenen Wegen zum Einsatz kommen, denen allen gemeinsam ist, daß der betroffene Staat mit der Entsendung der Mission auf sein Staatsgebiet einverstanden ist: - Der betroffene Staat selbst lädt die Mission ein. 57 - Der oder die OSZE-Teilnehmerstaaten, die das Konsultationsverfahren zur Anwendung gebracht haben, ersuchen das BDIMR beim inkriminierten Staat anzufragen, ob er mit der Einladung einer Expertenmission einverstanden ist. 58 - Der Hohe Rat oder der Ständige Rat beschließen auf das Ersuchen eines OSZE-Teilnehmerstaates die Entsendung einer Expertenmission. 59 Zur Auswahl der Personen durch den betroffenen Staat vgl.: Moskauer Dokument, Ziff. 4 und 8; zur Möglichkeit des Hohen Rates bzw. Ständigen Rates, von Ziff. 4 abzuweichen, vgl.: Beschlüsse von Rom, Anhang A, Ziff. 13. 55 Zu den weiteren Einschränkungen, vgl.: Ebenda, Ziff. 4. 56 So muß der betroffene Staat der Expertenmission gestatten, "unverzüglich in sein Staatsgebiet einzureisen, ... sich (dort) frei zu bewegen und mit staatlichen Vertretern, nichtstaatlichen Organisationen und jeglicher Gruppe oder Einzelperson ungehindert zusammenzutreffen, von denen sie Informationen zu erhalten wünscht." Vgl.: Ebenda, Ziff 6. 57 Moskauer Dokument, Ziff. 4. 58 Ebenda, Ziff. 8. 59 Vgl. die abgeänderte Ziff. 13 des Moskauer Dokuments, in: Beschlüsse von Rom, AnhangA. Da weder das Moskauer Dokument noch der Anhang A der Beschlüsse von Rom Sonderbestimmungen vorsehen, gilt ftlr einen derartigen Beschluß des Hohen Rates bzw. des Ständigen Rates das Konsensprinzip. Die Möglichkeit zur Beschlußfassung im "Konsens-minus-eins" Verfahren findet hierbei keinen Anwendung, da es sich beim Beschluß um eine Missionsentsendung um eine Maßnahme handelt, die auf lmd nicht "außerhalb des Territoriums des betroffenen Teilnehmerstaates" Anwendung fmdet. 8 Wenig

114

2. Kapitel: OSlE-StreitbeilegWlgsmechanismen Wld Jugoslawienkonflikt

Innerhalb von drei Wochen nach ihrer Einberufung hat die Expertenmission dem betroffenen Staat ihre Feststellungen vorzulegen. Der betroffene Staat muß dann innerhalb von zwei Wochen nach Vorlage der Feststellungen der Mission diese zusammen mit einer "Darstellung der von ihm daraufhin unternommenen bzw. beabsichtigen Handlungen" über das BDIMR an die anderen OSZE-Teilnehmerstaaten weiterleiten. 60 Schließlich kann der Hohe Rat über die Feststellungen und die Darstellungen des betroffenen OSZE-Teilnehmerstaats beraten und mögliche weitere Schritte in Betracht ziehen (sog. Anschluß maßnahmen bzw. Folgemaßnahmen).61 Auf dem fiinften KSZE-Folgetreffen in Budapest Ende 1994 wurde diese Befugnis auch auf den Ständigen Rat übertragen. 62 (b) Die Berichterstattennission

Die Berichterstattennission unterscheidet sich von der Expertenmission dadurch, daß sie in ihrem Bericht nicht nur Tatsachen feststellen, sondern auch Empfehlungen aussprechen kann. Die Berichterstattennission setzt sich aus einem oder drei Berichterstattern zusammen, die nach einem festgelegten Verfahren aus der beim BDIMR gefiihrten Expertenliste ausgewählt werden und fiir die bestimmte Neutralitätskriterien gelten müssen. 63

Die ZustimmWlg des betrofTenen Staates ist also auch bei dieser Variante erforderlich. Der Ansicht von Kreikemeyer. Auf dem Weg zu einem Menschenrechtsraum in Europa, in: S + F 1/92, S. 29, daß die "EntsendWlg einer Expertenmission auch gegen den Willen des die Menschenrechte verletzenden Staates" möglich sei, kann daher nicht gefolgt werden. 60 Vgl. die abgeänderte lifT. 7 des Moskauer Dokuments, in: Beschlüsse von Rom, AnhangA. 61 Vgl.: Moskauer Dokument, lifT. 7. 62 Vgl.: Beschlüsse von Budapest, Abschnitt VIII, lifT. 1l. Hierdurch wurde die bislang Wlverständliche RegelWlg, die durch die Wlveränderte Übernahme der entsprechenden Passage der lifT. 7 des Moskauer Dokuments in die Beschlüsse von Rom, Anhang A, entstanden war, Wld derzufolge der StA die Expertenmission zwar einsetzen konnte, ihm die BeschlußfassWlg zur Durchfiihrung von Anschlußrnaßnahmen aber nur bei den ebenfalls von ihm einzusetzenden Berichterstattermissionen gestattet war, ersetzt. 63 lWlächst bestimmt der ersuchende Staat bzw. die ersuchenden Staaten gemeinsam eine Person aus der Liste. Der betrofTene Staat kann innerhalb von sechs Tagen einen weiteren Berichterstatter bestimmen. Die Berichterstatter dürfen weder Staatsangehörige jener Staaten sein, noch dort ihren Wohnsitz haben oder von den Staaten fiir die Liste aufgestellt worden sein. Die so ernannten Berichterstatter einigen sich dann auf einen dritten Berichterstatter. Konnten sie innerhalb von acht Tagen keine

1. Darstellung der bisher entwickelten Streitbeilegungsmechanismen

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Aufgabe der Berichterstattermission ist es, Tatsachen über mögliche Verletzungen der Verpflichtungen der menschlichen Dimension festzustellen und diese Feststellungen verbunden mit Vorschlägen oder Empfehlungen für eine Lösung der betreffenden Frage in einem Bericht festzuhalten. Voraussetzung für die Durchführung einer Berichterstattermission ist grundsätzlich die vorherige unberücksichtigt gebliebene Anfrage auf Einsetzung einer Expertenmission bzw. deren ergebnislose Durchftihrung. Im einzelnen gilt: - Hat ein OSZE-Teilnehmerstaat über das BDIMR an einen anderen OSZE-Teilnehmerstaat eine Anfrage auf Einberufung einer Expertenmission gerichtet und hat dieser die Einberufung nicht innerhalb von zehn Tagen vorgenommen - oder befindet ein OSZE-Teilnehmerstaat, daß die Expertenmission keine Lösung der betreffenden Frage erbracht hat, so kann der OSZE-Teilnehmerstaat mit Unterstützung von mindestens fiinf weiteren OSZE-Teilnehmerstaaten die Einberufung einer Berichterstattermission einleiten. 64 Unter zwei Voraussetzungen jedoch kann eine Berichterstattermission auch ohne die vorherige Einleitung des Verfahrens zur Entsendung einer Expertenmission durchgefiihrt werden: - ein OSZE-Teilnehmerstaat ist der Auffassung, daß in einem anderen OSZE-Teilnehmerstaat eine besonders schwerwiegende Gefahr fiir die Verwirklichung der Bestimmungen der menschlichen Dimension der OSZE aufgetreten ist, und er findet für die Einsetzung der Berichterstattermission die Unterstützung von mindestens neun weiteren OSZE-Teilnehmerstaaten. 65 - Der Hohe Rat oder der Ständige Rat beschließen auf das Ersuchen eines OSZE-Teilnehmerstaates die Entsendung einer Berichterstattermission. 66 Ebenso wie im Falle der Expertenmission ist der betroffene Staat zur Unterstützung der Berichterstattermission verpflichtet und darf nicht gegen Per-

Einigung erzielen, so wird der dritte Berichterstatter vom ranghöchsten Beamten des BDIMR unter Beachtung der oben erwähnten Neutralitätskriterien ausgewählt. Vgl.: Moskauer Dokument ZitT. 10. 64 Vgl.: Moskauer Dokument, ZitI 9. 65 Vgl.: Ebenda, ZitI 12. 66 Vgl. die erweiterte ZitT. 13 des Moskauer Dokuments, in: Beschlüsse von Rom, AnhangA. 8*

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2. Kapitel: OSZE-Streitbeilegungsmechanismen Wld Jugoslawienkonflikt

sonen oder Organisationen bzw. Institutionen vorgehen, die mit der Berichterstattermission in Kontakt gestanden haben. 67 Die Berichterstattermission hat spätestens zwei Wochen nach Ernennung des letzten Berichterstatters ihren Bericht dem betroffenen OSZETeilnehmerstaat und dem BDIMR vorzulegen. Innerhalb weiterer zwei Wochen hat der betroffene Staat dem BDIMR "alle Bemerkungen zum Bericht zuzuleiten. "68 Bericht und Bemerkungen werden unverzüglich an alle OSZETeilnehmerstaaten weitergeleitet. Schließlich kann der Bericht auf die Tagesordnung des nächsten ordentlichen Treffens des Hohen Rates oder des Ständigen Rates gesetzt werden, die über mögliche weitere Schritte entscheiden können. 69 c) Bewertung (1) Vergleich mit völkerrechtlichen Verfahren

Ebenso wie die anderen OSZE-Mechanismen ist der Mechanismus der menschlichen Dimension kein völkerrechtlicher Vertrag mit einklagbaren völkerrechtlichen Rechten und Pflichten, sondern nur eine außerrechtliche Vereinbarung. Allerdings bietet er gegenüber den völkerrechtlichen Verfahren der UNO und der Europäischen Konvention fiir Menschenrechte Vorteile hinsichtlich der Einsetzbarkeit, der Verfahrensdauer und den Überprüfungsmöglichkeiten vor Ort: Während die Verfahren des IPbürgR sowie der EMRK erst dann Anwendung finden, wenn "alle in der Sache zur Verfügung stehenden innerstaatlichen Rechtsbehelfe ... eingelegt und erschöpft worden sind"70, ist der Mechanismus der menschlichen Dimension sofort aktivierbar. Angesichts der Tatsache, daß sich in einigen der ehemals sozialistischen Ländern eine unabhängige Rechtsprechung erst noch im Aufbau befindet, kommt dieser sofortigen Aktivierbarkeit des Mechanismus eine besondere Bedeutung zu. Ein weiterer Nachteil der völkerrechtlichen Verfahren liegt darin begründet, daß diese sich wegen Kapazitätsüberlastung oft über mehrere Jahre hin67 Vgl.: Moskauer Dokument, ZifT. 10 i.V.m. ZifT. 6. 68 Vgl. die abgeänderte ZifT. 11 des Moskauer Dokuments, in: Beschlüsse von Rom,

AnhangA. 69 Vgl.: Ebenda. 70 So Art. 41 Abs. I c IPbürgR; ähnlich Art. 26 EMRK, demzufolge die Kommission sich mit einer Angelegenheit "erst nach Erschöpfung der innerstaatlichen Rechtsmittelverfahren ... Wld innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach dem Ergehen der endgültigen innerstaatlichen EntscheidWlg befassen" kann.

1. Darstelhmg der bisher entwickelten Streitbeilegungsmechanismen

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ziehen,7l während im politischen Verfahren der OSZE eher Ergebnisse erzielbar sind. Der größte Vorteil des OSZE-Mechanismus gegenüber den Verfahrensregeln des IPbürgR und der EMRK besteht in der Möglichkeit, die Situation vor Ort zu prüfen und durch das Anbieten von Guten Diensten, Vermittlungsdiensten sowie der Abgabe von Empfehlungen zu einer Lösung beizutragen. Rechtlich bindende Entscheidungen wie etwa Urteile des Europäischen Gerichtshofs fiir Menschenrechte72 können im Rahmen des OSZE-Mechanismus der menschlichen Dimension allerdings nicht getroffen werden. Jedoch stehen den OSZE-Teilnehrnerstaaten seit den Beschlüssen des 2. KSZEAußenrninistertreffens im Januar 1992 im Falle von gravierenden Verstößen gegen die Grundsätze der menschlichen Dimension politische Sanktionsmöglichkeiten im Rahmen des "Konsens-minus-eins" Verfahren zur Verfügung.73

(2) Vorteile und Schwächen des Mechanismus der menschlichen Dimension Der Mechanismus der menschlichen Dimension bietet den Teilnehmerstaaten in den Fällen, in denen eine Anfrage auf Einsetzung einer Expertenmission unbeantwortet blieb, die Durchführung der Expertenmission keine Lösung erbrachte oder die Einsetzung einer solchen Mission aus besonderen Gründen für nicht erforderlich gehalten wird, die Möglichkeit, "die Einberufung einer Mission von bis zu drei OSZE-Berichterstattern ein(zu)leiten. "74 Dieses Vorgehen war durch die ebenfalls im Moskauer Dokument enthaltene Erklärung der Teilnehmerstaaten ermöglicht worden, "daß die im Bereich der Menschlichen Dimension der KSZE eingegangenen Verpflichtungen ein unmittelbares und berechtigtes Anliegen aller Teilnehmerstaaten und eine nicht ausschließlich innere Angelegenheit des betroffenen Staates darstellen. "75 Hieraus nun aber zu folgern, daß Berichterstatterrnissionen "gegen den Willen des inkriminierten Staates eingesetzt"76 bzw. "gegen das Votum des betreffenden Staates zur Tatsachenfeststellung auf sein Territorium in die Wege geleitet"77 werden können, hieße die Fähigkeiten des Mechanismus der menschlichen Dimension weit zu überschätzen. 7l So dauern gemäß Oppermann, Europarecht, 1991, § 2 Rdnr. 75, Verfahren im Rahmen der EMRK vor Kommission und Gericht zusammen in der Regel sechs Jahre. n Vgl.: Art. 53 EMRK. 73 Vgl.: Prager Dokument, Ziff. 16. 74 Moskauer Dokument, Zitr 9. Hervorhebung vom Verf. 75 Moskauer Dokument, Einleitung. 76 So Jaberg, KSZE, S. 27. 77 So Ropers/Schlotter, Multilaterales Konfliktmanagement, S. 19.

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2. Kapitel: OSZE-Streitbeilegoogsmechanismen ood Jugoslawienkonflikt

Das Verfahren zur Einsetzung von Berichterstattermissionen sieht nämlich vor, daß der ersuchende Staat bzw. die ersuchenden Staaten ein Mitglied der Mission benennen, der ersuchte Staat das zweite und beide gemeinsam das dritte Mitglied. Sollten sich die Parteien nicht auf ein gemeinsames drittes Mitglied einigen, so wird dies vom BDIMR. benannt.18 ErsatzbesteIlung ist mithin nur rur das dritte Missionsmitglied vorgesehen, so daß der Staat, dem die Einsetzung der Mission gilt, durch Verweigerung der Ernennung des von ihm zu bestellenden Missionsmitglieds die Einsetzung der Mission und somit deren Tätigkeit verhindern kann. 79 Die Einsetzung einer Berichterstattermission durch die Teilnehmerstaaten ist also immer vom Willen des betroffenen Staates abhängig. 80 Auch der Verweis auf die Möglichkeiten des Ständigen Rates und des Hohen Rates, im Rahmen eines von ihnen gefaßten Beschlusses zur Missionseinsetzung von den Bestimmungen zur Bestellung der Missionsmitglieder abzuweichen,81 eröffnet bei näherer Betrachtung keine Möglichkeit zur "Einsetzung einer Mission ohne Zustimmung des betreffenden Staates. "82 Zunächst gilt es festzuhalten, daß ein derartiger Beschluß des Hohen Rates oder des Ständigen Rates mangels abweichender Regelungen im Moskauer Dokument dem Konsensprinzip unterfällt. Zwar sieht das "Konsens-minuseins" Verfahren vor, daß der Hohen Rat in Fällen von "eindeutigen, groben und nicht behobenen Verletzungen einschlägiger KSZE-Verpflichtungen (betreffend Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit) angemessene Maßnahmen erforderlichenfalls auch ohne Zustimmung des betroffenen Staates (treffen kann)." Allerdings fallen hierunter nur "politische Erklärungen oder andere politische Schritte, die außerhalb des Territoriums des betroffenen Staates anwendbar sind." Ein Beschluß zur Einsetzung und Entsendung einer Berichterstattermission auf das Territorium des betroffenen Staates kann

78 Moskauer Dokument, ZifI 10.

79 So auch Oellers-Frahm, Die Durchführung der KSZE-Bestimmoogen ood KSZEKon11iktbewältigoog - Methoden ood Kontrollmittel, in: Schweißfunh, Einführung (zit.: Oellers-Frahm, KSZE-Kontrollmittel), S. LI. 80 Unzutreffend ist daher die Aussage von Neuhold, Conflicts and Con11ict Management in a "New" Europe, in: Austrian Journal of International Law, Vol. 46, (1994), (zit.: Neuhold, Contlicts and Con11ict Management), S. 125, daß "(a) participating state may in fact impose the services of such rapporteurs on another." 81 Vgl. zu dieser Möglichkeit die durch die Beschlüsse von Rom, Anhang A, erweiterte ZitI 13 des Moskaut:r Dokuments. 82 So indes Oellers-Frahm, KSZE-Kontrollmittel, S. LI.

I. Darstelhmg der bisher entwickelten Streitbeilegungsmechanismen

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somit nicht gegen den Willen dieses Staates im Wege des "Konsens-minuseins" Verfahrens gefaßt werden. 83 Darüber hinaus erscheint, dies sei ergänzend angeführt, die Einsetzung einer Berichterstattermission durch einen im "Konsens-minus-eins" Verfahren gefaßten Beschluß auch aufgrund eines weiteren Gesichtspunktes problematisch: Vorausgesetzt wird bei einem solchen Beschluß eine "eindeutige" Verletzung einschlägiger OSZE-Verpflichtungen, mithin ein Umstand, dessen Vorliegen durch die Missionsentsendung erst geklärt werden soll. Problematisch ist außerdem die Beschränkung auf maximal drei Experten bzw. Berichterstatter bei den Verfahren vor Ort, zurnal fraglich erscheint, ob so eine ausreichende Informationsbeschaffung gewährleistet ist. Eine gravierende Einschränkung erfahrt der Mechanismus auch dadurch, daß er nur von den OSZE-Teilnehmerstaaten und nicht von einer betroffenen ethnischen oder religiösen Minderheit aktiviert werden kann. 84 Diese kann nur darauf hoffen, daß ein anderer OSZE-Teilnehmerstaaten ein Interesse daran hat, sich rur ihre Menschenrechte und Grundfreiheiten einzusetzen und den Mechanismus aktiviert. Die Gefahr der Instrumentalisierung von Menschenrechten rur politische Kalküle bleibt somit bestehen. Die Entwicklung des Mechanismus der menschlichen Dimension zeigt zudem deutlich die Grenzen auf, die der Streitbeilegung durch das Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines Staates gesetzt werden: Solange der Mechanismus nur aus der Verpflichtung des betroffenen Staates bestand, ihm aus dem Bereich der menschlichen Dimension gestellte Fragen zu beantworten und an bilateralen Treffen teilzunehmen, der Einblick in die inneren Angelegenheiten sich mithin auf die vorn betroffenen Staat gegebenen Informationen beschränkte, wurde von diesem Mechanismus sehr intensiv Gebrauch gemacht. So wurde der Mechanismus der menschlichen Dimension in den ersten zwei Jahren seines Bestehens über einhundert Mal von den Teilnehmerstaaten eingesetzt. 85 Seitdem der Mechanismus auch die 83 So auch Ropers/Schlotter, Multilaterales Konfliktrnanagement, S. 19 und Jaberg, KSZE, S. 27. 84 Hierbei würden Vertreter der Minderheit die insb. im Moskauer-Dokument festgehaltenen - nur politisch bindenden - Minderheitenbestimmungen der OSZE für ihre Volksgruppe geltend machen. Eine Ausweitung des Mechanismus der menschlichen Dimension dergestalt, daß auch Individuen ihn in Gang setzten können, würde hingegen zu einer Überanspruchung fUhren, vor allem eingedenk der Tatsache, daß KlauseIn über eine vorherige Ausschöpfung des nationalen Rechtsweges fehlen. 85 Vgl. tlir nähere Informationen Bloedlvan Dijk, Supervisory Mechanism for the Human Dimension of the CSCE: Its Setting-up in Vienna, its Present Functioning and its Possible Development towards a General Procedure for the Peaceful Settlement of CSCE Disputes, in: Bloed/van Dijk, The Human Dimension of the Helsinki Process, S. 74 Ir, hier insb. S. 79.

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2. Kapitel: OSZE-StreitbeilegWlgsmechanismen Wld Jugoslawienkonflikt

Möglichkeit zur Entsendung von Experten- und Berichterstattermissionen auf das Territorium des betroffenen Staates bietet, ein direkter Einblick in die inneren Angelegenheiten, d.h. die konkrete Situation vor Ort, somit möglich ist, ist die Zahl der nach diesem Mechanismus durchgefiihrten Verfahren drastisch gesunken. Seit Oktober 1991 wurden insgesamt nur drei Missionen eingesetzt, und zwar nach Estland, Moldawien und Kroatien. Im Rahmen der letzten Mission offenbarte sich ein zusätzliches Problem des Mechanismus, die Frage seiner Durchsetzbarkeit in Bürgerkriegsregionen: Obschon der Vorschlag einer Anschlußmission nach Bosnien-Herzegowina zur Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen in Gefangenenlagern auf breite Zustimmung unter den KSZE-Teilnehmerstaaten stieß, konnte die fiir Ende 1992/Anfang 1993 anberaumte Mission aus Sicherheitsgriinden nicht stattfinden. Angesichts der gehäuften Übergriffe der Kriegsparteien auf Mitglieder internationaler Hilfseinrichtung erschien die militärische Absicherung der Mission dringend geboten, allerdings war kein Teilnehmerstaat bereit, Friedenstruppen rur eine derartige Aufgabe bereitzustellen. Der Mechanismus konnte mithin gerade in dem Fall, in dem es seiner Einsetzung zur Aufklärung der Ereignisse vor Ort dringend bedurfte, nicht aktiviert werden. 5. Der Mechanismus ('ür Friihwarnung und Fl"Ühmaßnahmen des HKNM86 a) Überblick

Durch den in Helsinki im Sommer 1992 beschlossenen Mechanismus fiir FTÜhwamung und FTÜhmaßnahmen des HKNM (FTÜhwamrnechanismus) sollen Spannungen in bezug auf Fragen nationaler Minderheiten, die das Potential zu einem Konflikt zwischen den OSZE-Teilnehmerstaaten in sich bergen, zum fTÜhestmöglichen Zeitpunkt erkannt, eingedämmt und wenn möglich gelöst werden. b) Darstellung des Verfahrens

Der Mechanismus für Frühwarnung und Frühmaßnahmen des HKNM läuft in sieben Stufen ab: (I) Zunächst sammelt der HKNM Informationen hinsichtlich der Lage nationaler Minderheiten und der Rolle der beteiligten Parteien. Diese Informationen können aus Medien, nichtstaatlichen Organisationen und konkreten 86 Vgl. zur Übersicht das Schaubild im Anhang, S. 375.

I. Darstelhmg der bisher entwickelten Streitbeilegungsmechanismen

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Berichten von direkt betroffenen Parteien an den HKNM stammen. 87 Zu den direkt betroffenen Parteien zählen die Regierungen der OSZETeilnehmerstaaten, regionale und kommunale Behörden in Gebieten mit nationalen Minderheiten sowie Vertreter von Verbänden, nichtstaatlichen Organisationen, religiösen und anderen Gruppen, soweit diese von den Angehörigen der nationalen Minderheit zur Vertretung ermächtigt worden sind. 88 Mit der Verletzung von OSZE-Verpflichtungen hinsichtlich einer Einzelperson, die einer nationalen Minderheit angehört, befaßt sich der HKNM somit nicht. 89

(2) Nach der Informationssammlung folgt dann zum frühestmöglichen Zeitpunkt eine Lageeinschätzung des HKNM, die sich mit der Rolle der direkt betroffenen Parteien, der Art der Spannungen einschließlich der jüngsten Entwicklungen und den daraus resultierenden Folgen fiir Frieden und Stabilität im OSZE-Gebiet befaßt.

(3) Entschließt sich der HKNM zu einer Überprüfung der Situation vor Ort, so erfolgt zunächst eine Kontaktaufnahme mit dem betroffenen Staat bezüglich des Zwecks und der Ziele des Besuches. Sollte der betroffene Staat dem HKNM die Einreise in sein Land oder ein ungehindertes Reisen und Kommunizieren mit den betroffenen Parteien nicht gestatten, so informiert der HKNM den Hohen Rat. (4) Nach seiner Einreise verschafft sich der HKNM durch Treffen mit den direkt betroffenen Parteien Informationen aus erster Hand über die Lage der nationalen Minderheit. Neben der Informationsbeschaffung kann der HKNM auch Fragen mit den Parteien erörtern und gegebenenfalls Dialog, Vertrauen und Zusammenarbeit unter ihnen fördern. Zur Unterstützung seiner Arbeit kann der HKNM bis zu drei Experten mit einem von ihm klar umrissenen Mandat hinzuziehen. Die Experten, fiir die die Neutralitätskriterien des Moskauer Dokuments gelten,90 werden vom HKNM aus der beim BDIMR. gefiihrten Liste ausgewählt. (5) Gelangt der HKNM zur Schlußfolgerung, daß "prima facie das Risiko eines möglichen Konflikts vorliegt"91 , so kann er eine Frühwarnungs-Erklärung an den aV abgeben, die dieser unverzüglich an den Hohen Rat weiterleitet und auf die Tagesordnung des nächsten Treffens des Hohen Rates setzt. Ist ein OSZE-Teilnehmerstaat der Auffassung, daß die Frühwamung der sofor-

87 Ausgenommen sind Personen oder Organisationen, die Terror oder Gewalt ausüben bzw. ötlentlich billigen. 88 Vgl.: Beschlüsse von Helsinki, Abschnitt II, Ziff.26. 89 Vgl. auch: Beschlüsse von Helsinki, Abschnitt II, Ziff. 5 c. 90 Vgl.: Ebenda, Abschnitt II, Ziff. 36. 91 Vgl.: Ebenda, Abschnitt II, Zitr 13.

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2. Kapitel: OSZE-Streitbeilegungsmechanismen und Jugoslawienkonflikt

tigen Konsultation bedarf, so kann er den OSZE-Dringlichkeitsmechanismus einleiten, in dessen Rahmen neben der Dringlichkeitssitzung des Hohen Rates auch ein Treffen auf Außenministerebene einberufen werden kann. 92 Sollte der HKNM zu der Erkenntnis gelangen, daß nicht nur die Möglichkeit der Ausweitung zu einem Konflikt vorliegt, sondern die Lage sich bereits jetzt zu einem Konflikt ausweitet, so macht er über den a V dem Hohen Rat entsprechend Meldung. Gleiches gilt, wenn nach Auffassung des HKNM sein Handlungsspielraum erschöpft ist. 93 (6) Der HKNM kann außerdem dem Hohen Rat empfehlen, ihn zu Frühmaßnahmen zu ermächtigen. Kommt eine derartige Ermächtigung durch Beschluß des Hohen Rates zustande, so nimmt der HKNM gemäß dem vom Hohen Rat beschlossenen Mandat weitere Kontakte und eingehendere Konsultationen mit den betroffenen Parteien auf, um so zu einer Lösung des Problem zu gelangen. 94 (7) Der HKNM ist dem a V rechenschaftspflichtig. So hat er ihn vor der Abreise zu konsultieren und muß ihm nach seiner Rückkehr einen Bericht erstatten. Innerhalb eines Monats konsultiert der a V den betroffenen OSZETeilnehmerstaat hinsichtlich der Beobachtungen und Schlußfolgerungen des HKNM und kann mit dem betroffenen OSZE-Teilnehmerstaat weitere Gespräche führen. Schließlich wird der Bericht des HKNM zusammen mit möglichen Stellungnahmen des betroffenen Staates an den Hohen Rat weitergeleitet. c) Bewertung

Mit der Einrichtung des Amtes des HKNM und der Verabschiedung des Mechanismus für Frühwamung und Frühmaßnahmen reagierten die KSZETeilnehmerstaaten auf das gewaltige Konfliktpotential, das infolge ungelöster Minderheitenfragen in vielen KSZE-Teilnehmerstaaten existiert und in einigen der ehemals sozialistischen Staaten bereits zu kriegerischen Auseinandersetzungen geführt hat. Gerade die Ereignisse im ehemaligen Jugoslawien und im Kaukasus haben gezeigt, daß eine Konfliktlösung nahezu unmöglich ist, wenn erst einmal im großen Stil zu den Waffen gegriffen wurde. Wirksame Konflikteindämmung und Konfliktlösung lassen sich mit allein friedlichen Mitteln nur im Vorfeld kriegerischer Auseinandersetzungen erreichen. Konfliktverhütung schließlich ist nur im Rahmen präventiver Diplomatie erreichbar.

92 Zum Dringlichkeitsmechanismus vgl. die Ausfiihrungen auf S. 108 ff. 93 Vgl.: Beschlüsse von Helsinki, Abschnitt II, Ziff. 20. 94 Vgl.: Ebenda, Abschnitt II, Ziff. 16.

I. Darstellung der bisher entwickelten Streitbeilegungsmechanismen

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Die Etablierung des Mechanismus fiir Frühwarnung und Frühmaßnahmen ist somit ein Schritt in die richtige Richtung. 95 Allerdings darf nicht übersehen werden, daß der Tätigkeitsbereich des HKNM starken Einschränkungen unterliegt und dadurch sowohl Anwendbarkeit als auch Effizienz des Frühwarnmechanismus reduziert sind: So darf der HKNM sich nur mit denjenigen Minderheitenkonflikten befassen, die "nach seiner Einschätzung das Potential in sich bergen, sich im KSZE-Gebiet zu einem den Frieden, die Stabilität und die Beziehungen zwischen den KSZE-Teilnehmerstaaten beeinträchtigenden Konflikt zu entwikkeln"96 Kleinere Ethnien, die nur innerhalb eines Staates als Minorität leben, unterfallen somit nicht dem Schutz des Frühwarn-Mechanismus. In Anlehnung an die Praxis des UN Sicherheitsrates könnte der HKNM aber zu einer extensiven Auslegung des Begriffs des "zwischenstaatlichen Konflikts" gelangen. So wird neuerdings vom Sicherheitsrat innerstaatlichen Verfolgungen von ethnischen oder religiösen Minderheiten aufgrund der sie auslösenden Massenflucht in benachbarte Länder der fiir Art. 39 SVN erforderliche internationale Bezug zugesprochen. 97 Demzufolge könnte der HKNM unter Verweis auf zu befürchtende grenzüberschreitende Flüchtlingsströme auch bei der Verfolgung kleiner Ethnien, die nur auf dem Territorium eines OSZETeilnehmerstaaten leben, die Mechanismusvoraussetzung der Gefahr eines zwischenstaatlichen Konflikts begründen. 98 Zu einer starken Beeinträchtigung der Wirksamkeit des Frühwarnmechanismus kann auch die Regelung führen, derzufolge ein "Eingreifen des HKNM (d.h.: eine Überprüfung der Situation vor Ort durch den HKNM, Anm. des Verf.) eines Ersuchens und eines spezifischen Mandates des Hohen Rates bedarf, falls eine konkrete Frage bzgl. einer nationalen Minderheiten an den Hohen Rat herangetragen wurde. "99 Demzufolge kann der mit einem Minder95 Zu den ersten Missionen des HKNM, die im Frühjahr 1993 in die Baltischen Staaten, die Slowakei und Ungarn fUhrten, vgl. Bloed, Alternative CSCE in the Making?, in: Helsinki Monitor 311993, S. 54 f. Die bei seiner Reise ins Baltikum ausgesprochenen Empfehlungen sind abgedruckt in: Helsinki Monitor 3/1993, S. 76 fI. Hinsichtlich der nachfolgenden Missionen vgl. Bloed, Conflict Prevention and Implementation Review, S. 41 fI. und ders., The CSCE and the Minority Issue, in: Helsinki Monitor 111994, S. 82 f. Zu den Situationen, mit denen der HKNM im Winter 1994 belaßt war, vgl. van der Stoel, KSZE und Minderheitenfrage, S. 632. 96 Beschlüsse von Helsinki, Abschnitt n, Ziff. 3. (Hervorhebung vom Verfasser). 97 Vgl. hierzu SIRes. 688/1991. 98 Hierbei würde dann darauf hinzuweisen sein, daß dem Aufuahmestaat bei unkontrolliertem Zustrom unzähliger Flüchtlinge eine Überanspruchung oder gar der Zusammenbruch seines Sozialsystems, verbunden mit der Gefahr nachfolgender innerstaatlicher Unruhen, droht. 99 Vgl.: Beschlüsse von Helsinki, Abschnitt n, Ziff. 7.

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2. Kapitel: OSZE-Streitbeilegungsmechanismen und Jugoslawienkonflikt

heitenproblem kämpfende Staat das FTÜhwarnverfahren des HKNM blockieren, indem er auf der Ebene des Hohen Rates dem Beschluß zur Entsendung des HKNM auf sein Staatsgebiet seine Zustimmung verweigert. Abgesehen davon besteht für den betroffenen Staat in jedem Fall die Möglichkeit, im Rahmen der Verhandlungen des Hohen Rates über einen konsensfahigen Beschluß bzgl. des "spezifischen Mandates" rur den HKNM dieses Mandat so zu beschränken, daß ein wirksames Eingreifen des HKNM kaum mehr zu erwarten ist. Diese Gefahr der Beeinträchtigung oder gar Blockierung des Mechanismus kann auch durch das "Konsens-minus-eins" Verfahren nicht umgangen werden, da es sich bei dem Entschiuß zur Entsendung des mit einem bestimmten Mandat versehenen HKNM auf das Staatsgebiet des betroffenen Staates um eine Maßnahme handelt, die nicht außerhalb, sondern auf dessen Territorium Anwendung findet. 100 Auch bei der Ermächtigung des HKNM zu FTÜhmaßnahmen durch den Hohen Rat muß der betroffene Staat zustimmen und kann somit entweder diese Option der Konfliktregelung blockieren oder durch Beschränkung des Konsultationsmandats in ihrer Wirksamkeit beeinträchtigen. Als ein zweischneidiges Schwert kann sich auch die strikte Vertraulichkeit erweisen, die für die Arbeit des HKNM wie auch den Umgang des a V und anderer Beteiligter mit den Informationen über den drohenden Konflikt kennzeichnend ist. Die FTÜhwarnung bleibt somit auf der Diplomatenebene, eine Informierung der internationalen Öffentlichkeit zwecks Solidarisierung mit der unterdrückten Minderheit ist mithin ausgeschlossen.10 1 Dies kann zwar einerseits dazu fuhren, daß die Regierung des betroffenen Staates, die ja nur dem diplomatischen und nicht dem öffentlichen Druck ausgesetzt ist, eher zum Einlenken bereit ist, da sie nicht Gefahr läuft, in der Öffentlichkeit ihr Gesicht zu verlieren. Andererseits könnte die Regierung aber auch unter dem Deckmantel der diplomatischen Vertraulichkeit ohne internationales öffentliches Aufsehen gegen die Führungspersönlichkeiten der Minderheit vorgehen. 102 Auch darf nicht übersehen werden, daß Regierungen oftmals nur unter dem Druck der Öffentlichkeit zum Einschreiten gegen die Unterdrückung von Minderheiten in anderen Staaten bereit sind und die unterdrückenden Staaten dann in Anbetracht internationaler Gegenmaßnahmen von der Unterdrückung

100 Zum "Konsens-minus-eins" Verfahren vgl. S. 103. 101 Zur Kritik an der Vertraulichkeit der Arbeit des HNKM vgl. Hurlburt H., CSCE Conflict Resolution in Practice: A Work in Progress, in: He1sinki Monitor 2/1994 (zit.: Hurlburt H., CSCE Conflict Resolution in Practice), S. 35. 102 Dies würde allerdings einen flagranten Verstoß gegen KSZE-Verpflichtungen darstellen, insb. gegen die Verpflichtung, "sich jeglicher Handlung gegen Personen, Organisationen oder Institutionen wegen ihrer Kontakte mit dem HKNM (zu enthalten)." Vgl.: Beschlüsse von He1sinki, Abschnitt II, ZifI. 30.

I. Darstelhmg der bisher entwickelten Streitbeilegungsmechanismen

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absehen. 103 In der Praxis hat allerdings die vom HKNM praktizierte Diskretion bislang wesentlich zum Gelingen seiner jeweiligen Aufgaben beigetra. gen. 104 Ein weiteres Problem ergibt sich aus der Tatsache, daß der HKNM mit keiner Person oder Organisation, die Terror oder Gewalt ausübt oder öffentlich billigt, in Verbindung treten darf. 105 Betrachtet man die Tatsache, daß viele Minderheitenkonflikte und insbesondere Sezessionsbestrebungen gewaltsam ausgetragen werden und es dem hiervon betroffenen OSZE-Teilnehmerstaat als Zentral staat obliegt zu bestimmen, wer unter die Terrorismusdefinition fällt bzw. wann Gewaltausübung legitim ist, so wird hier der Einflußbereich des Frühwarnmechanismus stark beschränkt. Versuche, die gewaltsame Austragung von Minderheitenkonflikten in friedliche Bahnen zu lenken, können gar nicht erst in Angriff genommen werden, da die Kontaktaufnahme zu den Führern der Unabhängigkeitsbewegungen dem HKNM untersagt ist. Eine weBtere Einschränkung der Wirksamkeit des Mechanismus liegt darin begründet, daß der HKNM sich nicht mit Verletzungen von OSZEVerpflichtungen bzgl. einer Einzelperson, die einer nationalen Minderheit angehört, befassen darf. 106 Des weiteren erscheint fraglich, ob die Spanne von zwei Wochen, die zwischen der Entscheidung des HKNM, eine Reise zu unternehmen und dem tatsächlichen Reiseantritt liegen können,107 nicht rur besonders dringliche Situationen herabzusetzen ist. Auch ist zu überlegen, ob die Unterstützung des HKNM durch maximal drei Experten rur eine umfassende Informationsbeschaffung ausreichend ist. 103 Ein Beispiel hierfür ist die Errichtung von Sicherheitszonen fiir die Kurden im Norden des Iraks, die unter Federführung der USA erst nach lautstarken Protesten in den amerikanischen Medien und der amerikanischen Öffentlichkeit gegen die Vertreibungs- und Vernichtungspolitik des Irak initiiert wurde. 104 Honsowitz, Konfliktverhütung ist möglich: Innovative Wege der KSZE, in: internationale Politik und Gesellschaft 4/94 (zit.: Honsowitz, Konfliktverhütung), S. 367; grundsätzlich zum Erfordernis der Diskretion im Rahmen der präventiven Diplomatie S. 371 f. 105 Vgl.: Beschlüsse von Helsinki, Abschnitt 11, Ziff. 5 bund 25. Diese Bestimmung wurde auf Drängen Großbritanniens und der Türkei aufgenommen, die hiermit sicherstellten, daß das Nordirlandproblem und die Kurdenfrage nicht dem Zuständigkeitsbereich des HKNM unterfallen, vgl. hierzu Widmer, Europäische Bemühungen zur Lösung von Minderheitenfragen, in: EA 9/1993 (zit.: Widmer, Europäische Bemühungen), S.271. 106 Vgl.: Beschlüsse von Helsinki, Abschnitt 11, Ziff. 5 c. Hier wäre allerdings als Befassungsvoraussetzung zu fordern, daß innerstaatliche Rechtsbehelfe keinen Erfolg herbeifiihren konnten. 107 Vgl.: Ebenda, Abschnitt 11, Ziff. 27.

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2. Kapitel: OSZE-StreitbeilegWlgsmechanismen Wld Jugoslawienkonflikt

Unzureichend sind auch die Bestimmungen für die Fälle, in denen es um Minderheitenkonflikte in dem Staat geht, in dem der HKNM Staatsbürger ist oder seinen Wohnsitz hat bzw. in denen eine Minderheit betroffen ist, der der HKNM angehört. 108 Zwar darf der HKNM in diesen Fällen tätig werden, wenn alle Konfliktparteien einschließlich des betroffenen Staates dem zustimmen, Ausführungen über die in Betracht zu ziehenden Alternativen im Falle mangelnden Konsenses fehlen indes in den Beschlüssen von Helsinki. Das zunächst nicht geregelte grundsätzliche Problem der Koordinierung der Aktivitäten des HKNM mit denen anderer OSZE-Institutionen,109 den von diesen eingesetzten Missionen 11 0 sowie den im Rahmen anderer Mechanismen eingesetzter Missionen 111 wurde dem 1993 institutionalisierten Generalsekretär als der für die Verwaltung der OSZE-Operationen zuständigen Stelle übertragen. I 12 Trotz der zuvor geschilderten engen Mandatsfassung des HKNM, die Abbild des seinerzeit Konsensfahigen war, und den verbesserungsbedürftigen Verfahrensfragen hat sich diese Institution aufgrund der Persönlichkeit van der Stoels, seines Verhandlungsgeschicks und seiner dabei ausgeübten Diskretion zum "derzeit größten Aktivposten"113 der OSZE entwickelt. Die Umsetzung zumindest eines Teils der geschilderten Verbesserungsmöglichkeiten im Rahmen einer Mandatserweiterung und Verfahrensänderung müßte nun, da sich die friedensstiftende Funktion dieser Institution gezeigt hat und das vorherige Mißtrauen einzelner Teilnehmersaaten gewichen ist,114 eine realistische Erfolgsaussicht haben. 6. Das Friibwamverfahren vor dem Hoben Rat a) Überblick

Das Fruhwarnverfahren vor dem seinerzeit noch als AHB bezeichneten Hohen Rat wurde auf dem 4.KSZE-Folgetreffen in Helsinki ausgearbeitet. Dieses Verfahren soll es dem Hohen Rat ermöglichen, möglichst frühzeitig von kon108 Vgl.: Ebenda, Abschnitt 11, ZifT. 5 a.

109 Z.B. Infonnationsreisen des aV oder seines persönlichen Beauftragten.

110 ErkWldWlgs- Wld Berichterstatler- sowie Langzeitrnissionen des Hohen Rates oder des Ständigen Rates. 111 Experten- bzw. Berichterstattermissionen im Rahmen des Mechanismus der menschlichen Dimension. 112 Vgl.: Stockholmer Beschlüsse, Anhang I, ZitT. 5. 113 Honsowitz, KonfliktverhütWlg, S. 367. 114 Honsowitz, KontliktverhütWlg, S. 368 f.

I. Darstellung der bisher entwickelten Streitbeilegungsmechanismen

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fliktträchtigen Situationen Kenntnis zu erlangen und diese Streitigkeiten mit politischen Mitteln zu lösen. b) Darstellung des Verfahrens

Das Friihwamverfahren vor dem Hohen Rat kann bei "Situationen innerhalb des KSZE-Gebiets, die das Potential in sich bergen, sich zu Krisen - einschließlich bewaffneter Konflikte - zu entwickeln"115 eingeleitet werden. Da weitere Einschränkungen nicht vorgenommen werden, kann dieses Verfahren sowohl bei zwischenstaatlichen als auch bei innerstaatlichen Krisen Anwendung finden. Hierzu ist eine Friihwamung an den a V zu richten, der diese an den Hohen Rat weiterleitet. Diese Mitteilung kann durch jeden an dem Streitfall direkt beteiligten Staat oder eine Gruppe von 11 nicht direkt beteiligten Staaten abgegeben werden. 116 Das Frühwamverfahren vor dem Hohen Rat ist darüber hinaus als Ergänzung bestehender Mechanismen zu sehen: So kann der HKNM bei Situationen, die "nach seiner Auffassung zu einem Konflikt eskalieren oder seine Handlungsbefugnis überschreiten könnten"117 ebenfalls den Hohen Rat informieren. Auch der Ständige Rat kann während oder nach der Anwendung des militärischen Krisenmechanismus der OSZE eine entsprechende Mitteilung an den Hohen Rat richten. 118 Schließlich können Frühwamerklärungen auch in den Fällen der Anwendung des Mechanismus der menschlichen Dimension, der Valletta-Prinzipien zur Streitbeilegung 119 und des VallettaMechanismus erfolgen. 120 Nach Weiterleitung der Frühwamung durch den aV an den Hohen ltat wird dieser in einem potentiell dreistufigen Verfahren tätig: (l) Der Hohe Rat fördert alle konflikteindämmenden Maßnahmen der Konfliktparteien. 115 Beschlüsse von Helsinki, Abschnitt III, Ziff. 3.

116 Vgl.: Beschlüsse von Helsinki, Abschnitt III, Ziff. 5. 117 Vgl.: Ebenda. 118 Diese Befugnis stand zuvor dem Konsultativausschuß des KVZ zu (vgl.: Be-

schlüsse von Helsinki, Abschnitt III, Ziff. 5) und ist nach dessen Auflösung auf den Ständigen Rat übergegangen, dem in den Beschlüssen von Rom die Befugnis zum Abhalten der Treffen im Rahmen des militärischen Krisenmechanismus eingeräumt wurde. Vgl.: Beschlüsse von Rom, Abschnitt 7.3. 119 Bericht über das KSZE-ExpertentrefTen über die friedliche Beilegung von Streitfällen in La Valletta, Abschnitt: Prinzipien der Streitbeilegung. 120 Vgl.: Beschlüsse von Helsinki, Abschnitt III, Ziff. 5.

128

2. Kapitel: OSZE-StreitbeileglUlgsmechanismen lUld Jugoslawienkonflikt

(2) Darüber hinaus kann der Hohe Rat den Streitparteien andere Verfahrensweisen und Mechanismen empfehlen, um den Streitfall friedlich beizulegen. (3) Sollten die Streitparteien hierauf nicht eingehen, eine Lösung der Streitigkeit allein durch die betroffenen OSZE-Teilnehmerstaaten nicht möglich erscheinen und demnach "gemeinsames Handeln durch die KSZE erforderlich"121 sein, so bestimmt der Hohe Rat die anzuwendenden Verfahrensregeln. So kann der Hohe Rat beschließen, einen Rahmen fiir eine Verhandlungslösung zu schaffen oder eine Berichterstatter- oder Erkundungsmission zu entsenden. Außerdem kann der Hohe Rat die Wahrnehmung von Guten Diensten, Vermittlung oder Schlichtung einleiten oder fördern. 122

Nachdem der Hohe Rat die anzuwendende Verfahrensweise bestimmt hat, legt er ein genaues Handlungsmandat fest, einschließlich von Bestimmungen fiir eine Berichterstattung. 123 Zu seiner Unterstützung kann der Hohe Rat Aufgaben an den aV, die OSZE-Troika, Ad-hoc-Lenkungsgruppen oder andere OSZE-Institutionen übertragen. 124 Diese Institutionen behalten im Rahmen des Mandates des Hohen Rates die Entscheidungsfreiheit darüber, wie sie in der Angelegenheit verfahren, wen sie konsultieren und welche Art von Empfehlungen sie abgeben. 125 c) Bewertung

Das Frühwamverfahren eröffnet den OSZE-Teilnehmerstaaten die Möglichkeit, den Hohen Rat zu einem möglichst frühen Zeitpunkt auf sich abzeichnende Konflikte hinzuweisen. Inwieweit durch den Hohen Rat dann auch tatsächlich eine Streitbeilegung herbeigefiihrt wird, hängt ganz von der Kooperationsbereitschaft der Streitparteien ab. Wie alle Beschlüsse des Hohen Rates unterliegen auch die des Frühwamverfahrens zur Bestimmung der im konkreten Streitfall von den Parteien anzuwendenden Verfahrensregeln dem Konsensprinzip und somit der Zustimmung der Streitparteien. Zwar können bei gravierenden Verletzungen der OSZE-Prinzipien Beschlüsse nach dem "Konsens-minus-eins" Verfahren auch 121 Vgl.: Ebenda, Abschnitt m, ZifT. 8. 122 Vgl.: Ebenda. Zu der dem Hohen Rat Ende 1992 eingeräumten Befugnis, den Parteien eines Streitfalls anzuordnen, sich einem Vergleichsverfahren zu lUlterziehen, vgl. im folgenden auf S. 167 f. 123 Vgl.: Ebenda, Abschnitt m, ZifT. 10. 124 Vgl.: Ebenda, Abschnitt m, ZitT 9. Zur Übertragoog von Aufgaben durch den Hohen Rat an den aV vgl.: Erstes Kapitel, Fn. 54 Abs. 2. 125 Vgl.: Beschlüsse von Helsinki, Abschnitt m, ZitT 10.

I. Darstelhmg der bisher entwickelten StreitbeilegWlgsmechanismen

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gegen den Willen des betroffenen Staates gefaßt werden, doch unterfallen dieser Ausnahme des Konsensprinzips keine Erkundungs- und Berichterstattermissionen. 126

7. Erkundungs- und Berichterstatter- sowie Langzeitmissionen des Hohen Rates und des Ständigen Rates a) Überblick

Die zunächst zur Überprüfung der Einhaltung von KSZE-Verpflichtungen in den neuaufgenommenen Teilnehmerstaaten entwickelten Erkundungs- und Berichterstattermissionen 127 können seit den Beschlüssen von Helsinki im Sommer 1992 vom seinerzeit noch als AHB bezeichneten Hohen Rat auch als ein "Instrument der Konfliktverhütung und Krisenbewältigung" genutzt werden. 128 Diese Befugnis kam auch dem Konsultativausschuß des KVZ zu129 und ist nach dessen Auflösung Ende 1993 auf den StA, nunmehr Ständigen Rat, übergegangen. 130 Die nachfolgende Verfahrensdarstellung orientiert sich ausgehend von der Dokumentenlage des Helsinki-Dokuments an der Einsetzung und Durchführung von Erkundungs- und Berichterstattermissionen durch den Hohen Rat. b) Darstellung des Verfahrens

Voraussetzung fiir die Entsendung derartiger Missionen ist ein auf dem Konsensprinzip beruhender Beschluß des Hohen Rates. Für die Leitung sol-

126 Vgl. hierzu S. 103. 127 So ist es seit der Aufnarune Albaniens im Juni 1991 Praxis der KSZE bzw. OSZE, daß der neuaufgenommene Staat wenige Wochen nach seiner Aufuahme eine Erkundungs- Wld Berichterstattermission empfangt, die über die Durchfiihrung der OSZE-Verpflichtungen berichtet. Vgl. auch Höynck, CSCE Missions in the Field as an Instrument ofPreventive Diplomacy - Their Origin and Development, in: Carlsson, The Challenge of Preventive Diplomacy (zit.: Höynck, CSCE Missions in the Field), S. 56 f. Die Berichte dieser Missionen stellen offizielle OSZE-Dokumente dar. Vgl.: 12 CSO/Journal 1, JWli 1992. 128 Vgl.: Beschlüsse von Helsinki, Abschnitt m, Ziff. 12 ff. 129 Vgl.: Ebenda, Abschnitt m, Ziff. 13 130 Vgl. hierzu unter S. 45 f 9 Wenig

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2. Kapitel: OSZE-StreitbeilegWlgsmechanismen Wld lugoslawienkonflikt

eher Missionen finden die für friedenserhaltende Operationen der OSZE festgelegten Bestimmungen Anwendung. 131 Demzufolge ernennt der aV nach Konsultation mit dem Hohen Rat den Leiter der Mission. Dieser hat im Einsatzgebiet die operative Kommandogewalt und ist dem aV gegenüber verantwortlich. 132 Die operative Gesamtleitung der Operation wird dem a V vom Hohen Rat übertragen. Er wird hierbei von einer Ad-hoc-Lenkungsgruppe unterstützt. 133 Die Einsetzung der Adhoc-Gruppe erfolgt auf Empfehlung des aV durch Beschluß des Hohen Rates. Dieser Beschluß umfaßt die Beschreibung der Zusammensetzung und des Mandats der Mission. 134 Um die Effizienz der Ad-hoc-Gruppe bei der Bearbeitung konkreter Streitigkeiten zu gewährleisten, ist die Anzahl der in ihr vertretenen OSZE-Teilnehmerstaaten begrenzt. In der Regel besteht sie aus der OSZE-Troika und den Vertretern der OSZE-Teilnehmerstaaten, die Personal für die Mission stellen oder einen anderen wesentlichen Beitrag zur Operation leisten. Aufgabe der Ad-hoc-Gruppe ist es, der Mission operative Unterstützung zu gewähren und sie zu überwachen. Ihre Mitglieder beschäftigen sich mit Spezialproblemen und klären diese soweit vor, daß sie für den Ständigen Rat als der zwischen den Sitzungen des Hohen Rates zuständigen Institution entscheidungsreif sind. 135 Die Ad-hoc-Gruppe dient darüber hinaus als KontaktsteIle für den Missionsleiter. Der OSZE-Teilnehmerstaat, in den die Mission entsandt wird, ist dazu verpflichtet, mit ihr in vollem Umfang zusammenzuarbeiten und ihre Tätigkeit zu erleichtern. 136 Berichte von Erkundungs- und Berichterstattermissionen werden dem Hohen Rat bzw. dem zwischen seinen Sitzungen tagenden Ständigen Rat zur Erörterung vorgelegt. Ob diese Berichte sowie die Stellungnahmen des betroffenen Staates veröffentlicht werden, steht im Belieben des betroffenen Staates. 137

131 Dies ist die bisherige Praxis der KSZE/OSZE. So LR I Viets in einem Gespräch mit dem Verf. am 14.4.1993 im Auswärtigen Amt. 132 Vgl.: Beschlüsse von Helsinki, Abschnitt m, Ziff. 43 Wld 45. 133 Vgl.: Ebenda, Abschnitt m, Ziff. 39. 134 Zur Möglichkeit des aV, in dringenden Fällen die OSZE-Teilnehmerstaaten zu konsultieren, um die Einsetzung einer Ad-hoc-Gruppe im Wege stillschweigender ZustirnmWlg vorzuschlagen, vgl.: Beschlüsse von Helsinki, Abschnitt I, Ziff. 18. 135 So LR I Kremp am 20.12.1993 in einem Gespräch mit dem Verf. 136 Vgl.: Beschlüsse von Helsinki, Abschnitt m, Ziff. 14. 137 Vgl.: Ebenda, Abschnitt m, ZifT. 15. Zur Problematik der Vertraulichkeit entsprechender Berichte vgl. auch die Ausfilhrungen auf S. 124 f.

I. Darstelhmg der bisher entwickelten Streitbeilegungsmechanismen

131

Im Rahmen der Vorschriften zur Entsendung von Erkundungs- und Berichterstattermissionen wurden vom AHB als Vorgänger des Hohen Rates vermehrt Langzeitmissionen eingesetzt. 138 Die Aufgaben dieser Missionen reichen von der InformationsbeschafIung vor Ort über die Herstellung und Förderung des Dialogs zwischen den Konfliktparteien als Ombudsmann, Mittelsperson oder Vermittler bis hin zur Lösung konkreter Probleme vor Ort und der Unterstützung beim Aufbau demokratischer und rechtsstaatlicher Institutionen in den betreffenden Ländem. 139 Den Langzeitmissionen gehen in der Regel Erkundungsmissionen, die durch den AHB, nunmehr Hohen Rat, oder im Rahmen des Mechanismus der menschlichen Dimension eingesetzt werden, voraus. 140 Diese fact-finding-missions erkunden die Lage vor Ort und können dann einen Vorschlag zur Entsendung einer Langzeitmissionen an den Hohen Rat richten. Dieser kann durch Konsensbeschluß die Entsendung einer derartigen Mission beschließen.

138 Einen guten Überblick über Entwicklung und Einsatz der verschiedenen OSZEMissionen bietet Höynck, CSCE Missions in the Field, S. 55 tf. Für eine gute Kwzübersicht vgl. Honsowitz, Konfliktverhütung, S. 369 tf. 139 Vgl. af Ugglas, Conditions for Successful Preventive Diplomacy, in: Carlsson, The Challenge of Preventive Diplomacy (zit.: af Ugglas, Successful Preventive Diplomacy), S. 23. So lautet beispielsweise der durch den AHB am 14.8.1992 defmierte Auftrag filr die am gleichen Tag eingesetzten Langzeitmissionen in den Kosovo, den Sandschak und die Woiwodina wie folgt: "(1 ) promote dialogue between the authorities concerned and representatives of populations and communities in the three regions (2) collect information on all aspects ofviolations ofhuman rights and fundamental freedom and promote solutions to such problems (3) establish Contact points for solving problems that rnight be identified (4) assist in providing information on relevant legislation on human rights, protection ofMinorities, free media and democratic elections" Quelle: Informationsblatt des Auswärtigen Amts. 140 Häufig werden die Krisenregionen auch zuvor zu Informationszwecken vom aV oder seinem persönlichen Beauftragten bereist. Als Beispiel kann hier die am 4.2.1993 durch AHB-Beschluß eingesetzte Langzeitmission nach Estland angefiihrt werden: Dieser ging Ende November 1992 ein Estland-Besuch des persönlichen Beauftragten des aV, af Klinga, sowie vom 2.-5.12.1992 eine im Rahmen des Mechanismus der menschlichen Dimension eingesetzte Erkundungsmission unter Leitung von Prof. Tomuschat nach Estland voraus. Auf Empfehlung dieser Mission sowie den Empfehlungen des persönlichen Beauftragten des aV wurde dann im Februar 1992 die Entsendung einer Langzeitmission nach Estland vom AHB beschlossen. Quelle: Information des Auswärtigen Amts sowie Vortrag des damals designierten KSZE-Generalsekretärs, Botschafter Dr. Höynck, an der Universität Tier am 17.5.1993. 9*

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2. Kapitel: OSZE-Streitbeilegungsmechanismen und Jugoslawienkonflikt

Im einzelnen wurden vom AHB folgende Erkundungs-, Berichterstatterund Langzeitmissionen eingesetzt: 141 (1) Im ehemaligen Jugoslawien:

- Berichterstattermission zur Menschenrechtslage in Jugoslawien, sog. "Fleiner-Gerster-Mission"; eingesetzt durch 4. AHB-Treffen mit Beschluß vom 22.10.1991; Folgemission eingesetzt durch 7. AHB-Treffen mit Beschluß vom 28.2.1992. - Langzeitmissionen nach Kosovo, Woiwodina und Sandschak; eingesetzt durch 15. AHB-Treffen mit Beschluß vom 14.8.1992. 142 - Berichterstattermission nach Bosnien-Herzegowina zur Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen, sog. "Thomson-Mission"; eingesetzt durch 15. AHB-Treffen mit Beschluß vom 14.8.1992. 143 - Beobachtermission nach Skopje, um ein Ausbreiten des Konflikts im ehemaligen Jugoslawien nach Makedonien zu verhindern, sog. "spillover Mission"; eingesetzt durch 16. AHB-Treffen mit Beschluß vom 18.9.1992. - Sanktionsunterstützungsmissionen in Albanien, Bulgarien, Kroatien, Makedonien, Rumänien, der Ukraine und Ungarn, um die Einhaltung der UN-Sanktionen zu überwachen; eingesetzt durch EG und 16. AHBTreffen mit Beschluß vom 18.9.1992 in Umsetzung des entsprechenden Mandats der Londoner Jugoslawien-Konferenz. (2) Auf dem Territorium der ehemaligen So\\jetunion: - Advance Monitoring Group nach Nagornyj Karabach zur Überwachung des Waffenstillstandes; eingesetzt durch 10. AHB-Treffen mit Beschluß vom 29.4.1992. 144

141 Quelle: Übersicht des Auswärtigen Amts über KSZE-Missionen mit Stand vom 24.11.1993 sowie Übersicht des Auswärtigen Amts über OSZE-Missionen vom 3.2.1995. 142 Dieser Mission ging eine Erkundungsmission vom 2-8.8.1992 in die betreffenden Gebiete voraus. 143 Vom 13. -18 .1.1993 fand eine Anschlußmission in Serbien und Montenegro statt, sog. "Blackwell-Mission" (eingesetzt durch 17. AHB-Treffen mit Beschluß vom 6.11.1992 ). 144 Bisher wurde lediglich eine Vorbereitungsmission entsandt. Die endgültige Entscheidung über die Entsendung der bis zu 600 Personen umfassenden Beobachtermission hat der AHB vom Vorliegen der in den Beschlüssen von Helsinki unter Absclmitt m, ZitI 30 festgelegten Bedingungen, d.h. einem dauerhaften Waffenstillstand, der

L Darstellung der bisher entwickelten Streitbeilegungsmechanismen

133

- Langzeitmission nach Georgien in Erweiterung der Monitormission des persönlichen Beauftragten der amtierenden Vorsitzenden zur Vermittlung in den Konflikten um Südossetien und Abchasien sowie zur Unterstützung beim Aufbau demokratischer und rechtlicher Institutionen in Georgien; eingesetzt durch 17. AHB-Treffen mit Beschluß vom 6.11.1992. - Langzeitmission nach Estland zur Verminderung der zwischen Esten und den anderen Bevölkerungsgruppen, vornehmlich Russen, bestehenden Spannungen; eingesetzt durch 18. AHB-Treffen mit Beschluß am 13.12.1992. 145 - Langzeitmission in die Republik Moldawien zur Lösung des Konflikts um Transnistrien; eingesetzt durch 19. AHB-Treffen mit Beschluß vom 4.2.1993. - Langzeitmission nach Lettland zur Verminderung der zwischen Letten und den anderen Bevölkerungsgruppen, vornehmlich Russen, bestehenden Spannungen sowie zur Überprüfung der Einhaltung der KSZEVerpflichtungen; eingesetzt durch 23. AHB-Treffen mit Beschluß am 23.9.1993. - Langzeitmission in die Ukraine zur Unterstützung einer Lösung im Konflikt um die mehrheitlich von Russen bewohnte Krim; eingesetzt durch 27. AHB am 15.6.1994. Doch nicht nur der AHB, sondern auch andere KSZE-Institutionen haben Beschlüsse zur Entsendung von Langzeitmissionen in Teilnehmerstaaten gefaßt: So wurde durch Beschluß des KSZE-Rates vom 1.12.1993 eine Mission nach Tadschikistan zur Förderung des Dialogs zwischen den dortigen Konfliktgruppen und zur Überwachung der KSZE-Normen und -Prinzipien eingesetzt. l46 Der Ständige Ausschuß setzte mit Beschluß vom 2.6.1994 eine Mission nach Sarajevo ein, deren Aufgabe die Unterstützung der drei vom aV fiir Bosnien-Herzegowina ernannten Ombudsmänner ist. 147 Zustimmung aller Konfliktparteien und der Verabschiedung eines Memorandwn of Understanding abhängig gemacht. (Information: Auswärtiges Amt). 145 Neben dieser Mission wurde durch Beschluß des 28. AHB vom 26.9.1994 ein "KSZE-Vertreter in der estnischen Kommission fiir Militärpensionäre" bestellt, der die Aufgabe hat, an der Arbeit der estnischen Regierungskommission teilzunelunen, welche der estnischen Regierung Empfehlungen über die Ausgabe von Aufenthaltsberechtigungen tUr russische Militärpensionäre unterbreiten soll. Der KSZE-, nunmehr OSZE-Vertreter ist nicht Mitglied der OSZE-Mission in Estland. (Information: OSZEMissionsübersicht des Auswärtigen Amts). 146 Vgl.: Beschlüsse von Rom, Abschnitt I, Unterabschnitt Tadschikistan, Ziff. 2 f. 147 Vgl. hierzu im tolgenden aufS. 254 f.

134

2. Kapitel: OSZE-Streitbeilegllllgsmechanismen lllld Jugoslawienkonflikt

Momentan 148 werden von der OSZE acht Langzeitmissionen durchgefiihrt, und zwar in Estland, Georgien, Lettland, Makedonien, Moldawien, Sarajevo, Tadschikistan und der Ukraine l49 ; die Mission in Restjugoslawien (Kosovo, Sandschak und Woiwodina) ist seit Juli 1993 unterbrochen. c) Bewertung

Während die Erkundungs- und Berichterstattermissionen dem Hohen Rat ein möglichst genaues Bild der Lage in dem betroffenen OSZE-Teilnehmerstaat vermitteln sollen, stellen die Langzeitmissionen das wesentliche Element der präventiven OSZE-Diplomatie zur Verhütung der Entstehung oder Ausweitung von Konflikten dar. ISO Dies zeigt sich besonders deutlich im Bereich von Minderheitenkonflikten: Durch die Anwesenheit von KSZE-Missionsteilnehmern auf dem Territorium des betroffenen Staates wird dessen Regierung signalisiert, daß die OSZEStaatengemeinschaft sich mit der konfliktträchtigen Situation befaßt, es sich hierbei also nicht um eine "domaine reserve" des Staates handelt und dieser den Konflikt nicht nach eigenem Belieben, etwa durch massive Unterdrückung der Minderheit, "lösen" kann. Angesichts der permanenten internationalen Beobachtung wird die Hemmschwelle für diskriminierende oder unterdrükkende Maßnahmen der Regierung gegen die Minderheit heraufgesetzt. Neben der Gewalteindämmung durch Präsenz bildet die Hilfeleistung bei der Konfliktlösung die zweite wesentliche Aufgabe der Langzeitmissionen. So fordern die Teilnehmer der Mission den Dialog zwischen den betroffenen Parteien, richten im Rahmen Guter Dienste KontaktsteIlen ein oder werden vermittelnd tätig. Da diese Maßnahmen zur friedlichen Streitbeilegung von sachkundigen Experten unmittelbar vor Ort durchgeführt werden, haben sie größere Erfolgsaussichten als Konferenzen in weit entfernten neutralen Ländern, bei denen der Praxisbezug oft fehlt.

148

Stand: Ende März 1995.

149 Zu den Aufgaben lllld zwn Stand der hier nicht näher behandelten Missionen auf

dem Gebiet der ehemaligen So\\jetllllion vgl. Höynck, CSCE Missions in the Field, S. 61 fI; ders., Beiträge der OSZE zu neuer Stabilität, Abschnitt m Ziff. 2., sowie die Jahresberichte des KSZE-Generalsekretärs von 1993 lllld 1994. 150 Zur Bedeutllllg der Langzeitmissionen fur das Konfliktmanagement durch a V lllld HKNM vgl. afUgglas, Successful Preventive Diplomacy, S. 23 tT, insb. S. 26: "the invaluable eyes and ears of the High Commissioner on National Minorities" .

I. DarstellWlg der bisher entwickelten StreitbeilegWlgsmechanismen

135

Voraussetzung für das Gelingen derartiger Missionen ist neben ihrer ausreichenden Ausstattung mit Fernmelde- und Transportrnitteln 151 die Bereitschaft der OSZE-Teilnehmerstaaten, geeignete Missionsteilnehmer zu benennen. Infolge des rapiden Anstiegs der OSZE-Missionen und dem Aufbrauch der diplomatischen Personalreserve durch die Einrichtung mehrerer Botschaften und Konsulate in den neuen unabhängigen Staaten der ehemaligen Sowjetunion und des ehemaligen Jugoslawien konnten diese Voraussetzungen bei einigen OSZE-Missionen nicht vollständig erftillt werden und verminderten so die Fähigkeit dieser Missionen, ihrem vollständig Auftrag gerecht zu werden. 152 Erste Verbesserungsvorschläge sind bereits ergriffen worden. So wurde das KVZ, dem die logistische und administrative Unterstützung der Missionen überantwortet ist, um eine operative Abteilung erweitert. 153 Eine bedeutsame Entwicklung stellt auch die Entsendung der als Langzeitmission anzusehenden Mission nach Sarajevo durch den Ständigen Rat dar, da hierdurch deutlich wurde, daß nicht nur der lediglich dreimal jährlich zusammentretende Hohe Rat, sondern auch der wöchentlich tagende Ständige Rat die Befugnis zur Entsendung von Langzeitmissionen hat. 154 Auf diese Weise ist die OSZE über ihren Ständigen Rat in der Lage, auf sich zwischen den Sitzungen des Hohen Rates abzeichnende Konflikte auch ohne Abhaltung des sonst erforderlichen Dringlichkeitstreffens des Hohen Rates unmittelbar mit längerfristigen Maßnahmen in Form von Langzeitmissionen zu reagieren.

151 Die Beschaffung, WartWlg Wld Zufiihrung sowie jedwede andere administrative UnterstützWlg ist Aufgabe des KVZ. Vgl. hierzu Palmisano, FSK-Tätigkeitsbericht, S.267. 152 Interview des Verf. mit einem auf seinen WWlsch nicht genannten Missionsteilnehmer im Frühjahr 1993. Als weitere, seinerzeit noch verbesserWlgsbedürftige Elemente wurden der Informationsfluß zwischen den KSZE-Institutionen (so war nach Aussage des Missionsteilnehmers eine bedeutende KSZE-Institution von der Existenz der betreflenden Mission überhaupt nicht informiert worden), die Auswertung der MissionsmitteilWlgen durch das KVZ Wld die KoordinierWlg zwischen KSZEMissionen Wld den Missionen der EG Wld UNO genannt. 153 Vgl. Palmisano, FSK-Tätigkeitsbericht, S. 267. 154 Vgl. hierzu bereits S. 45 f.

136

2. Kapitel: OSZE-Streitbeilegllilgsmechanismen llild Jugoslawienkonflikt

8. Friedenserbaltende Operationen der OSZE a) Überblick

Aufgrund der Beschlüsse des 4. KSZE-Folgetreffen 1992 kann die OSZE als "regionale Abmachung" i.S.v. Kapitel VIII SVN155 nun auch friedenserhaltende Maßnahmen, d.h. Blauhelm- bzw. peace-keeping Einsätze "unter gebührender Berücksichtigung der Verantwortlichkeiten der Vereinten Nationen in diesem Bereich" durchfuhren. 156 Friedenserhaltende Maßnahmen können von der OSZE bei zwischenstaatlichen und innerstaatlichen Konflikten angewandt werden. Der Einsatz derartiger friedenserhaltender Operationen erfolgt nicht als Ersatz, sondern als Ergänzung der politischen Streitlösung. 157 In Anlehnung an die erweiterte AufgabensteIlung der UN-peacekeeping Operationen 158 können friedenserhaltende Operationen der OSZE zum Zwecke der Überwachung von FeuereinsteIlungen und Truppenrückzügen, der Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung sowie der humanitären und medizinischen Hilfeleistung durchgefuhrt werden. Friedenserhaltende Operationen der OSZE erfordern die Zustimmung der direkt betroffenen Parteien und umfassen keine Zwangsmaßnahmen. 159

155 Vgl. hierzu die Ausfiihrungen aufS. 92 fT. 156 Vgl.: Beschlüsse von Helsinki, Abschnitt m, ZifT. 17 fT., insb. ZifT 19. So wird der in Art. 54 SVN festgelegten Pflicht zur Benachrichtigllilg des SR durch die RegeIllilg der Beschlüsse von Helsinki, Abschnitt m, ZifT. 20 Rechnllilg getragen, derzufolge der aV den SR "vollständig über friedenserhaltende Aktivitäten der KSZE llilterrichten (wird)." Zur Vorgeschichte des Beschlusses von Helsinki, demzufolge die KSZE die Möglichkeit zu friedenserhaltenden Missionen erhielt, vgl. Scheltema, CSCE Peacekeeping Operations, in: Helsinki Monitor 4/1992, S. 7 fT. 157 Vgl.: Beschlüsse von Helsinki, Abschnitt m, ZifT. 17. 158 Vgl. hierzu Goulding, The evolution of United Nations peacekeeping, in: international AfTairs 69, 3 (1993), S. 453 ff; Schachter, International Law in Theory and Practice (1991), S. 404 fT.; Krylov, International Peacekeeping and Enforcement Actions aller the Cold War, in: Damrosh/SchefTer, Law and Force in the New International Order (1991), S. 94 fT. Zur gegenwärtigen Entwicklung des peace-keeping vgl. Renner, Critical Juncture. The Future of Peacekeeping (1993); Kühne, Friedenssicherung durch die Vereinten Nationen in einer Welt ethno-nationaler Konflikte, in: APZ BI5-16/93, S. 9 tr~ ders. Die Friedenssicherung der Vereinten Nationen in der Krise?, in: APZ B2/94, S.18 t1 Debiel, Kriegerische Konflikte, friedliche Streitbeilegung und die Vereinten Nationen, in: APZ B2/94, S. 3 fT. 159 Vgl.: Beschlüsse von Helsinki, Abschnitt m, ZifT. 22 f. Ob diese Regel den Waffengebrauch nur zur Selbstverteidigung gestattet oder gemäß den UN-Regeln auch zur Durchsetzung des Missionsmandats erlaubt, bleibt unklar.

I. Darstellung der bisher entwickelten Streitbeilegungsmechanismen

137

b) Darstellung des Verfahrens

Voraussetzung für friedenserhaltende Operationen der OSZE ist ein entsprechendes Ersuchen eines oder mehrerer Teilnehmerstaaten, das über den aV an den Hohen Rat zu richten ist. Ein dem Konsensprinzip unterfallender Beschluß des Hohen Rates oder des Ministerrates zur Einleitung und Entsendung einer friedenserhaltenden Operation kann nur unter der Bedingung erfolgen, daß zuvor "alle betroffenen Parteien ihren Willen unter Beweis gestellt haben, günstige Bedingungen rur die Ausfiihrung der Operation, unter anderem durch einen Prozeß friedlicher Beilegung und durch die Bereitschaft zur Zusammenarbeit, zu schaffen. 11 160 Demzufolge müssen vor dem Beschluß zur Entsendung der Mission folgende Bedingungen erfüllt sein: ein wirksamer und dauerhafter Waffenstillstand, ein Memorandum of Understanding mit den betroffenen Parteien 161 sowie Garantien für die jederzeitige Sicherheit des eingesetzten Personals. 162 Der Beschluß zur Einsetzung der zeitlich begrenzten OSZE-Operation urnfaßt ein klares und genaues Mandat. Allerdings verfügt die OSZE momentan weder über das zur Durchführung derartiger Operationen benötigte zivile noch militärische Potential. 163 Zudem kann sie aufgrund ihres außerrechtlichen Charakters ihre Mitglieder auch nicht rechtlich zur Teilnahme an friedenserhaltenden Aktionen verpflichten. Aus diesem Grunde muß die OSZE entweder ihre Mitglieder um einen individuellen Beitrag bitten oder die NATO, WEU, EU oder GUS ersuchen, ihr die erforderlichen Ressourcen zur Verfügung zu stellen. 164 Die politische Gesamtverantwortung der friedenserhaltenden Operation liegt beim Hohen Rat, während die operative Gesamtleitung dem aV übertragen ist, der durch eine beim KVZ eingerichtete Ad-hoc Gruppe unterstützt wird. 165 Der aVernennt den Missionsleiter, der vom Hohen Rat zu bestätigen ist. Der Missionsleiter ist dem aV gegenüber verantwortlich. Durch diese 160 Beschlüsse von Helsinki, Abschnitt ill, ZitT 30.

161 Unter einem Memorandwn of Understanding versteht man ein Abkommen, das

die rechtlichen und sonstigen Beziehungen der Mission zwn Aufnalunestaat bzw. zu den Konfliktparteien regelt. 162 Vgl.: Beschlüsse von Helsinki, Abschnitt ill, Ziff. 30. 163 Die zu BegiIm des Jahres 1992 vom deutschen Außenminister Genscher und tschechoslowakischen Präsidenten Havel vorgeschlagene Aufstellung eigener KSZEFriedenstruppen erwies sich als nicht konsensfahig. Vgl. hierzu StaackIMeyer, Die KSZE und die europäische Sicherheit - Kooperative Konfliktverhütung für Gesamteuropa in: APZ B3/92 (zit.: StaackIMeyer, KSZE und europäische Sicherheit), S. 25; Larrabee, Instability and change in the Balkans, in: Survival, Summer 1992, S. 47. 164 Vgl.: Beschlüsse von Helsinki, Abschnitt ill, Ziff. 52 ff. 165 Zur Zusammensetzung der Ad-hoc Gruppe vgl.: Beschlüsse von Helsinki, Abschnitt ill, Zilf 39.

138

2. Kapitel: OSZE-Streitbeilegungsmechanismen und Jugoslawienkonflikt

Aufteilung zwischen Hohem Rat und a V soll einerseits die politische Kontrolle der OSZE-Operation durch alle Teilnehmerstaaten erhalten bleiben, andererseits aber auch die operationale Handlungsfahigkeit der Mission sichergestellt werden. c) Bewertung

Eine Durchfiihrung von OSZE-Friedensoperationen gemäß den Bestimmungen des Helsinki Dokuments erscheint aufgrund praktischer Erwägungen schwer vorstellbar: Zum einen wird das Entsendungserfordernis der "wirksamen und dauerhaften Feuereinstellung" bei den gegenwärtigen ethnischen Konflikten nur in den seltensten Fällen vorliegen, da an diesen Konflikten nicht nur reguläre Armeeinheiten beteiligt sind, sondern auch auf eigene Faust operierende Freischärlerbanden. 166 Zum anderen sind Staaten, sofern sie wegen des großen Risikos rur ihre Soldaten überhaupt Truppen rur peacekeeping Einsätze in bürgerkriegsartigen Konflikten stellen, dazu in den allermeisten Fällen nur noch dann bereit, wenn ihnen selbst die Kommandogewalt obliegt. Eingedenk dieser Tatsachen werden in der OSZE Überlegungen angestellt, wie künftige peace-keeping Operationen der Teilnehmerstaaten, und hier geht es vor allem um das unter russischer Führung stehende GUS-peacekeeping, mit den OSZE-Prinzipien und -Zielen in Einklang gebracht werden können. 167 Diese Überlegungen gehen dahin, die Führung derartiger Einsätze 166 So konnte das auf dem Budapester Gipfeltreffen Ende 1994 gemachte Angebot, eine "multilaterale Friedenstruppe der KSZE" fUr Nargorny-Karabach aufzustellen, aufgrund der fehlenden Vereinbarung zwischen den Konfliktparteien hinsichtlich einer Einstellung der bewaffneten Auseinandersetzungen bislang nicht umgesetzt werden. Vgl. hierzu: Beschlüsse von Budapest, Abschnitt II 3 und Höynck, Beiträge der OSZE zu neuer Stabilität, Abschnitt m, Ziff. 2. 167 Vgl. hierzu: Beschlüsse von Rom, Abschnitt II. Zur ursprünglichen russischen Forderung, das gesamte GUS-peacekeeping von der KSZE fmanzieren zu lassen, vgl. Ghebali, Tbe CSCE after the Rome Council Meeting: An Institution still in the Making, in: Helsinki Monitor 1/1994, S. 80 f. Zum GUS-peacekeeping im "Nahen Ausland" vgl. Siekman, Russia's military Operations in the "Near Abroad", in: Helsinki Monitor 2/1994, S. 5 f.; Shustov, Peacekeeping in the CSCE: Tbe Russian View, in: Helsinki Monitor 2/1994, S. 7 ff. Grundlegend zum Verhältnis zwischen Rußland, der GUS und der OSZE im Bereich GUS-peacekeeping Lucas, Russia and the Commonwealth ofIndependent States: the Role ofthe CSCE, in: Helsinki Monitor 4/1994, S. 5 ff, insb. 19 ff. Einen guten Überblick über die unterschiedlichen Einschätzungen der "Nahen Auslands"-Politik Moskaus durch russische und deutsche Diplomaten, Wissenschaftler und Journalisten geben Rahr/Zänker, Die Konzeption des "Nahen Auslands" in der Außenpolitik Rußlands: Vereinbarkeit mit allgemein anerkannten Normen des Völkerrechts, Kurzanalyse Nr. 8 des Forschungsinstituts der DGAP.

1. Darstellung der bisher entwickelten Streitbeilegungsmechanismen

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national zu belassen, ihnen aber OSZE-Beobachter mit Langzeitauftrag beizugeben und somit zu erreichen, daß die friedenserhaltende Operation im Einklang mit den OSZE-Prinzipien steht; 168 daß also nicht, wie insbesondere von den baltischen Staaten und den Kaukasusrepubliken befürchtet, unter dem Deckmantel von Friedenseinsätzen neoimperiale Ziele russischerseits verfolgt werden. 169 Zur Erreichung dieses Zwecks sollen die Beobachter im betreffenden Konfliktgebiet stationiert werden und an den Lagebesprechungen der peacekeeping Kommandeure teilnehmen. Bei Konflikten zwischen den Friedenstruppen und einer oder beider Streitparteien sollen die Beobachter vermittelnd tätig werden. Alle anstehenden Maßnahmen der friedenserhaltenden Operation sowie die Entwicklung der Situation im Stationierungsgebiet sind der OSZE von den Beobachtern zu übermitteln. Ob sich in der Praxis eine solch umfassende Überwachung von nationalen Friedensoperationen durchführen läßt, muß die Zukunft zeigen,170 in jedem Fall aber stellt die angestrebte Einbindung derartiger Operationen in die OSZE-Bestimmungen einen wesentlichen Schritt zur Erreichung von mehr Sicherheit und Stabilität im OSZE-Raum dar. 171

168 So LR An von Straussenburg in einem Gespräch mit dem Verf. arn 21.12.1993 im Auswärtigen Amt. 169 Vgl. hierzu Crow, Peace-keeping in the CIS: An Instrument of Russian Hegemonic Desires?, in: von Plate, Europa auf dem Weg zur kollektiven Sicherheit?, S. 351 ff.

170 Die Aussichten hierfür sind jedoch recht günstig, da dem Wunsch der OSZE nach Kontrolle des unter russischer Führung stehenden GUS-peacekeeping das Interesse Rußlands an einer internationalen Legitimierung sowie fmanziellen Unterstützung seiner peacekeeping-Einsätze gegenübersteht. Das genaue Verhältnis zwischen Kontrolle und LegitimationlFinanzierung ist allerdings noch klärungsbedürftig. Im "Draft Interim Report" der Working Group des CSCE Forum For Security Cooperation vorn Mai 1994 heißt es hierzu unter Berufung auf einen nicht näher bezeichneten KSZEDiplomaten: "If Russia sought a CSCE mandate it would require CSCE monitoring; if it sought CSCE fmances that would mean control of the operation." Vgl. hierzu auch Kühne, Völkerrecht und Friedensperspektiven in einer turbulenten Welt: Eine analytische Zusammenfassung der Grundprobleme und Entwicklungsperspektiven, in: ders. (Hrsg.), Blauhelme in einer turbulenten Welt, 1993 (zit.: Kühne, Völkerrecht und Friedensperspektiven), S. 88; ·Joetze, Zwischen Versagen und Erfolg. Die KSZE im Jahre 1994, in: EA 1011994 (zit.: Joetze, Zwischen Versagen und Erfolg), S. 284. 171 Erste Ansätze einer Einbindung des GUS-peacekeeping in das Wertesystem der OSZE zeigen sich bei der OSZE-Berichterstatterrnission nach Südossetien, deren Auftrag die "überwachung der trilateralen Friedenstruppe" (Russen, Georgier und Nordosseten) und die "Informationssarnrnlung über militärische Vorfälle" ist. Diese OSZE-Mission stellt den ersten regelmäßigen Kontakt der OSZE mit einer russisch dominierten Friedenstruppe dar, ihre Arbeit wird als "bisher durchaus erfolgreich" bewertet (Information Auswärtiges Amt. Ebenso das Ergebnis des deutschen Teilneh-

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2. Kapitel: OSZE-Streitbeileg\U1gsmechanismen \U1d Jugoslawienkonflikt

9. Der Mecbanismus zur friedlicben Beilegung von Streitigkeiten (Valletta-Mecbanismus) 172 a) Entwicklung

Der Gedanke, Streitigkeiten zwischen Staaten ausschließlich auf friedlichem Wege unter Zuhilfenahme von Verfahren wie Verhandlung, Gute Dienste, Untersuchung, Vermittlung, Vergleich, Schiedsspruch, gerichtliche Regelung oder anderer von den Parteien vereinbarter friedlicher Mittel beizulegen, läßt sich bis zum Beginn dieses Jahrhunderts zurückverfolgen. 173 Im KSZE-Prozeß spielte dieser Gedanke von Anfang an eine wichtige Rolle, seine konkrete Ausgestaltung war indes sehr langwierig: 174 So hatte die Schweiz bereits während der Vorbereitungskonferenz im September 1973 einen Entwurf rur einen Vertrag über ein europäisches System der friedEehe Beilegung von Streitigkeiten vorgelegt,175 der jedoch von östlicher Seite abgelehnt wurde. 176 Demzufolge fand sich im Prinzip V der mers an der Mission, Oberst Kriesel, im Rahmen eines Kolloquiwns der Universität Trier am 2. Mai 1994). 172 Vgl. zur Übersicht das Schaubild im Anhang, S. 376. 173 Erste Ansätze hierzu finden sich in der Gründ\U1g des Ständigen Schiedsgerichtshofs in Den Haag im Jahre 1899, der Haager Landkriegsordn\U1g von 1907 \U1d der Völkerb\U1dsatzilllg von 1919 mit ihrem partiellen Kriegsverbot. Im Briand-KellogPakt von 1928 wurde der Krieg als Mittel der Politik vollständig geächtet. Die Charta der VN aus dem Jahre 1945 erweiterte das Kriegsverbot zum allgemeinen Gewaltverbot \U1d verpflichtet ihre Mitglieder, Streitigkeiten nur mit friedlichen Mitteln beizulegen. Weitere Beispiele sind das europäische Übereinkommen zur friedlichen Beileg\U1g von Streitigkeiten aus dem Jahre 1957 \U1d die Manila Declaration on the Peaceful Settlement 01' Disputes von 1988. 174 Vgl. hierzu Ghebali, La CSCE et la transformation des relations internationales en Europe, in: Le reglement pacifique des differends internationaux en Europe: Perspectives d'avenir, Academie de Droit International de La Haye (zit.: Ghebali, reglement pacifique), S. 529 ff.; Mrazek, Third-Party Element in the peaceful settlement 01' international disputes in the framework 01' the CSCE process, in: Le reglement pacifique des differends internationaux en Europe: Perspectives d'avenir, Academie de Droit International de La Haye, S. 609 ff.; LucaslMietzsch, Peaceful Dispute Settlement and the CSCE, in: Lucas, The CSCE in the 1990s (zit.: LucaslMietzsch, Peaceful Dispute Settlement), S. 83 tf.; Tanja, Peaceful Settlement ofDisputes, S. 43 ff. 175 Vgl.: Entwurf eines Vertrages über ein europäisches System der friedlichen Beileg\U1g von Streitigkeiten, in: EA 2/l976, S. 038 ff. Siehe hierzu auch ßindsched[er, Der Schweizerische Entwurf eines Vertrages über ein Europäisches System der friedlichen Streiterledig\U1g \U1d seine politischen Aspekte, in: EA 2/l976, S. 59 ff. sowie Ghebali, reglement pacifique, S. 555 ff. 176 Kernpunkte der östlichen Kritik waren die obligatorische Hinzuziehung einer Drittpartei \U1d die Bind\U1gswirk\U1g ihrer Entscheid\U1gen. Vgl. hierzu im einzelnen

I. Darstellung der bisher entwickelten Streitbeilegungsmechanismen

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Schlußakte von Helsinki nur die allgemeine Verpflichtung der KSZETeilnehmerstaaten, "Streitfalle zwischen ihnen mit friedlichen Mitteln auf solche Weise (zu) regeln, daß der internationale Friede und'die internationale Sicherheit sowie die Gerechtigkeit nicht gefahrdet werden. "177 Zur Konkretisierung dieses Prinzips fanden 1978 in Montreux und 1984 in Athen Exper-tentreffen statt, deren Aufgabe die Ausarbeitung eines Streitbeilegungssystems war. 178 Diese unter dem Eindruck des Ost-West-Gegensatzes stehenden Treffen führten zu keinen greifbaren Erfolgen. Hauptstreitpunkt war hierbei neben der von östlicher Seite vorgeschlagenen Festschreibung eines Zwangs zu Verhandlungen die westliche Forderung der obligatorischen Hinzuziehung einer Drittpartei, also der Möglichkeit, eine neutrale Instanz auch einseitig anrufen zu können. 179 Erst mit dem Schlußdokument des dritten KSZE-Folgetreffens in Wien (Nov. 1986 - lan. 1989) akzeptieren die KSZE-Teilnehmerstaaten "grundsätzlich die obligatorische Hinzuziehung einer Drittpartei, wenn ein Streitfall durch andere friedliche Mittel nicht beigelegt werden kann. "180 Um dieser Verpflichtung zu entsprechen, beschlossen die KSZE-Teilnehmerstaaten die Einberufung eines dritten Expertentreffens zur friedlichen Beilegung von Streitigkeiten für Anfang 1991 in La Valletta auf Malta. Das MarIdat für dieses Treffen sah neben der Ausarbeitung einer Liste von Streitfalien, bei denen die Drittpartei obligatorisch hinzuzuziehen sei, auch vor, "Möglichkeiten für die Schaffung von Mechanismen zur Herbeiführung bindender Entscheidungen durch Drittparteien in Erwägung (zu) ziehen."181 Auf dem noch vor dem Expertentreffen stattfindenden KSZE-Sondergipfel in Paris im November 1990 bekräftigten die KSZE-Teilnehmerstaaten zwar erneut ihre Verpflichtung, nach geeigneten Streitbeilegungsmethoden einschließlich der obligatorischen Hinzuziehung einer Drittpartei zu suchen, von der Herbeiführung bindender Entscheidungen durch die Drittpartei war indes keine Rede mehr. 182 Auf dem vom 15.1. bis 8.2.1991 in La Valletta abgehaltenen Expertentreffen wurde neben allgemeinen Prinzipien der Streitbeilegung ein KSZE-VerOeser, Konsultationen - ein neues Verfahren der friedlichen Streitbeilegung zwischen

europäischen Staaten, in: Deutsche Außenpolitik 6/1979, S. 65 ff. 177 Schlußakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, in: AUSWärtiges Amt (Hrsg.), Dokumentation zmn KSZE-Prozeß, S. 54 f. 178 Vgl. zu diesen beiden Treffen Hafoer, Bemühungen um ein gesarnteuropäisches Streitbeilegungssystem im Rahmen der KSZE, in: Völkerrecht, Recht der internationalen Organisationen, Weltwirtschaft, FS für Seidl-Hohenveldern (1988), S. 147 ff. 179 Vgl. hierzuMietzsch, Streitbeilegung, S. 100 ff. 180 Wiener Dokument 1989, Abschnitt: Fragen der Sicherheit in Europa, Prinzip 6. 181 Ebenda, Abschnitt: Fragen der Sicherheit in Europa, Prinzip 7. 182 Vgl.: Charta von Paris, Leitsätze flir die Zukunft, Abschnitt: Sicherheit.

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2. Kapitel: OSZE-Streitbeilegungsmechanismen und Jugoslawienkonflikt

fahren zur friedlichen Beilegung von Streitigkeiten erarbeitet,183 das von den Außenministern der KSZE-Teilnehmerstaaten auf ihrem ersten Treffen im Juni desselben Jahres gebilligt wurde. 184 Zur Erhöhung der Effizienz dieses sog. Valletta-Mechanismus wurden auf dem 3. Treffen der KSZE-Außenrninister in Stockholm im Dezember 1992 die Fristen des Verfahrens zur Auswahl der Drittpartei verkürzt. 185 b) Überblick

Ziel des OSZE-Mechanismus zur friedliche Beilegung von Streitigkeiten ist es, einen zwischen zwei OSZE-Teilnehmerstaaten bestehenden Streitfall durch die obligatorische Hinzuziehung einer Drittpartei einer Lösung zuzuführen. Die Drittpartei, in den Bestimmungen von Valletta als "Mechanismus" bezeichnet,186 setzt sich aus einem oder mehreren von den Streitparteien oder dem KVZ187 ausgewählten Personen zusammen. Die Befugnisse der Drittpartei sind in dem zweistufigen Streitbeilegungsverfahren unterschiedlich ausgestaltet: Während der Mechanismus in der ersten Phase den Streitparteien nur eine Art "guter Dienste" ohne Vorschläge zur konkreten Beilegung des Streitfall leisten kann, besitzt er in der zweiten Phase die Möglichkeit, vermittelnd tätig zu werden und selber Gedanken zur Streitbeilegung vorzubringen. Verbindliche Entscheidungen können vom Mechanismus vorbehaltlich abweichender Parteivereinbarung nicht getroffen werden.

183 VgI.: Bericht über das Expertentreffen über die friedliche Regelung von Streitfallen in La Valletta vom 8.2.1991. 184 Vgl.: Berliner Dokument, Zusammenfassung der Schlußfolgerungen, Ziff. 8. 185 VgI.: Beschluß über friedliche Beilegung von Streitigkeiten des 3. Treffens des KSZE-Rates in Stockholm (zit.: Beschluß über friedliche Beilegung von Streitigkeiten), Anhang 1, in: Bulletin Nr. 211993, S. 5 ff. 186 Der Begriff "Mechanismus" wurde als Notlösung angenommen, nachdem Bezeichnungen wie "Ausschuß", "Kommission" oder "panel", die auf eine Zusammensetzungaus mehr als einer Person hindeuten, von den USA nicht akzeptiert wurden. So Hillgenberg, Der KSZE-Mechanismus zur friedlichen Beilegung von Streitfallen, in: GYIL Vol. 34 (zit.: Hillgenberg, Mechanismus zur friedlichen Beilegung von Streittallen), S. 130 f. 187 Das KVZ wurde auf dem Berliner Treffen des KSZE-Rates zur ernennenden Institution bestimmt. Vgl.: Berliner Schlußfolgerungen, Nr. 8.

I. Darstellung der bisher entwickelten Streitbeilegungsmechanismen

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c) Darstellung des Verfahrens

Für die Einsetzung des Mechanismus müssen bestimmte Voraussetzungen vorliegen: 188 So müssen die betroffenen OSZE-Teilnehmerstaaten zunächst versucht haben, den zwischen ihnen bestehenden Streit durch direkte Konsultationen und Verhandlungen beizulegen oder eine Einigung über ein geeignetes anderes Verfahren zur Streitbeilegung zu erzielen. Diese Bemühungen müssen innerhalb eines "angemessenen Zeitraums"189 erfolglos geblieben sein. Des weiteren darf der Streitfall nicht bereits zuvor behandelt worden sein und auch jetzt nicht Gegenstand eines anderen Streitbeilegungsverfahrens sein. Sind diese Voraussetzungen gegeben, so kann jede der Streitparteien die Einsetzung des Mechanismus fordern. Ob der Mechanismus auch tatsächlich eingesetzt wird, hängt davon ab, ob die andere Streitpartei sich auf den Souveränitätsvorbehalt des Abschnitts XII beruft oder nicht. Dieser Regelung zufolge wird der Mechanismus je nach Sachlage nicht eingesetzt oder in seiner Tätigkeit fortfahren, wenn eine andere Streitpartei der AnSicht ist, daß der Streitfall "Fragen ihrer territorialen Integrität oder ihrer Landesverteidigung, ihrer Hoheitsansprüche auf Landgebiete oder konkurrierende Ansprüche hinsichtlich der Hoheitsgewalt über andere Gebiete berührt." 190 Wird dieser Vorbehalt von einer Partei erhoben, so kann die andere Partei diesen Umstand lediglich dem Hohen Rat zur Kenntnis bringen. Wird der Souveränitätsvorbehalt nicht geltend gemacht, so müssen sich die Parteien auf die Zusammensetzung des Mechanismus einigen. 191 Gelingt ihnen dies innerhalb von zwei Monaten nicht, so benennt der ranghöchste Beamte des KVZ nach Rücksprache mit den Streitparteien sieben Personen, von denen jede Streitpartei innerhalb eines Monats bis zu drei ablehnen 188 Vgl.: Bericht über das Expertentreffen über die friedliche Regelung von Streitfällen, Abschnitt: Bestinunungen fUr ein KSZE-Verfahren zur friedlichen Beilegung von Streitigkeiten (zit: Valletta-Bestinunungen), Abschnitt IV. 189 Valletta-Bestinunungen, Abschnitt IV. Auf die Festschreibung einer bestinunten Frist wurde im Hinblick auf die unterschiedlichen Bedingungen eines jeden Streitfalls verzichtet. So Hillgenberg, Mechanismus zur friedlichen Beilegung von Streitigkeiten, S. 129.

190 Valletta-Bestinunungen, Abschnitt XII. 191 Hierzu müssen die Streitparteien aus einem beim KVZ geführten Kandidatenverzeichnis eine oder mehrere Personen einvernehmlich auswählen. Um die Unabhängigkeit des Mechanismus zu gewährleisten, dürfen ihm keine Personen angehören, die Staatsangehörige eines am Streitfall beteiligten Staates sind oder in dessen Staatsgebiet ihren ständigen Wohnsitz haben. Das Kandidatenverzeichnis des KVZ besteht aus den von den OSZE-Teilnehmerstaaten vorgeschlagenen Personen (jeder OSZETeilnehmerstaaten darf bis zu vier Personen fur dieses Verzeichnis benennen). Vgl. hierzu: Valletta-Bestinunungen, Abschnitt V, Ziff. 1.

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2. Kapitel: OSZE-StreitbeileglUlgsmechanismen lUld Jugoslawienkonflikt

kann. l92 Danach ist der Mechanismus eingesetzt. Er bemüht sich zunächst um Verbindung mit den Streitparteien und holt von ihnen diejenigen Auskünfte und Stellungnahmen ein, die ihn in die Lage versetzen, den Parteien allgemeine oder spezifische Hinweise hinsichtlich der Wahl eines geeigneten Streitbeilegungsverfahrens zu geben. 193 Haben die Parteien trotz der Hinweise und Ratschläge des Mechanismus den Streit nicht "innerhalb einer vernünftigen Frist"194 beigelegt oder sich auf ein Streitbeilegungsverfahren geeinigt, so kann jede Streitpartei den Mechanismus und die andere Streitpartei sowie den Hohen Rat hierüber unterrichten. 195 Innerhalb von drei Monaten kann jede Streitpartei den Mechanismus um allgemeine oder spezielle Ratschläge hinsichtlich der Substanz des Streitfalls ersuchen. 196 Sofern die andere Partei in dieser zweiten Phase des Verfahrens nicht den Souveränitätsvorbehalt geltend macht, kann der Mechanismus sich nun zur Sache selbst äußern mit dem Ziel, "die Parteien bei der Streitbeilegung im Einklang mit dem Völkerrecht und ihren KSZEVerpflichtungen zu unterstützen." 197 Die Streitparteien sind angewiesen, derartige Hinweise oder Ratschläge des Mechanismus "nach Treu und Glauben und im Geiste der Zusammenarbeit zu prüfen." 198

192 VgL zu den in Bezug auf die Fristen neugefaßten Absätzen 2 lUld 3 des Abschnitts V der Valletta-BestinunlUlgen: Beschluß über friedliche BeileglUlg von Streitigkeiten, Anhang 1. 193 Diese Hinweise können sich beziehen auf die EinleitlUlg oder Wiederaufnahme von VerhandllUlgen, UntersuchlUlg, Vergleich, VermittllUlg, gute Dienst, Schiedsspruch oder Rechtsspruch, eine VerbindlUlg mehrerer Verfahren oder ein anderes Verfahren. VgL: Valletta-BestinunlUlgen, Abschnitt VIII. 194 VgL zu dieser RegellUlg die Ausfiihrungen in Fn. 189. 195 VgL: Valletta-BestinunlUlgen, Abschnitt IX. Allerdings steht der anderen Partei der Einwand offen, daß der bisherige Versuch zur Beilegmg des Streits diese Frist noch nicht überschritten habe. VgL Oellers-Frahm, Die obligatorische Komponente in der StreitbeileglUlg im Rahmen der KSZE (zit: Oellers-Frahm, StreitbeileglUlg im Rahmen der KSZE), in: ZaöRV 51/1 (1991), S. 78. Die Klärung dieser Frage obliegt dann dem Mechanismus. In keinem Fall befreit das Scheitern einer Einigmg auf die BeileglUlg des Streits oder ein StreitbeileglUlgsverfahren die Parteien von der Pflicht, weiterhin die friedliche RegellUlg des Streits zu verfolgen (vgL: Abschnitt X des Valletta-Mechanismus). 196 VgL: Valletta-BestinunlUlgen, Abschnitt XI. 197 Ebenda, Abschnitt XL Die Bezugnahme auf das Völkerrecht schließt jedoch ein Ergebnis ex aequo et bono, das sich gerade zur LöslUlg nicht-rechtlicher Streitigkeiten eignet, nicht aus, sondern lediglich RegellUlgen, die dem Völkerrecht widersprechen würden. (vgL hierzu Oellers-Frahm, Streitbeilegmg im Rahmen der KSZE, S. 78 lUld Hillgenberg, Mechanismus zur friedlichen BeileglUlg von Streitfällen, S. 133). 198 Valletta-BestinunlUlgen, Abschnitt XI.

I. Darstellung der bisher entwickelten Streitbeilegungsmechanismen

145

Um den Besonderheiten des jeweiligen Streitfalls Rechnung tragen zu können, haben die Streitparteien zu jeder Zeit die Möglichkeit, das Verfahren im gegenseitigen Einvernehmen abzuändern. 199 Die Bestimmungen von Valletta lassen das Recht jedes OSZETeilnehmerstaates unberührt, mit dem Streitfall zusammenhängende Fragen "im Rahmen des KSZE-Prozesses", nunmehr also in der OSZE, aufzuwerfen und bestimmen zudem, daß jede Streitpartei einen Streitfall, der rur "Frieden, Sicherheit oder Stabilität unter den KSZE-Teilnehmerstaaten von Bedeutung ist, dem Ausschuß Hoher Beamter (nunmehr Hohen Rat, Anm. des Verf.) unterbreiten (kann)."200 d) Bewertung

(1) Die grundsätzliche Problematik der friedlichen Streitbeilegung

Mit dem Valletta-Dokument und seiner Billigung auf dem ersten Treffen des Rates der KSZE-Außenminister besitzt die OSZE nach vielen Jahren der Beratungen endlich einen Mechanismus zur friedliche Beilegung von Streitigkeiten. Bei der Bewertung dieser Verfahrensregeln sind jedoch die mit der friedlichen Beilegung von Streitfällen grundsätzlich verbundenen Probleme zu berücksichtigen: So sind die Staaten zwar verpflichtet, ihre Streitigkeiten ausschließlich mit friedlichen Mitteln beizulegen, können aber aufgrund des aus dem Grundsatz der Gleichheit aller Staaten abgeleiteten Prinzips der freien Wahl der Mittel nicht auf ein bestimmtes Verfahren festgelegt werden. 20 I Darüber hinaus fehlt es nicht am Vorhandensein geeigneter weltweiter oder regionaler Übereinkommen zur Streitbeilegung, 202 sondern vielmehr an der

199 Vgl.: Ebenda, Abschnitt Xill. So können die Streitparteien den Mechanismus ermächtigen, entweder selbst eine Untersuchung durchzufilhren oder einen Untersuchungsausschuß einzusetzen. Des weiteren können sie den Mechanismus ersuchen, Expertisen über den Streitgegenstand zu erstellen. Schließlich können die Streitparteien die Vorschläge des Mechanismus in Teilen oder in ihrer Gesamtheit als verbindlich anerkennen. 200 Valletta-Bestimmungen, Abschnitt II. 201 Vgl.: Art. 33 Abs. 1 SVN. Hierin liegt die eigentliche Crux des Systems der internationalen Streitbeilegung. So Tomuschat in: Simma, Charta VN, Art. 33 Rdnr. 20 und 34. 202 Vgl. nur: Haager Abkommen zur friedlichen Erledigung internationaler Streitfälle von 1907, Statut des Internationalen Gerichtshofs von 1945, Europäisches Übereinkommen zur friedlichen Beilegung von Streitigkeiten von 1957. 10 Wenig

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2. Kapitel: OSZE-Streitbeilegungsmechanismen Wld Jugoslawienkonflikt

Bereitschaft der Staaten, sich diesen rechtlich bindenden Verfahren zu unterwerfen. Der Valletta-Mechanismus konnte das Dilemma zwischen der Pflicht zur friedlichen Streiterledigung und der freien Wahl der Mittel zwar nicht lösen,203 stellt aber durch die Verlagerung des Obligatoriums von der Ebene der Sachentscheidung auf die Ebene der Entscheidungserarbeitung einen erfolgversprechenden Neuansatz dar. 204 Anstelle der fiir die Staaten häufig inakzeptablen Methode der Übertragung von Entscheidungsbefugnissen an eine Drittpartei, sollen die Streitparteien durch flexibles, aber kontinuierliches Einwirken seitens der Drittpartei in Form von Vorschlägen prozeduraler und gegebenenfalls materieller Art dazu gebracht werden, den Streitfall selbst zu lösen. Entscheidend ist hierbei, daß fiir die Hinzuziehung der Drittpartei ein prozedurales Einverständnis beider Streitparteien nicht mehr erforderlich ist, der Mechanismus also bereits auf Antrag einer Streitpartei eingesetzt werden kann. 205 Diese Regelung bedeutet einen großen Fortschritt gegenüber den herkömmlichen Verfahren zur friedlichen Beilegung von Streitigkeiten. Festzuhalten bleibt aber, daß der Mechanismus nur auf Antrag einer oder beider Streitparteien, nicht aber durch eine dritte Instanz, also einen anderen OSZETeilnehmerstaat oder eine OSZE-Institution, eingesetzt werden kann. 206

(2) Die Subsidiaritätsregel des Abschnitts III Als auslegungsbedürftig erweist sich die Regelung des Abschnitts III, derzufolge das Valletta-Verfahren nicht angewandt werden kann, wenn "der Streitfall bereits vorher behandelt wurde, wie in Abschnitt VIII beschrieben Gegenstand eines anderen Verfahrens zur Streitbeilegung war oder wenn er durch ein anderes Verfahren abgedeckt ist, dem die Streitparteien zugestimmt haben."

203 Vgl. zu diesem Problem die SchlichtWlg auf AnordnWlg durch den Hohen Rat, dargestellt im folgenden auf S. 167 f. 204 So auch Oellers-Frahm, Streitbeilegung im Rahmen der KSZE, S. 88 Wld Wolfrom, Der Beitrag regionaler AbmachWlgen zur FriedenssicheT\Ulg: Möglichkeiten Wld Grenzen, in: ZaöRV 53/3 (1993), (zit.: Wolfrom, Der Beitrag regionaler AbmachWlgen), S. 588. 205 Da die andere Partei die HinzuziehWlg der Drittpartei nicht verhindern kann, wird diese Methode als "obligatorische HinzuziehWlg der Drittpartei" bzw. "mandatory involvement of a third party" bezeichnet. 206 Dies wird zu Recht von Senghaas, Friedliche Streitbeilegung Wld kollektive Sicherheit im neuen Europa, in: EA 10/1991 (zit.: Senghaas, Friedliche StreitbeilegWlg), S. 313 Wld von Jaberg, KSZE, S. 42, kritisiert.

I. Darstelhmg der bisher entwickelten Streitbeilegllllgsmechanismen

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Hierbei ist zunächst klärungsbedürftig, ob das Valletta-Verfahren nur bei erfolgreicher oder auch bei erfolgloser vorheriger Behandlung des Streitfalls ausgeschlossen ist. Da der Valletta-Mechanismus bisher noch nicht angewandt wurde, ist zur Lösung dieser Frage auf die von den KSZE-Teilnehmerstaaten bei der Erarbeitung des Mechanismus vertretenen Auffassungen und den Sinn und Zweck dieses Streitbeilegungsverfahrens zurückzugreifen. Zwar wollte die Mehrzahl der KSZE-Teilnehmerstaaten den Anwendungsbereich dieses Mechanismus so eng wie möglich halten, doch legte das Mandat von Wien fiir das Expertentreffen auf Malta die Ausarbeitung einer allgemein akzeptierten Methode zur friedliche Beilegung von Streitigkeiten fest, "um bestehende Methoden zu ergänzen. "207 Dieser Ergänzungsfunktion wird nur dann Rechnung getragen, wenn der Valletta-Mechanismus auch bei vorheriger erfolgloser Behandlung des Streitfalls eingesetzt werden kann. 208 Ein weiteres Auslegungsproblem ergibt sich aus der letzten Alternative des Abschnitts III, derzufolge der Valletta-Mechanismus keine Anwendung findet, wenn der Streitfall "durch ein anderes Verfahren abgedeckt ist, dem die Streitparteien zugestimmt haben." Fraglich ist hier, ob allein die im Beitritt zu einem anderen Streitbeilegungsübereinkommen liegende abstrakte Verpflichtung, sich beim Auftreten eines Streitfalls auf eines der im Übereinkommen festgelegten Verfahren zu einigen, ausreicht, oder nicht vielmehr die konkrete Einigung auf ein solches Verfahren gemeint ist. 209 Der erste Fall würde dazu fuhren, daß allein der Beitritt zu anderen Streitbeilegungsübereinkommen den Valletta-Mechanismus ausschaltet, unabhängig davon, ob jene Verfahren auch tatsächlich angewendet werden. Die Tatsache, daß die Mehrzahl der "anderen Verfahren" zur Streitbeilegung nur einvernehmlich in Gang gesetzt werden können,210 spricht dafiir, daß der OSZE-Mechanismus nur im Falle konkreter Einigung der Streitpartei auf ein anderes Verfahren ausgeschlossen ist. Diese Auslegung würde gewährleisten, daß in den Fällen, in denen eine Streitpartei sich auf ein 207 Wiener Dokwnent 1989, Absclmitt: Fragen der Sicherheit in Europa, Prinzip 6. 208 Diese Ansicht wurde durch ein Interview des Verfassers mit LS Dr. Hector am 14.4.1993 im Auswärtigen Amt bestätigt. Zurückhaltender allerdings Hillgenberg, Mechanismus zur friedlichen Beilegllllg von Streitfällen, S. 134, Fn. 15, der bei erfolgloser Behandlllllg des Streitfalls den Ausschluß der Anrufbarkeit der Mechanismus lediglich fiir möglich hält ("schließt wohl aus"), dies aber als "entwicklllllgsbedürftig" ansieht. 209 Vgl. zu dieser Problematik Oellers-Frahm, Streitbeilegllllg im Rahmen der KSZE, S. 81 ff. 210 Vgl. als Beispiel nur Art. I, 4 lllld· 19 des Europäischen Übereinkommens zur friedlichen Beilegllllg von Streitigkeiten aus dem Jahre 1957, die die einvernehmliche Einschaltllllg des IGH, der Schlichtllllg bzw. der Schiedsgerichtsbarkeit vorsehen. 10'

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2. Kapitel: OSZE-StreitbeilegWlgsmechanismen Wld Jugoslawienkonflikt

anderweitig bestehendes Streitbeilegungsverfahren beruft, das Zustandekommen dieses Verfahrens aber durch die Verweigerung ihrer Zustimmung zur Einschaltung des Verfahrens blockiert, der OSZE-Mechanismus Anwendung finden könnte. Der Valletta-Mechanismus würde somit als ein "safety net system" in all jenen Fällen fungieren, in denen ein OSZETeilnehmerstaaten versucht, sich der friedlichen Beilegung von Streitigkeiten durch Blockierung bestehender Verfahren zu entziehen. Mit dieser Auslegung würde schließlich auch dem Wiener Mandat gebührend Rechnung getragen, das das OSZE-Verfahren als "Ergänzung bestehender Methoden" verstanden wissen will. 2 11 (3) Der Souveränitätsvorbehalt des Abschnitts XII Die Anwendbarkeit des Valletta-Mechanismus wird aber durch den Souveränitätsvorbehalt des Abschnitts XII entscheidend eingeschränkt. Dieser Regelung zufolge wird der Mechanismus nicht eingesetzt oder in seiner Tätigkeit fortfahren, wenn eine andere Streitpartei der Ansicht ist, daß der Streitfall "Fragen ihrer territorialen Integrität oder ihrer Landesverteidigung, ihrer Hoheitsansprüche auf Landgebiete oder konkurrierende Ansprüche hinsichtlich der Hoheitsgewalt über andere Gebiete berührt. "212 Mit dieser Bestimmung wurden genau jene Streitfälle ausgeklammert, die den Kern vieler zwischenstaatlichen Streitigkeiten bilden und bei denen es aufgrund des hohen Prestigewertes für die nationale Souveränität am ehesten zum Gewalteinsatz kommt. 213 Hinzu kommt, daß die Beurteilung, ob einer der genannten Bereiche betroffen ist, dem einredenden Staat zufällt. Die Entscheidung der KSZE-Teilnehmerstaaten für eine subjektive und nicht eine objektive, vom Mechanismus vorzunehmende Bestimmung des Vorliegens der Voraussetzungen der Einrede 214 muß um so mehr enttäuschen, wenn man 211 Vgl.: Wiener Dokument 1989, Abschnitt: Fragen der Sicherheit in Europa, Prinzip 6. 212 Hintergrood dieser Einschränkungen waren zum einen der zwischen Großbritannien Wld Spanien bestehende Streit um Gibraltar, zum anderen das französische Anliegen eines vollständigen Ausschlusses der defense nationale. Hinzu kam der Streit zwischen der Türkei Wld Griechenland sowie Zypern hinsichtlich des nördlichen Teils der Insel sowie konkurrierender Anspruche betreffend die Jurisdiktion über Meeresgebiete Wld Luftraum in der Ägeis (vgl. hierzu Hi/lgenberg, Mechanismus zur friedlichen BeilegWlg von Streitfallen, S. 134 Wld Ropers/Schlotter, Multilaterales Konfliktmanagement, S. 17). 213 Vgl.: Mietzsch, StreitbeilegWlg, S. 105 Wld Meyer, Nationale Minderheiten, S. 4 f. 214 Die Ersetzung der subjektiven durch die objektive Bestimmbarkeit des Vorliegens der Einredevoraussetzungen erfolgte erstmalig in Art. 4 des deutsch-

I. Darstellung der bisher entwickelten Streitbeilegungsmechanismen

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sich vergegenwärtigt, daß der Mechanismus noch nicht einmal verbindliche Entscheidungen treffen kann. Allerdings darf hierbei nicht übersehen werden, daß die Geschichte der friedlichen Beilegung von Streitigkeiten nun einmal gezeigt hat, daß gegen den ausdrücklichen Willen einer Streitpartei ein Streit nicht beizulegen ist; insofern bedeutet diese Regelung eine Rückkehr zur Realität. 215 Zudem bleibt festzuhalten, daß die konkrete Aufzählung der Einredematerien einen Fortschritt gegenüber den sehr allgemeinen Klauseln der vital interests, national honour oder political questions bedeutet. 216 Da durch die abschließende Aufzählung in Abschnitt XII weitere Einredemöglichkeiten ausgeschlossen sind, stellt diese Regelung auch einen Fortschritt gegenüber Art. 36 Abs. 2 und Abs. 3 IGHSt dar, dessen Anwendung durch die von den Konfliktparteien erhebbaren Vorbehalte entscheidend eingeschränkt ist. 217 (4) Die Beschränkung aU/ZWischenstaatliche Konflikte Gemäß Abschnitt I der Valletta-Bestimmungen ist das OSZE-Streitbeilegungsverfahren auf zwischenstaatliche Streitigkeiten beschränkt. Demzufolge können Minderheitenprobleme nur dann Gegenstand dieses Verfahrens werden, wenn die Minderheit in einem anderen OSZE-Teilnehmerstaat die Titularnation bildet und dieser ihre Interessen vertritt. 218 So sehr eine Erweiterung des Anwendungsbereichs des Mechanismus zur friedliche Beilegung von Streitigkeiten auf die oft gewaltsam ausgetragenen innerstaatlichen Konflikte auch wünschenswert ist, so sehr gilt es auch die damit zusammenhängenden Probleme zu beachten: Wer vertritt beispielsweise die Interessen einer unterdrückten Minderheit, die nur auf dem Staatsgebiet des unterdrückenden Staates ansässig ist, im OSZE-Verfahren? Soll hierzu ein anderer OSZETeilnehmerstaat berufen werden und nach welchen Kriterien wird dieser ausgewählt? Oder soll die Minderheit im Verfahren durch eigene Repräsentanten vertreten werden, und würde dies nicht schon die Aufwertung von einer Ethnie zu einer Nation bedeuten?

schweizerischen Schieds- und Vergleichsvertrags aus dem Jahre 1921 und wurde als großer Erfolg gewertet. 215 Oellers-Frahm, Streitbeilegung im Rahmen der KSZE, S. 80. 216 So auch Oellers-Frahm, Streitbeilegung im Rahmen der KSZE, S. 81. 217 Vgl. hierzu Oellers-Frahm, Probleme und Grenzen der obligatorischen internationalen Gerichtsbarkeit, in: AVR Bd. 27 (1989), (zit.: Oellers-Frahm, Obligatorische internationale Gerichtsbarkeit ), S. 445 ff. 218 Zu eng insoweit Meyer, Nationale Minderheiten, S. 5, demzufolge "Auseinandersetzungen innerhalb eines Landes ... völlig außer Acht gelassen werden."

2. Kapitel: OSZE-StreitbeilegWlgsmechanismen Wld Jugoslawienkonflikt

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Aufgrund dieser von der OSZE bisher nicht gelösten grundsätzlichen Probleme im Zusammenhang mit Minderheiten,219 ist eine Erweiterung des Valletta-Mechanismus auf zwischenstaatliche Streitigkeiten momentan nicht zu erwarten.

(5) Die fehlende Verbindlichkeit der Erklärungen des Mechanismus Sofern die Streitparteien nichts Abweichendes vereinbaren, sind die Vorschläge des Mechanismus nicht bindend. 220 Diese Regelung wird zwar von der Literatur häufig kritisiert,221 spiegelt aber die allgemeine Staatenpraxis wieder, derzufolge verbindliche Sachentscheidungen durch eine Drittpartei grundsätzlich nur im Falle der Ad-hoc Zustimmung aller Streitparteien akzeptiert werden. Die vorherige Unterwerfung unter die verbindliche Streitentscheidung durch eine Drittpartei wird von den meisten Staaten unter Verweis auf die Ungewißheit der Entscheidung und ihrer politischen Folgen abgelehnt. 222 Diese Zurückhaltung der Staaten ist auch deutlich aus der Praxis zu Art. 36 Abs. 2 IGHSt abzulesen. 223 Die beschränkten Befugnisse der Drittpartei sind somit zwar bedauerlich, stellen aber ebenso wie der Souveränitätsvorbehalt eine Rückbesinnung auf die Realität dar. In diesem Zusammenhang sollte daran erinnert werden, daß eine Regelung wie das Valletta-Verfahren, das im Grunde nicht mehr beinhaltet als die Verpflichtung, sich der friedliche Beilegung von Streitigkeiten nicht zu entziehen, im konkreten Anwendungsfall erfolgreicher sein kann, als ein bis ins letzte Detail ausgearbeitetes verbindliches Verfahren, das im Ernstfall drohender Souveränitätseinbußen aber an der Bereitschaft der Staaten scheitert, einmal durchaus im guten Glauben eingegangene Verpflichtungen auch zu erfüllen. 224

219 Vgl. hierzu im weiteren aufS. 321 fT. 220 Dies ergibt sich aus Abschnitt xm d) der Valletta-Bestimmungen. 221 Vgl. nur Mietzsch, Streitbeilegung, S. 105; Jaberg, KSZE, S. 41 f. und Senghaas, Friedliche Streitbeilegung, S. 313. 222 Vgl. Oellers-Frahm, Obligatorische internationale Gerichtsbarkeit, S. 448 f. 223 Vgl. hierzu Oellers-Frahm, Obligatorische internationale Gerichtsbarkeit, S. 444

tr.

224 Vgl. Oellers-Frahm, Streitbeilegung im Rahmen der KSZE, S. 88.

I. Darstelhmg der bisher entwickelten StreitbeilegWlgsmechanismen

151

(6) Das Verhältnis des Val/etta-Mechanismus zum Dringlichkeitsmechanismus

Gemäß Abschnitt 11 der Valletta Bestimmungen kann jede Streitpartei einen Streitfall, der für "Frieden, Sicherheit oder Stabilität unter den KSZE-Teilnehmerstaaten von Bedeutung ist, dem Ausschuß Hoher Beamter unterbreiten." Ist hierbei noch davon auszugehen, daß ein Veto der anderen Streitpartei eine Aufnahme der Streitangelegenheit in die Tagesordnung des Hohen Rates nicht verhindern kann, so erscheint indes fraglich, ob allein der Antrag einer Streitpartei genügt, oder ob nicht entsprechend den Regeln des Dringlichkeitsmechanismus zwölf weitere OSZE-Teilnehrnerstaaten der Behandlung der Angelegenheit im Ausschuß zustimmen müssen. 225 Letzterem scheint aus systematischen Gründen der Vorrang einzuräumen zu sein, da sonst die Bestimmungen des Dringlichkeitsmechanismus hinsichtlich der Antragserfordernisse entwertet würden. (7) Abschließende Bewertung

Trotz der auf dem 3. Außenministertreffen der KSZE-Teilnehrnerstaaten vorgenommenen Verkürzung der Fristen zur Einsetzung des Mechanismus erscheinen diese immer noch als zu lang. 226 In Expertenkreisen wird der Valletta-Mechanismus aufgrund dieser Tatsache und den oben dargestellten Problemen denn auch mehr als ein erster Versuch der KSZE auf dem Weg hin zu effizienteren Streitbeilegungsmechanismen gesehen, die dann Ende 1992 in Genf in Form des KSZE Vergleichs- und Schiedsgerichtshof und der KSZEVergleichskommission geschaffen wurden. 227

225 Vgl. Hillgenberg, Mechanismus zur friedlichen BeilegWlg von Streitfallen, S. 131. 226 So kann die EinsetzWlg des Mechanismus ein viertel Jahr dauern. 227 Interview des Verfassers mit LS Dr. Hector, der Teilnehmer der deutschen Delegation beim Expertentreffen in Genf war. Tatsächlich wurde der Valletla-Mechanismus trotz seines vieIjährigen Bestehens noch kein einziges Mal von den OSZE-Teilnehmerstaaten in Anspruch genommen.

152

2. Kapitel: OSZE-Streitbeilegungsrnechanisrnen und Jugoslawienkonflikt

10. Das Vergleichsverfahren vor der OSZE-Vergleichskommission im Rahmen des "Übereinkommens über Vergleichs- und Schiedsverfahren innerhalb der KSZE"228 a) Überblick Das Vergleichsverfahren vor der OSZE-Vergleichskomrnission im Rahmen des völkerrechtlichen "Übereinkommens über Vergleichs- und Schiedsverfahren innerhalb der KSZE"229 (kurz: OSZE-Vergleichsverfahren), das nur durchgeführt werden kann, wenn mindestens eine Streitpartei Vertragspartei dieses Übereinkommens ist, ist zu trennen vom "Verfahren vor der Vergleichskommission"230, das jedem OSZE-Teilnehmerstaat offensteht. Aufgabe der im OSZE-Vergleichsverfahren231 unter Mitwirkung der Streitparteien zusammentretenden Vergleichskomrnission ist es, den Parteien durch die Unterbreitung nicht-bindender Vorschläge bei der Beilegung eines zwischen ihnen bestehenden Streits behilflich zu sein. Bestehende Mittel der Streitbeilegung bleiben durch dieses OSZE-Verfahren gewahrt. 232

228 Vgl. zur Übersicht das Schaubild im Anhang S. 377. 229 Beschluß über tnedliche Beilegung von Streitigkeiten des 3. Treffens des KSZE-Rates in Stockholm, Anhang 2. Die rechtlichen Verbindlichkeit dieses Anhangs 2, also des "Übereinkommens über Vergleichs- und Schiedsverfahren innerhalb der KSZE", ergibt sich aus dessen Kapitel V, Art. 33, der bestimmt, daß "(d)ieses Übereinkommen der Ratifikation (bedar!)" und es "zwei Monate nach Hinterlegung der zwölften Ratifikations- oder Beitrittsurkunde in Kraft (tritt)". Zudem fmden sich in Kapitel V Regelungen bzgl. Vorbehalten, Änderungen und der Kündigung des Übereinkommens. Zur Vorgeschichte dieses Übereinkommens und den unterschiedlichen Positionen der Teilnehmerstaaten vgl. Tanja, Peaceful Settlement of Disputes, S. 48 ff.; LucaslMietzsch, Peaceful Dispute Settlement, S. 95 ff. 230 Beschluß über friedliche Beilegung von Streitigkeiten des 3. Treffens des KSZE-Rates in Stockholm, Anhang 3, "Bestimmungen über eine KSZEVergleichskommission". Hierbei handelt es sich um kein völkerrechtliches Dokument, da Ratifikationsbestimmungen nicht enthalten sind. Vgl. zu diesem Verfahren im folgenden auf S. 163 tT. 231 Zu Entwicklung und Stand des Vergleichsverfahrens als Mittel der friedlichen Streitbeilegung im Völkerrecht vgl. Ipsen, Völkerrecht, § 60 Rdnr. 20 ff.; Bindschedler, Conciliation and Mediation, in: EPIL, Vol. I (1994), S. 721 ff.; von Mangoldt, Arbitration and Conciliation Treaties, in: EPIL, Vol. 1 (1994), S. 231 ff. 232 Vgl. hierzu die detaillierten Regelungen in Art. 19 des "Übereinkommens über Vergleichs- und Schiedsveriahren innerhalb der KSZE".

I. Darstellung der bisher entwickelten Streitbeilegungsmechanismen

153

b) Darstellung des Verfahrens

Das OSZE-Vergleichsverfahren kann auf drei verschiedene Arten eingeleitet werden: einseitig durch Antrag233 eines oder mehrerer Vertragsstaaten hinsichtlich einer zwischen ilun/ihnen und einem oder mehreren Vertragsstaaten bestehenden Streitigkeit; ferner einvernehmlich aufgrund einer Vereinbarung234 zwischen zwei oder mehreren Vertragsstaaten bzw. zwischen einem oder mehreren Vertragsstaaten und einem oder mehreren OSZE-Teilnehmerstaaten. Voraussetzung ist somit, daß mindestens ein Vertragsstaat als Streitpartei am Verfahren beteiligt ist. 235 Zudem müssen die Streitparteien zuvor "in angemessener Frist" ohne Erfolg versucht haben, den Streitfall durch Verhandlungen beizulegen. 236 Neben diesen beiden Möglichkeiten der Verfahrenseinleitung kann in den Fällen, in denen zwei Vertragsparteien innerhalb eines angemessenen Zeitraums keine Initiative zur Lösung der zwischen ihnen bestehenden Streitigkeit ergriffen haben, auch der Hohe Rat oder der Ministerrat die betreffenden Vertragsparteien anweisen, das Vergleichsverfahren durchzuführen (Vergleich auf Anordnung im "Konsens-rninus-zwei" Verfahren)?37

233 Zum Antragsinhalt siehe Art. 22 Abs. 1 des "Übereinkommens über Vergleichsund Schiedsverfahren innerhalb der KSZE". 234 Zum Inhalt der Vereinbarung siehe Art. 22 Abs. 3 und 4 des "Übereinkommens über Vergleichs- und Schiedsverfahren innerhalb der KSZE". 235 Unrichtig insoweit die Übersicht in Auswärtiges Amt, 20 Jahre KSZE, S. 464, derzufolge auch Nicht-Vertragsparteien das Vergleichsverfahren im Ralunen des "Übereinkommens über Vergleichs- und Schiedsverfahren innerhalb der KSZE" durchführen können. Für den Fall, daß Nicht-Vertragsparteien eine zwischen ihnen bestehende Streitigkeit mit Hilfe einer Vergleichskommission schlichten wollen, wurde ein eigenes Verfahren der ad-hoc Schlichtung, das "Verfahren vor der Vergleichskommission" im Anhang 3 des Beschlusses über friedliche Beilegung von Streitigkeiten des 3. Treffens des KSZE-Rates in Stockholm entwickelt. Dieses Verfahren ist streng von dem hier behandelten zu trennen, da es sich beim Anhang 3 im Gegensatz zum hier behandelten Anhang 2 um kein rechtlich verbindliches Dokument handelt. Vgl. Fn. 229 f 236 Vgl.: Art. 18 des "Übereinkommens über Vergleichs- und Schiedsverfahren innerhalb der KSZE". Zur Wahl des Begriffs der "angemessenen Frist" vgl. Fn. 189. 237 Die Möglichkeit des Vergleichs auf Anordnung wurde im Anhang 4 des Beschlusses über die friedliche Beilegung von Streitigkeiten, Ziff. 3 festgehalten. Bei diesem Dokument handelt es sich aber im Gegensatz zum "Übereinkommen über Vergleichs- und Schiedsverfahren innerhalb der KSZE" um kein völkerrechtlich verbindliches Dokument, so daß die Nichtbefolgung einer derartigen Anordnung auch nicht mit einer Repressalie geahndet werden kann, was ohnehin aufgrund der den Streitparteien zustehenden "freien Wahl der Mittel" hinsichtlich der Streitbeilegung sehr problematisch wäre.

154

2. Kapitel: OSZE-StreitbeilegWlgsmechanismen Wld Jugoslawienkonflikt

Zur Bildung der Vergleichskommission ernennt jede Streitpartei einen Schlichter aus der Liste der Schlichter zum Mitglied der Kommission. 238 Das Präsidium des Gerichtshofs239 bestellt eine ungerade Zahl weiterer Schlichter (üblicherweise drei), aus denen die Kommission ihren Vorsitzenden wählt. 240 Das Vergleichsverfahren ist vertraulich; alle Streitparteien haben das Recht, gehört zu werden. 241 Entscheidungen der Vergleichskommission werden mit der Mehrheit der an der Abstimmung beteiligten Schlichter gefaßt, wobei Stimmenthaltungen als nicht abgegebene Stimmen gelten. 242 Die Vergleichskommission unterstützt die Streitparteien bei ihrer Suche nach einer einvernehmlichen Lösung der Streitigkeit gemäß den Bestimmungen des Völkerrechts und den OSZE-Verpflichtungen. Diese Unterstützung wird in erster Linie in der Unterbreitung nicht bindender Vergleichsvorschläge liegen. Gelangen die Streitparteien zu einer einvernehmlichen Lösung, so werden deren Regelungen in einem von den Streitparteien und den Kommissionsmitgliedern zu unterzeichnenden Ergebnisprotokoll festgehalten. 243 Sofern eine einvernehmliche Lösung der Streitigkeit nach Auffassung der Kommission nicht erzielbar ist, erstellt sie einen mit ihrem Lösungsvorschlag versehenen und von den Parteien zu notifizierenden Schlußbericht. Die Streitparteien können innerhalb von 30 Tagen den Lösungsvorschlag der Vergleichskommission annehmen;244 ist dies nicht der Fall, so "wird der Bericht

238 Im Falle der einseitigen VerfahrenseinleitWlg hat die andere Streitpartei innerhalb von 15 Tagen nach Notiftkation durch den Kanzler vom Verfahrensantrag ihren Schlichter zu bestellen, bei FristversäumWlg erfolgt ErsatzbestellWlg durch das Präsidium. (Art. 22 Abs. 2 des "Übereinkommens über Vergleichs- Wld Schiedsverfahren innerhalb der KSZE"). 239 Zur ZusammensetzWlg des Präsidiums des Gerichtshofs vgl. S. 57 f. 240 Vgl.: Art. 21 des "Übereinkommens über Vergleichs- Wld Schiedsverfahren innerhalb der KSZE". 241 Art. 23 des "Übereinkommens über Vergleichs- Wld Schiedsverfahren innerhalb der KSZE". 242 Vgl.: Art. 8 Abs. 1 des "Übereinkommens über Vergleichs- Wld Schiedsverfahren innerhalb der KSZE". 243 Ob sich die Streitparteien mit der UnterzeichnWlg dieses Protokoll nur politisch oder eventuell sogar rechtlich binden wollen, hängt von deren Willen ab. Da es sich um die UnterzeichnWlg des Protokolls eines rechtlich nicht bindenden Verfahrens handelt, dürfte der UnterzeichnWlg nur politische BindWlgswirkung zukommen. 244 Wird die vorgeschlagene LösWlg von einer Streitpartei nicht angenommen, so ist die andere Partei nicht länger an ihre eigene Annahme der LÖSWlg gebWlden, vgl. Art 25 Abs. 4 des "Übereinkommens über Vergleichs- Wld Schiedsverfahren innerhalb der KSZE".

I. DarstellWlg der bisher entwickelten StreitbeilegWlgsmechanismen

155

dem KSZE-Rat über den Ausschuß Hoher Beamter zugeleitet. "245 Dieser Passus bedeutet, daß zunächst auf Ebene des Hohen Rates versucht wird, die Streitigkeit durch Konsultationen zu lösen und erst wenn dort keine Einigung erzielt werden kann, der Streitfall an die nächst höhere Ebene, den Ministerrat, verwiesen wird. 246 Der Streitpartei des Vergleichsverfahrens bleibt es unbenommen, nach Ablauf weiterer 30 Tage ein Ersuchen um ein Schiedsverfahren gegen die andere Streitpartei zu stellen, sofern diese Vertragsstaat des Übereinkommens ist und eine unter dem Vorbehalt der Gegenseitigkeit stehende entsprechende Unterwerfungserklärung abgegeben hat. 247 c) Bewertung

Zieht man den sich anbietenden Vergleich des OSZE-Vergleichsverfahrens mit dem im Europäischen Übereinkommen zur friedlichen Beilegung von Streitigkeiten von 1957248 (kurz: Europäisches Übereinkommen) geregelten Vergleichsverfahren, so lassen sich erhebliche Unterschiede feststellen: So erfolgt im Europäischen Übereinkommen eine Trennung zwischen völkerrechtlichen und politischen Streitigkeiten; während erstgenannte dem IGH zur Entscheidung zu bringen sind, findet das Vergleichsverfahren nur bei politische Streitigkeiten Anwendung. 249 Eine solche Unterscheidung gilt, wohl auch angesichts der im Einzelfall mitunter schwer durchführbaren Trennung zwischen politischen und völkerrechtlichen Streitigkeiten, ftir das "Übereinkommen über Vergleichs- und Schiedsverfahren innerhalb der KSZE" und somit für das dort geregelte Vergleichsverfahren nicht. Die Zuständigkeit der Vergleichskommission ist also insofern weiter gefaßt, als daß die Behandlung völkerrechtlicher Streitigkeiten nicht grundsätzlich ausgeschlossen ist, sondern davon abhängt, ob bestehende Mittel der Streitbeilegung zu wahren sind, ob also die Streitigkeit bereits einem Gerichtshof oder 245 Art. 25 Abs. 5 des "Übereinkommens über Vergleichs- Wld Schiedsverfahren innerhalb der KSZE". 246 So LS Dr. Hector am 14.4.1993 in einem Gespräch mit dem Verf. 247 Vgl. hierzu im einzelnen Wlter nachfolgend S. 159 f. 248 Der Text des Übereinkommens fmdet sich in: Beck-Texte im dtv, Nr. 5031, Völkerrechtliche Verträge. Zur EntstehWlgsgeschichte des Übereinkommens Wld seiner Relevanz bei der StreitschlichtWlg vgl. Ginther, European Convention for the Peacelul Settlement ofDisputes, in: EPlL 1 (1981), (zit.: Ginther, European Convention), S. 56 ff. 249 Vgl. hierzu: Art. 1 Wld 4 des Europäischen Übereinkommens sowie Ginther, European Convention, S. 57. Für den Fall, daß eine Streitigkeit sowohl politische als auch rechtliche Fragen beinhaltet, "ist jede am Streit beteiligte Partei berechtigt, zu verlangen, daß die gerichtliche EntscheidWlg über Rechtsfragen dem Vergleichsverfahren vorausgeht." (Art. 18 des Europäischen Übereinkommens).

156

2. Kapitel: OSZE-Streitbeilegnngsmechanismen nnd Jugoslawienkonflikt

Schiedsgericht vorgelegt oder aufgrund entsprechender Erklärung einer oder mehrerer Streitparteien noch vorzulegen ist. 250 Während das Europäische Übereinkommen in seinem Art. 34 den vertragsschließenden Parteien die Möglichkeit eröffnet, nur dem Vergleichs- und nicht auch dem Schiedsverfahren beizutreten, kann das "Übereinkommen über Vergleichs- und Schiedsverfahren innerhalb der KSZE" nur in seiner Gesamtheit, also nur fiir Vergleichs- und Schiedsverfahren ratifiziert werden. 251 Um nun aber auch fiir die Teilnehmerstaaten, die sich unter keinen Umständen einem Schiedsverfahren unterwerfen wollen, die Möglichkeit eines Vergleichsverfahrens zu eröffnen, wurde von der KSZE das Verfahren vor der Vergleichskommission entwickelt, das jedoch mangels Ratifikationsregelungen keinen völkerrechtlichen Vertrag darstellt. 252 Ein zusätzlicher Unterschied zwischen dem OSZE-Vergleichsverfahren und dem Europäischen Vergleichsverfahren liegt in der Bestellung der Vergleichskommission: Während beim Europäischen Vergleichsverfahren die aus fünf Personen bestehende sog. Besondere Kommission dergestalt gebildet wird, daß jede Streitpartei ein Mitglied benennt und die drei übrigen im gegenseitigen Einvernehmen der Streitparteien bestellt werden,253 erfolgt im OSZEVergleichsverfahren die Bestellung der übrigen Schlichter durch das Präsidium des Gerichtshofs,254 so daß das neutrale Element eine stärkere Berücksichtigung findet. Allerdings ist davon auszugehen, daß sich das Präsidium gemeinsam vorgebrachten Anregungen der Streitparteien hinsichtlich der übrigen Schlichter nicht verschließen wird. 255 Der wohl entscheidende Unterschied zwischen dem OSZE-Vergleichsverfahren und dem Europäischen Vergleichsverfahren liegt in der Möglichkeit

250 Vgl. hierzu die ausdiffernzierten Bestimmungen des Art. 19 des "Übereinkommens über Vergleichs- nnd Schiedsverfahren innerhalb der KSZE", denenzufolge des weiteren eine Aussetzung der Prüfung der Streitigkeit durch die Vergleichskommission in den Fällen erfolgt, in denen die Streitigkeit "einem anderen Organ vorgelegt worden ist, das sie Zuständigkeit hat, Vorschläge zu derselben Streitigkeit abzugeben." 251 Dies ergibt sich aus Art. 33 des "Übereinkommens über Vergleichs- nnd Schiedsverfahren innerhalb der KSZE". 252 Zu diesem Verfahren vgl. im folgenden aufS. 163 ff. 253 Vgl.: Art. 6 des Europäischen Übereinkommens zur friedlichen Beilegung von Streitigkeiten. 254 Vgl.: Art 21 Abs. 5 des "Übereinkommens über Vergleichs- und Schiedsverfahren innerhalb der KSZE". 255 So VLR I Dr. Hilger, der als deutscher Diplomat an der Ausarbeitung des "Übereinkommens über Vergleichs- nnd Schiedsverfahren innerhalb der KSZE" maßgeblich beteiligt war.

1. Darstellung der bisher entwickelten Streitbeilegungsmechanismen

157

zur Einsetzung einer Vergleichskommission auch gegen den Willen der anderen Streitpartei: Nach den Regeln des Europäischen Übereinkommens ist im Falle des Antrags einer Partei auf Bildung der Besonderen Vergleichskommission deren Tätigwerden davon abhängig, daß die andere Streitpartei ebenfalls ihren Schlichter bestellt. Eine ErsatzbesteIlung durch den Präsidenten des IGH ist nur für die drei übrigen, im Einvernehmen der Parteien zu ernennenden Schlichter vorgesehen. 256 Das OSZE-Verfahren hingegen gibt der anderen Streitpartei eine Frist von 15 Tagen zur Bestellung ihres Schlichters. Nach Versäumung dieser Frist erfolgt Ersatzbestellung durch das Präsidium, wobei die Bestellung aus den Reihen der von der Streitpartei zur Liste der Schlichter ernannten Personen erfolgt.257 Das schon im Valletta-Verfahren ausgearbeitete obligatorische Drittparteielernent, also die Möglichkeit, eine neutrale Instanz auch einseitig anrufen zu können, betrifft hier somit nicht nur die Bestellung der drei übrigen Schlichter durch das Präsidium, sondern in Ausnahmefällen auch die Bestellung des Schlichters für die andere Streitpartei. Der anderen Partei ist es somit im Gegensatz zum Europäischen Übereinkommen nicht mehr möglich, durch NichtbesteIlung ihres Schlichters die Zusammensetzung der Vergleichskommission und damit die Durchführung des Vergleichsverfahrens zu verhindern. Eine weitere, auf rein politischer Ebene basierende Schwäche des Europäischen Vergleichsverfahrens liegt darin begründet, daß die Staaten des ehemaligen Ostblocks aufgrund des Kalten Krieges an der Ausarbeitung und Praxis jenes (west)europäischen Übereinkommens nicht teilgehabt hatten und daher ein gewisses Mißtrauen gegenüber diesem Instrument hegen. Die unter Mitwirkung jener Staaten erfolgte Ausarbeitung des "Übereinkommens über Vergleichs- und Schiedsverfahren innerhalb der KSZE" und des darin enthaltenen Vergleichsverfahrens ist somit auch im Hinblick auf die erhöhte Akzeptanz der dort festgehaltenen Bestimmungen zu begrüßen. 258 So wurde das KSZE-

256 Vgl.: Art. 7 des Europäischen Übereinkommens zur friedlichen Beilegung von Streitigkeiten. 257 Sollte die Partei noch keinen Schlichter zur Liste ernannt haben, so erfolgt die ErsatzbesteIlung des Präsidiums aus den Reihen der übrigen in der Liste genannten Schlichter, wobei jedoch die von der Gegenpartei ernannten Personen außer Betracht bleiben. Vgl. hierzu: Art 22 Abs. 2 des "Übereinkommens über Vergleichs- und Schiedsverfahren innerhalb der KSZE". 258 So auch OelIers-Frahm, Die KSZE - HoffilUngsträger, S. 11. Zu den Schwächen der anderen bestehenden Übereinkommen vgl. Badinter, L'Europe du droit, S. 18 f.

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2. Kapitel: OSZE-Streitbeilegungsmechanismen und Jugoslawienkonflikt

Übereinkommen denn auch von einer großen Zahl der ehemaligen Ostblockstaaten unterschrieben. Praktische Erfahrungen hinsichtlich des Vergleichsverfahrens vor der OSZE-Vergleichskommission im Rahmen dieses Übereinkommens liegen indes noch nicht vor, da das Übereinkommen erst kürzlich, am 5. Dezember 1994, nach Hinterlegung der 12. RatifIkationsurkunde in Kraft getreten ist und die Bestellung des Präsidiums des Gerichtshofes, das im Streitfalle die übrigen Schlichter auszuwählen hat, erst für Mai 1995 erwartet wird.

11. Das Schiedsverfahren vor dem OSZE-Schiedsgericht im Rahmen des "Übereinkommens über Vergleichs- und Schiedsverfahren innerhalb der KSZE"259 a) Überblick

Aufgabe des gemäß den Bestimmungen des "Übereinkommens über Vergleichs- und Schiedsverfahren innerhalb der KSZE"260 zu bildenden Schiedsgerichts ist es, die ihm unterbreiteten Streitigkeiten durch einen rechtlich bindenden, keinem Rechtsmittel unterliegenden endgültigen Schiedsspruch gemäß dem Völkerrecht oder im Falle ausdrücklicher Parteivereinbarung auch ex aequo et bono zu entscheiden. Bestehende Mittel der Streitbeilegung bleiben durch dieses OSZE-Verfahren gewahrt. 261 b) Darstellung des Verfahrens

Das Schiedsverfahren vor dem OSZE-Schiedsgericht262 kann einvernehmlich und unter bestimmten Voraussetzungen auch einseitig eingeleitet werden: 259 Vgl. zur Übersicht das Schaubild im Anhang S. 378. 260 Beschluß über friedliche Beilegung von Streitigkeiten des 3. Treffens des KSZE-Rates in Stockholm, Anhang 2. Zur rechtlichen Verbindlichkeit dieses Anhangs vgl. Fn. 229. 261 Vgl. hierzu die detaillierten Regelungen in Art. 19 des "Übereinkommens über Vergleichs- und Schiedsverfahren innerhalb der KSZE". 262 Zur Entwicklung der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit und ihrer Bedeutung ftir die Streitbeilegung vgl.: Ipsen, Völkerrecht, § 60 Rdnr. 23 ff.; Schlochauer, Arbitration, in: EPIL, Vol. 1 (1994), S. 215 ff; von Mangoldt, Arbitration and Conciliation Treaties, S. 231 ff; ders., Die Schiedsgerichtsbarkeit als Mittel internationaler Streitschlichtung, Band 63 der Reihe: Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht (zit.: von Mangoldt, Schiedsgerichtsbarkeit); Wühler, Arbitration Clause in Treaties, in: EPIL, Vol. I (1994), S. 236 ff Vgl. auch Steinberger, Judical Settlement of International Disputes, in: EPIL 1 (1981), S. 120 ff.

1. Darstellung der bisher entwickelten Streitbeilegungsmechanismen

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Voraussetzung fiir die jederzeit mögliche einvernehmliche Verfahrenseinleitung ist eine entsprechende Vereinbarung zwischen zwei oder mehreren Vertragsstaaten des Übereinkommens bzw. zwischen einem oder mehreren Vertragsstaaten und einem oder mehreren anderen OSZE-Teilnehmerstaaten. 263 Für die einseitige Einleitung des Schiedsverfahrens hingegen gelten enge Voraussetzungen: So muß die Partei, gegen die die andere das Verfahren einleiten will, als Vertragsstaat des Übereinkommens eine auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit basierende Unterwerfungserklärung abgegeben haben,264 der der Streitfall zeitlich und sachlich unterfällt. 265 Zuvor jedoch müssen die Parteien versucht haben, ihre Streitigkeit im Rahmen eines OSZE-Vergleichsverfahrens beizulegen. 266 Das einseitig einleitbare Schiedsverfahren stellt somit die Fortsetzung eines ergebnislos durchlaufenen Vergleichsverfahrens dar. Hierbei gilt es zu beachten, daß das Ersuchen um ein Schiedsverfahren nicht unmittelbar nach Beendigung des Vergleichsverfahrens, d.h. nach Verstreichen der Annahmefrist fiir die im Schlußbericht von der Vergleichskommission den Streitparteien unterbreiteten Lösungsvorschläge gestellt werden kann, sondern erst 30 Tage nach Übermittlung des Schlußberichts an den Ministerrat. 267 Sinn dieser als "cooling-off period" bezeichneten dreißigtägi263 Vgl.: Art. 18 i.V.m. Art. 26 Abs. I des "Übereinkommens über Vergleichs- und Schiedsverfahren innerhalb der KSZE." Zu den Inhaltserfordernissen von Vereinbarung und Antrag vgl. Art. 27. 264 Vgl.: Art. 26 Abs. 3 mit Verweis auf Art. 26 Abs. 2 des "Übereinkommens über Vergleichs- und Schiedsverfahren innerhalb der KSZE", demzufolge die "Vertragsstaaten dieses Übereinkommens jederzeit durch eine an den Verwahrer gerichtete Mitteilung erklären (können), daß sie unter dem Vorbehalt der Gegenseitigkeit die Zuständigkeit des Schiedsgerichts ipso facto und ohne besondere Übereinkunft als obligatorisch anerkennen." Eine entsprechende Erklärung muß wegen des Gegenseitigkeitsvorbehaltes auch von der ersuchenden Partei abgegeben worden sein. 265 Nach Art. 26 Abs. 2 des "Übereinkommens über Vergleichs- und Schiedsverfahren innerhalb der KSZE" kann die Unterwerfungserklärung fi1r eine befristete oder eine unbefristete Zeit abgegeben werden und Streitigkeiten ausschließen, die Souveränitätsfragen betreffen. Hierunter fallen, wie schon im Abschnitt XII des VallettaMechanismus definiert, Fragen der territorialen Integrität oder der Landesverteidigung, der Hoheitsanspruche auf Landgebiete oder konkurrierende Anspruche hinsichtlich der Hoheitsgewalt über andere Gebiete. 266 Art. 26 Abs. 3 mit Verweis auf Artikel 25 des "Übereinkommens über Vergleichs- und Schiedsverfahren innerhalb der KSZE". Die in Art. 26 Abs. 2 geforderte gegenseitige Unterwerfungserklärung, auf die hierbei häufig allein abgestellt wird, (vgl. nur LucaslMietzsch, Peaceful Dispute Settlement, S. 99 f. sowie Denkschrift zu dem Übereinkommen über Vergleichs- und Schiedsverfahren innerhalb der KSZE, BT-Drucksache 12/7137, Allgemeiner Teil, Ziff. 3 Abs. 3 sowie Besonderer Teil Kapitel N Abs. I), ist zwar eine gewichtige Zulässigkeitsvoraussetzung des einseitig einleitbaren OSZE-Schiedsverfahrens, aber eben aufgrund des eindeutigen Wortlautes von Art. 26 Abs. 3 nicht die einzige. 267 Vgl.: Ebenda, Art. 26 Abs. 3.

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2. Kapitel: OSZE-StreitbeileglUlgsmechanismen lUld Jugoslawienkonflikt

gen Frist ist es, den Parteien noch einmal die Möglichkeit zu geben, sich gründlich mit der von der Vergleichskommission vorgeschlagenen Lösung auseinanderzusetzen und ihre Annahme zu prüfen. 268 Darüber hinaus können in dieser Zeit auf Ebene des Hohen Rates intensive Konsultationen mit den Streitparteien zum Zwecke der Streitlösung gefiihrt werden. Das Schiedsgericht setzt sich zusammen aus den von den Streitparteien zur Liste der Schiedsrichter benannten Personen (je Streitpartei ein Schiedsrichter)269 , die von Amts wegen Mitglieder des Gerichts sind, und einer diese Zahl übersteigende Anzahl von Schiedsrichtern, die vom Präsidium aus dieser Liste ausgewählt werden und aus deren Mitte der Vorsitzende gewählt wird. 270 Das Schiedsverfahren besteht aus einem schriftlichen und einem mündlichen Teil. Die Entscheidungen des Gerichts werden mit der Mehrheit der an der Abstimmung beteiligten Schiedsrichter gefaßt, Stimmenthaltungen gelten als nicht abgegebene Stimmen. 271 Das Schiedsgericht besitzt gegenüber den Streitparteien die zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlichen Untersuchungs- und Ermittlungsbefugnisse. Sofern erforderlich, kann das Gericht von sich aus oder auf Ersuchen einer oder aller Streitparteien "einstweilige Maßnahmen bezeichnen, welche von den Streitparteien ergriffen werden sollten"272. OSZE-Teilnehmerstaaten, die ein besonderes rechtliches Interesse haben, das durch die Entscheidung des Schiedsgerichts berührt werden könnte, steht es offen, in dem zum Schutz dieses Interesses erforderlichen Umfang am Verfahren teilnehmen. 273 Das Schiedsverfahren endet mit einem begründeten, keinem Rechtsmittel unterliegenden bindenden Schiedsspruch, der auf der Grundlage des Völker-

268 So LS Dr. Hector am 14.4.1993 in einem Gespräch mit dem Verf. 269 Zur Liste nach Art. 4 wird zudem von jedem Teilnehmerstaat noch ein Stellvertreter benannt, der den Schiedsrichter in den Fällen ersetzt, in denen di~ser verhindert ist oder "schon früher in irgendeiner Eigenschaft an der Sache mitgewirkt (hat), die Gegenstand der dem Gericht lUlterbreiteten Streitigkeit ist" (Art. 28 Abs. 4 S. 1 des "Übereinkommens über Vergleichs-lUld Schiedsverfahren innerhalb der KSZE"). 270 Vgl.: Artikel 28 des "Übereinkommens über Vergleichs- lUld Schiedsverfahren innerhalb der KSZE". In Absatz 5 sind RegellUlgen enthalten, welche Person die Streitpartei, die nicht Vertragspartei des Übereinkommens ist, als Schiedsrichter be. stellen kann. 271 Vgl.: Art. 8 Abs. 1 des "Übereinkommens über Vergleichs- Wld Schiedsverfahren irinerhalb der KSZE". 272 Art. 26 Abs. 4 des "Übereinkommens über Vergleichs- lUld Schiedsverfahren innerhalb der KSZE". 273 Art. 29 Abs. 3 lUld 4 des "Übereinkommens über Vergleichs- lUld Schiedsverfahren innerhalb der KSZE".

1. Darstellung der bisher entwickelten Streitbeilegungsmechanismen

161

rechts getroffen wurde. 274 Die Bindungswirkung gilt nur fiir die Streitparteien sowie eventuell beigetretene OSZE-Teilnehmerstaaten und nur hinsichtlich der entschiedenen Streitigkeit. Sofern unter den Streitparteien Unklarheiten über den Schiedsspruch bestehen, können sie innerhalb von sechs Monaten nach Übermittlung des Schiedsspruchs das Gericht ersuchen, "den Schiedsspruch hinsichtlich seiner Bedeutung oder seiner Tragweite auszulegen"275, was aber keine Abänderung des Schiedsspruchs bedeutet. Der Schiedsspruch wird veröffentlicht und den Streitparteien sowie dem Ministerrat über den Hohen Rat in Form einer beglaubigten Abschrift übermittelt. Während das Übereinkommen Regelungen rur den Fall des Auftreten neuer entscheidungserheblicher Tatsachen nach Verkündung des Schiedsspruchs in Form der Wiederaufnahme des Schiedsverfahrens enthält,276 findet sich keine Aussage, wie in den Fälle einer etwaigen Kompetenzüberschreitung des Schiedsgerichts hinsichtlich der zu entscheidenden Materie zu verfahren ist. Die sich hierbei grundsätzlich ergebende Nichtigkeit des Schiedsspruchs277 ist wohl aus Art. 29 Abs. I S. I herzuleiten, der fordert, daß das Schiedsverfahren den "Grundsätzen eines gerechten Verfahrens" zu entsprechen hat. c) Bewertung

Ebenso wie das Schiedsverfahren nach den Vorschriften des Europäischen Übereinkommens zur friedlichen Beilegung von Streitigkeiten kann das OSZE-Schiedsverfahren auf Ersuchen lediglich einer Partei nur nach vorausgegangenem erfolglosen Vergleichsverfahren durchgefuhrt werden. 278 Hingegen ist, wie beim OSZE-Vergleichsverfahren, auch beim OSZE-Schiedsverfahren das neutrale Element stärker berücksichtigt als im Europäischen Über274 Sofern die Streitparteien dies vereinbaren, karm das Gericht den Streitfall auch

ex aequo et bono entscheiden (vgl.: Art. 30 des "Übereinkommens über Vergleichs-

und Schiedsverfahren innerhalb der KSZE"). Für den Fall des Nichterscheinens von Parteien vgl.: Art. 30 Abs. 7 des "Übereinkonunens über Verg1eichs- und Schiedsverfahren innerhalb der KSZE". 275 Art. 31 Abs. 3 des "Übereinkommens über Verg1eichs- und Schiedsverfahren innerhalb der KSZE". 276 Vgl.: Art. 31 Abs. 4 des "Übereinkommens über Verg1eichs- und Schiedsverfahren innerhalb der KSZE". 277 Vgl. Ipsen, Völkerrecht, § 60 Rdnr. 36 f.; Oellers-Frahm, Judical and Arbitral Decisions: Validity and Nullity, in: EPIL 1 (1981), S. 118 fT. 278 Art. 19 des Europäischen Übereinkommens erwähnt noch zusätzlich den Fall, daß die Parteien vereinbart haben, ein vorausgehendes Vergleichsverfahren nicht in Anspruch zu nehmen. 11 Wenig

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2. Kapitel: OSZE-Streitbeilegungsmechanismen und Jugoslawienkonflikt

einkommen, weil die Bestellung der übrigen Schiedsrichter durch das Präsidium und nicht durch die Streitparteien erfolgt.279 Doch wird auch hier davon auszugehen sein, daß sich ebenso wie beim Vergleichsverfahren das Präsidium gemeinsam vorgebrachten Anregungen der Streitparteien hinsichtlich der übrigen Schiedsrichter nicht verschließen wird, um so die Akzeptanz der Vergleichskomrnission bei den Streitparteien zu erhöhen. 280 Mit dem am 5. Dezember 1994 erfolgten Inkrafttreten des "Übereinkommens über Vergleichs- und Schiedsverfahren innerhalb der KSZE" und der fiir Mai 1995 zu erwartenden Bestellung des Präsidiums des Gerichtshofes wird die OSZE in Form des Schiedsgerichts zum ersten Mal in ihrer Geschichte eine Institution besitzen, die die zwischen den Vertragsstaaten bestehenden Streitigkeiten rechtlich bindend und endgültig entscheiden kann. 281 Der im Rahmen der Ausarbeitung des Übereinkommens von einigen Teilnehmerstaaten geäußerten Befiirchtung, die Einfiihrung eines regionalen Systems zur friedlichen Streitbeilegung in Form eines Vergleichs- und insbesondere eines Schiedsverfahrens vor einem eigenen KSZE-Gerichtshof könnte die Einheit und Fortentwicklung des Völkerrechts behindern und die Position bestehender Einrichtung wie des IGH schwächen,282 wurde durch die im Übereinkommen vorgenommene Festschreibung seines ergänzenden Charakters im Verhältnis zu bestehenden Verfahren und Einrichtungen zur friedlichen Streitbeilegung Rechnung getragen. 283 Da in absehbarer Zeit sicherlich nicht alle Teilneh-

279 Nach Art. 20 des Europäischen Übereinkommens ernennt jede Streitpartei einen Schiedrichter und die drei übrigen werden im gegenseitigen Einvernehmen der Streitparteien bestellt. 280 Der Vertrauensvorschuß, den eine einvernehmliche Bestellung der Schiedsrichter mit sich bringt, sollte hierbei nicht unterschätzt werden; so auch das Resümee bei von Mangoldt, Schiedsgerichtsbarkeit, S. 196. 281 Die BefUrchtung von Voss, Problems of Arbitration within the CSCE, in: Peace and the Science, September 1994, S. 25 "If ever, the Convention might become law in force only in the distant future and then possibly merely between states which are no potential parties to a dispute" hat sich hinsichtlich des ersten Teils seiner Aussage somit nicht bewahrheitet, besteht aber in Bezug auf den zweiten Teil fort, da bislang nur Dänemark, Deutschland, Frankreich, Italien, Kroatien, Liechtenstein, Monaco, Polen, San Marino, Schweden, Schweiz, Slowenien und Zypern das Übereinkommen ratifiziert haben (Stand Ende März 1995). 282 Vg1. zu diesen und weiteren Bedenken Tanja, Peaceful Settlement of Disputes, S. 48 f. 283 Vg1. hierzu die detaillierten Regelungen des Art. 19 (Wahrung bestehender Mittel der Streitbeilegung) sowie Art. 3 der Präambel des KSZE-Übereinkommens (keine Beeinträchtigung bestehender Einrichtungen).

I. Darstellung der bisher entwickelten Streitbeilegungsmechanismen

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merstaaten das Übereinkommen ratifizieren werden,284 ist zwar das bisherige KSZE-IOSZE-Prinzip der "universality in participation" nicht mehr gewahrt,285 entscheidend dürfte aber der politische Verdienst der KSZE sein, ein Schiedsverfahren entwickelt zu haben, an dessen Ausarbeitung die Staaten des ehemaligen Ostblocks aktiv beteiligt waren und dessen Akzeptanz daher gegenüber "westlichen" Verfahren erhöht ist. 286 Zudem stellt die aus dem Valletta-Verfahren übernommene abschließende Aufzählung konkreter Einredematerien in Art. 26 Abs. 2 i.V.m. Art. 34 des Übereinkommens einen Fortschritt gegenüber der weitgefaßten Regelung des Art. 36 Abs. 3 IGHSt dar, die den Staaten die Möglichkeit von escape-Klauseln wie vital interest, national honour, domaine reserve, oder political questions offenhält. 287 Ob dem OSZE-Schiedsverfahren die von ihm erhoffte Befriedungswirkung auch in der Praxis zukommt, muß die Zukunft zeigen. Die grundsätzliche Abneigung von Staaten, sich rechtlich bindenden Verfahren zu unterziehen, sollte indes zur Vermeidung allzu euphorischer Annahmen immer berücksichtigt werden. 12. Das Verfahren vor der OSZE-Vergleichskommission288 a) Überblick

Um auch den OSZE-Teilnehmerstaaten, die nicht Vertragsstaaten des "Übereinkommens über Vergleichs- und Schiedsverfahren innerhalb der KSZE" sind, die Möglichkeit der Schlichtung zu geben, wurde von den Außenrninistern der KSZE-Teilnehmerstaaten auf ihrem 3. Ratstreffen Ende 1992 ein Vergleichsverfahren angenommen, das den Teilnehmerstaaten als 284 So haben nach Bloed, CSCE Review Conference started in Budapest, in: Helsinki Monitor 4/1994, S. 102, u.a. die Vereinigten Staaten, Großbritannien, die Türkei und die Niederlande erklärt, daß sie die Konvention nicht ratiflzieren werden. 285 Tanja, Peaceful Settlement ofDisputes, S. 49. 286 So auch Oellers-Frahm, Die KSZE - Hoffuungsträger, S. 11 sowie Tanja, Peaceful Settlement of Disputes, S. 53, die dem Übereinkommen aber insgesamt reserviert gegenübersteht, vgl. insb. S. 54. 287 Auch die Möglichkeit der escape-Klausel on notice ist wegen Art. 36 Abs. 2 i. V.m. Art. 34 des Übereinkommens nicht möglich. Zur Berufung auf escape-Klauseln bei Verfahren vor dem IGH und den Gründen fiir ein solches Staatenverhalten vgl. Oellers-Frahm, Obligatorische internationale Gerichtsbarkeit, S. 444 tI. Der nach Art. 26 Abs. 2 des Übereinkommens mögliche Ausschluß von Territorialfragen ist zwar einerseits zu bedauern, da gerade diese Fragen den Grund vieler zwischenstaatlicher Streitigkeiten darstellen, zeigt aber andererseits auch den realitätsbezogenen Ansatz der OSZE, weil eine friedliche Streitbeilegung gegen den ausdrücklichen Willen einer Streitpartei nunmal nicht möglich ist. 288 Vgl. zur Übersicht das Schaubild im Anhang S. 379. ll*

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2. Kapitel: OSZE-Streitbei1egungsmechanismen und Jugoslawienkonflikt

Option auf der Grundlage von Ad-hoc Vereinbarungen oder im voraus auf der Grundlage gegenseitiger Erklärungen zur Verfiigung steht. 289 Bei diesem als "Bestimmungen rur eine Vergleichskommission" betitelten OSZE-Dokument handelt es sich im Gegensatz zum vorher erwähnten "KSZE-Übereinkommen" nicht um rechtlich, sondern lediglich um politisch verbindliche Regelungen. Zur Abgrenzung zum Vergleichsverfahren vor der OSZE-Vergleichskommission im Rahmen des "Übereinkommens über Vergleichs- und Schiedsverfahren innerhalb der KSZE" (kurz: OSZE-Vergleichsverfahren) wird dieses Verfahren im folgenden als "Verfahren vor der OSZE-Vergleichskommission" bezeichnet. Aufgabe der von den Streitparteien bestimmten dreiköpfigen OSZEVergleichskommission ist es, den Streitparteien mit einer Annahmefrist versehene, nicht bindende Lösungsvorschläge zu unterbreiten. b) Darstellung des Verfahrens

Das Verfahren vor der OSZE-Vergleichskommission kann auf drei Arten eingeleitet werden: einvernehmlich aufgrund einer ad-hoc Vereinbarung der Streitparteien oder durch Antrag einer Streitpartei, soweit von beiden Streitparteien Unterwerfungserklärungen abgegeben wurden, die auf die in Frage stehende Streitigkeit Anwendung finden. 29o Darüber hinaus kann das Verfahren vor der OSZE-Vergleichskommission auch durch eine an die Streitparteien gerichtete Anordnung des Hohen Rates oder des Ministerrates, sich diesem Verfahren zu unterziehen, eingeleitet werden (Vergleich auf Anordnung im "Konsens-minus-zwei" Verfahren).291 Voraussetzung hierfiir ist, daß die Streitparteien innerhalb eines angemessenen Zeitraums keine Initiative zur Lösung der zwischen ihnen bestehenden Streitigkeit ergriffen haben. 292 Da die Bestimmungen zur Bildung der OSZE-Vergleichskommission nicht eindeutig sind, sei hierauf näher eingegangen: Nach Abschnitt V Abs. I der Bestimmungen über eine OSZE-Vergleichskommission bestellen die Streitparteien im Falle einer Ad-hoc Vereinbarung 289 Vgl.: Beschluß über friedliche Beilegung von Streitigkeiten des 3. Treffens des KSZE-Rates in Stockholm, Anhang 3 (zit.: Bestimmungen für eine KSZE-Vergleichskommission). 290 Diesbezügliche Fragen werden von der Kommission als Vorfragen behandelt. Vgl.: Abschnitt IV der Bestimmungen für eine KSZE-Vergleichskommission. 291 Vgl.: Beschluß über friedliche Beilegung von Streitigkeiten des 3. Treffens des KSZE-Rates in Stockholm, Anhang 4 (zit.: Bestinunungen über einen Vergleich auf Anordnung), Ziff. 2. 292 Vgl.: Bestimmungen über einen Vergleich auf Anordnung, Ziff. 1.

I. DarstellWlg der bisher entwickelten StreitbeilegWlgsmechanismen

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"innerhalb von zwanzig Tagen, nachdem beim Sekretär ein schriftliches Ersuchen nach Abschnitt III eingegangen ist, einen Schlichter aus dem Verzeichnis, das zum Zweck des Valletta-Verfahrens für die friedliche Beilegung von Streitigkeiten ("Valletta-Verzeichnis") geführt wird. "293 Nach Abschnitt V Abs. 2 bestellen die Schlichter "innerhalb von zwanzig Tagen, nachdem der zweite von ihnen bestellt wurde, einen dritten Schlichter aus dem VallettaVerzeichnis, der als Vorsitzender der Kommission tätig wird." Diese Regelungen des Abschnitts V erweisen sich als klärungsbedürftig, da aus ihnen nicht eindeutig hervorgeht, in welchem Zeitraum der zweite Schlichter zu bestellen ist. Einerseits kann aus den betreffenden Passagen gefolgert werden, daß die Streitparteien einvernehmlich einen Schlichter bestellen und die Frist zur Bestellung des zweiten Schlichters absichtlich offengelassen wurde. Hiergegen spricht indes Abs. 3 dieses Abschnitts, der besagt, daß der Generalsekretär des Ständigen Schiedshofs einen Schlichter ernennen kann, sofern seine "Ernennung nicht innerhalb des festgesetzten Zeitraums erfolgt" und somit von einer Frist auch für die Ernennung des zweiten Schlichters ausgeht. Der in Frage stehende Abs. I wäre dann so zu lesen, daß die Streitparteien innerhalb von zwanzig Tagenje einen Schlichter bestellen. Hiermit wäre das Problem der Bestellungsfrist rur den zweiten Schlichter gelöst. Für eine derartige ergänzende Auslegung läßt sich auch ein systematisches Argument anfUhren: Ziff. 2 Abs. a) der Bestimmungen über einen Vergleich auf Anordnung besagt, daß "der Rat oder AHB ... die Fristen von zwanzig Tagen für die Ernennung der heiden Mitglieder der Vergleichskommission durch die Parteien"294 abändern kann, und geht somit von einer zwanzigtägigen Frist auch rur die Bestellung des zweiten Schlichters aus. Dieser Auslegung zufolge ernennt jede Streitpartei innerhalb von zwanzig Tagen je einen Schlichter aus dem Valletta-Verzeichnis, die ihrerseits innerhalb weiterer zwanzig Tage einen dritten Schlichter aus diesem Verzeichnis als Vorsitzenden der Vergleichskommission ernennen. 295 Aufgabe der Vergleichskommission ist es, eine für die Parteien "beiderseits annehmbare Lösung der Streitigkeit herbeizufiihren. "296 Hierzu kann die 293 Als Sekretär der Vergleichskommission fungiert der Direktor des KVZ. bn Falle einseitiger VerfahrenseinleitWlg soll die Partei "in ihrem schriftlichen Ersuchen ihren Schlichter bezeichnen." (Vgl.: BestimmWlgen für eine KSZE-Vergleichskommission, Abschnitt V, Satz 2). 294 HervorhebWlg vom Verf. 295 Zur GewährleistWlg der Unabhängigkeit darf der Vorsitzende weder Staatsangehöriger einer der beiden Parteien noch von einer der Parteien für das Verzeichnis benannt worden sein. 296 BestimmWlgen für eine KSZE-Vergleichskommission, Abschnitt IX.

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2. Kapitel: OSZE-Streitbeilegungsmechanismen und Jugoslawienkonflikt

Vergleichskomrnission die Streitparteien auf deeskalierende Maßnahmen hinweisen und ihnen Bedingungen fiir die Streitbeilegung vorschlagen, die von den Streitparteien innerhalb einer bestimmten Frist angenommen werden können. Sofern die Streitparteien diese Lösungsvorschläge nicht annehmen, leitet der Sekretär der Vergleichskomrnission dem Hohen Rat einen Bericht der Kommission zu. 297 Die Streitparteien können die Verfahrensregeln modifizieren, insbesondere können sie jederzeit erklären, daß sie die Vorschläge der Vergleichskomrnission entweder allgemein oder in bezug auf die konkrete Streitigkeit unter der Bedingung der Gegenseitigkeit als bindend anerkennen. Eine derartige Erklärung der Bindungswirkung oder eine Unterwerftmgserklärung "kann in bezug auf die Streitigkeit, auf die sie Anwendung findet, weder zurückgezogen noch abgeändert werden, sobald nach Abschnitt III ein schriftliches Ersuchen um einen Vergleich in der Streitigkeit gestellt worden ist und die andere Streitpartei bereits eine solche Erklärung abgegeben hat. "298 Hiermit soll verhindert werden, daß sich eine Partei nach Eingang eines von der anderen Partei eingereichten Ersuchens dem Verfahren durch Rücknahme ihrer Unterwerfungserklärung entzieht bzw. die Bindungswirkung des Vergleichs einseitig aufhebt, da sonst das Gegenseitigkeitsprinzip verletzt werden würde. 299 c) Bewertung

Trotz der Tatsache, daß an Streitbeilegungsinstrumenten auf internationaler Ebene nicht gerade Mangel herrscht, stellt die Erarbeitung dieses Mechanismus einen Fortschritt dar, zumal hierdurch den OSZE-Teilnehmerstaaten, die die Unterzeichnung des "Übereinkommens über Vergleichs- und Schiedsverfahren innerhalb der KSZE" ablehnen, die Möglichkeit der Streitschlichtung im Rahmen der OSZE gegeben wird. Dies gilt insbesondere fiir jene ehemaligen Ostblockstaaten, die den "westlichen" Streitbeilegungsinstrumenten, an deren Ausarbeitung sie aufgrund des Kalten Krieges nicht partizipieren konnten, reserviert gegenüberstehen. Praktische Erfahrungen liegen nicht vor, da der Mechanismus bisher noch nicht aktiviert worden ist.

297 Vgl.: Ebenda, Abschnitt XI. 298 Ebenda, Abschnitt

xv.

299 Hintergrund dieser Regelung dürfte die Rechtsprechung des IGH sein, derzufol-

ge eine Streitpartei, die sich der obligatorischen Gerichtsbarkeit des IGH unterworfen hat, sich nach Eingang der Klage nicht dem laufenden Verfahren entziehen kann, da in diesem Fall die Gegenseitigkeit nicht gewahrt ist. Vgl. Nottebohm-Fall, ICJ-Reports 1953, 123 sowie Nicaragua-Fall, ICJ-Reports 1984,441.

I. Darstellung der bisher entwickelten Streitbeilegungsmechanismen

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13. Anbang: Die Bestimmungen über einen Vergleicb auf Anordnung a) Darstellung

Um eine Klärung einer zwiscben zwei OSZE-Teilnehmerstaaten bestebenden Streitigkeit auch in den Fällen, in denen die Streitparteien innerhalb eines angemessenen Zeitraums von sicb aus keine Initiative zur Streitbeilegung ergriffen haben, zu ermöglichen, beschlossen die Außenminister der KSZETeilnehmerstaaten auf ihrem 3. Ratstreffen die "Bestimmungen über einen Vergleich auf Anordnung. "300 Diesen lediglich politisch bindenden Bestimmungen301 zufolge kann der Hohe Rat oder der Ministerrat die Streitparteien anweisen, sicb einem Vergleicbsverfahren zu unterzieben. Handelt es sich bei den Streitparteien um Vertrags staaten des "Übereinkommens über Vergleichsund Schiedsverfahren innerhalb der KSZE", so finden die Bestimmungen des dort geregelten Vergleichsverfahrens Anwendung, während fiir NichtVertragsstaaten die Bestimmungen des Verfahrens vor der OSZEVergleichskommission gelten. b) Einordnung

Zwar kann der Hohe Rat oder der Ministerrat die Fristen hinsichtlich der Bildung der OSZE-Vergleichskommission fiir Nicht-Vertragsstaaten abändern, doch bleiben die sonstigen Verfahrensbestimmungen unberührt. Die Bestimmungen über einen Vergleich auf Anordnung stellen somit kein eigenes Verfahren, keinen Mechanismus im eigentlichen Sinne dar, sondern besagen lediglich, daß die Antragsbefugnis zur Einsetzung einer Vergleichskommission nicht bei den Streitparteien, sondern beim Hohen Rat bzw. Ministerrat liegt. c) Verhältnis zu Art. 33 Abs. 1 SVN

In den Bestimmungen über einen Vergleich auf Anordnung könnte man einen Verstoß gegen den in Art. 33 Abs. 1 SVN niedergelegten Grundsatz der freien Wahl der Mittel sehen, demzufolge die Staaten aufgrund des in Art. 2

300 Vgl.: Beschluß über friedliche Beilegung von Streitigkeiten des 3. Treffens des KSZE-Rates in Stockholm, Anhang 4. 301 Im Gegensatz zum "Übereinkommen über Vergleichs- und Schiedsverfahren innerhalb der KSZE" des Anhangs 2 handelt es sich beim Anhang 4 um kein völkerrechtlich verbindliches Dokument, da Ratifikationsbestimmungen nicht enthalten sind.

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2. Kapitel: OSZE-StreitbeilegWlgsmechanismen Wld Jugoslawienkonflikt

Ziff. I SVN festgeschriebenen Prinzips ihrer souveränen Gleichheit nicht auf ein bestimmtes Streitbeilegungsverfahren festgelegt werden können. 302 Dem ist jedoch entgegenzuhalten, daß ein Vergleich auf Anordnung nicht stattfindet, sofern die Streitigkeit bereits in einem anderen Verfahren behandelt oder von einem außerhalb der OSZE bestehenden Streitbeilegungsverfahren erfaßt wird, selbst wenn dieses nur eine Verpflichtung zu Verhandlungen beinhaltet; ferner nicht in den Fällen, in denen eine Partei den im VallettaVerfahren definierten Souveränitätsvorbehalt geltend macht. 303 Zudem ist bei der Schlichtung immer die Annahme des Lösungsvorschlags durch die Streitparteien erforderlich. Letztlich gilt es auch auf den Rechtscharakter der Bestimmungen über einen Vergleich auf Anordnung hinzuweisen: die Anordnung ist rein politischer Natur und rechtlich nicht verpflichtend. Eine obligatorische Regelung des Streitfalls ohne Zustimmung der betroffenen Staaten, durch die deren Souveränität einschränkt würde, ist mithin nicht möglich. d) Bewertung

Eine abschließende Bewertung des Vergleichs auf Anordnung kann hier nicht vorgenommen werden, da praktische Erfahrungen noch nicht vorliegen.

11. Der Einsatz der Streitbeilegungsmechanismen im Jugoslawienkonflikt 1. Der Krieg im ehemaligen Jugoslawien: Ursachen und Ablauf a) Einführung

Die im Juni 1991 begonnenen kriegerischen Auseinandersetzungen im ehemaligen Jugoslawien, die den Hintergrund fur die nachfolgende Darstellung und Beurteilung des Einsatzes der OSZE-Streitbeilegungsmechanismen bilden, haben ihre Ursache nicht nur in der seit den achtziger Jahren sich stetig verschärfenden Wirtschafts- und Systemkrise, sondern vor allem in der Rückbesinnung der Völker Jugoslawiens auf ihre nationale Identität und Geschichte, die zu einem Wiedererwachen eines starken und größtenteils ag302 Zum Grundsatz der Wahl der freien Mittel vgl. Tomuschat in: Simma, Charta der VN, Art. 33 Rdnr. 20 Wld 34. 303 BestimmWlgen über einen Vergleich auf AnordnWlg, ZitT. 5. Zu den Einzelheiten des Souveränitätsvorbehaltes siehe die Ausführungen auf S. 148 f.

II. Der Einsatz der StreitbeilegWlgsmechanismen im Jugoslawienkonflikt

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gressiv expansiven Nationalismus fiihrte. So waren es nationale Interessen, die Slowenien und Kroatien zum Verlassen des jugoslawischen Bundesstaates bewegten und so sind es nationale Interessen, die von den Serben zur Legitimierung ihres Vernichtungskrieges gegen Kroatien und Bosnien-Herzegowina sowie ihrer Unterdrückungspolitik im Kosovo, Sandschak und der Woiwodina angefiihrt werden. Begünstigt wurde dieser wiedererwachte Nationalismus durch die unter Tito vermiedene Aufarbeitung der Geschichte Jugoslawiens, die dazu fiihrte, daß die Erinnerung an die insbesondere während und unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs von der jeweiligen Gegenseite verübten Massaker und Ungerechtigkeiten im Bewußtsein der Völker Jugoslawiens weiter schwelte und schließlich als Rechtfertigung fiir diskriminierende Minderheitengesetze gegenüber den kroatischen Serben bzw. dem serbischen Massenmord an Kroaten und Bosniern diente. Ohne einen Rückgriff auf die geschichtlichen Vorgänge lassen sich daher weder die eigentlichen Hintergründe des Krieges im ehemaligen Jugoslawien erklären noch eine Bewertung der Effizienz von Streitbeilegungsmechanismen hinsichtlich einer dauerhaften Konfliktverrneidung bzw. Friedensherstellung und Friedenssicherung vornehmen. 304 b) Der geschichtliche Hintergrund (von der Staatsgrindung 1918 bis zu den Unabhängigkeitserklärungen Sloweniens und Kroatiens) (1) Die Zwischenkriegszeit (1918 - 1941)

Das am l. Dezember 1918 im Gefolge des Zusammenbruchs des Osmanischen Reiches und Österreich-Ungarns zunächst als Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen gegründete Jugosiawien3 0 5 vereinte Völker mit unterschiedlichen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Traditionen. Kroa304 Aus der umfangreichen Literatur zur geschichtlichen EntwicklWlg Jugoslawiens sei auf folgende Werke verwiesen: Cviic, Implications of the Crisis in South-Eastern Europe, in: Adelphi Paper 265 (zit.: Cviic, Crisis in South-Eastern Europe) S. 82 ff.; Zametica, The Yugoslav conflict, in: Adelphi Paper 270 (zit.: Zametica, Yugoslav cont1ict); Gow, Deconstructing Yugoslavia, in: Survival, Vol. 33, No. 4 (July/August 1991), S. 291 ff.; Schlarp, Ein Staat aus zwei Welten, in: Furkes/Schlarp, Jugoslawien: Ein Staat zerfallt (zit.: Schlarp, Staat aus zwei Welten), S. 19 ff.; Höpken, Die Unfahigkeit zusanunenzu1eben, in: Furkes/Schlarp, Jugoslawien: Ein Staat zerfallt (zit.: Höpken, Unfahigkeit zusanunenzuleben), S. 32 ff.; Billing, Der Bürgerkrieg in Jugoslawien, HSFK-Report 1/1992 (zit.: Billing, Bürgerkrieg); Arday, Der historische HintergfWld der Krise im ehemaligen Jugoslawien, in: Aussenpolitik IIII93 (zit.: Arday, I1intergfWld der Krise), S. 253 ff.; Stiglmayer, Das Ende Jugoslawiens, in: Informationen zur politischen BildWlg - aktuell, 1992 (zit.: Stiglmayer, Ende Jugoslawiens); Reuter, Jugoslawien vor dem Zerfall, in: APZ 14/92, S. 3 ff. 305 Vgl. Abbi1dWlg im Anhang, S. 380.

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2. Kapitel: OSZE-StreitbeilegWlgsmechanismen Wld Jugoslawienkonflikt

ten und Slowenen waren jahrhundertelang Teil der Habsburgennonarchie, blieben dem Katholizismus verhaftet und nahmen ab dem Ende des 19. Jahrhunderts am wirtschaftlichen Aufschwung Mitteleuropas teil. Das Großserbische Reich ging im Juni 1389 in der Schlacht gegen die Türken auf dem Amselfeld (Kosovo) unter und wurde dem Osmanischen Reich eingegliedert. Während die ländliche Bevölkerung den orthodoxen Glauben beibehielt, konvertierte der serbische Adel und große Teile der Bevölkerung des ab 1463/1483 unter osmanischer Herrschaft stehenden Bosniens und der Herzegowina zum Islam. 1878 konnte sich Serbien mit Hilfe der europäischen Großmächte als unabhängiger Staat etablieren, Österreich-Ungarn erhielt das Recht zur Verwaltung Bosniens und der Herzegowina. Ein wirtschaftlichen Aufschwung wie in Slowenien und Kroatien erfolgte in diesen Ländern nicht. Trotz aller Unterschiede in Schrift, Religion, Kultur und Wirtschaft fanden sich Anfang des 19. Jahrhunderts in der sog. "Illyrischen Bewegung" vor allem aus intellektuellen Zirkeln Kroatiens stammende national gesinnte Kräfte zusammen, die alle Südslawen (Süd == Jugo) in einem Staat vereinigen wollten. 306 Der nach dem Ende des Ersten Weltkriegs gegründete jugoslawische Staat litt von Anfang an unter den Dissonanzen zwischen den für einen zentralistischen Staat eintretenden Serben und den nach möglichst umfassender Autonomie strebenden Kroaten. Während die Kroaten die Staatsgründung mit der Hoffnung verbanden, die ihnen von der Habsburgennonarchie verweigerte Autonomie nun endlich in einem Staat mit föderalen Strukturen zu erreichen, sahen sich die Serben als eine der Siegennächte des Ersten Weltkriegs und Befreier aller Südslawen vom habsburgischen Joch und beanspruchten als zahlenmäßig größtes Einzelvolk, das zudem für die neue Monarchie sein souveränes Königreich aufgegeben hatte, die Führungsrolle in einem unitarisch konstitutionellen Königreich Jugoslawien. Die Mitte 1921 von der serbischen Parlamentsmehrheit verabschiedete erste Verfassung Jugoslawiens, die eine extrem zentralistische Staatsverwaltung vorsah sowie wiederholte massive Ausschreitungen serbischer Ordnungskräfte gegen kroatische Demonstranten verschlechterten das Klima zwischen Kroaten und Serben zusehends. 307 Hinzu kam eine unausgewogene, Slowenien 306 Billing, Bürgerkrieg, S. 7. 307 Schlarp, Staat aus zwei Welten, S. 25, führt als zusätzliches Argument fiir die VerschlechteTWlg der inneIjugoslawischen BeziehWlgen die auf "massiver Wahlmanipulation" basierende VerabschiedWlg der VerfassWlg an. Schlarp scheint hierbei die "Korfu-Deklaration" vom Juli 1917 im Hinterkopf zu haben, in der u.a. festgelegt worden war, die nähere AusgestaltW1g des Staates einer mit qualifIZierten Mehrheit zu verabschiedenden VerfassWlg vorzubehalten. Die jugoslawische VerfassWlg von 1921 wurde indes nur mit knapper Wld nicht mit der in Korfu vereinbarten qualifIZierten Mehrheit verabschiedet. Vgl. hierzu Höpken, Unfähigkeit zusammenzuleben, S. 38 f.

II. Der Einsatz der Streitbeilegungsmechanismen im Jugoslawienkonflikt

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und Kroatien benachteiligende Besteuerung und Gewährung von Investitionen. 308 Die Dominanz der Serben im Zwischenkriegsjugoslawien war unbestreitbar: sie fiihrten die Regierungsgeschäfte auf kommunaler wie staatlicher Ebene und die Streitkräfte standen ausschließlich unter ihrer Kontrolle. 309 Die der Ideologie und der Form nach ''jugoslawische'' Staatskonzeption entpuppte sich als pure großserbische Herrschaft. 310 Die Kroaten, vor 1914 die engagiertesten Verfechter der südslawischen Einheit, empfanden die demonstrative serbische Dominanz als Provokation und als Rückschritt im Vergleich zu ihrer begrenzten Autonomie im Habsburgerreich. 311 Der großserbische Zentralismus verhinderte eine Verständigung der beiden größten südslawischen Völker und leistete nationalchauvinistisch extremistischen Kräften Vorschub. Das Land drohte unregierbar zu werden und im Chaos zu versinken. Einen vorläufigen Höhepunkt erreichten die Auseinandersetzungen mit der Ermordung des kroatischen Oppositionsfiihrers Stjepan Radic während einer Parlamentssitzung im Jahre 1928 durch einen montenegrinischen Abgeordneten. Daraufhin löste König Alexander Anfang 1929 das Parlament auf, setzte die Verfassung außer Kraft und erklärte sich zum alleinigen Träger der staatlichen Gewalt. 312 Doch dieser Versuch, eine Beendigung der innerstaatlichen Streitigkeiten mit autoritären Mitteln zu erzwingen, verschärfte die nationalen Gegensätze eher noch mehr. 313 Der serbische König, der sich in den letzten Jahren fiir die jugoslawische Sache eingesetzt hatte,314 fiel 1934 einem Anschlag kroatischer und makedonischer Ter-

308 Vgl. zu näheren Einzelheiten und weiteren Informationen Stiglmayer, Ende Jugoslawiens, S. 7 und Ramet, War in the Balkans, in: Foreign AfTairs, Fall 92, S. 81, die ihre Autlistung serbischer Unterdrückungs- und Benachteiligungsmaßnahmen mit folgendem Satz schließt: "It was this legacy of Serbian repression that gave birth to the Yugoslav 'national question'." 309 Arday, Hintergrund der Krise, S. 257. Vgl. auch Cviic, Das Ende Jugoslawiens, in: EA 14/1991 (zit.: Cviic, Ende Jugoslawiens), S. 414 f. 310 Höpken, Unfähigkeit zusammenzuleben, S. 39. 311 Schlarp, Staat aus zwei Welten, S. 25. 312 Billing, Bürgerkrieg, S. 8. Zu den Einzelheiten dieser sog. "Königsdiktatur" vgl. Stiglmayer, Ende Jugoslawiens, S. 7 f. und Höpken, Unfähigkeit zusammenzuleben, S. 40 f.

Schlarp, Staat aus zwei Welten, S. 26. 314 Bei der Bewertung der "Königsdiktatur" gehen die Meinungen auseinander: Während nach Zametica, Yugoslav conflict, S. 8 "King Alexander I had become a Yugoslav nationalist, intent on overcoming the differences between his subjects. All opposition was treated brutally. It was aperiod in which Serbs suffered as much as Croats." wurde nach Stiglmayer, Ende Jugoslawiens, S. 8 "bald ersichtlich, daß er (der König, Anm. des Verf.) unter dem Deckmantel des Jugoslawismus alle Macht auf sich und Serbien konzentrierte." 313

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2. Kapitel: OSZE-Streitbeilegungsmechanismen und Jugoslawienkonflikt

roristen zum Opfer. Der kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs schließlich erreichte serbisch-kroatische Kompromiß, der eine weitgehende Autonomie fiir Kroatien vorsah, konnte die tiefe Kluft zwischen den beiden Völkern nicht mehr überwinden. 315

(2) Die Kriegs- und unmittelbare Nachkriegszeit (1941 - 1945) Der Darstellung der Ereignisse der Kriegs- und unmittelbaren Nachkriegszeit kommt eine herausragende Bedeutung zu, da die in jener Zeit von der jeweiligen Gegenseite begangenen Massaker sich tief in das Bewußtsein der Völker Jugoslawiens einprägten und heutzutage als Rechtfertigung fiir diskriminierende und verbrecherische Aktivitäten angefiihrt werden. Im Gefolge der Zerschlagung Jugoslawien durch die deutsche Wehrmacht im April 1941 rief der Führer der faschistischen Ustascha-Bewegung316 Ante Pavelic den von Deutschland abhängigen "Unabhängigen Staat Kroatien" aus. Die während der serbischen Dominanz angestauten Aggressionen und rassistisches Gedankengut fiihrte zu genozidartigen Verbrechen der UstaschaEinheiten gegenüber den knapp zwei Millionen in ihrem um BosnienHerzegowina erweiterten Staatsgebiet lebenden Serben. Im Gefolge der unter dem Schlagwort "Bekehre ein Drittel, treibe ein Drittel aus, töte ein Drittel't3l7 angestrebten "ethnischen Säuberung"318 Großkroatiens von Serben Festzuhalten bleibt mit Höpken, Unfliliigkeit zusammenzuleben, S. 41, daß "das neue Königreich allem Jugoslawismus zum Trotz (ersichtlichstes Merkmal des von oben verordneten Jugoslawismus war die Umbenennung des Staates von "Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen" in "Königreich Jugoslawien", Anm. des Verf.) das Grundübel des Staates, die serbische Dominanz, nicht ernsthaft korrigierte. " 315 Schlarp, Staat aus zwei Welten, S. 26. Zum Inhalt dieses am 26.8.1939 geschlossenen Kompromisses, des sog. "sporazum", auch als Verständigung bzw. Ausgleich bezeichnet, vgl.: Stiglmayer, Ende Jugoslawiens, S. 8, die ebenfalls bezweifelt, ob dieser Komprorniß tatsächlich zu einer Versöhnung gefiihrt hätte, "denn nach seiner Unterzeichnung starteten serbische Nationalisten eine Hetzkampagne und forderten den Anschluß der serbisch besiedelten Gebiete in Kroatien, und auch unter den Kroaten gab es viele, die Macek (dem Vorsitzenden der kroatischen Bauernpartei, der auf kroatischer Seite maßgeblich an jenem Kompromiß mitgewirkt hatte, Anm. des Verf.) vorwarfen, die 'kroatische Sache' verraten zu haben. " 316 Die Ustascha, vollständig die "UstSli Hrvatska Revolucionarna Organizacija" (Aufständische Kroatische Revolutionäre Organisation) war einen Tag nach der Ausrufimg der Königsdiktatur gegründet worden. 317 Zitiert nach Rathfelder, Die bosnische Tragödie, in: Rathfelder (Hrsg.), Krieg auf dem Balkan (zit.: Rathfelder, Bosnische Tragödie), S. 67. 318 Hinter diesem beschönigenden und daher in Anfilhrungsstriche gesetzten Begriff verbirgt sich die zum Zwecke der Erzielung einer ethnisch einheitlichen Bevölkerungsstruktur durchgeführte gewaltsame Vertreibung einer Bevölkerungsgruppe aus

II. Der Einsatz der Streitbeilegungsmechanismen im Jugoslawienkonflikt

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wurden 120.000 Serben vertrieben, 250.000 konvertierten zwangsweise und rund 400.000 wurden ermordet. 319 Hunderttausende Serben flohen in die Berge und schlossen sich dort den kommunistischen Partisanen Josip Titos an, die unter den Leitworten "Befreiung" und "Einheit und Brüderlichkeit" im Gegensatz zu den serbischen Tschetnik-Verbänden des Drafa Michajlovic bewußt keine rein serbische, sondern eine jugoslawische Partisanenbewegung war.

Die Rache der schließlich siegreichen Titopartisanen gegenüber all jenen, die sich nicht ihrer Partisanenarmee angeschlossen hatten, entlud sich gegen Ende und unmittelbar nach dem Krieg in Massakern, die jene der Ustascha an Zahl noch übertrafen und ihnen an Grausamkeit in nichts nachstanden. Die Tschetnikkräfte des Drafa Michajlovic wurden zwischen dem 13.4. und 22.5.1945 durch Angriffe der Tito-Einheiten völlig vernichtet, Michajlovic selbst im Juni 1946 in Belgrad hingerichtet. 320 Kroatische (Domobranen und Ustascha) und slowenische Einheiten (insgesamt 200.000 Soldaten) begleitet von mehreren hunderttausend kroatischen Zivilisten hatten sich in den letzten Kriegstagen ihren Weg nach Österreich erkämpft, wurden dann aber von den Engländern den Tito-Einheiten übergeben, die in den nächsten Tagen und Wochen 150.000 ermordeten und den Rest in Lager pferchten. 321 40.000 ihrer angestammten Heimat. Zur Beschleunigung des Vertreibungsprozesses werden Massaker an Teilen der betroffenen Bevölkerungsgruppe verubt, um so den verschont gebliebenen Teil zur Flucht zu zwingen. Im schlimmsten Fall wird der Bevölkerungsgruppe noch nicht einmal die Möglichkeit der Flucht oder der Vertreibung gegeben, sondern sie wird bis auf geringe zwangsassimilierte Teile ganz vernichtet. Zu den geschichtlichen Hintergrunden der "ethnischen Säuberung" vgL Bell-Fialkoff, A Brief History of Ethnic Cleansing, in: Foreign Affairs, VoL 72, No. 3 (Summer 1993), S. 110 ff. Zur völkerrechtlichen Relevanz der im Rahmen der "ethnischen Säuberung" begangenen Verbrechen mit besonderem Bezug auf die JÜIlgsten Ereignisse im ehemaligen Jugoslawien vgL die ausftlhrliche Anaysen von Deter, Kriegsverbrechen in den Konflikten um das Erbe Jugoslawiens, in: ZaöRV 53/1 (1993), (zit.: Deter, Kriegsverbrechen ), S. 1 ff. 319 Diese und insb. die nachfolgenden Zahlenangaben über die oftmals ignorierten Opfer der Partisanen Michajlovics und Titos sollen keiner wie immer gearteten Aufrechnung Vorschub leisten, sondern die Dimension der damaligen Verbrechen verdeutlichen und damit erklären helfen, warum die in den Nachkriegsjahrzehnten durch die kommunistische Partei Jugoslawiens lediglich unterdruckten und nicht gelösten nationalen Gegensätze in JÜIlgster Zeit mit einer derart explosiven Kraft wieder an die Oberfläche treten konnten. Zu den aufwendigen Berechnungsmethoden derartiger Zahlen vgL Duic, Jugoslawien: Entwicklung und Zerfall - Zweiter Weltkrieg - Bürgerkrieg - Volksrepublik, in: ÖMZ 4/1993 (zit.: Duic, Jugoslawien - Entwicklung und Zerfiill), S. 329. Zu den vorstehenden Angaben vg1.: Duic, Jugoslawien - Entwicklung und Zerfall, S. 324; Wuescht, Jugoslawien und das Dritte Reich, S. 320. 320 Duic, Jugoslawien - Entwicklung und Zerfall, S. 329. 321 Arday, Hintergrund der Krise, S. 258.

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2. Kapitel: OSZE-StreitbeilegWlgsmechanismen Wld Jugoslawienkonflikt

Albaner im Kosovo waren noch während des Krieges Anfang 1945 getötet worden. 322 Weit über 300.000 weitere Jugoslawen fielen unmittelbar nach dem Krieg Säuberungsaktionen Titos zum Opfer, allein in Slowenien 95.000. 323 Insgesamt belaufen sich die jugoslawischen Kriegs- und unmittelbaren Nachkriegsverluste auf über eine Million Menschen. 324 Die Ereignisse dieser Zeit prägten sich tief in das Bewußtsein der Völker Jugoslawiens ein. Insbesondere bei den Serben hinterließ die Verfolgung durch die Ustascha ein tiefsitzendes Genozidtraurna,325 das die serbische Regierung sich während der kroatischen Unabhängigkeitsbestrebungen im Jahre 1990 und im nachfolgenden Krieg bewußt zunutze machte. 326 Auch die während des Zweiten Weltkriegs von den Tschetniks Michajlovics an Kroaten und muslimischen Bosniern begangenen Rachemassaker3 27 blieben in der 322 Nawratil, Die deutschen Nachkriegsverluste, (zit.: Nawratil, Nachkriegsverluste), S. 12 323 Nawratil, Die deutschen Nachkriegsverluste, S. 16 mit weiteren Nachweisen. Diese Wld die zuvor angeführten Ereignisse werden von Oschlies, Ursachen des Krieges in Ex-Jugoslawien, in: APZ B37/93, außer acht gelassen, der auf Seite 5 erklärt "Einige Kommentatoren haben ... beklagt, daß es zu Titos Zeiten ... kein großes Gericht über Schuldige gegeben habe. Es ist richtig, daß man nach dem Krieg sehr rasch zur Tagesordnung übergegangen war." Wld damit ein sehr Wlvollständiges Wld einseitiges Bild der damaligen Vorkommnisse aufzeichnet. 324 Duic, Jugoslawien - EntwicklWlg Wld Zerfall, S. 329. 325 Vgl. hierzu Geiss, Hegemonie Wld Genozid: Das Serbien-Syndrom 1991/92, in: EA 15-16/1992 (zit.: Geiss, Hegemonie Wld Genozid), S. 424 f. Als ältere Faktoren des Entstehens des serbischen Genozidkomplexes werden die sozialgeschichtlichen Aspekte nach der osmanischen EroberWlg 1389/1448 in Gestalt der AusbeutWlg der serbischen Bauern durch den zum Islam übergetreten serbischen Wld bosnischen Adel sowie das System der "KnabenIese" Wld deren AusbildWlg zu Janitscharen angeführt. Vgl. hierzu Geiss, Hegemonie Wld Genozid., S. 425 ff, demzufolge die NachwirkWlgen dieser Vorgänge "vermutlich Wlbewußt den (heutigen, Anm. des Verf.) Haß der Serben auf die Muslims als Nachfahren privilegierter 'Renegaten' zugrWlde liegen." 326 Vgl. die bei Stiglmayer, Ende Jugoslawiens, S. 14 angeflihrte serbische Propaganda gegen die "Ustascha RegierWlg" Kroatiens Wld die "genoziden faschistischen" Kroaten. 327 Die ab dem Sommer 1941 an den muslimischen Bosniern verübten Massaker basierten auf dem Plan Michajlovi~, Bosnien-Herzegowina als Bestandteil Großserbiens von der muslimischen (Wld kroatischen) BevölkerWlg zu säubern (vgl. Reuter, Die Tragödie der bosnischen Muslime, in; Blätter filr deutsche Wld internationale Politik 12/1992, S. 1450. Die Einzelheiten des sog. Tschetnik-Plans fmden sich bei Duic, Jugoslawien - EntwicklWlg Wld Zerfall, S. 324 f.). Der Rachegedanke spielte nur insoweit eine Rolle, als die Muslime als "Kroaten islamischen Glaubens" mit der Ustascha gleichgesetzt wurden (vgl. hierzu Stiglmayer, Ende Jugoslawiens, S. 9). Nach den von Reuter, Die Tragödie der bosnischen Muslime, S. 1451, Fn. 7, angeführten UntersuchWlgen schätzt man, daß im Laufe des Zweiten Weltkrieges "nicht weniger als 148.000 Muslime durch die Hand der Tschetniks getötet wurden."

II. Der Einsatz der Streitbeilegungsmechanismen im Jugoslawienkonflikt

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Erinnerung der Bevölkerung derart verhaftet, daß die sich im Sommer 1990 in Kroatien und im Mai 1992 in Bosnien-Herzegowina gewaltsam erhebenden Serben als Tschetniks bezeichnet wurden. (3) Die Ara Tito (1945 - 1980)

Durch die sozialistische Umgestaltung und insbesondere durch die von der Sowjetunion übernommene Föderalisierung des Landes glaubte Tito, die nationale Frage in Jugoslawien lösen zu können. So gliederte die am 30. Januar 1946 verabschiedete jugoslawische Verfassung das Land in die sechs Teilrepubliken Slowenien, Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Serbien, Montenegro und Makedonien sowie die zwei Serbien angeschlossenen autonomen Gebiete Woiwodina und Kosovo. Die neugeschaffenen Teilrepubliken bekamen ein eigenes Parlament und eine eigene Verfassung. Laut Bundesverfassung stand ihnen sogar das Recht zur Sezession zu. Hierbei handelte es sich allerdings um eine leere Fonnel, da die Verfassung zur Verwirklichung dieses Rechts weder Kompetenz- noch Verfahrensnonnen enthielt. Trotz der in der Bundesverfassung festgelegten föderalen Struktur Jugoslawiens lagen fast alle Rechte beim Bund, die faktische Macht im Staat übte das Politbüro mit Tito an der Spitze aus, so daß lediglich von einer formalen Föderalisierung gesprochen werden konnte. 328 Hinter der Fassade von Brüderlichkeit und Einheit entwickelte sich erneut eine serbische Dominanz bei der Besetzung wichtiger Institutionen. 329 Die Situation der nationalen Minderheiten hatte sich zwar gegenüber der Zeit im Zwischenkriegsjugoslawien in vielen Bereichen wesentlich verbessert, von einer vollen politischen und kulturellen Autonomie konnte aber insbesondere in Anbetracht der Behandlung der Kosovo-Albaner nicht gesprochen werden. 330 Die alten Konfliktpotentiale blieben somit weiterhin erhalten: Serbisches Übergewicht trotz fonneller Gleichberechtigung, faktischer Zentralismus trotz 328 Stiglmayer, Ende Jugoslawiens, S. 10 und Höpken, Unfähigkeit zusammenzuleben, S. 44 f. 329 Obschon die Serben zusammen mit den Montenegrinern 1961 nur 45% der Bevölkerung Jugoslawiens ausmachten, stellten sie 84% aller in den Bundesinstitutionen tätigen Minister, Beamten und Funktionären, ebenfalls 84% aller Bundesrichter, 70% der OfflZiere und 65% der Generäle in der jugoslawischen Volksarmee. Die jugoslawische Geheimpolizei UDBA schließlich rekrutierte sich fast ausschließlich aus Serben und Montenegrinern. Angaben nach Stiglmayer, Ende Jugoslawiens, S. 10 f. 330 Vgl. Furkes, Der unaufhaltsame Aufstieg des Siobodan Milosevic, in: FurkeslSchlarp, Jugoslawien: Ein Staat zerfallt (zit.: Furkes, Milosevics Aufstieg), S. 71 und Höpken, Untli.higkeit zusammenzuleben, S. 45.

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2. Kapitel: OSZE-Streitbeilegungsmechanismen und Jugoslawienkonflikt

formalem Föderalismus, politische Benachteiligung von Minderheiten trotz kultureller Zugeständnisse. 33l Das Abklingen der nationalen Auseinandersetzung in den ersten beiden Nachkriegsjahrzehnten beruhte nicht auf der von Tito bereits 1948 verkündeten Lösung der nationalen Frage,332 sondern auf folgenden Gründen: der Inhaftierung oder Liquidierung der Gegner eines kommunistischen Jugoslawiens in der unmittelbaren Nachkriegszeit, dem Zusammenstehen der Jugoslawen angesichts der Bedrohung ihres Landes durch Stalin und dessen Nachfolger nach Titos Bruch mit Stalin im Jahre 1948,333 dem insbesondere auf westlichen Investitionshilfen beruhenden Aufschwung des Landes und der damit einhergehenden Hebung des Lebensstandards seiner Bewohner, des jugoslawischen Mythos von Einheit und Brüderlichkeit und der Integrationsfigur Titos sowie letztlich und vor allem der Herrschaft der Kommunistischen Partei Jugoslawiens, die ein Wiederaufleben nationaler Gegensätze nicht zuließ.334 Gegen Ende der sechziger Jahre begann die Nationalitätenfrage begünstigt durch eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage wieder an Bedeutung zu gewinnen. Nach Demonstrationen albanischer Studenten fiir mehr Autonomie im Jahre 1968335 und vor dem Hintergrund des seit einigen Jahren schwelenden Sprachenstreits336 erreichte das Wiederaufleben nationaler Antagonismen 1971 in Kroatien seinen Höhepunkt. Dort hatte sich eine von den Studenten und Kulturorganisationen getragene, von der breiten Bevölkerung gestützte und von der kroatischen Parteiführung geduldete nationale Bewegung entwickelt, die die wirtschaftliche Benachteiligung anprangerte und weitreichende Autonomierechte forderte. Ende 1971 schlug Tito den sog. "Kroatischen Frühling" nieder, die kroatische Parteiführung wurde gesäubert und zahlr::iche Personen des öffentlichen Lebens verhaftet und inhaftiert. 33l Höpken, Unfähigkeit zusammenzuleben, S. 45. 332 Nach Stig!mayer, Ende Jugoslawiens, S. 10 konstatierte Tito 1948 "Die Nationalfrage ist bei uns gelöst, und zwar sehr gut gelöst, zur allseitigen Zufriedenheit unserer Nationen." 333 So marschierten 1949 so\\jetische Truppen an den Grenzen Jugoslawiens auf und der Ostblock begann mit einer Wirtschaftsblockade (Stiglmayer, Ende Jugoslawiens, S. 10). 334 Vgl. auch Höpken, Unfähigkeit zusammenzuleben, S. 45. 335 Die Albaner forderten ihre Anerkennung als Staatsvolk und die Schaffimg einer siebten, albanischen Teilrepublik. Die Demonstrationen wurden niedergeschlagen, der rechtliche Status der Provinz Kosovo gegenüber Serbien aber bald darauf verbessert. Vgl. Stiglmayer, Ende Jugoslawiens, S. 11. 336 Bereits 1966 hatten slowenische und makedonische Kommunisten die tatsächliche Umsetzung der verfassungsmäßig verankerten Gleichberechtigung ihrer Sprachen mit dem Serbokroatischen verlangt. Ein Jahr später forderten die Kroaten die Gleichberechtigung der kroatischen Variante der serbokroatischen Sprache mit der serbischen Variante. Vgl. Stiglmayer, Ende Jugoslawiens, S. 11.

ll. Der Einsatz der Streitbeilegungsmechanismen im Jugoslawienkonflikt

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Die Lösung der nationalen Frage sah Tito jedoch nicht in einer Rückkehr zum Zentralismus, sondern in einer weiteren Stärkung des Föderalismus. 337 Mit der Verfassung von 1974 versuchte Tito, die nationalistischen Tendenzen durch eine weitere Dezentralisierung aufzufangen. In dieser Verfassung wurden nicht nur die nationale Individualität der slawischen wie der nichtslawischen Volksgruppen bestätigt, sondern auch den Teilrepubliken weitgehende Befugnisse eingeräumt und die Macht der Zentrale auf ein Minimum reduziert. 338 Die Kompetenzen des Bundes blieben auf Außen- und Verteidigungspolitik sowie gewisse wirtschaftspolitische Richtlinienkompetenzen beschränkt. 339 Der Multinationalität des Landes wurde erstmalig durch eine proportionale Repräsentanz der Republiken und Provinzen in Bundes- und Parteiorganen sowie durch ein ausgeklügeltes Rotationssystem gebührend Rechnung getragen. Die folgenden Jahre bis zu Titos Tod im Mai 1980 waren nationalitätenpolitisch ruhige Jahre, die Wohlstandsentwicklung konnte in dieser Zeit nationalistische Entwicklungen noch kompensieren. (4) Wirtschaftskrise und serbischer Nationalismus als Wegbereiter der Desintegration (die Jahre 1980 - 1990)

Zwei Ereignisse sollten jedoch schon bald nach dem Ableben Titos das von ihm hinterlassene föderative System und das nationale Gleichgewicht Jugoslawiens unterminieren: der rapide Niedergang der jugoslawischen Wirtschaft und das Wiederaufleben des serbischen Nationalismus im Gefolge der Unruhen im Kosovo. Der sich zu Beginn der achtziger Jahre dramatisch beschleunigende Verfall der jugoslawischen Wirtschaft verschärfte zum einen die ökonomischen Interessengegensätze zwischen den einzelnen Republiken, die nunmehr von den Republikfiihrungen um ihrer eigenen Legitimitätssicherung willen untereinander ausgefochten wurden. 340 Zum anderen führte die mit dem wirtschaftlichen Verfall einhergehende soziale Krise zu einem Wiederaufleben der nationalen Konfrontation.

337 Bereits 1966 war nach dem sturz des zweiten Mannes im Staat, des serbischen Innenministers, Sicherheitschefs und Zentralismusverfechters Rankovic der Übergang vom formalen zwn realen Föderalismus eingeleitet worden. VgL Höpken, Unfähigkeit zusammenzuleben, S. 46 und Furkes, MiloSevics Aufstieg, S. 70 f. 338 Schlarp, Staat aus zwei Welten, S. 29. 339 Höpken. Unfähigkeit zusammenzuleben, S. 47. Für weitere Informationen vgL Stiglmayer, Ende Jugoslawiens, S. 12. 340 Höpken, Untahigkeit zusammenzuleben, S. 50. 12 Wenig

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2. Kapitel: OSZE-Streitbeilegungsmechanismen und Jugoslawienkonflikt

Ebenso zersetzende Konsequenzen für den jugoslawischen Staat und das föderative System gingen von den im Frühjahr 1981 im Kosovo ausgebrochenen Unruhen aus. Die drastische Benachteiligung der Albaner bei der ArbeitsplatzvergaW 41 im von der Wirtschaftskrise von allen jugoslawischen Gebieten am meisten betroffenen Kosov0342 fiihrte im April zu schweren Studentenunruhen, bei denen neben einem Ende der Diskriminierung und der Gewährung von Bürgerrechten auch die Umwandlung des Kosovo in eine Republik gefordert wurde. Obwohl der Aufstand massiv niedergeschlagen wurde, lösten diese Unruhen gleichwohl in Serbien eine von den Medien und der Kirche unterstützte Welle der nationalen Propaganda aus. So rief die serbisch-orthodoxe Kirche 1982 zum Schutz der serbischen Bevölkerung und ihrer Heiligtümer im Kosovo auf und bezichtigte albanische Nationalisten des "Völkermordes" an Serben sowie der Schändung serbischer Heiligtümer. 343 Für die Serben hat das Kosovo einen äußerst hohen Symbolwert: Bis ihrer Niederlage gegen die Türken auf dem Amselfeld (Kosovo polje) am 28. Juni 1389 war dieses Gebiet von Serben bewohnt und als Sitz des mittelalterlichen Königreichs Serbien die Wiege serbischer Zivilisation. Für die Serben ist das heute zu 90% von Albanern besiedelte Kosovo ihr historisches, kulturelles und geistiges Zentrum und wird daher von ihnen als historischer Siedlungsboden beansprucht. 344 Angesichts albanischer Racheakte sowie der wirtschaftlichen Misere wanderten zwischen 1983 und 1986 über 11.000 Serben aus dem Kosovo aus. 345 Diese Ereignisse fiihrten in Serbien zu einem Wiedererstarken der nationalistischen Bewegung, an deren Spitze sich Slobodan MiloSevic setzte. Nachdem dieser im Mai 1986 zum Vorsitzenden der serbischen KP gewählt worden war, im Herbst 1987 den Ausschluß seiner Gegner aus dem ZK erreicht und danach die serbische Partei gesäubert und die Medien gleichgeschaltet hatte, ging er dazu über, das in der Verfassung von 1974 festgelegte föderale System zu demontieren. Konzeptionelle Richtschnur für Milo~ics Politik wurde die im Jahre 1985 von der Serbischen Akademie der Wissen341 Anfang der achtziger Jahre hatten von 1000 Einwohnern Kosovos lediglich 109 Albaner, hingegen aber 228 Serben und 258 Montenegriner einen Arbeitsplatz, und dies obwohl die Albaner fast 90 Prozent der Einwohner des Kosovos stellen. Vgl. Furkes, MiloSevics Aufstieg, S. 73. 342 Nach Furkes, Milosevics Aufstieg, S. 72 f. war die Arbeitslosigkeit im Kosovo mehr als dreimal so hoch wie der jugoslawische Durchschnitt und betrug 30 Prozent, die vermutlich noch einmal so hohe verdeckte Arbeitslosigkeit nicht mitgerechnet. 343 Stiglmayer, Ende Jugoslawiens, S. 12. 344 Zametica, Yugoslav conflict, S. 25 und Billing, Bürgerkrieg, S. 10. Ende des 17. Jahrhunderts verließen zehntausende serbischer Familien aus Furcht vor türkischen Repressalien das Kosovo (vgl. zu den Hintergründen dieses Exodus sowie generell zur Geschichte des Kosovo Arday, Hintergrund der Krise, S. 253). 345 Furkes, Milosevics Aufstieg, S. 75.

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schaften und Künste formulierte Programmschrift, das sog. "Memorandum", das in mehreren Punkten die (vielfach angebliche) Benachteiligung Serbiens und der Serben im Nachkriegsjugoslawien Titos aufzeichnete. 346 Angefiihrt wurden eine wirtschaftliche Benachteiligung Serbiens durch die Bundesregierung sowie eine Unterdrückung und der "Genozid" an den außerhalb Serbiens lebenden Serben (im Kosovo durch Vertreibung, in Kroatien durch Zwangsassimilation). Hauptkritikpunkt war jedoch die Verfassung von 1974, die die serbische Republik faktisch in Serbien und die zwei autonomen Provinzen aufgeteilt hatte. 347 Milosevics Ziel war die Zurückschraubung der föderativen Eigenständigkeit der nichtserbischen Republiken bei gleichzeitiger Stärkung eines um die Provinzen geeinten Serbiens. Die ersten Erfolge erzielte er durch organisierte Massendemonstrationen in der Woiwodina und in Montenegro Anfang Oktober 1988: 348 Nachdem 100.000 Serben zwei Tage lang das Parlamentsgebäude in Novi Sad (Woiwodina) belagert und den Rücktritt der Provinzfiihrung verlangt hatten, da diese jegliche Änderung des Status der Provinzen ablehnte und dadurch den angeblichen "Genozid an den Serben im Kosovo" unterstütze, trat die Führung der Woiwodina am 6. Oktober 1988 schließlich zurück. Der zwei Tage später in Titograd nach gleichem Muster gestartete Versuch, die montenegrinische Republikfiihrung wegen mangelnder Unterstützung Serbiens in der Kosovo-Frage zum Rücktritt zu zwingen, mißlang zunächst, da die montenegrinische Regierung die Versammlung durch Polizeieinsatz auflösen ließ; in einem wenige Tage später gestarteten zweiten Anlauf gelang es den Demonstranten dann aber doch, den Rücktritt der Republiksfiihrung zu erzwingen. Die freigewordenen Positionen wurden mit Gefolgsleuten Milo~­ vics besetzt. Die Ereignisse in Montenegro, das bekanntlich im Gegensatz zur Woiwodina nicht nur eine autonome Provinz, sondern eine föderative Republik ist, hatten aber auch gezeigt, daß es Milosevic nicht nur um die Wiederherstellung

346 Vgl. hierzu Cviic, Crisis in South-Eastern Europe, S. 84 f. und Furkes, MiloSevics Aufstieg, S. 53. 347 Das Kosovo und die Woiwodina harten zwar schon in der jugoslawischen Verfassung von 1946 formell den Status autonomer Gebiete erhalten, doch erst die faktische Dezentralisierung durch die Verfassung von 1974 harte dazu gefiihrt, daß die serbische Republik über die ihr formell noch zugehörenden beiden Provinzen de facto keinen Einfhill mehr besaß, diese Gebiete somit nun sogar einen ungeschriebenen Republikstatus erhielten. 348 Zu den Einzelheiten und den Hintergründen der autoritär-populistischen Massenbewegungen vgl. Furkes, Milosevics Aufstieg, S. 77 ff. 12*

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2. Kapitel: OSZE-StreitbeilegWlgsmechanismen Wld Jugoslawienkonflikt

einer geeinten serbischen Republik ging, sondern daß er letztlich großserbische Ziele verfolgte. 349 Das nächste Ziel Milosevics war die Zerschlagung der Autonomie des Kosovo. 350 Auf serbischen Druck wurden zunächst proserbische albanische Politiker in ihre Ämter eingesetzt, es folgten Verhaftungswellen gegen die albanische Intelligenz, durch die der albanische Widerstand im Kosovo seiner Führung beraubt wurde sowie serbischer Polizei- und Militärterror gegen die albanische Bevölkerung. Die Provinzregierung wurde zur Verfassungsänderung genötigt, die am 23. März 1989 die Autonomie des Kosovo beseitigte. Nachfolgende Demonstrationen wurden mit brutaler Gewalt zerschlagen, die kulturellen und politischen Aktionsmöglichkeiten der Albaner systematisch eingeschränkt. Am 3. Juli 1990 wurde schließlich das albanische Parlament aufgelöst, der nachfolgende Generalstreik der Albaner mit der Entlassung von 20.000 Albanern beantwortet. Das Land steht seitdem unter serbischer Militärdiktatur. 351 Seit Ende 1988 begann MiloSevic zudem mit der Mobilisierung der Serben auch außerhalb Serbiens, insbesondere in Kroatien und BosnienHerzegowina. 352 Eine gewaltige Propagandaaktion wurde ins Rollen gebracht, die dem Zweck diente, die Serben in allen Republiken Jugoslawiens, besonders aber in Kroatien, auf den Zusammenhalt einzuschwören. "Samo sloga srbima spaSava" (Nur Zusammenhalt rettet die Serben) sollte zum Motto der nationalkommunistischen serbischen Politik werden. 353 Zwar war die nationalistische Programmatik, die MiloSevics Politik zugrunde lag, noch gesamtjugoslawisch, wenn auch in zentralistischem Gewand, indem sie aber nicht nur die beiden Provinzen, sondern auch die außerhalb Serbiens lebenden Serben in ihr Kalkül einbezog, schimmerten bereits zu diesem Zeitpunkt großserbisch-hegemoniale Züge unverkennbar durch. 354 Milosevics Forderung, daß "alle Serben in einem Staat leben müssen" oder sein Ausspruch "Serbien wird entweder ganz sein, oder es wird gar nicht sein" zeigten dies recht deutlich. 355 Die serbische Repression im Kosovo und das sich hinter dem zentralistischen Kurs immer mehr abzeichnende Hegemonialstreben Serbiens wurde von 349 Furkes, Milosevics Aufstieg, S. 81.

350 Vgl. hierzu Furkes, Milosevics Aufstieg, S. 82 f. Wld Stiglmayer, Ende Jugo-

slawiens, S. 12. 351 Stiglmayer, Ende Jugoslawiens, S. 12. 352 Höpken, Unfähigkeit zusammenzuleben, S. 53. 353 Hardten/Stanisavljevic. Krieg um Kosovo?, in: Rathfelder, Krieg auf dem Balkan, S. 112. 354 Höpken, Unfähigkeit zusammenzuleben, S. 53. 355 Vgl. hierzu Furkes, Milosevics Aufstieg, S. 66.

II. Der Einsatz der Streitbeilegungsmechanismen im Jugoslawienkonflikt

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den beiden nordwestlichen Republiken Slowenien und KIoatien mit großer Sorge betrachtet. Die Angst vor einer Wiederholung der Ereignisse im Kosovo in ihren Republiken und die Perspektive eines von Serbien dominierten zentralistischen Jugoslawiens gab den Autonomie- und schließlich Sezessionsbestrebungen dieser beiden Republiken den entscheidenden Auftrieb. Slowenien sollte in den folgenden Monaten zum Motor dieser Entwicklung werden: Ende 1987 sprach sich der slowenische Parteichef Ku~an für marktwirtschaftliche Reformen aus, im Januar 1989 entschloß sich der BdK356 Sloweniens zur Aufgabe des Parteimonopols und setzte für 1990 die ersten freien Wahlen an. Im Hinblick auf die Gestaltung Jugoslawiens präferierte man eine "asymmetrische Föderation", d.h. eine offene Form der Zusammenarbeit, die jeder Republik das Recht auf eigenständige Gestaltung ihrer inneren Verhältnisse und Bestimmung ihrer Zusammenarbeit mit den anderen Republiken beläßt. 357 Je mehr sich indes abzeichnete, daß eine demokratische Erneuerung Jugoslawiens wegen des serbischen Widerstandes nicht durchsetzbar war, wurde die Autonomiesierung der Republik vorangetrieben. Deutlichstes Merkmal war die noch vor den Wahlen vom BdK Sloweniens beschlossene ausdrückliche Verankerung des Sezessionsrechts in der slowenischen Verfassung. In KIoatien, in dem seit der Säuberung von 1971 eine konservative Parteiführung an der Macht stand, war man anfänglich nicht so sehr für Reformen und Demokratisierung aufgeschlossen wie in Slowenien. Angesichts der komplexeren ethnischen Verhältnisse (der Anteil der Serben in KIoatien beträgt 12%) hoffte man zunächst noch auf eine bundesstaatliche Erneuerung Jugoslawiens. Als sich jedoch immer mehr abzeichnete, daß Slowenien die gesamtjugoslawische kommunistische Partei verlassen würde und KIoatien dann allein den serbischen Zentralisten gegenüberstehen würde, kündigte auch der BdK Kroatiens für 1990 freie Wahlen an. 358 Nachdem jeder der Anträge der slowenischen Delegation auf dem 14. Kongreß des BdKJ359 am 22. Januar 1990 (Garantie der Menschenrechte in Jugoslawien, Beendigung des Ausnahmezustandes im Kosovo, freie Wahlen, Trennung von Partei und Staat) vom "serbischen Block" (Serbien, das gleichgeschaltete Montenegro sowie die gleichgeschalteten Provinzen) überstimmt worden war, verließen die slowenischen Delegierten am Abend demonstrativ den Sitzungssaal. 360 Zur Sitzung des ZK im April erschienen dann nur noch

356 BdK = Bund der Kommunisten. 357 Höpken, Unfliliigkeit zusammenzuleben, S. 54. 358 Stiglmayer, Ende Jugoslawiens, S. 14. 359 BdKJ = Bund der Kommunisten Jugoslawiens 360 Stiglmayer, Ende Jugoslawiens, S. 14.

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2. Kapitel: OSZE-Streitbeilegungsmechanismen und Jugoslawienkonflikt

die serbischen Abgeordneten; den BdKJ, eine der Klammem von Titos Staat, gab es nicht mehr. (5) Der Zerfall Jugoslawiens (1990 - 1991)

1990 fanden beginnend mit Slowenien und Kroatien im April/Mai und endend mit Montenegro und Serbien im Dezember in allen jugoslawischen Republiken erstmals nach dem Krieg freie Wahlen unter den Bedingungen eines Mehrparteiensystems statt. Gemeinsames Merkmal dieser Wahlen war, daß sie zu einer nationalen Homogenisierung fiihrten. 361 In allen Republiken gewannen diejenigen Parteien, die die nationalen Belange am überzeugendsten vertreten hatten. Dies fiihrte zu einer deutlichen Beschleunigung des Verselbständigungsprozesses in den beiden nördlichen Republiken. In Slowenien beschloß das nun regierende Mitte-Rechts-Bündnis DEMOS im Mai 1990 die Priorität der Republikgesetze vor den Bundesgesetzen, im Juli folgte die formelle Souveränitätserklärung und ab September der Aufbau eigener territorialer Streitkräfte. 362 Eine gleiche Politik der Abnabelung vom jugoslawischen Bundesstaat erfolgte in Kroatien, das seit den Wahlen von der HDZ363 Franjo Tudjmans regiert wird. Nachdem sich aufgrund des Widerstandes des serbischen Blocks die Vorschläge Sloweniens und Kroatiens zur Umwandlung Jugoslawiens in einen demokratischen parlamentarischen Rechtsstaat mit einer marktwirtschaftlichen Ordnung als nicht durchfiihrbar erwiesen hatten und eine Einigung über die Abhaltung von Bundeswahlen ebenfalls nicht erzielt werden konnte, fiihrten auch die auf Bundesebene abgehaltenen Verhandlungen über die weitere Reuter, Jugoslawien vor dem Zertall, in: APZ BI4/92, S. 3 ff. Zwischen dem 17.4 und 15.5.1990 hatte die JVA die unter Republikkommando stehenden Territorialstreitkräfte Sloweniens teils und Kroatiens ganz entwaffuet. Die Wiederbewaftnung der beiden Republiken erfolgte durch heimliche Waffenkäufe im Ausland, die der dem Innenminister der jeweiligen Republik unterstehenden und stark ausgeweiteten Reservepolizei zuflossen. Zu den Einzelheiten dieser bedeutsamen Maßnahmen, ohne die die beiden Republiken dem Eingreifen der JVA im Jahre 1991 nichts entgegenzusetzen gehabt hätten und sich insb. Kroatien nicht seine internationale Anerkennung hätte erkämpfen können, vgl. Bebler, Der Krieg in Jugoslawien 1991-1992, in: ÖMZ 5/1992 (zit.: Bebler, Krieg in Jugoslawien), S. 40 I ff. sowie Gow, Deconstructing Yugoslavia, S. 289 tT. Das starke Ungleichgewicht an schweren Waffen zwischen JVA und kroatischen Einheiten konnte freilich erst nach den Anfang 1991 von der kroatischen Regierung genehmigten Angriffen auf Waffenlager und Depos der nunmehr ofTen in den Kampf eingetretenen Bundesarmee teilweise ausgeglichen werden (Bebier, Krieg in Jugoslawien, S. 406). 363 HDZ = Kroatische-Demokratische Gemeinschaft, (kroatische Partei). 361

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Zukunft Jugoslawiens aufgrund der entgegengesetzten Positionen der Beteiligten zu keinem Ergebnis: Während die beiden nördlichen Republiken in der Komöderalisierung Jugoslawiens die einzige Möglichkeit sahen, den Bundesstaat zu erhalten, trat Serbien fur eine föderale Ordnung mit erheblich verstärkter Zentralgewalt ein. 364 Die Anfang 1991, diesmal unter Beteiligung der sechs Republikspräsidenten,365 wiederaufgenommenen Verhandlungen verliefen aufgrund der unüberbrückbaren Gegensätze ebenfalls ergebnislos. Zur Jahreswende 1990/91 verkündeten die Führungen Sloweniens und Kroatiens, daß sich beide Republiken in sechs Monaten zu· unabhängigen Staaten erklären würden, falls es bis dahin nicht gelingen sollte, eine einvernehmliche Lösung über die künftige Ordnung Jugoslawiens zu finden. 366 Slowenien und Kroatien ließen im Dezember 1990 bzw. Mai 1991 Plebiszite durchfuhren, in denen die Bürger entscheiden sollten, ob sie weiterhin in einem Bundesstaat oder in einer Komöderation souveräner Staaten leben wollten. In beiden Fällen entschied sich eine überwältigende Mehrheit der Bürger fiir die konföderale Lösung. 367 Sowohl Kroatien als auch Slowenien strebten in den folgenden Monaten nach einer einvernehmlichen Auflösung des jugoslawischen Staates, um auf diese Weise als Nachfolgestaaten auch die Rechtsnachfolge Jugoslawiens antreten zu können. 368 Derartige Bestrebungen wurden indes von Serbien strikt abgelehnt. Die Beziehungen zwischen den beiden nördlichen Republiken und Serbien, die sich nach der Weigerung Sloweniens, Zolleinnahmen weiterhin an den Bund abzufuhren, der Konfiszierung kroatischen und slowenischen Eigentums in Serbien und der illegalen Aneignung gesamtjugoslawischer Geldreserven durch Serbien und Montenegro369 schon sehr verschlechtert hatten, wurden durch die vom serbischen Block blockierte tumusgemäße Ablösung des Staatspräsidenten Jovic durch den Kroaten Mesic am 15. Mai 1991 364 So wäre jegliche Souveränität der Republiken durch den bindenden Charakter der Bundesgesetze und sonstiger Bundesanweisungen aufgehoben worden, vgl. Gow, Deconstructing Yugoslavia, S. 297. 365 Zu deren Teilnahme bemerkt Gow, Deconstructing Yugoslavia, S. 298: "Tbe inclusion of the republican presidents underscored the authority of the republics themselves, and retlected the reality that, without agreement between the republican authorities, the lederalleadership was impotent." 366 Reuler, Jugoslawien vor dem Zertall, S. 6. 367 Ebenda. 368 So hätten sie die Mitgliedschaft in internationalen Organisationen wie beispielsweise der UNO geerbt und sich grundsätzlich auf alle von Jugoslawien geschlossenen internationalen Verträge berufen können. Vgl. Reuler, Jugoslawien vor dem Zerfall, S. 7. 369 Vgl. zu diesem und dem vorhergehenden Punkt Cviic, Crisis in South-Eastern Europe, S. 84.

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2. Kapitel: OSZE-StreitbeilegWlgsmechanismen Wld Jugoslawienkonflikt

zusätzlich belastet. Nach Ablauf der von ihnen gesetzten Sechsmonatsfrist erklärten Slowenien und Kroatien am 25. Juni 1991 ihre Unabhängigkeit. 370 c) Der Krieg im ehemaligen Jugoslawien (1) Die kämpferischen Auseinandersetzungen in Slowenien

Die direkt nach der slowenischen Unabhängigkeitserklärung erfolgte Übernahme von Bundeszollämtem und die Errichtung eigener slowenischer Grenzschilder lieferte der jugoslawischen Bundesarmee (NA) den Vorwand für ihr am 26. Juni 1991 begonnenes Eingreifen in Slowenien. 371 Ziel der Aktion

370 Zu den völkerrechtlichen Aspekten der Unabhängigkeitserklänmgen Wld den nachfolgenden Kämpfen vgl. Marauhn, Der aktuelle Fall: Die AuseinandersetzWlgen um die UnabhängigkeitsbestrebWlgen der jugoslawischen Teilrepublik Slowenien Das SelbstbestimmWlgsrecht der Völker im Wandel, in: Humanitäres Völkerrecht, 1991 (zit.: Marauhn, UnabhängigkeitsbestrebWlgen Sloweniens), S. 107 ff.; Oeter, Bürgerkrieg in Jugoslawien - Konflikt um Kroatien - Serbisch-Kroatischer Krieg? in: Humanitäres Völkerrecht 1992, Heft 1, S. 4 ff.; Hilpold, Die AnerkennWlg der Neustaaten auf dem Balkan, in: ZaöRV I/53, S. 402 ff.; Murswiek, Die Problematik eines Rechts auf Sezession - neu betrachtet, in: A VR, 31. Bd., Heft 4 (zit.: Murswiek, Problematik eines Rechts auf Sezession), S. 316 ff.; Holderbaeh, Der Krieg im ehemaligen Jugoslawien. Aspekte eines bewaffueten Konflikts aus völkerrechtlicher Sicht, in: WGO - MfoR, 34. Jahrgang (Februar 1993), S. 267 ff. Zu den unterschiedlichen Ansätzen der EG-Mitgliedstaaten bei der Lösung des Jugoslawienkonflikts vgl. Hort, Europas Außenpolitik - ein Fernziel, in: EA 2011991, S. 579; Salmon, Testing times for European political cooperation: the Gulf and Yugoslavia, 1990-1992, in: International Affairs Vol. 68, No. 2 (1992), S. 248 tT.; Edwards, European Responses to the Yugoslav Crisis: An Interim Assessment, in: Rummel, Toward Political Union (zit.: Edwards, European Responses to the Yugoslav Crisis), S. 165 ff.; Rosefeld, Deutschlands Wld Frankreichs Jugoslawienpolitik im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft (1991 - 1993), in: Südosteuropa 11-1211993, S. 621 ff.; Gierseh/Eisermann, Die westliche Politik Wld der Kroatien-Krieg 1991-1992, in: Südosteuropa 3-4/1994 (zit.: GiersehiEisermann, Westliche Politik), S, 91 ff. Zu den internationalen Reaktionen auf die kriegerischen AuseinandersetzWlgen vgl. Weller, The International Response to the Dissolution ofthe Socialist Federal Republic 01' Yugoslavia, in: AJIL, Vol. 86 (1992), (zit.: Weller, Dissolution of the SFRY), S. 569 Ir; Defarges, Les organisations internationales et la crise yougoslave, in: Politique Etrangere 1992, S. 359 ff.; Calie, Jugoslawienpolitik am WendepWlkt, in: APZ B37/93, S. 11 tT. Vgl. hierzu auch die im Europa-Archiv Wld dessen Nachfolger internationale Politik enthaltenen Dokumente zum Konflikt im ehemaligen Jugoslawien mitsamt den jeweiligen kurzen Wld präzisen Zusammenfassungen der Ereignisse, die ZusammentassWlgen von Kramer in der VN sowie die FortsetzWlgserie von Gustenau, Zur (bzw. Die) NeuornWlg des südslawischen Raums in der ÖMZ. 371 Zu den Motiven der JVA vgl. Cviic, Ende Jugoslawiens, S. 410 ff.

II. Der Einsatz der Streitbeilegnngsmechanismen im Jugoslawienkonflikt

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war indes nicht die militärische Niederwerfung Sloweniens, sondern die Wiedererrichtung der jugoslawischen Grenz- und Zollhoheit und somit die zwangsweise Aufrechterhaltung der staatlichen Einheit Jugoslawiens. 372 Nach wechselvollen Kämpfen mit der slowenischen Territorialverteidigung, die jedoch nur eine sehr begrenzte Intensität erreichten, beschloß das von Serbien beherrschte Staatspräsidium Mitte Juli, die Truppen aus Slowenien abzuziehen. 373 Hintergrund rur diese Maßnahme dürfe neben dem drohenden Zerfall der ohne ausreichende Logistik in Slowenien operierenden Kampfeinheiten der NA vor allem die Überlegung gewesen sein, diese Einheiten fiir einen Kampf gegen Kroatien freizubekommen. 374 Der Abzug bedeutete faktisch die Akzeptanz des Ausscheidens Sloweniens aus dem jugoslawischen Staatsverband und somit der Unabhängigkeit und Souveränität Sloweniens durch das von den. Serben dominierte Staatspräsidium. Von ausschlaggebender Bedeutung hierfiir dürfte die Tatsache gewesen sein, daß in dieser national homogenen Republik keine serbische Minderheit existiert. 375 Infolge des unter EG Vermittlung ausgehandelten Abkommens von Brioni vom 7. Juli 1991 wurde die Unabhängigkeit Sloweniens fiir drei Monate außer Kraft gesetzt. 376 Am 15.1.1992 wurde Slowenien zusammen mit Kroatien von der EG anerkannt377 und am 22.5.1992 in die VN aufgenommen.

372

Reuter, Jugoslawien vor dem Zerfall, S. 7.

373 Eine detaillierte Übersicht über den Ablaufnnd die Begleitumstände der Kämp-

fe in Slowenien gibt Bebler, Krieg in Jugoslawien, S. 404 f. Vgl. auch Reuter, Jugoslawien vor dem Zerfall, S. 8. Zu den internationalen Vermittlnngsbemühnngen vgl. AdG 1991 S. 35854 ff. nnd Reuter, Die Entstehnng der jugoslawischen Krise nnd ihre InternationalisiefWlg (zit.: Reuter, InternationalisiefWlg), in: Südosteuropa 7-8/1991, S. 346 ff. 374 Vgl. Bebler, Krieg in Jugoslawien, S. 405 nnd Reuter, Jugoslawien vor dem Zerfall, S. 8. 375 Reuter, InternationalisiefWlg, S. 348. 376 Vgl. hierzu Reuter, InternationalisiefWlg, S. 347 f. Der Wortlaut des Abkommens von Brioni ist abgedruckt in: EA 21/1991, D537 ff. 377 Die Anerkennnng durch die Bnndesrepublik Deutschland war bereits am 23.12.1991 erfolgt; die diplomatischen Beziehnngen wurden in Absprache mit der EG jedoch erst am 15.1.1992 aufgenommen.

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2. Kapitel: OSZE-StreitbeilegWlgsmechanismen Wld Jugoslawienkonflikt

(2) Der Krieg in Kroatien

(a) Die Entwicklung in Kroatien bis zur Unabhängigkeitserklärung In Kroatien war es schon vor der Unabhängigkeitserklärung am 25.6.1991 zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Kroaten und den in Kroatien lebenden Serben gekommen. Der Wahlsieg der nationalistischen HDZ unter Franjo Tudjman im Mai 1990 wurde von den vorwiegend in Norddalmatien (Krajina) und Ostkroatien (Slawonien) lebenden knapp 600.000 Serben mit Sorge betrachtet. Schon der mit übertriebenen nationalistischen Tönen gefiihrte Wahlkampf der HDZ hatte die Serben verunsichert, die verfassungsrechtliche Herabstufung der Serben vom zweiten Staatsvolk zur Minderheit ohne ausreichenden Minderheitenschutz in der neuen kroatischen Verfassung vom Dezember 1990378 sowie die Aufhebung der bisherigen Zweidrittelmehrheit bei nationalitätspolitischen Beschlüssen des kroatischen Parlaments nährten Diskriminierungsbefiirchtungen. 379 Die teils unsensibel vorgenommene Korrektur der serbischen Überrepräsentation in Miliz, Staat und Verwaltung wurde von den Serben als erster Schritt der Unterdrückung interpretiert. 380 Die nachdrückliche Demonstration kroatischer Souveränitätssymbole, insbesondere die Einfiihrung des neuen kroatischen Wappens, das große Ähnlichkeit mit dem der Ustascha-Regierung 1941-1945 hatte, weckten unter den Serben Kroatiens leicht mobilisierbare und manipulierbare Ängste. Angesichts des Zerfall des BdKJ und den Wahlergebnissen in Slowenien und Kroatien begann MiloseviC seit dem Frühjahr 1990 eine Kursänderung seiner Politik vorzunehmen. Hatte er sich bisher fiir den Erhalt des jugoslawischen Gesamtstaates unter serbisch zentralistischer Führung eingesetzt, so rückte nun die Schaffung eines durch Grenzkorrekturen erweiterten Großserbiens in den Vordergrund seines HandeIns. So erklärte Milosevic bereits Mitte 1990, daß sich beim Zerfall Jugoslawiens die Frage der innerjugoslawischen Grenzen neu stellen würde. Der serbische "Minister fiir die Beziehungen mit den Serben außerhalb Serbiens", Stanko Cvijan, schließlich erklärte, daß "alle Serben in einem Staat leben müssen. "381 Für Kroatien und später in noch stärkerem Maße auch fiir Bosnien-Herzegowina sollte dies katastrophale Folgen haben.

378 Zur Kritik an der kroatischen VerfassWlg vom 22. Dezember 1990 im Hinblick auf die WlZUlänglichen Minderheitenrechte vgl. HummerlHilpold, Die Jugoslawienkrise als ethnischer Konflikt, in: EA 4/1992 (zit.: HummerlHilpold, Jugoslawienkrise), S. 90 tT. 379 Höpken, Untahigkeit zusammenzuleben, S. 55 f. 380 Höpken, Unfahigkeit zusammenzuleben, S. 56. 381 Zitat nach Höpken, Unfahigkeit zusammenzuleben, S. 57.

II. Der Einsatz der Streitbeilegungsmechanismen im Jugoslawienkonflikt

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Nachdem die NA im Mai 1990 die kroatische Territorialverteidigung entwaffnet hatte, begann sie die Serben in Kroatien aus diesen und ihren eigenen Beständen zu bewaffnen. 382 Im August 1990 kam es in Knin (Krajina) zum Aufstand der Serben, der sich in den folgenden Monaten auf die gesamte Krajina und Ostslawonien ausdehnte. Da diese Ereignisse von den kroatischen Behörden zunächst militärisch praktisch nicht behindert wurden383 , gelang es den serbischen Aufständischen ohne nennenswerte Kampfhandlungen große Landstriche Kroatiens unter ihre Kontrolle zu bringen. 384 Die NA, die offiziell behauptete unparteiisch zu sein und vorgab, die Eskalation zwischen kroatischen Einheiten und serbischen Freischärlern verhindern zu wollen, arbeitete in Wirklichkeit mit den serbischen Insurgenten zusammen, schinnte diese von kroatischen Gegenaktionen ab und versorgte sie mit Waffen, Munition, nachrichtendienstlichen Erkenntnissen und oft auch mit Verpflegung. 385 Die Belgrader Presse schürte unterdessen weiterhin gezielt die Ängste der in Kroatien lebenden Serben vor einer Wiederholung der kroatischen Vernichtungspolitik des Ustascha-Staates386 durch Äußerungen wie "Der totgeglaubte kroatische Faschismus ist wieder zu neuem Leben erwacht" oder der Bezeichnung der kroatischen Regierung als "genozide Ustascha Regierung" und riet den Serben, sich durch die Schaffung autonomer Provinzen vor der kroatischen Regierung zu schützen. 387 Noch in der zweiten Jahreshälfte 1990 wird dann von den Serben das "Serbische Autonome Gebiet Krajina" ausgerufen und eine eigene serbische Regierung gebildet. 388 Durch seine tatkräftige politische, finanzielle und militärische Unterstützung der Serben in Kroatien heizte die Belgrader Regierung den Minderhei-

382 Bebler, Krieg in Jugoslawien, S. 401.

383 Die Erfolglosigkeit der anfänglichen Bemühungen Kroatiens, den serbischen

Aufstand zu unterdIiicken, hatte sich am ersten Tag der serbischen Erhebung gezeigt, als die von Zagreb nach Knin entsandten Hubschrauber mit kroatischen Polizeikräften an Bord von zwei Kampffiugzeugen der jugoslawischen Luftwaffe gehindert wurden, ihr Ziel zu erreichen. (Vgl. zu diesem Ereignis Bebler, Krieg in Jugoslawien, S. 402 und Stiglmayer, Ende Jugoslawiens, S. 15). 384 Bebler, Krieg in Jugoslawien, S. 403. 385 Bebler, Krieg in Jugoslawien, S. 403. Bebler weist zudem auf Seite 406 darauf hin, daß "kein Fall bekannt (ist), in dem die angeblich neutralen Einheiten der NA die Stellungen der serbischen Aufständischen beschossen oder angegriffen hätten, es sei denn aufgrund eines Irrtums." 386 Vgl. hierzu die Ausflihrungen auf S. 172 f. 387 Vgl. hierzu Stiglmayer, Ende Jugoslawiens, S. 14 f. 388 Vgl. hierzu Miedlig, Gründe und Hintergründe der aktuellen Nationalitätenkonflikte in den jugoslawischen Ländern, in: Südosteuropa 2/1992 (zit.: Miedlig, Hintergründe der Nationalitätenkonflikte), S. 119.

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2. Kapitel: OSZE-StreitbeilegWlgsmechanismen Wld Jugoslawienkonflikt

tenkonflikt in Kroatien weiter an. 389 Nachdem Milosevic Anfang Januar 1991 noch einmal bekräftigt hatte, daß die Republiksgrenzen "rein administrativ" seien und nicht einfach zu Staatsgrenzen erklärt werden könnten, unterstricht er, daß das serbische Volk es nicht hinnehmen werde, auf verschiedene souveräne Staaten verteilt zu werden; das Thema der Grenzen Serbiens sei eine offene politische Frage, Serbien sei überall dort, wo serbische Gräber seien. 390 Anfang April kam es zu den ersten TodesfaIlen, als serbische Freischärler kroatische Dörfer und Polizeistationen angriffen und mehrere Polizisten ermordeten. 391 (b) Die serbische Offensive im August 1991 und ihre Hintergründe

Nach der Unabhängigkeitserklärung Kroatiens im Juni 1991 häuften sich die bewaffneten Auseinandersetzungen: zum einen gingen die größtenteils in der Woiwodina und Serbien ausgebildeten serbischen Freischärler392 nun

389 Reuter, Jugoslawien vor dem Zerfall, S. 9, resümiert hieIZU treffend: "Die Republik Serbien, die nicht müde wurde zu betonen, sie befände sich nicht im Krieg, hat den Krieg in Kroatien initiiert, finanziert Wld mehr Wld mehr eskaliert. Sie bediente sich dabei der serbischen Freischärler Wld der Armee als Instrumente, wobei sie der Armee zWlächst eine weitgehend passive Rolle zugewiesen hatte." Bebler, Krieg in Jugoslawien, S. 404, weist ergänzend darauf hin, daß "das klar manipulierte Auffiammen der Gewalt in Kroatien Wld die nachfolgende weitere VerschlechterWlg der Beziehungen zwischen Serbien Wld Kroatien Milosevic (halfen), die aufkeimende, hauptsächlich außerparlamentarische Opposition in Serbien zu überleben." (Am 9. MäIZ 1991 war es zu großen antikommunistischen Demonstrationen in Belgrad gekommen, die nur durch massiven Polizeieinsatz Wlter VerwendWlg scharfer Munition aufgelöst Wld deren FortsetzWlgen nur durch die abschreckende WirkWlg einer auf Bitten der serbischen RegierWlg zum Schutz der öffentlichen Gebäude in die Innenstadt abkommandierten Panzerdivision der JVA verhindert werden konnten, vgl. hierzu: AdG 1991, S. 35637 tr). 390 Vgl. zu diesen ÄußefWlgen Milosevics: Stiglmayer, Ende Jugoslawiens, S. 14 f. 391 Vgl. zu diesen Ereignissen: AdG 1991, S. 35641 Wld Bebler, Krieg in Jugoslawien, S. 403. 392 Vgl. hierzu Bebler, Krieg in Jugoslawien, S. 404 Wld 406 sowie Gow, One Year of War in Bosnia and Herzegovina, in: RFEIRL Research Report, Vol. 2, No. 23, 4 June 1993 (zit.: Gow, One year of War), S. 7. Die serbischen Freischärler in Kroatien setzten sich zum größten Teil aus der lokalen serbischen BevölkerWlg zusammen, von denen insb. die Bewohner Ostslawoniens in der benachbarten Woiwodina ausgebildet worden waren. In Ostslawonien kamen zudem sog. "irreguläre Einheiten" zum Einsatz, die zuvor in Serbien gebildet worden waren. Die berüchtigste hiervon waren die "Serbischen Tiger" des Zeljko Rafnjatovic, genannt Arkan. Diese von einem in mehreren europäischen Staaten stratrechtlich verfolgten Schwerstverbrecher gefuhrte Krirninellengruppe trug durch ihre Wlbeschreibbaren, sadistischen Grausamkeiten gegenüber

II. Der Einsatz der Streitbeilegungsmechanismen im Jugoslawienkonflikt

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dazu über, die kroatische Polizei und Nationalgarde gezielt anzugreifen und die kroatische Bevölkerung in den von ihnen kontrollierten Gebieten zu terrorisieren, zu vertreiben oder zu liquidieren. 393 Zum anderen trat jetzt die NA, deren Kasernen zuvor von Kroaten blockiert worden waren, offen als kriegfiihrende Partei in Erscheinung. Bis Mitte August waren die Militäraktionen der JVA allerdings recht begrenzt. Dies änderte sich in der zweiten Augusthälfte schlagartig, als die JVA in West- und Ostslawonien zur Großoffensive antrat. Der Hintergrund rur diese Eskalation der Kämpfe verdient besondere Aufmerksamkeit: 394 Überrascht von der EG-Intervention Ende Juni zur Beendigung des Krieges 395 wurden von der NA Überlegungen angestellt, ob die internationale Staatengemeinschaft bei einer gewaltsamen Niederschlagung der kroatischen Unabhängigkeitsbestrebungen wie in Kuwait militärisch intervenieren würde. Mitte August war die JVA Führung zu der Überzeugung gelangt, daß im SR unter anderem wegen der fehlenden Bedrohung lebenswichtiger Interessen der USA sowie traditioneller russischer Affinitäten mit Serbien ein Konsens fiir eine Operation "Balkanstorrn" schwerlich zu erreichen sei. Unmittelbar nach dieser - letztlich zutreffenden - Lageeinschätzung begann die NA am 17. und 19. August ihre Offensive in Kroatien mit dem Ziel, Kroatien militärisch zu besiegen, um es so von der Sezession abzuhalten und zum Verbleib in Jugoslawien zu zwingen. 396 Auch sollte die kroatische Regierung gestürzt werden. 397 (c) Milosevics Ziel eines Groß serbiens und die Folgen für Kroatien Im Herbst 1991 fiel dann in Belgrad eine Entscheidung, die nicht nur fiir Kroatien, sondern auch für Bosnien-Herzegowina existentielle Folgen haben sollte:

hilflosen kroatischen Zivilisten und sich ergebenden Soldaten und Polizisten wesentlich zur kroatischen Massenflucht aus Ostslawonien bei. 393 Vgl. AdG 1991, S. 35798 und 35858 sowie Bebler, Krieg in Jugoslawien, S. 405 f. 394 Vgl. hierzu Gow, One Year ofWar, S. 5 f. 395 Vgl. Reuter, Internationalisierung, S. 344. Eine Darstellung und Bewertung der EG-Aktivitäten lindet sich bei Edwards, European Responses to the Yugoslav Crisis, S. 165 ff. sowie Giersch/Eisermann, Westliche Politik, S. 105 ff. Für eine KUIZÜbersicht vgl.: Dokumente zum Konflikt in Jugoslawien, in: EA 21/1991, S. D525 ff. 396 Reuter, Jugoslawien vor dem Zerfall, S. 9. 397 Gow, One Year ofWar, S. 6.

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An die Stelle der gewaltsamen Erzwingung eines Verbleibens Kroatiens im jugoslawischen Bundesstaat trat nun die militärische Verwirklichung des von Milosevic schon im Juni 1990 anvisierten Ziels der Schaffung eines als Restjugoslawien bezeichneten Groß serbiens, das die strategische Infrastruktur des alten Jugoslawiens und alle Gebiete mit "zuverlässiger", d.h. serbischer Bevölkerung umfaßt. 398 Die in diesen Gebieten neben den Serben lebende nichtserbische Bevölkerung sollte im Rahmen einer großangelegten "ethnischen Säuberung" entweder durch Terror zur Flucht veranlaßt oder vertrieben bzw. liquidiert werden, um auf diese Weise zu einer ethnisch homogenen Bevölkerungsstruktur zu kommen. Die unter dem Vorwand des "Schutzes der serbischen Minderheit" begonnene Intervention der NA wandelte sich nun zu einem reinen Eroberungskrieg. . Einerseits sollte ein möglichst gioßer Teil Kroatiens unter serbische Kontrolle gebracht werden, um diese Gebiete bei einer Friedenskonferenz als Faustpfand rur erhebliche territoriale Ansprüche gegenüber Kroatien einsetzen zu können. 399 Andererseits galt es, strategische Positionen, wie etwa die Konvali-Region in Süddalmatien, rur das spätere Groß serbien zu erobern. 400 Neben der Eroberung der strategischen Gebiete rückte immer mehr die bislang nur von den serbischen Aufständischen praktizierte "ethnische Säuberung" in den Vordergrund der JVA-Aktivitäten, wie die Belagerung Dubrovniks deutlich zeigte: Obschon die Einnahme der Stadt durch die NA leicht 398 Vgl. Gow, One Year ofWar, S. 6. Während Gow von "mini-Yugoslavia" spricht, wird hier die Bezeichn\lllg "Großserbien" verwendet, da dies die Natur des angestrebten Staates insb. hinsichtlich der "ethnischen SäubeTllllg" besser zum Ausdruck bringt. Vgl. auch JojJe, The New Europe: Yesterday's Ghosts, in: Foreign Mairs, Vol. 72 No. 1 (1993), S. 31 "If Serbia could not dominate all of Yugoslavia, then Greater Serbia was the second-best solution. " 399 Reuter, Jugoslawien vor dem Zerfall, S. 9. 400 Die Ereignisse in dieser Region verdeutlichen sehr anschaulich; daß der auch heutzutage noch von Belgrad angeflihrte "Schutz der serbischen Minderheit" nur den Deckmantel für den von Serbien geführten ErobeTllllgskrieg gegen Kroatien darstellte: Im Gegensatz zu den anderen Krisenregionen Kroatiens war es in der Konvali-Region noch nicht zu territorialen Abspaltungen \llld bewaffneten Übergriffen der dortigen kleinen serbischen Minderheit gekommen. Bei der dennoch Ende September 1991 erfolgten Besetzllllg dieser Region durch die NA spielten allein strategische Grunde eine Rolle: Bei einer Abspaltung Kroatiens verbliebe den jugoslawischen Streitkräften als einziger Marinehafen die Bucht von Kotor an der Nordgrenze Montenegros zu Kroatien. Wäre Kroatien noch im Besitz der in der Konvali Region gelegenen Prevlaka Halbinsel, die den nördlichen Teil dieser Bucht bildet, so hätte es diese Bucht von Norden her kontrollieren können. Vgl. hierzu Gow, One Year of War, S. 6 f. sowie allgemein Bebler, Krieg in Jugoslawien, S. 403 \llld Stiglmayer, Ende Jugoslawiens, S. 16.

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möglich gewesen wäre, entschied man sich in Belgrad fiir eine Belagerung und systematische Zerstörung durch Artillerieangriffe. Der Hintergrund hierfiir ist nicht in einer zuweilen angenommenen Bestrafung Kroatiens401 zu sehen, sondern im Prinzip der "ethnischen Säuberung"402: Durch gezieltes Bombardement und Artilleriebeschuß kroatischer Städte sollten möglichst viele Kroaten zur Flucht veranlaßt und ihre spätere Rückkehr durch Niederbrennen oder Sprengen ihrer Häuser verhindert werden. 403 Hierdurch sollte die spätere strategische Kontrolle über das betreffende Gebiet, in dem dann Serben anzusiedeln wären, ein für allemal sichergestellt werden, indem jegliche spätere Opposition der besiegten Bevölkerung in Form von politischem Aufruhr oder Guerillaaktivitäten in diesem Gebiet durch ihre Vertreibung unmöglich wird. 404 Durch diese Maßnahmen sowie die Vertreibung und Ermordung kroatischer Zivilisten unterstützte die NA die von den serbischen Aufständischen praktizierte "ethnische Säuberung" der eroberten Gebiete. 405 Bis zur Einstellung größerer militärischer Operationen im Januar 1992 war es den serbischen Freischärlern und der NA gelungen, ein Drittel des Territoriums der Republik Kroatien unter ihre feste Kontrolle zu bringen. Bereits am 19. Dezember 1991 hatten die Serben dieses die Krajina sowie große Teile Ost- und Westslawoniens umfassende Gebiet zur "Republik Serbisch Krajina" (RSK) erklärt. (d) Die Entwicklung zwischen Januar 1992 und Dezember 1994 In der Hoffnung, daß die mit einer Anerkennung verbundene Internationalisierung des Konflikts die serbische Aggression in Kroatien beenden' würde, erklärten die EG-Außenminister im Rahmen der EPZ am 16. Dezember 1991, daß sie diejenigen Republiken, die sich verpflichten, die zuvor ausgearbeiteten EG-Anerkennungsrichtlinien406 sowie die im Übereinkommensentwurf der Jugoslawien-Konferenz festgehaltenen Bestimmungen zu akzeptieren, am 15. 401 Vgl. zu diesem Aspekt Beb/er, Krieg in Jugoslawien, S. 406. 402 So Geter, Kriegsverbrechen, S. 10 f. mit Verweis auf die Feststellungen des UNSpecial Rapporteurs fur Jugoslawien, Mazowiecki. 403 Beb/er, Krieg in Jugoslawien, S. 407. 404 Vgl. Gow, One Year ofWar, S. 7. 405 Vgl. zu diesen Ereignissen Beb/er, Krieg in Jugoslawien, S. 406 f sowie insb. die bei Geter, Kriegsverbrechen, S. 10, aufgefiihrte Literatur. 406 Die Richtlinien, zu denen auch "Garanien fur die Rechte ethnischer und nationaler Gruppen und Minderheiten im Einklang mit den im Rahmen der KSZE eingegangenen Verpflichtungen" gehören, sind abgedruckt in: EA 3/1992, S. Dl20.

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2. Kapitel: OSZE-StreitbeilegWlgsmechanismen Wld Jugoslawienkonflikt

Januar anerkennen würden. 407 Die am 27. August 1991 zusammen mit der Londoner Friedenskonferenz geschaffene Schiedskommission unter Vorsitz des Präsidenten des französischen Verfassungsgerichts Robert Badinter4° 8 erklärte in ihrem am 11. Januar 1992 zur Anerkennung Kroatiens abgegebenen Gutachten409 , daß die kroatische Verfassung insbesondere dem im Übereinkommensentwurf rur Minderheiten geforderten "special status" nicht ganz entspreche und daß die kroatische Regierung in diesen Punkten ihre Verfassung ergänzen solle, daß aber "subject to this reservation, the Republic of Croatia meets the necessary conditions for ist recognition. "410 Präsident Tudjman erklärte daraufhin dem Vorsitzenden der Schiedskommission, daß Kroatien den geforderten Minderheitenschutzbestimmungen Rechnung tragen werde. 411 Demzufolge wurde Kroatien am 15. Januar 1992 von der EG anerkannt. Nachdem sich die bereits am 23. November 1991 unter Vermittlung des UN-Sonderbotschafters Vance zwischen Tudjman, Milosevic und dem jugoslawischen Verteidigungsminister Kadijevic in Genf ausgehandelte Waffenruhe ab Januar 1992 stabilisierte412 und sowohl der kroatische Präsident als auch das selbsternannte Parlament der Krajina-Serben der von der jugoslawischen Regierung ersuchten Schaffung einer UN-Friedensoperation413 zugestimmt hatten,414 beschloß der SR im Februar 1992 die Einrichtung der UN Schutztruppe (UN Protection Force = UNPROFOR).415 407 Vgl.: Gemeinsamer Standpunkt im Hinblick auf die AnerkennWlg jugoslawischer Republiken, BfÜssel, 16. Dezember 1991, abgedruckt in: EA 3/1992, S. DI21. 408 Vgl.: EPZ-Erklärung zu Jugoslawien, Außerordentliche EPZ-MinistertagWlg, BfÜssel, 27. August 1991, abgedruckt in: EA 21/1991, S. D543 f. 409 Insgesamt wurden von der Schiedskommission zehn Gutachten angefertigt. Deren Text ist abgedruckt in: 3 EJIL (1992), S. 182 ff. Wld 4 EJIL (1993), S. 74 ff. 410 Opinion No. 5 on the Recognition of the Republic of Croatia by the European CommWlity and its Member States, abgedruckt in: 4 EJIL (1993), S. 76 f. 411 Vgl. Rich, Recognition of States. The Collapse of Yugoslavia and the Soviet Union, in: 4 EJIL (1993), (zit.: Rich, Recognition ofStates), S. 48. 412 HintergfWld hierfür war das sog. 15. Waffenstillstandsabkommen, das am 2. Januar 1992 Wlter VermittlWlg von Vance zwischen Delegationen der BWldesarmee NA Wld der kroatischen Nationalgarde vereinbart wurde (vgl. AdG 1992, S. 36384. Bei diesem Abkommen handelt es sich um eine "DurchführungsvereinbarWlg betreffend die Modalitäten des Vollzugs der von den Parteien am 23. November 1991 in Genf vereinbarten bedingWlgslosen FeuereinstellWlg" (vgl. SIRes. 727 (1992) Nr. 2). 413 Vgl. S/23240 vom 26.11.1991 414 Vgl. den Bericht des GS vom 15.2.1992 (S/23592 I Wld Annex I-IV). Zu den Widerständen auf Seiten der Krajina Serben gegen die StationiefWlg der UNBlauhelme vgl. AdG 1992, S. 36540 f. Zu den von Tudjman geforderten NachbessefWlgen, die er schließlich auf Intervention des damaligen BWldesaußenministers Genscher zwar zurückstellte, aber nicht aufgab, vgl. Kramer, Aus dem Bereich der VN -

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Aufgrund finanzieller und technischer Probleme zog sich die vollständige Disloziierung der knapp 15.000 Mann starken UN-Friedenstruppe bis Juli 1992 hin. 416 Hauptaufgaben der in drei Schutzzonen (Ost- und Westslawonien sowie Krajina) stationierten Blauhelme417 sind gemäß dem UNFriedenssicherungsplan418 die Sicherstellung der Entmilitarisierung dieser Zonen, die Überwachung der lokalen Polizeistreitkräfte und die Unterstützung rückkehrbereiter Flüchtlinge. Diese Ziele wurden bisher nicht erreicht. 419 Ende Januar 1993 unternahm die kroatische Nationalgarde eine örtlich begrenzte Offensive zur Rückeroberung des strategisch wichtigen Hinterlandes von Zadar sowie dreier herausragender Wirtschaftsobjekte, 420 nachdem vorangegangene Verhandlungen mit den Krajina-Serben über die Rückgabe dieser Objekte gescheitert waren. 421 Nach der Rückeroberung der Angriffsobjekte stellte Kroatien bei zunehmendem internationalen Druck seine Offensive Anfang Februar ein. 422 Der in der SR-Resolution 802 geforderte Rückzug der Kroaten aus den ZUTÜckeroberPolitik Wld Sicherheit - Jugoslawien, in: VN 2/1992, S. 58 sowie S123592 I Wld Annex I-m. 415 SIRes. 743 (1992). 416 AdG 1992, S. 36927 f. 417 Vgl. hierzu AbbildWlg im Anhang, S. 381. 418 Bericht des GS vom 11. Dezember 1991 (S/23280 Annex m), gebilligt vom SR in SIRes. 724 (1991) Nr. 1. Diese BilligWlg wurde vom SR in SIRes. 740 Nr. 1(1992) noch einmal ausdrücklich bekräftigt. Der durch den Bericht des GS vom 15.2.1992 (S/23592) modifIzierte FriedenssichefWlgsplan ist GfWldlage des SR-Beschlusses zur EinrichtWlg der UNPROFOR, vgl.: SIRes. 743 (1992) Nr. 2. In der Literatur wird der FriedenssichefWlgsplan der VN zumeist als Vance-Plan bezeichnet. 419 Vgl. hierzu im folgenden aufS. 200 ff. 420 Maslenica-Brücke, Flughafen von Zadar Wld Peruca-Staudarnm. 421 Vgl. AdG 1993, S. 37539 f1 422 Das Hauptziel der kroatischen Offensive, nämlich die RückerobefWlg des gesamten Hinterlandes von Zadar, wodurch die Maslenica-Brücke (die einzig verbliebene LandverbindWlg zwischen dem kroatischen Kemland Wld Süddalmatien) außerhalb der Reichweite serbischer Artillerie gerückt wäre, wurde indes nicht erreicht. So wurde denn auch die von den Kroaten neben der zerstörten Maslenica-Brücke errichtete Pontonbrücke wenige Tage nach ihrer Inbetriebnahme durch serbisches Artilleriefeuer wieder zerstört. Nachfolgende Reparaturversuche kroatischer Pioniere wurden ebenfalls durch den anhaltenden Beschuß ZlUlichte gemacht. Vgl. zu diesen Ereignissen Billing, Die aktuelle Lage im früheren Jugoslawien: Politische Wld militärische EntwicklWlgen seit Mitte 1991, in: SchlotterlBillinglKrelVSchmidtlSchoch, Der Krieg in Bosnien Wld das hilflose Europa (zit.: Billing, Aktuelle Lage), S. 26 sowie AdG 1993, S. 38126, in dem zudem die Rolle der UNPROFOR während dieser Geschehnisse beleuchtet wird. 13 Wenig

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2. Kapitel: OSZE-Streitbeilegwlgsmechanismen und Jugoslawienkonflikt

ten Gebieten423 ist von diesen bisher mit dem Hinweis abgelehnt worden, daß die Serben in der Krajina zunächst der an sie in der gleichen Resolution gestellten Forderung424 entsprechen müßten, die von ihnen aus den UN-Depots entwendeten schweren Waffen zurückzugeben. 425 Die ohnehin gespannte Situation in den serbisch besetzten Teilen Kroatiens verschärfte sich im Sommer 1993, als sich die Krajina-Serben Mitte Juni in einem von Zagreb als illegal bezeichneten Referendum mit überwältigender Mehrheit für "eine souveräne Republik Serbische Krajina (RSK) und ihre Vereinigung mit der Serbischen Republik (in Bosnien-Herzegowina426 ) und danach auch mit übrigen serbischen Ländern (gemeint ist Restjugoslawien427 )" entschieden428 und ein Abkommen zur Entspannung der Situation um Zadar nicht umgesetzt wurde. 429 Daß es an der dalmatinischen Front sowie den übrigen Krisengebieten Kroatiens in den darauffolgenden Monaten dennoch relativ ruhig blieb, dürfte seine Ursache weniger in den Vermittlungsbemühungen der VN als vielmehr in der seit Juni 1993 eingeleiteten und bis Ende des Jahres fortgesetzten Zusammenarbeit der Serben und Kroaten in Bosnien-Herzegowina haben. 430 Am 30. März 1994 gelang unter maßgeblicher Mitwirkung der russischen Diplomatie die Unterzeichnung eines umfassenden Waffenstillstandes für die serbisch besetzten Gebiete Kroatiens, der am 3. April in Kraft trat und seither eingehalten wurde. 431 Anfang Dezember 1994 wurde unter internationaler Vermittlung ein Wirtschaftsabkommen zwischen Zagreb und den KrajinaSerben unterzeichnet, das die Wiedereröffnung der durch serbisch kontrolliertes kroatisches Gebiet führenden Verkehrswege sowie einer Ölpipeline vorsieht. 432 Die kroatische Führung wies anläßlich der getrennt erfolgten Unterzeichnung des Abkommens darauf hin, daß sich aus der Übereinkunft keine rechtliche Anerkennung der RSK herleiten lasse. 433

423 SIRes. 802 (1993) Nr. 1. 424 SIRes. 802 (1993) Nr. 3.

425 Vgl.: NZZ vom 14.9.1993, S. 5. 426 Anm. des Verf. 427 Anm. des Verf. 428 AdG 1993, S.38000.

429 Zum Abkonunen von Erdut vgl. AdG 1993, S. 38125 430 AdG 1993, S. 38000.

fr.

431 Zu den Einzelheiten dieses Waffenstillstandsabkommens vgl. AdG 1994, S. 38825 f. 432 Vgl. AdG 1994, S. 39587. 433 Vgl. AdG 1994, S. 39587 f.

ll. Der Einsatz der Streitbeilegungsmechanismen im Jugoslawienkonflikt

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(e) Friedensperspektiven fiir Kroatien unter Berücksichtigung der Situation in den serbisch besetzten Gebieten (a) Die gegensätzlichen Standpunkte Kroatiens und der RSK-Repräsentanten

Die Aussichten auf eine politische Einigung zwischen der RSK und Kroatien sind aufgrund der konträren Standpunkte als sehr gering einzustufen: Während Kroatien unter Berufung auf das Völkerrecht darauf verweist, daß die von Serben kontrollierten Gebiete besetztes kroatisches Territorium sind, hat nach Auffassung des bis Januar 1994 amtierenden RSK-Präsidenten Hadiic "die Loslösung Kroatiens von Jugoslawien zwei Staaten hervorgebracht die Republik Kroatien und die Serbische Republik Krajina. "434 Auch sein Nachfolger Martic erklärte die "Bewahrung des eigenen Staates, der Republik Serbisch Krajina" zur Grundrnaxime seiner Politik. 435 (ß) Be/grader Teilungsp/äne im Lichte machtpolitischer Veränderungen

In Belgrad hingegen wurden im Juni 1993 Pläne für eine begrenzte Rückgabe der serbisch besetzten Gebiete Kroatiens verbunden mit einem Bevölke-

434 Vgl. AdG 1993, S. 37573. Die RSK besäße, so erklärte "Außenrninister" Jarcevic im Juli 1993, die von der EG 1991 erwähnten Elemente fiir eine Anerkennung als Staat: das Territorium, das Volk und die eigenen Staatsorgane (vgl. AdG 1993, S. 38127). Die entscheidenden Merkmale der EG-Richtlinien fiir die Anerkennung neuer Staaten, nämlich "die Achtung der Bestimmungen der UN-Charta und der Verpflichtungen aus der Schlußakte von Helsinki und der Charta von Paris, insbesondere im Hinblick auf Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechte" sowie "Garantien fiir die Rechte ethnischer und nationaler Gruppen und Minderheiten im Einklang mit den im Rahmen der KSZE eingegangenen Verpflichtungen" - was im Hinblick auf die Anerkennung der jugoslawischen Republiken sogar noch einmal besonders hervorgehoben wurde - , wurden allerdings von Jarcevic wohl im Bewußtsein der Tatsache, daß diese Rechte und Verpflichtungen von den Behörden der RSK weiterhin massiv verletzt werden, gar nicht erst erwähnt. Auch gilt es zu beachten, daß diese EGAnerkennungsrichtlinien sich nur auf die sechs damals bestehenden jugoslawischen Republiken, also nicht auch auf die autonomen Gebiete und erst recht nicht auf neu erklärte Republiken beziehen. Der Wortlaut der "Richtlinien fiir die Anerkennung neuer Staaten in Osteuropa und in der So\\jetunion, Briissel, 16. Dezember 1991" und der "Gemeinsame Standpunkt im Hinblick auf die Anerkennung jugoslawischer Republiken, Brüssel, 16. Dezember 1991" fmdet sich in: EA 3/1992 S. D120. 435 Vgl. AdG 1994, S. 38824. 13*

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2. Kapitel: OSZE-Streitbeilegungsmechanismen und Jugoslawienkonflikt

rungsaustausch diskutiert. 436 Hintergrund dieser Teilungspläne ist die Überlegung der serbischen Politiker in Belgrad, daß für die VN ein einseitiger, d.h. gegen den Willen Kroatiens erfolgender Anschluß der RSK an ein um die serbisch eroberten Territorien Bosnien-Herzegowinas erweitertes Großserbien aufgrund der vorn SR ausgesprochenen "besonderen Bekräftigung seiner Entschlossenheit, die Achtung der Souveränität und territorialen Unversehrtheit Kroatiens ... sicherzustellen"437 nicht annehmbar ist. Daher hoffl man, einen auf den nachfolgend dargestellten strategischen Erwägungen basierenden Ausgleich mit Kroatien zu erreichen: Die RSK in ihrer jetzigen Gestalt stellt für Kroatien drei militärisch höchst gefährliche Engpässe bei Zadar und Karlovac (Krajina) sowie Virovitica (Westslawonien) dar: 438 Ein serbischer Durchbruch bei Zadar würde das für Deviseneinnahrnen aus der Touristenbranche so wichtige Süddalrnatien vorn kroatischen Kernland abtrennen, bei Karlovac droht die Abschneidung der Verbindung Zagrebs zur Adria und eine Eroberung Viroviticas würde Ostslawonien von Zagreb abtrennen. Aber auch ohne eine Eroberung dieser drei Schlüsselpositionen ist die jetzige Situation rur Kroatien unhaltbar, da die Serben schon alleine mit ihrem Artilleriefeuer diese Engpässe beschießen und so jeglichen Verkehr, insbesondere den Touristenverkehr, zum Erliegen bringen können. 439 Den serbischen Vorstellungen zufolge soll den Kroaten die Krajina und Westslawonien überlassen werden. Als Gegenzug für die Aufhebung dieser drei für Kroatien äußerst bedrohlichen Engpässe wird die Abtretung der serbischen Eroberungen in Ostslawonien an Restjugoslawien gefordert. 44O Zudem

436 Vgl. hierzu AdG 1993, S. 38000 sowie Mappes-Niediek, Folgeszenarien der jugoslawischen Auflösungskriege, in: Blätter fUr internationale Politik 8/93 (zit.: Mappes-Niediek, Folgeszenarien), S. 982 ff. 437 SIRes. 815 (1993) 2. Spiegelstrich. Vgl. auch die Ausfiihrungen des SR am 8. Juli 1993, in denen er daran erinnert, "daß die Schutzzonen der UN einen integrierenden Bestandteil des Hoheitsgebiets der Republik Kroatien darstellen und daß dazu im Widerspruch stehende Handlungen nicht hingenommen werden können." (zitiert nach AdG 1993, S. 37999). 438 Vgl. Abbildung im Anhang, S. 381. 439 Vgl. hierzu die unter Fn. 422 dargestellten Ereignisse. 440 Hierbei handelt es sich um eine schon seit längerem bestehende serbische Forderung, die seit Beginn der bewaffneten Auseinandersetzungen in Kroatien mit brutaler Gewalt durchgesetzt wird: Schon Mitte 1991 war von Serbien die Annexion Ostslawoniens ins Auge gefaßt worden (vgl. hierzu MeICic, Nationalgefühl oder Machtkalkül, in: Furkes/Schlarp, Jugoslawien: Ein Staat zerfällt, S. 102, die in Fn. 13 auf ein Interview mit Vuk Draskovic verweist, in dem dieser die Einzelheiten der - von i1un befurworteten - Annexion darlegt). Die Tragweite dieses Plans läßt sich auch daran erkennen, daß die "ethnischen Säuberungen" vor allem in Ostslawonien anhalten (vgl. Mappes-Niediek, Folgeszenarien, S. 983).

II. Der Einsatz der Streitbeilegungsmechanismen im Jugoslawienkonflilct

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soll die Bevölkerung ausgetauscht werden. 44 1 Mit Ostslawonien bekäme Belgrad ein aufgrund der guten Böden und der Industrie reiches Land, das zudem im Gegensatz zur armen Krajina direkt an Serbien grenzt und somit leichter Restjugoslawien beitreten kann. Ein derartiger Austausch von Territorium und Bevölkerung widerspräche allerdings grob den ethnischen Verhältnissen, denn gerade in Ostslawonien wohnten die meisten der geflohenen oder vertriebenen Kroaten, während der Großteil der serbischen Minderheit Kroatiens in der Grenzregion zwischen Dalmatien und Bosnien, also in der südlichen Krajina lebt. 442 Für Kroatien sind derartige Teilungspläne nicht akzeptabel. Völkerrechtlich sind die serbisch besetzten Gebiete nach wie vor Teil des kroatischen Staatsgebietes und kein kroatischer Politiker einschließlich der Opposition wird aus freiem Willen einer Abtretung des wirtschaftlich bedeutsamen Ostslawoniens zustimmen. 443 Je länger indes die Umsetzung des Friedensplans der VN für Kroatien durch die kroatischen Serben blockiert wird, je weiter der kroatische Staatshaushalt mit der Versorgung der über 250.000 kroatischen Flüchtlinge aus den serbisch besetzten Gebieten belastet wird und je mehr Kroaten von den Serben aus diesen Gebieten weiterhin vertrieben werden, desto größer ist die Gefahr, daß die Kroaten eines Tages diese Gebiete, die sie bisher nicht im Wege von Verhandlungen zurückerhalten haben, gewaltsam zurückerobern. Die begrenzte kroatische Offensive Anfang 1993 unterstreicht dies mit aller Deutlichkeit, ebenso wie die Äußerungen Tudjmans, daß Kroatien zwar auch weiterhin eine Friedenspolitik betreiben werde, es aber nicht gewillt sei, die Okkupation kroatischen Territoriums auf unabsehbare Zeit hinzunehmen. Die besetzten Gebiete würden notfalls auch mit militärischen Mitteln befreit. 444 Daß es bisher nicht zu einer gewaltsamen Rückeroberung dieser Gebiete gekommen ist, ist weniger der Präsenz der UNPROFOR als vielmehr der Tatsache zuzuschreiben, daß die kroatische Armee momentan noch nicht stark genug ist, die Mappes-Niediek, Folgeszenarien, S. 983. Vgl. auch Mappes-Niediek, Folgeszenarien, S. 983. Allerdings sollte hierbei nicht übersehen werden, daß selbst in der Krajina als dem serbischen Kernland Kroati441

442

ens der kroatische Bevölkerungsanteil vor dem Krieg zwischen 20 und 30 Prozent lag, vgl. hierzu Reuter, Zagreb und Belgrad zum Krieg in Kroatien. Widerstreitende Meinungen zum Kernpunkt des Konflikts, in: Südosteuropa 9/1991 (zit.: Reuter, Kernpunkt des Konflikts), S. 420. 443 Vgl. Zametica, Yugos1av conflict, S. 20, demzufolge "territorial partition is politically unacceptable to all Croatian political parties." Im besonderen gilt dies fiir die vom serbischen Anspruch mitwnfaßte ostslawonische Stadt Vukovar, die durch ihren erbitterten Verteidigungskampfzur Symbolstadt wurde (vgl. AdG 1991, S. 36346 und Mappes-Niediek, Folgeszenarien, S. 983). 444 So seine Äußerungen am 30.1.1993 in Zadar, vgl. AdG 1993, S. 37541.

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2. Kapitel: OSZE-StreitbeilegWlgsmechanismen Wld Jugoslawienkonflikt

aus JVA-Beständen mit schweren Waffen ausgerüsteten Einheiten der RSK vollständig zu besiegen, geschweige denn der NA zu trotzen, die in einem derartigen Fall wohl eingreifen würde. 445 Auch rur die Serben in der Krajina und Westslawonien ist der Belgrader Teilungsplan inakzeptabel. Aufgrund ihres historisch bedingten Bewußtsein der Eigenständigkeit ist bei den Krajina-Serben davon auszugehen,446 daß sie einer Umsiedlung nach Ostslawonien erheblichen politischen und wohl auch militärischen Widerstand entgegensetzen würden. 447 Das Haupthindernis einer friedlichen Lösung des Problems der serbisch besetzten Gebiete Kroatiens ist die Tatsache, daß fiir die Krajina-Serben ein Verbleib bei Kroatien selbst bei Gewährung großzügigster Minderheitenrechte nicht in Frage kommt. 448 Für sie ist es auch aufgrund der historischen Erfahrungen während des Ustascha-Regimes449 und der kroatischen Diskriminierungspolitik im Jahre 1990 und 1991 450 unerträglich, daß sie von der staatstragenden Nation zu einer Minderheit herabgestuft wurden, einen kroatischen Paß erhalten und somit Restjugoslawien rur sie zum Ausland wird. Sie sehen nicht ein, warum sie die neue kroatische StaatIichkeit mit einer Verschlechterung ihres Status und der Trennung von ihren Landsleuten bezahlen sollen. 451 Wenn Kroatien das Recht habe, sich unter Berufung auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker von Jugoslawien loszulösen, so müsse dieses Recht auch rur die in Kroatien lebenden Serben gelten. Da das auf internationalen Druck nach der kroatischen Verfassungsänderung im Dezember 1991 erlassene Minderheitengesetz zwar rur Bezirke mit serbischer Bevölkerungsmehrheit einen besonderen Status mit weitreichender Autonomie und lokaler Selbstverwaltung vorsieht, der Minderheit das Recht auf Abspaltung aber verweigert,452 sind die Möglichkeiten zu einer friedlichen Lösung des Kra445 Vgl. AdG 1993, S. 38125 WldMappes-Niediek, Folgeszenarien, S. 983. 446 Zu den historischen Hintergrtinden der AnsiedlWlg der Serben in der Krajina, der ehemaligen österreichisch-Wlgarischen Militärgrenze zum Osmanischen Reich, vgl. Arday, HintergTWld der Krise, S. 255. 447 Mappes-Niediek, Folgeszenarien, S. 984. 448 Vgl. Reuter, Kernpunkt des Konflikts, S. 421 f. Bezeichnend hierfiir ist die ÄußefWlg des "Außenministers" der RSK Jarcevic am 22.7.1993 in Wien, daß "die BevölkefWlg der Krajina nie wieder zu Kroatien gehören, sondern Wlabhängig sein (wolle)", vgl. AdG 1993, S. 38126. 449 Vgl. hierzu S. 172 f. 450 Vgl. hierzu S. 186. 451 Reuter, Kernpunkt des Kont1ikts, S. 422. 452 Vgl. hierzu Hummer/Hilpold, Jugoslawienkrise, S. 92 fr So erklärte der kroatische Außenminister Granic Ende Februar 1994 vor der UN-Menschenrechtskommission in Genf, daß die serbische Minderheit in Kroatien lokale Autonomie in denjenigen Gebieten erhalten könne, in denen sie vor dem Krieg die Mehrheit besaß (d.h. in

II. Der Einsatz der StreitbeilegWlgsmechanismen im Jugoslawienkonflikt

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jina-Problems aufgrund der unüberbrückbaren Gegensätze zwischen Serben und Kroaten äußerst gering. Diese Situation wurde in der zweiten Jahreshälfte 1993 noch durch drei weitere Ereignisse verschärft: Zum einen erhob der Präsident der RSK Forderungen auf die bisher noch nicht eroberten ostslawonischen Städte Osijek und Vinkovci,453 und zum anderen wurden die gemäßigten Kräfte unter den Krajina-Serben, die eine Annäherung mit Kroatien versuchten, als Verräter verhaftet. 454 Letztlich ausschlaggebend dürfte aber die Tatsache sein, daß es den kroatisch-muslimischen Streitkräften in Bosnien-Herzegowina nicht gelang, den serbischen Korridor in der Posavina (Nordbosnien) zu schließen455 , so daß dieser strategische Landstrich in dem Genfer Teilungsplan der Vermittler Owen und Stoltenberg im August 1993 den Serben zugesprochen wurde. 456 Zwar trat dieser Teilungsplan mangels muslimischer Ratifizierung nicht in Kraft, doch ist in Anbetracht der seit August weiter fortgeschrittenen serbischen Eroberung nicht davon auszugehen, daß ein neuer Teilungsplan hinter den im August 1993 den Serben zugesprochenen Gebieten zurückstehen wird. Hierdurch hat nicht nur Westbosnien eine direkte Verbindung zu Restjugoslawien erhalten, sondern es eröffnet sich nun auch fiir die bislang vom serbischen Mutterland getrennt liegende Krajina im Falle der immer wahrscheinlicher werdenden Aufteilung Bosnien-Herzegowinas ein Anschluß an ein um die serbischen Besitzungen Bosnien-Herzegowinas erweitertes Serbien. Durch das internationale Zugeständnis des Korridors457 sowie die militärischen Ereignisse in Bosnien-Herzegowina ist die Schaffung Groß serbiens in greifbare Nähe gerückt und hat sich insbesondere die strategische Position der Krajina-Serben entscheidend verbessert. Angesichts dieser Ereignisse in der zweiten Jahreshälfte 1993 erscheint fraglich, ob Belgrad überhaupt noch an dem im Juni 1993 diskutierten TeiIungsp1an rur die Krajina interessiert ist oder nun nicht doch ein die gesamte Knin Wld Glina), sowie kulturelle Autonomie in ganz Kroatien, daß aber "(n)iemand sich der lllusion hingeben solle, daß die kroatische RegiefWlg bei ihren BemühWlgen

... die territoriale Integrität der Republik (Kroatien) gefährden wird." Zitiert nach AdG

1994, S. 38824. 453 Vgl. Meier v., Kroatien verlangt von den Vereinten Nationen ein neues Mandat (zit.: Meier v., Kroatien), in: FAZ vom 30.9.1993, S. 6. 454 Nach Meier v., Auf dem Weg nach Groß-Serbien, in: FAZ vom 2.10.1993, S. 10, wurden "in den serbisch besetzten Gebieten Kroatiens etwa 300 lokale serbische Politiker verhaftet, von denen man wußte, daß sie einer Verständigwtg mit Kroatien wohlwollend gegenüberstanden." Vgl. auch: AdG 1993, S. 38000. 455 Vgl. AbbildWlg im Anhang, S. 382. 456 Vgl. AbbildWlg im Anhang,. S. 383.

457 In diesem Gebiet stellten vor Kriegsbeginn die Muslime die BevölkefWlgsmehrheit, vgl. AbbildWlg im Anhang, S. 383.

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2. Kapitel: OSZE-Streitbeilegungsmechanismen und Jugoslawienkonflikt

RSK umfassendes Großserbien anstrebt. Für diese letzte Alternative spricht auch die Tatsache, daß ab August zahlreiche serbische Verbände, darunter auch diejenigen, die auf internationalen Druck vom Igman-Berg bei Sarajevo abgezogen \Wrden, mitsamt ihrem schweren Material in die Krajina verlegt und die dortigen serbischen Stellungen massiv verstärkt wurden. 458 Die anläßlich der Wahl Milan Martic als Nachfolger von HadZic als Präsident der RSK am 25. Januar 1994 vom Belgrader Fernsehen verlautbarte Erklärung, daß sich mit dieser Wahl das gesamtserbische Interesse durchgesetzt habe und zugleich der Welt die Botschaft vermittelt worden sei, "daß kein Fußbreit des gegenwärtigen Territoriums dieses westlichsten serbischen Landes jemals, unter welchen Umständen auch immer, zu Kroatien gehören wird"459, deutet darauf hin, daß die Führung in Belgrad nun endgültig von den zuvor erörterten Teilungsplänen Abstand genommen hat. 460 Mit einer Rückgabe der besetzten Gebiete ist somit immer weniger zu rechnen.

(17 Die Folgen der fehlenden MandatserjUllung der UNPROFOR in Kroatien

Aber nicht nur die durch militärische und diplomatische Ereignisse gefestigte serbische Position läßt eine Rückgabe der besetzten Gebiete Kroatiens immer unwahrscheinlicher werden. Hinzu kommt, daß auch die Zeit letztlich gegen Kroatien arbeitet: Obwohl seit nunmehr zwei Jahren über 10.000 UNSoldaten in den zu Schutzzonen deklarierten serbisch besetzten Gebieten Kroatiens stationiert sind, konnte die UNPROFOR die ihr zugewiesenen Aufgaben wie die Entmilitarisierung der Schutzzonen, die Aufstellung und Überwachung einer die Bevölkerungszusammensetzung vor Kriegsbeginn widerspiegelnden Polizei, den Schutz der verbliebenen Kroaten sowie die Hilfestellung bei der Rückkehr der geflohenen oder vertrieben kroatischen Bevölke-

458 Zur serbischen Truppenverlegung vgl. Meier v., KroB;tien, in FAZ vom 30.9.1993, S. 6. Auch dies ist eine der folgenschweren Auswirkungen der mangelnden

kroatisch-muslimischen militärischen Zusammenarbeit in Bosnien-Herzegowina, die es den Serben ermöglichte, den Nachschubkorridor durch die Posavina offenzuhalten und diese militärische Rochade durchzufUhren. Die mangelnde kroatisch-muslimische Zusammenarbeit eskalierte Ende Sommer 1993 in Mittelbosnien und der Gegend um Mostar in eine offene kriegerische Auseinandersetzung, die erst Anfang 1994 beendet wurde, vgl. AdG 1993, S. 38141 f. 459 Vgl. AdG 1994, S. 38824. 460 Martic seinerseits erklärte, wie im vorangehenden Abschnitt schon erwähnt, "die Bewahrung des eigenen Staates, der Republik Serbisch Krajina" zum Grundprinzip seiner Politik. Vgl. AdG 1994, S. 38824.

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rung461 bislang nicht erfiillen. 462 So wurden bis zum Waffenstillstandsabkommen im Frühjahr 1994 außerhalb der Schutzzonen liegende kroatische Dörfer und Städte von den Serben aus den Zonen heraus beschossen. 463 Gravierender noch ist die Tatsache, daß es der UNPROFOR nicht gelang, die verbliebene kroatische Bevölkerung effektiv vor serbischen Übergriffen zu schützen, geschweige denn die Voraussetzungen fiir eine Rückkehr der kroatischen Flüchtlinge zu schaffen: Trotz UN-Präsenz sind die Kroaten in den Schutzzonen weiterhin serbischen Terrormaßnahmen wie Mord und Brandanschlägen ausgesetzt,464 nach wie vor werden Kroaten aus ihren Häusern vertrieben, in die dann serbische Flüchtlinge aus Kroatien und Bosnien-

461 Vgl. hierzu S/23280, Annex m, Ziff. 12: " They (The United Nations Protected Areas, UNPAs) would be demilitarized and all armed forces in them would be either withdrawn or disbanded. The role ofthe United Nations troops would be to ensure that the areas remained demilitarized and that all persons residing in them were protected from fear of armed attack. The role of the United Nations police monitors would be to ensure that the local police forces carried out their duties without discriminating against persons of any nationality or abusing anyone's human rights." In Ziff. 20 des Annex m wird weiter ausgefiihrt, daß "the United Nations policy is to facilitate the return to the hornes of all persons displaced by recent hostilities who so desire. The lead in this matter is being taken by the humanitarian agencies of the United nations. If a United Nations Force were established in Yugoslavia, it would provide all appropriate support to this effort in the UNPAs." Vgl. zusätzlich Ziff 7, 12 des Annex m sowie S/23592, Ziff. 17 b und 19. In dieser letzten Ziffer betont der UN-GS noch einmal die Bedeutung der Hilfestellung bei der Rückkehr der geflohenen oder vertriebenen Bevölkerung und erklärt, daß "all elements in that force (UNPROFOR, Anm. des Verf.) will do everything possible to help in this critically important point." 462 Um die von den Krajina-Serben mit der Annahme des UN-Friedensplanes für Kroatien gemachten Zusagen einzufordern, hätte die UNPROFOR Gewalt anwenden müssen (als Beispiel sei nur die zwangsweise Räumung ehemals kroatischer Wohnungen, in die Serben einquartiert wurden, genannt). Die dann zwangsläufige Auseinandersetzung mit den schwer bewaffneten Einheiten der Krajina-Serben hätte aber für die nur leicht armierten und damit nahezu schutzlosen UN-Friedenstruppen katastrophale Folgen gehabt. Auf eine gewaltsame Durchsetzung der Bestimmungen des UNFriedensplanes hat die UNPROFOR daher bislang verzichtet. 463 Vgl. Meier v., Kroatien, in: FAZ vom 30.9.1993, S. 6. Vgl. auch NZZ vom 14.9.1993, S. 5. 464 Vgl. hierzu James, The UN in Croatia: an exercise in futility?, in: The World Today, May 1993, S. 96 f. unter Bezugnahme auf S/24353 (27.7.1993), demzufolge "( e )arly on, success in checking mass expulsions was reported. But lesser instances of intimidation were rife, indicative of a concerted effort to change the areas' ethnic composition." In S/24848 (24.11.1992), ZifT. 15 beklagte sich der UN-GS über "murders, the burning and demolition of houses, the destruction of churches, the killing of cattle and other domestic animals, armed robberies and assaults, all of which crimes are usually aimed at members of national minorities. "

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2. Kapitel: OSZE-StreitbeilegWlgsmechanismen Wld Jugoslawienkonflikt

Herzegowina einquartiert werden. 465 Die "ethnische Säuberung" hat zwar seit der Stationierung der UNPROFOR nicht mehr die Intensität wie zu Beginn des Krieges, doch findet sie trotz UN-Präsenz weiter statt,466 so daß zu befiirchten steht, daß die Stationierung der Blauhelme letzten Endes entgegen ihrem Mandat zur Absicherung und Perpetuierung gewaltsam eroberter Gebiete fiihrt. 467

(b) Die Situation im Frühjahr 1995 Die Ausweglosigkeit einer friedlichen, politischen Rückeingliederung der serbisch besetzten Gebiete in den kroatischen Staat zeigte sich zu Beginn des Jahres 1995 in aller Deutlichkeit: Unter Verweis auf die fehlende Mandatserfiillung der UNPROFOR und aus Sorge vor einer daraus resultierenden weiteren "Zementierung des status quo" kündigte der kroatische Präsident Tudjman am 12. Januar 1995 an, daß seine Regierung das am 3l. März 1995 auslaufende Mandat fiir die UNPROFOR nicht erneuern werde. 468 Ein daraufhin von 465 Vgl. Kruse/WilLier, Mission UN-möglich, in: Die Zeit, Nr. 16, 16.4.1993, S. 18. Vgl. auch: Erste Lebenszeichen in den Ruinen von Vulcovar. FestigWlg der serbischen Herrschaft in Ostslawonien, in NZZ vom 30.5.1993, S. 5. 466 Vgl. Kruse/WilLier, Mission UN-mäglich, S. 18; Meier v., Kroatien, in: FAZ vom 30.9.1993, S. 6; NZZ vom 14.9.1993, S. 5. 467 Moore, War Returns to Croatia, in RFEIRL Research Report, Vol. 2, No. 9 (26.2.1993), S. 42, weist daraufhin, daß n(t)he Serbs, for their part, were quite content with the arrangement and were wiUing to prolong the UNs mandate for years, if possible" Wld fährt fort, daß "the presence of UNPROFOR worked to the Serbs' advantage by acting as a shie1d to protect Serbian conquests and the nightly exercises of terror and intimidation conducted by the rnilitias. " Vgl. auch die berechtigten Einwände von Rühl, KrisenbeherrschWlg in Europa: Mittel Wld Wege, Grenzen und Möglichkeiten, in EA 6/1993, S. 164 f., demzufolge die VN bei ihrem Bestreben, "KriegshandlWlgen irgendwo Wld auf irgendeiner Demarkationslinie von Waffenruhen zum Stehen zu bringen" Wld an dieser Linie Friedenstruppen zum Zwecke der TrennWlg der Konfliktparteien zu stationieren, letztlich nur den status quo zementiert habe. Mit dieser Methode habe die UN "seit 1948 ganze Länder zum Vorteil des Stärkeren geteilt, aber deshalb auch nicht befriedet, sondern die Gründe fiir die Wiederaufnahme des Krieges bestehen lassen." Zur Gefahr der Entstehung neuer Grenzen an den StationieTWlgslinien von Friedenstruppen vgl. auch Baev, Peace-keeping as a ChaUenge to European Borders, in: Security Dialogue, Vol. 24,2 (1993), S. 137 ff., insb. S. 143; Schlotter, Vom Scheitern einer Vermittlung: Europäische Gemeinschaften und Vereinte Nationen im Krieg auf dem Balkan, in: SchlotterlBiUing/Kre1VSchrnidtlSchoch, Der Krieg in Bosnien Wld das hilflose Europa, S. 63. Zur Folge des "preserving the status quo" durch UNFriedensrnissionen vgl. auch Mc Donald, Cyprus: a peacekeeping paradigm, in: The World Today, October 1993, S. 184. 468 Vgl. AdG 1995, S. 39722.

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der sog. "Mini-Kontaktgruppe Z-4"469 ausgearbeiteter Plan zu einem Abkommen Kroatiens mit den Serben der Krajina, demzufolge ein Teil der serbisch beherrschten Gebiete als "Autonome Serbische Krajina" auf Dauer einen Sonderstatus in Kroatien bekommen und der andere Teil "irgendwann gänzlich unter kroatische Verwaltung zurtickkehren"470 sollte, wurde von dem Präsidenten der RSK, Martic, erst gar nicht entgegengenommen. 471 Vielmehr beschloß das Parlament der RSK als Reaktion auf die Ankündigung der Mandatsbeendigung durch Kroatien, seine Truppen in den Zustand der "Kriegsbereitschaft" zu versetzen und den Dialog mit der Regierung in Zagreb abzubrechen. 472 Zudem wurde erwogen, an den Grenzen der RSK zum übrigen Kroatien, zu Serbien und Ungarn Grenzübergänge einzurichten. 473 Nachdem die kroatische Regierung Mitte März erklärt hatte, dem Verbleib eines verringerten UN-Kontingents unter veränderten Bedingungen und anderer Bezeichnung zuzustimmen474 , beschloß der Sicherheitsrat am 31.3.1995 in seiner Resolution 981 (1995), als Nachfolgemission der UNPROFOR in Kroatien die "UN-Confidence Restauration Operation in Croatia" (UNCRO) zu errichten. 475 Zu den Aufgaben dieser Mission gehören neben den schon für die UNPROFOR festgelegten Tätigkeitsfeldern die Überwachung des im März 1994 zwischen Kroatien und der RSK-Führung geschlossenen Waffenstillstandes sowie die Erleichterung der Durchsetzung der im Dezen:ber 1994 zwischen Zagreb und Knin getroffene Wirtschaftsvereinbarung. Die Anzahl der Blauhelme in Kroatien wird von 12.000 auf 8.000 reduziert, von denen 1.000 entlang der Grenze Kroatiens zu Bosnien-Herzegowina und zur Bundesrepublik Jugoslawien stationiert werden mit dem Auftrag, den grenzüberschreitenden Verkehr von Militärpersonal und militärischem Gerät zu überwachen und darüber zu berichten. 476 Sprecher der RSK erklärten hingegen, daß das Mandat der UNCRO die Serben benachteilige und sie es deshalb nicht annehmen könnten. Die Verhältnisse zwischen Knin und Zagreb könnten erst dann verbessert werden, wenn Kroatien die RSK anerkenne. 477 469 Hierbei handelt es sich um eine in Zagreb gebildete Verhandlungsgruppe, die sich aus dem amerikanischen und russischen Botschafter in der kroatischen Hauptstadt sowie je einem Vertreter der UNO und EU zusammensetzt. Vgl. AdG 1995, S. 39724. 470 Vgl. AdG 1995, S. 39724. 471 Vgl.: Ebenda. 472 Vgl. AdG 1995, S. 39725. 473 Vgl. AdG 1995, S. 39723. 474 Vgl. AdG 1995, S. 39816. 475 Vgl. AdG 1995, S. 39873. 476 Vgl. AdG 1995, S. 39873 f. 477 Vgl.: AdG 1995, S. 39874.

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2. Kapitel: OSZE-Streitbeilegungsmechanismen Wld Jugoslawienkonflikt

Angesichts dieser Äußerungen kann prognostiziert werden, daß der UNCRO in den Bereichen, in denen schon die UNPROFOR scheiterte (Entwaffnung der serbischen paramilitärischen Kräfte, Überwachung der lokalen Polizei streitkräfte, Schutz der verbliebenen nichtserbischen Bevölkerung, Unterstützung der rückkehrbereiter Flüchtlinge) kein Erfolg beschieden sein wird. Die Wahrscheinlichkeit, daß Kroatien eines Tages versuchen wird, mit Waffengewalt zu erreichen, was ihm durch die kompromißlose Haltung der Machthaber in Knin auf diplomatischem Wege verwehrt bleibt, also versuchen wird, mit einer schnell ausgefiihrten Großoffensive zumindest die serbisch besetzten Gebiete Westslawoniens und der Krajina zurückzuerobern,478 ist größer denn je.

(3) Der Krieg in Bosnien-Herzegowina (a) Die Entwicklung in Bosnien-Herzegowina bis zur Unabhängigkeitserklärung Für die ethnisch durchmischte (47% Muslime479 , 33% Serben, 17% Kroaten, 3% Sonstige) und historisch vorbeiastete 480 Vielvölkerrepublik BosnienHerzegowina hatte die Ende der achtziger Jahre durch Milosevic iniziierte Abwertung der die Völker Jugoslawiens einigenden südslawischen kommunistischen Idee bei gleichzeitigem Wiedererwachen eines extremen Nationalismus katastrophale Folgen. 481 478 Ein gleichzeitiger Angriff auch auf Ostslawonien erscheint weniger wahrscheinlich, da dies mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von den Machthabern in Belgrad nicht tatenlos hingenommen werden würde. Zur strategisch Wlterschiedlichen BedeutWlg von Ostslawonien einerseits Wld Westslawoniens sowie der Krajina andererseits vgl. bereits S. 195 ff. 479 Der Begriff "Muslim" wird bewußt dem Begriff "Moslem" vorgezogen, da ersterer der 1971 in Jugoslawien erfolgten AnerkennWlg dieser Bevölker\U1gsgruppe als Nation RechnWlg trägt, während letzterer lediglich die Religionszugehörigkeit beschreibt. 480 Schon nach dem Ersten Wld während des Zweiten Weltkriegs war es in dieser Republik zu einer VerfolgWlg der Muslime durch die Serben gekommen (vgl. hierzu sowie zur geschichtlichen EntwicldWlg Bosnien-Herzegowinas: Reuter, Die Tragödie der bosnischen Muslime, S. 1448 ff.; Geiss, Die blutigen Schatten der Vergangenheit, in: Das Parlament Nr. 31 vom 30.7.1993, S. 13 Wld Ströhm, Wer sich nicht taufen lassen will, muß sterben, in: Rheinischer Merkur Nr. 33 vom 13.8.1993). 481 Eine kommentierte ZusammenfassWlg der Ereignisse in Bosnien-Herzegowina Wld der Reaktionen der internationalen Staatengemeinschaft zwischen Januar 1992 Wld April 1993 bietet Reißmüller, Die bosnische Tragödie (1993).

II. Der Einsatz der Streitbeilegungsmechanismen im Jugoslawienkonflikt

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Die ersten Vorboten für ein sich abzeichnendes Auseinanderfallen BosnienHerzegowinas waren die Ergebnisse der Republikswahlen Ende 1990, die zu einer starken Homogenisierung der drei Volksgruppen führte. 482 Da keine der Parteien über eine Mehrheit verfügte, kam es zu einer Koalitionsregierung der drei nationalen Parteien, deren oberstes Prinzip die konstitutionelle Gleichheit und Gleichberechtigung sein sollte. 483 Hinter der Fassade der Kooperation begann indes jede Partei in den ihr zugewiesenen staatlichen Institutionen Mitarbeiter anderer Nationalitäten zu verdrängen und durch eigene Landsleute zu ersetzen; ein gleiches Vorgehen war auch auf kommunaler Ebene zu beobachten. 484 Eine Art "ethnische Säuberung" hatte somit auf politischer Ebene schon begonnen. 485 Der durch die im Sommer 1991 begonnene bewaffnete Auseinandersetzung in Slowenien und Kroatien eingeleitete endgültige Zerfall Jugoslawiens hatte für Bosnien-Herzegowina weitreichende Konsequenzen. Ebenso wie zuvor in Kroatien usurpierten die Serben im September 1991 in weiten Teilen der Republik die Staatsgewalt, indem sie sog. "Autonome Regionen" gründeten und mit der Abspaltung dieser Gebiete drohten, falls Bosnien-Herzegowina nicht im föderalen Jugoslawien bleiben würde. 486 Jegliche Einigungsversuche der muslimischen SDA mit der serbischen SDS unter Radovan KaradZic wurden von den bosnischen Serben torpediert. Als im Oktober 1991 im Parlament von Sarajevo über ein vom multinationalen Präsidium der Republik verfaßtes Memorandum über die Souveränität und Neutralität Bosnien-Herzegowinas abgestimmt wurde,487 verließen die

482 Der auf die muslimische SDA, die serbische SDS und die kroatische HDZ entfallene Stimmenanteil spiegelte im wesentlichen die jeweiligen Bevölkerungsanteile wieder. Vgl. hierzu die Übersicht bei Hayden, The Partition of Bosnia and Herzegovina, 1990-1993, in: RFEIRL Research Reports, Vol. 2, No. 22,28 May 1993 (zit.: Hayden, Partition ofBosnia and Herzegovina), S. 2. 483 Diesem Prinzip zufolge war fur alle wichtigen Entscheidungen die Zustimmung aller drei Parteien und damit Nationalitäten erforderlich. Hiermit horne der Präsident Bosnien-Herzegowinas, Alija Izetbegovic, den Zusammenhalt seiner Republik wahren zu können (vgl. Zametica, Yugoslav conflict, S. 37 f.). 484 Hayden, Partition ofBosnia and Herzegovina, S. 4. 485 So Hayden, Partition ofBosnia and Herzegovina, S. 4. 486 So wurde von den Serben am 16. August 1991 das aus nicht weniger als 18 Landkreisen bestehende "Serbische Gebiet der Bosnischen Krajina" ins Leben gerufen und zum "untrennbaren Bestandteil des föderalen Jugoslawiens" erklärt. Zwei Tage zuvor war bereits das serbisch autonome Gebiet (SAO) der Herzegowina proklamiert worden, es folgte die Gründung weiterer SAOs in der Romanija und in Nordostbosnien (vgl. Reuter, Die Tragödie der bosnischen Muslime, S. 1453). 487 Das von den Muslimen und Kroaten angenommene Memorandum sah u.a. die strikte Neutralität Bosnien-Herzegowinas im serbisch-kroatischen Krieg vor und er-

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serbischen Abgeordneten das Parlamentsgebäude. Karadiic beschuldigte Kroaten und Muslime, Bosnien-Herzegowina mit dieser Erklärung "in eine Hölle zu fuhren, in der die Muslüne vielleicht verschwinden würden. "488 Ziel dieser von Kriegsdrohungen begleiteten Obstruktionspolitik der bosnischen Serben war es, die Muslime so weit einzuschüchtern, daß sie der Eingliederung Bosnien-Herzegowina in ein von Serben dominiertes "neues Jugoslawien" zustimmen würden. 489 Das Schicksal der Kosovo-Albaner vor Augen sah der bosnische Präsident Alija Izetbegovic den einzigen Ausweg in der Unabhängigkeit seiner Republik, obschon er wissen mußte, daß Milosevic, Karadfic und die JVA bereit sein würden, diese Option mit allen, also auch kriegerischen Mitteln, zunichte zu machen. 490 Anscheinend hoffte Izetbegovic, internationale Unterstützung werde seine Republik davor bewahren, zum hilflosen Opfer des serbischen Expansionsdrangs zu werden. 491 Anfang 1992 wurden die Abspaltungstendenzen der bosnischen Serben ebenso wie ihre Kriegsdrohungen immer deutlicher: Am 9. Januar 1992 rief das selbsternannte Serbenparlament die "Serbische Republik in BosnienHerzegowina" aus und Serbenfiihrer Karadiic erklärte unverhohlen, daß die Unabhängigkeit der Republik den Krieg bedeuten werde. 492 klärte die Grenzen der Republik fUr lUlverletzlich lUld lUlveränderlich (vgl. Reuter, Die Tragödie der bosnischen Muslime, S. 1454). 488 Zitat nach Reuter, Die Tragödie der bosnischen Muslime, S. 1454. 489 Reuter, Die Tragödie der bosnischen Muslime, S. 1454. 490 Für die NA war der Verbleib Bosnien-Herzegowinas in Jugoslawien eine Überlebensfrage: 50% ihrer Streitkräfte waren in dieser Republik stationiert, in der sich zudem 60% aller RüstlUlgsbetriebe befanden sowie 75% aller Munitionsreserven. Ein Rückzug nach Serbien hätte das Ende der Armee bedeutet, da Serbien nicht in der Lage ist, Streitkräfte dieser GrößenordnlUlg zu lUlterhalten. Daher erklärte die Armeefiihrung im Frühjahr 1992, ihre Streitkräfte würden mindestens noch fiinf Jahre in Bosnien-Herzegowina bleiben (vgl. Reuter, Die Tragödie der bosnischen Muslime, S. 1454 f). 491 Reuter, Die Tragödie der bosnischen Muslime, S. 1455. 492 KaradZic wörtlich: "Wir Serben werden nicht in einem Staat leben, der getrennt von Serbien ist. Das nehmen wir nicht hin. Wer dies fordert, will den Krieg." Zitat nach Reuter, Die Tragödie der bosnischen Muslime, S. 1458. Diese kompromißlose HaltlUlg der'bosnischen Serben hat folgenden Hintergrund: Aufgrund des Geburtenüberschusses der Muslime gingen die Serben davon aus, daß diese ihren Bevölkerungsanteil in der Republik Bosnien-Herzegowina in wenigen Jahren von 47 auf über 50 Prozent steigern würden. Da bereits 1990 strikt nach nationalen GesichtsplUlkten gewählt worden war, hätten die Muslime dann die Mehrheit im Parlament. In Erinnerung an die "Islamische Deklaration" Izetbegovics aus dem Jahre 1970, in der er erklärt hatte, daß "there can be neither peace nor co-existence between the Islamic faitb and non-Islamic social and political institutions" lUld "tbe Islamic

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Dennoch beschloß das Parlament in Sarajevo Ende Januar 1992 mit der Mehrheit seiner muslimischen und kroatischen Abgeordneten, am 29. Februar und 1. März die von der EG als Grundvoraussetzung einer' Anerkennung geforderte Volksabstimmung über die Unabhängigkeit und Souveränität Bosnien-Herzegowinas abzuhalten. Hintergrund hierfür scheint die aufgrund der Ereignisse in Kroatien irrtümlich gewonnene Hoffnung der Muslime gewesen zu sein, durch eine diplomatische Anerkennung das gewaltsame Auseinanderbrechen ihres Staates verhindern zu können. 493 Tatsächlich jedoch kam es unmittelbar nach der Bekanntgabe des Ergebnisses des von den Serben boykottierten Referendums (99,7% für die Unabhängigkeit) zu der von ihnen angedrohten Revolte, in Form von Sprengstoffanschlägen und Schießereien, die in den nächsten Wochen durch den Einsatz der NA auf Seiten der aufständischen Serben weiter an Intensität zunahm. 494 Noch bevor Bosnien-Herzegowina am 7. April von den Vereinigten Staaten und der EG international anerkannt wurde495 (die Reaktion der Serben erfolgte einen Tag später mit der Ausrufung der "Serbischen Republik BosnienHerzegowina"496) hatten die bewaffneten Auseinandersetzungen auf fast das

movement must, and can take over power as soon as it is morally and numerically so strong that it can not only destroy the existing non-Islamic power, but also build up a new Islamic one" (Zitat nach Zametica, Yugoslav conflict, S. 38 f.) fiirchteten die Serben die Errichtung eines islamischen Staates in Bosnien-Herzegowina, in dem sie zu einer widerwillig geduldeten, ewig in der Opposition befmdlichen Minderheit würden (Reuter, Jugoslawien vor dem Zerfall, S. 11). 493 Vordergründig betrachtet schien das Ende des Krieges in Kroatien durch die diplomatische Anerkennung seitens der EG herbeigeführt zu sein. Tatsächlich lag hier jedoch nur eine bloße Koinzidenz vor. MiloSevic erklärte den Krieg in Kroatien fiir beendet, da Serbien seine Kriegsziele, den Schutz der serbischen Bevölkerung infolge territorialer Gewinne und die Eroberung strategischer Gebiete, erreicht hatte (vgl. Reuter, Die Tragödie der bosnischen Muslime, S. 1456; MacFarlanelWeiss, Regional Organizations and Regional Security, in: Security Studies, Vol. 2, No. I, Autwnn 1992, S.27). 494 Schon nach der Ausrufimg der "Serbischen Republik in Bosnien-Herzegowina" (Hervorhebung vom Verf. zur Abgrenzung von der "Serbischen Republik Bosnien Herzegowina", in die erstere am 8.4.1992 umbenannt wurde) am 9. Januar war es in Mostar zu Sprengstoffanschlägen und schweren Schießereien zwischen Serben und Kroaten gekommen. Von einigen wird daher dieser bzw. der darauffolgende Tag als Beginn des Krieges in Bosnien-Herzegowina bezeichnet, so Rheinischer Merkur Nr. 33 vom 13.8.1993, Bosnische Chronik, S. 4. 495 Vgl. hierzu Rich, Recognition of States, S. 49 ff. 496 Bereits am 27. März hatten die Serben in Sarajevo eine eigene Verfassung in Kraft gesetzt, nach der die serbischen Gebiete dem geplanten verkleinerten Jugoslawien angegliedert werden sollten. Der Präsident des serbischen Parlaments erklärte nach der tOrmlichen Inkraftsetzung der Verfassung: "Hiermit ist das Serbische BosnienHerzegowina endgültig geschaffen." Mit diesem Schritt, der die Abspaltung der serbi-

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gesamte Republiksgebiet übergegriffen. In den nachfolgenden Wochen gelang es den serbischen Aufständischen mit Unterstützung der NA über zwei Drittel des bosnischen Territoriums zu erobern. 497 (b) Die Auswirkung der Anerkennung Bosnien-Herzegowinas auf die dortige Situation

Als eigentliche Ursache des Krieges in Bosnien-Herzegowina wird häufig pauschal die als verfrüht bezeichnete Anerkennung dieser Republik durch die Vereinigten Staaten und die EG angefiihrt. 498 Hierbei werden aber entschei-

schen Gebiete von Bosnien-Herzegowina bedeutete, sollte die Anerkennung der Dreivölkerrepublik durch die EG verhindert werden (vgl. NZZ vom 29.3.1992, S. I). 497 Auf internationalen Druck legte das jugoslawische Staatspräsidium am 5. Mai den Oberbefehl über die NA in Bosnien-Herzegowina nieder und forderte die aus der Föderativen Republik Jugoslawien (FRJ) - (die aus Serbien und Montenegro bestehende FRJ war am 29. April proklamiert worden) - stammenden Soldaten auf, BosnienHerzegowina bis zum 18. Mai zu verlassen. Die verbliebenen Truppenteile, über 80%, wurden in die '.'Serbische Armee der Republik Bosnien-Herzegowina" umbenannt. Da dieser neugebildeten Armee fast die gesamten schweren WatTen und sonstiges Gerät zuflossen und sie zudem von der FRJ logistisch unterstützt wird, wurden die serbischen Einheiten in Bosnien-Herzegowina durch den "Abzug" der NA tatsächlich lediglich auf eine andere Rechtsgrundlage gestellt und in eine anders bezeichnete Armee transformiert (vgl. hierzu NZZ vom 7.5.1992, S. I; 10.5.1992, S. 3; 15.5.1992, S. I; 21.5.1992, S. 2). Diese Armee wird zudem von 35.000 Freiwilligen, d.h. paramilitärischen Einheiten aus Serbien und auch russischen Söldnern unterstützt (vgl. Reuter, Die Tragödie derbosnischen Muslime S. 1457 sowieAdG 1993, S. 37541). Mit der am 29. April erfolgten Proklamation der FRJ hofften die Machthaber in Belgrad, automatisch die Rechtsnachfolge der nach dem Zweiten Weltkrieg von Tito gegründeten und nun endgültig aufgelösten "Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien" (SFRJ) antreten und so Sitz und Stimmrecht der ehemaligen SFRJ in internationalen Organisationen ausüben zu können. Obwohl im Rahmen der internationalen Friedensbemühungen mit ihrem Präsidenten MiloSevic ständig verhandelt wird, wurde die FRJ bisher offtziell nicht anerkannt, da sie die von der EG gesetzten Bedingungen, insb. hinsichtlich des Minderheitenschutzes nicht erfullt. Vgl. NZZ vom 24.4.1992, S. I und NZZ vom 30.4.1992, S. 3. 498 So mit besonderer Kritik an der Rolle der Bundesrepublik bei der Anerkennung Sloweniens, Kroatiens und Bosnien-Herzegowinas Newhouse, Bonn, der Westen und die Auflösung Jugoslawiens. Das Versagen der Diplomatie - Chronik eines Skandals, in: Blätter 1m deutsche und internationale Politik 10/1992, S. 1190 tT. Vgl. auch Schoch, Anerkennen als Ersatzhandlung. Ein kritischer Rückblick auf die Bonner Jugoslawienpolitik, in: SchlotterlBillinglKrelVSchrnidtlSchoch, Der Krieg in Bosnien und das hilflose Europa, S. 37 t1 sowie Zametica, Yugoslav conflict, S. 38, der erklärt: "In retrospect, it was the EC which provided the deadly catalyst for the Bosnian denouement. "

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dende Tatsachen außer acht gelassen, die auch für die spätere Frage, inwieweit die KSZE bei der Vermeidung des Krieges in Bosnien-Herzegowina versagt hat, relevant sind: Bereits Ende August/Anfang September 1991, also über ein halbes Jahr vor dem Ausbruch des Krieges in Bosnien-Herzegowina, hatte die NA mit der Vorbereitung dieses Krieges begonnen, indern sie ihre Kasernen verließ und strategische Schlüsselstellungen auf den Hügeln rund um die größten Städte und bei den wichtigsten Verkehrsknotenpunkten der Republik errichtete bzw. bezog. 499 Hintergrund hierfür wird die in dieser Zeit gefallene Entscheidung der politisch-militärischen Führung in Belgrad gewesen sein, ein die strategische Infrastruktur des alten Jugoslawien umfassendes und die von Serben bewohnten Gebiete einschließendes Großserbien zu schaffen. 500 Nachdem sich Mitte September 1991 mehrere "Serbisch Autonome Gebiete" in Bosnien-Herzegowina gebildet hatten, wurden auf Ersuchen der dortigen lokalen Führer NA-Einheiten zur Absicherung der Usurpation in diese Gebiete verlegt. 501 Präsident Izetbegovic, der durch eine möglichst umfangreiche Kooperation mit den Serben den Ausbruch eines Krieges zu verhindern suchte, trägt für die spätere Katastrophe in seiner Republik ein gewisses Maß an Mitschuld: Nachdem die bosnischen Territorialstreitkräfte ebenso wie die slowenischen und kroatischen bereits 1991 entwaffnet worden waren, stimmte er der Entwaffnung der Truppen des bosnischen Innenministeriums als GegenAnzumerken ist hier, daß die Initiative zur Anerkennung Bosnien-Herzegowinas nicht wie im Falle Sloweniens und Kroatiens von der Bundesrepublik Deutschland, sondern von den Vereinigten Staaten ausging. Information des Auswärtigen Amts. 499 Vgl. hierzu die aufschlußreichen Ausfilhrungen von Gow, One Year ofWar, S. 1 und 7 f. sowie Bebler, Krieg in Jugoslawien, S. 407 f. Die Artilleriestellungen, von den beispielsweise Sarajevo seit Beginn des Krieges fast täglich beschossen wurde, waren somit schon Ende 1991 bezogen. Der Beschuß endete erst Mitte Januar 1994, als die Serben sich aufgrund der NATO-Androhung von Luftangriffen gezwungen sahen, ihre Geschütze bis zum 21. Januar 1994 von den Hügeln abzuziehen. 500 Vgl. hierzu Gow, One Year ofWar, S. 6. Diese Absicht wurde zumindest von den Vereinigten Staaten schnell erkannt, erklärte doch Außenminister Baker bereits am 25. September 1991 auf einer Sitzung des Sicherheitsrates: "The apparent objective of the Serbian leadership and the Yugos1av military working in tandem is to create a «smaIl Yugoslavia» or a «greater Serbia», which would exc1ude Slovenia and a rump Croatia. This new entity would be based on the kind of repression which Serbian authorities have exercised in Kosovo for several years. It would also be based on the use of force, weIl under way in Croatia and beginning to take shape in Bosnia, to establish control over territories outside the borders of Serbia." Zitiert nach Weller, Dissolution ofthe SFRY, S. 579. 501 Vgl. Gow, One Year ofWar, S. 7. Bei der von ihm aufS. 7 und 8 angegebenen Jahreszahl 1992 handelt es sich, wie aus dem Kontext und Fn. 15 f. ersichtlich, um einen Tippfehler. Die richtige Jahreszahl lautet 1991. 14 Wenig

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leistung für die nur vorgetäuschte Entwaffnung serbischer irregulärer Verbände zu. Zudem verhinderte er die Aufstellung muslimischer paramilitärischer Einheiten. Konsequenz dieser vertrauensseligen Politik war, daß die Muslime der im Frühjahr 1992 begonnenen serbischen Offensive schutzlos ausgeliefert waren. 502 Zwischen dem 27. März und dem 8. April 1992 - also bereits eine Woche vor der diplomatischen Anerkennung Bosnien-Herzegowinas - besetzten bzw. eroberten503 die NA und serbische Freiwilligenverbände alle wichtigen in Grenznähe liegenden Verkehrsknotenpunkte Bosnien-Herzegowinas sowie die wichtigsten Straßen und Eisenbahnlinien der Republik. 504 Ebenfalls in dieser Zeit begann die Eroberung des Umfeldes und die "ethnische Säuberung" dieser strategischen Gebiete. 505 Bis Ende Mai, also innerhalb von nur zwei Monaten, hatten die Serben annähernd 70% des Territoriums der Republik BosnienHerzegowina unter ihre Kontrolle gebracht. Schnelligkeit und Effektivität dieser serbischen Eroberungen sind ein weiteres Indiz dafür, daß die gewalt-

502 Vgl. hierzu Gow, One Year of War, S. 7 Wld Bebler, Krieg in Jugoslawien, S.402. 503 Soweit muslimische oder kroatische Polizisten Widerstand leisteten, wurde dieser mit Gewalt gebrochen. 504 Gow, One Year ofWar, S. 8. Vgl. AbbildWlg im Anhang, S. 384. 505 Gow, One Year of War, S. 8. Ziel dieser im Rahmen der "ethnischen SäuberWlg" größtenteils von den Freischärlern begangenen Verbrechen wie Mord, Folter Wld MassenvergewaltigWlg war es, die in den besetzten Gebieten verbliebene nichtserbische BevölkerWlg, soweit sie diese Massaker überhaupt überlebt hatte, so zu verängstigen, daß sie die Gegend verlassen Wld nie mehr zurückkehren würde (vgl. Hayden, Partition ofBosnia and Herzegovina, S. 8). Zum Terror der serbischen Freischärler vgl. exemplarisch Hirsch, Später wurde die Haut ganz schwarz, in: Die Zeit, 1992, Nr. 34, S. 2. Zu den Hintergründen der MassenvergewaltigWlgen vgl. Hirsch, Siegesparade der Überlegenen, in: Die Zeit, 1992, Nr. 51, S. 14. Zu den "ethnischen SäuberWlgen" in Bosnien-Herzegowina in bezug auf alle drei Volksgruppen vgl. Rathfelder, Bosnische Tragödie, S. 45 fT. Zu der am 20. März 1993 von Bosnien-Herzegowina gegen Jugoslawien (Serbien Wld Montenegro) vor dem IGH erhobenen Klage wegen VerletZWlg der Genozid-Konvention sowie weiterer Konventionen Wld Prinzipien des humanitären Kriegsrechts Wld der daraufhin am 8. April 1993 ergangenen einstweiligen AnordnWlg des IGH vgl. Oellers-Frahm, Anmerkungen zur einstweiligen AnordnWlg des Internationalen Gerichtshofs im Fall Bosnien-Herzegowina gegen Jugoslawien (Serbien Wld Montenegro) vom 8. April 1993, in: ZaöRV 53/3, (1993), S. 638 fT. Vgl. auch Neudeck, Menschenrechtstragödien in Bosnien-Herzegowina, in: APZ B37/93, S. 30 fT. Zu den Einzelheiten der im Rahmen der "ethnischen SäUberWlg" begangenen Verbrechen Wld ihrer völkerrechtlichen BewertWlg vgl. insb. Oeter, Kriegsverbrechen, S. 10 f. mit den dort angefuhrten FWldstellen sowie Raddatz, Der aktuelle Fall: Das serbische InternierWlgslager Manjaca, in: Humanitäres Völkerrecht, 1992, Heft 4, S. 182 tT.

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same Zerschlagung Bosnien-Herzegowinas seit Ende Sommer 1991 sorgfaItig vorbereitet worden war. 506 Die Anerkennung Bosnien-Herzegowinas durch die Vereinigten Staaten und die EG Anfang April 1992 stellte somit nicht die Ursache fur den Krieg in Bosnien-Herzegowina dar, sondern lieferte lediglich den Vorwand fur die seit längerem von den Serben geplante gewaltsame Zerschlagung dieser Republik. 507 (c) Die kroatisch-muslimische Auseinandersetzung in Bosnien-Herzegowina Im Schatten der serbischen Eroberungen schufen auch die bosnischen Kroaten vollendete Tatsachen: 508 Am 3. Juli 1992 proklamierten sie in der von ihnen kontrollierten Westherzegowina den "Kroatischen Staat HercegBosna" unter Führung des zum Präsidenten ausgerufenen bosnischen Kroaten Boban. Dieser erklärte zwar, daß er die Unabhängigkeit BosnienHerzegOWInas respektieren werde, durch die "vorläufige" Übernahme der Regierungsgewalt und die Einfuhrung einer kroatischen Zivilverwaltung und Währung wurde dieses Gebiet allerdings faktisch bereits von BosnienHerzegowina abgespaltet. 509 Als die Kroaten im Mai 1993 versuchten, in den ihnen im Vance-Owen Plan zugesprochenen Gebieten die muslimischen Ver506 Vgl. Moore, The Serbian and Croatian Factors, in: RFEIRL Research Report, Vol. 2, No. 22,28 May 1993 (zit.: Moore, Serbian and Croatian Factors), S. 16. 507 So das Resümee von Gow, One Year ofWar, S. 13. 508 Auch das Verhältnis der von Tudjman gefiihrten Republik Kroatien zur Zukunft eines souveränen Bosnien-Herzegowina war bis zur kroatisch-muslirnischen EinigWlg im Frühjahr 1994 mehrdeutig: Bereits im März 1991 kam es zu einem Geheimtreffen zwischen Tudjman lUld MiloSevic, bei dem diese eine AufteillUlg BosnienHerzegowina besprachen (Hayden, Partition of Bosnia and Herzegovina, S. 4). Der erste offIzielle Vorschlag seitens der Serben zur TeillUlg Bosnien-Herzegowinas wurde von der serbischen SDS Ende 1991 präsentiert (vgl. AbbildlUlg im Anhang, S. 385). Ein kroatischer TeillUlgsvorschlag folgte wenig später (vgl. AbbildlUlg im Anhang, S. 385). Hieraus nlUl aber wie Oschlies, Ursachen des Krieges in Ex- Jugoslawien, S. 10, zu folgern, daß Serbien lUld Kroatien eine "identische Kriegsschuld in Bosnien" haben, würde verkennen, daß es die Serben waren, die den Krieg in Bosnien-Herzegowina vorbereiteten lUld schließlich auch begannen lUld daß ohne die kroatischen WaffenlUld NachschubliefeTWlgen an die Muslime deren Widerstand bereits wenige Wochen nach der serbischen Offensive zusammengebrochen wäre. Vgl. auch Ströhm, Die ErmordlUlg Sarajevos, in: Europäische Sicherheit 8/92, S. 442 sowie Moore, Serbian and Croatian Factors, S. 17 lUlter Verweis auf Thompson: "In fact, ... Croatia has provided Bosnia and Herzegovina with more assistance than has any other state. " 509 Vgl. Reuter, Die Tragödie der bosnischen Muslime, S. 1460. Zu den VorstelllUlgen der bosnischen Kroaten zur Zukunft Bosnien-Herzegowinas vgl. auch Calic, Düstere Aussichten fiir Bosnien-Herzegowina, in: EA 3/1994 (zit.: Calic, Düstere Aussichten), S. 71 ff. 14·

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2. Kapitel: OSZE-Streitbeilegungsmechanismen Wld Jugoslawienkonflikt

bände zu entwaffnen bzw. auszuweisen, kam es zu schweren Kämpfen zwischen den ehemals verbündeten Parteien und zu Vertreibungen muslimischer Zivilisten durch Kroaten in der Gegend von Mostar. Das nur notdürftig wieder hergestellte Bündnis zerbrach schließlich im Juli 1993, als die Muslime, eingedenk der Tatsache, daß sie zu einer Rückeroberung der serbisch besetzen Gebiete nicht in der Lage waren, eine Offensive gegen die von Kroaten kontrollierten Gebiete Mittelbosniens starteten und über einhunderttausend Kroaten vertrieben. 510 (d) Die Ausrufung der Autonomen Provinz Westbosnien Am 27. September 1993 wurde bei einem Treffen von 400 Persönlichkeiten der Region Westbosniens in Velika KladuSa in der Nähe von Bihac die "Autonome Provinz Westbosnien" proklamiert und Fikret Abdic zum Präsidenten ausgerufen. 511 In den folgenden Wochen einigte sich Abdic mit dem Herceg-Bosna-Präsidenten Boban auf eine "enge Zusammenarbeit ihrer Republiken"512 und unterzeichnete mit dem Führer der bosnischen Serben KaradZic eine Erklärung über dauerhaften Frieden zwischen der Serbischen Republik und der Autonomen Provinz Westbosnien. 513 Während Abdic erklärte, mit diesen Schritten der Bevölkerung der von kroatischen und bosnischen Serben umringten Muslimenklave den Frieden bewahrt zu haben,514 verurteilte Präsident Izetbegovic die Geschehnisse als eine "von Privatleuten aus persönlichem Eigennutz erzwungene illegale Sezession"515 und rief die in der Enklave stationierten Regierungstruppen zur Verhinderung der Lostrennung auf. In den darauffolgenden Wochen und Monaten kam es zu schweren Kämpfen zwischen Regierungstruppen und Abdic-Anhängem, bei denen aber keine Seite die vollständige Kontrolle über die Muslimenklave in Westbosnien gewinnen konnte. Die infolge der kroatisch-muslimischen Auseinandersetzung in Bosnien-Herzegowina geschlossenen unterschiedlichen Kriegsallianzen 516 wurden so noch um einen muslimischen Bürgerkrieg im Westen der Republik ergänzt.

510 Vgl. AdG 1993, S. 38141 f. Wld StrlJhm, Wer sich nicht taufen lassen will, muß sterben, in: Rheinischer Merkur, Nr. 33 vom 13.8.1993. 511 Vgl. AdG 1993, S. 38245. 512 Vgl. AdG 1993, S. 38340. 513 Vgl.: Ebenda.

514 Vgl. AdG 1993, S. 38340 f. 515 Zitiert nach AdG 1994, S. 38246. 516 Vgl. hierzu AbbildWlg im Anhang, S. 386.

11. Der Einsatz der Streitbeilegungsmechanismen im Jugoslawienkonflikt

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(e) Internationale Friedenspläne und Teilungsvorschläge zwischen 1992 und 1993 Alle bisherigen internationalen Vermittlungsbemühungen zur Beendigung des Krieges in Bosnien-Herzegowina sind bisher fehlgeschlagen. Während in London, Genf, New York und anderen Orten verhandelt wurde, eroberten die Serben immer weitere Gebiete Bosnien-Herzegowinas und vertrieben die dort ansässige Bevölkerung. Trotz der immer wieder bekundeten Aussage, daß gewaltsame Gebietserwerbungen von der internationalen Staatengemeinschaft nicht akzeptiert werden, wurden den Serben in den jeweiligen Friedensplänen immer weitreichendere Gebietskonzessionen gemacht und somit die gewaltsame Aufteilung Bosnien-Herzegowinas durch Krieg und "ethnische Säuberung" letztlich doch akzeptiert. 517 Hatte anfanglieh noch die an ethnischen Gesichtspunkten orientierte Reorganisation Bosnien-Herzegowinas im Vordergrund der Vermittlungsbemühungen gestanden, so ging es angesichts der fortschreitenden serbischen Offensive518 schließlich nur noch darum, den für die Muslime wohl verlorenen Krieg zu einem Ende zu bringen und ihnen somit weitere personelle und territoriale Verluste zu ersparen: Der EG-Plan vom März 1992, der Bosnien-Herzegowina in ethnische Kantone untergliederte, ging noch von einem Bosnien-Herzegowina mit starker Zentralgewalt aus. 519 Dieser Plan wurde von den Muslimen und Kroaten abgelehnt. 520 Noch bevor von der EG unter Beteiligung von je drei Mitgliedern der drei Nationalitäten Bosnien-Herzegowinas ein neuer Plan ausgearbeitet werden konnte, begannen die Serben Ende März die gewaltsame Zerschlagung der Republik. Der die Namen des UN- und EG-Verrnittlers tragende Vance-Owen-Plan vom Januar 1993, demzufolge Bosnien-Herzegowina in zehn Kantone zu untergliedern sei, beschnitt die Kompetenzen der Zentralregierung so stark, daß die Verhinderung weiterer Vertreibungen, die Unterbindung des Auffiarnmens neuer Kämpfe und somit schließlich das Überleben der Republik nur durch

517 Dies zeigt sich aufschlußreich durch den Vergleich zwischen der ethnischen Zusanunensetzung Bosnien-Herzegowinas 1991 und dem Genfer Teilungsplan vom August 1993 (vgl. nierzu Abbildung im Anhang, S. 383). 518 Zu den serbischen Angriffsrichtungen während des Jahres 1993 vgl. Abbildung im Anhang, S. 382. 519 Vgl. Abbildung im Anhang, S. 387 und Haydell, Partition ofBosnia and Herzegovina, S. 6 f. 520 Zu den HintergIiinden vgl. Haydell, Partition ofBosnia and Herzegovina, S. 6 f.

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internationales Engagement zu sichern gewesen wäre. 521 Da der Plan die serbische Kontrolle über den von ihnen eroberten Korridor in der Posawina (Nordbosnien) verhindert hätte,522 wurde er am 6. Mai vom selbsternannten Parlament der bosnischen Serben abgelehnt. 523 Die bisher weitesten territorialen Zugeständnisse an die Serben finden sich im Teilungsplan der Vermittler Owen und Stoltenberg vom August 1993. Dieser Plan sieht die Aufteilung Bosnien-Herzegowinas in drei weitgehend unabhängige Territorien 524 innerhalb einer lockeren Föderation vor, welche Mitglied der VN bliebe. 525 Der Plan wurde im Herbst 1993 vom bosnischen Parlament mit der Begründung abgelehnt, daß er die durch Gewalt geschaffenen territorialen Gebietsveränderungen absichere. 526 Bezeichnend dafür, wie sehr die Vermittler sich trotz gegenteiliger Beteuerungen schließlich den durch Gewalt geschaffenen Realitäten anpaßten, ist die Tatsache, daß der Owen-Stoltenberg-Plan auf einer serbisch-kroatischen Übereinkunft zur Aufteilung Bosnien-Herzegowinas basiert, die annähernd dem von den Führern der serbischen SDS und kroatischen HDZ am 6. Mai 521 Vgl. zu den Einzelheiten Hayden, Partition of Bosnia and Herzegovina, S. 9-11; Gow, One Year ofWar, S. 12 f.; Billing, Aktuelle Lage, S. 32 f. Zur Kritik am VanceOwen-Plan aus ethnischen Gesichtspunkten Diidarevic ,In der Geiselhaft der Milizen, in: Blätter für deutsche IUld internationale Politik, 5/93, S. 553 ff. Zum Inhalt des Vance-Owen-Plans IUld seinen Abändefllllgen IUld Ergänzungen bis zum Mai 1993 vgl.: EA 18/1993, S. D357 ff. sowie Kramer, Aus dem Bereich der VN - Politik IUld Sicherheit - Jugoslawien, in: VN 4/1993, S. 143. 522 Die SchatTlUlg IUld Kontrolle des Nordkorridors war das eigentliche strategische Hauptziel der serbischen OtTensive in Bosnien-Herzegowina. Dieser stellt die einzige VerbindlUlg zwischen der FRJ IUld den serbischen SiedllUlgsgebieten im Westen Bosniens sowie in der Krajina IUld Westslawonien dar IUld ist somit für die militärische Unterstützung der dort lebenden Serben sowie für die angestrebte Eingliedefllllg dieser Gebiete in ein zusammenhängendes Großserbien von zentraler Bedeutllllg. Vgl. hierzu auch Gustenau, Zur NeuordnlUlg des südslawischen Raumes, in: ÖMZ 3/1993, S. 231 sowie Ströhm, Der Wahnsinn hat Methode, in: Europäische Sicherheit 11192, S. 595. 523 Bei der auf Beschluß der Abgeordneten in Pale am 15. IUld 16. Mai 1993 durchgeführten Volksabstimmung IUlter den bosnischen Serben sprachen sich nach serbischen Angaben 96% gegen eine Annahme des Planes aus. Damit war der Vance-OwenPlan endgültig gescheitert. Vgl. hierzu Andrejevich, Serbia's Bosnian Dilemma, in: RFEIRL Research Report,. Vol. 2, No. 23 (4.6.1993), S. 14 ff. 524 Vgl. AbbildlUlg im Anhang, S. 383. 525 Vgl. Kramer, Aus dem Bereich der VN - Politik IUld Sicherheit - Jugoslawien in: VN 4/1993, S. 144. Letztlich zielte der Owen-Stoltenberg-Plan aber auf die AutleillUlg Bosnien-Herl.egowinas, da die Teilstaaten nach einer Übergangsfrist die Möglichkeit erhalten sollten, über ihren Anschluß an die Nachbarrepubliken zu entscheiden. Vgl. Calic, Düstere Aussichten, S. 73. 526 Zur Lage in Bosnien-Herl.egowina Ende 1993 IUld den IUlterschiedlichen Kriegsallianzen in jener Zeit vgl. Abbildung im Anhang, S. 386.

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1992 ausgearbeiteten Teilungsplan entspricht. Dieser war damals von der EG mit dem Hinweis abgelehnt worden, daß sie keine Einigung akzeptieren würde, die nicht die Unterstützung aller drei Parteien hat. 527 Die fehlende Einigungsbereitschaft der bosnischen Muslime wurde seitdem durch militärische Fakten ersetzt.

Das Scheitern der internationalen Gemeinschaft, die glaubte, den von ihr anerkannten ethnisch durchmischten Vielvölkerstaat Bosnien-Herzegowina trotz serbischer "ethnischer Säuberungen" auch ohne Militärintervention528 als multinationalen Staat erhalten zu können, war bereits Mitte Juni 1993 verkündet worden, als EG-Vermittler Owen nach der Ablehnung seines Friedensplanes durch die Serben öffentlich erklärte: "Wir sind mit unserer Mission gescheitert. Der Vielvölker-Einheitsstaat Bosnien läßt sich nicht erhalten. "529 (f) UN-Resolutionen zur Errichtung und militärischen Absicherung von Sicherheitszonen

Um die drohende Eroberung der bosnischen Muslimenklaven Bihac, Srebrenica, Zepa, Goraide, der Industriestadt Tuzla sowie der Hauptstadt Sarajevo durch serbische Einheiten zu verhindern, erklärte der SR diese Gebiete arn 6. Mai 1993 in seiner Resolution 824 zu Sicherheitszonen. Die bosnischen Serben wurden zur "Einstellung der bewaffneten Angriffe und jeder anderen feindseligen Handlung gegen diese Sicherheitszonen"530 aufgefordert. Zudem wurde der "Abzug aller militärischen oder paramilitärischen Einheiten der bosnischen Serben aus diesen Städten auf eine Entfernung, aus der sie keine Gefahr mehr für deren Sicherheit und die Sicherheit der Bewohner darstellen"531 gefordert. Dieser Abzug sei von 50 UN-Militärbeobachtern zu überwachen. 532 Angesichts unverminderter serbischer Angriffe auf diese Gebiete erweitere der SR am 4. Juni 1993 in seiner Resolution 836 das Mandat der in den Sicherheitszonen zu stationierenden UN-Einheiten und übertrug ihnen die mili-

527 Hayden, Partition ofBosnia and Herzegovina, S. 7. 528 Zu den schnell verworfenen Überlegungen einer "Operation Balkansturm" und ihren Risiken vgl. Lutz, Militärische Gewalt - Mittel gegen den Krieg in BosnienHerzegowina?, in: S + F 3/92, S. 148 f. sowie ders., Interventionen - Krieg als Ultima ratio?, in: Rathfe1der, Krieg auf dem Balkan, S. 90 ff. 529 Vgl. AdG 1993, S. 38019. 530 SRIRes. 824 (1993), Ziff. 4 a. Der Wortlaut der Resolution ist abgedruckt in: EA

18/1993, S. D371. 531 SRIRes. 824 (1993), Ziff. 4 a. 532 Vgl.: SRIRes. 824 (1993), Ziff 4 a und 6.

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2. Kapitel: OSZE-Streitbeilegungsmechanismen und Jugoslawienkonflikt

tärische Absicherung dieser Zonen. So wurde die UNPROFOR ermächtigt, "zusätzlich zu dem in den Resolutionen 770 (1992) und 776 (1992) festgelegten Mandat, in Durchführung des in Ziffer 5 beschriebenen Mandats533 und zur Selbstverteidigung, als Antwort auf die Bombardierung der Sicherheitszonen durch irgendeine der Parteien oder auf bewaffnete Einfälle in die Zonen oder im Falle einer vorsätzlichen Behinderung der Bewegungsfreiheit der UNPROFOR oder geschützter humanitärer Konvois in den Zonen oder in deren Umgebung, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, einschließlich der Anwendung von Gewalt. "534 Hiermit wurde der UNPROFOR der Einsatz von Waffengewalt nicht nur zur Selbstverteidigung im Falle eines gegen sie gerichteten Angriffs, sondern ausdrücklich auch zur Mandatserfiillung erlaubt. 535 Darüber hinaus beschloß der SR, daß die Mitgliedstaaten "einzelstaatlich oder durch regionale Organisationen oder Abmachungen, unter der Aufsicht des Sicherheitsrates und vorbehaltlich der engen Koordinierung mit dem Generalsekretär und der UNPROFOR, in den Sicherheitszonen und in deren Umgebung in der Republik Bosnien-Herzegowina alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen können, unter Einsatz von Luftstreitkräften, um die UNPROFOR bei der Erfüllung ihres in den Ziffern 5 und 9 festgelegten Mandats zu unterstützen. "536 Von alledem ließen sich die bosnischen Serben allerdings wenig beeindrukken. Entgegen den Bestimmungen des SR hielten sie insbesondere in den 533 Ziff. 5 SRIRes. 836 (1993) lautet: "(Der Sicherheitsrat) beschließt, zu diesem Zweck (zur Gewährleistung der uneingeschränkten Achtung der in Res. 824 genannten Sicherheitszonen, Anrn. des Verf., vgl. Ziff. 4 SRIRes. 836) das Mandat der UNPROFOR zu erweitern, um sie in den in Resolution 824 (1993) genannten Sicherheitszonen in die Lage zu versetzen, von Angriffen auf diese Sicherheitszonen abzuschrecken, die Waffenruhe zu überwachen, den Abzug der militärischen oder paramilitärischen Einheiten mit Ausnahme von Einheiten der Regierung der Republik BosnienHerzegowina zu fördern und einige Schlüsselstellungen auf dem Boden zu besetzen, zusätzlich zu ihrer Mitwirkung an der Auslieferung humanitärer Hilfsgüter an die Bevölkerung, wie in Resolution 776 (1992) vorn 14. September 1992 vorgesehen." Der vollständige Text der Resolution 836 fmdet sich in: EA 1811993, S. 374 ff. 534 SRIRes. 836 (1993), Ziff. 9. . 535 Bereits im Jahre 1973 war das Recht auf Selbstverteidigung dahingehend erweitert worden, daß den UN-Truppen der WafTeneinsatz nicht nur im Falle gegen sie gerichteter bewaffneter Angriffe zustehe, sondern auch bei "attemps by forceful means to prevent a UN force from discharging its duties under the mandate of the Security Council."(vgl. Suy, United Nations Peacekeeping System, in: EPlL 4, S. 262. Eine Auflistung der einzelnen Fallgruppen, in denen demnach die Anwendung von Gewalt zulässig ist, findet sich bei Kaul, UN-Friedenstruppen: Versuch einer Bilanz, in: VN 1/83 S. 5) Diese erweiterte Definition des Selbstverteidigungsrechts ist allerdings nicht unumstritten, vgl. nur Liu, United Nations Peacekeeping and the Non-Use of Force, 1992, S. 24. 536 SRIRes. 836 (1993), Ziff. 10.

ß. Der Einsatz der Streitbeilegungsmechanismen im Jugoslawienkonflikt

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Wintermonaten 1993/94 die für die ostbosnischen Enklaven bestimmten humanitären Hilfstransporte durch aufgestellte Barrikaden vom Erreichen ihrer Zielorte ab. Die UNPROFOR-Einheiten, die mit SRIRes. 836 zwar das Mandat hatten, sich gegebenenfalls den Weg freizukämpfen, mußten letztlich doch unverrichteter Dinge zu ihren Ausgangsbasen zurückkehren, da ihnen als nur leicht bewaffnete peacekeeping-Einheiten die zur Ausführung des Mandats erforderlichen schweren Waffen fehlten. 537 Darüber hinaus waren die Sicher537 Angesichts dieses Dilemmas mehrten sich die Stimmen, die feststellten, daß "a third category of international military operation is needed, somewhere between peacekeeping and large-scale enforcement", so der ehemalige Untergeneralsekretär für peace-keeping Operationen Goulding in der International Herald Tribune vom 31.12.1993. Entscheidendes Merkmal dieser neuen Kategorie von Friedensstreitkräften soll ihre im Gegensatz zu den bisherigen Friedenstruppen verstärkte Bewaffnung sein, die ihnen nicht nur die Aufrechterhaltung von Waffenstillständen, sondern auch die Durchsetzung von UN-Resolutionen wie der Absicherung von Hilfstransporten oder Sicherheitszonen gegen bewaffnete Angriffe ermöglichen soll. Zu den Einzelheiten einer solchen, von Kühne als robustes peacekeeping bezeichneten Streitkräftekategorie vgl. Kühne, Völkerrecht und Friedenssicherung, S. 54 ff. Vgl. auch Tomuschat, Ein neues Modell der Friedenssicherung tut not - Blauhelmeinsätze der zweiten Generation, in: EA 24/1994, S. 677 ff. sowie Vergau, Globale Anforderungen an Deutschland, in: Souchon, Völkerrecht und Sicherheit, S. 127 f., demzufolge die bisherige Trennungslinie zwischen traditionellem peace-keeping und militärischen Zwangsmaßnahmen "unhaltbar geworden" ist. Zum peace-keeping allgemein vgl. Rudolph. Friedenstruppen, in: Wolfrum, Handbuch der Vereinten Nationen, S. 180 ff. und Menk, Gewalt für den Frieden (1992), S. 197 ff. Bereits 1992 hatte UN-GS Boutros-Ghali in seiner Agenda für den Frieden die Schaffimg einer neuen Streitkräftekategorie, den peace-enforcement Truppen gefordert, die Aufgabe dieser "schwerer als die Friedenstruppen bewaffneten" Streitkräfte aber auf die Sicherung von Waffenstillständen beschränkt und daher im nachherein die treffendere, weil eingrenzendere Bezeichnung des ceasefire-enforcement gewählt. Vgl. hierzu Boutros-Ghali, Agenda für den Frieden (S/24 1 II , 1992), Ziff. 44, sowie ders. Empowering the United Nations, in: Foreign Affairs, Winter 92/93, S. 93 f. Vgl. hierzu auch die kritischen Anmerkungen von Weiss, Problems for Future U.N. Military Operations in "An Agenda for Peace", in: Kühne, Blauhelme in einer turbulenten Welt, S. 193 f Zu den Problemen traditionellen peace-keepings in Bürgerkriegsregionen vgl. Roberts, Tbe United Nations and International Security, in: Survival, Vol. 35, No. 2, Summer 1993, S. 9 ff; Toscano, Peacekeeping in the New International Situation, in: Tbe International Spectator, Vol. XXVlll, No. I, January-March 1993, S. 52 ff. Vgl. auch Kühne, Die Friedenssicherung der Vereinten Nationen in der Krise? Eine Zwi~ schenbilanz, in: APZ B2/94, S. 18 ff. Zur Rolle der UNPROFOR, die als traditionelle peace-keeping Truppe in einem Gebiet (Bosnien-Herzegowina) eingesetzt wurde, in dem überhaupt kein Frieden existierte, der zu sichern gewesen wäre, vgl. Higgins, Tbe new United Nations and former Yugoslavia, in: International Affairs, Vol. 69, 3 (1993), S. 468 ff; Amold, Der BalkanKrieg und die Vereinten Nationen, in: EA 2/1993, S. 37.

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heitszonen und insbesondere die bosnische Hauptstadt Sarajevo weiterhin schweren serbischen Artillerieangriffen ausgesetzt. (g) Die NATO-Ultimaten von Sarajevo und Gorafde Nachdem am 5. Februar 1994 bei einem serbischen Artillerieangriff auf Sarajevo 68 Menschen auf dem Marktplatz der Stadt umgekommen waren,538 setzte der Nordatlantikrat am 9.2.1994 auf Bitten des UN-GS und auf Grundlage von Zifr. 10 SRJRes. 836 sowie seines eigenen Beschlusses vom August 1993 539 den bosnischen Serben ein Ultimatum, ihre schweren Waffen innerhalb von zehn Tagen auf einen Abstand von 20 Kilometern vom Zentrum Sarajevos zurückzuziehen, ausgenommen ein Gebiet im Umkreis von 2 Kilometern um das Zentrum von Pale, oder sie der Kontrolle der UNPROFOR zu unterstellen, andernfalls würden Luftangriffe gegen serbische Stellungen in oder um Sarajevo erfolgen. 54O Sarajevo wurde somit von der NATO zur militärischen Sperrzone erklärt. Angesichts dieser Drohung zogen sich die Serben schließlich von der bosnischen Hauptstadt zurück und vermieden so die angedrohten Luftangriffe. Unterstützt wurde die Verwirklichung des Ultimatums durch die Friedensinitiative des russischen Präsidenten Jelzin, der mit seiner Ankündigung, den Waffenstillstand in Sarajevo von 800 russischen Friedenstruppen überwachen zu lassen, es den bosnischen Serben ermöglichte, bei ihrem Rückzug das Gesicht zu wahren. 541 538 Seit Beginn der serbischen Belagerung 1992 sind nach Aussage des bosnischen Vizepräsidenten Ganie innerhalb von 22 Monaten durch den permanenten serbischen Artilleriebeschuß sowie durch serbische Heckenschützen allein in Sarajevo über 10.000 Menschen getötet worden, vgl. hierzuAdG 1994, S. 38701. 539 Vgl. hierzuAdG 1993, S. 38139. 540 Vgl. hierzu AdG 1994, S. 38702 tT. Der Beschluß des Nordatlantikrats ist abgedruckt in: EA 7/1994, S. D229 f. Im Hinblick auf das NATO-illtimaturn erklärte der UN-Menschenrechtsbeauftragte Mazowiecki: "Niemand ist dafiIr, Wlbedingt zu bombardieren. Alle sind sich jedoch darüber im klaren, daß es ohne eine reale DrohWlg ... keinen Rückzug (der Serben) geben wird.... Ich Wlterstütze die Demonstration der Entschlossenheit, denn sonst hören die Angriffe auf die schutzlose ZivilbevölkerlU1g niemals auf Wld die Politik der vollendeten Tatsachen wird wie in den zwei letzten Jahren fortgesetzt." Zit. nach AdG 1994, S. 38703 f. 541 Vgl. hierzu AdG 1994, S. 38706. Ausschlaggebend fiir den Rückzug der Serben war indes das NATO-illtimaturn. Vgl. hierzu auch das Interview des deutschen Außenministers Kinke1 mit dem Rheinischen Merkur, abgedruckt in: EA 7/1994, S. 234 ff. Die Krise um Sarajevo zeigte somit exemplarisch, daß sich die Serben nicht von SR-Resolutionen oder Menschenrechtspakten, sondern lediglich durch die glaubhafte AndrohWlg militärischer Gewalt beeindrucken ließen. Zutreffend stellte NATO-GS Wörner nach Ablauf des illtimaturns am 21.2.1994 fest: "Eines ist sicher: Hätte die NATO nicht den Einsatz von Gewalt fiir den Notfall beschlossen, wären die BemühWl-

II. Der Einsatz der StreitbeilegwIgsmechanismen im Jugoslawienkonflikt

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Zu einer Wiederholung der Ereignisse von Sarajevo kam es Ende April 1994 in Gorafde. Nachdem die Serben über drei Wochen lang die UNSicherheitszone unter Flächenbeschuß genommen hatten, sämtliche, auch die mit den Russen ausgehandelten Waffenstillstandsvereinbarungen wieder gebrochen hatten und schließlich am 22. April 1994 bis an den Stadtkern vorgedrungen waren,542 stellte der Nordatlantikrat am gleichen Tag auf Bitten des UN-GS den Serben ein Ultimatum zum Rückzug ihrer Truppen aus einem Umkreis von drei Kilometern um das Zentrum von Goraide. 543 Gleichzeitig wurden die serbischen Belagerer ultimativ aufgefordert, ihre schweren Waffen aus einem Umkreis von 20 Kilometern zurückzuziehen, andernfalls würden Luftangriffe auf die Geschützstellungen erfolgen. Ebenso wie zuvor Sarajevo wurde somit Goraide von der NATO zur militärischen Sperrzone erklärt. 544 Gleichzeitig behielt sich die NATO vor, auch die übrigen UN-Sicherheitszonen Bihae, Tuzla, Srebrenica und Zepa zu Sperrzonen zu erklären. Dies soll dann geschehen, wenn eine der vier Sicherheitszonen mit schweren Waffen angegriffen wird oder wenn die Befehlshaber von NATO und UNO gemeinsam befinden, daß im Umkreis von 20 Kilometern schwere Waffen zusammengezogen oder in einer die Sicherheitszone bedrohenden Art transportiert werden. 545 Angesichts des NATO-Ultimatums begannen die Serben am 23.4.1994 mit ihrem Rückzug aus Goraide. Gleichzeitig gelangte ein seit mehreren Tagen von den Serben immer wieder aufgehaltener UNO-Konvoi mit 175 Blauhelm-Soldaten in die Stadt, dem am 26.4.1994 ein Hilfskonvoi mit Lebensmitteln folgte. 546 Bei Ablauf des Ultimatums am 27.4.1994 hatten die Serben die NATO-Forderung nach Rückzug ihrer schweren Waffen erfullt, so daß die angedrohten Luftangriffe ausbleiben konnten. 547 (h) Die Bildung der Föderation von Bosnien und Herzegowina Bereits am 1. März 1994 gelang es amerikanischen Vermittlern nach mehrwöchigen Verhandlungen, den bosnischen Ministerpräsidenten Haris SilajdZie, den kroatischen Außenminister Mate Granie und den Vertreter der gen der letzten zehn Tage, die Belagerung von Sarajevo aufzuheben, erfolglos geblieben" (Der Wortlaut der Presseerklärung fmdet sich in: EA 7/l994, S. 232 f.). 542 Vgl. hierzu SZ vom 20:4.1994, S. 1, 4, 6; 21.4.1994, S. I; 22.4.1994, S. 1, 2; 23/24.1.1994, S. 1,2,4 sowie die Beiträge der FAZ aus dem gleichen Zeitraum. 543 Die rechtlichen Grundlagen dieses NATO-Beschlusses sind die gleichen wie die hinsichtlich des Ultimatums vom 9.2.1994. 544 Zu den Einzelheiten des Ultimatums vgl. SZ vom 25.4.1994, S. 8. 545 Vgl. SZ vom 25.4.1994, S. 8. 546 Vgl. SZ vom 25.4.1994, S.I, 27.4.1994, S.7. 547 Vgl. SZ vom 26.4.1994, S.2; 27.4.1994, S. 2; 28.4.1994, S. 1.

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2. Kapitel: OSZE-Streitbeilegungsmechanismen und Jugoslawienkonflikt

Kroaten in Bosnien-Herzegowina Kresmir Zubak als Nachfolger von Mate Boban, dazu zu bewegen, ein Rahrnenabkommen über eine Föderalisierung der kroatischen und bosnischen Teile Bosnien-Herzegowinas sowie eine angestrebte Konföderation zwischen dieser neu zu schaffenden Einheit und Kroatien zu unterzeichnen. 548 Auf Grundlage dieses Rahrnenabkommens unterzeichneten die Präsidenten Bosnien-Herzegowinas und Kroatiens sowie Kroatenführer Zubak am 18. März 1994 in Washington das Abkommen über die Bildung der "Föderation von Bosnien und Herzegowina". Der sich aus den kroatischen und bosnischen Landesteilen zusammensetzende, in mehrere Kantone unterteilte Bundesstaat soll mindestens 51% des Territoriums von Bosnien-Herzegowina umfassen. Die mit Kroatien angestrebte Konföderation soll eine Zoll- und Währungsunion sowie die Koordinierung der Verteidigung umfassen. 549 Das Abkommen steht auch den bosnischen Serben offen, die jedoch jegliche Beteiligung ablehnen. 550 Nachdem das Abkommen zur Bildung der Föderation Ende März vom kroatischen Parlament von Herceg-Bosna und vom muslimischen Parlament gebilligt und Anfang Mai eine Einigung über die politische Führung und die geographische Aufteilung der künftigen Föderation, die nunmehr 58 Prozent des Territoriums von Bosnien-Herzegowina umfassen soll, erzielt worden war,551 fand am 30 und 31. Mai 1994 in Sarajevo die konstituierende Sitzung des muslimisch-kroatischen Parlaments statt. In dieser Sitzung wurde die Verfassung der Föderation von Bosnien-Herzegowina angenommen und fiir die ersten sechs Monate der Kroate Kresmir Zubak zum Präsidenten der Föderation, der Muslim Ejup Ganie zu seinem Stellvertreter gewählt. 552

548 Der Text dieses Rahmenabkommens ist abgedruckt in: EA 7/1994, S. D239 fT. 549 Zu den Inhalten des Abkommens vgl. AdG 1994, S. 38767. Auch die lange umstrittene Frage nach einem eigenen Hafen für die Republik Bosnien-Herzegowina konnte gelöst werden. So wurde der bosnischen Föderation der Zugang zum kroatischen Adriahafen Ploce gestattet, wo sie einen Freihafen einrichten darf. 1m Gegenzug wurde Kroatien die freie Durchfahrt durch das herzegowinische Gebiet von Neum eingeräumt, welches das kroatische Dalmatien zerschneidet, vgl. AdG 1994, S. 38767. 550 Vgl. AdG 1994, S. 38768 . . 551 Vgl. AdG 1994, S. 38898, 39138. Zu den Grenzen und der kantonalen Gliederung der Föderation von Bosnien und Herzegowina vgl. Abbildung im Anhang, S. 388. Zum Unterschied zwischen den angestrebten Föderationsgrenzen und der faktischen Gebietsherrschaft im Mai 1994 vgl. Abbildung im Anhang, S. 389. 552 Vgl. AdG 1994, S. 39141. Das Präsidentenamt wird durch turnusmäßige Rotation bestimmt (so ist seit Ende 1994 der bisherige Stellvertreter Ganie für ein Jahr Präsident der Konföderation, ihm wird Ende 1995 ein bosnischer Kroate folgen) und das Kabinett dem Bevölkerungsproporz entsprechend zusammengesetzt, wobei einige Ressorts mit Stellvertretern besetzt sind, die der jeweils anderen Volksgruppe zugehören, vgl. AdG 1994, S. 39145.

n. Der Einsatz der StreitbeilegWlgsmechanismen im Jugoslawienkonflikt

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(i) Der Friedensplan der Bosnien-Kontaktgruppe und die Haltung der bosnischen Serben Die aus Vertretern der USA, Rußlands, Großbritanniens, Frankreichs und Deutschlands bestehende "Bosnien-Kontaktgruppe" war am 26.4.1994 im Gefolge des NATO-Ultimatums gegen Goraide in London zu ihrer ersten Sitzung zusammengekommen. 553 Als Aufgabe wurde ihr die Ausarbeitung einer umfassenden Friedenslösung fiir Bosnien-Herzegowina zugewiesen. Demgemäß stellte sie am 3. Juli 1994 einen Friedensplan vor, der bei Befiirwortung des Erhalts von Bosnien-Herzegowina als Bundesstaat in seinen bisherigen Außengrenzen eine gebietsmäßige Aufteilung der Republik im Inneren im Verhältnis von 51 Prozent fiir die kroatisch-muslimische Föderation und 49 Prozent fur die bosnischen Serben vorsieht. 554 Kernstück dieses Planes ist die von der Kontaktgruppe ausgearbeitete Landkarte BosnienHerzegowinas. 555 Diese wurde von Außenministern der Kontaktgruppenstaaten auf ihrem am 5. Juli 1994 in Genf abgehaltenen Treffen gebilligt, wobei die Minister erneut ihre "Unterstützung fiir die Erhaltung BosnienHerzegowinas als Union mit international anerkannten Grenzen und Weiterfuhrung der internationalen Rechtspersönlichkeit der Republik von BosnienHerzegowina" zum Ausdruck brachten. 556 Die Kontaktgruppe wurde beauftragt, den auf der Karte basierenden Teilungsplan den Konfliktparteien unter Ankündigung positiver bzw. negativer Anreize im Falle der Annahme bzw. Ablehnung vorzulegen. Während die muslimische Führung Zustimmung zum Plan signalisierte, rief der Führer der bosnischen Serben KaradZic, dessen Truppen rund 70 Pro-

553 Vgl. AdG 1994, S. 38910, in dem als weitere Mitglieder der Kontaktgruppe Vertreter der UNO Wld EU genannt werden. 554 Zu den Einzelheiten des Friedensplans vgl. AdG 1994, S. 39146, 39148. So soll insbesondere der serbische Korridor in der Posavina-Tiefebene auf 3 bis 5 Kilometer, bei Brcko sogar auf Straßenbreite schrumpfen, die strategisch bedeutsame Stadt Doboj an der Südflanke des Korridors von den Serben aufgegeben werden. Das dem Friedensplan zugTWldeliegende TeilWlgsverhältnis von 51 zu 49 war den Kriegsparteien in Bosnien-Herzegowina bereits am 13. Mai 1994 von den Außenministern der USA, Rußlands, Frankreichs, Großbritanniens, Deutschlands, Griechenlands Wld Belgiens vorgeschlagen worden, vgl. AdG 1994, S. 39138 sowie SZ Wld FAZ vom 16.5.1994, jeweils S. 1. 555 Vgl. hierzu die AbbildWlg im Anhang, S. 390 sowie die dort befmdliche weitere Karte zur VerdeutlichWlg der faktischen Gebietsherrschaft in Bosnien-Herzegowina, so wie sie sich Mitte April 1994, d.h. noch vor der Erklärung Gorafdes zur militärischen Sperrzone, darstellte. 556 Vgl. hierzu: KommWlique des Außenministertreffens der Kontaktgruppe zu Bosnien-Herzegowina am 5. Juli 1994 in Genf, abgedruckt in: EA 21/1994, S. D634 ff.

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2. Kapitel: OSZE-Streitbeilegungsmechanismen und Jugoslawienkonflikt

zent des Territoriums Bosnien-Herzegowinas kontrollieren,557 die Deputierten des serbischen Parlaments in Pale zur Ablehnung des Friedensplanes auf. Das Parlament verabschiedete daraufhin am 19. Juli 1994 eine Deklaration, keinen Beschluß über den Friedensplan zu fassen, weil "darin wesentliche Probleme ungeklärt seien."558 Der Vorschlag der Kontaktgruppe könne lediglich als Grundlage weiterer Verhandlungen dienen. Nachverhandlungen über die Aufteilung des Territoriums wurden seitens der Kontaktgruppe jedoch abgelehnt. 559 Angesichts der in Aussicht gestellten Aufhebung der Wirtschaftssanktionen gegen sein Land forderte Serbiens Präsident Milosevic am 1. August die bosnischen Serben zur Annahme des Friedensplanes auf, am Folgetag richtete die Regierung der Republik Serbien einen zusätzlichen Appell an die Führung der Serbischen Republik in Pale, in der unter der Androhung des Abbruchs der Beziehungen erneut die Annahme des Planes der Kontaktgruppe gefordert wurde. 560 Am 4. August wies das Parlament in Pale den Appell der Regierung in Belgrad zurück. Daraufhin faßte die Regierung der Bundesrepublik Jugoslawien noch am gleichen Tag den Beschluß, die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zur RSK abzubrechen und die Grenze zur RSK fiir alle Transporte außer Lebensmittel, Kleidung und Medikamenten in Richtung RSK zu schließen. 561 Doch auch hiervon ließen sich die bosnischen Serben nicht beeindrucken. In einem Ende August abgehaltenen Referendum lehnten sie amtlichen Angaben zufolge mit 96,7 Prozent den internationalen Friedensplan ab. 562 Nachdem Milosevic Anfang September der Stationierung von 135 zivilen Beobachtern an der Grenze der Bundesrepublik Jugoslawien zur RSK zwecks Überwachung des von Belgrad gegen Pale verhängten Embargos zugestimmt hatte, lockerte der SR der VN in seiner Resolution 943 die Sanktionen gegen Restjugoslawien dahingehend, daß der zivile Luftverkehr nach Belgrad, der Fährbetrieb nach Italien und die Beteiligung Restjugoslawiens an internationalen Kultur- und Sportbegegnungen wieder zugelassen wurde. 563 Gleichzeitig wurden in Resolution 942 verschärfte Sanktionen gegen die bos-

557 Vgl. hierzu Abbildung im Anhang, S. 390 mit Stand von April 1994. 558 Vgl. AdG 1994, S. 39149. Bereits Mitte Mai hatte der Parlamentspräsident der bosnischen Serben, KrajiSnik, erklärt, daß die Kroaten und Muslime auf keinen Fall einen größeren Teil von Bosnien-Herzegowina erhalten dürften als die Serben, da sie weder die "moralischen noch militärischen Sieger" seien. Vgl. SZ vom 16.5.1994, S. 1 559 Vgl. AdG 1994, S. 39149. 560 Vgl. AdG 1994, S. 39250 f. 561 Vgl. AdG 1994, S. 39252 f. 562 Vgl. AdG 1994, S. 39257. 563 Vgl. AdG 1994,39419 f., 39423 f.

ll. Der Einsatz der StreitbeilegWlgsmechanismen im Jugoslawienkonflikt

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nischen Serben verhängt564 und die internationale Staatengemeinschaft aufgefordert, keinerlei Gespräche mit der serbischen Führung in Pale abzuhalten, solange diese den internationalen Friedensplan nicht akzeptiert habe. 565 (j) Die Ereignisse in Bosnien-Herzegowina bis März 1995 Während im Sommer 1994 weiter um die Annahme des Friedensplanes gerungen wurde, verstärkten die bosnischen Serben die "ethnische Säuberung" im Raum Banja Luka und Nordostbosnien. 566 Tausende muslimische und kroatische Frauen, Kinder und alte Menschen wurden vertrieben, während die Männer in Internierungslager und zu Zwangsarbeiten verschleppt wurden. Seit Beginn des Krieges in Bosnien-Herzegowina wurden damit nach Angaben des UNHCR etwa 750.00 Muslime und Kroaten von den bosnischen Serben zur Flucht gezwungen. 567 Mitte August 1994 eroberten die bosnischen Regierungstruppen die Hochburg der muslimischen Separatisten in Westbosnien, Velika KladuSa. Damit war nach mehrmonatigen Kämpfen der Aufstand Abdics in Westbosnien zusammengebrochen, die "Autonome Provinz Westbosnien" hatte aufgehört zu bestehen. Tausende Abdic-Anhänger flohen in die serbisch kontrollierten Gebiete. 568 Die bosnischen Regierungstruppen in Westbosnien, die in den nachfolgenden Wochen mit Unterstützung der bosnischen Kroaten zunächst 564 So sind alle Wirtschaftstätigkeiten in dem von bosnischen Serben kontrollierten Gebiet auszusetzen, alle Lieferung außer der von Hilfsgütern filr medizinische Zwecke Wld NahrWlgsmittein in dieses Gebiet einzustellen, serbisch-bosnisches VeIIl\ögen im Ausland einzufrieren Wld der gesamte ausländische ZahlWlgsverkehr mit den bosnischen Serben einzustellen. Vgl. AdG 1994, S. 39424. 565 Vgl.: Ebenda. 566 Schon am 30.3.1994 hatte die FAZ auf Seite 7 Wlter Berufung auf Informationen der Washington Post berichtet, daß "vor allem im Gebiet Banja Luka eine deutliche ZWlahme von VergewaltigWlgen muslimischer Wld kroatischer Frauen, strafrechtlich nicht verfolgter Morde Wld anderer Gewalttätigkeiten gegenüber der verbliebenen nichtserbischen Bevölkerung zu verzeichnen (sei)." Die einzige Möglichkeit, das Leben der Muslime Wld Kroaten zu schützen, sei, so eine Vertreterin des UN-Flüchtlingshilfswerkes, ihre AussiedlWlg. Die Serben bereiteten sich offensichtlich auf das Ende des Krieges in Bosnien-Herzegowina vor Wld versuchten, durch gezielte Terrorisierung die von ihnen besetzten 70 Prozent des Landes von Muslimen Wld Kroaten zu säubern. 567 Vgl. AdG 1994, S. 39421. Die von VertreibWlg, Zwangsarbeit, willkürlicher Verhaftung, Beschlagnahme von Eigentum, VergewaltigWlg Wld Folter begleitete "ethnische Säuberung" des Sommers 1994 wurde vom UNHCR als "serbischer Staatsterrorismus" bezeichnet. Vgl. AdG 1994, S. 39421 f. 568 Vgl. AdG 1994, S. 39256 f.

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2. Kapitel: OSZE-StreitbeilegWlgsmechanismen Wld Jugoslawienkonflikt

Geländegewinne gegen die bosnischen Serben erzielen konnten, wurden im November 1994 durch eine gemeinsame Offensive der bosnischen und kroatischen Serben weit zurückgedräIigt, die Stadt Bihacs völlig von serbischen Truppen eingeschlossen. 569 Aufgrund verstärkter muslimischer Gegenwehr, internationalen Vermittlungsbemühungen und der Drohung der kroatischen Regierung, im Falle der Einnahme Bihacs durch die Serben in den Krieg einzutreten, flauten die Kämpfe um die Muslimenklave Bihac Mitte Dezember ab. 570 Durch Vermittlung des ehemaligen US-Präsidenten earter wurde fur den 24. Dezember 1994 eine einwöchige Waffenruhe fur ganz BosnienHerzegowina vereinbart, die größtenteils eingehalten wurde. 571 Der fur den l. Januar 1995 vereinbarte viermonatige Waffenstillstand hingegen teilte das Schicksal der vorherigen 34 Waffenstillstände; wiederaufilammende Kämpfe ließen ihn schon nach kurzer Zeit reine Makulatur werden. 572 Die zu Beginn des Jahres 1995 fortgesetzten Bemühungen der Kontaktgruppe, die bosnischen Serben doch noch zur Annahme des Friedensplans zu bewegen, scheiterten an der serbischen Forderung nach weiteren territorialen Zugeständnissen und Anerkennung des von ihnen gehaltenen bosnischen Territoriums als Staat. Am 13. Februar lehnte das serbische Parlament in Pale den Friedensplan erneut als "in seiner jetzigen Form fur die Serben unannehmbar" ab. 573 (k) Ausblick Unabhängig davon, wie eine Friedenslösung fur Bosnien-Herzegowina im Detail aussehen wird, steht heute schon fest, daß das ethnisch durchmischte Vorkriegs-Bosnien-Herzegowina, in dem Serben, Kroaten und Muslime friedlich zusammenlebten, durch die Auswüchse der nationalistischen Politik Milosevics und seiner Handlanger Karadfic und Mladic in Form von Massenvergewaltigungen, Todeslagern und den im Zusammenhang mit der "ethnischen Säuberung" begangenen Verbrechen fur immer untergegangen ist. Die Vorstellung, daß Serben, Kroaten und Muslime, mithin Täter und' Opfer grausamster Verbrechen, wieder friedlich miteinander leben könnten,574 geht 569 Vgl. AdG 1994, S. 39495 ff., 39583 ff. 570 Vgl. AdG 1994, S. 39585 ff. 571 Vgl. AdG 1994, S. 39587. 572 Vgl. AdG 1995, S. 39610 ff., 39684 ff., 39763 ff., 39887. 573 Vgl. AdG 1995, S. 39764 f. 574 So Rathfelder, Bosnische Tragödie, S. 76, der als Argument anfuhrt, daß es auch nach den entsetzlichen Massakern im Zweiten Weltkrieg in der Folgezeit wieder zu einem friedlichen Zusammenleben in Jugoslawien kam. Nicht erwähnt wird von Ratlifelder jedoch der letztlich entscheidende Umstand, daß dieses Zusammenleben

II. Der Einsatz der Streitbeilegungsmechanismen im Jugoslawienkonflikt

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nicht nur an den blutigen Geschehnissen der letzten zwei Jahre vorbei, sondern übersieht vor allem, daß die hierzu unabdingbare Voraussetzung, die Erlaubnis der Rückkehr der geflohenen oder vertriebenen Bevölkerung sowie die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshofbei der Aburteilung von Kriegsverbrechern 575 auf Seiten der bosnischen Serben nicht vorliegt und angesichts der Tatsache, daß sich von ihnen rund ein Drittel an den unter dem Schlagwort der "ethnischen Säuberung" zusammengefaßten Verbrechen schuldig gemacht hat,576 auch niemals vorliegen wird.

(4) Weitere Konfliktherde im ehemaligen Jugoslawien (a) Das Kosovo Nach der Aufhebung des Autonomiestatus im März 1989 und der Auflösung des Parlaments im Juli 1990 steht das überwiegend von Albanern bewohnte Kosovo 577 faktisch unter serbischer Militärdiktatur. Albanische Arbeiter sind in Massen entlassen worden, Schulunterricht und Universitätslehre in albanischer Sprache sind verboten, Albaner werden willkürlich verhaftet, in Gefängnissen mißhandelt und in einigen Fällen sogar ermordet. 578 An die serbische Minderheit im Kosovo wurden Waffen ausgeteilt579 und Übergriffe serbischer Extremisten gegenüber Albanern bleiben vor den gleichgeschalteten

nur um den Preis der gegen Kriegsende und in der unmittelbaren Nachkriegszeit von Tito aus Rache- und StabilisierungsgesichtspWJkten durchgefiihrten kollektiven Liquidierung seiner Gegner erfolgte. Vgl. hierzu S. 173 f. 575 Nach der Verfahrensordnung des Internationalen Strafgerichtshofes kann eine gesetzliche Verurteilung der Schuldigen nur bei Anwesenheit des Angeklagten erfolgen, das Gericht ist somit auf die Kooperation insbesondere der serbischen Behörden angewiesen. Vgl. Tomuschat, Ein Internationaler Strafgerichtshof als Element einer Weltfriedensordnung, in: EA 3/1994 (zit.: Tomuschat, Internationaler Strafgerichtshof), S. 61 fT. 576 So Rathfelder, Bosnische Tragödie, S. 55. 577 Nach der Volkszählung von 1981 sind 75% der Bevölkerung des Kosovo Albaner und 12,5% Serben. Der derzeitige Anteil der Albaner wird aufgrund ihrer hohen Geburtenrate und der Abwanderung von Serben mit 90% angegeben (vgl. Furkes, Milosevics Aufstieg, S. 73 und Stiglmayer, Ende Jugoslawiens, S. 13). 578 Vgl. hierzu den Situationsbericht von Thumann, Bald werden wir unabhängig sein, in: Die Zeit 1992/ Nr. 45, S. 11. Die Lage im Kosovo wird ausfuhrlich beschrieben von Reuter, Die politische Entwicklung in Kosovo 1992/93, in: Südosteuropa 12/1994 (zit.: Reuter, Kosovo), S. 18 fT., zu den albanischen Opfern der serbischen Repressionsmaßnahmen S. 21. 579 Vgl. Pettifer, Kosovo: round one to Serbia, in: Tbe World Today, March 1993, S. 43 1'.; Billing, Aktuelle Lage, S. 33. 15 Wenig

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2. Kapitel: OSZE-Streitbeilegwtgsmechanismen und Jugoslawienkonflikt

Gerichten ungesühnt. 580 Daß es bisher noch zu keinem Aufstand der Albaner kam, ist vor allem der vorsichtigen und abwartenden Politik des im Sommer 1992 in geheimer Wahl 581 gewählten Präsidenten Rugova zu verdanken. 582 Zwar hatten die Albaner bereits im September 1991 in einem von Serbien verbotenen Referendum für einen souveränen und unabhängigen Staat votiert, doch hat eine realistische Einschätzung der Kräfteverhältnisse die gewaltsame Durchsetzung dieses Ziels bisher verhindert. Angesichts der erdrückenden militärischen Übermacht der Serben haben sich die Albaner auf passiven Widerstand gegen ihre Unterdrückung beschränkt. Zu einer Vertreibung der Kosovo-Albaner ist es wohl auch aus diesem Grunde noch nicht gekommen. 583 Während unter Belgrader Oppositionellen Pläne diskutiert werden, denen zufolge die mit hohem Symbolwert behafteten orthodoxen Klöster584 einen autonomen Status erhalten und das übrige Kosovo abgetreten werden soll,585 sind derartige Überlegungen für Miloäevic und den überwiegenden Teil der serbischen Bevölkerung völlig indiskutabel. 586 Für sie ist das Kosovo "heiliger serbischer Boden", die Albaner werden als Eindringlinge angesehen. Angesichts der Tatsache, daß eine von Massakern begleitete gewaltsame Vertreibung der Kosovo-Albaner ein Eingreifen Albaniens und dessen Schutzmacht Türkei zur Folge haben würde 587 und die Regierungen Großbritanni580 Thumann, Bald werden wir unabhängig sein, in: Die Zeit 1992/ Nr. 45, S. 11. 581 Am 24.5.1992 hatten die Kosovo-Albaner in geheimer Wahl auch ihre Abgeordneten gewählt. Die fiir den 23.6.1992 vorgesehene konstituierende Sitzung des Parlaments wurde von serbischen Polizeikräften verhindert. 582 HardteniStanisavljevic, Krieg um Kosovo?, S. 112 f. und Moore, Kosovo Could Spark Another Balkan War, in: RFEIRL Research Report, Vol. I, No. 50 (18 Decem-

her 1992), S. 19.

583 Zu den Vorstellungen Albaniens zwn künftigen Staatus des Kosovo vgl. Reuter, Kosovo, S. 25 t1 sowie ders., Albaniens Außenpolitik, Balanceakt zwischen nationalen Sicherheitsinteressen und panalbanischen Träumen, in: Südosteuropa 1-211995, S. 94 tf. 584 Man denke nur an das Kloster Gracanica bei Pristina, in dem die Gebeine des Prinzen Lazar liegen, der 1389 das serbische Heer gegen die Türken anfilhrte und bei dieser folgenschweren Niederlage der Serben sein Leben ließ. 585 Mappes-Niediek, Folgeszenarien, S. 985. Vgl. auch Reuter, Kosovo, S. 29 f. 586 Bezeichnend hierfiir ist die bei Mappes-Niediek, Folgeszenarien, S. 985 wiedergegebene Befürchtung einer Belgrader Oppositionspolitikerin, daß "im Kampf um das «heilige» Kosovo selbst die (serbischen, Anm. des Verf.) Deserteure des bosnischen Krieges sich als Freiwillige melden würden." Vgl. auch die bei Reuter, Kosovo, S. 28 wiedergegebenen Thesen des serbischen Schriftstellers Vojvodic vom "Kosovo als der Wiege und dem Grab der serbischen Nation". 587 1992 wurde zwischen Ankara und Tirana ein Militärpakt geschlossen, vgl. Hardten/Stanisavljevic, Krieg um Kosovo?, S. 117. Vgl. auch AdG 1993, S. 37597.

ll. Der Einsatz der Streitbeilegungsmechanismen im Jugoslawienkonflikt

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ens, Frankreichs und insbesondere der Vereinigten Staaten Milo~c deutlich signalisiert haben, daß sie eine serbische Eskalation des Konflikts im Kosovo als militärischen Interventionsgrund betrachten,588 hat die serbische Führung bislang auf eine Wiederholung ihrer in Kroatien und Bosnien-Herzegowina praktizierten Vernichtungs- und Vertreibungspolitik verzichtet. 589 Statt dessen versucht Serbien, durch systematische Repression unterhalb der Schwelle offener Kriegshandlungen, die etwa zwei Millionen Kosovo-Albaner zur "freiwilligen" Auswanderung zu veranlassen. 590 In Folge der systematischen Zerstörung ihrer wirtschaftlichen, kulturellen und gesundheitspolitischen Grundlagen durch Massenentlassungen, Sprachverbote und Ausschluß von der staatlichen Gesundheitsfiirsorge sowie aus Furcht vor der Einziehung zur serbischen Armee haben bislang bereits hunderttausende Kosovo-Albaner ihre Heimat verlassen. 591

588 Schmidt, Militärische Operationen der internationalen Staatengemeinschaft im Konflikt um Bosnien-Herzegowina, in: SchlotterlBillinglKrelllSchmidtlSchoch, Der Krieg in Bosnien und das hilflose Europa (zit.: Schmidt, Militärische Operationen), S.88. Hintergrund dieser Warnung dürfte vor allem die Überlegung sein, daß eine Intervention der Türkei auf Seiten Albaniens zu einem Eingreifen Griechenlands und Makedoniens und somit zu einem griechisch-türkischen Konflikt fuhren würde, der schwerwiegende Folgen ftJ.r die NATO hätte. Allerdings läßt sich aufgrund der Tatsache, daß die westlichen Staaten im Falle Bosnien-Herzegowinas trotz gegenteiliger Beteuerungen die durch Gewalt erzielte Aufteilung eines sogar völkerrechtlich anerkannten Staates anscheinend nun doch hinnehmen, das Kosovo hingegen völkerrechtlich nach wie vor Staatsgebiet Serbiens ist, an der Realisierungsbereitschaft hinsichtlich dieser Drohung stark zweifeln. Es mag gemutmaßt werden, daß angesichts dieses Dilemmas Bosnien-Herzegowina ein Bauernopfer darstellt, indem es dem serbischen Expansionsdrang, der sich sonst auf das Kosovo erstreckt hätte, zumindest gegenwärtig als Betätigungsfeld dient. (Vgl. zu dieser Beziehung zwischen den Ereignissen in Bosnien-Herzegowina und im Kosovo auch HardteniStanisavljevic, Krieg um Kosovo?, S. 113). 589 Allerdings wurde wie zuvor in Kroatien und Bosnien-Herzegowina die serbische Bevölkerung mit Waffen ausgerustet und starke Militäreinheiten im Kosovo stationiert. (Vgl. hierzu Billing, Aktuelle Lage, S. 33). 590 Billing, Aktuelle Lage, S. 33. 591 So hatten beispielsweise Mitte 1993 nur noch 20% der früher beschäftigten Kosovo-Albaner Arbeitsplätze gehabt. Parallel zu diesen Repressionsmaßnahmen werden serbischen Siedlern von Belgrad fmanzielle Hilfen gezahlt. Die Intemationale-HesinkiFöderation warfBelgrad denn auch vor, das Kosovo zu "serbisieren." (Vgl. hierzu und flir weitere Einzelheiten: AdG 1993, S. 38508). 15'

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2. Kapitel: OSZE-Streitbeilegungsmechanismen Wld Jugoslawienkonflikt

(b) Die Woiwodina

Die serbische Provinz Woiwodina ist aufgrund ihrer Geschichte592 ein ethnisch stark durchrnischtes Gebiet. Unter den 24 dort lebenden Nationen stellen die Serben mit 54% die Bevölkerungsmehrheit, gefolgt von Ungarn (19%), Kroaten (5,4%), Slowenen (3,4%), Rumänen (2,9%), Montenegrinern (2,1%) und Ruthenen (0,9%).593 Jede dieser Gruppen wird durch eine größere politische Organisation repräsentiert, von denen die VMDK der 340.000 Personen starken ungarischen Minderheit den größten Einfluß hat. Die gegenwärtige Krise in der Woiwodina resultiert aus der nationalistischen und zentralistischen Politik Milosevics, die zu einer immer stärkeren Unterdrückung der Minderheiten gefiihrt hat. So wurde 1989 das Parlament aufgelöst und der Autonomiestatus aufgehoben, die Minderheitenrechte wie eigene Schulen, kulturelle Institutionen und eigensprachliche Medien blieben jedoch nach Milosevics Machtübernahme zunächst in der Woiwodina noch bestehen. Mit Beginn der kriegerischen Auseinandersetzungen in Jugoslawien im Sommer 1991 verschlechterte sich dann die Situation der Minderheiten zusehends: Ungarn, die ebenso wie Albaner aus dem Kosovo und Muslime aus dem Sandschak eine Teilnahme an dem serbischen Eroberungskrieg in Kroatien und Bosnien-Herzegowina aus Gewissensgründen ablehnten, sahen sich gezwungen, ins benachbarte Ungarn zu fliehen, um serbischen Repressionsmaßnahmen zu entgehen. 594 Bestehende Minderheitenrechte wurden Schritt für Schritt abgebaut, die Akademie der Wissenschaften in der Woiwodina und Schulen der nichtserbischen Volksgruppen wurden geschlossen, die letzte ungarische Zeitung Magyar Sz6 mußte im November 1993 ihr Erscheinen einstellen.

592 Die Woiwodina gehörte seit dem 10. JahrhWldert zu Ungarn. Von 1552 bis 1699 war sie von den Türken besetzt. Nach deren Abzug siedelten Serben aus Südserbien in diesem nWl zu Österreich-Ungarn gehörenden Gebiet. Zum Wiederaufbau der durch die Türkenkriege verödeten Gebiete kamen im 18. Jahrhundert weitere Serben sowie Ungarn, Deutsche (Donauschwaben), Tschechen, Slowaken, Rumänen Wld andere Nationalitäten ins Land. Nach dem Ersten Weltkrieg fiel die Woiwodina größtenteils an Serbien, der Rest wurde Rumänien zugesprochen. Mit Ausnahme der 1939 knapp 500.000 Personen zählenden deutschen Bevölkerungsgruppe, die zwischen 1944 Wld 1947 entweder ermordet (175.000) oder vertrieben wurde, hat sich die ethnische Vielfalt in der Woiwodina erhalten. 593 Vgl. zu diesen auf der VolkszählWlg von 1981 beruhenden Angaben: Fischer Weltalmanach 1993, S. 414. 8,2% der Bevölkerung der Woiwodina bezeichneten sich 1981 als Jugoslawen. 594 Bereits im Februar 1992 gab die VMDK an, daß 25.000 Ungarn aus der Woiwodina geflohen seien (vgl. Poulton, Rising Ethnic Tension in Vojvodina, in: RFEIRL Research Report, Vol. I, No. 50, 18 December 1992, S. 22).

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Serbische Flüchtlinge aus Kroatien und Bosnien-Herzegowina, die von Mitgliedern der Radikalen Serbische Partei (SRS) des Ultranationalisten SeSelj mit Waffen, Munition und Sprengstoff versorgt werden, terrorisieren, unterstützt von paramilitärischen Einheiten der SRS, unter den Augen und teilweise sogar mit Unterstützung der lokalen serbischen Behörden und Polizeikräfte die nichtserbische Bevölkerung. 595 Opfer dieser für die Betroffenen oftmals tödlich endenden Übergriffe, Anschläge und Zwangsausweisungen sind in erster Linie die einem kollektiven Schuldvorwurf unterfallenden Kroaten,596 aber auch Ungarn, Ruthenen597 , Ukrainer und die anderen Minderheiten. Die verlassenen Häuser werden dann von serbischen Flüchtlingen belegt. Nicht nur in Kroatien und Bosnien-Herzegowina, sondern auch in der Woiwodina findet somit derzeit eine "ethnische Säuberung" statt. Bereits im Sommer 1992 hatte eine KSZE-Delegation Menschenrechtsverletzungen in der Woiwodina festgestellt und die Parlamentarische Versammlung des Europarates in einer Entschließung Serbien wegen der fehlenden Gewährung von Grundfreiheiten für die Ungarn und andere Nationalitäten in der Woiwodina verurteilt;598 von beidem ließen sich die Serben allerdings nicht beeindrukken. 599 Ebenso wie im Kosovo sind auch in der Woiwodina die Aussichten auf eine Verbesserung der Lage der dort lebenden Minderheiten als sehr gering einzustufen. Während die politischen Organisationen der Minderheiten und die oppositionellen Serben in der Woiwodina die Wiedergewährung des Autonomiestatus und des faktisch nicht existierenden Minderheitenschutzes fordern, werden derartige Zugeständnisse, insbesondere hinsichtlich des Autonomiestatus, von den serbischen Führern in Belgrad und Novi Sad unter dem

595 Vgl. hierzu die Ausführungen bei Poulton, Rising Ethnic Tension in Vojvodina,

S. 22 ff.

596 Allein bis April 1992 sind 17.000 Kroaten aus der Woiwodina geflohen oder vertrieben worden. Vgl. Poulton, Rising Ethnic Tension in Vojvodina, S. 24. 597 So wurden allein nach der Eroberung Vukovars Ende 1991 über hundert ruthenische Familien nach Kroatien vertrieben, vgl. Poulton, Rising Ethnic Tension in Vojvodina, S. 22. 598 Angaben nach Poulton, Rising Ethnic Tension in Vojvodina, S. 22 f. 599 Bezeichnend hierfiir ist auch das folgende Ereignis: Während die von Serbien eingesetzte Menschenrechtskommission im August 1992 ein dreitägiges Fest der slowakischen Kultur in Backi Petrovac abhielt, wurden im nur zehn Kilometer entfernten Glosan Handgranaten in slowakische Höfe geworfen und Slowaken aus ihren Häusern vertrieben, die danach von serbischen Flüchtlingen in Besitz genommen wurden, so Poulton, Rising Ethnic Tension in Vojvodina, S. 22, der sich auf den Canak Report vom 26.8.1992 bezieht.

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2. Kapitel: OSZE-StreitbeilegWlgsmechanismen Wld Jugoslawienkonflikt

Vorwand, daß dies ein erster Schritt zur Sezession bedeuten würde, strikt abgelehnt. 600 Vielmehr steht zu befurchten, daß die Serben in der Woiwodina ihre insbesondere gegen die Kroaten begonnenen "ethnischen Säuberungen" fortsetzen um ähnlich wie im Kosovo "heiligen serbischen Boden" von Nichtserben zu "reinigen". Zwar besitzt die Woiwodina keinen so hohen Symbolwert wie das Kosovo, doch darf nicht vergessen werden, daß dieses Gebiet im 18. und 19. Jahrhundert die Heimat der serbischen Kulturorganisation Matica Srpska war, jener Organisation, die in dieser Zeit alle anderen im türkisch beherrschten Teil Serbiens existierenden vergleichbaren Einrichtungen an Gewicht weit übertraf und das nationale Gewissen des modernen Serbiens begründet hat. 60 1 Ein historischer Vorwand zur "Säuberung serbischen Kulturbodens" im großen Rahmen bietet sich den Machthabern in Belgrad somit an. Zudem stellt das fruchtbare Ackerland der Woiwodina auch einen wirtschaftlichen Anreiz dar. Die einzige Hoffnung, daß die Vertreibungen nicht ein Ausmaß wie in Kroatien und insbesondere in Bosnien-Herzegowina annehmen, besteht in der zumindest momentan vorhandenen Einsicht der serbischen Politiker, daß derartige Vorgänge eine Intervention Ungarns zum Schutz seiner Landsleute wahrscheinlich machen. Für die anderen Minderheiten in der Woiwodina besteht indes, wie das Beispiel der Kroaten zeigt, die Gefahr weiterer Vertreibungen fort. (c) Der Sandschak Das entlang der serbisch-montenegrinischen Grenze liegende Gebiet des Sandschak602 mit seiner mehrheitlich muslimischen Bevölkerung ist ein weiterer Konfliktherd im ehemaligen Jugoslawien. Seine historische Entwicklung und gegenwärtige Situation ist mit der des Kosovo vergleichbar. Während des Spätmittelalters gehörte dieses Gebiet zum Großserbischen Reich des Zaren Stefan Duschan, 603 bevor es nach der serbischen Niederlage auf dem Amselfeld 1389 von den Türken erobert wurde. 'Auf dem Berliner 600 So erklärte der Parlamentspräsident der Woiwodina Krstic im September 1992 in Bezug auf die AutonomietordefWlgen, daß "kein Kompromiß" möglich wäre (vgl. Poulton, Rising Ethnic Tension in Vojvodina, S. 24 Wld 27). 601 Zametica, Yugoslav contlict, S. 27 f. 602 Teilweise nach der größten in diesem Gebiet liegenden Stadt auch "Sandschak von Novi pazar" genannt. Vgl. hierzu AbbildWlg im Anhang, S. 391. 603 Aus dieser Zeit stammt auch die bei den Serben noch heute gebräuchliche BezeichnWlg des Sandschak als "Raska".

II. Der Einsatz der Streitbeilegungsmechanismen im Jugoslawienkonflikt

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Kongreß 1887 kam der Sandschak zu ÖsterreichlUngarn,604 das sich aber 1909 wieder aus diesem Gebiet zurückzog. Nachdem Serbien im ersten Balkankrieg 1912 den Sandschak von den Türken zurückerobert hatte, wurde das Gebiet zwischen Serbien und Montenegro aufgeteilt. Diese Teilung wurde auch von Tito beibehalten. Die 500jährige Präsenz der Türken hatte im Sandschak aber in der Form ihre Spuren hinterlassen, als die Mehrzahl der Bevölkerung noch heute Muslime sind. 605 Vom 25.-27. Oktober 1991 fand auf Betreiben der muslimischen "Partei der demokratischen Aktion" SDA ein von Serbien und Montenegro verbotenes Referendum statt, in dem die mehrheitlich muslimische Bevölkerung des Sandschak sich mit überwältigender Zahl fiir "volle kulturelle Autonomie" und das "Recht zum Anschluß an andere souveräne Republiken" aussprach, wobei insbesondere an Bosnien-Herzegowina gedacht war. 606 Für Milosevic, dessen erste Amtshandlungen die Erzwingung der Aufhebung des Autonomiestatus der Woiwodina und des Kosovo waren, kommt die Gewährung eines Autonomiestatus rur den Sandschaks gerade auch wegen der strategischen Bedeutung dieses Gebiets rur Serbien als Verbindung zu Montenegro und somit zur Adria nicht in Frage. 607 Die vom Vorsitzenden der SDA Ugljanin als Fernziel angestrebte Sezession des Sandschak von Serbien und Montenegro und die Vereinigung mit Bosnien-Herzegowina608 ist aufgrund der derzeitigen Situation völlig utopisch. 609

604 Durch diese Zuteilung sollte ein PutTer zwischen Serbien und Montenegro errichtet werden, um so eine Vereinigung dieser beiden Länder zu verhindern und den Serben den Zugang zur Adria zu versperren, vgl. Zametica, Yugoslav conflict, S. 30. 605 Im Jahre 1913 betrug der Muslimanteil noch 80%. Nach der erzwungenen Auswanderung von mehreren hunderttausend Muslimen zwischen 1913 und 1941 lag ihr Anteil an der Bevölkerung des Sandschak im Jahre 1991 bei 52,7%. Vgl. hierzu Andrejevich, The Sandzak: The Next Balkan Theater of War? in: RFEIRL Research Report, Vol. 1, No. 47, November 1992 (zit.: Andrejevich, The Sandzak), S. 27 und 33. 606 Andrejevich, The Sandzak, S. 28. 607 Von einer solchen Autonomieforderung wäre im übrigen auch Montenegro betrofTen. 608 Vgl. Andrejevich, The Sandzak, S. 28. Vgl. auch Miedlig, Hintergründe der Nationalitätenkonflikte, S. 121. 609 Zudem ist der Ostteil Bosnien-Herzegowinas momentan und wohl auch für die absehbare Zukunft faktisch von Serbien annektiert, so daß es schon aus rein geographischen Gesichtspunkten zu keiner Vereinigung mit dieser Republik kommen kann. Nach der Flucht Uglanins in die Türkei im Sommer 1993 reduzierte der SDAParteisekretär Ljajic im Frühjahr 1994 angesichts der Situation in BosnienHerzegowina die Sezessionsforderung in die Gewährung innerer Autonomie, doch auch dieser Forderung ist autgrnnd des entgegenstehenden serbischen Interesses keinerlei Realisierul1gswahrscheinlichkeit beizumessen (vgl. AdG 1994, S. 38754).

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2. Kapitel: OSZE-StreitbeilegWlgsmechanismen Wld lugoslawienkonflikt

Vielmehr besteht für den Sandschak ebenso wie für das Kosovo die große Gefahr, daß diese Region nach einem Abflauen der Kämpfe in BosnienHerzegowina das Ziel einer der Machterhaltung MiloSevics dienenden serbischen Aggressions- und Vertreibungspolitik wird. Milosevic kam durch die Mobilisierung eines expansionistischen geschichtlich verklärten serbischen Nationalgefühls an die Macht. 61 0 Es kann davon ausgegangen werden, daß Milosevic die Zeit unmittelbar nach Beendigung des Krieges in BosnienHerzegowina zur Reorganisation der desolaten serbischen Wirtschaft benutzen wird. 611 Da die Erholung der serbischen Wirtschaft selbst im Falle der Aufhebung der internationalen Sanktionen mangels Konkurrenzfähigkeit ihrer Produkte im internationalen Wettbewerb aber nicht durchschlagend und von Dauer sein kann, steht zu befürchten, daß MiloSevic zu dem bewährten Mittel der Mobilisierung nationaler Emotionen greifen wird, um sich und seine Partei an der Macht zu halten. 612 Schon jetzt wird die wirtschaftlich motivierte Abwanderung der Serben aus dem Sandschak und die Zuwanderung muslimischer Kriegsflüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina in der serbischen Presse als "ethnische Säuberung" dargestellt. Gleichzeitig wird die Gefahr der Errichtung eines islamischen Gottesstaates auf "heiligem serbischen Boden" projiziert. 613 Da zudem große Teile der aus Makedonien abgezogenen Armeeinheiten sowie paramilitärische serbische Einheiten im Sandschak stationiert wurden,614 sind die Voraussetzungen für die nächste "ethnische Säuberung" bereits geschaffen. Ob den Muslimen im Sandschak die gleiche Katastrophe wie ihren Landsleuten in Bosnien-Herzegowina droht, liegt derzeit allein im Belieben Milosevics. Aus Angst vor einer Wiederholung der Ereignisse in Bosnien-Herzegowina sind bisher über 70.000 Sandschak-Muslime aus ihrer Heimat ausgewandert. 615 (d) Die "Ehemalige Jugoslawische Republik Makedonien" Die Republik Makedonien, die sich am 19. November 1991 für unabhängig erklärt hatte, wurde wegen griechischer Einwände hinsichtlich ihres Namens erst im April 1993 unter der provisorischen Bezeichnung "Ehemalige Jugoslawische Republik Makedonien" in die VN aufgenommen, während ihr die 610 Vgl. hierzu die Ausfiihrungen aufS. 178 Ir.

611 Vgl. Mappes-Niediek, Folgeszenarien, S. 987. 612 Vgl. Mappes-Niediek, Folgeszenarien, S. 987.

613 Vgl. hierzu Zamelica, Yugoslav contlict, S. 30 f. Wld Andrejevich, The Sandzak,

S. 29 f. Bei der serbischen Politik gegenüber dem Sandschak handelt es sich um eine Neuauflage der ab 1990 gegenüber dem Kosovo ergriffenen Maßnahmen. 614 Vgl. Andrejevich, The Sandzak, S. 31 Ir. Wld NZZ vom 22.5.1992, S. 3. 615 Vgl. AdG 1994, S. 38754.

11. Der Einsatz der Streitbeilegungsmechanismen im Jugoslawienkonflikt

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EG bislang die Anerkennung verweigert hat, obschon Makedonien die von Brüssel gesetzten Bedingungen allesamt erfiillt. 616 Durch den von Präsident Gligorov mit Milosevic im Jahre 1991 vereinbarten Abzug der JVA, der Anfang 1993 begonnenen präventiven Stationierung von UN-Blauhelmen an der makedonischen Grenze zur FRJ617 und aufgrund des geringen serbischen Bevölkerungsanteils von 2% erscheint ein Übergreifen

616 Zur geschichtlichen Entwicklung Makedoniens und den Problemen mit seinen Nachbarstaaten, insb. Griechenland, sowie der Anerkennungspolitik der EG vgl. Reuter, Makedonien - der jüngste Staat auf der europäischen Landkarte, in: APZ B37/93, S. 21 ff.; Pettifer, The new Macedonian question, in: International Affairs Vol. 68, No. 3 (1992) S. 475 ff.; Perry, Macedonia: A Balkan Problem and a European Dilemma, in: RFEIRL Research Report, Vol. 1, No. 25 (19 June 1992), S. 35 ff.; Axt, Mazedonien: ein Streit um Namen oder ein Konflikt vor dem Ausbruch? in: EA 3/1993, S. 65 ff; Troebst, Makedonische Antworten auf die "Makedonische Frage" 1944-1992: Nationalismus, Republiksgrfindung, nation-building, in: Südosteuropa, 7-8/1992, S. 424 ff. sowie Giakoumis, Hellas und die Makedonische Frage, in: Südosteuropa 7-8/1992, S. 443 ff. 617 hn Januar 1993 erfolgte auf Grundlage von SRIRes. 795 (1993) die erste präventive Stationierung von UN-Blauhelmen in der Geschichte der VN durch die Entsendung von 700 skandinavischen Friedenstruppen nach Makedonien. Im Juli 1993 wurden diese UN-Einheiten durch 300 US-amerikanische Soldaten ergänzt, die im August an die Nordgrenze Makedoniens verlegt wurden und deren Zahl im Frühjahr 1994 auf 500 Mann aufgestockt wurde. Die Präsenz der Soldaten soll serbische paramilitärische Verbände davon abhalten, nach Makedonien einzudringen und die dortigen rund 400.000 Serben zur Rebellion aufzustacheln. Gleichzeitig soll einem möglichen Angriff der NA Vorschub geleistet werden. Angesichts der u.a. durch UNlFIL im Libanon 1982 unter Beweis gestellten Tatsache, daß Friedenstruppen aufgrund ihrer nur leichten Bewaffnung einem massiven gegnerischen Angriff nicht standhalten können und daher zwn Rückzug gezwungen sind, kommt den an der makedonischserbischen Grenze stationierten amerikanischen UN-Soldaten eine "Stolperdrahtfunktion" zu, derzufolge bei einem Angriff Serbiens auf Makedonien die Involvierung der amerikanischen Blauhelme ein Eingreifen der USA nach sich zieht. Vgl. hierzu: AdG 1993, S. 38120 und AdG 1994, S. 38872; Harenberg, Länderlexikon '94/95, S. 297 f; Gustenau, Die Neuordnung des südslawischen Raumes, in: ÖMZ, 5/93, S. 436. Zum "Stolperdrahtprinzip" vgl. Urquhart, The United Nations: From Peace-keeping to a Collective System, in: Adelphi Paper 265 (1992), S. 23. Zur Rolle der UN-Blauhelme beim israelischen Angriff auf Libanon und zur daraus abgeleiteten Forderung nach stärkerer Armierung von UN-Friedenstruppen vgl. Siil/asvuo, Der unerfullbare Auftrag. Die UNlFIL als Negativbeispiel friedenssichernder Operationen der Vereinten Nationen, in: VN 6/82, S. 187 f; Berkhof, Maintaining International Peace and Security: The Military Dimension, in: NILR 1988, S. 304 ff. insb. S. 306; Hägglund, Peacekeeping in a modern war zone, in: Survival May/June 1990, S. 238 f; Urquhart, Beyond thc "shertl's posse", in: Survial, May/June 1990, S. 201 f

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2. Kapitel: OSZE-Streitbeileg\ll1gsmechanismen \ll1d Jugoslawienkontlikt

der serbischen Expansion auf diese Republik derzeit wenig wahrscheinlich. 618 Die größte Gefahr fiir Makedonien geht momentan von der prekären wirtschaftlichen Lage aus, die die verarmenden Bevölkerungsschichten in zunehmendem Maße fiir radikales Gedankengut empfänglich macht. 619 Maßgeblichen Anteil an der Verschlechterung der Wirtschaftslage in Makedonien hat Griechenland, das wegen des Namensstreits mit Makedonien Mitte Februar 1994 seinen Hafen Thessaloniki fiir makedonische bzw. fiir Makedonien bestimmte Waren sperrte. Über diesen Hafen wickelte Makedonien 80% seines Imports und den gleichen Prozentsatz seines Exports hinsichtlich seines wichtigsten Wirtschaftszweiges, der metallverarbeitenden Industrie, ab. Durch diese griechische Maßnahme wurde der vom Umstrukturierungsprozeß und infolge der UN-Wirtschaftssanktionen ohnehin stark angeschlagenen makedonischen Wirtschaft weitere schwere Einbußen zugefiigt. 620 Infolge der durch den wirtschaftlichen Niedergang verursachten Verarmung der Bevölkerung haben nationalistische Gruppen, wie die VMR0621, deren radikaler Flügel fiir die Schaffung eines Großmakedoniens durch Anschluß der in Griechenland, Bulgarien und Serbien von Makedoniern besiedelten Gebiete eintritt, einen nicht zu unterschätzenden Zulauf bekommen. 622 Zudem haben sich die Spannungen zwischen den Anhängern der unitaristisch nationalistischen makedonischen VMRO und denen der Albanerpartei PDPM623 , deren radikaler Flügel den Anschluß der mehrheitlich von Albanern besiedelten Gebiete im Westen der Republik an Albanien anstrebt (in Makedonien leben 23% Albaner6 24 ), verschärft. 625

618 Allerdings soll Milosevic gegenüber Griechenland den Vorschlag gemacht haben, Makedonien "gemeinsam zu zerstückeln" (so, aber ohne nähere Angaben, Billing, Aktuelle Lage, S. 34). 619 Billing, Aktuelle Lage, S. 34. 620 Vgl. fiir weitere Einzelheiten AdG 1994, S. 38671 f \ll1d S. 38873 ff. So bringt das griechische Handelsembargo nach Angaben der Regief\ll1g in Skopje ein monatliches DefIzit von 62 Millionen US-Dollar, was einem jährlichen Verlust von über 40 Prozent des Bruttoinlandsproduktes entsprechen würde. Vgl. zu diesen Angaben AdG 1994, S. 39403. 621 VMRO = Innere Makedonische Revolutionäre Organisation. 622 Vgl. Billing, Aktuelle Lage, S. 34; Riedei, Bulgarien \ll1d das UN-Handelsembargo gegen Restjugoslawien, in: Südosteuropa 5/1993, S. 276. 623 PDPM = Partei fiir die Demokratische Prosperität Makedoniens. 624 Zu den weiteren Ergebnissen der Ende 1994 in Makedonien durchgefüluten Volkszähl\ll1g vgl. AdG 1994, S. 39402. 625 Vgl. AdG 1994, S. 38873 mit weiteren Nachweisen. Eine bewaffnete Auseinandersetzung zwischen diesen Anhängern hätte angesichts der llilterschiedlichen lnteressenlage der makedonischen Nachbarn Albanien, Bulgarien \ll1d Griechenland schwere

II. Der Einsatz der StreitbeilegWlgsmechanismen im Jugoslawienkonflikt

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Der Wahlkampf zu den im Oktober 1994 abgehaltenen Präsidentschaftsund Parlamentswahlen war denn auch geprägt von nationalen Gegensätzen zwischen der slawischen Mehrheit und der albanischen Minderheit, zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den Volksgruppen kam es jedoch nicht. Bei diesen von OSZE-Beobachtem überwachten Wahlen errang die Regierungsallianz die absolute Mehrheit, Präsident Gligorov wurde in seinem Amt bestätigt. 626 Mit der Resolution 983 (1995) nannte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die UNPROFOR-Mission innerhalb der ehemaligen jugoslawischen Republik Makedonien in "UN Preventive Deployment Force" (UNPREDEP) um. 627 2. Die Bemühungen der KSZE zur Streitbeilegung im ehemaligen Jugoslawien a) Die Aktivierung des militärischen Krisenmechanismus und des Dringlichkeitsmechanismus als Reaktion auf das Eingreifen der jugoslawischen Bundesarmee im Juni 1991 (1) Die Einsetzung des militärischen Krisenmechanismus

(a) Ablauf Mit der Unabhängigkeitserklärung von Slowenien und Kroatien am 25. Juni 1991 und dem daraufhin erfolgenden militärischen Eingreifen der jugoslawischen Bundesarmee zur zwangsweisen Aufrechterhaltung der staatlichen Einheit Jugoslawiens fand bereits wenige Tage nach dem ersten KSZERatstreffen der erste Testfall rur die neu geschaffenen KSZE-Streitbeilegungsmechanismen statt. Am zweiten Tag der bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen NA und slowenischen Territorialverteidigungskräften, dem 27. Juni 1991, aktivierten Österreich und wenige Stunden später auch Italien den Mechanismus fiir Konsultationen und Zusammenarbeit in bezug auf ungewöhnliche militärische Folgen fUr die Balkanregion, ·vgl. hierzu Billing, Aktuelle Lage, S. 34 und MappesNiediek, Folgeszenarien, S. 986 f. 626 Zu den Einzelheiten der Wahlergebnisse vgl. AdG 1994, S. 39401 f. Von den KSZE-Beobachtem wurden zwar Unregelmäßigkeiten bei der Wahl festgestellt, diese seien aber auf technische Pannen Wld nicht auf vorsätzliches Handeln der Regierung zurückzuführen. Das Ergebnis sei hierdurch nicht in entscheidendem Maße verfälscht worden. Vgl. Harenberg, Länderlexikon '95/96, S. 284 sowie AdG 1994, S. 39402. 627 Vgl. AdG 1995, S. 39874.

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2. Kapitel: OSZE-StreitbeilegWlgsmechanismen Wld Jugoslawienkonflikt

Aktivitäten, indem sie die jugoslawischen Behörden um Aufklärung hinsichtlich der Aktivitäten der NA in Slowenien ersuchten. 628 Kurz vor Ablauf der im Mechanismus festgelegten 48 Stundenfrist erfolgte die Antwort aus Belgrad, derzufolge es sich bei den Aktivitäten der NA um eine begrenzte militärische Aktion zur Sicherung der Grenzen Jugoslawiens handele. Angesichts der weiteren Eskalation der Kämpfe in Slowenien ersuchte Österreich am 30. Juni um ein Treffen aller Teilnehmerstaaten zur Erörterung der Geschehnisse in Jugoslawien, welches am folgenden Tag vom Konsultativausschuß des KVZ abgehalten wurde. Das Treffen endete mit einer gemeinsamen Erklärung der Teilnehmerstaaten, in der sie die sofortige Einstellung aller Kampfhandlungen und die Rückkehr aller Soldaten in ihre Kasernen verlangten. 629 (b) Bewertung

Mit der Aktivierung und zeitgerechten Durchfiihrung seiner Bestimmungen hat der im Jugoslawienkonflikt erstmals zum Einsatz gelangte militärische Krisenmechanismus seine Funktionsfähigkeit unter Beweis gestellt. 63o 628 Vgl. hierzu Zaagman: The CSCE and the Yugoslav Crisis, in: Helsinki Monitor 1/1992 (zit.: Zaagman, CSCE and Yugoslav Crisis), S. 45 Wld Vetschera, KSZEKrisenmechanismen, S. 410. 629 Hingegen scheiterte der Vorschlag Österreichs zur EntsendWlg einer Mission von KSZE-Beobachtem zur ÜberwachWlg des Waffenstillstandes an der fehlenden ZustimmWlg Jugoslawiens. Vgl. hierzu Vetschera, KSZE-Krisenmechanismen, S. 410. Der militärische Krisenmechanismus der KSZE wurde während des Jugoslawienkonflikts noch zwei weitere Male aktiviert: Ende Juni 1991 beantragte Österreich nach einer schwerwiegenden VerletzWlg seines Luftraums durch jugoslawische Militärflugzeuge ein multilaterales Treffen, das am 1. Juli 1991 stattfand. Am 1. September 1991 kam es im Rahmen dieses Mechanismus zu einem bilateralen Treffen zwischen Ungarn Wld Jugoslawien, nachdem Ende August NA-Flugzeuge in den Wlgarischen Luftraum eingedrWlgen waren, vgl. Vetschera, Die Rolle der KSZE als EinrichtWlg kooperativer Sicherheit im Rahmen des "interlocking institutions"-Konzepts, in: von Plate, Europa auf dem Weg zur kollektiven Sicherheit? (zit.: Vetschera, KSZE als EinrichtWlg kooperativer Sicherheit), S. 113. 630 Gleiches gilt fiir die RegelWlgen des Wiener VSBM-Dokuments 1990 über Zusammenarbeit bei gefährlichen Zwischenfällen militärischer Art, die den militärischen Krisenmechanismus der OSZE ergänzen (vgl. hierzu S. 107; die RegelWlgen im dort dargestellten VSBM-Dokument 1992 wurden wortgemäß aus dem Wiener Dokument 1990 übernommen): Nachdem zu Beginn der KampthandlWlgen in Jugoslawien bereits mehrmals Wlgarisches Territorium bombardiert Wld Wlgarischer Luftraum verletzt worden war Wld schließlich gegen Ende August verstärkte Truppenbewegoogen der NA nahe der jugoslawisch-Wlgarischen Grenze stattfanden, ersuchte Ungarn am 26. August 1991 die jugoslawischen Behörden nach Art. 18.2 des Wiener VSBM-Dokuments 1990 um KlarstellWlg dieser Ereignisse. Daraufhin trat eine bilaterale Arbeitsgruppe zusammen,

Ir. Der Einsatz der Streitbeilegungsmechanismen im Jugoslawienkonflikt

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Gleichzeitig verschaffte die Betätigung dieses Mechanismus Klarheit über seinen Zuständigkeitsbereich und seine Handlungsmöglichkeiten in ethnischen Konflikten: . Der zum Ende des Ost-West-Konfliktes entwickelte Mechanismus ftir Konsultationen und Zusammenarbeit in bezug auf ungewöhnliche militärische Aktivitäten war primär als Schutzvorrichtung eines Teilnehmerstaates vor militärischen Angriffen eines anderen Teilnehmerstaates konzipiert. Demzufolge setzt das Anfragerecht eines Teilnehmerstaates voraus, daß dieser infolge ungewöhnlicher und unvorhergesehener, militärisch bedeutsamer Aktivitäten eines anderen Teilnehmerstaates "Besorgnis hinsichtlich seiner Sicherheit äußert. "631 Ob eine derartige Sicherheitsgefährdung auch im Falle des Einsatzes von Streitkräften eines anderen Teilnehmerstaates zur gewaltsamen Aufrechterhaltung seiner territorialen Integrität angenommen werden kann,632 oder ob sich der betroffene KSZE-Teilnehmerstaat unter Verweis auf das im Prinzipienkatalog der KSZE-Schlußakte festgelegte Prinzip der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten633 einer Erörterung des innerstaatlichen Einsatzes seiner Streitkräfte entziehen kann, war bis zur Implementierung des militärischen Krisenmechanismus im Jugoslawienkonflikt eine offene Frage. Die Beteiligung Jugoslawiens an der Durchfiihrung der Verfahrensregeln des Mechanismus läßt den Schluß zu, daß dieser Mechanismus auch bei lediglich mittelbaren Sicherheitsgefahren Anwendung findet. Andererseits hat sich im Jugoslawienkonflikt aber auch gezeigt, daß gewaltsam, d.h. militärisch ausgetragenen ethnischen Konflikten fundamentale politische Probleme zugrunde liegen und folglich der auf lediglich militärische

in der die Anfragen geklärt und die Angelegenheit geregelt wurde, vgl. Zaagman, CSCE and Yugoslav Crisis, S. 50. Ein zweites Mal wurden diese Regelungen des Wiener VSBM-Dokwnents 1990 am 14. Januar 1992 in Anspruch genonunen, als Portugal seitens der EG die jugoslawischen Behörden wn Aufklärung hinsichtlich des am 7. Januar 1992 erfolgten Abschusses eines mit fünf EG-Beobachtern besetzten Hubschraubers durch ein N AKampffiugzeug, bei dem alle EG-Beobachter den Tod fanden, aufforderte. Darauthin unterrichtete der jugoslawische Vertreter im Konsultativausschuß des KVZ Portugal über die bisherigen Ergebnisse der von den jugoslawischen Behörden begonnenen Untersuchung des Zwischenfalls. Vgl. Zaagman, CSCE and Yugoslav Crisis, S. 49. 631 Wiener VSBM-Dokwnent 1992, Abschnitt Ir, Absatz 17. Hervorhebung vom Verfasser. 632 Eine Sicherheitsgefahrdung des angrenzenden Teilnehmerstaates liegt in einem derartigen Fall "nur" mittelbar infolge der Auswirkungen der möglichen Aufuahme massiver Flüchtlingsströme auf sein Sozial- und Finanzsystem vor. 633 Vgl.: Schlußakte von Helsinki, Abschnitt: Fragen der Sicherheit in Europa, Prinzip VI.

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2. Kapitel: OSZE-Streitbeilegwlgsmechanismen lUld Jugoslawienkonflikt

Fragen beschränkte militärische Krisenmechanismus634 nur zur Klärung der militärischen Situation, nicht aber zur Erörterung oder gar Lösung der politischen Ursachen des Konflikts fuhren kann. Letzteres ist vielmehr Anwendungsbereich des Dringlichkeitsmechanismus, in dessen Rahmen die KSZE dann auch den Jugoslawienkonflikt weiter behandelte.

(2) Die Einsetzung des Dringlichkeitsmechanismus (a) Ablauf Fast zeitgleich mit dem militärischen Krisenmechanismus wurde von der KSZE der erst eine Woche zuvor auf dem ersten Treffen des Rates der Außenminister der KSZE-Teilnehmerstaaten in Berlin angenommene Dringlichkeitsmechanismus aktiviert. So richtete Luxemburg, das zu diesem Zeitpunkt die Präsidentschaft in der EG innehatte, an Belgrad die Aufforderung, zu erläutern, wie es den Konflikt mit den nach Unabhängigkeit strebenden Republiken beizulegen gedenke. 635 Die Antwort der jugoslawischen Behörden erfolgte zwar im Rahmen der im Dringlichkeitsmechanismus festgelegten Frist, wurde aber von Luxemburg als unzureichend angesehen, so daß es am 30. Juni an den Vorsitzenden des AHB ein Ersuchen um die Einberufung einer AHB-Dringlichkeitssitzung richtete. Nachdem dieses Ersuchen die Unterstützung von fünfzehn636 weiteren Teilnehmerstaaten gefunden hatte,637 trat der AHB am 3. Juli zum ersten Mal seit seiner Gründung im Jahre 1990 zu einer Dringlichkeitssitzung zusammen. 638 Als Ergebnis der zweitägigen Sitzung in 634 Vgl. hierzu S. 105 ff. sowie die im Rahmen des Dringlichkeitsmechanismus (Berliner-Dokument, Anhang 2, Ziff. 3) getroffene AbgrCllZWlg, derzufolge der Dringlichkeitsmechanismus "nicht anstelle des Mechanismus betreffend lUlgewöhnliche militärische Aktivitäten angewendet (werden kann)." Demzufolge lUlterfallen politische Angelegenheiten dem Dringlichkeitsmechanismus, während der militärische Krisenmechanismus ausschließlich bei militärischen Fragen AnwendlUlg fmdet. So auch Zaagman, CSCE and Yugoslav Crisis, S. 45. 635 Vgl. Vetschera, KSZE-Krisenmechanismen, S. 410. 636 So die Aussage von Zaagman, CSCE and Yugoslav Crisis, S. 46; eine andere Zahl (17) lUld andere Teilnehmerstaaaten nennt Vetschera, KSZE-Krisenmechanismen, S.41O. 637 Zu den EinberuflUlgsvoraussetzungen einer Dringlichkeitssitzung siehe S. 108 f. 638 hn Laufe des Krieges im ehemaligen Jugoslawien kam der AHB noch zu zwei weiteren Dringlichkeitstreffen zusammen: hn Mai 1992 befaßte er sich mit der Lage in Bosnien-Herezegowina lUld nahm im "Konsens-minus-eins" Verfahren lUlter Auschluß Jugolawiens eine "Deklaration zu Bosnien-Herzegowina" an, vgl. hierzu im folgenden auf S. 256 f. Auf dem vierten Dringlichkeitstreffen am 28. November 1994 (das dritte Dringlichkeitstreffen behandelte die Krise um Nagomy-Karabach) wurde ein Text zur Situation in Bihac angenommen (vgl. hierzu CSO/4-EMlJoumal, Anhang).

II. Der Einsatz der Streitbeilegungsmechanismen im Jugoslawienkonflikt

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Prag wurde eine gemeinsame Erklärung verabschiedet, in der die KSZETeilnehmerstaaten an die Konfliktparteien einen dringenden Appell zur Feuereinstellung richteten, den jugoslawischen Behörden die Entsendung einer KSZE-Mission der Guten Dienste anboten und die Bereitschaft der EGMitgliedstaaten zur Entsendung einer Beobachtermission nach Jugoslawien begrüßten. 639 (b) Bewertung

Ebenso wie der militärische Krisenmechanismus hat der Dringlichkeitsmechanismus bei seiner erstmaligen Aktivierung seine Funktionsfähigkeit bewiesen. Auch bei diesem Mechanismus war vor seiner erstmaligen Implementierung die Gefahr gesehen worden, daß das in seiner Präambel ausdrücklich erwähnte Prinzip der Nichteinmischung in innere Angeiegenheiten640 in Verbindung mit dem Konsenserfordernis rur alle auf der Dringlichkeitssitzung zu verabschiedenden Empfehlungen oder Schlußfolgerungen641 die Funktionsfähigkeit dieses Mechanismus unterminieren könnte. 642 Diese Gefahr hat sich indes nicht bewahrheitet, da die jugoslawische Delegation sich nicht auf das Nichteinmischungsprinzip berief,643 sondern sich vielmehr aktiv an den Konsultationen beteiligte und mit ihrer Zustimmung die Verabschiedung der eingangs erwähnten gemeinsamen Erklärung ermöglichte. Allerdings ließen die in dieser Erklärung zusammengefaßten Konsultationsergebnisse den jugoslawischen Behörden entweder einen großen Handlungsspielraum oder sie hatten lediglich appellativen Charakter. So war die Entsendung der KSZEMission der Guten Dienste von einer Einladung Jugoslawiens abhängig gemacht worden. Die jugoslawischen Behörden hingegen zeigten kein Interesse an der Entsendung einer derartigen Mission, so daß sie die erforderliche Einladung nicht aussprachen und die Mission mithin nicht durchgeruhrt werden konnte. 644 Der Appell zur FeuereinsteIlung verhallte ebenso ungehört wie die unzähligen weiteren, die in der Folgezeit von den KSZE-Gremien ausgesprochen wurden.

639 Der Text dieser gemeinsamen Erklärung des ersten AHB-Dringlichkeitstreffens fmdet sich in: EA 1991, S. D534 ff. 640 Vgl. hierzu und zu den Hintergründen der expliziten Auffiihrung dieses Prinzips im Dringlichkeitsmechanismus S. 109 f. 641 Vgl. hierzu S. 110. 642 Vgl. Zaagman, CSCE and Yugoslav Crisis, S. 46. 643 So Zaagman, CSCE and Yugoslav Crisis, S. 46. 644 Vgl. Zaagman, CSCE and Yugoslav Crisis, S.47.

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2. Kapitel: OSZE-Streitbeilegungsmechanismen Wld Jugoslawienkonflikt

Zwei Entscheidungen dieser im Rahmen des Berliner Mechanismus645 abgehaltenen AHB-Dringlichkeitssitzung verdienen hingegen eine besondere Betrachtung, da die KSZE mit ihnen sowohl in verfahrenstechnischer als auch in materieller Hinsicht neue Wege einschlug: Zum einen räumte der AHB in der Abschlußerklärung seinem Vorsitzenden646 die Befugnis ein, im Rahmen des Dringlichkeitsmechanismus von sich aus, d.h. ohne die üblicherweise erforderliche Unterstützung von 12 anderen KSZE-Teilnehmerstaaten, ein zusätzliches AHB-Folgetreffen einzuberufen. 647 Dies bedeutete nicht nur eine Abweichung von den im Dringlichkeitsmechanismus festgeschriebenen Einberufungsvoraussetzungen, sondern auch eine (notwendige) Weiterentwicklung des Mechanismus an sich, als der AHB nun nicht mehr auf die im Berliner Dokument festgeschriebene, fiir die Behandlung komplexer Streitigkeiten viel zu kurze, maximal zweitägige Dauer des Dringlichkeitstreffens festgelegt ist, sondern den Streitfall zum Zwecke der Problemlösung in einer oder mehreren648 aufeinanderfolgenden Sondersitzungen erörtern kann. Demzufolge wurden im Rahmen des Dringlichkeitsmechanismus zwischen August und November 1991 vier AHB-Folgetreffen zum ersten Dringlichkeitstreffen vom AHB-Vorsitzenden einberufen,649 auf denen die KSZE-Teilnehmerstaaten einschließlich Jugoslawiens unter anderem beschlossen, das von der EG am 5. Juli 1991 gegen Jugoslawien verhäng645 Der Begriff "Berliner-Mechanismus" ist gleichbedeutend mit nDringlichkeitsmechanismus", vgl. Fn. 30. 646 Zur AbgrellZWlg zwischen der Institution des aV Wld dem Vorsitzenden des AHB vgl. S. 38 ff., insb. die dortige Fn. 54,3. Absatz. 647 Da die entsprechende Textpassage sich nicht in dem Abdruck im EA befmdet, sei hier auf die Ausfiihnmgen von Zaagman, CSCE and Yugoslav Crisis, S. 47 f. sowie Vetschera, KSZE-Kriserunechanismen, S. 410 verwiesen. 648 Auf dem ersten Dringlichkeitstreffen wurde gemäß Zaagman, CSCE and Yugoslav Crisis, S. 47 vorn AHB beschlossen, daß "its Chairman-in-Office could convene an additional meeting of the CSO in the frarnework of the emergency mechanisrn. " Da aber auch das zusätzliche AHB-Treffen Anfang August keine LÖSWlg des Jugoslawienkonflikts brachte, beschlossen die INS, daß n(t)he Cornrnittee will be convened by the Chairrnan-in-Office for an additional meeting whenever the situation requires" . Ebenso überließ es der AHB im November 1991 auf seinem letzten zusätzlichen Treffen zum I. Dringlichkeitstreffen seinem Vorsitzenden, "to convene the Cornrnittee at time he deerns appropriate. "(vgl. hierzu: Zaagman, CSCE and Yugoslav Crisis, S. 48). Zur BezeichnWlg des Vorsitzenden des AI:IB als "Chairman-in-Office" vgl.: 1. Kapitel, Fn. 54, 3. Absatz. Der aV hat somit eine gleichsam gewohnheitsrechtliche, da im Berliner Mechanismus nicht festgeschriebene, Befugnis erworben, die Dringlichkeitssitzung mittels zusätzlicher Treffen, für die indes auch die zeitliche BeschränkWlg des BerlinerMechanismus von zwei Tagen gilt, bis zur ProblemlösWlg fortzuführen. 649 Diese Treffen fanden vorn 8.-9. August, 3. - 4. September sowie arn 10. Oktober und 29. November 1991 statt.

II. Der Einsatz der Streitbeilegungsmechanismen im Jugoslawienkonflikt

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te Waffenembargo 650 zu übemehrnen651 und wiederholt erklärten, daß sie mit Gewalt erzielte territorialen Gewinne oder Veränderung unter keinen Umständen akzeptieren werden. 652 Der zweite bedeutsame Aspekt der Dringlichkeitssitzung ist die Erklärung des AHB, in der er die von den EG-Mitgliedstaaten geäußerte Bereitschaft zur Entsendung einer EG-Beobachterrnission zur Stabilisierung des Waffenstillstandes "begrüßte" und festhielt, daß diese Mission "aufgrund einer Einladung der jugoslawischen Behörden und in voller Zusammenarbeit mit ihnen (erfolgt)."653 Dieser KSZE-Beschluß bildet damit gleichsam die Grundlage rur die am 15. Juni begonnene Entsendung von EG-Beobachtem nach Jugoslawien. 654 Dieses Vorgehen ermöglichte die Einbeziehung insbesondere der

650 EPZ-Erklänmg zur Lage in Jugoslawien, Den Haag, 5. Juli 1991, abgedruckt in: EA 21/1991, S. D536 f. Vgl. auch AdG 1991, S. 35856. Zur Möglichkeit der EG, Wirtschaftssanktionen gegen Drittstaaten zu verhänegen, vgl. Schröder, Wirtschaftssanktionen der Europäischen Gemeinschaft gegenüber Drittstaaten - dargestellt am Beispiel des Iranernbargos, in: GYIL 23 (1980), (zit.: Schröder, Wirtschaftssankti0nen), S. 111 ff. sowie Klein, Sanctions by International Organizations and Economic Communities, in: AVR Bd. 30 Heft 1 (1992), S. 101 ff. 651 Vgl. Kommunique des Ausschusses Hoher Beamter im Rahmen des KSZEKrisenmechanismus, verabschiedet auf seiner Sitzung vom 3 und 4. September 1991 in Prag, abgedruckt in: EA 21/1991, S. D546 f. Da dieser Beschluß mit Zustimmung des Sanktionsadressaten Jugoslawiens erging, handelt es sich hierbei um kein "Handelsembargo der KSZE". Vgl. hierzu im folgenden aufS. 264 ff. 652 So heißt es beispielsweise im Kommunique des Ausschusses Hoher Beamter im Rahmen d~s KSZE-Krisenmechanismus, verabschiedet auf der Sitzung vom 10. Oktober 1991 in Prag, abgedruckt in: EA 21/1991, S. D556 ff.: " ... unter erneutem Hinweis auf die Entschlossenheit aller Teilnehmerstaaten, niemals durch Gewalt herbeigefiihrte Änderungen innerer oder äußerer Grenzen anzuerkennen". Die von einer zunehmenden Anzahl von Völkerrechtlern und Politikwissenschaftlern aufgestellte Forderung, daß die "traditionellen Grundlagen der internationalen Politik, nämlich die Souveränität des Staates nach innen und außen und damit die Unzulässigkeit der Einmischung in innere Angelegenheiten anderer Staaten im Sinne einer allmählichen Einhegung von Krieg und sozialer Gewalt durch das Prinzip ersetzt werden (müssen), daß die Androhung oder Anwendung militärischer Gewalt in der Austragung politischer Konflikte grundsätzlich, also ohne Unterscheidung von Innen- und Außenpolitik, mit Ausnahme der individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung unzulässig sind" (so MaulI, Zivilrnacht Bundesrepublik Deutschand - Vierzehn Thesen filr eine neue deutsche Außenpolitik, in: EA 10/1992, S. 271), fand hier ihre Umsetzung. 653 Kommunique des Ausschusses Hoher Beamter im Rahmen des Krisenmechanismus der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) über das Angebot einer Mission der Guten Dienste nach Jugoslawien, abgegeben am 3. Juli 1991 in Prag, Abschnitt: Mission nach Jugoslawien, abgedruckt in: EA 21/1991, S. D535.

16 Wenig

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2. Kapitel: OSZE-Streitbeilegungsmechanismen und Jugoslawienkonflikt

Sowjetunion in die Friedensaktivitäten der EG, wodurch diesen zusätzliches Gewicht verliehen wurde. 655 b) Die bisher von der KSZE ins ehemalige Jugoslawien entsandten Missionen

(1) Die Berichterstattermission zur Menschenrechtslage

in Jugoslawien, sog. "Fleiner-Gerster-Mission", vom 12. bis 20. Dezember 1991 und 7. bis 10. Januar 1992

(a) Ablauf Am 22. Oktober 1991 beschloß der AHB auf seinem 4. Treffen auf amerikanische Initiative die Entsendung einer KSZE-Berichterstattermission nach Jugoslawien zur Überprüfung der Menschenrechtslage einschließlich der Wahrung der Minderheitenrechte. Die hochrangig besetzte Delegation656 unter Leitung des Schweizer Staatsrechtlers Fleiner-Gerster besuchte Jugoslawien zweimal, vom 12. bis 20. Dezember 1991 und vom 7. bis 10. Januar 1992.

654 VgL hierzu: Gemeinsame Erklärung der Ministertroika der Europäischen Gemeinschaft und der jugoslawischen Konfliktparteien über einen Friedensplan filr Jugoslawien, vereinbart in Brioni (Jugoslawien) am 7. Juli 1991, vierter Absatz, abgedruckt in: EA 1991, S. D537, derzufolge die Parteien "nach dem im Rahmen der KSZE in Prag (d.h. auf der AHB-Dringlichkeitssitzung, Anm. des Verf) gefaßten Beschluß (übereinkamen), daß so bald wie möglich eine Beobachtermission tätig werden solle." Die Leitlinien filr die EG-Beobachtermission wurden in der Anlage n der BrioniErklärung festgelegt, die Details auf dem EPZ Treffen am 10. Juli 1991 ausgearbeitet und in einem von der niederländischen EG-Präsidentschaft, slowenischen, kroatischen und jugoslawischen Vertretern am 13. Juli 1991 unterzeichneten memorandum of understanding festgehalten, welches somit die rechtliche Legitimationsgrundlage sein dürfte. VgL hierzu Edwards, European Responses to the Yugoslav Crisis, S. 171. 655 So der damals designierte KSZE-Generalsekretär Dr. Höynck während eines Kolloquiums an der Universität Trier am 17.5.1993. Zudem wurden vier KSZE-Teilnehmerstaaten (CSFR, Polen, Schweden und Kanada) direkt an den Expertenberatungen zur Steuerung der Mission beteiligt, vgL von Jagow, Zum Krisenmanagement der EG/Zwölf: Der Fall Jugoslawien, in: Integration, 16. Jg., 4/93, S. 227. 656 So nahmen an dieser von Deutschland organisierten sechsköpfigen Mission neben den Vertretern des deutschen Vorsites je ein Vertreter der Jugoslawienkonferenz und der niederländischen EG-Präsidentschaft sowie der Direktor des KSZE-BÜfOS fiir freie Wahlen teil (Zaagman, CSCE and Yugoslav Crisis, S. 49).

ll. Der Einsatz der Streitbeilegungsmechanismen im Jugoslawienkonflikt

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(b) Bewertung

Mit dieser Mission wurde die KSZE zum ersten Mal für mehrere Tage in Jugoslawien vor Ort tätig. 657 Zudem hatte die KSZE hiermit ihre Flexibilität unter Beweis gestellt, da Einberufung und Entsendung der Mission in Anlehnung an die Vorschriften des Abschnitts I des Moskauer Dokuments erfolgten, der dort festgelegte Mechanismus der menschlichen Dimension jedoch aufgrund der noch ausstehenden Annahme wesentlicher Vorschriften durch den KSZE-Rat formal noch gar nicht einsatzfähig war. 658 Bei der KSZE-

657 Bereits am 1. Juli hatte Bundesaußenminister Genscher in seiner Rolle als KSZE-Ratsvorsitzender in Belgrad Gespräche unter anderem mit dem jugoslawischen Außenminister Loncar, Ministerpräsident Markovic sowie dem serbischen Präsident MiloSevic geführt, das anschließend geplante Treffen mit dem slowenischen Präsidenten Kucan in Ljub1jana mußte wegen serbischer Luftangriffe auf den dortigen Flughafen in Klagenfurt stattfmden. VgL AdG 1991, S. 35854. Anhaltspunkte dafilr, Genscher habe diese Reise nicht als KSZE-Vorsitzender unternommen (so Zaagman, CSCE and Yugoslav Crisis, S. 47) sind nicht ersichtlich. 658 Hierzu sei folgende Erklärung gegeben: Auf dem vom Moskauer Treffen über die menschliche Dimension der KSZE Anfang Oktober 1991 verabschiedeten Dokument wurden die zuvor recht allgemein gehaltenen Verpflichtungen des Mechanismus der menschlichen Dimension zu einem ausdifferenzierten Verfahren erweitert und insbesondere die Möglichkeit zur Entsendung von KSZE-Experten- und Bericherstattermissionen aufgenommen. Beim Moskauer Treffen über die menschliche Dimension handelt es sich um eine KSZE-Sonderkonferenz; Beschlüsse von Sonderkonferenzen haben grundsätzlich verbindlichen Charakter, es sei denn, das entsprechende Dokument bestimmt etwas anderes (vgL hierzu S. 60). Im Moskauer Dokument "beschließen" die KSZE-Teilnehmerstaaten, den Mechanismus der menschlichen Dimension "- wie in den nachfolgenden Ziffern dargelegt - zu stärken und zu erweitern. "(vgL Moskauer Dokument, Ziff. I). Da das Moskauer Dokument am 3. Oktober 1991 verabschiedet wurde, die AHB Sitzung, auf der die KSZE-Expertenmission nach Jugoslawien eingesetzt wurde, am 22. Oktober 1991 stattfand, könnte man glauben, daß es sich bei der Missionsbestellung und -entsendung um ein Verfahren nach dem Moskauer Dokument handelt. So besagt denn auch Ziff. 13 des Moskauer Dokuments, daß "auf Ersuchen eines jeglichen Teilnehmerstaates" (hier der Vereinigten Staaten) "der Ausschuß Hoher Beamter beschließen (kann), eine Mission von Experten bzw. KSZE-Beobachtern einzusetzen. " Entscheidend ist aber der in dieser Ziffer enthaltene Verweis, daß "jede Bezugnahme auf den Ausschuß Hoher Beamter im vorliegenden Dokument vorbehaltlich der Entscheidung dieses Ausschusses und des Rates gilt." (Hervorhebung vom Verf.). Eine Entscheidung des Rates erfolgte erst auf dem 2. KSZE-Ratstreffen am 31. Januar 1992; vgl.: Prager Beschlüsse, Abschnitt VIll, Ziff. 16: "Sie (die Außenminister der KSZETeilnehmerstaaten, Anm. des Verf.) nahmen die Ergebnisse ... des Moskauer Treffens der Konferenz über die Menschliche Dimension der KSZE ... zur Kenntnis und billigten sie, soweit ertorderlich. Bei der vor diesem Ratstreffen Mitte Dezember 1991 und Anfang Januar 1992 durchgeführten KSZE-Berichterstattermission nach Jugoslawien 16*

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2. Kapitel: OSZE-StreitbeilegWlgsmechanismen Wld Jugoslawienkonflikt

Berichterstattermission Ende 1991/Anfang 1992 handelte es sich somit um eine Mission sui generis. 659 Auf ihren Bericht und die darin festgehaltenen Schlußfolgerungen hin beschlossen die Außenminister der KSZETeilnehmerstaaten auf ihrem zweiten Treffen Ende Januar 1992, "daß die Situation bezüglich der Menschenrechte in Jugoslawien von der KSZE weiter beobachtet werden sollte, und daß zu diesem Zweck die verschiedenen KSZEMechanismen, einschließlich - wenn notwendig - weiterer Missionen in vollem Umfang genutzt werden sollten. "660 Die Berichterstattermission zur Menschenrechtslage hatte somit die Grundlage fiir die nachfolgenden KSZEMissionen gelegt.661

handelt es sich daher um kein Verfahren nach dem Mechanismus der menschlichen Dimension. 659 So im Ergebnis auch Zaagman, CSCE and Yugoslav Crisis, S. 49. 660 Prager Beschlüsse, ZifT. 7 letzter Absatz. 661 So fanden neben den nachfolgend ausführlich dargestellten Missionen noch folgende weitere KSZE-Missionen statt: - Folgemission zur eingangs beschriebenen Berichterstattermission zur Menschenrechtslage, sog. "Zweite Fleiner-Gerster-Mission". Diese Mission wurde am 28. Februar 1992 vom AHB eingesetzt Wld besuchte Jugoslawien vom 3. bis 9. Mai 1992. Ihre EmpfehlWlgen zur Stationierung von permanenten Beobachtern im Kosovo Wld der Woiwodina bildeten die Grundlage fiir die im weiteren ausführlich dargestellten KSZE-Langzeitmissionen nach Kosovo, Woiwodina Wld Sandschak. Vgl. hierzu: Widmer, Europäische BemühWlgen, S. 272 f. - "Fact-fmding-mission" des KVZ im Rahmen des Mechanismus über Wlgewöhnliehe militärische Aktivitäten in den Kosovo vom 18 - 21 Mai 1992. In ihrem Bericht wies die Mission auf die enge VerbindWlg zwischen den militärischen SpannWlgen im Kosovo Wld der latenten Konfrontation zwischen albanischer BevölkerWlgsmehrheit Wld serbischen VerwaltWlgsbehörden hin Wld zeigte hiermit, daß bei Missionen des militärischen Krisenmechanismus nicht nur rein militärische Konflikte, sondern auch die ihnen zugrundeliegenden Minderheitenfragen behandelt werden können. Vgl.: Remacle, La CSCE et les droits des minorites nationales, in: Politique Etrangere 1193, S. 148 f; ders. The Yugoslav Crisis as a Test Case for CSCE's Role in Conflict Prevention and Crisis Management, in: Lucas, The CSCE in the 1990s (zit.: Remacle, Yugoslav Crisis as a Test Case), S. 120. - Mission des Ratsvorsitzenden, begleitet durch Vertreter der KSZE-Ratstroika ins ehemalige Jugoslawien vom 19. bis 23. August 1992. - "Fact-fmding-mission" zu den Wahlen in der BWldesrepublik Jugoslawien vom 20. - 2l.l2.1992 (Quelle: Information des Auswärtigen Amts zu KSZE-Missionen).

ll. Der Einsatz der Streitbeilegungsmechanismen im Jugoslawienkonflikt

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(2) Die Langzeitmissionen nach Kosovo, Woiwodina und Sandschak vom 8. September 1992 bis Mitte Juli 1993

(a) Ablauf Nachdem Anfang August 1992 eine KSZE-Erkundungsmission nach Kosovo, Woiwodina und Sandschak stattgefunden hatte662 , setzte der AHB auf seinem 15. Treffen am 14. August 1992 Langzeitrnissionen in diese drei in Serbien und Montenegro liegenden Regionen ein. Aufgabe dieser Missionen war es, den Dialog zwischen den jugoslawischen (serbisch-montenegrinischen) Behörden und den jeweiligen Volksgruppen zu fördern, Informationen über die Verletzung von Menschenrechten und Grundfreiheiten zu sammeln, sowie Lösungen fiir derartige Probleme zu offerieren. Hierzu sollten in den drei Gebieten KontaktsteIlen geschaffen werden. Zudem war es Aufgabe der Missionen, Informationen über Menschenrechte, den Schutz von Minderheiten, die freie Presse und demokratische Wahlen bereitzustellen. 663 Die unter der Leitung eines norwegischen Diplomaten stehenden Missionen nahmen ihre Arbeit am 8. September 1992 in Jugoslawien zunächst mit 12 und später insgesamt 20 Missionsteilnehmern auf. Auf der Stockholmer Ratstagung Ende 1992 beschlossen die Außenrninister der KSZETeilnehmerstaaten, die Missionen auf insgesamt 40 Personen aufzustocken und ihre Laufzeiten zu verlängern, um so insbesondere im Kosovo verstärkt "zur Lösung spezifischer lokaler Auseinandersetzungen" beitragen zu können. 664 Zwar konnte das ursprünglich nur fiir sechs Monate geschlossene memorandum of understanding durch ein am 29. April 1993 von der KSZE und Jugoslawien, d.h. Serbien und Montenegro, verabschiedetes Protokoll bis zum 28. Juni 1993 verlängert werden, doch bereitete die Aufstockung der Missionsteilnehmer erhebliche Schwierigkeiten: Zum einen machten sich bei den KSZE-Teilnehmerstaaten erste personelle Engpässe bemerkbar und zum anderen stellten die serbischen Behörden die erforderlichen Visa nur äußerst schleppend aus. Nachdem das memorandum of understanding zwischen der KSZE und Jugoslawien am 28. Juni 1993 abgelaufen war, verweigerten die jugoslawischen Behörden eine Verlängerung des Mandats und kündigten am

662 Diese Erkundungsmission war am 10. Juni 1992 vom AHB auf Empfehlung der "Zweiten F1einer-Gerster-Mission" beschlossen worden und konnte, nachdem die Behörden in Belgrad ihren anfanglichen Widerstand aufgegeben hatten, vom 2.-8. August 1992 durchgeführt werden. (Quelle: Information des Auswärtigen Amts, vgL auch Widmer, Europäische Bemühungen, S. 273). 663 Quelle: Information des Auswärtigen Amts zu KSZE-Missionen. 664 Beschlüsse von Stockholm, Abschnitt I, Ziff. 8 sowie Information des AuswärtigenAmts.

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2. Kapitel: OSZE-Streitbeilegungsmechanismen Wld Jugoslawienkonflikt

2. Juli 1993 von sich aus die Beendigung der KSZE-Langzeitmissionen an. 665 Als Grund fur dieses Vorgehen wurde von denjugoslawischen Behörden angefuhrt, daß die KSZE nicht auf das jugoslawische "Angebot" einer Mandatsverlängerung im Gegenzug fur die Wiederzulassung SerbienIMontenegros zu KSZE-Treffen eingegangen war. 666 Dieses "Angebot" bedeutete indes eine Umkehrung der Ausschlußbestimmungen, die festlegten, daß Grundlage einer Wiederzulassung SerbienIMontenegros die Einhaltung der KSZE-Prinzipien, Verpflichtungen und -Bestimmungen sei, wobei insbesondere zu prüfen sei, "inwieweit Jugoslawien (Serbien und Montenegro) KSZE-Missionen nach Kosovo, Voivdina und Sandjak ... akzeptiert und unterstützt."667 Da eine Fortsetzung der Missionen ohne ein memorandum of understanding, mithin ohne die Gewährung von Immunitäten und Vorrechten, insbesondere der Zusicherung von Bewegungsfreiheit fur die Missionsteilnehmer, große Risiken bot und zudem deren Visa Ende Juli abliefen, sahen sich die Teilnehmer der Missionen gezwungen, im Juli 1993 ihre Arbeit zu beenden und Jugoslawien zu verlassen. Um die Zielsetzungen der Langzeitmissionen weiter verfolgen zu können, beschloß die Wiener Gruppe des AHB am 3. August 1993 zwei Maßnahmen: Zum einen wurde in Wien eine allen Teilnehmerstaaten offenstehende informelle Ad-hoc-Gruppe eingerichtet, die sich am 11. August zu ihrer konstituierenden Sitzung traf. Aufgabe dieser Gruppe ist es, alle verfiigbaren Informationen zur Menschenrechtslage im Kosovo, Sandschak und der Woiwodina auszuwerten. 668 Zum anderen beschloß die Wiener Gruppe, daß die in Belgrad akkreditierten Botschafter der KSZE-Teilnehmerstaaten eine verstärkte Reisetätigkeit in die drei Regionen unternehmen, ihre Handlungen koordinieren, verstärkt die bei Botschaftsbesuchen gewonnenen Erkenntnisse auswerten sowie entsprechende Berichte anfertigen und der Ad-hoc Gruppe in Wien zukommen las665 Quelle: Information des Auswärtigen Amts. 666 So LR Arz von Straussenburg in einem Gespräch mit dem Verfasser am 21.12.1993 im Auswärtigen Amt. Am 3. Juli 1992. war Jugoslawien (SerbienIMontenegro) durch einen im "Konsens-minus-eins" Verfahren gefaßten Beschluß des AHB von der Teilnahme an allen KSZE-Treffen bis zwn 14. Oktober 1992 suspendiert worden. Dieser Ausschluß wurde zunächst mit einer weiteren zeitlichen BefristWlg verlängert Wld schließlich auf dem 18. AHB-Ratstreffen am 13. Dezember 1992 für Wlbefristete Zeit fortgesetzt. 667 Beschlüsse des AHB vom 8. Juli 1992 ZifT. 2 Wld 3 sowie Beschlüsse des AHB vom 13. Dezember 1992, Ziff. a). 668 Hierbei wird auf die otliziellen serbisch/montenegrinischen Medien, nach Wien gelangende Oppositionspublikationen, die Berichte der VertretWlgen der KSZETeilnehmerstaaten in Belgrad sowie Informationen aus anderen KSZE-Teilnehmerstaaten zurückgegriffen.

II. Der Einsatz der Streitbeilegungsmechanismen im Jugoslawienkonflikt

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sen. Die EU-Präsidentschaft hat sich zudem angeboten, diese Berichte unter den zwölf Mitgliedstaaten zirkulieren zu lassen. 669 Diese Maßnahmen sind in Belgrad nicht auf große Gegenliebe gestoßen, so daß neben den verbalen Vorwürfen der "Verletzung diplomatischer Spielregeln" auch Wohnungen von Reiseteilnehmern, mithin von diplomatischen Vertretern, aufgebrochen und durchsucht wurden. 67o (b) Bewertung

Das Schicksal der KSZE-Langzeitmissionen nach Kosovo, Woiwodina und Sandschak hat deutlich die Grenzen eines auf Dialog und Kooperation basierenden multilateralen Zusammenschlusses wie der KSZE gezeigt. Selbst eine Resolution des Sicherheitsrates,671 in der die serbischen Behörden unter Verweis auf den stabilitätsfordernden Charakter der KSZE-Langzeitmissionen672 aufgefordert wurden, die Fortsetzung der Tätigkeit der KSZE-Missionen im Kosovo, Sandschak und der Woiwodina zu gestatten, der von der KSZE beschlossenen Erhöhung der Beobachterzahl zuzustimmen sowie "die Sicherheit der Beobachter zu gewähren und ihnen den freien und ungehinderten Zugang zu ermöglichen, der zur vollständigen Erfiillung ihres Auftrages notwendig ist"67;J , konnte die Serben bislang nicht zu einem Einlenken bewegen. Zwar

669 Information des Auswärtigen Amts. 670 So LR An von Straussenburg in einem Gespräch mit dem Verfasser am 21.12.1993 im Auswärtigen Amt. 671 SRlRes. 855 (1993) vom 3. August 1993, abgedruckt in: EA 711994, S. D215 f. 672 So stellt der SR fest, daß "die Langzeitmissionen der KSZE ein Beispiel für die im Rahmen der KSZE unternommene vorbeugende Diplomatie sind und wesentlich dazu beigetragen haben, die Stabilität zu fördern und der Gefahr von Gewalt im Kosovo, im Sandschak und in der Woiwodina ... entgegenzuwirken." Zurückhaltender dagegen die Bewertung von Hurlburt H., CSCE Conflict Resolution in Practice, S. 31, derzufo1ge es den Missionsteilnehmern zwar gelang, einige lokale Konflikte zu schlichten, Treffen zwischen serbischen Behördenvertretern und Repräsentanten der Minderheiten zu arrangieren und Vorfalle zu untersuchen, ihnen jedoch weit weniger Erfolg beschieden war "in developing fruitful dialogue with the national authorities in Belgrade; policies leading to oppression 01' minority residents of these regions and their emigration continued unabated during and after the missions' presence." Als Grund hierfür wird, abgesehehn vom eigentlichen Hauptkriterium, der fehlenden Bereitschaft der serbischen Behörden zur Zusammenarbeit, vor allem die geringe personelle Ausstattung der Missionen genannt, vgl. dies.lShorr, A Gesamtkonzept for Conflictmanagement: Bringing capabilities into Line with Exigencies, in Helsinki Monitor 3/1994, S. 57: "At the local level, in other words, the long-duration missions have not had a sufficiently extensive presence to serve as more as palliatives." 673 SRlRes. 855 (1993), Nr. 3.

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2. Kapitel: OSZE-Streitbeilegungsmechanismen lUld Jugoslawienkonflikt

können die von der Wiener Gruppe initiierten Ersatzhandlungen nicht die gleiche Effektivität wie eine ungehindert im Land operierende Mission haben, doch haben diese Maßnahmen den Willen der KSZE gezeigt, mit allen ihr zur Verfiigung stehenden Mitteln konflikteindämmend tätig zu werden und nicht tatenlos beiseite zu stehen.

(3) Die Berichterstattermission nach Bosnien-Herzegowina zur Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen, sog. "Thomson-Mission", vom 29. August bis 4. September 1992 und die Anschlußrnission nach Serbien und lvfontenegro, sog. "Blackwell-Mission", vom J3. bis J8. Januar J993

(a) Ablauf Gleichzeitig mit den Langzeitmissionen nach Kosovo, Woiwodina und Sandschak beschloß der AHB am 14. August 1992 die Entsendung einer Berichterstattermission nach Bosnien-Herzegowina. Auftrag dieser nach ihrem Leiter auch als "Thomson-Mission" bezeichneten Berichterstattermission war es, angebliche Menschenrechtsverletzungen in dieser ehemaligen jugoslawisehen Republik zu untersuchen, wobei die Inspektion von Internienmgslagern im Vordergrund stand. Die zehnköpfige Mission besuchte Bosnien-Herzegowina vom 29. August bis 4. September 1992 und konnte in dieser Zeit schwere Menschenrechtsverletzungen feststellen. Auf seinem Anfang November 1992 abgehaltenen 17. Treffen beschloß der AHB, mit einer Anschlußrnission Hinweisen auf Internierungslagern in Serbien nachzugehen. Diese unter Leitung des US-Botschafter Blackwell stehende Mission fand vom 13. bis 18. Januar 1993 statt und hielt sich sowohl in Serbien als auch in Montenegro auf. Beweise für Internierungslager in diesen beiden Ländern wurden nicht gefunden. Eine weitere Folgemission nach Bosnien-Herzegowina ist auf amerikanische Initiative hin zwar vorgesehen, ein Beschluß des AHB zur Einsetzung einer solchen Mission steht allerdings noch aus.

(b) Bewertung

Die während der Berichterstattermission nach Bosnien-Herzegowina von den Missionsteilnehmern gewonnenen Erkenntnisse über besonders schwere Verletzungen der Menschenrechte in dieser ehemaligen jugoslawischen Republik wurden in einem Bericht an den AHB festgehalten. Große Teile dieses Berichts wurden mit Billigung des AHB zum Zwecke der Information der Bevölkerung der KSZE-Teilnehmerstaaten über die Geschehnisse in Bosnien-

ll. Der Einsatz der Streitbeilegungsmechanismen im Jugoslawienkonflikt

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Herzegowina veröffentlicht und fanden dort nach Angaben des Auswärtigen Amtes "große Beachtung."674 Die KSZE hat somit nicht nur den jeweiligen Regierungsrepräsentanten ihrer Teilnehmerstaaten Informationen über die Geschehnisse in Bosnien-Herzegowina vermittelt, sondern auch zur Information der Bevölkerung in den KSZE-Teilnehmerstaaten beigetragen. 675 Die Tatsache, daß eine Folgemission nach Bosnien-Herzegowina zwar vorgesehen, ein entsprechender Beschluß des AHB aber bis jetzt aussteht, offenbart ein grundsätzliches Problem der Durchführung von Missionen in Bürgerkriegsregionen: die Gewährung der Sicherheit der Missionsteilnehmer. Aufgrund der häufigen Übergriffe der Kriegsparteien in Bosnien-Herzegowina auf Mitglieder internationaler Hilfseinrichtungen kann eine derartige Mission im Interesse der Sicherheit ihrer Teilnehmer nur mit militärischer Absicherung durchgefiihrt werden. Allerdings hat sich bislang kein Teilnehmerstaat bereit erklärt, Friedenstruppen fur eine derartige Aufgabe bereitzustellen. Die angestrebte Mission konnte somit, obschon es ihrer Einsetzung zur Aufklärung der Ereignisse vor Ort dringend bedurfte, bisher nicht durchgefuhrt werden.

(4) Die Beobachtermission nach Skopje, um eine Ausbreitung des Konflikts im ehemaligen Jugoslawien nach Makedonien zu verhindern, sog. "spillover Mission", eingesetzt durch AHB-Beschluß vom 18. September 1992 (a) Ablauf Auf seinem 16. Treffen am 18. September 1992 beschloß der AHB die Einsetzung einer Beobachtermission nach Makedonien, deren offizieller Titel

674 Information des Auswärtigen Amts über die KSZE-Missionen. Erste Bilddokwnente und Berichte über serbische Internierungs- und Vernichtungslager in Bosnien-Herzegowina waren bereits am 7. August 1992 nach einem Besuch britischer Journalisten des Fernsehsenders ITN und der Tageszeitung Guardian in Teilen des serbischen Lagers Omarska an die Öffentlichkeit gelangt. Vgl. hierzu Rathfelder, Bosnische Tragödie, S. 45 f. 675 So stellte der AHB auf seinem 16. Treffen Mitte September fest, daß "(t)his mission and previous missions of the CSCE as weH as the mission of the United Nations Special Rapporteur on Human Rights and Detention Camps, Mr. Tadeusz Mazowiecki, have made possible a detailed documentation of the conditions that exist in Bosnia-Herzegowina" und fährt dann fort daß "(t)he Committee of Senior Officials approved public release ofthe descriptive sections ofthe report by Sir John Thomson's Mission as an important contribution to better understanding of the conditions that have developed in Bosnia-Herzegovina." (Document ofthe 16th Meeting ofthe CSO in Prague, 16-CSO/Journal No. 3, Annex I, "Decisions on humanitarian questions", abgedruckt in: Helsinki Monitor 411992, S. 93.

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2. Kapitel: OSZE-Streitbeilegungsmechanismen und Jugoslawienkonflikt

"spillover Mission nach Skopje" lautet. 676 Aufgabe dieser noch im September entsandten und bis heute tätigen Mission ist es, die Entwicklung an den Landesgrenzen Makedoniens zu beobachten und durch Gespräche mit Regierungsvertretern, politischen Parteien und Organisationen ethnischen Konflikten677 vorzubeugen und so eine Ausbreitung des Konflikts im ehemaligen Jugoslawien auf Makedonien zu verhindern. 678 Die im Durchschnitt acht Personen starke Mission arbeitet zudem seit dem Beschluß des AHB vom 30. Juni 1993 eng mit dem im Februar 1993 ernannten EG/KSZESanktionskoordinator zusammen und unterrichtet diesen über die Auswirkungen des von den VN gegen Restjugoslawien verhängten Embargos auf die wirtschaftliche Situation in Makedonien. Unter der achtköpfigen Mission befinden sich seit Februar in wechselnder Besetzung zwei EG-Monitore der EG-Berichterstattermission in Makedonien. 679 Darüber hinaus finden regelmäßige Konsultationen des KSZE-Missionsleiters mit dem Kommandeur der seit Juni 1993 in Makedonien stationierten UNPROFOR-Einheiten statt, bei denen Berichte ausgetauscht und das weitere Vorgehen abgestimmt werden. Nach dem von Restjugoslawien erzwungen Abzug der KSZELangzeitmissionen aus Kosovo, Sandschak und Woiwodina hat die spillover Mission ihre Kontakte zu Vertretern aus dem Kosovo ausgebaut. (b) Bewertung

Der Einsatz der spillover Mission steht als Beispiel für die enge Verzahnung der von der KSZE, EG und den VN durchgeführten Friedensbemühungen in Jugoslawien. Durch die regelmäßigen Konsultationen und die Zusammenarbeit der unterschiedlichen Missionen konnte deren Effektivität bei der Überwachung und Lösung bestehender Probleme gesteigert werden. Mit dieser Mission konnte die KSZE zum ersten Male erfolgreich das Prinzip der präventiven Diplomatie umsetzen. Die spillover Mission wird denn auch "als Faktor der Stabilität anerkannt. "680

676 Hintergrund dieser Bezeichnung dürften die griechischen Vorbehalte gegen eine Verwendung des Namens Makedonien gewesen sein. 677 Von den knapp zwei Millionen Einwohnern Makedoniens sind 67,2 % Makedonier, 19,8% Albaner, 4,5% Türken, 2,3% Serben sowie 2,3% Roma und andere Minderheiten. (Angaben aus: Der Fischer Weltalmanach '93, Spalte 450). 678 So beteiligt sich die Mission beispielsweise an der Beobachtung von Einrichtungen gesonderter Schulzweige fiir Minderheiten in Makedonien. 679 Grundlage hierfiir ist der auf dem 18. AHB-Treffen gefaßte Beschluß, ein entsprechendes Angebot der Überwachungsmission der EG-Kommission anzunehmen. 680 Information des Auswärtigen Amts.

II. Der Einsatz der StreitbeilegWlgsmechanismen im Jugoslawienkonflikt

251

(5) Die Berichterstattermission zur Untersuchung von Berichten über Angriffe au/Zivi/personen in Kroatien und Bosnien-Herzegowina, sog. "Corell-Mission", vom 30. September bis 5. Oktober 1992

(a) Ablauf Aufgrund eines Antrags der EG-Präsidentschaft und der USA wurde nach Art. 12 des Moskauer Dokuments im Rahmen des Mechanismus der menschlichen Dimension beschlossen, eine Berichterstattermission nach Kroatien und Bosnien-Herzegowina zur Überprüfung von Angriffen auf Zivilpersonen und Menschenrechtsverletzungen zu entsenden. Die unter Leitung des schwedischen Botschafters Corell stehende dreiköpfige Mission besuchte Kroatien vom 30. September bis zum 5. Oktober 1992 und stellte in den serbisch besetzten Gebieten "schlimmste Verstöße" gegen Menschenrechtsbestimmungen fest. 681 Nach ihrer Rückkehr wurde von der Mission ein umfangreicher Bericht mit Empfehlungen zur Feststellung persönlicher Verantwortung fiir Menschenrechtsverletzungen und zur Strafverfolgung vorgelegt. Auf den zweiten Teil der Mission, der in Bosnien-Herzegowina stattfinden sollte, mußte aus Sicherheitsgründen verzichtet werden. Zwar wurde aufgrund der häufigen Übergriffe von Freischärlerbanden auf Mitglieder der in BosnienHerzegowina tätigen internationalen Hilfsorganisationen erkannt, daß eine Berichterstattermission militärisch geschützt werden müsse, doch konnte diese Erkenntnis mangels Bereitschaft der KSZE-Teilnehmerstaaten, Friedenstruppen rur eine derartigen Auftrag bereitzustellen, nicht in die Tat umgesetzt werden. (b) Bewertung

Die Empfehlungen der Corell-Mission zur Feststellung der persönlichen Verantwortung fiir Menschenrechtsverletzungen und zur Strafverfolgung bildeten den Hintergrund fiir die im Februar 1993 vom SR der VN in seiner Resolution 808 beschlossenen Errichtung eines internationalen Gerichtshofs zur Verfolgung von Verletzungen des humanitären Völkerrechts. 682 Zunächst 681 Infonnation des Auswärtigen Amts.

682 Zu den weiteren Hintergründen der ErrichtWlg des Internationalen Strafge-

richtshofes Wld seinen Aufgaben vgl. Tomuschat, Internationaler Strafgerichtshof, S. 61 tL Hol/weg, Das neue Internationale TribWlal der UNO Wld der Jugoslawienkontlikt, in: JZ 1993, S. 980 ff.; Akhavan, Punishing War Crimes, in the Former Yugoslavia: A Critical JWlcture for the New World Order, in: Human Rights Quarterly 15 (1993), (zit.: Akhavan, Punishing War Crimes), S. 262 ff.; Fox, An international tribWlal tor war crimes: will the UN succeed where Nuremberg failed?, in:

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2. Kapitel: OSZE-StreitbeilegWlgsmechanismen Wld Jugoslawienkonflikt

nahmen die Außenminister der KSZE-Teilnehmerstaaten auf ihrem dritten Ratstreffen in Stockholm Ende 1992 das Angebot der Berichterstatter an, "ihre Vorschläge, dem Prinzip der persönlichen Verantwortlichkeit Wirksamkeit zu verleihen, zu präzisieren, einschließlich der Möglichkeit der Einsetzung eines Ad-hoc-Gerichts, und dies durch fortgesetzte Konsultationen mit der gemäß Resolution 790 (1992) des Sicherheitsrats gebildeten Expertenmission durchzufUhren. "683 Demzufolge wurde von den Berichterstattern der CorellMission am 11. Februar 1993 ein zweihundertseitiger Entwurf zur Schaffung eines Ad-hoc-Tribunals einschließlich eines Finanzprotokolls der KSZE vorgelegt und mit Beschluß der Wiener Gruppe des AHB vom 18. Februar 1993 an den SR weitergeleitet. Dieser Entwurf samt Finanzprotokoll "bildet die Verwirklichung der SR-Resolution 808."684 (6) Die Sanktionsunterstützungsmissionen nach Albanien, Bulgarien, Kroatien, Makedonien, Rumänien, der Ukraine und Ungarn zur Überwachung der Einhaltung der UN-Sanktionen, eingesetzt durch EG und 16. AHB-Treffen mit Beschluß vom 18. September 1992 in Umsetzung des Mandats der Londoner Jugoslawien-Konferenz

(a) Ablauf In Umsetzung eines auf der Londoner Jugoslawien Konferenz erteilten Mandates wurde von der EG und dem AHB der KSZE am 18. September 1992 beschlossen, Sanktionsunterstützungsmissionen in das an Jugoslawien angrenzende Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Makedonien und Albanien sowie nach Kroatien und die Ukraine zu entsenden. 685 Aufgabe der zunächst nach Ungarn, Bulgarien, Rumänien und später auch in die anderen Staaten entsandten Missionen686 ist es, die nationalen Zollbehörden der Gastländer bei der

Tbe World Today, October 1993, S. 194 tT.; Meron; Tbe Cases for War Crimes Trials in Yugoslavia, in: Foreign Affairs, Summer 1993, S. 122 ff.; Oeter, Kriegsverbrechen, S. 1 tT., insb. S. 35 ff. 683 Stockholmer Beschlüsse, Ziff. 14. 684 Information des Auswärtigen Amts. Vgl. hierzu auch Akhavan, Punishing War Crimes, S. 271 ff. 685 Vgl.: Document ofthe 16th Meeting ofthe CSO in Prague, 16-CSO/Journal No. 3, Annex 1, "Decision on sanctions monitoring", abgedruckt in: Helsinki Monitor 4/1992, S. 95. 686 Gastland Wld Beginn der Mission: Ungarn (4.10.1992), Bulgarien (10.10.1992), Rumänien (20.10.1992), Makedonien (8.11.1992), Kroatien (27.1.1993), Ukraine (17.2.1993) Wld Albanien (5.4.1993). Quelle: Information des Auswärtigen Amts. Für weitere Intormationen zu den einzelnen SanktionsWlterstützungs-Missionen vgl. Na-

II. Der Einsatz der Streitbeilegungsmechanismen im Jugoslawienkonflikt

253

Überwachung der vom Sicherheitsrat verhängten Sanktionen gegen Serbien und Montenegro687 zu unterstützen. Die Stärke der Sanktionsunterstützungsmissionen schwankt zwischen sechs (Kroatien) und 54 (Makedonien). Insgesamt befinden sich in den Sanktionsunterstützungsmissionen 158 Teilnehmer im Einsatz. 688 Die Koordination der einzelnen Sanktionsunterstützungsmissionen erfolgt durch eine in Wien eingerichtete "liaison group".689 Die Sammlung, Auswertung und Weitergabe der Missionsmeldungen erfolgt durch eine bei der Kommission der Europäischen Gemeinschaften eingerichtete zentrale AnlaufsteIle, der 13 Vertreter aus Deutschland, Frankreich, Griechenland, Italien, Österreich, Schweden, Großbritannien, der Schweiz, der USA sowie 8 Repräsentanten der EU-Kommission angehören. 690 Zur Verbesserung der Koordination der Aktivitäten der einzelnen Missionen sowie der mit der Einhaltung der Sanktionen im Zusammenhang stehenden Handlungen nationaler Behörden sowie regionaler und internationaler Organisationen beschloß der AHB auf seinem 19. Treffen Anfang Februar 1993 in Absprache mit der EG die Einsetzung eines EGIKSZE-Sanktionskoordinators. 691 (b) Bewertung

Die Missionen der KSZE zur Unterstützung der von den VN gegen SerbienIMontenegro verhängten Sanktionen verdeutlichen die Bemühungen der KSZE, gemäß den Beschlüssen von Helsinki 1992 als Regionalorganisation im Sinne von Kapitel VIII SVN "mit den Vereinten Nationen eng zusammenzuarbeiten, insbesondere bei der Verhütung und Beilegung von Konflikten."692 Hierbei wurde von der KSZE nicht nur die regionale Durchfuhrung auf universaler Ebene gefaßter Beschlüsse unterstützt, sondern die VN auch auf die negativen regionalen Implikationen ihrer Sanktionsbeschlüsse aufnierksam politano, Sanctions as a Possible Tool of Preventive Diplomacy, in: Carlsson, The Challenge ofPreventive Diplomacy (zit.: Napolitano, Sanctions), S. 140 ff.

687 Vgl. hierzu SRlRes. 713,757,787,820. 688 Stand: Ende Februar 1995. 689 Die Gründung der "liaison group" geht zurück auf den Beschluß des 16. AHBTreffens, der hinsichtlich der Aufgabe dieser Verbindungsgruppe feststellt, daß "(t)his liason group will assist the EC Presidency and the CSCE Chairman-in-Office in their co-ordination responsibilities. " 690 Übersichtsblatt des Auswärtigen Amts, Stand Februar 1995. 691 Das Amt des Sanktionskoordinators wird vom italienischen Diplomaten Napolitano ausgeübt. Zu Modalitäten, Mandat und Budget des Sanktionskoordinators vgl.: Excerpts of Journals of the 19th Meeting of the Committee of Senior Officials (CSO) in Prague from 2-4 February 1993, 19-CSO/Journal No. 3, Annex 1, in: Helsinki Monitor 1/1993, S. 90 ff. sowie Napolitano, Sanctions, S. 142 ff. 692 Gipfelerklärung von Helsinki, Ziff. 25.

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2. Kapitel: OSZE-StreitbeilegWlgsmechanismen Wld Jugoslawienkonflikt

gemacht. 693 Zudem hat sich in der Einsetzung der Sanktionsunterstützungsmissionen, der Errichtung einer zentralen Anlaufstelle bei der Kommission der Europäischen Gemeinschaften und letztlich durch die Einsetzung eines EGIKSZE-Sanktionskoordinators die enge Zusammenarbeit zwischen KSZE und EG bei der Eindämmung des Jugoslawienkonflikts gezeigt. Das oft geforderte System der "interlocking institutions" wurde bei diesen Maßnahmen in die Tat umgesetzt und hat wesentlich dazu beigetragen, daß das UN-Embargo nach Anfangsschwierigkeiten nunmehr im großen und ganzen konsequent durchgesetzt wird. (7) Die KSZE-Mission in Sarajevo, eingesetzt durch Beschluß des Ständigen Ausschusses vom 2. Juni J994 (a) Ablauf Auf seinem 23. Treffen beschloß der StA am 2. Juni 1994 die Einsetzung einer Mission nach Sarajevo zur Unterstützung der drei Ombudsmänner fiir Bosnien-Herzegowina. Die Verfassung der Föderation von Bosnien-Herzegowina sieht die Ernennung von drei Ombudsmännern durch die KSZE in Konsultationen mit dem Präsidenten und Vizepräsidenten der Föderation vor. 694 Aufgabe der drei am 20. Januar 1995 vom aVernannten Ombudsmänner (eine bosnische Serbin, ein bosnischer Muslim, ein bosnischer Kroate) ist es, die Gewährung der in Verfassung der Föderation garantierten Menschenrechte, Grundfreiheiten und Menschenwürde zu überprüfen und gegebenenfalls als gesetzliche Vertreter in Gerichtsverfahren einzuklagen. 695 Hierdurch soll das Vertrauen zwischen den unterschiedlichen Volksgruppen der Föderation, das durch die im Rahmen der "ethnischen Säuberung" begangenen Verbrechen verloren gegangen ist, wieder hergestellt werden. Aufgabe der unter Leitung des Schweizers Hans-Peter Kleiner stehenden vierköpfigen Mission, die am 31. Oktober 1994 in Sarajevo ihre Arbeit aufnahm, ist neben der logistischen Unterstützung und Beratung der Ombudsmänner die Förderung ihrer Zusam-

693 Vgl. hierzu die Erklärung des AHB auf seinem 19. Treffen Anfang Februar 1993: "The CSO urges the United Nations Security COWlcil and Sanctions Committee to address and examine as a matter of urgency the issue of direct losses of the cOWltries in the region resulting from the implementation of sanctions." (Excerpts of Journals of the 19th Meeting of the Committee of Senior Officials (CSO) in Prague from 2-4 February 1993, 19-CSO/Journal No. 3, Annex I, in: Helsinki Monitor 1/1993, S. 90). 694 Vgl.: Abschnitt IX, Artikel ge der VerfassWlg der Föderation von BosnienHerzegowina; zitiert nach OSCE-Newsletter, January 1995, S. I. 695 Vgl.: OSCE-Newsletter, January 1995, S. 1.

ll. Der Einsatz der Streitbeilegungsmechanismen im Jugoslawienkonflikt

255

menarbeit und die Weiterleitung der von ihnen erstellten Berichte an den

av. 696

(b) Bewertung

Allein schon die Tatsache, daß die Verfassung der Föderation von BosnienHerzegowina der KSZE die Befugnis zur Ernennung der drei Ombudsleute einräumt, zeigt das große Vertrauen, das der KSZE von Seiten der Föderation entgegengebracht wird. Bis Ende Februar 1995 wurden rund 200 Anliegen an die Ombudsmänner herangetragen; aufgrund der großen Resonanz unter der Bevölkerung ist die Eröffnung von Zweigstellen in Mostar und Zenica geplant. 697 Mit ihrer logistischen und fachlichen Unterstützung leistet die KSZE (nunmehr OSZE) hier einen bedeutenden Beitrag zum sog. "post-conflictconfidence-building", das sich nach den im Rahmen der "ethnischen Säuberung" begangenen Verbrechen als eine äußerst schwierige Aufgabe darstellt. c) Die Behandlung der Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawiens durch die KSZE (1) Die Aufnahme von Slowenien, Kroatien und Bosnien-Herzegowina

Nachdem Slowenien und Kroatien am 15. Januar 1992 offiziell von der EG anerkannt worden waren, wurden diese beiden Staaten auf dem am 24. März 1992 zur Vorbereitung des Helsinki-Folgetreffens abgehaltenen KSZESonderratstreffen in die KSZE aufgenommen. Bosnien-Herzegowina, das am 7. April von der EG anerkannt worden war, wurde am 30. April 1992 vom AHB auf seinem 10. Treffen in die KSZE aufgenommen. 698 Die Aufnahme dieser drei Staaten durch die KSZE erfolgte somit noch vor deren Aufnahme in die VN, welche erst am 22. Mai 1992 stattfand. Eine Aufnahme Makedoniens, das am 8. April 1993 - wenn auch aufgrund griechischer Einwände nur unter der Bezeichnung "Ehemalige Jugoslawische Republik Makedonien" - in die VN aufgenommen werden konnte, scheiterte

696 Information des Auswärtigen Amts. 697 Information des Auswärtigen Amts. 698 Die offIzielle Bestätigung dieser Maßnahme erfolgte durch die Begrüßung Bosnien-Herzegowinas beim Gipfeltreffen von Helsinki durch den Präsidenten des Gastlandes.

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2. Kapitel: OSZE-StreitbeilegWlgsmechanismen Wld Jugoslawienkonflikt

bislang am griechischen Widerstand,699 so daß Makedonien noch immer auf den ihm am 22. April 1993 verliehenen Beobachterstatus beschränkt ist. 700 (2) Der Ausschluß ''Jugoslawiens'' (Serbien-Montenegros) von den KSZE-Tre./Jen und die VoraussetzungenjUr eine Wiederzulassung (a) Die Suspendierung der Teilnahme Jugoslawiens (Serbiens und Montenegros) an den Treffen der KSZE Angesichts der Ende März 1992 begonnenen Eroberung und "ethnischen Säuberung" Bosnien-Herzegowinas durch die NA und serbische Freiwilligenverbände sowie der fortschreitenden Kämpfe und Vertreibungen in Kroatien durch die Serben kam der AHB auf ein Ersuchen Österreichs, das von 18 weiteren Teilnehmerstaaten unterstützt wurde, am 6. Mai 1992 zu seiner zweiten Dringlichkeitssitzung zusammen. Auf diesem bis zum 12. Mai fortgesetzten Treffen701 wurde die Rolle der NA in Bosnien-Herzegowina und die von den Behörden in Belgrad unternommenen Maßnahmen, um die Beteiligung der JVA an den Kämpfen in Bosnien-Herzegowina und in Kroatien einzustellen, behandelt. Am 12. Mai 1992 verabschiedete der AHB dann im "Konsens-rninus-eins" Verfahren unter Ausschluß Jugosiawiens 70 2 eine "Deklaration zu BosnienHerzegowina" , in der er unter anderem feststellte: "Die Vorgehensweise durch die Behörden in Belgrad und durch die Jugoslawische Volksarmee, nämlich eindeutige, grobe, und nichtbehobene Verletzungen von KSZE-Verpflichtungen, ist jetzt zweifelsfrei erwiesen. Jene Führer haben sich selbst isoliert. Sie tragen die Hauptverantwortung rur die Eskalation des Blutvergießens und der Zerstörung. "703 Demzufolge beschloß der AHB im weiteren unter Punkt 5 dieser Deklaration "in Anwendung von Ziffer 16 des Prager Dokuments über die weitere Entwicklung der KSZE-Institutionen und -Strukturen, daß angesichts eindeutiger, grober und nichtbehobener Verletzungen der KSZEVerpflichtungen geeignete Maßnahmen hinsichtlich Angelegenheiten betreffend die Krise (im ehemaligen Jugoslawien, Anm. des Verf') bis 30. Juni 1992

699 Im Gegensatz zur Generalversamm\Wlg der VN, die über die Aufnahme eines neuen Mitglieds in die UNO gemäß Art. 4 Abs. 2 i. V.m. Art. 18 Abs. 2 SVN mit Zweidrittelmehrheit beschließen kann, ist die KSZE auf das Konsensprinzip festgelegt. 700 Vgl. Remacle, Yugoslav Crisis as a Test Case, S. 121. 701 Zur Verlängerungsmöglichkeit der DringlichkeitssitzWlgen vgl. S. 240 f. 702 VgL: CSO/2-EMlJournal, Ziff 5 b Wld 6. 703 CSO/2-EMlJournal, Anhang, ZifT. 4.

ll. Der Einsatz der Streitbeilegungsmechanismen im Jugoslawienkonflikt

257

auch ohne die Zustimmung der Delegation Jugoslawiens getroffen werden. "704 Auf seinem 13. Treffen am 8. Juli 1992 beschloß der AHB "unter Hinweis auf seinen Beschluß vom 12. Mai "705 und damit in Anwendung des "Konsens-minus-eins" Verfahrens, "daß kein Vertreter Jugoslawiens (Serbiens und Montenegros) auf dem KSZE-Gipfel in Helsinki oder bei irgendeinem späteren KSZE-Treffen bis 14. Oktober 1992 anwesend sein wird."706 Die Wiederzulassung der Vertreter Jugoslawiens zu KSZE-Sitzungen wurde von der Einhaltung der KSZE-Prinzipien, -Verpflichtungen und -Bestimmungen durch Jugoslawien sowie von dessen Bereitschaft abhängig gemacht, KSZEMissionen nach Kosovo, Woiwodina und Sandschak sowie jede andere gegebenenfalls vom AHB zu beschließende Mission nach Jugoslawien zu akzeptieren und zu unterstützen. 707 Da Restjugoslawien den Eroberungskrieg der bosnischen Serben weiter personell und materiell unterstützte, die KSZE-Verpflichtungen weiter ignorierte, einer KSZE-Mission zur Untersuchung der Situation der Oppositionsparteien in Serbien die Einreise verweigerte 708 und schließlich die Vertreter der KSZE-Langzeitmissionen nach Kosovo, Sandschak und Woiwodina zum Verlassen des Landes zwang, wurde der Suspendierungsbeschluß des AHB zweimal befristet und seit dem 18. AHB-Treffen am 13. Dezember 1992 auf unbefristete Zeit verlängert.

704 CSO/2-EMlJournal, Anhang, liff. 5, ix). 705 Dieser Verweis auf den AHB-Beschluß vom 12. Mai 1992 ist die eigentliche Legitimationsgrundlage des am 8. Juli 1992 im "Konsens-minus-eins" Verfahren gefaßten AHB-Beschlusses zum Ausschluß Jugoslawiens von den Treffen der KSlE: lwar war die im AHB-Beschluß vom 12. Mai 1992 festgelegte Frist zum Treffen von Maßnahmen nach liff. 16 des Prager Dokuments, d.h. zu Entscheidungen im "Konsens-minus-eins" Verfahren am 30. Juni 1992 abgelaufen, doch bedeutet der Verweis auf jenen AHB-Beschluß, daß die dort aufgefUhrten materiellen Voraussetzungen der liff. 16 des Prager Dokuments, die die Möglichkeit zum Treffen von Entscheidungen im "Konsens-minus-eins" Verfahren eröffnen, hinsichtlich Jugoslawien weiterhin vorliegen. Der AHB konnte somit am 8. Juli, unabhängig von der am 30. Juni abgelaufenen Fristbestimmung seines Beschlusses vom 12. Mai 1992, im "Konsens-minus-eins" Verfahren den Ausschluß Jugoslawiens beschließen. 706 13-CSO/Journal Nr. 7, Anhang: Beschlüsse des Ausschusses Hoher Beamter, liff. 1. 707 13-CSO/Journal Nr. 7, Anhang: Beschlüsse des Ausschusses Hoher Beamter, liff. 2 und 3. 708 LR Arz von Straussenburg in einem Gespräch mit dem Verfasser am 21.12.1993 im Auswärtigen Amt. 17 Wenig

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2. Kapitel: OSZE-Streitbeilegungsmechanismen und Jugoslawienkonflikt

(b) Die Voraussetzungen für eine Wiederzulassung Jugoslawiens

zu den Treffen der OSZE unter besonderer Berücksichtigung der formellen Erfordernisse

Während die materiellen Voraussetzungen für eine Wiederzulassung Jugoslawiens zu den Treffen der OSZE durch die Beschlüsse des 13. AHB-Treffens geklärt wurden, gilt es hinsichtlich der formellen Voraussetzungen streng zwischen dem befristeten Ausschluß vom 8. Juli einschließlich der beiden ebenfalls befristeten Folgebeschlüsse und dem unbefristeten Beschluß vom 13. Dezember zu trennen: Die ersten Ausschlüsse waren zeitlich befristet, eine erneute Ausschlußentscheidung mithin vom Konsens der Teilnehmerstaaten abhängig. Hätte sich demgemäß nur ein Teilnehmerstaat gegen den weiteren Ausschluß ausgesprochen, so wäre ein derartiger Beschluß nicht zustande gekommen, Jugoslawien mithin infolge Ablaufs des befristeten Ausschlusses und mangels Konsenses einer Verlängerung automatisch wieder zu den Treffen der KSZE zugelassen gewesen. Zu prüfen ist, ob sich durch den am 13. Dezember 1993 vom AHB beschlossenen unbefristeten Ausschluß hieran etwas geändert hat; erfolgt die Wiederzulassung Jugoslawien automatisch dann, wenn der Konsens des Ausschlusses, nunmehr Hohen Rates, nicht mehr gegeben ist oder muß die Wiederzulassung mit Konsens beschlossen werden? Zur Beantwortung dieser auch innerhalb der OSZE-Teilnehmerstaaten umstrittenen Frage gilt es, sich den Text der AHB Erklärung vom 13. Dezember 1992 zu vergegenwärtigen. Dieser lautet: "Der Ausschluß kam überein, seinen Beschluß vom 8. Juli 1992, die Teilnahme Jugoslawiens (Serbiens und Montenegros) an der KSZE auszusetzen, aufrechtzuerhalten und diesen gegebenenfalls zu überprüfen. "709 Diese Erklärung könnte man so verstehen, daß der Konsens des Ausschlusses gleichsam fortwirkt. Dies hätte zur Konsequenz, daß in dem Moment, in dem die Frage des Auschlusses auf die Tagesordnung eines Treffens des Hohen Rates gesetzt wird und ein Teilnehmerstaat diesen Ausschluß nicht mehr unterstützt, der Konsens zum Ausschluß nicht mehr gegeben ist, Jugoslawien mithin automatisch wieder zugelassen wäre. Diese Betrachtung übersieht allerdings, daß die Entscheidung, den Aussetzungsbeschluß aufrechtzuerhalten, ebenfalls durch einen Konsensbeschluß des AHB gefaßt worden ist. Dieser sozusagen übergeordnete Konsensbeschluß vom 13. Dezember 1992 zur unbefristeten Aufrechterhaltung der zuvor befristeten Ausschlußentscheidung kann nur durch einen gegenteiligen Konsensbeschluß wieder ausgesetzt werden. Faktisch hat sich somit durch diesen Be709 18-CSO/Journal, NT. 3, Abschnitt: Beschlüsse, Ziff. a).

II. Der Einsatz der Streitbeilegungsmechanismen im Jugoslawienkonflikt

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schluß die Situation für Jugoslawien umgekehrt, da nunmehr für die Wiederzulassung Jugoslawiens eine Konsensentscheidung erforderlich ist, somit schon ein einziger Teilnehmerstaat dies verhindern kann, vorausgesetzt natürlich, die in Ziffer 16 des Prager Dokuments niedergelegten materiellen Ausschlußgründe liegen weiterhin vor. 71 0

3. Abschließende Bewertung der Bemühungen der KSZE zur Streitbeilegung im ehemaligen Jugoslawien Der Einsatz der KSZE-Streitbeilegungsmechanismen in Fonn von Konsultationen und der Entsendung von Missionen im Jugoslawienkonflikt hat deutlieh die Grenzen der Streitbeilegung ethnischer Konflikte durch die KSZE aufgezeigt. Die in diesem Zusammenhang häufig anzutreffenden Thesen, daß "der Konfliktverhütungsmechanismus der KSZE seine erste Bewährungsprobe erwartungsgemäß nicht bestanden (hat),,711 und "(w)ie erwartet, auch die KSZE als mögliches VerhandIungsforum zur Lösung der Balkankrise (versagte),,712 sind indes zu allgemein und zeigen nur ein unvollständiges Bild der Geschehnisse. Zunächst einmal ist hinsichtlich der ersten These festzuhalten, daß die erst kurze Zeit zuvor entwickelten KSZE-Krisenmechanismen in Fonn des militärischen Krisenmechanismus und des Dringlichkeitsmechanismus713 bei ihrer 710 Andernfalls würde der die Aufnahme Jugoslawiens verweigernde Teilnehmerstaat selbst gegen KSZE-Bestimmungen, konkret gegen das im Prinzipienkatalogs der Schlußakte festgelegte Prinzip der souveränen Gleichheit und Unabhängigkeit der Staaten, verstoßen. Eventuelle Maßnahmen gegen jenen Staat nach Ziffer 16 des Prager Dokuments, etwa in Form einer nun gegen ihn gerichteten Ausschlußentscheidung, würden indes nicht in Frage kommen, da das in Ziffer 16 des Prager Dokuments festgelegte "Konsens-minus-eins" Verfahren gemäß dem Wortlaut seines Textes und der systematischen Einordnung unter Abschnitt IV "Schutz von Menschenrechten, Demokratie und Rechtstaatlichkeit" nur bei der Verletzung "einschlägiger", d.h. den Schutz von Menschenrechten, Demokratie und Rechtstaatlichkeit betreffenden Vorschriften Anwendung fmdet. 711 Reuter, Internationalisierung, S. 351. 712 Gustenau, Zur Neuordnung des südslawischen Raumes, in: ÖMZ 2/1993, S.122. 713 Das dritte zu diesem Zeitpunkt bereits entwickelte Streitbeilegungsverfahren, der Mechanismus zur friedlichen Beilegung von Streitigkeiten (VallettaMechanismus), war laut Weitz, The CSCE and the Yugoslav Conflict, in: RFEIRL Research Report, 31.1.1992 (zit.: Weitz, CSCE and Yugoslav Conflict), S. 25 nicht einsatzfähig, da "no register of mediators had yet been composed." Doch selbst in diesem Falle hätte der Mechanismus im Sommer 1991 nicht aktiviert werden können, da er sich auf zwischenstaatliche Konflikte bezieht und eine Internationalisierung des Konflikts erst mit der im Jahre 1992 erfolgten Anerkennung der jugoslawischen Teilrepubliken stattfand, und selbst dann Jugoslawien unter Verweis auf den Souveräni17*

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2. Kapitel: OSZE-Streitbeileg\U1gsmechanismen \U1d Jugoslawienkonflikt

erstmaligen Aktivierung zu Beginn des Jugoslawienkonflikts funktioniert haben: Das gemeinsame erste Ziel der beiden Mechanismen, Aufklärung über militärische bzw. möglicherweise den Verpflichtungen der KSZE-Schlußakte zuwiderlaufende Handlungen eines Teilnehrnerstaates zu gewähren, mithin einen Einblick in die inneren Angelegenheiten des betroffenen Teilnehrnerstaates zu verschaffen, wurde erreicht. Auch das zweite Ziel der Mechanismen, den betroffenen Teilnehrnerstaat im Rahmen eines Treffens des Konsultativausschusses des KVZ oder einer AHB-Dringlichkeitssitzung an den Konferenztisch zu holen, um so die Angelegenheit auf multilateraler Ebene zu erörtern, wurde realisiert. Die Tatsache, daß es bei diesen Konsultationen zu keinem Einlenken Jugoslawiens karn, hat nichts damit zu tun, daß die KSZE "als Verhandlungsorgan versagte", sondern lag darin begründet, daß die zuständigen Stellen in Belgrad an einer ~riedlichen Streitbeilegung gar nicht interessiert waren, sie statt dessen aus nationalistischen Motiven die Errichtung eines Großserbiens um jeden Preis anstrebten und dieses Ziel durch Eroberung und "ethnische Säuberung" der betroffenen Gebiete faktisch auch erreichten.1 14 So ist es zwar durchaus richtig, darauf hinzuweisen, daß beispielsweise auf dem Stockholmer Ratstreffen Ende 1992 Vorschläge zur Aufhebung des Waffenembargos gegen die bosnischen Regierungstruppen am russischen Widerstand scheiterten715 und auf dem Budapester Gipfeltreffen Ende 1994 Beschlüsse zur Lage im früheren Jugoslawien und zur Entwicklung in Bihac durch die russische Weigerung, die serbischen Angreifer als "Aggressoren" zu bezeichnen, verhindert wurden,716 doch darf hierbei die eigentliche Bedeutung der im Rahmen der KSZE durchgefiihrten Konsultationen nicht aus den Augen verloren werden, nämlich die Tatsache, daß die europäischen Großmächte trotz gravierender Meinungsunterschiede hinsichtlich der Behandlung der Jugoslawienkrise und trotz unterschiedlicher Interessen und Affinitäten zu den Konfliktbeteiligten eine Intervention von außen und damit eine Wiederholung der Ereignisse von 1914 unterließen und statt dessen ihr Vorgehen soweit wie möglich koordinierten.1 17 Daruber hinaus hatte die Befassung der KSZE mit dem Jugoslawienkonflikt im Vergleich zur UNO und EG zwei große Vorteile: tätsvorbehalt des Abschnitts xn die Einsetzung dieses Verfahrens hätte verhindern können. Zu den Einzelheiten des Valletla-Mechanismus siehe S. 140 ff. 714 Vgl. hierzu die Ausfiihrungen über den Krieg in Kroatien \U1d Bosnien-Herzegowina aufS. 186 ff. 715 So Gustenau, Zur Neuordn\U1g des südslawischen Rawns, in: ÖMZ 2/93, S. 122. 716 Vgl. hierzu FAZ vom 7.12.1994. 717 So auch Höynck, CSCE Missions in the Field, S. 59

n. Der Einsatz der StreitbeilegWlgsmechanismen im Jugoslawienkonflikt

261

Während den VN aufgrund des in Art. 2 Abs. 7 SVN festgelegten Nichteinmischungsprinzips eine Befugnis zum Eingreifen in die inneren Angelegenheiten Jugoslawiens verwehrt blieb und ihre Handlungsmöglichkeiten daher vor der durch die Anerkennung Sloweniens und Kroatiens bedingten Internationalisierung des Konflikts sehr beschränkt waren, gelang es der KSZE in jener Zeit durch den Einsatz ihrer auf dem Prinzip der Mitwirkung basierenden und somit die Hürde der Einmischung in innere Angelegenheiten beiseite schiebenden Streitbeilegungsmechanismen in Form von Konsultationen und Erkundungs- bzw. Berichterstattermissionen, einen Einblick in die Geschehnisse vor Ort zu bekommen. Im Gegensatz zur EG wiederum besaß die KSZE den großen Vorteil, daß die Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien zu ihren Teilnehmerstaaten gehörte. So konnte auf der AHB-Dringlichkeitssitzung Anfang Juli 1991 die politische Grundlage für den Einsatz einer EG-Beobachtermission in einem Nichtmitgliedsstaat der EG (Jugoslawien) gelegt werden. 718 Zusammenfassend läßt sich somit festhalten, daß die von der KSZE im Jugoslawienkonflikt eingesetzten Streitbeilegungsmechanismen in verfahrenstechnischer Hinsicht719 funktioniert haben,no angesichts der fehlenden Ko718 Zu weitgehend indessen Reuter, Jugoslawien: Versagen der internationalen Gemeinschaft?, in: Südosteuropa 611993, S.335, der in dem Beschluß der AHBDringlichkeitssitzWlg eine "rechtliche" Grundlage sieht. Zwar werden die auf den DringlichkeitssitzWlgen erzielten Ergebnisse in ErweitefWlg der BestimmWlgen des Berliner Mechanismus nicht nur als "EmpfehlWlgen" bzw. "Schlußfolger\U1gen", sondern auch als "Beschlüsse" bezeichnet, doch haben diese vorbehaltlich anderweitiger EntscheidWlg der Teilnehmerstaaten aufgfWld des Rechtscharalcters der KSZE keine rechtliche, sondern nur eine politische Verbindlichkeit; vgl. hierzu die Ausfiihrungen auf S. 58 ff. Wld S. 77. Mangels entgegenstehender Willenserklänmgen der Vertreter der Teilnehmerstaaten haben somit auch die auf der AHB-DringlichkeitssitzWlg am 3. Juli 1991 abgegebenen Erklänmgen hinsichtlich der EntsendWlg einer EG-Mission nach Jugoslawien nur politischen Charakter. Vgl. auch Höynck, CSCE Missions in the Field, S. 58, demzufolge "It (the CSCE's "political legitimizing" capacity; Anm. des Verf.) covered politically the EC Monitor Mission in former Yugoslavia." Zur Rechtsgrundlage der von der EG entsandten Mission vgl. S. 241 f., insb. Fn. 654. 719 Der einschränkende Begrilf "verfahrenstechnisch" wird hier verwendet um aufzuzeigen, daß eine inhaltliche LösWlg des Konflikts auf den im Rahmen der Mechanismen eingesetzten SitzWlgen nicht erreicht wurde. Eine derartige StreitbeilegWlg ist zwar ein wünschenswertes Ziel, nicht aber die eigentliche Aufgabe des militärischen Krisenmechanismus Wld des Dringlichkeitsmechanismus, die, wie sich auch aus ihren offiziellen Titeln "Mechanismus llir Konsultationen Wld Zusammenarbeit in bezug auf Wlgewöhnliche militärische Aktivitäten" bzw. "Mechanismus ftir Konsultationen Wld Zusammenarbeit in dringenden Situationen" ergibt, reine Konsultations- Wld Zusammenarbeitsmechanismen sind. no So auch Vetschera, KSZE-Krisenmechanismen, S. 410 f.; Mietzsch, StreitbeilegWlg. S. 110. Zutretfend aber auch das Resümee von Zaagman, CSCE and Yugoslav

262

2. Kapitel: OSZE-Streitbeilegungsmechanismen und Jugoslawienkonflikt

operationsbereitschaft des serbischen Aggressors721 aber keine Lösung des Konflikts herbeifuhren konnten. Die vom britischen Außenminister Hurd bereits am 28. Juni 1991 gemachte Äußerung "You can only mediate between people who are willing to accept mediation, and we are not in that position now"722 , sollte kennzeichnend fur den gesamten Jugoslawienkonflikt werden und verdeutlicht den Grund, warum die auf Dialog und Zusammenarbeit angelegte KSZE den Konflikt in Jugoslawien nicht beenden hat und mit den ihr zur Verfugung stehenden, ausschließlich auf friedlicher Streitbeilegung basierenden Mechanismen nach Beginn der bewaffneten Auseinandersetzungen auch niemals mit Aussicht auf Erfolg hätte beenden können. Die fehlende Bereitschaft der serbischen Behörden zur friedlichen Konfliktbeilegung eröffnet auch die Antwort zu der (hypothetischen) Frage, ob die KSZE den Konflikt hätte verhindern können, wenn ihr sämtliche bis heute entwickelten Streitbeilegungsmechanismen schon Anfang 1991 und somit schon vor Beginn der Intervention der NA im Juni 1991 zur Verfugung gestanden hätten. Diese Antwort wird angesichts der schon damals unüberwindlichen Interessengegensätze in Jugoslawien und der von MiloSevic forcierten nationalistischen Politik mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit negativ ausfallen, denn auch die seit Juni 1991 von der KSZE bzw. OSZE entwickelten Instrumente, sei es nun das Frühwarnverfahren des HKNM oder die Verfahren vor dem noch zu errichtenden OSZE-Vergleichsund Schiedsgerichtshof, basieren letztlich alle ausnahmslos auf dem Prinzip der Mitwirkung des betroffenen Staates bei der Konfliktlösung,723 einer Voraussetzung, die, wie gesehen, auf serbischer Seite nicht vorlag.

Crisis, S. 43: "The relevant mechanisms and institutions CSCE disposed of were used to the tullest extent possible but the only conclusion which can be drawn at present is that CSCS is still a fair-weather construction." 721 Vgl. hieIZU die Ausführungen zum Krieg in Kroatien und in BosnienHerzegowina, S. 186 ff. und 204 tT. 722 Zitiert nach Weitz, CSCE and Yugoslav Conflict, S. 25, der sich auf Reuters, 28.6.1991, bezieht. . 723 Dies ist indes nicht ein Fehler der KSZE an sich, sondern vielmehr den Regierungen der jeweiligen Teilnehmerstaaten anzulasten, die an ihrer nationalen Souveränität uneingeschränkt festhalten und somit die Entwicklung von Mechanismen, die auch gegen den Willen des betroffenen Staates eingesetzt und vor allem durchgefilhrt werden können, verhindern. Hierbei bewahrheitet sich die altbekannte Tatsache, daß eine internationale Organisation, so sie denn keine Supranationalität besitzt, immer nur so handlungsfähig ist, wie es ihre Mitgliedstaaten wollen. Vgl. hierzu: MaulI, Tbe West Stands Convicted 01' Hypocrisy in Bosnia (zit.: MaulI, Hypocrisy in Bosnia), in: International Herald Tribune vom 4.5.1994, S. 4; Ropers/Schlotter, Multilaterales Kontliktmanagement, S. 20; zum Begriff der Supranationalität vgl. SeidlHohenveldern, Internationale Organisationen, Rz. 01 \3-0115.

Drittes Kapitel

Handlungsalternativen I. Einführung Die Bemühungen der KSZE zur Streitbeilegung im ehemaligen Jugoslawien haben gezeigt, daß die seit Januar 1995 in OSZE umbenannte KSZE mit ihren derzeitigen, auf dem Prinzip der Mitwirkung der Konfliktparteien beruhenden Streitbeilegungsmechanismen im Falle fehlender Kooperationsbereitschaft auch nur einer Streitpartei ihr Ziel - Konflikteindämmung und Konfliktlösung - nicht zu erreichen vermag. Angesichts der Tatsache, daß auf dem Boden der ehemals sozialistischen Staaten Osteuropas und Vorderasiens zahlreiche, hinsichtlich des Jugoslawienkonflikts gleichgelagerte, d.h. einer Verhandlungslösung ebenfalls nur sehr begrenzt offenstehende ethnische Konflikte existieren und teilweise sogar wie im Kaukasus und Tadschikistan bereits bewaffnet ausgetragen werden, 1 besteht die große Gefahr, daß auch dort zu allem entschlossene Aggressoren die Streitbeilegungsmechanismen der OSZE unterlaufen und es so zu einer Wiederholung der Ereignisse im ehemaligen Jugoslawien kommen wird. Daher gilt es im folgenden der Frage nachzugehen, welche Handlungsalternativen sich der OSZE in praktischer und rechtlicher Hinsicht bieten, um derartige Konflikte in ihrer Region künftig besser eindämmen oder gar beenden zu können. In Betracht kommen die Verhängung wirtschaftlicher Sanktionen sowie die Durchführung militärischer Zwangsmaßnahmen infolge einer Umwandlung der OSZE in ein System kollektiver Sicherheit.

1 Vgl. hierzu DawydowlTrenin, Ethnische Konflikte auf dem Gebiet der ehemaligen So\\jetunion, in: EA 7/1993 (zit.: Dawydow/Jrenin, Ethnische Konflikte), S. 179 fT.; Fuller, Konflikte im Transkaukasus: Wer könnte vermitteln?, in: EA 7/1993 (zit.: Fuller, Konflikte im Transkaukasus), S. 193 ff. Die in den letzten Jahren nicht nur im ehemaligen Jugoslawien drastisch angestiegen Verluste unter der Bevölkerung verdeutlichen das ganze Gewaltpotential ethnischer Konflikte: Lag die Zahl der bei ethnischen Zusammenstößen auf dem Gebiet der ehemaligen So\\jetunion getöteten Menschen 1991 noch bei rund 750, so waren es 1992 bereits mehr als 25.000 (DawydowlTrenin, Ethnische Konflikte, S. 189). 1993 und 1994 dürfte diese letzte Zahl wohl noch überschritten worden sein.

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3. Kapitel: Handlungsalternativen

11. Die Verhängung von Wirtschaftssanktionen durch die OSZE 1. Die Zulässigkeit von Wirtschaftssanktionen durch die OSZE nach OSZE-Normen

Ausgangspunkt der nachfolgenden Untersuchung ist die Frage, ob sich aus den OSZE-Dokumenten eine Befugnis ableiten läßt, derzufolge die OSZE gegen einen ihrer Teilnehmerstaaten einen Beschluß zur Verhängung von Wirtschaftssanktionen i.S. eines kollektiven Handelsembargos treffen kann, der - aufgrund des außerrechtlichen Charakters der OSZE - von den übrigen Teilnehmerstaaten durch entsprechende innerstaatliche Maßnahmen umzusetzen ist. a) Begriffsbestimmung

Unter einem Handelsembargo versteht man eine hoheitliche Maßnahme eines Staates in Friedenszeiten auf dem Gebiet des Außenhandels, die sich in einem teilweisen oder vollständigen Handelsverbot mit einem anderen Staat äußert und in der Absicht erfolgt, den betroffenen Staat durch den somit erzeugten Druck zu einem bestimmten erwünschten Verhalten zu bewegen. 2 Wird diese Maßnahme im Rahmen internationaler Organisationen gegen einzelne Mitglieder ergriffen, so spricht man von einem kollektiven Handelsembargo oder kurz von einem Kollektivembargo. 3 Nicht hiervon erfaßt sind

2 Vgl. hierzu die gnmdlegenden Ausführungen bei Lindemeyer, SchitTsembargo und Handelsembargo (1975), (zit.: Lindemeyer, Handelsembargo), S. 183 sowie Epping, Die Zulässigkeit von Embargomaßnahmen, in: Heintze, Von der Koexistenz zur Kooperation (1992), S. 88 tT.; Gomig, Die völkerrechtliche Zulässigkeit eines Handelsembargos, in: JZ 311990 (zit.: Gomig, Handelsembargo), S. 114 f.; Ipsen, Völkerrecht, § 39 Rdnr. 8. . Die Verhängung eines Handelsembargos erfolgt durch staatliche Anweisung an die Bürger, den Handel mit allen Personen, die sich auf dem Gebiet des betrotTenen Staates befinden, einzuschränken oder abzubrechen. Diese Anweisung erfolgt grundsätzlich in Form von Gesetzten oder Rechtsverordnungen. In Ländern mit staatlichen Außenhandelsmonopolen beruht die Verhängung eines Handelsembargos hingegen auf verwaltungsinternen Anweisungen, vgl. Lindemeyer, Handelsembargo, S. 183 f. Das Handelsembargo ist abzugrenzen vom Boykott, der eine auf privater Initiative beruhende Beeinträchtigung der Handelsbeziehungen darstellt. Lindemeyer, Handelsembargo, S 226 fr. 3 Lindemeyer, Handelsembargo, S. 472.

ll. Die Verhängung von Wirtschaftssanktionen durch die OSZE

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Beschränkungen im wirtschaftlichen Verkehr, die mit Einverständnis des betroffenen Staates erfolgen. 4 b) Dokumentenlage Auf den ersten Blick scheint der Gedanke, die OSZE könne wirtschaftliche Sanktionen gegen einen ihrer Teilnehmerstaaten verhängen, als recht befremdlich, besteht doch das Grundprinzip der OSZE darin, in ihrer Region existierende Konflikte durch den Dialog und die Zusammenarbeit ihrer Teilnehmerstaaten zu lösen, also durch Kooperation und eben nicht durch Sanktion. Von diesem im Konsensprinzip verfahrenstechnisch niedergelegten Grundsatz macht die OSZE aber zum Zwecke der Erreichung des von ihr gesetzten Ziels, der Verwirklichung von Menschenrechten und Grundfreiheiten im OSZE-Raum, eine bedeutende Ausnahme: So kann der Ministerrat oder der Hohen Rat seit Januar 1992 zum Schutz von Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Fällen von "eindeutigen, groben und nicht behobenen Verletzungen einschlägiger KSZEVerpflichtungen angemessene Maßnahmen erforderlichenfalls auch ohne Zustimmung des betroffenen Staates treffen. "5 Eine Einschränkung erfährt dieses sog. "Konsens-minus-eins" Verfahren allerdings dadurch, daß es sich bei den zu treffenden Maßnahmen um "politische Erklärungen oder andere politische Schritte, die außerhalb des Territoriums des betroffenen Staates anwendbar sind", zu handeln hat. 6 Mit diesem Zusatz werden militärische Interventionen, nicht aber die Verhängung von Wirtschaftssanktionen ausgeschlossen. 7

4 So forderte beispielsweise der AHB auf seinem zweiten zusätzlichen Treffen am 4.9.1991 die Teilnehmerstaaten auf, "to refrain - for the duration ofthe Yugoslav crisis - from supplying arms and military equipment to all Yugoslav parties concerned." (vgl. Zaagman, CSCE and Yugoslav Crisis, S. 49. Die deutsche Fassung ist abgedruckt in: EA 2111991, S. 546). Hierbei handelt es sich um einen im Konsensverfahren, also mit Zustimmung Jugoslawiens (die einzelnen Republiken besaßen zu diesem Zeitpunkt noch keine Völkerrechtssubjektivität) gefaßten Beschluß. (Die Möglichkeit der Beschlußfassung im "Konsens-minus-eins" Verfahren wurde dem AHB erst Anfang 1992 auf dem zweiten KSZE-Ratstreffen eingeräumt, vgl. hierzu: Prager Beschlüsse, Abschnitt IV, Ziff. 16). 5 Prager Beschlüsse, Abschnitt IV, Ziff. 16. 6 Vgl.: Ebenda. Hervorhebung vom Verfasser. 7 Ebenso, allerdings ohne nähere Begründung, Peters, Norrnen- und Institutionenbildung der KSZE, S. 205, der die "Ausarbeitung eines Katalogs von Wirtschaftssank-

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3. Kapitel: Handlungsalternativen

Beim Beschluß des Ministerrates oder des Hohen Rates zur Verhängung von Wirtschaftssanktionen handelt es sich nämlich um eine handelspolitische Maßnahme, mithin um einen "anderen politischen Schritt", der von den OSZE-Teilnehmerstaaten mittels staatlicher Anweisung an ihre Bürger, den Handel mit allen Personen, die sich auf dem Gebiet des betroffenen Staates befinden, einzuschränken oder abzubrechen, umzusetzen ist und der somit "außerhalb des Territoriums des betroffenen Staates" Anwendung findet. Neben dieser lokalen Begrenzung enthält die Regelung zum Erlaß von Beschlüssen im "Konsens-minus-eins" Verfahren aber auch noch eine modale Einschränkung: So wird vor der näheren Ausgestaltung dieses Verfahrens in einer Art Einfiihrung darauf hingewiesen, daß diese Regelung vom Rat "zur Weiterentwicklung der Fähigkeiten der KSZE, Menschenrechte, Demokratie und Rechtstaatlichkeit mit friedlichen Mitteln zu schützen" beschlossen wurde. 8 Politische Schritte, konkret also Beschlüsse des Ministerrates oder des Hohen Rates, die zur Gewaltanwendung, wenn auch außerhalb des Territoriums des betroffenen Staates auffordern, sind vom "Konsens-minus-eins" Verfahren mithin nicht abgedeckt. Die gewaltsame Durchsetzung des Handelsembargos in Form einer Wirtschaftsblockade, bei der militärische Einheiten die Einhaltung des Embargos überwachen und Embargobrecher unter Androhung oder gegebenenfalls sogar unter Anwendung von Waffengewalt von ihrem Vorhaben abbringen, kann folglich nicht vom Ministerrat bzw. Hohen Rat beschlossen werden. c) Ergebnis

Das "Konsens-minus-eins" Verfahren eröffnet somit der OSZE, d.h. dem Ministerrat bzw. dem Hohen Rat die Möglichkeit, einen Beschluß zur Verhängung von Wirtschaftssanktionen (nicht aber einer Wirtschaftsblockade) gegen einen OSZE-Teilnehmerstaat zu fassen, der dann durch entsprechende innerstaatliche Maßnahmen der OSZE-Teilnehmerstaaten in die Praxis umzusetzen ist. 9 Ein derartiger Beschluß ist - dies sei noch einmal hervorgehoben allerdings nur politisch und nicht rechtlich bindend, seine Befolgung durch die OSZE-Teilnehmerstaaten mithin nicht rechtlich einklagbar.

tionen" fordert und damit von einer Kompetenz der KSZE zur Beschlußfassung von Wirtschaftssanktionen ausgeht. 8 Vgl.: Prager Beschlüsse, Abschnitt IV, Ziff. 16. Hervorhebung vom Verfasser. 9 Zu den völkerrechtlichen Einschränkungen vgl. die folgenden Ausführungen, insb. S. 278 und 288.

II. Die VerhänglUlg von Wirtschaftssanktionen durch die OSZE

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2. Die völkerrechtliche Zulässigkeit von Wirtschaftssanktionen im Rahmen der OSZE Gegenstand der nachfolgenden Untersuchung ist die Frage, ob die OSZE von sich aus, d.h. ohne einen vorherigen SR-Beschluß nach Art. 41 SVN oder eine Ermächtigung durch den SR nach Art. 53 Abs. 1 S. 2 SVN, Wirtschaftssanktionen gegen einen ihrer Teilnehmerstaaten verhängen kann. 10 a) Das OSZE-Handelsembargo und die völkerrechtliche Zulässigkeit eines individuellen Handelsembargos (1) Einfohrung

Ein Beschluß des Ministerrates bzw. Hohen Rates, demzufolge die OSZETeilnehmerstaaten Embargomaßnahmen gegen einen anderen OSZETeilnehmerstaat durchzufiihren haben, könnte gegen geltendes Völkerrecht verstoßen, wenn dieses die Zulässigkeit 11 individueller Embargomaßnahmen vemeint. 12 Zu prüfen ist also im folgenden, inwieweit völkergewohnheitsrechtliche Regelungen sowie spezielle völkervertragsrechtliche Bestimmungen im wirtschaftlichen Bereich den Einzelstaaten die Verhängung eines Handelsembargos untersagen:

10 Der AHB-Beschluß vom 3.9.1991, der die Teilnehmerstaaten zu einem Waffenembargo gegen Jugoslawien aufrief, lUlterfiillt zwar diesen Einschränkungen (eine ErmächtiglUlg durch den SR lag nicht vor lUld das UN-Waffenembargo gegen Jugoslawien erfolgte erst am 25.9.1991 mit SRJRes. 713), ist aber völkerrechtlich zweifelsfrei zulässig, da er nicht gegen den Willen, sondern mit ZUStimmlUlg des Maßnahmenadressaten Jugoslawien im Konsensverfahren getroffen wurde. 11 Der Begriff der völkerrechtlichen Zulässigkeit wird hier lUld im folgenden verwendet zur CharakterisieTlUlg. eines völkerrechtmäßigen Verhaltens; er umfaßt somit auch das völkerrechtliche Verhalten, das gegen Völkervertrags- bzw. Völkergewohnheitsrecht verstößt, dessen Völkerrechtswidrigkeit aber infolge des Eingreifens von völkerrechtlichen RechtfertiglUlgsgriinden ausscheidet. 12 Die Tatsache, daß ein derartiger Beschluß nur politisch lUld nicht rechtlich bindend ist, macht hierbei keinen Unterschied, da auch lediglich politische Beschlüsse völkerrechtswidrig sein können. Die politische NormenordnlUlg lUld NormendurchsetZlUlg hat aus rechtlicher Sicht nur solange lUld soweit Bestand, als sie nicht gegen geltendes Recht verstößt. Vgl. hierzu Heusel, "Weiches" Völkerrecht, S. 314.

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3. Kapitel: HandlWlgsalternativen

(2) Mögliche völkerrechtliche Schranken der Verhängung eines individuellen Handelsembargos (a) Recht und Pflicht zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit Die Verhängung eines Handelsembargos könnte gegen das Völkerrecht verstoßen, wenn dieses die Staaten qua gewohnheitsrechtlicher oder universell vertragsrechtlicher Regelung zu einem möglichst umfassenden HandeIsaustausch verpflichten sollte. Die bis Anfang der dreißiger Jahre dieses Jahrhunderts vertretene Auffassung, es gebe ein Grundrecht auf Verkehr, demzufolge kein Staat vom Verkehr und Handel mit anderen Staaten ausgeschlossen werden dürfe,13 wird heutzutage mit dem Argument abgelehnt, daß die Staaten aufgrund ihrer Souveränität nicht verpflichtet sind, mit anderen Staaten diplomatische oder wirtschaftliche Beziehungen aufzunehmen bzw. zu unterhalten. 14 Eine Pflicht zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit der Staaten untereinander könnte sich jedoch aus Art. I NT. 3 und Art. 55 SVN ergeben, die die Förderung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zu einem Ziel der VN deklarieren. Dieses Ziel bindet nicht nur die Organisation selbst, sondern infolge von Art. 56 SVN auch ihre Mitgliedstaaten. Konkrete Verhaltenspflichten hinsichtlich der Wirtschaftsbeziehungen der Mitgliedstaaten untereinander können hieraus allerdings nicht abgeleitet werden, da einerseits dieses Ziel lediglich Programmcharakter hat l5 und andererseits die in Art. 56 SVN niedergelegte Verpflichtung der Mitgliedstaaten "gemeinsam und jeder fiir sich mit der Organisation zusammenzuarbeiten" allein auf die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten mit der Organisation der VN abstellt. 16 Eine Pflicht zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit der Staaten untereinander, gegen die ein Handelsembargo verstoßen könnte, wird somit 13 Stellvertretend fiir diese AuffassWlg sei hier von Liszt/Fleischmann, Das Völkerrecht (1925), S. 126 f. genannt. Weitere Nachweise fmden sich bei Lindemeyer, Handelsembargo, S. 362 ff. sowie Gomig, Handelsembargo, S. 121. HintergTWld der Lehre vom Grundrecht auf Verkehr ist die ÜberlegWlg, daß Voraussetzung für die EntstehWlg Wld WeiterentwicklWlg von Völkerrecht die Aufuahme Wld UnterhaltWlg von zwischenstaatlichen BeziehWlgen sei. Aus diesem Grillld bestehe nicht nur ein Recht, sondern auch eine Pflicht zu ständigem internationalen Verkehr, insbesondere auf wirtschaftlichen Gebiet, sog. ius commercii. 14 Vgl. Gomig, Handelsembargo, S. 121. 15 So Gomig, Handelsembargo, S. 121. 16 Die Mitgliedstaaten sollen also mit der Organisation der VN zusammenarbeiten, um so eine wirtschaftliche Zusammenarbeit Wlter sich zustande zu bringen. So Epping, Die Zulässigkeit von Embargomaßnahmen, S.101 Wlter Verweis auf Kelsen, Tbe Law ofthe United Nations (1951), S. 99.

II. Die Verhängung von Wirtschaftssanktionen durch die OSZE

269

durch die UN-Charta nicht statuiert. Die wirtschaftliche Tätigkeit eines jeden Staates einschließlich seiner Außenhandelspolitik ist mithin Bestandteil seiner Souveränität und damit grundsätzlich in jeder Form erlaubt~ soweit ihr durch Völkervertrags- oder Völkergewohnheitsrecht keine Schranken gesetzt sind. (b) Gewaltverbot

Die Verhängung eines Wirtschaftsembargos könnte gegen das Gewaltverbot verstoßen. Völkervertragsrechtlich ist dieses Verbot in Art. 2 Ziff. 4 SVN verankert, es ist aber zugleich auch eine Norm des Völkergewohnheitsrechts und ius cogens für alle Staaten in ihren internationalen Beziehungen. 17 Allerdings kann aus einer systematischen Interpretation der UN-Charta gefolgert werden, daß unter Gewalt i.S.v. Art. 4 SVN nur die militärische Gewalt gemeint ist. So verfügt die Präambel der UN-Charta, daß "armed force shall not be used, save in common interest. "18 Zudem trennt die UN-Charta in ihren Artikeln 41 und 42 deutlich zwischen militärischen und wirtschaftlichen Maßnahmen, wobei letztere ausdrücklich als gewaltfrei, als "measures not involving the use of armed force" bezeichnet werden. Jedoch könnte es infolge zahlreicher Resolutionen der Generalversammlung I9 zu einer gewohnheitsrechtlichen20 Erweiterung des Gewaltbegriffes auf wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen gekommen sein:

Handelsembargo, S. 115. Hervorhebung vom Verf 19 Interventionsresolution vom 21. Dezember 1965 (Res. 2625 XXV, Declaration on the Inadmissibility of Intervention in the Domestic Affairs of States and the Protection of their Independence and Sovereignty, Text: Djonovich, United Nations Resolutions, Series I, Vol. X, S.107 f), Friendly Relations Declaration vom 24. Oktober 1970 (Res. 2625 XXV, Declaration on Principles of International Law Concerning Friendly Relations and Co-operation among States in accordance with the Charter of the United Nations, Text: Djonovich, United Nations Resolutions, Series I, Vol. XIII, S. 337 fI.; die deutsche Fassung fmdet sich in Satorius II, Internationale Verträge, Europarecht, Übersichtsnr. 4), Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten vom 12. Dezember 1974 (Res. 3281 XXIX, Text: Djonovich, United Nations Resolutions, Series I, Vol. XV, S. 301 fI.), Declaration on the Inadmissibility of Intervention and Interference in the Internal Affairs of States vom 9. Dezember 1981, (Res. 36/103, Text: Djonovich, United Nations Resolutions, Series I, Vol. XX, S. 307 f). 20 Resolutionen der Generalversammlung haben nur empfehlenden Charakter und sind damit rechtlich unverbindlich. Allerdings können die in ihnen proklamierten Grundsätze bei Vorliegen einer "allgemeinen, als Recht anerkannten übung" i.S.v. Art. 17 Gomig, 18

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3. Kapitel: Handhll1gsalternativen

Indes wird in diesen Resolutionen zwar die Anwendung wirtschaftlicher Gewalt in den internationalen Beziehungen verurteilt, eine eindeutige Feststellung, daß wirtschaftliche Gewalt gegen das Gewaltverbot verstoße, findet sich dort jedoch nicht. Vielmehr stellt die in Resolution 3314 XXIX vom 14.12.1974 von der GV verabschiedete Aggressionsdefinition fest, daß "aggression is the use of armed force by astate" und läßt in den in Art. 3 aufgezählten Beispielen fiir Aggression den wirtschaftlichen Zwang unberücksichtigt. Daraus kann gefolgert werden, daß wirtschaftliche Aggression und damit wirtschaftliche Gewalt nicht verboten sind. 21 Eine völkergewohnheitsrechtliche Erweiterung des GewaltbegrifIs ist somit bislang nicht erfolgt.22 Die Verhängung eines Handelsembargos verstößt daher nicht gegen das Gewaltverbot. (c) Interventionsverbot Die Unzulässigkeit eines Handelsembargos könnte sich aber aus einem möglichen Verstoß gegen das Interventionsverbot ergeben. Das Interventionsverbot bedeutet das Verbot der Einmischung eines Staates in die inneren oder äußeren Angelegenheiten eines anderen Staates. 23 Das klassische Vöikerrecht verbot nur die "dictatorial interference", deren wesentliches Element die Androhung oder der Gebrauch militärischer Gewalt ist. 24 Diesem engen InterventionsbegrifI zufolge sind alle Einwirkungen auf die Entscheidungsfreiheit eines anderen Staates zulässig, soweit sie nur unterhalb der Schwelle militärischer Gewalt liegen. 25 Ausgehend von der Erkenntnis, daß das Schutzgut des Interventionsverbotes die Souveränität eines Staates ist, diese aber nicht nur durch militärische Maßnahmen beeinträchtigt werden kann, wird der klassische InterventionsbegrifI heute als zu eng gefaßt abgelehnt. 26

38 Abs. I lit. b lGHSt zu Völkergewolmheitsrecht werden. Vgl. Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 566. 21 Gomig, Handelsembargo, S. 116. 22 Versuche einer Begriffserweiterung seitens der Entwicklungsländer und sozialistischen Staaten sind bisher am westlichen Widerstand gescheitert (Gomig, HandeIsembargo, S. 116). 23 Vgl. statt vieler: Ipsen, Völkerr~ht, § 57 Rdnr. 50. 24 So Gomig, Handelsembargo, S. 116 unter Verweis auf Oppenheim/ Lauterpacht, International Law, Bd. I (1955), S. 305. 25 So Gomig, Handelsembargo, S. 116; ders. Äußerungsfreiheit und Informationsfreiheit als Menschenrechte (1988), S. 434 f. 26 Vgl.: Kimminich, Einflihrung in das Völkerrecht (1984), (zit.: Kimminich, Völkerrecht), S. 322; Neuhold, Internationale Konflikte - verbotene und erlaubte Mittel

II. Die VerhängWlg von Wirtschaftssanktionen durch die OSZE

271

Damit erhebt sich aber gleichzeitig die Frage, inwieweit nichtmilitärische, also politische oder wirtschaftliche Maßnahmen eine Einmischung in die inneren bzw. äußeren Angelegenheiten eines anderen Staates darstellen. Die Satzung der VN gibt hierzu keine Auskunft, denn in ihr ist das völkergewohnheitsrechtlich geltende Interventionsverbot27 nicht ausdIiicklich geregelt. 28 Hilfsdienste bei der Auslegung völkerrechtlicher Normen können aber trotz ihrer rechtlichen Unverbindlichkeit die Resolutionen der GV leisten: So sind nach der Interventionsresolution der GV nicht nur militärische Interventionen, sondern "all other forms of interference or attempted threats against the personality of the State or against its political, economic and cultural elements" verboten. Eine Erweiterung auf außerrnilitärische Druckmittel findet sich auch im dritten Grundsatz der Friendly Relations Declaration, demzufolge "kein Staat wirtschaftliche, politische oder irgendwelche anderen Maßnahmen anwenden oder zu deren Anwendung ermutigen (darf), um gegen einen anderen Staat Zwang in der Absicht anzuwenden, von ihm einen Verzicht auf die Ausübung souveräner Rechte zu erreichen oder von ihm Vorteile irgendwelcher Art zu erlangen." Die Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten verbietet in ihrem Art. 32 wirtschaftliche Maßnahmen, die auf die "subordination of the exercise of sovereign rights" des betroffenen Staates zielen. Diesen Resolutionen zufolge sind politische oder wirtschaftliche Maßnahmen dann verboten, wenn sie darauf gerichtet sind, den anderen Staat in der freien Ausübung seiner souveränen Rechte zu beschränken. Ausschlaggebend für die hier in Frage stehende Abgrenzung zwischen einer völkerrechtlich zulässigen Ausübung wirtschaftlichen Drucks und der völkerrechtlich unzulässigen Androhung oder Anwendung wirtschaftlichen Zwangs . ist somit die Intensität der jeweiligen Maßnahme. Um die Schwelle von der erlaubten Einwirkung zur verbotenen Einmischung, von der Interzession zur Intervention zu überschreiten, muß die Maßihrer AustragWlg (1977), S·. 39; Bryde, Die Intervention mit wirtschaftlichen Mitteln, in: von MÜllch, Staatsrecht - Völkerrecht - Europarecht, FS fur Schlochauer (1981), S. 230 sowie mit weiteren Nachweisen über die Vertreter des weiten Interventionsbegriffes Dicke D.-Ch., Die Intervention mit wirtschaftlichen Mitteln im Völkerrecht (1977), S. 177 ff. 27 Vgl. statt vieler: Ipsen, Völkerrecht, § 57 Rdnr. SI. 28 Es wird indes aus dem in Art. 2 Ziff. I SVN normierten Prinzip der souveränen Gleichheit aller Staaten, der in Art. 2 Ziff. 3 i. Y.m. Art. 2 Ziff. 4 SVN festgelegten Pflicht der Staaten, internationale Streitigkeiten mit friedlichen Mitteln beizulegen sowie aus Art. 2 Ziff. 7 SVN abgeleitet, demzufolge die SatzWlg selbst den VN verbietet, sich in die inneren Angelegenheiten eines Mitgliedstaates einzumischen. Vgl. Ipsen, Völkerrecht, § 57 Rdnr. 51; Gomig, Handelsembargo, S. 116.

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3. Kapitel: Handhmgsalternativen

nahme außerdem in einen Bereich eingreifen, der nach dem Völkerrecht der alleinigen Regelung durch den anderen Staat überlassen ist. 29 Hat sich der andere Staat indes völkervertragsrechtlich zu einem bestimmten Verhalten verpflichtet oder besteht eine solche Verpflichtung aufgrund zwingendem Völkergewohnheitsrecht, so hat die betreffende Angelegenheit ihren ausschließlich nationalen Charakter verloren;30 die vom Interventionsverbot geschützte alleinige nationale Regelungsbefugnis liegt mithin tatbestandlieh gar nicht vor. 31 Die in der Literatur in diesem Zusammenhang häufig erörterte Frage, ob das Interventionsverbot etwa im menschenrechtlichen Bereich weitergehenden 29 Vgl. Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 493.

30 In diesen Bereich fallen nach herrschender AuffassWlg auch die Menschenrechte,

da diese aufgrWld der zahlreichen internationalen VereinbarWlgen den Charal..."1er einer inneren Angelegenheit verloren haben: Haben Staaten völkerrechtliche Übereinkommen zum Schutz von Menschenrechten abgeschlossen, so stellt die von einer anderen Vertragspartei an sie gerichtete ForderWlg nach ErflillWlg der in jenen Übereinkommen geregelten Schutzvorschriften wegen des GrWldsatzes "pacta SWlt servanda" keine verbotene EinmischWlg in innere Angelegenheiten dar. Doch auch für diejenigen Staaten, die nicht Vertragsstaaten derartiger Abkommen sind, stellen an sie gerichtete AufforderWlgen zur AchtWlg der Menschenrechte keine EinmischWlg in innere Angelegenheiten dar, da sie sich gern. Art. 56 i.V.m. Art. 55 c SVN den VN gegenüber zur "AchtWlg Wld VerwirklichWlg der Menschenrechte Wld GrWldfreiheiten für alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion" verpflichtet haben, dieser Bereich mithin internationalisiert wurde Wld somit nicht mehr der alleinigen nationalen RegelWlgsbefugnis Wlterfällt. (Vgl. hierzu Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 94; Gomig, ÄußerWlgsfreiheit Wld Informationsfreiheit als Menschenrechte, S. 434 f.; Kimminich, Völkerrecht, S. 294). Anderer AuffassWlg hingegen ist die sozialistische Völkerrechtslehre, die nach dem Zusammenbruch der so~etischen Vorherrschaft in Osteuropa Wld der So~etWlion zwar nicht mehr in diesen Staaten, jedoch weiterhin in anderen (z.B. Kuba, VR China, Nordkorea) GeltWlg hat. Dieser Lehre zufolge verbleibt den Staaten uitabhängig von völkerrechtlichen RegelWlgen ein fester Kernbereich zur alleinigen RegelWlg. Dieser Kernbereich umfaßt auch die Menschenrechtspolitik eines Staates, so daß AufforderWlgen zur BeachtWlg der Menschenrechte immer eine WlZUlässige EinmischWlg in die inneren Angelegenheiten darstellen. Demzufolge vermögen selbst vertraglich eingegangene VerptlichtWlgen bzgl. der Menschenrechte die staatliche Souveränität nicht einzuschränken. Somit wird dem Souveränitätsprinzips nicht nur ein Vorrang gegenüber dem internationalen Schutz der Menschenrechte, sondern auch gegenüber dern GrWldsatz "pacta SWlt servanda" eingeräumt. Dieser GrWldsatz ist aber zwingendes Völkerrecht Wld kann nicht einfach durch eine nur von einigen Staaten vertretene Lehre derogiert werden. Vgl. zur AuseinandersetzWlg mit der sozialistischen Völkerrechtslehre im menschenrechtlichen Bereich Gomig, ÄußerWlgsfreiheit Wld Informationsfreiheit als Menschenrechte, S. 434 f. 31 So zutreffend auch Gomig, Handelsembargo, S. 118.

II. Die Verhängung von Wirtschaftssanktionen durch die OSZE

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Schritten als der bloßen Aufforderung zur Beachtung der Menschenrechte nicht im Wege steht, und die hierbei gängige These, daß dies (nur) dann der Fall sei, wenn die Menschenrechtsverletzungen den Umfang und die Schwere eines "consistent pattern of gross and reliably attested violations" annehmen,32 geht letztlich am eigentlichen Problem vorbei: Hat die betreffende Angelegenheit, hier die Menschenrechtsfrage, ihren ausschließlich nationalen Charakter verloren, so stellt sie keine "innere Angelegenheit" mehr dar; die von anderen Staaten zur Durchsetzung der Menschenrechte getroffenen Maßnahmen, seien es nun bloße Aufforderungen zur Einhaltung der Menschenrechte, die Einstellung von Wirtschaftshilfe oder gar die Verhängung eines Handelsembargos können somit schon rein tatbestandlieh nicht in "innere Angelegenheiten" eingreifen. Das Interventionsverbot ist in diesen Fällen gar nicht erst einschlägig, so daß sich Fragen zu seiner Reichweite erübrigen. Ein zum Zwecke der Einhaltung völkervertragsrechtlicher Verpflichtungen bzw. bei Verletzung von erga ornnes wirkenden Normen des Völkergewohnheitsrechts gegen einen anderen Staat erlassenes Handelsembargo verstößt somit nicht gegen das Interventionsverbot. (d) Diskriminierungsverbot Ein Handelsembargo bedeutet immer die wirtschaftliche SchlechtersteIlung desjenigen Staates, der Adressat des Embargos ist. Dies könnte eine unzulässige Diskriminierung darstellen. Eine Diskriminierung liegt immer dann vor, wenn vergleichbare Objekte oder Sachverhalte ungleich behandelt werden und diese Ungleichbehandlung zu einem Nachteil fiir den Betroffenen fuhrt. 33 Eine Aussage über die Völkerrechtswidrigkeit ist damit aber noch nicht getroffen. Ein allgemeines Diskriminierungsverbot existiert im Völkerrecht nicht. Der in Art. 2 Ziff.l SVN festgeschriebene Grundsatz der souveränen Gleichheit aller Staaten bedeutet nur, daß alle Mitglieder der VN die gleiche rechtliche Persönlichkeit besitzen und im Völkerrecht die gleichen Rechte und Pflichten haben,34 soweit nicht vertraglich etwas anderes gilt. 35 Der Grundsatz der 32 Vgl. nur Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 494 mit Verweis auf die Fonnel der ECOSOC-Resolution 1503 (XLVIII) des Wirtschafts- und Sozialrates der VN vom 27.5.1970. 33 Vgl. Kewenig, Der Grundsatz der Nichtdiskriminierung im Völkerrecht der internationalen Handelsbeziehungen, Bd. I: Der Begriff der Diskriminierung (I 972), (zit.: Kewenig, Diskriminierung), S. 29. 34 Im einzelnen werden nach dem Urteil des Ständigen futernationalen Schiedshof vom 13.10.1922 dem Grundsatz der souveränen Gleichheit folgende Prinzipien zugeordnet: Gleiche rechtliche Persönlichkeit, gleiche Rechtsflihigkeit, Prinzip der Ein18 Wenig

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3. Kapitel: Handlungsalternativen

souveränen Gleichheit der Staaten betrifft somit nur deren rechtliche, nicht aber deren wirtschaftliche, politische oder soziale Gleichheit. 36 Ein Anspruch auf materielle Gleichbehandlung läßt sich daher aus dem Grundsatz der souveränen Gleichheit aller Staaten nicht ableiten. Der einzelne Staat ist also hinsichtlich der Gestaltung seiner Beziehungen zu anderen Staaten frei, kann folglich differenzieren und somit auch diskriminieren, soweit er dabei nicht gegen völkerrechtliche Normen verstößt. Eine Einschränkung dieser Freiheit könnte aber im Bereich der internationalen Wirtschaftsbeziehungen vorliegen, da die Staaten in ihren bi- oder multilateralen Wirtschaftsverträgen mit zunehmender Häufigkeit eine Meistbegünstigungsklausel vereinbaren, ohne deren Inhalt näher zu umschreiben. 37 Hieraus könnte man folgern, daß die Aufnahme der Meistbegünstigungsklausel in internationale Handelsverträge bereits zu einer völkergewohnheitsrechtlicheJl Pflicht erstarkt ist. Eine allgemeine Pflicht zur Gewährung von Meistbegünstigung existiert im internationalen Handelsrecht indes nicht. Vielmehr belegt die Tatsache, daß die Vertragsstaaten in den Vertragsverhandlungen die Geltung dieser Klausel in ihren Handelsbeziehungen immer erst aushandeln sowie Gründe für ihr Entfallen festlegen, daß die zur Begründung von Völkergewohnheitsrecht erforderliche opinio iuris gerade fehlt. 38

stinunigkeit, Prinzip der Stimmengleichheit, Prinzip der Immunität und Prinzip der Waffengleichheit. Vgl.: Urteil des Ständigen Internationalen Schiedshof vom 13. 10. 1922 im Streitfall zwischen Norwegen und den Vereinigten Staaten, Reports of International Arbitral Awards, Vol. I, S. 307 ff. 35 Als Beispiel hierfür sei die UNO-Charta genannt, die nur funf von ihren Mitgliedern einen ständigen Sitz im SR mit Vetorecht einräwnt. 36 So erläutert die Friendly Relations-Declaration den Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten dahingehend, daß "(a)ll states enjoy sovereign equality. They have equal rights and duties and are equal members of the international community, notwithstanding differences of an economic, social, political or other nature. " 37 Die Meistbegünstigungsklausel bestimmt, daß sich die Vertragsstaaten gegenseitig all jene handelspolitischen Vergünstigungen einräwnen, die sie einem dritten Staat zugestanden haben oder während der Geltungsdauer des Vertrages zugestehen werden. Gleichzeitig verpflichten sich die Vertragsstaaten, in ihren Rechtssetzungsund Verwaltungsmaßnahmen keinerlei Hindernisse und Benachteiligungen zu verhängen, die nicht in gleicher Weise und unter gleichen Umständen auch fiir ihren Handel mit dritten Staaten gelten. (Vgl. hierzu statt vieler: Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 763 und Gomig, Handelsembargo, S.119). 38 Der Umstand, daß in den entsprechenden Verträgen eine ausfiihrliche DefInition des Inhaltes der Meistbegünstigungsklausel fehlt, besagt lediglich, daß es sich hierbei wn einen im völkerrechtlichen Verkehr so gängigen Begriff handelt, daß sich eine Bestimmung seines Inhaltes erübrigt. So Kewenig, Diskriminierung, S. 46.

ll. Die Verhängung von Wirtschaftssanktionen durch die OSZE

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Somit läßt sich weder aus dem in Art. 2 Ziff. 1 SVN festgelegten Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten noch aus der in zahlreichen Handelsverträgen vereinbarten Meistbegünstigungsklausel ein universell gültiges Diskriminierungsverbot ableiten, gegen das die Verhängung eines HandeIsembargos verstoßen könnte. (e) Das GATI als spezielle völkervertragsrechtliche Schranke Eine Schranke bei der Verhängung eines Embargos könnte sich aber aus den Bestimmungen des allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens GATI hinsichtlich seiner Mitglieder ergeben. In Art. I dieses Abkommens haben sich die nunmehr über 100 Vertragsparteien 39 zur Gewährung einer Meistbegünstigung verpflichtet, die sich auf "die Gesamtheit der Vorschriften und Förmlichkeiten fiir die Einfuhr oder Ausfuhr" bezieht. 40 Diese Vorschrift steht somit einem Handelsembargo entgegen. Allerdings stellt Art. XXI die Vertragsparteien von allen vertraglichen Verpflichtungen frei, sofern eine Spannungssituation in den internationalen Beziehungen besteht und die Maßnahme nach der Ansicht des sie ergreifenden Staates notwendig ist, um seine wesentlichen Sicherheitsinteressen zu schützen. 41 Angesichts der inhaltlichen Weite und Unbestimmtheit dieser Ausnahmeklausel wird sich in der Regel jede aus politischen Gründen verhängte wirtschaftliche Zwangsmaßnahme auf sie stützen können. 42 Das durch Art. I zunächst konstituierte Embargoverbot wird hierdurch faktisch wieder aufgehoben. Die Bestimmungen des GATI stehen somit der Verhängung eines Handelsembargos letztlich nicht entgegen. 39 Hinzu kommen 30 weitere Staaten, die die Vorschriften des GATT auf ihre Handelsbeziehungen de facto anwenden. (Zahlen nach: Der Fischer Weltalmanach '93, Spalte 811). Somit werden mehr als vier Fünftel des Welthandels nach den Bestimmungen des GATT abgewickelt. 40 Die deutsche Fassung der GATT-Bestimmungen fmdet sich bei Liebich, Grundriß des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens GATT (1967), S. 45 f1 41 Art. XXI GATT: "Nothing in the present Agreement shall be construed ... (b) to prevent any contracting party from taking any action which it considers necessary for the protection ofits essential security interests ... (iii) taken in time of war or of other emergency in international relations", BGBl. 1951, Anlageband I zu Teil ll, 4 (39 f.). 42 Kewenig, Die Anwendung wirtschaftlicher Zwangsmaßnalunen im Völkerrecht und im Internationalen Privatrecht, in: Berichte der Deutschen Gesellschaft fiir Völkerrecht, Heft 22 (1982), (zit.: Kewenig, Anwendung wirtschaftlicher Zwangsmaßnahmen),S.19. 1S*

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3. Kapitel: Handlungsalternativen

(f) Handelsverträge

Eine Verpflichtung zu wirtschaftlicher Zusammenarbeit und somit ein Verbot zur Verhängung eines Handelsembargos kann sich aber aus bi- oder multilateralen Handelsverträgen ergeben. Allerdings werden Handelsverträge heutzutage grundsätzlich mit Art. XXI GATI nachgebildeten, inhaltlich unbestimmten Ausnahmeklauseln versehen, durch die die zunächst vereinbarten Handelsverpflichtungen, Gleichbehandlungsstandards und Diskriminierungsverbote praktisch wieder aufgehoben werden. 43 Internationale Handelsvereinbarungen stehen, soweit sie dem GATI inhaltsgleiche Ausnahmeregelungen enthalten, somit aufgrund der inhaltlichen Unbestimmtheit ihrer Ausnahmetatbestände der Verhängung eines Handelsembargo de facto nicht entgegen. Nur in den Ausnahmefällen, in denen die betreffende Handelsvereinbarung keine Ausnahmeregelung enthält bzw. der Ausnahmetatbestand nicht einschlägig ist, ist ein konkrete Vertragsverpflichtungen verletzendes Handelsembargo völkerrechtswidrig. 44 (3) Zwischenergebnis und Rechtfertigungsgründe

Das von einem Staat verhängte Handelsembargo verstößt grundsätzlich nicht gegen Völkervertrags- und Völkergewohnheitsrecht. Eine Ausnahme besteht dann, wenn das Handelsembargo eine Einwirkung auf die alleinige staatliche Entscheidungsfreiheit darstellt oder es eine völkervertragliche Handeisvereinbarung verletzt, fiir die keine Ausnahmeklausel existiert. Doch auch in diesen Fällen steht die Völkerrechtswidrigkeit des Embargos noch nicht abschließend fest. Vielmehr entfällt die zunächst nur indizierte Rechtswidrigkeit, wenn sich der das Embargo verhängende Staat auf völkerrechtliche Rechtfertigungsgrtinde berufen kann. In Betracht kommen die Repressalie oder ein Beschluß des SR nach Art. 41 SVN, der die Mitgliedstaaten zur Verhängung eines Embargos verpflichtet. 45

43 Vgl. Epping, Die Zulässigkeit von Embargomaßnalunen, S.lll; Lindemeyer, Handelsembargo, S. 510. 44 Vgl. hierzu Siegert, Die völkerrechtliche Bewertung wirtschaftlicher Zwangsmaßnahmen, in: Heintze, Von der Koexistenz zur Kooperation, S. 120 f. mit Verweis auf das Nicaragua-Urteil des IGH, Ie] Rep. 184, S. 276. 45 Eine solche Verpflichtung hat nach Art. 103 SVN Vorrang gegenüber den in anderen Verträgen vereinbarten Embargoverboten.

II. Die Verhängung von Wirtschafts sanktionen durch die OSZE

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Hinsichtlich der Repressalie gilt es zu differenzieren: Angesichts des Prinzips der Relativität völkerrechtlicher Pflichten46 könnte man zu dem Ergebnis gelangen, daß eine Repressalie nur durch den Staat gesetzt werden darf, der durch das vorausgegangene Unrecht unmittelbar verletzt worden ist. Schwere Menschenrechtsverstöße in einem Staat könnten somit von einem anderen Staat nicht mit einem Handelsembargo als Repressalie geahndet werden. 47 Allerdings ist heute anerkannt, daß neben den völkerrechtlichen Verpflichtungen, die im bilateralen Verhältnis bestehen, auch solche existieren, deren Einhaltung erga omnes geschuldet wird. 48 Zu prüfen ist aber, ob neben dem zur Durchsetzung dieser Gemeinschaftspflichten in erster Linie zuständigen SR auch Einzelstaaten befugt sind: Im Falle der Verletzung des Gewaltverbots läßt Art. 51 SVN bis zum Tätigwerden des SR nicht nur Notwehrhandlungen des angegriffenen Staates, sondern auch Nothilfemaßnahmen seitens dritter Staaten zu. Werden aber unter dieser Voraussetzung selbst militärische Maßnahmen seitens dritter Staaten für zulässig erachtet, so kann gemäß des maiore ad minus Prinzips für nichtrnilitärische Gegenmaßnahmen dieser Staaten in Form der Verhängung eines Handelsembargos gegen den angreifenden Staat nichts anderes gelten. 49 Inwieweit die Verletzung sonstiger erga omnes Verpflichtungen, wie etwa des Verbots des Genozids, des Schutzes vor Sklaverei und rassischer Diskriminierung, die Staaten zu einzelstaatlichen Gegenmaßnahmen ermächtigt, ist in der UN-Charta nicht geregelt. Bei "eindeutigen und schweren Fällen" der Verletzung solcher Pflichten steht dem Einzelstaat, soweit Kollektivmaßnahmen des SR nicht erfolgen, das Recht zu, nichtrnilitärische Repressalien zum Zwecke der Durchsetzung der Gemeinschaftspflichten zu ergreifen;50 in Fäl46 Vgl. hierzu Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 49. 47 Eine Ausnahme würde nur dann bestehen, wenn sich die Menschenrechtsverletzungen ausschließlich gegen Staatsbürger des sich zum Handelsembargo entschließenden Staates richteten. 48 Vgl. Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 1343. 49 Vgl. Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 1343. 50 Vgl. Frowein, Die Verpflichtungen erga omnes im Völkerrecht und ihre Durchsetzung, in: FS Mosler, S. 246 ff. mit weiteren Verweisen; Kewenig, Anwendung wirtschaftlicher Zwangsmaßnahmen, S. 31; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 1343 und § 754 mit weiteren Verweisen. Zurückhaltender Ipsen, der die erga-omnes bestehenden völkerrechtlichen Verpflichtungen als "problematisch" ansieht und fiir die Verhängung von Repressalien durch dritte Staaten wegen Verletzung solcher Pflichten eine "sorgfältige Einzelprüfung" fordert. Vgl. Ipsen, Völkerrecht, § 36 Rdnr. 54; § 57 Rdnr. 46; § 15 Rdnr. 57. Warnend hingegen Ago, demzufolge man die Gefahren nicht unterschätzen sollte, die sich ergeben, wenn es jedem Staat möglich wäre, Repressalien bei Verletzung von erga-omnes Verpflichtungen durch einen anderen Staat zu ergreifen. Vielmehr sollte die internationale Staatengemeinschaft die Reaktion auf Verletzungen von erga-omnes

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3. Kapitel: Handlungsalternativen

len von "persistent and gross violations" menschenrechtlicher Verpflichtungen gibt es sogar Überlegungen, kollektive militärische Zwangsmaßnahmen auch ohne Ermächtigung des SR als zulässig zu erachten. 51 (4) Ergebnis

Das Völkerrecht steht der Verhängung eines einzelstaatlichen Handelsembargos somit grundsätzlich nicht entgegen. Ein Beschluß des Ministerrates bzw. Hohen Rates, demzufolge die OSZE-Teilnehmerstaaten Wirtschaftssanktionen gegen einen anderen OSZE-Teilnehmerstaat durchzuführen haben, kann insoweit nicht völkerrechtswidrig sein. 52 b) Das OSZE-Handelsembargo und die Beschränkung des Art. 53 SVN

(1) EinjUhrung

Eine Einschränkung der Befugnis der OSZE zur Verhängung von Wirtschaftssanktionen könnte sich aber aus der rur Regionalorganisationen relevanten Regelung des Art. 53 SVN ergeben. Auf ihrem 4. Folgetreffen im Sommer 1992 in Helsinki erklärten die Staats- und Regierungschefs der KSZE-Teilnehmerstaaten die seinerzeit noch KSZE lautende OSZE zu einer "regionalen Abmachung i.S.v. Kapitel VIII der UN-Charta".53 Weiter heißt es

Verpflichtungen dergestalt institutionalisieren, daß anstelle der Staaten internationalen Institutionen die ausschließliche Verantwortlichkeit übertragen wird hinsichtlich der Bestimmung des Vorliegens einer Verletzung von "obligations of basic importance" und der danach zu treffenden Entscheidung, welche Maßnahmen als Reaktion hierauf ergriffen und wie diese durchgesetzt werden. Vgl. Ago, The internationally wrongful act of the State, source of international responsibility (continued); Eighth report on State responsibility, in: YBILC 1979 Wl, S. 43. . 51 Frowein, Legal Consequences for International Law Enforcement in Case of Security Council Inaction, in: Delbruck, The Future of International Law Enforcement: New Scenarios - New Law? (zit.: Frowein, International Law Enforcement), S. 124. Einschränkend Simma, Does the UN Charta provide an Adequate Legal Basis for Individual or Collective Responses to Violations of Obligations erga omnes? in: Delbruck, The Future of International Law Enforcement: New Scenarios - New Law?, S. 125 tf., S. 139 mit Bezug auf Regionalorganisationen. 52 Zu den Einschränkungen vgl. im weiteren S. 288 f. 53 Gipfelerklänmg von Helsinki, 1992, Ziff. 25; Beschlüsse von Helsinki, Abschnitt IV, ZitT. 1. Vgl. hierzu die Ausführungen aufS. 92 ff.

ß. Die Verhängung von Wirtschaftssanktionen durch die OSZE

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in den Beschlüssen von Helsinki, daß die "Rechte und Verantwortlichkeiten des SR in ihrer Gesamtheit unberührt (bleiben). "54 Als Folge des Gewaltmonopols des SR bestimmt Art. 53 Abs. I S. 2 SVN, daß "ohne Ermächtigung des Sicherheitsrates Zwangsmaßnahmen seitens regionaler Abmachungen nicht ergriffen werden dürfen." Dieses Ermächtigungserfordernis bezieht sich nicht nur auf rechtsverbindliche Anordnungen einer Regionalorganisation, sondern auch auf bloße Empfehlungen i.S.v. politisch bindenden Beschlüssen zur Verhängung von Zwangsmaßnahmen. 55 Die Frage ist somit, ob Wirtschaftssanktionen Zwangsmaßnahmen darstellen. (2) Der Inhalt des Begriffs der "Zwangsmaßnahme" in Art. 53 SVN

Artikel 53 SVN liefert keine Definition fiir Zwangsmaßnahmen bzw. "enforcement action", so daß zur Bestimmung des Inhaltes dieses Begriffs zunächst auf Systematik und Entstehungsgeschichte der UN-Charta zurückzugreifen ist. (a) Systematik und Entstehungsgeschichte der UN-Charta Der Begriff der "enforcement action" findet sich außer in Art. 53 SVN auch in Art. 2 Abs. 5, Art. 2 Abs. 7, Art. 45 und Art. 50 SVN. Diese Artikel behandeln die Folgen von Maßnahmen, die vom SR ergriffenen wurden. Der SR kann nach Art. 40 vorläufige, nach Art. 41 nichtmilitärische und nach Art. 42 SVN militärische Maßnahmen treffen. Die Beantwortung der Frage, welche dieser Maßnahmen im Rahmen von Art. 2 Abs. 5, Art. 2 Abs. 7, Art. 45 und Art. 50 SVN als "enforcement action" angesehen werden, könnte Rückschlüsse auf die Bedeutung dieses auch in Art. 53 SVN verwendeten Begriffs zulassen: Art. 2 Abs. 5 SVN verbietet Mitgliedstaaten dem Staat Nothilfe zu leisten, gegen den Vorbeugungs- oder Zwangsmaßnahmen getroffen worden sind. Eine Beschränkung der Zwangsmaßnahmen auf militärische Handlungen würde bedeuten, daß Mitgliedstaaten einem Staat Beistand leisten könnten, 54 Gipfelerklärung von Helsinki, 1992, Ziff. 25; Beschlüsse von Helsinki, Abschnitt IV, Ziff. 1. 55 Ausschlaggebend ist also nicht die rechtliche Qualifikation der Grundlage der Zwangsmaßnahme, sondern die Tatsache, daß "mit der zur Durchführung kommenden Maßnahme Zwang auf den Adressaten ausgeübt wird." Beyerlin, Regionalabkommen, Rdnr.6.

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3. Kapitel: Handlungsaltemativen

gegen den der SR wirtschaftliche Sanktionen verhängt hat. Ein solches Unterlaufen von SR-Beschlüssen kann nicht im Interesse der UN-Charta liegen. 56 Hinsichtlich Art. 2 Abs. 7 SVN würde eine Beschränkung der Zwangsmittel auf militärische Maßnahmen zu dem widersprüchlichen Ergebnis führen, daß der SR das Interventionsverbot nur mit militärischen, nicht aber mit den weniger einschneidenden Mitteln des Art. 41 SVN überwinden könnte. 57 Art. 50 SVN schließlich gibt jedem Staat das Recht, den SR zu konsultieren, wenn ihn die vom SR ergriffene Maßnahme vor besondere wirtschaftliche Probleme stellt. Eine restriktive Auslegung des Begriffs der Zwangsmaßnahme auf militärische Maßnahmen würde bedeuten, daß gerade bei wirtschaftlichen Sanktionen des SR, die einen Drittstaat wirtschaftlich unter Umständen noch schwerer beeinträchtigen können als die Anwendung militärischer Gewalt, kein Konsultationsrecht des betroffenen Staates bestünde. 58 In allen drei Fällen umfaßt somit der Begriff Zwangsmaßnahme auch nichtmilitärische Maßnahmen, mithin auch die hier in Frage stehenden Wirtschaftssanktione.n. Eine Übertragung dieser Auslegung auch auf Art. 53 SVN ist allerdings nicht zwingend. Zum einen ist zu berücksichtigen, daß die unterschiedlichen Abschnitte der Charta in San Francisco von unterschiedlichen Ausschüssen entworfen wurden. Eine gemeinsame Auffassung, daß sich Art. 53 SVN auch auf nichtmilitärische Maßnahmen bezieht, bestand in San Francisco nicht. 59 Zum anderen zeigt Art. 45 SVN, daß der Begriff der Zwangsmaßnahme auch ausschließlich militärische Bedeutung haben kann. Schließlich könnte man auch argumentieren, daß Art. 53 SVN im Zusammenhang mit dem in ihm entweder ausdrücklich oder konkludent erwähnten Art. 51 und Art. 107 SVN zu lesen sei, die militärische Zwangsmaßnahmen gegen Feindstaaten betreffen. 6o Hieraus könnte man folgern, daß sich die in Art. 53

56 Vgl. Akehurst, Enforcement Action by Regional Agencies, with Special Reference to the Organization of American States, in: BYIL 1967 (zit.: Akehurst, Enforcement Action), S. 186 mit Verweis auf Rama, in: Anuario Uruguayo de Derecho Internacional (1963), S. 386. 57 Vgl. Pernice, Sicherung des Weltfriedens, S. 114; Akehurst, 'Enforcement Action, S. 186 f 58 Akehurst, Enforcement Action, S.186 mit Verweis auf Ruda, in: Anuario Uruguayo de Derecho Intemacional (1962), S. 48 f; Pernice, Sicherung des Weltfriedens, S. 115. 59 Akehurst, Enforcement Action, S.187 mit Verweis auf die Haltung des Delegierten Uruguays. 60 Jimenez de Arechaga. La Coordination des Systemes de l'ONU et de l'Organisation des Etats Amercains pour le Reglement Pacifique des Differends et la Securite Collective, in: Academie de Droit International, Recueil des Cours (1964), (zit.: Jimenez de Arechaga. Reglement Pacifique des Differends), S. 479.

II. Die Verhängung von Wirtschaftssanktionen durch die OSZE

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SVN erwähnten Zwangsmaßnahmen nur auf militärische Maßnahmen beziehen. 61 Andererseits könnte man auch einen systematischen Vergleich zwischen Kapitel VII und Kapitel VI der UN-Charta auf der einen Seite und Art. 53 und Art. 52 SVN auf der anderen Seite anstellen. Kapitel VII stellt Maßnahmen nach Art. 41 und Art. 42 SVN den Mitteln der friedlichen Streitbeilegung i.S.v. Kapitel VI gegenüber. Art. 52 SVN wiederum bestimmt, daß Mitglieder der VN, die eine Regionalorganisation schaffen, "sich nach besten Kräften bemühen (werden), durch Inanspruchnahme dieser Abmachungen oder Einrichtungen örtlich begrenzte Streitigkeiten friedlich beizulegen, bevor sie den Sicherheitsrat damit befassen." Hierin könnte man eine Beschränkung der Regionalorganisationen auf die Beilegung von Streitigkeiten mit den in Art. 33 SVN niedergelegten Streitbeilegungstechniken sehen, denen die Mittel des wirtschaftlichen, diplomatischen und militärischen Drucks i. S. einer Zwangsmaßnahme des Art. 53 SVN gegenüberstehen. 62 Allerdings ist eine Beschränkung der von der Regionalorganisation zu ergreifenden Maßnahmen auf die in Art. 33 SVN erwähnten Streitbeilegungsmaßnahmen nicht unbedingt zwingend. Ebensogut kann der in Art. 52 Abs. 2 SVN verwandte Begriff der "friedlichen" Streitbeilegung eine Abgrenzung zur gewaltsamen Streitbeilegung darstellen. Gewalt i.S. der UN-Charta ist hingegen nur die militärische Gewalt63 , so daß den Regionalorganisationen die Befugnis zur Verhängung wirtschaftlicher Sanktionen verbliebe. Als Zwischenergebnis bleibt festzuhalten, daß sich aus der Entstehungsgeschichte und der Systematik der UN-Charta keine eindeutige Antwort auf die Frage finden läßt, ob Wirtschaftssanktionen dem Begriff der Zwangsmaßnahmen in Art. 53 unterfallen. (b) Die Praxis des UN-Sicherheitsrates

Ein Aufschluß über die Reichweite des Begriffs der Zwangsmaßnahme in Art. 53 SVN könnte sich indes aus der Praxis des UN-Sicherheitsrates ergeben:

61 Jimenez de Arechaga, Reglement Pacifique des Differends, S. 479 f. Allerdings läßt sich einwenden, daß die in Art. 53 Abs. 1 S. 2 SVN angesprochenen "Maßnahmen gegen die Wiederaufnahme einer Angriffspolitik eines Feindstaates" nicht immer ausschließlich militärischer Natur sein müssen, vgl. hierzu Akehurst, Enforcement Action, S. 188 sowie Ress, in: Simma, Charta der VN, Art. 53 Rdnr. 14. 62 So Pemice, Sicherung des Weltfriedens, S. 114. 63 Vgl. hierzu die Ausflihrungen aufS. 269 f.

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3. Kapitel: HandlWlgsalternativen

Anläßlich des Handelsembargos der OAS gegen die Dominikanische Republik im Jahre 196064 vertrat die Sowjetunion die Auffassung, daß es sich hierbei um Zwangsmaßnahmen i.S.v. Art. 53 SVN handele, die einer Ermächtigung durch den SR bedürften. Die Vereinigten Staaten hingegen argumentierten, daß sich der Begriff der Zwangsmaßnahmen in Art. 53 SVN nur auf militärische Aktionen beziehe, wirtschaftliche Maßnahmen daher diesem Begriff nicht unterlielen und somit fiir ihre Verhängung keine Ermächtigung durch den SR erforderlich sei. Auf Vorschlag der USA begnügte sich der SR in seiner mit neun Stimmen gegenüber zwei Enthaltungen (UdSSR und Polen) angenommenen Resolution 44491 vom 4. November 1961, den Bericht des Generalsekretärs der OAS lediglich "zur Kenntnis zu nehmen." Während die Vereinigten Staaten hierin einen klaren Beweis fiir die Richtigkeit ihrer Auffassung sahen, betonte die Sowjetunion, daß der SR die entscheidende Frage, ob Wirtschaftssanktionen Zwangsmaßnahmen i.S.d. Art. 53 SVN darstellen, gerade offengelassen und somit keine Präzedenzentscheidung getroffen habe. 65 Eine Klärung dieser Frage konnte auch ein Jahr später nicht erreicht werden, als die OAS wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen gegen Kuba verhängte. 66 Zwar hatte sich Kuba am 8. März 1962 an den SR mit der Bitte gewandt, daß dieser vom IGH ein Gutachten anfordern solle, in dem neben mehreren Fragen betreffend die Legalität der OAS-Maßnahmen insbesondere die Frage geklärt werden sollte, ob Wirtschaftssanktionen Zwangsmaßnahmen i.S.v. Art 53 SVN darstellen und ihre Verhängung somit der Ermächtigung durch den SR bedürfe. Diese Bitte, über die man hinsichtlich der Definitionsfrage sogar gesondert abstimmte, wurde jedoch vom SR abgelehnt, ein Gutachten des IGH zur Klärung der Streitfrage mithin nie angefordert. 67 Das Abstimmungsverhalten im SR hinsichtlich der Wirtschaftssanktionen gegen die Dominikanische Republik spricht zwar fiir eine restriktive Auslegung des Begriffs der "Zwangsmaßnahmen" i.S.v. Art 53 SVN, doch zeigt die gegenteilige Auffassung der Sowjetunion sowie die auch von den Vereinigten Staaten unterstützte Weigerung des SR, diese Definitionsfrage dem IGH vorzulegen,68 daß im SR keine gemeinsame Meinung hinsichtlich der inhaltlichen Reichweite dieses Begriffs bestand.

64 Vgl. hierzu Akehurst, EnforcementAction, S.188 f1 65 Vgl. hierzu Akehurst, Enforcement Action, S. 190. 66 Zu den Einzelheiten vgl. Akehurst, Enforcement Action, S. 190 ff. 67 Vgl. Akehurst, Enforcement Action, S.191. 68 Zu den Hintergründen dieser WeigefWlg vgl. Akehurst, Enforcement Action, S.192.

11. Die Verhängung von Wirtschaftssanktionen durch die OSZE

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(c) Die Bestimmung des Begriffs der "Zwangsmaßnahme" anhand der Ziele und Grundsätze der UN-Charta Als Ansatzpunkt fiir die Lösung der Frage, ob Wirtschaftssanktionen Zwangsmaßnahmen i.S.v. Art 53 SVN darstellen, kann schließlich noch auf die in Art. 52 SVN festgeschriebene grundsätzliche Überlegung zugegriffen werden, daß das Wirken der Regionalorganisation "mit den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen vereinbar (sein muß)." Oberstes Ziel der VN ist die "Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit". Die Hauptverantwortung fiir die Erreichung dieses Ziels liegt beim SR, welcher hierzu auf die ihm in Kapitel VI-VII und XII aufgefiihrten Befugnisse zurückgreifen kann. Kapitel VII statuiert zwei Entscheidungsprärogativen und eine Durchsetzungskompetenz des SR:69 So besitzt der SR das Recht, darüber zu entscheiden, ob eine Bedrohung oder ein Bruch des Friedens vorliegt und ob und welche Maßnahmen ergriffen werden, um den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren oder wiederherzustellen. Zudem obliegt dem SR die Durchsetzung militärischer Zwangsmaßnahmen nach Art. 42 SVN. Dem Wortlaut nach räumt Art. 52 den Regionalorganisationen eine eigene Kompetenz nur hinsichtlich der ersten Entscheidungsprärogative ein, nämlich hinsichtlich der Beantwortung der Frage, ob eine Streitigkeit, also eine die Wahrung des Weltfrieden und der internationalen Sicherheit betreffende Angelegenheit vorliegt. Eine ausdrückliche Befugnis der Regionalorganisationen zur Verhängung von Maßnahmen, deren Ziel es ist, den entgegenstehenden Willen des Maßnahmenadressaten zu beugen, um ihn so zu einem friedlichen Verhalten zu zwingen, findet sich hingegen in Art. 52 SVN nicht. Hieraus könnte man nun folgern, daß die Kompetenz zur Verhängung solcher Maßnahmen beim SR verblieben ist. Stellt nun Art. 53 Abs. 1 S. 2 SVN fest, daß Zwangsmaßnahmen von Regionalorganisationen nur mit Ermächtigung des SR ergriffen werden, so könnte man schlußfolgern, daß diesen Maßnahmen angesichts der oben angenommenen ausschließlichen Zuständigkeit des SR nicht nur militärische, sondern auch die hier in Frage stehenden wirtschaftlichen Sanktionen unterfallen. 70 Ansatzpunkt dieser Überlegung ist somit, daß den Regionalorganisationen zur Verhängung von Maßnahmen

69 Wolfrom, Der Beitrag regionaler Abmachungen, S. 581.

70 So Wolf1., Regional Arrangements and the UN-Charter; in: Bernhardt, EPIL, Instalment 6 (1983), (zit.: Wolf J. Regional Arrangements), S. 292; Beyerlin, Regionalabkommen, Rdnr. 6; Ress, in: Simma, Charta der VN, Art. 53 Rdnr. 14; Pernice, Sicherung des Weltfriedens, S.11O ff., 115.

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3. Kapitel: Handlungsalternativen

i.S.d. Art. 41 und Art. 42 SVN kein Raum verbleibt, soweit ihnen dies nicht in einer Sondervorschrift der UN-Charta gestattet ist. 71 Diese Überlegung ist hinsichtlich militärischer Zwangsmaßnahmen überzeugend, postuliert doch Art. 2 Ziff. 4 SVN ein grundsätzliches Verbot der Drohung mit oder Ausübung von militärischer Gewalt, das lediglich in den Fällen des Art. 51 SVN bzw. infolge des Gewaltmonopols des SR durchbroehen wird. 72 Wird also in Art. 2 Ziff. 4 SVN den einzelnen Staaten die Androhung und Anwendung von Gewalt verboten, so ist es logisch, dieses Verbot auch auf die Regionalorganisationen zu übertragen, da ansonsten die Gefahr bestünde, daß es sich bei militärischen Maßnahmen einer Regionalorganisation um getarnte Gewaltanwendung eines Einzelstaates handelt, jener Staat also mit Hilfe der Regionalorganisation das erreichen könnte, was ihm nach Art. 2 Ziff. 4 SVN untersagt ist. 73 Der maßgebliche Unterschied zwischen militärischen und wirtschaftlichen Zwangsmaßnahmen besteht aber darin, daß im Völkerrecht einschließlich der UN-Charta kein grundsätzliches Verbot der Verhängung von Wirtschaftssanktionen durch Einzelstaaten existiert. 74 Eine ausschließliche Kompetenz des SR zur Verhängung von Wirtschaftssanktionen existiert somit nicht. Vielmehr können die Staaten Wirtschaftssanktionen gegen andere Staaten verhängen, sofern sie hierbei nicht in einen Bereich eingreifen, der nach dem Völkerrecht der ausschließlichen Zuständigkeit des Sanktionsadressaten unterfallt. 75 Einzelstaatliche Wirtschaftssanktionen sind mithin immer dann zulässig, wenn sie zum Zwecke der Einhaltung völkervertragsrechtlicher Verpflichtungen bzw. bei Verletzung von erga omnes wirkenden Normen des Völkergewohnheitsrechts verhängt werden. 76 Wenn aber Staaten in der Lage sind, völkerrechtliche Normen immerhin mittels wirtschaftlicher Sanktionen,

71

Pemice, Sicherung des Weltfriedens, S. 112.

72 Die dritte Ausnahme, die Durchfiihrung militärischer Aktionen gegen einen

Feindstaat nach Art. 53 Abs. I S. 2, 2. HS sowie Art. 107 SVN besitzt heutzutage keine praktische Relevanz mehr. Vgl. hierzu Ress, in: Simma, Charta der VN, Art. 53 Rdnr. 12,47. 73 Vgl. Jimenez de Arechaga. Reglement Pacifique des Differends, S. 480; Akehurst, Enforcement Action, S. 195. 74 So auch Frowein, International Law Enforcement, S. 121; Akehurst, Enforcement Action, S. 195 f. 75 Vgl. hierzu die AusfUhrungen auf S. 268 f[ und 278. 76 Sofern hierbei vertragliche Handelsverpflichtungen verletzt werden, kann sich der das Handelsembargo verhängende Staat wegen des Grundsatzes "pacta sunt servanda" zwar nicht mehr darauf berufen, der in Art. 2 Abs. 2 SVN niedergelegte Grundsatz der Souveränität erlaube es ihm, seine wirtschaftlichen Beziehungen so zu gestalten, wie er es wolle, doch kommt in diesen Fällen der völkerrechtliche Rechtfertigungsgrund der Repressalie in Betracht. Vgl. hierzu die Ausführungen aufS. 276 f[

II. Die Verhängung von Wirtschaftssanktionen durch die OSZE

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und sei es auch nur in Form von Repressalien durchzusetzen, dann kann es auch Regionalorganisationen nicht verwehrt sein, derartige Maßnahmen zu ergreifen. 77 Daher ist es folgerichtig, den Begriff der Zwangsmaßnahmen i. S. v. Art 53 SVN nur auf militärische, nicht aber auf wirtschaftliche Sanktionen zu begrenzen. 78 Diese Schlußfolgerung läßt sich auch durch eine weitere Überlegung untermauern: Würde der Begriff der Zwangsmaßnahme auch Wirtschaftssanktionen umfassen, so hätte dies zur Folge, daß die in einer Regionalorganisation zusammengefaßten Staaten für die Verhängung wirtschaftlicher Sanktionen eine Ermächtigung des SR bräuchten, während für nicht organisierte Staaten dieses Erfordernis entfiele. 79 Organisierte Staaten wären im Vergleich zu den nicht organisierten Staaten in ihrer Entscheidungsfreiheit und somit ihrer Souveränität beschränkt., was einer Verletzung des in Art. 2 Ziff. 2 SVN niedergelegten Grundsatzes der souveränen Gleichheit aller Staaten gleichkäme. 80 Hiergegen ließe sich indes einwenden, daß diese Beschränkung gerechtfertigt sei, da wirtschaftliche Sanktionen, die von einer regionalen Staatengruppe gegen einen Staat der Region verhängt werden, ungleich schwerwiegender

77 Wolfrom, Der Beitrag regionaler AbmachWlgen, S. 583. Vgl. auch Frowein, International Law Enforcement, S. 122; Akehurst, Enforcement Action, S. 195 f. mit Verweis auf die Argumentation des Vertreters des Vereinigten Königreiches im SR während der BehandlWlg der Sanktionen der OAS gegen die Dominikanische Republik, derzufolge "no corresponding reason why regional agencies should need Security Council authorization to do things which any State could lawfully do on its own" ersichtlich ist. Ebenso die Ausfiihrung von Jimenez de Arechaga, Reglement Pacifique des Differends, S. 480: "Mais il serait depourvu du sens de pretendre imposer aux organismes regionaux une dependance et subordination totales dans leur action politique, economique et diplomatique, alors que l'Organisation des Nations Unies ne peut empecher les Etats, agissant individuellement ou par groupes regionaux, de pratiquer cette forme d'action internationale. " 78 So Jimenez de Arechaga, Reglement Pacifique des Differends, S. 480 ff, Akehurst, Enforcement Action, S. 195 f hn Ergebnis ebenso Wolfrom, Der Beitrag regionaler AbmachWlgen, S. 583; ders., Vereinte Nationen: Agenda filr die Weiterentwicklung des Völkerrechts, in: Souchon, Völkerrecht und Sicherheit, S. 71; Frowein, International Law Enforcement, S. 122. Der Auffassung Genschers, auch Wirtschaftssanktionen unterfielen den Zwangsmaßnahmen und könnten daher von der KSZE nicht ohne Ermächtigung des SR vorgenommen werden, kann daher nicht gefolgt werden, vgl. Genseher, Die KSZE als regionale Abmachung im Sinne von Kapitel VIIl der Charta der Vereinten Nationen, in: Recht und Pflicht, DetlefKleinert zum 60. Geburtstag, S. 23. Allerdings räumt Genscher im darauffolgenden Satz ein, daß es "zu einer eindeutigen Auslegung des Begriffs Zwangsmaßnahmen niemals gekommen ist." 79 Akehurst, Enforcement Action, S. 196. 80 Vgl. Jimenez de Arechaga, Reglement Pacifique des Differends, S. 481.

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3. Kapitel: HandlWlgsalternativen

seien als das Vorgehen eines Einzelstaates. 81 Ein derartiger Einwand ist jedoch in dieser Allgemeinheit nicht haltbar, da wirtschaftliche Maßnahmen einer Supermacht durchaus schwerwiegendere Auswirkungen fiir den Sanktionsadressaten haben können als die Maßnahmen einer aus wirtschaftlich schwachen Staaten bestehenden Regionalorganisation. 82 Außerdem zielt der Einwand in die falsche Richtung, da es hier in erster Linie nicht um die Abgrenzung zwischen einzelstaatlichen und kollektiven Wirtschaftssanktionen geht, sondern um den Unterschied zwischen wirtschaftlichen Sanktionen, die von Staaten verhängt werden, die in einer Regionalorganisation zusammengeschlossenen sind und solchen Staaten, denen ein organisatorischer Zusarnrnenschluß fehlt. 83 Der Zusarnrnenschluß bürgt sicherlich fiir ein gleiches Vorgehen der Mitglieder, doch kann ein solches Verhalten auch ohne organisatorischen Zusarnrnenschluß vorliegen, insbesondere in den Fällen, in denen der Sanktionsadressat erga ornnes-Verpflichtungen verletzt hat. Wirtschaftssanktionen kann die Regionalorganisation indes nur gegen ihre Mitglieder verhängen. 84 Diese Einschränkung folgt aus Art. 52 Abs. 2 SVN, der die Kompetenz der Regionalorganisation zur Streitbeilegung auf "örtliche", also regionale Streitigkeiten begrenzt. Da den Regionalorganisationen in der UN-Charta keine bestimmten Weltregionen zur regionalen Friedenssicherung zugewiesen werden, kann sich der Zuständigkeitsbereich der Regionalorganisation nur aus ihrer rnitgliedschaftlichen Zusammensetzung ergeben. 85

81 Pemice, SicherlUlg des Weltfriedens, S. 112. Dieser Einwand war bereits während der SR-BeratWlgen im März 1962 vom so\\jetischen Vertreter Morozov vorgebracht worden, vgl. hierzu Akehurst, Enforcement Action, S. 196; Jimenez de Arechaga. Reglement Pacifique des Differends, S. 475. 82 Akehurst, Enforcement Action, S. 196. 83 Die Bezugnahme auf nichtorganisierte Staaten als Vergleichskomponente fmdet sich auch bei Jimenez de Arechaga. Reglement Pacifique des Differends,. S. 480 f. 84 Hummer/Schweizer, in: Simma, Charta VN, Art 52 Rdnr. 34; Wolfrum, Der Beitrag regionaler AbmachWlgen, S. 580; Pemice, SicherlUlg des Weltfriedens, S. 79, 127; Beyerlin, Regionalabkommen, Rdnr. 9, Wolf J., Regional Arrangements, S. 294. Auf der anderen Seite folgt aus der Bezugnahme des Art. 52 Abs. 4 SVN auf die Art. 34 Wld 35 SVN, daß die StreitbeilegWlgskompetenz der Regionalorganisation sich nicht nur auf zwischen ihren Mitgliedstaaten bestehende "Streitigkeiten" bezieht, sondern auch die in Art. 34 Wld 35 SVN erwähnten "Situationen", also interne Konflikte wie Bürgerkrieg oder Putsch, mitumfaßt. Vgl. hierzu Hummer/Schweizer, in: Simma, Charta der VN, Art 52 Rdnr. 34; Beyerlin, Regionalabkommen, Rdnr. 5. 85 Pemice, Sicherung des Weltfriedens, S. 24, 79. Die Tatsache, daß ein Staat geographisch innerhalb einer Region liegt, ist somit filr sich allein nicht ausreichend, um seitens der Regionalorganisation in völkerrechtlich zulässiger Weise Maßnahmen gegen ihn zur "Sicherung des Friedens in der Region" zu ergreifen. Vgl. auch Hum-

1I. Die Verhängung von Wirtschaftssanktionen durch die OSZE

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Der Haupteinwand gegen die Verhängung von Wirtschaftssanktionen durch Regionalorganisationen basiert auf dem Gedanken, daß die Regionalorganisation infolge fehlender zentraler Kontrolle und Absicherung· durch die in der UNO zusammengefaßte Staatenmehrheit "willkürliche Zwangsmaßnahmen" verhängen kann und so die Gefahr einer Ausdehnung und Intensivierung der Friedensstörung erhöht wird. 86 Um sich mit diesem Einwand auseinandersetzen zu können, seien noch einmal die Voraussetzungen fiir die Verhängung von Wirtschaftssanktionen in Erinnerung gerufen: Ausgangspunkt war die Erkenntnis, daß Einzelstaaten wirtschaftliche Sanktionen verhängen können, soweit sie hierdurch nicht in Bereiche eingreifen, die der ausschließlichen Regelung des Sanktionsadressaten unterliegen. Überträgt man diese Befugnis zur Verhängung von Wirtschaftssanktionen nun auf zwischenstaatliche Zusammenschlüsse, so muß die vorgenannte, hinsichtlich der Einzelstaaten getroffene Einschränkung ebenfalls mitübertragen werden. Andernfalls bestünde die Gefahr, daß die Regionalorganisation bei der Verhängung der betreffenden Wirtschaftssanktionen gegen das aus Art. 2 Ziff. I SVN abgeleitete Interventionsverbot verstößt, ihr Wirken wäre dann nicht mehr gern. Art 52 SVN "mit den Grundsätzen der Vereinten Nationen vereinbar." Wirtschaftliche Sanktionen können von einer Regionalorganisation somit nur zum Zwecke der Einhaltung völkervertragsrechtlicher Verpflichtungen bzw. bei Verletzung von erga omnes wirkenden Normen des Völkergewohnheitsrechts verhängt werden. 87 Durch diese normative Einschränkung wird nicht nur die Gefahr "willkürlicher" Zwangsmaßnahmen ausgeschlossen, sondern auch die Gefahr einer "Ausdehnung und Intensivierung der Friedensstörung": Wer erga omnes-Normen, wenn auch in dezentraler Form durchsetzt, stört nicht den Frieden, sondern bemüht sich um seine Wiederherstellung. Sollten dennoch willkürliche, d.h. nicht völkerrechtsgemäße Sanktionen von einer Regionalorganisation beschlossen werden, so bleibt es dem SR, der nach Art. 54 SVN über jede von der Regionalorganisation beabsichtigte oder ergriffene Maßnahme zu informieren ist, unbenommen, den Teilnehmerstaaten der Regionalorganisation die Durchfiihrung der Beschlüsse der Regionalorganisation gemäß Art. 25 SVN bindend zu untersagen. mer/Schweizer, in: Simma, Charta der VN, Art 52 Rdnr. 34; Wolf J., Regional Arrangements, S. 294; a. A. aber Akehurst, Enforcement Action, S. 219 f1 86 Pemice, Sicherung des Weltfriedens, S. 112. 87 Zu weit daher Jimenez de Arechaga. Reglement Pacifique des Differends, S. 481, demzufolge "l'autorisation du Conseil de Securite n'est necessaire que pour une forme d'action qui, en l'absence de cette autorisation, serait contraire aux principles de la Charte et interdite aux Etats, a savoir l'utilisation ou la menace de la force armee, sauf en cas de legitime defense" und der somit die Verhängung wirtschaftlicher Sanktionen keinerlei Einschränkungen unterwirft.

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3. Kapitel: HandlWlgsalternativen

(3) Ergebnis

Soweit einzel staatliche wirtschaftliche Sanktionen völkerrechtlich zulässig sind, gilt dies auch fur kollektive wirtschaftliche Sanktionen einer Regionalorganisation. 88 Wirtschaftssanktionen in diesem Sinne stellen keine Zwangsmaßnahmen i.S.v. Art 53 SVN dar und können somit von einer Regionalorganisation auch ohne Ermächtigung des SR gegen ihre Mitgliedstaaten beschlossen werden. 89 c) Die Berücksichtigung des auOerrechtlichen Charakters der OSZE

Wie ausgefiihrt sind Wirtschaftssanktionen einer Regionalorganisation gegen ihre Mitgliedsstaaten nur dann zulässig, wenn sie zum Zwecke der Einhaltung völkervertragsrechtlicher Verpflichtungen bzw. bei Verletzung von erga omnes wirkenden Normen des Völkergewohnheitsrechts verhängt werden. Voraussetzung ist also, daß der Sanktionsadressat durch völkerrechtlichen Vertrag oder durch die Entstehung von Völkergewohnheitsrecht die ausschließliche Regelungsbefugnis über die betroffene Materie verloren hat. Die Ausarbeitung und Annahme von OSZE-Dokumenten allein kann jedoch aufgrund des außerrechtlichen Charakters dieser Schriftstücke nie zu einem Verlust der ausschließlichen Regelungsbefugnis des Staates hinsichtlich der in ihnen geregelten Materien fuhren. Hieraus folgt, daß die OSZE Wirtschaftssanktionen gegen einen ihrer Teilnehmerstaaten nur dann verhängen kann, wenn dieser Staat OSZE-Bestimmungen zum Schutze von Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in "eindeutiger, grober und nicht behobener"90 Weise verletzt hat und zudem eine völkerrechtliche Verpflichtung des OSZE-Teilnehmerstaates zur Beachtung dieser Norm besteht. 91 Soweit die

88 So auch das Ergebnis Wlter anderem von Wolfrom, Der Beitrag regionaler AbmachWlgen, S. 582; Frowein, International Law Enforcement, S. 122 sowie Schröder, Wirtschaftssanktionen, S. 121, hinsichtlich Wirtschaftssanktionen der EG. 89 Dieses Ergebnis steht auch im Einklang mit der Praxis der VN, deren Mitglieder die Zulässigkeit der ebenfalls rechtlich nicht bindenden Beschlüsse der GV zur Verhängoog von Embargomaßnahmen gegen Rhodesien, Portugal, Südafrika Wld Jugoslawien bisher nicht mit dem Argument einer Verletzung des Monopols des SR fur die VerhängWlg von Zwangsmaßnahmen ·bestritten haben. Vgl. hierzu Lindemeyer, Handeisembargo, S.474; Akehurst, Enforcement Action, S.197. 90 Prager Beschlüsse Abschnitt IV, Ziff. 16 91 Da im Rahmen der OSZE bisher noch keine völkerrechtlich verbindlichen Verträge über den Schutz von Menschenrechten, Demokratie oder Rechtsstaatlichkeit abgeschlossen worden sind Wld die in den Dokumenten der menschlichen Dimension geregelten OSZE-spezifischen BestimmWlgen noch nicht zu Völkergewohnheitsrecht erstarkt sind, kommt nur die Übernahme dieser RegelWlgen in zwischen den TeiIneh-

II. Die Verhängung von Wirtschaftssanktionen dw-ch die OSZE

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verletzte Norm ihre Geltung nur aus den lediglich politisch verbindlichen OSZE-Dokumenten ableitet, mithin auf keiner völkerrechtlichen Grundlage beruht, kann die OSZE aufgrund ihres außerrechtlichen Charakters keine wirtschaftlichen Sanktionen gegen einen ihrer Teilnehmerstaaten verhängen. Etwaige Maßnahmen dieser Art durch die OSZE würden angesichts der Tatsache, daß keine Rechtspflicht zur Erfiillung "originärer" OSZE-Norm besteht, die Verletzung derartiger Normen somit kein der Verhängung von Repressalien zugängliches Völkerrechtsdelikt darstellt, in unzulässiger Weise in die Rechte des betroffenen Staates eingreifen und wären daher völkerrechtswidrig. Ein Beschluß des Ministerrates oder des Hohen Rates, der die Teilnehmerstaaten zu einer völkerrechtswidrigen Verhängung von Embargomaßnahmen aufrufen würde, wäre selbst völkerrechtswidrig. d) Ergebnis

Die OSZE besitzt somit aus völkerrechtlichen Gesichtspunkten die Möglichkeit, ohne vorherigen SR-Beschluß nach Art. 41 SVN oder Ermächtigung durch den SR nach Art. 53 Abs. 1 S. 2 SVN, im Rahmen des "Konsens-minuseins" Verfahrens einen Beschluß zur Verhängung von Wirtschaftssanktionen gegen einen ihrer Teilnehmerstaaten zu treffen, sofern dieser eine Norm aus dem Bereich der menschlichen Dimension verletzt hat, zu deren Beachtung er völkerrechtlich verpflichtet ist. Aufgrund des außerrechtlichen Charakters der OSZE obliegt es den übrigen Teilnehmerstaaten, diesen für sie politisch bindenden Beschluß durch entsprechende innerstaatliche Maßnahmen umzusetzen. Der OSZE bleibt es unbenommen, vor einem derartigen Beschluß die Zustimmung des SR einzuholen, um ihrem Beschluß eine größere Legitimationsbasis zu geben; völkerrechtlich zwingend ist dies jedoch nicht. 3. Die Effizienz von Wirtschaftssanktionen Eine andere Frage ist, inwieweit Wirtschaftssanktionen den Aggressor insbesondere in ethnischen Konflikten tatsächlich zum Einlenken zwingen können.

merstaaten abgeschlossenen Völkerrechtsverträgen in Betracht. Der deutschungarische Freundschaftsvertrag, dw-ch den die in OSZE-Dolrumenten niedergelegten Bestimmungen zum Schutz von nationalen Minderheiten in bilateral geltendes Völkerrecht transformiert wurden, ist ein solcher Fall. Vgl. hierzu S. 67 ff. und 75 ff. 19 Wenig

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3. Kapitel: HandlWlgsalternativen

a) Die begrenzte EffIZienz regionaler Wirtschaftssanktionen

Zunächst gilt es festzuhalten, daß wirtschaftlichen Zwangsmaßnahmen einer regionalen Abmachung wie der OSZE92 die Allgemeinverbindlichkeit entsprechender Maßnahmen des Sicherheitsrates fehlt. Sie werden sich daher stets als weniger effektiv erweisen und nur dann zum Tragen kommen, wenn im Sicherheitsrat eine Entscheidung nicht zu erreichen ist. 93 b) Der Grundsatz der Verhängung von Wirtschaftssanktionen und seine praktische Relevanz im Jugoslawienkonßikt

Die Verhängung wirtschaftlicher Sanktionen hat das Ziel, die Wirtschaft des betroffenen Staates so stark zu schädigen, daß die Regierung jenes Landes entweder von sich aus oder unter dem Druck der durch den wirtschaftlichen Niedergang in ihrem Besitzstand gefährdeten Bevölkerung ihr normwidriges Verhalten beendet. Der Einsatz wirtschaftlicher Zwangsmittel basiert also letztlich auf dem Gedanken, daß kein Staat gegen seine eigenen ökonomischen Interessen handeln wird. Im Jugoslawienkonflikt wie auch in anderen Konflikten zuvor, ging diese Rechnung allerdings nicht auf: Serbien handelte offen und entschlossen gegen seine wirtschaftlichen Interessen, weil die politische Führung in Belgrad dem Ziel der Schaffung eines Großserbiens absolute Priorität einräumte. Für dieses Ziel war man bereit, schärfste Sanktionen bis hin zur völligen wirtschaftlichen Isolierung in Kauf zu nehmen. 94 Infolge der arn I. Juni 1992 in Kraft getretenen und nach der Ablehnung des Vance-Owen Friedensplans durch die bosnischen Serben arn 27. April 1993 verschärften Wirtschaftssanktionen gegen die Bundesrepublik Jugoslawien ist deren Wirtschaft zwar faktisch zusammengebrochen (die Industrieproduktion sank 1993 im Vergleich zum Vorjahr um 46%, die Löhne gingen um 60% zurück und die monatliche Inflationsrate erreichte im Dezember 1993 die 100 000% Marke)95, doch hatte dies über zwei Jahre hinweg 92 Vgl. hierzu die AusfUhrungen aufS. 92 tT.

93 Wolfrom, Der Beitrag regionaler AbmachWlgen, S. 583. 94 Reuter, Jugoslawien: Versagen der internationalen Gemeinschaft?, S. 336. 95 Daten nach Harenberg, Länderlexikon '94f95, S. 224. Zu den wirtschaftlichen Wld sozialen Folgen der UN-Sanktionen auf Restjugoslawien vgl. Napolitano, Sanctions, S. 150 tT.; DykerlBojii!ic, The Impact of Sanctions on the Serbian Econmy, in: RFEIRL Research Report, Vol. 2, No. 21,21 May 1993 (zit.: Dyker/BojiCic, Impact of Sanctions), S. 50 tT.; Reuter, Wirtschaftliche Wld soziale Probleme im neuen Jugoslawien, in: Südosteuropa 5/1993 (zit.: Reuter, Wirtschaftliche Probleme), S. 257 tT.; ders., Die Wirtschaftskrise in der BR Jugoslawien. Reformen im

ll. Die VerhängWlg von Wirtschaftssanktionen dw-ch die OSZE

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keinen Sinneswandel in Belgrad herbeigeführt, statt dessen wurden die Serben in Bosnien-Herzegowina und Kroatien weiter finanziell und logistisch voll unterstützt. 96 Auch ein massives Aufbegehren der serbisch-montenegrinischen Bevölkerung, von der sowohl nach westlichen als auch nach serbischen Angaben rund 90% unter der Armutsgrenze leben,97 gegen ihre Regierung konnte mit den wirtschaftlichen Sanktionen nicht erreicht werden; vielmehr gelang es den Belgrader Machthabern dank ihres Informationsmonopols, alle Versorgungsengpässe und wirtschaftlichen Schwierigkeiten der internationalen Staatengemeinschaft anzulasten. 98 Die schon früher bei der Verhängung von Wirtschaftssanktionen gemachte Erfahrung, daß diese zwar wirtschaftlich durchaus wirkungsvoll sein können, ohne allerdings wirksam im Sinne der mit ihnen verfolgten politischen Ziele zu sein,99 galt zumindest fiir die ersten zwei Jahre der Sanktionen gegen Restjugoslawien. Erst im August 1994 begann die Führung in Belgrad einzulenken: In Anbetracht der desolaten Wirtschaftslage Restjugoslawiens und der Inaussichtstellung der Aufhebung der internationalen Wirtschaftssanktionen fiir den Fall, daß es Belgrad gelänge, die bosnischen Serben zur Annahme des Friedensplanes zu bewegen, richtete MiloSevic eine entsprechende Forderung an die Führung in Pale. tOO Dieser Forderung wurde am Folgetag dadurch Nachdruck verliehen, daß die serbische Regierung fiir den Fall der Nichtannahme den Abbruch ihrer wirtschaftlichen Beziehungen zur RSK in Aussicht stellte. Doch auch der später erfolgte Abbruch der wirtschaftlichen Beziehungen Restjugoslawiens zur RSK hat das Kriegsgeschehen in Bosnien-Herzegowina nicht beenden können. Die Machthaber in Pale zeigten sich von den gegen sie verhängten verschärften internationalen Sanktionen und denen aus Belgrad

Schatten von Krieg, Embargo und schleppender Transformation, in: Südostew-opa 8/1994, S. 478 tT.. 96 Diese Unterstützung belief sich auf ein Drittel des Bruttoinlandsproduktes der Föderativen Republik Jugoslawien Wld stellte neben den UN-San1ctionen sowie den Folgen der fehlenden Umgestaltung der schon vor dem Krieg im wirtschaftlichen Niedergang befmdlichen sozialistischen Planwirtschaft den dritten Grund für den wirtschaftlichen Kollaps in Restjugoslawien dar. Reuter, Wirtschaftliche Probleme, S. 258; Dyker/BojiCic. Impact ofSanctions, S. 50. 97 VgL hierzu Reuter, Wirtschaftliche Probleme, S. 260 f 98 Schlotter/Schmidt, Nicht Bombenangriffe, sondern militärisch bewehrte Schutzzonen. Ein Plädoyer für die EntsendWlg von 100.000 UN-Blauhelmen nach BosnienHerzegowina, in: SchlotterlBilling/KrelllSchmidtlSchoch, Der Krieg in Bosnien Wld das hilflose Ew-opa (zit.: Schlotter/Schmidt, Schutzzonen), S. 7. 99 So MaulI, Wirtschaftssan1ctionen als Instrument der Außenpolitik, in: Link! Schütt-Wetschky/Schwan, Jahrbuch fiir Politik, 1991, Halbbd. 2, S. 365, hinsichtlich der Sanktionen gegen den Irak. 100 VgL zu diesen Ereignissen S. 222. 19*

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3. Kapitel: HandlWlgsaltemativen

ebensowenig beeindruckt, wie die dortigen Machthaber es in den Jahren 19921994 gegenüber den gegen sie verhängten Wirtschaftssanktionen getan hatten. c) Die Auswirkungen der UN-Wirtschaftssanktionen auf den Krieg im ebemaligen Jugoslawien

Obwohl die Wirtschaftssanktionen der VN bereits knapp drei Jahre in Kraft sind, haben sie bisher keinerlei positive Auswirkungen auf das Kriegsgeschehen insbesondere in Bosnien-Herzegowina gehabt: trotz Waffenembargos beschießt bosnisch-serbische Artillerie weiter vornehmlich zivile Ziele in dieser Republik, trotz Ölembargos rollen bosnisch-serbische Panzer weiterhin gegen muslimisch-kroatische Verteidigungsstellungen vor. Die Gründe hierfiir sind vielfaltig: (1) Das Waffenembargo der VN und seine Folgen

Kommt es innerhalb eines Staates zu bewaffneten Auseinandersetzungen, so ist es gängige Praxis der VN, gegen dieses Land ein Waffenembargo zu verhängen, um so eine weitere Eskalation der Kämpfe zu verhindern und auf längere Sicht eine Beendigung der Kampfhandlungen mangels militärischen Nachschubs herbeizuführen. Im Jugoslawienkonflikt aber versagte dieser Befriedungsmechanismus und kehrte sich sogar in sein Gegenteil um: Das im September 1991 vom SR in seiner Resolution 713 gegen Gesamtjugoslawien verhängte Waffenembargo 101 begünstigte während des serbischkroatischen Krieges eindeutig die serbischen Angreifer, da diese auf nahezu das gesamte Waffen- und Munitionsarsenal der NA zurückgreifen konnten, während den Kroaten rechtlich die Möglichkeit genommen wurde, sich auf dem internationalen Markt mit Waffen zu versorgen, um sich erfolgreich gegen die Angriffe der Serben zur Wehr setzten zu können. Um derartige Angriffe auf längere Zeit ohne äußere Unterstützung führen zu können, kommt es nicht nur auf die momentan verftigbaren Streitkräfte, sondern auch auf die Kontrolle über die Rüstungsbetriebe und die unter Tito fiir einen mehrjährigen Partisanenkrieg angelegten Munitionsreserven an. Die Tatsache, daß sich 60% der Rüstungsbetriebe und 75% aller Munitionsreserven Jugoslawiens in Bosnien-Herzegowina befanden,102 ließ diese Republik zu der strategisch entscheidenden Region in Jugoslawien werden, eine Lostrennung Bosnien101 Der Text der Resolution ist abgedruckt in: AdG 1991, S. 36204. Die EG hatte bereits am 5. Juli 1991 ein Waffenembargo gegen Jugoslawien verhängt, vgl. EPZErklärung vom 5. Juli 1991, abgedruckt in: EA2111991, S. D536. 102 Vgl. Reuter, Die Tragödie der bosnischen Muslime, S. 1454 f

11. Die Verhängung von Wirtschaftssanktionen durch die OSZE

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Herzegowinas von Jugoslawien konnte fur Belgrad schon allein aus militärstrategischen Gründen nicht in Betracht kommen; die Katastrophe angesichts der nach Unabhängigkeit strebenden Kroaten und Muslime in BosnienHerzegowina war somit vorgezeichnet. Nachdem es serbischen Verbänden Ende ApriVAnfang Mai 1992 gelungen war, den Großteil dieser Rüstungsbetriebe und Munitionsdepots zu besetzten bzw. zu erobern,103 kehrte sich das gegenüber den Nachfolgerepubliken Jugoslawiens fortbestehende Waffenembargo in sein Gegenteil um: Während der Aggressor über ausreichend Waffen und Munition verfUgt, ist den Verteidigern bis heute der Kauf von schwerem Gerät und militärischer Ausrüstung versagt, das in der UN-Charta verbürgte Recht auf Selbstverteidigung wird dem UN-Mitgliedsstaat BosnienHerzegowina somit faktisch aberkannt. 104 Die Folge ist, daß nunmehr die VN selbst, unter Zuhilfenahme der NATO, die Sicherheitszonen (aus der Luft) gegen die serbischen Angriffe verteidigen müssen, da die Verteidiger hierzu nicht mehr in der Lage sind. (2) Das Zögern der VN bei der Verhängung eines umfassenden Handelsembargos, insbesondere eines Ölembargos

Im Gegensatz zu den gewaltigen Munitions- und Materialreserven verfUgte Jugoslawien zu Beginn der bewaffneten Auseinandersetzungen nur über sehr bescheidene Erdölreserven. Doch erst Ende Mai 1992, also fast ein Jahr nach Beginn des Krieges im ehemaligen Jugoslawien, konnte sich der SR auf Drängen der EG105 in seiner Resolution 757 106 zu einem Handelsembargo einschließlich eines Ölembargos gegen Restjugoslawien durchringen. 107 Bestimmungen zur zwangsweisen Durchsetzung dieser Sanktionen enthielt die Resolution indes nicht. Demzufolge konnten die ab Juli 1993 zur Überwa103 Vgl. hierzu S. 208 f1

104 Vgl. auch Tomuschat, Die internationale Staatenwelt an der Schwelle des dritten Jahrtausends, in: KaiserlMaull, Deutschlands neue Außenpolitik, Band 1 (zit.: Tomuschat, Internationale Staatenwelt), S. 28, der die Resolution 713 im Hinblick auf die Lage in Bosnien-Herzegowina als "das flagranteste Beispiel für einen Akt, dem die Rechtswidrigkeit geradezu auf der Stirn geschrieben steht", bezeichnet. 105 EPZ-Erklärung zu Jugoslawien, Rom, 8. November 1991, abgedruckt in: EA 3/1992, S. 118 f. Vgl. hierzu Bohr Sanctions by the United Nations Security Council and the European Community, in: 4 EJIL (1993), S. 261. 106 Der Text der Resolution ist abgedruckt in: VN 3/1992, S. 110 tT. 107 Ein selektives Embargo gegen Restjugoslawien (SerbienlMontenegro) war zwar aus völkerrechtlichen Gründen nicht eher möglich (die Aufuahme von Slowenien, Kroatien und Bosnien-Herzegowina in die VN war erst am 22. Mai 1992 erfolgt), doch hätte einem gegen Gesamtjugoslawien verhängten Ölembargo zu Kriegsbeginn 1991 völkerrechtlich nichts im Wege gestanden.

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3. Kapitel: Handhmgsalternativen

chung des UN-Embargos in der Adria operierenden NATOIWEUSeestreitkräfte Handelsschiffe lediglich über ihre Ladung befragen, gegebenenfalls auch kontrollieren und Verletzungen des Embargos an den SR melden, ein Recht zum gewaltsamen Stoppen von möglichen Embargobrechem besaßen sie nicht. 108 Noch ungünstiger war die Situation auf der Donau, über die Serbien schon in Friedenszeiten den Großteil seiner Importe bezog. Dort standen die Bestimmungen der Belgrader Donau-Konvention vom 18.8.1948, die den Donauanrainerstaaten die Schiffahrtsfreiheit erlaubt, dem Stoppen und Kontrollieren von unter der Flagge dieser Länder fahrenden Schiffen entgegen. 109 Erst ein halbes Jahr nach Erlaß des Handelsembargos schränkte der SR in seiner Resolution 787 vom 16.11.1992 angesichts flagranter Verstöße gegen die von ihm verhängten Sanktionen insbesondere auf der Donau die Anwendung der Belgrader Donau-Konvention ein, indem er jedem Donauanrainerstaat das Recht und die Pflicht einräumte, "die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, daß die SchifJahrt auf der Donau im Einklang mit den Resolutionen 713 (1991) und 757 (1992) abläuft, einschließlich der erforderlichen, den Umständen entsprechenden Maßnahmen, um diese Transporte zur Kontrolle und Überprüfung ihrer Fracht und ihres Bestimmungsortes anzuhalten und die strikte Anwendung der Bestimmungen der Resolutionen 713 (1991) und 757 (1992) sicherzustellen. ,,]] 0 Diese Möglichkeit zur zwangsweisen Durchsetzung des Handelsembargos wurde auch den in der Adria operierenden NATOIWEU-Seestreitkräften eingeräumt. lll Aus dem bloßen "Monitoring" (Überwachen) eines Embargos war nun eine Seeblockade geworden, bei der die Kriegsschiffe das Recht haben, Waffengewalt anzuwenden, um einen Blockadebrecher zu stoppen. I 12 Zudem wurde in dieser Resolution die bis dahin noch erlaubte und zur Umgehung der Sanktionen miß-

108 Zu den Einzelheiten dieser NATOIWEU-Operation vgl. Zabkar, Das "AdriaEmbargo" in: ÖMZ 311993 (zit.: Zabkar, "Adria-Embargo"), S. 237. 109 Vgl. Ipsen, Völkerrecht, § 23 Rdnr. 87. Die Unterzeichnerstaaten dieser Konvention sind Bulgarien, das ehemalige Jugoslawien, Österreich, Rumänien, die ehemalige Sowjetunion, die ehemalige Tschechoslowakei, die Ukraine wid Ungarn. 110 SRlRes. 787 (1992), Ziff. 13, abgedruckt in: VN 6/1992, S. 221. 111 So fordert der SR in Ziff. 21 dieser Resolution "die Staaten, die einzelstaatlich oder über regionale Abmachungen tätig werden, auf, unter Aufsicht des Sicherheitsrates die erforderlichen, den Umständen angemessenen Maßnahmen zu ergreifen, um alle einlaufenden und auslaufenden Seetransporte zur Kontrolle und überprüfung ihrer Fracht und ihres Bestimmungsortes anzuhalten und die strikte Anwendung der Bestimmungen der Resolutionen 713 (1991) und 757 (1992) sicherzustellen". 112 Vgl. hierzu Zabkar, "Adria-Embargo", S. 240. Zu den Umsetzungsbeschlüssen der NATO und der WEU vgl. Gustenau, Zur Neuordnung des südslawischen Raums, in: ÖMZ, 111993, S. 12.

ll. Die Verhängung von Wirtschaftssan1ctionen durch die OSZE

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brauchte Durchfuhr von Rohöl, Erdölprodukten und sonstigen Gütern durch die Föderative Republik Jugoslawien (FRJ) untersagt.l13

Am 18.4.1993 schließlich verabschiedete der UN-SR die Resolution 820, mit der ein vollständiges Handelsembargo gegen Restjugoslawien verhängt und die Voraussetzungen fiir schärfere Kontrollen der Embargomaßnahrnen auf der Donau geschaffen wurden. So wurde entschieden, daß Transporte von Grundstoffen und Produkten durch die FRJ auf der Donau nur noch erlaubt seien, wenn sie durch den in SRJRes. 724 (1991) etablierten UN-Ausschuß autorisiert sind; daß die Donauanrainerstaaten alle Schiffe anzuhalten oder auf andere Art zu kontrollieren haben und daß jeder Nachbarstaat der FR] die Weiterfahrt aller Last- und Schienenfahrzeuge in die FR] oder aus derselben zu verhindern hat, außer an einer streng limitierten und vorn UN-Ausschuß genehmigten Anzahl von Straßen- und SchienengreßZÜbergängen. 114 Die VN benötigten somit fast ein ganzes Jahr, um im Anbetracht des von Belgrad logistisch unterstützten Eroberungs- und Vemichtungsfeldzuges der bosnischen Serben in Bosnien-Herzegowina eine vollständige HandeIsblockade gegen Restjugoslawien zu verhängen. Als Vergleich sei in Erinnerung gerufen, daß die VN in der Golfkrise 1990 bereits wenige Wochen nach der Annexion Kuwaits durch den Irak ein umfassendes Handelsembargo gegen den Aggressor mit der Ermächtigung zur zwangsweisen Durchsetzung erlassen hatten. 115

(3) Die Durchbrechungen der UN-Sanktionen und ihre Hintergründe Bis Ende 1993 wurde das UN-Embargo immer wieder im größeren Rahmen von den südlichen Balkanstaaten und Rußland durchbrochen. Russische und rumänische Schiffe belieferten Serbien über die Donau mit Rohöl und anderen Embargogütern, 116 aus Griechenland und Makedonien gelangten über Monate hinweg täglich mehrere tausend Tonnen Rohöl und Benzin in Zugkontainem und Tankwagen oder per Schiff über die Donau nach Restju-

113 Vgl.: SRlRes. 787 (1992), Ziff. 9.

Vgl. hierzu Ziff. 12-30 SRlRes. 820 (1993), abgedruckt in: VN 2/1993, S. 75 ff. Vgl. hierzu Fleischhauer, Wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen in Recht und Praxis der Weltorganisation: Die Anwendung von Sanktionen durch die Vereinten Nationen in der Golfkrise, in: VN 211991 (zit.: Fleischhauer, Sanktionen in der Golfkrise), S. 41 ff. 116 Vgl. hierzu Gabanyi, Rwnänien und die jugoslawische Krise, in: Südosteuropa 11-1211992, S. 656. 114 115

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3. Kapitel: Handhmgsalternativen

goslawien.11 7 So konnte Serbien beispielsweise allein in den letzten Januartagen des Jahres 1993 rund 80.000 Tonnen Öl auf dem Donauwege importieren. ll8 Die an der Nordgrenze Makedoniens stationierten UNPROFORTruppen zählten im Herbst 1993 pro Woche rund 4000 Lastkraftwagen und Tanklastzüge, die mit Embargogütem die makedonisch-serbische Grenze überschritten. 119 Erst auf amerikanischen Druck hin erklärte sich die Regierung Makedoniens im Oktober 1993 zur Umsetzung der UN-Handelssanktionen bereit, so daß der Grenzverkehr praktisch zum Erliegen kam. Doch nicht nur die Regierungen der südosteuropäischen Staaten trifft eine Schuld an der lange Zeit äußerst mangelhaften Umsetzung der Embargobestimmungen, auch die EG-Staaten waren lange Zeit kaum bereit, zusätzliche Mittel fiir eine effektivere Kontrolle der Sanktionen zur Verfiigung zu stellen: So wiesen Bulgarien und Rumänien unmittelbar nach der Verabschiedung der SRJRes. 787 Mitte November 1992 auf die großen personellen und technischen Schwierigkeiten bei der Durchfiihrung der Kontrollen auf der Donau hin. 120 Zwar hatte die KSZE bereits vor bzw. unmittelbar nach der Verabschiedung der SR-Resolution mit ihren Sanktionsunterstützungsmissionen in Bulgarien und Rumänien begonnen, doch lagen diese Missionen zu Beginn ihrer Tätigkeit weit unter ihrer personellen Sollstärke. Die dringend benötigte materiell-technische Hilfe in Form von gut ausgerüsteten Zollschutzbooten durch die internationale Staatengemeinschaft blieb zunächst völlig aus. Anfang Februar 1993 sahen sich Bulgarien und Rumänien daher gezwungen, in einem gemeinsamen Kommunique weitere Unterstützung fiir die Überwachung der UN-Sanktionen anzufordern. l2l Im März 1993 nahm die WEU dann auf Vorschlag des deutschen Außenministers Kinkel Verhandlungen mit den Donauanrainerstaaten zwecks Entsendung von Patrouillenbooten zur Überwachung des UN-Embargos auf der Donau auf. Diese Verhandlungen zogen sich über mehre Wochen hin, so daß erst im Juni 1993 mit der Stationierung von 12 Booten und 300 Polizei- und Zollbeamten an den Donaukon-

117 Vgl. hierzu: Griechen und Mazedonier brechen Embargo, in: Frankfurter Rundschau vom 17.8.1992, S. 5; UNO-Embargo wird auf dem Landwege umgangen, in: SZ vom 17.8.1992, S. 6. Die Serben ihrerseits umgehen das Handelsembargo u.a. dadurch, daß sie mit den von ihnen während des Krieges erbeuteten kroatischen und bosnischen Stempeln Lieferpapiere Im Embargogüter HUschen, vgl. hierzu Deupmann, Was Totalblockade gegen Serbien bedeutet, in: SZ vom 13.8.1992, S. 4. 118 Zabkar, "Adria-Embargo", S. 241. 119 Johnston, Lessons drawn from the Yugoslav conflict, WEU Assembly report 1395, 9.11.1993 (zit.: Johnston, Yugoslav conflict), Abschnitt VII (Sanctions). 120 Riedel, Bulgarien und das UN-Handelsembargo gegen Jugoslawien, S. 272. 121 Riedel, Bulgarien und das UN-Handelsembargo gegen Jugoslawien, S. 272.

II. Die Verhängung von Wirtschaftssanktionen durch die OSZE

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trollpunkten Vidin-Calafat (BulgarienIRumänien) und MoMcs (Ungarn) von einer effektiven Sanktionsüberwachung auf der Donau gesprochen werden konnte. 122 Während und schon vor Beginn dieser Verhandlungen offenbarte sich ein zusätzliches Problem im Zusammenhang mit der zwangsweisen Überwachung der UN-Sanktionen, nämlich die fehlende Bereitschaft der internationalen Staatengemeinschaft, den an der Donauüberwachung beteiligten Staaten Ungarn, Rumänien und Bulgarien Sicherheitsgarantien als Schutz vor möglichen Vergeltungsmaßnahmen der Serben zu bieten. So weigerte sich Bulgarien Anfang Januar 1993 einen mit Öl beladenen serbischen Tanker gewaltsam anzuhalten, da es zum einen angesichts der Drohung des serbischen Kapitäns, seine Ladung in die Donau zu kippen, eine ökologische Katastrophe und zum anderen einen serbischen Präventivschlag gegen sein Territorium befürchtete. Diese Gründe haben Bulgarien bis heute davon abgehalten, Embargobrecher auf der Donau gewaltsam anzuhalten. 123 Aus Furcht vor Übergriffen der Serben gegen die ungarische Minderheit in der Woiwodina bestand die ungarische Regierung darauf, daß die bei MoMcs zu stationierenden WEU-Einheiten keine Waffen tragen und keine Gewalt anwenden dürften und ausschließlich unter ungarischem Oberbefehl stehen müßten. 124 Ein zusätzlicher Grund für die Durchbrechung der UN-Sanktionen durch die südosteuropäischen Staaten dürften die extremen wirtschaftlichen Einbußen sein, denen diese Staaten durch das Handelsembargo ausgesetzt sind: Ende Januar 1992 beliefen sich beispielsweise die wirtschaftlichen Verluste Bulgariens auf 1,2 Milliarden Dollar, Anfang Mai 1993 wurde ein Betrag von 2,8 Milliarden Dollar erreicht. Der bis heute ausstehende Ersatz für die durch die Wirtschaftssanktionen gegen den Irak auf 3 Milliarden Dollar veranschlagten bulgarischen Einbußen läßt finanzielle Kompensationsleistungen der internationalen Staatengemeinschaft für die jetzigen Wirtschaftsverluste Bulgariens wenig wahrscheinlich erscheinen. 125 Gleiches gilt für die Verluste der anderen südosteuropäischen Länder, die sich bis November 1993 zwischen 500 Millionen Dollar (Ungarn) und 2,5 Milliarden Dollar (Griechenland)

122 Johnston, Yugoslav conflict, Abschnitt VII (Sanctions). Riedei, Bulgarien und das UN-Hande1sembargo gegen Jugoslawien, S. 277, hingegen erwähnt nur acht Boote. 123 Vgl. hierzu Riede!, Bulgarien und das UN-Hande1sembargo gegen Jugoslawien, s. 273, 277 tT. 124 NZZ vom 8.4. 1993. 125 Vgl. Riedei, Bulgarien und das UN-Handelsembargo gegen Jugoslawien, S. 268, 281.

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3. Kapitel: Handlungsalternativen

bewegten 126 , rur Makedonien wurde allein in den letzten drei Monaten des Jahres 1993 ein Verlust von 1,8 Milliarden Dollar errechnet. 127 Ein einklagbarer finanzieller Entschädigungsanspruch der von einem Handeisembargo betroffenen Drittstaaten gegen die internationale Staatengemeinschaft besteht indes nicht. 128 Zwar können diese Staaten den SR nach Art. 50 SVN zwecks Lösung ihrer wirtschaftlichen Probleme konsultieren, eine Verpflichtung des SR zu Kompensationszahlungen wird durch diese Vorschrift aber nicht begründet. Der SR kann lediglich die Unterstützung des betroffenen Staates durch andere Staaten anregen. 129 Die Ausarbeitung eines bindenden Systems zur Entschädigung von Drittstaaten durch die internationale Staatengemeinschaft ist daher gerade auch im Interesse der Sicherung der Effizienz der Wirtschaftssanktionen dringend geboten. 130 Dem in diesem Zusammenhang gemachten Vorschlag, der SR solle als finanziellen Lastenausgleich die Zahlung von Geldern aus Organisationsmitteln anordnen, 13l dürfte angesichts der Finanzmittelknappheit der VN kein großer Erfolg beschieden sein. Erfolgversprechender erscheint die Errichtung eines Kompensationsfonds durch den

126 Zur Situation in Rwnänien Ende 1992 vgl. Gabanyi, Rwnänien und die jugoslawische Krise, S. 653 f. hn April 1994 bezifferte der nunänische Außeruninister den seinem Land durch das UN-Embargo entstandenen Schaden auf 7 Milliarden Dollar, vgl. AdG 1994, S. 38838. 127 Vgl. hierzu Johnston, Yugoslav conflict, Abschnitt VII (Sanctions). Diese wirtschaftlichen Schäden beruhen vor allem darauf, daß Griechenland, Makedonien und Bulgarien bis zu der totalen UN-Handelsblockade nahezu den gesamten Export nach West- und Mitteleuropa verkehrstechnisch über Serbien abwickelten. Der nun erforderliche Umweg über Albanien und Rwnänien hat die Transportkosten und damit die Preise in die Höhe getrieben, so daß die beförderten Waren kawn noch konkurrenzfähig sind. 128 Angesichts dieser Tatsache organisierte die KSZE Ende Januar 1994 ein Ad-hoc Treffen zwischen den von den Wirtschafts sanktionen betroffenen Drittstaaten und möglichen Geberländern sowie internationalen Kreditinstituten, vgl. Napolitano, Sanctions, S. 154 ff 129 Die fehlende Bereitschaft der Staaten filr derartige freiwillige Zahlungen von relevanter Größe hat sich hinsichtlich der Rhodesien- und Iraksanktionen deutlich gezeigt. Vgl. hierzu Bryde, in: Simma, Charta der VN, Art. 50 Rdnr. 11, 14. Eine andere Möglichkeit des SR besteht darin, den betroffenen Staat gemäß Art. 48 SVN ganz oder teilweise von der Teilnahme an den Wirtschafts sanktionen zu befreien. Da ein solcher Schritt aber immer eine Beeinträchtigung der EffIZienz des Embargos bedeutet, erscheint er praktisch nicht praktikabel. 130 So auch Johnston, Yugoslav conflict, Abschnitt VII (Sanctions); Fleischhauer, Sanktionen in der Golfkrise, S. 44 unter Verweis auf die Tatsache, daß von den 25 Staaten, die sich wegen des Irak-Embargos auf Art. 50 SVN beriefen, kein einziger Entschädigungszahlungen erhalten hat. 131 Vgl. hierzu Bryde, in: Simma, Charta der VN, Art. 50 Rdnr. 8.

ll. Die Verhäng\U1g von Wirtschaftssanktionen durch die OSZE

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SR, in den die Mitgliedstaaten einen ihrer Finanzlage Rechnung tragenden Betrag einzuzahlen hätten. d) Die Nebenfolgen von Wirtschaftssanktionen am Beispiel des Handelsembargos gegen Restjugoslawien

Langfristig wohl noch schwerwiegendere Folgen als die eben dargestellten finanziellen Einbußen dürfte das Handelsembargo fiir den in den ehemals sozialistischen Staaten Südosteuropas begonnenen Transformationsprozeß hin zu marktwirtschaftlich, pluralistischen Demokratien haben. Durch die verkehrstechnische Abnabelung dieser Länder von Westeuropa steht zu befiirchten, daß die erhofften neuen Handelspartner und vor allem die Investoren ausbleiben, die so dringend fiir die Umgestaltung der Wirtschaft in jenen Ländern gebraucht werden. 132 Die durch die verlängerten Transportwege erhöhten Kosten machen südosteuropäische Waren auf den west- und mitteleuropäischen Märkten noch weniger konkurrenzfähig, fehlende ausländische Investitionen lassen ein weiteres Ansteigen der Arbeitslosigkeit befiirchten. Die Angst vor zusätzlichen Arbeitslosen infolge der angestrebten Privatisierung von Staatsbetrieben kann dazu führen, daß diese Privatisierungen verschoben oder gar ganz unterlassen werden, was zu einem Stop des Reformprozesses führen würde. Angesichts der durch die UN-Wirtschaftssanktionen zugespitzten wirtschaftlichen Krise gewinnt in den Ländern Südosteuropas nationalistisches Gedankengut wieder an Einfluß. 133 Maßgeblichen Anteil hieran hat zudem die Haltung Griechenlands, das zur Ablenkung seiner innerstaatlichen Wirtschaftsprobleme einen primär auf populistischen Motiven basierenden Namenstreit um die Bezeichnung Makedoniens vom Zaune brach, gegen dieses ohnehin von den UN-Sanktionen am schwersten betroffenen Land eine Wirtschaftsblockade verhängte und 1994 schließlich den Hafen Thessaloniki für makedonische Waren sowie insbesondere fiir die fiir Makedonien bestimmten Erdöllieferungen sperrte. Nationalistische Parteien wie die Innere Makedonische Revolutionäre Organisation, die nach einem Großmakedonien strebt oder die Bulgarische Nationalradikale Partei, deren Ziel die Errichtung eines Makedonien und Teile Griechenlands einschließenden Großbulgariens ist, haben aufgrund der prekären wirtschaftlichen Lage in ihren Ländern und der griechischen Politik einen nicht zu unterschätzenden Zulauf. 134

132 Vgl. hierzu Riedel, Bulgarien \Uld das UN-Handelsembargo gegen Jugoslawien, S.275. 133 Vgl. hierzu Riedel, Bulgarien \Uld das UN-Hande1sembargo gegen Jugoslawien, S. 276 f. 134 Vgl. hierzu Riedel, Bulgarien \Uld das UN-Handelsembargo gegen Jugoslawien, S.276.

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3. Kapitel: Handlungsalternativen

Ein grundsätzliches Problem von Wirtschaftssanktionen ist die Tatsache, daß von ihnen in erster Linie die Bevölkerung des sanktionierten Staates, nicht aber dessen Regierung getroffen wird. Bestehen in dem Land keine nennenswerten oppositionellen Kräfte, die einen Keil zwischen Regierung und Bevölkerung treiben können, und besitzt die Regierung zudem das Informationsmonopol, so besteht die große Gefahr, daß Bevölkerung und Regierung angesichts der gegen sie gerichteten "Verschwörung der internationalen Staatengemeinschaft"135 noch enger zusammenrücken. Zudem gilt es zu beachten, daß in Staaten mit ethnischen Minderheiten die Regierung im Falle von Versorgungsknappheit in erster Linie ihre Volksgruppe versorgt, die Minderheiten also die volle Last des eigentlich gegen die Machthaber gerichteten Handelsembargos zu spüren bekommen. So sind auch in Restjugoslawien die dortigen Minderheiten am stärksten von den wirtschaftlichen Sanktionen betroffen, da die serbischen Machthaber in Belgrad vordringlich die serbischen Bevölkerungsteile versorgen. 136 Spannungen zwischen den Minderheiten und der Mehrheitsbevölkerung werden so durch die Wirtschaftssanktionen letztlich noch zusätzlich verschärft. 137 Darüber hinaus besteht die große Gefahr, daß die durch die Sanktionen eingetretene verzweifelte wirtschaftliche Lage den Sanktionsadressaten nicht zu einem Einlenken, sondern vielmehr zur Flucht nach vom, mitten hinein in eine klassische Eroberungspolitik samt der daraus zu erwartenden Beute bewegt.138 e) Wirtschaftssanktionen und ethnische Kriege

Das größte Problem von Wirtschaftssanktionen besteht schließlich darin, daß sie, wenn überhaupt, erst nach sehr langer Zeit die von ihrer Verhängung erhoffte politische Wirkung beim Sanktionsadressaten zeigen. 139 135 So sagte Milosevic, die Bevölkerung seines Landes sei das "Opfer einer neuen Weltordnung", vgl. NZZ vom 28.4.1993. 136 Schlotter/Schmidt, Schutzzonen, S. 7. 137 Schlotter/Schmidt, Schutzzonen, S. 7. 138 Vgl. Ströhm, Heikle Friedensrnission der UNO in Jugoslawien, in: Europäische Sicherheit 5/92, S. 268. 139 So wurde selbst beim Ölembargo gegen den Irak, dessen einzig relevante Einnahmequelle der Verkauf von Rohöl ist, davon ausgegangen, daß das Embargo "decisive results" erst nach einem Jahr erbringen würde. Vgl. hierzu Weston, Security Council Resolution 678 and Persian Gulf Decision Making: Precarious Legitimacy, in: A.JIL Vol. 85 (1991), S. 528 f. Ein Einlenken Restjugoslawiens erfolgte, wie gesehen, erst zwei Jahre nach Verhängung der Wirtschaftssanktionen, vgl. hierzu S. 222.

11 Die Verhängung von Wirtschaftssanktionen durch die OSZE

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Einern unter nationalistischen Gesichtspunkten geführten Aggressionskrieg muß aber sofort entgegengewirkt werden, will man die von der Aggression betroffene Bevölkerung nicht den unter dem Schlagwort deI' "ethnischen Säuberung" begangenen Verbrechen des Angreifers ausliefern. Ein Einlenken des Aggressors kann, auch das haben die Ereignisse im ehemaligen Jugoslawien 140 und insbesondere die Geschehnisse in Sarajevo und Goraide 141 deutlich gezeigt, letztlich nur mit einer glaubwürdigen Drohung des Einsatzes überlegener militärischer Gewalt erreicht werden. 4. Ergebnis Die OSZE kann bei Verletzung von erga-ornnes Verpflichtungen des Völkerrechts durch einen ihrer Teilnehmerstaaten im Rahmen des "Konsensminus-eins" Verfahrens einen politisch bindenden Beschluß zur Verhängung von Wirtschaftssanktionen gegen diesen Staat fassen. Wirtschaftssanktionen allein sind aber nicht in der Lage, eine verfolgte Bevölkerungsgruppe vor Vertreibung und Genozid zu retten. Hierzu bedarf es der Androhung oder Anwendung militärischer Zwangsmaßnahmen.

140 Als Beispiel seien hier die Hintergründe der Unterzeichnung des Vance-OwenPlanes durch KaradZic und der nachfolgenden Ablehnung des Friedensplans durch das Parlament der bosnischen Serben dargestellt: Nachdem das selbsternannte Parlament der bosnischen Serben den Vance-Owen-Plan im Frühjahr 1993 zunächst abgelehnt hatte und eine Volksbefragung unter den bosnischen Serben zum gleichen Ergebnis gekommen war, drohten die Vereinigten Staaten mit dem Einsatz militärischet Gewalt gegen die Armee der bosnischen Serben. Aufgrund dieser Drohung unterschrieb KaradZic am 2. Mai 1994 in Athen den Vance-Owen-Plan, machte die Umsetzung aber von einem erneuten Beschluß des in Pale gelegenen Parlaments der bosnischen Serben abhängig. Die Tatsache, daß eine Drohung nur dann Wirkung zeigt, wenn sie glaubwürdig ist, d.h. ihre Realisierung bei Nichtbewirken der geforderten Handlung unmittelbar eintritt, fand wenige Tage später ihre Bestätigung. Nachdem Meinungsumfragen in den USA ergeben hatten, wie unpopulär eine amerikanische Intervention auf dem Balkan war, ein Eingreifen der USA aus innenpolitischen Gründe somit ftir wenig bis gar nicht wahrscheinlich erachtet werden konnte, stimmten die Serben in Pale am 6. Mai 1994 kurzerhand gegen den Friedensplan; die zuvor angedrohte Reaktion der USA und des Westens blieb aus. Vgl. zu diesen Ereignissen Reuter, Jugoslawien: Versagen der internationalen Gemeinschaft?, S. 330 f. sowie die Darstellungen in AdG 1993, S. 37891 ff. Die Auswirkungen der fehlenden Realisierungsbereitschaft des Westens hinsichtlich seiner Drohungen auf die serbische Haltung resümiert Gow, The use of coercion in the Yugoslav crisis, in: The World Today, November 1992, S. 201, zutreffend mit den Worten: "The simple implication ofthis was that ifthere was not a use of force, then it was not necessary to stop the war." 141 Zu den Ereignissen um diese beiden UN-Schutzzonen siehe S. 218 f.

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3. Kapitel: Handlungsalternativen

Hf. Der Umbau der OSZE in ein System kollektiver Sicherheit 1. Einführung und Begriffsbestimmung Die Verhängung militärischer Zwangsmaßnahmen ist gemäß der Charta der VN dem SR vorbehalten, regionale Abmachungen wie die OSZE142 sind hierzu, wie Art. 53 der UN-Satzung unmißverständlich klarstellt, nicht befugt. 143 Eine Ausnahme vom Gewaltmonopol des Sicherheitsrates bildet das in Art. 51 der UN-Charta niedergelegte Recht auf Selbstverteidigung, welches individuell oder kollektiv im Rahmen eines Systems kollektiver Selbstverteidigung oder eines Systems kollektiver Sicherheit ausgeübt werden kann. 144 Diese beiden Systeme unterscheiden sich dadurch voneinander, daß das kollektive Selbstverteidigungssystem grundsätzlich zur Abwehr von Angriffen konzipiert ist, die von außen gegen einen Staat dieses Bündnisses erfolgen. Beim System kollektiver Sicherheit hingegen verpflichten sich dessen Mitglieder, keine Gewalt untereinander anzuwenden und gemeinsam gegen denjenigen Mitgliedstaat vorzugehen, der gegen diese Verpflichtung verstößt. 145 Im Gegensatz zur kollektiven Selbstverteidigung, bei der die Entscheidung, ob eine Aggression vorliegt und welche Maßnahmen ergriffen werden sollen, den einzelnen Bündnispartnem vorbehalten bleibt,l46 bestimmt hierüber in einem System kollektiver Sicherheit eine von den Mitgliedstaaten geschaffenen Zentralinstanz, deren Beschlüsse fiir alle Mitglieder bindend sind. 147

142 Vgl. hierzu die Ausfiihrungen aufS. 92 ff. 143 Nach Art. 53 Abs. 1 S. 2 SVN können die Regionalorganisationen lediglich vom SR ermächtigt werden, militärische Zwangsmaßnahmen durchzuführen. 144 Vgl. RandelzhoJer in: Simma, Charta der VN, Art. 51 Rdnr. 3 ff., 32 f.; Wolfrum in: Simma, Charta der VN, Art. 1 Rdnr. 7. 145 Vgl. Doehring, Kollektive Sicherheit, in: Wolfrum: Handbuch Vereinte Nationen (zit.: Doehring, Kollektive Sicherheit), Rdnr. 2. 146 Delbrück, Collective Security, in: Bemhardt, EPIL (1992), (zit.: Delbrück, Collective Security), S. 647. 147 Dieses UnterscheidungkriteriUlll verliert allerdings angesichts moderner Selbstverteidigungsallianzen wie der NATO und der WEU zunehmend an Aussagekraft, da auch die Mitglieder dieser Bündnisse sich im Rahmen einer institutionalisierten Beschlußfassung zur Beistandsleistung verpflichtet haben (Delbrück, Collective Security, S. 647 f.). Die Entscheidung, welche konkrete Maßnahme im Falle des casus foederis getroffen werden soll, obliegt indes zumindest de lege lata weiterhin den Mitgliedstaaten. So bestimmt Art. 5 Nordatlantikvertrag, daß "( d)ie Parteien vereinbaren, daß ... im Falle eines bewaffueten Angriffs jede von ihnen ... der Partei oder den Parteien, die

ill. Der Umbau der OSZE in ein System kollektiver Sicherheit

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Greift somit ein Mitgliedstaat einen anderen an, so sieht er sich nicht nur wie im Falle der klassischen Bündnispolitik einer Vereinigung mehrerer Staaten, sondern einer aus allen anderen Mitgliedstaaten bestehenden Koalition gegenüber.

2. Die Vorschläge zur Umwandlung der KSZE in ein System kollektiver Sicherheit Die größte Gefahr für Sicherheit und Stabilität in Europa geht momentan und auch in den nächsten Jahren von den ethnischen Konflikten in Osteuropa und auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion aus. 148 Sicherheitspolitisch gesehen ist Europa mit Ausnahme des vereinigten Deutschlands nach wie vor entlang der Grenze des Kalten Krieges geteilt: während der Westen mit der NATO über ein funktionierendes Sicherheitssystem verfUgt,149 befindet sich

angegriffen werden, Beistand leistet, indem jede von ihnen ... die Maßnahmen, einschließlich der Anwendung von Waffengewalt, triffi:, die sie fiir erforderlich erachtet, um die Sicherheit des nordatlantischen Gebiets wiederherzustellen und zu erhalten. 11 (Hervorhebung vom Verf.). 148 Vgl. hierzu Clogg, War in the Caucasus?, in: The World Today, Dec. 1992, S. 214 f; Range, Die sicherheitspolitischen Verhältnisse zwischen den GUS-Republiken, in: Europäische Sicherheit (ES) 1193, S. 45 t1; Mendel, In der Ex-UdSSR entbrennt der Streit um Grenzen, in: ES 10/92, S. 535 f; Bischof, Die islamischen Republiken der GUS, in: ES 12/92, S. 657 ff.; DawydowlTrenin, Ethnische Konflikte, S. 179 ff.; Fuller, Konflikte im Transkaukasus, S. 193 11; Simon, Die Ukraine und das Ende der So\\jetunion, in: Aussenpolitik 1192, S. 62 ff., hier S. 68 ff.; Alexandrova, Die Ukraine in Ostrnitteleuropa: Bindeglied zwischen Ost und West?, in: EA 18/1992, S: 535 ff., hier S. 540 f; Lendvai, Central Europe I: what about the Hungarian minorities?, in: Tbe World Today, Dec. 1992, S. 215 f Zu den weiteren sicherheitspolitischen Gefahren, wie beispielsweise der Proliferation von Massenvernichtungswaffen aus den ehemals so\\jetischen Beständen oder der Entstehung von Migrationsbewegungen angesichts der mit dem Übergang von der Plan- zur Marktwirtschaft einhergehenden Zunahme von Arbeitslosigkeit und Verarmung weiter Bevölkerungskreise in den Staaten des ehemaligen Ostblocks, und den Handlungsalternativen des Westens, vgl. nur Kaiser, Alte Bedrohungen sind gewichen, neue entstanden, in: FAZ vom 13.2.1992, S. 9 f; MaulI, Europe and the changing global agenda, in: Story, Tbe New Europe, S. 140 ff., insb. 154 ff. 149 Zur WEU, ihrer Zukunft nach den Beschlüssen von Maastricht und ihrem Verhältnis zur NATO vgl. Stein, Gemeinsame europäische Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik?, in: Politische Studien, Heft 322, 43. Jahrgang, März/April 1992, S. 66 ff., insb. 79 ff.; Regelsberger, Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik nach Maastricht - Minimalreformen in neuer Entwicklungsperspektive, in: Integration 2/92, S. 83 ff.; Rummel, Beyond Maastricht: Alternative Futures for a Political Union, in: Rummel, Toward Political Union, S. 302 fT.; Eekelen, Tbe Future of Multinational Security Institutions, in: von Plate, Europa auf dem Weg zur kollektiven Sicherheit?, S.

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3. Kapitel: Handlungsalternativen

der Osten nach der Auflösung des Warschauer Paktes in einem Sicherheitsvakuum. 150 Eine Aufnahme der ehemals sozialistischen Länder in die NATO ist angesichts der dantit zusammenhängenden politischen, militärischen und strukturellen Implikationen 151 bisher nicht erfolgt und rur die nächsten Jahre auch nicht absehbar. 152 Da die OSZE somit das einzige europäische Forum ist, in dem die Staaten der NATO, des ehemaligen WP sowie die ehemals sogenannten blockfreien europäischen Staaten vertreten sind l53 , 42 ff. Zu den Initiativen, die Staaten Mittel- und Osteuropas an die EU und WEU heranzufiihren vgl. Burghardt, Die Erweiterung der Europäischen Union um die Länder Mittel- und Osteuropas: Politische Aspekte und Perspektiven, in: KAS-AI 5/94, S. 85 fT., insb. 89 fT. Zum gegenwärtigen Stand der GASP, ihren Möglichkeiten und Grenzen sowie Vorschlägen zur Steigerung ihrer Effizienz vgl. Burghardt, The Potential and Limits of CFSP - hnplementing Maastricht (What Comes Next?), (1994); Ischinger, Zentrale Fragen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik fi1r die Bundesrepublik, in: KaiserIMaulI, Die Zukunft der Europäis::hen Integration, S. 57 ff.; Schauer, Kritische Anmerkungen zur Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, in: KaiserIMaulI, Die Zukunft der Europäischen Integration, S. 78 ff.; Fink-Hooijer, The Common Foreign and Security Policy ofthe European Union, in: 5 E.m.. (1994), S. 173 ff.; Pöttering, Die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) der Europäischen Union, Internationalität als Prinzip und Gebot europäischer Sicherheit, in: KAS-AI 1/94, S. 86 ff. 150 Vgl. hierzu nur Gasteyger, Ein gesamteuropäisches Sicherheitssystem?, in: EA 17/1992, S. 477 ff. 151 De facto würde der Beitritt dieser sowie der ehemals als neutral bzw. blockfrei bezeichneten Staaten die NATO in ein regionales System kollektiver Sicherheit verwandeln, da dann alle in Europa denkbaren Konflikte zwischen Mitgliedern der Allianz ausgetragen würden. Vgl. hierzu von Plate, Bewährungsproben fur die KSZE: Die Erblast der Sowjetunion und die Attraktivität der NATO, in: Heydrich Sicherheitspolitik Deutschlands, S. 562 f. 152 Hauptargument gegen eine Erweiterung der NATO Richtung Osten ist die Sorge der NATO, in lokale osteuropäische und mittelasiatische Konflikte hineingezogen zu werden und dabei im Laufe der Zeit ihre personellen sowie materiellen Ressourcen einzubüßen. Ein weiteres Argument ist die russische Weigerung, einer Ausdehnung der NATO bis an seine westliche Landesgrenze zuzustimmen, sofern es nicht selbst Mitglied wird. Vgl. zu diesem Problernfeld im einzelnen: Wolf R., Kollektive Sicherheit und das neue Europa, in: EA 13/1992 (zit.: WoIfR., Kollektive Sicherheit), S. 372 f.; Gasteyger, Ein gesamteuropäisches Sicherheitssystem?, S. 482; Czempiel, Bausteine einer europäischen Friedensordnung, in: EA 4/1994 (zit.: Czempiel, Europäische Friedensordnung), S. 93; Dunay, Stability in East Central Europe, in: Journal for Peace Reserach, Vol. 29, No. I (1992), S. 4. 153 Der Nordatlantische Kooperationsrat (NAKR) urnfaßt zwar auch die ehemaligen WP-Mitglieder sowie die NATO-Staaten; die während der Ost-West-Konfrontation als neutral bzw. blockfrei bezeichneten Staaten Europas sind hingegen in diesem Gremium nicht vertreten. Zu seinen Augaben vgl. von Moltke, Rechtliche Rahmenbedingungen fur den Nordatlantischen Kooperationsrat, in: Souchon, Völkerrecht und Sicherheit, S. 84 ff. Zum Vorschlag, den NAKR als Europäischer-Nordatlantischer Kooperationsrat

ill. Der Umbau der OSZE in ein System kollektiver Sicherheit

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wurde in der Literatur häufig die Forderung aufgestellt, die damals noch KSZE heißende OSZE in ein System kollektiver Sicherheit wnzuformen. 154 Grundlage aller Vorschläge war die Umwandlung der KSZE in eine mit Völkerrechtssubjektivität ausgestattete internationale Organisation, da nur unter dieser Voraussetzung eine rechtliche Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Befolgung der von der Zentralinstanz im Konfliktfall angeordneten Gegenmaßnahmen begründet werden kann. Einig war man sich auch, daß in Anbetracht der großen Teilnehmerzahl der KSZE von 53 Staaten hinsichtlich der Zentralinstanz Abstriche vom bisherigen Konsenserfordernis bei der Beschlußfassung gemacht werden müssen, um so die Entscheidungs- und Handlungsfahigkeit der KSZE in Konfliktsituationen zu gewährleisten. Hinsichtlich der Frage der konkreten Zusammensetzung der Zentralinstanz und ihrer Beschlußfassungskompetenz wurden jedoch unterschiedliche Standpunkte vertreten: So wurde nach der Auflösung des Warschauer Paktes 1991 vorgeschlagen, eine aus den USA, der Sowjetunion (nun wohl Rußland), Großbritannien, Frankreich und Deutschland als ständigen Mitgliedern bestehende "security group" einzurichten, der zudem noch je ein aus Nord-, Ost- und Südeuropa im Rotationsverfahren bestellter Teilnehmerstaat angehören soll. ISS Aufgabe der Sicherheitsgruppe wäre die Behandlung aller wesentlichen Sicherheitsfragen wie der Rüstungskontrolle, des Einsatzes von KSZE-peace-keeping Truppen und - nach einer Übergangsphase von mehreren Jahren - auch von KSZEKampftruppen. 156 Entscheidungen der Sicherheitsgruppe würden nicht dem Einstimmigkeitsprinzip unterliegen, ebensowenig würde den Mitgliedern dieses Forums ein Vetorecht zukommen. Der Ausbau der KSZE zu einem System kollektiver Sicherheit soll zunächst die Existenz der NATO unberührt lassen. Erst nach der Stabilisierung der wirtschaftlichen und politischen Lage in der (ehemaligen) Sowjetunion soll die NATO nach und nach ihre "security

in die KSZE einzugliedern, vgl. von Plate, Ost- und Mitteleuropa, S. 79 fI, insb. S. 83. Zur zukünftigen Aufgabenverteilung zwischen atlantischen Strukturen (NATO mit NAKR) und europäischem Pfeilert (EUIWEU) vgl. Kaiser, Europäischer Pfeiler und atlantische Kooperation: Eine alte Frage neu gestellt, in: KaiserIMaulI, Die Zukunft der Europäischen Integration, S. 68 fI. 154 So Char/es A. Kupchan/ Cli./Jord A. Kupchan, Concerts, Collective Security, and the Future of Europe, in: International Security XVI/I (Summer 1991), (zit.: Kupchan/Kupchan, Collective Security), S. 152 fI.; Ropers/Schlotter, Multilaterales Konfliktmanagement, S. 22 fI.; Jaberg, KSZE, S. 82 fI. 155 KupchaniKupchan, Collective Security, S.153 f. 156 Kupchan/Kupchan, Collective Security, S.154. 20 Wenig

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3. Kapitel: Handlungsalternativen

functions" an die KSZE abgeben. 157 Am Ende dieser Umstrukturierung würde die NATO aufgelöst, während sich die KSZE zu einer "effective and viable collective security structure" entwickelt hätte. 158 Eine anderer Vorschlag sah die Schaffung eines auf 12 KSZETeilnehmerstaaten beschränkten "KSZE-Sicherheitsrates" vor, der für alle "Konflikte zuständig (ist), die sich zwischen den Mitgliedern entwickeln und die den zwischenstaatlichen Frieden bedrohen oder in denen massive Menschenrechtsverletzungen zu erwarten oder bereits geschehen sind. "159 Die Zusammensetzung dieses Gremiums würde entsprechend dem KSZE-Finanzierungsschlüssel erfolgen, der 13 unterschiedliche Kategorien von Beitragszahlern vorsieht. Nach diesen Kategorien würden Gruppen zusammengestellt, von denen eine für jede Gruppe gleiche Anzahl von Staaten für zwei Jahre in die Zentralinstanz gewählt würden. Entscheidungen im KSZE-Sicherheitsrat sollen mit Mehrheit und ohne Vetorecht gefaßt werden, wobei bei besonderen Beschlüssen eine Qualifizierung dergestalt in Betracht käme, daß "eine bestimmte Zahl von Staaten aus jeder Kategorie einem Beschluß zustimmen muß."160 Während das Konzept der kollektiven Sicherheit militärische Sanktionen nur im Falle eines Angriffs eines Mitgliedstaates gegen einen anderen erlaubt, soll die KSZE bei grundlegenden Menschenrechtsverletzungen innerhalb eines Teilnehmerstaates unter bestimmten Voraussetzungen als ultima ratio auch die Möglichkeit zur "humanitären Intervention", also zum Einsatz von Militäreinheiten zur gewaltsamen Beendigung von Menschenrechtsverletzungen in einem Mitgliedstaat haben. 161 Allerdings wird die Durchfiihrung 157 KupchaniKupchan, Collective Security, S. 154, 161. Zu den negativen Auswirken von innerhalb eines Systems kollektiver Sicherheit existierenden Bündnissen vgl. WolfR., Kollektive Sicherheit, S. 369 fT. 158 KupchaniKupchan, Collective Security, S.161. Der Umbau der KSZE zu einem die NATO und die WEU ersetzenden System kollektiver Sicherheit wird auch von Meier 0., Sicherheitsgemeinschaft, S. 80 fI., gefordert. Vgl. auch StaackIMeier, KSZE und europäische Sicherheit, S. 21 f. Schifter, The Conference on Security and Cooperation in Europe: Ancient History or New Opportunities?, in: The Washington Quarterly, Autumn 1993, S.127 f., sieht in der Umwandlung der KSZE in ein umfassendes System kollektiver Sicherheit vor allem den Vorteil, in ihrem Anwendungsraum entstehenden Krisen unabhängig von der Gefahr eines chinesischen Vetos im UN-SR mit kollektiven Zwangsmaßnahmen begegnen zu können. 159 Ropers/Schlotter, Multilaterales Konfliktmanagement, S. 25. 160 Ropers/Schlotter, Multilaterales Konfliktmanagement, S. 26. 161 Ropers/Schlotter, Multilaterales Konfliktmanagement, S. 36 und S. 42. Zur völkerrechtlichen Problematik "humanitärer Interventionen" vgl. Hai/bronne,., Die Grenzen des völkerrechtlichen Gewaltverbotes, in: Berichte der Gesellschaft fUr Völkerrecht 26 (1985), S. 97 fI.; Doehring, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker, in: Simma, Charta der VN (zit.: Doehring, Selbstbestimmungsrecht der Völker), nach Art. 1 Rdnr. 63; Sandoz, Recht oder Pflicht zum Eingreifen, Recht auf Hilfe: Worum

m. Der Umbau der OSZE in ein System kollektiver Sicherheit

307

derartiger Operationen von einer vorherigen Ermächtigung durch den SR abhängig gemacht. 162 Der dritte Vorschlag sah die Umwandlung der KSZE in eine Organisation

fiir Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) mit einem "Rat für

Sicherheit" als oberstes Entscheidungsorgan vor. 163 Der Rat rur Sicherheit würde die wesentlichen sicherheitsrelevanten Entscheidungen treffen und ebenso wie der jetzige Ministerrat aus den Außenministem aller OSZETeilnehmerstaaten bestehen. Während die grundsätzlichen Leitlinien des Verhaltens im Konfliktfall in von allen Teilnehmerstaaten ratifizierten völkerrechtlichen Verträgen fixiert wären, würde die konkrete Umsetzung dieser Verträge, also beispielsweise die Anordnung von Sanktionsmaßnahmen, durch Mehrheitsbeschlüsse des Rates rur Sicherheit erfolgen. 164 Die entsprechenden Quoren solcher Entscheidungen würden von der Intensität der jeweiligen geht es eigentlich?, in: Auszüge der Revue Internationale de la Croix-Rouge, Band XLm Nr. 5 (September-Oktober 1992), S. 247 ff.; Torrelli, Von der humanitären Hilfe zum humanitären Eingreifen?, in: Auszüge der Revue Internationale de la Croix-Rouge, Band XLm Nr. 5 (September-Oktober 1992), S. 261 ff.; Akhavan, Lessons from Iraqi Kurdistan: Self-determination and Humanitarian Intervention Against Genocide, in: NQHR 1/1993, S. 41 fT.; Heinz, Schutz der Menschenrechte durch humanitäre Intervention?, in: APZ B12-13/93, S. 3 ff.; Greenwood, Gibt es ein Recht auf humanitäre Intervention, in: EA 4/1993, S. 93 ff.; Nass, Grenzen und Gefahren humanitärer Interventionen, in: EA 10/1993, S. 279 ff. Vgl. auch Kaiser, Politische Forderungen an die Einhaltung und Weiterentwicklung des Völkerrechts, in: Souchon, Völkerrecht und Sicherheit, S. 18 und ders., Das vereinigte Deutschland in der internationalen Politik, in: KaiserlMaull, Deutschlands neue Außenpolitik, Band 1, S. 12 mit der letztlich zutreffenden Überlegung, daß "ohne den Rückgriff auf kollektive legitime Gewalt gegen Aggression und massive Menschenrechtsverletzungen die Verwirklichung der von der Charta der Vereinten Nationen angestrebten Gewährleistung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit nicht möglich (ist)." Zur Tendenz des UN-SR, nicht mehr nur die Folgen massiver Menschenrechtsverletzungen in Form von unkontrollierten grenzüberschreitenden Flüchtlingsströmen (SRIRes. 688/1991), sondern die Menschenverletzungen selbst als Bedrohung des Weltfriedens und damit Maßnahmen nach Kapitel VII SVN zugänglich anzusehen (SRIRes. 794/1992) vgl. Li/lieh, Humanitarian Intervention through the United Nations: Towards the Development ofCriteria, in: ZaöRV 53/3 (1993), S. 557 ff., insb. S. 558 f; Blumenwitz, Humanitäre Intervention bei Minderheiten-Konflikten in: Politische Studien, Sonderheft 6/93, S. 52 ff., insb. S. 60 fT.; ders., Die humanitäre intervention, in: APZ B47/94, S. 3 ff.; Greenwood, Legal Limitations of the Prohibition of the Use of Force, in: Souchon, Völkerrecht und Sicherheit, S. 56; Tomusehat, Internationale Staatenwelt, S. 26 ff., der zudem den mit dem Kompetenzgewinn des SR verbundenen Fragen (Verantwortung des SR zum Eingreifen, internationale Gesetzgebung, Rechtskontrolle ) nachgeht. 162 Ropers/Sehlotter, Multilaterales Konfliktmanagement, S. 36. 163 Jaberg, KSZE, S. 82 ff. 164 Jaberg, KSZE, S. 84 fI. 20'

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3. Kapitel: Handhmgsaltemativen

Maßnahme abhängen, wobei eine Dreiviertelmehrheit aus Praktikabilitätsgründen die obere Grenze bilden sollte. Eigene OSZE-Streitkräfte werden zwar als langfristiges Ziel ins Auge gefaßt, doch soll die OSZE in absehbarer Zukunft nur die Möglichkeit zu peace-keeping Einsätzen haben. 165 Der Einsatz militärischer Mittel im Falle eines Angriffs auf einen OSZETeilnehmerstaat bliebe somit wie bisher den VN oder bei deren Untätigbleiben den einzelnen Staaten im Rahmen der individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung vorbehalten. 166 Die OSZE würde also erst ab dem Zeitpunkt, an dem ihr Rat fiir Sicherheit die Befugnis zum Einsatz von eigenen Streitkräften hat, ein umfassendes System kollektiver Sicherheit darstellen. Doch nicht nur Stimmen in der Literatur traten fiir eine Umformung der KSZE in ein System kollektiver Sicherheit ein: Im Vorfeld des Budapester Gipfeltreffen Ende 1994 machte Rußland den Vorschlag, die KSZE in eine "Organisation der europäischen Sicherheit" umzuformen. 167 Sie sollte eine eigene Charta als völkerrechtlichen Gründungsvertrag erhalten und über ein "Exekutivkomitee" genanntes Zentralorgan verfugen, das sich aus zehn Teilnehmerstaaten als ständigen Mitgliedern zusammensetzen und rechtsverbindliche Beschlüsse fassen sollte. Die KSZE würde fortan als regionale Einrichtung, d.h. als internationale Organisation mit eigener Völkerrechtssubjektivität fungieren. Ihr sollte vorbehaltlich der Rechte des SR die Hauptverantwortung für die Aufrechterhaltung des Friedens in Europa übertragen werden, und sie würde demgemäß Kontroll- und Koordinierungsfunktionen gegenüber anderen Organisationen, wie etwa der NATO, erhalten. 3. Die Realisierungswahrscheinlichkeit dieser Vorschläge a) Die grundsätzliche Problematik des Konzepts der kollektiven Sicherheit

In der Theorie erscheint das Konzept der kollektiver Sicherheit als ein gelungenes System zur Friedenssicherung: Der Aggressor sieht sich beim Angriff auf einen anderen Staat nicht nur den Gegenangriffen der Streitkräfte des überfallenen Staates oder einer aus mehreren Staaten bestehenden Verteidigungsallianz ausgesetzt, sondern den Streitkräften aller Staaten des Sicherheitssystems, seine militärische Niederlage ist somit unausweichlich, die Abschreckung vor einer möglichen Aggression perfekt.

165 Jaberg, KSZE, S. 78 f. und 1Ol. Zur Rolle der NATO in diesem Modell vgl. ebenda, S. 78 ff. 166 Jaberg, KSZE, S. 1Ol. 167 Vgl. zu diesen Vorschlägen Bacia, Pläne Rußlands, S. 2.

m. Der Umbau der OSZE in ein System kollektiver Sicherheit

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In der Praxis hingegen sind die Erfolgschancen eines derartigen System als sehr gering einzustufen: Zunächst muß die Staatengemeinschaft einen Konsens darüber finden, ob überhaupt eine Aggression vorliegt und wer der Aggressor ist. 168 Die unterschiedlichen Reaktionen der europäischen Großmächte nach den Unabhängigkeitserklärungen Sloweniens und Kroatiens und während des nachfolgenden Unabhängigkeitskampfes der beiden Republiken haben indes gezeigt, wie schwierig angesichts des nach wie vor ungeklärten Verhältnisses zwischen dem Prinzip der territorialen Souveränität und dem Selbstbestimmungsrecht der Völker ein solcher Konsens zu finden ist. 169 Die Staatengemeinschaft muß zudem über deutlich überlegene militärische Mittel verfUgen, um den Aggressor zum Rückzug bzw. Einlenken zu zwingen, eine angesichts des Nuklearzeitalters nicht immer gegebene Voraussetzung. Schließlich müssen auch die nichtangegriffenen Staaten bereit sein, die wirtschaftlichen und vor allem personellen Verluste einer militärischen Konfrontation einzugehen. Das unterschiedliche Handeln der VN im Kuwaitkonflikt und in der Jugoslawienkrise hat deutlich die altbekannte Tatsache unterstrichen, daß Staaten, solange nicht ihre unmittelbaren Interessen auf dem Spiele stehen, kaum dazu bereit sind, fiir abstrakte Güter wie das Völkerrecht, die Menschenrechte oder die Unverletzlichkeit der Grenzen größere Opfer an Menschen und Gütern zu bringen. 170 Ein kollektives Sicherheitssystem wird sich daher gegenüber einem aggressiven und mächtigen Staat letztlich als hilflos erweisen. 171

168 Zu den Voraussetzungen fiir das FWlktionieren eines Systems kollektiver Sicherheit vgl. Delbrück, Collective Security, S. 648 f; WolfR., Kollektive Sicherheit, S. 366 ff.; Ropers/Schlouer, Multilaterales Konfliktmanagement, S. 23. 169 So widersetzten sich in der EG vor allem Frankreich, Spanien und Großbritannien lange Zeit dem deutschen Vorschlag nach einer diplomatischen Anerkennung Sloweniens und Kroatiens, da sie nicht nur Sorge hatten, daß dies den Konflikt nur verschärfen würde, sondern sie auch fiirchteten, daß eine Aufspaltung Jugoslawiens in mehrere Staaten den separatistischen Bewegungen in ihren eigenen Ländern (z.B. Korsen, Basken und Nordiren) zu großen Auftrieb geben würde. Reuter, Internationalisierung, S. 349 f 170 So zutreffend Ropers/Schlouers, Multilaterales Konfliktmanagement, S. 23. Ebenso Axt, Auf dem Weg zur kollektiven Sicherheit? Die KSZE nach Erweiterung und Institutionalisierung, in: Europäische Rundschau 1/93 (zit.: Axt, Kollektive Sicherheit), S. 93 f Vgl. hierzu auch mit Bezug auf die Jugoslawienkrise Goodby, Collective Security in Europe After the Cold War, in: Journal of International AfTairs, Winter 1993, S. 319; Neuß. Die Blamage Europas, in: Europäische Rundschau 4/92, S. 85 ff., insb. S. 88; Gärtner, Fünf Sicherheitskonzepte für Europa, in: Europäische Rundschau 1/93, S. 50, Wagner w., Acht Lehren aus dem Fall Jugoslawien, in: EA 2/1992, S. 36

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3. Kapitel: Handhmgsalternativen

b) OSZE-immanente Hindernisse

Neben diesen grundsätzlichen Erwägungen sprechen aber noch zwei OSZEimmanente Argumente gegen eine Umwandlung der OSZE in ein System kollektiver Sicherheit: Um funktionstüchtig zu sein, müßte die OSZE als System kollektiver Sicherheit eine Art Sicherheitsrat, also ein im Verhältnis zum jetzigen Ministerrat kleineres Gremium mit Vorrechten gegenüber anderen Staaten errichten. Dies widerspricht aber dem Grundprinzip der OSZE von der souveränen Gleichheit aller ihrer Teilnehmerstaaten. l72 Zudem würde die Umwandlung der OSZE in ein System kollektiver Sicherheit voraussetzen, daß man der OSZE eigene Völkerrechtssubjektivität zuerkennt, da sie ansonsten keine rechtsverbindlichen Beschlüsse gegenüber ihren Teilnehmerstaaten erlassen könnte. 173 An eben diesen beiden Punkten (Zentralinstanz, Völkerrechtssubjektivität) scheiterte dann auch der russische Vorschlag nach Umwandlung der KSZE in eine "Organisation der europäischen Sicherheit". 174

sowie Wettig, Europäische Sicherheit und Wandel in Osteuropa, in: ÖMZ 4/1991, S. 295 f. bezüglich der Ausnahmesituation im Kuwaitkonflikt. 171 Sicherheit in Europa wird somit auch nach dem Ende des Kalten Krieges letztlich nur durch eine umsichtige Abschreckungspolitik im Rahmen von Verteidigungsvorkehrungen und BÜI1dnispolitik zu erreichen sein. So auch das Resümee von Wolf R., Kollektive Sicherheit, S. 374 und JojJe, Collective security and the future of Europe: failed dreams and dead ends, in: Survival, Spring 1992, S. 36 fT., hier S. 49. 172 VgJ. hierzu nur Decaux, CSCE Institutional Issues, S. 23 sowie Häynck, Beiträge der OSZE zu neuer Stabilität, Abschnitt V, demzufolge "eine große Zahl von OSZETeilnehmerstaaten zumindest derzeit nicht bereit ist, auch die OSZE in eine Institution zu verwandeln, an deren wichtigsten Entscheidungen sie nicht mitwirken können. " 173 VgJ. hierzu auch von Plate, Die innerstaatliche Funktion der KSZE, in: von Plate, Europa auf dem Weg zur kollektiven Sicherheit?, S. 213, demzufolge die KSZE in ihrer auf dem Helsinki-Folgetreffen 1992 beschriebenen Funktion (Forum fiir Dialog, Verhandlung und Zusammenarbeit, das der Gestaltung des neuen Europas Richtung und Impulse gibt) "- Ausnahmen einmal außer Acht gelassen - nicht auf die völkerrechtliche Unverbindlichkeit ihrer Beschlüsse sowie den durch vage Formulierungen eingeschränkten Grundsatz der Einstinunigkeit verzichten (kann)." 174 VgJ. hierzu S. 89 f. Diese beiden Argumente gegen einen Umwandlung der damals noch KSZE genannten OSZE in ein System kollektiver Sicherheit wurden auch von den am KSZE-Prozeß unmittelbar beteiligten Diplomaten des Auswärtigen Amts immer wieder hervorgehoben. Gespräch des Verfasser mit LS Dr. Hector und LR I Kremp am 14.4.1993 und 2l.l2.1993. Hinzu kommen, einmal abgesehen vom russischen Vorschlag und den hiergegen vorgebrachten Einwänden aus NATO-Sicht, noch grundsätzliche machtpolitische Erwägungen: So lehnen insbesondere Großbritannien

ill. Der Umbau der OSZE in ein System kollektiver Sicherheit

311

Zwar wurde die KSZE zum 1.1.1995 in eine Organisation umbenannt, ihr Status als außerrechtliche politische Abmachung, somit als internationale Organisation ohne Völkerrechtsfähigkeit, blieb hiervon jedoch unberührt. 175 Hierin zeigte sich der nunmehr auch wieder von Rußland 176 geteilte Wille der KSZE-Teilnehrnerstaaten, daß die KSZE ein politischer und kein rechtlicher Prozeß ist und aus Flexibilitätsgesichtspunkten auch in Zukunft (als OSZE) bleiben soll. 4. Ergebnis Ebenso wie die KSZE stellt auch die OSZE mangels Völkerrechtssubjektivität und einer zu rechtlich bindenden Entscheidungen auf militärischem Gebiet befugten Zentralinstanz kein System kollektiver Sicherheit dar. 177 Hingegen und Frankreich eine Umformung der OSZE in ein System kollektiver Sicherheit ab, da hierdurch ihre Position als Sicherheitsratsmitglieder an Gewicht verlieren würde. 175 Vgl. hierzu die Ausfilhrungen aufS. 77 tf., inb. S. 91. 176 Vgl. hierzu S. 89 f. 177 Anders Fastenrath, Was ist ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit?, in: FAZ vom 19.4.1994, S. 8, demzufolge bereits die KSZE insb. angesichts ihrer Streitbeilegungsverfahren ein System kollektiver Sicherheit "im weiteren Sinne" darstellte. Zwar gehört das Vorliegen von Verfahren zur friedlichen Beilegung von Streitigkeiten mit zu den Voraussetzungen eines System kollektiver Sicherheit (vgl. hierzu Delbrack, Collective Security, S. 649), doch fehlte der KSZE und fehlt auch der OSZE das entscheidende Charakteristikum zur QualifJ.kation als ein System kollektiver Sicherheit, nämlich die Existenz einer Zentralinstanz, die im Falle eines Angriffs von einem Mitgliedstaat gegen einen anderen rechtlich bindende Entscheidungen gegenüber den anderen Mitgliedstaaten erlassen kann (vgl. zu diesem Erfordernis Delbrack, Collective Security, S. 647 f.; Doehring, Kollektive Sicherheit, in: Wolfrum, Handbuch Vereinte Nationen, Rdnr. 2). Die KSZE bzw. OSZE ist somit kein System kollektiver Sicherheit, auch keines "im weiteren Sinne". Vgl. auch die Feststellung von Haftendom, Gulliver in der Mitte Europas. Internationale Verflechtung und nationale Handlungsmöglichkeiten, in: KaiserIMaulI, Deutschlands neue Außenpolitik, Band I, S. 137: "Der KSZE fehlen derzeit jedoch die Möglichkeiten dafilr, um als System kollektiver Sicherheit erfolgreich wirken zu können." Weitergehend noch Möttölä, Prospects for Cooperative Security in Europe: The Role ofthe CSCE, in: Lucas, The CSCE in the 1990s (zit.: Möttölä, Prospects for Cooperative Security in Europe), S. 16, demzufolge "(a)n ideal collective security arrangement - universal in memebership, global in scope and legally binding in commitments, with a deterrent capability that would replace or, in a significant manner, complement national or alliance self-defense - is not under active consideratioin for a post-Cold War security order, within the CSCE or elsewere." Vgl. aber auch die unter Führung von Bahr und Lutz vom Institut fiir Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg entwickelte Studie zur Entwicklung einer Europäischen Sicherheitsgemeinschaft (ESG), abgedruckt in: S + F 3/93 (zit.: BahriLutz, Vom Recht des Stärkeren zur Stärke des Rechts, Die Europäische Sicherheitsgemeinschaft (ESG) als Garant fiir Sicherheit und Frieden), S. 170 tf.

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3. Kapitel: Handhmgsaltemativen

kann die OSZE aufgrund ihrer politischen Grundlage, ihrer auf Konsens basierenden Entscheidungsstrukturen sowie ihrer Aufgaben im Bereich der Konfliktprävention und friedlichen Streitbeilegung als ein - militärische Maßnahmen schon begriftlich ausschließendes - System kooperativer Sicherheit bezeichnet werden. 178 Eine Umwandlung der OSZE in ein System kollektiver Sicherheit, durch das ihr die Möglichkeit gegeben würde, militärische Maßnahmen gegen einen Aggressor aus ihren eigenen Reihen zu ergreifen, ist angesichts der konzeptionellen Schwächen des Systems kollektiver Sicherheit, der andersgelagerten OSZE-Struktur sowie insbesondere aufgrund des mangelnden Willens der Teilnehmerstaaten zur Verrechtlichung der OSZE nicht zu erwarten.

178 Vgl. Vetschera, KSZE als Einrichtung kooperativer Sicherheit, S. 95 ff.; Möttölä, Prospects for Cooperative Security in Europe, S. 14 ff., insb. S. 28; Kemp, Giving teeth to the CSCE?, in: The World Today, October 1994, S. 183, 185. Zur Idee der Schaffung eines Systems konföderaler Zusammenarbeit vgl. Hänsch, Vertiefung der Gemeinschaft und gesamteuropäische Identität. Ein System konföderaler Zusammenarbeit, in: KaiserIMaulI, Die Zukunft der Europäischen Integration, S. 93 ff.

Viertes Kapitel

Abschließende Bewertung der Möglichkeiten der OSZE bei der Beilegung von Streitigkeiten unter besonderer Berücksichtigung der ihr im Rahmen ethnischer Konflikte erwachsenden Aufgaben I. Die Bedeutung des präventiven Konßiktlösungsansatzes der OSZE für die internationale Sicherheit Angesichts der im Jugoslawienkonflikt unter Beweis gestellten Tatsache, daß gewaltsam ausgetragene ethnische Konflikte, wenn überhaupt, dann nur durch die glaubhafte Drohung oder gar den Einsatz überlegener militärischer Mittel beendet werden können, die OSZE hierzu aber nicht in der Lage ist, stellt sich die Frage, ob man die OSZE überhaupt noch braucht, oder ob sie nicht nach dem Erreichen ihres ursprünglichen Zieles, der Entschärfung und Überwindung des Ost-West-Gegensatzes, überflüssig ist. 1 Eine Obsoleszenz der OSZE könnte allenfalls dann konstatiert werden, wenn die Staatengemeinschaft über ein funktionierendes System der militärischen Abschreckung bewaffneter ethnisch motivierter Angriffe verfugen würde. Die VN stellen zwar nach dem Wortlaut der UN-Charta ein System kollektiver Sicherheit dar, das bisherige Handeln oder besser gesagt Nichthandeln der Staatengemeinschaft in der Jugoslawienkrise hat allerdings deutlich ge-

1 So beispielsweise Amold, Rohbau oder Ruine: Die KSZE in der Sicherheitsarchitektur Europas, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 2/94, S. 213: "Mit dem Ende der Konfrontation von Ost- und Westblock ist die KSZE als Regionalorganisation obsolet geworden. Sie ist heute noch da, weil sie noch da ist, nicht weil sie erforderlich wäre." Allerdings schränkt Arnold diese Aussage im darauffolgenden Satz wieder ein, in dem er die Rolle der KSZE bei der Ausfilllung des sicherheits- und kooperationspolitischen Vakuums auf dem eurasischen Kontinent und bei der Entwicklung von Modellen für die präventive Diplomatie betont. Vgl. auch von Bredow, Netzwerk politischer Kommunikation in einer heterogenen Welt - Perspektiven der KSZE, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 3/94, S 325, der in seiner Zwischenbilanz die Rolle der KSZE im wesentlichen auf ihren "die Grenzen des Kontinents offenhaltende(n) Austausch der Mitglieder" beschränkt sieht. Äußerst kritisch Kind, Ende der KSZE-Illusion, in: Die Welt vom l.9.1993, S. 7, demzufolge "der Konflikt im ehemaligen Jugoslawien (hat) deutlich werden lassen, wie irrelevant die von soviel Hotfnungen begleitete Organisation (die KSZE, Anm. des Verf.) geworden ist. "

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4. Kapitel: Abschließende Bewertung der Möglichkeiten der OSZE

zeigt, daß auch nach der Beendigung der ideologischen und machtpolitischen Konfrontation des Ost-West-Gegensatzes die ständigen Mitglieder des SR nicht bereit sind, für die Verteidigung der in der UN-Charta festgelegten Völkerrechtsprinzipien größere Opfer an Menschen und Material zu bringen, solange ihre eigenen lebenswichtigen Interessen nicht auf dem Spiele stehen. Da somit die VN keinen wirksamen Schutz gegen Aggression bieten, die zur Schließung dieser Lücke entwickelten Bündnissysteme Sicherheitsgarantien aber nur rur ihre Mitglieder abgeben und die militärische Beendigung bewaffneter Auseinandersetzungen daher nur in bestimmten Ausnahmefällen erfolgt, muß es vordringliches Ziel der internationalen Staatengemeinschaft sein, den Ausbruch bewaffneter Konflikte von vornherein zu verhindern. Dies gilt insbesondere für ethnische Konflikte, da diese über ein gewaltiges Eskalationspotential verfugen und aufgrund ihres Bürgerkriegscharakters einer militärischen Streitbeilegung nur sehr schwer zugänglich sind. Benötigt werden also Instrumentarien zum frühzeitigen Abbau von Konfliktpotentialen. Eben dieses Ziel wird von der OSZE verfolgt, die in den letzten Jahren den höchsten Entwicklungsstand aller internationalen Organisationen auf dem Gebiet der Konfliktprävention und Konflikteindärnmung erreicht hat und somit gerade in der jetzigen Zeit dringender denn je benötigt wird. Durch ihr Konzept der ständigen Konsultationen sowie die Entsendung von Berichterstatter- und Langzeitrnissionen eröffnet sich der OSZE im Gegensatz zu den VN ein Einblick in die inneren Angelegenheiten ihrer Teilnehmerstaaten. Im Entstehen befindliche Konflikte können somit frühzeitig erkannt und mit Hilfe der Streitbeilegungsmechanismen beigelegt werden. Voraussetzung hierzu ist allerdings immer der Wille des betroffenen Teilnehmerstaates zur Mitwirkung bei der Konfliktlösung. Hierbei kommt dem Vertrauen, daß sich die KSZE/OSZE als Konsultationsforum bei den Staats- und Regierungschefs erworben hat, ein besonderes Gewicht zu. So erklärte beispielsweise der serbische Präsident Slobodan Milosevic, daß er der UNO oder der EU niemals die der KSZE gestatteten Langzeitrnissionen nach Kosovo, Woiwodina und Sandschak erlaubt hätte. Hintergrund für die der KSZE gegenüber gemachte Ausnahme sei die besondere Tradition der KSZE und des jugoslawischen Anteils daran gewesen. 2 Ein ähnliches Verhalten zeigte auch die russische Föderation, die Anfang Januar 1995 dem UN-Sekretariat gegenüber eine Befassung der Vereinten Nationen mit der Tschetschenien-Krise unter Verweis auf "innere Angelegenheiten" ablehnte, wohl aber der KSZE, wenn auch nach anfänglichem Zögern, die Entsendung einer Mission von Menschenrechtsexperten nach Tschetschenien gestattete. 3 2 So Honsowitz, "OSZE zuerst", S. 52. 3 Vgl. Honsowitz, "OSZE zuerst", S. 53 sowie OSCE Newsletter, Febnuuy 1995, S. 1 ff.

I. Die Bedeutung des präventiven Konfliktlösungsansatzes der OSZE

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Die Mitwirkungsbereitschaft zur Konfliktlösung ist um so größer, je geringer die Eskalationsstufe des Konflikts zum Zeitpunkt der Befassung durch die OSZE ist. Ist der Dialog zwischen den Konfliktparteien erst einmal durch die Sprache der Waffen ersetzt worden, so stehen fortan militärische und nicht mehr politische oder wirtschaftliche Erwägungen im Vordergrund des Handelns der Streitparteien. 4 Verhandlungsbereitschaft kann dann nur noch durch militärische Niederlagen erzwungen werden. Worte nützen, das haben die unzähligen vereinbarten und gleich darauf wieder gebrochenen Waffenstillstände im ehemaligen Jugoslawien deutlich gezeigt, gegen den Einsatz von Waffen nichts. Gerade um dieser fatalen Situation zu entgehen, gilt es, bereits im Vorfeld des Konfliktes, also konfliktpräventiv tätig zu werden und die einander gegenüberstehenden Interessen durch Dialog zu einem gerechten Ausgleich zu bringen. Auch hierzu bietet die OSZE die notwendigen Voraussetzungen: Durch ständige Konsultationen im Rahmen ihrer Institutionen wird Transparenz in die Aktivitäten der Teilnehmerstaaten gebracht, Vertrauen zwischen den jeweiligen Staaten kann somit geschaffen, mögliche Bedrohungsperzeptionen abgebaut werden. 5 Dieser Konsultations- und Vertrauensbildungsprozeß ist nicht nur auf das Verhältnis der OSZE-Teilnehrnerstaaten untereinander beschränkt, sondern umfaßt insbesondere auch die Beziehungen unterschiedlicher ethnischer Gruppen innerhalb einzelner Teilnehmerstaaten. Während im bilateralen Verhältnis die OSZE-Institutionen die notwendigen Konsultationsforen bilden, wird diese Aufgabe im Bereich der Minderheitenfragen vom HKNM sowie von den OSZE-Missionen, und hierbei insbesondere von den Langzeitmissionen, wahrgenommen. Das Tätigkeitsfeld der OSZE-Missionen ist im Gegensatz zu den traditionellen UN-Beobachtermissionen nicht nur auf das reine Beobachten und Berichten der Ereignisse vor Ort beschränkt, sondern liegt in erster Linie in der aktiven Förderung des Dialogs zwischen den

4 So wurde das Mandat der KSZE-Mission nach Kosovo, Woiwodina und Sandschak im Sommer 1993 von Restjugoslawien nicht verlängert und die Missionsteilnehmer damit zur Beendigung ihrer Arbeit gezwungen, vgl. hierzu S. 245 ff. Ein anderes Beispiel ist die Mission nach Tschetschenien, die weitere Übergriffe auf die dortige Zivilbevölkerung durch russische Truppen nicht verhindern konnte. 5 Vgl. Höynck, The Role of the CSCE in the New European Security Environment, in: Helsinki Monitor 1/1994, S. 16 ff.; Oellers-Frahm, Die KSZE - Hoffnungsträger, S. 14; Gärtner, Fünf Sicherheitskonzepte fiI.r Europa, S. 46; de Lange, The CSCE and Security in Europe, in: Helsinki Monitor 3/92, S. 33. Zudem kann hiermit das aus der fehlenden sicherheitspolitischen Verankerung der osteuropäischen Staaten resultierende Sicherheitsdilemma, wenn auch nicht aufgehoben, so doch zumindest reduziert werden, vgl. Czempiel, Europäische Friedensordnung, S. 96 f.; Wolf R., Kollektive Sicherheit, S. 372.

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4. Kapitel: Abschließende Bewertung der Möglichkeiten der OSZE

Streitparteien. 6 Durch die Entsendung von OSZE-Missionen können somit Vertrauen zwischen den Volksgruppen hergestellt und Möglichkeiten zu einer Verbesserung ihrer Beziehungen offeriert werden. Gleichzeitig kann die Mission die lokalen Behörden vor Ort zur Einhaltung der von ihrer Regierung vereinbarten Minderheitenstandards anmahnen und so einer weiteren Verschärfung der Spannungen vorbeugen. 7 Neben der Vertrauensbildung zwischen den Streitparteien steht die Einbeziehung und Einbindung der ehemals sozialistischen Staaten in das OSZEWertesystem von Demokratie, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit im Vordergrund der OSZE-Aktivitäten. 8 Durch ständigen Dialog innerhalb der OSZE-Gremien, gesonderte Seminare sowie eine regelmäßige Besuchsdiplomatie werden insbesondere die neuen Staaten im Kaukasus und Zentralasien an die Durchfiihrung ihrer Verpflichtungen erinnert und ihnen gleichzeitig Hilfestellung beim Aufbau demokratischer und rechtsstaatlicher Institutionen geliefert sowie Lösungsmöglichkeiten fiir Minderheitenfragen offeriert. Auch hierbei nehmen die OSZE-Missionen eine herausragende Stellung ein, da neben der Entschärfung bestehender Spannungen die Unterstützung der Staaten bei der Entwicklung demokratischer rechtsstaatlicher Institutionen immer mehr im Vordergrund ihrer Aktivitäten steht. 9

6 Demzufolge wird bei der Zusammensetzung von OSZE-Missionen großer Wert darauf gelegt, daß die Missionsteilneluner eine frühere Verwendung im künftigen Gastland hatten und die Landessprache beherrschen. OSZE-Missionen sind daher weit weniger personal stark wie UN-Missionen, zeichnen sich dafür aber durch besonders qualiflziertes Personal aus. Vgl. hierzu Vetschera, KSZE als Einrichtung kooperativer Sicherheit, S. 127. Zu den Aufgaben der OSZE-Missionen vgl. Höynck, Die KSZE arbeitet am Ausbau ihres Konfliktverhütungspotentials, in: NATO-Brief 2/1994, S. 19. 7 Vgl. hierzu die Ausführungen auf S. 131. Die stabilisierende Wirkung internationaler Präsenz wurde insbesondere im Kosovo deutlich, wo die Serben nach dem von ihnen erzwungenen Abzug der OSZE-Langzeitrnission ihre Repressionen gegen die albanische Bevölkerungsmehrheit deutlich verstärkten. So kamen allein in den ersten zwei Monaten nach dem Abzug der Mission sieben Albaner durch Schüsse der Polizei oder Folterungen ums Leben. Vgl. hierzu AdG 1994, S. 38507: Der AHB erklärte auf seinem 25. Treffen in Prag Anfang März 1994 seinen "deep concern at the deterioration ofthe situation in Kosovo and Sandjak." 25-CSO/Journal No. 3 Annex 2: CSCE on Bosnia-Herzegovina, Croatia, Yugoslavia (Serbia and Montenegro) and the situation in the region. 8 Vgl. hierzu auch Joetze, Zwischen Versagen und Erfolg, S. 286 sowie Kühnhardt, Menschenrechte, Minderheitenschutz und der Nationalstaat im KSZE-Prozeß, in: APZ B47/94, S. 19. 9 So bestimmte der KSZE-Rat auf seinem vierten Treffen Ende 1993, daß "(d)en Fragen der menschlichen Dimension in den Mandaten der KSZE-Missionen sowie in den Anschlußmaßnahmen zu den Missionsberichten weitere Aufmerksamkeit geschenkt (wird)." Beschlüsse von Rom, Abschnitt IV, Ziff. 3 (zum Begriff der menschli-

II. Die künftigen Aufgabenfelder der OSZE

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Ein besonderes Beispiel für das Bestreben der OSZE, die ehemals sozialistischen Staaten an ihr Wertespektrum zu binden, zeigen die Absichten der OSZE, den russisch dominierten GUS-Friedenstruppen OSZE-Beobachter mit Langzeitauftrag beizugeben, um so "unter anderem zu gewährleisten, daß Rolle und Aufgaben von Drittstreitkräften in einem Konfliktgebiet mit KSZEPrinzipien und -Zielen in Einklang stehen. "10 All diese Maßnahmen dienen letztlich der Konfliktprävention, die OSZE leistet hier einen nicht zu unterschätzenden Beitrag für die internationale Sicherheit. Daß - dies sei nebenbei bemerkt - diese Aktivitäten der OSZE in der Öffentlichkeit kaum bekannt sind, liegt am Wesen der Konfliktprävention: Konflikte, die nicht in Erscheinung treten, eben weil sie im Vorfeld durch präventive Diplomatie verhindert wurden, sind nun einmal medienpolitisch weitaus uninteressanter als solche, die sich voll entfalten und erst durch den Einsatz von Zwangsmitteln beendet werden. I I

11. Die künftigen Aufgabenfelder der OSZE 1. Überblick

Die zukünftigen Aufgaben der OSZE im Rahmen ihrer Befassung mit ethnischen Konflikten liegen sowohl in der aktuellen Konjliktbehandlung als auch im normativen Bereich. Zu erstem gehört wie bisher die regionale Friedenssicherung durch Vertrauensbildung und friedliche Streitbeilegung. Als Instrumentarien stehen die OSZE-Gremien mit ihren Konsultationsforen sochen Dimension siehe S. 111). Demzufolge sowie in Ausfilhrung der Beschlüsse von Rom zu Georgien entschied der AHB auf seinem 25. Treffen Anfang März 1994, "to enlarge the mandate of the CSCE Mission to Georgia to include a human rights/legal expert as weIl as an administrative officer. The human rights/legal expert will deal with the mission's actvities in promoting the human rights situation in the country, providing advice on issues relating to human rights and fundamantal freedoms, including the preparation of the new constitution and the monitoring of elections in the area." (CSCE, 25th Meeting of the Committee of Senior Officials, Prague 1994, Decisions, Chapter: Situation in the Republic of Georgia). Gleichzeitig wurde die Wiedereinsetzung der KSZE-Missionen nach Kosovo, Sandschak und Woiwodina gefordert "in order to contribute effectively to the prevention of conflict in the region, the establishment of democratic institutions and the resumption of talks on the status of Kosovo." 25-CSO/Journal No. 3, Annex 2. 10 Beschlüsse von Rom, Abschnitt II, Ziff. 2. Vgl. hierzu und zu den ersten Kontakten zwischen GUS-Friedenstruppen und OSZE-Beobachtern im Rahmen der OSZEBerichterstattermission nach Südossetien (Georgien) die Ausfilhrungen aufS. 138 f. 11 Vgl. hierzu Honsowitz, Konflilctverhütung, S. 371 f. sowie Schneider, KSZE: Stunde der Wahrheit, in: EZ Januar 1995, S. 2.

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4. Kapitel: Abschließende Bewertung der Möglichkeiten der OSZE

wie die Streitbeilegungsmechanismen der OSZE zur Verfiigung, wobei den Missionen vor Ort eine besondere Bedeutung zukommt. Die regionale Friedenssicherung umfaßt die präventive Lösung sich abzeichnender Konflikte (Konfliktprävention), im Falle der Kooperation der Streitparteien auch die Lösung gewaltsam ausgetragener Konflikte (Konfliktbeilegung) sowie die Hilfestellung sowohl bei der Wiederherstellung von Vertrauen und Zusammenarbeit als auch beim Aufbau demokratischer und rechtsstaatlicher Institutionen nach der Beendigung kriegerischer Auseinandersetzungen (Konfliktnachsorge, d.h. Friedenskonsolidierung in der Konfliktfolgezeit). Auf der normativen Ebene gilt es, die bisher erarbeiteten Schutzbestimmungen rur Minderheiten zu präzisieren und ihre Implementierung zu gewährleisten, Regelungsmechanismen für die Auflösung von Mehrvölkerstaaten, die Sezession von Teilgebieten und die Staatenneubildung zu entwickeln sowie Verfahrensregeln für Grenzkorrekturen und deren Überwachung auszuarbeiten. Zur Vermeidung institutioneller Parallelarbeit zwischen OSZE und Europarat sollte jede Institution den Schwerpunkt ihrer Tätigkeit in den Bereich legen, in dem ihre jeweiligen Stärken liegen. 12 So ist die OSZE aufgrund ihrer im Vergleich zum Europarat häufiger tagenden Konsultationsforen besser dazu geeignet, durch die "normative Kraft des Dauerdialoges"13 die unter mehreren Teilnehmerstaaten bestehenden Bedenken gegen einen umfassenden Minderheitenschutz zu entkräften und ihnen die Vorteile entsprechender Regelungen zu verdeutlichen. Darüber hinaus besitzt die OSZE den gerade für den äußerst sensiblen Bereich der Minderheitenrechte bedeutsamen Vorteil, Sachverhalte, welche die Staaten vertraglich zu normieren noch nicht bereit sind, in außerrechtlichen Dokumenten festzulegen, um so die erhofften Wirkungen der entsprechenden Regelungen zunächst einmal in der Praxis beobachten zu können, bevor sie in rechtsverbindlicher Form festgeschrieben werden. Die Umsetzung dieser politischen Verhaltensregeln in entsprechende rechtsverbindliche und einklagbare Konventionen wäre dann Aufgabe des Europarates, während die OSZE im Rahmen ihrer Missionen die konkrete Einhaltung vor Ort überwachen könnte. 2. Regionale Friedenssicherung durch Vertrauensbildung und friedliche Streitbeilegung Hauptaufgabe der OSZE wird auch in Zukunft die aktuelle Konfliktbehandlung, d.h. die Bewahrung von Frieden, Sicherheit und Menschenrechten durch 12 Zur bisherigen Zusanunenarbeit zwischen KSZE und Europarat vgl. Buchsbaum, The CSCE and International Organizations: Expanding Cooperation with the Council ofEurope, in: Lucas, The CSCE in the 1990s, S. 135 tf 13 Schlouer, KSZE und VN, S. 140.

11. Die künftigen Aufgabenfelder der OSZE

319

Vertrauensbildung und friedliche Streitbeilegung in ihrem Geltungsbereich sein. Im Rahmen der OSZE-Institutionen können die Teilnehmerstaaten sich abzeichnende oder bestehende Konflikte erörtern und entweder sofort beilegen oder mit Hilfe der Streitbeilegungsverfahren im Rahmen von Missionen vor Ort auf ihre genauen Ursachen untersuchen und dann auf lokaler oder staatlicher Ebene entschärfen oder ganz beenden. Daneben können die Teilnehmerstaaten auch auf das von der OSZE bereitgestellte Instrumentarium von Vergleichs- und Schiedsverfahren zurückgreifen. Die OSZE verfugt somit über ein ganzes Bündel von Maßnahmen, um die in ihrer Region entstehenden Konflikte einer friedlichen Lösung zuzufiihren. Ebenso wichtig wie die Konfliktprävention und Konfliktbeilegung ist die Wiederherstellung von Vertrauen und Zusammenarbeit nach der Beendigung kriegerischer Auseinandersetzungen. Auch in diesem Bereich der Friedenskonsolidierung in der Konfliktfolgezeit, der Konfliktnachsorge, stehen der OSZE mit dem BDIMR, dem KVZ und ihren Missionen erfolgversprechende Instrumente zur Verfügung. So könnte die OSZE etwa nach einern Friedensschluß auf dem Balkan, mag er momentan auch in noch so weiter Feme liegen, vorn BDIMR die Abhaltung freier und fairer Wahlen, etwa in BosnienHerzegowina, überwachen lassen, im KVZ könnten Verhandlungen über Abrüstungsmaßnahmen in der Konfliktregion abgehalten und Vereinbarungen über vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen im militärischen Bereich zwischen den ehemaligen Kriegsgegnern ausgehandelt werden. Schließlich könnten Missionen vor Ort die Einhaltung von Menschen- und Minderheitenrechten sowie entsprechende Rüstungskontrollvereinbarungen überwachen und Hilfestellungen beim Aufbau demokratischer und rechtsstaatlicher Institutionen leisten. Sowohl im Rahmen der Konfliktprävention, der Konfliktbeilegung als auch der Konfliktnachsorge kommt der OSZE somit ihre Fähigkeit zugute, aufgrund der im Rahmen ihrer Gespräche auf staatlicher bzw. lokaler Ebene gewonnenen aktuellen Kenntnisse der betreffenden Situation schnell und erfolgversprechend zu handeln. Von ausschlaggebender Bedeutung ist ferner das "umfassende Sicherheitskonzept der OSZE" 14 , das die Bereiche Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, Marktwirtschaft und militärische Sicherheit beinhaltet und dem zwischen ihnen bestehenden Zusammenhang Rechnung trägt.15 Diese Möglichkeiten zur regionalen Friedenssicherung müssen von der OSZE weiterhin aktiv genutzt werden, um auf diese Weise als 14

Höynck, Beiträge der OSZE zu neuer Stabilität, Abschnitt m.

15 Vgl. auch Siekmann, The Linkage between Peace and Security and Hwnan Rights

in the CSCE Process, in: Helsinki Monitor 1/1994, S. 43 ff. sowie Staack, Eine europäische Sicherheitsarchitektur: Aussichten ftlr eine regionalspezifische Nonnen- und Regimebildung, in: von Plate, Europa auf dem Weg zur kollektiven Sicherheit?, S. 187 tT.

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4. Kapitel: Abschließende Bewertung der Möglichkeiten der OSZE

regionale Abmachung auch zukünftig Frieden und Sicherheit in ihrer Region zu wahren. 16 Die Beziehungen der Regionalorganisation OSZE zur Universalorganisation UNOl7 sollten zum Zwecke einer noch effektiveren Zusammenarbeit beider Organisationen bei der Friedenssicherung sowie zur zusätzlichen Entlastung des SR weiter ausgebaut werden. Richtungsweisend war in diesem Zusammenhang eine Initiative des damaligen niederländischen Außenministers Kooijmans und seines deutschen Kollegen Kinkei, derzufolge sich die KSZE-Teilnehmerstaaten auf dem Budapester Gipfeltreffen Ende 1994 verpflichten sollten, die in der KSZE-Region entstehenden und einer regionalen Konfliktlösung zugänglichen Streitigkeiten vor einer Befassung des SR mit den ihnen zur Verfiigung stehenden Streitbeilegungsverfahren einer friedlichen Streitbeilegung zuzufiihren. Sollten die Bemühungen der Teilnehmerstaaten erfolglos geblieben und ihrer Meinung nach ein Handeln des SR nach Kapitel VII SVN erforderlich sein, so sollte eine Befassung des SR durch einen gemeinsamen Beschluß, der erforderlichenfalls auch ohne die Zustimmung der Streitparteien zu treffen wäre, erfolgen. 18 Der Entschluß zur Befassung des SR sollte eine Lageeinschätzung und gegebenenfalls einen Vorschlag der zu ergreifenden Maßnahmen enthalten. 19 Die vom SR beschlossenen Maßnahmen sollten von der KSZE unterstützt werden. Zudem sollte die KSZE versuchen, eine Verpflichtung anderer euro-

16 Zur Frage, inwieweit das OSZE-Modell der Friedenssicherung auch auf andere Regionen übertragen werden kann bzw. dortigen Organisationen als Vorbild dient, vgl. Schimmelfennig, The CSCE as a Model for the Third World? The Middle East and African Cases, in: Lucas, The CSCE in the 1990s, S. 319 fI.; Ghebali, Towards a CSCE in the Mediterranean: The CSCM, in: Lucas, The CSCE in the I 990s, S. 335 fI.; Veta, Japan and the CSCE: Towards the Extended Euro-Atlantic Community from Toleyo to Vladivostok via San Francisco, in: Lucas, The CSCE in the 1990s, S. 207 fI.; dies., The evolution of Cooperative Security Dialogues in Europe as weIl as in Asia and the Pacific: CSCE, NACC, and ARF, in: Helsinki Monitor 4/1994, S. 62 fI. 17 Vgl. Gaer, The United Nations and the CSCE: Cooperation, Competition, or Confusion?, in: Lucas, The CSCE in the 1990s, S. 161 fI. Zur Aufgabenverteilung zwischen EU und OSZE vgl. Cameron, The European Community and the CSCE, in: Lucas, The CSCE in the 1990s, S. 265 fI., insb. 275 fI. Zur Arbeit der EUMitgliedstaaten in der KSZE vgl. aucp. Brandenburg, Reviewing the CSCE: The Role of the European Union, in: European Union, CFSP Forum, (zit.: Brandenburg, Reviewing the CSCE), S. 6. 18 So die noch im Entwurf zum Budapester Dokument unter dem Abschnitt "CoOperation between the Conference on Security and Co-Operation in Europe and the United Nations" in ZifI. :2 und 3 enthaltene Bestimmung. Vgl. hierzu auch Honsowitz, "OSZE zuerst", S. 53 und Brandenburg, Reviewing the CSCE, S. 6. 19 Vgl. ZifI. 3 des Entwurfes.

TI. Die künftigen Aufgabenfelder der OSZE

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päischer Institutionen zur Durchführung von friedenserhaltenden und -erzwingenden Maßnahmen herbeizufiihren. 20 Mit dieser sog. "Kinkel-Kooijmans-Initiative" sollte das Potential der KSZE als regionale Abmachung gemäß dem, die zeitliche Befassung von KSZE und SR betreffenden, Prinzip "KSZE-zuerst" gestärkt werden und ihr durch die kollektive Befassung des SR "indirekt das gesamte Spektrum möglicher Maßnahmen zur Krisenbewältigung von der Frühwarnung bis zu Zwangsmaßnahmen" erschlossen werden. 21 Aufgrund des KSZE-Lageberichts und der von ihr vorgeschlagenen Maßnahmen sollte die Entscheidungsfindung und damit die Beschlußfassung des SR beschleunigt werden. Die "Kinkel-Kooijmans-Initiative" konnte zwar wegen armenischer Vorbehalte auf dem Budapester Gipfeltreffen nicht angenommen werden, doch scheint ihre Annahme "in naher Zukunft möglich. "22 3. Die Präzisierung von Schutzbestimmungen für Minderheiten innerhalb multiethnischer Staaten und ihre Implementierung a) Einführung

Den effektivsten Ansatz zur Konfliktprävention bei Minderheitenkonflikten stellt die Ausarbeitung und Implementierung von Minderheitenschutzbestimmungen dar. Auf diesem normativen Gebiet konnte die OSZE bereits bedeutende Fortschritte erreichen: So wurden die von ihr in den Dokumenten der menschlichen Dimension entwickelten Bestimmungen zum Schutze nationaler Minderheiten in zahlreiche mittel- und osteuropäische Partnerschaftsverträge übernommen und somit in den Rang völkerrechtlich verbindlicher und damit einklagbarer Normen erhoben. 23 Obschon die von der OSZE entwickelten 20 So Honsowitz, "OSZE zuerst", S. 53. Diese Passage wurde allerdings in den Entwurf des Budapester Dokwnents nicht aufgenommen. 21 Honsowitz, "OSZE zuerst", S. 53. 22 Zu den Einzelheiten der Verhandlungen zur "Kinkel-Kooijmans-Initiative" vgl. Honsowitz, "OSZE zuerst", S. 53; Borawski, The Budapest Surnrnit Meeting, in: Helsinki Monitor 1/1995, S. 12 f. sowie Kemp, The OSCE and the UN: A Closer Relationship, in: Helsinki Monitor 111995, S. 27 ff. 23 So schlossen die Bundesrepublik Deutschland und die Republik Ungarn am 6. Februar 1992 einen "Vertrag über freundschaftliche Zusammenarbeit und Partnerschaft in Europa", in dem sie die "rechtliche Verbindlichkeit des im Dokwnent des Kopenhagener Treffens über die menschliche Dimension der KSZE vom 29. Juni 1990 sowie in weiteren KSZE-Dokwnenten niedergelegten Standards zum Schutz von nationalen Minderheiten" vereinbarten (vgl. Art. 19 dieses Vertrages, abgedruckt in: BGBl., Jahrgang 1992, Teil TI, S. 475 ff.). Ähnliche Passagen enthalten auch die anderen Nachbarschafts- bzw. Partnerschaftsverträge, die von der Bundesrepublik Deutschland 2\ Wenig

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4. Kapitel: Abschließende Bewertung der Möglichkeiten der OSZE

Normen und Mechanismen zum Minderheitenschutz in vielen Bereichen die derzeit detailliertesten und weitestgehendsten Regelung enthalten24 , müssen diese Prinzipien und Verfahren noch weiterentwickelt werden. So gilt es insbesondere, die Kompetenz des HKNM auch auf interne Minderheitenkonflikte auszuweiten25 und weitergehende Prinzipien fiir das Zusammenleben von Minderheiten und Mehrheiten in Mehrvölkerstaaten zu erarbeiten. 26 b) Das derzeitige Konfliktpotential im OSZE-Raum und seine Hintergründe

Die Dringlichkeit dieser Aufgabe wird besonders deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, welches gewaltige Konfliktpotential in Osteuropa und insbesondere auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion existiert: So setzen sich die 262 Millionen früheren SowjetbÜfger aus insgesamt 104 Nationalitäten zusammen. Von ihnen haben 64 Millionen, also knapp ein Viertel der Gesamtbevölkerung, derzeit einen Minderheitenstatus. 39 Millionen ehemalige SowjetbÜfger, davon allein 24 Millionen Russen, leben außerhalb ihrer bisher zur UdSSR gehörenden Heimatrepubliken. Die restlichen 25 Millionen verteilen sich auf 89 kleinere Nationalitäten ohne eigene Republiken. 27 Von den unzähligen ethnischen Streitigkeiten seien hier nur die Konflikte im Baltikum mit der russischsprachigen Minderheit, die Krise auf der Krim, die Konflikte im Kaukasus um Berg-Karabach, Abchasien, Südossetien, Inguschien, Tschetschenien sowie die kriegerischen Auseinandersetzungen in Tadschikistan

mit Polen (BGBI. 1991 11, S. 1315 ff.), Bulgarien (BGBI. 199211, S. 559 fI), der CSFR (BGBI. 1992 11, S. 463 ff.) sowie Rumänien (Bulletin Nr. 43/1992, S. 393 ff.) geschlossen wurden; vgl. etwa Art. 20 Abs. 2 des deutsch-polnischen Vertrages über gute Nachbarschaft und freundliche Zusanunenarbeit. 24 So auch Ropers/Schlotter, Multilaterales Konfliktmanagement, S. 30. Zwn "Rahmenübereinkommen zwn Schutz nationaler Minderheiten" des Europrates vgl. im folgenden auf S. 326 f, zur "UN-Deklaration über die Rechte von Personen, die zu nationalen oder ethnischen, religiösen und sprachlichen Minderheiten gehören", vgl. Dicke K., Die UN-Deklaration zwn Minderheitenschutz, in: EA 411993, S. 107 ff. 25 So auch Ropers/Schlotter, Minderheitenschutz und Staatszerfall: Nonnenbildung im KSZE-Prozeß, in: Blätter filr deutsche und internationale Politik, Heft 7/1993 (zit.: Ropers/Schlotter, Nonnenbildung im KSZE-Prozeß), S. 866. 26 Vgl. auch H6ynck, KSZE und Sicherheitskooperation, S. 89, demzufolge "die Nonnsetzung der KSZE auch in diesem Bereich noch nicht abgeschlossen" und "eine präzisere Bestimmung des Verhältnisses von Selbstbestimmungsrecht, territorialer Integrität und Minderheitenrechten dringend notwendig (ist)." 27 Meyer, Nationale Minderheiten, S. 6.

II. Die künftigen Aufgabenfelder der OSZE

323

genannt. In Osteuropa wird die Zahl der "wichtigsten" nationalen und ethnischen Konflikte mit 21 angegeben. 28 Die Ursache dieser Konflikte liegt darin begründet, daß sich die bisherigen SowjetbÜfger oder Jugoslawen beim Zerfall ihrer Staaten plötzlich als Minderheiten in nunmehr souveränen Staaten mit einer anderen Titularnation wiederfanden und sich nun ebenso wie die übrigen Minderheiten Osteuropas aus sprachlichen, kulturellen oder religiösen Gründen benachteiligt oder unterdrückt fühlen. c) Die bisherige Beschränkung der OSZE auf individuelle Minderheitenrechte

Zwar hatten die OSZE-Teilnehmerstaaten auf ihrem Expertentreffen über nationale Minderheiten in Genf 1991 erklärt, daß "Fragen nationaler Minderheiten sowie die Erfüllung internationaler Verpflichtungen hinsichtlich der Rechte von Angehörigen nationaler Minderheiten ein berechtigtes internationales Anliegen und daher eine nicht ausschließlich innere Angelegenheit des jeweiligen Staats (sind)"29, die Ausarbeitung kollektiver Minderheitenrechte konnte allerdings nicht erreicht werden. So verpflichteten sich die Teilnehmerstaaten im Schlußdokument auch nur gegenüber den "Angehörigen nationaler Minderheiten" und nicht gegenüber den Minderheiten selbst. Eine Verpflichtung zur Errichtung autonomer Verwaltungseinheiten in den Minderheitengebieten scheiterte ebenso wie ein Jahr zuvor auf dem Kopenhagener Treffen der Menschlichen Dimension30 am Widerstand mehrerer Teilnehmerstaaten. 31 Hintergrund der Ablehnung kollektiver Minderheitenrechte und 28 Ropers/Schlotter, Normenbildung im KSZE-Prozeß, S. 860 unter Verweis auf WeidenfeldiHuterer, Osteuropa: Herausforderungen - Probleme - Strategien, (1992), S.24-26. 29 KSZE-Expertentreffen über nationale Minderheiten, Bericht des Treffens vom 1. bis 19. Juli 1991 in Genf, Abschnitt II, dritter Absatz. 30 Autgrund fehlenden Konsenses unter den Teilnehmerstaaten wurde das Konzept der "autonomen Verwaltung" in Kopenhagen nicht als Minderheitenrecht festgeschrieben, sondern lediglich als ein mögliches Element der Minderheitenpolitik "zur Kenntnis genommen." VgL hierzu Ziff. 35 Abs. 2 der Kopenhagener Beschlüsse, in der es heißt: "Die Teilnehmerstaaten nehmen die Bemühungen zur Kenntnis, die ethnische, kulturelle, sprachliche und religiöse Identität bestimmter nationaler Minderheiten zu schützen und Bedingungen filr ihre Förderung zu schaffen, indem sie als eine der Möglichkeiten zur Erreichung dieser Ziele geeignete lokale oder autonome Verwaltungen einrichten, die den spezifischen historischen und territorialen Gegebenheiten dieser Minderheiten Rechnung tragen und in Einklang mit der Politik des betroffenen Staates stehen." 31 So verhinderte insbesondere Frankreich einen solchen Beschluß mit der Behauptung, es sei frei von Minoritäten und könne daher auf derartige Bestimmungen verzichten (Meyer, Nationale Minderheiten, S. 18 0. Im Rahmen der Verabschiedung der 21"

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4. Kapitel: Abschließende Bewertung der Möglichkeiten der OSZE

insbesondere autonomer Verwaltungseinheiten ist die Angst der Mehrvölkerstaaten vor einer möglichen Abspaltung jener autonomen Minderheitengebiete. 32 Die Problematik der Errichtung autonomer Selbstverwaltungskörperschaften verdeutlicht die entscheidende Herausforderung, der sich die internationale Staatengemeinschaft am Ende des 20. Jahrhunderts ausgesetzt sieht: der Erreichung von Konkordanz zwischen dem Selbstbestimmungsrecht der Völker auf der einen und dem Recht der Staaten auf Wahrung ihrer territorialen Integrität auf der anderen Seite. d) Autonome Selbstverwaltung im Rahmen föderaler Selbstbestimmung zur Sicherung von Identität und Integrität

Bis zur Anerkennung Sloweniens und Kroatiens Anfang 1992 war dem Souveränitäts- und Territorialitätsprinzip eindeutiger Vorrang vor dem Selbstbestimmungrecht eingeräumt worden. Die Ereignisse im Baltikum Anfang der neunziger Jahre, das Ausscheiden Sloweniens und Kroatiens aus dem jugoslawischen Bundesstaat Mitte 1991 sowie die derzeitigen Unabhängigkeitskonflikte im Kaukasus (Abchasien, Südossetien, Tschetschenien) haben indes unmißverständlich gezeigt, daß sich unterdrückte Völker durch die bisherige Ächtung der Sezession nicht von ihrem Weg in die Unabhängigkeit abschrekken lassen. Die einzige Möglichkeit zur friedlichen Abwendung einer Sezession ist die Verbesserung der Lebensbedingungen der unterdrückten Volksgruppe. Die bloße Gewährung von Menschenrechten ist hierzu allerdings nicht ausreichend, vielmehr bedarf es der SichersteIlung und Förderung der sprachlichen, religiösen und kulturellen Identität der betroffenen Volksgruppe sowie einer angemessenen Vertretung der Minderheit in Legislative, Exekutive und JudiBestimmungen des Helsinki Dokwnents zur Schaffung des Postens eines Hohen Kommissars fiir nationale Minderheiten wurde dann auch von Seiten der französischen Regierung eine "interpretative Erklärung" abgegeben, vgL Brett, CSCE Response to Minorities, S. 158. 32 VgL hierzu Murswiek, Problematik eines Rechts auf Sezession, S. 331; Hailbronner, Der Schutz der Minderheiten im Völkerrecht, in: Im Dienst an der Gemeinschaft, FS fiir Dietrich Schindler (1989), (zit.: Hailbronner, Schutz der Minderheiten), S.80. Diese Sorge der Staaten, daß die Zuerkennung besonderer Gruppenrechte zum Einfallstor flir Separation und Sezession werden könnte, zeigt sich auch in Art. 27 IPblirgR, der trotz seines Gruppenbezugs individualrechtlich konzipiert ist. VgL hierzu Capotorti, Minderheiten, in: Wolfrwn, Handbuch Vereinte Nationen (zit.: Capotorti, Minderheiten), Rdnr. 22; Rainer, Minderheiten, in: Staatslexikon, Bd. 3 (zit.: Rainer, Minderheiten ), Sp. 1163.

ll. Die künftigen Aufgabenfelder der OSZE

325

kative des Mehrvölkerstaates. Im Ergebnis bedeutet dies für die Gebiete, in denen die Volksgruppe die Mehrheit bildet, die Einräumung politischer Autonomie. Ein derartiges Prinzip "föderaler Selbstbestimmung"33 würde der Minderheit die von ihr angestrebte Identitätswahrung im Rahmen politischer Autonomie sichern, bei gleichzeitiger Wahrung der territorialen Integrität des Staates. 34

33 Dieser von Tomuschat, Bewahrung, Stärkung, Ausgestaltung: zur künftigen Menschenrechtspolitik Deutschlands in der Weltorganisation, in: VN 1/1991 (zit.: Tomuschat, Menschenrechtspolitik), S. 9, übernommene Begriff der "fMeralen Selbstbestimmung" soll nicht bedeuten, daß die Ausgestaltung des Selbstbestimmungsrechts in jedem Fall zu föderalen Formen fUhren muß (vielmehr dürften abgestufte Formen politischer Autonomie der Regelfall werden), sondern er will zum Ausdruck bringen, daß sich die Ausübung der Selbstbestimmung innerhalb des Mehrvölkerstaates vollzieht. Diese Art der Selbstbestimmung wird daher auch als "innere Selbstbestimmung" bezeichnet, vgL nur Oeter, Selbstbestimmungsrecht im Wandel, S. 753 ff, insb. 762. Hier wird bewußt von "föderaler Selbstbestimmung" und nicht von einem "fOderalen Selbstbestimmungsrecht" gesprochen, da letzteres zu der Annahme verleiten könnte, daß das Selbstbestimmungsrecht auf die Gewährung föderaler Strukturen beschränkt sei. Das Selbstbestimmungsrecht, verstanden als das Recht eines Volkes oder einer Volksgruppe, seinen politischen Status frei zu bestimmen, wird seinem Träger nicht durch Hoheitsakt verliehen, sondern steht ihm Kraft originären Rechts zu, vgL Kimminich, Die Staatensouveränität wird durchlässig - Zur Frage eines föderalen Selbstbestimmungsrechts, in: VN 1/1993 (zit.: Kimminich, Zur Frage eines fOderalen Selbstbestimmungsrechts), S. 5. Die staatliche Gewährung föderaler Strukturen kann also nicht zu einem Erlöschen des Selbstbestimmungsrechts der Volksgruppe fUhren. Diesem Umstand trägt der Begriff "föderale Selbstbestimmung" Rechnung, da er verdeutlicht, daß Autonomie oder Föderalismus nur Formen der Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechtes sind, spätere Eigenstaatlichkeit durch sie also nicht grundsätzlich ausgeschlossen wird. Zur Ablehnung eines "föderalen Selbstbestimmungsrechts" vgL Kimminich, Zur Frage eines föderalen Selbstbestimmungsrechts, S. 5 ff., insb. S. 9. 34 Dieser Ausgleich zwischen Selbstbestimmungsstreben und Bewahrung der territorialer Integrität wird auch gefordert von Tomuschat, Menschenrechtspolitik, S. 9; Oeter, Selbstbestimmungrecht im Wandel, S. 760 ff., insb. 762 f; Murswiek, Problematik eines Rechts auf Sezession, S. 328 f; HannumiLillich, The Concept of Autonomy in International Law, in: AJIL 74 (1980), S. 868; Hannum, Autonomy, Sovereignty and Self-Determination (1990), 473 f; Thürer, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker: mit einem Exkurs zur Jurafrage (1976), S. 204 f; ders.: Das Subjekt des Selbstbestimmungsrechts, in: Politische Studien, Sonderheft 6/93, S. 38; Neuhold, Conflicts and Conflict Management, S. 121; Delbrück, Wirksameres Völkerrecht oder neues "Weltinnenrecht"? Perspektiven der Völkerrechtsentwicklung in einem sich wandelnden internationalen System, in: Kühne, Blauhelme in einer turbulenten Welt, S. 113. Auch die im Entwurf einer Europäischen Minderheitenkonvention vereinbarten Minderheitenrechte liefen letztlich auf autonome Selbstverwaltung hinaus, vgL hierzu die nacWolgenden Ausfiihrungen sowie Matscher, Stand und Entwicklung eines europäischen Volksgruppenrechts, in: Europäische Rundschau, S. 23 ff.

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4. Kapitel: Abschließende Bewertung der Möglichkeiten der OSZE

e) Die momentanen Grenzen der Gewährung autonomer Selbstverwaltung im Rahmen föderaler Selbstbestimmung am Beispiel des Minderheitenschutzes durch den Europarat

Die Verwirklichung des Prinzips föderaler Selbstbestimmung wird jedoch seine Zeit brauchen, denn nach wie vor sehen viele Staaten mit Minderheiten auf ihrem Staatsgebiet die Einräumung kultureller Autonomie und lokaler Selbstverwaltung als Vorstufen zur Sezession und nicht als Mittel zur friedlichen Sicherung ihrer territorialen Integrität. Exemplarisch zeigte sich dies unlängst bei den Bemühungen des Europarates, einen rechtsverbindlichen und einklagbaren Katalog von Minderheitenrechten zu erstellen. Billigte der von der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anfang Februar 1993 angenommene "Entwurf eines Zusatzprotokolls zur EMRK betreffend die nationalen Minderheiten und ihre Angehörigen"35 den Angehörigen nationaler Minderheiten noch unter der Prämisse der Erhaltung der territorialen Unversehrtheit des Staates36 das Recht zu, "(i)n Regionen, in denen sie in der Mehrzahl sind, ... über entsprechende kommunale oder autonome Verwaltungseinrichtungen oder einen besonderen Status zu verfUgen ... "37, so erwies sich die Übernahme dieser Passage in das im November 1994 vom Ministerkomitee des Europarates verabschiedete "Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten"38 aufgrund des Widerstandes einiger Staaten als undurchfiihrbar. Wie groß die Vorbehalte im Bereich der Gewährung von Minderheitenrechten sind, zeigte sich ferner daran, daß anstelle des von der Parlamentarischen Versammlung vorgeschlagenen Zusatzprotokolls zur EMRK mit der Möglichkeit, bei Verletzungen von Minderheitsrechten die Kontrollorgane Kommission, Gerichtshof und Ministerkomitee anzurufen,39 vom Ministerkomitee die Rechtsform eines Rahmenabkommens gewählt wurde, das zwar auch einen völkerrechtlichen Vertrag darstellt, aber eben nur grundlegende Fragen regelt, den Staaten als Vertragsparteien die Art und Weise der Umsetzung der Grundsätze überläßt und

35 Dieser Entwurf ist abgedruckt in: EuGRZ 1993, S. 152 f. Zu seiner Bedeutung vgl. Klebes, Der Entwurf eines Minderheitenprotokolls zur EMRK, in: EuGRZ 1993 (zit.: Klebes, Minderheitenprotokoll), S. 148 ff. 36 Vgl.: Artikel 10, 14 sowie die Ziff 3 der Präambel des Entwurfs. 37 Art. 11 des Entwurfs. 38 Das Rahmenabkornmen ist abgedruckt in: Helsinki Monitor 1/1995, S. 120 ff. Zu Ausarbeitung und Bedeutung der Rahmenkonvention vgl. Wille, Minority Questions in the Council ofEurope, in: Helsinki Monitor 111994, S. 30 ff.; Rönquist, The Counci1 of Europe Framework Convention for the Protection of National Minorities, in: Helsinki Monitor 1/1995 (zit.: Rönquist, Framework Convention), S. 38 ff. 39 Klebes, Minderheitenprotokoll, S. 148

II. Die künftigen Aufgabenfelder der OSZE

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kein richterliches Kontrollorgan vorsieht. 40 Im Gegensatz zum vorgeschlagenen Zusatzprotokoll enthält das Rahmenabkommen keine fiir den einzelnen einklagbaren Rechte, d.h. eine Anrufung der Kommission über Art. 25 EMRK scheidet ebenso aus wie das noch in Art. 9 des Entwurfes eines Zusatzprotokolls vorgesehene Recht auf wirksame nationale Beschwerdemöglichkeit. Schließlich wurde die vorgeschlagene Definition einer nationalen Minderheit nicht aufgenommen41 und einige der im Entwurf präzis formulierten Rechte durch Ermessensklauseln, unbestimmte Rechtsbegriffe und äußerst zurückhaltende Formulierungen aufgeweicht. 42 f) Die künftigen Aufgaben der OSZE im Bereich der Minderheitenrechte

Die Aufgaben fiir die OSZE sind somit vorgezeichnet: Zum einen muß sie im Rahmen regelmäßiger Konsultationen und durch die Entsendung von Berichterstattermissionen auf die Implementierung der bislang in ihrem Rahmen vereinbarten Minderheitenschutzbestimmungen hinwirken. Zum anderen gilt es, die Einzelheiten des Konzepts autonomer Verwaltung im Rahmen des Prinzips föderaler Selbstbestimmung weiter auszuarbeiten und vor allem konsensfahig zu machen. Hierzu müssen die bisherigen Gegner der föderalen Selbstbestimmung durch die "normative Kraft des Dauerdialogs"43 von der stabilitätsf6rdemden Eigenschaft dieses Prinzips überzeugt werden. Die Einzelheiten des Konzepts autonomer Verwaltung müssen in OSZE-Dokumenten normiert, ihre Umsetzung durch zu erarbeitende Schutzmechanismen wie der Entsendung von Berichterstatter- und Langzeitmissionen gewährleistet werden. Der außerrechtliche Charakter solcher Dokumente hat zwar zur Folge, daß den Teilnehmerstaaten bei einer Verletzung der in ihnen festgelegten Bestimmungen keine Repressalien drohen, bietet aber gleichzeitig die Chance,

40 Die Überwach\Ulg der Einhaltung der Konvention nach ihrem Inkrafttreten obliegt dem Ministerkomitee, vgl. Art. 24 tT. der Rahmenkonvention. 41 Als Grund hierfür werden Uneinigkeit hinsichtlich der DefInition \Uld das Bestreben zur Schaffimg eines "pragmatischen Ansatzes" genannt, vgl. Rönquist, Framework Convention, S. 40. Bestandteile der Deftnition lassen sich aber u.a. aus Abs. 7 der Präambel erschließen. 42 Vgl. nur den Wortlaut von Art. 10 Abs. 2: "In areas inhabited by persons belonging to national minorities traditionally or in substantial numbers, if those persons so request and where such arequest corresponds to areal need, the Parties shall endeavour to ensure, as far as possible, the conditions which would make it possible to use minority language in relations between those persons and the administrative aUthorities." (Hervorheb\Ulg vom Verf). Weitere Ermessensklauseln fmden sich u.a. in Art. 11 Abs. 3. 43 Schlotter, KSZE \Uld VN, S. 140.

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4. Kapitel: Abschließende Bewertwlg der Möglichkeiten der OSZE

denjenigen Teilnehmerstaaten, die eine vertragliche Kodifizierung föderaler Selbstbestimmung bisher strikt ablehnen, zumindest eine politische Verpflichtung zur Umsetzung dieses Prinzips abzuringen. 44 Wird das Prinzip autonomer Verwaltung, wenn auch lediglich auf politischer Grundlage, erst einmal umgesetzt und bewahrheitet sich im konkreten Anwendungsfall sein stabilitätsfOrdemder Charakter, so besteht die Möglichkeit, daß diese politischen Verhaltensregeln ebenso wie zuvor schon die OSZE-Minderheitenschutzbestimmungen zum Inhalt bilateraler Partnerschaftsverträge bzw. zum Gegenstand verfassungsrechtlicher Ergänzungen werden und somit in den Rang von völkerrechtlich und/oder innerstaatlich verbindlichen und damit einklagbaren Normen erhoben werden. Die OSZE könnte so zur Schaffung eines rechtsverbindlichen "ordre public europeen" beitragen. 45 g) Die Konkretisierung von Minderheitenschutzbestimmungen durch EG und Badinter-Schiedskommission

(1) Individuelle Minderheitenrechte

Die Europäische Gemeinschaft und die von ihr ins Leben gerufene und im Rahmen der Jugoslawienkonferenz tätig gewordene Schiedskommission unter Leitung des Präsidenten des französischen Verfassungsgerichts Robert Badinter46 haben während des Jugoslawienkonflikts auf dem Gebiet der Konkretisierung von Minderheitenschutzbestimmungen bereits entscheidende Vorarbeiten geleistet: Auf die Frage, ob der serbischen Bevölkerung in Kroatien und Bosnien-Herzegowina das Recht auf Selbstbestimmung zustehe, erklärte die Schiedskommission, daß dieses Recht nicht zur Veränderung bestehender Grenzen berechtige, es sei denn, der betroffene Staat stimme dem zu. 47 Der serbischen Minderheit stehe also kein Recht auf Unabhängigkeit von Kroatien

44 In dieser Ersatzfunktion tür vertraglich momentan nicht vereinbanmgsfähige Angelegenheiten zeigt sich ein entscheidender Vorteil außerrechtlicher Vereinbanmgen. Siehe hierzu S. 73. 45 Thürer, Das Subjekt des Selbstbestimmungsrechts, S. 38; Geter, Selbstbestimmungsrecht im Wandel, S. 766. 46 Zur Errichtung der Schiedskommission vgl. die EPZ-Erklänmg zu Jugoslawien vom 27.8.1991, abgedruckt in: EA 2111991, S. D543 f. 47 "The Committee considers that, whatever the circumstances, the right to selfdetermination must not involve changes to existing frontiers at the time of independence (uti possidetis juris) except where the states concered agree otherwise." Opinions of the Arbitration Committee, Opinion No. 2, Ziff. 1, abgedruckt in: 3 ER (1992), S. 183 f. Die Texte der übrigen Gutachten finden sich in: 3 ER (1992), S. 182-185 (Opinions 1-3) und 4 ER (1993), S. 74-91 (Opinions 4-10).

11. Die künftigen Aufgabenfelder der OSlE

329

oder Bosnien-Herzegowina zu, ihr seien aber alle international geltenden Minderheitenrechte zu gewähren. 48 Artikel 1 der beiden Menschenrechtspakte von 196649 bestimme, daß das Selbstbestimmungsrecht dem Schutz der Menschenrechte diene. Demzufolge habe jedes Individuum das Recht, sich zu einer bestimmten ethnischen, religiösen oder sprachlichen Gemeinschaft zu bekennen. 50 Als Konsequenz dieses Rechts stehe es den Serben in Kroatien und Bosnien-Herzegowina frei, sich zur Nationalität ihrer Wahl zu bekennen; dieses Recht auf freie Wahl der eigenen Nationalität sei ihnen von den beiden Republiken zu gewähren. 51 Der Minderheit eines Staates wird somit die Möglichkeit zur Trennung ihrer nationalen Bindung an den Staat gegeben, doch kann dies nur individuell durch die Annahme einer anderen Nationalität, nicht aber kollektiv durch Sezession geschehen. 52

48 "(T)he - now peremptory - norms of internationallaw require states to ensure respect for the rights of minorities. This requirement applies to all the Republics vis-avis the minorities on their territory. The Serbian population in Bosnia-Henegovina and Croatia must therefore be afTorded everey right accorded to minorities under international convention as well as national and international guarantees consistent with the principles ofinternationallaw". Opinions ofthe Arbitration Committee, Opinion No. 2 lifT. 2. 49 Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte, Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. 50 "(T)he principle of the right to self-determination serves to safeguard human rights. By virtue ofthat right every individual may choose to belong to whatever ethnic, religious or language community he or she wishes." Opinions of the Arbitration Committee, Opinion No. 2, lifT. 3. 51 "One possible consequence of this right (the right of self-determination, Arun. des Verf.) might be for the members ofthe Serbian population in Bosnia-Henegovina and Croatia to be recognized under agreements between the Republics as having the nationality of their choice, with all the rights and obligations which that entails with respect to the states concerned, The Arbitration Committee is therefore of the opinion that the Republics must afTord the members of those minorities and ethnic groups (the Serbian population in BosniaHenegovina and Croatia, Arun. des Verf.) all the human rights and freedoms recognized in international law, including, where appropriate, the right to choose their nationality." Opinions ofthe Arbitration Committee, Opinion No. 2, lifT. 3 und 4 (ii). Vgl. hienu Pellet, The Opinions 01' the Badinter Arbitration Committee. A Second Breath for the Self-Determination 01' Peoples, in: 3 EJIL (1992), S. 179 f. 52 Vgl. hienu Weller, Dissolution ofthe SFRY, S. 592.

330

4. Kapitel: Abschließende Bewertung der Möglichkeiten der OSZE (2) Kollektive Minderheitenrechte

Zudem werden Kroatien und Bosnien-Herzegowina in diesem Gutachten verpflichtet, ihrer serbischen Minderheit gemäß den Anerkennungsrichtlinien der EG die im Übereinkommensentwurf der Jugoslawienkonferenz festgeschriebenen Minderheitenrechte zu gewähren. 53 Diese Minderheitenrechte beinhalten nun aber nicht lediglich das übliche Gebot der Gleichbehandlung und die Wahrung der sprachlichen und kulturellen Identität der Volksgruppe, sondern sehen fiir die Gebiete, in denen die Angehörigen einer Minderheit die Bevölkerungsmehrheit bilden, die Schaffung eines "special status" mit weitreichender Autonomie und lokaler Selbstverwaltung vor. In diesen Autonomieregionen soll die Minderheit vor allem das Recht auf ein eigenes Bildungssystem, eigene gesetzgeberische Körperschaften sowie eigene regionale Polizeikräfte haben. 54 h) Folgen für die OSZE

Konkrete Beispiele für die inhaltliche Ausgestaltung des von der OSZE weiter zu spezifizierenden Prinzips "föderaler Selbstbestimmung" liegen also bereits vor. Hauptaufgabe der OSZE wird es somit sein, dieses Prinzip auf internationaler Ebene, d. h. in ihrem Anwendungsraurn, konsensfähig zu machen, die Umsetzung seiner in OSZE-Dokurnenten niederzulegenden Bestimmungen in den betroffenen Teilnehmerstaaten zu R>rdern und mittels Implementierungsdebatten sowie Kontrollen vor Ort im Rahmen von Berichterstatter- und Langzeitmissionen zu überprüfen. 55 53 "The Serbian population in Bosnia-Herzegovina and Croatia must therefore be atTorded every right accorded to minorities Wlder ... the provisions of Chapter 11 of the draft Convention of 4 November 1991, which has been accepted by these Republics." Opinions ofthe Arbitration Committee, Opinion No. 2 , ZitT. 2. 54 Im einzelnen beinhaltet der in Kapitel 11 c) des Übereinkommensentwurfs der EG-Friedenskonferenz geforderte Autonomiestatus folgende GewährleistWlgen ftl.r die Minderheit: Das Recht, nationale Embleme des betretTenden Gebiets zu haben Wld zu zeigen; ein ErziehWlgswesen, das die Werte und Bedürfuisse der Minderheit respektiert; eine legislative Körperschaft; eine VerwaltWlgsstruktur mit eigener Polizei; ein Justizwesen, das für regionale Angelegenheiten zuständig ist und die BevölkefWlgsstrukturen des Gebiets widerspiegelt; VorkebrWlgen ftl.r eine entsprechende internationale Kontrolle (Hummer/Hilpold, Die Jugoslawien-Krise als ethnischer Konflikt, in: EA 411992, S. 93). 55 Mit der Aufnalune des Prinzips föderaler Selbstbestimmung in OSZEDokumente müßte auch eine AktualisierWlg des noch aus der Zeit des Kalten Krieges stammenden Prinzipienerklärung der KSZE erfolgen, der insbesondere hinsichtlich des Verhältnisses zwischen den Prinzipien IV (Territoriale Integrität der Staaten), VI (Nichteinmischung in innere Angelegenheiten) und VIIl (Gleichberechtigung Wld

ll. Die künftigen Aufgabenfelder der OSZE

331

4. Die Entwicklung von Regelungsmechanismen für die Auflösung von Mehrvölkerstaaten, die Sezession von Teilgebieten und die Staatenneubildung a) Einführung

Neben der Präzisierung von Schutzbestimmungen rur Minderheiten innerhalb multiethnischer Staaten und deren Implementierungskontrolle muß die OSZE als weitere Aufgabe versuchen, Regelungsmechanismen ftir die Auflösung von Mehrvölkerstaaten, die Abspaltung von Teilgebieten und die Bildung neuer Staaten zu entwickeln. Die schwierigen Fragen der Sezession und Staatenneubildung, die an den Kern des Souveränitätsprinzips rühren, werden wohl nie vollständig juristisch zu nonnieren sein. 56 Die OSZE kann hierbei jedoch mit ihrem Verfahren des kontinuierlichen Dialogs prinzipien- und nonnbildend wirken und durch die Entwicklung von Verhaltensregeln ftir den Umgang mit ethnischen Konflikten wesentlich dazu beitragen, den Gewaltcharakter von Staatsauflösungsprozessen zu verringern und somit gemäß ihrem Titel die Sicherheit in Europa fördern. 57

Selbstbestimmungsrecht der Völker) einer genaueren Ausgestaltung bedarf. Vgl. hierzu Ghebali, La fuite en avant de la CSCE, in: defense nationale, avril 1993, S. 108, der zudem die Festschreibung des Verbotes der Anwendung von Gewalt bei Auflösung von bundesstaatlich strukturierten Staaten sowie eine Garantie für die Unverletzlichkeit innerstaatlicher Grenzen tordert. Zur Forderung einer Aktualisierung des Prinzipienkatalogs vgl. auch Axt, Kollektive Sicherheit, S. 94 f; Neuhold, Conflicts and Conflict Management, S. 117 f. sowie Remacle, La CSCE et les droits des minorites nationales, S. 151 f.; ders. Yugoslav Crisis as a Test Case, S. 122. 56 Als Beispiele für die unterschiedlichen Auffassungen hinsichtlich des Inhalts und Umfangs des Selbstbestimmungsrechts vgl. Gusy. Selbstbestimmung im Wandel. Von der Selbstbestimmung durch den Staat zur Selbstbestimmung im Staat, in: AVR, 30. Bd, 4. Heft, S. 385 fT.; Partseh, Selbstbestimmung, in: Wolfrum, Handbuch Vereinte Nationen, Rdnr. 22 f.; ders., Von der Souveränität zur Solidarität: Wandelt sich das Völkerrecht?, in: EuGRZ 1991., Heft 21-22, S. 469 ff.; Capotorti, Are Minorities Entitled to Collective International Rights?, in: Israel Yearbook on Human rights, Vol. 20 (1991), S. 351 ff.; Coulmas, Das Problem des Selbstbestimmungsrechts, in: EA 4/1993, S. 85 ff.; Kampelmann, Secession and the Right of Self-Deterrnination: An Urgent need to Harmonize Principle with Pragmatism, in: The Washington Quarterly, Summer 1993, S. 5 ff.; Doehring, Selbstbestimmungsrecht der Völker, nach Art. 1, Rdnr. 32 tT.; Oeter, Selbstbestimmungsrecht im Wandel, S. 741 ff.; Murswiek, Problematik eines Rechts auf Sezession, S. 307 ff. 57 Ropers/Schlotter, Normenbildung im KSZE-Prozeß, S. 886.

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4. Kapitel: Abschließende Bewertung der Möglichkeiten der OSZE b) Die Zubilligung eines Sezessionsrechtes

Grundsätzlich sollte versucht werden, durch Stärkung der politischen Partizipationsmöglichkeiten und Gewährung autonomer Verwaltungsstrukturen die Forderung der Minderheit nach Unabhängigkeit zu kanalisieren und so den Erhalt des Mehrvölkerstaates in seinen bisherigen Grenzen zu sichern. Für die Fälle jedoch, in denen der Staat die Minderheit unter Verletzung fundamentaler Menschenrechtsnormen diskriminiert und unterdrückt58 und Forderungen der Minderheit nach innerer Selbstbestimmung und Minderheitenrechten mit rücksichtslosem Gewalteinsatz begegnet, muß der betroffenen Volksgruppe zur Sicherung ihrer Existenz und Wahrung ihrer Identität ein Sezessionsrecht zugebilligt werden. 59 Eine Gemeinschaft wie die OSZE, die Menschenrechte, Demokratie und RechtsstaatIichkeit zu den tragenden Elementen ihres Ordnungsgefiiges erklärt hat, kann nicht die Erhaltung der territorialen Integrität eines Staates um den Preis krasser Verletzungen der Menschenrechte akzeptieren, da dies die Preisgabe ihres eigenen Ordnungsprinzips bedeuten würde. 60 Sie darf daher nicht einfach gemäß dem bis zur Anerkennung Bosnien-Herzegowinas international vorherrschenden Effektivitätsprinzips61 abwarten, wie und mit weichem Ergebnis der Konflikt um die Erlangung der Unabhängigkeit gewaltsam

58 Hierunter fallen nicht nur aus ethnischen Gesichtspunkten vorgenommene Hinrichtungen, Folterungen oder unbegrenzte Einsperrungen ohne Gerichtsverfahren, sondern auch die durch Art. 27 i.V.m. Art. 26 IPbürgR verbotene zwangsweise Assimilierung der Minderheit in Form von Sprach verboten oder dem Verbot der Eheschließung unter Gruppenangehörigen. Vgl. hierzu Gomig, Der Inhalt des Selbstbestimmungsrechts, in: Politische Studien, Sonderheft 6/93, S. 23 f.; Rainer, Minderheiten, Sp. 1163; Hailbronner, Schutz der Minderheiten, S. 82 ff.; Capotorti, Minderheiten, Rdnr.23. 59 So auch Doehring, Selbstbestimmungsrecht der Völker, nach Art. 1, Rdnr. 35 tf.; ders. Selbstbestimmungsrecht und Intervention dritter Staaten, in: Politische Studien, Sonderheft 6/93, S. 47 f.; Thürer, Das Subjekt des Selbstbestimmungsrechts, S. 36; Gomig, Der Inhalt des Selbstbestimmungsrechts, S. 23 f; Deter, Selbstbestimmungsrecht im Wandel, S. 764 ff., S. 772 f. Weitergehend noch Murswiek, Problematik eines Rechts auf Sezession, S. 330, demzufolge allein die Vorenthaltung von Autonomie und Minderheitenrechten ein Sezessionsrecht eröffnet. 60 So auch Deter, Selbstbestimmungsrecht im Wandel, S. 769. 61 Dieses Prinzip besagt, daß eine Anerkennung nur dann ausgesprochen werden darf, wenn der Staat seine Staatsgewalt in allen Landesteilen effektiv ausübt, vgl. Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 383.

II. Die künftigen Aufgabenfelder der OSZE

333

ausgetragen wird, sondern muß darauf hinwirken, daß sich dieser Loslösungsprozeß in friedlichen Bahnen vollzieht. 62 c) Die Problematik der Anerkennung

Die Einwirkungsmöglichkeiten der OSZE sind jedoch zugegebenermaßen gering. Die ursprüngliche Hoffnung, daß die Anerkennung des von einer Volksgruppe besiedelten Gebiets als eigener Staat den Zentralstaat von weiteren militärischen Aktivitäten zur zwangsweisen Aufrechterhaltung der ehemals staatlichen Einheit abhält, hat sich im Jugoslawienkonflikt als schwerwiegender Irrtum herausgestellt. So hatte die Beendigung der Kampfhandlungen in Kroatien seinen eigentlichen Grund nicht in der Anerkennung der Unabhängigkeit Kroatiens und der damit verbundenen Internationalisierung des Konflikts, sondern in der Tatsache, daß die Serben ihre wesentlichen Kriegsziele erreicht hatten. 63 In Bosnien-Herzegowina nahmen die Serben die diplomatische Anerkennung dieser Republik sogar zum Vorwand fiir ihren Eroberungskrieg. 64 Eine Anerkennung hat somit nur dann einen Sinn, wenn die internationale Staatengemeinschaft auch bereit ist, die territoriale Integrität des von ihr als selbständiges Völkerrechtssubjekt anerkannten Staates durch militärische Mittel zu sichern,65 sei es durch kollektive Maßnahmen des SR nach Kapitel VII SVN oder im Wege der individuellen Nothilfe nach Art. 51 SVN.66 Besteht eine solche Bereitschaft jedoch nicht, so kann eine Anerkennung multiethnischer Staaten den Konflikt zwischen den einzelnen Volksgruppen eher verschärfen als befrieden. 67 Die OSZE kann zwar ihren Teilnehmerstaaten 62 Oeter, Selbstbestimmungsrecht im Wandel, S. 769 sowie Marauhn, Unabhängigkeitsbestrebungen Sloweniens, S. 111 f. 63 Vgl. hierzu: 2. Kapitel, Fn. 493. 64 Tatsächlich war die militärische Zerschlagung Bosnien-Herzegowinas jedoch schon lange vor dessen Unabhängigkeit ausgearbeitet und hinsichtlich der strategischen Punkte sogar bereits umgesetzt worden. Vgl. hierzu die Ausftihrungen auf S. 208 ff. 65 Vgl. auch GierschlEisermann, Westliche Politik, S. 115 f. 66 Vgl. zu diesen Maßnahmen RandelzhoJer, in: Simma, Charta der VN, Art. 51 Rdnr. 32 f. 67 Demzufolge war es aus real politischer, nicht aber aus fonnell juristischer Sicht richtig, daß die EG nur den ehemaligen jugoslawischen Republiken, nicht aber den autonomen Provinzen innerhalb der serbischen Republik die Möglichkeit einer Anerkennung in Aussicht stellte (vgl. hierzu: Im Rahmen der EPZ abgestimmte Erklärungen: Gemeinsamer Standpunkt im Hinblick auf die Anerkennung jugoslawischer Republiken, BlÜssel, 16. Dezember 1991, abgedruckt in: EA 311992, S. Dl17 ff., hier 121). Obwohl hinsichtlich des Kosovo alle juristischen Voraussetzungen fiir ein Se-

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4. Kapitel: Abschließende Bewertung der Möglichkeiten der OSZE

die Anerkennung eines Staates empfehlen,68 den angreifenden Staat aus ihrer Organisation ausschließen und gegen ihn Wirtschaftssanktionen verhängen, zur militärischen Absicherung einer von ihren Teilnehmerstaaten vollzogenen Anerkennung ist sie jedoch aufgrund rechtlicher und struktureller Beschränkungen nicht fähig. d) Aufgaben für die OSZE

Aus den vorgenannten Überlegungen ergeben sich ftir die OSZE somit die folgenden Handlungskonsequenzen: (1) Die Erarbeitung von Richtlinien zur Sezession und Neugründung von Staaten

Die OSZE als gesamteuropäisches Konsultationsforum muß Leitlinien entwickeln, in denen eine Sezession zulässig ist. Solange das Effektivitätsprinzip ftir die Anerkennung ausschlaggebend ist, wird der Zentralstaat geradezu dazu herausgefordert, die effektive Kontrolle der abspaltungswilligen Bevölkerung über den von ihr besiedelten Raum gewaltsam zu brechen. Existieren hingegen Leitlinien, die festlegen, unter welchen Bedingungen eine Abspaltung international als zulässig zu erachten ist, so besteht die Hoffnung, daß der Zentralstaat in der Erkenntnis, daß eine gewaltsame Niederschlagung des Unabhängigkeitsstrebens ein völkerrechtliches Delikt darstellt und daher mit Sanktionen geahndet werden kann, auf ein solches Vorgehen verzichtet. Auf diese Weise könnten die bisher gewaltsamen Loslösungsprozesse in friedlichere Bahnen gelenkt werden. Hierzu müßten die von der OSZE zu entwikkeinden Leitlinien aber erst einmal völkerrechtlich geltenden Status erhalten. Die Befriedungswirkung lediglich politisch verpflichtender Leitlinien hingegen ist gering, denn ein Zentralstaat, der durch die Mißachtung geltender Menschenrechtsbestimmungen gegenüber der Minderheit die Sezessionsvorzessionsrecht vorliegen, würde ein solcher Schritt fi1r die Kosovo-Albaner unweigerlich zur Katastrophe fUhren: wenn die internationale Staatengemeinschaft schon nicht bereit ist, eine in der jugoslawischen Bundesverfassung von 1974 als eigener Staat bezeichnete Republik (Bosnien-Herzegowina) tr.otz internationaler Anerkennung in ihrer territorialen Integrität zu schützen, so kann eine derartige Bereitschaft hinsichtlich einer zu Serbien gehörenden autonomen Provinz wohl gänzlich ausgeschlossen werden. 68 Eine Anerkennung durch die OSZE selbst kann hingegen nicht erfolgen, da die Anerkennung als einseitiges Rechtsgeschäft eine völkerrechtliche Willenserklärung darstellt, der OSZE die hierfi1r erforderliche Völkerrechtspersönlichkeit aber fehlt. Siehe hierzu die Ausfiihrungen auf S. 91 f. Zur kollektiven Anerkennung vgl. lpsen, Völkerrecht, § 22 Rdnr. 3,21.

ll. Die künftigen Aufgabenfelder der OSZE

335

aussetzungen geschaffen hat, wird sich angesichts nur politisch verpflichtender und damit repressalienfreier Bestimmungen kaum von der weiteren gewaltsamen Niederschlagung der Unabhängigkeitsbewegung ·abbringen lassen. Da aber die Möglichkeit besteht, daß die nur politisch verpflichtenden Nonnen mit der Zeit in geltendes Recht transformiert werden, ist ihre Ausarbeitung dennoch wünschenswert. (2) Die inhaltliche Ausgestaltung dieser Richtlinien

(a) Die Ergebnisse der Badinter Schiedskommission Ebenso wie im Bereich der autonomen Verwaltung ist auch hinsichtlich der Entwicklung von Richtlinien, unter denen eine Staatenneugründung zulässig ist, der Weg durch die Ergebnisse der Badinter Schiedskommission bereits vorgezeichnet, wobei allerdings immer die ihnen zugrunde liegende besondere verfassungsrechtliche Situation des ehemaligen Jugoslawiens in Rechnung zu stellen ist: So hatte die Schiedskommission in ihrem ersten Gutachten darüber zu entscheiden, ob es sich bei der Unabhängigkeitserklärung von Slowenien und Kroatien und dem nachfolgenden Unabhängigkeitskampf dieser beiden Republiken um eine als unzulässig zu bewertende Sezession oder die Begleiterscheinungen einer zulässigen Auflösung eines Bundesstaates handele. Unter Bezugnahme auf den durch Referenden, Parlamentsbeschlüsse und Unabhängigkeitserklärungen zum Ausdruck gebrachten Unabhängigkeitswillen Sloweniens, Kroatiens, Makedoniens und Bosnien-Herzegowinas sowie angesichts der Tatsache, daß die Zusammensetzung und Arbeitsweise der jugoslawischen Bundesorgane nicht mehr den fiir einen Bundesstaat konstitutiven Teilnahme- und Repräsentationserfordernissen entsprach, kam die Kommission zu dem Ergebnis, daß sich die Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien in einem Prozeß der Auflösung befinde ("is in the process of dissolution").69 In einem weiteren Gutachten wurde entschieden, daß die innerstaatlichen Republiksgrenzen nicht ohne gegenseitiges Einverständnis geändert werden können und daß diese Grenzen "once the process in the SFRY leads to the creation of one or more independent states ... become frontiers protected by international law. "70 Der internationale Charakter der innerstaatlichen Grenzen folge aus dem Prinzip des "respect for the territorial status quo" und insbesondere aus dem Prinzip von uti possidetis, welches zwar ursprünglich fiir die

69 Vgl. hierzu: Opinions ofthe Arbitration Comrnittee, Opinion No. I, Ziff. 2 a, b, Ziff.3. 70 Opinions ofthe Arbitration Committee, Opinion No. 3, Ziff. 2.

336

4. Kapitel: Abschließende Bewertung der Möglichkeiten der OSZE

Regelung des Dekolonisationsprozesses galt, heutzutage aber als generelles Prinzip anerkannt sei?' (b) Die begrenzte Übertragbarkeit dieser Ergebnisse

Bei diesen Gutachten ist jedoch immer zu beachten, daß sie auf den speziellen Fall des Bundesstaates Jugoslawien zugeschnitten sind, von einer generellen Übernahme in internationale Normen angesichts der sonst entstehenden Wertungswidersprüche aber abzusehen ist. So bestimmen die beiden vorgenannten Gutachten im Ergebnis, daß einzelne Republiken eines Bundesstaates, wenn die Republiksbevölkerung sich in einem Referendum für die Unabhängigkeit entschieden hat und eine angemessene Mitwirkung jener Republiken am Willensbildungsprozeß auf bundesstaatlicher Ebene nicht mehr gegeben ist, aus dem Bundesstaat ausscheiden können und bei Akzeptierung der in den EG-Anerkennungsrichtlinien festgelegten Verpflichtungen als unabhängige Staaten anzuerkennen sind. Die entsprechenden Republiksgrenzen erhalten dann einen internationalen Status. 72 Eine generelle Übertragung dieser Bestimmungen in internationales Recht würde nun aber zu dem widersinnigen Ergebnis fuhren, daß nur die Teilrepubliken eines Bundesstaates die Möglichkeit zur Unabhängigkeit hätten, nicht aber die in Einheitsstaaten lebenden Volksgruppen. 73 Der Einheitsstaat wäre somit gut beraten, jeglicher Forderung der Minderheit nach verwaltungsrechtlicher Autonomie im Rahmen föderaler Selbstbestimmung und hierbei insbesondere der Einräumung föderaler Strukturen in dem Minderheitsgebiet eine definitive Absage zu erteilen, da er sonst der Minderheit die Möglichkeit böte, sich unter Verweis auf eine möglicherweise von ihr selbst herbeigefuhrte Funktionsunfähigkeit der Bundesorgane sowie unter Berufung auf ein Unabhängigkeitsreferendum vom Bundesstaat abzuspalten. Mit der Einräumung föderaler Strukturen würde der Zentralstaat somit letztlich seine territoriale Integrität in Frage stellen. Eine Verhinderung föderaler Strukturen kann aber nicht im Interesse der Staatengemeinschaft liegen.

7'

Vgl. Opinion No. 3 Ziff. 2: "Uti posseditis, though initially applied in settling the decolonisation issues in America and Africa, is today recognized as a general principle, as stated by the International Court of Justice in its Judgement of 22 December 1986 in the case between Burkina Faso and Mali (Frontier Dispute, (1986) law reports 554 at 565)." 72 Vgl. hierzu Rich, Recognition ofStates, S. 57. 73 Vgl. Rich, Recognition ofStates, S. 61.

II. Die künftigen Aufgabenfelder der OSZE

337

(e) Konsequenzen fiir die OSZE Aufgabe der OSZE ist es somit, allgemein anwendbare Leitlinien fiir den Staatenzerfall und die Sezession zu erarbeiten. Die Gewährung von Eigenstaatliehkeit sollte hierbei nicht von der verfassungsrechtlichen Struktur des Mehrvölkerstaates bzw. des verfassungsrechtlichen Status der nach Unabhängigkeit strebenden Region abhängig gemacht werden,74 sondern sich vielmehr an der Frage orientieren, ob die betreffende Volksgruppe beim Verbleib im Mehrvölkerstaat weiterhin schwerer politischer, wirtschaftlicher oder kultureller Diskriminierung ausgesetzt ist. Im Falle fortdauernder Verletzung fundamentaler Menschenrechte muß der Minderheit, sofern sie in einem abtrennbaren Siedlungsgebiet lebt1 5 , die Möglichkeit zur Sezession gegeben werden; eine Orientierung am entsprechenden Status des Gebiets (einfache Region, autonomes Gebiet, föderative Republik) würde letztlich einer, vom Willen des diesen Status gewährenden Zentralstaats abhängigen, Relativierung von Menschenrechten gleichkommen. Umgekehrt muß aber auch gehen, daß in den Fällen, in denen der Staat einer Volksgruppe einklagbare Autonomie- und Minderheitenrechte gewährt und ihr so die Wahrung ihrer Identität und kulturellen Besonderheiten ermöglicht, dieser Volksgruppe ein Recht auf Sezession nicht zusteht.16 Darüber hinaus darf die zum Zwecke der Wahrung von Menschen- und Minderheitenrechten beabsichtigte Gewährung von Eigenstaatlichkeit nur dann erfolgen, wenn die ehemalige Minderheit sich als nunmehrige Mehrheit in ihrem neuen Staatswesen ebenfalls zur Wahrung der Menschenund Minderheitenrechte gegenüber ihren eigenen Minderheiten verpflichtet hat. 77

74 So auch Murswiek, Problematik eines Rechts auf Sezession, S. 330 f.

75 Für ethnisch durchmischte Gebiete kommt territoriale Autonomie nicht in Betracht; fiir sie könnte aber das vor dem Ersten Weltkrieg in der Bukowina und in Mähren erfolgreich angewandte Konzept "personaler Autonomie" Anwendung fmden (Kimminich, Zur Frage eines föderalen Selbstbestimmungsrechts, S. 9). Zu den Einzelheiten dieses Konzepts vgl. Kimminich, Die personale Autonomie - Relikt einer vergangenen Zeit oder Modell fiir die Zukunft?, in: Gedächtnisschrift für Wilhelm Karl Geck (1989), S. 431 ff. 76 Vgl. nur Doehring, Selbstbestimmungsrecht und Intervention dritter Staaten, S. 47 und Murswiek, Problematik eines Rechts auf Sezession, S. 331. Das Prinzip föderaler Selbstbestimmung dient somit letztlich dem Erhalt der territorialen Integrität des Staates, vorausgesetzt natürlich, daß die verfassungsrechtlich garantierten autonomen oder föderalen Strukturen sowie die Minderheitenrechten ihre praktische Umsetzung fmden. 77 Dieser Gedanke ist bereits in den "EG-Richtlinien zur Anerkennung neuer Staaten in Osteuropa und in der Sowjetunion" enthalten, die für die Anerkennung der neuen Staaten "Garantien fUr die Rechte ethnischer und nationaler Gruppen und Minderheiten im Einklang mit den im Rahmen der KSZE eingegangenen Verpflichtungen" 22 Wenig

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4. Kapitel: Abschließende Bewertung der Möglichkeiten der OSZE

5. Die Ausarbeitung von Verfahrensregeln für Grenzkorrekturen und deren Überwachung Neben diesen normativen Regelungen dürfte ein weiteres Aufgabenfeld der OSZE in der Hilfestellung bei der Behebung von durch Staatenneugründungen entstandenen Problemen liegen. Infolge des uli possidelis Prinzips werden interne Grenzen, die häufig unter Mißachtung ethnischer Verhältnisse aus rein verwaltungstechnischen, wirtschaftlichen oder politischen Aspekten gezogen wurden, plötzlich zu internationalen Grenzen. Die Ereignisse in Ostbosnien haben exemplarisch gezeigt, daß sich die in kompakten Siedlungsgebieten im unmittelbaren Anschluß an ihre Heimatrepublik lebende Bevölkerungsgruppe wohl nur äußerst selten damit abfinden wird, plötzlich zu einer Minderheit geworden zu sein. Uli possidelis soll Stabilität und Sicherheit gewähren und eine völlige Fragmentierung staatlicher Strukturen durch immer neue Abspaltungen verhindern, doch muß hinterfragt werden, ob beim Beharren auf willkürlicher, im Sinne von ethnischen Verhältnissen entgegenstehender, Grenzziehung nicht lediglich der Anschein von Stabilität geschützt wird. Ist die betroffene Volksgruppe bereit, sich den Anschluß an die Titularnation mit Gewalt zu erkämpfen, so bleibt zu überlegen, ob in diesen Fällen nicht die Gewährung einer, durch international überwachte Volksabstimmung, legitimierten Sezession zu dauerhafterer Stabilität fuhrt, als das Festhalten an ethnischen Gegebenheiten entgegenstehenden Grenzen. 78 Dies gilt insbesondere, als uli possidetis die Möglichkeit zu Grenzkorrekturen im gegenseitigen Einverständnis nicht ausschließt. Aufgabe der OSZE sollte es daher sein, fur derartige Grenzkorrekturen geeignete Verfahrensregeln zu erarbeiten, die insbesondere der Klärung der schwierigen Fragen hinsichtlich der Abgrenzung des Abstimmungsgebietes

fordern. Diese Richtlinien sind abgedruckt in: EA 3/1992, S. Dl20. Die Richtlinien gelten auch für die ehemaligen Republiken Jugoslawiens, vgl. hierzu den in EA 3/1992, S. DI21 abgedruckten "Gemeinsamen Standpunkt im Hinblick auf die Anerkennung der jugoslawischen Republiken, Brüssel, 16. Dezember 1991". Vgl. auch Wellershoff, Schlußbemerkungen, in: Souchon, Völkerrecht und Sicherheit, S. 133, der die drei traditionellen Elemente des Staatsbegriffes (Staatsvolk, Staatsgebiet und Staatsgewalt) für die Anerkennung von Neustaaten um ein viertes Element, die "Einordnung in die Pflichten der Völkergemeinschaft" erweitert. 78 Gegen eine pauschale Ablehnung von Grenzkorrekturen wendet sich auch Brunner, Nationalitätenprobleme und Minderheitenkonflikte in Osteuropa, 1993, S. 93 ff., demzufolge "gerechtfertigte Forderungen nach ethnischen Grenzrevisionen rechtzeitig erkannt, sorgfältig geprüft und gegebenenfalls unterstützt werden (müssen)". "Territorial and population exchanges under international auspices", insb. bzgl. der ostbosnischen Muslimenklaven, werden auch von MaulI, Hypocrisy in Bosnia, in: International Herald Tribune vom 4.5.1994, S. 4, letztlich für unumgänglich gehalten.

m. ZusamrnenfassWlg

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und der abstimmungsberechtigten Bevölkerung dienen. 79 Durch das Prinzip der regelmäßigen Konsultationen kann es der OSZE gelingen, den betroffenen Staat von den längerfristigen Vorteilen einer begrenzten Gebietsaufgabe zu überzeugen. Im konkreten Fall abgehaltene Volksabstimmungen müssen von der OSZE durch Berichterstattermissionen überwacht und die neuen Grenzen zumindest in der ersten Zeit durch Friedenstruppen gesichert werden. 8o Eine absolut gerechte Lösung können solche Grenzkorrekturen freilich niemals bringen, da sich auch nachher immer Personen "auf der falschen Seite der Grenze" wiederfinden werden. Infolge von Grenzkorrekturen kann aber erreicht werden, daß sich die Zahl dieser plötzlich zu einer Minderheit gewordenen Personen in einem möglichst geringen Rahmen hält. Grenzkorrekturen dienen somit dem Ziel, den ethnischen Gegebenheiten der von einer Internationalisierung interner Grenzen oder früherer willkürlicher Grenzziehung betroffenen Region Rechnung zu tragen und somit späteren gewalttätigen Unabhängigkeitskämpfen vorzubeugen.

III. Zusammenfassung Die Hauptaufgabe der OSZE liegt in der regionalen Friedenssicherung durch Konsultationen und friedliche Streitbeilegung. Hierbei sollten die Beziehungen zwischen der regionalen Abmachung OSZE und dem UNSicherheitsrat zum Zwecke einer noch effektiveren Zusammenarbeit bei der Friedenssicherung weiter ausgebaut werden. Eine zusätzliche Aufgabe fiir die OSZE besteht darin, Schutzbestimmungen fiir Minderheiten zu konkretisieren sowie Regelungsmechanismen rur den Zerfall von Staaten und die Sezession von Teilgebieten auszuarbeiten, die Transformation dieser politischen Normen in geltendes Völkerrecht zu unterstützen und ihre Implementierung im konkreten Fall durch Vor-Ort-Missionen zu überwachen.

79 Türk, Recognition of States: A Comment, in: 4 EJIL (1994), S. 71; Ropers/Schlotter, NonnenbildWlg im KSZE-Prozeß, S. 869 f. Die ganze Dimension dieser Frage wird deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, daß von den 23 Grenzen zwischen den Republiken der ehemaligen So\\jetWlion nur drei nicht wnstritten sind Wld es bis zwn Dezember 1991 zu 160 Grenzstreitigkeiten auf dem Gebiet der ehemaligen UdSSR gekommen war. Zur willkürlichen GrenzverschiebWlg sei angemerkt, daß es in der So\\jetWlion seit 1921 90 Grenzänderwtgen gab. Vgl. zu diesen Angaben sowie fiir weitere Hinweise Franklin, International boWldaries: ex-Soviet Union and Eastern Europe, in: The World Today, March 1992, S. 38 ff. 80 Zu den gegenwärtigen Hindernissen in Bezug auf eine AufstellWlg eigener OSZE-Friedenstruppen siehe S. 138. Zur Problematik des peace-keeping traditioneller PrägWlg in ethnischen Kontlil..-ten vgl. die Literatur in: 2. Kapitel, Fn. 537. 22*

340

4. Kapitel: Abschließende Bewertung der Möglichkeiten der OSZE

Das Betätigungsfeld der OSZE liegt somit sowohl im normativen Bereich als auch in der aktuellen Konfliktbehandlung in Form der Konfliktvorbeugung durch Vertrauensbildung, der friedlichen Konfliktbeilegung durch Offerierung von Lösungsvorschlägen und der Konfliktnachsorge durch Hilfestellung bei der Wiederherstellung von Vertrauen und Zusammenarbeit sowie beim Aufbau demokratischer und rechtsstaatlicher Institutionen. Die Bereitschaft der Teilnehmerstaaten zur friedlichen Streitbeilegung kann durch permanente Konsultationen ermöglicht und in Ausnahmefällen möglicherweise auch durch die Androhung oder Verhängung wirtschaftlicher Sanktionsrnaßnahmen erzwungen werden. In den Fällen jedoch, in denen der Konflikt die Schwelle der bewaffneten Auseinandersetzung erst einmal überschritten hat und die Streitparteien keine Bereitschaft zur friedlichen Streitbeilegung zeigen, kann der Konflikt, wie die Ereignisse im ehemaligen Jugoslawien unter Beweis gestellt haben, nur noch durch die glaubhafte Androhung oder gar Anwendung militärischer Maßnahmen eingegrenzt oder beendet werden; dies allerdings ist dann aufgrund des Gewaltmonopols des SR nicht mehr Aufgabe der OSZE, sondern der Vereinten Nationen.

Zusammenfassung der Arbeit in Thesenform 1. Mit Ausnahme des KSE-Vertrages und des "Übereinkommens über Vergleichs- und Schiedsverfahren innerhalb der KSZE" stellen alle OSZEDokumente außerrechtliche politische Abmachungen dar. Die Verletzung der in diesen Dokumenten niedergelegten Verpflichtungen kann, soweit es sich nicht um geltende Völkerrechtsnormen handelt, nicht mit Repressalien geahndet werden. 2. Die Gründung einer internationalen Organisation und die Verleihung von Völkerrechtssubjektivität, d.h. die Ausstattung der Organisation mit ihr eigenen völkerrechtlichen Rechten und Pflichten durch ihre Mitgliedstaaten, sind zwei voneinander zu trennende Vorgänge. 3. Eine internationale Organisation kann auch ohne Gründungsvertrag durch die Institutionalisierung eines Konferenzprozesses, also qua Faktizität entstehen. 4. Die KSZE war schon in der Zeit zwischen der Annahme der Charta von Paris im Jahre 1990 und der zu Jahresbeginn 1995 erfolgten Umbenennung in OSZE eine internationale Organisation, die jedoch keine Völkerrechtssubjektivität besaß und somit keine rechtsverbindlichen Beschlüsse gegenüber ihren Teilnehmerstaaten fassen konnte. Dieser Rechtsstatus wurde durch die Namensänderung nicht verändert, so daß die Umbenennung eine folgerichtige, deklaratorische Bestätigung der seit 1990 bestehenden Organisationsqualität darstellt. 5. Eine Zuerkennung von Völkerrechtssubjektivität ist mangels eines dahingehenden Willens der Teilnehmerstaaten auch in Zukunft nicht zu erwarten. 6. Nach der am effet-utile orientierten teleologischen Interpretation der UNCharta durch ihre Organe Sicherheitsrat, Generalversammlung und Generalsekretär ist die OSZE auch ohne völkerrechtlichen Gründungsvertrag eine "regionale Abmachung" i.S.v. Kapitel VIII SVN. Sie kann somit die ihr nach diesem Kapitel zufallenden Aufgaben wahrnehmen und vom SR mit der Durchfiihrung von Zwangsmaßnahmen betraut werden. 7. Bei den elf Streitbeilegungsmechanismen der OSZE handelt es sich mit Ausnahme der Verfahren vor dem OSZE-Vergleichs- und Schiedsgerichtshof um außerrechtliche politische Abmachungen. Ihr Erfolg bei der Konfliktlösung hängt wesentlich von der Mitwirkung des betroffenen Staates ab.

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8. Die Mechanismen der OSZE haben im Jugoslawienkonflikt in verfahrenstechnischer Hinsicht funktioniert, konnten aber angesichts der fehlenden Kooperationsbereitschaft des Aggressors keine Lösung des Konflikts herbeiführen. 9. Die OSZE, d.h. der Ministerrat bzw. der Hohe Rat, haben die Möglichkeit, ohne vorherigen SR-Beschluß nach Art. 41 SVN oder Ermächtigung durch den SR nach Art. 53 SVN, im Rahmen des "Konsens-minus-eins" Verfahrens einen Beschluß zur Verhängung von Wirtschaftssanktionen gegen einen ihrer Teilnehmerstaaten zu treffen, sofern dieser eine Norm aus dem Bereich der menschlichen Dimension verletzt hat, zu deren Beachtung er völkerrechtlich verpflichtet ist. Aufgrund des außerrechtlichen Charakters der OSZE obliegt es den Teilnehmerstaaten, diesen für sie politisch bindenden Beschluß durch entsprechende innerstaatliche Maßnahmen umzusetzen. 10. Von regionalen Abmachungen verhängte Wirtschaftssanktionen sind aufgrund der fehlenden Allgemeinverbindlichkeit im Vergleich zu UNWirtschaftssanktionen weniger effektiv. Die Möglichkeit der Konfliktregulierung durch Verhängung von Wirtschaftssanktionen ist bei ethnischen Konflikten stark eingeschränkt, da der Aggressor zumeist gegen seine ökonomischen Interessen handelt. Zudem sind Wirtschaftssanktionen nicht in der Lage, eine verfolgte Bevölkerungsgruppe vor Vertreibung und Genozid zu retten. Hierzu bedarf es der Androhung oder Anwendung militärischer Zwangsmaßnahmen. 11. Eine Umformung der OSZE in ein System kollektiver Sicherheit mit eigenem Sicherheitsrat und eigenen Truppen ist aufgrund der konzeptionellen Schwäche des Systems kollektiver Sicherheit und der andersgelagerten OSZE-Struktur nicht zu erwarten. 12. Trotz der im Jugoslawienkonflikt unter Beweis gestellten Tatsache, daß gewaltsam ausgetragene ethnische Konflikte, wenn überhaupt, dann nur durch die glaubhafte Drohung oder gar den Einsatz überlegener militärischer Mittel beendet werden können, die OSZE hierzu aber nicht im Stande ist, nimmt die OSZE im internationalen Konfliktmanagement eine herausragende Position ein, da sie versucht, derartige Konflikte gar nicht erst entstehen zu lassen. 13. Durch ständige Konsultationen bringt die OSZE Transparenz in die Aktivitäten ihrer Teilnehmerstaaten und ermöglicht so den Abbau von Bedrohungsperzeptionen sowie die Bildung von Vertrauen. Dieser konfliktpräventive Ansatz wird unterstützt durch die Einbindung der ehemals sozialistischen Staaten in das OSZE-Wertesystem von Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.

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14. Die regionale Friedenssicherung in Fonn der Konfliktvorbeugung durch Vertrauensbildung, der friedlichen Streitbeilegung durch Offerierung von Lösungsvorschlägen und der Konfliktnachsorge durch die Hilfestellung bei der Wiederherstellung von Vertrauen und Zusammenarbeit sowie beim Aufbau demokratischer und rechtsstaatlicher Institutionen wird auch weiterhin die Hauptaufgabe der OSZE sein. Hierbei sollten die Beziehungen zwischen der Regionalorganisation OSZE und der Universalorganisation UNO zum Zwecke einer noch effektiveren Zusammenarbeit beider Organisationen bei der Friedenssicherung weiter ausgebaut werden. 15. Das andere Aufgabengebiet der OSZE bei ihrem Bemühen zur Verhinderung ethnischer Konflikte liegt im normativer Bereich. So gilt es, Schutzbestimmungen fiir ethnische Minderheiten zu konkretisieren sowie Regelungsmechanismen fiir den Zerfall von Staaten und die Sezession von Teilgebieten auszuarbeiten, die Transformation dieser politischen Nonnen in geltendes Völkerrecht zu unterstützen und ihre Implementierung im konkreten Fall durch Vor-Ort-Missionen zu überwachen.

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Anhang

~

------

-

_

Büro ftIr Demokratische Institutionen und Menschenrechte (BDIMR), Warschau menschenrecht!. Fragen. Wahlüberprüfung, Hilfe beim Aufbau demokratischer und rechtsstaatlicher Institutionen in neuen TNS

I+'orum rur Sicherheitskooperation, Wien vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen (VSBM) Rüstungskontrolle, Abrüstung

L ____ _

Parlamentarische Venammlung 308 Abgeordnete der TNS Beratungen und nichtverbindliche Beschlüsse

OSZE-Verglelchs- und Schiedsgerichtshof, Genf Vergleiche und verbindliche Schiedssprüche

~

-------

Hoher Kommissar flIr nationale MInderheite. (HKNM), Den Haag Frühwarnung bei drohenden Minderbei- , tenkonflikten

Sekretariat in Wien mit Büro in Frag Abteilung !Ur Konferenzdienste, Verwallung, Haushalt Unterstützung von Ministerrat, Hohem Rat und aV Konßiktverhütunguentrum (KVZ) -Unterstützung der OSZE-Missionen

OSZE-Generalsekretir, Wien Vertreter des aV Aufsicht über die OSZE-Institutionen

Verantwortung !Ur exekutive Maßnahmen

Vonltzender (aV) " ",,---------1 amtierender Koordinierungsfunktion. übergreifende

Ständiger Rat (ehern. Ständiger Ausschuß), wöchentlich in Wien Vertreter der TNS; dem Hohen Rat ggii. rechenschaftspflichtig rege Im. Konsultationen. tägliche operative Aufgaben

Hoher Rat (ehern. AHB), alle drei Monate in Wien pali!. Direktoren der Außenministerien der OSZE-TNS _~eratives Lenkungsgremium

Ministerrat (ehern. KSZE-Rat), mind. einmal jährlich Außenminister der OSZE-TNS unter Leitung des 8 V zentrales Beschluß und Lenkungsgremium

OSZE-Folgetrelfen, alle zwei Jahre -ÜbelJuüfungskonferenz ~ -Treffen der Staats- und Regierungschefs AusarbeItung der Rlchthruen !Ur die Zukunft

~

Die Institutionen der OSZE

",..

W -.l

f

372

Anhang

Mechanismus für Konsultationen und Zusammenarbeit in bezug auf ungewöhnliche militärische Aktivitäten

J-

TNS hat Besorgnis wegen ungewö licher militärischer Aktivitäten m einem anderem TNS Ersuchen des besorgten TNS an betroffenen TNS um Erklärung Antwort innerhalb 48 Stunden

ausreichend?

Ende

s "------71 Treffen innerhalb 48 Stunden

373

Anhang Mechanismus für Zusammenarbeit und Konsultation in dringenden Situationen I;n'S ist der Ansicht, daß anderer TNS Prinzip der Schlußakte verletzt

I

I

I~rsuchen an betroffenen Staat um KlarsteIlung

I

I

It"twort des ersuchten Staates mnerhrub von 48 Stunden

Lösung der SItuatIon?

Ende

+

Kontaktaufuahme des Vorsitzenden des Hohen Rates mit beteiligten Staaten

Ersuchen um Einberufung einer Dringlichkeitssitzung des Hohen Rates durch einen oder beide beteiligte Staaten

Unterstützung des Ersuchens durch mind. 12 TNS mnerh. 48 Stunden?

I

I

-

Ende

+ Dringlichkeitssltzu"ll des Hohen Rates nach 2 oder 3 Tagen -Empfehlungen oder Schlußfolgerungen zur Herbeifuhrung einer Lösung -Beschluß, Treffen auf Außenministerebene einzuberufen (Sondertreffen des Ministerrates)

-

~

~

Berichtentllttermission

Expenenmi ..ion

Ende

Ausreichende Antwort innerhalb von 10 Tagen ?

-

Einberufungsvoraussetzungen -betr. Staat hat nach Anfrage eines TNS über das BDIMR innerh. von 10 Tagen keine ExpM. einberufen Wld Einberufungsersuchen des TNS wird von 5 anderen Wlterstützt -TNS befmdet, daß ExpM keine Lösung erbracht hat Wld Unterstützung des Einberufungsersuchens durch 5 andere TNS - Beschluß des HR oder SIR auf Ersuchen eines TNS -TNS befmdet, daß in betr. Staat besonders schwerwiegende Gefahr für die Verwirklichung der Bestimmungen der mD besteht und Unterstützung des Einberufungscrsuchens durch 9 andere TNS (Kurzvcrfahren)

Einberufungsyoraussetzungen -betroffener Staat lädt ein -TNS ersucht nach Anwendung des Konsultationsverfahrens das BDIMR, wegen einer ExpM bei betr. Staat anzufragen Wld positive Antwort -Beschluß des HR oder SIR auf Ersuchen eines TNS

Verfahren zur Überprilfung vor On

+

L ______________

TNS isiüber Entwicklung der mD in anderem TNS besorgt

Kon.sultaüonsverfahren

lungen) bei betr. TNS und BDIMR innerhalb 2 Wochen

Vorlage des Berichts der BerM

r- (Feststclhmgen und Empfeh-

-

-?

Vorlage der Feststellungen der ExpM. bei betr. TNS ~ innerhalb 2 Wochen

+ -';>Ende

1+--;'

Ende

Ende Betr. Staat leitet Bemerkungen zum Bericht innerhalb 2 Wochen dem BDIMR ZU; BDIMR leitet beides an TNSweiter

I

Problemlösung?

-T

HR oder SIR können weitere Schritte beschließen

-1

Problemlösung?

Weiterleitung von Feststellung Wld Darstellung der vom betr. Staat beabsichtigten Handlungen an BDIMR Wld andere TNS innerhalb 2 Wochen

Abkürzungen: BerM Berichterstattennission betr. Staat betroffener Staat, hier: der Staat, auf dessen T erritoriwn die Mission stattfmdet ExpM Expertenmission HoherRat HR menschliche Dimension mD Ständiger Rat SIR Teilnehmerstaat TNS

Der Mechanismus der menschlichen Dimension

f

w

i

Anhang

375

Frühwarnmechanismus des Hohen Kommissars für nationale Minderheiten (IIKNM)

Infonnationssammlung des HKNM hins. Fragen nat. Minderheiten

Lageeinschätzung

Kontaktaufuahme mit betr. Staat

Gestaltung der Einreise sowie ungehinderter Reisen und Kommunikation

e---

- --1 HKNM informiert Hohen Rat I

+ Infonnationsheschaffung vor Ort Problernerörterung und Förderung des Dialogs

Schlußfolgerung des HKNM, daß prima facie Risiko eines zwischenstaatL Konflikts?

W

Bei Abschluß des Einsatzes Bericht an aV

1

mnem.

1 Monat

Konsultierung des betr. TNS durch den aV und weitere Gespräche

I Stellungnahme des betr. Staates

+

Friihwamerklärung an Hohen Rat über aV

Konsultationen zur Problemlösung gern. Mandat des Hohen Rates = Frühma/lnahme

Bei Abschluß des Einsatzes Bericht an a V

,~

Bericht und Stellungnahme an Hohen Rat

Ist TNS der AuffassWJg, daß Friihwamung der sofortigen Konsultation bedarf?

-

+1 Einleitung des OSZE Dring-

I lichkeitsmechanismus

I

Erörterung der Friihwarnung auf nächstem Treffen des Hohen Rates

376

Anhang

Der Mechanismus zur friedlichen Beilegung von Streitigkeiten (Valletta-Mechanismus) Voraussetzungen !Ur die Einsetzung des Mechanismus: -keine Beilegung des Streits durch Konsultationen der Streitparteien -keine Einigung der Streitparteien auf anderes Streitbeilegungsverfahren innerhalb eines angemessenen Zeitraums ~

Jede Streitpartei kann Einsetzung des Mechanismus fordern

I

Macht andere Streitpartei Souveränitätsvorbehalt des Abschnitts XII geltend?

Einigung der Parteien auf Zusammensetzung des Mechanismus innerh. 2 Monaten?

+

-

Mechanismus wird nicht eingesetzt Streitpartei hat ledig!. Möglichkeit, den Hohen Rat zu informieren Benennung von 7 Personen durch ranghöchsten Beamten des KVZ nach Rücksprache mit Streitparteien

I

Möglichkeit jeder Partei, innerhalb eines Monats bis zu drei der benannten Personen abzulehnen

+ Einsetzung des Mechanismus

I Mechanismus erteilt Streitparteien Ratschläge und Hinweise zur Auffindung eines !Ur sie akzeptablen Streitbeilegungsverfahrens

I

Haben Parteien Streit innerh. einer vernünftigen Frist beigelegt oder sich auf ein Streitbeilegungsverfahren geeinigt?

+

-1

Ende

Benachrichtigung des Mechanismus über fehlende Einigung Innerh. von 3 Monaten kann Streitpartei den Mechanismus um allgemeine oder spezifische Ratschläge hins. der Substanz des Streitfalls ersuchen ~

Macht andere Streitpartei Souveränitätsvorbehalt geltend?

Mechanismus erteilt Streitparteien Hinweise oder Ratschläge b7g1. Substanz des Streitfalls

+

Mechanismus beendet Tätigkeit Jede andere Streitpartei kann diesen Umstand dem Hohen Rat zur Kenntnis bringen

377

Anhang

OSZE-Vergleichsverfahren Einleitung Einseitig durch Antrag eines Vertragsstaates bei Streitigkei zwischen Vertragsstaaten

Einvernehmlich durch Vereinbarung ,tl zw. Vertragsstaaten bzw. Vertragsstaat und OSZE-TNS

Auf Anordmnlg des Ministerrats oder Hohen Rates gg(i. Verlragsparteien im "Konsens-minus-zwei" Verfahren

~J~ Bildung der Vergleichslwmmission -jede Streitpartei ernennt einen Schlichter; sind mehr als 2 Staaten Parteien derselben Streitigkeit, wird von beiden Seiten der Streitigkeit eine gleiche Anzahl von Schlichtern bestellt -Präsidium des Gerichtshofs ernennt ungerade Zahl weiterer Schlichter (grds. 3), aus denen die Kommission hren Vorsitzenden wählt Erzielen einer einvernehmlichen Lösung?

+--0> Ergebnisprotokoll

- I Schlußbericht der Vergleichskommission mit Lösungsvorschlag. Annahme der vorgeschlagenen Lösung durch alle Streitparteien innerh. 30 Tagen?

- I Zuleitung des Schlußberichts an den Ministerrat über den Hohen Rat

1

Nach Ablaufvon 30 Tagen: Möglichkeit der Einleitung des Schiedsverfahrens gegen Vertragsstaat, sofern dieser eine Unterwerfungserklärung abgegeben haI.

+

Ende

378

Anhang

Schiedsverfahren vor dem OSZE-Schiedsgericht

Einleitung Einseitig durch Antrag einer Streitpartei unter folgenden Voraussetzungen: - gegenseitige Unterwerfungserklärung beider Streitparteien - vorheriges ergebnislos durchlaufenes Vergieichsverfahren - Antr"S'einreichung erst 30 Tage nach Zuleitung des Schlullberichts der Vergleichskommission an den Ministerrat

Einvernehmlich durch V crcinbanmg zwischen vertragsstaatcn bzw. Vertragsstaat und OSZE-TNS

~~

Bildung des Schiedsgerichts -die von den Strcitparteien zur Liste der Schiedsrichter benannten Schiedsrichter als Mitglieder des Gerichts von Amts wegen -eine diese Zahl übersteigende Anzahl vom Prasidiurn aus der Liste ernannter Schiedsrichter, aus deren Reihen der Vorsitzende gewählt wird

Rechtlich bindender Schiedsspruch - endgültig und keinem Rechtsmittei unterliegend - wird veröffentlicht

379

Anhang

Verfahren vor der OSZE-Vergleichskommission

Einleitung Auf Anordnung des Ministerrates oder Hohen Rates im "Konscns-minus-zwei" Verfahren

Bildung der OSZE-Vergleidll....mml.uion -jede Streitpartei ernennt innerhalb von 20 Tagen je einen Schlichter aus dem Va1letta-Verzeichnis -die Schlichter bestimmen ihrerseits innerhalb weiterer 20 Tage einen dritten Schlichter aus dem Valletta-Verzeichnis als Vorsitzenden der Kommission

Gütliche Einigung

Annahme der vorgeschlagenen Lösung binnen Frist durch Streitparteien?

Sekretär der Kommission leitet einen Bericht an den Hohen Rat

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1---"'_--':> Ende

380

Anhang

Slowenien

Bosnien Herzegowina Montenegro Provinz Kosowo

Ehemals unler habsburgischer Herrschaft: Reichsteil ÖsterreiCh

Relchste,1

Ungarn

-

Ehemals unler osmanischer Herrschaft:

Makedonien

Serbien und Montenegro se~ 1878 unabhängig

1913 erworbene Gebiete

lllIIII!III!!I Bis 1878 osmanisch,

iIlI!II!lII!!I dann öslerrelchlsch

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382

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