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German Pages [419]
Forschungen zum Alten Testament Herausgegeben von Konrad Schmid (Zürich) · Mark S. Smith (New York) Hermann Spieckermann (Göttingen)
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Erasmus Gaß
Menschliches Handeln und Sprechen im Horizont Gottes Aufsätze zur biblischen Theologie
Mohr Siebeck
Erasmus Gass, geboren 1971; 2001 Promotion; 2008 Habilitation; Lehrstuhlvertretungen in München, Graz, Dresden; Gastprofessur in Eichstätt; seit 2014 Professor für Biblische Einleitung und Biblische Hilfswissenschaften an der Theologischen Fakultät Trier.
e-ISBN PDF 978-3-16-153948-0 ISBN 978-3-16-153902-2 ISSN 0940-4155 (Forschungen zum Alten Testament) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Natio nalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb. dnb.de abrufbar. © 2015 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Ver lags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Sys temen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruck papier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden.
Vorwort V
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Vorwort
Theodor Seidl Septuagenario
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Vorwort
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Vorwort Vorwort
Biblische Theologie entsteht nicht im luftleeren Raum. Die biblischen Autoren haben vielmehr die „Zeichen der Zeit“ erkannt und theologisch gedeutet. Um biblische Theologie verstehen zu können, muss man die Texte zunächst sprachlich untersuchen, um nicht vorschnell und in ungerechtfertigter Weise ein eigenes Vorverständnis einzutragen. Umgekehrt sollte aber auch der bibeltheologische Ertrag der sprachlichen Analyse nicht unterschlagen werden. Insofern folgt bei den Artikeln des vorliegenden Sammelbandes nach der sprachlichen Untersuchung ein theologisches Ergebnis, das bei den bisherigen Veröffentlichungen meist fehlte. Damit stehe ich in der Tradition von meinen geschätzten Lehrern Prof. Dr. Walter Groß und Prof. Dr. Theodor Seidl, die sprachliche Tiefe und theologischen Ertrag in kongenialer Weise zu verbinden wissen. Die meisten Aufsätze entstanden während meiner Zeit als Lehrstuhlvertreter und Lehrbeauftragter an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Es verwundert nicht, dass die Beiträge auf die vielen Fragestellungen reagieren, die von Kollegen und Studierenden an mich herangetragen worden sind. Vor allem Herr Prof. Dr. Dr. Jochen Sautermeister hat viele Impulse gegeben – in gemeinsamen Veranstaltungen und in persönlichen Gesprächen. Dieser Sammelband wäre ohne die Zusammenarbeit und Hilfestellung vieler Personen nicht möglich gewesen. Ihnen möchte ich aufs Herzlichste danken: Herr Prof. Dr. Hermann Spieckermann regte die Publikation in der renommierten Reihe „Forschungen zum Alten Testament“ an. Herr Dr. Henning Ziebritzki vom Verlag Mohr Siebeck betreute in kompetenter Weise die Drucklegung. Frau Ilse König gab immer wieder wertvolle Anregungen für die Erstellung des Layouts dieser Studie. Die Publikation hätte nicht ohne mein hervorragendes Lehrstuhlteam abgeschlossen werden können. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Trierer Lehrstuhls für Biblische Einleitung schufen jederzeit eine fruchtbare und anregende Atmosphäre, in der ein effektives Arbeiten immer möglich gewesen ist. Mein Assistent Dipl.-Theol. Mathias Winkler hat die Arbeit kritisch gelesen und zahlreiche weiterführende fachliche Anregungen eingebracht. Frau B.Ed. Anne Schäfer besorgte in vorbildlicher Weise das Lektorat. Herr Michael Michels kümmerte sich um den Nachschub an Literatur. Meine Sekretärin Frau Heike Mockenhaupt-Hardt sorgte für ein ansprechendes Layout und meisterte – wie immer kompetent – alle computertechnischen Probleme.
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Vorwort
Diese Studie wäre nicht ohne die Unterstützung meiner Familie entstanden, die mir immer wieder verständnisvoll die nötigen Freiräume geschaffen hat. Glücklicherweise haben mich meine Frau Susanne und mein Sohn Josef immer wieder daran erinnert, dass es neben der wissenschaftlichen Arbeit auch noch andere Dinge gibt. Ich widme dieses Buch meinem verehrten Lehrer Prof. Dr. Theodor Seidl zum 70. Geburtstag, der in mir die Liebe zum Alten Testament geweckt hat. Trier, im August 2015
Erasmus Gaß
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Inhaltsverzeichnis Vorwort .................................................................................................... VII Einführung .................................................................................................. 1 1. Gottes Handeln in der Welt – Zur Geschichtsmächtigkeit Gottes ............ 2. Gottes Sprechen zum Mensch – Zum biblischen Prophetenverständnis ... 3. Gottes Verbindung zu seinem Volk – Zum biblischen Erwählungsgedanken .............................................................................. 4. Menschliches Handeln im Horizont Gottes – Zur alttestamentlichen Ethik ........................................................................................................
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Gottes Handeln in der Welt – Zur Geschichtsmächtigkeit Gottes JHWH oder der Perserkönig? Das Handeln Gottes durch menschliche Agenten in Jes 40,9–11 ............................................................................... 15 1. Zur Abgrenzung, Text und Übersetzung ................................................. 16 2. Intertextuelles Verweissystem ................................................................. 23 3. Zur Semantik der verwendeten Lexeme .................................................. 26 3.1 בוא................................................................................................... 26 3.2 משׁל................................................................................................. 27 3.3 זרוע................................................................................................. 28 3.4 שׂכרund פעלה................................................................................. 28 3.5 Zusammenfassung ........................................................................... 31 4. Auswirkung auf v. 11 .............................................................................. 31 5. Bibeltheologische Schlussfolgerungen .................................................... 35 Geschichte und Schöpfung. Überlegungen zum Monotheismus im Kyrosorakel (Jes 45,1–8) ....................................................................... 38 1. Abgrenzung vom Kontext und Struktur des Kyrosorakels ....................... 39 2. Geschichte – Monotheismus – Schöpfung ............................................... 47 2.1 Vergleich mit der babylonischen Geschichtstheologie ..................... 47 2.2 Das Biblische Kyrosorakel .............................................................. 54 2.2.1 Geschichte – erster Abschnitt 1–4a ......................................... 54 2.2.2 Monotheismus – zweiter Abschnitt 4b–6b .............................. 56
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Inhaltsverzeichnis
2.2.3 Schöpfung – dritter Abschnitt 6c–8 ......................................... 59 3. Bibeltheologische Ergebnisse ................................................................. 63 „O Heiland reiß die Himmel auf.“ Weltweites Heil als Folge des Eingreifens Gottes in die Geschichte .................................................... 65 1. 2. 3. 4.
Textkritische Probleme ........................................................................... 66 Syntaktische Probleme ........................................................................... 68 Semantische Probleme ........................................................................... 70 Bibeltheologische Ergebnisse ................................................................. 74
Gottes Sprechen zum Mensch – Zum biblischen Prophetenverständnis Offenbarungsformen Gottes in der Bileamerzählung .................................. 79 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Verschiedene Bezeichnungen für Gott und himmlische Wesen................. 80 Begegnung mit Gott ............................................................................... 83 Bileam und der Engel ............................................................................. 85 Kontakt mit Gott ..................................................................................... 97 Bileam als Gottes Sprachrohr ................................................................ 98 Bileam als Visionär .............................................................................. 100 6.1 Ausgangspunkt ............................................................................... 101 6.2 Bau der Altäre ................................................................................ 101 6.3 Brandopfer...................................................................................... 102 6.4 Rückzug ......................................................................................... 102 6.5 Empfang einer prophetischen Botschaft .......................................... 103 6.6 Rückkehr ........................................................................................ 103 6.7 Wiedergabe des Orakels ................................................................. 103 7. Bibeltheologische Ergebnisse ............................................................... 106
„Kein Prophet bin ich und kein Prophetenschüler bin ich.“ Zum Selbstverständnis des Propheten Amos in Am 7,14 .......................... 108 1. Das Problem der Zeitlage des Nominalsatzes in Am 7,14 ..................... 109 1.1 Zur Stelle ....................................................................................... 109 1.2 Problematische Lösungsvorschläge ............................................... 112 1.3 Bestimmung des Zeitverhältnisses der Nominalsätze ..................... 116 2. Zum Selbstverständnis des Propheten Amos nach Am 7,14 ................... 125
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Der Vorwurf der Blutschuld von Jesreel (Hos 1,4–5) als authentisches Prophetenwort .................................................................... 131 1. Zu Kontext, Struktur und Datierung ..................................................... 133 2. Zur Semantik und Syntax einzelner Lexeme .......................................... 135 2.1 פקד-G + על................................................................................... 135 2.1.1 פקד-G + על+ direktes Objekt .............................................. 135 2.1.2 פקד-G + על+ ø .................................................................... 137 2.2 דמים.............................................................................................. 138 2.2.1 דמי+ Personen(gruppen) ....................................................... 138 2.2.2 דמי+ Ortsnamen ................................................................... 139 2.2.3 Sonderbedeutungen von ?דמים.............................................. 139 2.2.4 Referenz der Blutschuld von Jesreel ...................................... 141 2.3 יזרעאל............................................................................................ 142 2.4 שׁבת-H ........................................................................................... 144 2.5 ממלכות.......................................................................................... 145 2.6 בית+ Personenname/Eponym ........................................................ 146 2.7 קשׁת+ שׁבר...................................................................................... 148 3. Zur Literarkritik ................................................................................... 150 4. Zu den hinter Hos 1,4–5 liegenden Traditionen .................................... 152
Gottes Verbindung zu seinem Volk – Zum biblischen Erwählungsgedanken Die kultischen Vergehen Manasses, die Königebücher und das Deuteronomium ........................................................................... 157 1. Zu den einzelnen Vorwürfen ................................................................. 160 2. Ergebnisse ........................................................................................... 181 3. Nachwort: Zur Ehrenrettung Manasses ................................................ 185 Die Gesandtschaft Merodach-Baladans und ihre Folgen für die Daviddynastie ........................................................................................... 188 1. 2. 3. 4.
Zum Text .............................................................................................. 189 Zum geschichtlichen Hintergrund ........................................................ 190 Zur Literarkritik ................................................................................... 198 Zu den Gründen für die babylonische Gesandtschaft ............................ 207
Tradition und Innovation in Hos 2,16–17. Zur Entwicklung des biblischen Erwählungsgedankens ....................................................... 215 1. Hoseanische Traditionsverbundenheit................................................... 215
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2. Tradtion und Innovation in Hos 2,16–17 .............................................. 220 2.1 Zur Abgrenzung ............................................................................. 220 2.2 Zur syntaktischen, poetischen und inhaltlichen Struktur ................ 222 2.3 Zur Idiomatik ................................................................................. 222 2.4 Zu den Traditionen hinter dem Toponym Achor-Tal ...................... 227 2.4.1 Jos 7,24.26............................................................................. 227 2.4.2 Jos 15,7 ................................................................................. 229 2.4.3 Jes 65,10 ................................................................................ 229 2.5 Zur Lage des Achor-Tals und der damit verbundenen Konnotationen ............................................................................... 231 3. Literarhistorische und bibeltheologische Ergebnisse ........................... 232
Menschliches Handeln im Horizont Gottes – Zur alttestamentlichen Ethik Alttestamentliche Zugänge zum Mensch-Tier-Verhältnis und mögliche Konsequenzen für die Xenotransplantation ........................ 239 1. Schöpfungstheologische Grundlegung ................................................... 244 1.1 Gen 1 und die priesterschriftlichen Modifikationen nach der Sintflut ............................................................................. 244 1.2 Der nichtpriesterschriftliche Schöpfungsbericht Gen 2–3 ............... 262 1.3 Das Mensch-Tier-Verhältnis in Ps 8 .............................................. 268 1.4 Die schöpfungstheologische Gleichheit von Mensch und Tier in Koh 3 und Ps 104 ...................................................................... 271 1.5 Die Überlegenheit des Tieres ......................................................... 273 1.6 Zwischenfazit ................................................................................ 276 2. Alttestamentliche Entwürfe einer Tierethik ........................................... 277 2.1 Das Verhältnis zum Tier in der Rechtssprechung ........................... 279 2.2 Schuld und Verantwortlichkeit der Tiere? ...................................... 283 2.3 Das Verhältnis zum Tier in den weisheitlichen Schriften ............... 285 2.4 Fazit .............................................................................................. 286 „Heilige sollt ihr werden. Denn heilig bin ich, JHWH, euer Gott.“ Gott, Mensch und Nächster in Lev 19,11–18 ............................................ 288 1. Zu Struktur und Aufbau von Lev 19 ...................................................... 289 2. Die Heiligungsforderung Lev 19,2 und ihre Begründung ..................... 291 3. Die Begründungsstruktur des apodiktischen Zentralteils Lev 19,11–18. 296 3.1 Lev 19,11–12: Betrug des Volksgenossen ...................................... 297 3.2 Lev 19,13–14: Schutz des sozial Schwachen ................................. 298 3.3 Lev 19,15–16: Gerechtigkeit im Gericht ........................................ 299
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3.4 Lev 19,17–18: Umgang mit dem schuldig gewordenen Bruder ...... 300 3.4.1 Der Satzanschluss ................................................................. 302 3.4.2 Ein adäquates Verständnis von אהב+ ל.............................. 304 3.4.3 Die Bedeutung von רע.......................................................... 307 3.4.4 Zur Syntax von כמוך............................................................ 309 3.4.5 Die Parallelstelle Lev 19,33–34 ............................................ 314 3.4.6 Zur theologischen Deutung des Liebesgebotes ..................... 317 4. Bedeutung im Christentum ................................................................... 320 4.1 Das Gebot der Nächstenliebe ......................................................... 320 4.2 Analoge Begründungsstrukturen .................................................... 322 Hedgefonds oder Sparbuch? Biblische Stimmen zum Reichtum ............... 324 1. Zum Wirtschaftssystem in babylonisch-persischer und hellenistischer Zeit.................................................................................. 325 2. Biblische Einwürfe zum Thema Reichtum ............................................. 331 3. Kohelet zum Thema Reichtum .............................................................. 333 3.1 Koh 5,9–11 .................................................................................... 333 3.2 Koh 5,12–16 .................................................................................. 337 3.3 Koh 5,17–19 .................................................................................. 340 Anhang I ................................................................................................... 342 Anhang II ................................................................................................. 353 Literaturverzeichnis .................................................................................. 363 Nachweis der Erstveröffentlichungen ........................................................ 393 Stellenregister ........................................................................................... 395 Namenregister .......................................................................................... 401 Sachregister .............................................................................................. 403
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Einführung Einführung
In diesem Band sind Aufsätze zusammengestellt, die andernorts bereits erschienen sind. Da sie in einem thematischen Zusammenhang stehen, bietet es sich an, diese Aufsätze in einem Band erneut zu veröffentlichen. Allerdings handelt es sich bei diesen Beiträgen nicht um identische Abdrucke, sondern jeder Beitrag ist grundlegend überarbeitet, um neue Literatur ergänzt und zusätzlich um eine bibeltheologische Zuspitzung erweitert worden. Somit kommen weitere Aspekte in den Blick, die zuvor bei einer rein exegetischen Diskussion meist ausgeblendet werden mussten. Dass die vielen sprachlichen Beobachtungen aber nicht nur l’art pour l’art sind, sondern theologisch durchaus fruchtbar gemacht werden können, zeigen die Weiterführungen der Originalbeiträge. Die hier vorgelegte Zusammenstellung von Arbeiten möchte folglich auch über die exegetische Fachdiskussion hinaus für systematische und praktische Theologen von Gewinn sein. Damit sich die biblisch-theologischen Beiträge auch als biblisch-theologische rechtfertigen lassen, ist eine sprachliche und literarisch-kritische Analyse des Textes erforderlich. Sie bildet die Basis für jedes biblisch-theologische Textverständnis. Der vorliegende Sammelband ist in vier Teile gegliedert. Im ersten Abschnitt wird Gottes Handeln in der Welt thematisiert. Es geht hierbei vor allem um die Geschichtsmächtigkeit Gottes. Nach biblischer Vorstellung kann Gott jederzeit in die Geschichte eingreifen, um sie nach seinen Vorstellungen zum Heil der Welt zu lenken. Im zweiten Abschnitt wird die Kommunikation Gottes mit den Menschen betrachtet. Das biblische Prophetenverständnis steht hier im Fokus, wie auch die Frage der Wahrheit von Prophetie. Im dritten Abschnitt soll der biblische Erwählungsgedanke, wie er im Hoseabuch und in den Königebüchern entwickelt wird, näher untersucht werden, vor allem vor der Fragestellung, wie diese Erwählung durch das Volk Israel verspielt und wieder gewonnen werden kann. Im abschließenden vierten Teil geht es um das Handeln des Menschen im Horizont Gottes. Hierbei sollen Konturen für eine alttestamentliche Ethik entworfen werden, die für das zwischenmenschliche Zusammenleben fruchtbar gemacht werden können.
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Einführung
1. Gottes Handeln in der Welt – Zur Geschichtsmächtigkeit Gottes Im ersten Abschnitt wird die Geschichtsmächtigkeit Gottes in den Blick genommen. Es stellt sich hierbei besonders die Frage, wie Gott in das Weltgeschehen eingreifen kann. In diesem Abschnitt werden drei Texte aus dem Jesajabuch ausführlich diskutiert. Der Beitrag „JHWH oder der Perserkönig? Das Handeln Gottes durch menschliche Agenten in Jes 40,9–11“ zeigt, dass die biblische Konzeption der doppelten Kausalität schon am Ende des sogenannten Prologs der Deuterojesajaschrift zu finden ist. Unter der doppelten Kausalität versteht man die Konzeption, dass Gott hintergründig das Handeln der Menschen beeinflusst. Eine semantische und intertextuelle Analyse des Abschnitts Jes 40,9–11 legt nämlich nahe, dass das Subjekt dieser Verse nicht Gott selbst, sondern ein menschliches Werkzeug ist, mit dem Gott seinen Heilswillen auf Erden durchsetzen wird. Nicht JHWH ist demnach der gute Hirte, der sich liebevoll um die schwächsten Glieder seiner Herde kümmert, sondern an JHWHs Stelle der Perserkönig, der für seinen Einsatz Lohn und Ertrag zugesprochen bekommt. Wie der assyrische König aus Jes 28,2, der als Strafwerkzeug JHWHs aufgetreten ist, ist auch der Perserkönig ein Starker, der kommen wird, um die babylonische Unrechtsherrschaft zu beenden. Freilich dürfen die weltliche und göttliche Handlungsebene kaum gegeneinander ausgespielt werden. Vielmehr handelt JHWH durch den Perserkönig und umgekehrt setzt der Perserkönig den göttlichen Heilsplan auf Erden für JHWH durch. Beide Ebenen durchdringen sich folglich und schließen sich nicht aus. Insofern darf man in Jes 40,9–11 durchaus vom Konzept der doppelten Kausalität ausgehen. JHWH ist dementsprechend kein passiver Gott, der die Geschichte ihren eigenen Abläufen gehorchen lässt, sondern ein zutiefst aktiver Gott, der auf das Weltgeschehen durch geneigte Werkzeuge einwirkt. Der Beitrag „Geschichte und Schöpfung. Überlegungen zum Monotheismus im Kyrosorakel (Jes 45,1–8)“ beschäftigt sich – ausgehend vom sogenannten Kyrosorakel in Jes 45,1–8 – mit der Frage, wie die drei Themen Geschichte – Monotheismus – Schöpfung zusammengedacht werden können. Zunächst wird das Handeln Gottes in der Geschichte in den Blick genommen. Am Siegeslauf des Perserkönigs Kyros zeigt sich, wie der judäische Nationalgott JHWH die Geschicke der Welt zugunsten Jakob/Israels lenkt. Da zudem nur JHWH und somit kein anderer Gott den Umsturz des Babylonischen Reiches vorhersagen konnte, ist nur er wirklich Gott, während alles andere nur nichtige Götzen sind, die ineffektiv und inexistent sind, da sie von keinerlei Nutzen sind. Wenn es aber mit JHWH nur noch einen einzigen Gott gibt, dann muss auch die gesamte Schöpfertätigkeit mit JHWH allein verbunden werden. Dann geht nicht nur alles Gute auf JHWH zurück, sondern auch das Übel. Denn alles liegt in seiner Schöpfermacht. Das eigentliche Ziel des Han-
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deln Gottes in Geschichte und Schöpfung ist keine Willkür, sondern ein weltumfassender Heilszustand, worauf der abschließende v.8 besonders hinweist. Mit dem Kyrosorakel hat sich die Gottesvorstellung Israels aus der nationalen Perspektive endgültig gelöst und universale Dimensionen angenommen. Da JHWH als der einzige Gott auf der gesamten Welt geschichtsmächtig wirkt, kann er auch weltweit als einziger Gott erkannt werden. Im dritten Beitrag „‚O Heiland reiß die Himmel auf‘. Weltweites Heil als Folge des Eingreifens Gottes in die Geschichte“ wird Jes 45,8, ein Vers, der das Kyrosorakel abschließt und zum Folgenden überleitet, näher untersucht, da er die mitunter problematische Aussage relativiert, dass JHWH auch für Unheil und Böses verantwortlich ist (v.7). In v.8 ist nicht das einmalige rettende Eingreifen Jahwes, sondern die dauerhafte Wirkung des himmlischen Heilszustandes umschrieben. Insofern ist an dieser Stelle nicht nur das KyrosEreignis oder Israel im Blick, sondern hier wird ein allgemeiner Heilszustand beschrieben, in den Himmel und Erde einmünden sollen. Eine Begrenzung allein auf Israel ist nicht angezeigt. Durch die beiden Pole „Himmel“ und „Erde“ wird auf die gesamte Schöpfung verwiesen. Heil und Gerechtigkeit, die auf das geschichtliche Eingreifen Gottes zurückgeführt werden können, sind demnach nicht lokal oder national begrenzt, sondern sollen sich weltweit durchsetzen. Während in v.7 noch alles dem einen Gott JHWH zugeschrieben wird, behält in v.8 die Schöpfung ihr Eigenrecht. JHWH bestimmt zwar die Koordinaten, unter denen Heil und Gerechtigkeit möglich sind, und gibt hierfür die entscheidenden Impulse, überlässt aber den irdischen Akteuren ihre eigene Dynamik. Obwohl nach Jes 45,7 alles Heilvolle und Unheilvolle von JHWH stammt, ist das eigentliche Ziel von Jahwes Handeln in Schöpfung und Geschichte nicht das Unheil, sondern der Heilszustand, in den Himmel und Erde eingebunden werden sollen.
2. Gottes Sprechen zum Mensch – Zum biblischen Prophetenverständnis Der zweite Abschnitt beschäftigt sich mit dem biblischen Prophetenverständnis, vor allem mit den unterschiedlichsten Offenbarungsmodellen. Es geht darum, wie Gott zum Menschen spricht und wie wahre Prophetie gelingt. Im ersten Beitrag „Offenbarungsformen Gottes in der Bileamerzählung“ werden unterschiedliche Arten des Offenbarungsempfangs beschrieben, die in der Bileamerzählung Num 22–24 geboten werden. Weniger die Prophetie Bileams, sondern vielmehr die Offenbarungsformen soll in den Blick genommen werden. Die Bileamerzählung Num 22–24 schildert nämlich verschiedene Möglichkeiten und Techniken, wie selbst ein heidnischer Seher wie Bileam mit Gott Kontakt aufnehmen kann, und zwar passiv wie aktiv: So reagiert
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Bileam auf eine Begegnung mit dem Gottesboten und Gott selbst, er stellt aber auch selbst den Kontakt mit der göttliche Sphäre durch mantische Mittel und durch die Konsultation von Omina her, was zu einer Art Audition, ein visionäres Erleben und schließlich zu einer richtigen Vision führt. Insofern ist in der Bileamerzählung hinsichtlich des Offenbarungsempfangs eine gewisse Steigerung und Dynamik angelegt. Im ersten Teil reagiert der unverständige und blinde Bileam auf die Initiative Gottes (Num 22), während er im zweiten Teil zum einen selbst aktiv wird, zum anderen aber auch durch ein Treffen mit Gott bzw. durch die Ausstattung mit dem Geist Gottes beschenkt wird. Alle Formen der Kommunikation mit Gott sind dem Willen Jahwes streng hierarchisch untergeordnet. Alles in allem wird Bileam als Mantiker gezeichnet, der die Zukunft vorhersagen kann. Er ist aber kein effektiver Zauberer, der durch seine Tricks den Gotteswillen verändern kann. Vermutlich liegt gerade hierin das verhängnisvolle Missverständnis des Moabiterkönigs Balak. So glaubt Balak bis zum Schluss daran, dass ein talentierter Mantiker wie Bileam ein günstiges Orakel zu jeder Zeit erzeugen könne. In diesem Sinne ist die Bileamerzählung an einer Korrektur eines falschen Gottes- und Prophetenbildes interessiert. Eine Manipulation Gottes ist nach der Bileamerzählung zu keinem Zeitpunkt durch einen geübten Propheten möglich, da sich Gott für die üblen Zwecke der Menschen nicht einspannen lässt. Segen und Fluch können folglich nicht von Mantikern kontrolliert werden. Vielmehr ist beides an den Willen Gottes zurückgebunden. Ein wahrer Prophet kann demnach all das und nur das mitteilen, was ihm tatsächlich von Gott offenbart worden ist. Somit ist die Bileamerzählung eine Lehrstunde für Bileam und jeden anderen Propheten über wahre Prophetie und den Weg dorthin. Im zweiten Beitrag „‚Kein Prophet bin ich und kein Prophetenschüler bin ich‘. Zum Selbstverständnis des Propheten Amos in Am 7,14“ geht es um das Prophetenbild, das von Amos in der Prophetenerzählung Am 7,10–17 entworfen wird. Dabei werden Argumente zur Klärung der schwierigen Syntax gegeben. Eine genaue Analyse der Syntax der Nominalsätze zeigt nämlich, dass in Am 7,14 dem präsentischen Verständnis der Vorzug zu geben ist. Diese sprachliche Beobachtung hat freilich weitreichende offenbarungstheologische Auswirkungen. Es geht in Am 7,14 folglich nicht darum, ob Amos vor seiner Berufung kein Prophet oder Prophetenschüler gewesen ist (präteritales Verständnis), sondern vielmehr darum, dass er seinen prophetischen Anspruch allein mit seiner Berufung durch JHWH verbindet. Er verweist hierbei nicht auf ein Amt oder eine Institution, die sein prophetisches Handeln legitimieren könnte. Denn er ist weder ein institutionalisierter Prophet, noch ein Prophetenschüler. Die Befähigung zu authentischer prophetischer Rede ist nicht allein an ein Amt gebunden, sondern kann – wie im Fall des Landwirts Amos – von Gott unabhängig davon zugesprochen werden. Auf diese Weise können die von JHWH direkt berufenen Propheten als kritisches Korrektiv und Ergänzung zu den institutionalisierten Propheten wirken, die meist als Staatsbe-
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dienstete keine kritische Prophetie äußern durften. Der Geist Gottes weht vielmehr, wo und wie er will. Gott beruft Männer und Frauen in den Prophetendienst, ohne dass eine institutionelle Verortung notwendig ist. Im dritten Beitrag dieses Teils „Der Vorwurf der Blutschuld von Jesreel (Hos 1,4–5) als authentisches Prophetenwort“ wird gezeigt, woran man ein authentisches Prophetenwort erkennen kann. Mit dem Beispiel aus dem Hoseabuch wird eine Kriteriologie für wahre Prophetie gegeben. Die Blutschuld von Jesreel, auf die Hosea in Hos 1,4–5 hinweist, ist dabei mit dem JehuPutsch zu verbinden. Das Vergießen von Blut – aus Gründen der Staatsraison – wurde als Unheilsmacht auf die Jehu-Dynastie aufgehäuft und von JHWH kritisch nachgeprüft, was in Hos 1,4–5 zu zwei Vorhersagen führt: erstens das Ende der Dynastie der Jehuiden und zweitens der Verlust der politischen und militärischen Vormacht Israels über die Jesreel-Ebene. Die in Hos 1,4–5 angedrohten Vorhersagen sind tatsächlich eingetreten. Sie beziehen sich jedoch auf zwei unterscheidbare Dinge, die nicht gleichzeitig sondern im Abstand etwa einer Generation geschehen sind. Die Jehu-Dynastie wird durch den Putsch Schallums um 752 v.Chr. beendet, die Herrschaft Israels über die Jesreel-Ebene geht durch den Feldzug Tiglat-Pilesers III. im Jahr 732 v.Chr. verloren. Während beide Ereignisse 20 Jahre voneinander getrennt sind, hat das Hoseawort beides zeitlich miteinander verbunden. Insofern hat sich die Prophezeiung Hoseas nicht wortwörtlich verwirklicht. Diese Beobachtung spricht dafür, dass hier nicht spätere redaktionelle Arbeit, sondern ein authentisches Prophetenwort vorliegt. Da beide Dinge tatsächlich geschehen sind, wurde dieses Wort von den Hosea-Tradenten aufgenommen. Der Umstand, dass sich beide Vorhersagen nicht in zeitlicher Nähe zueinander erfüllt haben, war wohl ein vernachlässigbarer Makel für die Hosea-Tradenten. Denn das authentische Hoseawort ist ja in der Konsequenz eingetroffen. In diesem Sinne ist Hos 1,4–5 ein Paradebeispiel dafür, dass diejenigen Prophezeiungen, die sich nicht wortwörtlich erfüllt haben, als authentisch zu beurteilen sind. Biblische Prophetie bemisst ihren Wert nicht in der exakten Vorausschau von historischen Ereignissen, sondern in der meisterhaften Deutung der Geschichte. Gerade „ungenaue“ und nicht wörtlich eingetretene Prophezeiungen sind gute Beispiele dafür, wie geistbegabte Propheten die Zeichen ihrer Zeit im Licht des Glaubens gedeutet und daraus die richtigen Schlüsse gezogen haben. Biblische Prophetie ist somit gerade an der Gegenwart interessiert, die theologisch interpretiert werden muss.
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3. Gottes Verbindung zu seinem Volk – Zum biblischen Erwählungsgedanken Im dritten Abschnitt wird der biblische Erwählungsgedanke näher betrachtet. Es geht um die Frage, wie das Volk Israel und die Daviddynastie von JHWH erwählt worden sind und wie man der Erwählung wiederum verlustig gehen kann. Genau dies ist im ersten Beitrag „Die kultischen Vergehen Manasses, die Königebücher und das Deuteronomium“ die entscheidende Frage. Die vielen kultischen Fehler Manasses, der auf eine Stufe mit den schlimmsten Nordreichskönigen gestellt wird, haben nach der biblischen Interpretation in 2Kön 21 zum nationalen Untergang Judas geführt. Die Herrschaft Manasses gilt nach den biblischen Texten somit als die unglücklichste Epoche des judäischen Königtums. Die Erwählung, die dem Königtum der Davididen und der Stadt Jerusalem zukommt, wird durch die Herrschaft Manasses nachhaltig in Frage gestellt. Zwar hat es schon vor Manasse judäische Könige gegeben, die mit ihren schlechten Taten, der Erwählung durch JHWH nicht gerecht geworden sind, und auch das judäische Volk war nicht immer gesetzesgehorsam, aber unter Manasse ist es schließlich endgültig zu einem Bruch im Erwählungsglauben gekommen. Denn Manasse hat selbst im Tempel von Jerusalem, dem Ort, an dem sich JHWH dauerhaft niedergelassen hat, andere Kultformen und Gottheiten eingeführt, offenbar um JHWH bewusst zu reizen. Auf diese Weise hat Manasse demnach die guten Verheißungsgaben verspielt, auch wenn das Unheil noch nicht sofort unter Manasse eingetreten ist. Allerdings wird die Erwählung nicht gänzlich revidiert, da sich mit Jojachin und seiner Familie nach 2Kön 25,27–30 die alten Verheißungen in der Zeit nach dem Babylonischen Exil wiederum erfüllen können, vorausgesetzt, es werden nicht wieder die gleichen Fehler begangen. Im zweiten, bislang unveröffentlichten Beitrag „Die Gesandtschaft Merodach-Baladans und ihre Folgen für die Davidsdynastie“ wird ebenfalls untersucht, wie aus Naivität die biblischen Zusagen mitunter verspielt werden können. Meist wird die Erzählung von der Babylonischen Gesandtschaft bei Hiskija in 2Kön 20 entweder mit der ersten Deportation nach Babylon im Jahr 397 v.Chr. oder der Begnadigung Jojachins im Jahr 562 v.Chr. verbunden. Für beide Interpretationsansätze gibt es aber keine stichhaltigen Hinweise in den Texten. Die lexikalischen Verbindungslinien zum Ende der Königebücher sind nämlich viel zu schwach, als dass hier eine redaktionelle Brücke geschlagen werden könnte. Vielmehr muss man in 2Kön 20 literarkritisch eine Grundschicht sowie redaktionelle Erweiterungen herausarbeiten. In dieser Erzählung werden prophetische Worte geschildert, die die Gefahren falscher Bündnispolitik in den Blick nehmen, ohne dass sie auf eine historische bzw. literarische Einlösung am Ende der Königebücher von jeher angelegt sind. Während die Grundschicht noch neutral die Bündnisabsichten Hiskijas
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beschreibt, der sich anschließend demütig dem Willen JHWHs unterwirft, ist die redaktionelle Erweiterung eher negativ ausgerichtet. Vermutlich liegt hinter der ursprünglichen Erzählung von der babylonischen Gesandtschaft eine historisch zuverlässige Tradition, die vor einer unbedachten Bündnispolitik und vor naiver politischer Überheblichkeit warnen möchte. Schon der Versuch, ein Bündnis mit einer fremden Macht einzugehen, wird mit einem massiven JHWH-Wort bestraft. Der Leser soll folglich aus dieser Erzählung die richtigen Lehren für die Gegenwart und Zukunft ziehen. Eine gottlose Politik, die nur auf das eigene Vermögen vertraut, wird letzten Endes scheitern. Genauso wie sich die Verfehlung Hiskijas und die angedrohte Strafe entsprechen – der selbstherrlich präsentierte Reichtum wird verloren gehen –, sollte man sich in Zukunft vor einer ähnlich fehlgeleiteten Politik hüten. Erst später wurde durch die Verbindung dieser Tradition mit den anderen HiskijaErzählungen das ursprüngliche JHWH-Wort durch den Hinweis auf eine mögliche Deportation erweitert. Da sich das erweiterte JHWH-Wort nicht mit den tatsächlichen Ereignissen der Jahre 597 oder 587 v.Chr. trifft, wird es wohl eine Warnung aus der letzten Hälfte des 7. Jh. v.Chr. gewesen sein, als sich bereits das Babylonische Reich anschickte, die südliche Levante ebenfalls zu erobern. Gerade in dieser schwierigen Zeit, durfte man sich nicht zu einer verfehlten Bündnispolitik hinreißen lassen, um nicht die Verheißungsgabe des guten Landes zu verlieren. Die Erzählung von der Babylonischen Gesandtschaft ist somit ein Lehrbeispiel dafür, wie man die Erwählung aufs Spiel setzen kann. Dies ist weder im Sinne Gottes, noch der Menschen. Im dritten Beitrag „Tradition und Innovation in Hos 2,16–17. Zur Entwicklung des biblischen Erwählungsgedankens“ wird ein früher Text für den biblischen Erwählungsgedanken untersucht. Im Gegensatz zum Pentateuch sind die Jugendzeit Israels und der Exodus aus Ägypten nach Hos 2,16–17 offenbar noch Zeiten der willigen Gefolgschaft. Die Hosea-Tradenten zeichnen demnach ein sehr positives Bild Israels während der Frühzeit. Wie in der Vergangenheit wird Israel nun auch für die Zukunft eine heilvolle Gemeinschaft mit JHWH verheißen. Dieses Mal wird die Heilsgeschichte Israels mit seinem Gott endgültig zum Ziel kommen. Auch wenn das Fehlverhalten Israels zur Bestrafung führen wird, wird sich JHWH dem Volk durch eindringliches Werben wieder zuwenden. Die Erwählungsgeschichte wird nicht durch Fehlverhalten beendet, sondern Gott selbst ergreift die Initiative, um das ursprüngliche Bundesverhältnis wiederherzustellen. Insgesamt scheint in Hos 2,16–17 ein neuer Exodus, ein neuer Bundesschluss und eine neue Besiedlung des Landes im Blick zu sein. Insofern werden die Ereignisse der Frühzeit wiederholt. Ähnliche Traditionen wie in Hos 2,16–17 hat gleichermaßen Jer 2,2 entwickelt, so dass gerade in der Joschijazeit der historische Haftpunkt für einen solchen Erwählungsglauben vermutet werden kann. Das Wort in Hos 2,16–17 scheint somit aufgrund der inhaltlichen Ähnlichkeit zu Jer 2 noch auf eine vorexilische Redaktion zurückgehen, zumal dieses JHWH-Wort
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noch nicht die späteren Texte über das Achor-Tal voraussetzt und reflektiert. Offenbar hat sich schon vor dem Babylonischen Exil die Vorstellung herausgebildet, dass sich JHWH nach dem bevorstehenden Gericht wiederum heilvoll um Israel kümmern wird. Die Erwählung wird zwar einseitig von Israel missachtet, aber von JHWH trotzdem nicht aufgegeben. Bei Hos 2,16–17 handelt es sich demnach um einen Hoffnungstext, wie aus drohendem Unglück trotzdem eine Hoffnungsperspektive entwickelt werden kann. Der gute Gott, der trotz seiner Liebe zu Israel auch strafen muss, gibt sein Volk nie auf, sondern wendet sich diesem immer wieder werbend zu.
4. Menschliches Handeln im Horizont Gottes – Zur alttestamentlichen Ethik Im letzten Abschnitt werden Texte besprochen, die Konsequenzen für das menschliche Handeln im Horizont Gottes in den Blick nehmen. Es geht folglich um zentrale Texte für eine alttestamentliche Ethik. Im ersten Beitrag „Alttestamentliche Zugänge zum Mensch-Tier-Verhältnis und mögliche Konsequenzen für die Xenotransplantation“ werden zunächst die schöpfungstheologischen Grundlagen für das Mensch-Tier-Verhältnis besprochen. Die meisten biblischen Texte gehen von einem hierarchischen Verhältnis zwischen Mensch und dem untergeordneten Tier aus. Dies wird im priesterschriftlichen Schöpfungsbericht zum einen durch den Mehrungssegen und zum anderen durch den Auftrag zur Herrschaft über die Tiere ausgedrückt (Gen 1). Der Auftrag zum dominium terrae, der durchaus mit der Anwendung von Gewalt verbunden sein kann, um das Ökosystem im Ganzen zu erhalten, wird vom Menschen allerdings nicht ordnungsgemäß ausgeführt, so dass in nachsintflutlicher Zeit neue Regelungen eingeführt werden müssen. Durch die nachsintflutliche Ordnung wird menschliches Leben geschützt, zum einen aufgrund der Gottebenbildlichkeit des Menschen, zum anderen aufgrund der Vorstellung, dass alle Menschen Brüder sind. Zwischen Mensch und Tier besteht in nachsintflutlicher Zeit ein Kriegszustand (Gen 9,2), wobei Gott auf der Seite des Menschen steht. Im nichtpriesterschriftlichen Schöpfungsbericht (Gen 2–3) zeigt sich die Hierarchie zwischen Mensch und Tier in der Bevollmächtigung des Menschen zur Namengebung. Darüber hinaus ist nicht das Tier, sondern nur die Frau eine ebenbürtige Hilfe des Mannes. Bereits in vorsintflutlicher Zeit gibt es nach dem Sündenfall Feindschaft zwischen Mensch und Tier. Der anthropologisch zentrale Ps 8 stellt den Menschen hingegen in ein dreigeteiltes Abhängigkeitsgefüge: Gott – Mensch – Tier. Zwar ist der Mensch dem Tier übergeordnet, aber er ist seinem Schöpfer gegenüber verantwortlich, so dass er die Tiere nicht schrankenlos ausbeuten darf. Daneben gibt es aber auch Texte, die die Tiere in ihrer Position gegen-
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über dem Menschen aufwerten. Der große Schöpfungshymnus Ps 104 kreist um die geschaffenen Lebensbereiche, in denen sich verschiedene Lebewesen tummeln. In dieses Ökosystem wird der Mensch ohne Vormachtstellung eingeordnet. Hinsichtlich der Sterblichkeit steht der Mensch nach Ausweis des Koheletbuches auf einer Stufe mit dem Tier, allerdings mit dem Unterschied, dass der Mensch um seine Begrenztheit weiß und deshalb sein Leben gut gestalten muss (Koh 3,19–22). Vor dem schöpfungstheologischen Hintergrund ist die Praxis der Xenotransplantation durchaus diskutabel. Denn der Mensch steht nach den meisten Texten in einer übergeordneter Position gegenüber dem Tier. Es ist ihm daher erlaubt, die Tierwelt für seine Bedürfnisse zu benutzen, ohne dass ethische Bedenken einer übermäßigen Ausbeutung der Tierwelt in den Blick kommen. Wenn durch die Verwertung von tierischen Organen die Menschheit profitiert, kann dies eigentlich nicht als schlecht bewertet werden. Hinzu kommt, dass die Tiere als Mitgeschöpfe und lebendige Wesen eine große Nähe zum Menschen aufweisen, auch wenn sie ihm keine ebenbürtige Hilfe sind. Im zweiten Teil des Beitrags geht es um alttestamentliche Entwürfe einer Tierethik. In vielen biblischen Rechtstexten werden Tiere als Mitgeschöpfe behandelt, denen man einen ähnlichen Status wie den personae miserae beigemessen hat. Auch den Tieren muss besondere Fürsorge gelten. Ob das Tier eine individuelle Verantwortung für sein Tun trägt, lässt sich aus den biblischen Rechtstexten nicht sicher folgern. Lediglich die Schöpfungstexte schreiben den Tieren eine gewisse Schuldhaftigkeit zu, auch wenn dies für das normale Leben offenbar kaum eine Rolle gespielt hat. Die weisheitlichen Texte schärfen darüber hinaus ein, dass man die Tiere würdevoll behandeln soll. Eine Verzweckung der Tiere wird zudem kritisch gesehen. Vor diesem Hintergrund könnten somit bibeltheologische Vorbehalte gegen die Xenotransplantation erhoben werden, vor allem wenn man die Tiere im Rahmen der Xenotransplantation nicht als würdevolle Mitgeschöpfe betrachtet, sondern einer gnadenlosen Kosten-Nutzen-Rechnung unterwirft. Wenn man Tiere für Xenotransplantate verwenden würde, sollte dies zugunsten des höheren Gutes der Gesundung schwer erkrankter Menschen geschehen, aber nicht zur Gewinnmaximierung. Der zweite Beitrag „‚Heilige sollt ihr werden. Denn heilig bin ich, JHWH, euer Gott‘. Gott, Mensch und Nächster in Lev 19,11–18“ wendet sich dem biblischen Nächstenliebegebot in seinem alttestamentlichen Kontext zu. Es geht bei der in Lev 19 geforderten Liebe nicht um ein Gefühl, sondern um tätige Liebe. Man soll dem Nächsten Liebe erweisen, wie man auch vom Anderen erwartet, dass er einem mit tätiger Liebe begegnet, wie es in Lev 19,18 heißt: „so dass du Liebe erweist deinem Nächsten wie (man) dir (Liebe erweist)“. Die Wechselseitigkeit in der Praxis der Liebe steht folglich im Hintergrund des Gebots von Lev 19,18.34. Begründet wird dies mit dem vorgängigen Heilshandeln Gottes an Israel. Hier drückt sich eine positive Lebenserfahrung aus. Die Eigenerwartung ist demnach der Maßstab für jedes
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zwischenmenschliche Verhalten. Die klassische Übersetzung des Nächstenliebegebots („wie dich selbst“) ist demgegenüber abzulehnen, da kāmôkā nie als reflexives Adverbiale eintreten kann. Auch ein attributives Verständnis („der wie du ist“), das eine Gleichsetzung zwischen Nächsten, Fremden und Einheimischen suggeriert, ist syntaktisch zumindest in Lev 19,34 ausgeschlossen. Die Heiligkeitsforderung von Lev 19,2, die durch alle Selbstvorstellungsformeln in Lev 19 immer wieder hereingeholt wird, erfordert im Hinblick auf das Volk Israel eine besondere Art der imitatio Dei. Denn die einzig adäquate Antwort Israels auf die Heiligkeit Jahwes ist die eigene Heiligung. Indem Israel dem Nächsten bzw. dem Fremden Liebe erweist, heiligt es sich und ahmt die Heiligkeit Jahwes nach. Die doppelte Begründungsstruktur des Rahmens (Heiligkeit Gottes und geschichtliches Handeln Jahwes) wird durch die drei Konsekutivsätze noch zusätzlich erweitert: V.12 qualifiziert die Missachtung der genannten Gebote als Angriff auf Gott, da der Name Jahwes durch die zuvor beschriebenen Handlungen entweiht werden würde. V.14 hingegen schärft die Gottesfurcht des einzelnen Israeliten ein, die sich in der Einhaltung der Gebote besonders deutlich zeigt. V.18 betont schließlich die Nächstenliebe, die sich im solidarischen Verhalten gegenüber dem Nächsten beweist. Insofern liegt in Lev 19,11–18 eine dreifache Zielbestimmung aller Verbote und Gebote vor. Im Halten der ethischen Weisungen zeigen sich nämlich die Heiligung des Gottesnamens, die Gottesfurcht des Menschen und die Liebe zum Nächsten. Auf diese Weise kommen Gott, Mensch und Nächster in den Blick. Der Einzelne ist folglich eingebunden in eine Relation zu Gott und seinem Nächsten. Nicht nur das Liebesgebot wurde auf christlicher Seite breit rezipiert. Auch die Argumentationslogik von Lev 19, die zur Begründung von ethischen und kultischen Weisungen dient, wurde bewusst oder unbewusst übernommen, z.B. in Mt 5, Gal 5 oder 1Thess 4. Angesichts dieser argumentativen Rezeption zeigt sich die tiefe Verwurzelung des Christentums im Frühjudentum. Im letzten Beitrag „Hedgefonds oder Sparbuch? Biblische Stimmen zum Reichtum“ wird die biblische Beurteilung von Reichtum und Vermögen besprochen. Das auf diese Weise gewonnene Bild wird durch Aussagen des Koheletbuches näher profiliert. Das Koheletbuch wendet sich dezidiert gegen jede undifferenzierte Abwertung des Reichtums. Denn gerade der Genuss der Güter ist ein von Gott geschenkter Anteil. Auch wenn Reiche und Arme einen gewissen Anspruch auf einen Anteil an den verfügbaren Gütern haben, ist keine klassenlose Gesellschaft angezielt. Es darf nämlich durchaus Reiche geben. Allerdings bleibt zu beachten, dass es keinen menschlichen Anspruch auf Reichtum gibt, auch wenn dieser ganz normal zum Leben gehört. Die göttliche Verteilung des Reichtums bleibt letzten Endes unergründbar und unverfügbar. Die Reichen tragen jedoch im Gegenzug eine gewisse soziale und solidarische Verantwortung. Insofern wird keine egozentrische oder egoistische Haltung im Koheletbuch vermittelt. Angesichts der Möglichkeit und
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der Erfahrung, dass Güter schnell verloren gehen können, sollte man mit den Mitmenschen zusammenarbeiten, um sich vor den Wechselfällen des Lebens abzusichern. Im Gegensatz zur Armenfrömmigkeit, die gerade in der Armut die richtige Lebensform sieht, wird Armut im Koheletbuch überhaupt nicht positiv gezeichnet. Diese gilt es vielmehr zu überwinden, da jedem Menschen der Lebensgenuss zusteht. Aus diesem Grund wendet sich das Koheletbuch zum einen gegen eine einseitige und rücksichtslose Vermehrung und Nutzung des eigenen Reichtums und spricht sich zum anderen für eine solidarische Gesellschaftsordnung aus. Die Armen sollen genauso am Reichtum teilhaben dürfen. Wohlstand soll eigentlich von allen genutzt werden können. Auch wenn Kohelet vor rastlosem Erwerb von Besitz warnt, ruft er nicht zur Passivität auf. Er warnt aber vor den hohen Risiken, die mit einer Akkumulation von Gütern verbunden sein können. Besitz als kapitalisierbares Vermögen hat zwar gewisse Chancen, unterliegt aber hohen Risiken. Demgegenüber rät er, den eigenen Besitz als gute Gabe Gottes zu genießen. Die einzelnen Studien stellen Beiträge für eine biblische Theologie dar, die das Handeln Gottes in der Welt ebenso ernst nimmt wie die Selbstverantwortlichkeit des Menschen. Auch wenn Gottes Handeln unverfügbar und unergründbar bleibt, kann der Mensch als Ebenbild Gottes an der guten Schöpfungsordnung mitarbeiten. Als Gottes Ebenbild ist er dazu aufgerufen, sich zu heiligen, was in der Einhaltung von kultischen und ethischen Vorschriften gleichermaßen geschieht. Der Mensch ist das Gegenüber Gottes, das auf seine Stimme hört und auf seine Erwählung vertraut, wenngleich er in seinem Anspruch scheitern kann, gestern wie heute. Das Vertrauen auf einen Gott, dessen letztes Wort eben nicht die Strafe, sondern weltweites Heil ist, kann auch dem modernen Mensch Halt geben. Denn es gilt: „das Wort des Herrn ist gut“ (2Kön 20,19).
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Gottes Handeln in der Welt – Zur Geschichtsmächtigkeit Gottes
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JHWH oder der Perserkönig? Das Handeln Gottes durch menschliche Agenten in Jes 40,9–11 JHWH oder der Perserkönig?
Im letzten Abschnitt des Prologs zur Deuterojesajaschrift Jes 40,9–11 wird meist ein Bezug zur Rückkehr der Exilierten aus der Babylonischen Gola vermutet.1 Für eine solche Interpretation werden meist die Bezüge zur Jakobstradition2 und die Hirtenmetapher herangezogen. Eine intertextuelle und semantische Analyse lässt hingegen bereits in Jes 40,10 eine verdeckte Anspielung auf den Perserkönig erkennen, mit dem im Anschluss ebenfalls die Hirtenmetapher zu verbinden ist.3 Auch wenn Jes 40,10 aufgrund von semantischen und sprachstatistischen Argumenten mit einem menschlichen Akteur zu verbinden ist, handelt dieser sicherlich nicht ohne die Zustimmung JHWHs. Die weltliche und göttliche Handlungsebene können in den biblischen Texten kaum gegeneinander ausgespielt werden. Vielmehr handelt JHWH durch den Perserkönig und umgekehrt setzt der Perserkönig den göttlichen Heilsplan auf Erden durch. Beide Ebenen durchdringen sich folglich und schließen sich nicht aus. Insofern darf man in Jes 40,10 durchaus vom Konzept der doppelten Kausalität ausgehen.4 Während in der wissenschaftlichen Diskussion bislang vor allem die göttliche Ebene betont wurde, soll im Folgenden gezeigt werden, dass in Jes 40,10 ausweislich der verwendeten Lexeme eher ein menschlicher Akteur im Blick ist. Gott handelt durch seine menschlichen Agenten in der Geschichte. Zunächst wird eine nach Sätzen gegliederte Arbeitsübersetzung von Jes 40,9–11 geboten. Danach soll Jes 40,10 intertextuell mit zwei ähnlichen Stellen des Jesajabuches verglichen werden. Im Anschluss werden die Lexeme aus v.10 semantisch hinsichtlich ihrer Verwendungsweise im Jesa1 Vgl. hierzu WESTERMANN 1966, 30f.; KILIAN 1982, 55f.; KRATZ 1991, 103; WERLITZ 1999, 263; ALBERTZ 2001, 301; ZAPFF 2001, 231f.; HÖFFKEN 2005, 21; BERGES 2008a, 113; LIM 2010, 63. Dagegen aber schon LORETZ 1984b, 219; HUNZIKER-RODEWALD 2001, 138 Anm. 529. 2 Nach ZAPFF 2001, 231f. vollziehe sich die Rückkehr JHWHs zusammen mit den Exilierten „in Analogie zur Rückkehr des Patriarchen mit seinem bei Laban (in Haran, Zweistromland [!]) erworbenen Lohn“. 3 Eine Zuweisung zu einem bestimmten Perserkönig – Kyros oder Darius – ist hingegen schwierig. Da in v.9–11 – wie im Folgenden gezeigt werden soll – die Rückkehr der Exilierten nicht thematisiert wird, muss nicht notwendigerweise Darius im Blick sein, zu dessen Zeit eine Rückkehr erst möglich war. 4 Ähnlich BERGES 2008a, 112f.
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Gottes Handeln in der Welt
jabuch untersucht.5 Schließlich wird in einem vierten Schritt die These einer Verbindung von Jes 40,9–11 mit der Rückkehr der Babylonischen Gola kritisch hinterfragt.
1. Zur Abgrenzung, Text und Übersetzung Zunächst soll gezeigt werden, dass Jes 40,1–11, der sogenannte Prolog der Deuterojesajaschrift, eine eigene Einheit darstellt. Nach vorne ist diese Einheit durch den Einschub der Jesaja-Hiskija-Erzählungen in Jes 36–39 bestens abgegrenzt. Aber auch vom Folgenden hebt sich Jes 40,1–11 nachdrücklich ab. Für diese Kontextabgrenzung sprechen folgende Beobachtungen: 1) Die v.1–11 bestehen in erster Linie aus Imperativen an eine plurale Größe, während die v.12–31 vor allem von rhetorischen Fragen bestimmt sind. 2) Das Thema wechselt im zweiten Abschnitt zu den Völkern und die damit zusammenhängende Polemik gegen deren Kultbilder, was im ersten Abschnitt noch völlig fehlte. 3) Die Adressaten wechseln in beiden Abschnitten. Während in v.9 Zion bzw. Jerusalem angesprochen werden, sind in v.27 Jakob bzw. Israel im Blick. Darüber hinaus ist aber auch Jes 40,9–11 eine abgrenzbare Einheit innerhalb des Prologs der Deuterojesajaschrift. Der Prolog lässt sich gut in vier Abschnitte einteilen. Insgesamt liegt eine chiastische Struktur vor: I. II. III. IV.
v.1–2 v.3–5 v.6–8 v.9–11
Aufruf zur Tröstung mit Explikation (A) Theophanie; Wirkmächtigkeit des Wortes (B) Einwand und Erwiderung; Wirkmächtigkeit des Wortes (B’) Aufruf zur Ankündigung Gottes mit Explikation (A’)
Für eine solche Einteilung und die vorgeschlagene chiastische Struktur sprechen folgende Beobachtungen: 1) Die ersten Sätze in den Abschnitten I und IV sind durch Imperative geprägt, während die Abschnitte II und III von einem Nominalsatz „Eine Stimme (ist) sagend/rufend“ eröffnet werden. In den beiden Rahmenabschnitten I und IV ist zudem die doppelte Verwendung der gleichen Imperativform kennzeichnend: „Tröstet, tröstet“ und „Erhebe, erhebe“. Während der Imperativ sich in Abschnitt I an ein männliches Kollektiv wendet, ist im letzten
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Zur Notwendigkeit, die im Prolog verwendeten Idiome hinsichtlich ihrer anderweitigen Verwendung in der Deuterojesajaschrift zu hinterfragen, vgl. auch BARSTAD 2002, 225f.
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Abschnitt eine weibliche Adressatin, nämlich die Freudenbotin Zion/ Jerusalem, im Blick. 2) In den Abschnitten I und IV überwiegen Imperative (jeweils 4 Imperative) im Gegensatz zu den beiden mittleren Teilen, was den Appellcharakter des Rahmens noch zusätzlich betont. 3) Das Wortfeld „sprechen“ umschließt die beiden mittleren Abschnitte II und III, vgl. Sie hierzu nur 3a „Eine Stimme (ist) rufend“ und 5c „Ja, der Mund JHWHs hat gesprochen“ bzw. 6a „Eine Stimme (ist) sagend“ und 8c „doch das Wort unseres Gottes besteht auf Dauer“. 4) Das Wortfeld „sprechen“ eröffnet darüber hinaus die Abschnitte I und IV. Der Eröffnung folgt eine Explikation entweder mit drei von der Konjunktion כיeröffneten Nebensätzen oder mit drei Sätzen, die mit dem Deiktion הנהeingeleitet werden. 5) Das Toponym „Jerusalem“ verbindet die beiden Rahmenabschnitte (2a.9b), wie auch die Bezeichnung „euer Gott“ (1c.9f). Insofern ist es auch nicht berechtigt, v.1 als Überschrift vom Folgenden abzuheben. 6) Die Bezeichnung „unser Gott“ (3c.8c) findet sich hingegen nur in den beiden mittleren Abschnitten. Aufgrund des chiastischen Aufbaus ist es nicht nötig, den letzten Abschnitt des Prologs aufzuteilen, nämlich in v.9 und v.10–11.6 Gegen eine solche Differenzierung sprechen aber noch weitere gute Argumente. Die Abfolge von drei, mit dem Deiktion הנהbeginnenden Sätze bindet die v.10–11 an v.9 an, so dass man die v.10–11 nicht als überschüssiges Element abtrennen muss. Außerdem deutet die Beobachtung, dass in den v.10–11 keine Imperative und kein Lexem aus dem Wortfeld „sprechen“ vorkommen, nicht auf eine Abgrenzung von v.10–11 hin, zumal im ersten Abschnitt des Prologs in Jes 40,2c–e ebenfalls dieses Wortfeld fehlt. Anfang und Abschluss des Prologs sind somit sprachlich sogar ähnlich strukturiert, so dass diese lexikalische Beobachtung nicht gegen die Zusammengehörigkeit von v.9–11 sprechen muss. Die auffällige Gottesbezeichnung Adonai JHWH in 10a muss ebenfalls nicht auf eine Abtrennung der v.10–11 hinweisen. Sie lässt sich vielmehr intertextuell erklären (s.u.). Die Argumente für eine Abgrenzung der v.10–11 sind somit nicht stichhaltig, so dass der Abschnitt Jes 40,9–11 durchaus als eigener Untersuchungstext herangezogen werden darf.7 Auch 6
So aber BERGES 2008a, 89, der in Jes 40,1–11 einen Chiasmus mit v.10f. als fünftes überschüssiges Element vermutet. Für eine Abspaltung von v.10f. sind aber die verbindenden Elemente zu stark. 7 Für eine Abgrenzung der v. 9–11 innerhalb von Jes 40,1–11 spricht zudem die Einteilung des MT in Paraschen, vgl. WAGNER 1995, 312.
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Gottes Handeln in der Welt
mithilfe der Gattungskritik hat man die Einheitlichkeit dieser drei Verse herausgearbeitet, als man diesen Abschnitt gattungskritisch entweder als „Nachahmung der Instruktion eines Siegesboten“8 oder als eschatologisches Loblied9 verstanden hat. Alles in allem folgt: Der Abschnitt v.9–11 lässt sich bestens als eigener Untersuchungstext innerhalb des Prologs abgrenzen. 9a b c d e f 10a b c d e 11a b c d
Auf einen hohen Berg steige hinauf du, Freudenbotin Zion! Erhebe mit Kraft10 deine Stimme, Freudenbotin Jerusalem! Erhebe (sie)!11 Fürchte dich nicht! Sage zu den Städten Judas: „Siehe: euer Gott! Siehe: Adonai JHWH!“12 Als ein Starker kommt er und sein Arm13 (ist) herrschend für ihn. Siehe: Sein Lohn (ist) mit ihm und sein Ertrag (ist) vor ihm.14 Wie ein Hirt weidet er seine Herde, auf seinem Arm sammelt er Lämmer und an seiner Brust trägt er (sie),15 Säugende führt er.
Bevor die weiteren Untersuchungsschritte folgen können, muss zunächst das zugrundeliegende syntaktische Verständnis begründet werden. Die Syntax dieser drei Verse ist in der Tat nicht eindeutig. Die hier getroffenen Entscheidungen sind aber durchweg sinnvoll, wie die intertextuellen Bezüge im Anschluss zeigen werden.
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BEGRICH 1963, 58. Ähnlich RINGGREN 1974, 210; MELUGIN 1976, 84; ELLIGER 1978, 33; KIESOW 1979, 62; LORETZ 1984b, 220; VAN OORSCHOT 1993, 122; HÖFFKEN 1998a, 39; ALBERTZ 2001, 144; GOLDINGAY 2005, 28. 9 Vgl. WESTERMANN 1981, 74. 10 WAGNER 1995, 312 schlägt hier „mit aller Kraft“ vor, da das Lexem כחmit Artikel determiniert ist. 11 Nach ROSENBAUM 1997, 189 ist hier offenbar „ קולךdeine Stimme“ zu ergänzen. 12 KOOLE 1997, 71 bindet 10a ebenfalls noch an 9f an (allerdings ohne das Tetragramm). Nach CLINES 2012, 115 reicht die Rede an die Städte Judas bis zum Ende von v.11. 13 Nach ROSENBAUM 1997, 185 schließt sich an וזרעוein asyndetischer Relativsatz an: „with his arm which rules for him“. Die Konjunktion וeröffnet jedoch einen Partizipialsatz (Nomen + Partizip). 14 Das Targum bietet hier eine Paraphrase: „Sieh da, der Lohn derer, die sein Wort tun, ist bei ihm; denn alle ihre Werke sind vor ihm offenbar“, vgl. ELLIGER 1978, 32. 15 Vgl. hierzu GOLDINGAY/PAYNE 2006a, 91. Ähnlich auch KOOLE 1997, 77f.
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Die Präpositionsverbindung לךwurde früher gerne als „dativus ethicus“ gedeutet, bewirkt in 9a jedoch Aktualisation, also „Steige hinauf (du in bezug auf dich = du hier und jetzt, wo du bist, in deiner aktuellen Situation)“. Der Adressat soll sich von seinem jetzigen Standort wegbewegen. Darüber hinaus ist mit der Aktualisation auch ein temporaler Aspekt verbunden, nämlich „du jetzt/gerade auf der Stelle“.16 Bei der Wortverbindung „ מבשׂרת ציוןFreudenbotin Zion“ in 9a ist „Zion“ vermutlich eine Apposition zu „Freudenbotin“, zumal das Partizip מבשׂרתals status absolutus gedeutet werden kann.17 Für eine solche syntaktische Deutung spricht im Gegensatz zur maskulinen Verwendung in Jes 52,7 die feminine Form des Partizips מבשׂרת,18 die hier mit Zion hinsichtlich des Genus kongruiert, und die explizite Nennung der Städte Judas – also nicht des Zions – als Adressaten der folgenden Rede. Die Stadt Zion/Jerusalem ist somit nicht Adressatin, sondern selbst Botin.19 Wenn man Zion und Jerusalem hingegen als Vokative deutet, übergeht man das Problem einer Wortverbindung.20 Falls man hier trotz aller Schwierigkeiten eine Constructusverbindung ansetzen möchte, was syntaktisch nicht vollkommen ausgeschlossen werden kann, dann ist aufgrund der Anrede der Städte Judas wohl eher mit einem genitivus subjectivus „Freudenbotin Zions/Jerusalems“,21 als mit einem genitivus objectivus „Freudenbotin für Zion/Jerusalem“ zu rechnen.22 Im letzteren Fall müsste man 9e, der die Städte Judas als Adressaten nennt, als sekundären Zusatz streichen,23 was aber nicht nötig ist.
16 Vgl. hierzu JENNI 1994, 49f. Nach ELLIGER 1978, 31 liegt hier hingegen ein dativus ethicus vor. Ähnlich auch KOOLE 1997, 72; GOLDINGAY/PAYNE 2006a, 87. Gegen die Bezeichnung dativus ethicus mit Recht JENNI 1994, 52. 17 Vgl. ELLIGER 1978, 31; KOOLE 1997, 71; BERGES 2008a, 80; KLEIN 2009, 73f. Ähnlich bei EHRING 2007, 50f. Abgesehen davon könnte man an einen genitivus appositionis bzw. epexegticus denken, vgl. ELLIGER 1978, 31; BALTZER, 1999, 95. 18 Die feminine Form kann jedoch sicherlich keine Abstraktbildung sein, die sich auf einen männlichen Boten bezieht, da man dann ein maskulines Prädikat erwarten würde, vgl. GOLDINGAY/PAYNE 2006a, 86. Die Versionen hatten darüber hinaus große Schwierigkeiten mit der Femininform „Freudenbotin“. LXX ändert in eine maskuline Form, Vulgata bezeugt hingegen eine maskuline und eine feminine Form. Einen Sonderweg schlägt das Targum ein, das hier kollektivisch an eine „Freudenbotenschar“ denkt und hinter den Imperativen von v.1 wohl eine plurale Größe sieht, vgl. TIDWELL 1973, 48; KIESOW 1979, 58; GOLDINGAY 2005, 28; GOLDINGAY/PAYNE 2006a, 86. 19 Vgl. OSWALT 1998, 54. 20 Vgl. MERENDINO 1981, 63. 21 Vgl. LANDY 2006, 350. 22 Vgl. KIESOW 1979, 57f.; MCEVENUE 1997, 218–221; GOLDINGAY 2005, 28; LIM 2010, 63 Anm. 53. Vgl. auch die Lesart von LXX, Targum und Vulgata. 23 Vgl. VERMEYLEN 1989, 37 Anm. 114.
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Der Nominalsatz „Siehe: euer Gott!“24 in 9f ist der Inhalt der Freudenbotschaft, die Zion/Jerusalem an die Städte Judas weitergeben soll. Es geht in diesem Nominalsatz vor allem um die Präsenz und Gegenwart JHWHs, die bereits nach Jes 40,5 der ganzen Menschheit offenbar werden soll. Eine Rückkehr der Babylonischen Gola ist hier eigentlich nicht im Blick. Die Städte Judas sollen nämlich nicht über eventuelle Rückkehrer aus dem Exil informiert werden, sondern explizit über die Anwesenheit JHWHs: „Siehe: Euer Gott“. Das Satzdeiktikon הנהhat vor allem demonstrativen Charakter und beschreibt darüber hinaus ein visuelles Moment.25 Manchmal wird hier „Siehe, (es ist) euer Gott!“ übersetzt.26 Aufgrund des deiktischen Charakters von הנהist aber kaum von einer Tilgung eines selbständigen Personalpronomens oder eines Demonstrativpronomens auszugehen, zumal der Kontext ebenfalls die Anwesenheit JHWHs und damit wohl ein getilgtes Ortsadverb „Siehe, (hier ist) euer Gott“ erfordert. Dadurch dass JHWH zurückgekehrt ist und erneut gegenwärtig erfahren werden kann, ist offenbar der Zorn JHWHs endgültig beigelegt. Ähnlich wie in 9f wird genauso in 10a das Satzdeiktikon הנהvor eine Gottesbezeichnung, nämlich „ אדני יהוהAdonai JHWH“, gestellt, die sich ansonsten nur noch in der zweiten Hälfte der Deuterojesajaschrift findet.27 Der Satz in 10a enthält wohl nur das Subjekt אדני יהוה, während das Prädikat wie in 9f entweder entfallen ist – weil aus dem Kontext eine Ortsangabe ergänzbar wäre –, oder durch das Satzdeiktikon הנהbereits ausgedrückt ist.28 Die beiden Sätze 9f und 10a sind somit strukturell identisch. Auch diese Beobachtung spricht für eine Zusammengehörigkeit von v.9 mit den v.10–11. Aufgrund der übrigen Belege von אדני יהוהin der Deuterojesajaschrift, die darauf hinweisen, dass es sich hierbei um eine Appositionsverbindung handelt, sollte man diese Wortverbindung nicht in zwei Teile aufteilen und einen Nominalsatz der Art „mein Herr (ist) JHWH“ konstruieren.29 Gegen einen solchen Nominalsatz spricht vor allem die Parallele in 9f, zumal man dann zwischen den Referenzpunkten der enklitischen Personalpronomina (אלהיכם
24 Das Targum hat hier die folgende Paraphrase: „Offenbart hat sich die Königsherrschaft eures Gottes“, vgl. ELLIGER 1978, 31. 25 Vgl. WAGNER 1995, 312; BALTZER, 1999, 97. Vgl. hierzu KOOLE 1997, 74: „When הנהis followed by a noun or suffix, it usually means the presence of somebody or something, the element of surprise combining with the idea that somebody makes himself available.“ 26 Vgl. KLEIN 2009, 118f. 27 Vgl. Jes 48,16; 49,22; 50,4.5.7.9; 52,4. Auf dieses Problem weist auch KOOLE 1997, 71 hin. 28 Vgl. hierzu GK §147b. Eine solche Konstruktion verstärkt zumindest die Kraft der Deixis, vgl. FOKKELMAN 1981, 83. 29 So aber KLEIN 2009, 72.
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2. Pers. maskulin Plural in 9f vs. אדני1. Singular in 10a) unterscheiden müsste und nur in 10a mit JHWH ein Prädikat des Nominalsatzes gegeben wäre.30 Die syntaktischen Bezüge in v.10 sind insgesamt als schwierig zu beurteilen. Zwei grundsätzlich unterschiedliche Deutungen sind möglich. Zum einen kann man aufgrund des vorausgegangenen Satzes 9f in 10a ebenfalls einen ähnlich gebauten Nominalsatz vermuten, dem dann in 10b ein Verbalsatz folgt.31 Es ist somit nicht nötig, dass 10a.b als ein Satz gelesen werden muss.32 Bei einer solchen syntaktischen Deutung muss außerdem das Subjekt im Verbalsatz 10b nicht notwendigerweise mit Adonai JHWH aus 10a identisch sein. Zum anderen kann man Adonai JHWH als casus pendens des folgenden Verbalsatzes auffassen. Dann ist Gott gleichfalls das Subjekt des folgenden Verbalsatzes. Damit wird aber die syntaktische Parallelität der beiden Sätze 9f und 10a aufgegeben, was jedoch nicht notwendig ist. Die Präferenz für die erste Lösung dieses syntaktischen Problems soll schließlich in den nächsten Abschnitten mit intertextuellen Bezügen sowie mit der Semantik der einzelnen Lexeme untermauert werden. Anstelle eines Adjektivs wird in der Präpositionsverbindung בחזקin 10b gerne ein Nomen gelesen.33 Für die Lesart als Nomen sprechen neben 1QJesa („ בחוזקmit Stärke“) die Übertragungen von LXX, Vulgata, Targum und Peschitta. Eine solche Änderung ist jedoch nicht nötig. Die Präpositionsverbindung des masoretischen Textes in 10b ist vermutlich folgendermaßen wiederzugeben: „als/in der Gestalt eines Starken“.34 Als weitere Übersetzungsvariante wäre schließlich auch „durch einen Starken“ möglich,35 auf den dann die enklitischen Personalpronomina zu beziehen wären. Dann bezieht sich das Kommen zwar auf JHWH selbst, aber ein weiterer menschlicher Akteur ist in seinem Gefolge. Das Problem der Deutung von בחזקwird manchmal insofern textkritisch gelöst, als die masoretische Vokalisierung verschiedene andere Nomina im Blick gehabt haben könnte, die hier anstelle von בחזקals Qere ebenfalls gelesen werden könnten, nämlich: „ בצבאmit
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Darüber hinaus ist die Endung bei אדניals enklitisches Personalpronomen ohnehin umstritten, vgl. KOOLE 1997, 74. 31 Vgl. schon WESTERMANN 1966, 29; ELLIGER 1978, 31; MERENDINO 1981, 62; VAN OORSCHOT 1993, 246; GOLDINGAY 2005, 29; EHRING 2007, 53; HARTENSTEIN 2007, 109; BERGES 2008c, 25. 32 Vgl. hierzu ELLIGER 1978, 36. Ähnlich bei RINGGREN 1974, 210; TIDWELL 1978, 19; LANDY 2006, 350. 33 So auch ELLIGER 1978, 32; VAN OORSCHOT 1993, 246; BALTZER, 1999, 93; LANDY 2006, 353; PAUL 2012, 136. Gegen die Lesart als Nomen aber KLEIN 2009, 76f. Anm. 84. 34 Vgl. JENNI 1992, 82. Als Beth essentiae deuten die Präpositionsverbindung בחזק ebenfalls KOOLE 1997, 75; ROSENBAUM 1997, 185; OSWALT 1998, 45; GOLDINGAY/ PAYNE 2006a, 89. 35 Vgl. BALTZER 1999, 96 Anm. 84.
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einer Armee“ oder „ בחמסmit Gewalt“.36 Allerdings wird ein solches Qere nirgendwo vermerkt, so dass solche Spekulationen kaum weiterführen können. Das Satzdeiktikon הנהin 10d ist nicht mit der syntaktischen Verwendungsweise in 9f oder 10a vergleichbar. Hier eröffnet dieses Satzdeiktion einen vollständigen Nominalsatz mit Subjekt und Prädikat. Es hat hier vermutlich emphatische Funktion. Der abschließende v.11 hat zahlreiche syntaktische Schwierigkeiten, die nicht mehr eindeutig gelöst werden können, da die hebräische Syntax unterschiedliche Interpretationen erlaubt. Somit sollen nur die Probleme geschildert werden, an denen sich bereits die Versionen abgearbeitet haben. In v.11 werden yiqtol-Formen, also imperfektive Verbformen, verwendet, die darauf hinweisen, dass das Geschehen im Werden und noch nicht abgeschlossen ist. Für eine Übertragung dieser yiqtol-Formen empfehlen sich zwei Alternativen: entweder iterativ-durativ, also schon während des Herbeikommens, oder futurisch, also nach der Ankunft des Starken.37 In 11a wird manchmal ein „nackter Relativsatz“ vermutet, nämlich: „Wie ein Hirt, der seine Herde weidet“. Hierfür mag die Inversion Objekt/Prädikat sprechen.38 Für eine solche syntaktische Ansetzung spricht auch die Wiedergabe durch das Targum. Jedoch zeigen alle Sätze in v.11 eine Inversion Objekt/Prädikat, so dass aus dieser Beobachtung keine syntaktischen Schlüsse gezogen werden können. Manchmal werden sogar alle vier Verbalsätze 11a–d als Relativsätze aufgefasst,39 die von der eröffnenden Präpositionsverbindung כרעהabhängen, wodurch jedoch ein Anakoluth entsteht. Bei einer solchen Deutung kann sich die Präpositionsverbindung nur auf den „Starken“ aus 10b beziehen. Manchmal wird die Konjunktion וvon 11c gestrichen und „Lämmer“ aus 11b als Objekt zu 11c gezogen: „die Lämmer in seinem Busen tragen“. Hierfür spricht die Wiedergabe von Aquila und Symmachus. Einer solchen Deutung widerspricht aber zum einen die Konjunktion וund zum anderen die masoretische Akzentsetzung.40 Manchmal hat man vorgeschlagen, dass die Konjunktion וals deiktisches Element verstanden werden kann. Dann könnte
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Vgl. DE BOER 1956, 41. Kritisch hierzu aber TIDWELL 1978, 16. Vgl. EHRING 2007, 54f. ELLIGER 1978, 38 denkt an ein „Imperfektum zum Ausdruck der Wiederholung“. 38 Vgl. ELLIGER 1978, 32f. 39 Vgl. KIESOW 1979, 33. Auch wenn KIESOW 1979, 34 den Satz 10b mit JHWH und nicht mit dem Perserkönig verbindet, könnte man bei dieser syntaktischen Ansetzung insgesamt v.11 als weitere Erläuterung des Starken aus 10b begreifen. Dann wäre noch in v.11 die Anspielung auf den Perserkönig wirksam, vorausgesetzt der Starke ist mit dem Perserkönig zu identifizieren. 40 Vgl. auch KOOLE 1997, 78. 37
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man „Lämmer“ zu 11c ziehen: „Lämmer, dort an seine Brust hebt er (sie)“.41 Wenn man allerdings „Lämmer“ zu 11c zieht, fehlt in 11b ein geeignetes Objekt, das man nur dann aus 11a ergänzen könnte, wenn man für „ עדרוseine Herde“ eine double-duty-Funktion annimmt. Die beiden Sätze 11c.d werden von LXX gekürzt und verändert wiedergegeben. Beide Sätze des MT werden von LXX folgendermaßen übersetzt: „und die in ihrem Bauch tragenden (die trächtigen Schafe) wird er trösten“.42 Das letzte Verb נהלwird mit „trösten“ übertragen. Hier hat LXX anstelle von נהל wohl נחםgelesen und damit eine Verbindung zum Anfang Jes 40,1 gezogen. Das Verbum παρακαλεῖν ist zudem ein Leitwort der LXX bei der Übersetzung dieses Abschnitts. Alles in allem ist der Untersuchungstext syntaktisch schwierig, vor allem v.11 entzieht sich weitgehend einer eindeutigen Übersetzung. Trotzdem kann anhand der folgenden Schritte gezeigt werden, dass dieser Abschnitt durchaus verständlich ist. Bereits im Prolog wird hier offenbar ein menschlicher Akteur genannt, der in der Deuterojesajaschrift noch viel ausführlicher in den Blick kommen wird.
2. Intertextuelles Verweissystem Im Folgenden sollen zwei Stellen aus dem Jesajabuch herangezogen werden, die die obige syntaktische Lösung in v.10 unterstützen. Darüber hinaus gibt es selbstverständlich noch andere Stellen im Jesajabuch, die immer wieder für einen intertextuellen Vergleich herangezogen wurden, hier aber nicht weiter berücksichtigt werden sollen. Immer wieder wurden nämlich Jes 40,9 mit Jes 6,11–1243 sowie Jes 40,10 mit Jes 35,444 oder Jes 52,1045 verbunden. Diese
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Vgl. MERENDINO 1981, 64. Zum Problem vgl. ELLIGER 1978, 32. ELLIGER 1978, 32 vermutet, dass der Ausfall von 11c in LXX wohl ein Versehen gewesen ist. 43 Vgl. VAN WIERINGEN 1989, 92; HOLTER 1996, 119–121; ZAPFF 2001, 231; ZAPFF 2003, 362f.; HARTENSTEIN 2007, 109 Anm. 27. Allerdings ist nur ein Bezug aufgrund des Lexems ערי יהודהmöglich, vgl. EHRING 2007, 52f. 44 Vgl. BARSTAD 2002, 228; BERGES 2008, 83. Lexematische Verbindungslinien wären zumindest die Ermutigungsformel אל־תיראוund der Satz הנה אלהיכם, die sich ebenfalls in Jes 40,9 finden, sowie das Verbum חזקund das Allerweltswort בוא. Der Bezug zu Jes 35,4 spricht nach KIESOW 1979, 33 zudem für eine syntaktische Trennung zwischen eingliedrigem Nominalsatz 10a und folgendem Verbalsatz 10b. 45 Vgl. VAN OORSCHOT 1993, 124 Anm. 121. Allerdings ist זרועdas einzige gemeinsame Lexem, das beide Stellen aufweisen. Zur angeblichen Entsprechung von Jes 40,9–11 mit Jes 52,7–10 vgl. zudem TIDWELL 1973, 49; VAN OORSCHOT 1993, 123f.; ALBERTZ 2001, 292 mit Angabe der sachlichen Differenzen. 42
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intertextuellen Verbindungslinien sollen im Folgenden nicht berücksichtigt werden. Vermutlich liegt in Jes 40,10 eine intertextuelle Verbindung zu Jes 28,2 vor, was ein Verständnis der vorliegenden Stelle zumindest wesentlich erleichtert. Ein solcher Bezug ist auch insofern gerechtfertigt, als der Grundbestand von Jes 28–31, zu dem Jes 28,2 untrüglich gehört, bereits in vorexilischer Zeit entstanden ist.46 Somit darf man davon ausgehen, dass Jes 40,10 die Stelle Jes 28,2 bereits gekannt hat. Ein intertextuelles Beziehungsgefüge bzw. literarische Abhängigkeit ist folglich wahrscheinlich. In Jes 28,2 geht es darum, wie JHWH gegen Samaria einen Starken, nämlich Assur, aufbietet, der das Gericht vollziehen wird: Jes 28,2a
הנה חזק ואמץ לאדניSiehe, einen Starken und Mächtigen hat
Adonai Jes 40,10a.b הנה אדני יהוה בחזק יבואSiehe, Adonai JHWH. Als ein Starker wird er kommen
Vor diesem Hintergrund könnte es in Jes 40,10 ebenfalls um etwas Vergleichbares gehen: Adonai JHWH bietet folglich einen Starken auf – in der neuen historischen Situation den persischen Großkönig –, dessen Arm für JHWH herrschen wird. Vor dem Hintergrund von Jes 28,2 scheint somit Jes 40,10 ebenfalls einen menschlichen Akteur in den Blick zu nehmen. Für eine solche Deutung werden in der Untersuchung der Lexeme noch weitere Argumente vorgebracht. Dafür, dass der Starke im Auftrag JHWHs handelt, spricht zum einen der Nahkontext Jes 40,9–10, der den Fokus auf JHWH richtet, und zum anderen Jes 28,2, wo der Starke ebenfalls mit JHWH verbunden wird. Beide Stellen oszillieren somit zwischen der menschlichen und der göttlichen Ebene. In der Auslegungsgeschichte von Jes 40,10 wurde jedoch bislang diese doppelte Kausalität meist übersehen. Für eine Verbindung der beiden Stellen spricht überdies, dass das Adjektiv חזקim Jesajabuch nur in Jes 28,2 und 40,10 zur Bezeichnung eines Starken gewählt wird. Gegen eine intertextuelle Verbindung der beiden Stellen könnte jedoch geltend gemacht werden, dass in Jes 40,10 Adonai JHWH und nicht nur Adonai wie in Jes 28,2 steht. In der Deuterojesajaschrift taucht Adonai jedoch nie ohne JHWH auf, während in Protojesaja Adonai auch ohne das Tetragramm gesetzt wird.47 Der Doppelname Adonai JHWH in v.10 erklärt sich demnach zum einen aufgrund der intertextuellen Bezüge zu Jes 28,2, wo ebenfalls Adonai verwendet wird, zum anderen aufgrund der ansonsten in der Deuterojesajaschrift üblichen Verwendung des Epithetons Adonai in Verbindung mit 46
Vgl. hierzu BARTHEL 1997, 283f. Vgl. Jes 3,17.18; 4,4; 6,1.8.11; 7,14.20; 8,7; 9,7.16; 10,12; 11,11; 21,6.8.16; 28,2; 29,13; 30,20; 37,24; 38,14.16. 47
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dem Tetragramm. Somit muss man hier Adonai nicht als sekundären Zusatz verstehen, der das Aussprechen des Tetragramms verhüten solle.48 Außerdem besteht zu einer weiteren Stelle, diesmal zu Jes 62,11 in der Tritojesajaschrift, die in nachexilischer Zeit Jes 40,10 vermutlich fortgeschrieben hat, ein intertextuelles Beziehungsgefüge. Hier wird allerdings diese doppelte Kausalität nicht mehr gesehen, sondern die Bedeutung ausschließlich auf die göttliche Ebene eingeengt: Jes 62,11
הנה ישׁעך בא הנה שׂכרו אתו ופעלתו לפניו
Siehe, dein Heil ist gekommen. Siehe, sein Lohn (ist) mit ihm und sein Ertrag (ist) vor ihm. Jes 40,10
הנה אדני יהוה בחזק יבוא … הנה שׂכרו אתו ופעלתו לפניו
Siehe, Adonai JHWH. Als ein Starker wird er kommen ... Siehe, sein Lohn (ist) mit ihm und sein Ertrag (ist) vor ihm. Die beiden Sätze 10d.e sind mit Jes 62,11 identisch, so dass in Jes 62,11 ein wörtliches Zitat vorliegt. Zu 10a.b besteht ebenfalls eine Beziehung über das Satzdeiktikon הנהund das Verbum „ בואkommen“. Darüber hinaus greift Jes 62,10 ebenfalls den Prolog der Deuterojesajaschrift auf. Der Weg, der nach Jes 40,3 für JHWH bereitet werden soll, wird in Jes 62,10 jedoch zu einem Weg für das Volk. Hier zeigt sich, dass in Tritojesaja die inhaltlichen Akzente verschoben wurden. Insofern verwundert es kaum, wenn Jes 62,11 bei seiner Rezeption von Jes 40,10 ausschließlich das göttliche Handeln betont. In Tritojesaja muss die Formulierung von Jes 40,10 sicher auf JHWH bezogen werden.49 Aufgrund der Redesituation muss folglich das aus Jes 40,10 übernommene enklitische Personalpronomen 3. Pers. maskulin Singular in Jes 62,11 auf JHWH bezogen werden, da JHWH ab Jes 62,7 fast ausschließlich in dritter Person belegt ist. Eine solche inhaltliche Verschiebung gewährt einen interessanten Einblick in die frühe Auslegungsgeschichte des Prologs der Deuterojesajaschrift, bedeutet allerdings nicht, dass auch die zugrundeliegende Textstelle Jes 40,10 ausschließlich auf diese Weise verstanden werden muss.50 Fazit: Während das intertextuelle Verweissystem zwischen Jes 40,10 und Jes 28,2 eine Verbindung zum Perserkönig in Jes 40,10 nahelegt, der im Auftrag JHWHs handelt, ist in Jes 62,11 vermutlich nicht mehr an ein menschli48
So aber LORETZ 1984a, 287f. Anm. 34. Allerdings ist in Jes 62,11 nicht ausgeschlossen, dass ein nicht näher genanntes Subjekt auf Weisung JHWHs dieses Heil an Zion veranlasst. 50 In Jes 62,11 wird durch einen gezielten Einsatz der Personalpronomina differenziert: Das enklitische Personalpronomen 2. Pers. feminin Singular „dein Heil“ ist auf Zion zu beziehen, während das enklitische Personalpronomen 3. Pers. maskulin Singular „sein Lohn/Ertrag“ vermutlich mit JHWH verbunden werden kann. 49
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ches Subjekt gedacht. In der jesajanischen Rezeptionsgeschichte wurde folglich Jes 40,10 offenbar nur noch mit JHWH verbunden. Diese Beobachtung entkräftet aber nicht die Behauptung, dass in Jes 40,10 eigentlich der von JHWH beauftragte Perserkönig im Blick ist. Vor dem Hintergrund von Jes 28,2 wird in Jes 40,10 zumindest die menschliche Ebene eingespielt, die in Jes 62,11 verloren ging, weil man offenbar nur noch die Theozentrik des Prologs gesehen und die anderen Bedeutungsnuancen ausgeblendet hat. Das intertextuelle Beziehungssystem bietet somit ein doppeldeutiges Bild vom Verständnis dieses schwierigen Verses. Im Folgenden soll gezeigt werden, dass die Semantik der verwendeten Lexeme weiterhelfen und zusätzliche Argumente dafür liefern kann, dass die ungenannte Person in Jes 40,10 eher mit dem Perserkönig gleichzusetzen ist, der als Beauftragter JHWHs handelt. Selbstverständlich sind die folgenden Beobachtungen, die sich aus der Verwendungsweise der einzelnen Lexeme im Jesajabuch ergeben, nicht über jeden Zweifel erhaben, da Sprache vielgestaltig ist und sich nicht ausschließlich an Wortstatistik orientieren muss. Trotzdem sprechen die folgenden Beobachtungen eine deutliche Sprache, so dass es nahe liegt, dass in Jes 40,10 eine verdeckte Anspielung auf den Perserkönig gegeben ist. Im Anschluss wird zudem vor allem die Verwendungsweise der einzelnen Lexeme im Jesajabuch und nicht im gesamten Alten Testament betrachtet, was tragfähige Rückschlüsse zulässt, zumal der Ideolekt der einzelnen Redaktoren sicher nur eine begrenzte semantische Varianz aufweisen wird. Nur in Einzelfällen wird auch der übrige alttestamentliche Befund herangezogen.
3. Zur Semantik der verwendeten Lexeme 3.1 בוא Mit dem Lexem בואwird in der Deuterojesajaschrift nur in Jes 50,2 das vergangenheitliche Kommen JHWHs ausgedrückt, ansonsten hingegen entweder das Kommen des Perserkönigs, das Eintreffen von Ereignissen, die Rückkehr der Exilierten, das Darbringen von Opfern oder das Versammeln der Menschheit vor JHWH.51 Die Verbform יבואwird darüber hinaus auch andernorts in der Deuterojesajaschrift mit dem Perserkönig verbunden.52 Aus
51 Jes 41,3.25; 48,15 (Perserkönig); Jes 41,22; 42,9; 44,7; 46,1; 47,9.11.13; 48,3.5 (Ereignisse); Jes 43,5.6; 49,12.18.22; 51,1 (Rückkehr); Jes 43,23 (Opfer); Jes 45,20.24; 47,5; 52,1 (Versammlung) 52 Vgl. Jes 41,3.25. Die in Jes 40,10 verwendete yiqtol-Form ist nach EHRING 2007, 53 „Ausdruck einer in der Vergangenheit begonnenen und immer noch andauernden Handlung“. Aufgrund der Verwendung des Satzdeiktikons הנה, das Nachdruck auf die aktuelle Handlung legt, ist ein futurisches Verständnis ohnehin unwahrscheinlich. Nach RINGGREN
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diesen Gründen ist יבואin Jes 40,10 eher auf den Perserkönig und weniger auf JHWH zu beziehen.53 Während der Perserkönig in Jes 40,10 als ein Starker kommt, berühren nach Jes 41,3 seine Füße nicht einmal den Boden, wenn er herannaht, um seine Feinde zu vernichten. Nach Jes 41,25 ist der Perserkönig darüber hinaus aus dem Osten gekommen, um seine Feinde wie Lehm zu zertreten. In Jes 48,15 wird ebenso mit dem Lexem בוא-H betont, dass JHWH den Perserkönig kommen ließ. Die menschliche Aktivität wird folglich an den Willen JHWHs zurückgebunden. Der Perserkönig handelt eigentlich nicht selbstständig. 3.2 משׁל Das Verbum „ משׁלherrschen“ bezieht sich in Protojesaja immer negativ auf menschliche Herrschaft54 und markiert in der Deuterojesajaschrift politische Machtverhältnisse zu Ungunsten Israels.55 Auch wenn משׁלin anderen alttestamentlichen Stellen die Herrschaft JHWHs bezeichnen kann, wird es in Protojesaja und in der Deuterojesajaschrift ausschließlich für menschliche Herrschaft verwendet. Insofern ist in Jes 40,10 vermutlich gleichermaßen eine weltliche Macht für JHWH im Blick. Eine solche Deutung würde die Präpositionsverbindung „ לוfür ihn“ erklären, zumal dann die beiden enklitischen Personalpronomina nicht den gleichen Bezugspunkt haben müssten; „sein Arm (ist) herrschend für ihn“ muss demnach folgendermaßen verstanden werden: „der Arm des Perserkönigs (ist) herrschend für JHWH“ anstelle von „der Arm JHWHs (ist) herrschend für JHWH“. Aufgrund der Form des Nominalsatzes 10c ( ו+ Subjekt + Prädikat) wird hier ein nominaler Umstandssatz vorliegen, der Hintergrundinformationen anbietet: „wobei sein Arm herrschend für ihn (ist)“. Eine solche Deutung schließt dann aber aus, dass die Herrschaft sich auf grundlegende und kontinuierliche Regierungstätigkeit bezieht,56 wie dies von JHWH erwartet werden darf. Denn dieser Nominalsatz nennt lediglich den Umstand während des Kommens eines ansonsten nicht explizit genannten Herrschers. Während dieser Herrscher herbeikommt, wird er mit seinem Arm auch Gewalt anwenden. Die Deutung als nominaler Umstandssatz spricht folglich ebenfalls ge1974, 210f. ist die Formel בוא+ הנהmit dem „immediate coming of a king, or of Yahweh as king in order to conquer his enemies and/or to save his people“ verbunden. 53 Anders hingegen BALTZER 1999, 96, der in diesem Idiom die „Rückkehr JHWHs zum Zion“ ausgedrückt sehen will. Nach FOKKELMAN 1981, 84 illustrieren zudem die folgenden Nominalsätze 10c–e das Kommen aus 10b. 54 Jes 3,4.12; 14,5; 19,4; 28,14. In Jes 16,1 wird vielleicht eher neutrale menschliche Herrschaft in den Blick genommen. 55 Jes 49,7; 52,5. 56 So aber EHRING 2007, 54.
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gen eine andauernde Herrschaft JHWHs, die in 10c immer wieder vermutet worden ist. Es geht hier vielmehr nur um die kurzfristige Herrschaft eines weltlichen Akteurs, der mitunter auch Gewalt anwenden muss, aber nicht dauerhaft mit Härte regieren wird. 3.3 זרוע Zwar ist der „Arm JHWHs“ in der zweiten Hälfte der Deuterojesajaschrift des Öfteren belegt,57 aber im ersten Teil der Deuterojesajaschrift scheint das Lexem „ זרועArm“ wohl eher mit einem menschlichen Subjekt verbunden zu sein, zumindest was die verwendeten Metaphern betrifft.58 Jes 48,14 belegt ebenfalls eine Verbindung von „ זרועArm“ mit dem Perserkönig. Auch hier ist es nicht der „Arm JHWHs“, der das Gericht an Babylon vollziehen wird, sondern der Arm des Perserkönigs. Das Lexem „ זרועArm“ kann sich in der Deuterojesajaschrift somit genauso gut auf einen menschlichen Arm beziehen und muss nicht notwendigerweise auf JHWH hinweisen. Unabhängig davon, auf wen man das Lexem זרועbezieht, muss man jedoch semantisch zwischen den beiden Verwendungsweisen in Jes 40,10.11 differenzieren.59 Während in v.10 ein kriegerischer Aspekt einzutragen ist, denkt man in v.11 besonders an die Fürsorge. Oft wurde das vorliegende Idiom mit dem Exodus-Topos „mit starker Hand und ausgerecktem Arm“ verbunden.60 Jedoch ist in Jes 40,10.11 nur noch ein Lexem dieses Idioms vorhanden, was einer vorschnellen Verbindung mit dem Exodus eher widerrät. Der „Arm“ ist daher eher eine „klassische Metapher für die Stärke und Macht des Herrschers“.61 Mit dem ExodusGeschehen muss dieses Idiom folglich nicht zwingend verbunden werden. 3.4 שׂכרund פעלה Die innerbiblische Verwendung der beiden Substantive „ שׂכרLohn“ und „ פעלהErtrag“ spricht ebenfalls dafür, dass hier nicht von JHWH, sondern vom Perserkönig die Rede ist. Da Jes 62,11 von Jes 40,10 abhängig ist, soll 57 Jes 51,5(2x).9; 52,10; 53,1. Nach TIEMEYER 2012, 238 bezieht sich der „Arm JHWHs“ auf „God’s executive power and strength“. Nach PAUL 2012, 136 ist der Ausdruck „mächtiger Arm“ aus Jer 21,5 hier getrennt und auf zwei Sätze verteilt worden. 58 Jes 40,11 (Hirte); 44,12 (Handwerker); 48,14 (Kyros). 59 Vgl. OSWALT 1998, 55, demzufolge beide Verse „two complementary sides of God’s nature“ ausdrücken. Nach GITAY 1981, 76 wird das Lexem „Arm“ immer im Kontext von Stärke gebraucht, was v.11 von v.10 differenziert. 60 Vgl. WAGNER 1995, 312. Ähnlich TIDWELL 1973, 45; TIDWELL 1978, 19f.; KIESOW 1979, 60; ZAPFF 2001, 231; GOLDINGAY 2005, 29; GOLDINGAY/PAYNE 2006a, 89. Kritisch zu einer Verbindung mit dem Exodus zu Recht KLEIN 2009, 121. 61 EHRING 2007, 59. Für STREIBERT 1993, 130 Anm. 215, ist der „Arm JHWHs“ Synonym für JHWHs Macht.
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diese Stelle in der folgenden Diskussion unberücksichtigt bleiben. Ein Blick in die Verwendungsweise dieser beiden Lexeme in der hebräischen Bibel ist hier hilfreich. Das an שׂכרund פעלהjeweils angefügte enklitische Personalpronomen 3. Pers. maskulin Singular wird meist mit JHWH verbunden.62 Allerdings sind die enklitischen Personalpronomina bei den beiden Wörtern שׂכרund פעלה ansonsten fast ausnahmslos auf denjenigen bezogen, der einen Lohn/Ertrag erhält, und nicht auf denjenigen, der den Lohn/Ertrag auszahlt.63 Insofern würden Lohn und Ertrag entweder JHWH oder einem menschlichen Akteur zukommen. Dass es sich dabei aber vermutlich um den Perserkönig handelt, zeigen die beiden Nomina שׂכרund פעלה. Das Lexem שׂכרkommt meist ohne Bezug zu JHWH aus und bezeichnet eigentlich den menschlichen Lohn.64 Hinzu kommt, dass das Lexem שׂכרin Verbindung mit JHWH immer den Lohn bezeichnet, den JHWH auszahlt, nicht aber den Lohn, den JHWH selbst erhält. JHWH ist also nie der Nutznießer des Lohnes. Es kann sich hier somit kaum um eine Belohnung für JHWH angesichts seiner mühsamen Anstrengungen für sein Volk Israel handeln. Der Satz „Sein Lohn (ist) mit ihm“ bezieht sich daher kaum auf JHWH im Sinne von „Sein Lohn (= Israel) (ist) mit ihm (= JHWH)“, sondern vermutlich ebenfalls auf den Perserkönig, also „Sein Lohn (= Lohn des Perserkönigs) (ist) mit ihm (= Perserkönig)“. Möglicherweise kann man hier die Bezugspunkte der beiden enklitischen Personalpronomina unterscheiden. Insofern könnte sich „sein Lohn“ auf den Lohn beziehen, den JHWH schenkt, nämlich „Sein Lohn (= Lohn von JHWH gespendet) (ist) mit ihm (= Perserkönig)“. In diesem Fall hätte man die doppelte Kausalität ausgedrückt, die im Handeln des Perserkönigs ohnehin anzusetzen ist. Denn im Wirken des menschlichen Akteurs zeigt sich bereits das Handeln Gottes. Auch das Lexem „ פעלהErtrag“ bezieht sich meist auf den Lohn, den Gott zuteilt.65 Dieser kann positiv, aber ebenso negativ konnotiert sein. Es ist je62
Nach STOEBE 1984, 108f. ist das erste enklitische Personalpronomen wohl eher mit Israel zu verbinden. Beide enklitische Personalpronomina haben somit einen unterschiedlichen Referenzpunkt, nämlich: „sein (Israels) Lohn ist mit ihm (JHWH)“. 63 Vgl. STOEBE 1984, 108; KOOLE 1997, 76. Nach VAN OORSCHOT 1993, 122 bringt JHWH die Gola als Beute mit sich. Ähnlich VAN SETERS 1981, 403; GOLDINGAY 2005, 29f. Nach TIEMEYER 2012, 240 beziehen sich die Personalpronomina auf Gott: „The 3rd masculine singular suffix on both words implies that the reward and the recompense alike belong to God“. 64 Vgl. Gen 30,28.32.33; 31,8; Ex 2,9; 22,14; Dtn 15,18; 24,15; 1Kön 5,20; 2Chr 15,7; Koh 4,9; 9,5; Jer 31,16; Jon 1,3; Sach 8,10; 11,12; Mal 3,5. Jedoch kann dieser Lohn genauso von JHWH selbst stammen, vgl. hierzu Gen 15,1 (Lohn Abrams von Gott); Gen 30,18 (Lohn Leas von Gott); Num 18,31 (priesterlicher Lohn von JHWH); Ps 127,3 (Lohn von JHWH); Ez 29,18.19 (Lohn Nebukadnezars von JHWH). 65 Vgl. 2Chr 15,7; Spr 10,16; 11,18; Jes 49,4; 61,8; 65,7; Jer 31,16; Ez 29,20.
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doch nie der Lohn, den man Gott zukommen lässt, wie das eigentlich zu erwarten wäre.66 Eine Verbindung der beiden Wörter שׂכרund פעלהmit JHWH ist somit nicht gefordert, so dass im Folgenden nach einer anderen Lösung gesucht werden darf. Die beiden Worte שׂכרund פעלהwerden in Ez 29,19–20 in politischmilitärischem Kontext verwendet. Dort sagt JHWH dem Babylonier Nebukadnezzar Ägypten als Lohn und Ertrag zu. In Ez 29,19–20 ist folglich Ägypten „ שׂכרLohn“ für dessen Heer sowie „Ertrag“ für ihn selbst. Der babylonische Großkönig hat sich das Land Ägypten aufgrund seiner militärischen Erfolge redlich verdient. Nebukadnezzar und sein Heer haben für JHWH gearbeitet und konnten deshalb Ägypten erobern. Vor diesem Hintergrund können die beiden Begriffe שׂכרund פעלהauch in Jes 40,10 für die Beute stehen, die ein erfolgreicher König und sein Heer vom Feldzug mitbringen.67 Somit kann Babylon nach Jes 40,10 Lohn und Ertrag für den Perserkönig sein, der ihm von JHWH geschenkt wird,68 ähnlich wie nach Ez 29,19–20 Ägypten Lohn und Ertrag für den Babylonier Nebukadnezzar gewesen ist. Darüber hinaus ist auszuschließen, dass in Jes 40,10 im Gefolge der Heimkehr JHWHs auch die Rückkehr der Exilierten aufgrund einer angeblichen Parallele zu Jer 31,16 angedeutet sei. Eine solche Heilsperspektive habe JHWH in Jer 31,16 der um ihre Kinder trauernden Stadt Rama angekündigt.69 Allerdings werden in Jer 31,16 die beiden Lexeme שׂכרund פעלהnicht auf gleiche Weise wie in Jes 40,10 gebraucht. Vielmehr sagt JHWH in Jer 31,16 den „ שׂכרLohn“ für die aufgebrachte „ פעלהMühe“ zu. Eine intertextuelle Verbindung beider Verse verlangt demnach zu viel von den beiden Textstel-
66
Ausschließlich im Psalmenbuch kann das Lexem פעלהin der Bedeutung „Tat“ auch mit JHWH oder anderen Menschen verbunden werden, vgl. Ps 28,5 (mit JHWH); Ps 17,4; 109,20 (mit Menschen). 67 Vgl. hierzu BEGRICH 1963, 53. 68 Demgegenüber sieht HÖFFKEN 1998a, 40 einen Bezug zum folgenden v.11, was allerdings wenig überzeugt: „im Licht der Fortsetzung mag man durchaus an den Arbeitslohn eines Hirten denken, denn der Ertrag ist nicht nur ‚mit ihm‘, sondern er geht ‚vor ihm her‘. Das ist eher der Welt des Hirten abgeschaut als der des siegreichen Kriegers.“ 69 BERGES 2008a, 113 sieht hier aufgrund dieser angeblichen Parallele das Rückkehrszenarium aus der Babylonischen Gola vorsichtig angedeutet. Er vermutet außerdem im Rahmen seiner diachronen Schichtung der Deuterojesajaschrift, dass der Prolog der Zeit des Kyros nachgeordnet ist, so dass hier vom Perserkönig Darius die Rede wäre. Wenn eine Rückkehr in Jes 40,10–11 im Blick ist, dann muss man diesen Abschnitt mindestens in die Zeit des Darius datieren, da es erst zu dieser Zeit kleinere Gruppen von Rückkehrern gegeben hat. Eine solche Datierung ist aber nicht nötig, wenn es hier gar nicht um die Rückkehr der Babylonischen Gola geht. Zum außerbiblischen Hintergrund einer Rückkehr Gottes vgl. EHRING 2012, 94–102.
Jhwh oder der Perserkönig?
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len.70 Es geht in Jer 31,16 um den Lohn für die aufgewendete Mühe, die mit einem Befreiungshandeln verbunden ist. 3.5 Zusammenfassung Ausweislich der verwendeten Lexeme spricht eigentlich alles eher für einen menschlichen Akteur, der als Starker kommt, dessen Arm für JHWH herrscht und dem dann Lohn sowie Ertrag zufällt. Auch wenn hier nicht explizit der Perserkönig genannt wird, spricht die Wortwahl eher gegen die direkte Zuschreibung dieser Dinge zu JHWH, der freilich – und das sollte nicht vergessen werden – hinter den Ereignissen steht. Dieses Ergebnis wurde angesichts der Verwendungsweise der Lexeme vor allem im Jesajabuch erzielt und ist damit aufgrund des Ideolekts aussagekräftig. Gelegentlich wurde die Verwendung der Idiome auch im übrigen Alten Testament miteinbezogen. Außerdem ist eine Verbindung von Jes 40,10 mit einem erneuten Exodus der Babylonischen Gola hinfällig. Der Lohn/Ertrag kann kaum mit einer Rückkehr der Exilierten im Gefolge der Heimkehr JHWHs verbunden werden. Vielmehr handelt es sich hierbei um den Lohn/Ertrag, der dem Perserkönig von JHWH für seine Mühen zukommt. Es scheint sich dabei kaum um die Babylonische Gola zu handeln. Die einschlägige Parallele von Jes 40,10 zu Ez 29,19–20, wo die beiden Worte שׂכרund פעלהsynonym gebraucht werden, deutet darüber hinaus klar darauf hin, dass die beiden Nomina „Lohn/Ertrag“ in Jes 40,10 auf den Perserkönig hinweisen und kaum auf JHWH oder die Rückkehr der Babylonischen Gola. Eine Verbindung von Jes 40,10 zur Jakobstradition, mit der die Rückführung der Exilierten angeblich begründet werden könne,71 ist ebenfalls wenig wahrscheinlich. Denn die hierfür ins Feld geführten Bezüge sind nicht zwingend.
4. Auswirkung auf v.11 In v.11, der den Prolog der Deuterojesajaschrift abschließt, wird gemeinhin angenommen, dass das Hirtenbild auf JHWH zu beziehen ist, auch wenn dies
70
Gegen HUNZIKER-RODEWALD 2001, 138, die dadurch noch das Thema der Entschädigung Jerusalems in Jes 40,10f. einführen kann. 71 Vgl. hierzu BALTZER, 1999, 96. Eine Anspielung auf die Jakobserzählung, vgl. ELLIGER 1978, 37; KIESOW 1979, 34; ZAPFF 2001, 231; GOLDINGAY 2005, 30 ist nicht nötig, auch wenn dort zumindest das Lexem שׂכרprominent vertreten ist, vgl. Gen 30,28.32.33; 31,8. Kritisch hierzu zu Recht KOOLE 1997, 76; EHRING 2007, 59.
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Gottes Handeln in der Welt
nicht explizit ausgedrückt wird.72 In v.10 ist allerdings – wie oben gezeigt – eher der Perserkönig im Blick, auf den sich v.11 ebenfalls beziehen wird. Da das Bild des Kriegers (v.10) und des Hirten (v.11) ohnehin Attribute eines königlichen Herrschers sind, müssen beide Bilder nicht getrennt voneinander verstanden werden.73 Das Bild des guten Hirten steht wie auch sonst im Alten Orient für das gute, fürsorgliche und die Ordnung bewahrende Regiment des Königs.74 Der herrschende Arm des Perserkönigs aus 10b wird demnach in 11b mit dem fürsorglichen Arm kontrastiert. Allerdings hebt sich v.11 formal vom vorausgegangenen Vers ab, da v.11 nicht wie 10a.d durch die Interjektion הנהeingeleitet wird. Insofern wäre es nicht auszuschließen, dass es in v.11 wiederum um ein Handeln JHWHs geht. In diesem Sinne könnte es sich hier um ein für die Zukunft angekündigtes Wirken JHWHs handeln: Die Perserkönige leisten zwar einen wichtigen Beitrag für die Restitution Israels, aber JHWH allein bleibt es vorbehalten, der Hirt seines Volkes zu sein. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass sich im Jesajabuch ansonsten die Wurzel רעהsowohl als Partizip „Hirt“ als auch als Verb „weiden“ nicht auf JHWH als Subjekt bezieht.75 In der Deuterojesajaschrift wird das Partizip „Hirte“ nur einmal in Jes 44,28 verwendet, wo es auffälligerweise sogar explizit mit Kyros in Verbindung gebracht wird. Somit könnte man rückwirkend von Jes 44,28 den Hirten aus Jes 40,11 mit dem Perserkönig verbinden. Schon aus diesem Grund liegt es nahe, dass es in v.11 – wie schon in v.10 – eher um den Perserkönig geht,76 hinter dessen Handeln freilich nach der Konzeption der doppelten Kausalität JHWH steht.
72
Vgl. VAN SETERS 1981, 401; LANDY 2006, 354; BERGES 2008c, 26f.; BARSTAD 2002, 229–231, der zudem auf eine Parallele in Jes 42,13–16 hinweist, die sich aber nur inhaltlich, nicht lexematisch nachweisen lässt. Nach TIEMEYER 2012, 237 ist es zudem Gott, der als Kämpfer und Hirte in einer Theophanie erscheint. PAUL 2012, 137 weist noch auf den außerbiblischen Gebrauch der Hirtenmetapher für Gottheiten hin. 73 Vgl. HARTENSTEIN 2007, 109. 74 Im Imgur-Ellil-Zylinder II,16–18 beschreibt Nabonid seine Herrschaft ebenfalls im Bild des königlichen Hirten. Zu weiteren außerbiblischen Belegen für die Hirtenmetapher, vgl. EHRING 2012, 92f. Anm. 5. Nach EHRING 2007, 60 werden dem königlichen Hirten immer wieder die Attribute „versorgend“ oder „umsichtig“ zugeschrieben. Zur Metapher des königlichen Hirten vgl. auch GRIMM/DITTERT 1990, 59. 75 Zum einen weiden Tiere in Jes 5,17; 11,7; 13,20; 27,10; 30,23; 61,5; 65,25 und Menschen in Jes 14,30; 49,9. Als Partizip wird das Verbum nur mit Menschen gebraucht, vgl. Jes 31,4; 38,12; 44,28; 56,11; 63,11. 76 Nach VERMEYLEN 1989, 37 ist in Jes 44,28 der Hirte Kyros – wie ansonsten im Vorderen Orient üblich – der von Gott Beauftragte.
Jhwh oder der Perserkönig?
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Das Lexem „ עדרHerde“ ist nur hier in der Deuterojesajaschrift belegt und bezieht sich im Jesajabuch nie auf Israel als Herde JHWHs.77 Insofern muss man das Hirtenbild nicht exklusiv auf JHWH oder auch Israel beziehen. Es spricht also nichts dafür, dass man in v.11 JHWH als handelnden Akteur eintragen muss. Da ohnehin kein Subjekt explizit genannt wird, könnte das nicht genannte Subjekt aus v.10 desgleichen noch in v.11 weiterwirken, so dass auch hier vom Perserkönig die Rede ist. Die meisten lexematischen Anknüpfungspunkte zu v.11 bietet Jer 31,10,78 wo es um die Heimkehr aus dem Exil geht. Insofern wurde immer wieder vorgeschlagen, dass es in v.11 ebenfalls um die Rückkehr aus dem Exil gehen müsse. Jedoch steht nach dem Sammeln der Exilierten in Jer 31,10 das Behüten ( )שׁמרim Mittelpunkt der Hirtenmetapher, nicht wie hier die Sorge um die schwächsten Glieder der Herde. Außerdem sollte das Hirtenbild nicht zu sehr für den Zug der Exilierten vereinnahmt werden, zumal es – wie gesehen – gleichfalls als Herrschermetapher gut verständlich ist. Darüber hinaus ist Jes 40,9–11 an die Städte Judas gerichtet, die der Fürsorge des Herrschers besonders bedürfen. Insofern darf dieses Bild nicht vorschnell auf die Rückkehr aus dem Exil bezogen werden. Hinzu kommt, dass schon Jer 31,16 nicht für ein intertextuelles Beziehungsgefüge geeignet war, was einer Verbindung von Jer 31,10 mit Jes 40,11 ebenfalls widerrät. Allerdings wird gerne darauf hingewiesen, dass das Verbum קבץ-D „sammeln“ im Jesajabuch oft in Kontexten verwendet werde, wo JHWH die Zerstreuten aus der Diaspora sammelt.79 Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass mit diesem Begriff meist nicht die Rückkehr aus der Babylonischen Gola im Blick ist, sondern die Sammlung der gesamten Diaspora, so dass eine Engführung auf einen zweiten Exodus aus Babylon nicht der ansonsten belegten Verwendung des Verbums קבץ-D entspricht.80 Das Verbum קבץ-D wird zudem ganz konkret in Jes 13,14 auf das Einsammeln der Herde bezogen und kann darüber hinaus auch das Sammeln von Wasser und Speisen bedeuten.81 77
In Jes 17,2 und 32,14 bezieht sich dieses Lexem nicht auf Israel als Herde JHWHs, sondern auf die Verwüstung des Landes und die Inbesitznahme durch Herden von Wildtieren. 78 Nämlich קבץ-D und das Idiom כרעה עדרו. 79 Nach ZAPFF 2001, 232 ist dieses „Sammeln“ der „Zentralbegriff der Heilshoffnung der Exilsgemeinde“. HUNZIKER-RODEWALD 2001, 130 Anm. 478 weist jedoch darauf hin, dass die Sammlung in v.11 „ganz an der Pragmatik des Hirtenalltags orientiert“ sei. 80 In Jes 11,12; 43,5; 56,8; 66,18 wird die Rückkehr der Diaspora thematisiert, lediglich in Jes 54,7 die Rückkehr nur der Babylonischen Gola. In Jes 49,18, einem Vers, der ebenfalls auf die Sammlung der Gola bezogen werden könnte, steht zudem קבץ-N. Dort geht es außerdem nicht um eine Sammlung durch JHWH, sondern ein Sich-Versammeln der Versprengten. Ein Sonderfall ist noch Jes 34,16, wo ein Versammeln der Taten JHWHs thematisiert wird. 81 Jes 22,9; 62,9.
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Gottes Handeln in der Welt
Im N-Stamm bedeutet das Verbum קבץin der Deuterojesajaschrift fast durchweg das Sich-Versammeln der Nationen zum Rechtsstreit.82 Aufgrund dieser vielfältigen Verwendungsweise des Verbums קבץim Jesajabuch ist die Engführung auf die Rückkehr der Babylonischen Gola in Jes 40,10 nicht nötig. Hier wird es wohl konkret um das Sammeln der Herde durch den königlichen Hirten gehen. Außerdem ist dieses Sammeln aufgrund der Verbformation x-yiqtol vermutlich iterativ-durativ zu verstehen. Es betont folglich die kontinuierliche Sorge des königlichen Hirten.83 Insofern kann logisch nicht die Rückkehr der Exilierten gemeint sein, da nach Ankunft der Gola in Jerusalem das Sammeln abgeschlossen ist. Außerdem ist zweifelhaft, weshalb die Rückkehr der Exilierten ausgerechnet den Städten Judas als „Freudenbotschaft“ mitgeteilt werden soll, zumal die Rückkehrer sicherlich wieder Besitzansprüche in der alten Heimat geltend gemacht haben. Bei der Neukonstituierung Jerusalems ist es bestimmt zu einigen Problemen gekommen. Die Rückkehr der Exilierten ist für die Städte Judas somit keine „Freudenbotschaft“ gewesen, sondern eher ein Szenario, vor dem man Angst hatte. Die Verwendung der beiden Wörter „ טלאיםLämmer“ und „ עלותSäugende“, also säugende Muttertiere, unterstreicht die besondere Fürsorge des Hirten.84 Denn gerade die schwächsten und langsamsten Tiere bedürfen der Aufmerksamkeit, damit sie den Anschluss an die Herde nicht verlieren. Besonders in der Lammzeit von Dezember bis Februar muss der Hirte vor allem auf die Lämmer und Mutterschafe achten, damit er nicht des Ertrages seiner Arbeit verlustig geht.85 In 11b–d wechselt zudem der Fokus, was ebenfalls gegen eine Rückführung der Babylonischen Gola spricht. Hier ist nicht mehr die Herde als Kollektiv im Blick, sondern jeweils einzelne Tiere, um die sich der königliche Hirt besonders kümmern muss.86 Wenn dieses Bild auf den Perserkönig übertragen wird, dann zeigt dieser sich hier als fürsorglicher Hirt, der seine Untertanen nicht nur schützt und leitet, sondern sich auch gerade um die schwächsten Glieder kümmert. 82 Vgl. Jes 43,9; 45,20; 48,14 (N-Stamm); Jes 44,11 (tD-Stamm). Im N-Stamm bezieht sich das Verbum קבץhingegen auf das Sich-Versammeln von Tieren, eine Bedeutung, die zumindest auf der Bildebene ebenfalls in Jes 40,11 angedeutet sein könnte. 83 Dies unterscheidet v.11 dezidiert von 10c, wo der offenbar mit Gewalt herrschende Arm auf das Herannahen des Perserkönigs beschränkt bleibt – ausgedrückt durch einen nominalen Umstandssatz. 84 Vgl. HUNZIKER-RODEWALD 2001, 130. GRIMM/DITTERT 1990, 60 weisen jedoch darauf hin, dass im ersten Teil die ganze Herde ebenfalls im Blick des Hirten ist, zumal das Lexem קבץnie nur auf die kleinen Jungtiere beschränkt bliebe. 85 Vgl. hierzu HUNZIKER-RODEWALD 2001, 129f. 86 WESTERMANN 1966, 40f. betont den Umstand, dass es hier nicht um die Masse der Geretteten, sondern jeweils um Einzelne geht.
Jhwh oder der Perserkönig?
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Das Idiom „ נשׂא בחיקוTragen an der Brust“ wird nur noch in Num 11,12 verwendet, wo es das Tragen des Säuglings bezeichnet. Mit dieser Ausdrucksweise wird gleichermaßen die besondere Fürsorge des Hirten betont, der die Jungtiere an seiner Brust trägt, während er die Muttertiere führt. Der Perserkönig nimmt hier somit das Hirtenamt für seine Untergebenen wahr. Manchmal wird in v.11 ähnlich wie in v.10 aufgrund der Wortwahl eine Verknüpfung mit der Jakobstradition (aufgrund der „säugenden Mutterschafe“) und der Auszugstradition (aufgrund des Verbums „führen“) gezogen.87 Beides ist jedoch nicht notwendigerweise gefordert. Ein Bezug von Jes 40,11 auf die Jakobstradition ist zudem fraglich, da der Begriff „säugend“ auch außerhalb der Jakobstradition verwendet wird und עלותin Gen 33,13 lediglich als Prädikat zu צאןund בקרgesetzt, aber nicht wie hier als alleinstehendes Nomen verwendet wird. Die Exodus-Tradition wird in v.11 ebenfalls nicht thematisiert. Das Verbum נהל-D bezieht sich nämlich auf das „Führen“ einer Herde zu Wasserund Ruheplätzen88 und nicht notwendigerweise auf die Führung der Exodusgruppe. Insofern ist die übliche Verbindung mit einem zweiten Exodus fraglich. Außerdem gilt zu beachten: Der Perserkönig führt nur die Muttertiere, nicht die ganze Herde. Das „Sammeln“ gilt lediglich den jungen Lämmern. Insofern wird hier vor allem die Sorge für die schwächsten Glieder betont. Von einer Sammlung und Führung des gesamten Volkes oder der Babylonischen Gola ist nicht die Rede, was aber wohl der Fall wäre, wenn hier JHWH als Hirt im Blick gewesen wäre. Insofern ist es unwahrscheinlich, dass in Jes 40,11 tatsächlich die Rückführung der Babylonischen Gola zur Sprache gebracht werden sollte.
5. Bibeltheologische Schlussfolgerungen Im letzten Abschnitt des Prologs der Deuterojesajaschrift wird ausweislich der Semantik der verwendeten Lexeme und der Einbindung in ein intertextuelles Beziehungsgefüge in verdeckter Weise bereits auf den Perserkönig angespielt, auch wenn dieser noch nicht explizit genannt wird. Der Perserkönig wird hier als siegreicher Kämpfer und fürsorglicher Hirte gekennzeichnet, der zum Wohle der Welt das verhasste babylonische Großreich vernichtet. Die Bezugnahme auf den Perserkönig ist vor dem Hintergrund der doppelten 87
Vgl. ELLIGER 1978, 38; ZAPFF 2001, 232. Für BALTZER 1999, 96 Anm. 91 bezeichnet das Verbum נהלdas „sorgliche Geleiten“. Nach GOLDINGAY/PAYNE 2006a, 91 heißt die Grundbedeutung von נהל-D „zu einem Wasserplatz führen und dort ruhen lassen“. Ähnlich PAUL 2012, 138. BERGES 2004, 87 weist darauf hin, dass die „Wüsten- und Wegmetaphorik in Deuterojesaja keinen ‚zweiten Exodus‘ in Szene setzen, sondern die Heilswende für Jerusalem/Zion beschreiben“ will. 88
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Gottes Handeln in der Welt
Kausalität, bei der sich die menschliche und göttliche Ebene durchdringen, insofern unproblematisch, als JHWH durch seinen irdischen Beauftragten in das Weltgeschehen eingreifen kann. Der Geschichtsverlauf ist folglich kein von Gott unabhängiges Geschehen, sondern Gott ergreift immer wieder die Initiative, indem er die weltpolitischen Akteure in seinem Sinne zum Heil der Welt einspannt, auch wenn es dabei freilich zu Ungerechtigkeiten kommen kann. Auf die doppelte Kausalität könnte außerdem 10c hinweisen: „sein (= des Perserkönigs) Arm (ist) herrschend für ihn (= JHWH)“. Beide Verständnishorizonte sind nämlich ohnehin durch den unmittelbaren Kontext des Prologs, bei dem das Handeln JHWHs geschildert wird, bzw. durch die verwendeten Lexeme, die auf das Handeln des Perserkönigs hinweisen, angelegt. Der Perserkönig handelt folglich nicht aus eigener Machtvollkommenheit. Er ist vielmehr ein geeignetes Instrument im Heilsplan Gottes, so dass gerade im Perserkönig menschliche und göttliche Dimension ineinandergreifen. Für diese Verbindung von menschlicher und göttlicher Ebene spricht überdies die intertextuelle Verbindung zu Jes 28,2. Auch in assyrischer Zeit hat Gott in das Weltgeschehen eingegriffen, um sein Volk Israel zu bestrafen. Diese Strafe bleibt aber nicht Gottes letztes Wort. Denn in Jes 40,10 wird ein neuer Herrscher dazu beauftragt, den Heilsplan Gottes auf Erden durchzusetzen. Darüber hinaus geht es in Jes 40,10–11 nicht – wie oft behauptet – um die Rückführung der Babylonischen Gola und die damit verbundene Fürsorge des Hirten für die ganze Herde, wobei der Hirte meist als göttlicher Hirte gesehen wird. Denn der vermutlich menschliche Akteur in Jes 40,11 kümmert sich vor allem um die schwächsten Tiere, nicht aber um die gesamte Herde. Eine Rückführung der gesamten Gola wird gerade nicht ins Auge gefasst. Insofern entfällt dieses Argument für eine Datierung des Prologs oder zumindest des letzten Teils Jes 40,9–11 in die Zeit des Darius. Denn erst zu dieser Zeit konnten einige Exilierte in ihr Heimatland zurückkehren.89 Eine Rückkehr der Exilierten war zudem kaum eine „Freudenbotschaft“ für die Städte Judas, wie dies in Jes 40,9 suggeriert wird, da die Rückkehrer sicherlich alte Gebietsansprüche in der Heimat durchsetzen wollten, ein Unterfangen, das nach etwa 70 bis 80 Jahren problematisch war, da man nun die neuen Familien von ihrem Grund und Boden vertreiben musste. Es stellt sich schließlich die Frage, welcher Perserkönig – Kyros oder Darius – hier im Blick ist. Dieses Problem kann kaum noch gelöst werden, auch wenn Kyros wesentlich wahrscheinlicher ist als Darius. Hierfür sprechen zumindest einige Beobachtungen: Da dem Perserkönig Kyros nach 89 ALBERTZ 2003, 376 Anm. 18 hält Jes 40,9–11 für eine Erweiterung, die nach der Rückkehr der Exilierten nach Jerusalem um 522/521 v.Chr entstanden sei. Nach BERGES 2008d, 253–266 ist die Zuweisung einiger Texte zu Darius zumindest nicht immer von der Hand zu weisen.
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Jes 44,28 explizit das Hirtenamt zugewiesen wird, könnte er auch in Jes 40,11 als Hirte auftreten.90 Da in Jes 40,10–11 zudem noch nicht die Rückkehr der Exilierten geschildert wird, muss dieser Abschnitt noch nicht mit Darius verbunden werden. Alles in allem bleibt festzuhalten: Auf verdeckte Weise wird schon am Ende des Prologs der Deuterojesajaschrift gezeigt, dass die heilsgeschichtliche Wende unmittelbar bevorsteht. Zu diesem Zweck schickt JHWH den Perserkönig ins Rennen, der für die Befreiung vom babylonischen Joch Lohn und Ertrag erhält. JHWH ist folglich kein passiver Gott, der die Geschichte ihren eigenen Abläufen gehorchen lässt, sondern ein zutiefst aktiver Gott. In den irdischen Ereignissen greifen folglich die göttliche und menschliche Ebene ineinander zum Heil der ganzen Welt. Gerade die schwächsten Glieder der Gesellschaft werden besonders geschützt, vom Perserkönig, aber in gleicher Weise von JHWH.
90
Vgl. auch LIM 2010, 77.
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Geschichte und Schöpfung
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Geschichte und Schöpfung. Überlegungen zum Monotheismus im Kyrosorakel (Jes 45,1–8) Geschichte und Schöpfung
In Weiterführung verschiedener theologischer Entwürfe setzte die Gruppe,1 die für die Deuterojesajaschrift verantwortlich zeichnet, im Exil den expliziten Monotheismus endgültig durch. Der frühere implizite Monotheismus wurde nun zu einem expliziten weiterentwickelt. Der ursprüngliche Nationalgott JHWH erhebt jetzt Anspruch auf Einzigartigkeit und bestreitet damit die Existenz anderer Götter. Die Gattungsbezeichnung Gottheit enthält folglich nur ein einziges Element, nämlich JHWH; alles andere sind nur Götzen, aber keine Gottheiten. Im Kyrosorakel Jes 45,1–8 verbindet sich das Thema Monotheismus zudem mit JHWHs Geschichtswirken und Schöpfungshandeln. Wie diese drei theologischen Koordinaten zusammenzudenken sind, soll im Folgenden aufgewiesen werden. Ausgehend vom Geschichtswirken JHWHs wird der Monotheismus begründet, was freilich auch Konsequenzen für die Schöpfungsvorstellungen haben wird. Zunächst soll gezeigt werden, dass sich das Kyrosorakel vom Kontext als eigenständige Texteinheit abhebt. Danach soll dessen Struktur beschrieben werden, die erste Hinweise auf die Verbindung der drei Themen Geschichte – Monotheismus – Schöpfung liefert. Abschließend folgt ein Blick in die zeitgenössische babylonische Theologie, vor deren Hintergrund die biblischen Aussagen schließlich besonderes Profil gewinnen können.
1 Zum Autorenkollektiv, das sich hinter der Deuterojesajaschrift verbirgt, vgl. ALBERTZ 2003, 373 Anm. 7.
Geschichte und Schöpfung
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1. Abgrenzung von Kontext und Struktur des Kyrosorakels 1a aR aRI1 b aRI2 c
So hat gesagt JHWH zu seinem Gesalbten,2 zu Kyros,3 den4 ich ergriffen habe bei seiner Rechten, um niederzutreten5 vor ihm Völker, und Hüften von Königen entgürte ich,6 um zu öffnen vor ihm Doppeltüren7 und Tore8 sollen nicht verschlossen sein.
2a b
Ich selbst ziehe vor dir her und Ringmauern9 ebne ich ein,10 2
Anstelle von „seinem Gesalbten“ bieten LXX und Vulgata „meinen Gesalbten“, was aber lectio facilior ist und möglicherweise von Ps 110,1 beeinflusst ist, vgl. GOLDINGAY/PAYNE 2006b, 20. In v.1 sind ohnehin die verschiedenen Personenwechsel auffällig, die man textkritisch kaum noch lösen kann. Eine Änderung ist nicht nötig, vgl. OSWALT 1998, 197. 3 MT trennt mit seiner Akzentsetzung Kyros vom Gesalbten ab, so dass JHWH zu seinem Gesalbten über Kyros spricht, vgl. GOLDINGAY/PAYNE 2006b, 20. Gegen eine solche syntaktische Deutung spricht aber die Ich-Du-Rede, die ab v.2 folgt. Der Adressat ist somit Kyros, der folglich mit dem Gesalbten gleichzusetzen wäre. 4 MERENDINO 1981, 417 vermutet, dass das Relativpronomen אשׁרdeiktischen Charakter hat, da es hier nämlich um ein „Identifizierungsverfahren“ gehe. 5 Vermutlich liegt hier ein infinitivus constructus der Wurzel רדדvor, vgl. ELLIGER 1978, 482; OSWALT 1998, 197. Zum Problem vgl. GK § 67p. Ein infinitivus constructus von ירד-H ist wohl auszuschließen, vgl. hierzu noch BALTZER 1999, 290 Anm. 97. 6 Die yiqtol-Form kann den Infinitivsatz fortsetzen, vgl. GK § 114r, so dass 1aRI1 nicht als Nebensatz zu 1b zu ziehen wäre im Sinne von „um niederzutreten vor ihm Völker, entgürte ich Hüften von Königen“. 7 1QJesa דלתותgleicht MT דלתיםan 2c an, wo ebenfalls das Lexem „ דלתTür“ steht, allerdings im Plural und nicht im schwer verständlichen Dual. Auch hier bietet MT die lectio difficilior, die nicht abgeändert werden muss. ELLIGER 1978, 493 denkt hier – offenbar aufgrund der Dualform – an die beiden Türflügel des Tores einer kleinen Stadt. 8 LXX liest hier πόλεις „Städte“. Offensichtlich stand in der Vorlage der LXX ערים und nicht שׁערים. Der Ausfall des Konsonanten שׁlässt sich zumindest leicht erklären, vgl. ELLIGER 1978, 482. Jedoch übersetzt LXX in Dtn 12,17.18 das Lexem שׁעריםebenfalls mit πόλεις, vgl. GOLDINGAY/PAYNE 2006b, 22. Dies mag darauf zurückzuführen sein, dass שׁעריםvom Übersetzer in Dtn als pars pro toto für die Stadt gesehen wurde. 9 Das Lexem הדוריםist schwierig, was sich in der Wiedergabe der Versionen zeigt. Wahrscheinlich liegt ein akkadisches Lehnwort dūru(m) zugrunde, für das HOFFMANN 1972, 187–195 drei Bedeutungsebenen erwiesen hat: dūru(m) ist a) ein bau- und militärtechnischer Begriff für eine Befestigungsmauer, der b) wiederholt neben „Türen“ und „Toren“ steht und c) „bergehoch, bergegleich“ als geläufiges Epitheton besitzt. Diese Lösung lässt sich mit dem Konsonantentext verbinden und erfordert lediglich eine andere Punktation. Dann hätte man ein mit Artikel determiniertes Nomen, das man mit „Stadtmauern“ wiedergeben müsste, vgl. zu dieser Lösung ELLIGER 1978, 483: es liegt hier wohl ein Lehnwort „halbtechnischer Art, mit der Bedeutung ‚Stadtmauern‘, speziell als Be-
40 c d 3a b c d 4aP a
Gottes Handeln in der Welt
Türen aus Erz zerschmettere ich11 und Riegel aus Eisen zerbreche ich. Und ich werde dir geben Schätze der Finsternis und Vorräte der Verstecke12 damit du erkennst,13 dass ich Jhwh (bin), (dass) der (dich) bei deinem Namen Rufende der Gott Israels (ist). Um meines Knechtes Jakob und14 Israel, meines Erwählten, willen – daher15 habe ich dich gerufen bei deinem Namen.16
zeichnung für den inneren Ring der Verteidigungsanlagen von Babylon“ vor. Vgl. SOUTHWOOD 1975, 802; LAATO 1992, 183; ROSENBAUM 1997, 48 Anm. 46; HÖFFKEN 1998a, 89; PETRY 2007, 204–205 Anm. 668, demzufolge dieser Ausdruck aber nicht nur die Befestigungsanlagen Babylons bezeichnen müsse. Für die obige Übersetzung spricht die Übertragung durch das Targum mit šûrayāʾ „Mauern“, das ja gerade in Babylon seine gegenwärtige Gestalt erhalten hat und die Bedeutung des Lexems noch gekannt haben wird. Die Masoreten punktierten dann dieses Lexem im Anschluss an das nachbiblische hadūrē, ein steiniges, felsiges Gebirge bei Jerusalem. Kritisch hierzu KOOLE 1997, 434f. Vgl. zum Problem LIM 2010, 76 Anm. 87; PAUL 2012, 253f. 10 Für die Lesart des Qere אישׁרsprechen einige Handschriften und wohl auch 1QJesb, während 1QJesa die Lesart des Ketib bestätigt: אושׁר. Beide Lesarten differieren nur in der Stammesmodifikation – Qere: D-Stamm bzw. Ketib: H-Stamm – und sind kaum erheblich. Hier wird die Lesart des Qere, also D-Stamm, bevorzugt, was der üblichen Verwendungsweise entspricht, vgl. GOLDINGAY/PAYNE 2006b, 22. 11 1QJesa liest hier einen G-Stamm אשׁבור, während MT einen D-Stamm אשׁברbietet, also einen Intensivstamm, der die Verbalaussage noch intensiviert, also „zerschmettern“ statt nur „zerbrechen“. Der G-Stamm dieses Verbums ist jedoch gebräuchlicher, vgl. GOLDINGAY/PAYNE 2006b, 23. 12 LXX ergänzt hier ἀνοίζω σοι, was aber eine unnötige Erweiterung darstellt und kaum auf ein ursprüngliches אפתח לךzurückgehen dürfte, vgl. GOLDINGAY/PAYNE 2006b, 23. ROSENBAUM 1997, 158 Anm. 16 setzt hier zwei Sätze an, so dass noch ונתתי לךzum zweiten Objekt „Vorräte der Verstecke“ zu fügen wäre. 13 Ohne Anhalt in den Versionen streicht WESTERMANN 1966, 130 den Satz 3b, da er zu lang sei und der nächste Vers ebenfalls mit derselben zusammengesetzten Konjunktion beginnt. Dies ist aber eine willkürliche Entscheidung, der nicht gefolgt werden muss. 14 Die Konjunktion ו, die in 1QJesa fehlt, ist entweder epexegetisch oder als Ersatz für die getilgte Präposition למעןzu bewerten, vgl. hierzu GOLDINGAY/PAYNE 2006b, 24. 15 ELLIGER 1978, 483 vermutet aufgrund der Übersetzung von LXX, dass die Kopula möglicherweise gefehlt hat. Die anderen Versionen belegen aber ein präteritales Verständnis der Verbformation, so dass hier wohl doch eine wayyiqtol-Form gestanden hat. 16 1QJesa liest hier ובשׁםund zieht diese Präpositionsverbindung zum folgenden asyndetisch gefügten Verb: „Ich habe dich gerufen und mit einem Namen bezeichnet“, vgl. GOLDINGAY/PAYNE 2006b, 24. Möglicherweise sollte die Parallele des Kyros zu Israel in Jes 43,1, wo Israel von JHWH bei seinem Namen gerufen wird, bewusst vermieden werden.
Geschichte und Schöpfung
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Ich gebe dir einen Ehrennamen,17 obwohl du mich nicht kanntest.
b c 5a b c d e
Ich (bin) JHWH und keiner (ist) sonst noch, außer mir18 (ist) nicht Gott. Ich gürte dich,19 obwohl du mich nicht kanntest,
6a
damit sie erkennen vom Aufgang der Sonne20 und von ihrem Untergang,21 dass nichts (ist) außer mir. Ich (bin) JHWH und keiner (ist) sonst noch,
b c d 7a b c d
der Licht bildet und Finsternis schafft, der Heil22 macht und Unheil schafft. 17
Die Lesart von 1QJesa ist fehlerhaft ( הכינכהanstelle von )אכנךund muss hier nicht weiter berücksichtigt werden. Hier wurde eine yiqtol-Form 1. Pers. Singular von כוןmit ה geschrieben, während MT korrekterweise einen D-Stamm der Wurzel כנהbietet. Zum Problem vgl. ELLIGER 1978, 483, der zudem darauf hinweist, dass viele Versionen hier präterital übersetzen und eine Kopula setzen. Möglicherweise hat deren Vorlage eine wayyiqtol-Form wie in 4a verwendet. Vgl. zum Problem GOLDINGAY/PAYNE 2006b, 25, die zusätzlich auf andere Lesarten hinweisen. 18 1QJesa liest ואיןund zieht זולתיzu 5b, während 1QJesb die hier vertretene syntaktische Abgrenzung dadurch verstärkt, dass vor זולתיdie Konjunktion וgesetzt wird, vgl. hierzu GOLDINGAY/PAYNE 2006b, 26. 19 Der Satz 5d fehlt in einigen Handschriften der LXX. Peschitta, Targum und Vulgata bestätigen aber MT, vgl. zum Problem ELLIGER 1978, 484. 20 In Kennicott MS 150 fehlt das nomen rectum שׁמשׁ, vgl. GOLDINGAY/PAYNE 2006, 26. 21 Meist wird die Endung an מערבהals enklitisches Personalpronomen 3. Pers. feminin Singular „ihrem Untergang“ gedeutet, vgl. KRATZ 1991, 22 Anm. 60; KOOLE 1997, 440, zumal das Bezugswort שׁמשׁebenfalls feminin sein kann. Selbst ohne Mappiq kann hier ein enklitisches Personalpronomen 3. Pers. feminin Singular vorliegen, da der Mappiq vor Begadkefat und weichen Konsonanten fortfallen kann, vgl. GK § 91e. Eine Deutung als Femininendung scheidet insofern aus, als das Lexem מערבnie eine Femininendung besitzt. Anders hingegen PAUL 2012, 256. BALTZER 1999, 289 übersetzt die Präpositionsverbindung mit „in der Gegend des Aufgangs der Sonne und in der Gegend des (ihres?) Untergangs“. Die Präposition מןgibt jedoch eher mit ELLIGER 1978, 498 „den Ausgangspunkt an, ‚von dem aus‘ sich die Vorstellung des Sprechers auf diesen zu bewegt“. Somit ist hier die gesamte Erde gemeint. Der Sprecher befindet sich folglich irgendwo zwischen beiden Extrempolen Ost und West. 22 1QJesa hat hier statt „ שׁלוםHeil“ das Lexem „ טובGutes“. Vermutlich wurde diese Änderung aufgrund von 7d motiviert, wo als Antithese „ רעBöses“ steht.
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Gottes Handeln in der Welt
e f
Ich (bin) JHWH, der die Gesamtheit dieser Dinge macht. Lasst träufeln,23 Himmel, droben24! Und Wolken sollen rieseln Heil! (Die) Erde möge (sich) öffnen und es wird fruchtbar sein Hilfe und Gerechtigkeit.25 Sie wird (sie) sprossen lassen zusammen. Ich (bin) JHWH, ich habe es geschaffen.
8a b c d e f g
Das Kyrosorakel grenzt sich in v.1 mit der Botenspruchformel „So hat gesagt JHWH“, mit der die Legitimität bzw. Autorität JHWHs beansprucht wird,26 vom Vorausgegangenen klar ab.27 Die Botenspruchformel markiert einen relativen Neueinsatz,28 auch wenn der Sprecher JHWH und der Adressat Kyros unmittelbar aus dem Kontext bekannt sind. Da nach Jes 44,24 nur noch eine ununterbrochene Reihe von Partizipien und keine eigenständigen Sätze folgen, hat Jes 44,24–28 zudem den Charakter einer stark erweiterten Einleitung.29 Insofern ist Jes 44,24–28 zumindest auf Endtextebene als Einleitung zum Kyrosorakel Jes 45,1–8 zu verstehen. Ob man die beiden Abschnitte Jes 44,24–28 und Jes 45,1–8 seit jeher als eine zusammengehörige Einheit betrachten muss,30 ist hingegen fraglich. Der inhaltliche Bezug beider Texte aufeinander kann die ursprüngliche Zusammengehörigkeit dieser Abschnitte nämlich noch lange nicht begründen. Gegen einen einheitlichen Gestaltungswillen, der den 23
Anstelle eines Imperativs an die Himmel „ הרעיפוlasst träufeln“ liest 1QJesa hier „ הריעוjauchzt“. Diese Lesart bestätigt auch LXX εὐφρανθήτω. HERMISSON 2003, 1 deutet die Änderung von 1QJesa vor dem Hintergrund von Jes 44,23 „Jubelt, ihr Himmel, denn JHWH hat es getan! Jauchzt, ihr Tiefen der Erde!“, so dass auch hier ein Hymnus geschaffen werden sollte. Die Lesart von MT ist jedoch gut verständlich und muss nicht aus inhaltlichen Gründen geändert werden. MT wird zudem durch den Parallelismus und die weitere Fortsetzung gestützt. 24 Die Präpositionsverbindung ממעלist mit BERGES 2008a, 368 zum Subjekt zu ziehen und bezeichnet keine Bewegung „von oben“. Anders hingegen PAUL 2012, 258. 25 Zur syntaktischen Deutung vgl. GASS 2012, 307–317. 26 Vgl. DIESEL 2006, 306. 27 Vgl. ELLIGER 1978, 484; GRIMM/DITTERT 1990, 251; KRATZ 1991, 19. MELUGIN 1976, 124 verweist darüber hinaus auf inhaltliche Differenzen zum Vorausgegangenen. KOOLE 1997, 430 sieht zwar verbindende Elemente, betrachtet aber Jes 45,1–7 als eigene Einheit. 28 Vgl. LEUENBERGER 2008, 346. 29 Vgl. WESTERMANN 1966, 125. WESTERMANN 1981, 61–62 bestreitet die Deutung von Jes 44,24–28 als selbständige Einheit, da alle Sätze Appositionen zur Selbstprädikation in Jes 44,24 sind. PAUL, 2012, 251 weist ebenfalls auf verbindende Elemente zu Jes 44 hin. 30 So aber DIESEL 2006, 303–305.
Geschichte und Schöpfung
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Abschnitt Jes 44,24–45,8 angeblich übergreift und der folglich auf eine Hand zurückzuführen wäre, spricht zudem die Verwendung der Kurz- und Langformen des selbständigen Personalpronomens in beiden Abschnitten. Jes 45,1–8 hebt sich somit vom Kontext klar als eigenständige Einheit ab. In Jes 45,9–10 folgen dann zwei Wehe-Rufe, die sich formal mit der Interjektion „ הויWehe“ vom Vorausgegangenen deutlich unterscheiden.31 Diachron betrachtet ist bereits v.8 als Fortsetzung zum Kyrosorakel Jes 45,1–7 formuliert worden, um den abschließenden v.7 zu korrigieren. In v.8 wird zudem nicht mehr Kyros direkt angesprochen, was ebenfalls auf eine Sonderstellung dieses Verses hinweist.32 Außerdem ist v.8 ein korrigierender hymnischer Zusatz, der vermutlich in Verbindung mit Jes 44,23 den vorliegenden Textblock Jes 44,24–45,7 gerahmt hat.33 Der letzte Vers der zu untersuchenden Einheit hebt sich darüber hinaus vor allem inhaltlich vom Kyrosorakel ab. Die Vorstellung von den Wolken, die „Gerechtigkeit“ regnen und der Erde, die „Gerechtigkeit“ bzw. „Heil“ sprießen lässt, ist zumindest neu. Durch v.8 wird darüber hinaus der folgende Abschnitt vorbereitet, in welchem die beiden Worte „Gerechtigkeit“ und „Heil“ als Leitworte auftauchen. Offenbar ist v.8 eine Fortsetzung zum Kyrosorakel. Durch diesen Vers kann zudem die theologisch brisante Aussage, dass Gott für das Unheil ebenfalls verantwortlich ist, dadurch korrigiert werden, dass das Handeln JHWHs eigentlich auf Gerechtigkeit und Heil angelegt ist.34 Wahrscheinlich handelt es sich bei v.8 um einen Brückenvers,35 der das Vorausgegangene präzisiert und das Nachfolgende vorbereitet. Trotzdem bleibt festzuhalten: Jes 45,1–8 kann trotz der Brückenfunktion von v.8 als eine gut abgegrenzte Einheit betrachtet werden. Fraglich ist, ob Jes 45,1–8 ein einheitlicher Text ist. Mitunter könnte man sekundäre Zusätze absondern. Jedoch weist der vorliegende Text keine ernstzunehmenden Doppelungen und Widersprüche auf.36 Zwei formale Beobachtungen zeigen außerdem, dass das Kyrosorakel ein wohldurchdachter Text ist: 31
Vgl. GOLDINGAY/PAYNE 2006, 31. Ähnlich MERENDINO 1981, 125. Nach LEUEN2008, 346 gehört v.8 noch zur JHWH-Rede, da erst v.9 implizit und v.11 explizit einen Neueinsatz markiert. Nach NILSEN 2008, 9 reicht das Kyrosorakel hingegen von Jes 44,24 bis 45,7, wobei die Hymnen in Jes 44,23 und 45,8 einen äußeren Rahmen und die jeweils fünf Partizipialformen und die nahezu wörtliche Wiederholung von Jes 44,24c in 45,7f einen inneren Rahmen bilden. Ähnlich WESTERMANN 1966, 125f.; BAUMGART 2005, 212f. 32 Vgl. HÖFFKEN 1998a, 97f.; BERGES 2008a, 372. 33 Vgl. hierzu WERLITZ 1999, 267f. 34 Vgl. OSWALT 1998, 206. 35 Zur „Brückenfunktion“ von v.8 vgl. HERMISSON 2003, 4. 36 Zu den Doppelungen vgl. KRATZ 1991, 23f.; VAN OORSCHOT 1993, 88–90. ELLIGER 1978, 485–490 wertet solche Auffälligkeiten dahingehend aus, dass dem Kyrosorakel zwei Einheiten zugrunde liegen, die erst redaktionell miteinander verbunden worden seien. Die BERGER
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Gottes Handeln in der Welt
a) Das Kyrosorakel wird durch das dreimalige למעןgegliedert, das in 3b.6a konjunktional37 „damit“ und in 4aP präpositional „um … willen“ verwendet wird. Das Handeln JHWHs in der Geschichte zielt darauf ab, dass zum einen Kyros selbst erkennt, „dass ich JHWH (bin)“ 3c, zum anderen, dass alle Menschen erkennen, „dass nichts (ist) außer mir“ 6b. Zu dieser Erkenntnis soll es kommen, weil JHWH mit Hilfe des Kyros in die Geschichte heilvoll „um seines Knechtes willen“ 4aP eingreift. JHWH steht somit hinter den militärisch-politischen Siegen des Perserkönigs. Das eigentliche Ziel des Kyrosorakels ist jedoch weder die Beistandserklärung für den Perserkönig noch das Heil für Israel, sondern die weltweite Erkenntnis der Einzigkeit JHWHs (6a.b).38 Diese hat sich freilich so nicht eingestellt. Vielleicht drückt sich hier die Hoffnung aus, dass angesichts der Einzigkeit Gottes die weltweite Erkenntnis nur die logische Schlussfolgerung sein muss. Eine solche Hoffnung wurde aber enttäuscht. Das Kyrosorakel besitzt somit als vorrangigstes Ziel die Gotteserkenntnis des Kyros und aller Menschen. All dies geschah um des Knechtes Jakob/Israel willen. Die dreifache Aussage wird durch das dreimalige למעןmarkiert. b) Die refrainartige Selbstvorstellungsformel „Ich (bin) JHWH“ hat ebenfalls gliedernde Funktion.39 Sie wird in 3c eingeführt, in 5b.6d mit dem Zusatz „und keiner (ist) sonst noch“ versehen, in 7f mit der Aussage „der die Gesamtheit dieser Dinge macht“ gesteigert und schließlich in 8g verbal weitergeführt: „ich habe es geschaffen“. Die Bezüge in 8f.g sind schwierig, da sich zwei syntaktische Ansetzungen anbieten: Entweder man deutet hier JHWH als Apposition zum selbstständigen Personalpronomen „ich“, oder man liest zunächst einen Nominalsatz „Ich (bin) JHWH“, dem ein Verbalsatz „ich habe es geschaffen“ folgt. Für die zweite Deutung spricht zumindest das im Kyrosorakel übliche Verständnis eines Nominalsatzes der beiden Worte יהוה אני. Abgeschlossen wird diese Einheit in 8g mit qatal „Ich habe es geschaffen“, einem so genannten Perfectum confidentiae. Diese perfektive Aussage
zweite Einheit sei aber nur noch fragmentarisch erhalten, was eine solche literarkritische Aufteilung doch sehr in Frage stellt. 37 Zu einer Deutung des dreimaligen למעןund der Selbstvorstellungsformel vgl. BERGES 2008a, 391f. KRATZ 1991, 21 weist darauf hin, dass die Konjunktion למעןjeweils einen Hauptsatz benötigt, von dem sie abhängt. Insofern darf zwischen v.5 und v.6 kein syntaktischer Schnitt vorgenommen werden. 38 RECHENMACHER 1997, 146 sieht ebenfalls die universale JHWH-Erkenntnis als Höhepunkt der Einheit. 39 Nach DIESEL 2006, 307 dient die Selbstvorstellungsformel der Legitimierung und Begründung der anstößigen Aussagen des Kyrosorakels.
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bezieht sich zwar auf eine in der Zukunft liegende Entwicklung, betont aber demgegenüber, dass sich die Ankündigung mit Sicherheit durchsetzen wird.40 Das Kyrosorakel weist zudem inhaltlich und formal folgende Struktur auf,41 die dann für den argumentativen Dreischritt Geschichte – Monotheismus – Schöpfung fruchtbar gemacht werden soll: a) JHWHs Handeln an Kyros42 und dessen Gotteserkenntnis mit Begründung durch die Jakob-Israel-Perspektive (1–4a) b) Gotteserkenntnis der Menschheit43 als Folge der Geschichtsmächtigkeit JHWHs, mit der sich die Einzigkeit JHWHs manifestiert (4b–6b) c) Selbstpräsentation JHWHs als Schöpfer (6c–8) Wie in der Redeeinleitung v.1 angedeutet, dreht sich das Kyrosorakel um das Handeln JHWHs an und für den Perserkönig Kyros. Nur am Rand treten ergänzend als weitere Personen Jakob/Israel in 4a und eine weitere Größe in 6a auf, die sich von Ost nach West erstreckt. JHWH ist fast immer das Subjekt der einzelnen Sätze, während Kyros meist das Objekt dieser Sätze bildet. Vor allem in Jes 45,1–3 ist JHWH allein der Handelnde, während die Stärke des Perserkönigs nicht in den Blick genommen wird.44 Aufgrund einer solchen Personenkonstellation geht es im Kyrosorakel vor allem um die Beziehung JHWH – Kyros. Die zusätzlich eingeführten Größen bilden hingegen Begrün40
Vgl. zum syntaktischen Problem DIESEL 2006, 322f. HERMISSON 2003, 2 deutet die Verbform allerdings als Perfectum coincidentiae oder declarationis und übersetzt demnach „Ich, JHWH, erschaffe es!“. Man könnte dann noch ergänzen „hiermit“. Die Verbalform lässt beide Deutungen zu, so dass hier nicht entschieden werden kann, welcher Aspekt dominant wäre. 41 LEUENBERGER 2008, 347 weist noch auf andere Gliederungskriterien hin: kolometrisch, formgeschichtlich, literarkritisch, inhaltlich oder literarisch-dramatisch. KRATZ 1991, 21 schlägt anhand ähnlicher Strukturbeobachtungen folgende Gliederung vor: 2–3, 4–5a, 5b–7. Allerdings stützt das dreimalige למעןdiese Gliederung nicht, zum einen aufgrund seiner Stellung, zum anderen hinsichtlich seiner syntaktischen Anschlussfunktion. GOLDINGAY/PAYNE 2006, 19 schlagen demgegenüber eine chiastische Lesart des Kyrosorakels vor: A Einleitung (1), B JHWHs Zusage (2–3a), C Erkenntnis (3b–4), D JHWHs Selbstprädikation (5a–c), B’ JHWHs Zusage (5d–e), C’ Erkenntnis (6a–b), A’ Schluss (6c– 8). 42 Für PETRY 2007, 204 ist der Name des Perserkönigs sekundär in Jes 45,1 eingedrungen. Ähnlich MERENDINO 1981, 412. Es stellt sich aber die Frage, weshalb Kyros in den Text eingetragen worden ist, obwohl die eigentliche zeitgeschichtliche Wende erst unter Darius eingetreten ist. 43 In 6a ist entgegen ACHENBACH 2005, 172 nicht eine Einschränkung auf die „Judenheit“ anzunehmen, da als Bezugsgröße der 3. Pers. Plural nicht nur Jakob/Israel aus 4aP, sondern auch Völker aus 1aRI1 bzw. Könige aus 1b in Frage kommen können. 44 Vgl. EHRING 2007, 212. Hierauf weist LEUENBERGER 2008, 347 hin, nämlich „dass im Kyros-Orakel wesentlich die Jhwh-Kyros-Relation, näherhin das Handeln Jhwhs an und für Kyros, thematisiert wird“.
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dung und Folgen des göttlichen Handelns an Kyros. Um Jakob/Israel willen und für die künftige JHWH-Erkenntnis der Menschheit hat JHWH den Perserkönig Kyros beauftragt. Die im Kyrosorakel verwendeten Zeitstufen sind ebenfalls aufschlussreich. Die Verbalsätze des zweiten Abschnitts weisen allesamt in die Zukunft und betonen zum einen das zukünftige Handeln JHWHs an Kyros und zum anderen die zukünftige Erkenntnis JHWHs durch die Menschheit. Diesem Handeln JHWHs geht keine Erkenntnis des Kyros voraus. Die monotheistischen Aussagen sind als Nominalsätze formuliert und durativ zu deuten, so dass die JHWH-Erkenntnis durchaus möglich gewesen wäre, aber erst nach dem Geschichtshandeln an Kyros unumgänglich wird, was durch einen imperfektiven Verbalsatz in 6a ausgedrückt wird. Auch wenn sich das Kyrosorakel einer angemessenen Gliederung weitgehend entzieht, sprechen für die obige Struktur verschiedene Beobachtungen: a) Nur in den Rahmenversen des ersten Abschnitts in v.1 und 4a fehlt das ansonsten in jedem Vers verwendete betonte selbstständige Personalpronomen „ אניich“, obschon ein Verzicht darauf aufgrund der Verwendung der ersten Person durchaus wie in 2a möglich gewesen wäre. Das vorangestellte selbstständige Personalpronomen אניist in 2a nämlich syntaktisch zwar überflüssig, betont aber unmissverständlich, wem der Perserkönig die unglaublichen Erfolge zu verdanken hat.45 Außerdem ist v.4 gut in den Kontext integriert. Jakob/Israel ist deshalb in 4aP nötig, da sich das Kyrosorakel in erster Linie nicht an den Perserkönig, sondern an das Volk JHWHs wendet, worauf bereits die enklitischen Personalpronomina 3. Pers. Singular in v.1 hinweisen, die sich auf Kyros beziehen. Kyros wird folglich in v.1 nicht angeredet. Es wird vielmehr über Kyros geredet. Der Adressat ist somit nicht Kyros, sondern das Volk JHWHs. Erst ab v.2 wird Kyros angesprochen. Insofern erübrigt es sich, v.4 als Bearbeitung zu deuten, die hier einen expliziten Bezug zu Jakob/Israel herstellen wollte.46 Das Kyrosorakel richtet sich schon am Anfang in v.1 an Jakob/Israel. Dieser Bezug zu Jakob/Israel wird im Rahmen (v.1 und 4) besonders unterstrichen. b) Der zweite Abschnitt besteht formal aus zwei Teilen mit zwei zukünftigen Handlungen an Kyros (Gabe eines Ehrennamens 4b und Gürtung 5d), denen ein negativer Konzessivsatz (4c.5e) und Nominal- (5a–c.6b) bzw. Verbalsätze (6a) folgen. Dadurch wird zum einen die monotheistische Aussage 5a–c, zum anderen die Zielbestimmung in 6a.b besonders betont. Die beiden Teile werden durch die Handlungen JHWHs an Kyros und die monotheistischen Aussagen zusammengebunden. An der Geschichtsmächtigkeit, die sich
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Vgl. ZAPFF 2001, 276; BERGES 2008a, 397. So aber BERGES 2008a, 392.
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in zukünftigen Taten manifestiert, zeigt sich somit die Einzigkeit JHWHs, die von der Menschheit erkannt werden soll. c) Die beiden Verse des dritten Abschnitts enden jeweils mit אני יהוהund einem Hinweis auf die Schöpfertätigkeit JHWHs.47 Die Partizipien in v.7 sind zudem an die Selbstvorstellungsformel 6c.d angebunden, so dass hier die Selbstvorstellungsformel zum ersten Mal nicht Inhalt des Erkennens ist, sondern einen eigenen Abschnitt einleitet. Aus der Einzigkeit JHWHs folgen somit alle weiteren Gedanken. Die schöpfungstheologischen Aussagen begründen also nicht die Geschichtsaussagen,48 sondern über den richtig vorhergesagten Siegeslauf des Kyros soll die Menschheit die Einzigkeit JHWHs erkennen, auf den deshalb jegliches Schöpfungswirken zurückgeführt werden muss. Da die Partizipien von v.7 einen sachgemäßen syntaktischen Anschluss benötigen, kann die Ausschließlichkeitsformel in 6c weder den Abschluss der finalen Begründung von 6a bilden,49 noch kann v.6 eine spätere Fortschreibung sein.50 Das Kyrosorakel ist folglich in drei Teile gegliedert. Die drei Themen Geschichtsmächtigkeit, Monotheismus und Schöpfung lassen sich darüber hinaus inhaltlich diesen drei Teilen zuweisen, was die innere Geschlossenheit der Texteinheit gegenüber allen literarkritischen Versuchen massiv verteidigt.
2. Geschichte – Monotheismus – Schöpfung 2.1 Vergleich mit der babylonischen Geschichtstheologie Bevor das biblische Kyrosorakel vorgestellt wird, soll das geistesgeschichtliche Umfeld umrissen werden, mit dem sich die exilische Gruppe, die für die Deuterojesajaschrift verantwortlich ist, kritisch auseinanderzusetzen hatte. Die biblischen Autoren haben hierbei wichtige Gedanken der babylonischen Umwelt aufgegriffen und transformiert. Zunächst soll der zeitgeschichtliche Hintergrund knapp geschildert werden: Innerhalb nur einer Dekade hat es Kyros, ein unbedeutender Prinz aus dem persischen Pasargadai, geschafft, drei Großreiche seiner Herrschaft zu unterwerfen: 550 v. Chr. Medien im Nordosten, 541 v. Chr. Lydien im Nord47
BAUMGART 2005, 235 weist darauf hin, dass JHWH nach v.7 über sein Schaffen spricht und nach v.8 an sein Schaffen geht. In v.8 geht es zudem um globales, nicht nationales Heil. Allerdings gibt Gott in v.8 nur die Initiative für das Schaffen, überlässt aber den Schöpfungskräften ihre freie Entfaltung. 48 So noch DILLE 2004, 106. Nach STREIBERT 1993, 37 sind die schöpfungstheologischen Aussagen „die radikalen Konsequenzen aus diesem seinem Monotheismus“. 49 Vgl. KRATZ 1991, 21. 50 So aber ZAPFF 2001, 276f.
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westen51 und schließlich 539 v. Chr. das Babylonische Reich im Westen.52 Von der persischen Walze wurde schließlich der ganze Vordere Orient erfasst und niedergerollt. Ein solch kometenhafter und kaum vorhersehbarer Aufstieg des Perserkönigs wurde von verschiedenen Seiten geschichtstheologisch ausgelegt. Es ging um die Frage, welcher Gott für diese einschneidenden Ereignisse der Weltgeschichte verantwortlich gewesen ist: der Mondgott Sin, der vom babylonischen Großkönig Nabonid besonders verehrt wurde, der babylonische Götterkönig Marduk, den die einflussreiche Mardukpriesterschaft favorisierte, oder JHWH, der Gott der judäischen Exilierten. Nach seiner Rückkehr vom nordarabischen Taymāʾ53 setzte Nabonid sofort alles daran, den altehrwürdigen Mondtempel im aramäischen Harran aufzubauen. Im babylonischen Kernland warb Nabonid ebenfalls für die Durchsetzung des Mondgottes als höchsten Gott im Pantheon.54 An die Stelle des Stadt- und Reichsgottes Marduk trat bei Nabonid allmählich der Mondgott Sin. Durch dessen Verehrung sollte das ganze Reich geeint werden.55 Nabonid sah in der Verehrung des Mondgottes Sin eine identitätsstiftende religiöse Grundlage für sein Staatswesen, zumal Sin im gesamten Großreich hohes Ansehen besaß. Sin war sowohl im aramäischen Norden (Harran) wie im babylonischen Süden (Ur) beheimatet und nicht wie Marduk an nur eine einzige Stadt gebunden. Nabonid betonte trotz alledem neben dem Kult des Mondgottes auch die besondere Geschichtsmächtigkeit Marduks. Der Umstand, dass das zu Ehren Marduks veranstaltete Akitu-Fest mehrere Jahre aufgrund der Abwesenheit des babylonischen Großkönigs ausfiel, muss nicht bedeuten, dass Nabonid Marduk geringschätzte. Die dauerhafte Anwesenheit Nabonids in Taymāʾ könnte der hohen Bedeutung des Arabienfeldzuges und der Sicherung der 51
Der Feldzug gegen Lydien fand wohl erst um das Jahr 541 v. Chr. statt. Hierfür könnte Marm. Par. ep. 42 sprechen, vgl. JACOBY 1904, 13.171. Im Jahr 547 v. Chr. hat sich Kyros II. zudem gegen Urartu gewand, wofür eine neue Lesart der Nabonid-Chronik und die dort genannten Toponyme sprechen, vgl. hierzu ROLLINGER 2008, 56–61. Kritisch zum Befund schon CARGILL 1977, 108–110. Zur alten Chronologie der Unterwerfung Lydiens bereits im Jahre 547 v. Chr. vgl. YOUNG 1988, 33–36; BALTZER 1999, 294 Anm. 123; BRIANT 2002, 35–38; ENG 2004, 220; BERGES 2008a, 376. Eine Mittelposition nimmt HINZ 1983, 401 ein, demzufolge Kyros das Lyderreich durch die Eroberung der Hauptstadt Sardes im November 545 v. Chr. unterworfen habe. 52 BRIANT 2002, 41–43 vermutet, dass es schon vor der endgültigen Übernahme des Babylonischen Reiches durch die Perser Kampfhandlungen gegeben habe, die in den Chroniken aber ausgespart worden seien. Ähnlich schon KUHRT 1990, 134. 53 Vermutlich bereits im Jahr 544/543 v. Chr., vgl. PETRY 2007, 194 Anm. 595. 54 Zu einer allmählichen Bevorzugung Sins gegenüber Marduk vgl. BEAULIEU 1989, 43–65; KRATZ 2004, 40–54, 42f. Kritisch hierzu aber KUHRT 1990, 138f. 55 Zur Suprematie Sins, der Ämter und Funktionen der anderen Götter übernimmt, sei nur auf die Harrān-Stele II,14–26 verwiesen, vgl. hierzu SCHAUDIG 2001, 498.
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Handelswege geschuldet sein,56 so dass hier nicht ein religionspolitischer Affront vorliegen muss. Der babylonische Götterkönig Marduk hatte sich zudem bereits vor der Regentschaft Nabonids zum höchsten Gott im babylonischen Pantheon erhoben, was selbst Nabonid beachtete. Somit konnte Nabonid nicht über die Geschichtsmächtigkeit Marduks einfach hinweggehen. Für Nabonid waren Sin und Marduk aber gleichberechtigte Partner. Marduk war zusammen mit Sin für den Sturz des medischen Reiches verantwortlich, woran Nabonid noch in seinem letzten Regierungsjahr glaubte, als er den Perserkönig zu diesem Zeitpunkt als Knecht Marduks verstand.57 Nabonid schätzete offenbar den Perserkönig Kyros lange Zeit falsch ein. Da Kyros zudem erst 541 v. Chr. das lydische Reich eroberte, wurde er erst um 540 v. Chr. zu einer ernsthaften Bedrohung für das babylonische Reich, welches er ab diesem Zeitpunkt von Ost bis West umklammerte. Nabonid verstand Kyros zunächst als Beauftragten Marduks, der zum Wohle Babylons die Meder beseitigte. Folglich wurde Kyros als ungefährlich für Babylon angesehen, da er im Auftrag Marduks handelte. Aber weit gefehlt! Als Nabonids Großreich von der persischen Walze ebenfalls überrollt worden war, hatte sich die Geschichtsmächtigkeit Marduks erledigt, zumindest in den Augen Nabonids. Die babylonische Mardukpriesterschaft ging im Nachhinein jedoch von einer ganz anderen Geschichtsinterpretation aus, wie der Kyroszylinder belegt. Die Mardukpriester schlossen sich bewusst der persischen Siegermacht an und behaupteten anschließend, dass Marduk den Perserkönig sogar ausgewählt habe, um in seinem Land Babylon wieder Recht und Ordnung einzuführen und die von Nabonid favorisierte Suprematie Sins zu beseitigen. Ob Nabonid aber tatsächlich die Stellung Marduks als obersten Gottes abschaffen wollte, lässt sich aus den Quellen nicht eindeutig beantworten, da sie alle mit einer gewissen Tendenz gegen Nabonid verfasst worden sind.58 Somit entfällt das nachträgliche Argument der Mardukpriesterschaft, dass Nabonid aufgrund seiner Kultfrevel von Kyros beseitigt werden musste. Vielleicht ist der Kyroszylinder sogar von der Besatzungsmacht veranlasst worden, da er formal assyrischen Bauinschriften folgt und zudem der assyrischen Vorgehensweise
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Vgl. PETRY 2007, 199. Vgl. hierzu ALBANI 2000, 97f. Dies folgt aus dem Traum Nabonids auf dem EḫulḫulZylinder von Sippar I,15–29 (SCHAUDIG 2001, 436f.), der in das Jahr 540 v. Chr. datiert werden muss, vgl. BEAULIEU 1989, 34. Zur Datierung dieses Textes in die letzten Regierungsjahre des Nabonid vgl. KRATZ 2004, 43f. Anm. 15. Anders hingegen ENG 2004, 221f., der diesen Traum bereits in das Jahr 556 v. Chr verortet. Zu einer ähnlichen Frühdatierung vgl. YOUNG 1988, 30. 58 Nach KRATZ 2004, 46–49 sind der Kyroszylinder, die Nabonid-Chronik und das Strophengedicht Tendenzschriften, die nach dem Fall Babylons entstanden sind. Ähnlich schon KUHRT 1990, 146. 57
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gegenüber den babylonischen Städten entspricht.59 Diese formalen Gründe sprechen aber nicht notwendigerweise gegen die Mardukpriesterschaft, zumal diese sicher mit den neuen Machthabern in irgendeiner Weise kollaborieren musste. Vermutlich ist es nach der Eroberung Babylons zu einem Abkommen zwischen Kyros und der Mardukpriesterschaft gekommen, um die kultischen Fragen zu klären. Wer bei der Abfassung des Kyroszylinder somit federführend gewesen ist, ist dann ohnehin unerheblich. In Babylon gab es folglich zwei konkurrierende Interpretationen des Siegeslaufs des Perserkönigs, die beide mit Marduk verbunden werden, zum Wohle des Babylonischen Reiches, wie dies noch Nabonid vertrat, und zum Wohle des Mardukkultes, wie dies im Nachhinein die Mardukpriesterschaft behauptete.60 Aber nicht nur hinsichtlich der Geschichtsinterpretation, sondern auch zu anderen Themen des biblischen Kyrosorakels weist der Kyroszylinder interessante Berührungspunkte auf. Die Ähnlichkeiten zwischen Jes 45 und dem Kyroszylinder erklären sich am besten dadurch, dass eine mittelbare Beziehung zwischen beiden Texten angenommen wird:61 a) Geschichte In beiden Texten wird Kyros von der jeweiligen Gottheit in Dienst genommen. Im biblischen Kyrosorakel ist dies in den v.1.4 der Fall. Nach dem Kyroszylinder herrscht der Götterkönig Marduk universal über die ganze Welt,62 so dass er Kyros als seinen irdischen Statthalter berufen kann: „11Alle Länder insgesamt sah er [= Marduk] prüfend an u[nd] 12suchte gründlich und ergriff dann mit seiner Hand einen gerechten König, seinen Herzenswunsch, Kyros, den König der Stadt Anšan, berief er mit seinem Namen, zur Königsherrschaft über das gesamte All nannte er seinen Namen.“63 Im biblischen Kyros59
Vgl. KUHRT 1983, 91f. PETRY 2007, 203 weist noch auf einen weiteren fragmentarischen Kyroszylinder aus Ur hin, der die persische Herrschaftsübernahme mit dem Mondgott Sin verbindet. Offenbar haben die Achämeniden ihre Herrschaft auf die Legitimation der jeweiligen Lokalgottheiten zurückgeführt. Vgl. hierzu KUHRT 1983, 89. 61 Ähnlich schon KITTEL 1898, 159–162. Beide Texte bedienen sich der Sprache und des Stils der altorientalischen Königsinschriften, vgl. GOLDINGAY 2005, 261f.; GOLDINGAY/PAYNE 2006, 18. Gewisse Ähnlichkeiten waren ohnehin schon aufgrund der Sache, die behandelt werden sollte, gegeben. Eine tatsächliche „Auseinandersetzung im Rückraum der Texte“, so aber KRATZ 1991, 165, ist daher nicht unbedingt nötig. Gegen eine literarische Abhängigkeit BARSTAD 1987, 94–100. 62 Zur Universalität Marduks vgl. die so genannte Mardukprophetie bereits aus dem ausgehenden 2. Jt. v.Chr., vgl. hierzu HÖFFKEN 2005, 12. Zur Geschichtsmächtigkeit Marduks vgl. VAN OORSCHOT 2003, 200–205. PAUL 2012, 256 weist darauf hin, dass der assyrische Götterkönig Assur ebenfalls eine universale Erkenntnis seiner Geschichtsmächtigkeit gefordert habe. 63 Übersetzung bei SCHAUDIG 2001, 555. 60
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orakel geht es ebenfalls um universale Aspekte, nämlich um eine universale Gotteserkenntnis in v.6.64 Trotzdem ist eine partikularistische Verzweckung der Berufung in beiden Texten kaum übersehbar. Kyros handelt heilvoll in erster Linie an Babylon bzw. nach v.4 an Jakob/Israel. b) Monotheismus Während im biblischen Kyrosorakel schon von einem expliziten Monotheismus ausgegangen werden kann, wird im Kyroszylinder das polytheistische Pantheon stark hierarchisiert und alles der Herrschaft Marduks, des Königs der Götter, unterworfen. Marduk dominiert das Pantheon und repräsentiert dieses nach außen. Hier sind zumindest in pragmatischer Hinsicht Ansätze zu einem inklusiven Monotheismus erkennbar,65 während im biblischen Kyrosorakel von einem expliziten Monotheismus ausgegangen werden darf. c) Schöpfung Marduk und JHWH besitzen Verfügungsmacht über die lebensfeindlichen Existenzbereiche. Während Marduk indirekt über Kyros handelt, der „aus Not und Bedrängnis alle Welt errettete“66, ist JHWH im biblischen Kyrosorakel direkt als Schöpfer für alles verantwortlich. Jedoch sind vier wichtige Unterschiede zwischen dem biblischen Kyrosorakel und dem Kyroszylinder festzustellen:67 a) Der Kyroszylinder ist ein rückblickender Königsbericht, der das Handeln des Perserkönigs im Nachhinein autorisiert, indem er es mit dem Willen Marduks in Einklang bringt. Die Perspektiven von Marduk und Kyros stimmen gänzlich überein. In einem Königsbericht sind ohnehin keine göttlichen Selbstaussagen zu finden. Der Kyroszylinder ist zudem eine fiktionale Selbstaussage des Perserkönigs.68 Außerdem ist der Kyroszylinder nicht eine Regierungserklärung, sondern eine königliche Bauinschrift.69 Hierfür spricht neben der literarischen und physikalischen Form der Umstand, dass er in den Grundmauern des Marduk-Haupttempels Esangila zu Babylon gefunden wur-
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Nach ALBANI 2000, 96 Anm. 376 ist die weltweite JHWH-Erkenntnis von v.6 auf dem Hintergrund der Konkurrenzsituation zur Mardukverehrung zu sehen. 65 Vgl. hierzu LEUENBERGER 2009, 250f. 66 Übersetzung von Kyroszylinder 19 bei SCHAUDIG 2001, 555. Nach BLENKINSOPP 2011, 509 ist die besondere Schöpfermacht Marduks, die sich mit Jes 45,7 vergleichen ließe, in Enūma Eliš VI 131 belegt. 67 Vgl. LEUENBERGER 2009, 248f. 68 Vgl. ACHENBACH 2005, 172. 69 Vgl. KUHRT 1983, 88; BERGES 2008a, 395; LEUENBERGER 2009, 245. Nach BERGES 2008a, 378 ist der Kyroszylinder kurz nach der Machtübernahme durch den Perserkönig entstanden. Ähnlich PETRY 2007, 191 Anm. 572. Für KUHRT 1990, 144 liefert der Kyroszylinder „post eventum justifications for the defeat of a perfectly legitimate, regular Babylonian ruler“.
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de. Insofern ist der Kyroszylinder kein Propagandatext,70 der die Eroberung von Babylon feiert. Gegen eine solche Form des Propagandatextes spricht schon massiv der Fundort. Denn Propagandatexte sind in der Regel für die Öffentlichkeit bestimmt. b) Das biblische Kyrosorakel ist demgegenüber eine in die Zukunft blickende Gottesrede, mit der JHWH seine Geschichtsmächtigkeit am Erfolg des Kyros unter Beweis stellen möchte. In einer solchen JHWH-Rede ist keine Selbstwahrnehmung des Perserkönigs zu erwarten. Das Ziel des Handelns JHWHs ist schließlich die universale JHWH-Erkenntnis. Jes 45,1–7 ist wohl als Teil der deuterojesajanischen Grundschicht schon vor 539 v. Chr. entstanden.71 Neuerdings wird jedoch die Frühdatierung des biblischen Kyrosorakels in Frage gestellt.72 Allerdings ist eine nachexilische Verbindung mit Kyros kaum plausibel, da die Voraussagen des biblischen Kyrosorakels nicht eingetroffen sind. Es hat sich eben nicht alles erfüllt, wie es das Kyrosorakel vorausgesagt hat. Es stellt sich folglich die Frage, weshalb in nachexilischer Zeit eine Gruppe mit Voraussagen arbeitet, die nur zum Teil eintrafen.73 Denn die monotheistischen Aussagen werden in der Deuterojesajaschrift immer mit der Geschichtsmächtigkeit und dem Weissagungsbeweis begründet. Weil JHWH das Zukünftige nicht nur tut, sondern bereits vorhergesagt hat, ist nur er allein Gott. In nachexilischer Zeit hätte man die Vorhersagen sicherlich dem realen Geschehen angepasst. Das ist jedoch nicht der Fall. Sowohl die Zerstörung und Plünderung Babylons, die in Jes 45,1–3 in den Blick genommen werden, wie auch die universale JHWH-Erkenntnis blieben nämlich aus,74 so dass Jes 45,1–7 kaum nach den tatsächlichen Ereignissen formuliert worden sein kann. Es ist zudem wenig wahrscheinlich, dass nach der friedlichen Be70
So aber OSWALT 1998, 199. Vgl. ZAPFF 2001, 275, der darüber hinaus mit späteren Zusätzen rechnet. ELLIGER 1978, 490f. vermutet, dass das biblische Kyrosorakel vor dem Fall Babylons formuliert wurde. Nach WESTERMANN 1981, 66 sei das biblische Kyrosorakel vor dem Kyroszylinder verfasst worden, so dass keine literarische Abhängigkeit anzunehmen wäre. Inhaltlich ist nach LAATO 1992, 183 Anm. 47 das Kyrosorakel eine Reflexion der Situation vor dem Fall Babylons. 72 Vgl. PETRY 2007, 203–215. Nach FRIED 2002, 378f. hat die Gruppe, die für die Deuterojesajaschrift verantwortlich ist, zwischen der Eroberung Babylons durch Kyros und der Regierung des Darius gewirkt. 73 REINWALD 1956, 122 erklärt den Unterschied zwischen Weissagung und Erfüllung damit, dass Weissagungen immer mit Bedingungen an die Adressaten verbunden seien, die eingehalten werden müssten, und dass der Zeitpunkt der Erfüllung der Vorhersagen nicht immer klar bestimmt werden könne. 74 Vgl. hierzu WERLITZ 1999, 176; ALBERTZ 2001, 300; ALBERTZ 2003, 373f. Ob freilich in v.1 eine nachträgliche Korrektur aufgrund der friedlichen Einnahme Babylons vorgenommen worden ist, so WERLITZ 1999, 177f.; ZAPFF 2001, 275, bleibt fraglich. Vgl. hierzu die Gegenargumente von EHRING 2007, 211. 71
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handlung Babylons und der Restauration des Marduk-Kultes der Perserkönig den Ehrentitel „Gesalbter“ bekam.75 Die Botschaft der Gruppe um Deuterojesaja war darüber hinaus nicht nur politisch unglaubwürdig, sondern theologisch anstößig, da ein fremder Herrscher wie ein Davidide als Gesalbter bezeichnet wurde.76 Somit könnte das biblische Kyrosorakel auf propersische Propaganda aus der Zeit vor der Eroberung Babylons zurückgehen. Mit dem Kyrosorakel wollte man offenbar den Perserkönig als Werkzeug JHWHs zum Heil für Jakob/Israel stilisieren.77 Mit dem Jahr 538 v. Chr. sind jedoch die Erwartungen an Marduk durch Nabonid und an JHWH durch die Israeliten nicht erfüllt worden. Zum einen ist das Babylonische Reich untergegangen, zum anderen wurde Babylon nicht zerstört.78 c) Der theopolitische Rahmen der beiden Texte muss unterschieden werden. Hinter den Aussagen des Kyroszylinders steht vermutlich die einflussreiche Mardukpriesterschaft, die vom Sieg des Perserkönigs politisch und ideologisch profitierte, obschon sie zu den unterlegenen Babyloniern gehörte. Trotzdem schloss sie sich der persischen Siegermacht an und hielt daran fest, dass ihr Gott Marduk in seiner Stadt und in seinem Land mit Hilfe des fremden Herrschers Recht und Ordnung wieder einführte. Ganz anders der Kreis hinter der Deuterojesajaschrift: Nach der biblischen Konzeption kämpft ein Fremdherrscher auf fremden Boden für die eigenen Ziele mit der Hilfe JHWHs. Dieser Fremdherrscher handelt im Auftrag JHWHs nicht nur in Israel/Juda, sondern weltweit. Die Indienstnahme des Kyros als Gesalbter durch
75 Nach FRIED 2002, 378f. wollte die Gruppe, die für die Deuterojesajaschrift verantwortlich ist, mit ihrem Kyrosorakel die Königstheologie der Davididen auf den Perserkönig übertragen, um die Akzeptanz des fremden Herrschers über die persische Provinz Yehud sicherzustellen. Ähnlich BLENKINSOPP 2011, 498. 76 Vgl. zu dieser Provokation GRIMM/DITTERT 1990, 252; ALBERTZ 1992, 433; HÖFFKEN 1998a, 94; OSWALT 1998, 200; BALTZER 1999, 293f.; DILLE 2004, 105. Mit diesem Titel ist allerdings nach WESTERMANN 1966, 130 nur ein einmaliger Auftrag verbunden. JENNI 1956, 102 weist darauf hin, dass mit dem Titel „Gesalbter“ lediglich „die hohe Herrscherstellung des auserwählten Werkzeuges“ ausgedrückt werde. Auf alle Fälle wird Kyros stärker als jeder andere ausländische Herrscher „israelitisiert“, vgl. HÖFFKEN 1998a, 94. Nach BERGES 2008b, 255 ist bei lectio continua des Jesajabuches die irdische Königserwartung beendet. Selbst ein fremdländischer Herrscher kann nicht in diese Position aufsteigen. Nach rabbinischer Tradition bezieht sich der Gesalbtentitel auf den Propheten, der „bezüglich Kyros“ informiert wird, vgl. PAUL 2012, 252. 77 Vgl. hierzu WERLITZ 1999, 175f. Die propersische Propaganda stammt noch aus der Zeit vor der Eroberung Babylons, vgl. JENNI 1956, 100; ALBANI 2000, 101f. Dagegen aber PETRY 2007, 195–197. 78 Vgl. VAN OORSCHOT 2003, 204.
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JHWH bedeutet darüber hinaus, dass Israel aufhörte, eine politische Größe mit einem eigenen König zu sein.79 d) Nach dem Kyroszylinder legitimiert der fremde babylonische Gott Marduk den ausländischen Perserkönig Kyros zur Machtübernahme, wobei dieser Fremdherrscher dann im Anschluss den babylonischen Götterkönig verehrte. Im Gegensatz dazu blieb eine Anerkenntnis JHWHs durch Kyros aus.80 Das biblische Kyrosorakel widerspricht folglich dezidiert dem propersischen Kyroszylinder: Nicht Marduk, sondern JHWH half dem Perserkönig. Das biblische Kyrosorakel lässt sich aber bestens vor dem Hintergrund der innerbabylonischen Auseinandersetzung um die Suprematie und Geschichtsmächtigkeit Marduks lesen. Im folgenden Abschnitt soll die biblische Argumentationsstruktur vorgestellt werden, vor allem wie in Jes 45,1–8 die drei Themen Geschichte, Monotheismus und Schöpfung miteinander verbunden werden konnten. 2.2 Das biblische Kyrosorakel 2.2.1 Geschichte – erster Abschnitt 1–4a Im ersten Abschnitt des Kyrosorakels geht es um die Geschichtsmächtigkeit JHWHs. Nach der umfangreichen Schilderung81 des Beistandes JHWHs für Kyros führt der erste Abschnitt zu einer doppelten Zielbestimmung „damit du erkennst, dass ich JHWH (bin)“ 3b.c und „(dass) der (dich) bei deinem Namen Rufende der Gott Israels (ist)“ 3d. Durch den letzten identifizierenden Nominalsatz 3d wird der Anschluss zu 4a hergestellt, der die Motivation für JHWHs Geschichtshandeln angibt. Vermutlich handelt es sich in 3d nicht um Appositionen zum vorangegangenen Gottesnamen JHWH.82 „Gott Israels“ ist wohl 79
Ähnlich ZAPFF 2001, 275, demzufolge hier das „Ende eines nationalen Königtums in Israel angezeigt ist“. BARTELMUS 2009, 15–24, 22 sieht die davidische Hoftheologie durch die Einsetzung eines Nicht-Israeliten als Gesalbten relativiert. PETRY 2007, 205–213 denkt hier bereits an die nachexilische Zeit, als der Zweite Tempel von den Perserkönigen als Reichsheiligtum ausgebaut wurde. Die Perserkönige traten damit ganz konkret die Nachfolge der Davididen an. 80 Anders allerdings Flavius Josephus, der von der Zuweisung der Deuterojesajaschrift an den Propheten Jesaja ben Amoz aus dem letzten Drittel des 8. Jahrhunderts ausging. Die Prophetie des historischen Jesaja sei dem Perserkönig nach der Eroberung bekannt geworden, was dann schließlich auch die Zuwendung zu JHWH bewirkt habe [Jos Ant XI 1,2 (5– 7)]. 81 Nach LEUENBERGER 2008, 348 markiert der Wechsel zu w-qatal in 3a eine Zäsur. Aufgrund der imperfektiven Progressform ist v.3 die Folge aus v.2, so dass die Bereicherung des Kyros eine Folge aus JHWHs vorgängigem Handeln ist. Aus alledem soll dann die Erkenntnis folgen, dass JHWH, der Gott Israels, dem Perserkönig zum Erfolg verholfen hat. 82 So aber FOKKELMAN 1997, 303–323, 317.
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eher Prädikatsnomen, so dass man einen identifizierenden Nominalsatz erhält, der parallel zu 3c von der Erkenntnis des Perserkönigs 3b abhängt, obschon hier auf die Konjunktion כיverzichtet werden konnte.83 Es geht folglich um eine zweifache Erkenntnis des Kyros: zum einen, dass JHWH der beauftragende Gott ist (3b.c) und zum anderen, dass der Gott Israels hierfür verantwortlich ist (3d). Von einer monotheistischen Aussage ist hier noch nichts zu spüren. Im ersten Abschnitt wird gegenüber den Mardukanhängern betont: Nicht Marduk, sondern JHWH hat Kyros zu seinem Werkzeug berufen. Argumentativ soll somit den Adressaten gezeigt werden, wer der eigentliche Herr der Geschichte ist. Wenn Kyros JHWH erkennen soll, so sollte den Autoren nicht unterstellt werden, sie hätten gehofft, Kyros würde sich zum JHWH-Glauben bekehren. Kyros soll vielmehr erkennen, dass er lediglich als Vasall des Weltenkönigs JHWH seinen Siegeslauf vollziehen konnte.84 Es geht hier vor allem darum, dass Kyros am Lauf der Geschichte erkennen soll, dass ihn weder sein Gott Ahura-Mazdā noch der babylonische Götterkönig Marduk zu seinem Erfolg beauftragt und befähigt hat, sondern allein JHWH, der Gott Israels. Insofern muss 3b–d nicht spätere Ergänzung sein, die sich der toleranten persischen Religionspolitik verdankt.85 Das Idiom „ קרא בשׁםbeim Namen rufen“ ist darüber hinaus im Kontext des Patronatsrechts zu verstehen. Der Dienstherr gewährt seinem Vasallen Beistand und Schutz, erwartet aber im Gegenzug die Erfüllung von Befehlen durch den Vasallen.86 Hier ist somit die Indienstnahme des Kyros durch JHWH im Blick. Der eigentliche Adressat des Kyrosorakels ist überdies nicht Kyros, sondern das Volk Israel,87 was in der Verwendung der 3. Pers. Singular in v.1 deutlich wird. Hier wird über Kyros gesprochen. Erst ab v.2 wird Kyros direkt angesprochen.88 Der Adressat – Israel – wirkt zudem noch aus der vorausgegangenen Einheit Jes 44,24–28 weiter.89 Die Rede an Kyros Jes 45,2–7 83
Vgl. ELLIGER 1978, 494; GOLDINGAY/Payne 2006, 23f. Ähnlich OSWALT 1998, 201f. WERLITZ 1999, 178 geht sogar davon aus, dass bereits in v.3 unterschwellig die Entscheidung des Perserkönigs für Marduk angezeigt wird. GROSS 1992, 34–46, 46; LAATO 1992, 184 rechnen jedoch damit, dass Kyros JHWH als einzigen Gott erkennen werde. 85 Vgl. ZAPFF 2001, 276. 86 Vgl. ELLIGER 1978, 494f. Zu Parallelen für dieses Idiom vgl. PAUL 2012, 255. 87 Vgl. KOOLE 1997, 432; OSWALT 1998, 200; DILLE 2004, 103; GOLDINGAY 2005, 261. Vgl. BERGES 2008a, 390f., der von einer Überblendung zweier Kommunikationsebenen ausgeht. 88 Vgl. hierzu FOKKELMAN 1997, 314. BAUMGART 2005, 223f. rekonstruiert im Kyrosorakel sogar drei Kommunikationsebenen. 89 Vgl. DIESEL 2006, 306. Ob hier tatsächlich eine zurückliegende JHWH-Rede an Kyros vorliegt, so KRATZ 1991, 78, ist zumindest fraglich. 84
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wird dadurch in die Rede an Israel eingeschoben. Durch die Stilisierung von Jes 45,2–7 als direkte Anrede an Kyros wird das geschilderte Geschehen für Jakob/Israel real und gegenwärtig.90 Der erste Abschnitt endet in v.4 mit einer Erklärung, warum JHWH den Siegeszug des Perserkönigs inszeniert hat. Der Auftrag, den Kyros bekommen hat, bezieht sich explizit auf JHWHs Volk. Dies wird durch die PendensKonstruktion mit anschließendem wayyiqtol besonders betont.91 Da das wayyiqtol die logische Folge aus dem Vorangehenden betont, wird hier unterstrichen, dass die Berufung des Kyros letzten Endes auf die Befreiung Israels aus dem Exil abzielt.92 Der bedauerliche Zustand seines Volkes ist für JHWH Anlass genug, in die Geschichte einzugreifen. Durch eine solche Begründung wird deutlich, dass der Perserkönig einem weltpolitisch unbedeutenden Volk dient. JHWH ist demnach der geschichtsmächtige Gott, der überall auf der Welt wirken kann. 2.2.2 Monotheismus – zweiter Abschnitt 4b–6b Der zweite Abschnitt verbindet die Beauftragung des Perserkönigs explizit mit monotheistischen Aussagen. Er beginnt in 4b mit einer yiqtol-Form, die sich markant vom Vorausgegangenen abhebt.93 Während Kyros nach 4a bereits in der Vergangenheit berufen wurde, wird er nach 4b in der Gegenwart zusätzlich mit einem Ehrennamen ausgestattet. Der Vers endet mit einem Konzessivsatz: „obwohl du mich nicht kanntest“. JHWH ist der einzige Gott, der selbst fremde Herrscher, die ihn nicht kennen, nach seinem Willen lenken kann.94 Hier zeigt sich die absolute und universale Souveränität JHWHs. JHWH benutzt zur Durchsetzung seiner Ziele einen ausländischen Herrscher, der ihn weder kannte noch kennt, aber trotzdem seine Mission erledigt,95 die er von JHWH zugedacht bekam. Der negierte Konzessivsatz von 4c wird zudem in 5e wiederholt. Offenbar bestand zwischen der Erwählung des Perserkönigs durch JHWH und dem Faktum, dass Kyros vor und nach dem Fall Babylons 90
Vgl. DIESEL 2006, 307. Anders hingegen RECHENMACHER 1997, 142, der den Gesalbten für den Adressaten der Rede hält. 91 Vgl. zur Syntax GK § 111h und 143d. Zu weiteren Beispielen, bei denen die pendierende Präpositionalgruppe nicht aufgenommen und mit wayyiqtol weitergeführt wird, vgl. GROSS 1987, 93. 92 Vgl. ELLIGER 1978, 496. 93 Ein solcher formaler Einschnitt wird meist übersehen, vgl. hierzu nur ACHENBACH 2005, 160. 94 Vgl. ELLIGER 1978, 496f. Syntaktisch anders hingegen WESTERMANN 1966, 124f., der 4c mit „der du mich nicht kennst“ und 5e mit „und du kennst mich nicht“ übersetzt. Zum Verständnis von לא+ qatal als „ohne dass“ vgl. GK § 156f, was ausschließenden Charakter hat. 95 Möglicherweise sind die negativen Konzessivsätze gegen die Zweifel der Exilierten gerichtet, vgl. ALBANI 2000, 94 Anm. 362.
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nie im Namen JHWHs gehandelt hat, ein Widerspruch, dem man begegnen musste. Auch wenn Kyros gemäß 3b–c JHWH erkennen sollte, blieb dessen JHWH-Erkenntnis aus. Durch eine Aufnahme von 4c in 5e wird der Abschnitt zudem argumentativ zusammengebunden. Gerade in der Wiederholung dieses Satzes zeigt sich die Wichtigkeit der Aussage, dass Kyros JHWH eben nicht kannte.96 Auf das zweifach gegenwärtige Geschichtshandeln JHWHs an Kyros (aktuelle Gabe eines Ehrennamens in 4b und Gürtung in 5d) folgt jeweils eine monotheistische Aussage, die von den beiden Konzessivsätzen gerahmt wird. Durch eine solche Inklusion wird die erweiterte Ausschließlichkeitsformel in 5a–c zusätzlich betont. Die Selbstvorstellungsformel findet sich in der neuassyrischen Prophetie meist am Anfang des Spruchs. Dies ist auch insofern angezeigt, als in einem polytheistischen System die sprechende Gottheit dem Adressaten verdeutlichen muss, wer denn jetzt zu ihm spricht. Das ist aber sicher nicht der einzige Grund für die Verwendung dieser Formel. Denn die Selbstvorstellung kann ebenso am Schluss stehen. Außerdem findet sich diese Formel bisweilen an Wendepunkten der Argumentation und verleiht so dem Text ein größeres Pathos.97 Im biblischen Kyrosorakel wird die Selbstvorstellung hingegen zu einem monotheistischen Manifest ausgebaut. Es geht folglich nicht nur um eine Betonung des selbstständigen Personalpronomens im Sinne von „ich (und sonst keiner) (bin) JHWH“, sondern um die Frage, wer eigentlich Gott ist,98 worauf der Nachsatz hinweist. Trotz solcher Zeichen der Geschichtsmächtigkeit erkannte Kyros JHWH nicht und das ist das eigentliche Paradox.99 Der Nominalsatz in 5b „keiner (ist) sonst noch“ ist problematisch, da hier kein erstes Syntagma genannt wird. Das getilgte erste Syntagma kann darüber hinaus kaum aus dem unmittelbaren Kontext erschlossen werden. Denn syntaktisch kann man die Leerstelle nicht mit dem Tetragramm aus 5a füllen,100 im Sinne von: „Ich (bin) JHWH und es gibt sonst keinen JHWH“.101 Eine solche Deutung setzt entweder voraus, dass es mehrere Gottheiten des Namens „JHWH“ gab oder dass der Name eine bestimmte Bedeutung hatte, vielleicht der „Wirkende“. Demgegenüber wäre aber auch denkbar, dass hier bewusst objektlos formuliert wurde, um zu zeigen, dass es außerhalb von JHWH keine 96
Vgl. WESTERMANN 1966, 130. Vgl. WEIPPERT 2001, 42f. 98 Vgl. GOLDINGAY 2005, 267. 99 Nach GITAY 1981, 186 bewirkt gerade die Doppelung, dass Kyros JHWH nicht erkannt hat, dieses Paradoxon. 100 Vgl. RECHENMACHER 1997, 143. Ähnlich GOLDINGAY/PAYNE 2006, 26, die als erstes Syntagma stattdessen Gott einsetzen. 101 Nach DIESEL 2006, 315f. wäre dieses Objekt aus dem unmittelbaren Kontext zu erschließen und mit JHWH gleichzusetzen. Gegen eine solche Deutung aber GOLDINGAY/ PAYNE 2006, 25. 97
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ernstzunehmende Wirkgröße geben kann. Der Doppelsatz 5a.b kann eigentlich nur folgendermaßen verstanden werden: „Ich bin JHWH, und sonst gibt es keinen [Gott]“. Mit der ersten Ergänzung zur Selbstvorstellung „keiner (ist) sonst noch“ in 5b wird somit die Alleinigkeit JHWHs betont.102 Es ist demnach mehr als nur eine bloße Selbstvorstellung. Im zweiten Zusatz 5c „außer mir nicht (ist) Gott“ zeigt sich die Exklusivität JHWHs, die allen anderen Gottheiten ihre Existenz bestreitet. Der Begriff אלהיםist eine Gattungsbezeichnung. Gottheit kann folglich nur JHWH sein. JHWH ist der einzige Inhalt des Gattungsnamens אלהים.103 Außer JHWH gibt es keinen anderen Gott, alle angeblichen Götter sind Götzen, aber nicht unter die Gattungsbezeichnung אלהיםzu fassen. In 5b und 5c wird somit betont: JHWH allein ist Gott und er ist wirklich Gott im Gegensatz zu den Götzen. Damit ist das monotheistische Bekenntnis bereits vollkommen ausgeführt. Hier wird eine exklusive Theologie entwickelt: kein Gott außer JHWH. Diese Theologie ist radikaler als der inklusive Ansatz der Marduk-Theologie, der hinter allen göttlichen Manifestationen, also allen Elohim, den einen Gott Marduk sieht.104 In v.6 verbindet sich die Ausschließlichkeitsformel darüber hinaus mit den schöpfungstheologischen Aussagen.105 Zu JHWHs Gottsein gehört es darüber hinaus, dass er sich seine Werkzeuge selbst aussucht, egal ob diese ihn kennen oder nicht. Auch wenn der Perserkönig das Ende des babylonischen Exils bringen wird, bleibt er von der Erkenntnis des einzigen Gottes offenbar weit entfernt, woran die Indienstnahme durch JHWH nichts ändern wird. Die Aussage „obwohl du mich nicht kanntest“ gilt ebenfalls für die Gegenwart, da sich die Verbformation qatal bei Verben für geistige Affekte auf die generelle Gegenwart beziehen kann.106 Der Perserkönig kannte JHWH nicht und kennt ihn zum Zeitpunkt nicht, als er von JHWH zu seinem Dienst gegürtet wird. Hier behauptet demnach eine Gruppe im Voraus, nicht Marduk, sondern JHWH wird dies alles bewirken. Schließlich sollen alle Menschen nach v.6 erkennen, dass es außer JHWH „keinen sonst“ noch gibt. Für die ganze Welt ist folglich die JHWH-Erkenntnis
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Nach HAAG 1972, 180 ist dieser Nominalsatz ein „Lieblingstheologumenon des Deuterojesaja“. Es gehe bei diesem Nominalsatz allerdings nicht nur um das Alleinsein JHWHs, sondern auch um das Alleinwirken JHWHs, worauf dann schließlich der dritte Abschnitt folge. Nach KOOLE 1997, 439 ist JHWH unvergleichlich. Es gibt keinen anderen Gott, der ähnlich mächtig wäre. BLENKINSOPP 2011, 510 zieht noch eine Parallele zur Marduktheologie in Enūma Eliš. 103 Vgl. BERGES 2008a, 402. 104 Zur Marduk-Theologie vgl. ALBANI 2000, 37–74. 105 Eine weitere Steigerung, die LEUENBERGER 2008, 351 annimmt, ist hingegen nicht nötig. 106 Zum Problem der Zeitstufe vgl. OSWALT 1998, 198.
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das angestrebte Ziel.107 Der Satz 6b „dass nichts (ist) außer mir“ bzw. „außerhalb von mir“ ist zudem eine sehr weitausgreifende Aussage. Denn אפס, das Subjekt des Nominalsatzes, heißt „Nichts, Äußerstes, Ende“. Außerhalb JHWHs ( )בלעדיgibt es somit keinen eigenständigen Bereich, nur das Nichts ()אפס. Die Wirksamkeit JHWHs ist folglich weltumspannend und kommt nie an eine Grenze.108 2.2.3 Schöpfung – dritter Abschnitt 6c–8 Im dritten Abschnitt wird das Schöpfungshandeln JHWHs in den Blick genommen. Nachdem in v.5 JHWH als einziges Element der Gattung „Gottheit“ festgestellt worden ist, muss jede Schöpfungstätigkeit ebenfalls mit ihm verbunden werden. Die Schöpfungsaussagen in v.7 sind somit das Ergebnis eines konsequenten Monotheismus. Wenn außer JHWH nichts und niemand ist, dann muss alles auf JHWH zurückgeführt werden: das Licht, aber eben auch die Finsternis, das Heil, aber eben auch das Unheil.109 Aus der Einheit und Einzigkeit JHWHs folgt demnach, dass JHWH für Heil und Unheil zuständig sein muss. JHWH ist somit für die gesamte Lebenswirklichkeit verantwortlich. Aufgrund der Partizipialformen ist v.7 vom Fazit in 6c.d abhängig und erläutert die Einzigkeit JHWHs.110 Die Sätze 7a–d sind demnach keine eigenständigen Nominalsätze mit getilgtem Subjekt, sondern Partizipien, die sich an den vorausgegangenen Vers direkt anschließen. Die schöpfungstheologischen Aussagen in v.7 sind somit die Folgerung aus der geschichtstheologisch begründeten Einzigkeit JHWHs.111 Die drei theologischen Koordinaten Geschichte – Monotheismus – Schöpfung, die das Kyrosorakel gliedern, sind demnach logisch streng aufeinander bezogen.
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GOLDINGAY 2005, 267 weist zusätzlich darauf hin, dass es im Kyrosorakel nicht um die Dichotomie zwischen Universalismus und Nationalismus gehe, sondern dass allein JHWH im Mittelpunkt stehe, was durch die Verwendung der Präposition למעןin Verbindung mit Kyros, Jakob/Israel und schließlich der Welt verdeutlicht werde. 108 Ähnlich KOOLE 1997, 440. 109 Zu verschiedenen Deutungsmöglichkeiten von v.7 vgl. NILSEN 2008, 6f. 110 Vgl. hierzu NILSEN 2008, 8f. Anm. 14; LEUENBERGER 2008, 354f. Diese Abhängigkeit haben bereits WESTERMANN 1966, 131f.; HAAG 1972, 179f. erkannt. RECHENMACHER 1997, 146 betont: „Die Ausschließlichkeit Jahwes begründet dabei indirekt die Berechtigung der ergangenen Zusagen ... Sie wird in 7a–f expliziert durch seine universale Schöpfungs‚zuständigkeit‘.“ 111 Nach ACHENBACH 2005, 157 soll das Kyrosorakel begründen, „wie es auch von JHWH her legitim ist, dass mit den Achämeniden ein heidnischer Herrscher die Regentschaft über Israel erhalten hat“. Dabei wird aber übersehen, dass eigentlich die Geschichtsmächtigkeit innerhalb des Kyrosorakels Jes 45,1–7 den Monotheismus begründet. Außerdem sind die monotheistischen Aussagen für eine Herrscherlegitimation nicht notwendig.
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Die hier verwendeten Wortpaare „Licht“ – „Finsternis“, „Heil“ – „Unheil“ beschreiben jeweils eine Totalität.112 Nicht nur das Extrem wird in den Blick genommen, sondern alles, was sich dazwischen befindet, nicht nur schwarz und weiß, sondern alle Graustufen. In 7f wird dann zusammengefasst: „der die Gesamtheit dieser Dinge macht“. Damit ist v.7 eine Steigerung von Jes 44,24, wo ebenfalls JHWH mit fünf Partizipialformen verbunden wurde. In Jes 44,24 steht zudem eine Kurzform von 7f: „Ich (bin) JHWH, der die Gesamtheit macht“.113 Aus alledem folgt die vollständige Ohnmacht aller konkurrierenden Götter, die ja ohnehin nur Götzen sind. Denn JHWH muss als einziger Gott für alle Dinge verantwortlich sein.114 Durch 7f wird zudem der gesamte Inhalt des Kyrosorakels zusammengefasst. Es handelt sich um eine Totalitätsaussage.115 Die Zeitdimension der Partizipialformen ist nicht eindeutig zu bestimmen. Es geht hier vor allem um das Dass des schöpferischen Handelns, nicht aber um das Wann.116 Eine solche Partizipialkonstruktion zielt vor allem auf die Dauerhaftigkeit der Handlung, schließt aber andere Zeitstufen wie Vergangenheit oder Zukunft nicht aus. Durch die Verwendung von Partizipialformen wird unterstrichen, dass es sich nicht um einen einmaligen und abgeschlossenen Vorgang handelt, sondern dass das Schöpfungswerk andauert, sich ständig wiederholt und über die Zeiten hinweg in Bewegung bleibt. Der Hauptton in 7a–d liegt jeweils auf dem zweiten negativen Glied, bei dem beide Male der terminus technicus für göttliches Schöpfungshandeln „ בראschaffen“ gebraucht wird. בראist im Alten Testament JHWHs analogielosem Handeln vorbehalten.117 Dadurch wird lexikalisch die Aufmerksamkeit des Rezipienten auf den jeweils zweiten Teil der Totalitätsaussage gelenkt. In 7a.c werden hingegen unspezifische Verben gebraucht, die das menschliche Tun ebenfalls bezeichnen können. Der Aussageschwerpunkt von v.7 liegt
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Zu den polaren Wortpaaren vgl. FOKKELMAN 1997, 322f. Auf die Ähnlichkeit beider Verse weist FOKKELMAN 1997, 304 hin. Insofern bilden Jes 44,24 und 45,7 eine Inklusion, wofür die Verwendung von Trikola anstelle der ansonsten üblichen Bikola spreche. Allerdings setzt er in Jes 45,7 offenbar Nominalsätze an, wobei als Subjekt das selbstständige Personalpronomen aus 6c weiterwirkt. 114 Vgl. hierzu GROSS 1992, 44: „Einzigkeit und Totalität bedingen sich gegenseitig; der einzige Gott JHWH steht als einziger Schöpfer und als einziger Geschichtslenker der Welt und der Geschichte Israels und aller Völker insgesamt gegenüber.“ 115 Vgl. GROSS 1992, 44. Ähnlich ELLIGER 1978, 501; GOLDINGAY/PAYNE 2006, 28. 116 Vgl. hierzu BAUMGART 2005, 211f., der allerdings den vergangenheitlichen Aspekt stark macht: „Inhaltlich dürften die Abstrakta von V.7 Gewesenes und Vorhandenes anvisieren, ohne ihre Aussagekraft für Zeitloses oder Künftiges einzubüßen.“ Nach ELLIGER 1978, 499 ist hingegen „die bis zur Gegenwart weiterschaffende Sorge des Schöpfers für den Fortbestand seiner Schöpfung“ im Blick. 117 Für STREIBERT 1993, 43 betont das Verbum בראein „analogieloses, neuartiges Handeln Jahwes“. 113
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demnach auf „Finsternis“ und „Unheil“.118 Im Unterschied zur Priesterschrift wird בראin der Deuterojesajaschrift nicht nur für den Bereich der Natur, sondern auch für den Bereich der Geschichte verwendet.119 Das Wortpaar Licht und Finsternis sollte in v.7 darüber hinaus nicht von Gen 1 her verstanden werden.120 Es geht vielmehr in der Deuterojesajaschrift um Gottes schöpferisches Handeln in der Geschichte. Vielleicht sind die beiden Lexeme אור und חשׁךsogar historisch-symbolisch auf das Exil hin zu deuten.121 Oft hat man eine Beeinflussung der Deuterojesajaschrift durch den persischen Zoroastrismus vermutet, so dass in Jes 45,7 der persische Dualismus kritisiert werden sollte.122 Allerdings kann in Jes 45 keine direkte literarische Abhängigkeit vorliegen, zumal überlieferungstechnisch die persischen Texte nur über die Inschriften der Achämeniden zugänglich waren, was für die Autoren der Deuterojesajaschrift nahezu ausgeschlossen ist, zumal diese bereits zur Zeit des Siegeslaufes des Perserkönigs Kyros arbeiteten und noch nicht an solche Texte herankommen konnten. Außerdem ist unbekannt, wie die Religion der Perser unter Kyros tatsächlich aussah und ob Kyros überhaupt Zoroastrier war. Zwar war die Ahura Mazdā Vorstellung, wie sie in den Gāthās belegt ist, schon früher als das 6. Jh. v. Chr. verbreitet, so dass dieses Gedankengut bereits auf die frühen persischen Großkönige eingewirkt haben könnte. Aber für Kyros bleibt dies spekulativ. Hinzu kommt der Umstand, dass diese religiösen Texte nur in Avestisch überliefert waren, was es nahezu ausschließt, dass judäische Theologen davon beeinflusst werden konnten.123 Darüber hinaus ist fraglich, weshalb im Rahmen dieses dem Kyros so entgegenkommenden Orakels plötzlich die persische Religion angegriffen werden sollte. Die Autoren der Deuterojesajaschrift wandten sich vor allem gegen das babylonische Weltbild, das von Polytheismus und Bilderverehrung geprägt war, nicht aber gegen einen Dualismus von Licht und Finsternis. Im bibli118
Vgl. GOLDINGAY 2005, 268. Natur: Jes 40,26.28; 41,20; 42,5; 45,12.18; Geschichte: Jes 43,1.7.15; 48,7; 54,16. STUHLMUELLER 1970, 213 betont, dass בראin der Deuterojesajaschrift immer in Verbindung mit einer „creative redemption of Israel“ verbunden ist, die JHWHs Kontrolle auch über das Böse unterstreicht. STUHLMUELLER 1970, 198 weist darüber hinaus darauf hin, dass es hier vor allem um eine Kontrolle des Bösen durch JHWH geht. Jedoch wird bei einer solchen Argumentation das theologische Problem der Erschaffung des Unheils durch JHWH heruntergespielt. Nach STOEBE 1984, 110 wird durch diese Idiomatik betont, „welche Funktion auch das raʿ in der sich immer wieder bewährenden Schöpfersouveränität Jahwes hat.“ 120 Vgl. BAUMGART 2005, 208–210. Nach KOOLE 1997, 441 geht es hier um die verlässliche Aktivität JHWHs, der den Rhythmus von Tag und Nacht aufrechterhält. 121 Vgl. hierzu NILSEN 2008, 19f. 122 Vgl. zum Problem ACHENBACH 2005, 173–183. Ähnlich LAATO 1992, 185 Anm. 52; RÖMER 2002, 57. Schon REINWALD 1956, 121 vermutete, dass hier der Perserkönig vom Dualismus, dem Grundübel seiner Religion, befreit werden sollte. 123 Vgl. BLENKINSOPP 2011, 506. 119
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schen Kyrosorakel wird somit kaum gegen den persischen Dualismus zu Felde gezogen. Ganz im Gegenteil: Der Perserkönig Kyros wird als Gesalbter JHWHs stilisiert, der von JHWH beauftragt worden ist. Von der Kritik am persischen Dualismus gibt es somit keine Spur. Die exilische Gruppe, die für die Deuterojesajaschrift verantwortlich ist, setzt sich darüber hinaus lediglich mit der babylonischen Marduk-Theologie auseinander.124 Neben den Größen Licht und Finsternis schafft JHWH Heil und Unheil. Der Begriff „ רעUnheil“ bezeichnet neben dem sozial-politischen Übel ebenso das moralisch Böse.125 Ganz im Gegensatz dazu der Gegenbegriff שׁלום „Heil, Frieden“: Dieser meint nie die ethisch-moralisch gute Tat. Die Grundbedeutung des Wortes שׁלוםist „Ganzheit, Unversehrtheit, Genugtuung, volles Genüge“.126 שׁלוםist ein Zustand, in dem die Interessen und Ansprüche ausgeglichen sind.127 Da in 7c der Begriff שׁלוםgewählt worden ist, geht es eigentlich nicht um die ethisch-moralische Tat.128 In der Deuterojesajaschrift bezeichnet שׁלוםdarüber hinaus immer das Ende des Exils, auch wenn es andernorts andere Bedeutungen annehmen kann.129 Insofern sind die beiden Begriffe שׁלוםund רעauf das Heilshandeln des Perserkönigs zugunsten Israels und zuungunsten der feindlichen Völker bezogen.130 Hier werden somit geschichtliche Ereignisse in den Blick genommen, nämlich die assyrischbabylonische Zeit als Epoche des Unheils und die persische Zeit als Epoche des Heils.131 Für beides ist JHWH verantwortlich. Die Autoren der Deuterojesajaschrift zeichnen folglich keinen Willkürgott, der wahllos Gutes und Schlechtes wirkt. JHWH ist keine undurchschaubare Schicksalsmacht. Hier ist 124
Gegen eine Abhängigkeit vom persischen Dualismus vgl. ELLIGER 1978, 501f.; GRIMM/DITTERT 1990, 255; STREIBERT 1993, 37; OSWALT 1998, 204 Anm. 25; WERLITZ 1999, 181f.; BERGES 2008a, 406; BLENKINSOPP 2011, 499 Anm. 21; PAUL 2012, 257. Fraglich ist zudem, inwieweit in den Gāthās Schöpfungstheologie und Monotheismus erörtert werden, die einen Vergleich mit den Aussagen des Kyrosorakels erlauben. Zum Problem vgl. AHN 1998, 15–26, 24–26. 125 Vgl. hierzu GROSS 1992, 44f.; GOLDINGAY 2005, 270. BALTZER 1999, 295 hingegen verbindet mit dem Lexem רעdas „Eintreten der Fluchfolgen beim Bruch des Bundes“, was aber den Befund überinterpretiert, da von einem Bundesschluss nirgends die Rede war. 126 Vgl. GERLEMAN 1976, 927–931. Nach HAAG 1972, 181 bezeichnet שׁלוםdarüber hinaus in allen authentischen Deuterojesajastellen das „diesseitig-geschichtliche Heil“. 127 Vgl. BALTZER 1999, 295. 128 Indirekt geht es freilich doch um Ethik, da nach prophetischer Geschichtstheologie das Unheil die Strafe für menschliches Fehlverhalten ist. Wie es allerdings zur sittlichen Entscheidung des Menschen zuvor gekommen ist, wird nicht beantwortet. 129 Vgl. NILSEN 2008, 17f. Außerdem könne sich das Lexem רעebenso auf das Exil beziehen. 130 Vgl. KOOLE 1997, 442. 131 Vgl. BERGES 2008a, 406. BAUMGART 2005, 231f. betont zudem die Ambivalenz, die mit dem Heil für Israel verbunden ist. Zum vorhergesagten Heil gehört ebenfalls eine unheilvolle Kehrseite.
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vielmehr das Geschichtshandeln JHWHs im Blick. Weil alles der Geschichtsmacht JHWHs untersteht, kann er den fremden Herrscher Kyros ebenfalls zu seinem Dienst berufen.132 Eine solche Interpretation von v.7 wurde jedoch von der großen Jesajarolle aus Qumran 1QJesa verlassen, da diese Handschrift statt שׁלוםden eigentlichen Gegenbegriff von רע, nämlich טובeingesetzt hat.133 Durch diesen Eingriff wurde das heilsgeschichtliche Handeln JHWHs auf den ethischen Bereich eingeschränkt, was aber im vorliegenden Text eigentlich noch nicht zu greifen ist. Um derartige Missverständnisse auszuräumen, präzisiert der abschließende v.8 die Aussage von v.7. Auch wenn alles Heilvolle und Unheilvolle von JHWH stammt, so ist doch das eigentliche Ziel von JHWHs Handeln der Heilszustand, in den Himmel und Erde eingebunden werden sollen. Mit v.8 ist geradezu eine Transzendierung ethnischer Interessen im Blick. Ziel allen Schöpfungshandelns ist umfassende Gerechtigkeit und Heil, und zwar für die ganze Menschheit.134 Der himmlische Entschluss zur Gerechtigkeit 8b, der im Handeln des Perserkönigs Kyros dadurch zum Ausdruck gebracht wird, dass das Babylonische Reich untergehen wird, soll in einen weltweiten Zustand von Heil und Gerechtigkeit 8d übergehen.
3. Bibeltheologische Ergebnisse Im Kyrosorakel Jes 45,1–8 wird das Handeln Gottes in der Geschichte in den Blick genommen. Am Siegeslauf des Perserkönigs Kyros zeigt sich, wie der judäische Nationalgott JHWH die Geschicke der Welt zugunsten Jakob/Israels lenkt. Da zudem nur JHWH und somit kein anderer Gott den Umsturz des Babylonischen Reiches vorhersagen konnte, ist nur er wirklich Gott, während alles andere nur nichtige Götzen sind. Insofern kann man am Verlauf der Geschichte vor dem Hintergrund konkurrierender Erklärungsmodelle erkennen, wer allein Gott ist. Hierbei ist es unerheblich, ob die biblischen Voraussagen wortwörtlich eingetroffen sind. Da dies ohnehin nicht der Fall gewesen ist, spricht viel dafür, dass das biblische Kyrosorakel noch vor den eigentlichen Ereignissen gebildet wurde. Wenn auch nicht im Detail, so doch im Ergebnis treffen die biblischen Zusagen zu, ganz im Gegensatz zu den baby132 Außerdem gilt mit GROSS 1992, 46: „YHWHs Macht zum Guten ist unbegrenzt, weil überhaupt alles, selbst das Übel, von YHWH erschaffen ist.“ Damit kommt freilich die Theodizeeproblematik ins Spiel, vgl. hierzu HERMISSON 2000, 112. 133 Gegen einen solchen Eingriff spricht jedoch die Verwendung des Verbums שׁלםin Jes 44,28, vgl. FOKKELMAN 1997, 322. Nach ELLIGER 1978, 500 hat hier 1QJesa „als einer der ersten ‚Systematiker‘ den Urtext ja tatsächlich ‚verbessert‘“. 134 Vgl. BAUMGART 2005, 236.
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lonischen Voraussagungen. Es ist daher nur folgerichtig, dass es nur einen einzigen Gott geben kann, der zuverlässig über das Kommende informieren kann. Alle anderen Götter haben kläglich versagt. Wenn es aber mit JHWH nur noch einen einzigen Gott gibt, dann muss die gesamte Schöpfertätigkeit mit JHWH verbunden werden. Dann geht eben nicht nur alles Gute auf JHWH zurück, sondern auch das Übel, da alles in seiner Schöpfermacht liegt. Allerdings ist JHWH kein willkürlicher Despot, der die Geschicke der Welt nach Gutdünken lenkt. Das eigentliche Ziel ist ein weltumfassender Heilszustand, worauf der abschließende v.8 besonders hinweist. Zwar werden die Heilsereignisse im Himmel angestoßen, sie haben bei der Umsetzung auf Erden aber eine gewisse Eigendynamik, ohne dass alles deterministisch abläuft. Hinzu kommt, dass mit dem Heil mitunter auch Unheil verbunden ist. Trotzdem ist das Ziel des göttlichen Schöpferhandelns der weltumfassende שׁלום, der nicht nationalistisch auf Jakob/Israel eingeschränkt werden darf. Mit dem Kyrosorakel hat sich die Gottesvorstellung aus der nationalen Perspektive endgültig gelöst und universale Dimensionen angenommen. Da JHWH als der einzige Gott auf der gesamten Welt geschichtsmächtig wirkt, kann er auch weltweit als einziger Gott erkannt werden. Der argumentative Dreischritt Geschichte – Monotheismus – Schöpfung ist im biblischen Kyrosorakel konsequent eingehalten worden. Er greift Argumentationsfiguren aus der Umwelt auf, deutet diese neu und geht weit über diese hinaus. Auf diese Weise war es möglich, den expliziten Monotheismus am Geschichtshandeln JHWHs zu erkennen und die schöpfungstheologischen Konsequenzen mit zu bedenken mit weitreichenden Auswirkungen bis heute, die sämtliche theologische Disziplinen beschäftigen.
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„O Heiland reiß die Himmel auf.“ Weltweites Heil als Folge des Eingreifens Gottes in die Geschichte „O Heiland reiß die Himmel auf“
Während im Grundbestand des Kyrosorakels Jes 45,1–7 die drei Themen Geschichte – Monotheismus – Schöpfung kongenial miteinander verbunden werden,1 widmet sich v.8 besonders dem Schöpfungshandeln JHWHs. Darüber hinaus präzisiert v.8 als Brückenvers das Vorausgegangene und leitet zum Folgenden über.2 Durch die Verbindung der Schöpfertätigkeit zum Geschichtswirken JHWHs in den Versen davor wird deutlich, dass die Geschichte auch ein Ort fortwährenden und dauerhaften Schöpfungshandelns JHWHs ist. Die Schöpfung ist folglich nie abgeschlossen. Vielmehr wirkt JHWH in der Geschichte selbst, auch wenn er – wie im Folgenden deutlich wird – durchaus den schöpferischen Kräften eine gewisse Eigendynamik lässt. Ziel des kontinuierlichen Schöpfungshandelns soll aber das weltweite Heil sein. Mit einem Schöpferwort an Himmel, Wolken und Erde setzt JHWH in v.8 sein Heilsgeschehen zunächst von oben nach unten in Gang. Der letzte Vers des sogenannten Kyrosorakels weist erhebliche textkritische, syntaktische und semantische Schwierigkeiten auf. Da das Verständnis des ganzen Verses von derartigen Problemen betroffen ist, sollen vor allem die Sätze 8c–e besonders untersucht werden. Ziel hierbei ist es, die vorliegenden Probleme mit möglichst wenigen Eingriffen in den masoretischen Text zu lösen und nur dort textkritisch zu ändern, wo alles andere versagt.3 Zum besseren Verständnis der folgenden Ausführungen sei hier die vorgeschlagene Satzeinteilung und das zugrundeliegende Textverständnis durch eine Arbeitsübersetzung vorweggenommen:
1
Vgl. hierzu GASS 2013, 1–26. Vgl. zur Bewertung von Jes 45,8 im Kontext von Jes 44–45 auch KOOLE 1997, 444. 3 Untersuchungsgegenstand ist also in erster Linie der masoretische Text, dessen Verständlichkeit hier auf dem Prüfstand steht. Es geht somit nicht um Vorformen der Textüberlieferung oder um einen ursprünglichen Text, sondern nur um die Frage, ob der masoretische Text lesbar und verständlich ist. Nur wenn dies nicht der Fall sein sollte, kommen textkritische Änderungen in Betracht. Vgl. zur Methode einer restriktiven Textkritik GASS 2001, 6–10. 2
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Lasst träufeln, Himmel, droben4! Und Wolken sollen rieseln Recht! (Die) Erde möge (sich) öffnen und es wird fruchtbar sein/hervorbrechen Hilfe und Gerechtigkeit.5 Sie6 wird (sie) sprossen lassen zusammen.7 Ich (bin) JHWH, ich habe es geschaffen.
8a b c d e f g
In einem ersten Schritt sollen die Probleme der verschiedenen Versionen mit den Sätzen 8c–e vorgestellt werden, bevor in einem zweiten und dritten Schritt die Syntax und Semantik des masoretischen Textes in den Blick genommen wird. Schließlich wird das Ergebnis auf eine theologische Gesamtdeutung von Jes 45,8 hin gebündelt.
1. Textkritische Probleme 8c: MT verwendet hier פתח-G, was insofern schwierig ist, als ein direktes Objekt fehlt.8 Gerne wird daher die Punktation zu פתח-N geändert, so dass man eine reflexive Bedeutung erhält.9 Für eine solche Änderung sprechen ebenfalls Peschitta und Vulgata. Peschitta vermutet hier ausweislich eines tDStamm xtPtt offenbar einen N-Stamm. Ähnlich übersetzt wohl auch Vulgata aperiatur. LXX liest hingegen offenbar תפרחund überträgt diese Verbalform mit „sie soll aufsprossen lassen“. Für diese Lesart spricht zumindest der Umstand, dass das hebräische Lexem פתחim Gegensatz zu פרחvon LXX nie
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Die Präpositionsverbindung ממעלist nach BERGES 2008, 368 zum Subjekt zu ziehen und bezeichnet keine Bewegung „von oben“. 5 Vgl. zu dieser syntaktischen Ansetzung schon DE BOER 1956, 49. Eine solche Interpretation hat bereits Qimchi vorgeschlagen, vgl. PAUL 2012, 259. Allerdings wird auf diese Weise der nächste Satz um ein Subjekt gekürzt. 6 Subjekt des Satzes kann aufgrund der femininen Verbform eigentlich nur die „Erde“ aus 8c sein, vgl. MERENDINO 1981, 421, der allerdings „Gerechtigkeit“ zu 8e zieht. 7 GOLDINGAY 2005, 274–275 fasst יחדtemporal auf: „all at once“. Hier sei das außergewöhnliche, plötzliche Hervorbringen von neuem Leben im Blick, das zeitgleich mit dem Vorausgegangenen einsetzt. 8 GOLDINGAY/PAYNE 2006b, 29 weisen darauf hin, dass dieses Verb immer transitiv gebraucht ist, auch wenn das direkte Objekt getilgt werden kann. 9 Vgl. WESTERMANN 1966, 132; ZAPFF 2001, 277. Eine andere Möglichkeit wäre es, hier einen seltenen G-pass anzusetzen, vgl. DAHOOD 1963, 8f. Anm. 4 mit weiteren Beispielen, was aber das Problem des masoretischen Textes eigentlich nicht löst. Der transitive G-Stamm wird nur durch den D-Stamm des Targum ( )תפתּחgestützt.
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mit dem griechischen Verb ἀνατέλλω übersetzt wird.10 Allerdings erhält man dann eine Dublette zu 8d, wo ebenfalls das Verbum ἀνατέλλω verwendet wird, was eigentlich gegen LXX spricht. Eine andere Lesart bietet 1QJesa, ohne dass deutlich wäre, weshalb hier zu „ האמר ארץder da sagt zur Erde“ geändert wurde. Möglicherweise wollte der Schreiber von 1QJesa zwei Verba dicendi in 8a „ רועjauchzen“ und 8c אמר „sagen“ verwenden.11 8d: Der Plural „ ויפרוsie mögen hervorbringen“ ist schwierig und wird von LXX ἀνατειλάτω und Vulgata germinet in den Singular verändert.12 Zumindest die „Wolken“ können nicht das Subjekt der Handlung sein, da die Bewegung, ausgedrückt durch „träufeln“ (8a) und „rieseln“ (8b), von oben nach unten bereits die Erde erreicht hat und somit die Wolken als Akteure ausfallen müssen.13 Oft wurde vermutet, dass die schwierige Verbalform des masoretischen Textes ויפרוlediglich ein Lesefehler aus einem ursprünglichen תפרחsei, das vom masoretischen Text hier zusätzlich eingetragen und bereits in 8c als תפתחverlesen wurde. Dem ursprünglichen Text läge dann ein vorzüglicher Parallelismus zugrunde: תפרח ארץ ישׁע וצדקה תצמיח יחד.14 Ob man aber so stark in den masoretischen Text eingreifen darf, ist fraglich. Die angenommene doppelte Verwendung des gleichen Verbums פרחspricht zumindest gegen eine solche Korrektur des ursprünglichen Textes im Laufe der Textgeschichte.15 1QJesa hat hier als alternative Lesart ויפרחanstelle von ויפרו,16 also eine yiqtol-Form 3. Pers. maskulin Singular vom Verbum פרח, „damit sprosst/blüht“.17 Das Targum hat hier die eigenwillige Interpretation „ וייחון מיתיאund es sollen lebendig werden die Toten“. Diese Deutung stützt 10 Nach ELLIGER 1974, 137 bietet LXX den ursprünglicheren Text. Das griechische Verbum ἀνατέλλω wird hauptsächlich für die hebräischen Verben צמחbzw. זרהverwendet. Nur in Lev 14,43; Jes 66,14; Hos 10,4; Ps 72,7; 92,8; Spr 11,28 wird פרחmit einer Form von ἀνατέλλω übersetzt. 11 Vgl. OSWALT 1998, 199. 12 WESTERMANN 1966, 132; BALTZER 1999, 289; ZAPFF 2001, 277; GOLDINGAY/ PAYNE 2006b, 30. Auch DRIVER 1951, 244 hält die Pluralform für einen Fehler und ändert zu יפר, יפרהbzw. יפרח. 13 So aber MERENDINO 1981, 421. Vgl. zum Problem BERGES 2008, 368. 14 Vgl. hierzu HERMISSON 2003, 1. Ähnlich schon ELLIGER 1974, 137; VAN OORSCHOT 1993, 85 Anm. 337. 15 Möglicherweise ist die Wortabtrennung fehlerhaft, so dass das Morphem וeigentlich als Konjunktion vor ישׁעgezogen werden könnte: „so dass es fruchtbar sein soll und Heil und Gerechtigkeit hervorsprossen“, vgl. DRIVER 1949, 59. Allerdings würde man in 8e eine maskuline Pluralform des Verbums „ צמחhervorsprossen“ erwarten, da das Nomen ישׁע, das bei einer solchen syntaktischen Ansetzung neben dem femininen צדקהals weiteres Subjekt auftritt, maskulin ist. 16 Dieser Lesart schließt sich STUHLMUELLER 1970, 194 Anm. 629 an. 17 Für die Lesart von 1QJesa spricht zumindest der Parallelismus mit 8e ()וצדקה תצמיח, wo ebenfalls Singular und nicht Plural steht. Vgl. OSWALT 1998, 199.
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zumindest den Plural des masoretischen Textes.18 Es bleibt somit festzuhalten: 8d ist textkritisch schwierig. Die Versionen bieten kaum eine bessere Lesart. Die vorgeschlagenen Konjekturen greifen zu stark in den Textbestand ein. 8e: Subjekt von 8e kann aufgrund der femininen Verbalform nur „ ארץErde“ aus 8c sein. Zwar ist auch „ צדקהGerechtigkeit“ feminin,19 aber dieses Nomen kann nicht das Subjekt des Satzes sein, da ansonsten ein direktes Objekt fehlen würde und man somit die Verbalform vom H-Stamm in GStamm ändern müsste.20 Eine andere Möglichkeit wäre es, die Stammesmodifikation צמח-H hier als innerlich transitiv zu betrachten, wofür es aber keinen weiteren Hinweis gibt.21
2. Syntaktische Probleme Vor allem die Sätze 8c–e weisen zahlreiche syntaktische Schwierigkeiten auf. Dem transitiven Verbum „ פתחöffnen“ in 8c fehlt – wie schon gesehen – ein Objekt. Denn das feminine Nomen „ ארץErde“ kann insofern nicht Objekt sein, da das feminine Prädikat nach einem femininen Subjekt verlangt, welches – abgesehen von „ ארץErde“ – nirgendwo im Kontext zu finden wäre. Meist wird diese syntaktische Auffälligkeit dadurch behoben, dass man textkritisch die Verbform in den N-Stamm versetzt (s.o.) oder syntaktisch ein getilgtes Objekt einträgt. Als Objekt wird manchmal „ רחמהihren Schoß“ ergänzt. Ob allerdings ein solches Objekt elliptisch wegfallen konnte, ist fraglich, zumal die Wendung פתח+ רחמהansonsten nur zweimal vorkommt, wo es um das Öffnen des Mutterschosses geht.22 Subjekt des Handelns ist in 18 Vgl. ELLIGER 1974, 136; GOLDINGAY/PAYNE 2006b, 30. Nach GRIMM/DITTERT 1990, 256 ist vor allem „gerechte Ordnung, soziale Gerechtigkeit, befreites Aufatmen der Unterdrückten“ im Blick. Insofern könnte das Targum hier an eine Beendigung des Zustands des Todseins gedacht haben, und Tote nicht im Sinne von tatsächlich Gestorbenen verstanden haben. 19 Vulgata et iustitia oriatur überträgt 8e mit צדקהals Subjekt und entscheidet sich offenbar für diese Lösung. 20 Der G-Stamm „sprossen“ hat erwartungsgemäß nie ein direktes Objekt, vgl. Gen 2,5; Lev 13,37; Ij 5,6; 8,19; Ps 85,12; Jes 42,9; 43,19; 44,4; 58,8; Ez 17,6; Sach 6,12, während H-Stamm „etwas sprossen lassen“ fast immer ein direktes Objekt aufweist, vgl. Gen 2,9; 3,18; Ij 38,27; Ps 104,14; 132,17; 147,8; Jes 55,10; 61,11; Jer 33,15; Ez 29,21. Nur Dtn 29,22; 2Sam 23,5 arbeiten mit Tilgung. Aus dem Kontext ist aber an diesen beiden Stellen ein direktes Objekt leicht einzutragen. 21 LXX übersetzt dieses Wort wie schon in 8c mit ἀνατέλλω, was der üblichen Wiedergabetradition für das hebräische Verbum „ צמחsprossen“ entspricht. Vgl. zum Problem GOLDINGAY/PAYNE 2006b, 30. 22 Vgl. Gen 29,31; 30,22. Ebenfalls auszuschließen wäre als Objekt „ בטןBauch“, da eine Verbindung בטן+ פתחansonsten nirgendwo belegt ist. Insofern erübrigt sich der Vor-
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beiden Fällen JHWH, was diese Idiomatik insofern von Jes 45,8 abhebt, als hier die Erde selbst ihren Schoß öffnet. Es spricht also nichts dafür, רחמה „ihren Schoß“ als getilgtes Objekt in 8c einzutragen. Das Verbum פתח-G wird ansonsten mit פיהverbunden, sofern „ ארץErde“ als Subjekt verwendet wird.23 Das Idiom „die Erde öffnet ihren Rachen“ ist jedoch immer negativ konnotiert, da es im Kontext von Num 16,32; 26,10 und Ps 106,17 jeweils um die Vernichtung von Korach, Dathan und Abiram geht. Die beobachtete Schwierigkeit, ein geeignetes Objekt zu ergänzen, verdeutlicht, dass hier entweder ein singuläres Bild oder ein Hinweis auf eine textkritische Verschreibung vorliegen muss (s.o.). Vermutlich muss man tatsächlich einen reflexiven N-Stamm ansetzen, um das syntaktische Problem lösen zu können, wie es auch die obige Übersetzung vorschlägt. Auf anderem Weg ist diese crux interpretum nicht zu lösen. Aufgrund des syndetischen Anschlusses mit der Konjunktion וbeginnt mit ויפרוin 8d auf alle Fälle ein neuer Satz, dessen Syntax ebenfalls schwierig ist. Die plurale Verbform ויפרוin 8d benötigt nämlich ein plurales Subjekt. Als Subjekt von 8d scheiden die zuvor genannten „Himmel“ 8a, „Wolken“ 8b und „Erde“ 8c aus,24 zumal die Bewegung von oben bereits die „Erde“ erreicht hat und die „Erde“ feminin und singularisch ist. Falls „ ארץErde“ als Subjekt angenommen wird, müsste man textkritisch die Verbalform zu ותפר ändern „und sie (= Erde) wird fruchtbar sein mit Heil“. Wenn man jedoch ישׁעals Subjekt vermutet, muss man textkritisch ויפרansetzen „und es wird fruchtbar sein Heil“. Sofern man die plurale Form des Verbums beibehalten will und das singulare Nomen ישׁעals Objekt auffasst, muss man folglich ein ansonsten unbestimmtes plurales Subjekt annehmen, dem ישׁעals Objekt zugeordnet ist „und sie (?) werden fruchtbar sein mit Heil“. Die plurale Verbform ויפרוin 8d erhält jedoch dann ein plurales Subjekt, wenn וצדקהbereits zu 8d gezogen wird und nicht am Anfang des folgenden Satzes steht. Die Konjunktion וkann zwar als beiordnend oder unterordnend25 verstanden werden, so dass mit וצדקהein neuer Satz beginnen könnte, diese Konjunktion kann aber auch die beiden Lexeme ישׁעund צדקהmiteinander verbinden, zumal die Verbform in 8d ein plurales Subjekt erfordert, welches bei einer Koordination von ישׁעund צדקהfolglich gegeben wäre. Auf diese Weise ist dann 8d mit „und es wird fruchtbar sein Hilfe und Gerechtigkeit“ zu übersetzen, was syntaktisch keine Schwierigkeiten bereitet und ohne textkritischen Eingriff auskommt. schlag von DRIVER 1951, 243, der in Jes 45,8 an eine elliptische Konstruktion denkt und „ בטנהּihren Bauch“ ergänzt. 23 Vgl. Num 16,32; 26,10. Nur in Ps 106,17 ist ebenfalls das direkte Objekt getilgt. PAUL 2012, 259 vermutet, dass פתח-G auf alle Fälle reflexiv zu deuten sei. 24 Vgl. zum Problem HERMISSON 2003, 1. 25 Vgl. z.B. WESTERMANN 1966, 132: „daß Gerechtigkeit sprosse dabei“.
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Gerne wird angenommen, dass aufgrund der Langform תצמיחin 8e auch in 8d eine Langform und kein Jussiv stehen müsste, so dass man die beiden Sätze 8d–e futurisch übersetzen müsste.26 In 8d kann insofern eine Langform stehen, als bei ויפרוLang- und Kurzform nicht unterschieden werden können. Allerdings ist die syntaktische Deutung als Langform nur dann zwingend, wenn man die beiden Sätze 8d–e als poetische Einheit ansieht und die Verbform aus 8e aufgrund des angenommenen Chiasmus diejenige in 8d ebenfalls mitbestimmt. In diesem Fall wären ישׁעund צדקהjeweils die Subjekte der beiden Verben פרהund צמח. Diese Lösung ist aber nur mit einem textkritischen Eingriff möglich, da hier ויפרstatt ויפרוstehen müsste, wobei ישׁע Subjekt zu פרהund צדקהSubjekt zu צמחwäre. Um diesen Chiasmus zu erreichen, muss man aber den Text – wie gesehen – verändern. Insofern spricht eigentlich nichts dagegen, in 8d einen Jussiv zu vermuten, während in 8e eine imperfektive Langform vorliegt. Außerdem verschiebt diese formale Differenzierung die Bedeutung der beiden Sätze nur minimal. Obschon diese Frage formal nicht entschieden werden kann, da in 8d Kurz- wie Langform möglich ist, sollen in 8d.e imperfektive Langformen angesetzt werden, wie dies auch die obige Übersetzung andeutet.
3. Semantische Probleme In 8b.d kommen die Lexeme צדק/ צדקהvor, die vielleicht semantisch voneinander zu differenzieren sind. Der maskuline Begriff צדקwird meist dann verwendet, wenn es um den Zustand der Ordnung und Richtigkeit geht, während der feminine Ausdruck צדקהdas Tun und Handeln betont.27 Die feminine Form צדקהkönnte somit besonders die menschliche Aktivität betonen, zumal ihr eher eine ethische Konnotation anhaftet. Wenn das Lexem צדקה tatsächlich mit einem menschlichen Akteur verbunden werden darf, so könnte hier die Aktivität des Kyros im Blick sein, der JHWHs Heilsplan unbewusst für Jakob/Israel durchsetzt.28 Dann wäre Jes 45,8 die logische Fortsetzung des Kyrosorakels Jes 45,1–7. Allerdings steht die feminine Form צדקהin Jes 45,23.24 und 46,13 für eine Tätigkeit, die JHWH selbst bewirkt,29 so dass eine solche Differenzierung auf das Handeln des Perserkönigs hin nicht greift. In Jes 45,8 ist darüber hinaus der Perserkönig eigentlich kaum noch im Blick. Nur in 8g hat man immer wieder vermutet, dass sich das enklitische Personalpronomen auf Ky-
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Vgl. HERMISSON 2003, 2. Vgl. JOHNSON 1989, 916. Ähnlich auch KOOLE 1997, 446. 28 Vgl. zum Problem GOLDINGAY 2005, 274. 29 Vgl. GOLDINGAY/PAYNE 2006b, 30. 27
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ros beziehen könnte,30 zumal es nur zwei maskuline Nomina in v.8 gibt, auf die dieses Personalpronomen hinweisen kann: „ צדקRecht“ 8b und „ ישׁעHilfe“ 8d. Das Schöpferhandeln JHWHs lässt sich jedoch nicht nur auf einen Abstraktbegriff eingrenzen, weil sich das Verbum „ בראschaffen“ ansonsten kaum mit Abstraktbegriffen verbindet.31 Da somit im Verskontext eine geeignete Bezugsgröße für dieses Personalpronomen fehlt, hat man dieses Suffix gerne auf Kyros bezogen.32 Allerdings wird das Verbum בראin der Deuterojesajaschrift nie mit Kyros, sondern höchstens mit Jakob/Israel verbunden.33 Aus alledem folgt: Das enklitische Personalpronomen 3. Pers. maskulin Singular bezieht sich demnach weder auf die beiden Lexeme „ צדקRecht“ oder „ ישׁעHilfe“, noch auf den Perserkönig Kyros, so dass nach einer anderen Lösung gesucht werden muss. Im vorangegangenen v.7 findet sich ebenfalls der Begriff „ בראschaffen“. Dort ist dieses Verb in Totalitätsaussagen (Licht – Finsternis; Heil – Unheil) eingebunden: JHWH schafft folglich die Gesamtheit aller Dinge, worauf 7f „der die Gesamtheit dieser Dinge macht“ ebenfalls hinweist. Somit wird auch in 8g wie in 7f auf das gesamte Schöpfungshandeln JHWHs angespielt. Durch v.8 wird zudem die theologisch brisante Aussage, dass JHWH für die gesamte Schöpfungswirklichkeit und damit ebenso für das Unheil verantwortlich ist, dadurch korrigiert, dass das Handeln JHWHs eigentlich auf Gerechtigkeit und Heil angelegt ist.34 Gegen eine solche Deutung des Personalpronomens spricht nicht der Umstand, dass in der Deuterojesajaschrift ansonsten für neutrische Bedeutung das enklitische Personalpronomen 3. Pers. feminin Singular gebraucht wird.35 Vielleicht wurde in 8g ein enklitisches Personal30 LXX liest das Suffix als enklitisches Personalpronomen 2. Pers. maskulin Singular und bezieht dieses offenbar auf den Perserkönig, vgl. GOLDINGAY/PAYNE 2006b, 30. 31 Vgl. zu den Objekten von בראDCH II, 258. 32 Vgl. HÖFFKEN 1998a, 97f.; ZAPFF 2001, 277; DILLE 2004, 107; BAUMGART 2005, 234. Anders hingegen BERGES 2008, 408. Das Personalpronomen 3. Pers. maskulin Singular beziehe sich „auf die Realisierung des Heilszustandes für Israel und die Welt insgesamt“. Vgl. hierzu auch KRATZ 1991, 77, demzufolge es um einen innernatürlichen Prozess der Schöpfung geht, aus dem dann Heil erwächst. Somit könne Kyros nicht gemeint sein. 33 Lediglich Jes 54,16 könnte auf Kyros hinweisen. Ansonsten verbindet sich dieses Verbum mit Jakob/Israel in Jes 43,1.7.15 und mit nicht-menschlichem Subjekt in Jes 40,26.28; 41,20; 42,5; 45,7.8; 45,12.18; 48,7. Nach KRATZ 1991, 108 gehört ברא außerdem zu den Verben, die das Heilshandeln als Schöpfungstat JHWHs qualifizieren. 34 Vgl. hierzu OSWALT 1998, 206. Nach ALBANI 2000, 259 ist gerade die Gerechtigkeit JHWHs, die er als einziger Gott vom Himmel regnen und aus der Erde wachsen lassen kann, „das entscheidende Kriterium für den Anspruch auf wahre Göttlichkeit“. 35 Vgl. hierzu Jes 41,20; 43,13.19; 44,7; 45,21; 46,11(2x); 48,6.16.20. Außer in Jes 43,13 und Jes 48,16 steht ohnehin ein feminines Bezugswort im Nahkontext (זאת, חדשה, אתיות, )עצם. In Jes 55,11 steht ein maskulines Personalpronomen, das sich auf דבר beziehen wird. Nach PAUL 2012, 258 kann neutrische Bedeutung gelegentlich mit enkliti-
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pronomen 3. Pers. feminin Singular schon deshalb vermieden, um einen singulären Rückbezug auf „ צדקהGerechtigkeit“ auszuschließen. Vermutlich ist alles Vorausliegende im Blick, so dass das Suffix auf das in v.8 geschilderte Geschehen zurückblickt und so ähnlich dem כל־אלהaus v.7 das zuvor Angesagte zusammenfasst.36 Darüber hinaus liegt ab v.8 keine Anrede an Kyros mehr vor, so dass der Perserkönig als Bezugsgröße ausscheidet. Über Imperativ und modaler x-yiqtol-Form werden Himmel und Wolken, also nicht Kyros, zu einem segensreichen Handeln aufgefordert. Es bleibt demnach festzuhalten, dass in v.8 der Perserkönig nicht mehr gemeint ist. Folglich kann auch die feminine Form צדקהnicht auf menschliche Aktivität bezogen werden. Manchmal wurde darüber hinaus vermutet, dass mit צדקהdie eigentliche Heilswende in den Blick genommen werden soll, die im deuterojesajanischen Kontext auf Israel als Empfänger zu beziehen sei.37 Gegen eine solche Beschränkung auf Israel allein spricht schon der Merismus „Himmel – Erde“, der eine Totalität des zugesagten Heils anzielt. Außerdem könnte das feminine Genus bei צדקהein Anzeiger für ein nomen unitatis sein, so dass צדקהdie einzelne Tat der Gerechtigkeit beschreibe. Somit wäre zwischen der himmlischen, allgemeinen צדקund der irdischen, einzelnen צדקהzu unterscheiden. Die beiden Gaben צדק/צדקה scheinen jedoch an dieser Stelle gleichbedeutend zu sein.38 Denn der in diesem Bild verwendete Merismus „Himmel – Erde“ bezeichnet eine Totalität, die nicht auf unterschiedliche Sinnebenen der beiden Gaben hinweist. Folglich ist wohl die ganze Wirklichkeit im Blick, so dass nicht ein himmlischer צדקvon einer irdischen צדקהdifferenziert werden kann. Die himmlische Gabe entspricht also der irdischen, so dass Ursache und Wirkung nicht differenziert werden können. Insofern muss man hier nicht zwischen ( צדקHeilszustand), der von der himmlischen Sphäre kommt, und ( צדקהHeilsgeschehen), die sich dann auf Erden durchsetzt, unterscheiden. Es geht folglich um ein Heilsgeschehen, das von der himmlischen Sphäre ausgelöst wird und sich auf Erden schließlich durchsetzt. Wie die Totalitätsaussage „Himmel – Erde“ alles umschließt, so ist auch צדק/ צדקהein umfassendes Heilsgeschehen. Insofern ist eine inhaltliche Differenzierung innerhalb des Begriffspaares צדק/ צדקהschwierig, auch wenn die beiden Pole durchaus verschieden sind.
schem Personalpronomen 3. Pers. maskulin Singular ebenfalls ausgedrückt werden. Zum Problem vgl. KOOLE 1997, 446f. 36 GOLDINGAY/PAYNE 2006b, 31. Manchmal wurde jedoch vorgeschlagen, dass das Personalpronomen auf das Folgende bezogen werden könnte, vgl. hierzu BALTZER 1999, 299. Für eine solche Deutung ließe sich anführen, dass v.8 ein verbindender Brückenvers ist, der das Kyrosorakel mit dem Folgenden verbindet. Dagegen spricht aber die formale Abgeschlossenheit des Kyrosorakels Jes 45,1–8, zumal danach Weherufe folgen. 37 Vgl. VAN OORSCHOT 1993, 85f. 38 Vgl. HERMISSON 2003, 5.
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Möglicherweise hängt die Differenzierung hinsichtlich des Genus auch damit zusammen, dass mythologische Vorstellungen eingespielt worden sind.39 Himmel und Wolken sind grammatisch maskulin, so dass auch die entsprechenden Verben Maskulinformen bilden müssen ( יזלוund )הרעיפו.40 Folglich ist die himmlische Gabe des „ צדקRechts“ als maskulin zu werten. Die Erde ist hingegen feminin, so dass ihr Tun mit einer Femininform ausgedrückt werden muss ()תפתח.41 Insofern ist das Heilsgeschehen צדקהebenfalls als feminine Größe zu verstehen. Aus alldem folgt: Eine semantische Unterscheidung von צדק/ צדקהist an dieser Stelle kaum möglich, da hier ein Gesamtbild gezeichnet werden soll. Mitunter geht das unterschiedliche Genus auf den mythologischen Hintergrund der Redeweise zurück. Die erste Heilsgabe ישׁעhat die konkrete Bedeutung „Hilfe, Rettung“ und bezieht sich gewöhnlich auf die einzelne Rettungstat. Jedoch ergeben sich hier ebenso semantische Probleme. Das Lexem ישׁעist nämlich selbst Frucht der in v.8 eingeleiteten Vorgänge, so dass es eigentlich nicht als Subjekt des Verbums „ פרהfruchtbar sein“ passt. Außerdem wird פרהnur mit Menschen und Tieren als Subjekt verwendet, aber eigentlich nicht mit Abstraktbegriffen wie hier ישׁע. Die textkritische Veränderung zu ותפר, wobei dann „ ארץErde“ als Subjekt und „ ישׁעHilfe“ als Objekt firmieren, befriedigt insgesamt nicht, da ארץebenfalls nie als Subjekt von פרהauftaucht. Somit ist die hier vertretene Lösung am wahrscheinlichsten, weil sie ohne textkritischen Eingriff und nur mit einer Zusatzannahme auskommt, dass nämlich Abstraktbegriffe wie „ ישׁעHilfe“ und „ צדקהGerechtigkeit“ als Subjekt von „ פרהfruchtbar sein“ verwendet werden können. Inhaltlich geht es also darum, dass ausgehend vom himmlischen צדקein irdisches Ereignis der Hilfe und Gerechtigkeit fruchtbar sein wird und nach 8e gemeinsam aufsprosst. Ausgehend von einzelnen Ereignissen, die vom himmlischen צדקangestoßen werden, soll hier offenbar ein umfassendes Heil erzeugt werden, das sich weiter fortpflanzt. Hinzu kommt, dass das Verbum פרהdie Grundbedeutung „hervorbrechen, aufsprießen“ trägt,42 so dass 8e im Anschluss denselben Gedanken mit צמחH „sprossen lassen“ weiterführt. Folglich muss man nicht notwendigerweise die übertragene Bedeutung von „ פרהfruchtbar sein“ hier eintragen, sondern bereits die Grundbedeutung ist ein Synonym des in 8e formulierten Gedankens.
39 Auch JOHNSON 1989, 917 weist darauf hin, dass hier kanaanäischer Sprachgebrauch vorliegen könnte. 40 Vgl. hierzu BALTZER 1999, 297. 41 Die hier verwendeten Verben haben zudem sexuelle Konnotationen, die mitgehört werden können. Es geht also um Zeugung und Geburt in diesem Vers. Der Himmel ist als männlich befruchtende, die Erde als weiblich gebärende Größe zu betrachten. 42 Vgl. hierzu KEDAR-KOPFSTEIN 1989, 743f.
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Für eine solche Deutung spricht darüber hinaus die Verwendung von צמחG „sprossen“ im Jesajabuch. Als Subjekt können hier nämlich durchaus auch Abstraktbegriffe eintreten, die für das vorhergesagte neue Heil stehen.43 Außerdem kann der Kausativstamm von „ צמחsprossen lassen“ Abstraktbegriffe als Objekt haben.44 Das einzig Neue ist hier das vorausgesetzte Subjekt: Die Erde soll die zuvor genannten Dinge gemeinsam sprossen lassen.
4. Bibeltheologische Ergebnisse In v.8 ist nicht das einmalige rettende Eingreifen JHWHs, sondern die dauerhafte Wirkung des himmlischen Heilszustandes umschrieben.45 Insofern ist an dieser Stelle nicht nur das Kyros-Ereignis oder Israel im Blick, sondern hier wird ein allgemeiner Heilszustand von צדק/ צדקהbeschrieben, in den Himmel und Erde einmünden sollen. Bewirkt wird dies durch das imperativische Wort des Schöpfers in 8a, der den himmlischen צדקnach 8b der Erde zukommen lässt, die bereitwillig die Heilsgabe nach 8c aufnimmt. Das einmalige Ereignis der Hilfe und Gerechtigkeit in 8d, das aufgrund des Kontextes mitunter mit dem Siegeslauf des Kyros in Verbindung gebracht werden kann, soll allerdings nicht folgenlos bleiben, sondern nach 8d.e fruchtbar sein und aufsprossen. Somit geht es in v.8 eigentlich nicht mehr nur um die Eroberung Babylons und die Befreiung Israels, sondern um das Heil für alle Völker. Denn eine Begrenzung allein auf Israel ist hier überhaupt nicht angezeigt. Nichts deutet auf einen nationalen Horizont. Es geht vielmehr um die „Erde“, die von der himmlischen Heilsgabe insgesamt profitiert. Durch die Begriffe „Himmel“ und „Erde“, die als Merismus Totalität implizieren, wird darüber hinaus auf die gesamte Schöpfung verwiesen. Heil und Gerechtigkeit, die auf das geschichtliche Eingreifen Gottes zurückgeführt werden können, sind demnach nicht lokal oder national begrenzt, sondern sollen sich weltweit durchsetzen. Der Brückenvers 8 ist folglich auch eine Mahnung vor einer einseitig nationalistischen Deutung des Befreiungshandelns durch den Perserkönig Kyros. Da es nur einen einzigen Gott gibt, muss auch jedes schöpferische Handeln mit ihm verbunden werden. Insofern ist Gott für alle Völker zuständig und wird daher einen weltweiten Heilszustand durchsetzen. Eine besondere Einschränkung auf Israel allein würde zudem der Geschichtsmächtigkeit, dem expliziten Monotheismus und der universalen Schöpfermacht JHWHs widersprechen.
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חדשׁותJes 42,9; חדשׁהJes 43,19; ארוכהJes 58,8. צדקהund תהלהJes 61,11.
45 Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt ebenfalls HERMISSON 2003, 5f., auch wenn er seine Argumentation auf andere Weise führt.
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Während in v.7 noch alles dem einen Gott JHWH zugeschrieben wird, behält in v.8 die Schöpfung ihr Eigenrecht. JHWH bestimmt zwar die Koordinaten, unter denen Heil und Gerechtigkeit möglich sind (v.7), und gibt hierfür die entscheidenden Impulse (8a–b), indem er Himmel und Wolken befiehlt, den himmlischen צדקauf die Erde zu senden, überlässt aber den irdischen Akteuren ihre eigene Dynamik (8c–e). Obwohl nach v.7 alles Heilvolle und Unheilvolle von JHWH stammt – was angesichts des expliziten Monotheismus nur konsequent ist –, so ist doch das eigentliche Ziel von JHWHs Handeln nicht das Unheil, sondern der Heilszustand, in den Himmel und Erde eingebunden werden sollen. Ziel allen Schöpfungshandelns ist folglich umfassende Gerechtigkeit und Heil für die ganze Menschheit.46 Der himmlische Entschluss zur Gerechtigkeit 8b, der im Handeln des Perserkönigs Kyros dadurch zum Ausdruck gebracht wird, dass das babylonische Reich untergehen wird, soll in einen weltweiten Zustand von Heil und Gerechtigkeit 8d–e übergehen. Dass dies aber nicht sofort und umfassend möglich ist, deuten die verwendeten Verben פרהund צמחan. Aufgrund ihrer positiven Konnotation lassen sie allerdings weltweites Heil erhoffen. Die Grundlage für einen universalen Heilszustand ist zumindest gelegt, auch wenn das Heil ein zartes Pflänzchen ist, das sich nur langsam durchsetzen kann.
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Vgl. auch BAUMGART 2005, 236.
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Gottes Sprechen zum Mensch – Zum biblischen Prophetenverständnis
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Offenbarungsformen Gottes in der Bileamerzählung Offenbarungsformen Gottes in der Bileamerzählung
Die Bileamerzählung Num 22–24 schildert verschiedene Möglichkeiten und Techniken, wie man mit der göttlichen Sphäre in Kontakt kommen kann. Das Thema der Kommunikation mit der göttlichen Sphäre hat sich in der Bileamerzählung vermutlich über längere Zeit hinweg entwickelt und ist immer wieder differenziert worden. Dies ist schon angesichts der Beobachtung wahrscheinlich, dass die Erzählung weder kohärent noch unabhängig vom umgebenden Kontext ist.1 Sie ist eher ein sehr komplexes Gebilde, hinter dem verschiedene Quellen und Redaktionen stehen.2 Somit könnte man mit Hilfe der verschiedenen Offenbarungsformen wertvolle Hinweise auf die literarische Vorgeschichte der Bileamerzählung erhalten. Im Folgenden sollen jedoch die beschriebenen Offenbarungsformen lediglich auf synchroner Ebene diskutiert werden, was ausweislich verschiedener Beobachtungen durchaus sinnvoll ist. Die Endfassung der Bileamerzählung ist mittels einer dreifachen Wiederholung besonders konturiert und strukturiert, wodurch dem Ganzen eine gewisse Spannung und Dynamik verliehen wird:3 So begegnet Gott dem Pro1
Trotzdem wird die Bileamerzählung gelegentlich synchron gelesen und gedeutet, vgl. WEISE 2006. 2 Meist geht man von einer Grundschicht mit mehreren redaktionellen Erweiterungen aus, vgl. die literarkritischen Erwägungen bei GROSS 1974; ROUILLARD 1985; LEVIN 1993; WITTE 2002; ACHENBACH 2003; ROBKER 2013. Gelegentlich werden hingegen zwei Quellen (J und E) angenommen, die ein späterer Redaktor miteinander verbunden hat, vgl. zu derartigen Entwürfen GREENE 1992; GRAUPNER 2002; SCHMIDT 2004a; SEEBASS 2007. Manchmal unterscheiden sich die Lösungsvorschläge nur in kleinen Details, des Öfteren aber auch ganz massiv voneinander. Insofern verwundert es nicht, dass bislang noch keine konsensfähige Lösung erarbeitet werden konnte. Hinzu kommt, dass sich die Versionen im Gebrauch des Gottesnamens oft merklich unterscheiden, was eine Zuweisung zu J und E noch zusätzlich erschwert, vgl. ROBKER 2013, 342f. Anm. 27. Trotz dieser allgemeinen Bedenken, scheint die erste Option, die mit nur einer zugrundeliegenden Quelle arbeitet, mehrheitsfähig zu sein, da die zweite Option eine Quelle benötigt, die bestenfalls fragmentarisch erhalten ist. Insofern ist es eher unwahrscheinlich, dass es jemals zwei unabhängige Quellen gegeben hat, die in der Bileamerzählung Verwendung fanden. 3 SCHMITT 2001, 240f. vermutet eine dreigliedrige Struktur in beiden Teilen der Bileamerzählung, die für eine planvolle Anlagen und Komposition des Ganzen spricht: drei göttliche Antworten, während Bileam als Mantiker gewonnen werden sollte, und schließlich drei Orakel. BARRÉ 1997, 261 vergleicht die dreigliedrige Struktur von Num 22,41– 24,14 mit Num 22,21–35: das Verhältnis der Eselin zu Bileam kann mit dem Verhältnis von Bileam zu Balak verglichen werden. Zur Struktur vgl. auch WENHAM 1981, 165f.;
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pheten Bileam dreimal, die Eselin versucht dem Engel dreimal auszuweichen, Bileam arrangiert dreimal ein Opfer. Ausweislich dieser Beobachtungen ist die Handlung gut und einheitlich strukturiert, was für das Geschick der Redaktoren spricht, die bei der redaktionellen Arbeit offenbar etwaige Spannungen abmilderten. Die Kommunikation zwischen Gott und dem Propheten hat darüber hinaus zwei Perspektiven: Zum einen wird in der Erzählung von Bileam und dem Engel die Unfähigkeit des Propheten gezeigt, den göttlichen Willen zu bestimmen. Der Seher Bileam ist folglich gar nicht imstande, eine göttliche Offenbarung zu erzwingen oder Gott für seine Zwecke zu manipulieren. Zum anderen werden verschiedene Abstufungen der Kommunikation zwischen Gott und Prophet vorgestellt, die eine Entwicklung innerhalb der göttlichen Hinwendung zum Propheten zeigen. Der göttliche Kommunikationspartner bestimmt folglich, inwieweit ein Kontakt zustande kommt, während der Prophet hierüber nicht selbst verfügen kann. Zunächst soll die verwirrende Vielfalt von göttlichen Bezeichnungen kurz diskutiert werden. Dies ist schon vor dem Hintergrund sinnvoll, als der göttliche Partner in der Kommunikation mit Bileam besonders wichtig ist. Im Anschluss daran sollen fünf verschiedene Offenbarungsformen vorgestellt werden. Da diese eng miteinander verbunden sind, ist es oft schwierig, sie formal und inhaltlich voneinander zu scheiden. Eine umfassende Beschreibung des Phänomens der Prophetie im Allgemeinen sowie eine lexikalische und thematische Einordnung in den größeren Kontext prophetischer Erzählungen4 kann hier nicht gegeben werden, auch wenn dies ohne Zweifel ein lohnendes Unternehmen wäre.
1. Verschiedene Bezeichnungen für Gott und himmlische Wesen In der Bileamerzählung wird Gott entweder אלהים5 oder יהוה6 genannt. Eine befriedigende und einleuchtende Erklärung für die Verwendung der verschiedenen Namen, die oft nebeneinander auftauchen, lässt sich kaum noch angeben.7 Das Wort אלהיםfindet sich nur im ersten Teil der Bileamerzählung (bis DOUGLAS 1993a, 220. Aufgrund der dreigliedrigen Struktur und anderer formaler Beobachtungen hält MOYER 2012, 170–175 die Bileamerzählung für einheitlich, wobei aber die Spannungen unberücksichtigt bleiben. 4 Z.B. Geschichten über wahre und falsche Prophetie, über die Funktion und das Vermögen der Propheten, über den Empfang der göttlichen Botschaften und über das Verhältnis JHWHs zum einzelnen Propheten. Zu Kriterien für wahre und falsche Prophetie vgl. JEREMIAS 1998, 37–41; EPP-TIESSEN 2001, 178–184; SCHMID 2006, 305f. 5 Num 22,9.10.12.20.22.38; 23,4.27; 24,2. 6 Num 22,8.13.18.19.28.31; 23,3.5.8.12.16.17.21.26; 24,1.6.11.13(zweimal). 7 Die Versionen harmonisieren gewöhnlich den unterschiedlichen Gebrauch der Gottesbezeichnungen, so dass man mit Hilfe der Textkritik das Problem der Gottesnamen eben-
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Num 24,2), während יהוהin der gesamten Erzählung verwendet wird.8 Es scheint, dass der Erzähler den Gottesnamen אלהיםbevorzugt, während Bileam eher auf die Bezeichnung יהוהzurückgreift.9 Im Endtext ist יהוהzumindest nach Num 22,1810 der persönliche Gott Bileams, während אלהיםlediglich ein allgemeiner Begirff ist, den der Erzähler ohne Probleme verwenden kann, zumal ein heidnischer Prophet eigentlich kein echter Verehrer von יהוהsein kann. Diese Beobachtung bewährt sich auch in Num 23,3.15, wo Bileam auf ein Treffen mit יהוהhofft. Sie hilft jedoch nicht weiter in Num 23,4 Dort wird ähnliches mit אלהיםausgedrückt.11 Anscheinend ist יהוהin der Bileamerzählung jener Gott, der die einzelnen Ereignisse bestimmt und lenkt. Im Gegensatz dazu ist אלהיםlediglich ein unpräziser Ausdruck für eine Gottheit. Insofern verwundert es nicht, dass sowohl Bileam wie auch der Erzähler den Namen אלהיםin Num 22,38; 23,4.27 verwenden können. Die Bezeichnung אלהיםkann als pluraler Gattungsbegriff zudem auf verschiedene Gottheiten angewendet werden. So nennt Balak in Num 23,27 nicht יהוה, den tatsächlichen Namen von Bileams Gott, sondern האלהים. Erst in Num 24,11 hat Balak offenbar begriffen, dass Bileams Gott יהוהfür den Segen Israels verantwortlich ist. Auch wenn es immer wieder möglich ist, dass יהוהunter bestimmten Umständen zornig werden kann, enthalten sich die biblischen Autoren der Bileamerzählung dezidiert davon, יהוהZornesausbrüche zuzuschreiben, so falls nicht lösen kann, vgl. RÖSEL 2006a, 214.221.224. Die Septuaginta beraubt Bileam sogar seiner Stellung als Verehrer von JHWH und zeichnet ihn sehr negativ, vgl. RÖSEL 2006b, 162f. 8 Lange Zeit sind diese verschiedenen Gottesbezeichnungen literarkritisch ausgewertet worden, vgl. hierzu die divergierenden literarkritischen Versuche bei GROSS 1974, 69–80, der zu Recht eine solche Literarkritik zurückweist. Ähnlich kritisch auch LEVINE 2000, 137f. und WITTE 2002, 191–197. Das Hauptproblem bei solchen literarkritischen Aufteilungen ist der verwirrende Wechsel der Gottesbezeichnungen im Laufe der Erzählung, der eine vernünftige Quellenscheidung nahezu unmöglich macht. Ein Nachweis von unabhängigen Quellen ausweislich des verwendeten Gottesnamens stößt hier schnell an seine Grenzen. KLEIN 2005, 24f. diskutiert ebenfalls verschiedene Gründe für den Wechsel des Gottesnamens. GRAUPNER 2002, 164 Anm. 39, erklärt das Problem des unterschiedlichen Gebrauchs vor allem mit redaktioneller Arbeit. 9 Vgl. besonders RUDOLPH 1938, 103–105; GROSS 1974, 201; SEEBASS 2007, 52. 10 Nach BARRÉ 1997, 262 wird Bileam aufgrund seines Bekenntnisses in Num 22,18 („ יהוהmein Gott“) vom Erzähler als Prophet von יהוהgezeichnet. Es verwundert daher nicht, dass die Septuaginta das Bekenntnis Bileams signifikant verändert, so dass er nun nicht mehr als wahrer Verehrer von יהוהerscheint, vgl. RÖSEL 2006b, 163. 11 Das Verb קרה-N ist mehrere Male direkt oder implizit mit יהוהverbunden, vgl. Ex 3,18; Num 23,3.4.15.16. Insofern ist gerade die Verbindung mit אלהיםbemerkenswert. Der Grund hierfür kann nicht mehr angegeben werden. Außerdem scheint dieses Verb ein reales und nicht nur ein „geistliches“ Treffen zwischen Gott und Prophet anzudeuten. Für eine solche Deutung spricht auch die Verwendung in 2Sam 1,6.
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dass in Num 22,22 der Gottesname אלהיםsteht. Vielleicht liegt dies daran, dass ein solcher Charakterzug für allzu menschlich und daher für Gott als unpassend betrachtet wurde. Vermutlich wird deshalb die Bezeichnung אלהיםin der Erzählung mit dem Engel verwendet.12 Offenbar hatten die biblischen Autoren keine Probleme, mit dem Namen אלהיםanthropomorphe Züge zu verbinden, während der Name יהוהimmer dann Verwendung fand, wenn ein mehr vergeistigtes Bild gezeichnet werden sollte. Erst am Ende der Eselin-Erzählung greift יהוהpersönlich in die Handlung ein (Num 22,28.31). Sukzessive wird folglich יהוהin die Erzählung eingeführt. Erst nach einer gewissen Zeit wird somit deutlich, dass die Ereignisse eigentlich auf das Handeln von יהוהzurückgeführt werden müssen. Selbst Balak erkennt nach mehreren Durchläufen, dass es schließlich יהוהgewesen ist, der Bileam von seinem berechtigten Lohn fernhielt, indem er es nicht zuließ, dass Bileam das Volk Israel effektiv verfluchen konnte. Somit ist es angesichts der sukzessiven Mitteilung, dass יהוהim Hintergrund der Ereignisse der Bileamerzählung die Fäden spinnt, kaum verwunderlich, dass der Name יהוהerst im zweiten Teil der Bileamerzählung (Num 23–24) besonders in den Mittelpunkt gestellt wurde, während man sich im ersten Teil (Num 22) noch weitgehend auf אלהיםbeschränkte. Auf diese Weise dient Num 22 als Vorgeschichte, in der – ganz abgesehen von einer anderen Zusammenstellung von Charakteren – beide göttliche Benennungen noch möglich sind. Neben den verschiedenen Gottesbezeichnungen taucht in der EselinErzählung noch ein gewisser מלאך יהוהauf.13 In dieser Episode werden der Engel und Gott sorgsam unterschieden. Der Bote Gottes spielt ohnehin nur eine untergeordnete Rolle im Heilsplan Gottes. Er ist ein Instrument in der Hand Gottes, das er zu seinen Zwecken einsetzen kann. Somit muss er deutlich von יהוהunterschieden werden. Der Engel ist folglich keine zeitweilige Manifestation Gottes.14 Er wird vielmehr von Gott geschickt, um Bileam auf seinem Weg zu Balak zu behindern. In diesem Sinne ist der Bote Gottes eine Drohgestalt, die den heidnischen Propheten davon abhalten soll, seine bösen Absichten in die Tat umzusetzen. Aus alledem folgt: Die Verwendung unterschiedlicher Gottesnamen hat inhaltliche Gründe. Erst mit der Zeit wird der Gottesname יהוהoffenbar. Hinter der Erzählung steht also nicht ein x-beliebiger Gott, sondern יהוה, der Gott Israels und Bileams. Dieser Gott lässt sich auch nicht manipulieren, sondern steht zu seinem Segen für Israel. Selbst Balak erkennt nach mehreren Durchläufen, dass יהוהIsrael gesegnet hat. Im Folgenden sollen verschiedene 12
SCHMIDT 2004a, 339 Anm. 24 verändert MT zu יהוהin Übereinstimmung mit Sam. COLE 2000, 375 betont, dass bei diesem Idiom in allen anderen Fällen die Gottesbezeichnung יהוהsteht. 13 Num 22,22.23.24.25.26.27.31.32.34.35. 14 Vgl. ASHLEY 1993, 455. Gegen DAVIES 1995, 250; BELLINGER 2001, 267.
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Offenbarungsformen näher in den Blick genommen werden, wobei chronologisch am Text entlang gegangen wird. Es wird sich zeigen, dass sich die einzelnen Offenbarungsformen steigern werden.
2. Begegnung mit Gott Unter den verschiedenen Formen der Kommunikation zwischen Gott und dem Propheten Bileam ist die Beschreibung eines „Kommens“ Gottes wohl die direkteste Form des Kontakts. Insgesamt gibt es in der Hebräischen Bibel nur fünf Beleg für ein wayyiqtol der Wurzel בוא-G + אלהים/יהוה. Zwei dieser Belege finden sich in der Bileamerzählung.15 In allen Fällen kommt Gott ( )אלהיםzu Nicht-Israeliten wie Abimelech von Gerar, Laban von Aram oder Bileam von Petor.16 In all diesen Fällen scheint der Gottesname יהוהdeshalb vermieden zu sein, da Gott sich hier stets Nicht-Israeliten zugewendet hat. Einzig der Israelit Samuel erhält einen nächtlichen Besuch von יהוה. Darüber hinaus kündigt Gott ( יהוהoder )אלהיםin Ex 19,9 und 20,24 sein Kommen zu Mose an. Das Kommen Gottes geschieht immer bei Nacht.17 Es scheint, dass Gott direkt dem Menschen begegnet. Denn in den genannten Fällen wird das Kommen Gottes nicht funktional einem Traum zugeordnet. Gott begegnet dem Menschen somit nicht im Medium des Traums ()חלום, sondern es kommt zu einer direkten Begegnung zwischen Gott und Mensch.18 Auch 15
Gen 20,3; 31,24; Num 22,9.20 mit אלהים. 1Sam 3,10 mit יהוה. KAISER 1996, 101 vermutet, dass Bileam immer wieder versucht habe, den Willen Gottes durch nächtliche Gespräche zu erkunden. SEEBASS 2007, 75 hält das Kommen Gottes für einen „Topos divinatorischer Literatur“. Nach MOBERLY 1999, 7 lässt sich Bileam auf den Handel mit Balak ein, indem er bei der zweiten Gesandtschaft wiederum den Kontakt zu Gott sucht, um dieses Mal eine Erlaubnis zu erhalten, zumal beim zweiten Mal die Belohnung größer war. 16 MILGROM 1990, 189 betrachtet dies als Zeichen für eine minderwertige Theophanie, zumal das Kommen Gottes nie den eigentlichen Propheten Israels zugeschrieben werde. Zum „Kommen Gottes“ vgl. auch ACHENBACH 2003, 398. MOORE 1990, 99 hält den nächtlichen Dialog mit Gott zudem für ein oneiromantisches Orakel. 17 WAGNER 1996, 89 hält diesen Offenbarungstypus für ein auditionäres Widerfahrnis: entweder ein Traum oder ein Inkubationsorakel. 18 Vgl. Num 22,9.20; 1Sam 3,10. Da Bileam nicht geträumt hat, kann er auch nicht als Oneiromantiker bezeichnet werden, vgl. KAISER 1996, 101. GRAUPNER 2002, 163 vermutet, dass der Traum als Offenbarungsmedium auf die Zeit der Erzeltern beschränkt gewesen sei. Insofern könne ein elohistischer Autor zwischen der Zeit des Mose und der Zeit davor unterschieden haben. Dann ist aber fraglich, weshalb der Autor hier eine noch direktere Form der Kommunikation mit Gott zulässt, als dies bei Moses der Fall gewesen ist. Es verwundert zudem, dass gerade einem Ausländer eine solche direkte Offenbarungsform zugesprochen wurde. Es ist außerdem bemerkenswert, dass die LXX den Text nicht durch
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wenn nicht ausgeschlossen ist, dass sich Gott in diesen drei Fällen nur indirekt dem Menschen vielleicht durch einen Traum vermittelt, ist es doch auffällig, dass der Autor gerade dies verschweigt und stattdessen ein tatsächliches Kommen andeutet. Somit gewinnt man den Eindruck, dass Bileam und Samuel eine persönliche Kommunikation mit Gott bei Nacht gewährt bekommen, was beide noch zusätzlich von anderen prophetischen Gestalten abhebt. Alle anderen göttlichen Besuche geschehen nämlich explizit im Kontext von Träumen.19 Alle Erzählungen über ein Kommen Gottes haben das gemeinsame Ziel, dass Gott etwas Wichtiges dem Einzelnen mitteilen möchte.20 Die Begegnung mit Gott in diesen Erzählungen wird zudem im Kontext der jeweiligen Berufung und der göttlichen Führung der einzelnen Personen verortet. Das Kommen Gottes wird darüber hinaus in einer sehr archaischen und anthropomorphen Art und Weise beschrieben. Es besteht folglich die Gefahr, dass dadurch die Souveränität und Unverfügbarkeit Gottes in Frage gestellt wird. Es verwundert daher nicht, dass die allzu direkte Begegnung gerne durch die Einführung eines Boten gemildert wird.21 Abgesehen von den erwähnten archaischen Erzählungen, die ein tatsächliches Kommen Gottes beschreiben, hat eine ähnliche Redeweise einen prominenten Platz in hymnischen und prophetischen Beschreibungen einer göttlichen Theophanie vor allem im Kontext von Gericht und Rettung. Außerdem wird auf ähnliche Weise ein Kommen Gottes am Tempel geschildert, was in kultischer Sprache geschieht.22 Die damit verbundene, unterschiedliche Phraseologie kann hier nicht explizit behandelt werden.
die Einführung eines Boten an der Stelle Gottes verändert hat. AUSLOOS 2007, 86f. weist darauf hin, dass Bileam aufgrund der direkten Begegnung mit Gott als „verus propheta“ bezeichnet werden kann. 19 SCHNUTENHAUS 1964, 18 hält hingegen den Unterschied zwischen Traum und tatsächlicher Begegnung für nicht relevant. Allerdings ist die Tradition eines Kommens Gottes auch außerbiblisch belegt, nämlich in der Bileam-Inschrift vom Tell Dēr ʿAllā (2088.1782): Hier wird beschrieben, wie gewisse Götter zu Bileam kommen (KAI 312:1). Dies wird mit dem Verb אתהausgedrückt. 20 Vgl. SCHNUTENHAUS 1964, 18. Nach PREUSS 1973, 563 hat das Kommen Gottes „nie etwas Harmloses“. 21 Vgl. JENNI 1997, 26f. Im Gegensatz zu JENNI 1997, 27, ist in Num 22,9.20 keine Rede von einem Traum, in dem Gott dem Einzelnen begegnet. Vgl. hierzu auch die vorsichtigen Bemerkungen bei PREUSS 1973, 562. 22 Zu diesem Problem vgl. SCHNUTENHAUS 1964, 15–18; JENNI 1971, 267; PREUSS 1973, 563–568; JENNI 1997, 28–35.
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3. Bileam und der Engel Die Erzählung von Bileam und dem Engel enthält eine Fülle von folkloristischen Details wie die sprechende Eselin, den Engel und den naiven Antihelden.23 Außerdem sind auch komische Elemente festzustellen,24 die wirkungsgeschichtlich insofern relevant sind, als diese Erzählung den biblischen Drehund Angelpunkt bildet für die weitere biblische und außerbiblische Darstellung Bileams als berüchtigten blinden und gefürchteten bösen Seher. Die Perikope Num 22,22–35 hat drei wichtige Akteure: Bileam, den Engel und eine Eselin. Der Handlungsablauf wird durch die Zusammenstellung dieser drei unterschiedlichen Charaktere vorangetrieben, wobei jeder Akteur jeweils für ein bestimmtes Attribut steht (Blindheit, Bedrohung und Klarsicht).25 Das wichtige Motiv der Klarsicht und Blindheit wird in dieser Erzählung durch eine spezielle Idiomatik ausgedrückt. Das in diesem Kontext wichtige Verb ראהist aber darüber hinaus ebenso ein „Leitwort“ innerhalb der gesamten Bileamerzählung. Das Verb ראהwird zudem nicht nur in der Prosaerzählung, sondern auch in den poetischen Abschnitten verwendet und bezieht sich auf die unterschiedlichsten Objekte: a) b) c) d)
Sehen des Engels in Num 22,23.25.27.31.33 Sehen Israels in Num 22,2.41; 23,9.13(dreimal).21; 24,2.17 Sehen einer Offenbarung Gottes in Num 23,3; 24,1 Sehen von zukünftigen Dingen in Num 24,20.21
Vor allem in Num 23 und 24 betont das Verb ראהden gesegneten Zustand Israels, durch den ein Verfluchen praktisch unmöglich ist. Bereits bei der aufmerksamen Betrachtung des aktuell sichtbaren Zustands, den Israel erweckt, enthüllt sich der Wille Gottes. Es verwundert daher nicht, dass sich die Bileamerzählung gerade um das Motiv der Blindheit des berühmten Sehers Bileam dreht. Die Erzählung von Bileam und dem Engel in Num 22,22–35 unterbricht jedoch den Erzählfluss. Es handelt sich hierbei vermutlich um eine spätere
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Vgl. STAUBLI 1996, 301. Der berühmte Seher übersieht offenbar den Engel, der hingegen von der Eselin gesehen wird. Bileam ist gewalttätig und erzürnt, während die Eselin loyal und intelligent ist. Bezüglich des komischen Elements innerhalb der Bileamerzählung, vgl. besonders DOUGLAS 1993a, 221: „broad slapstick“; DAVIES 1995, 247; „comic irony“. Zu einem Vergleich zwischen Eselin, Bileam und Balak vgl. NORTH 1997, 211f. 25 Das genaue Verhältnis der Beziehung zwischen den einzelnen Figuren und Attributen kann hier freilich nur angedeutet werden. 24
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Ergänzung,26 zumal es folgende Spannungen und Wiederholungen zum Kontext gibt: a) Bileam wird von zwei seiner Diener ()ושׁני נעריו27 und nicht von den moabitischen Stammesführern begleitet (v.22 vs. v.21). Die Boten aus Moab werden nicht mehr erwähnt. Es wird auch nicht ausgeführt, ob sich die zahlreichen moabitischen Stammesführer von v.15 ()שׂרים רבים, die an anderer Stelle Diener bzw. Stammesführer Balaks in v.18 und v.35 genannt werden (שׂרי בלק/)עבדי, oder die Stammesführer Moabs aus v.21 ( )שׂרי מואבebenfalls mit Bileam auf die Reise gemacht haben. Dies ist zumindest eine auffällige Spannung, die diese Erzählung vom umgebenden Kontext abhebt. Die Erwähnung von zwei Dienern scheint ein literarisches Stereotyp zu sein, mit dem betont werden soll, dass Bileam eine hochstehende Persönlichkeit ist. Denn auch sonst werden bedeutende Personen immer wieder von zwei Dienern begleitet.28 Es verwundert daher nicht, dass die beiden Diener auffälligerweise nach ihrem unerwarteten Auftritt nicht mehr erwähnt werden. Die Stammesführer von Moab bzw. Balak tauchen hingegen in v.21 und v.35 auf, so dass auf diese Weise die Erzählung von der Begegnung Bileams mit dem Engel von beiden Seiten gerahmt wird, auch wenn genau diese Personengruppe in der eingefügten Erzählung mit dem Engel überhaupt keine Rolle mehr spielt. In der Erzählung Num 22,21–35 gibt es nämlich nur vier Personen, die eine wirkliche Rolle spielen: JHWH, der JHWH-Engel, die Eselin und schließlich Bileam. Da die Moabiter für den Ablauf der Handlung in dieser Episode nicht wichtig sind, konnte sie der Erzähler ohne Probleme übergehen. Auf diese Weise konnte er sich auf die eigentlich wichtigen Personen konzentrieren.
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DAY 1988, 60f. vermutet, dass die Erzählung von Bileam und dem Engel, die offen den heidnischen Mantiker lächerlich macht, sekundär hinzugefügt wurde. Auch nach ROUILLARD 1980, 238 handelt es sich um eine unabhängige Erzählung, die nicht auf die Quellen J und E zurückgeführt werden könne. Anders aufgrund angenommener intertextueller Verbindungslinien hingegen HEPNER 2011, 184. 27 Nach ACHENBACH 2003, 403 weist die Erwähnung der beiden Diener auf den fragmentarischen Erhaltungszustand der Erzählung von Bileam und dem Engel hin. BARTELMUS 2005, 38 Anm. 33 hält die beiden Diener sogar für eine späte Glosse. In Num 24,12 werden sie als Boten gedeutet, die von Balak ausgesandt wurden ()מלאכיך, vielleicht als bewusster Gegensatz zum Engel, der von Gott geschickt wurde ()מלאך יהוה. 28 Vgl. MILGROM 1990, 190; COLE 2000, 390; SCHMIDT 2004b, 133. Für diese Bedeutung könnte man auf Gen 22 und 1Sam 28 hinweisen. Ähnlich auch WEISE 2006, 101 Anm. 80. Nach STAUBLI 1996, 300 wird auf diese Weise die vermutete Bedeutung Bileams auf ironische Weise besonders unterstrichen. BUDD 1984, 266, ergänzt noch die Namen der beiden Diener Bileams, die im palästinischen Targum als Jannes und Jambres bezeichnet werden. AUSLOOS 2007, 88f. deutet die beiden Diener als intertextuelle Verbindung zur Aqeda in Gen 22.
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b) Gott ändert offenbar willkürlich seinen Willen, da er nach seiner ursprünglichen Zustimmung einen Engel sendet, um die Reise Bileams zu Balak zu verhindern (v.20 vs. v.22).29 Die Erlaubnis für Bileam, die Reise nach Moab zu Balak fortzusetzen, ist darüber hinaus eine an sich unnötige und redundante Wiederholung (v.35 vs. v.20). c) In der Erzählung mit dem Engel in Num 22,22–35 wechselt der Gottesname konsequent zu יהוה. Zusätzlich zu den verschiedenen Gottesnamen taucht nur in diesem Abschnitt ein מלאך יהוהauf.30 Ein מלאךübt in der Regel die Funktion eines Boten aus, zumal das nomen regens von der Wurzel „( לאךsenden“) abgeleitet werden kann. Die direkte Gottesbeziehung Bileams wird in dieser Erzählung somit merklich abgeschwächt, was die Erzählung mit dem Engel auch theologisch vom Übrigen abhebt.31 Interessanterweise wird hier nicht der alternative Ausdruck מלאך אלהיםverwendet, auch wenn dieser vor allem im Zusammenhang mit Nicht-Israeliten auftaucht und im Gegensatz zu מלאך יהוהim Plural gesetzt werden kann32. d) Der auf diesen möglichen Einschub folgende v.36 ist die natürliche Fortsetzung von v.21, so dass die Bileamerzählung auch ohne die EselinErzählung auskommt.33 Bileam weist in seiner Apologie in v.33–34 nicht auf die zuvor von Gott gewährte Erlaubnis hin, mit den moabitischen Boten gehen zu dürfen, obwohl er mit dem Tod bedroht worden ist. Die Erzählung von Bileam und dem Engel ist folglich eine in sich geschlossene, klar strukturierte Erzählung, die sich vom Kontext abheben lässt.34 Der 29
Nach MOYER 2012, 173 ist v.20 als rhetorisches Stilmittel zu verstehen, da die Erlaubnis mit einem Konditionalsatz gegeben wird. Wenn Bileam mit den Männern gehen will, dann darf er das tun. Aber er kann nur das Wort Gottes mitteilen, nichts anderes. 30 Num 22,22.23.24.25.26.27.31.32.34.35. 31 Vgl. ROBKER 2013, 341. 32 Vgl. Gen 21,17; 28,12(pl); 31,11; 32,3(pl); Ex 14,19; Ri 6,20; 13,6.9; 1Sam 29,9; 2Sam 14,17.20; 19,28; 2Chr 36,16. Die Variante מלאך יהוהfindet sich in Gen 16,7. 9.10.11; 22,11.15; Ex 3,2; Num 22,22.23.24.25.26.27.31.32.34.35; Ri 2,1.4; 5,23; 6,11. 12.21(zweimal).22(zweimal); 13,3.13.15.16(zweimal).17.18.20.21(zweimal); 2Sam 24,16; 1Kön 19,7; 2Kön 1,3.15; 19,35; 1Chr 21,12.15.16.18.30; Ps 34,8; 35,5.6; Jes 37,36; Hag 1,13; Sach 1,11.12; 3,1.5.6; 12,8; Mal 2,7. 33 Vgl. BUDD 1984, 256f.; MILGROM 1990, 468f.; ASHLEY 1993, 434f.; KLEIN 2005, 24, ROBKER 2013, 340. VUILLEUMIER 1996, 154 hält das Satteln der Eselin in v.21 für den Startpunkt der interpolierten Erzählung von Bileam und dem Engel. Nach SCHÜLE 2001, 50f. müsse zwischen der göttlichen Erlaubnis und dem Zweifel an der Motivation Bileams unterschieden werden. Die Erzählung mit dem Engel kritisiert folglich die Motive für Bileams Verhalten. WEISE 2006, 200–208 hält die Bileamerzählung für einheitlich, da alle Spannungen narratologisch erklärt werden können. Ähnlich auch MOYER 2012, 170–175. 34 Redaktionelle Änderungen im Kontext könnten hingegen darauf hindeuten, dass es sich bei der Erzählung mit dem Engel nicht um eine unabhängige Quelle gehandelt habe, vgl. BARTELMUS 2005, 35. Vielleicht wurde diese Erzählung bewusst geschaffen, um Bile-
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negative Ton der Erzählung unterscheidet sich von der Diktion der übrigen Bileamerzählung.35 Hier ist der angeblich hervorragende Seher nicht imstande, all das ebenfalls zu sehen, was die Eselin ohne Probleme erkennt. Somit scheint es sich um eine Erzählung zu handeln, die die seherischen Möglichkeiten Bileams herunterspielen möchte. Denn der berühmte Seher Bileam bemerkt den Engel im Gegensatz zu seiner Eselin zunächst überhaupt nicht. Offenbar sollen mit dieser negativen Erzählung heidnische Seher verspottet werden, zumal normale Sterbliche göttliche Boten sehen können.36 Da der Zorn Gottes der göttlichen Erlaubnis von v.20 widerspricht,37 muss in v.35 dem Propheten Bileam erneut erlaubt werden,38 sich auf die Reise zu Balak zu begeben. Wahrscheinlich hat der Redaktor mit dieser Erzählung eine Erprobung des heidnischen Propheten angezielt.39 Vor diesem Hintergrund wäre dann der offensichtliche Widerspruch in v.20 als Ironie zu verste-
am als wahren Propheten zu installieren, zumal der Autor einschlägige Wörter und Themen aus den Formeln Num 24,3–4 und 15–16 verwendet. 35 Vgl. ROBKER 2013, 340f. 36 Zur Negativzeichnung Bileams vgl. ROUILLARD 1985, 116; VUILLEUMIER 1996, 160; LEVINE 2000, 138f.; ACHENBACH 2003, 403. Bileams Anspruch auf prophetische Sicht, Sprache, Kenntnis Gottes und Weisheit werden durch die Erzählung nachhaltig widerlegt. Nach MILGROM 1990, 469 demütigt diese Erzählung Bileam in vielfältiger Weise, was auch durch die Midraschim belegt wird. Ähnlich SETERS 1997, 132: „The talking ass story is the final degradation of the faithful prophet into a buffoon who must be instructed by his own humble donkey“. Nach NOORT 2007, 44 wird das Negativbild Bileams durch die Suche nach Kriterien für wahre Prophetie im 7. Jh. v.Chr. erzeugt. KNIERIM/COATS 2005, 261 halten die Fabel für eine Anti-Legende, die die negativen Tugenden des Propheten betonen möchte. Nach SCHÜLE 2001, 64f. wird hier das Thema des Gehorsams stark gemacht, die der Erzählung einen dramatisch-tragischen Anstrich gibt. Ähnlich SCHMITT 2001, 253, demzufolge diese Erzählung den heidnischen Mantiker Bileam zu einen JHWHPropheten machen möchte. 37 SCHMIDT 2004a, 339f. weist darauf hin, dass diese Erzählung der göttlichen Erlaubnis in Num 22,20–21 widerspricht. Er vermutet zudem, dass es unwahrscheinlich ist, dass ein späterer Redaktor diese Erzählung in eine frühere Bileamerzählung eingebaut habe, zumal in späterer Zeit der Zornausbruch Gottes undenkbar sei. Vgl. auch SCHMIDT 2004b, 123. Nach GRAUPNER 2002, 160f. deutet dieser Widerspruch auf zwei unterschiedliche Beschreibungen der Handlung hin. LEVIN 1993, 387f. löst diese Spannung dadurch auf, dass Num 22,13–20 eine spätere Redaktion sei. KELLENBERGER 1989, 70f. macht darüber hinaus auf andere Erzählungen mit einem ähnlich widersprüchlichen Gottesbild aufmerksam. Ähnlich AUSLOOS 2007, 99f., der hier auf das Problem der Seinsweise eines monotheistisch gefassten Gottes hinweist. Nach BELLINGER 2001, 265 betont diese Erzählung „the divine mystery and the warning not to presume on God’s favor“. 38 MILGROM 1990, 469 hält v.35 für eine Wiederholung von v.20–21. 39 Zu dieser Erzählung als Prüfung des Propheten, vgl. STAUBLI 1996, 300f.; KLEIN 2005, 28.
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hen. Im Anschluss beginnt demnach eine Lehrstunde für Bileam über wahre Prophetie.40 Die Perikope Num 22,22–35 soll im Folgenden Vers für Vers besprochen werden, damit die Textur der kunstvoll gestalteten Erzählung besonders gut zur Geltung kommen kann. Auf diese Weise kann auch die typische Phraseologie in den Blick genommen werden. Auffälligerweise kontrollieren JHWH und der JHWH-Engel zu jedem Zeitpunkt den Lauf der Ereignisse, während die Eselin und Bileam immer nur reagieren können.41 In Num 22 wird der Engel als Bedrohung gesendet,42 um Bileam von seinem Vorhaben abzuhalten. Gleich zu Beginn der Erzählung wird in v.22 der Zorn Gottes erregt, da Bileam zum Moabiterkönig Balak aufbricht. Die im Alten Testament weit verbreitete Zornesformel ( )חרה אףwird in der Bileamerzählung insgesamt dreimal verwendet. Sie dient als ein strukturierendes Element für die gesamte Bileamerzählung in Num 22–24:43 Zunächst wird der Zorn Gottes erregt, dann der Zorn Bileams und schließlich abschließend der Zorn des Moabiterkönigs Balak. Somit dient diese Formel dazu, die Erzählung von Bileam und dem Engel mit dem größeren Kontext zu verbinden. Der JHWH-Engel, der insgesamt zehnmal in der Bileamerzählung genannt wird,44 positioniert sich zunächst so auf dem Weg, dass das Vorankommen merklich behindert wird (יצב-tD). Vor dem Hintergrund von Num 23,3.15 und anderen Stellen bezeichnet dieses Verb nicht die totale Blockade des Wegs.45 Man konnte folglich das erste Mal noch einen Umweg einschlagen,
40 Vgl. MOBERLY 1999, 9f. WEISE 2006, 106 erklärt den offensichtlichen Widerspruch mit Verweis auf die Präpositionen. So geht Bileam mit den moabitischen Boten (ausgedrückt mit )עםim Gegensatz zur göttlichen Erlaubnis (ausgedrückt mit )את. Insofern macht er gemeinsame Sache mit den Moabitern. Allerdings ist diese Unterscheidung problematisch. Denn auch die sogenannte „Beistandsformel“ kann mit beiden Präpositionen gebildet werden, ohne dass ein Unterschied besteht, vgl. z.B. Gen 39,3 oder 1Sam 18,12. SAKENFELD 1995, 126 vermutet, dass Bileam gehofft habe, dass Gott seine Meinung geändert habe. 41 Es ist nämlich JHWH, der den Mund der Eselin und die Augen Bileams öffnet. Ähnlich auch SALS 2008, 325, die alle Aktionen von JHWH ausgehen lässt. 42 Vgl. SEEBASS 1982, 583f. Nach ACHENBACH 2003, 404 wird der Engel JHWHs dann im Pentateuch verwendet, wenn die betroffene Person noch nicht für eine direkte Offenbarung JHWHs bereit ist. 43 Vgl. Num 22,22.27; 24,10. 44 Vgl. Num 22,22.23.24.25.26.27.31.32.34.35. 45 Die Wortverbindung יצב-tD + בwird auch in Ex 19,17; Dtn 31,14(zweimal); 1Sam 10,23; 2Sam 21,5; 23,12; 1Chr 11,14 verwendet. Höchstwahrscheinlich ist hiermit die Bedeutung „augenscheinlich auf etw. stehen“ im Blick, so dass der tD-Stamm in diesem Fall als Imitativ gedeutet werden kann („die Bedeutung des Verbs spielen“). Zu dieser Funktion des tD-Stamms, vgl. IRSIGLER 1981, 93. Nach LEVINE 2000, 155 beschreibt der
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da der Engel den Weg noch nicht vollkommen versperrt hat. Der Engel agiert in der Erzählung zudem als Gegner Bileams. Denn das Wort שׂטןist hier ein normaler Gegner und nicht der Hauptankläger im himmlischen Hofstaat wie in Sach 3 oder Ijob 1–2.46 In v.23 wird der Engel als eine große Gefahr für die Reisetruppe beschrieben. Die Eselin sieht nämlich den Engel, wie er mit einem gezückten Schwert in der Hand auf dem Weg steht. Die Erscheinungsweise des Engels wird durch einen Nominalsatz beschrieben, der auch an anderen Stellen belegt ist ()וחרבו שׁלופה בידו. Dieses Idiom wird dann verwendet, wenn der Engel des Herrn oder der Anführer der himmlischen Armee in den Blick genommen werden soll.47 Es hat somit den Anschein, dass himmlische Boten gelegentlich bewaffnet sind und auf diese Weise Furcht und Ehrerbietung provozieren. Auf synchroner und intertextueller Ebene kann der Engel des Herrn folglich als Anführer der himmlischen Armee wie in Jos 5,13–14 gedeutet werden. Dementsprechend ist hier offenbar kein gewöhnlicher Bote, sondern ein hochrangiger Offizier im Blick, der die Macht hat, das himmlische Heer zu befehligen. Folglich handelt es sich nicht nur um einen unbedeutenden Soldaten, sondern um einen himmlischen Befehlshaber mit quasi-göttlicher Machtbefugnis. Diese derart gefährliche Erscheinung beeindruckt die Eselin derart, dass sie vom Weg abkommt und in ein Feld ausweicht.48 Daraufhin schlägt Verbalstamm יצב-tD anderswo eine „posture of divine beings in theophany“ oder eine „attendance upon divine beings“. 46 Vgl. SAKENFELD 1995, 127; SCHMIDT 2004b, 133. In diesem Sinne hält LEVINE 2000, 155 das Nomen שׂטןfür eine typische Redeweise der spätvorexilischen historischen Bücher, zumal diesem Nomen noch die Bedeutung des determinierten Nomens im Sacharjabuch und Ijobbuch fehle. Auch könne dieses Wort nicht mit dem Eigennamen Satan zu verbinden sein. MOBERLY 1999, 10 zieht zudem eine Parallele zu 1Kön 11, wo Hadad und Reson ebenfalls Gegner von Salomo genannt werden. Auf ähnliche Weise ist der Engel eine gegnerische Figur, die göttliches Missfallen bekundet. Gemäß DAY 1988, 65 bedeutet das Wort שׂטןsowohl „adversary“ als auch „legal opponent“. ROUILLARD 1985, 120f. vermutet hingegen, dass der Engel lediglich die Funktion eines Hindernisses einnehmen sollte, aber nicht schon die Funktion eines Gegners. 47 Dieses Idiom wird in Num 22,23.31 und in Jos 5,13; 1Chr 21,16 verwendet. Nach GROSS 1974, 349 ist dieser Ausdruck kein „formelhaftes oder vorgeprägtes Attribut des malʾak“. LEVINE 2000, 156 bemüht dieses Idiom, um die Erzählung von Bileam und dem Engel in die spätvorexilische oder frühnachexilische Zeit zu verorten. Ähnlich SCHMITT 2001, 251f. Nach DAY 1988, 64 könnte der Bote mit gezücktem Schwert auch andernorts als שׂטןgedeutet werden. Ob man aber eine solche intertextuelle Verbindung ziehen darf, ist fraglich. 48 נטה-G + מן+ דרךfindet sich nur hier und in Ijob 31,7. In beiden Fällen wird mit diesem Ausdruck die Bedeutung „von der Straße abkommen“ bezeichnet. נטה-G + מןfindet sich zudem in Num 22,33 und Spr 4,5 mit derselben Bedeutung. Die Wurzel נטהwird darüber hinaus sechsmal in der Bileamerzählung gebraucht, meistens im G-Stamm, vgl. Num 22,23.26.33(zweimal). Nur in Num 22,23 findet sich ein doppelter Akkusativ in Verbindung mit einem H-Stamm „etw. zu jmd. zurückbringen“ und in Num 24,6 mit einem N-
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Bileam seine Eselin und bestraft auf diese Weise deren Ungehorsam und Störrigkeit. Im Kontext der Bileamerzählung taucht das Verb נכהzudem immer in Verbindung mit einem Zornesausbruch auf. Schlagen ist darüber hinaus eine Reaktion, wenn man für die Realität blind ist. Man will den gesegneten Zustand Israels oder auch den Engel des Herrn einfach nicht wahrhaben. In der Bileamerzählung wird das Verb נכהin erster Linie in der Eselin-Erzählung verwendet.49 Nur zu Beginn der Bileamerzählung wird in Num 22,6 darauf hingewiesen, dass Israel durch den intendierten Fluch Bileams geschlagen werden soll. Die Notiz in Num 22,6 könnte vor dem Hintergrund der Bileamerzählung bedeuten, dass das Schlagen Israels eine ähnliche Sünde ist wie die ungeduldige und blinde Reaktion Bileams auf das Verhalten seiner Eselin. In der Erzählung mit dem Engel ist darüber hinaus der ansonsten professionelle Seher Bileam, der ein Experte für die Deutung von Omina sein will, überhaupt nicht imstande, das sonderbare Verhalten seiner Eselin korrekt zu deuten. Bileam bemerkt nicht, dass Gott ihm eine bestimmte Botschaft zukommen lassen möchte.50 Gemäß der v.24–25 steht der Engel51 daraufhin im engen Pfad zwischen den Weingärten, so dass die Reisegruppe kaum vorbeikommen kann. Wie bei der ersten Begegnung sieht auch hier wiederum nur die Eselin den gefährlichen Engel.52 Als Reaktion darauf quetscht sie sich an der Wand vorbei. Die ängstliche Reaktion der Eselin erregt wiederum den Zorn des immer noch blinden Bileams. Denn durch das Manöver der Eselin wurde der Fuß Bileams an der Wand aufgeschrammt. Ein solches Verhalten der Eselin war für Bileam unverständlich. Es verwundert daher nicht, dass Bileam seine offenbar störrische Eselin wiederum schlägt, obwohl sie ja versucht hat, das ge-
Stamm mit der Bedeutung „sich weit ausstrecken“. Nach LEVINE 2000, 156 umfasst dieses Verb zudem zwei Aspekte: transitiv und stativ. 49 Vgl. Num 22,23.25.27.28.32. 50 Vgl. WENHAM 1981, 170f. 51 Dies wird ausgedrückt mit עמד-G. Dieses Verb ist zudem noch in Num 22,24.26 belegt und unterscheidet sich von Num 22,23, wo נצב-N verwendet wird, wenn es um die erste Blockade des Wegs durch den Engel geht. Nach LEVINE 2000, 157 bedeutet dieses Verb „to halt“ und erzeugt folglich einen Kontrast zu „ עברto pass by“. KELLENBERGER 1989, 71 vermutet, dass es sich bei עברum einen „Theophaniebegriff“ handelt. Darüber hinaus charakterisiert er die Geschichte als eine Erfahrung von göttlicher Offenbarung. Das Verb עברhat jedoch eine Vielzahl von Bedeutungen, die eine einzige spezielle Konnotation schwierig und unnötig erscheinen lässt. 52 Das Idiom מלאך יהוה+ אתון+ ראהfindet sich in ähnlicher Form in Num 22,23.25. 27. Alle drei Male sieht die Eselin den Engel, der Bileam entgegensteht, und rettet daher Bileam vor dem bewaffneten Engel des Herrn. Dieser Ausdruck steht darüber hinaus in der Rede des Engels, der Bileam darauf hinweist, dass Bileam es allein seiner Eselin zu verdanken hat, dass er sein Leben nicht verwirkt hat.
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fährliche Hindernis möglichst ohne eigenen Schaden zu umgehen.53 Die Bestrafung der Eselin durch Bileam wird darüber hinaus durch das Modifikatorverb יסףausgedrückt.54 In v.26 bewegt sich der Engel wiederum und blockiert jetzt vollständig den Weg. Nun gibt es keinen engen Zwischenraum mehr zum Passieren, weder zur Rechten noch zur Linken. Als die Eselin den Engel wiederum sieht und bemerkt, dass es dieses Mal unmöglich ist, an diesem Hindernis vorbeizukommen, legt sie sich nach v.27 unter Bileam hin. Das Verb רבץhat, wenn es mit der Eselin gebraucht wird, nicht die spezielle Bedeutung der Prostration und hat hier folglich auch keine kultischen Konnotationen.55 Anscheinend wird bei dieser Erzählung die Bedrohung für die Reisegruppe immer weiter zugespitzt. Dies zeigt sich vor allem in der allmählichen Verengung des Weges, zunächst von einer normalen Straße hin zu einem Weg durch die Weingärten bis hin zu einem engen Teil dieses Weges, der nun blockiert wird, so dass die Eselin unmöglich passieren kann. Folgerichtig legt sich die Eselin hin, um weitere Befehle abzuwarten. Offenbar hat der Engel den Seher Bileam jetzt in eine Falle gelockt. Schließlich ist der finale Show-down mit dem Engel unausweichlich.56 Das störrische, unbelehrbare Verhalten seiner Eselin erzürnt Bileam jedoch erneut, so dass er sie zum dritten Mal schlägt.57 Es scheint hier zu einer Eskalation im Verhalten Bileams gekommen zu sein: Nach v.23 schlägt er die Eselin, um sie zurück auf den Weg zu treiben, nach v.25 schlägt er sie zum zweiten Mal – diesmal mit dem Modifikatorverb יסף ausgedrückt –, ohne dass er damit einen bestimmten Zweck verbunden hat, und nach v.27 schlägt er sie mit seinem Stock.58 53 Der Verbstamm לחץ-N, der sich nur hier findet, ist höchstwahrscheinlich als reflexiv zu deuten, zumal dasselbe Verb im gleichen Vers im G-Stamm verwendet wird, wo es ein direktes Objekt regiert. 54 Dieses Verb wird außerdem an zentralen Stellen der Bileamerzählung verwendet, vgl. Num 22,15 mit dem zweiten Versuch Balaks, den Seher Bileam als Mantiker zu verpflichten; Num 22,19 mit der zweiten Anfrage Bileams an Gott; Num 22,25 mit dem zweiten Schlagen der Eselin durch Bileam; und Num 22,26 mit der zweiten Blockade des Weges durch den Engel. Nach MOBERLY 1999, 7 Anm. 16 ist das Verb יסףgewöhnlich mit Kontinuität und Verstärkung zu verbinden. 55 Normalerweise beschreibt dieses Verb, wie sich Tiere niederlegen um auszuruhen, oder das Ducken eines Esels unter einer schweren Bürde. Insofern kann man dieser Beschreibung keine Hintergründigkeit zuschreiben, gegen LEVINE 2000, 156. Vielleicht soll dadurch ausgedrückt werden, dass die Eselin sich niederlegt, um einen weiteren Befehl vom Engel abzuwarten. 56 Vgl. besonders LEVINE 2000, 157. 57 Wie in v.22 wird hier Zorn erregt ()חרה אף, aber dieses Mal ist es nicht der Zorn JHWHs. Zur Parallele zwischen beiden Versen vgl. WEISE 2006, 102f. 58 Das Nomen מקלist determiniert, was insofern auffällig ist, als dieser Stock zuvor nicht genannt worden ist. LEVINE 2000, 157 vermutet daher, dass Bileam zuvor schon seine Eselin mit seinem Wanderstab geschlagen hat, jedes Mal härter als das frühere Mal.
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Allerdings kontrolliert יהוהnach v.28 vollkommen die Situation. Er öffnet59 nun den Mund der Eselin. Sie ist nach der Erzählung von der Schlange im Paradiesgarten das zweite Tier, das in der Bibel zu Menschen spricht (Gen 3). Dieses Mal ist jedoch die Rede des Tieres positiv konnotiert. Im Gegensatz zu Gen 3 besitzt die Eselin nicht von sich aus die Fähigkeit zu sprechen, da ihr erst der Mund geöffnet werden muss. Nach v.28–30 klagt die Eselin in ihrer Rede den Seher Bileam dafür an, dass er sie dreimal ohne Grund geschlagen hat. Außerdem verteidigt sie ihre stete Loyalität gegenüber ihrem Herrn, was der blinde Bileam zunächst überhaupt nicht verstanden hat. Denn Bileam glaubte, dass die Eselin ihn zum Narren halten wolle, und daher drohte er, die Eselin mit einem Schwert umzubringen.60 Der trotzige Wunsch Bileams, sein Reittier zu töten, korrespondiert zudem mit dem allmählich mitgeteilten Wunsch des Engels, Bileam seinerseits zu töten. Aufgrund seiner Blindheit riskiert Bileam sogar, sein Leben zu verlieren, während er sich – eigentlich ohne Grund – über die loyale Eselin echauffiert, die durch ihr Verhalten ihn aber beschützt hat. Erst nach der Diskussion mit der Eselin war Bileam gezwungen zuzugeben, dass das aktuelle Verhalten der Eselin in der Tat ziemlich ungewöhnlich gewesen ist, da sie sich sonst zuvor stets als sehr zuverlässig erwiesen hat. Ein herausragender Seher wie Bileam hätte eigentlich sofort erkennen müssen, dass das Verhalten seiner Eselin auffällig gewesen ist. Vor diesem Hintergrund kritisiert die Erzählung die Blindheit des Sehers, der das Offensichtliche nicht zu sehen imstande ist. Es ist außerdem bemerkenswert, dass die Eselin Bileam daran erinnern muss, dass sie ihm ihr Leben lang immer loyal gedient hat. Die Reaktion Bileams war somit vollkommen überzogen. Im Gegensatz dazu obliegt es einzig und allein JHWH, den blinden Seher Bileam endlich sehend zu machen.61 Zu dieser AussageliNach MILGROM 1990, 191 habe Bileam zuvor seine Eselin mit seiner Hand oder einem Riemen geschlagen. Der Gebrauch des Stocks, der vermutlich aus Holz gefertigt ist, ist zumindest ein Anzeichen für den sich steigernden Zorn Bileams. Auf diese Weise wird eine gewisse Eskalation der Ereignisse angedeutet, vgl. SHERWOOD 2002, 176. MOORE 1990, 103 deutet מקלdarüber hinaus als einen „riding crop, not as a magical source of power”. Zu diesem Wort vgl. auch ASHLEY 1993, 452 Anm. 4. 59 Das Verb פתחfindet sich nur hier, während das Verb גלהdann verwendet wird, wenn das Öffnen der Augen Bileams in Num 22,31; 24,4.16 beschrieben werden soll. Diese Differenzierung mag damit zusammenhängen, dass das Verb פתחim G-Stamm gewöhnlich nicht mit עיןauftaucht. Zu einem Vergleich der sprechenden Eselin mit der redenden Schlange in Gen 3, vgl. SAVRAN 1994, 33–55; SEEBASS 2007, 52. Nach LEVIN 1993, 387 ist die Rede der Eselin ohnehin erst eine sekundäre Ergänzung. 60 Vielleicht soll auf diese Weise auf den Engel mit dem gezückten Schwert in v.23 und v.31 angespielt werden. DOUGLAS 1993a, 221 hält die Reaktion Bileams zumindest für absurd, zumal es nicht angemessen sei, die Eselin nur deshalb zu töten, weil sie Bileam offenbar zum Narren gehalten hat. 61 Nach LEVINE 2000, 157 habe die Eselin vor allem an Bileams Dankbarkeit für ihre stete Loyalität appelliert, während dann erst der JHWH-Engel den Seher Bileam erleuchtet
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nie passt auch die Beobachtung, dass von der Eselin nicht auf die Bedrohung durch den Engel hingewiesen wird. Erst nach v.31 öffnet JHWH die Augen Bileams, so dass nun auch Bileam den Engel mit dem gezückten Schwert sehen kann (beschrieben durch Nominalsatz wie in v.23). Die Befähigung zum Sehen durch JHWH lässt sich mit Ex 4,11 vergleichen, wo JHWH zugeschrieben wird, wie er Menschen stumm oder taub und sehend oder blind macht.62 Sofort versteht Bileam die Situation, fällt zu Boden und beugt sich in kultischer Prostration vor dem Engel nieder. Die Verben, die in diesem Vers stehen, werden ansonsten oft in kultischem Kontext verwendet, so dass man diese Bedeutung hier ebenfalls eintragen kann.63 Daraufhin erklärt der Engel alles dem Seher Bileam in v.32– 33, wobei er dabei betont, dass er ihn – und nicht die Eselin – getötet hätte, wenn sich die Eselin nicht zur Seite gewandt hätte. Die Anklage der Eselin wird im Mund des Engels wiederholt und noch zusätzlich ausgebaut, indem der Engel auf die Fähigkeit der Eselin zu sehen im Gegensatz zu dem mit Blindheit geschlagenen Seher Bileam verweist.64 Gerade diese Fähigkeit der Eselin hat glücklicherweise Bileams Leben gerettet. Darüber hinaus scheint aufgrund der Verwendung der gleichen Idiome angedeutet zu sein, dass das Schlagen der Eselin den Engel möglicherweise selbst getroffen hat.65 Der Engel verwendet in seiner Rede in erster Linie Ausdrücke, die immer wieder in der Erzählung von Bileam und dem Engel auftauchen.66 Allerdings
habe. Allerdings werden beide Deutungen dem Text nicht gerecht. Es scheint darüber hinaus eine Überinterpretation des Textes zu sein, wenn man den Ausdruck „dreimal“ mit einer Teilnahme an den jährlichen Wallfahrtsfesten verbindet und auf diese Weise die Mission Bileams unter göttlichen Befehl stellt. Gegen LEVINE 2000, 158. 62 Nach WAGNER 1996, 90 führt das Öffnen der Augen Bileams zu einer Theophanie, die von Gott bewirkt worden sei. Auf diese Weise sei eine bislang nicht bekannte Präsenz Gottes offenbart worden. COLE 2000, 394 betont, dass Bileam nun Gott während des Tages begegnet, während er sonst immer bei Nacht eine Offenbarung Gottes gehabt habe. Insofern liegt hier eine Entwicklung vor, und zwar von der nächtlichen Begegnung Bileams mit Gott hin zur Begegnung bei Tage. 63 Vgl. עין+ גלה-G/D in Num 22,31; 24,4.16; Ps 119,18. Nach SCHMIDT 2004a, 340 soll dieser Ausdruck andeuten, dass Bileam erst dann zur visionären Schau befähigt ist, wenn JHWH seine Augen geöffnet hat. Das Idiom קדד+ חוה-Št ist eine gebräuchliche geprägte Wendung für „niederfallen und sich niederbeugen“, vgl. Gen 24,26.48; 43,28; Ex 4,31; 12,27; 34,8; Num 22,31; 1Sam 24,9; 28,14; 1Kön 1,16.31; 1Chr 29,20; 2Chr 29,30; Neh 8,6. Diese Formel kann in kultischem und profanem Kontext verwendet werden. Zum Stamm חוה-Št, vgl. LEVINE 2000, 158f. Auch bei מלאך+ ראה-G handelt es sich um eine geprägte Wendung, vgl. Num 22,23.25.27.31; Ri 6,22; 1Chr 21,16.20. 64 Vgl. KNIERIM/COATS 2005, 256. 65 Vgl. BARTELMUS 2005, 39. 66 נכה אתוןin Num 22,23.25.27.28.32(zweimal mit enklitischen Personalpronomen); שׁלשׁ רגליםin Num 22,28.32.33; שׂטןin Num 22,22.32; דרךin Num 22,22.23(dreimal). 26.31.32.34; הרגin Num 22,29.33; מפני/ נטה לin Num 22,23.33(zweimal).
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sollte man diese Beobachtung nicht literarkritisch oder redaktionsgeschichtlich auswerten, da diese Besonderheit lediglich die Kohärenz der Erzählung und die literarische Begabung des Autors und des Redaktors betonen. Der Engel erklärt darüber hinaus dem Seher Bileam, dass er als שׂטןaufgetreten ist. In der Beurteilung des Engels ist die Reise Bileams nämlich allzu hastig unternommen worden, ohne dass er zuvor ernsthaft יהוהum Rat gefragt hat.67 Es ist daher nur konsequent, dass der Engel als Gegner auftritt, der Bileam vorwirft, sich ohne göttliche Zustimmung auf den Weg gemacht zu haben. Bileam gibt in v.34 zu, dass er tatsächlich schuldig geworden ist ()חטא, aber er entschuldigt68 seinen Fehler, indem er betont, dass er nicht bemerkt habe, dass der Engel den Weg versperrte.69 Das Verb ידעist ebenfalls ein strukturierendes Element der Bileamerzählung: Dieses Verb wird zunächst von Balak verwendet, der um die Effektivität der Worte Bileams weiß. Später wird dieses Verb in Verbindung mit der Realisierung von Gottes Willen und der Präsenz des Engels gebraucht.70 Darüber hinaus verspricht Bileam, dass er nicht mit Balak gehen werde, falls dies dem Engel missfallen sollte (בעיניך )רע.
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Vgl. DAY 1988, 65f., auch wenn die Interpretation von ירטeine crux interpretum ist. Das Verb ירטist schwierig zu deuten, da dieses Verb vielleicht noch in Ij 16,11–12 auftaucht, wobei dies aber nicht gesichert ist, vgl. LEVINE 2000, 159. Basierend auf den alten Übersetzungen hat LAPSLEY 2006, 25, dieses Wort als „perverse“ gedeutet. Ähnlich auch BUDD 1984, 266. Nach ASHLEY 1993, 453 Anm. 9 ist der MT an dieser Stelle ohnehin korrupt. Zu einer Bedeutung „kopfüber laufen“ wie das arabische Kognat vgl. GREENE 1992, 26. Ähnlich WEISE 2006, 104. DOUGLAS 1993a, 217 hält Bileams „obedience to the will of God“ für „a set of lies“. Bileam würde immer noch versuchen, die von Balak versprochene Belohnung für eine Verfluchung Israels zu erhalten. KNIERIM/COATS 2005, 262 verweisen darüber hinaus auf die Schwäche Bileams und seine Bereitschaft, Israel für Geld zu verfluchen. NORTH 1997, 205f. vermutet ebenfalls, dass Bileam für seine Dienste einen gewissen Preis gehabt hat. Nach BROWN 2002, 209 habe Bileam zunächst darauf vertraut, sein Ritual zur Manipulation von Gottheiten korrekt durchzuführen, wobei er dachte „he might make a small fortune by telling Balak things he wanted to hear“. 68 Das erste כיist anscheinend am besten adversativ zu deuten: „aber ich habe es nicht gewusst“. Der Gebrauch des Verbs ידעist höchstwahrscheinlich eine Anspielung auf Num 24,16. Dort wird behauptet, dass Bileam für sich die Kenntnis Gottes beansprucht habe, vgl. MILGROM 1990, 192. Nach WAGNER 1996, 90f. besteht die Sünde Bileams nicht darin, dass er sich moralisch falsch verhalten habe, sondern darin, dass er blind gegenüber Gottes Willen sein wollte, während GREENE 1992, 26f. das Verb חטהlediglich als einen legalen Begriff versteht, der einen Bruch eines zuvor eingegangenen Bündnisverhältnisses signalisiert. 69 Nach AUSLOOS 2007, 88 ist die einzige Sünde Bileams, dass er als Seher den Engel nicht bemerkt hat. Anders hingegen SALS 2008, 325, die vermutet, dass Bileam dachte, er könne Gott manipulieren, wodurch er sich schuldig machte. Dies wird aber nirgendwo in der Erzählung explizit behauptet. 70 Vgl. Num 22,6 und Num 22,19.34; Num 24,16.
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Daraufhin erlaubt der Engel dem Seher Bileam in v.35, mit den Stammesführern Balaks zu gehen, allerdings nur unter der Bedingung, dass er nur das Wort des Engels weitergeben dürfe. Dieser letzte Befehl des Engels unterscheidet sich von v.38. Denn dort legt Gott und nicht der Engel, der nach Num 22,35 schon aus der Erzählung ohne weiteren Kommentar verschwunden ist, eine Prophezeiung in den Mund Bileams.71 Somit könnte – zumindest auf der Ebene des Endtextes – das Wort, das der Engel ausrichtet, ein Anzeichen dafür sein, dass der Engel eine Manifestation Gottes ist. Auch die Formel רע בעיניךscheint anzudeuten, dass der Engel im Auftrag Gottes handelt, da dieses Idiom meistens mit Gott verbunden wird ()רע בעיני יהוה. Allerdings sind der Engel und JHWH in Num 22,22–35 deutlich voneinander unterschieden, so dass man beide Akteure nicht ohne weiteres miteinander identifizieren darf. Die Formel רע בעיניךkönnte außerdem dahingehend gedeutet werden, dass Bileam selbst die Lage falsch eingeschätzt und dem Engel göttliche Qualitäten zugeschrieben hat. Schon seine Prostration vor dem Engel scheint dieses Missverständnis anzudeuten. Außerdem ist v.35 eine leicht veränderte Wiederholung des Gotteswortes in v.20. Vermutlich geht diese Wiederholung im Mund des Engels auf redaktionelle Arbeit zurück, so dass hier nicht angedeutet werden soll, dass Gott und der Engel miteinander gleichgesetzt werden dürfen. Aus alledem folgt: der Engel und Gott müssen in dieser Erzählung klar voneinander unterschieden werden. Der Engel ist folglich nur ein Instrument in der Hand Gottes, mit dem Gott in die Geschichte eingreifen kann, um seine Ziele zu verwirklichen. Nach der Begegnung mit dem Engel ist es dem Seher Bileam erlaubt, nicht nur den Willen Gottes zu tun ()עשׂה, sondern auch zu sprechen ()דבר.72 Auf diese Weise kann er nun endlich als wahrer Prophet Gottes auftreten. Die Erzählung von Bileam und dem Engel gehört zu denjenigen Prophetenerzählungen, in denen ein Prophet auf die Probe gestellt werden soll. Der Engel – der zunächst für Bileam unsichtbar gewesen ist – und die sprechende Eselin sind Mittel, um die Fähigkeiten und Unfähigkeiten eines wahren Propheten herauszuarbeiten. In dieser Erzählung wird folglich eine Lehrstunde für Bileam und für jeden wahren Propheten gegeben.73 Somit scheint es der Erzählung mit dem Engel vor allem daran gelegen zu sein, den Propheten auf 71 SCHMIDT 2004a, 340f. vermutet, dass Bileam in der ursprünglichen Erzählung nach Hause zurückkehrte, nachdem er dem Engel begegnet war. Die ursprüngliche Erzählung weist er einer jahwistischen Quelle zu. Diese Deutung werde angeblich durch v.37 gestützt, wo Balak sich wiederum anschickt, Bileam zu gewinnen. Allerdings haben bereits GROSS 1974, 25–129; SCHMITT 2001, 250f. und SEEBASS 2007, 29 diese Theorie überzeugend widerlegt. 72 BARTELMUS 2005, 41f. 73 Nach MOYER 2012, 174f. wird anhand von Bileam und der Eselin das Verhältnis zwischen Balak und Bileam durchgespielt. Während Bileam lernfähig ist, bleibt Balak unbelehrbar.
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die Probe zu stellen. Gerade mit diesem erzählerischen Ziel lässt sich die Eselin-Erzählung mit anderen Prophetenerzählungen vergleichen. Die Erzählung von Bileam und dem Engel ist aber auch eine Geschichte, die eine ganz bestimmte Offenbarungsform schildert. Hier wird nämlich beschrieben, wie die göttliche Sphäre über einen Boten in die Menschenwelt eindringen kann. Neben der Kommunikationsform mit dem Engel werden in Num 22–24 noch weitere Offenbarungsformen angeführt, die im Folgenden geschildert werden sollen: So offenbart sich Gott durch die Befragung von Omina, durch eine Art Audition und schlussendlich durch eine wirkliche Vision. Somit ist im Verlauf der Bileamerzählung eine gewisse Entwicklung und Dynamik festzustellen, vor allem in der Form, wie Bileam eine Botschaft von Gott empfängt und wie indirekt oder direkt diese Offenbarungsform auf Bileam einwirkt. Alle Offenbarungsformen in der Bileamerzählung sind zudem an den expliziten Willen JHWHs zurückgebunden. Auch ein nicht-israelitischer Mantiker wie Bileam kann folglich als JHWH-Verehrer bezeichnet werden,74 wenn ihn Gott dazu befähigt. Alles in allem gilt als Quintessenz der Bileamerzählung: Prophetische Klarsicht oder Blindheit gehen allein auf Gott zurück und können nicht vom Menschen kontrolliert oder beeinflusst werden. Schon die Eselin-Erzählung hat genau diesen Aspekt verdeutlicht. Hier reagieren die Eselin und Bileam lediglich auf das Handeln Gottes und seines Boten.
4. Kontakt mit Gott Nach Num 23,4–5.16 trifft Bileam Gott, der ihm dann eine Prophezeiung in den Mund legt ()שׂים דבר בפה. Die genaue Bedeutung des Verbs קרה-N „treffen“ ist in diesem Kontext schwierig zu bestimmen. Es ist nämlich fraglich, ob es sich um eine direkte Begegnung oder vielleicht eine eher zufällige und ungeplante Kommunikation mit Gott handelte.75 In profanem Kontext ist mit dem Verb קרה-N eine gewisse Zufälligkeit der Begegnung zu verbinden. In theologischer Rede gehen hingegen bei diesem Verb Zufälligkeit und göttliche Führung zusammen.76 Das Verb hat darüber hinaus einen gewissen
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Es handelt sich hierbei vermutlich um eine spätere literarische Entwicklung der zunächst negativen Bileam-Tradition, vgl. hierzu die Bemerkungen bei GASS 2001a, 261– 263. 75 MILGROM 1990, 198 interpretiert קרה-N als Reflexivstamm. Zu diesem Problem vgl. COLE 2000, 401; LEVINE 2000, 166. ASHLEY 1993, 466 vermutet ein „divine-human meeting“. WAGNER 1996, 103 deutet קרה-N als Audition. Allerdings gibt es keinen weiteren Hinweis dafür, dass die semantische Bedeutung von קרה-N auf die auditive Wahrnehmung einzuschränken wäre. 76 Vgl. RINGGREN 1993, 173f.
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Offenbarungscharakter.77 Allerdings wird nicht mitgeteilt, auf welche Weise die Offenbarung eintritt. In allen Fällen führt die unerwartete Offenbarung beim menschlichen Subjekt von קרה-N zumindest dazu, Gott zu gehorchen.78 Auch wenn das mit קרה-N verbundene Ergebnis außer Zweifel steht, kann die zugrundeliegende Erfahrung kaum näher beschrieben werden. Num 24,1 scheint zumindest anzudeuten, dass Bileam gewisse Werkzeuge für die Divination verwendet hat, nämlich נחשׁund קסם. Insofern wird im vorliegenden Fall mit dem Verb קרה-N kaum eine reale persönliche Begegnung mit Gott zu verbinden sein, sondern eher eine Botschaft, die man mit Hilfe von divinatorischen Mitteln erhalten hat. Somit muss man wohl קרה-N von בואin gewisser Weise unterscheiden. Anders als בוא, wo nur ein Teilnehmer in der Begegnung aktiv ist – nämlich Gott selbst –, betont das Verb קרה-N hingegen die Reziprozität der folgenden Ereignisse. Der menschliche Partner erzeugt durch eigenes Zutun die göttliche Botschaft, auch wenn diese letztendlich unverfügbar bleibt. Folglich wird die Beteiligung beider Partner bei dieser Ausdrucksweise besonders unterstrichen: Bileam führt seine rituelle Routine durch und Gott mag ihm im Gegenzug dazu eine Offenbarung übermitteln, auch wenn es nicht ganz klar ist, ob das Ritual tatsächlich eine Antwort von Gott erzwingen kann. Zumindest besteht die berechtigte Hoffnung, dass es zu einer Gottesoffenbarung kommen kann.
5. Bileam als Gottes Sprachrohr Bileam tritt in der Bileamerzählung immer wieder als Gottes Sprachrohr auf,79 wenn er nämlich exakt das Wort wiederholt, das ihm zuvor von Gott eingegeben wurde. Insofern soll gerade die direkte Offenbarung in der Bileamerzählung im Folgenden untersucht werden – ganz gleich, ob es sich hierbei um eine direkte Inspiration durch Gott oder ein zeitlich befristetes geistiges Erleben handelt. Schon zu Beginn der Erzählung betont Bileam, dass er nur das wiederholen kann, was ihm JHWH eingegeben hat.80 Bileam betont folglich, dass er 77
Vgl. ebd., 174. AMSLER 1976, 684: „In beiden Fällen läßt sich Jahwe unerwartet und persönlich jemandem begegnen und bringt diejenigen, denen er erscheint, zum Gehorsam ihm gegenüber“. 79 Vgl. hierzu auch HEPNER 2011, 184. 80 דבר כאשׁר דבר יהוה אלin Num 22,8. Ähnlich in Num 22,20.35; 24,13. Bileam ist offenbar kein Zeichendeuter. Somit ist eher wahrscheinlich, dass פתורהin Num 22,5 als Ortsname gedeutet werden muss, vgl. hierzu KAISER 1996, 103; WEISE 2006, 41–43. Zum Problem vgl. GROSS 1974, 101–104; MILGROM 1990, 186; LEVINE 2000, 147f.; GASS 2001a, 258 Anm. 22; SEEBASS 2007, 67f. Demgegenüber vermutet SCHMIDT 2004b, 124f., dass Petor eine spätere Ergänzung ist, die eine Verbindung zwischen der Heimat Bileams 78
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überhaupt keine Macht hat, ein Objekt zu verfluchen, welches in Wirklichkeit von Gott gesegnet ist. Somit kann Bileam all das und nur das wiedergeben, was ihm zuvor von Gott anvertraut wurde. Der angeblich so mächtige Mantiker ist mithin ganz von JHWH abhängig. Auch wenn Balak durchaus bemerkt hat, dass die Flüche und Segnungen Bileams wirkungsvoll gewesen sind, übersieht er die völlige Subordination Bileams unter den Willen JHWHs. Balak hat nicht erkannt, dass Bileam nicht aus eigener Kraft agiert, sondern stets ein Sprachrohr JHWHs ist. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Diese Art der göttlichen Kommunikation kann mit dem Idiom „ein Wort in den Mund von jmd. legen“ ausgedrückt werden ()שׂים דבר בפה81. Gott trifft Bileam insgesamt zweimal (קרה-N) und sendet ihn zurück zu Balak, um im Anschluss daran das prophetisch empfangene Wort wiederzugeben.82 Anscheinend ist sich Bileam zunächst über den exakten Wortlaut der von Gott empfangenen Botschaft nicht im Klaren, da Gott in diesen Fällen höchstwahrscheinlich nicht direkt zu Bileam gesprochen hat ()דבר. Stattdessen wird die Botschaft einfach in seinen Mund gelegt. Eine Freiheit der Wiedergabe oder eine Veränderung des empfangenen Gotteswortes besteht offenbar nicht. Nur der Ausdruck כה תדברkönnte ausdrücken, dass Bileam tatsächlich eine Botschaft empfangen hat. Aber im Gegensatz zur biblischen Botenformel folgt das Orakel nicht direkt nach dem Empfang, sondern nachdem Bileam zu Balak zurückgekehrt ist. Erst dann kann Bileam das empfangene Gotteswort von sich geben. Es hat den Anschein, dass er dieses zuvor unbewusst empfangen hat, er also zunächst nur der passive Träger des Wortes ist, das danach vor Balak aus ihm heraussprudeln kann.
und seiner Funktion als Zeichendeuter herstellen wollte. Abgesehen von der Deutung als Ortsname gibt es noch folgende Vorschläge: SCHÜLE 2001, 144f. deutet פתורהals „Land der Zeichendeuter“. LAYTON 1992, 35–42 betrachtet פתורהals nomen agentis „diviner“. Ähnlich BARRÉ 1997, 256. Allerdings kann die Interpretation von פתורהals „Traumdeuter“ das Direktivsuffix הkaum erklären, vgl. DAY 1988, 48 Anm. 5, es sei denn, dass man das Schluss- הals aramäischen Artikel אdeutet, der später zu הgeändert worden ist. 81 Num 22,38 mit אלהים, Num 23,5.16 mit יהוה. SCHÜLE 2001, 253 interpretiert diesen Ausdruck folgendermaßen: „Mit dem ‚Legen des Wortes in den Mund‘ wird der Akt bezeichnet, mit dem Gott sein Wort dem, der es überbringen soll, anvertraut. Es geht um den vertrauenswürdigen Boten/die vertrauenswürdige Botin gegenüber denjenigen, die sich das Sprechen im Namen Jahwes selbst anmaßen.“ Nach WENHAM 1981, 167 mag dieses Idiom „the inspiration of his oracles rather than the holiness of his character“ betonen. 82 Num 23,5.16. Die Begegnung zwischen Gott und Bileam wird auf zweifache Weise beschrieben. Nach v.4 trifft Gott Bileam, während nach v.15 Bileam die Initiative selbst ergreift, indem er sagt: „Ich selbst will ihm dort begegnen“. Demgemäß verändert sich die Perspektive. GRAUPNER 2002, 167 vermutet, dass Bileam schon den Inhalt der Offenbarung gewusst habe. Das wird aber nirgendwo angedeutet.
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Beim dritten Mal kommt hingegen der Geist Gottes ( )רוח אלהיםdirekt über Bileam, so dass er zu prophezeien beginnt (Num 24,2).83 Somit wird das dritte Orakel vom Geist Gottes initiiert. Das Kommen des Geistes Gottes verweist jedoch nicht auf eine dauerhafte Präsenz des Geistes, sondern nur auf eine zeitlich befristete Gabe, damit Bileam zu prophezeien in der Lage ist.84 Das vierte Orakel wird schließlich automatisch von Bileam geäußert, ohne dass er von außen dazu veranlasst worden wäre (Num 24,14). Auch in diesem Fall konnte Bileam nur den Segen Gottes über Israel verkünden. Auf diese Weise wendet er sich gegen den expliziten Willen Balaks, der ihn folgerichtig ohne Belohnung zurücksendet. Da Bileam in allen drei Fällen keine Macht darüber besitzt, eine Botschaft abzuliefern, die nicht derjenigen von JHWH entspricht, handelt er wie ein Sprachrohr im Auftrag Gottes. Als Sprachrohr überliefert er wortwörtlich die Botschaft Gottes, die er vermutlich in einer Art auditionärem Erlebnis zuvor empfangen hat, zumal er selbst immer wieder darauf hinweist, dass er die Worte Gottes hört.85
6. Bileam als Visionär Das Verb ראהkann in der Bileamerzählung mit dem Sehen von gewöhnlichen Dingen verbunden werden, aber es kann sich auch auf visionäre Erfahrungen selbst beziehen. In der zweiten Bedeutung kann dieses Verb die Vision selbst bezeichnen.86 Auch wenn Bileam imstande war, als Seher aufzutreten, konnte er diese Fähigkeit weder kontrollieren noch auf Nachfrage abrufen. Denn die seherische Fähigkeit ist unverfügbar und stammt ausschließlich von JHWH.87 Da selbst normales Sehen darüber informieren kann, ob ein Subjekt oder Objekt gesegnet oder verflucht ist, schaut sich Bileam das Volk Israel von verschiedenen Blickwinkeln aus an, bevor er Opfer zubereitet und schließlich seine Prophezeiungen äußert. Die Wahl einer speziellen Ausgangsposition, von der aus man Israel sehen kann, scheint für die anschließenden Handlungen somit ausschlaggebend zu sein.88 Nach Num 23,27 muss die Ausgangs83 Es ist schwierig, רוח אלהיםin einem jahwistischen Kontext als eine „geprägte Wendung“ zu verstehen, vgl. SCHMIDT 2004b, 126 Anm. 25, zumal es ebenso zahlreiche Vorkommen des Idioms רוח יהוהgibt. Außerdem kann Num 24 nicht leichthin mit 1Sam 11 verglichen werden, da das regierende Verb in beiden Erzählungenunterschiedlich ist. Zu diesem Problem vgl. schon GASS 2001b, 47f. 84 Vgl. DAVIES 1995, 266; BELLINGER 2001, 270. 85 Vgl. Num 24,4.16. 86 Vgl. Num 23,3; 24,1.17.20.21. 87 Vgl. KAISER 1996, 102. 88 Vgl. WAGNER 1996, 103.
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position zudem ישׁרin den Augen Gottes sein. Aus alledem folgt, dass das Ritual nicht ohne ein Sehen des Objektes funktioniert, das verflucht oder gesegnet werden soll. Es handelt sich folglich um ein visuell durchgeführtes Ritual, das sich schließlich zu einer tatsächlichen und unvorbereiteten Vision steigert, während zuvor bestimmte Schritte einzuhalten sind. Die Prozedur zum Empfang eines Orakels folgt in der Bileamerzählung einem festen Plan, der im Folgenden geschildert werden soll:89 6.1 Ausgangspunkt Nach Num 22,41; 23,13–14 und 23,27–28 nehmen Bileam und Balak verschiedene Positionen ein, von denen aus sie Israel sehen können, nämlich Bamot-Baal, Pisga und Peor. Höchstwahrscheinlich war der Ausgangspunkt wichtig für das Folgende. Denn eine gute und klare Sicht auf das Objekt des Fluchs war nötig, damit der angestrebte Fluch sich besonders wirkmächtig entfalten konnte. 6.2 Bau der Altäre Gemäß Num 23,1.14.29 muss der Moabiterkönig Balak sieben Altäre errichten und sieben Stiere und Widder zubereiten, vermutlich für ein Opfer auf jedem der Altäre. In der vorliegenden Erzählung sind alle Altäre der Gottheit JHWH gewidmet, was sehr ungewöhnlich ist.90 Vielleicht sollen die sieben Altäre sicherstellen, dass das Ritual vollständig ist, zumal sieben eine heilige Zahl ist, die Vollkommenheit anzeigt.91 Nur noch Ez 45,23 beschreibt ein tägliches Brandopfer von sieben Stieren und Widdern. Die Verwendung von mehreren Altären für die einzelnen Brandopfer findet sich hingegen nirgendwo sonst in der Bibel.92
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RÖSEL 1999, 511 hält Bileam für einen Fachmann für induktive Mantik. Bileam versucht somit, eine göttliche Eingebung durch die Darbringung von Opfergaben zu erhalten. Erst später schaut Bileam in die Zukunft mittels intuitiver Mantik, ohne dass er weitere Omina benötigt. Zu den Vorbereitungen vor dem ersten Orakel vgl. auch ROUILLARD 1985, 158–209. 90 Vgl. SEEBASS 2007, 63f. MOORE 1990, 105f. hingegen interpretiert das Opfer als exorzistisches Ritual. Der Brauch, mehrere Altäre herzurichten, mag auf die Vorstellung zurückgehen, dass jeder Altar für eine bestimmte Gottheit gedacht ist. 91 Vgl. COLE 2000, 399; ACHENBACH 2003, 408. OLSON 1996, 145 vermutet, dass diese Opfer dazu gedacht sind, Gott zu bestechen, um die gewünschte Verfluchung im Gegenzug zu bekommen. Ähnlich BELLINGER 2001, 268, der darüber hinaus daran denkt, dass das Opfer Organe für die Divination bereitstellen könnte. Allerdings werden die Opfertiere in der Bileamerzählung als Brandopfer dargebracht, so dass keine Organe übrigbleiben, die von Bileam gedeutet werden könnten. 92 Vgl. MILGROM 1990, 194. Nach STAUBLI 1996, 294 hat das siebenfache Opfer außerdem den Charakter einer Beschwörung.
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6.3 Brandopfer Num 23,2.14.30 zufolge bringt Balak die vorgeschriebenen Opfer als Brandopfer dar.93 Nur beim ersten dieser Brandopfer agieren Balak und Bileam zusammen. Auch wenn dies nicht explizit behauptet wird, ist doch anzunehmen, dass sie alle der vorbereiteten Tiere geopfert haben.94 Nach Num 23,4 war es Bileam selbst, der die Altäre baute und die Opfer darbrachte, auch wenn dies vom Kontext eigentlich nicht bestätigt wird.95 6.4 Rückzug Gemäß Num 23,3.15 zieht sich Bileam für ein Treffen mit JHWH zurück, der ihm dann eine bestimmte Botschaft mitteilen soll (ראה-H allerdings nur in Num 23,3),96 während Balak beim Brandopfer zurückbleibt und dessen ordnungsgemäße Durchführung überwacht.97 Für dieses Treffen mit Gott muss sich Bileam an einen abgeschiedenen Platz zurückziehen. Er benötigt nämlich Bergspitzen und Einsamkeit, um Zeichen und Omina korrekt lesen zu können (Num 23,3.14), und verwendet נחשׁund קסם, um den göttlichen Willen zu interpretieren. Vielleicht ist der Rückzug Bileams ein weiteres Mittel gewesen, um aussagekräftige Omina zu finden. Eine ähnliche Haltung wird Bileam in Num 24,1 zugewiesen.98 In diesem Zusammenhang muss besonders betont werden, dass das Ritual selbst nicht automatisch einen Fluch oder Segen
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In dieser Hinsicht handelt Bileam nicht als Priester, vgl. KAISER 1996, 104. Gegen GREENE 1992, 59; COLE 2000, 376. LEVINE 2000, 166 vermutet, dass es nur logisch sei, wenn Balak das Opfer dargebracht habe, zumal es schließlich Balak ist, der offiziell eine Verfluchung Israels erbittet, während Bileam nur im Auftrag Balaks handelt. Ein Brandopfer war bestens geeignet, um den angezielten Zweck zu erfüllen, zumal die Gottheit den aromatischen Rauch, der zum Himmel aufsteigt, auch riechen konnte. 94 MILGROM 1990, 194 hält den bestimmten Artikel vor מזבחfür distributiv „auf jedem Altar“. Ähnlich SEEBASS 2007, 85f. 95 Aufgrund dieser Spannung hält SCHMIDT 2004b, 135 Num 23,4b für eine sekundäre Glosse, die dazu gedacht sei, den Heiden Balak davon abzuhalten, ein Opfer für יהוה darzubringen. Allerdings war der historische Bileam, wie ihn die Texte von Tell Dēr ʿAllā zeichnen, kein Prophet von JHWH, da nämlich El in diesen Texten der Hauptgott ist, vgl. DIJKSTRA 1995, 60f. Somit transformiert die biblische Erzählung den heidnischen ElPropheten in einen JHWH-Propheten. 96 KAISER 1996, 102 vermutet, dass Bileam lediglich behauptet, wie ein Seher zu handeln, wenn er verspricht, dass er nur das Wort verkünden wird, das ihm Gott eingibt. Nach LEVINE 2000, 162 sei Bileam herumgegangen, bevor er mit JHWH „verbunden“ gewesen ist. STAUBLI 1996, 294 hält Bileam zudem für ein Medium, während Balak für die Opfer zuständig sei. 97 Nach WENHAM 1981, 173 deutet das Verb „ יצבa patient waiting for God, possibly in prayer“ an. 98 Vgl. LEVINE 2000, 190f.
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garantiert oder generiert. Letztendlich bleibt der Gotteswille für den Mantiker Bileam unverfügbar. Gott lässt sich nicht beeinflussen oder manipulieren. 6.5 Empfang einer prophetischen Botschaft Nach Num 23,4–5.16 trifft Bileam Gott, der ihm im Anschluss eine Prophezeiung in den Mund legt ()שׂים דבר בפה. Da Bileam anscheinend divinatorische Hilfsmittel verwendete ( נחשׁund )קסם, scheint das Verb קרה-N – wie schon bemerkt – nicht ein persönliches Treffen mit Gott anzudeuten, sondern wohl eher eine Botschaft, die mit Hilfe der divinatorischen Mittel erreicht worden ist. 6.6 Rückkehr Gemäß Num 23,6.17 kehrt Bileam wieder zu Balak zurück, der zusammen mit den Stammesführern von Moab neben dem Brandopfer stehen geblieben ist. Die Stammesführer werden hier zwar genannt, aber ihr Auftritt bleibt eigentlich unmotiviert.99 6.7 Wiedergabe des Orakels Laut Num 23,7–10.18–24; 24,3–9 gibt Bileam das Orakel genauso wieder, wie es ihm entweder von JHWH oder vom Geist Gottes übermittelt worden ist.100 Die ersten beiden Male wird das gesamte Spektrum an Routineschritten ausgeschöpft, um von Gott ein Orakel zu erhalten. Beim dritten Mal weicht Bileam hingegen von der üblichen Abfolge ab. Denn nur hier fehlen die Schritte G.h–6.6. Darüber hinaus betont Num 24,1, dass die ersten beiden Begegnungen mit JHWH von divinatorischen Maßnahmen ausgelöst worden seien ()נחשׁים.101 Nach Num 22,7 haben zudem die Ältesten von Moab und
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Nach SCHMIDT 2004b, 137 sind die Stammesführer eine spätere Glosse. Auf diese Weise kann man folglich die seltsame Erwähnung der Stammesführer erklären, auch wenn dann immer noch das Problem bleibt, weshalb ein späterer Redaktor die Stammesführer von Moab ergänzt haben sollte. 100 Zu einer linguistischen und sprachwissenschaftlichen Deutung der Bileamorakel vgl. GASS 2001a. 101 Vgl. ASHLEY 1993, 486; BARRÉ 1997, 263; BELLINGER 2001, 270; SHERWOOD 2002, 179. Gegen KAISER 1996, 104f., der vermutet, dass Divination die übliche Verfahrensweise Bileams in der Vergangenheit gewesen ist, bevor er sich aufmachte, um Israel zu verfluchen. BUDD 1984, 268 betont ebenfalls, dass es in der ursprünglichen Bileamerzählung zuvor keinen Hinweis darauf gebe, dass Bileam divinatorische Techniken verwendet habe. Allerdings hat Bileam die ersten beiden Male sicherlich divinatorische Mittel eingesetzt. Denn zumindest bei synchroner Lesart müssen die Belege in Num 23,23 und 24,1 dahingehend verstanden werden, dass Bileam definitiv divinatorische Hilfsmittel zuvor
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Midian קסמיםmitgenommen, als sie zu Bileam gingen. Das plurale Nomen קסמיםbezeichnet entweder „Mittel zur Divination“102 oder die „Belohnung für die geleistete Divination“.103 Das zweite Orakel betont in Num 23,23 jedoch, dass diese Hilfsmittel ( נחשׁund קסם, im Singular verwendet) gegen Israel nichts vermögen, so dass Bileam schließlich seine Taktik ändern musste. Insofern waren beim dritten Mal ein Rückzug mit der Suche nach Omina und eine Rückkehr zu Balak nicht mehr nötig. Schon aus diesem Grund musste sich die Routine beim dritten Orakel von den ersten beiden Malen nachhaltig unterscheiden.104 Beim dritten Orakel wird Bileam vom Geist Gottes überwältigt, der ihn zur Prophezeiung drängt (Num 24,2). In der Bileamerzählung scheint der Geist Gottes zudem ein prophetischer Geist zu sein. Somit wirkt Bileam nicht mehr länger als heidnischer Mantiker, sondern tatsächlich als Gottes Prophet.105 Der Verweis auf den Geist Gottes zeigt, dass Bileam explizit von Gott ausgewählt worden ist. Es verwundert daher nicht, dass die Bileamorakel nun ihre ultimative Autorisierung als göttliche Offenbarung erhalten. Das Motiv vom Geist Gottes, der auf einen Prophet einwirkt, kann aufgrund der vielen Belegstellen hier nicht im Detail besprochen werden. Es genügt aber festzustellen, dass das Idiom היה רוח עלgerne mit Prophetie verbunden wird.106 Gemäß Num 24,4.16 hört Bileam die Worte Gottes und sieht eine Vision von Schadday. Anscheinend hat Bileam nicht nur eine Audition, sondern
angewendet hat. SCHMIDT 2004b, 140 hält diese Notiz für eine spätere Glosse, so dass sich dann das Problem freilich nicht stellt. 102 Vgl. MOBERLY 1999, 3f. HUROWITZ 1993, 78–81 weist auf Parallelen aus Mari hin und hält קסמיםhingegen für Omenmodelle, die zu Bileam gesendet worden sind, um seinen Rat und autoritative Deutung einzuholen. Ähnlich SHERWOOD 2002, 174f., die davon ausgeht, dass Balak mit der Leseweise seiner eigenen Mantiker unzufrieden war und daher eine weitere Meinung heranziehen wollte. 103 Vgl. VUILLEUMIER 1996, 159, der קסמיםals „Wahrsagerlohn“ deutet. Ähnlich BUDD 1984, 265; DAVIES 1995, 247. COLE 2000, 382 weist jedoch darauf hin, dass Gebühren gewöhnlich als מנחהbezeichnet werden. Allerdings sind nach ASHLEY 1993, 447 beide Übersetzungen gleich gut möglich, wie auch im Fall von בשׂרה. 104 WITTE 2002, 203 betont, dass die Einleitungsverse den Mantiker Bileam als einen ekstatischen Seher ausweisen. Zur Interpretation von Bileam, der in einen ekstatischen Zustand gerät, vgl. auch WENHAM 1981, 176f.; MILGROM 1990, 202. SEEBASS 2007, 92 hält hingegen das Kommen des Geistes Gottes nicht für exzeptionell. Allerdings verweist die Redeweise vom Geist Gottes nach GROSS 1974, 137 auf „einen neuen Inspirationsmodus: YHWH legt nicht mehr Worte in den Mund Bileams, sondern Gottesgeist überkommt ihn“. 105 WAGNER 1996, 93 denkt, dass die Inspiration Bileams durch den Geist Gottes immer dann erfolgt, wenn er Israel sieht oder nachdem er Israel gesehen hat. 106 Vgl. hierzu besonders Num 24,2; 1Sam 19,20.23; 2Chr 15,1; 20,14.
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auch eine Vision empfangen.107 Am Schluss der Erzählung ist Bileam zudem bereit für eine wirkliche Vision und nicht nur für ein visionäres Widerfahrnis. In der Einleitung der letzten beiden Orakel wird auf diesen Sachverhalt mit der Wurzel חזהhingewiesen. Aus den Einleitungsversen folgt zudem, dass Bileam ein legitimer Prophet sein muss.108 Das Verb חזהwird darüber hinaus des Öfteren für visionäre Erfahrungen mit Gott109 oder für Visionen in einem breiteren Sinne gebraucht.110 Als ein חזהist er sicherlich auch mit divinatorischen Praktiken vertraut.111 Die Bezeichnung חזהfindet sich außerdem in der sogenannten Bileaminschrift vom Tell Dēr ʿAllā (2088.1782), die Bileam als einen אשׁ חזהbeschreibt (KAI 312:1).112 Die visionäre Offenbarung Gottes geht zudem dem Orakel Bileams voraus und ist eine Erfahrung sui generis, die den Anspruch Bileams legitimiert, ein wirklicher Seher zu sein.113 Allerdings ist nicht deutlich, ob diese Vision von einer Audition begleitet war, da die Trias „sehen – hören – erkennen“ in Num 24,3–4.15–16 wahrscheinlich auf eine spätere Überarbeitung der ursprünglichen Tradition zurückgeht.114 Im Laufe der Bileamerzählung verstärkt sich somit die visionäre Sprache, wenn nämlich idiomatisch von ראהzu חזהgewechselt wird. Diese sprachli107
Allerdings wird nirgendwo behauptet, dass Bileam an der himmlischen Versammlung teilgenommen habe. Gegen SCHÜLE 2001, 248. 108 Die Eröffnungszeilen in Num 24,3–4.15–16 haben legitimatorische Funktion. Die Interpretation des Idioms שׁתם העיןist höchst umstritten. Vermutlich ist das Wort שׁתםmit einem mittelhebräischen Kognat zu verbinden, das die Bedeutung „offen“ trägt, vgl. GASS 2001a, 18–20.154f. Auch SCHMIDT 2004b, 141 argumentiert aufgrund des Kontextes für diese Bedeutung. Zu diesem Problem vgl. FUHS 1978, 112f.116; DAVIES 1995, 267. 109 Vgl. Ex 24,11; Ij 19,26.27; Ps 11,7; 17,15; 27,4; 63,3. 110 Vgl. Ij 15,17; Jes 1,1; 2,1;13,1; Klgl 2,14; Ez 12,27; 13,6.7.8.9.16.23; 21,34; 22,28; Am 1,1; Mich 1,1; Hab 1,1; Sach 10,2. 111 MILGROM 1990, 472 vermutet, dass Bileam ein Vogelomen gedeutet hat, was die Zusammenstellung von Vögeln auf der Bileam-Inschrift vom Tell Dēr ʿAllā (KAI 312:7–9) sowie die Erzählung bei Philo (1Mos 282,287) nahelegen könnten. 112 Zur Bileam-Inschrift vgl. neben den vielen anderen Diskussionen DIJKSTRA 1995, 47–60; COLE 2000, 367–370; LEVINE 2000, 241–254; SCHÜLE 2001, 128–139; BLUM 2008, 575–598. 113 Vgl. FUHS 1978, 219. 114 Vgl. FUHS 1978, 166f. Nach Num 24,4.16 legt sich Bileam hin, wenn er seine Vision mit offenen Augen empfängt. Diese Form des Offenbarungsempfangs wird durch einen Nominalsatz ausgedrückt. SCHMIDT 2004b, 141 vermutet, dass Bileam Offenbarungen im ekstatischen Zustand erhalten würde. Allerdings ist 1Sam 19,24 der einzige Fall, wo die beiden Wurzeln נבאund נפלverbunden werden, während חזהund נפלnur hier nebeneinander auftauchen. Insofern kann man über die Art und Weise des Offenbarungsempfangs Bileams nur spekulieren. Darüber hinaus wird wirklich ekstatische Prophetie auf andere Weise beschrieben, vgl. 1Sam 10. WAGNER 1996, 97 denkt, dass das Verb נפלeine besondere Ehrehrweisung ausdrückt. Auch SEEBASS 2007, 93 diskutiert das Problem einer adäquaten Interpretation des Verbs נפל.
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che Intensivierung korrespondiert der wachsenden Einsicht Bileams in den gesegneten Zustand von Israel. Bileam erkennt allmählich, dass der Wille Gottes unabänderlich ist und von ihm nicht manipuliert werden kann. Die gewöhnliche Sicht Bileams auf Israel kulminiert schließlich im vierten Orakel in einer tatsächlichen Vision. Während er zuvor nur ein visionäres Erlebnis hat, kommt es schließlich zu einer Vision, was mit dem Wechsel von ראהzu חזהauch sprachlich ausgedrückt wird.
7. Bibeltheologische Ergebnisse Die Endform der Bileamerzählung enthält – wie gesehen – eine Vielfalt von verschiedenen Möglichkeiten, wie selbst ein heidnischer Seher wie Bileam mit Gott Kontakt aufnehmen kann und zwar passiv wie aktiv: So reagiert Bileam auf eine Begegnung mit dem Gottesboten und Gott selbst, er stellt aber auch selbst den Kontakt mit der göttlichen Sphäre durch mantische Mittel und durch die Konsultation von Omina her, was zu einer Art Audition, einem visionären Erleben und schließlich zu einer richtigen Vision führt. Insofern ist in der Bileamerzählung hinsichtlich des Offenbarungsempfangs eine gewisse Steigerung und Dynamik angelegt. Im ersten Teil reagiert der unverständige und blinde Bileam auf die Initiative Gottes (Num 22), während er im zweiten Teil zum einen selbst aktiv wird, zum anderen aber auch durch ein Treffen mit Gott oder durch die Ausstattung mit dem Geist Gottes beschenkt wird. Alle Formen der Kommunikation mit Gott sind in der Bileamerzählung zudem dem Willen JHWHs streng hierarchisch untergeordnet. Selbst ein nichtisraelitischer Mantiker wie Bileam kann mit Gott in Kontakt kommen und eine Offenbarung Gottes erhalten. Denn auch wenn Bileam nicht zum Volk Israel gehört, kommt er in den Genuss einer göttlichen Offenbarung. Es verwundert daher nicht, dass der an sich heidnische Bileam als Verehrer von JHWH beschrieben werden kann115 und er wirkungsgeschichtlich als messianischer Prophet verehrt werden konnte. Die Figurenkonstellation ist ebenfalls im Hinblick auf den Offenbarungsempfang interessant. Denn alle Akteure sind mit Attributen belegt, die um das wichtige Thema der Blindheit und Klarsicht kreisen. Darüber hinaus spielen die einzelnen Figuren der Bileamerzählung je eigene Rollen, die sich stark voneinander unterscheiden und in einen bemerkenswerten Kontrast zueinander gesetzt werden: die sehende Eselin und der blinde Seher oder der unbelehrbare Balak, der unbedingt Gott manipulieren möchte, und Bileam, der dem Willen Gottes gehorsam ist. 115 Dies ist vermutlich eine spätere literarische Entwicklung innerhalb der Bileamtradition, vgl. hierzu GASS 2001a, 261–263.
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Alles in allem wird Bileam als Mantiker gezeichnet, der die Zukunft vorhersagen kann, auch wenn er kein effektiver Zauberer ist, der durch seine Tricks den Gotteswillen verändern kann.116 Vermutlich liegt gerade hierin das verhängnisvolle Missverständnis des Moabiterkönigs Balak, der meint, dass jede Gottheit dann angemessen auf die jeweiligen Anliegen der Verehrer reagieren wird, wenn man das richtige Ritual vollzieht.117 So glaubt Balak bis zum Schluss daran, dass ein talentierter Mantiker wie Bileam ein günstiges Orakel zu jeder Zeit erzeugen könne. In diesem Sinne ist die Bileamerzählung an einer Korrektur eines falschen Gottesbildes interessiert. Eine Manipulation Gottes ist nach der Bileamerzählung nämlich zu keinem Zeitpunkt möglich, da sich Gott für die üblen Zwecke der Menschen nicht einspannen lässt. Segen und Fluch können folglich nicht von Mantikern kontrolliert werden.118 Vielmehr ist beides an den Willen Gottes zurückgebunden. Dagegen kann auch ein begabter Mantiker mit Namen Bileam nichts ausrichten. In diesem Sinne möchte die Bileamerzählung vor allem betonen, dass der Wille Gottes unveränderlich ist. Ein wahrer Prophet kann somit all das und nur das mitteilen, was ihm tatsächlich von Gott offenbart worden ist. Ein Handel mit Gott, wie dies zunächst von Bileam versucht worden ist, hat folglich keinen Erfolg. Auch ein noch so bekannter und berühmter Prophet wie Bileam, der sich mit divinatorischen Hilfsmitteln auskennt, kann den wahren Gott nicht zu seinen üblen Zwecken manipulieren. Somit ist die Bileamerzählung bei synchroner Lesart eine Lehrstunde für Bileam und jeden anderen Propheten über wahre Prophetie und den Weg dorthin.
116 COLE 2000, 366 betont, dass einige Formen der Divination gemäß des Alten Testaments gerade noch akzeptabel gewesen sind, Zauberei hingegen nicht. 117 Zu verschiedenen Missverständnissen Balaks vgl. SALS 2008, 326f. 118 Vgl. besonders BARRÉ 1997, 264.
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„Kein Prophet bin ich und kein Prophetenschüler bin ich.“ Zum Selbstverständnis des Propheten Amos in Am 7,14 „Kein Prophet bin ich“
Im Amosbuch wird in der bekannten Prophetenerzählung von Amos und Amazja über das prophetische Selbstverständnis reflektiert. Da die Syntax der wichtigen Verse umstritten ist, lohnt sich ein neuer Blick auf die kurze Perikope Am 7,10–17, wobei zunächst die Syntax in den Blick genommen werden soll, bevor dann das prophetische Selbstverständnis des Amos besprochen werden kann. Es wird sich zeigen, dass Amos sich in Am 7,14 in kritische Distanz zum Berufsprophetentum stellt. Die Autorität seiner prophetischen Wirksamkeit leitet sich von seiner unmittelbaren Berufung durch JHWH ab. Er benötigt folglich kein Amt oder eine institutionelle Einbindung. Insofern lässt er sich auch nicht den Mund verbieten. Die prophetische Botschaft, zu der er berufen worden ist, muss unbedingt übermittelt werden. Die Prophetenerzählung von Amos und Amazja (Am 7,10–17) findet sich innerhalb des Visionenzyklus im letzten Drittel des Amosbuches. In der Erzählung wird die – historisch kaum verwertbare – Auseinandersetzung zwischen Amazja, dem Priester von Bethel, und Amos geschildert.1 Nachdem Amazja den Unheilskünder Amos bei Jerobeam II., dem König von Israel, des Aufruhrs beschuldigt hat,2 versucht er, eine weitere prophetische Wirksamkeit des Sehers Amos in Israel zu verhindern, indem er ihn des Landes verweisen möchte.3 Daraufhin antwortet Amos, dass er von JHWH gesendet worden sei, um in Israel zu prophezeien. Eine Verlagerung der Prophetentätigkeit des Amos nach Juda sei demnach ausgeschlossen und verstoße gegen den expliziten Willen JHWHs. Damit hat sich Amazja gegen JHWH gestellt, was die folgende Gerichtsansage gegen Amazja und seine Familie begründet.
1
Zu Bezügen zwischen der Erzählung und dem umgebenden Kontext vgl. BULKELEY 2009, 518–526. Die Frage, ob die Erzählung sekundär in den Visionenzyklus eingefügt wurde, wird im Folgenden ausgeblendet, da in erster Linie die wichtigen Sätze Am 7,14– 15 besprochen werden sollen. 2 Offenbar hat Amazja einen Brief an Jerobeam geschickt, worauf das Verbum שׁלח hindeutet, vgl. COUEY 2008, 310f. 3 Nach COUEY 2008, 300–309 gibt es einige außerbiblische Parallelen für die Vorgehensweise des Priesters Amazja. Destabilisierende politische Prophezeiungen wurden stets dem Herrscher mitgeteilt, um größere Schäden zu vermeiden.
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Im Rahmen dieser Erzählung4 äußert sich Amos in Am 7,14 über sein prophetisches Selbstverständnis. Das Nominalsatzgefüge in Am 7,14 ist seit jeher eine crux interpretum, weil Nominalsätze zeitlich indifferent und nur durch den Kontext bestimmbar sind. Da zuvor Gegenwart, danach aber Vergangenheit verwendet wird, ist die Zeitlage des Nominalsatzgefüges, die für das Selbstverständnis des Propheten Amos entscheidend ist, schwierig. Weder die präteritale noch die präsentische Deutung haben sich bislang durchgesetzt. Zur Vermeidung von Missverständnissen in der temporalen Deutung der Nominalsätze wären zudem weit bessere Möglichkeiten zur Verfügung gestanden. In einem ersten Durchgang soll anhand verschiedener Beispiele gezeigt werden, dass es gute Gründe für das präsentische Verständnis gibt. In einem zweiten Abschnitt werden die offenbarungstheologischen Konsequenzen aus der präsentischen Interpretation für das Prophetenverständnis des Amos gezogen.
1. Das Problem der Zeitlage des Nominalsatzes in Am 7,14 1.1 Zur Stelle Die Auseinandersetzung zwischen Amos und Amazja, dem Priester des Reichsheiligtums von Bethel, dreht sich offenbar um ein terminologisches Problem, wie dies bereits im Rat des Amazja deutlich wird. Es stellt sich nämlich die Frage, um welche Art eines Propheten es sich bei Amos handelt. In Am 7,12 wird Amos als „( חזהSeher“) angesprochen, während Amos selbst nur die Bezeichnung eines „( נביאProphet“) ablehnt.5 Die Indetermination des Nomens חזהin v.12 kann dergestalt gedeutet werden, dass dieses Nomen als Vokativ zur direkten Rede des Amazja gezogen wird und nicht als Apposition zum vorangestellten Eigennamen Amos gedacht ist, denn Apposi-
4 Nach STEINS 2004, 592 Anm. 25 ist der Begriff „Erzählung“ hingegen problematisch, „da sich die narrativen Anteile auf die Redeeinleitungen reduzieren und keinerlei Szenerie gestaltet wird“. 5 WOLFF 1985, 358 vermutet, dass sich im Titel „ חזהder Respekt des Priesters vor Amos als einem ungewöhnlichen Charismatiker“ zeige. Ähnlich auch ANDERSEN/FREED MAN 1989, 771: „He gives Amos a title, ḥōzeh, that could be an acknowledgement of his authenticity“. Nach TSEVAT 1993, 257 stellt v.14 klar, dass die von Amazja gewählte Bezeichnung חזהverkehrt ist. Er hätte vielmehr den terminus technicus נביאwählen sollen, da diese Gruppe für den eigenen Lebensunterhalt prophezeit. Nach STOEBE 1989, 350f. betone חזהdie eingeschränkte Bedeutung des Prophetenwortes des Amos und ist „weder ein herabsetzendes noch gedankenlos gebrauchtes Korrelat zu nābīʾ“. Für ZEVIT 1975, 786–789 ist das Lexem חזהhingegen ein aramäisches Lehnwort.
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tionsverbindungen erfordern eine Kongruenz von Leitwort und Bestimmungswort hinsichtlich der Determination.6 Darüber hinaus stehen in der Anweisung des Amazja beide Begriffe für Experten der Zukunftsschau (Nomen חזהund Verb נבאim N-Stamm), was erklärungsbedürftig ist. Nach der Meinung des Priesters von Bethel solle der „Seher“ Amos ( )חזהnicht länger am Reichsheiligtum „als Prophet wirken“ (נבא-N), sondern nach Juda flüchten, um dort seinen Lebensunterhalt als Prophet zu verdienen (נבא-N).7 Möglicherweise sind beide Begriffe ( חזהund )נבאzumindest nach Meinung der beiden Kontrahenten als identisch anzusehen,8 da nämlich die Antwort des Amos nicht auf die erstgenannte Bezeichnung חזהeingeht. Damit lehnt er offenbar die Bezeichnung „Seher“ für sein Wirken als „Prophet“ nicht ab.9 Jedoch bestätigt Amos den Titel „Seher“ nicht explizit, da er in seiner Antwort nicht zwischen „Prophet“ und „Seher“ unterscheidet. Vermutlich entsprechen sich also beide Begriffe, so dass terminologisch nicht zwischen „Seher“ und „Prophet“ differenziert werden kann.10 6
Vgl. IRSIGLER 1978, 59. Nach PAUL 1991, 242 bezeichnet der Ausdruck אכל לחם, der nur hier verwendet wird, aber im Akkadischen in ähnlicher Verwendung zu finden ist, „to earn your living“. Vgl. auch CRIPPS 1955, 231. Schon HARPER 1960, 170f. verwies auf die Gruppe von Propheten, die für ihren Lebensunterhalt den Prophetendienst wählten. Vgl. darüber hinaus WEISER 1956, 191; SCHMID 1967, 70; MAYS 1969, 136f.; RUDOLPH 1971, 255; LANGE 2002, 58. Zum Problem, ob אכל לחםauch die Konnotation Broterwerb habe, vgl. WERLITZ 2001, 114–116. Die LXX übergeht dieses Problem, da sie den schwierigen Ausdruck mit καταβίου wiedergibt, vgl. auch GLENNY 2013, 131. Kritisch hierzu allerdings aufgrund der Wortfolge und des methodisch fragwürdigen Eintrags, dass bei Micha Kultpropheten negativ bewertet werden würden, WÜRTHWEIN 1970, 78f. Ähnlich REVENTLOW 1962, 15. Zum Problem vgl. ANDERSEN/FREEDMAN 1989, 773f. Der N-Stamm von נבאist als Denominativ zu werten, vgl. zum Problem auch WATTS 1958, 10: „be or act the prophet“. Zu dieser Funktion des N-Stamms vgl. IRSIGLER 1978, 88. Nach ROWLEY 1947, 195 heißt dieses Verb „to act as a prophet“. Ähnlich auch GROSS 1991, 17: „prophetisch reden, prophezeien“ für den N-Stamm und „als Nabi auftreten/sich benehmen“ für den tD-Stamm. 8 Nach PAUL 1991, 240f. können die beiden Begriffe חזהund נביאaustauschbar sein. Ähnlich auch MAYS 1969, 136; RUDOLPH 1971, 255; BIRCH 1997, 239; VIBERG 1996, 102; GILBERT 1997, 294; LANGE 2002, 60f. Anm. 10. Auf die Gleichheit der Begriffe hat GROSS 1991, 16 hingewiesen: „Versuche, nicht nur unterschiedliche historische Wurzeln, sondern noch in der Königszeit funktionierende Bedeutungsunterschiede der drei hebräischen Termini nachzuweisen, haben bisher nicht zu befriedigenden Ergebnissen geführt“. Eine negative Konnotation des Lexems חזהist ohnehin auszuschließen, während נבא-tD eher negative Assoziationen zu evozieren vermag. 9 Außerdem weisen die Visionen des Amos diesen ohnehin als „Seher“ aus, vgl. MAYS 1969, 136. Auch nach JEREMIAS 1995, 109 Anm. 8 könnte „der Erzähler mit dieser Anrede des Priesters auf die Visionen des Amos anspielen“. 10 Vgl. zum Problem GROSS 1991, 17. Der Auffassung des Amazja zufolge könnte es sich allerdings bei Amos um einen judäischen חזהhandeln, dem er nicht die Fähigkeit zu 7
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Den drei Imperativen („geh“, „flüchte“, „iss“)11 folgt ein w-x-yiqtol. Diese Verbformation ist aller Wahrscheinlichkeit nach als ein iterativ-durativer Sachverhalt zu deuten, der unterstreichen möchte, dass die Prophetentätigkeit des Amos tatsächlich zum Lebensunterhalt beiträgt: „Seher, geh, flüchte in das Land Juda! Iss dort ( )שׁםdein Brot, während du dort ( )שׁםals Prophet wirkst.“ Der zweimalige Hinweis mit שׁםauf das Land Juda unterstreicht die Forderung des Amazja, dass Amos nur in Juda, aber nicht in Israel als Prophet auftreten dürfe.12 Die Kompetenz zur prophetischen Rede wird von ihm nicht in Frage gestellt. In Juda könne Amos ohne Probleme als Prophet wirken, aber nicht am Reichsheiligtum in Bethel.13 In Juda fände er zudem sicherlich geneigte Zuhörer für seine gegen das Nordreich gerichtete Unheilsprophetie.14 Auch der folgenden v.13 untersagt Amos die Wirksamkeit als Prophet im Reichsheiligtum von Bethel, indem das Verb נבא-N verwendet wird. Schon die Anwesenheit eines kritischen Propheten in Bethel soll verhindert werden, so dass es gar nicht erst zu einer prophetischen Wirksamkeit kommen kann. Die Antwort des Amos besteht in v.14 aus zwei negierten Nominalsätzen, denen kontrastiv ein positives Aussagenpaar zugeordnet ist. Während die Zeitlage der Nominalsätze umstritten ist, lassen sich nur die beiden verbal formulierten Aussagen in v.15 zeitlich fassen. Mittels wayyiqtol verweist prophetischer Rede abspricht, der aber, wie er im Folgenden ausführt, am falschen Ort auftritt, vgl. hierzu ZEVIT 1975, 789, der jedoch zu weit geht, indem er Amazja unterstellt, dass er Amos für einen Propheten hält, „patronized by the king of Judah, in delivering oracles against Jeroboam at Bethel, an Israelite sanctuary“. 11 Nach DIJKSTRA 2001, 126 sind diese Imperative aufgrund der Parallele in Num 24,11 nicht als „a friendly advice to the prophet to withdraw himself“ zu verstehen. 12 Nach GLENNY 2013, 130 hat Amazja wohl ohne königlichen Befehl und auf eigene Initiative hin gehandelt. 13 Vgl. hierzu BULKELEY 2009, 525. 14 Vgl. LIMBURG 1988, 117; PAUL 1991, 242f. Nach WOLFF 1985, 358 habe Amazja mit diesem gut gemeinten Rat versucht, das Leben eines JHWH-Boten zu retten, den der König wahrscheinlich hätte töten lassen. Vgl. hierzu schon WEISER 1956, 190. Auch CRIPPS 1955, 231; WÜRTHWEIN 1970, 78 deuten die Rede Amazjas als freundlichen Ratschlag. Dagegen aber ACKROYD 1977, 82 Anm. 41; PFEIFER 1984, 113f., der das Wort des Amazja als eine vom König verfügte Abschiebung eines lästigen Ausländers betrachtet. Ähnlich schon RUDOLPH 1971, 254, demzufolge Amazja einen königlichen Befehl ausgeführt hat. Auch HARPER 1960, 170 bezweifelt, dass es sich um einen freundlichen Rat des Amazja gehandelt habe. STUART 1987, 376 weist zusätzlich darauf hin, dass der Vorwurf des Lebensunterhaltes eine positive Deutung der Rede nicht zulässt. Außerdem sei zusätzlich zu unterstellen, dass in Bethel die Aussicht auf Entlohnung besser gewesen wäre als in Juda, dem Heimatland des Amos. Die Begründung für die Ausweisung des Amos durch Amazja („königliches Heiligtum“ bzw. „Reichstempel“) ist nach NOBLE 1998, 429 insofern als Ironie zu werten, als an diesem Heiligtum JHWH-Propheten unerwünscht sind. Nach BIRCH 1997, 240 ist zudem nicht der Ort das Problem der Auseinandersetzung, sondern die Autorität JHWHs, mit der Amos prophezeit.
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Amos in v.15 auf einen einfachen Sachverhalt in der Vergangenheit, der zu seinem Auftreten als Prophet in Israel geführt hat: JHWH habe ihn von seiner Herde weggenommen und ihn zu einer Wirksamkeit als Prophet für Israel bestimmt (נבא-N).15 Da der verbale Satzanschluss in der Form wayyiqtol in die Vergangenheit weist, werden oft auch die Nominalsätze präterital gedeutet. Eine solche Deutung vertreten schon einige alte Versionen.16 Der vorangehende Kontext ist aber präsentisch, so dass sich dem Leser zunächst eine Deutung der Nominalsätze als gegenwärtig aufdrängt. Problematisch bei einer präsentischen Interpretation ist allerdings, dass Amos dann offensichtlich den Titel eines Propheten in v.14 ablehnt, jedoch von JHWH in v.15 zu einem Propheten für Israel beauftragt worden ist. Bei einer präteritalen Lösung würde Amos hingegen lediglich für die Vergangenheit das Prophetentum ablehnen, nicht aber notwendigerweise auch in der Gegenwart.17 Dieses temporale Problem ist somit für eine Deutung des prophetischen Selbstverständnisses des Amos grundlegend. Insofern muss hier nach einer sachgemäßen Entscheidung bezüglich der Zeitlage der Nominalsätze gesucht werden. Zur Lösung dieser umstrittenen Frage werden nach Sichtung der bisherigen Lösungsvorschläge bislang übersehene, aber vergleichbare Belege angeführt, die eine präsentische Deutung schließlich nahe legen werden. 1.2 Problematische Lösungsvorschläge Um dem Problem der Zeitlage der Nominalsätze aus dem Weg zu gehen, beschritt man immer wieder recht eigenwillige Wege, die syntaktisch und semantisch problematisch sind. Diese Interpretationen sollen im Folgenden kurz vorgestellt und kritisiert werden:18
15
Damit greift Amos die Kritik des Amazja am Ort des Prophezeiens direkt auf. Da Amazja selbst das Verb נבא-N zweimal in v.12–13 verwendet, hat er ihn wohl nicht nur als חזה, sondern ebenfalls als נביאaufgefasst. Insofern ist verständlich, dass Amos auf diesen Titel in seiner Antwort reagieren musste, vgl. hierzu VIBERG 1996, 102. 16 Z.B. LXX oder Peschitta im Gegensatz zur Vulgata. 17 Vgl. zum Problem JEREMIAS 1995, 109. 18 Vgl. hierzu VIBERG 1996, 103–107, der zusätzlich auf redaktionelle Versuche einer Lösung des Zeitproblems eingeht.
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a) לאals Anzeiger für eine affirmative rhetorische Frage19 Manchmal wird die Negation לאals Anzeiger für eine rhetorische Frage mit affirmativer Konnotation verstanden. Dann wäre zu übersetzen: „Bin ich denn nicht ein Prophet und ein Angehöriger einer Prophetenschule,20 nur weil ich (auch) Rinderhirt und ein Sykomorenritzer bin?“ Damit wäre לאlediglich eine Kurzform der affirmativen Verbindung הלא. In diesem Fall würde Amos möglicherweise nur die Bezeichnung חזהablehnen, führte aber dennoch den Titel eines נביא. Dann läge Am 7,14 auf einer Linie mit Am 3,7, wo ebenfalls die נביאיםals Knechte JHWHs einen guten Ruf genießen, da ihnen der Ratschluss Gottes geoffenbart wird. Bei dieser Deutung betont Amos, dass er trotz eines säkularen Berufes ein wirklicher Prophet sein kann. Insofern schließen sich Amt und wirkliche Prophetentätigkeit nicht aus. Die direkte Berufung durch JHWH kann selbst einen Bauern wie Amos zum Propheten machen. Ein Amt hat er gar nicht nötig. Entscheidend ist lediglich die Berufung durch JHWH. Jedoch ist die Deutung des Nominalsatzes als Fragesatz willkürlich, da eine Satzfrage in der Regel durch die Fragepartikel הeröffnet wird. Auch der säkulare Beruf des Amos widerspricht einer Zugehörigkeit zur Klasse der נביאים, vor allem wenn man diese als Berufspropheten auffasst. Die durch Maqqef besonders enge Verbindung der Negation mit dem Titel des Propheten ( )לא־נביאscheint zudem – zumindest aus Sicht der Masoreten – vor allem den Sachverhalt zu verneinen, ein Prophet zu sein. Amos betont demnach, dass er ein Nicht-Prophet ist, also nicht zur Klasse der Propheten gezählt werden darf. Die weitere Angabe בן־נביאbestätigt darüber hinaus diese Deutung. Amos verdeutlicht auf diese Weise, dass er mit den Berufspropheten nichts gemein hat, was ja dann durch die weiteren Angaben über seinen säkularen Beruf zusätzlich bestätigt wird.21 Wenn er tatsächlich ein Prophetenschüler gewesen wäre, was bei einer rhetorischen Frage vorauszusetzen ist, erübrigt sich darüber hinaus die Angabe eines säkularen Berufes.22 b) לאals Anzeiger für emphatische Verneinung23 Bei dieser Lösung werden beide Negationen unterschiedlich behandelt: „Nein (ich bin kein )חזה. Ich bin (hingegen) ein Prophet, aber nicht ein Angehöriger einer Prophetenschule!“ Die erste Negation verneint also, dass Amos als „Seher“ bezeichnet werden darf. Er ist vielmehr ein Prophet, der aber in kei19 20
Vgl. zum Problem vor allem DRIVER 1955/56; DRIVER 1973, 108; ACKROYD 1977, 83. בן־נביאbezeichnet nach RUDOLPH 1971, 250 die „Zugehörigkeit eines einzelnen zu
einer Gruppe“. Vgl. auch HARPER 1960, 171. Dagegen aber ACKROYD 1956/57, 94, demzufolge dieser Ausdruck „the quality which belongs to a prophet“ ausdrücke, wofür er vergleichbare Stellen anführt. 21 Vgl. hierzu LIMBURG 1988, 117. 22 Vgl. RUDOLPH 1971, 250. 23 Vgl. vor allem COHEN 1961, 177; ZEVIT 1975, 790; STUART 1987, 376.
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ner professionellen Prophetenschule ausgebildet worden ist.24 Die erste Negationspartikel negiert somit den Vokativ von v.12, während die zweite Negation die Zugehörigkeit zu einer Prophetenschule bestreitet. Durch diese Lösung wird das Wirken als Prophet, das Amos später in einem Verbalsatz bestätigt, durchaus zugestanden, so dass kein Unterschied zwischen der verbalen und nominalen Verwendung der Wurzel נבאbesteht. Amos ist zwar ein wirklicher Prophet, aber kein Seher und ebenfalls kein Prophetenschüler. Bei dieser Lösung wird jedoch die Masora nicht beachtet, die gerade die erste Negation mittels Maqqef mit dem Lexem נביאverbindet ()לא־נביא,25 so dass hier beide Wörter eigentlich nicht voneinander getrennt werden können. Dieses Problem besteht aber nur für den späteren masoretischen Text. Über die prämasoretische Textform sagt dies nichts aus. Da aber die beiden ersten Nominalsätze zudem parallel aufgebaut sind,26 ist eine solch unterschiedliche Behandlung der Negationspartikel nicht nur willkürlich, sondern auch fragwürdig, da der schöne Parallelismus ohne Grund aufgegeben wird. Fraglich ist darüber hinaus, ob eine allein stehende Partikel לאtatsächlich einen Sachverhalt verneinen kann,27 der im Fernkontext in v.12 als Vokativ stand.28 Die korrigierende Aussage כי־בוקר אנכיkann zudem nur schwer mit der Verneinung einzig der Herkunft aus einer Prophetenschule verbunden werden. Dieser Satz ist dann besser verständlich, wenn er sich auf zwei Verneinungen bezieht und wenn damit die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Berufsgruppe insgesamt bestritten wird.29 Im vorausgehenden Kontext liegt außerdem keine Frage vor, die mit לאverneint werden kann. c) לאals emphatisches Lamed30 Vielleicht kann das Morphem ל/לא/ לוwie in anderen semitischen Sprachen (z.B. Akkadisch oder Ugaritisch) Emphase bewirken: „Ich bin sicher ein Prophet, aber nicht Angehöriger einer Prophetenschule!“ Amos bezeichnet sich dann mit Nachdruck als נביא. Trotzdem könne er nicht mit einer Prophetenschule verbunden werden, da er sich nicht als בן־נביאversteht. Es stellt sich die Frage, ob er die von Amazja gewählte Bezeichnung חזהebenfalls 24
Zur Verwendung des Begriffs בן־נביאvgl. LEWIS 2007, 230–234. COHEN 1961, 177f. sieht darin nur ein vernachlässigbares Problem. 26 Vgl. hierzu auch HOFFMANN 1977, 210; WOLFF 1985, 353. 27 HOFFMANN 1977, 210 mit Gegenbeispielen, dass mit לאtatsächlich eine Frage verneint werden kann. Die verkürzte Form in Sach 13,5 scheint ebenfalls auf eine Verneinung der beiden ersten Nominalsätze in Am 7,14 hinzuweisen, vgl. hierzu ebenso VIBERG 1996, 102. 28 ZEVIT 1979, 505f. weist u.a. auf Num 22,30; Ri 12,5; Ij 23,6 hin. 29 Freilich ist dieses Argument von HOFFMANN 1977, 211 verhältnismäßig schwach, da durch diese Korrektur erklärt wird, dass Amos kein professionelles Training als Prophet durchlaufen habe, aber aufgrund der Beauftragung durch JHWH ebenfalls als Prophet wirken kann. 30 Vgl. RICHARDSON 1966, 89. Vgl. alternativ zur Lösung einer rhetorischen Frage ACKROYD 1977, 83. 25
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ablehnt.31 Amos reklamiert folglich den offiziellen Prophetentitel, weist aber die Ansicht zurück, dass er ein prophetisches Training durchlaufen habe. Als von JHWH direkt berufener Prophet hat er eine prophetische Schulung ohnehin nicht nötig. Bei diesem Lösungsvorschlag muss man wiederum eine unterschiedliche semantische Funktion der Partikel לאannehmen, was aufgrund der parallelen Struktur der Nominalsätze eigentlich auszuschließen ist.32 Außerdem ist die Existenz eines emphatischen Lamed in der Form לאfür das Althebräische keineswegs gesichert. Oft kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass ein emphatisches Lamed lediglich eine Verlegenheitslösung für textkritisch und syntaktisch schwierige Stellen ist.33 d) Modus statt Zeitstufe34 Indem man die ersten beiden Nominalsätze modal übersetzt, kann man ebenfalls einigen schwerwiegenden Problemen entgehen: „Ein Prophet wollte ich nie sein, noch ein Angehöriger einer Prophetenschule!“ In diesem Fall lehnt Amos weder den Titel eines Propheten, noch die Zugehörigkeit zu einer Prophetenschule ab. Eigentlich versteht sich Amos als Bauer, ohne dass er jemals als Prophet auftreten wollte. Nur aufgrund der Berufung durch JHWH ist er jetzt gezwungen, als Prophet wirken zu müssen. Er ist folglich ein wirklicher Prophet, auch wenn er dies nie selbst angestrebt hat. Jedoch stellt sich hier die Frage, weshalb man die drei Nominalsätze hinsichtlich von Zeitstufe und Modus unterschiedlich behandelt. Denn der mit כי angeschlossene folgende Nominalsatz wird kaum modal übersetzt werden können, da er eine Aussage über den eigentlichen Beruf des Amos liefert. Damit wird also – wie schon bei den anderen Lösungsvorschlägen – das parallele Satzgefüge ohne ersichtlichen Grund ausgehebelt. Außerdem steht die modale Lösung trotz ihrer abweichenden Formulierung der präteritalen Lösung sehr nahe. Darüber hinaus muss man bei dieser Lösung unterstellen, dass Amos trotz seiner späten Berufung eine Ausbildung zum Propheten durchlaufen hat, bevor er nach Israel gekommen ist. Er war folglich nach seiner Berufung ein Prophetenschüler. Unerklärlich bleibt zudem, weshalb er seinen säkularen Beruf trotzdem angibt. Denn diese Information ist nur dann wichtig, wenn er sich von einem bestimmten Vorverständnis abheben will. Keine dieser vier Möglichkeiten kann bedenkenlos übernommen werden. Die angeführten Gegenargumente sind oft schwerwiegender als der damit erzielte 31
So aber RICHARDSON 1966, 89. Vgl. hierzu ACKROYD 1977, 83f. Anm. 46. 33 SELEZNEV 2004, 254f. weist noch darauf hin, dass die Gegenüberstellung von Prophet und säkularem Beruf kohärenter sei als die Nebeneinanderstellung von beiden Klassifizierungen. 34 Vgl. WATTS 1958, 12. 32
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Fortschritt bei der Lösung des offensichtlichen syntaktischen Problems von Am 7,14. 1.3 Bestimmung des Zeitverhältnisses der Nominalsätze35 Abgesehen von den genannten problematischen Lösungsvorschlägen verbleiben nur die beiden Möglichkeiten, die Nominalsätze aufgrund der Einbindung in den syntaktischen und zeitlichen Kontext entweder präsentisch oder präterital zu übersetzen: a) Präteritale Lösung36 Das Hauptargument für eine präteritale Lösung der Nominalsätze liegt wohl darin, dass man auf diese Weise auf eine semantische Differenzierung zwischen dem Nomen נביאund dem Verbum נבא-N verzichten kann.37 Die schwierige Unterscheidung zwischen Amt und Akt bzw. Funktion, zwischen Kult- und Schriftprophet, zwischen Heils- und Unheilsprophet ist damit hinfällig. Die temporale Distinktion ersetzt somit die semantische.38 Die präteritale Deutung betont darüber hinaus den Umstand, dass die prophetische Tätigkeit des Amos allein auf die Initiative JHWHs zurückzuführen ist. Zuvor ist Amos weder ein Prophet noch Angehöriger einer Prophetenschule gewesen. Allerdings ist dann fraglich, ob er sich nach seiner Berufung zum Propheten ebenfalls für einen Prophetenschüler hält.39 Darüber hinaus stellt sich wiederum die Frage, ob Amos nach seiner direkten Berufung zum Propheten eine prophetische Schulung durchlaufen hat. Auch wenn er früher kein Prophetenschüler gewesen ist, hat er folglich dieses Desiderat noch einholen und aufarbeiten können. Außerdem bleibt bei der Angabe seines säkularen Berufs offen, ob er diesen in Zukunft nach Erfüllung seines Auftrags noch ausüben
35
Das Problem der Zeitstufe der Nominalsätze stellt sich nur aufgrund der Einbettung in den Kontext. Wenn man Am 7,14 aufgrund der poetischen Gestaltung und der sprachlichen Unableitbarkeit als ältere Überlieferung betrachtet, erübrigt sich eine präteritale Deutung dieser Nominalsätze, vgl. WERLITZ 2000, 250f. 36 Vgl. ROWLEY 1947; MACCORMACK 1955/56, 318; REVENTLOW 1962; MAYS 1969; WÜRTHWEIN 1970; TUCKER 1973; BACH 1981; GUNNEWEG 1983; ANDERSEN/FREEDMAN 1989; BIRCH 1997; NOBLE 1998; VINCENT 2000. Die LXX deutet die Zeitstufe als Vergangenheit und konstruiert folglich ein „Vorher – Nachher“, vgl. GLENNY 2013, 131. 37 Vgl. VIBERG 1996, 103. Nach CRIPPS 1955, 232 verstehe sich Amos als „a prophet, in a better sense“. Vgl. auch ebd., 233: „Probably he is only dissociating himself from the less spiritual and the less worthy prophets of the past and, perhaps especially, of his own day“. 38 Vgl. VIBERG 1996, 103. 39 Logisch muss aber nicht gelten, dass Amos für sich beide Alternativen bejaht, vgl. NOBLE 1998, 430 Anm. 23: „‚not [(not A) and (not B)]‘ entails ‚A or B, not ‚A and B‘“. Nach COHEN 1961, 176 ist zudem die direkte Berufung durch JHWH mit der Vorstellung, ein Prophetenschüler zu sein, ohnehin nicht zu vereinbaren.
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wird oder ob er sich ganz seiner prophetischen Berufung widmet.40 Im ersten Fall würden die beiden Nominalsatzpaare als Kontrast zwischen Vergangenheit („Bauer“) und Gegenwart („Prophet“) zu deuten sein. Eine solche zeitliche Differenzierung hätte jedoch sprachlich eindeutiger ausgedrückt werden können und müssen. Aus formgeschichtlichen Gründen wird ebenfalls gerne die präteritale Lösung bevorzugt. Aufgrund formaler und inhaltlicher Gründe mag v.15 nämlich zu v.16 gehören, um den Unheilsspruch zu begründen.41 Beide Verse sind auch sprachlich miteinander verbunden (אמר, נבא, )ישׂראל, so dass gerade das an Amos gerichtete Verbot des Amazja, nicht in Israel als Prophet aufzutreten, den Priester von Bethel gegen den expliziten Willen JHWHs gestellt und damit das im Folgenden angekündigte Unheil provoziert hat.42 Jedoch zwingt nichts dazu, v.14 als isolierten Vordersatz lediglich zum folgenden v.15 zu ziehen. V.14 ist vielmehr die erste Antwort auf den Vorwurf Amazjas in v.12–13, Amos solle nicht als נביאin Israel wirken, um seinen Lebensunterhalt mit Prophezeien zu verdienen.43 Mit v.14 distanziert sich Amos also deutlich von denjenigen Propheten, die sich von der Tätigkeit als נביאernähren. Damit antwortet v.14 auf v.12–13 und ist zunächst mit diesen Versen und nicht mit v.15 zusammenzustellen. Wenn die Nominalsätze – wie unten zu zeigen sein wird – nicht notwendigerweise syntaktisch als untergeordnete Nebensätze zu v.15 zu deuten sind, dann gibt v.14 nicht die Umstände an, die zur Zeit des Eingriffs JHWHs herrschten. Insofern ist eine präteritale Deutung von v.14 nicht zwingend. Der Anschluss von v.14 an v.12–13 fordert hingegen eher eine präsentische Auffassung der Zeitverhältnisse in v.14. Darüber hinaus sind die korrigierende Angabe des Amos und der Hinweis auf seinen säkularen Beruf in v.14 bei einer Verbindung von v.14 mit v.15–16 unnötig, zumal diese Aussagen eigentlich unmotiviert wären. Außerdem ist aus formkritischen Gründen die Zusammenstellung von v.15–16 trotz der sprachlichen Berührungspunkte nicht zwingend nötig, zu-
40
Vgl. zu diesen Problemen PAUL 1991, 246. Nach REVENTLOW 1962, 20 soll die frühere Berufsangabe verdeutlichen, „daß Amos eben nicht auf eigenen Antrieb oder aus beruflichen Gründen zu seinem Prophetsein gekommen ist“. 41 Vgl. BACH 1981, 208–210. 42 Nach TIEMEYER 2006, 201 kann Amos nicht mehr wie in den ersten beiden Visionen als Fürbitter auftreten, so dass er nur noch Unheil verkünden kann, um Israel zur Umkehr zu bewegen. Diese rettende Funktion wird ihm aber von Amazja untersagt, langfristig mit katastrophalen Folgen. 43 Vgl. hierzu schon VAN HOONACKER 1941, 67. Nach BJØRNDALEN 1980, 241 wird in v.14 die Rede Amazjas aus v.12–13 in bestimmten Punkten richtig gestellt. Dagegen aber WÜRTHWEIN 1970, 81, demzufolge die v.14–16 lediglich das JHWH-Wort in v.17 vorbereiten wollen, so dass es in v.14 folglich nicht um „eine Richtigstellung hinsichtlich seiner Person“ gehe.
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mal mit ועתהin v.16 erst die Unheilsankündigung eingeleitet wird,44 die das Vorausgegangene als Teil der Begründung voraussetzt. Damit ist v.16 formal deutlich von v.15 isoliert.45 Gegen eine Verbindung von v.15 mit der Unheilsankündigung in v.16 spricht auch, dass die Antwort des Amos in v.14–15 auf die entsprechenden Passagen in der Rede des Amazja reagiert,46 so dass v.15 inhaltlich besser zu v.14 passt. Alles in allem gibt es weder einen formalen noch einen inhaltlichen Grund, den umstrittenen v.14 lediglich zu v.15–16 zu ziehen. Demgegenüber ist v.15 eher mit dem vorausgehenden v.14 zu verbinden, jedoch ohne dass eine syntaktische Unterordnung gefordert wäre. V.14–15 antworten ganz offensichtlich auf die Rede des Amazja.47 Die präteritale Lösung sagt zudem nichts über das gegenwärtige Selbstverständnis des Amos aus. Selbst wenn er zum Zeitpunkt seiner Berufung kein נביאgewesen ist, muss er in der Gegenwart nicht notwendigerweise ein solcher sein.48 Bei einer präteritalen Deutung der drei Nominalsätze muss folglich das Gegenteil dieser Aussagen für die Gegenwart nicht unbedingt gelten.49 Aus dem Nominalsatz ist somit weder zu folgern, dass Amos in der Gegenwart ein Prophet, noch dass er jetzt ein Prophetenschüler ist. Die persönliche Berufung des Amos durch JHWH gemäß v.15 widerspricht zudem einem Eintritt in eine Prophetenschule, da eine Ausbildung des Amos zum Propheten offenbar nicht notwendig gewesen ist. Fraglich ist bei einer präteritalen Deutung, weshalb Amos hervorheben soll, dass er vor seiner Berufung eben kein Prophet noch Prophetenschüler gewesen ist, zumal eine unmittelbare Berufung durch JHWH die Voraussetzungslosigkeit ohnehin schon betont.50 Es ist überhaupt kein Grund ersichtlich, weshalb Amos noch zusätzlich ein prophetisches Training absolvieren muss. Problematisch ist auch die Auffassung, die Nominalsätze als Nebensätze zu v.15 mit kontrastiver oder konzessiver Funktion zu deuten, da solche in
44
Vgl. SCHMIDT 2007, 227. Diese Trennung der beiden Teile des Amosspruches ist nur dann nicht nötig, wenn man 16a als spätere Glosse ausscheidet. Dann passt 16b bestens als Kontrast zu v.15 und beide Abschnitte wären ausgezeichnet miteinander verbunden. 46 Vgl. ZEVIT 1975, 784: Identität des Amos, seine Verantwortlichkeit, sein Lebensunterhalt und die geopolitische Sphäre seiner Tätigkeit. 47 Vgl. HARDMEIER 1985, 68. 48 Vgl. SMEND 1963, 416: „Sollte trotzdem die präteritale Übersetzung (‚Ich war kein Prophet …‘) zutreffen, dann wäre damit noch keineswegs gegeben, daß Amos im Gegensatz zu damals jetzt ein Kultprophet wäre“. So aber offensichtlich WÜRTHWEIN 1970, 74; GUNNEWEG 1983, 23f., der jedoch zu Recht die Einengung des Begriffs נביאauf die Heilsprophetie ablehnt. Nach MACCORMACK 1955/56, 318 sei Amos in der Gegenwart zwar Prophet, aber nicht der Angehörige einer Prophetenschule. Damit deutet er die beiden Nominalsätze zwar präterital, aber in ihrer Bedeutung für die Gegenwart unterschiedlich. 49 Gegen RUDOLPH 1971, 256. 50 So SMEND 1963, 417. Vgl. jedoch VINCENT 2000, 248. 45
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der Regel dem Hauptsatz folgen und nicht asyndetisch gefügt werden.51 Da in den Nominalsätzen die Negation לאsteht, die das Prädikat des Satzes und nicht den Satz als Ganzen verneint, liegt auch aufgrund der Frontstellung des verneinten Prädikats eine besondere Emphase auf den Nominalsätzen. Eine Unterordnung unter dem entfernten wayyiqtol-Satz von v.15 ist somit kaum anzunehmen. Für ein eindeutig präteritales Verständnis der Sätze in v.14 würde man zudem eine Verbalform von היהerwarten,52 wofür später noch weitere vergleichbare Beispiele angeführt werden sollen. Es stellt sich folglich zu Recht die Frage, weshalb hier nicht präziser argumentiert worden ist. b) Präsentisch-Präteritale Doppellösung53 Die drei Nominalsätze können hinsichtlich ihrer Zeitstufe mitunter unterschiedlich aufgefasst werden, auch wenn dann wiederum die Parallelität der Sätze zerstört werden würde. Während die ersten beiden Nominalsätze präsentisch aufzufassen wären, sei die Angabe der Berufstätigkeit präterital zu verstehen: „Ich bin kein Prophet und kein Angehöriger einer Prophetenschule, sondern ich war mit Rinderhüten und Sykomorenritzen beschäftigt, als mich JHWH hinter dem Kleinvieh weggenommen hat“. Demnach würde 14a an die Zeitstufe von v.13 anschließen, während 14b der Zeitstufe des folgenden wayyiqtol in v.15 verpflichtet wäre.54 Der Nominalsatz in 14b kann jedoch aufgrund seiner Form PrädikatSubjekt kaum dem folgenden Verbalsatz hypotaktisch untergeordnet sein55 und als Temporalsatz einen Zustand berichten, der vor bzw. während der im Verbalsatz berichteten Handlung angedauert hat. Denn Nominalsätze der Form Prädikat-Subjekt vor präteritalen Verbalsätzen sind in der Regel als eigenständige Sätze zu beurteilen. Insofern kann der letzte Nominalsatz syntaktisch kaum dem Folgenden untergeordnet werden. Somit ist auch die präsentisch-präteritale Doppellösung nicht über jeden Zweifel erhaben, ganz abgesehen davon, dass die Notiz in 14b eigentlich uninteressant ist. Denn es ist nicht ersichtlich, für wen die Angabe der Beschäftigung des Amos im Augenblick seiner Berufung überhaupt von Interesse sein soll.
51
Vgl. VIBERG 1996, 105f. Vgl. CRIPPS 1955, 233. 53 Vgl. SCHULT 1971, 474 Anm. 39. 54 Nach SCHULT 1971, 474 Anm. 39 wird also mit 14b nicht auf die wirtschaftliche Unabhängigkeit des Amos verwiesen. Hier werde folglich nur das angegeben, womit Amos im Augenblick der Berufung durch JHWH beschäftigt gewesen sei. 55 Vgl. hierzu ANDERSEN 1970, 35, der darauf verweist, dass klassifizierende Nominalsätze bei Unterordnung die Form Subjekt + indeterminiertes Prädikat annehmen, während ansonsten die Wortfolge umgekehrt ist. Die Funktion solcher klassifizierender Nominalsätze sei „circumstantial“. 52
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c) Präsentische Lösung56 Ein Nominalsatz ist von sich aus zeitlich indifferent. Wenn also kein Zeitadverb oder eine qatal-Form des Verbums היהverwendet wird,57 ist zunächst die präsentische Deutung nahe liegend. Da der vorangegangene Kontext in v.12–13 zudem präsentisch ist und Amos unmittelbar mit Nominalsätzen beginnt, ist eine präteritale Deutung weder für den Gesprächspartner noch für den Leser textpragmatisch ersichtlich. Um solchen Missverständnissen zu entgehen, hätte man sprachlich exakter formulieren können.58 Dies soll in einem eigenen Abschnitt noch näher erläutert werden. Darüber hinaus ist v.14 als Antwort ( )ענהauf den vielleicht gut gemeinten Rat des Amazja konzipiert59 und muss sich demnach der dort ausgedrückten Zeitstufe anschließen. Außerdem wird nur deshalb in v.15 ein vergangenheitliches Ereignis erwähnt, da es die Gegenwart, in der v.14 anzusetzen ist, bestimmt hat. Erst nach der Herauslösung des Amos aus seinem säkularen Beruf tritt dieser als Prophet auf, auch wenn er sich nicht als נביאbezeichnet und die Zugehörigkeit zu einer Prophetenschule dezidiert ablehnt. Durch die unmittelbare Berufung durch JHWH war ohnehin beides nicht nötig. Amos hebt sich also von den besonders geschulten Berufspropheten ab. Wenn nun ein Zustand, der diesem vergangenheitlichen Ereignis der Berufung durch JHWH noch voraus liegt, geschildert werden sollte, hätte dies der Autor exakter ausdrücken können, ja müssen.60 Zudem ist hinsichtlich der Verwendung des Verbs נבאim Amosbuch außerhalb von Am 7,10–17 semantisch festzustellen, dass dieses Verb nicht nur für die Tätigkeit der Berufspropheten verwendet wird (nur in Am 2,12), sondern auch auf alle Israeliten ausgedehnt werden kann (Am 3,8), die sich dem Zugriff JHWHs und ihrer Berufung zur prophetischen Tätigkeit nicht entziehen können. Insofern scheint hier zwischen dem eigentlichen Amt ( )נביאund dem Akt (נבא-N), dem kein Israelit ent56
Vgl. VAN HOONACKER 1941; LEHMING 1958; HARPER 1960; COHEN 1961; SCHMID 1967; RUDOLPH 1971; DRIVER 1973; WOLFF 1985; LIMBURG 1988; ROTTZOLL 1988; GROSS 1991; TSEVAT 1993; VIBERG 1996; GILBERT 1997; DIJKSTRA 2001; LANGE 2002; KÖHLMOOS 2006; SCHMIDT 2007; RIEDE 2008. 57 Wenn in den drei Nominalsätzen von v.14 ein Zustand, der dem Ereignis in v.15 vorausgeht, geschildert werden sollte, würde man wie in Gen 1,2–3 eine qatal-Form des Verbums היהerwarten, vgl. WOLFF 1985, 360. 58 Vgl. auch SELEZNEV 2004, 252. 59 Vgl. WOLFF 1985, 359f.; GILBERT 1997, 292. Nach BJØRNDALEN 1980, 241f. Anm. 14 stellt v.14 eine Abwehr gegenüber Amazja dar, mit der er den Anweisungen Amazjas durch negierende Sätze und einem assertorischen Satz die Grundlage nehmen möchte. 60 Vgl. WOLFF 1985, 360. Dass die dreifache nominale Aussage ein Eigengewicht besitzt, ist hingegen kein hinreichendes Argument für eine präsentische Deutung, zumal Nominalsätze und folgende Verbalsätze aufeinander bezogen sind und die Verbalsätze den gegenwärtigen Sachverhalt erklären.
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kommen kann, unterschieden zu sein.61 Damit ist keineswegs eine Abwertung der Berufspropheten verbunden. Die Berufung durch JHWH gibt dem Amos jedoch seine besondere Würde. Er ist ein Prophet sui generis und nicht mit den professionellen Propheten vergleichbar. Dieser Deutung widerspricht auch nicht die Verwendung derselben Wurzel נבאals Nomen und Verb. Amos lehnt zwar den Titel eines נביאab, muss aber auf die Tätigkeit des נבא-N verweisen, da ihm dies von Amazja vorgehalten wird.62 Er konnte nur durch Verwendung derselben Wurzel die Aussage des Amazja korrigieren und präzisieren. Demnach kann sich in der präsentischen Formulierung gerade eine Distanzierung vom Berufsprophetentum Ausdruck verschaffen, das mit Prophezeiungen seinen Lebensunterhalt verdient. Ein solcher Berufsprophet ist Amos jedenfalls nicht gewesen. Außerdem kann wohl nur ein Nominalsatz der Form Subjekt-Prädikat dem folgenden Verbalsatz hypotaktisch untergeordnet sein und als Temporalsatz über einen Zustand informieren, der vor bzw. während der im Verbalsatz berichteten Handlung angedauert hat, während Nominalsätze der Form Prädikat-Subjekt vor präteritalen Verbalsätzen wie hier in der Regel als eigenständige Sätze zu beurteilen sind.63 Insofern können die drei Nominalsätze auch syntaktisch kaum dem Folgenden untergeordnet werden.64 Darüber hinaus bestand sprachlich keine andere Möglichkeit, in v.14 durch eindeutig präsentische Verbalformen die Zeitstufe sicherzustellen, da in diesem Fall das Spiel mit der Wurzel נבאbei ausschließlich verbaler Verwendung nicht funktioniert hätte.65 61
Vgl. WOLFF 1985, 361. Dieses Problem sieht MAYS 1969, 138: „If he were not a prophet, he was functioning as a prophet“. Vgl. hierzu SCHMIDT 2007, 232, demzufolge sich Amos „als ein Mann verstanden hatte, der prophezeite, ohne Prophet zu sein“. UTZSCHNEIDER 2007, 111–113 betont zu Recht, dass lediglich Am 3,7 eine isolierte Position innerhalb aller Belege der Wurzel נבאbei Amos einnimmt. Meist geht es um das NichtProphezeien bzw. das Verhindern des Prophezeiens, sowohl bei berufsmäßigen Propheten (Am 2,12), als auch bei normalen Personen (Am 7,13). Nur Am 3,7 zeichnet ein positives Bild der נביאים. In Am 3,8 hingegen ist Prophezeien für jedermann unvermeidlich, denn die rhetorische Frage im Kontext der übrigen verneinten Fragen lässt nur diese Deutung zu, vgl. ebd., 111. 62 Vgl. SMEND 1963, 417. 63 Vgl. ROTTZOLL 1988, 414f., der auf 2 Sam 14,5 als eine parallele Fügung verweist. Ein weiteres vergleichbares Beispiel wäre 1Sam 30,13. 64 Die Abfolge Prädikat-Subjekt muss aber für einen vom folgenden wayyiqtol unabhängigen Nominalsatz nicht zwingend vorgeschrieben werden, da auch die umgekehrte Reihenfolge möglich ist, ohne dass an einen Hintergrundsatz zu denken wäre, vgl. als mögliches Gegenbeispiel Ex 6,2–3. Hier liegt aber im Gegensatz zu Am 7,14–15 ein identifizierender, nicht ein klassifizierender Nominalsatz vor. Bei identifizierenden Nominalsätzen liegt ohnehin ein präsentisches Verständnis näher, zumal wenn es um Namensangaben wie hier geht: „Ich bin JHWH … und ich erschien“. 65 Vgl. hierzu GILBERT 1997, 293.
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Durch den Verweis auf seinen säkularen Beruf kann Amos den Vorwurf des Amazja entkräften, er würde lediglich um des Lebensunterhaltes willen als Prophet auftreten.66 Der Hinweis auf seinen Beruf ist nur bei einer präsentischen Auffassung im Kontext der Erzählung sinnvoll.67 Amos hat also aufgrund seines Berufes eine gesicherte Existenz und ist nicht auf Profit aus seinen Prophezeiungen angewiesen. Problematisch ist allerdings, dass Amos sich in seiner Antwort nicht auf den Titel חזהbezieht. Amazja hat ihm zudem nie vorgeworfen, dass er ein נביאsei.68 Insofern wehrt sich Amos bei einem präsentischen Verständnis gegen eine Zuschreibung, die nie gemacht worden ist.69 Vielleicht ist die Lösung des Problems darin zu suchen, dass Amos mit den verneinten Nominalsätzen darauf hinweisen möchte, dass er kein Prophet in Juda ist, wo er einen säkularen Beruf ausübt,70 während er in Israel aufgrund der Initiative JHWHs als Prophet wirken muss. Dann antwortete er direkt auf die Weisung des Amazja, der ihn als Prophet in seine Heimat Juda zurückschickte, wo er als Prophet auftreten könnte.71 Schon die bislang angeführten Argumente haben gezeigt, dass für die präsentische Lösung weit stichhaltigere Argumente sprechen als für die präteritale Deutung der Nominalsätze.72 Im Folgenden sollen noch weitere syntaktische Argumente angeführt werden, die sich freilich auf eine Auswahl von Fällen beschränken müssen, nämlich Fügungen mit der Negation לא, der Wortstellung P(=Prädikat) +S(=Subjekt) und dem selbständigen Personalpronomen 1. Pers. Singular: a) לא-P + S + (כי-)Nominalsatz Ex 4,10: כי כבד־פה וּכבד לשׁוֹן אנכי... לא אישׁ דברים אנכי Die vorliegende Stelle lässt sich besonders gut mit Am 7,14 vergleichen, da sie formal gleich aufgebaut ist, auch wenn sie bislang noch nie bei der Diskussion des syntaktischen Problems von Am 7,14 angeführt worden ist. Der erste Nominalsatz ist hier präsentisch wiederzugeben, was durch den Einschub der temporalen Näherbestimmung verdeutlicht wird: „weder seit ges66
Vgl. RUDOLPH 1971, 256. Vgl. schon WEISER 1956, 191 Anm. 1. 68 Vgl. auch REVENTLOW 1962, 17. 69 Vgl. hierzu ebenso ANDERSEN/FREEDMAN 1989, 777. 70 Vgl. GILBERT 1997, 298f. 71 Möglicherweise ist zudem die Antwort in v.14 der für Berufungserzählungen gattungstypische Einwand des Amos gegen eine unmittelbare Berufung durch JHWH, vgl. TUCKER 1973, 430. 72 Gegen die präsentische Auffassung der Nominalsätze wurde zwar eingewendet, dass sie inhaltlich eine Distanz zwischen dem Berufs- und Schriftprophetentum voraussetzen würde, vgl. GUNNEWEG 1983, 11. Jedoch ist in Am 7,10–17 kein Hinweis darauf zu finden, dass sich Amos hier als Schriftprophet versteht. 67
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tern noch seit vorgestern, noch seitdem du zu deinem Knecht geredet hast“. Moses versteht sich also seit jeher nicht als Mann des Wortes, was freilich genauso in der Gegenwart von Bedeutung ist. Insofern möchte er kritische Zweifel gegenüber seiner Berufung anmelden. Wie in Am 7,14 wird auch hier mittels כי-Satz der gegenwärtige Zustand begründet. Der Anschluss an dieses Nominalsatzgefüge wird in Ex 4,11 mit wayyiqtol gestaltet, was aber hier die Änderung der Redeperspektive anzeigt. In Ex 4,11 folgt nämlich JHWH-Rede. Die beiden Stellen Ex 4,10 und Am 7,14 verbindet zudem die inhaltliche Perspektive der Berufung zum Propheten. Sach 13,5: לא נביא אנכי אישׁ־עבד אדמה אנכי Die Parallele zwischen Am 7,14 und Sach 13,5 wurde schon immer gesehen. Meist wird Sach 13,5 als prägnante Verkürzung der Amos-Stelle bewertet. In Sach 13,5 ist ein präsentisches Verständnis seit jeher unbestritten. Falls Sach 13,5 tatsächlich auf Am 7,14 angespielt hat, dann wurde zumindest im Rahmen einer innerbiblischen Rezeption, als es noch kompetente Sprecher gab, das präsentische Verständnis von Am 7,14 bevorzugt.73 b) Rhetorische Frage: Fragepartikel + לא-P + S 1Sam 9,21: הלוא בן־ימיני אנכי Im Gegensatz zu Am 7,14 ist dieser Nominalsatz als rhetorische Frage eindeutig mit der Fragepartikel הgekennzeichnet. Er unterscheidet sich ebenso in seiner semantischen Funktion von Am 7,14. Hier liegt nämlich aufgrund des semantisch determinierten Prädikats ein identifizierender Nominalsatz, kein klassifizierender Nominalsatz vor. Die Wortfügung בן־ימיניist sicherlich als determiniert zu beurteilen, auch wenn bei dieser Constructusverbindung Determination mit dem Artikel ebenfalls gebräuchlich ist.74 Das Zeitstufenverhältnis ist auf alle Fälle als gegenwärtig, noch andauernd zu bezeichnen. Spr 26,19: הלא־משׂחק אני Hier liegt ebenfalls eine rhetorische Frage vor, mit der sich der Betrüger selbst als Spaßvogel beurteilt sehen möchte. Das zeitliche Verhältnis des Nominalsatzes ist hier jedoch schwierig zu bestimmen, da sich das Prädikat durchaus auf die vergangenheitliche Tat bezieht, aber ebenso als durative Selbstbezeichnung gewertet werden kann. Damals beim Betrug seines Nächsten, aber auch jetzt noch hält er sein Tun nicht für verwerflich, sondern vielmehr für belustigend. Aufgrund dieser offenen Deutung kann diese Stelle
73 Kritisch zu einer präsentischen Deutung von Am 7,14 lediglich aufgrund von Sach 13,5 BACH 1981, 206, zumal die Nominalsätze von Am 7,14 nicht notwendigerweise wie in Sach 13,5 selbständig seien. 74 Vgl. Ri 3,15; 2Sam 16,11; 19,17; 1Kön 2,8.
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zumindest nicht gegen die präsentische Deutung von Am 7,14 verwendet werden. c) Vergleichsätze לא-P + S + מן 1Kön 19,4: כי־לא־טוב אנכי מאבתי Dieser Vergleich ist aufgrund des vorangestellten Imperativs als gleichzeitig einzustufen. Elija führt bezüglich seines Charakters aus, dass er nicht besser sei wie seine Väter. Insofern erklärt sich der Todeswunsch nicht aus einer in der Vergangenheit begangenen Tat, sondern aus der aktuellen Situation, die für Elija genug ist. Das folgende wayyiqtol in v.5 gehört wiederum nicht zur Rede des Elija, sondern führt die Handlung fort. Ij 12,3/13,2: לא־נפל אנכי מכם Auch bei diesem Vergleich wird Gleichzeitiges ausgedrückt. Ijob verweist zwar in Ij 13,2 auf vergangene Erkenntnis, die aber für ihn den gegenwärtigen Zustand begründet, dass er sich nicht für minderwertiger als seine Freunde hält. Ähnlich wie das nachgestellte wayyiqtol in Am 7,15 den gegenwärtigen Zustand herbeiführt, hat auch in Ij 13,2 der Verweis in die Vergangenheit lediglich begründenden Charakter. Um Missverständnisse in der temporalen Deutung der Nominalsätze zu vermeiden, hätte der Autor von Am 7,14 zudem weit bessere Möglichkeiten zur Verfügung gehabt, als mit einem zeitlich schwer verständlichen Nominalsatz zukünftige oder vergangenheitliche Zeitstufen zu markieren. Dies sollen die folgenden Beispiele verdeutlichen. a) אני/ אנכי+ לא+ yiqtol (Zukunft/modal)75 Die Stelle in Hos 1,9 ( )ואנכי לא־אהיה לכםzeigt, dass der Autor durchaus die Möglichkeit gehabt hätte, seinen Nominalsatz mit dem Verb היהzu verbalisieren, um ein klares Zeitstufenverhältnis auszudrücken. In diesem Fall hätte er auch die oben vorgeschlagene Differenz zwischen dem Nomen נביאund dem Verb der gleichen Wurzel beibehalten können. b) אני/ אנכי+ לא+ qatal (Vergangenheit)76 Um eine vergangenheitliche Aussage zu treffen, hätte der Autor von Am 7,14 eine Konstruktion mit qatal wählen, ein selbständiges Personalpronomen betont voranstellen und die Negation direkt vor das Verbum platzieren können. Dann wäre der vergangenheitliche Aspekt des Wirkens als נביאdeutlich ausgedrückt gewesen. Wenn der Autor trotzdem die schwer bestimmbare Konstruktion eines Nominalsatzes gewählt hat, so lag ihm vermutlich an 75 Vgl. zu dieser Konstruktion Gen 19,19; 31,52; Ri 2,21; Ij 7,11; Jes 49,15; Jer 23,24; Ez 5,11; Hos 1,9. 76 Vgl. zu dieser Konstruktion Gen 21,26; 28,16; Ri 11,27; Neh 5,15; Est 4,11; Ps 119,87; Jes 50,5; Jer 14,15; 17,16; 23,32; 29,31; Ez 13,7.22.
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einem gleichzeitigen, durativen Verständnis der Aussage des Amos, die er auf diese Weise am treffendsten und besten ausdrücken konnte. Der synchrone Durchgang durch vergleichbare Satzformationen ergab also folgendes Ergebnis: Es gab demnach für die Konstruktion mit selbständiges Personalpronomen, Negation לאund verbalem oder nominalem Glied folgende drei Bildetypen, die hinsichtlich ihrer zeitlichen Ansetzung unterschieden werden können: אני/ אנכי+ לא+ qatal לא-P + S אני/ אנכי+ לא+ yiqtol
für eine vergangenheitliche Aussage für eine gleichzeitige oder durative Aussage für eine zukünftige oder modale Aussage
Vor allem die neu ins Gespräch gebrachte Stelle Ex 4,10 ist die beste Parallele zu Am 7,14, zumal der Berufungskontext inhaltlich beide Texte verbindet. In Ex 4,10 liegt ebenfalls ein klassifizierender Nominalsatz vor, die Stellung der nominalen Satzglieder ist dieselbe und auch der anschließende כי-Satz erklärt den negierten Nominalsatz. In Ex 4,10 wird darüber hinaus noch durch anschließende Präpositionalverbindungen sichergestellt, dass die ersten Nominalsätze als gleichzeitig zu verstehen sind.
2. Zum Selbstverständnis des Propheten Amos nach Am 7,14 Nach Am 7,14 lehnt Amos es ab, zur Gruppe der Propheten bzw. der Prophetenschüler zu gehören, obwohl er für sich die Tätigkeit des Prophezeiens trotzdem in Anspruch nehmen möchte, zumal er dies mit der direkten Berufung durch JHWH begründet. Der vermeintliche Widerspruch zwischen prophetischem Amt und prophetischer Tätigkeit wurde immer wieder unterschiedlich gedeutet:77 a) als subtile Ironie78 Wie die Parallelformulierung von Sach 13,5 andeutet, könnte Am 7,14 ebenfalls als subtile Ironie zu verstehen sein, mit der Amos selbst seine prophetische Kompetenz herunterspielt, um zum einen die Arroganz des Amazja noch deutlicher zu brandmarken und zum anderen die unmittelbare Berufung durch JHWH besonders hervorzuheben.79 Somit könnte man die Antwort des Amos sogar noch folgendermaßen deuten: Amos spielt lediglich den Laien bzw. Bauern spielt. Damit versucht er Amazja insofern herauszufordern, als er sich außerhalb der Klasse stellt, die der Weisungsbefugnis des Priesters untersteht. 77
Vgl. DIJKSTRA 2001, 108 Anm. 15. Vgl. VIBERG 1996, 107–113. 79 Freilich darf man nicht so weit gehen, dass Amos aufgrund seiner offensichtlichen literarischen Kompetenz zwangsläufig eine professionelle Schulung genossen haben müsse, vgl. hierzu aber VIBERG 1996, 112f. Dagegen zu Recht LANGE 2002, 61 Anm. 10. 78
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Somit zeigt er, dass nicht die Zugehörigkeit zu einer Klasse entscheidend für die Legitimation prophetischer Rede ist, sondern vielmehr die Berufung durch JHWH selbst.80 Bei einer solchen Deutung ist dann auch die geographische wie inhaltliche Unvereinbarkeit der einzelnen Berufe des Amos kein wirkliches Problem mehr. Denn im judäischen Tekoa gedeihen bekanntermaßen keine Sykomoren, die der Bauer Amos hätte pflegen können. Die Unterscheidung zwischen Groß- und Kleinvieh wäre dann ebenfalls unerheblich. b) als soziale Verflechtung Die ablehnende Antwort des Amos könnte darauf zurückzuführen sein, dass er sich seines Berufes und Standes wohl bewusst war und sich als Bauer korrekt in das vorgegebene soziale Beziehungsgeflecht verorten möchte.81 Deshalb musste er zudem erklären, weshalb er eine neue soziale Rolle, nämlich die des Propheten, angenommen hatte. In einem hierarchischen System musste die Gruppenzugehörigkeit immer klar und eindeutig definiert sein. Durch seine Einordnung in das soziale System achtet Amos zumindest oberflächlich die Gruppe der Berufspropheten.82 Er gehört zwar sozial nicht zu dieser Gruppe, aber trotzdem muss er aufgrund seiner direkten Berufung durch JHWH Unheil verkünden. Auf diese Weise zeigt sich die Unterwürfigkeit und Bescheidenheit des Amos, der sich nicht mit fremden Titeln schmücken möchte, die ihm nicht zustehen. c) als temporäre Berufung Möglicherweise lehnt Amos den Titel eines נביאnur deshalb ab, weil er lediglich für die kurze Zeit seines Auftrags in Israel als Prophet wirken kann, ansonsten aber einen säkularen Beruf ausübt. Nachdem er seinen Auftrag ausgeführt hätte, würde er dann wieder seinem alten Beruf nachgehen.83 Er ist folglich mit den permanent auftretenden Berufspropheten nicht zu vergleichen. Nur zur Erfüllung seines Auftrags wirkt er als Prophet. Es handelt sich somit nur um eine temporäre Berufung zum Propheten, die dann bei seiner Rückkehr nach Juda erlischt. Solche Deutungen lesen aber zuviel in den Text hinein, ohne dass es dafür deutliche sprachliche Hinweise gibt. Insofern soll das prophetische Selbstverständnis des Amos im Folgenden nur mithilfe der Textdaten ermittelt werden. Da die Wurzel נבאin Am 7,10–17 als Nomen und als Verb gebraucht wird, liegt wohl zwischen beiden Lexemen ein kleiner Unterschied, da Amos das
80
Vgl. hierzu SELEZNEV 2004, 257f. Vgl. RAMÍREZ 1996, 119–123. 82 Vgl. hierzu DIJKSTRA 2001, 108 Anm. 15. CRIPPS 1955, 311 vermutet in der Negation des Amos „an exceptional sense of humility“. 83 Kritisch hierzu aber CRIPPS 1955, 312. 81
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Amt eines נביאdezidiert ablehnt, obwohl er die Tätigkeit נבא-N ausführt. Man muss folglich zwischen Amt und Tätigkeit unterscheiden.84 Die zweite Negation „kein Prophetensohn“ ist vermutlich eine präzisierende Einschränkung85 der ersten Negation. Offenbar möchte Amos darauf hinweisen, dass er eigentlich kein berufsmäßiger Prophet ist, der seinen Lebensunterhalt allein aus prophetischer Tätigkeit bestreitet. Er ist folglich nicht Prophet von Beruf, auch wenn er zu prophetischer Tätigkeit direkt von Gott berufen worden ist. Amos ist somit nicht zu denjenigen Propheten zu rechnen, die eine prophetische Schulung absolviert haben. Er ist kein Prophet, der sein Metier gelernt hat. In diese Deutung passt schließlich auch der Hinweis auf seine bäuerliche Existenz und auf das direkte Eingreifen JHWHs bei seiner Berufung. Damit betont Amos zum einen seine wirtschaftliche Unabhängigkeit – er ist gar nicht auf eine Belohnung für seine Prophezeiungen angewiesen –, zum anderen die Legitimation seines prophetischen Auftretens in Israel – er ist ja direkt von JHWH zu seinem prophetischen Dienst berufen worden.86 Amazja hat ihm zudem mit der Verwendung des Verbums נבא-N nur die Tätigkeit eines נביאin Bethel vorgeworfen.87 Mit keinem Wort hat Amazja ihn als Berufspropheten bezeichnet. Dann wäre Amos ihm weisungsbefugt gewesen. Auf den Vorwurf des Prophezeiens musste Amos folglich eingehen. Er musste seine Berechtigung zu dieser Tätigkeit besonders unterstreichen. Bei einer präsentischen Deutung von v.14 wird ohnehin nur die Zugehörigkeit zu den Berufspropheten verneint, nicht aber die Fähigkeit als „Seher“ prophetisch zu wirken (נבא-N).
84
Auf dieses Problem weist GUNNEWEG 1983, 12f. hin. Vgl. JEREMIAS 1995, 109f. Nach VOGT 1956/57, 301; RUDOLPH 1971, 250 liegt hier ein ו-explicativum vor. Vgl. hierzu auch BIRCH 1997, 241: „It at least seems clear that Amos is dissociating himself from these professional groups of prophets“. Gegen die Möglichkeit einer solchen Verwendung der Konjunktion וaber COHEN 1961, 176; LANGE 2002, 59 Anm. 5; KÖHLMOOS 2006, 104. SELEZNEV 2004, 253 verweist auf den Parallelismus, der gegen eine Deutung als ו-explicativum sprechen würde. SCHMID 1967, 73 vermutet zudem, dass einfaches נביאden Vorstand einer Prophetengenossenschaft bezeichne. 86 Vgl. hierzu JEREMIAS 1995, 110; RIEDE 2008, 289f. Nach GILES 1992, 691f. rechnet sich Amos zu den Unterdrückten. Auf dem Hintergrund der Auseinandersetzung zwischen Unterdrückern und Unterdrückten sei Am 7,14 zu lesen. Die Berufsbezeichnungen des Amos sind aber schwer zu deuten und können sogar auf einen gewissen Wohlstand schließen lassen. Somit kann Amos kaum zu den wirtschaftlich Unterdrückten gezählt werden. 87 Nach VAN HOONACKER 1941, 67 hat Amazja zudem Amos zur Gruppe der Berufspropheten gezählt. Auffälligerweise wendet sich Amos nur gegen den Titel נביא, nicht aber gegen die Bezeichnung חזה. Ob man aber wie SMEND 1963, 417 daraus folgern darf, dass die Titel נביאund חזהnicht dasselbe meinen, folgt daraus noch lange nicht. Nach WERLITZ 2001, 116 wehrt sich Amos zudem dagegen, dass er als angestellter oder verbeamteter Prophet der Machtkompetenz von Amazja untersteht. 85
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Die normalerweise den Berufspropheten zugeschriebene Tätigkeit eines נביאkann nach dem Verständnis des Amos ebenso von einem Laien ausgeübt
werden, der weder gesondert geschult, noch vom Herrscher angestellt ist. Darin zeigt sich eine gewisse Kritik des Amos an den bestehenden Verhältnissen im Nordreich Israel. Mittels Berufung durch JHWH ist es offenbar jedem Israeliten möglich, den Auftrag zu prophetischem Wirken zu erfüllen, an welchem Ort auch immer. Fraglich ist jedoch, ob sich in dieser Erzählung eine prinzipielle Kritik an den Berufspropheten verbirgt.88 Ob demnach tatsächlich von einem „göttlich sanktionierten Notrecht“ der prophetischen Funktion für Jedermann auszugehen ist, weil die dafür vorgesehenen institutionellen Funktionsträger versagt haben,89 kann auf der Ebene des Amosbuches nicht definitiv entschieden werden. Denn zumindest in Am 3,7 werden die נביאיםnoch als Knechte JHWHs bezeichnet, denen JHWH seinen Ratschluss offenbart. Das Berufsprophetentum wird also im Amosbuch nicht prinzipiell in Frage gestellt, genügt aber den aktuellen Erfordernissen offenbar nicht mehr, sondern bedarf der Ergänzung durch jeden Israeliten, den JHWH zu prophetischer Tätigkeit beruft. Die unmittelbar von JHWH berufenen Propheten dienen folglich als kritisches Korrektiv und als zusätzliche Stimme in schwierigen Zeiten. Amos stellt sich mit seiner Antwort somit in kritische Distanz zum Berufsprophetentum, das er aber respektiert. In Am 7,10–17 spricht er den Berufspropheten deren prophetische Befähigung nicht ab. Die Autorität seiner prophetischen Wirksamkeit leitet sich jedoch nicht von der Zugehörigkeit zur Zunft oder Genossenschaft von Berufspropheten ab, sondern von seiner unmittelbaren Berufung durch JHWH. Sein Verkündigungsauftrag stammt ausschließlich von JHWH und ist daher auch nicht in Frage zu stellen.90 Der Hinweis auf die Berufung durch JHWH und das Fehlen einer professionellen Ausbildung zum Propheten unterstreicht zudem die Prärogative Gottes, der sich seine Boten auswählt, auch wenn diese sich dagegen wehren oder sich für den Auftrag unfähig halten.91 Die Erzählung von Amazja und Amos in Am 7,10–17 scheint damit den Konflikt zwischen prophetischer Autorität, wie dies die Berufspropheten für sich beanspruchen, und prophetischer Authentizität der unmittelbar von JHWH
88
So aber UTZSCHNEIDER 2007, 112: „Die Spitze liegt u.E. vielmehr darin, dass die Institution der Prophetie, das menschlich vermittelte Gotteswort sich Bahn schafft, auch wenn es die gelernten und berufenen Funktionsträger nicht mehr vertreten können oder wollen: Dann prophezeit eben der Bauer, auch wenn er gar kein Prophet ist.“ Möglicherweise hat bereits der historische Amos eine Zugehörigkeit zu den Berufspropheten bestritten, vgl. DIJKSTRA 2001, 127. 89 Vgl. UTZSCHNEIDER 2007, 112f. 90 Vgl. PFEIFER 1995, 75f. 91 Vgl. hierzu ACKROYD 1977, 83.
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berufenen Propheten widerzuspiegeln.92 Der authentische JHWH-Prophet wird von JHWH selbst beauftragt und ist daher nicht notwendigerweise ein Heilsprophet. Er tritt ja besonders dann auf, wenn schlechte Nachrichten überbracht werden müssen, während die Berufspropheten meist das prophezeit haben, was der Dienstherr hören wollte. Positive authentische Prophezeiungen sind demgegenüber nicht käuflich. Der Hinweis auf die Berufung des Amos in v.15 unterstreicht, dass Amos ausschließlich im Auftrag JHWHs redet. Auch wenn er kein Prophet, sondern eigentlich ein Landwirt ist, zeigt sich gerade in seiner direkten Berufung durch JHWH die Legitimation zum authentischen Propheten,93 der das mitteilen muss, was Gott von ihm verlangt, auch wenn es unbequeme Wahrheiten sind. Aufgrund seines säkularen Berufs macht Amos zusätzlich deutlich, dass er keiner weltlichen Weisungsinstanz untersteht. Weder als נביאeinem aufsichtsführenden Priester, noch als בן־נביאeinem Vorsteher einer Prophetenzunft. Amos versteht sich also als autonom und nicht-institutionalisiert.94 Auf diese Weise wird Am 7,10–17 zu einer Legitimationserzählung eines allein von JHWH berufenen Propheten. Während sich Amazja auf die staatliche Autorität beruft und als Priester von Bethel seine Weisungsbefugnis gegenüber am Tempel wirkenden Propheten in Anspruch nimmt, betont Amos seinen ausschließlichen Gehorsam gegenüber JHWH, der ihn zum Volk Israel gesandt hat. Dies erklärt seinen Ungehorsam gegenüber der staatlichen Autorität, die sich in den Anweisungen des Amazja ausdrückt.95 Aufgrund des Verbots der prophetischen Verkündigung des Amos in Israel wird schließlich über den Priester von Bethel ein Gerichtswort verhängt, da sich JHWH das Wort nicht verbieten lässt, und zwar von keiner weltlichen oder geistlichen Institution. Dementsprechend ist nicht der Ort der Verkündigung das Problem der Auseinandersetzung zwischen Amazja und Amos, wie dies Amazja besonders betont, sondern der Versuch der Verhinderung des Gotteswortes an Israel.
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Vgl. TUCKER 1973, 434. Nach WATTS 1958, 11 geht es in v.14 um die Autorität des Amos, nicht um seinen Status oder seinen Beruf. Vermutlich leitet sich diese von der Autorität JHWHs ab, vgl. ebd., 12. Nach BULKELEY 2009, 525 ist die Erzählung ausweislich der vielen verwendeten Titel „a dispute over authority“. 93 Vgl. hierzu auch LEHMING 1958, 167–169. 94 Vgl. KÖHLMOOS 2006, 105. Nach LEWIS 2007, 240 ist jedoch fraglich, ob die beiden Ausdrücke נביאund בן־נביאtatsächlich zu differenzieren sind. 95 Im Vordergrund geht es zwar um Amos und Amazja, im Hintergrund stehen sich zum einen JHWH in der Person des von ihm berufenen und legitimierten Propheten und zum anderen die Staatsgewalt, repräsentiert durch König und Priester, gegenüber, vgl. hierzu HARDMEIER 1985, 68f. Nach COUEY 2008, 314 ist zudem von „a complex triangular relationship among the priestly, prophetic, and royal spheres of society“ auszugehen. Es gebe somit ein komplexes Verhältnis von Königtum, Kult und Prophetie, in dem sich die Auseinandersetzung zwischen Amos und Amazja abspiele.
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Aus alledem folgt, dass in der Prophetenerzählung von Amos und Amazja die Berechtigung der nicht-institutionalisierten JHWH-Propheten auf dem Spiel steht. Eine genaue Analyse der Syntax der Nominalsätze hat gezeigt, dass in Am 7,14 dem präsentischen Verständnis der Vorzug zu geben ist. Diese sprachliche Beobachtung hat freilich weitreichende offenbarungstheologische Auswirkungen. Es geht in Am 7,14 nicht darum, ob Amos vor seiner Berufung kein institutionalisierter Prophet oder Prophetenschüler gewesen ist (präteritales Verständnis), sondern vielmehr darum, dass er seinen prophetischen Anspruch allein mit seiner Berufung durch JHWH verbindet. Die Befähigung zu authentischer prophetischer Rede ist somit nicht allein an ein Amt gebunden, sondern kann von Gott unabhängig davon zugesprochen werden. Auf diese Weise können die von JHWH direkt berufenen Propheten als kritisches Korrektiv und Ergänzung zu den institutionalisierten Propheten wirken. Prophetische Rede ist folglich weder an Amt noch an Ausbildung allein gebunden. Der Geist Gottes weht vielmehr, wo und wie er will.
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Der Vorwurf der Blutschuld von Jesreel (Hos 1,4–5) als authentisches Prophetenwort Der Vorwurf der Blutschuld von Jesreel
Das Prophetenwort über den Hoseasohn Jesreel in Hos 1,4–5 ist aufgrund seiner Kürze besonders schwierig, zumal vieles auf den ersten Blick unbestimmt bleibt. Eine genaue Analyse der Semantik zeigt aber, dass hier jedes Wort vom Autor wohlbedacht eingesetzt worden ist. Im Gegensatz zu literarund redaktionskritischen Versuchen, die diese kleine Einheit ausweislich der vorgeblichen Spannungen in einzelne Bestandteile zerlegen, wird sich zeigen, dass in Hos 1,4–5 keine belastbaren Hinweise auf redaktionelle Arbeit zu finden sind. Zunächst soll Hos 1,4–5 übersetzt werden. Im Anschluss folgen dann einige erläuternde Hinweise zur Textkritik und zur Syntax der beiden Verse. Da sagte JHWH zu ihm: „Nenne seinen Namen Jesreel. Denn noch (ist) eine Weile und ich werde die Blutschuld von Jesreel auf die Dynastie Jehu versammeln e und die Königsherrschaft der Dynastie Israels aufhören lassen.
4a b c d
5a Und es wird sein in jener Zeit: b Da werde ich den Bogen Israels über die Jesreelebene zerbrechen.“ Die vorliegende Textstelle ist textkritisch kaum verdächtig. Insofern genügen nur wenige Anmerkungen: a) Nur eine hebräische Handschrift (K 224) liest „( אליzu mir“) in 4a anstelle von „( אליוzu ihm“), was sich leicht als Verschreibung bzw. als unabsichtlicher Verlust des letzten Konsonanten וerklären lässt.1 Insofern muss man hier nicht einen Wechsel von der dritten in die erste Person annehmen. Die dritte Person ist ohnehin nicht auffällig, da es sich bei Hos 1,2–9 um einen prophetischen Fremdbericht handelt. Ein Wechsel in die erste Person ist folglich nicht erforderlich. b) In 4d liest die LXX „Haus Juda“ anstelle von „Haus Jehu“, was den schwierigen MT vereinfacht und die Teilverse 4d und 4e durch die Gegenüberstellung „Haus Juda“ und „Haus Israel“ parallelisiert. Diese Änderung könnte auf judäische Kreise zurückgehen, die die Prophetie Hoseas ihren 1
Vgl. WOLFF 1976, 7; MACINTOSH 1997, 19.
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Bedürfnissen anpassen wollten. MT ist jedoch die lectio difficilior und darf beibehalten werden.2 c) Auch nach der Jehu-Dynastie gab es in Israel ein Königtum, was durch den MT möglicherweise verneint wird. Deshalb nimmt man in 4e gelegentlich eine Umvokalisierung von מַ ְמ ְלכוּתzu ִממַּ ְלכוּתvor und deutet das Abstraktsubstantiv ממלכתals Präpositionalverbindung מן+ מלכות. Außerdem vermutet man den Ausfall eines enklitischen Personalpronomens 3. Pers. Plural hinter dem Verb שׁבת.3 Mittels einer solchen Textänderung rekonstruiert man dann folgenden Text: „ich will sie (= Jehuiden) wegnehmen vom Königtum im Haus Israel“. Für solche Textänderungen können jedoch höchstens inhaltliche, aber nicht syntaktische Gründe angeführt werden. Das Abstraktum „ מַ ְמ ְלכוּתKönigtum“ sollte also nicht aufgrund inhaltlicher Schwierigkeiten aufgegeben werden. Insgesamt erheben sich somit keine schwerwiegenden Bedenken gegenüber dem MT. Folglich kann der MT mit guten Gründen beibehalten werden. Er wird als Grundlage für die weiteren Untersuchungen herangezogen. Die Begründung für den Namen Jesreel in Hos 1,4 beginnt mit einem Nominalsatz (4c), dem in innerer Abhängigkeit zwei w-qatal-Formationen folgen (4d–e). Zwischen Nominalsatz und den folgenden Verbformationen besteht ein zeitliches Folgeverhältnis,4 wobei die beiden Aussagen in w-qatal Ansagen eines künftigen Gerichtes darstellen. Fraglich ist allerdings, ob beide w-qatal-Formationen auf einer zeitlichen Stufe liegen oder ob ein zeitliches Nacheinander anzusetzen ist. Auch die beiden w-qatal-Formationen in v.5 könnten zeitlich nach den beiden Aussagen aus 4d–e anzusetzen sein. Vermutlich handelt es sich bei den Verbalsätzen 4d–5b um zukünftige Sachverhalte, die aufgrund der Progressformen nacheinander stattgefunden haben. Es sind infolgedessen keine Sachverhalte, die sich allesamt oder teilweise auf einer zeitlichen Stufe bewegen. Im Gegensatz dazu ist die in v.4 erwähnte Blutschuld nicht in der Zukunft zu erwarten. Sie ist nämlich schon in der Vergangenheit begangen worden und begründet hier offenbar das künftige Gericht.5 Da das Urteil über Israel in den beiden folgenden Gerichtsworten in Hos 1,6–8.9 ebenfalls nicht be2
Vgl. WACKER 1996, 195 Anm. 35; MACINTOSH 1997, 19. So EHRLICH 1968, 164. 4 Vgl. hierzu UTZSCHNEIDER 1980, 69f. 5 Das prophetische Zeichen weist vermutlich auf die Ermordung des Königs Joram von Israel zurück, die mit Jesreel verbunden werden kann. Vgl. hierzu SCHENKER 2003, 79f. Anm. 13, der allerdings die Blutschuld von Jesreel offenbar auf alle Taten des JehuUmsturzes bezieht, wenn er betont, dass „mit Jizreel wohl eher ein furchtbarer Untergang wie der der israelitischen und judäischen Königsfamilien und der Baalsanhänger gemeint“ sei. An Jesreel haftet nach 2Kön 8–9 jedoch nur die Tötung des israelitischen Königs Joram, nicht aber die Ermordung des judäischen Königs Ahasja. 3
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gründet wird, hat man manchmal angenommen, dass in Hos 1,4 die Constructusverbindung דמי יזרעאלnicht die Begründung für den folgenden Urteilsspruch bilden müsse, zumal in Hos 1,2 bereits eine religiöse Motivation angeführt werde.6 Jedoch wird in Hos 1,4 der Untergang der Jehu-Dynastie explizit und sehr direkt vorausgesagt, der nicht mit einem allgemeinen Hinweis auf kultische Vergehen des Nordreiches Israel begründet werden kann. Die „Blutschuld von Jesreel“ ist also der eigentliche Anlass für den Untergang der Jehuiden.
1. Zu Kontext, Struktur und Datierung Das Wort über die Blutschuld von Jesreel steht im prophetischen Fremdbericht Hos 1,2–9. Meist wird von diesem Kontext ausgegangen, um das Wort von der Blutschuld von Jesreel als redaktionelle Bildung zu klassifizieren. Auch wenn der vorliegende Endtext möglicherweise erst spät entstanden ist, muss nicht auch der Spruch in Hos 1,4–5 eine späte Bildung sein. Insofern sollen zunächst Positionen vorgestellt werden, die das Wort von der Blutschuld vor dem Hintergrund der Einheit Hos 1,2–9 verstehen, bevor die beiden Verse für sich betrachtet werden. In seiner Grundform hat der prophetische Fremdbericht Hos 1,2–9 den Abschnitt Hos 1–2 eingeleitet. Hier wird weniger die Ehe Hoseas thematisiert als vielmehr die Geburt und symbolhafte Benennung der Kinder Hoseas.7 Jedes der drei Elemente des Abschnitts Hos 1,2–9 besteht formal aus vier Abschnitten: JHWH-Wort Auftrag zur Benennung Begründung Interpretation8
1) 2) 3) 4)
Aufgrund der formalen Gleichförmigkeit dieses Abschnitts scheint eine gestaltende Hand für diese Zusammenstellung verantwortlich zu sein. Meist wird eine (nach)exilische Datierung des Abschnitts Hos 1,2–9 erwogen. Hierfür werden vor allem drei Argumente stark gemacht: a) Das erzählerische Grundgerüst des Abschnitts Hos 1,2–9 ist dem Bericht über den Jesajasohn in Jes 8,1–4 vergleichbar und könnte dessen Form 6
Vgl. GUGLER 1996, 265. Vgl. hierzu RUPPERT 1994b, 185f. 8 Vgl. STUART 1987, 24. Nach ANDRÉ 1980, 69 besteht die hinter Hos 1,2–9 liegende Struktur hingegen aus drei Teilen: 1) Göttlicher Befehl zur Ausführung, 2) Bedeutung, 3) eigentliche Ausführung. ANDRÉ 1980, 70 vergleicht Hos 1,2–9 darüber hinaus mit der Terminologie von Lev 26. 7
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als Grundlage für die eigene Gestaltung verwendet haben.9 Wenn dies stimmt, dann hätte Hos 1,2–9 seine Ausgestaltung in Juda erfahren, wobei auf das Ende des Nordreichs aus der Retrospektive Bezug genommen worden wäre.10 b) Möglicherweise kann für eine (nach)exilische Datierung von Hos 1,4 das gegenüber Jes 8,1–4 höhere theologische Reflexionsniveau11 herangezogen werden – JHWH selbst führt hier das Unheil herbei, an dem das Nordreich selbst schuld ist. c) Die Konzeption der Blutschuld als Begründung für den Untergang des Südreichs findet sich vor allem in verschiedenen exilischen Texten.12 Somit könnte eine solche Argumentationsfigur von einem judäischen Redaktor auch auf das Nordreich angewandt worden sein. Diese beliebte Spätdatierung basiert jedoch in erster Linie nur auf einem formalen Argument, indem man den Abschnitt Hos 1,2–9 mit Jes 8,1–4 vergleicht. Darüber hinaus wird eine linear-teleologische Entwicklung vorausgesetzt. In Hos 1 sei dementsprechend von einer gegenüber Jes 8,1–4 stärkeren Theologisierung auszugehen. Ob solche einlinigen Entwicklungsprozesse tatsächlich vorliegen, bleibt aber höchst fragwürdig. Die dem Südreich vorgeworfene Blutschuld wird zudem mit einer von Hos 1,2–9 abweichenden, nicht einheitlichen Idiomatik formuliert,13 so dass man nicht vorschnell (nach)exilische Argumentationsfiguren des Südreichs in Hos 1,2–9 eintragen sollte. Aus diesen Gründen soll der kurze Text der beiden Verse unvoreingenommen einer gründlichen semantischen und syntaktischen Analyse unterzogen werden, bevor weit reichende redaktionelle Schlussfolgerungen möglich sind.
9 Vgl. zu einer solchen literarischen Abhängigkeit LEVIN 1985, 236f.; VERMEYLEN 2000, 200–202; RUDNIG-ZELT 2006, 90; VIELHAUER 2007, 138. 10 Vgl. VIELHAUER 2007, 138, der darauf verweist, dass der syro-efraimitische Krieg wohl kaum als „Sitz im Leben“ in Frage kommt. Denn die Bezeichnung „mein Volk“ in Hos 1,9 wird sich kaum auf den Feind im Norden beziehen. 11 RUDNIG-ZELT 2006, 91 weist noch auf die von Hos 1,4 abweichenden exilischen Klagetexte im Jeremiabuch hin. 12 Vgl. Ez 7,23; 9,9; 22,3; 24,7; Mich 7,2; Hab 2,8.17. 13 In Ez 7,23; 9,9 mit מלא+ ;דםin Ez 22,3; 24,7 mit ;דם בתוכהin Mich 7,2 mit ארב+ ;לדמיםin Hab 2,8.17 mit מדמי אדם.
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2. Zur Semantik und Syntax einzelner Lexeme Zu einem besseren Verständnis der beiden Verse Hos 1,4–5 sollen im Folgenden alle relevanten Lexeme untersucht werden. Auf diese Weise kann die eigentlich intendierte Aussageabsicht herausgearbeitet werden. 2.1 פקד-G + על Die geläufige Übersetzung des Verbs פקדmit „bestrafen“ trifft nur teilweise den eigentlichen Sachverhalt. Die Wurzel פקדist eher mit einer „verwaltungsmäßigen, gewissenhaften Bestandsaufnahme“14 zu verbinden. 2.1.1 פקד-G + על+ direktes Objekt Auch wenn das Verbum פקדnur in Hos 1,4 mit דםals direktem Objekt verbunden wird, kann es sich bei דםeigentlich nur um ein Verbrechen handeln, da das direkte Objekt von פקד-G immer einen negativen Tatbestand ausdrückt.15 Folgende negativ konnotierte direkte Objekte werden mit פקד-G verbunden: a) עוֹן: Sünde, Verbrechen (Ex 20,5; 34,7; Lev 18,25; Num 14,18; Dtn 5,916; 2Sam 3,8; Jes 26,21; Jer 25,12; 36,31; Am 3,2) b) חטאת: Sünde (Ex 32,34) c) דרך: Weg (Hos 4,9; Ij 36,23) d) רעה: Böse, Übel (Jes 13,11) e) רע מעלליכם: Bosheit eurer Taten (Jer 23,2) f) דמי יזרעאל: Blutschuld von Jesreel (Hos 1,4) g) ימי הבעלים: Festtage der Baale (Hos 2,15) h) פשׁע: Vergehen (Am 3,14) Der Anschluss des direkten Objektes erfolgt entweder mit nota objecti (sechs Mal) oder ohne (13 Mal). Eine semantische Differenzierung ist nicht erkennbar. In allen Fällen wird auf einen Sachverhalt der Vergangenheit zurückgeblickt, der das gegenwärtige oder künftige Strafhandeln motiviert. Nur in Jer 15,3, wo keine nota objecti verwendet wird, liegt eine andere Semantik des Verbums פקד-G vor. Jer 15,3 blickt nämlich nicht auf eine in 14
Vgl. UTZSCHNEIDER 1980, 70f. In ihrer Grundbedeutung meint diese Wurzel „versammeln/mustern“. Andere Grundbedeutung bei SCHARBERT 1960, 222; WOLFF 1976, 19: „jem. oder etw. überprüfen, kontrollieren“. 15 Vgl. ANDERSEN/FREEDMAN 1980, 175. 16 Die Terminologie פקד עלkönnte aus dem Dekalog stammen, vgl. ANDERSEN/ FREEDMAN 1980, 131. An einigen Stellen ist das Hoseabuch zudem mit der Sprache des Deuteronomiums verbunden. Vermutlich geht dies jedoch nicht auf literarische Beeinflussung, sondern auf eine beiden Textkorpora zugrunde liegende Tradition zurück, vgl. ANDERSEN/FREEDMAN 1980, 131.
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der Vergangenheit begangene Schuld zurück, die über eine Person bzw. Personengruppe versammelt wird. In übertragener Redeweise werden in Jer 15,3 hingegen vier Abteilungen von Strafen aufgezählt, die jetzt verhängt werden – hierbei wird das Nomen משׁפחהverwendet. Nicht mehr die motivierende Schuld, die auf einer Größe lastet, ist im Blick, sondern die Strafe wird beschrieben, die versammelt wird und wie ein Damokles-Schwert über Juda hängt. Aus alledem folgt: Das Idiom פקד-G + על+ direktes Objekt hat als direktes Objekt meist den vergangenheitlichen Grund für die Bestrafung, kann aber selten auch die zukünftigen Strafaktionen als direktes Objekt in den Blick nehmen. Schuld wie Strafe lasten demnach wie eine schwere Unheilssphäre auf dem Präpositionalobjekt.17 Die Verbindung פקד עלhat zudem meist kultische Vergehen als direktes Objekt.18 Auch das unschuldige Vergießen von Blut ist nicht eine ausschließlich profane Angelegenheit, sondern hat sakralrechtliche Konsequenzen. Unschuldig vergossenes Blut ist eine schwere Schuld. Die Blutschuld von Jesreel ist daher ebenfalls ein kultisch-religiöser Frevel. Insofern ist auch die Verwendung des ansonsten kultisch geprägten Idioms פקד-G + על+ direktes Objekt in Hos 1,4 berechtigt. Das Lexem דמיםbezeichnet hier also ebenfalls ein kultisch-religiöses Vergehen. Mit der Präposition עלwird bei diesem Idiom diejenige Größe angeschlossen, über die eine negative Bestandsaufnahme versammelt wird. Durch diese Präposition wird darüber hinaus die Schwere der Schuld angezeigt, die auf dem Schuldigen wie eine negative Unheilssphäre lastet.19 Eine Richtungsangabe ist mit dieser Präpositionalverbindung somit nicht angezeigt.20 Durch diese Präpositionalverbindung wird zudem der Akt der Ahndung besonders betont.21 Mit dem Versammeln dieser negativen Unheilssphäre ist aber gleichzeitig auch ein Nachprüfen verbunden. Ein Automatismus, der von selbst abläuft, 17
Ähnlich auch DEARMAN 2010, 92, der dieses Verb als „bringing of a negative effect on the ruling house, based on prior failures related to that dynasty“ versteht. 18 Vgl. GUGLER 1996, 265. 19 Vgl. SCHARBERT 1960, 219. 20 So aber UTZSCHNEIDER 1980, 71. Insofern erübrigt sich die Überlegung, ob mit diesem Idiom eine „Beweisaufnahme gegen jemanden“ ausgedrückt wird und ob JHWH die Tätigkeit des Anklägers und Richters ausübt. Es ist zudem fraglich, ob in diesem Idiom tatsächlich Gerichtssprache vorliegt. UTZSCHNEIDER 1980, 71 sieht darüber hinaus noch eine zeitliche Abfolge innerhalb der beiden w-qatal-Formationen: JHWH sei „Ankläger und Richter in einer Person“. ANDRÉ 1980, 245 ordnet Hos 1,4–5 ebenfalls der Gerichtssprache zu, auch wenn hier viele Elemente fehlen, die nur in anderen Texten vorhanden sind. Vgl. SCHARBERT 1960, 218f., demzufolge nicht ein regelrechtes Prozessverfahren vorausgehen muss, sondern einfach eine Strafexpedition vorliegen könnte. 21 Vgl. CHRIST 1977, 125.
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ist nicht anzunehmen. Schuld wird nicht sofort geahndet, ohne dass eine Prüfung derselben stattfindet. Sowohl Schuld wie Strafe werden von JHWH in ein angemessenes Verhältnis gesetzt. In profanem wie theologischem Kontext heißt פקדX עלY also nicht nur „X über Y versammeln“ sondern auch „X an Y nachprüfen“.22 Es liegt also kein blindes Wüten vor, sondern die Schuld wird stets durch Nachprüfen festgestellt, bevor dann strafend eingegriffen wird. Das direkte Objekt benennt folglich die Tat, die nachgeprüft wird, selten auch die Strafe, das Präpositionalobjekt hingegen die Größe, über die die aufgrund der begangenen Tat zu vollziehende Strafe wie eine Unheilssphäre versammelt wird.23 Mit der Präposition עלwird auf das „auf jemandem Lastende“ hingewiesen. Da meist JHWH das Subjekt dieser Verbalhandlung ist, kann man nicht von einem Tun-Ergehens-Automatismus ausgehen. Vielmehr versammelt und überprüft JHWH die schlechten Taten und bestimmt dann die dafür angemessenen Strafen. 2.1.2 פקד-G + על+ ø Oft fehlt bei der Konstruktion פקד-G + עלim Satz das direkte Objekt.24 In diesen Fällen ist wohl eine nicht näher bezeichnete Schuld einzutragen. Auch bei dieser syntaktischen Konstruktion wird als Präpositionalobjekt meist eine Person oder Personengruppe genannt, über die eine gewisse Schuld versammelt wird. Nur drei Stellen weichen von dieser allgemeinen Regel ab: Zum einen wird in Jes 10,12 als Präpositionalobjekt die „große Frucht des Herzens des Königs von Assur“ פרי־גדל לבב מלך־אשׁוּרgenannt, zum anderen ist in Jer 51,47.52 mit „Götterbild“ פסילeigentlich keine Personengruppe im Blick. Hier mag aber eine Personifizierung der Götterbilder vorliegen, über die ebenfalls eine Unheilssphäre versammelt werden kann. Aus alledem folgt für die syntaktische Konstruktion פקד-G + ( על+ direktes Objekt): Das direkte Objekt benennt die Tat, die nachgeprüft wird, selten auch die Strafe, das Präpositionalobjekt hingegen die Größe, über der die begangene Tat und zu vollziehende Strafe wie eine Unheilsphäre versammelt werden. Das direkte Objekt ist nicht immer erforderlich. Aus dem Kontext ist zumindest ersichtlich, dass es sich um eine gewisse Schuld handeln muss, auch wenn diese nicht explizit genannt werden muss. Abweichend zu dieser syntaktischen Deutung von פקד-G + עלwurde manchmal das genannte direkte Objekt auch instrumental verstanden: „Mit der Blutschuld von Jesreel werde ich die Dynastie Jehu bestrafen“. Das Blut Jesreels sei dann nicht Ursache des Gerichtswortes, sondern Mittel der Gerichtsvollstreckung an der Jehu-Dynastie. Insofern sei hier eine subtile Ironie 22
Vgl. hierzu auch SCHARBERT 1960, 218. Vgl. TUCKER 1997, 385f. 24 Jes 10,12; 24,21; 27,1; Jer 5,9.29; 9,8.24; 11,22; 21,14; 23,34; 27,8; 29,32; 30,20; 44,13.29; 46,25; 51,44.47.52; Hos 4,14; 12,3; Zef 1,8.9.12; 3,7; Sach 10,3. 23
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im Spiel: Mit einem Blutbad begann gemäß 2Kön 9 die Jehu-Dynastie in Jesreel, mit einem solchen wird sie nach der Prophezeiung Hoseas wiederum beendet werden.25 Nach der Lesart von 2Kön 15,10 durch LXXL findet die Jehu-Dynastie in Jibleam ihr Ende,26 so dass deshalb manche Ausleger an eine Einheit des Ortes von Schuld und Strafe denken. Interessanterweise wird der judäische König Ahasja bei Jibleam tödlich verwundet, so dass das Schicksal der Jehuiden am Ort der Schuld (Tötung Ahasjas) ebenfalls endet, allerdings nicht in Jesreel, sondern in Jibleam. Allerdings liegt Jibleam kaum noch in der Jesreelebene, sondern bereits auf dem manassitischen Gebirge.27 Der Ort der Schuld, wie ihn Hos 1,4 beschreibt (Jesreel), und Sühne, wie dies in LXXL betont wird (Jibleam), kann also nicht gleichgesetzt werden. Lediglich die Blutschuld von Jibleam, wo der judäische König nach LXXL ermordet wurde, wird am selben Ort auf die Dynastie der Jehuiden versammelt. Hinzu kommt noch folgender syntaktischer Befund: Das direkte Objekt in der Konstruktion פקד-G + עלist – mit Ausnahme von Jer 15,3 – immer ein strafwürdiges Vergehen in der Vergangenheit, welches das gegenwärtige oder künftige Gericht begründet. Insofern ist es äußerst fraglich, ob das direkte Objekt neben der strafwürdigen Tat auch den Akt der Strafe ausdrücken kann. Eine solche syntaktische Ansetzung ist singulär und damit willkürlich. 2.2 דמים Die Pluralform דמיםhat eine Fülle von Bedeutungen.28 Zunächst besitzt der Abstraktplural דמיםdas semantische Merkmal der Intensivierung. Es wurde offenbar nicht nur wenig Blut vergossen. 2.2.1 דמי+ Personen(gruppen) Im Rahmen einer Constructusverbindung bezeichnet דמיםmeist den gewaltsamen Tod von verschiedenen Personen. Die Constructusverbindung דמי+ Personen(gruppen) weist immer auf das meist unschuldig vergossene Blut hin.29 Nur im Fall des an sich heimtückischen Mordes an Abner, dem Heerführer Sauls, wird Blutrache als Motiv für dessen Ermordung nach 2Sam 3,30 25
Vgl. MCCOMISKEY 1993, 99–101. Auf Jesreel als Ort der Schuld und Strafausführung verweist auch HUBBARD 1989, 61. Nach RUDOLPH 1966, 53 entspricht die Gleichsetzung des Ortes von Schuld und Strafe prophetischem Denken. Vgl. auch WOLFF 1976, 21: „Gottes genaue Gerechtigkeit sühnt Sünde an ihrem Ort; dort ist sie dem Bestraften gegenwärtig“. Weil also in Jesreel gesündigt wurde, werde auch dort bestraft. 26 Vgl. ANDERSEN/FREEDMAN 1980, 177; HUBBARD 1989, 62; GARRETT 1997, 58f. MACINTOSH 1997, 18. 27 Vgl. hierzu schon RUDOLPH 1966, 53 Anm. 46. 28 Nicht immer ist mit dem Blutvergießen eine bestimmte Schuld verbunden, vgl. hierzu MCCOMISKEY 1993, 99. 29 Gen 4,10.11; 2Sam 3,28; 16,8; 2Kön 9,7.26; 2Chr 4,25; Ez 16,36; Hab 2,8.17.
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gelegentlich erwogen. Vermutlich hat aber Joab, der angebliche Bluträcher, in Abner einen Konkurrenten als Heerführer gesehen, der unbedingt beseitigt werden musste. Die Ermordung Abners geschah somit kaum als Akt der Blutrache. Aufgrund solcher niederen Beweggründe hat auch Joab mit diesem Blutvergießen Schuld auf sich geladen. Der Abstraktplural דמיםbesitzt darüber hinaus neben der Intensivierung auch noch die Konnotation der Unrechtmäßigkeit.30 Es handelt sich nicht nur um vergossenes Blut, sondern das Blutvergießen führte zu einem zu Unrecht erlittenen Tod. Als nomina recta werden zudem stets die Personen, die unrechtmäßig getötet worden sind, nicht aber die Mörder, genannt. 2.2.2 דמי+ Ortsnamen Nur in zwei Fällen werden anstelle der Personen diejenigen Toponyme angeführt, wo das entsprechende Blutvergießen stattgefunden hat: In Jes 4,4 wird betont, wie JHWH auf das Blutvergießen in Jerusalem reagiert. Was in Jerusalem tatsächlich passiert ist, wird allerdings nicht näher ausgeführt. Aber aufgrund der Strafe JHWHs kann es sich auch hier nur um unrechtmäßig vergossenes Blut handeln. Die in Jerusalem geschehene Blutschuld erfordert dringend eine entsprechende Ahndung. Analog hierzu wird in Hos 1,4 mit dem Toponym Jesreel als nomen rectum ebenfalls der Ort des Blutvergießens genannt.31 2.2.3 Sonderbedeutungen von ?דמים Manchmal wird hingegen angenommen, dass דמיםim politischen Bereich eine Sonderbedeutung gehabt hätte. Eine begangene Bluttat könnte demzufolge auch ein Akt der Staatsraison bzw. ein Ausfluss königlicher Weisheit gewesen sein.32 Die „Bluttat von Jesreel“ wäre dann ein rechtlich und ethisch gerechtfertigtes Blutvergießen gewesen. Nur auf diese Weise hätte der schlimme Baalskult der Omriden beseitigt werden können. Jedoch kann der Textbefund keine neutrale Bedeutung von דמיםim politischen Bereich belegen. Das beim Putsch vergossene Blut fällt hingegen immer auf die Usurpatoren oder ihre Nachfolger zurück. Damit vergossenes Blut sich nicht sofort 30 Nach MACINTOSH 1997, 14 kann דמיםals Plural des Ergebnisses oder der lokalen Erstreckung gedeutet werden, der schon bald die Bedeutung „Blutschuld“ auf sich gezogen habe. 31 Vgl. hierzu CHRIST 1977, 41.64. Anders hingegen ANDERSEN/FREEDMAN 1980, 176, die aufgrund der allgemeinen Verwendungsweise eher von einer Person namens Jesreel ausgehen. Nur die Bezeichnung „Jesreeltal“ ließe an einen Ortsnamen denken. 32 UTZSCHNEIDER 1980, 76 bezieht die „Bluttat von Jesreel“ auf die Nachfolgekämpfe in Israel, als sich der letzte Jehuide Sacharja, ein Sohn Jerobeams II., aufgrund seiner politischen Schwäche nur sechs Monate halten konnte und von Schallum weggeputscht wurde.
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gegen den Usurpator wendet, müssen alle Gegner ausgeschaltet werden. Ein solches Handeln gilt nach 1Kön 2,9 sogar als politische Weisheit der Herrschenden. Gewalt zur Durchsetzung königlicher Macht ist aber nur in den Augen der Herrschenden, nicht in den Augen Gottes, legitim. Die in Hos 1,4 verwendete Constructusverbindung hat darüber hinaus keinen neutralen Charakter, wie auch die übrigen Beispiele דמי+ Personen(gruppen) bzw. Ortsnamen zeigen. Der politische oder persönliche Mord wird immer verurteilt, so dass auch die blutigen Machtkämpfe, die mit dem Blutvergießen von Jesreel verbunden sind, sicherlich nicht entschuldigt werden können. Hierfür ein Beispiel: Nach 2Sam 16,7–8 fluchte der Saulide Schimi dem flüchtenden David und macht diesen verantwortlich für den Untergang der Sauliden-Dynastie. Die im Interesse Davids begangenen דמיםwider die Sauliden müssen nach Ansicht Schimis wieder auf David zurückfallen. Die דמים bilden folglich eine Unheilssphäre, die über David kommt und dessen Königsherrschaft beenden wird. Blutige Umstürze rächen sich also irgendwann. Manchmal wird darüber hinaus bestritten, dass mit דמיםtatsächlich Blutvergießen gemeint sein müsse.33 Das Wort דםkönne sich auch auf jedes böse, verräterische und schmachvolle Handeln beziehen, das vom Haus Jehu verübt worden ist, und nicht explizit und ausschließlich auf Mord und Totschlag. Folgende Argumente wurden vorgebracht, die aber insgesamt nicht zu überzeugen vermögen: a) In Jes 1,15–17 wird den Mächtigen vorgeworfen, dass דמיםan ihren Händen klebt. Im Anschluss wird ihnen nahegelegt, das Recht von Witwen und Waisen nicht zu verkürzen. Hier stehen allerdings imperativisch formulierte Ratschläge an die Mächtigen für die Gegenwart und Zukunft, während das vergossene Blut an ihren Händen bereits haftet. Insofern können beide Aussagen nicht miteinander gleichgesetzt werden. Der Abstraktplural דמים ist somit kaum mit einer ungerechten Rechtsprechung zu verbinden. Er bezieht sich demgegenüber bereits auf die blutgetränkte Geschichte. b) Nach Hos 12,15 wird „Bitternis“ תמרוּר, die JHWH trifft, als דמיםbezeichnet, ohne dass hier explizit Blut vergossen worden ist. Diese Stelle ist allerdings textkritisch unsicher. Außerdem sind die beiden Begriffe דמיםund תמרוּרnicht notwendigerweise gleichzusetzen. Efraim hat durch seine Handlungen (u.a. Blutschuld und Schmähungen) Bitternis bei JHWH provoziert. Der Abstraktplural דמיםist folglich nicht mit dem Ärger JHWHs gleichzusetzen, löst aber Bitternis bei JHWH aus. Diese Differenzierung sollte nicht unterschlagen werden.
33 Vgl. hierzu GUGLER 1996, 263. Nach DEARMAN 2010, 94 könnte mit dem Blut von Jesreel auch die Jesreelebene als Schlachtfeld gemeint sein.
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c) Das Lexem דםwird außerdem mit vielen Worten parallelisiert, die nicht notwendigerweise mit Blutvergießen in Verbindung gebracht werden können: „ רעBöses“ und „ שׁחדBestechung“ (Jes 33,15), „ עוֹןSündenschuld“ (Jes 59,3), „ מרמהBetrug“ (Ps 5,7), „ עולהUnrecht“ (Mich 3,10) oder „ חרפהSchmähung“ (Hos 12,15).34 Allerdings muss im poetischen Parallelismus nicht unbedingt eine identische Aussage formuliert sein. Insofern kann auch hier nicht ausgeschlossen werden, dass tatsächlich Blut vergossen worden ist. Die Blutschuld wird aber noch durch zusätzliche Verfehlungen vergrößert. Fraglich ist darüber hinaus, ob in den oben genannten Fällen immer das Lexem דםzugrunde liegen muss oder ob nicht im prämasoretischen Text eine andere Bedeutung angezeigt ist. Im späten Hebräisch ist nämlich ein Wort דּוּםmit seinen Nebenformen דּוּמהund דּימהbelegt, das mit „üble Nachrede“ wiedergegeben werden kann. Wenn man folglich דמיםmit diesem homonymen Wort verbindet, könnte es an manchen Stellen nicht um „Blutvergießen“, sondern um „Betrug“ gehen.35 Aufgrund der klaren Beleglage zur Constructusverbindung mit דמיםsollte man jedoch in Hos 1,4 nicht eine solche Sonderbedeutung annehmen. 2.2.4 Referenz der Blutschuld von Jesreel Meist wird unter der „Blutschuld von Jesreel“ die Revolution des Jehu verstanden, wie sie in 2Kön 9 geschildert wird. Mit diesem Ereignis, das gut 100 Jahre vor der Zeit Hoseas geschehen ist, verbindet Hos 1,4 offenbar die künftige Strafe an Jerobeam II., dem zeitgenössischen Jehuidenherrscher.36 Darüber hinaus wurde noch erwogen, ob sich die „Blutschuld von Jesreel“ auf die Ermordung Nabots oder auf ein anderes Verbrechen beziehen könnte, das jedoch ansonsten nicht erwähnt wird.37 Der Justizmord an Nabot kann allerdings nicht dem Hause Jehu angelastet werden, sondern nur der Dynastie 34
Vgl. SMITH 2001, 124. Vgl. zu dieser Wurzel AUFRECHT 1985, 62. 36 Vgl. KING 1988, 31. Nach SHERWOOD 1996, 122–124 kann der Verweis auf Jesreel in Hos 1,4 nicht als historische Anspielung ausgewertet werden: „The text does not bring us closer to Israel’s real history, but helps to construct or deconstruct perceptions of the history“. Eine rein symbolische Bedeutung von Jesreel ohne Verweischarakter auf die reale historische Situation überfordert jedoch den Adressaten. Die Widersprüchlichkeit zwischen Hosea und 2Kön sollte wohl diachron fruchtbar gemacht werden. Die positive Wertung Jehus im DtrG darf durchaus einer negativen Sicht bei Hosea bzw. auch bei der vom DtrG verwendeten Tradition gegenüberstehen. Nach DEARMAN 2010, 93 wird von Hosea ohnehin nicht der Jehu-Putsch als solcher kritisiert, sondern die nicht erforderliche Ermordung der judäischen Königsfamilie. 37 Vgl. WARD 1966, 12. Nach DEARMAN 2010, 93f. ist dieses Verbrechen von der korrupten Jehuidendynastie nicht adäquat bestraft worden. GISIN 2014, 86 betont zudem, dass Jehu zwar den Justizmord an Nabot gerächt, aber trotzdem nicht vollständig den Baalskult beseitigt habe. 35
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der Omriden. Die „Blutschuld von Jesreel“ kann sich folglich nur auf den Jehu-Putsch beziehen,38 nicht aber die Ermordung Nabots, die ja durch Jehu bereits gesühnt wurde. Außerdem könnte man an die zahlreichen blutigen Umstürze im Nordreich denken. Auf diese Weise hat man immer wieder Blutschuld auf sich geladen, da man machtversessen die herrschende Dynastie beseitigt hat. Allerdings werden diese Umstürze nie mit dem Toponym Jesreel verbunden, so dass es eher unwahrscheinlich ist, dass die instabile Lage in Israel hier im Blick sein soll.39 Die Aufstände sind immer an anderen Orten ausgebrochen, nicht aber in Jesreel, so dass die nähere Bezeichnung Jesreel erklärungsbedürftig ist. Es bleibt dabei: Die der Jehu-Dynastie angelastete „Blutschuld von Jesreel“ kann sich eigentlich nur auf den Jehu-Putsch mit dem blutigen Massaker am israelitischen und judäischen Königshaus beziehen. Diese Blutschuld wiegt noch 100 Jahre danach sehr schwer und wird Konsequenzen haben. Die „Blutschuld von Jesreel“ hängt somit wie ein Damokles-Schwert über der Jehu-Dynastie und wird diese schließlich beenden. Ob es zu einem ähnlichen Massaker an der Jehu-Dynastie kommen wird, wird allerdings nicht gesagt. Die Blutschuld von Jesreel ist lediglich der Grund für den Untergang der Jehuiden. Ein Vergleich mit dem früheren Putsch Jehus wird ausweislich der Syntax und Semantik der verwendeten Worte nämlich nicht gezogen.40 Nur das Faktum, dass diese Schuld noch nicht gesühnt ist und noch beglichen werden muss, ist hier entscheidend. 2.3 יזרעאל Der Name Jesreel wird zum einen für eine Landschaft wie auch für eine Stadt gebraucht.41 Das „Tal von Jesreel“ wird im Alten Testament nur dreimal genannt,42 während die im gleichnamigen Tal zu lokalisierende Stadt 21mal vorkommt.43 In sechs Fällen lässt es sich schwer entscheiden, ob es sich bei Jesreel um die Stadt oder um die Landschaft handelt.44 In zwei weiteren Fäl-
38
Nach DEARMAN 2010, 94 könnten hinter diesem Ausdruck aber auch noch Ereignisse stehen, die in den Königebüchern nicht berichtet werden, so dass die Referenz auf den Jehu-Putsch nicht zwingend ist. 39 Vgl. hierzu auch GISIN 2014, 85. 40 Anders hingegen STUART 1987, 28: Nach v.4 wird es offenbar ein zweites Massaker geben, das mit der „Blutschuld von Jesreel“ verglichen werden kann, wenn also die JehuDynastie ausgerottet wird. 41 Vgl. STUART 1987, 28; LIMBURG 1988, 9; BIRCH 1997, 21. Daneben gibt es noch einen judäischen Ort Jesreel: Jos 15,56; 1Sam 25,43 und wohl auch 1Chr 4,3. 42 Jos 17,16; Ri 6,33; Hos 1,5. 43 Jos 19,18; 1Kön 18,45.46; 21,1.23; 2Kön 8,29(zweimal); 9,10.15(zweimal).16.17.30. 36.37; 10,1.6.7.11; 2Chr 22,6(zweimal). 44 1Sam 29,1.11; 2Sam 2,9; 4,4; 1Kön 4,12; Hos 1,4.
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len ist wohl eher an den Symbolgehalt des Toponyms Jesreel gedacht.45 Nur in einem Fall, nämlich in Hos 1,4, ist Jesreel Personenname.46 Der Ortsname Jesreel bedeutet „Gott möge säen“ bzw. „Gott hat gesät“.47 Dieses Toponym betont vor allem die Fruchtbarkeit der Gegend.48 Der Ortsname Jesreel wird im Abschnitt Hos 1–3 in Hos 1,4 und in Hos 2,2 verwendet, allerdings in unterschiedlicher Zielsetzung.49 Während Hos 1,4 ein bevorstehendes Gericht über Israel verkündet, wird in Hos 2,2 die Errettung thematisiert, so dass eine thematische Weiterentwicklung unter dem Stichwort Jesreel festzustellen ist. Offenbar erweckt dieser Ortsname bei Hosea positive wie negative Assoziationen.50 Die ursprüngliche Bedeutung des Ortsnamens wird in Hos 1,4 jedoch negativ gedeutet: Gott „sät“ Vernichtung.51 Das Toponym Jesreel kann zudem als Wortspiel mit Israel verstanden werden.52 Somit ist der Eigenname Jesreel offen für das gesamte Nordreich, das bestraft werden wird (Hos 1,4), aber danach auch wiederhergestellt werden kann (Hos 2,2).53 Der Ort Jesreel wurde nur zur Zeit der Omriden, nicht der Jehuiden genutzt.54 In Jesreel befand sich eine militärische Anlage, was durch Ausgrabungen gesichert ist. Der Stützpunkt Jesreel hat vermutlich im Gegensatz zu Megiddo, wo die königlichen Verwaltungsgebäude untergebracht waren, nur
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Hos 2,2.24. Vgl. hierzu insgesamt WILLIAMSON 1991, 73. 47 Gegen eine Übertragung von yiqtol-KF als Wunsch- oder Bittnamen vgl. IRSIGLER 1989, 118–119 Anm. 23, der auf den perfektiven Aspekt von yiqtol-KF in der Namensform yiqtol-KF + theophores Element hinweist. Vgl. hierzu STAMM 1980, 62–64. Zu diesem Namen vgl. LANDY 1995, 24; DEARMAN 2010, 95. 48 Nach FENSHAM 1984, 74 wird mit dem Namen „Jesreel“ auf die besondere Fruchtbarkeit des dazugehörigen Tales angespielt. 49 Vgl. BEN ZVI 2005, 46. 50 Vgl. BEN ZVI 2005, 46. Vgl. hierzu auch ANDERSEN/FREEDMAN 1980, 173; STUART 1987, 28; GUGLER 1996, 262. Nach MCKEATING 1971, 78f. hat die Politik des Nordreichs seit der Reichstrennung auf der ganzen Linie versagt, was durch das Stichwort Jesreel verdeutlicht werde. In Jesreel sei der Sturz der Omridendynastie durch Jehu betrieben worden, was im Nachhinein ebenfalls als Fehler zu beurteilen sei. Gegen eine symbolische Bedeutung spricht sich RUDOLPH 1966, 51 aus. 51 Vgl. FENSHAM 1984, 74. Vgl zu negativen Objekten des Verbums זרעANDRÉ 1980, 70. Das in Hos 1,5 genannte „Tal Jesreel“ ist das historische Schlachtfeld Israels, wo Israel militärisch vernichtet werden soll. Vgl. dazu WOLFF 1976, 21; STUART 1987, 30; GUGLER 1996, 262. Das Toponym „Tal Jesreel“ ist in biblischer Tradition zu einem Synonym für den Ort geworden, an dem die entscheidende Schlacht geschlagen werden wird. Die behauptete Gleichsetzung von Jesreel mit Israel in Hos 2,24 ist hingegen nicht gesichert. 52 Vgl. RUDOLPH 1966, 53; LANDY 1995, 24; MACINTOSH 1997, 18. Vgl. hierzu die Wiedergabe durch verschiedene Versionen, vgl. MACINTOSH 1997, 19. 53 Vgl. HUBBARD 1989, 63. 54 Vgl. UTZSCHNEIDER 1980, 79. Anders hingegen WARD 1966, 12. 46
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militärisch-strategische Bedeutung gehabt.55 Jesreel lag an der Hauptstraße zwischen Megiddo und Bet-Schean und konnte auch die Straße nach Samaria kontrollieren. Insofern war hier ein militärischer Stützpunkt besonders geeignet. Wahrscheinlich war in Jesreel ein Teil der Streitwagentruppe stationiert. Die Befestigungsanlagen wurden auf einer künstlichen Erhebung gebaut. Ein in den Felsen geschlagener Graben schützte zusätzlich die Festung von Jesreel.56 Vermutlich wurden Jesreel und Megiddo zur gleichen Zeit in der zweiten Hälfte des 9. Jh. v.Chr. zerstört, entweder im Rahmen der Jehu-Revolution oder infolge der Expansion des Aramäers Hasael von Damaskus.57 Da der Usurpator Jehu den militärisch und strategisch wichtigen Stützpunkt Jesreel kaum zerstört haben wird,58 ist es wahrscheinlicher, dass die Aramäer für das Ende Jesreels verantwortlich sind. Die in der Nähe des Sechskammertores aufgefundenen Pfeilspitzen deuten ebenfalls auf eine gewaltsame Belagerung und Eroberung hin, was zudem im Widerspruch zum friedlichen Einzug Jehus in Jesreel nach 2Kön 9,30–31 steht.59 Nach der Zerstörung der israelitischen Stützpunkte in der Jesreelebene durch die Aramäer wurde nur noch Megiddo als Militärbasis wieder aufgebaut und befestigt, während Jesreel seine militärische Bedeutung verlor. Nach den Omriden wurde Jesreel nur noch als Bestattungsplatz verwendet. Erst in spätrömisch-byzantinischer Zeit erlebte Jesreel wiederum eine Blütezeit.60 2.4 שׁבת-H Der H-Stamm des Verbums שׁבתverstärkt die Grundaussage „ruhen“ und ist nicht nur der Übergang in die Aktionslosigkeit.61 Das Verbum שׁבת-H wird vor allem in fünf verschiedenen Bedeutungsspektren eingesetzt:62 55
Vgl. USSISHKIN/WOODHEAD 1997, 70. Anders hingegen NAʾAMAN 1997, 123, der auch Palastgebäude auf Jesreel vermutet. Nach WILLIAMSON 1996, 48–50 hat Jesreel nicht nur militärische Funktion gehabt, sondern sollte auch die militärische Stärke der Omriden symbolisieren. Als Ort omridischer Propaganda wurde Jesreel nach dem Jehu-Putsch begreiflicherweise aufgegeben. 56 WILLIAMSON 1996, 46 weist darauf hin, dass Jesreel kaum als defensive Anlage errichtet worden sei. Denn Jesreel ist nicht wie andere befestigte Orte von einer dicken soliden Offset-Inset-Mauer umgeben, sondern von einer schwachen Kasemattenmauer. Außerdem fehlt ein Wassersystem, das im Verteidigungsfall notwendig gewesen wäre. Darüber hinaus ist Jesreel eine omridische Neugründung, die wohl den Zweck hatte, die militärische Schlagkraft der Omriden in der Jesreelebene zu demonstrieren. NIEMANN 2006, 25 nimmt an, dass Jesreel als Streitwagenstützpunkt gegründet worden ist. 57 Vgl. USSISHKIN/WOODHEAD 1997, 70. 58 Zum Problem vgl. NAʾAMAN 1997, 125f. 59 Vgl. NAʾAMAN 1997, 126. 60 Vgl. USSISHKIN/WOODHEAD 1997, 71. 61 Vgl. ANDERSEN/FREEDMAN 1980, 182.
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a) b) c) d) e)
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jemanden von etwas abhalten63 unerwünschte Personen oder Tiere bzw. selbst Gott loswerden64 eine menschliche Aktivität beenden65 eine menschliche Haltung eliminieren66 ein materielles Objekt entfernen67
Die Grundbedeutung dieses Wortstammes ist folglich „dafür sorgen, dass etwas beendet wird“. Aufschlussreich sind die Objekte, die nicht Menschen/ Tiere/Gott sind. Entweder handelt es sich um materielle Objekte oder um menschliche Handlungen bzw. Haltungen, die beendet werden sollen. Aus alledem folgt: Die Verbindung ממלכות+ שׁבת-H kann dementsprechend nur unter Kategorie c) fallen, was für die Bestimmung des Objektes ממלכותnoch wichtig sein wird (s. unten 2.5). Das Verbum שׁבת-H beschreibt in Hos 1,4 folglich nicht ein Zerbrechen der Königsherrschaft. Es geht vielmehr darum, dass JHWH dafür sorgt, dass die Herrschaft des Hauses Israel beendet wird. Wie dies geschehen soll, wird nicht näher ausgeführt. Der Kausativ betont zudem, dass JHWH vermutlich nicht direkt eingreifen wird, aber im Hintergrund die Fäden spinnt. 2.5 ממלכות Das Lexem ממלכותist vor allem in dtr. Literatur belegt.68 Eine einheitliche Bedeutung dieses Lexems kann nicht angegeben werden. Nur die Stellen, die die fiktiven Königreiche der Amoriterherrscher Sihon und Og im Blick haben, mögen auf ein königliches Territorium hinweisen. Alle anderen Belege beziehen sich dagegen eindeutig auf Königsherrschaft.69 Meist wird das Wort ממלכותin abstrakter Bedeutung verwendet,70 so dass eine Bedeutung als politischer Staat, der mit einem gewissen Territorium verbunden werden kann, in den meisten Fällen ohnehin auszuschließen ist. Da sich das Verbum – שׁבתwie gesehen – vor allem mit Personen bzw. deren Handlungen verbindet, handelt es sich bei ממלכותum „Königsherrschaft, 62
Vgl. hierzu ANDERSEN/FREEDMAN 1980, 182f. Ex 5,5; Jos 22,25; Ez 16,41; 34,10; Dan 9,27; Neh 4,5; 2Chr 16,5. 64 Lev 26,6; 2Kön 23,5.11; Jes 30,11; Jer 36,29; 48,35; Ez 34,25; Am 8,4; Ps 8,3; 119,119; Rut 4,14. 65 Dtn 32,26; Jes 16,10; 21,2; Jer 7,34; 16,9; 48,33; Ez 12,23; 26,13; 30,10; Hos 2,13. 66 Jes 13,11; Ez 7,24; 23,27.48; Dan 11,18; Spr 18,18. 67 Ex 12,15; Lev 2,13; Ez 30,13; Ps 46,10; 89,45. 68 Jos 13,12.21.27.30.31; 1Sam 15,28; 2Sam 16,3; Jer 26,1. Vgl. hierzu VERMEYLEN 2000, 195, der nur die Stelle 2Sam 16,3 als alt ausklammert; VIELHAUER 2007, 139. 69 Vgl. WARD 1966, 7. Ähnlich auch MACINTOSH 1997, 14: „The word can mean both ‚(geographical) state‘ (Josh 13.12) and the ‚exercise of kingship‘, ‚reign‘ or ‚royal power‘ (1 Sam 15.28; 2 Sam 16,3; Jer 26.1)“. 70 Vgl. ANDERSEN/FREEDMAN 1980, 183. 63
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Königtum“, also Macht und Würde eines Königs, nicht aber sein eigentliches Königreich.71 Insofern wäre nur die amtierende Dynastie von dieser Prophezeiung betroffen gewesen, nicht aber das Nordreich Israel als staatliche Größe.72 Diese Voraussage bezieht sich folglich nur auf die Königsherrschaft der Dynastie von Israel, also auf die Jehu-Dynastie, aber nicht auf das Nordreich Israel als Territorialstaat.73 Die Differenzierung zwischen „Israel“ in v.5 und „Haus Israel“ in v.4 ist somit durchaus sinnvoll und muss nicht verwundern, wie sich im Folgenden zeigen wird.74 2.6 בית+ Personenname/Eponym Das Lexem ביתbezeichnet in der hier vorliegenden Konstruktion בית+ Personenname „die (königliche) Familie, das Herrscherhaus, die Dynastie“.75 Im Alten Testament sind folgende Constructusverbindungen von בית+ Personenname belegt: a) Dynastie Jerubaal: Ri 8,35 b) Dynastie Jerobeam: 1Kön 13,34; 14,10.13.14; 15,29; 16,3.7; 21,22; 2Kön 9,9; 13,6; Am 7,9 c) Dynastie Baascha: 1Kön 16,11.12; 21,22; 2Kön 9,9 d) Dynastie Ahab: 2Kön 8,18.27; 9,7.8.9; 10,10.11.30; 21,13; 2Chr 21,6.13; 22,3.4.7.8; Mich 6,16 e) Dynastie Ahasja: 2Chr 22,9 f) Dynastie Jehu: Hos 1,4 71
Vgl. hierzu MAYS 1975, 27; WOLFF 1976, 20. Zu diesem Wort auch DEARMAN 2010, 94 Anm. 46. 72 Anders hingegen DEARMAN 2010, 94. 73 Auch die königliche Verfasstheit als solche wird nicht kritisiert, vgl. ANDERSEN/ FREEDMAN 1980, 184f. Nur wenn man ממלכותals Königreich deutet, wäre auch der Untergang des Nordreichs angesagt. Mit dem Ende der Jehuiden geht allerdings tatsächlich die königliche Verfasstheit im Nordreich allmählich zu Ende. Fast alle Nachfolger starben keines natürlichen Todes. Innerhalb kurzer Zeit geht schließlich das Nordreich als staatliche Größe zugrunde. Es ist insofern fraglich, ob man zwischen beiden semantischen Bedeutungsebenen differenzieren darf oder ob nicht tatsächlich eine Doppeldeutigkeit vorliegt, vgl. hierzu STUART 1987, 29. 74 Der Ausdruck ממלכות בית ישׂראלist zudem als Constructusverbindung zu deuten. Denn eine Appositionsverbindung „das Königreich, (nämlich) das Haus Israel“ wäre seltsam, vgl. ANDERSEN/FREEDMAN 1980, 183. Dann wäre ממלכותnur durch die Appositionsverbindung näher bestimmt. 75 Vgl. WOLFF 1976, 20. ANDERSEN/FREEDMAN 1980, 175f. verweisen darauf, dass man unter diesem Ausdruck nicht nur die Jehu-Dynastie, sondern auch das Nordreich verstehen könne. „Haus Jehu“ sei mit der Bezeichnung „Haus Omri“ in neuassyrischen Quellen vergleichbar. Der Begriff „Haus Jehu“ findet sich jedoch nirgendwo außerbiblisch. Insofern sollte man bei dieser Terminologie nicht beide Referenzpunkte vermengen. Nach NICCACCI 2006, 82 sind darunter die politischen und religiösen Führer zu verstehen.
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In allen Fällen wird mit der Konstruktion בית+ Personenname die jeweilige Dynastie bzw. die eigentliche Familie des Herrschers bezeichnet.76 Eine politische Größe ist bei einem Personennamen als nomen rectum eigentlich nie angezeigt. In biblischen Texten geht es vielmehr ausschließlich um die herrschende Familie und nicht um das Volk. Anders ist dies allerdings in außerbiblischen Quellen: Die Konstruktion בית+ X, wobei X entweder für einen Königsnamen oder einen Ortsnamen steht, ist vor allem in aramäischen Texten sehr gebräuchlich und bezeichnet dort eine unabhängige politische Einheit.77 Die aramäischen Staaten werden daraufhin auch in neuassyrischen und babylonischen Quellen als Bīt-X geführt.78 Es ist wohl nicht auszuschließen, dass eine solche Phraseologie im Akkadischen auf aramäischen Einfluss zurückgeführt werden kann. Für die politische Größe Israel wird folglich in akkadischen Quellen aufgrund einer solchen Terminologie der Ausdruck bīt Ḫumrî verwendet, der allerdings auffälligerweise in biblischen Texten fehlt. Die Schuld am politischen Versagen wird nach neuassyrischem Verständnis offenbar immer den jeweiligen Dynastien untergeschoben. Da das Wort ביתdie Bedeutung „Nachkommen“ auf sich zog, konnte sich auch ein Stamm als „Haus seines jeweiligen Eponyms“ bezeichnen. Biblisch sind die Häuser Benjamins, Efraims, Isaaks, Issachars, Jakobs, Josefs und Levis belegt. Darüber hinaus wird dieses Lexem auch noch zur Bezeichnung der beiden größeren Stämmebünde „Haus Juda“ und „Haus Israel“ verwendet.79 Die Constructusverbindung בית ישׂראלbezeichnet jedoch nur biblisch den Nordreichsstaat Israel in Abhebung zum „Haus Juda“.80 Bei Hosea handelt es sich bei der Constructusverbindung בית ישׂראלin erster Linie um die Dynastie in Israel,81 nicht aber um das Volk des Nordreiches, das demgegenüber „mein Volk“, „Söhne Israels“ oder „Israel“ genannt wird. Die Constructusverbindung בית ישׂראלist neben Hos 1,4 im Hoseabuch nur noch viermal belegt: In Hos 1,6 wird dieser Ausdruck wohl mit der kurz zuvor genannten Größe identisch sein. In Hos 5,1 steht בית ישׂראלin Parallelismus mit „Haus des Königs“, so dass hier beides gleich gesetzt werden kann. In Hos 6,10 steht בית ישׂראלneben „Israel“. Zwischen beiden Größen – Dynastie und Volk – muss offensichtlich differenziert werden. Die beklagte Unreinheit Israels geht auf das schändliche Verhalten der Dynastie zurück. In Hos 12,1 scheint mit dem Ausdruck בית ישׂראלebenfalls die Dynastie ge-
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Vgl. HOFFNER 1973, 637. Vgl. RENDSBURG 1995, 22f. mit zahlreichen Beispielen. 78 Vgl. RENDSBURG 1995, 24. 79 Vgl. HOFFNER 1973, 637. 80 Vgl. WARD 1966, 7. 81 Hos 1,4.6; 5,1; 6,10; 12,1. 77
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meint zu sein, da das „Haus Israel“ nach Hos 12,2 Bündnisse mit fremden Mächten schließt. In Hos 1,4 wird folglich die Königsherrschaft der Dynastie in Israel beendet, nicht aber das Königreich Israel als politische Größe. Es geht hier also um das Ende der Königsherrschaft der Jehuiden, historisch geschehen durch den Putsch des Usurpators Schallum im Jahr 752 v.Chr.82 2.7 קשׁת+ שׁבר Der Bogen ( )קשׁתwar die genaueste und am weitesten reichende Waffe des Altertums.83 Die Verbindung קשׁת+ „ שׁברden Bogen zerbrechen“ findet sich – abgesehen von Hos 1,5 – weitere fünf Mal im Alten Testament.84 In allen diesen Fällen geht es um die Beendigung der Militärmacht, so dass kein Krieg oder keine Feindschaft mehr ausgetragen werden kann. Das Lexem קשׁתsteht in dieser Verbindung dementsprechend als Metonym vor allem für die militärische Schlagkraft eines Volkes.85 Eine solche metonymische Verwendung dieses Ausdrucks findet sich in Jer 49,35 ebenfalls, wo zumindest Targum Onkelos קשׁתmit „ תקוףStärke“ wiedergegeben hat.86 Das Lexem קשׁתsymbolisiert somit Israels militärische Stärke und Durchschlagskraft.87 Auch außerbiblisch wird das Idiom קשׁת+ שׁברals Metonym verwendet: a) In der Panamuwa-Inschrift wird das Lexem קשׁתהmit גברתהparallelisiert (KAI 214:32), was ebenfalls darauf hindeutet, dass „Bogen“ im Sinne von „Stärke“ gebraucht wird. b) Das Zerbrechen des Bogens ist zudem ein typisches Fluchwort in altorientalischen Vertragstexten und ist mit einer Beendigung der militärischen Stärke gleichzusetzen.88 In neuassyrischen Vertragstexten wird nämlich die analoge Formel šebēru-G qaštu verwendet, um bei Nichteinhaltung des Vertrages die militärische Vernichtung des Feindes anzudrohen.89 c) Auch in der aramäischen Inschrift von Sfire wird die Formel קשׁת+ שׁבר verwendet (KAI 222A:38). 82
Vgl. hierzu auch NICCACCI 2006, 100 Anm. 82. Nach HUBBARD 1989, 62 steht der Bogen hier für die sinnlose Abhängigkeit Israels von militärischer Macht. 84 Ps 37,15; 46,10; 76,4; Jer 49,35; Hos 2,20. Darüber hinaus gibt es noch die Verbindung קשׁת+ חתin 1Sam 2,4; Jer 51,56. 85 Vgl. hierzu GARRETT 1997, 58. 86 Vgl. hierzu auch WALDMAN 1978, 87. 87 Vgl. WOLFF 1976, 21; MACINTOSH 1997, 19; NWAORU 1999, 62. 88 Vgl. FENSHAM 1984, 75. 89 Vgl. für Beispiele WALDMAN 1978, 82. Nach GISIN 2014, 89 hat die Siegermacht oder die siegreiche Gottheit den Bogen des Feindes zerbrochen. Dieses Bild deute folglich auf die Niederlage und Kapitulation hin. 83
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Gemäß Hos 1,5 soll nun nicht nur die Jehu-Dynastie zerstört werden, sondern Israel soll militärisch bedeutungslos werden, was aber nach dem Sturz der Jehuiden noch längst nicht der Fall gewesen ist.90 Der syntaktische Bezug der Präpositionalverbindung „in der Jesreelebene“ ist schwierig zu bestimmen: a) Die Präpositionalverbindung „in der Jesreelebene“ könnte als lokales Circumstantial zu deuten sein. Dann würde das Zerbrechen des Bogens – vermutlich infolge einer Schlacht – in der Jesreelebene stattfinden. Die militärische Schlagkraft Israels wird also in der Jesreelebene gebrochen. Über eine solche Schlacht in der Jesreelebene in der zweiten Hälfte des 8. Jh. v.Chr. ist ausweislich der erhaltenen neuassyrischen Quellen allerdings nichts bekannt.91 Einem solchen argumentum e silentio sollte man aber nicht zu viel Gewicht beimessen, da man über den tatsächlichen Verlauf der assyrischen Feldzüge nur unzureichend informiert ist. b) Die Präpositionalverbindung „in der Jesreelebene“ könnte sich darüber hinaus adnominal zu קשׁתfügen. Dann würde die militärische Schlagkraft Israels in der Jesreelebene, also die militärische Herrschaft Israels über die Jesreelebene, verloren gehen. Die zweite Prophezeiung betont folglich, dass aufgrund der Blutschuld von Jesreel nicht nur die Jehu-Dynastie verschwinden wird, sondern dass Israel entweder in der Jesreelebene entscheidend geschlagen wird (Option a) oder dass Israel in der Folgezeit dieses Gebiet an die Assyrer abtreten muss (Option b). Beide Optionen müssen allerdings nicht als Alternativen betrachtet werden, sondern können sich durchaus ergänzen. Im Jahr 732 v.Chr. trat Israel tatsächlich die Jesreelebene an die Assyrer unter Tiglat-Pileser III. ab.92 Ob dies infolge einer verlorenen Schlacht in der 90
Vgl. FENSHAM 1984, 77. Unwahrscheinlich und auch unverständlich ist hingegen eine Deutung von קשׁתals „Vorderarm“, auch wenn das Verständnis von Gen 49,24 schwierig ist. So aber EHRLICH 1968, 165. Die behauptete Verwendung des D-Stamms des Verbums שׁברist nicht dringend gefordert, vgl. nur Jer 49,35 und vor allem Hos 2,20, wo die Bedeutung „Bogen“ vom Kontext klar gefordert wird. Auch die neuassyrischen Vertragstexte verwenden für diese Idiomatik šebēru-G. In akkadischen Texten kann qaštu auch im Sinne von „Manneskraft“ verwendet werden. „Den Bogen wegnehmen“ kann hier bedeuten, dass die Kämpfer zu Frauen werden und nicht mehr zum Kämpfen fähig sind, vgl. WALDMAN 1978, 88. Aus dem Wortlaut von Hos 1,5 kann jedoch nicht gefolgert werden, dass zum Zeitpunkt des Eintretens dieses Unglücks das Nordreich Israel ohne König und einsatzbereites Heer sei. So aber BONS 1996, 31. Auch die Zerstörung der Königreiches muss damit noch nicht ausgedrückt werden, so aber LANDY 1995, 24. 91 RUDOLPH 1966, 52 betont, dass von einer Schlacht in der Jesreelebene im Rahmen eines Feldzuges Tiglat-Pilesers III. nichts bekannt ist. 92 Vgl. MAYS 1975, 28; WOLFF 1976, 21; STUART 1987, 29f. Nach WARD 1966, 6 verweist v.5 entweder auf die Annektierung der Jesreelebene durch die Neuassyrer im Jahr 733/32 oder den Untergang des Nordreiches im Jahr 722/21 v.Chr.
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Jesreelebene der Fall war (Option a), kann nicht mehr bestimmt werden. Die Militärmacht Israels über die Jesreelebene ist jedenfalls durch die Expansion der Assyrer gebrochen worden (Option b). In Hos 1,5 könnte demnach die Reduktion Israels auf das Bergland südlich der Jesreelebene ausgedrückt werden.93 Die Jesreelebene ist der neu entstandenen assyrischen Provinz Magidû zugeschlagen worden.94
3. Zur Literarkritik Der Anschluss von Hos 1,5 an das Vorausgegangene ist literarkritisch verdächtig. Einige Beobachtungen sind zumindest auffällig: a) In v.5 folgt ein zweites Drohwort, das nicht wie in den v.4.6.9 mit כיeingeleitet wird, sondern mit der Verknüpfungsformel „ והיה ביום ההואes wird an jenem Tag geschehen“ beginnt.95 Diese oft eschatologisch gedeutete Formel findet sich jedoch auch noch in Hos 2,18.23, so dass allein aufgrund der Verwendung dieser Formel nicht von einem sekundären Zusatz ausgegangen werden kann. Diese Formel unterstreicht vor allem die gegenseitige zeitliche Nähe der vorausgesagten Ereignisse. b) Die Bedeutung des Toponyms „Jesreel“ wechselt in v.5: Während „Jesreel“ in 4d noch den Ort der Schuld bezeichnet hat, wird mit Jesreel in 5b der Ort des Zerbrechens Israels angegeben.96 Wahrscheinlich soll der Ort der Schuld zum Ort des Gerichts werden. Allerdings ist in 5b von der Jesreelebene und nicht von Jesreel die Rede, was beide Sätze voneinander unterscheidet. In der Jesreelebene wird folglich die militärische Schlagkraft Israels gebrochen. c) Während in 4e noch vom בית ישׂראלdie Rede ist und damit auf die in Israel herrschende Dynastie angespielt wird, wird in 5b nur ישׂראלverwendet.97 Möglicherweise wird von der Dynastie in 4e auf das Militär in 5b über93
Vgl. IRVINE 1995, 503. Vgl. zu dieser Provinz BAGG 2011, 221f. 95 Vgl. WOLFF 1976, 8. VERMEYLEN 2000, 195 hält diese Formel, in der eine eschatologische Perspektive greifbar sei, für redaktionell. Nach STUART 1987, 30 gibt diese Formel „an indefinite point sometime in the future, the exact timing of which is known only to God“ an. BONS 1996, 31 vermutet aufgrund von Hos 1,4, dass dieser Tag bald eintreten wird. Nach ANDERSEN/FREEDMAN 1980, 185 ist dies zwar eine eschatologische Formel, die aber auch anderswo im Hoseabuch verwendet wird und demnach nicht auf den sekundären Charakter schließen lässt. Anders hingegen NICCACCI 2006, 84 Anm. 30; GISIN 2014, 88. 96 Vgl. RUDNIG-ZELT 2006, 86. Vgl. hierzu schon RUDOLPH 1966, 52. 97 Anders hingegen WARD 1966, 5f., der 4e.5 für sekundär hält. 94
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gewechselt, wofür auch die nomina regentia ממלכותund קשׁתsprechen. In 4e ist zumindest die Constructusverbindung בית ישׂראלinsofern nötig, als in Israel ja nicht allgemein die Königsherrschaft mit dem Fall der Jehu-Dynastie zu Ende gegangen ist, was bei einer Constructusverbindung von ישׂראלmit dem Abstractum ממלכותoffenbar der Fall gewesen wäre. d) In v.5 wird im Gegensatz zu v.4 nicht die Jehu-Dynastie, sondern Israel in den Blick genommen.98 Der Zusammenbruch des Königshauses bzw. des Königtums könnte in v.5 folglich auf den ganzen Nordstaat ausgedehnt sein, was ebenfalls auf eine sekundäre Erweiterung der ursprünglichen Prophezeiung hinweist. Von einem Untergang des Nordreiches als Staat ist jedoch nicht die Rede. Lediglich die militärische Schlagkraft wird zerbrochen, wahrscheinlich nur in der bzw. über die Jesreelebene. Diese Beobachtungen wurden in der Forschungsgeschichte vor allem auf zweierlei Weise ausgewertet und gedeutet: a) 4e könnte ein literarkritisch sekundärer Zusatz bzw. eine Nachinterpretation sein, die die Drohung von 4d noch verstärkt haben könnte.99 Allerdings bezieht sich 4e unmittelbar auf die Jehu-Dynastie, die folglich die Strafe für die Blutschuld zu tragen hat. Insofern ist 4e nicht eine Nachinterpretation, sondern die notwendige Folge der Blutschuld von Jesreel. Danach wird in v.5 der Blick auf das Ergehen Israels geweitet. Ähnlich wie die Dynastie die Folgen einer verfehlten Politik zu tragen hat, gilt dies schließlich auch für das Volk. b) V.5 sei insgesamt eine redaktionelle Erweiterung,100 da Jesreel, der Name des vorgeblichen Hoseasohnes, zweimal in unterschiedlichsten Kontexten genannt wird (in v.4 und 5). Es sei zudem unwahrscheinlich, dass 5a eine ursprüngliche Einleitung zu 5b verdrängt haben könnte. Denn es ist überhaupt 98 Vgl. MAYS 1975, 28. Von einer Anklage Israels ist hier jedoch keine Rede. Die militärische Schlagkraft Israels wird lediglich in der Jesreelebene gebrochen. Israel wird aber nicht beschuldigt, etwas Verwerfliches getan zu haben. 99 WACKER 1996, 190f. hält 4e für sekundär und für eine „verdoppelnde Erweiterung eines ursprünglich nur auf die ‚Bluttaten des Hauses Jehu‘ blickenden Spruches“. Vgl. auch LEVIN 1985, 235; VERMEYLEN 2000, 194f. Nach RUDNIG-ZELT 2006, 87 ist aber die Konkretisierung der Heimsuchung des Hauses Jehu in 4e unbedingt gefordert, auch wenn dadurch eine metrische Unstimmigkeit in Kauf genommen wurde. 100 Vgl. hierzu WILLIAMSON 1991, 79; RUPPERT 1994a, 163; MACINTOSH 1997, 20; RUDNIG-ZELT 2006, 86; VIELHAUER 2007, 139 Anm. 50. Vgl. hierzu schon WOLFF 1976, 12. MAYS 1975, 28 rechnet mit einem Hosea-Fragment in v.5, das über das Stichwort Jesreel vom Redaktor eingefügt werden konnte. Kritisch hierzu allerdings STUART 1987, 24. ANDERSEN/FREEDMAN 1980, 174f. arbeiten eine rhetorische Struktur des Abschnitts Hos 1,4–5 heraus, die auf eine einheitliche Planung hindeutet. GARRETT 1997, 57f. entwirft noch eine andere Struktur für Hos 1,4–5.
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Gottes Sprechen zum Mensch
nicht ersichtlich, weshalb erst eine spätere Redaktion lediglich 5a eingefügt haben sollte.101 Durch die redaktionelle Ergänzung von v.5 insgesamt werde dann das Gottesgericht von v.4 in der Jesreelebene lokalisiert, wo das Nordreich Israel vernichtend geschlagen werden soll.102 Von einer militärischen Niederlage Israels in der Jesreelebene ist jedoch nicht notwendigerweise die Rede. Vielmehr könnte es hier auch nur um die politische Vorherrschaft über dieses Gebiet gehen, die tatsächlich an die Assyrer abgetreten werden musste. Die ehemalige, schon von den Aramäern zerstörte Festung von Jesreel, das Wahrzeichen für die militärische Macht Israels über die Jesreelebene, lässt sich organisch aus dem Wort über den Jesajasohn entwickeln. Wie die Festung von Jesreel bereits zerstört ist, wird auch die Herrschaft Israels über die Jesreelebene schwinden. All diese literarkritischen Vorschläge sind folglich nicht zwingend, zumal ausweislich der Syntax und der Semantik einige Gegenargumente formuliert werden konnten. Die vorgeblichen Brüche und Spannungen wurden offenbar gezielt eingesetzt, um die eigentliche Aussage besonders zu profilieren. Hos 1,4–5 kann somit als einheitlicher Text betrachtet werden.
4. Zu den hinter Hos 1,4–5 liegenden Traditionen Abschließend stellt sich die Frage, auf welche Traditionen bzw. historischen Ereignisse Hos 1,4–5 angespielt haben könnte. Die Blutschuld von Jesreel ist sicher – wie gesehen – mit dem Jehu-Putsch zu verbinden.103 Das Vergießen von Blut selbst aus Gründen der Staatsraison wurde als Unheilsmacht auf die Jehu-Dynastie aufgehäuft und von JHWH kritisch nachgeprüft, was zu zwei Vorhersagen führte: (a) das Ende der Dynastie der Jehuiden (4d.e) und – aufgrund von 5a in etwa zeitgleich – (b) der Verlust der politischen und militärischen Vormacht Israels über die Jesreelebene (v.5). Die in Hos 1,4–5 angedrohten Vorhersagen traten tatsächlich ein. Sie beziehen sich jedoch auf zwei unterschiedliche Dinge,104 die nicht gleichzeitig sondern im Abstand etwa einer Generation geschehen sind. Während v.4 betont, dass die Jehu-Dynastie beendet wird, historisch vermutlich durch den Putsch Schallums um 752 v.Chr., weist v.5 darauf hin, dass auch bald die Herrschaft Israels über die Jesreelebene verloren gehen wird, geschehen durch den Feldzug Tiglat-Pilesers III. im Jahr 732 v.Chr.
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So aber RUPPERT 1994a, 179. Vgl. RUPPERT 1994b, 189. 103 Vgl. auch NICCACCI 2006, 99. 104 Vgl. zum Problem WARD 1966, 6. 102
Der Vorwurf der Blutschuld von Jesreel
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Die Aufteilung auf zwei Ereignisse kann zwar durchaus auf einer Linie mit Hos 1,4–5 liegen,105 zumal die w-qatal-Formationen nicht Gleichzeitigkeit, sondern eine zeitliche Abfolge andeuten können. Allerdings suggeriert die Präpositionalverbindung ביום ההואeine gewisse zeitliche Nähe der beiden Vorhersagen. Der Sturz der Jehuiden soll also mit einem Ende der Militärmacht Israels in der Jesreelebene einhergehen, auch wenn dies in Wirklichkeit nacheinander geschehen ist. Das Hoseawort verbindet folglich beide Ereignisse. Insofern ist die Prophezeiung Hoseas nicht wortwörtlich eingetroffen. Denn das Ende der Jehuiden war nicht sogleich mit einem Verlust der Jesreelebene verbunden, auch wenn dies Hos 1,5 suggerieren möchte. Diese Beobachtung spricht auch dafür, dass hier nicht spätere redaktionelle Arbeit vorliegen wird. Denn eine „unwahre“ Prophezeiung wird kaum später gebildet worden sein, als die angekündigten Voraussagen bereits mit zeitlicher Verzögerung eingetroffen sind. Durch den Verzicht auf die Präpositionalverbindung ביום ההואhätte ein späterer Redaktor beide Ereignisse in die korrekte Abfolge bringen können. Das ist aber nicht der Fall gewesen. Es bleibt dabei: Die beiden Prophezeiungen haben sich zwar erfüllt, aber nicht gleichzeitig, wie dies 5a suggeriert. Aus alledem folgt: Es ist daher durchaus wahrscheinlich, dass in Hos 1,4–5 ein authentisches Hoseawort und kein redaktionell überarbeiteter Text vorliegt. Da beide Dinge tatsächlich geschehen sind, wurde dieses Wort von den Hosea-Tradenten gerne aufgenommen. Der Umstand, dass beide Vorhersagen nicht in zeitlicher Nähe zueinander eingetreten sind, war wohl ein vernachlässigbarer Makel für die Hosea-Tradenten. Denn das authentische Hoseawort ist ja in der Konsequenz eingetroffen. Gerade der Umstand, dass hier nicht von den Redaktoren verbessernd eingegriffen worden ist, deutet darauf hin, dass hier ein authentisches Hoseawort vorliegt, das man weder literarkritisch auseinandernehmen noch redaktionsgeschichtlich als gewachsen betrachten sollte. In diesem Sinne ist Hos 1,4–5 ein Paradebeispiel dafür, dass diejenigen Prophezeiungen, die sich nicht wortwörtlich erfüllt haben, als authentisch zu beurteilen sind. Biblische Prophetie bemisst ihren Wert nicht in der exakten Vorausschau von historischen Ereignissen, sondern in der meisterhaften Deutung der Geschichte. Die „ungenauen“ Prophezeiungen sind ein gutes Beispiel dafür, wie geistbegabte Propheten die Zeichen ihrer Zeit im Licht des Glaubens gedeutet und daraus die richtigen Schlüsse gezogen haben. Der Wert der biblischen Prophetie besteht folglich vor allem in der Betonung der Geschichtsmächtigkeit Gottes, der in die Geschicke der Welt eingreifen und hier für Gerechtigkeit sorgen kann. Biblische Prophetie ist somit auch und gerade an der Gegenwart interessiert.
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Vgl. RUDOLPH 1966, 52.
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Gottes Verbindung zu seinem Volk – Zum biblischen Erwählungsgedanken
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Die kultischen Vergehen Manasses, die Königebücher und das Deuteronomium Die kultischen Vergehen Manasses
Schon bei einer oberflächlichen Lektüre von 2Kön 21 wird deutlich, dass der Erzähler offenbar überhaupt kein Interesse an einer spannenden Erzählung hat. Vielmehr verwendet er in überbordender Fülle zahlreiche Formeln, die nur eines im Sinn haben: den judäischen König Manasse möglichst schlecht zu zeichnen. Auch wenn Manasse in seinen 55 Regierungsjahren sicherlich Einiges bewirkt haben wird, was erwähnungswürdig wäre, fehlt auffälligerweise jede konkrete Notiz, so dass man so gut wie gar keine biographischen Details von diesem wichtigen judäischen König hat. Nur in neuassyrischen Quellen wird beiläufig erwähnt, dass Manasse zusammen mit anderen levantinischen Vasallenkönigen am Ägyptenfeldzug Assurbanipals teilnahm.1 Gerade wegen der schütteren Quellenlage ist es schwierig, die Geschichte Judas unter Manasse in der ersten Hälfte des 7. Jh. v.Chr. zu rekonstruieren. Die biblische Darstellung von Manasse weicht zudem stark von derjenigen anderer Könige ab, was der Erzählung einen gekünstelten und stilisierten Charakter gibt:2 sie enthält keine königliche Rede, keine Antwort bzw. Emotionen Manasses oder Interaktionen mit anderen Völkern, Propheten, dem Volk Juda bzw. JHWH. Außerdem gibt es keine Hinweise auf eine adäquate historische Verortung Manasses.
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Manasse wird auf Prisma C II,39 erwähnt, vgl. hierzu WEIPPERT 2010, 345. Nach DALLEY 2004, 396–397 war Juda spätestens seit Ahas assyrischer Vasall und prosperierte aufgrund der sogenannten pax assyriaca. Problematisch ist hierbei allerdings, dass Juda nach dem Feldzug Sanheribs zunächst politisch, territorial und wirtschaftlich stark geschwächt war. Vielleicht ist dies damit zu verbinden, dass der zunächst assurfreundliche Hiskija seine Vasallität aufkündigte, was von den Assyrern als Affront im Blick auf die vormals freundschaftlichen Beziehungen gewertet wurde. 2 Vgl. hierzu STAVRAKOPOULOU 2004, 22. HOFFMANN 1980, 166 folgert daraus, dass hinter dieser formelhaften Darstellung „keinerlei besondere Überlieferung oder gar Quellenmaterial über die Kultpolitik dieses Königs“ stünde. Ähnlich NELSON 2012, 247: „This report of Manasseh’s apostasy has little narrative interest on its own“. RÖSEL 1999, 95 Anm. 247 ist hier aber zuversichtlicher: „Dabei ist keineswegs auszuschließen, dass die eine oder andere kultische Neueinrichtung, welche dem König Manasse zugeschrieben wird, tatsächlich historisch in diese Zeit gehört“.
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Gottes Verbindung zu seinem Volk
Der Abschnitt über die kultischen Vergehen Manasses3 ist hingegen überwiegend geprägt von negativen Formeln,4 die auch sonst in den Königebüchern verwendet werden, um Könige vor allem des Nordreichs abzuqualifizieren.5 Manasse wird ausweislich seiner Taten vor allem mit Ahab und dem Nordreich,6 aber auch mit der Frühzeit Judas parallelisiert. Aus diesen Fehlern hat Manasse offenbar nichts gelernt. Die Parallelen zu 2Kön 21 sind also in erster Linie in den Königebüchern selbst zu suchen. Viele Formeln lassen sich zudem auf entsprechende Vorschriften des Dtn zurückführen. Allerdings stehen diese Idiome nur dem Dtn nahe; es handelt sich hierbei aber um keine wortwörtliche Übernahme dtn Formeln. In den Königebüchern wird mit den dtn. Formulierungen relativ frei umgegangen, wie sich noch zeigen wird. Neben den inhaltlichen Problemen stellt sich die Frage, weshalb Manasse als einziger Südreichskönig für den Untergang Judas verantwortlich gemacht wird. Dies ist umso verwunderlicher, als Manasse aus historischer Perspektive eine kluge Politik verfolgte.7 Unter seiner Ägide konnten die Kriegsschäden behoben werden. Der unter seinem Vorgänger Hiskija eingetretene Imageverlust konnte ebenfalls wieder saniert werden. Darüber hinaus war ihm eine lange und damit wohl gesegnete Regierungszeit beschieden. Obwohl 3
Nach ABADIE 2003, 91 sei dieser Abschnitt chiastisch aufgebaut. Ähnlich NELSON 2012, 248. Allerdings entsprechen sich die einander zugeordneten Abschnitte weder inhaltlich, noch sind eindeutige lexematische Bezüge erkennbar. 4 HOFFMANN 1980, 158 weist darauf hin, dass durch diese Formelhaftigkeit die Erinnerung wach gehalten werden solle, „daß es sich hier um ein an Verwerflichkeit nicht mehr zu überbietendes Übermaß kultischer Sünde handelt“. 5 Fraglich ist jedoch, ob eine oder mehrere Redaktionen für die vorliegende Darstellung der kultischen Vergehen Manasses verantwortlich sind. Zu verschiedenen literarkritischen Schichtungen vgl. die Übersicht bei SMELIK 1992, 165. Möglicherweise geben die verwendeten Idiome Hinweise auf eine literargeschichtliche Verortung der einzelnen Verse. Meist werden in 2Kön 21 wayyiqtol-Formen verwendet. Nur in v.4 und 6 werden w-qatalFormen am Versanfang gesetzt. Die Verwendung von w-(x)-qatal deutet SWEENEY 2007, 425f. als Gliederungselemente. PROVAN 1988, 146 erwägt hingegen, ob diese syntaktische Formation als literarkritisches Indiz auszuwerten wäre. Jedoch ist nach VAN KEULEN 1996, 162–167 der Wechsel zu w-qatal kein literarkritisches Indiz. Ähnlich kritisch auch O’BRIEN 1989, 233. Zu unterschiedlichen Deutungen vgl. NELSON 1981, 66, dem zufolge es sich bei diesen Versen um Notizen aus Annalen handeln könnte. 6 Nach SWEENEY 2005, 266 wird Manasse nach denselben Standards gemessen, die den Untergang des Nordreiches veranlasst haben. Zu solchen Parallelisierungen vgl. auch ABADIE 2003, 91f. STAVRAKOPOULOU 2005, 251f. betont, dass Manasse zudem noch viel schlechter beurteilt wird als Ahab. 7 Vgl. hierzu HALPERN 1991, 59–77; FINKELSTEIN 1994, 172–181; BEN ZVI 1996, 32f.; BARRICK 2002, 149–153. THAREANI-SUSSELY 2007, 74f. macht darauf aufmerksam, dass schon unter dem judäischen König Ahas die Region um Beerscheba wirtschaftlich aufblühte. Nach der Zerstörung im Gefolge des Feldzugs von Sanherib sorgte Manasse in Zusammenarbeit mit den Assyrern wiederum für eine Blütezeit. Trotzdem bezeichnet WÜRTHWEIN 1984, 440 die Epoche unter Manasse eher als eine „unglückliche Epoche“ Israels.
Die kultischen Vergehen Manasses
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Manasse folglich eine wichtige historische Figur gewesen ist, finden sich in der Bibel – abgesehen von 2Kön 21 und 2Chr 33 – nur wenige Stellen, die diesen König in den Blick nehmen.8 Während in 2Kön 21 mit den zahlreichen Fehlern Manasses der staatliche Untergang begründet wird,9 bleibt das kommende Unheil noch längere Zeit aus und erfüllt sich nicht an Manasse, der eigentlich alles verschuldet hat. Darüber hinaus erfreut sich dieser paradigmatisch schlechte König einer langen Regierungszeit, was ebenfalls verwunderlich ist und ungerechtfertigt erscheint.10 In einem ersten Abschnitt sollen nur die Stellen in 2Kön 21 besprochen werden, die über die Frevel Manasses Auskunft geben. Die diachrone Fragestellung soll bei dieser Analyse in den Hintergrund treten, auch wenn die folgenden Beobachtungen wertvolle Hinweise für eine Redaktionsgeschichte von 2Kön 21 liefern können.11 Da in 2Kön 21 fast nur Formeln verwendet werden, ist es schwierig, zuverlässige Informationen über die tatsächlichen Vergehen Manasses zu erhalten. Trotzdem soll versucht werden, Einblicke in die historischen Verhältnisse der Manassezeit zu gewinnen, wobei methodisch folgendermaßen vorgegangen wird: Die in 2Kön 21 verwendeten Idiome sollen zunächst daraufhin überprüft werden, ob sie für die Redaktoren der Königebücher typisch sind. In diesem Fall kann man kaum auf historisch verwertbare Informationen schließen, da Manasse lediglich mit anderen Königen verglichen und sein Handeln noch als wesentlich verwerflicher als alles Frühere dargestellt wird.12 Hier kann wohl nur eine gewisse Tendenz der Redaktoren der Königebücher her8
Hinzu kommt, dass in der Bibel nicht nur dieser eine Südreichskönig negativ qualifiziert wird. Auch der Stamm Manasse, der – historisch gesehen – ein bedeutender Stamm war, wird in einigen Texten gegenüber Efraim zurückgesetzt, was ebenfalls auf eine antimanassitische Tendenz zurückgeführt werden kann, vgl. STAVRAKOPOULOU 2005, 254– 256. 9 Nach SMITH 1975, 13f. geht die einseitige Belastung Manasses mit Kultfrevel auf die pro-joschijanische Partei zurück, die den frühen Tod des Reformerkönigs Joschija mit den Sünden Manasses zu erklären versucht habe. Interessanterweise fehlt das Motiv des frevelhaften Königs Manasse bei der Erklärung des Untergangs des Südreiches. Ähnlich auch HALPERN 1998, 492f. 10 Vgl. zu diesen Problemen OHM 2010, 238. 11 Vgl. zu den Implikationen von 2Kön 21 für eine Redaktionsgeschichte der Königebücher BEN ZVI 1991, 356–374, der neben DtrH auch noch DtrP und DtrN in 2Kön 21 nachweist. 12 Ähnlich urteilt auch SMELIK 1992, 189: „we cannot be optimistic about the possibilities for historical research into Manasseh’s reign, since our two main sources were written by authors who had no real historical interest in this king“. LOWERY 1991, 182–185 hingegen hält 2Kön 21 für weitgehend vorexilisch, so dass die geschilderten Kultfrevel historisch auszuwerten wären: „The cult policies the narrative attributes to Manasse are no doubt policies which he followed. They were the policies he inherited from his Davidic forebears.“
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Gottes Verbindung zu seinem Volk
ausgearbeitet werden, die sich vor allem an den Vorschriften des Dtn orientieren, diese aber nicht wortwörtlich einspielen.13 Idiome hingegen, die nicht dem ansonsten anzutreffenden redaktionellen Sprachgebrauch entsprechen, deuten eher tatsächliche Vorwürfe gegenüber der (Kult)Politik Manasses an. Somit gilt folgende methodische Regel: All das, was sich sprachlich nicht als redaktionell erklären lässt, könnte einen Hinweis auf den historischen Manasse geben, auch wenn dies nicht zwingend gefordert ist. Die vorliegende Untersuchung liefert zudem Bausteine für eine Literarund Redaktionskritik von 2Kön 21. Bevor großflächige Redaktionsschichten in den Königebüchern nachgewiesen und herausgearbeitet werden, sollten zunächst die Einzeltexte selbst berücksichtigt werden.14
1. Zu den einzelnen Vorwürfen v.2: „Und er tat das Böse in den Augen JHWHs, nach den Gräueln der Völker, die JHWH vor den Söhnen Israel vertrieben hatte.“
„das Böse in den Augen JHWHs tun“ (v.2.6.16, variiert in v.9.15) Das Idiom עשׂה הרע בעיני יהוהist vor allem in erzählenden Texten belegt.15 Bereits in Num 32,13 wird mit dieser Ausdrucksweise betont, dass die Sünde Israels für die Auslöschung der Wüstengeneration verantwortlich war. Der Begründungszusammenhang, wonach das Tun des Bösen in den Augen JHWHs zur Bestrafung führt, wird damit schon auf die Wüstengeneration ausgedehnt. Im Dtn ist dieses Idiom viermal belegt.16 In Verbindung mit falschen kultischen Vollzügen wird dieser Ausdruck in Dtn 17,2 verwendet. Hier wird der Fremdgötterkult unter Todesstrafe gestellt. Wer also das Böse in den Augen JHWHs begeht, ist des Todes. Die Idiomatik des Dtn ist zudem nicht so starr und regelhaft wie in den Königebüchern. Das auch im Dtn verwendete Verbum עשׂהbildet im Dtn immer Formen, die vom Kontext bedingt 13
Auch inhaltlich setzt 2Kön 21 Akzente, die von üblicher dtr. Theologie abweichen, vgl. SCHMID 1997, 89–99, der deshalb eher von einer gola-orientierten Redaktion spricht, die den eigentlichen Untergang Judas bereits auf das Jahr 597 v. Chr. vorverlegen wolle. Hierfür sei allein Manasse verantwortlich gewesen. Im Gegensatz dazu noch WÜRTHWEIN 1984, 440: „Die Darstellung Manasses ist – abgesehen von jüngeren Zusätzen in v.4 und v.6 – ganz von dtr Händen gestaltet.“ RÖSEL 1999, 92 Anm. 235 verweist noch auf folgende zwei Gründe, die eine dtr. Herkunft plausibel erscheinen lassen: Zum einen ist 2Kön 21 eng mit 2Kön 17 und 23 verbunden; zum anderen würde sonst eine Erklärung für den Untergang Judas durch Dtr. fehlen. 14 Vgl. SEIDL 2008, 138.151f. 15 Ansonsten nur in Jer 52,2. In Jer 7,30; 32,30 wird JHWH durch ein enklitisches Personalpronomen 1. Pers. Singular angedeutet. 16 Dtn 4,25; 9,18; 17,2; 31,29.
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sind, so dass nur „das Böse in den Augen JHWHs“ formelhaft ist und sich auf den mit der Todesstrafe zu sanktionierenden Fremdgötterkult bezieht. Im DtrG wird der Vorwurf „das Böse in den Augen JHWHs tun“ zunächst fast ausschließlich den Nordreichskönigen gemacht. Nach 1Kön 14,22 begeht hingegen das Volk Juda zur Zeit Rehabeams das Böse in den Augen JHWHs. Vor Manasse wird nur noch der mit der Omridendynastie verschwägerte judäische König Ahasja nach 2Kön 8,27 ebenfalls in dieser Weise negativ qualifiziert.17 In der Manasse-Erzählung wird dieses Idiom dreimal, bzw. in Variation sogar fünfmal, verwendet: in Bezug auf Manasse (v.2.6) und auf das Volk, das von Manasse verführt worden ist (v.15, 16, 20). Nach Manasse trifft dieses negative Urteil – mit Ausnahme des frommen Joschija – jeden folgenden Südreichskönig. Damit ist Manasse der eigentliche Wendepunkt in der Geschichte Judas, was durch die wiederholte Erwähnung dieser Formel besonders unterstrichen wird. Manasse ermunterte zudem das Volk, das Böse zu tun, während zur Zeit Rehabeams das Volk aus freien Stücken das Böse in den Augen JHWHs tat, ohne dass sie vom König dazu verführt worden wären. Manasse ist ausweislich dieser Beurteilung der durch und durch schlechteste König von Juda. Jedoch kann gemäß dieser immer wieder verwendeten Formel Manasse nicht allein für den Untergang Judas verantwortlich gemacht werden.18 Es werden verschiedene Gründe für den Untergang Judas angeführt: Manasse, die Könige nach Manasse und das von Manasse verführte Volk. „Gräuel der Völker“ (v.2, variiert in v.11) Die Constructus-Verbindung ת ֹועבת הג ֹויםbegegnet ebenfalls in Dtn 18,9 als Überschrift über die Vergehen, die von der kanaanäischen Vorbevölkerung begangen worden sind.19 Nach Dtn 18,12 sind diese Gräuel der Grund dafür, weshalb JHWH diese Völker vertreibt. In den Königebüchern wird dieser Ausdruck dreimal ausschließlich zur Beschreibung von kultischen Vergehen im Südreich verwendet: Judäer (1Kön 14,24), Ahas (2Kön 16,3) und schließlich Manasse (2Kön 21,2).20 In diesen Stellen wird zudem darauf verwiesen, dass JHWH die Vorbevölkerung aus dem Land vertrieben hat, Juda aber trotzdem deren illegitimen Kulte übernommen habe. JHWH hat also seinen Teil der
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Vgl. hierzu STAVRAKOPOULOU 2004, 31. Vgl. STAVRAKOPOULOU 2004, 41f. 19 Nach LEVIN 2008, 147 gilt Dtn 18 insgesamt als Maßstab zur Beurteilung der kultischen Vergehen Manasses. 20 LOWERY 1991, 183 weist noch auf Ahab (1Kön 21,26) und Israel (2Kön 17,8) hin. Allerdings wird dort nur ein ähnlicher Sachverhalt geschildert. Lexematische Entsprechungen sind nicht feststellbar. 18
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Gottes Verbindung zu seinem Volk
Bundesverpflichtung eingehalten, während Juda und ihre Könige nicht bundesgemäß lebten, sondern die „Gräuel der Völker“ übernommen haben.21 „die JHWH vertrieben hatte“ (v.2) Die Formel אשׁר הורישׁ יהוהist – abgesehen von Ri 11,24 und 2Chr 33,2 – ausschließlich in den Königebüchern belegt.22 Sie nimmt zwar Anleihen am Dtn, wo ebenfalls eine Vertreibung der kanaanäischen Vorbevölkerung durch JHWH in den Blick kommt, formuliert hier aber eigenständig. Dadurch, dass Manasse vor allem mit der Vorbevölkerung verglichen wird,23 wird Manasse schon am Anfang des Kapitels in ein besonders schlechtes Licht gerückt. Aber auch die anderen Stellen dieser Formel in den Königebüchern sind signifikant: Nach 1Kön 14,24 handelten die Judäer bereits nach der Reichsteilung gemäß der Gräuel der vertriebenen Völker. Auch zu Ahab besteht ein Bezug, der nach 1Kön 21,26 den Götzen der vertriebenen Völker hinterherlief. Zu 1Kön 21,26 sind zudem weitere Zusammenhänge erkennbar: v.11 ( עשׂה האמריund )גלולים. Von einem direkten Zitat kann jedoch keine Rede sein. In 2Kön 21 werden lediglich ähnliche Worte verwendet. Vielleicht greift die Kritik an Ahab in 1Kön 21 bewusst Vorwürfe gegenüber Manasse auf, zumal auch im Folgenden beide Könige parallelisiert werden.24 In v.2 werden ausschließlich Formulierungen verwendet, die dem Dtn nahestehen, aber in dieser Form nur in den Königebüchern belegt sind. Aufgrund des redaktionellen Charakters der Formulierungen von v.2 kann man nur schwer auf ein tatsächliches Vergehen Manasses schließen. Schon am Anfang von 2Kön 21 wird Manasse Fremdgötterkult vorgeworfen, der eigentlich mit Todesstrafe und Vertreibung sanktioniert werden müsste. Die stärksten idiomatischen Parallelen zu v.2 beziehen sich allesamt auf das Südreich: Schon nach der Reichsteilung praktizierten die Judäer wie auch die Nordreichskönige unerlaubte Kulte. Zu 1Kön 14,24 besteht zudem die stärkste lexematische Ähnlichkeit. Subkutan wurde scheinbar auch in Juda der abzulehnende Fremdgötterkult vom Volk gepflegt. Aber erst unter Manasse wird die von Ahas schleichend begonnene Anerkennung dieser Kultpraxis endgültig staatlich durchgesetzt. In der Folgezeit werden nun alle Südreichskönige mit Ausnahme des frommen Joschija ähnlich negativ quali21
Nach AURELIUS 2003, 35 ist 2b jedoch ein sekundärer Zusatz. 1Kön 14,24; 21,26; 2Kön 16,3; 17,8; 21,2. 23 Angeblich würde Manasse nicht mit vorausgegangenen schlechten Königen des Nordreichs verglichen, vgl. hierzu STAVRAKOPOULOU 2004, 27. 24 Eine weitere bemerkenswerte Parallele gibt es in der Darstellung des judäischen Königs Ahas nach 2Kön 16,3. Zur Erklärung des Untergangs Israels in 2Kön 17 gibt es in 2Kön 21,2 ebenfalls eine lexematische Verbindung: Da Israel sich gemäß 2Kön 17,8 an den Ordnungen ( )חקותder vertriebenen Völker orientierte, musste es untergehen. Ähnliches steht jetzt wohl Juda ebenso bevor. 22
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fiziert. Manasse ist folglich nach Ansicht der Redaktoren der Königebücher der eigentliche Wendepunkt in der judäischen Geschichte.25 v.3: „Und er baute die Höhen wieder auf, die sein Vater Hiskija vernichtet hatte, und errichtete Altäre für den Baal und machte eine Aschera, wie sie Ahab, der König von Israel, gemacht hatte, und er warf sich nieder vor dem ganzen Heer des Himmels und diente ihnen.“
„wieder aufbauen“ (v.3) Das Modifikatorverb שׁוּבsteht in Verbindung mit dem Verb בנהnur viermal im Alten Testament.26 Eine explizite Bezugnahme dieser Stellen aufeinander ist nicht anzunehmen. Möglicherweise könnte in v.3 die Situation von Jos 22 bewusst eingespielt werden, wo beide Verben verwendet werden.27 In Jos 22 wird der Bau eines Altars als Abwendung von JHWH verstanden. Das Verb שׁוּבwird hier also nicht als Modifikatorverb verstanden. Insofern könnte שׁוּב auch in v.3 als Vollverb verstanden werden, wodurch die Abwendung von JHWH noch zusätzlich unterstrichen wird. Vor diesem Hintergrund hat Manasse nicht nur die bereits zerstörten Höhenheiligtümer wieder aufgebaut, sondern hätte sich damit auch bewusst von JHWH entfernt.28 „Höhen aufbauen“ (v.3) Der Bau von Höhenheiligtümern ( )בנה במהwird im DtrG nur in den Königebüchern beschrieben.29 Bereits Salomo baute solche Heiligtümer nach 1Kön 11,7 für ausländische Gottheiten. Zur Zeit Rehabeams baute Juda wiederum Höhenheiligtümer nach 1Kön 14,23. In der Begründung für den Untergang des Nordreiches wird in 2Kön 17,9 darauf hingewiesen, dass die Israeliten Höhenheiligtümer gebaut hätten. Manasse ist nach Salomo zudem 25
Nach SPIECKERMANN 1982, 161 sahen die dtr. Redaktoren in Manasse „eine Kontrastfigur zu Josia, einen Antitypos, die Inkarnation allen Übels, das zum Untergang Judas geführt hat“. Ähnlich LEVIN 2003b, 238; NELSON 2012, 247. Zu Manasse als „turning point (for biblical Israel)“ vgl. BEN ZVI 1996, 31 Anm. 2. Nach OHM 2010, 253 Anm. 38 ist Manasse hingegen „not a foil but an important pair character with Josiah“, da er 2Kön 21 als ersten Teil einer postulierten Gattung „punishment narrative“ sieht, die sich auch auf die Joschija-Erzählung erstreckt. Nach WERLITZ 2002, 302 komme man nicht umhin, „die Darstellung als ‚Gruselkabinett‘ zu bezeichnen“. 26 Ri 21,23; 2Kön 21,3; 2Chr 33,3 und Mal 1,4. 27 Jos 22,16.23.29. 28 SCHNIEDEWIND 1993, 660 vermutet sogar, dass durch die neuen Altäre für fremde Gottheiten der JHWH-Altar verdrängt worden sei: „These altars evidently supplant Yahweh’s altar in the temple.“ 29 1Kön 11,7; 14,23; 2Kön 17,9; 21,3; 23,13. LEVIN 2008, 160 betont, dass die Duldung der Höhenheiligtümer nicht notwendigerweise zu einer negativen Beurteilung der Südreichskönige geführt haben muss. Denn Asa, Joschafat, Joasch, Amazja, Asarja und Jotam werden trotz der Höhenheiligtümer positiv beurteilt.
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der einzige Davidide der Höhenheiligtümer aufbaute. Nur Jerobeam und nicht genannte andere israelitische Könige haben Höhenheiligtümer errichtet (ausgedrückt allerdings mit )עשׂה.30 Es fällt auf, dass sowohl die Judäer wie die Israeliten „für sich“ ( )להםHöhenheiligtümer bauen, während Salomo für ausländische Gottheiten baut und Manasse die von seinem Vorgänger zerstörten Höhen wiederum errichtet. Die Kultpraxis des Volkes, die von Hiskija zuvor nach 2Kön 18,4 beendet worden ist,31 sei von Manasse nach Ansicht der Redaktoren der Königebücher wieder staatlich eingeführt worden. Auch hier wird aufgrund der lexematischen Parallele wiederum auf die seit Hiskija eigentlich obsolete Kultpraxis des Volkes hingewiesen, die ab der Reichstrennung gebräuchlich war. Das rückwärts gerichtete Handeln Manasses wird somit als schlimmer Rückfall beurteilt. Wohin dies führen kann, zeigt die Parallele zum Untergang des Nordreiches in 2Kön 17,9. „Altäre für X errichten“ (v.3) Das Nomen מזבחwird, wenn es um deren Errichtung geht, meist mit den Verben בנהoder עשׂהverbunden. Nur fünf Stellen verwenden das Verbum קוּם-H mit dem Nomen מזבחund einem Präpositionalobjekt mit ל:32 In 2Sam 24,18//1Chr 21,18 soll David auf Befehl des Propheten Gad für JHWH auf der Tenne Araunas einen Altar errichten. Die anderen drei Belege weisen den zu errichtenden Altar hingegen der Gottheit Baal bzw. den Baalim zu. Nach 1Kön 16,32 errichtet Ahab aufgrund seiner phönizischen Frau Isebel in Samaria einen einzigen Baalsaltar.33 Mit der Heirat einer ausländischen Prinzessin kommt folglich der Baalskult zurück nach Israel.34 Ähnlich handelt nun auch Manasse, der nach 2Kön 21,3 allerdings sogar mehrere Altäre für Baal errichtet. Damit übertrifft Manasse den Nordreichskönig Ahab um ein Vielfaches.35 Manasse steigert also das verwerfliche Tun Ahabs. Auf Ahab wird zudem im nächsten Vorwurf explizit hingewiesen.36 30 1Kön 12,31; 2Kön 23,15.19. Der Ausdruck „Sünde“ ist für BLANCO WISSMANN 2008, 171 Grund genug, dass „die Grundschicht des Abschnitts über Manasse eine Parallele zur Erzählung über die Errichtung der Stierbilder durch Jerobeam in 1Kön 12,26–30“ sei. Die Parallelen zwischen 1Kön 12 und 2Kön 21 sind jedoch eher marginal. 31 SCHMID 1997, 90 weist darauf hin, dass in v.3 eine andere Idiomatik ( )אבד במותals bei der Referenzstelle 2Kön 18,4 vorliegt, was eher auf den Sprachstil Ezechiels hindeuten würde. 32 2Sam 24,18; 1Kön 16,32; 2Kön 21,3; 1Chr 21,18; 2Chr 33,3. Vgl. zu dieser Idiomatik auch AURELIUS 2003, 59; LEVIN 2008, 148 Anm. 65. 33 Zur Parallele mit Ahab vgl. EYNIKEL 1997, 242f. 34 Nach LEVIN 2008, 161 gilt der Baalskult als schwer wiegendes kultisches Vergehen, das bereits durch Joram eingeführt worden sei, wohl aufgrund seiner Heirat mit Atalja, einer Tochter Omris. 35 Vgl. hierzu SCHENKER 2004, 47–52, der zudem hervorhebt, dass Manasse nach der LXX nur einen Altar für Baal errichtet. Durch das Verschweigen des Ortes kann der Leser
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„eine Aschera machen“ (v.3) Wie Ahab nach 1Kön 16,33 stellt nun auch Manasse eine Aschera her.37 Ahab und Manasse sind die einzigen Könige, die eine Aschera verfertigt haben.38 Beide Stellen entsprechen sich auch lexematisch: עשׂה )ה(אשׁרה. Der fehlende Artikel in 2Kön 21,3 wird durch den folgenden Nebensatz ausgeglichen.39 Der Unterschied im Numerus zu den vorausgehenden Altären ist auffällig. Man könnte an ein distributives Verhältnis denken: Manasse errichtet Altäre und macht hierfür je eine Aschera.40 Durch den Wechsel in den Singular wird v.3 auf alle Fälle mit 1Kön 16,33 harmonisiert. Dies ist wohl redaktionskritisch zu erklären.41 Die Aschera in Samaria blieb auch nach der Reform Jehus offenbar bestehen und war wohl ein bekanntes Kultsymbol des Nordreichs. Ansonsten hat vor allem das Nordreich Israel nach 1Kön 14,15 bzw. nach 2Kön 17,16 solche Kultbilder angefertigt,42 die den Zorn JHWHs und damit den Untergang Israels heraufbeschworen haben. Die Judäer bauten ( )בנהnach 1Kön 14,23 lediglich Bamot, Masseben und Ascheren, was sich von der Formulierung in v.3 merklich unterscheidet. In diese negative Wirkungsgeschichte wird nun Manasse als einziger Südreichskönig gestellt. Manasse
der LXX daran denken, dass dieser Altar im Hause JHWHs in Jerusalem aufgestellt worden sei. FREVEL 1995, 540f. Anm. 1822 vermutet, dass diese Altäre dem Höhenkult zuzuordnen seien. 36 Im Gegensatz zu Ahab hat Manasse vermutlich keinen eigenen Baaltempel in Juda errichtet, vgl. SCHENKER 2004, 51. 37 Nach LXX macht Manasse sogar mehrere Ascheren, vgl. SCHENKER 2004, 52–54. Nach FREVEL 1995, 540 dient Ahab „für die Beurteilung Manasses als Negativfolie“. 38 Hierauf verweist besonders SMELIK 1992, 143. WERLITZ 2002, 300 vermutet, dass Baal und Aschera Chiffren für die assyrischen Gottheiten Assur und Astarte seien. Für HANDY 1994, 75 ist Aschera hingegen „a widely worshiped goddess, with a wellestablished cult throughout Syria-Palestine“. JOST 1995, 53f. hält ebenfalls ein „Revival der judäischen Aschera auf der Ebene der Nationalreligion“ für wahrscheinlicher. 39 SCHENKER 2004, 52 sieht darin eine Determination des Nomens Aschera. 40 Dagegen aber SCHENKER 2004, 52f., der eher eine Imitation Ahabs durch Manasse für wahrscheinlich hält. 41 SCHENKER 2004, 53 hält die pluralische LXX-Lesart für ursprünglicher, da sie beide Stellen weniger harmonisiert hat. Allerdings ist diese Lesart gegenüber dem MT die lectio facilior, die die Numerusentsprechung zwischen Altären und dazugehörigen Ascheren im Blick hat, so dass diese Schlussfolgerung nicht zwingend ist. Die Ähnlichkeit beider Stellen innerhalb des MT (v.3 zu 1Kön 16,33) könnte auch auf bewusste Redaktionsarbeit zurückgeführt und muss nicht textkritisch geklärt werden. 42 Nach 1Kön 14,23 stellt auch Juda solche Kultbilder her. Hier wird aber das Verbum בנהverwendet, unter das die Herstellung von Bamot, Masseben und Ascheren subsumiert werden.
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führt nach Ansicht der Redaktoren der Königebücher kultische Vergehen vor allem des Nordreichs ein.43 In den Königebüchern wird für dieses Idiom fast durchweg das Verbum עשׂהverwendet, im Gegensatz zu נטע, das nur in Dtn 16,21 belegt ist. Ein expliziter Rückgriff auf Dtn ist daher nicht anzunehmen.44 Durch die Konstruktion mit dem Verbum עשׂהwird darauf verwiesen, dass die Aschera hier kultisch-objekthaft zu verstehen ist.45 „sich vor der Gesamtheit des Himmelsheeres niederwerfen“ (v.3) Auch der Vorwurf חוה לכל צבא השׁמים-Št hat seine nächste Parallele in der Erklärung für den Untergang des Nordreichs Israel. In 2Kön 17,16 wird diese Formel darüber hinaus mit der Wurzel עבדzusammengefügt, was beide Stellen noch zusätzlich miteinander verbindet.46 Was das Volk Israel mit katastrophalen Folgen getan hat, wird hier explizit auf den König Manasse übertragen.47 Im Dtn findet sich die Vorstellung einer Verehrung von Astralgottheiten ebenfalls, allerdings nicht formelhaft. In Dtn 4,19 wird das Himmelsheer – nämlich Sonne, Mond und Sterne – von einer Verehrung durch Israel/Juda ausgeschlossen. Diese Himmelskörper sind den Völkern von JHWH zugewiesen worden und dürfen von ihnen vermutlich auch verehrt werden. In Dtn 17,3 werden beide Verben in unterschiedlicher Reihenfolge genannt 43 Auf dieser Linie liegt auch die Beseitigung der Aschera durch den Südreichskönig Asa. Dessen Großmutter Maacha, eine Tochter des Renegaden Abschaloms, ließ die betreffende Aschera anfertigen. SMELIK 1992, 147 Anm. 67 macht aber auf die unterschiedliche Formulierung aufmerksam. Nach COGAN/TADMOR 1988, 267 wird zudem nirgendwo behauptet, dass das Ascherenkultbild der Maacha im Tempel aufgestellt worden wäre. 44 Anders offenbar WÜRTHWEIN 1984, 441. 45 Vgl. FREVEL 1995, 542. Durch den Verweis auf den Dienst an der Aschera oszilliert die Aschere hier „zwischen kultisch-objekthaften (sic!) und personal-göttlichem Verständnis“. 46 Entgegen HOFFMANN 1980, 166 gibt es nur in 2Kön 17,16; 23,4 und 2Chr 33,3 die Götter-Trias Baal-Aschera-Himmelsheer. Eine formelhafte dtr. Prägung dieser Trias kann also kaum angenommen werden. Insofern kann es sich dann durchaus um den babylonischassyrischen Astralkult gehandelt haben, der von den israelitischen und judäischen Herrschern übernommen worden ist. Nach LEVIN 2008, 161 musste Manasse den assyrischen Gestirnskult neben dem höfischen JHWH-Kult praktizieren. Das „Himmelsheer“ ist nur in 2Kön 17.21.23 anzutreffen, so dass erst Manasse für die Einführung des Astralkultes, der vormals schon in Israel verhängnisvolle Folgen hatte, verantwortlich ist. LEVIN 2003a, 208 Anm. 46 vermutet, dass die Trias Baal-Aschera-Himmelsheer „durch den nachträglichen Einschub des Zitats von 1 Kön 16,32–33 in V. 3bα zustandegekommen“ sei. Nach FREVEL 1995, 541f. führt auch das am Schluss von v.3 stehende Verbum עבדals Objekt die Trias Baal-Aschera-Himmelsheer, was freilich nicht ausgeschlossen werden kann. 47 Nur Manasse und dem Nordreich Israel wird eine Verehrung des Himmelsheeres vorgeworfen, vgl. hierzu SMELIK 1992, 145.
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(חוה – עבד-Št).48 Außerdem wird die Gesamtheit des Himmelsheeres noch durch Sonne und Mond ergänzt. Eine solche Fremdgötterverehrung durch Israel/Juda wird verurteilt, da sie dem Befehl JHWHs zuwiderläuft. Ein solcher Frevel wird mit der Todesstrafe durch Steinigung gemäß Dtn 17,5 sanktioniert.49 In v.3 werden Idiome verwendet, die zwar inhaltlich gewissen Formulierungen des Dtn entsprechen, aber formal und lexematisch stark abweichen. An zentralen Stellen der Königebücher werden diese Idiome eingesetzt, um bestimmte Könige sowie insgesamt das Nordreich Israel zu disqualifizieren.50 Aufgrund des formelhaften Charakters kann auch der größte Teil von v.3 nicht eine historisch zuverlässige Beschreibung der Religionspolitik Manasses sein, auch wenn sich dahinter durchaus ein wahrer Kern verbergen könnte.51 Unter Manasse wird nach Ansicht der Redaktoren der Königebücher eine bereits beseitigte judäische Kultpraxis erneut staatlich legitimiert. Darüber hinaus werden zusätzlich noch bislang fremde Kultformen eingeführt, die im Nordreich unter Ahab gebräuchlich waren. Manasse geht in seinen Kultfreveln folglich weit über das hinaus, was in Juda vom Volk zuvor begangen wurde. In v.3 wird außerdem wie schon in v.2 ein Bezug zu 1Kön 14 hergestellt. Zwar sind schon in der Gründungsgeschichte gewisse Übel begangen worden. Manasse jedoch setzt diese staatlich durch und vermehrt sogar noch den Fremdgötterkult, so dass er den äußerst schlecht beleumundeten Nordreichskönig Ahab weit übertroffen hat. Während somit der größte Teil von v.3 auf geprägten Sprachgebrauch zurückgeführt werden kann, fällt ein kleines Detail heraus: Die berichtete Prostratio und Verehrung von Himmelsgöttern ist nicht formelhaft und nur für Manasse belegt. Hierbei könnte es sich folglich um einen historisch verwertbaren Hinweis auf die verfehlte Kultpraxis Manasses handeln. v.4: „Und er baute Altäre im Haus JHWHs, von dem JHWH gesagt hatte: In Jerusalem will ich meinen Namen niederlegen.“
„Altäre bauen“ (v.4.5) Nach 2Kön 21,4 hat Manasse Altäre im Hause JHWHs in Jerusalem gebaut ()בנה מזבח.52 Für wen dies geschah, wird nicht gesagt. Durch diese Maßnahme wandelt Manasse den ursprünglichen JHWH-Tempel in ein Heiligtum 48
Zu dieser Parallele vgl. LOWERY 1991, 183. Vgl. hierzu WÜRTHWEIN 1984, 441. 50 Nach SPIECKERMANN 1982, 162f. hängt 2Kön 21,3 von 2Kön 23,4 ab und wurde hier mit dtr. Phraseologie aufgefüllt. 51 Zuversichtlicher hingegen JOST 1995, 53. 52 Die LXX spricht nur von einem einzigen Altar, vgl. SCHENKER 2004, 55: „Die LXX belastet Manasse weniger schwer.“ 49
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um, in dem gleichzeitig mehrere Gottheiten kultisch verehrt werden können. Der JHWH-Tempel wird somit von Manasse in einen Vielgöttertempel umgestaltet.53 Nach 1Kön 9,25 hat Salomo nur einen Altar gebaut, auf dem er Brand- und Heilsopfer darbrachte. Der Bau nur eines Altares wird schon von Dtn 27,5–6 für den Ebal befohlen. Vermutlich wird Manasse in v.4 vorgeworfen, dass er es nicht bei dem einen Altar belassen hat. Die Vermehrung der Kultstätten scheint hier das Zentrum der Kritik an Manasse zu sein. Hinzu kommt, dass er diese Altäre in den Tempel JHWHs bringt, wo eigentlich der Name JHWHs wohnt. In den Königebüchern wird das Idiom „Altar bauen“ neben 1Kön 18,32, der Opferprobe auf dem Karmel, nur noch in 2Kön 16,11 gebraucht.54 Dort wird berichtet, wie der Priester Urija im Auftrag des Südreichkönigs Ahas einen Altar – vermutlich für den JHWH-Kult – nach dem Vorbild bauen muss, das der König in Damaskus gesehen hat.55 Auch in v.4 wird nicht gesagt, für wen die auf den neuen Altären dargebrachten Opfer bestimmt sein könnten. Der Kontext betont jedoch, dass sich der Bau der neuen Altäre offenbar gegen JHWH richtete. Im Gegensatz zu Ahas baut Manasse zudem nicht nur einen neuen Altar.56 „den Namen in Jerusalem niederlegen“ (v.4.7) Das Idiom שׂים שׁם בירושׁלםlässt sich nicht auf Dtn zurückführen.57 Eine erste Variante findet sich in 1Kön 11,36, der Prophezeiung des Ahija von Schilo. Eine zweite Variante wird in 1Kön 14,21, den Notizen zur Regierung von Rehabeam, und der Parallele 2Chr 12,13 angeführt, wo zusätzlich auf die Erwählung Jerusalems als Stadt JHWHs hingewiesen wird. Dieser Ausdruck wird sonst nur noch dreimal gegen Manasse ins Feld geführt.58 In v.4 wird lediglich darauf verwiesen, dass Manasse Altäre im Haus JHWHs errichtet hätte, wo doch dort der Name JHWHs präsent ist. In v.7 wird die ausführliche53
Nach der LXX hat es in Jerusalem noch weitere Vielgöttertempel gegeben, vgl. 2Kön 23,8.13f. was die Situation in Juda gegenüber Israel verschärft. MT ist daher nach SCHENKER 2004, 55f. eine Bearbeitung, die diesem „unerträglichen Ungleichgewicht“ abhelfen wollte. 54 EYNIKEL 1997, 244 macht darauf aufmerksam, dass dieses Idiom für den Bau von legitimen und illegitimen Altären verwendet werden konnte. 55 Vgl. hierzu SMELIK 1997, 263–278. 56 Vgl. zu dieser Parallele O’BRIEN 1989, 229. LEVIN 2008, 148 bezieht v.4 auf die Ahab-Parallele in v.3, demzufolge in der Darstellung der kultischen Vergehen Manasses „der Altar, den Ahab errichtet hat, wegen v.4 zu einer Mehrzahl von Altären geworden ist“. 57 1Kön 11,36; 14,21; 2Kön 21,4.7; 2Chr 12,13; 33,7. Zur Namensformel, die im Dtn idiomatisch abweichend formuliert wird, vgl. WEIPPERT 1980, 77–94. Nur in Dtn 12,21; 14,24 ist ein ähnliches Idiom שׂים שׁם שׁםbelegt, vgl. NELSON 1981, 142 Anm. 88. 58 2Kön 21,4.7; 2Chr 33,7. NELSON 1981, 67 weist zusätzlich darauf hin, dass dieses Idiom nur in 2Kön 21 mit einem finiten Verb steht.
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re Formel verwendet, die die Erwählung Jerusalems aus den Stämmen Israels besonders hervorhebt. Da Jerusalem die besondere Wohnstatt JHWHs ist, dürfe dort auch nicht ein weiterer illegitimer Altar errichtet werden. In v.4 wird Manasse vor allem mit dem Südreichskönig Ahas verglichen, der ebenfalls einen neuen Altar im Tempelareal bauen ließ. Jedoch gilt auch hier: Manasse vermehrte den Kultfrevel noch, indem er nicht nur einen, sondern mehrere Altäre baute. Aufgrund der Formelhaftigkeit des Zusatzes, der Jerusalem als besondere Wohnstatt JHWHs ausweist und in dieser Form nur in den Königebüchern und davon abhängiger Literatur vorkommt, kann auch hier nicht auf ein konkretes Vergehen Manasses zurückgeschlossen werden.59 v.5: „Und er baute für die Gesamtheit des Himmelsheeres Altäre in den beiden Vorhöfen des Hauses JHWHs.“
„die Gesamtheit des Himmelsheeres“ (v.5) Die von Manasse neu gebauten Altäre dienten der Verehrung des Himmelsheeres ()לכל־צבא השׁמים. Das Dtn hat nachdrücklich die Verehrung von Himmelsgottheiten verboten.60 Nach Dtn 17,5 ist ein solcher Gestirnskult kein Bagatelldelikt, sondern mit dem Tod zu bestrafen. Manasse ist der einzige König, der für das ganze Heer des Himmels Altäre bauen ließ. Nur in der Darstellung des Untergangs des Nordreichs in 2Kön 17,16 wird beschrieben, wie die Israeliten sich auch vor dem Heer des Himmels niedergeworfen haben. Der Vorwurf in 2Kön 17 ist aber nicht ganz so stark und explizit wie in 2Kön 21. In 2Kön 17 warfen sich die Israeliten nieder vor dem ganzen Himmelsheer, dienten aber dem Baal. Nach 2Kön 21 sind beide Handlungen auf das ganze Himmelsheer bezogen. Auch hier zeigt sich eine Verstärkung bzw. Präzision des Kultfrevels Manasses. Manasse war demzufolge nicht nur Baalsverehrer, sondern verehrte ebenfalls das Himmelsheer. Unter seiner Ägide scheint ein Astralkult in Juda regelrecht hoffähig geworden zu sein. „Vorhöfen des Hauses JHWHs“ (v.5) Die in v.4 neu gebauten Altäre werden hier noch hinsichtlich ihres Ortes näher lokalisiert. Diese Altäre befanden sich in den beiden Vorhöfen des Tempels ()שׁתי חצרות בית־יהוה. Manchmal ist bei der Beschreibung des Tempels nur von einem Vorhof die Rede.61 Allerdings gibt es auch noch die Fügung mit dem Adjektiv פנימית,62 so dass es wohl noch einen weiteren äu59
SPIECKERMANN 1982, 163 hält v.4 für einen spätdtr. Einschub, „eine Kompilation aus dem Formulierungsbestand des Manassekapitels“. 60 Nach NIEHR 1999, 429 sind zwei Tendenzen zu beobachten: Beim Himmelsheer handelt es sich entweder um Sonne, Mond und Sterne oder lediglich um Gestirnsgottheiten. 61 2Chr 24,21; 29,16; Jer 19,14; 26,2. 62 1Kön 7,12; Ez 8,16.
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ßeren Vorhof gegeben haben wird. Schließlich wird auch noch die Formulierung im Plural verwendet, ohne dass über die Anzahl der Vorhöfe etwas verlautet.63 Nur in den Belegen, die den Altarbau Manasses anführen, ist von genau zwei Vorhöfen die Rede.64 Da der Befund zum vorexilischen Tempel also keineswegs einheitlich ist, darf daraus nicht gefolgert werden, dass sich in v.5 Verhältnisse des Zweiten Tempels widerspiegeln müssen.65 Möglicherweise ist mit einem Hof zwischen Tempel und Palast zu rechnen, der dann als äußerer Hof im Gegensatz zum inneren Vorhof des Tempels gedeutet werden konnte.66 Eine andere Möglichkeit wäre es, dass man zwischen dem oberen bzw. inneren Hof, der nur den Tempel umgab, und dem großen Hof, der Tempel und Palast umschlossen hat, unterscheiden müsse.67 Eine definitive Lösung ist hier kaum noch möglich. In v.5 wird der Vorwurf des vorausgegangenen Verses noch präzisiert, zum einen hinsichtlich der Verwendung der neuen Altäre, zum anderen hinsichtlich des Ortes ihrer Aufstellung. Es hat den Anschein, dass bezüglich der Aufstellung der Altäre durchaus noch eine historische Reminiszenz greifbar sein könnte. Die genaue Verortung der neuen Altäre muss nicht eine sekundäre Angleichung an Verhältnisse des Zweiten Tempels sein. Hinter v.5 könnte sich also ein tatsächlicher Hinweis auf die historische Religionspolitik Manasses verbergen.68 v.6: „Und er ließ seinen Sohn durch das Feuer gehen, und er trieb Zauberei und Beschwörung und schuf Totenbeschwörer und Wahrsager. Er vermehrte zu tun das Böse in den Augen JHWHs, um (ihn) zu reizen.“
„seinen Sohn durchs Feuer gehen lassen“ (v.6) Das Vergehen עבר את־בנו באשׁ-H wird nur von zwei judäischen Königen berichtet:69 von Ahas (2Kön 16,3) und Manasse (2Kön 21,6). Lediglich im Fall von Ahas liegt offenbar nur ein einmaliges Vergehen vor (w-x-qatal), während die Verbformation in v.6 auf frequentative Kultpraktiken und damit
63
1Chr 28,12; 2Chr 23,5; Ps 116,19. 2Kön 21,5; 23,12; 2Chr 33,5. 65 Manchmal wird vorgeschlagen, dass der Hinweis auf zwei Höfe den Zweiten Tempel voraussetzen müsse, da in der Beschreibung des Salomonischen Tempels von zwei Vorhöfen nicht die Rede ist, vgl. GRAY 1964, 643. O’BRIEN 1989, 231 Anm. 11 bietet jedoch einige Gegenargumente. Vgl. zum Problem SWEENEY 2007, 430. 66 Vgl. FRITZ 1998, 129. 67 Vgl. HENTSCHEL 1985, 102. 68 Zu einem ähnlichen, allerdings literarkritisch begründeten Ergebnis kommt SPIECKERMANN 1982, 164. 69 Nach LEVIN 2003b, 237 sind beide Stellen späte Zusätze, die Ahas bzw. Manasse ihren frommen Nachfolgern gegenüberstellen wollen. 64
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wiederholte Handlungen schließen lässt (w-qatal).70 Dieser Kult scheint aufgrund der Zuweisung zu zwei judäischen Königen nicht in den Bereich der familiären Frömmigkeit zu weisen, sondern beansprucht offenbar offiziellen und öffentlichen Charakter.71 Angesichts des Wiederholungscharakters könnte man an Reinigungsriten im Rahmen einer Feuerzeremonie zur Übereignung bzw. Weihe von Söhnen und Töchtern an einen mit JHWH konkurrierenden Königsgott denken. Eine Tötung der Kinder scheint hier wohl ausgeschlossen zu sein.72 Erst Joschija macht nach 2Kön 23,10 das Tofet im Hinnomtal unrein und unterbindet damit diesen Kult. Den Nordreichskönigen hat man diesen Vorwurf zwar nicht gemacht, aber den Israeliten wird trotzdem summarisch in 2Kön 17,17 vorgeworfen, dass sie ihre Söhne und Töchter durch das Feuer gehen ließen. Gemäß dtr. Kritik waren es demnach nicht nur Einzelfälle. Dieses Vergehen wird von Dtn 18,10 als Brauch der Vorbevölkerung diffamiert und seine Ausübung verboten. Dieser Kult gehört zu den Gräueln der Völker, die unbedingt unterlassen werden müssen. Nach Dtn 12,31 hat die Vorbevölkerung sogar ihre Söhne und Töchter im Gottesdienst verbrannt ()שׂרף באשׁ. Mit dieser abweichenden Ausdrucksweise wird ein solches Vergehen zudem nach 2Kön 17,31 von den Sefarwitern nach dem Untergang Israels behauptet. Das Nordreich ist also in den Zustand zurückgefallen, der vor der Landnahme vorherrschte. Für diese Frevel der Vorbevölkerung gibt es bereits im Dtn, aber auch dann in den Königebüchern zwei unterschiedliche Idiome. Ob damit derselbe Kultbrauch gemeint ist, kann nur schwer entschieden werden. „zaubern und beschwören“ (v.6) Die Kombination ענן+ נחשׁist im Dtn nur noch in Dtn 18,10 belegt.73 Dort werden allerdings Partizipialformen verwendet. Außerdem ist die Verbotsrei70 Vgl. hierzu SEIDL 2008, 138 Anm. 30: „An eine distributive Handlung an mehreren Königssöhnen wird kaum gedacht werden können“. Nach STAVRAKOPOULOU 2005, 250 wird dieses Vergehen bei Manasse gegenüber Ahas noch dadurch gesteigert, dass hier eine Reihe von divinatorischen Praktiken angeschlossen werden. GRAY 1964, 642 Anm. a schlägt zwei weitere Deutungsmöglichkeiten vor: entweder mag das w-qatal eine Glosse andeuten oder einem katalogisierenden Archivstil zuzuschreiben sein. 71 Vgl. SEIDL 2008, 138. 72 Vgl. hierzu die Argumente von SEIDL 2008, 146f. COGAN/TADMOR 1988, 267 schließen ein Kinderopfer zwar prinzipiell nicht aus, denken aber eher an „a less extreme act, with magical-divinatory significance“. LUBSCZYK 2003, 176 sieht in Mi 6,1–8 eine Anspielung auf das Kinderopfer Manasses. Allerdings taucht das Opfer des Erstgeborenen lediglich in Frageform auf, so dass nicht deutlich wird, ob es tatsächlich so weit gekommen ist. 73 Außerdem noch in Lev 19,26 und in der Parallele 2Chr 33,6. Zu den Parallelen, Abweichungen und Neuakzentierungen von 2Chr 33, vgl. ABADIE 2003, 95–104. Eine deutli-
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he im Dtn wesentlich umfangreicher gestaltet. Insofern werden Manasse nicht alle verwerflichen mantischen Praktiken vorgeworfen, die das Dtn aufzählt. Auffällig ist zudem, dass ihm diese Tätigkeiten selbst zugeschrieben werden. Offenbar hat er keine Zauberer und Beschwörer angestellt, sondern ist selbst tätig geworden. Nach Dtn 18,10 soll es aber keine solchen Personen in Israel geben. Wenn man beides zusammenliest, darf folglich in Juda kein König wie Manasse herrschen.74 „Totenbeschwörer und Wahrsager“ (v.6) Die des Öfteren belegte Kombination אוב+ ידעניtaucht auch in Dtn 18,11 auf.75 Nur in 2Kön 21,6 werden diese Substantive mit dem Verbum עשׂה („machen“) verbunden.76 Ansonsten werden die für Orakelanfragen einschlägigen Verben פנה,77 שׁאל78 und דרשׁ79 verwendet. Anscheinend schuf er am Hof Planstellen für eigene Totenbeschwörer und Wahrsager.80 Damit führte er wiederum neue Kultfrevel ein, die höchstens noch subkutan in der judäischen Gesellschaft virulent waren. Er sorgte offenbar dafür, dass solche über-
che Parallele zu 2Kön 17,17, die HOFFMANN 1980, 161 vermutet, ist nicht nachzuweisen, zumal nur das Lexem נחשׁin beiden Versen verwendet wird. Nur der wertende Versabschluss ist gleichlautend. 74 BARRICK 2002, 97 vermutet, dass 2Kön 21,6 eine Kurzform von Dtn 18,10–11 sei. Hierfür spräche auch der Anschluss mit w-qatal. Auch nach TROPPER 1989, 244 stehen die beiden Begriffe ענן+ „ נחשׁstellvertretend für die fünf Prohibitive des mantisch-magischen Bereichs von Dt 18,10b–11a“. Sie seien mit Omendeutung zu verbinden. 75 Sonst noch in Lev 19,31; 20,6.27; 1Sam 28,3.9; 2Kön 23,24; Jes 8,19; 19,3 und in der Parallele 2Chr 33,6. Nach LONG 1991, 248 handelt es sich bei diesen Vergehen um Nekromantie. 76 SEIDL 2008, 152 überträgt den lexikalisch schwierigen Satz folgendermaßen: „trieb Totenbefragung und Wahrsagerei“. Nach TROPPER 1989, 244 könnte die Wahl des Verbums עשׂהeine Angleichung von v.6 an v.3 und v.7 sein. Außerdem liege hier eine „antithetische Formulierung“ zu 1Sam 28,3.9 und 2Kön 23,24 vor. Manasse betrieb also Ahnenkult, wofür er Ahnenbilder herstellen ließ. 77 Lev 19,31; 20,6. 78 Dtn 18,11. 79 Jes 8,19; 19,3. 80 Anders hingegen TROPPER 1989, 342, der von figürlichen Darstellungen bzw. Statuetten der Ahnen ausgeht. Diese würden die unmittelbare Anwesenheit der Ahnen bei den Lebenden symbolisieren, mit deren Hilfe die jeweiligen kultischen Handlungen durchgeführt werden. Ähnlich NIHAN 2003, 31: „ancestors were generally worshipped through an image or a statue“. COGAN/TADMOR 1988, 267 übersetzen das Verbum עשׂהmit „to have recourse to“ bzw. „to deal“, und nicht mit „to appoint“. SCHMIDT 1994, 147–154 hält אוב+ ידעניhingegen für Totengeister.
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holten mantischen Praktiken wieder hoffähig wurden.81 Ob er tatsächlich selbst an diesen illegitimen Kultpraktiken partizipierte, ist fraglich.82 „das Böse in den Augen JHWHs tun, um (ihn) zu reizen“ (v.6) Diese Formel ist – abgesehen von 2Chr 33,6 – nur im Dtn und in den Königebücher zu finden. In 2Kön 21,6 fehlt allerdings ein enklitisches Personalpronomen am Infinitiv כעס,83 welches das direkte Objekt ausdrückt und sich immer auf JHWH bezieht. Schon Dtn 4,25–26 macht unmissverständlich klar, dass die Israeliten mit Sicherheit schnell aus dem Verheißungsland weggerafft und völlig vernichtet werden, wenn sie das Böse in den Augen JHWHs tun und ihn auf diese Weise erzürnen.84 Nur durch die Fürbitte des Mose konnte der Zorn JHWHs nach Dtn 9,18 noch abgewendet werden. Damit konnte ein Neuanfang in der Beziehung JHWHs zu seinem Volk geschehen. Mose betont bereits in Dtn 31,29, dass das Volk im Verheißungsland wiederum JHWH reizen wird. Diese drei Stellen aus dem Dtn verdeutlichen, dass es extrem gefährlich ist, das Böse in den Augen JHWHs zu tun und ihn damit zu ärgern. Genau dies tun aber nach 1Kön 16,7 der israelitische König Bascha, dessen Dynastie folglich nur kurz an der Macht geblieben ist, nach 2Kön 17,17 das Volk Israel, das deshalb auch in die Verbannung gehen muss,85 und nun auch der judäische König Manasse. Die geschichtliche Erfahrung hätte an sich verdeutlichen können, dass ein Reizen JHWHs negative Folgen haben wird. Hinter v.6 steht deutlich die Kultkritik des Dtn, auch wenn hier leicht abweichend formuliert wird.86 Zumindest inhaltlich ähnelt die Abqualifizierung 81 Nach SCHMIDT 1994, 241–245 sei erst unter Manasse Nekromantie nach mesopotamischem Vorbild in Juda eingeführt worden. 82 So aber COGAN/TADMOR 1988, 267. 83 Zu diesem Idiom mit seinen Varianten vgl. NELSON 1981, 68; EYNIKEL 1997, 244f. HENTSCHEL 1985, 103; COGAN/TADMOR 1988, 264; TROPPER 1989, 244 Anm. 168; LEVIN 2008, 147 Anm. 62 ergänzen das enklitische Personalpronomen. Hierfür könnte man sich auf LXX, Peschitta, Vulgata, Targum und 2Chr 33 beziehen. Das enklitische Personalpronomen ist wohl aufgrund von Haplographie entfallen. 84 Nach LEVIN 2008, 147 bezieht sich dieses Reizen JHWHs auf die Übertretung des Ersten Gebots. 85 Nach SWEENEY 2007, 431 ist die Verheißung, dass Israel nicht noch einmal in die Verbannung gehen müsse (v.8), ein Hinweis darauf, dass dieser Abschnitt dem joschijanischen Redaktor der Königebücher zugewiesen werden müsse. Zu dieser Zeit sei man an einer Wiedervereinigung der beiden Landesteile nachdrücklich interessiert gewesen. 86 WÜRTHWEIN 1984, 441 hingegen betont, dass sich v.6 wörtlich an Dtn 18,10–11 anlehnen würde. Ähnlich TROPPER 1989, 244: „beinahe wörtliche Übernahme von Dt 18,10f“. Auch LEVIN 2003b, 237 hält v.6 für ein Zitat aus Dtn 18,10–11. Nach AURELIUS 2003, 60 ist v.6 ebenfalls von Dtn 18 abhängig. Anders hingegen SCHMIDT 1994, 182, der Dtn 18,10–12 für eine von 2Kön 21,6 abhängige Erweiterung ansieht. Außerdem sei v.6 nach WÜRTHWEIN 1984, 441 „nach seiner grammatischen Form“ erst spät zu verorten.
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Manasses dem Dtn. In v.6 liegen außerdem Parallelen zu Vorgängern Manasses vor: zu Ahas (Kinderopfer) und zum Nordreichkönig Bascha (Reizen JHWHs). Beide Vergehen werden nach 2Kön 17 auch den Israeliten zugeschrieben, die daher den Untergang ihres Volkes selbst verschuldet haben.87 Somit wird deutlich, dass Manasse die anderen Könige und die Israeliten an Schlechtigkeit noch weit übertrifft, da er zusätzliche Kultfrevel eingeführt hat, die nach Dtn 18 eigentlich verboten sind.88 Allerdings übertritt er nicht alle Dinge, die in Dtn 18 angeführt werden. Insofern ist höchstens eine inhaltliche, aber keine direkte literarische Abhängigkeit von Dtn 18 anzunehmen.89 Möglicherweise lassen sich die mantischen Praktiken, die ansonsten keinem anderen König zugeschrieben werden, tatsächlich auf die Religionspolitik des Manasse zurückführen. v.7: „Und er stellte das Götzenbild der Aschera, das er gemacht hatte, in das Haus, von dem JHWH zu David und zu Salomo, seinem Sohn, gesagt hatte: In diesem Haus und in Jerusalem, das ich aus der Gesamtheit der Stämme Israels erwählt habe, will ich meinen Namen für ewig niederlegen!“
„ein Götzenbild aufstellen“ (v.7) Das hier verwendete Idiom שׂים פסלist nur selten belegt.90 Nach Dtn 27,15 gilt derjenige als verflucht, der ein Götzenbild herstellt und danach „heimlich“ ( )בסתרaufstellt. Manasse scheint demgegenüber aus seinem Götzenbild nach 2Kön 21,7 keinen Hehl gemacht zu haben. Vielmehr stellt er sein Ascherenbild im Tempel, der eigentlichen Wohnstatt JHWHs, auf, was diesen Akt umso verwerflicher macht. Nach dem MT ist das Götzenbild Manasses
Ähnlich HENTSCHEL 1985, 102: „Einfluß der aramäischen Volkssprache“; LEVIN 2008, 147 „aramaisierende Syntax“. Außerdem unterbrechen nach NIHAN 2003, 40 Anm. 66 die beiden v.4 und 6 die Kontinuität der Erzählung. GROSS 1982, 69 macht darauf aufmerksam, dass w-qatal für individuellen Sachverhalt der Vergangenheit „nach-althebräischer Syntax und aramäischer Ausdrucksweise“ entspräche. Jedoch gebe es auch epigraphische vorexilische Belege für diese Verbformation. 87 Nach LEVIN 2003b, 238 beruht 2Kön 17 auf dem Sündenregister Manasses. 88 Zu Parallelen zwischen 2Kön 21 und Dtn 18 vgl. LOWERY 1991, 183–185, der zudem eine literarische Abhängigkeit zwischen beiden Passagen vermutet. 89 LOWERY 1991, 184 weist zudem darauf hin, dass v.6 eine „combination of the cult crimes listed in Deut. 12.29–31 (child sacrifice) and 18.9–14 (various forms of divination)“ sei. 90 Dtn 27,15; Ri 18,31; 2Kön 21,7; 2Chr 33,7. Die für dtr. Sprache unspezifische Wendung פסל האשׁרהist für SPIECKERMANN 1982, 166 hingegen ein Hinweis, dass 7a zur Grundschicht gehören müsse. O’BRIEN 1989, 229f. hebt zusätzlich hervor, dass die beiden „occurrences of the verb śîm firmly imply that Manasseh’s placing of the Asherah in the temple was a gross affront to Yahweh’s exclusive claim to the temple“. Ähnlich AURELIUS 2003, 61.
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vermutlich mit der zuvor in v.3 hergestellten Aschera identisch.91 In beiden Fällen ist wohl ein Kultobjekt und nicht die Gottheit selbst gemeint.92 „aus der Gesamtheit der Stämme Israels erwählen“ (v.7) Die Erwählung eines Ortes für den Tempel aus allen Stämmen Israels ist bereits in Dtn 12,5 belegt ()בחר מכל שׁבטי ישׂראל. An diesem Ort soll der Name JHWHs niedergelegt werden und nach v.14 soll dort geopfert werden. Erst Salomo verweist in seiner Rede an das Volk in 1Kön 8,16 auf die Wahl des Wohnortes des JHWH-Namens. In 1Kön 11 wird dreimal auf die Wahl der Stadt Jerusalem durch JHWH hingewiesen, und zwar in der JHWH-Rede und in der Prophetie des Schiloniters Ahija.93 In 1Kön 11,36 wird schließlich noch ergänzt, dass JHWH dort seinen Namen niederlegt. In 1Kön 14,21, den Notizen zur Regierung von Rehabeam, wird ebenfalls die Erwählung Jerusalems als Stadt JHWHs genannt.94 Nur in 2Kön 21,7 und in 2Chr 33,7 wird zusätzlich zu Jerusalem der Tempel als eigentliche Wohnstatt JHWHs erwähnt, was diesen Beleg von den übrigen Stellen abhebt. Das vorgebliche JHWH-Orakel wurde nach 2Kön 21,7 an David und Salomo gleichermaßen gerichtet. In 1Kön 11,13 wird jedoch nur Salomo als Adressat eines ähnlichen, aber viel kürzeren JHWH-Orakels angeführt, das nur auf die Erwählung Jerusalems durch JHWH hindeutet. In v.7 werden die in v.3–4 angeführten Behauptungen noch zusätzlich präzisiert. Die Aschera aus v.3, die derjenigen Ahabs gleicht, wird hier als Götzenbild diffamiert. Außerdem wird darauf aufmerksam gemacht, dass dieses Kultbild von Manasse im JHWH-Tempel aufgestellt worden ist. Dieser massive Kultfrevel wird noch insofern gesteigert, als dieser im Tempel begangen 91 Vgl. SCHENKER 2004, 54. Die LXX spricht in v.3 von mehreren Ascheren, die Manasse gemacht hat. Die im Tempel aufgestellte Aschera wird hingegen nicht von Manasse hergestellt: „Manasse ist nach dem MT deshalb ein zweiter Achab, weil er wie dieser König Israels ein Götterbild, das der Aschera, machte und aufstellte, während ihm die LXX dieses Odium der Anfertigung eines Standbildes erspart“. Nach SCHENKER 2004, 57f. wird Manasse aufgrund der Herstellung und Aufstellung eines Götzenbildes in eine Reihe mit der Wüstengeneration, Jerobeam I. und Ahab, gestellt. Auf diese Weise soll der Untergang der Davididen erklärt werden. Insgesamt seien die Vorwürfe des MT negativer als diejenigen der LXX. Daher bewahre die LXX die ursprünglichere Lesart, während MT mit seiner negativen Sicht auf das Königtum und seiner positiven Beurteilung der Priesterschaft hasmonäischen Kreisen nahe stünde. WYATT 1999, 102 versucht, die beiden Verse in der Darstellung Manasses 2Kön 21 miteinander zu harmonisieren. Insofern könnte es sich in v.7 ebenfalls lediglich um den Kultgegenstand und nicht die Gottheit handeln. Anders hingegen FREVEL 1995, 542. 92 Vgl. EYNIKEL 1997, 245. 93 1Kön 11,13.32.36. 94 Neben diesen Erwähnungen in den Königebüchern wird dieses Idiom noch in den chronistischen Parallelstellen erwähnt: 2Chr 6,5; 12,13; 33,7.
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wurde, den sich JHWH seit Beginn der Staatlichkeit als Wohnstatt auserwählt hat. Hier liegt auch die längste Form einer solchen Erwählungstheologie vor. Aufgrund seines Kontextes wurde die Kurzformel noch um die Elemente der Adressaten David und Salomo, des Tempels und der Ewigkeit erweitert. Seit dem Tempelbau unter Salomo sei aufgrund der Adressatennennung bekannt gewesen, dass JHWH an diesem Ort seinen Namen für ewig niederlegt. Gegen diese ewige Ordnung verstößt nun Manasse. Die Formelhaftigkeit solcher Beschuldigungen lässt nicht daran denken, dass hier ein historisches Vergehen Manasses greifbar ist, auch wenn dies freilich nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann. Es ist daher wenig wahrscheinlich, dass Manasse tatsächlich ein Götzenbild der Aschera im Tempel aufstellte.95 Dieser Vorwurf entspringt wohl nur der negativen Verurteilung Manasses durch die Redaktoren der Königebücher. v.9: „Aber sie hörten nicht, und Manasse verführte sie, Schlimmeres zu tun als die Nationen, die JHWH vor den Söhnen Israel ausgerottet hatte.“
„verführen, Böses zu tun“ (v.9) Die Redeweise תעה לעשׂות את־הרעist nur in 2Kön 21,9 und in der Parallele 2Chr 33,9 belegt. Hier scheint somit kein Rückgriff auf dtr. Redeweise vorzuliegen. In v.8 kommt als neue Bezugsgröße Israel ins Spiel. Insofern muss sich auch v.9 auf Israel beziehen, das aber zur Zeit Manasses bereits als Nation ausgelöscht war. Die Verführung, die Manasse angestrebt hat, bezieht sich also nach dem Kontext eigentlich nicht explizit auf Juda. Dieses Problem mag ein Hinweis auf diachrones Wachstum sein. Aber auch inhaltlich ist diese Aussage ziemlich isoliert im Alten Testament. Lediglich in Dtn 30,17 steht ein ähnlicher Gedanke: Dort wird ebenfalls das Nicht-Hören mit einer Verführung in Verbindung gebracht, allerdings in idiomatisch abweichender Form ()נדח.96 „(Nation) ausrotten vor den Israeliten“ (v.9) Das Idiom שׁמד מפני בני ישׂראלist nur in 2Kön 21,9 zu finden. Die nächste Parallele wäre Dtn 31,3, wo sich das Verbum שׁמדebenfalls mit Subjekt JHWH und Objekt Israel fügt. Die Vorstellung, dass JHWH die im Verheißungsland ansässigen Völker ausrottet, ist zwar im Dtn breit belegt, wird hier aber mit einem eigenständigen Idiom formuliert. 95
Anders hingegen FREVEL 1995, 543. Ähnlich SPIECKERMANN 1982, 166f., der v.7 für eine authentische, zeitgenössische Überlieferung aus der Manassezeit hält. Der Kult der assyrischen Ištar am Jerusalemer Tempel der Manassezeit sei historisch zudem wahrscheinlich. 96 Nach RÜTERSWÖRDEN 2006, 199 wird diese Verführung zum Abfall von der JHWHVerehrung besonders in Dtn 13 bearbeitet, allerdings auch hier mit der Wurzel נדח.
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In v.9 werden Juden und Manasse gemeinsam für den Untergang verantwortlich gemacht. Während Israel nicht auf die Stimme JHWHs hören wollte, verführte Manasse das Volk noch zusätzlich zum Bösen. Auf diese Weise wurden sogar die Frevel der Nationen übertroffen, die JHWH vor Israel vertrieben hatte. Insgesamt scheint v.9 nur inhaltliche Anleihen am Dtn zu nehmen, diese dann aber eigenständig zu formulieren. Die Vorwürfe in v.9 sind überdies zu sehr im Allgemeinen gehalten, als dass sie für eine Auswertung fruchtbar gemacht werden könnten. Auf alle Fälle unterscheiden sie sich sprachlich deutlich von der ansonsten zu beobachtenden Sprache der Redaktoren der Königebücher. v.10: „Da redete JHWH durch seine Knechte, die Propheten, folgendermaßen:“
„durch seine Knechte reden“ (v.10) Der Ausdruck דבר ביד עבדיוkommt in seiner allgemeinen Form nur dreimal in den Königebüchern vor: retrospektiv zur Begründung des Endes des Nordreichs in 2Kön 17,23, im Rückblick zur Legitimation des Einfalls der ostjordanischen Streifscharen in 2Kön 24,2 und schließlich zur Einleitung des prophetischen Verdikts über Manasse in 2Kön 21,10. Nur hier dient diese Formel nicht als Hinweis auf bereits von Propheten angesagtes Unheil. Auch die anderen Stellen, die verschiedenen Propheten zugewiesen werden,97 blicken auf bereits Geschehenes zurück und dienen nicht wie in v.10 als Einleitung zu zukünftiger Strafe. Insofern ist v.10 funktional von den Parallelstellen zu unterscheiden, da es die künftige Bestrafung einleitet und nicht retrospektiv formuliert. Auch v.10 hebt sich von den übrigen Stellen, die ähnliche Formulierungen verwenden, markant ab. Nur hier dient die Formel דבר ביד עבדיוzur Einleitung von Strafe. Ansonsten werden immer bereits begangene Taten im Rückblick als bereits von Propheten angesagtes Verhängnis klassifiziert. Somit entspricht v.10 – wie schon v.9 – nicht den ansonsten üblichen Konventionen der Redaktoren der Königebücher. v.11: „Weil Manasse, der König von Juda, diese Gräuel getan und Schlimmeres als die Gesamtheit verübt hat, was die Amoriter getan haben, die vor ihm gewesen sind – und auch Juda durch seine Götzen zur Sünde verführt hat,“
„Schlimmer verüben als“ (v.11) Das Idiom רעע מן-H findet sich nur dreimal in den Königebüchern. Nur in 2Kön 21,11 ist diese Ausdrucksweise mit einem Südreichskönig verbunden. 97
1Kön 8,53.56 (Mose); 1Kön 14,18; 15,29 (Ahija); 2Kön 9,36; 10,10 (Elija) und 2Kön 14,25 (Jona). Vgl. zur unterschiedlichen Funktion der von Gott eingesetzten Propheten BEN ZVI 1991, 374.
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Ansonsten werden lediglich Jerobeam I. (1Kön 14,9) und Omri (1Kön 16,25) mit einer solchen Qualifizierung ihres Wirkens belegt. Beide Nordreichskönige werden allerdings ihren Vorgängern gegenübergestellt, während Manasse mit den Amoritern verglichen wird, die zuvor im Land gewohnt haben. Das bedeutet andererseits, dass vor Manasse die Südreichsherrscher viel besser waren, da die Redaktoren der Königebücher nicht auf das schändliche Treiben der Vorgänger Manasses zurückgriffen. Darüber hinaus ist in v.11 ein Bezug wiederum zu Ahab festzustellen, was sich nicht nur durch den Gebrauch derselben Lexeme, sondern auch durch den Verweis auf die Amoriter niedergeschlagen hat.98 Allerdings wird Manasse noch schlechter als Ahab beurteilt, da er die Vergehen der Amoriter sogar übertrifft. „zur Sünde verführen“ (v.11.16) Das Verb חטא-H wird in den Königebücher immer dann verwendet, wenn auf die Sünde Jerobeams I. verwiesen werden soll, der Israel zur Sünde verführt hat.99 Darüber hinaus dient dieses Verb zur Klassifizierung von einigen Nordreichskönigen: Nadab (1Kön 15,26), Bascha bzw. Ela (1Kön 16,13) und Ahab (1Kön 21,22). Nur mit einem Südreichskönig ist חטא-H ebenfalls belegt, nämlich Manasse. So wie Jerobeam I. der paradigmatisch schlechte Nordreichskönig gewesen ist, der Israel ins Unheil geführt hat, wird nun auch Manasse in ein besonders schlechtes Licht gerückt.100 Mit Manasse beginnt folglich die Sünde im Südreich. Juda erliegt den Verführungskünsten Manasses. Diese Aussage steht in gewisser Spannung zu v.15, wo darauf hingewiesen wird, dass Israel seit dem Auszug aus Ägypten „das Böse in den Augen JHWHs getan“ und ihn damit „gereizt“ habe. Die Sündhaftigkeit reicht dementsprechend über Manasse weit hinaus und weist bereits auf die Anfangsgeschichte im Verheißungsland. In v.11 wechselt die Bezugsgröße wiederum zu Juda. Manasse wird hier ausweislich der verwendeten Lexeme mit den exemplarisch schlechten Nordreichskönigen Jerobeam I., Omri und Ahab parallelisiert, deren Frevel er sogar noch gesteigert hat. Manasse trieb es nämlich noch schlimmer wie die zuvor im Verheißungsland ansässigen Amoriter. Im Gegensatz zu v.9–10 werden hier Idiome verwendet, die sich an exponierten Stellen der Königbü98
Vgl. hierzu EYNIKEL 1997, 251; STAVRAKOPOULOU 2004, 32. 1Kön 15,30.34; 16,2.19.26; 22,53; 2Kön 3,3; 10,29.31; 13,2.6.11; 14,24; 15,9.18. 24.28; 17,21; 23,15. Nach LEVIN 2003b, 233 Anm. 37 bezieht sich die Formel „Israel zur Sünde verführen“ ursprünglich nur auf die Sünde Jerobeams I. 100 Vgl. hierzu SMELIK 1992, 140–142, der gezeigt hat, dass die Redaktoren der Königebücher mit diesem Vorwurf einen Bezug zu Jerobeam I. herstellen wollten. Nach RÜTERSWÖRDEN 2006, 199 ist vor allem die Verführung des Volkes der Grund für die Bestrafung des ganzen Volkes: „Aus der Sünde des einzelnen, Manasses, in V 2 wird am Ende von V 16 die Sünde aller.“ 99
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cher finden und die auf gezielte Redaktionsarbeit hinweisen. In v.12–15 folgt nun die Strafankündigung, die die Form eines JHWH-Wortes angenommen hat. Diese Strafankündigung hat nur Juda und Jerusalem im Blick.101 v.16: „Auch sehr viel unschuldiges Blut vergoss Manasse, bis er Jerusalem damit anfüllte von einem Ende bis zum andern; abgesehen von seiner Sünde, mit der er Juda verführte zu tun das Böse in den Augen JHWHs.“
„unschuldiges Blut vergießen“ (v.16) Nach Dtn 19,10 darf unschuldiges Blut nicht im Verheißungsland vergossen werden, da sonst Blutschuld auf dem Volk lastet.102 Der Vorwurf, unschuldiges Blut vergossen zu haben, wird in den Königebüchern nur gegenüber Manasse erhoben.103 Diese Formel gehört also nicht zur formelhaften Abqualifizierung der Könige innerhalb der Königslisten. Insofern wäre zu überlegen, ob hier nicht ein tatsächliches Vergehen Manasses in den Blick genommen wird, mit dem er Juda kultisch verunreinigt hat.104 Der Umstand, dass in der ersten Hälfte des 7. Jh. v.Chr. nahezu keine prophetische Aktivität in Juda zu verzeichnen ist, könnte tatsächlich darauf anspielen, dass Manasse politisch gefährliche Propheten verfolgt hat.105 Die Verfolgung und Tötung von Propheten ist sicherlich ein kultisches Vergehen, da unschuldiges Blut nicht vergossen werden darf. Vielleicht könnte hier implizit die Abschlachtung Nabots und der JHWH-Propheten durch Ahab als Parallele zu den Untaten Manasses eingespielt sein.106 Manchmal wird erwogen, dass hier sogar auf 101
Nach BLANCO WISSMANN 2008, 168 könnten v.10–15 sekundär sein, da sie die Schuld am Untergang Judas von Manasse auf ganz Juda ausweiten, „ohne das vorgegebene Motiv der Verantwortung Manasses, der Sünde über Juda gebracht hat, zu vergessen“. Kritisch hierzu jedoch RÜTERSWÖRDEN 2006, 198f., demzufolge v.10–15 keine anderen theologischen Akzente setzen und dementsprechend in Analogie zum Vorausgegangenen stehen. 102 Nach SPIECKERMANN 1982, 170 ist v.16 unter Vorgabe dieses Gesetzes formuliert worden. 103 2Kön 21,16; 24,4. Nach ABADIE 2003, 90 Anm. 90 sind außerdem beide Stellen aufeinander bezogen. SPIECKERMANN 1982, 170 hält v.16 für ein tendenziöses Produkt, das „deshalb der historischen Auswertung entnommen ist“. 104 ABADIE 2003, 94 stellt folgenden Umstand heraus: das unschuldige Blut „makes the land lose its sacredness. It finds itself irreversibly defiled, profaned, reduced to the level of the nations“. Auf die Unreinheit des Landes, die nach Levitikus behoben werden müsse, verweist SWEENEY 2005, 273. Gegen ein kultisches Vergehen optieren jedoch HOFFMANN 1980, 156; VAN KEULEN 1996, 173; WERLITZ 2002, 301; AURELIUS 2003, 58. 105 Vgl. GRAY 1964, 645f.; VAN KEULEN 1996, 211. Zur jüdischen Auslegungstradition vgl. HALPERN 1998, 491. 106 Vgl. hierzu STAVRAKOPOULOU 2004, 39. Nach SCHENKER 2004, 57 sei der Vorwurf, unschuldiges Blut vergossen zu haben, mit der Nabot-Erzählung zu vergleichen. Auch SCHNIEDEWIND 1993, 656f.; SWEENEY 2007, 432 machen auf diese Parallele zur Ahab-Erzählung aufmerksam. Eine lexematische Parallele ist indes nicht zu finden.
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Kinderopfer hingedeutet wird.107 Jedoch wird an keiner Stelle ausgeführt, wer die Opfer des unschuldig vergossenen Blutes sein könnten. Vermutlich sind hier die Armen und sozial Schwachen im Blick,108 um die sich jeder König eigentlich kümmern sollte. Offenbar galt die Herrschaft Manasses als „Epoche sozialer Ungerechtigkeit und gewalttätiger Unterdrückung“.109 Aufgrund des Anschlusses וגםkönnte v.16 erst sekundär mit dem Vorausgegangenen verbunden worden sein.110 Jedoch wird mit dieser Partikel lediglich darauf aufmerksam gemacht, dass ab v.16 die Liste der Vergehen Manasses fortgeführt wird.111 Hier wird somit noch eine weitere Zusatzinformation gegeben. Außerdem soll durch die Verbformation besonders das Objekt betont werden.112 Ein literarkritisches Indiz muss hier demnach nicht vorliegen. Der ähnlich lautende Vorwurf in 2Kön 24,4, dass Manasse unschuldiges Blut vergossen habe, könnte zudem mit Jojakim zu verbinden sein, wofür die Lukianische Rezension und der Hinweis in Jer 22,17 sprechen könnte. Offenbar wurden Jojakim und Manasse für die babylonische Invasion gleichermaßen verantwortlich gemacht. Dies mag eine spätere Annäherung der beiden Figuren sein.113 Während v.15 noch von einer Kollektivschuld des Volkes ausgeht, mit der Juda den Untergang heraufbeschworen hat, wechselt ab v.16 wieder der Fokus auf Manasse. Der erhobene Vorwurf, unschuldiges Blut vergossen zu haben, findet sich nur bei Manasse und scheint folglich nicht auf eine redaktionelle Angleichung Manasses an andere schlimme Nordreichskönige zurückzugehen. Insofern könnte es sich hier tatsächlich um eine historisch verwertbare Information handeln.
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Vgl. GRAY 1964, 645. Vgl. FRITZ 1998, 131. SMELIK 1992, 151–153 hat die Kontexte des Ausdrucks דם נקיuntersucht und keinen Hinweis auf die Verfolgung von Propheten gefunden. Ähnlich LASINE 1993, 170f.; BEN ZVI 1996, 37f. Anm. 26. Zu anderen Interpretationen vgl. noch WISEMAN 1993, 292. 109 FRITZ 1998, 131. Ähnlich COGAN/TADMOR 1988, 269; NELSON 2012, 249. 110 Vgl. NELSON 1981, 66; PROVAN 1988, 146 Anm. 40. Nach SMELIK 1992, 151 wird durch diese Partikel angezeigt, dass „the king’s bloodshed is a sin of a different nature from the acts of idolatry“. 111 Vgl. VAN KEULEN 1996, 173. LOWERY 1991, 181 hält hingegen v.16 für einen sekundären Zusatz, der 2Kön 21 – der Grundbestand dieses Kapitels sei schon in vorexilischer Zeit entstanden – an 2Kön 23–24 angeglichen habe. HALPERN 1998, 487 weist darauf hin, dass dieser Vorwurf in der chr. Parallele auffälligerweise fehlt. Nach COGAN/TADMOR 1988, 269 hat die Partikel וגםzudem die Funktion einer Klimax, nicht einer normalen Anfügung. 112 Vgl. EYNIKEL 1997, 237. 113 Vgl. zum Problem STAVRAKOPOULOU 2004, 39f. SCHMID 1997, 92f. stellt noch die Parallelen zu Jer 19 heraus. 108
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2. Ergebnisse Die Redaktoren der Königebücher schufen – wie gesehen – ein Netzwerk an Querverbindungen, mit dem sie den Südreichskönig Manasse gegenüber seinen Vorgängern in Juda und Israel besonders negativ zeichnen konnten. Sie verwendeten hierbei eine eigene Idiomatik, die sich an den Vorgaben des Dtn orientiert, aber doch eigenständige Wege beschreitet. Manasse wird in 2Kön 21 als der eigentliche Wendepunkt in der judäischen Geschichte gesehen.114 Manasse hat nicht nur die Kultfrevel seiner israelitischen und judäischen Vorgänger nachgeahmt, sondern diese auch noch vermehrt, wie folgende Beispiele verdeutlichen: 1) Manasse wird zunächst mit dem Südreichkönig Ahas verglichen.115 Die sprachlichen Parallelen zu 2Kön 16,3.11 sind offenkundig: Stärker als Ahas verübte auch Manasse die Gräuel der Völker, die JHWH vertrieben hat.116 Außerdem brachte Manasse Kinderopfer dar und errichtete zusätzliche Altäre. 2) Vor allem mit dem Omriden Ahab, der in v.3 explizit genannt ist, wird Manasse verglichen, wofür zahlreiche wörtliche Übereinstimmungen sprechen.117 Jedoch sind viele Ähnlichkeiten nicht nur auf Ahab beschränkt, so dass lediglich die Fülle an Entsprechungen eine solche Parallelisierung nahe legen kann.
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Nach BLANCO WISSMANN 2008, 172 gilt Manasse wie Jerobeam als „Unheilsherrscher“, der den Untergang Judas verschuldet habe. „Unheilsherrscher“ treten in assyrischbabylonischen Texten in der Gründungsphase (wie Jerobeam) oder auch erst später (wie Manasse) auf. 115 Nach BEN ZVI 1991, 360 ist Ahas der negative Prototyp für Manasse. 116 WÜRTHWEIN 1984, 441 hebt hervor, dass Manasse gemäß der Darstellung von 2Kön 21 in erster Linie die Gräuel der Vorbewohner nachahmte und sogar noch übertraf. Ob er sich auch assyrischen Einflüssen geöffnet hat, wird demgegenüber nicht gesagt. Auch GANE 1997, 30f. bezweifelt, ob Manasse assyrische Kultpraktiken übernehmen musste, da dies in den biblischen Texten eigentlich nicht ausgedrückt wird. LASINE 1993, 165 weist ebenfalls darauf hin, dass über die angebliche Unterwerfung Manasses unter das assyrische Joch nichts in den Texten verlautet. 117 Vgl. SCHNIEDEWIND 1993, 658–660; VAN KEULEN 1996, 146f.; EYNIKEL 1997, 259. Nach WISEMAN 1993, 291 ist Manasse „the Ahab of Judah“. RAINEY 1993, 150f. vermutet, dass diese Parallelisierung darauf zurückgeführt werden kann, dass Manasse wie früher Ahab diplomatische und wirtschaftliche Beziehungen zu den Phöniziern eingegangen ist, was ebenfalls mit einer Vermehrung ausländischer Kultstätten verbunden gewesen sei. Kritisch zu einer vorschnellen Parallelisierung von Manasse mit Ahab jedoch LASINE 1993, 167–173.
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3) Auch zur negativen Beurteilung von Jerobeam I. zeigen sich viele Anklänge in der Beschreibung des Südreichskönigs Manasse.118 Manasse wird folglich noch schlechter gezeichnet als der übelste und schlimmste Nordreichskönig: Wie Jerobeam I. ist Manasse am Untergang des Königreichs schuld. Darüber hinaus hing Manasse offenbar noch mehr der Idolatrie an.119 Die Redaktoren der Königebücher verglichen Manasse aber nicht nur mit anderen Königen des Nord- und Südreichs. Auch zum Zustand Judas unmittelbar nach der Reichstrennung werden Parallelen gezogen. Einige Idiome aus 1Kön 14,21–24 finden sich ebenfalls in 2Kön 21.120 Allerdings hat Manasse – und das ist das eigentlich Verwerfliche – die bereits bestehenden Kultfrevel des Volkes nicht nur staatlich legitimiert, sondern auch noch reichlich übertrieben, indem er es nicht dabei beließ, sondern zusätzlich andere Undinge eingeführt hat. Schließlich sind viele Parallelen zur Erklärung für den Untergang des Nordreichs nach 2Kön 17 zu erkennen.121 Eigentlich hätte Manasse aus dem Schicksal des Nordreichs seine Schlüsse ziehen können, ja müssen. Aber weit gefehlt! Er hat einfach nichts dazu gelernt, sondern die Fehler des Nordreichs sogar noch vervielfacht. Die Redaktoren der Königebücher haben somit die nationale und religiöse Krise des Nord- wie auch des Südreichs geschichtstheologisch erklärt und den jeweiligen Schlüsselerzählungen ihren sprachlichen Stempel aufgedrückt.122 Jedoch gibt es darüber hinaus bestimmte Formulierungen in 2Kön 21, die sich ansonsten nicht in den Königebüchern oder anderswo nachweisen lassen. Hier könnten tatsächlich Spuren von Vergehen zu finden sein, die dem historischen Manasse mitunter angelastet werden könnten. Vielleicht könnten gerade diese Dinge auf eine historisch zuverlässige Quelle zurückgeführt werden, die den Redaktoren der Königebücher bereits vorlag:
118 Vgl. VAN KEULEN 1996, 147f. Jedoch werden eigene Akzente gesetzt, vgl. VAN KEULEN 1996, 153: „Manasseh has been primarily portrayed as a Judean Ahab, and to a far lesser extent as a Judean Jeroboam.“ 119 Vgl. VAN KEULEN 1996, 205. RÜTERSWÖRDEN 2006, 198 betont die Analogie zum Nordreich Israel: „Wer die Sünden des Nordreichs begeht, wird wie das Nordreich untergehen.“ 120 Vgl. hierzu SMELIK 1992, 150. 121 Vgl. LOWERY 1991, 171. HOFFMANN 1980, 157 weist darauf hin, dass 2Kön 21 der „vorweggenommene Kommentar des Dtr zum Untergang Judas“ sei, so dass im Gegensatz zu 2Kön 17 kein erklärendes Nachwort nötig gewesen sei. 122 Aufgrund von inhaltlichen Beobachtungen postuliert OHM 2010, 239–248 eine Gattung „punishment narrative“, die er hinter den Erzählungen von Eli, Saul und Jerobeam wiederfindet. Allerdings muss man dann davon ausgehen, dass der vierte Teil der postulierten Gattung („response/climax“ in v.9) nicht nach dem dritten Teil („reminder/ prophetic intervention“ v.7–8.10–15) folgt.
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1) Der Vorwurf einer Verehrung des Himmelsheeres nach v.5 ist nur hier zu finden und könnte mit dem von den Assyrern vielleicht geforderten, zumindest aber geförderten Kult der Vasallen verbunden werden.123 Als treuer assyrischer Vasall war Manasse wohl an diese Kultpraxis gebunden, um nach der Katastrophe von 701 v.Chr. eine gewisse Loyalität gegenüber den Assyrern zu demonstrieren.124 Zumindest das Königshaus musste sich dem assyrischen Kult öffnen, da im Rahmen des Vasallenvertrags bei JHWH und den assyrischen Göttern geschworen werden musste. 2) Die gegenüber Dtn 18 wesentlich kürzere Aufzählung der mantischen Praktiken in v.6 könnte eine Reminiszenz der tatsächlichen Vergehen Manasses sein. Denn eine Kürzung der Liste durch einen Redaktor, der dem Südreichskönig Manasse möglichst viele Frevel unterschieben möchte, ist wenig wahrscheinlich.125 3) Nach v.9 wird Manasse unterstellt, er habe das Volk zu Gräueln verführt, die diejenigen der Nationen, die JHWH aus dem Verheißungsland vertrieb, noch übertroffen haben. Hier wird eine Idiomatik verwendet, die sich von der Sprache der Redaktoren der Königebücher deutlich unterscheidet. Mitunter könnte folglich dieser Vorwurf einen realen „Sitz im Leben“ haben, zumal er ja auch der These zumindest teilweise widerspricht, dass nur Manasse für den 123
Kritisch zu einer erzwungenen Kultübernahme hingegen WISEMAN 1993, 290: „There is, however, no evidence that the Assyrians forced any vassal to change his religious policy except in so far as he had to acknowledge his overlord’s god as the one who would exact revenge for any infringement of a covenant-treaty“. Vgl. HENTSCHEL 1985, 102; COGAN/TADMOR 1988, 272; GANE 1997, 30f.; FRITZ 1998, 128; DALLEY 2004, 397. Nach FREVEL 1995, 544 habe Manasse die judäische Religion „an die Zeichen der Zeit (Astralisierung und Aufwertung der Göttin)“ angepasst. HENTSCHEL 1985, 102 macht noch darauf aufmerksam, dass der Ausdruck Himmelsheer „in Mesopotamien kein Äquivalent hatte“. Insofern sei nur aufgrund des assyrischen kulturellen Einflusses der kanaanäische Astralkult befördert worden. Anders hingegen WERLITZ 2002, 299: „zumal er sicherlich genötigt war, assyrische Religionspraktiken staatlich zu sanktionieren.“ Ähnlich SCHMIDT 1994, 237: „more pervasive Assyrian religious influence is what we might expect on Judahite religion after Hezekiah’s revolt in Manasseh’s reign“. LEVIN 2008, 161 Anm. 88 hält die Trias Baal-Aschera-Himmelsheer zudem nicht für eine traditionelle kanaanäische Götterliste. Diese sei vielmehr „durch eisegetische Kombination zustande gekommen“. 124 Nach RAINEY 1993, 160f., der 2Chr 33,11–17 für eine historisch auszuwertende Quelle hält, habe Manasse erst ab 648 v.Chr seine Loyalität zu Assur demonstriert, was damit verbunden gewesen wäre, dass er die diplomatischen Beziehungen zu den Phöniziern abgebrochen habe. Auch GANE 1997, 25 hält die Erzählung in 2Chr 33 für historisch plausibel, auch wenn es hierfür keine weiteren Beweise gibt. Ähnlich KELLY 2002, 133– 146. SCHNIEDEWIND 1991, 460f. vermutet, dass die chr. Darstellung der Buße Manasses, die in 2Kön 21 fehlt, auf historische Traditionen zurückgeht. Kritisch zu einer historischen Verwertbarkeit jedoch zu Recht BEN ZVI 1996, 38–41. 125 Anders hingegen BARRICK 2002, 97 Anm. 123: „2 Kgs.21:6a is an ahistorical secondary embellishment“.
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Untergang Judas verantwortlich gewesen sei. Das Volk habe sich vielmehr ebenfalls zu Verfehlungen verführen lassen, wobei allerdings Manasse der eigentliche Auslöser gewesen sei. 4) Schließlich wird in den Königebüchern nur Manasse vorgeworfen, unschuldiges Blut vergossen zu haben. Diese Formel gehört folglich nicht zur formelhaften Abqualifizierung innerhalb der Königslisten, auch wenn andere Könige gegenüber politischen und religiösen Feinden ebenfalls keine Milde walten ließen. Insofern wäre zu überlegen, ob nicht hier ein tatsächliches Vergehen Manasses in den Blick genommen wird. Wahrscheinlich sind hier vor allem die Armen und sozial Schwachen gemeint. Die Versorgung und der Schutz der personae miserae gehört seit jeher zu den besonderen Aufgaben des Herrschers. Demgegenüber scheint die Herrschaft Manasses als besonders gewalttätig verschrien gewesen zu sein. Terror und Unterdrückung könnten politische Handlungsmaximen Manasses gewesen sein, um seine Herrschaft dauerhaft abzusichern. Der Vergleich der in 2Kön 21 verwendeten Lexeme mit dem Dtn und den Königebüchern konnte folglich einige Formulierungen herausarbeiten, die sich von der Diktion des Dtn und der Redaktoren der Königebücher merklich unterscheiden. Hinter diesen wenigen Hinweisen könnten sich Informationen verbergen, die historisch verwertbar sind. Eine einseitige Abwertung des ganzen Kapitels als unhistorisch aufgrund der vielen formelhaften Elemente ist somit nicht notwendigerweise angezeigt.126 Der herausgearbeitete Befund ist nun auch offen für eine Literar- und Redaktionskritik von 2Kön 21, die hier nicht mehr geleistet werden kann. Aus alledem folgt: Die Herrschaft Manasses gilt nach den biblischen Texten als die unglücklichste Epoche des judäischen Königtums. Die Erwählung, die dem Königtum der Davididen und der Stadt Jerusalem zukommt, wird durch die Herrschaft Manasses nachhaltig in Frage gestellt. Zwar hat es schon vor Manasse judäische Könige gegeben, die mit ihren schlechten Taten, der Erwählung durch JHWH nicht gerecht geworden sind, und auch das judäische Volk war nicht immer gesetzesgehorsam, aber unter Manasse ist es endgültig zu einem Bruch im Erwählungsglauben gekommen. Denn Manasse hat selbst im Tempel von Jerusalem, dem Ort, an dem sich JHWH dauerhaft niedergelassen hat, andere Kultformen und Gottheiten eingeführt, offenbar um JHWH zu reizen. Auf diese Weise hat Manasse somit die guten Verheißungsgaben verspielt, auch wenn das Unheil noch nicht sofort unter Manasse eingetreten ist. Die Erwählung wird aber nicht gänzlich revidiert, da sich mit Jojachin und seiner Familie nach 2Kön 25,27–30 die alten Verheißungen in der Zeit nach 126
Anders FRITZ 1998, 128: „Die Liste der Verfehlungen geht dabei nicht auf konkrete historische Maßnahmen zurück, sondern ist allein an den Vorschriften im 5. Buch Mose orientiert.“
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dem Babylonischen Exil erfüllen können, vorausgesetzt, es werden nicht wieder die gleichen Fehler begangen.
3. Nachwort: Zur Ehrenrettung Manasses Die Ursachen für die Abqualifizierung des ansonsten politisch erfolgreichen Königs Manasse werden unterschiedlich erklärt. Manche sehen hinter der biblischen Darstellung einen mehr oder minder zutreffenden historischen Kern, demzufolge Manasse tatsächlich für den Verfall des JHWH-Kultes in Juda verantwortlich gewesen ist.127 Darüber hinaus bot sich Manasse aufgrund seiner langen Regierungszeit, in der die kultischen Frevel Einzug halten konnten, als Negativ-Folie für Joschija besonders an.128 Die negative Abqualifizierung Manasses durch die dtr. Redaktoren schuf einige weitere Probleme:129 Zum einen betont der Verlauf der Geschichte immer wieder die Treue JHWHs zu seinem Bund mit den Davididen. Es wird eigentlich nie darauf verwiesen, dass Kultfrevel in Juda zwangsläufig und unabwendbar zur Katastrophe führen können. Der biblische Glaube an die Erwählung Jerusalems und der Davididen stand folglich auf dem Spiel. Es stellt sich die Frage: Kann die Erwählung aufgrund von Kultfreveln zurückgezogen werden oder ist ein Neuanfang nach erfolgter Strafe wiederum möglich? Zum anderen wird vor allem nur ein Südreichskönig für seine kultischen Vergehen verantwortlich gemacht,130 während im Nordreich alle Könige die Sünde Jerobeams I. wiederholt haben und deshalb die Strafe durchaus berechtigt ist. Es erscheint somit kaum gerechtfertigt, dass ein einzelner König für den Untergang verantwortlich ist, nur weil er sich nicht an seine religiösen und kultischen Verpflichtungen hält. Außerdem ist die göttliche Verheißung eines ewigen Bundes mit der Daviddynastie nach 2Sam 7 eigentlich absolut gegeben und nicht konditioniert worden. Insofern stehen dann auch Manasse und seine Nachfolger unter dieser Bundeszusage. 127
Vgl. VAN KEULEN 1996, 211: „Though the dtr author of Kings may have grossly exaggerated Manasseh’s apostasy and connected him with sins he did not commit, there is no reason to cast doubt on the basic correctness of the general picture the dtr author drew of Manasseh.“ 128 Vgl. HOFFMANN 1980, 166f.; SPIECKERMANN 1982, 161; COGAN/TADMOR 1988, 271; LONG 1991, 249f.; LOWERY 1991, 185; BEN ZVI 1991, 360; SMELIK 1992, 160. Dagegen aber WÜRTHWEIN 1984, 440f., demzufolge ausweislich der Darstellung in 2Kön 21 Manasse nicht die dunkle Folie für das Reformwerk Joschijas sein könne, da sich 2Kön 21 in erster Linie am Dtn orientiere. Auch LASINE 1993, 176 betont, dass „the biblical Manasseh is not only a ‚foil‘ and a ‚antitype‘ to Josiah, but the audience’s scapegoat“. 129 Vgl. SWEENEY 2005, 267f. 130 Nach STAVRAKOPOULOU 2005, 251 wird in 2Kön 17,19–20 Juda bewusst von jeder Verantwortung für sein Schicksal freigesprochen.
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Schließlich finden sich in 2Kön 21 drei unterschiedliche Konzepte, die die religiöse und nationale Katastrophe zu erklären versuchen: Erstens ist Manasse ganz allein für den Untergang Judas verantwortlich,131 zweitens wird das ganze Volk Israel seit der Herausführung aus Ägypten beschuldigt und schließlich drittens hat Manasse Juda zum Bösen verführt.132 Somit kann nicht der religiöse Fehler einer Einzelperson das tragische Schicksal des staatlichen Untergangs ausgelöst haben. Schon 2Kön 21 skizziert unterschiedliche Erklärungsmodelle, die freilich ineinandergreifen können. Unabhängig von den genannten Problemen haben die Redaktoren der Königebücher vor allem den Südreichkönig Manasse für die nationale und religiöse Katastrophe in Verkennung seiner historischen Bedeutung verantwortlich gemacht.133 Logische Unschlüssigkeiten und historische Verzeichnungen spielten offenbar keine große Rolle, sondern wurden der eigenen Aussageabsicht großzügig untergeordnet. Im Gegensatz zu dieser polemischen Missdeutung sollte jedoch der Südreichskönig Manasse endlich für seine Verdienste um den Wiederaufbau Judas nach der Fast-Katastrophe von 701 v.Chr. von den gegen ihn erhobenen Vorwürfen rehabilitiert werden.134 Denn unter der Ägide Manasses gelang es dem Kleinstaat Juda in der ersten Hälfte des 7. Jh. v.Chr., im Rahmen der pax assyriaca wirtschaftlich aufzublühen. Nach dem Verlust der fruchtbaren Schefela an die benachbarten Philisterstaaten konnte man in die judäische Wüste und in den Negev expandieren, wo man Getreide für den Export anbauen konnte.135 Möglicherweise hat zudem nur der Name Manasse zu einer solchen Abqualifizierung geführt. Denn der Name Manasse lässt zwei Dinge assoziieren: Zum einen kann man diesen Eigennamen etymologisch mit der Wurzel נשׁה-D („vergessen machen“) in Verbindung bringen.136 Manasse hätte bewirkt, dass das Volk seine Bundesverpflichtungen gegenüber JHWH vergessen habe. Zum anderen ist Manasse der Name eines nordisraelitischen Stammes. Die Nord-
131 Diese Konzeption ist nach SCHMID 1997, 89f. nicht dtr.: „Daß ein einzelnes Individuum, Manasse, für die nationale Katastrophe verantwortlich sein soll …, fügt sich nur schlecht zum Gedanken einer anhaltenden Schuldgeschichte Israels.“ 132 Vgl. hierzu BLANCO WISSMANN 2008, 172f., der dieses Problem literarkritisch löst. Ähnlich HENTSCHEL 1985, 101f. Zur unterschiedlichen Rolle des Volkes vgl. SMELIK 1992, 160f. 133 GANE 1997, 31f. betont, dass die politischen Entfaltungsmöglichkeiten für Manasse ohnehin nur gering gewesen sind. 134 Vgl. hierzu STAVRAKOPOULOU 2005, 248–259. 135 Vgl. hierzu insgesamt FAUST 2008, 171f. Zu einer Würdigung Manasses vgl. auch FREVEL 2012, 786–789. 136 Vgl. WISEMAN 1993, 290: „he made to forget (the loss of an earlier child).“
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reichspolemik lässt sich demnach bestens auf diesen König versammeln, der bereits einen Nordreichsnamen trägt.137
137 Vgl. hierzu vor allem STAVRAKOPOULOU 2005, 253: „Manasseh is both vilified and blamed for the fall and exile of his kingdom because he bears a Northern name.“
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Die Gesandtschaft Merodach-Baladans und ihre Folgen für die Daviddynastie Die Gesandtschaft Merodach-Baladans
Die Erzählung über die Gesandtschaft Merodach-Baladans an den Hof des judäischen Königs Hiskija am Ende des 8. Jh. v.Chr. wird meist mit dem babylonischen Exil über hundert Jahre später in Verbindung gebracht. Schon unter Hiskija werde somit das Ende der Daviddynastie als Strafe für dessen Hochmut in den Blick genommen. Eine solche Deutung der Erzählung in 2Kön 20 hat mittlerweile fast den Rang einer verlässlichen Arbeitshypothese angenommen und wird kaum noch kritisch hinterfragt. Wie sich unten zeigen wird, sind die Verbindungslinien zum Ende der Königebücher allerdings bei weitem nicht so deutlich, wie dies oft behauptet wird. Insofern soll im Folgenden die These einer Verbindung der Prophezeiung Jesajas zum babylonischen Exil unvoreingenommen auf den Prüfstand kommen, zumal sie oft weitreichende literarhistorische Folgerungen nach sich zieht, die eigentlich auf besser abgesichertem Fundament stehen müssten. Die Tradition der babylonischen Gesandtschaft findet sich in den unterschiedlichsten Quellen, die aber vermutlich in irgendeiner Weise voneinander abhängig sind. So wird diese Tradition in fast identischem Wortlaut sowohl in 2Kön 20,12–19 als auch in Jes 39,1–8 erzählt. Darüber hinaus wird auf diese Erzählung in 2Chr 32,31 kurz angespielt.1 In 2Chr 32,31 ist der Besuch der babylonischen Gesandtschaft allerdings anders als in der Tradition der Königebücher motiviert. Denn hier kommen die babylonischen Unterhändler zu Hiskija, um sich über das Zeichen JHWHs zu erkundigen, das nach 2Kön 20,1–11 in Israel geschehen sei. Der jüdische Historiker Flavius Josephus erweitert schließlich die Erzählung vom Besuch der babylonischen Gesandtschaft und gibt vermutlich den wahren Grund des Besuchs an: Die babylonischen Unterhändler hätten Hiskija nämlich als „Verbündeten“ und „Freund“ gewinnen wollen.2 Zunächst soll der Text dieses kurzen Abschnittes übersetzt werden, bevor dann der geschichtliche Hintergrund, die literarkritische Analyse und die inhaltlichen Aussagen näher in den Blick genommen werden können. Erst 1
Zu den Unterschieden vgl. BRINKMAN 1964, 32. Nach BEENTJES 2010, 20f. haben die Chronikbücher ohnehin kaum Interesse an den Prophetenerzählungen gezeigt, zumal Hiskija als besonders religiöse prophetische Figur gezeichnet werden sollte und aus diesem Grund kein prophetischer Gegenspieler gewünscht wurde. 2 Jos Ant X 2,2 [30]. Vgl. auch BRUEGGEMANN 2000, 525. FRAHM 1997, 105 vermutet, dass die babylonischen Gesandten dem judäischen König ʿUrbu-Söldner vermittelt hätten.
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danach soll der Frage nachgegangen werden, ob 2Kön 20 tatsächlich schon auf das Babylonische Exil anspielt.
1. Zum Text 2Kön 20,12–19 // Jes 39,1–83 12 In jener Zeit sandte Merodach-Baladan4 ben Baladan5, der König von Babel, Briefe und Geschenk an Hiskija. Denn6 er hatte gehört, dass krank gewesen war Hiskija.7 13 Da hörte8 Hiskija auf sie und zeigte ihnen die Gesamtheit9 seines Schatzhauses:10 das Silber und das Gold, die Balsamöle und das feine Öl,11 sowie das Haus12 seiner Waffen und die Gesamtheit dessen, was sich befand in 3
Beide Versionen sind im MT nahezu identisch. Auf die Unterschiede wird jeweils in den Anmerkungen hingewiesen. Schon in der Übersetzung sollen redaktionelle Ergänzungen durch Kursivschrift angedeutet werden. 4 In Jes 39,1 steht richtigerweise Merodach-Baladan anstelle von Berodach-Baladan in 2Kön 20,12. Zu diesem offensichtlichen Schreibfehler vgl. GERHARDS 1999, 8 Anm. 19. Nach BLENKINSOPP 2006, 107 Anm. 1 ist Berodach ein Dysphemismus, mit dem die Gottheit Marduk negativ qualifiziert werden soll. 5 Baladan ist vermutlich die hebräische Wiedergabe von Bel-Iddin, auch wenn hier falsch vokalisiert wurde, vgl. WISEMAN 1993, 288. 6 In Jes 39,1 wird dieser Satz mit wayyiqtol angeschlossen anstelle der Konstruktion כי + qatal. 7 Jes 39,1 lässt den Namen Hiskija unbeachtet und berichtet bereits von der Genesung: ויחזק, wobei eine dem Eigennamen Hiskija ähnliche Wurzel verwendet wird. Vgl. zu diesem Wortspiel RUPRECHT 1990, 41. Nach STROMBERG 2009, 177 musste der Hinweis auf die Genesung hier nachgetragen werden, da in Jes 38,21–22 die Notiz von der Heilung getilgt worden ist. 8 Oft wird וישׁמעzu וישׂמחgeändert, vgl. GRAY 1985, 701; LONG 1991, 241. Die Parallele in Jes 39,2 hat zudem noch וישׂמח. Ähnlich auch Peschitta, Vulgata und LXX zu 2Kön 20,13, so dass es durchaus gewichtige Gründe für eine Lesart וישׂמחgibt. Jedoch passt „ וישׁמעund er hörte“ gut zum Kontext, da Hiskija mit den babylonischen Gesandten offenbar einen Pakt schloss. BEGG 1986b, 339–341 verweist noch auf die inhaltlichen und sprachlichen Parallelen 1Kön 15,16–20 und 2Kön 16,5–9 sowie auf außerbiblische vergleichbare Texte, so dass eine Lesart „ וישׁמעund er hörte“ durchaus nicht ungewöhnlich ist. 9 כלfehlt in Jes 39,2. 10 Die Constructusverbindung בית נכתwird nur hier und in der jesajanischen Parallele verwendet. Diese Verbindung darf wohl mit dem akk. Begriff bīt nakamāti verbunden werden, vgl. hierzu GRAY 1985, 702; FRITZ 1998, 125. 11 Anstelle einer Constructusverbindung hat Jes 39,2 hier eine Attributivverbindung. Nach GRAY 1985, 702 ist hier eine Verbindung zum arabischen Lexem ṭayb „Parfüm“ zu ziehen. 12 In Jes 39,2 steht zusätzlich noch כל. Manchmal wird erwogen, ob בית כליוmit „Weinkeller“ zu übersetzen wäre.
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seinen Schatzkammern. Nicht war eine Sache, die ihnen nicht gezeigt hätte Hiskija in seinem Palast und in der Gesamtheit seines Herrschaftsbereiches. Da kam Jesaja, der Prophet, zum König Hiskija und sagte zu ihm: „Was haben gesagt diese Männer und woher sind sie zu dir gekommen?“ Da sagte Hiskija: „Aus einem fernen Land sind sie gekommen, aus Babel.“ Da sagte er: „Was haben sie gesehen in deinem Haus?“ Und es sagte Hiskija: „Die Gesamtheit dessen, was in meinem Palast (ist), haben sie gesehen. Nicht war eine Sache, die ich ihnen nicht gezeigt hätte in meinen Schatzkammern.“ Da sagte Jesaja zu Hiskija: „Höre das Wort JHWHs13! Siehe, Tage (sind) kommend und man wird die Gesamtheit dessen, was in deinem Palast (ist) und was deine Väter bis zu diesem Tag aufgehäuft haben, nach Babel14 bringen. Nicht wird übrig bleiben eine Sache, spricht JHWH. „Und von deinen Söhnen, die hervorgehen werden von dir, die du zeugen wirst, wird man nehmen. Und sie werden Eunuchen am Palast des Königs von Babel sein.“ Da sagte Hiskija zu Jesaja: „Gut (ist) das Wort JHWHs, das du geredet hast.“ Und er sagte: „Etwa nicht,15 wenn Frieden und Sicherheit in meinen Tagen sind?“
2. Zum geschichtlichen Hintergrund Es handelt sich bei Merodach-Baladan um Marduk-apla-iddina II. von Babylon aus dem chaldäischen Stamm der Bīt-Yakīn, der sich im Zeitraum 721– 710 v.Chr. sowie 704/703 v.Chr. als König von Babylon behaupten konnte.16 Seit der Zeit Tiglat-Pilesers III. war Merodach-Baladan eine ständige Gefahr für das assyrische Reich. Nach dem Tod Salmanassars V. im Jahr 722 v.Chr. konnte Merodach-Baladan sogar den babylonischen Thron übernehmen, was Sargon II., der Nachfolger Salmanassars V., nicht verhindern konnte. Denn im Jahr 720 v.Chr. konnte das assyrische Heer bei Dēr östlich des Tigris eine wichtige Schlacht gegen die Elamiter, die mit Merodach-Baladan verbündet 13
Jes 39,5 hat hier JHWH Zebaot. In Jes 39,6 fehlt he locale. 15 Statt הלוא אםsetzt Jes 39,8 hier כי. Die Konstruktion mit הלוא אםist selten belegt, vgl. Gen 4,7; 1Sam 15,17; 2Kön 20,19; Jes 28,25. GRAY 1985, 703 vermutet hingegen eine korrupte Lesart, die zwei verschiedene Lesungen zusammengebracht habe: הלוא שׁלום יהיה bzw. אם שׁלום יהיה. 16 Zu Merodach-Baladan vgl. BRINKMAN 1964, 12–27; LEVINE 1982, 29–40; LEICK 2010, 117. Der Stamm Bīt-Yakīn siedelte im Gebiet südlich und südwestlich der Großen Lagune, vgl. DIETRICH 1970, 10. 14
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waren, nicht gewinnen. Vermutlich ist die Schlacht unentschieden ausgegangen, da sich nämlich alle drei Seiten des Sieges gerühmt haben.17 Obwohl Merodach-Baladan mit seinen Truppen zu spät zur Schlacht von Dēr kam,18 war er der eigentliche Nutznießer dieser Schlacht, da er sich zehn Jahre lang in Babylon an der Macht halten konnte. Erst im Jahr 710 v.Chr. stellte Sargon II. die assyrische Herrschaft über Babylon wieder her, nachdem Merodach-Baladan eine Schlacht gegen das assyrische Heer bei Dūr-Atḫara verloren hatte. Nur durch Flucht in das Grenzgebiet zwischen Babylonien und Elam konnte Merodach-Baladan seinen Hals aus der Schlinge ziehen.19 Danach zog Merodach-Baladan wiederum neue Truppen zusammen und befestigte die alte Hauptstadt von Dūr-Yakīn mit verstärkter Stadtmauer und tiefem Graben. Im Jahr 709 v.Chr. zerstörte die assyrische Armee allerdings die chaldäische Hauptstadt mit Feuer und verwüstete das Land. Bei den Kampfhandlungen scheint auch Merodach-Baladan verwundet worden zu sein. Er konnte sich aber wieder dem assyrischen Zugriff durch Flucht entziehen.20 Sargon II. begründete die assyrische Invasion in Babylon zum einen mit einem Befehl Marduks, der den Assyrerkönig zuvor gegen Merodach-Baladan beauftragt hatte, zum anderen mit der Einstellung der Tribute durch den renitenten Chaldäerscheich. Nach assyrischen Theologen hat Sargon II. jedoch das im Jahr 720 v.Chr. geschlossene Bündnis mit Merodach-Baladan bewusst gebrochen.21 Dies rief nach Deutung der assyrischen Theologen den Zorn der Götter hervor, so dass Sargon II. bereits fünf Jahre später in der Schlacht gegen den eher unbedeutenden Kulummäerherrscher Gurdi im anatolischen Tabal fallen musste. Im Jahr 704 v.Chr. konnte sich Merodach-Baladan wiederum für neun Monate auf dem babylonischen Thron halten, wurde aber von Sanherib abgesetzt und durch die proassyrische Marionette Bēl-Ibni ersetzt.22 Im Jahr 700 v.Chr. führte Sanherib schließlich einen weiteren Feldzug gegen Bīt-Yakīn, dem Chaldäerstamm Merodach-Baladans. Der vierte Feldzug Sanheribs führte dementsprechend nicht gegen Babylon, sondern eigentlich gegen Merodach-Baladan, den Erzfeind Assurs, der immer wieder die Unruhen in Babylon zum eigenen Vorteil ausgenutzt hatte und unbedingt ausgeschaltet werden musste, wenn man die Macht in Babylon dauerhaft sichern wollte.23 Wiede17
Vgl. HUTTER 1982, 70; VEENHOF 2001, 255. Vgl. BRINKMAN 1964, 13; GLASSNER 2004, 194f. (Babylonische Chronik I i:33–37). 19 Vgl. BRINKMAN 1964, 19f. Vgl. GRAYSON 1975, 75; GLASSNER 2004, 196f. (Babylonische Chronik I ii:1–4). 20 BRINKMAN 1964, 21. Vgl. GLASSNER 2004, 196f. (Babylonische Chronik I ii:20–23 mit Rekonstruktion aus den Annalen Sanheribs). 21 Vgl. PARPOLA 1989, 48f. 22 Vgl. GLASSNER 2004, 196f. (Babylonische Chronik I ii:22). 23 Vgl. BRINKMAN 1964, 26f.; VOGT 1986, 70f.; FRAHM 1997, 11. Nach LEVINE 1982, 40f. richtete sich der vierte Feldzug gegen Šūzubu/Mušēzib-Marduk und Merodach18
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rum musste Merodach-Baladan zusammen mit seinen Göttern und den Gebeinen seiner Vorgänger über die Große Lagune ins nördliche Meerland im Südosten Elams fliehen.24 Seinen Herrschaftssitz schlug Merodach-Baladan in Nagītu auf, einem auf einer (Halb)Insel gelegenen Ort am Nordufer der Großen Lagune.25 Merodach-Baladan starb wahrscheinlich zwischen 700 und 694 v.Chr. in Elam, da von ihm keine Rede mehr ist bei der von Sanherib im Jahr 694 v.Chr. durchgeführten Strafaktion gegen denjenigen elamitischen Landesteil, in den Merodach-Baladan zuvor geflohen war.26 Für den Besuch der babylonischen Gesandten kommen somit nur zwei Zeitfenster in Frage, in denen Merodach-Baladan tatsächlich „König von Babel“ gewesen ist: nämlich 721–710 v.Chr. und 704/703 v.Chr. Ob freilich die Bezeichnung „König von Babel“ den tatsächlichen politischen Gegebenheiten entsprochen hat und folglich die Gesandtschaft nur in den beiden genannten Zeiträumen stattgefunden haben kann, ist nicht gesichert, da sich Merodach-Baladan wohl zeitlebens als der eigentliche König von Babylon gefühlt und bezeichnet hat.27 Trotz dieser allgemeinen Bedenken sollen im Folgenden nur die beiden Zeitfenster, in denen Merodach-Baladan tatsächlich König gewesen ist, in den Blick genommen werden. Der zweite Zeitraum war vermutlich zu kurz, als dass sich MerodachBaladan mit so entfernten Koalitionären wie Juda hätte verständigen können.28 Insofern soll der erste Zeitraum näher betrachtet werden, vor allem unter dem Blickwinkel, wann eine babylonische Gesandtschaft möglich gewesen wäre. Um 714–711 v.Chr. fand der Aufstand des Azuri von Aschdod statt, der die umgebenden Herrscher zu einer antiassyrischen Koalition gewinnen wollte. Vielleicht sind die drei Jahre, in der nach Jes 20,1–6 der Prophet Jesaja vor einem Bündnis mit den Nubiern gewarnt hat, auf den Ausbruch des
Baladan. Beide flüchteten nach Elam und waren so dem direkten Zugriff Sanheribs entzogen. Sanherib hatte zwar die Kontrolle über Babylonien gewonnen, aber beide Widersacher warteten in Sicherheit auf eine künftige Möglichkeit zur erneuten Machtübernahme. 24 Vgl. DIETRICH 1970, 10. 25 Vgl. DIETRICH 1970, 10; MAYER 1995b, 313. 26 Vgl. zum Ende von Merodach-Baladan BRINKMAN 1964, 27; MAYER 1995a, 363f.; BLENKINSOPP 2006, 116. FRAHM 1997, 14f. Anm. 54 weist darauf hin, dass die NebiYunus-Inschrift 10–11 auf den Tod Merodach-Baladans im Exil anspielen könnte. 27 Vgl. zum Problem MAYER 1995b, 307 Anm. 12. 28 Nach WISEMAN 1993, 288 habe hingegen die Gesandtschaft 703/702 v.Chr. stattgefunden. Ähnlich auch BRINKMAN 1964, 33; VON SODEN 1972, 46; ACKROYD 1974, 331; WÜRTHWEIN 1984, 436; HENTSCHEL 1985, 100; CAMP 1990, 243.288; GALLAGHER 1999, 271; VEENHOF 2001, 265; NAʾAMAN 2005, 108; BLENKINSOPP 2006, 116. Nach LAATO 1988, 249 habe Merodach-Baladan hingegen bereits im Zeitraum 705/704 v.Chr. Kontakt mit Hiskija aufgenommen. HALLO 1999, 37 schlägt sogar das große Zeitfenster 705–702 v.Chr. für die babylonische Gesandtschaft vor.
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Aschdod-Aufstandes zu beziehen.29 Allerdings ist eine genaue Datierung dieser Revolte ausweislich der vorhandenen Quellen nicht mehr möglich. Das Jahr 720 v.Chr. ist jedenfalls der früheste Zeitpunkt für den Aufstand des Azuri von Aschdod, da Sargon II. zuvor in der Levante nicht handlungsfähig gewesen ist.30 In den assyrischen Annalen werden die Ereignisse des Aschdod-Aufstandes zwar allesamt in das Jahr 711 v.Chr. gelegt, sie haben sich jedoch bestimmt über einen längeren Zeitraum hingestreckt,31 so dass das Zeitfenster 714–711 v.Chr. durchaus plausibel ist. Azuri, der Herrscher von Aschdod, wurde alsbald auf assyrische Intervention durch dessen Lieblingsbruder Aḫimeti ausgetauscht. Jedoch ersetzten die Bürger von Aschdod daraufhin den assyrischen Vasallen Aḫimeti durch einen gewissen Yamani. Danach befestigten sie Aschdod mit einem ungefähr 9 m tiefen Graben32 und sandten Briefe an die umgebenden Herrscher mit dem erneuten Ziel einer antiassyrischen Koalition: „Den Königen der Länder Pilište, Jaʾudi, Udumu (und) Mābi, (so wie auch denen), die das Meer(esufer) bewohnen, die (allesamt) Assur, meinem Herrn, tribut- [und] abgabepflichtig waren, (Briefe voller) Lügengeschwätz und hochverräterischem Gered, dazu gedacht, (sie) mir zum Feind zu machen. Zu Pirʾū, dem König von Muṣri, einem Fürsten, der sie (doch) unmöglich hätte retten können, trugen sie ihr Geschenk und baten 33 ihn wiederholt um Unterstützung.“
Der Usurpator Yamani versuchte somit, für seine politischen Ziele einen der Herrscher des Nildeltas, entweder Osorkon IV. oder Bokchoris, zu gewinnen.34 Das Hilfegesuch Aschdods an Ägypten weist zumindest darauf hin, dass die Ereignisse nach dem Jahr 715 v.Chr. datiert werden müssen, da Ägypten mindestens bis zu diesem Zeitpunkt freundschaftliche Beziehungen zu Assur gepflegt und Tribut gezahlt hat.35 Erst durch das Eingreifen der assyrischen Großmacht im Jahr 711 v.Chr. konnte der Aschdod-Aufstand niedergeworfen werden. Als Yamani erfuhr, dass das assyrische Heer anrück29
Vgl. HUTTER 1982, 72. Vgl. FUCHS 1998, 124. Nach VEENHOF 2001, 257 brach der Aschdod-Aufstand hingegen erst im Jahr 714 v.Chr. aus. 31 Vgl. ROBERTS 2003, 273–275. Zur Datierung der Niederwerfung des AschodAufstandes in das Jahr 711 v.Chr. vgl. SCHIPPER 1999, 202. 32 FUCHS 1998, 73: „20 Ellen [gruben sie] in die Tiefe, bis sie das Grundwasser erreichten.“ Auf dem Relief von Ḫorṣābād 6-L sind Details der Stadt Aschdod zu erkennen, wie sie der archäologische und literarische Befund erwarten lässt, vgl. FRANKLIN 2001, 271f. 33 SARGON, Annalen VII.b 25–33; FUCHS 1998, 73f. 34 Vgl. zu den Ereignissen des Aschdod-Aufstandes HUTTER 1982, 71–73; GALIL 1992, 62f.; FUCHS 1998, 124–131; YURCO 1991, 37f.; FRANKLIN 2001, 260; BLAKELY/HARDIN 2002, 51; NAʾAMAN 2005, 102f.; ROBERTS 2003, 273f. Zum Ninive-Prisma, das die Ereignisse in Aschdod beschreibt, vgl. auch YOUNGER 2003, 240f. 35 Vgl. hierzu FUCHS 1998, 131. 30
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te, floh er umgehend nach Ägypten, wo er angeblich wie ein Dieb lebte, bevor er im Jahr 706 v.Chr. vom kuschitischen Pharao Schebitku, der zuvor die Herrschaft im Nil-Delta übernommen hatte, an Assur ausgeliefert wurde.36 Der Herrschaftswechsel in Ägypten war vermutlich der Grund dafür, dass Yamani schließlich an Sargon II. ausgehändigt wurde. Die assyrische Operation gegen Aschdod wurde nach Jes 20,1 offenbar nicht vom Großkönig selbst, sondern lediglich vom Tartan, dem militärischen Oberbefehlshaber, durchgeführt, ohne dass der assyrische Großkönig beteiligt gewesen war. Der Aschdod-Aufstand scheint folglich nur ein lokal begrenzter Konflikt gewesen zu sein, der die Anwesenheit des Großkönigs nicht erforderlich machte.37 Dem assyrischen Gegenschlag fielen die Städte Aschdod, Aschdod-Jam und Gat zum Opfer. Das Massenbegräbnis mit zahlreichen enthaupteten Menschen in Aschdod38 deutet auf die Brutalität des assyrischen Gegenschlages hin. Trotz des begrenzten Umfangs des Aschdod-Aufstands sprechen die realpolitischen Gegebenheiten durchaus für eine babylonische Gesandtschaft zu dieser Zeit, auch wenn es wahrscheinlich zu keinem Bündnis gekommen ist. Immerhin könnte Merodach-Baladan ein solches angestrebt haben, um seine Position in Babylon zu stärken. Aufstände an der Westflanke des assyrischen Großreiches waren sicherlich im Interesse Merodach-Baladans, zumal er dann in Südbabylonien unkontrolliert agieren konnte. Wenn die assyrischen Vasallen im Westen für eine Rebellion zu gewinnen wären, dann würde das zwangsläufig zu einer Zersplitterung der militärischen Kräfte des assyrischen Heeres und zu strategischen Vorteilen für die Babylonier im Südosten führen. Schon aus diesem Grund war Merodach-Baladan sicherlich an einem groß angelegten Aufstand im Westen interessiert. Ob sich Hiskija dem Aschdod-Aufstand angeschlossen hat, ist indes nicht bekannt. Da Juda zu diesem Zeitpunkt von assyrischen Vergeltungsmaßnahmen verschont blieb, könnte Hiskija höchstens mit der neuen Aufstandsbewegung kurzzeitig sympathisiert haben. Zu einer aktiven Beteiligung ist es jedoch nicht gekommen. Hierauf weist auch der Nimrud-Brief ND 2765 hin, der eine Tributabgabe von Juda vermutlich im Jahr 712 v.Chr. belegt.39 Offenbar hat sich Ägypten ebenfalls nicht an der angestrebten antiassyrischen Koalition, die aus Philistäa, Juda, Edom und Moab bestehen sollte, beteiligen wollen, worauf das Ninive-Prisma hindeutet.40 Für eine antiassyrische Koali36
Vgl. SCHIPPER 1999, 202. Diese Datierung wird durch die neue Inschrift von Tang-i Var eindrucksvoll bestätigt. 37 Ähnlich BLAKELY/HARDIN 2002, 51. 38 Vgl. YOUNGER 2003, 242. 39 Vgl. HUTTER 1982, 74. Nach WÜRTHWEIN 1984, 404 zog sich Hiskija jedenfalls rechtzeitig aus der antiassyrischen Koalition zurück. Vgl. hierzu WILDBERGER 1979, 291; VOGT 1986, 31; CAMP 1990, 288; MITTMANN 2002, 91; ACHENBACH 2002, 38. 40 Ninive-Prisma VII B 25’–33’, vgl. MITTMANN 2002, 95 Anm. 13.
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tion gibt es abgesehen von dem Hilfegesuch Aschdods an die umliegenden Staaten ohnehin keinen weiteren Hinweis. Assyrische Gesandte haben wohl bei der Einforderung des Tributs die einzelnen Vasallenstaaten auf friedliche Weise vor einem Aufstand gewarnt und mit einem kriegerischen Eingreifen gedroht.41 Die ohnehin schwer zu datierende Azeka-Inschrift kann darüber hinaus ebenfalls nicht als Beleg für ein solches Bündnis verwendet werden. Wenn Hiskija nach der Azeka-Inschrift eine philistäische Königsstadt erobert hat, dann fällt er sicherlich als Bündnispartner für Aschdod aus.42 Da Aschdod zudem nach der Azeka-Inschrift bereits assyrische Provinz zu sein scheint, was allerdings erst nach 711 v.Chr. der Fall gewesen ist, ist eine Datierung der Azeka-Inschrift in die Zeit des Aschdod-Aufstandes ohnehin ausgeschlossen.43 Abgesehen davon gibt es nur einen einzigen schwachen Hinweis für ein kriegerisches Eingreifen Sargons II. gegen den Kleinstaat Juda. Lediglich in der Nimrud-Inschrift rühmt sich der assyrische Großkönig, dass er Juda unterworfen habe. Sargon II. wird hier als mušakniš māt Yaudu ša ašaršu rūqu „Unterjocher des Landes Juda, das fern gelegen ist“ bezeichnet. Diese Inschrift ist bereits in die Zeit 717/716 v.Chr. zu datieren, so dass das Eingreifen Sargons II. gegen Juda folglich mit dem Feldzug im Jahr 720 v.Chr. verbunden werden muss.44 Das Verbum kanāšu-Š muss sich darüber hinaus nicht notwendigerweise auf einen Militärschlag beziehen, es drückt vielmehr meist schon das Aufzwingen der assyrischen Oberherrschaft über einen Vasallenstaat aus.45 Beim Feldzug gegen Medien, wo ebenfalls kanāšu-Š verwendet wird, ist allerdings mit einigen militärischen Aktionen zu rechnen, so dass das assyrische Heer im Jahr 720 v.Chr. durchaus gewaltsam den Tribut von Juda eingefordert haben könnte.46 Da jedoch alle anderen umgebenden Königreiche im Krieg mit Assur lagen, konnte selbst ein tributwilliges Südreich 41
Eine ähnliche Politik ist im Nimrud-Brief ND 2632 aus dem Jahr 731 v.Chr. und in Jos Ant IX 13,3 [275] belegt, vgl. HUTTER 1982, 74. 42 Vgl. FRAHM 1997, 231. MIANO 2007, 127f. sieht hingegen in Jes 20,1–6 einen Hinweis auf ein Bündnis Judas mit Aschdod. Nach GALIL 1992, 62 habe sich Hiskija am Aschdod-Aufstand beteiligt, sei aber aufgrund der 20jährigen Vasallentreue nur minimal bestraft worden. 43 Allerdings ist die Lesart ina birīt Ašrīya in der Azeka-Inschrift nach FRAHM 1997, 232 unsicher. 44 Vgl. NAʾAMAN 1974, 32; FRAHM 1997, 231; YOUNGER 2003, 237f.; ROBERTS 2003, 270. Dagegen aber BECKING 2003, 57f., der einen assyrischen Feldzug im Jahr 715 v.Chr. vermutet. Ähnlich auch GOLDBERG 1999, 369–374, der diesen Militärschlag im Zusammenhang mit der Niederwerfung des Aschdod-Aufstandes sieht. 45 Vgl. BECKING 1992, 55; SWEENEY 1994, 467f.; BLAKELY/HARDIN 2002, 51 Anm. 18. 46 Vgl. zum Problem YOUNGER 1996, 108–110. Irgendwie hat Sargon II. im Jahr 720 v.Chr. die Vasallität des Südreichs erzwungen. Hierauf könnte sich auch Jes 10,27–32 beziehen.
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Juda in dieser turbulenten Zeit nur unter erschwerten Bedingungen die fälligen Abgaben abliefern. Durch seinen Feldzug hat Sargon II. jedenfalls seine militärische Stärke nachdrücklich unter Beweis gestellt und jeglichen Widerstandswillen in Juda unterdrückt.47 Durch starkes militärisches Auftreten hat man offenbar beim Vasallen Juda die Tributabgabe eingefordert und schließlich einkassiert.48 Viel Zeit für eine militärische Aktion gegen Juda verblieb ohnehin nicht. Denn Sargon musste schnell von Samaria nach Süden marschieren, um den Aufstand des Hanun von Gaza niederzuwerfen. Hierbei konnte er es sich nicht leisten, von einem feindlichen Juda im Rücken angegriffen zu werden. Insofern musste er schon aus strategischen Gründen Juda wiederum in die Vasallität zwingen.49 Wie dies geschehen ist, kann nicht mehr sicher bestimmt werden. Die militärischen Operationen werden sich aber aufgrund der Zeitnot in Grenzen gehalten haben. Bereits im Jahr 720 v.Chr. hat Juda jedenfalls die Militärmacht Assurs gespürt, was sechs Jahre später etwaigen antiassyrischen Aufstandsbestrebungen während des Aschdod-Aufstandes eine klare Warnung gewesen ist. Für eine Datierung der babylonischen Mission in den Zeitraum 714/713 v.Chr. sprechen auch die biblischen Angaben. Gemäß der biblischen Chronologie ist die Krankheit Hiskijas und die Gesandtschaft Merodach-Baladans nach 2Kön 18,13 in das 14. Jahr Hiskijas zu datieren, zumal beide Erzählungen mit diesem Zeitpunkt über eine entsprechende Zeitangabe verbunden werden. Infolgedessen könnte man die Gesandtschaft durchaus in den Zeitraum 714/713 v.Chr. verorten.50 Die Schlussposition der Erzählung von der babylonischen Gesandtschaft wird meist als Anspielung auf das babylonische Exil verstanden.51 Trotz erfolgter Rettung Jerusalems und Judas drohe somit bei verfehlter Bündnispolitik schon bald eine Exilierung. Dementsprechend verdanke sich die jetzige Anordnung der Erzählungen vor allem inhaltlichen Erwägungen. Eine zuverlässige Chronologie ist folglich kaum zu erwarten. Denn chronologisch müssen Krankheit, Genesung und antiassyrische Konspiration in 2Kön 20 eigentlich vor dem Feldzug Sanheribs in 2Kön 18–19 angesetzt werden. Der Hinweis auf eine zukünftige Errettung Jerusalems aus der Hand des assyrischen Großkönigs in 2Kön 20,6 weist zusätzlich darauf hin, dass die richtige Erzählreihenfolge aufgegeben worden ist, zumal die assyrische Gefahr bereits nach 2Kön 18–19 gebannt und damit der Hinweis einer Rettung der Stadt 47
Vgl. SWEENEY 1994, 463–469; YOUNGER 2003, 238. Vgl. ROBERTS 2003, 271. 49 Vgl. SWEENEY 1994, 465. 50 Vgl. VOGT 1986, 29. Ähnlich BECKING 2003, 56, der die babylonische Gesandtschaft in den Zeitraum 715/714 v.Chr. datiert. Nach WÜRTHWEIN 1984, 407 ist die Datierung in 2Kön 18,13 allerdings eine künstliche Bildung, so dass man in historischer Hinsicht diese Angabe nicht überstrapazieren darf. 51 Vgl. LIWAK 1986, 157; WÜRTHWEIN 1984, 437. 48
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nicht mehr nötig ist.52 Ein früherer Zeitpunkt für die babylonische Gesandtschaft ist auch insofern angezeigt, als Hiskija seine Schätze nach dem dritten Feldzug Sanheribs weitgehend verloren haben wird.53 Nach 701 v.Chr. hatte Hiskija nämlich kaum noch Nennenswertes vorzuweisen. Außerdem müssen beide Ereignisse von 2Kön 20 chronologisch vor dem dritten Feldzug geschehen sein, da nach 2Kön 20,6 die assyrische Invasion offenbar noch bevorsteht. Wenn die Krankheit und Genesung sowie die babylonische Gesandtschaft historisch bereits um 714/713 v.Chr. stattgefunden haben, dann ist die tatsächliche Chronologie in der biblischen Darstellung durcheinander geraten.54 Denn der eigentliche Aufstand des Hiskija wurde im dritten Jahr Sanheribs, also im Jahr 701 v.Chr., niedergeschlagen. Vermutlich sind die Daten synchronisiert worden, so dass der Eindruck der Gleichzeitigkeit zwischen der Bedrängung Jerusalems durch Sanherib, der Krankheit Hiskijas und der Gesandschaft Merodach-Baladans entstehen konnte. Erst als die Erzählung von der Rettung Jerusalems in 2Kön 18–19 mit 2Kön 20 verbunden war, ergaben sich Schwierigkeiten in der chronologischen Verortung der einzelnen Ereignisse. Insofern müsste man dann konsequenterweise auch den dritten Feldzug bereits in das 14. Jahr Hiskijas datieren, was freilich kaum möglich ist.55 Da man nach der biblischen Darstellung alle Ereignisse von 2Kön 18–20 in das 14. Jahr Hiskijas verortet hat, ergab sich ein Widerspruch zu den historischen Ereignissen. Denn der Feldzug Sanheribs ist ausweislich außerbiblischer Quellen sicher ins Jahr 701 v.Chr. zu verorten. Das 14. Regierungsjahr musste der biblische Redaktor jedoch betonen, da er an der Zuverlässigkeit des JHWH-Wortes aus 2Kön 20,1–11 festhalten wollte. Möglicherweise sollten die entscheidenden Ereignisse in die Mitte der Regierungszeit Hiskijas gelegt werden, damit dem frommen König für seine religiösen Verdienste nicht nur wenige weitere Jahre beschieden sind. Insofern ist alles entgegen den historischen Ereignissen in das Jahr 714/713 v.Chr. verlegt worden, in dem bestenfalls die babylonische Gesandtschaft nach Juda kam. Hinzu kommt aber noch folgendes Problem: Die 14 Jahre aus 2Kön 18,13 lassen sich außerdem aus der Jesajalegende 2Kön 20,1–11 mit der Zusage von 15 weiteren Lebensjahren und der Regierungszeit Hiskijas von 29 Jahren in 2Kön 18,2 künstlich errechnen,56 so dass es den Anschein hat, dass alle 52 Nach LONG 1991, 191 lässt die Anordnung der einzelnen Hiskijaerzählungen in das 14. Regierungsjahr parataktischen Kompositionsstil vermuten, ohne dass damit die genaue Abfolge der Ereignisse angegeben werden soll. 53 Vgl. hierzu WISEMAN 1993, 288; MAYER 1995b, 307; BLENKINSOPP 2006, 115. 54 Nach CHALUPA 2006, 99 ist eine Abweichung in der Chronologie häufig zu beobachten. 55 Vgl. hierzu auch HUTTER 1995, 170. 56 Vgl. HENTSCHEL 1985, 86. Deshalb sind die 15 weiteren Lebensjahre im Anschluss an die Genesung Hiskijas nicht „eine lange und erfüllte Zeit des Lebens“, wie dies HECKL 2008, 166 vermutet. Das chronologische System, das in 2Kön 18,2 mit 29 Regierungsjah-
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chronologischen Angaben in 2Kön 18–20 mittels fleißiger Schreibtischarbeit gebildet worden sind. Vielleicht hat der Redaktor die chronologische Angabe des 14. Regierungsjahres auch lediglich aus dem JHWH-Wort einer Zusicherung von weiteren 15 Lebensjahren für Hiskija gewonnen. Trotzdem kam er damit in eine Zeit, in der die babylonische Gesandtschaft durchaus plausibel ist. Hier kommt man über Vermutungen kaum noch hinaus. Da somit alle drei Erzählungen in 2Kön 18–20 künstlich verbunden und in das gleiche Jahr datiert worden sind, ist eine historische Auswertung dieser Angaben kaum noch möglich. Sicher ist lediglich, dass eine Kontaktaufnahme MerodachBaladans mit Hiskija nur vor dem dritten Feldzug Sanheribs möglich ist. Infolgedessen müssen die Ereignisse von 2Kön 20 vor dem dritten Feldzug Sanheribs geschehen sein. Die redaktionelle Datierung in das 14. Jahr Hiskijas ist insofern historisch sinnvoll, als in dieser Zeit Merodach-Baladan tatsächlich König von Babylon war und der Aschdod-Aufstand der ideale Anlass für eine antiassyrische Koalition im Westen mit Unterstützung Babylons gewesen wäre. Eine solche zeitliche Verortung war folglich keine schlechte Wahl des Redaktors. Es stellt sich darüber hinaus die Frage, ob es historisch überhaupt zu einem Bündnis mit Merodach-Baladan gekommen ist, da von einer Kooperation zwischen Babylon und Juda ansonsten nie die Rede ist. Falls Hiskija auf die babylonische Armee als Verbündete hoffte, wäre er ohnehin schlecht beraten gewesen. Die militärische Stärke Merodach-Baladans war nachweislich begrenzt. Nur im Jahr 712 v.Chr. führte er einen Feldzug gegen einen fragmentarisch erhaltenen Gegner Bīt-[...]-ri, dessen Land er verwüstet haben will.57 Für ein militärisches Bündnis war Merodach-Baladan demnach ein eher schwacher und unzuverlässiger Partner. Ob es unter solchen Vorzeichen jemals zu einer judäisch-babylonischen Koalition gekommen ist, ist sehr fraglich. Die Kritik Jesajas ist demnach durchaus berechtigt und verständlich.
3. Zur Literarkritik Die Erzählung ist in zwei Teile gegliedert: zum einen in den Bericht von der babylonischen Gesandtschaft in v.12–13, zum anderen in den Dialog zwischen Hiskija und Jesaja in v.14–19, der wiederum in drei Redegängen entfaltet wird,58 wobei Jesaja der eigentlich agierende Sprecher ist, während Hiskija nur auf die Anfragen Jesajas reagiert. ren rechnet, muss nämlich zwangsläufig nach 14 Jahren eine weitere Lebensspanne von 15 Jahren ansetzen, um die 29 Jahre zu erhalten. 57 Vgl. BRINKMAN 1964, 18. Vgl. GRAYSON 1975, 75; GLASSNER 2004, 196f. (Babylonische Chronik I i:43–44). 58 Vgl. zur Form SWEENEY 2007, 423.
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Auf der Ebene des Endtextes schickte der Chaldäer Merodach-Baladan eine diplomatische Delegation nach Juda, nachdem er von der Krankheit Hiskijas gehört hatte. Durch den Hinweis auf die Krankheit Hiskijas und durch die Zeitangabe „in jener Zeit“ wird die Erzählung redaktionell geschickt mit dem Vorausgehenden in 2Kön 20,1–11 verbunden.59 Eine solche Zeitangabe steht meist an Wendepunkten einer Erzählung und bezieht sich immer auf eine zuvor genannte chronologische Angabe, die im vorliegenden Fall eigentlich nur in 2Kön 18,13 zu finden ist.60 Wahrscheinlich sind in 2Kön 20 zwei ursprünglich selbständige Erzählungen durch den Hinweis auf die Krankheit Hiskijas aneinandergereiht61 und mit den Ereignissen des Aufstandes gegen Sanherib verbunden worden. Weder ist Hiskija im Folgenden krank, noch deutet der weitere Erzählverlauf auf einen Krankenbesuch der babylonischen Delegation hin. Somit sind 12b und die eröffnende Zeitangabe sekundär eingefügt worden, um beide Erzählungen miteinander zu verbinden.62 Zumindest auf redaktioneller Ebene findet die babylonische Gesandtschaft ebenfalls im 14. Jahr Hiskijas statt.63 Dies ist – wie gesehen – historisch durchaus plausibel. Der Abschnitt über die Gesandtschaft Merodach-Baladans scheint – abgesehen von der zeitlichen Einordnung – literarkritisch ebenfalls nicht einheitlich zu sein, wofür verschiedene Beobachtungen sprechen. So ist die unterschiedliche Wertung Babylons zumindest auffällig: Zum einen werden die babylonischen Gesandten als Freunde geschildert, über deren Besuch sich der genesene Hiskija besonders freut. Zum anderen betont das Drohwort, dass Babylon als Feind alle Schätze Hiskijas abtransportieren lässt. Manchmal wird daher vermutet, dass die babylonfreundliche Erzählung gute Beziehun-
59 Vgl. hierzu ACKROYD 1974, 331; SCHOORS 1998, 31. Durch diese redaktionelle Verbindung ändert sich nach HENTSCHEL 1985, 99 die Intention der Erzählung: „Die babylonischen Gesandten kamen nicht mehr nach Jerusalem, um sich ein Bild über die Stärke des verbündeten Juda zu verschaffen, sondern um den kranken König zu besuchen.“ Nach HÖFFKEN 1998b, 245 Anm. 9 ist „in dieser Zeit“ vermutlich ein sekundärer Zusatz. 60 Vgl. MIANO 2007, 118. Nach COGAN/TADMOR 2008, 228 bezieht sich die Zeitangabe 2Kön 18,13 auf die Krankheit Hiskijas und die babylonische Gesandtschaft, die in der Tat im 14. Regierungsjahr Hiskijas – wie gesehen – stattgefunden haben könnte. 61 Vgl. CAMP 1990, 242. Zur Verbindung mit dem Vorausgegangenen vgl. HUTTER 1982, 17f. 62 Nach GRAY 1985, 702 wurde der כי-Satz redaktionell nachgetragen, um diese Erzählung an den Vorausgehenden anzubinden. 63 Nur auf diese Weise kann die in 2Kön 20,1–11 gewährte Zusage von 15 weiteren Lebensjahren bei einer Regentschaft von 29 Jahren verständlich sein. 2Kön 20,1–11 fand somit im 14. Regierungsjahr Hiskijas statt. Aufgrund der Zeitangabe „in jener Zeit“ muss demnach auch 2Kön 20,12–19 im 14. Regierungsjahr stattgefunden haben. NAʾAMAN 2005, 100f. weist darauf hin, dass die chronologische Angabe in 2Kön 18,13 kaum ursprünglich die beiden Erzählungen von 2Kön 20 eröffnet habe.
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gen zwischen Juda und Babylon voraussetze,64 während das Drohwort erst aus der Erfahrung des Babylonischen Exils heraus verständlich wäre. Allerdings verwendet das JHWH-Wort Jesajas die babylonische Gesandtschaft als Steilvorlage, so dass die beiden unterschiedlichen Betrachtungsweisen durchaus einander bedürfen. Da die Erzählung von der Gesandtschaft und das daraus logisch folgende JHWH-Wort über das Stichwort Babylon verbunden sind, wird auch nicht in der ursprünglichen Fassung Assur als Ziel für die abtransportierten Schätze gestanden haben.65 Hier geht es um einen gefährlichen Bündnisversuch mit Babylon, der durch das JHWH-Wort Jesajas scharf kritisiert wird. Beide Dinge können aufgrund der vielen sprachlichen Bezüge kaum voneinander getrennt werden. Problematisch in den beiden Erzählteilen ist jedoch, dass Hiskija den Boten Merodach-Baladans mehr zeigt, als er gegenüber Jesaja zugibt. Hiskija führte sie nach v.13 nämlich nicht nur in die Schatzkammern des Palastes, sondern zeigt ihnen alles, was sich in seinem Herrschaftsbereich befindet, d.h. er legte ihnen wirklich alles vor.66 Bei den Schätzen handelt es sich zum einen um Edelmetall, zum anderen um besonders wertvolle Güter.67 Die hier erwähnten Balsamöle und das feine Öl unterstreichen außerdem die guten Beziehungen Judas zu Arabien,68 was auf die wirtschaftliche Bedeutung Hiskijas hinweist. Möglicherweise hat Hiskija Gewinne aus der ökonomisch wichtigen Handelsroute mit Südarabien abgeschöpft. Hiskija verschweigt gegenüber Jesaja demnach bestimmte Dinge wie auch den Blick der babylonischen Gesandten in seine Waffenkammer. Der komplette Offenbarungseid über den Stand seines Vermögens fehlt folglich in seiner Antwort auf die Frage Jesajas. Der Dialog zwischen Jesaja und Hiskija wird somit nicht aufrichtig geführt, da Hiskija gewisse Dinge verschweigt, die der Leser aber kennt. Obwohl einige Dinge in der Antwort des Hiskija bewusst fehlten, ist der Ausdruck ובכל־ממשׁלתוwahrscheinlich ein späterer Zusatz, der Hiskija noch zusätzlich belasten will, da Hiskija den babylonischen Gesandten alles in seinem Herrschaftsbereich gezeigt hat. Ein solch umfassender Offenbarungseid war aber kaum möglich. Für den redaktionellen Charakter spricht
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Diese angebliche ältere Schicht würde dann mit der Bewunderung des Reichtums Hiskijas durch die babylonischen Gesandten ähnlich wie die Erzählung vom Besuch der Königin von Saba bei Salomo in 1Kön 10 enden, vgl. WÜRTHWEIN 1984, 436. Nach NELSON 2010, 245 unterscheiden sich beide Erzählungen darin, dass in 2Kön 20 die Dummheit des judäischen Königs profiliert werden soll, während 1Kön 10 die besondere Weisheit preist. 65 So aber HENTSCHEL 1985, 99. 66 Nach HÖFFKEN 1998b, 245 ist dies eine sekundäre Ausweitung, da es kaum wahrscheinlich ist, dass Hiskija die Boten durch sein ganzes Land reisen ließ. 67 Vgl. FRITZ 1998, 125. 68 Vgl. GRAY 1985, 702; WISEMAN 1993, 288.
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darüber hinaus, dass diese Angabe im JHWH-Wort ebenfalls fehlt. Darauf hätte sich Jesaja ebenso beziehen können. Zur Unaufrichtigkeit Hiskijas passt darüber hinaus, dass er die erste Doppelfrage Jesajas nur zum Teil beantwortet, da er nicht mitteilt, was die Boten gesagt haben. Dies entspricht dem selektiven Mitteilungsstil der Erzählung69 und ist zudem erzähltechnisch notwendig, damit Jesaja genau an dieser Stelle nachhaken kann, indem er fragt, was die Gesandten denn tatsächlich gesehen hätten.70 Offenbar täuscht Jesaja Unwissenheit vor, obwohl er zuvor vermutlich schon das JHWH-Wort empfangen hat.71 Die Aussage „aus einem fernen Land“ kann ambivalent gedeutet werden. Zum einen könnte hiermit der Stolz Hiskijas ausgedrückt sein,72 dessen Reichtum sich schon bis in entfernte Regionen herumgesprochen hatte, was dann gefährliche Begehrlichkeiten wecken konnte. Hiskija hält sich offenbar für so wichtig, dass selbst aus fernen Ländern Gesandte kommen.73 Durch die Betonung „aus einem fernen Land“ wird Babel, der Ausgangspunkt der Gesandtschaft, besonders unterstrichen. Die Überheblichkeit Hiskijas gründet wohl auf einem falschen Vertrauen auf Reichtum und politische Stärke, was schließlich zum katastrophalen Ausgang des antiassyrischen Aufstandes führen wird. Erst zögerlich rückt Hiskija mit der ganzen Wahrheit heraus und ergänzt schließlich noch die genaue Herkunft der Gesandtschaft aus Babel.74 Außerdem soll der Vorwurf, Hiskija habe mit Babylon freundschaftliche Beziehungen gepflegt, abgemildert werden, wenn hier die große Entfernung betont wird.75 Nach dem dtn Kriegsgesetz Dtn 20,15 sollte man zunächst den Frieden mit entfernten Städten suchen, bevor man diese vernichtet. Eine weitere Parallele wäre die Erzählung von den Gibeoniten in Jos 9, die ebenfalls angeblich aus einem fernen Land gekommen sind. Insofern war es den Israeliten auch erlaubt, aus diesem Grund mit ihnen einen Bund zu schließen. Schließlich wäre in diesem Zusammenhang noch der Besuch der Königin von Saba am Hof von Salomo nach 1Kön 10 zu erwähnen. Auf diesem Hinter69
Vgl. LONG 1991, 242. Vgl. ACKROYD 1974, 334. Nach OCKINGA 1983, 345 hat diese merkwürdige Frage einen diplomatischen Hintergrund. Es geht hier um die politischen Folgen der Handlung Hiskijas. Durch das Zeigen der eigenen Schätze werde die Bereitschaft zu einem Bündnis signalisiert. Dies wollte Jesaja mit seiner Frage herausfinden. 71 So FRITZ 1998, 125. Es ist aber auch möglich, dass er das JHWH-Wort erst aus den mitgeteilten Nachrichten spontan entwickelt hat. 72 Vgl. WÜRTHWEIN 1984, 437. 73 Außerdem spielt der Ausdruck „aus der Ferne“ das Land des Exils bereits ein, vgl. ACKROYD 1974, 338f.; NELSON 2012, 246. Vielleicht ist diese Bemerkung auch ironisch zu verstehen, wenn die Präpositionalverbindung „aus einem fernen Land“ auf das spätere babylonische Exil zu beziehen wäre. 74 Vgl. CAMP 1990, 244. 75 Vgl. BEGG 1987a, 8f. 70
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grund wäre die Bezeichnung „aus einem fernen Land“ in 2Kön 20,14 eine positive Wendung im Gegensatz zur ansonsten eher negativen Klassifizierung Hiskijas.76 Somit ist die Wendung „aus einem fernen Land“ sowohl positiv wie negativ konnotiert. Durch Wiederholungen im Dialog zwischen Jesaja und Hiskija betont die Erzählung vor allem zwei wichtige Dinge: a) die Gesandten kommen aus Babel, b) die Gesandten haben wirklich alles gesehen.77 Das folgende JHWHWort greift auf beide Aussagen zurück. Das erste JHWH-Wort beginnt in v.17 mit einer sogenannten eschatologischen Formel, die vor allem im Jeremiabuch zu finden ist,78 was die Zuweisung dieses Drohwortes zu Jesaja auf den ersten Blick fragwürdig erscheinen lässt. Meist wird vermutet, dass diese Formel spätem Sprachgebrauch entspricht und der dtr. Redaktion der Prophetenbücher zuzuschreiben ist. Diese Formel wird darüber hinaus dreimal im Amosbuch verwendet,79 in Am 4,2 sogar mit dem Verbum „ נשׂאwegbringen“ verbunden, wo auf das drohende Exil Israels angespielt wird. Außerdem fehlt in Am 4,2 wie in 2Kön 20,17 das im Jeremiabuch fast obligatorische נאם־יהוה. Aufgrund dieser Parallele zum Amosbuch sollte man diese Formel nicht vorschnell dem Propheten Jesaja absprechen, es sei denn man weist alle Stellen im Amosbuch einer späteren Redaktion zu, was aber schwierig ist. Infolgedessen muss das erste JHWH-Wort nicht redaktionell entstanden sein. Erst ab v.18 beginnt ein Abschnitt, der möglicherweise später ergänzt worden ist, da er sich von v.16–17 abhebt. Hier wird ein eher kritisches Hiskijabild gezeichnet, wenn Hiskija selbst durch sein Verhalten gegenüber der babylonischen Gesandtschaft für den Verlust seines Reichtums verantwortlich gemacht wird. In v.18–19 wird hingegen bewusst Unheil von Hiskija abgehalten. Die Fehler Hiskijas werden demnach erst an seinen Nachkommen bestraft.80 In den Tagen Hiskijas wird demgegenüber noch Friede herrschen. Außerdem hebt sich v.18 syntaktisch und inhaltlich vom umgebenden Kontext ab,81 so dass dieser Vers vermutlich einer späteren Erweiterung zuzuschreiben ist, die das ursprüngliche Gotteswort den tatsächlichen Ereignissen 76 BEGG 1987a, 10f. vermutet aufgrund der inhaltlichen Verbindung zum Dtn einen dtr. Einschub. 77 Vgl. hierzu ACKROYD 1974, 334. 78 Vgl. Jer 7,32; 9,24; 16,14; 19,6; 23,5.7; 30,3; 31,27.31; 33,14; 48,12; 49,2; 51,47.52. Allerdings folgt hier meist ein נאם־יהוה. Nach BLENKINSOPP 2006, 115 zeigt diese Formel darüber hinaus dtr. Gepräge. 79 Vgl. Am 4,2; 8,11; 9,13. 80 Vgl. CAMP 1990, 247. 81 Gegen literarkritische Operation aber LONG 1991, 242, der den Abschnitt v.12–19 für einheitlich erachtet. Nach HUTTER 1982, 18 liegt jedoch in v.18–19 ein „zweites erweitertes Prophetenwort“ vor. Auch SCHOORS 1998, 31 betont, dass die ursprüngliche Erzählung nach v.17 mit dem Drohwort geendet habe.
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anpassen wollte.82 Verschiedene Beobachtungen machen einen Bruch zwischen v.17 und v.18 zumindest sehr wahrscheinlich: a) Sprachlich ist das JHWH-Wort in v.17 eng mit v.15 verbunden. Die Wortverbindung כל־אשׁר בביתיwird in v.17 als כל־אשׁר בביתךaufgegriffen. Aus לא־היה דברwird in v.17 לא־יותר דבר. Schließlich wird das Nomen אוצר „Schatzkammer“ in v.17 verbalisiert und auf die Vorgänger Hiskijas bezogen. b) Darüber hinaus sind ebenso Bezüge von v.17 zu v.13 festzustellen. So hat דברin beiden Versen die Bedeutung „Sache“ verwendet: Nicht eine Sache wird es geben, die Hiskija noch verbleiben wird. Außerdem wird ביתin beiden Versen verwendet und das Nomen „ אוצרSchatzkammer“ in v.17 in ein
Verbum verwandelt. Die ursprüngliche Erzählung läuft offenbar auf v.17 als Ziel der Einheit hin.
c) Das JHWH-Wort wird in v.17 mit der Schlussformel אמר יהוהabgeschlossen.83 Eine Weiterführung mit dem Folgenden ist somit nicht zwingend nötig. Ab v.18 wird ohnedies durch die Voranstellung des Präpositionalobjektes, das noch durch zwei syndetisch gefügte Relativsätze erweitert wird, ein syntaktischer Einschnitt markiert, der das Präpositionalobjekt besonders betont. Hier ist folglich ein klarer Bruch anzusetzen. d) Inhaltlich wird zudem in v.18 ein neuer Aspekt eingeführt, der bislang unvorbereitet gewesen ist.84 Neben dem Abtransport der Schätze, sollen auch die Nachkommen Hiskijas nach Babylon deportiert werden, wo sie zu Höflingen gemacht werden. Ein solches JHWH-Wort ist durch die vorausgegangene Erzählung eigentlich nicht motiviert. Mit diesem Hinweis wird das Ende der Daviddynastie besiegelt,85 vor allem wenn mit dem Ausdruck „ סריסEunuch, Höfling“ tatsächlich Kastration verbunden ist. Spätestens seit Salmanassar I. wurde nämlich im Rahmen der assyrischen Eroberungspolitik ein Teil der männlichen Bevölkerung deportiert, kastriert und als Eunuchen am Hofstaat des assyrischen Großkönigs eingesetzt.86 Das hebr. Wort סריסist zudem ein akk. Lehnwort. Der akk. Begriff ša rēši bezeichnet einen Palastfunktionär, der wichtige Verwaltungsämter bekleidete.87 Bei einem ša rēši handelte es sich zudem meist um Eunuchen, die für ihre Loyalität gegenüber dem Königshaus besonders geschätzt waren und hohes Ansehen genossen. Im inneren und äußeren Hof spielten diese Höflinge eine nicht zu unterschätzen82
Nach BEGG 1986a, 30 ist diese Erweiterung vor-dtr., da keine Bezüge zu den späteren Deportationen festzustellen sind und die Realgeschichte sich anders entwickelt hat. 83 Vgl. hierzu HÖFFKEN 1998b, 246 Anm. 13. 84 Vgl. hierzu GERHARDS 1999, 9. 85 Vgl. SMELIK 1992, 124 Anm. 107. 86 Vgl. MAYER 2004, 219. 87 Ein ša rēši muss jedoch nicht immer ein „Eunuch“ gewesen sein, vgl. zum Problem VAN DER KOOIJ 1986, 103; GRAYSON 1995, 91–93. Vgl. auch TADMOR 1983, 279–281.
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de Rolle, so dass nicht notwendigerweise von einer Degradierung ausgegangen werden kann, wenn nach diesem JHWH-Wort die „Nachkommen“ Hiskijas als Höflinge am babylonischen Hof dienen werden.88 Infolgedessen war der assyrische ša rēši keineswegs ein depotenzierter Palastangehöriger ohne Macht. Die Bestrafung liegt dann wohl eher in der Deportation, nicht in der Umwandlung zu Höflingen am babylonischen Hof. Eine Kastration der Nachkommen Hiskijas ist ebenfalls nicht zwingend angezeigt. e) Der Bezug von „bis zu diesem Tag“ in v.17 ist unklar.89 Vermutlich sind nur die Schätze im Blick, die bis zur Regentschaft Hiskijas angehäuft worden sind. Somit wird Hiskija in der ursprünglichen Einheit direkt bestraft, ohne dass nachfolgende Herrscher in den Blick genommen werden. Ausweislich der sprachlichen Verbindung zu v.15 wird nur das weggenommen, was Hiskija gegenüber Jesaja erwähnt hat. In v.17 wird also nicht die Zeit nach Hiskija betrachtet. Die Redeweise von „deinem Palast“ denkt ebenso nicht an die Nachfolger Hiskijas. Offenbar betont v.17, dass die Gerichtsansage bereits Hiskija treffen wird. Das Gerichtswort in v.17 hat unmittelbar Hiskija im Blick, auch wenn die Gerichtsansage in dieser Vollständigkeit nicht eingetreten ist. Erst sekundär hat man das ursprüngliche JHWH-Wort durch die Nachträge v.18–19 auf das bevorstehende babylonische Exil ausgeweitet. Insofern scheint in v.17 eine echte Prophezeiung vorzuliegen, die durch redaktionelle Nachträge in v.18–19 erweitert worden ist.90 Es scheint folglich eine authentische Prophezeiung gewesen zu sein. Denn wäre es ein vaticinium ex eventu, dann hätte man dieses den tatsächlichen Ereignissen angepasst. Da aber die Bestrafung Hiskijas offenbar ausgeblieben ist, konnte man das JHWH-Wort noch zusätzlich erweitern und auf die nachfolgenden Generationen beziehen. In der ersten Antwort Hiskijas in v.19 zeigt sich die Demut des judäischen Herrschers, der die Strafe JHWHs für seine Überheblichkeit auf sich nehmen will. Das Wort, das Jesaja zu ihm gesagt hat, wird für gut befunden. Dies ist zumindest eine übliche formelle Reaktion auf ein JHWH-Wort.91 Dadurch wird die Demut Hiskijas gegenüber dem zuvor ergangenen JHWH-Wort ausgedrückt und Hiskija als exemplarisch frommer König ausgewiesen: Was
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Anders hingegen BRUEGGEMANN 2000, 525f., der in diesem Lehnwort nicht nur eine besondere Unterwürfigkeit der judäischen Dynastie sieht, sondern sogar deren Ende. Vgl. zur Position eines ša rēši GRAYSON 1995, 93–96. 89 Nach GEOGHEGAN 2006, 158 ist dieser Ausdruck ein redaktionelles dtr. Idiom in direkter Rede, um die Geschichtsdarstellung zu strukturieren, vor allem um den bevorstehenden Untergang für Jerusalem anzusagen. 90 Vgl. zum Problem auch GOLDBERG 1999, 364 Anm. 12. 91 Vgl. WISEMAN 1993, 288.
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Gott tut, das ist wohlgetan.92 Jedenfalls akzeptiert Hiskija das negative JHWHWort und dessen Wahrhaftigkeit.93 Hier zeigt sich über die Constructusverbindung דבר־יהוהeine sprachliche Verbindung zu v.16, was die Ursprünglichkeit der ersten Antwort zusätzlich unterstreicht. 19a gehört folglich offenbar zur ursprünglichen Tradition, in der Hiskija die Strafe für seine verfehlte Bündnispolitik demütig akzeptiert. Die zweite Antwort wird hingegen mit einem unnötigen ויאמרeingeführt.94 Durch die zweite Antwort wird die demütige Einstellung Hiskijas massiv in Frage gestellt, da er offenbar froh darüber ist, dass das von Jesaja angesagte Unheil ihn wohl nicht mehr treffen wird. Hier zeigt sich in gewisser Weise die Überheblichkeit und Selbstgefälligkeit Hiskijas: Nach mir die Sintflut.95 Dieser Zusatz liegt darüber hinaus nicht auf einer Linie mit dem Vorausgegangenen, sondern hängt vermutlich von v.18 ab, der eine Deportation der Nachkommen nach Babel vorhersagt und die Strafe in die entfernte Zukunft verlagert. Ohne v.18 wäre die Deutung, dass das Unheil Hiskija nicht mehr treffen wird, nämlich kaum möglich.96 Dementsprechend modifiziert die zweite Antwort die erste. Das Wort JHWHs ist nur deshalb gut für Hiskija, da es zwar Strafe ansagt, er diese aber nicht mehr erleben wird. Die beiden Lexeme אמתund שׁלוםweisen darüber hinaus zurück auf 2Kön 20,3, was ebenfalls den sekundären Charakter von 19b unterstreicht. 92
Nach BEGG 1987a, 11 ist dieser Teil eine positive Veränderung der ursprünglichen Erzählung, die Hiskija zuvor in einem schlechten Licht erscheinen ließ. Allerdings ist diese positive Wendung nicht dtr., da ein Sündenbekenntnis fehlt, vgl. BEGG 1986a, 30. 93 Vgl. ACKROYD 1974, 335. BRUEGGEMANN 2000, 526 verweist noch auf 1Sam 3,18. 94 Somit ist hier nicht ganz klar, wer Subjekt dieser Redeeröffnung ist: Jesaja oder Hiskija, vgl. BLENKINSOPP 2006, 114. Allerdings ist nicht mit einem Sprecherwechsel zu rechnen, da dies die Ich-Du-Erzählperspektive durchbrechen würde. Wenn Jesaja Subjekt wäre, würde man dies in 2. Pers. maskulin Singular erwarten: „Und du (= Jesaja) hast gesagt“. Jedoch wäre ein zweites positives JHWH-Wort von Jesaja völlig unerwartet. Zur ungeschickten Weiterführung vgl. auch HÖFFKEN 1998b, 247. 95 Jedoch muss diese zweite Antwort nicht allzu negativ gesehen werden. Offenbar drohendes Unheil wird nämlich zunächst abgewendet. Hiskija hofft, dass er selbst davor bewahrt bleibt. Vielleicht spielt die zweite Antwort auf die Demut und das Gottvertrauen Hiskijas an, wodurch das Unheil, das von Hiskija akzeptiert wird, zeitlich hinausgeschoben werden kann. Aufgrund seines ansonsten untadeligen Verhaltens, wird das Unheil demnach nicht sofort vollstreckt. Eine solche Deutung steht und fällt allerdings mit der Voraussetzung, dass Hiskija durchweg positiv gezeichnet werden muss und sein Verhalten immer von tiefem Gottvertrauen geprägt ist. Ohne diese Voraussetzung liest sich 19b als Kritik am ansonsten unbescholtenen Judäerkönig. Vgl. zum Problem ACKROYD 1974, 335–338. Nach LONG 1991, 244f. muss diese Antwort ebenfalls nicht negativ gesehen werden. Flavius Josephus deutet die Antwort sogar positiv um: Da der Beschluss JHWHs unabwendbar ist, betet Hiskija darum, dass zumindest in seiner Zeit Frieden herrsche, vgl. Jos Ant X 2,2 [34]. Hiskija wird bei Josephus als aktiv gekennzeichnet. Er nimmt das JHWH-Wort nicht ungerührt hin. 96 Vgl. hierzu GERHARDS 1999, 10.
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Aus alledem folgt: Durch die redaktionellen Zusätze v.13*, 18 und 19b wird offenbar das positive Bild Hiskijas, der zunächst demütig die Strafe für seine Überheblichkeit annehmen will, ins Negative gekehrt. Ihm ist es anscheinend egal, was nach ihm geschieht. Neben Licht bleibt somit auch etwas Schatten über der Regierung Hiskijas.97 Damit wird aber auch eine Interpretation eingetragen, die die positiven Aussagen über Hiskija in 2Kön 18,1–8 relativiert.98 In der redaktionell überarbeiteten Form von 2Kön 20,12–19 findet folglich eine nüchterne Abrechnung mit der Vergangenheit statt. Hiskijas übersteigertes Geltungsbedürfnis hätte fast zum Untergang Judas und der Daviddynastie geführt. In diesen Zusätzen äußert sich eine Kritik, die den anderen Hiskijaerzählungen zunächst noch fremd ist. Denn dort wird besonders das Gottvertrauen Hiskijas gelobt. Dieses Gottvertrauen hob ihn sogar von allen anderen Königen ab und stellte ihn auf eine Stufe mit Salomo und Joschija, die ebenfalls unter den Königen Judas besonders herausragten: Salomo aufgrund von Reichtum und Weisheit, Joschija aufgrund seines Reformeifers.99 Aufgrund seines Gottvertrauens war Hiskija in allen seinen Unternehmungen erfolgreich. Der Grundbestand in 2Kön 20,12–19* gibt folglich eine nachgeschobene Erklärung für den Verlust des Staatsschatzes, der historisch gesehen dem assyrischen König Sanherib nach dem verlorenen Krieg entrichtet werden musste, nach dem JHWH-Wort aber von den Babyloniern einkassiert wird. Eine solche Änderung von Assur nach Babylon war insofern nötig, als das JHWH-Wort auf den Bündnisversuch mit Babylon antworten musste. Die tatsächliche Geschichte (Tribut Judas an Assur) wurde durch das JHWH-Wort (Tribut Judas an Babylon) erklärt. Die Prophezeiung Jesajas war vermutlich schon so stark überliefert, dass man das Ziel des Tributs nicht abändern konnte. Das JHWH-Wort erklärt somit den finanziellen Verlust unter Hiskija, auch wenn es Babylonier statt Assyrer als Nutznießer nennt. Die redaktionellen Ergänzungen zeigen demgegenüber, dass auch Hiskija das babylonische Exil bereits mitverschuldet haben kann. Damit wird das ansonsten positive Hiskijabild demontiert. Offenbar ist die Frömmigkeit Hiskijas nur vorgetäuscht. In Wirklichkeit hat er nur seinen eigenen machtpolitischen Vorteil gesucht und Juda aufgrund einer fragwürdigen Politik an den 97 Durch 19b wird nach WERLITZ 2002, 298 „ein negativer Akzent gesetzt, der die vor allem in 18,1–7a erfolgte ‚Heiligsprechung‘ des Königs zumindest ein Stück weit zurücknimmt.“ Nach FRITZ 1998, 125 hat Hiskija sogar die Wegführung durch den babylonischen Großkönig Nebukadnezzar mitverschuldet. 98 Dieser Abschnitt ist stark von dtr. Phraseologie durchsetzt, vgl. EVANS 2009, 168 Anm. 5. 99 Vgl. SWEENEY 2007, 403. Nach SCHOORS 1998, 24f. wird die Unvergleichlichkeit durch die Notiz gekrönt, dass nach Hiskija keiner war wie er unter allen Königen Judas, was auf eine Entstehung vor Joschija hinweist, der ebenfalls in ähnlicher Weise beurteilt wird. Kritisch hierzu aber AURELIUS 2003, 37f.
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Rand der nationalen Katastrophe geführt. Ob allerdings eine literarische Verbindung zu 2Kön 24–25 zu ziehen ist, ist fraglich und soll im nächsten Punkt geklärt werden. Wenn dies nicht der Fall ist, dann ist zumindest der Bezug zum Babylonischen Exil nicht explizit von den Redaktoren der Königebücher eingetragen worden, auch wenn dies von der Thematik her nahegelegen wäre.
4. Zu den Gründen für die babylonische Gesandtschaft Die Gesandtschaft wird in 2Kön 20,12 nicht näher eingeführt. Aber Briefe und Geschenk100 erfordern Boten, die beides überbringen können. In der folgenden Erzählung spielen jedoch weder Briefe noch Geschenk eine Rolle. Vielmehr ist im weiteren Verlauf nur noch eine nicht weiter eingeführte Gruppe im Blick, denen Hiskija seine Schätze zeigen kann.101 Im Alten Orient schickte man bei Krankheit befreundeter Herrscher gerne eine Gesandtschaft, um eine besondere Verbundenheit gegenüber dem kranken Freund auszudrücken: So beklagt sich z.B. Burnaburias II. von Babylon bei Amenophis, dass dieser ihn nicht durch einen Boten getröstet hat, als er krank gewesen war.102 Es gehört nämlich zu den diplomatischen Gepflogenheiten, sich um das Wohlbefinden des befreundeten Herrschers zu erkundigen.103 Der eigentliche Zweck des Besuches – abgesehen von der Krankheit Hiskijas, die allerdings wie gesehen redaktionell nachgetragen ist – wird hier auffälligerweise nicht angegeben. Da Hiskija selbst seine Schätze den Boten zeigt, kann er wohl nicht mehr krank gewesen sein. Dieser Umstand deutet ebenfalls darauf hin, dass das Krankheitsmotiv sekundär eingetragen worden sein muss. Offenbar will der Satzanschluss mit x-qatal darauf hinweisen, dass
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Darunter könnte man mit HUTTER 1982, 71 ein Geldgeschenk verstehen, mit dem der militärische Beistand Hiskijas erkauft werden sollte. Nach BRINKMAN 1964, 33 könnte das Geschenk auf die Bündnisabsicht Merodach-Baladans hinweisen, der seine Bündnispartner immer reichlich entlohnt hat. 101 Nach RUPRECHT 1990, 42f. könnte hier סרסיםstatt ספריםzu lesen sein, was mit dem folgenden Gerichtswort, wo die Nachkommen Hiskijas ebenfalls zu סרסיםwerden, gut korrelieren würde. Der Bericht von der Gesandtschaft könnte folglich dem Gerichtswort antithetisch entsprechen: „Aus Babel bringen die Gesandten ein Huldigungsgeschenk – nach Babel wird alles weggeschleppt ... Eunuchen kommen als Freunde aus Babel – als Eunuchen müssen Hiskias Söhne in Feindesland, nach Babel ziehen“ (ebd., 43). Eine solche Änderung vertritt auch WERLITZ 2002, 296. Eine Abänderung des MT ist nach CAMP 1990, 242 Anm. 1, der auf eine Umvokalisierung zu „Beamte“ hinweist, nicht nötig. Die Übersetzung der Parallelstelle in Jes 39,1 durch LXX bietet zudem noch beide Begriffe ἐπιστολὰς καὶ πρέσβεις. 102 Vgl. hierzu EA 7,14–25. Zum Text vgl. MORAN 2002, 13. 103 Vgl. nur die Ninive-Inschrift Asarhaddons ii 49–50. Zum Text vgl. LEICHTY 2011, 15.
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Hiskija bereits genesen war.104 Insofern kann die Gesandtschaft selbst nach der Interpretation der redaktionellen Erweiterung nicht als Krankenbesuch gedeutet werden, da Hiskija bereits gesund ist. Es handelt sich somit weder in der kleinsten Einheit noch in der redaktionellen Erweiterung um einen Höflichkeitsbesuch der babylonischen Gesandten bei einem befreundeten kranken König.105 Obwohl der Grund für die Gesandtschaft nicht angegeben wird, gibt es einige sprachliche und inhaltliche Hinweise, die die ursprüngliche Motivation erkennen lassen, auch wenn sie redaktionell mit dem Krankheitsmotiv überblendet worden ist.106 Problematisch ist der Umstand, dass in der Erzählung kein direkter Hinweis darauf gegeben wird, weshalb Hiskija den babylonischen Gesandten seine Schätze zeigte. Das JHWH-Wort lässt ebenso eine Begründung für die Strafe vermissen. Es werden hier nur Tat und Strafe gegenübergestellt. Der Grund für das Zeigen seiner Schätze bleibt indes unklar. Im Folgenden sollen verschiedene Erklärungen geboten und mit außerbiblischen Parallelen verglichen werden. a) Bündnis: Vielleicht hat Hiskija bereits dem antiassyrischen Bündnis mit Merodach-Baladan zugestimmt, was mit dem „Hören“ angedeutet sein könnte. Durch die nachfolgende Aktion hätte er dementsprechend den Pakt bestärken wollen. In neuassyrischen Inschriften wird zudem berichtet, dass sich der Großkönig von Vasallen die Schatzkammern zeigen lässt, um über die Tributstärke Bescheid zu wissen. Allerdings zeigt Hiskija seine Schätze den babylonischen Gesandten offenbar freiwillig, da sonst das Gerichtswort Jesajas unmotiviert wäre.107 Insofern ist dies kaum als Reaktion auf einen bereits erfolgten Bundesschluss zu werten. Das Leitwort dieser Erzählung ist auf alle Fälle „ ראהsehen“, das insgesamt fünfmal vorkommt108 und folglich die ganze Aktion dominiert. Infolgedessen ist eine angemessene Interpretation von ראהunbedingt nötig. Dieses Verb drückt meist eine gewisse Beziehung zum jeweiligen Objekt aus. Nach 104
Vgl. WÜRTHWEIN 1984, 435. Diesen Umstand betont vor allem die Version in Jes 39,1, vgl. BLENKINSOPP 2006, 110. 105 So aber NELSON 2012, 245: „simple courtesy call“. 106 Vermutlich sollte die Frömmigkeit Hiskijas nicht unnötig beschädigt werden, vgl. RUPRECHT 1990, 41. 107 Vgl. zum Problem LONG 1991, 243. Ähnlich wird auch der Feldzug des Aramäers Ben-Hadad gegen den Nordreichskönig Ahab in 1Kön 20,1–8 erzählt, wonach die Boten des Aramäers das Schatzhaus durchsuchen sollen. Im Gegensatz zu Hiskija wird Ahab aufgefordert, nicht auf die Forderungen des Aramäerkönigs zu „hören“. Nach FEWELL 1986, 84 ist „hören“ ein wichtiges Leitwort, das ebenfalls mit Aktion verbunden ist. 108 Vgl. 2Kön 20,13(zweimal).15(dreimal). Gerade die Zahl 5 steht für Ungehorsam und Aufbegehren des Menschen, der seine Grenzen überschreitet, vgl. RUPRECHT 1990, 43 Anm. 30.
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Dtn 34,1–4 bedeutet das „Sehen des Landes“ das Vertrauen, davon bald Besitz zu ergreifen. Vielleicht liegt somit in 2Kön 20 ein formaler Rechtsakt der Inbesitznahme vor. Durch das „Sehen“ des gesamten Reichtums Hiskijas nehmen demnach die babylonischen Gesandten alles in Besitz, auch wenn dies ursprünglich nicht die eigentliche Intention Hiskijas gewesen sein wird.109 Das „Zeigen der Schätze“ kann darüber hinaus bereits mit einer Übergabe derselben an die babylonische Gesandtschaft verbunden sein,110 wie dies in der römischen Rechtspraxis ebenfalls der Brauch war. Außerdem könnte Hiskija mit dem „Zeigen der Schätze“ einem Wunsch des babylonischen Herrschers entsprochen haben,111 der sich über die militärische Leistungsfähigkeit Judas informieren wollte. Durch die Präsentation seiner Schätze hat Hiskija im Gegenzug seine finanzielle Stärke demonstriert. Mit einer reich gefüllten Kriegskasse ist Hiskija ein geeigneter militärischer Verbündeter. Für seine ständigen Aufstandsversuche hat Merodach-Baladan zudem immer wieder finanzkräftige Verbündete benötigt. Darüber hinaus könnte hier ein erster Schritt zu einem Bündnis vorliegen, mit dem die Bereitschaft hierzu signalisiert werden sollte.112 Möglicherweise hat er durch diese Aktion endgültig die Seiten gewechselt und ist in eine enge Verbindung mit Merodach-Baladan eingetreten. Schließlich könnte dies noch als Zeichen des guten Willens und Vertrauens gewertet werden, wenn ein Herrscher dem anderen bzw. dessen Boten die eigenen Schätze vorlegt und dafür auch ein Gastgeschenk erhält.113 Hiskija wird auf alle Fälle in eine Reihe mit denjenigen judäischen Königen gestellt, die ihren Reichtum an fremde Herrscher mehr oder minder freiwillig verschenkt haben. Demgegenüber versucht man meist, sich vom Feind durch Geschenke loszukaufen.114 Diese Intention wird von Hiskija offenbar nicht verfolgt, da er seine Schätze den babylonischen Gesandten freiwillig zeigt und sogar ein Geschenk erhält. 109
Vgl. ACKROYD 1974, 339f. Eine weisheitliche Parallele in den babylonischen „Counsels of Wisdom“ zeigt, dass mit dem Zeigen der Schatzkammer ein Bündnis angezielt ist, vgl. BEGG 1988, 7f. Nach BRUEGGEMANN 2000, 525 könnte das Zeigen der Schätze „simply an innocent act of friendship on the part of the king toward his new allies“ gewesen sein. Im Gegensatz zu HESS 1999, 27 wird durch das JHWH-Wort offenbar das Zeigen der Schätze kritisiert. 110 Vgl. hierzu BEGG 1987b, 15. 111 Vgl. als Parallele den Brief des Ini-Tešup von Karkemisch an Ibirānu, den König von Ugarit, in RS 17.289, vgl. HAGENBUCHNER 1989, 383f. (Nr. 279). 112 Vgl. hierzu als Parallele die Siegesstele von Pharao Pije, vgl OCKINGA 1983, 344– 346. Der unterägyptische Kleinkönig Pediese zeigt dem kuschitischen König Pije sein gesamtes Schatzhaus und gibt ihm Geschenke. Durch Eid versichert er, dass er Pije nichts vorenthalten hat. Mit dieser Geste will er seine Bereitschaft zu einem Bündnisschluss demonstrieren. Schon Flavius Josephus vermutet, dass Hiskija in eine antiassyrische Koalition eingebunden werden sollte, vgl. Jos Ant X 2,2 [30]. 113 Vgl. hierzu als Parallele EA 15. Zum Text vgl. MORAN 2002, 38. 114 Vgl. BEGG 1986a, 31–33.
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Durch seine Tat hat Hiskija zumindest auf der Ebene des Endtextes den Verlust des eigenen Landes und das Exil vorbereitet, zumal die durchaus legale Übergabe der eigenen Schätze an die Babylonier bereits in 2Kön 20 stattgefunden hat. Hinzukommt, dass in solchen Bündnissen die Gefahr steckt, dass Babylon Juda nur solange als Partner betrachtet, wie es den babylonischen Interessen nützt. Sobald Juda nicht mehr von Nutzen ist, wird Babylon Juda ebenso ausplündern wie schon zuvor die Assyrer. Aus diesem Grund ist es fatal, wenn Juda sich auf falsche Bündnispartner und nicht auf JHWH verlässt. Bündnisse ohne Zustimmung JHWHs werden daher dauerhaftes Unheil mit sich bringen. b) Überheblichkeit: Die prachtvolle Selbstinszenierung Hiskijas drückt neben dem Bündnisaspekt eine gewisse Gottvergessenheit aus.115 Meist wird das Zeigen der Schätze als Prahlerei und Eitelkeit Hiskijas gedeutet, wobei der politische Aspekt der Handlung in den Hintergrund rückt.116 Für diese überhebliche Machtdemonstration wird Hiskija von Jesaja massiv kritisiert. Mit einem JHWH-Wort kündigt Jesaja schließlich den Abtransport der Schätze nach Babylon117 und im redaktionellen Nachtrag die Degradierung der Nachkommen Hiskijas zu babylonischen Höflingen an. Eine Zerstörung Jerusalems wird nicht prophezeit, so dass der göttliche Schutz Jerusalems, der noch in 2Kön 20,6 betont wird, offenbar nicht in Frage steht.118 c) Vorverweis auf 1. Babylonische Exilierung: Meist wird vermutet, dass die beiden Gottesworte aus 2Kön 20 in 2Kön 24,13 erfüllt werden,119 wo berichtet wird, dass der babylonische Großkönig Nebukadnezzar beim ersten Feldzug gegen Jerusalem im Jahr 597 v.Chr. bereits die אוצרות בית המלך „Schätze des Palastes des Königs (i.e. Jojachin)“ nach Babylon weggeschafft hat. Auffällig ist, dass die beiden JHWH-Worte noch nicht die Zerstörung von Stadt und Tempel und das Ende der Staatlichkeit in den Blick nehmen, was auf die erste Deportation im Jahr 597 v.Chr. bestens passen würde. Die zwei JHWH-Worte sagen lediglich die Wegführung der Schätze des Palastes und einiger Königssöhne an.120 Eine begrenzte Deportation der Nachkommen Hiskijas und der Oberschicht Judas findet zu diesem Zeitpunkt tatsächlich
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Vgl. hierzu insgesamt GERHARDS 1999, 11. Vgl. kritisch zu dieser Interpretation OCKINGA 1983, 342f. 117 Nach RUPRECHT 1990, 43 Anm. 31 ist Babylon Chiffre für die mesopotamische Feindesmacht schlechthin und könne daher auch für Assur stehen. 118 Anders hingegen GERHARDS 1999, 9. 119 Vgl. hierzu auch RUPRECHT 1990, 43; SEITZ 1991, 188; WERLITZ 2002, 296; GEOGHEGAN 2006, 158 Anm. 41; SWEENEY 2007, 399. Nach HÖFFKEN 1998b, 248 ist v.17 auf 2Kön 24, v.18 hingegen auf 2Kön 25 hin transparent. NELSON 2012, 246 bezweifelt, ob die Erzählung tatsächlich schon die militärische Niederlage und das Exil im Blick hat. 120 Vgl. GEOGHEGAN 2006, 158 Anm. 41. 116
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statt. Ob damit jedoch auch eine Degradierung zu Höflingen im Blick ist, kann nur vermutet werden. Demgegenüber gibt es Anzeichen dafür, dass das Gotteswort aus 2Kön 20 nicht so leicht mit der ersten Deportation im Jahr 597 v.Chr. verbunden werden kann. Denn bei einem Vergleich beider Stellen fällt auf, dass Nebukadnezzar zusätzlich die Tempelschätze raubt, was das Gotteswort Jesajas so noch nicht angedroht hat. In 2Kön 20,17 fehlt zumindest der Tempelschatz, auf den später gesondert hingewiesen wird.121 Außerdem werden nach 2Kön 20,17 lediglich diejenigen Schätze nach Babylon transportiert, die bis zur Herrschaft Hiskijas angehäuft worden sind. Diese sind jedoch schon nach 701 v.Chr. verlustig gegangen und können folglich nicht mehr von Nebukadnezzar geraubt werden. Auch das spricht gegen eine Verbindung von 2Kön 20 mit 2Kön 24. Eine Verbindung zur ersten Deportation ist darüber hinaus sprachlich in keiner Weise angedeutet. Nur das Wort „ היכלPalast“ könnte eine Brücke zu 2Kön 24,13 bilden, wo jedoch mit diesem Wort das Haus JHWHs und nicht der Palast des Großkönigs von Babylon gemeint ist. Das Wort „ סריסHöfling“ findet sich zwar bei der Schilderung der Deportation Jojachins (2Kön 24,12.15).122 Allerdings wird nicht die Familie Jojachins zu Höflingen degradiert, sondern vom judäischen Hofstaat werden die „Höflinge“ ebenfalls deportiert. Die Unterschiede in der Formulierung belegen, dass selbst in der redaktionellen Überarbeitung nicht ein vaticinium ex eventu vorliegen kann,123 das sich bereits rückwirkend auf die erste babylonische Deportation bezieht. Es ist somit wahrscheinlicher, dass bereits die redaktionelle Erweiterung vor 597 v.Chr. stattgefunden hat. Diese redaktionelle Ergänzung hat folglich schon zuvor auf die Gefahr der Deportation der Nachkommenschaft nach Babylon bei einem unklugen politischen Bündnis hingewiesen. Gerade die Unterschiede zeigen, dass sowohl das ursprüngliche Gotteswort wie auch die redaktionelle Erweiterung vor der Auseinandersetzung mit Babylon am Anfang des 6. Jh. v.Chr. gebildet worden ist. d) Begnadigung Jojachins: Auf die Begnadigung Jojachins in 2Kön 25,27–30 wird hier ebenfalls nicht angespielt, auch wenn der Status Jojachins dem eines Höflings gleichen mag und Jojachin der einzige unter den Nachkommen
121
Vgl. BEGG 1986a, 29. Nach BRUEGGEMANN 2000, 527 ist noch eine Verbindung zu Jer 22,30 zu ziehen, wo dem Davididen Jojachin jeglicher Erbe untersagt wird. 123 So aber FRITZ 1998, 124. Auch BRUEGGEMANN 2000, 526 sieht hier schon eine Anspielung auf das Ende des Südreichs und das Babylonische Exil. Kritisch zu einem vaticinium ex eventu aber BEGG 1986a, 29; WERLITZ 2002, 296. Nach HENTSCHEL 1985, 99f. ist v.18 erst in nachexilischer Zeit ergänzt worden, als man davon wusste, dass Davididen als Höflinge am Hof in Babylon dienten. 122
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der Daviddynastie ist, der am babylonischen Hof gedient hat.124 Auch wenn er nun nicht mehr Gefangener gewesen ist, war er als Höfling zumindest in seiner Position degradiert, da er von einem fremden Monarchen abhängig war. Gegen einen solchen intertextuellen Bezug spricht jedoch der Umstand, dass das Lexem סריסin 2Kön 25 überhaupt nicht verwendet wird. Auch die Verwendung des Plurals in 2Kön 20,18 spricht gegen einen expliziten Bezug auf Jojachin allein. Zwar kann im redaktionell erweiterten JHWH-Wort die gesamte Dynastie im Blick sein, aber der Redaktor hätte beide Stellen besser aneinander angleichen können, damit der Bezug deutlich wird. Nur die beiden ersten Optionen sind als Gründe für die Erzählung von der babylonischen Gesandtschaft plausibel, während die intertextuellen Bezüge auf die erste babylonische Deportation oder die Begnadigung Jojachins kaum stichhaltig sind. Auch wenn im jetzigen Erzählaufbau die beiden JHWHWorte, die zum einen von einem Abtransport der judäischen Schätze nach Babylon und zum anderen von der Umwandlung der Nachkommen Hiskijas zu Höflingen in Babylon gesprochen haben, inhaltlich als Vorverweis auf die erste Babylonische Exilierung oder die Jojachinerzählung gedeutet werden können, haben sie damit ursprünglich noch nichts zu tun. Die lexikalischen Verbindungslinien zum Ende der Königebücher sind viel zu schwach, als dass hier eine redaktionelle Brücke geschlagen werden könnte. Es bleibt dabei: Die ursprüngliche Erzählung ebenso wie die redaktionellen Erweiterungen bieten prophetische Worte, die die Gefahren falscher Bündnispolitik in den Blick nehmen, ohne dass sie auf eine historische Einlösung von jeher angelegt sind. Während die Grundschicht noch neutral die Bündnisabsichten Hiskijas beschreibt, der sich demütig dem Willen JHWHs unterwirft, ist die redaktionelle Erweiterung eher negativ ausgerichtet, da hier Hiskija den Krankenbesuch der babylonischen Gesandtschaft als Möglichkeit zu einem antiassyrischen Bündnis auszunutzen gedachte. Aus alledem folgt: Hinter der Erzählung von der babylonischen Gesandtschaft in 2Kön 20 liegt vermutlich eine historisch zuverlässige Tradition, die vor einer unbedachten Bündnispolitik und vor naiver politischer Überheblichkeit warnt. Schon der Versuch, ein Bündnis mit einer fremden Macht einzugehen, wird mit einem massiven JHWH-Wort bestraft. Der Leser soll aus 124
So aber GERHARDS 1999, 12. Damit erübrigt sich jede Spekulation darüber, ob Jojachin trotz Begnadigung in seinem Status degradiert worden ist. Gegen RUPRECHT 1990, 43f., der das Lexem „Söhne“ wörtlich und nicht im Sinne von „Nachkommen“ versteht, kann dieses Gerichtswort nicht Jojachin oder Zidkija gegolten haben. Denn weder hat es zur Zeit der Exilierung des jungen Königs Jojachin schon Söhne gegeben, noch wurden die Söhne Zidkijas deportiert. SWEENEY 1996, 501f. sieht darüber hinaus einen Bezug zwischen Hiskija und Jojachin: „The dynasty’s and Jerusalem’s chances for the future may well depend on Jehoiachin’s ability to show faith in YHWH during a time of crisis in the same way that his ancestor Hezekiah did.“
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dieser Erzählung die richtigen Lehren für die Zukunft ziehen. Eine gottlose Politik, die nur auf das eigene Vermögen vertraut, wird letzten Endes scheitern. Genauso wie sich die Verfehlung Hiskijas und die angedrohte Strafe entsprechen – der selbstherrlich präsentierte Reichtum wird ebenso verloren gehen –, sollte man sich auch in Zukunft vor einer ähnlich fehlgeleiteten Politik hüten. Erst später wurde durch die Verbindung dieser Tradition mit den anderen Hiskija-Erzählungen das Wort durch eine mögliche Deportation ergänzt. Da sich das erweiterte JHWH-Wort nicht mit den tatsächlichen Ereignissen trifft, wird es wohl eine Warnung aus der letzten Hälfte des 7. Jh. v.Chr. gewesen sein, als sich bereits das Babylonische Reich anschickte, auch die südliche Levante zu erobern. In dieser Zeit war Ägypten in die Rechtsnachfolge des assyrischen Reiches getreten und hat die Herrschaft in der südlichen Levante übernommen. Jede unüberlegte probabylonische Politik in Juda, die sich gegen Ägypten richtet, konnte folglich schnell in die Katastrophe führen, wie schon das Ende Joschijas und seines Sohnes Joahas gezeigt hat. Nicht nur das gesamte Vermögen kann dann verlustig gehen, auch die Angehörigen der eigenen Dynastie können zu babylonischen Höflingen degradiert werden. Wie der Verweis auf die Ereignisse unter Hiskija lehrt, sollte somit jede selbstherrliche Bündnispolitik vermieden werden. Dass dies nicht der Fall gewesen ist, zeigen die katastrophalen Folgen wenige Jahrzehnte später. Selbst das erweiterte JHWH-Wort hat sich zumindest dem Sinn nach erfüllt, auch wenn die biblischen Erzählungen in 2Kön 24 und 25 eine andere Wortwahl verwenden. Für heutige Leser kann die Erzählung von der babylonischen Gesandtschaft eine Warnung vor einer Überschätzung der eigenen Möglichkeiten sein. Insofern kann man sie auch aus dem ursprünglichen Kontext herauslösen und auf andere Bereiche übertragen. So kann in einer globalisierten Welt das übersteigerte Vertrauen in die eigene Finanzkraft, wie dies Hiskija paradigmatisch demonstriert, sehr schnell scheitern. Gerade auf dem internationalen Parkett gilt hier immer wieder: „Wie gewonnen, so zerronnen“. Auch wenn man in einer Zeit des kurzfristigen Profits nicht die Schäden für nachfolgende Generationen sieht gemäß dem Motto „Nach mir die Sintflut“, sollte man die langfristige Perspektive trotzdem immer im Blick haben. Infolgedessen ist eine Haltung, die Hiskija in der redaktionellen Ergänzung an den Tag legt, abzulehnen. Zwar wurde Hiskija aus der assyrischen Bedrohung gerettet. Allerdings ist damit noch lange nicht eine absolute Heilsgarantie für Jerusalem verbunden. Denn was im Fall der Assyrer gegolten hat, muss im Blick auf die Babylonier nicht ebenso zur Anwendung kommen.125 Eine rücksichtslose Politik ohne Gott wird darüber hinaus zumindest langfristig keinen Erfolg haben. Demgegenüber gilt: „Was Gott tut, das ist wohl getan“. So kann selbst ein strafendes Gotteswort einen positiven Kern haben, 125
Vgl. hierzu auch NELSON 2012, 246f.
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Gottes Verbindung zu seinem Volk
wie dies ja auch von Hiskija anerkannt wird. Das komplexe Wechselspiel zwischen der Gnade Gottes und dem menschlichen Gehorsam sollte somit im Blick bleiben. All diese theologisch verwertbaren Perspektiven skizziert die kurze Erzählung von der babylonischen Gesandtschaft, die folglich nicht nur historisch, literarkritisch oder intertextuell verstanden werden sollte. Sie ist vielmehr ein Lehrbeispiel dafür, wie man in grenzenloser Naivität alles aufs Spiel setzen kann.
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Tradition und Innovation in Hos 2,16–17. Zur Entwicklung des biblischen Erwählungsgedankens Tradition und Innovation in Hos 2,16–17
In Hos 2,16–17 wird ein ursprüngliches, von Jos 7 unabhängiges Prophetenwort überliefert, das sich zum einen auf die Wüstenerfahrung als Zeit der Gottunmittelbarkeit beruft und zum anderen eine zweite erfolgreiche Landnahme nach erfolgreichem Werben JHWHs und mit ausdrücklicher Zustimmung Israels thematisiert. Im Gegensatz zum Pentateuch sind die Jugendzeit Israels und der Exodus aus Ägypten Zeiten der willigen Gefolgschaft. Wie bereits in der Vergangenheit geschehen, wird für die Zukunft ebenfalls eine heilvolle Gemeinschaft mit JHWH verheißen. Der zweite Gang in die Wüste soll folglich ein neues Verhältnis zu JHWH begründen, das später im Kulturland ungetrübt bleibt. Ähnliches Gedankengut findet sich auch in Jer 2,2, so dass mitunter gerade im letzten Drittel des 7. Jh. v.Chr., also in der Joschijazeit, der historische Haftpunkt für einen solchen Erwählungsglauben vermutet werden darf. In einem ersten Schritt soll gezeigt werden, wie das Hoseabuch immer wieder verschiedene Traditionen aufnimmt und kreativ auswertet, aber auch selbstständig und innovativ neue Traditionen bildet. Deutlich ist hierbei, dass es immer wieder zu einer Übernahme von Traditionen gekommen ist, auch wenn man nicht immer sicher bestimmen kann, wie der Gebertext ausgesehen hat. Zum einen sind die Bezüge oft nur angedeutet, zum anderen liegen nicht mehr alle Traditionen in schriftlicher Form vor. In einem zweiten Schritt soll das Verhältnis von Tradition und Innovation am Beispiel von Hos 2,16–17 näher in den Blick genommen werden. Es wird sich zeigen, dass die Tradition der Erwählung Israels in der Wüste verbunden mit der Landnahme aus dem Osten vermutlich schon in vorexilischer Zeit entstanden sein wird.
1. Hoseanische Traditionsverbundenheit Das entstehungsgeschichtliche Problem des Hoseabuches ist bislang noch nicht befriedigend geklärt.1 Immer wieder findet sich die klassische Position, der zufolge das Hoseabuch in erster Linie Material des Propheten Hosea selbst enthält. Diese Texte seien nach dem Untergang des Nordreiches von 1
Zu den unterschiedlichen Modellen vgl. ZENGER 2004, 525f.
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Flüchtlingen nach Juda gebracht und dort redaktionell durch wenige judäische Zusätze und durch eine oder mehrere heilseschatologische Bearbeitung(en) erweitert und redigiert worden. Der Anteil an redaktionellem Gut sei demnach als gering einzustufen.2 Demgegenüber finden sich bereits seit KARL BUDDE literargeschichtliche Zugänge zum Hoseabuch.3 Eine wirkliche Neuorientierung innerhalb der Hoseaforschung hat JÖRG JEREMIAS angestoßen,4 der sich weniger für den historischen Propheten Hosea interessiert, sondern sein Augenmerk auf die Überlieferung der mündlichen Verkündigung Hoseas richtet. So vermutet er, dass die Prophetie Hoseas von Tradenten, die aus dem Nordreich ins Südreich flohen, verschriftet und später noch mit judäischen Zusätzen versehen worden sei.5 Mittlerweile gilt als Forschungskonsens, dass zwischen dem Propheten Hosea, dessen Verkündigung zunächst mündlich erfolgte, und der Verschriftung der mündlichen Prophetie prinzipiell unterschieden werden muss.6 Deshalb soll im Folgenden von Hosea-Tradenten die Rede sein, die das mündliche Wort verschriftet und wohl auch redaktionell bearbeitet haben. Es kann somit nicht darum gehen, die ipsissima vox des Propheten Hosea selbst herauszuarbeiten,7 da sich diese jedem wissenschaftlich verantwortbaren Zugriff entzieht und nur in der literarisch verarbeiteten Gestalt greifbar ist. Im Anschluss an JEREMIAS gibt es fast ausschließlich redaktionsgeschichtliche Arbeiten zum Hoseabuch. Auch die Einbindung ins Dodekapropheton 2
So vermutet noch DANIELS 1990, dass ein Großteil des Hoseabuches vom historischen Propheten Hosea selbst geschrieben worden sei. Nur am Anfang sei das Buch in zwei Redaktionen durch die Schüler des Hosea erweitert worden. Neuerdings sucht GISIN 2002 vor allem nach sprachlichen und inhaltlichen Verbindungslinien im Hoseabuch und verteidigt damit dessen Einheitlichkeit. Außerdem schreibt er das Hoseabuch noch dem historischen Propheten Hosea zu. 3 Vgl. BUDDE 1921. Kurze Zeit später postuliert WOLFE 1935 im Rahmen seiner „strata hypothesis“ eine dreizehnfache Redaktion. Allerdings werden von ihm die übergreifenden Redaktionsschichten sowohl formal wie inhaltlich überschätzt. Darüber hinaus erscheinen sie in sich wenig konsistent zu sein. 4 Vgl. JEREMIAS 1983. 5 WOLFF 1976 hat hingegen noch mit einem Teil der schriftlichen Überlieferung durch Hosea selbst bzw. Auftrittsskizzen gerechnet. Die Erstverschriftung wird bei JEREMIAS 1983 hingegen den Tradenten zugeschrieben. 6 Die Verbindung des Propheten mit seinem sozialen Umfeld, aus dem die Tradenten hervorgegangen sind, wird besonders von UTZSCHNEIDER 1980 thematisiert. 7 Der historische Prophet Hosea, auf den sich das Hoseabuch bezieht, hat zumindest im Nordreich gewirkt und sich nachdrücklich mit der dortigen politischen wie kultischen Situation auseinandergesetzt. Insofern könnte auch im Hoseabuch Nordreichsprophetie zu finden sein. Damit stellt sich gleichermaßen die Frage, ob hier noch ein Proprium an nordisraelitischen Traditionen vorliegt und wie dies religionsgeschichtlich auszuwerten wäre. Der schwierige Sprachstil des Hoseabuches wird zwar oft als Nordreichsdialekt bezeichnet, jedoch sind die Berührungspunkte zur zeitgenössischen, nordisraelitischen Epigraphik eher marginal, vgl. RUDNIG-ZELT 2006, 12.
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gerät nun verstärkt in den Blick. Bei der redaktionsgeschichtlichen Analyse liegt der Schwerpunkt nicht mehr wie bei der Literarkritik auf den kleinsten Einheiten, sondern auf den Schichten, die jeweils formal und inhaltlich einem Redaktor zugeschrieben werden können. Meist ist damit ebenso eine Spätdatierung dieser buchübergreifenden Redaktionsschichten (frühdtr., dtr., spätdtr.) verbunden.8 Während die frühere Forschung noch zuversichtlich war, Worte des historischen Propheten Hosea literarkritisch herausarbeiten zu können, hat sich mittlerweile das Forschungsinteresse auf die Arbeit der Tradenten verlagert. Damit ist die Frage nach dem historischen Propheten Hosea und dessen Verkündigung gänzlich in den Hintergrund getreten.9 Eine ausgewogene Beschäftigung mit dem Hoseabuch bedarf jedoch beider Zugangsweisen: zum einen der literarkritischen Suche nach den kleinsten Einheiten und den verwendeten Traditionen sowie zum anderen der redaktionsgeschichtlichen Rückfrage nach der Entstehung des vorliegenden Prophetenbuches. Beide Fragestellungen dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Dementsprechend muss eine Untersuchung der Traditionen im Hoseabuch gleichermaßen literar- und redaktionskritische Anfragen berücksichtigen. Das Hoseabuch hat zudem viele Traditionen übernommen, die sich in anderen Büchern des Alten Testaments ebenfalls finden. Eine kleine Auswahl genügt, um zu zeigen, dass die unterschiedlichsten Traditionen auf das Hoseabuch eingewirkt haben: die Schöpfungstradition (Hos 2,14.20; 4,1–3)10,
8 Als umfangreichere Arbeiten wären die Folgenden zu nennen: YEE 1987 vermutet nur wenig echt hoseanisches Gut im Hoseabuch, das von einem Sammler der Hiskiazeit und zwei Redaktoren (frühdtr. und dtr.) zusammengestellt worden sei. NISSINEN 1991 bespricht zwei Redaktionen des Hoseabuches und spätere unsystematische Fortschreibungen. NAUMANN 1991 geht von einem sukzessiven Wachstum des Hoseabuches aus, verzichtet aber auf die Herausarbeitung von einheitlichen Redaktionsschichten. Vielmehr spricht er von Nachinterpretationen zum ursprünglichen Hoseabuch. RUDNIG-ZELT 2006 hält das Hoseabuch für eine kommentierte Abfolge von weisheitlich beeinflussten Bildworten aus Juda, die einen Konflikt zwischen priesterlichen und prophetisch orientierten Kreisen widerspiegelt, was sich in verschiedenen Redaktionsschichten niedergeschlagen hat. VIELHAUER 2007 entwickelte ein vielschichtiges Redaktionsmodell und datiert die Geschichtsrückblicke erst spät, wodurch eine historische Rückfrage hinter die Traditionen wohl ausfallen muss. 9 Vgl. hierzu schon JEREMIAS 1983, 19: „Für den Ausleger der Worte heißt all dies, daß er nur in seltenen Fällen unmittelbaren Zugang zur mündlichen Verkündigung des Propheten besitzt, sie zumeist allenfalls mit einem gewissen Grad an Wahrscheinlichkeit rekonstruieren kann“. 10 Das Hoseabuch greift sprachlich explizit die priesterschriftliche Schöpfungserzählung auf, vgl. DEROCHE 1981. Die Bestrafung Israels wird somit als Umkehr der Schöpfungsordnung gezeichnet.
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die Jakobstradition (Hos 12,4–5.13)11, die Exodus- und Wüstentradition (Hos 2,16–17; 8,13; 9,3; 11,1.5; 12,10.14; 13,4)12 sowie Traditionen aus der Richter- und Königezeit (Hos 1,413; 5,8; 6,4–614; 6,7–1115; 9,8–9; 10,916). Traditionselemente finden sich demnach fast überall im Hoseabuch.17 Das Hoseabuch verweist zudem selbst immer wieder auf JHWH-Worte, die den Adressaten des Hoseabuches offensichtlich bekannt gewesen sein müssen (Hos 5,9; 7,12), auch wenn sich dies späteren Lesern nicht mehr erschließt. Eine Untersuchung der Traditionsgebundenheit der Prophetie des Hoseabuches ist bislang nur partiell, aber nie übergreifend unternommen worden.18 Gerade die Bezogenheit auf vielfältige Traditionen außerhalb des Hoseabuches lässt die redaktionskritische Fragestellung insofern in einem neuen Licht erscheinen, als die verwendeten Traditionselemente redaktionsgeschichtlich nicht notwendigerweise nur einer Hand zugewiesen werden kön11
Nach VOLLMER 1971, 105–115 wird Jakob im Hoseabuch nicht als Träger des Segens wie in Genesis, sondern als Betrüger entlarvt. DIEDRICH 1977 arbeitet literarkritisch in Hos 12 eine Jakob-Israel-Einheit heraus, die auf die mündliche Verkündigung Hoseas zurückgeführt werden könne und sekundär von den Propheten-Schülern durch EfraimEinheiten erweitert wurde. WHITT 1991 versucht, die Ausformungen der Jakobstradition im Hoseabuch und in der Genesis traditionsgeschichtlich zu verorten. Genesis und Hosea hätten eine gemeinsame Quelle von Kultsprüchen verwendet, die in Bethel gesammelt worden sind. 12 Für NEEF 1987, 235–242 ist die Exodus- und Wüstentradition ein fester Bestandteil in der Anklage Hoseas über die Untreue des Volkes. Außerdem stellt er Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen der Wüstenerwählungs- und der Bundestradition zusammen. HOFFMAN 1989 weist darauf hin, dass der Exodus nicht als historisches Ereignis, sondern in typologischer Redeweise im Hoseabuch verwendet werde. 13 Die Blutschuld von Jesreel könnte auf die Beseitigung des letzten Omriden durch Jehu anspielen, vgl. VOLLMER 1971, 102f. 14 Diese Verse könnten nach VOLLMER 1971, 101f. auf die vergeblichen Strafgerichte verweisen, die JHWH durch die Propheten ankündigen ließ. 15 NEEF 1987, 142–155 vermutet, dass hier die Tradition der Niedermetzelung der Efraimiten an den Jordanfurten gemäß Ri 12,1–6 zugrunde liegen könnte. 16 Nach VOLLMER 1971, 99–101 könnten diese Verse sowohl auf das Königtum Sauls wie auf die Schandtat in Ri 19 hinweisen. ARNOLD 1989 hingegen vermutet, dass Hosea die mündlich überlieferte Tradition vom Bruderkrieg („Sünde von Gibea“) verwendet hat, um den Syro-Ephraimitischen Krieg zu kritisieren. 17 Traditionselemente verbinden die drei Teile des Hoseabuches Hos 1–3; 4–11 und 12– 14, die in sich selbst ruhen, vgl. ZENGER 2004, 525. 18 Eine kleinere Auswahl von Traditionselementen bietet schon VOLLMER 1971, demzufolge Hosea nie an einer Geschichtsdarstellung interessiert gewesen sei, zumal er diese Elemente auf die Gegenwart beziehe. Die umfassendste Darstellung der im Hoseabuch verwendeten Heilstraditionen hat NEEF 1987 vorgelegt, der Bezüge des Hoseabuches zu der Jakobs-, Mose-, Wüstenerwählungs-, Bundes- und Dekalogstradition herausgearbeitet. Hosea habe oft nur durch Stich- oder Motivwörter auf die Heilstraditionen angespielt, so dass deren Bekanntheit bei den Rezipienten vorausgesetzt werden könne. Hosea stehe ganz „in Kontinuität zur Tradition“ und nehme keine radikale Uminterpretation derselben vor.
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nen. Außerdem wird damit die Frage virulent, welche Traditionen in welcher Form vorlagen und verwendet werden konnten. Die Abhängigkeiten zwischen der Tradition im Hoseabuch und den anderen biblischen oder mitunter auch außerbiblischen Belegstellen sind hierbei zu klären. Das Verhältnis von Passagen im Hoseabuch zu Texten, die eine ähnliche Tradition bewahrt haben, wird immer wieder unterschiedlich beurteilt. Oft wird gefolgert, dass die Referenztexte bereits vorgelegen haben müssen.19 Dies bedeutet freilich, dass man entweder von der Spätdatierung der von Hosea verwendeten Traditionen Abschied nehmen oder die Redaktionen am Hoseabuch, die für den Einschub dieser Traditionen verantwortlich sind, jünger datieren muss.20 Hierbei ist jedoch ebenso zu klären, ob die verwendeten Traditionen bereits schriftlich vorlagen oder noch mündlich tradiert worden sind und ob tatsächlich Abhängigkeitsverhältnisse festgestellt werden können, die eine diachrone Wertung zulassen.21 Diese Fragestellung soll an dem kurzen Prophetenwort Hos 2,16–17 getestet werden, vor allem inwieweit der in dieser Einheit ausgedrückte Erwählungsgedanke vorliegende Traditionen bereits aufgenommen haben kann oder auch nicht.
2. Tradition und Innovation in Hos 2,16–17 Der hier ausgesuchte Textbereich Hos 2,16–17 gehört zum größeren Rechtsstreit ( )ריבzwischen JHWH und seinem Volk. Im Rahmen dieses Rechtsstreits 19
GISIN 2002, 298–300 plädiert sogar für eine schriftliche Fixierung der von Hosea verwendeten Tradition im Zeitraum 1300–1000 v.Chr. 20 Vgl. hierzu neuerdings VIELHAUER 2007. 21 Fraglich ist somit, welche Traditionen den Hosea-Tradenten vorlagen, vor allem auch in welcher Form. Falls diese tatsächlich schon ganz oder teilweise schriftlich verfasst waren, würde dies die Frage nach einer übergreifenden Sammlung neu stellen. Aufgrund der Traditionsgebundenheit liegt dem Hoseabuch offensichtlich eine implizite Geschichtskonzeption zugrunde. Nach BONS 2004 umfasse diese Exodus, Landnahme, Untergang und Neubeginn und verweise zudem auf vorexilische Zeit. Ein ähnliches, aber um die Patriarchenzeit erweitertes Bild skizziert bereits DANIELS 1990. Jedoch spannen die verwendeten Traditionen einen noch größeren Bogen, nämlich von der Schöpfung bis in die Königszeit, der ebenfalls zu berücksichtigen ist. Während in den anderen Büchern des Dodekapropheton buchübergreifende Redaktionsarbeit am Werk war, ist für das Hoseabuch nur eine verhältnismäßig geringe redaktionelle Überarbeitung durch die Redaktoren des Dodekapropheton auszumachen. Dieser Umstand erlaubt eine gezielte Rückfrage nach der Arbeit der Hoseabuch-Tradenten, respektive, wie diese mit den vorliegenden Traditionen umgegangen sind. Insofern sollen sowohl die Aufnahme von zugrundeliegender Tradition wie auch die Innovation derselben durch die Hoseabuch-Tradenten untersucht werden. Hier ist freilich auch die historische Rückfrage für die Verortung der Arbeit der HoseabuchTradenten wichtig. Prophetie und deren Überlieferung bzw. Bearbeitung ist immer an historische Situationen rückgekoppelt.
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wird in Hos 2,4–25 über das rechte Eheverhältnis nachgedacht. Zunächst soll der kurze Textabschnitt Hos 2,16–17 vorgestellt werden: 16a 16b 16c 17a 17b 17c
Darum, siehe ich (bin) ein sie Verführender,22 und ich werde sie in die Wüste führen und zu ihrem Herzen sprechen und ihr ihre Weinberge von dort aus geben und das Tal Achor als ein Tor der Hoffnung.23 Also wird sie dorthin willig folgen wie in den Tagen ihrer Jugend und wie an dem Tag, als sie aus dem Land Ägypten heraufzog.
2.1 Zur Abgrenzung Die Wortverbindung לכןfindet sich im Hoseabuch nur viermal.24 Nach der abschließenden Formel נאם יהוהin Hos 2,15 wird hier mit לכןeine neue Einheit begonnen. Mit לכןwird meist ein Gerichtsorakel eröffnet, was an dieser Stelle allerdings nicht der Fall sein kann.25 Mit לכןwird das Folgende als antwortende Korrespondenz zum Vorausgehenden gekennzeichnet, ohne dass eine negative Konnotation vorliegen muss.26 Damit ist der Nachtragscharakter von Hos 2,16–17 sicher, da diese Verse aufgrund des eingeschobenen לכןdas Vorausgehende benötigen, das aber bereits formelhaft abgeschlossen ist. Der Umstand, dass hier nicht Unheil, sondern zukünftiges Heil angesagt wird, ist auch ein inhaltliches Argument für den sekundären Charakter und die Selbstständigkeit von Hos 2,16–17.27 22
NICCACCI 2006, 88 Anm. 53 deutet diese Konstruktion als futurum instans. Nach SCHMITT 1995, 125–132 könne es sich bei der angesprochenen Ehefrau JHWHs kaum um Israel, sondern eher um Samaria handeln. Denn Israel sei immer eine maskuline Größe, vgl. SCHMITT 1996, 97f. Nach KELLE 2009, 208 sei in diesem Bild die Oberschicht Samarias im Blick. Gegen solche Einschränkungen aber zu Recht DEARMAN 1999, 98–101, zumal der Hinweis auf die Exodusereignisse in Hos 2,17 auch sonst im Hoseabuch klar mit Israel zu verbinden ist. 23 Nach JENNI 2000, 44 ist hier lamed revaluationis anzusetzen. Die beiden Präpositionen לin 17a.b unterscheiden sich folglich, wobei die Präpositionsverbindung von 17a (lamed dativum) wie auch das Verbum noch in 17b weiterwirken. 24 Hos 2,8.11.16; 13,3. In Hos 2 dient לכןals strukturierendes Element, vgl. CLINES 1998, 294f. 25 Vgl. ANDERSON/FREEDMAN 1980, 269; CLINES 1998, 294, 297. 26 Vgl. MOSIS 1989, 117. 27 Vgl. YEE 1987, 79. MULZER 2003, 12f. verweist noch auf die Setzung von Setuma/Petucha als Anzeiger für einen Einschnitt nach Hos 2,15. Nach RUDOLPH 1966, 76 ist 17c hingegen ursprünglich vor 17a.b zu lesen. Erst wegen der Auslegung von 17c durch 18 sei die Umstellung erfolgt. Dagegen spricht aber die syntaktische Folge von w-qatal 1. Pers. Singular in 16b–17a, die diese drei Sätze zusammenbindet und noch 17b aufgrund einer Tilgungskonstruktion einschließt. Gegen eine Umstellung auch NEEF 1987, 110 Anm. 179; MOSIS 1989, 123 Anm. 41. Die dreifache Struktur mit לכןin Hos 2,4–17 drücke nach
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Innerhalb des Hoseabuchs wird nur noch in Hos 2,8 לכןmit הנה+ Partizip verbunden.28 In Hos 2,16 liegt allerdings ein vollständiger Nominalsatz mit selbständigem Personalpronomen 1. Pers. Singular als Subjekt vor, so dass הנהwohl den ganzen Satz und nicht nur das Subjekt verstärkt. Diese Eröffnung ist singulär im Hoseabuch, was ebenfalls für den Nachtragscharakter von v.16–17 spricht. Neben der Verwendung des Verbums הלךfür eine Bewegung zu JHWH hin sind v.16–17 auch inhaltlich mit v.8–9 verbunden. Denn die Wildnis von v.8– 9 wird nach dem Wüstenaufenthalt endlich wieder in fruchtbares Kulturland gewandelt. Insofern könnte es sich bei beiden Versgruppen um eine nachträgliche Wende der ursprünglichen Anklage in ein Heilsorakel handeln.29 Hos 2,16–17 ist auf eine Fortsetzung angelegt, zumal die Antwort Israels in 17c äußerst knapp und syntaktisch verdichtet (s.u.) angegeben wird.30 Außerdem ist die Umkehr als Voraussetzung für die spätere Landgabe noch nicht explizit in den Blick geraten. Insofern sind Hos 2,18–25 die nötige Fortsetzung von Hos 2,16–17, was aber bei der Untersuchung der zugrundeliegenden Tradition nicht weiter verfolgt werden soll.31 CLINES 1998, 297f. gerade die göttliche Unentschlossenheit aus. JHWH denke zunächst an eine Bestrafung, entscheide sich aber schließlich für eine Wiederherstellung Israels. 28 Nach MOSIS 1989, 115f. wird durch הנהder vollständige Nominalsatz (selbständiges Personalpronomen + Partizip), nicht ein Element wie in Hos 2,8 betont. Eine Konstruktion mit הנהist nur dreimal im Hoseabuch zu finden, vgl. Hos 2,8.16; 9,6. 29 Vgl. HAAG 1996, 12, der Hos 2,8–9* und 2,16–17 auch aufgrund der ähnlichen Einführung als Bearbeitungsschicht deutet. RUPPERT 1994a, 170–175 arbeitet Bezüge zwischen diesen beiden Versgruppen heraus. Ein ursprüngliches Gerichtswort sei in ein Heilswort umgewandelt worden. Insgesamt gebe es in Hos 1–3 vier Überlieferungs- bzw. Kompositionsphasen. Auf der Ebene einer Schülerredaktion seien diese Verse nach RUPPERT 1994b, 184–186 bereits in der zweiten Hälfte des 8. Jh. v. Chr. vor der Katastrophe von 725/722 hinzugefügt worden. VERMEYLEN 2003, 46–48 weist hingegen diese Verse einem nachexilischen Redaktor zu, der zur selben Schule gehöre wie Jer 24. Jedoch gibt er hierfür nur inhaltliche Gründe an. Desgleichen sind die vorgeblichen sprachlichen Berührungspunkte zwischen Hos 2,25 und Jer 24,7 kaum vorhanden. Die Datierung von Hos 2,16–17 bewegt sich folglich zwischen vorexilisch bis nachexilisch und ist wohl davon abhängig, ob man Heilsworte bereits den vorexilischen Tradenten zuweisen kann. 30 Es verwundert daher nicht, dass NICCACCI 2006, 94 Hos 2,17c–18 als eine eigene Einheit betrachtet. 31 RUDNIG-ZELT 2006, 97 hält v.18–25 für eine „Anhäufung von Zusätzen“. Außerdem scheint bereits der Abschnitt v.16–17 ein Interpretament eines vorgegebenen Sachzusammenhangs zu sein, vgl. JEREMIAS 1996, 73. LEVIN 1985, 241 sieht in den Verknüpfungsformeln v.18.20.23 und den mehrfachen Bezugswechseln Hinweise auf sekundäre Fortschreibungen. NISSINEN 1991, 341 vermutet in Hos 2,16–25 unsystematische heilseschatologische Fortschreibungen. SCHÄFER-LICHTENBERGER 1995, 117 hält Hos 2,4–18*.21–22 für eine formal und inhaltlich geschlossene Einheit, die durch weitere Heilsworte erweitert worden sei. Anders hingegen GISIN 2002, 88–89, der in Hos 2 die fortlaufende dichterische oder schriftstellerische Tätigkeit des Hosea-Autors am Werk sieht, da die Reihung von
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2.2 Zur syntaktischen, poetischen und inhaltlichen Struktur Die kleine, sekundär ergänzte Einheit Hos 2,16–17 beginnt mit einem durch הנהbetonten Partizipialsatz, der als futurum instans zu deuten ist. Auf derselben Zeitebene wird mit w-qatal eine Folge von Handlungen dargestellt. Oft wird zwischen den beiden Versen 16 und 17 eine inhaltliche Zäsur angesetzt, was sich dann auch in der Übersetzung der verseröffnenden Konjunktion וvon 17a mit „darum“ niederschlägt.32 Eine solche Abgrenzung ist aber satzsyntaktisch nicht angezeigt. Vielmehr wechselt erst 17c in w-qatal 3. Pers. femininum Singular, so dass erst hier ein Neuansatz festgestellt werden kann. Somit scheinen die Sätze 16b–17a mit jeweils w-qatal 1. Pers. Singular vom Nominalsatz in 16a abzuhängen, der syntaktisch als „voranstehender Obersatz“33 gedeutet werden kann, dem dann zwei Zweizeiler folgen. JHWH verführt demnach Israel, wiederum in die Wüste zu gehen, damit er dort zu deren Herzen sprechen und von dort aus das Land schenken kann. 17c bestätigt schließlich das erfolgreiche Locken JHWHs, wobei noch auf die Exodustradition verwiesen wird. Inhaltlich liegt ab dem Obersatz 16a eine ABC-C’B’A’-Struktur vor, mit der Gabe der Weinberge in 17a (C) und der Umwandlung des Achor-Tals in ein Tor der Hoffnung (C’) als zentrale Elemente. Dem Zureden in 16c (B) entspricht die Antwort Israels in 17c (B’). Die Führung in der Wüste in 16b (A) wird mit dem Exodus in 17c (A’) verglichen. Diese inhaltliche Struktur, die poetisch von drei Zweizeilern gebildet wird, ist jedoch durch die syntaktische Struktur aufgebrochen: Denn auf die Aktion JHWHs (16a–17b) folgt die Reaktion Israels (17c). Die nötige Antwort Israels wird syntaktisch durch den Wechsel in w-qatal 3. Pers. femininum Singular hervorgehoben. Durch diese ineinander verschränkten Strukturen wird darauf verwiesen, dass alles auf die Initiative JHWHs – ausgedrückt durch den Obersatz 16a – zurückzuführen ist, wobei die Gabe des Verheißungslandes (CC’) das zentrale Element der Einheit ist. 2.3 Zur Idiomatik Die Idiomatik von Hos 2,16–17 ist aufschlussreich. Meist wird hier Liebessprache vermutet, was aber den textlichen Befund reichlich überinterpretiert. Nach Hos 2,16 schlüpft JHWH in die Rolle eines Verführers, der Israel zunächst in die Wüste lockt, um es dort wieder für sich zu gewinnen. פתה-D
Einzelsprüchen, die inhaltlich, literarisch und thematisch miteinander vernetzt sind, typisch für Hosea sei. Ein solches Postulat bleibt aber bestenfalls hypothetisch. Denn auch Redaktoren ordnen vorliegende Einzelsprüche nach festen Kriterien an. 32 Vgl. WOLFF 1976, 36; JEREMIAS 1983, 37. 33 Vgl. WACKER 1996, 75.
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wird oft in negativer Absicht verwendet.34 Selbst JHWH versucht immer wieder, Menschen zu verführen. Neben der Bedeutung „Verführung zum Bösen“ kann mit diesem Verbum in weisheitlichem Kontext auch die Verlockung zum Guten ausgedrückt werden, insbesondere die Versetzung in einen Zustand, in dem helfende Unterweisung und erzieherische Führung durchaus angenommen wird.35 Das Idiom הלך-H + מדברfindet sich nur noch in Dtn 29,4; Ps 136,16; Jer 2,6; Am 2,10. Aber an allen diesen Stellen wird מדברimmer als lokales Präpositionalobjekt mit בverbunden, während in Hos 2,16 eine schwierigere Lesart vorliegt, so dass die Hoseastelle vielleicht auf eine frühere Tradition der göttlichen Führung Israels in der Wüste zurückgehen mag.36 Auch metrische Gründe können diese außergewöhnliche Lesart nicht erklären. Fraglich ist, was mit diesem Bild eigentlich gemeint ist, ob an eine Exilierung oder an eine nomadische Existenz Israels gedacht ist.37 Jedoch geht es hier nicht um die Schilderung bestimmter geschichtlicher Vorgänge, sondern um das personale Handeln JHWHs an Israel. Eine zeitgeschichtliche Verortung steht folglich nicht im Blick der vorliegenden Einheit. Das Idiom דבר על לבist meist ein Ausdruck des freundschaftlichen Werbens um einen nahen Menschen. An ein vertrautes Gespräch zwischen zwei 34 Ex 22.15; Ri 14,15; 16,5; 2Sam 3,25; 1Kön 22,20–22//1Chr 18,19–21; Ps 78,36; Spr 1,10; 16,29; 24,28; Jer 20,7; Ez 14,9; Hos 2,16. Vgl. auch ANDERSON/FREEDMAN 1980, 271f.; JEREMIAS 1983, 47. Nach DEARMAN 2010, 121 hat dieses Verb aber positive und negative Konnotationen. RUDOLPH 1966, 75 vermutet, dass hier Liebessprache vorliegt. Ähnlich auch SCHULZ-RAUCH 1996, 122, der JHWH die „Zudringlichkeit eines werbenden Liebhabers“ zuschreibt. VOLLMER 1971, 86f. wendet sich gegen die zu schwache Bedeutung „locken“ und hält an der Grundbedeutung „unerfahren sein, sich betören lassen“ fest. Auch WACKER 1996, 76f. schließt „verführerische Obertöne“ nicht aus, vor allem wegen des Stichwortes „Weinberg“. Nach NEEF 1987, 108 kann פתהin einem guten wie bösen Sinn gebraucht werden, wobei aber aufgrund des Kontextes die positive Deutung überwiegt. Gegen die Deutung als Liebessprache mit guten Gründen aber MOSIS 1989, 126. Nach CLINES/GUNN 1998, 285–289 handelt es sich hierbei um den Versuch einer Verführung, der nicht notwendigerweise erfolgreich sein muss. Eine tatsächliche Verführung wird mit diesem Lexem zumindest nicht ausgesagt, wie vor allem 1Kön 22,20– 22//2Chr 18,19–21 zeigen, wo noch der Erfolg der Verführung eigens ausgedrückt wird. 35 Zur Ambivalenz von פתה-D vgl. MOSIS 1989, 123–127; HAAG 1996, 27; WACKER 1996, 76. Vielleicht muss JHWH hier die Verkommenheit Israels ausnutzen, um es zu verführen, wieder in die Wüste zu gehen, damit eine erneute Gottesbegegnung möglich wird. 36 Auch für ANDERSON/FREEDMAN 1980, 272 ist diese Konstruktion archaisch. 37 Vgl. zu dieser Fragestellung WOLFF 1976, 50. NEEF 1987, 111 weist darauf hin, dass hier kein nomadisches Ideal vertreten wird, da die Wüste nur ein Durchgangsstadium bildet. Nach DEARMAN 2010, 121 ist die Zeit in der Wüste zudem eine zweite Brautzeit. GISIN 2002, 84 vermutet hingegen, dass die Frau im Exil war, bevor dann der Exodus durch die Wüste stattfinden konnte. Für eine solche Deutung gibt es aber keinen textlichen Hinweis.
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Liebenden ist hingegen kaum zu denken; denn in allen Belegen, die dieses Idiom verwenden, ist die Situation zwischen den Gesprächspartnern schwierig geworden. Im Hintergrund steht meist eine Schuld, für die man um Vergebung nachsucht.38 Die Stelle Ri 19,3 entspricht am besten dem Verhalten JHWHs in Hos 2,16. Der Levit spricht seiner entlaufenen Frau zu Herzen, um sie zur Rückkehr zu bewegen.39 Auf alle Fälle soll der Partner in seiner Entscheidungskraft beeinflusst werden.40 In Hos 2,17 werden mit den Weinbergen bereits die Gaben genannt, die JHWH Israel in der Wüste verspricht. Die Präpositionsverbindung „ משׁםvon dort“ bezieht sich vermutlich auf die Wüste, von wo JHWH Israel herausführt.41 Wahrscheinlich gibt JHWH die einstigen Weinberge wieder an Israel zurück, da כרםhier mit enklitischem Personalpronomen 3. Pers. femininum Singular versehen ist.42 Der Aufenthalt in der Wüste dient vermutlich nur der Werbung um Israel. Die Verbindung נתן+ כרםist nur hier mit JHWH selbst verbunden. Die Übergabe von Weinbergen ist ansonsten immer eine Prärogative eines Herrschers.43 Im Gegensatz hierzu ist in KTU 1.24,22 die Gabe von Weinbergen der Brautpreis, den die Mondgöttin Nikkal bei ihrer Hochzeit mit dem Mond
38 Vgl. FISCHER 1984, 246–250, der als Grundbedeutung „gegen das Herz/Einstellung von jemandem anreden“ annimmt. Vgl. zu dieser Wortverbindung Gen 34,3; 50,21; Ri 19,3; Rut 2,13; 2Sam 19,8; 2Chr 30,22; 32,6; Jes 40,2; Hos 2,16. Eine Ausnahme ist lediglich 1Sam 1,13, wo vermutlich die Präposition vertauscht worden ist, vgl. ebd., 246. Schon VOLLMER 1971, 87 wendet sich gegen eine Einengung dieser Idiomatik auf den Bereich der Liebessprache und denkt an eine Bedeutung im Sinne von „ins Gewissen reden, ermahnen“. Dieses Idiom drückt also nicht immer ein freundliches umwerbendes Zureden aus. Eine Interpretation dieses Idioms als Ausdruck der Liebessprache vertreten jedoch NEEF 1984, 98; SCHULZ-RAUCH 1996, 121f. 39 Vgl. hierzu auch WOLFF 1976, 51. 40 Neben dieser semantischen Ebene ist in 16b.c sprachlich auch noch Paranomasie zwischen מדברund דברsowie Alliteration festzustellen, vgl. YEE 1987, 80, die auf weitere Fälle von Paranomasie hinweist. Zu diesem Wortspiel vgl. auch LANDY 1995, 40. Nach GISIN 2014, 144 geht es zudem um „eine veränderte Herzenshaltung“. 41 Anders GISIN 2014, 144f., der einen Bezug zur biblischen Kundschaftererzählung herstellt. Die Kundschafter hätten ebenfalls „von dort“, d.h. dem Verheißungsland, Trauben mitgebracht. Nach LANDY 1995, 41 könnten die Weinberge auch mit der Wüste verschmolzen werden. 42 Vgl. RUDOLPH 1966, 77; MAYS 1975, 45; NEEF 1987, 109. Zu diesem Problem vgl. VOLLMER 1971, 87f. ANDERSON/FREEDMAN 1980, 272.274 lehnen eine solche Rückgabe der Weinberge ab, und denken eher an eine possessive Bedeutung des enklitischen Personalpronomens. RUDOLPH 1966, 74; NEEF 1987, 105 besprechen darüber hinaus verschiedene Konjekturen für das schwierige משׁם. RUDOLPH 1966, 77 wendet sich zu Recht gegen eine temporale Deutung von משׁם. So aber wohl FISCHER 1984, 249. 43 Vgl. Num 16,14; 1Sam 22,7; Hld 8,11; Jer 39,10. Ähnlich auch die Erzählung vom Weinberg des Nabot in 1Kön 21,2.6.7.15.
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erhält.44 Insofern hat man aufgrund dieser außerbiblischen Parallele auch das Idiom נתן+ כרםmit der Ehemetaphorik verbunden. Hinzu kommt, dass auch in Jos 15,19 und Ri 1,15 der Braut ein Brautpreis mit dem Allerweltsverb נתן übergeben wird. Dort sind es aber Quellen, die im Negeb nötig sind, damit das Geschenk zum Segen werden kann. Aufgrund dieser inhaltlichen wie semantischen Differenz ist es schwierig, in Hos 2,17 ebenfalls eine Ehemetaphorik zu vermuten.45 Der abstrakte Ausdruck „( פתח תקוהTor der Hoffnung“) ist schwer zu verstehen.46 Das nomen rectum תקוהwird oft in weisheitlichen Schriften verwendet. Oft wird vermutet, dass hier auf die Prostituierte Rahab in Jos 2,18.21 angespielt werden soll,47 die mit einer תקוה-I („Schnur“) am Fenster verhindert, dass sie und ihre Familie bei der Eroberung JericHos getötet werden. Somit wäre auf die Eroberung JericHos nach Jos 2 und 6 angespielt. Ein Bezug auf diese Stellen wäre dann denkbar, wenn in Hos 2,17 die Achan-Erzählung im Hintergrund läge. Dies ist aber – wie noch zu zeigen ist – kaum der Fall, so dass nicht mit einer Abhängigkeit zu weiteren Josuastellen gerechnet werden muss. Außerdem wird in Hos 2,17 das Homonym תקוה-II verwendet. Ähnlichkeiten in der Idiomatik können zudem zufällig entstanden sein. Auch eine Deutung von Hos 2,17 als Metapher für Erotik und Fruchtbarkeit erscheint wenig plausibel, da der semantische und pragmatische Kontext von Hos 2,16–17 keine hinreichenden Hinweise für ein solches Verständnis liefert.48 Das ansonsten häufige Verbum ענהfindet sich nur selten im Hoseabuch.49 Lediglich hier liegt in Verbindung mit ענהeine syntaktisch unvollständige
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ANDERSON/FREEDMAN 1980, 273f.; JEREMIAS 1983, 47 Anm. 13. Kritisch hierzu NICCACCI 2006, 90f. Anm. 62. 45 Vgl. hierzu ANDERSON/FREEDMAN 1980, 274f. 46 Auf alle Fälle ist weder an eine Umbenennung des Achor-Tals noch an eine Transformation der Wüste in ein „Tor der Hoffnung“ gedacht. Zu solchen Deutungen, die keinen textlichen Anhalt haben, vgl. HAAG 1996, 28. 47 ANDERSON/FREEDMAN 1980, 276; LANDY 1995, 41; NICCACCI 2006, 90f. Anm. 62; DEARMAN 2010, 123; GISIN 2014, 145. 48 Der Versuch, aufgrund der Verwendung des Lexems „( כרםWeinberg“), das in Hld 1,6 eine Metapher des weiblichen Körpers ist, auch תקוהals Terminus zu verstehen, der sich wie in Rut 1,12; Jer 31,17 auf Nachkommenschaft bezieht, vgl. WACKER 1996, 77, wie auch die Deutung von פתחals „Öffnen der fruchtbaren Ackerfurche“ ist wohl eine Überinterpretation des Textes. Zumindest in Jer 31,17 bezieht sich תקוהauf die Rückkehr der Versprengten und nicht auf den Kontext von Geburt. Was mit תקוהin Rut 1,12 tatsächlich gemeint ist, ist zudem schwierig zu entscheiden. 49 Hos 2,17.23(dreimal).24(zweimal); 5,5; 7,10; 14,9. Gegen textkritische Änderungen VOLLMER 1971, 88. Zu unterschiedlichen Interpretationen vgl. RUDOLPH 1966, 74. Nach YEE 1987, 102, 81 könnte eine Anspielung auf Ex 19,8 vorliegen. Die Verwendung des Allerweltsverbums ענהan beiden Stellen rechtfertigt allerdings kaum eine solche Bezug-
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Konstruktion mit Tilgung eines Bewegungsverbums vor, was zu einer lexikalischen Bedeutungsdifferenz geführt hat.50 Hos 2,17c schließt also mit einer constructio praegnans, die in ähnlicher Form auch in Hos 1,2; 2,20; 3,5 zu finden ist. In Hos 2,17c wird folglich ein Verbum der Bewegung hinzugedacht: „Israel antwortet [und zieht] dorthin.“ JHWH war demnach mit seinen Bemühungen erfolgreich.51 Der Bezug von שׁמהist jedoch undeutlich.52 Wahrscheinlich bezieht sich dieses direktive Adverb auf das Achor-Tal,53 zumal die Antwort Israels nach 17c eine vorherige Ansprache JHWHs erfordert und das willige Folgen nicht den Gang in die Wüste, sondern in das fruchtbare Kulturland meint. Somit ist von zwei Referenzebenen des Adverbs שׁםauszugehen.54 Die syntaktische Folge von w-qatal in 16b–17c ist als zeitliches Nacheinander zu verstehen, so dass das Antworten Israels (17c) nach der Führung und der Ansprache in der Wüste sowie der versprochenen Gabe des Kulturlandes erfolgt (16b–17b). Ein zeitlicher Rückgriff auf die Zeit, bevor Israel in die Wüste gegangen ist, ist syntaktisch ohnehin schon aufgrund der Progressform nicht angezeigt. Der Vergleich mit den „Tagen der Jugend“ hat seine nächste Parallele in Ezechiel.55 Ob Hos 2,17 allerdings auf Ezechiel zurückgreift, ist nicht si-
nahme. Nach DEARMAN 2010, 123 hat dieses Verb hier die „connotation of accepting an invitation, and more particularly, responding to an invitation from a spouse“. 50 ענהhat hier nicht dieselbe Bedeutung wie in Hos 5,5; 7,10 („bezeugen“), vgl. ANDERSON/FREEDMAN 1980, 277. Nach HAAG 1996, 28 sei die Antwort Israels als Gegenliebe zu verstehen. Zu diesem Lexem vgl. auch NICCACCI 2006, 100. 51 Nach JEREMIAS 1983, 48 umfasst die Antwort sowohl die Einwilligung in die Ehe wie auch das gehorsame Tun. 52 Für die direktive Bedeutung von שׁמהvgl. ANDERSON/FREEDMAN 1980, 277. Anders LEVIN 1985, 243, der Israel „dort“, also wohl in der Wüste, antworten lässt. Schon RUDOLPH 1966, 73f. deutet שׁמהals „dort“. 53 Vgl. hierzu VOLLMER 1971, 87f.; NEEF 1987, 110; BONS 1996, 56; SCHULZ-RAUCH 1996, 124. CLINES 1998, 305 vermutet die gleiche Referenz an beiden Stellen für שׁם, nämlich die „Wüste“, als Ort der Begegnung mit JHWH. Nach ANDERSON/FREEDMAN 1980, 272 sei eine genaue semantische Differenzierung zwischen משׁםund שׁמהohnehin schwierig. Wenn sich allerdings beide Ausdrücke auf die Wüste beziehen, wäre im zweiten Fall eine separative Präposition zu erwarten, also ein „Antworten von dort (= der Wüste)“ und nicht ein „Antworten dorthin“. Die Antwort Israels setzt zudem das Zureden JHWHs sachlich und logisch voraus. Israel folgt nicht willig in die Wüste, um dort von JHWH umworben zu werden. Es gibt auch keinen kolometrischen Grund für eine Änderung von משׁםzu שׁמה. Nach GISIN 2014, 143 befindet sich Israel nach dem vorausgehenden Kontext zunächst in der Verbannung und wird dann in der Wüste von JHWH umworben. 54 Vgl. MOSIS 1989, 129f. 55 Vgl. Ez 16,22.43.60; 23,19. NEEF 1987, 111 vergleicht diesen Ausdruck mit Jer 3,4, wo JHWH als „Freund der Jugendzeit“ dargestellt wird. Nach WACKER 1996, 213 verwendet Hosea bewusst traditionelle Hochzeitssprache in heilsgeschichtlichem Kontext. Ob man dies aus den prophetischen Belegen rekonstruieren kann, sei dahingestellt.
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cher.56 In Ezechiel ist zudem die Jugendzeit nicht zwingend positiv konnotiert. Nach Ez 23,19 beziehen sich die „Tage der Jugend“ auf die Zeit der Untreue Israels in Ägypten, während Ez 16,22 die Hilflosigkeit Israels während der Kindheit betont. Nur die Tradition des Rückbezugs auf die Jugendzeit hat Hos 2,17 mit Ezechiel gemein, nicht aber deren inhaltliche Füllung. Abhängigkeitsverhältnisse sind zwar nicht auszuschließen, aber kaum zwingend nachzuweisen. Mit עלהwird ein geprägter terminus technicus für den Auszug aus Ägypten verwendet.57 Eine diachrone Verortung von Hos 2,17 innerhalb der Entwicklung dieser Formel ist jedoch kaum möglich. Die Idiomatik von Hos 2,16–17 ist insgesamt ausgesprochen eigenständig und lässt nur wenig Bezüge zum übrigen Hoseabuch erkennen. Auch gegenüber anderen biblischen Stellen bewahrt Hos 2,16–17 vermutlich noch eine semantisch frühere Stufe, so dass man hier von einem frühen Zustand der Verschriftlichung der sogenannten „Wüstentradition“ ausgehen kann. Hos 2,16–17 scheint zumindest idiomatisch der Anfangspunkt dieser Tradition zu sein. Wenn dem so ist, dann handelt es sich um eine bedeutende Innovation der Hosea-Tradenten. Außerdem ist die Ehemetaphorik in der kleinen Einheit Hos 2,16–17 noch nicht explizit vorhanden. Erst auf synchroner Ebene des Endtextes können solche Bezüge festgestellt werden, was aber lediglich als sekundäre Umprägung zu beurteilen ist. In Hos 2,16–17 selbst lässt sich dies zumindest noch nicht erkennen. 2.4 Zu den Traditionen hinter dem Toponym Achor-Tal Während sich die Verwendung der Exodustradition bislang innerhalb von Hos 2,16–17 ganz im Allgemeinen bewegt hat, wird jetzt durch das Einspielen eines Toponyms die Schilderung konkreter. Das von JHWH geschenkte Achor-Tal wird nach Hos 2,17 zum „Tor der Hoffnung“. Das Achor-Tal ist im Alten Testament nur fünfmal belegt. Um die Beziehung von Hos 2,17 zur Tradition einschätzen zu können, sollen die jeweiligen Stellen kurz besprochen werden: 2.4.1 Jos 7,24.26 In Jos 7 hat der Israelit Achan gebanntes Gut für sich behalten und JHWH nicht geweiht, weshalb ganz Israel bestraft worden ist. Als der Diebstahl offenbar wurde, hat man Achan, seine Familie und seinen Besitz in das Achor-Tal („Unglückstal“) geschafft, wo man sie gesteinigt und verbrannt hat. Nach Jos 7 ist das Achor-Tal somit der Ort, wo das Gottesgericht an Achan vollstreckt wird, damit das Unglück gegen Israel gewendet wird. Israel 56 57
Zuversichtlich zu einer Beeinflussung durch Ezechiel LEVIN 1985, 241–243. Vgl. hierzu auch DEARMAN 2010, 122 Anm. 9.
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wird folglich durch das Gericht über einen Einzelnen von seiner Schuld freigesprochen. Wie Achan Israel ins Unglück stürzte, so wurde er schließlich selbst ins Unglück gebracht. Die Erzählung um Achan ist offensichtlich eine Ätiologie für das Achor-Tal, worauf auch der „Steinhaufen“ im Achor-Tal gemäß Jos 7,26 hinweist, der bis zum Zeitpunkt der Abfassung bzw. Redaktion des Josuabuches im Achor-Tal zu finden ist.58 Aufgrund der abweichenden Namensform lässt sich der Eigenname Achan etymologisch nicht mit dem Achor-Tal verbinden. Er wird vermutlich als eigenes Überlieferungselement zu deuten sein.59 Das Unglückstal Achor wird nun in Hos 2,17 zum „Tor der Hoffnung“ für Israel.60 In Hos 2,17 wird meist eine positive Umfärbung der Tradition von Jos 7,24–26 mitgehört: nicht Zerstörung, sondern Läuterung Israels sei mit dem Achor-Tal zu verbinden. Diese Läuterung wäre dann ein Hoffnungszeichen für Israel. Allerdings ist in Hos 2,16–17 nirgendwo von Strafe oder Läuterung die Rede. Vielmehr verführt JHWH sein Volk, damit Israel in die Wüste geht, wo er um dessen Gunst werben kann. In Hos 2,16–17 geht es auch nicht um einen Einzelnen, der mit seiner Schuld ein ganzes Volk in Gefahr bringt, sondern um das ganze Volk. Außerdem ist in Hos 2,16–17 JHWH der eigentlich Handelnde, während in Jos 7 Josua die Initiative ergreift, indem er JHWH nach dem Grund für seinen Zorn befragt. Hinzu kommt, dass eine kriegerische Landnahme wie im Josuabuch für Hos 2,16–17 ebenfalls nicht anzunehmen ist. Inhaltlich unterscheiden sich also beide Stellen ganz erheblich, so dass eine direkte Bezugnahme ausgeschlossen ist. Entweder haben die HoseaTradenten eine andere Tradition des Achor-Tales im Blick61 oder sie verwenden lediglich das semantische Wortspiel „Unglückstal“ – „Tor der Hoffnung“, um darauf hinzuweisen,62 dass selbst aus einer hoffnungslosen Situation Glück geboren werden kann.
58 NEEF 1987, 110. Zu Jos 7 als Erzählung, die sekundär zu einer Ätiologie umgewandelt wurde, vgl. MOSIS 1989, 132. DIETRICH 2007, 59–64 hält Jos 7 für eine spätdtr. Lehrerzählung, die als Ortsätiologie konstruiert ist. 59 Vgl. NEEF 1984, 93. Nach DIETRICH 2007, 64 Anm. 40 könnte es sich bei Achan in der Tat um einen im Achor-Tal hingerichteten Verbrecher gehandelt haben. 60 Vgl. hierzu auch NICCACCI 2006, 89 Anm. 58; DEARMAN 2010, 122. 61 Vgl. DIETRICH 2007, 64 Anm. 40. 62 Vgl. hierzu MAYS 1975, 45. Wenn Jos 7 tatsächlich eine spätdtr. Lehrerzählung ist, kann eine direkte Bezugnahme von Hos 2,16–17 auf diese Tradition ohnehin auszuschließen sein.
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2.4.2 Jos 15,7 In Jos 15,7 wird das Achor-Tal verwendet, um die Grenze Judas zu markieren: „Die Grenze stieg dann hinauf aufs Hinterland weg vom Achor-Tal, und sie wandte sich nördlich nach Gilgal, welches dem Anstieg von Adummim gegenüberliegt“.63 Die Verbindung דברה מעמק עכורist schwer zu deuten, zumal bei dem ersten Lexem meist ein Ortsname Debir mit he locale vermutet wird.64 Wenn man jedoch דברals Nomen „Hinterland“ und die folgende Präpositionsverbindung als Anzeichen dafür versteht, dass dieses Hinterland in einiger Entfernung zum Achor-Tal liegt, dann bezeichnet das Achor-Tal nicht die Grenzlinie zwischen Juda und Benjamin, sondern die Grenze verläuft dann durch das Gebiet hinter dem Achor-Tal. Das Achor-Tal könnte demnach bereits auf benjaminitischem Gebiet liegen. Vermutlich rührt diese allgemeine Bestimmung des Grenzverlaufs daher, dass im fraglichen Gebiet keine nennenswerte Besiedlung vorhanden war. Deshalb konnte die Grenzbeschreibung auch nicht auf exakte Fixpunkte zurückgreifen. Die vage Ortsbeschreibung in Jos 15,7 hilft ohnehin für eine Rückfrage nach der in Hos 2,16–17 zugrundeliegenden Tradition kaum weiter, zumal sie nur die Grenze zwischen Juda und Benjamin bestimmen möchte, sich aber jeglicher Beschreibung von Traditionen um das Achor-Tal enthält. 2.4.3 Jes 65,10 Nur noch Jes 65,10 bietet eine weitere Tradition zum Achor-Tal.65 Hier wird das Achor-Tal zum Lagerplatz für Rinder. Das Achor-Tal und der Scharon sind hier vermutlich ein geografischer Merismus66 für den besonderen Reich63 Nach NOTH 1955, 52–55 spricht Jos 15,7 für die Buqēʿa südlich von Jericho. Vgl. auch MILIK/CROSS 1956, 75f.; MAYS 1975, 45; DE VOS 2003, 329. Jedoch würde man bei einer solchen Ansetzung des Grenzverlaufes eine Zickzacklinie erhalten, vgl. WOLFF 1954, 79. 64 Vgl. zum Problem NEEF 1984, 96f., der an einen nicht näher bekannten Ortsnamen denkt und die Präposition מןentweder partitiv oder separativ versteht. 65 BERGES 1998, 550 weist diese Stelle einer späten Redaktion zu, der es besonders um die Integration von Fremden und die Scheidung zwischen Frevlern und Frommen ging. Bei einer solchen Datierung ist eine Bezugnahme von Hos 2,16–17 auf Jes 65,10 sicher auszuschließen. 66 Vgl. MOSIS 1989, 132; WACKER 1996, 77. Ähnlich NEEF 1984, 103; ZAPFF 2006, 423. Nach BERGES 1998, 502 wird damit das Gebiet des gesamten alten Israels bezeichnet. NOTH 1955, 48f. vermutet hier hingegen einen Wechsel der Fruchtbarkeit der beiden genannten geografischen Bereiche: Während die fruchtbare Scharonebene zu einer Kleinviehtrift degradiert wird, soll das Achor-Tal zu einem Lagerplatz für Rinder aufsteigen. Bei einer solchen Deutung entfällt freilich der oben vermutete Merismus, da hier ein Gegensatz zwischen beiden Regionen konstruiert wird. Allerdings müsste man dann einen antithetischen Parallelismus postulieren, der im letzten Teil des Jesajabuches nur an wenigen Stel-
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Gottes Verbindung zu seinem Volk
tum des Verheißungslandes. In dieser Doppeldeutigkeit der beiden Grenzpunkte konnte das Land als Gesamtes gut dargestellt werden.67 Die Scharonebene ist vermutlich die Westbegrenzung des Landes, während das Achor-Tal als pars pro toto für das Jordantal die Ostbegrenzung markieren soll. Während in Jes 65,10 die Initiative nicht von JHWH, sondern vom Volk auszugehen scheint, das auf der Suche nach JHWH ist, wird in Hos 2,16–17 JHWH als der eigentlich Handelnde vorgestellt.68 Ferner wird der Empfang des Landes in Jes 65 auf eine bestimmte Gruppe eingeschränkt und gilt damit nicht allgemein dem Volk, wie dies aber in Hos 2 der Fall ist.69 Insgesamt ist es demnach schwierig, Hos 2,16–17 und Jes 65,10 miteinander in Beziehung zu setzen. Jes 65,10 könnte höchstens eine einschränkende Auslegung der Hoseastelle sein und damit von Hos 2,16–17 abhängen. Ein umgekehrtes Abhängigkeitsverhältnis kann hingegen kaum angenommen werden. Ebenso kann keine Verbindung zum Frevel Achans gemäß Jos 7 gezogen werden. In Hos 2,17 ist die Gegenüberstellung „Unglückstal“ – „Hoffnungstor“ bestens in den Kontext eingebunden, ohne dass eine Abhängigkeit zu einer biblisch belegten Tradition erwiesen werden kann.70 Alle Traditionen, die das Achor-Tal erwähnen, scheinen kaum Bezug aufeinander zu nehmen. Die jeweiligen Kontexte sind so verschieden, dass ein Rückgriff auf eine bekannte Schriftstelle oder eine fest gefügte mündliche Tradition sehr unwahrscheinlich ist. Hos 2,16–17 greift vermutlich nicht die Achan-Tradition aus Jos 7 auf, sondern ist eher als etymologisches Wortspiel entstanden. Jos 7 hingegen ist eine Ortsätiologie, die den Namen „Unglückstal“ mit einem Ereignis der Frühzeit der Landnahme verbinden möchte. Da die Bezugsstellen außerhalb des Hoseabuches mittlerweile nachexilisch datiert werden, ist eine Abhängigkeit der Hoseastelle von Jos 7 bzw. Jes 65 ebenfalls kaum möglich, es sei denn, man hält Hos 2,16–17 für noch jünger als die Bezugstexte. len verwendet wird, vgl. NEEF 1984, 103. Darüber hinaus ist es schwerlich vorstellbar, dass nur das kleine Achor-Tal im Gegensatz zu Gesamt-Israel zu einem Gebiet des Segens werden soll. 67 Vgl. OSWALT 1998, 647. 68 VERMEYLEN 2003, 34 stützt mit Jes 65,10 seine These, dass v.16–17 nachexilisch entstanden seien. Abgesehen vom Achor-Tal, das in beiden Texten vorkommt, und des Heilscharakters gibt es jedoch beträchtliche Unterschiede, die vor einer vorschnellen Verbindung und einer solchen zeitlichen Verortung warnen. 69 Darauf weist LAU 1994, 196f. hin. Die zeichenhafte Wandlung des Achor-Tales zeigt sich in Jes 65,10 vor allem in der Versorgung mit Nahrungsmitteln. Nach ZAPFF 2006, 423 deutet der Umstand, dass in beiden Gegenden Viehzucht betrieben werden kann, auf friedliche Zeiten hin. 70 Anders WOLFF 1976, 53; NEEF 1987, 110; LAU 1994, 196; HAAG 1996, 28, die einen Bezug zu Jos 7 vermuten. Nach SCHULZ-RAUCH 1996, 121 Anm. 2 sei dem Propheten zumindest eine mit dem Talnamen verbundene Tradition oder Etymologie bekannt gewesen. MOSIS 1989, 132 argumentiert hingegen diachron: Zur Zeit Hoseas sei der Frevel Achans wahrscheinlich noch nicht mit dem Achor-Tal verbunden gewesen.
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2.5 Zur Lage des Achor-Tals und der damit verbundenen Konnotationen Aus Jos 15,7 kann die ungefähre Lage des Achor-Tales ermittelt werden: Das Achor-Tal scheint in der Nähe von Gilgal und der Steige von Adummim zu liegen. Die Landnahmeerzählungen im Josuabuch suggerieren darüber hinaus, dass Gilgal östlich von Jericho liegt.71 Aus alledem folgt, dass das Achor-Tal in der Nähe von Jericho und Gilgal liegen muss. Vermutlich ist das weit ausschwingende Tal des Wādi en-Nuwēʿime nordwestlich von Jericho der beste Kandidat für eine Identifizierung mit dem Achor-Tal,72 auch wenn dieses Tal nicht auf allen Seiten von Bergen begrenzt wird, was bei dem Begriff עמקohnehin nicht notwendigerweise zu erwarten ist, zumal dieses Lexem u.a. auch für die westliche Küstenebene gebräuchlich ist. Außerdem kann ein auf allen Seiten von Bergzügen umgebenes Tal kaum als ein „Tor“ gedeutet werden. Das wasserreiche Weideland des Wādi enNuwēʿime (= „das liebliche Tal“) ist nach der Wüste des Jordangrabens ein erster hoffnungsfroher Vorgeschmack auf das fruchtbare Kulturland. Die Bezeichnung als „Tor der Hoffnung“ ist somit durchaus zutreffend, zumal man über dieses Tal das Bergland um Ai bequem erreichen kann, was wiederum für Jos 7 erforderlich ist.73 Für diese Lokalisierung des Achor-Tals spricht überdies der Befund im Onomastikon des Eusebius, wo ein Achor-Tal beschrieben wird, das nördlich von Jericho liegt. Diese Angabe spricht ebenfalls für eine Identifikation mit dem Wādi en-Nuwēʿime.74 Der fruchtbare Talgrund des Wādi en-Nuwēʿime ist zudem die ideale Pforte, um auf die fruchtbaren Höhen mit den Weinbergen hinaufzusteigen. Eine solche Lokalisierung passt folglich gut zu Hos 2,17, wo aus der östlichen Wüste Transjordaniens ( מדברund )משׁם75 erneut das Land mit seinen reichen Weinbergen in Besitz genommen werden darf. Wie bei der Landnahme in der Frühzeit wird auch in Hos 2,17 derselbe Weg vom Ostjordanland über das Jordantal ins Bergland geschildert. Die hier vorgenommene topografische Verortung des Achor-Tals ist zudem der ideale Ausgangspunkt für das etymologisch-semantische Wortspiel „Unglückstal“ – „Tor der Hoffnung“. Die 71
Gemäß des Onomastikons des Eusebius befindet sich Galgala zwei römische Meilen östlich von Jericho, während Josephus eine Distanz von zehn Stadien (1.850 m) von Jericho und 50 Stadien (9.242 m) vom Jordan angibt. Bischof Arkulf behauptet gar, dass das byzantinische Gilgal fünf Meilen von Jericho entfernt sei, was sicherlich ein Irrtum ist. Die Madabakarte lokalisiert Galgala im Nordosten von Jericho. 72 Vgl. WOLFF 1954, 78–81; WOLFF 1976, 52f.; NEEF 1984, 92–107; BONS 1996, 56; ZAPFF 2006, 423. Eine solche Identifizierung passt auch zu der Tradition, die von Eusebius überliefert, aber von DALMAN 1913, 62 aufgrund seiner Lesart von Jos 15,7 als irrig bezeichnet wird. 73 Vgl. NEEF 1984, 94: „Von hier aus ist auch der Aufstieg auf das Gebirge für den Anmarschweg gegen Ai möglich“. 74 Vgl. WOLFF 1954, 81. 75 Vgl. JEREMIAS 1983, 47.
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Topografie ist demnach ein weiteres Argument für die innovative Prägung dieses Wortspiels durch die Hosea-Tradenten.
3. Literarhistorische und bibeltheologische Ergebnisse Hos 2,16–17 hängt vermutlich nicht von der Tradition in Jos 7 ab. Die HoseaTradenten haben hier offenbar ein ursprünglich eigenständiges Prophetenwort überliefert, das auf der Wüstenerfahrung als Zeit der Gottunmittelbarkeit basiert und eine zweite erfolgreiche Landnahme nach erfolgreichem Werben JHWHs und mit ausdrücklicher Zustimmung Israels thematisiert. Ein Rückgriff auf andere Texte, die ebenfalls das Achor-Tal behandeln, ist ohnehin nahezu ausgeschlossen, zumal die wichtigen Bezugstexte (Jos 7 und Jes 65) vermutlich erst sehr spät entstanden sind. Insofern sollte man vorsichtig sein, wenn man die einzelnen Traditionen, in denen das Achor-Tal genannt wird, miteinander verbinden bzw. Interpretationslinien aus einem Text in den anderen eintragen will. Jede Stelle ist vielmehr zunächst aus sich alleine heraus verständlich und sollte vorerst nicht durch die anderen Belege erklärt werden. Trotzdem scheint sich eine diachrone Entwicklungslinie der Achor-Tradition anzubieten, vor allem dann, wenn man Hos 2,16–17 nicht allzu spät datiert. Vermutlich ist Hos 2,16–17 der früheste Text, der die Tradition vom Achor-Tal verwendet. Zwar ist bereits Hos 2,16–17 ein Nachtrag, aber diese Einheit ist noch früher entstanden als der folgende Abschnitt, bei dem es sich um Fortschreibungen handeln wird. Außerdem bewahrt die Idiomatik von Hos 2,16–17 gegenüber anderen biblischen Stellen noch eine semantisch frühere Stufe. Insofern wird man hier von einem frühen Beleg für die Verschriftlichung der sogenannten „Wüstentradition“ ausgehen können. Wenn dem so ist, dann handelt es sich bei dieser Tradition um eine bedeutende Innovation der Hosea-Tradenten. Somit spricht nichts dagegen, dass dieser Text noch in vorexilischer Zeit ergänzt worden sein kann. Es stellt sich aber die Frage, wie sich diese Tradition herausgebildet haben kann. Der eigentlich negativ konnotierte Name Achor-Tal wird in Hos 2,16– 17 in ein semantisches Wortspiel „Unglückstal“ = „Tor der Hoffnung“ eingebaut. Das eigentliche „Unglückstal“ wird folglich in diesem Prophetenwort zu einem Tor, das das fruchtbare Kulturland erschließt. Eine Verortung des Achor-Tals im fruchtbaren Wādi en-Nuwēʿime ist ein weiteres Argument dafür, dass ein solches Wortspiel durchaus selbstständig von den HoseaTradenten gebildet werden konnte und keine mündliche Vorstufe oder Vorarbeit bedurfte. Die Tradition vom Achor-Tal hat sich aber in späterer Zeit noch weiter entwickelt. Denn die negative Konnotation des Namens Achor („Unglückstal“), die Lage des Achor-Tales bei Jericho/Gilgal, der ungefähre Namensanklang Achor-Achan und vielleicht auch die Verbindung mit einer zweiten
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Landnahme nach Hos 2,17 waren später der Auslöser für die Verbindung der Achan-Tradition mit dem Achor-Tal in Jos 7. Erst aufgrund der Zusammenschau dieser Elemente konnte sich die Achan-Erzählung in Jos 7 mit dem Achor-Tal verbinden. Insofern mag Hos 2,17 die Stelle in Jos 7 durchaus beeinflusst haben. Ein umgekehrtes Abhängigkeitsverhältnis ist – wie gesehen – eher unwahrscheinlich. Es bleibt somit dabei: Hos 2,16–17 scheint insgesamt älter als Jos 7 zu sein. Die Verwendung des Achor-Tales in der Grenzbeschreibung Jos 15 lässt sich traditionsgeschichtlich nicht mit den anderen Stellen verbinden. Vermutlich verdankt sich die Nennung des Achor-Tals lediglich der Lage dieses Tals in der Nähe der dünn besiedelten judäisch-benjaminitischen Grenze und des Mangels an besseren topografischen Landmarken. Der Hinweis in Jos 15 beweist lediglich, dass es ein Achor-Tal in diesem Bereich tatsächlich gegeben haben wird, auf dem dann die späteren Traditionen wie Hos 2,16–17 oder Jos 7 basieren konnten. Jes 65 hingegen baut das Bild des fruchtbaren Achor-Tales zu einen geografischen Merismus aus, der von West nach Ost das Verheißungsland insgesamt umspannt, schränkt aber die Heilszusage von Hos 2,17 insofern ein, als diese nur denjenigen gilt, die nach JHWH suchen. Folglich wird nur das suchende Israel das fruchtbare Land als Gabe Gottes erhalten. Insgesamt lässt sich festhalten: Hos 2,16–17 scheint vermutlich die früheste Stelle zu sein, die die Erwählung Israels und Landgabe mit dem Toponym Achor-Tal verbunden hat. Es stellt sich die Frage, wie der Erwählungsgedanke in Hos 2,16–17 konturiert ist. Im Gegensatz zum Pentateuch sind die Jugendzeit Israels und der Exodus aus Ägypten nach Hos 2,16–17 offenbar noch Zeiten der willigen Gefolgschaft. Ein ständiges Murren des Volkes, ein gliedernder Topos innerhalb des Pentateuchs, fehlt hier hingegen völlig. Die Hosea-Tradenten zeichnen somit ein sehr positives Bild Israels während der Frühzeit.76 Wie in der Vergangenheit wird Israel nun auch für die Zukunft eine heilvolle Gemeinschaft mit JHWH verheißen. Die frühere „Heilsgeschichte“ wird hier folglich revoziert und bekommt in der Wüste einen Neuanfang. Dieses Mal wird die Heilsgeschichte Israels mit seinem Gott endgültig zum Ziel kommen. Ein Vergessen des Gebers der Gaben ist nach alledem offenbar ausgeschlossen.77 Der zweite Gang in die Wüste soll somit ein neues Verhältnis zu JHWH begründen, das später auch noch im Kulturland ungetrübt blei76 Vgl. WOLFF 1976, 53: „Der Weg aus Ägypten durch die Wüste war für ihn die Zeit des Rufens und Schenkens YHWHs und der dankbaren Gefolgschaft Israels.“ Nach RUDOLPH 1966, 76 habe allerdings Hosea aus der Tradition ausgewählt; ob das Murren in der Wüste ihm bekannt war, kann weder positiv noch negativ beantwortet werden. 77 Vgl. JEREMIAS 1996, 72. V.16–17 ziehen demnach bei synchroner Lesung nicht die Folgerung aus der davor erhobenen Anklage, sondern aus der Strafe v.11–15, auf die diese Verse unmittelbar folgen.
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ben soll. Damit ist der Wüstenaufenthalt nur ein Durchgangsstadium.78 Auch wenn das Fehlverhalten Israels zur Bestrafung führen wird, wird sich JHWH dem Volk durch eindringliches Werben wieder zuwenden. Die Erwählungsgeschichte wird somit nicht durch Fehlverhalten beendet, sondern Gott selbst ergreift die Initiative, um das ursprüngliche Bundesverhältnis wieder herzustellen. Aus alledem folgt: In Hos 2,16–17 wird auf die unterschiedlichsten Dinge angespielt. Der Umstand, dass typische Terminologie nicht verwendet wird, zeigt, dass Hos 2,16–17 offenbar am Anfang der Traditionsbildung steht. Insgesamt scheint in Hos 2,16–17 ein neuer Exodus ( עלה+ מצרים+ )מארץ,79 ein neuer Bundesschluss ( )ענהund eine neue Besiedlung des Landes ( נתן+ )כרםim Blick zu sein,80 wenngleich diese Dinge nicht explizit ausgedrückt werden. Es geht folglich um die Tradition des Exodus, des Bundesschlusses und der Landnahme. Insofern werden die Ereignisse der Frühzeit wiederholt. Da Israel das von Gott erwählte Volk ist, werden die Heilsgaben trotz Verfehlung Israels nicht für immer entzogen. Ähnliche Traditionen wie in Hos 2,16– 17 – aber noch mehr auf den Ehe- und Liebescharakter der JHWH-Beziehung ausgerichtet81 – hat gleichermaßen Jer 2,2 entwickelt, so dass gerade in der Joschijazeit der historische Haftpunkt für einen solchen Erwählungsglauben vermutet werden kann,82 wobei aber die letzte Schlussfolgerung hypothetisch bleiben muss, zumal das gute Verhältnis der Wüstenzeit schnell getrübt war, nachdem man das fruchtbare „Gartenland“ in Besitz nehmen durfte. In Jer 2,2 geht es zudem dezidiert um die „Treue deiner Jugendzeit“ und um „die Liebe deiner Brautzeit, wie du hinter mir hergingst in der Wüste“. Der Wüstenaufenthalt war somit nach dem Jeremiawort eine glückliche Zeit, die dann mit der Landgabe belohnt wurde. Trotz der Wohltaten JHWHs kam es aufgrund der Verfehlungen Israels zu einem Zerwürfnis. Das Wort in Hos 2,16–17 scheint somit aufgrund der inhaltlichen Ähnlichkeit zu Jer 2 noch auf eine vorexilische Redaktion zurückgehen, zumal es noch nicht die späteren Texte über das Achor-Tal voraussetzt und reflektiert. Offenbar hat sich schon vor dem Babylonischen Exil die Vorstellung herausgebildet, dass sich JHWH nach dem bevorstehenden Gericht wiederum heilvoll um Israel kümmern wird. Die Erwählung wird zwar einseitig von Israel missachtet, aber von JHWH trotzdem nicht aufgegeben. Auch wenn Israel den drohenden künftigen Untergang provoziert hat, redet JHWH in der Zukunft 78
Vgl. RUDOLPH 1966, 76; NEEF 1987, 111. Vgl. hierzu GISIN 2014, 143f. 80 Vgl. ANDERSON/FREEDMAN 1980, 269; YEE 1987, 79, die allerdings zuvor eine Exilierung annimmt. 81 Ein solcher kann in Hos 2,16–17 erst durch den übergreifenden Kontext eingetragen werden, ist aber dem Einzeltext sprachlich und sachlich noch fremd. 82 Vgl. hierzu HAAG 1996, 30f. 79
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seinem Volk gut zu, damit ein Neuanfang nach dem Verlust der Heilsgaben möglich ist. Gericht und anschließendes Heil sind somit zwei Seiten der einen Medaille. Auf der einen Seite bestraft JHWH sein Volk, aber er lässt es nicht im Stich, sondern nimmt sich seiner nach der erforderlichen Läuterung wieder an. Bei Hos 2,16–17 handelt es sich folglich um einen Hoffnungstext, wie aus drohendem Unglück trotzdem eine Hoffnungsperspektive entwickelt werden kann. Der gute Gott gibt sein Volk nie auf, sondern wendet sich diesem immer wieder werbend zu.
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Menschliches Handeln im Horizont Gottes – Zur alttestamentlichen Ethik
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Alttestamentliche Zugänge zum Mensch-Tier-Verhältnis und mögliche Konsequenzen für die Xenotransplantation Alttestamentliche Zugänge zum Mensch-Tier-Verhältnis
Der Imperativ Gottes im ersten Schöpfungsbericht „Macht euch die Erde untertan“, der zum dominium terrae des Menschen aufruft, ist in der frühen Neuzeit immer wieder gründlich missverstanden worden. Er galt lange Zeit als Legitimation für den zivilisatorischen Fortschritt der Neuzeit und gebot angeblich eine rücksichtslose und effektive Ausbeutung der natürlichen Ressourcen.1 Nicht umsonst hat man diesen Imperativ in der zweiten Hälfte des 20. Jh. wiederholt zu entschärfen versucht. Dass dies schwierig ist, wird sich noch zeigen. Es ist auch nicht unbedingt nötig, da das allseits beliebte Vorurteil, dass die Zerstörung der Ökosysteme auf göttlichen Befehl zurückzuführen sei, eigentlich nicht gerechtfertigt ist. Denn gerade die negativen Folgen der Technisierung und Industrialisierung haben erst dann eingesetzt, als die religiöse Bindung der Menschen bereits abgenommen hatte. Überspitzt formuliert ist eher der Säkularismus mit seiner Loslösung von religiösen Begründungszusammenhängen für eine rücksichtslose Ausbeutung der Natur verantwortlich, nicht umgekehrt.2 Nur weil man sich nicht mehr gegenüber Gott für den Erhalt der Natur verantwortlich sah, hat man die Natur ohne Rücksicht unterworfen, ohne aber die eigentlichen Implikationen dieses Imperativs mitzubedenken. Hinzu kommt, dass sich die Voraussetzungen für eine Herrschaft des Menschen über die Natur in der Neuzeit grundlegend geändert haben. Während die Menschen des alten Israel ihren Platz auf der Welt gegenüber den Tieren mit Nachdruck erkämpfen mussten, ist der Mensch heutzutage gegenüber seiner Umwelt nicht mehr unterlegen. Im alten Israel war der Mensch hingegen stets von den Tieren bedroht. Es bestand immer die Gefahr, dass er von wilden Tieren getötet wird. Immer wenn der Mensch seine geschützte Siedlung verließ, betrat er eine chaotische Gegenwelt, in der die wilden Tiere tonangebend waren.3 Des Öfteren wird in der Bibel darauf hingewiesen, wie Menschen von Raubtieren wie Löwen, Bären und Schlangen gefährdet wer-
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Vgl. JANOWSKI 1999b, 33. Vgl. zum Problem STIPP 2013a, 53f. 3 Vgl. WEIPPERT 1998, 52f. 2
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den.4 Es verwundert daher nicht, dass gerade die wilden Tiere zum üblichen Arsenal der Feindschilderungen in den biblischen Psalmen gehören. Die Feinde des Psalmenbeters benehmen sich wie wilde Tiere und treten dessen Lebensrecht mit Füßen. Angesichts der damaligen Wahrnehmung der Naturverhältnisse rechneten die biblischen Autoren wohl kaum damit, dass sich die Kräfteverhältnisse zwischen Mensch und Tier irgendwann zugunsten des Menschen verschieben könnten. Weil die Alltagsrealität im alten Israel sich demnach fundamental von den heutigen Verhältnissen unterscheidet, muss man die ursprüngliche Aussageabsicht des dominium terrae von Gen 1,26–28 näher profilieren.5 Im alten Israel lebte der Mensch vor allem mit den Haustieren sehr eng zusammen. Es verwundert daher nicht, dass Tiere auf fast jeder Seite im Alten Testament genannt werden.6 Es ist hierbei zu beachten, dass die Tiere im Alten Testament weder vermenschlicht noch verdinglicht worden sind. Die Tiere füllen im Alten Testament dementsprechend weder das Vakuum der Einsamkeit ihres Besitzers, noch werden sie zu einem Objekt der Gewinnmaximierung herabgestuft.7 Eine gezielte Ausbeutung der Tiere war im alten Israel schon deshalb nicht möglich, da der Reichtum an Tieren nicht vom Menschen selbst hergestellt werden konnte. Denn der Tierbestand war aufgrund von vielen äußeren Risikofaktoren gefährdet. Zu den bedrohlichen Risiken zählen unter anderem der Befall der Herden durch Krankheiten und Seuchen oder die Dezimierung des Tierbestandes durch Raubtiere. Reichtum an Tieren war folglich eine Form göttlichen Segens. Für den Menschen im alten Israel war das Leben seiner Tiere nämlich einer segensspendenden göttlichen Kraft zu verdanken. Es war nicht selbstverständlich, dass man über viele Tiere frei verfügen konnte. Somit galt: „An Gottes Segen ist alles gelegen“. Nicht alles war machbar und frei verfügbar. Diese Vorstellung hat sich in vielen biblischen Entwürfen niedergeschlagen. Die Tiere waren zudem keine Objekte, über die der Mensch frei verfügen konnte. Sie wurden vielmehr in ihrer Mitgeschöpflichkeit gewürdigt, da sie Wesen mit einer eigenen Würde waren. Der Mensch begegnete den Tieren demnach mit größtem Respekt. Die Mensch-Tier-Beziehung drückt sich besonders auch in den biblischen Ordnungskriterien aus. Die Tiere werden im alten Israel nämlich nach drei
4 Vgl. zu verschiedenen Beispielen für eine Bedrohung durch Tiere KEEL 1993, 178– 184; RIEDE 2002, 234f.; STIPP 2013a, 83f. 5 Vgl. zu dieser Herausforderung WEIPPERT 1998, 44–55. 6 Vgl. KEEL 1993, 155. 7 Vgl. JANOWSKI 1999a, 10. DE PURY 1993, 114f. weist noch auf eine dritte Form des modernen Umgangs mit Tieren hin: Tiere als Manifestationen des Exotischen, Bizarren oder Monströsen.
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verschiedenen Kriterien eingeteilt, und zwar nach dem Lebensraum, nach dem Grad ihrer Domestizierung und nach ihrer Reinheit: 1) Schon im ersten Schöpfungsbericht werden die Tiere vor allem hinsichtlich des Lebensraums in abgrenzbare Bereiche eingeordnet. Der Mensch im alten Israel unterschied gemäß Gen 1 vier Arten von Tieren: Wassertiere, geflügelte Tiere, Kriechtiere und Vierfüßler.8 2) Darüber hinaus klassifizierte man die Tiere nach dem Grad der Domestizierung, nämlich in die Klassen der Nutztiere und der wilden Tiere.9 Zu den Nutztieren gehörten das Kleinvieh (Schaf und Ziege), das Milch, Leder und Haare lieferte, daneben das Großvieh (Rinder), das Milch produzierte und als Arbeitstier zum Ziehen von Pflug und Karren eingesetzt werden konnte, darüber hinaus Esel und Kamel in der Verwendung als Reit- und Lasttiere, und schließlich gelegentlich Hunde als Wächter und Begleiter.10 Selbst Hausschweine scheint es zunächst in Israel gegeben zu haben. Sie sind vermutlich erst in nachexilischer Zeit explizit für unrein erklärt worden.11 Die Domestizierung der Nutztiere war vermutlich schon lange Zeit abgeschlossen, so dass sich in der Bibel keine Erinnerung mehr an die langwierige Zähmung einzelner Tiere findet. Ihre Existenz wird in den Schöpfungsberichten schlichtweg vorausgesetzt.12 Vor den wilden Tieren hatte der Mensch hingegen besonderen Respekt. Wildtiere waren Repräsentanten der chaotischen Gegenwelt. Da die wilden Tiere nach einer eigenen göttlichen Ordnung leben, die der Mensch nicht erkennen kann (Ij 38,39–39,30), wurde ihnen gelegentlich numinose Macht zugeschrieben, z.B. als Instrumente Gottes oder als dämonische Gewalten.13 Wildtiere konnten von Gott als Strafwerkzeuge eingesetzt werden, worin sich die Souveränität Gottes auch über die Tierwelt zeigt.14
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Vgl. RIEDE 2002, 217f. Nach WEIPPERT 1998, 44 Anm. 14 ist der Ort, in dem die Tiere leben, das zugrundeliegende Ordnungsprinzip. 9 Zu den Nutztieren vgl. RIEDE 2002, 221–224. Nach HOUTMAN 2010, 144f. waren die Nutztiere Vertreter der geordneten Welt, während die Wildtiere mit der chaotischen Gegenwelt zu verbinden sind. 10 Vgl. JANOWSKI 1999a, 21. Allerdings lebten Hunde oft halbwild in der Nähe der Siedlungen. Sie wurden von dem Menschen tunlichst gemieden, vgl. RIEDE 2002, 58. Hunde sind demnach im Alten Testament eigentlich keine treuen Gefährten des Menschen. Sie wurden meist als Aasfresser verachtet. Erst in Tob 5,17; 11,4 wird Tobias von einem treuen Hund bei seinen Reisen begleitet. Dieses Detail wird in der Erzählung jedoch nur beiläufig erwähnt. 11 Vgl. RIEDE 2002, 57f.223. 12 Vgl. RIEDE 2002, 58. 13 Eine Vergöttlichung der Tiere fand jedoch nicht statt, vgl. SCHREINER 1993, 221f. Zum Tier als Repräsentant des Göttlichen vgl. KEEL 1993, 155–169. 14 Vgl. HOUTMAN 2010, 146–149.
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Menschliches Handeln im Horizont Gottes
3) Man differenziert darüber hinaus zwischen reinen und unreinen Tieren. Die jeweilige Einteilung eines Tieres als rein oder unrein ist oft schwierig zu erklären. Zunächst sollen frühere Interpretationen vorgestellt werden, die insgesamt kaum weiterhelfen, da jeweils gewichtige Gegengründe angeführt werden können. Manchmal hat man im alten Israel daran gedacht, dass man die Attributtiere von fremden Gottheiten als unrein betrachten müsse. Ein Tier wäre demnach dann als unrein klassifiziert worden, wenn es eine fremde Gottheit repräsentierte oder im heidnischen Kult geopfert worden sei. Allerdings wäre unter dieser Voraussetzung der Stier als Attributtier des Wettergottes unrein gewesen. Als Opfertier wäre er somit nicht mehr in Frage gekommen. Das widerspricht aber der tatsächlichen Praxis, galt doch gerade der Stier im alten Israel als beliebtes und kostspieliges Opfertier. In der Umwelt hat man zudem die gleichen Tiere geopfert wie in Israel, was sicher nicht der Fall gewesen wäre, wenn man sich von Fremdkulten abgrenzen wollte.15 Die kultische Deutung hilft demnach nicht weiter. Daneben gibt es die symbolische Deutung, der zufolge man gewisse Tiere deshalb als unrein bezeichnete, da ihr Verhalten nicht empfehlenswert war. Nur solche Tiere, die ein gutes Verhalten zeigen, wären infolgedessen rein und essbar gewesen. Hierfür ein Beispiel: Wiederkauende Tiere symbolisieren anscheinend den hohen Wert der Meditation. Insofern seien gerade sie rein. Allerdings ist die symbolische Deutung höchst subjektiv, da man im Verhalten der Tiere irgendwelche Tugenden oder Untugenden nur vermuten kann. Eine objektive Überprüfung für eine solche Einteilung ist freilich nicht möglich.16 Die hygienische Deutung, der zufolge das Fleisch unreiner Tiere ungesund sei und Krankheiten übertragen würde, trifft ebenfalls nur teilweise zu, aber nicht für alle unreinen Tiere. Es ist in der Tat zutreffend, dass Schweinefleisch Trichinose und Hasenfleisch Tularämie übertragen kann.17 Allerdings gibt es keinerlei hygienische Bedenken für das Fleisch des Kamels. Kamelfleisch ist geradezu eine Delikatesse in arabischen Ländern. Trotzdem gilt das Kamel als unreines Tier. Schließlich wurden die unreinen Tiere der lebensfeindlichen Welt des Chaos zugewiesen. Als Angehörige des Chaos seien sie als unrein zu klassifizieren. Solche Tiere besiedeln die lebensfeindlichen Bereiche und treiben als Raubtiere oder Assfresser ihr Unwesen. Ein Kontakt mit diesen Tieren ist folglich zu meiden. Aber dieses Argument erklärt nicht die Unreinheit des Esels, der als Nutztier sehr geschätzt war. Auch Kamel, Hase oder Pferd sind 15
Vgl. MILGROM 2009, 718. Vgl. MILGROM 2009, 719. 17 Vgl. MILGROM 2009, 719. 16
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keine Tiere, die mithilfe dieser Klassifizierung als unrein eingeordnet werden können.18 Aus alledem folgt, dass weder die kultische, noch die symbolische, noch die hygienische, noch die chaotische Deutung die Einteilung eines bestimmten Tieres in die Klassen „rein“ oder „unrein“ hinreichend begründen kann. In den biblischen Reinheitsvorstellungen spiegeln sich vermutlich die spezifischen Ordnungsvorstellungen des alten Israels. Es scheint, dass man die Tierwelt in Tiere gliederte, die Ordnung repräsentieren, und solche, die für Unordnung stehen. Im Ordnungssystem der Priesterschrift werden vor allem drei Bereiche sorgsam unterschieden: Die gesamte Tierwelt ist – abgesehen vom Blutgenuss – für die gesamte Menschheit bestimmt, während die essbaren Tiere für Israel und die opferbaren Tiere nur für das Sanctum erlaubt sind.19 Die für solche Einteilungen leitenden Ordnungsvorstellungen werden nach verschiedenen Aspekten differenziert, nämlich kosmologisch, sozial und kulturell.20 Unter kosmologischem Aspekt werden Tiere nach ihrem Lebensbereich und einer hierfür typischen Physiognomie unterschieden. Reine Tiere müssen dementsprechend gewisse Merkmale haben, die sie für den jeweiligen Lebensbereich qualifizieren: Landtiere müssen Füße mit gespaltenen Klauen, Wassertiere Schuppen und Flossen, Lufttiere Flügel und Füße besitzen. Daneben ist noch der soziale Aspekt zu nennen. Reine Tiere müssen alle Attribute ihrer Klasse besitzen. Zu den idealen Landtieren zählt das Groß- und Kleinvieh, also Paarzeher und Wiederkäuer. Die übrigen reinen Landtiere müssen folglich ebenfalls beide Eigenschaften aufweisen, ansonsten sind sie als unrein zu betrachten. Schließlich gibt es noch den kulturellen Aspekt. Manche Tiere werden mit dämonischen Mächten oder mit der chaotischen Gegenwelt verbunden und sind daher unrein. In der biblischen Reinheitstaxonomie haben sich folglich verschiedene Ordnungskriterien niedergeschlagen. Die Tierwelt im alten Israel ist somit unter verschiedenen Vorzeichen zu sehen. Tiere können nach ihrem Lebensraum unterschieden werden. Darüber hinaus gibt es aber auch Nutztiere und Wildtiere sowie reine und unreine Tiere. Manchmal haben sich diese Ordnungskategorien gegenseitig überlagert.
18
Vgl. zu den Problemen dieser Theorien KEEL 1993, 183f.; MILGROM 2009, 718f. Vgl. zu solchen Ordnungskriterien MILGROM 2009, 722. 20 Vgl. zum Folgenden RIEDE 2002, 218f. Nach DOUGLAS 1993b, 22f. liegen zum einen das Blutverbot, zum anderen bestimmte Gerechtigkeitsaspekte hinter den Bestimmungen über die essbaren Tiere. Insofern dürfen Fleischfresser aufgrund des Blutverbots und Tiere mit physikalischen Anomalien sowie verletzliche Jungtiere nicht gegessen werden. Denn dies würde dem biblischen Verständnis von Gerechtigkeit widersprechen, da die beiden letzten Tierarten besonders zu schützen sind. Der Grund hierfür liegt wohl darin, dass Heiligkeit mit rücksichtslosem räuberischem Verhalten nicht kompatibel ist. Da Israel heilig sein soll, darf es solche Tiere nicht verzehren. 19
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In einem ersten Schritt sollen die schöpfungstheologischen Grundlagen erhoben werden, die für das Mensch-Tier-Verhältnis wichtig sind. Hierbei werden vor allem die beiden Schöpfungsberichte im Buch Genesis ausgewertet, die ein differenziertes Bild vom Verhältnis zwischen Mensch und Tier zeichnen. Darüber hinaus werden weitere schöpfungstheologische Texte herangezogen, die ein positives Bild vom Tier entwerfen. In einem zweiten Schritt sollen Ansätze einer Tierethik entwickelt werden.
1. Schöpfungstheologische Grundlegung 1.1 Gen 1 und die priesterschriftlichen Modifikationen nach der Sintflut Nachdem am zweiten und dritten Schöpfungstag die Lebensräume geschaffen worden sind (Himmel, Meer, Erde mit Pflanzen), folgen am fünften und sechsten Schöpfungstag die Lebewesen (Wassertiere, Vögel, Landtiere und Menschen). Die beiden übrigen Tage sind darüber hinaus thematisch miteinander verbunden: Der erste Tag schildert die Erschaffung der Tagesstruktur mit der Abfolge von Tag und Nacht, während die Strukturierung der Zeit durch Himmelskörper am vierten Tag erfolgt.21 Es fällt auf, dass im priesterschriftlichen Schöpfungsbericht die Tiere vor dem Menschen geschaffen werden (Gen 1,20–25). Sie werden somit zuallererst als Geschöpfe Gottes in Beziehung zu ihrem Schöpfer gesehen. Der Mensch hat vorerst die Weltbühne noch gar nicht betreten. Die Tiere sind folglich wie der Mensch Geschöpfe Gottes, die erst in einem zweiten Schritt in ein Verhältnis zum Menschen gesetzt werden.22 Erst nachdem das Wasser, der Luftraum und die Erde besiedelt sind, folgt schließlich die Schöpfung des Menschen, die mit dem Aufruf „Macht euch die Erde untertan“ (Gen 1,28) verbunden wird. Nach seiner Erschaffung wird der Mensch offenbar beauftragt, über alle Lebewesen zu herrschen, die die drei unterscheidbaren Lebensräume Wasser, Luft und Erde besiedeln, nämlich über die Fische des Meeres, die Vögel des Himmels sowie das Vieh, die Wildtiere und die Kriechtiere der Erde. Vor allem die beiden Verben rdy (Gen 1,26.28) und kbš (Gen 1,28) sind in diesem Zusammenhang schwierig zu bestimmen.23 Bis in die zweite Hälfte des 20. Jh. wurde angenommen, dass mit beiden Verben eine rücksichtlose 21 Vgl. SCHMID 2012, 79f. Zu einer Gliederung des priesterschriftlichen Schöpfungsberichts vgl. JANOWSKI 2004, 200. 22 Vgl. hierzu SCHELLENBERG 2011, 38. 23 Vgl. zu unterschiedlichen Interpretationsansätzen SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER 2010, 212–215. GROSS 2000, 22 Anm. 27 weist darauf hin, dass beide Verben nicht notwendigerweise gleichbedeutend sein müssen, zumal sich kbš mit der Erde und nicht mit den Tieren verbindet.
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Beherrschung der Natur durch den Menschen verbunden sei. Eine solch aggressive Interpretation ist seit den 70er Jahren zunehmend kritisiert worden. Eine neutrale oder gar positive Deutung der beiden Verben wird von folgenden Beobachtungen sekundiert: 1) Dem zu rdy bzw. kbš ermächtigten Menschen wird der göttliche Segen zugesprochen (Gen 1,28). Der Segen über den Menschen spreche somit gegen eine explizite Gewaltherrschaft des Menschen gegenüber der Tierwelt. Ein gewalttätiger Mensch kann doch kein Segen sein. Da der Mensch nach seiner Erschaffung von Gott gesegnet wird (Gen 1,28), sind seinem Verhältnis zu den Tieren offenbar Grenzen gesetzt.24 Der Mensch verfehlt sein Wesen, wenn sein Handeln ausschließlich von Gewalt bestimmt ist. Der Mensch besitzt zudem Reflexionsfähigkeit, so dass er sich von den Zwängen der Natur eigentlich distanzieren kann. Er kann sich hierzu positiv wie negativ verhalten. 2) Außerdem gilt der göttliche Mehrungssegen nicht unbegrenzt, sondern nur solange, bis er seine Wirkung erreicht hat und die Menschheit eine entsprechende Größe besitzt, so dass die Erde gefüllt ist. Eine Vermehrung des Menschen ist folglich nicht grenzenlos gefordert. Wenn sich irgendwann der Mehrungssegen erfüllt hat (Ex 1,7), dann darf damit kein weiteres, ungebremstes Bevölkerungswachstum jenseits jeder vertretbaren Menge legitimiert werden.25 Es ist zudem immer dann, wenn die Erde mit der Gattung Mensch angefüllt worden ist, zu Konflikten gekommen: in Gen 6 zwischen Mensch und Tier, in Ex 1 zwischen Israel und Ägypten. Ein Anfüllen des Lebensraumes Erde mit Menschen birgt demnach die Gefahr, dass es zu Auseinandersetzungen kommen kann.26 Mit der späteren nachsintflutlichen Regelung musste schließlich eine Eingrenzung der Gewalt angestrebt werden. 3) Der Mensch wird darüber hinaus wie die Tiere als Vegetarier beschrieben (Gen 1,29–30), was ein gewaltsames Gegeneinander des Menschen gegen die Tierwelt hätte ausschließen sollen. Vielleicht soll hier sogar überhaupt nicht die Vorstellung einer ursprünglich vegetarischen Ernährung der Menschen angedeutet werden, sondern eher das Postulat, dass jegliches Töten in der vom Bösen freien Schöpfung eigentlich ausgeschlossen sein solle, zumal nur Gott über Leben und Tod verfügen könne.27
24
Vgl. JANOWSKI 2004, 210. Vgl. auch LOHFINK 1988, 18. 26 WÖHRLE 2009, 182f. weist darauf hin, dass das Anfüllen in Gen 1,28 und Ex 1,7 jeweils zu Auseinandersetzungen um die Vorherrschaft in diesem Bereich geführt hat. 27 Vgl. SCHREINER 1993, 230f. Trotzdem betont SCHÜLE 2006, 111, dass Gewalt „der fleischlichen Struktur der Geschöpfe zwischen Himmel und Erde inhärent“ sei. Insofern verwundert es nicht, dass es in der Urgeschichte zu Gewalttat kommen muss. 25
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4) Es stellt sich zudem die Frage, weshalb nach Gen 2,2–3 die Schöpfung als vollendet erachtet wird und dies trotz des Umstandes, dass der Mensch zur Gewalt gegenüber der Tierwelt aufgerufen ist. Eine Gewaltausübung des Menschen widerspricht doch dezidiert der Billigungsformel (Gen 1,31) und dem Gedanken der Vollendung (Gen 2,2–3). Insofern können beide Verben doch gar nicht gewalttätig konnotiert sein. Eigentlich hätten folglich die Menschen trotz ihres Herrschaftsauftrags die Integrität der Schöpfung, wie sie in Gen 1,31 noch gepriesen wird, bewahren sollen. Dies ist aber offenbar nicht der Fall gewesen, so dass die Sintflut und die weiteren Modifikationen zwangsläufig folgen mussten. Trotz dieser Beobachtungen haftet den beiden Verben kbš und rdy an sich eine gewisse Gewalthaftigkeit an, was im Folgenden zunächst am Beispiel von kbš gezeigt werden soll. Die Konnotation des zweiten Verbs kbš „niedertreten“ mit Gewalt ist nämlich gesichert.28 Schon die dazugehörige Nominalform kebeš „Fußschemel“ (2Chr 9,18) scheint eine Grundbedeutung „treten, betreten“ nahezulegen. Auch die verwandten semitischen Sprachen empfehlen keine positive Deutung dieses Verbs. So hat das akk. Kognat kabāsu(m) ebenfalls die Bedeutung „treten, niedertreten, zertreten“ und kann nicht für eine friedliche Inbesitznahme verwendet werden.29 Auf alle Fälle geschieht das kbš-Handeln an Menschen stets gegen deren Willen,30 so dass eine gewaltsame Konnotation der Unterwerfung durchaus wahrscheinlich ist. Freilich muss mit kbš nicht notwendigerweise immer ein brutales Niedertrampeln ausgedrückt werden. Vielmehr könnte hier ein autoritatives Auftreten des Menschen ebenfalls im Blick sein.31 Hinzu kommt, dass das Verb kbš in Gen 1,28 nicht ein personales Objekt, sondern das Objekt „Erde“ hat, so dass hier durchaus eine Bedeutungsdifferenz im Sinne von „betreten, in Besitz nehmen“ vermutet werden könnte.32 Ausgehend von der Verwendung von kbš im N-Stamm ist somit gelegentlich eine positive Deutung vorgeschlagen worden, im Sinne von „den Boden bebaubar und verfügbar machen“.33 Aber auch dies wird sicherlich nicht friedlich verlaufen sein. Zumindest im Landnahmekontext musste zuvor die im Land Israel ansässige Bevölkerung verschwinden, damit man das Land in Besitz nehmen und bebauen konnte (Num 32,22.29; Jos 18,1; 1Chr 22,18). Es bleibt dabei: Das Verb kbš ist
28
Vgl. hierzu GÖRG 1992a, 129f.; SCHELLENBERG 2011, 54f. Vgl. STIPP 2013a, 62. 30 Vgl. SCHELLENBERG 2011, 55. 31 Vgl. GÖRG 1992a, 130. 32 Vgl. LOHFINK 1988, 19–21; NEUMANN-GORSOLKE 2004, 274–300. 33 Vgl. KOCH 1991, 230. Ähnlich UEHLINGER 1991, 61: „(durch Kultivierung) in Anspruch nehmen und dienstbar machen“; KEEL/SCHROER 2002, 181: „urbar machen“; BOSSHARD-NEPUSTIL 2005, 117: „(agrarische) Inbesitznahme“. 29
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durchgängig mit Gewaltausübung verbunden.34 Eine positive Bedeutung legt weder der etymologische Befund, noch die Verwendung im Alten Testament nahe. Allerdings ist folgende Einschränkung zu treffen: Man kann mit kbš in Gen 1,28 nämlich kaum eine rücksichtslose Ausbeutung der Ressourcen verbinden, da sonst die anschließende Ausführung des Schöpfungsauftrags gar nicht in Gen 6,11–13 als „Gewalttat“ kritisiert worden wäre. Der Mensch konnte folglich nicht zuerst den Auftrag zur Gewaltanwendung in Gen 1,28 bekommen und danach gerade für die Ausführung dieses göttlichen Befehls mit der Sintflut bestraft werden. Auch wenn kbš eigentlich gewalttätig konnotiert ist, kann in Gen 1,28 somit keine rücksichtslose und grenzenlose Gewalt im Blick sein. Außerdem gehört das kbš-Handeln explizit zum Segen Gottes über den Menschen, so dass einer allzu brutalen Ausführung sicherlich Grenzen gesetzt sind.35 Mit Kollateralschäden des menschlichen kbš-Handelns wird aber wahrscheinlich zu rechnen sein. Herrschaft geht eben nicht immer ohne Gewaltanwendung. Nur darf die Gewalt nicht zum handlungsleitenden Prinzip werden. Dies scheint aber der Fall gewesen zu sein, weshalb es zur Sintflut kommen musste. Das erste Verb rdy ist hingegen schwieriger zu bestimmen. In der exegetischen Diskussion hat man rdy auf unterschiedlichste Weise – negativ wie positiv – gedeutet, ohne dass bislang ein befriedigender Konsens erzielt werden konnte: 1) rdy negativ als „(nieder)treten, (das Chaos) bändigen“: Ausgehend von Joel 4,13, wo vom Treten der Trauben in der Kelter gesprochen wird, legt sich eine Deutung von rdy im Sinne einer von oben nach unten gerichteten, mit Gewalt verbundenen Aktion durchaus nahe.36 Außerdem kann die hebr. Wurzel rdy etymologisch mit arab. radā „treten, trampeln“ verbunden werden.37 Hinzukommt, dass das Verb rdy vermutlich mit der ägyptischen Nominalbildung rd „Fuß“ etymologisch zusammenhängt, so dass eine Grundbedeutung „treten auf“ durchaus wahrscheinlich ist.38 Ähnliches legt auch die Übersetzungspraxis der LXX nahe, die rdy meist mit Verben 34
Vgl. WEIPPERT 1998, 48f. Vgl. NEUMANN-GORSOLKE 2004, 247. 36 Allerdings kann der Imperativ in Joel 4,13 mitunter auch von der Wurzel yrd abgeleitet werden, vgl. NEUMANN-GORSOLKE 2004, 210f., wofür der parallele Imperativ der Wurzel bōʾ und die Übersetzung der Vulgata descendite sprechen, während LXX mit πατεῖτε eine Wurzel rdy wiedergegeben hat. RÜTERSWÖRDEN 1993, 86 hat jedoch darauf hingewiesen, dass die archäologisch erwiesenen Keltern in Palästina nur über eine flache Vertiefung verfügen, so dass von yrd, also „niedersteigen“ in die Kelter, eigentlich nicht die Rede sein könne. 37 Vgl. JANOWSKI 1999b, 34. 38 Vgl. RÜTERSWÖRDEN 1993, 101f. Nach WAGNER 2007, 359 wird der Herrschaftsgedanke zudem mit einer Körpermetapher „treten (mit den Füßen) auf“ ausgedrückt. 35
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wiedergibt, die mit κατά beginnen.39 Bei einer solchen Deutung von rdy wird folglich der Mensch schon im priesterschriftlichen Schöpfungsbericht wie auch in Gen 9,1–3 als Schrecken der Natur gekennzeichnet, der schonungslos die Umwelt unterjocht und niedertritt. Eine Durchsicht aller biblischen Belege von rdy zeigt darüber hinaus deutlich,40 dass hier immer Akte in den Blick genommen werden, die man dem Anderen, aber nie der eigenen Gruppe zufügt. Gerade das gewalttätige Verhalten gegenüber Fremden, die zudem nicht die gleichen Rechte wie die eigene Gruppe besitzen, wird durchaus als rechtens erklärt. Objekte des rdyHandelns sind in erster Linie Ausländer und Fremdvölker. Ähnliche Maßstäbe dürfen in Bezug auf die eigene Gruppe freilich nicht angewendet werden. Ein freundschaftliches Zusammengehörigkeitsgefühl zwischen Herrscher und unterworfenem Fremdvolk ist offenbar nie angezielt, wenn von rdy die Rede ist. Daraus folgt, dass Zwangsmaßnahmen gegenüber dem Anderen minderen Rechts durchaus legitim sind. Mit diesem Verb ist infolgedessen Domination verbunden, die oft erniedrigend ist. Sie kümmert sich nicht um die ureigenen Interessen der Beherrschten. Das Verb rdy signalisiert folglich erhöhte Gewaltbereitschaft gegenüber den fremden Untergebenen. Ikonografische Darstellungen aus Ägypten, die immer wieder für eine positive Deutung herangezogen werden, weisen ebenfalls nicht auf eine friedliche Herrscherfunktion hin, sondern eher auf das gezielte und gewaltbehaftete Eingreifen, das dazu dient, die chaotischen Mächte zu bändigen. Vor diesem ikonografischen Hintergrund könnte mit rdy angedeutet werden, dass der Mensch als Bild Gottes auf Erden gegen das Chaos auftreten soll. Die den Kosmos und den Menschen bedrohende chaotische Tierwelt muss folglich im Zaum gehalten werden. Dementsprechend könnte man rdy mit „(das Chaos) bändigen“ wiedergeben.41 Aufgrund der Gottebenbildlichkeit hat demnach nur der Mensch die Befähigung und den Auftrag zum Schützen und Schlagen seiner Mitgeschöpfe. Er muss dann davon Gebrauch machen, wenn die Welt ins Chaos zu versinken droht. Gegen eine solche Deutung spricht jedoch, dass in Gen 1,26 auch die Nutztiere im Blick sind, die wohl nicht zur chaotischen Gegenwelt gehören. Insofern hat die Deutung von rdy als „(das Chaos) bändigen“ merkliche Schwächen. Hinzukommt, dass der Mensch im biblischen Schöpfungsbericht eigentlich kein Chaoskämpfer sein muss, da Gott bereits 39
Vgl. RÜTERSWÖRDEN 1993, 84f. Vgl. hierzu die intensive Untersuchung bei STIPP 2013a, 62–79. Der Herrschaftsauftrag des Menschen sei dann mit Gen 9,1–7 endlich in Kraft getreten, da der Mensch nun das Tötungsrecht über die Tiere eingeräumt bekommen habe. Nach EBACH 1986, 44 konnte es zudem erst durch die Neuregelung in Gen 9,1–7 bezüglich der Herrschaft des Menschen über die Tiere zu realer und legitimer Gewalt kommen, während es sich in Gen 1 noch um „virtuelle Gewalt“ gehandelt hat, die aufgrund der Nahrungsvorschrift eigentlich nicht ausgeübt werden konnte. 41 Vgl. GÖRG 1992a, 130–136. 40
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das Chaos eingegrenzt hat.42 Infolgedessen schießt die Deutung von rdy als „(das Chaos) bändigen“ weit über das Ziel hinaus. 2) rdy als „domestizieren, umherziehen, leiten, regieren“:43 Die gewalttätige Bedeutung der Wurzel rdy wurde seit den 70er Jahren des 20. Jh.s angesichts der ökologischen Herausforderungen immer wieder in Frage gestellt. Hierfür wurde geltend gemacht, dass rdy zunächst eine neutrale Bedeutung gehabt habe. Erst wenn ein Präpositionalausdruck zu rdy ergänzt wird, werde eine besondere Härte eingetragen.44 Hinzukommt, dass in Joel 4,13, der Schlüsselstelle für das gewaltsame Verständnis, nicht sicher die Wurzel rdy vorliegt. Eine gewaltbehaftete Deutung sei demnach nicht zwingend gegeben. Ausgehend vom akk. Verb redû(m) mit der Bedeutung „begleiten, mit sich führen, gehen“ hat man rdy als Ausdruck gedeutet, der auf die Hirtensorge des Menschen und seine Verantwortung gegenüber der Tierwelt hinweist. Der Mensch leitet die Tiere auf die Weide und verwendet sie als Zug- und Lasttiere. Der Mensch soll folglich die Tierwelt „domestizieren“ und eine Friedenszeit einläuten.45 Das herangezogene akk. Äquivalent redû(m) kann jedoch durchaus neben dem fürsorglichen auch den herrschaftlichen und gewaltbereiten Aspekt „treiben“ tragen,46 so dass ausgehend von akk. redû(m) die einseitig positive Deutung des hebräischen Verbums nicht zwingend gefordert ist. Außerdem sind die Nutztiere ebenfalls Objekt von rdy. Die Nutztiere sind aber bereits domestiziert, so dass die Deutung von rdy als „domestizieren“ viel zu eng bemessen ist. Aber auch die Übersetzung „begleiten, mit sich führen, gehen“ ist problematisch, da man sich diese Tätigkeit des Menschen gegenüber den Fischen und Vögeln nur schwer vorstellen kann, die ebenfalls Objekt von rdy sind. Trotzdem wurde die vorgeschlagene positive Deutung von rdy gelegentlich noch weiter modifiziert. So hat man das Bedeutungsspektrum von rdy auf den rechten Umgang des Hirten und Karawanenführers mit seinen Tieren einge42
Vgl. UEHLINGER 1991, 61. Der Mensch solle die Integrität der Schöpfung fördern und erhalten. 43 STIPP 2013a, 56–60 unterscheidet hinsichtlich der positiven Interpretation des rdyHandelns semantisch-etymologische, kontextbezogene und traditionsgeschichtliche Varianten. 44 Vgl. UEHLINGER 1991, 61; JANOWSKI 1999b, 42. Kritisch hierzu aber zu Recht STIPP 2013a, 74, demzufolge die Präpositionalverbindungen „keine Vereindeutigung eines an sich neutralen Verbs, sondern die Verstärkung eines bereits im Verb angelegten Sems“ bewirken. 45 Vgl. LOHFINK 1988, 21–24. Gegen eine Domestizierung oder Zähmung der Tiere durch den Menschen STIPP 2013a, 64. Kritisch schon KOCH 1991, 232. Gegen eine Vergleichbarkeit von rdy mit redû(m) zu Recht RÜTERSWÖRDEN 1993, 91, zumal das akk. Verb mit Akkusativ verbunden wird. 46 Vgl. GÖRG 1992a, 132.
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engt. In Gen 1,29–30 werde zudem diese Hirtensorge insofern expliziert, als der Mensch im Rahmen seines rdy-Handelns beauftragt wird, für die vegetabile Nahrung der Tierwelt zu sorgen. Durch sein rdy-Handeln soll der Mensch die Lebensgrundlage der Tiere sichern und die Tiere zu vegetabiler Kost anhalten.47 Gegen diese Deutung von rdy ist jedoch wiederum geltend zu machen, dass nicht klar ist, wie eine solche „Hirtenrolle“ gegenüber den Fischen und Vögeln zu bewerkstelligen wäre. Darüber hinaus hat man rdy mit königsideologischen Vorstellungen verbunden. So habe nach Gen 1 der Schöpfergott den Menschen beauftragt, an der Stelle Gottes das Amt des königlichen Hirten auf Erden auszuüben. Der Mensch ist demnach der königliche Beauftragte Gottes über die Schöpfung, die er freilich nicht grenzenlos ausbeuten darf. Das Verbum rdy könne somit Schutz und Fürsorge ausdrücken und muss nicht ein brutales Unterwerfen bezeichnen. Vielmehr soll der Mensch das Lebenshaus Erde erhalten und den Lebewesen ein gutes Leben ermöglichen. Dadurch dass der Mensch „Statue Gottes“ auf Erden ist, ist er zu seiner Aufgabe auch befähigt. Das Herrschaftshandeln des Menschen ist infolgedessen eine Funktion der Gottebenbildlichkeit. Im Hintergrund dieser Interpretation steht die Vorstellung vom „Göttlichen Hirten“, der die Menschen als seine Herde versorgt. Dieser göttliche Hirte wird durch den König als lebendiges Abbild Gottes auf Erden repräsentiert. Der königsideologische Aspekt der Hirtenmetaphorik werde folglich im priesterschriftlichen Schöpfungsbericht auf die gesamte Menschheit ausgeweitet und auf diese Weise demokratisiert.48 Da zudem schon in den beiden Worten „Bild“ und „Abbild“ königsideologische Vorstellungen mitschwingen,49 kann man bei rdy und seinem akk. Äquivalent redû(m) einen ähnlichen Hintergrund vermuten. Dementsprechend könne man diese Wurzel mit „regieren“ wiedergeben.50 In neuassyrischen Königsinschriften drückt die Wurzel redû(m) zudem die Herrschaft des Großkönigs über alle Länder aus. In königsideologischer Verwendung wird redû(m) nämlich immer mit Objekten verbunden, die eine räumliche oder biologische Totalität bezeichnen, was in Gen 1 ebenfalls der Fall ist. Denn auch hier geht es um die Gesamtheit der Erde und der Lebewesen, auf die
47
Vgl. zur Fürsorge des Menschen für die Tierwelt KOCH 1991, 231–237. Nach ZEN1983, 96–98 wird hier die Erde den Menschen und Tieren als Lebensraum übereignet. 48 Vgl. zu dieser positiven Deutung ZENGER 1983, 90–96. Nach KEEL/SCHROER 2002, 180f. umschreibt die Gottebenbildlichkeit zum einen die Repräsentanz Gottes auf Erden durch den Menschen und zum anderen die familiäre Verwandtschaft. Zu verschiedenen Deutungen der Gottebenbildlichkeit vgl. WELZ 2011, 480–488. 49 Vgl. JANOWSKI 2004, 193. 50 Vgl. hierzu JANOWSKI 1999b, 38–46. Ähnlich NEUMANN-GORSOLKE 2004, 207–223. GER
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sich rdy bezieht.51 Herrschaft ist zudem immer als ambivalent zu beurteilen und kann nicht ohne die gerechte Ausübung des Gewaltmonopols gelingen, so dass mit rdy auch gerechte Gewalt verbunden sein kann. Manchmal wird darüber hinaus vermutet, dass man bei der Wurzel rdy mitunter einen zivil- und einen völkerrechtlichen Gebrauch unterscheiden könne, wobei in Gen 1 aufgrund der angesprochenen kollektiven Größen der völkerrechtliche Gebrauch anzusetzen sei. Im Hintergrund liege demnach die persische Königsideologie, in der die beherrschten Völker nicht als Feinde, sondern als Stützen der eigenen Herrschaft betrachtet werden. Das Verhältnis des Menschen zur Natur sei analog zur persischen Herrschaftskonzeption als eine Rechts- und Friedensherrschaft zu bezeichnen.52 Ob man allerdings die biblische Konzeption mit persischen Vorstellungen verbinden darf, ist fraglich. Die Kontroverse um die Bedeutung von rdy hat bislang noch keinen befriedigenden Konsens erbracht. Allerdings sind folgende Aspekte bei einer adäquaten Deutung dieses Lexems zu beachten. Für ein eher friedliches Verhältnis zwischen Mensch und Tier sprechen folgende Beobachtungen: 1) Da Mensch und Tier unterschiedliche Nahrung zugewiesen bekommen haben (Gen 1,29–30), ist von keinem notwendig gewalttätigen Verhalten auf Seiten des Menschen und der Tiere auszugehen.53 Zwar wird hier kein generelles Tötungsverbot ausgesprochen, aber durch diese Regelung sollte offenbar ausgeschlossen werden, dass sich die Geschöpfe gegenseitig umbringen. Zumindest die Tötung von Tieren zu Nahrungszwecken wird hier implizit ausgeschlossen, da für Mensch und Tier vegetabile Nahrung vorgesehen ist. Wie es um andere Gründe für die Tötung eines Tieres steht, z.B. für Opferzwecke oder zur Herstellung von Kleidung oder Werkzeugen, wird hier nicht weiter verhandelt.54 2) Außerdem soll der Mensch über alle Tiere rdy ausüben (Gen 1,26), selbst über Tiere, die nicht seinen Lebensraum bedrohen und die er somit nicht gewaltsam abwehren muss. Es stellt sich darüber hinaus freilich die Frage, wie 51
Bei den neuassyrischen Belegen ist zudem das herrscherliche Walten des Sonnengottes auf den Großkönig als sein lebendiges Abbild übertragen worden, vgl. JANOWSKI 1999b, 39f. 52 Vgl. zu dieser Deutung RÜTERSWÖRDEN 1993, 126–130. 53 WEIPPERT 1998, 54 vermutet daher, dass die vegetarische Nahrungsverordnung sekundär eingetragen worden ist. BOSSHARD-NEPUSTIL 2005, 193 weist darauf hin, dass im zweiten Schöpfungsbericht die vegetabilen Nahrungsmittel „Kraut“ (Gen 3,18) und „Baumfrucht“ (Gen 2,16–17) erst in zwei Durchgängen dem Menschen zugesprochen werden. 54 Nach SCHMITZ-KAHMEN 1997, 34 sei jedoch nur das Töten von Tieren zu Nahrungszwecken untersagt; alle anderen Zwecke stünden folglich nicht unter dem Tötungsverbot. Allerdings ist der Text zu ungenau, als dass man weiterführende Rückschlüsse ziehen sollte.
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der Mensch Fische, Vögel, Kriechtiere und Wildtiere friedlich hüten soll, wenn man von einer Hirtentätigkeit des Menschen ausgeht.55 3) Nach der Sintflut wird dem Menschen nicht mehr der Auftrag zu rdy zugesprochen. Die nachsintflutliche Ordnung verzichtet jetzt offenbar auf ein rdyHandeln des Menschen. Da es erst nach der Sintflut zu einem Kriegszustand zwischen Mensch und Tier gekommen ist (Gen 9,1–7), müsse man davor von einer friedlichen Herrschaft des Menschen ausgehen. 4) Die Gewalttat der Gesamtheit des Fleisches, somit auch des Menschen, hat die Sintflut ausgelöst (Gen 6,11–13). Das wäre aber nicht der Fall gewesen, wenn der Mensch zu einer gewalttätigen Herrschaft ermächtigt gewesen wäre. Denn dann hätte der Mensch gemäß seines von Gott gegebenen Auftrags gehandelt. Die Sintflut wäre demnach eine willkürliche Maßnahme Gottes gewesen. Daraus folgt, dass Gott zunächst offenbar von einem gewaltfreien Miteinander von Mensch und Tier ausgegangen ist. Für ein gewalttätiges Verhältnis bereits in der vorsintflutlichen Welt sprechen hingegen folgende Beobachtungen, die mit den beiden Verben rdy und kbš verbunden werden können: 1) Die Belege von kbš im Landnahmekontext56 täuschen nicht darüber hinweg, dass es hier um die kriegerische Inbesitznahme des Verheißungslandes geht. Außerdem wird kbš gerade dann verwendet, wenn es um die Übernahme von Herrschaft und Verfügungsgewalt geht und nicht um die dauerhafte Herrschaftsausübung.57 Hinzu kommt, dass mit kbš die Unterwerfung der zuvor ansässigen Bevölkerung inbegriffen ist. Folglich bezieht sich kbš auf das vermutlich gewaltsame Erreichen der Vorherrschaft über die Tiere. Darüber hinaus wird kbš nicht wie andere verba regendi mit der Präposition b konstruiert,58 was ebenfalls andeutet, dass es hier nicht um Herrschaft an sich geht. Von einem gänzlichen Verzicht auf Gewalt kann bei kbš somit nicht die Rede sein. Lediglich schrankenlose Gewalt wird durch den Segenskontext und die Rückbindung an die Gottebenbildlichkeit offenbar ausgeschlossen. Da das Verb rdy mit dem sicher gewalttätig aufgeladenen Verb kbš zusammengestellt worden ist (Gen 1,28), soll offenbar auch mit rdy ein gewaltsames Herrschen ausgedrückt werden. Denn selbst die menschenfreundlichste Herrschaft 55
Vgl. zu diesen Problemen UEHLINGER 1991, 61. Num 32,22.29; Jos 18,1; 1Chr 22,18. In diesen Stellen wird das Verb kbš im NStamm verwendet, und nicht im G-Stamm wie in Gen 1,28. Außerdem wird die Inbesitznahme des Landes sicherlich nicht friedlich verlaufen sein, worauf Num 32,4 hinweist. Darüber hinaus wird in diesen Texten die Landnahme von der späteren Inbesitznahme unterschieden. Zuerst muss man das Land einem kbš-Handeln unterziehen, erst dann kann man es als Eigentum erhalten. Vgl. hierzu STIPP 2013a, 60f. 57 Vgl. WÖHRLE 2009, 173f. 58 Vgl. RÜTERSWÖRDEN 1993, 103. 56
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kann nicht ohne ein gewisses Gewaltmonopol auskommen.59 Aus alledem folgt: kbš bezeichnet die Einrichtung der Herrschaft über die Tierwelt und rdy die Ausübung dieser Herrschaft.60 Beides kann mitunter gewalttätig geschehen. 2) Das Verb rdy legitimiert zudem an anderen Stellen ganz dezidiert Gewaltanwendung gegen Fremde, so dass auch in Gen 1,26.28 Gewalt gegen Tiere offenbar erlaubt ist, da diese ja zur feindlichen Gegenwelt des Menschen gehören. Trotz der unterschiedlichen Nahrungszuweisung, die eigentlich gegenseitige Gewalt ausschließen sollte, waren gewalttätige Handlungen seitens der Menschen und der Tiere ohnehin noch nicht explizit verboten.61 Durch das Verb rdy werden die Tiere folglich als Fremde dargestellt, die mitunter auch zu Feinden des Menschen werden können. Auf diese Weise werden die Tiere wesensmäßig vom Menschen unterschieden. Es sind fremde Geschöpfe, über die der Mensch seine Herrschaft einrichten muss. Die Tiere gehören somit nicht zur eigenen Gruppe, sondern sie müssen vom Menschen dominiert werden. Der Mensch ist hierbei deutlich als der Überlegene im gemeinsam bewohnten Ökosystem dargestellt. Der lebendige Organismus der Schöpfung soll jedoch durch das rdy-Handeln des Menschen nicht in Frage gestellt werden. Darauf weist schon der Segen und die Billigungsformel hin. Es geht beim rdy-Handeln des Menschen nicht um eine Zerstörung des dreigeteilten Ökosystems (Wasser – Luft – Land) durch den Menschen, sondern um eine universale Ordnungsfunktion, damit Leben auf der Erde unter der Regie des Menschen gelingen kann. Die Herrschaft des Menschen ist demnach von Gott schon deshalb gewollt, um das Fortbestehen der Schöpfung zu gewährleisten.62 Die Herrschaft des Menschen kann zudem durchaus mit der gewalttätigen Durchsetzung von Macht verbunden sein. Das eigentliche Ziel ist es aber, die Schöpfung zu bewahren und zu sichern,63 auch wenn Kollateralschäden zum Wohle des ganzen Ökosystems nicht ausgeschlossen werden können.64 Aufgrund der Gottebenbildlichkeit trägt der Mensch aber eine ge59
Vgl. hierzu WEIPPERT 1998, 51. Vgl. WÖHRLE 2009, 176. Ähnlich RÜTERSWÖRDEN 1993, 103: zunächst Unterwerfung des Lebensraumes, dann Beherrschung der Lebewesen. 61 Insofern wird es sich nicht um eine ideale Welt gehandelt haben, die der ordnenden Hand des Menschen noch nicht bedurfte. So aber STIPP 2013a, 80. 62 Vgl. JANOWSKI 1999b, 41. 63 Vgl. MOSIS 1994, 221. Nach SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER 2010, 217–225 wird die Art der Herrschaft von Gen 1,26–28 im Gebet Salomos um Weisheit näher bestimmt (Weish 9,2–3). 64 Die Aufgabe des Menschen liegt somit in der aktiven Verantwortung für die Schöpfung. Auf diese Weise ist die Herrschaft des Menschen nachgerade eine Konkretion seiner Gottebenbildlichkeit. Mit STIPP 2013a, 57 ist das dominium terrae eine explizite Funktionsbeschreibung der Gottebenbildlichkeit, da diese Aussage mit einem Folgesatz „damit/so dass sie rdy ausüben“ angeschlossen ist (w-PK-KF nach Kohortativ). Ähnlich zu dieser 60
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wisse Verantwortung gegenüber Gott und der Schöpfung. Die Herrschaft des Menschen ist somit nicht die Folge, sondern ein Interpretament der Gottebenbildlichkeit.65 Die Hoheitsstellung des Menschen wird demnach vor allem durch die Gottebenbildlichkeit begründet, die freilich nicht allein funktional auf den Herrschaftsauftrag reduziert werden kann.66 Der Mensch ist von Gott ursprünglich zu dem Zweck eingesetzt worden, auf Erden für Recht und Ordnung zu sorgen. Insofern ist das Verhältnis des Menschen zu den Tieren klar als hierarchisch zu bezeichnen. Die Tiere, die ohnehin nicht zur eigenen Gruppe gehören, sind der Überlegenheit des Menschen deutlich untergeordnet. Der Mensch soll die Oberhand über die Tierwelt behalten, egal wie gefährlich oder wie wild die jeweiligen Tiere sind.67 Als „Statue Gottes“ gilt der Mensch als irdische Manifestation Gottes, in der Gott auf Erden präsent ist. Als „Statue Gottes“ hat der Mensch die Aufgabe zugesprochen bekommen, Recht und Ordnung durchzusetzen. Damit ist die Funktion der Herrschaft des Menschen über die Tierwelt geklärt. Sie wird durch die beiden Verben rdy und kbš ausgedrückt. Der Herrschaftsauftrag des Menschen dient folglich der Aufrechterhaltung der von Gott grundgelegten Schöpfungsordnung.68 Wie diese Herrschaft ausgestaltet sein soll, wird hingegen nicht näher ausgeführt. Die Herrschaft des Menschen sollte aufgrund der positiven wie negativen Konnotationen der Idiomatik weder besonders friedlich, noch besonders gewalttätig erfolgen. Beide Pole des Herrschaftshandelns sind offenbar gleichberechtigt möglich. In vorsintflutlicher Zeit überwog jedoch der negative Pol, was schließlich zwangsläufig zur Sintflut führen musste. Es geht in Gen 1,26–28 ohnehin nur um das Faktum der Herrschaft des Menschen über die Tierwelt, nicht aber um die spezifische Ausgestaltung dieser Herrschaft.69 Eine adäquate Beschreibung der Herrschaftsweise des Menschen über die Tierwelt ist schon deshalb kaum möglich, da die unterschiedlichsten Tierarsyntaktischen Konstruktion ZENGER 1983, 90; JANOWSKI 2004, 187f.; NEUMANNGORSOLKE 2004, 203f.; ARNETH 2007, 27; SCHELLENBERG 2009, 101 Anm. 13. Nach WEIPPERT 1998, 44 ist der Mensch Stellvertreter Gottes (vicarius Dei). UEHLINGER 1991, 62 bestimmt den Menschen als Sachwalter im paradeisos-Garten Gottes. 65 Vgl. JANOWSKI 2004, 196. 66 Vgl. hierzu GROSS 2000, 21; NEUMANN-GORSOLKE 2004, 204; SCHELLENBERG 2009, 99–103; WÖHRLE 2009, 177f. Gegen eine ausschließlich funktionale Deutung spricht auch die innerbiblische Rezeption in Weish 9,2–3, vgl. SCHWIENHORSTSCHÖNBERGER 2010, 223f. 67 Vgl. SCHELLENBERG 2011, 56. 68 Vgl. SCHELLENBERG 2011, 58. Nach BLUM 1990, 292f. ist mit der Gottebenbildlichkeit auch die Gottunmittelbarkeit verbunden, die allerdings mit der Sintflut verschwindet. Zunächst war der Mensch als Gegenüber Gottes geplant. 69 Nach NWAORU 2012, 11f. umfassen die beiden Verben rdy und kbš zwar die Konnotation der Gewalt, aber Herrschaft dient auch der Aufrechterhaltung der Ordnung und dem Schutz der Schwachen.
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ten zu Land, zu Wasser und zu Luft vom Menschen beherrscht werden sollen.70 Die gemeinsame Lebenswelt für Mensch und Tier war jedoch äußerst konfliktträchtig, obschon den Lebewesen auf dem Land unterschiedliche Nahrung zugewiesen wurde. Dies hätte eine Auseinandersetzung vermeiden können: Die Menschen erhielten nämlich Getreide und alle Arten von Früchten, die Landtiere alles wildwachsende Grünzeug und darüber hinaus noch die pflanzlichen Abfallprodukte, die der Mensch übriglässt (Gen 1,29–30).71 Die Nutztiere fehlen in dieser Nahrungszuweisung, was darauf hindeutet, dass es hier vor allem darum ging, die Konkurrenz um die Ressourcen des gemeinsamen Lebensraumes zu mildern. Die vom Menschen domestizierten Nutztiere waren für den Menschen ohnehin nicht gefährlich, da der Mensch für deren Nahrungsversorgung aufkommen musste. Aus alledem folgt: Das Zusammenleben von Mensch und Tier ist somit nach dem priesterschriftlichen Schöpfungsbericht von Gemeinsamkeit und Unterschiedlichkeit geprägt. Mensch und Tier beleben zum einen den gleichen Lebensraum und sind beide Geschöpfe Gottes. Zum anderen essen Mensch und Tier unterschiedliche Nahrung. Außerdem wird die Gewalt zwischen Mensch und Tier aufgrund der unterschiedlichen Nahrungsordnung minimiert und auf das Notwendigste beschränkt. Gewalt sollte nur ausgeübt werden, um den Ordnungszustand aufrechtzuerhalten, den die Billigungsformel nachgerade beschwört. Durch die Nahrungsdifferenz hätte ein Idealzustand hergestellt werden können, der vom Menschen mitunter gewalttätig reguliert werden sollte, worauf das Verb rdy hinweist. Trotzdem wurde zunächst ein unblutiges Miteinander der einzelnen Geschöpfe ohne Angst voreinander angezielt. Der Mensch ist darüber hinaus der übergeordnete Herrscher über die Tiere, wobei die unterlegenen Tiere als Fremde betrachtet werden, was durch das Verb rdy unterstrichen wird. Um der Integrität der gemeinsamen Lebenswelt willen und vermutlich auch um der unnötigen Vermeidung des wechselseitigen Blutvergießens willen erhält der Mensch den Auftrag zur Herrschaft über alle Lebensbereiche. Ob das ursprüngliche Verhältnis zwischen Mensch und Tier tatsächlich als paradiesischer Tierfrieden zu verstehen ist, ist fraglich.72 Wahrscheinlich ist es wohl nicht. Denn zur Sicherung des Friedens ist die beschränkte Gewaltausübung durchaus nicht ausgeschlossen, was durch die beiden Verben rdy 70
Vgl. SCHELLENBERG 2011, 56. Nach STIPP 2013a, 57 erhalten die Menschen die Kulturpflanzen wie Getreide, Hülsenfrüchte und Fruchtbäume, während die Tiere nur die nicht vom Menschen verwerteten Bestandteile Laub und Stängel sowie das Wildkraut bekommen. 72 Vgl. zum „paradiesischen Tierfrieden“ LOHFINK 1988, 24; WITTE 1998, 131. Kritisch hierzu zu Recht SCHELLENBERG 2011, 55 Anm. 115. Nach KNAUF 2003, 226 hätte es jedoch eine „ideale, gewaltfreie Welt der ersten sieben Schöpfungstage“ gegeben, in die dann illegitime Gewalt eingedrungen sei. 71
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und kbš ausgedrückt wird. Zwar sind die Tiere dem Menschen hierarchisch untergeordnet und können mitunter mit Gewalt zur Raison gerufen werden, aber sie sind auch Geschöpfe Gottes. Als Mitgeschöpfe, die noch vor dem Menschen erschaffen wurden, sind sie zudem eng mit dem Menschen verbunden. Eigentlich hätte der gute Plan Gottes mit seiner Schöpfung gelingen können. Aber es kam alles anders als geplant. Der Mensch hat kläglich versagt,73 so dass Gott selbst wieder in die Ereignisse eingreifen musste. Durch die Gewalttat von kol bāśār, der Gesamtheit des Fleisches, also Mensch und Tier gleichermaßen,74 wurde die Erde hinsichtlich ihrer schöpfungsmäßigen Bestimmung, ein Lebensraum für alle Tiere unter der Leitung des Menschen zu sein, verdorben (Gen 6,11–13), so dass Gott eine Sintflut über die Erde brachte und damit den Menschen sowie alle Tiere des Landes und des Luftraums beseitigte – abgesehen von der Familie Noahs und den Tieren auf der Arche. Zur Gesamtheit des Fleisches zählen konsequenterweise nicht die Wassertiere, da diese von einer Überschwemmung ohnehin nicht ausgelöscht werden konnten.75 Die Wassertiere lagen zudem in keinem gegenseitigen Konkurrenzverhältnis zu den Landtieren und dem Menschen. Es verwundert daher nicht, dass die Wassertiere bei ihrer Ersterschaffung – wie später der Mensch – explizit einen göttlichen Mehrungssegen zugesprochen bekamen. Die Wassertiere sollen sich somit wie der Mensch vermehren und ihren von Gott zugesprochenen Lebensraum füllen (Gen 1,22).76 Wenn der Mensch demnach einen göttlichen Segen zugesprochen bekommt, dann auf Kosten der Landtiere und eventuell auch der Vögel, die ebenfalls auf das Land als Lebensraum angewiesen sind. Denn die Vögel bekommen lediglich einen Mehrungsauftrag zugesprochen, aber nicht imperativisch wie die Wassertiere, sondern jussivisch (Gen 1,22). Im Hintergrund für die Verweigerung des Segens an die Landtiere steht offenbar die Erfahrung, dass es immer wieder feindliche Zusammenstöße zwischen Menschen und Tieren auf der Erde gegeben hat. Eine Vermehrung der Landtiere und ein Anfüllen der Erde mit Landtieren könne folglich aus der Perspektive des Menschen nicht unter dem göttlichen Segen stehen. Es nimmt 73
Vgl. GÖRG 1992b, 146f.; SCHÜLE 2006, 113. Der Ausdruck kol bāśār kann in den Fluterzählungen nicht ausschließlich auf den Menschen eingegrenzt werden, vgl. EBACH 1986, 42; ARNETH 2007, 55 Anm. 128; SCHELLENBERG 2011, 40 Anm. 39; STIPP 2013b, 99–102. Nach WITTE 1998, 131 ist sogar „die gesamte Schöpfung von ihrem Schöpfer abgefallen“. 75 Vgl. SCHMID 2012, 81; STIPP 2013b, 109f. Kritisch hierzu aber SCHELLENBERG 2011, 40, zumal dann Lev 11,11 eine Ausnahme sein müsse, da dort den Fischen ebenfalls Fleisch zugewiesen wird. 76 Nach WEIPPERT 1998, 47 umfasst dieser Segen auch die Lufttiere. Lediglich die Landtiere würden keinen Segen bekommen, da sie „die Konkurrenten des Menschen um seinen Lebensraum, das Festland der Erde“ sind. Ähnlich RÜTERSWÖRDEN 1993, 106f.; KEEL/SCHROER 2002, 182; WÖHRLE 2009, 180. 74
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daher nicht wunder, dass bei der Erschaffung der Landtiere nicht wie beim Menschen das theologische Verb brʾ „schaffen“, sondern das profane ʿśy „machen“ verwendet wird: Tiere werden gemacht, der Mensch hingegen erschaffen.77 Auch hier zeigt sich eine gewisse Überordnung der Menschheit gegenüber der Tierwelt. Während Gott am Ende des priesterschriftlichen Schöpfungsberichts noch „sah“, dass alles, was er geschaffen hatte, sehr gut war (Gen 1,31), musste er nach einiger Zeit wiederum „sehen“, dass die Erde aufgrund der Gesamtheit des Fleisches (Gen 6,12) verdorben war.78 Nach der priesterschriftlichen Theologie waren somit alle Bewohner der Erde an der Sintflut schuld. Für den Gewaltzustand, der zur Sintflut führte, waren demnach auch die Tiere verantwortlich. Die Tiere werden hier folglich als gleichberechtigt zum Menschen betrachtet. Während ursprünglich die Menschen die Erde „füllen“ sollten (Gen 1,28), ist die Erde nun von ḥāmās „Gewalttat“ gefüllt worden (Gen 6,11). Aufgrund der Wortwahl ist ein Bezug auf den Mehrungsauftrag explizit gegeben: Statt einer geordneten Vermehrung der Menschheit ist es zu einer Vermehrung von Gewalt gekommen, so dass die Gewalt zur bestimmenden Größe auf der Erde wurde.79 Der Mehrungsauftrag findet zudem darin seine Grenze, dass aufgrund der auf der Erde überhand nehmenden Gewalttat die Sterblichkeit der Menschheit groß ist und eine Mehrung, wie sie Gott gewünscht hat, gar nicht mehr stattfinden kann.80 Der Begriff ḥāmās bezieht sich vor allem auf „Gewalt gegen Leben“ und damit auf Blutvergießen. Der vorsintflutliche Zustand widerspricht damit dezidiert dem von Gott zunächst angezielten friedlichen Miteinander von Mensch und Tier. Der Mensch und die Tiere haben sich offenbar mit ihrer vegetabilen Nahrung nicht zufrieden gegeben und sich gegenseitig getötet. Das ständige Blutvergießen zwischen Mensch und Tier steht folglich im Widerspruch zum Willen Gottes, worauf er mit der Sintflut reagieren muss, um zumindest dem unkontrollierten Morden Grenzen zu setzen. Nach dem TunErgehen-Zusammenhang werden infolgedessen alle Verantwortlichen für die chaotischen vorsintflutlichen Zustände mit Ausnahme der Familie Noahs und der Tiere auf der Arche von der Erde vertilgt.81
77
Vgl. SCHMITZ-KAHMEN 1997, 33. Vgl. zu dieser Korrespondenz SCHMID 2012, 80f. Zu den Bezügen zum priesterschriftlichen Schöpfungsbericht vgl. ARNETH 2007, 56. 79 Vgl. zum Begriff ḥāmās SCHELLENBERG 2011, 45, die an physische Gewalt denkt. Nach SCHÜLE 2006, 309 verstößt ḥāmās nicht nur gegen die bestehende Ordnung, sondern hebt diese sogar auf. EBACH 1986, 42 deutet ḥāmās als „die gewalttätige Grundstruktur der Gesellschaft“. Nach WÖHRLE 2009, 182 drückt das Verb mlʾ aus, „dass etwas einen bestimmten Bereich anfüllt und so in diesem Bereich die bestimmende Größe ist.“ 80 Vgl. hierzu SCHELLENBERG 2011, 45 Anm. 70. 81 Zu dieser Verfahrensweise vgl. STIPP 2013b, 116. 78
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Nach der Sintflut erneuert Gott wiederum den Segen über den Menschen (Gen 9,1.7).82 Der Mensch darf – wie schon in Gen 1,28 – die Erde „füllen“. Die Mehrungsverheißung an den Menschen rahmt diesen Abschnitt (Gen 9,1.7).83 Nun wird ein neues Kapitel des Verhältnisses zwischen Mensch und Tier aufgeschlagen. Nach der Sintflut soll eine unkontrollierte Gewaltausübung wie zuvor verboten sein, weshalb im Folgenden einige Regeln für die nachsintflutliche Lebenswelt aufgestellt werden müssen. Auf diese Weise wird dem Umstand Rechnung getragen, dass Mensch und Tier den gleichen Lebensraum bevölkern und immer wieder in einem kompetitiven Verhältnis zueinander stehen. Nach Gen 9,2 werden die Tiere, die sich mit dem Menschen den Lebensraum Erde teilen müssen, der Verfügungsgewalt des Menschen deutlich untergeordnet. Es kommt jetzt zu einem ungleichen Kräfteverhältnis zwischen Mensch und Tier.84 Der Mensch ist nun der Gegner der Tiere, die vor dem Menschen „Furcht und Schrecken“ haben, da sie in die Hand des Menschen gegeben werden. Mit dem Idiom „in die Hand geben“ ist die Verfügungsgewalt des Menschen über die Tiere ausgedrückt. Dies kann durchaus mit einer Tötung der Tiere verbunden sein.85 In Gen 9,2 klingen folglich Begriffe des „Heiligen Krieges“ an.86 Der Mensch herrscht somit nicht mehr über den Lebensraum, sondern er führt regelrecht einen Heiligen Krieg auf der Erde. Die Tiere sind Kriegsgegner des Menschen. Da hier die Terminologie des „Heiligen Krieges“ verwendet wird, steht Gott auf der Seite der Menschen und wendet sich ebenfalls gegen die Tiere, die offenbar als Repräsentanten einer chaotischen Gegenwelt gezeichnet werden.87 Es verwundert daher nicht, dass 82 Der Abschnitt Gen 9,1–7 ist vermutlich keine gewachsene Größe, vgl. NEUMANNGORSOLKE 2004, 248–250. Trotzdem vermutet MOSIS 1994, 196–213 den Grundbestand in Gen 9,1–4 mit der Abfolge Mehrungssegen für Menschen (v.1), Verhältnisbestimmung zu Tieren (v.2) und Nahrungsregelung (v.3–4), was wiederum Gen 1,28–30 entspräche. 83 Nach ZENGER 1983, 117 spricht die Segensrahmung gegen einen von Gott verordneten Kriegszustand oder eine tolerierte Sünde. Allerdings bezieht sich der Segensrahmen nur auf die Menschheit, die in ihrem Tun gesegnet erscheint. Wie dies mit den Tieren zusammenhängt, wird nicht näher bestimmt. 84 Nach JANOWSKI 2004, 209 übt der Mensch eine begrenzte Schreckensherrschaft über die Tiere aus, da die Rivalität zwischen Mensch und Tier bestehen bleibt, aber eingegrenzt wird. 85 Vgl. SCHELLENBERG 2011, 64f. 86 Vgl. EBACH 1986, 44; LOHFINK 1988, 23; BOECKER 1993, 83; RÜTERSWÖRDEN 1993, 108; GROSS 2000, 27; ARNETH 2007, 73. Zu den Formeln vgl. NEUMANN-GORSOLKE 2004, 254–260. 87 Vgl. MOSIS 1994, 222f. Nach NEUMANN-GORSOLKE 2004, 257 wird mit dem Gottesschrecken Distanz und Differenz zwischen Mensch und Tier gesetzt, damit zukünftige Konflikte vermieden werden, wobei die Überlegenheit des Menschen freilich feststeht. ZENGER 1983, 117 weist darauf hin, dass der Gottesschrecken stets über die Feinde Israels fällt, so dass Israel kampflos das gelobte Land in Besitz nehmen kann. Insofern sei Gen 9,2
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in der Aufzählung der Tiere bewusst die Nutztiere ausgespart worden sind, da diese für den Menschen ungefährlich sind.88 Mensch und Wildtiere liegen folglich in einem dauerhaften Kriegszustand, wobei aber der Mensch dem Tier überlegen ist, auch wenn das Tier immer noch eine Gefahr darstellt.89 Die allgemeine Verfügungsgewalt des Menschen über die Tiere wird in Gen 9,3 konkretisiert. Die ursprüngliche Nahrungszuweisung von Gen 1,29– 30 wird nun dergestalt modifiziert, dass die Menschen zur Sicherung ihrer Nahrungsgrundlage auch Tiere töten dürfen, allerdings mit der Einschränkung, dass sie kein Blut genießen dürfen, da Blut als Sitz des Lebens gilt (Gen 9,3–4). Nur Gott allein hat die Verfügungsgewalt über diesen Lebensträger.90 Darüber hinaus wird dem Menschen auch das wilde Kraut zugesprochen (Gen 9,3), das ursprünglich für die Tiere reserviert gewesen ist. Die Formulierung „alles, was sich regt, was lebendig ist“ betont, dass Gott alle Tiere zur Tötung durch den Menschen freigegeben hat, allerdings lediglich zur Sicherstellung der Nahrung. Die Tötung von Tieren wird dem Menschen grundsätzlich erlaubt, allerdings nicht der Blutgenuss. In Gen 9,3 bleibt das Nutztier im Gegensatz zu Gen 9,2 nicht ausgespart. Das von Anfang an gestörte Verhältnis zwischen Mensch und Tier wird durch diese Regelung nach der Flut neu bestimmt, was insofern nötig ist, da sich das Wesen der Geschöpfe trotz der Flut nicht verändert hat. Um das Eindringen von möglicher Gewalttat zu verhindern, musste demnach die Beziehung zu den Tieren geändert werden. Die hier erlaubte Tiertötung gestattet freilich nicht eine rücksichtlose Ausbeutung der Ressourcen und die Ausrottung der Tiere, zumal der im Anschluss folgende Noahbund mit Mensch und Tier gleichermaßen geschlossen wird (Gen 9,9–10). Somit wird der Tierwelt ebenfalls ein gewisser Eigenwert zugesprochen.91 Wie schon die Tiere an der Sintflut schuld waren und dafür bestraft worden sind, sind sie nun auch in den Segen aufgenommen. Der pazifistisch zu lesen. Bei einer solchen Lesart wird aber die gewalthafte Komponente der biblischen Landnahme unter Führung Josuas gänzlich unterschlagen. 88 Diese Beobachtung spricht gegen die These von SCHELLENBERG 2011, 67, dass in Gen 9,2 auch die spätere Tötung der Opfertiere im Blick ist. 89 Vgl. SCHELLENBERG 2011, 66. Nach WÖHRLE 2009, 181f. liegt Gen 9,2 auf einer Linie mit Gen 1,26–28. In beiden Fällen ist von einem Konkurrenzverhältnis auszugehen. 90 STIPP 2013b, 114 weist darauf hin, dass es sich hierbei nur um das Blut der Menschen, Säugetiere und der Vögel handelt, nicht aber um die Körperflüssigkeit von Fischen. Blut ist zudem als Lebensträger an das Fleisch gebunden, über das die Fische nach biblischem Verständnis ohnehin nicht verfügen. Zu Blut als Sitz des Lebens (Lev 17,11) und die damit verbundenen Implikationen vgl. SCHREINER 1993, 231f. Nach KOCH 1991, 236 bekennt sich der Mensch durch die Ableitung des Blutes zurück zur Erde „zur Souveränität des Schöpfers, der das Leben geschaffen hat, der Quelle des Lebens bleibt und über den Lebenskreislauf allein befindet.“ 91 Vgl. auch JANOWSKI 2004, 208. BARTELMUS 1993, 261 betont, dass hier alle Lebewesen „als personenhaftes Gegenüber zu Gott anerkannt werden“.
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Noahbund ist zudem eine einseitige Selbstverpflichtung Gottes, nie mehr eine Sintflut über die Erde zu bringen, unabhängig vom Verhalten der Schöpfung.92 Das Verbot der Tötung eines Menschen wird in Gen 9,5–6 anthropologisch und theologisch begründet.93 Da jeder Mensch anthropologisch als „Bruder“ bezeichnet wird, ist der Mord eines Menschen immer Brudermord (Gen 9,5). Außerdem unterstreicht die Gottebenbildlichkeit des Menschen theologisch das Tötungsverbot. Jegliches gewaltsames Vergießen von menschlichem Blut zieht die Todesstrafe nach sich, da der Mensch nach dem Bild Gottes geschaffen worden ist (Gen 9,6). Folglich wird die Tötung des Menschen durch kol ḥayyā „alles Lebendige“, nämlich durch Tier oder Mensch, unter Strafe gestellt. Gott selbst wird das vergossene Blut vom Täter einfordern, was er in Gen 9,5 dreimal betont. Auf diese Weise wird Gott die Rolle des Bluträchers zugewiesen. Fraglich ist jedoch, wer die Todesstrafe vollziehen soll: Gott oder Mensch. Hier hilft Gen 9,6 nur bedingt weiter. Denn die Präpositionsverbindung bāʾādām ist entweder als b-instrumentalis „durch den Menschen“ – hier ist klar ein Mensch als Scharfrichter im Blick – oder als b-pretii „um den Wert des Menschen“ zu deuten – hier wäre auch Gott möglich –, wobei es für die zweite Deutung die besseren Argumente gibt.94 Allerdings ist gerade die zweite Interpretation nicht eindeutig, was die Ausführung der Todesstrafe betrifft. Wahrscheinlich wurde bewusst offen formuliert, da der Mensch nach der Sintflut nicht mehr allein für Recht und Ordnung auf der Welt verantwortlich ist, zumal er zuvor kläglich versagt hat. Nun übernimmt Gott die Kontrolle und benötigt nicht mehr den Menschen als Stellvertreter Gottes auf Erden.95 Trotz des Auftrags an den Menschen hatte die vorsintflutlich gut geschaffene Welt noch keine wirkliche Ordnungsstruktur, die ihren Bestand gesichert hätte. Nun übernimmt Gott selbst wieder die Schutzfunktion über den Lebensraum.96 Den Tieren wurde nach der Sintflut somit lediglich das Töten des Menschen explizit verboten. Indirekt ist den Raubtieren
92
Vgl. SCHÜLE 2006, 267. Vgl. WITTE 1998, 144. 94 Vgl. SCHELLENBERG 2011, 61. Im Hintergrund steht vermutlich eine Talionsformulierung vgl. ERNST 1990, 253, der für die Deutung als b-pretii noch LXX heranzieht. Ähnlich auch WITTE 1998, 144 Anm. 95; ARNETH 2007, 72 Anm. 177. Für eine Deutung als b-instrumentalis hingegen STECK 1997, 126–130; STIPP 2013a, 80 Anm. 129, da hier die Ausführungsbestimmung für den zuvor erklärten Lebensschutz folge. Zum Problem vgl. auch SCHMID 2012, 82. 95 Vgl. SCHELLENBERG 2009, 102f. Dies spricht auch gegen eine ausschließlich funktionale Deutung der Gottebenbildlichkeit im Hinblick auf den Herrschaftsauftrag des Menschen. Denn die Gottebenbildlichkeit des Menschen gebietet, dass Menschen nicht getötet werden dürfen. 96 Vgl. SCHÜLE 2006, 114f.315. 93
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das Töten anderer Tiere mit dem Zweck der Nahrungsversorgung nicht prinzipiell untersagt.97 Da Mensch und Tier gleichermaßen in den Noahbund aufgenommen werden, wird folglich ein personales Verhältnis zwischen Mensch und Tier grundgelegt.98 Der Mensch hat zwar eine höhere Macht gegenüber dem Tier, ist aber von derselben Qualität. Der Noahbund in Gen 9,8–17 weist zumindest den Tieren einen gewissen Eigenwert zu, der über den reinen Nutzwert hinausgeht und ein partnerschaftliches Verhältnis einfordert. Das Lebensrecht der Tiere muss unbedingt respektiert werden. Da für diesen Bund Mensch und Tier keine Gegenleistung erbringen müssen, kann dieser Bundesschluss auch nicht durch Fehlverhalten entweder durch die Menschheit oder die Tierwelt gebrochen werden.99 Der Noahbund wird schließlich mit dem Menschen, den Lufttieren, dem Vieh und den Landtieren geschlossen (Gen 9,10). Die Fische, die ohnehin schon von Gott gesegnet sind, kommen begreiflicherweise nicht mehr in den Blick. Außerdem können die Fische ohnehin eine weitere Sintflut gut überleben. Da die übrigen Tiere vom Noahbund ebenfalls umfangen sind, kann der Mensch seine Herrschaft über die Tiere nur als begrenzte „Schreckensherrschaft“ ausüben.100 Durch die nachsintflutliche Regelung wird die Gewalttat effektiv eingegrenzt und eingedämmt. Das Töten von Tieren wird nun entkriminalisiert und legalisiert.101 In Verbindung mit Gen 6,11–13 wird der von Gott intendierte Idealzustand von Gen 1 und die harte Realität von Gen 9 somit in ein rechtes Maß gesetzt. Da der Mensch zuvor seinen Auftrag zur Herrschaft verfehlt und eine chaotische Welt voller Gewalt hinterlassen hat, musste dies folgerichtig zur Sintflut führen. Zum einen wird die unumschränkte Gewaltausübung durch Mensch und Tier in der nachsintflutlichen Welt effektiv eingegrenzt. Zum anderen dürfen die Inanspruchnahme der Erde und die Herrschaft des Menschen über die Tierwelt nicht mit unnötiger Gewalt erreicht werden, da Mensch und Tier im Noahbund aufgenommen sind. Auffällig ist, dass gerade in Gen 9,1–7 die Wurzel rdy nicht mehr verwendet wird.102 Der Auftrag zum rdy-Handeln des Menschen über die Tierwelt 97
Vgl. KOCH 1991, 235. Vgl. hierzu BARTELMUS 1993, 261f. 99 Vgl. SCHELLENBERG 2011, 42. Es verwundert daher nicht, dass das Rettungshandeln JHWHs nach Ps 36,6–7 auch die Tierwelt umfasst. Nach Ps 36,7 gehören die Tiere ebenfalls zu Gott und bedürfen der göttlichen Gerechtigkeit. Hier drückt sich eine gewisse Beziehung des Schöpfers zum Geschöpf aus. 100 Vgl. JANOWSKI 1999a, 16. Nach STIPP 2013a, 82 haben jedoch die Menschen erst nach der Sintflut die notwendige Ausstattung, den Auftrag zur Herrschaft über die Tiere effektiv auszuführen. 101 Nach GROSS 2000, 27 dient die Tötungslizenz zudem nur zu Nahrungszwecken. 102 Dagegen jedoch STIPP 2013a, 81 Anm. 132, der MT in Gen 9,7 nach LXX verbessert und rdy statt rby liest. Auf diese Weise verhindert er eine Dublette zu 7a, wo bereits eine 98
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war zwar ursprünglich von Gott intendiert, wurde aber danach offenbar wieder zurückgenommen. Der Mensch wurde demnach von seiner besonderen Verantwortung für die Schöpfung entbunden. Dieser Auftrag wurde zumindest nicht für die Zeit nach der Sintflut erneuert. Trotz dieser Änderung ist die ursprünglich friedliche Schöpfungsordnung das eigentliche Ziel Gottes mit der Welt, das nicht aus den Augen verloren werden sollte, nämlich ein gewaltfreies Miteinander mit den Tieren.103 1.2 Der nichtpriesterschriftliche Schöpfungsbericht Gen 2–3 Im zweiten Schöpfungsbericht wird das Mensch-Tier-Verhältnis ebenfalls behandelt.104 Wie schon im priesterschriftlichen Schöpfungsbericht ist in Gen 2–3 das Verhältnis zwischen Mensch und Tier hierarchisch strukturiert. Auch hier werden die Tiere als Geschöpfe Gottes gekennzeichnet, die allerdings erst nach dem Menschen geschaffen werden (Gen 2,7.19–20).105 Ziel der Schöpfungserzählung ist es zunächst, den Menschen in ein Netz von Beziehungen zu stellen. Gott schafft somit zunächst eine positive Welt, in der der Mensch Gemeinschaft erleben kann.106 Der Mensch ist in vier grundlegende Beziehungen hineingestellt: die Beziehung zur Erde, von der der Mensch genommen ist, die Beziehung zu weiteren Lebewesen, die Beziehung zwischen Mann und Frau und die Beziehung zwischen Mensch und Schöpfer.107 Die ähnliche Wortwahl bei der Erschaffung von Mensch und Tier verdeutlicht, dass es kaum einen Unterschied zwischen Mensch und Tier gibt. Beide werden aus ʾădāmā „Erdboden“ geformt.108 Dies weist zum einen auf die Form von rby steht. Dagegen aber WITTE 1998, 143 Anm. 91; BOSSHARD-NEPUSTIL 2005, 117 Anm. 30. Gegen einen Bezug zu Gen 1,28 spricht zudem, dass hier rby + b mit der Erde, nicht aber mit der Tierwelt wie in Gen 1,28 verbunden wird, vgl. MOSIS 1994, 207 Anm. 54. 103 Dies zeigt sich u.a. in heilseschatologischen Texten wie Jes 11,6–8. 104 Nach DE PURY 1993, 122f. beantwortet die Urgeschichte die grundlegenden Fragen der menschlichen Existenz. 105 Die abweichende Reihenfolge der Erschaffung von Mensch und Tier kann nicht notwendigerweise im Sinne einer Höherbewertung weder des Menschen noch des Tieres gedeutet werden, da diese Abfolge von der Szenenfolge bedingt ist, vgl. SCHELLENBERG 2011, 191. 106 Vgl. DE PURY 1993, 124. 107 Vgl. DE PURY 1993, 124–127. 108 SCHELLENBERG 2011, 193f. weist darauf hin, dass der Mensch eigentlich „(aus) Staub vom Erdboden“ geformt sei, was vermutlich eine Angleichung an Gen 3,19 sei, da man aus „Staub“ nur schwierig den Menschen formen kann. Durch das Lexem „Staub“ wird zumindest die Vergänglichkeit besonders hervorgehoben. Zum Problem des Schöpfungsingrediens „Staub“ vgl. SPIECKERMANN 2001, 52f. Nach KEEL/SCHROER 2002, 145 kann ʿāpār auch den feuchten Lehm oder den Mörtel bezeichnen. Insofern kann man daraus den Menschen durchaus formen.
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Vergänglichkeit beider Geschöpfe, zum anderen auf den handwerklichen Aspekt des göttlichen Schöpfungshandelns hin.109 Während dem Menschen ein nišmat ḥayyîm „Lebensodem“ eingehaucht wird, wodurch er schließlich zu einer nepeš ḥayyā „lebendes Wesen“ wird (Gen 2,7), fehlt eine solche Angabe bei der Erschaffung des Tieres.110 Dies muss aber insofern nicht verwundern, da das Lexem nešāmā nie explizit mit Tieren verbunden wird und folglich beim Tier fehl am Platz wäre.111 Hinzu kommt, dass Mensch und Tier jeweils als nepeš ḥayyā bezeichnet werden (Gen 2,7.19). Im Unterschied zum Tier ist nach der biblischen Darstellung der Mensch erst durch den Lebensodem ein lebendiges Wesen geworden. Die eigentliche Funktion von nišmat ḥayyîm ist somit, aus dem unbelebten Erdklumpen einen lebendigen Menschen zu schaffen. Ähnliches ist wohl auch für das Tier vorauszusetzen, auch wenn hier die Einhauchung des Lebensodems fehlt.112 Da bei der Sintflut zudem alles mit „Lebensodem“ umkommt (Gen 7,22)113, werden wohl die Tiere – wie auch die Frau, bei der diese Angabe ebenfalls fehlt (Gen 2,22) – ähnlich ausgestattet sein und ebenfalls über „Lebensodem“ verfügen. Nachdem der Mensch in den Garten Eden gesetzt worden ist, um diesen zu bewirtschaften und von den Früchten der Bäume mit Ausnahme des Baumes des Wissens von Gut und Böse zu essen (Gen 2,15–17),114 werden die Tiere erschaffen, und zwar alle Tiere des Feldes, alle Vögel des Himmels sowie alles Vieh (Gen 2,20), während die Wassertiere ausgespart bleiben, vermutlich weil sie in einem Lebensbereich wohnen, den der Mensch nicht teilt. Der Grund für die Erschaffung der Tiere bleibt letzten Endes undeutlich. Meist wird angenommen, dass dies geschehen sei, um dem einsamen Menschen eine Hilfe zu geben, die ihm entspricht (Gen 2,18). Es gehe folglich um ein ebenbürtiges Gegenüber für den Menschen. Denn das Wort ʿēzer „Hilfe“ bezeichnet nicht die Hilfe eines Untergebenen.115 Diese Aussageintention wird noch durch die Präpositionsverbindung kenegdô „entsprechend seinem 109
SCHMITZ-KAHMEN 1997, 43 deutet die Erschaffung aus demselben Stoff dahingehend, dass Mensch und Tier „wesenhaft zusammengehörig“ seien. Auch nach BOSSHARDNEPUSTIL 2005, 191 ist der Mensch im zweiten Schöpfungsbericht näher am Tier. 110 SCHÜLE 2006, 270 weist darauf hin, dass nepeš ḥayyā die Bedeutung „Lebewesen“, aber auch „Lebenssubstanz“ trägt. 111 Vgl. SCHELLENBERG 2011, 195f. SCHREINER 1993, 224 sieht hierin aber einen Unterschied zwischen Mensch und Tier angedeutet, so dass nur das Lebendigsein das Gemeinsame sei. 112 Vgl. BARTELMUS 1993, 263; SCHMITZ-KAHMEN 1997, 44. Anders hingegen SCHÜLE 2006, 168: „Die Tiere sind zwar ebenfalls Geschöpfe aus Adama, allerdings ohne den Odem“. 113 Hier allerdings in der schwer zu übersetzenden Form nišmat rûaḥ ḥayyîm. 114 Nach BLUM 1990, 290 ist dieser Erzählzug mit dem Motiv des Urfriedens aus Gen 1,29 vergleichbar. 115 Nach KEEL/SCHROER 2002, 148 hat ʿēzer nämlich nicht die Konnotation von „untergeordneter, dienender Hilfe“.
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Gegenüber“ unterstrichen. Dadurch wird sichergestellt, dass die von Gott zugesagte Hilfe dem Menschen nicht über- oder unterlegen ist, sondern gleichrangig. Außerdem soll auf diese Weise das Alleinsein des Menschen behoben werden. Die von Gott geschaffenen Tiere waren jedoch – wie sich bald herausstellt – keine ebenbürtige Hilfe für den Menschen116, so dass der Eindruck erweckt werden könnte, dass der Schöpfungsakt nicht gelungen wäre.117 Erst die im Anschluss aus der Rippe des Mannes geformte Frau konnte dieses Desiderat endgültig beheben. Die Deutung, dass der Schöpfungsakt misslungen ist, setzt aber voraus, dass Gott die Tiere genau zu dem Zweck erschaffen hat, die Einsamkeit des Menschen durch eine ebenbürtige Hilfe zu beenden, was jedoch nicht explizit behauptet wird.118 Vielleicht sollen die beiden Aussagen von Gen 2,18 auf zwei Schöpfungswerke bezogen werden: Das Alleinsein des Menschen wird bereits durch die Tiere behoben,119 während die Frau dem Mann eine gleichartige Unterstützung ist. Gemäß einer solchen Interpretation wäre hier folglich keine Abwertung der Tiere angezielt. Die Tiere stehen auf alle Fälle in einem Gemeinschaftsverhältnis zum Menschen, auch wenn sie ihm keine wesensähnliche Hilfe sein sollen und können.120 Die Tiere können schon deshalb nicht dem Menschen ebenbürtig sein, da Gott dem Menschen implizit die Vollmacht gibt, die Tiere zu benennen (Gen 2,19).121 Im Folgenden benennt der Mensch die Haustiere, die wilden 116
Die Syntax von Gen 2,20b ist mehrdeutig, da das Subjekt, das feststellt, dass die geschaffenen Tiere keine Hilfe seien, entweder Mensch oder Gott sein könnte. Mitunter könnte man hier auch unpersönlich übersetzen. SCHREINER 1993, 225 weist darauf hin, dass die Aussage nicht verneint wird, dass die Tiere zumindest eine Hilfe für den Menschen sein könnten. 117 Vgl. zum Problem SCHÜLE 2006, 169. Nach DE PURY 1993, 126 ergänzt Gott die Beziehung des Menschen zu den Tieren, die nicht voll den Erwartungen entsprochen haben, durch die Beziehung zur Frau. Dadurch ist allerdings weder die Gemeinschaft mit den Tieren, noch mit der Frau auf irgendeine Weise entwertet worden. 118 Vielleicht bemerkte Gott erst bei der Erschaffung der Tiere, dass diese keine ebenbürtige Hilfe für den Menschen sein konnten. Wann jedoch dieser Erkenntnisprozess bei Gott eingesetzt hat – vor, während oder nach der Erschaffung der Tiere – will der Text nicht beantworten, vgl. zum Problem SCHELLENBERG 2011, 197. 119 Vgl. SCHÜLE 2006, 169: „Was Adam braucht, ist nicht Assistenz sondern Geselligkeit“. 120 Vgl. RIEDE 2002, 167: „Die Erschaffung der Frau bedeutet nun aber nicht die völlige Aufhebung der Gemeinschaft zwischen Mensch und Tier, ihre Entwertung; diese Gemeinschaft hat nur eine andere Qualität.“ 121 Nach BARTELMUS 1993, 264 Anm. 68 liegt hier kein retardierendes Moment vor, da ein Wortspiel von qrʾ-I „nennen“ mit qrʾ-II „begegnen“ anzunehmen sei. Gott führt dem Menschen die Tiere zu, um zu sehen, wie er ihnen begegnet, d.h. ob er sie als ebenbürtiges Gegenüber akzeptiert. Somit entscheide der Mensch selbst darüber, ob die zugeführten Wesen ihm ebenbürtig sind. Dann entfällt freilich der Schluss, dass die Erschaffung der Tiere misslungene Schöpfungsakte sind. Die Hybris des Menschen, wie Gott sein zu wol-
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Landtiere und die Lufttiere, während die Wassertiere nicht explizit genannt werden (Gen 2,20). Dies könnte damit zusammenhängen, dass die Wassertiere nicht zum eigentlichen Lebensbereich des Menschen gehören.122 Allerdings könnten auch diese Tiere mitunter durch den Ausdruck nepeš ḥayyā mitgemeint sein. Durch den Akt der Namensgebung wird darüber hinaus eine Beziehung zu den Tieren hergestellt.123 Außerdem verweist die Namensgebung darauf, dass dem Mensch das Wesen des Tieres nicht völlig fremd gewesen ist, da er das jeweilige Tier mühelos erschließen konnte.124 Hier spiegelt sich folglich ein Bewusstsein der Zusammengehörigkeit und Mitgeschöpflichkeit, aber auch der Erkenntnisfähigkeit wider.125 Außerdem wird durch die Namensnennung ein hierarchisches Verhältnis zwischen Mensch und Tier geschaffen,126 auch wenn der Charakter dieses hierarchischen Verhältnisses nicht näher ausgeführt wird. Denn nur wer eine gewisse Verfügungsmacht besitzt, kann eine Namensnennung vollziehen.127 Da Gott die Namensnennungen des Menschen
len, zeichne sich somit bereits hier ab, da der Mensch nicht bereit ist, die Tiere als Partner anzuerkennen, vgl. BARTELMUS 1993, 265. Nach SCHREINER 1993, 225 ergibt sich dann jedoch der abseitige Gedanke, dass Gott dem Menschen die Frau als Strafe gegeben habe, die ihn schließlich ins Unheil stürzt. Gegen ein Wortspiel spricht aber die identische syntaktische Konstruktion in 19b mit lô als Objektanzeiger. 122 Vgl. RIEDE 2002, 168. 123 Dies betont vor allem HENRY 1993, 26f. Anm. 11. Auch nach SCHREINER 1993, 226 geht es um eine Zuordnung der Tiere zum Menschen. 124 Vgl. HENRY 1993, 26. 125 Nach der traditionellen Deutung hat der Mensch jedoch noch gar keine Erkenntnisfähigkeit besessen. Diese habe er erst durch das verbotene Essen der Frucht vom Baum der daʿat von Gut und Böse erhalten. Fraglich ist jedoch, ob daʿat „Erkenntnis“ oder „Wissen“ heißt, ob es folglich um ein kognitives Mehr oder nur um die Erfahrung geht, das etwas bewusst als gut oder böse empfunden wird. 126 Vgl. DE PURY 1993, 133, der aber darauf hinweist, dass beide jeweils Subjekte bleiben. Kritisch hierzu aber LIEDKE 1993, 205, demzufolge der Mensch durch die Namensgebung lediglich den Tieren ihre Bestimmung zuweist und sie in seinem Lebensbereich einordnet, nicht aber Macht zur Nutzung und Ausbeutung erhält. Nach BARTELMUS 1993, 265 Anm. 69 wird ein ähnliches Herrschaftsverhältnis des Mannes über die Frau erst nach dem Sündenfall in Gen 3,20 durch die Namensnennung konstruiert. Nun ist die Frau nicht mehr die ebenbürtige und gleichwertige Partnerin des Mannes. Die ideale Gemeinschaft der Geschlechter der Urzeit wird nach dem Sündenfall demnach patriarchalisch aufgebrochen. Durch die Namensnennung wird zudem die Herrschaft des Mannes über die Frau konkret (Gen 3,16). Nach BOSSHARD-NEPUSTIL 2005, 192 ist jedoch schon die erste Benennung der Frau in Gen 2,23 ein Herrschaftsakt. Durch den ähnlichen Namen wird eine gewisse Zusammengehörigkeit ausgedrückt, was diesen Herrschaftsakt zumindest deutlich abschwächt. 127 Zur Namensnennung als Herrschaftsakt vgl. KEEL/SCHROER 2002, 135. Nach SCHREINER 1993, 227 wird mit der Namensnennung auch „etwas Wesentliches, Bezeich-
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allesamt akzeptiert, zeigt sich hier die Vollmacht und die Freiheit des Menschen bei der Namenswahl. Auf alle Fälle ist aufgrund der Benennung durch den Menschen von einem Machtgefälle zwischen Mensch und Tier auszugehen. Insofern ist die Schlussfolgerung konsequent, dass die Tiere nicht eine ebenbürtige Hilfe für den Menschen gewesen sein konnten. Eine Entsprechung konnte der Mensch nur innerhalb der eigenen Gattung finden, aber nicht außerhalb. Nach dem Zwischenspiel zwischen der Erschaffung des Mannes und der Frau verschwinden die Tiere wieder völlig aus dem Blickfeld.128 Nachdem sich herausgestellt hat, dass die Tiere keine ebenbürtige Hilfe für den Menschen gewesen sind (Gen 2,20), wurde die Frau erschaffen. Mit der Verwandtschaftsformel stellt der Mann die familiäre Verbundenheit zur Frau fest: Sie ist Knochen aus seinem Knochen und Fleisch aus seinem Fleisch (Gen 2,23). Mit dieser Formel wird weder ein substantieller Unterschied noch ein anderer Bauplan gegenüber den Tieren ausgedrückt, sondern aufgrund der formelhaften Verwendung dieser Worte die besondere Verbundenheit zwischen Mann und Frau betont, was beweist, dass der Mann mit der Frau endlich eine wirklich ebenbürtige Hilfe gefunden hat. Dies ist aber schon der einzige nennenswerte Unterschied zwischen Mensch und Tier, während die anderen Eigenschaften des Menschenpaares nicht auf eine merkliche Differenz zur Tierwelt schließen lassen. Der Umstand, dass der Mensch die einzelnen Tiere benennt, beweist zwar seine Sprachfähigkeit, aber auch die Schlange kann in der Paradieserzählung sprechen (Gen 3,1). Hinsichtlich der Sprache wird offenbar kein prinzipieller Unterschied zwischen Mensch und Tier gemacht.129 Vielleicht waren Mensch und Tier zunächst dazu bestimmt, miteinander zu sprechen. Erst nach dem Sündenfall wäre es zu einem Verfall der ursprünglich kommunikativen Beziehung zu den Tieren gekommen.130 Eine solche Deutung bleibt aber hypothetisch. Darüber hinaus eignet sich der Mensch das Wissen um Gut und Böse erst durch das Essen der Früchte vom entsprechenden Baum an (Gen 3,7), so dass bei der Erschaffung des Menschen diese Fähigkeit offenbar noch nicht vorhanden war. Erst durch das unerlaubte Essen vom Baum wird der Mensch gottgleich (Gen 3,22). Somit besteht auch hinsichtlich des Wissens um Gut und Böse zunächst noch kein intellektueller Unterschied zu den Tieren. nendes über das Genannte“ mitgeteilt. In Gen 2,19 werden zudem nicht einzelne Tiere benannt, sondern Gattungen. 128 Die Erzählung von der Erschaffung der Tiere dient offenbar als retardierendes Moment und wurde aus dramaturgischen Gründen hier vor der Erschaffung der Frau eingefügt, vgl. NEUMANN-GORSOLKE 2004, 331. Erst in der Sündenfallerzählung tritt mit der schlauen Schlange ein einzelnes Tier auf, allerdings mit katastrophalen Folgen. 129 Gegen SCHMITZ-KAHMEN 1997, 45f. 130 Vgl. DE PURY 1993, 132f.
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Mensch und Tier eignet gleichermaßen eine gewisse Naivität. Trotzdem wird darauf hingewiesen, dass die Tiere ebenfalls klug gewesen sind, wobei die Schlange noch viel klüger ist als die übrigen Tiere (Gen 3,1).131 Während abgesehen vom hierarchischen Verhältnis zwischen Mensch und Tier keine Unterscheidungsmerkmale genannt werden und man prinzipiell von einem friedlichen Verhältnis der Kreaturen im Garten Eden ausgehen muss, ändert sich die Situation, nachdem der Mensch vom Baum des Wissens um Gut und Böse genascht hat. Exemplarisch für die Tierwelt wird zumindest die Schlange für ihren Rat an das Menschenpaar bestraft. Nun herrscht Feindschaft zwischen dem Menschengeschlecht und der Schlange. Ob neben der Schlange auch andere für den Menschen gefährliche Tierarten gemeint sind, wird nicht explizit erwähnt.132 Nun herrscht nicht mehr ein ungetrübtes neutrales Hierarchieverhältnis zwischen dem Menschen und der Tierwelt. Zumindest die Schlange ist eine Konkretion für das konfliktreiche Zusammenleben zwischen Mensch und Tier, bei dem von beiden die gleiche Aggression ausgeht, ausgedrückt durch das gewalttätige Verb šûp „zermalmen“ (Gen 3,15). Insofern scheint die feindliche Beziehung zwischen Mensch und Schlange durch Waffengleichheit gekennzeichnet zu sein.133 Durch das menschliche Streben nach Selbstbestimmung und durch die Neigung, Verbote zu übertreten, ist somit ein Fluch in die Welt gekommen. Der Mensch konnte fortan mit den Tieren nicht mehr friedlich zusammenleben. Erst durch die unerlaubte Tat des Menschen wurde folglich von Gott eine neue Lebenswirklichkeit geschaffen (Gen 3,15: šît), die zunächst von Gott nicht gewollt war. Der Mensch weiß nun um Gut und Böse und muss nun frei entscheiden, was er zu tun gedenkt. Die ursprüngliche Unbedarftheit und Naivität wurde durch die Gebotsüberschreitung abgelegt. Der zunächst als frei geschaffene Mensch versagt jedoch hinsichtlich seiner Freiheit, da er sich in seiner Ausrede sogar als fremdbestimmt darstellt (Gen 3,12–13). Auf diese Weise weigert er sich die Verantwortung für sein Tun zu übernehmen.134 An dem Riss in der guten Schöpfungsordnung war vor allem der Mensch und vielleicht indirekt die Schlange schuld. Darüber hinaus wird nun implizit auch die Tötung von anderen Tieren in Kauf genommen. Denn Gott muss den nackten Menschen Fellkleider umlegen (Gen 3,21). Der friedliche Urzustand war also nicht mehr vorhanden. Das paradiesische Idealbild wich somit der 131
Vgl. SCHELLENBERG 2011, 201. Nach SCHELLENBERG 2011, 202 Anm. 84 deutet aber der Hinweis auf die Nachkommen von Frau und Schlange darauf hin, dass an die für den Menschen bedrohlichen Tierarten ebenfalls gedacht sei. 133 Nach BARTELMUS 1993, 265 ist Feindschaft zudem nur zwischen gleichartigen Wesen möglich. 134 Vgl. DE PURY 1993, 128. Da die Schöpfung des Menschen in Gen 1 nicht mit der Qualifizierung „gut“ belegt wird, sei auch hier indirekt auf die Freiheit des Menschen verwiesen, der frei ist, zwischen gut und böse zu wählen, vgl. DE PURY 1993, 140–143. 132
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gewalttätigen Realität – ähnlich wie in der priesterschriftlichen Schöpfungserzählung, allerdings mit dem Unterschied, dass in der nichtpriesterschriftlichen Erzählung von einem gewalttätigen Hierarchieverhältnis zwischen Mensch und Tier eigentlich nicht die Rede ist. Die nichtpriesterschriftliche Version geht jedenfalls von einem paradiesischen Friedenszustand in der Urzeit aus,135 so dass der jetzige ausgeglichene Kriegszustand zwischen Mensch und Tier an sich unnatürlich und von der Schuld der beiden Geschöpfe verantwortet ist. Allerdings zeigt sich gerade in Konfliktsituationen – wie die Erzählung von Raben und Tauben bei der Sintflut nachdrücklich zeigt –, dass Mensch und Tier kooperieren, so dass in solchen Extremsituationen die Mitgeschöpflichkeit von Mensch und Tier überwiegt.136 Für die Beziehung des Menschen zu den Tieren entwirft die nichtpriesterschriftliche Erzählung folgende Entwürfe:137 Der Mensch ist vom Tier keineswegs unterschieden, da beide aus Staub geschaffen und mit Leben erfüllt sind. Darüber hinaus sind beide sterbliche Wesen. Das Tier wurde zudem zur Gemeinschaft mit dem Menschen geschaffen, um dessen Alleinsein zu beheben. Gerade in diesem Aspekt ist das Tier dem Menschen eine Hilfe. Eine ebenbürtige Hilfe konnte hingegen nur in der gleichen Gattung gefunden werden. Durch die Namensgebung wird darüber hinaus eine Beziehung zwischen dem übergeordneten Mensch und dem untergeordneten Tier hergestellt. 1.3 Das Mensch-Tier-Verhältnis in Ps 8 Das Verhältnis zwischen Mensch und Tier wird nur am Rande in Ps 8 thematisiert. Hier geht es vor allem um die besondere Hoheitsstellung des Menschen, implizit ist damit aber eine gewisse Sonderstellung und Hierarchie gegenüber den Tieren verbunden. Da Gott den Menschen über das Werk seiner Hände setzt, ist von einer dreigeteilten Hierarchie auszugehen: Gott – Mensch – Tierwelt.138 Insofern der Mensch in einem Abhängigkeitsverhältnis zu Gott steht, ist seine Autorität und Macht innerhalb der Ausübung seiner Herrschaft über die Tiere begrenzt. Er ist und bleibt letzten Endes in seinen Handlungen Gott gegenüber verantwortlich. Hinzu kommt, dass der Mensch in Ps 8 nicht explizit im Rahmen eines Imperativs zur Herrschaft über die Tiere beauftragt wird.139 Zunächst ist der Mensch zum Herrscher über alle Werke Gottes bestellt (Ps 8,7). Darunter ist vermutlich auch die Tierwelt zu verstehen, wie in den 135
Vgl. BLUM 1990, 290. Vgl. LIEDKE 1993, 206. 137 Vgl. hierzu DE PURY 1993, 130–134. 138 Vgl. NEUMANN-GORSOLKE 2004, 90. 139 Vgl. NEUMANN-GORSOLKE 2004, 131: „Es geht nicht um die Autorisierung des Menschen zur Herrschaft […], sondern um die hymnische Darstellung des Vertrauens in JHWH, das in der staunenswert hervorgehobenen Stellung des Menschen begründet ist.“ 136
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folgenden Versen nachgetragen wird. Insofern muss in Ps 8,7 kein Rückbezug zu v.4 vorliegen, wo der Himmel als maʿăśē „Werk“ Gottes bezeichnet wird.140 Ob sich die Herrschaft des Menschen auf andere Bereiche als die Tierwelt bezieht,141 ist folglich zu Recht umstritten. Darüber hinaus wird nicht näher ausgeführt, wie diese Herrscherstellung des Menschen ausgestaltet sein soll. Das verwendete Verbum mšl-II im H-Stamm ist zumindest bemerkenswert: Zum einen ist mšl-II von Haus aus ein neutraler Herrschaftsterminus. Mit diesem Verb kann das gesamte Spektrum an unterschiedlichen Herrschaftsformen von negativ bis positiv ausgedrückt werden.142 Zum anderen verdeutlicht der H-Stamm, dass der Mensch sein Herrscher-Sein nicht aus eigener Kraft ausübt, sondern dass er dieses von Gott erhalten hat. Gott bleibt der eigentliche Herr der Welt, der alles geschaffen hat (Ps 8,2.10). Aus der Hand dieses übergroßen Gottes erhält der gewöhnliche Mensch seine Herrschaftsposition.143 Erst 7b geht auf die Herrschaft des Menschen näher ein, wenn betont wird, dass Gott dem Menschen alles „unter seine Füße“ gelegt hat. Auf diese Weise wird alles der ordnenden Befugnis des Menschen unterstellt. Subjekt ist wiederum Gott selbst, der den Menschen in diese Hoheitsposition eingesetzt hat. Der Mensch hat demnach Teil an der Kontrollgewalt Gottes über die Schöpfung.144 Deutlicher kann man die Sonderstellung des Menschen kaum ausdrücken, der den in v.8 folgenden Tieren klar übergeordnet ist. Allerdings ist nicht sicher, ob mit der Wendung „unter die Füße legen“ eine gewalttätige Unterwerfung der chaotischen Gegenwelt gemeint ist oder ein besonderer Schutzgestus für die unterstellte Größe.145 Da dieses Idiom im Alten Orient breit belegt ist, ist die eingeschränkte mythologische Deutung des Menschen als Chaoskämpfer fraglich.146 Auf alle Fälle erarbeitet sich der Mensch nicht selbst die Position des Höheren, der über die Niedrigeren verfügen kann. Vielmehr wird er von Gott in diese Herrschaftsstellung eingesetzt. Einen expliziten Herrschaftsauftrag bekommt er von Gott jedoch 140
Nach SCHELLENBERG 2011, 149 ist dieser lexematische Anklang zufällig, zumal die Winzigkeit des Menschen eigentlich im Blick ist, der kaum der Herrscher über den Himmel sein kann. 141 SCHMITZ-KAHMEN 1997, 35 geht von der gesamten Schöpfung aus. 142 Vgl. STIPP 2013a, 69f. 143 NEUMANN-GORSOLKE 2004, 91 weist darauf hin, dass der H-Stamm eine Partizipation an der universalen Herrschaft Gottes ausdrückt. 144 GÖRG 1992a, 124–128 vergleicht die biblische Ausdrucksweise mit ägyptischen Parallelen und schließt auf die potestas ordinis, die dem Menschen von Gott übertragen worden ist. Ursprünglich königliche Attribute wurden hier somit auf alle Menschen übertragen. 145 Zur Wendung „unter die Füße legen“ vor ihrem altorientalischen und ikonografischen Hintergrund vgl. NEUMANN-GORSOLKE 2004, 93–120. Zu einer positiven Deutung KEEL 1993, 175, da man den durch dieses Idiom ausgedrückten Anspruch auch „zum Vorteil des Beanspruchten realisieren“ könne. 146 Vgl. NEUMANN-GORSOLKE 2004, 109–111.
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nicht zugesprochen. Außerdem unterwirft nicht der Mensch die Untergeordneten, sondern er bekommt diese von Gott unter die Füße gelegt. Eine kriegerische Unterwerfung der Schöpfung durch den Menschen ist hier somit nicht im Blick.147 Bemerkenswert ist jedoch, dass die Wendung „unter die Füße legen“ im altorientalischen Kontext normalerweise auf Gottheiten oder Könige bezogen worden ist, jetzt aber auf den gewöhnlichen Menschen appliziert wird. Wenn diese Hoheitsstellung dem gewöhnlichen Menschen zugesagt wird, dann kann es hier zumindest nicht um eine Herrschaft über andere Menschen gehen. Als Objekte der Wendung „unter die Füße legen“ werden üblicherweise Feinde, Fremdländer oder Untertanen genannt, aber nie die Tierwelt,148 wie es hier der folgende Vers nahelegt. Fraglich ist, weshalb man den Tieren die Position von Feinden zuweist. Offenbar betrachtete man die Tiere als Repräsentanten einer feindlichen Welt. Alles in allem geht es in Ps 8,7 um die von Gott dem Menschen verliehene universale Herrschaftsmacht, die auch auf die feindliche Tierwelt ausgreift. Durch dieses hierarchische Machtgefüge soll zudem dauerhaft die Ordnung auf Erden sichergestellt werden.149 Wie diese herzustellen ist, wird allerdings nicht weiter diskutiert. Erst in den beiden folgenden Versen werden die Tiere explizit genannt (Ps 8,8–9). Hier kommt die in v.7 angesprochene „Gesamtheit“, über die sich die Herrschaft des Menschen erstreckt, in den Blick, auch wenn die Art des Herrschaftsverhältnisses über die Tiere nicht näher beschrieben wird. Nur soviel lässt sich sagen: Die Nennung der Haustiere spricht zumindest gegen die Deutung, dass die dem Menschen untergebene Tierwelt insgesamt als feindlich zu verstehen ist. Auch die Vögel des Himmels und die Fische des Meeres sind wohl schon aufgrund des anderen Lebensraumes kaum eine unmittelbare Gefahr für den Menschen.150 Das ursprüngliche Bild der Tiere als feindliche Gegenwelt wird demnach aufgebrochen. Außerdem stellt sich die Frage, wie der Mensch gegenüber bestimmten Tieren wie den Vögeln oder den Fischen als Herrscher auftreten soll, vor allem dann, wenn mit dieser Hoheitsstellung eine gewisse Schutzfunktion verbunden ist. Insofern lässt sich die Art der menschlichen Herrschaft über die ganz unterschiedliche Tierwelt nicht näher beschreiben, da der Mensch sehr differenzierte Beziehungen zu den einzelnen Gruppen pflegen muss. Somit steht im Zentrum von Ps 8,7–9 vor allem die Skizzierung des universalen Herrschaftsgebietes des 147
SCHELLENBERG 2011, 151 vermutet daher, dass diese Wendung in einem stark übertragenen Sinn gebraucht wird. Auf diese Weise konnte die menschliche Herrschaft allein auf das Handeln Gottes zurückgeführt werden. 148 Vgl. NEUMANN-GORSOLKE 2004, 94–111 mit Beispielen. 149 Vgl. NEUMANN-GORSOLKE 2004, 120f., die drei Aspekte des Fußmotivs erkennt: 1) statisch/dynamisch; 2) universal; 3) Machtgefüge zur Erhaltung der Ordnung. 150 Anders hingegen GÖRG 1992a, 127, der die Tierwelt als feindlich chaotische Gegenwelt versteht.
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Menschen, ohne dass die Art der Herrschaft näher präzisiert wird. Die Tierwelt, die zumindest indirekt zum Werk Gottes (Ps 8,4) zählt und damit wie der Mensch als Geschöpf Gottes betrachtet werden kann, wird nun von Gott unter die menschliche Herrschaft gestellt. Gott weist folglich Mensch und Tier gleichermaßen ihre Stellung im Kosmos zu.151 Nicht mehr und nicht weniger. 1.4 Die schöpfungstheologische Gleichheit von Mensch und Tier in Koh 3 und Ps 104 An wenigen Stellen wird im Koheletbuch über die Stellung des Menschen gegenüber den Tieren nachgedacht. Nach Koh 3,18–21 wird dem Menschen keine Sonderstellung gegenüber dem Tier zugewiesen, da von der Gleichheit zwischen Mensch und Tier ausgegangen wird. Allerdings wird in Koh 3,18 darauf hingewiesen, dass Gott den Menschen in irgendeiner Weise ausgesondert hat. Das Verb brr-I wird nämlich immer im Kontext einer Auswahl der Besten zu einem besonderen Dienst verwendet.152 Die Aussonderung des Menschen durch Gott wird im selben Vers in Kontrast zur Gleichheit gegenüber dem Tier gesetzt. Hierbei ist fraglich, ob es sich um eine Gleichheit im ethischen oder im ontologischen Sinne handelt, also ob die Menschen sich wie Tiere verhalten oder wie Tiere sind.153 Die eigentliche Erklärung für diesen schroffen Gegensatz wird im folgenden Vers gegeben. Es ist die Sterblichkeit, die Mensch und Tier verbindet (Koh 3,19). Dieses eine Geschick trifft alle Geschöpfe. Einen Vorzug bzw. Gewinn gegenüber dem Tier gibt es in dieser Frage nicht. Darüber hinaus wird darauf hingewiesen, dass Mensch und Tier aus Staub geschaffen sind und dorthin wieder zurückkehren (Koh 3,20), offenbar ein Rückgriff auf die nichtpriesterschriftliche Schöpfungserzählung. Außerdem haben Mensch und Tier denselben Lebensgeist, über dessen Verbleib nach dem Tode kaum Sicheres gesagt werden kann (Koh 3,21).154 Die Wesensgleichheit von Mensch und Tier zeigt sich demnach nicht nur in der Sterblichkeit, sondern auch darin, dass Mensch und Tier
151 SCHELLENBERG 2011, 155 Anm. 57 betont, dass Ps 8 implizit der Herrschaft des Menschen Grenzen setzt, da er sein Verhalten gegenüber den Mitgeschöpfen vor Gott verantworten muss, der ihn in diese Position gesetzt hat. 152 Vgl. SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER 2004, 282. Anders hingegen FISCHER 1998, 345, der brr im juridischen Sinne als „aussondern“ für ein Gottesgericht versteht. 153 FISCHER 1998, 346 vermutet die Gleichstellung des Menschen mit dem Tier im völligen Mangel an Sittlichkeit, was die Aussonderung zum Gottesgericht definitiv betonen würde. 154 Insofern bleibt spekulativ, ob Kohelet mit einer Rückkehr des Lebensgeistes von Mensch und Tier nach oben zu Gott tatsächlich gerechnet hat, so aber FISCHER 1998, 351f.; SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER 2004, 284. Es geht hier nicht um eine ontologische, sondern eher um eine epistemologische Fragestellung, vgl. SCHELLENBERG 2011, 319.
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den gleichen Lebensgeist besitzen.155 Insofern ist es müßig, darüber zu spekulieren, ob sich das Schicksal des Menschen nach dem Tod vom Tier in irgendeiner Weise unterscheiden wird. Über die postmortale Existenz der Geschöpfe kann folglich keine verlässliche Aussage getroffen werden. Kohelet argumentiert somit mit der Begrenztheit der Erkenntnisfähigkeit des Menschen.156 Aus alledem folgt, dass der Mensch über die Zukunft nichts Verlässliches wissen kann (Koh 3,22). Infolgedessen erübrigt sich die Frage nach der Unterschiedenheit von Mensch und Tier nach dem Tode. Stattdessen wird hier auf die gemeinsame Geschöpflichkeit von Mensch und Tier verwiesen, was dezidiert gegen jede prinzipielle Überlegenheit des Menschen gegenüber dem Tier spricht. Während somit der Mensch darum weiß, dass er hinsichtlich seiner Schöpfung aus Staub und seiner Sterblichkeit den Tieren gleichgestellt ist, kann er über eine mögliche postmortale Existenz und einer Unterschiedenheit zum Tier nichts wissen. Da Kohelet vor allem an der Gestaltung der Gegenwart angesichts des Todesschicksals interessiert ist, ist für ihn die Frage eines Seins nach dem Tode ohnehin irrelevant. Die Sonderstellung des Menschen, die Kohelet durchaus teilt (Koh 3,18), wird zumindest hinsichtlich des gemeinsamen Todesschicksals relativiert. Die eigene Begrenztheit motiviert aber zu einer aktiven positiven Gestaltung der Gegenwart (Koh 3,22).157 Die Sonderstellung des Menschen gegenüber dem Tier besteht demnach vor allem im Wissen um sein Schicksal. Er weiß – im Gegensatz zu den Tieren –, dass ihn das Schicksal des Todes treffen wird. Die Gleichwertigkeit der Tierwelt zum Menschen und die Schönheit der Schöpfung besingt der große Schöpfungshymnus Ps 104,158 wobei zunächst gar nicht der Mensch in den Blick genommen wird. Die Natur scheint in erster Linie für die Tierwelt geschaffen zu sein (Ps 104,2–13), erst spät – und dem Tier nachgeordnet – wird der Mensch genannt (Ps 104,14). Der breit angelegte Schöpfungshymnus Ps 104 ist in verschiedene Lebensräume gegliedert: Leben im Luftraum (Ps 104,2–4), auf dem Festland (Ps 104,5–23) und im Meer (Ps 104,25–26),159 wobei der vom Schöpfer zur Verfügung gestellte Raum unterschiedlich zugeordnet wird. Einige Lebensräume des Festlandes sind den Tieren zugedacht, nämlich die hohen Berge und Schluchten, während die flachen Bergrücken für die Menschen geschaffen worden sind. Auch die von Gott geschaffene Zeit wird zwischen Mensch 155
Vgl. FISCHER 1998, 348. Vgl. zur erkenntniskritischen Position Kohelets in Koh 3,21–22 SCHELLENBERG 2002, 101–104. Eine Polemik gegen hellenistisch-apokalyptische Überlegungen über das Weiterbestehen der Seele nach dem Tod muss hiermit nicht verbunden sein, vgl. zu Recht FISCHER 1998, 353–356. 157 Vgl. SCHELLENBERG 2002, 104. 158 Vgl. LIEDKE 1993, 202–204; RIEDE 2002, 30–32. 159 Zur räumlichen Aufteilung von Ps 104 vgl. ZENGER 1991, 77; KEEL/SCHROER 2002, 164. 156
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und Tier aufgeteilt. Die Nacht gehört den wilden Tieren und der Tag dem Menschen zur Arbeit. Die Schöpfungswerke werden zudem funktional als Gabe für Mensch und Tier betrachtet. Hier fehlt jede anthropozentrische Einengung. Gott hat eine Ordnung geschaffen, die nicht die Tierwelt ausschließlich dem Nutzen des Menschen unterstellt.160 Die Fürsorge Gottes gilt ausnahmslos allen Lebewesen (Ps 104,27–28). Selbst die wilden und schädlichen Tiere sind Teil der guten Schöpfung Gottes. Vom Geist Gottes sind alle Lebewesen abhängig (Ps 104,29–30). Damit haben die Tiere das gleiche Lebensrecht wie der Mensch. Es ist somit eine Prärogative Gottes, aber nicht des Menschen, in den wohlgeordneten Lebensraum gestaltend einzugreifen, in dem Mensch und Tier miteinander und gleichberechtigt leben dürfen.161 In Ps 104 geht es folglich nicht um die uranfängliche Schöpfung des Lebens, als die einzelnen Lebensräume mit der zugehörigen Tierwelt erschaffen worden sind, sondern um die andauernde Ermöglichung des Lebens, nämlich dass alle Lebewesen versorgt und ernährt werden. Gott sorgt für den Erhalt des Lebens, so dass sich das Antlitz der Erde alltäglich erneuern kann (Ps 104,30). Ohne die Zuwendung Gottes würde die Schöpfung vermutlich zugrunde gehen. Es verwundert daher kaum, dass auch die Tiere nach v.21 zu Gott „beten“, ausgedrückt mit dem Idiom baqqēš.162 Am Schluss wird in einem sekundären Anhang schließlich darum gebeten, dass der böse Mensch – nicht das Tier! – aus dieser von Gott andauernd erhaltenen Schöpfung verschwinden soll (Ps 104,35). Indem Ps 104 vor allem die Schönheit der Schöpfung jenseits jeglicher Verzweckung durch den Menschen preist, tadelt dieser Hymnus das verbrecherische Handeln der gottlosen Menschen. Auf diese Weise ist Ps 104 ein dezidierter Aufruf zur ökologischen Umkehr.163 1.5 Die Überlegenheit des Tieres gegenüber dem Menschen Es gibt darüber hinaus Texte im Alten Testament, die von einer Überlegenheit des Tieres gegenüber dem Menschen ausgehen. Das Tier befand sich in der Perspektive der biblischen Autoren bisweilen an der Schnittstelle zum 160 Vgl. KEEL 1993, 188. Ähnlich auch in Ij 39,5–8, wo Gott Tiere für die Wildnis nach ihrer jeweiligen Eigengesetzlichkeit geschaffen hat, die der Mensch nicht versteht. Vgl. KEEL 1993, 191: „Die Tiersequenz des Hiobbuches zeigt, daß das von einem bestimmten menschlichen Gesichtspunkt aus Sinnlose durchaus seine eigene Sinnhaftigkeit besitzen kann“. 161 Vgl. BARTELMUS 1993, 268–270. 162 Vgl. HENRY 1993, 46: „das Angesicht der Gottheit suchen, um Rat und Hilfe zu finden“. Bei dem Lexem baqqēš könnte es sich jedoch auch um einen Rechtsterminus handeln, in dem Sinne, dass die Tiere ihre Nahrung rechtlich von Gott einfordern können. 163 Vgl. hierzu ZENGER 1991, 83f.
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Göttlichen und hatte mitunter einen direkteren Kontakt zu Gott als der Mensch. Außerdem wenden sich die Tiere ebenfalls an Gott, wenn sie Hunger haben (Ij 38,41; Ps 147,9).164 Offenbar leben die Tiere – wie der Mensch – in einer bewussten Gottesbeziehung (Jon 3,8). Darüber hinaus können selbst die Tiere in das Lob der Schöpfung einstimmen (Jes 42,10; Ps 148,7–12).165 Einige Tiere wissen anscheinend von den Geheimnissen der Schöpfung. So weist Ijob seine Freunde auf die Tiere hin, die kundtun können, dass JHWH alles geschaffen hat (Ij 12,7–9). Ob die Tiere über Gottes Schöpfermacht Bescheid wissen oder ob man an ihnen die Macht Gottes lediglich erkennen kann, wird hierbei nicht mitgeteilt. Aber an den Tieren kann man nachprüfen, dass Gottes Schöpfermacht hinter allem steht. Manche Vögel kennen darüber hinaus die natürlichen Abläufe der Natur viel besser als die Menschen die Rechtsordnung JHWHs (Jer 8,7). So bemerken die Zugvögel instinktiv den Jahreswechsel. Hier wird das Verb ydʿ „kennen“ verwendet, das nicht nur ein theoretisches Wissen, sondern auch ein praktisches Handeln umschließt.166 Manche Tiere haben darüber hinaus eine besondere Kenntnis von den Naturgesetzen. Hahn und Ibis vermögen den Wechsel der Jahreszeiten anzukündigen (Ij 38,36). Der Ibis kommt alljährlich bei Beginn der Überschwemmung durch den Nil zum Brüten nach Ägypten. Der Hahn gilt zudem als Tier, das Regen bringen kann.167 Einige Tiere kennen folglich die gottgegebene Ordnung weit besser als die Menschen. Instinktsicher wissen Rind und Esel nach Jes 1,3 um ihren Herrn und Besitzer, dem sie als Arbeitstiere zugeordnet sind und der sich im Gegenzug fürsorglich um seine Haustiere kümmert, da er auf deren Arbeitskraft angewiesen ist. Die Beziehung vom Tier zu seinem Herrn ist in Jes 1,3 aufgrund der Abhängigkeiten ungetrübt, ganz im Gegensatz zu Israel, das nicht um seinen Gott weiß. Manche Tiere erwecken darüber hinaus den Eindruck, dass sie unter göttlicher Führung stehen. So erkennt die Eselin den entgegengetretenen Engel viel früher als der viel gerühmte Seher Bileam (Num 22,23–34). Auch die Kühe, die die Bundeslade transportieren, laufen schnurstracks vom Philisterland zu dem von Gott vorherbestimmten Zielort, wobei sie ihre Kälber daheim zurückgelassen haben (1Sam 6). JHWH kann somit selbst Tiere nach seinem Willen einsetzen. In vielen Tiervergleichen werden schließlich besondere Fähigkeiten der Tiere verwendet, die darauf hindeuten, dass das Tier mitunter dem Menschen körperlich hinsichtlich Kraft, Ausdauer, Schnelligkeit etc. überlegen ist. Gerade die Stämme Israels werden im Jakobs- und Mosesegen immer wieder mit
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Ähnlich auch Ij 38,41; Ps 147,9. Hier rufen die Tiere zu Gott um Nahrung, ausgedrückt mit šōʿ – ein expliziter Hilferuf – bzw. mit qrʾ. 165 Vgl. hierzu KEEL/SCHROER 2002, 167–169. 166 Vgl. RIEDE 2002, 19. 167 Vgl. RIEDE 2002, 17f.
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bestimmten Tieren verglichen (Gen 49 und Dtn 33).168 Besondere körperliche Eigenschaften der Tiere werden hier auf die einzelnen Stämme Israels übertragen. Das Verhalten der Tiere ist für den Mensch ein nachahmenswertes Vorbild. In Spr 6,6–8 wird dem Menschen die Ameise aus zwei Gründen als Vorbild empfohlen: Zum einen hat die Ameise keinen Anführer, der sie antreibt,169 zum anderen legt sie gerade im Sommer Vorräte für die karge Winterzeit an. Die Ameise kennt somit die rechte Zeit, wann die zum Leben nötige Arbeit zu bewerkstelligen ist.170 Im Gegensatz dazu verweigert sich der Faule jeglicher Vorsorge und gefährdet auf diese Weise seine Existenz.171 Insofern soll man dem Beispiel der fleißigen Ameise tatkräftig nacheifern. Im Zahlenspruch Spr 30,24–28 werden vier schwache Tiere mit herausragenden Fähigkeiten vorgestellt. Sie werden gepriesen für ihre wahre, nicht ihre scheinbare Größe. Diese Tiere sind zwar klein, aber über alle Maßen weise, so dass sie bewundert werden dürfen:172 Die Ameisen sind ein Volk ohne Macht. Trotzdem kennen sie den rechten Zeitpunkt für die Nahrungsbeschaffung. Die Klippschliefer sind zwar ohne Kraft, wissen aber, wo sie sich bei Angriffen sicher zurückziehen können. Sie sind auch clevere Hausbauer. Die gefürchteten Heuschrecken zeigen einen besonderen Gemeinschaftssinn, ohne einen wirklichen Anführer zu kennen. Die ungefährlichen und hilflosen Geckos173 beweisen in ihren geschickten Bewegungen eine unfehlbare Sicherheit und wohnen sogar an den ungewöhnlichsten Orten, selbst im ge-
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Vgl. SCHREINER 1993, 234f. Zu den drei hier genannten Begriffen Anführer, Aufseher und Gebieter, vgl. FUHS 2001a, 119; WALTKE 2004, 337. 170 Vgl. MEINHOLD 1991, 111f. Nach SÆBØ 2012, 97 gilt die Ameise als „Symbol des Fleißes“, die zudem für ihre Weisheit gerühmt wird. Dementsprechend soll der Faule am Beispiel der Ameise ebenfalls weise werden. Nach WALTKE 2004, 336 steht die Ameise für Selbstdisziplin, Vorausschau und Betriebsamkeit. Vgl. auch die von FUHS 2001b, 53 aus dem Verhalten der Ameise gezogene Lehre: „Ein funktionierendes Gemeinwesen bedarf des Einsatzes und Fleißes jedes Einzelnen. Dieser leistet seinen Beitrag ungezwungen und eigenverantwortlich“. 171 Vgl. RIEDE 2002, 6–9. Nach MEINHOLD 1991, 111 stellt der Faule „die bestehende Ordnung in Frage, indem er das Leben genießen will, ohne ausreichend dafür zu tun. Deshalb ist seine Art verfehlt“. Ähnlich FUHS 2001a, 119, für den der Faule ein „Sozialschmarotzer“ ist. 172 Vgl. WALTKE 2005, 469; FOX 2009, 878; SÆBØ 2012, 373. 173 FOX 2009, 879 weist darauf hin, dass die Übersetzung „Gecko“ von śemāmît nicht sicher sei. 169
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schützten Königspalast.174 Der darauf folgende Zahlenspruch Spr 30,29–31 nennt schließlich majestätische Tiere, die man bewunderte und fürchtete.175 Diese wenigen Beispiele zeigen, dass der Mensch im alten Israel einen hohen Respekt vor der Tierwelt hatte. Tiere waren für ihn nicht nur Mitgeschöpfe, sondern teils auch überlegene Geschöpfe, die einen direkteren Kontakt zu Gott haben und über die Naturgesetze besser Bescheid wissen als der Mensch. Außerdem haben sie bewunderungswürdige Fähigkeiten, die man nachahmen soll. 1.6 Zwischenfazit Die meisten biblischen Texte gehen von einem hierarchischen Verhältnis zwischen Mensch und dem untergeordneten Tier aus. Dies wird im priesterschriftlichen Schöpfungsbericht zum einen durch den Mehrungssegen und zum anderen durch den Auftrag zur Herrschaft über die Tiere ausgedrückt (Gen 1). Der Auftrag zum dominium terrae, der durchaus mit der Anwendung von Gewalt verbunden sein kann, um das Ökosystem im Ganzen zu erhalten, wird vom Menschen allerdings nicht ordnungsgemäß ausgeführt, so dass in nachsintflutlicher Zeit neue Regelungen eingeführt werden müssen. Durch die nachsintflutliche Ordnung wird menschliches Leben geschützt, zum einen aufgrund der Gottebenbildlichkeit des Menschen, zum anderen aufgrund der Vorstellung, dass alle Menschen Brüder sind. Zwischen Mensch und Tier besteht in nachsintflutlicher Zeit ein Kriegszustand (Gen 9,2), wobei Gott auf der Seite des Menschen steht, auch wenn der Noahbund mit allen Lebewesen geschlossen worden ist. Im nichtpriesterschriftlichen Schöpfungsbericht (Gen 2–3) zeigt sich die Hierarchie zwischen Mensch und Tier in der Bevollmächtigung des Menschen zur Namensgebung. Darüber hinaus ist nicht das Tier, sondern nur die Frau eine ebenbürtige Hilfe des Mannes, was ebenfalls eine Höherstellung des Menschen impliziert. Bereits in vorsintflutlicher Zeit gibt es nach dem Sündenfall Feindschaft zwischen Mensch und Tier. Der anthropologisch zentrale Ps 8 stellt den Menschen in ein dreigeteiltes Abhängigkeitsgefüge: Gott – Mensch – Tier. Zwar ist der Mensch dem Tier übergeordnet, aber er ist seinem Schöpfer gegenüber verantwortlich, so dass er die Tiere nicht schrankenlos ausbeuten darf. Darüber hinaus hat der Mensch von Gott die Herrschaft über die Tierwelt erhalten. Eine eigenständige Unterwerfung der Tiere durch den Menschen ist hier nicht angezielt. Daneben gibt es Texte, die die Tiere in ihrer Position gegenüber dem Menschen aufwerten. Der große Schöpfungshymnus Ps 104 kreist um die geschaf174 Nach FOX 2009, 879 zeigt sich darin die besondere Cleverness oder das damit verbundene luxuriöse Leben dieser Tiere. 175 Vgl. MEINHOLD 1991, 512f.; RIEDE 2002, 14–16; WALTKE 2005, 499. SÆBØ 2012, 374 weist darauf hin, dass der letzte Zahlenspruch mit viel Humor gestaltet wurde.
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fenen Lebensbereiche, in denen sich verschiedene Lebewesen tummeln, wobei der Mensch in dieses Ökosystem ohne Vormachtstellung eingeordnet wird. Hinsichtlich der Sterblichkeit steht der Mensch nach Ausweis des Koheletbuches auf einer Stufe mit dem Tier, allerdings mit dem Unterschied, dass der Mensch um seine Begrenztheit weiß und deshalb sein Leben gut gestalten muss (Koh 3,18–21). Andere Texte betonen sogar, dass in gewissen Bereichen das Tier dem Menschen überlegen ist. Auch Tiere haben einen Bezug zum Schöpfer. Außerdem kennen Tiere die schöpfungsmäßigen Grundgegebenheiten oft besser als der Mensch. Darüber hinaus sind Tiere Vorbilder für den Menschen. Aus alledem folgt: Der Mensch steht nach den meisten Texten in einer übergeordneten Position gegenüber dem Tier. Hinzu kommt, dass die Tiere als Mitgeschöpfe und lebendige Wesen eine große Nähe zum Menschen aufweisen, auch wenn sie ihm keine ebenbürtige Hilfe sind. Es ist dem Menschen darüber hinaus erlaubt, die Tierwelt für seine Bedürfnisse zu benutzen, ohne dass ethische Bedenken einer übermäßigen Ausbeutung der Tierwelt in den Blick kommen. Vor dem Hintergrund, dass das Leben der Menschen von den Tieren bedroht ist, dient die Herrschaft über die Tierwelt lediglich der Aufrechterhaltung der guten Schöpfungsordnung. Vor dem schöpfungstheologischen Hintergrund ist die Praxis der Xenotransplantation durchaus diskutabel. Denn der Mensch darf die Tierwelt für seine Bedürfnisse einsetzen. Wenn durch die Verwertung von tierischen Organen die Menschheit profitiert, kann dies eigentlich nicht als schlecht bewertet werden. Außerdem stehen die Tiere als Mitgeschöpfe und lebendige Wesen dem Menschen sehr nahe. Der Mensch steht zudem in einem Abhängigkeitsverhältnis zu Gott, in dessen Auftrag und mit dessen Hilfe er die Herrschaft auf Erden ausübt. Insofern wird der Mensch herausgefordert, darüber nachzudenken, ob eine Verwendung von tierischen Organen die gute Schöpfungsordnung erhält oder zerstört. Um diese Fragestellung weiter profilieren zu können, sollen im Folgenden alttestamentliche Entwürfe einer Tierethik besprochen werden.
2. Alttestamentliche Entwürfe einer Tierethik Im alten Israel werden die Tier vor dem Hintergrund einer Kosten-NutzenRelation vor allem als Objekte des Menschen in den Blick genommen: die Haustiere als Nutztiere und die Wildtiere als Jagdobjekte.176 Dass man Tiere nicht notwendigerweise mit einer gewissen Würde behandeln musste, zeigen Texte, die rohe Gewalt selbst gegen Nutztiere ganz selbstverständlich erzählen: Der Seher Bileam schlägt seine Eselin und hätte sie sogar getötet, wenn 176
Vgl. BARTELMUS 1993, 252.
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er eine Waffe in seiner Hand gehabt hätte (Num 22,29).177 Wenn man schon die Nutztiere nicht immer angemessen und mit Würde behandelte, so bemühte man sich noch weniger um das Wohl der Wildtiere: Der Richter Simson bindet Schakale paarweise an den Schwänzen zusammen und befestigt an ihnen jeweils eine brennende Fackel, um auf diese Weise die Felder der Philister in Brand zu stecken (Ri 15,4–5). Gewalt gegen Tiere – Nutztiere wie Wildtiere – war somit schon im alten Israel nicht ungewöhnlich. Trotzdem handelte es sich hierbei vermutlich um Einzelfälle, zumal man auf die Tiere mehr denn je angewiesen war. Es verwundert daher nicht, dass es immer wieder ein zutiefst freundschaftliches Verhältnis des Menschen vor allem zu seinen Haustieren gegeben hat.178 Dies war besonders dann der Fall, wenn man in extremer Armut auf die Arbeitskraft und die Nahrungsmittelproduktion des eigenen Tieres angewiesen war, wie die sogenannte Nathanparabel zu erzählen weiß. So war das Lämmchen für den armen Menschen der Nathanparabel wie eine Tochter: Es aß und trank mit ihm und schlief in seinem Schoß (2Sam 12,3). Umso schlimmer hat es den Armen getroffen, als sein einziges Tier vom Reichen geschlachtet wurde. Ein umsichtiger Hirte kümmerte sich selbst mit dem Einsatz seines Lebens um die ihm anvertraute Herde. Es war darüber hinaus die Aufgabe eines Hirten, seine Herde nicht nur gegen Raubtiere zu schützen und zu verteidigen, sondern sie auch zu Wasserquellen und Weideplätzen zu führen. Der sogenannte „Gute Hirte“ ist eine Idealgestalt, die sich bereits im Alten Testament immer wieder findet (Ez 34; Ps 23). Da Tiere als Arbeitskräfte und als Nahrungslieferanten von den Menschen dringend benötigt wurden, musste man dafür Sorge tragen, dass die Tiere nicht über Gebühr ausgenutzt wurden. Dann bestand nämlich die Gefahr, dass man die Gesundheit der Tiere nachhaltig schädigte. Dies wirkte sich schließlich negativ für den Menschen aus, da die Arbeitskraft oder die Nahrungsmittelproduktion der Tiere ausfielen und auf diese Weise die Existenz der Familie auf dem Spiel stand. Darüber hinaus benötigte man zahlreiche Tiere für das Opferwesen. Die hierfür nötige Tötung der Tiere wurde eigentlich nie in Frage gestellt, was aber im Rahmen einer Tierethik an sich problematisch ist. Außerdem hatte man überhaupt kein Unbehagen gegenüber der durch die Opferung beeinträchtigten Würde des Tieres. Hinter der Opferung eines Tieres steht folgende theologische Konzeption: Beim Opfer treten Tiere mit ihrem Blut für den Menschen ein. Nur aufgrund der Tatsache, dass das Tier wie der Mensch ein 177
Nach RIEDE 2002, 220 habe David die Wagenpferde der Aramäer gelähmt, um auf diese Weise die Streitmacht des Feindes nachhaltig zu schwächen, denn durch die Lähmung konnten die Pferde die feindlichen Streitwagen nicht mehr ziehen (2Sam 8,4). Allerdings machte David nur die Streitwagen unbrauchbar. Von Pferden ist hier nicht die Rede. 178 Vgl. hierzu HENRY 1993, 22–24.
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lebendiges Wesen und damit dem Menschen wesensverwandt ist, ist eine solche Stellvertretung des Menschen durch das Tier erst möglich.179 Die Tötung eines Tieres zu Opferzwecken wurde folglich nie problematisiert. Wenn das Opferwesen von den Propheten kritisiert wurde, dann lediglich im Hinblick auf die verfehlte Einstellung der Menschen gegenüber Gott, nicht aber in Bezug auf die beschädigte Würde des Tieres. Außerdem schlachtete man hin und wieder Tiere zu Nahrungszwecken, auch wenn dies nur zu besonderen Festzeiten geschehen konnte, da man die Tiere als Nahrungslieferanten oder Arbeitskraft weiterhin benötigte. Schon aus diesem Grund konnte Fleisch nicht an jedem Tag auf dem Speiseplan stehen. Das heißt freilich nicht, dass die Menschen vegetarisch gelebt haben. Ansätze zu einer ausschließlich vegetarischen Ernährung hat es bestenfalls in der vorsintflutlichen Zeit gegeben. Aber schon damals ist es – wie gesehen – zu einem Übermaß an Gewalttat gekommen. All diese Dinge zeigen, dass sich der Mensch der Höherstellung gegenüber den Tieren durchaus bewusst war. Die Realisierung des hierarchischen Verhältnisses fiel jedoch unterschiedlich aus.180 Reflexionen darüber hat die biblische Gesetzes- und Weisheitstradition vorgelegt, auch wenn keine ausführliche und einheitliche Tierethik entwickelt worden ist. Trotzdem zeigen diese Texte, dass eine Überordnung des Menschen über die Tierwelt nicht zu einer rücksichtslosen Ausbeutung führen darf. Ein fürsorglicher Umgang mit den untergeordneten Tieren ist ebenso gefordert. Mensch und Tier bilden als Geschöpfe Gottes eine zusammengehörige Schicksalsgemeinschaft,181 die vom Handeln Gottes sowohl im Positiven wie im Negativen betroffen ist. Denn auch die Tiere leiden unter Katastrophen – wie Sintflut, Dürre, Krieg usw. (Jer 14,5–6). Auf der anderen Seite erstreckt sich die Hilfe Gottes auch auf die Tiere (Joel 2,22–23), die ebenfalls in Gottes zukünftiges Heilshandeln eingebunden sind (Jes 11,6–8). 2.1 Das Verhältnis zum Tier in der Rechtssprechung In vielen biblischen Rechtstexten werden Tiere ähnlich wie Menschen behandelt. Sie werden oft auf die Stufe der personae miserae gestellt, denen besondere Fürsorge gelten muss. Die Tiere sind ohnehin für den Menschen Mitgeschöpfe, die in den Noahbund eingebunden sind (Gen 9,8–17). Eine gleichberechtigte Behandlung der Tiere ist demnach schöpfungstheologisch geboten. Dies schlägt sich schließlich in der biblischen Gesetzgebung nieder. Vor
179
Vgl. SCHREINER 1993, 231. Auch nach HENRY 1993, 42 basiert diese Möglichkeit der Stellvertretung „auf dem Bewußtsein engster Wesensgemeinschaft von Mensch und Tier“. 180 Vgl. SCHELLENBERG 2011, 246. 181 Vgl. BOECKER 1993, 75–79; KEEL/SCHROER 2002, 146f.
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allem die Nutztiere, die für den Menschen wichtig sind, werden besonders in den Blick genommen. In beiden Formen des Dekalogs werden die Nutztiere in das Sabbatgebot einbezogen.182 Das hebr. Lexem behēmā in Ex 20,10 kann sich zwar auf alle Vierfüßer beziehen, im vorliegenden Kontext werden aber sicher lediglich die Nutztiere gemeint sein,183 zumal der Mensch nur im Blick auf die Nutztiere für die Sabbatruhe Sorge tragen kann. Alle anderen Tiere entziehen sich seiner Kontrolle und seinem Zugriff. Im deuteronomischen Dekalog wird der Ausdruck behēmā hingegen durch „Rind und Esel“ zusätzlich spezifiziert (Dtn 5,14).184 Wie die israelitische Familie inklusive der Sklaven und die am Ort ansässigen Fremden soll folglich auch das Vieh am Sabbat keine Arbeit verrichten. Das Sabbatgebot wird zum einen schöpfungstheologisch mit der Ruhe Gottes am siebten Tag begründet (Ex 20,11), zum anderen mit Verweis auf die Sklavenschaft Israels in Ägypten (Dtn 5,15). Damit ist die Sabbatruhe in erster Linie eigentlich keine soziale Maßnahme, sondern eine unmittelbar mit dem Schöpfungs- und Befreiungshandeln JHWHs verbundene Forderung.185 Eine Ausbeutung des Tieres – wie auch des Menschen – widerspricht somit dezidiert dem Willen JHWHs. Auf die Sabbatregelung wird darüber hinaus noch im Anschluss an die Sabbatjahrbestimmung verwiesen (Ex 23,11–12). Der in Ex 23,12 verwendete Doppelausdruck „Rind und Esel“ steht beim Sabbatgebot noch vor dem Sklaven und Fremdling, was vermutlich auf die Nützlichkeit der Tiere für den Haushalt der Familie hinweist. Das Sabbatjahr wird darüber hinaus als Wohltat nicht nur für die Armen, sondern zusätzlich auch für die Wildtiere gesehen, da diese die Ernte vom Feld zugesprochen bekommen (Ex 23,11). Die wilden Tiere – selbst diejenigen, die dem Bauer bisweilen schaden können – bekommen folglich dieselben Schutzmaßnahmen gewährt wie die Armen und Fremden. Infolgedessen haben auch die lästigen Tiere ein Recht auf ihren Lebensunterhalt.186 Da der Mensch für die Nutztiere verantwortlich ist, wird ihm aufgetragen, dass er für das Wohl des Tieres zu sorgen hat. In diesem Sinne ist das Gebot zu verstehen, dem Rind beim Dreschen keinen Maulkorb anzulegen (Dtn 25,4). Das arbeitende Rind hat somit ein gesetzlich verbrieftes Anrecht auf eine angemessene Beteiligung am gedroschenen Getreide. Dies darf dem 182
Nach MILGROM 2009, 720 ist dies die logische Schlussfolgerung aus der Aufnahme der Tiere in den Noahbund (Gen 9,9–10). 183 Zu einer Deutung von behēmâ als Hausvieh, vgl. STIPP 2013a, 64. 184 Nach BOECKER 1993, 75 unterstreicht diese an sich störende Zusatzangabe den Umstand, dass die Tierruhe seit jeher zur Sabbatgesetzgebung gehört hat. 185 Vgl. hierzu BOECKER 1993, 74. 186 Ähnlich auch Lev 25,7, allerdings sind dort alle Menschen, Vieh und Wildtiere die Nutznießer des Sabbatertrags. Nach DOZEMAN 2009, 549 könnte in Ex 23,11 eine utopische Vision eines idealen Landes, Volkes und der Natur im Blick sein.
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Tier nicht vorenthalten werden, auch wenn es dabei zu einer Minderung des wirtschaftlichen Gewinns kommt. Darüber hinaus soll das Tier nicht über Gebühr vom Menschen ausgebeutet werden. Auf diese Maxime weist die Regelung hin, dass man selbst dem Esel des Feindes, wenn er unter seiner Last zusammengebrochen ist, helfen solle (Ex 23,5). Falls ein Tier von seinem Besitzer wegläuft, soll man es ebenfalls zurückführen, selbst wenn der Besitzer der eigene Feind ist (Ex 23,4). Neben der Deutung, dass man dem ausgebeuteten Tier zur Seite steht, gibt es aber noch die Interpretation, dass selbst der Feind der Hilfe bedarf. Denn auch der Feind ist auf sein Arbeitstier angewiesen und darf wirtschaftlich nicht ruiniert werden,187 selbst wenn man mit ihm im Rechtsstreit liegt. Hinzu kommt, dass man nicht mit dem Tier des Feindes ebenfalls befeindet ist.188 Die folgenden Gesetze deuten darüber hinaus an, dass man gegenüber den Tieren offenbar grundlegende ethische Regeln nicht verletzen durfte. Denn die Würde des Tieres sollte unbedingt gewahrt bleiben. Auch wenn oft der ursprüngliche Grund für die Gesetze, die das rechte Verhältnis zum Tier behandeln, nicht eindeutig angegeben werden kann – es ist auch nicht sicher, ob es sich überhaupt jemals um ethische Vorschriften gehandelt hat –, lassen sich einige Argumentationslinien bestimmen. Gerade im Opferwesen hat man Tiere offenbar nicht nur als bloße Objekte betrachtet, sondern sie als Geschöpfe Gottes aufgewertet. So musste man beim Erstgeburtsopfer acht Tage lang warten, bevor man das Jungtier opfern durfte (Ex 22,29). Allerdings muss man dieses Gebot nicht notwendigerweise ethisch deuten. Vielleicht ist eine sakralrechtliche Deutung sachgemäßer. Denn erst nach einer gewissen Zeit konnte man feststellen, ob das Opfertier keinen Fehler aufweist. Erst dann war es für die Opferung geeignet.189 Darüber hinaus durfte man nicht am selben Tag Mutter und Junges schlachten (Lev 22,28), was vielleicht aus Rücksicht auf die Mutter geboten war, der man nicht zumuten wollte, dass das Kind mit ihr geschlachtet wird. Außerdem durfte man nicht gleichzeitig Mutter und Eier aus einem Vogelnest nehmen. Die Vogelmutter sollte auf jeden Fall am Leben bleiben, während die Eier bei Abwesenheit der Mutter vom Menschen herausgenommen werden durften (Dtn 22,6–7).190 Bei dieser Regelung geht es vielleicht nicht nur darum, die künftige Jagdbeute zu erhalten und dafür zu sorgen, dass die künftige Brut des Muttertieres vom Menschen noch ausgebeutet werden 187
Nach RIEDE 2002, 62 ist hier mehr als Tierliebe im Blick. Vgl. HAMILTON 2011, 425. 189 BARTELMUS 1993, 259 Anm. 51 weist darauf hin, dass man dieses Gebot später zumindest sakralrechtlich gedeutet hat. 190 Nach BOECKER 1993, 71 ist Dtn 22,7 eine sekundäre Erweiterung, die die Jungen als Jagdbeute freigibt, so dass nur die Mutter geschützt wird. 188
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konnte. Es stehen möglicherweise ethische Motive hinter diesem Gebot. Durch dieses Verbot kann vielleicht – wie beim Verbot der gemeinsamen Opferung von Mutter und Kind – die Mutter-Kind-Beziehung respektiert werden. Folglich könnte sich in der Achtung der Tiereltern der tiefe Respekt vor der Würde der Eltern zeigen, wie sie im Dekalog betont wird (Dtn 5,16). Diese Würde habe man somit auch den Tieren zugeschrieben.191 Im Hintergrund könnte folglich die schöpfungstheologisch begründete Verbundenheit des Menschen zum Tier oder ein Bewusstsein der Mitgeschöpflichkeit stehen. Jedoch ist dies vielleicht allzu modern gedacht. Oft wird darüber hinaus vermutet, dass das Verbot, das Böcklein in der Milch seiner Mutter zu kochen (Ex 23,19; 34,26; Dtn 14,21), ebenfalls ausschließen möchte, dass es zu besonders grausamen Verhalten gegenüber dem Muttertier kommen würde. Eine „humanitäre“ Deutung dieser Regelung geht bereits auf Philo von Alexandrien zurück,192 auch wenn eine solche Interpretation zu Recht umstritten ist. Bei dem Verbot des gemeinsamen Kochens von Böcklein und Muttermilch wird es sich vermutlich eher um ein religiöses Tabu handeln.193 Alles in allem ist fraglich, ob tatsächlich ethische und humanitäre Gründe hinter den oben genannten Vorschriften stehen.194 Möglicherweise sollte es nicht zu unguten Vermischungen von getrennten Sphären kommen. Denn der Sinn dieser Regelungen könnte sein, dass die Sphäre des Todes und des Lebens auseinandergehalten werden sollte:195 die Tötung des Neugeborenen im Gegensatz zum lebenden Muttertier (Ex 22,29; Lev 22,28; Dtn 22,6–7) oder die Milch als lebensspendende Substanz im Gegensatz zum Kochen als Prozess, der für den Tod steht (Ex 23,19; 34,26; Dtn 14,21). Es hat folglich den Anschein, dass die oben genannten Vorschriften keine ethischen Weisungen sind. Insofern wären die angeführten Gesetze nicht ethisch, sondern kult191
Vgl. WITTENBERG 2008, 78. Vgl. LABUSCHAGNE 1992, 8. Nach HAMILTON 2011, 432 müsste aber bei einer „humanitären“ Deutung das Gebot weit über diesen Sonderfall hinausgehen. 193 Vgl. BARTELMUS 1993, 259. Nach KNAUF 1988, 154–166 geht dieses Verbot darauf zurück, eine Verbindung mit der Göttin Anat auszuschließen, die im säugenden Muttertier repräsentiert werde. Auf diese Weise werde ein für die nicht-urbane Bevölkerung typische Speisesitte aufgrund von kultischen Vorbehalten abgelehnt. LABUSCHAGNE 1992, 14f. führt dieses Gesetz hingegen auf die Beobachtung zurück, dass die Vormilch des Muttertieres leicht rötlich aussieht und daher Blut enthalten könne. Da der Blutgenuss untersagt ist, darf man das Böcklein nicht in der Vormilch kochen. Ganz anders hingegen SCHMITZKAHMEN 1997, 89–98, demzufolge es zu einer Verletzung der Schöpfungsordnung käme, wenn die Einheit von Muttertier und Jungem zerstört würde. Zu verschiedenen Deutungen vgl. auch DOZEMAN 2009, 552; HAMILTON 2011, 431f. 194 Anders aber FOX 2009, 551, der eine „humanitäre“ Einstellung hinter solchen Geboten vermutet. 195 Vgl. MILGROM 2009, 741: „The common denominator of all these prohibitions is the fusion and confusion of life and death simultaneously“. 192
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ethisch zu deuten. Der Mensch darf nicht selbstherrlich verschiedene Bereiche miteinander vermischen, die voneinander getrennt gehören. Ob die kultischethische Deutung allerdings erst eine theologische Interpretation eines ursprünglich ethischen Gebots gewesen ist, sei dahingestellt. Hier kommt man über Vermutungen nicht mehr hinaus. 2.2 Schuld und Verantwortlichkeit der Tiere? In den biblischen Schöpfungserzählungen wird bereits die Möglichkeit erwogen, dass auch den Tieren eine gewisse Verantwortung für ihr Handeln zugewiesen werden kann. In der priesterschriftlichen Urgeschichte werden nämlich neben dem Menschen alle Tiere mit Ausnahme der Wassertiere für die Sintflut verantwortlich gemacht (Gen 6,12). Die nachsintflutliche Ordnung stellt die Tötung eines Menschen unter Todesstrafe (Gen 9,5–6), schützt aber bis zu einem gewissen Grad die Tiere, da diese in den Noahbund einbezogen werden (Gen 9,10). All dies erweckt den Anschein, dass zumindest in der priesterschriftlichen Konzeption die Tiere für ihr Handeln verantwortlich gemacht werden. Ähnliches findet sich auch in der nichtpriesterschriftlichen Urgeschichte. Hier wird die Schlange für ihren verhängnisvollen Ratschlag hart bestraft (Gen 3,14–15). Außerhalb der beiden Schöpfungserzählungen wird nur noch die (Mit-) Schuld der Nutztiere in den Blick genommen. Alle übrigen Tiere werden nicht für ihre Taten rechtlich verantwortlich gemacht. Die Nutztiere gehören zum Familienhaushalt und müssen demnach die Verantwortung für die Fehler der Familie mittragen. Offenbar sitzen die Tiere mit dem Menschen in einem Boot und können ebenfalls mit gutem Recht bestraft werden. Somit werden auch die Tiere in Kollektivhaftung eingeschlossen. Es verwundert daher nicht, dass im Jonabuch die Nutztiere wie selbstverständlich in die Buße der reuigen Niniviten einbezogen sind. Um das von Jona verkündete Unheil abzuwenden, wird demnach ein Fasten für Mensch und Tier gleichermaßen angeordnet, das mit begleitenden Bußriten verbunden ist, wie das Tragen von Trauergewänder und das Rufen zu Gott (Jon 3,7–8). Die Buße der Nutztiere hat dann schließlich mitgeholfen, Gott umzustimmen, wie der Abschlussvers des Jonabuches noch eigens betont (Jon 4,11). In den Gesetzestexten wird darüber hinaus die einzelne Schuld von Nutztieren geregelt. Einige Rechtstexte schreiben das adäquate Verhalten für solche Fälle vor, in denen Tiere schuldig geworden sind, vor allem dann, wenn Menschen durch Tiere zu Schaden kamen. Wenn ein Rind einen Menschen tötet, muss das Rind unbedingt getötet werden (Ex 21,28).196 Hierbei ist es unerheblich, ob dem Rind in irgendeiner Weise Verantwortung zugesprochen 196 Zu Ähnlichkeiten und Unterschieden in vergleichbaren altorientalischen Gesetzen vgl. HAMILTON 2011, 391f.
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werden kann. Das Rind hat sich gegen die Gemeinschaft vergangen und muss demnach aus der Gemeinschaft ausgestoßen werden. Die Hinrichtung erfolgt durch Steinigung. Die auf dem Tier liegende „Schuld“ musste unbedingt beseitigt werden.197 Da das Tier Blutschuld auf sich geladen hat, wird es Tabu. Es wird somit unberührbar und verflucht. Insofern darf das Fleisch des stößigen Rindes nicht gegessen werden.198 Um jeden weiteren körperlichen Kontakt mit dem schuldigen und tabuisierten Tier zu vermeiden, hat man das Tier aus einiger Entfernung gesteinigt.199 Auf diese Weise wird die Verunreinigung des Landes verhindert. Die Tötung des stößigen Rindes kann inneralttestamentlich auf schöpfungstheologische Weise begründet werden, da es gemäß der nachsintflutlichen Ordnung verboten war, Menschen zu töten (Gen 9,5–6).200 Allerdings gibt die Priesterschrift erst spät eine theologische Begründung für eine alte Regelung. Vielleicht liegt der Grund für die Tötung des Tieres im Umstand verborgen, dass das Tier nicht der von Gott gesetzten Bestimmung gerecht geworden ist. Denn es hat nicht Hilfe, sondern Schaden in die Gemeinschaft gebracht. Deshalb musste es unbedingt getötet werden.201 Auf diese Weise rächte man sich zudem adäquat am Tier für den entstandenen Schaden. Fraglich ist darüber hinaus, ob das Tier eine gewisse Eigenverantwortung für die Tötung des Menschen hatte. Da das Nutztier nicht wie ein natürliches Objekt betrachtet wurde, sondern als Familienmitglied, ist es durchaus möglich, dass man diesen Tieren eine gewisse Verantwortlichkeit zusprach. Dies kann auch dann der Fall sein, wenn die Haustiere nicht die Fähigkeit besaßen, moralische Prinzipien zu unterscheiden.202 Das Wissen um Gut und Böse wird ohnehin schöpfungstheologisch nur dem Menschen zugeschrieben. Es ist somit möglich, aber beileibe nicht sicher, dass den Nutztieren als Familienmitgliedern eine gewisse individuelle Verantwortung zugewiesen werden konnte. Allerdings gibt es mindestens ein gewichtiges Gegenargument, das eine individuelle Verantwortung des Tieres eigentlich ausschließt. Denn gegen eine Schuldhaftigkeit des Nutztieres scheint der Fortgang des Gesetzestextes in Ex 21,28–30 zu sprechen. Der Besitzer des stößigen Rindes wird nämlich im Gegensatz zu seinem Tier sehr differenziert bestraft. Beim Besitzer kommen demnach Fragen von individueller Schuld, Teilschuld oder Unschuld in den Blick, was auffälligerweise beim Tier fehlt. Die Bestrafung des Besitzers des stößigen Rindes fällt nämlich je nach Schwere des Verge197
Vgl. zum Problem der Tierstrafe SCHMITZ-KAHMEN 1997, 134f. Nach HENRY 1993, 38 Anm. 19 ist die Steinigung „eine sakrale Handlung, sofern sie Sühne schafft für vergossenes Blut, d.h. Beseitigung der durch dieses entstandenen Verunreinigung des Landes“. 198 Vgl. hierzu DOZEMAN 2009, 537, der auch andere Interpretationen bietet. 199 Vgl. FENSHAM 1988, 86. 200 Vgl. SCHMITZ-KAHMEN 1997, 134f. 201 Vgl. SCHREINER 1993, 226. 202 Vgl. WITTENBERG 2008, 75.
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hens aus. Wenn der Besitzer davon wusste, dass sein Rind zur Stößigkeit neigt, ist er ebenfalls zu töten, es sei denn, man einigt sich auf eine Lösegeldsumme (Ex 21,29–30). Da die Bestrafung des Rindes – im Gegensatz zu derjenigen des Menschen – nicht weiter differenziert wird, wird das Tier offenbar nicht wie eine Rechtsperson behandelt.203 Das Nutztier ist zwar kein reines Objekt, da es ja zum Familienhaushalt gehört, aber der Schuldspruch steht bei Stößigkeit schon ohne Gerichtsverfahren fest. Individuelle Verantwortung und Schuld scheint es beim Nutztier folglich nicht gegeben zu haben. 2.3 Das Verhältnis zum Tier in den weisheitlichen Schriften Auch in den weisheitlichen Schriften wird ein gerechter Umgang mit den Tieren eingefordert. Der Gerechte kennt nach Spr 12,10 die elementaren Bedürfnisse des Viehs. Das Wort nepeš, eigentlich „Kehle, Hauch, Atem, Leben“, kann hier mit „Bedürfnis“ wiedergegeben werden, da es zum einen all das meint, was das Tier zum Leben benötigt und was durch die Kehle geht, aber auch zum anderen die artgerechte Haltung und die Rücksicht auf die natürliche Bindung der Tiere.204 Der gerechte Mensch soll die Tiere als Mitgeschöpfe behandeln, während der Frevler im Inneren, dem Sitz der Barmherzigkeit, grausam ist. Folglich benimmt sich der Gerechte gegenüber den Tieren wie gegenüber den Schwächsten der Gesellschaft, was auch die Ähnlichkeit von Spr 12,10 zu Ex 23,9 unterstreicht.205 Der Frevler stellt sich gegen die göttliche Schöpfungsordnung, da er die Bedürfnisse der Tiere kennt, aber missachtet.206 Darüber hinaus empfiehlt Spr 27,23–27 dem Menschen die besondere Pflege des Kleinviehs, das mit ausreichend Nahrung und Wasser versorgt
203 Vgl. SCHREINER 1993, 226. Anders hingegen RIEDE 2002, 226, der von einer beschränkten Schuldfähigkeit ausgeht. 204 Vgl. MEINHOLD 1991, 207; RIEDE 2002, 64. Nach FUHS 2001a, 205f. kennt der Gerechte das Wesen der Tiere und respektiert sie als Geschöpfwesen. 205 Vgl. KEEL/SCHROER 2002, 146 Anm. 25. MEINHOLD 1991, 207 weist darauf hin, dass das grausame Handeln des Frevlers sich nicht nur auf die Tierwelt bezieht. Die zweite Aussage ist offenbar generalisiert worden. Nach WALTKE 2004, 526 könnte hier ein Argument a minore ad maiorem vorliegen. Derjenige, der die niedrige Schöpfung gut behandelt, geht auch gut mit der höheren Schöpfung um. FOX 2009, 552 übersetzt hier allerdings raḥămîm mit „Erbarmen“, das Gegenteil von „Grausamkeit“, und deutet diesen Vers als Sarkasmus: Das Erbarmen der Frevler ist grausam. 206 Vgl. SCHMITZ-KAHMEN 1997, 106. Nach MEINHOLD 1991, 207 handelt der Gerechte entsprechend dem schöpfungsgemäßen Herrschaftsauftrag des Menschen gegenüber den Tieren. Ähnlich FUHS 2001a, 205. Nach FUHS 2001b, 88 zeigt die Antithese Gerechter– Frevler, dass falsches Sozialverhalten auch Fehlverhalten gegen JHWH ist.
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werden muss.207 Da das Wohl der Familie oft vom Zustand des Kleinviehs wirtschaftlich abhängig gewesen ist, musste man alle erdenkliche Mühe für seine Nutztiere aufwenden. Das Ijobbuch beschäftigt sich ebenfalls gelegentlich mit den Tieren, vor allem mit den eher dunklen Seiten der Tierwelt, die für den Menschen nicht immer nachvollziehbar sind. Im Ijobbuch wird zudem – wie schon in Ps 104 – jegliche Anthropozentrik strikt abgelehnt. Gott hat nämlich einige Tiere geschaffen, die der Mensch für seine Zwecke überhaupt nicht ausnutzen kann, z.B. den Wildesel, der sich vom Menschen nicht bändigen lässt (Ij 39,5–8). Eine Verzweckung der wilden Tiere stößt folglich an die Grenze, die Gott gesetzt hat, auch wenn dies der Mensch nicht immer verstehen kann. Einige Tiere sind zudem von Gott geschaffen worden, egal ob sie für den Menschen nützlich oder schädlich sind. Daraus folgt aber auch, dass der Mensch nicht über deren Sein oder Nichtsein entscheiden darf.208 Diese Tiere haben ein Bleiberecht, das ihnen von Gott gewährt wurde. 2.4 Fazit In vielen biblischen Rechtstexten werden Tiere als Mitgeschöpfe behandelt, denen man einen ähnlichen Status wie den personae miserae beigemessen hat. Auch den Tieren muss besondere Fürsorge gelten. Eine gleichberechtigte Behandlung der Tiere ist somit geboten. Ob das Tier jedoch eine individuelle Verantwortung für sein Tun trägt, lässt sich aus den biblischen Rechtstexten nicht sicher folgern. Wahrscheinlich ist dies nicht, was die Regelungen für den Umgang mit dem stößigen Rind gezeigt haben. Lediglich die Schöpfungstexte schreiben den Tieren eine gewisse Schuldhaftigkeit zu, auch wenn dies für das normale Leben offenbar kaum eine Rolle gespielt hat. Die weisheitlichen Texte schärfen darüber hinaus ein, dass man die Tiere würdevoll behandeln soll. Eine Verzweckung der Tiere wird zudem kritisch gesehen. Vor diesem Hintergrund können somit bibeltheologische Vorbehalte gegen die Xenotransplantation erhoben werden, vor allem wenn man die Tiere im Rahmen der Xenotransplantation nicht als würdevolle Mitgeschöpfe betrachtet, sondern einer gnadenlosen Kosten-Nutzen-Rechnung unterwirft. Gerade die schwachen Tiere werden durch die biblische Rechtssprechung vor dem Zugriff des Menschen geschützt. Wenn man Tiere für Xenotransplantate verwendet, muss dies zugunsten des höheren Gutes der Gesundung schwer erkrankter Menschen geschehen, aber nicht zur Gewinnmaximierung bestimmter Gruppierungen, die sich keine Gedanken um das Wohlergehen der Tiere machen. Tierethische Bedenken sollten auch angesichts des biblischen 207 Vgl. hierzu MEINHOLD 1991, 461–463; WALTKE 2005, 388–394; SÆBØ 2012, 334– 336. Nach FUHS 2001a, 365f. geht es hier metaphorisch um die „Aufgabe und Frucht eines gerechten Regimentes“. 208 Vgl. SCHREINER 1993, 237.
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Befundes ernst genommen werden. Es stellt sich zudem die Frage, inwiefern der Mensch dazu berechtigt ist, Tiere gentechnisch zu verändern und sie dann zu töten, um sie als Quelle von Organen auszuschlachten.
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„Heilige sollt ihr werden. Denn heilig bin ich, JHWH, euer Gott.“ Gott, Mensch und Nächster in Lev 19,11–18 „Heilige sollt ihr werden“
Es klingt wie eine Überforderung der Israeliten, wenn in Lev 19,2 gefordert wird: „Heilige sollt ihr werden!“ Angesichts der menschlichen Fehlerhaftigkeit scheint dies kaum leistbar zu sein. Allzu oft und viel zu schnell lösen sich gute Vorsätze in Nichts auf. Von Heiligkeit ist im Alltagsleben oft nichts zu spüren. Es stellen sich folglich verschiedene Fragen: Ist die Forderung nach Heiligkeit eigentlich realistisch? Kann man Heiligkeit im Alltag überhaupt erreichen? Um was für eine Heiligkeit handelt es sich? Soll man genauso heilig werden wie Gott? Auf diese Fragen sollen Antworten aus Lev 19 entwickelt werden. Es wird sich dabei zeigen, dass Heiligkeit nicht nur etwas mit dem einzelnen Menschen zu tun hat, sondern dass bei dieser Forderung der Mensch in Beziehung zu Gott und seinem Nächsten gestellt wird. In dieses Dreiecksverhältnis muss man die Forderung der Heiligkeit verorten. Insofern erschöpft sich Heiligkeit nicht nur im Kult, sondern auch im Ethos, im Bezug zu Gott, aber auch zum Nächsten, dem man ebenfalls Liebe erweisen soll. Selbst bei einer kursorischen Lektüre von Lev 19 zeigt sich, dass das Wort „ קדושׁheilig“ der zentrale Begriff ist, ein Gegenbegriff zu „ חללprofanieren, entweihen“. Bei קדושׁhandelt es sich um etwas, das der göttlichen Sphäre zugehört und daher vom Alltagsgebrauch ausgesondert ist. Bestimmte Personen und Sachen gelten dann als „heilig“, wenn sie dem profanen Bereich entzogen sind.1 Man musste sich darüber hinaus „heiligen“, wenn man mit dem Göttlichen Kontakt suchte. Insofern ist die Anweisung in Lev 19,2 bemerkenswert, da im Folgenden nicht nur kultische Reinheitsvorschriften angeführt werden, sondern auch ethische Verhaltensregeln.2 Kult und Ethos scheinen untrennbar zusammenzugehören. Diese Bezogenheit soll schließlich im zentralen Abschnitt Lev 19,11–18 besonders herausgearbeitet werden. In einem ersten Abschnitt soll die Struktur von Lev 19 dargestellt werden. In einem zweiten Abschnitt wird die Heiligkeitsforderung in Lev 19,2 vorgestellt, da auf diese Weise eine Antwort auf die Frage nach der Heiligkeit der Menschen gefunden werden kann. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich, dass 1
Vgl. hierzu auch RADNER 2008, 202. Nach MATHYS 1986, 100 geht es nicht um zwei verschiedene Sphären, sondern hier werden sakrale/ethische und kultische Bestimmungen aufs engste miteinander verbunden. 2
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der Begriff „heilig“ in Lev 19 eigenständig verwendet wird. Der Begriff der „Heiligkeit“ gehört hier nämlich zur Begründungsstruktur der ethischen Anweisungen. Die Argumentationslogik von Lev 19 benötigt folglich den Begriff der „Heiligkeit“. In einem dritten Teil wird die Begründungsstruktur des apodiktischen Zentralteils Lev 19,11–18 besprochen, bei der das Verhältnis von Gott – Mensch – Nächster in den Blick genommen werden soll. Bei Beachtung bestimmter Gebote und Verbote wird demnach ein rechtes Verhältnis zu sich selbst, zu Gott und zum Nächsten erreicht. In einem abschließenden Teil werden neutestamentliche Texte vorgestellt, die auf ähnliche Weise argumentieren. Es wird sich zeigen, dass gerade die Argumentationsstruktur von Lev 19 von Paulus rezipiert worden ist.
1. Zu Struktur und Aufbau von Lev 19 Lev 19 wird von Texten gerahmt, die vor Verunreinigung warnen (Lev 18) und Tatfolgebestimmungen anführen (Lev 20).3 Angesichts der Anordnung zwischen diesen beiden aufeinander bezogenen Kapiteln lässt sich Lev 19 als Zentrum der Komposition Lev 18–20 ausweisen.4 Aufgrund der Bezüge zum Bundesbuch und dem Dtn kann Lev 19 sogar als „Kompendium der ganzen Tora“ bezeichnet werden.5 Der Abschnitt beginnt mit einer Redeeinleitung in Lev 19,1–2a.6 Danach schließt sich die eigentliche Sammlung mit Geboten und Verboten an, die durch folgende Gliederungsmerkmale strukturiert ist: a) Paränetische Sätze: Heiligkeitsforderung (v.2) und Ermahnung zum Halten der Gebote (v.19.37) b) Kasuistische Rechtssatzformen:7 Konditionale Rechtssätze, deren Vorsatz eine Tatbestandsdefinition und deren Nachsatz die Rechtsfolgebestimmung enthält (v.5–10; 20–25) 3
Vgl. hierzu KÖCKERT 2004, 158. STAUBLI 1996, 145 erkennt im Heiligkeitsgesetz sogar eine chiastische Struktur, deren Zentrum Lev 19 als Mitte der Heiligkeit ist. Kritisch hierzu aber HIEKE 2014b, 706. 5 STAUBLI 1996, 155. Vgl. hierzu auch KROCHMALNIK 2014, 82. Nach KILCHÖR 2013, 12f. setzt Lev 19 jedoch nicht notwendigerweise das dtn. Gesetz voraus. Auch das umgekehrte Abhängigkeitsverhältnis wäre denkbar. 6 Vgl. hierzu RUWE 1999, 190. Zunächst wird die JHWH Rede in v.1 eröffnet; dann folgt imperativisch der Auftrag JHWHs an Mose, zur ganzen Gemeinde der Israeliten zu sprechen. 7 GERSTENBERGER 1993, 241f. weist jedoch darauf hin, dass bei einer Klassifizierung in kasuistische und apodiktische Rechtssatzformen der eigentliche Charakter dieser Texte übersehen werde. Es sind nämlich keine Rechtssätze im klassischen Sinne, sondern ethische Normen mit ermahnendem bzw. erzieherischem Ton. 4
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c) Apodiktische Rechtssatzformen: Kurze Rechtssätze, die ohne Wenn und Aber einen Rechtsgrundsatz formulieren (v.11–18; 26–32) d) Langformen der Selbstvorstellungsformel:8 „Ich bin JHWH, euer Gott“ (v.2.3.4.10.25.31.34.36)9 e) Kurzformen der Selbstvorstellungsformel: „Ich bin JHWH“ (v.12.14.16.18.28.30.32.37)10 Aufgrund der paränetischen Sätze an entscheidenden Stellen der Komposition wird Lev 19 (v.2.19.37) in zwei Abschnitte gegliedert, nämlich in v.3–18 und v.20–36.11 Beide Abschnitte sind parallel aufgebaut und verwenden zudem kasuistische und apodiktische Rechtssatzformen. Sie werden durch einen Anfangsabschnitt v.3–4 und einen Schlussabschnitt v.33–36 gerahmt. Die beiden Rahmenabschnitte v.3–4 und v.33–36 sind mit dem Hauptteil thematisch verbunden: der Anfang v.3–4 über das Sabbat- und Elterngebot (siehe v.30– 32, Totenbeschwörung/Altenehrung) und der Schluss v.33–36 über das Liebesgebot und Unrechtsverbot (siehe v.11–18). Die beiden Abschnitte mit kasuistischen Rechtssatzformen werden von der Langform der Selbstvorstellungsformel abgeschlossen. Der erste apodiktische Abschnitt v.11–18 wird ausschließlich von der Kurzform der Selbstvorstellungsformel gegliedert, während der zweite apodiktische Abschnitt mit einer Langform in v.31 und einer Kurzform in v.32 beschlossen wird. Der formale und inhaltliche Schwerpunkt des gesamten Kapitels liegt wohl in den apodiktischen Abschnitten, wo die meisten Einzelbestimmungen zu finden sind.12 Der Text Lev 19 weist eine gewisse Struktur auf, auch wenn er kaum auf nur eine Hand zurückgeführt werden kann. In Lev 19 wurden vermutlich verschiedene Traditionen eingebaut, die offenbar dem Redaktor bereits vorlagen. Für den Kompositcharakter13 von Lev 19 sprechen die wechselnde An8
Auch WAGNER 2005, 8; VINCENT 2006, 100 weisen auf die verbindende und gliedernde Funktion der Selbstvorstellungsformeln hin. Zum Problem einer Gliederung mit der Selbstvorstellungsformel vgl. MILGROM 2008, 1597–1598, da einige thematische Einheiten in der dritten Person enden, worauf dann aufgrund von stilistischen Zwängen keine Selbstvorstellungsformel kommen könne. 9 LXX hat noch in v.12.14.16 die Langform der Selbstvorstellungsformel gewählt, vgl. ELLIGER 1966, 244. 10 CHOLEWIŃSKI 1976, 45 vermutet hier bewusste Redaktionsarbeit. 11 OTTO 1994, 245; VINCENT 2006, 102 betrachten Lev 19 als ein Diptychon. GRÜNWALDT 1999, 39–42 weist in seinem Forschungsüberblick darauf hin, dass fast alle Untersuchungen zumindest eine Zäsur zwischen v.18 und v.19 sehen. Ähnlich MILGROM 2008, 1598. Anders hingegen MAGONET 1983, 152; BARBIERO 1991, 241; HARTLEY 1992, 307f.; LUCIANI 1992, 220–228; LUCIANI 2005, 101–104, die Lev 19 als ein dreiteiliges Gebilde deuten. 12 Vgl. RUWE 1999, 193. 13 Vgl. hierzu vor allem GRÜNWALDT 1999, 225.
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rede im Singular und Plural,14 die unterschiedliche Form der Sätze (Prohibitive, Jussive, kasuistische und apodiktische Rechtssammlungen) und die paränetische Passagen, die sprachlich an Lev 18 und 20 erinnern. Literar- und redaktionskritische Fragestellungen sollen, so wichtig sie auch sind, im Folgenden ausgeblendet werden, da es um die Begründungsstruktur der ethischen Anweisungen geht, wie sie im Endtext zu finden ist. Inwieweit diese sich von derjenigen der literarischen Vorstufen abhebt, kann und soll hier nicht diskutiert werden. Oft hat man versucht, Lev 19 mit den beiden Dekalogsammlungen in Ex 20 und Dtn 5 in irgendeiner Weise zu verknüpfen – allerdings mit wenig Erfolg. Nur in den v.3–4 bzw. 11–12 sind klare Bezüge zu den dekalogischen Geboten und Verboten festzustellen.15 Alle anderen Passagen lassen sich kaum mit entsprechenden Satzungen des Dekalogs verbinden. Da jedoch selbst die klaren Parallelen eine andere Reihenfolge der Gebote bzw. Verbote aufweisen, kann sicherlich kaum von einer Übernahme des kanonischen Dekalogs ausgegangen werden. Aus alledem folgt: Lev 19 ist über längere Zeit gewachsen. Dafür spricht neben der formalen und inhaltlichen Vielfalt der einzelnen Vorschriften auch die Ähnlichkeit zum Dekalog oder zu anderen Gesetzessammlungen. Der apodiktische Zentralteil in Lev 19,11–18, der den ersten Teil der Sammlung abschließt, steht im Zentrum und ist nicht nur wegen des Nächstenliebegebots von besonderer Bedeutung. Auch der Anfang und der Schluss von Lev 19 sind hinsichtlich der Argumentationslogik wichtig, wie im nächsten Punkt zu zeigen ist.
2. Die Heiligungsforderung Lev 19,2 und ihre Begründung Das Kapitel Lev 19 steht insgesamt unter einer programmatischen Überschrift, die in Lev 19,2 formuliert wird.16 Diese grundlegende Weisung wird 14
NOTH 1966, 119 betont, dass Lev 19 ausweislich der verschiedenen Numeri in einem längeren komplizierten Wachstumsprozess entstanden ist. GERSTENBERGER 1993, 239 sieht in dem Wechsel zwischen Singular und Plural unterschiedliche Adressatengruppen. Nach JOOSTEN 1998, 69 beziehen sich Singular und Plural jedoch in unterschiedlicher Weise auf das Volk Israel: „The plural is used to address the people as a collective entity sharing one history, destiny and vocation, whereas the singular serves to appeal to each man separately in order to spell out his individual responsibility.“ 15 GRÜNWALDT 1999, 226. Zu verschiedenen Versuchen, Lev 19 mit den Gesetzen des Dekalogs zu verbinden, vgl. MILGROM 2008, 1600–1602. Vgl. auch die Übersicht in HIEKE 2014a, 75; HIEKE 2014b, 706f. Schon im Frühjudentum hat man Lev 19 mit dem Dekalog verbunden, vgl. STEMBERGER 2009, 452; KROCHMALNIK 2014, 83. 16 Nach LUCIANI 1992, 235 bildet v.2 „l’intitulé de base dont les autres stipulations ne sont que des conséquences et des applications“. Der grundlegende Befehl in Lev 19,2c.d,
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anschließend durch die folgenden Gebote weiter ausgeführt. Mithilfe der kurzen und langen Selbstvorstellungsformel wird diese Forderung immer wieder eingeschärft. Die Selbstvorstellungsformel wird somit zu einer „Heiligungsformel“ und ruft nach jedem Gebotsabschnitt die Forderung von Lev 19,2 ins Gedächtnis:17 2a b c d
Rede zu der Gesamtheit18 der Gemeinde der Söhne Israel und du sollst sagen zu ihnen: „Heilige sollt ihr sein/werden19. Denn heilig (bin) ich, JHWH, euer Gott.“20
Die Anweisung in Lev 19,2 ist insofern bemerkenswert, als im Anschluss nicht nur kultische Reinheitsvorschriften, sondern auch ethische Verhaltensregeln angeführt werden. Es geht demnach nicht lediglich um eine Trennung vom Profanen. Die Heiligung Israels erstreckt sich ebenso auf den Alltag. Die Söhne Israels sollen im Alltag gemäß den Weisungen JHWHs leben und sich gerade dort als Heilige erweisen.21 Der Begriff der Heiligkeit ist somit vom bei dem es um eine Nachahmung JHWHs durch Israel geht, wird nach NIHAN 2007, 466 im Folgenden durch die einzelnen Gebote exemplifiziert. Zur imitatio Dei, die in Lev 19,2 gefordert wird, vgl. auch STAUBLI 1996, 155; LEVINE 1989, 256; HIEKE 2014b, 710. Dagegen aber MATHYS 1986, 103, der darauf hinweist, dass gerade das Heiligkeitsgesetz den Abstand zwischen Gott und Mensch besonders betont. Jedoch heißt Nachahmung nicht die Identifikation beider Größen. Die Heiligkeit Gottes ist in v.2 nämlich unerreichbares Ziel der Israeliten, was durch die Verbalform in Verbindung mit dem Adjektiv ohnehin ausgedrückt werden kann: „ihr sollt Heilige werden“, nicht „ihr sollt Heilige sein“. Die Heiligkeit Israels ist auch nicht eine inhärente Eigenschaft Israels, sondern JHWH heiligt sein Volk. Zum Problem vgl. auch JOOSTEN 1996, 131: Weder ist Heiligkeit die Frucht der Befolgung der ethischen Weisungen, noch werden die Israeliten selbst göttlich. Aber durch diese Heiligung werden sie dazu befähigt, mit Gott zu sein. 17 GERSTENBERGER 1993, 256. Nach HIEKE 2014b, 704 wird durch diese Formel verdeutlicht, „dass JHWH die eigentliche Mitte aller Lebensbereiche ist“. 18 Das Substantiv כלwird von LXX nicht wiedergegeben, wofür auch 11QpaleoLev spricht, vgl. HARTLEY 1992, 303. Zur Anrede in 2a vgl. auch JOOSTEN 1996, 39, demzufolge „Gemeinde der Söhne Israels“ eine individuelle, familiäre, politische, soziale und nationale Ebene habe. 19 Eine solche Ambivalenz zwischen „heilig sein/werden“ ist nach GERSTENBERGER 1993, 256 anzunehmen. Ähnlich schon NOTH 1966, 120, demzufolge die Heiligkeit entweder konstatiert oder gefordert wird: „ihr seid heilig“ oder „ihr sollt heilig sein“. Zum Problem vgl. auch VINCENT 2006, 105f. Nach Lev 11,44 „So heiligt euch und bleibt heilig“, einer Verbindung von קדשׁ-tD und קדושׁ היה, könnte der Ausdruck קדשׁים תהיוauch bedeuten, dass man im JHWH-gemäßen Zustande der Heiligkeit bleiben soll, nachdem man sich geheiligt hat. 20 Nach MILGROM 2008, 1606 verweist dieser Satz auf die absolute Andersartigkeit JHWHs und seine unüberbrückbare Distanz zum Menschen. 21 Für HIEKE 2014b, 703 liegt hier ein „Quantensprung“ gegenüber den vorausgegangenen kultischen Vorschriften vor, da jetzt die Heiligkeit in den Alltag hineingetragen wird.
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Sanctum auf das Profanum ausgeweitet worden, vom Kult auch auf das Ethos. Begründet werden die Verhaltensregeln gemäß 2d mit der Heiligkeit JHWHs, die damit zur eigentlichen Motivation wird.22 Die Heiligkeit JHWHs ist demnach nicht nur Begründung für kultisches Handeln, sondern bestimmt das ganze Leben der Söhne Israels, so dass es keinen Ort gibt, der nicht unter das Gebot des heiligen Gottes fällt. Die Trennung zwischen Heiligem und Profanem ist hier folglich weggefallen. Die gesamte Lebenswirklichkeit wird nun von der Heiligkeit JHWHs bestimmt und ist damit sakralisiert.23 Gott wird also nicht nur im Kult anwesend gedacht, sondern im Alltag. Deswegen betrifft die Heiligkeitsforderung alle Bereiche menschlichen Lebens. Da die Heiligung demnach das ganze Leben der Israeliten umfassen soll, muss schließlich neben dem kultischen auch das sittliche, soziale und rechtliche Verhalten thematisiert werden.24 Die Heiligkeitsforderung impliziert für das Volk Israel eine besondere Art der imitatio Dei. Denn die einzig adäquate Antwort Israels auf die Heiligkeit JHWHs ist die eigene Heiligung, wobei die Zuwendung JHWHs gegenüber Israel sachlich und zeitlich vorausgeht. So wie JHWH sich in seiner Heiligkeit von den Menschen unterscheidet, so sollen sich nun die Israeliten von den Nationen abheben,25 worauf – ähnlich formuliert – erst Lev 20,26 hinweist. In dieser Stelle wird der Besitzanspruch JHWHs auf sein Volk besonders deutlich unterstrichen: „Und ihr sollt mir Heilige sein. Denn heilig (bin) ich, JHWH. Und ich habe euch von den Völkern ausgesondert, um mir zu sein“. Israel setzt sich von den Nationen ab und erreicht dadurch besondere ethische Qualitäten. Der Aspekt der Trennung, der das Sanctum vom Profanum abhebt, wird hier von Dingen zu Personen verschoben. Allerdings geht es in Lev 20,26 nicht nur um eine Trennung von den Völkern, sondern – positiv gewendet – auch um eine Trennung für JHWH. Die Heiligung Israels ist somit Ausdruck der spezifischen Gottesbeziehung Israels.26 22
Dies ist nach GRÜNWALDT 1999, 253 „originell, wenn nicht sogar revolutionär“. Nach KIM 2011, 39 ist die Heiligkeit Gottes die Grundlage für die Heiligkeit Israels. 23 Die Forderung der Heiligkeit verlangt daher unbedingte Treue zu JHWH und die besondere Unterordnung unter seinen Willen, da JHWH sich Israel zur Heiligung erwählt hat, vgl. GERSTENBERGER 1993, 256f. 24 Vgl. hierzu ELLIGER 1966, 255f. 25 Vgl. MILGROM 2008, 1604. HARTLEY 1992, 312 beschreibt zwei Arten der Heiligkeit: „Whereas God’s holiness is dynamic, outgoing, Israel makes herself holy by separating herself from sin.“ Die Heiligkeit Gottes wird zudem durch Kontakt mit dem Heiligen weitergegeben. Nach HIEKE 2014b, 710f. soll die Heiligkeit Israels die Heiligkeit Gottes auf Erden repräsentieren. Allerdings wird diese Forderung bestenfalls angedeutet, aber nicht explizit gefordert. 26 Gott heiligt das Volk, das schließlich im Einklang mit der Heiligkeit Gottes lebt, vgl. hierzu COTTON 2002, 112.
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Fraglich ist, ob die Israeliten dem Anspruch der Heiligkeit tatsächlich gerecht werden können.27 Die Verbalform תהיוin Lev 19,2 kann als Indikativ Futur oder als Jussiv gedeutet werden, also entweder „Heilige werdet ihr sein/werden“ oder „Heilige sollt ihr sein/werden“. Grammatikalisch ist beides möglich, da hier yiqtol-Langform (Indikativ) und yiqtol-Kurzform (Jussiv) formal nicht unterschieden werden können. Die Frage, ob die Israeliten dem Anspruch der Heiligkeit irgendwann gerecht werden können und tatsächlich Heilige werden, ist jedoch falsch gestellt: Die yiqtol-Langform hat imperfektiven Aspekt und weist auf einen nachzeitigen Sachverhalt hin. Insofern ist auch die indikativische Übersetzung nicht eine stativische Beschreibung des aktuellen Zustands der Israeliten „Heilige seid ihr“, sondern ist auf künftige Einlösung ausgerichtet. Für eine Deutung „Heilige seid ihr“ wäre zudem ein Nominalsatz zur Verfügung gestanden. Darüber hinaus ist Israel nicht alleine für seine Heiligung verantwortlich. JHWH selbst sorgt bei entsprechendem Verhalten für die Heiligung Israels.28 Die Heiligkeit Israels ist somit nicht mit der Heiligkeit JHWHs gleichzusetzen.29 Denn Israel soll nach Heiligkeit streben und sich der Heiligkeit JHWHs annähern. Es geht also gar nicht darum, den unüberwindbaren Graben zur Heiligkeit JHWHs überbrücken zu können. Hierauf verweist auch die masoretische Schreibweise des Begriffs „heilig“:30 Wenn dieses Wort mit Gott verbunden wird, dann wird קדושׁplene geschrieben, im Zusammenhang mit Menschen hingegen defektiv קדשׁ.31 Außerdem wird mit der Aussage, heilig zu werden, die Andersartigkeit JHWHs nicht in Frage gestellt. Die Israeliten sollen ja nicht werden wie Gott,32 sondern heilig werden wie Gott, ein Anspruch, der bei Einhaltung der folgenden Gebote und Verbote zumindest ansatzweise eingelöst werden kann. Neben der Begründung durch die Heiligkeit JHWHs „Denn heilig (bin) ich, JHWH, euer Gott“ in v.2 wird die Heiligung Israels in v.36–37 durch das vorgängige Handeln JHWHs begründet. JHWH selbst hat bereits heiligend an Israel gehandelt, was durch den Exodus deutlich geworden ist:
27 Nach LUCIANI 1992, 235 sind zudem nicht nur die Priester, sondern ganz Israel im Blick. Die Heiligkeit ist demnach das Resultat eines integralen, nicht selektiven Gehorsams. 28 Vgl. Lev 20,8; 21,8; 22,32 mit Partizip D-Stamm: „JHWH, der euch heilig macht“. Hierauf weist auch LUCIANI 1992, 235 besonders hin: Gott „demande néanmoins de participer de quelque manière à son mystère“. Ähnlich RADNER 2008, 207. 29 Vgl. hierzu HIEKE 2014a, 75. 30 Vgl. MILGROM 2008, 1606; HIEKE 2014b, 711. 31 Z.B. in Lev 21,7.8, Num 6,5.8 und Dtn 26,19. 32 Vgl. hierzu LUCIANI 1992, 235: „Même si l’on ne peut employer le vocabulaire de l’imitation qu’àvec prudence, c’est bien de cela déjà qu’il est question. Certes, il ne s’agit pas d’être comme Dieu, mais d’être saint comme lui et à cause de lui.“
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„36Ich (bin) JHWH, euer Gott, der ich euch herausgeführt habe aus dem Land Ägypten, 37 damit ihr haltet die Gesamtheit meiner Ordnungen und die Gesamtheit meiner Rechtsbestimmungen und sie tut. Ich (bin) JHWH.“
Das Kapitel endet nicht nur mit dem Hinweis auf den Exodus, sondern knüpft daran die Forderung, die Gesamtheit der Satzungen und Rechtsbestimmungen JHWHs einzuhalten. JHWH hat Israel nicht herausgeführt, damit er es in das Verheißungsland bringt, sondern damit Israel auch die vorausgegangenen Gebote einhält.33 Es zeigt sich hier folglich eine Verschränkung von Zuspruch und Anspruch, von absoluter Forderung, ausgedrückt durch die ethischen Weisungen in den beiden gerahmten Blöcken (v.5–18 und v.20–32), und bedingungsloser Zusage, ausgedrückt durch die Heiligkeit JHWHs (v.2) und das vergangenheitliche Heilshandeln (v.36–37). Somit steht Lev 19 zum einen unter der Forderung und der Zusage an Israel, heilig zu werden (v.2), zum anderen unter der Zielbestimmung des Exodus, im Land die Gebote zu erfüllen (v.36–37). Mit diesem Rahmen wird die nachdrückliche Forderung verbunden, sein Leben an den vorliegenden Weisungen zu orientieren.34 Die Heiligungsformel am Anfang und die Herausführungsformel am Schluss sind daher die beiden Eckpunkte, die die geforderte Ethik begründen und motivieren. Die gliedernde kurze und lange Selbstvorstellungsformel holt in jede Forderung diese doppelte Begründung herein (Heiligkeit Gottes und geschichtliches Handeln JHWHs im Exodusereignis).35 Die Heiligung Israels hat demnach ihren Ermöglichungsgrund in der Heiligkeit JHWHs, der sich im Exodus an Israel rettend erwiesen hat. Israel bleibt jedoch hinter der Heiligung zurück, wenn die geforderte Solidarität der Starken mit den Schwachen nicht eingelöst wird. Das ganze Leben der Israeliten wird also in Lev 19 unter das Gebot der Heiligung gestellt. Dies wird durch drei Dinge eingeschärft: 33 Damit ist nach LUCIANI 1992, 235 die Heiligkeit nicht nur „une simple recommandation, mais une exigence qui se réalise par la garde et la mise en pratique de ‚tous mes décrets et de tous mes jugements‘ (v.37)“. 34 Vgl. CRÜSEMANN 1992, 379f. CHOLEWIŃSKI 1976, 48 vermutet, dass die Einleitungsformel des Dekalogs in Ex 20,2 hier auseinandergerissen und um die Weisungen von Lev 19 herumgelegt worden sei, also „dass der Redaktor hier eine Inklusion schuf“, vgl. hierzu auch KIM 2011, 38. OTTO 1994, 245 hält Lev 19,1–2.36–37 ebenfalls für den Rahmen um ein Diptychon. Nach BULTMANN 1992, 176 verweist die pluralische Anrede in v.2 und v.36–37 auf eine redaktionelle Tätigkeit, mit der die hier vorliegende Sammlung von Geboten und Verboten gerahmt worden ist. 35 Vgl. auch KÖCKERT 2004, 165: „Die Kurzform der Selbstvorstellungsformel ‚Ich bin JHWH‘, die die Prohibitivreihen in Lev 19 gliedernd durchzieht, nötigt dazu, jede Forderung auf die allem Gehorsam vorangehende Tat Gottes als den die Vielfalt einenden Grund zu beziehen.“ Ähnlich schon GERSTENBERGER 1993, 239: „Die Schlußformel wird als feierliche Unterstreichung der mitgeteilten Normen verwendet.“
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a) durch die Häufung der kurzen und langen Selbstvorstellungsformel, die immer wieder die inhaltliche Bestimmung der Heiligkeit JHWHs betont, b) durch die vielfältigen inhaltlichen Bereiche, die in Lev 19 abgedeckt werden und die allgemeiner und spezieller Natur sind, c) durch den Wechsel verschiedener Formen, die von kasuistischen über apodiktischen bis hin zu paränetischen Aussagen reichen sowie Prohibitive und Jussive miteinander verbinden.
3. Die Begründungsstruktur des apodiktischen Zentralteils Lev 19,11–18 Im Zentralteil Lev 19,11–18 werden ethische Verbote und Gebote36 formuliert, die das Verhältnis des Israeliten zum Nächsten regeln. Es sind apodiktische Rechtssatzformen, die ohne nähere Qualifikation bestimmte Verhaltensweisen generalisieren.37 Formal wird der Zentralteil durch die verwendete Kurzform der Selbstvorstellungsformel in vier Abschnitte gegliedert: v.11– 12, 13–14, 15–16 und 17–18.38 Es kommen damit vier Handlungsfelder in den Blick.39 36
Mit GRÜNWALDT 1999, 46 sollte man nicht die wenigen Gebote literarkritisch von den Verboten scheiden: „Nicht jede formale Unausgewogenheit muß literarkritisch erklärt werden; es liegen in v.11–18 weder Widersprüche noch störende Wiederholungen noch unvereinbare Spannungen vor, so daß man mit der Mehrheit der Exegeten die v. als literarische Einheit ansehen kann.“ Da in Lev 19 meist Verbote und nur selten positive Weisungen zu finden sind, vermutet CRÜSEMANN 1992, 375f., dass die positiven Passagen gegenüber den Verboten besonders hervorgehoben werden sollen. WAGNER 2005, 6f. betont den Umstand, dass es sich in Lev 19 vor allem um Verbote handelt, die dem Text einen mahnenden Charakter verleihen: „Wer einen solchen Ton anschlägt, will weniger positiv gestalten, als vielmehr vor einer Gefahr bewahren.“ 37 Vgl. ALLBEE 2006, 151. Nach CARMICHAEL 1994, 239–256 werden hier Erzählungen aus dem Buch Genesis in Rechtssätze gekleidet. So seien v.11–12 eine priesterliche Reaktion auf den Diebstahl des Erstgeburtsrechts Gen 27 (ebd. 249) und v.17 beziehe sich auf die Ereignisse um Joseph und seine Brüder in Gen 37 (ebd. 254). Abgesehen von inhaltlichen Parallelen gibt es für eine solche Verbindung von Lev 19 in das Buch Genesis bzw. für die narrative beispielhafte Auslegung von Rechtssätzen keinen weiteren Hinweis. 38 Anders hingegen BARBIERO 1991, 246–264, der den Abschnitt in zwei Teile gliedert, nämlich v.11–14 „decalogo sui beni del prossimo“ und v.15–18 „dodecalogo sulla giustizia“. Anders ebenfalls MILGROM 2008, 1629, der diesen Abschnitt in drei Einheiten aufteilt: v.11–13 (Taten), v.14–16 (Rede), v. 17–18 (Gedanken). Jedoch untergliedert er seine zweite Einheit in v.14 und v.15–16, vgl. ebd. 1638–1642. Nach LUCIANI 2005, 104–109 verteilt sich dieser Zentralteil formal auf zwei Abschnitte, so dass v.11–12 zu B und v.13– 18 zu C gehören. 39 Nach SCHENKER 2012, 246 steht bei den Verboten vor allem die Wehrlosigkeit der Opfer im Hintergrund, die jeweils mit Arglist, Tücke und Hinterlist geschädigt werden.
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3.1 Lev 19,11–12: Betrug des Volksgenossen 11a b c 12a b c
Nicht sollt ihr stehlen und nicht sollt ihr täuschen und nicht sollt ihr betrügen, ein Mann gegen seinen Volksgenossen. Und nicht sollt ihr schwören bei meinem Namen zum Betrug, so dass du entweihst den Namen deines Gottes.40 Ich (bin) JHWH.
Die hier formulierten Verbote sind allgemein gehalten und nehmen verschiedene Aspekte des betrügerischen Verhaltens gegenüber dem Nächsten in den Blick.41 Sie verbieten Diebstahl und Täuschung,42 sowie das treulose Verhalten gegenüber dem „ עמיתVolksgenossen“.43 Durch die Formulierung „ein Mann gegen seinen Volksgenossen“ in 11c wird die pluralische Anrede des Prohibitivs speziell auf den Einzelnen bezogen. Der vierte Prohibitiv 12a verbietet ein besonderes betrügerisches Verhalten: Im Namen JHWHs darf nicht falsch geschworen werden.44 Der w-qatal-Satz 12b darf als Konsekutivsatz gedeutet werden und bildet syntaktisch die Folge des zuvor genannten betrügerischen Handelns.45 Durch 40
LXX überträgt 12b negativ als Verbot: καὶ οὐ βεβηλώσετε τὸ ὄυομα τοῦ θεοῦ ὑμῶν, vgl. ZIPOR 1991, 331, demzufolge die Negation aus 12a im Parallelsatz 12b noch weiterwirken konnte. Außerdem setzt LXX beide Sätze in den Plural, vgl. ELLIGER 1966, 244; HARTLEY 1992, 304. Nach MAGONET 1983, 153 könnte jedoch der Singular des MT in 12b durch Lev 18,21 und 20,3 beeinflusst sein. 41 Nach GRÜNWALDT 1999, 233 bildet vermutlich das dritte Verbot (Betrugsverbot) den Oberbegriff für die zuvor genannten Verbote. 42 NOTH 1966, 121 vermutet bei Diebstahl Menschenraub, was aber eine unnötige Einengung der Semantik von גנבdarstellt. Die Wurzel כחשׁmuss hier ebenfalls nicht eng im Sinne von „Verhehlen entwendeten Gutes“ gefasst werden, so aber MATHYS 1986, 58 mit Blick auf Jos 7,11. Ausweislich des folgenden Prohibitivs ist hier wohl eher die allgemeine Bedeutung „täuschen, lügen“ anzusetzen. Nach STAUBLI 1996, 158 wäre eine „Variante zum Betrug im Sinne von Heuchelei“ im Blick. 43 Nach MILGROM 2008, 1632 handelt es sich um einen vorexilischen Begriff, der in (nach)exilischen Texten verschwunden sei. CHOLEWIŃSKI 1976, 45 vermutet hingegen, dass dieses Lexem nur in redaktionellen Zusätzen zu finden sei. 44 LEVINE 1989, 127 zieht wie die Mischna eine Parallele zum dritten Gebot des Dekalogs. Nach CHOLEWIŃSKI 1976, 291 wird hier Dtn 5,11 auf den Meineid – nicht nur im Gerichtswesen, sondern ganz allgemein – bezogen. 45 Vgl. HARTLEY 1992, 304; GRÜNWALDT 1999, 234; KÖCKERT 2004, 161. Ähnlich auch MILGROM 2008, 1635: „it is intended to convey a result, namely, that a false oath automatically causes the desecration of God’s name.“ Nach RUWE 1999, 199 ist das abschließende w-qatal „kein materialer Rechtssatz […], sondern eine abschließende Paränese, die die möglichen Folgen der in v.12a (bzw. in v.11–12a) verbotenen Handlung(en) thematisiert“. CHOLEWIŃSKI 1976, 291 vermutet sogar, dass sich die Motivation des wqatal lediglich auf den zuvor genannten Meineid beziehen würde, zumal nur im v.12 sowohl im Verbot wie auch in der folgenden Motivation von שׁםdie Rede sei. Der w-qatal-
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diesen w-qatal-Satz wird der Ungehorsam gegenüber den zuvor angeführten Verboten 11a–12a theologisch als Entweihung des Namens JHWHs qualifiziert. In 12b wird darüber hinaus singularisch formuliert, um anzudeuten, dass jeder einzelne Verstoß gegen die vorausgegangenen Weisungen zu einer Profanisierung des Namens JHWHs führen könnte. Betrügerische Vergehen wenden sich somit nicht nur gegen den Mitmenschen, sondern auch indirekt gegen JHWH.46 3.2 Lev 19,13–14: Schutz des sozial Schwachen47 13a b c 14a b c d
Nicht sollst du bedrücken deinen Nächsten und nicht sollst du rauben. Nicht soll bleiben der Lohn des Tagelöhners bei dir bis zum Morgen.48 Nicht sollst du fluchen einem Tauben und vor einem Blinden nicht sollst du ein Hindernis legen, so dass du fürchtest (etwas) von deinem Gott.49 Ich (bin) JHWH.
Im ersten Doppelverbot 13a.b geht es um die Ausbeutung des „ רעNächsten“. Im zweiten Verbot 13c wird die Entlohnung des „ שׂכירTagelöhners“ in den Blick genommen. Durch das abschließende Doppelverbot 14a.b werden Behinderte besonders geschützt. Hier wird jegliche versteckte Gewalt verboten. So darf man einem Tauben nicht fluchen, da er den Fluch nicht hören und erwidern kann.50 Einem Blinden darf man kein Hindernis in den Weg legen, da er dieses nicht sehen und wegräumen kann. Wie schon im ersten Abschnitt folgt auch hier ein konsekutiver w-qatalSatz. Nun wird besonders die Gottesfurcht eingeschärft.51 Durch ein UnterSatz deutet aber eher insgesamt die Folge des in v.11–12 besprochenen betrügerischen Handelns als Entweihung des Namens Gottes. 46 MATHYS 1986, 101 betont hier: „Wer sich dieser Vergehen schuldig macht, wird direkt Gott gegenüber schuldig.“ Eine Profanisierung JHWHs lässt zudem befürchten, dass JHWHs Präsenz auf Erden verschwinden wird, vgl. MILGROM 2008, 1633. 47 Vgl. hierzu MAGONET 1983, 155, demzufolge es hier um die illegale und gewaltsame Verweigerung des Lebensnotwendigen gehe. 48 LXX hat neben anderen Textzeugen vor 13c eine Konjunktion, vgl. HARTLEY 1992, 304. 49 Zum syntaktischen Problem מן+ יראvgl. ALLBEE 2006, 158: „but from God they will certainly have something to fear.“ EHRLICH 1909, 64 betont, dass die Konstruktion mit der Präposition „ מןsich fürchten vor“ heißt. 50 Diese Bestimmung setzt nach NOTH 1966, 122 voraus, dass der Fluch auch dann wirksam war, wenn er nicht gehört werden konnte. ELLIGER 1966, 258 hingegen vermutet, dass die rein magische Auffassung des Fluches in Lev 19,14 bereits durchbrochen sei. Dann wird aber dem Verbot seine eigentliche Grundlage genommen. 51 Nach LEVINE 1989, 128 wird hier die Gottesfurcht besonders angemahnt, da solche Übergriffe oft nicht entdeckt und daher leicht verschleiert werden können. Gott hingegen
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lassen der zuvor genannten Verhaltensweisen zeigt der Adressat seine besondere Gottesfurcht: Er muss folglich nichts von Gott fürchten.52 Gemeinschaftsförderliches Verhalten ist somit eine Form der Gottesfurcht. Wer sich gegen einen sozial Bedürftigen oder einen Behinderten vergeht, wendet sich gegen Gott, er fürchtet von Gott nichts und missachtet dessen Option für den Schwachen. 3.3 Lev 19,15–16: Gerechtigkeit im Gericht 15a b c d 16a
Nicht sollt ihr53 Unrecht tun im Gericht.54 Nicht sollst du begünstigen die Person des Geringen55 und nicht sollst du bevorzugen die Person des Großen.56 In Gerechtigkeit sollst du richten deinen Volksgenossen.57 Nicht sollst du gehen als Verleumder58 unter deinen Volksangehörigen.59
wird die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen. Nach RUWE 1999, 201 wird dieser Satz hier wie schon in 12b ebenfalls paränetisch eingesetzt. GRÜNWALDT 1999, 236 sieht den w-qatal-Satz als Forderung, sich vor Gott zu fürchten. Diese Forderung motiviere die zuvor genannten Verbote und Gebote. 52 Vgl. hierzu GERSTENBERGER 1993, 245: „Wer Gott fürchtet oder verehrt, der darf sich nicht heimtückisch und brutal an seinen Mitmenschen vergehen.“ 53 Sam hat hier hingegen einen Singular, vgl. ELLIGER 1966, 244; HARTLEY 1992, 304, was deutlich eine Anpassung an den Kontext darstellt. MAGONET 1983, 153 vermutet, dass der Plural aus v.35 hier übernommen worden wäre. Nach GRÜNWALDT 1999, 236 liegt hier aufgrund der pluralischen Anrede eine „redaktionelle Überschrift“ vor. Ähnlich schon CHOLEWIŃSKI 1976, 45. Auch nach OTTO 1994, 245 hebt sich die pluralische Formulierung als Eröffnung von den singularischen Prohibitiven ab. 54 WAGNER 2005, 11 weist darauf hin, dass משׁפטRechtsstreit und Rechtsentscheid heißen kann. 55 Nach einigen hebräischen Handschriften und Syr wird 15b syndetisch angefügt. Nach CRÜSEMANN 1992, 376 Anm. 236 wird „das Aufheben des Angesichts für die Schwachen ein Verbot ihrer Benachteiligung (nicht in erster Linie ihrer Bevorteilung) sein“. Demgegenüber wird aber hier die Neutralität vor Gericht eingeschärft. Auch ein Schwacher soll keinen Vorteil gegenüber einem Stärkeren erhalten, vgl. ELLIGER 1966, 256; NOTH 1966, 122; CHOLEWIŃSKI 1976, 294; KUGEL 1987, 44; LEVINE 1989, 128; HARTLEY 1992, 315; GERSTENBERGER 1993, 246; GRÜNWALDT 1999, 236; HIEKE 2014b, 726. Anders jetzt aber SCHÜLE 2001a, 529, der eine Benachteiligung des Geringen ausschließen will. 56 Nach MAGONET 1983, 158; HARTLEY 1992, 304 werden aus rhetorischen Gründen דלund גדולgegenübergestellt (Assonanz), da normalerweise für diese Aussage andere Wortpaare eintreten. Es handelt sich hier sicher um einen Merismus, der alle Personen umschließt. 57 ELLIGER 1966, 248; MATHYS 1986, 70; BARBIERO 1991, 261 scheiden den letzten Satz 15d als sekundär aus. 58 Zu dieser Übersetzung vgl. auch die aramäischen Textzeugen, vgl. ZIPOR 1991, 331, während LXX hier οὐ πορεύσῃ δόλῳ liest.
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b Nicht sollst du auftreten gegen das Blut deines Nächsten.60 c Ich (bin) JHWH. Der erste Prohibitiv 15a wendet sich allgemein an alle Teilnehmer eines Prozesses, vor Gericht kein Unrecht zu üben.61 Dem pluralischen Verbot steht das Gebot 15d gegenüber, den „ עמיתVolksgenossen“ in Gerechtigkeit zu richten. In den beiden Weisungen 15b.c ist die personale Ebene im Blick. Die Rechtsprechung dürfe sich nicht am Ansehen der Person orientieren.62 V.16 betont hingegen die Handlungsebene. Um ein Verfahren nicht zu beeinflussen, werden Verleumdungen in der Öffentlichkeit63 sowie die vorschnelle Forderung von Verurteilung und Todesstrafe ausgeschlossen.64 Im dritten Abschnitt geht es darum, ein Mindestmaß an solidarischem Verhalten im Rechtsverfahren durchzusetzen. Im Gegensatz zu den beiden ersten Abschnitten fehlt hier ein w-qatal-Satz. 3.4 Lev 19,17–18: Umgang mit dem schuldig gewordenen Bruder 17a Nicht sollst du hassen deinen Bruder in deinem Herzen. b Nachdrücklich sollst du zurechtweisen deinen Volksgenossen, c so dass du nicht trägst wegen ihm Schuld.65 59
Viele hebräische Handschriften, Sam und LXX lesen hier Singular בעמך, vgl. ELLI1966, 244; HARTLEY 1992, 304. Nach HIEKE 2014b, 727 ist im MT die Großfamilie im Blick. 60 Viele hebräische Handschriften, Targum- und Sam-Handschriften sowie Syr haben hier ולא. 61 Darauf weist NOTH 1966, 122 hin, der deshalb die Bezeichnung „Richterspiegel“ ablehnt. 62 Nach WILLIS 2009, 170 schließt ein solches Verhalten die Gottebenbildlichkeit aller Menschen ohnehin aus. 63 STAUBLI 1996, 159 versteht darunter „Gerüchte in Umlauf setzen oder spionieren oder gleichgültige Ausbeutung“. Zum verwendeten Idiom vgl. MILGROM 2008, 1643f. 64 CHOLEWIŃSKI 1976, 293 vermutet, dass mit „ עמד עלdas Stehen vor Gericht“ angedeutet würde. Es beziehe sich auf den Ankläger oder den Zeugen, der für einen Unschuldigen ein Todesurteil fordert. Ähnlich schon ELLIGER 1966, 257. LEVINE 1989, 129 bietet drei verschiedene Deutungsmöglichkeiten: a) passiv Danebenstehen, wenn das Leben eines Anderen in Gefahr ist; b) sich gegen den Anderen verschwören; c) vom Schaden des Anderen profitieren. Ähnlich MILGROM 2008, 1645. GERSTENBERGER 1993, 246 sieht in diesem Idiom „die bis zum Äußersten entschlossene Verfolgung des Nächsten“. Nach STAUBLI 1996, 159 ist mit diesem Verbot gemeint: „sich nicht zur Unterstützung von Gewalt gegenüber andern bereitfinden“. Nach HIEKE 2014b, 727 geht es hier um die „ungerechtfertigte Todesforderung durch die Blutrache“. Zum Problem vgl. auch BARBIERO 1991, 263f.; WAGNER 2005, 11 Anm. 28. Nach WILLIS 2009, 171 mag hier eine Anspielung auf die Kain-Abel-Erzählung in Gen 4 vorliegen. 65 MATHYS 1986, 65 diskutiert folgende Übersetzungsmöglichkeiten: „Du sollst nicht seinetwegen Schuld auf dich laden“ und „damit du nicht Schuld auf ihn ladest“. Im zweiten Fall schweigt man und verwarnt denjenigen nicht, der gerade im Begriff ist, eine Schuld zu GER
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18a Nicht sollst du dich rächen66 b und nicht sollst du nachtragen den Söhnen deines Volkes, c so dass du Liebe erweist deinem Nächsten wie (man) dir (Liebe erweist). d Ich (bin) JHWH. Im vierten Abschnitt werden allgemeine Verhaltensregeln angesprochen, die jede Art von Konflikt zwischen Personen betreffen. Da hier alle zuvor aufgeführten Personen67 – nämlich „ אחBruder“, „ עמיתVolksgenosse“, „ רעNächster“ – genannt werden, scheint in diesem Doppelvers die Hauptaussage des Zentralteils zu liegen. In v.17 wird verboten, dass man gegen den schuldig gewordenen Bruder im Geheimen vorgeht, ohne dass man ihn auf sein Vergehen direkt anspricht. In v.18 wird hingegen der gewaltsame Eingriff betont, der ebenfalls zu unterlassen ist. Nach der Zurechtweisung des Bruders soll die Angelegenheit geklärt sein. Dem Doppelverbot in v.18 schließt sich wie schon in den ersten beiden Abschnitten ein w-qatal-Satz an, der vermutlich ebenfalls konsekutiven Charakter hat,68 was aber im nächsten Abschnitt noch näher begründet werden muss. Es handelt sich hier um das allseits bekannte Gebot der Nächstenliebe. Alles Vorausgegangene geschieht, so dass die Liebe zum Nächsten deutlich wird. Dadurch, dass das Liebesgebot sehr allgemein auf den „Nächsten“ und nicht explizit auf den „Volksgenossen“ bezogen ist, konnte es sich zu einem ethischen Spitzensatz im Judentum und Christentum entwickeln. Oft wird aufgrund des Kontextes in v.17–18 der „ רעNächste“ sogar als Feind verstan-
begehen. GERSTENBERGER 1993, 247f. vermutet hier ein eigenständiges Verbot, dass sich nicht final auf das Gebot der Zurechtweisung beziehe, zumal das Gebot erst sekundär zwischen die beiden Prohibitive geraten sei. Nach MILGROM 2008, 1646 begründet aber wəlōʾ-yiqtol die vorangegangene Weisung. 66 18a fehlt in Syr. In LXX wird auf die Kopula καί verzichtet, vgl. ELLIGER 1966, 244. 67 Zur Verwendung dieser Bezeichnungen in der Priesterschrift vgl. STACKERT 2007, 145 Anm. 77. Möglicherweise sind die hier verwendeten Bezeichnungen jeweils austauschbar, so dass nicht zwischen verschiedenen Gruppen differenziert werden muss, vgl. HIEKE 2014a, 78. KUGEL 1987, 45 spricht von „deliberate alternation“ bzw. „interchangeability“. Dagegen aber NOTH 1966, 122, der die Differenz der Bezeichnungen damit erklären will, dass diese Gesetze unterschiedlicher Herkunft seien. 68 Vgl. hierzu offenbar NIHAN 2007, 461 Anm. 256: „So that you (sing.) shall love your fellow as yourself“. GRÜNWALDT 1999, 240 sieht den w-qatal-Satz als Fazit aus den vorausgegangenen Verboten, das nun positiv formuliert, was vorher negativ bestimmt gewesen war. Auch SCHWARTZ 1999, 320f. betrachtet 18c als Resultat der vorangegangenen Verbote. Nur 17b sei ein positiver Befehl. Insofern ist das so genannte Gebot der Nächstenliebe keine Weisung, sondern ein Resultat der vorausgehenden Weisungen.
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den, so dass man hier ein Feindesliebesgebot hätte.69 Jedoch ist nicht gesagt, dass der schuldig gewordene Mitmensch tatsächlich zum Feind geworden ist. Ähnlich wird in der Ausweitung des Liebesgebots auf den Fremden in v.33– 34 nirgendwo festgestellt, dass der Fremde ein Feind ist. Insofern dreht es sich hier ganz allgemein um den Nächsten, den man bei persönlichen Konflikten lieben sollte.70 Wer dieser „Nächste“ ist, muss noch näher bestimmt werden. Der kurze Satz Lev 19,18c bietet in all seinen Bestandteilen erhebliche Probleme, die von den Exegeten unterschiedlich gelöst worden sind. Bei der Analyse wird zudem oft die parallele Formulierung in Lev 19,34 übersehen. Im Folgenden soll nach einer Erklärungsmöglichkeit gesucht werden, die beide Stellen in den Blick nimmt und angemessen erklären kann. 3.4.1 Der Satzanschluss Das allseits bekannte Gebot der Nächstenliebe in Lev 19,18c wird als wqatal-Satz angeschlossen. Der Satzanschluss ist jedoch schwierig zu bestimmen. Oft wird dieser Satz – zusammen mit dem positiven Satz 17b – als sekundärer Nachtrag betrachtet, so dass man bei der Übersetzung des Satzanschlusses auch die Absicht des Redaktors berücksichtigen müsste, der für die Einfügung verantwortlich gewesen ist. Aufgrund der semantischen Polyvalenz der Konjunktion וwurden bislang verschiedene Möglichkeiten erwogen:71
69
Vgl. MATHYS 1986, 81; CRÜSEMANN 1992, 376; RUWE 1999, 205; WAGNER 2005, 11 Anm. 29. Zur frühjüdischen Auslegungsgeschichte vgl. RUZER 2002, 376–387, der die Anwendung dieser Weisung in den Blick nimmt: Qumran wendet dieses Liebesgebot auf die Mitglieder der eigenen Gruppe an, Philo macht die Anwendung vom jeweiligen Verhalten abhängig. Auch die allgemeine Sündhaftigkeit, die den Nächsten zu einem Sünder macht, gilt als Grund für die Beachtung dieser Regelung. Damit ist der Nächste in erster Linie Sünder und nicht Feind. Erst im Aristeasbrief und in anderen halachischen Traditionen wird der Feind von dieser Regelung ebenfalls erfasst. Zur frühjüdischen Auslegung vgl. auch REINBOLD 2010, 119f. Zur Aufnahme von Lev 19 in Qumran vgl. KIM 2011, 79–90. 70 Ähnlich auch NIHAN 2007, 474 Anm. 304. Die Zusammenstellung von „ רעNächster“ mit „ בני עמךKindern deines Volkes“ in v.18 lässt zudem nur den Schluss zu, dass der „Nächste“ der „Volksgenosse“ sein muss, vgl. HOFIUS 1991, 103f.; ATEEK 2008, 158. SCHÜLE 2001b, 125f. definiert den Nächsten unter dem Blickwinkel der Exilserfahrung: „Der Nächste ist jeder, dessen Identität – als erinnert oder aktuell erfahren – durch die Situation von Exil und Heimatlosigkeit mit allen daraus erwachsenden Folgen geprägt ist.“ Somit stifte die Exilserfahrung ethische Solidarität nach außen. Zur jüdischen Auslegungstradition, die durchwegs den jüdischen Glaubensbruder im Blick hat, vgl. NEUDECKER 1992, 499–503. 71 Vgl. hierzu vor allem MATHYS 1986, 2f.
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a) Gelegentlich wird die Konjunktion וnicht übersetzt.72 Dann ist Lev 19,18c unabhängig vom Vorausgehenden zu bestimmen. Es ist dann entweder ein allgemeines Gebot, das nicht auf die Verbote in der Einheit Lev 19,17–18 zu beziehen ist, oder die Zusammenfassung bzw. Begründung dafür. Für eine Unterdrückung der Konjunktion gibt es aber keinen ersichtlichen Grund. b) Die Konjunktion וkann koordinierend verstanden werden: „und“.73 Dann wäre das Gebot der Nächstenliebe ein weiteres Glied in der Reihe, die das rechte Verhalten beim Umgang mit dem schuldigen Bruder einschärft. c) Lev 19,18c kann positiv die vorausgegangenen Verbote weiterführen: „sondern“.74 Dann hätte man einen adversativen Anschluss zum Vorausgehenden. Auf diese Weise kann das Verhalten gegenüber dem Nächsten positiv formuliert werden. d) In der Einhaltung der vorausgegangenen Gebote könnte man die Nächstenliebe erfüllen. In diesem Fall übersetzt man die Konjunktion וmodal: „auf diese Weise“.75 Das Gebot der Nächstenliebe kann aber auch das Ergebnis bzw. die Folge der Einhaltung der vorausgehenden Weisungen sein. Dann muss man Lev 19,18c konsekutiv übersetzen: „so dass“. Für diesen Satzanschluss sprechen verschiedene Argumente: Im apodiktischen Zentralteil Lev 19,11–18 werden abgesehen von der gliedernden Selbstvorstellungsformel fast nur Prohibitive verwendet, die entweder asyndetisch oder syndetisch gefügt werden. Nur in 15d und 17b finden sich – wie gesehen – positiv formulierte Gebote: „In Gerechtigkeit sollst du richten deinen Volksgenossen“ (15d) und „Nachdrücklich sollst du zurechtweisen deinen Volksgenossen“ (17b). Eine positive Formulierung wie in 18c ist demnach auffällig in der Reihe der Verbote. Außerdem werden die ersten beiden Abschnitte (v.11–12 und v.13–14) und der letzte Abschnitt des apodiktischen Zentralteils (v.17–18) mit einem wqatal-Satz vor einer kurzen Selbstvorstellungsformel abgeschlossen. Zumindest der erste w-qatal-Satz in 12b wird durchweg konsekutiv wiedergegeben: so dass du entweihst den Namen deines Gottes. Aber auch die anderen beiden w-qatal-Sätze können auf gleiche Weise gedeutet werden: v.12 qualifiziert 72
Z.B. Vulgata: diliges amicum tuum sicut temet ipsum. Z.B. LXX: καὶ ἀγαπήσεις τὸν πλησίον σου ὡς σεαυτόν. 74 Z.B. Zürcher Bibel: „sondern du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“, oder auch die New Jerusalem Bible: „but will love your neighbour as yourself“. Vgl. hierzu BARBIERO 1991, 282. 75 Z.B. Traduction œcuménique de la Bible: „c’est ainsi que tu aimeras ton prochain comme toi-même.“ 73
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folglich die Missachtung der genannten Gebote als Angriff auf Gott, da dadurch der Name JHWHs entweiht wird. V.14 schärft hingegen die Gottesfurcht des Israeliten ein, die sich in der Einhaltung der Gebote besonders deutlich zeigt. V.18 betont schließlich die Nächstenliebe, die sich im solidarischen Verhalten gegenüber dem Nächsten beweist. Somit könnte die Nächstenliebe in 18c die allgemeine Folge des Verzichts auf Hass, Rache und Zorn sein.76 Während die vorausgegangenen Verbote das rechte Verhalten gegenüber dem schuldig gewordenen Bruder betonen,77 wird in 18c dieses Verhalten als Liebe gegenüber dem Nächsten näher qualifiziert. Im Halten der Verbote von v.17–18 zeigt sich somit als Resultat die Nächstenliebe. Das sogenannte Nächstenliebegebot ist folglich kein eigentliches Gebot, sondern eher die Zusammenfassung bzw. die Folge des rechten Verhaltens, das darin besteht, die Gebote und Verbote zuvor einzuhalten. Wenn man 18c konsekutiv wiedergibt, hat das auch Folgen für die Deutung des schwierigen כמוך. Denn der konsekutive Satzanschluss lässt es unwahrscheinlich erscheinen, dass in 18c ein Reflexivverhältnis vorliegt, das auf Selbstliebe hindeutet. Eine Konkretisierung der Nächstenliebe durch die Selbstliebe ist bei einem konsekutiven Verständnis von 18c nämlich nicht mehr nötig. 3.4.2 Ein adäquates Verständnis von אהב+ ל Das Verbum אהבwird meist mit der Nota accusativi אתverbunden, wenn mit אהבdie Liebe zu einem menschlichen oder göttlichen Objekt ausgedrückt werden soll. Durch אתwird das direkte personale Objekt angezeigt, das von
der Liebe des Subjekts betroffen ist.78 Nur in wenigen Fällen wird auf diese Präposition verzichtet.79 Darüber hinaus kann das direkte Objekt des Verbs אהבin seinen finiten und infiniten Formen durch ein enklitisches Personalpronomen ausgedrückt sein.80 76 GRÜNWALDT 1999, 240, sieht den w-qatal-Satz als das Fazit aus den vorausgegangenen Verboten, das nun positiv formuliert, was vorher negativ bestimmt gewesen war. Auch SCHWARTZ 1999, 320f., betrachtet 18c als Resultat der vorangegangenen Verbote. Nur 17b sei ein positiver Befehl. Insofern ist das sogenannte Gebot der Nächstenliebe in 18c keine weitere Weisung, sondern das Resultat der vorausgehenden Weisungen. 77 Vgl. hierzu VINCENT 2006, 108, der auf die positive Form (Zurechtweisung) und die negative Form (Verbot des Hasses und der Rache) hinweist. 78 Gen 25,28 (2x); 29,18.30; 34,3; 37,3.4; Ex 21,5; Dtn 4,37; 6,5; 10,12.15.19; 11,1.13.22; 13,4; 19,9; 30,6.16.20; Jos 22,5; 23,11; 1Sam 1,5; 18,16.20; 2Sam 13,4; 19,7; 1Kön 3,3; 10,9; 2Chr 2,10; 9,8; 11,21; Est 2,17; Ps 31,24; Spr 3,12; Hos 3,1; Mal 1,2 (2x). 79 Dtn 10,18; Ri 16,4; 1Kön 11,1; Ij 19,19; Ps 146,8; Spr 15,9; 16,13; Jer 2,25; Hos 3,1. 80 Lev 19,18; 1Kön 5,15; 2Chr 19,2; Gen 24,67; 29,32; 44,20; Ex 20,6; Dtn 5,10; 7,9.13; 15,16; 23,6; Ri 5,31; 14,16; 16,15; Rut 4,15; 1Sam 16,21; 18,1.22.28; 20,17; 2Sam 12,24; 13,1.15; 19,7; Neh 1,5; Ps 145,20; Spr 9,8; 13,24; Hld 1,3.4; Jes 41,8.43,4; 66,10.48,14; Jer 8,2; Dan 9,4; Hos 9,10.15; 11,1; 14,5; Mal 1,2.
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Nur in vier Fällen wird das Verbum אהבmit der Präposition לverbunden. Eine solche Konstruktion wurde schon von den Rabbinen problematisiert.81 Es könnte sich hierbei entweder um einen Anzeiger für direktes Objekt oder um einen dativus commodi handeln. Damit sind bereits die beiden Interpretationslinien für dieses Idiom grob vorgegeben: a) Aufgrund der seltenen Konstruktion nimmt man meist an, dass das Idiom אהב+ לauf aramäischen Einfluss zurückgehen könnte und somit der nota
accusativi entsprechen würde.82
b) Die Präpositionalverbindung kann aber ebenso unter die Rubrik lamed applicationis bei meliorativen Transitiva gefasst werden. Infolgedessen wäre hier das Präpositionalobjekt die von der Handlung positiv betroffene Entität.83 Vor der semantischen Bestimmung des Idioms אהב+ לsoll der Umweg über eine vergleichbare Konstruktion mit dem Verbum שׂנא, dem Antonym zu אהב, untersucht werden, das ebenfalls in Lev 19,17–18 vorkommt und an anderen Stellen genauso mit der Präposition לgefügt werden kann. Der Prohibitiv in 17a verbietet, den „ אחBruder“ im Herzen zu hassen.84 Das Herz ist nach biblischem Sprachgebrauch weder der Ort des Gewissens noch der Sitz der Seele, sondern der Sitz des Verstandes bzw. der Vernunft und, damit verbunden, der Ort des menschlichen Planens. Insofern ist hier nicht nur eine innere Einstellung, vielmehr auch das Planen gegenüber dem Bruder im Blick. Es geht hier also nicht um ein inneres Gefühl oder eine Emotion, sondern um Illoyalität gegenüber dem Bruder.85 Vermutlich bezeichnet das Idiom „im Herzen hassen“ den im Verborgenen gehegten Hass, der später in die Tat umgesetzt werden soll.86 Die drei Weisungen von 17a–c beschreiben wahrscheinlich einen zusammenhängenden Gedanken. Nach 17a 81
Vgl. NEUDECKER 1992, 503f. Vgl. MATHYS 1986, 5; BARBIERO 1991, 284; SCHÜLE 2001b, 104f.; VINCENT 2006, 107; MOENIKES 2007, 144 Anm. 171. Zur Verwendung von לzur Kennzeichnung des direkten Objekts vgl. auch GK § 117n; JM § 125k; WALTKE-O’CONNOR § 10.4b. 83 Vgl. hierzu JENNI 2000, 122. 84 Nach GRÜNWALDT 1999, 238, rahmen die beiden Verben „hassen“ und „lieben“ den vorliegenden Doppelvers. STAUBLI 1996, 159, sieht darin ein „Wortpaar, das den ganzen Gedankengang auf den Punkt bringt und zusammenfaßt“. Zum Handlungsaspekt vgl. HIEKE 2014a, 76. 85 Es geht also nicht nur um „grundsätzliche Einstellungen gegenüber dem anderen Menschen“, vgl. GERSTENBERGER 1993, 246. 86 MATHYS 1986, 63f., weist darauf hin, dass ( בלב)ב+ enklitisches Personalpronomen „gerne mit Verben des Denkens und Redens verwendet wird und in diesem Zusammenhang das Hegen und Verborgenhalten dunkler Pläne umschreibt“. Insofern werde der Hass bereits im Inneren gehegt und zeigt sich anschließend in dunklen Machenschaften. Deshalb widerspricht auch die Gegenüberstellung von שׂנאund אהבin v.17–18 keineswegs der hier vertretenen Auffassung von אהבals „Liebe erweisen“. 82
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soll man den „Bruder“ nicht im Herzen hassen nach 17b soll man diesem seine eigenen negativen Gefühle mitteilen, und nach 17c wird dadurch verhindert, dass man sich selbst noch wegen des versteckten Hasses gegenüber dem Bruder weitere Schuld auflädt.87 Das Verbum שׂנאkann zudem mit der Präposition לverbunden werden, was eine semantische Nuancierung bewirkt. In diesen Fällen ist jeweils der tätige Hass im Blick: Dtn 4,42 Dtn 19,4 Dtn 19,6 Dtn 19,11 Jos 20,5
Und jener (war) nicht-hassend ihn vorher Und jener (war) nicht-hassend ihn vorher Denn nicht-hassend (war) jener ihn vorher Wenn aber ein Mann seinen Nächsten hassend ist Und jener (war) nicht-hassend ihn vorher
Das stereotype Idiom לא־שׂנאbetont in all diesen Fällen, dass der Totschläger zuvor sein Opfer nicht gehasst hat. Hier kann es kaum um Emotionen gehen, da diese in einem Gerichtsverfahren nicht nachweisbar sind. Vielmehr ist Hass im Blick, der sich in Handlungen gegenüber dem Anderen entlädt. In Dtn 19,11 werden sogar die Aktionen angeführt, mit denen der betreffende Totschläger sein Opfer verfolgt hat: „und ihm auflauert und sich erhebt gegen ihn und ihn erschlägt,88 so dass er stirbt“. Das Idiom שׂנא+ לhat hier also kaum eine Emotion im Blick, sondern immer einen Handlungsaspekt. Bei der Konstruktion שׂנא+ לgeht es folglich darum, dass dem Anderen Werke des Hasses angetan werden. Vielleicht wäre hier die Übersetzung „jemandem Hass erweisen“ angebracht. Im Gegensatz zu Lev 19,17a ist bei שׂנא+ לdarum nicht nur der Aspekt der Planung des Hasses im Blick, sondern die konkrete Tat als Ergebnis solcher Planungen im Herzen. Der Handlungsaspekt wird in vergleichbarer Weise auch bei der Wurzel אהבmit der Präposition לangedeutet.89 Insgesamt gibt es hierfür vier Fälle: Lev 19,18 Lev 19,34 1Kön 5,15 2Chr 19,2
so dass du Liebe erweist deinem Nächsten wie dir so dass du Liebe erweist ihm wie dir Denn Liebe erweisend war Hiram dem David die Gesamtheit der Tage Sollst du Liebe erweisen dem Gottlosen, um zu helfen, und den JHWH-Hassern?
Bei dem Verb אהבist ebenfalls der Handlungsaspekt deutlich. In 2Chr 19,2 wird zudem אהבmit „ עזרhelfen“ parallelisiert. Es geht folglich auch bei
87
Vgl. hierzu KUGEL 1987, 45–47. Zum enklitischen Personalpronomen und Verstärkung mit נפשׁvgl. GK § 117ll. 89 Vgl. MILGROM 2008, 1653. Gegen einen Handlungsaspekt aber KIUCHI 2007, 40–45, der die spezifische Konstruktion von אהבmit der Präposition לnicht berücksichtigt. 88
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אהב+ לum „Liebe erweisen“, was sich in konkreten Taten ausdrückt.90
Durch diese Präpositionalverbindung wird also das von Liebe bestimmte Handeln in den Blick genommen. Das Idiom אהב+ לkann demnach mit „liebevolles Helfen“ wiedergegeben werden.91 Durch die darauf folgende Selbstvorstellungsformel wird das Liebesgebot Lev 19,18 in den Kontext der Liebe zu Gott gestellt, die sich vor allem durch das entsprechende Handeln zeigen soll. Es geht somit beim Liebesgebot – wie schon bei dem Verbot des Hasses – nicht um eine Emotion, sondern um Solidarität, Loyalität und praktische Zuwendung gegenüber dem Nächsten.92 Der Handlungsaspekt wird – wie gesehen – vor allem durch die Präposition לangedeutet.93 Es geht hier folglich um die tätige Liebe für den Nächsten und nicht nur um Affekte oder Emotionen. 3.4.3 Die Bedeutung von רע Die Bedeutung des indirekten Objektes „ רעNächster“ ist schwierig zu bestimmen. Das Lexem רעbeschreibt nicht immer nur den Volksgenossen, sondern kann genauso gut den Nichtisraeliten bezeichnen. So ist mit רעin Ex 11,2 sicher der Ägypter gemeint.94 Dadurch, dass das Liebesgebot in Lev 19,18 sehr allgemein auf den „ רעNächsten“ und nicht explizit nur auf den „Volksgenossen“ bezogen war, konnte sich dieser Satz wirkungsgeschichtlich in der Folgezeit zu einer ethischen Spitzenaussage im Judentum und im Christentum entwickeln. Die Zusammenstellung von רעmit „ בני־עמךSöhne deines Volkes“ in 18b lässt jedoch nur den Schluss zu, dass רעhier gleichermaßen der „Volksgenos90 Nach BECKING 2009, 183 bezeichnet dieses Verb die tätige Nächstenliebe. Ähnlich HIEKE 2014b, 731. 91 Vgl. hierzu CRÜSEMANN 1992, 377: „Gemeint ist, dem Nächsten alles Gute tun, wie man es für sich selbst tut.“ MALAMAT 1990, 114, schlägt als deutsche Übersetzung vor: „Sei hilfreich/behilflich deinem Nächsten wie dir selbst“. Dadurch bleibt allerdings der Aspekt des liebevollen Helfens unberücksichtigt und die Semantik von אהבlöst sich von der Grundbedeutung. 92 Vgl. GRÜNWALDT 1999, 238; MILGROM 2008, 1653. Ähnlich MATHYS 1986, 13: „Hilf deinem Nächsten, wenn er sich in Schwierigkeiten befindet und tatkräftiger Unterstützung bedarf, so wie du ja selber dafür schaust, daß du keine Not leidest und es dir gut geht.“ Auch nach ALLBEE 2006, 165; KAMINSKY 2008, 125, hat das Liebesgebot praktische Folgen. KIUCHI 2007, 36f., hingegen schließt den Handlungsaspekt von אהבkategorisch aus. Dagegen aber zu Recht HIEKE 2014b, 731. 93 Vgl. MILGROM 2008, 1653: „all four attestations of ʾāhab le imply doing, not feeling“. Vgl. hierzu ebenso CRÜSEMANN 1992, 377: „Gemeint ist, dem Nächsten alles Gute tun, wie man es für sich selbst tut.“ Ähnlich MALAMAT 1990, 113: „providing assistance“, „being useful“, „to be of use to“, „to be beneficial to“, „to assist“ bzw. „to serve“. 94 Vgl. zum Problem HERRMANN 1999, 109 Anm. 32; MILGROM 2008, 1654.
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se“ sein muss. Im apodiktischen Zentralteil wird ohnehin mit vier verschiedenen Begriffen gespielt, die sich alle auf den „Volksgenossen“ beziehen: עמית „Volksgenosse“ in v.11.15.17, „ רעNächster“ in v.13.16.18, „ עםVolk“ in v.16.18 und „ אחBruder“ in v.17. Aufgrund eines solchen Verweissystems von Begriffen, die annähernd als Synonyme zu betrachten sind, wird auch רע nicht den Volksfremden, sondern den Angehörigen des eigenen Volkes bezeichnen. Hinzu kommt, dass zwischen der geforderten Liebe gegenüber dem Volksangehörigen in v.18 und gegenüber dem fremden Beisassen, der dauerhaft in Israel wohnt, in v.34 unterschieden wird, was nur dann sinnvoll ist, wenn sich רעzumindest auf Endtextebene nicht auf den „Nächsten“ im allgemeinen Sinne bezieht. Während in v.34 also der Fremde in den Blick genommen wird, kann mit dem רעeigentlich nur der Israelit gemeint sein.95 Das ist schon vor dem historischen Hintergrund verständlich, da man noch nicht global dachte, sondern nur die Menschen berücksichtigte, die in unmittelbarer Nähe lebten und zu denen man auch Kontakt haben konnte. Darüber hinaus wird רעoft aufgrund des Kontextes in v.17–18 als Feind verstanden, so dass man hier sogar ein Feindesliebesgebot hätte.96 Abgesehen davon, dass hier nicht der Bruder oder der Volksgenosse explizit angesprochen wird, sondern ganz allgemein lediglich von dem Nächsten die Rede ist, der freilich aufgrund des Kontextes ebenfalls ein Israelit sein muss, wird nicht gesagt, dass der schuldig gewordene Mitmensch tatsächlich zum Feind geworden ist. Ähnlich wird in der Ausweitung des Liebesgebotes auf den Fremden in Lev 19,33–34 nirgendwo festgestellt, dass der Fremde ein Feind ist. Insofern dreht es sich in Lev 19,18 ganz allgemein um den israelitischen Volksgenossen, dem man bei persönlichen Konflikten dann Liebe erweist, wenn man die vorausgegangenen Verbote beherzigt.97 Schließlich ist die Rezeption von Lev 19,18 in der Bergpredigt nur dann verständlich, wenn hier nicht explizit der Feind im Blick ist. Denn Mt 5,43 differenziert das Nächstenliebegebot folgendermaßen: „Ihr habt gehört, dass gesagt ist: Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen“. Weder ist in Lev 19,18 von einem Feind noch von einem Hassen des Feindes die Rede.
95 Vgl. hierzu LUCIANI 1992, 232; KAMINSKY 2008, 123; REINBOLD 2010, 116. Ausführlich zum Problem des רעMATHYS 1986, 31–40. Nach MOENIKES 2007, 151 ist mit „Nächster“ aber nicht nur der Israelit, sondern auch der Fremde gemeint, der ebenfalls im Land lebt. 96 Vgl. MATHYS 1986, 81; CRÜSEMANN 1992, 376; RUWE 1999, 205; WAGNER 2005, 11 Anm. 29; MOENIKES 2007, 152. 97 Ähnlich auch NIHAN 2007, 474 Anm. 304.
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3.4.4 Zur Syntax von כמוך Die meisten Übersetzungen deuten כמוךals reflexives Adverbiale. Jedoch wird ein Reflexiverhältnis meist mit einem anderen Idiom gebildet ()כנפשׁך,98 auch wenn die Deutung von כנפשׁךals reflexives Adverbiale ebenfalls unsicher ist.99 Zumindest scheiden für die Deutung von כנפשׁךals reflexives Adverbiale die einschlägigen alttestamentlichen Stellen aus, auf die immer wieder verwiesen wird.100 Denn in den David-Jonatan-Erzählungen findet sich das Idiom אהב כנפשׁוzwar an drei Stellen,101 aber es ist in diesen Erzählungen keine Selbstbezüglichkeit zu erkennen. Vielmehr ist hier eine konkrete Bedeutung im Blick: Jonatan liebte David wie seine eigene נפשׁ. Er war folglich auch bereit, sein eigenes Leben, also seine נפשׁ, für den Freund hinzugeben, zumal er aufgrund seiner Freundschaft zu David den Zorn Sauls auf sich zog.102 Somit liegt eine semantische Differenzierung des Idioms אהב כנפשׁו gegenüber אהב כמוךvor. Auch Dtn 13,7 („ רעך אשׁר כנפשׁךdein Nächster, der wie dein Leben ist“) – ein Beleg, der die größte Nähe zum Liebesgebot aufweist – stützt keinesfalls ein reflexives Verständnis. Hier gilt der Nächste als so viel wert wie das eigene Leben. Aus alledem folgt: Die beiden Präpositionalverbindungen כמוךund כנפשׁךkönnen schlechterdings nicht miteinander gleichgesetzt werden.103 Beide Präpositionalverbindungen sind weder 98
Vgl. EHRLICH 1909, 65; HERRMANN 1999, 112. SCHÜLE 2001a, 521, weist zusätzlich darauf hin, dass כנפשׁ+ enklitisches Personalpronomen nicht bedeutungsgleich mit כ+ enklitisches Personalpronomen sei, da es – abgesehen von der vorliegenden Stelle – noch weitere Belege von כ+ enklitisches Personalpronomen mit reflexivem Charakter geben müsse, was aber offenbar nicht der Fall ist. 99 Kritisch SCHÜLE 2001a, 521–523, der die reflexive Selbstbezüglichkeit der Formel כנפשׁךbezweifelt. 100 Es soll hier allerdings nicht behauptet werden, dass das Substantiv נפשׁin keinem Fall Reflexivität andeuten könnte, vgl. nur Lev 11,43.44; 16,29.31; 20,25; 23,27.32; Num 29,7; Jer 22,27; 44,14. Vgl. zur Verwendung von Nomina zur Bezeichnung von Reflexivität BRSYN § 80c. 101 1Sam 18,1.3; 20,17. KIUCHI 2007, 38 sieht hingegen diese Stellen auf die Weisung von Lev 19,18 bezogen: „The David-Jonathan relationship represents, though a rarity in the Old Testament, a fulfillment of the command in Lev 19,18b.“ BARBIERO 1991, 288, verweist noch auf analoge Stellen im weisheitlichen hebräischen Sirachbuch. 102 Vgl. hierzu SCHÜLE 2001a, 522: „Vielmehr geht es um die stellvertreterische Preisgabe der eigenen נפשׁ, der eigenen Seele, zugunsten des anderen.“ Auch die neuassyrischen Vasallenverträge haben ein hierzu analoges Idiom râmu kīma napištika, das sich auf die Vasallentreue gegenüber dem Oberherrn bezieht. 103 Im Gegensatz dazu sind für BARBIERO 1991, 288, die beiden Idiome כמוךund כנפשׁךäquivalent. Dagegen aber mit Recht SCHÜLE 2001b, 110–114; VINCENT 2006, 110. Freilich gibt es auch eine analoge Bedeutungsgleichheit von לנפשׁ+ enklitisches Personalpronomen und ל+ enklitisches Personalpronomen, vgl. Dtn 4,15.23, ohne dass hier eine semantische Differenzierung greifen muss. Hier tritt נפשׁwohl als Verstärkung hinzu. BARBIERO 1991, 287 Anm. 118, weist noch auf Num 30,5–12 hin, wo mitunter על נפשׁ+
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semantisch identisch, noch können sie ein Reflexivverhältnis ausdrücken. Auch die griechische Wiedergabe καὶ ἀγαπήσεις τὸν πλησίον σου ὡς σεαυτόν mit einem Reflexivpronomen bietet lediglich ein spezifisches Verständnis, aber keine exakte Wiedergabe des hebräischen Textes.104 Gegen die reflexive Deutung von כמוךspricht außerdem der Umstand, dass die LXX nur hier die Fügung כ\כמו+ enklitisches Personalpronomen mit einem Reflexivpronomen wiedergibt.105 Eine Deutung von כמוךals reflexives Adverbiale muss also definitiv ausscheiden. Die präpositionale Wendung כמוךkönnte hingegen möglicherweise als Attribut zu רעverstanden und folglich mit „der dir gleich ist“ übertragen werden,106 auch wenn man für eine solche Übersetzung an sich entweder einen asyndetischen Nominalsatz כמוך הואoder die vollständigere Fassung אשׁר אישׁ כמוךerwarten würde.107 Für den attributiven Gebrauch von כ+ enklitisches Personalpronomen gebe es sogar mehr Beispiele als für die Verwendung mit Relativpronomen.108 Daher sei nicht ausgeschlossen, ebenso in Lev 19,18 eine solche attributive Deutung zu vermuten. Hierfür spreche zwar nicht die Lesart der LXX, aber doch die Übersetzung einiger Versionen.109
enklitisches Personalpronomen und על+ enklitisches Personalpronomen identisch sind. Allerdings könnte hier durchaus zwischen beiden Idiomen bewusst unterschieden sein. 104 Vgl. HERRMANN 1999, 114. Zur LXX-Tradition vgl. VINCENT 2006, 111–113, der vermutet, dass sich die griechische Übersetzung einer Beeinflussung durch die so genannte Goldene Regel verdankt habe. 105 Vgl. hierzu HERRMANN 1999, 109–112. 106 Nach SCHÜLE 2001a, 526, ist „der attributive Gebrauch präpositionaler Ausdrücke nicht nur möglich, sondern durchaus häufig“, vgl. hierzu SCHÜLE 2001b, 115–120, mit zahlreichen Beispielen. Auf diese syntaktische Möglichkeit weist JENNI 1990, 145, hin: „Weiter gilt es zu beachten, daß das Präpositionale nicht nur als zweites unabhängiges Objekt, sondern auch als attributive Näherbestimmung zum Objekt hinzutreten kann.“ Kritisch hierzu MOENIKES 2007, 15 Anm. 7. 107 Ähnlich MURAOKA 1978, 294, der diese Konstruktion als „non-restrictive relative clause“ deutet, indem er den Ausdruck רעך כמוךsyntaktisch wie רעך אשׁר הוא כמוךoder רעך אשׁר כמוךauffasst. Zu dieser elliptischen Redeweise vgl. HERRMANN 1999, 114, der zudem auf Ij 9,32; 35,8 und Neh 6,11 hinweist. Jedoch sind dort die syntaktischen Verhältnisse kompliziert: In Ij 9,32 liegt ein Nominalsatz mit getilgtem Subjekt vor, in Ij 35,8 sowie Neh 6,11 ist כמוךein Attribut zu אישׁ. 108 Folglich seien Übersetzungsvarianten auszuschließen, die das Präpositionalobjekt resultativ oder konditional verstehen, nämlich „liebe deinen Nächsten, damit er dir gleicht“ oder „liebe deinen Nächsten, wenn er dir gleicht“. Vgl. hierzu NEUDECKER 1992, 506. Vgl. hierzu MURAOKA 1978, 293: Dtn 18,15.18; Ij 35,8; Neh 6,11; 13,26; 2Chr 35,18 vs. Gen 44,15; 2Sam 9,8. Zu den attributiven Fällen vgl. noch Ex 10,14; 1Kön 13,18; Mi 7,18; Ij 9,32; mit Voranstellung des Attributs 1Kön 3,13; Ij 1,8; 2,3; 36,22; mit Tilgung des Objekts, auf das sich das Attribut bezieht Ex 30,32. 109 Vgl. SCHÜLE 2001a, 527, der auf Targum Neofiti und Targum Onkelos verweist. Vor allem Targum Pseudojonatan hat eine relativische Konstruktion, die eine adverbiale
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Bei einem solchen Verständnis sei nicht die Selbstliebe das Maß der Nächstenliebe, sondern die Gleichheit aller Menschen stehe hier im Mittelpunkt.110 Auf dem Hintergrund eines solchen Verständnisses ist 18c sogar eine „Aussage von nahezu ontologischer Qualität“,111 die nicht eingeschränkt werden dürfe. Insofern solle die Nächstenliebe nicht am Verhalten des anderen gemessen oder nur dann gewährt werden, wenn der Nächste dieselben ethischen Standards lebt. Auch solle die Nächstenliebe nicht geübt werden, damit sich der Nächste in seinem Wesen annähert. Die Nächstenliebe in 18c ist ja das Resultat aus der Einhaltung der vorausgegangenen Weisungen. Der Nächste sei folglich wesensgleich, unabhängig von seinem Verhalten oder der Beziehung zu ihm. Die Gleichheit des Nächsten könne mitunter als Gleichbedürftigkeit verstanden werden, die für das soziale Leben grundlegend ist. Jeder Mensch wäre somit in seinen Sozialkontakten gleichbedürftig nach Liebe. Insofern stützen sich die beiden Aussagen der Nächstenliebe und der Gleichheit/Gleichbedürftigkeit.112 Eine solche universale Ausweitung der Nächstenliebe, basierend auf der Gleichheit, sei nur aufgrund des Kontextes auf Israel eingegrenzt, kann aber anthropologisch universell gedeutet werden. Deshalb wäre auch die These zu relativieren, dass erst das Neue Testament das Liebesgebot ausgeweitet habe, während das Alte Testament noch nationalistisch gedacht hätte.113 Denn der Gedanke der Gleichbedürftigkeit sei eine anthropologische Grundkonstante und gilt auch jenseits nationaler und religiöser Beschränktheit. Die Gleichheit des Mitglieds der JHWH-Gemeinde werde zudem noch durch die folgende Selbstvorstellungsformel begründet, nämlich „Ich (bin) JHWH [der Gott des einen und des anderen]“.114 Da JHWH der Gott des einen und des anderen ist, seien beide Menschen vor JHWH gleich und bedürfen folglich der gleichen Zuwendung von Liebe. Gegen die attributive Deutung kann man jedoch inhaltlich einwenden, dass zumindest in Lev 19,34 von einer Gleichsetzung zwischen dem Fremden und dem Volksgenossen nicht ausgegangen werden kann.115 Diesem Einwand könnte man allerdings begegnen, indem man hier nicht eine Gleichheit, sonDeutung nahezu ausschließt. KROCHMALNIK 2014, 84 weist noch auf die frühjüdische Auslegungstradition hin. 110 HERRMANN 1999, 114: „Weil alle Menschen als Gottes Geschöpfe gleich sind, liegt das dieser Gegebenheit adäquate Verhalten zueinander in gegenseitig achtender und fördernder Liebe.“ Vgl. hierzu REINBOLD 2010, 117f. 111 SCHÜLE 2001a, 516. Ähnlich HIEKE 2014b, 734. 112 Vgl. SCHÜLE 2001a, 531: „Liebe, so läßt sich zusammenfassend formulieren, ist die grundlegende Form jedweden sozialen Lebens, weil sie auf der elementaren anthropologischen Bestimmung von Gleichheit als einer Gleichbedürftigkeit aufruht.“ Ähnlich auch HIEKE 2014a, 76. 113 Vgl. SCHÜLE 2001a, 533. 114 Vgl. VINCENT 2006, 109. 115 Vgl. MATHYS 1986, 8.
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dern lediglich eine Gleichbedürftigkeit vermutet: Auch der Fremde hat Liebe nötig wie jeder Mensch. Die epexegetische Ergänzung כמוךwäre dann eine anthropologische Spitzenaussage und nicht eine Verflachung von sozialen oder ethnischen Relationen.116 Dieses Argument gegen eine attributive Deutung ist folglich schwach. Schwerwiegender gegen die Deutung von כמוךals Attribut spricht jedoch die parallele Stelle in Lev 19,34, bei der כמוךanalog das enklitisches Personalpronomen in לוnäher bestimmen müsste, was syntaktisch singulär wäre und daher wohl ausgeschlossen werden kann.117 Insofern muss nach einer anderen Deutung gesucht werden, die beide Stellen erklären kann und nicht nur für Lev 19,18 möglich ist: a) Angesichts dieser Problemanzeige wurde gelegentlich erwogen, dass in v.34 keine Präpositionalverbindung, sondern ein Substantiv mit enklitisches Personalpronomen „dein Ähnliches“ vorliegen könnte,118 ein Idiom, das aber nur hier zu finden wäre, was massiv gegen eine solche Verlegenheitslösung spricht. b) Die Annahme einer Brachylogie119 – כמוךsei eine Kurzform eines selbständigen Satzes „er ist wie du“ – ist problematisch, da eine Präpositionalverbindung mit כnur in unselbständigen Relativsätzen zur Näherbestimmung eines Nomens für sich alleine stehen kann.120 c) Syntaktisch könnte eine Handlungswiederholung mit einem anderen Objekt vorliegen, also „du sollst deinen Nächsten lieben wie (du) dich selbst (schon immer liebst)“.121 Agens (du) und Verbum (lieben) bleiben in beiden Satzteilen gleich und können folglich eingespart werden, so dass nur das 116 Schon EHRLICH 1909, 65, erklärt כמוךepexegetisch: „der wie du ein Israelit ist“. Nichtisraeliten seien zunächst von diesem Gebot ausgeschlossen gewesen, was v.34 nötig machte. Auch VINCENT 2006, 110, betont, dass es in v.34 um ein anderes Verständnis von Gleichheit geht, nämlich „d’une égalité de condition, de dépendance de la bienveillance de l’autre, d’une égale fragilité dans une société toujours menacée de désintégration“. 117 Vgl. MURAOKA 1978, 295. Ähnlich MILGROM 2008, 1655. Dies übersieht SCHÜLE 2001b, 122, wenn er festhält: „Die Grammatik des Liebesgebots ist dieselbe wie in 19,18 und bedarf insofern keiner eigenen Betrachtung.“ 118 Vgl. MURAOKA 1978, 295. 119 Vgl. hierzu ULLENDORF 1966, 276. 120 Gegen die Deutung als selbständiger Neben- oder Hauptsatz zu Recht MATHYS 1986, 9; MILGROM 2008, 1655. 121 Vgl. hierzu JENNI 1990, 145f.; JENNI 1994, 110. Nach KIUCHI 2007, 38–40, bezeichnet die Präposition כhier „exact similitude“, also „exactly like yourself“. Dadurch wird aber diese Weisung kaum durchführbar. Außerdem sei gerade das Liebesgebot in v.18 gegen jede Egozentrik gerichtet: „There lies an abyss between human efforts to observe this law and holiness itself, namely, the egocentric nature. Only if one’s egocentric nature is destroyed can one be said to be holy“ (ebd. 47).
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veränderte Objekt (dich anstelle von deinen Nächsten) im Vergleichssatz übrigbleibt ( לך+ )כמו. Eine solche syntaktische Ansetzung ist insofern möglich, als die Präposition ל, die im Vergleich hinter כמו\כzur Anzeige des Objekts stehen müsste, ausfallen kann.122 Eine bisherige Norm wird damit auf weitere Elemente ausgedehnt. Die Selbstliebe ist demzufolge die Grundvoraussetzung, dem Nächsten bzw. Feind in Liebe zu begegnen.123 Diese Selbstliebe darf allerdings nicht mit Egoismus verwechselt werden. Nur wenn man verantwortungsvoll für die rechte Entfaltung der eigenen Person Sorge trägt, kann man den Nächsten lieben. Der Begriff der Selbstliebe ist dem Alten Testament zudem nicht unbekannt:124 So geht es in Spr 19,8 nämlich um richtige Selbstliebe. Die Zeitlage des verkürzten Vergleichssatzes in 18c muss jedoch aus dem Kontext erschlossen werden.125 Zwei Übersetzungsvarianten wären für die Handlungswiederholung möglich: „Du sollst deinen Nächsten lieben, wie du dich (auch) selbst lieben sollst“ oder „Du sollst deinen Nächsten lieben, (so) wie du dich selbst liebst“.126 Im ersten Fall wäre damit direkt eine Selbstliebe verbunden. Im zweiten Fall wäre die Nächstenliebe eine Ableitung aus der Selbstliebe. Die Nächstenliebe wäre somit ein Ergebnis der Sozialisation. d) Gegen die syntaktische Ansetzung einer Handlungswiederholung mit anderem Objekt spricht jedoch der Umstand, dass nur die beiden Belege in Lev 19,18.34 eine Identität von getilgtem Subjekt und durch enklitisches Personalpronomen ausgedrücktem Objekt, nämlich „wie (du) dich (liebst)“, im verkürzten Vergleichssatz aufweisen.127 Alternativ könnte man dem Handlungsaspekt des Idioms אהב+ לdadurch mehr Rechnung tragen, dass man ein getilgtes Objekt einträgt, nämlich „Du sollst (das Gute) für den Nächsten lieben, wie (du das Gute) für dich (liebst)“.128 Aber auch hier hätte man eine
122
Vgl. GK § 118s–w mit zahlreichen Beispielen für den Verzicht auf die entsprechende Präposition nach כ. Für die Elision von לnach כvgl. JENNI 1990, 146. 123 HERRMANN 1999, 107, weist darüber hinaus auf die psychoanalytische Theoriebildung hin: „Die eigene Person zu akzeptieren sei eine Grundvoraussetzung für die Zuwendung zu anderen Menschen.“ 124 Vgl. MATHYS 1986, 14; SCHENKER 2012, 248. Kritisch hierzu allerdings BECKING 2009, 184. 125 JENNI 1994, 110, nimmt entweder einen Vergleich mit einer früheren oder einer generellen Situation an. 126 Vgl. SCHÜLE 2001a, 519. 127 Hinzu kommt, dass die anderen beiden Belege, bei denen es sich ebenfalls um einen Personenvergleich handelt, nicht als reflexiv zu bewerten sind: Dtn 3,20; Jos 1,15 (Hier ist JHWH Subjekt und euch, also nicht ihm oder sich, Objekt.) Nur in 1Sam 18,1.3 liegt mit der Präpositionalverbindung כנפשׁוein reflexives Verhältnis nahe. Aber im Unterschied zu Lev 19,18.34 steht hier zusätzlich נפשׁ. 128 Vgl. hierzu MILGROM 2008, 1655.
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Identität von getilgtem Subjekt und durch enklitisches Personalpronomen ausgedrücktem Objekt, was wiederum singulär wäre. e) Die bislang vorgetragenen Deutungsversuche sind syntaktisch also problematisch, so dass im Folgenden nach einer anderen Lösung gesucht werden muss, die ohne unnötige Zusatzannahmen auskommt und bei den beiden Stellen Lev 19,18.34 angewendet werden kann. In Lev 19,18.34 liegt vermutlich ein verkürzter Vergleichssatz vor, der das Objekt beider Sätze miteinander vergleicht, nämlich „so dass du Liebe erweist deinem Nächsten wie (man Liebe) dir (erweist)“.129 Bei den Objektvergleichen, die eine Nachahmung wie das Vorbild beschreiben,130 ist meist ein unbestimmtes Subjekt „man“ im verkürzten Vergleichssatz anzugeben. Die Deutung als Objektvergleich trägt darüber hinaus der Tatsache Rechnung, dass auf diese Weise der Handlungsaspekt des Idioms אהב+ לbesonders berücksichtigt wird. Es geht folglich nicht um eine Selbstliebe, sondern um die bereits erfahrene oder in Zukunft erhoffte Liebe, mit der die Aussage des Hauptsatzes verglichen werden soll. Durch diese Deutung lassen sich zudem beide Stellen Lev 19,18.34 adäquat beschreiben. Nach dieser Interpretation soll die liebevolle Zuwendung, die man entweder schon erfahren hat oder die man vom Anderen erhofft, dem Nächsten bzw. dem Fremden ebenfalls gewährt werden. Die Parallelstelle Lev 19,34 ist aus mehreren Gründen schwierig. Im Folgenden Absatz sollen vor allem die literarkritischen Probleme in den Blick genommen werden, zumal hier offenbar andere Bibelstellen kritisch rezipiert worden sind. 3.4.5 Die Parallelstelle Lev 19,33–34 Die beiden Verse markieren ihren Adressaten abwechselnd im Singular und im Plural, was als literarkritisches Problem notiert werden muss:131
129 Vgl. hierzu Rubrik 34 bei JENNI 1994, 93–96. Das allgemeine Schema wäre hierfür: „x1 behandelt x2 wie (man = y1) y2 (behandelt).“ Im Ergebnis ähnlich BECKING 2009, 185, der allerdings von einem elliptischen Satz ausgeht: „as you hope that he will love you“. 130 JENNI 1990, 143f., unterscheidet zwei Muster der Objektvergleiche: mit gleichem Subjekt liegt das Schema „Präzedenzfall – Wiederholung“ vor, mit unterschiedlichem Subjekt das Schema „Vorbild – Nachahmung“. 131 BULTMANN 1992, 177, geht sogar soweit, dass er hier drei Stadien des Textes erkennen will: I) pluralischer Grundbestand v. 33*[ohne bei dir].34c.d, II) singularische Ergänzung 33[bei dir].34b und schließlich III) Gleichordnungsbestimmung 34a. Jedoch wird die Differenz im Numerus auf die Übernahme von vorliegenden Formulierungen zurückgehen, so dass hier nicht notwendigerweise literarkritisch gearbeitet werden muss.
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33a Und wenn als Fremder wohnt bei dir132 ein Fremder – in eurem Land –, b sollt ihr ihn nicht unterdrücken. 34a Wie ein Einheimischer133 unter euch soll euch der Fremde sein, der bei euch als Fremder wohnt, b und du sollst ihm Liebe erweisen wie (man) dir (Liebe erweist). c Denn Fremde134 seid ihr gewesen im Land Ägypten. d Ich bin JHWH, euer Gott. Dieser überraschende Wechsel im Numerus erklärt sich aufgrund der redaktionellen Aufnahme von vorgefundenen Formulierungen. Insofern ist ein solch auffälliger Wechsel leicht zu erklären. Singular wird lediglich in den Sätzen 33a und 34b verwendet. Die Verwendung des Singulars lässt sich folgendermaßen deuten: a) Die singularische Formulierung in 33a schließt bestens an das Vorausgegangene an.135 Denn v.32 ist ebenfalls singularisch gehalten. Allerdings ist 32c.d mit 14c.d wörtlich identisch, und in 15a folgt eine Aussage im Plural, so dass auch in v.33 eine pluralische Fortführung nicht ungewöhnlich gewesen wäre. Aber ein singularischer Anschluss ist zumindest syntaktisch geschickter als die Verwendung eines Plurals. b) Der singularische Satz 34b ist hingegen eine fast wörtliche Aufnahme von 18c. Nur das Präpositionalobjekt ist ausgetauscht. Statt לרעךsteht hier לו, was zumindest den attributiven Anschluss von כמוך, wie bereits gesehen, ausschließt. Die auffällige Verwendung des Plurals lässt sich in den meisten Fällen ebenfalls leicht begründen: a) Manchmal wird zwar vermutet, dass in 33a zwischen „bei dir“ und „in eurem Land“ eine Bedeutungsdifferenz festzustellen sei und dass erst der Zusatz „bei dir“ den „Fremden“ auf die Gesamtheit der Angeredeten bezogen und nicht mehr explizit im Land verortet habe.136 Allerdings verbindet sich das Idiom גור גרnur hier mit ארץ, sonst meist mit בתוךoder mit der Präposition את.137 Insofern ist „in eurem Land“ vermutlich Zusatz und nicht die Prä132
Eine hebräische Handschrift, Sam und andere Versionen lesen hier Plural, vgl. ELLI244, was eine Vereinfachung und Angleichung an den Kontext darstellt. 133 Zum Begriff vgl. LEVINE 1989, 134; MILGROM 2008, 1705f.; HIEKE 2014b, 755. 134 ZIPOR 1991, 333, weist darauf hin, dass die LXX hier bewusst die Wurzel גורgleich übersetzt hat, auch wenn Israel in Ägypten nie Proselyt gewesen ist: „C’est pour mettre en relief l’enseignement.“ 135 CHOLEWIŃSKI 1976, 50 vermutet hier hingegen einen Schreibfehler. 136 Vgl. BULTMANN 1992, 178. 137 Vgl. Ex 12,48; Lev 19,33.34; Num 9,14; 15,14.16; Ez 47,23. Nur Lev 20,2 und Ez 14,7 haben בישׂראל. GER 1966,
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positionalverbindung „bei dir“. Während „in eurem Land“ aufgrund von Lev 20,2 motiviert sein könnte, scheint „bei dir“ also kein Nachtrag zu sein, sondern zum ursprünglichen Idiom zu gehören. b) Die Pluralform in 33b überrascht, da das Verbot der Unterdrückung des Fremden in Ex 22,20 im Singular formuliert wurde. Allerdings ist dort der Singular textkritisch auch nicht über jeden Zweifel erhaben,138 so dass durchaus die Vorlage des Autors von Lev 19 den Plural gehabt haben könnte. Hier kommt man über Vermutungen nicht mehr hinaus. c) Der Plural „euch“ in 34a erklärt sich aus der allgemeinen Verwendung der Wurzel גור, die im Buch Levitikus – abgesehen von Lev 19,33 – immer mit einer pluralen Größe „in eurer/ihrer Mitte“ verbunden wird.139 d) In 34c liegt darüber hinaus eine wörtliche Wiederaufnahme aus Ex 22,20 vor, die ebenfalls den Plural beibehalten konnte, zumal dann die Langform der Selbstvorstellungsformel bestens anschließt. Außerdem stimmt 34c wörtlich mit Dtn 10,19b überein.140 Die Anweisung zur Fremdenliebe steht in Dtn 10,19a zudem im Plural, was im Vergleich zu Lev 19,34b lectio facilior wäre. Im Gegensatz zu Lev 19,34 fehlt in Dtn 10,19a beim Liebesgebot darüber hinaus die vergleichende Präpositionalverbindung כמוך.141 Zudem ist das Objekt in Dtn 10,19a mit der nota accusativi angeschlossen, was wahrscheinlich semantisch differenziert werden muss. Aufgrund der anderen syntaktischen und semantischen Formulierung und des wechselnden Numerus in 34b kann Dtn 10,19a nicht die Vorlage gewesen sein. Der Numeruswechsel in 34b verdankt sich der Aufnahme aus 18c, während Dtn 10,19b nur für 34c herangezogen worden ist. In Dtn 10,17–19, einer Parallelstelle zu Lev 19,34, wird besonders die Liebe Gottes zum Fremdling betont: „Denn JHWH, euer Gott, er ist der Gott der Götter, ... der den Fremden liebt, so dass er ihm Brot und Kleidung gibt. Auch ihr sollt den Fremden lieben; denn Fremde seid ihr gewesen im Land Ägypten.“ Diese Weisung wird durch das vorgängige Handeln Gottes theologisch begründet. Die praktizierte Liebe zum Fremdling ist somit imitatio
138 LXX und Sam lesen in Ex 22,20 Plural. Allerdings ist der Singular in Ex 22,20 die lectio difficilior und sollte deshalb höchstens mit guten Gründen abgeändert werden. 139 Vgl. Lev 16,29; 17,8.10.12.13; 18,26; 19,34. CHOLEWIŃSKI 1976, 50, hingegen deutet 34a als späteren Zusatz aufgrund des Wortpaares גר// אזרח. 140 Vgl. hierzu CHOLEWIŃSKI 1976, 274–276. Zu einer Verbindung von Lev 19,34 und Dtn 10,19 vgl. KIM 2011, 68. 141 Der Zusatz der Präpositionalverbindung כמוךist nach NIHAN 2007, 475 die spezifische Innovation des Heiligkeitsgesetzes: Die Liebe zum Fremden werde damit begründet, dass der Fremde mit dem Einheimischen gleichgestellt wird. Deshalb müsse ihm die gleiche Solidarität und Loyalität zukommen.
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Dei.142 In Lev 19,34 fehlt hingegen eine solche Begründung. Hier wird lediglich auf die eigene גר-Existenz Israels in Ägypten hingewiesen. Von einer imitatio Dei ist hier noch nicht explizit die Rede.143 Die Heiligkeitsforderung von Lev 19,2, die durch die abschließende Selbstvorstellungsformel ebenfalls in die Weisung von Lev 19,33–34 hereingeholt wird, impliziert jedoch für das Volk Israel eine besondere Art der imitatio Dei. Denn die einzig adäquate Antwort Israels auf die Heiligkeit JHWHs ist die eigene Heiligung, wobei die Zuwendung JHWHs gegenüber Israel – geschehen im Exodusereignis – sachlich und zeitlich vorausgeht. Indem Israel den Fremden Liebe erweist, heiligt es sich und partizipiert an der Heiligkeit JHWHs durch die Nachahmung JHWHs, auch wenn dies nicht wie in Dtn 10 explizit ausgedrückt werden muss. 3.4.6 Zur theologischen Deutung des Liebesgebotes Die oben besprochenen syntaktischen Erwägungen lassen eine Deutung des schwierigen Satzes zu, die auch in der Parallelstelle in 34b möglich ist, nämlich „so dass du Liebe erweist deinem Nächsten wie (man) dir (Liebe erweist/erweisen soll)“. Es geht hier zum einen bei der geforderten Liebe nicht um ein Gefühl, das man dem Nächsten bzw. dem Fremden entgegenbringt, sondern um tätige Liebe. Zum anderen ist dieser Vergleich die Folge aus den zuvor genannten Weisungen. Indem man alle von Hass geprägten Handlungen gegenüber seinem Mitmenschen unterlässt, wird diese Form von tätiger Nächstenliebe konkret.144 Die vergleichende Präpositionalverbindung bewirkt zudem nicht eine Gleichsetzung zwischen Nächsten, Fremden und Einheimischen, was nur bei einem attributiven Verständnis möglich wäre („der wie du ist“), sondern stellt eine besondere Form der Goldenen Regel vor: Man soll dem Nächsten Liebe erweisen, wie man auch vom Anderen erwartet, dass er einem mit tätiger Liebe begegnet. Die Wechselseitigkeit in der Praxis der Liebe steht folglich im Hintergrund des Gebots von Lev 19,18.34.145 Begründet wird dies darüber hinaus nicht mit der Gleichheit bzw. Gleichbedürftig-
142
Vgl. CHOLEWIŃSKI 1976, 275: „Die menschliche Liebe zum Fremdling soll die Nachahmung der göttlichen sein.“ 143 Ähnlich CHOLEWIŃSKI 1976, 275f.: „Das Modell der Liebe zum Fremdling ist nicht die Gottesliebe, sondern die menschliche Liebe, mit der jeder Mensch sich selbst liebt.“ 144 SCHENKER 2012, 246f. weist darauf hin, dass die zuvor genannten Verfehlungen gegenüber dem Nächsten nicht auf einen selbst bezogen werden können, da man gegen sich nicht hinterlistig oder ausbeuterisch auftreten kann. Hier werden folglich die eigene Person, die man nicht hintergehen kann, und die andere Person, die man nicht hintergehen darf, miteinander verglichen. Man soll somit all das, was man ohnehin nicht gegen sich selbst anwenden kann, auch im gesellschaftlichen Miteinander unterlassen. 145 Vgl. BECKING 2009, 186.
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keit aller Menschen, sondern mit dem vorgängigen Heilshandeln Gottes an Israel. Während man bislang annahm, dass sich die Goldene Regel im Alten Testament nur in den deuterokanonischen Schriften Tob 4,15 und Sir 31,15 finden lässt, ist diese Konzeption wohl bereits in Lev 19,18.34 anzutreffen. In Lev 19,18.34 drückt sich gleichermaßen eine positive Lebenserfahrung aus, die allen Menschen unmittelbar einsichtig ist. Die Eigenerwartung ist demnach der Maßstab für jedes zwischenmenschliche Verhalten. Jeder Mensch sehnt sich nach Liebe. Diese erwartete Sehnsucht bzw. die Erfahrung von Liebe soll man logischerweise in der Begegnung mit dem Anderen ebenfalls erfüllen. Die klassische Übersetzung des Nächstenliebegebots „wie dich selbst“, die diese Weisung bereits in den Geltungsbereich der Goldenen Regel stellt, ist demgegenüber abzulehnen, da die Präpositionalverbindung כמוךnie als reflexives Adverbiale eintreten kann. In Lev 19,18.34 geht es um einen Vergleich der Nächstenliebe nicht mit der Selbst- bzw. Eigenliebe, sondern mit der von anderen Menschen erwarteten Liebe. Was man an tätiger Liebe selbst erhofft, sollte man dem Anderen genauso zukommen lassen. Diese Art von Nächstenliebe zeigt sich besonders in der Einhaltung der zuvor genannten Weisungen. Außerdem wird durch die abschließende Begründung in 34c herausgestellt, weshalb der Fremde genauso liebenswert ist wie der Einheimische. Da Israel selbst das Schicksal als Fremder in Ägypten geteilt hat, unterscheidet sich der Fremde in Israel kaum von dem Einheimischen. Insofern muss man auch ihn liebevoll annehmen. Die von dem Fremden wie dem Einheimischen geteilte Erfahrung ist folglich der Grund dafür, auch dem Fremden Liebe zu erweisen.146 Lev 19,34 ist somit eine weitere Auslegung des Liebesgebotes, das bereits in der apodiktischen Sammlung in Lev 19,18 genannt worden ist. Das Liebesgebot, das nach Lev 19,18 für den Nächsten galt, wird jetzt explizit auf den Fremden ausgeweitet. Der Fremde, der dauerhaft als Schutzbürger in Israel lebt, wird damit dem Einheimischen gleichgestellt. In Lev 19,33–34 wird damit der Geltungsbereich des Liebesgebotes auf den Fremden erweitert, der dauerhaft in Israel lebt. Infolgedessen bezieht sich diese Regelung auch nicht auf alle Fremden, sondern nur auf diejenigen, die im Land Israel
146
Vgl. SCHÜLE 2001b, 122–124, der zudem die erzählerische Fiktion miteinbezieht. Auf der Ebene der Erzählung basiert dieses Gebot auf dem aktuellen Erleben der Israeliten, die gerade dem Fremdsein in Ägypten entkommen sind, während diese Erfahrung für die späteren Rezipienten in weite Vergangenheit gerückt ist: „Die eigene Vergangenheit wird so erinnert, daß dem Fremden darin ein Raum eröffnet wird, der ihm in der Gegenwart einen rechtlich verbindlichen Status verschafft.“ (123f.)
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permanent wohnen.147 Weil hier die Tradition von Israels Aufenthalt als Fremder in Ägypten eingespielt wird, ist das Lexem גרdemnach kaum auf den Proselyten einzuengen.148 Die Gleichbehandlung des Fremden mit dem Nächsten wird hier mit einem stereotypen Erfahrungssatz aus der Vergangenheit begründet:149 Israel kennt selbst die Erfahrung, als Fremder in Ägypten unterdrückt worden zu sein, und soll deshalb nicht ebenfalls die in Israel lebenden Fremden unterdrücken.150 Aufgrund des Kontextes, der die Unterdrückung verbietet, aber auch aufgrund der Verwendung der Präposition לist die Weisung in v.33–34 besonders am Handlungsaspekt interessiert.151 Es geht also nicht nur um eine Liebe im Herzen, der keine Taten folgen, sondern um die tätige Liebe, die sich dem Nächsten bzw. Fremden zuwendet. Durch das vorgängige Handeln Gottes im Exodusereignis, worauf schließlich Lev 19,36 hinweist, wird dieses Gebot zusätzlich theologisch begründet. Die praktizierte Liebe zum Nächsten und zum Fremden ist aufgrund des Kontextes folglich implizit imitatio Dei. Die Heiligkeitsforderung von Lev 19,2, die durch alle Selbstvorstellungsformeln in Lev 19 immer wieder hereingeholt wird, fordert nämlich Israel eine besondere Art der imitatio Dei. Denn die einzig adäquate Antwort Israels auf die Heiligkeit JHWHs ist die eigene Heiligung. Indem Israel dem Nächsten bzw. dem Fremden Liebe erweist, heiligt es sich und ahmt die Heiligkeit JHWHs nach. Es bleibt somit festzuhalten: Die doppelte Begründungsstruktur des Rahmens (Heiligkeit Gottes und geschichtliches Handeln JHWHs), die durch die Selbstvorstellungsformel in die apodiktischen Weisungen des Zentralteils jeweils hereingeholt wird, wird durch die drei w-qatal-Sätze noch zusätzlich erweitert: a) V.12 qualifiziert die Missachtung der genannten Gebote als Angriff auf Gott, da der Name JHWHs durch die zuvor beschriebenen Handlungen entweiht werden würde. b) V.14 hingegen schärft die Gottesfurcht des einzelnen Israeliten ein, die sich in der Einhaltung der Gebote besonders deutlich zeigt.
147 Vgl. KAMINSKY 2008, 123f. Vgl. auch KÖCKERT 2004, 162: „Dem Fremden, der sich im Lande nicht niederläßt, kommt das Liebesgebot nicht zugute; er ist jedoch vom Gastrecht geschützt.“ 148 Eine solche Deutung wurde aber in der Auslegungsgeschichte durchaus angestrengt, vgl. HIEKE 2014b, 756. 149 Vgl. hierzu VINCENT 2006, 103; HIEKE 2014b, 755. 150 Unterdrückung umfasst nach LEVINE 1989, 134 verschiedene Aspekte: wirtschaftliche Ausbeutung, widerrechtliche Aneignung von Eigentum, Vorenthalten von Recht. 151 Vgl. hierzu MILGROM 2008, 1706: „This verse also confirms the practical implication of ‚love‘: it must be expressed in one’s behaviour.“
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c) V.18 betont schließlich die Nächstenliebe, die sich im solidarischen Verhalten gegenüber dem Nächsten beweist. Insofern liegt im apodiktischen Zentralteil nicht nur ein Doppelgebot aus Gottesfurcht und Nächstenliebe vor,152 sondern eine dreifache Zielbestimmung aller Verbote und Gebote in Lev 19. Im Halten der ethischen Weisungen zeigt sich nämlich: a) die Heiligung des Gottesnamens, b) die Gottesfurcht des Menschen, c) die Liebe zum Nächsten. Auf diese Weise kommen Gott, Mensch und Nächster in den Blick. Der Einzelne ist folglich eingebunden in eine Relation zu Gott und seinem Nächsten. Durch das Halten der Verbote und Gebote von Lev 19 wird der Einzelne als soziales Wesen gesehen, das sich selbst genauso ernst nimmt, wie Gott und den Nächsten. Gottes- und Nächstenliebe werden demnach mit einem Blick auf den Einzelnen selbst verbunden, was sich schließlich in der Deutung von 18c gezeigt hat. Tätige Nächstenliebe orientiert sich nämlich immer an den Erwartungen, die der Einzelne an seinen Nächsten ebenfalls stellt.
4. Bedeutung im Christentum 4.1 Das Gebot der Nächstenliebe Das allseits bekannte Gebot der Nächstenliebe hat im Alten Testament keine weitere Resonanz gefunden. Ganz im Gegensatz dazu das Neue Testament: Hier wurde der Wortlaut der LXX meist wörtlich rezipiert (καὶ ἀγαπήσεις τὸν πλησίον σου ὡς σεαυτόν).153 Die Formel mit der Nächstenliebe findet sich in den Evangelien (Mk 12,31.33; Mt 5,43; 19,19; 22,39; Lk 10,27) sowie in der Briefliteratur (Röm 13,9; Gal 5,14; Jak 2,8). Dadurch, dass Jesus Christus die Nächstenliebe der Liebe zu Gott gleichgestellt hat, nahm dieser Satz die zentrale Position im christlichen Ethos ein.154 In dieser Formel verdichteten sich alle weiteren Einzelgebote. Zwar ist nach Mt 22 die Gottesliebe das größte Gebot von allen, aber die Nächstenliebe ist der Gottesliebe gleichbedeutend. Auch Mk 12 stellt dem Gebot der Gottesliebe die Nächstenliebe gleichberechtigt zur Seite. Nach Lk 10 ist das Doppelgebot sogar die Antwort auf die Frage nach dem rechten Weg, um das ewige Leben zu erlangen. Auch Mt 19 betont, dass die Nächs152
Vgl. hierzu KÖCKERT 2004, 163f. Vgl. auch SCHÜLE 2001b, 98. 154 Auf diese Verbindung ist allerdings bereits das Alte Testament angelegt, vgl. MATHYS 1986, 150–153. 153
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tenliebe zu denjenigen Geboten gehört, die für die Nachfolge wichtig sind. Das Liebesgebot schließt in Mt 19 zudem eine Aufzählung von Geboten des Dekalogs ab: „Du sollst nicht töten; du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht stehlen; du sollst nicht falsches Zeugnis geben; ehre den Vater und die Mutter; und: du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst!“ Die Schlussstellung unterstreicht die besondere Bedeutung des Liebesgebotes. In den synoptischen Paralleltexten Mk 10,19 und Lk 18,20 wird jedoch das Liebesgebot auffälligerweise nicht erwähnt. In Röm 13,9 liegt eine Aufzählung von Dekalogsgeboten vor, die in das Liebesgebot als dem Zentrum der ethischen Weisung einmündet. Außerdem wird hier das Liebesgebot als Summe der Ethik bezeichnet, da in dieser Weisung alles andere zusammengefasst sei (ἐν τῷ λόγῳ τούτῳ ἀνακεφαλαιοῦται). Die Liebe ist nach Paulus zudem die Erfüllung des Gesetzes (v.8 und 10). Bei Paulus wird im Kontext dieses Zitats der liebevolle Umgang mit dem Feind in unterschiedlichen Weisungen thematisiert.155 In Röm 13,8 wird betont, dass derjenige, der den anderen (ἕτερον) liebt, das Gesetz erfüllt. Hier erweitert Paulus sogar die Vorschrift aus Lev 19,18, indem er das Liebesgebot durch die Verwendung des Lexems ἕτερον auf den „Anderen“ ausweitet und hier nicht die Bezeichnungen „Bruder“ oder „Nächster“ verwendet.156 In Jak 2,8 wird das Gebot der Nächstenliebe sogar als das „königliche Gesetz“ (νόμον βασιλικὸν) bezeichnet. Insgesamt scheint der Jakobusbrief fast alle Weisungen von Lev 19,11–18 aufzunehmen.157 Vermutlich ist das „königliche Gesetz“ (Jak 2,8), nach dem die Christen leben sollen, und das „Gesetz der Freiheit“ (διὰ νόμου ἐλευθερίας Jak 2,12), das für die Beurteilung der Taten herangezogen wird, nicht nur der Dekalog (Jak 2,11), sondern ebenso der apodiktische Zentralteil von Lev 19.158 Die Nächstenliebe gilt nach Jak 2,1 ohne Ansehen der Person (ἐν προσωπολημψίαις), worauf auch Jak 2,9 verbal hinweist (εἰ δὲ προσωπολημπτεῖτε). Bei dieser Bestimmung könnte Lev 19,15 im Hintergrund stehen.159 Die ungeteilte Zuwendung zum Nächsten, die sich in Werken äußert, untermauert schließlich die Ernsthaftigkeit des gelebten Glaubens, was im folgenden Abschnitt Jak 2,14–26 schließlich deutlich wird.160
155
Vgl. hierzu POWERY 2008, 140f.: Röm 12,14.17.19.20; 13,3. Vgl. POWERY 2008, 141. 157 JOHNSON 1982, 399–401 hält den Jakobusbrief für einen halachischen Midrasch über Lev 19,12–18. Ähnlich HARTLEY 1992, 325; HIEKE 2014b, 769. 158 Vgl. JOHNSON 1982, 399. 159 Vgl. JOHNSON 1982, 399. 160 Vgl. POWERY 2008, 140. 156
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4.2 Analoge Begründungsstrukturen Neben der Rezeption des Gebots der Nächstenliebe im Neuen Testament wurde auch die in Lev 19 entwickelte Argumentationslogik übernommen. Hierfür nur drei Beispiele: In der Bergpredigt wird das Gebot der Nächstenliebe in Mt 5,43 markant anders wiedergegeben: „Ihr habt gehört, dass gesagt ist: Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen.“ Von einem Hassen des Feindes ist in Lev 19 jedoch nirgendwo die Rede. Möglicherweise greift hier Jesus verschiedene halachische Auslegungstraditionen seiner Zeit auf, so dass man diesen Vers folgendermaßen verstehen könnte:161 „Ihr habt gehört, dass gesagt ist: ‚Du sollst deinen Nächsten lieben‘ und ihr habt gehört, dass einige Schriftgelehrte Lev 19,18 auf den Nachbarn beziehen, der freilich nicht dein Feind sein kann, und auf dieser Basis gilt dann ebenfalls: ‚Du sollst deinen Feind hassen‘.“ Gegen solche halachische Traditionen162 wendet sich Jesus dezidiert und schärft seinen Jüngern die Feindesliebe besonders ein. Diese Weisung wird zusätzlich mit einem Finalsatz verbunden: „damit ihr Söhne eures Vaters seid, der in den Himmeln ist!“ (v.45). Außerdem folgt eine Formel, die die imitatio Dei als Begründung einspielt: „Ihr nun sollt vollkommen sein, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist.“ (v.48). Auch wenn hier nicht die Heiligkeit Gottes und die Heiligung der Jünger explizit erwähnt werden, ist doch ein analoger Begründungszusammenhang festzustellen. Die Einlösung der geforderten Weisungen erfolgt immer in der angezielten Gemeinschaft mit Gott und in der Nachfolge Gottes. In Gal 5 wird die Nächstenliebe sogar als zentrales Gesetz gekennzeichnet: ὁ γὰρ πᾶς νόμος ἐν ἑνὶ λόγῳ πεπλήρωται (v.14). Darüber hinaus wird am Ende des Abschnitts die imitatio Christi unterstrichen, nämlich dass alle, die an Jesus Christus glauben, das Fleisch samt Leidenschaften und Begierden gekreuzigt haben (v.24). Schließlich ist der Geist – ähnlich wie die Heiligkeit Gottes – der Ermöglichungsgrund für ein ethisches Leben (v.25). Auch hier wird eine Begründungsstruktur vorgelegt, die derjenigen von Lev 19 stark ähnelt.
161 Vgl. NEUDECKER 1992, 501f. HOFIUS 1991, 105 deutet den Feindeshass als Interpretation der ausgelassenen Relationsformel „wie dich selbst“. KIM 2011, 52 sieht den Feindeshass schon in Lev 19,18 angelegt, da die Liebe nur dem Israeliten gilt. Anders aber zu Recht MOENIKES 2007, 41–56, demzufolge im Alten Testament wie auch in Lev 19 nicht von einem Feindeshass auszugehen ist. 162 MATHYS 1986, 31 Anm. 11 vermutet, dass Matthäus sich hier auf die Ansichten der Gemeinschaft von Qumran bezogen habe, vgl. 1QS 1,10, wo alle Söhne der Finsternis zu hassen sind. Dagegen aber HOFIUS 1991, 104f., der sich darüber hinaus gegen eine volkstümliche populäre Maxime wendet. Zu der Deutung von Lev 19,17–18 im Jubiläenbuch vgl. LIVNEH 2011, 177–199.
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Schließlich besteht der Wille Gottes gemäß 1Thess 4,3 in der Heiligung der Gemeinde:163 ὁ ἁγιασμὸς ὑμῶν. Diese Heiligung wird in den folgenden Sätzen durch traditionelle Gebote entfaltet: Fernhalten von Unzucht (v.3), Selbstkontrolle in Heiligkeit und Ehre (v.4), Abkehr von einer Leidenschaft der Begierden (v.5), Rechtsbruch und Betrug (v.6). Diese Gebote bzw. Verbote werden in v.7 mit der Berufung verbunden, die Reinheit und Heiligung einfordert: οὐ γὰρ ἐκάλεσεν ἡμᾶς ὁ θεὸς ἐπὶ ἀκαθαρσίᾳ ἀλλ᾽ ἐν ἁγιασμῷ („Denn Gott hat uns nicht zur Unreinheit berufen, sondern in Heiligung“). Schließlich betont Paulus in v.8, dass eine Nichteinhaltung dieser Gebote einer Ablehnung Gottes gleichkomme. Der von Gott gegebene Heilige Geist kann zudem eine heiligende Wirkung auf die Gemeindemitglieder ausüben. Die Parallelen zu Lev 19 liegen auf der Hand:164 a) Gott selbst ist heilig. Dies wird in v.8 nachgereicht, wo darauf verwiesen wird, dass Gott seinen Heiligen Geist der Gemeinde zur Verfügung stellt. b) Die Gemeinde soll sich durch die Beachtung der in den v.3–7 genannten Gebote heiligen. Die Heiligung (ὁ ἁγιασμὸς) ist der besondere Wunsch Gottes für die Gemeinde. Dies wird durch die Verwendung dieses Lexems in v.3 und v.7 ausdrücklich unterstrichen, wodurch ein Rahmen um die Gebote bzw. Verbote gesetzt wird. c) Paulus betont die kultische Dimension der ethischen Weisungen (v.5–6), so dass er offenbar nicht zwischen beiden Kategorien unterscheidet. d) Bei Paulus wird der Aufruf zur Heiligung mit der Berufung der Gemeinde verbunden, was in Lev 19 zwar nicht explizit ausgedrückt wird, aber in der Erwählung begründet ist, die dem größeren Kontext des Heiligkeitsgesetzes zugrunde liegt. Dieser Vergleich zeigt, dass auch in 1Thess 4,3–8 eine ähnliche Begründungsstruktur wie in Lev 19 verwendet wird. Die Erwählung der Gemeinde sowie die Heiligkeit Gottes begründen die Heiligung der Gemeinde. Um dies zu erreichen, werden verschiedene, vor allem ethische Gebote eingeschärft. Aus alledem folgt: Nicht nur das Liebesgebot wurde auf christlicher Seite breit rezipiert. Auch die Argumentationslogik, die zur Begründung von ethischen und kultischen Weisungen dient, wurde bewusst oder unbewusst aus Lev 19 übernommen. Auf alle Fälle zeigt sich durch diese Rezeption die tiefe Verwurzelung des Christentums im Frühjudentum. So gilt nach wie vor, was Paulus im Römerbrief treffend formuliert hat: „Nicht du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel trägt dich“ (Röm 11,18).
163 164
Zu einem Vergleich von Lev 19 und 1Thess 4 vgl. auch KIM 2011, 117–119. Vgl. hierzu GRÜNWALDT 1999, 253.
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Hedgefonds oder Sparbuch?
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Hedgefonds oder Sparbuch? Biblische Stimmen zum Reichtum Hedgefonds oder Sparbuch?
Nach Angaben des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung belief sich das Nettovermögen der privaten Haushalte in Deutschland im Jahr 2012 auf 6,3 Billionen Euro. Allerdings besitzen zehn Prozent der Bevölkerung etwa 74 Prozent des Vermögens, das reichste Prozent mehr als 30 Prozent.1 Seit Mitte der 1990er Jahre öffnet sich in Deutschland die Schere zwischen Arm und Reich immer mehr. Es stellt sich unweigerlich die Frage: Kann eine solche Verteilung gerecht sein? Vor einer ähnlichen Situation standen die biblischen Autoren. Auch in ihrer Zeit hat es den Gegensatz zwischen Arm und Reich gegeben. Es verwundert daher nicht, dass eine Auseinandersetzung mit der als ungerecht empfundenen Verteilung von Besitz und Reichtum schon von den biblischen Autoren geführt werden musste. Freilich dürfen die Anweisungen des Alten Testaments nicht einfach in die Gegenwart übertragen werden. Dagegen spricht schon die Komplexität und die Unübersichtlichkeit des modernen Wirtschaftssystems. Trotzdem werden im Alten Testament einige Grundeinsichten genannt, die auch heute noch von Bedeutung sein können. In einem ersten Punkt soll die historische Situation der biblischen Autoren geschildert werden, die in der zweiten Hälfte des 1. Jt. v.Chr. lebten und stets von verschiedenen Großmächten, wie den Babyloniern, den Persern oder den Ptolemäern abhängig waren. Interessanterweise unterscheiden sich ihre Lebensverhältnisse gar nicht so sehr von der heutigen Situation. In einem zweiten Punkt sollen allgemeine biblische Einsichten zum Thema Reichtum zusammengetragen werden, bevor dann exemplarisch in einem dritten Punkt Aussagen aus dem Kohelet-Buch zum Thema Reichtum diskutiert werden. In den beiden Anhängen wird zum einen der schwierige Text Koh 5,9–19, zum anderen die darin enthaltene spezifische Terminologie gesondert besprochen.
1
Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin): Wochenbericht Nr. 7/2015. Nach Angaben des DGB beläuft sich das Bruttogeldvermögen der privaten Haushalte in Deutschland Ende 2010 auf 4,88 Billionen Euro. Die reichsten 10 % der Bevölkerung verfügen über 60 %, die reichsten 1 % sogar über ein Viertel des Gesamtvermögens, vgl. Klartext 2/2011.
Hedgefonds oder Sparbuch?
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1. Zum Wirtschaftssystem in babylonisch-persischer und hellenistischer Zeit Bereits im 6. Jh. v.Chr. kam es unter der Herrschaft der Babylonier zu einem nachhaltigen Wandel im Wirtschaftssystem.2 Während man zuvor ausschließlich für den eigenen Gebrauch gewirtschaftet und die Güter zentral verwaltet und verteilt hat, produzierte man ab dem 6. Jh. v.Chr. in erster Linie für den Markt. Die eigenen Produkte löste man für abgewogenes Silber ein. Mit den erwirtschafteten Silbereinkünften konnten im Gegenzug Güter eingekauft werden. Außerdem kam es im Rahmen dieser neuen Wirtschaftsordnung zu einer ökonomischen Spezialisierung. Eine solche Entwicklung lässt sich in Babylonien für die Tempelwirtschaft und die Krongüter beobachten. Da das eigene Personal für die anstehenden Arbeiten bald nicht mehr ausreichte, musste man immer mehr Arbeitskräfte mieten. Zusätzlich stellte man Pächter an, die das Land von Bauern bewirtschaften ließen. Es verwundert daher nicht, dass die Bauern – wie heutige Subunternehmer – wirtschaftlich ausgebeutet wurden, zumal die Pächter hohe Gewinne abschöpfen wollten. Während man zuvor in dem geschlossenen System der Tempelwirtschaft bestens versorgt und abgesichert war, waren die Bauern den Ausbeutungsmechanismen jetzt hilflos ausgeliefert.3 Im Privatsektor gab es bereits in babylonischer Zeit vor allem zwei wichtige Unternehmertypen: den Rentier und den Entrepreneur.4 Der Rentier besaß ererbtes Kapital, das er auf vielfältige Weise nutzen konnte. Mit den erwirtschafteten Überschüssen konnte der Rentier wiederum Land ankaufen oder sein Vermögen in verzinsliche Darlehen investieren. Der Rentier kümmerte sich insofern vor allem um die Vermehrung seines Vermögens. Nur in besonderer Not musste er sein Kapital veräußern. Der Entrepreneur nahm hingegen keine bevorzugte wirtschaftliche Position aufgrund von Geburt und Erbe ein. Dementsprechend basierten alle Aktivitäten des Entrepreneurs auf eigenem Engagement und Risiko. Er verwirklichte sozusagen eine Art Ich-AG und spezialisierte sich auf eine bestimmte Geschäftsform, für die er verzinsliche Darlehen als Startkapital aufnehmen musste. Der Entrepreneur produzierte somit bewusst für die Bedürfnisse des Marktes. Sein Wirtschaftsmodell war profitorientiert. Daneben gab es Entrepreneure, die das Steueraufkommen pauschal übernahmen und im Gegenzug die Steuerforderungen direkt einzogen. Das Risiko bei diesem Geschäftsmodell lag somit bei den Entrepreneuren, die im schlimmsten Fall mit ihrem eigenen Vermögen die ausstehenden Steuerforderungen begleichen mussten. Der eigentliche Gewinner dieses Steuersystems 2
Vgl. JURSA 2004, 118–121. Vgl. JURSA 2002, 210f. 4 Vgl. hierzu allgemein STOLPER 1985. 3
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Menschliches Handeln im Horizont Gottes
war der Staat, dem stets ein zuvor festgelegtes Steueraufkommen gesichert war. Damit die Entrepreneure ihre jeweilige Geschäftsidee verwirklichen konnten, mussten sie Kredite aufnehmen. Bei Zinsgeschäften wurden in der Regel 20 % Zinsen im Jahr verlangt. Ab dem 5. Jh. v.Chr. stieg der Zinssatz sogar auf 40 %.5 Die jeweilige Verzinsung wurde stets zwischen den beiden Geschäftspartnern verhandelt. Sie betrug im Extremfall sogar mitunter bis zu 240 %, auch wenn diese Angabe nicht gesichert ist.6 Um als Entrepreneur ein Darlehen für ein bestimmtes Geschäftsmodell zu bekommen, verpfändete man sein eigenes Gut, sozusagen als Sicherheit für den Geldgeber. Falls es dann zu Zahlungsschwierigkeiten kam, musste der Schuldner sein Pfand verkaufen, damit er den Gläubiger bezahlen konnte. Die verpfändeten Sicherheiten haben oft den eigentlichen Wert des Darlehens überschritten, damit entstandene Verzugszinsen ebenfalls beglichen werden konnten. Falls man seine Schulden selbst nach der Veräußerung des Pfandes immer noch nicht zurückzahlen konnte, drohte die Schuldknechtschaft. In Arbeitslagern mussten die Schuldner so lange arbeiten, bis sie ihre Schulden abbezahlt hatten. Es verwundert daher nicht, dass manche Schuldner sich durch Flucht vor ihren vertraglichen Verpflichtungen drücken wollten, so dass deren Bürgen zur Kasse gebeten wurden. Bei Tod des Schuldners hafteten sogar die Kinder des Schuldners. Oft haben sich Dritte für die inhaftierten Schuldner verbürgt, damit diese wieder freigesetzt wurden. Allerdings mussten die Schuldner auch noch nach ihrer Entlassung aus dem Arbeitslager ihre Schulden bezahlen.7 Ein Schuldenerlass kam eigentlich zunächst nicht in Frage. In Babylonien kam es im Gefolge dieser neuen Wirtschaftsformen zu einer immer stärkeren Monetarisierung des Wirtschaftslebens. Man verwendete nun Silber als Tauschmittel, als Zahlungsmittel und als Wertmesser. Allein schon die Stückelung des Silbers zeigt, dass es bei den meisten Geschäften zu einem verstärkten Einsatz von Silber gekommen ist. Selbst Silbereinheiten wie der nur etwa 0,2 g schwere hallūru (≙ 1/40 Scheqel) waren im Umlauf. Insofern ist es durchaus wahrscheinlich, dass gewogenes Silber nicht nur für den Erwerb von Luxusgütern, sondern auch für Einkäufe von Waren mit geringem Wert verwendet werden konnte.8 Damit man gewogenes Silber überhaupt als Geld einsetzen konnte, musste neben dem Gewicht ebenso dessen Qualität exakt bestimmt werden. Aus diesem Grund versuchten staatliche Behörden, das umlaufende Silber zu standardisieren, um einen gewissen Gegenwert zu garantieren. Vermutlich bezahlte man in Babylonien noch bis ins 4. Jh. v.Chr. nicht mit Münzgeld, sondern mit abgewogenem Silber. 5
Vgl. JURSA 2010, 774. Nach WUNSCH 2002, 235.252 Anm. 6, liegt hier jedoch ein Schreibfehler vor. 7 Vgl. DANDAMAEV 1984, 159–163. 8 Vgl. JURSA 2010, 773–775. 6
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Zwar kannte man im Perserreich schon ab der zweiten Hälfte des 6. Jh. v.Chr. Münzen, aber erst unter Darius I. (reg. 522–486 v.Chr.) kam es zu einer Standardisierung des Münzwesens, vermutlich um zum einen den Handel mit Griechenland zu erleichtern und zum anderen ein Steuersystem auf Geldbasis zu etablieren. In persischer Zeit standen die Chancen zudem nicht schlecht, mit etwas Geschick Karriere zu machen.9 Man konnte auf der Karriereleiter leicht aufsteigen, aber es gab meist jemanden, der schon eine höhere Stufe erreicht hatte und von dem man wirtschaftlich abhängig war. Die Gier nach immer mehr wurde schon in persischer Zeit zum gefährlichen Handlungsprinzip, bei dem man schnell auf die Verliererstraße gelangen konnte. Die Angst vor drohendem Abstieg erzeugte zudem eine gewisse Betriebsamkeit, die den Einzelnen keine Ruhe mehr gönnte. Man war mit dem Erreichten offenbar nie zufrieden. Diese Lebenseinstellung betraf zudem nicht nur die Ober- und Mittelschicht, sondern alle sozialen Schichten. Denn selbst Sklaven konnten es zu etwas bringen. In babylonischen Texten wird sogar beschrieben, wie einzelne Sklaven für ihre Geschäfte Geld ausliehen oder große Summen an Vermögen zurücklegten, um ihre eigenen Sklaven zu bezahlen. Dies war wohl deshalb möglich, da es rechtlich sogar Sklaven erlaubt war, unabhängig Handel zu treiben, Vermögen zu horten, Grundstücke zu pachten und Grundbesitz zu erwerben.10 Aufgrund der geschilderten neuen Wirtschaftsformen in babylonischpersischer Zeit kam es zu einem ungeahnten Wirtschaftswachstum, wovon freilich nicht alle in gleicher Weise profitieren konnten. Während Grundstücke erschwinglich waren, musste man für Tiere, Arbeitsgeräte, Wasser usw. oft sehr tief in die Tasche greifen. Dies führte dazu, dass kleine Grundstücke zwar von jedermann aufgekauft, aber nicht optimal bewirtschaftet werden konnten. Die Kleinpächter waren gegenüber den Großgrundbesitzern zudem immer im Nachteil. Es nimmt daher kaum wunder, dass sich die soziale Schere zwischen arm und reich immer weiter öffnen konnte. Während die Reichen immer mächtiger wurden, wurden die Armen immer mehr ausgebeutet. Die zunehmende Monetarisierung des Wirtschaftslebens führte außerdem dazu, dass die Reichen begannen, ihr Vermögen zu horten. Wenn man im Alten Orient Vermögen verwahren wollte, wählte man hierfür in erster Linie den Tempel. Dieser bot zumindest relative Sicherheit. Denn die Götter zu berauben, galt überall als großes Sakrileg. Als sich jedoch die Münzwirtschaft immer mehr durchsetzte, etablierte sich zunächst in Griechenland allmählich der Bankensektor.11 Die wichtigste Funktion der griechischen Bankiers war angesichts der verschiedenen Münztypen zunächst der 9
Vgl. SEOW 2008, 189–217. Vgl. zu den Geschäften von Sklaven auch DANDAMAEV 1984, 320–371. 11 Vgl. zum Bankenwesen in Griechenland SCHMITZ 1997. 10
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Menschliches Handeln im Horizont Gottes
Wechsel von Münzen. Da die Bankgeschäfte auf der trápeza, dem Tisch des Wechslers und Münzprüfers, stattfanden, nannte man die griechischen Bankiers Trapeziten. Damit Handel überhaupt erst möglich war, mussten die Trapeziten unterschiedliche Münzen nach Gewicht und Feingehalt überprüfen und dann in die vor Ort gültige Währung umwechseln. Neben den ursprünglichen Wechselgeschäften kamen ab dem 4. Jh. v.Chr. andere Aufgaben hinzu: Zum einen verwalteten die Banken angespartes Geld, zum anderen gewährten sie Kredite. Die griechischen Trapeziten arbeiteten darüber hinaus nicht nur mit ihrem eigenen, sondern auch mit fremdem Kapital. Neben den Privatbanken gründete man in Griechenland auch öffentliche Banken. Wie die Privatbanken waren die öffentlichen Banken ebenfalls für Vermögensverwaltung und Darlehensgeschäfte zuständig. Durch die öffentlichen Banken wurde vor allem der staatliche Zahlungsverkehr erleichtert, denn über sie konnten die gesamten öffentlichen Geldströme fließen. Außerdem war das Risiko der Abwicklung des Geldverkehrs viel geringer als bei einer Privatbank, die in Insolvenz fallen konnte. Nach der Eroberung des Orients durch Alexander den Großen ging die politische Macht in Judäa fast nahtlos von den Persern in die Hände der Ptolemäer über, die über Ägypten sowie den südwestlichen Teil des Perserreiches herrschten und somit ihren Einfluss über Judäa ebenso geltend machten. In Alexandria befand sich die staatliche ptolemäische Zentralbank, die in anderen Städten und Dörfern Zweigbanken und Nebenstellen besaß. In der Hauptsache hatte diese Bank die Funktion, zusammen mit den Beamten und Steuerpächtern die königlichen Einkünfte einzutreiben und Auszahlungen zu veranlassen. Aufgrund ihrer Sicherheit und der staatlichen Kontrolle war die königliche Zentralbank besonders für Anleger attraktiv, so dass man dort immer mit großen Geldsummen arbeiten konnte. Die königliche Zentralbank verwahrte aber nicht nur das Privatkapital, sondern führte ebenfalls Zahlungen durch. Darüber hinaus konnte sie Darlehen gewähren. Da der Staat jedoch hohe Garantien und Bürgschaften für Darlehen forderte, musste man in finanziellen Notlagen zu Privatpersonen gehen, um zu wesentlich ungünstigeren Konditionen ein Darlehen aufzunehmen. Allmählich etablierte sich im Ptolemäerreich ein flächendeckendes Bankensystem, das die Einrichtung von privaten Bankkonten erleichterte. Ab dem 3. Jh. v.Chr. ist in Ägypten zudem die Praxis belegt, dass man Gelder über eine Bank überweisen konnte.12 Das Bankenwesen im Ptolemäerreich war zunächst in erster Linie in griechischer Hand konzentriert, sowohl was die Bankiers wie auch deren Kunden betraf. Allerdings war das Bankengeschäft nicht nur für die griechischen Zuwanderer, sondern ebenso für die Einheimischen interessant. Durch die Geldwirtschaft gab es nämlich einige private Ersparnisse, die mit einer lukrativen Anlageform vermehrt werden sollten. 12
Vgl. zum Bankenwesen in hellenistischer Zeit Michael ROSTOVTZEFF 1984.
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Bereits unter dem ersten Diadochen Ptolemaios I. Soter (367–283 v.Chr.) wurde im Ptolemäerreich ein einheitliches Münzsystem eingeführt, das im Kernland Ägypten, aber auch in der Kyrenaika, Zypern und Koilesyrien als einziges Zahlungsmittel akzeptiert war. Andere Münzen, die in das Ptolemäerreich kamen, wurden eingezogen und umgeprägt. Fremdes Kapital wurde somit vom Wirtschaftsleben ausgeschlossen. Es musste unbedingt in ptolemäisches Geld gewechselt werden. Im Zeitraum 310–290 v.Chr. verringerte Ptolemaios I. Soter zudem das Gewicht der ptolemäischen silbernen Tetradrachmen mehrmals, und zwar von 17,15 g bis hin zu 14,25 g.13 Mit dieser Maßnahme hat Ptolemaios I. Soter sicher nicht andere Märkte erschließen wollen, da sich die ptolemäischen Münzfüße ohnehin von den anderen leicht unterschieden. Eine Währungsunion, die einen leichteren Handel ermöglich hätte, wäre zudem nur dann möglich gewesen, wenn Ptolemaios den attischen Standard beibehalten hätte, der im benachbarten Seleukidenreich verwendet wurde. Vermutlich wollte bereits Ptolemaios I. Soter einen abgeschlossenen ptolemäischen Wirtschaftsraum schaffen. Durch den abweichenden Münzfuß zwang er die ausländischen Kaufleute, ihr gutes Geld gegen das gewichtsmäßig reduzierte ptolemäische Geld einzutauschen. Die ausländischen Kaufleute verloren nämlich beim Umtausch 2,9 g. Auf diese Weise wurde die Kasse des Ptolemäerkönigs immer mehr angefüllt. Denn dadurch verdiente das Ptolemäerreich bei jedem Tauschgeschäft fast 17 % hinzu. Neben den Gold- und Silbermünzen prägte man im Ptolemäerreich Kupfermünzen, die vom Volk als Zahlungsmittel genutzt werden konnten. Somit wurde ein trimetallisches System eingeführt, das sich von den übrigen Staaten markant abhob. Die Prägung von Kupfermünzen bot sich insofern an, als man im Ptolemäerreich über große Vorräte an Kupfer verfügte. Durch die Prägung von vielen kleinen Kupfermünzen, die in ein Verhältnis von 1:60 zu Silber gesetzt wurden, konnte der Tauschhandel immer weiter eingeschränkt werden. Durch diesen Schachzug kamen zudem die Gold- und Silbermünzen allmählich außer Gebrauch und konnten im königlichen Schatzhaus gehortet werden.14 Für Darlehen aus königlichen Banken wurde im Ptolemäerreich ein Zinssatz von 24 % verlangt, der viel höher lag als in den anderen hellenistischen Staaten. Auch hier zeigt sich die Gewinnorientierung der Ptolemäer. Allerdings waren die Zinssätze der öffentlichen Banken noch moderat, denn bei privaten Geldverleihern wurden bisweilen Zinsen von 72 % im Jahr erhoben.15
13
Vgl. zu dieser Münzpolitik HUSS 2001, 219. Vgl. HENGEL 1988, 70. 15 Vgl. ROSTOVTZEFF 1984, 1034f. 14
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Mit einer staatlich organisierten extremen Planwirtschaft, die gewisse Züge eines Staatsmerkantilismus zeigte, versuchte Ptolemaios I. Soter darüber hinaus, möglichst viel aus dem eroberten Land herauszuholen. Durch staatliche Monopole schützte er zudem bestimmte Waren, wie Pflanzenöle, Leinen, Metalle, Salz, Aromata und anderes. Durch infrastrukturelle Maßnahmen, wie künstliche Bewässerung, Terrassenbau oder Züchtung bestimmter Nutzpflanzen, konnte man darüber hinaus die landwirtschaftlichen Erträge ebenfalls nachhaltig steigern.16 Neben der Staatswirtschaft gab es im Ptolemäerreich aber ebenso freies Unternehmertum, das eigene Gewinne erzielen konnte und wollte. Diese freien Entrepreneurs traten vor allem als Steuerpächter zwischen die königliche Verwaltung und den Untertanen. Derjenige, der dem König die höchsten Steuerabgaben zusagen konnte, bekam den Zuschlag, im Auftrag des Königs die Steuern einzuziehen. Jedes Jahr wurden die Steuern neu ausgeschrieben und an die Steuerpächter vergeben, die dann die vereinbarte Steuersumme mithilfe der staatlichen Steuerbeamten eintreiben mussten. Durch Vertrag waren die Steuerpächter zudem verpflichtet, die zuvor verhandelte und festgesetzte Steuerlast an den König abzuführen. Von diesem System profitierten die Ptolemäer auf zweifache Weise: Zum einen konnten sie dadurch lückenlos die Steuern eintreiben, denn die privaten Steuerpächter waren stets darauf bedacht, möglichst die gesamte Steuersumme einzuziehen. Es verwundert daher kaum, dass die staatlichen Steuerbeamten von den privaten Steuerpächtern kontrolliert wurden.17 Zum anderen bürgten die Steuerpächter mit ihrem eigenen Vermögen für die königlichen Einkünfte. Durch das spezifisch ptolemäische Wirtschaftssystem war es fast für jeden Untertanen möglich, Karriere zu machen und Gewinne einzufahren. Dieser optimistische Geist griff auch auf die alteingesessene Bevölkerung über. Alles schien möglich zu sein, wenn man sich nur genügend angestrengte. Vom ehrgeizigen ptolemäischen Wirtschaftsgeist wurden selbst die judäischen Aristokraten erfasst. Es verwundert daher nicht, dass man sogar die Verbindung zu Griechenland konstruierte, indem man den biblischen Erzvater Abraham als gemeinsamen Vorfahren von Juden und Spartanern deutete, worauf 1Makk 12,21 hinweist. Neben der Oberschicht bildete sich nun auch in Judäa eine neue Mittelschicht heraus, die gut in das ptolemäische Wirtschaftssystem eingebunden war. Sie war vor allem geprägt durch ein reges Streben nach Wohlstand, Profitmaximierung, Risikobereitschaft und einer materialistischen Weltsicht.18 Vor dem skizzierten wirtschaftlichen Hintergrund der babylonischen bis hellenistischen Epoche sind viele Aussagen der weisheitlichen Schriften des 16
Vgl. zu den wirtschaftlichen Koordinaten im Ptolemäerreich HENGEL 1988, 68–72. Vgl. HÖLBL 1994, 62f. 18 Vgl. BOHLEN 1997, 263f. 17
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Alten Testaments zum Thema Reichtum zu verstehen. Die biblischen Autoren versuchten, ihre gesellschaftlichen Herausforderungen im Licht des Glaubens zu deuten und zu bewältigen. Um dies leisten zu können, bedurften sie einer gewissen Weisheit. Der biblische Begriff Weisheit meint entgegen dem modernen Sprachgebrauch nicht ein umfassendes Wissen. Ein Mensch, der über ein umfassendes Wissen verfügt, ist noch lange kein Weiser. Weisheit ist demgegenüber ein praktisches Alltagswissen, mit dem man das Leben meistern kann. Um ein Weiser zu werden, benötigt man somit das richtige Wissen, das man schließlich im Alltag in rechter Weise einsetzen kann. Weisheit ist folglich Lebenskunst. Sie umfasst das Erlernen, Praktizieren und Vermitteln dieser Lebenskunst, die freilich immer abhängig von einem bestimmten historischen Kontext ist. Schon aus diesem Grund war es nötig, dass zunächst das Wirtschaftssystem der babylonischen bis hellenistischen Zeit beschrieben werden musste, in dem sich der Weise in der perserzeitlichen Provinz Yehud bzw. in der hellenistischen Hyparchie Judäa zu bewähren hatte.
2. Biblische Einwürfe zum Thema Reichtum In der weisheitlichen Tradition des Alten Testaments haben Reichtum und Besitz eigentlich keinen Wert in sich.19 Nur dann, wenn Reichtum auf gerechte Weise erworben worden ist und man damit auf gerechte Weise umgeht, ist er nützlich. Eine solche Beurteilung des Reichtums zieht sich wie ein roter Faden durch die weisheitlichen Schriften des Alten Testaments. Darüber hinaus werden die Gefahren von Reichtum und Besitz klar gesehen. Vor allem die Todsünde Neid ist der eigentliche Antrieb für die Gier nach immer mehr Gewinn.20 Jegliches Gewinnstreben, das sich falscher Motivation verdankt, wird mit Mangel, also dem Gegenteil von Reichtum, bestraft. Vor allem diejenigen, die nach schnellem Gewinn trachten, werden die gerechte Strafe erhalten.21 Schon den biblischen Weisen war klar, dass schneller Gewinn unter gerechten Vorzeichen kaum möglich ist. Das ist heute ebenfalls noch so: Wer bei einer Anlageform zu hohe Renditeansprüche hat, wird in der Regel schnell enttäuscht werden. Außerdem gilt beim Thema Reichtum der sogenannte Tun-ErgehenZusammenhang. Er leitet sich aus der allgemeinen Erfahrung ab, dass ein Tun des Guten für die Gemeinschaft wie für denjenigen selbst, der das Gute tut, förderlich ist. Im Gegenzug gilt ebenso, dass das getane Böse auf die Gemeinschaft und den Frevler wieder zurückfällt. Nach dem Tun-Ergehen19 Vgl. zum Umgang mit Besitz in der Bibel SPIECKERMANN 2004, 32–49; KRÜGER 2009, 163–177. 20 Vgl. z.B. Spr 28,22. 21 Dies wird z.B. in Spr 28,20 betont.
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Zusammenhang ist folglich derjenige Gewinn, der auf ungerechte Weise erworben wurde, nur von kurzer Dauer.22 Man könnte in diesem Fall auch sagen: „Wie gewonnen, so zerronnen“. So schnell wie man das Vermögen angehäuft hat, so schnell kann es wieder in sich zusammenfallen. Es bleibt jedoch immer zu beachten: Nur ungerecht erworbener Gewinn (bei schnellem Gewinn kann es ebenfalls nicht mit rechten Dingen zugegangen sein) wird von den biblischen Autoren kritisiert, nicht Gewinn und Reichtum an sich. Denn durch maßvolles Handeln darf man seinen Besitz durchaus vermehren.23 Das sinnlose Abmühen nach Reichtum, ohne dass man seinen Verstand einsetzt, wird hingegen immer wieder kritisiert.24 Zwar gilt auch hier „Ohne Fleiß, kein Preis“, aber die einseitige Fixierung auf die Vermehrung des eigenen Reichtums ist problematisch und führt meist zum Gegenteil. Ungezügeltes Gewinnstreben läuft ohnehin meist auf sündhaftes Tun hinaus.25 Vor allem der Kaufmann steht in der latenten Gefahr, durch seine Geschäfte große Schuld auf sich zu laden.26 Im weisheitlichen Kontext gibt es neben diesen Mahnungen durchaus positive Beurteilungen des Reichtums, da dieser seinem Besitzer eine gewisse Sicherheit bietet und darüber hinaus ein gutes Leben ermöglicht.27 Das eigene Wohlergehen lässt schließlich das Unglück vergessen.28 Der Reiche hat aber eine soziale Verantwortung für die Schwächeren. Der Besitz soll nicht nur von den Wohlhabenden genutzt werden, sondern auch den Bedürftigen zugute kommen.29 Geiz gegenüber anderen ist im biblischen Kontext immer eine sehr schlimme Verfehlung. Der Arme wird zudem mit der Hoffnung getröstet, dass Gott ihm zur rechten Zeit seinen Anteil zukommen lassen wird.30 Trotz der sozialen Verantwortung darf ein Reicher durchaus seinen Besitz genießen.31 Vor dem Hintergrund der eigenen Sterblichkeit sollte man das Leben auf jeden Fall in Maßen genießen. Denn: „Das letzte Hemd hat keine Taschen.“32 Geiz gegenüber sich selbst ist somit ebenfalls eine schwere Verfehlung.33 In weisheitlichen Texten wird darüber hinaus das Lob der Arbeit angestimmt. Während derjenige, der Nichtigem nachjagt, an Armut satt wird, wird 22
Vgl. Spr 15,27. Vgl. Spr 13,11. 24 Vgl. Spr 23,4–5. 25 Vgl. Sir 31,5. 26 Vgl. Sir 26,29–27,1. 27 Vgl. Spr 10,15. 28 Vgl. Sir 11,25. 29 Vgl. Sir 14,8. 30 Vgl. hierzu Sir 11,21. 31 Vgl. Sir 14,14. 32 Vgl. Sir 14,15. 33 Vgl. Sir 14,4–5. 23
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der Arbeiter vom Brot gesättigt, worauf Spr 12,11 besonders hinweist: „Wer sein Ackerland bebaut, wird sich satt essen können an Brot; wer aber nichtigen Dingen nachjagt, ist ohne Verstand.“ Der Gegensatz liegt hier im Fleiß des Arbeiters und in der Faulheit derjenigen, die nicht arbeiten. Fleiß wird immer belohnt. Es gilt durchaus als erstrebenswertes Ideal, wenn man sich mit Fleiß auf gerechte Weise erworbenen Reichtum verschafft. Nach diesen allgemeinen Aussagen zu Chancen und Gefahren des Reichtums in den weisheitlichen Schriften des Alten Testaments soll im Folgenden die spezifische Profilierung des Themas im Koheletbuch besonders dargestellt werden.
3. Kohelet zum Thema Reichtum Nach Koh 1,1 ist der Autor des Koheletbuches ein Sohn Davids, der König in Jerusalem war. Folglich galt traditionell Salomo – ohnehin der exemplarische Weise – als der Verfasser des Koheletbuchs. Der tatsächliche Autor ist jedoch ein Schriftgelehrter in Jerusalem in persischer oder hellenistischer Zeit – das Buch wird nie explizit datiert –,34 der die eigene weisheitliche, allzu optimistische Tradition in den Blick nimmt und philosophisch kritisch beleuchtet. Im Abschnitt Koh 5,9–19 wird Reichtum und Besitz nicht prinzipiell abgewertet, aber es wird auf das Auseinanderdriften von Wohlergehen und Reichtum hingewiesen. Reichtum gewährleistet oft nicht mehr als ein durch Güter gesegnetes Leben, sondern besteht lediglich in der Anhäufung von Besitz und Vermögen. Das Streben nach Reichtum nahm offenbar zur Zeit Kohelets immer maßlosere Züge an. Eine solche oft rücksichtslose Lebenshaltung hat in persischer und hellenistischer Zeit auch Judäa ergriffen. Im Folgenden soll am Text entlang gegangen werden.35 3.1 Koh 5,9–11 5,9a b c
Wer Geld liebt, wird nicht satt an Geld. Und wer liebt den Reichtum ohne Ertrag? Auch das ist Windhauch.
Nach 9a wird derjenige, der Geld liebt, vom Geld nicht satt.36 Da das Wort „sättigen“ in übertragenem Kontext gebraucht wird, erübrigt sich die naive 34
Meist wird das Koheletbuch in die hellenistische Zeit datiert, vgl. nur SCHWIENdie persische Zeit votiert hingegen mit ebenfalls guten
HORST-SCHÖNBERGER 1994. Für Gründen SEOW 1996, 643–666. 35
Zu den sprachlichen Problemen dieses Textes vgl. Anhang I. Hier geht es in der Tat um Geld, da hier das Wort „ כסףSilber“ gebraucht wird, vgl. KÖHLMOOS 2014, 154. 36
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Deutung, dass man von Geld nicht satt werden kann, da man es ja nicht essen kann.37 Die Liebe zum Geld kann keine wirkliche Befriedigung bieten, da sie zu Unersättlichkeit neigt und den Menschen versklavt. Mit dem Wort „lieben“ ist zudem ein Streben verbunden, das prinzipiell unabgeschlossen ist und nie zur wirklichen Sättigung führt.38 Der ständig neue Drang, weiteren Reichtum anzuhäufen, lässt die eigentliche Zweckbestimmung des Reichtums, nämlich den Lebensgenuss, vergessen. Man ist so mit dem Erwerb von Gütern beschäftigt, dass man seinen Reichtum nicht genießen kann. Ein solches Streben nach Reichtum kann folglich zur Sucht werden, für die der Reiche seine ganze Lebensenergie einsetzt. Trotz aller Bemühungen stellt sich keine Sättigung ein. Es bleibt ein Mangel, der nicht erfüllt werden kann. Dieser Mangel führt zu neuen Anstrengungen, noch mehr Gewinne zu erzielen.39 In 9b wird der eigentliche Grund für die unersättliche Liebe zum Geld erklärt. Nur weil mit Besitzstreben auch ein gewisser Mehrwert verbunden ist, versucht man, sich effektiv um sein Vermögen zu kümmern. Es geht somit immer um das Erzielen eines bestimmten Ertrages.40 Hier wird offenbar das Streben nach Reichtum nicht prinzipiell abgewertet. Vielmehr versucht man aus seinem Reichtum einen gewissen Ertrag zu ziehen, denn sonst wären alle Anstrengungen vergebens. Allerdings wird dieser Ertrag oft falsch bestimmt. Was der eigentliche Mehrwert des Reichtums ist, wird in den folgenden Ausführungen noch näher erläutert. Auf alle Fälle gilt die Beobachtung: Ohne Aussicht auf eine gewisse Rendite, lohnt es sich nicht, sich um sein Vermögen zu kümmern. Der Satz 9c betont schließlich, dass ein profitorientiertes Streben, wie es 9a schildert, nicht angeraten ist. Der Umstand, dass man mit seinen Anstrengungen einen gewissen Ertrag erzielen möchte, ist zwar ein wichtiger Antrieb für den Menschen, aber dieses Streben darf nicht nur um sich selbst kreisen und zur selbstzerstörerischen Sucht werden. Eine solche falsche Einstellung wäre letzten Endes Windhauch. Die Sinnlosigkeit der einseitigen Gewinnmaximierung wird somit schon am Anfang von Koh 5,9–19 in Frage gestellt. Der Mensch ist offenbar ein Nimmersatt, dessen Gewinnsucht oft nicht gestillt werden kann. Damit liegt das Koheletbuch auf einer Linie mit anderen weisheitlichen Aussagen, die das einseitige Streben nach Besitz negativ deuten. In vielen Texten wird Habgier als moralische Verfehlung gebrandmarkt. Nach Koh 5,9 ist es jedoch 37
Zur wörtlichen und übertragenen Bedeutung vgl. SCHELLENBERG 2013, 95. Vgl. SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER 1994, 143. Nach SCHOORS 2013, 421 meint Liebe zum Geld: „seeking it as an end rather than as a means“. 39 Zum Problem vgl. auch SPIECKERMANN/WELCKER 2006, 105. 40 Vgl. hierzu BAUER 2005, 66. SCHELLENBERG 2013, 95 erwägt auch noch die Bedeutung „Wer Reichtum liebt, (bleibt) ohne Ertrag“ Denn die Geldwirtschaft bietet keinen echten, sondern höchstens einen finanziellen Ertrag. 38
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eher eine unheilvolle Eigenschaft, nicht eine moralische Verfehlung. Es ist das Menschlich-Allzu-Menschliche: Der Teufelskreis der Gewinnsucht drängt den Menschen zu immer mehr. Die Aussicht auf Gewinn ist nach 9b durchaus nichts Schlechtes, da sie den Menschen antreibt. Nur kann auf diese Weise der Mensch nach 9a nicht wirklich gesättigt werden. Einzig und allein unter dieser Einschränkung ist das Windhauchurteil in 9c zu verstehen. Das vernünftige Streben nach Gewinn wird hingegen nicht notwendigerweise negativ gesehen. 10a Mit dem Vervielfachen des Gutes vervielfachen sich die, die es essen. b Und welcher Gewinn (ist) seinem Besitzer außer dem Sehen seiner Augen? Der Spruch in v.10 begründet in gewisser Weise die Aussage von v.9. Reichtum ist immer ambivalent. Auf der einen Seite zahlt Reichtum sich für den Reichen in sozialer Hinsicht aus. Denn Reichtum ist für die Außenstehenden attraktiv. Auf der anderen Seite häufen sich bald diejenigen, die dafür sorgen, dass der Besitz wieder weniger wird. Mit Reichtum ist nämlich auch eine soziale Verantwortung für die Ärmeren verbunden. Die „Esser“41 des Reichtums sind vermutlich keine einheitliche Gruppe: Der Reiche hat nämlich viele Nutznießer. Gerade eine Sippengesellschaft ist dem wirtschaftlichen Erfolg des Einzelnen hinderlich, da auch die übrigen Mitglieder der Sippe am Gewinn teilhaben wollen. Darüber hinaus steigen mit dem Besitz ebenso die Kosten, diesen zu erhalten. Denn man muss viele Leute anstellen, die dafür sorgen, dass die Erträge weiterhin sprudeln. Schließlich ist mit größerem Reichtum auch eine höhere Steuerlast verbunden. Alles in allem führt mehr Besitz oft dazu, dass die Ausgaben ebenfalls steigen, um diesen zu erhalten. Dem Reichen verbleibt nach 10b oft nur noch das Schauen seiner Augen, er hat folglich das „Nachsehen“. Der einzige Gewinn des Reichen besteht darin, seine Augen auf seinen Besitz zu werfen und ihm hinterher zu sehen, wie er sich verflüchtigt. Vielleicht muss man das Wort für „sehen“ nicht ausschließlich negativ sehen. Da nämlich das hebräische Wort für „sehen“ im Koheletbuch „genießen“ heißen kann, wird es sich nicht nur um den Überblick über das Vermögen oder das schlichte Sehen gehen. Mit dem „Sehen seiner Augen“ ist im Koheletbuch nämlich der Lebensgenuss ebenso verbunden.42 In diesem Fall liegt der Gewinn des Reichtums vor allem darin, dass man damit sein Leben genießen kann. Der Reichtum als solches wird folglich auch hier nicht notwendigerweise abgewertet, da er dem Reichen und seinen Freunden ein sorgenloses Leben bieten kann. 41
Nach SCHELLENBERG 2013, 96 kann dieses Wort wörtlich im Sinne von „verzehren“, oder übertragen im Sinne von „genießen“ gebraucht werden. Auf alle Fälle schwindet der Reichtum dahin. Er wird verzehrt. 42 Vgl. BACKHAUS 1993, 189.
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11a Süß (ist) der Schlaf des Arbeiters, b ob er wenig oder viel isst. c Und die Sättigung – dem Reichen, nicht verschafft sie ihm Ruhe zum Schlafen. Das Sprichwort Koh 5,11 wertet den Reichtum ebenfalls nicht prinzipiell ab. Es geht hier weder um den Gegensatz des fleißigen Arbeiters gegenüber den faulen Reichen oder die Differenz zwischen dem armen Arbeiter und dem Reichen. Ein Leben in Armut wird keinesfalls als Vorbild gezeichnet. Lediglich ungezügeltes Gewinnstreben lässt den Reichen nicht zur Ruhe kommen. Denn hier geht es wieder um die aus v.9 bekannte Sättigung, die sich beim Reichen oft nie einstellt. Während das Bild der Sättigung beim Arbeiter noch wörtlich gebraucht wird – er kann gut schlafen, ob er viel oder wenig gegessen hat –, wird beim Reichen der Akzent auf die metaphorische Ebene wie in v.9 verlagert. Hier geht es nicht mehr um die Sättigung mit Lebensmitteln, sondern um die Gier nach immer mehr Besitz, die zu Schlaflosigkeit führen wird. Der Reiche ist also nicht deshalb von Schlaflosigkeit geplagt, da er zuviel gegessen hat oder da ihm der Luxus zur Last fällt und Überdruss beschert oder da ihm die gesunde Erschöpfung des Arbeiters fehlt. Der Reiche wird vielmehr durch seinen Reichtum nie satt und strebt nach immer mehr, so dass er deshalb kaum noch schlafen kann.43 Außerdem bleibt zu beachten: Normale Arbeit wird im Alten Testament nirgendwo abgewertet, zumal schon im Paradies nach Gen 2,15 gearbeitet worden ist. Der Mensch wurde in den Garten Eden gesetzt, um diesen zu bewirtschaften. Nur die entfremdete Arbeit ist – wie der Fluch in Gen 3,17– 19 am Ende der Paradieserzählung nahelegt – eine Folge der Sünde des Menschen. Der Mensch findet sein Glück nicht jenseits der Arbeit, sondern immer – wie das Koheletbuch betont – „bei seiner Mühe“.44 Arbeit und Mühe gehören konstitutiv zum Menschsein. Sie sind notwendige, aber nicht hinreichende Bedingungen für die Möglichkeit des Lebensgenusses und haben somit einen relativen Wert.45 Der Mensch soll folglich neben der Mühe der Arbeit den Lebensgenuss nicht vergessen. Die ersten drei Sprichwörter werten den Reichtum somit nicht prinzipiell ab. Reichtum ist an sich nichts Schlechtes. Ein gewisses Maß an Besitz ist ohnehin nötig, damit man das Leben genießen kann. Nur die Gier nach immer mehr kann zu negativen Folgen führen.46
43
Vgl. zum Problem auch SCHELLENBERG 2013, 96f. Koh 2,24; 5,18; 8,15. 45 Vgl. KRÜGER 2000, 16. 46 Vgl. hierzu auch BAUER 2005, 67: „Das reine Streben nach Gewinn und Wachstum vermehrt auf lange Sicht nur die Probleme.“ 44
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3.2 Koh 5,12–16 Die üblen Folgen der Sucht nach Gewinn soll die in Koh 5,12–1647 geschilderte Beobachtung aus dem Umfeld Kohelets illustrieren, die von einem „krankhaften Übel“ (v.12 und 15) handelt. Dieses Übel hat dazu geführt, dass ein Mensch seinen ganzen Besitz verloren hat. Insofern kommt hier der relative Wert des Reichtums in den Blick. 12a Es gibt ein krankhaftes Übel, b ich habe (es) gesehen unter der Sonne: c Reichtum (wurde) aufbewahrt von/für seinem/n Besitzer für/zu sein Unglück. Die Deutung von 12c ist umstritten. Entweder man überträgt die erste Präpositionalverbindung mit „von seinem Besitzer“ – dann hätte sich der Inhaber des Reichtums selbst um die Vermögensanlage gekümmert –, oder man übersetzt „für seinen Besitzer“ – dann hätten andere das Vermögen für den Eigentümer zurückgelegt. Auch die letzte Präpositionalverbindung ist nicht eindeutig. So könnte man entweder „für sein Unglück“ oder „zu seinem Unglück“ übersetzen. Im ersten Fall hätte der Inhaber sein Vermögen für einen eventuellen Unglücksfall aufgespart, im zweiten Fall hingegen hätte er es so angelegt, dass diese Anlageform zu seinem Schaden verlief.48 Das „krankhafte Übel“ wird wohl darin bestanden haben, dass man mit Besitz falsch umgeht. Offenbar gibt man Geld an Dritte mit der Aufgabe, das Vermögen zu vermehren. Da die Gier nach mehr Geld nicht sättigt, wie schon die drei vorangestellten Sprichwörter ausgedrückt haben, wird die folgende Erzählung ebenfalls negativ verlaufen. Der Eigentümer übergibt seinen Reichtum anderen zur Aufbewahrung und eventuell zur Vermehrung anstatt ihn zu genießen. Solche Geschäfte hatten offenbar einen zweifelhaften Ruf. Der „Besitzer“ hat folglich eine falsche Anlage des Geldes gewählt, indem er es in fremde Hände gegeben hat.49 Dies wird ihm schließlich zum Verhängnis. 13a Doch verloren ging jener Reichtum durch ein schlechtes Geschäft. b Und er hat gezeugt einen Sohn c Und nicht (war) in seiner Hand etwas.
47
Nach KÖHLMOOS 2014, 155f. ist dieser Teil eine sekundäre Fortschreibung. Zu beiden Möglichkeiten vgl. KRÜGER 2000, 223. 49 LOHFINK 1998a, 143–150 verortet diesen Abschnitt lexikalisch sogar im hellenistischen Bankenwesen. Ähnlich auch KÖHLMOOS 2014, 156. Ob man allerdings so weit gehen darf, ist fraglich, zumal die semantische Beschreibung bei weitem nicht so eindeutig ist, wie man es sich wünschen würde, vgl. hierzu Anhang II. 48
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14a Wie er herausgekommen ist aus dem Schoss seiner Mutter, b nackt wird er wieder gehen, wie er gekommen ist. c Und nichts trägt er davon als sein Vermögen, das er in seiner Hand trägt. In Koh 5,13–14 ist nicht deutlich, ob sich die einzelnen Aussagen auf den verarmten Vater, auf den Sohn oder gar auf beide beziehen. Vermutlich wurde bewusst doppeldeutig formuliert, da der Verlust beide betrifft. Weder besitzt der Vater nach diesem schlechten Geschäft ein Vermögen, noch kann der Sohn davon etwas erben. Gerade die Tatsache, dass sich nun Nachkommenschaft eingestellt hat, verschärft die finanzielle Lage des verarmten Reichen. Der Ausdruck „schlechtes Geschäft“ in v.13 bedeutet eigentlich „Beschäftigung mit etwas Schlechtem“. Um welche Beschäftigung es sich handelte, wird nicht gesagt. Vielleicht ist an Fehlspekulation, geschäftlichen Zusammenbruch, Bankrott, Insolvenz oder dergleichen zu denken. Es ist auf alle Fälle ein schlimmer Unglücksfall bei einem bestimmten Geschäft eingetreten. Die Aussage in v.14 vom nackten Herauskommen aus dem Mutterleib wird meist mit Geburt und Tod verbunden.50 Der Mensch ist nackt bzw. besitzlos auf die Welt gekommen und wird diese wieder nackt verlassen. Angesichts der Todesgrenze erübrigt sich somit das Streben nach Reichtum, da man nichts mitnehmen kann: „Das letzte Hemd hat keine Taschen“. Eine andere Deutung von v.14 ist jedoch auch möglich. V.14 könnte nämlich eine Aussage über den Sohn des Reichen sein: Er ist nackt und ohne Besitz auf die Welt gekommen. Nach dem Verlust des Vermögens seines Vaters muss er ohne Besitz sein Leben führen. Trotz der vormaligen Anstrengung seines Vaters ist von dem zurückgelegten Vermögen des Vaters nichts mehr vorhanden. In Koh 5,12–14 wird insgesamt der relative Wert des Reichtums betont, da sein Verlust als Übel bewertet wird. Wenn ein Reicher seinen Besitz verliert, so ist dies nach dem Koheletbuch ein großes Unglück. Hier stellt sich keine Schadenfreude ein. Damit wendet sich das Koheletbuch gegen Stimmen, die Reichtum prinzipiell abwerten. Für das Glück des Menschen ist ein Mindestmaß an materiellen Gütern notwendig. Der eigentliche Wert des Reichtums liegt darin, dass er den Lebensgenuss im Hier und Jetzt erst ermöglichen kann. Insofern soll Reichtum nicht für später aufgespart werden, zumal man nie weiß, wie sich alles entwickeln wird.51
50 Vgl. Ij 1,21. SCHELLENBERG 2013, 97 deutet dieses Wort auf den Vater, der ohne Vermögen aus dem Leben scheidet. 51 Vgl. hierzu auch MOOSBRUGGER 2007, 77, demzufolge Kohelet „mit Blick auf die prinzipielle Flüchtigkeit allen materiellen Besitzes auf die lebensweltliche Verderblichkeit des nur auf das Anhäufen von Reichtum ausgerichteten Lebens“ hinweist. Ähnlich auch SCHELLENBERG 2013, 97, die das „Übel“ darin sieht, dass man das Vermögen nicht zum Lebensgenuss verwendet.
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15a b c 16a b c
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Ja, dies (ist) ein krankhaftes Übel. Ganz wie das Kommen so wird er gehen. Und welcher Gewinn (ist) dem, der sich abmüht für den Wind? Auch (während) aller seiner Tage isst er in Dunkelheit Und er ärgert sich sehr und ihm (ist) Krankheit und Zorn.
An der Deutung des Satzanschlusses v.15 entscheidet sich die Frage, ob v.15–16 eine Fortsetzung des Vorausgehenden ist oder ob es sich hier um einen neuen Fall handelt. Im ersten Fall wird das Schicksal des verarmten Reichen geschildert. Dieser hat sich nach dem Verlust seines Reichtums „für den Wind“ abgemüht (15c), ohne dass er die Früchte seiner Arbeit jemals genießen kann. Der verarmte Reiche führt fortan eine unglückliche Existenz. Er wird nach seinem Vermögensverlust nie wieder auf einen grünen Zweig kommen. In v.16 folgen dann die bitteren Konsequenzen einer verfehlten Vermögenspolitik. Offenbar wird hier das suchtgesteuerte Gewinnstreben des Reichen kritisiert, das zu großem Unglück führen kann und nur Verdruss, Krankheit und Zorn hervorbringt (16b.c). Eine 100 % risikofreie Kapitalanlage scheint es schon damals nicht gegeben zu haben. Aufschlussreich ist das hebräische Wort für „Gewinn“, das von der Form her ein Diminutiv des Wortes „Rest“ ist. Was der Kapitalmarkt als „Gewinn“ verzeichnet, ist im Koheletbuch nicht mehr als ein „Restchen“.52 Wenn Koh 5,15–16 jedoch keine Fortsetzung von Koh 5,12–14 ist und somit einen neuen Fall schildert, wird damit unterstrichen, dass ein gutes Leben ohne gewissen Besitz kaum möglich ist.53 Ein armer Mensch müht sich folglich ein Leben lang ab, ohne es zu eigenem Wohlstand zu bringen. Zwar kann der Besitz ein gutes Leben ermöglichen, vor allem dann, wenn dieser richtig eingesetzt wird, aber es gibt genauso den anderen Fall, dass man sich immer wieder vergeblich abmüht. In diesem Fall illustriert v.16 die in v.15 beschriebene vergebliche Mühe für den Wind. Der arme Arbeiter, der sich für den Wind abmüht, muss nach v.16 im Dunkeln essen, was entweder darauf hinweist, dass er es sich nicht leisten kann, sein Haus mit einer Öllampe zu beleuchten, oder dass er bis spät in die Nacht arbeiten muss und erst dann essen kann.54
52
Vgl. BARTELMUS 1990, 53–55. Vgl. hierzu BAUER 2005, 68. 54 Nach SCHELLENBERG 2013, 98f. ist in v.16 nicht die Folge des Vermögensverlustes im Blick, sondern die Konsequenz eines Verzichtes auf Lebensgenuss. 53
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3.3 Koh 5,17–19 Der Abschnitt Koh 5,17–19 darf als theologischer Text betrachtet werden, da hier insgesamt viermal das Wort „Gott“ genannt wird.55 Es werden nun die Schlussfolgerungen gezogen, wie man eigentlich mit Reichtum umgehen sollte. 17a Siehe, was ich als Gutes gesehen habe: b Dass es schön ist, zu essen, zu trinken, zu sehen das Gut bei all seiner Mühe, mit der man sich abmüht unter der Sonne in der Anzahl der Tage seines Lebens, die der Gott einem gibt. c Denn jenes ist sein Anteil. Zu dem hier beschriebenen Glück gehört, dass man alle Tage des begrenzten Lebens isst, trinkt und das Leben genießt. Ziel aller Anstrengungen des Menschen kann es dementsprechend nicht sein, möglichst viele Güter anzuhäufen, sondern diese auszukosten. Gott hat dem Menschen ohnehin nur eine begrenzte Lebenszeit gewährt, die es zu nutzen gilt. An dem geschilderten Lebensgenuss, der durch materielles Gut erleichtert wird, darf der Mensch durchaus seinen „Anteil“ haben. Durch diesen „Anteil“ ist vollkommenes Lebensglück möglich und angesichts der begrenzten Lebenszeit auch geboten. Der hebräische Ausdruck „bei all seiner Mühe“ ist doppeldeutig:56 entweder soll man sein Leben „während all seiner Arbeit“ nutzen, oder er betont, dass nur „aufgrund seines ganzen Besitzes“ Lebensgenuss erst möglich ist. Aufgrund dieses Bedeutungsspektrums ist die Freude eine Größe, die das ganze Leben durchdringen soll, bei der Arbeit, aber ebenso bei der durch Reichtum ermöglichten Freizeit. 18aP Ja, jeder Mensch, dem der Gott Reichtum und Vermögen gibt und ihm ermöglicht, davon zu essen, und seinen Anteil abzuheben und sich zu freuen durch seinen Besitz, a dieses: eine Gabe Gottes (ist) es. Nach v.18 ist Reichtum keineswegs etwas Schlechtes. Es ist eine Gabe Gottes, mit der man sich des Lebens erfreuen kann. Gott hat zudem den Menschen ermöglicht, seinen Reichtum auszukosten. Somit hat Gott im Voraus den Reichtum nicht nur dem Menschen zur Verfügung gestellt, er hat gleichzeitig damit auch die Neigung des Menschen grundgelegt, den Reichtum ausnützen zu können. Damit sind zwei schöpfungstheologische Grundvoraussetzungen genannt.57 Prinzipiell ist der Mensch somit zum richtigen Genuss des Reichtums fähig. Glück besteht folglich nicht im Haben, sondern im Er55
Vgl. LOHFINK 1998b, 159. Vgl. SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER 2004, 340. 57 Vgl. SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER 2004, 343. 56
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leben, wozu der Mensch prinzipiell fähig ist. Die Formulierung „davon zu essen“ ist wohl so zu deuten, dass der Reiche keineswegs all seinen Besitz rücksichtslos aufbrauchen soll. Das Verbum „essen“ ist hier zudem im Sinne von „konsumieren“ zu verstehen.58 Darüber hinaus soll sich der Reiche angesichts seiner vielfältigen Bemühungen freuen. Der Reiche darf demnach seinen Anteil am Reichtum durchaus für sich nutzen und sein Leben genießen. Das ist keinesfalls etwas Schlechtes. 19a Denn nicht viel denkt er an die Tage seines Lebens, b denn Gott beschäftigt (ihn) mit der Freude seines Herzens. Der abschließende v.19 greift die in v.17 eingeführte begrenzte Lebenszeit erneut auf und weist auf die von Gott geschenkte Freude hin. In Anbetracht der Tatsache, dass der von Gott geschenkte Anteil zeitlich begrenzt ist, muss man den Augenblick in rechter Weise nutzen. Man soll sich nicht zu viel Gedanken machen, da dies vom Lebensgenuss abhält. Angesichts der begrenzten Lebenszeit ermöglicht Gott nicht nur die Freude, sondern beschäftigt den Menschen mit der Freude. Aus alledem folgt: Das Koheletbuch wendet sich gegen jede undifferenzierte Abwertung des Reichtums. Denn gerade der Genuss der Güter ist ein von Gott geschenkter Anteil. Auch wenn Reiche und Arme einen gewissen Anspruch auf einen Anteil an den verfügbaren Gütern haben, ist keine klassenlose Gesellschaft angezielt. Es darf nämlich durchaus Reiche geben. Allerdings bleibt zu beachten, dass es keinen menschlichen Anspruch auf Reichtum gibt, auch wenn dieser ganz normal zum Leben gehört. Die göttliche Verteilung des Reichtums bleibt letzten Endes unergründbar und unverfügbar.59 Die Reichen tragen jedoch im Gegenzug eine gewisse soziale und solidarische Verantwortung. Insofern wird keine egozentrische oder egoistische Haltung im Koheletbuch vermittelt. Der Genuss des eigenen Anteils geschieht im Bewusstsein, dass der Mensch in Beziehung zu anderen Menschen lebt und dass bereits verbrauchte Güter nicht mehr genutzt werden können.60 Der Wert des Besitzes besteht folglich darin, den aktuellen Genuss zu ermöglichen. Angesichts der Möglichkeit und der Erfahrung, dass Güter schnell verloren gehen können, sollte man mit den Mitmenschen zusammenarbeiten, um sich vor den Wechselfällen des Lebens abzusichern. Nach Koh 11,2 soll der Reiche anderen Personen ebenso einen Anteil an seinem Besitz gewähren angesichts der Möglichkeit, dass man selbst irgendwann in der Zukunft in großes Unglück geraten kann. Wenn man andere Bedürftige zuvor unterstützt hat, kann man berechtigterweise ebenfalls Hilfe erwarten. Dementsprechend ist es 58
Vgl. FISCHER 1999, 55. Vgl. FISCHER 1999, 55. 60 Vgl. KRÜGER 2000, 15f. 59
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weder irrational noch unklug, sein Vermögen in Wohlfahrtsmaßnahmen zu investieren, da die Zukunft ungewiss und unverfügbar ist und man schnell selbst auf Hilfe angewiesen sein kann.61 Insofern könnte sich das Risiko lohnen, Gutes mit seinem Vermögen zu tun, auch wenn man nie weiß, ob man später davon irgendeinen Nutzen hat. Auch in Koh 4,9–12 wird betont, dass man Probleme solidarisch meistern sollte. Im Gegensatz zur Armenfrömmigkeit,62 die gerade in der Armut die richtige Lebensform sieht, wird Armut im Koheletbuch überhaupt nicht positiv gezeichnet. Diese gilt es vielmehr zu überwinden, da jedem Menschen der Lebensgenuss als „Anteil“ zusteht. Aus diesem Grund wendet sich das Koheletbuch zum einen gegen eine einseitige und rücksichtslose Vermehrung und Nutzung des eigenen Reichtums und spricht sich zum anderen für eine solidarische Gesellschaftsordnung aus. Die Armen sollen genauso am Reichtum teilhaben dürfen. Wohlstand soll eigentlich von allen genutzt werden können, da dieser ein Geschenk Gottes für alle Menschen ist. Hier ist der Leitspruch der sozialen Marktwirtschaft grundgelegt, der lautet: „Wohlstand für alle.“ Auch wenn Kohelet vor rastlosem Erwerb von Besitz warnt, ruft er nicht zur Passivität auf. Er warnt aber vor den hohen Risiken, die mit einer Akkumulation von Gütern verbunden sein kann. Demgegenüber rät er, den eigenen Besitz als gute Gabe Gottes zu genießen. Besitz als kapitalisierbares Vermögen hat zwar gewisse Chancen, unterliegt aber hohen Risiken. Daher soll Besitz als unveräußerliche Gabe Gottes vom Menschen genossen werden. Somit ist das Koheletbuch eine Warnung davor, den eigenen Besitz wie der verarmte Reiche auf dem Kapitalmarkt zu verzocken.
Anhang I Der Text Koh 5,9–19 hat zahlreiche syntaktische und semantische Probleme, die sich oft nicht eindeutig lösen lassen. Insofern sollen im Folgenden diese Schwierigkeiten in den Blick genommen werden: 9b: Das Fragepronomen מיwird meist als Indefinitpronomen gewertet,63 so dass 9b analog wie 9a gedeutet wird. Dann muss man für das Verbum שׂבע „satt werden“ aus 9a eine Double-Duty-Funktion annehmen, also „und wer Reichtum liebt, nicht vom Ertrag (wird er satt)“.64 Da aber in 10b ebenfalls 61
Vgl. KRÜGER 2009, 176. Gegen einen Bezug zur Armenfrömmigkeit KÖHLMOOS 2014, 158. 63 Vgl. SCHOORS 2013, 421. Zu einem solchen Gebrauch des Fragepronomens vgl. GK § 137c; WALTKE-O’CONNOR §18.2e. Nach ISAKSSON 1987, 155 können Fragepronomen auch ohne anschließendes Relativpronomen einen unabhängigen Relativsatz einführen. 64 Vgl. hierzu SCHOORS 1992, 59; SEOW 1997, 205; LONGMAN 1998, 160; FOX 1999, 235; FRYDRYCH 2002, 165; SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER 2004, 326; SCHOORS 2013, 62
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eine Frage formuliert wird, muss auch in 9b das Fragepronomen nicht abweichend als Indefinitpronomen gedeutet werden.65 Die Verwendung der Präposition בnach dem Verb אהבist singulär und könnte auf Dittographie zurückgeführt werden.66 Allerdings wird diese Präposition auch dann verwendet, wenn der Gegenstand eingeführt werden soll, auf den sich die geistige Tätigkeit bezieht,67 so dass man die Präposition nicht notwendigerweise tilgen muss. Fraglich ist jedoch, weshalb אהבin 9a nicht ebenfalls mit einem Präpositionalausdruck verbunden wird.68 Gelegentlich wird das Nomen תבואה analog zur Peschitta als Verb verstanden,69 was aber zum einen nicht nötig ist und zum anderen nur eine analoge Satzbildung wie 9a darstellt. Der Ausdruck לא תבואהist vielmehr eine appositionelle Ergänzung zu המון.70 10a: Die beiden Worte „ טובהmaterielles Gut“ und „ טובethisch Gutes“ werden im Koheletbuch sorgsam unterschieden.71 Eine Engführung von טובה auf „Lebensmittel“ wie in Sir 30,18 ist hier wohl nicht anzunehmen.72 10b: Der Ausdruck בעליה, eigentlich „seine Besitzer“, ist vermutlich ein Herrschafts- oder Hoheitsplural.73 Eine semantische Unterscheidung von
422; KÖHLMOOS 2014, 154. Dagegen aber LEVY 1912, 96, demzufolge 9b eine Tautologie zu 9a sei. Ähnlich schon DELITZSCH 1875, 294. 65 Vgl. KRÜGER 2000, 222. 66 Vgl. GORDIS 1955, 241; HERTZBERG 1963, 128; WHITLEY 1979, 51; CRENSHAW 1988, 121; LONGMAN 1998, 160; FOX 1999, 235; KRÜGER 2000, 222; SCHOORS 2004, 319; SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER 2004, 326; OGDEN 2007, 87. Kritisch hierzu aber SCHOORS 2013, 422. 67 Vgl. GK § 119l (mit Beispielen); BRSYN 97. Vgl. auch LEVY 1912, 96; SEOW 1997, 204f. Darüber hinaus wird diese Präposition von der Lesart der LXX bestätigt, vgl. SCHOORS 1992, 193. 68 SEOW 1997, 204 weist zumindest auf dieses Problem hin. 69 GORDIS 1955, 241 verändert תבואהzu einem Verb mit angefügtem enklitischen Personalpronomen: „it will not come to him.“ Die feminine Verbform erkläre sich aufgrund des femininen Subjekts המון. Zum Problem vgl. KRÜGER 2000, 222. Nach WHITLEY 1979, 51 ist hier „ לא לו תבואהHe who loves riches has no gain“ zu lesen, wobei לוaufgrund von Homonymie getilgt worden sei. Diese Lösung hat schon LEVY 1912, 96 vorgeschlagen. Ähnlich – allerdings ohne Ergänzung von – לוDELITZSCH 1875, 295. Gegen eine Lesung von לא לו תבואה, die – abgesehen vom Targum – von keiner Version belegt wird, SEOW 1997, 205. 70 Vgl. zur Textkritik von 9b noch MUTIUS 2010, 87–93. 71 Vgl. KRÜGER 1997, 54–59; BACKHAUS 1998, 142f.; SAUTERMEISTER 2008, 101. Nach SPIECKERMANN 2004, 39 handelt es sich bei טובהum den „Inbegriff von Reichtum in Gestalt von Geld und Besitz“. Auf ein Kollektivnomen deutet nach OGDEN 2007, 87 auch das Femininsuffix. Kritisch zu einer solchen Unterscheidung der beiden Wörter aber SCHOORS 1998, 694; FOX 1999, 116; SCHOORS 2004, 39. 72 So aber FOX 1999, 236.
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Ketib ראיתund Qere ראותliegt nicht vor, da beide Lexeme abstrakte Nominalbildungen der Wurzel ראהsind.74 Außerdem handelt es sich in beiden Fällen um Hapaxlegomena. Es verwundert daher nicht, dass die Bedeutung des Abstraktlexems ראיתbzw. ראותumstritten ist, entweder „Anblick“ oder „Nachsehen“,75 wobei die zweite Übersetzungsalternative die Enttäuschung des am Genuss gehinderten Besitzers auszudrücken vermag.76 Für eine ursprüngliche Lesart des Ketib ראיתspricht LXX insofern, als ἀρχή auf ראשית zurückgeführt werden kann, was wohl als verderbte Lesart von ursprünglichen ראיתzu werten ist.77 Dementsprechend erübrigt es sich, hier – wie manche Handschriften – einen Infinitiv anzusetzen.78 11a: LXX vokalisiert hier nicht als Partizipialform, sondern als Nomen
„ עבדSklave“.79 Es soll hier aber kaum der Kontrast Herr-Sklave gezeichnet
werden. Vielmehr soll die Unterscheidung zwischen fleißigem Arbeiter und faulem Reichen, also zwischen Arbeitendem und Nichtarbeitendem, besonders betont werden, die sich dann auch im Ergehen niederschlägt.80 Diesem Spruch liegt wohl die Erfahrung zugrunde, dass körperlich anstrengende Arbeit einen gesunden Schlaf garantiert.81 Die Deutung des hier vorliegenden 73
Vgl. SCHOORS 1992, 72; LONGMAN 1998, 160; KRÜGER 2000, 223. Vgl. zu dieser Verwendung des Plurals GK §124g–i; JM §136d; WALTKE-O’CONNOR §7.4.3. Nach SCHOORS 2013, 424 handelt es sich um einen „plural of intensity or excellence“. 74 Vgl. FREDERICKS 1989, 22 Anm. 10; SCHOORS 1992, 35; SCHWIENHORSTSCHÖNBERGER 2004, 326. 75 HERTZBERG 1963, 128 bietet die Übersetzungen „Zusehen, Nachsehen“. 76 Vgl. ZIMMERLI 1967, 188. 77 Vgl. auch HERTZBERG 1963, 128. Zu der Lesart ראית, vgl. SEOW 1997, 205. Dieses Wort ist zudem im nachbiblischen Hebräisch belegt. SCHOORS 1992, 35 weist jedoch darauf hin, dass die Lesart ראותim Qere eines Fragments aus Kairo und in der orientalischen Handschriftentradition zu finden ist. Zum Problem vgl. auch SCHOORS 2013, 425. 78 Vgl. zu dieser Möglichkeit WHYBRAY 1989, 99; LONGMAN 1998, 160. FOX 1999, 236 weist darauf hin, dass bei einem Infinitiv gegenüber einem Abstraktnomen der Handlungsaspekt besonders betont werde. 79 So auch Symmachus und Theodotion. Vgl. hierzu SCHOORS 2013, 246f. Diese Lesart übernimmt FOX 1999, 235. Kritisch hierzu CRENSHAW 1988, 122, der zudem an eine Abkürzung für עבד האדמהdenkt. Dieser Vorschlag geht schon auf Ibn Ezra zurück, vgl. SEOW 1997, 205. SCHOORS 2004, 316 weist zudem auf die Textüberlieferung der Vulgata, Peschitta und des Targum hin, die MT stützen. 80 Vgl. HERTZBERG 1963, 128; LAUHA 1978, 107. Gerade diese Unterscheidung bezweifelt aber FOX 1999, 236, da sich auch der reiche Mensch anstrengt und hart arbeitet. Darüber hinaus werde das Nomen עבדnie für einen Angehörigen der Arbeiterklasse gebraucht. Allerdings gibt es den Begriff „ עבד משׁחÖlarbeiter“ in einem aramäischen Text aus Nord-Saqqara im Zusammenhang mit anderen Lohnarbeitern [TAD C:3.11, 4.11], so dass dieses Nomen im perserzeitlichen Kontext durchaus den „Arbeiter“ beschreiben konnte. Vgl. zu diesen Texten SEGAL 1983, 34–36. 81 Vgl. DELITZSCH 1875, 295; SCHELLENBERG 2013, 96.
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Gegensatzpaares ist aber vor dem Hintergrund schwierig, da in der alttestamentlichen Weisheit in der Regel zwischen dem Faulen und dem Fleißigen oder dem Armen und dem Reichen unterschieden wird,82 beide Dinge aber kaum wie hier vermengt werden. 11c: Einen völlig anderen Sinn würde die Deutung von הvor שׂבעergeben, wenn man הnicht als Artikel, sondern als Fragepronomen deutet: „Und gestattet die Sättigung des Reichen nicht ihm zu schlafen?“ Auch wenn vor dem Fragepronomen durchaus eine Konjunktion וstehen kann, widerspricht diese Deutung dem Kontext, der gerade die Sorge um die Vermehrung und den Erhalt des Reichtums thematisiert. Hier ist wohl eher eine Pendenskonstruktion mit zwei Pendentia anzunehmen, die im Nominalsatz beide aufgenommen werden.83 Meist wird vermutet, dass die Präpositionalverbindung לעשׁיר genitivische Bedeutung hat.84 Da beide Elemente determiniert sind, ist jedoch לעשׁירkaum als präpositionaler Ersatz anstelle eines nomen rectum zu werten. Vermutlich sind somit die Elemente והשׂבעund לעשׁירPendentia, die beide im Hauptsatz durch enklitische Personalpronomina aufgegriffen werden.85 12a: Das Lexem חולהkann entweder als attributives Partizip feminin „krankhaft“86 oder als appositionelles Nomen „Krankheit“ gedeutet werden, also „Es gibt ein Übel, ja eine Krankheit“.87 LXX hat diese Doppelung erkannt und folglich „Krankheit“, also nur חולה, übersetzt.88 12b: Bei diesem Satz könnte es sich um einen asyndetischen Relativsatz handeln,89 der sich auf das Objekt von 12a bezieht. 12c: Wie schon in 10b wird auch hier ein Herrschaftsplural vorliegen. Die Deutung der Präpositionalverbindung לבעליוist umstritten. Entweder man 82
Vgl. FISCHER 1997, 63. Vgl. hierzu GROSS 1987, 167. GORDIS 1955, 242 sieht hingegen in השׂבע לעשׁירeine späte Genitivkonstruktion. 84 Vgl. SCHOORS 1992, 171. 85 Vgl. GROSS 1987, 167 Anm. 30. 86 Vgl. schon DELITZSCH 1875, 296 oder LEVY 1912, 96: „krankhaft, schwer heilbar“; BACKHAUS 1993, 189 Anm. 70. Nach GORDIS 1955, 242 kann dieses Wort mit „sickening“ wiedergegeben werden. Dagegen aber SCHOORS 2004, 254f., demzufolge durch das Adjektiv die Intensität des „Übels“ unterstrichen würde. Gegen eine Deutung als Substantiv SCHOORS 2013, 430. 87 Zu dieser syntaktischen Unterscheidung vgl. MICHEL 1989, 189; SCHWIENHORSTSCHÖNBERGER 2004, 331. 88 Vgl. LONGMAN 1998, 161. 89 Vgl. schon DELITZSCH 1875, 296; ZIMMERLI 1967, 189; LAUHA 1978, 107; SCHOORS 1992, 210. Zur Möglichkeit von asyndetischen Relativsätzen, die nicht notwendigerweise ein retrospektives Pronomen benötigen vgl. JM §158c; BRSYN 143. 83
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überträgt mit „von seinem Besitzer“90 – dann hätte sich der Inhaber des Reichtums selbst um die Vermögensanlage gekümmert –, oder man übersetzt „für seinen Besitzer“91 – dann hätten andere das Vermögen für den Eigentümer zurückgelegt. Auch die letzte Präpositionalverbindung לרעתוist nicht eindeutig. So könnte man entweder „für sein Unglück“ oder „zu seinem Unglück“ übersetzen. Im ersten Fall hätte der Inhaber sein Vermögen für einen eventuellen Unglücksfall aufgespart, im zweiten Fall hingegen hätte er es so angelegt, dass die gewählte Anlageform zu seinem Schaden verlief.92 Das enklitische Personalpronomen ist vermutlich auf den Eigentümer, nicht auf den Reichtum zu beziehen.93 Manchmal wurde erwogen, dass das Partizip Passiv שׁמורnicht Prädikat des Nominalsatzes, sondern lediglich selbständiges Attribut zu עשׁרsei.94 Dann muss man allerdings לבעליוnicht als Dativ, sondern als fakultatives Circumstantial zum Prädikat לרעתוziehen. In diesem Fall würde prinzipiell jede Kapitalrücklage als Unglück bezeichnet werden. Jedoch wäre dann die Position des Circumstantial vor dem eigentlichen Prädikat des Nominalsatzes erklärungsbedürftig.95 13a: Die Konjunktion וkann auch als waw-explicativum „nämlich dass“ gedeutet werden, die dann „sein Unglück“ aus 12c erklären möchte. In diesem Fall dient 13a dazu, den Unglücksfall näher zu konkretisieren.96 14a: 4Q109 hat vor כאשׁרoffenbar noch verstärkend כיאgesetzt.97 14c: Offenbar wird מאומהdurch den Relativsatz 14c erklärt.98 Die meisten Versionen haben שׁילךaufgrund der Defektivschreibung des MT hier nicht als H-Stamm, sondern offenbar als G-Stamm der Wurzel הלךgelesen.99 Al90 Vgl. ISAKSSON 1987, 45; CRENSHAW 1988, 122; SCHOORS 1992, 199; FISCHER 1997, 57; LAURENT 2002, 68; SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER 2004, 331. Die Präpositionalverbindung לבעליוkann den Urheber bei Passivkonstruktionen angeben, vgl. JM §132f; BRSYN 100. 91 Vgl. GORDIS 1955, 242. Zum Problem vgl. auch CRENSHAW 1988, 122. MICHEL 1998, 98 denkt an beide Übersetzungsvarianten. 92 Zu beiden Möglichkeiten vgl. KRÜGER 2000, 223. 93 Vgl. LAURENT 2002, 68; SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER 2004, 331. Anders hingegen FRYDRYCH 2002, 151 Anm. 56. 94 Vgl. HERTZBERG 1963, 128. 95 Zu den syntaktischen Problemen dieses Verses, vgl. SCHOORS 2013, 431. 96 Vgl. hierzu SEOW 1997, 206. 97 Vgl. SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER 2004, 112 gegen KRÜGER 2000, 223, demzufolge 4Q109 כיאanstelle von כאשׁרzu lesen sei. Nach GALLING 1969, 102 überliefert MT die bessere Lesart. Nach DELSMAN 1982, 364 wird durch die Konjunktionen כאשׁר, כשׁund כל־עמת שׁjeweils ein Vergleichssatz eingeleitet. 98 Vgl. zum Problem GORDIS 1955, 243. 99 Z.B. LXX, vgl. BACKHAUS 1993, 190 Anm. 74. Vgl. zum Problem SCHOORS 1992, 89; LONGMAN 1998, 161; FRYDRYCH 2002, 152 Anm. 58. Dagegen WHYBRAY 1989, 101, der an eine Defektivschreibung des H-Stammes denkt. DELSMAN 1982, 363 vermutet hier
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lerdings müsste man dann die Präpositionalverbindung בידוdirektiv deuten, also „was in seine Hand hinein geht“.100 Eine Tilgung von בידוist durch nichts angezeigt. 15a: Wahrscheinlich wird גםals Partikel zur eigentlichen oder umschriebenen Wiederholung gebraucht.101 Folglich leitet גםkeinen neuen Fall ein. Vielmehr wird das bereits Bekannte bekräftigt.102 Die Konjunktion וvor גם kann als Dittographie gedeutet werden.103 15b: Der Ausdruck כל־עמתwird wohl fehlerhaft überliefert sein, da sich עמהansonsten immer mit der Präposition לverbindet.104 Nur hier wird von MT eine Constructus-Verbindung der Wörter כלund עמהgelesen, was aller-
dings schwierig wiederzugeben ist.105 Aus diesem Grund wurden die unterschiedlichsten Lesarten vorgeschlagen – כלעמת,106 כי לעמת107 oder כל לעמת108 –, ohne dass damit eine entscheidende Bedeutungsdifferenz verbunden wäre. Die Verbindung כל־עמתpendiert zudem kaum vor dem mit der
einen Jussiv. SEOW 1997, 207 weist zudem darauf hin, dass einige Handschriften יולך lesen. 100 Vgl. hierzu SEOW 1997, 207. 101 Bei 4Q109 fehlt die Konjunktion וvor גם. HERTZBERG 1963, 129 gibt dieser Lesart den Vorzug, was aber nicht nötig ist. SEOW 1997, 207 weist noch auf weitere hebräische Handschriften hin, die ebenfalls auf die Konjunktion וverzichten. 102 Vgl. MICHEL 1989, 189; SCHOORS 1992, 133; LONGMAN 1998, 161; SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER 2004, 331; SCHOORS 2013, 438. Anders hingegen WHYBRAY 1989, 101, der an ein zweites Übel denkt, das zwar das Vorausgegangene wiederholt, aber auch erweitert. 103 Vgl. FISCHER 1997, 57 Anm. 6; SEOW 1997, 207. 104 Vgl. zum Problem SCHOORS 1992, 146f. Nach GK §161b wird durch diese Konstruktion die „genaue Übereinstimmung der beiden Thatsachen“ ausgedrückt. 105 DELITZSCH 1875, 298 deutet כל־עמתjedoch als „ganz ebenso“ und belässt folglich den schwierigen Konsonantentext. 106 Vgl. DAHOOD 1952, 40; WHITLEY 1979, 53; SCHOORS 1992, 146f.; FISCHER 1997, 57 Anm. 7; SEOW 1997, 207; LONGMAN 1998, 161; FOX 1999, 237; FRYDRYCH 2002, 152. GORDIS 1955, 243; WHITLEY 1979, 53; CRENSHAW 1988, 123 halten MT für eine aramaisierende Schreibweise für die ursprüngliche Präpositionalverbindung. Gegen diese Lesart aber zu Recht HERTZBERG 1963, 129. Denn das Lexem עמהträgt den Vergleich schon in sich, so dass sich eine Fügung von עמהmit der Präposition כeigentlich semantisch verbietet. 107 Vgl. GALLING 1969, 102. Dieser Lesart folgen offenbar LXX und Vulgata, vgl. SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER 2004, 332. 108 Vgl. LAUHA 1978, 107, der an Haplographie denkt. Nach LEVY 1912, 97 ist hier „ כל לעמתjeder, wie“ zu lesen. Beide Worte sind darüber hinaus zusammengelesen worden, so dass ein לentfallen konnte.
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Konjunktion כןangeschlossenen Hauptsatz,109 sondern bildet einen vergleichenden Nebensatz. 16a: Gegenüber der Verbalform von MT יאכלliest LXX offenbar ואבל „und Trauer“.110 Da es aber im Kontext immer wieder um das „Essen“ und „Sattwerden“ geht, muss man hier nicht den Text verändern.111 Darüber hinaus tilgt man auf dieses Weise das Verbum des Satzes, vor allem wenn man כעסebenfalls als Nomen deutet.112 Man kann freilich die drei Nomina כעס, חליund קצףals Erweiterung zu בחשׁךdeuten, die dann ebenfalls von der Präposition בregiert werden. Dies ist zwar nicht ausgeschlossen,113 aber aufgrund der Trennung der vier Nomina durch das Verb kaum angezeigt. Die Constructusverbindung כל־ימיוist zum Verbum יאכלdarüber hinaus weder Subjekt des Satzes, nämlich „die Gesamtheit seiner Tage verzehren“, noch direktes Objekt im Sinne von „alle seine Tage verzehren“, sondern wahrscheinlich Akkusativ der Zeit.114 Eine Änderung von בחשׁךzu „ בחשׂךin Sparsamkeit“ ist ebenfalls nicht nötig.115 16b–c: Die schwierige Syntax dieses Satzes wird von den Versionen meist geglättet. So lesen LXX und Vulgata „und viel Verdruss und Krankheit und Zorn“, wobei die Verbalform וכעסnach Änderung der Vokalisation zu einer
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Vgl. zum Problem BACKHAUS 1995, 22. „Bei Relationen, wo (aphrastisch/phrastisch) Äußerungseinheiten inhaltlich in Beziehung zueinander gesetzt werden, ist eine syntaktische Erscheinung wie eine Pendenskonstruktion ausgeschlossen, da es hier nicht um inhaltliche Betonungen geht, sondern um ein Inbeziehungsetzen.“ 110 So auch ZIMMERLI 1967, 189; GALLING 1969, 102; LAUHA 1978, 107; FRYDRYCH 2002, 152. Nach SEOW 1997, 207 geht die Lesart der LXX auf ein graphisches Versehen zurück, indem sie וstatt יund בstatt כgelesen habe. Darüber hinaus habe die LXXTradition das Nomen אבלebenfalls unter die Präposition בgezogen, also „in Finsternis und in Trauer“. Auf die Problematik eines langen Nominalsatzes weist jedoch KUGEL 1989, 39 hin. Er erwägt zudem noch eine Umpunktierung zu einem passiven N-Stamm. 111 Vgl. WHITLEY 1979, 54; WHYBRAY 1989, 101; FOX 1999, 238. HERTZBERG 1963, 129 wendet hier noch ein, dass man verstehen kann, „daß jemand sich krank arbeitet und dabei Kummer und Ärger sich zuzieht, aber nicht, daß er dabei ‚Trauer‘ hat“. Jedoch passt אבלbestens zu כעסund zu קצף, so dass dieser Einwand nicht stichhaltig ist. Es wäre nämlich möglich, dass hier die gesamte Bandbreite emotionaler Regungen in den Blick kommen soll. Lediglich das Lexem חליpasst nicht in diese Reihe. 112 So aber FOX 1999, 237. Vgl. zum Problem LONGMAN 1998, 162. Zur Semantik vgl. SCHOORS 2004, 241f. 113 Vgl. JM §132g; GK §119hh; WALTKE-O’CONNOR §11.4.2b; WHITLEY 1979, 55 (mit Belegen). Gegenbelege, wonach die Präposition vor jedes Glied der Kette gesetzt werden müsse, führt hingegen GORDIS 1955, 244 an. 114 Vgl. HERTZBERG 1963, 129; SCHOORS 2013, 441. CRENSHAW 1988, 124 gibt אכל unter Hinweis auf Am 7,12 mit „spend“ wieder. Allerdings fehlt das Objekt לחםin Koh 5,16. 115 So aber KUGEL 1989, 39. Zum Problem vgl. LONGMAN 1998, 162.
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Nominalform geändert wird.116 Außerdem muss das enklitische Personalpronomen bei חליוwegfallen, was mitunter als Dittographie gewertet werden kann.117 Dieser textkritische Eingriff ist aber aussichtslos. Denn hier kann ein eingliedriger Nominalsatz vorliegen, bei dem das enklitische Personalpronomen das Prädikat des Satzes vertritt und auch noch für das nächste Nomen als Prädikat anzusetzen ist.118 17a: Die Satzsyntax ist hier umstritten, da das Lexem טובim Satzverbund unterschiedliche Funktionen haben kann. Es kann Objekt zu „ ראהsehen“ sein119 oder es eröffnet einen neuen Satz, also „gut, das heißt schön, ist es“. Für die zweite Alternative spricht zumindest die Akzentsetzung von MT, die auf אניein trennendes Reviaʿ setzt.120 Der Relativsatz אשׁר־יפהerläutert vermutlich טוב, also „Gutes, d.h. Schönes“ oder „Gutes, welches schön ist“.121 116
Diese Änderung der Versionen übernehmen HERTZBERG 1963, 129; ZIMMERLI 1967, 189; GALLING 1969, 102; CRENSHAW 1988, 124; SEOW 1997, 208; LONGMAN 1998, 162; FRYDRYCH 2002, 152. Nach LAUHA 1978, 107; SCHOORS 1992, 88 ist die Version des MT aber ebenfalls verständlich. 117 Vgl. hierzu HERTZBERG 1963, 129; GALLING 1969, 102; FISCHER 1997, 57 Anm. 9; SEOW 1997, 208; FOX 1999, 238. Nach CRENSHAW 1988, 124 könnte das enklitische Personalpronomen dadurch entstanden sein, dass bei der Präpositionalverbindung לוdie Präposition לausgefallen sei und danach das verbleibende וan das Nomen suffigiert wurde. LEVY 1912, 98 ändert zu הקצףund übersetzt: „und seine Krankheit ist der Verdruss“. 118 Zu verkürzten Nominalsätzen vgl. GK § 147e. Vgl. auch GORDIS 1955, 244f.; WHYBRAY 1989, 102; SCHOORS 1992, 153; BRSYN 9; SCHOORS 2004, 255. Als weitere Beispiele für diese Konstruktion können Gen 5,24; 22,24; Ps 115,7; Spr 12,7 angeführt werden. Insofern erübrigt es sich, zusätzlich noch לוals Prädikat zu ergänzen. Gegen eine Deutung als verkürzten Nominalsatz schon DELITZSCH 1875, 299. Nach FRYDRYCH 2002, 152 Anm. 63 wäre bei einer Deutung als Nominalsatz das enklitische Personalpronomen am letzten Glied des Nominalsatzes zu erwarten. FOX 1999, 238 problematisiert zudem das freistehende וקצף, das bei einer solchen Deutung ohne Verbindung zum übrigen auskommen müsse. 119 Vgl. HERTZBERG 1963, 129; KRÜGER 2000, 223. Nach MICHEL 1998, 94 muss das Verb ראהnicht nur die sinnliche Wahrnehmung bezeichnen, sondern kann auch die Bedeutung „prüfend ansehen“ oder „betrachten“ tragen. Ähnlich SCHOORS 1996, 233: „to discover, to realize“. Demzufolge wird mit diesem Verb das Ergebnis der Erfahrung und Reflexion mitgeteilt. 120 Vgl. FOX 1999, 239, der einen neuen Satz mit טובbeginnen lässt, wobei der Ausdruck טוב אשׁר־יפהaufgrund der Setzung von zwei Munaḥs den beiden Infinitiven untergeordnet sei: „Here is what I have seen: to-eat-and-drink is a good thing, which is beautiful“. Nach FISCHER 1997, 58 Anm. 10 unterstreicht auch die Peschitta diese syntaktische Abtrennung, indem sie hinter dem Personalpronomen noch den Eigennamen Kohelet setzt. 121 Ähnlich ZIMMERLI 1967, 191, der hier mit „Siehe, was ich als gut (und) als schön ersehen habe“ übersetzt. Vgl. zu dieser Übersetzungsvariante auch LEVY 1912, 98; ISAKSSON 1987, 45. MICHEL 1998, 98 schlägt „gut (im Sinne von) angemessen“ vor. Nach SCHOORS 2004, 256f. ist die Wurzel יפהim Koheletbuch mit „appropriate“ wiederzugeben. Ähnlich FISCHER 1999, 54. LEVY 1912, 98; GORDIS 1955, 245; HERTZBERG 1963,
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Dann hätte man hier wohl eine Art Elativ oder Superlativ und könnte den Ausdruck טוב אשׁר־יפהmit „echtes Glück“ übersetzen.122 Wenn man mit טוב einen neuen Satz beginnen lässt, dann würde diese Aussage noch superlativisch gesteigert, also „wahres Glück ist es“.123 Abgesehen von der masoretischen Akzentsetzung wird אשׁרaber eher einen Objektsatz einleiten, nämlich „dass es schön ist“.124 Auf diesen Objektsatz bezieht sich das Subjekt הואdes kausalen Nebensatzes 17c.125 Hier wird folglich das von Kohelet erkannte Objekt von vorneherein als etwas Gutes klassifiziert. Das Relativpronomen אשׁר, das eigentlich den Objektsatz einleitet, kann darüber hinaus auch als Doppelpunkt gewertet werden.126 Mitunter liegen auch die ersten beiden אשׁרSätze auf einer syntaktischen Ebene und wären dann vom eröffnenden הנה abhängig.127 17b: Das Lexem עמלkann entweder als „Mühe“ oder als „Besitz“ gedeutet werden.128 Allerdings ist die zweite Bedeutung insofern pleonastisch, da zuvor schon mit טובהdas materielle Gut angeführt worden ist. Der Bezug des enklitischen Personalpronomens hinter עמלist schwierig und hat in dieser Einheit eigentlich keinen Referenzpunkt. Außerdem ist die Präpositionalverbindung schwierig. Sie kann entweder als Umstandsbestimmung „bei seiner ganzen Mühe“ oder als Näherbestimmung zu „ טובהfür seine ganze Mühe“
129; WHITLEY 1979, 55; SEOW 1996, 658 weisen darauf hin, dass hier kein Gräzismus vorliegen kann, da bei einer hebräischen Wiedergabe von καλός καγαϑὸς das Relativpronomen אשׁרstören würde. Kritisch zu einer Verbindung mit καλός καγαϑὸς auch BRAUN 1973, 54; LAUHA 1978, 112; CRENSHAW 1988, 124. Gegen einen Gräzismus an dieser Stelle noch WHYBRAY 1989, 102; FISCHER 1999, 54 Anm. 257. 122 Vgl. FISCHER 1997, 58 Anm. 11. 123 Vgl. SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER 2004, 337. Kritisch zu einer superlativischen Bedeutung KÖHLMOOS 2014, 157 Anm. 29. 124 Zu dieser Möglichkeit von אשׁרvgl. GK § 157c. Zum Problem vgl. WHYBRAY 1989, 102; SCHOORS 1992, 139; SEOW 1997, 208; SAUTERMEISTER 2008, 99f.; KÖHLMOOS 2014, 157 Anm. 29. VONACH 1999, 54 denkt bei dem אשׁר-Satz an eine appositionelle Fortführung. 125 Vgl. BACKHAUS 1995, 23 126 Vgl. LONGMAN 1998, 162. 127 So OGDEN 2007, 92: „what was good, what was even beautiful“. 128 Zur Bedeutungsvielfalt dieser Wurzel im Koheletbuch vgl. FOX 1999, 99–102. Zur negativen Konnotation der Wurzel – עמלzumal auch der Besitz mit Mühe erworben werden muss – vgl. SCHOORS 2004, 144f. Nach BRAUN 1973, 48 bezeichnet das Nomen עמל „die mühevolle Grundstruktur des menschlichen Daseins“. Ähnlich MOOSBRUGGER 2007, 78. Manchmal wird עמלmit dem griechischen Wort πόνος verbunden. Dagegen spricht aber die Wiedergabe der LXX, die die Wurzel עמלmit μόχθος bzw. μοχθέω überträgt. Für diese griechische Wiedergabe gibt BRAUN 1973, 49 Anm. 46 griechische Belege bei Euripides.
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verstanden werden.129 Die dreigliedrige Constructusverbindung מספר ימי־חיו ist vermutlich adverbieller Akkusativ mit temporaler Bedeutung130 und gehört zum vorausgehenden Relativsatz. Die qatal-Form von „ נתןgeben“ kann zudem entweder mit Präsens oder mit Perfekt übersetzt werden.131 Im zweiten Fall wären die gegebenen Lebenstage von Gott bereits vorherbestimmt, so dass hier das Problem göttlicher Determination besteht. 18a: Die eröffnende Partikel גםist emphatisch zu deuten, um die Lebensfreude aus v.17 in den Kontext des Reichtums einzuordnen.132 Das schwierige w-qatal kann hier frequentativ gedeutet werden.133 Der Ausdruck עמלוkann entweder mit „bei seiner Mühe“ oder „an seinem Besitz“ wiedergegeben werden.134 Allerdings würde die zweite Alternative implizieren, dass sich die Bedeutung zu 17b verändert hat, was sich angesichts des Nahkontextes eigentlich nicht empfiehlt. Das appositionell gefügte Pronomen זהnimmt den zuvor genannten pendierenden komplexen Ausdruck, der durch Relativ- und Infinitivsätze noch erweitert ist, auf, fasst diesen zusammen und ist im folgenden Nominalsatz ebenfalls casus pendens zum Subjekt היא.135 Manchmal wird vermutet, dass der אשׁר-Satz ebenfalls ein Objektsatz zu 17a ist, so dass er sich nicht als Relativsatz auf כל־האדםbeziehen würde.136 Vermutlich wird hier אשׁרmit demonstrativer Funktion verwendet, worauf sich das Pronomen זהbezieht, das seinerseits im Nominalsatz pendiert. Somit fasst das Pronomen זהden vorausgegangenen Sachverhalt zusammen und pendiert vor dem folgenden Nominalsatz, der das Pronomen זהdurch selbstständiges Personalpronomen wiederum aufgreift.137 Außerdem ist כל־האדםals Pendens vor dem אשׁר-Satz gestellt, auf das dann die Präpositionalverbindung לוrückver129
Vgl. KRÜGER 1997, 57 Anm. 23. Nach SCHOORS 2004, 141 gibt es für den Ausdruck
בעמלוverschiedene Bedeutungen: temporal „während seiner Mühe“, instrumental „mit
seiner Mühe“, remunerativ „für seine Mühe“, konzessiv „trotz seiner Mühe“. 130 Vgl. zum accusativum temporis GK §118 i–k; JM §126i. 131 Vgl. zum Problem ISAKSSON 1987, 83f. Gegen die vermutete stativische Bedeutung der qatal-Form aber SCHOORS 1992, 174f. 132 Vgl. FISCHER 1999, 55. 133 Vgl. GK § 112pp Anm. 1. Nach ISAKSSON 1987, 96f. wird das zuvor stehende qatal mit genereller Gegenwart zu übersetzen sein. Das folgende w-qatal setzt diese Zeitstufe fort. Um einen vergangenheitlichen narrativen Sachverhalt auszudrücken, hätte man die Abfolge qatal + wayyiqtol gewählt. 134 Vgl. für beide Alternativen KRÜGER 2000, 222f. 135 Vgl. zur Konstruktion GROSS 1987, 127 Anm. 103. Nach FREDERICKS 1988, 122 weist diese Form des Personalpronomens auf eine Entstehung vor den Qumranschriften hin, die durchwegs die Langform היאהverwendet haben. 136 Vgl. SEOW 1997, 208f. Nach ISAKSSON 1987, 120f. dient כל־האדםals „quantifier to emphasize the generality of the statement“. Zum Problem des כל־האדםvgl. SCHOORS 1992, 167f.; SCHOORS 2004, 8.46f. Angesichts des Artikels könnte es sich hier um die ganze Menschheit handeln, vgl. GK §127b. 137 Vgl. BACKHAUS 1995, 7.
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weist. Folglich wäre der אשׁר-Satz das pendierende Subjekt im Nominalsatz, aufgegriffen durch das pendierende זהund das Demonstrativpronomen היא.138 19a: Der Satzanschluss mit der Konjunktion כיist schwierig zu bestimmen.139 Entweder man deutet die Konjunktion emphatisch „fürwahr“ und demnach als Verstärkung des vorausgegangenen Satzes140 oder 19a bildet einen Nebensatz zu 18a „Dies ist eine Gabe Gottes, dass“. Eine dritte Möglichkeit wäre, die Konjunktion כיin 19a und 19b gleich zu verstehen, so dass beide Sätze als Begründungen für das Vorausgegangene dienen. Fraglich ist freilich, ob die beiden Konjunktionen כיin 19a und 19b gleich zu übersetzen wären oder ob 19b einen Temporalsatz einleitet.141 Ein temporales Verständnis legt zumindest der zu einem Zeitadverbiale verblasste infinitivus absolutus הרבהnahe. Das Adverb הרבהqualifiziert vermutlich das Verbum יזכר und ist nicht als Antizipation zu את־ימי חייוzu ziehen, im Sinne von „Er möge daran denken, dass die Tage seines Lebens nicht viel sind“.142 19b: Das direkte Objekt des Satzes fehlt, ist aber durch das enklitische Personalpronomen in לבוangedeutet, das nicht die Rolle des Objektes übernehmen kann, da es im Rahmen einer Constructusverbindung steht.143 Möglich wäre hier eine textkritische Änderung, bei der man hinter dem Partizip מענהnoch ein enklitisches Personalpronomen vermutet, so dass hier mit der Endung הeine Defektivschreibung für הוvorliegen würde.144 Auf diese Weise wäre dann das direkte Objekt des Satzes mit einem minimalen Eingriff ergänzt, der den Konsonantenbestand nicht antasten muss. Manchmal wird darüber hinaus das Partizip מענהnicht von ענה-III „sich mit etwas beschäftigen“ abgeleitet,145 sondern von ענה-I „antworten“146 oder ענה-II „unterdrü138
Vgl. zum Problem SCHOORS 1992, 214. Vgl. hierzu SCHOORS 1992, 104f. 140 Nach FISCHER 1999, 56 wird hier das Resümee der zuvor beschriebenen Handlung geschildert: „Die Auskostung der Lebensfreude läßt den Menschen die Flüchtigkeit und Determiniertheit seines Lebens vergessen. Er denkt nicht viel daran.“ 141 So FISCHER 1997, 85 der das erste כיin 19a als emphatische Partikel „Fürwahr“ und das zweite כיals Konjunktion „wenn“ wiedergibt. 142 Vgl. SCHOORS 2004, 265. 143 So Vulgata, dagegen aber KRÜGER 2000, 223. 144 Vgl. GALLING 1969, 102; LAUHA 1978, 108; WHITLEY 1979, 56; CRENSHAW 1988, 125; WHYBRAY 1989, 103; LONGMAN 1998, 163; FISCHER 1999, 53; FOX 1999, 240. Für eine solche Deutung spricht auch LXX, die αυτόν hinzufügt, vgl. HERTZBERG 1963, 129, außerdem Peschitta und Targum. Nach SEOW 1997, 209 ist eine solche Änderung aber nicht nötig. 145 So aber HERTZBERG 1963, 129; ZIMMERLI 1967, 191; GALLING 1969, 102f.; LAUHA 1978, 113; WHITLEY 1979, 56; LONGMAN 1998, 163; FISCHER 1999, 53; VONACH 1999, 55; SCHELLENBERG 2013, 100; SCHOORS 2013, 455. KAISER 2007, 17 übersetzt mit „entschädigen“. 139
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cken“147. Gegen solche Ableitungen spricht aber die Wiedergabe von gewichtigen Versionen, wie LXX, Vulgata, Peschitta und Targum.148
Anhang II In Koh 5,9–19 finden sich einige Lexeme, die auf einen wirtschaftlichen Kontext hin transparent sind.149 Das Wort רבה, das in Koh 5,10 das Anwachsen des Vermögens umschreibt, ist mit dem aramäischen Nomen „ מרביZinsen“ zu verbinden, das in perserzeitlichen Vertragstexten und Schuldurkunden den Gewinn bezeichnet.150 Auch das aramäische Verbum רבהheißt nicht nur „anwachsen, zunehmen“, sondern kann auch mit „verzinst werden“ wiedergegeben werden.151 Somit kann das hebräische Allerweltswort רבהvielleicht auf einen ökonomischen Hintergrund zurückgeführt werden. Möglicherweise sind auch noch andere Begriffe innerhalb von Koh 5,9–19 auf das Wirtschaftsleben hin durchsichtig. In Koh 5,12 wird das Thema des folgenden Abschnitts angegeben, wenn hier von „ עשׁר שׁמורaufbewahrter Reichtum“ die Rede ist.152 Vielleicht hat man sein Geld in die Obhut einer Bank gegeben, die das eigene Geld verwalten sollte. Hierfür spricht vor allem das Partizip passiv שׁמור. Die pluralische Formulierung לבעליוkönnte ebenfalls auf eine geprägte Redeweise hinweisen „für die Besitzer aufbewahrter Reichtum“. Der Reichtum sei folglich für seine Besitzer aufbewahrt worden.153 Demgegenüber ist im Folgenden nur von einem Einzelfall die Rede und schon zuvor in v.10 wird dieser Pluralausdruck als Hoheitsplural verwendet. Der zweite Präpositionalausdruck לרעתוist hingegen umstritten, zumal die Referenz des enklitischen Personalpronomens nicht klar ist, da es sich auf den Besitz oder seinen Besitzer beziehen kann. 146 Vgl. schon DELITZSCH 1875, 300f.; LOHFINK 1998b, 152–164. Zum Problem vgl. SCHOORS 2004, 99.430f., demzufolge der H-Stamm von ענה-I nicht belegt ist. Nach BACKHAUS 1993, 194f. sind beide Wurzeln denkbar, zumal die negative Wurzel ענה-III sich auf das Folgende beziehen könnte und die positive Wurzel ענה-I vom Vorausgegangenen her naheliegend wäre. 147 Vgl. hierzu BACKHAUS 1993, 194. 148 Vgl. zum Problem LONGMAN 1998, 163; KRÜGER 2000, 223f.; SAUTERMEISTER 2008, 103f. 149 Vgl. hierzu LOHFINK 1998b, 143–150. Kritisch hierzu SCHOORS 2004, 367. Vgl. SCHOORS 2013, 445: „remains an hypothesis without convincing arguments“. 150 TAD B:3.1; B:4.2; C:3.8; D:2.18. Vgl. auch MUFFS 1969, 184. 151 Vgl. SCHWIDERSKI 2008, 745f. 152 LAURENT 2002, 68 betont, dass dem Partizip שׁמורan sich keine negative Konnotation eignet. 153 Vgl. LOHFINK 1998b, 148, Anm. 16.
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Nur in Koh 5,13.14 findet sich mit בידein Ausdruck, der möglicherweise mit dem ptolemäischen Bankenwesen verbunden und mit „als das Guthaben von“ oder „auf dem Konto von“ wiedergegeben werden kann.154 Allerdings ist dann fraglich, weshalb in diesem Zusammenhang die Zeugung eines Sohnes erwähnt wird.155 Hinzu kommt, dass der Ausdruck בידansonsten in der Regel zur Bezeichnung einer Verfügungsgewalt über unterschiedliche Sachen verwendet wird.156 Außerdem ist der Ausdruck מאומה בידinnerbiblisch als „etwas in Verfügungsgewalt von jemanden“ belegt,157 so dass auch in Koh 5,13 nicht eine Sonderbedeutung im Kontext des Bankenwesens angenommen werden muss. Aus alledem folgt, dass das Geld des Sohnes, das der Vater zuvor treuhänderisch verwaltet hatte, offenbar verloren ging. Es besteht somit keine Verfügungsgewalt über das Vermögen mehr. Die Constructusverbindung ענין רעin v.13 könnte insgesamt für ein „schlechtes Geschäft“ stehen.158 Da das aus dem Aramäischen entlehnte, nur im Koheletbuch belegte Nomen עניןvon ענה-III „beschäftigen“ abzuleiten ist,159 kann es sich beim Nomen nicht um ein Ereignis handeln,160 das schick-
154 CAPPER 1986, 225–230 weist für diese Bedeutung auf 1QS VI,20 und TAD C:3.28 hin. Vgl. auch LOHFINK 1998b, 143. Jedoch ist in TAD C:3.28, 104–112 nicht von Geld, sondern von anderen Gütern die Rede, die sich in der Verfügungsgewalt bestimmter Personen befinden. Gegen eine solche Deutung auch LAURENT 2002, 71, die den symbolischen Aspekt der Hand mit der Bedeutung von Kraft und Schutz hervorhebt. Nach GORDIS 1955, 242, ist בידzudem mit Hinweis auf außerbiblische und biblische Parallelen eine falsche Schreibweise für בעד. 155 Vgl. zum Problem FISCHER 1997, 65. Vielleicht soll aber auf diese Weise die besondere Notlage des verarmten Reichen geschildert werden. Gerade in der Zeit, in der er Nachwuchs bekam, verlor er sein gesamtes Vermögen, was seine wirtschaftliche Situation noch zusätzlich verschärft hat. Nach BACKHAUS 1993, 190 wird demnach das geschilderte Übel durch den genealogischen Gedanken gesteigert. SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER 1994, 145 vermutet, dass das angesparte Vermögen vielleicht den Grundstock einer Erbschaft bilden sollte. 156 So TAD A:2.2, 4f.: „Betrag an Geld, das in meiner Hand war“; TAD A:3.8, 13 „bringe mir eine Tunika, (die) in deiner Hand (ist)“; TAD A:3.10, 2 „es ist mir ein Boot, (das) in eurer Verfügungsgewalt (ist)“. 157 Gen 39,29; Dtn 13,18; Ri 14,6; 1Sam 12,5. Vgl. SEOW 1997, 207, der zudem auf das analoge akkadische Idiom mimma ina qāti hinweist. 158 Anders hingegen HERTZBERG 1963, 131, der unter ענין רעein einmaliges böses Ereignis sieht und nicht ein schlechtes Geschäft. Auch LAURENT 2002, 69f. lehnt eine Einschränkung auf ein schlechtes Bankgeschäft ab und denkt eher allgemein an ein existentielles Übel. SCHOORS 2013, 433 lehnt ebenfalls eine einseitige Einschränkung auf den ökonomischen Sektor ab. 159 Vgl. FOX 1999, 106; LAURENT 2002, 69. Hierauf verweisen auch Koh 1,13; 3,10, wo im selben Satz zusätzlich zum Nomen noch das gleiche Verbum genannt wird. Nach FISCHER 1999, 18 ist „ עניןdie mit dem Besitzerwerb verbundene Plackerei“. ZIMMER 1999, 96 deutet עניןhingegen prinzipiell wertneutral, auch wenn die negative Konnotation
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salhaft über den Betroffenen und ohne dessen Zutun hereingebrochen ist. Vielmehr resultiert der Verlust des Reichtums aus einer Beschäftigung mit einer schlechten Angelegenheit. Zu dieser Interpretation passt auch der Umstand, dass hier nicht eine Attributivverbindung „schlechtes Geschäft“, sondern eine Constructusverbindung „Beschäftigung mit etwas Schlechtem“ verwendet worden ist.161 Um welche Beschäftigung es sich handelt, wird jedoch nicht gesagt. Gerne wird an Fehlspekulation, geschäftlichem Zusammenbruch, Bankrott, Bankenkollaps oder dergleichen gedacht.162 Die Einschränkung auf ein Finanzgeschäft ist somit nicht zwingend. Denn auf einer Urkunde aus dem 5. Jh. v.Chr. wird dieses Lexem ebenfalls verwendet. Dort geht es aber nicht um Bankgeschäfte, sondern um die Beschäftigung mit den Reparaturarbeiten eines Schiffes.163 Dieses Wort findet sich darüber hinaus in den Qumranschriften, in der Mischna und im Talmud sowie in der rabbinischen Literatur.164 Irgendwie ist in Koh 5,13 ein schlimmer Unglücksfall bei einer bestimmten Beschäftigung eingetreten,165 auch wenn nicht mehr angegeben werden kann, wie diese Beschäftigung ausgesehen hat. Der Kausativ des Verbums הלך-H in v.14 könnte in Verbindung mit בידו ebenfalls ein weiterer Terminus für das Bankenwesen sein, im Sinne von „auf seinem Konto gehen/arbeiten lassen“. Es würde sich folglich um einen Begriff dafür handeln, dass ein Kontoinhaber sein Geld auf der Bank gehen lässt, d.h. für sich arbeiten lässt.166 Allerdings gilt dies nur, wenn der Ausdruck בידוtatsächlich aus dem Bankenwesen stammt, was aber – wie bereits gesehen – nicht gesichert ist. Vermutlich soll hier lediglich ausgedrückt werden, dass man etwas in die Verfügungsgewalt hineingehen lässt bzw. überträgt. Ob hier ein Finanzgeschäft im Blick ist, kann bestenfalls vermutet werden. Das Verbum נשׂאfindet sich nur in diesem Abschnitt des Koheletbuches, wo es um Besitz und Vermögen geht.167 Das Verbum נשׂאkönnte hier mögüberwiegt. Nach OGDEN 2007, 88 war diese Beschäftigung entweder moralisch fragwürdig, oder in ihrem Ergebnis unglücklich. 160 Vgl. auch GALLING 1969, 103. Nach ZIMMER 1999, 97 ist mit „ עניןdie Gesamtheit der Geschäftigkeit des Menschen“ bezeichnet. 161 Anders GALLING 1969, 102, der hier die Constructusverbindung ablehnt. 162 Zu den Möglichkeiten, die in Frage kommen können, vgl. LOHFINK 1998b, 148; SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER 2004, 334. Kritisch hierzu aber OGDEN 2007, 89. 163 TAD A:6.2, 22: „zum Geschäft der Reparatur dieses Bootes“ (Bootsreparatur um 411 v.Chr.). 164 Vgl. SCHOORS 2004, 427. 165 Nach OGDEN 2007, 89 wird die Deutung als schlimmer Schicksalsschlag durch das Zitat aus Ij 1,21 in Koh 5,14 belegt. 166 Eine direktive Deutung im Sinne von „auf sein Konto einzahlen“ ist wohl eher auszuschließen, so aber LOHFINK 1998b, 146f. 167 Koh 5,14.18.
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licherweise „etwas wegnehmen, abheben“ heißen.168 Wenn es in beiden Fällen dieselbe Bedeutung hat, dann ist ein direktes Objekt gefordert, das aus der Wirtschaftssprache stammen könnte. In Koh 5,14 wird dies durch einen Relativsatz ausgedrückt, in Koh 5,18 durch das Lexem „ חלקAnteil“. In Koh 5,14 wird darüber hinaus noch eine fakultative Präpositionalverbindung בעמלו hinzugefügt, die wohl als beth essentiae zu deuten ist, nämlich „als sein Vermögen“.169 Die beiden Begriffe חלקund עמלmüssen folglich näher untersucht werden, vor allem unter dem Blickwinkel, ob beide Ausdrücke im Wirtschaftsleben zu verorten sind. Es wird sich in beiden Fällen zeigen, dass dies nicht gefordert ist. Dann sollte aber die Bedeutung des Allerweltswortes נשׂאnicht unnötigerweise eingeschränkt werden. Das Lexem חלקkann in den meisten Fällen im Koheletbuch mit „Rendite“ wiedergegeben werden.170 Allerdings wird dieses Wort ausschließlich metaphorisch gebraucht, so dass eine Festlegung auf den Bankensektor nicht zwingend ist. So wird z.B. in Koh 9,9 von der Rendite am Leben und am Vermögen gesprochen. Die von Kohelet geforderte Freude ist dementsprechend der Wertzuwachs, den der Mensch gewinnen soll. Dies wird in Koh 2,10 sogar explizit ausgedrückt: „denn mein Herz hatte Freude von all meinem Besitz, und das war meine Rendite von all meinem Besitz.“ Die Freude resultiert somit als Mehrwert aus dem Vermögen, ohne das Freude offenbar nicht möglich ist. Das Lexem חלקwird in Koh 11,2 manchmal als Ausdruck für das Geschäftswesen verstanden. In Koh 11,2 sei folglich eine Streuung bzw. Diversifizierung der Anlageform im Blick.171 Das biblische Lexem חלקträgt zudem die Bedeutung „Erbteil“ oder „wohltätige Spende“, so dass חלקeigentlich unverfügbar und nicht einklagbar ist.172 Das Wort חלק 168
Vgl. zum Problem LOHFINK 1998b, 147. Dagegen aber mit guten Gründen SCHOORS 2013, 436f. 169 Anders jedoch DELITZSCH 1875, 297; GORDIS 1955, 243; WHYBRAY 1989, 101; FISCHER 1997, 57; SEOW 1997, 207, die an ein beth pretii denken, vgl. zu dieser Funktion auch GK § 119p; WALTKE-O’CONNOR §11.2.5d. DAHOOD 1952, 191f.; WHITLEY 1979, 52f.; CRENSHAW 1988, 123 vermuten hier eine partitive Bedeutung „von seinem Vermögen“, wofür sie biblische und außerbiblische Belege von unterschiedlichem Gewicht anführen. Kritisch hierzu FISCHER 1997, 57 Anm. 5. 170 Vgl. LOHFINK 1998b, 147 Anm. 14. Nach Fox 1999, 110 wird durch dieses Lexem der Aspekt des Besitzens ausgedrückt „a portion in the sense of possession“. Nach FISCHER 1997, 76 bezeichnet „ חלקden erwirtschafteten Besitz einschließlich seiner Verfügungsgewalt darüber“. 171 Auch der Ausdruck „ נתן חלקAnteil geben“ in Koh 2,21 bezeichnet nicht das Investment des Kapitals in unterschiedliche Vermögensformen, sondern den Umstand, dass man einem anderen Menschen, der sich nicht angestrengt hat, einen Teil der erworbenen Güter abtreten sollte. Vgl. zum Problem KRÜGER 2000, 340. 172 Vgl. KRÜGER 2000, 15. FISCHER 1999, 104 weist auf drei semantische Inhalte dieses Lexems hin: חלקist Teil eines größeren Ganzen, ist unveräußerlich und wird zufällig zugeteilt. SCHOORS 2004, 200 deutet חלקals „existential category referring to man’s
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„Anteil“ findet sich zudem in aramäischen Vertragstexten, wo es einen Teil des Lehens bezeichnet.173 Ansonsten wird dieses Lexem verwendet, um einen Anteil an beweglichen oder unbeweglichen Vermögen zu beschreiben.174 Das Wort חלקist zusammen mit dem Begriff שׁליטist folglich in aramäischen Rechtstexten des 5. Jh. v.Chr. belegt, um die Verfügungsgewalt über Personen und Dinge zu bestimmen.175 Schon diese Beobachtung lässt es zweifelhaft erscheinen, dass hier eine semantische Einschränkung im Hinblick ausschließlich auf das hellenistische Bankenwesen anzunehmen ist. Der oft negativ konnotierte Begriff עמלmuss nicht abwertend verstanden werden, sondern kann sich auf das „Vermögen“ beziehen.176 Nach dem Koheletbuch muss man sich unter der Sonne abmühen, um „Vermögen“ als Gabe Gottes zu erhalten.177 Dem Streben nach Besitz liegt offenbar ein Leistungsprinzip zugrunde. Jedoch ist man sich zum einen bewusst, dass Erfolg in erster Linie eine Gabe Gottes ist. Zum anderen kann sich Erfolg nur dann einstellen, wenn man sich anstrengt. Somit ist „Vermögen“ immer mit eigener Anstrengung verbunden. Ob dieses „Vermögen“ jedoch ausschließlich als materielles Vermögen zu verstehen ist, ist fraglich. Der Begriff „ יתרוןGewinn“ wird ebenfalls gelegentlich im Wirtschaftsleben verwendet. Zumindest in der mittelhebräischen Kaufmannsprache heißt dieses Wort „Zugewinn, Mehrwert“. Von der Bildungsweise her handelt es sich um einen Diminutiv der Wurzel „ יתרübrig sein“, also ein „Restchen“. Folglich könnte mit diesem Begriff auch ein Wortspiel verbunden sein. Was der Kapitalmarkt als „Gewinn“ verzeichnet, ist im Koheletbuch nicht mehr als ein „Restchen“.178 Das Wort יתרוןist darüber hinaus kein Neologismus.179 Denn das hebräische Lexem „ יתרוןGewinn“ ist sicherlich mit einem aramäiportion in this life under the sun“. VONACH 1999, 61f. unterscheidet zwei Bedeutungsebenen: juridisch-materieller Anteil mit einem messbaren Ertrag und ein theologischer Anteil als Lebensfreude. Nach ZIMMER 1999, 60 wird dieses Lexem im Koheletbucht „vorwiegend in jener übertragenen Bedeutung, in der es um den von Gott bestimmten Anteil geht“, verwendet. Es sei also ein „Schickalsbegriff“. 173 Z.B. TAD B:1.1, 11 (Landpacht 515 v.Chr.). 174 SEOW 1997, 24. 175 TAD B:2.11, 6f. „Du, Jedania, (bist) ermächtigt [ ]שׁליטüber Petosiri, diesen Sklave, der zu dir als Anteil [ ]בחלקkam, von diesem Tag bis in Ewigkeit“ (410 v.Chr.); TAD B:3.5, 19 „meine Kinder, sie (sind) Ermächtigte [ ]שׁליטüber meinen anderen Anteil [“]בחלק. Vgl. auch FISCHER 1997, 76 Anm. 106. 176 DAHOOD 1952, 191 zieht noch eine Verbindung zu akkadisch nēmēlu und gibt עמל mit „profit, gain“ wieder. 177 Nach REINERT 2010, 155 prägt diese Formulierung „alle Erkenntniswege und Experimente Kohelets“. 178 Vgl. auch BARTELMUS 1990, 53–55. 179 So aber SPIECKERMANN 2004, 38 Anm. 13. Möglicherweise hängt יתרוןmit dem akkadischen Lexem utru „Überschuss“ zusammen, das in neubabylonischen Texten belegt ist, vgl. WUNSCH 2008, 238.
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schen Kognat verbunden, das in Nord-Saqqara auf einer Buchungsunterlage aus dem späten 5. Jh. v.Chr.180 und auf einem fragmentarischen Papyrus belegt ist.181 Die Kurzform יתרfindet sich ebenfalls auf einem Text aus NordSaqqara und bezeichnet dort den Überschuss eines Monats.182 Im Koheletbuch verweist יתרוןallerdings nicht nur auf kommerziellen Profit. Denn mit יתרוןverbinden sich immer wieder metaphorische Konnotationen.183 Manchmal wird bei dem hebräischen Wort יתרוןgriechischer Einfluss vermutet und יתרוןmit dem griechischen Wort ὄφελος verbunden, das in gnomischer Literatur zu finden ist.184 Dagegen spricht aber die Wiedergabe der LXX. Zumindest die hellenistisch geprägten Übersetzer haben diesen Bezug nicht gesehen, wenn sie dieses Wort durchwegs mit περισσεία übertragen haben.185 Der Umstand, dass die Übersetzer der LXX ein ansonsten in der Gräzität ungebräuchliches Wort verwendet haben,186 spricht dafür, dass kein Bezug zur hellenistischen Philosophie intendiert war, zumindest nach Ansicht der LXX-Übersetzer. Alles in allem kann man die Terminologie, die in Koh 5 verwendet wird, zwar im Hinblick auf das ptolemäische Bankenwesen lesen. Es geht aber in diesem Text nicht ausschließlich um Gewinn und Verlust im monetären Wirtschaftsleben, sondern um den eigentlichen Mehrwert, den man aus seinem Leben bei der Beschäftigung mit dem Richtigen ziehen soll. Hinzu kommt, dass die Schlüsselbegriffe bereits in persischer Zeit belegt sind. Somit ist eine Einschränkung auf die hellenistische Zeit nicht zwingend notwendig. Vielmehr ist dieser Text aufgrund seiner Idiomatik bereits vor dem Hintergrund des persischen Lehenswesens durchaus verständlich. Dies soll im Folgenden gezeigt werden. Zunächst zum historischen Hintergrund: Die persische Krone vergab an verdiente Personen, an Heerführer oder Tempelgemeinden königliche Lehen mit der Aufgabe, dort die fälligen Steuern einzutreiben. Gleichzeitig waren die Lehensnehmer berechtigt, eigene Gewinne aus den Lehen abzuziehen, sofern die königlichen Steuern abgeführt werden. Außerdem konnte man das Lehen weiter aufteilen.187 Dieser historische Hintergrund spiegelt sich auch in 180 TAD C:3.11, 6: „(dies) war der Gewinn [ ]יתרןan Geld, das existent (war) im Jahr 6“. Insofern ist die Kritik von BRAUN 1973, 47 unberechtigt, dem zufolge „es sich bei יתרוןum einen für Kohelet spezifischen Begriff handeln muß“. 181 NSaq 149, 2: „und Gewinn an [“]יתרן. Vgl. hierzu SEGAL 1983, 124. 182 NSaqPap 23 Rs 3: „und der Gewinn [ ]יתראdes Monats Ab“. Vgl. hierzu SEGAL 1983, 38f. 183 Vgl. SCHOORS 2004, 426. 184 Kritisch aber SCHOORS 2004, 423f. 185 Vgl. Koh 1,3; 2,11.13(2x); 3,9; 5,8.15; 7,12; 10,10.11. Ähnliches gilt für das Nomen יותר. 186 Vgl. BRAUN 1973, 47. 187 Vgl. SEOW 1997, 23. Zum persischen Lehenswesen vgl. auch STOLPER 1985, 24–27.
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der verwendeten Wortwahl wider, die ebenfalls in perserzeitlichen Texten vorkommt. So hat der ägyptische Satrap Aršam gegen Ende des 5. Jh. v.Chr. seinem Günstling Aḥḥapi einen Anteil von seinem eigenen königlichen Lehen überlassen.188 Als Aḥḥapi gestorben war, bemühte sich dessen Sohn Psamšek, das väterliche Lehen ebenfalls zu erhalten. Daraus erhellt, dass solche Lehen nicht erblich gewesen sind. Man musste darauf vertrauen, dass der Lehensherr dem Bittsteller gewogen war. Terminologisch ist auf Folgendes hinzuweisen: Psamšek verwendete das Idiom שׁליט למנשׂא, als er um die rechtliche Genehmigung bat, das Lehen zu übernehmen.189 Es geht hier nicht um eine Übergabe des Eigentums, sondern um die Gewährung der Nutzungsrechte für den Lehensnehmer. Für eine vollständige Übereignung hätte man eine andere aramäische Formulierung gewählt.190 In dem ägyptisch-aramäischen Text werden zudem die Wurzel „ נשׂאübernehmen“ und das aramäische Verb יהב „geben“, das dem biblischen נתןentspricht, verwendet. Somit ähnelt diese Bitte um die Überlassung der Nutzungsrechte sprachlich Koh 5,18. Eine Einschränkung dieser Terminologie auf das hellenistische Bankenwesen ist eigentlich nicht angezeigt. Ähnliches gilt für die anderen Lexeme. So wird die Wurzel שׁלטin perserzeitlichen Texten aus Elephantine und Wadi Daliyeh verwendet, um rechtlich auszudrücken, dass man dazu autorisiert ist, die zuvor bestimmten Vermögenswerte zu übernehmen.191 In einem Dokument aus dem 4. Jh. v.Chr., mit dem der Verkauf des Sklaven Yehoḥanan zwischen den beiden Vertragspartnern Ḥananyah und Yehonur geregelt wird, wird mit der שׁליט-Formel die Übertragung der Verfügungsgewalt über den Sklaven ausgedrückt.192 Auch in anderen Sklavenverkaufstexten wird diese Formel verwendet.193 Diese Begrifflichkeit hat zudem eine Vorgeschichte. Denn die beiden akkadischen Wurzeln šalāṭu „die Autorität zur Vermögensveräußerung haben“ und nadānu „geben“ sind bereits in neubabylonischen Verträgen gemeinsam ver188
TAD A:6.4. Dies wird wohl dadurch angedeutet, dass das Lehen vom König und vom Satrapen dem Lehensnehmer überlassen wird. 189 TAD A:6.4, 4: „Psamšek, sein Sohn, möge ermächtigt sein, zu übernehmen dieses Lehen dort in Ägypten.“ 190 Vgl. zu dieser Terminologie auch SZUBIN/PORTEN 1987, 46f. Nach GROPP 1993, 34 wird dieses Lexem folgendermaßen gebraucht: „stating some legal right(s) in general terms, which must be further specified in context.“ 191 Z.B. TAD A:6.4, 4 (Ermächtigung zur Übernahme eines Lehens, spätes 5. Jh. v.Chr.); TAD B:2.3, 8f. (Ermächtigung zur Übernahme von Haus und Land 460/459 v.Chr.); TAD B:2.11, 6 (Ermächtigung Yedanias über den Sklaven Petosiri 410 v.Chr.); TAD B:3.7, 9f.13 (Ermächtigung zur Übernahme eines Hauses und Wegerecht 420 v.Chr.). 192 SamPap 1,4. Nach DUŠEK 2007, 123 bedeutet die שׁליט-Formel „le droit de disposition de l’esclave Yehoḥanan pour l’acheteuer Yehonur“. 193 SamPap 4,5.12; 7,16; 10,8; 15,10. Zu diesen Texten vgl. SCHWIDERSKI 2004, 359– 361. DUŠEK 2007, 123 weist darauf hin, dass diese Formel noch in einem syrischen Sklavenverkaufsvertrag aus Dura-Europos belegt ist.
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wendet worden.194 Die perserzeitlichen aramäischen Schreiber konnten folglich auf geprägte Sprache zurückgreifen. Das Lexem „ אבדverlieren“ in Koh 5,13 ist ebenfalls auf perserzeitlichen Texten belegt, wo es den Verlust von Vermögen kennzeichnet.195 In einer Petition an Bagohi, dem Gouverneur von Yehud, aus dem Jahr 407 v.Chr. wird mit dieser Idiomatik auf den Verlust des gesamten Vermögens hingewiesen.196 Auf aramäischen Vertragsurkunden wird beschrieben, wie die Mitgift verlustig gehen kann.197 Das Nomen „ שׁליטMagnat“ bezeichnet in perserzeitlichen Texten vor allem jemanden, der Verfügungsgewalt über seinen Besitz hat.198 Somit könnte es sich bei dem שׁליטim Koheletbuch um einen reichen Landeigentümer handeln, der seine Landpächter ausbeutete, um seine Steuerlast begleichen zu können.199 In Koh 8,8 ist die ursprünglich rechtliche Bedeutung im Sinne einer Verfügungsgewalt ebenfalls zu greifen, da eine politische Macht über den Wind kaum sinnvoll ist. Für die sozioökonomische Deutung von שׁליטim Sinne eines „Landpächters“ spricht auch Koh 7,19 insofern, als es innerhalb einer Stadt nicht mehrere politische Machthaber geben kann. Offenbar ist im Koheletbuch diese ursprünglich rechtliche Bedeutung bereits verblasst.200 Das Lexem שׁלטverlor seinen rechtlichen Aspekt ab der hellenistischen Zeit, wo es nur noch „herrschen“ heißt, ohne dass damit eine rechtliche Verfügungsgewalt verbunden ist.201 An die Stelle von שׁלטtrat in rechtlichen Texten
194 Vgl. LEE 2005, 45f. Allerdings wird die Wurzel šalāṭu in neubabylonischen Texten nur in Negativsätzen verwendet, was darauf hinweist, dass die aramäischen Schreiber dieses negative Idiom aus dem Neubabylonischen übernommen und für die rechtliche Umschreibung von Übertragungen für Besitz verwendet haben, vgl. GROPP 1993, 35. Vgl. zur Übernahme der neubabylonischen Idiomatik ins Aramäische MUFFS 1969, 153 Anm. 4. 195 Zu akkadischen Äquivalenten vgl. MUFFS 1969, 181. 196 TAD A:4.7, 16: „und die Gesamtheit des Vermögens, das er (= Vidranga) erworben hat, ging verloren“ 197 Vgl. TAD B:2.6, 27: „er möge seine Mitgift verlieren“. Ähnlich auch TAD B:3.8, 25. 198 TAD B:2.3, 9 „Du (bist) die Ermächtigte über es von diesem Tag bis in Ewigkeit“ (Vermögensüberschreibung an Tochter Mibṭahia 460/459 v.Chr.); TAD B:2.6, 18–20 „Sie (ist) die Ermächtigte über das Haus des Esḥor und seinen Gütern und seinem Vermögen und allem, was er auf der ganzen Erde hat.“ (Vertrag 458 oder 445 v.Chr.). 199 Koh 7,19; 8,8; 10,5. Vgl. hierzu SEOW 1996, 653 Anm. 56; SEOW 1997, 28. Kritisch hierzu aber KRÜGER 2000, 64, demzufolge dieser Ausdruck in Koh 7,19; 8,8 nicht im besitzrechtlichen, sondern im politischen Sinn gebraucht wurde; SCHOORS 2004, 244f. 200 Vgl. SCHOORS 2004, 244–246. 201 Vgl. GROPP 1993, 34; SEOW 1996, 654; SEOW 1997, 20.
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allmählich das Lexem רשׁה.202 Demnach scheint die in Koh 5,9–19 verwendete Sprache eher in die persische Epoche zu weisen.203 Aus alledem folgt: Das Vokabular in Koh 5,9–19 ist vor dem Hintergrund der aramäischen Parallelstellen bestens verständlich. Die Deutung der Idiomatik auf das ptolemäische Bankenwesen hin ist zwar nicht ausgeschlossen. Aber die Idiomatik in Koh 5,9–19 stammt ursprünglich wohl aus dem Lehenswesen und nicht aus dem Bankenwesen, zumal es für die zweite Option keine belastbaren Belege gibt. Offenbar ermächtigt Gott nach Koh 5,9–19 den Menschen wie ein persischer Gutsherr, seinen Anteil wie ein Lehen zu übernehmen. In diesem Abschnitt finden sich nämlich zahlreiche Termini, die der Sprache für die Vergabe von königlichen Lehen entstammen: „ נתןgeben“ und „ מתתGabe“, „ שׁלטVerfügungsgewalt haben“, „ נשׂאübernehmen“.204 Anscheinend nimmt das Koheletbuch diese Terminologie auf und überträgt sie auf das alltägliche Leben. Gott vergibt allerdings den Anteil an Vermögen ebenso willkürlich wie ein persischer Großkönig. Einen Rechtsanspruch auf einen Anteil hat man offenbar nicht. Wie im Perserreich gab es Leute, die das Glück hatten, ihren Anteil von Gott zu bekommen, und solche, die wenig oder gar nichts erhalten haben.205 Die in Koh 5,9–19 verwendete Lexik ist somit aufgrund der außerbiblischen Texte bereits in der Perserzeit gebräuchlich. Insofern scheint schon die Perserzeit der terminus post quem für die Entstehung dieser Einheit zu sein. Ein hellenistischer Hintergrund ist hingegen nicht notwendig und hinsichtlich der Wortwahl auch nicht erforderlich.
202
Trotzdem behielt die Wurzel שׁלטihre rechtliche Konnotation bei, vgl. RUDMAN 1999, 51f. 203 Allerdings wird auch im aramäischen Danielbuch und im Sirachbuch die Wurzel שׁלטim rechtlichen Sinne verwendet, um die Übertragung einer Verfügungsgewalt auf andere auszudrücken, vgl. Dan 2,38; 4,14.22.29; Sir 4,7; 9,13. Vgl. hierzu RUDMAN 1999, 49–51. Eine Datierung dieser Terminologie in die persische Zeit ist zwar möglich, aber nicht zwingend gefordert, da auch noch in hellenistischer Zeit diese Ausdrucksweise möglich war. Nach FREDERICKS 1988, 110–124 ist aber sprachlich ein Unterschied zum Sirachbuch, der Kupferrolle, der Bar-Kochba-Briefe und den Qumranschriften festzustellen, so dass das Koheletbuch zumindest vor dem 2. Jh. v.Chr. entstanden sein wird. 204 Vgl. SEOW 2008, 200. 205 Die Satrapen konnten offenbar nach Belieben Ländereien weiterverteilen vgl. hierzu STERNBERG-EL HOTABI 2002, 116.
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393
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393
Nachweis der Erstveröffentlichungen 1. JHWH oder der Perserkönig? Das Handeln Gottes durch menschliche Agenten in Jes 40,10–11 Der Artikel basiert auf: Jahwe oder der Perserkönig? Intertextuelle und semantische Studien zu Jes 40,10, in: Bib. 92 (2011), 503–527.
2. Geschichte und Schöpfung. Überlegungen zum Monotheismus im Kyrosorakel (Jes 45,1–8) Der Artikel basiert auf: Geschichte und Schöpfung. Überlegungen zum Monotheismus im Kyrosorakel (Jes 45,1–8), in: BZ 57 (2013), 1–26.
3) „O Heiland reiß die Himmel auf“. Weltweites Heil als Folge des Eingreifens Gottes in die Geschichte Der Artikel basiert auf: „O Heiland reiß die Himmel auf“. Zur Syntax und Semantik von Jes 45,8, in: VT 62 (2012), 307–317.
4. Offenbarungsformen Gottes in der Bileamerzählung Der Artikel basiert auf: The Angel as One Form of Divine Communication in the Balaam Narrative, in: F.V. Reiterer/T. Nicklas/K. Schöpflin (Hg.), Angels. The Concept of Celestial Beings – Origins, Development and Reception (DCLY), Berlin 2007, 95–108 und Modes of Divine Communication in the Balaam Narrative, in: BN 139 (2008), 19–38.
5. „Kein Prophet bin ich und kein Prophetenschüler bin ich“. Zum Selbstverständnis des Propheten Amos in Am 7,14 Der Artikel basiert auf: „Kein Prophet bin ich und kein Prophetenschüler bin ich“. Zum Selbstverständnis des Propheten Amos in Am 7,14, in: ThZ 68 (2012), 37–59.
394
Nachweis der Erstveröffentlichungen
6. Der Vorwurf der Blutschuld von Jesreel (Hos 1,4–5) als authentisches Prophetenwort Der Artikel basiert auf: Semantische und syntaktische Notizen zur Blutschuld von Jesreel (Hos 1,4–5), in: K. Ólason (Hg.), „Ruft nicht die Weisheit...?“ (Spr 8,1). Alttestamentliche und epigraphische Textinterpretationen (ATSAT 94), St. Ottilien 2011, 39–61.
7. Die kultischen Vergehen Manasses, die Königebücher und das Deuteronomium Der Artikel basiert auf: Die kultischen Vergehen Manasses, die Königebücher und das Deuteronomium, in: S. Ernst/M. Häusl (Hg.), Kulte, Priester, Rituale. Beiträge zu Kult und Kultkritik im Alten Testament und Alten Orient. FS T. Seidl (ATSAT 89), St. Ottilien 2010, 195–229.
8. Die Gesandtschaft Merodach-Baladans und ihre Folgen für die Davidsdynastie Unveröffentlicht
9. Tradition und Innovation in Hos 2,16–17. Zur Entwicklung des biblischen Erwählungsgedankens Der Artikel basiert auf: Hosea zwischen Tradition und Innovation am Beispiel von Hos 2,16–17, in: ZAW 122 (2010), 169–184.
10. Alttestamentliche Zugänge zum Menschen, zum Tier und zum MenschTierverhältnis Der Artikel basiert auf: Alttestamentliche Zugänge zum Menschen, zum Tier und zum Mensch-Tierverhältnis, in: Zur Debatte 44/3 (2014), 22–24.
11. „Heilige sollt ihr werden. Denn heilig bin ich, JHWH, euer Gott.“ Gott, Mensch und Nächster in Lev 19 Der Artikel basiert auf: Zum syntaktischen Problem von Lev 19,18, in: E. Gaß/H.J. Stipp (Hg.), „Ich werde meinen Bund mit euch niemals brechen!“ (Ri 2,1). FS W. Groß (HBS 62), Freiburg 2011, 197–216 und „Heilige sollt ihr werden. Denn heilig bin ich, Jahwe, euer Gott.“ Zur Begründungsstruktur in Lev 19, in: MThZ 64 (2013), 214–231.
12. Hedgefonds oder Sparbuch? Biblische Stimmen zum Reichtum Unveröffentlicht
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Stellenregister Altes Testament Gen 1 1,2–3 1,20–25 1,22 1,26 1,26.28 1,26–28 1,28 1,29–30 1,31 2,2–3 2,7 2,7.19 2,15 2,15–17 2,16–17 2,18 2,19 2,20 2,22 2,23 2–3 3 3,1 3,7 3,12–13 3,14–15 3,15 3,16 3,17–19 3,18 3,19 3,20 3,21 3,22 6,11 6,11–13 6,12
61, 241, 244 120 244 256 248, 251 253 254 244–247, 252, 257 245, 250–251, 255 246, 257 246 263 263 336 263 251 263–264 264 263–266 263 265–266 262 93 266–267 266 267 283 267 265 336 251 262 265 267 266 257 247, 252, 256, 261 257, 283
7,22 9,1.7 9,1–3 9,1–7 9,2 9,3–4 9,5–6 9,7 9,8–17 9,9–10 9,10 22 27 33,13 37 49
263 258 248 248, 252, 261 258–259, 276 259 260, 283–284 261 261, 279 259 261, 283 86 296 35 296 275
Ex 1,7 4,10 4,11 6,2–3 11,2 20 20,2 20,10 20,11 21,28 21,28–30 21,29–30 22,20 22,29 23,4 23,5 23,9 23,11 23,11–12 23,19 34,26
245 122, 125 94, 123 121 307 291 295 280 280 283 284 285 316 281–282 281 281 285 280 280 282 282
395
396 Lev 11,11 11,44 19,2 19,11–18 19,18 19,33–34 19,34 19,36 19,36–37 20,2 20,26 22,28 25,7 Num 11,12 22–24 22,22–35 22,23–34 22,29 30,5–12 32,4 32,13 Dtn 4,15.23 4,19 4,25–26 4,42 5 5,15 5,16 9,18 10,17–19 10,19 12,5 12,17.18 12,31 13,7 14,21 17,2 17,3 17,5 18 18,10 18,10–11 18,11
Stellenregister
256 292 291–296, 317 288–323 306 308, 314, 317–318 302, 306, 311–312, 317–318 319 294 316 293 281–282 280
35 79–107 85–97 274 278 309 252 160
309 166 173 306 291 280 282 173 316 316 175 39 171 309 282 160 166 167, 169 183 171–172 173 172
18,12 19,4 19,6 19,10 19,11 20,15 22,6–7 25,4 27,5–6 27,15 30,17 31,29 33 34,1–4
161 306 306 179 306 201 281–282 280 168 174 176 173 275 209
Jos 2,18.21 5,13–14 7,24–26 9 15,7 15,19 20,5 22
225 90 227–228 201 229 225 306 163
Ri 1,15 12,1–6 15,4–5 19,3
225 218 278 224
1Sam 3,18 6 9,21 11 19,24 30,13
205 274 123 100 105 121
2Sam 3,30 8,4 14,5 16,7–8 24,18
138 278 121 140 164
1Kön 2,9 5,15
140 306
397
Stellenregister 8,16 9,25 10 11 11,13 11,36 14,9 14,15 14,21 14,21–24 14,22 14,23 14,24 15,16–20 15,26 16,7 16,13 16,25 16,32 16,33 18,32 19,4 20,1–8 21,22 21,26 2Kön 8,27 8–9 9 9,30–31 15,10 16,3 16,3.11 16,5–9 16,11 17 17,8 17,9 17,16 17,17 17,23 17,31 18,1–8 18,2 18,4 18,13 18–19 20,1–11
175 168 200–201 90 175 168, 175 178 165 175 182 161 163, 165 161–162 189 178 173 178 178 164 165 168 124 208 178 162
161 132 138, 141 144 138 161–162, 170 181 189 168 182 162 163–164 165–166, 169 171, 173 177 171 206 197 164 196–197, 199 196–197 188, 197, 199
20,3 20,6 20,12–19 21 24,2 24,4 24,13 24–25 25 25,27–30
205 196–197, 210 188–214 157–187 177 180 210–211 207, 213 212 184, 211
2Chr 12,13 19,2 32,31 33,6 33,9 33,11–17
168 306 188 173 176 183
Tob 4,15
318
1Makk 12,21
330
Ijob 1,21 12,3 12,7–9 13,2 38,36 38,39–39,30 38,41 39,5–8
355 124 274 124 274 241 274 273, 286
Ps 8 8,2.10 8,4 8,7 8,8–9 36,6–7 38,7–9 104 104,14 104,27–28 104,29–30 104,30 104,35
268 269 271 268–270 270 261 270 272–273 272 273 273 273 273
398
Stellenregister
110,1 147,9 148,7–12
39 274 274
Spr 6,6–8 12,10 19,8 26,19 27,23–27 30,24–28 30,29–31
275 285 313 123 285 275 276
Koh 1,1 2,10 2,21 3,18–21 3,22 4,9–12 5,9–11 5,9–19 5,10 5,12 5,12–16 5,13 5,13.14 5,14 5,17–19 5,18 7,19 8,8 9,9 11,2
333 356 356 271–272, 277 272 342 333–336 333–342, 342–353, 353–361 353 353 337–339 360 354 355–356 340–342 356, 359 360 360 356 341, 356
Hld 1,6
225
Sir 30,18 31,15
343 318
Jes 1,3 1,15–17 4,4 6,11–12 8,1–4
274 140 139 23 133–134
10,12 10,27–32 11,6–8 13,14 20,1 20,1–6 28,2 35,4 38,21–22 39,1 39,1–8 40,1 40,1–11 40,5 40,9–11 41,3 41,25 42,10 43,1 44,23 44,24 44,24–28 44,24–45,8 44,28 45,1–7 45,1–8 45,8 45,9–10 45,23–24 46,13 48,15 50,2 52,7 52,10 62,11 65,10
137 195 279 33 194 192, 195 24, 36 23 189 189, 207 188–214 23 16–17 20 15–37 27 27 274 40 42–43 60 42, 55 43 32, 37 65 38–64 65–75 43 70 70 27 26 19 23 25 229–230
Jer 2,2 8,7 14,5–6 15,3 22,17 22,30 31,10 31,16 49,35 51,47.52
234 274 279 135–136, 138 180 211 33 31 148 137
399
Stellenregister Ez 16,22 23,19 29,19–20 45,23 Hos 1,2 1,2–9 1,4–5 1,6 1,6–8.9 1,9 2,2 2,4–17 2,8–9 2,15 2,16–17 2,18.23 2,18–25 2,24 5,1 6,10
227 227 31 101
133 131, 133–134 131–153 147 132 124, 134 143 220 221 220 215–235 150 221 143 147 147
12,1 12,2 12,15
147 148 140
Joel 2,22–23 4,13
279 247, 249
Am 2,12 3,7 3,8 4,2 7,10–17
120–121 113, 121, 128 120–121 202 108–130
Jona 3,7–8 3,8 4,11
283 274 283
Sach 13,5
114, 123, 125
Neues Testament Mt 5,43
308, 322
Röm 13,8 13,9
321 321
Gal 5,14 5,24–25
322 322
1Thess 4,3–8
323
Jak 2,1 2,8 2,9 2,11 2,12 2,14–26
321 321 321 321 321 321
Altorientalische und nordwestsemitische Quellen Assurbanipal Prisma C II,39 157 Babylonische Chronik I i:33–37 191
Babylonische Chronik I i:43–44 198 Babylonische Chronik I ii:1–4 191 Babylonische Chronik I ii:22 191
400
Stellenregister
EA 7,14–25 207 EA 15 209 Eḫulḫul-Zylinder I,15–29 49 Enūma Eliš VI,131 51 Harrān-Stele II,14–26 48 Imgur-Ellil-Zylinder II,16–18 32 KAI 214:32 148 KAI 222A:38 148 KAI 312:1 84, 105 KAI 312:7–9 105 KTU 1.24,22 224 Kyroszylinder 19, 50–54 ND 2632 195 ND 2765 194 Nebi-Yunus-Inschrift 10–1 192 Ninive-Inschrift Asarhaddons ii 49–50 207 Ninive-Prisma VII B 25’–33’ 194 NSaq 23 Rs 3 358 NSaq 149,2 358 RS 17.289 209 SamPap 1,4 359 SamPap 4,5.12 359
SamPap 7,16 SamPap 10,8 SamPap 15,10 TAD A:2.2 TAD A:3.8, 13 TAD A:3.10, 2 TAD A:4.7, 16 TAD A:6.2, 22 TAD A:6.4, 4 TAD B:1.1, 11 TAD B:2.3, 8–9 TAD B:2.6, 18–20 TAD B:2.6, 27 TAD B:2.11, 6 TAD B:2.11, 6–7 TAD B:3.1 TAD B:3.5, 19 TAD B:3.7, 9–10 TAD B:3.7, 13 TAD B:3.8, 25 TAD B:4.2 TAD C:3.8 TAD C:3.11, 4 TAD C:3.11, 11 TAD C:3.11, 6 TAD C:3.28 TAD D:2.18
359 359 359 354 354 354 360 355 359 357 359–360 360 360 359 357 353 357 359 359 360 353 353 344 344 358 354 353
Jüdische Quellen 1QS I,10 1QS VI,20 4Q 109
322 354 346
Jos Ant IX 13,3 Jos Ant X 2,2 Jos Ant X 2,2 Jos Ant XI 1,2
195 188, 209 205 54
401
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Namenregister Achan 227–228 Achor-Tal 227 Adonai 24–25 Adummim 231 Ahab 164–165, 167, 178–179, 181, 208 Ahas 162, 168–170, 174, 181 Ahasja 132, 161 Aḫimeti 193 Ahija 168, 175 Ahura-Mazdā 55, 61 Ai 231 Amazja 108–130 Amos 108–130 Anat 282 Aschdod 192–195 Aschdod-Jam 194 Aschera 165–166 Assur 50 Azuri 192–193 Baladan 189 Balak 79–107 Bamot-Baal 101 Bascha 173–174, 178 Bēl-Ibni 191 Ben-Hadad 208 Bileam 79–107, 277 Bīt-Yakīn 190–191 Bokchoris 193 Darius I. 36–37, 327 David 164 Debir 229 Dēr 190–191 Dūr-Atḫara 191 Gat 194 Gilgal 231 Gurdi 191 Hanun von Gaza 196 Harran 48
Hasael 144 Hinnomtal 171 Hiskija 164, 188–214 Hosea 216–217 Ištar 176 Jakob 218 Jehu 141–142, 144 Jericho 231 Jerobeam I. 164, 178, 182 Jerobeam II. 141 Jesaja 198, 200–201, 204, 206, 210 Joahas 213 Jojachin 211 Jojakim 180 Jona 283 Joram 132 Joschija 206, 213 Josua 228 Kyros 32, 37, 39, 47, 49, 51–57, 61, 63, 70–72, 74 Maacha 166 Manasse 157–187 Marduk 48–51, 53–55, 58, 189, 191 Merodach-Baladan 188–214 Moses 123, 173 Mušēzib-Marduk 191 Nabot 141–142, 179 Nabonid 48–50, 53 Nadab 178 Nagītu 192 Nebukadnezzar 210–211 Nikkal 224 Noah 256 Omri 178 Osorkon IV. 193
402 Peor 101 Pije 209 Pisga 101 Ptolemaios I. Soter 329–330 Rahab 225 Rehabeam 161, 163, 168 Salomo 163–164, 168, 175–176, 206 Sanherib 191, 197–198, 206 Sargon II. 190–191, 194–196 Schallum 148, 152
Namenregister Schebitku 194 Simson 278 Sin 48–49 Tabal 191 Taymāʾ 48 Tell Dēr ʿAllā 102, 105 Tiglat-Pileser III. 149, 152 Yamani 193–194 Zion 19–20
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Sachregister Armenfrömmigkeit 342 Audition 106 Bankenwesen 327–328, 353–354, 358, 361 Beistandsformel 89 Berufsprophet 126–129 Blutschuld 179, 218 Botenformel 99 Bund 234 Chaos 242–243, 248, 258, 269 Dekalog 291 Determination 351 Divination 98, 101, 103 dominium terrae 240, 253, 276 Dualismus 61–62 Ehemetaphorik 225, 227 Ekstase 105 Engel 82, 85–97 Entrepreneur 325–326, 330 Erkenntnisfähigkeit 265, 272 Erwählung 176, 234 Exodus 28, 31, 33, 35, 218, 227, 233– 234 Feindesliebesgebot 302, 308 Freudenbotin 19 Geist Gottes 100, 103–104 Gerechtigkeit 72–73, 75 Gesalbter 53–54, 62 Götzenbild 174 Goldene Regel 317–318 Gottebenbildlichkeit 248, 250, 252– 254, 260 Gottesfurcht 298, 304, 319 Gottesliebe 320
Habgier 334 Haustier 277–278 Heiligungsformel 295 Herausführungsformel 295 Himmelsheer 166, 169, 183 Hirte 33–36, 249–250, 278 Höhenheiligtümer 163–164 Hund 241 imitatio Dei 292, 317, 319, 322 Kamel 242 Kausalität, doppelte 15, 24, 29, 32, 36 Landnahme 234 Landtier 256 Lebenskunst 331 Legitimationserzählung 129 Liebesgebot 301 Mantik 101 Mantiker 106–107 Mitgeschöpflichkeit 240, 256, 265, 268, 277, 282 Monotheismus 38, 51, 59, 75 Münzwirtschaft 327 Nächstenliebe 301, 304, 318, 320 Nutztier 241, 249, 255, 259, 277–278, 280, 283–286 Opfer 278–279, 281 pax assyriaca 157, 186 Profanisierung 298 Prophet 96–97, 106–107, 108–130 Prostration 92, 94, 96 Prophetenschüler 125, 130 Rechtssatz 289–290, 296 Reichtum 324–342 Rentier 325
404 Sabbat 280 Satan 90, 95 Schlange 267 Schöpfung 65–75, 71, 74–75 Schuldenerlass 326 Schuldknechtschaft 326 Schwein 241–242 Seher 104, 106, 110, 113–114, 127 Selbstliebe 313 Selbstvorstellungsformel 5, 290, 292 Sintflut 256–257, 259–262 Staatsmerkantilismus 330 Steuerpächter 330 Stier 242 Sündenfall 265–266 Tierethik 277–287 Tierfrieden 255
Sachregister Traum 83–84 Vegetarier 245 Vision 106 Visionär 100–106 Wassertier 256 Weinberg 224 Wildtier 241, 259, 273, 277–278, 280, 286 Wüste 226, 233 Wüstentradition 232 Xenotransplantation 277, 286 Zorn Gottes 81, 88–89 Zornesformel 89 Zoroastrismus 61