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German Pages 189 [194] Year 2021
Till Köstler Meinungsfreiheit in sozialen Netzwerken und das Netzwerkdurchsetzungsgesetz
Till Köstler
Meinungsfreiheit in sozialen Netzwerken und das Netzwerk durchsetzungsgesetz
Dr. iur. Till Köstler, Dissertation Humboldt-Universität zu Berlin, 2021
ISBN 978-3-11-075903-7 e-ISBN (PDF) 978-3-11-075909-9 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-075914-3 Library of Congress Control Number: 2021946971 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2022 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Printing and binding: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com
Meiner Frau Julia und meinen Eltern Sabine und Knut
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2020 bei der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin als Dissertation eingereicht. Danach eingetretene gesetzgeberische Entwicklungen wurden in groben Zügen nachträglich noch bis Juli 2021 eingearbeitet. Später erschienene Literatur und Rechtsprechung konnte nicht mehr berücksichtigt werden. Ich möchte mich sehr herzlich bei Frau Prof. Dr. Rosemarie Will für die stets sehr angenehme und engagierte Betreuung meiner Arbeit und für wertvolle Ratschläge und Hinweise im Rahmen der Bearbeitung bedanken. Für die Übernahme der Zweitkorrektur und die zügige Erstellung des Zweitgutachtens danke ich Herrn Prof. Dr. Martin Eifert ganz herzlich. Besonderen Dank schulde ich Frau Dr. Eva Högl, die meine Promotionspläne von Anfang an mit großem Interesse verfolgt und als meine damalige Chefin durch die Ermöglichung eines Promotionstages einen entscheidenden Beitrag zum erfolgreichen Entstehen der Arbeit geleistet hat. Gleiches gilt für das gesamte damalige Team aus dem Bundestagsbüro. Meiner Schwester Sina danke ich von ganzem Herzen für regelmäßiges Babysitting. Bei meiner Tochter Ada bedanke ich mich für eine schöne und gleichwohl produktive Elternzeit. Herzlichen Dank auch an meine Großeltern, die mich während meiner gesamten Ausbildung stets vorbildlich unterstützt haben – ich denke hier vor allem auch an meinen Opa, der das Erscheinen dieser Arbeit leider nicht mehr erleben kann. Bedanken möchte ich mich zudem bei vielen Verwandten, Freunden und Bekannten, die mich im Rahmen der gesamten juristischen Ausbildung begleitet haben und für deren Unterstützung ich äußerst dankbar bin. Hervorheben möchte ich Herrn Dr. Jakub Brukwicki, dem ich ganz herzlich für gute Tipps in verschiedenen Phasen der Promotion danke. Die Arbeit ist meiner Frau Julia und meinen Eltern Sabine und Knut gewidmet – ein kleiner Dank für die vielfältige und stets liebevolle Unterstützung, auf die ich mich nicht nur im Rahmen der Promotion immer verlassen konnte und kann. Berlin, im Juli 2021
https://doi.org/10.1515/9783110759099-001
Till Köstler
Inhalt Abkürzungsverzeichnis
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1. Teil Einführung 1 A. Einleitung und Hintergrund der Untersuchung B. Ziel der Untersuchung 2 C. Gang der Untersuchung 3
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2. Teil Allgemeines zu den Kommunikationsgrundrechten des Art. 5 Abs. 1 GG 5 A. Historische Entwicklung des Grundrechtsschutzes in Deutschland 5 7 B. Die Schutzbereiche der einzelnen Kommunikationsgrundrechte I. Schutzbereich der Meinungsfreiheit, Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG 7 II. Schutzbereich der Pressefreiheit, Art. 5 Abs. 1 S. 2 Var. 1 GG 9 10 III. Schutzbereich der Rundfunkfreiheit, Art. 5 Abs. 1 S. 2 Var. 2 GG IV. Abgrenzungskriterien auf der Grundlage der Schutzbereichsdogmatik des BVerfG 11 12 C. Grundrechtlicher Schutz außerhalb des Grundgesetzes 3. Teil Meinungsäußerungen in sozialen Netzwerken und ihre grundrechtliche Erfassung 15 A. Kommunikation in sozialen Netzwerken und der Begriff des sozialen Netzwerks 15 I. Die Nutzung sozialer Netzwerke in der Praxis 15 . Gesellschaftliche Verbreitung der Nutzung sozialer Netzwerke 15 . Grundlegende Funktionsweise sozialer Netzwerke 18 II. Ansätze für eine Begriffsbestimmung außerhalb der Rechtswissenschaft 19 III. Der Begriff des sozialen Netzwerks in der Rechtswissenschaft 21 IV. Rückschlüsse für die weitere Untersuchung 23
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Inhalt
B. Kommunikationsgrundrechte nach Art. 5 Abs. 1 GG bei der Kommunikation 24 in sozialen Netzwerken I. Subjektiv-rechtlicher Gehalt von Art. 5 Abs. 1 GG bei der Kommunikation in sozialen Netzwerken 24 . Schwierigkeiten der Einordnung von Online-Kommunikation angesichts der Besonderheiten im Vergleich zur Offline25 Kommunikation 27 . Auswirkungen auf den verfassungsrechtlichen Schutz (a) Lösung anhand bereits etablierter Abgrenzungskriterien 27 (b) Ansätze zur erweiternden Auslegung von Art. 5 29 Abs. 1 GG (c) Erfassung der Online-Kommunikation durch die 37 Meinungsfreiheit (d) Fazit 41 II. Die verfassungsrechtliche Stellung der Nutzer sozialer 41 Netzwerke . Selbst erstellte Beiträge der Nutzer 41 . „Teilen“ der Beiträge anderer Nutzer im sozialen Netzwerk 41 III. Die verfassungsrechtliche Stellung der Betreiber sozialer 43 Netzwerke . Eigene Äußerungen der Netzwerkbetreiber 44 . Äußerungen der Nutzer in sozialen Netzwerken 44 45 (a) Nachrichten in Einzel- oder Gruppenchats (b) Beiträge im so genannten Newsfeed 45 . Verfassungsrechtlicher Schutz der Betreiber sozialer Netzwerke außerhalb von Art. 5 Abs. 1 GG 47 IV. Objektiver Gehalt von Art. 5 Abs. 1 GG bei der Kommunikation in sozialen Netzwerken 48 . Grundsätzliches zum objektiven Gehalt von Grundrechten 48 . Objektiver Gehalt der Kommunikationsgrundrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG 52 . Bedeutung des objektiven Gehalts von Art. 5 Abs. 1 GG für die Kommunikation in sozialen Netzwerken 53 (a) Mittelbare Grundrechtsverpflichtung der Betreiber 53 (b) Verpflichtung des Gesetzgebers zur Schaffung von Ausgestaltungsregelungen zur Grundrechtsausübung? 61 C. Zwischenergebnis zum 3. Teil 64
Inhalt
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4. Teil 67 Die Regulierung der Kommunikation in sozialen Netzwerken A. Ausgangslage 67 I. Situation in Deutschland 67 II. Internationaler Rahmen 69 69 . E-Commerce-Richtlinie . Empfehlung der EU-Kommission vom 1. März 2018 70 72 . Empfehlung des Ministerkomitees des Europarats B. Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (NetzDG) 73 73 I. Wesentlicher Inhalt der Regelungen . Anwendungsbereich 73 . Berichtspflichten 74 74 . Vorgaben zum Beschwerdemanagement . Ordnungswidrigkeitentatbestände 75 . Inländischer Zustellungsbevollmächtigter 76 76 . Auskunftsanspruch II. Maßgebliche Kritikpunkte 77 . Fehlende Gesetzgebungskompetenz 78 . Auswahl der erfassten Straftatbestände und fehlende Bestimmt80 heit der rechtswidrigen Inhalte i.S.v. § 1 Abs. 3 NetzDG . Vereinbarkeit mit der Meinungsfreiheit, Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG 85 85 (a) Eingriffsqualität des NetzDG (b) Fehlanreiz zum Overblocking 87 (c) Fehlende Beteiligung der sich äußernden Nutzer im Beschwerdeverfahren 93 . Privatisierung der Rechtsdurchsetzung 102 . Zwischenfazit zur Kritik am NetzDG 105 C. Vorschläge für eine Weiterentwicklung des NetzDG sowie alternative Regulierungsoptionen 105 I. Aufhebung oder Teilaufhebung des NetzDG 106 . Gesetzentwurf der Bundestagsfraktion der AfD 106 a. Wesentlicher Inhalt 106 b. Bewertung 106 111 . Gesetzentwurf der Bundestagsfraktion Die Linke a. Wesentlicher Inhalt 111 b. Bewertung 112 . Gesetzentwurf der Bundestagsfraktion der FDP 114 a. Wesentlicher Inhalt 114
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Inhalt
b. Bewertung 115 115 . Zwischenergebnis II. Einführung eines Wiederherstellungsverfahrens (put back) 116 . Ausdrücklich statuierter Wiederherstellungsanspruch 117 . Schaffung eines vorgerichtlichen Verfahrens zur 117 Wiederherstellung a. Regelungsvorschlag von Peukert 118 b. Regelungsvorschlag im Gesetzentwurf der Bundes120 regierung zur Änderung des NetzDG c. Bewertung 122 126 . Zwischenergebnis III. Meldepflicht für strafbare Inhalte an das Bundeskriminalamt 127 . Wesentlicher Inhalt 127 128 . Bewertung a. Beschränkung auf nutzerstarke soziale Netzwerke 129 b. Gefahr des Overreporting und mögliche Abschrekkungseffekte für die Ausübung der 130 Meinungsfreiheit c. Systemwidrigkeit einer Meldepflicht und fehlender Schutz durch Verfahrensanforderungen 132 . Zwischenergebnis und weitere gesetzgeberische 137 Entwicklung IV. Klarere Anforderungen an die Ausgestaltung der Meldewege 138 139 . Wesentlicher Inhalt . Bewertung 140 V. Erhöhung der Transparenz im Rahmen der Entscheidungen der Netzwerkbetreiber 142 . Bereits bestehende Regelungen zur Veröffentlichung von Entscheidungskriterien und -begründungen nach dem NetzDG 143 . Forderungen nach einer Pflicht substantiierter Begründung sowie einer Veröffentlichungspflicht von begründeten Einzelentscheidungen 144 . Erweiterung der Angaben in den Transparenzberichten 145 . Bewertung und verfassungsrechtliche Gebotenheit einer Veröffentlichungspflicht 146 a. Erweiterung der Angaben in den Transparenzberichten 146 b. Veröffentlichungspflicht für Einzelentscheidungen der Netzwerkbetreiber 147
Inhalt
VI. Bußgeldandrohung auch bei zu weitgehender Löschpraxis 150 150 . Wesentlicher Inhalt . Bewertung 151 VI. Zwischenfazit zu den Vorschlägen für eine Weiterentwicklung des NetzDG 153 VII. Vorschlag für einen Digital Services Act (DSA) auf EU-Ebene und 153 Ausblick 5. Teil Zusammenfassung in Thesen und Fazit Literaturverzeichnis
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Abkürzungsverzeichnis a. A. Abs. AfP AöR ARD Art. BB BbgVerf BeckOK Begr. BGBl. BGH BKA BMJV BT-Drs. BVerfG BVerfGE CR DÖV DSA ECRL
EMRK EU EuGH EuGRZ FAZ FS GG GRUR GRUR-Prax GRUR-Int GRCh Hrsg. Hs. i.S.v. i.V.m. JA Jura
andere Ansicht Absatz AfP – Zeitschrift für Medien- und Kommunikationsrecht Archiv des öffentlichen Rechts Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland Artikel Betriebs-Berater Verfassung des Landes Brandenburg Beck’scher Onlinekommentar Begründer Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Bundeskriminalamt Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz Drucksache des Deutschen Bundestags Bundesverfassungsgericht Entscheidungssammlung des Bundesverfassungsgerichts Computer und Recht Die Öffentliche Verwaltung Digital Services Act Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“) Europäische Menschenrechtskonvention Europäische Union Europäischer Gerichtshof Europäische Grundrechte-Zeitschrift Frankfurter Allgemeine Zeitung Festschrift Grundgesetz Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht – Praxis im Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Internationaler Teil Charta der Grundrechte der Europäischen Union Herausgeber Halbsatz im Sinne von in Verbindung mit Juristische Arbeitsblätter Juristische Ausbildung
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Abkürzungsverzeichnis
juris-PR StrafR JuS JZ K&R LG LV-BW MMR NdsVerf NetzDG NJW Nr. NVwZ NwVerf NZA M&K MV-Verf OLG OWiG Rn. RStV RW S. SächsVerf StGB ThürVerf TKG TMG Var. vgl. VVDStRL WRV ZDF ZHR ZRP ZStW ZUM ZUM-RD
Juris Praxisreport Strafrecht Juristische Schulung Juristenzeitung Kommunikation und Recht Landgericht Verfassung des Landes Baden-Württemberg Multimedia und Recht Niedersächsische Verfassung Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (Netzwerkdurchsetzungsgesetz) Neue Juristische Wochenschrift Nummer Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht Medien- und Kommunikationswissenschaft Verfassung des Landes Mecklenburg Vorpommern Oberlandesgericht Gesetz über Ordnungswidrigkeiten Randnummer Rundfunkstaatsvertrag Rechtswissenschaft – Zeitschrift für rechtswissenschaftliche Forschung Satz Verfassung des Freistaates Sachsen Strafgesetzbuch Verfassung des Freistaats Thüringen Telekommunikationsgesetz Telemediengesetz Variante vergleiche Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Weimarer Reichsverfassung Zweites Deutsches Fernsehen Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht Rechtsprechungsdienst
1. Teil Einführung A. Einleitung und Hintergrund der Untersuchung „Give people the power to build community and bring the world closer together“ ¹ – das ist nach eigener Angabe die Mission des sozialen Netzwerks Facebook. Darin spiegelt sich die Wahrnehmung, dass die Online-Kommunikation allgemein und die Kommunikation in sozialen Netzwerken im Speziellen ein Versprechen nahezu unbegrenzter Freiheit mit sich bringe.² Passend zu diesem vermeintlichen Freiheitsversprechen wurde der Sturz der Machthaber und die damit zusammenhängenden politischen Umbrüche in Tunesien und Ägypten im Jahr 2011 aufgrund der zentralen Rolle sozialer Netzwerke teilweise auch als „FacebookRevolution“ bezeichnet.³ In den letzten Jahren wurden in der öffentlichen Debatte allerdings mehr und mehr auch die Schattenseiten der in sozialen Netzwerken stattfindenden Kommunikation debattiert. Es wird beklagt, dass aufgrund der in nicht unerheblicher Zahl auf Plattformen wie Twitter oder Facebook geäußerten Beleidigungen und Diffamierungen die Online-Plattformen zunehmend zu „asozialen Netzwerken“⁴ würden. Angesichts dieser Kritik überrascht es nicht, dass sich über Jahre hinweg ein Diskussionsprozess über den rechtspolitischen Umgang mit der Verbreitung von Hassrede in sozialen Netzwerken entwickelte.⁵ Als Folge dieser rechtspolitischen Debatten wurde im Jahr 2017 das Gesetz zur Verbesserung der Rechts-
Dieses Zitat findet sich auf der eigenen Facebook-Seite des Unternehmens in der Rubrik „Zusätzliche Informationen“, https://www.facebook.com/pg/facebook/about/?ref=page_internal (Stand: 11. Juli 2021). Vgl. zu dieser Wahrnehmung sowie zum geänderten Blick auf die Online-Kommunikation Eifert, NJW 2017, 1450 (1450). Härting, K&R 2012, 264 (265). Mit diesem Begriff sowie einer Kritik am Verhalten der Netzwerkbetreiber Bittner, DIE ZEIT vom 23. Juli 2015, online abrufbar unter https://www.zeit.de/2015/30/soziale-medien-beleidigungenhaftung (Stand: 11. Juli 2021). Den englischen Begriff „unsocial media“ verwendet speziell im Zusammenhang mit Belästigungen und Beleidigungen gegenüber Frauen auch Dhrodia, Unsocial Media: The Real Toll of Online Abuse against Women, Amnesty Global Insights vom 20. November 2017, online abrufbar unter https://medium.com/amnesty-insights/unsocial-media-the-realtoll-of-online-abuse-against-women-37134ddab3f4 (Stand: 11. Juli 2021). Vgl. Hoven/Gersdorf, in: Gersdorf/Paal, BeckOK Informations- und Medienrecht, § 1 NetzDG Rn. 1. https://doi.org/10.1515/9783110759099-003
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1. Teil: Einführung
durchsetzung in sozialen Netzwerken (NetzDG)⁶ verabschiedet. Angesichts der zum Teil massiven Kritik, die das NetzDG von Anfang an auf sich zog, hat die Verabschiedung des Gesetzes allerdings keineswegs einen Schlusspunkt unter die Diskussionen um einen sachgemäßen Umgang mit beleidigenden und hasserfüllten Inhalten in sozialen Netzwerken gesetzt, sondern die Debatte auf politischer ebenso wie auf rechtswissenschaftlicher Ebene eher noch weiter befeuert.⁷ Vor diesem Hintergrund mag es überraschen, dass eine exakte verfassungsrechtsdogmatische Einordnung der in sozialen Netzwerken stattfindenden Kommunikationsprozesse häufig nicht stattfindet und deshalb zutreffend darauf hingewiesen wird, dass „die verfassungsrechtliche Diskussion über die grundrechtliche Stellung sozialer Netzwerke noch in den Kinderschuhen steckt“⁸. Regulierungsbemühungen für in sozialen Netzwerken kommunizierte Inhalte bewegen sich hierbei mit Blick auf die Kommunikationsgrundrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG nahezu zwangsläufig in einem Spannungsfeld verschiedener Interessen: Einerseits gilt es zu verhindern, dass durch eine von Hass geprägte Kommunikationsatmosphäre Einschüchterungseffekte entstehen, in deren Folge betroffene Personen oder Bevölkerungsgruppen durch eine Art Selbstzensur aus Angst vor hasserfüllten Reaktionen Meinungen nicht mehr oder nur noch eingeschränkt zum Ausdruck bringen können oder möchten.⁹ Andererseits müssen alle rechtlichen Vorgaben, die für die Kommunikation in sozialen Netzwerken formuliert werden, stets unter dem Gesichtspunkt hinterfragt werden, ob bei der gesetzgeberischen Entscheidung für ein bestimmtes Regelungsmodell die objektive verfassungsrechtliche Wertentscheidung aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG zugunsten der Meinungsfreiheit hinreichende Berücksichtigung gefunden hat.¹⁰
B. Ziel der Untersuchung Ziel dieser Arbeit ist es daher, die Bedeutung der Kommunikationsgrundrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG bei Kommunikationsvorgängen in sozialen Netzwerken in all ihren Schutz- und Wirkungsdimensionen aufzuzeigen. Zu untersuchen ist, welcher verfassungsdogmatische Ansatz ein Schutzniveau gewährleistet, das den Besonderheiten der Kommunikation in sozialen Netzwerken gerecht wird. An-
BGBl. I 2017, S. 3352. Mit ähnlichem Befund Eifert, in: Eifert/Gostomzyk, Netzwerkrecht, S. 9 (9), der von einer intensiven und zunehmend hitzigen Diskussion um das NetzDG spricht. Gersdorf, MMR 2017, 439 (442). Holznagel, ZUM 2017, 615 (617). Papier, NJW 2017, 3025 (3030).
C. Gang der Untersuchung
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hand einer Überprüfung der Regelungen des NetzDG soll hiervon ausgehend aufgezeigt werden, welche Bedeutung diese verfassungsrechtlichen Grundlagen für die Regulierung der Kommunikation in sozialen Netzwerken haben und inwieweit das NetzDG in seiner ursprünglich verabschiedeten Form diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben bereits in ausreichendem Maße Rechnung trägt. Außerdem sollen die im Rahmen der Diskussion um das NetzDG vorgelegten Änderungsvorschläge mit Blick auf die Frage untersucht werden, ob die jeweils vorgeschlagenen Änderungen im Vergleich zur ursprünglich verabschiedeten Fassung des NetzDG aus verfassungsrechtlicher Sicht vorzugswürdig erscheinen.
C. Gang der Untersuchung Nach der Einleitung im ersten Teil wendet sich der zweite Teil dieser Arbeit zunächst allgemein der Entwicklung und Bedeutung der Kommunikationsgrundrechte in Deutschland zu. Der dritte Teil befasst sich mit Meinungsäußerungen in sozialen Netzwerken und ihrer grundrechtlichen Erfassung. Er beginnt mit einer Untersuchung der gesellschaftlichen Bedeutung sowie der Eigenarten der Kommunikation in sozialen Netzwerken, wobei in diesem Zusammenhang auch eine Auseinandersetzung mit dem Begriff des sozialen Netzwerks stattfindet. Anschließend wird überprüft, wie genau die in sozialen Netzwerken stattfindende Kommunikation grundrechtsdogmatisch einzuordnen ist. Zur Abgrenzung der Schutzbereiche der verschiedenen Kommunikationsgrundrechte des Art. 5 Abs. 1 GG wird hierbei auf die allgemein für Online-Kommunikation entwickelten Ansichten zurückgegriffen und jeweils überprüft, inwieweit diese Ansätze speziell für die Kommunikation in sozialen Netzwerken überzeugen können. Ausgehend hiervon wird die grundrechtliche Stellung der Nutzer einerseits sowie der Netzwerkbetreiber andererseits untersucht. Am Ende des dritten Teils wendet sich die Untersuchung dem objektiven Gehalt von Art. 5 Abs. 1 GG bei der Kommunikation in sozialen Netzwerken zu. Im vierten Teil nimmt die Arbeit die gesetzliche Regulierung der Kommunikation in sozialen Netzwerken in den Blick. Zentraler Anknüpfungspunkt für diese Untersuchung ist das im Jahr 2017 verabschiedete und in Kraft getretene NetzDG. Nach einer Darstellung des wesentlichen Inhalts werden die in der Literatur formulierten wesentlichen Kritikpunkte auf ihre Tragfähigkeit überprüft, wobei hierbei soweit möglich auch die bisherigen praktischen Erfahrungen bei der Anwendung des NetzDG durch die Netzwerkbetreiber berücksichtigt werden. Schließlich befasst sich die Untersuchung mit den bislang im politischen und im rechtswissenschaftlichen Raum veröffentlichten Vorschlägen für Änderungen und Weiterentwicklungen des NetzDG. Hierbei ist von maßgeblichem Interesse, inwieweit diese Vorschläge
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1. Teil: Einführung
in verfassungsrechtlicher Hinsicht gegenüber der ursprünglich im Jahr 2017 verabschiedeten Fassung des NetzDG vorzugswürdig sind. Eine Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse sowie ein Fazit im fünften Teil schließt die Arbeit ab.
2. Teil Allgemeines zu den Kommunikationsgrundrechten des Art. 5 Abs. 1 GG Bevor der Blickwinkel auf die Kommunikation in sozialen Netzwerken und deren grundrechtliche Erfassung gerichtet wird, soll zunächst kurz auf die Entwicklung und die Bedeutung der Kommunikationsgrundrechte in Deutschland eingegangen werden.
A. Historische Entwicklung des Grundrechtsschutzes in Deutschland Trotz älterer Wurzeln wurde die moderne Idee der Freiheit des Menschen erst in der Zeit der Aufklärung zu einer auch vom Staat anerkannten Idee.¹¹ Die Meinungsfreiheit als eines der fundamentalen Menschenrechte geriet erst Mitte des 18. Jahrhunderts ins Blickfeld politischer und juristischer Diskussionen.¹² Die von den Ideen der Aufklärung geprägten Kodifikationen dieser Zeit – die „Virginia Bill of Rights“ von 1776, die US-amerikanische Bundesverfassung von 1787 sowie die französische Menschenrechtserklärung von 1789 – sind Zeugnisse dieser Entwicklung und garantieren allesamt das Recht auf Meinungsfreiheit.¹³ Die freiheitlichen Gedanken aus den USA und noch in stärkerem Maße aus Frankreich entfalteten auch in Deutschland Wirkung.¹⁴ So findet sich in der Bayerischen Verfassung von 1818 erstmals eine umfassende Garantie der Meinungs- und Pressefreiheit.¹⁵ Auf gesamtdeutscher Ebene ist für die weitere Entwicklung insbesondere die Paulskirchenverfassung von 1849 von Bedeutung, die in Art. IV § 143 zum einzigen Mal in der deutschen Verfassungsgeschichte die Meinungs- und Pressefreiheit vorbehaltlos garantieren wollte.¹⁶ In der Verfassung des Deutschen Reiches von 1871 fehlte hingegen ein Grundrechtekatalog. Zwar wurden durch das Reichspressegesetz von 1874 be-
Hoffmann-Riem, Kommunikationsfreiheiten, S. 67. Grimm, in: Schwartländer/Willoweit, Meinungsfreiheit, S. 145. Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 5 I, II Rn. 3. Fechner, in: Stern/Becker, Grundrechte-Kommentar, Art. 5 Rn. 3. Gornig, Äußerungsfreiheit, S. 77 f. Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 5 I, II Rn. 4.
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2. Teil: Allgemeines zu den Kommunikationsgrundrechten des Art. 5 Abs. 1 GG
sondere Schutznormen zumindest für die Presse geschaffen, allerdings zeigte das im Sozialistengesetz von 1878 enthaltene Verbot aller Druckwerke, die sozialdemokratischen Bestrebungen dienten, dass keine ausreichende rechtliche Absicherung der Äußerungsfreiheit für den Pressebereich bestand.¹⁷ Den Rang als verfassungsrechtlich garantiertes Grundrecht erlangte die Meinungsfreiheit erst wieder durch die Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919 (Weimarer Reichsverfassung – WRV). Durch Art. 118 WRV wurde die Meinungsäußerungs- und Pressefreiheit garantiert sowie ein Zensurverbot normiert. Besonders bemerkenswert ist dabei die Regelung in Art. 118 S. 2 WRV, die den grundrechtlichen Schutz auf privatrechtliche Arbeitsverhältnisse erstreckte und dadurch eine unmittelbare Drittwirkung begründete.¹⁸ In der Zeit der nationalsozialistischen Unrechtsherrschaft ab 1933 wurde die Meinungsfreiheit wie alle anderen Grundrechte außer Kraft gesetzt und außerdem durch verschiedene Maßnahmen und Methoden freie Meinungsbildung und freie Meinungsäußerung nahezu komplett unterbunden.¹⁹ Gerade diese Erfahrungen aus der Zeit des Nationalsozialismus verstärkten nach dem Zweiten Weltkrieg das Bewusstsein für die Unverzichtbarkeit freier Kommunikation in der Diskussion um eine neue deutsche Verfassung.²⁰ Vor diesem Hintergrund war es Aufgabe des Grundgesetzgebers, die Kommunikationsgrundrechte neu zu fundieren, wobei er hierbei auf Vorbilder der deutschen Verfassungsgeschichte, insbesondere Art. 118 WRV, anknüpfen konnte.²¹ Allerdings wurde durch die Formulierung in Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG der Schutzbereich gegenüber Art. 118 WRV ausgeweitet, indem aus dem Deutschen-Grundrecht der WRV ein Jedermann-Grundrecht wurde.²² Daneben war in den Beratungen des Parlamentarischen Rates insbesondere die Schrankenregelung Gegenstand kontroverser Diskussionen, bis sich die Mitglieder letztlich auf die Schrankentrias des Art. 5 Abs. 2 GG – die Vorschriften der allgemeinen Gesetze, die gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz der Jugend und das Recht der persönlichen Ehre – verständigen konnten.²³ Der größte Unterschied zwischen der Garantie der Meinungsfreiheit in der WRV und dem Schutz dieses Grundrechts im GG dürfte allerdings weniger in unterschiedlichen Formulierungen liegen, sondern vielmehr in einer stärkeren „Grundrechtseffektuierung“ des Rechts auf freie Meinungsäu-
Hoffmann-Riem, Kommunikationsfreiheiten, S. 68. Fechner, in: Stern/Becker, Grundrechte-Kommentar, Art. 5 Rn. 18. Fechner, in: Stern/Becker, Grundrechte-Kommentar, Art. 5 Rn. 21. Hoffmann-Riem, Kommunikationsfreiheiten, S. 70. Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 5 I, II Rn. 5 f. Fechner, in: Stern/Becker, Grundrechte-Kommentar, Art. 5 Rn. 31. Fechner, in: Stern/Becker, Grundrechte-Kommentar, Art. 5 Rn. 44.
B. Die Schutzbereiche der einzelnen Kommunikationsgrundrechte
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ßerung,²⁴ wobei für diese Entwicklung insbesondere auch der große Einfluss der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG und das auf dieser Grundlage entstandene „case law“²⁵ in seiner herausragenden Bedeutung für die Entwicklung des Grundrechtsschutzes betont werden müssen.
B. Die Schutzbereiche der einzelnen Kommunikationsgrundrechte Der starke Einfluss der Rechtsprechung des BVerfG hat dazu geführt, dass zu den Kommunikationsfreiheiten des Art. 5 Abs. 1 GG eine teils seit Jahrzehnten etablierte Schutzbereichsdogmatik existiert, deren Grundzüge im Folgenden skizziert werden sollen. Bei dieser Betrachtung kommt der einschlägigen Rechtsprechung des BVerfG eine herausragende Bedeutung zu, da für Art. 5 Abs. 1 GG in besonderer Weise der Satz gilt, dass das Grundgesetz so gilt, wie das BVerfG es auslegt.²⁶
I. Schutzbereich der Meinungsfreiheit, Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG Das BVerfG versteht Meinungen im Sinne von Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG als „Werturteile, also wertende Betrachtungen von Tatsachen,Verhaltensweisen oder Verhältnissen“.²⁷ Konstitutiv für Meinungen in diesem Sinne ist „das Element der Stellungnahme, des Dafürhaltens, des Meinens im Rahmen einer geistigen Auseinandersetzung“²⁸. Auf den Wert, die Richtigkeit oder die Vernünftigkeit einer Äußerung kommt es hingegen gerade nicht an.²⁹ Tatsachenbehauptungen genießen nach der Rechtsprechung des BVerfG jedenfalls insoweit den Schutz von Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG, als sie Voraussetzung für die Bildung von Meinungen sind.³⁰ Nicht durch die Meinungsfreiheit geschützt werden nach der Rechtsprechung des BVerfG hingegen bewusst unwahre Tatsa-
Jestaedt, in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte, Band IV, § 102 Rn. 1. Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 5 I, II Rn. 7. Vgl. das berühmt gewordene Diktum von Smend, Staatsrechtliche Abhandlungen, S. 582; für den Befund speziell bezüglich Art. 5 Abs. 1 GG Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 5 I, II Rn. 7. BVerfG, Beschluss vom 14. März 1972– 2 BvR 41/71, BVerfGE 33, 1 (14). BVerfG, Beschluss vom 22. Juni 1982– 1 BvR 1376/79, BVerfGE 61, 1 (8). BVerfG, Beschluss vom 14. März 1972– 2 BvR 41/71, BVerfGE 33, 1 (14 f.). BVerfG, Beschluss vom 22. Juni 1982– 1 BvR 1376/79, BVerfGE 61, 1 (8); zitiert durch BVerfG, Beschluss vom 13. Februar 1996 – 1 BvR 262/91, BVerfGE 94, 1 (7).
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2. Teil: Allgemeines zu den Kommunikationsgrundrechten des Art. 5 Abs. 1 GG
chenbehauptungen³¹ und solche, deren Unwahrheit bereits im Zeitpunkt der Äußerung unzweifelhaft feststeht.³² Zudem fallen solche Informationen nicht in den Schutzbereich von Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG, die weder mit Werturteilen verbunden noch für die Meinungsbildung relevant sind (beispielsweise Angaben statistischer Art).³³ Diese Einschränkungen des Schutzbereichs bei Tatsachenbehauptungen werden von einem nicht unerheblichen Teil der Literatur allerdings kritisiert.³⁴ Der Schutz der Meinungsfreiheit umfasst das Äußern und Verbreiten einer Meinung, somit ihre Abgabe und den Prozess der Informationsübertragung.³⁵ Dabei unterliegt grundsätzlich auch die Form einer Meinungsäußerung der durch Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG geschützten Selbstbestimmung des Äußernden.³⁶ Gleichzeitig erkennt das BVerfG in ständiger Rechtsprechung an, dass neben der Verbreitungsdimension auch die Wirkungsdimension von Äußerungen durch Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG geschützt ist, da Meinungsäußerungen in der Regel gerade dazu bestimmt sind, meinungsbildend oder handlungsmotivierend auf andere einzuwirken.³⁷ Die grundrechtliche Garantie in Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG ist nicht auf den Schutz der einzelnen Äußerungen beschränkt, sondern sichert auch umfassend die Voraussetzungen für die Herstellung und Aufrechterhaltung des Kommunikationsprozesses, in den jede Äußerung eingebettet ist.³⁸
BVerfG, Beschluss vom 3. Juni 1980 – 1 BvR 797/78, BVerfGE 54, 208 (219). BVerfG, Beschluss vom 10. November 1998 – 1 BvR 1531/96, BVerfGE 99, 185 (197). BVerfG, Urteil vom 15. Dezember 1983 – 1 BvR 209, 269, 362, 420, 440, 484/83, BVerfGE 65, 1 (40 f.). Auf mögliche Abgrenzungsprobleme durch die Nichteinbeziehung von für die Meinungsbildung irrelevanten Informationen verweist Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 5 Rn. 6. Für eine unterschiedslose Einbeziehung falscher Tatsachenmitteilungen in den Schutzbereich SchmidtJorzig, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Band VII, § 162 Rn. 22; gleiche Ansicht bei Wendt, in: von Münch/Kunig, GG, Art. 5 Rn. 10. Kritisch insbesondere auch unter Verweis auf ein anderes Verständnis in Art. 10 EMRK und Art. 11 GRCh weiterhin Grabenwarter, in: Maunz/ Dürig, GG, Art. 5 Rn. 50. Ablehnung der tatbestandlichen Einschränkung auch bei Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 5 I, II Rn. 65. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 5 Rn. 9. BVerfG, Beschluss vom 13. Mai 1980 – 1 BvR 103/77, BVerfGE 54, 129 (138 f.); BVerfG, Beschluss vom 20. April 1982– 1 BvR 426/80, BVerfGE 60, 234 (241). BVerfG, Beschluss vom 24. März 1998 – 1 BvR 131/96, BVerfGE 97, 391 (398); angedeutet wohl auch bereits in BVerfG, Urteil vom 15. Januar 1958 – 1 BvR 400/51, BVerfGE 7, 198 (210). BVerfG, Beschluss vom 24. März 1998 – 1 BvR 131/96, BVerfGE 97, 391 (399); zum umfassenden Schutz des Kommunikationsprozesses auch BVerfG, Urteil vom 16. Juni 1981– 1 BvL 89/78, BVerfGE 57, 295 (319).
B. Die Schutzbereiche der einzelnen Kommunikationsgrundrechte
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II. Schutzbereich der Pressefreiheit, Art. 5 Abs. 1 S. 2 Var. 1 GG Als Presse i.S.v. Art. 5 Abs. 1 S. 2 Var. 1 GG sind laut BVerfG alle Publikationen zu verstehen, solange sie in gedruckter und zur Verbreitung geeigneter Form am Kommunikationsprozess teilnehmen.³⁹ Der Pressebegriff soll weit ausgelegt werden und nicht von einer wie auch immer gearteten Bewertung des einzelnen Erzeugnisses abhängig sein.⁴⁰ Auch wenn die Rechtsprechung des BVerfG auf der Grundlage von gedruckten Pressepublikationen entwickelt wurde, wird soweit ersichtlich nicht in Frage gestellt, dass die Verkörperung mittels Druck für die Definition der Presse nach Art. 5 Abs. 1 S. 2 Var. 1 GG nicht konstitutiv ist, sondern der verfassungsrechtliche Pressebegriff entwicklungsoffen für andere Verbreitungswege ist.⁴¹ Diese Entwicklungsoffenheit führt gerade im Bereich von OnlineInhalten allerdings zu Abgrenzungsschwierigkeiten zu den anderen Gewährleistungen des Art. 5 Abs. 1 GG, auf die noch näher einzugehen sein wird.⁴² Was die durch die Pressefreiheit geschützten Handlungen angeht, so schützt Art. 5 Abs. 1 S. 2 Var. 1 GG alle wesensmäßig mit der Pressearbeit zusammenhängenden Tätigkeiten von der Informationsbeschaffung bis zur Verbreitung der Nachricht und Meinung.⁴³ In personeller Hinsicht schützt die Pressefreiheit alle Personen und Unternehmen, die die geschützten Tätigkeiten vornehmen.⁴⁴
BVerfG, Beschluss vom 8. Oktober 1996 – 1 BvR 1183/90, BVerfGE 95, 28 (35). BVerfG, Beschluss vom 14. Februar 1973 – 1 BvR 112/65, BVerfGE 34, 269 (283); zitiert unter anderem in BVerfG, Beschluss vom 25. Januar 1984– 1 BvR 272/81, BVerfGE 66, 116 (134). Grundlegend zur Entwicklung des Pressebegriffs Rath-Glawatz, in: Jacobs/Loschelder, FS Samwer, S. 163 (166 ff.). Degenhart, in: Kahl/Waldhoff/Walter, Bonner Kommentar zum GG, Art. 5 I, II Rn. 198; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 5 I, II Rn. 90; Möllers, AfP 2008, 241 (243); vgl. auch Bethge, in: Sachs, GG, Art. 5 Rn. 68 und 88, der zwar die Entwicklungsoffenheit bejaht, elektromagnetisch verbreitete massenmediale Produkte von Printmedien gleichwohl dem Rundfunk zurechnet. Vgl. unten 3. Teil, B.I.1. Zurückgehend auf BVerfG, Beschluss vom 6. Oktober 1959 – 1 BvL 118/53, BVerfGE 10, 118 (121); zitiert und bestätigt unter anderem durch BVerfG, Urteil vom 5. August 1966 – 1 BvF 1/61, BVerfGE 20, 162 (176) sowie BVerfG, Beschluss vom 14. Juli 1994– 1 BvR 1595, 1606/92, BVerfGE 91, 125 (134). Speziell für den Schutz auch für juristische Personen BVerfG, Urteil vom 4. April 1967– 1 BvR 414/64, BVerfGE 21, 271 (277 f.) sowie BVerfG, Beschluss vom 8. Oktober 1996 – 1 BvR 1183/90, BVerfGE 95, 28 (34 f.).
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2. Teil: Allgemeines zu den Kommunikationsgrundrechten des Art. 5 Abs. 1 GG
III. Schutzbereich der Rundfunkfreiheit, Art. 5 Abs. 1 S. 2 Var. 2 GG Der in Art. 5 Abs. 1 S. 2 Var. 2 GG verwendete Begriff des Rundfunks lässt sich laut der Rechtsprechung des BVerfG angesichts immer neuer technischer Möglichkeiten und Innovationen nicht durch eine ein für allemal gültige Definition erfassen.⁴⁵ Gleichwohl hat sich in der verfassungsrechtlichen Literatur eine im Wesentlichen übereinstimmende verfassungsrechtliche Definition des Rundfunkbegriffs etabliert. Danach ist unter Rundfunk i.S.v. Art. 5 Abs. 1 S. 2 Var. 2 GG jede an eine unbestimmte Vielzahl von Personen gerichtete drahtlose oder drahtgebundene Übermittlung von Darbietungen aller Art durch elektromagnetische Schwingungen zu verstehen.⁴⁶ Die einfachgesetzliche Definition in § 2 Abs. 1 RStV kann zwar schon aus Gründen der Normenhierarchie keine für das Verfassungsrecht abschließend verbindliche Begriffsdeutung vornehmen, bietet aber dennoch einen zusätzlichen Anhaltspunkt für die Auslegung des Rundfunkbegriffs in Art. 5 Abs. 1 S. 2 Var. 2 GG. ⁴⁷ Diese Definitionsansätze erscheinen einerseits zur Abgrenzung des grundrechtlichen Schutzbereichs erforderlich, andererseits sind sie offen genug formuliert, um der Offenheit der Rundfunkfreiheit für neue technische Möglichkeiten Rechnung zu tragen. Was den Umfang der geschützten Handlungen angeht, so unterscheidet sich die Rundfunkfreiheit trotz des engeren Wortlauts („Berichterstattung“) wesensmäßig nicht von der Pressefreiheit.⁴⁸ Dementsprechend schützt auch die Rundfunkfreiheit in einem umfassenden Sinne alle Tätigkeiten, „die zur Gewinnung und rundfunkspezifischen Verbreitung von Nachrichten und Meinungen im weitesten Sinn gehören“⁴⁹.
BVerfG, Beschluss vom 24. März 1987– 1 BvR 147, 478/86, BVerfGE 74, 297 (350). Kingreen/Poscher, Grundrechte Staatsrecht II, Rn. 675; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 5 I, II Rn. 99; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 5 Rn. 47; Degenhart, in: Kahl/Waldhoff/Walter, Bonner Kommentar zum GG, Art. 5 I, II Rn. 308 ff.; Clemens, in: Umbach/Clemens, GG, Art. 5 Rn. 98a; vgl. ausführlich zum Rundfunkbegriff Brand, Rundfunk im Sinne des Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG, S. 37 ff. Bethge, in: Sachs, GG, Art. 5 Rn. 90a. BVerfG, Urteil vom 5. Juni 1973 – 1 BvR 536/72, BVerfGE 35, 202 (222). BVerfG, Urteil vom 12. März 2008 – 2 BvF 4/03, BVerfGE 121, 30 (58) unter Verweis auf BVerfG, Beschluss vom 1. Oktober 1987– 2 BvR 1434/86, BVerfGE 77, 65 (74) sowie BVerfG, Beschluss vom 23. März 1988 – 1 BvR 686/86, BVerfGE 78, 101 (103).
B. Die Schutzbereiche der einzelnen Kommunikationsgrundrechte
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IV. Abgrenzungskriterien auf der Grundlage der Schutzbereichsdogmatik des BVerfG Für den weiteren Gang der Untersuchung ist insbesondere auch von Interesse, welche Kriterien bei der traditionellen Offline-Kommunikation für die Abgrenzung der Schutzbereiche von Meinungsfreiheit, Pressefreiheit und Rundfunkfreiheit herangezogen werden. Im Verhältnis zwischen Meinungs- und Pressefreiheit hat das BVerfG bereits in einer frühen Entscheidung festgestellt, dass die Pressefreiheit mehr als nur ein Unterfall der Meinungsfreiheit ist, sondern durch die Pressefreiheit darüber hinaus vielmehr die institutionelle Eigenständigkeit der Presse von der Beschaffung der Information bis zur Verbreitung der Nachricht und der Meinung gewährleistet ist.⁵⁰ Davon ausgehend sind nach der Rechtsprechung des BVerfG in einem Presseerzeugnis enthaltene Meinungsäußerungen bereits durch die Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG geschützt, bei der Pressefreiheit geht es demgegenüber um „die einzelne Meinungsäußerungen übersteigende Bedeutung der Presse für die freie individuelle und öffentliche Meinungsbildung“⁵¹. Mithin ist die Meinungsfreiheit und nicht die Pressefreiheit einschlägig, wenn die Zulässigkeit einer bestimmten Äußerung in Frage steht; der Schutzbereich der Pressefreiheit ist hingegen eröffnet, wenn es um die im Pressewesen tätigen Personen in Ausübung ihrer Funktion, um ein Presseerzeugnis selbst, um seine institutionell-organisatorischen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen sowie um die Institution einer freien Presse überhaupt geht.⁵² Bezüglich der Abgrenzung zwischen Meinungsfreiheit und Rundfunkfreiheit fehlen zwar vergleichbar eindeutige Aussagen des BVerfG. In der Literatur wird jedoch gleichwohl davon ausgegangen, dass die Ausführungen zur Abgrenzung zwischen Pressefreiheit und Meinungsfreiheit entsprechend auch für die Rundfunkfreiheit gelten⁵³ und daher die Meinungsfreiheit die Äußerungsinhalte der
BVerfG, Beschluss vom 6. Oktober 1959 – 1 BvL 118/53, BVerfGE 10, 118 (121). BVerfG, Beschluss vom 9. Oktober 1991– 1 BvR 1555/88, BVerfGE 85, 1 (12). BVerfG, Beschluss vom 9. Oktober 1991– 1 BvR 1555/88, BVerfGE 85, 1 (12 f.); BVerfG, Beschluss vom 24. März 1998 – 1 BvR 131/96, BVerfGE 97, 391 (400); Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 5 Rn. 32; Degenhart, in: Kahl/Waldhoff/Walter, Bonner Kommentar zum GG, Art. 5 Abs. 1 und 2 Rn. 51. A.A. hingegen bei Bethge, in: Sachs, GG, Art. 5 Rn. 47, wonach die Meinungsfreiheit in der jeweiligen Medienfreiheit aufgehen soll, soweit sich die Betätigung der Medienfreiheit als eine medienspezifische Meinungsäußerung darstellt. Degenhart, in: Kahl/Waldhoff/Walter, Bonner Kommentar zum GG, Art. 5 Abs. 1 und 2 Rn. 54.
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2. Teil: Allgemeines zu den Kommunikationsgrundrechten des Art. 5 Abs. 1 GG
Redakteure im Rundfunk schützt, die Rundfunkfreiheit hingegen die rundfunkspezifische Verbreitung der Meinungen.⁵⁴ Die Abgrenzung zwischen Pressefreiheit und Rundfunkfreiheit erfolgt im analogen Rahmen traditionell über das jeweilige Verbreitungsmedium: alle elektronischen Verbreitungen sind demnach der Rundfunkfreiheit zuzuordnen, die Verbreitung in verkörperter Form (insbesondere durch Druckerzeugnisse) fällt hingegen unter das Grundrecht der Pressefreiheit.⁵⁵ Somit lassen sich zwar für die Abgrenzung von Meinungs-, Presse- und Rundfunkfreiheit im analogen Rahmen klare Kriterien herausarbeiten, das genaue Verhältnis zwischen der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG zu den Medienfreiheiten des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG ist dennoch in der Literatur umstritten. Dies hängt maßgeblich mit der sehr grundsätzlichen Frage zusammen, ob die in Art. 5 Abs. 1 GG enthaltenen Grundrechte als Teile einer übergreifenden Kommunikationsfreiheit oder als selbstständig nebeneinander stehende Grundrechte verstanden werden.⁵⁶ Diese unterschiedlichen dogmatischen Sichtweisen werden gerade für die grundrechtliche Einordnung der Kommunikation in sozialen Netzwerken besondere Bedeutung gewinnen, weswegen auch erst an späterer Stelle der Untersuchung im Detail auf die unterschiedlichen Ansätze eingegangen werden soll.
C. Grundrechtlicher Schutz außerhalb des Grundgesetzes Auf völkerrechtlicher Ebene fand die Meinungsfreiheit erstmals in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 Erwähnung.⁵⁷ Auch Art. 19 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR) gewährleistet die Meinungsfreiheit. Von großer Bedeutung für den Grundrechtsschutz in Deutschland sind neben Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG insbesondere die Gewährleistungen der Meinungsfreiheit in Art. 10 EMRK sowie in Art. 11 GRCh. Während die Vorschrift in Art. 11 Abs. 1 GRCh zur Meinungsfreiheit der Regelung dem Wortlaut von Art. 10 EMRK entspricht, enthält Art. 11 Abs. 2 GRCh zusätzlich ein eigenständiges Mediengrundrecht,
Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 5 I, II Rn. 110; für beide Medienfreiheiten einheitlich, aber in der Sache identisch Jestaedt, in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte, Band IV, § 102 Rn. 104. BVerfG, Urteil vom 5. Februar 1991– 1 BvF 1/85, 1/88, BVerfGE 83, 238 (313); Eifert, Jura 2015, 356 (359); Stern, Staatsrecht, Band IV, 1. Halbband, S. 1670 f. Jestaedt, in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte, Band IV, § 102 Rn. 101. Grote/Wenzel, in: Dörr/Grote/Marauhn, EMRK/GG Konkordanzkommentar, Kap. 18 Rn. 8.
C. Grundrechtlicher Schutz außerhalb des Grundgesetzes
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wonach die Freiheit der Medien und ihre Pluralität geachtet werden.⁵⁸ In Art. 10 Abs. 1 EMRK wird die Presse- und Medienfreiheit hingegen nicht ausdrücklich, sondern als Bestandteil der allgemeinen Meinungsäußerungs- und Informationsfreiheit geschützt.⁵⁹ Auch die meisten Verfassungen der deutschen Bundesländer enthalten Garantien der Kommunikationsgrundrechte.⁶⁰ Hierbei wird der grundrechtliche Schutz teilweise auch dadurch erreicht, dass pauschal auf die diesbezüglichen Gewährleistungen des GG Bezug genommen wird.⁶¹ In einigen der 1990 beigetretenen Bundesländer greifen die Landesverfassungen die Rechtsprechung des BVerfG zu Art. 5 GG auf und verankern diese im Normtext der Landesverfassung.⁶² In der Praxis haben die kommunikationsgrundrechtlichen Bestimmungen in den Landesverfassungen ganz überwiegend allerdings nur geringe Bedeutung.⁶³ Gleichwohl verdeutlicht der umfassende Schutz der Meinungs- und Kommunikationsfreiheit sowohl innerstaatlich auf Bundes- und Landesebene als auch europa- und völkerrechtlich, dass die Meinungsfreiheit im Zentrum der Herausbildung moderner Verfassungsstaaten wie der Bundesrepublik Deutschland steht.⁶⁴
Jarass, GRCh, Art. 11 Rn. 1. Marauhn, in: Ehlers, Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, § 4 Rn. 17. Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 5 I, II Rn. 37; ausführliche Übersicht über die unterschiedlichen Regelungen in den Landesverfassungen bei Hoffmann-Riem, Kommunikationsfreiheiten, S. 80 ff. Vgl. Art. 2 Abs. 1 LV-BW, Art. 3 Abs. 2 NdsVerf, Art. 4 Abs. 1 NwVerf, Art. 5 Abs. 3 MV-Verf. Keinen eigenen Grundrechtsschutz bieten demgegenüber die Verfassungen von Hamburg und SchleswigHolstein. Vgl. Art. 12 ThürVerf, Art. 19 Abs. 4 BbgVerf, Art. 20 Abs. 2 SächsVerf. Hoffmann-Riem, Kommunikationsfreiheiten, S. 80. Kingreen/Poscher, Grundrechte Staatsrecht II, Rn. 646.
3. Teil Meinungsäußerungen in sozialen Netzwerken und ihre grundrechtliche Erfassung Nachdem im zweiten Teil noch allgemein und ohne weitere Differenzierung von Meinungsäußerungen gesprochen wurde, soll in einem nächsten Schritt der Fokus speziell auf die Kommunikation in sozialen Netzwerken gerichtet werden. Hierzu erscheint zunächst eine Auseinandersetzung mit dem Phänomen der Kommunikation in sozialen Netzwerken sowie eine Begriffsbestimmung erforderlich (hierzu unter A.). Anschließend soll der subjektiv-rechtliche Gehalt von Art. 5 Abs. 1 GG bei der Kommunikation in sozialen Netzwerken angesichts der Besonderheiten dieser Kommunikationsprozesse im Vergleich zur Offline-Kommunikation herausgearbeitet werden (hierzu unter B.I.). Ausgehend hiervon soll sowohl die verfassungsrechtliche Stellung der Nutzer als auch die verfassungsrechtliche Stellung der Netzwerkbetreiber bestimmt werden (hierzu unter B.II. und B.III). Als Abschluss dieses Teils der Arbeit soll schließlich auf den objektiven Gehalt von Art. 5 Abs. 1 GG bei der Kommunikation in sozialen Netzwerken eingegangen werden (hierzu unter B.IV.).
A. Kommunikation in sozialen Netzwerken und der Begriff des sozialen Netzwerks I. Die Nutzung sozialer Netzwerke in der Praxis Um die Nutzung sozialer Netzwerke in der Praxis zu untersuchen, soll zum einen deren gesellschaftliche Verbreitung in den Blick genommen und zum anderen deren grundlegende Funktionsweise dargestellt werden.
1. Gesellschaftliche Verbreitung der Nutzung sozialer Netzwerke Die gesellschaftliche Verbreitung der Online-Nutzung und speziell der Nutzung sozialer Netzwerke wird in Deutschland durch verschiedene Studien periodisch untersucht. Zu den bedeutendsten Studien gehören in diesem Zusammenhang die ARD/ZDF-Onlinestudie sowie die Studie des Branchenverbands BITKOM,⁶⁵ deren aktuelle Ergebnisse im Folgenden skizziert werden sollen. Vgl. Taddicken/Schmidt, in: Schmidt/Taddicken, Handbuch Soziale Medien S. 1 (11 f.). https://doi.org/10.1515/9783110759099-005
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3. Teil: Meinungsäußerungen in sozialen Netzwerken
Die ARD/ZDF-Onlinestudie aus dem Jahr 2017 ergab, dass 62,4 Millionen Menschen der deutschsprachigen Bevölkerung ab 14 Jahren in Deutschland Nutzer des Internet sind, was einem Anteil von 89,8 Prozent entspricht. ⁶⁶ Bezüglich der Nutzung sozialer Netzwerke kam die Studie zu folgenden Ergebnissen: Facebook wurde zum Zeitpunkt der Untersuchung von 33 Prozent der Befragten mindestens einmal in der Woche und von 21 Prozent täglich aufgesucht.⁶⁷ Für Twitter ergab sich, dass drei Prozent der Befragten das Angebot mindestens einmal pro Woche und ein Prozent täglich nutzen.⁶⁸ Instagram kommt nach den Ergebnissen der Befragung auf neun Prozent und Snapchat auf sechs Prozent der Nutzer, die das jeweilige Angebot mindestens einmal pro Woche in Anspruch nehmen.⁶⁹ Die ARD/ZDF-Onlinestudie 2019 kam zu dem Ergebnis, dass 59 Prozent der 14bis 29-Jährigen täglich Social-Media-Angebote nutzen, in der Altersgruppe der 30bis 49-Jährigen beträgt der Anteil der täglichen Social-Media-Nutzer 31 Prozent.⁷⁰ Mit einem Anteil täglicher Nutzung von 21 Prozent sowie von 31 Prozent für eine mindestens einmal wöchentlich stattfindende Nutzung bleibt Facebook auch laut der ARD/ZDF-Onlinestudie 2019 die wichtigste Plattform und hält seine Reichweite im Vergleich zur vorangegangenen Untersuchung relativ stabil.⁷¹ Für Instagram ergeben sich deutlich höhere Nutzungszahlen: so nutzten 2019 laut der Studie 13 Prozent der Befragten Instagram täglich und 19 Prozent mindestens einmal wöchentlich, was einem Zuwachs von sieben beziehungsweise zehn Prozent im Vergleich zu den Zahlen für 2017 bedeutet.⁷² Eine repräsentative Umfrage im Auftrag des BITKOM Bundesverbands Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V. aus dem Jahr 2018 kam zu dem Ergebnis, dass 87 Prozent aller Internetnutzer bei einem sozialen
Projektgruppe ARD/ZDF-Multimedia, ARD/ZDF-Onlinestudie 2017. Kern-Ergebnisse, online abrufbar unter http://www.ard-zdf-onlinestudie.de/files/2017/Artikel/Kern-Ergebnisse_ARDZDFOnlinestudie_2017.pdf (Stand: 11. Juli 2021), S. 2. Projektgruppe ARD/ZDF-Multimedia, ARD/ZDF-Onlinestudie 2017. Kern-Ergebnisse, online abrufbar unter http://www.ard-zdf-onlinestudie.de/files/2017/Artikel/Kern-Ergebnisse_ARDZDFOnlinestudie_2017.pdf (Stand: 11. Juli 2021), S. 8. Projektgruppe ARD/ZDF-Multimedia, ARD/ZDF-Onlinestudie 2017. Kern-Ergebnisse, online abrufbar unter http://www.ard-zdf-onlinestudie.de/files/2017/Artikel/Kern-Ergebnisse_ARDZDFOnlinestudie_2017.pdf (Stand: 11. Juli 2021), S. 8. Projektgruppe ARD/ZDF-Multimedia, ARD/ZDF-Onlinestudie 2017. Kern-Ergebnisse, online abrufbar unter http://www.ard-zdf-onlinestudie.de/files/2017/Artikel/Kern-Ergebnisse_ARDZDFOnlinestudie_2017.pdf (Stand: 11. Juli 2021), S. 8. Beisch/Koch/Schäfer, Media Perspektiven 9/2019, 374 (383). Beisch/Koch/Schäfer, Media Perspektiven 9/2019, 374 (383). Beisch/Koch/Schäfer, Media Perspektiven 9/2019, 374 (383).
A. Kommunikation in sozialen Netzwerken und der Begriff des sozialen Netzwerks
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Netzwerk angemeldet sind.⁷³ Dabei sind bei der Nutzung klar erkennbare Unterschiede zwischen den verschiedenen Altersgruppen feststellbar: während in der Altersgruppe der 14- bis 29-Jährigen 98 Prozent bei einem sozialen Netzwerk angemeldet sind, liegt dieser Wert bei den über 65-Jährigen nur noch bei 65 Prozent.⁷⁴ Nach den Ergebnissen der BITKOM-Studie war zum Zeitpunkt der Untersuchung Facebook das am häufigsten genutzte Netzwerk: 66 Prozent der Befragten gaben an, Facebook in den vergangenen drei Monaten genutzt zu haben.⁷⁵ Auf der Rangliste der am häufigsten genutzten Netzwerke folgen YouTube (51 Prozent), Instagram (28 Prozent), Pinterest (20 Prozent), Twitter (19 Prozent) sowie Snapchat (15 Prozent).⁷⁶ Bei der Frage, wofür sie soziale Netzwerke nutzen, nannten 68 Prozent der Befragten die private Kontaktpflege und das Knüpfen neuer Kontakte.⁷⁷ Als zweithäufigste Motivation für die Nutzung sozialer Medien gaben die Befragten an, sich dadurch über das Tagesgeschehen zu informieren und Nachrichten verfolgen zu wollen; 58 Prozent der Befragten nutzen soziale Netzwerke für diese Zwecke.⁷⁸ Bei allen Unterschieden im Detail lassen die durch die Studien gewonnenen Zahlen den Schluss zu, dass die Nutzung sozialer Netzwerke ein gesellschaftlich weit verbreitetes Phänomen darstellt, da eine Mehrheit der Bevölkerung soziale Netzwerke in irgendeiner Form zumindest gelegentlich nutzt. Gerade die Befragungsergebnisse hinsichtlich der Motivation zur Nutzung sozialer Netzwerke zeigt gleichzeitig, dass diese Nutzung nicht nur zum Zweck der privaten Kommunikation und Kontaktpflege erfolgt, sondern für über die Hälfte der Befragten soziale
BITKOM e.V., Social-Media-Trends 2018, online abrufbar unter https://www.bitkom.org/sites/ default/files/file/import/180227-Bitkom-PK-Charts-Social-Media-Trends-2.pdf (Stand: 11. Juli 2021), S. 2. BITKOM e.V., Social-Media-Trends 2018, online abrufbar unter https://www.bitkom.org/sites/ default/files/file/import/180227-Bitkom-PK-Charts-Social-Media-Trends-2.pdf (Stand: 11. Juli 2021), S. 2. BITKOM e.V., Social-Media-Trends 2018, online abrufbar unter https://www.bitkom.org/sites/ default/files/file/import/180227-Bitkom-PK-Charts-Social-Media-Trends-2.pdf (Stand: 11. Juli 2021), S. 4. BITKOM e.V., Social-Media-Trends 2018, online abrufbar unter https://www.bitkom.org/sites/ default/files/file/import/180227-Bitkom-PK-Charts-Social-Media-Trends-2.pdf (Stand: 11. Juli 2021), S. 4. BITKOM e.V., Social-Media-Trends 2018, online abrufbar unter https://www.bitkom.org/sites/ default/files/file/import/180227-Bitkom-PK-Charts-Social-Media-Trends-2.pdf (Stand: 11. Juli 2021), S. 7. BITKOM e.V., Social-Media-Trends 2018, online abrufbar unter https://www.bitkom.org/sites/ default/files/file/import/180227-Bitkom-PK-Charts-Social-Media-Trends-2.pdf (Stand: 11. Juli 2021), S. 7.
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3. Teil: Meinungsäußerungen in sozialen Netzwerken
Netzwerke auch ein Medium zur Information über und Auseinandersetzung mit öffentlichen Angelegenheiten darstellen.
2. Grundlegende Funktionsweise sozialer Netzwerke Die anhand der Studienergebnisse belegbare Vielgestaltigkeit der Gründe, wofür soziale Netzwerke genutzt werden, hat ihre Grundlage in der spezifischen Funktionsweise sozialer Netzwerke. Diese beruht im Kern gerade auf einer Integration verschiedener Funktionen, die bereits vor der Entstehung sozialer Online-Netzwerke verfügbar waren: Nutzer können auf einer Internetseite Informationen zur eigenen Person hinterlegen und dadurch ein so genanntes Profil anlegen. Gleichzeitig können sie andere Personen, die sie kennen, als Kontakte dort auflisten. Angemeldete Nutzer können mit ihren Kontakten und mit anderen Personen im Netzwerk kommunizieren, und zwar wahlweise forumsähnlich (so genannte many-to-many-Kommunikation), blogähnlich mit kurzen Beiträgen (oneto-many-Kommunikation) oder durch private Nachrichten (one-to-one-Kommunikation).⁷⁹ Die Kommunikation kann hierbei neben Textnachrichten auch durch das Versenden von Links, Bildern sowie Audio- und Videosequenzen erfolgen. Charakteristisch für die Kommunikation in sozialen Netzwerken ist zudem insbesondere eine Veröffentlichung von Inhalten auf Profilseiten einzelner Nutzer. Bei Facebook, dem wichtigsten sozialen Netzwerk, bezieht sich dies vor allem auf die so genannte Chronik. In der Chronik können verschiedene Inhalte (so genannte Posts) durch den Profilinhaber oder andere Nutzer im sozialen Netzwerk eingestellt werden. Jeder Nutzer kann für sein Profil festlegen, wer Beiträge in seiner Chronik sehen und wer dort Beiträge veröffentlichen darf. Abhängig von diesen Einstellungen kann die Kommunikation in einer Chronik somit auch für Dritte einsehbar sein, wenn zu einem der Kommunikationsteilnehmer eine Verbindung innerhalb des sozialen Netzwerks besteht. ⁸⁰ Soweit Kommunikationsinhalte auf einer fremden Chronik für bestimmte Nutzer einsehbar sind, werden sie diesen im so genannten Newsfeed angezeigt. Der Newsfeed stellt eine Auflistung der aktuellen Aktivitäten befreundeter Nutzer im Netzwerk dar und dient somit als eine Art „Schwarzes Brett“⁸¹. Die große Zahl verschiedener Aktivitäten und Nachrichten in den Chroniken befreundeter Nutzer wird anschließend durch die Betreiber sozialer Netzwerke gefiltert und durch Vgl. die kurze Darstellung der Funktionsweise sozialer Netzwerke bei Weissensteiner/Leiner, M&K 59 (4) 2011, 526 (526) sowie bei Determann, BB 2013, 181 (181). Vgl. hierzu Pille, Meinungsmacht sozialer Netzwerke, S. 133 ff., der das Phänomen deshalb wohl dem Bereich der öffentlichen Privatkommunikation zuordnet. Pille, Meinungsmacht sozialer Netzwerke, S. 134.
A. Kommunikation in sozialen Netzwerken und der Begriff des sozialen Netzwerks
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entsprechend programmierte Algorithmen dafür gesorgt, dass im Newsfeed nur die für den jeweiligen Nutzer wichtigsten Neuigkeiten befreundeter Nutzer angezeigt werden.⁸² Facebook selbst gibt an, dass manche Faktoren das Ranking stärker beeinflussten als andere, und benennt als zu den wichtigsten Faktoren gehörend: ‒ die Häufigkeit der Interaktion mit Beiträgen von Freunden, Gruppen oder Seiten, wobei Freunde und Familie priorisiert werden, ‒ die Häufigkeit der Interaktion mit einem bestimmten Beitragstyp, beispielsweise Fotos, Videos oder Links, ‒ die Anzahl der Kommentare, „Gefällt mir“-Angaben, Reaktionen und geteilten Beiträge, die ein Beitrag von den Seiten und Personen erhält, die ihn sehen, ‒ die Aktualität eines bestimmten Beitrags.⁸³ Auch wenn soziale Netzwerke wie Facebook über solche öffentlich zugänglichen Informationen hinaus nur begrenzt Einblick in die Funktionsweise der von ihnen eingesetzten Algorithmen gewähren, kann auf der Grundlage des zur Verfügung stehenden Wissens trotzdem davon ausgegangen werden, dass es den sozialen Netzwerken bei der Auswahl der Kriterien für die Auswahl und Listung der Beiträge im Newsfeed vor allem darauf ankommt, dass die gelisteten Beiträge für den Nutzer möglichst interessant sind.⁸⁴
II. Ansätze für eine Begriffsbestimmung außerhalb der Rechtswissenschaft Im Zusammenhang mit den bislang vorliegenden Ansätzen für eine wissenschaftliche Bestimmung des Begriffs des sozialen Netzwerks wird zunächst mintunter zu Recht angemerkt, dass Begriffe wie soziales Netzwerk oder soziales Medium zunächst noch sehr offen erscheinen und eine große Vielfalt von Anwendungen erfassen, die sich im Einzelnen durchaus nicht unerheblich unterscheiden.⁸⁵ In einem sozialwissenschaftlichen Kontext wurde der Begriff des sozialen Netzwerks bereits lange vor dem Entstehen von Internetangeboten verwendet, um
Drexl, ZUM 2017, 529 (531). So die Erläuterung im Facebook-Hilfebereich, online abrufbar unter https://de-de.facebook. com/help/520348825116417 (Stand: 11. Juli 2021). Drexl, ZUM 2017, 529 (532). So mit Blick auf den Begriff „soziale Medien“ Taddicken/Schmidt, in: Schmidt/Taddicken, Handbuch soziale Medien, S. 1 (2).
20
3. Teil: Meinungsäußerungen in sozialen Netzwerken
soziale Beziehungen zwischen Menschen zu beschreiben.⁸⁶ Mit Blick auf die hier untersuchten sozialen Onlinenetzwerke wurden Versuche einer Begriffsbestimmung sowie der Herausarbeitung spezifischer Merkmale sozialer Netzwerke zunächst vor allem auf dem Gebiet der Medien- und Kommunikationswissenschaften unternommen. Erste Definitionsansätze aus englischsprachigen Arbeiten gehen hierbei von verschiedenen Kernfunktionen aus, die soziale Netzwerke ausmachen: die Möglichkeit zum Anlegen eines Profils, die Option der Verknüpfung des Profils mit anderen Nutzern sowie die öffentliche oder zumindest innerhalb des Netzwerks gegebene Einsehbarkeit der Kontaktliste eines Nutzers.⁸⁷ Andere Arbeiten weisen in Ergänzung hierzu auf die insbesondere auch wirtschaftliche Bedeutung der im Rahmen der Nutzung sozialer Netzwerke ausgetauschten Informationen im Sinne eines „knowing capitalism“ hin und sehen diesen Aspekt ebenfalls als wichtigen Punkt bei der Beschäftigung mit sozialen Netzwerken an.⁸⁸ Weiterhin werden auch die Möglichkeiten zur Kommunikation mit anderen Nutzern als charakteristisches Element sozialer Netzwerke angesehen. In der Folge wird eine Definition des sozialen Netzwerks als ein in sich geschlossenes soziales System vorgeschlagen, welches der Abbildung, dem Aufbau und der Pflege (realweltlicher und virtueller) zwischenmenschlicher sozialer Beziehungen im Internet dient.⁸⁹ Ein anderer Beitrag schlägt vor, die Funktionen sozialer Netzwerke in sechs Gruppen einzuteilen: Expertensuche, Identitätsmanagement, Kontaktmanagement, Unterstützung von Kontextawareness, Unterstützung von Netzwerkawareness sowie Unterstützung eines gemeinsamen Austausches.⁹⁰ Weitere Untersuchungen sehen die Awareness-Aspekte nicht ausdrücklich als prägend für soziale Netzwerke an und nennen stattdessen unter anderem die Erforderlichkeit einer Registrierung, den engen Bezug zu realen Sozialbindungen sowie die strukturierte Form der Datendarstellung als Merkmale sozialer Netzwerke.⁹¹ Beim Vergleich dieser verschiedenen Ansätze für eine Begriffsbestimmung fällt auf, dass ganz überwiegend die von sozialen Netzwerken bereitgestellten Funktionen herangezogen werden, um Definitionsmerkmale herauszuarbeiten
Weissensteiner/Leiner, M&K 59 (4) 2011, 526 (527). Boyd/Ellison, Journal of Computer-Mediated Communication 13(1), 2008, 210 (211). Beer, Journal of Computer-Mediated Communication 13(2), 2008, 516 (525). Mörl/Groß, Soziale Netzwerke im Internet, S. 50. Richter/Koch, Funktionen von Social-Networking-Diensten, Proc. Multikonferenz Wirtschaftsinformatik 2008, 1239 (1249). Ebersbach/Glaser/Heigl, Social Web, S. 95.
A. Kommunikation in sozialen Netzwerken und der Begriff des sozialen Netzwerks
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und die Definitionsversuche folglich auf der Funktionalität der jeweiligen Angebote beruhen.⁹² Prägende Elemente scheinen hierbei vor allem die von sozialen Netzwerken angebotenen Möglichkeiten der Kontaktpflege und der Kommunikation mit anderen Nutzern zu sein. Nach alledem liegt es auf der Grundlage der aufgezeigten Ansätze zum Begriffsverständnis nahe, soziale Netzwerke vor allem anhand der von ihnen angebotenen Kommunikationsmöglichkeiten zu definieren und von anderen Angeboten abzugrenzen.⁹³
III. Der Begriff des sozialen Netzwerks in der Rechtswissenschaft Der Begriff des sozialen Netzwerkes hat im deutschen Recht soweit ersichtlich bis zum Inkrafttreten des NetzDG keine Rolle gespielt.⁹⁴ Das NetzDG enthält nunmehr allerdings eine Legaldefinition des Begriffs der sozialen Netzwerke. So sind gem. § 1 Abs. 1 S. 1 NetzDG Telemediendiensteanbieter, die mit Gewinnerzielungsabsicht Plattformen im Internet betreiben, die dazu bestimmt sind, dass Nutzer beliebige Inhalte mit anderen Nutzern teilen oder der Öffentlichkeit zugänglich machen, soziale Netzwerke im Sinne des NetzDG. Diese Definition setzt mithin zunächst voraus, dass es sich bei dem Netzwerkbetreiber um Diensteanbieter von Telemedien im Sinne von § 1 Abs. 1 S. 1 TMG handelt. Telemedien im Sinne dieser Vorschrift sind alle elektronischen Informations- und Kommunikationsdienste, soweit sie nicht Telekommunikationsdienste nach § 3 Nr. 24 TKG, die ganz in der Übertragung von Signalen über Telekommunikationsnetze bestehen, telekommunikationsgestützte Dienste nach § 3 Nr. 25 TKG oder Rundfunk nach § 2 des Rundfunkstaatsvertrages sind. Die Einordnung sozialer Netzwerke wie Facebook unter diese Definition von Telemedien bietet in der Regel keine Probleme,⁹⁵ auch die Anbietereigenschaft der Betreiber sozialer Netzwerke erscheint vor dem Hintergrund der weiten Begriffsfassung des TMG unproblematisch.⁹⁶ In einigen Konstellationen stellen sich allerdings Abgrenzungsfragen zum Rundfunk, insbesondere bei Live-Streaming-
Weissensteiner/Leiner, M&K 59 (4) 2011, 526 (527). Adelberg, Rechtspflichten und -grenzen der Betreiber sozialer Netzwerke, S. 10, nimmt an, dass der Begriff „soziale Netzwerke“ bereits im allgemeinen Sprachgebrauch häufig in einem Sinne verstanden werde, der sich an der technischen Funktionsweise orientiert. Spindler, K&R 2017, 533 (533). Liesching, in: Spindler/Schmitz/Liesching, TMG, § 1 NetzDG Rn. 43; Spindler, K&R 2017, 533 (533). Liesching, in: Spindler/Schmitz/Liesching, TMG, § 1 NetzDG Rn. 45.
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3. Teil: Meinungsäußerungen in sozialen Netzwerken
Angeboten auf sozialen Netzwerken, die durch den Anbieter linear verbreitet werden und nicht zu unterschiedlichen Zeiten abgerufen werden können.⁹⁷ Weiteres Definitionsmerkmal ist die Gewinnerzielungsabsicht des Betreibers eines sozialen Netzwerkes. Diese Absicht ist bei den Betreibern großer Plattformen wie Facebook oder Twitter ohne Weiteres gegeben. Das Erfordernis der Gewinnerzielungsabsicht führt allerdings dazu, dass rein private Kommunikationsplattformen oder non-profit Plattformen nicht unter die Definition des sozialen Netzwerkes nach § 1 Abs. 1 S. 1 NetzDG fallen.⁹⁸ Die von § 1 Abs. 1 S. 1 NetzDG erfassten Plattformen müssen zudem dazu bestimmt sein, dass Nutzer beliebige Inhalte mit anderen Nutzern teilen oder der Öffentlichkeit zugänglich machen. Ergänzend bestimmt § 1 Abs. 1 S. 3 NetzDG, dass Plattformen nicht als soziale Netzwerke im Sinne des NetzDG gelten, wenn sie zur Individualkommunikation oder zur Verbreitung spezifischer Inhalte bestimmt sind. Zu Recht werden diese Abgrenzungskriterien angesichts ihrer Unschärfe kritisiert. Gerade die von der Regelung vorausgesetzte klare Unterscheidbarkeit zwischen Diensten der Individualkommunikation und Diensten der Massenkommunikation geht an der tatsächlichen Funktionsweise vieler Plattformen vorbei, da häufig Angebote anzutreffen sind, die sowohl für Individual- als auch für Massenkommunikation genutzt werden können.⁹⁹ Auch der Ausschluss von Plattformen zur Verbreitung spezifischer Inhalte wird wegen zu geringer Abgrenzungsschärfe kritisiert.¹⁰⁰ Zudem wird in diesem Zusammenhang auch auf die Gefahr einer missbräuchlichen Inhaltsspezifizierung verwiesen, um auf diesem Weg ganz bewusst einen Ausschluss des Anwendungsbereichs des NetzDG herbeizuführen.¹⁰¹ Darüber hinaus sieht § 1 Abs. 1 S. 2 NetzDG vor, dass das Gesetz nicht für Plattformen mit journalistisch-redaktionell gestalteten Angeboten gelten soll, die vom Diensteanbieter selbst verantwortet werden. Hierbei dürfte es sich allerdings um eine bloß deklaratorische Regelung handeln, da solche journalistischen Angebote in aller Regel bereits nicht die von § 1 Abs. 1 S. 1 NetzDG geforderte Zweckbestimmung aufweisen dürften.¹⁰² Schließlich schränkt § 1 Abs. 2 NetzDG
Liesching, in: Spindler/Schmitz/Liesching, TMG, § 1 NetzDG Rn. 43. Spindler, K&R 2017, 533 (534), der in diesem Zusammenhang auf Unsicherheiten der Einordnung im Falle von creative commons-Lizenzen verweist. Liesching, in: Spindler/Schmitz/Liesching, § 1 NetzDG Rn. 60. Guggenberger, NJW 2017, 2577 (2578). Spindler, K&R 2017, 533 (534); vgl. dazu allerdings auch Liesching, in: Spindler/Schmitz/ Liesching, TMG, § 1 NetzDG Rn. 63, der insoweit keine großen Probleme in der Praxis zu befürchten scheint. Liesching, in: Spindler/Schmitz/Liesching, TMG, § 1 NetzDG Rn. 57.
A. Kommunikation in sozialen Netzwerken und der Begriff des sozialen Netzwerks
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den Anwendungsbereich auf Anbieter sozialer Netzwerke mit mindestens zwei Millionen registrierten Nutzern ein, wobei das Gesetz offen lässt, auf welchen Zeitraum sich diese quantitative Grenze beziehen soll.¹⁰³ Die dargestellte Kritik an der Legaldefinition des sozialen Netzwerks in § 1 Abs. 1 S. 1 NetzDG zeigt, dass diese Definition noch nicht alle Abgrenzungsfragen im Zusammenhang mit sozialen Netzwerken in zufriedenstellender Weise löst. Neben begrifflichen Unschärfen im Detail scheint dies vor allem daran zu liegen, dass die Formulierung in § 1 Abs. 1 S. 1 NetzDG von alternativen, sich nicht überschneidenden Kategorien (Massen- vs. Individualkommunikation, spezifische vs. beliebige Inhalte) ausgeht. Gerade eine solch klare Kategorisierung bereitet angesichts der Vielfalt von Nutzungsmöglichkeiten sozialer Netzwerke nicht selten Schwierigkeiten – ein Grundproblem, das im Rahmen dieser Untersuchung wiederholt anzutreffen sein wird.
IV. Rückschlüsse für die weitere Untersuchung Ungeachtet der Kritik an einzelnen Diskussionsmerkmalen und an den Ansätzen zur Begriffsbestimmung lassen sich anhand eines Vergleichs der verschiedenen Definitionen wertvolle Schlüsse für das Verständnis sozialer Netzwerke und damit für die weitere Untersuchung im Rahmen der hiesigen Arbeit ziehen. Bei einem Vergleich der Definition des sozialen Netzwerkes in § 1 Abs. 1 S. 1 NetzDG mit den Definitionsansätzen außerhalb der Rechtswissenschaft fällt auf, dass in beiden Fällen soziale Netzwerke maßgeblich über ihre Funktion als Mittel der Kommunikation definiert werden. Während die nicht-juristischen Definitionsansätze hierbei allerdings von einer Vielzahl verschiedener Kommunikationsformen (insbesondere auch mit Blick auf die Größe des Teilnehmerkreises an bestimmten Kommunikationsprozessen) auszugehen scheint, will die Definition des NetzDG soziale Netzwerke auf den Bereich der Massenkommunikation beschränken und Plattformen, auf denen Individualkommunikation stattfindet, nicht unter den Begriff des sozialen Netzwerks fassen. Daraus lässt sich schließen, dass aus medien- und kommunikationswissenschaftlicher Sicht von der Kommunikation in sozialen Netzwerken nicht zwingend die mit Massenkommunikation verbundene Breitenwirkung ausgehen muss, während eine solche Breitenwirkung von der Definition im NetzDG offenbar als konstitu-
Vgl. Spindler, K&R 2017, 533 (534), der insoweit in Anlehnung an den halbjährlichen Turnus der Berichtspflichten nach dem NetzDG vorschlägt, eine halbjährliche Durchschnittszahl an Nutzern zugrunde zu legen.
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3. Teil: Meinungsäußerungen in sozialen Netzwerken
ierendes Merkmal eines sozialen Netzwerkes angesehen wird. Auch bei der verfassungsrechtlichen Einordnung der Kommunikation in sozialen Netzwerken ist somit zu untersuchen, inwieweit eine Unterscheidung zwischen Massen- und Individualkommunikation überhaupt möglich ist und ob sie gegebenenfalls zielführend erscheint. Weiterhin fällt auf, dass die Rolle der Netzwerkbetreiber für den Kommunikationsprozess sowohl in den medien- und kommunikationswissenschaftlichen Arbeiten als auch in der Definition des NetzDG als eine grundsätzlich neutrale Bereitstellung der für die jeweiligen Kommunikationsfunktionen erforderlichen Instrumente und technischen Voraussetzungen angesehen wird. Die durch die Netzwerkbetreiber mittels entsprechender Algorithmen ausgeübten Filter- und Steuerungsfunktionen bei der Anzeige und Sortierung von Beiträgen werden mithin offenbar für die spezifische Funktionsweise sozialer Netzwerke nicht als unabdingbar angesehen. Diese Erkenntnis ist gerade für die im weiteren Verlauf zu untersuchende Frage, ob sich auch Netzwerkbetreiber selbst auf den Schutz durch Art. 5 Abs. 1 GG berufen können, von nicht unerheblichem Interesse. Schließlich fällt auf, dass der Begriff des sozialen Netzwerkes nach dem NetzDG auf Seiten der Netzwerkbetreiber eine Gewinnerzielungsabsicht voraussetzt, während die außerjuristischen Definitionsansätze eine Abgrenzung anhand eines vorhandenen oder nicht vorhandenen Gewinnstrebens des Plattformanbieters gerade nicht vornehmen. Auch hierauf wird bei der Frage nach dem subjektiven Grundrechtsschutz für die Betreiber sozialer Netzwerke zurückzukommen sein, da es gerade in diesem Zusammenhang relevant sein könnte, wie die Tätigkeit der Netzwerkbetreiber schwerpunktmäßig einzuordnen ist und ob es sich beim Betrieb entsprechender Plattformen vor allem um ein Geschäftsmodell oder um ein kommunikatives Angebot handelt.
B. Kommunikationsgrundrechte nach Art. 5 Abs. 1 GG bei der Kommunikation in sozialen Netzwerken I. Subjektiv-rechtlicher Gehalt von Art. 5 Abs. 1 GG bei der Kommunikation in sozialen Netzwerken Die Kommunikation in sozialen Netzwerken stellt – wie die Einordnung digitaler Medien insgesamt – eine große Herausforderung für das kommunikationsverfassungsrechtliche Gesamtgefüge und für die einschlägige verfassungsrechtliche
B. Kommunikationsgrundrechte nach Art. 5 Abs. 1 GG
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Dogmatik dar.¹⁰⁴ Im Folgenden soll zunächst aufgezeigt werden, welche Eigenarten der Kommunikation in sozialen Netzwerken dazu führen, dass die Erfassung durch die anhand der Kommunikation im analogen Rahmen entwickelten Grundsätze zu Art. 5 Abs. 1 GG teilweise schwer fällt (hierzu unter B.I.1). Sodann werden die bislang hierzu entwickelten Lösungsansätze dargestellt und einer kritischen Bewertung unterzogen (hierzu unter B.I.2).
1. Schwierigkeiten der Einordnung von Online-Kommunikation angesichts der Besonderheiten im Vergleich zur Offline-Kommunikation Die Abgrenzung der unterschiedlichen durch Art. 5 Abs. 1 GG gewährleisteten Grundrechte basiert auf einer funktionalen Betrachtungsweise und legt traditionelle Vorstellungen hinsichtlich der Frage zugrunde, was Presse und Rundfunk sind.¹⁰⁵ Kommunikationsprozesse im Internet eröffnen demgegenüber technische Möglichkeiten, die die im analogen Rahmen bestehenden und für die Dogmatik der Kommunikationsgrundrechte in Art. 5 Abs. 1 GG konstitutiven Abgrenzungskriterien verschwimmen lassen. Einer der zentralen Aspekte in diesem Zusammenhang ist die bei OnlineKommunikationsvorgängen allgemein und bei der Kommunikation in sozialen Netzwerken ganz speziell feststellbare Aufweichung der Grenzen zwischen Individual- und Massenkommunikation.¹⁰⁶ Gerade soziale Netzwerke bieten sowohl die technischen Voraussetzungen für eine reine Individualkommunikation (beispielsweise über den „Facebook Messenger“) als auch für eine Kommunikation, die sich an einen unbestimmten Personenkreis richtet und damit jedenfalls potentiell massenkommunikativ wirkt. Anschaulichstes Beispiel hierfür sind Posts von Nutzern sozialer Netzwerke, die für alle anderen Nutzer im Netzwerk sichtbar sind. Zwischen diesen klar als Individual- oder Massenkommunikation einzuordnenden Kommunikationsformen lassen sich in sozialen Netzwerken allerdings auch Kommunikationsformen beobachten, die sich nur schwer einer dieser beiden Kategorien zuordnen lassen: Wenn ein Nutzer einen Post in einem sozialen Netzwerk veröffentlicht, der nur für seine „Freunde“ in diesem Netzwerk und damit für einen bestimmten Adressatenkreis sichtbar ist, so fehlt es einerseits an der für eine Massenkommunikation typischen Öffentlichkeit der Äußerung. Andererseits wird zu Recht darauf hingewiesen, dass in solchen Fällen auch keine
Koreng Zensur im Internet, S. 25. Lenski, Personenbezogene Massenkommunikation als verfassungsrechtliches Problem, S. 70; zu den traditionellen Abgrenzungskriterien vgl. oben 2. Teil, B.IV. Härting, K&R 2012, 264 (264 f.).
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3. Teil: Meinungsäußerungen in sozialen Netzwerken
Individualkommunikation im typischen Sinne vorliegt, da nicht wenige Nutzer einen sehr weit gefassten und damit unüberschaubaren „Freundeskreis“ innerhalb des sozialen Netzwerks haben und damit Zweifel an der für eine Individualkommunikation prägenden bewussten Auswahl konkret-individueller Kommunikationspartner angebracht erscheinen.¹⁰⁷ Diese drei Beispiele verschiedener Kommunikationsmöglichkeiten in sozialen Netzwerken zeigen auf sehr plastische Art und Weise die Schwierigkeiten beim Versuch der Anwendung des Unterscheidungskriteriums Individual- im Gegensatz zu Massenkommunikation auf Kommunikationsvorgänge in sozialen Netzwerken. Darüber hinaus ist auch die niedrige Kommunikatorschwelle in sozialen Netzwerken zu beachten: während im analogen Rahmen für massenkommunikative Aktivitäten in der Regel ein nicht unerheblicher Aufwand erforderlich ist, um die erwünschte Breitenwirkung zu erzielen (beispielsweise die Kosten für Druck und Verteilung von Printerzeugnissen), ist es über soziale Netzwerke für die Nutzer ohne weiteres möglich, Äußerungen an eine Vielzahl von Personen zu richten und dadurch sogar eine den traditionellen Medien vergleichbare Breitenwirkung zu erreichen.¹⁰⁸ Diese Vielfalt an technisch möglichen Kommunikationsformen führt außerdem dazu, dass die Kommunikation in sozialen Netzwerken wie die Online-Kommunikation insgesamt von großer Heterogenität geprägt ist und die Grenzen der tradierten Medienkategorien Presse und Rundfunk verwischen.¹⁰⁹ Schließlich ist als spezifische Eigenart der Kommunikation in sozialen Netzwerken auch die Rolle der Netzwerkbetreiber im Kommunikationsprozess in den Blick zu nehmen. Bei Nachrichten innerhalb von Privat- oder Gruppenchats übernehmen soziale Netzwerke lediglich die technische Verbreitung der Nachricht, steuern keinen eigenen inhaltlichen Beitrag zum Kommunikationsprozess bei und werden insofern mit E-Mail-Providern verglichen.¹¹⁰ Demgegenüber sind im Falle der in sozialen Netzwerken regelmäßig anzutreffenden Newsfeeds (also der Auflistung von Beiträgen aller Nutzer, deren Beiträge ein bestimmter Nutzer abonniert hat) durchaus Selektions- und Steuerungsfunktionen zu erkennen: die Netzwerkbetreiber bestimmen hier vor allem durch einen Algorithmus (den so genannten Edgerank) anhand des vorangegangenen Nutzungsverhaltens die für den Nutzer sichtbaren Beiträge und sind somit in stärkerem Maße am Kommu-
Gersdorf, MMR 2017, 439 (442). Vgl. für den Bereich der Internetkommunikation Wolf, in: Hill/Martini/Wagner, Facebook, Google & Co. Chancen und Risiken, S. 19 (29); auf diesen Punkt hinweisend auch bereits Mecklenburg, ZUM 1997, 525 (528). Pille, Meinungsmacht sozialer Netzwerke, S. 186. Pille, Meinungsmacht sozialer Netzwerke, S. 178.
B. Kommunikationsgrundrechte nach Art. 5 Abs. 1 GG
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nikationsprozess beteiligt als bei der bloßen technischen Verbreitung von Privatoder Gruppennachrichten in Chats.¹¹¹ Entsprechende Funktionen sind auf Ebene der tradierten Medien Presse und Rundfunk nicht in gleicher Weise anzutreffen beziehungsweise nicht in gleicher Weise technisch umsetzbar, so dass auch insofern ein gewichtiger Unterschied zu analogen Medienangeboten besteht.
2. Auswirkungen auf den verfassungsrechtlichen Schutz Diese Charakteristika der Kommunikation in sozialen Netzwerken sind auch für die Frage von Bedeutung, welchen grundrechtlichen Schutz die Kommunikation in sozialen Netzwerken genießt und wie dieser Schutz insbesondere in Art. 5 Abs. 1 GG grundrechtsdogmatisch herzuleiten und zu begründen ist. Zur Beantwortung dieser Frage sollen zunächst verschiedene Ansätze dargestellt werden, die bislang für die grundrechtliche Erfassung nicht nur der Kommunikation in sozialen Netzwerken, sondern der Online-Kommunikation insgesamt vertreten werden. Hiervon ausgehend soll untersucht werden, welcher der in diesem Zusammenhang vertretenen Ansätze am besten geeignet erscheint, speziell die Kommunikation in sozialen Netzwerken angemessen zu erfassen.
(a) Lösung anhand bereits etablierter Abgrenzungskriterien In der Literatur finden sich zunächst Stimmen, die sich dafür aussprechen, auch im Rahmen der Online-Kommunikation die tradierten Abgrenzungskriterien heranzuziehen. Neue Medien müssten je nach ihrer konkreten Struktur den herkömmlichen Tatbeständen von Presse, Rundfunk oder Film zugeordnet werden.¹¹² Anknüpfend an das Differenzierungsmerkmal der Übertragungstechnik seien folglich Online-Kommunikationsformen, die über das Internet und damit ohne ein verkörpertes Medium verbreitet werden, jedenfalls in aller Regel als Rundfunk i.S.v. Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG einzuordnen.¹¹³ Für diesen Ansatz spräche neben dem Wortlaut des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG vor allem der Gewinn an Rechtssicherheit, der
Gersdorf, MMR 2017, 439 (444). Clemens, in: Umbach/Clemens, GG, Band I, Art. 5 Rn. 118. Clemens, in: Umbach/Clemens, GG, Band I, Art. 5 Rn. 69b; Ory, AfP 2010, 20 (22 f.); bejahend für alle allgemein zugänglichen Angebote Klaes, ZUM 2009, 135 (140 f.). Nach verschiedenen Erscheinungsformen der Internetkommunikation differenzierend Brand, Rundfunk im Sinne des Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG, S. 233 ff. In der Tendenz ähnlich, allerdings die Möglichkeit einer pauschalen Kategorisierung verneinend Bethge, in: Sachs, GG, Art. 5 Rn. 90b.
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3. Teil: Meinungsäußerungen in sozialen Netzwerken
mit der Anwendung der bereits bislang in der Rechtsprechung des BVerfG etablierten Abgrenzungskriterien einherginge.¹¹⁴ Kritisiert wird an einem solchen Ansatz, dass durch eine Einstufung jeglicher meinungsbildungsrelevanter Online-Kommunikation als Rundfunk der Anwendungsbereich der Rundfunkfreiheit viel zu weit ausgedehnt werde, weswegen die Übertragungsform unter den Umständen von Kommunikationsvorgängen im Internet kein taugliches Kriterium für die Abgrenzung der Rundfunkfreiheit zu den anderen Grundrechten des Art. 5 Abs. 1 GG sei.¹¹⁵ Zudem wird darauf verwiesen, dass eine pauschale Zuordnung der Online-Kommunikation zu einer der Medienfreiheiten des Art. 5 Abs. 1 GG aufgrund der Heterogenität der im Internet stattfindenden Kommunikationsprozesse zu unüberbrückbaren Subsumtionsproblemen führte.¹¹⁶ Auch das BVerfG betont in der Entscheidung „Recht auf Vergessen I“ aus dem Jahr 2019, dass die Verbreitung von Informationen nicht schon immer dann der Rundfunkfreiheit zuzuordnen sei, wenn hierfür auf elektronische Informations- und Kommunikationssysteme zurückgegriffen werde.¹¹⁷ In der Tat dürfte speziell für die Frage des grundrechtlichen Schutzes der Kommunikation in sozialen Netzwerken durch ein schlichtes Beibehalten der etablierten und an die Übertragungstechnik anknüpfenden Abgrenzungskriterien nicht viel gewonnen sein. Denn gerade bei der Kommunikation in sozialen Netzwerken zeigt sich in besonderer Weise das allgemein bei der Online-Kommunikation anzutreffende Phänomen einer großen Heterogenität von Kommunikationsvorgängen. Diese Heterogenität zeigt sich besonders in der Mischung aus Text- und Videosequenzen und Verlinkungen anderer Beiträge, die gerade typisch für die kommunikative Nutzung sozialer Netzwerke ist. Eine Abgrenzung und pauschale Zuordnung zu einer der Medienfreiheiten des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG, die gleichzeitig zu eindeutigen und zu nachvollziehbaren Ergebnissen führt, erscheint vor diesem Hintergrund nicht möglich.¹¹⁸ Denn eine pauschale Zuordnung zur Rundfunkfreiheit wäre zwar eine eindeutige Lösung, würde aber dem im Vergleich zum klassischen Rundfunk deutlich unterschiedlichen Charakter der Kommunikation in sozialen Netzwerken nicht gerecht.¹¹⁹ Demgegenüber wäre eine Aufspaltung einzelner Beiträge in unterschiedliche Teilaspekte (beispiels-
Schmidtmann, Die verfassungsrechtliche Einordnung konvergenter Massenmedien, S. 302 ff. Gersdorf, AfP 2010, 421 (423 f.). Pille, Meinungsmacht sozialer Netzwerke, S. 186. BVerfG, Beschluss vom 6. November 2019 – 1 BvR 16/13, NJW 2020, 300 (308); zustimmend insoweit wohl Kühling, NJW 2020, 275 (279). So für den gesamten Bereich der Neuen Medien auch Lenski, Personenbezogene Massenkommunikation als verfassungsrechtliches Problem, S. 70. Allgemein für Online-Kommunikation so auch Koreng, Zensur im Internet, S. 83.
B. Kommunikationsgrundrechte nach Art. 5 Abs. 1 GG
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weise in Beitragstext und ein darin verlinktes Video) zwar ein Versuch, diesem heterogenen Charakter von Kommunikationsvorgängen in sozialen Netzwerken Rechnung zu tragen. Doch eine solche Aufspaltung vermag ebenfalls wenig zu überzeugen, da sie eine einheitliche kommunikative Äußerung künstlich aufspaltet und darüber hinaus zu sehr unübersichtlichen Ergebnissen führen kann.¹²⁰ Die Zuordnung der Kommunikation in sozialen Netzwerken zu einem der in Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG ausdrücklich genannten Grundrechte unter Anwendung der etablierten Abgrenzungskriterien ist folglich kein geeigneter Ansatz, um Kommunikationsvorgänge in sozialen Netzwerken angemessen zu erfassen.¹²¹
(b) Ansätze zur erweiternden Auslegung von Art. 5 Abs. 1 GG Daneben werden in der Literatur zur Frage der grundrechtlichen Einordnung der Kommunikation im Internet auch Ansätze zu einer erweiternden Auslegung von Art. 5 Abs. 1 GG diskutiert.
(i) Spezielles Internetgrundrecht Ein Ansatz zur Lösung der beschriebenen Probleme besteht in der Entwicklung und Anerkennung eines speziellen Grundrechts für Online-Kommunikationsvorgänge. Das Konzept eines eigenständigen Grundrechts der Internetfreiheit wurde erstmalig in den 1990er Jahren in die juristische Diskussion eingebracht. Der Ausgangspunkt der – soweit ersichtlich – erstmals von Mecklenburg angestellten Überlegungen ist der Befund, das Internet führe zu einer tiefgreifenden Änderung der kommunikativen Verhältnisse, die durch die tradierten kommunikationsverfassungsrechtlichen Gewährleistungen in Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG nicht mehr angemessen abgebildet würden. Deshalb bestehe eine verfassungsrechtliche Regelungslücke, die durch die Internetfreiheit zu schließen sei.¹²² Die Internetfreiheit soll vor diesem Hintergrund eine mediale Konkretisierung beziehungsweise Ergänzung der Meinungs- und Informationsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG sein¹²³ und als Ausdruck einer übergreifenden Gewährleistung freier Kommunikation¹²⁴
Ähnlich Pille, Meinungsmacht sozialer Netzwerke, S. 186. Kritisch mit Blick auf eine Einordnung sozialer Netzwerke unter die Rundfunkfreiheit auch Adelberg, Rechtspflichten und -grenzen der Betreiber sozialer Netzwerke, S. 39 ff. Mecklenburg, ZUM 1997, 525 (525 ff.). Mecklenburg, ZUM 1997, 525 (532). Mecklenburg, ZUM 1997, 525 (536).
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3. Teil: Meinungsäußerungen in sozialen Netzwerken
verstanden werden. Dabei ist sie nicht zu verwechseln mit einer Internetzugangsfreiheit¹²⁵, bei der es um die staatliche Gewährleistung einer Internetinfrastruktur und mithin um ein „Recht auf Internet“¹²⁶ geht. In jüngerer Zeit waren es vor allem Holznagel und Schumacher, die diese Überlegungen unter dem Stichwort „Internetdienstefreiheit“ aufgegriffen und weiterentwickelt haben, da die tradierte Auslegung der Freiheiten des Art. 5 Abs. 1 GG sowie die hierzu entwickelten Abgrenzungskriterien der zunehmenden Ausdifferenzierung der Dienste im Medienmarkt nicht mehr gerecht würden.¹²⁷ Eine Internetdienstefreiheit im Sinne dieses Konzepts soll wie die anderen Medienfreiheiten eine demokratische Öffentlichkeit sowie einen freien Meinungsbildungsprozess sichern und dabei speziell auf die besonderen Gefährdungen der Internetkommunikation abgestimmt sein.¹²⁸ Von der Pressefreiheit soll die Internetdienstefreiheit durch ihre elektronische Verbreitungsform abgegrenzt werden.¹²⁹ Als Abgrenzungskriterium zum Rundfunk i.S.v. Art 5 Abs. 1 S. 2 GG soll auf die Unterscheidung zwischen linear und nicht-linear verbreiteten Diensten abgestellt werden: Rundfunk sei danach ein linearer Dienst, der zum gleichzeitigen Empfang an einen unbestimmten Personenkreis adressiert ist, während die übrigen Dienste als Internetdienste einzustufen seien.¹³⁰ An anderer Stelle ist allerdings auch die Rede davon, dass der Rundfunkbegriff neben Verteil- auch Abrufdienste erfassen soll, soweit sie eine hinreichende Suggestivkraft, Aktualität und Breitenwirkung aufweisen.¹³¹ Die Befürworter einer Internetfreiheit gehen weiterhin davon aus, dass dieses eigenständige Grundrecht im Wege einer erweiternden Auslegung in Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG neben den dort ausdrücklich verankerten Medienfreiheiten verortet werden soll.¹³²
Vgl. hierzu Luch/Schulz, Das Recht auf Internet als Grundlage der Online-Grundrechte, S. 55 ff. So bezeichnet von Pille, Meinungsmacht sozialer Netzwerke, S. 187. Holznagel/Schumacher, ZRP 2011, 74 (77). Holznagel/Schumacher, ZRP 2011, 74 (77). Holznagel, AfP 2011, 532 (534). Holznagel, AfP 2011, 532 (534 f.). Holznagel, MMR 2011, 1 (2). Holznagel/Schumacher, in: Kloepfer, Netzneutralität in der Informationsgesellschaft, S. 47 (59); Mecklenburg, ZUM 1997, 525 (531 f.), der allerdings wohl nur eine pauschale Verortung in Art. 5 Abs. 1 vornimmt; ebenfalls von der Möglichkeit einer Anerkennung durch Verfassungsinterpretation ausgehend Pille, Meinungsmacht sozialer Netzwerke, S. 188, der gleichzeitig auf die Möglichkeit einer verfassungsändernden, ausdrücklichen Implementierung einer Internetfreiheit und den damit einhergehenden Gewinn an Rechtsklarheit hinweist.
B. Kommunikationsgrundrechte nach Art. 5 Abs. 1 GG
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Teilweise wird auch davon ausgegangen, dass es sich bei der Internetdienstefreiheit im Sinne von Holznagel/Schumacher nicht um eine Weiterentwicklung des Konzepts der Internetfreiheit von Mecklenburg, sondern um einen hiervon zu unterscheidenden eigenständigen Ansatz handele.¹³³ Diese Sichtweise erscheint allerdings nicht zwingend, da das Konzept von Mecklenburg an vielen Stellen relativ vage gefasst ist und die Ideen von Holznagel/Schumacher deshalb durchaus als Weiterentwicklung angesehen werden können. Zudem scheinen auch Holznagel/Schumacher selbst davon auszugehen, dass Mecklenburg einen mit dem Konzept der Internetdienstefreiheit vergleichbaren Ansatz wählt.¹³⁴
(ii) Umfassende Kommunikationsfreiheit Ein weiterer Ansatz zur grundrechtlichen Erfassung der Online-Kommunikation besteht darin, sämtliche in Art. 5 Abs. 1 GG genannten Freiheiten zu einem einheitlichen Kommunikationsgrundrecht zusammenzufassen.¹³⁵ Als Konsequenz würden sämtliche Online-Dienste, die weder als Presse noch als Rundfunk zu qualifizieren sind, einem einheitlichen Schutzbereich von Art. 5 Abs. 1 GG unterfallen, ohne dass eine nähere Bestimmung des kommunikativen Anknüpfungspunktes notwendig wäre.¹³⁶ Die rundfunkrechtliche Sonderdogmatik könnte insoweit aufgegeben werden.¹³⁷ Zur Begründung dieses Vorschlags wird im Wesentlichen darauf verwiesen, dass angesichts der Entwicklung in Richtung zunehmender Konvergenz insbesondere im Bereich der Online-Medien die tradierten Abgrenzungen zwischen den verschiedenen in Art. 5 Abs. 1 GG ausdrücklich genannten Grundrechten nicht mehr in überzeugender Weise möglich seien.¹³⁸ Insbesondere wird in Frage gestellt, ob die für das etablierte Verständnis von Art. 5 Abs. 1 GG zentrale Unterscheidung zwischen Individual- und Massenkommunikation überhaupt geeignet sei, die Eigenart des Mediums Internet zu beschreiben.¹³⁹ Durch das Festhalten an Schmidtmann, Die verfassungsrechtliche Einordnung konvergenter Massenmedien, S. 248. Vgl. insoweit Holznagel/Schumacher, in: Kloepfer, Netzneutralität in der Informationsgesellschaft, S. 47, Fn. 63. Bullinger, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Band VI, 1. Auflage, § 142 Rn. 180; Hain, in: Dörr, Die Macht der Medien, S. 63 (77); Hain, K&R 2012, 98 (103); Pille, Meinungsmacht sozialer Netzwerke, S. 194 ff.; Hindelang, Freiheit und Kommunikation, S. 202 f.; in die gleiche Richtung gehend Hoffmann-Riem, Kommunikationsfreiheiten, S. 89. Pille, Meinungsmacht sozialer Netzwerke, S. 194. Hain, in: Sachs/Siekmann, FS Stern, S. 1387 (1401). Pille, Meinungsmacht sozialer Netzwerke, S. 194. Karavas, Digitale Grundrechte, S. 138.
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3. Teil: Meinungsäußerungen in sozialen Netzwerken
den etablierten Abgrenzungskriterien könne es in Grenzfällen sogar zu einer Verkürzung des verfassungsrechtlichen Schutzes kommen.¹⁴⁰
(iii) Umfassende Medienfreiheit Den Ansatz der Zusammenfassung mehrerer Einzelfreiheiten verfolgt auch das Konzept einer umfassenden Medienfreiheit. Durch eine solche Medienfreiheit sollen die ausdrücklich in Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG genannten Freiheiten von Presse, Rundfunk und Film zu einem einheitlichen Grundrecht zusammengefasst werden, wobei die einheitliche Gewährleistung der Medienfreiheit alle Verbreitungsarten mittels Massenmedien umfassen soll.¹⁴¹ Da die herkömmliche Trennung zwischen Presse, Rundfunk und Film immer weniger der Wirklichkeit entspreche, könne von einem einheitlichen Grundrecht der Medienfreiheit ausgegangen werden, das lediglich hinsichtlich verschiedener Medienangebote unterschiedlich ausgestaltet sei.¹⁴² Die Zusammenfassung mehrerer Teilfreiheiten in Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG spreche dafür, den grundrechtlichen Schutz seiner Art nach als übergreifend anzusehen.¹⁴³ Es sei nicht sinnvoll, im Bereich konvergenter Medien und insbesondere im Bereich des Internet bezüglich der Schutzwürdigkeit einer Äußerung nach verschiedenen medialen Übertragungsformen zu differenzieren.¹⁴⁴ Allerdings könne auf Schrankenebene die Bedeutung der verschiedenen Medienangebote berücksichtigt werden, weshalb unter anderem nach Verbreitung und Reichweite zu differenzieren sei.¹⁴⁵ Dieses einheitliche Grundrecht der Medienfreiheit schütze Massenmedien und sei dementsprechend von Formen der Individualkommunikation abzugrenzen, die auf Seiten des Äußernden unter den Schutz der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG) fielen.¹⁴⁶ Auch das BVerfG hat in einigen Entscheidungen im Zusammenhang mit den Gewährleistungen des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG bereits von einer Medienfreiheit gesprochen.¹⁴⁷ Es ist allerdings zu bezweifeln, dass sich das Gericht hierdurch tat-
Burkhardt, CR 1999, 38 (41). Lenski, Personenbezogene Massenkommunikation als verfassungsrechtliches Problem, S. 70 ff. Fechner, Medienrecht, 3. Kapitel Rn. 100. Hoffmann-Riem, Kommunikationsfreiheiten, S. 175. Koreng, Zensur im Internet, S. 247. Fechner, Medienrecht, 3. Kapitel Rn. 101. Fechner, Medienrecht, 3. Kapitel Rn. 102; für eine medienübergreifende Sichtweise, allerdings ausdrücklich unter Ablehnung der Unterscheidung zwischen Individual- und Massenkommunikation hingegen Lehrke, Pluralismus in den Medien, S. 165 ff. Vgl. BVerfG, Urteil vom 5. Februar 1991– 1 BvF 1/85, 1/88, BVerfGE 83, 238 (324); BVerfG, Beschluss vom 14. Juli 1994– 1 BvR 1595, 1606/92, BVerfGE 91, 125 (136); BVerfG, Urteil vom 12. März
B. Kommunikationsgrundrechte nach Art. 5 Abs. 1 GG
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sächlich dem Konzept einer einheitlichen Medienfreiheit anschließen wollte, weil ausdrückliche Ausführungen des BVerfG hierzu nicht vorliegen. Da die Anerkennung einer einheitlichen Medienfreiheit insbesondere mit Blick auf die besonderen rundfunkrechtlichen Vorgaben eine Abkehr von der bisherigen ständigen Rechtsprechung bedeuten würde, erscheint es jedoch angesichts des Fehlens ausdrücklicher gerichtlicher Ausführungen hierzu bloß aufgrund der Nennung des Begriffs Medienfreiheit zu weitgehend, dies als Befürwortung des Konzepts einer einheitlichen Medienfreiheit zu interpretieren.¹⁴⁸ Vereinzelt wird außerdem vertreten, es sei zwar nicht möglich, eine einheitliche Medienfreiheit durch entsprechende Interpretation des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG anzuerkennen, aber die Schaffung eines allgemeinen Mediengrundrechts im Wege einer Verfassungsänderung sei der einzig sinnvolle Weg, um auch zukünftige Entwicklungen im Medienbereich angemessen grundrechtlich erfassen zu können.¹⁴⁹
(iv) Kritik Die verschiedenen dargelegten Vorschläge für eine erweiternde Auslegung von Art. 5 Abs. 1 GG werden im Wesentlichen aus ähnlichen Gründen kritisiert. So ist insbesondere das Konzept einer eigenständigen Internetfreiheit vielfach auf Ablehnung gestoßen.¹⁵⁰ Gegen das Konzept wird zunächst vorgebracht, bereits der Wortlaut des Art. 5 Abs. 1 GG nenne nur fünf Freiheitsrechte ausdrücklich und lasse aufgrund des abschließenden Charakters dieser Aufzählung für die Aufnahme einer weiteren Freiheit keinen Raum.¹⁵¹ In grundrechtssystematischer Hinsicht wird kritisiert, dass eine Internetfreiheit gerade nicht zwischen Individual- und Massenkommunikation unterscheide und damit außerhalb der Systematik des Art. 5 Abs. 1 GG mit der klaren Trennung zwischen den auf
2003 – 1 BvR 330/96, 348/99, BVerfGE 107, 299 (329 ff.); BVerfG, Urteil vom 27. Februar 2007– 1 BvR 538, 2045/06, BVerfGE 117, 244 (258). So auch Schmidtmann, Die verfassungsrechtliche Einordnung konvergenter Massenmedien, S. 291 ff. Bronsema, Medienspezifischer Grundrechtsschutz der elektronischen Presse, S. 189. Vgl. den entsprechenden Befund bei Pille, Meinungsmacht sozialer Netzwerke, S. 187; zur Kritik am Konzept außerdem ausführlich Schmidtmann, Die verfassungsrechtliche Einordnung konvergenter Massenmedien, S. 240 ff. Degenhart, in: Sachs/Siekmann, FS Stern, S. 1299 (1311); Ory, AfP 2011, 19 (19); Schmidtmann, Die verfassungsrechtliche Einordnung konvergenter Massenmedien, S. 240.
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3. Teil: Meinungsäußerungen in sozialen Netzwerken
Individualkommunikation bezogenen Grundrechten des Satzes 1 sowie den auf Massenkommunikation bezogenen Grundrechten des Satzes 2 stehe.¹⁵² Außerdem wird teilweise bereits das Bestehen einer verfassungsrechtlichen Schutzlücke, zu deren Schließung es der Internetfreiheit bedürfe, verneint und darauf verwiesen, dass Online-Angebote auch ohne die Anerkennung einer Internetfreiheit bereits durch die ausdrücklich in Art. 5 Abs. 1 GG genannten Grundrechte geschützt seien.¹⁵³ In diesem Zusammenhang wird auch zu bedenken gegeben, dass der Vorschlag eines Grundrechts der Internetfreiheit letztlich nichts anderes sei als die Forderung nach einem dynamischen und technologieoffenen Verständnis von Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG.¹⁵⁴ Schließlich wird darauf hingewiesen, dass die Anerkennung eines Grundrechts der Internetfreiheit nicht wesentlich dazu beitragen könne, das Problem der Abgrenzung zwischen den verschiedenen Kommunikationsfreiheiten des Art. 5 Abs. 1 GG zu lösen oder zu vereinfachen.¹⁵⁵ Dies ergebe sich zum einen daraus, dass gerade im Bereich hybrider Mischformen wie der elektronischen Presse durch die Schaffung einer weiteren Kommunikationsfreiheit nur eine in Betracht kommende Abgrenzungsalternative durch eine andere ausgetauscht würde.¹⁵⁶ Durch den Bezug zum Medium Internet könne eine Internetfreiheit zudem ausschließlich Medienformen des Internet erfassen, wodurch sich bei einer möglichen zukünftigen Entwicklung heute noch nicht bekannter neuartiger medialer Dienste wiederum die Frage der grundrechtlichen Erfassung solcher Dienste stellen würde.¹⁵⁷ Gegen die Interpretation des Art. 5 Abs. 1 GG als einheitliches Kommunikationsgrundrecht wird ähnlich wie gegen die Internetfreiheit vorgebracht, dass eine solche Auslegung mit dem Wortlaut und der Systematik des Art. 5 Abs. 1 GG nicht vereinbar sei.¹⁵⁸ Dies zeige insbesondere der Vergleich mit dem Wortlaut von
Bronsema, Medienspezifischer Grundrechtsschutz der elektronischen Presse, S. 167; Koreng, Zensur im Internet, S. 84. Determann, Kommunikationsfreiheit im Internet, S. 448; Gounalakis/Rhode, Persönlichkeitsschutz im Internet, Rn. 241; Hain, K&R 2012, 98 (102); Koreng, Zensur im Internet, S. 84; Schmidtmann, Die verfassungsrechtliche Einordnung konvergenter Massenmedien, S. 247. Brand, Rundfunk im Sinne des Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG, S. 235. Bronsema, Medienspezifischer Grundrechtsschutz der elektronischen Presse, S. 164; Schmidtmann, Die verfassungsrechtliche Einordnung konvergenter Massenmedien, S. 242. Schmidtmann, Die verfassungsrechtliche Einordnung konvergenter Massenmedien, S. 243. Bronsema, Medienspezifischer Grundrechtsschutz der elektronischen Presse, S. 165; Schmidtmann, Die verfassungsrechtliche Einordnung konvergenter Massenmedien, S. 243 f. Möllers, AfP 2008, 241 (250); Schmidtmann, Die verfassungsrechtliche Einordnung konvergenter Massenmedien, S. 263 ff.; speziell in Bezug auf den entgegenstehenden Wortlaut auch Bethge, in: Sachs, GG, Art. 5 Rn. 89c.
B. Kommunikationsgrundrechte nach Art. 5 Abs. 1 GG
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Art. 10 EMRK sowie Art. 11 GRCh: während sowohl Art. 10 EMRK als auch Art. 11 GRCh ein einheitliches Kommunikationsgrundrecht der Meinungsfreiheit gewährleisteten,¹⁵⁹ unterscheide sich der Wortlaut von Art. 5 Abs. 1 GG hiervon derart wesentlich, dass ein Verständnis als Gesamtkommunikationsgrundrecht nicht in Betracht komme.¹⁶⁰ In systematischer Hinsicht wird gegen den Vorschlag einer umfassenden Kommunikationsfreiheit vorgebracht, dass die einzelnen Bereiche der Kommunikationsfreiheiten eigene und spezifische Charakteristika hätten, und eine Unterscheidung zwischen den einzelnen Freiheitsbereichen deshalb schon mit Blick auf unterschiedliche Ausgestaltungsmöglichkeiten erforderlich sei.¹⁶¹ Gegen das Konzept einer einheitlichen Medienfreiheit wird zudem eingewandt, dass ein solches Grundrecht vom Wortlaut des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG nicht gedeckt sei, da dort ausdrücklich nur die Freiheit der Presse sowie die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film genannt werde.¹⁶² Dies ergebe sich insbesondere auch aus einem Vergleich mit Art. 11 Abs. 2 GRCh, da dort ausdrücklich die Freiheit der Medien geschützt werde, während es an einer entsprechenden Formulierung in Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG gerade fehle.¹⁶³ Auch ein Vergleich mit der Schweizer Bundesverfassung, die ein einheitliches Mediengrundrecht statuiert, spreche aufgrund des Fehlens einer vergleichbaren Regelung in Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG gegen das Konzept einer einheitlichen Medienfreiheit.¹⁶⁴ Außerdem bleibe dem deutschen Verfassungsrecht der Weg einer normativen Konvergenz von Presse- und Rundfunkfreiheit schon deshalb verschlossen, weil beiden Grundrechten jedenfalls in der Rechtsprechung des BVerfG ein gänzlich unterschiedliches, sich ausschließendes Freiheitsverständnis zugrunde liege.¹⁶⁵ Weil für Aktivitäten im Bereich neuartiger Medien bereits ein Schutz durch Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG oder jedenfalls durch die allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG gegeben sei, bestehe
Gersdorf, AfP 2010, 421 (422). Schmidtmann, Die verfassungsrechtliche Einordnung konvergenter Massenmedien, S. 263. Schemmer, in: Epping/Hillgruber, GG, Art. 5 Rn. 20. Schmidtmann, Die verfassungsrechtliche Einordnung konvergenter Massenmedien, S. 273; trotz Skepsis gegenüber dem Konzept die Möglichkeit der Anerkennung einer Medienfreiheit allerdings wohl offen lassend Degenhart, in: Kahl/Waldhoff/Walter, Bonner Kommentar zum GG, Art. 5 Abs. 1 und 2 Rn. 47. Bethge, in: Sachs, GG, Art. 5 Rn. 89c; Gersdorf, AfP 2010, 421 (424). So unter Verweis auf Art. 17 der Schweizer Bundesverfassung Schmidtmann, Die verfassungsrechtliche Einordnung konvergenter Massenmedien, S. 274 f. Möllers, AfP 2008, 241 (241); ähnlich von Coelln, Zur Medienöffentlichkeit der Dritten Gewalt, S. 16.
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3. Teil: Meinungsäußerungen in sozialen Netzwerken
für die Anerkennung eines einheitlichen Mediengrundrechts im Übrigen auch kein zwingendes Bedürfnis.¹⁶⁶ Mit Blick auf die grundrechtliche Erfassung der Kommunikation in sozialen Netzwerken vermögen die verschiedenen Ansätze zur erweiternden Auslegung von Art. 5 Abs. 1 GG letztlich nicht in ausreichendem Maße zu überzeugen. Neben den nicht unerheblichen Schwierigkeiten, die Ansätze für eine Internetfreiheit oder für eine einheitliche Kommunikations- bzw. Medienfreiheit mit dem Wortlaut des Art. 5 Abs. 1 GG in Einklang zu bringen, ist bei einer Anwendung der Konzepte auf soziale Netzwerke vor allem zu befürchten, dass auch weiterhin schwer und häufig nur unbefriedigend zu lösende Abgrenzungsfragen verbleiben würden. Beim Konzept der Internetfreiheit bliebe insbesondere das Verhältnis zwischen Internetfreiheit und den ausdrücklich in Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG genannten Grundrechten unklar.¹⁶⁷ So stellt sich zum Beispiel die Frage, wie Aktivitäten der Anbieter der „klassischen Medien“ Presse und Rundfunk in sozialen Netzwerken zu bewerten sind und ob solche Aktivitäten durch Presse- oder Rundfunkfreiheit oder durch die im Wege der Verfassungsinterpretation herzuleitende Internetfreiheit geschützt würden. Auch scheint unklar zu sein, ob eine Internetfreiheit neben Massen- auch Individualkommunikation erfassen soll.¹⁶⁸ Da in sozialen Netzwerken sowohl Individual- als auch Massenkommunikation sowie nicht eindeutig zuzuordnende Mischformen anzutreffen sind, verbleibt somit auch eine nicht unerhebliche Unsicherheit, welche Kommunikationsformen in sozialen Netzwerken tatsächlich von einer Internetfreiheit erfasst wären. Das Konzept eines einheitlichen Mediengrundrechts wiederum beruht gerade auf einer klaren Trennung von Individual- und Massenkommunikation und erfordert damit eine in sozialen Netzwerken wie bereits dargelegt oft mit großen Schwierigkeiten verbundene Abgrenzung zwischen Individual- und Massenkommunikation.¹⁶⁹ Eine der wesentlichen Abgrenzungsschwierigkeiten für die Kommunikation in sozialen Netzwerken kann somit bei Anwendung des Konzepts eines einheitlichen Mediengrundrechts in Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG gerade nicht gelöst werden, weswegen ein einheitliches Mediengrundrecht als Konzept für die
Schmidtmann, Die verfassungsrechtliche Einordnung konvergenter Massenmedien, S. 286. Vgl. Bronsema, Medienspezifischer Grundrechtsschutz der elektronischen Presse, S. 164 ff. Vgl. Mecklenburg, ZUM 1997, 525 (536), der wegen der Anknüpfung an die Meinungsfreiheit des Kommunikators wohl von einem Schutz auch für die Individualkommunikation auszugehen scheint. Demgegenüber verorten Holznagel/Schumacher die Internetdienstefreiheit in Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG und beziehen die Internetdienstefreiheit dementsprechend nur auf massenkommunikative Vorgänge, vgl. Holznagel/Schumacher, ZRP 2011, 74 (77). Zu den Schwierigkeiten der Abgrenzung für den gesamten Bereich der Kommunikation im Internet bereits Karavas, Digitale Grundrechte, S. 138.
B. Kommunikationsgrundrechte nach Art. 5 Abs. 1 GG
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grundrechtliche Erfassung der Kommunikation in sozialen Netzwerken nicht überzeugen kann. Eine Auslegung von Art. 5 Abs. 1 GG als einheitliche Kommunikationsfreiheit vermeidet aufgrund ihres übergreifenden Charakters solche Abgrenzungsschwierigkeiten auch nur auf den ersten Blick. Denn das Konzept der einheitlichen Kommunikationsfreiheit soll die ausdrücklich in Art. 5 Abs. 1 GG genannten Grundrechte gerade nicht ersetzen, sondern tritt als übergreifende Freiheit neben sie. Wenn traditionelle Anbieter von Presse und Rundfunk auch bei Aktivitäten in sozialen Netzwerken allerdings die besonderen in Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG vorgesehenen institutionellen Absicherungen erhalten sollen, macht dies trotzdem eine Abgrenzung erforderlich, welche Aktivitäten dem besonderen Schutz der Pressebzw. Rundfunkfreiheit und welche Aktivitäten nur dem Schutz der übergreifenden Kommunikationsfreiheit unterfallen sollen. Letztlich dürfte sich auch bei Anerkennung einer übergreifenden Kommunikationsfreiheit weiterhin genau jene Abgrenzungsbedürftigkeit mit Blick auf die unterschiedlichen Freiheiten des Art. 5 Abs. 1 GG ergeben,¹⁷⁰ die in sozialen Netzwerken zu Problemen führt. Angesichts dessen erscheint auch ein einheitliches Kommunikationsgrundrecht aus Art. 5 Abs. 1 GG als Konzept für eine den tatsächlichen Kommunikationsverhältnissen Rechnung tragende grundrechtliche Erfassung der Kommunikation in sozialen Netzwerken nicht geeignet. Im Ergebnis bieten die drei verschiedenen Konzepte für eine erweiternde Auslegung des Art. 5 Abs. 1 GG somit aufgrund der weiterhin bestehenden Abgrenzungsschwierigkeiten keine überzeugende Lösung für die grundrechtliche Erfassung der Kommunikation in sozialen Netzwerken.
(c) Erfassung der Online-Kommunikation durch die Meinungsfreiheit Schließlich wird vorgeschlagen, die Kommunikation im Internet dem Schutz der Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG zu unterstellen. Teilweise wird vertreten, die Meinungsfreiheit solle als Auffanggrundrecht dann zum Tragen kommen, wenn Internetdienste anhand der tradierten Abgrenzungskriterien weder dem Rundfunk noch der Presse nach Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG zugeordnet werden könnten.¹⁷¹ Telemedien wie das Internet ließen sich ganz
Schmidtmann, Die verfassungsrechtliche Einordnung konvergenter Massenmedien, S. 267 f. Degenhart, in: Kahl/Waldhoff/Walter, Bonner Kommentar zum GG, Art. 5 Abs. 1 und 2 Rn. 48; Degenhart, in: Sachs/Siekmann, FS Stern, S. 1299 (1311); wegen der Bezeichnung der Meinungsfreiheit als allgemeine Basis der Kommunikationsgrundrechte wohl auch Dörr/Schwartmann, Medienrecht, Rn. 101; die Meinungsfreiheit nur für den Bereich der Individualkommunikation als Auffanggrundrecht ansehend Bethge, in: Sachs, GG, Art. 5 Rn. 45.
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3. Teil: Meinungsäußerungen in sozialen Netzwerken
überwiegend nicht in die drei vorhandenen Schubladen des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG einordnen und seien deshalb in der Regel nur durch die Individualkommunikationsgrundrechte des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG geschützt.¹⁷² Auch wenn der Befund der Unmöglichkeit der Einordnung in die vorhandenen „Schubladen“ des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG korrekt ist, so bleibt doch auch bei einer Konstruktion der Meinungsfreiheit als Auffanggrundrecht das Problem bestehen, dass jeweils im Einzelfall überprüft werden müsste, ob bestimmte Kommunikationsinhalte unter die Mediengrundrechte des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG subsumiert werden können oder ob das Auffanggrundrecht des Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG eingreift. Es steht zu befürchten, dass sich die aus der Heterogenität der Kommunikation in sozialen Netzwerken folgenden Abgrenzungsschwierigkeiten letztlich nur auf diese Prüfungsebene verlagern würden, wenn die Meinungsfreiheit als Auffanggrundrecht eingestuft wird. Für eine konsequente Überwindung der Abgrenzungsschwierigkeiten erscheint es somit sinnvoller, einen anderen Ansatz zu wählen und das Kommunikationsmedium Internet als Medium sui generis generell dem allgemeinen Recht auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG zu unterstellen.¹⁷³ Die grundsätzliche Erfassung der Kommunikation durch die Meinungsfreiheit gem. Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG bietet für den Bereich der sozialen Netzwerke den großen Vorteil, dass die angesichts der häufig heterogenen Kommunikationsvorgänge schwierigen Abgrenzungsfragen – nicht zuletzt bereits die Abgrenzung zwischen Individual- und Massenkommunikation – obsolet werden. Durch die einheitliche Erfassung sämtlicher Kommunikation in sozialen Netzwerken durch Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG ist es möglich, dort stattfindende Kommunikationsprozesse nach einem einheitlichen Maßstab zu bewerten, ohne eine künstliche Aufspaltung in mehrere kommunikative Einzelakte vornehmen zu müssen, die angesichts der Vielfalt der in sozialen Netzwerken möglichen und tatsächlich ausgeübten Formen der Kommunikation weder überzeugend noch sinnvoll erscheint.¹⁷⁴ Gegen einen Schutz der Online-Kommunikation allein oder überwiegend durch die Meinungsfreiheit i.S.v. Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG wird im Wesentlichen
Haug, Grundwissen Internetrecht, Rn. 67. Starck/Paulus, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 1, Art. 5 Rn. 252; zumindest in eine ähnliche Richtung auch Kube, in: Isensee/Kirchhof: Handbuch des Staatsrechts, Band IV, § 91 Rn. 14; für Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG als Auffanggrundrecht, soweit für Internetdienste kein dem Rundfunk vergleichbares Manipulationspotential besteht, auch Determann, Kommunikationsfreiheit im Internet, S. 455. So auch – wenngleich mit anderer Schlussfolgerung – Pille, Meinungsmacht sozialer Netzwerke, S. 186.
B. Kommunikationsgrundrechte nach Art. 5 Abs. 1 GG
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vorgebracht, dass ein solcher Schutz für massenmediale Angebote nicht ausreichend sei, da den Besonderheiten der massenhaften Verbreitung und allgemeinen Zugänglichkeit nicht Rechnung getragen werden könne.¹⁷⁵ Außerdem könne der besondere institutionelle Schutz von Presse und Rundfunk nicht abgebildet werden, wenn Internetdienste nur der Meinungsfreiheit unterworfen würden.¹⁷⁶ Diese Einwände überzeugen für die Kommunikation in sozialen Netzwerken allerdings nicht. Die Kritikpunkte knüpfen an ein Verständnis massenmedialer Prozesse insbesondere im Rundfunkbereich an, das sehr stark vom etablierten verfassungsrechtlichen Umgang mit den in Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG genannten Medien ausgeht. Die speziellen verfassungsrechtlichen Garantien und Ausgestaltungsvorgaben insbesondere für den Rundfunkbereich legen allerdings ein Rundfunkverständnis zugrunde, dem Beiträge in sozialen Netzwerken in der Regel nicht entsprechen. Bei Nachrichten oder Beiträgen, die sich an einen klar umgrenzten und überschaubaren Personenkreis richten (beispielsweise im Rahmen von Gruppenchat-Funktionen sozialer Netzwerke) fehlt es insoweit bereits an dem für das etablierte Verständnis des Rundfunkbegriffs wesentlichen offenen Empfängerkreis. Bei Beiträgen, die öffentlich oder für einen kaum noch überschaubaren Kreis „befreundeter“ Nutzer einsehbar sind, könnte zwar von einem offenen Empfängerkreis ausgegangen werden. Es fehlt aber auch bei solchen Beiträgen in aller Regel ein planmäßig gestaltetes und ablaufendes Gesamtprogramm, das wegen der damit verbundenen Möglichkeit der gesamthaften und machtverschaffenden Beeinflussung des Meinungsbildungsprozesses doch gerade die Grundlage der verfassungsrechtlichen Sonderbehandlung bildet.¹⁷⁷ Ein solches planmäßiges Vorgehen wird man den Nutzern sozialer Netzwerke nur schwer unterstellen können, wenn man zugleich berücksichtigt, dass die Nutzung sozialer Netzwerke am häufigsten mit der Motivation der privaten Kontaktpflege stattfindet.¹⁷⁸ Doch selbst bei Nutzergruppen, bei denen die nicht-private Nutzung sozialer Netzwerke im Vordergrund steht und eine Auswirkung auf den Meinungsbildungsprozess durch die eigenen Beiträge eindeutig bezweckt wird (beispielsweise Facebook-Seiten politischer Parteien), erscheint die Annahme eines planmäßig ablaufenden und den Empfänger über längere Zeiträume in seiner Meinungsbil-
Schmidtmann, Die verfassungsrechtliche Einordnung konvergenter Massenmedien, S. 299. So allgemein für neue Formen der Massenkommunikation Pappi, Teledienste, Mediendienste und Rundfunk, S. 70. So allgemein für neuartige Medien bereits Bullinger/Mestmäcker, Multimediadienste, S. 67. Vgl. die oben unter A.I.1. dargestellten Ergebnisse repräsentativer Umfragen zur Nutzung sozialer Netzwerke.
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3. Teil: Meinungsäußerungen in sozialen Netzwerken
dung beeinflussenden Programms eher fernliegend.¹⁷⁹ Dies liegt vor allem daran, dass Nutzer die öffentlichen Beiträge anderer Nutzer insbesondere im Newsfeed des jeweiligen sozialen Netzwerks angezeigt bekommen. Aufgrund der Tatsache, dass dort Beiträge verschiedener Nutzer angezeigt werden, ohne dass die Urheber der im Newsfeed gezeigten Beiträge Einfluss auf die Zusammenstellung und Reihenfolge der Beiträge haben, ist ein planmäßiger Programmablauf hinsichtlich der in einem Newsfeed angezeigten Beiträge nicht erkennbar. Schließlich lässt sich dem hier vertretenen Konzept eines grundsätzlichen Schutzes der Kommunikation in sozialen Netzwerken durch Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG auch nicht der fehlende institutionelle Schutz der Kommunikationsbedingungen entgegenhalten. Zum einen erscheint es bereits zweifelhaft, inwieweit es in sozialen Netzwerken überhaupt institutioneller Sicherungen zum Schutz von Meinungsvielfalt bedarf, wie sie insbesondere für das Rundfunkrecht charakteristisch sind. Denn angesichts des geringen finanziellen und organisatorischen Aufwands, als Nutzer eine Meinungsäußerung in einem sozialen Netzwerk zu veröffentlichen, dürfte fehlende Meinungsvielfalt kaum das prägende Problem bei der Kommunikation in sozialen Netzwerken sein.¹⁸⁰ Zum anderen bedeutet die grundsätzliche Einordnung als durch die Meinungsfreiheit geschützter Kommunikationsinhalt nicht, dass Angebote in sozialen Netzwerken in besonders gelagerten Fällen nicht doch dem Schutz der Mediengrundrechte des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG unterfallen können. So könnte ein zeitgleich im Fernsehen und auf der Netzwerkseite eines Fernsehsenders übertragener Programminhalt durchaus auch als Rundfunk im verfassungsrechtlichen Sinne gewertet werden,¹⁸¹ auch der Weg einer Übertragung des Schutzes der Rundfunk- oder Pressefreiheit durch Analogie im Einzelfall erscheint möglich, soweit dies bei bestimmten in sozialen Netzwerken veröffentlichten Kommunikationsinhalten zur Gewährleistung eines ausreichenden auch institutionellen Grundrechtsschutzes erforderlich sein sollte. ¹⁸² Eine durchgehende Erstreckung der institutionellen Garantien massenmedialer Kommunikation ist vor diesem Hintergrund für die Kommunikation in sozialen Netzwerken weder erforderlich noch sinnvoll. Auch unter dem Gesichtspunkt eines möglichen institutionellen Schutzes spricht folglich nichts dagegen,
Für Internet-Inhalte generell Kube, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Band IV, § 91 Rn. 14. Paulus/Nölscher, ZUM 2017, 177 (183). Ähnlich Pille, Meinungsmacht sozialer Netzwerke, S. 176. Generell für Kommunikation im Internet so auch Starck/Paulus, in: von Mangoldt/Klein/ Starck, GG, Art. 5 Rn. 252.
B. Kommunikationsgrundrechte nach Art. 5 Abs. 1 GG
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Kommunikationsprozesse in sozialen Netzwerken grundsätzlich durch die Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG zu erfassen.
(d) Fazit Nach hier vertretener Ansicht wird der Schutz der Kommunikation in sozialen Netzwerken grundsätzlich durch die Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG und nur ausnahmsweise durch die Mediengrundrechte des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG gewährleistet.
II. Die verfassungsrechtliche Stellung der Nutzer sozialer Netzwerke Für den Schutz durch die Meinungsfreiheit bei der Kommunikation in sozialen Netzwerken kommen in personeller Hinsicht zunächst die Nutzer der Netzwerke in Betracht.
1. Selbst erstellte Beiträge der Nutzer Unproblematisch sind insoweit Fälle, in denen Nutzer Beiträge oder Nachrichten in der Form selbst erstellter Kommunikationsinhalte über soziale Netzwerke verbreiten. Da es sich in diesen Fallkonstellationen ohne Weiteres um eigene Gedankeninhalte der Nutzer handelt und es auf die Ausdrucksform der Äußerung nicht ankommt¹⁸³, sind folglich sowohl eigene Textbeiträge als auch Fotos oder Videos mit meinungsrelevantem Inhalt bei einer Veröffentlichung in sozialen Netzwerken durch die Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG geschützt.
2. „Teilen“ der Beiträge anderer Nutzer im sozialen Netzwerk In sozialen Netzwerken ist es für Nutzer auch möglich, Beiträge anderer Nutzer zu „teilen“ und dadurch den Beitrag eines anderen Nutzers auf der eigenen Profilseite erneut zu veröffentlichen. Dieses „Teilen“ ist ebenfalls unproblematisch als durch Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG geschützte eigene Meinungsäußerung zu betrachten, soweit Nutzer das Teilen des Beitrags mit einem eigenen wertenden Kommentar verbinden, da in solchen Fällen schon alleine aufgrund eines solchen Kommentars von einer eigenen Meinungsäußerung des teilenden Nutzers ausgegangen werden kann.
BVerfG, Beschluss vom 13. Mai 1980 – 1 BvR 103/77, BVerfGE 54, 129 (138 f.).
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3. Teil: Meinungsäußerungen in sozialen Netzwerken
Auch bei der Betätigung des „Gefällt mir“-Symbols auf Facebook liegt eine eigene Meinungsäußerung des Nutzers vor, der diese Funktion verwendet. Bei der „Gefällt mir“-Funktion handelt es sich um eine virtuelle Sympathiebekundung, bei der nach Betätigung des entsprechenden Buttons unter dem in Bezug genommenen Inhalt die Abbildung eines erhobenen Daumens sowie der Profilname des Nutzers erscheinen, der auf diese Weise seinen Gefallen geäußert hat.¹⁸⁴ Durch die Nutzung dieser Funktion erklärt der Nutzer seine Zustimmung zum Inhalt des in Bezug genommenen Beitrags und macht sich dessen Inhalt dadurch zu eigen.¹⁸⁵ Dadurch liegt auch bei der Nutzung der „Gefällt mir“-Funktion eine eigene durch Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG geschützte eigene Meinungsäußerung des Nutzers vor. Komplizierter gestalten sich Fälle, in denen ein fremder Beitrag ohne jeglichen Kommentar geteilt wird. Hier stellt sich die Frage, ob die für einen Schutz durch Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG erforderliche subjektive Einstellung des sich Äußernden zum Gegenstand der Äußerung¹⁸⁶ auch dann angenommen werden kann, wenn der Beitrag eines anderen Nutzers ohne ergänzende wertende Äußerungen durch das Teilen auf der eigenen Profilseite veröffentlicht wird. Mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist allerdings davon auszugehen, dass zum von Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG geschützten Kommunikationsprozess auch die Mitteilung einer fremden Meinung zählen kann, wenn der Mitteilende sich diese weder zu eigen macht noch sie in eine eigene Stellungnahme einbindet, sondern die fremde Äußerung lediglich verbreitet.¹⁸⁷ Da das Teilen des Postings eines anderen Nutzers in einem sozialen Netzwerk ohne eigenen wertenden Kommentar eine Verbreitung einer Fremdmeinung darstellt, ist folglich auch für diese Art der Nutzung sozialer Netzwerke für den teilenden Nutzer ein Schutz durch Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG gegeben. Soweit in einer früheren Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts für die Zurechnung einer fremden Äußerung das Fehlen einer eindeutigen und ernsthaften Distanzierung gefordert wird,¹⁸⁸ ändert dies im Ergebnis nichts. Denn bei einem Teilen ohne eigenen Kommentar fehlt es an einer Distanzierung, so dass eine Zurechnung der fremden Meinungsäußerung auch auf der Grundlage jener engeren Sichtweise möglich ist. Teilweise wird zwar angenommen, dass dem Teilen eines Beitrags für sich genommen keine über die Verbreitung des Postings hinausgehende Bedeutung
Kaumanns, K&R 2012, 445 (445). Bauer/Günther, NZA 2013, 67 (71). BVerfG, Beschluss vom 13. April 1994– 1 BvR 23/94, BVerfGE 90, 241 (247). BVerfG, Beschluss vom 25. Juni 2009 – 1 BvR 134/03, NJW-RR 2010, 470 (470); zustimmend wohl Degenhart, in: Kahl/Waldhoff/Walter (Hrsg.): Bonner Kommentar, Art. 5 Abs. 1 und 2 Rn. 132. BVerfG, Beschluss vom 15. Dezember 2004– 2 BvR 2219/01, NJW 2004, 590 (591).
B. Kommunikationsgrundrechte nach Art. 5 Abs. 1 GG
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zuzumessen sei.¹⁸⁹ Doch selbst wenn man in einer solchen Handlung einen bloßen Hinweis auf eine fremde Meinungsäußerung erblickt,¹⁹⁰ bleibt es dabei, dass der teilende Nutzer andere Nutzer im sozialen Netzwerk jedenfalls bewusst auf die in dem geteilten Beitrag enthaltene Äußerung hinweisen möchte. Auch eine solche Information über die Stellungnahme eines Dritten ist als Teil jenes meinungsbildenden Diskussionsprozesses aufzufassen, dessen Schutz Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG im Sinn hat.¹⁹¹ Im Ergebnis können sich die Nutzer von sozialen Netzwerken somit sowohl beim Verbreiten selbst verfasster Inhalte als auch beim Teilen von Beiträgen anderer Nutzer sowie der Nutzung der „Gefällt mir“-Funktion auf den Schutz der Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG berufen.¹⁹²
III. Die verfassungsrechtliche Stellung der Betreiber sozialer Netzwerke Neben den Nutzern kommt auch für die Betreiber sozialer Netzwerke ein Schutz durch Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG in Betracht. Für die Zwecke der hiesigen Untersuchung soll hierbei davon ausgegangen werden, dass für die Betreiber sozialer Netzwerke nach Art. 19 Abs. 3 GG eine Berufung auf die grundgesetzlich gewährleistete Meinungsfreiheit grundsätzlich möglich und der persönliche Schutzbereich von Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG mithin eröffnet ist.¹⁹³ Die Frage, ob die Tätigkeit der Betreiber sozialer Netzwerke auch in den sachlichen Schutzbereich der Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG fällt, hängt hingegen von der konkreten Art des betrachteten Kommunikationsprozesses in sozialen Netzwerken ab.
Vgl. OLG Frankfurt/Main, Urteil vom 26. November 2015 – 16 U 64/15, MMR 2016, 489 (490). Starck/Paulus, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 1, Art. 5 Rn. 98. BVerfG, Beschluss vom 25. Juni 2009 – 1 BvR 134/03, NJW-RR 2010, 470 (470). Skeptisch mit Blick auf das ähnlich gelagerte Verlinken fremder Äußerungen im Internet wohl von Lewinski, RW 2011, 70 (85). Probleme können sich insoweit wegen des in Art. 19 Abs. 3 GG genannten Merkmals der inländischen juristischen Person bei Netzwerkbetreibern ergeben, die ausschließlich einen Sitz im Nicht-EU-Ausland haben. Vgl. dazu Pille, Meinungsmacht sozialer Netzwerke, S. 150 ff., der auch für solche Unternehmen den persönlichen Schutzbereich von Art. 5 Abs. 1 GG für eröffnet hält sowie Gostomzyk, in: Eifert/Gostomzyk, Netzwerkrecht, S. 109 (120 f.), der sich für eine relative Grundrechtsträgerschaft für soziale Netzwerke außerhalb der EU ausspricht. Ebenfalls eine ausdehnende Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG befürwortend auch bereits Zuck, EuGRZ 2008, 680 (682 f.). Vgl. allgemein zum Grundrechtsschutz ausländischer Personen auch Guckelberger, AöR 129 (2004), 618.
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3. Teil: Meinungsäußerungen in sozialen Netzwerken
1. Eigene Äußerungen der Netzwerkbetreiber Betreiber sozialer Netzwerke sind unproblematisch durch das Grundrecht der Meinungsfreiheit geschützt, wenn sie eigene Äußerungen über die von ihnen betriebenen Netzwerke verbreiten.¹⁹⁴ Sie stellen ohne weiteres eine eigene Meinungskundgabe des Netzwerkbetreibers dar und stehen deshalb unter dem Schutz des Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG. Außerdem können sich Betreiber sozialer Netzwerke auch auf Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG in der Ausprägung als negative Meinungsfreiheit berufen. Da die Meinungsfreiheit auch das Recht schützt, eine Meinung nicht zu äußern,¹⁹⁵ kommt ein entsprechender Schutz in Betracht, soweit soziale Netzwerke dazu verpflichtet würden, bestimmte Meinungen zu veröffentlichen. Allerdings wären die Betreiber sozialer Netzwerke nur dann von der negativen Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG geschützt, wenn sie nicht kenntlich machen dürften, dass es sich bei der verbreiteten Meinung nicht um ihre eigene handelt,¹⁹⁶ was in der Praxis sozialer Netzwerke kaum der Fall sein dürfte.¹⁹⁷
2. Äußerungen der Nutzer in sozialen Netzwerken Wie bereits festgestellt ist der Begriff des sozialen Netzwerks allerdings insbesondere durch die Funktion als Kommunikationsmittel und somit als Instrument für die Übermittlung von Inhalten der Nutzer geprägt.¹⁹⁸ Ausgehend von diesem Befund kann davon ausgegangen werden, dass in den Kommunikationsprozessen in sozialen Netzwerken eigene Meinungsbekundungen der Netzwerkbetreiber die Ausnahme darstellen.¹⁹⁹ Dieser Befund lässt sich auch unter Verweis auf das Wirtschaftsmodell der Netzwerkbetreiber stützen, da es den Netzwerkbetreibern vor allem darauf ankommt, einen Austausch von Inhalten der Nutzer zu ermöglichen, um Einnahmen durch die Nutzung der in diesem Rahmen ausgewerteten Personendaten für personalisierte Werbung zu erzielen.²⁰⁰
Pille, Meinungsmacht sozialer Netzwerke, S. 178. BVerfG, Urteil vom 15. Dezember 1983 – 1 BvR 209, 269, 362, 420, 440, 484/83, BVerfGE 65, 1 (40). BVerfG, Beschluss vom 22. Januar 1997– 2 BvR 1915/91, BVerfGE 95, 173 (182). Vgl. Raue, JZ 2018, 961 (968); wegen der Annahme einer konkludenten Billigung verbreiteter Äußerungen die Eröffnung des Schutzbereichs der negativen Meinungsfreiheit hingegen bejahend Lüdemann, MMR 2019, 279 (281). Vgl. oben A.II, III und IV. Pille, Meinungsmacht sozialer Netzwerke, S. 178. Kutscha/Thomé, Grundrechtsschutz im Internet, S. 51 f.
B. Kommunikationsgrundrechte nach Art. 5 Abs. 1 GG
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Bei der Vermittlung von Äußerungen der Nutzer von sozialen Netzwerken ist für die Untersuchung des grundrechtlichen Schutzes der Netzwerkbetreiber weiter zu differenzieren zwischen Nachrichten in Einzel- oder Gruppenchats und den Beiträgen im so genannten Newsfeed.
(a) Nachrichten in Einzel- oder Gruppenchats Wenn Netzwerkbetreiber den Austausch von Äußerungen ihrer Nutzer im Rahmen von Einzel- oder Gruppenchats, mithin also bei Vorgängen der Individualkommunikation, ermöglichen, so handelt es sich um die Mitteilung einer fremden Meinungsäußerung. Zwar kann auch die Mitteilung einer fremden Meinung von Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG geschützt sein.²⁰¹ Allerdings findet bei der Vermittlung der Nachrichten im Rahmen von Einzel- oder Gruppenchats durch die Netzwerkbetreiber keinerlei Auswahl statt, welche Beiträge dem Empfänger weitergegeben werden und welche nicht. Vielmehr werden die fremden Äußerungen ohne jeden inhaltlichen Bezug weitergeleitet. Die Netzwerkbetreiber üben in diesen Fällen die Funktion eines Vermittlers aus, der selbst kein Interesse am jeweiligen Inhalt der Meinungsäußerung hat.²⁰² Ein Schutz durch die Meinungsfreiheit kommt jedoch dann nicht in Betracht, wenn eine bloß technische Verbreitung von Äußerungen vorliegt.²⁰³ Da bei der Vermittlung von Einzel- und Gruppenchatnachrichten kein über die technische Verbreitung hinausgehender Beitrag der Netzwerkbetreiber zum Kommunikationsprozess gegeben ist, können sich die Betreiber sozialer Netzwerke nicht auf den Schutz der Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG berufen, wenn sie im Rahmen von Vorgängen der Individualkommunikation in Einzel- oder Gruppenchats lediglich fremde Äußerungen vom sendenden zum empfangenden Nutzer übermitteln.²⁰⁴
(b) Beiträge im so genannten Newsfeed Bei Beiträgen von Nutzern, die anderen Nutzern in deren Newsfeed angezeigt werden, geht die Rolle der Betreiber sozialer Netzwerke hingegen über die bloße technische Vermittlung hinaus. Angesichts der Fülle von Nachrichten filtern die
Vgl. bereits oben B.II.2. unter Verweis auf BVerfG, Beschluss vom 25. Juni 2009 – 1 BvR 134/03, NJW-RR 2010, 470. Kutscha/Thomé, Grundrechtsschutz im Internet, S. 52. Vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. Juni 2009 – 1 BvR 134/03, NJW-RR 2010, 470 (471). Pille, Meinungsmacht sozialer Netzwerke, S. 178; generell für die Tätigkeit von Internetanbietern als Telemedienunternehmen auch Kutscha/Thomé, Grundrechtsschutz im Internet, S. 52.
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3. Teil: Meinungsäußerungen in sozialen Netzwerken
Betreiber sozialer Netzwerke die Beiträge mittels Algorithmen und wählen die Beiträge aus, die der Nutzer letztlich in seinem Newsfeed angezeigt bekommt.²⁰⁵ Ein derart ausgestalteter Auswahlprozess weist Parallelen zur Veröffentlichung von an anderer Stelle bereits veröffentlichten Beiträgen im Rahmen eines Pressespiegels auf. Denn auch bei der Zusammenstellung eines Pressespiegels werden bestimmte fremde Äußerungen verbreitet, die zuvor aus der Vielzahl von Presseveröffentlichungen gezielt ausgewählt wurden. Bezüglich der Wiedergabe andernorts zuvor bereits veröffentlichter Berichte im Rahmen einer Presseschau nimmt das Bundesverfassungsgericht an, dass diese Tätigkeit auch dann von der Meinungsfreiheit geschützt ist, wenn die fremde Äußerung weder kommentiert noch in anderer Weise in eine eigene Stellungnahme eingebettet, sondern schlicht um ihrer selbst willen referiert wird.²⁰⁶ Diese Rechtsprechung ist aufgrund der Gefahr einer abschreckenden Wirkung bei einer Überspannung von Sorgfaltspflichten durchaus wichtig, um der Bedeutung eines offenen Kommunikationsprozesses Rechnung zu tragen.²⁰⁷ Zudem ist bei der Auswahl fremder Beiträge zur Veröffentlichung in einem Pressespiegel auch ein Bezug zum Inhalt der im Pressespiegel veröffentlichten Beiträge erkennbar, da fremde Artikel in einer Presseschau in aller Regel gerade deshalb ausgewählt werden, weil die verbreitete fremde Äußerung für besonders bemerkenswert erachtet wird.²⁰⁸ Genau an diesem Punkt besteht ein wesentlicher Unterschied zum algorithmusgesteuerten Auswahlprozess. Denn der von den Betreibern eingesetzte Algorithmus erkennt nicht den Inhalt der einzelnen Äußerungen und filtert folglich auch nicht nach inhaltlichen, sondern nach inhaltsneutralen Kriterien wie der Anzahl an „Likes“ oder der Kommunikationsintensität zwischen Sender und Empfänger.²⁰⁹ Für einen Schutz durch Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG wäre aber zumindest erforderlich, dass eine fremde Äußerung um ihrer selbst willen referiert wird.²¹⁰ Die im Newsfeed angezeigten Beiträge werden hingegen gerade nicht um ihrer selbst willen verbreitet, weil der Inhalt der einzelnen Beiträge irrelevant für den Auswahlprozess ist.²¹¹ Somit kann auch eine subjektive Einstellung der Betreiber zum Vgl. zu diesem Filter- und Auswahlprozess oben unter A.I.2. BVerfG, Beschluss vom 25. Juni 2009 – 1 BvR 134/03, NJW-RR 2010, 470 (470 f.). Vgl. Starck/Paulus, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 5 Rn. 141. Vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. Juni 2009 – 1 BvR 134/03, NJW-RR 2010, 470 (470). Pille, Meinungsmacht sozialer Netzwerke, S. 179. Vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. Juni 2009 – 1 BvR 134/03, NJW-RR 2010, 470 (471). Mit einem ähnlichen Ansatz insoweit das BVerfG in der Entscheidung „Recht auf Vergessen II“, BVerfG, Beschluss vom 6. November 2019 – 1 BvR 276/17, NJW 2020, 314 (323), wonach sich Suchmaschinenbetreiber nicht auf das unionsrechtliche Grundrecht der Meinungsfreiheit nach Art. 11 GRCh berufen könnten, weil diese Dienste nicht der Verbreitung bestimmter Meinungen dienten.
B. Kommunikationsgrundrechte nach Art. 5 Abs. 1 GG
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Inhalt der im Newsfeed verbreiteten Beiträge nicht angenommen werden, vielmehr handelt es sich insoweit um einen rein technischen Verbreitungsvorgang, der nicht von der Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG geschützt wird.²¹² Zwar könnte darüber nachgedacht werden, ob sich aufgrund einer besonderen Bedeutung der algorithmengesteuerten Auswahl- und Filterprozesse nicht doch ein Bedürfnis für einen Schutz der Betreiber durch die Meinungsfreiheit auch für im Newsfeed angezeigte Beiträge ergibt.²¹³ Dies würde allerdings voraussetzen, dass die durch die Betreiber vorgenommenen Auswahl- und Filtertätigkeiten tatsächlich eine besonders herausgehobene Bedeutung für den Meinungsbildungsprozess in sozialen Netzwerken besitzen. Im Rahmen der Befassung mit dem Begriff des sozialen Netzwerks wurde jedoch bereits festgestellt, dass bei allen untersuchten Definitionsansätzen die durch soziale Netzwerke ausgeübten Filterfunktionen gerade nicht als unabdingbar für ein soziales Netzwerk angesehen werden.²¹⁴ Wenn diese Funktionen für soziale Netzwerke einerseits gerade kein unverzichtbares Merkmal darstellen, erscheint es widersprüchlich, sie andererseits für so bedeutend zu halten, dass sich hieraus ein Bedürfnis für einen Schutz der Betreiber durch Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG herleiten ließe.Vor dem Hintergrund dieses Befunds ist für die Meinungsbildung in sozialen Netzwerken keine herausgehobene Bedeutung der Auswahl- und Filterprozesse bei der Zusammenstellung der im Newsfeed angezeigten Beiträge erkennbar. Auch unter diesem Gesichtspunkt ergibt sich mithin für die Betreiber kein Bedürfnis nach einem Schutz durch die Meinungsfreiheit. Nach alledem sind die Betreiber sozialer Netzwerke nicht durch Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG geschützt, wenn sie einem Nutzer Beiträge anderer Nutzer in dessen Newsfeed anzeigen.
3. Verfassungsrechtlicher Schutz der Betreiber sozialer Netzwerke außerhalb von Art. 5 Abs. 1 GG Soweit die Betreiber sozialer Netzwerke sich nicht auf die Meinungsfreiheit berufen können, verbleibt für sie im Regelfall ein Schutz durch die Berufsfreiheit des
Pille, Meinungsmacht sozialer Netzwerke, S. 179; vgl. allerdings auch Milstein/Lippold, NVwZ 2013, 182 (185), die für ebenfalls algorithmengesteuerte Suchmaschinenergebnisse einen Schutz durch Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG annehmen. Vgl. zum Schutz bestimmter Handlungsweisen durch Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG wegen ihrer Bedeutung für den Kommunikationsprozess BVerfG, Beschluss vom 24. März 1998 – 1 BvR 131/96, BVerfGE 97, 391 (398 f.). Siehe oben unter A.IV.
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3. Teil: Meinungsäußerungen in sozialen Netzwerken
Art. 12 Abs. 1 GG²¹⁵ sowie in Fällen der fehlenden Gewinnerzielungsabsicht der Netzwerkbetreiber ein Schutz durch Art. 2 Abs. 1 GG. Ein Schutz allein über Art. 12 Abs. 1 GG wird allerdings teilweise für unzureichend gehalten, um der strukturellen Bedeutung sozialer Netzwerke für die Herstellung von Meinungsvielfalt gerecht zu werden.²¹⁶ Daraus wird abgeleitet, dass auch bislang nicht ausdrücklich geschützte Online-Angebote durch Art. 5 Abs. 1 GG zu schützen seien, soweit sie einen erheblichen Beitrag für die kommunikative Freiheitsentfaltung leisteten.²¹⁷ Nach hier vertretener Ansicht sind die durch die Netzwerkbetreiber durchgeführten Auswahl- und Filterprozesse jedoch gerade nicht als derart bedeutend anzusehen, um hieraus einen Schutz durch die Meinungsfreiheit ableiten zu können.²¹⁸ Konsequenterweise sollte es deshalb für die Betreiber sozialer Netzwerke für die Verbreitung fremder Meinungsäußerungen bei einem Schutz durch Art. 12 Abs. 1 GG verbleiben und der objektive Gehalt der Meinungsfreiheit anderweitig zur Geltung gebracht werden, worauf im folgenden Abschnitt näher eingegangen werden soll.
IV. Objektiver Gehalt von Art. 5 Abs. 1 GG bei der Kommunikation in sozialen Netzwerken Neben dem subjektiv-rechtlichen Gehalt der Meinungsfreiheit ist auch der objektive Gehalt von Art. 5 Abs. 1 GG bei der Kommunikation in sozialen Netzwerken in den Blick zu nehmen.
1. Grundsätzliches zum objektiven Gehalt von Grundrechten Gem. Art. 1 Abs. 3 GG binden die durch das Grundgesetz garantierten Grundrechte Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung und damit die unterschiedlichen Ebenen staatlichen Handelns als unmittelbares Recht. Dieser aus-
Für einen Schutz der Netzwerkbetreiber durch Art. 12 Abs. 1 GG wohl auch Ladeur/Gostomzyk, K&R 2017, 390 (392); die Gewerbefreiheit der Netzwerkbetreiber in den Blick nehmend, wenngleich wohl neben einem Schutz durch die Meinungsfreiheit, auch Köbler, AfP 2017, 282 (283). Von einem Schutz der überwiegenden Tätigkeit der Netzwerkbetreiber durch die Rundfunkfreiheit ausgehend Adelberg, Rechtspflichten und -grenzen der Betreiber sozialer Netzwerke, S. 51 f. So allgemein für Intermediäre auch Schulz, AfP 2013, 464, (470) sowie speziell für soziale Netzwerke Pille, Meinungsmacht sozialer Netzwerke, S. 179 f. Pille, Meinungsmacht sozialer Netzwerke, S. 180. Vgl. oben unter 2.b.
B. Kommunikationsgrundrechte nach Art. 5 Abs. 1 GG
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drücklichen Anordnung entspricht die traditionelle Vorstellung, wonach die Grundrechte primär Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat darstellen.²¹⁹ Für die liberale Staatstheorie des 19. Jahrhunderts stand diese Abwehrfunktion der Grundrechte im Vordergrund, nach Ausweitungsversuchen mit der Gewährleistung sozialer Grundrechte durch die Weimarer Reichsverfassung gelang es erst unter dem Grundgesetz durch den maßgeblichen Einfluss der Rechtsprechung des BVerfG, weitere Grundrechtsdimensionen herauszuarbeiten.²²⁰ Das BVerfG geht seit der Lüth-Entscheidung aus dem Jahr 1958 davon aus, dass die Grundrechte nicht nur Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat begründen, sondern zugleich Wertentscheidungen des Grundgesetzes darstellen, die für alle Rechtsbereiche gelten.²²¹ Nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG verkörpern die Grundrechtsnormen zugleich eine objektive Wertordnung, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts gilt und Richtlinien und Impulse für Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung gibt.²²² Dieses Wertsystem beeinflusst auch die Auslegung des Privatrechts, insbesondere die Konkretisierung der privatrechtlichen Generalklauseln,²²³ und strahlt so auf privatrechtliche Rechtsbeziehungen aus.²²⁴ Der so erreichte Einfluss der Grundrechte in das Privatrecht wird durch das BVerfG als mittelbare Drittwirkung bezeichnet,²²⁵ auch wenn teilweise Kritik an dieser Bezeichnung geübt wird.²²⁶ Diese stützt sich im Wesentlichen auf die Befürchtung, dass der Begriff der mittelbaren Drittwirkung zu Missverständnissen mit Blick auf die Wirkungsweise dieser Konstruktion führen könne, da die Ausstrahlungswirkung der Grundrechte ins Privatrecht genau genommen nicht zu einer Bindung von Privaten, sondern von Richtern bei der Entscheidung privatrechtlicher Streitigkeiten führe.²²⁷ Der entscheidende Punkt an der Ausstrahlungswirkung der Grundrechte
Michl, Jura 2017, 1062 (1062); Manssen, Staatsrecht II, Rn. 44. Voßkuhle/Kaiser, JuS 2011, 411 (411). BVerfG, Urteil vom 15. Januar 1958 – 1 BvR 400/51, BVerfGE 7, 198 (205). BVerfG, Urteil vom 25. Februar 1975 – 1 BvF 1, 2, 3, 4, 5, 6/74, BVerfGE 39 (41) unter Verweis auf BVerfG, Urteil vom 15. Januar 1958– 1 BvR 400/51, BVerfGE 7, 198 (205) und BVerfG, Urteil vom 29. Mai 1973 – 1 BvR 424/71 und 325/72, BVerfGE 35, 79 (114). BVerfG, Urteil vom 15. Januar 1958 – 1 BvR 400/51, BVerfGE 7, 198 (205 f.). Raue, JZ 2018, 961 (965). Vgl. aus der jüngeren Rechtsprechung BVerfG, Beschluss vom 11. April 2018 – 1 BvR 3080/09, NJW 2018, 1667 (1668). Ipsen, Staatsrecht II, Rn. 70; Schwabe, Die sogenannte Drittwirkung der Grundrechte, S. 154; den Begriff „Drittwirkung“ als überholt ansehend auch Ruffert, JZ 2009, 389 (398); ausführlich zur Konstruktion der Drittwirkung außerdem Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 480 ff. Jarass, in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte, Band II, § 38 Rn. 65, der deshalb die Bezeichnung als Ausstrahlungswirkung zu bevorzugen scheint; vgl. zum Wirkungsmodus der
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3. Teil: Meinungsäußerungen in sozialen Netzwerken
auf Privatrechtsverhältnisse besteht in der Tat darin, dass die Grundrechte Private nicht selbst verpflichten, sondern ihre Wirkung nur durch die von Gerichten im Einzelfall anzuwendenden privatrechtlichen Bestimmungen vermittelt wird.²²⁸ Der in diesem Sinne verstandene Wirkmechanismus wird durch den Begriff der mittelbaren Drittwirkung allerdings gerade im Vergleich mit der unmittelbaren Grundrechtsbindung staatlicher Stellen durchaus nachvollziehbar umschrieben, weswegen der Begriff auch im Folgenden verwendet werden soll, zumal das BVerfG gerade in jüngeren Entscheidungen ebenfalls von mittelbarer Drittwirkung spricht.²²⁹ Hinsichtlich der Reichweite der mittelbaren Drittwirkung scheint das BVerfG seit 2011 den Weg einer prinzipiellen Ausweitung der mittelbaren Drittwirkung zu beschreiten.²³⁰ Im Fraport-Urteil aus dem Jahr 2011 führte das Gericht aus, dass „die mittelbare Grundrechtsbindung Privater einer Grundrechtsbindung des Staates (…) nahe oder auch gleich kommen kann“.²³¹ Das BVerfG zog dies für den Schutz der Kommunikation insbesondere in Fällen in Betracht, in denen private Unternehmen selbst Rahmenbedingungen öffentlicher Kommunikation bereitstellen und damit Funktionen übernehmen, die früher der staatlichen Daseinsvorsorge zugewiesen waren.²³² Diese Rechtsprechungsentwicklung wurde mit einer Entscheidung aus dem Jahr 2015 fortgesetzt, in der das BVerfG die instanzgerichtliche Bestätigung eines privatrechtlichen Hausverbots gegen einen auf einem Privatgrundstück geplanten „Bierdosen-Flashmob“ unter Verweis auf die Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 1 GG aufhob.²³³ Zwar betonte das Gericht in diesem Zusammenhang, dass die Auflösung der Kollision von Versammlungs- und Meinungsfreiheit mit den Grundrechten Privater, die durch die Eröffnung eines entsprechenden Verkehrs Kommunikationsorte für die Allgemeinheit schaffen, bislang noch nicht entschieden sei und einer weiteren Klärung bedürfe.²³⁴ Zugleich stellte das Gericht klar, dass die Versammlungsfreiheit die Durchführung von Versammlungen dort verbürge, wo ein allgemeiner öffentlicher Verkehr eröffnet sei, der dem Leitbild
grundrechtlichen Ausstrahlungswirkung wiederum Dolderer, Objektive Grundrechtsgehalte, S. 220 ff. Sachs, Verfassungsrecht II, S. 81. Vgl. ausdrücklich in BVerfG, Beschluss vom 11. April 2018 – 1 BvR 3080/09, NJW 2018, 1667 (1668). Smets, NVwZ 2019, 34 (34). BVerfG, Urteil vom 22. Februar 2011– 1 BvR 699/06, BVerfGE 128, 226 (249). BVerfG, Urteil vom 22. Februar 2011– 1 BvR 699/06, BVerfGE 128, 226 (249 f.). BVerfG, Beschluss vom 18. Juli 2015 – 1 BvQ 25/15, NJW 2015, 2485. BVerfG, Beschluss vom 18. Juli 2015 – 1 BvQ 25/15, NJW 2015, 2485 (2486).
B. Kommunikationsgrundrechte nach Art. 5 Abs. 1 GG
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eines öffentlichen Forums entspreche.²³⁵ Diese Ausführungen sind vor allem deshalb bemerkenswert, weil die Reichweite der Versammlungsfreiheit mithin unabhängig von der Frage diskutiert wird, ob sich das von der Versammlung betroffene Grundstück ganz oder teilweise in staatlicher Hand oder komplett in Privateigentum befindet.²³⁶ Zuletzt befasste sich das BVerfG auch in der Stadionverbotsentscheidung aus dem Jahr 2018²³⁷ mit der Herleitung von Pflichten gegenüber Privaten über das Instrument der mittelbaren Grundrechtswirkung.²³⁸ Zwar stellte das Gericht in diesem Zusammenhang zunächst klar, dass sich aus dem Gleichheitsgrundrecht des Art. 3 Abs. 1 GG auch nach den Grundsätzen der mittelbaren Drittwirkung kein Verfassungsprinzip ergebe, wonach private Rechtsbeziehungen grundsätzlich gleichheitsgerecht ausgestaltet werden müssten.²³⁹ Gleichheitsrechtliche Anforderungen aus Art. 3 Abs. 1 GG bestünden allerdings dann, wenn ein privater Veranstalter Personen von Veranstaltungen ausschließt, „die aufgrund eigener Entscheidung der Veranstalter einem großen Publikum ohne Ansehen der Person geöffnet werden“ und wenn der Ausschluss „in erheblichem Umfang über die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben entscheidet“.²⁴⁰ Einem privaten Veranstalter erwachse in solchen Konstellationen „von Verfassungs wegen auch eine besondere rechtliche Verantwortung“, weswegen er die sich aus dem Hausrecht ergebende Entscheidungsmacht nicht dazu nutzen dürfe, „bestimmte Personen ohne sachlichen Grund von einem solchen Ereignis auszuschließen.“²⁴¹ Zudem seien hiermit auch verfahrensrechtliche Anforderungen verbunden, insbesondere das grundsätzliche Erfordernis einer vorherigen Anhörung des Betroffenen sowie einer Begründung der Entscheidung auf Verlangen des Betroffenen.²⁴² Aus einer Zusammenschau dieser drei Entscheidungen lässt sich somit in der Rechtsprechung des BVerfG der letzten Jahre die Tendenz erkennen, den Umfang der mittelbaren Grundrechtsbindung Privater auszuweiten.²⁴³
BVerfG, Beschluss vom 18. Juli 2015 – 1 BvQ 25/15, NJW 2015, 2485 (2485) unter Verweis auf BVerfG, Urteil vom 22. Februar 2011– 1 BvR 699/06, BVerfGE 128, 226 (251 ff.). Schulenberg, DÖV 2016, 55 (57). BVerfG, Beschluss vom 11. April 2018 – 1 BvR 3080/09, NJW 2018, 1667. Smets, NVwZ 2019, 34 (35). BVerfG, Beschluss vom 11. April 2018 – 1 BvR 3080/09, NJW 2018, 1667 (1669). BVerfG, Beschluss vom 11. April 2018 – 1 BvR 3080/09, NJW 2018, 1667 (1669). BVerfG, Beschluss vom 11. April 2018 – 1 BvR 3080/09, NJW 2018, 1667 (1669). BVerfG, Beschluss vom 11. April 2018 – 1 BvR 3080/09, NJW 2018, 1667 (1670). Kritisch hierzu Smets, NVwZ 2019, 34 (37).
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3. Teil: Meinungsäußerungen in sozialen Netzwerken
2. Objektiver Gehalt der Kommunikationsgrundrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG Bei der Entwicklung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Wirkung der Grundrechte im Privatrecht stehen die Kommunikationsgrundrechte des Art. 5 Abs. 1 GG bereits seit der Begründung der Rechtsprechungslinie des BVerfG zur mittelbaren Drittwirkung durch das Lüth-Urteil im Mittelpunkt.²⁴⁴ Das BVerfG geht hierbei von der Annahme aus, dass es wegen der grundlegenden Bedeutung der Meinungsfreiheit für den freiheitlich-demokratischen Staat nicht folgerichtig wäre, die sachliche Reichweite gerade dieses Grundrechts jeder Relativierung durch einfaches Gesetz (und damit zwangsläufig durch die Rechtsprechung der die Gesetze auslegenden Gerichte) zu überlassen.²⁴⁵ Die Rechtsprechung des BVerfG hat ihren Ausgangspunkt in der Annahme eines Doppelcharakters der Meinungsfreiheit.²⁴⁶ Danach schützt Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG die Meinungsfreiheit sowohl im Interesse der Persönlichkeitsentfaltung des Einzelnen, mit der sie eng verbunden ist, als auch im Interesse des demokratischen Prozesses, für den sie konstitutive Bedeutung hat.²⁴⁷ Daraus folgt, dass die allgemeinen Gesetze in ihrer das Grundrecht der Meinungsfreiheit beschränkenden Wirkung ihrerseits im Lichte der Bedeutung dieses Grundrechts gesehen und so interpretiert werden müssen, dass dessen besonderer Wertgehalt auf jeden Fall gewahrt bleibt, wobei von einer grundsätzlichen Vermutung für die Freiheit der Rede auszugehen ist.²⁴⁸ Dies führt dazu, dass im konkreten Fall jeweils eine einzelfallbezogene Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und den durch die Meinungsäußerung beeinträchtigten Rechtsgütern stattfindet.²⁴⁹ Gleichzeitig wirkt die Meinungsfreiheit als objektives Prinzip nicht nur auf die Auslegung von Rechtsnormen ein, sondern enthält einen programmatischen Auftrag im Sinne einer Verfassungsdirektive an den Staat zur Herstellung einer freiheitlichen Kommunikationsverfassung auch im gesellschaftlichen Bereich, um dadurch das Grundrecht zu konkretisieren und auszugestalten.²⁵⁰ Dies führt auch dazu, dass Gefährdungen der Meinungsfreiheit den Gesetzgeber zum Handeln verpflichten können,²⁵¹ beispielsweise um durch gesetzliche Regelungen
Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, S. 514. BVerfG, Urteil vom 15. Januar 1958 – 1 BvR 400/51, BVerfGE 7, 198 (208). Grabenwarter, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 5 Abs. 1 Rn. 6. BVerfG, Beschluss vom 26. Juni 1990 – 1 BvR 1165/89, BVerfGE 82, 272 (281). BVerfG, Urteil vom 15. Januar 1958 – 1 BvR 400/51, BVerfGE 7, 198 (208). Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, S. 516 unter Verweis auf BVerfG, Beschluss vom 9. Oktober 1991– 1 BvR 1555/88, BVerfGE 85, 1 (16) sowie auf BVerfG, Beschluss vom 9. Oktober 1991– 1 BvR 221/90, BVerfGE 85, 23 (33). Hoffmann-Riem, Kommunikationsfreiheiten, S. 73. Bethge, in: Sachs, GG, Art. 5 Rn. 46.
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Meinungsmonopole zu verhindern und eine Abbildung der Meinungsvielfalt zu sichern.²⁵² Solche Schutzpflichten weisen mithin vielfach einen engen Bezug zur Problematik der mittelbaren Drittwirkung auf.²⁵³ Die derart begründete staatliche Verantwortung zur Gewährleistung freier und von Vielfalt geprägter Kommunikation impliziert auch, dass der Kommunikationsprozess grundsätzlich weder durch staatliche noch durch private Akteure beeinträchtigt werden darf.²⁵⁴
3. Bedeutung des objektiven Gehalts von Art. 5 Abs. 1 GG für die Kommunikation in sozialen Netzwerken Im Anschluss an die oben dargestellten Grundsätze zur mittelbaren Drittwirkung von Privatrechtssubjekten stellt sich zum einen die Frage, in welchem Maße eine mittelbare Grundrechtsbindung der Betreiber sozialer Netzwerke hergeleitet werden kann. Zum anderen ist zu untersuchen, inwieweit sich aus dem objektiven Gehalt von Art. 5 Abs. 1 GG eine an den Gesetzgeber gerichtete Verpflichtung ergibt, Ausgestaltungsregelungen für die Kommunikation in sozialen Netzwerken zu erlassen, um die tatsächliche Möglichkeit der Grundrechtsausübung zu garantieren.
(a) Mittelbare Grundrechtsverpflichtung der Betreiber Für die Reichweite der mittelbaren Grundrechtsverpflichtung privater Akteure ist nach den oben dargestellten Maßstäben aus der jüngeren Rechtsprechung des BVerfG entscheidend, ob schon die Rahmenbedingungen öffentlicher Kommunikation bereitgestellt werden und damit eine früher dem Bereich der staatlichen Daseinsvorsorge zugewiesene Aufgabe übernommen wird²⁵⁵ sowie ob ein öffentlicher Kommunikationsraum eröffnet wird, der dem Leitbild des öffentlichen Forums entspricht.²⁵⁶
Speziell für den Bereich des Rundfunks so bereits BVerfG, Urteil vom 16. Juni 1981– 1 BvR 89/ 78, BVerfGE 57, 295 (320). Sachs, Verfassungsrecht II, S. 82; vgl. auch Muckel, JA 2018, 553 (556), der beklagt, dass mittelbare Drittwirkung und grundrechtliche Schutzpflichten teilweise nicht hinreichend deutlich voneinander unterschieden werden. Pille, Meinungsmacht sozialer Netzwerke, S. 214. BVerfG, Urteil vom 22. Februar 2011– 1 BvR 699/06, BVerfGE 128, 226 (249 f.). BVerfG, Beschluss vom 18. Juli 2015, 1 BvQ 25/15, NJW 2015, 2485 (2485) unter Verweis auf BVerfG, Urteil vom 22. Februar 2011– 1 BvR 699/06, BVerfGE 128, 226 (251 ff.).
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3. Teil: Meinungsäußerungen in sozialen Netzwerken
(i) Rolle der Netzwerkbetreiber im Kommunikationsprozess Die Funktionsweise sozialer Netzwerke beruht (wie oben dargestellt²⁵⁷) im Kern darauf, eine Plattform bereitzustellen, die verschiedene Kommunikationsfunktionen integriert. Durch die Bereitstellung der Plattform für diese unterschiedlichen Kommunikationsformen stellen soziale Netzwerke die Rahmenbedingungen für die im jeweiligen Netzwerk stattfindende Kommunikation bereit.²⁵⁸ Die hierdurch ermöglichten Kommunikationsprozesse können nicht nur im abgeschlossenen privaten Rahmen stattfinden. Vielmehr eröffnen soziale Netzwerke durch die Möglichkeiten, blogähnlich (one-to-many-Kommunikation) sowie forumsähnlich (many-to-many-Kommunikation) zu kommunizieren, auch einen öffentlichen Kommunikationsraum. Dennoch wird teilweise davon ausgegangen, dass sozialen Netzwerken noch keine derart große Rolle im Kommunikationsprozess zukomme, dass davon ausgegangen werden könne, dass soziale Netzwerke Funktionen der Daseinsvorsorge übernähmen und dadurch eine staatsgleiche Stellung einnähmen.²⁵⁹ Eine solche Sichtweise wird allerdings zum einen der tatsächlichen gesellschaftlichen Bedeutung sozialer Netzwerke²⁶⁰ nicht gerecht. Zum anderen ist der Verweis auf die fehlende Übernahme ehemals staatlicher Funktionen nicht zielführend. Zwar ist es zutreffend, dass soziale Netzwerke ein relativ neuartiges Phänomen darstellen und deshalb die von ihnen bereitgestellten Funktionen nicht traditionell dem Staat als Aufgabe der Daseinsvorsorge zugewiesen waren. Ein statisches Anknüpfen an früher dem Staat zugewiesene Aufgaben der Daseinsvorsorge würde allerdings zu einer Verkürzung des grundrechtlichen Schutzes gerade im Bereich neuartiger Medienangebote führen, die mit der Entwicklungsoffenheit des Grundgesetzes²⁶¹ nicht vereinbar wäre.²⁶² Somit ist davon auszugehen, dass soziale Netzwerke die durch die jüngere Rechtsprechung des BVerfG aufgestellten Voraussetzungen für eine gesteigerte mittelbare Grundrechtswirkung erfüllen.²⁶³
Vgl. unter A.I.2. So auch Mayen, ZHR 2018, 1 (4); für die Einstufung sozialer Netzwerke als öffentliches Forum auch Krisor-Wietfeld, Rahmenbedingungen der Grundrechtsausübung, S. 101 f. Raue, JZ 2018, 961 (965). Vgl. hierzu oben unter A.I.1. Vgl. zur Entwicklungsoffenheit des grundrechtlichen Schutzes speziell für den Bereich der Rundfunkfreiheit BVerfG, Urteil vom 4. November 1986 – 1 BvF 1/84, BVerfGE 73, 118 (154). Mayen, ZHR 2018, 1 (4 f.). So wohl auch Mayen, ZHR 2018, 1 (4 f.). Ohne weitere Begründung von einer „strengen, „intensivierten“ mittelbaren Drittwirkung in Bezug auf die Kommunikationsfreiheiten und den Persönlichkeitsschutz“ ausgehend Löber/Roßnagel, MMR 2019, 71 (75).
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Dies erscheint auch unter dem Aspekt der grundrechtlichen Gefährdungslage angemessen. Die Nutzer befinden sich gegenüber den Betreibern sozialer Netzwerke in einer unterlegenen Stellung, da sie auf die Weiterverbreitung der von ihnen geposteten Inhalte durch das soziale Netzwerk angewiesen sind, um am Kommunikationsprozess im sozialen Netzwerk teilnehmen zu können.²⁶⁴ Eine Löschung von geposteten Beiträgen oder insbesondere eine Sperrung eines kompletten Accounts kann für betroffene Nutzer aufgrund der großen Bedeutung sozialer Netzwerke im öffentlichen Kommunikationsprozess entscheidend sein für die Frage, inwieweit die Nutzer am gesellschaftlichen Leben teilhaben können.²⁶⁵ Diese potentiell sehr weitreichenden Auswirkungen der Entscheidung über die Verbreitung oder Nichtverbreitung von Inhalten in sozialen Netzwerken für die Nutzer rechtfertigen es, den Betreibern sozialer Netzwerke aufzuerlegen, bei solchen Entscheidungen in besonderem Maße verfassungsrechtliche Vorgaben, insbesondere das Recht auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG zu beachten.
(ii) Auswirkungen auf die Ausgestaltung von „Gemeinschaftsstandards“ Mit Blick auf den Umfang der mittelbaren Grundrechtsbindung geht das BVerfG davon aus, dass unter den wie dargelegt im Falle sozialer Netzwerke gegebenen Voraussetzungen „die mittelbare Grundrechtsbindung einer Grundrechtsbindung des Staates nahe oder auch gleich kommen“ könne²⁶⁶. Gleichzeitig hat das BVerfG bislang nicht näher ausgeführt, anhand welcher Maßstäbe der inhaltliche Umfang einer mittelbaren Grundrechtsbindung zu bestimmen ist, die einer unmittelbaren Grundrechtsbindung nahe oder gleich kommt.²⁶⁷ Vielmehr wurde nur eher abstrakt darauf verwiesen, dass die Reichweite der Bindung „nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz in Ausgleich der sich gegenüberstehenden Rechtsgüter“ zu bestimmen sei.²⁶⁸
Peukert, MMR 2018, 572 (575). Peukert, MMR 2018, 572 (575) unter Verweis auf BVerfG, Beschluss vom 11. April 2018 – 1 BvR 3080/09, NJW 2018, 1667 (1669). BVerfG, Urteil vom 22. Februar 2011– 1 BvR 699/06, BVerfGE 128, 226 (249). Mayen, ZHR 2018, 1 (5); vgl. insoweit auch BVerfG, Beschluss vom 18. Juli 2015 – 1 BvQ 25/15, NJW 2015, 2485 (2486), wonach das BVerfG noch nicht entschieden habe, „was hieraus (…) in Bezug auf das Verhältnis (…) des Grundrechts der Meinungsfreiheit zu Grundrechten privater Unternehmen, die einen öffentlichen Verkehr eröffnen und damit Orte der allgemeinen Kommunikation schaffen, näher folgt“. BVerfG, Beschluss vom 18. Juli 2016 – 1 BvQ 25/15, NJW 2015, 2485 (2485 f.).
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3. Teil: Meinungsäußerungen in sozialen Netzwerken
Je stärker hierbei von einer mittelbaren Grundrechtsbindung der Netzwerkbetreiber ausgegangen wird, desto geringer wird der Spielraum der Netzwerkbetreiber, durch eigene vertragliche Vorgaben in den Nutzungsbedingungen die Verbreitung bestimmter Inhalte auch dann auszuschließen, wenn die Nutzer sich für diese Inhalte auf den Schutz der Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG berufen können. Dies ist von nicht unerheblicher praktischer Relevanz, da die Nutzungsbedingungen sozialer Netzwerke eine Nutzung regelmäßig nicht ausschließlich bei rechtswidrigem Verhalten, sondern auch bei einem Verstoß gegen netzwerkinterne Vorgaben verbieten. So führt beispielsweise Facebook in seinen Nutzungsbedingungen aus, eine Nutzung dürfe nicht erfolgen, wenn dies rechtswidrig sei, aber (neben weiteren aufgeführten Fällen) auch dann nicht, wenn dies gegen die Nutzungsbedingungen, die Facebook-Gemeinschaftsstandards und sonstige Bedingungen und Richtlinien verstoße, die für die Nutzung von Facebook gelten.²⁶⁹ Bei der Formulierung solcher Gemeinschaftsstandards als zwischen den Nutzern und den Betreibern geschlossenen Vertragsbedingungen für die Nutzung der Dienste eines sozialen Netzwerks können sich die Betreiber als private Unternehmen ihrerseits auf Grundrechte berufen.²⁷⁰ Für die Gestaltung der vertraglichen Beziehung zu den Nutzern gewährleistet Art. 2 Abs. 1 GG im Rahmen der Privatautonomie auch das Recht, seine Rechtsverhältnisse nach eigener Entscheidung zu gestalten,²⁷¹ da die eigenbestimmte Gestaltung von Rechtsverhältnissen ein Teil der allgemeinen Handlungsfreiheit ist.²⁷² Der Schutz durch Art. 2 Abs. 1 GG wird hierbei auch nicht durch das speziellere Grundrecht der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG verdrängt, da die Vertragsfreiheit nur im Bereich der beruflichen Betätigung und insbesondere im Individualarbeitsrecht dem speziellen Schutz des Art. 12 Abs. 1 GG unterfällt.²⁷³ Eine dem Individualarbeitsrecht vergleichbare Situation liegt bei der Nutzung sozialer Netzwerke aber gerade nicht vor, da die Nutzer hierbei in der Regel private Zwecke verfolgen.²⁷⁴ Mit Blick
Nutzungsbedingungen von Facebook, online einsehbar unter https://de-de.facebook.com/le gal/terms/ (Stand: 11. Juli 2021); vgl. hierzu auch Beurskens, NJW 2018, 3418 (3420). Raue, JZ 2018, 961 (965). Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 2 Rn. 22. BVerfG, Urteil vom 26. Juli 2015 – 1 BvR 782/94, 957/96, BVerfGE 114, 1 (34). Vgl. BVerfG, Beschluss vom 6. Juli 2010 – 2 BvR 2661/06, BVerfGE 126, 286 (300); Höfling, Vertragsfreiheit, S. 17. A.A. Raue, JZ 2018, 961 (965). Teilweise wird ohne nähere Erläuterung bei den grundrechtlichen Belangen der Betreiber sozialer Netzwerke auch auf Art. 12 Abs. 1 GG abgestellt, vgl. insoweit Lüdemann, MMR 2019, 279 (281); Holznagel CR 2018, 369 (371).
B. Kommunikationsgrundrechte nach Art. 5 Abs. 1 GG
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auf das virtuelle Hausrecht der Netzwerkbetreiber ist zudem deren Eigentumsgrundrecht aus Art. 14 Abs. 1 GG betroffen.²⁷⁵
(iii) Unterschiedliche Bewertung in der Rechtsprechung der Instanzgerichte Angesichts dieser grundrechtlichen Gemengelage ergeben sich besondere Schwierigkeiten bei der Bewertung von Äußerungen, die dem Schutz der Meinungsfreiheit unterfallen, jedoch gleichzeitig nicht den plattformeigenen Richtlinien entsprechen. Die bislang hierzu ergangene instanzgerichtliche Rechtsprechung zu Facebook als bedeutendstem sozialen Netzwerk ist uneinheitlich.²⁷⁶ Zwar erkennen die Instanzgerichte in den bislang ergangenen Entscheidungen übereinstimmend die Bedeutung von Facebook für den Kommunikationsprozess an.²⁷⁷ So wird davon ausgegangen, dass Facebook als Social-MediaPlattform als „öffentlicher Marktplatz für Information und Meinungsaustausch“²⁷⁸ diene. Für Facebook wird von einer „marktbeherrschenden Stellung (…) für soziale Netzwerke“²⁷⁹, an anderer Stelle gar von einer Quasi-Monopolstellung im Bereich der sozialen Netzwerke²⁸⁰ ausgegangen. Konsequenterweise gehen die Gerichte in den genannten Entscheidungen übereinstimmend davon aus, dass im Rahmen der AGB-Kontrolle der Nutzungsbedingungen von Facebook das Grundrecht der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG im Wege der mittelbaren Drittwirkung zu berücksichtigen sei.²⁸¹ Für das Verhältnis zwischen Meinungsfreiheit und Gemeinschaftsstandards ziehen die Instanzgerichte gleichwohl unterschiedliche Schlüsse. Einige Gerichtsentscheidungen gehen davon aus, eine auf die Gemeinschaftsstandards OLG Dresden, Beschluss vom 8. August 2018 – 4 W 577/18, MMR 2018, 756 (759). Löber/Roßnagel, MMR 2019, 71 (75). Vgl. Löber/Roßnagel, MMR 2019, 71 (75). OLG München, Beschluss vom 17. Juli 2018 – 18 W 858/18, MMR 2018, 760 (761). OLG Stuttgart, Beschluss vom 6. September 2018 – 4 W 63/18, NJW-RR 2019, 35 (37). OLG Dresden, Beschluss vom 8. August 2018 – 4 W 577/18, MMR 2018, 756 (759). Mit gleichem Befund Magnus, Der Anspruch auf Wiederherstellung von Nutzerbeiträgen: Facebook in der Zange, Legal Tribune Online vom 28. Mai 2019, online abrufbar unter https:// www.lto.de/recht/hintergruende/h/social-media-beitraege-wiederherstellung-overblocking-ge richte-trolle/?r=rss (Stand: 11. Juli 2021).Vgl. OLG München, Beschluss vom 17. Juli 2018 – 18 W 858/ 18, MMR 2018, 760 (761); OLG Stuttgart, Beschluss vom 6. September 2018 – 4 W 63/18, NJW-RR 2019, 35 (37); OLG Dresden, Beschluss vom 8. August 2018 – 4 W 577/18, MMR 2018, 756 (758 f.); ebenfalls auf die mittelbare Drittwirkung in dieser Fallkonstellation hinweisend OLG Karlsruhe, Beschluss vom 25. Juni 2018 – 15 W 86/18, MMR 2018, 678 (678); LG Frankfurt/Main, Beschluss vom 14. Mai 2018 – 2– 03 O 182/18, MMR 2018, 545 (545); LG Bamberg, Urteil vom 18. Oktober 2018 – 2 O 248/18, MMR 2019, 56 (57 f.). Ausführlich zu Begrenzungen der Betreiberrechte durch das AGBRecht Adelberg, Rechtspflichten und -grenzen der Betreiber sozialer Netzwerke, S. 141 ff.
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3. Teil: Meinungsäußerungen in sozialen Netzwerken
gestützte Löschung von Beiträgen sei nicht möglich, wenn die gelöschte Äußerung am Maßstab des Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG zulässig und deshalb grundrechtlich geschützt sei.²⁸² Dies wird mit einer speziellen Verantwortung der Betreiber sozialer Netzwerke zum Schutz der Meinungsfreiheit der Nutzer begründet. Im Rahmen der zwischen Betreibern und Nutzern bestehenden vertraglichen Schutzpflichten nach § 241 Abs. 2 BGB seien die Grundrechte der Betroffenen zu berücksichtigen.²⁸³ Gerade wegen der Bereitstellung einer Art öffentlichen Marktplatzes müsse gewährleistet sein, dass auf der Grundlage von Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG zulässige Meinungsäußerungen nicht entfernt würden.²⁸⁴ Mit dem gebotenen Ausgleich der kollidierenden Grundrechtspositionen nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz sei es unvereinbar, wenn die Betreiber sozialer Netzwerke auf ihren Plattformen Beiträge von Nutzern auch dann löschen dürften, wenn durch die jeweiligen Beiträge die Grenzen zulässiger Meinungsäußerung nicht überschritten würden.²⁸⁵ In anderen Entscheidungen wird hingegen vertreten, der abstrakt-generelle Ausschluss bestimmter Inhalte durch Gemeinschaftsstandards sei für die Netzwerkbetreiber grundrechtlich geschützt, „und zwar gerade auch dann, wenn bestimmte Inhalte verboten werden sollen, die nach der Rechtsordnung legal sind“.²⁸⁶ Zur Begründung dieser Ansicht wird ausgeführt, die Meinungsfreiheit der Nutzer sei gegenüber den Grundrechten der Betreiber sozialer Netzwerke „nicht schlechthin vorrangig“.²⁸⁷ Da die Entscheidung über die Bedingungen eines Vertragsschlusses zur Freiheit jeder Person gehöre, seien die Betreiber sozialer Netzwerke daher nicht verpflichtet, die Nutzungsbedingungen der Plattformen so zu gestalten, dass auch alle nach der Rechtsordnung legalen Meinungsäußerungen dort verbreitet werden müssten.²⁸⁸ Dies sei genauso wenig
OLG München, Beschluss vom 17. Juli 2018 – 18 W 858/18, MMR 2018, 760 (761); LG Frankfurt/ Main, Beschluss vom 14. Mai 2018 – 2– 03 O 182/18, MMR 2018, 545 (545); LG Bamberg, Urteil vom 18. Oktober 2018 – 2 O 248/18, MMR 2019, 56 (58); LG Karlsruhe, Beschluss vom 12. Juni 2018 – 11 O 54/18, BeckRS 2018, 20324. Vgl. zu den Nachweisen auch Löber/Roßnagel, MMR 2019, 71 (75). LG Frankfurt/Main, Beschluss vom 14. Mai 2018 – 2– 03 O 182/18, MMR 2018, 545 (545). LG Bamberg, Urteil vom 18. Oktober 2018 – 2 O 248/18, MMR 2019, 56 (58). OLG München, Beschluss vom 17. Juli 2018 – 18 W 858/18, MMR 2018, 760 (761). OLG Dresden, Beschluss vom 8. August 2018 – 4 W 577/18, MMR 2018, 756 (758) unter Verweis auf Holznagel, CR 2018, 369 (371), der wiederum auf die allgemein für Internetdienste formulierte Ansicht bei Redeker, in: Hoeren/Sieber/Holznagel, Handbuch Multimediarecht, Teil 12 Rn. 76 verweist. Im Ergebnis ebenfalls die Möglichkeit eines Löschungsrechts auch bei durch Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG geschützten Inhalten bejahend OLG Karlsruhe, Beschluss vom 25. Juni 2018 – 15 W 86/18, MMR 2018, 678 (678). OLG Dresden, Beschluss vom 8. August 2018 – 4 W 577/18, MMR 2018, 756 (759). OLG Dresden, Beschluss vom 8. August 2018 – 4 W 577/18, MMR 2018, 756 (759).
B. Kommunikationsgrundrechte nach Art. 5 Abs. 1 GG
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der Fall wie bei Zeitungen, die ebenfalls nicht verpflichtet seien, alle ihnen übermittelten Leserbriefe abzudrucken.²⁸⁹
(iv) Eigene Bewertung Der Blick auf diese verschiedenen Entscheidungen zeigt, dass die Gerichte nicht nur zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangen, sondern dass auch die hinter den Entscheidungen stehenden verfassungsrechtlichen Wertungen divergieren.²⁹⁰ Die entscheidende Frage ist in diesem Zusammenhang, ob sich aus der Meinungsfreiheit der Nutzer tatsächlich ein Verbot für davon abweichende privatautonome Regelungen für zulässige Kommunikationsinhalte in sozialen Netzwerken herleiten lässt, wie dies von einem Teil der Entscheidungen angenommen wird. Hierfür mag zwar auf den ersten Blick die konstitutive Bedeutung der Meinungsfreiheit für den demokratischen Prozess sprechen, wie sie zu Recht durch das BVerfG betont wird.²⁹¹ Doch auch dieses herausragende Gewicht von Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG führt nicht automatisch dazu, dass dessen grundrechtliche Verbürgung sich im Wege eines Automatismus gegen andere Grundrechtspositionen durchzusetzen vermag.²⁹² Vielmehr gilt hier wie bei Grundrechtskollisionen ganz allgemein der Grundsatz der praktischen Konkordanz, wonach die kollidierenden Grundrechtspositionen im Rahmen eines Abwägungsvorgangs einander so zuzuordnen sind, dass beide in möglichst hohem Maße in ihrer Wirkung entfaltet werden können.²⁹³ Gerade auch im Rahmen der mittelbaren Drittwirkung gilt hierbei, dass die Grundrechte im Ausgleich gleichberechtigter Freiheit zu entfalten sind und die Freiheit der einen hierbei mit der Freiheit der anderen in Einklang zu bringen ist.²⁹⁴ Dem Grundrecht der Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG stehen wie oben dargelegt die grundrechtlich durch Art. 2 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Interessen der Netzwerkbetreiber gegenüber.²⁹⁵ Eine aus der mittel-
OLG Dresden, Beschluss vom 8. August 2018 – 4 W 577/18, MMR 2018, 756 (759). Lüdemann, MMR 2019, 279 (279). BVerfG, Beschluss vom 26. Juni 1990 – 1 BvR 1165/89, BVerfGE 82, 272 (281) im Anschluss an BVerfG, Urteil vom 15. Januar 1958 – 1 BvR 400/51, BVerfGE 7, 198 (208). Grimm, NJW 1995, 1697 (1702). BVerfG, Beschluss vom 22. Oktober 2014– 2 BvR 661/12, BVerfGE 137, 273 (319); zur Rechtsprechung des BVerfG zum Grundsatz der praktischen Konkordanz auch Cremer, in: Kment, FS Jarass, S. 175 (179). BVerfG, Beschluss vom 11. April 2018 – 1 BvR 3080/09, NJW 2018, 1667 (1668). Teilweise wird auch die Meinungsfreiheit der Netzwerkbetreiber als in diesem Zusammenhang relevant genannt, vgl. Raue, JZ 2018, 961 (965). Diese Wertung erscheint allerdings zweifelhaft: Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG könnte in der vorliegenden Konstellation nur in der Ausprägung
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3. Teil: Meinungsäußerungen in sozialen Netzwerken
baren Drittwirkung des Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG abgeleitete Pflicht der Netzwerkbetreiber, jeden nach der (Verfassungs‐)Rechtsordnung erlaubten Beitrag auf ihren Netzwerken nicht zu löschen, würde dazu führen, dass der Ausgleich der grundrechtlichen Belange ausnahmslos zugunsten der Meinungsfreiheit der Nutzer und zulasten der betroffenen Grundrechte der Netzwerkbetreiber ausfiele. Diese Konsequenz entspricht jedoch gerade nicht dem Grundansatz der mittelbaren Drittwirkung, die dem Ausgleich bürgerlicher Freiheitssphären untereinander dient und von vornherein relativ ist.²⁹⁶ Zudem bliebe bei der Annahme einer solch umfassenden Veröffentlichungspflicht der Netzwerkbetreiber das Interesse anderer Nutzer unberücksichtigt, mit gegen die Gemeinschaftsstandards verstoßenden Beiträgen auf sozialen Netzwerken nicht konfrontiert zu werden.²⁹⁷ Schließlich ist eine Veröffentlichung einzelner Beiträge auch nicht deshalb erforderlich, weil gerade die Veröffentlichung eines einzelnen Beitrags – in den Worten des BVerfG – „in erheblichem Maße über die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben entscheidet“²⁹⁸. Denn anders als bei der Sperrung eines kompletten Accounts wird bei der Löschung eines einzelnen Beitrags nicht die Kommunikation innerhalb des sozialen Netzwerks als solche unmöglich gemacht, sondern lediglich die Verbreitung eines bestimmten Inhalts in einer Form, die den netzwerkinternen Vorgaben widerspricht.²⁹⁹ Vor diesem Hintergrund erscheint der Eingriff in die Meinungsfreiheit eines Nutzers bei Löschung und Nichtverbreitung eines einzelnen Beitrags für sich genommen nicht gewichtig genug, um das grundrechtliche Spannungsverhältnis generell und ohne Ansehen der Umstände des Einzelfalls zugunsten der Meinungsfreiheit der Nutzer aufzulösen. Der Ausgleich zwischen den grundrechtlich verbürgten Freiheiten von Nutzern und Betreibern ist somit durch Abwägung im Einzelfall zu suchen, nicht
der negativen Meinungsfreiheit betroffen sein, da es aus Sicht der Betreiber darum geht, eine bestimmte Äußerung gerade nicht verbreiten zu wollen. Die negative Meinungsfreiheit ist jedoch nur betroffen, wenn eine fremde Meinung als eigene verbreitet werden müsste (BVerfG, Beschluss vom 22. Januar 1997– 2 BvR 1915/91, BVerfGE 95, 173 (182)). Hieran fehlt es bei der Verbreitung von Äußerungen einzelner Beiträge von Nutzern sozialer Netzwerke, da klar erkennbar ist, dass die Netzwerkbetreiber lediglich die fremde Meinung des Nutzers verbreiten (vgl. auch bereits oben B.III.1. und 2.). BVerfG, Urteil vom 22. Februar 2011– 1 BvR 699/06, BVerfGE 128, 226 (249). Lüdemann, MMR 2019, 279 (282 f.); Beurskens, NJW 2018, 3418 (3420). BVerfG, Beschluss vom 11. April 2018 – 1 BvR 3080/09, NJW 2018, 1667 (1669). Lüdemann, MMR 2019, 279 (280 f.).
B. Kommunikationsgrundrechte nach Art. 5 Abs. 1 GG
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hingegen durch einen allgemein postulierten Vorrang der Meinungsfreiheit der Nutzer.³⁰⁰ Für diese Abwägung im Einzelfall kann allgemein Folgendes gelten: Je unentbehrlicher ein soziales Netzwerk und je größer dessen Relevanz für die Meinungsbildung innerhalb der Gesellschaft ist, desto stärker muss auch die mittelbare Bindungswirkung des Grundrechts der Meinungsfreiheit für die Betreiber und desto kleiner im gleichen Zug ihr Spielraum für von den Vorgaben des Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG abweichende Regelungen in Gemeinschaftsstandards sein.³⁰¹ Gleichzeitig können auch die Anforderungen an Transparenz und Präzision der von den Netzwerkbetreibern aufgestellten Kommunikationsregeln umso mehr steigen, je weniger die konkrete Plattform für Nutzer bei der Teilhabe am Meinungsbildungsprozess ersetzbar ist.³⁰²
(b) Verpflichtung des Gesetzgebers zur Schaffung von Ausgestaltungsregelungen zur Grundrechtsausübung? Von Bedeutung für die grundrechtliche Einordnung der Kommunikation in sozialen Netzwerken ist weiterhin die dem Staat obliegende grundrechtliche Schutzpflicht. Die Schutzpflichtendimension der Grundrechte wurde durch das BVerfG insbesondere im Zusammenhang mit dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit entwickelt.³⁰³ In diesem Zusammenhang stellte das Gericht klar, dass die Schutzpflicht des Staates nicht nur unmittelbare staatliche Eingriffe in das sich entwickelnde Leben verbiete, sondern es für den Staat dadurch zugleich geboten sei, „sich schützend und fördernd vor dieses Leben zu stellen“³⁰⁴. Die Schutzpflichtfunktion beschränkt sich allerdings nicht auf das Grundrecht auf Leben, sondern erfasst auch andere Grundrechte.³⁰⁵
Lüdemann, MMR 2019, 279 (283); Beurskens, NJW 2018, 3418 (3420); Holznagel, CR 2018, 369 (371 f.); wohl auch Raue, JZ 2018, 961 (967); skeptisch mit Blick auf einen generellen Vorrang der Meinungsfreiheit der sich äußernden Nutzer auch Friehe, NJW 2020, 1697 (1699 f.). Elsaß/Labusga/Tichy, CR 2017, 234 (239); ähnlich Eifert, in: Eifert/Gostomzyk, Netzwerkrecht, S. 9 (30); eine solche Betrachtungsweise ablehnend hingegen Lüdemann, MMR 2019, 279 (283 f.). Hindelang, Freiheit und Kommunikation, S. 399. Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch der Grundrechte, Band IX, § 191 Rn. 149; Schliesky/ Hoffmann/Luch/Schulz/Borchers, Schutzpflichten und Drittwirkung im Internet, S. 48; vgl. zur Kritik an der Schutzpflichtenfunktion Calliess, in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte, Band II, § 44 Rn. 8 ff. BVerfG, Urteil vom 25. Februar 1975 – 1 BvF 1, 2, 3, 4, 5, 6/74, BVerfGE 39, 1 (1). Schliesky/Hoffmann/Luch/Schulz/Borchers, Schutzpflichten und Drittwirkung im Internet, S. 48 unter Verweis auf BVerfG, Beschluss vom 26. Mai 1998 – 1 BvR 180/88, NJW 1998, 3264
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3. Teil: Meinungsäußerungen in sozialen Netzwerken
Dementsprechend beinhaltet auch die Meinungsfreiheit in Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG nicht nur einen subjektiven Unterlassungsanspruch gegen den Staat, sondern zugleich die staatliche Verpflichtung zur Förderung der potentiellen Freiheitsentfaltung seiner Bürger, damit diese die Kommunikationsfreiheiten auch tatsächlich wahrnehmen können.³⁰⁶ Daraus ergibt sich auch eine Schutzpflicht des Staates, die Vielfalt der Meinungskundgabe sicherzustellen.³⁰⁷ Diese Schutzpflicht zur Vielfaltssicherung ist gerade auch für den Umgang mit sozialen Netzwerken von besonderer Bedeutung, da sie als Informationsintermediäre aufgrund der Filterfunktion bei der Bereitstellung und Verbreitung von Inhalten jedenfalls potentiell über eine erhebliche Meinungsmacht verfügen.³⁰⁸ Den Staat trifft in diesem Zusammenhang die Verpflichtung, den sich aus der Meinungsmacht sozialer Netzwerke ergebenden Gefahren für die Meinungsvielfalt entgegenzutreten³⁰⁹ und die Macht der sozialen Netzwerke im Kommunikationsprozess einzuhegen.³¹⁰ Bei der Erfüllung grundrechtlicher Schutzpflichten steht den staatlichen Organen allerdings grundsätzlich ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Es liegt in der Verantwortung der staatlichen Organe, zu entscheiden, wie sie die ihnen obliegenden Schutzpflichten erfüllen.³¹¹ Dabei kommt dem Gesetzgeber auch dann ein Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zu, „wenn er (…) verfassungsrechtlich verpflichtet ist, wirksame und ausreichende Maßnahmen zum Schutz eines Rechtsguts zu ergreifen“.³¹² Dabei ist es auch Aufgabe des Staates als Adressat der Schutzpflicht, eine Abwägung zwischen einander gegenüberstehenden Grundrechten vorzunehmen.³¹³ Hiervon ausgehend lassen sich der Schutzpflichtdimension der Grundrechte nur in sehr beschränktem Maße Vorgaben für die Reichweite und die Art der Erfüllung der Schutzpflichten durch den Gesetzgeber entnehmen.³¹⁴ Die grund-
(3265 f.) bezüglich einer möglichen Schutzpflicht aus Art. 14 Abs. 1 GG sowie BVerfG, Urteil vom 10. Januar 1995 – 1 BvF 1/90, 1 BvR 342, 348/90, BVerfGE 92, 26 (46) mit Blick auf die Freiheitsgrundrechte insgesamt sowie speziell Art. 12 Abs. 1 GG; vgl. außerdem BVerfG, Beschluss vom 6. Mai 1997– 1 BvR 409/90, BVerfGE 96, 56 (64) bezüglich Art. 2 Abs. 1 GG. Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 5 I, II Rn. 218. Di Fabio, Grundrechtsgeltung in digitalen Systemen, S. 65. Für Suchmaschinen so auch bereits Paal, ZRP 2015, 34 (35). Pille, Meinungsmacht sozialer Netzwerke, S. 214. Lang, AöR 143 (2018), 220 (243). BVerfG, Urteil vom 16. Oktober 1977– 1 BvQ 5/77, BVerfGE 46, 160 (164). BVerfG, Urteil vom 28. Mai 1993 – 2 BvF 2/90 und 4,5/92, BVerfGE 88, 203 (262). BVerfG, Beschluss vom 6. Mai 1997– 1 BvR 409/90, BVerfGE 96, 56 (64). Möstl, DÖV 1998, 1029 (1035); Papier, NJW 2017, 3025 (3029).
B. Kommunikationsgrundrechte nach Art. 5 Abs. 1 GG
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rechtliche Schutzpflicht verpflichtet die öffentliche Gewalt lediglich zur Vornahme von Vorkehrungen zum Grundrechtsschutz, die nicht vollkommen ungeeignet oder unzulänglich sind, nur in Ausnahmefällen kann sich dies zu einer Pflicht verdichten, eine ganz bestimmte Maßnahme vorzunehmen.³¹⁵ Deswegen hat das BVerfG in seiner bisherigen Rechtsprechung auch erst äußerst selten eine Verletzung der grundrechtlichen Schutzpflicht festgestellt.³¹⁶ Mit Blick auf den Schutz der Meinungsfreiheit bei der Kommunikation in sozialen Netzwerken ist zu konstatieren, dass sich aus der Schutzpflichtdimension des Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG für den Gesetzgeber eine Pflicht ergibt, die Freiheit der Kommunikation sowie kommunikative Chancengleichheit sicherzustellen.³¹⁷ Gleichwohl lässt sich aufgrund des dargestellten großen gesetzgeberischen Wertungs- und Gestaltungsspielraums nicht bestreiten, dass diese Erkenntnis für sich genommen noch keinen allzu großen Ertrag bringt für die Frage, wie genau ein angemessener Schutz der Meinungsfreiheit bei der Kommunikation in sozialen Netzwerken aussehen sollte, sondern dass hierfür das einfache Recht in den Blick genommen werden muss.³¹⁸ Dies gilt umso mehr, als es bei der Schaffung einfach-rechtlicher Vorgaben für die Kommunikation in sozialen Netzwerken unter dem Aspekt grundrechtlicher Schutzpflichten auch Aufgabe des Gesetzgebers ist, zwischen den betroffenen Grundrechten abzuwägen³¹⁹ und dadurch Rechtsgüterschutz und Privatautonomie in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen.³²⁰ Auch aus dem besonderen Gewicht von Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG ergibt sich nichts anderes: Zwar ist das Ausmaß der grundrechtlichen Schutzpflicht umso intensiver, je höherrangig die Stellung des zu schützenden (grundrechtlichen) Rechtsguts innerhalb der grundgesetzlichen Werteordnung ist.³²¹ Doch selbst bei verfassungsrechtlichen Höchstwerten lässt sich der grundrechtlichen Schutzpflicht nicht in jedem Fall eine zwingende Verpflichtung auf die Vornahme einer bestimmten Handlung entnehmen,³²² so dass auch für den
BVerfG, Beschluss vom 29. Oktober 1987– 2 BvR 624, 1080, 2029/83, BVerfGE 77, 170 (215). Schliesky/Hoffmann/Luch/Schulz/Borchers, Schutzpflichten und Drittwirkung im Internet, S. 51. Pille, Meinungsmacht sozialer Netzwerke, S. 214; die Notwendigkeit von Ausgestaltungsgesetzen betonend Hoffmann-Riem, Kommunikationsfreiheiten, S. 35. Marauhn, in: VVDStRL 74 (2014), 373 (389). Vgl. BVerfG, Beschluss vom 6. Mai 1997– 1 BvR 409/90, BVerfGE 96, 56 (64). Klein, NJW 1989, 1633 (1636). BVerfG, Urteil vom 25. Februar 1975 – 1 BvF 1, 2, 3, 4, 5, 6/74, BVerfGE 39, 1 (42). Bezüglich der grundrechtlichen Schutzpflicht für das Recht auf Leben vgl. BVerfG, Urteil vom 16. Oktober 1977– 1 BvQ 5/77, BVerfGE 46, 160 (164 f.); unter Verweis auf die Rechtsprechung des BVerfG so auch Schliesky/Hoffmann/Luch/Schulz/Borchers, Schutzpflichten und Drittwirkung im Internet, S. 52.
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3. Teil: Meinungsäußerungen in sozialen Netzwerken
Schutz der Kommunikation in sozialen Netzwerken aus der Schutzpflichtendimension der Meinungsfreiheit keine Pflicht abgeleitet werden kann, in einer bestimmten Weise regulatorisch tätig zu werden. Ob der Gesetzgeber seiner grundrechtlichen Schutzpflicht mit Blick auf Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG gerecht geworden ist, kann mithin nicht abstrakt, sondern lediglich durch eine Überprüfung der konkret geltenden Regelungen für die Kommunikation in sozialen Netzwerken festgestellt werden, die dem vierten Teil dieser Untersuchung vorbehalten ist.
C. Zwischenergebnis zum 3. Teil Die Nutzung sozialer Netzwerke als Kommunikationsmittel stellt ein gesellschaftlich weit verbreitetes Phänomen dar. Definitionsansätze außerhalb der Rechtswissenschaft stellen ganz überwiegend deren Funktionsweise als Kommunikationsmedium in den Fokus. Abgesehen von Unterschieden im Detail gilt dies auch für die Legaldefinition in § 1 Abs. 1 S. 1 NetzDG, durch die der Begriff des sozialen Netzwerks erstmals im juristischen Kontext verwendet wird und Bedeutung gewinnt. Zur verfassungsrechtlichen Einordnung der Kommunikation in sozialen Netzwerken hat sich in Rechtswissenschaft und Rechtsprechung bislang noch keine klar vorherrschende Ansicht herausgebildet. Nach hiesiger Ansicht ist die Kommunikation in sozialen Netzwerken grundsätzlich durch die Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG und nur in besonderen Fallkonstellationen über die Mediengrundrechte des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG geschützt. Nutzer sozialer Netzwerke können sich auf den Schutz der Meinungsfreiheit sowohl beim Verbreiten eigener Inhalte als auch beim Teilen fremder Inhalte sowie bei der Nutzung des „Gefällt mir“-Buttons berufen. Betreiber sozialer Netzwerke genießen demgegenüber nur in den seltenen Fällen, in denen sie eigene Äußerungen über das Netzwerk verbreiten, den Schutz von Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG. Bei der Vermittlung von Nachrichten in Einzel- oder Gruppenchats sowie bei der Verbreitung von Nutzerbeiträgen über den Newsfeed üben sie hingegen nur eine Vermittlerfunktion aus, die nicht unter den Schutz der Meinungsfreiheit fällt. Der objektive Gehalt von Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG führt dazu, dass die Betreiber sozialer Netzwerke nach den Grundsätzen der mittelbaren Drittwirkung verpflichtet sind, bei der Entscheidung über die Verbreitung oder Nichtverbreitung von Beiträgen in besonderer Weise die Meinungsfreiheit der den Beitrag verfassenden Nutzer zu berücksichtigen. Diese Verpflichtung geht jedoch aufgrund der ebenfalls zu berücksichtigenden Grundrechtspositionen der Betreiber nicht so weit, dass es den Betreibern von vornherein untersagt wäre, im Einzelfall
C. Zwischenergebnis zum 3. Teil
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auf der Grundlage eigener Gemeinschaftsstandards auch Beiträge zu löschen, die noch von der Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG gedeckt sind. Wegen der grundrechtlichen Schutzpflicht mit Blick auf die Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG besteht für den Gesetzgeber zudem die Verpflichtung, die Vielfalt der Meinungskundgabe sicherzustellen. Aufgrund des gesetzgeberischen Einschätzungs- und Bewertungsspielraums lässt sich hieraus aber keine an den Staat gerichtete Verpflichtung zum Erlass bestimmter vielfaltssichernder Schutzregelungen herleiten, vielmehr muss anhand einer Untersuchung der Rechtslage für Kommunikationsinhalte in sozialen Netzwerken überprüft werden, ob der Gesetzgeber seiner grundrechtlichen Schutzpflicht nachgekommen ist.
4. Teil Die Regulierung der Kommunikation in sozialen Netzwerken Nachdem im 3. Teil die verfassungsrechtlichen Grundlagen für die Kommunikation in sozialen Netzwerken herausgearbeitet wurden, wird nunmehr untersucht, inwieweit die in Deutschland durch den Gesetzgeber gewählten Regulierungsansätze diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben gerecht werden und inwieweit aus verfassungsrechtlicher Perspektive die Notwendigkeit für gesetzgeberische Nachbesserungen besteht.
A. Ausgangslage I. Situation in Deutschland Die Kommunikation in sozialen Netzwerken erregte im Laufe der letzten Jahre vor allem im Zusammenhang mit dem Phänomen der Hassrede³²³ und der Verbreitung strafbarer Inhalte die Aufmerksamkeit des Gesetzgebers. Im Jahr 2015 gründete das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz eine so genannte „Task Force“ mit den Netzwerkbetreibern und Vertretern der Zivilgesellschaft, wobei die vertretenen Unternehmen in diesem Rahmen zusagten, den Umgang mit Hinweisen auf Hasskriminalität auf ihren Plattformen zu verbessern und sich verpflichteten, anwenderfreundliche Meldemechanismen einzurichten und die Mehrheit der gemeldeten Beiträge innerhalb von 24 Stunden durch sprachlich und juristisch geschulte Teams zu prüfen und gegebenenfalls zu löschen.³²⁴ Da nach Ansicht des Gesetzgebers die Selbstverpflichtungen der Netzwerkbetreiber keine ausreichende Wirksamkeit entfalteten, wurden durch das Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (Netzwerkdurchsetzungsgesetz – NetzDG) bußgeldbewehrte Compliance-Regeln eingeführt.³²⁵ Im parlamentarischen Verfahren wurden durch die Beschlussempfehlung des Aus-
In der Diskussion wird häufig auch der englischsprachige Begriff hate speech verwendet, im Rahmen dieser Untersuchung soll zur Umschreibung von hasserfüllter Kommunikation allerdings der deutsche Begriff Hassrede benutzt werden. Zum Begriff sowie zu Unterschieden zwischen Deutschland und den USA bei der rechtlichen Bewertung Brugger, AöR 128 (2003), 372. Gesetzentwurf der Bundestagsfraktionen CDU/CSU und SPD, BT-Drs. 18/12356, S. 1. Gesetzentwurf der Bundestagsfraktionen CDU/CSU und SPD, BT-Drs. 18/12356, S. 2. https://doi.org/10.1515/9783110759099-006
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4. Teil: Die Regulierung der Kommunikation in sozialen Netzwerken
schusses für Recht und Verbraucherschutz noch Änderungen an der ursprünglichen Fassung des Gesetzentwurfs vorgenommen,³²⁶ der in geänderter Fassung am 30. Juni 2017 im Deutschen Bundestag verabschiedet wurde.³²⁷ Nachdem der Bundesrat auf die Anrufung des Vermittlungsausschusses nach Art. 77 Abs. 2 GG verzichtete,³²⁸ wurde das NetzDG am 7. September 2017 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht³²⁹ und trat am 1. Oktober 2017 in Kraft.³³⁰ Während soziale Netzwerke bereits vor Inkrafttreten des NetzDG den Regelungen des TMG sowie den Vorschriften des RStV zu Telemedien (§§ 54 ff. RStV) unterworfen waren,³³¹ wurde mit dem NetzDG ein Regelwerk geschaffen, das nach den Vorstellungen des Gesetzgebers die Haftungsregelung für Diensteanbieter nach §10 TMG konkretisieren soll³³². Die in der Gesetzesbegründung in Bezug genommene Vorschrift des § 10 TMG regelt eine Verantwortlichkeitsprivilegierung für das so genannte Hosting, also die Speicherung fremder Informationen im Auftrag eines Nutzers.³³³ Für derart gespeicherte Informationen wird der Diensteanbieter grundsätzlich von der Verantwortlichkeit befreit, soweit er von der Rechtswidrigkeit der gespeicherten Information oder der zugrundeliegenden Tätigkeit keine Kenntnis hat oder er nach Kenntniserlangung unverzüglich die Information entfernt oder den Zugang zu ihr sperrt.³³⁴ Zum Teil wird in diesem Zusammenhang von einem Wertungswiderspruch ausgegangen, da die Konzeption der Regelung solche Diensteanbieter benachteilige, die bei der Suche rechtswidriger Inhalte selbst aktiv werden und deshalb durch die frühere Kenntniserlangung früher sperrungs- oder beseitigungspflichtig wird als passive Diensteanbieter.³³⁵ Dieser Vorwurf rechtlicher Fehlanreize wird in anderem Gewand durch die Befürchtung des Overblocking Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestags vom 28. Juni 2017, BT-Drs. 18/13013. Plenarprotokoll des Deutschen Bundestags 18/244, S. 25127. Plenarprotokoll des Bundesrats 959, S. 367. BGBl. 2017 I, S. 3352. Liesching, in: Spindler/Schmitz/Liesching, TMG, § 1 NetzDG Rn. 1. Ausführlich zur medienrechtlichen Einordnung von Social-Media-Angeboten Beyerbach, in: Hornung/Müller-Terpitz, Rechtshandbuch Social Media, S. 361 (376 ff.). Gesetzentwurf der Bundestagsfraktionen CDU/CSU und SPD, BT-Drs. 18/12356, S. 12; vgl. auch Liesching, NetzDG, Einleitung Rn. 3, der davon ausgeht, dass das NetzDG für die Betreiber sozialer Netzwerke wegen der vorgesehenen Bußgelder Ordnungswidrigkeitenrecht und folglich Strafrecht i.S.v. Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG darstellt. Jandt, in: Roßnagel, Beck’scher Kommentar zum Recht der Telemediendienste, § 10 TMG Rn. 1. Spindler, in: Spindler/Schmitz/Liesching, TMG, § 10 Rn. 7. Hoffmann/Volkmann, in: Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, § 10 TMG Rn. 2.
A. Ausgangslage
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auch dem NetzDG gemacht, so dass hierauf in diesem Zusammenhang noch zurückzukommen sein wird. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass das NetzDG mit seinen CompliancePflichten diese Verpflichtung der Diensteanbieter voraussetze und nimmt gleichzeitig an, dass bereits § 10 TMG eine Verpflichtung für Anbieter von Telemedien enthalte, rechtswidrige Inhalte unverzüglich nach Kenntnisnahme zu entfernen oder den Zugang zu ihnen zu sperren.³³⁶ Eine rechtliche Verpflichtung der Netzwerkbetreiber lässt sich § 10 TMG entgegen der Annahme des Gesetzgebers allerdings nicht entnehmen, da es den Betreibern frei steht, sich durch eine Nichtlöschung der Haftungsprivilegierung zu begeben und sich stattdessen einer allgemeinen Verantwortlichkeit nach den für eigene Informationen geltenden Grundsätzen des § 7 Abs. 1 TMG zu unterwerfen.³³⁷ Diese im Begründungsteil des Gesetzentwurfs zum NetzDG vorgenommene falsche Bewertung ändert allerdings nichts daran, dass der Gesetzgeber insgesamt vollkommen zu Recht davon ausgeht, dass es sich bei den Vorgaben des NetzDG um eine Konkretisierung der Verantwortlichkeit von Netzwerkbetreibern für den Umgang mit rechtswidrigen Inhalten auf ihren Plattformen handelt.³³⁸
II. Internationaler Rahmen Neben nationalen Regelungen existieren daneben auch verschiedene Vorgaben im Recht der Europäischen Union sowie im internationalen Recht, die bei der Kommunikation in sozialen Netzwerken von Bedeutung sind.
1. E-Commerce-Richtlinie Im Recht der Europäischen Union ist insbesondere die E-Commerce-Richtlinie³³⁹ als Rechtsquelle relevant. Mit dieser Richtlinie wird das Ziel verfolgt, einen
Gesetzentwurf der Bundestagsfraktionen CDU/CSU und SPD, BT-Drs. 18/12356, S. 22. Liesching, in: Spindler/Schmitz/Liesching, TMG, § 1 NetzDG Rn. 23; zur fehlenden Begründung einer strafrechtlichen Garantenstellung durch § 10 TMG außerdem Ceffinato, JuS 2017, 403 (405 f.) A.A. Hain/Ferreau/Brings-Wiesen, K&R 2017, 433 (434), die davon ausgehen, der Bund eröffne durch das NetzDG neben den in §§ 7 ff. TMG statuierten zivil- und strafrechtlichen Verantwortlichkeiten mit den Mitteln des Verwaltungsrechts ein umfassendes öffentlich-rechtliches Beschwerdemanagement. Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elek-
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4. Teil: Die Regulierung der Kommunikation in sozialen Netzwerken
rechtlichen Rahmen zur Sicherstellung des freien Verkehrs von Diensten der Informationsgesellschaft zwischen den Mitgliedstaaten zu schaffen.³⁴⁰ Kernpunkt ist das in Art. 3 ECRL statuierte Herkunftslandprinzip.³⁴¹ Nach Art. 3 Abs. 1 ECRL trägt jeder Mitgliedstaat dafür Sorge, dass die Dienste der Informationsgesellschaft, die von einem in seinem Hoheitsgebiet niedergelassenen Diensteanbieter erbracht werden, den in diesem Mitgliedstaat geltenden innerstaatlichen Vorschriften entsprechen, die in den koordinierten Bereich fallen. Art. 3 Abs. 2 ECRL legt fest, dass die Mitgliedstaaten den freien Verkehr von Diensten der Informationsgesellschaft aus einem anderen Mitgliedstaat nicht aus Gründen einschränken dürfen, die in den koordinierten Bereich fallen. Art. 3 Abs. 4 ECRL lässt unter bestimmten ausdrücklich formulierten Bedingungen Abweichungen von Art. 3 Abs. 2 ECRL zu. Die Einführung des Herkunftslandprinzips wird im Wesentlichen damit begründet, dass die Aufsicht über Dienste der Informationsgesellschaft am Herkunftsort zu erfolgen habe, um einen wirksamen Schutz der Ziele des Allgemeininteresses zu gewährleisten.³⁴² Zudem ist für die Kommunikation in sozialen Netzwerken die Regelung zur Verantwortlichkeit von Hostprovidern in Art. 14 ECRL von Bedeutung. Diese wird im deutschen Recht fast wörtlich durch die oben bereits erläuterte Vorschrift des § 10 TMG umgesetzt.³⁴³
2. Empfehlung der EU-Kommission vom 1. März 2018 Weiterhin hat die EU-Kommission am 1. März 2018 eine Empfehlung für wirksame Maßnahmen im Umgang mit illegalen Online-Inhalten abgegeben.³⁴⁴ Durch den Verzicht auf einen verbindlichen EU-Rechtsakt wird deutlich, dass die EU derzeit keine europaweite Netzwerkregulierung anstrebt.³⁴⁵ Nach Angaben der Kommission solle mit der Empfehlung dem Umstand Rechnung getragen werden, dass je nach Art illegaler Online-Inhalte ein unterschiedliches Vorgehen erforderlich sei, unter anderem durch gesonderte Legislativmaßnahmen.³⁴⁶ Gleichzeitig kündigt die Kommission an, die als Reaktion auf diese Empfehlung ergriffenen Maßtronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“); im Text im Folgenden als ECRL bezeichnet. RL 2000/31/EG, Erwägungsgrund 8. Marly, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Band IV, A 4., Art. 3 ECRL Rn. 9; ausführlich zum Herkunftslandprinzip der ECRL Ahrens, CR 2000, 835 (836 ff.). RL 2000/31/EG, Erwägungsgrund 22. Vgl. Spindler, in: Spindler/Schmitz/Liesching, TMG, § 10 Rn. 1 unter Bezugnahme auf die Gesetzesbegründung im Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 14/6098, S. 25. Empfehlung (EU) 2018/334 der Kommission vom 1. März 2018. Müller-Terpitz, in: Eifert/Gostomzyk, Netzwerkrecht, S. 45 (59). Empfehlung (EU) 2018/334, Erwägungsgrund Nr. 7.
A. Ausgangslage
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nahmen aufmerksam verfolgen zu wollen, deren Umsetzung zu bewerten und zu prüfen, ob zusätzliche Schritte wie Vorschläge für verbindliche Rechtsakte der Europäischen Union, erforderlich seien.³⁴⁷ Unter den allgemeinen Empfehlungen zu illegalen Inhalten jedweder Art finden sich zunächst Empfehlungen zur Übermittlung und Verarbeitung von Hinweisen, wobei besonders betont wird, dass die Verfahren zur Übermittlung von Hinweisen leicht zugänglich und benutzerfreundlich sein sollten.³⁴⁸ Weiterhin gibt die Kommission Empfehlungen zur Unterrichtung der Inhalteanbieter und stellt in diesem Zusammenhang die Wichtigkeit heraus, dass Inhalteanbieter im Falle einer Löschung oder Sperrung die Möglichkeit eines Widerspruchs in Form einer Gegendarstellung gegenüber Hostingdiensteanbietern erhalten und Hostingdiensteanbieter der Gegendarstellung gebührend Rechnung tragen sollen.³⁴⁹ Außerdem empfiehlt die Kommission, die Hostingdiensteanbieter zur Förderung der Transparenz aufzufordern, sowohl Erläuterungen zur Vorgehensweise bei Löschungen oder Sperrungen als auch regelmäßige Tätigkeitsberichte zum Umgang mit rechtswidrigen Inhalten auf ihren Plattformen zu veröffentlichen.³⁵⁰ Zudem wird empfohlen, dass es Sicherheitsvorkehrungen geben solle, um umsichtige und fundierte Entscheidungen der Hostingdiensteanbieter zu gewährleisten und dadurch eine Entfernung rechtmäßiger Inhalte zu vermeiden, wobei dies auch bei der Verwendung automatischer Systeme zur Erkennung illegaler Inhalte gelten solle.³⁵¹ Im Übrigen finden sich noch Empfehlungen zur außergerichtlichen Beilegung von Streitigkeiten³⁵², zu verhältnismäßigen proaktiven Maßnahmen durch Hostingdiensteanbieter³⁵³, zum Schutz gegen missbräuchliches Verhalten bei Hinweisen und Gegendarstellungen³⁵⁴ und zur Zusammenarbeit zwischen Hostingdiensteanbietern und Mitgliedstaaten³⁵⁵, zwischen Hostingdiensteanbietern und vertrauenswürdigen Hinweisgebern³⁵⁶ sowie zwischen Hostingdiensteanbietern untereinander³⁵⁷.
Empfehlung (EU) 2018/334, Erwägungsgrund Nr. 41. Empfehlung (EU) 2018/334, Empfehlungen Nr. 5 ff. Empfehlung (EU) 2018/334, Empfehlungen Nr. 9 ff. Empfehlung (EU) 2018/334, Empfehlungen Nr. 16 f. Empfehlung (EU) 2018/334, Empfehlungen Nr. 19 f. Empfehlung (EU) 2018/334, Empfehlungen Nr. 14 f. Empfehlung (EU) 2018/334, Empfehlung Nr. 18. Empfehlung (EU) 2018/334, Empfehlung Nr. 21. Empfehlung (EU) 2018/334, Empfehlungen Nr. 22 ff. Empfehlung (EU) 2018/334, Empfehlungen Nr. 25 ff. Empfehlung (EU) 2018/334, Empfehlung Nr. 28.
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4. Teil: Die Regulierung der Kommunikation in sozialen Netzwerken
3. Empfehlung des Ministerkomitees des Europarats Von Bedeutung für den rechtlichen Umgang mit der in sozialen Netzwerken stattfindenden Kommunikation ist außerdem die Empfehlung des Ministerkomitees des Europarats vom 7. März 2018 zur Rolle und Verantwortung von Internetintermediären³⁵⁸, die bislang allerdings nur selten in der Literatur aufgegriffen wird.³⁵⁹ Die Empfehlung formuliert in einem Anhang auch an die Mitgliedstaaten gerichtete Richtlinien für Maßnahmen gegenüber Online-Intermediären. Dort werden zunächst Verpflichtungen der Mitgliedstaaten bezüglich des Schutzes und der Förderung von Menschenrechten und Grundfreiheiten im digitalen Umfeld dargestellt. Die Empfehlung erachtet in diesem Zusammenhang unter anderem die Beachtung des Gesetzesvorbehalts sowie die Sicherstellung von Rechtssicherheit als besonders wichtig.³⁶⁰ Außerdem werden Sicherungsmaßnahmen zum Schutz der Meinungsfreiheit empfohlen, wobei betont wird, dass Mitgliedstaaten dafür sorgen sollten, dass bei Löschungen oder Sperrungen von Inhalten effektive Rechtsbehelfe sowie prozedurale Schutzvorkehrungen zur Verfügung stehen.³⁶¹ Weiterhin wird angemahnt, dass effektive und leicht zugängliche Wege zur gerichtlichen und außergerichtlichen Rechtsdurchsetzung durch die Mitgliedstaaten garantiert werden müssten und hierbei eine unabhängige Überprüfung behaupteter Verletzungen von in der EMRK garantierten Rechten gewährleistet sein müsse.³⁶² Schließlich wird auch die Verantwortung der Internetintermediäre für die Gewährleistung von Menschenrechten und Grundfreiheiten herausgestellt und hieraus Anforderungen an die Transparenz der Arbeit der Intermediäre sowie für die Ausgestaltung der Moderation von Inhalten Recommendation CM/Rec (2018) 2 of the Committee of Ministers to member States on the roles and responsibilities of internet intermediaries, online abrufbar unter https://search.coe.int/ cm/Pages/result_details.aspx?ObjectId=0900001680790e14 (Stand: 11. Juli 2021). Mit diesem Befund sowie einer Darstellung des wesentlichen Inhalts der Empfehlung Kettemann, Stellungnahme für die öffentliche Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestags am 15. Mai 2019, online abrufbar unter https://www.bun destag.de/resource/blob/642252/6dd66a4ca563336d3bd8ef432aa00bc8/kettemann-data.pdf (Stand: 11. Juli 2021), S. 12 ff. Recommendation CM/Rec (2018) 2 of the Committee of Ministers to member States on the roles and responsibilities of internet intermediaries, online abrufbar unter https://search.coe.int/ cm/Pages/result_details.aspx?ObjectId=0900001680790e14 (Stand 11. Juli 2021), Appendix 1.1. und 1.2. Recommendation CM/Rec (2018) 2 of the Committee of Ministers to member States on the roles and responsibilities of internet intermediaries, online abrufbar unter https://search.coe.int/ cm/Pages/result_details.aspx?ObjectId=0900001680790e14 (Stand: 11. Juli 2021), Appendix 1.3. Recommendation CM/Rec (2018) 2 of the Committee of Ministers to member States on the roles and responsibilities of internet intermediaries, online abrufbar unter https://search.coe.int/ cm/Pages/result_details.aspx?ObjectId=0900001680790e14 (Stand: 11. Juli 2021), Appendix 1.5.
B. Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken
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abgeleitet.³⁶³ Auch in Bezug auf die Internetintermediäre wird gefordert, dass diese effektive Rechtsschutz- und Streitbeilegungsmöglichkeiten bei Beschwerden durch Nutzer, Inhalteanbieter und von Inhalten betroffenen dritten Personen bereitstellen sollten.³⁶⁴
B. Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (NetzDG) Seit seinem Inkrafttreten am 1. Oktober 2017 bildet das NetzDG den maßgeblichen Rahmen für den Umgang mit rechtswidrigen Inhalten bei der Kommunikation in sozialen Netzwerken. Im Folgenden soll zunächst der wesentliche Inhalt der im NetzDG enthaltenen Regelungen dargestellt werden, um daran anschließend auf die maßgeblichen Kritikpunkte in der Diskussion um das NetzDG einzugehen und diese kritisch zu untersuchen.
I. Wesentlicher Inhalt der Regelungen 1. Anwendungsbereich In § 1 NetzDG wird zunächst der Anwendungsbereich des Gesetzes festgelegt. Ausgehend von der Legaldefinition in § 1 Abs. 1 NetzDG³⁶⁵ bestimmt § 1 Abs. 2 NetzDG, dass die Pflichten nach §§ 2 und 3 NetzDG nicht für Netzwerke mit weniger als zwei Millionen registrierten Nutzern im Inland gelten. In § 1 Abs. 3 NetzDG werden rechtswidrige Inhalte im Sinne des NetzDG als Inhalte nach § 1 Abs. 1 NetzDG definiert, die den Tatbestand der §§ 86, 86a, 89a, 91, 100a, 111, 126, 129 bis 129b, 130, 131, 140, 166, 184b in Verbindung mit 184d, 185 bis 187, 201a, 241 oder 269 StGB erfüllen und nicht gerechtfertigt sind.
Recommendation CM/Rec (2018) 2 of the Committee of Ministers to member States on the roles and responsibilities of internet intermediaries, online abrufbar unter https://search.coe.int/ cm/Pages/result_details.aspx?ObjectId=0900001680790e14 (Stand: 11. Juli 2021), Appendix 2.2. und 2.3. Recommendation CM/Rec (2018) 2 of the Committee of Ministers to member States on the roles and responsibilities of internet intermediaries, online abrufbar unter https://search.coe.int/ cm/Pages/result_details.aspx?ObjectId=0900001680790e14 (Stand: 11. Juli 2021), Appendix 2.5. Hierzu bereits oben 3. Teil, A III.
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4. Teil: Die Regulierung der Kommunikation in sozialen Netzwerken
2. Berichtspflichten § 2 NetzDG regelt die Berichtspflicht von Anbietern sozialer Netzwerke. Nach § 2 Abs. 1 S. 1 NetzDG müssen Anbieter sozialer Netzwerke, die im Kalenderjahr mehr als 100 Beschwerden über rechtswidrige Inhalte erhalten, einen deutschsprachigen Bericht über den Umgang mit Beschwerden über rechtswidrige Inhalte auf ihren Plattformen halbjährlich erstellen und im Bundesanzeiger sowie auf der eigenen Homepage spätestens einen Monat nach Ende eines Halbjahrs veröffentlichen. § 2 Abs. 1 S. 2 NetzDG gibt vor, dass der auf der eigenen Homepage veröffentlichte Bericht leicht erkennbar, unmittelbar erreichbar und ständig verfügbar sein muss, während § 2 Abs. 2 NetzDG eine Aufzählung von Aspekten enthält, auf die der Bericht mindestens einzugehen hat.
3. Vorgaben zum Beschwerdemanagement § 3 NetzDG enthält an die Netzwerkanbieter gerichtete Vorgaben für den Umgang mit Beschwerden über rechtswidrige Inhalte. Gem. § 3 Abs. 1 S. 1 NetzDG müssen Anbieter sozialer Netzwerke ein wirksames und transparentes Verfahren nach § 3 Abs. 2 und 3 NetzDG für den Umgang mit Beschwerden über rechtswidrige Inhalte vorhalten, nach § 3 Abs. 1 S. 2 NetzDG sind Anbieter darüber hinaus verpflichtet, Nutzern ein leicht erkennbares, unmittelbar erreichbares und ständig verfügbares Verfahren zur Übermittlung von Beschwerden über rechtswidrige Inhalte zur Verfügung zu stellen. Dieses Verfahren muss nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 NetzDG gewährleisten, dass ein Netzwerkanbieter unverzüglich von der Beschwerde Kenntnis nimmt und prüft, ob der in der Beschwerde gemeldete Inhalt rechtswidrig und zu entfernen oder der Zugang zu ihm zu sperren ist. Außerdem muss gem. § 3 Abs. 2 Nr. 2 NetzDG gewährleistet sein, dass ein offensichtlich rechtswidriger Inhalt innerhalb von 24 Stunden nach Eingang der Beschwerde entfernt oder der Zugang zu ihm gesperrt wird, wobei diese Vorgabe nicht gilt, wenn das soziale Netzwerk mit der zuständigen Strafverfolgungsbehörde einen längeren Zeitraum für die Löschung oder Sperrung des offensichtlich rechtswidrigen Inhalts vereinbart hat. Bei allen übrigen (also nicht offensichtlich) rechtswidrigen Inhalte ist nach § 3 Abs. 2 Nr. 3 NetzDG zu gewährleisten, dass der Inhalt unverzüglich, in der Regel innerhalb von sieben Tagen nach Eingang der Beschwerde, entfernt oder der Zugang zu ihm gesperrt wird. Dabei kann gem. § 3 Abs. 2 Nr. 3 Hs. 2 NetzDG die Sieben-Tages-Frist zum einen dann überschritten werden, wenn die Entscheidung über die Rechtswidrigkeit des Inhalts von der Unwahrheit einer Tatsachenbehauptung oder erkennbar von anderen tatsächlichen Umständen abhängt. Zum anderen ist ein Überschreiten der Sieben-Tages-Frist auch möglich, wenn das soziale Netzwerk die Entscheidung über die Rechtswidrigkeit innerhalb von sieben Tagen nach Eingang der Beschwerde einer anerkannten
B. Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken
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Einrichtung der Regulierten Selbstregulierung überträgt und sich deren Entscheidung unterwirft. Gem. § 3 Abs. 2 Nr. 5 NetzDG muss das Verfahren zudem gewährleisten, dass die Netzwerkanbieter den Beschwerdeführer und den Nutzer über jede Entscheidung unverzüglich informieren und die Entscheidung ihnen gegenüber begründen. § 3 Abs. 4 NetzDG gibt den sozialen Netzwerken auf, dass der Umgang mit Beschwerden von der Leitung der sozialen Netzwerke durch monatliche Kontrollen überwacht werden muss, wobei nach § 3 Abs. 5 NetzDG die Verfahren durch eine durch die in § 4 NetzDG genannte Verwaltungsbehörde (Bundesamt für Justiz) beauftragte Stelle überwacht werden können.³⁶⁶ § 3 Abs. 6 NetzDG regelt die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Einrichtung der Regulierten Selbstregulierung im Sinne des NetzDG. Die Norm legt als Voraussetzungen für eine Anerkennung vor allem Unabhängigkeit und Sachkunde der Prüfer sowie die Sicherstellung einer sachgerechten Ausstattung und einer Prüfung innerhalb von sieben Tagen fest.³⁶⁷ Durch § 3 Abs. 7 NetzDG wird bestimmt, dass die in § 4 NetzDG genannte Verwaltungsbehörde, mithin das Bundesamt für Justiz, die Entscheidung über die Anerkennung trifft.
4. Ordnungswidrigkeitentatbestände § 4 NetzDG enthält Ordnungswidrigkeitenvorschriften. Diese betreffen ‒ die fehlende, fehlerhafte, unvollständige oder verspätete Veröffentlichung des Berichts nach § 2 Abs. 1 S. 1 NetzDG (§ 4 Abs. 1 Nr. 1 NetzDG), ‒ das fehlende, nicht richtige oder nicht vollständige Vorhalten eines Verfahrens für den Umgang mit rechtswidrigen Inhalten (§ 4 Abs. 1 Nr. 2 NetzDG), ‒ Fehler im Zusammenhang mit dem Zur-Verfügung-Stellen eines Verfahrens zur Beschwerdeübermittlung (§ 4 Abs. 1 Nr. 3 NetzDG), ‒ eine fehlende oder nicht richtige Überwachung des Umgangs mit Beschwerden (§ 4 Abs. 1 Nr. 4 NetzDG), ‒ eine fehlende oder nicht rechtzeitige Beseitigung einer organisatorischen Unzulänglichkeit (§ 4 Abs. 1 Nr. 5 NetzDG), ‒ ein fehlendes oder nicht rechtzeitiges Angebot einer Schulung oder einer Betreuung für die mit der Bearbeitung von Beschwerden beauftragten Personen (§ 4 Abs. 1 Nr. 6 NetzDG),
Die Gesetzesbegründung verweist insoweit darauf, dass dieses Monitoring der Beschwerdebearbeitung zur Zeit der Erstellung des Gesetzentwurfs von jugendschutz.net durchgeführt und sich in der Praxis bewährt habe, BT-Drs. 18/12356, S. 24. Kritisch zur Eignung von jugendschutz.net hingegen Liesching, in: Spindler/Schmitz/Liesching, TMG, § 3 Rn. 40 NetzDG. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestags vom 28. Juni 2017, BT-Drs. 18/13013, S. 21.
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4. Teil: Die Regulierung der Kommunikation in sozialen Netzwerken
die fehlende Benennung eines inländischen Zustellungsbevollmächtigten oder eines inländischen Empfangsberechtigten (§ 4 Abs. 1 Nr. 7 NetzDG) sowie die fehlende Reaktion als Empfangsberechtigter auf Auskunftsersuchen entgegen § 5 Abs. 2 S. 2 NetzDG (§ 4 Abs. 1 Nr. 8 NetzDG).
§ 4 Abs. 2 S. 1 NetzDG legt fest, dass die Ordnungswidrigkeit in den Fällen des § 4 Abs. 1 Nr. 7 und Nr. 8 mit einer Geldbuße bis zu fünfhunderttausend Euro und in den übrigen Fällen des § 4 Abs. 1 mit einer Geldbuße bis zu fünf Millionen Euro geahndet werden kann. § 4 Abs. 2 S. 2 NetzDG verweist zudem auf § 30 Abs. 2 S. 3 OWiG, was nach dem Willen des Gesetzgebers bei der nach § 30 Abs. 1 OWiG möglichen Festsetzung einer Geldbuße gegen die das soziale Netzwerk betreibende juristische Person oder Personenvereinigung dazu führt, dass sich das Höchstmaß der angedrohten Geldbuße auf 50 Millionen Euro verzehnfacht.³⁶⁸
5. Inländischer Zustellungsbevollmächtigter § 5 Abs. 1 S. 1 NetzDG enthält für Anbieter sozialer Netzwerke die Verpflichtung, im Inland einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen und auf ihrer Plattform in leicht erkennbarer und unmittelbar erreichbarer Weise auf ihn aufmerksam zu machen. Nach § 5 Abs. 2 S. 1 NetzDG ist für Auskunftsersuchen einer inländischen Strafverfolgungsbehörde durch die Netzwerkanbieter eine empfangsberechtigte Person im Inland zu benennen, wobei die empfangsberechtigte Person gem. § 5 Abs. 2 S. 2 NetzDG verpflichtet ist, auf Auskunftsersuchen 48 Stunden nach Zugang zu antworten.
6. Auskunftsanspruch Schließlich wurde im Zuge der Verabschiedung des NetzDG durch eine Ergänzung von § 14 TMG um die neuen Absätze 3 bis 5 ein Auskunftsanspruch über bei einem Diensteanbieter vorhandene Bestandsdaten für Betroffene von Persönlichkeitsrechtsverletzungen geschaffen. Die ursprüngliche Fassung des Gesetzentwurfs zum NetzDG hatte noch einen Auskunftsanspruch zur Durchsetzung absolut geschützter Rechte vorgesehen.³⁶⁹ Diese weite Fassung wurde zu Recht für seine Unschärfe und dadurch bewirkte – aus Sicht der Meinungsfreiheit hochproblematische – Einschüchterungseffekte scharf kritisiert.³⁷⁰ Die im Rahmen der par-
Gesetzentwurf der Bundestagsfraktionen CDU/CSU und SPD, BT-Drs. 18/12356, S. 26. Gesetzentwurf der Bundestagsfraktionen CDU/CSU und SPD, BT-Drs. 18/12356, S. 10. Spindler, ZUM 2017, 473 (486).
B. Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken
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lamentarischen Beratungen geänderte und letztlich beschlossene Fassung sieht demgegenüber in § 14 Abs. 3 TMG die Möglichkeit einer Auskunftserteilung nur noch zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche wegen der Verletzung absolut geschützter Rechte aufgrund rechtswidriger Inhalte vor, die von § 1 Abs. 3 NetzDG erfasst werden. Dadurch soll nach dem Willen des Gesetzgebers die Datenherausgabe nur in Fällen schwerwiegender Persönlichkeitsrechtsverletzungen eröffnet sein.³⁷¹ Zudem sieht § 14 Abs. 4 TMG vor, dass für die Erteilung einer Auskunft nach § 14 Abs. 3 eine vorherige gerichtliche Anordnung über die Zulässigkeit der Auskunftserteilung erforderlich ist, die vom Verletzten zu beantragen ist. Durch den Richtervorbehalt soll verfahrensrechtlich einer vorschnellen Herausgabe von Daten durch das Erfordernis einer vorherigen richterlichen Prüfung und Anordnung entgegengewirkt werden, was nach Einschätzung des Gesetzgebers notwendig erscheint, weil die behaupteten Rechtsverletzungen häufig im Rahmen hitziger Debatten und Auseinandersetzungen stattfinden können.³⁷²
II. Maßgebliche Kritikpunkte Das NetzDG wurde sowohl vor als auch nach seinem Inkrafttreten in der rechtswissenschaftlichen Literatur intensiv diskutiert, wobei die große Mehrheit der Beiträge die Regelungen kritisch bis ablehnend betrachtet.³⁷³ Im Folgenden werden daher die für die Zwecke der hiesigen Untersuchung maßgeblichen Kritikpunkte untersucht, die im Rahmen der rechtswissenschaftlichen Diskussion um das NetzDG vorgetragen werden. Auf die Diskussion um die Unionsrechtskonformität des NetzDG³⁷⁴ sowie die Kritik an einem überhasteten Gesetzgebungsverfahren³⁷⁵ soll hingegen nicht eingegangen werden, da sie nicht in unmittel-
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestags vom 28. Juni 2017, BT-Drs. 18/13013, S. 23. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestags vom 28. Juni 2017, BT-Drs. 18/13013, S. 24. So auch die Bewertung von Kettemann, Stellungnahme als Sachverständiger für die öffentliche Anhörung zum Netzwerkdurchsetzungsgesetz im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestags am 15. Mai 2019, online abrufbar unter https://www.bun destag.de/resource/blob/642252/6dd66a4ca563336d3bd8ef432aa00bc8/kettemann-data.pdf (Stand: 11. Juli 2021), S. 9. Hierzu Spindler, ZUM 2017, 473 (474 ff.). So ausdrücklich bereits während des noch laufenden Gesetzgebungsverfahrens BITKOM e.V., Stellungnahme für die öffentliche Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestags am 19. Juni 2017, online abrufbar unter https://www.bundestag.de/resour ce/blob/510906/e8e218a40bd46373a96839c32b966faa/rohleder_bitkom-data.pdf (Stand: 11. Juli
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4. Teil: Die Regulierung der Kommunikation in sozialen Netzwerken
barem Zusammenhang mit der hier untersuchten Bedeutung von Art. 5 Abs. 1 GG bei der Kommunikation in sozialen Netzwerken steht.
1. Fehlende Gesetzgebungskompetenz Die Kritik in der Literatur betrifft zunächst die Gesetzgebungskompetenz des Bundes zum Erlass der Regelungen des NetzDG. In der Gesetzesbegründung wird davon ausgegangen, dass sich eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG (Recht der Wirtschaft), bezüglich betroffener Belange des Jugendschutzes aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG (öffentliche Fürsorge) sowie hinsichtlich der Bußgeldvorschriften aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG ergibt.³⁷⁶ Gegen eine Gesetzgebungskompetenz aus dem Recht der Wirtschaft nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG wird vorgebracht, dass die Kommunikation in sozialen Netzwerken eine Ausübung der in Art. 5 Abs. 1 S. 1 und 2 GG geschützten Grundrechte darstellt und es schwerpunktmäßig gerade nicht um die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Verfolgung wirtschaftlicher Interessen gehe.³⁷⁷ Unter Verweis auf die Rechtsprechung des BVerfG, wonach sich die Reichweite einer grundgesetzlich gewährten Gesetzgebungskompetenz nach Grundrechten und sonstigen Verfassungsgrundsätzen richtet,³⁷⁸ wird argumentiert, die Tätigkeit der Netzwerkbetreiber sei schwerpunktmäßig nicht ein durch Art. 12 Abs. 1 GG geschütztes wirtschaftliches Handeln, vielmehr gehe es um den durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Kommunikationsprozess.³⁷⁹ Nach hier vertretener Ansicht können sich Betreiber sozialer Netzwerke jedoch nur bei der Verbreitung eigener Inhalte auf die Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG berufen, in den weit überwiegenden Fällen der Verbreitung fremder Inhalte besteht für die Betreiber hingegen ein Schutz durch die Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG.³⁸⁰ Unter Zugrundelegung dieser grundrechtlichen Bewertung erscheint es mithin nicht bereits aus Gründen der grundrechtlichen Zuordnung unzulässig, den Kompetenztitel des Rechts der Wirtschaft nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG heranzuziehen.
2021), S. 3 ff.; wohl auch Hoeren, NJW 2017, 1587 (1591), der von einem „Schnellgesetz“ spricht; mit dem weitergehenden Vorwurf eines viel zu kurz greifenden regulatorischen Aktionismus auch Ingold, Der Staat 56 (2017), 491 (526 f.). Gesetzentwurf der Bundestagsfraktionen CDU/CSU und SPD, BT-Drs. 18/12356, S. 13. Gersdorf, MMR 2017, 439 (445). BVerfG, Urteil vom 20. Juli 1954– 1 BvR 459, 484, 548, 555, 623, 651, 748, 783, 801/52, 5, 9/53, 96, 114/54, BVerfGE 4, 7 (15). Gersdorf, MMR 2017, 439 (442); Ladeur/Gostomzyk, K&R 2017, 390 (391). Siehe oben im 3. Teil unter B. III.
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Darüber hinaus wird eine Gesetzgebungskompetenz aus dem Recht der Wirtschaft gem. Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG auch deswegen abgelehnt, weil bei den Regelungen des NetzDG nicht die Verfolgung wirtschaftlicher Interessen im Vordergrund stehe,³⁸¹ sondern es dem Gesetzgeber um eine Verhaltensänderung bestimmter Nutzer sozialer Netzwerke und um eine Veränderung der Debattenkultur in sozialen Netzwerken gehe.³⁸² Bereits das Kernziel des NetzDG, einer Verrohung der Debattenkultur im Netz vorzubeugen, lasse erkennen, dass es sich um eine auf Kommunikationsinhalte bezogene verhaltenssteuernde Regelung handele und für eine solche auf Kommunikationsinhalte bezogene Regulierung gerade nicht der Bund, sondern die Länder zuständig seien.³⁸³ Es ist zwar durchaus zutreffend, dass das NetzDG auf den Umgang der Netzwerkbetreiber mit auf ihren Plattformen geposteten Kommunikationsinhalten abzielt. Doch geschieht dies gerade nicht in der Weise, dass eine Art Medienpolizeirecht zum Schutz der verfassungsmäßigen Ordnung in sozialen Netzwerken geschaffen wird.³⁸⁴ Dies wäre der Fall, wenn das NetzDG neue Maßstäbe für die rechtliche Bewertung von Kommunikationsinhalten in sozialen Netzwerken aufstellte. Die Rechtswidrigkeit eines Inhalts, an die das NetzDG anknüpft, ergibt sich allerdings bereits aus den in § 1 Abs. 3 NetzDG genannten Straftatbeständen. Das NetzDG statuiert insbesondere in § 3 NetzDG lediglich organisatorische Vorgaben für den Umgang mit Beschwerden über vermeintlich rechtswidrige Inhalte.³⁸⁵ Gerade weil die Vorgaben des NetzDG somit die inhaltliche Entscheidung über Beschwerden nicht betreffen, greift das NetzDG nicht in die Länderkompetenz für die Inhaltsregulierung von Medien ein.³⁸⁶ Damit verbleiben als Regelungsgehalt des NetzDG die in § 3 NetzDG genannten Verfahrensregeln und die Pflicht zum Vorhalten eines Beschwerdemanagements. Da diese Vorschriften die Betreiber sozialer Netzwerke adressieren und zudem durch die Legaldefinition in § 1 Abs. 1 S. 1 NetzDG eine Beschränkung auf Betreiber mit Gewinnerzielungsabsicht vorgenommen wird, sind die Regelungen des NetzDG somit als Vorgaben für das Geschäftsmodell der Netzwerkbetreiber zu verstehen³⁸⁷ und stellen mithin Vorgaben für die Unternehmensorganisation der Netzwerkbetreiber auf ³⁸⁸. Das Recht der Wirtschaft i.S.v. Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG ist weit zu
Wimmers/Heymann, AfP 2017, 93 (97). Kalscheuer/Hornung, NVwZ 2017, 1721 (1725). Ladeur/Gostomzyk, K&R 390 (391); ähnlich Koreng, GRUR-Prax 2017, 203 (204). Kubiciel, juris-PR Strafrecht 7/2017, Anm. 1, unter III. 2. Schiff, MMR 2018, 366 (366 f.). Schwartmann, GRUR-Prax 2017, 317 (319). Schiff, MMR 2018, 366 (367). Eifert, in: Eifert/Gostomzyk (Hrsg.), Netzwerkrecht, S. 9 (22).
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4. Teil: Die Regulierung der Kommunikation in sozialen Netzwerken
verstehen und erfasst alle Normen, die die wirtschaftliche Betätigung als solche regeln.³⁸⁹ Folglich können die im NetzDG enthaltenen Vorschriften über den Umgang mit Beschwerden über rechtswidrige bzw. vermeintlich rechtswidrige Inhalte entgegen der in der Literatur geäußerten Kritik auf den Kompetenztitel des Rechts der Wirtschaft nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG gestützt werden. Die Gesetzgebungskompetenz für die Statuierung von Ordnungswidrigkeiten nach § 4 NetzDG ergibt sich demgegenüber – soweit ersichtlich auch in der Literatur unbestritten³⁹⁰ – aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG, da die Gesetzgebungskompetenz für das Strafrecht auch die Gesetzgebungskompetenz für das Ordnungswidrigkeitenrecht umfasst³⁹¹.
2. Auswahl der erfassten Straftatbestände und fehlende Bestimmtheit der rechtswidrigen Inhalte i.S.v. § 1 Abs. 3 NetzDG Weiterhin wird § 1 Abs. 3 NetzDG mit der dort enthaltenen Legaldefinition rechtswidriger Inhalte im Sinne des NetzDG kritisiert. Die Kritik bezieht sich teilweise bereits auf die Auswahl der von der Aufzählung in § 1 Abs. 3 NetzDG erfassten Straftatbestände. Neben Ehrschutzdelikten nennt § 1 Abs. 3 NetzDG unter anderem auch die Verbreitung kinderpornografischer Inhalte nach § 184d i.V.m. § 184b StGB oder die Fälschung beweiserheblicher Daten nach § 269 StGB als Tatbestände, bei deren nicht gerechtfertigter Erfüllung ein rechtswidriger Inhalt i.S.v. § 1 Abs. 1 NetzDG gegeben ist. Deshalb wird die Auswahl der in § 1 Abs. 3 NetzDG erfassten Straftatbestände als willkürlich und nicht nachvollziehbar kritisiert, da hierdurch über das durch den Gesetzgeber genannte Ziel einer Bekämpfung von Hasskriminalität weit hinausgegangen werde.³⁹² Dieser Kritik ist insbesondere in Bezug auf den Tatbestand der Fälschung beweiserheblicher Daten nach § 269 StGB zuzustimmen, da der durch diese Strafnorm bewirkte Schutz vor Täuschungen im Rechtsverkehr in keinerlei Zusammenhang mit einem Vorgehen gegen Hasskriminalität steht.³⁹³ Grundsätzlich erscheint die Beschränkung auf bestimmte und ausdrücklich benannte
BVerfG, Urteil vom 28. Januar 2014– 2 BvR 1561, 1562, 1563, 1564/12, BVerfGE 135, 155 (196). Gersdorf, MMR 2017, 439 (440) erkennt die Gesetzgebungskompetenz für die Regelung in § 4 NetzDG trotz der Annahme einer fehlenden Gesetzgebungskompetenz für die Vorschriften des NetzDG zum Beschwerdemanagement ausdrücklich an, ebenso Wimmers/Heymann, AfP 2017, 93 (97). BVerfG, Beschluss vom 16. Juli 1969 – 2 BvL 2/69, BVerfGE 27, 18 (32 f.). Nolte, ZUM 2017, 552 (555); ähnlich Holznagel, ZUM 2017, 615 (622). Hoven/Gersdorf, in: Gersdorf/Paal, BeckOK Informations- und Medienrecht, NetzDG § 1 Rn. 38.
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Straftatbestände allerdings durchaus konsequent, da es dem Gesetzgeber nicht um eine Erfassung auch von Ordnungswidrigkeiten oder unerlaubten Handlungen, sondern ausschließlich um eine Regelung zur Rechtsdurchsetzung bei der Bekämpfung von Hasskriminalität ging.³⁹⁴ Weiterhin wird kritisiert, dass der in § 1 Abs. 3 NetzDG verwendete Begriff der „rechtswidrigen Inhalte“ bei einer Zusammenschau aus Gesetzeswortlaut und Gesetzesbegründung unklar formuliert sei, da sowohl eine bloße Bezugnahme auf die deskriptiven Tatobjektsmerkmale der erfassten Straftatbestände als auch eine Anknüpfung an das Vorliegen einer rechtswidrigen Tathandlung denkbar sei, wobei bei letzterer Option wiederum unklar sei, ob der sich äußernde Nutzer oder das soziale Netzwerk tatbestandsmäßig handeln müsse.³⁹⁵ Die Schwierigkeiten der Bestimmung eines rechtswidrigen Inhalts i.S.v. § 1 Abs. 3 NetzDG ergäben sich abgesehen davon auch daraus, dass gerade bei den in § 1 Abs. 3 NetzDG genannten Äußerungsdelikten in vielen Fällen beanstandeter Äußerungen eine klare Grenzziehung zwischen rechtmäßigen und rechtswidrigen Äußerungen in manchen Fällen äußerst schwierig und insbesondere in diesem Graubereich eine umfassende und komplexe rechtliche Prüfung nötig sei.³⁹⁶ Das NetzDG regle zudem nicht eindeutig, ob die für einige der erfassten Tatbestände im StGB vorhandenen Sozialadäquanzklauseln (beispielsweise in § 86 Abs. 3 StGB) auch bei der Prüfung der Rechtswidrigkeit eines Inhalts Berücksichtigung finden sollten.³⁹⁷ Schwierigkeiten ergäben sich auch dadurch, dass das NetzDG die Frage unberücksichtigt lasse, ob mit Blick auf mutmaßlich rechtswidrige Inhalte in sozialen Netzwerken wegen des in § 3 StGB festgeschriebenen Territorialitätsgrundsatzes die durch das NetzDG erfassten deutschen Straftatbestände überhaupt Anwendung fänden.³⁹⁸ Da darüber hinaus unklar bleibe, inwieweit für das Vorliegen eines rechtswidrigen Inhalts i.S.v. § 1 Abs. 3 NetzDG ein vorsätzliches Handeln erforderlich sei, sei daher insgesamt eine eindeutige Auslegung des Merkmals der rechtswidrigen Inhalte nicht möglich.³⁹⁹ Aus diesem Befund wird der Schluss gezogen, der in § 1 Abs. 3 NetzDG eingeführte Begriff der rechtswidrigen Inhalte werfe erhebliche Bedenken mit Blick auf das verfassungsrechtliche Bestimmt-
Vgl. Gesetzentwurf der Bundestagsfraktionen CDU/CSU und SPD, BT-Drs. 18/12356, S. 19. Liesching, ZUM 2017, 809 (810 f.). Nolte, ZUM 2017, 552 (556); ähnlich Liesching, in: Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, § 1 NetzDG Rn. 17; Frenzel, JuS 2017, 414 (415). Liesching, ZUM 2017, 809 (811 f.). Wimmers/Heymann, AfP 2017, 93 (94); Liesching, ZUM 2017, 809 (812). Liesching, ZUM 2017, 809 (812 f.).
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4. Teil: Die Regulierung der Kommunikation in sozialen Netzwerken
heitsgebot auf.⁴⁰⁰ Da bereits unklar sei, wann ein Inhalt als rechtswidrig einzustufen sei, ergäben sich in der Folge auch Probleme bei der Bestimmung eines offensichtlich rechtswidrigen Inhalts nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 NetzDG.⁴⁰¹ Das Bestimmtheitsgebot hat seinen grundsätzlichen Ursprung im Rechtsstaatsprinzip, das eine hinreichend klare Formulierung grundrechtsrelevanter Vorschriften gebietet, damit die Rechtslage für Normadressaten erkennbar ist und sie ihr Verhalten daran orientieren können.⁴⁰² Der Gesetzgeber ist danach gehalten, „Regelungen so bestimmt zu fassen, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte und mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist.“⁴⁰³ Das Ausmaß der Bestimmtheitsanforderungen hängt im Einzelnen auch von der Intensität der Einwirkungen auf die Adressaten einer Regelung ab.⁴⁰⁴ Für Bußgeldtatbestände gelten insoweit die besonders strengen Vorgaben aus Art. 103 Abs. 2 GG.⁴⁰⁵ Da die Entscheidung über die Rechtswidrigkeit von Inhalten mittelbar auch einen Einfluss auf die Verhängung eines Bußgelds nach § 4 Abs. 1 NetzDG hat, liegt es deshalb nahe, den besonders strengen Maßstab von Art. 103 Abs. 2 GG bei der Untersuchung der ausreichenden Bestimmtheit der rechtswidrigen Inhalte i.S.v. § 1 Abs. 3 NetzDG heranzuziehen.⁴⁰⁶ Art. 103 Abs. 2 GG enthält als strenger Gesetzesvorbehalt für den Gesetzgeber die Verpflichtung, die Voraussetzungen eines Straftatbestands so konkret zu umschreiben, dass Tragweite und Anwendungsbereich erkennbar und durch Auslegung ermittelbar sind.⁴⁰⁷ Dies dient vor allem dazu, dass jeder Normadressat von vornherein wissen können soll, was strafrechtlich verboten ist.⁴⁰⁸ Gleichwohl verbieten es diese hohen Bestimmtheitsanforderungen dem Gesetzgeber allerdings nicht, auslegungsbedürftige Begriffe zu verwenden, solange für Norm-
Ladeur/Gostomzyk, K&R 2017, 390 (391); Liesching, in: Spindler/Schmitz/Liesching, TMG, § 1 NetzDG Rn. 76; Wimmers/Heymann, AfP 2017, 93 (94); kritisch wohl auch Höld, MMR 2017, 791 (792). Liesching, ZUM 2017, 809 (814); Liesching, MMR 2018, 26 (27); kritisch mit Blick auf die Bestimmtheit des Merkmals „offensichtlich rechtswidrige Inhalte“ auch Ladeur/Gostomzyk, K&R 2017, 390 (391). BVerfG, Beschluss vom 3. November 1982– 1 BvR 210/79, BVerfGE 62, 169 (183). BVerfG, Beschluss vom 26. September 1978 – 1 BvR 525/77, BVerfGE 49, 168 (181). BVerfG, Beschluss vom 19. April 1978 – 2 BvL 2/75, BVerfGE 48, 210 (221 f.); BVerfG, Urteil vom 22. November 2000 – 1 BvR 2307/94, 1120, 1408, 2460, 2471/95, BVerfGE 102, 254 (337). BVerfG, Beschluss vom 29. November 1989 – 2 BvR 1491, 1492/87, BVerfGE 81, 132 (135). Liesching, in: Spindler/Schmitz/Liesching, TMG, § 1 NetzDG Rn. 76. BVerfG, Beschluss vom 22. Juni 1988 – 2 BvR 234/87, 1154/86, BVerfGE 78, 374 (381 f.). BVerfG, Beschluss vom 26. Februar 1969 – 2 BvL 15, 23/68, BVerfGE 25, 269 (285).
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adressaten trotz zweifelhafter Einzelfälle noch erkennbar bleibt, ob ein Verhalten von der Norm erfasst ist oder nicht.⁴⁰⁹ Der Gesetzgeber geht in der Gesetzesbegründung davon aus, dass durch die Formulierung in § 1 Abs. 3 NetzDG ausschließlich solche Handlungen erfasst würden, die den Tatbestand einer der genannten Strafnormen erfüllen und rechtswidrig, aber nicht notwendigerweise schuldhaft begangen würden, und dass diese Beschränkung auf die Verletzung ausdrücklich genannter Strafgesetze gerade dem Bestimmtheitsgebot Rechnung trage.⁴¹⁰ Diese gesetzgeberische Intention hat auch in der Normfassung des § 1 Abs. 3 NetzDG Niederschlag gefunden, da dort ein rechtswidriger Inhalt gerade als Inhalt definiert wird, der einen der dort genannten Tatbestände des StGB erfüllt und nicht gerechtfertigt ist. Die ausdrückliche Vorgabe, dass nur nicht gerechtfertigte Inhalte vom Anwendungsbereich des NetzDG erfasst sind, dient nach dem Willen des Gesetzgebers der Klarstellung, dass eine Verbreitung von beispielsweise nach § 193 StGB gerechtfertigten Inhalten gerade keine rechtswidrigen Inhalte im Sinne des NetzDG sein sollen.⁴¹¹ Die Legaldefinition der rechtswidrigen Inhalte nach § 1 Abs. 3 NetzDG bringt somit hinreichend deutlich zum Ausdruck, dass hierunter Inhalte zu verstehen sind, die den objektiven und subjektiven Tatbestand eines oder mehrerer der ausdrücklich genannten Strafgesetze erfüllen und rechtswidrig sind. Es mag zwar zutreffend sein, dass es sich bei dem Begriff der „rechtswidrigen Inhalte“ um eine im Strafrecht bislang nicht bekannte Terminologie handelt.⁴¹² Der hierauf gestützte Vorwurf mangelnder Bestimmtheit⁴¹³ verkennt allerdings, dass § 1 Abs. 3 NetzDG für sich genommen keine Norm des Strafrechts darstellt, die sich ohne Weiteres in die vorhandene Strafrechtsdogmatik einfügen müsste, sondern um eine Legaldefinition zur Bestimmung des Anwendungsbereichs des NetzDG, die lediglich auf die tatbestandsmäßige und rechtswidrige Begehung von Straftaten nach dem StGB Bezug nimmt. Ausreichend für deren Bestimmtheit ist es, dass sie jedenfalls mit Hilfe der üblichen Auslegungsmethoden als zuverlässige Grundlage für eine Auslegung und Anwendung dienen kann.⁴¹⁴ Die Legaldefinition des § 1 Abs. 3 NetzDG stellt im Kern eine Regelung dar, die auf be-
BVerfG, Beschluss vom 10. Januar 1995 – 1 BvR 718, 719, 722, 723/89, BVerfGE 92, 1 (12). Gesetzentwurf der Bundestagsfraktionen CDU/CSU und SPD, BT-Drs. 18/12356, S. 19 f. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestags vom 28. Juni 2017, BT-Drs. 18/13013, S. 19. Liesching, in: Spindler/Schmitz/Liesching, TMG, § 1 NetzDG Rn. 75. Liesching, in: Spindler/Schmitz/Liesching, TMG, § 1 NetzDG Rn. 76. BVerfG, Beschluss vom 10. Juni 1997– 2 BvR 1516/96, BVerfGE 96, 68 (98).
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stimmte, abschließend aufgezählte Vorschriften des StGB verweist.⁴¹⁵ Für die sozialen Netzwerke als Normadressaten ist aufgrund dessen mit hinreichender Klarheit erkennbar, dass bei einem tatbestandsmäßigen und rechtswidrigen Verstoß gegen eine der ausdrücklich genannten Normen ein rechtswidriger Inhalt im Sinne von § 1 Abs. 3 NetzDG vorliegt, so dass § 1 Abs. 3 NetzDG den Bestimmtheitsanforderungen des Art. 103 Abs. 2 GG genügt.⁴¹⁶ Dennoch ist nicht zu bestreiten, dass die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines Beitrags in Einzelfällen von einer schwierigen und nicht immer eindeutigen Abwägungsentscheidung abhängen kann⁴¹⁷ – insbesondere in Fällen, in denen die vermeintliche Rechtswidrigkeit auf die Verwirklichung eines Ehrschutzdelikts aus §§ 185 ff. StGB gestützt wird. Die in diesem Zusammenhang bestehenden Schwierigkeiten ergeben sich allerdings nicht aus der Vorgabe in § 1 Abs. 3 NetzDG, sondern aus der Auslegungsbedürftigkeit und Kontextabhängigkeit der in Bezug genommenen Strafvorschriften des StGB. Dies gilt insbesondere für den Straftatbestand nach § 185 StGB, dessen tatbestandsmäßiges Verhalten im Gesetz als „Beleidigung“ beschrieben und nicht näher erläutert wird.⁴¹⁸ Die Norm hat allerdings jedenfalls durch langjährige Rechtsprechung ein hinreichendes Maß an Inhalt und Struktur erhalten, um den Bestimmtheitsanforderungen aus Art. 103 Abs. 2 GG zu genügen.⁴¹⁹ Gleiches gilt auch für die übrigen Ehrschutzdelikte.⁴²⁰ Da somit insbesondere auch die in § 1 Abs. 3 NetzDG genannten Ehrschutztatbestände des StGB ausreichend bestimmt sind, ergibt sich auch unter diesem Gesichtspunkt keine verfassungsrechtlich zu beanstandende Unbestimmtheit der durch § 1 Abs. 3 NetzDG legaldefinierten „rechtswidrigen Inhalte“.⁴²¹
Zu den Anforderungen an die Bestimmtheit verweisender Normen im Strafrecht Erne, Das Bestimmtheitsgebot im nationalen und internationalen Strafrecht am Beispiel des Straftatbestands der Verfolgung, S. 80 ff. Mit gleichem Ergebnis wie hier Schiff, MMR 2018, 366 (371). Ähnlich Schwartmann, GRUR-Prax 2017, 317 (318). Fischer, StGB, § 185 Rn. 2. BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 1995 – 1 BvR 1476, 1980/91 und 102, 221/92, BVerfGE 93, 266 (291 f.); Kühl, in: Lackner/Kühl/Heger, StGB, § 185 Rn. 1; a.A. Wessels/Hettinger/Engländer, Strafrecht BT I, Rn. 498. Fischer, StGB, Vor §§ 185 – 200 Rn. 1a; a.A. mit einer Forderung nach Abschaffung des allgemeinen strafrechtlichen Ehrenschutzes und jedenfalls des § 185 StGB hingegen Kubiciel/Winter, ZStW 113, 305 (311). Schiff, MMR 2018, 366 (371), der zudem in Fn. 70 zu Recht darauf hinweist, dass ein möglicher Aufwand und mögliche finanzielle Kosten für die Normbefolgung auf Seiten der sozialen Netzwerke keine tauglichen Anknüpfungspunkte für eine verfassungsrechtliche Kritik mit Blick auf die Bestimmtheit einer Norm sein können.
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Im Ergebnis wahrt die Legaldefinition der „rechtswidrigen Inhalte“ in § 1 Abs. 3 NetzDG somit die verfassungsrechtlichen Vorgaben an die Bestimmtheit von Gesetzen nach Art. 103 Abs. 2 GG.
3. Vereinbarkeit mit der Meinungsfreiheit, Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG Besonders intensiv und vielschichtig wird die Vereinbarkeit der Regelungen des NetzDG mit der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG diskutiert.
(a) Eingriffsqualität des NetzDG Die Gesetzesbegründung geht davon aus, dass die Regelungen zum Umgang mit Beschwerden in § 3 NetzDG keinen neuen Eingriff in Art. 5 Abs. 1 GG im Vergleich zum bereits zuvor geltenden Recht darstellten, da das Gebot der Entfernung rechtswidriger Inhalte schon aus den allgemeinen Gesetzen folge und § 3 NetzDG demgegenüber lediglich die Verpflichtung vorsehe, ein Verfahren vorzuhalten, damit der bereits durch andere Normen festgelegten Löschverpflichtung wirksam nachgekommen werden könne.⁴²² Hiergegen wird eingewandt, dass es die durch den Gesetzgeber behauptete gesetzliche Verpflichtung zur Löschung rechtswidriger Inhalte nicht gebe und sich eine solche insbesondere auch nicht aus § 10 S. 1 Nr. 2 TMG ergebe, da diese Vorschrift nur eine Haftungsprivilegierung und keine Löschverpflichtung statuiere.⁴²³ Dieser Einwand trifft in dieser Allgemeinheit zwar nicht zu, da durchaus bereits vor Inkrafttreten des NetzDG in der Rechtsprechung Löschpflichten wegen Persönlichkeitsrechtsverletzungen gegen Plattformbetreiber aus §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog i.V.m. Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG hergeleitet wurden.⁴²⁴ Dennoch ist nicht zu verkennen, dass durch das NetzDG eine Veränderung der Verantwortlichkeit von Netzwerkbetreibern bewirkt wird. So stehen die in § 3 Abs. 2 NetzDG statuierten Prüf- und Löschpflichten im Gegensatz zur von der Rechtsprechung entwickelten Störerhaftung nicht unter dem Vorbehalt der Zumutbarkeit.⁴²⁵ Weiterhin führen die durch die Bußgeldtatbestände in § 4 Abs. 1 NetzDG sanktionierten Vorgaben für das Beschwerdemanagement zu einer ordnungsrechtlichen Umrahmung des zuvor lediglich durch das Zivilrecht geprägten Verhältnisses zwischen Netzwerk-
Gesetzentwurf der Bundestagsfraktionen CDU/CSU und SPD, BT-Drs. 18/12356, S. 21. Liesching, in: Spindler/Schmitz/Liesching, TMG, § 1 NetzDG Rn. 23. Für Arztbewertungsportale ausdrücklich BGH, Urteil vom 1. März 2016 – VI ZR 34/15, NJW 2016, 2106 (2107 ff.); zur zivilrechtlichen Verantwortlichkeit von Internetintermediären auch Hofmann, JuS 2017, 713 (714 ff.). Gersdorf, MMR 2017, 439 (446).
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4. Teil: Die Regulierung der Kommunikation in sozialen Netzwerken
betreibern und Nutzern.⁴²⁶ Nach dem modernen Eingriffsbegriff ist der Grundrechtsschutz nicht auf final und unmittelbar wirkende Eingriffe beschränkt, sondern erfasst auch faktische und mittelbare Beeinträchtigungen des Schutzbereichs eines Grundrechts.⁴²⁷ Das NetzDG errichtet einen neuen Ordnungsrahmen für den Umgang mit rechtswidrigen Inhalten in sozialen Netzwerken und beeinträchtigt in diesem Zuge jedenfalls mittelbar-faktisch auch die Wahrnehmung der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG in sozialen Netzwerken. Deswegen besitzt das NetzDG im Vergleich zur vorherigen Rechtslage durchaus und entgegen der Annahme in der Gesetzesbegründung eine eigenständige Eingriffsqualität.⁴²⁸ Es kommt allerdings in den meisten Fällen nur ein Eingriff in die Meinungsfreiheit der Nutzer in Betracht, da sich die Netzwerkbetreiber wie oben dargelegt bei der Kommunikation in sozialen Netzwerken ganz überwiegend nicht auf Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG berufen können.⁴²⁹ Regelungsadressaten des NetzDG sind hingegen nicht die Nutzer sozialer Netzwerke, sondern deren Betreiber. Ein unmittelbarer Eingriff in die Meinungsfreiheit der Nutzer durch staatliche Regulierung scheidet mithin aus.⁴³⁰ Dennoch wirken sich die Vorgaben des NetzDG auf die Wahrnehmung der Meinungsfreiheit der Nutzer in sozialen Netzwerken aus: während nach außen der durch Löschungen oder Sperrungen bewirkte Eingriff in Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG durch die privaten Netzwerkbetreiber erfolgt, wird dieser Eingriff durch die an die Netzwerkbetreiber gerichteten Regelungen des NetzDG vorstrukturiert.⁴³¹ Aufgrund dessen würde eine strikt isolierte Betrachtung der Vorgaben des NetzDG einerseits sowie der privaten Löschentscheidungen andererseits der rechtlichen Dreieckskonstellation nicht gerecht. Vielmehr gehen die Löschentscheidungen der Netzwerkbetreiber letztlich auf die durch den Gesetz-
Schiff, MMR 2018, 366 (367). BVerfG, Beschluss vom 26. Juni 2002– 1 BvR 670/91, BVerfGE 105, 279 (303); ausführlich zu frühen Ansätzen der Ausweitung des Eingriffsbegriffs Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen im Bereich der Grundrechte, S. 25 ff. Schiff, MMR 2018, 366 (367); im Ergebnis wie hier auch Liesching, in: Spindler/Schmitz/ Liesching, TMG, § 1 NetzDG Rn. 23. Siehe oben im 3. Teil unter B. III. Wegen eines erforderlichen Vollzugsaktes durch die Netzwerkbetreiber so auch BVerfG, Beschluss vom 23. April 2019 – 1 BvR 2314/18, NVwZ 2019, 1125 (1126). Kritisch zu dieser Entscheidung, da sie insbesondere das Erfordernis der unmittelbaren Betroffenheit nicht ausreichend klar herleite, Sachs, JuS 2019, 1133 (1134 ff.). Ausführlich zum Merkmal der Unmittelbarkeit als Kriterium des klassischen Eingriffsbegriffs Eckhoff, Der Grundrechtseingriff, S. 197 ff. Ladeur/Gostomzyk, K&R 2017, 390 (393).
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geber mit dem NetzDG formulierten Vorgaben zurück, weswegen gegenüber den Nutzern ein mittelbarer, dem Staat zurechenbarer Eingriff vorliegt.⁴³²
(b) Fehlanreiz zum Overblocking Von zentraler Bedeutung in der Diskussion um das NetzDG ist die von Kritikern befürchtete Gefahr eines so genannten Overblocking. Zahlreiche Stimmen in der rechtswissenschaftlichen Literatur gehen davon aus, dass die Regelungen des NetzDG für die Netzwerkbetreiber einen Fehlanreiz setzten, im Zweifelsfall auch rechtmäßige Beiträge zu löschen.⁴³³ Da im Äußerungsrecht eine Grenzziehung zwischen Rechtmäßigkeit und Rechtswidrigkeit häufig schwierig sei und selbst nach umfangreicher Prüfung mitunter kein eindeutiges Ergebnis erzielt werden könne, sei es für Netzwerkbetreiber unter dem Gesichtspunkt wirtschaftlicher Rationalität geboten, Inhalte im Zweifel zu löschen, um den durch das NetzDG angedrohten Bußgeldern bei einer unterlassenen oder verspäteten Löschung zu entgehen.⁴³⁴ Teilweise werden als Folge Einschüchterungseffekte für die Wahrnehmung der Meinungsfreiheit befürchtet.⁴³⁵ Entsprechende Formulierungen lenken allerdings davon ab, dass das Overblocking-Argument nicht so sehr von einer Einschüchterung der Netzwerkbetreiber ausgeht, sondern schlicht auf der Annahme beruht, dass die privatwirtschaftlichen Netzwerkbetreiber bei einer ökonomischen Risikoabwägung im Zweifelsfall Inhalte eher löschen als eine aufwändige inhaltliche Prüfung beanstandeter Inhalte vorzunehmen.⁴³⁶
(i) Interessenlage der Netzwerkbetreiber vor Inkrafttreten des NetzDG Um zu untersuchen, wie begründet die Befürchtungen übermäßiger Löschungen sind, sollte zunächst die Interessenlage der Netzwerkbetreiber beim Umgang mit gemeldeten Inhalten unabhängig von den Vorgaben des NetzDG in den Blick genommen werden. Die Betreiber sozialer Netzwerke dürften aus unternehmerischer Sicht weder ein Interesse daran haben, sich bei einer zurückhaltenden
Lang, AöR 2018, 220 (228). So z. B. Kalscheuer/Hornung, NVwZ 2017, 1721 (1724); Liesching, MMR 2018, 26 (27); MüllerFranken, AfP 2018, 1 (7); Nolte, ZUM 2017, 552 (556); Wimmers/Heymann, AfP 2017, 93 (99); zumindest entsprechende Befürchtungen teilend Papier, NJW 2017, 3025 (3030). Nolte, ZUM 2017, 552 (556). Feldmann, K&R 2017, 292 (295); ähnlich Guggenberger, ZRP 2017, 98 (100); Warg, DÖV 2018, 473 (480). Liesching, in: Spindler/Schmitz/Liesching, TMG, § 1 NetzDG Rn. 25.
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Löschpraxis dem Vorwurf der Duldung von Hassrede auszusetzen, noch dürfte ihnen daran gelegen sein, sich bei einer offensiven Löschpraxis den Vorwurf der Unterdrückung von Meinungen gefallen lassen zu müssen.⁴³⁷ Doch während unberechtigte Löschungen der Öffentlichkeit allenfalls mittelbar zur Kenntnis gelangen können, sind zu Unrecht nicht gelöschte Beiträge weiterhin für alle Nutzer des Netzwerks sichtbar, wodurch der für die Netzwerkbetreiber unangenehme Eindruck einer Duldung von Hassrede unmittelbar entstehen kann.⁴³⁸ Im Grundsatz ist deshalb bereits unabhängig von den Vorgaben des NetzDG nicht von der Hand zu weisen, dass für die Netzwerkbetreiber die Löschung gemeldeter Beiträge im Zweifelsfall attraktiver erscheinen mag als das Belassen gemeldeter Inhalte auf ihren Plattformen.⁴³⁹
(ii) Auswirkungen des NetzDG auf die Interessenlage der Netzwerkbetreiber Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob und wenn ja wie die Regelungen des NetzDG diesen sich bereits aus der Interessenlage der Netzwerkbetreiber ergebenden Anreiz weiter verstärken.Von Bedeutung sind insoweit zunächst die im NetzDG vorgesehenen Löschfristen von 24 Stunden für offensichtlich rechtswidrige Inhalte (§ 3 Abs. 2 Nr. 2 NetzDG) sowie von in der Regel sieben Tagen bei allen anderen rechtswidrigen Inhalten (§ 3 Abs. 2 Nr. 3 NetzDG). Diese führen dazu, dass die Netzwerkbetreiber auch zum Teil hochkomplexe Abwägungen im Bereich der Äußerungsdelikte in vergleichsweise kurzer Zeit vornehmen und darauf aufbauend eine Entscheidung über die Löschung oder Nichtlöschung eines gemeldeten Beitrags treffen müssen. Zwar lässt sich durchaus in Zweifel ziehen, ob innerhalb solch enger Fristen Entscheidungen auf vollständiger Grundlage getroffen werden können, die eine verfassungskonforme Abwägung der kollidierenden Interessen gewährleisten.⁴⁴⁰ Allerdings ist in diesem Kontext auch die Regelung in § 3 Abs. 2 Nr. 3 lit. a) NetzDG zu beachten, wonach die Löschfrist von sieben Tagen überschritten werden kann, wenn die Entscheidung über die Rechtswidrigkeit eines Inhalts von der Unwahrheit einer Tatsachenbehauptung oder von anderen tatsächlichen Umständen abhängt.
Eifert, in: Eifert/Gostomzyk, Netzwerkrecht, S. 9 (34). Eifert, in: Eifert/Gostomzyk, Netzwerkrecht, S. 9 (34). Eifert, in: Eifert/Gostomzyk, Netzwerkrecht, S. 9 (34); ähnlich Elsaß/Labusga/Tichy, CR 2017, 234 (235), die insbesondere auch die unterschiedlichen Machtpositionen der Netzwerkbetreiber einerseits und der von einer Löschung betroffenen Nutzer andererseits in den Blick nehmen. Ladeur/Gostomzyk, K&R 2017, 390 (393).
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Die Brisanz der Löschfristen ergibt sich aus Sicht der Kritiker insbesondere daraus, dass davon ausgegangen wird, den Netzwerkbetreibern drohe nach § 4 Abs. 1 NetzDG ein Bußgeld bereits bei einer einzelnen zu Unrecht unterlassenen Löschung eines Inhalts nach vorangegangener Beschwerde.⁴⁴¹ Die Bußgeldvorschrift des § 4 Abs. 1 Nr. 2 NetzDG nimmt Bezug auf die in § 3 Abs. 1 S. 1 NetzDG statuierte Pflicht der Netzwerkbetreiber, ein wirksames und transparentes Verfahren für den Umgang mit Beschwerden über rechtswidrige Inhalte vorzuhalten, das nach § 3 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 3 Abs. 2 Nr. 2, 3 NetzDG unter anderem die Einhaltung der dort genannten Löschfristen von 24 Stunden für offensichtlich rechtswidrige Inhalte sowie von in der Regel sieben Tagen bei allen anderen rechtswidrigen Inhalten gewährleisten muss. § 4 Abs. 1 Nr. 2 NetzDG bestimmt, dass das fehlende, nicht richtige oder nicht vollständige Vorhalten eines solchen Verfahrens nach § 3 Abs. 1 S. 1 NetzDG eine Ordnungswidrigkeit darstellt. Diese kann gem. § 4 Abs. 2 S. 1 NetzDG mit einer Geldbuße bis zu fünf Millionen Euro, bei Verhängung gegenüber einer juristischen Person gem. § 4 Abs. 2 S. 2 NetzDG i.V.m. § 30 Abs. 2 S. 3 OWiG mit einer Geldbuße bis zu 50 Millionen Euro geahndet werden. Der Gesetzgeber selbst ging insoweit davon aus, dass ein einmaliger Verstoß gegen die Pflicht zur Löschung rechtswidriger Inhalte innerhalb der vorgegebenen Fristen in der Regel keine Ordnungswidrigkeit i.S.v. § 4 Abs. 1 Nr. 2 NetzDG darstelle, da bei einem einmaligen Verstoß nicht davon ausgegangen werden könne, dass kein wirksames Verfahren für den Umgang mit Beschwerden vorgehalten werde.⁴⁴² Dieser gesetzgeberische Wille hat auch im Wortlaut des § 4 Abs. 1 Nr. 2 NetzDG Niederschlag gefunden, da sich die Bußgeldandrohung gerade nicht auf Fehlentscheidungen im Einzelfall, sondern auf das ordnungsgemäße Vorhalten eines Beschwerdeverfahrens generell bezieht und daher nur bei systemischen Mängeln greift.⁴⁴³ Somit ist gerade auch eine unterlassene Löschung in Fällen, in denen sich die Rechtswidrigkeit eines Beitrags nicht ohne Weiteres eindeutig bewerten lässt, nicht mit einem Bußgeld bedroht.⁴⁴⁴ Die Verfahrensvorgaben und die darauf aufbauende Bußgeldbestimmung fordern vielmehr von den Netzwerkbetreibern, zunächst eine ausgewogene Entscheidung über die Rechtswidrigkeit eines Beitrags zu treffen, weil sich die Löschanforde-
So ausdrücklich Frenzel, JuS 2017, 414 (415); diese Möglichkeit zumindest andeutend außerdem Feldmann, K&R 2017, 292 (295); Heckmann/Wimmers, CR 2017, 310 (314); Wimmers/ Heymann, AfP 2017, 93 (98). Gesetzentwurf der Bundestagsfraktionen CDU/CSU und SPD, BT-Drs. 18/12356, S. 24. Schiff, MMR 2018, 366 (369). Peifer, AfP 2018, 14 (19).
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rungen explizit nur auf rechtswidrige Inhalte beziehen.⁴⁴⁵ Folglich schützt der Bußgeldtatbestand des § 4 Abs. 1 Nr. 2 NetzDG sowohl vor einer systemisch angelegten übermäßigen Löschpraxis, die regelmäßig auch rechtmäßige Inhalte erfasst (overblocking) als auch vor einer zu geringen Löschpraxis, bei der regelmäßig rechtswidrige Inhalte trotz Beschwerde nicht gelöscht werden (underblocking).⁴⁴⁶ Vor diesem Hintergrund ist nicht erkennbar, dass die im NetzDG geregelten Löschfristen in Kombination mit der Bußgeldandrohung die bestehende Anreizwirkung zugunsten einer Löschung von Beiträgen verstärkt.
(iii) Zahlen zu Löschungen und Sperrungen gemeldeter Inhalte in den Transparenzberichten von Facebook und Youtube Soweit dennoch teilweise bereits vor Inkrafttreten des NetzDG davon ausgegangen wurde, dass das NetzDG zwangsläufig zu einer übermäßigen Löschpraxis der Netzwerkbetreiber führen werde, stellt sich dies zunächst als reine Prognose dar, deren Tragfähigkeit einer empirischen Überprüfung zugänglich ist.⁴⁴⁷ Als Grundlage für eine entsprechende Untersuchung eignen sich die von den Netzwerkbetreibern halbjährlich zu veröffentlichenden Transparenzberichte. Diese müssen nach § 2 Abs. 2 Nr. 3 NetzDG zum einen die Anzahl der im Berichtszeitraum eingegangenen Beschwerden über rechtswidrige Inhalte und zum anderen nach § 2 Abs. 2 Nr. 7 NetzDG die Anzahl der Beschwerden enthalten, die im Berichtszeitraum zur Löschung oder Sperrung des beanstandeten Inhalts führten. Somit kann auf dieser Datengrundlage eine Aussage darüber getroffen werden, welcher Anteil gemeldeter Inhalte von den Netzwerkbetreibern tatsächlich gelöscht wird. Im Folgenden sollen deshalb die Zahlen für Facebook als bedeutendstes soziales Netzwerk untersucht werden. Da Facebook allerdings wegen der Ausgestaltung der Meldewege für Nutzer zur Beanstandung mutmaßlich rechtswidriger Inhalte i.S.d. NetzDG kritisiert wird⁴⁴⁸ und um ein breiteres Bild zu erhalten, sollen daneben auch noch die für die Videoplattform Youtube veröffentlichten Zahlen einbezogen werden.
Eifert, in: Eifert/Gostomzyk, Netzwerkrecht, S. 9 (35). Eifert, in: Eifert/Gostomzyk, Netzwerkrecht, S. 9 (35); Peifer, AfP 2018, 14 (19); wohl auch Schiff, MMR 2018, 366 (369). Lang, AöR 143 (2018), 220 (236); anders allerdings Hong, in: Albers/Katsivelas, Recht & Netz, S. 59 (84), der davon ausgeht, der Regulierungsansatz des NetzDG sei unabhängig von den tatsächlichen Auswirkungen problematisch. Spindler, GRUR 2018, 365 (373), der zwar von einer formalen Erfüllung der Pflichten aus dem NetzDG ausgeht, allerdings das von Facebook eingerichtete System für Beschwerden nach dem NetzDG für vollkommen ineffektiv hält; siehe hierzu auch unten unter C.IV.
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Im Transparenzbericht von Juli 2018 gibt Facebook an, dass im Berichtszeitraum Januar bis Juni 2018 Beschwerden über insgesamt 1.704 Inhalte über das NetzDG-Meldeformular übermittelt worden seien.⁴⁴⁹ Aufgrund dieser Beschwerden sei es in der Folge zu einer Löschung oder Sperrung von 362 Inhalten gekommen.⁴⁵⁰ Somit wurden in diesem Zeitraum 21,2 Prozent der gemeldeten Inhalte bei Facebook gelöscht oder gesperrt.⁴⁵¹ Für den Zeitraum Juli bis Dezember 2018 gibt Facebook im Transparenzbericht von Januar 2019 eine Zahl von NetzDGBeschwerden über insgesamt 1.048 Inhalte an,⁴⁵² wovon 369 gelöscht oder gesperrt worden seien.⁴⁵³ Das führt für den Zeitraum Juli bis Dezember 2018 zu einer Löschquote von 35,2 Prozent. Im dritten Transparenzbericht von Juli 2019 nennt Facebook eine Gesamtzahl von insgesamt 1.050 über das NetzDG-Meldeformular gemeldeten Inhalten im Zeitraum Januar bis Juni 2019.⁴⁵⁴ Bei 349 dieser Inhalte sei es zu einer Löschung oder Sperrung gekommen,⁴⁵⁵ was zu einer Löschquote von 33,2 Prozent führt. Der Facebook-Transparenzbericht von Januar 2020 gibt für den Zeitraum Juli bis Dezember 2019 insgesamt 4.274 gemeldete Inhalte an,⁴⁵⁶ von denen 1.043 Inhalte gelöscht oder gesperrt wurden.⁴⁵⁷ Dies ergibt für den Zeitraum Juli bis Dezember 2019 eine Löschquote von 24,4 Prozent.
NetzDG-Transparenzbericht Facebook von Juli 2018, online abrufbar unter https://about.fb. com/wp-content/uploads/2018/07/facebook_netzdg_juli_2018_deutsch-1.pdf (Stand: 11. Juli 2021), S. 3. NetzDG-Transparenzbericht Facebook von Juli 2018, online abrufbar unter https://about.fb. com/wp-content/uploads/2018/07/facebook_netzdg_juli_2018_deutsch-1.pdf (Stand: 11. Juli 2021), S. 7. Diese Löschquote wird auch von Löber/Roßnagel, MMR 2019, 71 (73) angegeben. NetzDG-Transparenzbericht Facebook von Januar 2019, online abrufbar unter https://about. fb.com/wp-content/uploads/2019/01/facebook_netzdg_januar_2019_deutsch52.pdf (Stand: 11. Juli 2021), S. 4. NetzDG-Transparenzbericht Facebook von Januar 2019, online abrufbar unter https://about. fb.com/wp-content/uploads/2019/01/facebook_netzdg_januar_2019_deutsch52.pdf (Stand: 11. Juli 2021), S. 9. NetzDG-Transparenzbericht Facebook von Juli 2019, online abrufbar unter https://about.fb. com/wp-content/uploads/2019/07/facebook_netzdg_july_2019_deutsch_2.pdf (Stand: 11. Juli 2021), S. 4. NetzDG-Transparenzbericht Facebook von Juli 2019, online abrufbar unter https://about.fb. com/wp-content/uploads/2019/07/facebook_netzdg_july_2019_deutsch_2.pdf (Stand: 11. Juli 2021), S. 10. NetzDG-Transparenzbericht Facebook von Januar 2020, online abrufbar unter https://about. fb.com/wp-content/uploads/2020/01/facebook_netzdg_Januar_2020_German.pdf (Stand: 11. Juli 2021), S. 4. NetzDG-Transparenzbericht Facebook von Januar 2020, online abrufbar unter https://about. fb.com/wp-content/uploads/2020/01/facebook_netzdg_Januar_2020_German.pdf (Stand: 11. Juli 2021), S. 11.
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Youtube führt für den Berichtszeitraum Januar bis Juni 2018 aus, dass in diesen sechs Monaten 214.827 mutmaßlich rechtswidrige Inhalte nach dem NetzDG gemeldet worden seien, 58.297 Inhalte seien in diesem Zeitraum entfernt oder gesperrt worden.⁴⁵⁸ Damit beträgt die Löschquote in diesem Zeitraum 27,1 Prozent.⁴⁵⁹ Zwischen Juli und Dezember 2018 sei es demnach zu Beschwerden über insgesamt 250.957 Inhalte gekommen, während die Zahl der entfernten und gesperrten Inhalte im gleichen Zeitraum bei 54.644 gelegen habe.⁴⁶⁰ Das entspricht für diesen Zeitraum einer Quote von 21,8 Prozent. Im Zeitraum Januar bis Juni 2019 seien bei Youtube Beschwerden über 304.425 mutmaßlich rechtswidrige Inhalte i.S.d. NetzDG übermittelt worden, im gleichen Zeitraum seien 71.168 Inhalte entfernt oder gesperrt worden.⁴⁶¹ Somit führten in diesem Zeitraum 23,4 Prozent der übermittelten Beschwerden zu einer Entfernung oder Sperrung von Inhalten. Für den Zeitraum Juli bis Dezember 2019 gibt Youtube eine Gesamtzahl von 277.478 gemeldeten Inhalten an, 71.907 Inhalte seien im gleichen Zeitraum entfernt oder gesperrt worden.⁴⁶² Dies ergibt für diesen Zeitraum eine Löschquote von 25,9 Prozent.
(iv) Auswertung der Zahlen mit Blick auf ein mögliches Overblocking Beim Vergleich dieser Zahlen fällt bei allen Unterschieden im Detail auf, dass die Löschquoten sowohl bei Facebook als auch bei Youtube in allen Berichtszeiträumen deutlich unter 50, teilweise sogar unter 25 Prozent liegen. Zwar kann nicht ausgeschlossen werden, dass diese verhältnismäßig niedrigen Löschquoten auch
NetzDG-Transparenzbericht Youtube für den Zeitraum Januar bis Juni 2018, online abrufbar unter https://transparencyreport.google.com/netzdg/youtube?hl=de (Stand: 11. Juli 2021). Diese Löschquote wird auch von Löber/Roßnagel, MMR 2019, 71 (73) angegeben. NetzDG-Transparenzbericht Youtube für den Zeitraum Juli bis Dezember 2018, online abrufbar unter https://transparencyreport.google.com/netzdg/youtube?items_by_submitter=pe riod:Y2018H2&lu=reports_resulting_in_action&reports_resulting_in_action=period:Y2018H2 (Stand: 11. Juli 2021). NetzDG-Transparenzbericht Youtube für den Zeitraum Januar bis Juni 2019, online abrufbar unter https://transparencyreport.google.com/netzdg/youtube?items_by_submitter=period: Y2018H2&lu=reports_resulting_in_action&reports_resulting_in_action=period:Y2018H2 (Stand: 11. Juli 2021). NetzDG-Transparenzbericht Youtube für den Zeitraum Juli bis Dezember 2019, online abrufbar unter https://transparencyreport.google.com/netzdg/youtube?hl=de&items_by_submit ter=period:Y2019H2&lu=items_by_submitter&verified_reporting_agencies=period:Y2018H2 (Stand: 11. Juli 2021).
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auf geringen Rechtskenntnissen der Beschwerdeführer oder einem Missbrauch der Beschwerdefunktion beruhen könnten.⁴⁶³ Doch selbst wenn dies mit in die Überlegungen mit einbezogen wird, lassen diese Zahlen nicht den Rückschluss zu, dass die Vorgaben des NetzDG zur reflexhaften Löschung gemeldeter Inhalte und damit im Zweifel auch in großem Maße zur unberechtigten Löschung rechtmäßiger Inhalte durch die Netzwerkbetreiber führten.⁴⁶⁴ Die im Overblocking-Argument zum Ausdruck gebrachte Prognose einer zwangsläufig mit dem NetzDG verbundenen übermäßigen Löschpraxis hat sich mithin jedenfalls bislang nicht bewahrheitet. Folglich bestätigt sich die Befürchtung eines Overblocking durch die Netzwerkbetreiber weder durch einen abstrakten Blick auf die Interessenlage der Netzwerkbetreiber noch durch eine Untersuchung der in den Transparenzberichten veröffentlichten Zahlen zur Löschung gemeldeter Inhalte in den sozialen Netzwerken Facebook und Youtube.
(c) Fehlende Beteiligung der sich äußernden Nutzer im Beschwerdeverfahren Bei der Diskussion um das NetzDG wird außerdem kritisiert, dass die Rechte der Verfasser eines gemeldeten Beitrags im Beschwerdeverfahren nicht hinreichend gewahrt seien.⁴⁶⁵ Dies ergebe sich insbesondere daraus, dass das NetzDG kein verpflichtendes Recht zur Anhörung des Inhaltsverfassers vor einer Löschentscheidung vorsehe und damit der Vorgabe, Grundrechtsschutz durch Verfahren zu gewährleisten, nicht gerecht werde.⁴⁶⁶
(i) Erforderlichkeit der Beteiligung aufgrund grundrechtlicher Schutzpflicht Diese Kritik hat ihren Ursprung mithin in dem an den Gesetzgeber gerichteten Vorwurf, bei der Ausgestaltung des NetzDG die Schutzpflichtdimension der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG verkannt zu haben.⁴⁶⁷ Die Schutzpflichtenlehre wird soweit ersichtlich nicht ausdrücklich als Ausgangspunkt der
Löber/Roßnagel, MMR 2019, 71 (73), die insoweit Bezug nehmen auf den Artikel von Beuth, Spiegel Online vom 27. Juli 2018, online abrufbar unter https://www.spiegel.de/netzwelt/web/netz dg-so-oft-sperren-facebook-youtube-und-twitter-a-1220371.html (Stand: 11. Juli 2021). Löber/Roßnagel, MMR 2019, 71 (73). Lang, AöR 143 (2018), 220 (245); Schiff, MMR 2018, 366 (368); Steinbach, JZ 2017, 653 (660); wohl auch Ladeur/Gostomzyk, K&R 2017, 390 (391). Hain/Ferreau/Brings-Wiesen, K&R 2017, 433 (435); ähnlich Schiff, MMR 2018, 366 (368); Steinbach, JZ 2017, 653 (660). Zur Schutzpflichtendimension von Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 bereits oben 3. Teil, B.IV.3.(b).
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Kritik benannt, aber durch den Verweis auf die aus der Gewährleistung eines effektiven Grundrechtsschutzes folgende Verpflichtung des Gesetzgebers, verfahrensrechtliche Vorkehrungen und Sicherungen einzurichten⁴⁶⁸ und somit einen Grundrechtsschutz durch Verfahren⁴⁶⁹ zu gewährleisten, wird der Sache nach die Schutzpflichtendimension des Grundrechtes auf Meinungsfreiheit aktiviert. Zwar erscheint es im Ausgangspunkt durchaus schwierig, aufgrund des bei der Umsetzung grundrechtlicher Schutzpflichten bestehenden weiten gesetzgeberischen Handlungsspielraums⁴⁷⁰ eine konkrete Pflicht zur Schaffung einer bestimmten Verfahrensgestaltung abzuleiten.⁴⁷¹ Dies liegt daran, dass die Verfassung dem Gesetzgeber den Schutz der Grundrechte als Ziel vorgibt, nicht aber die konkrete Ausgestaltung dieses Schutzes.⁴⁷² Daraus ergibt sich lediglich eine Minimalkontrolle gesetzgeberischer Entscheidungen.⁴⁷³ Das Untermaßverbot verlangt demnach, dass die Ausgestaltung des Schutzes durch die Rechtsordnung Mindestanforderungen genügt.⁴⁷⁴ Die an den Staat gerichtete Schutzpflicht ist danach erst dann verletzt, wenn Vorkehrungen zum Schutz eines Grundrechts überhaupt nicht getroffen wurden oder getroffene Maßnahmen vollkommen ungeeignet oder unzulänglich sind.⁴⁷⁵ Dass eine Herleitung bestimmter Verfahrens- und Beteiligungsrechte aus grundrechtlichen Schutzpflichten in bestimmten Fällen dennoch möglich ist, zeigt ein Vergleich mit dem im Medienrecht anerkannten Gegendarstellungsanspruch.⁴⁷⁶ Das BVerfG leitet insoweit aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG eine an den Gesetzgeber gerichtete Schutzpflicht ab, den Einzelnen wirksam gegen Einwirkungen der Medien auf
Lang, AöR 143 (2018), 220 (245). Ausdrücklich diesen Begriff verwendend Hain/Ferreau/Brings-Wiesen, K&R 2017, 433 (435), wobei der Grundrechtsschutz durch Verfahren im NetzDG gerade als defizitär angesehen wird. Siehe oben im 3. Teil unter B.IV.3.b. So allgemein für die Auswirkungen der grundrechtlichen Schutzpflicht auf mögliche gesetzgeberische Maßnahmen bezüglich der Kommunikation in sozialen Netzwerken auch Schliesky/Hoffmann/Luch/Schulz/Borchers, Schutzpflichten und Drittwirkung im Internet, S. 145. BVerfG, Urteil vom 28. Mai 1993 – 2 BvF 2/90 und 4,5/92, BVerfGE 88, 203 (254). Klein, JuS 2006, 960 (961). BVerfG, Urteil vom 28. Mai 1993 – 2 BvF 2/90 und 4,5/92, BVerfGE 88, 203 (254 f.); ausführlich zum Untermaßverbot in der Rechtsprechung des BVerfG Störring, Das Untermaßverbot in der Diskussion, S. 73 ff. BVerfG, Beschluss vom 30. November 1988 – 1 BvR 1301/84 – BVerfGE 79, 174 (202). Vgl. Holznagel, Notice and Take-Down-Verfahren als Teil der Providerhaftung, S.238, der von einem Vorbildcharakter des Gegendarstellungsanspruchs für Verteidigungsmöglichkeiten gegen Inhaltssperrungen im Internet ausgeht.
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seine Individualsphäre zu schützen.⁴⁷⁷ Dazu gehöre, „dass der von einer Darstellung in den Medien Betroffene die rechtliche gesicherte Möglichkeit hat, ihr mit seiner eigenen Darstellung entgegenzutreten“⁴⁷⁸. Aus diesen Ausführungen wird zu Recht eine verfassungsrechtliche Verwurzelung des Gegendarstellungsanspruchs gefolgert,⁴⁷⁹ die ihren Ursprung in der grundrechtlichen Schutzpflicht des Gesetzgebers mit Blick auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht hat. Auch bezüglich der Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG ist der Gesetzgeber aufgrund der grundrechtlichen Schutzpflicht berechtigt und unter Umständen auch verpflichtet, besondere Normen zu schaffen, um die Freiheitlichkeit der Kommunikation und insbesondere die Funktionsfähigkeit von Kommunikationsprozessen sicherzustellen.⁴⁸⁰ Besondere Vorkehrungen zum Schutz kommunikativer Chancengerechtigkeit sind insbesondere angezeigt, wenn bestimmte Akteure infolge einer Machtposition Filterfunktionen für die Zugänglichkeit zu Kommunikationsprozessen ausüben.⁴⁸¹ Dies kann bei den Betreibern sozialer Netzwerke aufgrund ihrer Stellung im Kommunikationsprozess angenommen werden, da der Nutzer zur Verbreitung von Meinungsäußerungen über ein soziales Netzwerk gerade auf die Dienste des jeweiligen Netzwerkbetreibers angewiesen ist. Dieses Machtgefälle wird im Zusammenhang mit der Löschung von Beiträgen insbesondere dann problematisch, wenn der Verfasser eines gelöschten Beitrags im Lösch- und dem vorgelagerten Prüfverfahren gar nicht zwingend einbezogen werden muss.⁴⁸² Das NetzDG ermöglicht den Netzwerkbetreibern allerdings gerade ein solches Vorgehen ohne Einbeziehung des Beitragsverfassers, da es die Netzwerkbetreiber lediglich gem. § 3 Abs. 2 Nr. 5 NetzDG zu einer Information des Nutzers über eine Löschentscheidung verpflichtet, eine Beteiligung bereits vor einer Löschentscheidung hingegen in § 3 Abs. 2 Nr. 3 lit. a) Hs. 2 NetzDG nur als fakultative Möglichkeit nennt und damit in das Ermessen der Netzwerkbetreiber stellt. Bei der Entscheidung über die Löschung eines Beitrags kommt das Machtgefälle zwischen Netzwerkbetreiber und Nutzer somit besonders eklatant zur Geltung, da aus Sicht des Nutzers eine Löschung möglich ist, ohne dass er ein Recht zur Einbringung seiner eigenen
BVerfG, Urteil vom 4. November 1986 – 1 BvF 1/84, BVerfGE 73, 118 (201); BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 1998 – 1 BvR 1861/93, 1864/96, 2073/97, BVerfGE 97, 125 (146). BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 1998 – 1 BvR 1861/93, 1864/96, 2073/97, BVerfGE 97 125 (146) unter Bezugnahme auf BVerfG, Beschluss vom 8. Februar 1983 – 1 BvL 20/81, BVerfGE 63, 131 (142). Bethge, DÖV 1987, 309 (310). Hoffmann-Riem, Kommunikationsfreiheiten, S. 100 f. Hoffmann-Riem, Kommunikationsfreiheiten, S. 101. Steinbach, JZ 2017, 653 (660).
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Sichtweise in das Entscheidungsverfahren geltend machen kann.⁴⁸³ Eine Beteiligung des Verfassers eines gemeldeten Beitrags im Beschwerdeverfahren erscheint somit dringend geboten, um die Position von Nutzern gegenüber den im Kommunikationsprozess strukturell ohnehin weit mächtigeren Netzwerkbetreibern zu stärken.⁴⁸⁴ Diese Bewertung steht auch im Einklang zur Rechtsprechung des BGH, der vor der Löschung persönlichkeitsrechtsverletzender Inhalte auf Blogs regelmäßig die Einholung einer Stellungnahme des Verfassers oder jedenfalls die Einräumung einer Möglichkeit zur Stellungnahme innerhalb einer angemessenen Frist verlangt.⁴⁸⁵ Zwar bleibt der BGH eine genaue dogmatische Herleitung dieser Pflicht zur Einholung einer Stellungnahme schuldig.⁴⁸⁶ Es erscheint allerdings naheliegend, die richterrechtlich anerkannte Verpflichtung zur Anhörung des Verfassers eines bestimmten Inhalts auf den oben hergeleiteten und erläuterten Schutzpflichtgedanken zu stützen. Zudem ist bei der Entscheidung über die Rechtswidrigkeit von Beiträgen zu beachten, dass jede rechtliche Würdigung von Äußerungen zunächst eine zutreffende Erfassung ihres Sinngehalts voraussetzt.⁴⁸⁷ Die Entscheidung über die rechtliche Zulässigkeit einer Äußerung hängt mithin von der Auslegung der betroffenen Äußerung ab.⁴⁸⁸ Dies erfordert auch, dass mehrdeutige Äußerungen nur dann als rechtswidrig angesehen werden dürfen, wenn andere Deutungsmöglichkeiten mit überzeugenden Gründen ausgeschlossen wurden.⁴⁸⁹ Eine Ermittlung der für den Beitragsverfasser vorteilhaften Deutungsmöglichkeiten scheint allerdings kaum möglich, ohne dass dem sich Äußernden Gelegenheit gegeben wird, den Sinn der Äußerung aus seiner Sicht zu erläutern.⁴⁹⁰ Mit Blick auf das durch das NetzDG etablierte Beschwerdeverfahren für gemeldete Inhalte sozialer Netzwerke ist somit eine Beteiligung des Verfassers eines gemeldeten Beitrags vor
Vgl. Steinbach, JZ 2017, 653 (660), der davon spricht, dass der Grundrechtseingriff durch diese Konstruktion nur zwischen drei Beteiligten – Beschwerdeführer, Netzwerkbetreiber und staatlichen Stellen – ausgemacht werde. Ähnlich Lang, AöR 143 (2018), 220 (245); von einer verfassungsrechtlich gebotenen Notwendigkeit der obligatorischen Nutzerbeteiligung im Beschwerdeverfahren ausgehend auch Adelberg, Rechtspflichten und -grenzen der Betreiber sozialer Netzwerke, S. 127 f. BGH, Urteil vom 25. Oktober 2011 – VI ZR 93/10, GRUR 2012, 311, Rn. 27. Eifert, in: Eifert/Gostomzyk, Netzwerkrecht, S. 9 (37). BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 1995 – 1 BvR 1476, 1980/91 und 102, 221/92, BVerfGE 93, 266 (295). Grimm, NJW 1995, 1697 (1700). BVerfG, Beschluss vom 19. April 1990 – 1 BvR 40, 42/86, BVerfGE 82, 43 (52). Müller-Franken, AfP 2018, 1 (8).
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einer Entscheidung über eine Löschung oder Sperrung auch unter dem Gesichtspunkt zutreffender Sinnermittlung notwendig.⁴⁹¹
(ii) Bisherige Anhörungspraxis der Netzwerkbetreiber und Möglichkeit einer verfassungskonformen Interpretation Teilweise wird davon ausgegangen, dass das NetzDG die Beteiligung der Nutzer im Beschwerdeverfahren nicht ausschließe und dementsprechend einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich sei, wonach bei kontextsensitiven Inhalten stets eine Einbeziehung des Beitragsverfassers vor einer Entscheidung über die Löschung oder Sperrung des Beitrags stattfinden müsse.⁴⁹² Die Lösung des Problems über eine verfassungskonforme Auslegung ist aus Sicht der Nutzer allerdings nur dann interessengerecht, wenn eine solche verfassungskonforme Auslegung auch in der Praxis der Netzwerkbetreiber tatsächlich vorgenommen wird, die Netzwerkbetreiber mithin also regelmäßig zumindest bei nicht offensichtlich rechtswidrigen Inhalten im Beschwerdeverfahren dem sich äußernden Nutzer eine Gelegenheit zur Stellungnahme bieten. Die Netzwerkbetreiber holen bei der praktischen Durchführung der Beschwerdeverfahren bislang jedoch anscheinend nur in den seltensten Fällen eine Stellungnahme der Nutzer ein, bevor Beiträge gelöscht oder gesperrt werden. Dies zeigt sich bei einem Blick auf die Transparenzberichte von Facebook und Youtube: Facebook gibt für den Berichtszeitraum Januar bis Juni 2018 fünf Fälle der Einholung einer Stellungnahme nach § 3 Abs. 2 Nr. 3 lit. a) Hs. 2 NetzDG bei insgesamt 1704 gemeldeten Inhalten an.⁴⁹³ Im Zeitraum Juli bis Dezember 2018 sei bei insgesamt 1.048 gemeldeten Inhalten in sieben Fällen eine Stellungnahme eingeholt worden,⁴⁹⁴ von Januar bis Juni 2019 sei es zu drei eingeholten Nutzerstellungnahmen bei insgesamt 1.050 gemeldeten Inhalten,⁴⁹⁵ von Juli bis Dezember 2019 zu drei eingeholten Nutzerstellungnahmen bei insgesamt 4.274 ge-
Schiff, MMR 2018, 366 (368). Eifert, in: Eifert/Gostomzyk, Netzwerkrecht, S. 9 (37). NetzDG Transparenzbericht Facebook von Juli 2018, online abrufbar unter https://about.fb. com/wp-content/uploads/2018/07/facebook_netzdg_juli_2018_deutsch-1.pdf (Stand: 11. Juli 2021), S. 3 und 7. NetzDG Transparenzbericht Facebook von Januar 2019, online abrufbar unter https://about. fb.com/wp-content/uploads/2019/01/facebook_netzdg_januar_2019_deutsch52.pdf (Stand: 11. Juli 2021), S. 4 und 10. NetzDG-Transparenzbericht Facebook von Juli 2019, online abrufbar unter https://about.fb. com/wp-content/uploads/2019/07/facebook_netzdg_july_2019_deutsch_2.pdf (Stand: 11. Juli 2021), S. 4 und 11.
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meldeten Inhalten gekommen.⁴⁹⁶ Die Anteile von Fällen, in denen Facebook tatsächlich von der Möglichkeit der Einholung einer Nutzerstellungnahme Gebrauch gemacht hat, liegen somit für die bisher zahlenmäßig erfassten Berichtszeiträume bei jeweils deutlich unter einem Prozent. Für das soziale Netzwerk Youtube wird eine Gesamtzahl von 76 Inhalten angegeben, bei denen nach Eingang der Beschwerde der Uploader kontaktiert worden sei, um dessen Stellungnahme bezüglich des gemeldeten Inhalts einzuholen.⁴⁹⁷ Diese Zahl scheint die Addition aller in den einzelnen bislang abgeschlossenen Berichtszeiträumen eingeholten Stellungnahmen darzustellen.⁴⁹⁸ Im Verhältnis zur Gesamtzahl aller 1.047.687 in den bislang abgeschlossenen Berichtszeiträumen gemeldeten Inhalte⁴⁹⁹ ergibt sich somit, dass Youtube in weniger als 0,01 Prozent der Fälle eine Stellungnahme der uploadenden Nutzer eingeholt hat. Youtube selbst gibt als Erklärung für diese sehr niedrige Zahl an eingeholten Stellungnahmen an, dass es für eine substantiierte Antwort des Uploaders zunächst einer ausreichend konkret und substantiiert vorgetragenen Beschwerde bedürfe, die in der Mehrheit der Fälle nicht vorliege, weswegen in diesen Fällen kein hinreichender Grund für eine Kontaktaufnahme mit dem Uploader vorliege.⁵⁰⁰ Dieser Umstand leuchtet ein, vermag allerdings nicht die auch im Verhältnis zur Zahl der gelöschten oder gesperrten Inhalte⁵⁰¹ äußerst niedrige Zahl an eingeholten Nutzerstellungnahmen zu erklären. Zu konstatieren ist somit, dass in einer sehr großen Mehrheit der Fälle sowohl Facebook als auch Youtube die Prüfung gemeldeter Inhalte ohne Beteiligung des
NetzDG-Transparenzbericht Facebook von Januar 2020, online abrufbar unter https://about. fb.com/wp-content/uploads/2020/01/facebook_netzdg_Januar_2020_German.pdf (Stand: 11. Juli 2021), S. 4 und 12. NetzDG-Transparenzbericht Youtube, online abrufbar unter https://transparencyreport.goo gle.com/netzdg/youtube?hl=de&items_by_submitter=period:Y2018H1&lu=verified_reporting_ agencies&verified_reporting_agencies=period:Y2018H2 (Stand: 11. Juli 2021). Dies ergibt sich zum einen daraus, dass in dem elektronischen Dokument bei allen Zeiträumen stets eine unveränderte Zahl der eingeholten Stellungnahmen angegeben wird, während in einer früheren Version des elektronischen Dokuments anscheinend noch angegeben wurde, dass es im ersten Berichtszeitraum zwischen Januar und Juni 2018 zu überhaupt keiner eingeholten Nutzerstellungnahme gekommen sei, vgl. insoweit die Angabe bei Löber/Roßnagel, MMR 2019, 71 Fn. 48. Siehe für die Zahlen der gemeldeten Inhalte in den einzelnen Zeiträumen bereits oben unter 3.b.iii. NetzDG-Transparenzbericht Youtube, online abrufbar unter https://transparencyreport.goo gle.com/netzdg/youtube?items_by_submitter=period:Y2018H2&lu=reports_resulti (Stand: 11. Juli 2021). Siehe für die Zahlen der gelöschten und gesperrten Inhalte in den einzelnen Zeiträumen oben unter 3.b.iii.
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Nutzers durchführen, der den gemeldeten Inhalt hochgeladen hat. Das durch das NetzDG gewählte Modell einer möglichen, aber nicht verpflichtenden Beteiligung des Verfassers eines gemeldeten Beitrags im Beschwerdeverfahren führt mithin in der Praxis nur in Ausnahmefällen dazu, dass die Netzwerkbetreiber Nutzern, deren Beiträge von anderen Nutzern als mutmaßlich rechtswidrig gemeldet worden sind, Gelegenheit zur Stellungnahme einräumen. Grundsätzlich könnten diese sehr niedrigen Zahlen der Beteiligung von Beitragsverfassern im Beschwerdeverfahren damit zusammenhängen, dass eine sehr hohe Zahl gemeldeter Inhalte von den Netzwerkbetreibern als offensichtlich rechtswidrig i.S.v. § 3 Abs. 2 Nr. 2 NetzDG eingestuft wird und die Netzwerkbetreiber aufgrund der Offensichtlichkeit eine Anhörung für entbehrlich halten. Diese These lässt sich anhand der in den Transparenzberichten angegebenen Bearbeitungszeit vor der Löschung oder Sperrung von Inhalten auf ihre Tragfähigkeit überprüfen. Denn bei einer Bearbeitungszeit von über 24 Stunden kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Netzwerkbetreiber den betreffenden Inhalt als offensichtlich rechtswidrig bewertet hat, da es anderenfalls nahegelegen hätte, eine Löschung innerhalb von 24 Stunden durchzuführen, um der Pflicht nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 NetzDG nachzukommen. Facebook gibt an, zwischen Juli und Dezember 2018 sei es in 51 Fällen erst nach über 24 Stunden zu einer Sperrung oder Löschung eines beanstandeten Inhalts gekommen,⁵⁰² zwischen Januar und Juni 2019 in 35 Fällen⁵⁰³ sowie zwischen Juli und Dezember 2019 in 72 Fällen⁵⁰⁴. Im Transparenzbericht für den Zeitraum Januar bis Juni 2018 hat Facebook noch kein für die Zwecke der hiesigen Untersuchung aufschlussreiches Zahlenmaterial veröffentlicht, da in der nach einzelnen Straftatbeständen unterteilten Tabelle Inhalte doppelt aufgeführt sein können, soweit in der Beschwerde mehrere Gründe für die angenommene Rechtswidrigkeit genannt werden.⁵⁰⁵
NetzDG Transparenzbericht Facebook von Januar 2019, online abrufbar unter https://about. fb.com/wp-content/uploads/2019/01/facebook_netzdg_januar_2019_deutsch52.pdf (Stand: 11. Juli 2021), S. 11. NetzDG-Transparenzbericht Facebook von Juli 2019, online abrufbar unter https://about.fb. com/wp-content/uploads/2019/07/facebook_netzdg_july_2019_deutsch_2.pdf (Stand: 11. Juli 2021), S. 12. NetzDG-Transparenzbericht Facebook von Januar 2020, online abrufbar unter https://about. fb.com/wp-content/uploads/2020/01/facebook_netzdg_Januar_2020_German.pdf (Stand: 11. Juli 2021), S. 13. Vgl. die Erläuterung der Tabelle im NetzDG-Transparenzbericht Facebook von Juli 2018, online abrufbar unter https://about.fb.com/wp-content/uploads/2018/07/facebook_netzdg_juli_ 2018_deutsch-1.pdf (Stand: 11. Juli 2021), S. 8.
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Aus dem Transparenzbericht von Youtube ergibt sich für die bislang erfassten Berichtszeiträume, dass bei 4.098 Inhalten zwischen Januar und Juni 2018, bei 2.614 Inhalten zwischen Juli und Dezember 2018, bei 8.676 Inhalten zwischen Januar und Juni 2019 sowie bei 5.598 Inhalten zwischen Juli und Dezember 2019 die Bearbeitungszeit des Beschwerdeverfahrens mehr als 24 Stunden betragen habe.⁵⁰⁶ Diese Zahlen zeigen, dass Facebook und Youtube tatsächlich eine weit überwiegende Mehrheit der gemeldeten Beiträge innerhalb von 24 Stunden löschen und somit in einem Großteil der Fälle von einer offensichtlichen Rechtswidrigkeit auszugehen scheinen.⁵⁰⁷ Es ist jedoch auch nicht zu übersehen, dass die Zahl der erst nach mehr als 24 Stunden durchgeführten Löschungen oder Sperrungen um ein Vielfaches höher liegt als die Zahl der durchgeführten Anhörungen betroffener Nutzer im jeweils gleichen Zeitraum. Aus einer Zusammenschau dieser Zahlen lässt sich somit schließen, dass Facebook und Youtube gerade nicht nur bei von ihnen als offensichtlich rechtswidrig eingestuften Inhalten von der Einholung einer Stellungnahme des Beitragsverfassers absehen, sondern auch in Fällen, in denen sie angesichts der Überschreitung der Löschfrist von 24 Stunden von sonstigen rechtswidrigen Inhalten i.S.v. § 3 Abs. 2 Nr. 3 NetzDG auszugehen scheinen. Die geringen Zahlen eingeholter Nutzerstellungnahmen bei Facebook und Youtube lassen sich mithin allein durch eine mögliche offensichtliche Rechtswidrigkeit der betroffenen Beiträge nicht erklären.
(iii) Schlussfolgerungen aus der bisherigen Anhörungspraxis und Erforderlichkeit einer verpflichtenden Anhörungsregelung Das im NetzDG gewählte Modell einer bloß fakultativen Anhörung des Verfassers eines Beitrags im Beschwerdeverfahren zeigt sich angesichts des minimalen Anteils eingeholter Stellungnahmen in der Praxis folglich als vollkommen ungeeignet, um sicherzustellen, dass die Sichtweise des Nutzers tatsächlich in die Entscheidung über die Löschung eines Beitrags einbezogen wird.⁵⁰⁸
NetzDG-Transparenzbericht Youtube, online abrufbar unter https://transparencyreport.goo gle.com/netzdg/youtube?items_by_submitter=period:Y2018H2&lu=turnaround_time_by_submit ter&turnaround_time_by_submitter=period:Y2019H1 (Stand: 11. Juli 2021). Vgl. als Beleg die Zahlen zu den insgesamt vorgenommenen Löschungen bzw. Sperrungen in den einzelnen Berichtszeiträumen oben unter 3.b.iii. Mit der Forderung einer verpflichtenden Anhörung des betroffenen Nutzers auch Gersdorf, Stellungnahme für die öffentliche Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestags am 15. Mai 2019, S. 3, online abrufbar unter https://www.bundestag.de/re
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Für offensichtlich rechtswidrige Inhalte i.S.v. § 3 Abs. 2 Nr. 2 NetzDG mag eine Anhörung jedenfalls bei enger Auslegung des Begriffs der Offensichtlichkeit zwar nicht zwingend erforderlich sein, weil bei evident rechtswidrigen Inhalten die Einholung einer Stellungnahme des Beitragsverfassers zu keinem anderen Prüfergebnis führen würde und daher keine legitimen Interessen des Nutzers erkennbar sind, die durch eine verpflichtende Anhörung geschützt werden müssten.⁵⁰⁹ Anders zu bewerten ist dies hingegen bei allen übrigen Fällen, in denen die Rechtswidrigkeit nicht offensichtlich ist. Auch in diesen Fällen haben die Netzwerkbetreiber auf der Grundlage der oben⁵¹⁰ ausgewerteten Daten von Facebook und Youtube in der weit überwiegenden Zahl gelöschter oder gesperrter Inhalte von einer vorherigen Anhörung des Beitragsverfassers abgesehen. Die Feststellung der Rechtswidrigkeit ist in Fällen der nicht offensichtlichen Rechtswidrigkeit jedoch von der Abwägung der sich gegenüberstehenden verfassungsrechtlich geschützten Interessen abhängig.⁵¹¹ Diese Interessenabwägung erscheint defizitär, wenn die Sichtweise des sich äußernden Nutzers zu seinem gemeldeten Beitrag gar nicht mit einbezogen werden kann, weil er gar keine Möglichkeit hatte, vor Abschluss des Prüfverfahrens eine Stellungnahme abzugeben. Zu genau diesem Ergebnis führt jedoch die praktische Anwendung der Vorgaben des NetzDG durch die Netzwerkbetreiber in der ganz überwiegenden Zahl der Beschwerdeverfahren auch bei nicht offensichtlich rechtswidrigen Beiträgen. Der Gesetzgeber hat somit angesichts des äußerst niedrigen Anteils an Fällen, in denen die Netzwerkbetreiber im Rahmen des Beschwerdeverfahrens eine Stellungnahme des Inhaltsverfassers eingeholt haben, erkennbar nur unzulängliche und ungeeignete rechtliche Maßnahmen getroffen, um eine Berücksichtigung der Sichtweise des Nutzers im Beschwerdeverfahren sicherzustellen. Die Folge ist, dass der Nutzer gegebenenfalls zur Eingehung eines Prozessrisikos verpflichtet wird, da dem einzelnen Nutzer bei einer Löschung oder Sperrung seines Inhalts im Regelfall nur die gerichtliche Geltendmachung eines zivilsource/blob/642246/14bab1ebaf5a1b6457ece3599485bc15/gersdorf-data.pdf (Stand: 11. Juli 2021); für die Ausgestaltung der Anhörung des betroffenen Nutzers als Soll-Vorschrift Boddin, Stellungnahme für die öffentliche Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestags am 15. Mai 2019, online abrufbar unter https://www.bundestag.de/resour ce/blob/642630/29bd078f1395f9b5517c1e4d1e3da94d/boddin_ibh-data.pdf (Stand: 11. Juli 2021), S. 7 f. Eifert, in: Eifert/Gostomzyk, Netzwerkrecht, S. 9 (37). Siehe oben unter 3.c.ii. Hain/Ferreau/Brings-Wiesen, K&R 2017, 433 (435); allgemein zum Abwägungserfordernis im Rahmen der Prüfung von Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG sowie zu den hierzu entwickelten Fallgruppen Hoffmann-Riem, Kommunikationsfreiheiten, S. 120 f.
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rechtlichen Wiederherstellungsanspruchs bleibt, um seine Meinungsfreiheit bei der Kommunikation in sozialen Netzwerken auszuüben.⁵¹² Der Gesetzgeber hat es mangels einer Regelung zur verpflichtenden Beteiligung des Verfassers eines gemeldeten Beitrags im Beschwerdeverfahren versäumt, im NetzDG geeignete Vorkehrungen zu treffen, damit der Nutzer nicht die „Kosten der Ausübung der Meinungsfreiheit“⁵¹³ tragen muss. Dies stellt sich mithin als Verstoß gegen die Schutzpflicht des Staats bezüglich der Meinungsfreiheit der Nutzer sozialer Netzwerke dar.
4. Privatisierung der Rechtsdurchsetzung Kritisiert wird unter dem Stichwort Privatisierung der Rechtsdurchsetzung zudem, dass durch die Prüf- und Löschpflichten aus § 3 Abs. 2 NetzDG die Betreiber sozialer Netzwerke als Private eine Entscheidung über die Strafbarkeit von Inhalten treffen müssten, die wegen des aus Art. 20 Abs. 3 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG hergeleiteten Justizgewährungsanspruchs als hoheitliche Aufgabe staatlichen Gerichten vorbehalten bleiben müsse.⁵¹⁴ Die aus § 3 Abs. 2 NetzDG folgenden Prüf- und Löschpflichten führen in der Tat dazu, dass die Betreiber sozialer Netzwerke in einem ersten Schritt selbst eine Entscheidung über die Rechtmäßigkeit von Inhalten treffen müssen. Dass hierdurch zunächst Privatrechtssubjekte die Rechtmäßigkeit von Veröffentlichungen auf einem von ihnen betriebenen Medium überprüfen, war allerdings bereits vor Inkrafttreten des NetzDG nicht unüblich.⁵¹⁵ Insbesondere galt schon vor dem NetzDG für Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet der Grundsatz, dass neben einem Vorgehen gegen den Autor auch ein Vorgehen gegen Plattformbetreiber möglich ist und die Betreiber in diesem Rahmen eine Erstbeurteilung über die rechtliche Zulässigkeit vornehmen.⁵¹⁶ Auch darüber hinaus zeigt bereits die
Lang, AöR 143 (2018), 220 (247). Lang, AöR 143 (2018), 220 (247). Wimmers/Heymann, AfP 2017, 93 (97 f.); ebenfalls mit der Annahme einer Privatisierung der Rechtsdurchsetzung Guggenberger, ZRP 2017, 98 (100); kritisch jedenfalls mit Blick auf den durch die Prüf- und Löschpflichten steigenden Einfluss der Netzwerkbetreiber auf die Meinungsbildung auch Paal/Hennemann, JZ 2017, 641 (650) sowie Steinbach, JZ 2017, 653 (659); mit der sehr weitgehenden Wertung, wonach Diensteanbieter eine Löschung von Inhalten nur noch aufgrund gerichtlicher Anordnung durchführen sollten, zudem Pille, NJW 2018, 3545 (3549); für ein auf einem stark verbesserten summarischen gerichtlichen Rechtsschutz basierendes Regelungsmodell zudem Spindler, GRUR 2018, 365 (373). Höch, K&R 2017, 289 (291). Schiff, MMR 2018, 366 (368) auch unter Verweis auf die Regelung in Art. 14 E-CommerceRichtlinie (RL 2000/31/EG), wonach Diensteanbieter nur dann nicht für die im Auftrag eines
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Kostentragungspflicht des Klägers im Zivilprozess bei sofortigem Anerkenntnis (§ 93 ZPO), dass der Versuch einer privaten Konfliktlösung vor Einschaltung staatlicher Gerichte in Rechtsstreitigkeiten zwischen Privaten dem geltenden Recht bereits vor Inkrafttreten des NetzDG nicht fremd war.⁵¹⁷ Der verfassungsrechtliche Justizgewährungsanspruch verlangt zwar auch in bürgerlich-rechtlichen Streitigkeiten die Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes, der das Recht auf Zugang zu den Gerichten, eine grundsätzlich umfassende Prüfung der Sache in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht sowie eine verbindliche richterliche Entscheidung umfasst.⁵¹⁸ § 3 Abs. 2 NetzDG führt allerdings nur zu einer Erstentscheidung der Netzwerkbetreiber über die Rechtswidrigkeit von Inhalten, die Letztentscheidung über die Löschung oder Nichtlöschung von Beiträgen und damit mittelbar auch über die zugrundeliegende Frage der Rechtmäßigkeit von Inhalten in sozialen Netzwerken liegt hingegen stets bei staatlichen Gerichten.⁵¹⁹ Eine gerichtliche Überprüfungsmöglichkeit der Erstentscheidung der sozialen Netzwerke ist in jeder denkbaren Konstellation möglich und wird durch die Vorgaben des NetzDG weder erschwert noch unmöglich gemacht. In Fällen einer trotz Beschwerde unterbliebenen Löschung ist es dem Beschwerdeführer unbenommen, nach erfolgloser Beschwerde seine Ansprüche auf Löschung zivilgerichtlich gegen den jeweiligen Netzwerkbetreiber geltend zu machen. Ein zivilrechtlicher Anspruch auf Löschung kann sich insoweit aus dem zwischen Beschwerdeführer und Netzwerkbetreiber bestehenden Vertragsverhältnis ergeben, daneben kommen auch gesetzliche Ansprüche aus §§ 823, 1004 BGB in Betracht⁵²⁰. Auch soweit der mit seiner Beschwerde nicht erfolgreiche Beschwerdeführer im Anschluss gegen den Verfasser des beanstandeten Beitrags vorgehen möchte und hierzu zunächst die nach § 14 Abs. 4 TMG erforderliche gerichtliche Anordnung einholt, ist aufgrund des ausdrücklichen Verweises auf den Straftatenkatalog des § 1 Abs. 3 NetzDG eine gerichtliche Inzidentprüfung der Rechtmäßigkeit der beanstandeten Äußerungen sichergestellt.⁵²¹ Nutzers gespeicherten Informationen verantwortlich sind, solange sie keine Kenntnis davon haben. Eifert, NJW 2017, 1450 (1451); Schiff, MMR 2018, 366 (368). BVerfG, Beschluss vom 12. Februar 1992– 1 BvL 1/89, BVerfGE 85, 337 (345). Eifert, NJW 2017, 1450 (1451). Ebenfalls auf diese Anspruchsgrundlage rekurrierend Liesching, in: Spindler/Schmitz/Liesching, TMG, § 5 NetzDG Rn. 8. Vgl. zu einer solchen Fallkonstellation die öffentlich stark diskutierte Entscheidung des LG Berlin, Beschluss vom 9. September 2019 – 27 AR 17/19, MMR 2019, 754. Dem Beschluss lag ein Antrag der Grünen-Politikerin Renate Künast auf gerichtliche Anordnung der Auskunft nach § 14 Abs. 3, 4 TMG zugrunde, deren Erlass das Gericht mit der Begründung verweigerte,
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Soweit das Bundesamt für Justiz (BfJ) als zuständige Ordnungswidrigkeitenbehörde (§ 4 Abs. 4 S. 1 NetzDG) eine Bußgeldentscheidung nach § 4 Abs. 1 NetzDG auf die fälschliche Nichtentfernung oder Nichtsperrung von Inhalten stützen möchte, so muss das BfJ gem. § 4 Abs. 5 NetzDG bereits vor der behördlichen Entscheidung eine gerichtliche Vorabentscheidung über die Rechtswidrigkeit der betroffenen Inhalte einholen. Trotz dieses Vorabentscheidungsverfahrens ist in der Folge auch gegen einen Bußgeldbescheid nach zulässigem Einspruch durch die Betreiber sozialer Netzwerke eine gerichtliche Überprüfung nach §§ 71 ff. OWiG möglich, wobei die Entscheidung im Vorabentscheidungsverfahren keine Bindungswirkung entfaltet.⁵²² Dadurch ist auch in dieser Konstellation die Möglichkeit einer gerichtlichen Letztentscheidung über die Rechtmäßigkeit von Inhalten sichergestellt. Schließlich ist auch bei Sperrungen und Löschungen durch die Netzwerkbetreiber wegen einer (vermeintlichen) Rechtswidrigkeit eines Beitrags die Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung gegeben. Zwar enthält das NetzDG (bislang) keinen ausdrücklichen Wiederherstellungsanspruch.⁵²³ Unabhängig hiervon lässt sich allerdings bereits dem zwischen Netzwerkbetreiber und Nutzer geschlossenen Vertrag über die Nutzung der Angebote des Netzwerks⁵²⁴ die Leistungspflicht des Betreibers zur Nutzbarkeit des Netzwerks durch Verbreitung zulässiger Angebote entnehmen, woraus zugleich für den Nutzer die Möglichkeit folgt, bei einer pflichtwidrigen Löschung rechtmäßiger Beiträge Erfüllung in der Form der Wiederherstellung des zu Unrecht gelöschten Beitrags zu verlangen.⁵²⁵ Da der von einer vermeintlich unberechtigten Löschung betroffene Nutzer mithin einen Wiederherstellungsanspruch gegenüber dem Netzwerkbetreiber hat, kann er diesen im Zweifel auch zivilgerichtlich einklagen und in diesem Rahmen eine gerichtliche Überprüfung der Entscheidung des Netzwerkbetreibers über die Rechtmäßigkeit des Beitrags herbeiführen. Durch diese in allen denkbaren Konstellationen sichergestellte gerichtliche Letztentscheidungsmöglichkeit besteht ein hinreichend wirkungsvoller Rechtsschutz, der den Anforderungen des Justizgewährungsanspruchs aus Art. 20 Abs. 3 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG genügt. Es erscheint zudem angesichts der Stellung der
bei den zugrundeliegenden Äußerungen handele es sich nicht um strafbare Beleidigungen i.S.v. § 185 StGB. Höld, MMR 2017, 791 (794). Zu entsprechenden rechtspolitischen Vorschlägen und ihrer Bewertung vgl. unten unter C.II. Näher zur zivilrechtlichen Einordnung dieses Vertrags Spindler, CR 2019, 238 (239). Holznagel, CR 2019, 518 (519); mit gleichem Ansatz OLG München, Beschluss vom 17. Juli 2018 – 18 W 858/18, MMR 2018, 760 (Leitsatz 1) sowie OLG Dresden, Beschluss vom 8. August 2018 – 4 W 577/18, MMR 2018, 756 (757).
C. Vorschläge für eine Weiterentwicklung des NetzDG
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Netzwerkbetreiber im Kommunikationsprozess und ihrer sich daraus ergebenden Macht⁵²⁶ unvermeidbar, die Erstentscheidung über die Rechtmäßigkeit von Inhalten den Betreibern zu überlassen.⁵²⁷ Der Gesetzgeber fordert durch § 3 Abs. 2 NetzDG von den Betreibern lediglich die Einrichtung eines Verfahrens, das eine fristgerechte Löschung rechtswidriger Beiträge garantiert, überlässt die Ausgestaltung des Verfahrens im Übrigen weitgehend den Betreibern und wählt damit ein Regulierungsmodell, das den Unternehmen als grundrechtsberechtigten Privaten ihrerseits Freiheiten bei der Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben zugesteht.⁵²⁸ Auch angesichts dessen erscheint es verfehlt, in den Vorgaben des NetzDG eine Privatisierung der Rechtsdurchsetzung erkennen zu wollen.⁵²⁹
5. Zwischenfazit zur Kritik am NetzDG Aus den meisten der in der Literatur gegen das NetzDG erhobenen Kritikpunkten lässt sich eine Verfassungswidrigkeit des Gesetzes nicht herleiten. Allerdings enthält das NetzDG bislang keine geeigneten Vorkehrungen, um eine Beteiligung des Nutzers im Beschwerdeverfahren sicherzustellen. Hieraus ergibt sich ein Verstoß gegen die an den Gesetzgeber gerichtete Schutzpflicht des Staates für die Meinungsfreiheit der Nutzer sozialer Netzwerke.
C. Vorschläge für eine Weiterentwicklung des NetzDG sowie alternative Regulierungsoptionen Angesichts der vielstimmigen öffentlichen wie wissenschaftlichen Diskussion um das NetzDG überrascht es nicht, dass sowohl in der Rechtswissenschaft als auch im rechtspolitischen Raum seit dem Inkrafttreten des NetzDG verschiedene Vorschläge entwickelt und vorgelegt wurden, die auf Änderungen und Überarbeitungen der Regelungen des NetzDG in seiner ursprünglichen Fassung abzielen. Die zentralen Forderungen aus dieser umfangreichen Diskussion sollen daher im Folgenden mit ihren wesentlichen Inhalten dargestellt werden. Ausgehend hiervon soll jeweils untersucht werden, inwieweit die vorgeschlagenen Änderungen unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten gegenüber der ursprünglichen Fassung des NetzDG vorzugswürdig erscheinen. Hierzu Hoffmann-Riem, AöR 137 (2012), 509 (533 ff.). Eifert, NJW 2017, 1450 (1451); ähnlich Lang, AöR 143 (2018), 220 (240 f.). Eifert, in: Eifert/Gostomzyk, Netzwerkrecht, S. 9 (18). Im Ergebnis wie hier Adelberg, Rechtspflichten und -grenzen der Betreiber sozialer Netzwerke, S. 128 f.
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4. Teil: Die Regulierung der Kommunikation in sozialen Netzwerken
I. Aufhebung oder Teilaufhebung des NetzDG Eine komplette oder teilweise Aufhebung des NetzDG wird in der rechtspolitischen Debatte wiederholt vorgeschlagen. Von verschiedenen Bundestagsfraktionen wurden auch bereits entsprechende Gesetzentwürfe vorgelegt, die nachfolgend dargestellt und bewertet werden sollen.
1. Gesetzentwurf der Bundestagsfraktion der AfD Die Bundestagsfraktion der AfD hat bereits im November 2017, mithin bereits kurz nach Inkrafttreten des NetzDG, den „Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes“⁵³⁰ in den Deutschen Bundestag eingebracht.
a. Wesentlicher Inhalt Der Gesetzentwurf sieht eine vollständige Aufhebung des NetzDG vor. Dies wird damit begründet, dass das NetzDG eine pauschale und undifferenzierte Beschränkung der Meinungsfreiheit ermögliche, weshalb von der rechtlichen Konstruktion insgesamt Abstand zu nehmen sei und nur die Aufhebung des Gesetzes eine praktikable Lösung darstelle, um eine freiheitliche Meinungsäußerung in sozialen Netzwerken wieder zu ermöglichen.⁵³¹
b. Bewertung Der Gesetzentwurf der AfD-Bundestagsfraktion würde durch die komplette Aufhebung des NetzDG dazu führen, dass der rechtliche Zustand vor dem Inkrafttreten des NetzDG wiederhergestellt würde. Die Netzwerkbetreiber unterfielen folglich weiterhin dem Haftungsregime der §§ 7 ff. TMG, insbesondere auch der Haftungsprivilegierung nach § 10 TMG bei fehlender Kenntnis von rechtswidrigen Inhalten auf ihren Plattformen.⁵³² Bei einer kompletten Aufhebung des NetzDG gäbe es allerdings keinerlei an die Netzwerkbetreiber gerichtete rechtliche Vorgaben zum Umgang mit Beschwerden über rechtswidrige Inhalte auf den Plattformen. Zwar dürfte es schon unter dem Gesichtspunkt der Vermeidung einer eigenen Haftung nahe liegen, auch ohne rechtliche Verpflichtung irgendeine Form von
Gesetzentwurf der Bundestagsfraktion der AfD, BT-Drs. 19/81. Gesetzentwurf der Bundestagsfraktion der AfD, BT-Drs. 19/81, S. 4. Vgl. hierzu oben unter A.I.
C. Vorschläge für eine Weiterentwicklung des NetzDG
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Beschwerdesystem einzurichten. Die Verantwortlichkeit der Netzwerkbetreiber für die Errichtung eines solchen Beschwerdesystems scheint im Übrigen unvermeidbar, wenn man sich vor Augen führt, dass den Netzwerkbetreibern aufgrund der von ihnen zur Verfügung gestellten technischen und organisatorischen Mittel eine Schlüsselrolle für den Umgang mit rechtswidrigen Inhalten auf den Plattformen zukommt.⁵³³ Diese zentrale Rolle der Netzwerkbetreiber bringt es zwangsläufig mit sich, dass sich für die Netzwerkbetreiber neue Herausforderungen ergeben, wenn es darum geht, eine kontextsensible Prüfung von Inhalten vorzunehmen und durch die Einrichtung geeigneter Verfahren einen Ausgleich der bezüglich konkreter Inhalte betroffenen Interessen zu ermöglichen.⁵³⁴ Gleichzeitig ist zu konstatieren, dass die großen, global agierenden Netzwerkbetreiber hierdurch eine enorme Machtposition innehaben, ohne dass der Einsatz dieser Macht durch rechtsstaatliche und demokratisch legitimierte Verfahren eingehegt ist.⁵³⁵ Der damalige Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz kritisierte die Netzwerkbetreiber bereits zwei Jahre vor Inkrafttreten des NetzDG und warf ihnen vor, ihrer aus dieser Machtposition folgenden Verantwortung nicht gerecht geworden zu sein, da sie auf freiwilliger Basis kein ausreichend effektives Beschwerdemanagement entwickelt hätten. ⁵³⁶ Ungeachtet bereits damals geäußerter Kritik an dieser Bewertung⁵³⁷ wurde letztlich auch die Schaffung des NetzDG damit begründet, dass die zuvor durch die Netzwerkbetreiber zugesagten Selbstverpflichtungen nicht ausreichend wirkten und es erhebliche Probleme bei der Durchsetzung geltenden Rechts auf den Plattformen gebe.⁵³⁸ Als Beleg für diese Einschätzung wurde auf ein Monitoring von jugendschutz.net von Januar/ Februar 2017 verwiesen.⁵³⁹ Dieses ergab, dass im Testzeitraum Januar und Februar 2017 bei Youtube zwar 90 Prozent, bei Facebook jedoch nur 39 Prozent und bei Twitter sogar nur ein Prozent der auf den Plattformen befindlichen strafbaren Inhalte nach Meldung tatsächlich gelöscht wurden.⁵⁴⁰
Beck, ZRP 2019, 112 (114). Eifert, in: Eifert/Gostomzyk, Netzwerkrecht, S. 9 (16). So allgemein für die Machtposition großer Internetkonzerne Hoffmann-Riem, AöR 142 (2017), 1 (38). Maas, ZRP 2015, 222. Vgl. hierzu den Contra-Beitrag von Härting, ZRP 2015, 222. Gesetzentwurf der Bundestagsfraktionen CDU/CSU und SPD, BT-Drs. 18/12356, S. 2. Gesetzentwurf der Bundestagsfraktionen CDU/CSU und SPD, BT-Drs. 18/12356, S. 1 f. jugendschutz.net, Löschung rechtswidriger Hassbeiträge bei Facebook, YouTube und Twitter. Ergebnisse des Monitorings von Beschwerdemechanismen jugendaffiner Dienste, online abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/Downloads/DE/News/Artikel/03142017_Monito ring_jugendschutz.net.pdf?__blob=publicationFile&v=3 (Stand: 11. Juli 2021).
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4. Teil: Die Regulierung der Kommunikation in sozialen Netzwerken
Zu Recht wird allerdings teilweise die Aussagekraft dieses Zahlenmaterials in Zweifel gezogen, da die Untersuchung von jugendschutz.net mit § 86a StGB sowie § 130 StGB nur einen Bruchteil der insgesamt vom NetzDG erfassten Straftatbestände erfasste.⁵⁴¹ Ein umfassendes Bild über die Löschpraxis der Netzwerkbetreiber vor Inkrafttreten des NetzDG lässt sich somit allein aus dem Monitoring von jugendschutz.net nicht gewinnen. Auch die von den Netzwerkbetreibern seit Inkrafttreten des NetzDG veröffentlichten Transparenzberichte enthalten insoweit kein aufschlussreiches Datenmaterial, da Vergleichszahlen aus der Zeit vor Inkrafttreten des NetzDG fehlen, anhand derer mögliche Veränderungen der Löschpraxis ermittelt werden könnten. Da empirische Daten zur Löschpraxis mithin nur begrenzt Aufschluss über die Notwendigkeit der Schaffung des NetzDG geben, ist für eine Beurteilung der Erforderlichkeit regulatorischer Maßnahmen im Sinne des NetzDG erneut die verfassungsrechtliche Ausgangslage bei der Kommunikation in sozialen Netzwerken in den Blick zu nehmen. Während sich der äußernde Nutzer auf die Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG und die Netzwerkbetreiber bei nicht von ihnen selbst verfassten Beiträgen auf die Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG berufen können,⁵⁴² ist für die Opfer von Hassrede deren allgemeines Persönlichkeitsrecht i.S.v. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG als Grundrecht betroffen.⁵⁴³ Für die notwendige Abwägung dieser verschiedenen Grundrechtspositionen ist in Rechnung zu stellen, dass für den sich Äußernden aufgrund der angebotenen Möglichkeit niedrigschwelliger und zugleich potentiell reichweitenstarker Kommunikation nur niedrige Hürden zur Ausübung seiner Meinungsfreiheit bestehen.⁵⁴⁴ Weiterhin begünstigen gerade die Anonymität und Pseudonymität der Kommunikation in sozialen Netzwerken Äußerungen in sehr drastischer und verletzender Form, von denen der Äußernde im Offline-Kontext aus Angst vor sozialen Folgen eher Abstand nehmen würde.⁵⁴⁵ Dies führt dazu, dass gerade die spezifische Funktionsweise sozialer Netzwerke die Wirkung von Hassbotschaften verstärkt.⁵⁴⁶ Dadurch ist das allgemeine Persönlichkeitsrecht potentieller Opfer
Liesching, in: Spindler/Schmitz/Liesching, TMG, § 1 NetzDG Rn. 6; mit dem Vorwurf, das Monitoring sei nicht repräsentativ, auch Nolte, ZUM 2017, 552 (553 f.). Siehe oben im 3. Teil unter B.II. und III. Lang, AöR 143 (2018), 220 (228). Staben, Abschreckungseffekt auf die Grundrechtsausübung, S. 164 f. Ausführlich zu den Auswirkungen von Anonymität und Pseudonymität bei der Kommunikation im Internet Döring, in: Schweiger/Beck, Handbuch Online-Kommunikation, S. 159 (165 ff.). Lang, AöR 143 (2018), 220 (231).
C. Vorschläge für eine Weiterentwicklung des NetzDG
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hasserfüllter Beiträge bei der Kommunikation in sozialen Netzwerken in besonderer Weise Gefahren ausgesetzt.⁵⁴⁷ Vor dem Hintergrund dieser besonderen Gefährdung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts erhält die Schutzpflichtdimension des allgemeinen Persönlichkeitsrechts besondere Bedeutung.⁵⁴⁸ Den Gesetzgeber trifft mit Blick auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht eine Pflicht zum Schutz des Einzelnen vor Einwirkungen der Medien auf seine Individualsphäre.⁵⁴⁹ Mithin ist der Gesetzgeber auch bei der Kommunikation in sozialen Netzwerken verpflichtet, Vorkehrungen für einen angemessenen Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu treffen.⁵⁵⁰ Bei allen empirischen Unsicherheiten mit Blick auf die Situation vor Inkrafttreten des NetzDG sind jedenfalls Zweifel angebracht, ob die Netzwerkbetreiber ohne gesetzliche Vorgaben eine Löschpraxis gewährleisteten, die durch zeitnahe Löschung persönlichkeitsrechtsverletzender Inhalte diesem Schutzgedanken entspricht. Denn wenn im Monitoring von jugendschutz.net für die Straftatbestände des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (§ 86a StGB) sowie der Volksverhetzung (§ 130 StGB) Löschquoten von zum Teil nur einem Prozent der gemeldeten Inhalte ermittelt werden,⁵⁵¹ so ist die Annahme nicht fernliegend, dass auch bei persönlichkeitsrechtsrelevanten Delikten wie der Beleidigung (§ 185 StGB) eine Löschung rechtswidriger Beiträge ohne gesetzliche Vorgaben zum Umgang mit gemeldeten Inhalten nicht gewährleistet war.⁵⁵² Hinzu kommt, dass der komplette Verzicht auf rechtliche Vorgaben zur Strukturierung des Beschwerdemanagements der Netzwerkbetreiber gerade in richterrechtlich geprägten Bereichen wie dem Äußerungsrecht in verstärktem Allgemein zu den Gefahren für das allgemeine Persönlichkeitsrecht bei der Kommunikation im Internet auch Wandtke, MMR 2019, 142 (142 ff.). Ähnlich Eifert, in: Eifert/Gostomzyk, Netzwerkrecht, S. 9 (32); allgemein für alle Bereiche, in denen der Staat Privaten einen weiten Entfaltungsspielraum lässt, auch Di Fabio, in: MaunzDürig, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 135. BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 1998 – 1 BvR 1861/93, 1864/96, 2073/97, BVerfGE 97, 125 (146). Vgl. Lang, AöR 143 (2019), 220 (229), der zugleich darauf verweist, dass dieser Aspekt in der verfassungsrechtlichen Debatte um das NetzDG nur geringe Beachtung zu finden scheint. jugendschutz.net, Löschung rechtswidriger Hassbeiträge bei Facebook, YouTube und Twitter. Ergebnisse des Monitorings von Beschwerdemechanismen jugendaffiner Dienste, online abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/Downloads/DE/News/Artikel/03142017_Monito ring_jugendschutz.net.pdf?__blob=publicationFile&v=3 (Stand: 11. Juli 2021). Kritisch zur Löschpraxis der Netzwerkbetreiber vor Inkrafttreten des NetzDG auch mit Blick auf den Straftatbestand der Beleidigung Boddin, Stellungnahme für die Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestags am 15. Mai 2019, online abrufbar unter https://www.bundestag.de/resource/blob/642630/29bd078f1395f9b5517c1e4d1e3da94d/ boddin_ibh-data.pdf (Stand: 11. Juli 2021).
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4. Teil: Die Regulierung der Kommunikation in sozialen Netzwerken
Maße zu Rechtsunsicherheit bei allen an der Kommunikation beteiligten Akteuren führt.⁵⁵³ Angesichts dieser komplexen Ausgangslage erscheint es problematisch, komplett auf staatliche Regelungen zu verzichten, die Vorgaben für den Umgang der sozialen Netzwerke mit Beschwerden über rechtswidrige Inhalte enthalten.⁵⁵⁴ Durch das NetzDG werden den Netzwerkbetreibern Organisationspflichten für den Umgang mit gemeldeten Inhalten auferlegt und durch Bußgeldandrohungen gleichzeitig Maßnahmen getroffen, um ein Leerlaufen dieser Pflichten zu verhindern.⁵⁵⁵ Mittelbar wird hierdurch auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Opfer von Hassrede geschützt, da insbesondere die zeitlichen Vorgaben zur Prüfung und gegebenenfalls Löschung gemeldeter Inhalte gerade verhindern sollen, dass durch die weitere Sichtbarkeit persönlichkeitsrechtsverletzender Inhalte diese Rechtsverletzung perpetuiert wird.⁵⁵⁶ Gleichzeitig wird durch die in § 3 Abs. 1 S. 2 NetzDG geregelte Vorgabe zur Einrichtung eines leicht erkennbaren, unmittelbar erreichbaren und ständig verfügbaren Verfahrens zur Übermittlung von Beschwerden eine Situation vermieden, in der die Anbieter bevorzugt werden, die eine eigene Kenntnisnahme vermeintlich rechtswidriger Inhalte mangels Einrichtung geeigneter Meldeverfahren vereiteln, wodurch der Rechtsgüterschutz ebenfalls effektiviert wird.⁵⁵⁷ Da durch die Vorgaben des NetzDG mithin ein effektiverer Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts i.S.v. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG möglich ist als beim Verzicht auf an die Netzwerkbetreiber gerichtete gesetzliche Vorgaben zum Beschwerdemanagement, ist der Gesetzgeber durch die Schaffung des NetzDG letztlich seiner grundrechtlichen Schutzpflicht für das allgemeine Persönlich-
Allgemein für Online-Meinungsäußerungen so auch Staben, Abschreckungseffekt auf die Grundrechtsausübung, S. 166. Mit der Ablehnung eines kompletten Verzichts auf normative Regelungen für die OnlineKommunikation auch Kettemann, Global Governance Spotlight 2/2019, online abrufbar unter https://www.sef-bonn.org/fileadmin/SEF-Dateiliste/04_Publikationen/GG-Spotlight/2019/ggs_ 2019-02_de.pdf (Stand: 11. Juli 2021), S. 4. Eifert, in: Eifert/Gostomzyk, Netzwerkrecht, S. 9 (21). Vgl. insoweit Gesetzentwurf der Bundestagsfraktionen CDU/CSU und SPD, BT-Drs. 18/12356, S. 12. Eifert, Stellungnahme für die öffentliche Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestags am 15. Mai 2019, online abrufbar unter https://www.bun destag.de/resource/blob/642746/1b81271c8af6bfa3668fb5d46c880e00/eifert-data.pdf (Stand: 11. Juli 2021), S. 1; vgl. zur Kritik an den bisherigen Vorgaben zu den Meldewegen unten unter IV.
C. Vorschläge für eine Weiterentwicklung des NetzDG
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keitsrecht nachgekommen.⁵⁵⁸ Mit Blick auf den gesetzgeberischen Handlungsspielraum bei der Erfüllung von Schutzpflichten⁵⁵⁹ ist zwar nicht davon auszugehen, dass der Gesetzgeber aufgrund dieser Schutzpflicht zum Erlass von Compliance-Regelungen im Sinne des NetzDG verpflichtet war. Da die im NetzDG verankerten Vorgaben zum Umgang mit Beschwerden über vermeintlich rechtswidrige Inhalte allerdings einen deutlich besseren Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gem. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG gewährleisten, ist das NetzDG unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten dem Verzicht auf gesetzliche Vorgaben für die Gestaltung des Beschwerdeverfahrens vorzuziehen. Der Gesetzentwurf der AfD-Bundestagsfraktion führt mit dem Vorschlag einer kompletten Aufhebung des NetzDG somit nicht zu einer Verbesserung in verfassungsrechtlicher Hinsicht, vielmehr stellt sich das NetzDG mit seinen an die Netzwerkbetreiber gerichteten Organisationspflichten wegen eines besseren Schutzes des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG als verfassungsrechtlich vorzugswürdig dar.
2. Gesetzentwurf der Bundestagsfraktion Die Linke Die Bundestagsfraktion Die Linke hat im Dezember 2017 den „Entwurf eines Gesetzes zur Teilaufhebung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes“⁵⁶⁰ in den Deutschen Bundestag eingebracht.
a. Wesentlicher Inhalt Der Gesetzentwurf sieht im Wesentlichen eine Streichung derjenigen Vorschriften des NetzDG vor, die Vorgaben zur Gestaltung des Beschwerdemanagements durch die Netzwerkbetreiber machen.⁵⁶¹ Hierzu sollen in § 3 des NetzDG die Absätze 2 bis 4 sowie 6 bis 9 aufgehoben werden.⁵⁶² Bestehen bleiben soll lediglich die Verpflichtung der Netzwerkbetreiber, ein leicht erkennbares, unmittelbar erreichbares und ständig verfügbares Verfahren zur Übermittlung von Beschwerden sowie ein transparentes und wirksames Verfahren zum Umgang mit Beschwerden vor-
Lang, AöR 143 (2018), 220 (228 f.); ähnlich Eifert, Stellungnahme für die öffentliche Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestags am 15. Mai 2019, S. 1, online abrufbar unter https://www.bundestag.de/resource/blob/642746/1b81271c8af6b fa3668fb5d46c880e00/eifert-data.pdf (Stand: 11. Juli 2021), S. 1. Siehe hierzu bereits oben im 3. Teil unter B.IV.3.b. Gesetzentwurf der Bundestagsfraktion Die Linke, BT-Drs. 19/218. Gesetzentwurf der Bundestagsfraktion Die Linke, BT-Drs. 19/218, S. 1. Gesetzentwurf der Bundestagsfraktion Die Linke, BT-Drs. 19/218, S. 3.
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4. Teil: Die Regulierung der Kommunikation in sozialen Netzwerken
zuhalten.⁵⁶³ Diese vorgeschlagenen Änderungen werden damit begründet, dass das NetzDG in seiner bisherigen Fassung eine Privatisierung der Rechtsdurchsetzung bedeutete und zu Overblocking führen würde, da den Plattformen durch die Vorgaben zum Beschwerdemanagement schwierige rechtliche Entscheidungen innerhalb kurzer Fristen auferlegt würden, bei denen eigentlich nur die Löschung bereits am Tag der Meldung aus Sicht der Netzwerkbetreiber Sanktionsfreiheit garantiere.⁵⁶⁴
b. Bewertung Aufgrund der Änderungen durch den Gesetzentwurf der Bundestagsfraktion Die Linke würden sich die an die Netzwerkbetreiber gerichteten Vorgaben zur Gestaltung des Beschwerdeverfahrens auf die eher allgemein gehaltene Pflicht nach § 3 Abs. 1 NetzDG beschränken. Insbesondere entfielen die bislang durch das NetzDG vorgegebenen Löschfristen von 24 Stunden für offensichtlich rechtswidrige Inhalte (§ 3 Abs. 2 Nr. 2 NetzDG) beziehungsweise in der Regel sieben Tagen bei sonstigen rechtswidrigen Inhalten (§ 3 Abs. 2 Nr. 3 NetzDG). Die Streichung dieser gesetzlich vorgegebenen Löschfristen scheint der Kernpunkt des Gesetzentwurfs der Bundestagsfraktion Die Linke zu sein,⁵⁶⁵ weswegen die folgende Bewertung sich auf diesen Punkt konzentriert. Die im NetzDG statuierten Löschfristen sind der Ausgangspunkt für die vielfach vertretene Ansicht, das NetzDG schaffe für die Netzwerkbetreiber einen Fehlanreiz zum Overblocking, da eine kontextsensible Prüfung gemeldeter Inhalte innerhalb der vorgegebenen Zeit kaum möglich sei und die Netzwerkbetreiber deshalb im Zweifel auch rechtmäßige Inhalte löschten, um sich nicht der Gefahr eines Bußgeldes auszusetzen.⁵⁶⁶ Ein Verzicht auf gesetzlich vorgegebene Löschfristen würde zweifellos diesen Bedenken Rechnung tragen. Das NetzDG schafft wie bereits dargelegt allerdings trotz der vorgegebenen Löschfristen und der Bußgeldandrohung keinen verstärkten Anreiz zu einer Löschung von Beiträgen in rechtlichen Zweifelsfällen, und ein aufgrund der allge-
Gesetzentwurf der Bundestagsfraktion Die Linke, BT-Drs. 19/218, S. 6. Gesetzentwurf der Bundestagsfraktion Die Linke, BT-Drs. 19/218, S. 5. Im Begründungsteil des Gesetzentwurfs wird insoweit davon gesprochen, dass wegen der Pflicht zur Löschung offensichtlich rechtswidriger Inhalte innerhalb von 24 Stunden eigentlich nur die Löschung am selben Tag tatsächlich Sanktionsfreiheit garantiere, vgl. Gesetzentwurf der Bundestagsfraktion Die Linke, BT-Drs. 19/218, S. 5. Daraus lässt sich der Schluss ziehen, dass gerade die vorgegebenen Löschfristen von der einbringenden Bundestagsfraktion als besonders problematisch und daher änderungsbedürftig angesehen werden. Nolte, ZUM 2017, 552 (556).
C. Vorschläge für eine Weiterentwicklung des NetzDG
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meinen Interessenlage der Netzwerkbetreiber gegebener Anreiz zur Löschung ist jedenfalls nicht so stark, dass er in der Praxis der Netzwerkbetreiber seit dem Inkrafttreten des NetzDG zu auffällig hohen Löschquoten geführt hätte.⁵⁶⁷ Die für die im Gesetzentwurf der Bundestagsfraktion Die Linke vorgesehene Streichung der Löschfristen angeführte Begründung, diese führten zu Overblocking,⁵⁶⁸ kann vor diesem Hintergrund für sich genommen nach hiesiger Ansicht nicht überzeugen. Gleichzeitig ist in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, dass die in § 3 Abs. 2 Nr. 2 und 3 NetzDG geregelten Fristen für die Löschung rechtswidriger Beiträge dazu dienen sollen, dass die Netzwerkbetreiber ihren bereits vor dem NetzDG bestehenden Verpflichtungen zur Löschung oder Sperrung rechtswidriger Inhalte schnell und umfassend nachkommen und dadurch eine Perpetuierung der rechtswidrigen Situation verhindert wird.⁵⁶⁹ Insbesondere mit Blick auf diejenigen Personen, deren allgemeines Persönlichkeitsrecht gem. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG durch einen gemeldeten rechtswidrigen Beitrag verletzt wird, ist es von großer Bedeutung, dass dieser Beitrag möglichst schnell aus dem sozialen Netzwerk verschwindet und die Rechtsverletzung nicht durch eine weitere Verbreitung fortbestehen kann.⁵⁷⁰ Die Opfer persönlichkeitsrechtsverletzender Inhalte auf sozialen Netzwerken haben damit ein auch grundrechtlich geschütztes Interesse daran, dass solche rechtswidrigen Inhalte so schnell wie möglich gelöscht werden. Die in § 3 Abs. 2 Nr. 2 und 3 NetzDG geregelten Löschfristen schaffen für Netzwerkbetreiber einen klar vorgegebenen Performance-Standard⁵⁷¹ mit Blick auf die Leistungsfähigkeit des von den Netzwerkbetreibern einzurichtenden Beschwerdemanagements und setzen durch die Androhung eines Bußgelds in § 4 Abs. 1 Nr. 2 NetzDG bei systemischen Mängeln im Beschwerdesystem für die Netzwerkbetreiber einen starken Anreiz, die Löschfristen einzuhalten. Bei der im Gesetzentwurf der Bundestagsfraktion Die Linke vorgesehenen Streichung der Löschfristen bliebe demgegenüber nur die an die Netzwerkbetreiber gerichtete Vorgabe in § 3 Abs. 1 S. 1 NetzDG, ein wirksames und transparentes Verfahren für den Umgang mit Beschwerden über rechtswidrige Inhalte vorzuhalten. Allein aus dem Merkmal der Wirksamkeit des Beschwerdeverfahrens lässt sich allerdings noch keine konkrete Vorgabe zum zeitlichen Ablauf des Beschwerdeverfahrens
Siehe oben unter B.II.3.b.iii. und iv. Gesetzentwurf der Bundestagsfraktion Die Linke, BT-Drs. 19/218, S. 5. In diesem Sinne allgemein für die Vorgaben in § 3 NetzDG auch die Gesetzesbegründung, Gesetzentwurf der Bundestagsfraktionen CDU/CSU und SPD, BT-Drs. 18/12356, S. 21. Ähnlich Schiff, MMR 2018, 366 (369). Eifert, in: Eifert/Gostomzyk, Netzwerkrecht, S. 9 (18).
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4. Teil: Die Regulierung der Kommunikation in sozialen Netzwerken
und damit auch kein vergleichbar starker Anreiz für die Netzwerkbetreiber zur möglichst schnellen Löschung rechtswidriger Inhalte ableiten. Vor diesem Hintergrund gewährleistet die ausdrückliche Nennung von Löschfristen für die Opfer rechtsverletzender Beiträge einen effektiveren Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG. Da durch die im NetzDG vorgesehenen Löschfristen gleichzeitig auch in Kombination mit den Bußgeldtatbeständen nach hiesiger Auffassung keine einseitige Anreizwirkung für eine Löschung rechtmäßiger Beiträge entsteht⁵⁷², stellt sich die Beibehaltung der Löschfristen mithin als verfassungsrechtlich vorzugswürdig gegenüber dem im Gesetzentwurf der Linken vorgesehenen Verzicht auf Löschfristen sowie allen weiteren Vorgaben für die Ausgestaltung des Beschwerdesystems dar.
3. Gesetzentwurf der Bundestagsfraktion der FDP Ebenfalls im Dezember 2017 hat die Bundestagsfraktion der FDP den „Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Bürgerrechte (Bürgerrechtestärkungs-Gesetz – BüStärG)“⁵⁷³ in den Deutschen Bundestag eingebracht, dessen Vorschläge sich unter anderem auch auf das NetzDG beziehen.
a. Wesentlicher Inhalt Der Gesetzentwurf sieht eine komplette Aufhebung des NetzDG vor.⁵⁷⁴ Die bislang im NetzDG geregelte Pflicht zur Bestellung eines inländischen Zustellungsbevollmächtigten soll ins TMG übernommen und erweitert werden.⁵⁷⁵ Die Aufhebung des NetzDG wird zum einen bereits mit Zweifeln am Bestehen einer Gesetzgebungskompetenz des Bundes begründet.⁵⁷⁶ Zum anderen sollen mit der Aufhebung negative Auswirkungen auf die Meinungsfreiheit verhindert werden, die sich aus der Gefahr eines Overblocking ergeben könnten.⁵⁷⁷
Siehe oben unter B.II.3.b. Gesetzentwurf der Bundestagsfraktion der FDP, BT-Drs. 19/204. Gesetzentwurf der Bundestagsfraktion der FDP, BT-Drs. 19/204, S. 4. Gesetzentwurf der Bundestagsfraktion der FDP, BT-Drs. 19/204, S. 2, 5. Gesetzentwurf der Bundestagsfraktion der FDP, BT-Drs. 19/204, S. 8. Gesetzentwurf der Bundestagsfraktion der FDP, BT-Drs. 19/204, S. 8 f.
C. Vorschläge für eine Weiterentwicklung des NetzDG
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b. Bewertung Die im Gesetzentwurf der FDP-Bundestagsfraktion vorgesehene Aufhebung des NetzDG hätte wie der Gesetzentwurf der AfD-Bundestagsfraktion zur Folge, dass die gleiche Rechtslage wie vor dem Inkrafttreten des NetzDG bestünde. Somit gäbe es infolge des Gesetzentwurfs der FDP-Bundestagsfraktion keine an die Netzwerkbetreiber gerichteten rechtlichen Vorgaben zum Umgang mit Beschwerden über rechtswidrige Inhalte auf den Plattformen. Wie bereits oben bei der Untersuchung des Gesetzentwurfs der AfD-Bundestagsfraktion ausgeführt führte dies allerdings zu einem weniger effektiven Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts i.S.v. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG für Opfer von Hassrede, als ihn das NetzDG durch die an die Netzwerkbetreiber gerichteten Vorgaben zum Beschwerdemanagement gewährleistet. ⁵⁷⁸ Im Gegensatz zur AfD-Bundestagsfraktion möchte die FDP-Bundestagsfraktion zwar die bislang im NetzDG geregelte Pflicht zur Benennung eines inländischen Zustellungsbevollmächtigten durch eine Überführung in das TMG erhalten und teilweise erweitern. Auch wenn durch die verpflichtende Benennung eines inländischen Zustellungsbevollmächtigten die Rechtsdurchsetzung gegenüber sozialen Netzwerken erheblich erleichtert wird,⁵⁷⁹ hat eine solche Pflicht keinen Einfluss auf den Umgang der Netzwerkbetreiber mit Beschwerden über vermeintlich rechtswidrige Inhalte auf ihren Plattformen. Durch die Beibehaltung der Pflicht zur Bestellung eines inländischen Zustellungsbevollmächtigten ändert sich folglich nichts daran, dass das NetzDG mit seinen an die Netzwerkbetreiber gerichteten Vorgaben zum Beschwerdemanagement einen besseren Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bei der Kommunikation in sozialen Netzwerken gewährleistet als ein Verzicht auf solche Vorgaben. Aus diesem Grund erscheint das NetzDG in seiner aktuellen Form aus verfassungsrechtlicher Sicht vorzugswürdig gegenüber den durch den Gesetzentwurf der FDP-Bundestagsfraktion vorgeschlagenen Änderungen.
4. Zwischenergebnis Nach alledem ist das NetzDG in seiner aktuellen Fassung im Vergleich mit den vorliegenden Vorschlägen für eine komplette oder teilweise Aufhebung besser geeignet, einen angemessenen Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bei der Kommunikation in sozialen Netzwerken zu gewährleisten.
Siehe hierzu oben unter I. 1. Gesetzentwurf der Bundestagsfraktion der FDP, BT-Drs. 19/204, S. 10 f.
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4. Teil: Die Regulierung der Kommunikation in sozialen Netzwerken
II. Einführung eines Wiederherstellungsverfahrens (put back) In der Diskussion um eine Weiterentwicklung des NetzDG wird zudem die Einführung eines Wiederherstellungsverfahrens gefordert. Entsprechende Forderungen gab es bereits während der parlamentarischen Beratungen des NetzDG.⁵⁸⁰ In der 19. Wahlperiode des Deutschen Bundestags wurde die Forderung im November 2018 in einem Antrag der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen erneut aufgegriffen. ⁵⁸¹ Die Notwendigkeit der Einführung eines Wiederherstellungsanspruchs für betroffene Nutzer nach einer unberechtigten Löschung ihrer Beiträge im Beschwerdeverfahren wird von den Befürwortern in der juristischen Literatur damit begründet, dass damit das Ziel verfolgt werde, die „einseitig repressive Ausrichtung des NetzDG (…) auszugleichen“⁵⁸². Zwar beruht die Annahme einer einseitigen Ausrichtung des NetzDG und einer einseitigen Anreizstruktur nach hiesiger Ansicht auf einer unzutreffenden Bewertung der tatsächlichen Wirkweise des Gesetzes.⁵⁸³ Dennoch ist nicht zu bestreiten, dass für Nutzer, deren Beiträge im Beschwerdeverfahren gelöscht oder gesperrt wurden, ein erhebliches Interesse bestehen kann, unter Berufung auf ihre Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG gegen diese Löschung oder Sperrung vorzugehen. Dies gilt umso mehr, als das NetzDG in seiner aktuellen Fassung die Möglichkeit eröffnet, einen Inhalt ohne Beteiligung des Verfassers im Beschwerdeverfahren zu löschen beziehungsweise zu sperren.⁵⁸⁴ Hiervon ausgehend stellt sich die Frage, inwieweit ein gesetzlich geregeltes Wiederherstellungsverfahren geeignet ist, das Problem der mangelhaften Nutzerbeteiligung im Beschwerdeverfahren effektiv zu beheben und dadurch zugleich die Verletzung der grundrechtlichen Schutzpflicht für die Meinungsfreiheit der Nutzer zu beseitigen. Dies hängt davon ab, wie genau der Wiedereinstellungsmechanismus ausgestaltet wird.
Vgl. insoweit BITKOM e.V., Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestags am 19. Juni 2017, online abrufbar unter https://www.bundestag.de/resource/blob/510906/e8e218a40bd46373a96839c32b966faa/rohle der_bitkom-data.pdf (Stand: 11. Juli 2021), S. 16. Antrag der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, BT-Drs. 19/5950, S. 3. Peukert, MMR 2018, 572 (575); mit der Forderung, Regelungen für ein Put-Back-Verfahren zu schaffen, auch Löber/Roßnagel, MMR 2019, 71 (75). Siehe hierzu oben unter B.II.3.b. Hierzu und zur daraus folgenden Verfassungswidrigkeit aufgrund einer Verletzung der grundrechtlichen Schutzpflicht für die Meinungsfreiheit der Nutzer bereits oben unter B.II.3.c.
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1. Ausdrücklich statuierter Wiederherstellungsanspruch Zu denken wäre zunächst daran, einen ausdrücklichen, gegen die Netzwerkbetreiber gerichteten zivilrechtlichen Wiederherstellungsanspruch für Nutzer zu schaffen, deren rechtmäßige Beiträge zu Unrecht gelöscht oder gesperrt wurden.⁵⁸⁵ Auch wenn die Schaffung einer solchen Anspruchsgrundlage angesichts der bereits bestehenden allgemeinen zivilrechtlichen Ansprüche des Nutzers auf Wiederherstellung eines rechtmäßigen Beitrags⁵⁸⁶ eher symbolischen Charakter hat, kann die Schaffung eines ausdrücklichen Wiederherstellungsanspruchs in Fällen der unberechtigten Löschung rechtmäßiger Inhalte zumindest eine klarstellende Wirkung haben.⁵⁸⁷ Ein solcher durch die Nutzer gerichtlich durchzusetzender Wiederherstellungsanspruch ändert jedoch nichts an der problematischen Situation, dass die Nutzer gegebenenfalls ein Prozessrisiko auf sich nehmen müssen, um ihre Meinungsfreiheit durchzusetzen.⁵⁸⁸ Die ausdrückliche Statuierung eines Wiederherstellungsanspruchs erleichtert für sich genommen mithin nicht die Durchsetzung der Meinungsfreiheit der Nutzer im Falle unberechtigter Löschungen. Für den Schutz der Meinungsfreiheit der Nutzer stellt die Schaffung eines ausdrücklich normierten Wiederherstellungsanspruchs mithin keine Verbesserung dar.⁵⁸⁹
2. Schaffung eines vorgerichtlichen Verfahrens zur Wiederherstellung Neben der bloßen Schaffung eines ausdrücklich geregelten Wiederherstellungsanspruchs wird allerdings auch vorgeschlagen, ein vorgerichtliches Verfahren zur Wiederherstellung mutmaßlich zu Unrecht gelöschter Inhalte zu schaffen.⁵⁹⁰ Als Vorbild wird insoweit teilweise auf die Einführung eines Put-Back-Verfahrens im US-amerikanischen Urheberrecht verwiesen, bei dem Intermediäre Inhalte nach
Für eine solche Lösung wohl Schiff, MMR 2018, 366 (368); außerdem Beurskens, NJW 2018, 3418 (3420), der eine gesetzliche Regelung für „unumgänglich“ hält. Siehe hierzu bereits oben unter B.II.4. sowie bei Holznagel, CR 2018, 369 (377). Schiff, MMR 2018, 366 (368); mit einer ablehnenden Haltung bezüglich der Schaffung eines Wiederherstellungsanspruchs wegen zusätzlichen verfassungsrechtlichen Konfliktstoffs mit Blick auf eine weitere Erhöhung des Drucks auf die Netzwerkbetreiber im grundrechtssensiblen Bereich hingegen Schubert, ZUM-RD 2019, 12 (14 f.). Zu den Hürden bei der gerichtlichen Geltendmachung von Wiederherstellungsansprüchen aus der Sicht des klagenden Nutzers Lang, AöR 143 (2018), 220 (247); im Ergebnis mit gleicher Bewertung Lüdemann, in: Eifert/Gostomzyk, Netzwerkrecht, S. 153 (165). Vgl. Holznagel, CR 2019, 518 (523), der von einer nur scheinbaren Lösung gegen Overblocking spricht. Eine entsprechende Forderung findet sich auch in der Empfehlung (EU) 2018/334 der Kommission vom 1. März 2018, vgl. oben unter A.II.2.
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4. Teil: Die Regulierung der Kommunikation in sozialen Netzwerken
Meldung der Rechteinhaber löschen müssen, diese allerdings auf Verlangen des hochladenden Nutzers wieder einstellen dürfen.⁵⁹¹
a. Regelungsvorschlag von Peukert Ebenfalls zumindest teilweise in Anlehnung an das Vorbild der US-amerikanischen Regelung hat Peukert einen konkreten Vorschlag für Regelungen im NetzDG vorgelegt, durch die die Netzwerkbetreiber zur Vorhaltung eines Verfahrens für den Umgang mit Beschwerden über die Löschung oder Sperrung rechtmäßiger Inhalte verpflichtet werden.⁵⁹² Dieser Vorschlag sieht vor, § 3 Abs. 1 S. 1 NetzDG dergestalt zu ergänzen, dass Anbieter sozialer Netzwerke ein wirksames und transparentes Verfahren nicht nur für den Umgang mit Beschwerden über rechtswidrige Inhalte, sondern auch für den Umgang mit Beschwerden über die Löschung oder Sperrung rechtmäßiger Inhalte vorzuhalten haben.⁵⁹³ Durch Ergänzung des § 3 Abs. 1 S. 2 NetzDG wird den Anbietern zudem aufgegeben, ein leicht erkennbares, unmittelbar erreichbares und ständig verfügbares Verfahren zur Übermittlung von Beschwerden über die Löschung oder Sperrung rechtmäßiger Inhalte zur Verfügung zu stellen,⁵⁹⁴ mithin sollen insofern die gleichen Anforderungen wie für das Verfahren zur Übermittlung von Beschwerden über rechtswidrige Inhalte gelten. Die genauen Anforderungen an das Verfahren für Beschwerden über die Löschung oder Sperrung rechtmäßiger Inhalte sollen in § 3 Abs. 2 Nr. 6 NetzDG-E geregelt werden. Aus dieser Norm ergeben sich zunächst drei Voraussetzungen, unter denen ein Wiederherstellungsverfahren eingeleitet werden muss: erstens muss die Beschwerde
Lang, AöR 143 (2018), 220 (247 f.); zu diesem Verfahren im Vergleich mit der Rechtslage in Deutschland Holznagel, GRUR-Int 2014, 105 (112 f.). Peukert, Stellungnahme für die öffentliche Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestags am 15. Mai 2019, online abrufbar unter https://www. bundestag.de/resource/blob/642254/43d6026e2b4a07d16b941dcf11fa4311/peukert-data.pdf (Stand: 11. Juli 2021), S. 5 ff. Laut dortiger Fn. 21 ist eine frühere Fassung dieses Vorschlags bei Peukert, MMR 2018, 572 (573 ff.) veröffentlicht. Gegenstand der hiesigen Bewertung soll allerdings der Vorschlag in seiner aktuellsten Version sein. Peukert, Stellungnahme für die öffentliche Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestags am 15. Mai 2019, online abrufbar unter https://www. bundestag.de/resource/blob/642254/43d6026e2b4a07d16b941dcf11fa4311/peukert-data.pdf (Stand: 11. Juli 2021), S. 7. Peukert, Stellungnahme für die öffentliche Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestags am 15. Mai 2019, online abrufbar unter https://www. bundestag.de/resource/blob/642254/43d6026e2b4a07d16b941dcf11fa4311/peukert-data.pdf (Stand: 11. Juli 2021), S. 7.
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von dem Nutzer erhoben werden, für den der Inhalt gespeichert wurde, zweitens muss die Beschwerde innerhalb von zehn Wochen nach Löschung oder Sperrung beim sozialen Netzwerk eingehen und drittens muss der Beschwerdeführer seinen vollständigen Namen und eine ladungsfähige Anschrift angeben.⁵⁹⁵ Soweit die Beschwerde diese Voraussetzungen erfüllt, muss der Anbieter zunächst unverzüglich von der Beschwerde Kenntnis nehmen und formal prüfen, ob die angegriffene Entscheidung von ihm selbst oder von einer Einrichtung der Regulierten Selbstregulierung getroffen wurde.⁵⁹⁶ Soweit die Entscheidung über die Entfernung des Inhalts von einer Einrichtung der Regulierten Selbstregulierung getroffen wurde, muss der Anbieter den beschwerdeführenden Nutzer lediglich auf die Entscheidung der Einrichtung der Regulierten Selbstregulierung hinweisen, der Nutzer muss seinen Anspruch auf Wiederherstellung dann gerichtlich geltend machen.⁵⁹⁷ Soweit die Entfernung hingegen auf einer eigenen Entscheidung des Netzwerkbetreibers beruht, muss der Anbieter den Inhalt zunächst erneut prüfen und ihn bei offensichtlicher Rechtmäßigkeit innerhalb von 24 Stunden wiederherstellen oder anderenfalls die Entscheidung innerhalb von 24 Stunden an eine Einrichtung der Regulierten Selbstregulierung abgeben, die im Anschluss eine für den Netzwerkbetreiber bindende Entscheidung trifft.⁵⁹⁸ Mithin ist sichergestellt, dass eine zulässige Beschwerde über die Entfernung eines Inhalts durch den Netzwerkbetreiber entweder direkt zu einer Wiederherstellung des Inhalts führt oder eine Überprüfung der Entscheidung durch eine unabhängige Stelle erfolgt, eine bloße Bestätigung der Entscheidung durch den Netzwerkbetreiber ist dagegen nicht möglich.⁵⁹⁹ Peukert, Stellungnahme für die öffentliche Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestags am 15. Mai 2019, online abrufbar unter https://www. bundestag.de/resource/blob/642254/43d6026e2b4a07d16b941dcf11fa4311/peukert-data.pdf (Stand: 11. Juli 2021), S. 14 f. Peukert, Stellungnahme für die öffentliche Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestags am 15. Mai 2019, online abrufbar unter https://www. bundestag.de/resource/blob/642254/43d6026e2b4a07d16b941dcf11fa4311/peukert-data.pdf (Stand: 11. Juli 2021), S. 15. Peukert, Stellungnahme für die öffentliche Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestags am 15. Mai 2019, online abrufbar unter https://www. bundestag.de/resource/blob/642254/43d6026e2b4a07d16b941dcf11fa4311/peukert-data.pdf (Stand: 11. Juli 2021), S. 15. Peukert, Stellungnahme für die öffentliche Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestags am 15. Mai 2019, online abrufbar unter https://www. bundestag.de/resource/blob/642254/43d6026e2b4a07d16b941dcf11fa4311/peukert-data.pdf (Stand: 11. Juli 2021), S. 15 f. Peukert, Stellungnahme für die öffentliche Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestags am 15. Mai 2019, online abrufbar unter https://www.
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4. Teil: Die Regulierung der Kommunikation in sozialen Netzwerken
b. Regelungsvorschlag im Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des NetzDG Die Bundesregierung hat im März 2020 einen Gesetzentwurf zur Änderung des NetzDG⁶⁰⁰ beschlossen. Mit dem Entwurf sollen laut der Bundesregierung Regelungen geschaffen werden, um das NetzDG aufgrund der bisherigen Praxiserfahrungen fortzuentwickeln.⁶⁰¹ Der Entwurf enthält in § 3b NetzDG-E auch Regelungen für ein Gegenvorstellungsverfahren. § 3b Abs. 1 S. 1 NetzDG-E gibt vor, dass Netzwerkbetreiber ein wirksames und transparentes Verfahren vorhalten müssen, mit dem sowohl der Beschwerdeführer als auch der Nutzer, für den der beanstandete Inhalt gespeichert wurde, eine Überprüfung der auf eine Beschwerde hin getroffenen ursprünglichen Entscheidung der Netzwerkbetreiber herbeiführen kann.⁶⁰² Soweit die Entscheidung im Beschwerdeverfahren gemäß § 3 Abs. 2 Nr. 3 NetzDG durch eine anerkannte Einrichtung der Regulierten Selbstregulierung getroffen wurde, soll keine Gegenvorstellung nach § 3b NetzDGE stattfinden, da sich für diese Fälle ein entsprechendes Überprüfungsverfahren bereits nach geltendem Recht aus § 3 Abs. 6 Nr. 3 NetzDG ergebe. Nach § 3b Abs. 1 S. 2 NetzDG-E bedarf es einer Überprüfung durch die Netzwerkbetreiber nur, wenn der Beschwerdeführer oder der Nutzer, für den der beanstandete Inhalt gespeichert wurde, unter Angabe von Gründen einen Antrag auf Überprüfung innerhalb von zwei Wochen nach der Information über die ursprüngliche Entscheidung stellt.⁶⁰³ Gemäß § 3b Abs. 1 S. 3 NetzDG-E sind Netzwerkbetreiber verpflichtet, ein leicht erkennbares Verfahren für die Übermittlung von Gegenvorstellungen zur Verfügung zu stellen, das eine einfache elektronische Kontaktaufnahme sowie eine unmittelbare Kommunikation mit dem jeweiligen Netzwerkbetreiber ermöglicht.⁶⁰⁴ § 3b Abs. 2 NetzDG-E legt Anforderungen für dieses von den Netzwerkbetreibern zur Verfügung zu stellende Gegenvorstellungsverfahren fest. So müssen Netzwerkbetreiber nach § 3b Abs. 2 Nr. 1 NetzDG-E im Rahmen des Gegenvorstellungsverfahrens der jeweils anderen Seite (also bei einer Gegenvorstellung durch den Beschwerdeführer dem hochladenden Nutzer und bei einer Gegenvorstellung durch den hochladenden Nutzer dem Beschwerdeführer) Gelegenheit zur Stellungnahme geben, sofern der Gegenvorstellung
bundestag.de/resource/blob/642254/43d6026e2b4a07d16b941dcf11fa4311/peukert-data.pdf (Stand: 11. Juli 2021), S. 16. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 19/18792. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 19/18792, S. 2. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 19/18792, S. 8. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 19/18792, S. 8. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 19/18792, S. 8 f.
C. Vorschläge für eine Weiterentwicklung des NetzDG
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abgeholfen werden soll.⁶⁰⁵ Gemäß § 3b Abs. 2 Nr. 2 NetzDG-E haben Netzwerkbetreiber darauf hinzuweisen, dass in diesem Rahmen abgegebene Stellungnahmen an die jeweils andere Seite weitergegeben werden können.⁶⁰⁶ Um eine möglichst unvoreingenommene Prüfung im Gegenvorstellungsverfahren zu gewährleisten, legt § 3b Abs. 2 Nr. 3 NetzDG-E fest, dass die Überprüfung durch eine mit der bisherigen Entscheidung nicht befasste Person zu erfolgen hat, wobei diese erneute Prüfung unverzüglich durchzuführen ist.⁶⁰⁷ § 3b Abs. 2 Nr. 4 NetzDGE gibt den Netzwerkbetreibern auf, die im Rahmen der Überprüfung getroffene Entscheidung über das Aufrechtherhalten oder das Revidieren der ursprünglichen Entscheidung unverzüglich dem Beschwerdeführer sowie dem Nutzer zu übermitteln und einzelfallbezogen zu begründen.⁶⁰⁸ Nach § 3b Abs. 2 Nr. 5 NetzDG-E haben Netzwerkbetreiber im Gegenvorstellungsverfahren sicherzustellen, dass die Identität des Beschwerdeführers und des Nutzers nicht offengelegt wird.⁶⁰⁹ Das in § 3b NetzDG-E vorgesehene Gegenvorstellungsverfahren soll laut der Bundesregierung als ein Instrument dienen, um die Rechte von Nutzern sozialer Netzwerke abzusichern.⁶¹⁰ Durch das Verfahren solle sichergestellt werden, dass sowohl Beschwerdeführer als auch Inhalteverfasser auf einfache Weise von den Netzwerkbetreibern die Überprüfung einer Entscheidung über einen Inhalt, der Gegenstand einer Beschwerde war, herbeiführen könnten.⁶¹¹ An der hier noch in der Entwurfsfassung diskutierten Regelung wurden im Rahmen des parlamentarischen Verfahrens insbesondere hinsichtlich ihres Anwendungsbereichs, der nunmehr neben Beschwerden über rechtswidrige Inhalte auch sonstige Beanstandungen Dritter erfassen soll, noch Änderungen vorgenommen.⁶¹² Die Regelung wurde am 6. Mai 2021 im Deutschen Bundestag verabschiedet⁶¹³ und trat als Teil des Gesetzes zur Änderung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes⁶¹⁴ am 28. Juni 2021 in Kraft.
Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 19/18792, S. 9 und 46. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 19/18792, S. 9 und 46. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 19/18792, S. 9 und 46. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 19/18792, S. 9 und 46. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 19/18792, S. 9. So die Gesetzesbegründung, Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 19/18792, S. 16. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 19/18792, S. 18. Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestags vom 5. Mai 2021, BT-Drs. 19/29392, S. 15 ff. Plenarprotokoll des Deutschen Bundestags 227/19, S. 28995. BGBl. I S. 1436.
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4. Teil: Die Regulierung der Kommunikation in sozialen Netzwerken
c. Bewertung Sowohl der Regelungsvorschlag von Peukert als auch die Regelung für ein Gegenvorstellungsverfahren im Gesetzentwurf der Bundesregierung ermöglicht es Nutzern, deren Beiträge gelöscht oder gesperrt wurden, bereits vor der gerichtlichen Geltendmachung eines Wiederherstellungsanspruchs die eigene Sichtweise in das Verfahren einzubringen. Nach der aktuellen Fassung des NetzDG wären Nutzer hingegen im Zweifel darauf verwiesen, gerichtlich gegen die Löschung oder Sperrung ihres Beitrags vorzugehen. Mangels einer verpflichtenden Regelung zur Beteiligung des Beitragsverfassers im Beschwerdeverfahren haben die von einer Löschung oder Sperrung betroffenen Nutzer mithin im Zweifel nur bei Eingehung eines solchen Prozessrisikos die Möglichkeit, zu dem gemeldeten Beitrag Stellung zu nehmen und ihre Sichtweise vorzutragen, was eine Verletzung der grundrechtlichen Schutzpflicht für die Meinungsfreiheit darstellt.⁶¹⁵ Die Inanspruchnahme eines vorgerichtlichen Wiederherstellungsverfahrens ist demgegenüber aus Sicht der Nutzer mit keinem Kostenrisiko verbunden und daher ein effektiveres Instrument, um deren Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG bei der Kommunikation in sozialen Netzwerken zu wahren.⁶¹⁶ Der Regelungsvorschlag von Peukert differenziert insoweit danach, ob die ursprüngliche Löschentscheidung durch die Netzwerkbetreiber oder durch eine anerkannte Einrichtung der Regulierten Selbstregulierung getroffen wurde. In Fällen einer Löschentscheidung durch die Netzwerkbetreiber wird durch die Vorgabe in § 3 Abs. 2 Nr. 6 c) NetzDG-E, wonach die Netzwerkbetreiber den gelöschten Beitrag entweder innerhalb von 24 Stunden wiederherstellen oder die Entscheidung einer anerkannten Einrichtung der Regulierten Selbstregulierung übertragen müssen, eine zwingende Auseinandersetzung mit der durch die Beschwerde zum Ausdruck gebrachten Sichtweise des Nutzers bewirkt. Dadurch stellt sich das von Peukert vorgeschlagene Wiederherstellungsverfahren in Fällen einer ursprünglichen Löschentscheidung durch die Netzwerkbetreiber zugleich als Beitrag für eine verbesserte Beteiligung des Verfassers eines gemeldeten Beitrags im Beschwerdeverfahren dar, da der Nutzer durch Einleitung eines Wie-
Siehe oben unter B.II.3.c. Lang, AöR 143 (2018), 220 (247); ähnlich van Lijnden, FAZ vom 2. April 2020, S. 10; mit einer positiven Bewertung hinsichtlich der Schaffung eines Gegenvorstellungsverfahrens auch Kalbhenn/Hemmert-Halswick, MMR 2020. 518 (522); den Gesetzesvorschlag der Bundesregierung für ein Wiederherstellungsverfahren wegen befürchteter Missbrauchsanfälligkeit sowie der Gefahr von Einschüchterungseffekten ablehnend hingegen Google Ireland Ltd., Stellungnahme für die öffentliche Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestags am 17. Juni 2020, online abrufbar unter https://www.bundestag.de/resource/blob/701152/ 0f347aec58fff15d3edbd999628c3bb0/frank_google-data.pdf (Stand: 11. Juli 2021), S. 12 ff.
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derherstellungsverfahrens eine Auseinandersetzung mit seiner Sichtweise bezüglich des von ihm verfassten Beitrags bereits im vorgerichtlichen Stadium herbeiführen kann. Soweit die ursprüngliche Löschentscheidung durch eine anerkannte Einrichtung der Regulierten Selbstregulierung getroffen wurde, müssen die Netzwerkbetreiber den Nutzer bei einer Beschwerde gegen die Löschung oder Sperrung nach § 3 Abs. 2 Nr. 6 b) NetzDG-E lediglich über die durch die anerkannte Einrichtung der Regulierten Selbstregulierung getroffene Entscheidung informieren. Dadurch müssen sich die Netzwerkbetreiber in diesen Fällen nicht inhaltlich mit der Beschwerde des Nutzers auseinandersetzen. Unter dem Gesichtspunkt der Nutzerbeteiligung im Beschwerdeverfahren geht der Gesetzgeber allerdings davon aus, dass bereits im Rahmen der Prüfung gemeldeter Inhalte durch Einrichtungen der Regulierten Selbstregulierung auch dem von einer möglichen Löschung oder Sperrung betroffenen Nutzer Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben ist.⁶¹⁷ Diese Vorgabe zur Nutzerbeteiligung ergibt sich zwar nicht ausdrücklich aus dem Wortlaut von § 3 Abs. 6 Nr. 3 NetzDG.⁶¹⁸ Gleichzeitig fordert § 3 Abs. 6 Nr. 3 NetzDG für die Anerkennung als Einrichtung der Regulierten Selbstregulierung, dass eine Verfahrensordnung besteht, die unter anderem die Möglichkeit einer Überprüfung von Entscheidungen vorsieht. Auch ohne eine ausdrückliche Vorgabe zur Nutzerbeteiligung bereits im Beschwerdeverfahren ist zumindest durch diese faktische Pflicht zur Etablierung einer Berufungsinstanz⁶¹⁹ auch bei einer ursprünglichen Entscheidung durch eine anerkannte Einrichtung der Regulierten Selbstregulierung für den von einer Löschung oder Sperrung betroffenen Nutzer gewährleistet, dass er seine Sichtweise bereits im vorgerichtlichen Stadium in den Entscheidungsprozess einbringen kann. Das im Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgesehene Wiederherstellungsverfahren ist demgegenüber von vornherein auf Fälle einer ursprünglichen Entscheidung durch die Netzwerkbetreiber beschränkt. Ursprünglich durch eine anerkannte Einrichtung der Regulierten Selbstregulierung getroffene Entscheidungen im Beschwerdeverfahren werden nicht erfasst. Durch die verpflichtend einzuholende Stellungnahme des Nutzers im Gegenvorstellungsverfahren nach § 3b Abs. 2 Nr. 2 NetzDG-E können Nutzer in Fällen einer ursprünglichen Entscheidung durch die Netzwerkbetreiber über den Weg der Gegenvorstellung bereits vorgerichtlich eine Auseinandersetzung mit ihrer Sichtweise erreichen. Bei einer ursprünglichen Entscheidung durch eine anerkannte Einrichtung der Re-
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestags vom 28. Juni 2017, BT-Drs. 18/13013, S. 21. Liesching, in: Spindler/Schmitz/Liesching, TMG, § 3 NetzDG Rn. 48. Liesching, in: Spindler/Schmitz/Liesching, TMG, § 3 NetzDG Rn. 50.
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4. Teil: Die Regulierung der Kommunikation in sozialen Netzwerken
gulierten Selbstregulierung besteht diese Möglichkeit wie bereits dargelegt trotz der Nichtanwendbarkeit des Gegenvorstellungsverfahrens bereits nach geltendem Recht auf der Grundlage der für Einrichtungen der Regulierten Selbstregulierung geltenden Vorgabe aus § 3 Abs. 6 Nr. 3 NetzDG.⁶²⁰ Folglich sind sowohl der Entwurf von Peukert als auch der Regelungsvorschlag im Gesetzentwurf der Bundesregierung grundsätzlich geeignet, die sich aus den unzureichenden Vorgaben zur Nutzerbeteiligung im aktuellen NetzDG ergebende Verletzung der Schutzpflichtdimension von Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG zu heilen und stellen sich insofern als Alternative zur Statuierung eines zwingenden Anhörungserfordernis im Beschwerdeverfahren dar.⁶²¹ Die Struktur des von Peukert vorgeschlagenen Wiederherstellungsverfahrens gewährleistet allerdings ein höheres Maß an unvoreingenommener Überprüfung der ursprünglichen Entscheidung. Zwar hat auch der Gesetzentwurf der Bundesregierung eine unvoreingenommene Überprüfung im Blick und möchte dies durch die Vorgabe erreichen, dass die Überprüfung im Gegenvorstellungsverfahren durch eine mit der ursprünglichen Entscheidung nicht befasste Person zu erfolgen habe. Eine komplette Übertragung der Prüfung auf eine anerkannte Einrichtung der Regulierten Selbstregulierung, wie sie Peukert im Falle der Nichtabhilfe durch die Netzwerkbetreiber vorschlägt, ist jedoch aufgrund der Überprüfung durch eine von den Netzwerkbetreibern vollkommen unabhängige Stelle besser geeignet, eine unbefangene und objektive Prüfung unabhängig vom Ergebnis der ursprünglichen Entscheidung zu gewährleisten. Die beiden Entwürfe unterscheiden sich weiterhin auch bezüglich der Frage, inwieweit der sich äußernde Nutzer seine Anonymität bei der Durchführung eines Wiederherstellungsverfahrens aufgeben und dadurch seine Identität offenlegen müsste. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung regelt in § 3b Abs. 2 Nr. 5 NetzDGE ausdrücklich, dass die Netzwerkbetreiber bei der Ausgestaltung des Gegenvorstellungsverfahrens sicherzustellen haben, dass eine Offenlegung der Identität des Nutzers sowie des Beschwerdeführers in dem Verfahren nicht erfolgt.⁶²² Demgegenüber ist es in Peukerts Regelungsvorschlag gerade Voraussetzung für die Zulässigkeit des Wiederherstellungsverfahrens, dass der Nutzer seinen voll-
Ähnlich insoweit auch die Gesetzesbegründung, Gesetzentwurf der Bundesregierung, BTDrs. 19/18792, S. 47. Vgl. Eifert, in: Eifert/Gostomzyk, Netzwerkrecht, S. 9 (37), der eine erweiterte Verfahrensbeteiligung und/oder einen Anspruch auf Wiederherstellung unrechtmäßig gelöschter Inhalte als geeignete Mittel zur Stärkung der Nutzerrechte nennt. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 19/18792, S. 9, 47.
C. Vorschläge für eine Weiterentwicklung des NetzDG
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ständigen Namen und eine ladungsfähige Anschrift angibt.⁶²³ Durch diese Vorgabe im Regelungsvorschlag von Peukert soll es dem sich äußernden Nutzer aufgegeben werden, die volle Verantwortung für seine Äußerung zu übernehmen.⁶²⁴ Zwar ist nicht zu bestreiten, dass eine solche Preisgabe der Identität im Wiederherstellungsverfahren für die Opfer von Persönlichkeitsrechtsverletzungen eine gerichtliche Durchsetzung möglicher zivilrechtlicher Ansprüche gegen den Beitragsverfasser erleichtert⁶²⁵ und dadurch dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts dient. Ein vorgerichtliches Wiedererstellungsverfahren soll allerdings maßgeblich als Schutzmechanismus für die Meinungsfreiheit der Nutzer sozialer Netzwerke dienen, die – ihrer Ansicht nach zu Unrecht – von einer Löschung oder Sperrung eines Beitrags betroffen sind.⁶²⁶ Diesem Ziel entspricht eine für betroffene Nutzer möglichst niedrigschwellige Ausgestaltung des Wiederherstellungsverfahrens.⁶²⁷ Die Pflicht zur Angabe des vollständigen Namens und der ladungsfähigen Anschrift wirkt insoweit kontraproduktiv. Es ist hierbei in Rechnung zu stellen, dass eine Verpflichtung, sich unter Angabe des Namens zu einer bestimmten Meinung zu bekennen, die Gefahr nach sich ziehen kann, dass einzelne Nutzer aus Furcht vor negativen Auswirkungen sich dagegen entscheiden könnten, ihre Meinung zu äußern.⁶²⁸ Wenn das Wiederherstellungsverfahren als effektives Sicherungsinstrument für die Meinungsfreiheit der Nutzer sozialer Netzwerke dienen soll, scheint es mithin geboten, die Einleitung des Wiederherstellungsverfahrens auch ohne die Offenlegung der Identität zuzulassen.⁶²⁹
Peukert, Stellungnahme für die öffentliche Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestags am 15. Mai 2019, online abrufbar unter https://www. bundestag.de/resource/blob/642254/43d6026e2b4a07d16b941dcf11fa4311/peukert-data.pdf (Stand: 11. Juli 2021), S. 8. Peukert, Stellungnahme für die öffentliche Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestags am 15. Mai 2019, online abrufbar unter https://www. bundestag.de/resource/blob/642254/43d6026e2b4a07d16b941dcf11fa4311/peukert-data.pdf (Stand: 11. Juli 2021), S. 15. Hierzu Lang, AöR 143 (2018), 220 (248). So auch Peukert, Stellungnahme für die öffentliche Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestags am 15. Mai 2019, online abrufbar unter https:// www.bundestag.de/resource/blob/642254/43d6026e2b4a07d16b941dcf11fa4311/peukert-data.pdf (Stand: 11. Juli 2021), S. 2 f. Ähnlich die Gesetzesbegründung mit dem Verweis auf die erforderliche Gewährleistung einer einfachen und leicht erreichbaren Kontaktaufnahme für die Entgegennahme von Gegenvorstellungen, Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 19/18792, S. 46. So allgemein für anonyme Meinungsäußerungen BGH, Urteil vom 23. Juni 2009 – VI ZR 196/ 08, NJW 2009, 2888 (2892). So unter Verweis auf Opferschutzgesichtspunkte auch HateAid gGmbH, Stellungnahme für die öffentliche Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bun-
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Denjenigen, die durch den betroffenen Inhalt mutmaßlich in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht betroffen sind, bleibt im Übrigen auch ohne eine Preisgabe der Identität im Wiederherstellungsverfahren die Möglichkeit, gegenüber den Netzwerkbetreibern einen Auskunftsanspruch nach § 14 Abs. 3 TMG geltend zu machen, um in der Folge zivilrechtlich gegen den Beitragsverfasser vorgehen zu können. Dementsprechend ist eine verpflichtende Preisgabe der Identität des für einen Inhalt verantwortlichen Nutzers im Wiederherstellungsverfahren auch zur Wahrung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts mutmaßlich von dem Beitrag betroffener Personen nicht zwingend erforderlich. Nach alledem erscheint es mithin vorzugswürdig, wie im Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgeschlagen eine Ausgestaltung des Wiederherstellungsverfahrens zu wählen, bei der von einer Löschung oder Sperrung betroffene Nutzer ihre Identität nicht zwingend preisgeben müssen.
3. Zwischenergebnis Die Entwürfe von Peukert sowie der Bundesregierung sind beide grundsätzlich geeignet, die bislang aufgrund fehlender Nutzerbeteiligung im Beschwerdeverfahren bestehende Verletzung der grundrechtlichen Schutzpflicht mit Blick auf die Meinungsfreiheit der Nutzer sozialer Netzwerke zu heilen, indem sie für von einer Löschung oder Sperrung von Inhalten betroffene Nutzer eine vorgerichtliche Beteiligungsmöglichkeit sicherstellen. Der Vorschlag von Peukert gewährleistet durch die Übertragung der Entscheidung im Wiederherstellungsverfahren auf eine anerkannte Einrichtung der Regulierten Selbstregulierung ein höheres Maß an Unabhängigkeit und Unvoreingenommenheit in der Entscheidungsfindung als das von der Bundesregierung vorgeschlagene Verfahren, bei dem die Entscheidung weiterhin durch die Netzwerkbetreiber getroffen werden soll. Die von Peukert vorgesehene Pflicht zur Offenlegung der Identität des Nutzers als Voraussetzung für die Einleitung eines Wiederherstellungsverfahrens erscheint hingegen eher als unnötige Hürde für den Schutz der Meinungsfreiheit der von einer Löschung oder Sperrung betroffenen Nutzer. Der Entwurf der Bundesregierung verzichtet auf eine entsprechende Pflicht und ist deshalb insoweit als vorzugswürde Lösung anzusehen.
destags am 17. Juni 2020, online abrufbar unter https://www.bundestag.de/resource/blob/701054/ 02b45b9aca30a33a56750db25cea404f/ballon_hateaid-data.pdf (Stand: 11. Juli 2021), S. 17.
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III. Meldepflicht für strafbare Inhalte an das Bundeskriminalamt In der Diskussion ist zudem die Schaffung einer an die Netzwerkbetreiber gerichteten Pflicht, strafbare Inhalte nach Löschung auch an das Bundeskriminalamt zu melden. Die Bundesregierung hat in diesem Zusammenhang im Februar 2020 den Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität beschlossen,⁶³⁰ der neben anderen Maßnahmen auch Änderungen des NetzDG zur Schaffung einer solchen Meldepflicht enthält. Die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und SPD haben im März 2020 einen inhaltsgleichen Gesetzentwurf ⁶³¹ in den Deutschen Bundestag eingebracht. Im parlamentarischen Verfahren erfuhr der Entwurf mit Blick auf die Vorschriften im NetzDG zur Schaffung einer Meldepflicht keine Änderungen.⁶³²
1. Wesentlicher Inhalt Der Entwurf sieht als zentrale Neuerung im Bereich des NetzDG die Einführung einer Meldepflicht für bestimmte strafbare Inhalte durch die Anbieter sozialer Netzwerke an das Bundeskriminalamt vor.⁶³³ Durch § 3a Abs. 1 NetzDG-E werden die Anbieter sozialer Netzwerke verpflichtet, ein wirksames Verfahren für Meldungen vorzuhalten.⁶³⁴ Die Voraussetzungen der Meldepflicht ergeben sich aus § 3a Abs. 2 NetzDG-E. Danach müssen Anbieter sozialer Netzwerke dem Bundeskriminalamt zum Zwecke der Ermöglichung der Verfolgung von Straftaten Inhalte übermitteln, die dem Anbieter in einer Beschwerde über rechtswidrige Inhalte gemeldet worden sind, die der Anbieter entfernt oder zu denen er den Zugang gesperrt hat und bei denen konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie mindestens einen der Tatbestände der §§ 86, 86a, 89a, 91, 126, 129 bis 129b, 130, 131 oder 140 StGB, des § 184b in Verbindung mit § 184d des StGB oder des § 241 StGB in Form der Bedrohung mit einem Verbrechen gegen das Leben, die sexuelle Selbstbestimmung, die körperliche Unversehrtheit oder die persönliche
Gesetzentwurf der Bundesregierung, online abrufbar unter https://www.bmjv.de/Shared Docs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RegE_Bekaempfung_Hasskriminalitaet.pdf;jsessio nid=9249D6AC588A662B0E373C045CAC592E.2_cid324?__blob=publicationFile&v=3 (Stand: 11. Juli 2021). Gesetzentwurf der Bundestagsfraktionen CDU/CSU und SPD, BT-Drs. 19/17741. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestags vom 17. Juni 2020, BT-Drs. 19/20163, S. 19 ff. Gesetzentwurf der Bundestagsfraktionen CDU/CSU und SPD, BT-Drs. 19/17741, S. 2. Gesetzentwurf der Bundestagsfraktionen CDU/CSU und SPD, BT-Drs. 19/17741, S. 12.
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4. Teil: Die Regulierung der Kommunikation in sozialen Netzwerken
Freiheit erfüllen und nicht gerechtfertigt sind.⁶³⁵ Nach § 3a Abs. 4 NetzDG-E muss die Übermittlung an das Bundeskriminalamt neben dem Inhalt des Beitrags – sofern vorhanden – auch die IP-Adresse einschließlich der Portnummer, die dem hochladenden Nutzer als letztes zugeteilt war, enthalten.⁶³⁶ Durch § 4 Abs. 1 Nr. 6a NetzDG-E kann ein Verstoß gegen die Meldepflicht als Ordnungswidrigkeit mit einem Bußgeld geahndet werden.⁶³⁷ Als Begründung für die Schaffung der Meldepflicht wird angeführt, dass Strafverfolgungsbehörden bislang oft keine Kenntnis von den aufgrund einer NetzDG-Beschwerde gelöschten Inhalten erhielten und es daher einer Meldepflicht bedürfe, damit das Einstellen solcher Inhalte nicht ohne strafrechtliche Konsequenzen bleibe sowie nicht der Eindruck verstärkt werde, das Internet entwickele sich zu einem rechtsfreien Raum.⁶³⁸
2. Bewertung Die bislang vorliegenden Stellungnahmen bewerten die im Gesetzentwurf vorgesehene Meldepflicht höchst unterschiedlich. Teilweise wird die Schaffung einer Meldepflicht ausdrücklich begrüßt und darauf verwiesen, dass die Auswahl der von der Meldepflicht erfassten Straftatbestände ausgewogen und am Ziel der Gewährleistung des öffentlichen und freien Diskurses orientiert sei, wodurch zugleich die Zahl meldepflichtiger Fälle in sinnvoller Weise begrenzt werde.⁶³⁹ Gleichzeitig werden die vorgeschlagenen Regelungen zur Meldepflicht allerdings auch heftig kritisiert.⁶⁴⁰ Teilweise wird auch die Vereinbarkeit der Regelungen zur
Gesetzentwurf der Bundestagsfraktionen CDU/CSU und SPD, BT-Drs. 19/17741, S. 12. Gesetzentwurf der Bundestagsfraktionen CDU/CSU und SPD, BT-Drs. 19/17741, S. 12. Gesetzentwurf der Bundestagsfraktionen CDU/CSU und SPD, BT-Drs. 19/17741, S. 13. Gesetzentwurf der Bundestagsfraktionen CDU/CSU und SPD, BT-Drs. 19/17741, S. 1 f. Deutscher Richterbund, Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität, online abrufbar unter https://www. bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2020/Downloads/011020_Stel lungnahme_DRB_RefE__Belaempfung-Rechtsextremismus-Hasskriminalitaet.pdf;jsessionid= 9249D6AC588A662B0E373C045CAC592E.2_cid324?__blob=publicationFile&v=2 (Stand: 11. Juli 2021), S. 2. Eindeutig ablehnend insoweit Deutscher Anwaltverein, Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität, online abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/ 2020/Downloads/012820_Stellungnahme_DAV_RefE__Belaempfung-Rechtsextremismus-Hasskri minalitaet.pdf;jsessionid=9249D6AC588A662B0E373C045CAC592E.2_cid324?__blob=publication File&v=3 (Stand: 11. Juli 2021), S. 3 ff.
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Meldepflicht mit den geltenden europarechtlichen Vorgaben, insbesondere der ECommerce-Richtlinie sowie der Datenschutzgrundverordnung, verneint.⁶⁴¹
a. Beschränkung auf nutzerstarke soziale Netzwerke Zur Begründung der Kritik wird zunächst angeführt, dass aufgrund der aus § 1 Abs. 3 NetzDG folgenden Beschränkung auf soziale Netzwerke mit mehr als zwei Millionen Nutzern zu besorgen sei, dass zum Austausch strafrechtlich relevanter Äußerungen gezielt auf kleinere Plattformen ausgewichen werden könne, um der Meldepflicht zu entgehen.⁶⁴² Die Befürchtung, die Verbreitung rechtswidriger Inhalte im Sinne des NetzDG könne infolge der Beschränkung auf soziale Netzwerke mit mehr als zwei Millionen Nutzern gezielt auf kleinere Plattformen verlagert werden, wurde bereits unabhängig von der Meldepflicht geäußert.⁶⁴³ Bislang liegen allerdings soweit ersichtlich keine empirischen Daten vor, die eine solche Abwanderung auf kleinere Netzwerke belegen könnten. Zugleich ist nicht ersichtlich, inwieweit gerade die Einführung einer Meldepflicht das Risiko erhöhen könnte, dass Nutzer zur Äußerung rechtswidriger Inhalte gezielt auf kleinere Plattformen ausweichen könnten. Deshalb überzeugt die auf diese Befürchtung gestützte Kritik nicht. Vielmehr erscheint es nachvollziehbar, die Meldepflicht genau wie die übrigen Anforderungen des NetzDG auf große soziale Netzwerke zu beschränken, da bei einer größeren Anzahl an Nutzern auch die Reichweite von Inhalten größer ist und dadurch auch die Diffamierungswirkung rechtswidriger Inhalte steigt.⁶⁴⁴ Gleichzeitig wird durch die Be-
Auf den Vorwurf der Europarechtswidrigkeit soll im Folgenden angesichts des Untersuchungsgegenstandes dieser Arbeit nicht näher eingegangen werden. Hierzu eco – Verband der Internetwirtschaft e.V., Stellungnahme für die öffentliche Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestags am 6. Mai 2020, online abrufbar unter https:// www.bundestag.de/resource/blob/694266/1100d50b23fe43ba2867ac5d525fc3c5/lesch-data.pdf (Stand: 11. Juli 2021), S. 4 f. Deutscher Anwaltverein, Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität, online abrufbar unter https://www. bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2020/Downloads/012820_Stel lungnahme_DAV_RefE__Belaempfung-Rechtsextremismus-Hasskriminalitaet.pdf;jsessionid= 9249D6AC588A662B0E373C045CAC592E.2_cid324?__blob=publicationFile&v=3 (Stand: 11. Juli 2021), S. 4. Nolte, ZUM 2017, 552 (560). So als Begründung für die Bagatellgrenze des § 1 Abs. 2 NetzDG bereits die Gesetzesbegründung, Gesetzentwurf der Bundestagsfraktionen CDU/CSU und SPD, BT-Drs. 18/12356, S. 19; kritisch hierzu Liesching, in: Spindler/Schmitz/Liesching, TMG, § 1 NetzDG Rn. 67.
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schränkung des Anwendungsbereichs auf soziale Netzwerke mit mehr als zwei Millionen Nutzern dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung getragen.⁶⁴⁵ Dies ergibt sich aus dem Umstand, dass die Prüfpflichten und sonstigen umfangreichen gesetzlichen Anforderungen des NetzDG die Ressourcen und Kapazitäten kleiner Netzwerke übersteigen würde⁶⁴⁶ und deshalb gegenüber Netzwerkbetreibern mit einer verhältnismäßig kleinen Nutzerzahl einen unverhältnismäßigen Eingriff in ihr Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG bedeuten würde. Folglich ist die Bagatellgrenze auch mit Blick auf die vorgeschlagene Meldepflicht in § 3a NetzDG-E als sinnvolle Regelung zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit mit Blick auf kleine soziale Netzwerke anzusehen.
b. Gefahr des Overreporting und mögliche Abschreckungseffekte für die Ausübung der Meinungsfreiheit In der Diskussion um die Schaffung einer Meldepflicht wird zudem kritisch angemerkt, dass durch eine Meldepflicht im NetzDG zusätzlich zur bereits generell durch die NetzDG-Vorgaben bestehenden Gefahr eines Overblocking die Gefahr eines Overreporting hinzukomme.⁶⁴⁷ Dadurch potenziere sich letztlich die Gefahr von Abschreckungseffekten für die Ausübung der Meinungsfreiheit, da befürchtet werden müsse, dass infolge der Meldepflicht beim Bundeskriminalamt eine Datenbank auch über bedenkliche, aber letztlich nicht strafbare Äußerungen entstünde und Nutzer aus Sorge vor einer Aufnahme in eine solche Datenbank im Wege der Selbstzensur auch von der Äußerung nicht strafbarer Inhalte absehen könnten.⁶⁴⁸
Hoven/Gersdorf, in: Gersdorf/Paal, BeckOK Informations- und Medienrecht, § 1 NetzDG Rn. 29. Gesetzentwurf der Bundestagsfraktionen CDU/CSU und SPD, BT-Drs. 18/12356, S. 19. Google Ireland Ltd., Stellungnahme zum vorgeschlagenen Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität, online abrufbar unter https://www.bmjv.de/Shared Docs/Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2020/Downloads/011720_Stellungnahme_goo gle_RefE__Belaempfung-Rechtsextremismus-Hasskriminalitaet.pdf;jsessionid=D3D52500A63 F6799E7DEA6620854B656.1_cid297?__blob=publicationFile&v=3 (Stand: 11. Juli 2021), S. 2. Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität, online abrufbar unter https:// www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2020/Downloads/012820_ Stellungnahme_DAV_RefE__Belaempfung-Rechtsextremismus-Hasskriminalitaet.pdf;jsessio nid=9249D6AC588A662B0E373C045CAC592E.2_cid324?__blob=publicationFile&v=3 (Stand: 11. Juli 2021), S. 4; ähnliche Bedenken auch in der Stellungnahme der Google Ireland Ltd. zum vorgeschlagenen Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität, online abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Stellungnah
C. Vorschläge für eine Weiterentwicklung des NetzDG
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Die Bedenken mit Blick auf ein befürchtetes Overblocking werden bereits gegen das NetzDG in seiner geltenden Fassung erhoben, erscheinen allerdings nach hiesiger Einschätzung als unbegründet.⁶⁴⁹ Auch das bei der Einführung einer Meldepflicht befürchtete Overreporting dürfte sich maßgeblich aus der Sorge ergeben, dass die Netzwerkbetreiber aufgrund der Bußgeldandrohung in § 4 Abs. 1 Nr. 6a NetzDG-E in Zweifelsfällen auch für rechtmäßige Inhalte eine Meldung an das Bundeskriminalamt durchführen würden.⁶⁵⁰ Diese Betrachtung verkennt jedoch, dass nach § 4 Abs. 1 Nr. 6a NetzDG-E neben dem fehlenden auch das nicht richtige Vorhalten eines Verfahrens zur Umsetzung der Meldepflicht i.S.v. § 3a Abs. 1 NetzDG-E als Ordnungswidrigkeit mit einem Bußgeld geahndet werden kann. Beim ähnlich formulierten Ordnungswidrigkeitentatbestand des § 4 Abs. 1 Nr. 2 NetzDG erfasst das nicht richtige Vorhalten gerade auch ein systematisches Overblocking.⁶⁵¹ Der Gesetzgeber selbst geht davon aus, dass die Ordnungswidrigkeitenregelung in § 4 Abs. 1 Nr. 6a NetzDG-E mit den bereits bestehenden bußgeldbewehrten Pflichten vergleichbar sei.⁶⁵² Vor diesem Hintergrund ist auch die vorgeschlagene Regelung in § 4 Abs. 1 Nr. 6a NetzDG-E so zu verstehen, dass sie neben einer systematischen Nichtmeldung rechtswidriger Inhalte auch eine regelmäßig stattfindende Meldung rechtmäßiger Inhalte als nicht richtiges Vorhalten eines Verfahrens zur Erfüllung der Meldepflicht nach § 3a Abs. 1 NetzDG-E erfasst. Mithin besteht auch in Fällen eines systematisch angelegten Overreporting für die Netzwerkbetreiber ein Bußgeldrisiko. Hiervon ausgehend ist nicht erkennbar, dass die Regelungen zur Meldepflicht in Kombination mit der Androhung eines Bußgelds für die Netzwerkbetreiber einen einseitigen Anreiz zur Meldung rechtmäßiger Inhalte in rechtlichen Zweifelsfällen schaffen. Somit dürfte es sich auch bei der von Kritikern einer Meldepflicht geäußerten Gefahr eines Overreporting letztlich um eine bloße Prognose zukünftigen Verhaltens der Netzwerkbetreiber handeln, die der empirischen
men/2020/Downloads/011720_Stellungnahme_google_RefE__Belaempfung-RechtsextremismusHasskriminalitaet.pdf;jsessionid=D3D52500A63F6799E7DEA6620854B656.1_cid297?__blob=pu blicationFile&v=3 (Stand: 11. Juli 2021), S. 2. Siehe oben unter B.II.3.b. So wohl Deutscher Anwaltverein, Stellungnahme zum Referentenentwurf für ein Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität, online abrufbar unter https:// www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2020/Downloads/012820_ Stellungnahme_DAV_RefE__Belaempfung-Rechtsextremismus-Hasskriminalitaet.pdf;jsessio nid=1F2BDBDADBE22EF2465F67E0BDC93265.2_cid297?__blob=publicationFile&v=3 (Stand: 11. Juli 2021), S. 4. Siehe oben unter B.II.3.b.ii. So ausdrücklich die Gesetzesbegründung, Gesetzentwurf der Bundestagsfraktionen CDU/ CSU und SPD, BT-Drs. 19/17741, S. 45 f.
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4. Teil: Die Regulierung der Kommunikation in sozialen Netzwerken
Überprüfung zugänglich ist.⁶⁵³ Eine empirische Überprüfung der Meldepraxis ist vor Inkrafttreten der Regelungen in § 3a NetzDG-E zwar nicht möglich. Die in den Transparenzberichten der Netzwerkbetreiber veröffentlichten Zahlen zur Löschpraxis weisen jedoch bislang gerade nicht auf ein systematisches Overblocking hin.⁶⁵⁴ Gleichzeitig ist eine Löschung des Inhalts nach § 3a Abs. 2 Nr. 2 NetzDG-E Voraussetzung für die nachfolgende Meldung an das Bundeskriminalamt. Ohne ein anhand der Zahlen in den Transparenzberichten erkennbares Overblocking ist aufgrund dieses zwingenden Zusammenhangs zwischen Löschung und Meldung ein isoliertes Overreporting nicht denkbar. Die Sorge vor einer Meldepraxis der Netzwerkbetreiber, die systematisch auch rechtmäßige Inhalte erfasst, erscheint mithin jedenfalls solange unbegründet, wie sich anhand der empirischen Daten bereits kein Overblocking feststellen lässt.⁶⁵⁵ Die auf ein befürchtetes Overreporting gestützte Kritik überzeugt mithin nicht, weswegen auch die hieraus entstehenden Abschreckungseffekte mit Blick auf die Ausübung der Meinungsfreiheit der Nutzer in sozialen Netzwerken nicht zu besorgen sind.
c. Systemwidrigkeit einer Meldepflicht und fehlender Schutz durch Verfahrensanforderungen Ein zentraler Kritikpunkt in der Diskussion um die Schaffung einer Meldepflicht ist zudem die dadurch den Netzwerkbetreibern bei der Strafverfolgung zugewiesene Rolle. Durch die im Gesetzentwurf vorgesehene Meldepflicht werde den Netzwerkbetreibern zum Teil die Ermittlung und Verfolgung von Straftaten auferlegt, indem die Netzwerkbetreiber das Vorliegen eines Anfangsverdachts zu prüfen hätten.⁶⁵⁶ Dies sei insofern systemwidrig, als nach geltendem Recht die Strafverfolgung eine ureigene hoheitliche Aufgabe sei und stelle sich auch im Übrigen als Systembruch dar, da Netzwerkbetreiber infolge einer Meldepflicht nicht mehr nur auf Ersuchen hin, sondern proaktiv Daten an Behörden heraus-
Für die vergleichbare Sorge vor einem Overblocking durch die NetzDG-Vorgaben zum Beschwerdemanagement so bereits Lang, AöR 143 (2018), 220 (236). Siehe oben unter B.II.3.b.iii. und iv. Ähnlich die Ausführungen in der Gesetzesbegründung, Gesetzentwurf der Bundestagsfraktionen CDU/CSU und SPD, BT-Drs. 19/17741, S. 42. Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein, Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität, online abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2020/Down loads/011720_Stellungnahme_RAV_RefE__Belaempfung-Rechtsextremismus-Hasskriminalitaet. pdf;jsessionid=D3D52500A63F6799E7DEA6620854B656.1_cid297?__blob=publicationFile&v=3 (Stand: 11. Juli 2021), S. 2.
C. Vorschläge für eine Weiterentwicklung des NetzDG
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geben müssten.⁶⁵⁷ Schließlich fehle es an Vorkehrungen, um sicherzustellen, dass der weitere Umgang mit den erlangten Daten durch das Bundeskriminalamt den verfassungsrechtlichen Vorgaben entspreche, sowie an klaren Vorgaben zur Löschung der erlangten Daten.⁶⁵⁸ Diese Kritik schließt an den bereits zuvor gegen das NetzDG vorgebrachten Vorwurf einer Privatisierung der Rechtsdurchsetzung an. Dieser Vorwurf ist allerdings unbegründet, soweit die den Netzwerkbetreibern auferlegte Entscheidung über die Rechtmäßigkeit eines gemeldeten Beitrags nur eine Erstentscheidung darstellt und die Letztentscheidung staatlichen Gerichten vorbehalten bleibt, was bei der Löschung und Sperrung von Beiträgen in jeder denkbaren Konstellation gewährleistet ist.⁶⁵⁹ Fraglich ist jedoch, ob dies für die Entscheidung der Netzwerkbetreiber über die Meldung an das Bundeskriminalamt nach § 3a Abs. 2 NetzDG-E in gleicher Weise gilt. Die Meldung eines Inhalts durch die Netzwerkbetreiber an das Bundeskriminalamt nimmt die Strafverfolgung nicht vorweg, sondern ermöglicht die Strafverfolgung durch die zuständigen Ermittlungs- und Justizbehörden der Länder.⁶⁶⁰ Die Entscheidung über das Vorliegen zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte i.S.v. § 152 Abs. 2 StPO für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens bleibt von der Meldepflicht unberührt. Die Prüfung auf Vorliegen eines Anfangsverdachts obliegt nach Übermittlung der Inhalte durch das BKA der zuständigen Staatsanwaltschaft, genauso wie die im weiteren Verlauf des Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft zu treffende Entscheidung über die
BITKOM e.V., Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität, online abrufbar unter https://www.bmjv.de/Shared Docs/Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2020/Downloads/011720_Stellungnahme_Bit kom_RefE__Belaempfung-Rechtsextremismus-Hasskriminalitaet.pdf;jsessionid=D3D52500A63 F6799E7DEA6620854B656.1_cid297?__blob=publicationFile&v=3 (Stand: 11. Juli 2021), S. 8; mit gleicher Bewertung Twitter International Company, Stellungnahme zum vorgeschlagenen Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität, online abrufbar unter https:// www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2020/Downloads/012420_ Stellungnahme_Twitter_RefE__Belaempfung-Rechtsextremismus-Hasskriminalitaet.pdf;jsessio nid=D3D52500A63F6799E7DEA6620854B656.1_cid297?__blob=publicationFile&v=3 (Stand: 11. Juli 2021), S. 2. Digitale Gesellschaft e.V., Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität, online abrufbar unter https://www.bmjv.de/Shared Docs/Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2020/Downloads/011620_Stellungnahme_Digi tale-Gesellschaft_RefE__Belaempfung-Rechtsextremismus-Hasskriminalitaet.pdf;jsessionid= D3D52500A63F6799E7DEA6620854B656.1_cid297?__blob=publicationFile&v=6 (Stand: 11. Juli 2021), S. 5. Siehe oben unter B.II.4. Gesetzentwurf der Bundestagsfraktionen CDU/CSU und SPD, BT-Drs. 19/17741, S. 41.
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Anklageerhebung bei Vorliegen eines hinreichenden Tatverdachts nach § 170 Abs. 1 StPO sowie die gerichtliche Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens nach § 203 StPO. Dies zeigt, dass die Meldepflicht nicht zu einer Verlagerung von Entscheidungen über die strafrechtliche Verfolgung eines Inhalts auf die Netzwerkbetreiber als private Akteure führt, sondern dass diese Entscheidungen auch bei Einführung einer Meldepflicht weiterhin durch die zuständigen staatlichen Behörden beziehungsweise Gerichte zu treffen sind. Dadurch ist der Vorwurf einer Verlagerung der Strafverfolgung auf Private im Zuge der Einführung einer Meldepflicht unbegründet. Unklar erscheint allerdings, inwieweit auch bezüglich der Speicherung der gemeldeten Inhalte sowie der IP-Adressen der hochladenden Nutzer eine rechtliche Prüfung und Entscheidung durch staatliche Stellen gewährleistet ist. Anhand der vorgeschlagenen Regelung in § 3a NetzDG-E sowie der Ausführungen in der Gesetzesbegründung bleibt unklar, ob das BKA selbst bereits vor Weiterleitung an die zuständige Staatsanwaltschaft eine Prüfung auf strafrechtliche Relevanz der gemeldeten Inhalte vorzunehmen hat.⁶⁶¹ Zudem wäre es auf der Grundlage der Regelungen des Gesetzentwurfs möglich, dass das BKA personenbezogene Daten bei Providern abfragt, ohne dass die hierfür zuständige Staatsanwaltschaft das Vorliegen eines Anfangsverdachts geprüft hätte.⁶⁶² Aufgrund der unklaren Vorgaben zur Erforderlichkeit einer rechtlichen Prüfung durch das BKA ist es durchaus denkbar, dass auch das BKA die gemeldeten Inhalte nicht auf ihre strafrechtliche Relevanz überprüft. Dies führte in der Konsequenz dazu, dass beim BKA eine Speicherung von Daten stattfände, deren Grundlage alleine die den Netzwerkbetreibern nach § 3a Abs. 2 NetzDG-E obliegende Prüfung und Entscheidung über die Strafbarkeit eines Inhalts darstellt.⁶⁶³ Dieser problematische Befund wird noch dadurch verstärkt, dass es im Gesetzentwurf an eindeutigen rechtlichen Vorgaben zu Verarbeitung, Speicherung und Vernichtung der
May, Stellungnahme für die öffentliche Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestags vom 6. Mai 2020, online abrufbar unter https://www.bun destag.de/resource/blob/694250/4959dbfa32486a45263036901dd04134/may-data.pdf (Stand: 11. Juli 2021), S. 2 f. HateAid gGmbH, Stellungnahme für die öffentliche Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestags am 6. Mai 2020, online abrufbar unter https:// www.bundestag.de/resource/blob/694264/4d2a249c9538d6c14088cf6f1417d500/ballon-data.pdf (Stand: 11. Juli 2021), S. 5. HateAid gGmbH, Stellungnahme für die öffentliche Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestags am 6. Mai 2020, online abrufbar unter https:// www.bundestag.de/resource/blob/694264/4d2a249c9538d6c14088cf6f1417d500/ballon-data.pdf (Stand: 11. Juli 2021), S. 5.
C. Vorschläge für eine Weiterentwicklung des NetzDG
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infolge der Meldepflicht beim BKA eingehenden Daten fehlt.⁶⁶⁴ Insoweit wird lediglich in der Gesetzesbegründung ausgeführt, die von den sozialen Netzwerken übermittelten Daten seien durch das BKA grundsätzlich zu löschen, sobald der in § 3a NetzDG-E festgelegte Zweck einer Ermöglichung der Strafverfolgung erfüllt sei, was regelmäßig nach Übermittlung der betreffenden Daten an die zuständige Strafverfolgungsbehörde der Fall sein soll.⁶⁶⁵ Eine Regelung im Normtext findet sich hierzu gleichwohl nicht. Als Konsequenz dieser vorgeschlagenen Regelungen erscheint es daher möglich, dass beim BKA auch Daten gespeichert werden, die zum Zwecke der Strafverfolgung nicht erforderlich sind, weil es an einem Anfangsverdacht einer Straftat fehlt.⁶⁶⁶ Der Gesetzentwurf sieht gerade keine verfahrensrechtlichen Sicherungsmaßnahmen vor, um eine Einbeziehung von Staatsanwaltschaften und Gerichten vor einer Speicherung von Daten durch das BKA zu gewährleisten und dadurch zugleich zu verhindern, dass alleine die Einschätzung der privaten Netzwerkbetreiber als rechtliche Grundlage für den durch die Datenspeicherung bewirkten nicht unerheblichen Eingriff in die Grundrechte der betroffenen Nutzer dient.⁶⁶⁷ Eine solche Ausgestaltung der Meldepflicht kann demnach einen angemessenen Schutz insbesondere der Meinungsfreiheit der Nutzer, deren Beitrag durch die Netzwerkbetreiber an das BKA gemeldet wurde, nicht gewährleisten. Um der aus der Meinungsfreiheit der Nutzer folgenden grundrechtlichen Schutzpflicht gerecht zu werden, wäre vielmehr vor der Speicherung eine rechtliche Prüfung durch eine staatliche Stelle im Anschluss an die Entscheidung der Netzwerkbetreiber über das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Meldung nach § 3a Abs. 2 NetzDG-E erforderlich. Dies gilt unabhängig davon, dass die Äußerungsdelikte der §§ 185 ff. StGB nicht zum Katalog der von der Meldepflicht erfassten Delikte nach § 3a Abs. 2 Nr. 3 NetzDG-E gehören, da beispielsweise auch beim von der Meldepflicht erfassten Straftatbestand der Volksverhetzung nach
eco – Verband der Internetwirtschaft e.V., Stellungnahme für die öffentliche Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestags am 6. Mai 2020, online abrufbar unter https://www.bundestag.de/resource/blob/694266/1100d50b23fe43 ba2867ac5d525fc3c5/lesch-data.pdf (Stand: 11. Juli 2021), S. 5 f. Gesetzentwurf der Bundestagsfraktionen CDU/CSU und SPD, BT-Drs. 19/17741, S. 15. Bäcker, Stellungnahme für die öffentliche Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestags am 6. Mai 2020, online abrufbar unter https://www.bundes tag.de/resource/blob/694012/148a2b958f140702144f6ac23cf261c9/baecker-data.pdf (Stand: 11. Juli 2021), S. 5 f. HateAid gGmbH, Stellungnahme für die öffentliche Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestags am 6. Mai 2020, online abrufbar unter https:// www.bundestag.de/resource/blob/694264/4d2a249c9538d6c14088cf6f1417d500/ballon-data.pdf (Stand: 11. Juli 2021), S. 5.
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§ 130 StGB die Meinungsfreiheit des Äußernden bereits bei der Auslegung des Tatbestands zu berücksichtigen ist.⁶⁶⁸ Um dieses Defizit zu beheben, wird vorgeschlagen, dass die Meldung mutmaßlich rechtswidriger Inhalte durch die Netzwerkbetreiber statt an das BKA direkt an die jeweils zuständige Staatsanwaltschaft, gegebenenfalls auch an speziell eingerichtete Spezialstellen innerhalb der Staatsanwaltschaft, erfolgen solle und die Staatsanwaltschaft zunächst das Vorliegen eines Anfangsverdachts zu prüfen habe, bevor eine Speicherung von personenbezogenen Daten zu einem bestimmten Inhalt beim BKA erfolgen könne.⁶⁶⁹ Dieser Vorschlag würde zwar gewährleisten, dass vor einer Datenspeicherung eine rechtliche Prüfung des gemeldeten Inhalts durch eine staatliche Stelle und nicht nur durch die privaten Netzwerkbetreiber stattfände. Allerdings bestünde das Problem, dass sich die Zuständigkeit einer bestimmten Staatsanwaltschaft in der Regel bei Meinungsäußerungen in sozialen Netzwerken nicht ohne Weiteres eindeutig bestimmen lässt, weil der strafbare Inhalt potentiell von jedem Ort gepostet werden kann und deshalb auch der Tatort überall innerhalb und außerhalb der Bundesrepublik Deutschland liegen kann.⁶⁷⁰ Bei einer verpflichtenden Meldung an die jeweils zuständige Staatsanwaltschaft wären mithin die Netzwerkbetreiber verpflichtet, diese komplexe Zuständigkeitsprüfung noch vor der Meldung durchzuführen. Hierdurch entstünde ein nicht unerhebliches Maß an Rechtsunsicherheit. Zudem wäre eine Verzögerung der Meldung infolge der im Vorfeld durchzuführenden komplexen Zuständigkeitsprüfung zu befürchten, was es für die Netzwerkbetreiber erschweren dürfte, Meldungen wie von § 3a Abs. 3 NetzDG-E verlangt unverzüglich vorzunehmen. Vorzugswürdig erscheint vor diesem Hintergrund der Vorschlag einer zweistufigen Ausgestaltung des Meldeverfahrens.⁶⁷¹ Danach würden die Netzwerkbetreiber in einer ersten Stufe nur zur Übermittlung des mutmaßlich strafbaren Inhalts verpflichtet, die Verpflichtung zur Übermittlung von Identifikationsdaten
Schäfer, in: Joecks/Miebach, Münchener Kommentar zum StGB, § 130 Rn. 110. HateAid gGmbH, Stellungnahme für die öffentliche Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestags am 6. Mai 2020, online abrufbar unter https:// www.bundestag.de/resource/blob/694264/4d2a249c9538d6c14088cf6f1417d500/ballon-data.pdf (Stand: 11. Juli 2021), S. 6. So auch bereits die Einschätzung in der Gesetzesbegründung, Gesetzentwurf der Bundestagsfraktionen CDU/CSU und SPD, BT-Drs. 19/17741, S. 41; grundlegend zur Frage des Begehungsorts bei Äußerungsdelikten im Internet bereits Cornils, JZ 1999, 394. Bäcker, Stellungnahme für die öffentliche Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestags online abrufbar unter https://www.bundestag.de/resour ce/blob/694012/148a2b958f140702144f6ac23cf261c9/baecker-data.pdf (Stand: 11. Juli 2021), S. 6.
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des hochladenden Nutzers würde hingegen in einer zweiten Stufe erst nach Bejahung eines Anfangsverdachts im Rahmen einer rechtlichen Prüfung des gemeldeten Inhalts durch das BKA entstehen.⁶⁷² Bei einer solchen Ausgestaltung wäre sichergestellt, dass vor einer Speicherung personenbezogener Daten der Inhalt durch das BKA und damit durch eine staatliche Stelle auf strafrechtliche Relevanz überprüft würde und die Datenspeicherung nicht wie durch § 3a NetzDG-E vorgesehen lediglich aufgrund der rechtlichen Bewertung der privaten Netzwerkbetreiber stattfindet. Allerdings entstünde im Gegensatz zum Vorschlag einer Meldung an die zuständige Staatsanwaltschaft für die Netzwerkbetreiber nicht die Notwendigkeit einer aufwändigen Zuständigkeitsermittlung, da Empfänger der Meldung auf der ersten Stufe stets das BKA wäre. Folglich stellt sich ein solches zweistufiges Modell einer Meldepflicht als zielführende Lösungsmöglichkeit dar, um eine staatliche Überprüfung des gemeldeten Inhalts vor einer Datenspeicherung zu gewährleisten, ohne gleichzeitig aufgrund unklarer Zuständigkeiten für die Entgegennahme der Meldungen Rechtsunsicherheit auf Seiten der Netzwerkbetreiber hervorzurufen.
3. Zwischenergebnis und weitere gesetzgeberische Entwicklung Die in § 3a NetzDG-E vorgesehene Meldepflicht für Netzwerkbetreiber wird in der im Gesetzentwurf vorgeschlagenen Ausgestaltung der staatlichen Schutzpflicht für die Meinungsfreiheit der Nutzer nicht gerecht. Zwar ist die teilweise kritisierte Beschränkung auf nutzerstarke soziale Netzwerke, die sich aus der für das NetzDG insgesamt geltenden Bagatellgrenze nach § 1 Abs. 3 NetzDG ergibt, mit Blick auf die Meldepflicht als gerechtfertigt anzusehen. Auch ist die Befürchtung vor einem Overreporting durch die Netzwerkbetreiber unbegründet, weil ein solches nach der Struktur der Regelungen in § 3a Abs. 2 NetzDG-E denklogisch nur bei einem Overblocking möglich wäre und dies in der bisherigen Praxis der Netzwerkbetreiber gerade nicht erkennbar ist. Nicht mit dem Schutzpflichtgehalt der Meinungsfreiheit vereinbar ist es allerdings, dass nach § 3a NetzDG-E eine Speicherung personenbezogener Daten des hochladenden Nutzers durch das BKA auch in Fällen möglich ist, in denen die strafrechtliche Bewertung ausschließlich durch den privaten Netzwerkbetreiber erfolgte und in denen eine staatliche Prüfung auf strafrechtliche Relevanz des gemeldeten Inhalts nicht stattfand. Diese grundrechtswidrige Ausgestaltung könnte durch eine zweistufige Ausgestaltung des
Bäcker, Stellungnahme für die öffentliche Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestags, online abrufbar unter https://www.bundestag.de/resour ce/blob/694012/148a2b958f140702144f6ac23cf261c9/baecker-data.pdf (Stand: 11. Juli 2021), S. 6.
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Meldeverfahrens beseitigt werden, bei der zunächst nur der mutmaßlich strafbare Inhalt an das BKA gemeldet wird und eine Übermittlung personenbezogener Daten zu diesem Inhalt erst nach der Bejahung eines Anfangsverdachts im Rahmen einer strafrechtlichen Prüfung durch das BKA erfolgt. Der oben dargestellte ursprüngliche Gesetzentwurf von CDU/CSU und SPD wurde am 18. Juni 2020 im Deutschen Bundestag verabschiedet.⁶⁷³ Nach der Verabschiedung des ursprünglichen Gesetzentwurfs verweigerte der Bundespräsident zunächst die Unterzeichnung und Ausfertigung des Gesetzes zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität, nachdem zuvor bereits der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestags in einer Ausarbeitung von September 2020⁶⁷⁴ von der Verfassungswidrigkeit des Gesetzentwurfs ausgegangen war.⁶⁷⁵ Dabei wurde die Kritik im Anschluss an die Entscheidung des BVerfG zur Bestandsdatenauskunft⁶⁷⁶ vor allem auf das Fehlen von verfassungsmäßigen Übermittlungs- und Abfragebefugnissen gestützt, aus denen sich eine fehlende Geeignetheit der Regelungen in § 3a NetzDG-E und mithin deren Unverhältnismäßigkeit ergebe.⁶⁷⁷ Die Bundesregierung sah sich deshalb zu gesetzgeberischen Nachbesserungen veranlasst, die im Rahmen des Gesetzes zur Anpassung der Regelungen über die Bestandsdatenauskunft an die Vorgaben aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Mai 2020⁶⁷⁸ am 28. Januar 2021 im Deutschen Bundestag verabschiedet wurden⁶⁷⁹. Die Neuregelung zur Meldepflicht in § 3a NetzDG soll nunmehr am 1. Februar 2022 in Kraft treten.
IV. Klarere Anforderungen an die Ausgestaltung der Meldewege Die Ausgestaltung der Meldewege für die Übermittlung von Beschwerden über rechtswidrige Inhalte im Sinne des NetzDG hat insbesondere im Falle des sozialen Netzwerkes Facebook zum Teil massive Kritik hervorgerufen. Ausgangspunkt der
Plenarprotokoll des Deutschen Bundestags 19/166, S. 20741. Deutscher Bundestag – Wissenschaftliche Dienste, Ausarbeitung WD 10 – 3000 – 030/20 vom 15. September 2020, online abrufbar unter https://www.bundestag.de/resource/blob/ 803144/f83da25e745ffcb2743dc40138e1e29f/WD-10-030-20-pdf-data.pdf (Stand: 11. Juli 2021). Liesching, MMR 2020, 721 (721). BVerfG, Beschluss vom 27. Mai 2020 – 1 BvR 1873/13, 1 BvR 2618/13 -, NJW 2020, 2699. Deutscher Bundestag – Wissenschaftliche Dienste, Ausarbeitung WD 10 – 3000 – 030/20 vom 15. September 2020, online abrufbar unter https://www.bundestag.de/resource/blob/ 803144/f83da25e745ffcb2743dc40138e1e29f/WD-10-030-20-pdf-data.pdf (Stand: 11. Juli 2021), S. 38 ff. Gesetzentwurf der Bundestagsfraktionen CDU/CSU und SPD, BT-Drs. 19/25294. Plenarprotokoll des Deutschen Bundestags 19/206, S. 25998.
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Kritik ist vor allem, dass Facebook ein gesondertes Formular für Meldungen nach dem NetzDG im Verhältnis zu Meldungen wegen eines vermeintlichen Verstoßes gegen die Facebook-Gemeinschaftsstandards bereit hält.⁶⁸⁰ In diesem NetzDGMeldeformular muss der Beschwerdeführer zahlreiche Angaben machen, beispielsweise muss dargelegt werden, welche Straftatbestände mutmaßlich durch den gemeldeten Beitrag verletzt würden und auf welchen Gründen die angenommene Rechtswidrigkeit des gemeldeten Beitrags beruht.⁶⁸¹ Diese Anforderungen werden als für juristische Laien kaum erfüllbar kritisiert.⁶⁸² Facebook wird deshalb vorgeworfen, das NetzDG-Meldesystem ad absurdum zu führen⁶⁸³ und eine völlige Ineffektivität des Meldesystems herbeizuführen.⁶⁸⁴ Das Bundesamt für Justiz stellt in einem gegen Facebook erlassenen Bußgeldbescheid ebenfalls fest, dass das von Facebook angebotene NetzDG-Meldeformular zu versteckt und das Nebeneinander des Meldeweges wegen eines Verstoßes gegen Gemeinschaftsstandards einerseits sowie des Meldeweges wegen rechtswidriger Inhalte nach dem NetzDG andererseits nicht ausreichend transparent sei.⁶⁸⁵ Auch die Bundesregierung scheint sich dieser Bewertung allgemein ohne ausdrückliche Nennung bestimmter Netzwerkbetreiber anzuschließen, wenn sie davon ausgeht, dass die Meldewege teilweise zu versteckt und ihre Bedienung zu beschwerlich sei und wertet dies zugleich als einen Grund für die unterschiedlich hohen ausgewiesenen Zahlen an NetzDG-Beschwerden in den Transparenzberichten.⁶⁸⁶
1. Wesentlicher Inhalt Ausgehend von dieser Kritik hat die Bundesregierung im Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des NetzDG einen Vorschlag für eine gesetzliche Klarstellung vorgelegt. Danach soll § 3 Abs. 1 S. 2 NetzDG um die ausdrückliche Vorgabe ergänzt werden, dass das von den Netzwerkbetreibern vorzuhaltende Verfahren zur Be-
Vgl. zu diesen gesonderten Meldewegen die Angaben im Hilfebereich der Facebook-Homepage unter https://de-de.facebook.com/help/285230728652028?helpref=hc_global_nav (Stand: 11. Juli 2021). Vgl. zu den im Rahmen einer NetzDG-Meldung anzugebenden Informationen die Ausführungen im NetzDG-Transparenzbericht Facebook von Januar 2020, online abrufbar unter https:// about.fb.com/wp-content/uploads/2020/01/facebook_netzdg_Januar_2020_German.pdf (Stand: 11. Juli 2021). Spindler, GRUR 2018, 365 (372). Löber/Roßnagel, 2019, 71 (72). Spindler, GRUR 2018, 365 (372). Pressemitteilung des Bundesamts für Justiz vom 3. Juli 2019, online abrufbar unter https:// www.bundesjustizamt.de/DE/Presse/Archiv/2019/20190702.html (Stand: 11. Juli 2021). Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des NetzDG, BT-Drs. 19/18792, S. 2.
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schwerdeübermittlung nicht nur wie bisher leicht erkennbar, unmittelbar erreichbar und ständig verfügbar, sondern durch die Neuregelung zusätzlich leicht bedienbar sein müsse.⁶⁸⁷ Dadurch solle nochmals klargestellt werden, „dass ein schwer auffindbarer, langer oder komplizierter „Klickweg“ vom zu meldenden Inhalt bis zur Möglichkeit der Übermittlung einer Beschwerde nicht mit dem Gesetz vereinbar ist„⁶⁸⁸. Die hier noch in der Entwurfsfassung diskutierte Regelung wurde im Rahmen des parlamentarischen Verfahrens unverändert belassen.⁶⁸⁹ Die Regelung wurde am 6. Mai 2021 im Deutschen Bundestag verabschiedet⁶⁹⁰ und trat als Teil des Gesetzes zur Änderung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes⁶⁹¹ am 28. Juni 2021 in Kraft.
2. Bewertung Im Zusammenhang mit der Diskussion um die Ausgestaltung der Meldewege sollten die deutlichen Unterschiede bei der Zahl der in den Transparenzberichten ausgewiesenen Meldungen über mutmaßlich rechtswidrige Inhalte⁶⁹² in Erinnerung gerufen werden. Der einzig ersichtliche Erklärungsansatz für diese massiven Unterschiede im Meldeaufkommen ist, dass die Netzwerkbetreiber die Meldewege auf ihren Plattformen unterschiedlich ausgestalten.⁶⁹³ Auf der Grundlage dieses Befunds ist die Forderung berechtigt, dass dafür gesorgt werden müsse, dass die Netzwerkbetreiber einheitliche und nutzerfreundliche Standards zu den Meldewegen befolgen.⁶⁹⁴ Dies wäre zum einen aus der Sicht der Nutzer wichtig, da nur bei einem unkomplizierten Aufbau der Beschwerdefunktion gewährleistet ist, dass diese auch von juristischen Laien in nicht nur unerheblichem Maße genutzt
Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 19/18792, S. 7, 43 f. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 19/18792, S. 17. Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestags vom 5. Mai 2021, BT-Drs. 19/29392. Plenarprotokoll des Deutschen Bundestags 227/19, S. 28995. BGBl. I S. 1436. Siehe für die sozialen Netzwerke Facebook und Youtube oben unter B.II.3.b.iii: während die Zahl der gemeldeten Inhalte bei Facebook in den bisherigen Berichtszeiträumen teilweise nur knapp vierstellig sind, weist Youtube in den Transparenzberichten ein Aufkommen von gemeldeten Inhalten im deutlich sechsstelligen Bereich aus. Löber/Roßnagel, MMR 2019, 71 (72). So eine der Forderungen im Antrag der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 22. November 2018, BT-Drs. 19/5950, S. 3; die Forderung findet sich auch in der Empfehlung (EU) 2018/334 der Kommission vom 1. März 2018, vgl. oben unter A.II.2.
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werden kann.⁶⁹⁵ Eine einheitliche nutzerfreundliche Gestaltung der Meldewege würde zudem die Vergleichbarkeit der von den Netzwerkbetreibern zu veröffentlichenden Transparenzberichte erhöhen und damit mittelbar zu einer verbesserten Datenbasis für eine Untersuchung der Wirksamkeit des NetzDG beitragen.⁶⁹⁶ Fraglich ist allerdings, ob die vorgeschlagene Ergänzung des § 3 Abs. 1 S. 2 NetzDG ein geeignetes Instrument darstellt, um dieses Ziel zu erreichen. Es ist grundsätzlich nicht zu bestreiten, dass eindeutig formulierte Vorgaben zu den Meldewegen zu einer einheitlichen Ausgestaltungspraxis und damit auch zu mehr Rechtssicherheit für die Netzwerkbetreiber führen können.⁶⁹⁷ Die bisherige Fassung des § 3 Abs. 1 S. 2 NetzDG scheint hingegen Raum dafür zu lassen, auch nutzerunfreundliche Beschwerdesysteme nicht zwingend als rechtswidrig anzusehen. Dies zeigt sich exemplarisch an der unterschiedlichen Bewertung der Rechtmäßigkeit des von Facebook zur Verfügung gestellten Systems zur Beschwerdeübermittlung.⁶⁹⁸ Die Ergänzung von § 3 Abs. 1 S. 2 NetzDG um das Kriterium der leichten Bedienbarkeit könnte insoweit dabei helfen, nutzerunfreundliche Meldesysteme noch eindeutiger als rechtswidrig einzustufen als bislang. Nicht zu verkennen ist jedoch, dass auch das neu einzufügende Merkmal „leicht bedienbar“ auslegungsbedürftig ist.⁶⁹⁹ Auch wenn die vorgeschlagene Änderung somit als Klarstellung des gesetzgeberischen Willens zur Schaffung nutzerfreundlicher und niedrigschwelliger Systeme zur Übermittlung von NetzDG-Beschwerden⁷⁰⁰ durchaus sinnvoll erscheint, bedarf es zur Sicherstellung der Nutzerfreundlichkeit der Meldewege insbesondere auch einer einheitlichen Anwendung und Durchsetzung der für die Einrichtung der Meldewege geltenden Vorgaben. Die Regelung in § 4 Abs. 1 Nr. 3 NetzDG, die das nicht richtige Zur Ähnlich Löber/Roßnagel, MMR 2019, 71 (72) sowie Spindler, GRUR 2018, 365 (373). Die Wichtigkeit rechtstatsächlicher Forschung zu den Auswirkungen des NetzDG betonend auch Spindler, GRUR 2018, 365 (373). So im Grundsatz, wenngleich kritisch mit Blick auf den Regelungsvorschlag, auch BITKOM e.V., Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des NetzDG, online abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2020/Downloads/ 021720_Stellungnahme%20_Bitkom_RefE_NetzDG.pdf?__blob=publicationFile&v=2 (Stand: 11. Juli 2021), S. 11. Eine formale Erfüllung der Gesetzespflichten annehmend Spindler, GRUR 2018, 365 (373); von einer Nichterfüllung der Vorgaben aus § 3 Abs. 1 S. 2 NetzDG ausgehend hingegen Löber/ Roßnagel, MMR 2019, 71 (72). Ähnlich BITKOM e.V., Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des NetzDG, S. 11 f., online abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Stel lungnahmen/2020/Downloads/021720_Stellungnahme%20_Bitkom_RefE_NetzDG.pdf?__blob= publicationFile&v=2 (Stand: 11. Juli 2021), S. 11 f. Zu dieser gesetzgeberischen Intention ausdrücklich auch die Gesetzesbegründung, Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 19/18792, S. 44.
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Verfügung-Stellen eines Verfahrens zur Beschwerdeübermittlung als Ordnungswidrigkeit statuiert, ist in diesem Zusammenhang das wesentliche Instrument, um die Vorhaltung nutzerfreundlicher Meldewege zu gewährleisten. Gleichzeitig werden Bußgeldentscheidungen des Bundesamts für Justiz sowie sich daran möglicherweise anschließende verwaltungsgerichtliche Entscheidungen zur Herausbildung von Auslegungsmaßstäben für die Vorgaben in § 3 Abs. 1 S. 2 NetzDG führen, an denen es derzeit noch fehlt. Insgesamt stellt sich die von der Bundesregierung vorgeschlagene Ergänzung des § 3 Abs. 1 S. 2 NetzDG daher als sinnvolle Klarstellung des gesetzgeberischen Willens dar. Gleichwohl wären Auslegungsleitlinien, die sich insbesondere aus Bußgeldentscheidungen des Bundesamts für Justiz sowie aus verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen ergeben könnten, wünschenswert, damit sich die Netzwerkbetreiber bei der Ausgestaltung der Meldewege hieran orientieren können.
V. Erhöhung der Transparenz im Rahmen der Entscheidungen der Netzwerkbetreiber Ein weiterer Diskussionspunkt im Zusammenhang mit den Regelungen des NetzDG ist die Transparenz und Nachvollziehbarkeit der Entscheidungsverfahren und Entscheidungsmaßstäbe, die die Netzwerkbetreiber im Rahmen der ihnen obliegenden Prüfung gemeldeter Inhalte anlegen. Zu konstatieren ist, dass die Netzwerkbetreiber bislang über die von ihnen angelegten Entscheidungsmaßstäbe sowie die Anwendung dieser Maßstäbe im Rahmen der Prüfung einzelner gemeldeter Inhalte nicht öffentlich rechenschaftspflichtig sind.⁷⁰¹ Hiervon ausgehend wurden verschiedene Vorschläge entwickelt, um diese netzwerkinternen Entscheidungsprozesse transparenter für die betroffenen Nutzer sowie die Öffentlichkeit zu gestalten. Im Folgenden sollen daher zunächst die bereits bestehenden Regelungen zur Veröffentlichung von Entscheidungskriterien und Entscheidungsbegründungen nach dem NetzDG dargestellt werden, um hiervon ausgehend die darüber hinausgehenden Vorschläge zu untersuchen.
Eifert, NJW 2017, 1450 (1453).
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1. Bereits bestehende Regelungen zur Veröffentlichung von Entscheidungskriterien und -begründungen nach dem NetzDG Das NetzDG verpflichtet die Netzwerkbetreiber nach § 3 Abs. 2 Nr. 5 NetzDG, Beschwerdeführer und Nutzer über jede Entscheidung im Beschwerdeverfahren unverzüglich zu informieren und die Entscheidung zu begründen. Weiterhin fordert § 3 Abs. 3 NetzDG, jede Beschwerde und die zu ihrer Abhilfe getroffenen Maßnahmen zu dokumentieren. Schließlich verlangt § 2 Abs. 2 Nr. 9 NetzDG, dass der von den Netzwerkbetreibern zu veröffentlichende Transparenzbericht auf die Maßnahmen zur Unterrichtung des Beschwerdeführers sowie des Nutzers, für den der beanstandete Inhalt gespeichert wurde, einzugehen hat. Von Seiten des Gesetzgebers wird in diesem Zusammenhang die Wichtigkeit der Transparenz beim Umgang der sozialen Netzwerke mit Beschwerden über mutmaßlich rechtswidrige Inhalte betont. So wird die in § 2 NetzDG geregelte Pflicht zur halbjährlichen Veröffentlichung eines Transparenzberichts damit begründet, dass auf diese Weise ein aussagekräftiges und umfangreiches Bild über den Umgang der sozialen Netzwerke mit Beschwerden über einzelne Inhalte sichergestellt werden könne.⁷⁰² Die nach § 2 Abs. 2 Nr. 9 NetzDG verpflichtend im Transparenzbericht zu nennenden Maßnahmen zur Unterrichtung des Beschwerdeführers sowie des betroffenen Nutzers über die Entscheidung im Beschwerdeverfahren dienten der Nachvollziehbarkeit und der Überprüfbarkeit der Güte der Argumente im Zusammenhang mit Löschentscheidungen der Netzwerkbetreiber.⁷⁰³ Gleichzeitig geht der Gesetzgeber davon aus, dass zur Erfüllung der in § 3 Abs. 2 Nr. 5 NetzDG geregelten Begründungspflicht bereits eine Begründung in Multiple-Choice-Form ausreichen soll, wenn diese Begründung sicherstellt, dass Nutzer auf der Grundlage der mit der Begründung übermittelten Informationen zeitnah geeignete rechtliche Schritte einleiten können sollen, um ihre Meinungsfreiheit zu wahren.⁷⁰⁴ Auch aus der Vorgabe in § 2 Abs. 2 Nr. 9 NetzDG zur Veröffentlichung der Maßnahmen zur Unterrichtung des Beschwerdeführers und des vom Beschwerdeverfahren betroffenen Nutzers im Transparenzbericht ergeben sich für die Netzwerkbetreiber keine erhöhten Anforderungen an die Begründung der Entscheidung, da sich die Berichtspflicht nur auf die Maßnahmen zur Unterrichtung bezieht, nicht hingegen auf die Inhalte der Unterrichtung.⁷⁰⁵ Mithin liegt es im Ermessen der Netzwerkbetreiber, inwieweit sie in ihren Trans Gesetzentwurf der Bundestagsfraktionen CDU/CSU und SPD, BT-Drs. 18/12356, S. 20. Gesetzentwurf der Bundestagsfraktionen CDU/CSU und SPD, BT-Drs. 18/12356, S. 21. So die Bewertung des Gesetzgebers laut Gesetzesbegründung, vgl. Gesetzentwurf der Bundestagsfraktionen CDU/CSU und SPD, BT-Drs. 18/12356, S. 23. Liesching, in: Spindler/Schmitz/Liesching, TMG, § 2 NetzDG Rn. 27.
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parenzberichten neben der bloßen Information über die ergriffenen Unterrichtungsmaßnahmen auch darüber hinausgehende inhaltliche Argumentationen für die im Beschwerdeverfahren getroffenen Entscheidungen veröffentlichen oder nicht.⁷⁰⁶ In ihren bislang veröffentlichten Transparenzberichten haben sich Facebook und Youtube darauf beschränkt, die Maßnahmen zur Unterrichtung des Beschwerdeführers sowie des Nutzers, dessen Inhalt beanstandet wurde, darzustellen.⁷⁰⁷
2. Forderungen nach einer Pflicht substantiierter Begründung sowie einer Veröffentlichungspflicht von begründeten Einzelentscheidungen Ausgehend von diesen bereits bestehenden Vorgaben wird gefordert, das auf Transparenz basierende Regelungsmodell des NetzDG weiterzuentwickeln und soziale Netzwerke zu verpflichten, ihre im Beschwerdeverfahren getroffenen Entscheidungen zu veröffentlichen oder zumindest für eine Veröffentlichung zur Verfügung zu stellen, wobei die wesentlichen tatsächlichen Umstände sowie die Verfahrensgeschichte mitzuteilen sein sollen.⁷⁰⁸ Bislang erfolge eine kritische Reflexion der Entscheidungspraxis nur in besonders öffentlichkeitswirksamen Einzelentscheidungen, während eine über diese Einzelfälle hinausgehende kritische Reflexion der Entscheidungsmaßstäbe und Entscheidungsfindung der sozialen Netzwerke nicht möglich sei, da die sozialen Netzwerke gegenüber der Öffentlichkeit nicht rechenschaftspflichtig über die Maßstäbe bei der Bewertung beanstandeter Inhalte seien.⁷⁰⁹ Eine Veröffentlichungspflicht ermögliche demgegenüber „die öffentliche Diskussion der Maßstäbe dieser Entscheidungstätigkeit und damit sowohl ihre Politisierung als auch gegebenenfalls ihre Korrektur.“⁷¹⁰ Zudem könne die Veröffentlichung von Einzelentscheidungen samt Begründung einen Dialog zwischen der Entscheidungspraxis sozialer Netzwerke und den für das Äußerungsrecht zuständigen staatlichen Gerichten ermöglichen, da den Gerichten bei einer verpflichtenden Veröffentlichung ein umfangreiches Fallmaterial zur Verfügung stünde, auf deren Grundlage die Gerichte die von ih-
Liesching, in: Spindler/Schmitz/Liesching, TMG, § 2 NetzDG Rn. 27. Vgl. für Facebook stellvertretend NetzDG-Transparenzbericht Facebook von Januar 2020, S. 14 ff., online abrufbar unter https://about.fb.com/wp-content/uploads/2020/01/facebook_netz dg_Januar_2020_German.pdf (Stand: 11. Juli 2021), S. 14 ff.; vgl. für Youtube NetzDG-Transparenzbericht Youtube, online abrufbar unter https://transparencyreport.google.com/netzdg/youtu be?items_by_submitter=period:Y2018H2&lu=reports_resulti (Stand: 11. Juli 2021). Eifert, NJW 2017, 1450 (1453). Eifert, NJW 2017, 1450 (1453). Eifert, NJW 2017, 1450 (1453).
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nen zu überprüfenden Fälle in den Kontext der allgemein von den sozialen Netzwerken angewandten Bewertungsmaßstäbe stellen könnten, um hierdurch medienangemessene Kriterien für die äußerungsrechtliche Zulässigkeit von Inhalten in sozialen Netzwerken zu entwickeln.⁷¹¹
3. Erweiterung der Angaben in den Transparenzberichten Einen anderen Weg schlägt die Bundesregierung im Gesetzentwurf zur Änderung des NetzDG vor. Der Entwurf sieht eine Ausweitung der verpflichtenden Angaben in den gemäß § 2 Abs. 1 NetzDG halbjährlich zu veröffentlichenden Transparenzberichten vor. So enthält § 2 Abs. 2 Nr. 3 NetzDG-E unter anderem eine Pflicht, die Entscheidungskriterien für die Entfernung und Sperrung von rechtswidrigen Inhalten ebenso in den Transparenzberichten darzustellen wie das Prüfungsverfahren einschließlich der Reihenfolge der Prüfung, ob ein rechtswidriger Inhalt vorliegt oder ob gegen vertragliche Regelungen zwischen Anbieter und Nutzer verstoßen wird.⁷¹² Die im Folgenden noch in der Entwurfsfassung diskutierte Regelung wurde ohne Änderungen⁷¹³ am 6. Mai 2021 im Deutschen Bundestag verabschiedet⁷¹⁴ und trat als Teil des Gesetzes zur Änderung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes⁷¹⁵ am 28. Juni 2021 in Kraft. Die Vorschläge für eine Erweiterung der Angaben in den Transparenzberichten werden mit der besonderen Verantwortung der Netzwerkbetreiber aufgrund der großen Bedeutung sozialer Netzwerke für die Meinungsbildung und den Diskurs in der Öffentlichkeit sowie die faktische Angewiesenheit vieler Bürger auf große soziale Netzwerke zur Teilhabe an diesen Prozessen begründet.⁷¹⁶ Die besondere Verantwortung der Netzwerkbetreiber betreffe auch den Umgang mit Inhalten in sozialen Netzwerken sowie die Art und Weise der Herstellung von Transparenz gegenüber einer breiten Öffentlichkeit.⁷¹⁷ Von erheblichem Belang für die Öffentlichkeit sei hierbei insbesondere, wie die Netzwerkbetreiber mit Beschwerden über rechtswidrige Inhalte umgingen und auf welche Weise im
Eifert, NJW 2017, 1450 (1453). Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 19/18792, S. 6. Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestags vom 5. Mai 2021, BT-Drs. 19/29392. Plenarprotokoll des Deutschen Bundestags 227/19, S. 28995. BGBl. I S. 1436. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 19/18792, S. 40. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 19/18792, S. 40.
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Übrigen Entscheidungen über Beschränkungen bei der Inhaltsverbreitung getroffen würden.⁷¹⁸
4. Bewertung und verfassungsrechtliche Gebotenheit einer Veröffentlichungspflicht Der Befund, dass die Netzwerkbetreiber auf der Grundlage der aktuell geltenden Vorgaben des NetzDG kaum Informationen über die im Rahmen des Beschwerdeverfahrens angelegten inhaltlichen Prüfmaßstäbe veröffentlichen, ist in der Tat unbefriedigend. Denn eine transparente Ausgestaltung der Kriterien und Methoden für die Prüfung und Entscheidung über Beschwerden ist sowohl für die betroffenen Nutzer wichtig, um auf dieser Grundlage bei der Kommunikation in sozialen Netzwerken besser einschätzen zu können, ob ihre Rechte gewahrt werden,⁷¹⁹ als auch für eine Untersuchung und Kontrolle der Prüf- und Löschpraxis durch Wissenschaft und Öffentlichkeit.⁷²⁰ Die von den Netzwerkbetreibern im Beschwerdeverfahren angelegten Entscheidungsmaßstäbe müssen für eine belastbare Bewertung allerdings überhaupt bekannt sein, was bislang nicht in ausreichendem Maße der Fall ist.⁷²¹
a. Erweiterung der Angaben in den Transparenzberichten Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zielt darauf ab, dieses Defizit dadurch zu beheben, dass durch § 2 Abs. 2 Nr. 3 NetzDG-E zukünftig die von den Netzwerkbetreibern bei der Löschung oder Sperrung von Inhalten herangezogenen Entscheidungskriterien sowie das Prüfungsverfahren verpflichtend in den Transparenzberichten darzustellen sein soll. Die bisher veröffentlichten Transparenzberichte enthielten zu diesen Punkten nur unzureichende Informationen.⁷²² Vor diesem Hintergrund erscheint der Ansatz grundsätzlich zweckmäßig,
Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 19/18792, S. 40. So mit Blick auf die Notwendigkeit einer verbesserten Begründung von Entscheidungen im Beschwerdeverfahren gegenüber betroffenen Nutzern auch Hong, in: Albers/Katsivelas, Recht & Netz, S. 59 (85). Kettemann, Stellungnahme für die öffentliche Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestags am 15. Mai 2019, online abrufbar unter https://www. bundestag.de/resource/blob/642252/6dd66a4ca563336d3bd8ef432aa00bc8/kettemann-data.pdf (Stand: 11. Juli 2021), S. 21. Eifert, NJW 2017, 1450 (1453). ichbinhier e.V. und HateAid gGmbh (Hrsg.), Stellungnahme vom 15. Januar 2020 zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung des NetzDG, online abrufbar unter https://www.bmjv. de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2020/Downloads/021720_Stellung
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dem Problem der nur unzureichend öffentlich bekannten Entscheidungsmaßstäbe der Netzwerkbetreiber durch die Schaffung einer Veröffentlichungspflicht in den Transparenzberichten zu begegnen. Problematisch ist jedoch, dass die in § 2 Abs. 2 Nr. 3 NetzDG-E genannten berichtspflichtigen Aspekte recht allgemein gehalten und offen formuliert sind.⁷²³ Aufgrund dieser Offenheit ist nicht auszuschließen, dass die Netzwerkbetreiber die neu zu schaffenden Transparenzvorgaben in § 2 Abs. 2 Nr. 3 NetzDG‐E bereits durch allgemein gehaltene Angaben zu den Entscheidungskriterien und zum Ablauf des Prüfverfahrens erfüllen. Um tatsächlich als Grundlage für eine fundierte öffentliche Diskussion über die Prüf- und Löschpraxis der Netzwerkbetreiber dienen zu können, dürften lediglich allgemeine Angaben zum Ablauf des Entscheidungsprozesses und den hierbei angelegten Maßstäben allerdings kaum ausreichend sein. Hierfür bedarf es vielmehr auch Anschauungsmaterials, wie die Netzwerkbetreiber die Entscheidungskriterien ganz konkret auf bestimmte Fallkonstellationen anwenden, beispielsweise durch eine Veröffentlichung anonymisierter Einzelfallentscheidungen⁷²⁴. Solche Informationen umfasst die vorgeschlagene Veröffentlichungspflicht nach § 2 Abs. 2 Nr. 3 NetzDG-E aber nicht zwingend. Es ist daher zu bezweifeln, ob die vorgeschlagenen Transparenzvorgaben in § 2 Abs. 2 Nr. 3 NetzDG-E geeignet sind, eine Veröffentlichung ausreichend konkreter Informationen für die durch den Gesetzgeber gewünschte öffentliche Diskussion über die Prüfund Löschpraxis der Netzwerkbetreiber zu gewährleisten.
b. Veröffentlichungspflicht für Einzelentscheidungen der Netzwerkbetreiber Infolge einer Veröffentlichungspflicht für Einzelentscheidungen der Netzwerkbetreiber entstünde hingegen ein umfangreicher Pool an begründeten Einzelentscheidungen. Dieser würde eine kritische Bewertung und eine Diskussion der Prüf- und Löschpraxis der sozialen Netzwerke ermöglichen und darüber hinaus der Rechtsprechung Material liefern, um sich mit den in der Praxis der sozialen Netzwerke entwickelten Bewertungsmaßstäben in ihrer Entscheidungsfindung auseinandersetzen und hierdurch auch die Besonderheiten der Internetkommu-
nahme%20_ichbinhier%20HateAid_RefE_NetzDG.pdf?__blob=publicationFile&v=2 (Stand: 11. Juli 2021), S. 5. Von einer unklaren Formulierung zumindest bezüglich des Aspekts der „Darstellung des Prüfungsverfahrens“ ausgehend auch BITKOM e.V., Stellungnahme vom 17. Februar 2020 zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des NetzDG, online abrufbar unter https://www.bmjv.de/ SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2020/Downloads/021720_Stellungnahme %20_Bitkom_RefE_NetzDG.pdf?__blob=publicationFile&v=2 (Stand: 11. Juli 2021), S. 8. Ähnlich Löber/Roßnagel, MMR 2019, 71 (75).
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nikation angemessen würdigen zu können.⁷²⁵ Eine Pflicht der Netzwerkbetreiber, begründete Einzelentscheidungen über gemeldete Inhalte in anonymisierter Form zu veröffentlichen, stellt sich vor diesem Hintergrund als ein sinnvoller rechtspolitischer Vorschlag dar, um die rechtliche Erfassung der Kommunikation in sozialen Netzwerken im Zusammenspiel zwischen Netzwerkbetreibern und staatlichen Gerichten in einem transparenten Prozess weiterentwickeln zu können. Davon abgesehen stellt sich allerdings die Frage, ob eine solche Veröffentlichungspflicht nicht nur rechtspolitisch wünschenswert, sondern auch verfassungsrechtlich geboten ist. Eifert, der das Konzept einer Veröffentlichungspflicht maßgeblich entwickelt hat, leitet seine Forderung nicht aus verfassungsrechtlichen Überlegungen ab, sondern scheint sie ohne konkreten normativen Anknüpfungspunkt mit dem Wunsch nach größerer Transparenz der durch die Netzwerkbetreiber getroffenen Entscheidungen zu begründen.⁷²⁶ Ein verfassungsrechtlicher Anknüpfungspunkt für eine Veröffentlichungspflicht könnte wiederum die Schutzpflichtendimension der Meinungsfreiheit der Nutzer sozialer Netzwerke sein.⁷²⁷ Ein solcher Ansatz scheint nicht abwegig, weil der Gesetzgeber wie oben bereits dargelegt berechtigt und gegebenenfalls auch verpflichtet ist, Normen zum Schutz der Meinungsfreiheit sowie der öffentlichen Kommunikation zu schaffen.⁷²⁸ Eine Pflicht der Netzwerkbetreiber, Einzelentscheidungen samt Begründung zu veröffentlichen, ist ein geeignetes Instrument, um eine öffentliche Diskussion darüber zu ermöglichen, inwieweit die Netzwerkbetreiber bei ihren Entscheidungen im Beschwerdeverfahren die Meinungsfreiheit der Nutzer angemessen berücksichtigen. Dadurch würde eine Veröffentlichungspflicht mittelbar auch dem Schutz der Meinungsfreiheit der Nutzer sozialer Netzwerke dienen. Zu beachten ist allerdings auch in diesem Zusammenhang, dass mit Blick auf den weiten gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum die grundrechtliche Schutzpflicht nur darauf gerichtet ist, dass von Seiten des Staates Vorkehrungen zum Schutz des Grundrechts getroffen werden, die nicht vollkommen ungeeignet oder unzulänglich sind.⁷²⁹ Eine Verletzung der grundrechtlichen Schutzpflichten
Eifert, NJW 2017, 1450 (1453). So die argumentative Herleitung der Notwendigkeit einer Veröffentlichungspflicht bei Eifert, NJW 2017, 1450 (1453 f.). Mit einem ähnlichen Ansatz wohl Hong, in: Albers/Katsivelas, Recht & Netz, S. 59 (85), der eine Veröffentlichungspflicht als einen Schutzmechanismus zugunsten der Meinungsfreiheit ansieht. Siehe oben unter B.II.3.c.i. BVerfG, Beschluss vom 29. Oktober 1987– 2 BvR 624, 1080, 2029/83, BVerfGE 77, 170 (214 f.).
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durch den Gesetzgeber kann folglich nur angenommen werden, wenn er gänzlich untätig geblieben ist oder seine Maßnahmen als evident unzureichend anzusehen sind.⁷³⁰ Im Grundsatz ist daher davon auszugehen, dass grundrechtliche Schutzpflichten an ein staatliches Nicht-Handeln anknüpfen, das zu korrigieren ist.⁷³¹ Wie dargelegt hat der Gesetzgeber jedoch im NetzDG durchaus Regelungen geschaffen, die zumindest in Ansätzen Transparenz über die Entscheidungstätigkeit der Netzwerkbetreiber im Beschwerdeverfahren schaffen. Den in den Transparenzberichten veröffentlichten Angaben lassen sich zwar allenfalls in höchst beschränktem Maße aufschlussreiche Informationen über die von den Netzwerkbetreibern angelegten Entscheidungsmaßstäbe entnehmen. Die in den Transparenzberichten enthaltenen Daten zu Löschungen und Sperrungen sowie die dortigen Ausführungen zur Ausgestaltung des Beschwerdemanagements führen dennoch zu einem Grundmaß an Nachvollziehbarkeit des Beschwerdeverfahrens für betroffene Nutzer und die Öffentlichkeit. Hierdurch sowie über besonders markante Einzelfallentscheidungen erscheint es zwar schwierig, aber dennoch nicht vollkommen unmöglich, die von den sozialen Netzwerken beim Umgang mit gemeldeten Inhalten angelegten Entscheidungskriterien öffentlich zu diskutieren und einer kritischen Überprüfung zu unterziehen.⁷³² Von einer vollkommenen Ungeeignetheit der Vorgaben des NetzDG kann mit Blick auf die Ermöglichung einer öffentlichen Debatte über die im Rahmen des Beschwerdeverfahrens anzulegenden rechtlichen Maßstäbe daher nicht gesprochen werden. Zweifellos würde eine Veröffentlichungspflicht die Transparenz über die Entscheidungsmaßstäbe der Netzwerkbetreiber deutlich erhöhen und dadurch eine kritische Auseinandersetzung erleichtern, inwieweit die Netzwerkbetreiber in ihrer Entscheidungspraxis das Gewicht der Meinungsfreiheit ihrer Nutzer angemessen berücksichtigen. Allerdings stellt sich eine Veröffentlichungspflicht dann eher als Optimierung des bereits durch die geltenden Vorgaben des NetzDG zumindest im Ansatz gebotenen Schutzes der Meinungsfreiheit durch die Herstellung von Transparenz bei den Entscheidungsmaßstäben der Netzwerkbetreiber dar. Zu einer möglichst optimalen Ausgestaltung des Grundrechtsschutzes ist der Gesetzgeber jedoch unter dem Gesichtspunkt der grundrechtlichen Schutzpflicht gerade nicht verpflichtet, weil anderenfalls der gesetzgeberische Gestaltungsspielraum weitestgehend beseitigt würde.⁷³³ Mithin ist der Gesetzgeber durch die ihm obliegende Schutzpflicht für die Meinungsfreiheit der
Stern, DÖV 2010, 241 (248). Wahl/Masing, JZ 1990, 553 (558). Diese Möglichkeit im Grundsatz anerkennend auch Eifert, NJW 2017, 1450 (1453). Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, S. 262.
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4. Teil: Die Regulierung der Kommunikation in sozialen Netzwerken
Nutzer sozialer Netzwerke nicht verpflichtet, durch die Einführung einer Veröffentlichungspflicht für Einzelentscheidungen die zumindest in Grundzügen bereits bestehende Transparenz bezüglich der von den Netzwerkbetreibern im Beschwerdeverfahren angewandten Entscheidungskriterien zu optimieren. Folglich stellt sich eine Veröffentlichungspflicht für Einzelentscheidungen zwar als rechtspolitisch sinnvolle Forderung dar. Eine verfassungsrechtliche Verpflichtung zur Schaffung einer entsprechenden Pflicht besteht unter dem Gesichtspunkt der staatlichen Schutzpflicht für die Meinungsfreiheit der Nutzer sozialer Netzwerke hingegen nicht.⁷³⁴
VI. Bußgeldandrohung auch bei zu weitgehender Löschpraxis Gefordert wird schließlich außerdem, im NetzDG ausdrückliche Sanktionsmöglichkeiten für ein systematisch angelegtes Overblocking durch die Netzwerkbetreiber zu schaffen.⁷³⁵
1. Wesentlicher Inhalt Ausgangpunkt für diese Forderung ist die Annahme, die Bußgeldvorschriften in § 4 NetzDG erfassten zwar ein systemisches Versagen bezüglich der fehlenden Löschung oder Sperrung rechtswidriger Inhalte, nicht jedoch auf systemischem Versagen beruhende Löschungen oder Sperrungen rechtmäßiger Inhalte.⁷³⁶ Durch diese einseitige Sanktionsdrohung entstehe die Gefahr eines Overblocking rechtmäßiger Inhalte.⁷³⁷ Um eine ausgeglichene Anreizstruktur für die Netzwerkbetreiber zu schaffen und einer Kollateralzensur vorzubeugen, müsse deshalb im NetzDG ein Tatbestand geschaffen werden, der neben dem Unterlassen der Löschung und Sperrung rechtswidriger Inhalte auch eine Übererfüllung der gesetzlichen Vorgaben in Gestalt eines systematischen Overblocking sanktioniere.⁷³⁸ Eine entsprechende Sanktionsvorschrift sei als ausgleichender Schutzmechanismus zugunsten der Meinungsfreiheit erforderlich, da anderenfalls das Entstehen einer grundrechtlichen Schieflage zu befürchten sei, bei der die
Vgl. Müller-Franken, AfP 2018, 1 (12), der das Fehlen einer Veröffentlichungspflicht unter Aspekten der grundrechtlichen Schutzpflicht ebenfalls als nicht zu beanstanden ansieht, sie allerdings auch rechtspolitisch nicht für wünschenswert hält. Hong, in: Albers/Katsivelas, Recht und Netz, S. 59 (85); Schiff, MMR 2018, 366 (370). Paal/Hennemann, JZ 2017, 641 (650). Paal/Hennemann, JZ 2017, 641 (650). Schiff, MMR 2018, 366 (370).
C. Vorschläge für eine Weiterentwicklung des NetzDG
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grundsätzliche Freiheit politischer Rede durch eine grundsätzliche Unfreiheit ersetzt werde.⁷³⁹ Gleichzeitig könne den betroffenen Netzwerkbetreibern auf diese Art und Weise klargemacht werden, dass eine Übererfüllung der Vorgaben des NetzDG zum Umgang mit rechtswidrigen Beschwerden weder notwendig noch möglich sei, um Bußgelder zu vermeiden.⁷⁴⁰ Weiterhin wird vorgeschlagen, einen zu schaffenden Sanktionstatbestand im NetzDG auf offensichtliche Fälle zu beschränken.⁷⁴¹ Eine Beschränkung der Sanktionsandrohung auf offensichtliche Fälle könne dazu dienen, einen sanktionsfreien Raum für die Netzwerkbetreiber zu gewährleisten⁷⁴² und durch ein solches einschränkendes Kriterium sicherzustellen, dass die rechtlichen Maßstäbe für die Sanktionierung eines systematischen Underblocking und eines systematischen Overblocking identisch seien.⁷⁴³
2. Bewertung Anders als von den Befürwortern eines ausdrücklichen Sanktionstatbestands angenommen erfassen die Ordnungswidrigkeitenvorschriften des NetzDG bereits nach aktueller Rechtslage ein systematisches Overblocking durch die Netzwerkbetreiber. Wie oben bereits ausgeführt⁷⁴⁴ erfasst das nicht richtige Vorhalten eines Beschwerdeverfahrens i.S.v. § 4 Abs. 1 Nr. 2 NetzDG auch eine systemisch angelegte übermäßige Löschpraxis, die regelmäßig auch rechtmäßige Inhalte erfasst. Damit besteht bereits ohne eine Änderung des NetzDG die Möglichkeit, ein systematisches Overblocking der Netzwerkbetreiber mit einem Bußgeld zu sanktionieren. Folglich bedarf es der Schaffung eines Tatbestands, der ausdrücklich eine übermäßige, systematisch auch rechtmäßige Inhalte erfassende Löschpraxis der Netzwerkbetreiber als Ordnungswidrigkeit einstuft, nicht bereits deshalb, weil anderenfalls keine Sanktionsmöglichkeit bestünde. Ungeachtet dessen bleibt zu untersuchen, inwieweit sich die Schaffung eines ausdrücklichen Ordnungswidrigkeitentatbestands als rechtspolitisch sinnvolle Maßnahme darstellt, die dazu dienen kann, stärker als bislang das Gewicht der Meinungsfreiheit zur Geltung zu bringen. Der Gesetzgeber scheint bei der Schaffung der Bußgeldvorschrift in § 4 Abs. 1 Nr. 2 NetzDG ausweislich der Gesetzes-
Hong, in: Albers/Katsivelas, Recht und Netz, S. 59 (85). Schiff, MMR 2018, 366 (370). Hong, in: Albers/Katsivelas, Recht und Netz, S. 59 (85); Schiff, MMR 2018, 366 (370). Hong, in: Albers/Katsivelas, Recht und Netz, S. 59 (85). Schiff, MMR 2018, 366 (370). Siehe oben unter B.II.3.b.ii.
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4. Teil: Die Regulierung der Kommunikation in sozialen Netzwerken
begründung vor allem Verstöße gegen die Pflicht zur Löschung oder Sperrung rechtswidriger Inhalte im Auge gehabt zu haben.⁷⁴⁵ Demgegenüber finden sich in der Gesetzesbegründung zu Löschungen oder Sperrungen rechtmäßiger Inhalte keine ausdrücklichen Ausführungen. Stattdessen ist insoweit lediglich der eher allgemein gehaltene Hinweis zu finden, dass durch die Beschränkung der Bußgeldandrohung auf organisatorische Pflichten das Ziel des Gesetzes betont werde, den Netzwerkbetreibern eine unvoreingenommene Prüfung des Einzelfalls zu ermöglichen, wodurch Einschüchterungseffekte verhindert werden sollten.⁷⁴⁶ Auch in den aufgrund des § 4 Abs. 2 S. 2 NetzDG erlassenen Bußgeldleitlinien zum NetzDG beschränken sich die Ausführungen auf den Umgang in Fällen unterlassener Löschungen oder Sperrungen rechtswidriger Inhalte.⁷⁴⁷ Gerade dieser nur auf Löschungen beziehungsweise Sperrungen rekurrierende Begründungsansatz dürfte ein maßgeblicher Grund dafür sein, dass die Ausgestaltung des NetzDG-Sanktionsregimes als einseitig wahrgenommen wird.⁷⁴⁸ Mit der Schaffung eines ausdrücklichen Ordnungswidrigkeitentatbestands würde der Gesetzgeber deutlich machen, dass er eine solche Wahrnehmung der Bußgeldtatbestände des NetzDG gerade nicht beabsichtigt hatte. Durch eine Ergänzung der bereits geltenden Vorschrift in § 4 Abs. 1 Nr. 2 NetzDG würde klargestellt, dass es gerade keine Regelvermutung gibt, wonach das Persönlichkeitsrecht von Beschwerdeführern stets schutzwürdiger sei als die Meinungsfreiheit sich äußernder Nutzer⁷⁴⁹ und dass die Vermutung für die Freiheit der Rede selbstverständlich auch bei der Kommunikation in sozialen Netzwerken Geltung beansprucht⁷⁵⁰. Diese Klarstellung des gesetzgeberischen Willens ist durch einen Verweis auf die bereits nach aktueller Rechtslage bestehende Möglichkeit, auch eine systematische Löschung oder Sperrung rechtmäßiger Beiträge mit einem Bußgeld zu belegen, nicht in befriedigendem Maße zu erreichen. Deshalb erscheint es gerade vor dem Hintergrund der großen Bedeutung der Meinungs-
Vgl. hierzu die Ausführungen zu § 4 Abs. 1 Nr. 2 NetzDG in der Gesetzesbegründung, Gesetzentwurf der Bundestagsfraktionen CDU/CSU und SPD, BT-Drs. 18/12356, S. 24 f. Gesetzentwurf der Bundestagsfraktionen CDU/CSU und SPD, BT-Drs. 18/12356, S. 25. Leitlinien zur Festsetzung von Geldbußen im Bereich des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) vom 22. März 2018, veröffentlicht auf der Internetseite des BMJV unter https://www. bmjv.de/SharedDocs/Downloads/DE/Themen/Fokusthemen/NetzDG_Bußgeldleitlinien.pdf? __blob=publicationFile&v=3 (Stand: 11. Juli 2021), S. 7 f. Mit dieser Bewertung Steinbach, JZ 2017, 653 (660 f.). Eine solche Regelvermutung mit Blick auf den derzeitigen § 4 Abs. 1 Nr. 2 NetzDG unterstellend Steinbach, JZ 2017, 653 (661). Mit der Befürchtung, dass die Vermutung zugunsten der freien Rede durch die aktuell geltenden Bußgeldregelungen im NetzDG gefährdet sei, Hong, in: Albers/Katsivelas, Recht und Netz, S. 59 (85).
C. Vorschläge für eine Weiterentwicklung des NetzDG
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freiheit bei der Kommunikation in sozialen Netzwerken, die der Gesetzgeber selbst betont,⁷⁵¹ vorzugswürdig, wenn der Gesetzgeber durch eine gesetzliche Klarstellung deutlich zum Ausdruck bringt, dass das Sanktionsregime des NetzDG keine einseitige Ausrichtung auf die Löschung oder Sperrung von Beiträgen aufweisen soll. Auch wenn bereits nach geltendem Recht eine Sanktionierung systematischen Overblockings möglich ist, stellt sich die Schaffung eines ausdrücklichen Sanktionstatbestands mithin als rechtspolitisch sinnvolle Maßnahme dar, um auch auf der Ebene des NetzDG-Sanktionsregimes die Bedeutung der Meinungsfreiheit der Nutzer sozialer Netzwerke eindeutig im Gesetzestext zu verankern.
VI. Zwischenfazit zu den Vorschlägen für eine Weiterentwicklung des NetzDG Die Untersuchung der Vorschläge für eine Weiterentwicklung des NetzDG liefert ein gemischtes Bild. Unterstützenswert erscheint insbesondere der Vorschlag zur Einführung eines Wiederherstellungsverfahrens, da hierdurch eine verbindliche Möglichkeit der vorgerichtlichen Nutzerbeteiligung geschaffen und die bislang aufgrund fehlender Nutzerbeteiligung bestehende Verletzung der Schutzpflichtdimension der Meinungsfreiheit geheilt würde. Aus verfassungsrechtlicher Sicht abzulehnen sind demgegenüber die Vorschläge für eine Aufhebung oder Teilaufhebung des NetzDG sowie der ursprüngliche Regelungsvorschlag der Bundesregierung für eine Meldepflicht der Netzwerkbetreiber für bestimmte strafbare Inhalte an das Bundeskriminalamt.
VII. Vorschlag für einen Digital Services Act (DSA) auf EU-Ebene und Ausblick Noch während in Deutschland die oben thematisierten Gesetzgebungsverfahren für eine Änderung des NetzDG liefen, veröffentlichte die EU-Kommission am 15. Dezember 2020 ihren Entwurf für einen Digital Services Act (DSA-E).⁷⁵² Auf-
So geht der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung davon aus, dass bei einer Sanktionierung einer fehlerhaften Löschpraxis generell ein behutsames Vorgehen der Bußgeldbehörde angezeigt sei, vgl. Gesetzentwurf der Bundestagsfraktionen CDU/CSU und SPD, BT-Drs. 18/ 12356, S. 25. Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über einen Binnenmarkt für digitale Dienste und zur Änderung der Richtlinie 2000/31/EG, COM (2020) 825 final; im Folgenden DSA-E.
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4. Teil: Die Regulierung der Kommunikation in sozialen Netzwerken
bauend auf den zentralen Grundsätzen der E-Commerce-Richtlinie⁷⁵³, die auch weiterhin Gültigkeit haben sollen, verfolgt der DSA-E das Ziel, die besten Bedingungen für die Bereitstellung innovativer digitaler Dienste im Binnenmarkt sicherzustellen und einen Beitrag zur Online-Sicherheit und zum Schutz der Grundrechte zu leisten sowie eine dauerhafte Verwaltungsstruktur für die wirksame Beaufsichtigung der Anbieter von Vermittlungsdiensten zu schaffen.⁷⁵⁴ Die durch den DSA-E vorgesehenen Regeln sollen für verschiedenste Dienste gelten und dadurch so unterschiedliche Angebote wie Online-Marktplätze, soziale Netzwerke und Suchmaschinen erfassen, wobei den Unterschieden verschiedener Dienste durch ein abgestuftes System der Regulierung Rechnung getragen werden soll.⁷⁵⁵ Die bisher in Art. 12 bis 14 der E-Commerce-Richtlinie verankerten Haftungsregelungen werden weitgehend beibehalten, in Art. 3 ff. des DSA-E übernommen und unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH präzisiert.⁷⁵⁶ Gemäß Art. 10 und Art. 11 DSA-E müssen Anbieter von Vermittlungsdiensten eine zentrale Kontaktstelle für die Kommunikation mit Behörden einrichten und einen Rechtsvertreter innerhalb der EU benennen, soweit sie keine Niederlassung in der EU haben. Zudem gilt für alle Anbieter von Vermittlungsdiensten nach Art. 13 DSA-E die Pflicht, mindestens einmal jährlich einen Bericht über die Moderation von Inhalten auf ihrem Vermittlungsdienst zu veröffentlichen. Für soziale Netzwerke im Sinne des NetzDG von Bedeutung sind weiterhin die an alle Hosting-Diensteanbieter gerichteten Vorgaben zum Umgang mit rechtswidrigen Inhalten. Art. 14 DSA-E statuiert für Hosting-Diensteanbieter eine Pflicht zur Einrichtung von Verfahren zur Meldung illegaler Inhalte, wobei Art. 14 Abs. 2 DSA-E nähere Vorgaben macht, wie das Meldeverfahren auszugestalten ist. Art. 15 DSA-E sieht vor, dass ein Diensteanbieter im Falle der Entfernung oder Sperrung eines Inhalts diese Entscheidung gegenüber dem betroffenen Nutzer spätestens zum Zeitpunkt der Entfernung oder der Zugangssperrung mit einer klaren und spezifischen Begründung bekanntzugeben hat. Da soziale Netzwerke im Sinne des NetzDG daneben auch zu den durch Art. 2 lit. h DSA-E legal definierten Online-Plattformen gehören,⁷⁵⁷ gelten für sie mithin auch die zusätzlichen Bestimmungen in Abschnitt 3 des DSA-E. Dies betrifft ins-
Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt. COM (2020) 825 final, S. 2 f. Berberich/Seip, GRUR-Prax 2021, 4 (4). COM (2020) 825 final, Erwägungsgrund Nr. 16; Berberich/Seip, GRUR-Prax 2021, 4 (4). Grünwald/Nüßing, MMR 2021, 283 (285).
C. Vorschläge für eine Weiterentwicklung des NetzDG
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besondere das nach Art. 17 DSA-E verpflichtend einzurichtende interne Beschwerdemanagementsystem, zu dem Online-Plattformen ihren Nutzern während eines Zeitraums von mindestens sechs Monaten nach der Entscheidung unter anderem über eine Entfernung oder Sperrung eines Inhalts Zugang zu gewähren haben, sowie die durch Art. 21 DSA-E statuierte Meldepflicht gegenüber den Strafverfolgungs- oder Justizbehörden des betreffenden Mitgliedstaats bei einem begründeten Verdacht auf eine schwere Straftat, die eine Gefahr für das Leben oder die Sicherheit von Personen darstellt. Die umfassenden Regelungsvorschläge des DSA-E decken sich in vielerlei Hinsicht mit den durch das NetzDG auf nationaler Ebene bereits geschaffenen oder zumindest diskutierten rechtlichen Vorgaben, wodurch es durchaus naheliegend ist, auch ohne eine im DSA-E enthaltene ausdrückliche Regelung zum Verhältnis zum nationalen Recht von einer Sperrwirkung des DSA gegenüber mitgliedstaatlichen Regelungen über den Umgang mit rechtswidrigen Inhalten auf Online Plattformen auszugehen.⁷⁵⁸ Sollten die im Rahmen des DSA-E vorgeschlagenen Regelungen zukünftig tatsächlich verabschiedet werden, ist es deshalb äußerst zweifelhaft, ob die nationalen Vorgaben des NetzDG daneben Bestand haben können.⁷⁵⁹ Vielmehr erscheint es zum jetzigen Zeitpunkt wahrscheinlicher, dass die Regulierung der Kommunikation in sozialen Netzwerken zukünftig nicht mehr auf nationaler Ebene, sondern auf EU-Ebene stattfinden wird.
Grünwald/Nüßing, MMR 2021, 283 (286 f.). Grünwald/Nüßing, MMR 2021, 283 (287).
5. Teil Zusammenfassung in Thesen und Fazit 1.
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Durch die Rechtsprechung des BVerfG hat sich zu den durch Art. 5 Abs. 1 GG garantierten Kommunikationsgrundrechten eine auf analogen Kommunikationsbedingungen beruhende Schutzbereichsdogmatik etabliert, auf deren Grundlage sich für die Abgrenzung von Meinungs-, Presse- und Rundfunkfreiheit im analogen Rahmen klare Kriterien herausarbeiten lassen. Gleichwohl ist das genaue Verhältnis zwischen der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG zu den Medienfreiheiten des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG in der Literatur bereits bei analog stattfindender Kommunikation umstritten. Empirische Studien zeigen, dass die Nutzung sozialer Netzwerke gesellschaftlich weit verbreitet ist. Dabei belegen die zur Verfügung stehenden Zahlen zudem, dass die Nutzung sozialer Netzwerke für einen nicht unerheblichen Teil der Befragten neben privater Kommunikation und Kontaktpflege auch der Information und der Diskussion öffentlicher Angelegenheiten dient. Diese verschiedenen Nutzungszwecke ergeben sich aus der spezifischen Funktionsweise sozialer Netzwerke, die im Wesentlichen auf einer Integration verschiedenartiger Kommunikationsformen und Interaktionsmöglichkeiten beruht. Die bislang unternommenen Versuche für eine Bestimmung des Begriffs der sozialen Netzwerke ziehen ganz überwiegend die in sozialen Netzwerken für Nutzer zur Verfügung stehenden Funktionen heran, um auf dieser Grundlage Definitionsmerkmale herauszuarbeiten, wodurch die Definitionsversuche stark funktionalistisch geprägt sind. Als wesentliche Funktionen der sozialen Netzwerke werden in diesem Zusammenhang insbesondere die Möglichkeiten zur Kontaktpflege sowie zur Kommunikation mit anderen Nutzern betont. Durch die Legaldefinition in § 1 Abs. 1 S. 1 NetzDG erhält der Begriff des sozialen Netzwerks auch im deutschen Recht erstmals Bedeutung. Die in der Literatur geäußerte Kritik an der Formulierung dieser Legaldefinition dürfte vor allem darauf beruhen, dass die Regelung in § 1 Abs. 1 S. 1 NetzDG den Versuch einer klaren Kategorisierung von Kommunikationsformen unternimmt, die angesichts der vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten sozialer Netzwerke in vielen Fällen nicht ohne Weiteres zu leisten ist. Ebenso wie die Definitionsversuche außerhalb der Rechtswissenschaft geht auch die Legaldefinition in § 1 Abs. 1 S. 1 NetzDG stark von der Funktionalität sozialer Netzwerke aus. Bemerkenswert erscheint zudem, dass sowohl die medienund kommunikationswissenschaftlichen Definitionsansätze als auch § 1 Abs. 1 S. 1 NetzDG die Rolle der Netzwerkbetreiber als eine eher neutrale
https://doi.org/10.1515/9783110759099-007
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5. Teil: Zusammenfassung in Thesen und Fazit
Bereitstellung der kommunikativen Infrastruktur bewerten und die durch die Netzwerkbetreiber ausgeübten Filter- und Steuerungsfunktionen bei der Auswahl angezeigter Beiträge anscheinend nicht als prägend ansehen. Die Kommunikation in sozialen Netzwerken weist im Gegensatz zur OfflineKommunikation spezifische Besonderheiten auf. So ist auf den Plattformen sowohl Individual- als auch Massenkommunikation möglich. Zudem finden sich Kommunikationsvorgänge wie das für einen zwar abgeschlossenen, gleichwohl unüberschaubar großen „Freundeskreis“ sichtbare Posten von Inhalten. Die Kommunikation in sozialen Netzwerken ist somit von einer Aufweichung der vormals klaren Unterscheidung zwischen Individual- und Massenkommunikation geprägt. Auch die Rolle der Netzwerkbetreiber ist je nach Kommunikationsform unterschiedlich ausgestaltet. Während die Netzwerkbetreiber bei Individualkommunikation lediglich die technische Übermittlung des Kommunikationsinhalts übernehmen, üben sie bei der Zusammenstellung des für jeden Nutzer individuell erstellten Newsfeeds mithilfe von Algorithmen eine Selektions- und Steuerungswirkung mit Blick auf die dem Nutzer angezeigten Beiträge und die Reihenfolge der Anzeige aus. Wegen dieser Heterogenität der in sozialen Netzwerken stattfindenden Kommunikation kann der Ansatz, die grundrechtliche Einordnung mittels der für die Offline-Kommunikation etablierten Abgrenzungskriterien vorzunehmen, nicht überzeugen. Aufgrund der Abgrenzung anhand des Übertragungswegs würde ein solcher Ansatz dazu führen, dass die Kommunikation in sozialen Netzwerken infolge der elektromagnetischen und nicht verkörperten Verbreitung zumindest in aller Regel der Rundfunkfreiheit zuzuordnen wäre. Diese Zuordnung wird jedoch den Besonderheiten sozialer Netzwerke im Verhältnis zum traditionellen Rundfunk nicht gerecht. Auch die in der Literatur diskutierten Ansätze für eine erweiternde Auslegung von Art. 5 Abs. 1 GG in der Form der Herleitung einer speziellen Internetfreiheit, einer umfassenden Medienfreiheit oder einer umfassenden Kommunikationsfreiheit erscheinen nicht als geeignet, die auf sozialen Netzwerken ablaufenden Kommunikationsvorgänge angemessen zu erfassen. Neben Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit entsprechender Vorschläge mit Wortlaut und Systematik von Art. 5 Abs. 1 GG liegt dies vor allem daran, dass die sich aus dem Nebeneinander unterschiedlicher Kommunikationsformen in sozialen Netzwerken ergebenden Abgrenzungsprobleme durch solch erweiternde Auslegungen von Art. 5 Abs. 1 GG nicht in zufriedenstellendem Maße aufgelöst werden. Die grundsätzliche Einordnung der Kommunikation in sozialen Netzwerken unter das Grundrecht der Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG bietet demgegenüber den Vorteil, dass Abgrenzungsschwierigkeiten insbe-
5. Teil: Zusammenfassung in Thesen und Fazit
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sondere zwischen Individual- und Massenkommunikation vermieden werden. Die einheitliche Erfassung durch die Meinungsfreiheit ermöglicht es zudem, in sozialen Netzwerken stattfindende Kommunikationsprozesse nach einheitlichen Maßstäben zu bewerten. Zugleich vermeidet dieser Ansatz gerade bei nicht eindeutig der Individual- oder Massenkommunikation zuzuordnenden Beiträgen eine künstliche Aufspaltung in mehrere kommunikative Einzelakte. Deshalb erscheint es angesichts der Besonderheiten sozialer Netzwerke im Vergleich zur Offline-Kommunikation am überzeugendsten, die dort stattfindende Kommunikation grundsätzlich der Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG und nur ausnahmsweise den Mediengrundrechten aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG zu unterstellen. 9. Die Nutzer sozialer Netzwerke können sich auf diesen grundrechtlichen Schutz durch die Meinungsfreiheit ohne Weiteres bei der Veröffentlichung und Verbreitung selbst erstellter Beiträge berufen. Auch das mit einem Kommentar versehene Teilen eines fremden Beitrags sowie die Nutzung des „Gefällt mir“-Buttons sind unproblematisch als Meinungsbekundungen zu betrachten und daher durch die Meinungsfreiheit geschützt. Darüber hinaus ist auch das Teilen fremder Beiträge ohne eigenen Kommentar vom Schutz der Meinungsfreiheit erfasst, da hier auch ohne die Äußerung einer eigenen Meinung zumindest ein bewusster Hinweis auf die Meinung eines Dritten vorliegt, der einen Teil des von Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG gerade intendierten und daher auch geschützten meinungsbildenden Diskussionsprozesses darstellt. 10. Die Netzwerkbetreiber können sich nur bei einer Verbreitung eigener Äußerungen über das Netzwerk, die in der Praxis einen Ausnahmefall darstellt, auf den Schutz der Meinungsfreiheit berufen. Sowohl bei der Übermittlung von Nachrichten in Einzel- oder Gruppenchats als auch bei der Verbreitung von Nutzerbeiträgen über den Newsfeed ist ihre Rolle hingegen durch die bloße technische Vermittlung der Inhalte geprägt, die nicht unter den Schutz des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG fällt. In diesen Fällen ist die Tätigkeit der Netzwerkbetreiber durch die Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG oder bei fehlender Gewinnerzielungsabsicht durch die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG geschützt. 11. Weiterhin ist bei der Kommunikation in sozialen Netzwerken der objektive Gehalt der Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG zu beachten. Dies betrifft zum einen den Grundsatz der mittelbaren Drittwirkung. Dieser verpflichtet die Netzwerkbetreiber als private Akteure, bei der ihnen obliegenden Entscheidung über die Verbreitung oder Nichtverbreitung von Beiträgen auf ihren Netzwerken die Meinungsfreiheit des betroffenen Nutzers besonders zu berücksichtigen. Die mittelbare Drittwirkung der Meinungsfreiheit verbietet
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5. Teil: Zusammenfassung in Thesen und Fazit
es den Netzwerkbetreibern allerdings nicht, einzelne Beiträge auf der Grundlage eigener Gemeinschaftsstandards auch dann zu entfernen, wenn diese noch unter den Schutz der Meinungsfreiheit fallen. Zum anderen ergibt sich aus dem objektiven Gehalt von Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 auch eine grundrechtliche Schutzpflicht. Hieraus folgt die an den Gesetzgeber gerichtete Verpflichtung, durch die Schaffung eines geeigneten regulatorischen Rahmens für Nutzer die Möglichkeit freier Meinungsäußerung in sozialen Netzwerken sicherzustellen. Auf rechtspolitischer Ebene gab es spätestens seit der Gründung einer „Task Force“ durch das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz mit Netzwerkbetreibern und Vertretern der Zivilgesellschaft eine intensive Diskussion über den Umgang mit rechtswidrigen Inhalten und dem Phänomen der Hassrede in sozialen Netzwerken. Auf europäischer Ebene sind in diesem Zusammenhang die Empfehlung der EU-Kommission vom 1. März 2018 für wirksame Maßnahmen im Umgang mit illegalen Online-Inhalten sowie die Empfehlung des Ministerkomitees des Europarats vom 7. März 2018 zur Rolle und Verantwortung von Internetintermediären von Bedeutung. In Deutschland mündeten die rechtspolitischen Debatten in die Verabschiedung des NetzDG im Juni 2017. Seit dessen Inkrafttreten im Oktober 2017 ist das NetzDG das maßgebliche Regelwerk für den Umgang mit rechtswidrigen Inhalten bei der Kommunikation in sozialen Netzwerken. Die für die hiesige Untersuchung wesentlichen Regelungen des NetzDG sind eine an die Netzwerkbetreiber gerichtete Pflicht zur Vorhaltung eines wirksamen und transparenten Verfahrens für den Umgang mit Beschwerden über rechtswidrige Inhalte sowie eine an die Netzwerkbetreiber gerichtete halbjährliche Berichtspflicht über den Umgang mit rechtswidrigen Inhalten, deren Nichterfüllung jeweils als Ordnungswidrigkeit mit einem Bußgeld geahndet werden kann. Das NetzDG kann auf die Gesetzgebungskompetenz des Bundes aus dem Recht der Wirtschaft nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG gestützt werden. Das NetzDG enthält keine inhaltlichen Vorgaben für die Beurteilung der Rechtswidrigkeit von Inhalten auf sozialen Netzwerken und greift somit nicht in die Kompetenz der Bundesländer für die Regulierung von Medieninhalten ein. Die im NetzDG formulierten organisatorischen Anforderungen an das Beschwerdemanagement der Netzwerkbetreiber stellen sich vielmehr als Vorgaben für das Geschäftsmodell und die Unternehmensorganisation der Netzwerkbetreiber dar, die vom Kompetenztitel des Rechts der Wirtschaft umfasst sind. Die Kritik an der Auswahl der vom NetzDG erfassten Straftatbestände ist in Teilen gut nachvollziehbar. Die Anknüpfung an die ausdrücklich im NetzDG genannten Straftatbestände führt allerdings nicht dazu, dass der in
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§ 1 Abs. 3 NetzDG legal definierte Begriff der rechtswidrigen Inhalte die verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Bestimmtheit von Gesetzen nach Art. 103 Abs. 2 GG verfehlt. Entgegen der Annahme des Gesetzgebers stellt das NetzDG trotz der Anknüpfung an bestehende Strafrechtsnormen einen eigenständigen Eingriff in die Meinungsfreiheit der Nutzer sozialer Netzwerke i.S.v. Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG dar. Das NetzDG ist hierbei den Nutzern gegenüber als mittelbarer, dem Staat zurechenbarer Eingriff anzusehen, da unmittelbare Regelungsadressaten des NetzDG die Netzwerkbetreiber sind, die sich bezüglich der von Nutzern geposteten Inhalte allerdings nicht selbst auf das Grundrecht der Meinungsfreiheit berufen können. Das NetzDG schafft keine gegenüber der vorherigen Rechtslage gesteigerte Anreizstruktur zur Löschung in Zweifelsfällen. Das befürchtete „Overblocking“ ist in der Praxis auf der Grundlage der in den Transparenzberichten von Facebook und Youtube veröffentlichten Zahlen bislang nicht zu erkennen, so dass sich eine verfehlte Anreizstruktur auch aus der bisherigen Löschpraxis der Netzwerkbetreiber Facebook und Youtube nicht herleiten lässt. Die grundrechtliche Schutzpflicht des Staates für das Grundrecht der Meinungsfreiheit der Nutzer sozialer Netzwerke gebietet die Schaffung gesetzlicher Vorkehrungen, um zu gewährleisten, dass Nutzer im Beschwerdeverfahren beteiligt werden. Bisher sieht das NetzDG die Einholung einer Stellungnahme des Nutzers, dessen Beitrag gemeldet wurde, in § 3 Abs. 2 Nr. 3 lit. a) Hs. 2 NetzDG nur fakultativ vor. In der Praxis wird allerdings laut der Zahlen in den Transparenzberichten von Facebook und Youtube nur in absoluten Ausnahmefällen von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Da der Gesetzgeber mithin in der Praxis nur vollkommen unzulänglich wirkende Vorkehrungen für eine Einbeziehung der Sichtweise des betroffenen Nutzers im Beschwerdeverfahren getroffen hat, genügt das NetzDG insoweit nicht den Vorgaben der grundrechtlichen Schutzpflicht für die Meinungsfreiheit der Nutzer sozialer Netzwerke. Die auf eine vermeintliche Privatisierung der Rechtsdurchsetzung gestützte Kritik geht fehl, da durch das Beschwerdemanagementsystem des NetzDG den Netzwerkbetreibern lediglich eine Erstentscheidung über die Rechtmäßigkeit gemeldeter Beiträge obliegt, während in jeder denkbaren Konstellation die Möglichkeit einer gerichtlichen Letztentscheidung gegeben ist. Dadurch wahrt das NetzDG die verfassungsrechtlichen Vorgaben, die sich aus dem Justizgewährungsanspruch nach Art. 20 Abs. 3 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG ergeben.
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20. In Gesetzentwürfen verschiedener Bundestagsfraktionen wird ausgehend von der Kritik am NetzDG dessen Aufhebung oder Teilaufhebung vorgeschlagen. Eine solche Lösung vermag nicht zu überzeugen, da die Regelungsvorschläge keinen im Vergleich zur ursprünglichen Fassung des NetzDG gleichwertigen Schutz für das allgemeine Persönlichkeitsrecht der potentiell von in sozialen Netzwerken geposteten Inhalten betroffenen Personen gewährleisten. 21. Noch stärker kritikwürdig ist die geplante Schaffung einer Meldepflicht für bestimmte strafbare Inhalte an das BKA, wie sie in einem Gesetzentwurf der Bundesregierung sowie einem wortgleichen Entwurf der Bundestagsfraktionen CDU/CSU und SPD vorgesehen ist und mittlerweile im Deutschen Bundestag verabschiedet wurde. In der dort vorgesehenen Ausgestaltung bewirkt die Meldepflicht eine weitere Verletzung der Schutzpflichtdimension der Meinungsfreiheit der Nutzer sozialer Netzwerke, da eine Speicherung von Nutzerdaten lediglich auf der Grundlage der rechtlichen Bewertung der Netzwerkbetreiber ohne zusätzliche vorherige Prüfung durch eine staatliche Stelle möglich erscheint. 22. Sowohl in der Literatur als auch in einem Gesetzentwurf der Bundesregierung wird außerdem die Schaffung eines vorgerichtlichen Wiederherstellungsanspruchs als Ergänzung der bisherigen Regelungen des NetzDG vorgeschlagen. Ein entsprechendes Verfahren wäre als Schutzmechanismus zugunsten der Meinungsfreiheit zugleich eine Verbesserung der Nutzerbeteiligung und dadurch geeignet, die bislang aufgrund der unzureichenden Nutzerbeteiligung bestehende Verletzung der grundrechtlichen Schutzpflicht für die Meinungsfreiheit der Nutzer zu beseitigen. 23. Ausgehend von der Kritik an der Ausgestaltung des Meldewegs zur Übermittlung von Beschwerden über rechtswidrige Inhalte im Sinne des NetzDG hat die Bundesregierung in einem Gesetzentwurf Änderungen vorgeschlagen, mit denen die gesetzlichen Anforderungen an die Ausgestaltung der Meldewege klarer gefasst werden sollen. Dies erscheint grundsätzlich sinnvoll, allerdings bedürfte es darüber hinaus klarer Auslegungsleitlinien, damit das gesetzgeberische Ziel eines unkomplizierten Aufbaus der Beschwerdefunktionen durch die Netzwerkbetreiber tatsächlich erreicht werden kann. 24. Um die Transparenz der Tätigkeit der Netzwerkbetreiber zu erhöhen, hat die Bundesregierung in einem Gesetzentwurf zudem vorgeschlagen, die an die Netzwerkbetreiber gerichteten Veröffentlichungspflichten in den Transparenzberichten um weitere veröffentlichungspflichtige Informationen zu ergänzen. Der Vorschlag der Bundesregierung ist mit Blick auf seinen tatsächlichen Mehrwert skeptisch zu betrachten. Eine – im Gesetzentwurf der Bundesregierung nicht vorgesehene – Veröffentlichungspflicht für Einzelentscheidungen der Netzwerkbetreiber im Beschwerdeverfahren stellt dem-
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gegenüber eine sinnvolle Maßnahme dar, um die Transparenz der den Netzwerkbetreibern obliegenden Entscheidungsprozesse zu erhöhen und eine kritische Diskussion in der Öffentlichkeit über die Entscheidungspraxis der Netzwerkbetreiber zu fördern. 25. Einige Kritiker des NetzDG fordern die Schaffung einer ausdrücklichen Bußgeldandrohung für systematisches Overblocking. Eine solche ist aufgrund der bereits bestehenden Ahndungsmöglichkeit zwar nicht zwingend erforderlich, kann aber trotzdem sinnvoll sein, um die Bedeutung der Meinungsfreiheit bei der den Netzwerkbetreibern obliegenden Entscheidung über die Rechtswidrigkeit gemeldeter Beiträge auf diese Weise eindeutig im Gesetzestext zu verankern. 26. Der durch die EU-Kommission im Dezember 2020 vorgelegte Vorschlag für einen Digital Services Act lässt vermuten, dass die Regulierung der Kommunikation in sozialen Netzwerken zukünftig nicht mehr auf nationaler Ebene, sondern auf EU-Ebene stattfinden könnte. Unabhängig hiervon zeigen jedoch bereits die massive Kritik am NetzDG, zum Teil bereits verabschiedete Gesetzesänderungen sowie der im September 2020 im Bundeskabinett beschlossene Bericht der Bundesregierung zur Evaluierung des Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (Netzwerkdurchsetzungsgesetz – NetzDG)⁷⁶⁰, dass das Gesetz in seiner ursprünglichen Fassung wohl kaum den Endpunkt der bereits seit Jahren andauernden Diskussionen um den Umgang mit rechtswidrigen Inhalten in sozialen Netzwerken darstellen dürfte.⁷⁶¹ Dies liegt zum einen an der komplexen grundrechtlichen Ausgangslage bei der Kommunikation in sozialen Netzwerken, die es erforderlich macht, die Grundrechtspositionen des sich äußernden Nutzers, des von einem Beitrag betroffenen Nutzers sowie des Netzwerkbetreibers möglichst schonend miteinander in Einklang zu bringen. Zum anderen dürften aber auch die tatsächlichen Kommunikationsbedingungen und
Bericht der Bundesregierung zur Evaluation des Gesetzes zur Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken vom 9. September 2020, online abrufbar unter https://www.bmjv.de/Shared Docs/Downloads/DE/News/PM/090920_Evaluierungsbericht_NetzDG.pdf;jsessionid= 71C2E94077C8A36672F5D5CF075B5D5A.2_cid334?__blob=publicationFile&v=3 (Stand: 11. Juli 2021). So hat Facebook zwischenzeitlich als Reaktion auf Kritik auf den Umgang des Unternehmens mit Hassrede und Falschnachrichten ein Oversight Board eingerichtet, das als Aufsichtsgremium in Härtefällen darüber entscheiden soll, ob Beiträge zu Recht gelöscht wurden, vgl. hierzu Hegemann, Facebooks neue Wächter, ZEIT online vom 6. Mai 2020, online abrufbar unter https:// www.zeit.de/digital/internet/2020-05/oversight-board-facebook-posts-aufsicht-unabhaengigkeit (Stand: 11. Juli 2021).
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5. Teil: Zusammenfassung in Thesen und Fazit
die von Netzwerkbetreibern zur Verfügung gestellten Funktionen angesichts der weiter voranschreitenden technischen Entwicklung eher eine Momentaufnahme darstellen. Bei veränderten Kommunikationsmöglichkeiten in sozialen Netzwerken steht somit stets die Frage im Raum, ob hierdurch auch eine Veränderung der (grund‐)rechtlichen Bewertung veranlasst ist und es neuer „rechtlicher Suchbewegungen“⁷⁶² bedarf, um einen grundrechtsadäquaten rechtlichen Rahmen für soziale Netzwerke zu schaffen. Letztlich bewahrheitet sich daher mit Blick auf soziale Netzwerke die Erkenntnis, dass Recht nicht die Welt schafft, sondern in ihr wirkt und in ihr seine Grenzen findet.⁷⁶³
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