Unter Freunden: Nähe und Distanz in sozialen Netzwerken der Spätantike 9783406773990, 9783406774003

Diese Studie nimmt das Konzept der Freundschaft bei Libanius sowie den Kappadokiern und Johannes Chrysostomus in den Bli

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German Pages 360 [369] Year 2021

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Impressum
Widmung
Zum Buch
Über die Autorin
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
I. Einleitung
1. Freundschaft im Blick der Forschung
2. Kommunikation unter Freunden und die Performanz von Nähe und Distanz
3. «One uses what one has, and there is work to be done»
II. Libanius
1. Libanius als Vertreter der paganen Elite
1.1. Die soziale Stellung des Libanius
1.2. Die Beziehungen des Libanius
2. Philia bei Libanius
2.1. Philia und charis
2.2. Philia und sozialer Status
2.3. Philia und Religion
2.4. Stabilität und Vertrauen in philia-Beziehungen
3. Kommunikation unter Anwesenden
3.1. Interaktion zwischen Tradition und Legislation: Die salutatio
3.2. Performanz von Nähe und Distanz
4. Kommunikation mit Abwesenden
4.1. Der Brief als multimediale und multifunktionale Kommunikationsform
4.2. Sichtbarkeit und Inszenierung briefl icher Beziehungen
4.3. Performanz von Nähe und Distanz über das Medium des Briefes
III. Die Kappadokier und Johannes Chrysostomus
1. Die Kappadokier und Johannes Chrysostomus als Vertreter der christlichen Eliten
1.1. Soziale Stellung
1.2. Beziehungen
2. Philia und agape bei christlichen Autoren
2.1. Philia: Kontinuitäten und christliche Umdeutungen
2.2. Agape: Eine alternative Strategie sozialer Inklusion
3. Kommunikation unter Anwesenden
3.1. Interaktion zwischen Tradition und Religion: Das Gastmahl
3.2. Performanz von Nähe und Distanz
4. Kommunikation mit Abwesenden
4.1. Sichtbarkeit und Inszenierung briefl icher Beziehungen
4.2. Der Brief als Medium der In- und Exklusion
IV. Fazit
V. Bibliographie
1. Abkürzungen
2. Quelleneditionen
3. Literaturverzeichnis
VI. Indices
1. Quellenindex
2. Personen- und Ortsindex
3. Sachindex
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Unter Freunden: Nähe und Distanz in sozialen Netzwerken der Spätantike
 9783406773990, 9783406774003

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M. Zahrnt, Olynth und die Chalkidier T. Schwertfeger, Der Achaiische Bund von 146 bis 27 v. Chr. W. Gawantka, Isopolitie J. v. Ungern-Sternberg, Capua im Zweiten Punischen Krieg A. S. Bradford, A Prosopography of Lacedaemonians from the Death of Alexander the Great, 323 B.C., to the Sack of Sparta by Alaric, A.D. 396 W. Eck, Die staatliche Organisation Italiens in der hohen Kaiserzeit T. Spitzl, Lex Municipii Malacitani J.-U. Krause, Spätantike Patronatsformen im Westen des Römischen Reiches H. Brandt, Zeitkritik in der Spätantike E. Baltrusch, Regimen morum R. Ziegler, Münzen Kilikiens aus kleineren deutschen Sammlungen M. H. Dettenhofer, Perdita Juventus. Zwischen den Generationen von Caesar und Augustus W. Ameling, Karthago. Studien zu Militär, Staat und Gesellschaft H.-U. Wiemer, Libanios und Julian. Studien zum Verhältnis von Rhetorik und Politik im vierten Jahrhundert n. Chr. M. Wörrle/P. Zanker (Hrsg.), Stadtbild und Bürgerbild im Hellenismus W. Eck/A. Caballos/F. Fernández, Das senatus consultum de Cn. Pisone patre Ch. Schuler, Ländliche Siedlungen und Gemeinden im hellenistischen und römischen Kleinasien K. Zimmermann, Libyen M. Zimmermann, Kaiser und Ereignis W. Habermann, Zur Wasserversorgung einer Metropole im kaiserzeitlichen Ägypten T. Stickler, Aëtius Ch. Marek, Die Inschriften von Kaunos M. Haake, Der Philosoph in der Stadt J. Nollé, Kleinasiatische Losorakel S. Schmidt-Hofner, Reagieren und Gestalten A. V. Walser, Bauern und Zinsnehmer A. Harders, Suavissima Soror R. Haensch (Hrsg.), Selbstdarstellung und Kommunikation S. Mitchell/D. French (Hrsg.), The Greek and Latin Inscriptions of Ankara (Ancyra), Vol. I N. Badoud, Le temps de Rhodes S. Scheuble-Reiter, Die Katökenreiter im ptolemäischen Ägypten F. K. Maier, Überall mit dem Unerwarteten rechnen R. Fabiani, I decreti onorari di Iasos S. Prignitz, Bauurkunden und Bauprogramm von Epidauros R. Färber, Römische Gerichtsorte A. Free, Geschichtsschreibung als Paideia E. Zingg, Die Schöpfung der pseudohistorischen westpeloponnesischen Frühgeschichte Ch. Begass, Die Senatsaristokratie des oströmischen Reiches, ca. 457–518 S. Mitchell/D. French (Hrsg.), The Greek and Latin Inscriptions of Ankara (Ancyra), Vol. II M. Dana, La correspondance grecque privée sur plomb et sur tesson

VESTIGIA

74

VESTIGIA BEITRÄGE ZUR ALTEN GESCHICHTE

Ruprecht · Unter Freunden

Bd. 14: Bd. 19:

BAND 74

SERAINA RUPRECHT

Unter Freunden Nähe und Distanz in sozialen Netzwerken der Spätantike

Seraina Ruprecht Unter Freunden Nähe und Distanz in sozialen Netzwerken der Spätantike

Vestigia, Band 74 Freundschaftsbeziehungen waren im Römischen Reich der Spätantike von herausragender Bedeutung. Sie verbanden die sozialen, politischen und religiösen Eliten miteinander und integrierten sie in komplexe Netzwerke. Diese Studie untersucht zum ersten Mal systematisch und vergleichend Freundschaftskonzeptionen und -praktiken im paganen wie im christlichen Milieu des 4. Jahrhunderts n. Chr. Dabei liegt der Fokus auf dem griechischsprachigen Osten des Imperium Romanum. Zum einen werden unter Rückgriff auf begriffsgeschichtliche Methoden die Normen und Konventionen analysiert, die mit Freundschaft (philia) als Beziehungsform verbunden waren. Zum anderen wird nach der Sichtbarkeit und Performanz von Freundschaft gefragt. Hierzu werden verschiedene Formen symbolischer Kommunikation unter Freunden rekonstruiert, durch die unterschiedliche Grade von Nähe und Distanz ausgedrückt werden konnten. Das Augenmerk richtet sich sowohl auf Interaktionsformen von Freunden, die sich am selben Ort aufhielten, als auch auf Beziehungen, die über Briefe geführt wurden. Indem pagane und christliche Kontexte gleichermaßen Gegenstand der Betrachtung sind, kann der Einfluss der zunehmenden Christianisierung auf die Bildung von sozial und politisch wirksamen Netzwerken bestimmt werden. Seraina Ruprecht hat Geschichte und Griechische Philologie an den Universitäten Basel, Bern und St Andrews studiert. Sie wurde 2019 an der Universität Bern promoviert. 2020/21 war sie Early Postdoc.MobilityStipendiatin des Schweizerischen Nationalfonds und Rokos Postdoctoral Research Associate am Queens’ College in Cambridge. Seit August 2021 ist sie Assistenzdozentin für Antike Kulturen und Antikekonstruktionen an der Universität Bern.

ISSN 0506-8010 ISBN 978 3 406 77399 0 C. H. BECK

VERLAG C. H. BECK MÜNCHEN

VERLAG C. H. BECK MÜNCHEN

VERLAG C. H. BECK MÜNCHEN

Vestigia_74_Umschlag.indd 1

21.06.2021 15:37:29

KOMMISSION FÜR ALTE GESCHICHTE UND EPIGRAPHIK DES DEUTSCHEN ARCHÄOLOGISCHEN INSTITUTS

VESTIGIA BEITRÄGE ZUR ALTEN GESCHICHTE BAND 74

Seraina Ruprecht

Unter Freunden Nähe und Distanz in sozialen Netzwerken der Spätantike

VERLAG C. H. BECK

1. Auflage. 2021 © Verlag C.H.Beck oHG, München 2021 ISBN Buch 978 3 406 77399 0 ISBN eBook 978 3 406 77400 3 Die Reihe VESTIGIA wird von der Kommission für Alte Geschichte und Epigraphik des Deutschen Archäologischen Instituts herausgegeben: www.dainst.org/standort/muenchen

Die gedruckte Ausgabe dieses Titels erhalten Sie im Buchhandel sowie versandkostenfrei auf unserer Website www.chbeck.de. Dort finden Sie auch unser gesamtes Programm und viele weitere Informationen.

In liebevoller Erinnerung an Alexandra Ruprecht 21. 9. 1987 – 19. 4. 2011

Zum Buch Freundschaftsbeziehungen waren im Römischen Reich der Spätantike von herausragender Bedeutung. Sie verbanden die sozialen, politischen und religiösen Eliten miteinander und integrierten sie in komplexe Netzwerke. Diese Studie untersucht zum ersten Mal systematisch und vergleichend Freundschaftskonzeptionen und -praktiken im paganen wie im christlichen Milieu des 4. Jahrhunderts n. Chr. Dabei liegt der Fokus auf dem griechischsprachigen Osten des Imperium Romanum. Zum einen werden unter Rückgriff auf begriffsgeschichtliche Methoden die Normen und Konventionen analysiert, die mit Freundschaft (philia) als Beziehungsform verbunden waren. Zum anderen wird nach der Sichtbarkeit und Performanz von Freundschaft gefragt. Hierzu werden verschiedene Formen symbolischer Kommunikation unter Freunden rekonstruiert, durch die unterschiedliche Grade von Nähe und Distanz ausgedrückt werden konnten. Das Augenmerk richtet sich sowohl auf Interaktionsformen von Freunden, die sich am selben Ort aufhielten, als auch auf Beziehungen, die über Briefe geführt wurden. Indem pagane und christliche Kontexte gleichermaßen Gegenstand der Betrachtung sind, kann der Einfluss der zunehmenden Christianisierung auf die Bildung von sozial und politisch wirksamen Netzwerken bestimmt werden. Über die Autorin Seraina Ruprecht hat Geschichte und Griechische Philologie an den Universitäten Basel, Bern und St Andrews studiert. Sie wurde 2019 an der Universität Bern promoviert. 2020/21 war sie Early Postdoc.MobilityStipendiatin des Schweizerischen Nationalfonds und Rokos Postdoctoral Research Associate am Queens’ College in Cambridge. Seit August 2021 ist sie Assistenzdozentin für Antike Kulturen und Antikekonstruktionen an der Universität Bern.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Freundschaft im Blick der Forschung . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kommunikation unter Freunden und die Performanz von Nähe und Distanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. «One uses what one has, and there is work to be done» . . . . .

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3 6

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14 19

II. Libanius . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Libanius als Vertreter der paganen Elite 1.1. Die soziale Stellung des Libanius . . . 1.2. Die Beziehungen des Libanius . . . . 2. Philia bei Libanius . . . . . . . . . . . . 2.1. Philia und charis . . . . . . . . . . . 2.2. Philia und sozialer Status . . . . . . . 2.3. Philia und Religion . . . . . . . . . .

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. . . . . . . . 2.4. Stabilität und Vertrauen in philia-Beziehungen . 3. Kommunikation unter Anwesenden . . . . . . .

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. . . . . . . . . . 3.1. Interaktion zwischen Tradition und Legislation: Die salutatio . 3.2. Performanz von Nähe und Distanz . . . . . . . . . . . . . . . 4. Kommunikation mit Abwesenden . . . . . . . . . . . . . . . .

23 23 27 45 57 60 74 88 97 106 111 121 144 4.1. Der Brief als multimediale und multifunktionale Kommunikationsform 147 4.2. Sichtbarkeit und Inszenierung brieflicher Beziehungen . . . . . . . . . 156 4.3. Performanz von Nähe und Distanz über das Medium des Briefes . . . . 170

III. Die Kappadokier und Johannes Chrysostomus . . . . . . . . 1. Die Kappadokier und Johannes Chrysostomus als Vertreter der christlichen Eliten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1. Soziale Stellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2. Beziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Philia und agape bei christlichen Autoren . . . . . . . . . . . 2.1. Philia: Kontinuitäten und christliche Umdeutungen . . . . . 2.2. Agape: Eine alternative Strategie sozialer Inklusion . . . . . .

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VIII

Inhaltsverzeichnis

3. Kommunikation unter Anwesenden . . . . . . . . . . . . . . 3.1. Interaktion zwischen Tradition und Religion: Das Gastmahl . 3.2. Performanz von Nähe und Distanz . . . . . . . . . . . . . . 4. Kommunikation mit Abwesenden . . . . . . . . . . . . . . . 4.1. Sichtbarkeit und Inszenierung brieflicher Beziehungen . . . 4.2. Der Brief als Medium der In- und Exklusion . . . . . . . . . IV. Fazit

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V. Bibliographie . . . . . 1. Abkürzungen . . . . 2. Quelleneditionen . . 3. Literaturverzeichnis

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VI. Indices . . . . . . . . . . . 1. Quellenindex . . . . . . . 2. Personen- und Ortsindex 3. Sachindex . . . . . . . . .

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Vorwort Das vorliegende Buch ist die geringfügig überarbeitete Version meiner im Februar 2019 an der Philosophisch-historischen Fakultät der Universität Bern verteidigten Dissertationsschrift. Von der ersten Idee bis zum Abschluss der Arbeit konnte ich immer auf die fachliche und persönliche Unterstützung meines Doktorvaters Prof.  Dr. Stefan Rebenich zählen. Er gewährte mir den nötigen Freiraum, um meine eigenen Gedanken und Hypothesen zu entwickeln, und stand jederzeit für Diskussionen zur Verfügung. Sein kritischer Blick half, manche Schwachstelle aufzudecken. Ihm gebührt mein grösster Dank. Prof. Dr. Harmut Leppin hat das Zweitgutachten der Arbeit übernommen. Ich danke ihm für die wohlwollende Kritik, mit der er die Entstehung dieser Arbeit begleitet und gefördert hat. Seine Aufmunterung zur rechten Zeit half mir, auch als es stockte, nicht aufzugeben. Besonders dankbar bin ich für die Einladung zu einem zweimonatigen Forschungsaufenthalt an die Universität Frankfurt a. M. im Rahmen des Reinhart-Koselleck-Projektes der DFG «Christianisierungen im Römischen Reich» und für die Möglichkeit, meine Thesen im dortigen Kolloquium vorzustellen und zu diskutieren. Während eines dreimonatigen Aufenthaltes an der University of Nottingham stand mir Prof. Dr. Wolf Liebeschuetz als Gesprächspartner zur Verfügung. Die Ausrichtung der Arbeit wurde durch seine wertvollen Anregungen wesentlich beeinflusst. In Bern fand ich während meiner Assistentenzeit ideale Bedingungen, um nicht nur den Wissenschaftsbetrieb kennenzulernen, sondern auch meine Arbeit voranzubringen. Ich danke Prof. Dr. Thomas Späth für seine jahrelange Unterstützung und Förderung. Mein Dank gebührt auch allen Mitgliedern der Abteilung für Alte Geschichte und Rezeptionsgeschichte der Antike an der Universität Bern, die meine Zeit als Doktorandin durch gemeinsame Pausen und aufmunternde Gespräche, aber auch anregende Diskussionen bereichert haben. Namentlich nennen möchte ich meine langjährigen GefährtInnen auf der Assistenz: Dr. des. Sebastian Geisseler und Dr. des. Jasmin Welte. Dr. Adrian Brändli danke ich für unzählige Gespräche über amicitia und philia – und für gelebte Freundschaft. Prof.  Dr. Hans-Ulrich Wiemer bin ich für zahlreiche weiterführende Kommentare und wichtige Anregungen zu grossem Dank verpflichtet. Das Manu-

2

Vorwort

skript ganz oder in Teilen gelesen haben überdies Urs Fitze, Thomas Gartmann und Dr.  Astrid Habenstein. Ihnen verdanke ich nicht nur fachliche Hinweise; ohne sie wäre auch mancher Fehler stehen geblieben und manches Komma verloren gegangen. Hilfreich für die abschliessende Überarbeitung waren auch die beiden anonymen Gutachten der Vestigia. Der Kommission für Alte Geschichte und Epigraphik des DAI sowie dem Herausgebergremium der Vestigia möchte ich meinen Dank aussprechen für die Aufnahme in diese Reihe und die freundliche sowie kompetente redaktionelle Betreuung. Für finanzielle Unterstützung danke ich dem Schweizerischen Nationalfonds, der das Projekt während dreier Jahre gefördert hat. Die Schweizerische Studienstiftung und die Schweizerische Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften haben mir die Teilnahme an internationalen Tagungen in New York und Oxford ermöglicht. Last but not least möchte ich meiner Familie und meinen Freunden danken, die mit Nachsicht ertragen haben, dass ich zeitweise zu viel Zeit am Schreibtisch verbracht habe. Meine Eltern und Eugen Schwyn haben mich in meinen Interessen von jüngster Kindheit an unterstützt. Ohne ihre Hilfe wäre dieses Buch nicht zustande gekommen. Meine liebe Schwester Alexandra hat leider nur noch von meinem Wunsch erfahren, eine Doktorarbeit zu verfassen, und mich ermutigt, diese Idee zu verwirklichen. Mit ihrer Kraft und ihrer Lebensfreude allen widrigen Umständen zum Trotz war und ist sie mir ein grosses Vorbild. Ihr sei dieses Buch gewidmet. Cambridge, im Oktober 2020

Seraina Ruprecht

I. Einleitung Ἐμοὶ δὲ ἐγγὺς μὲν ἴσως ἡ τελευτὴ δηλουμένη τῷ τῶν ἐτῶν ἀριθμῷ, τάχα δ’ ἂν τύχοιμι τότε λόγου παρὰ τῶν δυναμένων λέγειν, οἷς ἀφορμὴ καὶ τῶν φίλων ἡ κτῆσις ἣν ἐκτησάμην μάλα δὴ φίλων σαφῶν. «Mir steht nun wohl das Ende kurz bevor – wie die Zahl meiner Jahre anzeigt. Vielleicht wird mir, wenn es so weit ist, eine Rede zuteil von denen, die reden können. Für sie wird der Ausgangspunkt der Besitz der Freunde sein, der zuverlässigen Freunde, die ich erworben habe.» Lib. or. 21.33

Der antiochenische Rhetoriklehrer Libanius imaginierte im hohen Alter, wie man seiner nach dem Tod gedenken könnte. Integraler Bestandteil einer solchen posthumen Würdigung sollten die zuverlässigen Freunde sein, die er sich im Laufe seines Lebens erworben hatte. Eine solche Gedenkrede verfasste Gregor von Nazianz für seinen Freund Basilius von Caesarea. Dem Thema der Freundschaft, ihrer Freundschaft, gewährte er dabei grossen Raum.1 Freunde waren wichtig, und sie waren ein zentrales Element der Selbstdarstellung. Sowohl der heidnische Autor Libanius als auch der christliche Bischof Gregor sprachen nicht ohne Absicht über ihre Beziehungen. Libanius’ Wunsch nach einer Gedenkrede steht am Ende eines Panegyricus auf den magister officiorum Caesarius, der sich gegenüber Kaiser Theodosius I. für Libanius’ Heimatstadt Antiochia eingesetzt hatte.2 In der zitierten Passage geht es deshalb nur vordergründig um einen epitaphios logos für Libanius. Vielmehr stellt die Aussage ein Lob für den einflussreichen Beamten dar. So führt Libanius weiter aus: ἐν τούτῳ δὴ καὶ πλέον τι περὶ σοῦ λέγειν ἕξουσι μέγιστον τοῦτο τῶν ἐμῶν τιθέμενοι καὶ τήν γε ἀπόδειξιν ἐξ ὧν εἴληφα ποιούμενοι. «In dieser Rede werden sie aber mehr über dich zu sagen haben, wenn sie herausstellen, dass das grösste Gut, das ich besitze, meine Freunde sind, und als Beweis können sie all das anführen, was ich von ihnen erhalten habe.»3 1 2 3

Greg. Naz. or. 43. Zu Caesarius vgl. PLRE I, 171 (Fl. Caesarius 6). Lib. or. 21.33. Die Übersetzungen stammen, sofern nicht anders ausgewiesen, von mir.

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I. Einleitung

Libanius betont am Ende des Panegyricus also den Wert von Freunden, und stellt dabei seine Freundschaft zu Caesarius besonders heraus. Ein wie guter Freund Caesarius sei, lasse sich an dem ablesen, was der magister officiorum für ihn getan habe. Was war es, das Caesarius für den antiochenischen Rhetoriklehrer erwirkt hatte? Es war nicht weniger als die Rettung der Stadt. Caesarius wurde im Jahre 387 vom Kaiser nach Antiochia entsandt, nachdem dort aufgrund einer neuen Steuer heftige Unruhen ausgebrochen waren.4 Dabei war es zu einer folgenschweren Eskalation gekommen. Um ihren Unmut an der kaiserlichen Politik zum Ausdruck zu bringen, hatten Teile der Bevölkerung ihren Ärger an kaiserlichen Bildnissen ausgelassen: Die aufgebrachte Menge hatte Porträts der Kaiserfamilie mit Steinen beworfen und Statuen von ihren Sockeln gestürzt. Kaiserliche Bronzestatuen waren durch die Stadt geschleift und in Stücke zerschlagen worden.5 Das war nicht weniger als Majestätsbeleidigung, und darauf stand die Todesstrafe für alle Beteiligten. Mehrere Aufrührer waren sofort hingerichtet worden. In der Verantwortung standen aber auch die Ratsherren von Antiochia, die nicht für Ruhe und Ordnung gesorgt hatten. Zahlreiche curiales waren deshalb geflohen, um der drohenden Bestrafung zu entgehen; andere waren inhaftiert worden. In der Stadt herrschte Ausnahmezustand. Nachdem das Ausmass der Verheerung sichtbar geworden war, schickte man sofort eine Gesandtschaft zum Kaiser mit der Bitte um Vergebung. Antiochia musste um seinen Rang als Metropole Syriens fürchten; denn der Kaiser konnte sämtliche Privilegien entziehen. Als sofortige Massnahme wurden die Bäder und die Theater geschlossen. Auch die Getreideversorgung für die ärmere Bevölkerung wurde sistiert. Caesarius sollte als ziviler Richter zusammen mit dem magister militum Ellebichus die Umstände der Unruhen rekonstruieren und die Schuldigen zur Verantwortung ziehen.6 Libanius schildert, wie er Caesarius aufsuchte und sich für die inhaftierten Kurialen aussprach.7 Caesarius versicherte ihm, dass keiner der Ratsherren hingerichtet werde. In der Folge brach der hohe Magistrat auf, um dem Kaiser Bericht zu erstatten. Bange Tage und Wochen verharrten die Antiochener im Ungewissen über ihr Schicksal, bis endlich ein kaiserliches Edikt mit der erlösenden Bot4 Um welche Art von Steuer es sich handelte, ist nicht klar. Browning 1952, 14 f. diskutiert verschiedene Möglichkeiten. 5 Vgl. z. B. Lib. or. 21.5; 22.7–8. Für eine detaillierte Rekonstruktion der Ereignisse vgl. u. a. Petit 1955, 238–244; French 1998 und Leppin 1999 mit weiteren Literaturhinweisen. Die folgenden Ausführungen orientieren sich an diesen Darstellungen. Die wichtigsten Quellen sind fünf Reden des Libanius (or. 19–23) sowie die sogenannten Statuenhomilien (hom. stat. 1–21), die Johannes Chrysostomus während dieser Zeit in Antiochia hielt. 6 Zu Ellebichus vgl. PLRE I, 277 f. (Ellebichus). 7 Lib. or. 21.8–11.

I. Einleitung

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schaft eintraf: Der Kaiser hatte die Appelle an seine philanthropia erhört und die meisten seiner Strafen wieder aufgehoben. Auch die Ratsherren kamen mit dem Leben davon. Als Dank verfasste Libanius je eine Rede an die beiden zuständigen Beamten Ellebichus und Caesarius.8 Er lobte die Beteiligten für ihr massvolles Verhalten und ihren Einsatz für die Stadt. Indem er seine eigene Intervention bei Caesarius herausstellte und die Rede mit den eingangs zitierten Worten enden liess, präsentierte Libanius sich selbst als Freund (philos) des Caesarius. Als Vermittler zwischen dem mächtigen Beamten einerseits und den Ratsherren sowie der Bevölkerung Antiochias andererseits schrieb er sich selbst eine zentrale Rolle in der Bewältigung der Krise zu. Dieselbe Strategie verfolgten auch zwei Reden, die den Eindruck erwecken sollten, er habe sie direkt vor dem Kaiser gehalten.9 Allerdings hatte Libanius seine Heimatstadt während der Unruhen nicht verlassen. Zugleich überging er ein zentrales Faktum: Während er selbst in Antiochia geblieben war, hatte der Bischof Flavianus die Reise nach Konstantinopel tatsächlich auf sich genommen, um beim Kaiser persönlich ein gutes Wort für die Stadt am Orontes und ihre Bevölkerung einzulegen. In der Zwischenzeit beruhigte sein Prediger Johannes Chrysostomus die aufgebrachten Bürger und informierte sie über das Engagement ihres Bischofs. Wir fassen hier also konkurrierende Ansprüche auf die prestigeträchtige Tätigkeit eines städtischen Patrons.10 Indem sich Libanius zum philos des Caesarius stilisierte und dessen Einsatz für Antiochia als Freundschaftsdienst an ihm selbst darstellte, versuchte er seine eigene Bedeutung im Nachhinein hervorzuheben. Auch Gregor von Nazianz verfolgte bei der Gedenkrede auf seinen 379 verstorbenen Freund Basilius nicht primär altruistische Motive. Die Rede hielt er wahrscheinlich drei Jahre nach dem Tod des Basilius in dessen Heimatstadt Caesarea.11 Seit dem Tod seines Freundes war in seinem Leben einiges passiert: Er war zum Bischof der nizänischen Gemeinde von Konstantinopel ernannt worden, nur um dann wenig später kläglich zu scheitern und während des Konzils von 381 von seinem Amt zurückzutreten. Er verliess die kirchenpolitische Bühne und zog sich ins beschauliche Kappadokien zurück. Sein Ansehen versuchte er zu steigern, indem er seine Biographie mit der des allseits geachteten Basilius verband und sich als dessen intimer Freund inszenierte. Dies war umso nötiger, als wohl allgemein bekannt war, dass die Freundschaft gerade in der zweiten Lebenshälfte alles andere als eng gewesen war. Das Verhältnis zwischen den beiden hatte 8

Lib. or. 21 und 22. Lib. or. 19 und 20. Vgl. hierzu Leppin 1999, 113 f. 10 Leppin 1999, 120 f. 11 Zum Kontext der Rede vgl. bes. Elm 2000; Norris 2000; McLynn 2001. 9

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I. Einleitung

nämlich gelitten, weil Gregor, als Basilius ihn zum Bischof von Sasima machen wollte, diesen Sitz als zu unbedeutend abgelehnt hatte. Gregor versuchte in der Gedenkrede, seine Beziehung zu Basilius im Nachhinein positiver erscheinen zu lassen, als sie tatsächlich gewesen war, und seinen eigenen Einfluss auf den grossen Theologen gebührend herauszustellen.12 Damit sollten sein eigenes Ansehen und seine Stellung in der christlichen Gemeinschaft wieder gefestigt werden. Die beiden Reden von Gregor und Libanius zeigen exemplarisch die grosse Bedeutung von Beziehungen, die als Freundschaft bezeichnet wurden. Ihre Wirkung entfalten konnten diese Beziehungen allerdings nur dann, wenn sie öffentlich bekannt waren. In dieser Arbeit soll deshalb die Bedeutung von Freundschaftsbeziehungen erforscht und nach ihrer Sichtbarkeit gefragt werden. Hierbei interessieren einerseits die Regeln, nach denen sich Freundschaften richteten, und andererseits symbolische Formen der Interaktion, welche den Beteiligten wie auch einem breiteren Publikum die Beziehung und ihre graduellen Abstufungen kenntlich machten. Geographisch wird der Fokus dieser Studie auf dem griechischsprachigen Osten des Imperium Romanum liegen, der bislang für diese Fragestellung von der Forschung vernachlässigt wurde. Zeitlich rückt mit dem vierten Jahrhundert eine Phase des Umbruchs in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit: Nach dem Bekenntnis von Kaiser Konstantin zum Christentum hatte sich die neue Religion zunehmend im Römischen Reich ausgebreitet. Dieser Prozess der Christianisierung wirkte sich auf die verschiedensten Lebensbereiche aus.13 Deshalb sollen die Bedeutung und die Performanz von Freundschaft nicht nur im paganen, sondern auch im christlichen Milieu erforscht und nach Unterschieden sowie Gemeinsamkeiten gefragt werden. Bevor die Fragestellungen und die Methoden dieser Arbeit präzisiert werden, ist es angebracht, einen Blick auf den Stand der Forschung zu werfen und Freundschaft als Forschungsgegenstand zu umreissen.

1. Freundschaft im Blick der Forschung Im Sinne einer Minimaldefinition kann Freundschaft als freiwillig eingegangene, reziproke interpersonale Beziehung verstanden werden. Eine spezifischere, interpersonal und interkulturell gültige Definition ist kaum möglich, da Freundschaft zu verschiedenen Zeiten in verschiedenen Kulturkreisen inhaltlich anders gedeutet wird. Als besondere Nahbeziehung wird ihr in sozialwissenschaftlichen Untersuchungen eine wichtige Funktion bei der Generierung von Vertrauen und 12 13

Vgl. hierzu auch III.4.1. Zum Begriff der Christianisierung vgl. Leppin 2012.

1. Freundschaft im Blick der Forschung

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Gemeinschaft in einer Gesellschaft zugesprochen.14 Freundschaftsbeziehungen sind deshalb zusammen mit verwandtschaftlichen Verbindungen massgeblich an der Konstituierung von sozial und politisch wirksamen Netzwerken beteiligt. Welche Bedeutung der Freundschaft allerdings neben anderen Beziehungsformen zukommt, hängt von dem jeweiligen kulturellen und sozio-politischen Kontext ab. Soziale Strukturen und Normen bestimmen nicht nur die Art und Weise, wie Freundschaftsbeziehungen in die Gesellschaft eingebettet sind, sondern auch die Funktionen, welche ihnen zugeschrieben werden. Die Bedeutung von Freundschaft in einer Gesellschaft und ihr Stellenwert neben anderen interpersonalen Beziehungen wie Verwandtschaft und Patronage ist somit kulturell bedingt. Dadurch wird Freundschaft als sozial- und kulturwissenschaftlicher Forschungsgegenstand interessant, da die Untersuchung von freundschaftlichen Bindungen auch Aufschlüsse über gesellschaftliche Strukturen sowie soziale, kulturelle und politische Organisationsformen geben kann.15 Diese gesellschaftlich geprägte Ausformung von Freundschaft impliziert, dass mit dem Freundschaftsbegriff unter Umständen sehr unterschiedliche Konzepte von interpersonalen Beziehungen verbunden sein können. Freundschaftskonzepte fremder Kulturen sollten deshalb nicht mit der Erwartungshaltung des eigenen Freundschaftsverständnisses und Freundschaftsideals interpretiert werden.16 Insbesondere der Umgang mit instrumentellen Aspekten von Freundschaft wird in verschiedenen Gesellschaften unterschiedlich gehandhabt. Oftmals erlauben es kulturelle Normen nicht, Freundschaft als etwas Utilitaristisches zu sehen, auch wenn dieser Aspekt aus soziologischer Perspektive nicht geleugnet werden kann.17 Freundschaftsbeziehungen kommt häufig eine wichtige Funktion in der Bewältigung von alltäglichen Problemen zu, indem Freunde regelmässig Güter und Hilfeleistungen austauschen. Gerade moderne westliche Gesellschaften tendieren allerdings dazu, primär die emotionale Bedeutung von Freundschaften zu betonen. Dabei wird der praktische Nutzen, der aus einer Freundschaftsbeziehung resultieren kann, ausgeblendet, auch wenn die Vorteile von freundschaftlicher Unterstützung in privaten wie beruflichen Angelegenheiten wohl bekannt sind. Freundschaft soll zumindest im Idealfall zweckfrei sein, weshalb sich dann

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Vgl. u. a. Tenbruck 1964; Wolf 2004 [1966]; Schmidt et al. 1977; Kon 1979; Bell 1981; Eisenstadt/Roniger 1984; Allan 1989; Reohr 1991; Adams/Allan 1998; Grätz/ Meier/Pelican 2003; Schinkel 2003. 15 Tenbruck 1964, 436. 16 Vgl. z. B. Oschema 2006, 83. Williams 2012, 26–35 zeigt anschaulich die Unterschiede in den Freundschaftsbegriffen antiker und moderner westeuropäischer Sprachen. 17 Allan 1989, 154.

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I. Einleitung

auch der moderne Freundschaftsbegriff in den westlichen Gesellschaften einem instrumentellen Zugriff widersetzt. Im Vergleich zu modernen Vorstellungen von Freundschaft sind die antiken Freundschaftskonzepte – die griechische philia und die lateinische amicitia – wesentlich breiter gefasst. So ist die Abgrenzung gegenüber patronalen Beziehungen nicht immer einfach, und auch ein utilitaristischer Aspekt ist den beiden Konzepten nicht fremd. Für den griechischen Begriff philia, der für diese Arbeit zentral ist, lohnt sich ein Blick auf die Ausführungen des Aristoteles. Aus seiner Feder stammt die längste erhaltene philosophische Theoriebildung zu philia. Seine Reflexionen erwiesen sich als besonders wirkmächtig und wurden in den folgenden Jahrhunderten immer wieder rezipiert und adaptiert – von lateinischen und griechischen Autoren paganer wie christlicher Provenienz.18 Die Ausführungen interessieren hier aber weniger wegen ihrer ideengeschichtlichen Relevanz; wichtiger ist vielmehr der Umstand, dass mit Hilfe der aristotelischen Konzeption auch das semantische Bedeutungsfeld von philia rekonstruiert werden kann. Aristoteles unterscheidet in der Nikomachischen Ethik zwischen drei Arten von Freundschaft (τρία δὴ τὰ τῆς φιλίας εἴδη):19 die Nutzfreundschaft, eine Zweckverbindung, die einen meist materiellen Nutzen verfolgt, die Lustfreundschaft, die dem Vergnügen gilt, sowie die Tugendfreundschaft, welche die einzig wahre Freundschaft zwischen sittlich guten Menschen bezeichnet.20 In Aristoteles’ Darstellung sind die ersten zwei Typen von Freundschaft von minderem Wert, da sie aufgrund des eigenen Vorteils eingegangen werden. Solche Freundschaften sind seiner Ansicht nach deshalb nur von beschränkter Dauer, da sie aufgelöst werden, sobald die Partner sich nicht mehr angenehm oder nützlich sind.21 Das anzustrebende Ideal der philia ist in Aristoteles’ Augen die Freundschaft zwischen zwei sittlich Guten, die auf der Tugend basiert und um des Guten willen eingegangen wird.22 Allerdings räumt Aristoteles ein, dass diese Art der Freundschaft sehr selten vorkomme.23 Weit häufiger seien die beiden anderen

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Einen prägnanten Überblick über die klassischen Freundschaftsvorstellungen vom archaischen Griechenland bis in die Spätantike bietet White 1992, 13–44. S. auch Dugas 1894; Bohnenblust 1905; Fraisse 1974; Pizzolato 1993; Fürst 1996; Konstan 1997; Fitzgerald 1997b; Banateanu 2001. 19 Aristot. eth. Nic. 1156a7. Zu Freundschaft bei Aristoteles vgl. u. a. Fraisse 1974, 189–286; Pizzolato 1993, 47–66; Fürst 1996, 77–120; Schroeder 1997; Smith Pangle 2003; Siemens 2007; Gartner 2017. 20 Aristot. eth. Nic. 1156b7. 21 Aristot. eth. Nic. 1156a19–23. 22 Aristot. eth. Nic. 1156b7–12. 23 Aristot. eth. Nic. 1156b24–25.

1. Freundschaft im Blick der Forschung

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Beziehungsarten, die zwar keine vollkommenen Freundschaften darstellten, aber von den Leuten (οἱ ἄνθρωποι) gemeinhin als solche bezeichnet würden.24 Aristoteles reflektiert damit den Sprachgebrauch seiner Zeit, als philia nicht nur für die uneigennützige und auf gegenseitigem Wohlwollen beruhende Beziehung zwischen zwei «Tugendhaften und an Tugend Ähnlichen» (ἡ τῶν ἀγαθῶν φιλία καὶ κατ’ ἀρετὴν ὁμοίων) verwendet wurde,25 sondern ein breiteres Spektrum an interpersonalen Beziehungen umschrieb. Auch zwischen Ungleichen konnte philia entstehen. Aristoteles führt als Beispiel die philia zwischen Vater und Sohn, einer älteren und einer jüngeren Person, zwischen Herrscher und Beherrschten an. In diesen Beziehungen sei der Nutzen der einen und der anderen Seite nicht identisch.26 Philia war somit im klassischen Griechenland weder eindeutig von verwandtschaftlichen Beziehungen abzugrenzen noch von patronalen Verhältnissen. Vielmehr war der Begriff ambivalent genug, um die verschiedensten Formen von Beziehungen zu umfassen.27 Studien zur Freundschaft in der römischen Gesellschaft, die ihren Ausgang meist in Ciceros berühmter Definition nehmen, dass amicitia die «Übereinstimmung in allen göttlichen und menschlichen Belangen, verbunden mit Wohlwollen und Liebe» sei,28 haben ebenfalls gefragt, inwiefern unter amicitiae Bindungen emotionaler Natur zu verstehen seien oder vielmehr politische 24

Aristot. eth. Nic. 1157a25–33. Damit wird bereits die Spannung zwischen philosophischem Ideal und sozialer Praxis deutlich, die auch spätere Ausführungen zu Freundschaft prägt. Die Diskrepanz zwischen Ideal und Praxis hat insbesondere Fürst 1996; Fürst 1997 ausgewertet. 25 Aristot. eth. Nic. 1156b7. 26 Aristot. eth. Nic. 1158b12–14. Zu Freundschaft zwischen Ungleichen bei Aristoteles vgl. auch Fürst 1996, 81 f. mit weiteren Belegstellen. 27 Zum Begriff der philia vgl. Konstan 1996a; Fitzgerald 1997a. Zur Bedeutung von philia in der athenischen Gesellschaft vgl. u. a. Blundell 1989; Millett 1991, bes. 109–126; Mitchell/Rhodes 1996. Die Entwicklung des philia-Begriffes unter den sozialen und politischen Bedingungen in römischer Zeit wurde bislang nicht systematisch untersucht. Vgl. aber insbesondere die Studien zu philia bei Plutarch von Fraisse 1974, 434–441; Pizzolato 1993, 187–192; O’Neil 1997 und Giannattasio Andria 2008. Konstan 1997 bietet eine diachrone Studie, allerdings geht es ihm primär darum, zu zeigen, dass auch in der griechisch-römischen Antike Freundschaft auf affektiver Verbundenheit beruht habe (vgl. z. B. pointiert S.  5). Er räumt zwar ein, dass philia deutlich breiter gefasst sei als das englische «friendship», will aber philos als «friend» im englischen Sinne übersetzt wissen (vgl. z. B. Konstan 1996a, 71; Konstan 1997, 55 f.). Während ihm zuzustimmen ist, dass philia wie auch amicitia durchaus affektive Beziehungen beschreiben konnten, wird die Reduzierung auf diesen Aspekt der sozialen Realität weder in Griechenland noch in Rom gerecht. 28 Vgl. Cic. Lael. 20: est enim amicitia nihil aliud, nisi omnium diviniarum humanarumque rerum cum benevolentia et caritate consensio. Zu Freundschaft bei Cicero vgl. u. a. Heldmann 1976; Spielvogel 1993; Fürst 1996, 138–184; Rollinger 2014, 52–79 mit weiteren Literaturhinweisen.

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I. Einleitung

Bündnisse der römischen Aristokraten.29 Bereits Ciceros Definition ist vage genug, um beide Beziehungsarten zu integrieren. In den Quellen lässt sich überdies amicitia nicht immer eindeutig von Patron-Klient-Verbindungen trennen, da sich patronus und cliens gegenseitig als amici bezeichneten und damit die Asymmetrie der Beziehung semantisch nicht notwendigerweise zum Ausdruck gebracht wurde.30 Die Schwierigkeit der genauen Abgrenzung von amicitia und clientela spiegelt sich in der Begrifflichkeit, welche moderne Studien zur Beschreibung der römischen Verhältnisse wählten: Matthias Gelzer analysierte die horizontalen und vertikalen Beziehungen, welche die römische Gesellschaft durchzogen, unter dem Sammelbegriff der Nah- und Treuverhältnisse, während Christian Meier von Bindungswesen sprach.31 Richard Saller schied auf der Grundlage anthropologischer Konzepte zwischen Patronage und Freundschaft, auch wenn diese strikte Trennung in der Quellensprache oftmals nicht gegeben ist.32 Dieselben Phänomene werden in der Forschung folglich unter verschiedenen Begrifflichkeiten untersucht. Unbestritten ist jedoch die Bedeutung dieser vertikalen und horizontalen Verflechtungen für die Kohäsion der römischen Gesellschaft.33 Amicitia und clientela waren Beziehungen, die von wechselseitiger Unterstützung geprägt waren. Einflussreiche Aristokraten gewährten ihresgleichen und sozial Schwächeren Hilfeleistungen in ökonomischen, juristischen und politischen Angelegenheiten.34 Sie konnten ihrerseits auf den Beistand ihrer amici und clientes zählen, wenn es darum ging, Wählerstimmen auf sich zu vereinen. Jüngere Studien haben in diesem Kontext vermehrt die performativen Aspekte von

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Syme 1939, 157 bezeichnete amicitia beispielsweise als «a weapon of politics, not a sentiment based on congeniality» und Taylor 1949, 7 f. sah amicitia als Synonym für politische Partei. Demgegenüber hat bereits Brunt 1965 (= Brunt 1988) eingewandt, dass die Bandbreite der als amicitia bezeichneten Beziehungen weiter sei und darunter sowohl affektive Verbindungen als auch politische Bündnisse fallen konnten. Für die Funktionen, welche eine affektive Sprache in Zweckbündnissen erfüllen konnte, ist insbes. auf Hall 2009 zu verweisen. Einen prägnanten Überblick über die jüngste Forschung bietet Rollinger 2017. 30 Vgl. z. B. Eisenstadt/Roniger 1984, 61; Verboven 2002, 49; Wallace-Hadrill 1989, 77. Für die Begrifflichkeit römischer Freundschaft massgebend ist Hellegouarc’h 1963. 31 Gelzer 1983 [1912]; Meier 1966. Zu Gelzer vgl. auch die Einordnung von Strauss 2017, bes. 175–189. 32 Saller 1982; Saller 1989. 33 Dies haben zuletzt die Studien von Rollinger 2014; Rollinger 2017 für amicitia und Ganter 2015 für Patron-Klient-Verbindungen nochmals herausgestellt. Für einen ausführlichen Forschungsüberblick, der auch die verschiedenen in der Forschung verwendeten Begriffe diskutiert, vgl. Rollinger 2014, 17–52. 34 Vgl. u. a. Verboven 2002; Rollinger 2014.

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amicitia in den Blick genommen.35 So wurden Freundschaften durch eine Reihe von festgelegten Interaktionen täglich inszeniert und perpetuiert: Bei morgendlichen Begrüssungen (salutationes) warteten amici und clientes wichtigen Senatoren auf. Im Anschluss an die salutatio begleitete eine Schar von Freunden und Klienten den Hausherrn bei seinem Gang aufs Forum (deductio) oder bei Spaziergängen durch die Stadt (adsectatio). Auch ins Bad wurden Patrone begleitet. Aristokraten luden sich gegenseitig zu Gastmählern (convivia) ein. Bei diesen Interaktionen wurde immer auch auf die Hierarchie der Teilnehmer Rücksicht genommen: Die Reihenfolge des Zugangs zur salutatio etwa oder die Platzzuweisung beim convivium gaben Aufschluss über die soziale Stellung der Beteiligten. Für den einzelnen Aristokraten war es wichtig, eine möglichst grosse Schar an Freunden und Klienten zu haben: Sie zeugten von seinem Ansehen und seinem Einfluss. Nicht zuletzt standen sie auch für seine politische Durchsetzungskraft, da sich sein Anhang in Form von Wählerstimmen bei Magistratswahlen materialisieren liess. Mit den geänderten politischen Verhältnissen verlor die Klientel in der frühen Kaiserzeit ihre unmittelbare politische Bedeutung.36 Ein volles Haus am Morgen blieb dennoch ein Zeichen von Prestige.37 Für politischen und sozialen Erfolg wurde jedoch die Nähe zum Kaiser wichtig. Senatoren warteten deshalb nun ihrerseits dem princeps auf. Wer zu den amici Caesaris gehörte, genoss wichtige Privilegien.38 Auch wenn sich das Gravitationszentrum der Macht hin zum Kaiser und seinem Hof verschoben hatte, so blieben amicitia und clientela dennoch wichtige Institutionen. Für die Spätantike wurde ebenfalls die Konstanz von Patronage- und Freundschaftsbeziehungen herausgestellt, und zwar im christlichen wie im paganen Bereich. An die Seite einflussreicher Senatoren und Amtsinhaber gesellten sich nun auch christliche Patrone in Form von Bischöfen und ‹Heiligen Männern›, an die sich Schutzbedürftige mit weltlichen wie religiösen Sorgen wandten.39 35 Vgl. Goldbeck 2010; Rollinger 2014, 134–155 zu salutationes; Stein-Hölkeskamp 2005; Schnurbusch 2011; Rollinger 2014, 156–180 zum convivium; O’Sullivan 2011; Östenberg 2015 zu Begleitungen. Vgl. allgm. Hartmann 2016. 36 Dass dadurch patronale Beziehungen gänzlich an Bedeutung verloren, wie Premerstein 1937 postulierte, ist von Saller 1982; Saller 1989 und Wallace-Hadrill 1989 widerlegt worden. S. zu dieser Diskussion auch Winterling 2008, der die Positionen von Premerstein und Saller zu vereinen sucht, indem er herausstellt, dass für die Bedeutung von Patronage nicht nur der Austausch von Gütern wichtig sei, sondern auch damit verbundene performative und symbolische Aspekte, die der Inszenierung von Rangverhältnissen und sozialem Prestige dienten. 37 Vgl. Goldbeck 2010, 263–281 zur salutatio in der Kaiserzeit. 38 Siehe v. a. Winterling 1999. 39 Zu spätantiken Patronatsformen vgl. die grundlegende Studie von Krause 1987. Zu den

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Genauso wie in früheren Jahrhunderten war auch die spätantike Gesellschaft durch vielfältige vertikale wie horizontale Verbindungen gekennzeichnet. Eindrücklich bezeugen die aus dem vierten und fünften Jahrhundert besonders zahlreich erhaltenen Briefsammlungen die Freundschaftsbeziehungen, welche die christlichen und die nicht-christlichen Eliten miteinander verbanden.40 Mehrere prosopographische und sozialgeschichtliche Untersuchungen haben sich diesen Verbindungen angenommen und die Bedeutung von weitreichenden Netzwerken für den sozialen und politischen Erfolg Einzelner sowie für die Durchsetzung von kirchenpolitischen Anliegen ausgewertet.41 Die Forschung hat sich indes vor allem mit philosophischen und theologischen Konzeptionen spätantiker Freundschaft auseinandergesetzt und nach den Veränderungen in der Freundschaftstheorie gefragt, die durch die zunehmende Bedeutung des Christentums bedingt waren.42 Denn in der christlichen Theologie war nicht das soziale Konzept der Freundschaft, sondern das der Verwandtschaft von zentraler Bedeutung. Im Neuen Testament erscheint philia nur ein einziges Mal (Jak 4,4) und bezeichnenderweise negativ als Freundschaft mit der Welt (φιλία τοῦ κόσμου), die Feindschaft gegen Gott (ἔχθρα τοῦ θεοῦ) bedeutet.43 Der Kern der christlichen Lehre bestand gerade darin, dass sich ihre Liebe und Fürsorge nicht auf die Freunde beschränkte, sondern alle mit einbezog, auch Feinde. Zur Umschreibung der christlichen Nächstenliebe wurde deshalb nicht auf die Freundschaftsterminologie, sondern auf caritas und ἀγάπη zurückgegriffen.44 Zwar bezeichnete Jesus seine Jünger auch als Freunde, doch dominiert im Neuen Testament und unter den frühen Christen zur Beschreibung von Beziehungen die Verwandtschaftsterminologie.45 In Bezug auf die gemein-

‹holy men› als Patrone vgl. Brown 1971. Zur christlichen Patronage allgm. vgl. Rebenich 2001 mit weiteren Literaturhinweisen. 40 Einen Überblick über die erhaltenen Briefsammlungen bietet der Sammelband von Sogno/Storin/Watts 2017. 41 Vgl. u. a. Matthews 1974; Matthews 1975; Clark 1991; Clark 1992; Rebenich 1992; Morgenstern 1993; Fürst 1999; Conring 2001; Mratschek 2002; Van Dam 2003; Cain 2009; Luchner 2008; Luchner 2010; Schor 2007; Schor 2009; Schor 2011. 42 Siehe u. a. Fabre 1949; Vischer 1953b; Lienhard 1990; White 1992; Pizzolato 1993; Konstan 1996b; Cassidy 1999; Fürst 1999; Konstan 2000; Carmichael 2004. Für die nichtchristliche Konzeption von Freundschaft ist auf die Studie von Schramm 2013 hinzuweisen, der sich mit dem Einfluss des Neuplatonismus auf die philia-Konzeption u. a. in den Schriften Julians und Themistius’ beschäftigt hat. 43 Vgl. Treu 1972, 435 f. 44 Siehe Pétré 1948. 45 Zur Freundschaftsterminologie im Neuen Testament vgl. Harnack 2018 [1924], 433– 436; Treu 1972, 425 f.; White 1992, 48–53 und bes. Mitchell 1997, der seine Untersuchung nicht auf die Freundschaftsbegrifflichkeit beschränkt, sondern auf Freundschaftstopoi auswei-

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same Vaterschaft Gottes verstanden sich die Christen gegenseitig als Brüder und Schwestern.46 Das schloss Freundschaft nicht prinzipiell aus. So spricht Ambrosius von der amicitia cum fratribus.47 Aufgrund der Unterschiede zwischen der bedingungslosen Nächstenliebe und der auf Gegenseitigkeit beruhenden klassischen Freundschaft haben sich zahlreiche Studien mit der Frage auseinandergesetzt, wie christliche Autoren klassische Freundschaftstheorien rezipierten und gegebenenfalls adaptierten, um sie mit der christlichen Lehre in Einklang zu bringen. Die Schriften von Augustinus haben dabei besonders viel Aufmerksamkeit erhalten.48 Ein wichtiger Aspekt der christlichen Theoriebildung war die Umdeutung des klassischen Tugendbegriffes (virtus / ἀρετή). Das Ideal der Tugendfreundschaft verband nun nicht mehr die sittlich guten Menschen, sondern diejenigen, die sich im christlichen Glauben und in der christlichen Lebensweise auszeichneten. Adrian Brändli hat in einer diachronen Studie zum Freundschaftsbegriff im Westen des Römischen Reiches zu Recht darauf hingewiesen, dass sich theoretische Reflexion und soziale Praxis immer interdependent entwickelten und dass angesichts der zahlreichen theologischen Debatten im vierten und fünften Jahrhundert das Bedürfnis nach Exklusion die Theoriebildung genauso sehr beeinflusste wie die Notwendigkeit zur Inklusion.49 In der Realität erreichte die christliche Nächstenliebe ihre Grenze dort, wo Häretiker, die zu Feinden Gottes stilisiert wurden, betroffen waren.50 Zur Konstituierung von christlicher Freundschaft war die recta fides zentral, wie Stefan Rebenich an der Auseinandersetzung zwischen Hieronymus und Augustinus exemplarisch gezeigt hat.51 An diese Ergebnisse werden meine Untersuchungen anschliessen. Bei der Betrachtung der bisherigen Forschung zum Thema der spätantiken Freundschaft fällt zum einen auf, dass Studien zu Freundschaftstheorien stärker vertreten sind als solche, welche die soziale Praxis berücksichtigen. Zum anderen ist ein eindeutiger Schwerpunkt auf den westlichen Autoren und damit auf dem tet. S. auch Klauck 1991. Zum Thema der Gottesfreundschaft vgl. Peterson 1923; Treu 1972, 424; Treu 1981; Konstan 1996b, 95. 46 Harnack 2018 [1924], 436. S. zur Bruderterminologie auch Schelkle 1954 und bes. Dujarier 1991. 47 Ambr. off. 3.132. Zu Freundschaft bei Ambrosius vgl. Brändli 2016, 119–168. 48 Vgl. u. a. McNamara 1958; Monagle 1971; Pizzolato 1974; Brechtken 1975; McEvoy 1986; Cassidy 1992; Fürst 1999 und Rebenich 2012 mit weiteren Literaturhinweisen. 49 Brändli 2016. 50 Vgl. Brändli 2013, der gezeigt hat, dass sich bereits Cyprian des klassischen FreundFeind-Schemas bediente, um Häretiker als Feinde Gottes aus der Brudergemeinschaft auszuschliessen. 51 Rebenich 2008a; Rebenich 2009; Rebenich 2012.

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lateinischen Konzept der amicitia feststellbar. So ist bislang das umfangreiche Briefkorpus des Libanius noch nicht systematisch auf die Frage nach der Bedeutung von philia als soziale Beziehung ausgewertet worden.52 Weiter ist festzustellen, dass im letzten Jahrzehnt zwar eine Reihe von Studien zur performativen Funktion von amicitia in der römischen Republik und der frühen Kaiserzeit veröffentlicht wurden, die Frage nach der Performanz von Freundschaft in der Spätantike jedoch bislang weder für nicht-christliche noch für christliche Beziehungen gestellt worden ist.53 Auch Interaktionsformen zwischen den verschiedenen Eliten des Imperium Romanum sind bislang noch nicht eingehend untersucht worden. Hier möchte die vorliegende Studie, die Freundschaft bei Libanius sowie den Kappadokiern und Johannes Chrysostomus untersuchen wird, einsetzen. Mit den gewählten Autoren wird der Blick auf die zweite Hälfte des vierten Jahrhunderts gelenkt. Die Untersuchung von Zeugnissen, die zeitlich nah beieinander liegen, ermöglicht den synchronen Vergleich von Freundschaftsvorstellungen im christlichen wie im nicht-christlichen Kontext. Auch von den Kappadokiern und Johannes Chrysostomus sind umfangreiche Briefsammlungen erhalten. Ihnen kommt für die Rekonstruktion des Freundschaftskonzeptes im christlichen Kontext dieselbe Bedeutung zu wie den Werken des Libanius im nicht-christlichen Bereich.

2. Kommunikation unter Freunden und die Performanz von Nähe und Distanz Im Zentrum dieser Arbeit stehen zwei miteinander verbundene Fragen: Erstens soll versucht werden, das soziale Konzept der philia und die Bedeutung dieser Beziehungsform im vierten Jahrhundert näher zu fassen. Zweitens sollen die Formen der Kommunikation unter Freunden und die Möglichkeiten, unterschiedliche Grade von Nähe und Distanz auszudrücken, rekonstruiert werden. Beide Aspekte sollen sowohl im paganen wie im christlichen Milieu untersucht und miteinander verglichen werden. Daraus ergibt sich drittens die Frage nach dem Einfluss der zunehmenden Christianisierung auf die Bildung von sozial und poli-

52 Auch Bradbury 2006 hat in dem einzigen zum Thema vorliegenden Aufsatz auf das Forschungsdesiderat hingewiesen. Bradbury 2004a; Bradbury 2014 und Sandwell 2007a verweisen auf die Bedeutung der Netzwerke für Libanius. 53 So widmet Kritzinger 2016, 70–73 in seiner Studie zu Repräsentationsformen von Bischöfen den Beziehungen zwischen dem christlichen Gemeindeoberhaupt und den sozialen Eliten lediglich drei Seiten und kommt über Gemeinplätze nicht hinaus.

2. Kommunikation unter Freunden und die Performanz von Nähe und Distanz

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tisch wirksamen Netzwerken. Im Folgenden sind jedoch zunächst die zentralen Begriffe und das theoretische Instrumentarium dieser Arbeit kurz vorzustellen und die erkenntnisleitenden Fragen und Thesen zu präzisieren. Diese Arbeit verwendet den Begriff «Freundschaft», um freiwillig eingegangene interpersonale Beziehungen zwischen Gleichrangigen oder annähernd Gleichrangigen zu bezeichnen. Dabei wird Freundschaft «als ein cluster sozialer Praktiken» verstanden,54 die in Bezug auf das vierte Jahrhundert im Rahmen dieser Arbeit eruiert werden müssen. Freundschaft dient somit als heuristischer Begriff. Welche Erwartungen und Normen mit spätantiker Freundschaft verbunden waren, soll diese Arbeit klären. Um Freundschaft als soziales Konzept zu fassen, wird zunächst auf Methoden der historischen Semantik zurückgegriffen, wie sie insbesondere von Reinhart Koselleck geprägt worden sind.55 Der Fokus wird auf den Begriffen φιλία und ἀγάπη liegen. Es wird jedoch das breitere Wortfeld in die Untersuchung mit einbezogen, indem alle Begriffe des Stammes φιλ- und ἀγαπ- untersucht und implizit auch Stellen mit einbezogen werden, in denen bedeutungsverwandte Begriffe wie beispielsweise συνήθεια, ἑταῖρος, γνώριμος und ἀδελφός vorkommen. Über die begriffsgeschichtliche Methode können auch Verbindungen mit anderen Konzepten, wie beispielsweise χάρις, erfasst und analysiert werden. Die einzelnen Belegstellen werden dabei nicht lexikalisch aneinandergereiht, sondern immer in ihrem konkreten historischen Kontext interpretiert und ausgewertet. Die Untersuchung wird sich an folgenden erkenntnisleitenden Fragen orientieren: Was wurde im vierten Jahrhundert unter philia verstanden? Mit welchen Erwartungshaltungen, Normen und Konventionen war philia verbunden? Wie wurden philiai konstituiert und zwischen wem konnten sie bestehen? Welche Bedeutung hatte die Religion für die Konstituierung von Freundschaftsbeziehungen? Wie veränderte sich philia durch die zunehmende Christianisierung des Römischen Reiches? Und wie verhielt sich philia zur christlichen agape? Daneben interessieren die Formen der Kommunikation, die mit philia verbunden waren. Unter «Kommunikation» wird dabei nicht die Nachrichtenübermittlung von A nach  B verstanden, sondern in Anlehnung an Niklas Luhmann eine wechselseitige Bezugnahme von zwei oder mehr Akteuren. Damit Kommunikation entstehen kann, muss eine Information vorhanden sein, die mitgeteilt und als Mitteilung verstanden wird.56 Kommuniziert werden kann verbal und nonver-

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Vgl. Grätz/Meier/Pelican 2003, 5 mit Verweis auf Carrier 1999, 35. Siehe u. a. Koselleck 1972; Koselleck 1979; Koselleck 2006. Vgl. auch Steinmetz 2008; Joas/Vogt 2011; Müller/Schmieder 2016; Steinmetz/Freeden/Fernández-Sebastián 2017. 56 Vgl. Luhmann 1984, 191–200; Luhmann 2008, 111. S. auch Schlögl 2004, 11; Stoll55

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bal. Mithin können auch Gesten und Handlungen Kommunikationsakte sein. Dabei muss das, was mitgeteilt, und das, was verstanden wird, nicht identisch sein. Jedoch setzt erst eine Reaktion, auch eine ablehnende, Kommunikation in Gang. Kommunikation ist somit immer ein reziprokes Geschehen. Vorausgesetzt wird meistens, dass die beteiligten Akteure ein gewisses Repertoire an Zeichen und Regeln kennen und teilen, so dass Verständigung möglich ist. Dazu gehören die Sprache, aber auch weitere nichtverbale Zeichensysteme. Nur wenn die kulturellen Codes bekannt sind, können sie einerseits gedeutet und reproduziert, andererseits bewusst gebrochen oder verändert werden. Da sich Kommunikation an kollektiven Normen orientiert, ist sie nie zeitlos, sondern immer eingebunden in grössere historische und soziale Zusammenhänge. Kommunikation ist performativ, indem sie durch sich selbst sowohl überindividuelle Strukturen bestätigt als auch neue schafft. Wie Barbara Stollberg-Rilinger betont hat, folgt «aus der Reziprozität, Kollektivität und Performativität […], dass Kommunikationsakte immer auch Akte der Konstituierung und Selbstverständigung einer Gruppe sind. Aus den Kommunikationsakten lassen sich Regeln konstituieren, die ihnen zugrunde liegen und über die sich eine Gruppe definiert.»57 Zur Erforschung von Freundschaft eignet sich der Zugang über die Frage nach der Kommunikation deshalb besonders gut, da damit diejenigen sozialen Praktiken in den Blick kommen, die philia ausmachen. In dieser Arbeit interessiert besonders, welche Formen der Kommunikation unter Freunden erwartet wurden. Gab es spezifische Kommunikationsakte, die philia konstituierten? Konnten über die Form und die Häufigkeit von Interaktionen graduelle Abstufungen der Verbundenheit und der Verbindlichkeit zum Ausdruck gebracht werden? Und ganz allgemein: Wie sichtbar waren Freundschaften? Kommunikation setzt unmittelbare oder mittelbare Anwesenheit voraus. Nur wer anwesend ist oder als anwesend wahrgenommen wird, kann sich an der Kommunikation beteiligen. Interaktion wird daher nach Luhmann als Kommunikation unter Anwesenden definiert.58 In Bezug auf die Spätantike sind wir mit der Situation konfrontiert, dass ein Grossteil der bekannten Beziehungen nicht zwischen Anwesenden gepflegt wurde, sondern über das Medium des Briefes zwischen Freunden, die in verschiedenen Regionen des Imperium Romanum lebten. In der Analyse der Kommunikationsformen wird in dieser Studie deshalb zwischen der Kommunikation unter Anwesenden und der Kommunikation mit

berg-Rilinger 2004, 493. Im Folgenden orientiere ich mich weitgehend an StollbergRilinger 2004. 57 Stollberg-Rilinger 2004, 496. 58 Luhmann 1997, 815; Kieserling 1999.

2. Kommunikation unter Freunden und die Performanz von Nähe und Distanz

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Abwesenden unterschieden.59 Während bei der Kommunikation unter Anwesenden ein ganzes Repertoire an Interaktionsformen zur Verfügung stand, war die Kommunikation mit Abwesenden eingeschränkter. Sie musste über Stellvertreter erfolgen, sei es in Form von Briefen oder Boten. Dies eröffnete wiederum Strategien, um Abwesende in die Kommunikation unter Anwesenden zu integrieren, die ebenfalls Teil dieser Untersuchung sein sollen. In Bezug auf die Kommunikation mit An- sowie mit Abwesenden stehen überdies die Fragen nach der Sichtbarkeit dieser Beziehungen und nach den Möglichkeiten, über die Kommunikation graduelle Abstufungen von Nähe zum Ausdruck zu bringen, im Zentrum des Interesses. Wenn ich in diesem Zusammenhang von «Performanz» spreche, bediene ich mich eines Begriffes, der sich in den letzten Jahrzehnten «von einem terminus technicus der Sprechakttheorie zu einem umbrella term der Kulturwissenschaften verwandelt» hat, wie Uwe Wirth die ubiquitäre und unspezifische Verwendung dieses Konzeptes auf den Punkt gebracht hat.60 Entsprechend werden unter dem Performanzbegriff verschiedene Theorien subsumiert, die je nach Fachgebiet und Autor auf ganz unterschiedliche Aspekte fokussieren. Jürgen Martschukat und Steffen Patzold haben sich der Anwendung dieser Theorieangebote für die Geschichtswissenschaft angenommen. Ich folge ihrer Definition, wonach die Performanztheorie besagt, «dass Bedeutung im Augenblick des Äusserns, Aufführens, des Sich-Verhaltens selbst hervorgebracht, also stets neu in actu, im Zusammenspiel aller Beteiligten generiert» wird.61 Dieser Aspekt ist für Freundschaften besonders wichtig, da sie nie als gegeben vorausgesetzt werden können, sondern im Gegensatz zu Verwandtschaft kontinuierlicher Bestätigung bedürfen, um weiterhin zu existieren. Über die Performanz von Freundschaft können graduelle Abstufungen zum Ausdruck gebracht werden. In der Kommunikation liegt somit die Möglichkeit, Veränderungen wie Bestätigungen einer philia zu inszenieren. Zur Bezeichnung der graduellen Abstufungen von Beziehungen verwende ich die relativen Begriffe der «Nähe» und «Distanz». Im Gegensatz zu In- und Exklusion sind die beiden Begriffe nicht absolut zu verstehen und implizieren damit, dass es nicht immer eine klare Grenzziehung gibt. Während bei Gruppen mit eindeutigen Kriterien der Zugehörigkeit – so etwa bei christlichen Gemeinschaften – von In- und Exklusion gesprochen werden kann, sind Nähe und Distanz als Begriffe, die graduelle Abstufungen bezeichnen können, besser geeignet, um die Dynamik von Freundschaftsbeziehungen zu erfassen. 59

Dass die Frage nach An- und Abwesenheit neue Perspektiven auf soziale Interaktionen werfen kann, haben z. B. Habenstein 2015 und Leppin 2018 gezeigt. 60 Wirth 2002, 10. 61 Martschukat/Patzold 2003, 27.

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I. Einleitung

Nähe bedeutet philia. Nähe ist jedoch nicht absolut, sondern man kann mehr oder weniger nah sein. Stellt man sich eine Linie vor, so wäre auf der einen Seite Distanz, auf der anderen Seite Nähe verortet. In der Mitte könnte man eine Neutralitätszone definieren. Alle Beziehungen, die zwischen dieser Neutralitätszone und Nähe anzusiedeln sind, würden als Freundschaft bezeichnet. Wird absolute Distanz zum Ausdruck gebracht und nicht nur eine relative Distanzierung, so ist von Feindschaft auszugehen. Relative Distanzierung liegt dann vor, wenn ein früherer Freund beispielsweise nicht mehr in den Genuss von Interaktionen kommt, die eine besondere Nähe symbolisieren, jedoch grundsätzlich noch an Kommunikationen partizipiert, die für Freundschaft stehen. Die Performanz von Nähe und Distanz sowie die gewählten Kommunikationsformen waren in der Spätantike von mehreren Bedingungen abhängig. Wie Kommunikation ablief, bestimmte nicht nur die individuelle Nähe zwischen zwei Personen, sondern auch ihre gesellschaftliche Stellung. Diesen letzten Aspekt möchte ich als formalisierte Nähe bezeichnen. Die meisten Interaktionsformen inszenierten nicht nur individuelle, sondern immer auch formalisierte Nähe oder Distanz. Jeweils nach dem hierarchischen Verhältnis, in dem zwei Personen zueinanderstanden, wurde individuelle Nähe anders ausgedrückt. Individuelle Nähe ist dabei nicht mit einer affektiven Bindung gleichzusetzen. Vielmehr bedeutete individuelle Nähe, dass eine starke philia-Beziehung vorlag. Diese konnte in der hier interessierenden Epoche durchaus auf persönlicher Sympathie beruhen; es wirkten jedoch auch andere Elemente verbindend, und eine emotionale Verbundenheit war kein zwingendes Kriterium für eine philia, wie im Laufe dieser Arbeit zu zeigen sein wird. Besondere Bedeutung erlangte im innerchristlichen Diskurs die Übereinstimmung in dogmatischen Fragen. In diesem Zusammenhang werde ich von theologischer Nähe sprechen. Auch die theologische Nähe wirkte sich auf die Performanz von individueller wie auch von formalisierter Nähe aus. Die Frage nach der Performanz von Nähe und Distanz bedingt, dass vor allem diejenigen Aspekte der Kommunikation betrachtet werden, die als symbolisch zu klassifizieren sind. Während instrumentelle Kommunikation einen bestimmten Zweck verfolgt, liegt der Sinn symbolischer Kommunikation bereits im Akt der Kommunikation an sich.62 Meistens kommen jedem Kommunikationsakt mehrere Funktionen zu: Ein Teilnehmer an einer morgendlichen Begrüssung wollte den Anlass womöglich nutzen, um dem Hausherrn eine Bitte vorzutragen. Gleichzeitig symbolisierte aber bereits die Teilnahme an der salutatio das Ver62 Zur Definition von symbolischer Kommunikation vgl. bes. Stollberg-Rilinger 2004, 496–502, hier 498. S. auch Goldbeck 2010, 19 f. zur Anwendung dieser Unterscheidung auf die salutationes in Rom.

3. «One uses what one has, and there is work to be done»

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hältnis, das zwischen Besucher und Besuchtem bestand. Dem Erkenntnisinteresse der vorliegenden Arbeit entsprechend wird der Schwerpunkt auf die zweite Funktion gelegt, die Einbettung in den grösseren Kontext soll aber nicht ausser Acht gelassen werden. Bei der Betrachtung von Kommunikation haben Historiker immer das Problem, dass sie diese Interaktionen nicht unmittelbar miterleben können, sondern auf Berichte ihrer Quellen angewiesen sind.63 Diese filtern das Erlebte und geben nur das wieder, was für ihr Narrativ von Bedeutung war. Vieles, was ihren Zeitgenossen selbstverständlich erscheinen musste, wurde ausgelassen. Vor allem Beziehungen und Kommunikationsakte, die nicht alltäglich waren, wurden betont. Ob Kommunikationen so abliefen, wie sie in den uns verfügbaren Quellen erzählt werden, kann in den meisten Fällen nicht mit Sicherheit bestimmt werden. Es wird jedoch von der Prämisse ausgegangen, dass selbst beim Nacherzählen oder Umdeuten von Kommunikationen auf ein Zeichensystem zurückgegriffen werden musste, das für die Zeitgenossen verständlich war. Berichte über Interaktionen stellen zugleich einen eigenen Kommunikationsakt mit neuen Beteiligten dar. Die Performanz von Nähe oder Distanz fand nicht nur unmittelbar vor den Anwesenden statt, sondern konnte über Reden und Briefe mündlich wie schriftlich weiterverbreitet werden. Soweit wie möglich wird dem Kontext dieser sekundären Verbreitung bei der Auswertung der Quellen Rechnung getragen. Es wird in erster Linie jedoch darum gehen, überhaupt diejenigen Kommunikationsformen zu eruieren, welche die An- und Abwesenden über eine vorhandene Beziehung informierten.

3. «One uses what one has, and there is work to be done»64 Mit Libanius, Basilius von Caesarea, Gregor von Nazianz, Gregor von Nyssa und Johannes Chrysostomus wurden für diese Studie fünf Autoren ausgewählt, die geographisch und zeitlich in unmittelbarer Nähe zu verorten sind. Die Analyse von fünf zeitgleich schreibenden Autoren ermöglicht eine repräsentative Erforschung von Freundschaft im Osten des Imperium Romanum. Libanius (ca. 314–393) und Johannes Chrysostomus (ca. 344/349–407) lebten beide in Antiochia, der Hauptstadt der römischen Provinz Syrien. Zwar ist kein direkter Kontakt zwischen ihnen nachweisbar, es ist aber davon auszugehen, dass sie sich gekannt haben. Auch die Berichte der Kirchenhistoriker, wonach Chrysostomus die Rhetorikschule des 30 Jahre älteren Libanius besucht habe, klingen 63 64

Siehe Stollberg-Rilinger 2004, 496; Martschukat/Patzold 2003, 27. Syme 1968, 145 (= Syme 1979, 711).

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I. Einleitung

durchaus plausibel.65 Die drei Kappadokier stammten alle, wie schon der Name besagt, aus derselben Region und waren untereinander eng vernetzt. Basilius von Caesarea (ca. 330–379) und Gregor von Nyssa (ca. 335–394) waren Brüder, Gregor von Nazianz (ca. 329–390) ein Freund von ihnen. Wahrscheinlich standen sie auch mit Libanius in Kontakt. Ein erhaltener Briefwechsel zwischen Libanius und Basilius wird jedoch zumindest in Teilen als spätere Fälschung betrachtet.66 Ob die Protagonisten dieser Arbeit einander kannten oder nicht, ist für die Untersuchung allerdings von untergeordneter Bedeutung. Es wird nicht darum gehen, spezifische Beziehungen nachzuzeichnen, sondern allgemeine Elemente der Kommunikation unter Freunden zu identifizieren. Wichtiger sind deshalb die augenscheinlichen Gemeinsamkeiten und Unterschiede der zu betrachtenden Autoren: Es ist festzuhalten, dass alle eine vergleichbare soziale Herkunft aufwiesen, indem sie zu den sozialen Eliten ihrer Städte gehörten und in den Genuss einer guten Ausbildung kamen. Während jedoch Libanius ein überzeugter Anhänger der traditionellen griechischen Kulte und Götter war, bekannten sich die Kappadokier und Johannes Chrysostomus zum christlichen Glauben. Die Autoren werden deshalb in zwei Fallstudien untersucht. Zunächst wird Libanius als Vertreter der paganen Elite betrachtet (Teil II.), während im Anschluss (Teil III.) die christlichen Autoren untersucht werden. Dass den vier christlichen Autoren somit nur ein einziger Repräsentant der paganen Elite gegenübersteht, ist der Überlieferungslage geschuldet. Im Osten des Imperium Romanum haben sich aus dem vierten Jahrhundert nur zwei nichtchristliche Briefsammlungen erhalten: diejenige des Kaisers Julian und diejenige des Libanius. Die Briefe Julians werden in dieser Untersuchung zwar berücksichtigt, aber immer unter dem Vorbehalt, dass sie als kaiserliche Schreiben nicht als repräsentativ für die Interaktion zwischen den sozialen Eliten gelten können. Ein Verlust ist es sicherlich, dass sich von dem Politiker und Philosophen Themistius keine Briefe erhalten haben. Er wird uns in dieser Arbeit aber zumindest als Korrespondent von Libanius begegnen.67 Auch wenn Libanius folglich weitgehend als einziger Repräsentant nichtchristlicher Provenienz gelten muss, so ist die Quellenlage keineswegs schlecht: Libanius’ Briefsammlung umfasst mehr als 1500 Episteln und damit doppelt so viele, wie von allen vier christlichen Autoren zusammen erhalten sind. Die Briefe des Libanius sind immer noch erst teilweise übersetzt. An vielen Stellen werden

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Socr. 6.3.1–4; Soz. 8.2.2–7. Vgl. Malosse 2008a. Zur Forschungsdiskussion vgl. Wintjes 2005, 24 Anm. 47; Nesselrath 2010; Nesselrath 2012, 126 f. und Van Hoof 2016. 67 Themistius verfasste eine Rede über die Freundschaft (or. 22), die Schramm 2013 ausführlich diskutiert hat. 66

3. «One uses what one has, and there is work to be done»

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daher Zeugnisse vorgestellt, die bislang kaum erforscht worden sind. Die Briefe stellen die wichtigste Quelle dar, um Freundschaftskommunikation zu analysieren, da sie einerseits selbst ein Kommunikationsakt sind und andererseits oftmals über philia reflektieren. Wichtige Hinweise finden sich aber auch in der Autobiographie (or.  1) des Libanius sowie in denjenigen seiner orationes, welche an imperiale Beamte gerichtet sind und Bezug auf persönliche Interaktionen nehmen, wie in der eingangs zitierten Rede an Caesarius. Bei den christlichen Autoren werden ebenfalls Briefe als Quellen herangezogen, die bislang in der Forschung nicht intensiv bearbeitet worden sind. Dass Heiden und Christen in zwei separaten Fallstudien behandelt werden, soll keine gesellschaftliche Trennung entlang der Religionsgrenzen implizieren.68 Vielmehr wird die Arbeit zeigen, dass zahlreiche interreligiöse Verbindungen vorhanden waren. Bei den christlichen Autoren sollen immer sowohl Beziehungen zwischen Christen und Nicht-Christen als auch Beziehungen unter Klerikern betrachtet werden. Damit wird auch zwischen verschiedenen Kontexten geschieden, in welchen die Kommunikationen stattfanden; behelfsmässig lassen sich diese als «weltlich» und «kirchlich» beschreiben. Wenn nachfolgend von der Kommunikation unter Freunden die Rede ist, dann ist damit die Kommunikation zwischen den Angehörigen der sozialen Eliten gemeint. Das bedeutet, dass die Interaktion von Bischöfen mit einfachen Bevölkerungsschichten im Rahmen von karitativen Projekten oder im Gottesdienst nicht betrachtet wird, da diese Personen nicht über philia miteinander verbunden waren. Die beiden Fallstudien, die hier präsentiert werden, sind weitgehend analog aufgebaut, um die Ergebnisse, die sich aus der Analyse des Libanius und der christlichen Autoren ergeben, auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede prüfen zu können. Der zweite Teil (II.) der Arbeit ist Libanius gewidmet. Da er als einziger Vertreter der paganen Elite untersucht wird, ist es notwendig, seine soziale Stellung möglichst genau zu beschreiben. Die Frage, welche Beziehungen bei Libanius überhaupt fassbar sind, ist ebenfalls zu klären. Dies soll im ersten Kapitel (II.1.) geschehen. Im zweiten Kapitel (II.2.) folgt dann eine begriffsgeschichtliche 68 Auch wenn in dieser Arbeit die Begriffe «Christen», «Heiden» und «Pagane» verwendet werden, soll damit keineswegs impliziert werden, dass es sich dabei um statische Gruppen handelt. Insbesondere der Begriff «Heide» stellt eine Fremdbeschreibung dar, die den vielfältigen poly- und monotheistischen Glaubensformen und -praktiken, die mit der griechisch-römischen Religion verbunden sind, nicht gerecht wird. Dass sich Akteure nicht nur über ihre Religionszugehörigkeit definierten, sondern verschiedene Identitätsangebote gleichzeitig nutzten, hat z. B. Rebillard 2012; Rebillard 2015 gezeigt und wird nicht zuletzt auch in dieser Studie immer wieder deutlich.

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I. Einleitung

Untersuchung, um das soziale Konzept der philia bei Libanius zu analysieren. Die Normen und Erwartungen, die an philia gerichtet waren, werden rekonstruiert und die Elemente, die konstituierend und vertrauensbildend wirkten, herausgearbeitet. Es ist zu fragen, zwischen wem philiai entstehen konnten und welche Bedeutung diese Beziehungen für den eigenen sozialen Status hatten. Auch der Umgang mit religiösen Differenzen soll an dieser Stelle diskutiert werden. Im dritten Kapitel (II.3.) werden verschiedene Formen der Kommunikation unter Anwesenden betrachtet, die Aufschluss über eine Beziehung geben konnten. Der Fokus wird auf der salutatio, auf Nachmittagsbesuchen, Gastmählern, dem gemeinsamen Baden und Begrüssungsformen liegen. Es folgt im vierten Kapitel (II.4.) eine Analyse der Kommunikation mit Abwesenden. Hier ist zu fragen, wie über das Medium des Briefes Nähe und Distanz ausgedrückt werden konnten. Im dritten Teil (III.) stehen die christlichen Autoren im Mittelpunkt. Auch hier erfolgt im ersten Kapitel (III.1.) zunächst eine kurze soziale und historische Verortung der Akteure, bevor im zweiten Kapitel (III.2.) die Begriffe philia und agape untersucht werden. Ziel ist es einerseits, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu den bei Libanius identifizierten Normen und Erwartungen an philia herauszuarbeiten. Andererseits soll nach der Bedeutung des christlich konnotierten Begriffes agape im Kontext von Freundschaftsnetzwerken gefragt werden. Im dritten Kapitel (III.3.) zur Kommunikation unter Anwesenden steht die Frage im Mittelpunkt, an welchen Regeln und Normen sich Christen – und insbesondere Kleriker – orientierten, wenn sie einerseits mit weltlichen Eliten und andererseits untereinander interagierten. Bei der Analyse der Kommunikation mit Abwesenden im vierten Kapitel (III.4.) soll schliesslich geklärt werden, welche Bedeutung der Brief im klerikalen Kontext hatte und wie er dazu genutzt werden konnte, um theologische Debatten auszutragen und um In- sowie Exklusion auszudrücken.

II. Libanius 1. Libanius als Vertreter der paganen Elite Es gibt keinen Autor aus dem griechischen Osten des Imperium Romanum im vierten nachchristlichen Jahrhundert, über den wir besser unterrichtet wären als über Libanius. Nicht weniger als 1544 Briefe, 64 Reden sowie zahlreiche Deklamationen und Progymnasmata sind von ihm überliefert.1 Seine Schriften, darunter insbesondere die autobiographische erste Rede, bieten hinreichende Informationen, um die wichtigsten Stationen seines Lebens nachzuzeichnen:2 Libanius wurde im Jahr 314 als Sohn einer bedeutenden kurialen Familie in Antiochia am Orontes geboren.3 Er wuchs auf einem Landgut in der Nähe der syrischen Metropole auf, die im vierten Jahrhundert zu den grossen und florie1 Die massgebende Edition von Libanius’ Schriften ist R.  Foerster, Libanii Opera, vol. 1–12, Leipzig 1903–1922. Die verstreuten und immer noch nur partiell verfügbaren Übersetzungen zu Libanius sind bei Van Hoof 2014a in den Appendices B–E aufgelistet. Zu ergänzen ist die Liste seither mit R. Cribiore, Between City and School. Selected Orations of Libanius (Translated Texts for Historians Bd. 65), Liverpool 2015; U. Lempp, Libanios. Musterreden. Eingeleitet, übersetzt und kommentiert (BGL 78), Stuttgart 2015; A. Pellizzari, Maestro di retorica, maestro di vita. Le lettere teodosiane di Libanio di Antiochia, Rom 2017 und R. J. Penella, Libanius. Ten Mythological and Historical Declamations. Introduction, Translation, and Notes, Cambridge 2020. Einen Einstieg in die verschiedenen Gattungen des libanischen Œuvres mit weiterführender Literatur bieten Cabouret 2014 (Epistulae); Malosse 2014 (Orationes); Penella 2014 (Declamationes) und Gibson 2014 (Progymnasmata). 2 In dieser Überlieferungssituation liegt auch die grösste Schwierigkeit in der Beschäftigung mit Libanius: Die meisten Informationen stammen von ihm selbst. Ein Korrektiv von aussen fehlt weitgehend. Als zeitnahe Quelle hat sich eine kurze Lebensbeschreibung in den Philosophen- und Sophistenviten des Eunapius von Sardis erhalten, der jedoch selbst in weiten Teilen auf Libanius’ Schriften zurückgreift und ein sehr zwiespältiges Porträt des antiochenischen Sophisten hinterlässt, das von persönlicher Antipathie geprägt ist. Eine kritische Beurteilung von Eunapius als Quelle für Libanius findet sich u. a. bei Penella 1990, 100–107 und Swain 2004, 373–379. Zu Libanius’ Leben s. die Darstellungen von Sievers 1868; Wintjes 2005; Nesselrath 2008; Nesselrath 2012 sowie die präzisen Analysen in Petit 1955 und Liebeschuetz 1972. Zur Interpretation von Libanius’ Autobiographie vgl. die Kommentare von Norman 1965 und Martin/Petit 1979 sowie Leppin 2011; Liebeschuetz 2006a; Schouler 1993 und insbesondere Van Hoof 2011 und Van Hoof 2014b. Die Autobiographie wurde nachweislich in mehreren Etappen verfasst und weist ein hohes Mass an Selbststilisierung auf. 3 Angaben zu seinem Geburtsjahr macht Libanius in or. 1.139; 1.143 und ep. 1036.9. Vgl. Norman 1992 (Vol. 2), 405 Anm. k.

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II. Libanius

renden Städten im Osten des Römischen Reiches gehörte.4 Libanius genoss in seiner Heimatstadt eine erste Ausbildung in der griechischen Sprache und Literatur, bevor er 336 nach Athen ging, um seine rhetorischen Fähigkeiten zu vervollständigen. Die traditionsreiche Stadt zog die bildungshungrigen Söhne wohlhabender Familien aus dem gesamten griechischsprachigen Osten des Römischen Reiches an. Somit stellte Athen als prestigeträchtige Ausbildungsstätte auch einen wichtigen Ort der sozialen Vernetzung für die jungen Erwachsenen dar.5 Libanius weilte knapp fünf Jahre hier.6 Dann schlug er die Karriere eines Sophisten ein; das heisst, er versuchte seinen Lebensunterhalt fortan damit zu bestreiten, dass er griechische Rhetorik unterrichtete und öffentliche Reden hielt.7 Es gelang ihm rasch, sich durch verschiedene Auftritte einen Namen als Redner zu machen. Er übersiedelte um 340/341 nach Konstantinopel, wo er seine erste eigene Rhetorikschule eröffnete. Konstantinopel war eine prosperierende Stadt, die durch die Förderung von Konstantin und Constantius II. zu einem politischen und kulturellen Zentrum wurde. Für einen Lehrer waren dies ideale Bedingungen.8 Libanius konnte zudem auf familiäre Kontakte zurückgreifen, was mit dazu beitrug, dass sich seine Schule schnell regen Zustroms erfreute.9 Der Erfolg brachte allerdings auch Neider auf den Plan, und Libanius sah sich nach Anklagen wegen Magie gezwungen, Konstantinopel zu verlassen.10 Er erhielt zunächst eine Stelle

4 Lib. or. 1.4–5. Zu Antiochia vgl. u. a. Brands 2016; Brands 2018; Cabouret/Gatier/ Saliou 2004; Casana 2004; De Giorgi 2016; Downey 1961; Downey 1963; Festugière 1959; Kondoleon 2000; Liebeschuetz 1972; Liebeschuetz/Kennedy 1988; Petit 1955; Saliou 2006; Saliou 2012; Saliou 2018. 5 Zur Bedeutung Athens als Ausbildungsstätte in der Spätantike vgl. Watts 2006, bes. 24–47; Malosse/Schouler 2009, 172 f. 6 Zu Libanius’ Zeit in Athen vgl. seine Schilderung in or. 1.16–27. Libanius scheint sich schnell durch sein Talent ausgezeichnet zu haben: Als der amtierende Statthalter wegen Studentenunruhen drei Lehrstuhlinhaber absetzen und durch neue Kandidaten ersetzen wollte, gehörte Libanius als erst 25-Jähriger zu den Nominierten. So unverhofft wie die Chance auf einen dieser angesehenen Lehrstühle kam, verpuffte sie allerdings auch wieder, da den Sophisten verziehen wurde und sie ihre Stellen behalten konnten (Lib. or. 1.24–25; vgl. hierzu Watts 2006, 45 f.). Zu Libanius’ Darstellung von Athen in der Autobiographie vgl. Van Hoof 2011, 194–196; 201. 7 Zu den Tätigkeiten von Sophisten und ihrer sozialen Stellung vgl. weiter unten II.1.1. 8 Zur Attraktivität von Konstantinopel für Lehrer vgl. Lib. or. 1.30; 1.79. 9 Lib. or. 1.36–37. Libanius’ Start in Konstantinopel war zunächst etwas schwierig, doch nicht zuletzt dank der Kontakte des Familienfreundes Flavius Dionysius (PLRE I, 259 f. [Dionysius  11]), ehemaliger consularis Syriae in Antiochia, scheint Libanius innert Kürze eine beachtliche Anzahl von Schülern versammelt zu haben. Die Bedeutung des familiären Netzwerkes für die Karriere von Libanius wird hier ersichtlich. Vgl. hierzu auch II.1.2. 10 Lib. or. 1.43–47. Vgl. hierzu ausführlicher Wintjes 2005, 81–87. Eunapius (vit. soph. 16.1.7–8) berichtet überdies von Vorwürfen der Päderastie, die möglicherweise ebenfalls

1. Libanius als Vertreter der paganen Elite

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in Nicaea, wo er für kurze Zeit unterrichtete, bevor er einen Lehrstuhl in Nicomedia annahm.11 In Nicomedia – eine Stadt, die zeitweise ebenfalls Kaiserresidenz gewesen war – verbrachte Libanius nach eigener Schilderung fünf erfolgreiche Jahre. Dann berief ihn ein kaiserlicher Erlass zurück nach Konstantinopel, wo er einen öffentlichen Lehrstuhl erhielt und ihm ein zusätzliches Ehrendekret des Senates weitere Einkünfte zusprach.12 Trotz dieser Ehren fand Libanius nach eigener Aussage keinen Gefallen an der Stadt. Sein Ansehen als Sophist verschaffte ihm aber wichtige Kontakte zu Angehörigen des Senates von Konstantinopel, und die Beziehung zu nicht wenigen seiner späteren Korrespondenten lässt sich auf diese Zeit zurückführen. Insbesondere genoss Libanius auch die Gunst verschiedener Prokonsuln der Stadt.13 Durch den massgeblichen Einfluss des Prokonsuls von Achaea, Strategius Musonianus, wurde ihm 353 von der athenischen boule einer der offiziellen Lehrstühle in Athen angeboten.14 Libanius lehnte diese grosse Ehre allerdings ab; offenbar hatte er zu diesem Zeitpunkt bereits den Entschluss gefasst, nach Antiochia zurückzukehren.15 In der unterrichtsfreien Zeit im Sommer 353 reiste Libanius nach 17 Jahren Abwesenheit zum ersten Mal wieder in seine Heimatstadt. Seine Rede, die er bei diesem Anlass hielt, wurde von seinen Mitbürgern mit grosser Begeisterung aufgenommen.16 Nach dem Ende der Sommerpause begab er sich zurück nach Konstantinopel, begann aber, sich aktiv um einen Wechsel nach Syrien zu bemühen. Diesen erreichte er nicht zuletzt dank einflussreicher Fürsprecher, die sich für ihn beim Kaiser verwandten. Im Jahr 354 kehrte er endgültig nach Antiochia zurück. Zunächst unterrichtete er als freier Lehrer, bevor er im Herbst desselben Jahres den städtischen Lehrstuhl für Rhetorik erhielt.17 In dieser Position blieb Libanius bis zu seinem Tode um das Jahr 393 tätig. Als

Anlass für Libanius’ Wegzug waren. Vgl. Van Hoof 2011, 199 f. zu Ungereimtheiten in Libanius’ Darstellung seiner Zeit in Konstantinopel. 11 Lib. or. 1.48–51. 12 Lib. or. 1.74; 1.80. Damit war Libanius von den Vorwürfen, die ihn aus der Stadt getrieben hatten, rehabilitiert. Vgl. Lib. or. 1.78–79. Für all diese Erfolge war neben rhetorischem Können auch ein weitreichendes soziales Netzwerk nötig. Vgl. hierzu Watts 2015, 78 f. sowie die Ausführungen in II.1.2. 13 Lib. or. 1.80. Vgl. Norman 1965, 169 mit dem Hinweis, dass Stadtpräfekten in Konstantinopel erst ab 360 nachweisbar sind. 14 Lib. or. 1.81–86; 1.106. Vgl. auch or. 2.13. Zu Strategius Musonianus vgl. PLRE I, 611 f. (Musonianus). 15 Als weiteren Grund gibt Libanius an, dass ihn die in Athen üblichen Rivalitäten zwischen den Sophisten sowie die herben Umgangsformen der Studenten abschreckten (or. 1.85). 16 Lib. or. 1.86–89. 17 Für die genaue Chronologie seiner Rückkehr vgl. die Rekonstruktionen von Wintjes 2005, 99–117 und Nesselrath 2008, 31.

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II. Libanius

Sophist hatte sich Libanius einen Ruf erarbeitet, der weit über seine Heimatstadt hinausging und auch seinen Tod überdauerte.18 Sein langes Leben erstreckte sich fast über das gesamte vierte Jahrhundert. In einer Zeit des kulturellen und religiösen Umbruchs orientierte Libanius sich an der hellenischen Kultur und Tradition, zu der für ihn auch die Verehrung der alten Götter gehörte.19 Die Herrschaft Julian Apostatas und dessen Förderung der alten Kulte und der klassischen paideia begrüsste er. In Julians kurzer Regierungszeit erlebte Libanius einen Höhepunkt seiner Karriere. Er gehörte zum engeren Kreis um den Kaiser und verkehrte während dessen Aufenthalt in Antiochia vom Sommer 362 bis zum Frühling 363 am Hof. In mehreren Reden ergriff Libanius Partei für Julian, die er geschickt auch für die eigene Selbstdarstellung nutzte.20 Sehr wahrscheinlich sollte er sogar ein Geschichtswerk über den geplanten Perserfeldzug verfassen.21 Der jähe Tod Julians vereitelte diese Pläne. Unter den nachfolgenden Kaisern gelang es Libanius nicht mehr, eine vergleichbare Position einzunehmen. Während der Regierungszeit von Kaiser Valens sah sich Libanius wiederholt mit Anklagen wegen Magie konfrontiert und fürchtete teilweise um sein Leben. Auch als Sophist konnte sich Libanius die Gunst des christlichen Kaisers nicht erwerben: Eine Rede, die er zu Ehren des Kaisers hielt, wurde frühzeitig abgebrochen.22 Libanius hatte in dieser Zeit kaum Kontakt zum Hof, obwohl der Kaiser von 371 bis 378 regelmässig in Antiochia residierte.23 Mit Valens’ Nachfolger, Kaiser Theodosius I., traf Libanius nicht persönlich zusammen, da jener während seiner langen Regierungszeit nie nach Antiochia kam. Aus der Zeit der Herrschaft des Theodosius sind jedoch eine Reihe sogenannter «Reformreden» erhalten, in welchen sich Libanius in verschiedenen sozialen, religiösen und politischen Fragen an den Kaiser wendet. Diese Reden werden gerne zum Anlass genommen, um von einem «Wiedereintreten» oder einer 18 Zum Nachwirken des Libanius vgl. Nesselrath 2012, 118–138 und Nesselrath/Van Hoof 2014. 19 Zu Libanius’ Religiosität vgl. Misson 1914; Petit 1955, 191–196; Liebeschuetz 1972, 15; Sandwell 2007b; Nesselrath 2012, 54–64; Van Nuffelen 2014, bes. 294 f. Vgl. auch die Ausführungen in II.2.3. 20 Zum Verhältnis von Kaiser Julian und Libanius und zu einer Analyse zentraler julianischer Reden s. insbes. Wiemer 1995b. Vgl. auch Wiemer 2011b, 133–136; Wiemer 2014, 193– 195; Wintjes 2005, 119–133; Nesselrath 2012, 74–94. 21 Darauf deutet der ausführliche Bericht, den Julian zu Beginn seines Feldzuges an Libanius sandte. Vgl. Jul. ep. 98 (W 24). 22 Lib. or. 1.144. 23 Zu Libanius und Valens vgl. Wintjes 2005, 163–176; Wiemer 2011b, 136–139; Wiemer 2014, 195–197. Norman 1965, 203 spricht von einem «enforced quasi-retirement», das Libanius aufgrund seines Bedeutungsverlustes unter Valens erlebte. Wintjes 2005, 175 übernimmt den Begriff und spricht von einem «erzwungenen Ruhestand».

1. Libanius als Vertreter der paganen Elite

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«Rückkehr» des Libanius in das öffentliche Leben zu sprechen.24 Ob Theodosius diese Reden je zu Gesicht bekam, ist allerdings unklar.25 Sie zeugen jedoch von Libanius’ gefestigter Stellung in Antiochia selbst, wo diese Reden sehr wahrscheinlich vorgetragen wurden. Für die Untersuchung von Libanius’ sozialen Beziehungen und die Deutung verschiedener Interaktionsformen ist eine genaue Bestimmung seiner gesellschaftlichen Stellung unumgänglich. Hierfür sollen zunächst (II.1.1.) Libanius’ familiäre Herkunft und seine soziale Verortung innerhalb der provinzialen Eliten bestimmt werden. Auch seine Stellung als Sophist ist in diesem Zusammenhang zu erörtern. Im Anschluss (II.1.2.) stehen dann die Beziehungen des Libanius im Mittelpunkt. Es interessieren hier die soziale Provenienz und die geographische Herkunft seiner Kontakte sowie die Entstehung seines Netzwerkes. Zudem wird auf die Überlieferungslage und den Quellenwert der Briefe und Reden des Libanius eingegangen und deren Konsequenzen für die Analyse der Kommunikation unter Freunden diskutiert.

1.1. Die soziale Stellung des Libanius Libanius als Angehöriger der provinzialen Elite Libanius gehörte einer bedeutenden Familie Antiochias an. Folgt man seinem Selbstzeugnis, so zeichneten sich die Mitglieder seines Geschlechts nicht nur durch ihre Bildung (paideia) und ihren Reichtum aus, sondern auch durch ihre Bereitschaft, Liturgien zu übernehmen und Spiele auszurichten. Zudem demonstrierten sie ihre parrhesia durch Reden, mit denen sie sich Forderungen von Statthaltern entgegenstellten.26 Mit diesen Eigenschaften charakterisiert Libanius seine Familie als Teil der sozialen und politischen Elite, die sich aktiv für das Wohl ihrer Stadt einsetzte. Statuen seiner Vorfahren zierten öffentliche Gebäude.27 Seinen Stammbaum konnte er bis zu seinem Urgrossvater väterlicherseits 24 Zu Libanius’ Stellung unter Theodosius vgl. Wintjes 2005, 191–237; Wiemer 2011b, 139–144; Wiemer 2014, 197–202. Ernesti 1998, 400–443 bietet kurze Zusammenfassungen der theodosianischen Reden. 25 Vgl. Bradbury 2004b, 11 f.; Wiemer 2011b, 144; Malosse 2014, 85 f. 26 Lib. or. 1.2: ἐν δὴ μεγίστῃ [i. e. πόλει] μεγίστους εἶναι συνέβη γένος τοὐμὸν παιδείᾳ τε καὶ πλούτῳ καὶ χορηγίαις καὶ ἀγῶσι καὶ λόγοις, ὅσοι φοραῖς ἀρχόντων ἀπαντῶσιν. 27 Lib. or. 2.10. In dieser Passage kommt auch der Stolz des Libanius zum Ausdruck, zu den principales von Antiochia zu gehören: «Zwar hätte ich Grund, zu allen Mitbürgern mit ganz wenigen Ausnahmen zu sagen, sie dürften mir der Herkunft wegen nicht einmal in die Augen blicken; ich habe es aber noch nie gesagt und mich nie wegen der Bildnisse meiner Vorfah-

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zurückverfolgen.28 Sein Grossvater kam Anfang des vierten Jahrhunderts nach der Revolte des Eugenius bei einer kollektiven Bestrafungsaktion durch den amtierenden Kaiser Diokletian ums Leben.29 Im Zuge dieses Vergeltungsschlages wurde auch ein Teil des familiären Vermögens konfisziert. Die Familie war aber auch danach noch relativ wohlhabend. Libanius’ Vater ist nicht weiter bekannt. Er starb um das Jahr 324/325, als Libanius erst etwa zehn Jahre alt war.30 Als mittlerer von drei Brüdern wuchs Libanius bei seiner Mutter auf.31 Sein Grossvater sowie seine beiden Onkel mütterlicherseits, Panolbius und Phasganius, hatten eine führende Stellung im Rat von Antiochia inne.32 Sie übernahmen beide die Ausrichtung der Olympischen Spiele in Antiochia.33 Diese sehr kostspieligen Spiele erfreuten sich grosser Beliebtheit bei der Bevölkerung, und ihre Ausrichter genossen hohes Ansehen. Panolbius starb früh,34 aber Phasganius gehörte auch nach Libanius’ Rückkehr nach Antiochia immer noch zu den angesehensten und einflussreichsten Bürren oder wegen ihrer Bürgerleistungen überhoben.» (Übers. Wolf 1967) – ἐμοὶ δὲ ὑπῆρχε μὲν πλὴν ὀλίγων κομιδῆ λέγειν πρὸς ἅπαντας, ὡς ἕνεκα γένους οὐδ’ ἀντιβλέπειν ἔχοιεν ἂν πρὸς ἐμέ, εἶπον δὲ οὐδεπώποτε οὐδὲ ἐπήρθην ταῖς εἰκόσιν αὐτῶν οὐδὲ ταῖς λειτουργίαις […]. Libanius wurde ebenfalls mit einem Porträt geehrt, vgl. or. 42.43. In or. 2.15 deutet er an, dass auch in anderen Städten Statuen von ihm aufgestellt wurden. 28 Der Urgrossvater war des Lateinischen mächtig und stammte möglicherweise aus Italien. Libanus wehrte sich gegen solche Gerüchte (Lib. or. 1.2), konnte die Familiengeschichte aber offenbar nicht weiter zurückverfolgen. Vgl. hierzu auch Wintjes 2005, 46 f., der vermutet, dass Libanius’ Urgrossvater erst um 270 nach Antiochia kam. Für einen Stammbaum der Familie des Libanius vgl. Appendix II «La famille de Libanius» bei Petit 1955, 405. 29 Lib. or. 1.3. Für eine Schilderung der Ereignisse vgl. or. 11.158–162; 19.45–46; 20.18–20. S. auch Downey 1961, 330 f.; Fatouros/Krischer 1992, 199–201 sowie Wintjes 2005, 45 f. 30 Lib. or. 1.4–6. 31 Lib. or. 1.4. Über die Brüder ist wenig bekannt; sie treten in Libanius’ Schriften nur selten in Erscheinung. Vgl. Lib. or. 1.86; 1.197–201; 1.215. 32 Vgl. Lib. or. 1.3. Zu Panolbius und Phasganius vgl. Wintjes 2005, 48–50. 33 Lib. or. 1.5; 1.13; 10.9; 10.12; 53.4. Panolbius richtete die Spiele im Jahr 328 aus, Phasganius 336. Innerhalb von acht Jahren lag die Ausrichtung also zweimal bei der Familie des Libanius. Im Jahre 332 wurden die Spiele von Argyrius ausgeführt, einem jungen Kurialen, der von Libanius’ Grossvater in den Rat aufgenommen worden und ebenfalls eng mit der Familie verbunden war. Vgl. Liebeschuetz 1972, 136 f. für eine Rekonstruktion der Spielegeber zu Lebzeiten des Libanius. Die Darstellung von Wintjes 2005, 48 f. enthält einige Ungenauigkeiten. So schreibt er die Ausführung der Spiele von 328 und 336 Panolbius zu (S. 48 Anm. 45), nennt aber gleichzeitig Phasganius als Vorsitzenden der Spiele von 336 (S. 49). S. 49 Anm. 50 will er Lib. or. 53.4 nur auf Panolbius bezogen wissen, obwohl Libanius in jener Passage die Spiele von Panolbius (328), Argyrius (332) und Phasganius (336) getrennt auflistet und zugleich sein eigenes Alter zum jeweiligen Zeitpunkt der Spiele angibt, so dass eine genaue Datierung möglich ist. Zu den Olympischen Spielen in Antiochia vgl. grundlegend Remijsen 2015, 93–104. S. auch Wiemer 2017, 184–189; Hahn 2018. 34 Lib. or. 1.13. Panolbius starb wahrscheinlich um 336.

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gern der Stadt.35 Libanius profitierte von seinem Einfluss und seinen Kontakten.36 Das Verhältnis zwischen Phasganius und Libanius war eng. Da ihr Kontakt jedoch primär in Antiochia stattfand, hat er sich kaum in den Quellen niedergeschlagen.37 Phasganius hatte als einziges männliches Familienmitglied Libanius’ Wunsch, Sophist zu werden, unterstützt.38 Es war vorgesehen, dass Libanius die Tochter des Phasganius, mithin seine Cousine, heiraten sollte. Diese starb allerdings, bevor er nach Antiochia zurückkehrte.39 Libanius blieb unverheiratet. Er lebte mit einer Frau niedrigeren Standes, wohl einer Freigelassenen, zusammen und hatte mit ihr einen unehelichen Sohn, Kimon, der allerdings noch zu Lebzeiten des Libanius tödlich verunglückte.40 Phasganius starb Ende der 350er Jahre. Libanius erbte einen Teil seines Vermögens, darunter ausgedehnte Ländereien. Die andere Hälfte des Erbes, ein Wohnhaus, ging an Libanius’ Cousin Spectatus, den Sohn des Panolbius.41 Spectatus war Anfang der 350er Jahre in den imperialen Dienst eingetreten und übte das Amt eines notarius aus. Mit dieser Funktion war eine rege Reisetätigkeit im gesamten Imperium Romanum verbunden. Er fungierte deshalb oftmals als Briefbote für Libanius und ermöglichte ihm auch einige Kontakte zum Hof des Constantius II.42 Zu seinen wichtigsten Aufgaben gehörten zwei Gesandtschaften zum persischen König.43 Über die Religionszugehörigkeit von Spectatus kann nur spekuliert werden. Möglicherweise war er Christ.44 Für seine Schwester Theodora, die einen Chris-

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Zu Phasganius’ Stellung in Antiochia vgl. Wintjes 2005, 49 f. So wurde Libanius beispielsweise zu dem Prätoriumspräfekten Hermogenes eingeladen, nachdem dieser im Rat Phasganius getroffen hatte (or. 1.116). 37 Libanius und Phasganius verkehrten jedoch rege miteinander: So sass Libanius neben seinem Onkel, als dieser einen Brief des Anatolius erhielt (ep. 509). Es ist nur ein einziger Brief des Libanius an Phasganius erhalten, da sich dieser meistens in Antiochia aufhielt. Dieser Brief (ep. 454) zeugt jedoch davon, dass Phasganius regen Anteil am Leben des Libanius hatte: Aussergewöhnlich detailliert schildert Libanius ihm seinen Alltag und nennt zahlreiche Schüler und Hilfslehrer beim Namen, so dass davon auszugehen ist, dass Phasganius diese ebenfalls kannte. 38 Vgl. Lib. or. 1.13. Phasganius war es auch, der Libanius bei seiner ersten Rede in Antiochia nach seiner Rückkehr einführte (or. 1.88). 39 Lib. or. 1.95. 40 Lib. or. 1.278–280. Zu Kimon vgl. Seeck 1906, 81 f. (Arabius  II); Petit 1994, 66–68 (Cimon). 41 Vgl. Lib. ep. 115.2; 126; 141; 186. Zum Vermögen des Libanius vgl. Petit 1955, 407–411 und Liebeschuetz 1972, 43–48. 42 Vgl. Petit 1994, 233–236 für eine Übersicht über die an Spectatus gerichteten oder von ihm übermittelten Briefe. 43 In dieser Funktion wird er bei Amm. Marc. 17.5.15 als tribunus et notarius genannt. Vgl. auch Wintjes 2005, 52 f. 44 Petit 1994, 235 f. vermutet, dass Spectatus Christ war, weil er unter Julian kein Amt mehr 36

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ten heiratete, ist eine conversio mit ziemlicher Sicherheit anzunehmen. Ihr Mann Thalassius stammte aus einer der reichsten Familien Antiochias.45 Thalassius machte im imperialen Dienst Karriere und übte von ca. 351 bis 354 mit der Prätoriumspräfektur des Orients eines der höchsten Ämter aus.46 Vielleicht ermöglichte dieses einflussreiche Familienmitglied Spectatus die Aufnahme in den Dienst der notarii und liess seine Kontakte spielen, um Libanius bei seiner Rückkehr nach Antiochia zu unterstützen.47 Thalassius starb vermutlich um das Jahr 354. Seine Söhne, Thalassius II und Bassianus, bekleideten ebenfalls hohe Ämter und gingen vorteilhafte Heiratsverbindungen ein.48 Diese kurze Familiengeschichte kann exemplarisch für die Entwicklung der provinzialen Elite im vierten Jahrhundert stehen. Wir fassen in Libanius’ Familie zwei Stränge, die sich hinsichtlich ihrer Religion und in Bezug auf die Wahl ihrer Karrierewege unterschieden. Während die Nachkommen der Familie des Panolbius, die zum Christentum konvertierten, über vorteilhafte Eheschliessungen und hohe Ämter in der imperialen Hierarchie sozial aufstiegen, blieb die Familie des Phasganius, aber auch Libanius selbst, der traditionellen griechischen Religion treu und wirkte allein auf munizipaler Ebene.

ausübte und sich in der Korrespondenz mit Libanius keine Anspielungen auf die griechischen Götter finden. Vgl. auch Petit 1955, 214 f. Sandwell 2007b, 111 f. interpretiert eine Anspielung auf einen christlichen Gegner des Libanius in ep. 115, der die Nähe zu Spectatus suche, ebenfalls dahingehend, dass Spectatus christlichen Glaubens war. Wöhrle 1995, 72; 80 geht dagegen unter Verweis auf die alte Studie von Sievers 1868, 9 davon aus, dass sich keine Christen in der näheren Verwandtschaft befunden hätten, ohne allerdings die Zeugnisse zu diskutieren. Für die Religionszugehörigkeit von Libanius’ Familienangehörigen vgl. auch Sandwell 2007b, 236 f. 45 Vgl. Liebeschuetz 1972, 42 f.; 48. 46 Zur Karriere des Thalassius vgl. Seeck 1906, 289 f. (Thalassius I); PLRE I, 886 (Thalassius 1); Petit 1994, 244 (Thalassius I); Wintjes 2005, 51. 47 Libanius bat ihn für seine Versetzung um Hilfe, vgl. ep. 16.3. Allerdings starb Thalassius vermutlich vor der Rückkehr des Libanius. Auch bei Spectatus ist nicht sicher, ob Thalassius die Amtseinsetzung noch erlebte, aber es ist zumindest vorstellbar, dass er ihm die Türen dazu geöffnet hatte. Vgl. auch Wintjes 2005, 52 mit Anm.  82, der die divergierenden Ansichten hierzu von Seeck 1906, 281 und Kuhoff 1983, 203 diskutiert. 48 Der gleichnamige Sohn Thalassius II/2 findet sich um 358 als proximus libellorum am Hof von Constantius II. und trat als Sponsor öffentlicher Bauten in Antiochia in Erscheinung (vgl. Seeck 1906, 290 [Thalassius II]; PLRE I, 887 [Thalassius 2]; Petit 1994, 245 f. [Thalassius II] und Wintjes 2005, 54 f.). Der zweite Sohn Bassianus war notarius und möglicherweise praefectus Aegypti. Er ging mit der Tochter des praefectus praetorio Claudius Helpidius eine Heiratsverbindung ein (vgl. Seeck 1906, 95 f. [Bassianus]; PLRE I, 150 [Bassianus 2]; Petit 1994, 53 f. [Bassianus]; Wintjes 2005, 55 f.). Die Tochter des Thalassius I/1 heiratete mit Italicianus, dem consularis Syriae der Jahre 359/360, ebenfalls einen Amtsträger. Für eine ausführliche Darstellung vgl. Wintjes 2005, 54–58.

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Dass verschiedene Zweige einer Familie unterschiedlicher Religionszugehörigkeit waren, wird keine Seltenheit gewesen sein. In Libanius’ Umfeld gab es Brüderpaare, von denen der eine Christ und der andere Heide war.49 Die antiochenischen Oberschichten waren durch Familienbande über die Glaubensgrenzen hinweg eng verknüpft. Dieser Umstand wird mit dazu beigetragen haben, dass aus Antiochia im vierten Jahrhundert keine gewalttätigen Konflikte zwischen Christen und Heiden bekannt sind, die zu einer Spaltung der Gesellschaft geführt hätten.50 Antiochia besass schon früh relativ grosse christliche Gemeinden. Durch die kaiserliche Protektion und Förderung seit Konstantin wird der Anteil der Christen an der Bevölkerung – wie überall im Römischen Reich im Laufe des vierten Jahrhunderts – weiter zugenommen haben. Verlässliche Angaben zum Verhältnis von Christen und Heiden innerhalb der antiochenischen Oberschichten lassen sich aus den Quellen nicht gewinnen. Während Paul Petit aufgrund einer Analyse der Kontakte des Libanius innerhalb der Kurie von einer heidnischen Dominanz ausgeht, plädiert Wolf Liebeschuetz beispielsweise für eine weit fortgeschrittene Christianisierung der antiochenischen Eliten bereits zur Regierungszeit von Julian, die mit dafür verantwortlich gewesen sei, dass Julians Massnahmen zur Wiederbelebung paganer Kulte in Antiochia scheiterten.51 Für eine Karriere in der imperialen Administration konnte der christliche Glauben ein Vorteil sein. Dass in Libanius’ Familie also genau diejenigen Mitglieder, die unter Constantius II. eine Ämterlaufbahn einschlugen, zum Christentum konvertierten, war deshalb wohl kein Zufall.52 Doch eine Konversion war nicht zwingend: Es finden sich unter der Herrschaft aller 49 Vgl. Liebeschuetz 1972, 227 mit Verweis auf die Brüder Olympius  II/3 (Heide, vgl. Seeck 1906, 223 f. [Olympius II]; Petit 1994, 178–180 [Olympius II]; PLRE I, 643 f. [Olympius 3]) und Evagrius IV/6 (Christ, vgl. Seeck 1906, 128 f. [Euagrius IV]; Petit 1994, 92–94 [Euagrius  IV]; PLRE  I, 285 f. [Evagrius  6]) sowie auf Eusebius  XXI (Seeck 1906, 143), der im Gegensatz zu seinem paganen Vater Asterius und seinem ebenfalls paganen Bruder Olympius V Christ war. Vgl. Petit 1955, 215 f. für weitere Familien, deren Angehörige teils christlich, teils heidnisch waren. Nicht zu überzeugen vermag das Plädoyer von Cribiore 2013, 194 f. und Cribiore 2015, 208–211, Olympius  II/3 als Christen anzusehen; dagegen spricht insbesondere ep. 739, in der Libanius Olympius an seiner Stelle zu einer paganen Feier sendet (gegen Cribiore 2013, 157). 50 So Petit 1955, 216; Liebeschuetz 1972, 227 f. und Hahn 2004, 122; 138; 178. Für das Zusammenleben von Christen, Heiden und Juden im spätantiken Antiochia vgl. den Überblick von Hahn 2004, 121–189 sowie Festugière 1959; Sandwell 2007b; Liebeschuetz 2011b; Wiemer 2011a und Shepardson 2014 mit weiteren Literaturhinweisen. Zum Prozess der Christianisierung in Antiochia vgl. auch die Untersuchung von Maxwell 2006 zu den Predigten von Johannes Chrysostomus. 51 Vgl. Petit 1955, 202; Liebeschuetz 2011b, 309 f.; 312. Gegen Liebeschuetz vgl. Wiemer 2020. 52 Vgl. auch Bradbury 2004a, 78.

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christlicher Kaiser des vierten Jahrhunderts auch heidnische Personen in hohen Positionen.53 Immer mehr Angehörige des ordo decurionum brachen wie Spectatus und die Familie des Thalassius aus dem Wirkungskreis des Rates ihrer Stadt aus und traten eine Karriere in der Verwaltung des Römischen Reiches an. Chancen hierzu gab es im vierten Jahrhundert mehr als je zuvor: Der von Diokletian begonnene und von Konstantin und Constantius II. fortgeführte Ausbau der Provinzen und des gesamten Beamtenapparates erforderte mehr Personal. Hinzu kam noch die Schaffung eines neuen Senates in Konstantinopel, dessen Mitgliederzahl innerhalb weniger Jahrzehnte von anfänglich 300 auf 2000 anwuchs. Eine ähnliche Entwicklung erfuhr der römische Senat.54 Der neue Personalbedarf konnte nicht mehr aus den alten Senatoren- und Ritterfamilien gedeckt werden. Vielmehr rekrutierten die Kaiser für diese Posten Mitglieder der munizipalen Eliten. Diese wurden allerdings nicht mehr in den bedeutungslos gewordenen Ritterstand aufgenommen, sondern erhielten stattdessen senatorischen Rang.55 Der Senatorenstand wurde im Zuge dieser Entwicklung von der Mitgliedschaft im Senat entkoppelt und dafür an den kaiserlichen Dienst gebunden. Es bildete sich folglich eine Art «Dienstadel» oder «Funktionselite» aus: Der Status eines Senators wurde nun vermehrt durch den Dienst für die kaiserliche Verwaltung erlangt.56 In Anbetracht der zur Verfügung stehenden Posten in der imperialen Administration kam es im vierten Jahrhundert zu einer starken sozialen Mobilität, die im Osten besonders ausgeprägt war.57 Für diejenigen Provinzialen, die in den imperialen Dienst eintraten, 53 Vgl. hierzu die Untersuchung von Haehling 1978. Barnes 1995 hat allerdings substantielle Kritik an den Statistiken von Haehling geäussert, da einige Amtsinhaber mehrfach gezählt wurden. Er plädiert überzeugend dafür, dass Christen schon in der ersten Hälfte des vierten Jahrhunderts bei der Besetzung hoher Stellen bevorzugt wurden (vgl. bes. S. 142). Zur Christianisierung der sozialen Eliten vgl. u. a. auch Brown 1961; Eck 1971; Novak 1979; Markus 1990, 27–43; Salzman 1992; Salzman 2000; Salzman 2002; Cameron 2011. Die Rolle aristokratischer Frauen in diesem Prozess haben u. a. Salzman 1989; Salzman 2002, 138–177 und Cooper 1992 herausgestellt. 54 Zur Entwicklung der beiden Senate vgl. Jones 1964, 329–333; 527 f.; Dagron 1974, 119– 146; Chastagnol 1992, 233–258; Heather 1998; Moser 2018. Zur adlectio und zur Rekrutierung neuer Mitglieder vgl. Jones 1964, 530–535; Chastagnol 1970; Chastagnol 1975; Dagron 1974, 147–190; Garbarino 1988. 55 Jones 1964, 527 f.; Chastagnol 1991, 44 f.; Martin 2001, 73. Zur Konstituierung des spätantiken Senatorenstandes allgm. vgl. u. a. Löhken 1982, 31–47; Schlinkert 1996; Heather 1994; Heather 1998; Rebenich 2008b, 153–162; Begass 2018. 56 Martin 2001, 73; 75; 186 f. spricht von «Dienstadel»; Schlinkert 1996; Schlinkert 1998, 159 von «Funktionselite»; Jones 1964, 526 von «a third order of nobility» und Heather 1998, 190 von einer «aristocracy of service». 57 Heather 1998, 189 f.; 204 f. hat anschaulich dargelegt, dass es im vierten Jahrhundert

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bedeutete der neue Rang die Befreiung von den Pflichten (munera) gegenüber der Kurie ihrer Heimatstadt. Sie waren fortan von kostspieligen Liturgien wie der Bereitstellung von Holz für die Bäder, dem Unterhalt der städtischen Infrastruktur oder der Ausrichtung von Spielen und dem Eintreiben von Steuern entbunden. Dies machte die Reichsverwaltung als Karriere attraktiv, zumal die Dienstzeit in vielen Positionen nicht sehr lange war und die ehemaligen Amtsinhaber danach als honorati in ihre Heimatstädte zurückkehren konnten, wo sie von ihren Privilegien profitierten. Für die Städte und insbesondere die zurückgebliebenen Kurialen bedeutete dies, dass die Aufgaben und die finanziellen Auslagen zugunsten des Gemeinwesens auf weniger Schultern verteilt werden mussten. Eine Reihe von Gesetzen versuchte die «Kurialenflucht», wie sie in der Forschung genannt wird, einzudämmen.58 Der Aufstieg sollte erst erfolgen, wenn alle munera erfüllt waren und mindestens ein Sohn vorhanden war, der die kurialen Pflichten weiterführte.59 Die Wirkung dieser Gesetze war jedoch beschränkt; mitunter drängten auch viele junge Kurialen in ein Amt, um den kostspieligen Verpflichtungen zu entgehen.60 Für all diese Vorgänge ist Libanius eine bedeutende Quelle. Aus seinen Schriften lassen sich zahlreiche individuelle Lebensläufe rekonstruieren, welche die Abwanderung von Kurialen in den imperialen Dienst bezeugen.61 Libanius unterstützte insbesondere ehemalige Schüler bei ihren Ambitionen, indem er versuchte, mittels eines Empfehlungsschreibens den Weg in ein Amt zu ebnen. So dankte er dem Prätoriumspräfekten Saturninius Secundus Salutius explizit dafür, dass er den Bruder seines antiochenischen Freundes Olympius durch die Verleihung eines Amtes davor bewahrte, als Ratsherr dienen zu müssen: Μέμνημαί σου τῆς παλαιᾶς ἐκείνης χάριτος, ὅτ’ Ὀλύμπιος μὲν ἔτρεμε μὴ τῶν βουλευόντων ἁδελφὸς αὑτῷ γένηται, τὸν φόβον δὲ ἐμήνυσα σοὶ καὶ παραχρῆμα ἐλέλυτο κληθέντος ἐπ’ ἀρχὴν τοῦ τὸ τῆς βουλῆς προσδοκῶντος δίκτυον. pro Generation etwa 17’600 Posten in der Provinzverwaltung sowie pro Reichshälfte etwa 2700 Stellen in der kaiserlichen Bürokratie gab, die von Senatoren besetzt wurden oder deren Amtsträger senatorischem Rang erhielten. 58 Vgl. die in CTh 12.1 gesammelten Gesetze. 59 So z. B. CTh 12.1.57. 60 Zur Entwicklung des Kurialenstandes und dessen Auswirkung auf die Selbstverwaltung der Städte vgl. u. a. Jones 1964, 737–757; Lepelley 1979; Rich 1992; Liebeschuetz 1992; Liebeschuetz 2001; Cecconi 2006. Zur Kontroverse, ob die fassbaren Veränderungen als «Niedergang oder Wandel» zu betrachten sind, vgl. Krause/Witschel 2006. Vgl. darin besonders Waelkens et al. 2006 mit einem prägnanten Forschungsüberblick sowie die Synthese von Liebeschuetz 2006b. Zur Entwicklung der munizipalen Elite und Selbstverwaltung in Antiochia sind die Studien von Petit 1955 und Liebeschuetz 1972, 167–186 zentral. 61 Vgl. Pack 1951 und ergänzend Liebeschuetz 1972, 277.

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«Im Gedächtnis haftet mir deine Gefälligkeit von einst, als Olympius zitterte, sein Bruder könnte zum Ratsherrn ernannt werden, und ich dir von seiner Furcht berichtete, von der du ihn sofort befreitest, indem du jenen in ein öffentliches Amt beriefst, der sich schon darauf einrichtete, in das Netz des Ratsherrenstandes zu geraten.»62 Gleichzeitig finden sich in Libanius’ Schriften auch zahlreiche Klagen über den Zustand des Rates von Antiochia. Die Mitgliedszahlen seien drastisch gesunken: Habe ein Stadtrat früher 600 Mitglieder gezählt, seien es nun nur noch 60.63 Auch die Bemühungen von Julian, die Anzahl der Ratsherren wieder anzuheben, scheiterten.64 In einer an Kaiser Theodosius adressierten Rede forderte Libanius deshalb neue und wirksamere Gesetze, die die Abwanderung von Kurialen verhindern und die Rekrutierung von neuen vereinfachen sollten.65 Zur selben Zeit versuchte er intensiv, die Befreiung seines Sohnes von kurialen Pflichten zu erreichen. Er selbst war als Inhaber eines sophistischen Lehrstuhles ebenfalls im Genuss einer Atelie. Das Zeugnis des Libanius ist also von einer gewissen Doppelbödigkeit geprägt. Auf der einen Seite versuchte er, die sich bietenden Möglichkeiten für sich und seine Schützlinge zu nutzen. Auf der anderen Seite war er sich der negativen Auswirkungen für die Stadträte durchaus bewusst. Strittig ist in der Forschung, wie Libanius selbst in dem Machtgefüge der Stadt zu verorten ist. Von Geburt gehörte er dem Dekurionenstand an. Allerdings war er nicht Mitglied des antiochenischen Rates, da er als Sophist Immunität von den kurialen Pflichten genoss. Die zentrale Frage ist, ob Libanius den Status eines honoratus hatte. Ein Amt in der imperialen Verwaltung, das ihm senatorischen Rang beschert hätte, hatte Libanius nie. Dennoch wurde und wird Libanius immer wieder als Paradebeispiel eines honoratus porträtiert.66

62 Lib. ep. 1224.1 (Übers. nach FK 64). Zu Saturninius Secundus Salutius vgl. PLRE I, 814– 816 (Secundus 3); Petit 1994, 225–228 (Salutius). Zu Olympius vgl. PLRE I, 643 f. (Olympius 3). 63 Lib. or. 2.33. Die Rede datiert in das Jahr 380/381. Vgl. Malosse 2014, 94. Zum antiochenischen Rat vgl. auch das Lob in or. 11.133–149 sowie den Hinweis in or. 11.144, dass der Rat in drei Abteilungen unterteilt gewesen sei. Vgl. hierzu den Kommentar von Fatouros/Krischer 1992, bes. 188–190. 64 Jul. Misop. 367C–D. Vgl. Pack 1986, 333–342; Hahn 2004, 164–166. 65 Lib. or. 49; vgl. auch or. 48, welche an den Stadtrat von Antiochia gerichtet war. Zu den Reden vgl. Pack 1951; Liebeschuetz 1972, 270–276; Malosse 2014, 87. 66 Wirkmächtig war insbesondere Liebeschuetz 1972, 186–192, welcher die Privilegien von honorati im Umgang mit Statthaltern schildert, die seither immer wieder zitiert werden. Vgl. aber auch den Eintrag zu Libanius in PLRE I, 506 sowie u. a. Petit 1955, 359–372; Jones 1964, 549; Bradbury 2004b, 11; Slootjes 2006, 23.

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Dieser Darstellung liegt die Annahme zugrunde, dass Libanius unter Theodosius – die Datierungen schwanken zwischen 383 und 388 – mit einer ehrenhalber verliehenen Prätoriumspräfektur ausgezeichnet worden sei.67 Mit der Verleihung eines solchen Ehrentitels wäre Libanius auf einen Schlag in die höchsten Gesellschaftsschichten aufgestiegen. Er hätte den Status eines vir illustris, also den höchsten senatorischen Rang, erhalten. In der Hierarchie hätte sein Platz unmittelbar hinter denjenigen Personen gelegen, welche das Amt des Prätoriumspräfekten effektiv ausgeübt hatten. Für sein alltägliches Leben in Antiochia hätte dies bedeutet, dass er nicht nur über den antiochenischen Stadträten gestanden hätte, sondern sogar einen höheren Rang genossen hätte als die beiden anderen in Antiochia anwesenden Beamten, nämlich der consularis Syriae, ein vir clarissimus, und der comes Orientis, ein vir spectabilis. Ein so hoher Rang wäre mit zahlreichen Privilegien verbunden gewesen und hätte grossen Einfluss auf die Art und Weise der Interaktion mit den amtierenden Magistraten gehabt. Allerdings hat Hans-Ulrich Wiemer bereits 1995 die Frage der Rangstellung des Sophisten einer neuen Untersuchung unterzogen und überzeugend argumentiert, dass Libanius nie den Rang eines honoratus besessen habe.68 Insbesondere in der deutschsprachigen Libanius-Forschung konnte sich diese Ansicht inzwischen durchsetzen;69 allerdings finden sich immer noch zahlreiche Studien, in denen Libanius senatorischer Rang attestiert wird. So gehen Scott Bradbury, Bernadette Cabouret und Pierre-Louis Malosse nach wie vor davon aus, dass Libanius unter Theodosius zu den honorati gezählt habe.70 Auch Daniëlle Slootjes betrachtet Libanius in ihrer Untersuchung der Statthalter in der Spätantike als honoratus.71 Da die Frage, ob Libanius ein honoratus war oder nicht, für die vorliegende Studie zu seinen Interaktionen mit den in Antiochia anwesenden Beamten von zentraler Bedeutung ist, sollen im Folgenden die wichtigsten Argumente von Wiemer kurz rekapituliert werden. Verantwortlich für die Entstehung der These, dass Libanius ein honoratus gewesen sei, ist eine Passage bei Eunapius. Dieser sagt in seiner Vita des Libanius, dass die späteren Kaiser nach Julian dem Sophisten als grösste Ehre den Titel eines Prätoriumspräfekten angeboten hätten: 67

Einen detaillierten Forschungsüberblick bietet Wiemer 1995a, 90 f. Wiemer 1995a. 69 Wintjes 2005, 212; Stenger 2009, 210 Anm. 93; Nesselrath 2012, 28; Becker 2013, 512 f. sowie im angelsächsischen Raum auch Swain 2004, 383 folgen der Argumentation von Wiemer 1995a. 70 Bradbury 2004b, 11; Cabouret 2013, 73 Anm. 14; Malosse 2014, 92. Cabouret und Malosse folgen Martin 1988, 248–250 und gehen davon aus, dass Libanius von Theodosius ehrenhalber der Titel eines quaestor sacri palatii verliehen wurde. 71 Slootjes 2006, 23 Anm. 40. 68

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τῶν δὲ μετὰ ταῦτα βασιλέων καὶ τῶν ἀξιωμάτων τὸ μέγιστον αὐτῷ προσθέντων (τὸν γὰρ τῆς αὐλῆς ἔπαρχον μέχρι προσηγορίας ἔχειν ἐκέλευον), οὐκ ἐδέξατο φήσας τὸν σοφιστὴν εἶναι μείζονα. «Als ihm die Kaiser in der Folgezeit sogar die höchste aller Würdenstellungen verleihen wollten – sie ordneten nämlich an, dass er den Titel eines Prätoriumspräfekten führen solle –, da lehnte er ab mit der Begründung, der Sophistentitel sei bedeutender.»72 Dass Eunapius hier klar von einer Ablehnung spricht, wurde von Gottlob R. Sievers, Otto Seeck und Paul Petit als Missverständnis gedeutet. Dieser habe jenes Ehrenamt mit einem früheren verwechselt, das Libanius von Julian angeboten worden sei und welches dieser tatsächlich abgelehnt habe.73 Das Zeugnis des Eunapius wurde also dahingehend umgedeutet, dass Libanius von einem späteren Kaiser, meist mit Theodosius identifiziert, den Titel eines Prätoriumspräfekten verliehen worden sei, und dass Libanius diese Ehre auch angenommen habe. Libanius selbst spricht indes nirgendwo in seinem Werk von einer ehrenhalber verliehenen Prätoriumspräfektur. Zu Recht hat Wiemer gesehen, dass sich Eunapius bei seiner Aussage wahrscheinlich auf eine Bemerkung des Libanius in or. 2 bezogen hat.74 In dieser Rede erwähnt Libanius ein Ehrenkodizill (grammateion), das ihm einen sehr hohen Rang eingebracht hätte.75 Er gibt jedoch auch an, dass er diese Ehre ausgeschlagen habe. Or. 2.7–8 ist die einzige Passage bei Libanius, die mit einer honoraria dignitas in Verbindung gebracht werden kann. Diese Episode ist allerdings in die Zeit Julians zu datieren.76 Denn nur unter Julian macht die Ausschlagung einer Rangerhöhung, die mit zahlreichen Vorteilen verbunden gewesen wäre, Sinn. Durch sein enges Verhältnis zum Kaiser genoss Libanius damals ohnehin genügend informelle Privilegien, die eine solche formale Statuserhöhung, die zudem seiner Unabhängigkeit geschadet hätte, überflüssig machten.77 Er konnte zu diesem Zeitpunkt ja nicht ahnen, dass die Herrschaft Julians nur von so kurzer Dauer sein würde. An keiner anderen Stelle in seinen zahlreichen Schriften erwähnt Libanius die Verleihung eines Ehrentitels. Allerdings wurden mehrere Anspielungen auf eine grosse Ehre (τιμή) oder Gunst (χάρις), die ihm Theodosius zuteilwerden liess, 72

Eun. vit. soph. 16.2.8 (Übers. nach Becker 2013). Vgl. Wiemer 1995a, 93. Ebenfalls übergangen wurde, dass mit den Kaisern der Folgezeit wohl am ehesten Valens und Valentinian I. gemeint wären. Einzig Banchich 1985 datiert die Verleihung des honoratus-Ranges in die Regierungszeit des Valens. 74 Wiemer 1995a, 97 f. und ihm folgend Swain 2004, 380–383. 75 Lib. or. 2.7–8. 76 So zu Recht Wiemer 1995a, 111 f. 77 Wiemer 1995a, 112 f. 73

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als Hinweise auf eine honoraria dignitas gedeutet.78 Diese Formulierungen sind allerdings sehr vage und können, wie Wiemer gezeigt hat, viel schlüssiger als Anspielungen auf einen anderen Sachverhalt verstanden werden: Theodosius erlaubte dem Libanius, sein Vermögen seinem einzigen, aber illegitimen Sohn Kimon zu vererben.79 Libanius hat diese Genehmigung mehrmals als den grössten Gunsterweis bezeichnet, den er von Theodosius erhalten habe.80 So schrieb Libanius an einen kaiserlichen Hofbeamten: καὶ ταῦτα εὐχόμην ἐγὼ χρηστὸς ὢν βασιλεῖ πολλοῖς τε ἄλλοις τετιμημένος καὶ μεγίστῳ δὴ τῷ περὶ τὸν παῖδα. «So betete ich, weil ich ein anständiger Mann bin, dem der Kaiser viele Ehren erwiesen hat, von denen die bezüglich meines Sohnes wahrlich die grösste war.»81 Eine Nicht-Erwähnung der titularen Präfektur an dieser Stelle erscheint äusserst seltsam. Die einzig mögliche Folgerung ist, dass Libanius niemals im Besitz eines solchen Ehrentitels war, welchen er sicherlich als die noch grössere Ehre angeführt hätte. Es ist deshalb davon auszugehen, dass Libanius nie den Status eines honoratus erhielt. Seine gesellschaftliche Position muss folglich anders erklärt werden. Grundlage hierfür ist, wie ich im Folgenden zeigen werde, seine Stellung als Sophist.

Libanius als Sophist In einer stark stilisierten Passage seiner Autobiographie schildert Libanius, wie er als Jugendlicher nicht an den von seinem Onkel Panolbius veranstalteten Spielen in Antiochia teilnahm, weil er sich nicht von seinen Büchern losreissen konnte. Sein Onkel habe ihm deshalb schon früh prophezeit, dass aus ihm einmal ein Sophist (σοφιστής) werden würde.82 Allerdings hatte sich gegen seinen Berufswunsch auch Widerstand in der Familie geregt. Libanius legt dar, dass er wohl

78 Vgl. z. B. Lib. or. 30.1 (τὸ μέγεθος τὴς τιμῆς ἧς με τετίμηκας); or. 45.1 (χάριν τὴν μεγίστην εἰληφὼς); or. 47.16 (γράμμασι δὴ παρὰ σοῦ κεκοσμημένῳ). 79 Vgl. Lib. or. 1.195–196. Petit 1983 [1951], 47 f. interpretiert einige spätere Quellen ebenso, möchte aber frühere (darunter or. 30.1; 45.1) als Anspielung auf ein Ehrenamt verstanden wissen. 80 Lib. ep. 959.4–5; 845.4. Vgl. Wiemer 1995a, 100 f. 81 Lib. ep. 845.4 (Übers. Wiemer 1995a, 101). 82 Lib. or. 1.5: λόγος γε τὸν σοφιστὴν ἐκεῖνον μαντεύσασθαι περὶ ἐμοῦ πόρρωθεν, ἃ δὴ καὶ τετέλεσται. Zum negativen Unterton dieser Aussage vgl. Norman 1965, 148. Zu den topischen Elementen in Libanius’ Schilderung seiner frühen Ausbildung vgl. Wintjes 2005, 63 f.

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kaum diese Laufbahn eingeschlagen hätte, wenn sein Vater noch gelebt hätte.83 Auch seine Mutter und sein Onkel Panolbius waren gegen sein Studium in Athen. Erst nach dem Tod von Panolbius gelang es Libanius’ anderem Onkel, Phasganius, seine Mutter davon zu überzeugen, ihren Sohn diesen Weg einschlagen zu lassen und die kostspielige Ausbildung zu finanzieren.84 Es war für Libanius wohl eher vorgesehen, entweder die einflussreiche Stellung der Familie im Stadtrat fortzuführen, oder aber wie sein Cousin und viele seiner antiochenischen Schulfreunde eine Karriere in der Reichsverwaltung anzustreben.85 Die Bedenken, welche die Familie des Libanius hatte, verdeutlichen, dass Sophist nicht das erste Karriereziel war, welches sich Eltern dieser Gesellschaftsschicht für ihre Söhne wünschten. Im vierten Jahrhundert stellte der Dienst in der imperialen Administration für die provinzialen Eliten die sicherste Möglichkeit dar, um an Ansehen zu gewinnen und gleichzeitig ihr familiäres Vermögen zu bewahren oder zu mehren.86 Der Weg des Sophisten war dagegen nicht so gradlinig und deutlich riskanter. Als Sophisten wurden Personen bezeichnet, welche es insbesondere in der Kunst der griechischen Rhetorik zu einer hohen Fertigkeit gebracht hatten. Sie gaben ihre Fähigkeiten üblicherweise gegen Bezahlung an fortgeschrittene Schüler weiter und traten gleichzeitig als Redner bei verschiedenen öffentlichen Anlässen auf.87 Zahlreiche Studien zur Zweiten Sophistik haben herausgestellt, dass Sophisten im zweiten Jahrhundert hohes Ansehen in ihren Städten genossen. Sie repräsentierten ihre Poleis bei Gesandtschaften und spielten als öffentliche Redner eine wichtige Rolle in der Lokalpolitik.88 Demgegenüber wird für die Sophisten des vierten Jahrhunderts oft ein Verlust ihrer gesellschaftlichen Bedeutung konstatiert. Sie seien aus dem politischen Leben ihrer Städte verdrängt worden, und ihr Wirkungskreis habe sich zunehmend auf ihre Schulstuben beschränkt. 83

Lib. or. 1.6. Lib. or. 1.13. 85 Zu den Karrieren von Libanius’ Schulkameraden vgl. Lib. or. 1.86. 86 Vgl. auch Norman 1965, 148: «The highest curial class were not eager to have members of the family in the profession of sophist […]. It provided insufficient advancement for their sons and did not guarantee protection for the family property.» 87 Anderson 1993, 16 f. Der Begriff «Sophist» ist nicht einfach zu definieren, da er je nach Kontext unterschiedlich konnotiert war und die Abgrenzung gegenüber «Rhetoren» und anderen Vertretern der paideia nicht immer eindeutig ist. S. Bowersock 1969, 11–14. Für einen historischen Überblick zur Verwendung des Begriffes «Sophist» vgl. Whitmarsh 2005, 15–19. 88 Ob das Ansehen der Sophisten bedingte, dass zunehmend Angehörige aus den höchsten sozialen Kreisen in diesen Berufsstand strebten (Bowie 1982), oder ob die Bedeutung der Sophisten jener Zeit vor allem auf deren Herkunft zurückzuführen ist (Bowersock 1969), lässt sich nicht eindeutig bestimmen. Wie Schmitz 1997, 17 f. zu Recht betont hat, bedingten sich beide Elemente. Vgl. auch Eshleman 2012. 84

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Nur noch einige wenige, darunter Libanius, Himerius und Prohaeresius, hätten es zu Ruhm und Ehre gebracht.89 Als Gründe für diese Entwicklung wird zum einen auf die veränderte Stellung der Städte, das zentrale Betätigungsfeld des Sophisten, hingewiesen, die durch den Ausbau der Verwaltung zunehmend an Autonomie verloren. Die Sophisten hätten sich entsprechend stärker nach den Beamten richten müssen und seien in ihrer Parrhesie eingeschränkt worden.90 Zum anderen wird eine verstärkte Konkurrenz in den beiden zentralen Tätigkeitsfeldern, der Schule und der öffentlichen Rede, festgestellt. Für eine Karriere in der imperialen Administration waren nicht mehr nur rhetorische Fähigkeiten gefragt, sondern auch Kenntnisse der Jurisprudenz und der lateinischen Sprache, in der die Rechtstexte verfasst waren. Aber auch Stenographie und Tachygraphie konnten den Einstieg in die imperiale Administration erleichtern, insbesondere bei den rangniedrigeren Posten, die sich besonders für soziale Aufsteiger eigneten.91 Die ausführlichsten Quellen für die Bedrohung der Rhetorik durch konkurrierende Studien stammen aus der Feder des Libanius, der sich beklagt, dass seine Studenten weniger Zeit in die Ausbildung in griechischer Rhetorik investierten und stattdessen noch andere Studien betrieben. Er prangert zudem die Beförderung von Ungebildeten an, die sich über ihre Fähigkeiten im Schnellschreiben hochgearbeitet hätten.92 Libanius’ Klagen müssen jedoch relativiert werden: Dass die jungen Leute nicht mehr ausschliesslich in Rhetorik ausgebildet wurden, hiess nicht, dass sie völlig ungebildet waren und keinerlei literarische Kenntnisse hatten. Vielmehr werden sie ihre Studien verkürzt haben zu Gunsten des Erwerbs weiterer Fähigkeiten, beispielsweise an der bekannten Rechtsschule in Berytus. In Libanius’ Augen war jedoch jemand, der nicht alle Feinheiten der griechischen Sprache beherrschte, bereits ungebildet. Zudem war es eine beliebte Diskreditierungsstrategie in Invektiven, dem Gegner gute Herkunft und Bildung abzuspre89 Vgl. z. B. Malosse/Schouler 2009, 163 f.; 178. Cribiore 2007, 43 summiert: «After the third century, a sophist was no longer the acclaimed celebrity to whom a proud city might erect a statue, and the cases of Prohaeresius, Libanius, and a few others are exceptional. Generally a sophist’s rhetorical performances were still appreciated, but he was regarded as a professional in charge of a school, and his name disappeared from monuments.» Cribiore verweist in der zitierten Passage vor allem auf den Umstand, dass im vierten Jahrhundert kaum noch Sophisten mit Inschriften oder Statuen geehrt wurden. Hier ist allerdings auf den sich in der Spätantike allgemein verändernden «epigraphic habit» zu verweisen. Auch in anderen Bereichen werden weniger Inschriften errichtet. Vgl. Puech 2002, 7 f. S. auch Van Hoof 2010, die gegen Malosse/Schouler 2009 argumentiert, dass Sophisten auch im vierten Jahrhundert noch über Einfluss verfügten. 90 Malosse/Schouler 2009, 163 f.; 170. 91 Malosse/Schouler 2009, 163 f.; 169–171. 92 Zu den neuen Ausbildungswegen als Konkurrenz zum traditionellen Rhetorikstudium vgl. Liebeschuetz 1972, 242–255.

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chen, so dass die entsprechenden Zeugnisse kritisch gelesen werden sollten. Die Diversifizierung des Bildungsweges ging jedenfalls nicht einher mit einem Niedergang der Rhetorik an sich. Vielmehr legten auch die sozialen Eliten des vierten Jahrhunderts grossen Wert auf die paideia, die immer noch ein bedeutsames Distinktionsmerkmal darstellte.93 Nicht mehr zwingend gegeben war jedoch die exklusive öffentliche Stellung der Spezialisten für Rhetorik. Den Sophisten erwuchs Konkurrenz in Form von Priestern und Bischöfen, die im vierten Jahrhundert meistens auch über eine fundierte rhetorische Ausbildung verfügten und nun ebenfalls das Wort in der Öffentlichkeit ergriffen. Sie deuteten ihrerseits zentrale Ereignisse und prangerten soziale Missstände an, wobei sie einem christlichen Weltbild verpflichtet waren. Die spätantike Stadt war polyphon geworden. Ein paganer Sophist konnte nicht mehr für alle sprechen. Und in manchen Fällen konnte ein Bischof beim christlichen Kaiser mehr bewirken. Dies zeigte sich insbesondere in Krisensituationen: Als 387 Unruhen ausbrachen, reiste der antiochenische Bischof Flavianus als Gesandter an den Kaiserhof, um sich dort bei Theodosius für seine Stadt einzusetzen. Sein Presbyter Johannes Chrysostomus tröstete in einer Reihe von Predigten die verängstigte Bevölkerung. Welche Funktion Libanius in dieser Zeit übernahm, ist nicht klar. Er war immerhin im Nachhinein bemüht, sich selbst auch eine wichtige Aufgabe in der Beruhigung der Situation zuzuschreiben.94 Es ist davon auszugehen, dass die Konkurrenz durch Bischöfe die Stellung von Sophisten stärker bedrohte als alternative Ausbildungswege. Interessanterweise schweigt Libanius jedoch genau darüber.95 Seiner Selbstdarstellung als heidnischer Sophist hätte es wohl geschadet, wenn er öffentlich eingeräumt hätte, dass ausgerechnet hohe christliche Kleriker die öffentliche Bedeutung eines Sophisten herausforderten. Die Stellung der Sophisten hatte im vierten Jahrhundert also vermehrt Konkurrenz bekommen. Dennoch konnte man in dieser Profession immer noch Ruhm und Ansehen erlangen. Im Gegensatz zu einem Amt in der Reichsadministration war mit der Tätigkeit als Sophist aber keine verbriefte Rangerhöhung verbunden. Die Stellung eines Sophisten hing vielmehr immer von seinem rhetorischen Erfolg ab, den er also kontinuierlich erneuern musste. Das kompetitive Ambiente, welches das Leben des Sophisten prägte, beschreibt Libanius in

93

Vgl. u. a. Brown 1992; Van Hoof 2010; Van Hoof 2013. Vgl. die Einleitung dieser Arbeit (I.) sowie Leppin 1999. 95 Dass er die Tätigkeit des Bischofs jedoch auch mit Rhetorik verband, lässt sich anhand seines Gratulationsschreibens (ep. 1543) an Amphilochius von Iconium ablesen. Er gratulierte ihm anlässlich seiner Weihung zum Bischof dazu, ein Amt auszuüben, welches die logoi erfordere. Vgl. hierzu auch Quiroga 2007. 94

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seiner Autobiographie anschaulich. In jeder Stadt, in welche er kam, herrschte ein harter Konkurrenzkampf zwischen den anwesenden Sophisten um die Gunst der Beamten sowie der einflussreichen Bürger – und nicht zuletzt um Schüler.96 Einen grossen Unterschied machte es, ob man als freier oder als städtischer Sophist tätig war. Während ein freier Sophist von den Einkünften aus seinem Schulbetrieb lebte, erhielt ein städtischer Sophist überdies ein Gehalt sowie rechtliche Privilegien. Zudem genoss ein städtischer Sophist mehr Prestige, da die bezahlten Lehrstühle beschränkt waren und eine solche Stelle folglich eine Auszeichnung darstellte. Die Auswahl oblag wohl je nach Finanzierungsquelle dem Stadtrat oder dem Kaiser.97 Damit ein Sophist einen solchen Lehrstuhl erhielt, musste er sich gegen mehrere Konkurrenten durchsetzen. Manche gingen auch leer aus. Keine Garantie bestand überdies, dass man einen Lehrstuhl in derjenigen Stadt erhielt, in der man es sich wünschte. Libanius’ eigener Lebenslauf zeugt vielmehr davon, dass von Sophisten eine hohe geographische Mobilität gefordert war, wenn sie erfolgreich sein wollten.98 Libanius begann seine Karriere in Konstantinopel als freier Sophist. Als er einen bezahlten Lehrstuhl in Nicaea erhielt, wechselte er. Auch in Nicomedia war Libanius ein städtischer Sophist. Danach wurde er durch ein kaiserliches Edikt nach Konstantinopel berufen und erhielt dort einen öffentlichen Lehrstuhl. Diese Anstellung war eine hohe Auszeichnung. Wieso Libanius diesen Posten verliess, ist nicht ganz klar. Möglicherweise fühlte er sich als Heide in einer vom christlichen Hof dominierten Stadt nicht wohl,99 oder er wünschte sich ein kleineres Wirkungsfeld, in welchem er besser zur Geltung kommen konnte als in Konstantinopel, wo er nur einer unter vielen war.100 Vielleicht waren es aber auch einfach familiäre Gründe.101 Was auch immer ihn dazu bewog, in seine Heimatstadt zurückzukehren: Er konnte die Anstellung in Konstantinopel nicht ohne Einwilligung des Kaisers verlassen. Dank des Einsatzes zahlreicher hochrangiger Freunde erhielt Libanius diese Bewilligung, und es gelang ihm auch, sein in Naturalien ausbezahltes Salär nach Antiochia zu transferieren.102 Es deutet viel

96

Vgl. u. a. Lib. or. 1.29–31; 1.35–44; 1.48–50; 1.65; 1.70–72; 1.78; 1.85; 1.90–91; 1.98; 1.100– 102; 1.104; 1.109–110. 97 Wiemer 2011b, 129 f. mit Anm. 9. 98 Für das Folgende vgl. auch die Ausführungen zu Beginn dieses Kapitels, S.  23–26 mit Quellenangaben sowie Wiemer 2011b, 129–131. 99 So Wiemer 2011b, 131. 100 Van Hoof 2011, 203 mit Verweis auf die familiären Verbindungen, über die Libanius in Antiochia verfügte und die ihm auch zu politischem Einfluss verhalfen. 101 Lib. or. 1.95 lässt vermuten, dass Libanius nach seiner endgültigen Rückkehr seine Cousine hätte heiraten sollen. Diese starb allerdings kurz zuvor. 102 Zum Einkommen des Libanius vgl. Kaster 1983; Cribiore 2007, 184 f.

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darauf hin, dass Libanius mit seiner Rückkehr nach Antiochia gewartet hatte, bis absehbar war, dass der Inhaber des städtischen Lehrstuhles, sein alter Lehrer Zenobius, bald zurücktreten würde. Allerdings lief der Übergang nicht ganz so reibungslos, wie sich das Libanius wohl gewünscht hatte, da sich Zenobius plötzlich entschied, doch noch weiter zu unterrichten.103 Zunächst musste Libanius deshalb auch in Antiochia als freier Sophist lehren. Während er die kleine Schülerschar, die er von Konstantinopel mitgebracht hatte, anfangs in seinem eigenen Haus unterwies, zog er kurze Zeit später in einen Marktstand und damit näher ans städtische Leben.104 Als Zenobius krank darniederlag, übernahm er dessen Unterrichtsräume im Rathaus (bouleuterion).105 Nach dessen Tod wurde er zu seinem Nachfolger gewählt. Er setzte sich dabei gegen einen Konkurrenten durch, der schon länger in Antiochia unterrichtet hatte. Dieser genoss ebenfalls einflussreiche Unterstützung in der antiochenischen boule, die zu einem mit der Familie des Libanius verfeindeten Teil gehörte. Hier deutet sich an, dass es bei der Besetzung städtischer Lehrstühle auch um die Interessen der Ratsleute ging, die versuchten, ihre eigenen Parteigänger als Sophisten zu positionieren. Libanius’ unterlegener Kollege sah sich gezwungen, die Stadt zu verlassen und sein Glück anderswo zu suchen.106 Durch die Berufung auf den städtischen Lehrstuhl waren Libanius’ rhetorisches Können und wohl auch seine familiären Beziehungen honoriert worden. Die Übernahme der Stelle des Zenobius sowie der zentral gelegenen Räumlichkeiten im Rathaus erhöhte Libanius’ Sichtbarkeit als Sophist und verschaffte ihm eine grosse Schülerzahl, da er die Klassen seines Vorgängers übernehmen konnte. Er kam in den Genuss einer Steuerbefreiung sowie eines kleinen städtischen Einkommens, von dem er einige Hilfslehrer an seiner Schule anstellte. Sein Ansehen als Sophist beruhte weitgehend auf seinem Erfolg als Lehrer und Redner. Wichtig waren deshalb auch die Reaktionen seiner Zuhörer auf öffentliche Reden, die üblicherweise durch Aufspringen, Zurufen und Akklamationen lautstark ihre

103 Vgl. Lib. or. 1.100: καίτοι τῶν τε ὑποσχέσεων ἔργον οὐδὲν ὅς τέ με ἐπὶ διαδοχὴν ἐκάλει τῶν περὶ τοὺς νέους πόνων ὁ Ζηνόβιος ἕτερος ἐγεγόνει πόνων τε αὐτὸς ἐρᾶν λέγων καὶ ἐμὲ μὴ δεῖν ἐπείγεσθαι. – «Und dabei hatte Zenobius sein Versprechen nicht gehalten. Er hatte mich eingeladen, seine Schule zu übernehmen, und sich nun anders besonnen: er fühle doch noch Lust zur Arbeit, ich solle nicht drängen.» (Übers. Wolf 1967). Zur Spannung zwischen Libanius und seinem früheren Lehrer vgl. auch ep. 15 und den Kommentar von Norman 1992 (Vol. 1), 340 f. Anm. a. 104 Lib. or. 1.101–102. Zur Bedeutung der Unterrichtsräumlichkeiten für das Prestige vgl. auch Shepardson 2014, bes. 35–41. 105 Lib. or. 1.104. Wahrscheinlich stellte die boule diese Räumlichkeiten dem städtischen Sophisten zur Verfügung. Vgl. Malosse/Schouler 2009, 174. 106 Lib. or. 1.90–91; 1.98; 1.109–110.

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Zustimmung oder Ablehnung kundtaten.107 Schaffte es ein Sophist, sich auch bei hohen Amtsinhabern oder dem Kaiser Gehör zu verschaffen, war das seinem Ruf besonders zuträglich. Als der Prätoriumspräfekt Strategius Musonianus einen Panegyricus von Libanius wünschte, bat sich dieser aus, die Rede nicht in der Residenz des Beamten zu halten, sondern im Rathaus. Strategius Musonianus willigte ein und kam für die Darbietung ins Rathaus. Libanius kostete diesen Erfolg ganz aus, indem er seine überlange Rede auf drei Tage verteilte. Der Prätoriumspräfekt kam an jedem Tag und liess die Rede anschliessend von Kopisten vervielfältigen und verbreiten.108 Eine solche demonstrative Wertschätzung des städtischen Sophisten durch einen der höchsten Beamten förderte sein Prestige und das seiner Schule. Denn die Eltern entschieden nicht nur nach dem rhetorischen Können, wohin sie ihre Zöglinge zur Ausbildung schickten, sondern auch nach den Beziehungen des Sophisten.109 Die Verbindungen, über die ein Sophist verfügte, waren für die Schüler fast genauso wichtig wie die rhetorische Ausbildung, da sie ihnen in Kombination mit den erworbenen Fähigkeiten die Türen für eine Stelle in der imperialen Verwaltung öffnen konnten. Libanius’ zahlreiche Empfehlungsschreiben zeugen von seinen Bemühungen für seine Schüler. Je erfolgreicher er darin war, seine Absolventen zu vermitteln, umso attraktiver war seine Schule. Die Anzahl der Schüler war ein Indikator für seinen Erfolg. Die Krönung seiner Karriere erreichte Libanius unter Julian. Durch seinen Zugang zum Hof und durch die aktive Unterstützung des Kaisers und seines Stabs erwarb Libanius in dieser Zeit wahrscheinlich einen deutlichen Zuwachs an Schülern.110 Der consularis Syriae Alexander unterstützte ihn aktiv bei der Anwerbung von neuen Schülern. Die beste Förderung sei, wie Libanius ihm

107 Eine ausführliche Schilderung des Verhaltens der Zuhörer bietet Libanius anlässlich seiner ersten in Antiochia gehaltenen Rede (Lib. or. 1.87–89). Die Leute hätten beim Prolog geweint und ihn beim Weggehen bereits auswendig gekonnt, alle seien aufgesprungen, keiner habe ruhig sitzen können. Die Rede sei durch ständige Zurufe unterbrochen worden, unter anderem mit dem Wunsch, dass der Kaiser die Rückkehr des Libanius erlauben solle: «Das riefen sie bis zur Ermüdung, dann wandten sie sich wieder der Rede zu. Ihr Verhalten bedeutete höchstes Glück für mich und für sie selbst: für mich, weil ich meisterhaft sprach, für sie, weil sie sich über den Erfolg eines Mitbürgers freuten und damit aufs schönste das falsche Wort widerlegten, dass Missgunst unter Landsleuten unvermeidlich sei.» (Lib. or. 1.89; Übers. Wolf 1967). Zur Interaktion von Publikum und Redner vgl. grundlegend Korenjak 2000. 108 Lib. or. 1.111–113. Zu Strategius Musonianus vgl. PLRE  I, 611 f. (Musonianus). Auch eine Rede zu Ehren von Kaiser Valens gestaltete Libanius so lang, dass sie auf zwei Sitzungen aufgeteilt werden musste. Allerdings ging hier die Strategie nicht auf: Der zweite Teil der Rede wurde nie gehalten. Vgl. or. 1.44. 109 Vgl. z. B. Lib. or. 51.15. 110 Zu den Schülerzahlen vgl. Petit 1957 und Cribiore 2007, 90 f.

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schrieb, wenn er Stellen mit in den logoi unterrichteten Personen besetze – und dabei Libanius’ Schüler besonders beachte.111 Andronicus, ein ehemaliger Schüler und amtierender consularis Phoeniciae, sollte einen Schüler des Libanius, der aus einer einfachen Dekurionenfamilie stammte und seinen ersten Panegyricus vor dem Statthalter halten wollte, für seine Leistung auszeichnen und ihn auch materiell vergüten: Wenn er mit neuen Kleidern zurückkehre, würden alle sehen, dass sich der Rhetorikunterricht lohne.112 Dem praefectus praetorio per Orientem Saturninius Secundus Salutius dankte Libanius, dass er seine Schüler fördere und damit auch zeige, dass sich das Studium der Rhetorik mehr lohne als jenes der Stenographie: ἤδη γὰρ ἀνισταμένων τῶν τὰς δεξιὰς εἰς τὸ ταχέως γράφειν ἀκονώντων, τῶν δ’ αὖ παρ’ ἡμῖν ταπεινουμένων σὺ τὸ τῶν λόγων χρῆμα τοῖς τὰς ἀρχὰς λαβοῦσι κοσμήσας ἐνέπλησας ἡμῖν τὰ διδασκαλεῖα νέων ἔρωτα λόγων ἐνθεὶς ἐλπίδι τιμῶν ἴσων. «Denn schon kamen jene empor, die ihre Hand in der Stenographie übten, und unsere Schüler standen niedrig im Kurs; da hast du durch die Männer, welche ein Amt erhielten, der Bildung die Ehre erwiesen und uns die Schulen gefüllt mit jungen Leuten, in denen du die Liebe zur Bildung wecktest durch die Hoffnung, einmal zu gleichen Ehren zu gelangen.»113 Aufgrund des überraschenden Todes von Kaiser Julian währte die Euphorie allerdings nur kurz. Auch wenn Libanius’ Einflussmöglichkeiten dank einer gewissen personalen Kontinuität in den Ämtern nicht sofort abbrachen, gab es doch Eltern, die ihre Söhne vorsorglich aus seiner Schule abzogen, da sie fürchteten, dass Libanius als Heide und Freund Julians unter dessen christlichem Nachfolger Repressionen ausgesetzt sein könnte.114 Wie sich Libanius’ Schule in den folgenden Jahrzehnten entwickelte, ist schwer zu sagen, da ab 365 die Überlieferung der Briefe, die für die übrigen Jahre einen guten Einblick geben, für 23 Jahre abbricht. Die Briefe setzen erst 388 wieder ein, als Libanius bereits 74 Jahre alt war. Es sind in den späten Jahren weniger auswärtige Schüler feststellbar. Ob die Schülerzahlen effektiv gesunken waren oder ob sich das Verhältnis zwischen Schülern aus Antiochia und von auswärts verändert hatte, 111

Lib. ep. 838.5–10. Zu Alexander vgl. PLRE I, 40 f. (Alexander 5); Petit 1994, 27–29 (Alexandre III). 112 Lib. ep. 175. Zu Andronicus vgl. Seeck 1906, 71–75 (Andronicus II); PLRE I, 64 f. (Andronicus 3). 113 Lib. ep. 1224.6 (Übers. FK 64). Zu Saturninius Secundus Salutius vgl. PLRE I, 814–816 (Secundus 3); Petit 1994, 225–228 (Salutius). 114 Vgl. Cribiore 2007, 103 mit Verweis auf Lib. ep. 1223. S. auch Bradbury 2004b, 143.

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lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen.115 Als Sophist trat Libanius auch in dieser Zeit noch aktiv in Erscheinung. Das Einzugsgebiet seiner Schüler umriss Libanius selbst in or. 62 mit Thrakien im Norden bis nach Palästina und Arabien im Süden. Explizit nannte er im Gebiet der heutigen Türkei die Provinzen Hellespontus, Bithynien, Paphlagonien, Galatien, Kappadokien, Armenien, Karien und Ionien. Die meisten Schüler stammten jedoch aus seiner Heimatprovinz Syrien sowie der Nachbarsprovinz Kilikien.116 Diese Angaben decken sich weitgehend mit dem Befund aus den Briefen.117 Die Schüler einer Region stammten oftmals aus miteinander verwandten Familien.118 Netzwerke waren zentral für die Rekrutierung der Schüler und auch, wie oben ausgeführt, für den Erfolg der Schüler in ihren weiteren Karrieren. Aufgrund seiner Stellung als Sophist unterhielt Libanius ein aussergewöhnlich grosses Netzwerk, das im Folgenden etwas näher betrachtet werden soll.

1.2. Die Beziehungen des Libanius Soziale Provenienz und geographische Herkunft der Kontakte Libanius verfügte über ein riesiges Beziehungsnetzwerk: Nicht weniger als 731 verschiedene Personen identifiziert Paul Petit in den Reden und Briefen des Libanius.119 Libanius ist damit eine der wichtigsten prosopographischen Quellen des vierten Jahrhunderts. Der überwiegende Teil seiner Kontakte ist den sozialen und politischen Eliten des Römischen Reiches zuzuordnen: 265 Amtsinhaber, 124 Kuriale, 49 Sophisten, mehrere Ärzte, Advokaten, Architekten, Dichter und Philosophen sind in seinen Schriften greifbar.120 Bei vielen Korrespondenten handelt es sich um ehemalige oder aktuelle Schüler und deren Angehörige.

115

Cribiore 2007, 97. Lib. or. 62.27–28. S. hierzu auch Bradbury 2004a, 75–77; Cribiore 2007, 99 f. 117 In den Briefen sind die Schüler aus den Provinzen Syrien und Kilikien unterrepräsentiert, da hier die Kommunikation offenbar häufig nicht schriftlich erfolgte. Vgl. hierzu Cribiore 2007, 99 f. 118 Bradbury 2004a, 77 zeigt dies am Beispiel von Tarsus. 119 Petit 1955, 359. Immer noch grundlegend sind die prosopographischen Studien von Seeck 1906. Für die Beamten in Libanius’ Schriften bietet Petit 1994 einen neueren Überblick mit einigen Modifikationen. 120 Petit 1955, 359. Vgl. auch Petit 1957, 170 f. mit einer prozentualen Aufteilung der verschiedenen Personenkreise. Insgesamt können zu 486 der insgesamt 731 Personen nähere Aussagen getroffen werden. 116

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Manchmal ist von ihnen allerdings nicht viel mehr als der Name bekannt.121 Nur vereinzelt werden mit Bäckern, Handwerkern, Händlern, Kopisten oder Sklaven auch Angehörige von unteren Schichten erwähnt.122 Frauen finden sich kaum.123 Eine Analyse der sozialen Beziehungen des Libanius entspricht folglich einer Analyse der Beziehungen zwischen den männlichen Angehörigen der sozialen und politischen Eliten. Die religiöse Pluralität dieser Eliten im vierten Jahrhundert spiegelt sich in den Briefen des Libanius: Zu seinen Kontakten zählten Christen genauso wie Anhänger des traditionellen Kultus. Auch ein jüdischer Patriarch findet sich unter den Korrespondenten.124 Überdies war er mit mehreren christlichen Bischöfen bekannt, darunter auch Basilius von Caesarea und Amphilochius von Iconium, der mit Gregor von Nazianz verwandt war und Libanius’ Schule besucht hatte.125 Geographisch erstreckten sich seine Verbindungen bis nach Rom und Mailand.126 Es sind aber überwiegend Angehörige der Oberschichten im Osten des Römischen Reiches von Ägypten entlang der Levante über die heutige Türkei bis nach Griechenland, mit denen Libanius in Kontakt stand. Besonders zahlreich sind Kuriale und Statthalter aus Syrien und den benachbarten Provinzen Phönikien, Euphratensis und Kilikien in seiner Korrespondenz vertreten. Aber auch mit Statthaltern der Provinzen Palästina und Arabien im Süden und Isaurien, 121

Zu den Schülern des Libanius vgl. die ausführliche Analyse von Petit 1957 sowie Cribiore 2007. Petit 1955, 359 eruiert 68 Schüler, von denen nur der Name bekannt ist. 122 Vgl. Petit 1955, 359. Von rund 120 Personen ist gar nichts bekannt, so dass sie keiner gesellschaftlichen Schicht zugeordnet werden können. Für das Verhältnis von Libanius zu den Bäckern von Antiochia vgl. Wiemer 1996b. 123 Eine weibliche Korrespondentin ist Alexandra (PLRE I, 44 [Alexandra]), an die Lib. ep. 734 adressiert ist. Sie ist die Schwester eines Hilfslehrers von Libanius (Calliopius 3) und Ehefrau von Seleucus (PLRE I, 818 f. [Seleucus 1]). Ansonsten werden Frauen vorwiegend en passant in ihrer Funktion als Mütter, Töchter oder Ehefrauen erwähnt. 124 Libanius stand mit einem jüdischen Patriarchen von Palästina in Briefkontakt (vgl. ep. 914; 917; 973; 974; 1084; 1097; 1098), dessen Identität allerdings nicht zweifelsfrei feststellbar ist. Möglicherweise war sein Sohn in Libanius’ Schule (vgl. ep. 1098). Cribiore 2007, 321 (Nr. 206) zieht allerdings in Zweifel, dass ep. 1098 an den Patriarchen adressiert war. Zu dem Briefwechsel vgl. Meeks/Wilken 1978, 59–63. S. auch Wilken 1983, 59 und Sandwell 2007b, 238. Zu Libanius’ Erwähnung von Juden allgm. vgl. die Quellensammlung von Stern 1980, 580–599. 125 Der erhaltene Briefwechsel mit Basilius von Caesarea (Bas. ep. 335–359) wird allerdings zumindest in Teilen als spätere Fälschung betrachtet. Grundlegend noch immer Maas 1912. Zur Forschungsdiskussion vgl. Wintjes 2005, 24 Anm. 47; Nesselrath 2010; Nesselrath 2012, 126 f. und Van Hoof 2016. Amphilochius von Iconium gratulierte Libanius zum Bischofsamt: Lib. ep. 1543. Vgl. Maxwell 2006, 36–38. Für Georg, Bischof von Alexandria, setzte sich Libanius beim comes Orientis Modestus ein (ep. 205). Zu Libanius’ bischöflichen Kontakten vgl. auch Sandwell 2007b, 237 f. 126 Zu den Kontakten in den Westen vgl. Pellizzari 2013.

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Galatien und Armenien im Norden korrespondierte Libanius regelmässig.127 Dies deckt sich in etwa mit dem Rekrutierungsgebiet seiner Schüler.128 Es wäre allerdings falsch, Libanius’ Beziehungsnetz als konstante Grösse zu fassen. Er stand selbstverständlich nicht mit den mehr als 700 Personen gleichzeitig in Kontakt. Vielmehr variierten seine Beziehungen im Laufe seines Lebens. Quellenbedingt können nur die Beziehungen aus zwei Zeitabschnitten relativ verlässlich rekonstruiert werden: Als wichtigste Quelle erlauben die überlieferten Briefe vor allem einen Einblick in das erste Jahrzehnt nach seiner Rückkehr nach Antiochia (355 bis 365) sowie in seine letzten Lebensjahre (388 bis 393).129 Auch die Reden, die teilweise ergänzende Informationen zu den Beziehungen des Libanius enthalten, fallen – soweit sie datierbar sind – ungefähr in diesen Zeitraum.130 Eine systematische Rekonstruktion von Libanius’ Netzwerken in diachroner Perspektive, die nach möglichen Veränderungen in der geographischen, sozialen und religiösen Herkunft der Kontakte fragt, ist allerdings nach wie vor ein Desiderat der Forschung.131 Einzelstudien haben sich vor allem Libanius’ Schülern sowie seinen Beziehungen zu hohen Amtsinhabern und Angehörigen des Hofes unter verschiedenen Kaisern gewidmet.132 Diese Kontakte stellen zwar nur einen Teil aller bei Libanius fassbaren Beziehungen dar, doch können sie als Indikator für die gesellschaftliche Stellung des Sophisten gelten.133 Da die Beziehungen fast ausschliesslich aus den Schriften des Libanius erschlossen werden müssen, ist nur in den wenigsten Fällen bekannt, ob die mit Libanius verbundenen Personen auch untereinander vernetzt waren.134 127 Vgl. hierzu Bradbury 2014, 233, der insgesamt 315 Briefe an Statthalter der genannten Provinzen zählt. 128 Vgl. hierzu die Ausführungen auf S. 43–45 sowie Bradbury 2014, 222–226. 129 Zur Überlieferung der Briefe vgl. die detaillierteren Ausführungen weiter unten S. 52–56. 130 Zur Datierung der Reden des Libanius s. Norman 1969, l–liii und Schouler 1984, 40–46; Malosse 2014. 131 Im Aufbau befindet sich eine Webseite von Mikael Papadimitriou, in der unter anderem die geographische Verteilung der Briefe des Libanius im Römischen Reich und die Wege der Briefboten dargestellt werden sollen (vgl. http://mikepnyu.hosting.nyu.edu/LibaniusSite, abgerufen am 02.08.2020). 132 Zu Libanius’ Schülern vgl. die Studien von Petit 1957 und Cribiore 2007. Zu Libanius’ Kontakt zu hohen Amtsinhabern unter verschiedenen Kaisern vgl. die entsprechenden Abschnitte in Wintjes 2005; Bradbury 2014 und besonders Wiemer 2011b (und in einer überarbeiteten englischen Fassung Wiemer 2014) für einen allgemeinen Überblick sowie Wiemer 1995b, 27 f. speziell zu Constantius II. und passim zur Stellung des Libanius unter Julian. 133 Bradbury 2014, 234 zählt für die Zeit zwischen 355 und 365 insgesamt 175 Briefe, die an Personen am Hof gerichtet sind, was einem Total von ca. 14 % entspräche. In diese Berechnung fliesst allerdings nicht mit ein, dass der Hof unter Julian in Antiochia residierte und Libanius in dieser Zeit direkten Zugang hatte, der sich nicht in der Korrespondenz niedergeschlagen hat. 134 Es lassen sich in der Sprache der Netzwerkanalyse nur sogenannte Ego-zentrierte-Netz-

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Entstehung des Netzwerkes Fragt man nach der Entstehung seines weitreichenden Beziehungsnetzes, so ist als Erstes auf Libanius’ familiäre Verbindungen hinzuweisen, die den Ausgangspunkt für seine eigenen Netzwerke darstellten. Als Libanius zu Beginn seiner Karriere in Konstantinopel Fuss fassen wollte, halfen ihm familiäre Kontakte.135 Aber auch später profitierte Libanius beispielsweise von den Beziehungen seines Onkels Phasganius zu Anatolius, Prätoriumspräfekt von Illyricum der Jahre 356/357–360,136 zu Hermogenes, Prätoriumspräfekt des Orients,137 und zu dem magister peditum Barbatio.138 Sehr wahrscheinlich geht auch die Beziehung zu Datianus, einem einflussreichen Höfling und Konsul des Jahres 358, der ursprünglich aus Antiochia stammte und Libanius bei seiner Rückkehr in die Heimat unterstützte, auf familiäre Verbindungen zurück.139 Die Familienmitglieder in der imperialen Administration erlaubten es Libanius, sein Beziehungsnetz in die höchsten Gesellschaftsschichten weiter auszudehnen. So verdankte er den Kontakt zu dem magister officiorum Florentius am Hof des Constantius  II. seinem Cousin, dem notarius et tribunus Spectatus.140 Da der Hof unter Constantius überwiegend im Westen weilte, blieben solch hochrangige Kontakte allerdings die Ausnahme.141 Es waren jedoch nicht nur seine familiären Verbindungen, die Libanius manche Tür öffneten. Libanius’ eigene biographische Stationen an intellektuellen und politischen Zentren seiner Zeit unterstützten den Ausbau seines Netzwerkes ebenfalls. Athen, Konstantinopel und Nicomedia waren Orte, die eine hohe

werke (zum Begriff vgl. z. B. Fuhse 2016, 117–158 mit weiterer Literatur) rekonstruieren. Bloss erahnen lässt sich deshalb auch die Position des Libanius in einem grösseren sozialen Netzwerk seiner Zeit. Die zahlreichen Empfehlungsschreiben, die er im Dienste seiner Freunde verfasste, lassen jedoch darauf schliessen, dass Libanius eine wichtige Funktion als Vermittler («broker») von einflussreichen Kontakten zukam. 135 Dies betont zu Recht Watts 2015, 77–79. Vgl. auch die Ausführungen zu Beginn dieses Kapitels, S. 24. 136 Zu Anatolius vgl. Petit 1994, 33–37 (Anatolius I). Zum Verhältnis von Libanius und Anatolius s. Bradbury 2000 sowie II.2.2., S. 76–83, dieser Arbeit. 137 Vgl. Lib. or. 1.115. Zu Hermogenes vgl. PLRE I, 423 (Hermogenes 3); Petit 1994, 121 f. (Hermogenes IV). 138 Lib. ep. 491. Zu Barbatio vgl. Seeck 1906, 94 (Barbatio); PLRE I, 146 f. (Barbatio). 139 Zu Datianus vgl. PLRE I, 243 f. (Datianus 1) und Petit 1994, 75–78 (Datianus). Libanius kontaktierte ihn u. a. im Sommer 355 und erbat seine Hilfe, um eine kaiserliche Bewilligung zur endgültigen Rückkehr nach Antiochia zu erhalten (ep. 409). Vgl. auch II.4.2., S. 160– 162. 140 Lib. ep. 510. Zu Florentius vgl. PLRE I, 363 (Florentius 3); Petit 1994, 110 f. (Florentius II). Zu Spectatus vgl. Petit 1994, 233–236. 141 Vgl. Bradbury 2014, 238 f. und 336 f.; Wiemer 1995b, 27 f. und Wiemer 2011b, 132 f.

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Anziehungskraft auf gebildete Eliten des gesamten Imperium Romanum ausübten. Libanius schloss in diesen Städten viele wichtige Kontakte. So begegnete er dem späteren Kaiser Julian zum ersten Mal während seines Aufenthalts in Nicomedia.142 Die späteren Prätoriumspräfekten Strategius Musonianus und Tatianus lernte Libanius wohl in Konstantinopel kennen. Durch seine öffentlichen Auftritte als Redner sowie in seiner Funktion als Lehrer kam er mit vielen Personen in Kontakt. Dies galt auch für seine Heimatstadt Antiochia.143 Die syrische Metropole war Hauptsitz mehrerer ziviler Beamten und beherbergte aufgrund ihrer Nähe zum Perserreich auch immer wieder militärisches Personal. Libanius knüpfte hier Kontakt zu vielen consulares Syriae, comites Orientis und Prätoriumspräfekten des Orients. Aber auch seine Beziehung zum Heermeister Richomer, der für Libanius ein wichtiger Fürsprecher unter Theodosius wurde, ging auf dessen Aufenthalt in Antiochia zurück. Militärische Würdenträger finden sich jedoch nur vereinzelt unter Libanius’ Kontakten. Dies ist auf die weitgehend getrennte Laufbahn und Rekrutierungsbasis von zivilen und militärischen Beamten zurückzuführen.144 Antiochia war bis in die Mitte des vierten Jahrhunderts auch immer wieder Kaiserresidenz und erlaubte es, wenn auch nicht immer mit dem Kaiser selbst, so doch mit den Mitgliedern des Hofes in Verbindung zu treten.145 Die strategisch wichtige Lage der Stadt und ihre administrative Bedeutung garantierten einen Anschluss an die zentralen Handels- und Reisewege zu Land und zu Wasser.146 Für den Unterhalt eines ausgedehnten Netzwerkes eignete sich die syrische Metropole deshalb gleich in zweierlei Hinsicht: Einerseits ermöglichte die Präsenz von wichtigen Verwaltungsorganen den Kontakt zu hochrangigen und einflussreichen Beamten. Zugleich zog Antiochia durch seine Bedeutung auch viele Besucher an, die ihrerseits ebenfalls als Kontakte gewonnen werden konnten. Andererseits sorgte ein reger Strom von Besuchern auch dafür, dass der Transport von Briefen gesichert war. In und von Antiochia aus war es Libanius mög-

142 Der junge Kaiser ging in Nicomedia seinen Studien nach. Er besuchte allerdings nicht den Unterricht des Libanius, und es scheint nicht zu einem persönlichen Kontakt gekommen zu sein. Vgl. Lib. or. 18.13–15. Zu den frühen Kontakten von Julian und Libanius vgl. Wiemer 1995b, 13–17. 143 Zur Bedeutung von Antiochia als Ausgangsbasis eines weitreichenden Netzwerkes vgl. auch Bradbury 2014, 220 f. 144 Zu Libanius’ Kontakten mit militärischen Funktionären vgl. Cabouret 2012; Everschor 2007, 7–51; Lee 2007, 153–163; McLaughlin 2014; Nesselrath 2012, 101–104; Pellizzari 2011. 145 Für Libanius’ Verhältnis zu den einzelnen Kaisern vgl. die Ausführungen zu Beginn dieses Kapitels, S. 26 f. 146 Vgl. Liebeschuetz 1972, 73–83.

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lich, Beziehungen zu einflussreichen Personen aus verschiedenen Regionen des Römischen Reiches zu knüpfen und aufrechtzuerhalten.

Überlieferungslage Die Überlieferungslage und die Quellen zu den Beziehungen des Libanius bergen einige Risiken, die bei der Interpretation berücksichtigt werden müssen. So ist darauf hinzuweisen, dass ein Brief des Libanius lediglich einen Kontaktversuch darstellt und noch nichts über sein eigentliches Netzwerk aussagt. Unter den Adressaten seiner Briefe findet sich beispielsweise auch der magister officiorum Musonius, an den Libanius im Jahre 357 zweimal schrieb.147 Eine genauere Betrachtung der Korrespondenz offenbart jedoch, dass Musonius nicht auf die Begehren einging und Libanius nie geantwortet hat. Der Kontaktversuch zu diesem einflussreichen Hofbeamten scheiterte, obwohl Libanius sich durch seinen Cousin Spectatus persönlich empfehlen liess und beide Male gleichzeitig noch an den Höfling Mygdonius schrieb mit der Bitte, zu seinen Gunsten auf Musonius einzuwirken.148 Der Fall verdeutlicht exemplarisch, wie schwer es war, mit hohen Beamten in Kontakt zu treten. Er zeigt aber auch, wie strategisch Libanius agierte, indem er versuchte, über verschiedene Kanäle seine Ziele zu erreichen. Um Einfluss für sich und seine Schützlinge in der Ferne zu nehmen, musste Libanius auf das Mittel des Briefes zurückgreifen. Ähnliche Manöver konnten in Antiochia mündlich erfolgen. Die Überlieferungslage bedingt deshalb auch, dass wir weit besser über Kontakte informiert sind, die Libanius über eine geographische Distanz hinweg führte, als über Beziehungen, die er täglich in Antiochia pflegte. Für die Analyse der Formen sozialer Interaktion in Antiochia im Kapitel  II.3. (Kommunikation unter Anwesenden) ergeben sich dadurch einige Einschränkungen. Über Beziehungen und die Art und Weise der täglichen Interaktion erfahren wir, wenn Libanius sie gegenüber einem Briefpartner erwähnt oder in einer Rede aufgriff. Libanius gibt jedoch meist nur dann über seine sozialen Kontakte Auskunft, wenn sie für ein gewisses Narrativ oder für seine Selbstdarstellung wichtig waren. Dies führt dazu, dass wir verhältnismässig wenig über 147 Lib. ep. 558 und 604. Zu Musonius vgl. Seeck 1906, 218 (Musonius I); PLRE I, 612 f. (Musonius 1); Petit 1994, 173 f. (Musonius I). Im ersten Schreiben empfahl Libanius seinen Mitbürger Letoius, der im Frühjahr 357 als Mitglied der antiochenischen Gesandtschaft zu den Vicennalien des Constantius nach Rom aufgebrochen war. Im Sommer 357 verwandte sich Libanius für seinen Schulfreund und agens in rebus Olympius VI/6, der sich offenbar fürchtete, bei seinem Vorgesetzten vorzusprechen. 148 Vgl. Lib. ep. 557 und 603. Zu Mygdonius vgl. Seeck 1906, 219; PLRE I, 614. Später versuchte Libanius, über den Prätoriumspräfekten Anatolius Einfluss auf Musonius zu nehmen, vgl. ep. 362.7.

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seine alltäglichen Interaktionen in Antiochia wissen. Gerade Beziehungen mit Familienmitgliedern, Schülern, anderen Kurialen und principales von Antiochia sind in Libanius’ Schriften unterrepräsentiert. Diese wichtigen Kontakte treten für uns nur dann in Erscheinung, wenn die betreffenden Personen sich zeitweilig ausserhalb von Antiochia aufgehalten haben und Libanius mit ihnen in Briefkontakt stand. Sein Cousin Spectatus beispielsweise begegnet uns regelmässig als Briefempfänger und Briefbote in der zweiten Hälfte der 350er Jahre, als er ein Amt innehatte und oft umherreiste. Nach seiner Rückkehr nach Antiochia, die Anfang der 360er Jahre erfolgt sein musste, verschwindet er fast gänzlich aus den Schriften des Libanius.149 Auch von der Existenz des Letoius, eines Angehörigen der antiochenischen Kurie, erfahren wir vor allem dank der Gesandtschaften, die er für Libanius und dessen Familie unternahm. So war er 355 Teil einer Delegation, die beim Kaiser um den Verbleib von Libanius in Antiochia bat.150 Zwei Jahre später nahm er an Stelle von Libanius’ Onkel an einer Gesandtschaft nach Rom anlässlich der Vicennalien von Kaiser Constantius II. teil.151 In beiden Fällen wurde er von Libanius reichlich mit Empfehlungsschreiben ausgestattet. Die freiwillige Übernahme von solch kostspieligen Aufgaben zeugt vom engen Verhältnis zwischen Letoius und der Familie des Libanius. Letoius’ Sohn war zudem in Libanius’ Schule, und Letoius unterstützte schwächer gestellte Schüler des Libanius finanziell.152 Es ist also anzunehmen, dass Letoius und die Familie des Libanius in Antiochia regelmässig miteinander verkehrten. Allerdings fanden die Interaktionen mit Letoius und anderen Kurialen aufgrund ihrer Alltäglichkeit kaum Eingang in die Schriften des Libanius. Viel wichtiger war es Libanius, auf seinen Kontakt zu hohen, in Antiochia stationierten Amtsträgern hinzuweisen. Insbesondere in seiner Autobiographie (or. 1) nehmen diese Beziehungen einen prominenten Platz ein. Gute Beziehungen zu Amtsinhabern waren ein wichtiger Indikator für seine soziale Stellung und sein Renommee als Sophist. Sie waren deshalb ein zentraler Aspekt seiner Selbstdarstellung. Dies führt dazu, dass nicht-alltägliche Beziehungen, die in vielen Fällen durch eine gewisse Vertikalität gekennzeichnet waren, deutlich ausführlicher behandelt werden als horizontale Beziehungen zu den städ-

149 Vgl. die Auflistung aller Nennungen von Spectatus in Libanius’ Schriften bei Seeck 1906, 281 f. und Petit 1994, 233–236. Bradbury 2014, 233 führt Spectatus als Beispiel dafür an, dass Libanius sein Netzwerk mit kühler Berechnung je nach Bedarf «ein- und ausgeschaltet» habe. Hier gilt es jedoch stärker zu differenzieren, da gerade in Fällen von Antiochenern, die ein Amt im imperialen Dienst ausgeübt hatten, der Briefwechsel naturgemäss eingestellt wurde, wenn sie bei Amtsende in ihre Heimatstadt zurückkehrten. 150 Lib. ep. 551. Der Gesandtschaft wurden ep. 444–449 mitgegeben. Zu Letoius vgl. Seeck 1906, 197 (Letoius I). 151 Lib. ep. 550–559. 152 Lib. ep. 550; 552.

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tischen Eliten von Antiochia. Folglich stehen im Fokus dieser Untersuchung vor allem Beziehungen, die ein hierarchisches Gefälle aufweisen und deren Interaktionsformen bis zu einem gewissen Grad formalisiert waren. Anders gestaltet sich die Quellenlage für die Kommunikation mit Abwesenden, die in Kapitel  II.4. behandelt wird. Hier sind für die Analyse vor allem die 1544 überlieferten Briefe des Libanius zentral. Dass seine Briefe in so grosser Zahl erhalten sind, verdanken wir zum einen der Wertschätzung, die dem Briefstil des Libanius in byzantinischer Zeit entgegengebracht wurde. Dies führte dazu, dass Libanius’ Briefkorpus sowie seine übrigen Werke in mehreren Handschriften tradiert sind.153 Zum anderen sorgte Libanius selbst für ideale Überlieferungsbedingungen, indem er Abschriften seiner Briefe in sogenannten Kopialbüchern aufbewahrte. Dass Libanius von jedem versandten Brief eine Kopie behielt, hatte praktische Gründe und war eine in der Antike verbreitete Praxis.154 Ein Brief konnte unterwegs verloren gehen oder nicht zugestellt werden, weil der Bote die Reiseroute änderte. Sein privates Archiv erlaubte es Libanius, in solchen Fällen den Brief nochmals abzuschreiben und erneut zu versenden.155 Die Handschriften tragen noch die Züge dieser Kopialbücher des Libanius.156 Erhalten sind Briefe der Jahre 355–365 und 388–393 mit einer 18-monatigen Lücke zwischen 388–390. Während die Reihenfolge der Briefe innerhalb einzelner Kopialbücher weitgehend gewahrt scheint, sind die Bücher an sich in den byzantinischen Manuskripten nicht mehr chronologisch angeordnet. Die Publikation der Briefe erfolgte sehr wahrscheinlich posthum aus dem Nachlass des Libanius.157 Mehrere Aspekte deuten aber darauf hin, dass Libanius 153 Libanius’ Briefe wurden noch mehrere Jahrhunderte nach seinem Tod als Musterbeispiele im Schulunterricht verwandt. Vgl. Cabouret 2004, 16; 18; Fatouros/Krischer 1980, 224. Diesem Umstand verdanken wir die zahlreichen Handschriften und die relativ gute Überlieferung seiner Schriften. Zur Manuskripttradition vgl. die ausführliche Dokumentation bei Foerster 1927, Vol. XI (Prolegomena ad Epistulas) sowie u. a. Seeck 1906, 14–34; Norman 1992 (Vol.  1), 35–43; Cabouret 2009, 262–266; Cabouret 2014, 146–148 und Van Hoof 2017. 154 Vgl. z. B. Achard 2006, 136. 155 In ep. 88; 1218 und 1307 verweist Libanius auf die Abschriften seiner Briefe. 156 Vgl. zur Anordnung der Bücher die Grafiken von Cabouret 2009, 264 und Van Hoof 2017, 118. Lib. ep. 1–18 in der Edition von Foerster stammen wahrscheinlich aus einer anderen Überlieferungstradition und sind teils vor 355, teils von 365–388 sowie nach 390 zu datieren. Vgl. Cabouret 2014, 146. 157 Seeck 1906, 23 äusserte die Vermutung, dass Libanius einen Teil seiner Briefe (ep. 19–607 der Jahre 355 bis 361) bereits zu Lebzeiten zu Ehren des Kaisers Julian publizierte. Dem hat u. a. bereits Foerster 1927, Vol.  IX, 49–52 widersprochen. Vgl. Norman 1992 (Vol. 1), 29–31; Bradbury 2004b, 21 und Fatouros/Krischer 1980, 239. Allerdings kann es durchaus sein, dass in seinem Freundeskreis einige seiner Briefe zirkulierten: Als Aristophanes (Seeck 1906, 88–90) um Kopien seiner Korrespondenz mit Julian bat, schickte Liba-

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beim Führen seiner Kopialbücher bereits an eine spätere Publikation dachte. Konkret lassen sich nachträgliche Manipulationen im Text und bewusste Auslassungen nachweisen. Besonders auffallend ist der Fall eines Adressaten, der sich von einem Brief des Libanius offenbar beleidigt gefühlt und deshalb gebeten hatte, den Brief zu vernichten. Libanius ging nicht darauf ein, bot aber an, den Namen von Eustochius in Eustathius zu ändern.158 In der Tat findet sich wenig früher in der Sammlung ein Brief an einen Eustathius.159 Es ist also davon auszugehen, dass Libanius hier nachträglich den Namen des Adressaten geändert hatte. Die Bitte des Eustochius sowie der redaktionelle Eingriff durch Libanius ergeben nur Sinn, wenn beide zu diesem Zeitpunkt davon ausgingen, dass dieser Brief irgendwann einmal publiziert werden könnte. In einem anderen Fall erscheint es wahrscheinlich, dass Libanius eine Bitte, die ihm peinlich war, nachträglich aus einem Brief tilgte, den er an den Prätoriumspräfekten Anatolius gesandt hatte, nachdem ihm der Präfekt nur mit Spott und Hohn geantwortet hatte.160 Es ist also auch in einzelnen Briefen mit nachträglichen Streichungen zu rechnen. Des Weiteren finden sich Hinweise, dass auch innerhalb der Kopialbücher, die komplett erhalten scheinen, vereinzelt Briefe fehlen, was auf eine gewisse Selektion durch Libanius hindeuten könnte.161 Die Briefe vor Libanius’ Rückkehr nach Antiochia sind nicht erhalten. Dies könnte daran liegen, dass Libanius die Abschriften dieser Briefe beim Umzug entsorgt oder aber mit der systematischen Archivierung erst nach seiner Niederlassung in Antiochia begonnen hatte. Zu weit mehr Diskussionen und Spekulationen hat allerdings die Lücke in der Überlieferung der Briefe von 365 bis 388 geführt. Albert F. Norman hat 1965 in seinem Kommentar zur Autobiographie des Libanius darauf hingewiesen, dass der Beginn der Lücke mit dem Beginn der Schwierigkeiten zusammenfalle, denen sich Libanius unter der Herrschaft des Valens ausgesetzt sah.162 Da Libanius in or.  1 von Problemen spricht, die ihm aus Briefen erwuchsen, die der Adressat nicht verbrannt hatte, hat Norman – und mit ihm zahlreiche andere – die Schlussfolgerung gezogen, nius ihm eine Auswahl an Briefen, deren Veröffentlichung er für ungefährlich hielt (vgl. Lib. ep. 1264.5). 158 Lib. ep. 933.2. Vgl. zu diesem Fall bereits Seeck 1906, 19. S. auch Van Hoof 2014c, 221. 159 Lib. ep. 915. 160 Lib. ep. 19. Vgl. hierzu Seeck 1906, 22, der auf grammatikalische Ungereimtheiten in der vorhergehenden ep. 339 hinweist, wo eine entsprechende Bitte gestanden haben könnte. 161 Die Hinweise trägt Seeck 1906, 21 zusammen: In ep. 46 gibt Libanius an, bereits fünf Briefe an Modestus geschickt zu haben; erhalten sind jedoch nur zwei. Und gegenüber Thalassius (ep. 387) erwähnt Libanius zwei frühere Briefe; in der Sammlung findet sich jedoch nur einer. 162 Norman 1965, 201. Für einen ausführlicheren Forschungsüberblick vgl. Cabouret 2009, 260–262 und Van Hoof 2014c, 209–211.

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dass Libanius in einem von Magie-Anklagen geprägten Klima seine Korrespondenz absichtlich nicht in seinem Kopialbuch archivierte.163 Es wird vermutet, dass Libanius in dieser Zeit gar keine Abschriften anfertigen liess oder diese an einem anderen, sicheren Ort aufbewahrte und sie deshalb nicht Teil seines Nachlasses wurden. Diese Annahme hat Eingang in zahlreiche Publikationen zu Libanius gefunden.164 Kürzlich hat jedoch Lieve Van Hoof in zwei Aufsätzen die Prämissen dieser These einer Prüfung unterzogen.165 Sie hat darauf hingewiesen, dass alle Probleme, die Libanius zur Zeit des Valens aufgrund von Briefen erwuchsen, aus Briefen resultierten, die sich im Besitz der Adressaten befanden. Darauf hatte Libanius keinen Einfluss. Er konnte jedoch den Inhalt seiner Schreiben so vage halten, dass ihm von den Briefen möglichst keine Gefahr drohte, selbst wenn sie in falsche Hände kommen sollten. Und nach eigener Angabe hatte er genau das getan.166 Van Hoof vermutet, dass Libanius einzelne Briefe aus der Sammlung entfernte, nicht jedoch alle geschriebenen Briefe vernichtete.167 Gegen die These der Selbstzensur führt Van Hoof noch einen anderen Aspekt ins Felde: Die Lücke in der Überlieferung dauert nicht nur bis zum Tod von Valens im Jahr 378, sondern weit in die Herrschaft des Theodosius hinein, als für Libanius längst keine Gefahr mehr bestand und er wieder eine einflussreiche Position in Antiochia einnehmen konnte, die auch an den zahlreichen Reden aus jener Zeit abgelesen werden kann.168 Daher lehnt Van Hoof die These, dass die Briefe aufgrund einer äusseren Gefahr unterdrückt wurden, ab. Im Gegensatz zu Norman, Bradbury und anderen geht Van Hoof deshalb nicht von einer «Selbstzensur» aus, sondern von einer «Selbststilisierung»: Sie vermutet, dass Libanius die Briefe in jener Zeit bewusst weggelassen habe, weil er unter Valens keine einflussreichen Kontakte gehabt habe und auch in der Anfangszeit der Herrschaft des Theodosius sein Netzwerk erst allmählich wieder habe aufbauen können. Sie plädiert mit diesem Vorstoss dafür, die Briefe des Libanius als Vorstufe einer bewusst angelegten Sammlung zu betrachten.169 Als zentrale Quelle für ihre These dient ihr ep. 840, mit der die erhaltene Korrespondenz im Jahr 388 wieder einsetzt. Der erste Satz dieses Briefes nimmt Bezug auf den ersten Brief (τῶν πρώτων σου γραμμάτων), den Libanius von Tatianus zu Beginn seines Amtes (ἐν 163

Norman 1992 (Vol. 1), 31 f.; 42 f. Vgl. Lib. or. 1.175; 1.177–178. Vgl. z. B. Martin/Petit 1979, XIII; Cabouret 2004, 17; Cabouret 2009; Bradbury 2004b, 19–21; Nesselrath 2008, 36. 165 Van Hoof 2014c und Van Hoof 2017. 166 Vgl. Van Hoof 2014c, 213 mit Verweis auf or. 1.177–178. 167 Vgl. Van Hoof 2014c, 211–213. 168 Vgl. z. B. Wintjes 2005, 191–201. 169 Van Hoof 2014c, 222–226. 164

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ἀρχῇ τῆς ἀρχῆς) erhalten habe. Den mehrfachen sprachlichen wie inhaltlichen Hinweis auf den neuen Beginn der Korrespondenz erachtet Van Hoof als Indiz dafür, dass Libanius diesen Brief bewusst als Beginn eines zweiten Teils seiner Korrespondenz gewählt habe.170 Doch auch diese neue These von Lieve Van Hoof vermag nicht restlos zu überzeugen. Zwar ist ihr zuzustimmen, dass eine kausale Verbindung zwischen den Schwierigkeiten, denen Libanius unter der Herrschaft des Valens ausgesetzt war, und der Lücke in der Überlieferung der Briefe aus jener Zeit nicht so zwingend ist, wie es zuvor oft postuliert wurde. Aber die These der Selbststilisierung hat ebenfalls einige Schwächen. Zunächst liegt es auf der Hand, dass Libanius wohl eine ganz andere Anordnung der Briefe gewählt hätte, wenn er sie selbst für die endgültige Publikation vorbereitet hätte. Für die eigene Selbstdarstellung böte sich eine Sortierung nach Adressatenkreisen oder nach inhaltlichen Kriterien weit besser an als eine lose chronologische Gliederung. Van Hoof weist selbst darauf hin, dass wohl bereits eine Generation nach Libanius die meisten Adressaten unbekannt waren.171 Spätere Leser hätten also in den wenigsten Fällen noch eruieren können, welche Adressaten wirklich bedeutend waren, und schon gar nicht, wann die Briefe geschrieben wurden. Libanius hätte also einfach die unbedeutenden Briefe aus seiner Sammlung entfernen können. Aber gerade Van Hoofs Postulat, dass die Briefe vor 388 unbedeutend waren, ist nicht stichhaltig: Aus Libanius’ Autobiographie wissen wir, dass er Anfang der 380er Jahre in persönlichem Kontakt mit Kaiser Theodosius stand, der ihm das Recht erteilte, seinen unehelichen Sohn als Erben einzusetzen.172 Sicherlich wird Libanius auf ein solches Schreiben geantwortet haben. Wieso fehlen also in der Sammlung die Jahre, in welchen eine Korrespondenz in dieser Angelegenheit zu erwarten gewesen wäre? Immerhin war es ein Triumph für Libanius, den er an mehreren Stellen erwähnte – und also durchaus zur Selbststilisierung heranzog.173 Es scheint also plausibler, für diese Jahre einen unabsichtlichen Verlust einiger Kopialbücher anzunehmen. Für die Zeit unter Valens bleibt dahingestellt, ob hier die Lücke auf die Lagerung an einem anderen Ort zurückzuführen ist oder auf einen Überlieferungszufall. Unbestritten ist, dass Libanius beim Abfassen seiner Briefe und beim Führen seiner Kopialbücher bereits an eine spätere Publikation gedacht hatte. Seine aktive Hand in der Gestaltung der uns erhalte-

170 Van Hoof 2014c, 219 f. Libanius dankte in dem Brief dem Tatianus, dass er mit dazu beigetragen habe, ihn von Anschuldigungen der Kooperation mit dem Usurpator Maximus freizusprechen. Dieser Brief wird in II.4.3., S. 170–172, ausführlich besprochen. 171 Van Hoof 2014c, 217 f. 172 Lib. or. 1.196; or. 32.7; ep. 845.4; ep. 959.4–5. S. auch Wiemer 2011b, 139 f. 173 Vgl. hierzu die Ausführungen weiter oben S. 37.

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II. Libanius

nen Briefsammlung ist jedoch nicht erkennbar. Deshalb werden in dieser Arbeit zwar die einzelnen Briefe des Libanius als Quelle beigezogen, nicht jedoch die Briefsammlung als Ganzes.

Zusammenfassung: Libanius als Quelle Libanius ist die bedeutendste nicht-christliche Quelle zur Erforschung von sozialen Netzwerken im griechischsprachigen Osten des Römischen Reiches. Die schiere Menge an Briefen mag zu einem gewissen Grad den Umstand aufwiegen, dass sich – abgesehen von den kaiserlichen Briefen Julians – keine anderen Briefsammlungen paganer Autoren erhalten haben. In Libanius’ Schriften fassen wir die Perspektive eines Angehörigen der provinzialen Eliten, der aufgrund seines rhetorischen Talents überregionale Bedeutung erlangte. Seine Tätigkeit als Sophist sowie sein Aufenthalt in verschiedenen prosperierenden Städten im Osten des Imperium Romanum begünstigten den Ausbau eines weitgespannten Netzwerkes. Die Briefe des Libanius zeigen eindrücklich, wie stark vernetzt die sozialen und politischen Eliten im griechischsprachigen Osten des Römischen Reiches waren. Sie verdeutlichen aber auch, dass die Sprachgrenze weitgehend eine Grenze des Netzwerkes darstellte – zumindest für Personen wie Libanius, die des Lateinischen nicht mächtig waren und sich selbst auch nie im Westen aufgehalten hatten. Dagegen wurden Beziehungen über die Religionsgrenzen hinweg gepflegt. Libanius hatte Zeit seines Lebens nie ein Amt ausgeübt und gehörte formal immer dem Dekurionenstand an. Seine soziale Stellung beruhte auf seiner Herkunft aus einer einflussreichen antiochenischen Familie sowie auf seinem Ansehen als Sophist. Gerade weil er im Umgang mit Beamten nicht über die verbrieften Privilegien eines honoratus verfügte, waren Ehren, die ihm von Seiten hochrangiger Magistrate zukamen, ein wichtiger Indikator für seinen Erfolg. Er war deshalb bemüht, seine einflussreichen Beziehungen einem möglichst breiten Kreis bekannt zu machen. Seine konstante Selbstdarstellung macht Libanius zu einer wertvollen Quelle für die vorliegende Arbeit. Dieser Umstand führt allerdings auch dazu, dass wir wesentlich besser und ausführlicher über Beziehungen zu hochrangigen Beamten informiert sind als über diejenigen Verbindungen, die Libanius tagtäglich in Antiochia pflegte. Zudem ist auch davon auszugehen, dass Libanius je nach Darstellungsabsicht die eine oder andere Beziehung geschönt oder abgewertet hat. Den Quellenwert für die vorliegende Untersuchung schmälert diese Tatsache allerdings nicht, da es im Folgenden nicht darum gehen wird, Libanius’ Netzwerk zu rekonstruieren, sondern vielmehr Formen symbolischer Kommunikation zu identifizieren, die Indikatoren für die Qualität einer Beziehung sein können. Um in Briefen und Reden einem breiteren Adressatenkreis

2. Philia bei Libanius

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seine Beziehungen bekannt zu machen, musste Libanius auf Zeichen und Handlungen rekurrieren, die zu einer gesellschaftlich verbindlichen Symbolik zum Ausdruck von Nähe und Distanz gehörten. Libanius ist deshalb eine reichhaltige Quelle zur Erforschung spätantiker Freundschaftskommunikation. Bevor allerdings konkrete Interaktionsformen betrachtet werden, soll in einem ersten Schritt die Bedeutung von philia als soziales Konzept bei Libanius näher gefasst werden.

2. Philia bei Libanius Alexander der Grosse soll auf die Frage, was sein grösster Schatz sei, seine Freunde genannt haben. Diese berühmte Anekdote um den makedonischen König nahm Libanius auf, als er über die Bedeutung der Freundschaft nachdachte.174 In einer kurzen Rede mit dem Titel Über Armut oder über Freunde (Περὶ πενίας ἢ περὶ φίλων, or. 8) argumentiert der Sophist, dass nicht nur derjenige als reich anzusehen sei, der über viele Güter verfüge, sondern auch derjenige, der viele Freunde habe: (6) φημὶ γὰρ δὴ τὸν μὲν πολύφιλον εἶναί τε πλούσιον καὶ δεῖν οὕτω καλεῖσθαι, τὸν δὲ ὑπὸ τοῦ Πλούτωνος τοῦτο ἀφῃρημένον γεγονέναι πένητα. (7)  ἢ οὐ πλουσίου καὶ μακαρίου πολλοῖς μὲν ὀφθαλμοῖς ὁρᾶν, πολλοῖς δὲ ὠσὶν ἀκούειν, πολλαῖς δὲ χρῆσθαι χερσὶ καὶ ὅλοις γε σώμασί τε καὶ γνώμαις ταῖς ἀπὸ τούτων; «6. Ich behaupte, dass, wer viele Freunde hat, reich ist, und auch so genannt werden sollte; wer aber von Pluton seiner Freunde beraubt wurde, der ist arm geworden. 7. Denn ist es nicht ein Zeichen von Reichtum und Glück, mit vielen Augen zu sehen, mit vielen Ohren zu hören, viele Hände zu gebrauchen und über die ganzen Menschen und ihre intellektuellen Fähigkeiten zu verfügen?»175 Libanius relativiert in dieser Rede das Kriterium des materiellen Besitzes für die Definition von Reichtum und führt vor, dass Freunde ein genauso wertvoller Besitz seien wie Ländereien, Häuser, Gold und Silber sowie Sklaven. Für seine Argumentation entlehnt er zahlreiche sokratische Elemente aus Xenophons Memorabilien, die sich auch bei Diogenes Laertius und Dio Chrysostomus finden.176 Er hebt damit den praktischen Nutzen von Freunden im alltäglichen Leben hervor. Entsprechend sei der Tod von Freunden ein Verlust, da fortan auf deren Rat und Unterstützung verzichtet werden müsse: 174 175 176

Lib. or. 8.8–9. Lib. or. 8.6–7. Vgl. Xen. Mem. 2.4, bes. 2.4.7; Diog. Laert. 2.81; Dio Chrys. 3.86 und bes. 3.104–106.

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II. Libanius

εἰ γὰρ δὴ μήτε ὄψεται ἔτι τοὺς ἐν ταῖς θήκαις ἐκείνους μήτε λεγόντων τι καὶ παραινούντων ἀκούσεται μήτε συμμαχούντων ἀπολαύσεται μηδὲ τὰ μὲν κελεύοντος ποιούντων, τὰ δὲ καὶ σιωπῶντος, οὐκ ἂν αὐτῷ περικεκομμένου τηλικούτου κτήματος ἐν ἐλάττοσι ζῴη; «Wenn er nämlich seine Freunde, die im Grabe ruhen, nicht mehr sehen wird, wenn er nicht mehr hören wird, was sie ihm sagen und raten, wenn er nicht mehr in den Genuss kommen wird, sie als seine Mitstreiter zu haben und sie sich nicht mehr für ihn entweder nach einer Aufforderung oder auch ohne ein Wort einsetzen können. Wie wird wohl ein Mann, der eines derartigen Besitzes beraubt wurde, nicht ein ziemlich schlechtes Leben führen?» 177 Sich selbst stilisiert Libanius zum Schluss der Rede als arm, da er den Tod zahlreicher Freunde zu beklagen habe. Ob diese Aussage einen biographischen Hintergrund hatte, kann nicht beantwortet werden, da jegliche Anhaltspunkte für eine Datierung des Textes fehlen. Entstehungs- und Aufführungskontext der Rede sind unbekannt. Die Reminiszenzen an Xenophon und die prominente Platzierung der Anekdote um Alexander den Grossen in der Mitte der Rede lassen eine Verortung im Schulkontext vermuten. Oratio 8 ist die einzige Rede aus dem Korpus des Libanius, welche philia explizit zum Thema hat. Bernard Schouler hat sich ausführlich mit dieser oratio auseinandergesetzt.178 Seine Beobachtungen subsummiert er unter dem Titel «Une vue restreinte sur l’amitié». Der Titel insinuiert bereits, dass Schouler Libanius’ Ausführungen zur philia einem Vergleich unterzieht und sie für eine einseitige Behandlung des Freundschaftsthemas hält. Er vermisst bei Libanius moralphilosophische Überlegungen, die in der Tradition des Aristoteles Freundschaft als Tugend und als Mittel der seelischen Vervollkommnung betrachten.179 Des Weiteren stört er sich an Libanius’ utilitaristischer Beschreibung von philia, die er implizit immer mit einer Idealvorstellung der französischen «amitié» als zweckfreie und affektive Bindung zweier Personen vergleicht. Vor diesem Hintergrund begreift er die philia, wie Libanius sie in der achten Rede darstellt, als defizitär. Überzeugt davon, dass diese Rede nicht gleichbedeutend mit dem Freundschaftsverständnis des Sophisten sein könne, macht er sich zum Ziel, sie in einen grösseren Kontext zu stellen, damit «la conception purement intéressée qui s’y fait jour prendra un relief moins abrupt.»180 Als Beleg dafür, dass Libanius auch emotionale Bindungen zu Freunden verspürte, führt er vor allem Ausschnitte 177 178 179 180

Lib. or. 8.11. Schouler 1973, 63–78. Schouler 1973, 63. Schouler 1973, 64.

2. Philia bei Libanius

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aus Briefen und Reden des Libanius an, in denen Libanius der Trauer um verstorbene Freunde Ausdruck verleiht.181 Den utilitaristischen Aspekt von philia versucht Schouler überdies mit dem Streben nach Tugend zu verbinden, indem er postuliert, dass Libanius und seine Freunde bei all ihren Aktionen immer das Gemeinwesen vor Augen gehabt hätten.182 Er kommt dabei zum Schluss: «Ainsi replacée dans le cadre plus large des convictions profondes de Libanios, l’amitié peut, sans contradiction ni scandale, osciller entre le pôle de la générosité et celui de l’utilité.»183 Schoulers Darstellung ist offenkundig geprägt von modernen Erwartungshaltungen an Freundschaft, die jedoch der philia bei Libanius nicht gerecht werden.184 Anstatt philia, wie sie in Libanius’ Schriften erscheint, an einem Ideal zweckfreier Freundschaft zu messen, soll im Folgenden exemplarisch nach Bedeutung und Funktion von philia im vierten Jahrhundert gefragt werden. Die mit dem phil-Stamm verbundene Terminologie (φιλία, φίλος, φιλεῖν) gehört zu den am häufigsten verwendeten Begriffen überhaupt im Œuvre des Libanius.185 Allein dieser quantitative Befund verdeutlicht die Bedeutung, die philia als Beziehungsform zukam. Deshalb soll der Versuch unternommen werden, philia als soziales Konzept näher zu fassen, indem Erwartungen und Normen identifiziert werden, welche mit einer philia verbunden waren. Wie Scott Bradbury festgehalten hat, fassen wir bei Libanius philia primär als «friendship in action» und damit meist in Verbindung mit Unterstützungen, die im Namen der Freundschaft für Freunde eingefordert oder geleistet wurden.186 An diese Beobachtung werde ich anschliessen, wenn ich in einem ersten Schritt (II.2.1.) die enge Verbindung zwischen philia und charis, dem Austausch von gegenseitigen Gefälligkeiten, herausarbeiten werde. In einem zweiten Schritt (II.2.2.) soll nach dem Verhältnis von philia und sozialem Status gefragt werden. Hier interessiert, zwischen welchen Personen philia bestehen konnte und wie mit allfälligen Rangunterschieden umgegangen wurde. Gleichzeitig soll in diesem Kontext aber auch betrachtet werden, wie sich einflussreiche Freundschaften wiederum auf die

181

Schouler 1973, 65–69. Schouler 1973, 74 f. 183 Schouler 1973, 76. 184 Auch Sandwell 2007b, 232 dient als implizite Kontrastfolie das zeitgenössische Verständnis der englischen «friendship». Dies offenbart sich in der von ihr gewählten Formulierung zur Beschreibung von Libanius’ Briefkontakten: Diese seien oftmals «beyond simple friendship», da sie «a more practical function» gehabt hätten. Cabouret 2001, 20 verklärt dagegen Libanius’ Wirken als Freund, wenn sie seine Korrespondenz als «l’expression la plus haute de son humanisme» bezeichnet. 185 Vgl. die Konkordanz von Fatouros/Krischer/Najock 1987–2003. 186 Bradbury 2006, 245. 182

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II. Libanius

eigene soziale Stellung auswirken konnten. Im Hinblick auf die religiösen Veränderungen, die das vierte Jahrhundert sah, soll in einem dritten Schritt (II.2.3.) gefragt werden, welche Bedeutung der Religionszugehörigkeit in der Beziehung zwischen zwei philoi zukam. Abschliessend soll (II.2.4.) untersucht werden, wie in philia-Beziehungen Vertrauen und Stabilität erreicht werden konnte. Einerseits werden hierzu die Elemente, die bei der Konstituierung von philia vertrauensbildend wirkten, akzentuiert. Andererseits wird die Einbettung von philia in ein übergeordnetes Wertesystem rekonstruiert. Es wird sich zeigen, dass Libanius’ achte Rede nicht so realitätsfremd ist, wie es auf den ersten Blick erscheinen könnte.

2.1. Philia und charis Unterstützung als Freundespflicht Ende der 350er Jahre schickte Libanius einige seiner Sklaven (οἰκέται) in die an Syrien angrenzende Provinz Kilikien, um dort Holz zu kaufen. Aufgrund ihres unfreien Status waren sie in einer deutlich schlechteren Verhandlungsposition als Libanius. Damit sie deshalb bei den Geschäften nicht übervorteilt wurden, versuchte er, sie vor Ort unter den Schutz eines mächtigen Mannes (τινὰ τῶν αὐτόθι δυνατῶν) zu stellen. Er gab ihnen einen Brief an einen gewissen Gaius mit, der in dieser Gegend wohnhaft war. Gaius verfügte in Kilikien über eine einflussreiche Position oder, um es in den Worten des Libanius zu sagen, über «gerechte Macht», und zudem verband ihn eine philia mit Libanius (σοὶ δὴ καὶ δύναμις δικαία καὶ φιλία πρὸς ἡμᾶς). Libanius appellierte an die bestehende Beziehung, um Gaius zum Schutz für seine Sklaven zu bewegen.187 War der Kauf von Holz zwar ein wichtiges, jedoch vergleichsweise banales Unterfangen, so sah die Einkaufsliste zur Vorbereitung der regelmässig in Antiochia stattfindenden Spiele schon wesentlich eindrücklicher aus: Die Austragenden sollten nicht nur möglichst wilde Tiere, sondern auch die besten Bogenschützen aus den entlegensten Regionen sowie die furchtlosesten Kämpfer auftreiben, um ihren Mitbürgern ein unvergessliches Schauspiel zu bieten und sich selbst ewigen Ruhm zu sichern. Um zu gewährleisten, dass wirklich nur die beste Qualität erworben wurde, war ebenfalls die Unterstützung von lokalen Magnaten nötig. Libanius’ Freund Celsus, der im Jahre 364 die Olympischen Spiele in Antiochia durchführte, wollte für die Tierkämpfe eine besonders schwer

187 Lib. ep. 568. Gaius ist nur aus den Briefen des Libanius bekannt. Vgl. Seeck 1906, 161 (Gaius I).

2. Philia bei Libanius

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bezwingbare Art von Bären erwerben, die nur in den Bergen Phrygiens heimisch waren. Den Kauf sollte ein Vertrauter organisieren. Dieser Mittelsmann brach mit zwei Empfehlungsschreiben des Libanius auf, welche ihm die Unterstützung sowohl des proconsularis Asiae Dulcitius als auch des vicarius Asiae Caesarius zusichern sollten.188 An Letzteren schrieb Libanius: (5) ἀκούων δὲ τὴν Ἴδην τὴν Τρωικὴν ἄρκτων γένη δύσμαχα τρέφειν – ἔστι δὲ κεφάλαιον τῶν περὶ ταῦτα ὁ ἀπὸ τούτων φόβος καὶ τὸ ἐπιβουλότερα εἶναι μᾶλλον ἢ ῥᾴδια ἐξαπατᾶσθαι – τοῦτον δὴ τὸν φόβον ἔπεμψε κομιοῦντα Πολύκαρπον δοῦναι μὲν πλέον ἑτέρου δυνάμενον, δεόμενον δὲ συμμαχίας, εἴ τις ἐπελθὼν βιάζοιτο. ἀνδρὸς δὲ ξένου πολίτης δυνατώτερος ἂν εἴη καὶ ῥᾷστα ἂν ἐξελάσας τὸν ἐωνημένον αὐτὸς ἀδίκως ἔχοι. (6)  ἀλλὰ σύ, ὦ ἄριστε, ποιήσεις τὸν ξένον δυνατώτερον, ἢν μετ’ αὐτοῦ τὸ δίκαιον ᾖ. «5.  Da er [Celsus] aber wusste, dass die troische Ida unbezwingliche Arten von Bären hervorbringt – die Hauptsache daran aber ist der Schrecken, den sie verbreiten, da sie nicht leicht zu täuschen sind, sondern selbst hinterhältig –, so schickte er also, jene Schreckenstiere zu holen, Polycarpus, der mehr zu geben vermag als andere, jedoch des Beistandes bedarf, wenn jemand sich Übergriffe gegen ihn erlaubt. Ist doch dem Fremden gegenüber ein Bürger im Vorteil, denn er kann sehr leicht den Käufer verjagen und die Ware unrechtmässig selbst in Besitz nehmen. 6. Du aber, mein Bester, wirst den Fremden mächtiger machen, sofern das Recht auf seiner Seite steht.»189 Diese beiden Schreiben veranschaulichen exemplarisch, welche praktische Bedeutung philia-Beziehungen haben konnten. Die Unterstützung von Freunden war unabdingbar, um unter den Bedingungen des Römischen Reiches erfolgreich Geschäfte abschliessen zu können. Verfügten Männer wie Libanius und Celsus lokal zwar über beachtlichen Einfluss, so reichte dieser nicht aus, um auch in anderen Provinzen erfolgreiche Verhandlungen führen zu können. Fremde konnten bei Kaufgeschäften leicht von Einheimischen getäuscht werden. Dies galt umso mehr, wenn sie sich durch Personen mit niedrigem oder gar unfreiem Status vertreten liessen. Aber nicht nur bei Handelsgeschäften und der Organisation von Spielen waren persönliche Kontakte von zentraler Bedeutung. Auch bei der Verwaltung von Landgütern in anderen Provinzen, bei Reisen oder Gesandtschaften, bei Erb188

Lib. ep. 1399 und 1400. Zu Dulcitius vgl. PLRE I, 274 (Dulcitius 5) und Petit 1994, 84 f. (Dulcitius  III); zu Caesarius vgl. PLRE I, 168 f. (Caesarius 1) und Petit 1994, 56 f. (Caesarius IV); zu Celsus vgl. PLRE I, 193 f. (Celsus 3) und Petit 1994, 62–65 (Celsus I). 189 Lib. ep. 1399.5–6 (Übers. nach FK 40).

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II. Libanius

schaftsstreitigkeiten190 oder Gerichtsfällen aller Art, bei Steuerfragen oder Gesuchen um den Erlass eines munus, bei Geldnöten,191 Lohnzahlungen oder für den Erhalt eines Amtes in der imperialen Administration waren Freunde unentbehrlich.192 Wenn Libanius in der eingangs zitierten Rede die Freunde zu seinen wichtigsten Ressourcen zählte, so war das nicht nur blosse Rhetorik, sondern entsprach den lebensweltlichen Bedingungen seiner Zeit. Freunden kam eine wichtige soziale, politische und ökonomische Funktion zu.193 Für die Unterstützung, die Freunde sich gegenseitig gewährten, ist im Griechischen der Begriff der charis (χάρις) zentral. Er beinhaltet die Quintessenz dessen, was von Freunden erwartet wurde, indem er nicht nur einen Gefallen oder eine Gefälligkeit, sondern auch Dankbarkeit bezeichnet.194 Im Griechischen wird also für den Gefallen, um den gebeten wird, und für den Dank, den man für einen erhaltenen Gefallen empfindet, dasselbe Wort verwendet.195 Dies deutet bereits folgenden Kreislauf an: Für einen gewährten Gefallen wurde Dankbarkeit erwartet, die sich wiederum in einem Gefallen äusserte. Der Austausch von solchen Gefälligkeiten fand bevorzugt zwischen Verwandten und Freunden statt. Wie eng charis und philia verbunden waren, wird aus den Fällen deutlich, in welchen gerade keine philia bestand. So wandte sich Libanius brieflich an Gaianus, der ihm zwar vom Hörensagen, nicht aber persönlich bekannt war.196 Gaianus war 190

Libanius brauchte beispielsweise Hilfe bei einem Streit um das Erbe seines Onkels Phasganius, vgl. Lib. ep. 126. 191 Vgl. z. B. Lib. ep. 218: Libanius’ Cousin übernahm sich bei der Organisation von Spielen in Antiochia und musste Geld von Freunden leihen. 192 Vgl. Liebeschuetz 1972, 193 f. 193 Die ökonomische Bedeutung von Freunden wurde für verschiedene Epochen der griechisch-römischen Antike herausgestellt. Vgl. insbesondere die Studie von Verboven 2002 zur späten Republik. S. auch Rollinger 2009, 128–167. Zu Athen vgl. Millett 1991. 194 Charis kann sowohl «Gefallen», «Gunst» als auch «Dank» bedeuten. Zudem wird der Begriff auch oft im Sinne von «Anmut» verwandt. Vgl. hierzu LSJ, 1978 f. s. v. Zu charis in der Bedeutung eines Gefallens, der zwischen Freunden ausgetauscht wird, vgl. Millett 1991, 123– 126 für den Gebrauch im klassischen Athen. Im Gegensatz zu Millett sieht Konstan 1997, 81 keine Verbindung zwischen charis und philia. Auf die Belege für das klassische Athen soll hier nicht eingegangen werden, aber zumindest für die Spätantike ist diese Hypothese nicht haltbar, wie im Folgenden gezeigt wird. Für den bedeutungsverwandten lateinischen Begriff gratia vgl. Hellegouarc’h 1963, 202–208 und Saller 1982, 21 f. Neben χάρις verwendet Libanius u. a. auch εὐεργεσία sowie die Verbformen χαρίζεσθαι, εὐεργετεῖν und εὖ ποιεῖν / εὖ παθεῖν für das Erweisen sowie Erhalten von Wohltaten. 195 Die lateinische Begrifflichkeit war demgegenüber ausdifferenzierter: Von Freunden wurden beneficia oder officia erwartet, wofür gratia geschuldet wurde sowie die Erwiderung des Gefallens. Vgl. z. B. Verboven 2002, 35–49 und Rollinger 2014, 92–121. 196 Zu Gaianus vgl. Seeck 1906, 160 f.; Petit 1994, 113 f.; PLRE I, 378 f. (Gaianus 6). Als Libanius ihn um das Jahr 357/358 kontaktierte, war Gaianus Advokat, später wurde er Assessor eines Beamten in Antiochia (nach 360) und schliesslich consularis Phoenices (362).

2. Philia bei Libanius

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Advokat in Phönikien. Ein in der Region wohnhafter Freund des Libanius hoffte, mit Hilfe des Gaianus zu verhindern, dass er trotz seines geringen Vermögens für kuriale munera herangezogen würde. Libanius entschied sich, seinen philos zu unterstützen, obwohl er selbst Gaianus nicht kannte: (1) Λόγος ἥκει περὶ σοῦ πρὸς ἡμᾶς ἐπὶ πλεῖστον ἥκειν σε λόγων, καὶ δὴ καὶ τοὺς τρόπους εἶναί σοι μὴ χείρους τῶν λόγων. ὃ μαθὼν ἐγὼ τὸν ταῦτα κεκτημένον ἥδιστ’ ἂν ἰδών, ἐπεὶ μήπω τοῦ μείζονος ἔστι τυχεῖν, εἰς τὸν δεύτερον εἶδον πλοῦν καὶ ἐπιστέλλω. (2)  τὸ δὲ πρὶν ἐντυχεῖν τοῦτο ποιεῖν ἀντὶ τοῦ νομίζειν ἄτοπον ἐρωτικὸν ἡγοῦμαι. οὕτω δέ σε πιστεύω μὴ τὴν ἐμὴν ἀτιμάσειν φιλίαν, ὥστ’ ἤδη καὶ χάριν αἰτεῖν οὐκ ὀκνῶ. «1. Die Kunde erreichte mich über dich, dass du in der Redekunst das Höchste erreicht hast, und dass dein Charakter nicht schlechter sei als deine Reden. Nachdem ich dies erfahren habe, würde ich denjenigen, der dies erreicht hat, am liebsten sehen. Da das Beste noch nicht möglich ist, schlage ich den zweitbesten Weg ein und schreibe. 2. Dass ich dies tue, bevor ich dich getroffen habe, halte ich nicht für unangebracht, sondern ich sehe darin ein Zeichen der Liebe. So sehr vertraue ich darauf, dass du meine Freundschaft [φιλία] nicht missachten wirst, dass ich nicht zögere, auch schon um einen Gefallen zu bitten [χάριν αἰτεῖν].»197 Bezeichnend ist, dass Libanius sich zuerst bemühte, eine philia zu konstituieren, und erst im Anschluss um eine charis bat. Eine ähnliche Verknüpfung von philia und charis findet sich auch in einem Brief an den praeses Euphratensis Pannychius.198 Dieser hatte sich kurz in Antiochia aufgehalten, bevor er sein Amt in der nördlich von Syrien gelegenen Provinz antrat. Libanius hatte jedoch die Möglichkeit verpasst, ihn in dieser Zeit persönlich zu treffen. Deshalb – sowie um einen alten Schulfreund zu empfehlen, der in der Gegend ansässig war – sandte er ihm einen Brief in seine Provinz. Auch hier legte Libanius zunächst dar, dass und weshalb er davon ausgehe, dass zwischen ihm und Pannychius eine Freundschaftsbeziehung bestehe, bevor er um eine charis bat.199 Eine bestehende philia oder aber zumindest die Bereitschaft zur philia war also die Voraussetzung dafür, dass

197

Lib. ep. 336.1–2. Zu Pannychius vgl. Seeck 1906, 231; PLRE I, 665. 199 Lib. ep. 95.2–3: (2) ἔχει οὖν λόγον ἀλγοῦντας τῷ μὴ συγγεγονέναι χρῆσθαι τῷ δευτέρῳ καὶ τοῦ πνεύματος ἁμαρτόντας ἐπὶ τὰς κώπας χωρεῖν καὶ ἐπιστέλλειν. (3) οὕτω δέ σε ἐλπίζω φίλον ἕξειν καὶ τοῖς τε ἐμοῖς ἡσθήσεσθαι γράμμασιν αὐτόν τε εὐθὺς ταῦτα μιμήσεσθαι, ὥστε ὡς ἂν πάλαι συνήθης ἐν τοῖς πρώτοις γράμμασι καὶ χάριν αἰτεῖν οὐκ ὀκνῶ· ἃ γὰρ πρὸς παρόντα οὐκ ἂν ᾐσχυνόμην λέγειν, ἀδικοίην μὴ γράφων. 198

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II. Libanius

um eine charis gebeten werden konnte.200 Die Erfüllung der ersten charis bedeutete dann den Beginn der Freundschaft. Libanius konnte stolz verkünden, dass er nicht nur Freunden helfe, sondern auch Nicht-Freunden – und sie dadurch als Freunde gewinne.201 Wie bereits die Begrifflichkeit deutlich macht, war der Tausch von charites wechselseitig. Die Vergeltung einer erhaltenen Gefälligkeit konnte dabei zeitversetzt erfolgen. Ein schönes Beispiel hierfür stellt folgender Brief an Belaeus, den Statthalter von Arabien, dar:202 (1)  Παλαιᾶς τινος εὐεργεσίας Σωπάτρῳ τούτῳ χάριν ὀφείλω· ἔτυχον μὲν γὰρ Ἀθήνηθέν ποτε πορευόμενος ἐπὶ Θρᾴκης, ὄμβρου δὲ γενομένου πολλοῦ καταφεύγω Πλαταιᾶσιν εἰς οἴκημα φαῦλον, εἰς ὃ καὶ αὐτὸς οὗτος ὑπὸ τοῦ αὐτοῦ καταφεύγει. (2)  τὸ μὲν οὖν πρῶτον λόγος ἦν ἡμῖν ὁ σφοδρὸς ὑετὸς καὶ. οἵαν ἐργάσεται τὴν ὁδόν· ἔπειτ’ ἀλλήλους ἠρωτῶμεν, οἷ σπεύδομεν. ὡς δὲ ἐγένετο δῆλον ὅτι πρὸς τὸ αὐτὸ χωρίον, καὶ προσέθηκα τὸ βαδίζειν ἐπὶ συνουσίᾳ νέων, ὁ μέν, καὶ γὰρ ἦν τῷ ἄρχοντι φίλος, ἥσθη δύναμιν ἔχων εὖ με ποιεῖν, ἐγὼ δὲ Ἑρμοῦ δῶρον τὸν ἄνθρωπον ἡγούμην. ἥ τε οὖν ὁδὸς οὐ χείρων ἡμῖν ἑορτῆς, καὶ ὡς ἥκομεν ἐπὶ τὸν Βόσπορον, ἐβεβαίου τὰς ὑποσχέσεις. (3) ἐγὼ δὲ τῆς μὲν χάριτος ἐμεμνήμην, ἀποδοῦναι δὲ ἐπεθύμουν, καιρὸν δὲ ἐζήτουν, ὁ δὲ εὖ ποιῶν ἥκει· σοῦ γὰρ ἐφεστηκότος Ἀραβίᾳ γένοιτ’ ἄν τι τῷδε καλὸν ἐμοῦ δεομένου. (4) δέομαι δή σου τὸν πρεσβύτην τοῦτον πρῶτον μὲν ἡδέως ὁρᾶν, ἔπειτα ἀπόντα ζητεῖν καὶ τρίτον ἰσχυρότερον τῶν βιαζομένων ποιεῖν, ὅπως ἂν ὧν ἔλαβον παρ’ αὐτοῦ τὸ μέτρον τοῖς διὰ σοῦ διδομένοις παρέλθω. «1. Für eine Gefälligkeit von früher bin ich Sopatros, dem Überbringer dieses Briefes, Dank schuldig. Ich war einmal von Athen aus nach Thrakien unterwegs, als ein Gewitter mich überraschte; ich suchte in einem alten Haus in Platäa Zuflucht, wohin auch er sich aus dem gleichen Grund rettete. 2. Zunächst sprachen wir über den starken Regen und den unmöglichen Zustand des Weges, den wir vorfinden würden; dann fragten wir einander nach dem Ziel unserer Reise. Als deutlich wurde, dass wir nach demselben Ort unterwegs waren, und als ich hinzufügte, ich wolle dort junge Leute unterrichten, freute sich mein Reisegefährte, weil er in der Lage war, mir dabei nützlich zu sein – er war nämlich mit dem dortigen Archon befreundet; ich meinerseits betrachtete den Mann als ein Geschenk des Hermes. Unsere Reise wurde dadurch ebenso fröhlich wie

200

Vgl. auch Lib. ep. 298.2; 361.1. Lib. ep. 105.1: Οὐ φεύγω φίλους ἐν ταῖς ταραχαῖς, ὃ ποιεῖν εἰώθασιν οἱ πολλοί, πολλοῖς δέ γε καὶ μὴ φίλοις παρέστην θορυβουμένοις, ὥστε μοι τοῦτο γενέσθαι φιλίας ἀρχὴν πρὸς αὐτούς. 202 Zu Belaeus vgl. PLRE I, 160. 201

2. Philia bei Libanius

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ein Festzug, und als wir am Bosporus ankamen, löste er sein Versprechen ein. 3.  Ich habe diese Gefälligkeit in Erinnerung behalten und wollte sie erwidern, fand aber keine Gelegenheit dazu; sie hat sich erst jetzt in trefflicher Weise geboten. Denn, nachdem du Statthalter von Arabien geworden bist, könntest du ihm behilflich sein, da ich dich darum bitte. 4. So bitte ich dich, zunächst dem alten Mann freundlich zu begegnen, ferner, seine Gesellschaft zu suchen, und schliesslich notfalls auch Gewalt anzuwenden, damit ich nach Möglichkeit das Ausmass seiner Gefälligkeiten durch deine Hilfeleistung übertreffe.»203 Die Verpflichtung endete allerdings keineswegs nach einem einmaligen Gabentausch. Vielmehr wurde von Freunden erwartet, dass sie ihren Freunden halfen, wann immer Bedarf bestand und sie die Möglichkeiten dazu hatten. Mit jeder ausgetauschten charis wurde die philia stärker und verlässlicher. Dabei bemühten sich die Beteiligten, wie Libanius auch in dem zitierten Brief darlegt, die erhaltene charis zu übertreffen. Damit endete der Kreislauf wechselseitiger Verpflichtungen und Gefälligkeiten nie. Die Kehrseite des Besitzes vieler Freunde thematisiert Libanius ebenfalls in einer Rede: Während jemand, der keine Freunde (aphilos) habe, seinen Feinden schutzlos ausgeliefert sei, sei derjenige, der über viele Freunde (polyphilos) verfüge, ständig damit beschäftigt, erhaltene Gefallen zu erwidern.204 Dass diese Aussage mehr als ein Topos ist, zeigt ein Blick auf die zahlreichen Empfehlungsschreiben des Libanius. Einen Freund zu unterstützen, war τὸ τοῦ φίλου, die Freundespflicht.205 Verweigerten Freunde ohne Grund ihre Hilfe, wurde an der philia gezweifelt. Als der bereits genannte Caesarius nicht für Libanius’ Freund Celsus tätig wurde, der als Syriarch die Spiele in Antiochia veranstaltete, fragte Libanius, ob Caesarius seine Einstellung ihm gegenüber geändert habe und ihm nun feindlich gesinnt sei, oder aber ob er zwar noch sein Freund sei, sich aber äusserst nachlässig verhalte?206 Das Nicht-Eingehen auf eine begründete charis 203

Lib. ep. 762 (Übers. FK 52). Lib. or. 25.59: εἴη ἂν καὶ ὁ ἄφιλος καὶ ὁ πολύφιλος ἐν δουλείᾳ, ὁ μὲν δεδιὼς τοὺς ἐχθροὺς διὰ τὴν ἐρημίαν, ὁ δέ, οἷα ἐν πολυφιλίᾳ, πολλὰς ὀφείλων χάριτας ὧν ἐνίας οὐδ’ ἂν ἀποδοῦναι δύναιτο. In der Rede beschäftigt sich Libanius mit dem Thema der Sklaverei. Er greift dabei zahlreiche philosophische Topoi auf, wonach auch freie Personen unfrei seien, da sie gewissen Zwängen, Konventionen oder Gesetzen unterworfen seien. Zu dieser Rede vgl. Schouler 1973. 205 Lib. ep. 881.2. 206 Lib. ep. 1459.4: πότερον, ὦ ’γαθέ, μεταβέβλησαι καὶ μισεῖς ἢ φιλεῖς μέν, ἀπερρᾳθύμηκας δέ; Es geht in diesem Brief nicht mehr um Bären wie in ep. 1399, sondern um einen Betrag aus der kaiserlichen Kasse, der dem Austräger der Spiele zustand und welchen Celsus bereits brieflich bestätigt bekommen hatte. Allerdings hatte er die Zuwendung bislang nicht erhalten. Darum sollte sich Caesarius kümmern, der inzwischen das Amt des comes rei privatae angetre204

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II. Libanius

wurde als Verletzung der Freundespflichten gesehen und führte im schlimmsten Fall zum Bruch der philia.207 Die Stärke der Freundschaft wurde umgekehrt daran gemessen, ob eine charis erfüllt wurde. Libanius imaginierte im vorliegenden Brief bereits, dass Caesarius als Entschuldigung anbringen werde, dass er aufgrund seines Amtes mit zahlreichen Anliegen konfrontiert sei. Doch der Sophist hielt dagegen, selbst wenn Caesarius das eine oder andere Geschäft ablehnen müsse, so sei die Angelegenheit des Celsus doch vordringlich.208 Bereits in seinem ersten Brief hatte er ausgeführt, wie wichtig die Spiele für Antiochia und 17 beteiligte Städte seien.209 Es ging hier also nicht nur um Celsus, mit welchem Caesarius überdies auch selbst befreundet war, sondern um einen Anlass von überregionaler Bedeutung.210 Libanius war sich bewusst, dass einflussreiche Männer wie Caesarius mit Bittgesuchen überhäuft wurden und unmöglich allen entsprechen konnten. Doch er erwartete, dass sie die Anfragen nach der Bedeutung des Anliegens und natürlich auch des Bittstellers priorisierten.211 Die Antragsteller signalisierten meist bereits durch die Art und Weise, wie sie ein Bittschreiben verfassten, ob ihnen das Anliegen mehr oder weniger wichtig war. Während einige Schreiben eine ausführliche und warme Vorstellung des Empfohlenen beinhalteten, die kenntlich machten, dass Libanius viel an der Erfüllung der charis lag, liest sich ein anderes Schreiben folgendermassen: (1)  Ἀνήρ τις τῶν ἐπιεικῶν ἐδεήθη μου δεηθῆναί σου καὶ χάριν αἰτῆσαι τοῦ πρέποντος οὐκ ἔξω, ταμίαν τινὰ κοινῶν χρημάτων, Παπιριανὸν ὅπως βλέποις ἡδέως· ἐγὼ δὲ ἐκεῖνον μὲν οὐκ εἶδον· εἰ δ’ ἔοικε τούτῳ καὶ ἡ τῶν τρόπων ὁμοιότης εἴργασται τὴν φιλίαν, χρηστὸς ἂν εἴη. (2) εἰ οὖν μὴ φαῦλος ὁ ταμίας, ὅπερ εἰκάζω, τυγχανέτω τινὸς ἀγαθοῦ. «1.  Ein gewisser Mann, der zu den Hochstehenden gehört, bat mich, dich anzuschreiben [wörtl. bitten – δέομαι] und dich um einen Gefallen zu bitten [αἰτέω], der nicht ausserhalb des sich Gebührenden liegt. Papirianus, einem Ver-

ten hatte und in dieser Position dafür verantwortlich war. Zur Organisation der Syriarchie vgl. auch Martin 1988, 221–231. 207 Vgl. auch Lib. ep. 80.2; 253.2–3. Oftmals blieb es jedoch bei der Androhung, da Libanius kein Interesse hatte, gänzlich auf die philia eines einflussreichen Mannes zu verzichten. Es war besser zu schreiben und nichts zu erreichen, als es gar nicht erst zu versuchen. 208 Lib. ep. 1459.5. 209 Lib. ep. 1399.6. 210 Zum Kontakt zwischen Caesarius und Celsus vgl. Lib. ep. 1113. Die Hilfeleistung gestaltete sich allerdings schwierig und Libanius war noch länger mit dieser Sache beschäftigt, auch mit Caesarius’ Nachfolger. Vgl. ep. 1231 und 1232. 211 Vgl. Lib. ep. 1399.

2. Philia bei Libanius

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walter des öffentlichen Vermögens, mögest du mit Wohlwollen begegnen. Ich habe jenen nicht gesehen, wenn er diesem jedoch gleicht und die Ähnlichkeit des Charakters die Freundschaft begründet hat, dann ist er wohl ein guter Mann. 2. Wenn nun der Verwalter kein schlechter ist, was ich vermute, soll ihm etwas Gutes widerfahren.»212 Libanius macht deutlich, dass er Papirianus, dem der Adressat beistehen sollte, gar nicht kannte, und er sich nicht für ihn verbürgen möchte. Auch stellt Libanius den Fürsprecher des Papirianus nicht näher vor. Es entsteht der Eindruck, als sei Libanius hier einer lästigen Pflicht nachgekommen, ohne viel Engagement in die Angelegenheit zu stecken.213

Normen und Konventionen im Austausch von Gefälligkeiten Der Austausch von charites unterlag gesellschaftlichen Normen und Konventionen. Ungeschriebene Gesetze regelten, was von wem erbeten und erwartet werden konnte und wie die Bitten vorzutragen waren. Insbesondere auf die Einhaltung gewisser Höflichkeitsformen wurde Wert gelegt.214 Libanius reagierte indigniert, als sein Freund Ecdicius jeglichen guten Stil vergessen und eine Unterstützung zu direkt eingefordert hatte: (1)  Ἄνελε, πρὸς Ἑρμοῦ, τουτὶ τὸ προοίμιον ἐκ τῶν σῶν πρὸς ἐμὲ γραμμάτων, οὔτε γὰρ τῶν σῶν λόγων οὔτε τῆς οὔσης ἡμῖν πρὸς ἀλλήλους φιλίας ἄξιον. ἁπλῶς δὲ οὑτωσὶ γράφειν· πραχθήτω τὸ καὶ τό, καὶ τῷ δεῖνι βοήθει, καὶ τὸν δεῖνα φίλει. ὃ γὰρ τοῖς τυράννοις παρὰ τῆς ἀρχῆς ἐστι, τοῦτ’ ἔστι παρὰ τῆς φιλίας τοῖς φίλοις· διαφέρει δὲ τοσοῦτον, ὅσον τοῖς μὲν ὑπηρετοῦντες ἀχθόμεθα, τοῖς δὲ ὑπουργοῦντες ἡδόμεθα. (2) σὺ δ’, ὅτι μὲν δεῖ με τοῖς σοῖς βοηθεῖν, τῷ προοιμίῳ προσέθηκας, ὁ δὲ τῆς βοηθείας δεόμενος οὐδαμοῦ, καί μοι παρέστη δόξα τις, ὡς ἐγὼ μὲν τῷ σχήματι τῆς παρακλήσεως τιμῶμαι, τἄργα δὲ ἑτέροις πρόσκειται. «1. Nimm, bei Hermes, dieses Prooimion in deinem Brief an mich zurück! Es ist nämlich weder deiner Worte noch der zwischen uns gegenseitig bestehenden

212 Lib. ep. 788. Papirianus ist nur aus diesem Brief bekannt. PLRE I, 666 (Papirianus 1) vermutet aufgrund des Hinweises auf seine Funktion als Vermögensverwalter, dass er praepositus thesauri war. 213 Auch aus Symmachus’ Feder sind solche Empfehlungsschreiben erhalten, die eher eine Pflicht erfüllten, als dass sie persönlichen Einsatz für die Sache ausdrückten. Vgl. hierzu Matthews 1974, 62 f. mit Verweis auf Symm. ep. II.82; VII.87; IX.60; IX.90. 214 Zu Höflichkeit in der griechisch-römischen Kultur und insbesondere in Briefen vgl. u. a. Hall 1998; Hall 2009; Scholz 2009; Dickey 2016.

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II. Libanius

Freundschaft würdig. Du hast nämlich einfach auf folgende Weise geschrieben: Es soll dies und jenes gemacht werden, helfe dem und dem und mache zum Freund den und den. Was nämlich den Tyrannen aufgrund ihrer Herrschaftsstellung zufällt, das wird Freunden durch die Freundschaft zuteil. Es gibt allerdings einen Unterschied: Wir empfinden es als lästig, den einen zu dienen, aber haben Freude daran, den anderen einen Dienst zu erweisen. 2. Du aber hast in deinem Prooimion hinzugefügt, dass ich den deinigen helfen muss, nirgends jedoch hast du um die Hilfeleistung gebeten. Mir haftet aber ein gewisser Ruf an, nämlich dass ich die Form der Bitte ehre. Diese Aufgaben kommen deshalb anderen zu.»215 Libanius lehnte die Erfüllung der Bitte ab. Zwar bestand eine philia, doch war die Bitte um eine charis nicht in der angemessenen Form vorgetragen worden. Ecdicius war zu fordernd aufgetreten und hatte möglicherweise auch zu viel verlangt.216 Wenn man Unterstützung für Freunde zu vermitteln suchte, musste man des Weiteren gut überlegen, wen man dafür ansprach. Ein weiteres Gebot besagte nämlich, dass Freunde ihren Freunden nicht schaden durften. Insbesondere die Unterstützung von Feinden oder Konkurrenten seiner eigenen Freunde galt es zu vermeiden. Eine Zuwiderhandlung setzte die philia aufs Spiel.217 Verkehrte der Empfohlene mit Leuten, die nicht zu den Freunden desjenigen gehörten, der um Hilfe gebeten wurde, musste dies ebenfalls erklärt und begründet werden. So entschuldigte Libanius einen Schützling für dessen Reisegefährten: Er teile zwar den Wagen mit ihnen, nicht aber ihre Ansichten.218 Es galt sorgfältig abzuwägen, wem welche Bitte präsentiert werden konnte und auf welche Weise. Freunde sollten zudem nicht in die Verlegenheit geraten, um etwas gebeten zu werden, das sie nicht erfüllen wollten oder konnten. Auch ein und dasselbe Anliegen musste unter Umständen je nach Adressat ganz anders formuliert werden. Sehr schön illustriert diese Vorgabe Libanius’ Einsatz für den Sophisten Eusebius, der seine Befreiung von kurialen Pflichten zu verlieren drohte.219 Libanius wandte sich

215

Lib. ep. 1497. Zu Ecdicius ist nur wenig bekannt. Vgl. Seeck 1906, 125 (Ecdicius  I); PLRE I, 276 (Ecdicius). 216 Lib. ep. 673 lässt vermuten, dass grosse Bitten normalerweise nicht durch einen Brief übermittelt wurden. 217 In ep. 75 versuchte Libanius seinen Verwandten Eumolpius zu überzeugen, dass der Antiochener Parthenius nicht, wie Eumolpius fälschlich annahm, eine ihm feindlich gesinnte Person unterstützt hatte. Vgl. auch or. 40, in welcher Libanius denselben Eumolpius anklagte, seine Konkurrenten zu unterstützen. Zu Eumolpius vgl. Seeck 1906, 135. 218 Lib. ep. 560. Um Konflikte zwischen verschiedenen Freunden zu vermeiden, rät der Philosoph Themistius davon ab, überhaupt zu viele Freunde zu haben. Vgl. Them. or. 22. 219 Zu Eusebius vgl. Seeck 1906, 143 f. (Eusebius XXII); PLRE I, 305 (Eusebius 24).

2. Philia bei Libanius

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in dieser Angelegenheit an verschiedene einflussreiche Persönlichkeiten.220 So schrieb er im Jahr 388 an Aburgius, der über viel Einfluss am Hof verfügte und ein Freund des amtierenden Prätoriumspräfekten Tatianus war.221 In seinem Brief reflektierte er, dass er sich mit der Bitte sehr wohl an ihn, nicht aber an Tatianus selbst wenden könne: (1) Οὐκ ἔλαθές με τηρῶν ἀκριβῶς τὴν πάλαι γενομένην φιλίαν οὐδ’ ὅτι χαίρεις ὁρῶν χαίροντα τοῖς ἡμετέροις πόνοις τὸν μέγαν Τατιανόν· ταυτὶ γὰρ οἱ μὲν ἥκοντες ἡμᾶς ἐδίδαξαν, οἱ δὲ ἐν ἐπιστολαῖς. (2) οὔκουν ἡγησάμην ἐνοχλήσειν, εἰ χάριν αἰτοίην ὑπὲρ ἧς πρὸς μὲν αὐτὸν οὐκ εἶχέ μοι μνησθῆναι καλῶς, ἐπὶ σὲ δὲ ὑπὸ τοῦ πρέποντος ἐπεμπόμην. «1.  Es ist mir nicht entgangen, dass du unsere vor langer Zeit entstandene Freundschaft sorgfältig bewahrst, und dass du dich freust, wenn sich der grosse Tatianus über unsere Bemühungen freut. Dies nämlich teilten uns die einen beim Besuch mit, die anderen über Briefe. 2. Deshalb glaubte ich nicht, dass ich dich belästigen würde, wenn ich um einen Gefallen bäte, den ich ihm gegenüber nicht gut erwähnen kann, den ich dir aber mit gutem Gewissen unterbreiten kann.»222 Tatsächlich wandte sich Libanius auch an Tatianus. Die Bitte trug Libanius jedoch anders vor. Während er gegenüber Aburgius detailliert ausführte, wie die antiochenische Kurie in seinen Augen Eusebius zu Unrecht in ihre Reihen integrieren wollte, obwohl sie ihm früher Immunität zugesichert hatte und sogar eine entsprechende kaiserliche Bestätigung vorlag, vermied Libanius gegenüber Tatianus jegliche Erwähnung der Ansprüche der Kurie. Er wusste, dass der Prätoriumspräfekt in seiner Amtszeit eine rigide Politik zur Stärkung der Kurien verfolgte und das Ansinnen, Eusebius von kurialen Pflichten zu entbinden, diesen Bestrebungen diametral entgegenstand. Er schrieb deshalb nur relativ vage, dass Tatianus ihn und seine Schule nicht der Unterstützung eines äusserst begabten Lehrers berauben solle.223 Von den Bittstellern wurde folglich eine gewisse Sensibilität erwartet. Sie sollten ihre Freunde nicht um Gefallen bitten, die deren Ansichten zuwiderliefen oder sie in Schwierigkeiten bringen konnten. Seinen Freund Acacius, der als comes domorum per Cappadociam die kaiserlichen Anwesen und ihre Pferdebestände beaufsichtigte, hatte Libanius einmal um den Kauf eines Pferdes gebe-

220

Vgl. Lib. ep. 870; 904–909; 918–921. Aburgius amtierte zehn Jahre zuvor (378) möglicherweise selbst als praefectus praetorio per Orientem. Vgl. PLRE I, 5 (Aburgius) mit Verweis auf Bas. ep. 196 = Greg. Naz. ep. 241. 222 Lib. ep. 907.1–2. 223 Lib. ep. 909. Zu Tatianus vgl. PLRE I, 876–878 (Fl. Eutolmius Tatianus 5). 221

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II. Libanius

ten.224 Erst später erfuhr er, dass für Amtsinhaber solche Käufe nicht gestattet waren: Πολὺν ἐσίγησα χρόνον ὑπ’ αἰσχύνης, ὅτι σε ἠξίωσα πρᾶξαί μοί τι τῶν νόμων ἔξω. μετὰ γὰρ τὸ δεηθῆναί σου πρίασθαί μοι πῶλον εὐγενῆ νόμῳ τοῦτο ἤκουσα κεκωλύσθαι· μὴ γὰρ ἐξεῖναι τὸν ἄρχοντα παρὰ τῶν ἀρχομένων ὠνεῖσθαι. σὺ μὲν οὖν με λυπεῖν οὐκ ἐθέλων τοῦτο ἔκρυψας, διδαχθεὶς δὲ αὐτὸς ὑφ’ ἑτέρων ἠρυθρίασα λογιζόμενος, τίς ἂν ἦσθα αἰτούμενος τὰ μὴ σά. «Lange Zeit habe ich geschwiegen, weil ich mich schäme, etwas Ungesetzliches von dir gefordert zu haben. Denn erst nachdem ich dich gebeten hatte, mir ein edles junges Pferd zu kaufen, habe ich gehört, dass das Gesetz dies verbiete; es sei nämlich verboten, dass ein Beamter von seinen Untergebenen etwas kauft. Du hast dies verschwiegen, weil du mir nicht weh tun wolltest, aber nachdem ich es von anderen erfuhr, errötete ich bei dem Gedanken, wie dir wohl zumute gewesen sein mag, als dir etwas abverlangt wurde, das dir nicht zusteht.»225 Um seinem Freund keinen Ärger zu bescheren, zog Libanius die Bitte zurück.

Philia und dynamis Gerade wenn Amtsinhaber um charites gebeten wurden, bewegten sich die Anliegen oftmals in einer Grauzone zwischen dem, was als rechtmässige Unterstützung von Freunden galt, und dem, was als Amtsmissbrauch gedeutet werden konnte. In einem für Beamte verfassten Ratgeber geht Plutarch auch auf den richtigen Umgang mit Freunden ein. Während er es ablehnt, dass ein Amtsinhaber sich bei Amtsantritt von seinen Freunden trenne, so hält er es umgekehrt auch für falsch, Freundschaft über die Pflichten des Amtes zu stellen.226 Es galt also, das richtige Mass zu finden. Ein Amtsinhaber sollte den Freunden helfen, solange er keine Gesetze verletzte.227 Libanius betonte deshalb jeweils, dass sich seine Bitten im Rahmen der gesetzlichen Ordnung bewegten oder dass zumindest die erbetene Gefälligkeit gerecht sei.228 Als er sich gezwungen sah, für einen Freund um eine charis zu bitten, die eigentlich gegen das geltende Recht verstiess, erinnerte er an das historische Beispiel des Perikles, der für sich selbst eine

224 Vgl. Lib. ep. 1174.1–3 zum Tätigkeitsbereich des Acacius und ep. 1222.4 zum Pferdekauf. Zu Acacius vgl. PLRE I, 7 (Acacius 8); Petit 1994, 23 f. (Acacius I). 225 Lib. ep. 1514.1 (Übers. nach FK 33). 226 Plut. mor. 807A–B. 227 Plut. mor. 808B. 228 Vgl. z. B. Lib. ep. 56; 105. S. auch Liebeschuetz 1972, 195 f.

2. Philia bei Libanius

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Ausnahme von seiner eigenen Bürgerrechtsregelung beantragt hatte.229 Um den Balanceakt zwischen Amtspflicht und Freundschaftsdienst zu umschreiben, verwies Libanius auch auf die göttlichen Chariten und die griechische Tradition: Zu geben, was nicht erlaubt ist, sei schlecht. Die Chariten jedoch ganz zu verbannen, sei nicht griechisch.230 Plutarch führt in seiner Schrift eine Reihe konkreter Gefälligkeiten an, welche Amtsinhaber ihren Freunden erfüllen konnten. Unbedenklich war es, wenn ein Magistrat seinen Freunden zu Ämtern oder einer prestigeträchtigen Gesandtschaft verhalf.231 Auch die finanziellen Bedürfnisse seiner Freunde durfte er berücksichtigen: So war es beispielsweise akzeptabel, wenn ein Amtsinhaber einem befreundeten Advokaten einen Fall verschaffte, der einen guten Lohn versprach, oder ihn einem reichen Mann empfahl, der Rechtsbeistand brauchte. Auch beim Abschluss vorteilhafter Käufe oder Verträge konnte er behilflich sein.232 Aufgrund ihrer Position konnten Amtsinhaber besonders viele und besonders bedeutende charites erfüllen. Je nach Amt und Rang verfügten die verschiedenen Statthalter in den Provinzen über weitreichende Kompetenzen in der Rechtsprechung; sie konnten über den Erlass von Steuerlasten oder die Befreiung von kurialen Pflichten entscheiden und in Streitigkeiten um Landbesitz oder die Verteilung eines Erbes eingreifen.233 Wer selbst ein Amt ausüben wollte oder gar die Aufnahme in den Senat von Konstantinopel anstrebte, war auf einflussreiche Fürsprecher angewiesen. Grundsätzlich wurde erwartet, dass Beamte ihre Macht (dynamis) in diesen Bereichen zugunsten ihrer Freunde einsetzten, zumindest soweit es das Gesetz nicht explizit verbot. So begründete Libanius gegenüber Ammianus, dem Assessor des Statthalters der Euphratensis, seinen Anspruch auf Teilhabe an der Macht explizit mit der bestehenden philia: ἔχω δὲ βοηθεῖν οὐ τῇ ἐμαυτοῦ δυνάμει, ἀλλὰ τῇ σῇ. χρῶμαι δὲ αὐτῇ κατὰ τὴν φιλίαν. «Ich kann ihm nicht durch meine eigene Macht helfen, aber ich kann es durch deine. Und ich mache davon Gebrauch gemäss unserer philia.»234 229

Lib. ep. 696.4–6. Vgl. Plut. Perikles 36–37. Lib. ep. 217.6: καὶ ἃ μὲν οὐκ ἄξιον διδόναι, δοῦναι κακίας τὸ δὲ ὅλως ἐκβαλεῖν τὰς Χάριτας οὐχ Ἑλληνικόν. Vgl. auch Lib. ep. 221; 357.1; 757.1. Vgl. Liebeschuetz 1972, 195 f. 231 Plut. mor. 808B–C. 232 Plut. mor. 808F–809A. 233 Zu den Kompetenzen von Statthaltern s. z. B. Ausbüttel 1988, 127–160; Palme 1999; Slootjes 2006. Vgl. auch die Ausführungen in II.3. 234 Lib. ep. 215.2. Zu Ammianus vgl. PLRE I, 54 (Ammianus 3); Petit 1994, 32 (Ammianus I). 230

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II. Libanius

Mit diesen Worten versuchte Libanius, die Hilfe des Ammianus für den Antiochener Calliopius zu gewinnen, der gerade vor Gericht stand.235 Calliopius wollte sich die Unterstützung des Assessors erkaufen, doch Libanius stattete ihn stattdessen mit einem Empfehlungsschreiben aus, in welchem er an die philia des Ammianus appellierte.236 Geldzahlungen und persönliche Begünstigungen waren üblich und wurden keineswegs heimlich abgehandelt.237 In der rhetorischen Darstellung des Libanius und seiner Zeitgenossen gab es jedoch eine klare Botschaft: Während es für einen Beamten ruhmreich war, sich für seine Freunde einzusetzen, haftete der Käuflichkeit ein negativer Aspekt an. Es waren Emporkömmlinge, welche das Geld nötig hatten und nicht über die mit paideia verbundene arete verfügten, die sich für ihre Dienstleistungen bezahlen liessen.238 Die Vergütung, die Libanius seinen Freunden in Aussicht stellte, war deshalb nicht finanzieller Natur. Vielmehr versprach er, den Normen der philia entsprechend, sich seinerseits mit einer charis zu revanchieren. So schloss er ein Empfehlungsschreiben an seinen früheren Studienkollegen Eugnomonius mit folgenden Worten: εἰ μὲν οὖν οὐκ ἦν σοι δύναμις, ηὐξάμην ἄν σοι γενέσθαι, νῦν δὲ τῆς οὔσης ἀπολαύειν ἐθέλων ἴσως οὐκ ἀδικῶ. μισθὸς δέ σοι παρά τε ἐμοῦ καὶ τοῦδε τὸ μεμνῆσθαι τῆς χάριτος. «Wenn du keinen Einfluss [dynamis] hättest, würde ich darum beten, dass du welchen bekämst. Da du ihn aber besitzt, bin ich vielleicht nicht im Unrecht, wenn ich davon profitieren möchte. Lohn wird dir sein, dass ich und jener uns an den Gefallen erinnern werden.»239 Wie bereits herausgestellt wurde, musste die Vergeltung einer charis nicht sofort stattfinden, sondern konnte zeitversetzt erfolgen, wenn der Freund seinerseits auf Hilfe angewiesen war. Wie die zitierte Passage aber auch deutlich macht, 235

Zum Kontext des Briefes vgl. Bradbury 2004b (Nr. 122), 160. Zu Calliopius vgl. Seeck 1906, 99–101 (Calliopius I); Petit 1994, 58 f. (Calliopius I); PLRE I, 174 f. (Calliopius 2). 236 Lib. ep. 215.3. 237 Die Beurteilung dieser Praxis fällt in der Forschung unterschiedlich aus. Während MacMullen 1988 darin einen Grund für den Niedergang des Imperium Romanum sieht, interpretiert Kelly 2004 die Bezahlung von Dienstleistungen als Zeichen einer zunehmenden Bürokratisierung und Abkehr von Freundschaftsnetzwerken. Vgl. auch Jones 1964, 396; 399–401; 502–504; Palme 1999, 114 f.; Marcone 2006; Schmidt-Hofner 2008, bes. 74–80; Cabouret 2013, 79 f. und Demandt 2007, 301 f. mit weiterer Literatur. 238 Vgl. die Wertung in Lib. ep. 215.3. Die Verbindung von fehlender paideia und Korruption sowie die Rolle der Korruption bei Symmachus, Libanius und Gregor von Nazianz hat Watson 2010 untersucht. 239 Lib. ep. 382.5. Zu Eugnomonius vgl. Seeck 1906, 134 f.; PLRE I, 293. Eugnomonius hatte mit Libanius in Athen studiert. Ein früheres Schreiben (ep. 559), mit welchem Libanius den Kontakt wieder aufnehmen wollte, blieb unbeantwortet.

2. Philia bei Libanius

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wurde ein Gefallen oftmals sowohl von dem, der ihn effektiv erhielt, wie auch von dem, der darum gebeten hatte, vergolten. Beziehungen sollten deshalb nicht nur als Dyaden betrachtet werden, sondern vielmehr im Kontext eines grösseren Netzwerkes, in welches sie eingebettet waren. Im Austausch von charites musste überdies nicht Gleiches mit Gleichem vergolten werden: Güter und Dienstleistungen waren durchaus konvertierbar. So stellte Libanius dem Pannychius in Aussicht: ἐγὼ δὲ ἔργῳ μὲν οὐκ ἀμείψομαί σου τὴν χάριν, οὐ γὰρ ἐν ἔργοις τά γε ἐμά, λέγων δὲ ἃ δεῖ περὶ τῶν σῶν ἔργων οὔποτε παύσομαι. ἐρῶ δέ, ὡς ἀξία γε τῶν τε πόνων ἐκείνων καὶ τῶν λόγων ἡ τύχη ἐκ μὲν μουσείων ἐπὶ τὸ βουλεύειν ἐλθὼν ἐκράτεις καὶ ἐδείκνυς τὸν ῥήτορα, ἐκ δὲ τοῦ βουλεύειν ἐπὶ τὸ ἄρχειν ἥκεις καὶ πάρεδρος ἡ Δίκη. «Ich werde die charis nicht mit einer Tat vergelten, denn meine Fähigkeiten liegen nicht in den Taten, aber ich werde nicht aufhören, das über deine Taten zu sagen, was gesagt werden muss. Ich werde verkünden, dass dein Glück gerecht ist aufgrund deiner Anstrengungen und deiner Beredsamkeit. Denn vom Tempel der Musen kommend wurdest du zum Ratsherrn, du warst mächtig und zeigtest dich gleichzeitig als Redner, und dann bist du vom Ratsherrn zum Statthalter geworden und Dike sitzt dir zur Seite.»240 Bereits dieses kurze Lob im Brief war eine Vorauszahlung für die erhoffte charis, da der Brief herumgereicht und somit Libanius’ positives Urteil über den Beamten verbreitet wurde.241 Als begnadeter Redner war Libanius wie kein anderer geeignet, die Taten eines Freundes für alle Zeiten ruhmvoll erscheinen zu lassen. Auf seine Funktion als Sophist spielte Libanius auch an, als er sich gegenüber dem comes Orientis Domitius Modestus als Nachtigall bezeichnete: Εἰ περὶ τὰς τῶν δυνατῶν ἠπιστάμην στρέφεσθαι θύρας, ἦν ἂν καὶ αὐτὸς τῶν δυνατῶν· νῦν δέ εἰμι μὲν ἀσθενής, αἰσχύνομαι δὲ οὐδαμῶς, ἀλλ’ ἀρκεῖ μοι τὸ ᾄδειν, ὥσπερ τῇ ἀηδόνι. «Wenn ich wüsste, wie ich die Türen der Mächtigen öffnen könnte, wäre ich vielleicht auch einer der Mächtigen. Nun bin ich zwar schwach, aber ich schäme mich keineswegs. Mir genügt es, wie der Nachtigall, zu singen.» 242

240

Lib. ep. 95.8. Zu Pannychius vgl. Seeck 1906, 231; PLRE I, 665. Vgl. auch Lendon 1997, 57 zum Brief als Vorauszahlung für charites. Zum Vorlesen von Briefen vgl. II.4.2. 242 Lib. ep. 617.1. Zu Domitius Modestus vgl. PLRE  I, 605–608 (Domitius Modestus  2); Petit 1994, 165–172 (Modestus). 241

74

II. Libanius

Libanius’ Position war nicht so schwach, wie er hier formuliert. Panegyrici aus dem Mund des städtischen Sophisten waren für Amtsinhaber durchaus bedeutend.243 Dennoch wird aus diesen Beispielen zugleich deutlich, dass der Austausch von charites bisweilen unausgeglichen sein konnte, was ein Zeichen asymmetrischer Beziehungen darstellte. Im Folgenden soll deshalb nach der Bedeutung des sozialen Status’ für philia-Beziehungen gefragt werden.

2.2. Philia und sozialer Status Die bisherigen Ausführungen haben bereits gezeigt, dass philia nicht nur die Verbindung von gleichrangigen Personen beschrieb, sondern auch Beziehungen bezeichnen konnte, in denen die eine Partei in der sozialen Hierarchie über der anderen stand. Horizontale und vertikale Beziehungen wurden somit mit demselben Begriff bezeichnet. Dies implizierte nicht, dass der soziale Status unbedeutend war. Philia konnte nur eine gewisse Statusdifferenz überbrücken. War die Differenz zu gross, wurden die Beteiligten nicht mehr als philoi aufgefasst. So wurde die Beziehung zwischen einem lokalen Magnaten und einfachen Dorfbewohnern als Patronage (προστασία) bezeichnet.244 In den Quellen fassen wir philia deshalb primär als eine Beziehung zwischen Angehörigen der sozialen und politischen Eliten. Doch auch zwischen den Angehörigen der sozialen Eliten konnte ein beachtliches Gefälle in Bezug auf den sozialen Status und ihren Einfluss vorliegen. Ein comes Orientis und erst recht ein Prätoriumspräfekt standen in der sozialen Hierarchie deutlich über einem einfachen curialis. In einem ersten Schritt soll daher untersucht werden, wie mit Rangunterschieden zwischen philoi umgegangen wurde. Da philia im Hinblick auf den sozialen Status der Beteiligten eine deutungsoffene Beschreibung war, gilt es zu fragen, welche Funktion ein Begriff, der nicht zwischen Freundschaft und Patronage scheidet, in einer Gesellschaft erfüllen konnte. Wichtig erscheint mir in diesem Kontext ein Umstand, der bislang von Untersuchungen zu spätantiker Freundschaft meist ausser Acht gelassen wurde: Der gesellschaftliche Rang einer Person war nicht statisch, sondern konnte sich insbesondere durch die Akkumulation von Ämtern im Laufe des Lebens ändern. Dies bedeutete auch, dass einst gleichrangige Freunde durch den Aufstieg des einen Freundes sich in einer asymmetrischen Beziehung wiederfanden. Gerade im vierten Jahrhundert, in welchem sich 243

Zur Bedeutung des Rufes für Beamte vgl. Lendon 1997. Brown 1992 hat schlüssig aufgezeigt, wie auch Amtsinhaber auf das Zusammenspiel und die positive Beurteilung durch die lokalen Eliten angewiesen waren. Vgl. hierzu auch II.3. 244 Vgl. z. B. Lib. or. 47. S. Harmand 1955; Liebeschuetz 1972, 198–208.

2. Philia bei Libanius

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die Karrierechancen durch den Ausbau der Bürokratie vervielfacht hatten, ist der Aspekt der sozialen Mobilität bei der Analyse von philia als Begriff und Beziehungsform zu berücksichtigen. Daran anschliessend soll betrachtet werden, wie nicht nur Ämter, sondern auch die Beziehungen zu einflussreichen Personen die soziale Stellung eines Einzelnen zu verbessern vermochten und wie dieser Aspekt wiederum ein Grund sein konnte, in der Kommunikation einen deutungsoffenen Begriff einer starren semantischen Zuschreibung vorzuziehen.

Umgang mit Rangunterschieden Zahlreiche Beziehungen, die bei Libanius fassbar werden, würden nach gängigen sozialwissenschaftlichen Definitionen nicht als Freundschaft, sondern als Patronage bezeichnet, da sich die Beteiligten in Bezug auf ihre soziale Stellung und ihren Einfluss erheblich unterschieden, was sich auch in einem asymmetrischen Austausch von Gütern und Dienstleistungen zeigte.245 Im Griechischen bezeichnete man jedoch horizontale wie vertikale Beziehungen gleichermassen als philia, solange sie zwischen Angehörigen der sozialen Eliten gepflegt wurden. Die Terminologie war, wie Richard Saller zum amicus-Begriff festgehalten hat, «sufficiently ambiguous to encompass both social equals and unequals».246 Dies hatte jedoch keine egalisierende Wirkung. Die beteiligten Parteien waren sich ihres relativen sozialen Status’ immer bewusst. Im persönlichen Umgang wurde die soziale Hierarchie auch performativ umgesetzt: So gehörten beispielsweise morgendliche Aufwartungen im Rahmen von salutationes oder die Begrüssung vor den Stadttoren zu den Ehrerweisungen gegenüber einem Statthalter.247 Auch sprachlich konnten die Statusdifferenzen durchaus reflektiert werden. Die philiaTerminologie war mit Attributen kombinierbar, welche der Hierarchie Rechnung trugen. So charakterisierte Libanius ranghöhere Freunde wie den Prätoriumspräfekten Tatianus (ep.  909.3) oder den einflussreichen Hofbeamten Datianus als Wohltäter (ep. 441), und den Prätoriumspräfekten Strategius Musonianus nannte er φίλος οὕτω μέγας (or. 1.106). Diese Stelle ist allerdings der einzige Beleg für den im Lateinischen durchaus üblichen Begriff des amicus maior. Halten wir fest: Libanius zollte den in der sozialen Hierarchie Höhergestellten die Ehrerbietung, welche ihre Stellung erforderte. Umgekehrt erwartete er, mit Respekt behandelt zu werden. Die ungeschriebenen Normen im Umgang mit Rangunterschieden lassen sich am besten anhand eines Falles demonstrieren, in dem diese Regeln nicht eingehalten wurden. Die Beziehung zwischen Libanius 245 246 247

Vgl. hierzu die Ausführungen in II.2.1. Saller 1982, 11. Vgl. hierzu ausführlich II.3.

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II. Libanius

und Anatolius von Berytus, dem Prätoriumspräfekten von Illyricum in den Jahren 356/357–360, kann als Beispiel einer gescheiterten Kommunikation gelten, die im Folgenden näher betrachtet werden soll.

Fallbeispiel: Libanius und Anatolius von Berytus Anatolius von Berytus248 war ein Jurist, der in der zweiten Hälfte der 350er Jahre über viel Einfluss verfügte.249 Er hielt sich zwischen 355 und 356 am Hof in Mailand auf. Hier war ihm die Stadtpräfektur von Rom sowie die Prätoriumspräfektur des Orients angetragen worden. Anatolius hatte jedoch beide Ämter abgelehnt.250 356/357 trat er dann die Prätoriumspräfektur von Illyricum an.251 Libanius hatte vor allem zu Prätoriumspräfekten des Orients Kontakt, da diese regelmässig in Antiochia residierten. Anatolius ist einer der wenigen Präfekten ausserhalb seiner Heimatstadt, mit dem Libanius in persönlicher Beziehung stand. Vielleicht kannten sich die beiden aus der Zeit zwischen 350–353, als Libanius in Konstantinopel unterrichtete.252 Möglicherweise war der Kontakt von Libanius’ Onkel Phasganius vermittelt worden, mit welchem Anatolius ebenfalls korrespondierte.253 Der erhaltene Briefwechsel zwischen Libanius und Anatolius setzt im Jahr 355 ein, als Anatolius sich am Hof von Mailand aufhielt und Libanius von Kon-

248 Zu Anatolius vgl. Seeck 1906, 59–66 (Anatolius  I); PLRE  I, 59 f. (Anatolius  3); Norman 1957; Petit 1994, 33–37; Bradbury 2000; Bradbury 2004b, 227–229. Für Verwirrung hat lange gesorgt, dass Eunapius (vit. soph. 10.6.1–3) sowie der Codex Theodosianus (12.1.38; 12.1.39) eine Prätoriumspräfektur von Illyricum für Anatolius für ca. 344–347 bezeugen. Norman 1957 wie auch Bradbury 2000 haben die Hinweise ausführlich diskutiert und dargelegt, dass es sich sehr wahrscheinlich um zwei verschiedene, aber möglicherweise verwandte Personen mit dem Namen Anatolius handelt, die beide aus Berytus stammten und beide eine illyrische Prätoriumspräfektur innehatten. 249 Über seine frühe Karriere ist nicht viel bekannt. Eine Bemerkung von Libanius, dass Anatolius Antiochia verschönert habe (ep. 311.2), lässt vermuten, dass er einen Posten in Antiochia innehatte. Er wird folglich consularis Syriae oder comes Orientis gewesen sein. Aus dieser Zeit war er wohl auch mit Libanius’ Onkel Phasganius bekannt (vgl. ep. 509). Vgl. Bradbury 2000, 185. 250 Für die Ausschlagung der Stadtpräfektur vgl. Lib. ep. 391; 423. Zur Ablehnung der Prätoriumspräfektur des Orients vgl. ep. 509; 512. 251 Nach dem Zeugnis des Ammianus (Amm. Marc. 21.6.5) starb er wahrscheinlich 360 kurz vor Ende seiner Amtszeit. Lib. ep. 81 von 359 weist auf ein baldiges Ende der Amtszeit hin. 252 Vgl. Lib. ep. 552.4. Auf ein früheres persönliches Zusammentreffen deutet auch ep. 19.10. Bradbury 2000, 173 vermutet, dass Anatolius der befreundete Prokonsul ist, den Libanius in or. 1.80 erwähnt. Norman 1992 (Vol. 1), 145 Anm. a sowie Petit 1994, 35 halten jedoch Strategius Musonianus für diesen Prokonsul. 253 Vgl. ep. 509, in der sich Libanius bei Anatolius beklagt, dass sein Onkel einen Brief erhalten habe, während er leer ausgegangen sei.

2. Philia bei Libanius

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stantinopel nach Antiochia zurückgekehrt war. Durch seinen Einfluss am Hof trug Anatolius in dieser Zeit wesentlich dazu bei, dass Libanius die Erlaubnis des Kaisers für seine Versetzung zurück in seine Heimatstadt erhielt.254 Im Winter 355/356 sandte er dem Sophisten eine erste beruhigende Nachricht in dieser Angelegenheit. Libanius zeigte sich beeindruckt über das Engagement des Anatolius: Göttliches Wirken müsse ihn beeinflusst haben, denn er scheine alle anderen bei weitem zu übertreffen, die sagten, dass sie seine Freunde seien (οὕτως ὑπεραίρειν ἐφαίνου πάντας ὅσοι φάσκουσι φιλεῖν).255 Seinen Dank kleidete er in folgende Worte: πολλῶν οὖν ᾤμην σοι δεῖν χάριν εἰδέναι, εἰ δὴ δεῖ τοὺς ἐρωμένους τοῖς ἐρασταῖς εἰδέναι χάριν, τοῦ τε φέρειν με ἐπὶ τῆς ψυχῆς καὶ τοῦ συμβούλεσθαί μοι τὸ μὴ τῶν οἰκείων στέρεσθαι καὶ τοῦ ζητῆσαι τοῦτο, εἰ δυνατόν, καὶ τοῦ γνῶναι μηνύσαι, ὡς δυνατόν. «Wenn diejenigen, die geliebt werden [τοὺς ἐρωμένους], denen, die sie lieben [τοῖς ἐρασταῖς], tatsächlich Dank schulden, dann glaube ich dir freilich für viele Dinge Dank zu schulden, nämlich dafür, dass du mich im Herzen trägst und dass du dir mit mir wünschst, nicht von meiner Familie getrennt zu sein, und dass du geprüft hast, ob dies möglich sei, und dass du zum Entschluss gekommen bist, dass es möglich ist, und du mir das mitgeteilt hast.»256 Indem er Anatolius als ἐραστής bezeichnete und sich als ἐρώμενος, emotionalisierte resp. erotisierte Libanius die Beziehung nicht nur, er wies seinem einflussreichen Freund damit auch die aktive und sich selbst die passive Rolle zu. Damit deutete er das hierarchische Gefälle und die Asymmetrie im Austausch von charites an.257 Das Spiel mit aktiven und passiven Verbformen war eine mögliche Strategie, um subtil den Statusunterschied auszudrücken.258 Auch der Rückgriff auf das platonische eros-Vokabular war sehr bewusst gewählt. Damit spielte Libanius auf das gemeinsame Bildungsgut an.259 Mit der Wahl seiner Formulierung

254

Lib. ep. 391; 438. Lib. ep. 438.1: Ἀεὶ μὲν ἔγωγε τὴν σὴν εὔνοιαν ἠγάσθην εἰς ἐμὲ καὶ οὐκ εἶχον πεισθῆναι ὅτι σὺ τοῦτο ποιεῖς οὐχὶ θεῶν του κινοῦντος, οὕτως ὑπεραίρειν ἐφαίνου πάντας ὅσοι φάσκουσι φιλεῖν […]. 256 Lib. ep. 438.3. 257 Dies wird in der Folge (ep. 438.4–5) noch deutlicher, wenn Libanius erklärt, dass er als Dank den erhaltenen Gefallen über Land und Meer verbreiten werde. 258 Vgl. z. B. ep. 2 an Ellebichus, wo Libanius dreimal seine Hoffnung ausdrückt, vom Adressaten geliebt (φιλεῖσθαι) zu werden. 259 Zum platonischen Vokabular in Libanius’ Briefen vgl. auch Bradbury 2006, 254. Zur Verwendung einer affektiven Sprache in Briefen vgl. II.4.3., S. 179–186. 255

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II. Libanius

erwies Libanius dem einflussreichen Freund den nötigen Respekt, den die Statusdifferenz erforderte, und gleichzeitig rekurrierte er auf die verbindende paideia. In den folgenden Jahren erwies sich Anatolius als wichtiger Unterstützer. So verhalf er mehreren Leuten aus Libanius’ näherem Umfeld zu einem Amt: Clematius wurde Statthalter von Palästina,260 Domitius Modestus erhielt eine Stelle als Assessor261 und Sabinus wurde zum Statthalter von Syrien ernannt.262 Auch Libanius’ engem Freund Aristaenetus wurde eine Stelle als Assessor angeboten, allerdings lehnte jener ab.263 Dass Libanius’ Anliegen bei Anatolius Gehör fanden, war bekannt in Antiochia: Der Arzt Marcellus begnügte sich nicht mit einem Empfehlungsschreiben des praefectus praetorio per Orientem Strategius Musonianus an Anatolius, sondern schickte dieses Schreiben zusammen mit einem Brief von Libanius an diesen mächtigen Mann.264 Anatolius war einer der wichtigsten Kontakte des Libanius am Hof des Constantius II.265 Konstitutiv für die Beziehung zwischen Libanius und Anatolius war die gemeinsame paideia. Anatolius war ebenfalls ein gebildeter Mann und erfreute sich an einem rhetorisch geschliffenen Austausch. In den Briefen an Libanius versuchte er offenbar, seine eigenen sprachlichen und literarischen Fähigkeiten zum Ausdruck zu bringen. Er forderte den Libanius gar zu einem rhetorischen Wettkampf heraus, dessen Sieg ihm Libanius zusprach: ἔχεις οὖν καὶ τουτονὶ τὸν στέφανον ἐπ’ ἐκείνῳ τῷ διὰ δικαιοσύνην σοι δεδομένῳ. καὶ δύο νίκας ἡμῖν ὁ καλὸς Ἀνατόλιος ἀνῄρηται, τὴν μὲν ὡς ἄριστος δικαστῶν, τὴν δὲ ὡς κράτιστος σοφιστῶν, τὸ μὲν ἁπάντων ᾀδόντων, ἐμοῦ δὲ τὸ δεύτερον, ὃ σὺ φαίης ἂν οὐκ εἶναι φαυλότερον. «Du erhältst folglich diesen Kranz, nachdem dir schon der für die Gerechtigkeit verliehen worden ist. Und zwei Siege gewann der gute Anatolius über uns, den einen als bester Richter, den anderen als fähigster Sophist. Während der erste 260

Lib. ep. 563. Seeck 1906, 110 f. (Clematius II); PLRE I, 213 f. (Clematius 2). Lib. ep. 582; 583. Seeck 1906, 213–218 (Modestus); PLRE I, 605–608 (Modestus 2). 262 Lib. ep. 339. Seeck 1906, 262 (Sabinus I); PLRE I, 791 f. (Sabinus 5). 263 Lib. ep. 563. Zu Aristaenetus vgl. die Ausführungen weiter unten in diesem Kapitel, S. 84 f. 264 Libanius entschuldigte sich für diese Anmassung mit dem Verweis auf das Gerücht, dass er bei Anatolius viel Einfluss habe (ep. 362.8): […] μὴ θαυμάσῃς εἰ Στρατηγίου γράμμασιν ἐμὰ Μάρκελλος παρέζευξε· φήμη γὰρ ἐμὲ παρὰ σοὶ πλεῖστον ἰσχύειν. Da Libanius auch mit Strategius Musonianus befreundet war, liegt es wohl nicht ganz fern, auch hinter dem Brief des Strategius seinen Einfluss zu vermuten. Zu Libanius’ Verhältnis zu Strategius Musonianus vgl. or. 1.106–115 sowie die Ausführungen in II.3. 265 Vgl. Bradbury 2000, 172. Anatolius hielt sich nicht nur von 355–356 am Hof in Mailand auf, sondern verfügte zudem danach als Prätoriumspräfekt von Illyrien ebenfalls über engen Kontakt zum Hof des Constantius, der zwischen 357 und 359 in Sirmium stationiert war, dem Hauptsitz des Prätoriumspräfekten. Vgl. Bradbury 2000, 177. 261

2. Philia bei Libanius

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Sieg von allen besungen wird, verkünde ich den zweiten, was, wie du vielleicht sagst, nicht weniger Wert hat.»266 In dieser Textpassage versteht es Libanius, sein Lob für Anatolius geschickt mit dem eigenen sophistischen Selbstbewusstsein zu verbinden. Die Briefe an Anatolius fallen jedoch nicht nur durch rhetorische Spielereien und Neckereien auf,267 sondern auch durch eine verblüffende Direktheit, wie man sie in Briefen an einen so mächtigen Mann kaum erwartet hätte und sonst in der Korrespondenz des Libanius auch nicht findet. Bereits Otto Seeck hat auf die aussergewöhnliche Kommunikation hingewiesen und spricht von einem «witzelnde[n] Ton schmeichelhaften Tadels».268 Wolf Liebeschuetz hebt die «astonishing insolence» in den Briefen an Anatolius hervor und bemerkt zu Recht, dass die «rhetorical insults» von Anatolius provoziert wurden.269 Diese rhetorisch stilisierte und zugleich erstaunlich direkte Kommunikation macht die Briefe einzigartig im libanischen Korpus. Wie sich zeigen sollte, bestand jedoch nur ein schmaler Grat zwischen «rhetorical insults» und echten Beleidigungen. Den Bogen des Scherzhaften hatte Anatolius überspannt, als er Libanius exzessives Lob vorwarf, mehr Kritik forderte (ep. 578.6) und ihn zudem als Schmeichler bezeichnete (ep.  578.3). Diese Aussagen kränkten Libanius und führten zu einer Spannung in der Beziehung, von der sie sich nie mehr ganz erholte.270 Libanius wehrte sich heftig gegen den Vorwurf, ein Schmeichler (κόλαξ, ep.  578.3 und 5) zu sein. Gleichzeitig legte er nahe, dass Schmeicheleien dazugehörten, wenn man die Karriereleiter aufsteigen wolle, wie es Anatolius getan habe. Er selbst habe dagegen nie nach einem Amt oder nach Reichtum gestrebt, weshalb er es nicht nötig habe, zu schmeicheln.271 Der Vorwurf treffe auf ihn deshalb nicht zu.272 Libanius’ Abneigung, als kolax bezeichnet zu werden, ist verständlich. Indem Anatolius ihn als Schmeichler betitelte, machte er den Statusunterschied zwischen ihnen deutlich, denn nur der Rangniedrigere hatte es nötig, gegenüber dem Höhergestellten zu schmeicheln.273

266

Lib. ep. 391.5. Es handelt sich hier um den ersten erhaltenen Brief an Anatolius. Vgl. z. B. Lib. ep. 391.7 und 552.5, wo jeweils der Übergang vom scherzhaften zum ernsten Teil des Briefes explizit markiert wird. 268 Seeck 1906, 66. 269 Liebeschuetz 1972, 20. 270 In den folgenden Briefen spielte Libanius wiederholt auf Anatolius’ Wunsch nach Kritik an, vgl. ep. 583; 348. 271 Lib. ep. 578.4. 272 Lib. ep. 578.5. 273 Vgl. Millett 1989, 31–33, der die Verwendung des Begriffes in Patronagebeziehungen im klassischen Athen untersucht hat. Er vergleicht (S. 33) das griechische kolax mit dem latei267

80

II. Libanius

Der Rangunterschied zwischen ihm und Anatolius wurde in den Briefen erstaunlich oft angedeutet, wobei auffallend ist, dass Libanius immer aus der Defensive heraus argumentierte. Zwar war es durchaus üblich, dass Libanius den Rangunterschied zwischen sich und seinen Korrespondenten reflektierte. In den meisten Fällen geschah dies jedoch in Form eines Lobes für den höhergestellten Freund. Die Briefe an Anatolius lassen jedoch vermuten, dass jener regelmässig seinen Briefpartner dessen niedrigere Stellung hatte spüren lassen. So beklagte sich Libanius des Öfteren über Anatolius’ arrogantes Benehmen ihm gegenüber.274 Zu einer weiteren ernsthaften Spannung in der Beziehung kam es, als Anatolius offenbar über Libanius’ Sophistenstatus gespottet hatte:275 ἐπεὶ δὲ πολὺς ἔγκεισαι κωμῳδῶν ἡμᾶς, ὅτι πρὸς σὲ ἐμνήσθημεν ἀξιώματος, ἴσθι τὸ πᾶν ἀγνοήσας. ἔσχε δὲ ὡδί. ἐμοὶ σχῆμα μὲν ἀρκοῦν οἱ λόγοι, δι’ οὓς οὐδεπώποτε ταπεινότερον ἐμαυτὸν ἡγησάμην ὑμῶν, ὧν ἡ λαμπρότης ὅρκος τοῖς κόλαξι […]. «Nachdem du dich heftig auf mich gestürzt und dich lustig gemacht hast, dass ich dir gegenüber die Stellung [ἀξιώμα] erwähnt habe, solltest du wissen, dass du das Ganze falsch verstanden hast. Es verhält sich nämlich folgendermassen: Die Redekunst gibt mir Ansehen genug, durch sie habe ich mich niemals geringer gefühlt als ihr. Bei eurem Glanz [λαμπρότης] schwören die Schmeichler ihren Eid. […].»276

nischen cliens, da beide Begriffe bei direkter Bezeichnung eine Beleidigung enthalten konnten. Zur Verwendung von amicus und cliens innerhalb der Aristokratie vgl. auch Saller 1989. In den philosophischen Schriften, insbesondere bei Plutarch, wurde der Schmeichler ganz klar vom Freund geschieden. Vgl. hierzu Konstan 1997, 98–103. Wenn Anatolius den Libanius als Schmeichler bezeichnete, so implizierte dies auch, dass Libanius kein echter Freund sei. Libanius hatte in einem früheren Brief (ep. 552.3–4) gefragt, weshalb Anatolius nicht schreibe, und scherzhaft angefügt, dass ihn jener wohl für einen der Sophisten halte, die, sobald ein Freund in ein wichtiges Amt gekommen sei, mit Reden und offener Hand vor der Tür stünden. Von diesen wollte sich Libanius distanzieren. Anatolius reihte ihn mit seiner Bezeichnung aber in genau diese Gruppe ein. 274 Vgl. Lib. ep. 509.6; 549.4; 19.13; 80.4–5; 81.1. 275 Im selben Brief scheint Anatolius zudem Libanius’ Art, Panegyrici zu verfassen, kritisiert zu haben. Indem er Libanius vorwarf, zu viele auch unwürdige Leute zu loben, brachte er ihn wieder in die Nähe eines Schmeichlers (ep. 19.7). Libanius rechtfertigte sein Vorgehen: Er übersehe jeweils die Schwächen des zu Lobenden und hebe nur dessen Stärken hervor. Auch wenn er eine Rede für Anatolius hielte, würde er gewisse Dinge verschweigen und andere hervorheben. Implizit äusserte er damit auch Kritik an Anatolius (ep. 19.10–12). 276 Lib. ep. 19.13.

2. Philia bei Libanius

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Wahrscheinlich hatte eine Bitte um ein Amt, das Libanius in den Rang eines honoratus gehoben hätte, Anatolius zu seinem Spott veranlasst. Otto Seeck vermutet, dass Libanius eine entsprechende Anfrage am Ende von ep. 333 gestellt, im Nachhinein aber wieder aus dem Kopialbuch gelöscht habe.277 Anatolius scheint auf die Bitte um ein solches ἀξιώμα nur mit Hohn geantwortet zu haben. Daraufhin verteidigte Libanius seinen Status als Sophist und bekundete seine Zufriedenheit damit. Verletzter Stolz wird deutlich, wenn er betonte, dass er sich nicht geringer fühle als die clarissimi (λαμπρότατοι), mithin als Personen senatorischen Standes.278 Es fehle ihm an nichts, und die Bitte sei nur vorgetragen worden, um Anatolius’ Freundschaft zu testen.279 Es folgt eine heftige Kritik an der Personalpolitik des Anatolius: Während er bei allen Amtsbewerbern überaus kritisch sei und keinen Mangel zulasse, so bevorzuge er seine Verwandten über alles. Ob mit oder ohne Qualifikation, er bemühe sich, dass seine ganze Familie ein Amt besitze. Dafür vernachlässige er seine Freunde.280 Der Abschluss dieser Kritik ist dann allerdings zweideutig gehalten: εἰ μὲν ἔτρωσας, καὶ τέτρωσαι· εἰ δὲ παίζοντος ἐκεῖνα ἦν, οὐδὲ ταῦτα σπουδάζοντος. «Wenn du verletzt hast, bist auch du verletzt worden, wenn jenes aber scherzend vorgebracht wurde, war dies auch nicht im Ernst gemeint.»281 Scott Bradbury interpretiert diese Passage zu Recht dahingehend, dass Libanius nicht mehr wusste, wie er auf Anatolius’ Anschuldigungen reagieren sollte.282 Er gab ihm aber die Chance, die Beziehung wieder ins Lot zu bringen, und vollzog den Bruch noch nicht vollständig. Allerdings enthielt Anatolius’ Antwort nicht die erwartete Entschuldigung, sondern eine weitere Anschuldigung: Libanius habe nach dem letzten Brief zu lange geschwiegen. Libanius äusserte sich in einem seiner letzten Briefe entsprechend desillusioniert über Anatolius: Er sei von einer philia-Beziehung ausgegangen, in seinen Erwartungen von Anatolius aber enttäuscht worden. Jener habe auf die Bitte um einen Gefallen nur mit Spott reagiert. Deshalb habe er 277 Vgl. Seeck 1906, 22. Diese These wird in der neueren Literatur allgemein akzeptiert: Vgl. Wiemer 1995a, 112 f. sowie Bradbury 2000, 179. Zu Korrekturen im Kopialbuch vgl. S. 52 f. 278 Zu λαμπρότατος als Pendant zum lateinischen clarissimus vgl. Wiemer 1995a, 112 Anm. 119. 279 Lib. ep. 19.14–15. 280 Lib. ep. 19.16. 281 Lib. ep. 19.17. 282 Bradbury 2000, 180.

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II. Libanius

nicht mehr geschrieben.283 Anatolius habe dieses Signal jedoch nicht verstanden und sei sich seines Fehlers nicht bewusst: (4)  ἀγνοεῖν δὲ λέγων ᾧ τοῦ γράφειν ἐπαυσάμην, ὕβρει δευτέρᾳ τὴν προτέραν παρέρχῃ τότε μὲν οὐκ ἄξιον ἡγησάμενος φροντίδος, νῦν δὲ οὐδ’ ὅτι μου κατημέλησας εἰδώς. (5)  καὶ πρᾶγμα πέπονθας οὐκ ἀλλότριον τῆς ἐξουσίας. οἱ γὰρ ἐπὶ λαμπρᾶς τῆς τύχης ὑμεῖς οὐδὲ ἀδικεῖν οὓς ἀδικεῖτε ἡγεῖσθε νομίζοντες προσήκειν ὑμῖν μὲν ὑβρίζειν, ἐκείνοις δὲ πανταχοῦ προσκυνεῖν. «4. Wenn du sagst, dass du nicht weisst, weshalb ich mit dem Schreiben aufgehört habe, übertriffst du mit dieser zweiten Anmassung die erste. Damals hieltest du mich nicht eines Gedankens für würdig, nun realisierst du nicht einmal, dass du mich vernachlässigt hast. 5. Und die Sache, die du gerade erlitten hast, ist nicht ungewöhnlich für Personen in deiner Stellung. Ihr, die ihr eine glänzende Stellung habt, merkt nicht, dass ihr denen, welche ihr ungerecht behandelt, Unrecht antut, sondern ihr glaubt, dass es euch zusteht, hochmütig zu sein, und dass euch alle überall zu Füssen liegen.»284 Libanius war von Anatolius enttäuscht. Erneut wurde der Statusunterschied thematisiert. Den Grund für den Konflikt sah Libanius darin, dass sich Anatolius ihm gegenüber überheblich und selbstgerecht verhalten hatte. Anatolius hatte ihn spüren lassen, dass er sich in einer unterlegenen Position befand. Libanius fühlte sich nicht respektiert. Auf die Form ihrer Kommunikation nahm er auch im allerletzten Brief Bezug, den er an den Prätoriumspräfekten richtete: Σὺ μὲν παρεκάλεις με πρὸς παρρησίαν ὡς πᾶν οἴσων ὅ τι ἂν ἐξ ἐμοῦ λέγηται, Αἰσχύλος δὲ ἀποτρέπει λέγων μὴ δεῖν τοὺς ἥττους θρασυστομεῖν. ἀλλὰ καὶ Εὐριπίδης φησίν, ὡς οἱ μεγάλα πνέοντες, περὶ ὑμῶν δή που λέγων, πικρῶς φέρουσι λόγους παρ’ ἐλαττόνων κρείσσονας. «Du hast mich aufgefordert, von der freien Rede [παρρησία] Gebrauch zu machen, da du alles ertragen würdest, was auch immer ich sage. Aischylos aber lehrt mich eines Besseren, wenn er sagt, dass es sich für den Schwächeren nicht gehört, offen zu sprechen. Und auch Euripides sagt, dass Männer in hoher Stel-

283

Lib. ep. 80.2: ἐγὼ δὲ φιλεῖσθαι μὲν ὑπὸ σοῦ πιστεύων καὶ ἐπέστελλον καὶ ἐπήγγελλον εὖ παθεῖν οὐδὲν αἰτῶν ὑπεραῖρόν σου τὴν δύναμιν, ἀλλ’ οἷα πολλὰ καθημέραν ἔσπειρες ἀξίοις τε ὁμοίως καὶ μὴ τοιούτοις· ἐπεὶ δὲ ἀντὶ τοῦ συμπρᾶξαι γράμμα ἡμῖν ἔπεμψας παιδιᾶς γέμον, καιρὸν ἥκειν ἡγησάμην τοῦ μήτε ὑπὲρ χάριτος μήτ’ ἄλλως ἐπιστέλλειν. 284 Lib. ep. 80.4–5. Erneut wird mit dem Hinweis auf die glänzende Stellung (λαμπρᾶς τῆς τύχης) des Anatolius auf dessen Zugehörigkeit zum Senatorenstand angespielt. Zum Wortspiel mit λαμπρός / clarus und den davon abgeleiteten Rangprädikaten vgl. S. 80 f. mit Anm. 278.

2. Philia bei Libanius

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lung, und hier spricht er wohl auch über dich, es nur schwer ertragen, wenn stärkere Argumente von Schwächeren vorgetragen werden.»285 Die offene Kommunikation (παρρησία), die zwischen Libanius und Anatolius herrschte, war von dem hohen Beamten gefordert worden. Allerdings meinte Libanius unter Berufung auf die athenischen Tragiker,286 es sei nicht möglich, gegenüber einem Ranghöheren aufrichtig zu sein. Libanius’ Aussage impliziert, dass es normalerweise keine offene Kommunikation in vertikalen Beziehungen gab. Da Anatolius sich jedoch gegen die üblichen schmeichelnden Ehrerbietungen ausgesprochen und Kritik gefordert hatte, verunmöglichte er eine Kommunikation in den konventionellen formelhaften Wendungen. In seiner Direktheit ging Anatolius so weit, dass er auch auf den Statusunterschied zwischen sich und Libanius hinwies. Er hatte damit aber die Normen verletzt, welche die formalisierte Kommunikation zwischen Höher- und Niedrigergestellten ermöglichten. Gleichzeitig brachte er Libanius in eine schwierige Situation: Einerseits wurde er aufgefordert, sich offen zu äussern, andererseits wies ihm Anatolius eindeutig eine untergeordnete Position zu. Somit konnte Libanius nicht direkt zurückschreiben, ohne seinen höhergestellten Korrespondenten zu beleidigen. Mit seiner Aussage machte Libanius deshalb auch deutlich, dass eine offene Kommunikation nur funktionieren könne, wenn sich beide Partner an die Konventionen des Austausches hielten. Die Beziehung zu Anatolius ist an der radikalen Offenlegung ihrer Vertikalität gescheitert. Auch wenn sich die Beteiligten des Statusunterschiedes immer bewusst waren, so war es doch gegen die Regeln des Respekts, wenn der höhere seinen niedrigeren philos explizit auf dessen Stellung hinwies. Vielmehr wurde erwartet, dass sich beide Partner mit den Ehren, welche ihnen zustanden, bedachten. Am Beispiel des Anatolius wird zugleich deutlich, dass Libanius nicht bereit war, sich demütigen zu lassen, auch nicht von einem mächtigen Mann, der sich in vielen Fällen als wertvoller Patron erwiesen hatte. Trotz der Asymmetrie in der Beziehung befand sich Libanius nicht in einer Abhängigkeit und konnte es in Kauf nehmen, auch eine solche Beziehung zu beenden.

Philia und soziale Mobilität Philia integrierte folglich die provinzialen und imperialen Eliten im Osten des Römischen Reiches, ohne dabei die Statusunterschiede zu verwischen. Moderne Studien zu antiker Freundschaft sehen die Verwendung von amicitia oder philia für asymmetrische Beziehungen als «a language with which to speak, in accep285 286

Lib. ep. 81.1. Aischyl. Suppl. 203; Eur. Andr. 188.

84

II. Libanius

table terms, of the hard facts of patronage».287 Dem ist insofern zuzustimmen, als die philia-Terminologie deutungsoffen war. Betrachtet man philia jedoch als Euphemismus, setzt man implizit voraus, dass Egalität eine Grundvoraussetzung für philia war. Die bisherigen Ausführungen haben jedoch lediglich gezeigt, dass philia eine Beziehung war, die auf wechselseitiger Unterstützung beruhte; in der Kommunikation unter philoi musste gegenseitige Wertschätzung zum Ausdruck gebracht werden. Die Ehre, die dem anderen gezollt wurde, hing dabei immer von dessen sozialer Stellung ab und war somit relativ. Über den Status der Beteiligten gab die Begrifflichkeit nur bedingt Auskunft. Es lohnt sich daher zu fragen, welche Vorteile und Funktionen eine deutungsoffene Sprache zu einer Zeit haben konnte, die von gesellschaftlichen Umbrüchen geprägt war. Unterscheidet man bei der Analyse von philiai zwischen horizontalen und vertikalen Beziehungen, kann es sein, dass jeweils nur spezifische Momente der sozialen Realität abgebildet werden. Ein gutes Beispiel für diese Feststellung ist die Freundschaft zwischen Libanius und Aristaenetus. Die beiden kannten sich aus Nicomedia. Aristaenetus gehörte zur lokalen Elite und verfügte wie Libanius über eine rhetorische Ausbildung. Auch er hat zeitweise unterrichtet.288 Genauere Angaben über seinen Lebensunterhalt zu machen, ist nicht möglich. In Bezug auf ihre Ausbildung, ihre soziale Herkunft und den Einfluss ihrer Familien in ihrer Heimatstadt scheinen Aristaenetus und Libanius jedoch vergleichbar zu sein.289 Die Beziehung zwischen den beiden kann als horizontal beschrieben werden. Im Sommer 358 wurde Aristaenetus dann jedoch zum vicarius der neugegründeten Diözese Pietas ernannt.290 Dass er als erstes Amt gleich ein so hohes erhielt, zeugt von dem Ansehen, welches er genoss. Aufschlussreich ist, wie sich die Korrespondenz zwischen den beiden Freunden veränderte, als Aristaenetus sein Amt antrat. Es fällt auf, dass Libanius fortan direkt an den Einfluss seines Freundes appellierte und auch seine Bitten entsprechend anpasste.291 Libanius war sich bewusst, dass Aristaenetus nun höhergestellt war, und reflektierte dies auch in den Schreiben.292 In ep. 20 suchte er beispielsweise scherzhaft einen Grund, um zu erklären, weshalb ihm Aristaenetus bereits 287

Brown 1992, 45. Lib. ep. 414; 495. Zu Aristaenetus vgl. Seeck 1906, 85–87 (Aristaenetus I); PLRE I, 104 (Aristaenetus 1); Petit 1994, 47 f. (Aristenete I). 289 Dass Aristaenetus über eine herausragende Stellung in seiner Heimatstadt verfügt haben muss, zeigt sich auch daran, dass er zweimal eine ihm angebotene Stelle als Assessor eines Prätoriumspräfekten ablehnte. Vgl. Lib. ep. 537; 562; 326. 290 Seeck 1906, 85. 291 Vgl. Lib. ep. 374; 381; 20. 292 Lib. ep. 374.1–2; 20.1. 288

2. Philia bei Libanius

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länger nicht mehr geschrieben hatte, und verwies dabei auf das neu erreichte Amt. Er hoffe, so Libanius, dass die Schreibpause mehr mit Aristaenetus’ zusätzlichen Verpflichtungen zusammenhänge, und er nicht wegen des hohen Amtes seine Freunde vergesse. Wir haben hier also eine Beziehung, die sich von einer horizontalen in eine vertikale veränderte. Was an der Freundschaft zwischen Aristaenetus und Libanius exemplarisch nachvollzogen werden kann, wird zahlreiche Beziehungen betroffen haben. Als Libanius nach fast zwanzig Jahren nach Antiochia zurückkehrte, fand er seine früheren Schulfreunde in ganz unterschiedlichen Positionen vor: Manche waren als Advokaten tätig, andere hatten eine Beamtenstelle.293 In seinen Briefen lässt sich der Aufstieg von Schülern aus kurialen Familien in den Senatorenstand nachvollziehen. Das vierte Jahrhundert bot verschiedene Möglichkeiten, die Karriereleiter zu erklimmen. In der expandierenden Verwaltung waren neue Stellen zu besetzen, und ambitionierte Aufsteiger konnten in den neugeschaffenen Senat in Konstantinopel aufgenommen werden.294 Soziale Mobilität, die im Osten des Imperium Romanum besonders ausgeprägt war, führte dazu, dass Beziehungen nicht statisch, sondern dynamisch waren. Ein deutungsoffener Begriff wie philia erlaubte es, solche Statusänderungen aufzufangen.

Philia-Beziehungen als soziales Kapital Die römische Gesellschaft verfügte über eine stark ausgeprägte linear-hierarchische Ordnung: Der Rang jedes Einzelnen wurde in Relation zu seinen Mitbürgern festgesetzt.295 Herkunft, ordo-Zugehörigkeit, ausgeübte Ämter und Anciennität bestimmten den Platz in der sozialen Hierarchie. Der Einfluss, den eine Person ausüben konnte, hing zu einem grossen Teil von diesem Rang ab. Doch es gab weitere Faktoren, welche die Stellung des Einzelnen bestimmten. Dazu gehörten neben ökonomischen Ressourcen auch Bildung, die für das individuelle Ansehen von herausragender Bedeutung war. Hinzu traten die sozialen Beziehungen, insbesondere zu den Zentren imperialer Herrschaft. Die Nähe zum Kaiser war die Voraussetzung für direkten und indirekten Einfluss, so dass des293

Lib. or. 1.86. Zu den verschiedenen Karrieremöglichkeiten im vierten Jahrhundert vgl. die Ausführungen in II.1.1. mit weiterer Literatur sowie insbesondere Heather 1994 für die spezifischen Möglichkeiten im Osten des Imperium Romanum. Zu sozialer Mobilität vgl. zudem die Studien von Hopkins 1961; Hopkins 1965 zu Ausonius. 295 Dasselbe gilt auch für den Bereich der familia. Vgl. hierzu Rilinger 1985 in Auseinandersetzung mit den Gesellschaftsmodellen von Alföldy 1975; Alföldy 1976 und Vittinghoff 1980. Vgl. auch Vittinghoff 1990. Eine kritische Besprechung dieser Zugänge findet sich bei Winterling 2001, 99–106. 294

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sen Günstlinge eine Position einnehmen konnten, die weit über ihrem sozialen Rang lag.296 Libanius selbst erfuhr diesen Umstand während der Herrschaft Kaiser Julians. Indem Julian ihm privilegierten Zugang zu seiner Residenz gewährte, mit ihm korrespondierte und seinen Bitten Gehör schenkte, konnte Libanius sein Ansehen deutlich steigern und seinen Wirkkreis beachtlich erweitern.297 Dies spiegelt sich in einer Zunahme von Empfehlungsschreiben in dieser Zeit. Doch nicht nur die Nähe zum Kaiser trug dazu bei, dass die soziale Stellung eines Provinzialen erhöht wurde. Auch Beziehungen zu Amtsinhabern, die in der Lage waren, wichtige charites zu erfüllen, konnten den Einfluss und das soziale Prestige eines Mannes wie Libanius beachtlich erhöhen. Libanius war sich der Bedeutung einflussreicher Freunde sehr wohl bewusst. An Proclus, den Stadtpräfekten von Konstantinopel, schrieb er: καὶ διὰ τὴν σὴν φιλίαν καὶ δύναμιν εὐεργέτης ἀνθρώπων ἐγώ. «Durch deine Freundschaft und deine Macht werde auch ich zum Wohltäter der Menschen.»298 Ein Empfehlungsschreiben an Jovinus, einen einflussreichen Beamten am Hof, endete er mit der Aufforderung: δέχου τοίνυν αὐτὸν καὶ ποιοῦ φίλον καὶ βοήθει καὶ δίδασκε τοὺς ἀνθρώπους ὅτι μοί τις ἔστιν ἔτι δύναμις, ἕως ἂν ὑμεῖς δύνησθε. «Empfange ihn also und mache ihn zum Freund und helfe und lehre den Menschen, dass ich noch über eine gewisse Macht verfüge, solange ihr mächtig seid.»299 Dank seiner einflussreichen Freunde war es Libanius seinerseits möglich, als Patron aufzutreten. Freunde waren Teil des sozialen Kapitals, das im Sinne Pierre Bourdieus zu verstehen ist als «Gesamtheit der aktuellen und potentiellen Ressourcen, die mit dem Besitz eines dauerhaften Netzes von mehr oder weniger institutionalisierten Beziehungen gegenseitigen Kennens oder Anerkennens verbunden sind».300 Wenn Libanius in seiner eingangs zitierten ach296 Winterling 2001, 111 spricht von einer «Doppelung der gesellschaftlichen Hierarchie». Durch die Nähe zum Kaiser konnten auch Personen von eher niedrigem Status wie beispielsweise Freigelassene zu informeller Macht kommen. 297 Vgl. hierzu Wiemer 1995b und die Ausführungen in II.1. 298 Lib. ep. 967.2. Zu Proclus vgl. Petit 1994, 213–217 (Proculus III); PLRE I, 746 f. (Proculus 6). 299 Lib. ep. 1472.3. Zu Jovinus vgl. Seeck 1906, 186 f. (Jovinus II); Petit 1994, 137 f. (Jovinus II); PLRE I, 461 f. (Iovinus 1). 300 Bourdieu 1983, 190.

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ten Rede die Freunde als Reichtum bezeichnet, so war dies nicht gänzlich aus der Luft gegriffen. Freunde halfen nicht nur ihm selbst, sondern erlaubten es ihm, sich auch für Dritte einzusetzen. Er übernahm folglich eine Mittlerfunktion im Zugang zu begehrten Gütern und vor allem Dienstleistungen. Je höher seine Freunde gestellt waren und je schwieriger der Zugang zu ihnen war, umso wichtiger wurde er selbst. Auf diese Weise konnten philia-Beziehungen wesentlich zur eigenen sozialen Stellung beitragen und den eigenen Handlungsspielraum beachtlich erweitern.301 Daraus folgt, dass die einzelnen Beziehungen nicht nur als Dyaden betrachtet werden dürfen, sondern immer die Netzwerke zu berücksichtigen sind, in welche die beteiligten Parteien eingebunden waren. Denn durch Beziehungen zu ranghohen Personen konnte die Vertikalität anderer philia-Verhältnisse relativiert werden. Dank seiner Netzwerke war Libanius durchaus in der Lage, einen wertvollen Dienst für einen Höhergestellten zu leisten. So bewirkte er im Jahre 359 für den comes Orientis Domitius Modestus302 eine Erhöhung seines Gehalts bei dessen Vorgesetzten, dem Prätoriumspräfekten Hermogenes.303 Über seine Bemühungen unterrichtete er Domitius Modestus wie folgt: […] τῶν δὲ σῶν πραγμάτων, ἃ τῶν Ἑρμογένους ἐδεῖτο γραμμάτων, οὐκ ἠμελήσαμεν, ἀλλ’ ἡμεῖς οἱ μύες μᾶλλον ὑμᾶς ὠφελεῖν πειρώμεθα τοὺς λέοντας ἢ ὑμεῖς ἡμᾶς οἱ λέοντες. «[…] Was deine Angelegenheiten betrifft, für die ein Schreiben des Hermogenes benötigt wurde, so waren wir nicht untätig, sondern wir Mäuse scheinen uns mehr anzustrengen, um euch Löwen zu unterstützen, als dass ihr Löwen uns helft.»304 Indem sich Libanius in Anlehnung an die bekannte Fabel Aesops als Maus darstellte und den Modestus mit einem Löwen verglich, gab er zu verstehen, dass er sich der Rangordnung durchaus bewusst war, auch wenn er für einmal dank seiner Kontakte in der Lage war, das vertikale Verhältnis umzudrehen.305 Es zeigt sich erneut, welche Vorteile ein deutungsoffener Begriff wie philia hatte, um die changierenden sozialen Realitäten zu beschreiben. Eine Begrifflichkeit, die 301 Zur Bedeutung sozialer Netzwerke für Provinziale vgl. Sandwell 2007a und Bradbury 2004a, 74 f.; 79. 302 Seeck 1906, 213–218 (Modestus); PLRE I, 605–608 (Modestus 2); Petit 1994, 165–172 (Modestus). 303 Seeck 1906, 173 f. (Hermogenes IV); PLRE I, 423 (Hermogenes 3). 304 Lib. ep. 49.5. In ep. 55 schrieb Libanius dann, dass Hermogenes die Gehaltserhöhung bestätigt habe und in ep. 58 nahm er Bezug auf den Dank des Modestus. 305 Vgl. Aesop. Fab. 256.

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starr zwischen Freundschaft und Patronage differenziert hätte, hätte die komplexen und volatilen Beziehungen innerhalb der sozialen Eliten nicht ausreichend semantisch erfasst. Zusammenfassend kann festgehalten werden: Das soziale Konzept der philia integrierte Angehörige der imperialen und provinzialen Eliten gleichermassen. Obwohl der Begriff mit Blick auf den sozialen Status semantisch offen war, relativierte philia nicht die soziale Stratifikation: Die beteiligten Parteien waren sich ihrer gesellschaftlichen Stellung und der jeweiligen Rangfolge immer bewusst. Der deutungsoffene Begriff beschrieb ein dynamisches Konzept und erlaubte es auch, soziale Mobilität aufzufangen, die im vierten Jahrhundert durch die Erweiterung des Senatorenstandes in grösserem Masse vorhanden war. Dem sozialen Konzept der philia kam in der Bildung von sozial und politisch wirksamen Netzwerken eine zentrale integrative und normative Funktion zu. Im Folgenden soll nun noch der Frage nachgegangen werden, wie mit religiösen Differenzen umgegangen wurde.

2.3. Philia und Religion Das vierte Jahrhundert war in religiöser Hinsicht eine Zeit des Umbruchs. Welche Rolle spielte die Religion in dieser Epoche für die Konstituierung von philia-Beziehungen und in der Etablierung von sozial und politisch wirksamen Netzwerken? Aus den bisherigen Ausführungen wurde bereits deutlich, dass Libanius mit Heiden, Christen und einigen Juden in Verbindung stand.306 Eine quantitative Analyse seiner Freunde nach religiöser Zugehörigkeit ist allerdings nicht möglich, da in vielen Fällen nicht bekannt ist, welcher Religion seine Korrespondenten angehörten. In den Briefen spielte die religiöse Zugehörigkeit eine untergeordnete Rolle. Nur eines von neun Empfehlungsschreiben, die Libanius seinem paganen Freund Iamblichus im Jahr 357 auf seinem Weg zum Hof mitgab, enthielt eine diesbezügliche Anspielung.307 Bezeichnenderweise war dieses Schreiben an Libanius’ engen Freund Aristaenetus gerichtet. Iamblichus wurde darin gleich zweimal für seine Einstellung zu den Göttern gelobt: (2)  τὸ δὲ μέγιστον τῶν ἐν αὐτῷ, νομίζων τὴν μεγίστην ἀνάγκην εἰς ἀρετῆς ἄσκησιν εἶναι θεοὺς τιμῶν δέξαιτ’ ἂν Ἶρος γενέσθαι μᾶλλον ἢ μὴ τιμῶν Κινύρας. 306

Vgl. II.1.2. Zu Iamblichus vgl. Seeck 1906, 184 (Jamblichus); PLRE I, 415 f. (Iamblichus 2). Bei den mitgegebenen Schreiben handelt es sich um Lib. ep. 569–577. Möglicherweise hatte Iamblichus eine Stelle in Aussicht, vgl. ep. 571.4. Vgl. zu diesem Brief auch Bradbury 2004b, 46 f. 307

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[…] (4)  ἀκούσας δέ, τίς μὲν αὐτὸν ὁ καλῶν, ἐφ’ ὃ δὲ καλούμενος τίνι γνώμῃ πορεύεται, θαυμάσῃ μὲν αὐτοῦ τὸ μὴ θαυμάσαι πλοῦτον, ἐπαινέσῃ δὲ τὴν σοφίαν, ᾗ πειρᾶται διαφεύγειν ἃ μὴ νομίζει καλά, μακάριον δὲ ἡγήσῃ τῆς περὶ τὰ θεῖα κρίσεως. «2. Die herausragendste seiner Qualitäten ist, dass er es für die grösste Notwendigkeit hält, beim Streben nach Tugend die Götter zu ehren, und er würde lieber Irus [i. e. ein Bettler] werden, als dass er sie nicht ehrte und Kinyras [i. e. ein reicher Mann] würde. […] 4. Wenn du hörst, wer ihn ruft, weswegen er gerufen wird und mit welcher Einstellung er aufbricht, wirst du ihn bewundern dafür, dass er Reichtum geringschätzt, du wirst seine Weisheit loben, durch welche er zu vermeiden versucht, was er nicht für richtig hält, und du wirst ihn für glücklich schätzen für seine Einstellung gegenüber dem Göttlichen.»308 Libanius spielte in diesem Brief auf jene an, die sich unter der Herrschaft von Constantius II. aus opportunistischen Gründen zum Christentum bekannt hatten. Iamblichus dagegen sei den Göttern treu geblieben und habe seine Einstellung über allfällige Vorteile gestellt. Hinweise auf den polytheistischen Götterglauben wurden allerdings in einer Zeit, in der die Herrscher selbst christlich waren, nur sparsam verwendet. Dass Libanius gegenüber dem ebenfalls heidnischen Prätoriumspräfekten Anatolius eine explizite Anspielung auf die Religion des Iamblichus unterliess, deutet darauf hin, dass die Vorsicht gebot, nicht mit religiösen Aussagen zu provozieren.309 Da Briefe oftmals öffentlich vorgelesen wurden, konnte eine allzu deutliche Stellungnahme für den alten Götterglauben dem Empfohlenen und dem Adressaten unter Umständen mehr schaden als helfen. Dies traf auf einen Prätoriumspräfekten, der auch am Hof verkehrte, ganz besonders zu.310 Libanius benutzte wie sein Zeitgenosse Themistius bei Anspielungen auf das Göttliche, Gott oder die Götter oft eine zweideutige Sprache, die sowohl an Heiden wie auch an Christen gerichtet sein konnte.311 Überzeugend deutet Hart-

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Lib. ep. 571.2; 571.4. Lib. ep. 574. Dieses Schreiben gehört wie jenes an Aristaenetus zu den neun Empfehlungen, die Iamblichus auf seine Reise mitbekommen hatte. 310 Es erstaunt deshalb nicht, dass Libanius nur gegenüber Aristaenetus den Götterglauben des Iamblichus in aller Deutlichkeit herausstellte: Aristaenetus war nicht nur ein enger Freund, Libanius hatte auch mehrere Jahre zusammen mit ihm in Nicomedia gelebt und konnte deshalb abschätzen, wie auch das Umfeld des Aristaenetus auf so einen Brief reagieren würde. Zur Praxis des Vorlesens von Briefen und Strategien der Gemeinschaftsbildung vgl. auch II.4.2. 311 So versicherte Libanius beispielsweise dem Christen Strategius Musonianus, als dessen Frau erkrankte, dass ihm die Götter gewogen seien aufgrund seiner Gerechtigkeit und er sich deswegen keine Sorge um die Gesundheit seiner Frau machen müsse (ep. 497.1: ἐσώζετ’ ἂν 309

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II. Libanius

mut Leppin die Wahl deutungsoffener Begriffe bei Themistius als Möglichkeit, «Räume der Neutralität» zu schaffen.312 In Bezug auf die Korrespondenz des Symmachus identifiziert John Matthews die Ambivalenz der Formulierungen als zentrale Bedingung, um Beziehungen auch über die Religionsgrenzen hinweg zu führen.313 Aus dem Umstand, dass die Religion nicht angesprochen wurde, kann nicht abgeleitet werden, dass den Korrespondenten die religiöse Überzeugung des anderen nicht bekannt gewesen wäre. Es stand an Bedeutung nur hinter anderen Aspekten zurück, welche stärker verbindend wirkten. Hier sind insbesondere die Zugehörigkeit zur selben sozialen Schicht und das gemeinsame Bildungsgut (paideia) zu nennen.314 Intrareligiöse Beziehungen zwischen zwei Heiden waren deshalb auch nicht unbedingt intensiver und stabiler als interreligiöse Beziehungen. Allianzen verliefen nicht entlang der Religionsgrenzen. Dies zeigt beispielsweise Libanius’ gutes Verhältnis zu dem christlichen Prätoriumspräfekten Strategius Musonianus, der ihm seine Hilfe angedeihen liess; von den heidnischen Beamten Icarius und Proclus erhielt er hingegen keine Unterstützung.315 Die Übereinstimmung im Glauben konnte als zusätzliche Information in Empfehlungsschreiben erwähnt werden; sie war aber keineswegs eine zwingende Voraussetzung, um Beziehungen zu konstituieren.316 Eine Zunahme religiöser Themen lässt sich jedoch in Libanius’ Briefen und Reden während der Herrschaftszeit von Kaiser Julian feststellen.317 Da Julian Heiden bei der Besetzung von zivilen Stellen tendenziell bevorzugte, konnte es nun von Vorteil sein, sich klar zum Götterglauben zu bekennen. Auch Konversionen werden dadurch sichtbar: Mehreren Personen, die unter Constantius II. äusserlich als Christen gelebt hatten, attestierte Libanius, dass sie im Geheimen schon

ὀφειλόντων σοι τῶν θεῶν χάριν ἀντὶ τῆς περὶ πάντα δικαιοσύνης). S. auch Sandwell 2007b, 109; 114–119; Cribiore 2013, 182–185. Zur Verwendung monotheistischer Vorstellungen in Libanius’ und Themistius’ Reden vgl. Sandwell 2010. 312 Leppin 2009, 11 f. Vgl. auch Heather/Moncur 2001, 61–65, bes. 64. 313 Matthews 1974, 88 f. Vgl. auch Salzman 2010. 314 Zu den konstituierenden Elementen vgl. auch die Ausführungen in II.2.4. 315 Zum Kontakt von Libanius mit diesen Beamten vgl. die Zusammenstellungen von Petit 1994, 134 (Icarius); 213–217 (Proculus III); 236–240 (Strategius I [Musonianus]). S. auch Petit 1955, 212; 214. 316 Sandwell 2007b, 234 f. Wie Libanius z. B. religiöse Übereinstimmung einsetzte, um mit hohen Militärs aus dem Umfeld von Theodosius in Verbindung zu treten, zeigt Nesselrath 2012, 101–104. 317 Sandwell 2007b, 91 f. Cribiore 2013, 151–153 hat Aussagen zu Religion in den Briefen des Libanius in verschiedenen Epochen klassifiziert mit dem Ergebnis, dass zwar über die gesamte Zeit hinweg formelhafte religiöse Wendungen zu finden sind, dass aber Bezugnahmen auf spezifische religiöse Riten oder Zugehörigkeiten gehäuft in der Zeit unter Julian sowie noch unter Jovian vorkommen.

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immer die alten Götter geehrt hätten.318 Ein solcher Brief von Libanius konnte laut verlesen und der Rehabilitierung der jeweiligen Person unter dem neuen Regime dienen. Aufgrund seiner Nähe zu Julian hatte die Aussage des Libanius besonderes Gewicht. Libanius gibt uns auch einige Hinweise, dass sich unter der Regierung des Apostaten die Fronten zwischen Heiden und Christen verschärften.319 Zu Konflikten führte insbesondere Julians Anordnung, Tempel und Tempelland wieder ihrem ursprünglichen Zweck zuzuführen. Nicht wenige frühere Heiligtümer scheinen im Laufe der vorherigen Jahrzehnte in den privaten Besitz von Christen übergegangen zu sein. Mehrere von Libanius’ christlichen Freunden in Antiochia und anderen Regionen im Osten des Imperium Romanum kamen durch diese Restitutionsforderungen in finanzielle Bedrängnis. Libanius verwandte sich für sie bei den zuständigen Beamten und ermahnte allzu eifrige Funktionäre zur Mässigung. So hielt er den Priester Bacchius zwar dazu an, die Altäre der Götter wiederherzustellen und die überkommenen Rituale zu achten, damit den Göttern Ehre widerfahre, die Gesetze des Kaisers befolgt würden und die Stadt neuen Glanz erhalte. Doch bei seiner Tätigkeit solle er auch die charis nicht vergessen, denn auch die Chariten seien göttlich.320 Deshalb bat er um eine massvolle Berechnung der Rückzahlungen, die seine Freunde Basilicus und Aemilianus für erworbenes Tempelgut leisten mussten.321 Seine eigenen christlichen Verwandten, die Söhne des Thalassius, hatten einen Tempel erworben und in ein Haus umgebaut. Libanius betonte in einem Schreiben an Gaianus, den Statthalter von Phönikien, dass er dies zwar nicht gutheisse, 318 Vgl. z. B. Lib. ep. 804 zu Domitius Modestus. Für weitere Beispiele und grundsätzlich zur religiösen Netzwerkbildung unter Julian vgl. Sandwell 2007b, 104–108; 227–231. Vgl. auch die Ausführungen in II.4.2., S. 165–167. 319 Dass es jedoch eine organisierte «parti païen» (Petit 1955, 204) oder einen «pagan underground» (Norman 1969, 9 Anm.  c; 127 Anm.  c) gegeben habe, kann inzwischen als widerlegt gelten. Vgl. die Diskussion der Zeugnisse bei Drinkwater 1983, bes. 349–360; Wiemer 1995b, 26 f. und Sandwell 2007b, 213 f. Bereits Petit 1955, 205, der zur Entstehung der These massgeblich beigetragen hat, räumt ein: «les faits sont minces». Die Adaption dieser These bei Soler 2009, der Libanius im Zentrum einer pythagoreischen Hetärie sieht, entbehrt jeglicher Quellengrundlage. Bei Libanius finden sich keinerlei Hinweise auf eine philosophische Durchdringung seines Freundschaftsverständnisses. Vgl. dagegen Julian, dessen philia neuplatonisch gefärbt war. S. hierzu weiter unten, S. 96 f., sowie ausführlich Schramm 2013, 300–443. 320 Lib. ep. 757.1: Ἐπιμελοῦ τῶν ἱερῶν, ὦ καλὲ Βάκχιε, καὶ πλήθει θυσιῶν καὶ τελετῶν ἀκριβείᾳ καὶ τῷ τὰ κείμενα ἀνιστάναι. δεῖ γάρ σε καὶ περὶ τοὺς θεοὺς εὐσεβεῖν καὶ τῷ βασιλεῖ χαρίζεσθαι καὶ τὴν πατρίδα καλλίω ποιεῖν. δίδου μέντοι καὶ χάριτας ἐν τῷ φυλάττειν τὴν σπουδήν. θεάς τε γὰρ οὔσας οὕτω τιμήσεις τὰς Χάριτας καὶ ἅμα ἔξεστι μήτ’ ἐκείνων ἀμελεῖν καὶ πρᾷον εἶναι. Zu Bacchius vgl. Seeck 1906, 93 f. 321 Lib. ep. 757.2–3. Über Basilicus und Aemilianus ist nichts weiter bekannt.

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die beiden aber zu jener Zeit nach den damals gültigen Gesetzen gehandelt hätten. Er appellierte an die Freundschaft des Gaianus und bat ihn dafür zu sorgen, dass seine Verwandten gerecht behandelt würden: Das Gut sei beschlagnahmt worden, die Besitzer erhielten keine Einkünfte und trotzdem seien sie aufgefordert worden, die Tempel wieder zu errichten.322 In einem anderen Fall setzte Libanius sich für seinen Freund Theodulus ein, der in Antiochia ein grosses Haus aus Fragmenten eines Tempels hatte errichten lassen. Hier appellierte er an das ästhetische Empfinden des zuständigen Priesters: Das Haus trage zur Verschönerung der Stadt bei und solle erhalten bleiben. Zudem habe sich Theodulus die Bauteile nicht unrechtmässig angeeignet, sondern gekauft.323 Besonders heftige Konflikte zwischen Christen und Heiden brachen zur Zeit der Herrschaft Julians in Bostra, der Hauptstadt der Provinz Arabia, aus. Christliche Familien wurden damals sogar aus der Stadt verbannt. Kaiser Julian sah sich daher veranlasst, auch die heidnische Bevölkerung zur Mässigung aufzurufen: […] μήθ’ οἱ πεπλανημένοι τοῖς ὀρθῶς καὶ δικαίως τοὺς θεοὺς θεραπεύουσι κατὰ τὰ ἐξ αἰῶνος ἡμῖν παραδεδομένα, μήθ’ οἱ θεραπευταὶ τῶν θεῶν λυμαίνεσθε ταῖς οἰκίαις ἢ διαρπάζετε τῶν ἀγνοίᾳ μᾶλλον ἢ γνώμῃ πεπλανημένων. «[…] ihr im Irrglauben Verstrickten, vergeht euch nicht an denen, die, in der richtigen und gerechten Gesinnung, nach den von Urzeiten auf uns gekommenen Überlieferungen die Götter verehren, und ihr, Diener der Götter, verheert und plündert nicht die Behausungen derer, die mehr aus Unkenntnis als mit Absicht im Irrglauben verharren.»324 Von den Ausschreitungen gegen Christen war auch Orion, ein Freund des Libanius, betroffen. Er und seine gesamte Familie verliessen Bostra fluchtartig.325 Offenbar wurde Orion vorgeworfen, dass er einst Tempelschätze in seinen Besitz gebracht hatte. Da er nicht in der Lage war, diese zurückzuzahlen, versuchte man, sich seines Landes zu bemächtigen, ohne dass ein Prozess geführt wurde.326 Libanius intervenierte für ihn beim zuständigen Beamten, dem praeses Arabiae Belaeus.327 In einem ersten Schreiben verwies er auf die lange Freundschaft, die ihn mit Orion verband. Seine Mutter habe ihm Orion vorgestellt; möglicherweise 322 Lib. ep. 1364. Zu Gaianus vgl. Seeck 1906, 160 f. (Gaianus); PLRE I, 378 (Gaianus 6); Petit 1994, 113 f. (Gaianus). 323 Lib. ep. 724. 324 Jul. ep. 114 (Übers. W 58). Auf das Schreiben verweist auch Soz. 5.15.11–12. Vgl. auch Teitler 2014. 325 Lib. ep. 763.3. 326 Lib. ep. 763.4–6; 819.5–8. 327 Zu Belaeus vgl. PLRE I, 160.

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kannte er ihn schon von Kindesbeinen an.328 Orion hatte selbst ein Amt in Bostra ausgeübt. Libanius betonte, dass Orion während seiner Amtszeit vielen Leuten geholfen und nie einen Krieg gegen die Tempel geführt habe.329 Er forderte Belaeus deshalb zur Mässigung und zur Einhaltung der Gesetze auf; Christen sollten nicht willkürlich vertrieben und enteignet werden.330 Belaeus könne durch seine Hilfe demonstrieren, dass er auf den guten Rat eines Freundes höre und dass Libanius seine Freunde auch in schlechten Zeiten nicht im Stich lasse.331 Da der praeses Arabiae jedoch nicht reagierte, wurde Libanius in einem weiteren Brief deutlicher: (1)  Ἐγένετό μοι φίλος Ὠρίων, ὅτε εὐτύχει· νῦν δὲ πράττει μὲν ἐκεῖνος κακῶς, τηρῶ δὲ ἐγὼ τὴν γνώμην· αἰσχύνομαι γὰρ εἰ καὶ αὐτὸς ὑπὸ τῇ παροιμίᾳ γενήσομαι καὶ δόξω φεύγειν ἠτυχηκότα φίλον. (2) ταῦτα δὲ τρὶς ἤδη πρὸς σὲ βοῶ· τὸ μὲν πρῶτον ἐν γράμμασιν, ἔπειτα πρὸς παρόντα, νῦν δὲ ὥσπερ τὸ πρῶτον. καὶ γὰρ εἰ διέστηκεν ἡμῶν τῇ περὶ τὸ θεῖον δόξῃ, βλάπτοι μὲν ἂν αὑτόν, εἴπερ ἐξηπάτηται, παρὰ δὲ τῶν συνήθων οὐκ ἂν εἰκότως πολεμοῖτο. (3) ἠξίουν δὲ ἔγωγε καὶ τοὺς νῦν ἐγκειμένους αὐτῷ μεμνῆσθαι ὧν αὐτοῖς ἐβοήθησε πολλάκις καὶ μᾶλλον ἀποδοῦναι χάριν ἢ ζητεῖν κατορύξαι ζῶντα τὸν εὐεργέτην· οὗ τὴν συγγένειαν ἐλαύνοντες πάλαι καὶ Μυσῶν λείαν πεποιημένοι τἀκείνων τελευτῶντες ἥκουσιν ἐπὶ τὸ τοῦδε σῶμα ὡς ταύτῃ γε χαριούμενοι τοῖς θεοῖς, πλεῖστον ἀπέχοντες τοῦ περὶ τὰς τῶν θεῶν τιμὰς νόμου. (4) ἀλλὰ τοὺς μὲν πολλοὺς οὐδὲν θαυμαστὸν ἄνευ λογισμοῦ φέρεσθαι καὶ ποιεῖν ἀντὶ τῶν καλῶν τὰ ἡδέα· σὲ δὲ τὸν ἀπὸ τοῦ παιδεύοντος θρόνου πρὸς τὸν ψήφου κύριον ἥκοντα κατέχειν τοὺς τοιούτους εἰκὸς καὶ πείθειν ἢ ἔργῳ κωλύειν. «1. Orion wurde mein Freund, als es ihm gut ging, und nun, da es ihm schlecht geht, soll es dabei bleiben. Es wäre nämlich beschämend, wenn auch ich unter das Sprichwort fiele, wonach ‹im Unglück Freunde ferne sind›. 2. Und ich wende mich in dieser Sache schon zum dritten Mal an dich, erst brieflich, dann mündlich, und nun wie zuerst. Denkt Orion auch in religiösen Fragen anders als wir, so schadet er doch nur sich selbst, wenn er sich irreführen lässt, und es wäre nicht passend, wenn alle Bekannten ihn darum bekämpften. 3. Ich jedenfalls hielte es für richtig, wenn jene, die ihm heute zusetzen, sich seiner vielen Hilfeleistungen von einst erinnerten und sich dankbar zeigten, statt ihren Wohltäter am liebsten noch lebendig zu begraben. Haben sie doch längst seine Verwandten vertrieben

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Lib. ep. 763.1. Lib. ep. 763.2–3. Welches Amt Orion innehatte, ist unklar. Möglicherweise war er Statthalter von Arabia. Vgl. Petit 1994, 185; Bradbury 2004b, 168. 330 Lib. ep. 763. 331 Lib. ep. 763.7. 329

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und ihren Besitz wie eine Kriegsbeute kassiert, und nun stürzen sie sich auf ihn, als sei das ein gottgefälliges Werk, wo sie doch von der rechten Weise, die Götter zu ehren, sehr weit entfernt sind. 4. Kein Wunder indessen, wenn die breite Masse sich treiben lässt ohne Vernunft, um Annehmlichkeiten bemüht statt um Anstand; du aber, der du vom Lehrstuhl des Erziehers auf den Richtersessel gelangt bist, du solltest solche Leute zurückhalten mit Wort und Tat.»332 Explizit erinnerte Libanius an die Freundschaftspflichten, die ihn, aber auch viele Bewohner von Bostra und möglicherweise auch den Adressaten selbst an Orion banden. Dass sie die religiöse Überzeugung des Orion nicht teilten, sah er nicht als Grund, die philia zu negieren. Im Gegenteil betonte er, dass die Verpflichtung, dem Freund zu helfen, nicht von dessen religiöser Überzeugung abhängig sei. Zumal Orion selbst nie gegen Heiden vorgegangen sei. Auch den consularis Syriae Alexander erinnerte er daran, dass er selbst mit dem Christen Eusebius befreundet sei und ihn dem Libanius sowie ihrem gemeinsamen heidnischen Freund Nicocles als Freund empfohlen habe: ᾧ καὶ φίλον ἐποίησας ἐμοί τε καὶ Νικοκλεῖ τὸν ἄνδρα, ὅτι τὰ αὑτοῦ τιμῶν οὐκ ἠτίμαζε τοὺς ὀμνύντας τὸν Δία. «Du hast den Mann mir und Nicocles zum Freunde gemacht, weil er bei aller Achtung vor der eigenen Sache diejenigen nicht mit Missachtung strafte, die bei Zeus zu schwören pflegten.»333 Nun wurde Eusebius jedoch verfolgt, da ihm nachgesagt wurde, die Opfer zu sabotieren. Ihm drohte die Verhaftung, wovor er sich zu Libanius flüchtete, der ihm in seinem Haus Asyl gewährte.334 Auch bei Eusebius hob Libanius hervor, dass er sich nie gegen heidnische Mitbürger gewandt hatte. Alexander, der als besonders eifriger Beamter im Dienste Julians galt, scheint jedoch wenig für ihn getan zu haben. Zwar entkam Eusebius der Haft, doch wurde ihm wenig später, wohl aus Rache, ein besonders aufwändiges munus auferlegt.335 Liest man diese Briefe des Libanius aus der Regierungszeit Julians, entsteht der Eindruck, dass die Heiden jener Zeit in einem Loyalitätskonflikt gefangen waren: 332 Lib. ep. 819.1–4 (Übers. nach FK  51). Im weiteren Verlauf des Briefes argumentierte Libanius sehr geschickt, dass Belaeus auch verhindern sollte, dass die Christen ihre verfolgten Glaubensbrüder zu Märtyrern stilisieren können. 333 Lib. ep. 1411.3 (Übers. nach FK 50). Zu Alexander vgl. Seeck 1906, 53 f. (Alexander III); PLRE I, 40 f. (Alexander 5); Petit 1955, 276 f.; Petit 1994, 27–29 (Alexandre III). 334 Lib. ep. 1411.5. 335 Bradbury 2004b, 136 mit Verweis auf Lib. ep. 1414. Zu dem Statthalter Alexander vgl. auch Cribiore 2013, 158 f.

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Auf der einen Seite begrüssten sie die Restaurierung der traditionellen heidnischen Kulte und waren geneigt, alle expliziten Gegner des alten Götterglaubens als Feinde anzusehen. Auf der anderen Seite bestand ein weitgespanntes Netz von philia-Beziehungen, welchem Angehörige verschiedener Religionsgruppen angehörten und welches die Freunde zu gegenseitiger Unterstützung verpflichtete. Libanius optierte in diesen Fällen meist für die Freundschaft, wobei er bei den von ihm unterstützten Freunden immer betonte, dass sie zwar selbst die Götter nicht verehrten, aber auch nichts gegen die Heiden unternommen hätten. Individuelle Freundschaften und verwandtschaftliche Verbindungen zu Christen standen neben einer grundsätzlichen Ablehnung des Christentums, die insbesondere in seinen Reden deutlich wird. Gerade in julianischer Zeit und kurz danach bezeichnete Libanius die Christen oftmals als «Feinde der Götter und der Tempel» oder «Gegner» derjenigen, welche die Götter verehrten.336 Grundsätzlich übernahm Libanius nie die christliche Selbstbezeichnung «Christianoi», wenn er von Christen sprach. Auch der von Julian verwendete Begriff der «Galiläer» findet sich bei ihm nicht. Stattdessen umschrieb Libanius die Christen als Personen, welche die Götter nicht ehrten oder gottlos seien.337 Wie Isabella Sandwell herausstellt, wurde das Christentum dabei nie positiv definiert, sondern war immer nur durch Absenz von Götterverehrung charakterisiert.338 Gleichzeitig weist sie darauf hin, dass Libanius die Christen nie als einheitliche Gruppe verstand, sondern jeweils situationsbedingt spezifische Christen ins Auge fasste.339 Dies ermöglichte ihm, einzelne Beziehungen über die Religionszugehörigkeit zu stellen. Solange von Christen keine explizit feindlichen Aktionen gegen Heiden ausgingen, sah Libanius keinen Grund, solche Freundschaften zu meiden oder geringer zu achten als Freundschaften mit Heiden. Es spiegelt Libanius’ eigene Auffassung, wenn er im Epitaphios auf Julian besonders herausstellte, dass jener zwar alle Freunde von Zeus als eigene Freunde betrachtet habe und dessen Feinde als seine Feinde, aber nicht jeder, der noch kein Freund von Zeus sei, sei zwingend ein Feind gewesen.340 Julian selbst

336

Vgl. z. B. Lib. ep. 819; 1220.3; 1425; 1534. S. hierzu Sandwell 2007b, 92 f. Sandwell 2007b, 92–94 hat verschiedene Bezeichnungen für religiöse Zugehörigkeit bei Libanius zusammengestellt. Zu Libanius’ Äusserungen über das Christentum vgl. Nesselrath 2012, 64–73. 338 Vgl. Sandwell 2007b, 93: «What Libanius has given us is not a contrast between two positively constructed religions, one polytheistic and the other monotheistic, but rather a contrast between a presence, worship of the gods, and an absence, no worship of the gods.» 339 Sandwell 2007b, 98 f. 340 Lib. or. 18.125. Libanius betonte in diesem Zusammenhang, dass Julian im Laufe der Zeit nicht wenige der früheren Feinde der Götter zu den Altären führte: […] καὶ φίλον μὲν 337

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II. Libanius

bezeichnete es in einem Brief an eine gewisse Theodora als einen Fehler, jemanden zu lieben, der die Götter nicht ehre und bei dem keine Hoffnung bestehe, dass er in Zukunft die Götter ehren würde.341 Im Gegensatz zu Libanius mass Julian die Stärke einer Freundschaft daran, ob eine Übereinstimmung in religiösen Dingen vorlag. Gegenüber dem Philosophen Eustathius betonte er beispielsweise das starke Fundament ihrer Freundschaft, die auf der gemeinsamen Verehrung der Götter beruhe: […] ἡμῖν δὲ ὑπάρχει πρὸς ἀλλήλους ξενικῆς φιλίας ἀμείνων ἥ τε διὰ τῆς ἐνδεχομένης παιδείας καὶ τῆς περὶ τοὺς θεοὺς εὐσεβείας […]. «[…] Uns beide aber verbindet, enger als blosse Gastfreundschaft, eine Freundschaft miteinander, gegründet auf die bestmögliche Bildung und die gemeinsame gläubige Verehrung der Götter […].»342 Paideia und eusebeia wurden von Julian als grundlegende Elemente der philia herausgestellt. Eine besonders innige Freundschaft sah er auch zwischen sich und Theodorus, den er zum Oberpriester ernannte, da sie mit Maximus von Ephesus einen gemeinsamen Lehrer hatten. Dies wog sogar den Umstand auf, dass sie sich noch nie persönlich begegnet waren.343 Wie Michael Schramm hervorgehoben hat, konnte bei Julian die homonoia, die Gemeinsamkeit des Denkens, eine Freundschaft konstituieren.344 Dabei wurde philia quasi religiös begründet, indem der Zugehörigkeit zur selben philosophischen Schule eine ähnliche Bedeutung zukam wie der Übereinstimmung im Glaubensbekenntnis bei christlichen Autoren.345 Die Übereinstimmung in der philosophia bildete das Fundament für eine besonders starke philia. Eine ‹Tugendfreundschaft› bestand bei Julian zwischen denjenigen, die über eine gemeinsame hellenische paideia verfügten, dieselben philosophischen Überzeugungen teilten und die klassischἄγων τὸν Διὶ φίλον, ἐχθρὸν δὲ τὸν ἐκείνῳ, μᾶλλον δὲ φίλον μὲν τὸν ἐκείνῳ φίλον, ἐχθρὸν δὲ οὐ πάντα τὸν οὔπω Διὶ φίλον. οὓς γὰρ ᾤετο τῷ χρόνῳ μεταθήσειν, οὔτ’ ἀπήλαυνε κατεπᾴδων τε ἐνῆγε τὴν πρώτην τε ἀναινομένους περὶ βωμοὺς ὕστερον χορεύοντας ἔδειξε. 341 Jul. ep. 86 (Übers. nach W 45): […] εἴ τινα ἀνδρῶν ἢ γυναικῶν ἢ ἐλευθέρων ἢ δούλων ἀγαπᾷς οὔτε νῦν σέβοντα θεούς, οὔτε ἐν ἐλπίδι τοῦ πείσειν αὐτὸν ἔχουσα, ἁμαρτάνεις. – «Wenn du unter Männern oder Frauen, Freien oder Sklaven, irgend jemand liebst, der weder jetzt die Götter ehrt, noch dich hoffen lässt, ihn dazu bewegen zu können, so begehst du einen Fehler.» Interessanterweise verwendet Julian hier das Verb ἀγαπάω, ein deutlich christlich gefärbter Begriff, der bei Libanius so gut wie nie vorkommt. Vgl. zur agape-Terminologie III.2. 342 Jul. ep. 35 (Übers. W 9). Zu Eustathius vgl. PLRE I, 310 (Eustathius 1). 343 Jul. ep. 89a (W  47). Zu Theodorus vgl. PLRE I, 897 (Theodorus 8); zu Maximus vgl. PLRE I, 583 f. (Maximus 21). 344 Schramm 2013, 424 f. 345 Vgl. zur christlichen Konstituierung von Freundschaft III.2.

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pagane Religion praktizierten.346 Eine solche Hierarchisierung von philia nach religiöser und philosophischer Überzeugung nahm Libanius nicht vor. Sie ist jedoch typisch für christliche Autoren, wie die Ausführungen im dritten Teil dieser Arbeit zeigen werden. Aber Julians Neuplatonismus war in diesem Punkt mit dem Christentum durchaus vergleichbar. Auch wenn gerade unter der Herrschaftszeit Julians verstärkte Gegensätze zwischen Christen und Heiden auftraten, standen für Libanius selbst wie für viele seiner Zeitgenossen philia-Verbindungen über religiösen Differenzen. Die Standessolidarität der gebildeten Eliten überwand in vielen Fällen allfällige Religionsgrenzen. Philia war ein Wert an sich, der von Christen wie Heiden getragen wurde.

2.4. Stabilität und Vertrauen in philia-Beziehungen Philia-Beziehungen trugen massgeblich zur Kohäsion und Integration der spätantiken Oberschichten bei. Nicht nur wurden über philia-Beziehungen imperiale und provinziale Eliten miteinander verbunden, auch Christen und Heiden waren in dieselben Netzwerke eingebunden. Für die gesellschaftliche Stellung des Einzelnen war die Einbettung in ein tragfähiges Netz an philoi ebenfalls von zentraler Bedeutung. Im Idealfall gewährten sich Freunde gegenseitige Unterstützung in den unterschiedlichsten Lebenslagen. Sie stellten damit einerseits eine gewisse Absicherung gegen Notlagen in einer Zeit dar, in der es keine Sozialversicherung gab. Andererseits konnte man durch mächtige Freunde den eigenen Einflussbereich ausweiten. Doch war auf die Freunde auch Verlass? Wie wurde Vertrauen hergestellt? Vertrauen kann dabei mit Georg Simmel verstanden werden als «die Hypothese künftigen Verhaltens, die sicher genug ist, um praktisches Handeln darauf zu gründen».347 Im Folgenden soll betrachtet werden, wie in philia-Beziehungen Stabilität und Vertrauen hergestellt wurde. Insbesondere bei der Initiierung neuer Freundschaften war Vertrauen wichtig. Wie in II.2.1. herausgearbeitet wurde, konnte die Gewährung der ersten charis mit dem Beginn einer philia zusammenfal346

Schramm 2013, 428. Vgl. auch Guido 1998 und Luchner 2008. Simmel 1992 [1908], 393. Vertrauen ist in den letzten Jahrzehnten zunehmend zum Gegenstand historischer Forschung geworden. Vgl. Frevert 2002; Frevert 2003 für eine theoretische Auseinandersetzung mit verschiedenen Zugängen zu Vertrauen. An Fallstudien sei hier besonders auf Mauelshagen 2003 hingewiesen, der sich mit Vertrauen in frühneuzeitlichen Gelehrtennetzwerken auseinandersetzt, die einige Ähnlichkeiten zu den spätantiken Freundschaftsbeziehungen aufwiesen. Timmer 2017 hat die politische Bedeutung von Vertrauen in der römischen Republik herausgestellt. 347

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II. Libanius

len. Charites wurden üblicherweise nicht sofort, sondern zeitversetzt vergolten. Dies bedeutet, dass derjenige, der die erste charis gewährte, einen Vertrauensvorschuss leisten musste. Er konnte nicht sicher sein, dass der andere die charis erwidern und sich als würdiger philos zeigen würde. Deshalb gilt es zunächst einmal zu klären, welche Elemente bei der Konstituierung von philiai vertrauensbildend wirkten.

Konstituierung von philia-Beziehungen Im Gegensatz etwa zu ritualisierten Bruderschaften oder Eheschliessungen finden sich für die philia in der Spätantike keine Belege für ein Initiationsritual oder einen Schwur.348 Solche Zeremonien markierten nicht nur formell den Beginn einer Beziehung, sondern banden die beiden Parteien vor Zeugen aneinander und verpflichteten sie zur Einhaltung der mit der Beziehungsform verbundenen Normen und Konventionen. Bei philia scheint der Beginn jedoch nicht formalisiert gewesen zu sein. Eine philia konnte entweder allmählich entstehen durch gemeinsam verbrachte Zeit, sie konnte aber auch von den Vätern geerbt oder über Freunde vermittelt werden.349 Durch einen Brief wurden auch philiai zwischen Personen begründet, die sich kaum oder gar nicht kannten.350 Neben Beziehungen, in denen man sich allmählich kennenlernte, traten Freundschaften, die ad hoc geschlossen wurden. Bei diesen philiai spielten gemeinsame Freunde, die für den neuen Freund bürgen konnten, eine wichtige Rolle. Dass die Vermittlung von Freunden eine verbreitete Praxis war, ist durch die erhaltenen Briefwechsel hinreichend belegt. Auf diese Weise wurden Netzwerke ausgedehnt und enger miteinander verwoben. So bedankte sich Libanius bei seinem Intimus Aristaenetus, dass er durch ihn zwei Statthalter als Freunde gewonnen habe. Er revanchierte sich, indem er ihm einen Sophisten empfahl.351 Den einflussreichen Höfling Jovinus forderte Libanius auf, den Arzt Macedonius zu empfangen und ihn zum Freund zu machen.352 Der Statthalter Andronicus sollte den Maiorinus nicht nur selbst empfangen, sondern ihn zusätzlich mit weiteren einflussreichen Personen in Kontakt bringen.353 348

Zu ritualisierten Bruderschaften in Byzanz vgl. Rapp 1997. Für geerbte Freundschaften vgl. z. B. Lib. ep. 49.5; 571.3. Für Freundschaftsvermittlungen vgl. die folgenden Ausführungen. 350 Vgl. z. B. Lib. ep. 2; 336; 436; 510; 558; 836. 351 Lib. ep. 364.5: λαβὼν δὴ παρὰ σοῦ δύο ἄρχοντας φίλους ἑνὶ γέμοντι σοφίας ἀμείβομαί σου τὸ δῶρον. 352 Lib. ep. 1472.3. Zu Jovinus vgl. Seeck 1906, 186 f. (Jovinus II); PLRE I, 461 f. (Jovinus 1); Petit 1994, 137 f. (Jovinus II). 353 Lib. ep. 560.5. Zu Andronicus vgl. Seeck 1906, 71–75 (Andronicus  II); PLRE  I, 64 f. 349

2. Philia bei Libanius

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Freundschaftsvermittlung fand nicht nur per Brief, sondern auch bei persönlichen Treffen statt. Den Ablauf einer philia-Vermittlung illustriert folgender Brief an Clearchus sehr schön. Clearchus war ein Senator in Konstantinopel, dem Libanius seinen Schüler Hyperechius354 zur Freundschaft empfahl: Ἀλλ’ ἔδει μέν σε ἐκ τῶν ἐμῶν χειρῶν δεδέχθαι τὸν ἑταῖρον· ἐπεὶ δὲ σὺ μὲν ἠπείγου πρὸς τὰς πύλας, ὁ δ’ οὐ παρῆν, ἃ μὲν ὑπὲρ αὐτοῦ διείλεγμαι, μέμνησο· τίμησον δέ μοι τὴν ἐπιστολὴν δείξας ὡς ἠδυνήθη τοσοῦτον ὅσον ἂν ἐγὼ τὸν χρηστὸν Ὑπερέχιον εἰς τὴν σὴν φιλίαν εἰσάγων τῇ δεξιᾷ. «Eigentlich hättest du meinen Gefährten aus meiner eigenen Hand empfangen sollen. Nachdem du aber zu den Toren eiltest, als er nicht da war, erinnere dich, was ich dir über ihn erzählt habe. Ehre an meiner Stelle den Brief, indem du zeigst, dass er soviel vermag, wie wenn ich den guten Hyperechius mit meiner Rechten in deine Freundschaft geführt hätte.»355 Offenbar hatte Libanius mit Clearchus bereits bei dessen Besuch in Antiochia über Hyperechius gesprochen, ihn sozusagen auf seinen Schüler eingestimmt. Er hatte die Absicht, ihn dem Senator auch persönlich vorzustellen. Allerdings kam ihm dabei die eilige Abreise des Clearchus in die Quere, weshalb Libanius seinen Schützling brieflich im Gespräch hielt.356

(Andronicus 3); Petit 1994, 39–41 (Andronicus II). Maiorinus wird in PLRE I, 538 (Maiorinus 2) als Sohn des gleichnamigen Maiorinus 1 identifiziert, der möglicherweise gleichzusetzen ist mit einem gleichnamigen Prätoriumspräfekten. Maiorinus 2 ist nur aus den Briefen des Libanius bekannt. 354 Seeck 1906, 182 f. (Hyperechius I); PLRE I, 449 f. 355 Lib. ep. 812. Zu Clearchus vgl. Seeck 1906, 108 f. (Clearchus  I); PLRE  I, 211 f. (Clearchus 1); Petit 1994, 68–71 (Clearchus I). Möglicherweise war Clearchus im Jahre 363, als der Brief verfasst wurde, auch bereits als vicarius Asiae tätig. 356 Eine ähnliche Kombination von mündlicher und schriftlicher Empfehlung ist auch in ep. 156 greifbar: Libanius empfahl einen gewissen Auxentius (Seeck 1906, 93 [Auxentius V]; ansonsten nicht näher bekannt.) an Andronicus, einen ehemaligen Schüler und um 360 Statthalter von Phönikien (Seeck 1906, 71–75 [Andronicus II]; PLRE I, 64 f. [Andronicus 3]). Auch hier verwies Libanius auf ein mündliches Gespräch, in dem er den Andronicus aufgefordert hatte, Auxentius als Freund zu betrachten, wenn jener in seine Provinz reise, was nun der Fall sei (ep. 156.2: οἶσθα δέ, ὅτι παρ’ ἡμῶν ἐξιόντι τὸν νεανίσκον ἐπιδείξας ἥξειν τε αὐτὸν ἔφην εἰς Φοινίκην αὐτίκα καὶ τῶν σῶν φίλων ἠξίουν ἕνα νομισθῆναι, σὺ δὲ ἔνευσας). Andronicus sollte den Auxentius als Freund betrachten und ihn wiederum mit einem Empfehlungsschreiben unterstützen, das an Hypatius, den Statthalter von Palaestina Prima (Seeck 1906, 180 f. [Hypatius I]; PLRE I, 447 f. [Hypatius 1]; Petit 1994, 132 [Hypatius I]) gerichtet werden sollte. Gleichzeitig schrieb Libanius auch selbst ein weiteres Empfehlungsschreiben für Auxentius an Hypatius (ep. 157). Offenbar sollte die Empfehlung durch Andronicus doppelt abgesichert werden.

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II. Libanius

Auch den Sohn eines Freundes empfahl Libanius in einem Brief, der möglicherweise an denselben Clearchus gerichtet war: φιλίας δὲ τῆς σῆς ἐπιθυμήσας δι’ ἐμοῦ τοῦ φιλοῦντος ἄμφω τοῦθ’ αὑτῷ γενέσθαι βουληθεὶς ἔρχεται μετὰ γραμμάτων ἐμῶν, ἐν οἷς ἔχει τὰς τῆς ἐπιθυμίας ἐλπίδας. «Da er deine Freundschaft begehrt, und da er möchte, dass ihm diese durch mich, der ich mit beiden befreundet bin, zuteilwird, kommt er mit einem Brief von mir, in den er die Hoffnung für seinen Wunsch setzt.»357 In all diesen Fällen wird die Pragmatik deutlich, mit der Freunde vermittelt und gewonnen wurden. Emotionale Verbundenheit war kein zwingendes Kriterium zur Konstituierung von philia. Wichtiger war es, dass gemeinsame Freunde für das Freundschaftsverhalten bürgen konnten. Die Empfehlungsschreiben geben Aufschluss über weitere Elemente, die vertrauensbildend wirkten und die Initiierung einer philia begünstigten. Hierzu gehörte die Zugehörigkeit zur selben sozialen Schicht. Immer wieder wurde in Schreiben, welche auf die Etablierung einer philia abzielten, die familiäre Herkunft und die soziale Stellung des Empfohlenen herausgestellt. Philia war primär eine Beziehung zwischen Angehörigen der verschiedenen Strata der römischen Oberschicht.358 Die soziale Herkunft war Garantie dafür, dass der zukünftige philos auch die materiellen Ressourcen und die nötigen Netzwerke besass, um die erwiesenen charites zu erwidern. Die soziale Herkunft wurde deshalb oftmals zusammen mit dem Freundschaftsverhalten thematisiert. Als sich Libanius im Jahre 363 bei dem Statthalter Alexander für seinen Freund Auxentius verwandte, kündigte er an, über die philia zu schreiben, die zwischen ihm und dem Empfohlenen bestand (περὶ δὲ τῆς Αὐξεντίου καὶ ἐμῆς φιλίας οἶσθα μέν, ἄκουε δὲ καὶ νῦν).359 Zunächst schilderte 357

Lib. ep. 4. Der Adressat dieses Briefes kann nicht mit Sicherheit identifiziert werden. Der vorliegende Brief gehört zu den wenigen, die dem eigentlichen Korpus vorangestellt sind, und ist somit ohne jeglichen zeitlichen Kontext, was eine Zuordnung zu anderen Adressaten gleichen Namens erschwert. Bei dem Empfohlenen handelt es sich möglicherweise um Olympius, den Sohn eines gleichnamigen Arztes, der in Konstantinopel Libanius’ Unterricht besucht hatte. Der Vater half Libanius dabei, dass er in Antiochia bleiben konnte und nicht zurück nach Konstantinopel gerufen wurde. Über seinen Sohn ist ausser der Erwähnung in zwei Empfehlungsschreiben (ep. 3 und 4) nichts bekannt. Vgl. Seeck 1906, 222. 358 Siehe hierzu auch die Ausführungen in II.2.2. 359 Lib. ep. 1392.3. Zu Auxentius vgl. Seeck 1906, 92 f. (Auxentius  II); Petit 1994, 52 f. (Auxentius  II); PLRE  I, 142 (Auxentius  5). Zum consularis Syriae Alexander s. Seeck 1906, 53 f. (Alexander III); Petit 1994, 27–29 (Alexandre III); PLRE I, 40 f. (Alexander 5). Auxentius sollte zum syndikos von Tarsus ernannt werden, wollte jedoch lieber mit dem Wiederaufbau von Tempeln betraut werden. Zum Kontext des Briefes vgl. auch Bradbury 2004b, 134 f. (Nr. 97).

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er dann allerdings Auxentius’ Bereitwilligkeit, Liturgien für seine Stadt zu übernehmen, obwohl er nur über ein (wohl verhältnismässig) bescheidenes Vermögen verfüge. Er habe nicht nur alle kurialen Pflichten erfüllt, sondern die grossen Liturgien sogar zweimal ausgeführt. Und dabei habe Auxentius nicht das Gefühl gehabt, etwas zu geben, sondern zu erhalten, da ihm ein guter Name mehr wert sei als Gold. Er verstehe sich so gut auf das Freund-Sein (philein), dass man ihn für einen Schüler des in Freundschaften vorbildlichen Theseus halten könne.360 Er, Libanius, schätze sich deshalb glücklich, ihn zum Kreis seiner Gefährten zu zählen.361 Die Bereitschaft, sich für die Stadt einzusetzen, wurde kommentarlos mit der Bereitschaft, sich für seine Freunde zu verwenden, gleichgesetzt. Mit einer solchen Empfehlung wurde die gesellschaftliche Stellung des Empfohlenen offenbart: Auxentius gehörte zur sozialen und politischen Elite und nahm als Ratsherr eine wichtige Position in seiner Heimatstadt Tarsus ein. Gleichzeitig wurden seine Qualitäten als Freund herausgestellt: Auxentius hatte nicht nur die Mittel, sondern auch den Willen, sich für seine Freunde einzusetzen. Auch als Libanius seinem ehemaligen Schüler Andronicus, der inzwischen einen Statthalterposten innehatte, Maiorinus empfahl, betonte er, der junge Mann sei durch und durch gut (ἔστι δὲ καὶ ὅλως ὁ νεανίσκος ἀγαθός), neige nicht zu Zorn (οὐχ ἕτοιμος εἰς ὀργήν) und sei zuverlässig in Freundschaften (βέβαιος εἰς φιλίαν). Er verringere gar sein eigenes Vermögen, um seinen Freunden zu helfen (εἰδὼς ποιῆσαι τὰ ὄντα ἐλάττω τοῦ βοηθῆσαι γνωρίμοις).362 Dass es sich hierbei wahrscheinlich um kein geringes Vermögen handelte, lässt sich an Libanius’ Hinweis ablesen, dass Maiorinus aus gutem Haus stamme und sein Vater das höchste Amt ausgeübt habe (οὗτος γενόμενος ἐξ ἐνδόξων, τὴν γὰρ δὴ μεγίστην ἦρξεν ἀρχὴν ὁ πατὴρ αὐτοῦ).363 Genauso wichtig wie die soziale Herkunft waren jedoch auch die charakterlichen Qualitäten. So hob Libanius bei Maiorinus seine 360 Zur Beschreibung des idealen Freundes greift Libanius gerne auf Vergleiche mit mythischen Freundschaftspaaren wie Theseus und Herakles zurück, die für ihre gegenseitige Unterstützung und Loyalität bekannt waren. Vgl. z. B. ep. 382.1; 435.7; 510.4; 1333.2 für einen Vergleich mit Theseus. Für die Verwendung von heroischen Freundschaftspaaren allgemein s. Schouler 1973, 70 mit weiteren Verweisen. 361 Lib. ep. 1392.3–5: (3) […] περὶ δὲ τῆς Αὐξεντίου καὶ ἐμῆς φιλίας οἶσθα μέν, ἄκουε δὲ καὶ νῦν. (4)  ὁ ἄνθρωπος οὗτος οὕτω μέν ἐστι κρείττων χρημάτων, ὥστ’ ἀπὸ μικρᾶς οὐσίας διὰ πάσης μὲν ἀφῖκται λειτουργίας, διὰ δ’ αὖ τῶν μειζόνων καὶ δίς. ἀεὶ δὲ ἀναλίσκων ᾤετο λαμβάνειν κάλλιον ἡγούμενος εὐφημίαν χρυσίου. οὕτω δὲ ἐπίσταται φιλεῖν, ὥστε φαίης ἂν αὐτὸν μαθητὴν εἶναι Θησέως. (5) ἃ ἐγὼ κατιδὼν κέρδος τε ἡγησάμην ἔχειν αὐτὸν ἐν τῷ χορῷ τῶν ἐπιτηδείων καὶ διατελῶ ποιῶν, ὅ τι ἂν δύνωμαι, ἀγαθόν. 362 Lib. ep. 560.4. Zu Andronicus und Maiorinus vgl. bereits S. 98 f. Anm. 353. 363 Lib. ep. 560.2. Bradbury 2004b, 127 Anm. 8 interpretiert τὴν γὰρ μεγίστην ἀρχὴν mit dem Konsulat, während die Herausgeber der PLRE Maiorinus’ Vater mit einem Prätoriumspräfekten identifizieren. Vgl. PLRE I, 537 f. (Maiorinus 1).

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Freundlichkeit und seinen guten Charakter hervor, wovon sich jeder überzeugen könne, der auch nur ein wenig mit ihm verkehre (ὅστις δὲ αὐτῷ συγγένοιτο καὶ μικρά, κατέχεται τῇ τε πρᾳότητι καὶ χάριτι τῶν τρόπων).364 Den Beweis, dass sich Libanius in seiner positiven Einschätzung des Maiorinus nicht getäuscht habe, sollte der Adressat schliesslich in dessen Redekunst finden (πειρώμενος δὲ καὶ εἰς λόγους ἰὼν φήσεις οὐκ ἠπατῆσθαί με).365 Die Verehrung der logoi und ein gemeinsames Bildungsideal liegen den meisten Empfehlungsschreiben zugrunde. Bildung war ein weiterer Statusindikator, da der Erwerb rhetorischer Fähigkeiten materielle Ressourcen voraussetzte und der mehrjährige Besuch von Schulen folglich ein Privileg der Begüterten war. Paideia zeichnete eine kleine Schicht der Gebildeten gegenüber der grossen Masse der illiterati aus.366 Zudem war paideia ein Distinktionsmerkmal, das nicht ortsgebunden war, sondern ubiquitär unter Beweis gestellt werden konnte. Die Bildung wirkte als verbindendes Element innerhalb und zwischen den sozialen Eliten des Römischen Reiches, da sie eine gemeinsame Kommunikationsgrundlage schuf.367 In den Ausbildungsstätten wurden nicht nur die Klassiker studiert und eine gepflegte Ausdrucksweise gelernt, sondern gleichzeitig ein massvolles Verhalten vermittelt, oder um Peter Brown zu zitieren: «paideia was not simply a skill in persuasive speech; it was a school of courtesy. Verbal decorum assumed, and fostered, an equally exacting sense of decorum in personal relations.»368 Der Erwerb von paideia war damit die Voraussetzung für ein geteiltes Wertesystem, das sich auch in den philia-Beziehungen manifestierte. Bei der Konstituierung von philiai wirkten zunächst gemeinsame Freunde, die für den neuen Freund bürgten, vertrauensbildend; hinzu kamen die Zugehörigkeit zur sozialen Elite sowie gemeinsame Wertvorstellungen. Eine emotionale Verbindung war dagegen nicht nötig und konnte bei philiai, die vermittelt wurden und die sofort entstehen sollten, auch kaum vorausgesetzt werden. Dies heisst jedoch nicht, dass es nicht auch philia-Beziehungen gab, die auf einer starken persönlichen Verbundenheit beruhten. Gerade Freundschaften zwischen Personen, die zusammen studiert hatten oder am selben Ort lebten,

364

Lib. ep. 560.5. Lib. ep. 560.5. 366 Vgl. Brown 1992, 37. 367 Vgl. z. B. Nellen 1981; Schmitz 1997, 134; Stenger 2009, 210 f. 368 Brown 1992, 45. S. hierzu u. a. auch Watts 2006; Rebenich 2008b, 154. So war für Libanius nicht nur gutes Regieren und Bildung (paideia / logoi) untrennbar verwoben (s. Cabouret 2002, 198 f.), sondern die Rhetorik stellte gleichzeitig auch ein Mittel dar, um von Statthaltern ein massvolles Verhalten einzufordern (Lib. or. 31.7). Wie Schmitz 1997, 83; 136–145 herausgestellt hat, wurde in griechischen Inschriften des zweiten Jahrhunderts Charakter und Bildung ebenfalls als Einheit verstanden. 365

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werden sicherlich auch eine starke affektive Komponente enthalten haben. Wichtig ist aber festzuhalten, dass Beziehungen als philia bezeichnet wurden, sobald beide beteiligten Parteien bereit waren, sich an die damit verbundenen Regeln und Gepflogenheiten zu halten, auch wenn es keine tiefergehende emotionale Basis für die Beziehung gab.369

Vertrauen in philia als Beziehungsform Der Beginn einer neuen philia wurde nicht nur durch den Hinweis auf einen gemeinsamen Freund erleichtert. Ebenso wichtig war es, dass philia als Beziehungsform einen hohen Stellenwert in der Gesellschaft besass. Bereits im klassischen Griechenland wurde philia als soziales Konzept in den Rang einer Tugend erhoben. Damit wurde philia ethisch überhöht und auf eine Stufe mit Tugenden wie Gerechtigkeit, Besonnenheit, Weisheit oder Tapferkeit gestellt. Zu Recht hat Alfons Fürst darauf hingewiesen, dass wir mit der Aufnahme von philia in die Reihe der Tugenden einen singulären Vorgang beobachten, da hier nicht eine abstrakte Grösse, sondern eine konkrete Beziehungsform zu einem ideellen Wert stilisiert wurde.370 Aristoteles war sich des Unterschiedes sehr wohl bewusst, denn er formulierte zurückhaltender, dass philia eine Tugend sei oder zur Tugend gehörig (ἔστι γὰρ ἀρετή τις ἢ μετ’ ἀρετῆς).371 Grundsätzlich spricht die philosophische Aufwertung der Freundschaft für die soziale Bedeutung, die diese Beziehungsform genoss. Entsprechend trug es zum eigenen gesellschaftlichen Ansehen bei, wenn man seine Freunde unterstützte. Diese Feststellung gilt auch für die Spätantike. So konnte Libanius einen nicht näher bekannten Jovianus zur Erfüllung einer charis anhalten, indem er darauf hinwies, dass dies ein Zugewinn an Ehre bedeuten werde: (1)  Τῆς δυνάμεως, ἣν δικαίως ἔχεις, ἀπολαῦσαί τι βουλόμεθα. κοινὸν δὲ ἄρα τοῦτο κέρδος σοῦ τε τοῦ δώσοντος τὴν χάριν καὶ ἡμῶν τῶν ληψομένων· ἡμῖν μὲν γὰρ τὰ πράγματα ἔσται βελτίω, σοὶ δὲ ἐν μείζονι τῇ δόξῃ. (2) μέλειν δὲ σοὶ δόξης πέπεισμαι μᾶλλον ἢ χρημάτων ἑτέροις […]. «1. Von deiner Macht, über die du gerechterweise verfügst, wollen wir etwas zu unserem Nutzen haben. Dieser Gewinn wäre uns folglich gemeinsam, da du einen Gefallen geben wirst und wir einen empfangen werden. Für uns werden die materiellen Angelegenheiten [πράγματα] besser sein, während du vom Ansehen 369

Auf die diskursive Funktion einer affektiven Sprache wird in II.4.3., S. 179–186, eingegangen. S. hierzu auch Bradbury 2006. 370 Fürst 1997, 414. 371 Aristot. eth. Nic. 1155a4.

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II. Libanius

[δόξα] her profitierst. 2. Ich bin überzeugt, dass dir dein Ansehen mehr am Herzen liegt als anderen das Geld. […]»372 Aus Libanius’ Schilderung wird deutlich, dass hier eine asymmetrische Beziehung vorlag: Jovianus, der um 390 offenbar über eine einflussreiche Stellung in Konstantinopel verfügte,373 gewährte eine charis und steigerte damit seine doxa. Libanius dagegen empfing eine charis und verbesserte damit seine pragmata. Der Gewinn lag für beide folglich auf unterschiedlichen Ebenen. Während Libanius materiell profitierte, gewann Jovianus auf immaterieller Ebene. Libanius suggerierte, dass das alleinige Geben von charis mit Ruhm verbunden und somit erstrebenswert sei. An anderer Stelle forderte er einen Freund auf, dem Empfohlenen die Unterstützung zu gewähren und so sein eigenes Ansehen als Freund (τὴν περὶ τῆς φιλίας δόξαν) zu steigern.374 Umgekehrt konnte Libanius dem Andronicus, Statthalter von Phönikien, drohen, dass er, wenn er die Spiele in Antiochia nicht unterstützen würde, in den Ruf kommen werde, ein schlechter Freund zu sein. In Phönikien gebe es die besten Jäger, und wenn sie bei den Spielen fehlten, so würde niemand den Veranstalter tadeln, sondern den, der darum gebeten worden sei und der seinen Freunden nicht geholfen habe.375 Wir fassen hier offenkundig rhetorische Überzeugungsstrategien: Durch einen Appell an die Ehre versuchte Libanius, die Adressaten zu bewegen, ihren jeweiligen Einfluss für seine Interessen zu verwenden. Diese Argumentation war nicht aus der Luft gegriffen. Seinen Freunden zu helfen, konnte symbolisches Kapital generieren. Die Unterstützung von Freunden war eine Möglichkeit, seine eigene dynamis zu demonstrieren. Wer sich nicht für seine philoi einsetzte, war entweder ein schlechter Freund, oder er hatte keinen Einfluss.376 Keine der Alternativen war in der stratifizierten Gesellschaft der Spätantike erstrebenswert. Bei solchen Appellen an die doxa wurde vorausgesetzt, dass allgemein bekannt war, wer mit wem befreundet war. Hinweise auf den öffentlichen Charakter von philia finden sich in Libanius’ Schriften immer wieder. Oftmals begründet Libanius seine Empfehlungsschreiben damit, dass alle von seiner Freundschaft mit dem Adressaten und/oder dem Empfohlenen wüssten, und er deshalb die Bitte 372

Lib. ep. 932.1–2. So bat Libanius in dem Brief um Unterstützung der Kandidatur seines Sekretärs Thalassius für den Senat. An Jovianus ist nur dieser eine Brief erhalten. Vgl. Seeck 1906, 185 (Jovianus II); Petit 1994, 137 (Jovianus II); PLRE I, 461 (Iovianus 2). 374 Lib. ep. 1413.3 an einen gewissen Bacchius (Seeck 1906, 93): σὸν δὴ βεβαιῶσαι τὴν περὶ τῆς φιλίας δόξαν καὶ ποιῆσαι τὸν χρόνον ἀμείνω Οὐαλεντίνῳ τὸν μετὰ τὴν σύστασιν. 375 Lib. ep. 217.2. Zu Andronicus vgl. Seeck 1906, 71–75 (Andronicus  II); PLRE  I, 64 f. (Andronicus 3); Petit 1994, 39–41 (Andronicus II). 376 Vgl. z. B. Lib. ep. 253.1–2. 373

2. Philia bei Libanius

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um ein Schreiben nicht habe ausschlagen können.377 Die Öffentlichkeit von Freundschaftsbeziehungen ist ein weiteres wichtiges Element, das Vertrauen bildete. Dadurch wurde sichergestellt, dass sich der Einsatz für Freunde lohnte, selbst wenn diese sich nicht dankbar zeigen sollten. Man selbst hatte die Freundespflicht erfüllt, was zum eigenen gesellschaftlichen Ansehen beitrug. Gleichzeitig übte gerade die ‹Öffentlichkeit› auch einen latenten Druck aus, sich seinen Freunden gegenüber erkenntlich zu zeigen. Denn wer als schlechter Freund galt, riskierte, dass andere davor zurückschreckten, eine philia einzugehen. Die Performanz von Freundschaften hatte einen stabilisierenden Effekt für die individuellen Freundschaften, aber auch für die kollektive Praxis.

Stabilität in philia-Beziehungen Zur Öffentlichkeit von philia trugen eine Reihe von Interaktionsformen bei. Hierzu zählten beispielsweise gegenseitige Besuche und Einladungen zu Gastmählern. Residierten die Freunde an verschiedenen Orten, gehörte das Briefschreiben zur Pflicht.378 Eine philia konnte nie einfach als gegeben vorausgesetzt werden. Sie musste ständig gepflegt werden und bestand nur solange, wie sie auch praktiziert wurde. Deshalb brauchte es keine formale Aufkündigung von philia: Man liess sie sozusagen einschlafen, wie zahlreiche Beispiele aus den erhaltenen Briefen des Libanius zeigen. Oft fällt das Ende einer Beziehung mit dem Ende der Amtszeit eines Freundes zusammen. Dass Nützlichkeitsüberlegungen philiai beeinflussten, lässt sich nicht bestreiten.379 Sollte eine philia bewahrt werden, war regelmässige Kommunikation wichtig, auch unabhängig von Bitten um charites. Die Interaktionen zwischen Freunden dienten dabei immer sowohl der Vergewisserung nach innen als auch der Demonstration nach aussen. Sie waren integraler Bestandteil der mit philia verbundenen Normen und Konventionen und übernahmen die Funktion eines ‹Beziehungsbarometers›: Anhand der Häufigkeit und der Form der Interaktionen konnten die unmittelbar Beteiligten, aber auch die Öffentlichkeit Rückschlüsse auf die Art und die Stabilität der Beziehung ziehen. Philiai wurden grundsätzlich nicht hinter verschlossenen Türen gepflegt. Die Visibilität von philiai war vielmehr gewünscht, da sich einerseits nur Beziehungen, die bekannt waren, auf den sozialen Status auswirken konnten. Andererseits waren Appelle an die mit philia verbundene Ehre nur dann wirksam, wenn sie vor dem Hintergrund einer breiteren Öffentlichkeit erfolgten. Wie die Aus377

Vgl. z. B. Lib. ep. 881; 1149; 1364.2; 1507.2. Für eine ausführliche Behandlung dieser Interaktionsformen vgl. die beiden folgenden Kapitel II.3. und II.4. 379 Bradbury 2014, 233. 378

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II. Libanius

führungen in diesem Kapitel gezeigt haben, konnte über philia-Beziehungen Einfluss demonstriert und generiert werden. Die verschiedenen Interaktionsformen, die philiai performativ umsetzten und die Nähe und Distanz zwischen Freunden ausdrücken konnten, sind Gegenstand des folgenden Kapitels.

3. Kommunikation unter Anwesenden Im Jahre 354 sandte Kaiser Constantius II. den Prätoriumspräfekten Strategius Musonianus in einer diffizilen Angelegenheit nach Antiochia: Bei Unruhen aufgrund einer Lebensmittelknappheit war der amtierende Statthalter Theophilus ums Leben gekommen.380 Strategius Musonianus sollte den Tod des Statthalters aufklären und die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen. Die Bevölkerung Antiochias zitterte vor den zu erwartenden Todesurteilen. Auch die Angehörigen des antiochenischen Stadtrates fürchteten um ihr Leben, denn ihre Aufgabe wäre es gewesen, in der Stadt für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Deshalb standen sie nun ebenfalls in der Verantwortung. In dieser schwierigen Situation frohlockte Libanius: Er war mit Strategius bereits in Konstantinopel zusammengetroffen, wo er als Lehrer tätig gewesen war und Strategius sich im Umkreis des Kaisers Constantius aufgehalten hatte. Danach hatte Strategius das Amt des Prokonsuls von Achaea übernommen und Libanius für eine Rhetorikprofessur in Athen empfohlen. Dieser hatte das Angebot allerdings abgelehnt und war stattdessen in seine Heimatstadt zurückgekehrt.381 Als nun wenig später Strategius Musonianus von Amts wegen ebenfalls nach Antiochia kam, konnte sich Libanius aufgrund seiner persönlichen Beziehung zu Strategius als Mittler zwischen seinen Mitbürgern und dem Prätoriumspräfekten profilieren. In seiner Autobiographie schildert Libanius ausführlich, wie sich seine Interaktion mit dem hohen Verwaltungsbeamten in Antiochia gestaltete: (106)  Πρότερον δὲ ἦν ἀφιγμένος ἀρχὴν ἔχων ἣ τῶν ἄλλων ἄρχει, Στρατήγιος πάλαι προειρημένον αὐτῷ. προσλαβὼν δὴ φίλον οὕτω μέγαν, οὑτοσὶ δὲ ἦν ἐκεῖνος ὁ τὰς μὲν Ἀθήνας ἐμοί, ταῖς Ἀθήναις δὲ ἐμὲ διδούς, κατέστην οὖν ἥκοντος εἰς τὸ βοηθεῖν ἐκείνοις ὧν ἐδόκουν δεήσεσθαι βοηθῶν. (107) οὐκ ἔτ’ οὖν ἡμῖν ὁ λόγος

380 Amm. Marc. 14.7.1–6; 15.13.2. Vgl. Matthews 1989, 406–408. Zur Rolle des Caesars Gallus in dieser Angelegenheit vgl. auch Vogler 1979, 84–93. Zu Theophilus vgl. PLRE I, 907 (Theophilus 1). 381 Vgl. hierzu die Ausführungen zu Beginn von II.1. Zur Karriere des Strategius Musonianus vgl. PLRE I, 611 f. (Musonianus) und Petit 1994, 236–239 (Strategius I). S. auch Drijvers 1996; Woods 2001.

3. Kommunikation unter Anwesenden

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μόνον ἔργον ἦν, ἀλλ’ ἔδει τὴν μὲν ἡμέραν εἶναι λόγων, τὴν δὲ ἑσπέραν πράξεων· οἵ τε γὰρ δὴ ὑπὸ δυνατωτέρων ἀδικούμενοι οἵ τε κατ’ ὀργὴν ἐγγεγραμμένοι, τῆς ἀρχῆς δὲ εἰς ἀπαλλαγὴν δεόμενοι οἵ τε ἐπιθυμοῦντες ὡς τάχιστα ψήφου τυχεῖν – πολλὰς δ’ἂν καὶ ἄλλας ἀρχὴ δοίη χάριτας οὐ λυποῦσα τὸν νόμον – οὗτοι, οἱ μὲν αὐτοί, τῶν δὲ γυναῖκες, ᾔτουν καὶ ὑπὲρ σφῶν ἐλθεῖν ἐκεῖσε. (108) ἐγὼ δὲ μέχρι μὲν μεσημβρίας ταὐτὸν ἐποίουν τοῖς ἄλλοις διδασκάλοις, ἔπειτα τῶν μὲν οἱ μὲν εὐθὺς ἠρίστων, οἱ δέ, ἐπεὶ λούσαιντο, ἐγὼ δὲ ἦν ἐν οἷσπερ πρότερον. σκότους δέ με ἀνιστάντος ἐφοίτων παρὰ τὸν φίλον ἐκ γραμμάτων δή τινων ἐν τῇ χειρὶ κειμένων, ὑπὲρ ὧν δεηθῆναι χρῆν, ἀναμιμνησκόμενος. ὁ δὲ τὰ μὲν ἐπείθετο, τὰ δὲ οὐ πειθόμενος, ὡς οὐκ ἐῴη τὸ δίκαιον, διδάσκων ἐξέπεμπε μᾶλλον δ’ ἐκέλευεν ἀναμένειν λουσόμενον, ὡς οὐ τῷ λουτρῷ μᾶλλον ἢ τῇ ’μῇ θέᾳ δυναμένων αὐτῷ κουφίζεσθαι τῶν πόνων. ὃ δὴ ἐγὼ γνοὺς ἐχαριζόμην αὐτῷ ταῖς καθ’ ἡμέραν εἰσόδοις, ἀνάγκης δὲ εἰργούσης πέμπων ὅ τι τὸ κωλύσαν, ἀνεπυνθάνετο. «106. Vorher schon war als Inhaber des höchsten Amtes Strategius nach Antiochia gekommen, wie es ihm schon lange vorausgesagt war. Da ich nun einen so mächtigen Freund gewonnen hatte [προσλαβὼν δὴ φίλον οὕτω μέγαν] – er war es, der Athen und mich hatte zusammenbringen wollen –, begann ich nach seinem Kommen denen zu helfen, von denen anzunehmen war, dass sie einen Helfer brauchen könnten. 107. So war nicht mehr das Wort allein meine Beschäftigung, sondern der Tag gehörte der Redekunst, der Abend dem tätigen Wirken. Wer von Mächtigeren Unrecht erlitten hatte, wer durch den Zorn eines Beamten eingeschrieben worden war und nun eine Verfügung von höherer Stelle zur Befreiung nötig hatte, wer auf eine Entscheidung seines Falles harrte, und wo sonst noch ein Präfekt ohne Gesetzesverletzung Gunst gewähren kann: solche Bittsteller kamen teils selbst, teils kamen ihre Frauen und baten mich, ihren Wunsch dort vorzutragen. 108. Bis Mittag war ich wie die anderen Lehrer beschäftigt; dann gingen diese entweder direkt zum Essen oder vorher noch ins Bad, ich aber arbeitete weiter. Wenn der Abend dem Unterricht ein Ende setzte, begab ich mich zu meinem Freund, Notizen in der Hand, um mir daraus einzuprägen, für wen ich zu bitten hatte. Strategius ging oft auf meine Wünsche ein; wo nicht, erklärte er mir, wieso die Rechtslage eine Gewährung nicht zulasse. Dann verabschiedete er mich, oder noch eher bat er mich, zu warten, bis er gebadet hatte; denn mein Anblick sei ihm nicht minder als das Bad eine Erholung von der Arbeit. Im Bewusstsein, was ich ihm bedeutete, erfreute ich ihn durch täglichen Besuch. War ich aus zwingenden Gründen verhindert, so liess er fragen, was mich abhalte.»382 Libanius stattete dem Prätoriumspräfekten täglichen Besuch ab. Zudem begleitete er Strategius regelmässig ins Bad und begrüsste ihn vor den Stadttoren, wenn 382

Lib. or. 1.106–108 (Übers. nach Wolf 1967).

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II. Libanius

er von einer Reise zurückkehrte.383 Die Interaktionsformen zwischen dem Präfekten und dem Rhetoriklehrer waren bis zu einem gewissen Grad formalisiert und demonstrierten für alle sichtbar die besondere Nahbeziehung zwischen den beiden. Zugleich symbolisierten sie aber auch die Vertikalität dieser Beziehung: Strategius war für Libanius nicht ein gleichberechtigter Partner, sondern ein φίλος οὕτω μέγας. Indem Strategius, dessen Beinamen Musonianus ihn als Freund der Musen kennzeichnete,384 dem Sophisten aber privilegierten Zugang zu ihm und seiner Amtsgewalt gewährte, machte er deutlich, dass er Libanius zum Kreis seiner Freunde zählte. Damit ermöglichte er wiederum, dass Libanius als Patron seiner Mitbürger auftreten konnte. Das Zusammenspiel von imperialen Beamten und provinzialen Eliten gehörte in Antiochia zur Tagesordnung. Der Prätoriumspräfekt des Orients, dessen Einflussgebiet von Ägypten über Syrien und Kleinasien bis nach Thrakien reichte, weilte auch ohne konkreten Anlass oft in der syrischen Stadt am Orontes. Schliesslich war Antiochia neben Konstantinopel und Alexandria die wichtigste und bevölkerungsreichste Stadt im Osten des Römischen Reiches.385 Überdies war Antiochia auch Hauptsitz des Verwalters der Diözese des Orients (comes Orientis) und des Statthalters der Provinz Syrien (consularis Syriae). Die in der ersten Hälfte des vierten Jahrhunderts sich etablierende, dreistufige zivile Verwaltung des Römischen Reiches, die zwischen Präfekturen, Diözesen und Provinzen unterschied, spiegelte sich personal folglich in der syrischen Metropole.386 Die konstante Präsenz gleich mehrerer Vertreter der Reichsverwaltung hatte einerseits den Vorteil, dass die Wege zu den Zentren der Macht kurz waren; andererseits musste der Stadtrat auch mit Einschränkungen seiner Autonomie in der Selbstverwaltung rechnen. Für die städtischen Eliten bedeutete es überdies, dass sie in ihrer lokalen Vorrangstellung ständiger Konkurrenz ausgesetzt waren. Insgesamt war das Machtgefälle zwischen imperialen Beamten und provinzialer Elite jedoch nicht so einseitig, wie es auf den ersten Blick erscheint. Statthalter waren auf die Kooperation einflussreicher curiales angewiesen, um ihre Aufgaben in der Provinzverwaltung, der Rechtsprechung, der Steuereintreibung, der Nahrungs-

383

Lib. ep. 430.10; 561.4. Amm. Marc. 15.13.1–2. Den Beinamen soll Strategius, der sowohl des Lateinischen als auch des Griechischen mächtig war, von Kaiser Konstantin erhalten haben. 385 Aufgrund ihrer strategisch wichtigen Lage an der Grenze zu Persien war Antiochia bis in die zweite Hälfte des vierten Jahrhunderts auch immer wieder Kaiserresidenz und beherbergte regelmässig militärisches Personal. Vgl. hierzu Liebeschuetz 1972 sowie die Ausführungen in II.1.2., S. 49 f. 386 Für eine schematische Darstellung der spätantiken Verwaltung vgl. z. B. Martin 2001, 87. 384

3. Kommunikation unter Anwesenden

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versorgung sowie im Unterhalt der Infrastruktur effizient auszuführen.387 Hinzu kommt, dass die Amtsdauer der Beamten beschränkt war. Ein consularis Syriae regierte im Durchschnitt nur etwa ein Jahr. Diese Zeit war zu kurz, um eine eigenständige Machtbasis aufzubauen. Er war auf einen Stab von Beamten, welche sich teilweise wohl auch aus Angehörigen einfacherer Kurialenfamilien rekrutierten, sowie auf die Zusammenarbeit mit der städtischen Führungsschicht angewiesen.388 Dennoch hatte er insbesondere als Richter eine wichtige und einflussreiche Funktion in der gesamten Provinz. Weil in Antiochia jedoch gleich mehrere ranghohe Funktionäre präsent waren, stand der consularis manchmal im Schatten der ranghöheren Beamten. Den territorial ausgedehnteren Herrschaftsgebieten und den höheren Kompetenzen des comes Orientis sowie des praefectus praetorio per Orientem entsprach eine längere Amtsdauer von ungefähr vier Jahren. Der comes Orientis war in der Rechtsprechung die nächsthöhere Instanz über dem Statthalter. Gerichtsfälle konnten vom Statthalter zu den vicarii und zum comes Orientis transferiert werden. Darüber stand nur noch die Appellation an den Kaiser. Der Prätoriumspräfekt, ein vir illustris, war der ranghöchste zivile Verwaltungsbeamte und seit Konstantin waren seine Rechtsurteile den kaiserlichen gleichgestellt.389 All diese Funktionäre waren als Feinde gefürchtet und stellten als Freunde einflussreiche Verbündete dar.390 In der inneraristokratischen Konkurrenz um Macht und Ansehen waren diese Beziehungen von Bedeutung. Eine philia zu einem hochrangigen Beamten konnte den eigenen Einflussbereich und damit die soziale Stellung innerhalb der Gesellschaft massgeblich erhöhen.391 Die relativ kurzen Amtszeiten bedingten jedoch, dass immer wieder neue Beamte gewonnen werden mussten. Wie wichtig diese Beziehungen für die lokale Oberschicht war, lässt sich an den Schriften des Libanius ablesen. In seiner autobiographischen Rede nehmen Schilderungen seines Verhältnisses zu verschiedenen Magistraten einen breiten Raum ein. Zeitweise wird die Abfolge von Amtszeiten der Beamten und ihr Verhältnis zu Libanius gar zum massgebenden Strukturprinzip der Rede.392 Und 387 Vgl. u. a. Brown 1992, 29–34; 45–47; Slootjes 2006. S. auch Quass 1993, 139 f. und Meyer-Zwiffelhoffer 2002, 253 f. zur Kaiserzeit. Zu den Aufgaben der Statthalter in der Spätantike vgl. Ausbüttel 1988, 127–160; Carrié 1998; Roueché 1998; Palme 1999. Zu den verschiedenen Ämtern s. auch Kuhoff 1983; Migl 1994. 388 Zu den Mitarbeitern des Statthalters vgl. Palme 1999; Cabouret 2013, 77. 389 Zu den juristischen Kompetenzen von Provinzstatthaltern, vicarii resp. comites Orientis sowie Prätoriumspräfekten vgl. Ausbüttel 1988, 131 f. 390 In or. 33 schildert Libanius beispielsweise, wie Tisamenus, der consularis Syriae des Jahres 386, den Kurialen von Antiochia das Leben schwer machte, indem er sich an keinerlei Gesetze hielt. Vgl. Cabouret 2013, 78 f. Zu Tisamenus vgl. PLRE I, 916 f. 391 Vgl. die Ausführungen in II.2.2. zum Verhältnis von philia-Beziehungen und sozialem Status. 392 Vgl. z. B. Lib. or. 1.156–170; 1.251–255. Dies sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass

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auch in seinen anderen Reden und Briefen spiegelt sich die Bedeutung vertikaler Freundschaften für das Leben eines Provinzialen. Einflussreiche Beziehungen konnten auch zur Selbstdarstellung beigezogen werden. Die Texte bilden nicht unbedingt die Realität ab, sondern sind rhetorisch geformt. Je nach Intention seines Narratives wird der Sophist manch eine Beziehung besser oder schlechter dargestellt haben, als sie in Wirklichkeit war. Aber um graduelle Nähe oder Distanz zu einer Person auszudrücken, musste er Interaktionen dergestalt beschreiben, dass sie für alle seine Zuhörer und Leser verständlich und deutbar waren. Genau um diese Elemente symbolischer Kommunikation, die Aufschluss über die Nähe oder Distanz zwischen zwei Personen geben, wird es in diesem Kapitel gehen. Zunächst wird der Blick auf eine zeremonielle Form der Interaktion zwischen Statthaltern und Provinzialen gelenkt: die salutationes (II.3.1.). Während in den letzten Jahren zahlreiche Studien zu den Morgenbegrüssungen im republikanischen und kaiserzeitlichen Rom erschienen sind, wurden salutationes ausserhalb Roms und insbesondere in der Spätantike bislang nur am Rande behandelt, obwohl im vierten Jahrhundert eine Reihe von Gesetzen die salutationes zum Thema haben. Das Zeugnis des Libanius zu den salutationes soll deshalb in Zusammenhang mit der Legislation des vierten Jahrhunderts ausgewertet werden. Im Zentrum wird die Frage stehen, inwiefern im Rahmen von salutationes Nähe und Distanz ausgedrückt werden konnten und welche Bedeutung diese Empfänge für die provinzialen Eliten hatten. Wie sich zeigen wird, dienten salutationes primär der Performanz sozialer Hierarchien. In der salutatio konnte eine formalisierte Nähe zwischen Provinzialen und Statthaltern dargestellt werden, jedoch nicht zuletzt aufgrund der Gesetzgebung nur in beschränktem Masse eine individuelle Nähe. Deshalb wird in einem zweiten Schritt (II.3.2.) gefragt, welche Interaktionsformen der Darstellung von individueller Nähe und Distanz dienten. Hier wird der Fokus auf Besuche ausserhalb der salutatio, auf Gastmähler, Begleitungen ins Bad und öffentliche Begrüssungen gerichtet sein. Bei diesen Interaktionen konnten die Beteiligten nicht nur formalisierte, sondern auch individuelle Nähe und Distanz in graduellen Abstufungen zum Ausdruck bringen.

es sich auch bei Libanius’ erster oratio um ein literarisches Werk handelt, das keineswegs den Anspruch auf historische Vollständigkeit erhebt. Erklärtes Ziel der ersten Rede ist es vielmehr, exemplarisch das Wirken der Tyche aufzuzeigen (or. 1.1). So werden auch nicht alle Beamte genannt, die in Antiochia waren und mit denen Libanius Kontakt hatte. Tatianus, der in den 370er Jahren als consularis Syriae und als comes Orientis amtierte (vgl. Petit 1994, 242), fehlt beispielsweise im autobiographischen Narrativ, obwohl er in späteren Jahren als Prätoriumspräfekt in der Korrespondenz erscheint. S. auch Petit 1955, 271–278 und Cabouret 2013 zur Darstellung von Statthaltern in Libanius’ Schriften.

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3.1. Interaktion zwischen Tradition und Legislation: Die salutatio Salutationes im republikanischen und kaiserzeitlichen Rom Die Morgenbegrüssungen, die in der Forschung üblicherweise als salutationes bezeichnet werden, waren ein wesentliches Instrument der vertikalen und – in geringerem Umfang – der horizontalen Integration der römischen Gesellschaft.393 Die Tradition geht auf das republikanische Rom zurück, als Senatoren allmorgendlich Besucher in ihrem Haus empfingen. Unter den Besuchern waren sowohl einfache römische Bürger als auch Angehörige des Ritter- und Senatorenstandes.394 Den Klienten aus den einfacheren Bevölkerungsschichten ermöglichte die salutatio den direkten Kontakt mit ihren Patronen und bot Gelegenheit, um Gefälligkeiten zu bitten. Gleichzeitig signalisierten die salutatores durch ihre Teilnahme an den zeremoniell organisierten Besuchen ihre Unterstützung für den Hausherrn, die sich insbesondere in ihrer Stimmabgabe in der Volksversammlung und ihrem Einsatz im Wahlkampf zeigte.395 Standesgenossen bekundeten durch den Besuch ihre amicitia.396 Für die römischen Senatoren war ein volles Haus am Morgen, eine domus frequentata, ein Indikator für ihren sozialen Status und ihren Einfluss.397 Eine Bedeutungsverschiebung der salutatio ist mit dem Übergang von der Republik zum Prinzipat feststellbar: Da nun nicht mehr die Volksversammlungen, sondern der Senat für die Vergabe von Ämtern verantwortlich war, verloren die Klienten ihre Bedeutung als Wähler.398 Gleichzeitig wurde die Unterstützung durch andere Senatoren und insbesondere durch den Kaiser wichtig. Die Konzentration der Macht beim princeps und seinem Umfeld führte dazu, dass die 393 Zur integrativen Funktion vgl. z. B. Badel 2007, 158; Goldbeck 2010, 245. In der Forschung hat sich der Begriff salutatio als terminus technicus durchgesetzt, obwohl die lateinischen Quellen die morgendlichen Empfänge keineswegs einheitlich so bezeichnen, sondern verschiedene Begriffe und Umschreibungsmöglichkeiten (z. B. domum venire oder frequentare, ad aliquem venire etc.) anzutreffen sind. S. hierzu Goldbeck 2010, 14–18; 23. Um an diese Studien anzuschliessen, wird auch in dieser Arbeit von salutationes gesprochen, obwohl dieser Begriff nur in den lateinischen Gesetzestexten vorkommt. Bei Libanius findet sich kein einheitliches Vokabular. Häufig verwendet werden εἴσοδος, προσηγορία, φοιτάω, εἴσειμι etc. Ob es sich dabei um Begrüssungen am Morgen oder zu einer anderen Tageszeit handelt, muss jeweils aus dem Kontext erschlossen werden. 394 Zu den Besuchern vgl. Goldbeck 2010, 73–105. 395 Vgl. z. B. Goldbeck 2010, 225; 228–230. 396 Hug 1920, 2067; Goldbeck 2010, 74 f.; Rollinger 2014, 136 f.; 139 f. 397 Siehe Goldbeck 2010, 245 f.; 261 mit weiteren Literaturhinweisen. 398 Goldbeck 2010, 264 f.

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Senatoren nun ihrerseits allmorgendlich ihre Aufwartung beim Kaiser machten. Auch Personen, von denen bekannt war, dass sie in besonderer Gunst beim Kaiser standen, wurden besucht, und zwar unabhängig von ihrem Rang. Da nun nicht mehr nur Angehörigen der römischen Senatsaristokratie aufgewartet wurde, sondern auch Rittern und teilweise gar Freigelassenen, welche die Gunst des Kaisers genossen, spricht Aloys Winterling vom Ausbilden einer zweiten Hierarchie, die auf der Nähe zum Kaiser beruhte.399 Ein volles Haus am Morgen generierte fortan nicht mehr Macht, es demonstrierte sie.400

Salutationes in der Spätantike Untersuchungen zur Spätantike haben insbesondere den Wandel der kaiserlichen salutatio zur adoratio in den Blick genommen, der unter Diokletian eingeleitet wurde.401 Der Kaiser inszenierte sich nicht mehr als primus inter pares, sondern zelebrierte seine eigene Entrücktheit. Teilnahme an der adoratio zeichnete einen kleinen Kreis von privilegierten Hofbeamten und Angehörigen der Senatsaristokratie aus vor der grossen Masse derjenigen, denen der Zugang verweigert wurde.402 Verschiedene Studien haben für das vierte Jahrhundert die Kontinuität von salutationes innerhalb der römischen Senatsaristokratie bestätigt, wobei sie sich vor allem auf Ammianus Marcellinus berufen.403 Eine umfassende Untersuchung, die das gesamte Römische Reich in den Blick nehmen würde, ist jedoch nach wie vor ein Desiderat der Forschung. In Bezug auf die salutationes bei Statthaltern in der Spätantike wurde primär die Exklusivität dieser Veranstaltung herausgestellt unter Hinweis auf den hierarchischen ordo salutationis, der auf einer Inschrift aus dem nordafrikanischen Thamugadi erhalten ist.404 Daniëlle Slootjes widmet der salutatio in ihrer Monographie zu «The Governor and His Subjects in the Later Roman Empire» lediglich

399 Winterling 2001; vgl. auch Winterling 1999, 161–194 für die Bedeutung der amici Caesaris. 400 So Winterling 1999, 136; Goldbeck 2010, 273; 279. 401 Hug 1920, 2071 f.; Alföldi 1970 [1934/1935]; Avery 1940; Löhken 1982, 48–53; Lendon 1997, 135 f.; Badel 2009, 166 f. 402 Rebenich 2008b, 159. 403 Amm. Marc. 14.6.12–14; 28.4.10. Vgl. Friedländer 1919–1921, Bd. 1, 226 f.; Löhken 1982, 88; Krause 1987, 21–24; Näf 1995, 285; Morvillez 2007b. 404 Vgl. z. B. Slootjes 2006, 53: «Lower class provincials are not found on the list of the ordo salutationis, and did not have direct access to a governor, but had to have a higher class person as their advocate to bring their case to a governor’s attention.» S. auch Liebeschuetz 1972, 188 f.; Löhken 1982, 89 f.

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eine halbe Seite.405 Sie orientiert sich hierbei fast ausschliesslich an der Darstellung von Wolf Liebeschuetz, der im Rahmen seiner Monographie zu Antiochia auch das Verhältnis der lokalen Aristokratie mit den Statthaltern betrachtet hat.406 Liebeschuetz interpretiert die bei Libanius vorhandenen Belege zu den salutationes allerdings unter der Prämisse, dass jener den Status eines honoratus hatte. Wie bereits ausgeführt wurde, war Libanius jedoch nie in den Senatorenstand aufgestiegen.407 Es ist also angebracht, das Zeugnis des Libanius einer neuen Betrachtung zu unterziehen. Vorauszuschicken ist, dass es bei Libanius keinen Beleg dafür gibt, dass Privatpersonen salutationes abgehalten hätten. Libanius selbst empfing zwar regelmässig Besucher aus verschiedenen Bevölkerungsschichten; es weist jedoch nichts darauf hin, dass dies im Rahmen einer zeremoniell organisierten Morgenbegrüssung stattgefunden hätte.408 Auch die Bedeutung eines vollen Hauses am Morgen wird nie angesprochen. Das schliesst theoretisch nicht aus, dass in Antiochia anwesende honorati morgendliche salutationes durchführten, von denen Libanius nicht berichtet, weil er sie selbst nicht besuchte, oder weil sie für ihn nicht wichtig genug waren. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass es in Antiochia im Gegensatz zu Rom nicht üblich war, dass Patrone ihre Schützlinge im Rahmen von Morgenbegrüssungen empfingen. Als Begründung hierfür könnte angeführt werden, dass salutationes eine Tradition der römischen Senatsaristokratie waren, die nur partiell von den oströmischen Eliten aufgenommen wurde. Es wäre aber auch möglich, dass die in Antiochia anwesenden imperialen Beamten aufgrund ihrer Bedeutung diese Form der Interaktion quasi monopolisiert hatten. Libanius selbst erwähnt in seinen Schriften jedenfalls nur die Morgenempfänge, welche bei den in Antiochia stationierten Magistraten stattfanden.409 Sie werden im Zentrum der folgenden Ausführungen stehen. Für die Frage nach der Häufigkeit und der sozialen Bedeutung von salutationes ist eine Aussage des Libanius über sein Verhältnis zum comes Orientis Proclus besonders aufschlussreich.410 Während seiner Amtszeit veranlasste Proclus unter

405

Slootjes 2006, 52 f. Ausführlicher behandelt Bérenger 2014 die salutationes beim Statthalter in der Kaiserzeit. 406 Liebeschuetz 1972, 188 f. 407 Siehe II.1.1. 408 Vgl. z. B. Lib. or. 1.108; 37.1. 409 Ob im Osten allgemein das Abhalten von salutationes auf Amtsinhaber beschränkt war, müsste eine grösser angelegte Untersuchung zeigen. Bislang verfügbare Studien beschränken sich auf den Westen. Vgl. bes. Krause 1987, 21 f. Lendon 1997, 44 hält fest, dass Praktiken wie die salutatio während der Kaiserzeit im Osten nicht so verbreitet waren, geht aber von einer zunehmenden Übernahme dieser Ehrvorstellungen während der Spätantike aus. 410 Proclus amtierte von 383 bis 384 als comes Orientis. Vgl. PLRE I, 746 f. (Proculus 6). Zu

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anderem die Erweiterung des Plethrion, eines zentralen Austragungsortes der Olympischen Spiele. Libanius sprach sich in einer öffentlichen Rede gegen dieses Ansinnen aus, welches er für unvereinbar hielt mit dem sakralen Charakter der Spiele.411 In seiner Rede begründete er auch, weshalb er sich mit seinen Einwänden nicht direkt an den comes Orientis gewandt habe: Es habe keine philia zwischen ihnen gegeben. Deshalb habe er den Kontakt auf die offiziellen Empfänge beschränkt: εἰ μὲν οὖν ἦν μοι φιλία πρὸς τὸν ἄρχοντα καὶ ὁμιλία καὶ λόγοι, καθάπερ ἐπὶ τῶν πρὸ τοῦδε τὴν ἀρχὴν ταύτην ἐσχηκότων, ἐπειρώμην ἂν τοῦτό τε διακωλύσαι καὶ τῶν ἄλλων ὅσα οὐκ ὀρθῶς ἐδόκει μοι πράττεσθαι. ἐπεὶ δὲ ἧκε μὲν ἐκ Φοινίκης πεπεισμένος μὴ πάνυ τοῖς παρ’ ἐμοῦ προσέχειν, ὡς ὑπερβολῇ φιλανθρωπίας πολλὰ διαφθείροντος, ἐγὼ δὲ τοῦτο αἰσθόμενος ἐπὶ μὲν προσηγορίᾳ χρῶμαι ταῖς εἰσόδοις αἳ τοῦ μηνὸς γίγνονται τετράκις, τοῦτο δὲ ποιήσας ἄφωνος καθέζομαι δεικνύς, ὡς οὐ τοῦ πολλὰ πράττειν ἐπιθυμῶ […]. «Wenn ich mit dem Beamten befreundet gewesen wäre, ihn getroffen und gesprochen hätte, wie es auch der Fall war mit denjenigen, die vor ihm das Amt innehatten, dann hätte ich mich angestrengt, die Sache zu verhindern und auch alle anderen Massnahmen, von denen es mir nicht recht erschien, dass sie durchgeführt würden. Nachdem er aber aus Phönikien hier ankam in der festen Überzeugung, keinesfalls auf meine Ratschläge zu hören, da er glaubt, dass ich aufgrund eines Übermasses an Menschenfreundlichkeit vieles in Unordnung brächte, gehe ich, weil ich dies weiss, nur zur Begrüssung an die Empfänge, die viermal im Monat stattfinden. Dabei setze ich mich hin und schweige, um ihm zu zeigen, dass ich mich nicht überall einmischen möchte […].»412 Zum einen macht Libanius hier klar, dass die Teilnahme an der eisodos des Beamten kein Zeichen von philia war. Zum anderen gibt er an, dass diese Empfänge viermal im Monat stattfanden. Dies widerspricht der verbreiteten Annahme, dass salutationes bei Magistraten täglich abgehalten wurden. Auch Libanius selbst bietet in anderen Schriften teilweise widersprüchliche Aussagen über die Frequenz von Morgenbegrüssungen, die bislang nicht schlüssig interpretiert wurden. Liebeschuetz versuchte Libanius’ Zeugnis dahingehend zu erklären, dass täglich Besucher empfangen wurden, aber viermal im Monat spezielle salutationes

dem schwierigen Verhältnis zwischen Libanius und Proclus vgl. Petit 1994, 213–217 (Proculus III); Martin 1988, 205–215; Swain 2004, 385–389; Cribiore 2013, 126–129. S. auch die Ausführungen in II.4.3. 411 Zu dieser Rede und der Funktion des Plethrion vgl. Martin 1988, 215–221. 412 Lib. or. 10.3.

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für honorati reserviert waren, die verpflichtend waren.413 Dieser Interpretation liegt jedoch die inzwischen widerlegte Annahme zugrunde, dass Libanius unter Theodosius mit einer honoraria dignitas geehrt worden war.414 Es kann sich also folglich nicht um eine spezielle salutatio für honorati handeln, da sonst Libanius nicht dazugehört hätte.415 Zu der salutatio beim comes Orientis waren zumindest alle honestiores zugelassen. Es kann als unwahrscheinlich gelten, dass es daneben tägliche salutationes gab, an denen nur die humiliores empfangen wurden oder aber alle Bevölkerungsschichten gemischt. Sehr viel wahrscheinlicher hielt der comes Orientis überhaupt nur viermal im Monat eine salutatio ab. Hierfür spricht auch Libanius’ Ärger über den consularis Syriae Lucianus, der die salutationes auf viermal pro Monat beschränkt hatte.416 Im Falle des Proclus kommentiert Libanius die viermal monatlich stattfindenden salutationes nicht weiter, so dass diese Anzahl dem Usus entsprochen zu haben scheint. Da Libanius auf Proclus nicht besonders gut zu sprechen war, hätte er kaum eine Gelegenheit ausgelassen, seine Amtsführung zu kritisieren.417 Demgegenüber bezeichnet es Libanius als hybris, dass Lucianus sich herausnahm, die Empfänge zu beschränken. Die einfachste Erklärung für diesen vordergründigen Widerspruch ist, dass es für einen comes Orientis üblich war, nur viermal monatlich offiziell Besucher zu empfangen, während von einem consularis Syriae, der die erste Instanz in Rechtsfragen war, erwartet wurde, dass er öfter zur Verfügung stünde. Lucianus hatte sich also das Gebaren eines höheren Amtsinhabers angemasst, das ihm in seiner Position nicht zustand. Der consularis Syriae hielt folglich, sofern er sich in der Stadt befand, sicher mehr als einmal wöchentlich, wahrscheinlich sogar täglich salutationes ab.418 Im Gegensatz zur salutatio beim comes Orientis gibt es keinen Beleg, dass der morgendliche Empfang beim consularis Syriae verpflichtend gewesen wäre.419 Da die salutationes jedoch einerseits eine Ehrerweisung gegenüber dem 413 Liebeschuetz 1972, 188 f.: «In addition to the regular morning audience there was held four times a month a special audience for men of senatorial rank. Late in life, Libanius attended these audiences by virtue of his honorary praetorian prefecture. Since he claims that he never visited one particularly unpleasant comes orientis except on these occasions, it would seem that for men qualified to attend, presence at the four audiences was practically obligatory.» 414 Vgl. II.1.1. sowie Wiemer 1995a. 415 So bereits Wiemer 1995a, 116. 416 Lib. or. 56.2. Lucianus war 388 consularis Syriae. Zu Lucianus vgl. Seeck 1983 [1920], 35; PLRE I, 516 f. (Lucianus 6); Petit 1994, 149 f. (Lucianus). 417 Vgl. Lib. or. 1.212. 418 Vgl. Lib. or. 51.6. In or. 51.10 spricht Libanius davon, dass die Leute am Morgen als Erstes ins Gericht gingen. Entweder fand die salutatio direkt vor der Gerichtsverhandlung im selben Raum statt oder es gab an manchen Morgen als Erstes eine Gerichtsverhandlung. Für die zweite Variante sprechen auch Beispiele aus Lehrbüchern, die Färber 2014, 150 zitiert. 419 In or. 51.4 schildert Libanius, dass die Leute erst nach dem Mittagessen zum Statthalter

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Statthalter darstellten und andererseits eine Gelegenheit boten, Anliegen vorzutragen, ist dennoch von einer regelmässigen Teilnahme auszugehen.

Performanz von Nähe und Distanz im Rahmen der salutatio Es stellt sich sodann die Frage, welche Bedeutung salutationes für die Performanz von Nähe und Distanz zwischen einzelnen Besuchern und dem besuchten Statthalter hatten. Libanius nimmt die salutationes explizit von den Interaktionsformen aus, die er mit philia verbindet.420 Die Zulassung zur salutatio erfolgte nicht nach der individuellen Nähe zwischen Besucher und Besuchtem, sondern in Rangklassen. Libanius berichtet, dass er sich im Statthalteramt sowie bei Empfängen und Verabschiedungen von Statthaltern mit einer bescheideneren Stellung zufriedengegeben habe, obwohl er auch mit Höherstehenden hätte teilnehmen können.421 Die Besuchergruppen wurden nicht nur zeitlich gestaffelt zugelassen, sondern auch räumlich getrennt. So erhielt Libanius’ Hilfslehrer Thalassius, ein einfacher Kurialer, bei der salutatio des comes Orientis Proclus den Zutritt nur bis zu einem mit Schranken abgetrennten Vorraum (πρὸς ταῖς κιγκλίσιν ἐκάθητο), während Libanius einen Raum weiter empfangen wurde.422 gingen. Zur salutatio erschienen sie am folgenden Tag (or. 51.5), falls sie auf die Entscheidung in einem Bittgesuch warteten. Der satirische Charakter der Rede kann hier jedoch zu einer Verzerrung der tatsächlichen Abläufe führen. Da Libanius ein Verbot von Nachmittagsbesuchen vorschlagen wollte, unterstrich er ihre überragende Bedeutung. Vgl. zu or. 51 und der Bedeutung von Nachmittagsbesuchen die folgenden Ausführungen in II.3.2. 420 Lib. or. 10.3. 421 Lib. or. 2.7. Libanius verteidigt sich hier gegen den Vorwurf, dass er hochmütig (βαρύς) sei: ποῦ τοίνυν ὁ βαρύς; ἐν τοῖς πρὸς τοὺς ἄρχοντας; ἀλλ’ ἴσασιν ἅπαντες, οἷ τε εἰσιὼν καθιζάνω παρὸν ἔς τι κάλλιον, καὶ μεθ’ ὧν ἀπαντῶ καὶ προπέμπω, καὶ τίνων ἀποσχιζόμενος, ὧν ἑλκόντων με παρ’ ἑαυτοὺς πολλάκις οὐδὲν μᾶλλον ὑπακούσας φαίνομαι. Im unmittelbaren Anschluss (or. 2.8) weist er auf ein Ehrenkodizill hin, das er abgelehnt habe. Wahrscheinlich ist die ganze Passage als Anspielung auf das Amt zu verstehen, welches er unter Julian ausgeschlagen hatte und welches ihm eine deutlich höhere Position im Umgang mit Statthaltern erlaubt hätte: Hätte er das Amt angenommen, könnte er sich seinerseits beklagen, wenn die Statthalter ihn nicht besuchen würden und er würde zudem jedes Mal für Aufruhr sorgen, wenn er beim Statthalter vorsprechen würde (καίτοι γε ὑπῆρχε λαβόντι δεινὰ πάσχειν λέγειν οὐχὶ βαδιζόντων παρ’ ἐμὲ τῶν τὰς ἀρχὰς ἐχόντων καὶ θορύβου γε ἐμπιπλάναι τὰς τῶν ἀρχόντων καταγωγάς, ὁπότε παρ’ αὐτοὺς ἐρχοίμην). 422 Lib. or. 42.36. Zur Raumaufteilung mit Schranken und Vorhängen bei Gericht vgl. Färber 2014, 283–297. Die Einteilung der Besucher in unterschiedliche Gruppen, die in verschiedenen Räumen empfangen wurden, wird bereits von Sen. de benef. 6.33.4–34.3 beschrieben. Seneca verortet die Einführung der von ihm kritisierten gestaffelten admissiones in republikanischer Zeit, indem er sie C. Gracchus und Livius Drusus attribuiert. Winterling 1999, 119– 122 hat, auf der Grundlage von Seneca, den räumlichen Ablauf der salutationes rekonstruiert. Er kommt zum Schluss, dass die Besucher nicht in Gruppen zum Hausherrn vorgelassen wur-

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Dass Thalassius jedoch überhaupt von dem comes Orientis empfangen wurde, bedeutete bereits eine Ehre. Libanius konnte diesen Umstand ins Feld führen, um seine Argumentation zu stützen, dass Thalassius zu Unrecht die Aufnahme in den Senat von Konstantinopel verweigert werde. Über die verschiedenen Gruppen, die zur salutatio zugelassen waren, informiert am ausführlichsten der ordo salutationis commodorumque aus dem nordafrikanischen Thamugadi.423 Die Audienz- und Gebührenordnung wurde von Ulpius Mariscianus errichtet, der zur Zeit der Herrschaft Kaiser Julians als Statthalter von Numidien amtierte.424 In der Inschrift wurden die Personen, die Zulassung zur salutatio des Statthalters hatten, in fünf hierarchisch abgestufte Gruppen eingeteilt. Zudem wurden die Preise für eine Reihe von Dienstleistungen festgelegt, welche die Mitarbeiter der Provinzverwaltung ausführten. Es ist davon auszugehen, dass der ordo salutationis commodorumque in allen grösseren Städten der Provinz Numidien angebracht war, in denen der Statthalter auf seinen Reisen salutationes abhielt.425 Ob ähnliche Regelungen auch in anderen Provinzen aufgestellt waren, ist nicht bekannt. Der ordo salutationis von Thamugadi wird in zahlreichen Studien zitiert, um die Verdrängung der Kurialen und insbesondere der Stadträte hinter die honorati zu belegen.426 Senatoren und honorati erhielten in der ersten Gruppe Zugang zur salutatio. Es folgten die höchsten Beamten im Stab des Statthalters sowie die palatini in der zweiten Gruppe. Als Drittes wurden die Oberpriester des Kaiserkultes zugelassen. Erst in der vierten Gruppe fanden sich die Mitglieder des Stadtrates zusammen mit weiteren Verwaltungsbeamten. Einfache Dekurionen wurden in die fünfte und letzte Gruppe eingereiht.427 Offenbleibt die Frage, ob der ordo salutationis hiermit den Status quo festschrieb oder eine neue Reihenfolge festlegte. Der Anlass, der zur Aufstellung dieser Audienz- und Gebührenordnung führte, den, sondern dass die Gruppen in unterschiedliche Räume eingelassen wurden und der Hausherr dann von Raum zu Raum ging, um die Besucher zu begrüssen (Winterling 1999, 120 f.). Daraus ergibt sich «[in der Aufstellung] eine räumliche und [bei der Begrüssungsfolge] eine zeitliche Inszenierung der Hierarchie der Besucher nach ihrer Nähe zum Hausherrn.» (Winterling 1999, 121). Der Befund bei Libanius legt ein ähnliches Vorgehen für die salutationes bei Magistraten in der Spätantike nahe. 423 CIL VIII 17896–17897. Vgl. Chastagnol 1978, 75–88 für die massgebende Edition des Textes sowie eine ausführliche Besprechung. Eine deutsche Übersetzung sowie eine Zusammenfassung des status quaestionis bietet Stauner 2007. 424 Zu Ulpius Mariscianus vgl. PLRE I, 561. Er war von 361 bis 363 consularis Numidiae. 425 Chastagnol 1978, 79. 426 Vgl. z. B. Liebeschuetz 1972, 188; Slootjes 2006, 52 f.; Kelly 2004, 188 f. 427 Die Deutung der einzelnen in der Inschrift genannten Titel ist nicht immer klar. Die teilweise divergierenden Interpretationen hat Stauner 2007 in seinem Kommentar zusammengetragen.

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ist nicht bekannt. War der ordo salutationis nur eine Präambel zur Gebührenordnung, um darzulegen, wer überhaupt die entsprechenden Dienstleistungen in Anspruch nehmen durfte? Oder hatte sich die Hierarchie geändert und mussten Unklarheiten beseitigt werden? Jon E. Lendon hat darauf hingewiesen, dass ein Statthalter, der eine solche Inschrift publizierte, damit auch öffentlich kundtat, «that his freedom of choice is gone» und er somit die Besucher primär nach Rang und nicht nach individueller Nähe empfangen würde.428 Es spricht in der Tat vieles dafür, diese Inschrift in Verbindung mit den ab den 370er Jahren erscheinenden Ranggesetzen zu lesen.429 Die Einführung neuer Karrierewege über den Dienst in der imperialen Administration und die damit verbundene Ausdifferenzierung des Senatorenstandes führte in einigen Fällen auch zu Unsicherheiten in der Rangfolge. Eine Reihe von Gesetzen adressierte dieses Problem. In den meisten Fällen reagierten die kaiserlichen Gesetzgeber dabei auf konkrete Anfragen.430 Zentral ist dabei jeweils die relative Rangfolge verschiedener aktueller und ehemaliger Amtsinhaber sowie dann die Ehren, die diesen Personen bei offiziellen Anlässen zukamen. Einige dieser Ranggesetze behandeln auch den Zugang zur salutatio von Provinzstatthaltern. So ordnete ein 389 erlassenes Gesetz an, dass die Provinzstatthalter von ihren salutationes Palastbeamte nicht ausschliessen durften und ihnen überdies auch den Beisitz bei Gericht einräumen mussten. Wurde dieses Recht sowie eine ehrenvolle Behandlung bei der salutatio verweigert, drohte dem Statthalter eine Geldstrafe von fünf Pfund Gold.431 Ein anderes Gesetz von 387 versuchte, ähnliche Rechte für die kaiserlichen Leibwächter durchzusetzen: Die vicarii wurden angehalten, die entsprechenden Beamten bei ihrer salutatio mit einem Kuss (osculatio) zu begrüssen. Ein Zuwiderhandeln wurde als Sakrileg bestraft.432 Aber auch Dekurionen, die all ihre munizipalen Pflichten erfüllt hatten, wurde 385 das Recht zur osculatio bei der salutatio eingeräumt in Verbindung mit der Ver428

Lendon 1997, 234. Zur Bedeutung dieser Ranggesetze für die Ausbildung eines neuen auf den Kaiser bezogenen ordo dignitatum vgl. Jones 1964, 530–535; Löhken 1982, bes. 71 f.; Migl 1994, 237–248; Schlinkert 1996, bes. 74–83; Schlinkert 1998; Lendon 1997, 222–235; Schmidt-Hofner 2010; Dillon 2015. 430 Schmidt-Hofner 2010 hat besonders auf den Umstand hingewiesen, dass keine komplette Rangordnung erlassen wurde, sondern dass der Kaiser immer nur punktuell auf Probleme reagierte. Schmidt-Hofner argumentiert, dass diese Praxis der Machtdemonstration gedient habe: Indem die Kaiser die Rangfolge nicht definitiv regelten, sondern immer nur reagierten, bliebe ihnen die Möglichkeit, gewisse Ämter auszuzeichnen. Zudem habe durch jedes erlassene Gesetz wieder demonstriert werden können, dass der Kaiser die Macht über die Ehre und die soziale Stellung eines jeden Einzelnen im Reich habe. 431 CTh 6.26.5. 432 CTh 6.24.4. 429

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leihung des Ranges eines ex-comitibus, was ihnen nach der ordo salutationis von Thamugadi erlaubt hätte, in der ersten Gruppe an den Empfängen teilzunehmen.433 Zudem wurde ihnen ebenfalls das Recht auf Beisitz bei Gericht zugestanden. In ihrer Konsequenz bedeuteten die Gesetze, dass nicht mehr der Statthalter die Kompetenz hatte, um über die Verleihung von Ehren bei der salutatio zu bestimmen, sondern dass er sich hier an die kaiserlich festgelegten Rangordnungen zu halten hatte. Sowohl die salutatio als auch der Beisitz bei Gericht waren Privilegien, welche die Einflussnahme auf den Statthalter begünstigten. Gleichzeitig macht die Gesetzgebung deutlich, dass diesen beiden Anlässen eine besonders wichtige Rolle zukam in der Performanz sozialer Hierarchien. Die Beisitzer bei Gericht wurden beim Eintreten von einem Herold namentlich aufgerufen, und die Platzzuweisung erfolgte wie bei der salutatio in hierarchischer Anordnung.434 Bei der salutatio wurden die Besucher durch die Art und Weise der Begrüssung weiter differenziert. Der Kuss auf den Mund galt dabei, wie es Henrik Löhken treffend formuliert, als «grösste Distanzverminderung».435 Im Prinzipat pflegte der Kaiser die Senatoren bei der salutatio mit einem Kuss zu begrüssen, um sich als primus inter pares zu inszenieren.436 Auch unter Standesgenossen gehörte der Kuss in der Kaiserzeit zum Begrüssungsritual. Zudem konnten Höhergestellte durch den Kuss Rangniedrige auszeichnen.437 Indem gesetzlich nicht nur die Zulassung zur salutatio an sich geregelt wurde, sondern den Statthaltern auch vorgeschrieben wurde, wen sie mit einem Kuss zu begrüssen hatten, verfügten die Magistrate über immer weniger Spielraum in der Verteilung von Ehren und damit auch in der Privilegierung von Freunden.438 Auch der Ausschluss von Feinden war ihnen nicht gestattet, sofern ihre Widersacher über den Rang verfügten, der ihnen die Zulassung zur salutatio garantierte.439 Die Zuteilung von Rang und Ehren sollte im alleinigen Ermessen des Kaisers liegen. Wenn man allerdings 433

CTh 12.1.109. Lib. or. 51.10. 435 Löhken 1982, 89. 436 Vgl. Winterling 1999, 127 f.; Hartmann 2016, 79. 437 Vgl. hierzu auch die Ausführungen in II.3.2. 438 So auch Lendon 1997, 234. Zur Gesetzgebung zur osculatio vgl. auch Brown Pharr 1947, 394. 439 Dies ist ein wesentlicher Unterschied zur Stellung des Kaisers, der Personen von seiner salutatio ausschliessen konnte. Die Verweigerung der salutatio signalisierte in der Kaiserzeit den Ausschluss aus dem Kreis der amici Caesaris. Für die betroffenen Senatoren und Ritter bedeutete dies den Verlust ihrer sozio-politischen Stellung. Nicht wenige quittierten das gesellschaftliche Todesurteil mit Selbstmord. Vgl. hierzu Winterling 1999, 124 mit Beispielen. Das domo interdicere galt allgemein als Ausdruck der Feindschaft. Vgl. Kierdorf 1987; Goldbeck 2010, 18. 434

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davon ausgeht, dass die Gesetze Missstände beheben sollten, so gab es offenbar Personengruppen, deren soziale Stellung nicht genügend honoriert wurde. Dies betraf insbesondere ehemalige Palastbeamte, die sich oftmals von relativ geringer Herkunft hochgearbeitet hatten und deren Ansehen bei ihrer Rückkehr in ihre Heimatstädte offenbar nicht mit dem verliehenen Rang korrelierte. Es ist nicht auszuschliessen, dass Begrüssungen extra ordine immer noch vorkamen, um Freunde auszuzeichnen. Möglichkeiten zur Privilegierung gab es zudem in der Dauer, die dem einzelnen Besucher gewidmet wurde, sowie auch in der Bewilligung von Bittgesuchen. Libanius erklärte, dass es zwischen ihm und Proclus auch deswegen keine philia gab, weil jener seine allzu grosse Menschenfreundlichkeit (philanthropia) nicht geschätzt habe.440 Es ist also zu vermuten, dass Proclus nicht bereit war, auf die zahlreichen Bittgesuche des Libanius einzugehen. Die enge Verknüpfung von charis und philia bedingte, dass folglich keine Freundschaft vorlag.441 Libanius gab an, dass er seine Distanz bei der salutatio durch Schweigen zum Ausdruck gebracht habe. Damit signalisierte er, dass er die Freundschaft, die ihm verwehrt wurde, auch nicht suchte. Libanius’ Aussagen implizieren, dass durch das Verhalten während der salutatio und das Eingehen oder Nicht-Eingehen auf Bittgesuche sowohl vom Statthalter als auch vom Besucher durchaus graduelle Unterschiede zum Ausdruck gebracht wurden. Doch die primäre Bedeutung der salutationes lag in der räumlichen Darstellung von Hierarchien. Es wurde eine formalisierte Nähe zwischen Besuchern und Statthaltern abgebildet. Diese formalisierte Nähe stellte an sich bereits ein Privileg und ein Standeszeichen dar, weshalb sie auch rechtlich eingeklagt wurde. Die Ranggesetze verdeutlichen somit die performative Bedeutung der salutationes. Gleichzeitig können sie auch als Bestrebung gelesen werden, die salutationes gewissermassen zu institutionalisieren: Es sollten nicht persönliche Beziehungen, sondern der vom Kaiser verliehene Rang über den Zugang zu Privilegien entscheiden. Der Richter sollte zudem unabhängig von persönlichen Freundschaften agieren. Hierfür spricht auch, dass der Versuch unternommen wurde, Besuche ausserhalb der salutationes einzuschränken und die Interaktion zwischen Statthalter und provinzialer Elite somit in regulierte und kontrollierte Bahnen zu lenken.442 Diese Bemühungen waren jedoch nur bedingt fruchtbar: Besuche ausserhalb der salutatio galten als sicheres und vielbeachtetes Zeichen für individuelle Nähe, ebenso wie die Einladung zu Gastmählern oder Begleitungen ins Bad. Diesen Interaktionen sind die folgenden Ausführungen gewidmet. 440

Lib. or. 10.3. Zu philia und charis vgl. II.2.1. 442 Vgl. z. B. CTh 1.16.12 und 1.16.13. Dies ist auch als Massnahme gegen Korruption zu verstehen. Die Gesetzgebung wird in II.3.2. besprochen. 441

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3.2. Performanz von Nähe und Distanz Besuche und Gastmähler Als Zeichen dafür, dass zwischen ihm und dem comes Orientis Proclus keine philia bestanden habe, führt Libanius an, dass es keine Zusammenkünfte (ὁμιλία) und Gespräche (λόγοι) ausserhalb der salutationes gegeben habe.443 Auch mit Helpidius, Prätoriumspräfekt des Orients um das Jahr 360/361,444 hatte Libanius während dessen Amtszeit keinen Kontakt (μὴ συνών σοι): Er konnte sich deshalb nicht zu denen zählen, die Zusammenkünfte mit ihm hatten (τοὺς μὲν ὁμιλοῦντας), sondern musste sich unter diejenigen einreihen, die keine Zeit mit ihm verbrachten (τοὺς δὲ οὐ συνδιατρίβοντας). Dass er nicht mit ihm verkehrte, zeigte sich vor allem in fehlenden Besuchen: τοῦ δὲ μὴ τότε εἰσιέναι με παρὰ σὲ ἴσως μὲν ἐγὼ αἴτιος, ἴσως δὲ σύ, ἴσως δὲ οὔτε ἐγὼ οὔτε σύ, ἀλλ’ ἄνδρες ἐπιστήμονες ἀπάτης. «Dass ich dich damals nicht besucht habe, daran bin vielleicht ich schuld, vielleicht aber auch du, vielleicht aber weder ich noch du, sondern Männer, die sich auf Irreführung verstehen.»445 Mit wenigen Worten skizziert Libanius hier ein sehr schwieriges Verhältnis: Helpidius und Libanius hatten nicht nur keinen Kontakt, Helpidius hatte während seiner Amtszeit überdies die Auszahlung des Lohnes, den Libanius immer noch aus Konstantinopel bezog, eingestellt.446 Als Mann, der einen Eid geschworen habe, Krieg gegen die Musen zu führen (ὀμώμοκε πολεμήσειν ταῖς Μούσαις), war Helpidius nicht nur kein Freund, sondern ein erklärter Gegner des Libanius.447 Wenige Jahre später heiratete Libanius’ Neffe Bassianus die Tochter von Helpidius, was Libanius veranlasste, diesen sehr diplomatischen Brief an seinen

443

Lib. or. 10.3. Vgl. das Zitat weiter oben S. 114. Zu Helpidius vgl. Seeck 1906, 168–170 (Helpidius I); PLRE I, 414 (Helpidius 4); Petit 1994, 87–89 (Elpidius I). 445 Lib. ep. 1410.2. 446 Vgl. Lib. ep. 258. Libanius gelang es bei seinem Wechsel vom imperialen Lehrstuhl in Konstantinopel nach Antiochia, seinen Lohn zu behalten. Die Auszahlung des Lohnes erfolgte in Naturalien und wurde unter Julian wieder aufgenommen. Vgl. ep. 740.1; 800. Zum Einkommen des Libanius vgl. den Kommentar von Bradbury 2004b, 172 f.; 182 sowie die Studie von Kaster 1983. Vgl. auch die Ausführungen in II.1.2. 447 Lib. ep. 258.3. In or. 42.24 zählt Libanius den Helpidius unter denjenigen auf, die aus einfachen Verhältnissen und ungebildet zu Ämtern gekommen waren. 444

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ehemaligen Feind zu schicken mit der Aufforderung, aufgrund dieser Heiratsverbindung all das Vergangene zu vergessen.448 Unter Hinweis auf eine fehlende Interaktionsform gelang es Libanius also elegant, die fehlende philia oder gar die Feindschaft, die zwischen ihnen bestanden hatte, anzudeuten. Besuchen kam eine hohe symbolische Bedeutung zu. Sie konnten als Chiffre für die Art und Weise der Beziehung gelesen werden. Wie alle mit philia verbundenen Interaktionen brauchten sie kontinuierliche Bestätigung, und Abweichungen in der Häufigkeit oder das gänzliche Ausbleiben von Besuchen gaben Aufschluss über den Beziehungsstatus. Als beispielsweise die Freundschaft zwischen Libanius und Polycles zerbrach, wurde dies sofort für alle sichtbar, weil Polycles den Libanius nicht mehr besuchte. Libanius sah sich sogar genötigt, eine Rede zu verfassen, in welcher er die Gründe für das Ende der Besuche und damit auch für das Ende der Freundschaft darlegte: Ὅτι μὲν εἶναί τι δεῖ τὸ τὴν συνήθειαν ἀνελὸν ἡμῶν καὶ τὸ εἰσιέναι σε παρ’ ἐμὲ καθ’ ἑκάστην ἡμέραν μετὰ μεσημβρίαν, παντί που δῆλον· ὑπὲρ δὲ τοῦ μὴ ζητεῖν τοὺς ἀνθρώπους, ὅθεν τοῦτο γέγονε, καὶ πράγματα ἔχειν εἰκάζοντας βούλομαι ποιῆσαι τὴν αἰτίαν φανεράν, ἀφ’ ἧς ἐγὼ μὲν οὐκ οἶμαι φανεῖσθαι κακός, ἄλλος δέ τις ἴσως οὐκ ἀγαθός. «Dass es etwas geben muss, was unserem vertrauten Umgang und deinen täglichen Besuchen bei mir nach dem Mittag ein Ende gesetzt hat, ist allen zu einem gewissen Grad klar. Damit die Leute nicht nach der Ursache suchen müssen, weshalb dies geschah, und damit sie keine Umstände haben beim Rätseln, will ich den Grund offenlegen. In der Folge werde ich, wie ich glaube, nicht schlecht dastehen, jemand anders aber vielleicht nicht besonders gut.»449 Polycles war von Kaiser Julian als consularis Phoeniciae eingesetzt worden, stammte aber sehr wahrscheinlich aus Antiochia, da er sich nach dem Ende seiner Amtszeit wieder dort aufhielt und mit Libanius verkehrte.450 Zum Zer-

448

Lib. ep. 1410.3: ἐξαλειφέσθω δὴ πάντα ἐκεῖνα τῇ κηδείᾳ καὶ μέγα ἓν ἀγαθὸν κρατείτω πολλῶν ψευδῶν. Vgl. auch ep. 1380.1. Zu Bassianus vgl. PLRE I, 150 (Bassianus 2). 449 Lib. or. 37.1. 450 Gemäss Lib. or. 37.12 war Polycles der erste Statthalter, der von Julian eingesetzt wurde. Er fügt aber auch an, dass Julian bei der Wahl von einem Freund getäuscht worden sei, da sich Polycles als nicht würdig erwiesen habe. Stenger 2009, 276 und Cribiore 2015, 48 gehen deshalb davon aus, dass Julian den Polycles wieder entlassen habe. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass Libanius mit einem Beamten, dem Julian öffentlich seine Gunst entzogen hatte, weiterhin befreundet gewesen wäre. Die dargestellte Unwürdigkeit des Polycles ist deshalb viel eher als Teil einer von Libanius verfolgten Diffamierungsstrategie zu lesen. Zu Polycles ist Lib. or. 37 die einzige Quelle. Vgl. PLRE I, 712 (Polycles).

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würfnis kam es gemäss Libanius, weil Polycles den Verdacht geäussert hatte, dass Julian seine Ehefrau Helena vergiftet habe. Als philos von Julian habe er, Libanius, solche Anschuldigungen nicht im Raum stehen lassen können und den verstorbenen Kaiser verteidigt.451 Im zweiten Teil der Rede wird jedoch noch ein anderer Grund deutlich, der viel eher zum Abbruch der Freundschaft geführt haben dürfte, und der es für Libanius auch nötig machte, dies zu rechtfertigen: Angeblich hatte Polycles gewisse Aussagen des Libanius über die Hilfe der Sterne verfälscht weitererzählt und Libanius so in Schwierigkeiten gebracht. Libanius spricht gar von Feinden, die ihm dadurch erwachsen seien.452 Zudem scheint Polycles ihn als Zauberer (γόης) bezeichnet zu haben.453 Polycles versuchte offenbar, Libanius mit magischen Praktiken in Verbindung zu bringen, was gefährliche Konsequenzen haben konnte.454 Indem Polycles zudem öffentlichkeitswirksam all seine Besuche bei Libanius einstellte, signalisierte er seine Distanz. Solche sich wandelnden Allianzen wurden sofort zur Kenntnis genommen. Für Libanius bestand aufgrund der Gerüchte, die Polycles über ihn verbreitete, die Gefahr, dass es andere Personen für ratsam hielten, den Kontakt zu ihm ebenfalls abzubrechen. Deshalb sah er sich gezwungen, seine Sicht des Endes der Freundschaft zu verbreiten.455 Hätten mehrere Personen gleichzeitig begonnen, ihn selbst und die Besuche bei ihm zu meiden, hätte dies seine Stellung in Antiochia massiv geschwächt und wäre im schlimmsten Fall einer sozialen Isolation gleichgekommen. Wir können also folgern: Besuche wurden als eindeutiges Zeichen der Nähe verstanden, während fehlende Besuche Distanz signalisierten. 451

Lib. or. 37.3–4. Julian soll u. a. einen Arzt bestochen haben, damit er seine Frau vergifte. Lib. or. 37.18: ὃς καὶ τὰ περὶ τῶν ἀστέρων καὶ τῆς δι’ αὐτῶν ἐπικουρίας ῥήματα διαστρέψας ἐχθροὺς ἡμῖν ἐποίεις, ὧν τὴν εἱμαρμένην ᾐτιώμεθα, ταῦτ’ ἐπ’ ἐκείνους μεταφέρων, ἐμὲ μὲν ἀδικῶν, κολακεύων δὲ ἐκείνους […]. – «Indem du meine Worte über die Sterne und ihre Hilfe verdrehtest, hast du mir Feinde gemacht, weil du das, wofür ich das Schicksal beschuldigte, auf sie übertragen hast; mir hast du damit Unrecht getan, sie aber für dich eingenommen.» (Übers. Stenger 2009, 290 Anm. 184). 453 So könnte zumindest die Anspielung in Lib. or. 37.20 zu verstehen sein. Vgl. auch Stenger 2009, 290 Anm. 184. 454 Libanius sah sich in der Zeit nach Julians Tod immer wieder mit Anschuldigungen der Magie konfrontiert. Vgl. auch Lib. or. 1.162; 1.171–178. Zur Kriminalisierung magischer Praktiken im vierten Jahrhundert s. Leppin 2004, 66–68. Vgl. auch Funke 1967; Fögen 1993, 157– 160; Wiebe 1995, 166–286; Lotz 2005; Sandwell 2005; Stenger 2009, 290 f.; Kahlos 2016. 455 Vgl. auch Petit 1955, 199. Lib. or. 37 sollte deshalb meines Erachtens weniger als Verteidigungsschrift im Kontext «konkurrierender Erinnerungskonstruktionen» nach dem Tode Julians (so Stenger 2009, 276 f.) gelesen werden als vielmehr im Zusammenhang mit magischen Praktiken und den daraus resultierenden Gefahren. Die Verteidigung Julians stellt primär ein rhetorisches Mittel dar, um von den eigentlichen Vorwürfen abzulenken und den Bruch der Freundschaft zu rechtfertigen. 452

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II. Libanius

Auch bei Amtsinhabern waren Besuche, die ausserhalb der morgendlichen salutatio stattfanden, ein Zeichen für Nähe. Es fällt auf, dass Libanius nie seine Teilnahme an den Morgenbegrüssungen betonte, um auf eine besondere Beziehung zwischen ihm und einem Magistraten hinzuweisen, sondern immer auf Besuche, die zu anderen Tageszeiten stattfanden. Begrifflich unterschied Libanius zwar nicht zwischen Morgenbegrüssungen und anderen Besuchen, doch gibt meist der Kontext oder die Angabe der Zeit Aufschluss über den Charakter des Besuches. So betonte Libanius in der eingangs zitierten Passage, dass er seinen Freund, den Prätoriumspräfekten Strategius Musonianus jeweils erst besuchte, wenn der Abend dem Unterricht ein Ende gesetzt hatte (σκότους δέ με ἀνιστάντος ἐφοίτων παρὰ τὸν φίλον).456 Weil Libanius den Strategius «abends, nach der Arbeit» aufsuchte, bezeichnet Paul Petit diese Besuche als «Privatangelegenheit».457 Diese Interpretation ist jedoch nicht haltbar. Libanius bietet mehr als genügend Hinweise dafür, dass diese Beziehung einen durchaus öffentlichen Charakter hatte und keineswegs nur eine «Privatangelegenheit» war: Wenn Libanius bei Strategius vorsprach, nahm er nach eigener Schilderung Notizzettel mit, auf denen er die Anliegen derer, für die er sich einsetzen sollte, aufgelistet hatte. Libanius unterbreitete dem Strategius folglich eine Reihe von Petitionen, über deren Rechtmässigkeit und Durchführbarkeit der Präfekt dann entschied.458 Libanius wirkte als Mediator zwischen dem hohen Beamten und Mitbürgern, die über keinen so privilegierten Zugang zu Strategius verfügten. Seine Besuche waren entsprechend von grossem öffentlichen Interesse und wurden von allen Bittstellern aufmerksam verfolgt. Dass Libanius abends bei Strategius vorsprach und nicht morgens im Rahmen der salutatio, verdeutlichte lediglich, dass er von Strategius besonders geschätzt wurde und ihn als philos aufsuchen konnte. Zulassungen zu hohen Magistraten ausserhalb der salutatio zu erlangen, war nicht einfach. Wer Zutritt erhielt, galt als Freund. Dies ist zumindest im Hinblick auf die ranghohen Beamten, den Prätoriumspräfekten und den comes Orientis, festzustellen. Hermogenes, der Nachfolger des Strategius als praefectus praetorio, handhabte den Zugang zu seiner Residenz deutlich restriktiver als sein Vorgänger und empfing nur wenige Personen.459 Es erstaunt deshalb nicht, dass auch

456

Lib. or. 1.108 (Übers. nach Wolf 1967). Vgl. das Zitat zu Beginn von II.3., S. 106 f. Petit 1983 [1951], 49. 458 Lib. or. 1.108. 459 Vgl. Lib. ep. 138, wo Libanius davon spricht, dass Hermogenes die Türen zu Beginn verschlossen hatte. Libanius konnte deshalb ein Schriftstück dem Hermogenes nicht persönlich überreichen, sondern musste es Gesandten geben, die zugelassen waren. Hermogenes amtierte von 358 bis 360 als Prätoriumspräfekt, vgl. PLRE I, 423 (Hermogenes 3). 457

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hier Libanius die erste Einladung mit dem Beginn der philia verband.460 Die Hierarchie blieb dabei gewahrt: Es war immer Libanius, der die hohen Beamten besuchte. Anders verhielt es sich bei den Provinzstatthaltern. Libanius rühmt sich, dass verschiedene consulares Syriae zu ihm zu Besuch kamen.461 Der Besuch war auch hier ein Zeichen der Verbundenheit: «Gute» Provinzstatthalter, die ihm freundschaftlich verbunden waren, suchten ihn zuhause auf und statteten ihm auch Krankenbesuche ab. Demgegenüber mieden ihn die «schlechten» Beamten, die ihm feindlich gesonnen waren, wie auch Libanius seinerseits davon absah, sie zu besuchen.462 Ein Gegenbesuch eines Provinzstatthalters bei Libanius in seinem Haus oder in seiner Schulstube war die weitaus grössere Ehre als ein Besuch des Libanius bei dem Beamten ausserhalb der salutatio. Es ist deshalb auch festzustellen, dass Libanius zwar seine εἴσοδοι bei Prätoriumspräfekten und comites Orientis herausstellt, in Bezug auf die consulares Syriae jedoch fast ausschliesslich die Besuche erwähnt, die sie ihm abgestattet hatten. Dies verdeutlicht nochmals die Unterschiede in der Vertikalität dieser Beziehungen: Das hierarchische Gefälle zwischen einem consularis und dem Sophisten war nicht so gross, dass ein Gegenbesuch undenkbar war, während die Hierarchie zwischen Libanius und den anderen in Antiochia anwesenden Beamten deutlich ausgeprägter war.463 Es war jedoch nicht nur der Statusunterschied, der das Erscheinen der ranghöheren Funktionäre bei Libanius verhinderte. Libanius spricht auch von einem Gesetz (νόμος), das ihnen Besuche bei Privatpersonen untersagte: Der comes Orientis Philagrius, der sein Amt zu Beginn der 380er Jahre ausübte, konnte deshalb den Libanius nicht aufsuchen, obwohl er dies gerne getan hätte.464 In der

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Lib. or. 1.115–116. Libanius erhielt diese Einladung, nachdem Hermogenes in der curia seinen Onkel als früheren Freund wiedererkannt hatte. Hermogenes war auch mit zwei anderen Freunden des Libanius, Aristaenetus und Seleucus, befreundet, die dem Hermogenes den Libanius ebenfalls als Freund empfohlen hatten (vgl. Lib. or. 1.116). Dieses Beispiel macht auch wieder deutlich, wie wichtig soziale Netzwerke waren, um Kontakt zu einem hohen Beamten zu erlangen. 461 Lib. or. 1.168; 1.211; 2.9. 462 Lib. or. 1.168; 4.32. 463 Vgl. Bradbury 2006, 249 f.; Leppin 2011, 431. Die Statthalter stammten meist selbst aus kurialen Familien der Nachbarsprovinzen und hatten somit einen ähnlichen familiären Hintergrund wie Libanius. 464 Lib. or. 1.211: […] ἐπεὶ καὶ τοῦ νόμου κατεβόα μὴ διδόντος οἱ βαδίζειν οἴκαδε ὡς ἐμέ· ᾧ πολλῷ μὲν ἐχρῆτο ὁ Ἠπειρώτης ἐκεῖνος, πλείονι δὲ ἢ ἐκεῖνος ὁ ἐκ Κύρου· τῷ μὲν ὄνομα Πελάγιος, Μαρκελλῖνος δὲ τῷ προτέρῳ. πλεῖστα ἀνθρώπους εὖ ποιήσας τόνδε οἶδα τὸν χρόνον τῶν μὲν ἐν χρείᾳ φαρμάκων ὄντων ἐπ’ ἐμὲ καταφευγόντων, ἐμοῦ δὲ αὐτοῖς διὰ τῶν ἐπὶ τῆς ἀρχῆς ἰωμένου τὰς πληγάς. – «Philagrius bedauerte sogar, dass ein Gesetz ihm verbot, mich zu Hause aufzusuchen, was der Epirote oft tat, noch häufiger der Mann aus Kyros; er hiess Pela-

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zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts wurde die Unabhängigkeit von Richtern, die regelmässig mit Angehörigen der lokalen Notabeln verkehrten, zunehmend hinterfragt. Dies lässt sich sowohl in der Gesetzgebung als auch in den Schriften des Libanius fassen. Einerseits wurden Statthalter dazu angehalten, während ihrer Reisen nicht bei Privatpersonen zu übernachten, und andererseits untersagte man den Provinzialen Nachmittagsbesuche beim Statthalter.465 Der Kontakt zwischen den Beamten und den lokalen Eliten sollte also möglichst auf offizielle Interaktionen wie die salutatio beschränkt werden. Das Gesetz, welches die Nachmittagsbesuche beim Statthalter verbot, wurde 377 in Mainz erlassen.466 Es besteht jedoch Grund zur Annahme, dass es zumindest im Osten nie durchgesetzt wurde. So forderte Libanius nämlich in zwei Reden, die in theodosianische Zeit datiert werden, die Einführung eines solchen Gesetzes.467 In den orationes 51 und 52 schildert Libanius in satirischer Überzeichnung, wie die Statthalter gar nicht mehr arbeiten können, weil sie Tag und Nacht belagert werden: Aus den Herrschenden seien Beherrschte geworden.468 Er kritisiert die allgemein verbreitete Praxis, durch Besuche beim Statthalter auf den Ausgang von Gerichtsurteilen einzuwirken, und beschreibt desaströse Zustände: Die Leute suchten das Haus des Statthalters gleich nach dem Mittagessen auf und erwarteten, dass es für sie offen stünde. Sie hielten den Beamten vom Essen und vom Mittagsschlaf ab mit dem Lärm, den sie im Erdgeschoss veranstalteten, während jener im Obergeschoss weilte. Bis zum Abend, wenn die Lampen angezündet werden mussten, harrten sie aus und folgten dem Statthalter sogar ins Bad. Und früh morgens kämen sie wieder: Offiziell um die salutatio abzuhalten, aber in Wahrheit um zu erfahren, wie sich der Statthalter entschieden habe in den Angelegen-

gius, der erstgenannte Marcellinus. Ich habe in jener Zeit den Menschen viel Gutes getan: wer ein Heilmittel nötig hatte, nahm seine Zuflucht zu mir, und ich heilte dank meinen Beziehungen zu den Amtsträgern ihre Wunden.» (Übers. Wolf 1967). Zu Philagrius vgl. PLRE I, 693 (Philagrius 2). Marcellinus war wahrscheinlich um 382 consularis Syriae und sein Nachfolger Pelagius um 382/383. S. PLRE I, 546 (Marcellinus 10); 686 (Pelagius 1). 465 Zum Verbot von Übernachtungen: CTh 1.16.12 (369). Als Strafe drohte Personen, die den Statthalter beherbergten, der Entzug ihres Besitzes. Zum Verbot von Nachmittagsbesuchen: CTh 1.16.13 (377). 466 CTh 1.16.13. 467 Zur Datierung von Lib. or. 51 und 52 vgl. Cribiore 2015, 173 f. In or. 51.30–31 findet sich ein Verweis auf den bereits verstorbenen Kaiser Julian, und in or. 52.46 wird Cynegius, der von 383 bis 388 Prätoriumspräfekt des Orients war und 388 zum Konsul ernannt wurde, ebenfalls als verstorben bezeichnet. Zu Cynegius vgl. PLRE I, 235 f. (Maternus Cynegius 3). Als terminus post quem ergibt sich dadurch für or. 52 das Jahr 388. Von Cynegius sagt Libanius, dass er ein Edikt erlassen habe, das zumindest temporär die Türen der Provinzstatthalter geschlossen habe (or. 52.46). 468 Lib. or. 51.4; 51.12.

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heiten, die sie ihm tags zuvor vorgetragen hatten.469 Die Einflussnahme wird von Libanius als mindestens zweitägiger Prozess beschrieben: Während an einem Tag in informellen Gesprächen versucht wurde, die Gunst des Statthalters für das eigene Anliegen zu gewinnen, diente die Teilnahme an der salutatio dazu, einen ersten Bescheid in der Sache zu erhalten. Gleichzeitig reflektiert Libanius die Besuche auch als gesellschaftliches Problem, welches er unter anderem am Beispiel seines eigenen Berufsstandes ausführt: Er kritisiert, dass Lehrer mehr Zeit beim Statthalter verbrächten als beim Unterrichten. Noch schlimmer sei aber, dass viele Eltern solche Lehrer sogar vorzögen, da sie sich für die Karriere ihrer Söhne mehr Profit von einem Lehrer erhofften, der über eine gute Beziehung zum Statthalter verfüge, als von einem Lehrer, der gut unterrichte.470 In dieser Kritik spiegelt sich wiederum die gesellschaftliche Bedeutung von Besuchen und der Nähe zum Statthalter.471 Die philia zwischen Statthalter und Provinzialen wird von Libanius grundsätzlich problematisiert, wenn er in oratio 52 fordert, dass der Statthalter nicht zu sich einladen und auch keine Einladung annehmen dürfe. Auch Gastmähler und Trinkgelage sollten untersagt werden. Denn der Mann, der das Glas der Freundschaft erhalte, strecke normalerweise auch die Hand für Gefälligkeiten aus.472 Der ursprüngliche Kontext der beiden Reden und die Intentionen des Libanius sind unbekannt. Wollte er Missstände aufdecken? Oder war er selbst der Einflussnahme angeklagt worden, und versuchte er, diese Vorwürfe durch den Vorschlag eines entsprechenden Gesetzes zu entkräften?473 Auf jeden Fall lässt sich hier sowie in der kaiserlichen Gesetzgebung eine zeitgenössische Diskussion um die Rechtmässigkeit der Beeinflussung von Statthaltern fassen. Gleichzeitig belegen beide Quellengattungen die weite Verbreitung dieser Praxis. Libanius räumt in seinen Reden freimütig ein, dass er selbst auch Statthalter besucht habe. Allerdings grenzt er sich dennoch von der Masse ab, die das Haus des Beamten belagerte: Libanius betont, dass er selbst nur auf Einladung vorbeigegangen sei.474 In der Differenzierung zwischen Besuchen mit und ohne Einladung fallen Hinweise auf die Architektur der Häuser auf, die Libanius hier sowie anderswo 469

Lib. or. 51.4–5. Vgl. auch or. 52.4–7. Lib. or. 51.13–17; 52.13; 52.30. In or. 52.44 sagt Libanius, dass er selbst von Eltern seiner Schüler auch zu diesen Besuchen angehalten worden sei. 471 Die lange Tradition dieser Besuche wird in or. 52.19 thematisiert. 472 Lib. or. 52.47. Die starke Verbindung von philia und charis, wie sie in II.2.1. herausgearbeitet wurde, wird auch hier wieder deutlich. 473 Apologetisch wirken auch Libanius’ Aussagen in or. 1.168 und 2.9. In or. 56 verurteilt Libanius, dass der consularis Syriae Nachmittagsbesuche bei sich gänzlich untersagte. 474 Lib. or. 51.29; 52.39–41. 470

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II. Libanius

en passant anbringt. So unterscheidet Libanius immer wieder zwischen dem Erdund dem Obergeschoss eines Hauses. In der oben paraphrasierten Passage zur Belagerung von Statthaltern wird beispielsweise deutlich, dass die Belagerer sich zwar «unten» (κάτω) versammelten, jedoch nicht zum Statthalter selbst vordringen konnten, der offenbar im nicht zugänglichen Obergeschoss seinen Mittagsschlaf abhielt.475 Demgegenüber befand sich Libanius, als er sich eines Abends bei Celsus, dem Statthalter von Syrien, aufhielt, zusammen mit dem Hausherrn im Obergeschoss des Hauses, wie aus dem Kontext deutlich wird: Als ein Sklave eintrat, verkündete er, dass unten (κάτω) ein Bote warte. Auf Befehl des Celsus kam der Bote dann herauf (ἀναβαίνει).476 An anderer Stelle schildert Libanius, wie er selbst noch kurz – und unangekündigt – beim comes Orientis Modestus vorbeiging, um einen Brief und Geschenke abzugeben, welche dieser auf seine nächste Reise mitnehmen sollte. Er wurde bei dieser Gelegenheit zwar unten kurz vom Herrn des Hauses empfangen, aber nicht nach oben gelassen. Modestus selbst ging nach oben (ἀνέβη), um noch etwas abzuklären, versäumte es im Trubel des Aufbruchs aber, dem Libanius wieder Bescheid zu geben.477 Kurzum: Er hatte vergessen, dass im Erdgeschoss noch ein wartender Gast weilte. Als nach dem Statuenaufstand grosse Verunsicherung in Antiochia herrschte, fanden sich eines Abends viele Leute «unten bei den Türen» (κάτω […] περὶ τὰς θύρας) des Sitzes des magister officiorum Caesarius ein, während sich jener im Obergeschoss aufhielt (ἄνω).478 Libanius ging ebenfalls dorthin, wollte allerdings wieder umkehren, als er die vielen Leute sah, doch Caesarius wurde seiner Gegenwart gewahr und setzte sich mit ihm zusammen. Im Gegensatz zu der Menge vor der Türe wurde Libanius also auch hier persönlich empfangen. Die Passage gibt keinen Hinweis darauf, wo sich Caesarius und Libanius in der Folge unterhielten. Womöglich wurde er für das Gespräch ins Obergeschoss zugelassen oder zumindest aber in einen speziellen Raum geführt. Ging man uneingeladen bei einem Beamten vorbei, so stellte es bereits eine Ehre dar, wenn man sofort begrüsst wurde. Als Libanius von Caesarius empfangen wurde und damit an all den anderen wartenden Personen vorbeizog, signalisierte dies ebenfalls die besondere Stellung, die Libanius bei dem magister officiorum genoss. Vor 475 Lib. or. 51.4: καὶ οἱ μὲν ἔτ’ ἀριστώντων ἥκοντες κάθηνται κάτω λαλοῦντες οὕτως, ὥστε ἐκείνους αἰσθάνεσθαι. 476 Lib. ep. 1113.1: Παρὰ Κέλσῳ τῷ τῆς Συρίας ἄρχοντι καθήμενος διελεγόμην ἑσπέρας. εἰσδραμὼν δέ τις τῶν παίδων Δῖος ἔφη κάτω καὶ γράμματα ἀπαιτεῖ. Κέλσου δὴ κελεύοντος ἀναβαίνει Δῖος καὶ γνοὺς ἐγώ, τίς τε ὁ ἄνθρωπος καὶ ὡς ἥκοι παρὰ σοῦ καὶ ὅτι πάλιν ὡς σὲ τρέχοι, πάνυ ἔφασκον ὑπ’ ἀμφοῖν ἠδικῆσθαι ταῦτα ἀγνοήσας. γράψαι γὰρ ἄν, εἰ ἠπιστάμην. 477 Lib. ep. 34.3. 478 Lib. or. 21.8: δύσεσθαι δὲ μέλλοντος ἡλίου καὶ τῷ μὲν ἀσχολίας οὔσης ἄνω, κάτω δὲ ὄχλου περὶ τὰς θύρας ἔρχομαι μέν, ὡς δ’ ἂν μὴ ἐνοχλοίην, ἀπεχώρουν.

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diesem Hintergrund wird auch Libanius’ Betonung, dass er normalerweise nur auf Einladung vorbeiging, wichtig: Er gesellte sich nicht zu den Wartenden, die darauf hofften, dass sich der Statthalter irgendwann ihrer erbarmen würde, sondern ging – abgesehen von den oben beschriebenen dringenden Fällen – nur hin, wenn ihm der direkte Zugang zum Magistraten sicher war.479 Aus diesen Ausführungen wird nochmals deutlich, dass eine persönliche Einladung zu einem Provinzstatthalter oder gar zu einem höheren Magistraten ein Privileg war, das nicht jeder genoss. Libanius schrieb zahlreiche Empfehlungsschreiben, die nur den Zweck hatten, den Empfohlenen bei einem Magistraten einzuführen. So bat er den comes Orientis Domitius Modestus während seines Aufenthaltes in Ägypten, die Verwandten seines Lehrerkollegen Eudaemon, die dort lebten, zu sich zu rufen. Auf diese Weise würden alle sehen, dass sie in gutem Verhältnis zu Modestus stünden, und ihre Feinde würden ihnen das Leben nicht mehr schwer machen.480 Den Statthalter von Galatien bat Libanius, einen gewissen Encratius zu empfangen und dafür zu sorgen, dass diese Ehre bei seinen Mitbürgern nicht unbeachtet bleibe.481 Er versicherte zudem, dass der Empfohlene – offenbar ein Kurialer von einfacher Herkunft – sehr wohl die vornehmen Umgangsformen beherrsche, dass er wisse, wann er lachen und wann er schweigen solle, und ein angenehmer Gast bei Gastmählern sei.482 Die performative

479 Die hier beschriebenen architektonischen Informationen archäologisch zu fassen, ist schwierig, da von den meisten Häusern in Antiochia nur noch die Fundamente erhalten sind und die Ausgrabungsdokumentation lückenhaft ist. Vgl. Stillwell 1961; Lassus 1984; Dobbins 2000; Morvillez 2004 und bes. Morvillez 2007a mit weiteren Literaturhinweisen. Morvillez 2007a, 56 hebt hervor, dass Häuserstrukturen des zweiten und dritten Jahrhunderts relativ schmale Grundrisse aufweisen, was auf die Existenz von Obergeschossen hinweist. Archäologisch belegt sind jedoch nur sehr wenige Treppen, und auch Mosaikreste aus einer darüberliegenden Etage sind nur wenige dokumentiert. Für die Spätantike geht Morvillez 2007a, 70 nicht zuletzt aufgrund der Beschreibungen des Libanius in seinem Antiochikos (or. 11.225; 11.227) von einer grösseren Verbreitung von mehrstöckigen Häusern aus, gerade auch bei vornehmeren Bauten. Demgegenüber betonen Brands/Rutgers 1999, 876, dass auch in der Spätantike unter den Oberschichten das Ideal des einstöckigen römischen Hauses vorherrschend war. Obergeschosse seien unbeliebt gewesen, wenn auch im urbanen Raum manchmal aus Platzgründen nicht vermeidbar. Die Aussagen des Libanius belegen, dass in Antiochia mehrstöckige Häuser verbreitet und sogar Repräsentationsbauten wie das Haus des Statthalters so konstruiert waren. Zum Haus des Statthalters s. u. a. Lavan 2001. Zu spätantiken Häusern und Wohnformen allgm. vgl. auch Brands/Rutgers 1999, bes. 876–885; Lavan/Özgenel 2007; Bowes 2010; Danner 2017 (bes. S. 131–133 zu Syrien). 480 Lib. ep. 108. Zu Eudaemon vgl. Seeck 1906, 131 (Eudaemo I); PLRE I, 289 f. (Eudaemon 3). 481 Lib. ep. 1381.3: ἔστω δή τις αὐτῷ καὶ παρὰ σὲ εἴσοδος καὶ θαρρείτω τά γε τοιαῦτα καὶ τοὺς αὐτοῦ πολίτας ἡ τιμὴ μὴ λανθανέτω. Der Brief ist an Maximus adressiert. Vgl. PLRE I, 583 (Maximus 19) und Petit 1994, 159–161 (Maximus VI). 482 Lib. ep. 1381.2.

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II. Libanius

Bedeutung dieser Einladungen wird immer wieder betont. Galt man als Freund eines einflussreichen Magistraten, genoss man Ansehen und Schutz. Aufschlussreich sind auch eine Reihe von Schreiben, die Libanius mit Acacius, einem weiteren Statthalter von Galatien austauschte. Als Acacius sein Amt antrat, empfahl ihm Libanius gleich die Familie des Maximus, dessen Söhne bei ihm studiert hatten.483 Zeitgleich wandte sich Libanius wieder an seinen Freund Domitius Modestus, den comes Orientis, und bat ihn ebenfalls, an Acacius zu schreiben, um ihm Maximus und seine Söhne zu empfehlen.484 Maximus war ein curialis, möglicherweise ein principalis von Ancyra, dem Sitz des Statthalters.485 Schon bald verkündete er dem Libanius, dass er zur eisodos beim Statthalter zugelassen und geehrt worden sei, was Libanius wiederum dem Statthalter zurückmeldete.486 Und Libanius geriet vollends ins Schwärmen, als er über eine dritte Quelle vernahm, dass Maximus und sein Sohn Hyperechius, Libanius’ ehemaliger Schüler, auch noch zum deipnon, zum Abendessen, eingeladen wurden – und zwar nicht nur einmal, sondern regelmässig.487 Es lässt sich also eine Steigerung feststellen von einer eisodos, hier zu verstehen als ein Empfang ausserhalb der salutatio, bis hin zu einer Einladung zum Abendessen. Herauszustellen ist die Bedeutung, die diesen Interaktionsformen zugemessen wurde. Nicht nur der Betroffene selbst erstattete Libanius Bericht, sondern auch Dritte berichteten über die Ehren, die dem jungen Schützling von Libanius zuteilwurden. Die unterschiedlichen Einladungsformen sowie die Häufigkeit der Einladungen wurden genau beobachtet und konnten als Indikator für die Nähe der involvierten Personen herangezogen werden. Je exklusiver die Tafel war, zu der eingeladen wurde, umso schneller verbreitete sich auch die Liste der Gäste. Als Themistius zum Gastmahl beim Kaiser gebeten wurde, wusste Libanius wenig später davon und gratulierte seinem Freund in Konstantinopel zu dieser aussergewöhnlichen Ehre.488 Gastmähler waren Teil des alltäglichen Lebens. In Konstantinopel hatten sie jedoch – so zumindest Libanius’ etwas hyperbolische Schilderung – ein unerträgliches Mass erreicht: Wer nicht täglich mit den Mächtigen dinierte, habe als ihr Feind gegolten und sei

483

Lib. ep. 298. Zu Acacius vgl. PLRE I, 7 (Acacius 8); Petit 1994, 23 f. (Acacius I). Lib. ep. 308. Domitius Modestus kam der Bitte nach, vgl. ep. 617.3. 485 Bradbury 2004b, 138 bezeichnet Maximus als einen principalis. Die zahlreichen Empfehlungsschreiben deuten allerdings nicht auf eine besonders einflussreiche Stellung in Ancyra hin. Zu Maximus vgl. Seeck 1906, 210 f. (Maximus XII). 486 Lib. ep. 651. 487 Lib. ep. 732. Zu Hyperechius vgl. Seeck 1906, 182 f. (Hyperechius I); PLRE I, 449 f.; Petit 1994, 133 f. (Hyperechius I). 488 Lib. ep. 66. 484

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bekämpft worden.489 Einladungen galten als Ehre und wurden normalerweise nicht ausgeschlagen. Bei der Grösse von Konstantinopel und der Zahl der dort anwesenden Senatoren und Amtspersonen werden Einladungen in der Tat häufiger gewesen sein als in Antiochia. Aber auch hier fanden regelmässig Gastmähler statt. Überreste von prachtvollen Mosaiken zeugen von dem Luxus, welche die Reichen der syrischen Metropole genossen. Einige dieser Mosaike lassen die Räume eindeutig als triclinia identifizieren, da das Bodenmuster Aussparungen für drei Liegen freilässt, die in U-Form platziert werden konnten.490 Die ideale Teilnehmerzahl für solche Gastmähler lag bei neun Personen. Grössere Gesellschaften waren jedoch auch möglich. Hinweise auf die Darstellung der Hierarchie beim Gastmahl anhand der Platzzuweisung fehlen bei Libanius.491 Sofern das Gastmahl nach römischer Tradition in einem triclinium stattfand, ist davon auszugehen, dass auch die übliche Verteilung der Liegen nach dem Status der Gäste übernommen wurde.492 Die Gastmähler waren somit ein Ort, an dem Rangunterschiede ebenfalls performativ umgesetzt wurden. Die Einladung signalisierte aber gleichzeitig die Nähe zwischen dem Gastgeber und dem Gast. Allianzen zeigten sich folglich auch daran, wer bei wem zur Tafel geladen war.493 Gleichzeitig boten Gastmähler eine ideale Gelegenheit, um neue Bekanntschaften zu schliessen und das eigene Netzwerk auszudehnen. Mehrere seiner Kontakte lernte Libanius bei einem Abendessen kennen, die auch immer Gelegenheit zu literarischen Diskussionen und Darbietungen darstellten.494

Begleitungen ins Bad Einen wichtigen Platz in der täglichen Routine nahm auch der Gang ins Bad ein. Üblicherweise wurde vor dem Abendessen gebadet.495 Eine Auswahl prachtvoller 489 Lib. or. 1.75: χρῆν γὰρ δὴ ἢ συμπίνειν τοῖς δυνατοῖς καὶ περὶ τραπέζας ἡμέρας τε καὶ νυκτὸς διατρίβειν τὸ πλέον ἢ ἐχθρόν τε κεκρίσθαι καὶ πολεμεῖσθαι. 490 Dobbins 2000, 52 f. Zum römischen Gastmahl allgemein (allerdings ohne besondere Berücksichtigung der Spätantike) vgl. die neueren Studien von Stein-Hölkeskamp 2005 und Schnurbusch 2011. 491 Vgl. aber z. B. Bas. reg. fus. 21. 492 Zur Verteilung der Plätze beim Gastmahl vgl. Stein-Hölkeskamp 2005, 101–111; Schnurbusch 2011, 196–206. 493 Vgl. Lib. or. 1.163. 494 Vgl. z. B. Lib. ep. 2; 836; 1225. 495 Vgl. z. B. Nielsen 1990, Vol. 1, 135–138; Fagan 2011, 366. Die Abfolge Baden – Abendessen wird auch bei Libanius mehrfach belegt, vgl. z. B. Lib. ep. 364.3; 1458 und or. 1.174; 1.183; 6.16; 7.3. Baden zu einer früheren Tageszeit scheint dagegen erklärungsbedürftig gewesen zu sein, da es ansonsten als Luxus galt (vgl. Lib. ep. 811; or. 3.14). Gesundheitliche Gründe konnten den Besuch des Bades bereits zur Mittagszeit rechtfertigen (Lib. ep. 650).

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II. Libanius

Bäder zu haben, gehörte zu den Annehmlichkeiten einer Stadt. Libanius preist die Bäder seiner Stadt und die exzellente Wasserversorgung: Ausführlich stellt er die Anzahl und die Vielfalt der Bäder in seinem Antiochikos dar.496 Er unterscheidet dabei zwischen «öffentlichen» und «privaten» Bädern: Während die «öffentlichen» Bäder durch ihre Grösse überzeugten, glänzten die kleineren «privaten» Bäder durch ihre prachtvolle Ausstattung.497 Die verschiedenen Stadtteile seien auf die Besonderheiten ihrer Bäder stolz gewesen. Da die Einwohner der verschiedenen Quartiere auf beide Arten von Bädern stolz waren, bezieht sich Libanius’ Unterscheidung in «privat» (ἴδιος) und «öffentlich» (δημόσιος) lediglich auf die Art und Weise des Betriebs und nicht auf die Zugänglichkeit: Die kleineren Bäder werden von Privatpersonen betrieben worden sein, während die grösseren öffentlichen Bäder über munera von den Stadträten Antiochias unterhalten wurden.498 Für Konstantinopel in der ersten Hälfte des fünften Jahrhunderts bietet die Notitia Urbis Constantinopolitanae Angaben, die das Verhältnis der verschiedenen Bäder zueinander verdeutlichen: Es werden 8 thermae und 153 balneae privatae aufgeführt.499 Für Rom nennen die Notitia Urbis Romae und das Curiosum Urbis Romae eine noch höhere Anzahl kleiner Bäder: 853 balneae und 11 thermae soll es im vierten Jahrhundert gegeben haben.500 Für Antiochia können auf der Grundlage der Chronik des Malalas für das vierte bis fünfte Jahrhundert etwa elf grosse Badeanlagen vermutet werden, wobei nicht sicher ist, ob alle noch in Betrieb waren.501 Archäologisch sind mindestens fünf grosse Badeanla-

496

Lib. or. 11.220; 11.231; 11.234; 11.236bis; 11.244–245; 11.257; 11.266. Lib. or. 11.245. 498 Insbesondere die Versorgung des Bades mit Brennholz war ein munus, das von den Kurialen wahrscheinlich jeweils für eine bestimmte Zeit übernommen wurde. Vgl. Lib. ep. 381.3; 715.6 und or. 11.134. S. auch Petit 1955, 48 und Liebeschuetz 1972, 148. Als sich die Bevölkerung darüber beklagte, dass die Bäder zu wenig heiss seien, liess der comes Icarius den verantwortlichen Ratsherrn auspeitschen. Vgl. Liebeschuetz 1972, 210 und Lib. or. 26.5 und 27.13. Zu kleinen, privat betriebenen Bädern vgl. De Haan 2010 mit weiteren Literaturhinweisen. Zur Unterscheidung von «öffentlichen» und «privaten» Bädern vgl. auch die Ausführungen von Trümper 2014 zu hellenistischen Bädern. 499 Vgl. Yegül 2010, 183 und Saliou 2014, 660; 663. Zur Notitia Urbis Constantinopolitanae vgl. Matthews 2012. 500 Vgl. Saliou 2014, 659. Die Differenzierung zwischen öffentlich betriebenen grossen thermae und privat betriebenen kleinen balnea ist allerdings nicht ganz so eindeutig, da verschiedene Quellen damit unterschiedliche Badtypen bezeichnen. Vgl. hierzu ausführlich Fagan 1999, 14–19 mit zahlreichen Quellenbelegen. Zur Problematik der Bezeichnungen s. auch Saliou 2014, 660 f.; Hrychuk Kontokosta 2019, 69. 501 Vgl. Saliou 2014, 662 f. In der Tabelle 2 im Anhang (S. 677–682) trägt Saliou alle literarischen Nennungen von Bädern in Antiochia zusammen. 497

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gen belegt.502 Damit liegt Antiochia zwischen Konstantinopel und Rom. Die kleinen Bäder werden wohl ähnlich zahlreich gewesen sein wie in Konstantinopel.503 Im Stadtbild nahmen die Bäder eine zentrale Rolle ein. Die meisten lagen entlang der überdachten Kolonnaden, für die Antiochia bekannt war, und an denen sich zahlreiche öffentliche Bauten und Tempel fanden.504 In der Nacht gehörten die Bäder zu den wenigen beleuchteten Gebäuden.505 Die Bäder, insbesondere die grossen öffentlichen, waren ähnlich dem Marktplatz oder den Kolonnaden ein beliebter Treffpunkt. Nach dem Statuenaufstand liess Kaiser Theodosius zur Bestrafung der Stadt unter anderem auch alle Bäder schliessen. Dies war eine Massnahme, die alle Antiochener – Christen, Heiden, arm und reich – gleichermassen traf.506 In der Topographie der Stadt und im Alltag der Bürger nahmen Bäder eine wichtige Stellung ein. Es erstaunt deshalb auch nicht, dass Bäder zu den von Libanius am häufigsten genannten Bauprojekten einflussreicher Bürger oder Beamter gehören.507 Zumindest die grossen, durch die munera der Kurialen unterhaltenen Bäder standen allen offen. Es gibt weder für die Kaiserzeit noch für die Spätantike Anzeichen, dass in diesen Bädern eine Segregation nach sozialem Status stattgefunden hätte.508 Gerade wegen dieses Umstandes wurde in der Forschung das Baden bislang nicht mit Freundschaft in Verbindung gebracht. Zwar wurde 502

Vgl. die tabellarische Übersicht in Saliou 2014, 676 f. Für Pläne der einzelnen Bäder vgl. Yegül 2010, 188–192. 503 Zumindest gab es keine Einschränkungen aufgrund von Wasserknappheit: Libanius berichtet, dass die Wasserversorgung in Antiochia so gut sei, dass jeder, der wolle, ein Bad errichten könne (Lib. or. 11.245). 504 Vgl. Lib. or. 1.212. Die Kolonnaden waren ein wichtiges Kennzeichen von Antiochia und trugen dazu bei, dass die Bürger sich bei jedem Wetter und zu jeder Jahreszeit gegenseitig besuchen konnten. Auch als Aufenthaltsort waren die überdachten Strassen beliebt (vgl. or. 11.213–218). 505 Lib. or. 16.41; 22.6. Die Bäder hatten auch in der Nacht geöffnet, vgl. or. 11.257. 506 Lib. or. 20.6; 23.27–28. S. auch Joh. Chrys. hom. stat. 13.2–6; 17.2. 507 Lib. ep. 114; 435; 441 und 1184.9 (Datianus liess mehrere Bäder in Antiochia bauen.); ep. 852 (Proclus hat u. a. Bäder bauen lassen.); ep. 898 (Ellebichus hat ein Bad bauen lassen, das sich in der Mitte der Stadt befand.). Vgl. auch die Übersicht von Saliou 2014, 677–682. 508 Bäder, die über Steuern und Beiträge der sozialen Eliten finanziert wurden, konnten üblicherweise umsonst oder gegen eine kleine Eintrittsgebühr benutzt werden. Zur Zugänglichkeit von Bädern und zu Eintrittsgebühren vgl. Nielsen 1990, Vol. 1, 135–138. Nicht ausgeschlossen ist, dass es in manchen Bädern eine Steuerung über Eintrittspreise oder Türsteher gab, wobei dies wohl hauptsächlich privat betriebene Bäder betraf. Zur Zugänglichkeit von privat betriebenen Bädern vgl. De Haan 2010, 119–129. Fagan 1999, 189–219 diskutiert die verschiedenen sozialen Schichten, welche in den schriftlichen Quellen als Besucher von Bädern ausgewiesen werden. In manchen Bädern gab es separate Räume oder unterschiedliche Badezeiten für Männer und Frauen, doch war es an vielen Orten durchaus üblich, dass beide Geschlechter zusammen badeten. Vgl. Yegül 1992, 48–91; Nielsen 1990, Vol. 1, 135 f.; Fagan 1999, 24–29;

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II. Libanius

darauf hingewiesen, dass Klienten ihre Patrone ins Bad begleiteten.509 Diese Praxis ist auch im spätantiken Rom bezeugt: Ammianus Marcellinus schildert Aristokraten, die mit einem fünfzig Mann starken Gefolge im Bad erschienen.510 Die Begleitung durch Klienten wurde jedoch primär als eine der wenigen Möglichkeiten der Standesrepräsentation im Bad betrachtet, wo sich alle ihrer Kleider und damit auch zentraler Statussymbole und Amtsinsignien entledigen mussten. Im Zentrum von sozialhistorischen Untersuchungen zur Badekultur stand entsprechend meistens die Frage, inwiefern im Bad soziale Hierarchien und Statusunterschiede inszeniert wurden.511 Vor dem Hintergrund öffentlicher Badeanstalten wurde bislang nicht nach der Bedeutung des gemeinsamen Badens für die Performanz von Nähe gefragt.512 Verschiedene Stellen bei Libanius lassen jedoch vermuten, dass gemeinsames Baden einen gewissen Grad an Vertrautheit symbolisierte. Als beispielsweise Themistius dem antiochenischen Redner in einem Brief vorgehalten hatte, ihn nicht richtig zu kennen und ihn folglich auch nicht richtig porträtiert zu haben, hielt Libanius entgegen, dass er ihn schon seit zwölf Jahren kenne. In Anspie-

Fagan 2011, 365. Von christlicher Seite wurde Kritik am gemeinsamen Bad beider Geschlechter geäussert. Vgl. hierzu Schöllgen 1995 sowie III.3.2., S. 265–268, dieser Arbeit. 509 Vgl. z. B. Fagan 1999, 199 f. mit Verweis auf Amm. Marc. 28.4.8–9 und Plut. mor. 823B. 510 Amm. Marc. 28.4.8–9. 511 Gefragt wurde auch, inwiefern das Bad eine «demokratisierende» oder «egalisierende» Funktion gehabt habe, da hier Arm und Reich zusammen badeten. So spricht Yegül 1992, 32 von Bädern als «ideal institution with which to create the illusion of a classless society – one where wise man and fool, rich and poor, privileged and underdog, could rub shoulders and enjoy the benefits afforded by the Roman imperial system.» Fast identisch: Yegül 2010, 35. Allerdings relativiert Yegül in seiner neueren Studie diese Ausführungen etwas (Yegül 2010, 37), indem er auf die zahlreichen Möglichkeiten der Standesrepräsentation hinweist, die auch im Bad bestanden: kostbare Badeutensilien, Begleitung durch Sklaven sowie die Art und Weise des Sprechens. Dennoch betont er nach wie vor (S. 38), dass Bäder «served the democratic ideal of perhaps not leveling classes, but mixing them.» Fagan 1999, 215 hält zu Recht dagegen, dass Bäder weit davon entfernt gewesen seien, eine ‹egalisierende› Atmosphäre zu bieten, welche «the social identity of elite bathers» bedroht hätte. Vielmehr hätten Bäder wie andere öffentliche Räume den Eliten als Ort der Selbstdarstellung gedient. Vgl. auch Fagan 2011, 368 mit weiteren Literaturhinweisen. Schwer vorstellbar erscheint es Hartmann 2016, 185–187; 205 f., dass römische Senatoren zusammen mit Emporkömmlingen gebadet hätten. Sie plädiert deshalb im Rahmen ihrer jüngst erschienen Studie zu Standesrepräsentationen in der späten Republik und der frühen Kaiserzeit dafür, dass römische Senatoren die öffentlichen Bäder gemieden hätten und das Bad primär ein Ort der Begegnung für die einfache Bevölkerung sowie soziale Aufsteiger gewesen sei, die sich dort mittels teurer Badeutensilien oder der Begleitung zahlreicher Sklaven inszeniert hätten. Diese Hypothese erscheint zumindest für die Spätantike durch das hier besprochene Zeugnis von Libanius sowie von Amm. Marc. 28.4.8–9 wenig plausibel. 512 Vgl. hierzu Ruprecht 2020.

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lung auf die gemeinsam in Konstantinopel verbrachte Zeit führte er an, dass – auch wenn es nichts anderes gäbe, was ihn mit Themistius verbinden würde – er doch oft mit ihm gebadet habe.513 Die Ausdrucksweise impliziert, dass es sehr wohl noch stärkere Zeichen der Verbundenheit gab, gemeinsames Baden aber für einen gewissen Grad von Nähe stand. Themistius ist nicht das einzige Beispiel, das eine Verbindung von philia und gemeinsamem Baden nahelegt. Als Libanius’ Freund Olympius starb, erhoben einige Personen Anspruch auf sein Erbe, das jener zu einem grossen Teil Libanius vermacht hatte.514 In einer zu diesem Anlass verfassten Rede fragt Libanius rhetorisch, wer denn seinen Anspruch aufgrund einer besonders engen Beziehung zum Verstorbenen geltend machen könne. Dies träfe beispielsweise zu auf jemanden, der eine lange Reise zu Land oder zur See im Interesse des Olympius auf sich genommen habe. Oder wer täglich viel Zeit mit ihm verbracht und dabei auch seine eigenen Angelegenheiten vernachlässigt habe. Doch nichts von dem könnten diejenigen, die das Testament anfechteten, vorweisen. Sie könnten auch nicht sagen, dass sie den Tisch, das Bad oder die Jugend mit ihm geteilt hätten (οὐδὲ κοινωνίαν εἴποιεν ἂν τραπέζης ἢ λουτρῶν ἢ παιδιᾶς). Und sie hätten sich auch nicht für ihn gegenüber denjenigen eingesetzt, die ihm schlecht gesinnt waren.515 Libanius listet in dieser Passage eine Reihe von Charakteristika auf, die eine Freundschaft ausmachten. Neben der Tischgemeinschaft wird auch hier das Teilen des Bades als Zeichen individueller Nähe genannt. Nicht genauer spezifiziert wird weder hier noch im Brief an Themistius, um welches Bad es sich handelte. Geht es hier um das gemeinsame Baden in einem öffentlichen Bad – so interpretiert Scott Bradbury den Brief an Themistius, indem er das Partizip des Verbs «baden» (λελουμένον) mit «has gone to the public baths» übersetzt516 – oder handelt es sich um das private Bad in einer Villa oder möglicherweise eines der kleinen privat betriebenen Bäder, die es in Antiochia und Konstantinopel gab? Würde es einen Unterschied machen, ob zwei Freunde gemeinsam ein öffentli-

513

Lib. ep. 793.1–2: […] διδάσκεις γάρ με περὶ τῶν σαυτοῦ τρόπων ὡς οὐ δυνηθέντα μαθεῖν ἐν οὕτω πολλῷ χρόνῳ, δώδεκα ἔτεσιν οἶμαι. […] ἀλλ’ ἐσπούδασας, ὡς ἔοικε, τὸν εἰ μηδὲν ἄλλο μετὰ σοῦ πολλὰ δὴ λελουμένον Μελιτίδου δεῖξαι φαυλότερον. – «[…] Du belehrst mich nämlich über deinen Charakter, als ob ich ihn nicht selber hätte erfassen können in so langer Zeit, zwölf Jahre, glaube ich. […] Offenbar ist es dein voller Ernst, dass du einen Menschen, der, selbst wenn da nichts anderes wäre, jedenfalls oft mit dir gebadet hat, für blöder erklärst als Melitides.» (Übers. FK 58) 514 Lib. or. 1.275–278. Zu Olympius vgl. PLRE I, 643 f. (Olympius 3); Petit 1994, 178–180 (Olympius II). 515 Lib. or. 63.7. 516 Bradbury 2004b, 124 (Nr. 85).

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II. Libanius

ches Bad besuchten oder in einer geschlossenen Gesellschaft in einem kleinen privat betriebenen Bad zusammensassen? Die Evidenz ist hier nicht eindeutig. Auch bei seinem Umgang mit dem Prätoriumspräfekten Strategius Musonianus hebt Libanius hervor, dass er ihn ins Bad begleitete.517 Dabei handelte es sich sicherlich um das Bad in der Residenz des Prätoriumspräfekten, da Libanius davon spricht, dass Strategius ihn vor dem Bad aufforderte zu warten/bleiben (ἀναμένειν), und es folglich keinen Ortswechsel gab.518 Eine solche Einladung in das private Bad des hohen Magistraten bedeutete eine grosse Ehre. Auch der consularis Syriae verfügte über ein privates Bad. Dieses Bad, so Libanius in seiner satirischen Rede über die Belagerung des Statthalters, sei viel beliebter als die öffentlichen Bäder in Antiochia, und die Leute würden den Statthalter selbst im Bad noch bedrängen.519 Libanius stellt es in dieser Rede so dar, als ob jeder, der wolle, dem Statthalter in seinem privaten Bad Gesellschaft leisten könne. Wahrscheinlicher ist es jedoch, dass es auch hier einer Einladung bedurfte. Gut möglich ist, dass die Bäder der Beamten über zwei Eingänge verfügten, so dass sie sowohl über die Villa als auch von der Strasse aus betreten werden konnten. Zumindest für Konstantinopel gibt es archäologische Belege für solche Vorkehrungen, die vermuten lassen, dass diese Bäder sowohl für geschlossene Gesellschaften genutzt als auch zeitweise der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden konnten.520 Eventuell muss eine solche Doppelfunktion auch für die Bäder, die von Libanius als «privat» bezeichnet werden, angenommen werden. Libanius verbindet auch das gemeinsame Aufsuchen von öffentlichen Bädern mit philia. So sei seine Freundschaft mit Clematius Stadtgespräch gewesen, da sie alles zusammen gemacht hätten: Sowohl die Aufwartungen bei hohen Beamten als auch der Besuch in Bädern.521 Dabei besuchten Clematius und Libanius nicht immer dasselbe Bad. Sie frequentierten sowohl diejenigen im Stadtzentrum als auch die Anlagen in den Vororten Antiochias. Es werden sich darunter also sowohl öffentlich als auch privat betriebene Bäder befunden haben. Die betrachteten Beispiele zeigen, dass gemeinsames Baden in horizontalen wie in vertikalen Beziehungen als Zeichen der Nähe aufgefasst wurde. Möglicherweise war in stark asymmetrischen Beziehungen die Einladung in ein privates Bad eine besondere Ehre und damit ein Zeichen der Nähe, während es in symmetrischen Beziehungen Ausdruck einer bestehenden Verbindung war, 517

Lib. or. 1.108; ep. 430.10; 552.5. Lib. or. 1.108. 519 Lib. or. 51.5; 51.9; 52.7. 520 Vgl. Yegül 2010, 186. Ähnliche Belege existieren für Nordafrika. Vgl. Maréchal 2016 mit weiteren Hinweisen. 521 Lib. ep. 435.6. Zu Clematius vgl. PLRE I, 213 f. (Clematius 2); Petit 1994, 71–73 (Clematius II). 518

3. Kommunikation unter Anwesenden

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wenn Bäder oder andere Orte gemeinsam aufgesucht und man regelmässig zusammen gesehen wurde.

Begrüssungen In öffentlichen Bädern, aber vor allem auch auf der Strasse war die Art und Weise der Begrüssung ebenfalls ein Indikator für Nähe und Distanz in einer Beziehung. Feine Unterschiede in der Gestik konnten beobachtet und interpretiert werden.522 Wer begrüsste wen zuerst? Wurde zur Begrüssung die Hand gereicht oder ein Kuss ausgetauscht? Küsste man sich auf den Mund oder küsste der eine die Hand oder den Kleidersaum des anderen? All diese Aspekte verdeutlichten den Beteiligten sowie den Umstehenden, in welchem hierarchischen und personalen Verhältnis die Begrüssenden zueinanderstanden. Wurde die Begrüssung gänzlich verweigert, indem beispielsweise die Strassenseite gewechselt wurde, so kam dies einer sozialen Ächtung gleich und signalisierte grösstmögliche Distanz. Je nach hierarchischem Verhältnis wurde eine bestimmte Form der Begrüssung erwartet. Als der consularis Syriae Eutropius von einem Amtsdiener darauf aufmerksam gemacht wurde, dass hinter dem Wagen Libanius daherkäme, hielt Eutropius nicht an, wie es Libanius erwartet hätte, sondern trieb den Fahrer im Gegenteil zur Eile an. Libanius dankte es ihm mit einer wüsten Invektive.523 Dadurch dass der Beamte keine Gelegenheit zur Begrüssung schuf, gab er zu verstehen, dass ihm nicht an einer Begegnung mit dem Sophisten gelegen war; damit verweigerte er ihm auch den Grad an Respekt, der ihm aufgrund seiner Stellung zugekommen wäre. Demgegenüber ehrte der Prätoriumspräfekt Cynegius den Libanius aussergewöhnlich, indem er bei seinem Anblick sofort von seinem Wagen gestiegen sein soll.524 Von dem hohen Beamten hätte Libanius eine solche Begrüssung nicht erwartet, und er hält fest, dass dies zuvor noch nie vorgekommen sei. Die beiden Beispiele verdeutlichen, dass der Bruch mit gesellschaftlichen Konventionen im positiven wie im negativen Sinne individuelle Nähe und Distanz zum Ausdruck bringen konnte. Die Begrüssungsprotokolle lassen sich allerdings nicht mehr in allen Feinheiten rekonstruieren, da sie so alltäglich waren und in den Schriften eben nur dann Erwähnung fanden, wenn sie nicht eingehalten wurden, von der Norm abwichen oder aus einem anderen Grund für das Narrativ von Bedeutung waren. Libanius schildert beispielsweise, dass er von Handwerkern mit Küssen auf die Hand, das Haupt oder die Augen begrüsst wurde, um sich gegen den Vorwurf zu verteidi522 523 524

Vgl. z. B. Sen. de ira 2.24.1. S. hierzu Hartmann 2016, 86. Lib. or. 4.39. Eutropius hatte das Amt im Jahr 389 inne, vgl. PLRE I, 318 (Eutropius 3). Lib. or. 52.40. Zu Cynegius vgl. PLRE I, 235 f. (Maternus Cynegius 3); Petit 1994, 73 f.

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II. Libanius

gen, dass er arrogant sei.525 Die Erzählung verdeutlicht einerseits, dass er sich die Zeit für eine Begrüssung nahm, und andererseits, dass er von den Handwerkern als Patron geschätzt wurde. Hierarchische Verhältnisse wurden durch Küsse auf den Kleidersaum, die Hand oder andere Körperteile ausgedrückt.526 Der Kuss war eine ambivalente Begrüssungsform, der in verschiedenen Kontexten unterschiedliche Bedeutungen haben konnte.527 Einerseits fand der Kuss zwischen Familienmitgliedern und Liebenden statt.528 Der Kuss war ein Symbol für die Zusammengehörigkeit, die in der Spätantike auch rechtskräftig wurde: Küsste sich ein Paar vor Zeugen, stellte dies eine rechtlich verbindliche Verlobung dar, die Einfluss auf die Erbregelung haben konnte, sollte ein Partner vor der Hochzeit sterben. Der Kuss stellte das Paar annähernd gleich mit einem verheirateten Paar.529 Ein auf den Mund oder die Wange ausgetauschter Kuss war andererseits jedoch auch eine Form der Begrüssung zwischen männlichen Angehörigen der sozialen Eliten.530 Der Kuss signalisierte dabei nicht nur Verbundenheit, sondern auch soziale Egalität.531 Dieser Aspekt wurde auch in der in II.3.1. besprochenen Gesetzgebung des vierten Jahrhunderts zur osculatio deutlich: Indem der Kuss für gewisse Rangstufen bei der salutatio zur Pflicht wurde, wurde die performative Umsetzung der gegenseitigen Ehrerweisung und damit der Anerkennung des Ranges institutionalisiert. Es galt deshalb nicht mehr zwingend, dass derjenige, der mit einem Kuss bedacht wurde, auch zum engeren Kreis gehörte. Diese Bedeutung hatte der Kuss nur in asymmetrischen Beziehungen und in Kontexten, in welchen er nicht verpflichtend war. Ein Kuss ausserhalb der salutatio konnte durchaus auch zwischen Standesgenossen individuelle Nähe signalisieren. Allerdings sind die Informationen hierzu zu spärlich, als dass verlässliche Aussagen getroffen werden können. Vorstellbar ist auch, dass der Kuss auf spezielle Situationen beschränkt blieb, wie es beispielsweise der Aufbruch zu oder die Rückkehr von einer längeren Reise darstellten.532 Was die alltägliche Form der 525

Lib. or. 2.6. So küssten auch die Bittsteller beim Statthalter dessen Kopf und Augen: Lib. or. 52.22. 527 Zum Kuss allgm. vgl. Sittl 1890, 36–43; 78–80; Kroll 1931; Alföldi 1970 [1934/1935], 40–42; Brown Pharr 1947; Thraede 2008; Hartmann 2016, 71–88. 528 Gemäss dem ius osculi sollten sich männliche und weibliche Verwandte in Rom täglich küssen, um sich so jeden Tag die Verwandtschaft vor Augen zu führen und inzestuöse Verbindungen zu verhindern. Vgl. Hartmann 2016, 74 f. 529 CTh 3.5.6 (335). Vgl. Brown Pharr 1947, 395. 530 Plin. nat. hist. 26.2–4 berichtet, wie sich eine «Kinnkrankheit» durch Küsse bei den römischen Eliten verbreitet habe. Diese Stelle wird grundsätzlich als Beleg für eine sich im ersten Jahrhundert etablierende Begrüssungspraxis gelesen. S. hierzu Hartmann 2016, 83 f. 531 Vgl. Badel 2007, 151 f.; Hartmann 2016, 78; 83 f. 532 So Kroll 1963 [1933], 187; Hartmann 2016, 75 in Bezug auf die späte Republik und die frühe Kaiserzeit. 526

3. Kommunikation unter Anwesenden

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Begrüssung war, ob sich die Leute die rechte Hand gaben, ob sie sich umarmten oder auch mit einem Kuss ihre Verbundenheit zum Ausdruck brachten, kann mangels Quellen nicht rekonstruiert werden. Libanius sprach primär dann über die Begrüssung, wenn sie eine Auszeichnung für ihn darstellte. So berichtete er seinen Korrespondenten, als er von einem Prätoriumspräfekten und einem comes Orientis geküsst wurde.533 Damit konnte er auf seine enge Beziehung zu den hohen Beamten verweisen. Dass Begrüssungen wichtig waren, um innerhalb der Stadt Beziehungen sichtbar zu machen, belegt nicht zuletzt Clemens von Alexandria, der diese Praxis für unvereinbar hielt mit christlicher Bescheidenheit.534 Naturgemäss kam auch dem kaiserlichen Kuss eine hohe Bedeutung zu. Von Kaiser Julian ist bekannt, dass er den Philosophen Maximus auf diese Weise ehrte.535 Besondere Aufmerksamkeit erhielten Begrüssungen, die im Rahmen des zeremoniell organisierten Ein- oder Auszuges eines Beamten stattfanden. Hohe Magistrate wurden beim Amtsantritt, aber auch bei der Durchreise oder Rückkehr von einer Dienstreise von den Bewohnern der Stadt vor den Mauern empfangen. Die führenden Männer der Stadt erwiesen den Beamten durch ihre Teilnahme am sogenannten adventus- oder profectio-Zeremoniell ihre Ehrerbietung, die einfache Bevölkerung drückte ihre Gunst oder Missgunst in Form von Akklamationen aus.536 Berichte über den Ablauf solcher Ein- oder Auszüge von Beamten – und natürlich auch Kaisern – verbreiteten sich rasch und waren für die Reputation der Betroffenen wichtig.537 So wusste Libanius, dass Modestus, dem Stadtpräfekten von Konstantinopel, der die Stadt wegen Unruhen kurzzeitig hatte verlassen müssen, bei seiner Rückkehr ein gebührender Empfang bereitet wurde: γενέσθαι δὲ τὸν κατάπλουν λαμπρὸν καὶ περίβλεπτον, ὡς πάντα μὲν ὄχλου, πάντα δὲ ἐπαίνου γέμειν· κεκρύφθαι δέ σοι τὸ ζεῦγος ὑπὸ τῶν ἅμα κρότῳ περικεχυμένων ἀνδρῶν.

533

Lib. ep. 561.4 (Strategius Musonianus); ep. 840.5 (Proclus). Clem. Alex. Paed. III 11.82.2. Vgl. hierzu III.3. 535 Lib. or. 18.155–156; Amm. Marc. 22.7.3–4. Vgl. hierzu auch Wiemer 1995b, 42. 536 Vgl. Liebeschuetz 1972, 208–218; MacCormack 1981; Dufraigne 1994; Badel 2009; Bérenger 2009; Mattheis 2014, 204–213. Für die Veränderungen des kaiserlichen adventus in der Spätantike siehe bes. MacCormack 1981, 17–89. Der Begriff adventus hat sich in der Forschung durchgesetzt, obwohl im Lateinischen wie auch im Griechischen keine einheitliche Terminologie für den Einzug/Empfang der Beamten vorhanden ist. Dasselbe gilt für die profectio, den Auszug. Vgl. Meister 2013, 37. 537 Auch der Kaiser wünschte über den Erfolg oder Misserfolg seiner Beamten informiert zu werden. Konstantin erliess eine entsprechende Verfügung (CTh 1.16.6). S. Matthews 1989, 405. 534

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II. Libanius

«Deine Rückkehr in die Stadt sei strahlend gewesen und allseits bewundert, da Menschenmassen dich umgaben und dein Lob in aller Munde war. Dein Gespann sei nicht zu sehen gewesen, umringt von der jubelnden Menge.»538 Ein solcher Empfang signalisierte die Unterstützung der lokalen Bevölkerung für den Amtsträger. Der consularis Syriae Lucianus versuchte sich einen erfolgreichen adventus gar zu erschleichen, indem er seine Absetzung verbarg, so dass die Bewohner erst bei seinem Eintreffen realisierten, dass seine Amtsinsignien fehlten.539 Ein adventus wurde üblicherweise im Vorfeld geplant, und die sozialen Eliten präsentierten sich bei diesem Anlass wie bei den Morgenbegrüssungen nach Rangklassen gruppiert.540 Der adventus war dabei nicht nur ein Akklamationsritual und eine Form der Herrschaftsinszenierung, sondern auch ein Instrument zur Performanz von Nahbeziehungen.541 Dabei inszenierte ein adventus nicht nur die Beliebtheit des Geehrten, sondern der Geehrte hatte wiederum die Möglichkeit, ausgewählte Teilnehmer zu ehren. Die philia zwischen dem Prätoriumspräfekten Strategius Musonianus und Libanius zeigte sich den Antiochenern auch hier, da Strategius den Libanius mit einem Kuss begrüsste.542 Nicht sonderlich erfreut war Libanius dagegen, als sich der consularis Syriae Severus vor dem comes Orientis in besonders enger Verbindung zu ihm zeigen wollte und ihn deshalb bei der Rückkehr von einer Reise öfter küsste als alle anderen.543 Möglicherweise konnte auch die Anzahl der Küsse gedeutet werden. Sicherlich beobachtbar war, wieviel Zeit beim adventus den einzelnen Personen gewidmet wurde. Diesbezüglich waren die Möglichkeiten zur Performanz von Nähe und Distanz vergleichbar mit der salutatio. Allerdings fanden die Ein- und Auszüge nicht hinter verschlossenen Türen statt. Es waren im Gegenteil Veranstaltungen, bei denen ein Grossteil der Bürger präsent war. Interaktionen in diesem Rahmen hatten deshalb eine grosse Breitenwirkung. Dies galt insbesondere für stark ver538

Lib. ep. 1367.4 (Übers. FK 48). Zu den Unruhen in Konstantinopel vgl. auch ep. 1368 sowie den Kommentar von Bradbury 2004b, 111 f. Zu Modestus vgl. PLRE I, 605–608 (Modestus 2). 539 Lib. or. 56. Zum adventus des Lucianus s. Seeck 1983 [1920]; Petit 1955, 224–230; Casella 2010; Mattheis 2014, 212–214. Zu Lucianus vgl. PLRE I, 516 f. (Lucianus 6); Petit 1994, 149 f. (Lucianus). 540 Vgl. Lib. or. 2.7. Zur Planung des adventus vgl. Mattheis 2014, 209 f. Zu Recht stellt er heraus, dass die Ausgestaltung des adventus in enger Absprache zwischen dem zu Empfangenden und den für die Zeremonie zuständigen Beamten der Stadt erfolgen musste. 541 Meister 2013, 33 macht diesen Aspekt des adventus stark. 542 Lib. ep. 561.4. 543 Lib. or. 57.9. Die Rede stellt eine Invektive gegen Severus dar; Libanius versuchte sich also im Nachhinein von ihm zu distanzieren. Vgl. den Kommentar von Casella 2010. Zu Severus vgl. PLRE I, 834 (Severus 14); Petit 1994, 230 (Severus XII).

3. Kommunikation unter Anwesenden

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tikale Beziehungen, die sonst wenig inszeniert werden konnten. So betreffen die ausführlichsten Schilderungen des Libanius die profectio des Caesars Gallus und den adventus von Kaiser Julian. Als der Auszug des Caesars Gallus im Sommer 354 bevorstand, war Libanius nervös. Er war erst kurz davor nach längerer Abwesenheit zum ersten Mal wieder nach Antiochia zurückgekommen. In dieser Zeit wurde er von einem anderen Sophisten der Magie beschuldigt. Der Ankläger hatte sich mit diesem schweren Vorwurf direkt an den damals in Antiochia anwesenden Caesar Gallus gewandt. Dieser entschied jedoch, über die Angelegenheit nicht selbst zu urteilen, sondern verwies den Kläger an den Provinzstatthalter. Daraufhin liess der Kläger die Anklage fallen, und es kam zu keinem Prozess. Libanius charakterisierte die Episode als Konkurrenzsituation zwischen zwei Sophisten. Solche Auseinandersetzungen finden sich in seiner autobiographischen Schrift mehrmals. Jedes Mal war ausschlaggebend, wie sich der Statthalter entschied. Dieser Fall war besonders brisant, da hier sogar ein Caesar anwesend war und entsprechend mehr auf dem Spiel stand. Libanius befürchtete, allein die gegenüber dem Caesar geäusserte Anschuldigung könnte dazu führen, dass dieser zu ihm auf sichtbare Distanz ginge: (99) ἐδόκει δὲ ὅμως ὁ βασιλεὺς ὑπὸ ψιλῆς τῆς αἰτίας φαυλότερόν με ἡγεῖσθαι καὶ τοῦτο πάντως ἐπιδείξειν προπεμπόμενος, οὐδὲ γὰρ βλέμματός με ἀξιώσειν. (100) ὁ δὲ ἐκ μέσων τῶν ἱππέων ἐπὶ τῆς τάφρου τὸ χεῖλος οὗπερ εἱστήκειν, τὸν ἵππον ἐξελάσας εἶδέ τε οἷον πρότερον ἐκέλευέ τε μὴ μέλλειν, ἀλλὰ μεμνῆσθαι τῆς Θρᾴκης. «99. Immerhin war zu befürchten, dass die blosse Verleumdung den Caesar gegen mich eingenommen habe und dass er dies, wenn ich ihm das Geleit gäbe, bestimmt würde merken lassen, indem er mich keines Blickes würdige. 100. Er aber trieb sein Pferd aus der Mitte der Reiter zum Rand des Grabens, wo ich stand, blickte auf mich wie früher und mahnte mich, nicht zu zögern, sondern an Thrakien zu denken.»544 Indem Gallus den Libanius während der profectio nicht ignorierte, sondern ihn persönlich ansprach, wusste Libanius und mit ihm alle anderen anwesenden Antiochener, dass die Anklage definitiv fallengelassen war. Das Verhalten des Gallus signalisierte jedoch keine besondere Nähe. Gallus reichte Libanius nicht die Hand, und er stieg auch nicht vom Pferd ab. Aber allein die Tatsache, dass Libanius zu dem Kreis der Personen gehörte, die nicht in der Masse untergin-

544

Lib. or. 1.99–100 (Übers. Wolf 1967).

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II. Libanius

gen, sondern persönlich angesprochen wurden, bedeutete bereits eine Ehrerweisung. Wie wichtig solche Symbole waren, zeigt auch Libanius’ spätere Stilisierung des Einzugs von Kaiser Julian in Antiochia aus dem Jahre 362. Es existieren aus Libanius’ Feder nämlich zwei Darstellungen dieses Ereignisses, die in zentralen Aspekten variieren, wie Hans-Ulrich Wiemer herausgestellt hat.545 Zunächst schildert Libanius die Ankunft des Kaisers in einem Brief an Celsus, den praeses von Kilikien.546 Libanius berichtet in diesem relativ zeitnah verfassten Schreiben, dass Julian ihn gar nicht erkannt hätte, wenn der Onkel des Kaisers, der damalige comes Orientis, nicht auf ihn aufmerksam gemacht hätte. Julian sei daraufhin stehengeblieben, habe seine Rechte ergriffen und ein paar Worte mit ihm gewechselt. Ganz anders klingt es in Libanius’ Autobiographie, die er mehr als eine Dekade später verfasste.547 Hier erkannte Julian den Libanius sofort und bat ihn gleich um eine Rede, indem er ihn fragte, wann er ihn denn hören könne. Die Stelle ist eindeutig nachträglich stilisiert, was sich auch dadurch zeigt, dass Libanius dem Julian in dieser Begrüssungsszene einen Spruch in den Mund legt, den Kaiser Marc Aurel zu dem berühmten Rhetor Aelius Aristides, einem grossen Vorbild von Libanius, gesagt haben soll.548 Libanius scheute nicht davor zurück, seine Stellung im Nachhinein zu schönen und wichtige Beziehungen für seine Selbstdarstellung zu nutzen. Dass Julian ihn – wenn auch nach Aufforderung – persönlich begrüsste und ihm die Hand reichte, war bereits eine kleine Auszeichnung. Andere Vertreter der paideia ehrte Julian jedoch deutlich mehr: Er lud sie persönlich an seinen Hof ein und begrüsste sie mit einem Kuss.549 Dagegen nahm sich die Begrüssung des Libanius bescheiden aus, so dass er sich in der Retrospektive offensichtlich entschied, sie etwas imposanter wirken zu lassen.

Zusammenfassung Wie die Ausführungen in diesem Kapitel gezeigt haben, war es im städtischen Raum unmöglich, nicht zu kommunizieren. Die Interaktionen orientierten sich an Regeln, welche die vertikale und horizontale Stratifizierung der Gesellschaft reflektierten. Dabei war die Kommunikation zwischen den sozialen Eliten gleichermassen von formalisierter und individueller Nähe oder Distanz geprägt. Die

545

Wiemer 1995b, 39–43. Lib. ep. 736 (in deutscher Übersetzung zitiert bei Wiemer 1995b, 40). Zu Celsus vgl. PLRE I, 193 f. (Celsus 3); Petit 1994, 62–65 (Celsus I). 547 Lib. or. 1.120. 548 Vgl. Wiemer 1995b, 40. 549 Wiemer 1995b, 42. 546

3. Kommunikation unter Anwesenden

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Begrüssung, aber auch die Intensität und Häufigkeit anderer Interaktionen wie Besuche, Einladungen zu Gastmählern und Begleitungen ins Bad informierten nicht nur die Beteiligten, sondern auch Aussenstehende über die Beziehung. Auch die Vermeidung jeglicher Kommunikation war ein deutliches Signal. Wurde dabei auf die Einhaltung von als höflich empfundenen Interaktionen wie eine standesgemässe Begrüssung verzichtet, so galt dies als klares Zeichen von Feindschaft. Beschränkte sich die Kommunikation darauf, dem anderen den Respekt zu erweisen, der ihm aufgrund seiner sozialen Stellung zustand, so bestand zwar keine philia, aber auch keine Feindschaft. Je nach Kontext und je nach Symmetrie oder Asymmetrie der Beziehung signalisierten unterschiedliche Interaktionen Nähe und Distanz. Ein Kuss beispielsweise hatte zwischen Gleichrangigen nicht dieselbe Aussagekraft wie ein Kuss zwischen Personen mit Statusgefälle. Im ersten Fall zeigte der Kuss, insbesondere wenn er während der salutatio ausgetauscht wurde, primär eine formalisierte Nähe an. Im zweiten Fall fand der Kuss trotz einer formalisierten Distanz statt und war deshalb Zeichen einer individuellen Nähe. Als zentraler Ort der Darstellung formalisierter Nähe wurden die salutationes bei Magistraten identifiziert. Die kaiserliche Gesetzgebung schrieb im vierten Jahrhundert zunehmend fest, wer in welcher Reihenfolge zugelassen wurde und wem das Anrecht auf die Begrüssung durch einen Kuss (osculatio) zukam. Den besuchten Beamten blieben nur wenige Möglichkeiten, um Freunde auszuzeichnen. Primär wurden bei den salutationes die sozialen Hierarchien performativ dargestellt. Sie spiegelten damit die formalisierte Nähe zwischen den Besuchern und dem Besuchten in gradueller Abstufung. Eine ähnliche Funktion kam den zeremoniell organisierten Ein- und Auszügen von Amtsinhabern zu, bei denen die städtischen Eliten ebenfalls in Rangklassen abgestuft teilnahmen. Im Gegensatz zur salutatio fand der adventus aber nicht hinter verschlossenen Türen statt. Vielmehr nahmen Angehörige verschiedener Bevölkerungsschichten an diesem Anlass teil. Graduelle Abstufungen in der Hierarchie wurden somit vor einem breiteren Publikum inszeniert. Zudem sind für den adventus keine Gesetze bekannt, die den Ausdruck individueller Nähe eingeschränkt hätten. Die Geehrten konnten durch die individuelle Form der Begrüssung einzelne Besucher auszeichnen. Für die Performanz individueller Nähe waren vor allem Besuche, Einladungen zu Gastmählern, Begleitungen ins Bad und Begrüssungen auf der Strasse wichtig. Hier ist auch zwischen horizontalen und vertikalen Beziehungen zu differenzieren. Bei Gleichrangigen war es ein Zeichen der philia, wenn viel Zeit zusammen verbracht wurde, man sich gegenseitig besuchte und gemeinsam auf der Strasse sowie in Bädern gesichtet wurde. In vertikalen Beziehungen wurde in der Regel die Hierarchie dadurch gewahrt, dass der Rangniedrigere den Ranghöhe-

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II. Libanius

ren aufsuchte. Dies war beispielsweise bei den eingangs geschilderten Besuchen von Libanius bei dem Prätoriumspräfekten Strategius der Fall. Auch der comes Orientis wurde normalerweise in seiner Residenz aufgesucht. Da die salutationes wenig über die individuelle Nähe aussagten, waren Besuche zu anderen Tageszeiten besonders wichtig. Ein Empfang bei einem Beamten ausserhalb der salutatio war ein exklusives Zeichen der philia. Auch räumlich wurden die verschiedenen Formen von Besuchen inszeniert: Ungeladene Gäste wurden im Erdgeschoss begrüsst, Freunde wurden im Obergeschoss empfangen. In den Quellen lässt sich zudem eine Steigerung von einer eisodos zu einer Einladung zum Gastmahl festmachen. Darüber hinaus war es eine besondere Auszeichnung, in das private Bad eines hohen Beamten zugelassen zu werden. Das hierarchische Gefälle zwischen dem consularis Syriae und einflussreichen städtischen Eliten war wiederum nicht so gross, dass Gegenbesuche undenkbar waren. Fanden Gegenbesuche statt, war dies ein Zeichen einer grösseren individuellen Nähe. Die Häufigkeit der Kommunikation wurde beobachtet: Signalisierte eine einmalige Einladung eine grundsätzliche Bereitschaft zur Freundschaft, war eine regelmässige Interaktion Zeichen einer gefestigteren philia. Diese erforderte jedoch eine kontinuierliche Bestätigung, und Veränderungen waren sofort deutbar. Die alltäglichen Interaktionen müssen immer im Zusammenhang mit den konkreten Anlässen gesehen werden, an welchen die Hierarchien inszeniert wurden. Erst wenn die Rangordnungen performativ erfahrbar waren, wurden auch Privilegien und besondere, auf philia begründete Auszeichnungen deutlich. Interaktionen, die eine besondere Nähe zu einflussreichen Magistraten symbolisierten, waren wichtig für die jeweilige soziale Stellung. Sie wurden zur Selbstdarstellung benutzt und in Reden oder Briefen wiedergegeben, damit ihre Sichtbarkeit nicht auf den lokalen Raum beschränkt blieb.

4. Kommunikation mit Abwesenden Im Jahre 364 schrieb Libanius an einen gewissen Pientius, welchen er zur Herrschaftszeit Kaiser Julians in Antiochia kennengelernt hatte. Wahrscheinlich hatte Pientius damals eine Funktion am Hof des Kaisers. Libanius erinnerte sich an gemeinsam verbrachte Gastmähler und die dabei geführten Tischgespräche, welche am Beginn ihrer Freundschaft standen. Nun hatte Pientius am Hof des Kaisers Valens ein nicht näher bekanntes Amt angetreten. Libanius freute sich über diesen Erfolg und versuchte, den Kontakt über die geographische Distanz hinweg per Brief fortzuführen:

4. Kommunikation mit Abwesenden

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σὺ δ’ ὅτι μέν με φιλεῖς, οἶδα· προσέστω δὲ τῷ φιλεῖν καὶ τὸ ἐπιστέλλειν, ἵνα σοι δοκῶμεν καὶ ἀπόντες συνεῖναι. τούτῳ γὰρ ἰσχύει τὰ γράμματα. «Dass du mich liebst, weiss ich. Es soll zum Lieben noch das Briefschreiben dazu kommen, damit wir dir auch als Abwesende anwesend erscheinen. Dies nämlich vermag der Brief.»550 Die Vorstellung, dass man über den Brief auch als physisch Getrennte zusammen sein kann, ist ein in antiken Briefen von Cicero bis in die Spätantike verbreiteter Topos. Der Brief konnte den Abwesenden vergegenwärtigen. Verwandt damit ist auch die Auffassung, dass der Brief ein Gespräch mit Abwesenden darstellte.551 Doch inwiefern konnte ein Brief die ausdifferenzierten sozialen Interaktionen zwischen Anwesenden ersetzen? Die Ausführungen in Kapitel II.3. haben gezeigt, wie spezifische Formen sozialer Interaktion die Beziehungen zwischen Angehörigen der sozialen und politischen Eliten im städtischen Raum regelten und für alle sichtbar machten. Die symbolische Kommunikation zwischen Anwesenden verdeutlichte dabei nicht nur den Beteiligten, sondern einem breiteren Kreis, in welchem hierarchischen und personalen Verhältnis sie zueinanderstanden. Nur wenn die Beziehung öffentlich war und sich beide Parteien durch ihre Handlungen dazu bekannten, konnte sie sich in Form von sozialem Kapital auf den Status der Beteiligten auswirken.552 Nicht immer befanden sich Freunde jedoch in der gleichen Stadt. Libanius pflegte zahlreiche Kontakte zu Personen in den unterschiedlichsten Regionen im Osten des Römischen Reiches. Mit manchen von ihnen traf er selten oder gar nie zusammen. Korrespondenz musste in diesen Fällen die persönliche Interaktion ersetzen.553 Vor dem Hintergrund der Beobachtungen in Kapitel  II.3. stellt sich die Frage, wie sichtbar Beziehungen zwischen räumlich getrennten Personen waren und wie in der Kommunikation mit Abwesenden Nähe und Distanz ausgedrückt wurden. Diesen Leitfragen entsprechend setzt sich dieses Kapitel mit den performativen Aspekten der brieflichen Kommunikation auseinander. In einem ersten Schritt werden die Bedingungen und Funktionen des Briefschreibens rekonstruiert (II.4.1.). Hier gilt es besonders darauf hinzuweisen, dass der Brief nicht nur aus dem Schriftstück bestand, sondern meistens auch noch eine vom Boten direkt überlieferte mündliche 550 Lib. ep. 1225.3. Zu Pientius vgl. Seeck 1906, 240; Petit 1994, 202; PLRE I, 701. Pientius ist nur aus diesem Schreiben bekannt. Falls es weitere Briefe gab, sind sie aufgrund der Überlieferungslücke im Korpus des Libanius nicht erhalten, s. S. 52. 551 Zu diesen Topoi im Brief vgl. Thraede 1970. 552 Vgl. zu diesen Themen ausführlich II.2.2. und II.3. 553 Dies ist ein wesentlicher Unterschied zur brieflichen Kommunikation zur Zeit eines Cicero, als der Gravitationspunkt der Aristokratie in Rom lag und die Korrespondenz nur als Ergänzung zur Face-to-Face-Interaktion zu betrachten ist. Vgl. hierzu Hall 2009, 16 f.

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II. Libanius

Nachricht umfasste. Kommunikation zwischen Abwesenden fand also nie nur zwischen zwei Personen statt, sondern integrierte zumindest noch den Boten. Da ein Teil der Informationsvermittlung aus dem eigentlichen Schriftstück ausgelagert wurde, konnte der Brief andere Funktionen übernehmen. In einem zweiten Schritt soll dann nach der Sichtbarkeit und den Möglichkeiten der bewussten Inszenierung von Briefkontakten gefragt werden (II.4.2.). In diesem Kontext verdienen insbesondere die Orte, an denen Briefe geschrieben, gesendet und empfangen wurden, grössere Aufmerksamkeit, als sie es bislang erhalten haben. Aber auch die Praxis des Vorlesens von Briefen soll betrachtet werden. Dabei interessieren vor allem Strategien, wie Abwesende in die Kommunikation mit Anwesenden integriert werden konnten, indem der Schreiber das Vorlesen des Briefes bereits antizipierte. Im Anschluss werden die Möglichkeiten, über das Medium des Briefes Nähe und Distanz auszudrücken, thematisiert (II.4.3.). Zum einen sollen hier Fälle untersucht werden, in welchen Konflikte zwischen den Korrespondenten greifbar werden. Wie wurde in brieflichen Kontakten dem Adressaten sowie einem weiteren Personenkreis Distanz signalisiert? Ich werde argumentieren, dass der Brief per se ein Symbol der Nähe war und Distanz deshalb nur durch demonstratives Nicht-Schreiben zum Ausdruck gebracht werden konnte. Zum anderen erlaubte der Brief über den Inhalt und die verwendete Sprache durchaus graduelle Abstufungen von Nähe. Im Gegensatz zur Kommunikation unter Anwesenden gibt uns der Brief auch Einblick in das, was gesagt wurde. Deshalb soll abschliessend auch ein kurzer Blick auf im Brief verwendete Ausdrucksweisen geworfen werden. Oftmals ist das Vokabular im Brief stark affektiv gefärbt, auch wenn sich die Personen kaum kannten. Es soll daher auch die Korrelation von affektiver Sprache und individueller Nähe betrachtet werden. Ich argumentiere, dass dem spätantiken Brief eine wichtige symbolische Funktion zukommt, indem er eine Verbindung zwischen zwei Personen sichtbar macht. Er ist damit vergleichbar mit anderen Formen sozialer Interaktion – wie Besuchen oder Begleitungen ins Bad – zwischen Angehörigen der römischen Oberschichten. Als materielle Manifestation von Beziehungen konnte der Brief strategisch in den zu sozialen Netzwerken gehörenden In- und Exklusionsprozessen eingesetzt werden. Diese These soll über die verschiedenen Abschnitte des vorliegenden Kapitels entwickelt werden.

4. Kommunikation mit Abwesenden

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4.1. Der Brief als multimediale und multifunktionale Kommunikationsform Die Byzantinistin Margaret Mullett bezeichnet das Briefschreiben als eine «multi-media experience where oral, visual and written elements combined in an expected ceremonial».554 Ihre Beobachtung beruht auf der Analyse von Quellenmaterial aus dem neunten und zehnten Jahrhundert, doch hat sie auch für die Spätantike Gültigkeit.555 Mullett weist zu Recht darauf hin, dass die uns erhaltenen Briefsammlungen nur einen Teil der schriftlichen Nachricht des Briefaustausches vermitteln.556 Zum Briefwechsel gehörten zusätzlich aber auch visuelle und mündliche Elemente, welche die schriftlichen komplementierten und welche heute gänzlich verloren oder nur noch in Ansätzen rekonstruierbar sind. Die Fülle an erhaltenen Briefsammlungen täuscht im ersten Augenblick darüber hinweg, dass wir eigentlich nur rudimentär über all das, was die Kommunikation mit Abwesenden ausmachte, informiert sind. Die Briefe sind – sofern sie nicht aus dem Wüstensand Ägyptens stammen – nur durch spätere Abschriften erhalten und haben in diesem Prozess viele Elemente ihrer ursprünglichen Botschaft eingebüsst. Abgesehen von möglichen Kürzungen und Änderungen im Text selbst,557 wäre hier zunächst die Anredeformel zu nennen, die in den Sammlungen oftmals auf den Namen des Empfängers im Dativ zusammengeschrumpft ist. Im Original beinhaltete sie aber auch den Namen des Senders sowie eine Floskel des Grusses, die je nach Adressat variierte und nach Belieben ausgeschmückt werden konnte.558 Falls auf dem Brief ein Datum stand, das dem Empfänger kenntlich machte, wie lange der Brief schon unterwegs war, wurde es in den Sammlungen ebenfalls weggelassen. Vor allem fehlen aber alle materiellen und visuellen Aspekte des Briefes. Die meisten Briefe, die zwischen Angehörigen der Oberschichten ausgetauscht wurden, waren auf Papyrus geschrieben. Für kurze Nachrichten fanden aber auch Wachstäfelchen Verwendung, in die der Empfänger seine Antwort gleich wieder

554

Mullett 1990, 185. Vgl. auch Stenger 2010, 32, der die Korrespondenz des vierten und fünften Jahrhunderts ebenfalls als einen «multimedialen Prozess» bezeichnet, da der spätantike Brief «in ein ganzes Ensemble aus Kommunikationsmedien» eingebunden sei. 556 Mullett 1990, 184. 557 Vgl. hierzu bereits II.1.2., S. 52 f. 558 Trapp 2003, 34–36 bietet eine kurze Zusammenstellung der üblichen griechischen und lateinischen Grussformeln. S. auch Zelzer 1997, 331 f. für die Kürzung der Anredeformen in den Abschriften. 555

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II. Libanius

eintragen konnte.559 Insbesondere für die Kommunikation innerhalb der Stadt werden diese Diptychen zum Einsatz gekommen sein.560 Solche Wachstäfelchen gab es in einfacher Ausführung in Holz; unter den Oberschichten beliebt waren jedoch auch kunstvoll geschnitzte Modelle aus wertvollem Elfenbein.561 Nicht immer kamen diese dann jedoch auch zum Sender zurück.562 Pergament wurde nur in Ausnahmefällen genutzt. Bei Libanius fehlen Hinweise auf die konkrete Materialität der Briefe, so dass davon auszugehen ist, dass meistens Papyri verwendet wurden. Auf der Aussenseite des Briefes wird der Name des Adressaten gestanden haben sowie möglicherweise einige Informationen zum genauen Aufenthaltsort, damit der Bote den Empfänger auch finden konnte. Aus Ägypten sind einige Briefe erhalten, auf denen gar eine kleine Karte aufgezeichnet war. Angehörige der sozialen Eliten waren in ihren Städten bekannt und entsprechend konnte ihr Wohn- oder Aufenthaltsort leicht erfragt werden, so dass hier dem Boten der Name der Ortschaft als Angabe wahrscheinlich genügte. Briefe waren üblicherweise versiegelt, um zu verhindern, dass sie von anderen gelesen wurden, und um ihnen ein Zeichen der Authentizität zu verleihen.563 Ein Erkennungsmerkmal konnte auch die Handschrift sein. Aufgrund des Schriftbildes wusste Libanius, dass ein Brief, den ein anderer gerade las, von seinem Freund Acacius stammen musste.564 Briefe konnten die individuelle Handschrift des Senders tragen, oder aber sie konnten vom Verfasser einem Sklaven diktiert worden sein, der dem Brief dann seine Schrift lieh. Der eigentliche Sen559 Für weitere gebräuchliche Materialien vgl. Rosenmeyer 2001, 22 f.; Trapp 2003, 6–10; Muir 2009, 13–18; Zelzer 1997, 328 f. sowie besonders die neue und ausführliche Studie von Sarri 2018. 560 Vgl. Lib. or. 51.11, wo er sich beklagte, dass gewisse Personen auf den Statthalter einwirkten, indem sie ihm Diptychen sandten. Mitteilungen, die über solche Wachstäfelchen innerhalb der Oberschichten einer Stadt ausgetauscht wurden, fanden ihren Weg in den allermeisten Fällen nicht in die Überlieferung, da dies keine Nachrichten waren, die in die Kopialbücher eingetragen wurden. 561 Libanius erhielt so ein Diptychon von einem Prätoriumspräfekten (Lib. ep. 1021). Auch Symmachus versandte elfenbeinerne Schreibtäfelchen als Geschenk. Vgl. hierzu Matthews 1974, 85 Anm. 125. Von Konsuln und anderen Magistraten wurden besonders kunstfertig ausgeführte Exemplare zum Amtsantritt versandt. Vgl. Delbrück 1929 und bes. Cameron 2013 mit weiterer Literatur. 562 Augustinus (Aug. ep. 15.1) hatte einmal ein solches Täfelchen aus wertvollem Elfenbein verwendet, das er dann allerdings wieder zurückfordern musste. In demselben Brief bezeichnet er die Verwendung von Pergament als Ausnahme, weil gerade kein Papyrus zur Verfügung stehe. Vgl. hierzu auch Rosenmeyer 2001, 22. 563 Zu Adressen auf der Aussenseite des Briefes vgl. Sarri 2018, 122 f. mit weiteren Hinweisen. 564 Lib. ep. 44.7.

4. Kommunikation mit Abwesenden

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der fügte am Schluss des Briefes vielleicht noch einen kurzen Gruss in seiner eigenen Hand hinzu.565 Die Verwendung der eigenen Handschrift wurde als Zeichen der Wertschätzung gedeutet. Als Kaiser Julian in Eile war, entschuldigte er sich bei Libanius, dass er den Brief diktiert und nicht selbst geschrieben hatte.566 Im Falle der Briefe des Julian wurde von den späteren Abschreibern jeweils vermerkt, wenn im Original die Grussformel am Schluss des Briefes in anderer Hand, sprich in der Schrift des Kaisers persönlich, verfasst war.567 Die Sorgfalt und die Individualität der Schrift in Kombination mit dem gewählten Material verrieten dem Empfänger bereits, zu welcher sozialen Schicht der Verfasser gehörte und in welchem Grade er von jenem geschätzt wurde. All diese materiellen Aspekte des Briefes sind heute verloren. Das Gleiche gilt für Geschenke, die manchmal zusammen mit dem Brief versandt wurden. Reden und Gedichte sowie Bücher wurden oft zwischen den Gelehrten ausgetauscht. Hin und wieder findet sich im Brief selbst eine Bezugnahme darauf. Aber auch Esswaren wie Olivenöl, Wein oder gar Tauben und Fische wurden versandt.568 Eine besondere Ehre stellte es dar, als der Prätoriumspräfekt Tatianus dem Libanius einen silbernen Kelch und ein elfenbeinernes Schreibtäfelchen schickte: Die wertvollen Gaben wurden herumgezeigt, und Libanius’ Bekannte eilten herbei, um ihm zu gratulieren.569 Alexandra, die Gattin von Libanius’ Freund Seleucus, sandte sogar Sklaven nach Antiochia. Sie tat dies nicht zum ersten Mal, da Libanius den Dank mit dem Hinweis verband, dass der Pädagoge seines Sohnes Kimon noch immer «Seleucus’ Sklave» genannt werde. Doch in seinem Dankesschreiben verlieh Libanius auch seiner Betrübnis Ausdruck, dass Alexandra dem Geschenk keinen Brief beigefügt hatte.570 Denn auch der Brief selbst galt als Geschenk.571 Amanda Wilcox hat den Brief deshalb zu Recht in einer neueren Studie auch unter dem Aspekt des Gabentausches unter Freunden betrachtet.572 Als kleiner literarischer Gruss zwischen Gebildeten hatte er sich an gewissen Stilnormen zu orientieren. Schon früh bildeten sich erste Brieftheorien aus, die in der Spätantike

565

Vgl. Lib. ep. 1223.1. Zum Wechsel der Handschrift im Gruss bei Papyrus-Briefen aus Ägypten vgl. das Beispiel bei Stowers 1986, 61. 566 Jul. ep. 96 (W 22). 567 Vgl. z. B. Jul. ep. 11 (W 17). Zur Bedeutung der Handschrift allgemein vgl. z. B. Lendon 1997, 49; Stenger 2010, 33. 568 Vgl. z. B. Lib. ep. 34 (Olivenöl); 1537 (Tauben); Hier. ep. 22 (Kirschen, Schmuck). 569 Lib. ep. 1021.1–2. Vgl. hierzu auch Lendon 1997, 217. 570 Lib. ep. 734.3. Zu Alexandra vgl. PLRE I, 44 (Alexandra) und zu Seleucus PLRE I, 818 f. (Seleucus 1). 571 Demetrius Eloc. 224. 572 Wilcox 2012. Zum Gabentausch unter Freunden vgl. auch die Ausführungen in II.2.1.

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II. Libanius

florierten.573 Auch in den Briefen selbst finden sich Hinweise auf die Regeln der Epistolographie und deren Brüche. Insbesondere die richtige Länge von Briefen wird immer wieder thematisiert, meist verbunden mit scherzhaften Beschwerden über zu lange oder zu kurze Briefe.574 Ein Brief durfte nicht zu lang und sollte stilistisch ansprechend verfasst sein. Dies bedeutet, dass im Brief kein Platz für ausführliche Schilderungen von Neuigkeiten war. Zudem gab es Nachrichten, die man aus Gründen der Sicherheit dem Brief nicht anvertrauen wollte, da dieser auf dem Weg leicht abhandenkommen und in falsche Hände gelangen konnte. In diesen Fällen sprang der Briefbote ein, der die schriftliche Nachricht mündlich ergänzte. Auf diese Funktion des Boten wird in den Briefen selbst mehrfach hingewiesen.575 So schliesst Libanius einen Brief an seinen Freund Aristaenetus mit den Worten: ταυτὶ μέν σοι παρ’ ἡμῶν· εἰ δ’ ἄχρι τῶν σμικροτάτων ἡδέως ἂν εἰδείης, τὸν οὐδὲν ἀγνοοῦντα Γυμνάσιον ἐγγὺς ἔχεις. «Soviel nun von meiner Seite für dich. Wenn du aber gern bis ins kleinste Detail Bescheid wissen möchtest, so hast du Gymnasius bei dir, denn es gibt nichts, was er nicht weiss.»576 Und auch den Heermeister Richomer verwies Libanius für seine persönlichen Angelegenheiten an den Boten Palladius. Er wollte nicht im Brief ausführlich auf den kürzlich erlittenen Verlust seines Sohnes eingehen, vielmehr sollten diese Ereignisse dem Richomer über die Stimme des Palladius kundgetan werden.577 Der Bote überbrachte also nicht nur den Brief, sondern ergänzte unter Umständen den Briefinhalt auch noch wesentlich. Synesius bezeichnet den Boten des-

573 Zu antiken Brieftheorien vgl. die Zusammenstellungen in Malherbe 1988; Trapp 2003 und Fögen 2018. Unter Libanius’ Name ist ebenfalls eine Brieftheorie erhalten, die jedoch frühestens aus der zweiten Hälfte des fünften Jahrhunderts stammt und somit eine spätere Zuschreibung darstellt. Vgl. Trapp 2003, 323. Zum Briefstil in der Antike allgm. vgl. Koskenniemi 1956; Thraede 1970; Trapp 2003; Poster 2007. 574 Vgl. z. B. Lib. ep. 81; 369; 399; 561; 580. 575 Vgl. z. B. Lib. ep. 438; 504.4; 561.2; 1024.4; 1061; 1429.6. S. auch die Ausführungen von Fatouros/Krischer 1980, 224–226. 576 Lib. ep. 504.6. Als sich dieser Aristaenetus daraufhin über die zu kurzen Briefe des Libanius beklagte, rechtfertigte sich jener mit dem Verweis auf den Briefboten: τότε οὖν συνέστελλέ μοι τὴν ἐπιστολὴν ὁ φέρων τὴν ἐπιστολὴν ἔχων ἀγγεῖλαί σοι τὰ ἡμέτερα ἀκριβῶς· εἰ δὲ ἐγὼ διηγούμην, ὑβρίζετο ἂν ὁ φέρων. (ep. 561.2) – «Der Brief von damals aber ist kürzer ausgefallen wegen des Überbringers, der dir alles über mich genau erzählen konnte. Wenn ich dir ausführlich berichtet hätte, so hätte das den Überbringer gekränkt.» (Übers. FK 23). Zur Beziehung zwischen Libanius und Aristaenetus vgl. auch II.2.2., S. 84 f. 577 Vgl. Lib. ep. 1024.4. Zu Richomer vgl. PLRE I, 765 f. (Flavius Richomeres).

4. Kommunikation mit Abwesenden

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halb als den zweiten, lebendigen Teil des Briefes.578 Dadurch konnte der Brief, der an sich schon in der Definition des Demetrius als «halber Dialog» galt, weiter komplementiert werden.579 Der Briefempfänger kam also oftmals in den Genuss einer multimedialen Nachricht. Neben den materiellen Elementen ist auch der mündliche Teil der Nachricht heute verloren. Da dem Briefboten eine wichtige und vertrauensvolle Aufgabe zukam, musste er mit Bedacht gewählt werden. Libanius entschuldigte sich in einem Brief, nicht geschrieben zu haben, weil kein geeigneter Bote zur Verfügung gestanden habe, und er nicht wollte, dass der Adressat einen Unwürdigen verköstigen müsse.580 Es war folglich durchaus üblich, dass der Adressat, insbesondere wenn er etwas abseits wohnte, dem Boten Kost und Logis anbot und sich deren Interaktion nicht nur auf den Moment der Übergabe beschränkte. Wen man als Bote wählte, hing vom Anlass des Schreibens und den Möglichkeiten ab. Für Geschäfte und Kontakte in den Nachbarstädten und -provinzen wurden teilweise Sklaven oder bezahlte Boten eingesetzt. In diesen Fällen konnten die Boten allfällige Antwortschreiben gleich wieder mitnehmen.581 Oftmals wurden Briefe jedoch einfach Reisenden mitgegeben, die auf dem Weg zu ihrem Ziel an verschiedenen Orten vorbeikamen. Es musste aber immer jemand gefunden werden, der die entsprechende Strecke bereiste und dem man einen Brief anvertrauen konnte. Ein zu überbringender Brief konnte für die Reisenden selbst eine willkommene Möglichkeit sein, um in einer fremden Stadt schnell Bekanntschaften zu schliessen und in den Genuss einer Übernachtungsmöglichkeit zu kommen. Nicht selten waren es auch die Reisenden selbst, die um Briefe gebeten hatten. Mit Hilfe von Empfehlungsschreiben an einflussreiche Persönlichkeiten vor Ort erhofften sie, ihre Angelegenheiten schneller zu erledigen. Reisen war ein langwieriges und beschwerliches Unterfangen. Veränderte Wetterverhältnisse konnten Wege blockieren und den Reisenden zwingen, vom Schiff- auf den Landweg zu wechseln oder umgekehrt. Privilegiert war, wer im Dienste des Kaisers reiste und den cursus publicus benutzen konnte.582 Berechtigungsscheine, welche die Benutzung dieses offiziellen Transportweges erlaubten

578

Syn. ep. 85. Vgl. hierzu auch Mullett 1990, 181. Demetrius Eloc. 223. Zum Thema des Briefes als die eine Hälfte eines Gesprächs oder «halber Dialog» vgl. Fatouros/Krischer 1980, 227–229; Norman 1992 (Vol.  1), 21 f. und Thraede 1970, 146–150. 580 Lib. ep. 704. 581 Vgl. z. B. Lib. ep. 568, die von Libanius’ Sklaven in eine Nachbarsprovinz gebracht wurde. S. zu diesem Brief auch II.2.1. In ep. 650.1–2 und 661.2 beschwerte sich Libanius gegenüber Fortunatianus, dass dessen Sklaven seinen Antwortbrief nicht gleich mitgenommen hätten und ihn somit als unzuverlässigen Korrespondenten erscheinen liessen. 582 Zum cursus publicus vgl. Kolb 2000; Lemcke 2016. 579

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II. Libanius

und auch die Nutzung von Transporttieren und kostenlosen Unterkünften mit einschlossen, waren sehr begehrt.583 Als Boten fungierten deshalb oft Personen, die von Amts wegen zwischen verschiedenen Städten hin- und herreisten. Das Senden eines Briefes blieb jedoch eine unberechenbare Angelegenheit: Der Bote konnte unterwegs krank werden, kurzfristig auf dem Weg aufgehalten oder gar ausgeraubt werden, und er konnte seine Route ändern, so dass der Brief mit viel Verspätung oder gar nicht ankam. Für diese Fälle führte Libanius sein Kopialbuch, das es ihm erlaubte, einen Brief zur Not noch einmal abzuschicken.584 Die Anlässe für das Briefschreiben konnten vielfältig sein. Es finden sich unter anderem Trostschreiben, Einladungen zu Festen, Glückwünsche zu Amtsantritten, Berichte an Väter über den Fortschritt ihrer Söhne in der Schule, Freundschaftsbekundungen, Bitten um Gefälligkeiten und Empfehlungsschreiben. Fragt man nach der Funktion der Briefe, so eignet sich eine solche Klassifizierung oder Typologisierung nach dem Inhalt des Briefes, wie sie teilweise in antiken Brieftheorien vorgenommen wurde und wie man sie auch in modernen Anthologien findet, nur beschränkt als Analyseinstrument.585 Vielfach wurde nicht geschrieben, weil eine dringende Nachricht übermittelt werden musste, sondern einfach, weil sich die Möglichkeit dazu bot, da gerade jemand in der Stadt war, der in die Region eines Freundes reiste. So schrieb Libanius an den comes rerum privatarum Caesarius, weil er zufällig erfuhr, dass ein Bote Briefe für ihn mitnahm.586 Im Brief selbst legte er ausführlich dar, wie es dazu kam: Er war gerade beim Statthalter Celsus zu Besuch, als dort ein Sklave mit der Nachricht eintraf, dass ein gewisser Dius von Celsus einen Brief an Caesarius erbitte. Offenbar wollte Dius ein Schreiben, möglicherweise dienstlicher Natur, bei Celsus abholen. Libanius drückte dann gegenüber Dius sein Bedauern aus, dass er nicht gewusst habe, dass er zu Caesarius reisen würde, weil er, wenn er es gewusst hätte, selbst gerne geschrieben hätte. Dius bot ihm dann an, seine Abreise vom späten Abend in den frühen Morgen zu verschieben, so dass er dem Caesarius doch noch schreiben konnte. Dieses Angebot nahm Libanius gerne an, und so sei er nun, nach dem Abendessen, mit dem Schreiben eben dieses Briefes beschäftigt. Dass er selbst, so Libanius weiter, keinen Brief von Caesarius erhalten hatte, erstaune ihn nicht. Er wisse schliesslich, wie viel er zu tun habe. Ihm genüge es, wenn er wisse, dass er als Freund gelte. – Hatte der Bote 583

Vgl. Symm. ep. I.21: Symmachus dankte Ausonius dafür, dass er ihm vier solcher autorisierter Scheine zugesandt hatte, die zur Nutzung des cursus publicus berechtigten. Zur Begrifflichkeit und zur Organisation des Nutzungsrechtes vgl. Kolb 2000, 71–122. 584 Vgl. zum Kopialbuch bereits die Ausführungen in II.1.2., S. 52 f. 585 Stowers 1986 sowie auch Trapp 2003 gliedern die Briefe nach inhaltlichen Kriterien. 586 Lib. ep. 1113. Zu Caesarius vgl. PLRE I, 168 f. (Caesarius 1) und Petit 1994, 56 f. (Caesarius IV).

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für diese kurze und auf den ersten Blick banale Notiz des Libanius seine Abreise hinausgezögert?587 Die Bedeutung eines solchen Schreibens lässt sich erst erfassen, wenn man den Brief als multimediales und multifunktionales Kommunikationsmedium betrachtet. So ist darauf hinzuweisen, dass auch in diesem Fall höchstwahrscheinlich ein Teil der Nachricht mündlich vermittelt wurde. Libanius wird nicht die ganze Nacht damit verbracht haben, ein paar Zeilen zu formulieren. Der Bote musste also kaum auf die Fertigstellung des Briefes warten und deswegen seine Abreise hinauszögern. Viel eher wird er sich noch mit Libanius und dem Gastgeber unterhalten haben, so dass er dem Caesarius wohl einiges mehr an Informationen zu übermitteln hatte, als in dem kurzen Schreiben standen. Ein Brief zielte überdies nie darauf ab, nur zu informieren, sondern erfüllte immer mehrere Funktionen. Antony Littlewood hat die Multifunktionalität spätantiker Briefe prägnant zusammengefasst: «Virtually every Byzantine letter was intended to be a piece of literary art, to fulfil the obligations of friendship or to convey information. Most letters combined two or even all three functions […].»588 Dem Brief kam folglich eine rhetorisch-literarische, eine soziale und eine informative Funktion zu. Wie soeben ausgeführt, musste dabei die informative Funktion, die im Falle von Empfehlungs- oder Bittschreiben auch einen informativ-appellativen Charakter annehmen konnte, nicht zwingend im Brief selbst ausgedrückt werden, sondern konnte auch vom Boten übermittelt werden. In Bezug auf die literarisch-ästhetische Komponente hat Littlewood betont, dass dieser Aspekt nachgerade ein Überlieferungskriterium darstellte und deshalb in den uns bekannten Briefsammlungen immer vorhanden ist. Adolf Deissmann hatte die literarische Gestaltung eines Briefes zum Kriterium der Unterscheidung zwischen «echten», «unliterarischen» Briefen und literarisch stilisierten, «unechten» Episteln gemacht. Während erstere nur für den Adressaten bestimmt seien, hätten letztere ein breiteres Publikum anvisiert.589 Die Unzulänglichkeit dieser Dichotomie ist inzwischen hinlänglich herausgestellt worden.590 Briefe eines Libanius oder eines Symmachus haben einen literarischen Anspruch und sind auch im Hinblick auf eine spätere Publikation geschrieben worden; sie sind aber auch «echte» Briefe in dem Sinne, dass sie tatsächlich ver587 Vgl. den Kommentar von Bradbury 2004b, 77 f.: «The courier Dius must wait through the night for this letter that merely recounts the circumstances of its composition. There is no news per se in it at all.» 588 Littlewood 1976, 201. 589 Deissmann 1923, 193–196. 590 Vgl. v. a. die Kritik bei Thraede 1970, 1–4 und Stowers 1986, 17–20. Bereits Sykutris 1931 hat das Deissmann’sche Modell modifiziert. Für einen Forschungsüberblick vgl. Conring 2001, 17–22.

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II. Libanius

schickt wurden. Zu Recht hat Klaus Thraede betont, dass das, was von Deissmann als «Mischgattung» geschmäht wurde, wohl den Charakter des Briefes, wie er zwischen Angehörigen der sozialen Eliten ausgetauscht wurde, am ehesten traf: «[D]ie Gebildeten kannten aus Theorie und Praxis als Inbegriff der Epistolographie den Typus des kultivierten Freundschaftsbriefes, weder ‹rein› literarische Form noch ‹rein› sprudelnde Natürlichkeit, sondern persönlich gefärbte Konvention und gesellschaftlich stilisierte Individualität.»591 Der Brief galt, wie bereits herausgestellt wurde, als Geschenk und sollte den Adressaten auch in ästhetischer Hinsicht erfreuen. Zudem transportierte die literarisch-ästhetische Stilisierung des Briefes weitere wichtige Informationen: Sie kennzeichnete den Sender als Angehörigen der gebildeten sozialen Elite und evozierte in Form von literarischen Anspielungen auch eine gemeinsame paideia. Über den Brief versicherten sich die Korrespondenten der Zugehörigkeit zum Kreis der Gebildeten.592 Diese Form der Kommunikation war exklusiv: Es konnten nur diejenigen daran partizipieren, die die kulturellen Codes kannten und über die entsprechende Schulbildung verfügten. Während die informative und die literarisch-ästhetische Funktion eines Briefes mal mehr, mal weniger ausgeprägt sein konnte, war die soziale Funktion stets vorhanden, da der Brief immer eine Beziehung zwischen Sender und Adressat herstellte. Schon in der antiken Brieftheorie wurde der Brief deshalb eng mit Freundschaft assoziiert: Als kurzes Zeichen freundschaftlicher Gesinnung bezeichnet Demetrius den Brief.593 Briefschreiben gehörte zu den in Kapitel II.2. herausgearbeiteten Konventionen antiker Freundschaft. Oder wie Libanius sich ausdrückt: Briefschreiben war τὸ τῇ φιλίᾳ πρέπον, das für die Freundschaft Gebührende.594 Auch Symmachus bezeichnet das Briefschreiben als officium und als religio amicitiae.595 591

Thraede 1970, 3. Dies hat die Forschung mehrfach hervorgehoben, vgl. z. B. Rebenich 1992; Mratschek 2002; Gemeinhardt 2007, 184–187; Schröder 2007; Stenger 2010, 38; Ebbeler 2010. S. auch Bruggisser 1993, 3: «La perfection technique du message est par conséquent elle aussi message: il s’agit, pour l’épistolier, de signifier à son correspondant son statut, de faire connaître à son entourage son rang et sa culture […]. La lettre est ainsi un signe de reconnaissance, un moyen pour l’individu de revendiquer et d’afficher son appartenance à un groupe socialement élevé: elle est un signe de classe, voire de caste.» 593 Demetrius Eloc. 232. Vgl. auch Trapp 2003, 183. 594 Lib. ep. 836.2: πράττω δὴ τὸ τῇ φιλίᾳ πρέπον καὶ ἐπιστέλλω πιστεύων ὅτι με μιμούμενος ἀντεπιστελεῖς. 595 Zum Briefschreiben als officium vgl. allgm. Hellegouarc’h 1963, 156 sowie bes. Bruggisser 1993, 4 mit zahlreichen Belegen zu Symmachus in Anm. 3. Zu den religiones, quibus iure amicitia confertur, vgl. Matthews 1974, 81 und Matthews 1975, 5 mit Verweis auf Symm. ep. III.2 und VII.129. 592

4. Kommunikation mit Abwesenden

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Gehen wir nochmals zurück zu dem bereits zitierten Brief an Caesarius. Libanius’ ausführliche Schilderung der Art und Weise, wie er dazu kam, einen Brief an Caesarius zu schreiben, zeigte vor allem, dass er schrieb und dabei keine Mühen scheute, obwohl er selbst von Caesarius keinen Brief erhalten hatte. Zwischen den Zeilen erinnerte Libanius den Adressaten daran, dass es sich für Freunde eigentlich gehörte, sich zu schreiben, wenn die Möglichkeit dazu bestehe. Mit seinem Brief demonstrierte er, dass ihm die Beziehung zu Caesarius wichtig war. Auch auf den ersten Blick banale oder inhaltsarme Briefe erfüllten eine wichtige Funktion in der Kommunikation der Eliten: Sie hielten Freundschaftsbeziehungen am Leben.596 Da diese Briefe oftmals sich selbst und die mit Freundschaft verbundenen Regeln zum Thema haben, hat John Matthews in Bezug auf Symmachus die Korrespondenz pointiert als «a museum of late Roman amicitia» bezeichnet.597 Die Briefe erfüllten ihre Funktion besonders gut, wenn sie vage genug waren, um über allfällige Differenzen hinwegzusehen, und persönlich genug, um eine philia oder amicitia zu pflegen.598 In einem jüngeren Beitrag hat Jan Stenger die Frage der Funktion von inhaltsarmen Briefen nochmals neu aufgegriffen. Er betrachtet den Brief dabei als Ereignis und als Objekt und lenkt den Blick hierbei auch auf den Moment des Empfangs. Der Moment der Übergabe eines Briefes wurde von antiken Autoren oftmals als Ereignis stilisiert, das den Alltag durchbrach. Stenger hat zu Recht herausgehoben, dass diese Schilderungen dazu gedacht waren, dem Adressaten die Freude über den Brief mitzuteilen und ihn damit zu ehren.599 An diese Beobachtungen soll im Folgenden angeschlossen werden, wenn in einem ersten Schritt nach der Sichtbarkeit und der Performanz brieflicher Beziehungen im städtischen Raum gefragt wird. Insbesondere Empfangsszenen im Brief geben nicht nur wertvolle Hinweise über die Integration des Abwesenden über das Medium des Briefes in die Interaktionen der Anwesenden, sie stellen oftmals auch raffinierte Strategien der Netzwerkbildung dar.

596

Thraede 1970, 185 hat deshalb den sogenannten «Freundschaftsbrief» als «den Briefstil par excellence» bezeichnet. Vgl. auch Gillett 2012, 830: «If there is a single, overarching function of the individual letters in the great collections, it is […] the creation and maintenance of amicitia.» 597 Matthews 1974, 62. 598 Vgl. hierzu Matthews 1974, passim. 599 Stenger 2010, 34.

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II. Libanius

4.2. Sichtbarkeit und Inszenierung brieflicher Beziehungen Sichtbarkeit des Brieferhalts im städtischen Raum Libanius war gerade beim Unterricht, als die Ankunft eines Briefboten den Schulbetrieb störte. Es war nicht irgendein Brief, der ihm überbracht wurde: Kein Geringerer als der römische Senator Quintus Aurelius Symmachus, ehemaliger Stadtpräfekt von Rom und Konsul, war der Absender.600 In seinem Antwortschreiben schilderte Libanius den Moment des Empfangs und verlieh der Freude Ausdruck, die er dabei verspürt hatte: (2) τῆς τοίνυν ἡμέρας προελθούσης εἰς ὥραν τρίτην ὄντων τε ἡμῶν ἐν μέσοις τοῖς πόνοις Κοδράτος ὁ βέλτιστος, ὁ μακάριος – πῶς γὰρ οὐ μακάριος ὁ σοὶ συνδιατρίψας; – εἰσελθὼν ὡς ἐμὲ τίθησιν εἰς χεῖρά μοι τὴν ἐπιστολὴν τοῦτ’ αὐτὸ λέγων, ὅτι σή. (3) καὶ παραχρῆμα πᾶν τὸ λυποῦν ἔφευγε, – πολλὰ δὲ ταῦτα ἦν πολὺν ἤδη χρόνον ἐγκείμενά τε καὶ ὀδυνῶντα – καί μέ τις εἶχεν ἡδονὴ μείζων τῆς ἐν τοῖς φιλοχρημάτοις γιγνομένης, ὅταν ἔλθῃ ποθὲν αὐτοῖς χρήματα. (4) καὶ ταυτὶ μὲν πρὸ τῆς ἀναγνώσεως·[…]. «2. Und als dann der Tag vorrückte bis zur dritten Stunde, und wir mitten in der Arbeit waren, da trat der treffliche Kodratos ein, der glückliche – denn wie sollte er nicht glücklich sein, da er mit dir vertrauten Umgang hatte? –, und legte mir den Brief in die Hand, von dem er nur sagte, dass er von dir komme. 3. Im Augenblick war aller Kummer verflogen – der aber war reichlich vorhanden und hatte mir lange Zeit zugesetzt und mich gepeinigt – und eine Freude überkam mich, grösser als sie einem Geldgierigen zuteil wird, wenn er irgendwie zu Geld kommt. 4. Dies alles, noch ehe der Brief vorgelesen wurde. […].»601 Dass der Erhalt eines Briefes Kummer und Sorgen vertrieb und Freude bereitete, ist ein verbreitetes Motiv und kann geradezu als Brieftopos bezeichnet werden, wie Jan Stenger unlängst herausgearbeitet hat.602 Von Interesse für die Frage der Sichtbarkeit von brieflichen Beziehungen sind Passagen, welche die Umstände des Brieferhalts schildern und damit Aufschluss geben über den Ort der Übergabe sowie allfällig anwesende Personen. Libanius wurde oftmals in seiner Schul-

600 Zu Symmachus vgl. PLRE I, 865–871 (Symmachus 4). S. auch Matthews 1975, 1–31 und Sogno 2006 zur politischen Karriere. 601 Lib. ep. 1004.2–4 (Übers. nach FK 63). Der Brief des Symmachus, auf den sich Libanius hier bezieht, ist leider nicht erhalten. 602 Vgl. Stenger 2010, 33–35 mit zahlreichen Belegen.

4. Kommunikation mit Abwesenden

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stube aufgesucht, die im bouleuterion sehr zentral gelegen war. Der Erhalt eines Briefes stellte dann einen Anlass dar, um den Unterricht kurz zu unterbrechen. Oft las Libanius seinen Schülern das erhaltene Schreiben auch gleich vor, um ihnen die Kunst des eleganten Briefstils an einem Beispiel vorzuführen und damit auch den Verfasser zu ehren.603 Da Libanius einen Grossteil des Tages in seiner Schule verbrachte, war er hier für die Boten gut zu finden. Andere Briefe wurden Libanius aber auch zuhause übermittelt.604 Potentiell konnte ein Brief überall dort übergeben werden, wo der Bote und der Empfänger zusammentrafen. Einmal war Libanius beispielsweise mit seinem Freund Olympius in Daphne, einem bei der Oberschicht beliebten Vorort von Antiochia, spazieren, als ihnen ein Mann zu Pferd mit grossem Gefolge auffiel. Sie sprachen den Ankömmling an, der, wie sich herausstellte, aus Phönikien stammte und auch mehrere Briefe für Libanius mitführte.605 Während der Regierungszeit von Julian kam es auch vor, dass Libanius ein Brief im kaiserlichen Palast ausgehändigt wurde.606 Je bekannter der Adressat war, umso einfacher war es für den Überbringer, ihn in der Stadt aufzuspüren. Als beliebter Treffpunkt war jedoch insbesondere der Marktplatz ein idealer Ort zur Übergabe von Briefen.607 Hierhin eilte man auch, wenn man vernommen hatte, dass ein Besucher mit Briefen in der Stadt eingetroffen war. Als ein Bote des Themistius in Antiochia war, ging Libanius zur agora und wunderte sich dort, dass es keinen Brief für ihn gab. Es stellte sich jedoch heraus, dass der Überbringer jemanden zu ihm nach Hause geschickt hatte, während Libanius bereits auf dem Weg zum Marktplatz war.608 Diese Beispiele machen bereits deutlich, dass die Ankunft von Besuchern in Antiochia nicht unbemerkt blieb und es sich innerhalb der städtischen Elite schnell herumsprach, für wen es Briefe gab. Die Übergabe von Briefen fand üblicherweise nicht im Geheimen statt, sondern vor den Augen Dritter, oftmals sogar auf öffentlichen Plätzen wie der agora. Der öffentliche Empfang von Briefen bedeutete, dass auch brieflichen Kontakten per se eine gewisse Sichtbarkeit im städtischen Raum zukam. Auch der Akt des Briefschreibens musste nicht zwingend hinter verschlossenen Türen stattfinden. Von Amtsinhabern zumindest ist bekannt, dass sie auch

603

Vgl. z. B. Lib. ep. 128.3; 695. Lib. ep. 66; 509. Vgl. auch Lib. ep. 255, wo sich Libanius ausmalt, dass sein Kollege Eudaemon seinen Brief ebenfalls entweder während des Unterrichts oder zuhause während des Essens erhält. 605 Lib. ep. 1221.2–3. 606 Lib. ep. 779.2. 607 Vgl. z. B. Lib. ep. 88; 1480. 608 Lib. ep. 66. 604

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II. Libanius

auf Marktplätzen und im Gehen Briefe lasen und diktierten.609 Dadurch wurde die eigene Wichtigkeit zur Schau gestellt, die an der Anzahl der Briefe und der zu entscheidenden Geschäfte abgelesen werden konnte. Es ist gut möglich, dass auch Privatleute ihre Briefe nicht nur an öffentlichen Plätzen lasen, sondern auch schrieben und dem Boten überreichten. Von Libanius wissen wir, dass er durchaus auch einmal im Bad einen Brief an den Boten übergeben konnte.610 Da Libanius diesen Umstand im Brief selbst festhielt, hatte er offenbar auch seine Antwort im Bad verfasst. Ein andermal schrieb er einen Brief in der Residenz des consularis Syriae, da er dort zum Gastmahl eingeladen war, als plötzlich ein Bote eintraf, um Briefe abzuholen.611 Ein Schreiben, das man versandte, zeigte, wen man persönlich zu kontaktieren wagte. Gerade bei hochrangigen Personen bedeutete dies aber keineswegs, dass eine Beziehung bestand.612 Es wurde nur der Wunsch nach einer Beziehung signalisiert. Anders verhielt es sich bei den empfangenen Briefen. Diese Briefe waren der materielle Beweis für die Existenz der Beziehung mit einem abwesenden Freund. Der Empfänger konnte die Umstände des Brieferhalts und damit auch dessen Sichtbarkeit allerdings nur bedingt steuern. Es gab jedoch weitere Möglichkeiten, um die Visibilität von brieflichen Kontakten zu erhöhen. Insbesondere das Weiterreichen und Vorlesen von Briefen gehörten zu den gängigen Praktiken, die auch der Inszenierung von Beziehungen dienten.

Vorlesen und Weiterreichen von Briefen Die Kenntnis eines Briefes von einem so bedeutenden Mann wie Symmachus wollte Libanius nicht auf den Kreis seiner Schüler, die beim Empfang anwesend waren, beschränkt wissen. Libanius liess Symmachus’ Schreiben ins Griechische übersetzen – des Lateinischen waren er und wohl auch zahlreiche seiner Mitbürger nicht mächtig613 – und engagierte Freunde, um den Inhalt des Briefes in der ganzen Stadt zu verbreiten: (4)  καὶ ταυτὶ μὲν πρὸ τῆς ἀναγνώσεως· ἤδη δὲ ἑρμηνέως τυχούσης δεινὸν ἡγησάμην, εἰ μὴ τὴν πόλιν ἐμπλήσαιμι τοῦ δώρου τῆς Τύχης, καὶ παραδοὺς τρισὶ τῶν φίλων τὴν ἐπιστολὴν ἐκέλευον πᾶσαν ἐπιόντας τὴν πόλιν τοῖς ἡδέως 609

Eus. hist. eccl. 7.30.6–17 berichtet von einem Bischof, der dieses Gebaren übernahm. Vgl. Lib. ep. 650.3. 611 Lib. ep. 1113. Es handelt sich hier um den weiter oben, S. 152, besprochenen Brief an Caesarius. 612 Vgl. II.1.2., S. 50. 613 Libanius kokettierte gerne mit seiner Unkenntnis der lateinischen Sprache. Vgl. auch ep. 1036. 610

4. Kommunikation mit Abwesenden

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ἔχουσι πρὸς ἡμᾶς δεικνύειν καὶ τοῖς οὐχ οὕτω, τοῖς μέν, ὅπως χαίροιεν, τοῖς δ’, ἵνα ἀποπνίγοιντο. (5) οἵδε μὲν οὖν ἐσίγων τὴν τῶν ἀνιωμένων σιγήν, οἱ δ’ ἦσαν ἐν ἑορτῇ σοῦ ταύτην αὐτοῖς ποιοῦντος τὴν ἑορτὴν εὐδαιμόνιζόν τε καὶ ἐμὲ καὶ σέ, τοῦ τετιμῆσθαι μὲν ἐμέ, σὲ δὲ τοῦ τετιμηκέναι·[…]. «4. Als aber der Dolmetscher das Seine getan hatte, da dachte ich, es sei doch sträflich, wenn ich nicht die ganze Stadt erfüllte mit dieser Gabe des Glücks, und so gab ich den Brief dreien meiner Freunde und hiess sie durch die ganze Stadt zu ziehen und ihn allen zu zeigen, die uns Wohlwollen entgegenbringen, und auch denen, die dies nicht tun, den einen zur Freude, den anderen, dass sie ersticken vor Neid. 5. Diese also schwiegen in ihrem Ärger, doch jene feierten ein Freudenfest, das du ihnen bereitet hast, und sie priesen mich glücklich und dich; mich, weil ich geehrt worden war, dich, weil du Ehre verliehen hattest. […].»614 Symmachus hatte in seinem Schreiben die Freundschaft mit Libanius eröffnet. Ein solcher Brief eignete sich für Libanius natürlich besonders gut, um allen Antiochenern zu zeigen, in welchem Verhältnis er zu dem einflussreichen römischen Senator und Konsul stand.615 In seinem Antwortschreiben versicherte er Symmachus seinerseits die philia: προκαλούμενος οὖν με φίλον εἶναι τὸν ὄντα προκαλῇ καὶ κελεύων ἀντεπιστέλλειν, ὃ καὶ μὴ κελεύοντος ἂν ἐπράττετο. «[D]a du mich bittest, dein Freund zu sein, bittest du einen, der es bereits ist; und dass du mich aufforderst, deinen Brief zu erwidern – ich hätte es auch ohne Aufforderung getan.»616

614

Lib. ep. 1004.4–5 (Übers. FK 63). Auch ein Schreiben des Siburius liess Libanius in der ganzen Stadt verbreiten. Vgl. Lib. ep. 963.1: Οὕτως ἥσθην σου τοῖς γράμμασιν, ὥστε δοὺς αὐτὰ τῶν νεανίσκων τισὶν ἐκέλευσα διὰ πάσης φέροντας τῆς πόλεως δεικνύειν οἷς ἄξιον, ὅπως τε σὺ ἐπαινοῖο τιμῶν τὸ χρῆμα τῶν λόγων ἐγώ τε ζηλωτὸς εἴην ὑπὸ τοιούτων τιμώμενος. καὶ συνερρύησαν δὴ πολλοὶ παρ’ ἐμὲ τῆς ἀναγνώσεως τοῦτο πεποιηκυίας. Zu Siburius vgl. Petit 1994, 230 f. (Siburius I). 616 Lib. ep. 1004.9 (Übers. FK 63). Libanius zeigte sich im Brief sehr gut informiert über die Karriere des Symmachus und verstand es in einem Satz, auf die Höhen und Tiefen anzuspielen, die Symmachus kurz zuvor durchlaufen hatte, als er 388 aufgrund eines Panegyricus auf den Usurpator Maximus den Zorn des Kaisers Theodosius I. auf sich gezogen hatte, dessen Gunst dann aber wieder erhielt und im Jahre 391 gar zum Konsul ernannt wurde: «Wahrhaftig ich freute mich, als dein Schiff bei gutem Wind segelte, und mir war bange, als das Meer aufgewühlt wurde, und abermals war ich froh, als die Wogen sich glätteten.» (ep. 1004.8: τοιγαροῦν ἥσθην τε πλέοντος ἐξ οὐρίων κἀν τῇ ταραχῇ τῆς θαλάττης ἔδεισα καὶ πάλιν λείας γενομένης ἐχάρην.) Vgl. Fatouros/Krischer 1980, 436 Anm. 12 und Norman 1992 (Vol. 2), 390 Anm. j. Deshalb kann auch die Frühdatierung des Briefes auf 364/365, wie sie Lizzi Testa 2004, 444– 446 vorschlägt, nicht zutreffen. Vgl. hierzu auch Pellizzari 2013, 103 f. Libanius war 361 615

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II. Libanius

Mit diesem Satz beendete Libanius seine elegante Replik auf Symmachus’ Freundschaftseröffnung. Es ist sehr gut vorstellbar, dass er diese ebenfalls zirkulieren liess. Die zitierte Passage macht auch die inneraristokratische Konkurrenzsituation in Antiochia deutlich: Während sich die Freunde über Libanius’ neuen, einflussreichen Verbündeten freuten, ärgerten sich seine Gegner über diesen Triumph. Gerade gegenüber seinen hochrangigen Adressaten signalisierte Libanius immer wieder, wie seine Position durch die Ankunft eines Briefes besser wurde. So schrieb er um das Jahr 390 an Proclus, den Stadtpräfekten von Konstantinopel: καὶ τἀμὰ δὲ ἴδια πεποίηκας ἀμείνω τοῖς πρῴην ἐπεσταλμένοις, ὥστ’ ἦν τινας κατηφεῖς ὁρᾶν, οὓς ἑωρῶμεν φαιδρούς, ἡνίκα οὐκ ἐπέστελλες. «Und meine eigene Stellung hast du besser gemacht mit deinen neuesten Briefen, so dass gewisse Leute nun den Blick auf den Boden senken, während ich sie in Zeiten, als du nicht geschrieben hattest, frohlocken sah.»617 Die Angehörigen der antiochenischen Oberschicht beobachteten genau, wer mit wem korrespondierte. Als Proclus zuvor nicht geschrieben hatte, waren seine Freunde bereits zu ihm gekommen und hatten sich nach dem Grund erkundigt.618 Auch mit Blick auf Proclus’ Vater Tatianus, Prätoriumspräfekt des Orients und später Konsul, reflektierte Libanius, wie seine Stellung durch dessen Briefe und Konsulatsgeschenke besser werde.619 Waren bei der Interaktion vor Ort häufige Besuche ein Indikator für die Nähe der Beziehung, waren es bei der Kommunikation mit Abwesenden Briefe. Auch hier galt: Je exklusiver und hochrangiger der Kontakt war, umso bedeutender war die Beziehung für die eigene Stellung. Als ein Mob das Haus des einflussreichen Höflings Datianus plünderte, versäumte es der Stadtrat von Antiochia einzuschreiten. Die ganze Stadt fürchtete sich danach vor der Rache des Datianus, der sich am Hof aufhielt.620 In dieser Situation entschied sich Datianus, vorwiegend mit Libanius zu korrespondieren. bereits mit Lucius Aurelius Avianius Symmachus, dem Vater des Quintus Aurelius Symmachus, zusammengetroffen, als jener Teil einer Gesandtschaft an den Hof des Constantius  II. war, welcher sich damals in Antiochia aufgehalten hatte. Vgl. Lib. ep. 1004.6–7 und Amm. Marc. 21.12.24. Zur Verbindung zwischen Libanius und Symmachus vgl. auch Pellizzari 2013. 617 Lib. ep. 940.4. Vgl. auch ep. 1028.1–2. Zum Briefwechsel zwischen Libanius und Proclus vgl. Petit 1994, 213–215 sowie Swain 2004, 385–389. S. auch die Ausführungen weiter unten in II.4.3. 618 Lib. ep. 938.2. 619 Vgl. Lib. ep. 987.6; 1028.2. Zu den Geschenken vgl. auch die Ausführungen weiter oben S. 149. Zu Tatianus vgl. PLRE I, 876–878 (Fl. Eutolmius Tatianus 5); Petit 1994, 240–243 (Tatianus I). 620 Für eine Rekonstruktion der Ereignisse vgl. Bradbury 2004b, 80 f. Zu Datianus vgl. PLRE I, 243 f. (Datianus 1); Petit 1994, 75–78 (Datianus).

4. Kommunikation mit Abwesenden

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Die beiden standen schon vor den Ereignissen miteinander in Kontakt, und Datianus hatte Libanius bereits bei seiner Rückkehr nach Antiochia unterstützt.621 Vielleicht wählte Datianus den antiochenischen Sophisten aber auch als bevorzugten Korrespondenten, weil jener nicht Teil des Rates war und deshalb auch nicht persönlich in der Verantwortung stand.622 Als der erste Brief von Datianus eintraf, stiess dies bei den Antiochenern naturgemäss auf grosses Interesse, da sie auf ein Wort der Vergebung hofften. Libanius wusste diese Situation geschickt zu seinen Gunsten zu nutzen, wie er Datianus bereitwillig mitteilte: Ὀλίγους ἐξέφυγέ σου τὰ γράμματα, οἱ πολλοὶ δὲ καὶ ἔγνωσαν αὐτὰ καὶ ἀνέγνωσαν πολλάκις, οἱ μὲν ἐπ’ αὐτά, ὡς ᾔσθοντο, δραμόντες, τοὺς δὲ καὶ αὐτὸς ἐκάλουν οὐδένα ἀγνοεῖν βουλόμενος, οἷ παρὰ σοῦ τέταγμαι. ποιεῖν δὲ τοῦτο εἰώθαμεν ἐπιεικῶς ἐπὶ τῶν καλλίστων ἡμῖν κτημάτων κερδαίνειν νομίζοντες, ἢν πολλοὺς ἔχωμεν τοὺς συνειδότας. δι’ ὅσων τοίνυν ἦλθεν ἡ ἐπιστολή, σὲ μὲν ἕκαστος ἐπῄνεσεν, ἐμὲ δὲ εὐδαιμόνισε· σὲ μέν, ὅτι τοσοῦτον ποιῇ λόγον τῶν περὶ λόγους διατριβόντων, ἐμὲ δέ, ὅτι τοσούτῳ συμμάχῳ κέχρημαι δεινῷ λῦσαί τε συμφορὰς καὶ τὰ τῆς βελτίονος δοῦναι μοίρας. ἵν’ οὖν μὴ παύσωνται τοῦτο ποιοῦντες ἡ πόλις, ᾗ δικαίως μὲν ἐγκαλεῖς, βοηθήσεις δὲ πάλιν, ἤν τι λυπῇ – τοιοῦτος γὰρ ὁ σὸς τρόπος, – πέμπε μοι πολλὰς ἐπιστολὰς παραμυθίαν τῶν τῆς κεφαλῆς κακῶν. «Nur wenigen ist dein Brief entgangen; die meisten haben von ihm erfahren und ihn oftmals gelesen; einige liefen herbei, als sie davon erfuhren, die anderen habe ich selbst gerufen, weil ich wollte, dass niemandem verborgen bleibe, an welcher Stelle ich bei dir stehe. Ich mache dies üblicherweise so, da ich mit meinen schönsten Besitztümern ordentlich Gewinn zu machen glaube, wenn ich viele Mitwisser habe. Von all denen, bei denen dein Brief zirkulierte, lobte ein jeder dich, mich aber pries er glücklich: Dich, weil du Leuten von Bildung so viel Aufmerksamkeit schenkst, mich aber, weil ich über einen so bedeutenden Bundesgenossen verfüge, der mächtig genug ist, Unglücksfälle aufzulösen und die Gaben eines besseren Geschicks zu schenken. Damit die Stadt, der du zwar zu Recht Vorwürfe machst, aber wiederum auch hilfst, wenn sie in Schwierigkeiten ist – denn dies ist deine Art –, nicht aufhört, dies zu tun, schicke mir viele Briefe als Trost für meine Kopfschmerzen!»623

621 Zur Korrespondenz zwischen Libanius und Datianus vgl. Petit 1994, 75–78 und Bradbury 2004b, 240. 622 Vorstellbar ist, dass Datianus, der Christ war, neben Libanius auch noch mit dem Bischof korrespondierte. Hierzu gibt uns Libanius jedoch keine Informationen. Er dürfte vielmehr daran interessiert gewesen sein, die Beziehung so exklusiv wie möglich darzustellen. 623 Lib. ep. 1173 (Übers. Stenger 2010, 37).

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II. Libanius

Allerdings enthielt jener Brief noch nicht die erhoffte Vergebung, sondern zeigte nur die Bereitwilligkeit des Datianus, mit dem Sophisten der Stadt trotz der Vorkommnisse weiterhin in freundlichem Briefverkehr zu stehen. Als dann etwas später endlich ein Schreiben eintraf, in dem Datianus die lang ersehnte Verzeihung für den Stadtrat und die Antiochener aussprach, rief Libanius – wohlgemerkt als Nicht-Mitglied – den Rat ein und las den Brief im Rathaus vor.624 Dieser Vorfall ereignete sich 364, im Jahr nach Julians Tod, und bot Libanius eine gute Gelegenheit, sich in der Stadt auch ohne kaiserliche Protektion als wichtigen Patron zu präsentieren. Das Beispiel zeigt auch, dass es keine Besuche und direkten Interaktionen brauchte, um vertikale Freundschaften bekannt zu machen. Genauso wie Libanius durch seinen privilegierten Zugang in Form von Abendbesuchen bei Strategius in Gunst stand, so machten die Briefe des Datianus deutlich, dass er den Libanius bevorzugte. Die Kombination von öffentlichem Empfang und zusätzlicher Inszenierung durch Vorlesen oder Weiterreichen von Briefen führte also dazu, dass auch Beziehungen zu geographisch entfernten Personen bekannt wurden. Man wusste deshalb auch, an wen man sich wenden musste, wenn man die Unterstützung einer bestimmten Person in einer anderen Stadt benötigte. Libanius führte die allgemeine Bekanntheit seiner Beziehungen immer wieder als Grund an, weshalb er um ein Empfehlungsschreiben gebeten wurde und weshalb er dieses nicht ablehnen konnte, sofern er nicht als schlechter Freund gelten wollte.625 Beziehungen zu Abwesenden konnten auf diese Weise dazu beitragen, die eigene Stellung innerhalb der Stadt zu verbessern. Exklusive Kontakte zu hochrangigen Beamten oder angesehenen Persönlichkeiten machten die Briefempfänger zu gesuchten Vermittlern. Da das Vorlesen von Briefen üblich war, wurde dies meist bereits beim Schreiben berücksichtigt. Kaiser Julian rühmte sich sogar damit, dass selbst seine Briefe an seine Frau vorgelesen werden könnten.626 Dennoch war nicht jeder Brief in gleicher Weise dafür geeignet. Vom Adressaten wurde erwartet, dass er abwog, welche Briefe oder welche Briefpartien vorgelesen wurden und welche nicht. Schrieb Libanius beispielsweise an seinen engen Freund Aristaenetus, dass die Krankheit, die er angeführt hatte, um die Rückkehr nach Antiochia bewilligt zu bekommen, nur vorgeschoben war, so vertraute er wohl darauf, dass dieser Abschnitt höchstens vor einem ausgewählten Kreis von

624 Lib. ep. 1259.1: Ἔλαβόν σου καὶ αὐτὸς τὴν πλείστου ἀξίαν ἐπιστολὴν καὶ ἀνέγνων οὐ μόνος, ἀλλὰ τὸ μὲν πρῶτον μόνος, θαυμάσας δὲ καὶ θέατρον καθίζω τοῖς γράμμασι τὴν βουλήν. 625 So beispielsweise auch gegenüber Datianus einige Zeit nach dem geschilderten Vorfall: ep. 1277.2. Vgl. hierzu auch II.2.4. 626 Jul. ep. 80 (W 12).

4. Kommunikation mit Abwesenden

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Freunden rezitiert wurde.627 Als Libanius seinem Sophistenkollegen Demetrius Reden sandte, teilte er ihm mit, dass er von dem beigefügten Panegyricus auf seinen Onkel nur zwei Drittel öffentlich vorgetragen und den Rest auf ein ausgewähltes Publikum beschränkt habe, da er seinen Onkel nicht loben könne, ohne gleichzeitig die Grausamkeit des Caesars Gallus darzulegen.628 In diesem Fall erwartete Libanius offensichtlich, dass auch Demetrius bei der Verbreitung der Rede und des Begleitbriefes entsprechende Vorsicht walten liess. Seinerseits versicherte er Seleucus, der nach dem Tod Julians als ehemaliger Priester und Vertrauter Julians verbannt worden war, dass er seinen Brief nur denjenigen zu lesen gegeben habe, welchen er besonders vertraue.629 Anlass für Ärger war für Libanius nach eigener Angabe einmal Themistius, der einen Brief, der nicht zur Verbreitung gedacht gewesen war, auf der agora von Konstantinopel zirkulieren liess mit der Folge, dass der Inhalt auch an die falschen Personen gelangt sei.630 Den Ärger nimmt man Libanius allerdings nicht ganz ab: Schliesslich konnte seinem Ruf als Sophist nichts Besseres passieren, als dass sein Brief von einem der einflussreichsten Männer Konstantinopels verbreitet wurde. Briefe wurden immer auch auf ihre literarische Qualität hin gelesen. Libanius schildert, wie ein Amtsinhaber Briefe, die er erhalten hatte, einem grösseren Kreis von Anwesenden vorlas, die dann je nachdem, wie ihnen der Brief gefiel, applaudierten oder – wenn der Brief zu lang war – buhten, um das Vorlesen abzubrechen.631 Ein byzantinischer Autor belegt ähnliche Traditionen für das elfte Jahrhundert: Die sich versammelnde Gesellschaft vergleicht er mit einem theatron, wo die schönsten Briefe gekürt wurden.632 Vor diesem Hintergrund erstaunt es wenig, dass Libanius einen Brief, den er unmittelbar vor einer Dichteraufführung im kaiserlichen Palast erhielt, gleich dem versammelten Publikum vorlas: Keiner habe ruhig zuhören können, so begeistert seien alle gewesen.633 Das Briefschreiben und die damit verbundenen performativen Praktiken waren Teil einer Kommunikation zwischen den gebildeten Eliten, die immer auch den Zweck verfolgte, sich gegenseitig der Teilhabe an diesem exklusiven Kreis der pepaideumenoi zu versichern. Darüber hinaus konnte die Inklusion aber auch

627

Lib. ep. 430.2. Lib. ep. 283. Zu Demetrius vgl. PLRE I, 247 f. (Demetrius 2); Petit 1994, 80 (Demetrius I). 629 Lib. ep. 1508. Zu Seleucus vgl. Seeck 1906, 272 f. (Seleucus); PLRE I, 818 f. (Seleucus 1). 630 Lib. ep. 476.2. Vgl. auch ep. 477 an Andronicus, den Libanius – wahrscheinlich in derselben Sache – rügte, ebenfalls einen Brief verbreitet zu haben, der nicht für jedermann bestimmt war. 631 Lib. ep. 1443.2. 632 Michael Psellos ep. 223, zitiert bei Papaioannou 2010, 191. Vgl. auch Mullett 1997, 31–43. 633 Lib. ep. 779.2. 628

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II. Libanius

in konkretere Situationen oder Gruppen erfolgen. Die Praxis des Vorlesens von Briefen soll im Folgenden unter der Frage nach der Etablierung und der Performanz von überregionalen Netzwerken betrachtet werden.

Integration von Abwesenden in die Kommunikation unter Anwesenden Die Bedeutung des Briefes und die Möglichkeiten zur Performanz gingen über das plakative Sichtbarmachen von Beziehungen hinaus. Der Brief eignete sich auch zu weitaus feineren Inszenierungen. Gerade das Zusammenspiel von Bote, mündlicher Nachricht und Inhalt des Briefes erlaubte es, dass auch Abwesende in die Kommunikation unter Anwesenden integriert werden konnten. Vom Sender wurde diese Möglichkeit beim Abfassen des Briefes durchaus mitgedacht. Im Folgenden sollen verschiedene rhetorische Strategien betrachtet werden, durch welche über das Medium des Briefes Netzwerke gebildet und sichtbar gemacht wurden. Der Brief konnte insbesondere in Kombination mit dem Boten als Ersatz für die eigene Person eingesetzt werden. Folgendes Beispiel illustriert dies besonders schön: Als Saturninius Secundus Salutius, der Prätoriumspräfekt des Orients, sich nach dem Tod Julians auf der Rückkehr nach Antiochia befand, lud er Libanius ein, ihm entgegenzureisen.634 Libanius musste die ehrenvolle Einladung unter Hinweis auf seinen angeschlagenen Gesundheitszustand ablehnen. Stattdessen sandte er Eudaemon, der als Lehrer an seiner Schule unterrichtete.635 Er gab Eudaemon einen Brief mit, in welchem er imaginierte, wie er durch dessen Präsenz selbst ebenfalls in das Gespräch eingebunden sei: Εὐδαίμονος γὰρ τοῦ καλοῦ σοι συνεσομένου καὶ τὰ μὲν ἐρησομένου, τὰ δὲ ἀκουσομένου καί τι καὶ περὶ ἡμῶν ἐροῦντος οὐ πάντα τῶν λόγων ἐμαυτὸν ἀπεῖναι νομίζω, ὥσπερ οἱ τοὺς υἱεῖς πέμποντες ἐπὶ δεῖπνον, ὅταν αὐτοὶ μὴ δύνωνται τοῖς καλοῦσιν ὑπακοῦσαι, τῶν δαιτυμόνων καὶ πεπωκότων αὑτοὺς ἀριθμοῦσιν. «Denn wenn der treffliche Eudaemon bei dir weilt und jetzt nach manchem fragt, manches erfährt und manches auch über mich berichtet, werde ich bei euren Gesprächen, so scheint mir, nicht gänzlich abwesend sein, wie denn auch jeder, der einer Einladung nicht folgen kann und seinen Sohn zum Mahle schickt, sich hernach zu jenen zählen wird, die Speise und Trank erhalten haben.»636 634

So die schlüssige Interpretation von Fatouros/Krischer 1980, 440 f. Bereits ein früherer Brief enthielt eine Einladung, die Libanius jedoch ebenfalls aufgrund seiner Krankheit ausschlagen musste. Vgl. Lib. ep. 1426. Zu Saturninius Secundus Salutius vgl. PLRE I, 814–816 (Secundus 3); Petit 1994, 225–228 (Salutius). 635 Vgl. Seeck 1906, 131 f. (Eudaemo II); Fatouros/Krischer 1980, 441; PLRE I, 289 (Eudaemon 2). 636 Lib. ep. 1428.2 (Übers. FK 65).

4. Kommunikation mit Abwesenden

165

Der Brief, den Libanius verfasste, war durch den Inhalt und den Aufbau darauf ausgelegt, beim stattfindenden Gastmahl vorgelesen zu werden. Sogar den Einstieg hatte Libanius entsprechend abgestimmt, indem er anlassgerecht ein bekanntes Trinklied als Aufhänger nutzte, um sein Fernbleiben zu entschuldigen: Νῦν πλέον ἐπαινῶ τὸν ποιητὴν ἐκεῖνον, ὃς ἐν τῷ σκολίῳ μέγιστον τῶν ἀγαθῶν εἶναί φησι τὸ ὑγιαίνειν. ἔγωγέ τοι τοῦτο οὐκ ἔχων κάθημαι κεχηνώς, ὁπότε ἥξεις, καὶ ἀντὶ τοῦ τοῦ σώματος ἀπολαύειν ἤδη τοὺς ὡς σὲ τρέχοντας ἀριθμῶ μακαρίζων ἅμα καθάπερ οἱ ἐν δεσμωτηρίῳ διὰ μικρᾶς θυρίδος τοὺς παριόντας. «Jetzt lobe ich noch mehr jenen Dichter, der in dem bekannten Trinklied sagt, das höchste aller Güter sei die Gesundheit. Ich freilich besitze es nicht, sitze hier, voll Verlangen darauf wartend, wann du wohl kommst; und statt mich deiner körperlichen Gegenwart zu erfreuen, zähle ich alle, die zu dir eilen, und preise sie glücklich, wie einer, der im Gefängnis sitzt und durch ein kleines Fensterchen auf die Passanten blickt.»637 Salutius sollte diesen Brief also beim Essen rezitieren, und Eudaemon war beauftragt, den Anwesenden einiges aus dem Leben des antiochenischen Sophisten zu erzählen. Libanius bewirkte dadurch, dass er – obwohl abwesend – über den Brief und die Ausführungen des Boten in den Kreis der Anwesenden integriert wurde. Gewährte ihm der Prätoriumspräfekt die Ehre des Vorlesens seines Briefes, zeigte er dadurch seine Wertschätzung des Libanius, wie es dessen physische Präsenz auch getan hätte.638 Obwohl abwesend würde er dann zum auserwählten Kreis der Eingeladenen gehören und auch als solcher wahrgenommen werden. Ähnliche Intentionen verfolgte Libanius, als er seinem antiochenischen Freund Olympius einen Brief an den magister officiorum Anatolius mitgab.639 Eigentlich wollte Libanius seinen Freund dem hohen Beamten persönlich vorstellen. Das bevorstehende Opferfest, welches Kaiser Julian beim Zeus-Tempel auf dem Berg Casius südlich von Antiochia veranstaltete, wäre eine ideale Gelegenheit gewesen.640 Allerdings musste Libanius einmal mehr aus gesundheitlichen Gründen auf die Teilnahme verzichten. Stattdessen sandte er nun Olympius mit einem Brief, der ihn bei Anatolius einführen sollte. Auch hier stimmte er den Einstieg seines Schreibens auf den Anlass ab, indem er imaginierte, wie Ana637

Lib. ep. 1428.1 (Übers. FK  65). Für den Text des Trinkliedes (carmen conviv. 7) vgl. Fatouros/Krischer 1980, 441. 638 Auch der consularis Syriae Alexander (PLRE I, 40 f. [Alexander 5]; Petit 1994, 27–29 [Alexandre III]) pflegte Libanius’ Briefe bei Gastmählern vorzulesen. Vgl. Lib. ep. 1351.2. 639 Lib. ep. 739. Zu Anatolius vgl. PLRE I, 61 (Anatolius 5); Petit 1994, 38 (Anatolius IV). Zu Olympius vgl. PLRE I, 643 f. (Olympius 3); Petit 1994, 178–180 (Olympius II). 640 Zu diesem Opferfest vgl. auch Amm. Marc. 22.14.4.

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II. Libanius

tolius gemeinsam mit dem Kaiser dem Gott Apollon opfern würde. Er drückte sein Bedauern aus, entgegen den ursprünglichen Plänen nicht selbst dabei sein zu können.641 Gleichzeitig verwies er auf den Boten Olympius, der alles über ihn wisse und den Brief ergänzen solle. Auch hier bot Libanius damit dem Adressaten die Möglichkeit, ihn mittels des Briefes und der Ausführungen des Olympius in die Opferzeremonie zu integrieren. Briefe konnten also darauf ausgelegt werden, vorgelesen zu werden, und den Verfasser dadurch an bestimmten Anlässen oder in bestimmte Gruppen zu inkludieren. Allerdings war der Sender dabei auf das Zusammenspiel mit dem Adressaten angewiesen: Der Erfolg seines Schreibens hing von der Bereitschaft des Empfängers ab, den Brief auch tatsächlich vorzulesen und den Briefschreiber aktiv in die Gruppe der Anwesenden zu integrieren. Auch dem Boten kam vielfach eine wichtige Funktion zu, indem er die schriftliche Nachricht ergänzte und als lebendiger Vertreter des Verfassers agieren konnte. Es ist sehr gut vorstellbar, dass die Boten nicht nur darüber instruiert wurden, was sie sagen sollten, sondern auch wann sie den Brief übergeben sollten, um den grösstmöglichen Effekt für sich und für den Verfasser zu erhalten. Die Chance, dass der Brief den Anwesenden vorgelesen wurde, war wahrscheinlich höher, wenn er nicht schon lange im Vorfeld überreicht wurde, sondern erst beim Anlass selbst oder kurz zuvor. Die beiden beschriebenen Veranstaltungen fanden nicht weit von Antiochia entfernt statt, und in beiden Fällen nahm ein Freund des Libanius daran teil. Dies waren die notwendigen Bedingungen, um den Brief überhaupt auf einen spezifischen Anlass hin masszuschneidern. In vielen Fällen konnten die Verfasser nämlich nicht wissen, wie lange ihr Brief unterwegs sein und zu welcher Situation er eintreffen würde. Der Schreiber konnte dann nur darauf hoffen, dass der Brief dennoch bei einer möglichst geeigneten Gelegenheit vorgelesen würde. Aus diesem Grund war es meistens sinnvoller, den Brief so zu gestalten, dass er bei den verschiedensten Gelegenheiten rezitiert werden konnte. Eine andere und möglicherweise zielführendere Strategie war es deshalb, dass der Verfasser im Brief nicht seine eigene Integration imaginierte, sondern dem Empfänger mitteilte, wie er ihn über das Medium des Briefes in eine konkrete Situation oder Gesellschaft integriert hatte. So schilderte Libanius einem nicht näher bekannten Gerontius, wie er seinen Brief im Dionysos-Tempel unmittelbar vor Beginn des Festes zu

641 Lib. ep. 739.1: Ὑμῖν μὲν εἴη καλλιερεῖσθαι καὶ τυγχάνειν τῶν θεῶν, τοῦ τε τῶν Μουσῶν ἡγεμόνος καὶ τοῦ τὸ ὄρος λαχόντος, λέγεται γὰρ δὴ βασιλεὺς ἀναβήσεσθαι κἀκεῖσε τὴν χαλεπὴν ὁδὸν ῥᾳδίαν ἡγούμενος, εἰ προξενοίη βωμόν· ἐμὲ δὲ ἔδει μὲν κοινωνεῖν καὶ ὁδοῦ καὶ εὐχῶν καὶ ἱερῶν καὶ βλέπειν εἰς τὸ τοῦ βασιλέως γένειον, ᾧ κοσμεῖ τὴν πορφύραν, τῇ Τύχῃ δὲ οὐ ταῦτα ἔδοξεν, ἀλλά με πληγὴν οἵαν οὐ πρότερον ἔπληξε.

4. Kommunikation mit Abwesenden

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Ehren des Gottes vor vielen Leuten mehrmals vorgelesen hatte.642 Bedeutete das Vorlesen an sich bereits eine Ehre für den Korrespondenten, so kam der Rezitation des Briefes in einem Tempel natürlich eine besondere Symbolik zu. Der Adressat wurde dadurch auch in den Kreis derjenigen integriert, welche die alten Götter ehrten. Wie Isabella Sandwell herausgestellt hat, finden sich solche Strategien der heidnischen Gruppenbildung insbesondere in der Zeit unter der Herrschaft Kaiser Julians.643 Der vorliegende Brief wurde im Jahr nach dem Tod des Apostaten verfasst und stellte somit auch ein religiöses Statement des Libanius dar, der seine Treue zu Julian und den heidnischen Kulten auch unter geänderten politischen Vorzeichen kundtat.644 Für den Adressaten bedeutete das Schreiben deshalb noch in einem weiteren Sinne ein Integrationsangebot: Wenn Gerontius wollte, konnte er den Brief des Libanius in seinem Umfeld ebenfalls verbreiten und somit auch dort seine Zugehörigkeit zu einem überregionalen Kreis der Anhänger Julians unter Beweis stellen. Über das Medium des Briefes konnte folglich eine wechselseitige Integration vorgenommen und verbreitet werden. Dabei eigneten sich die Briefe nicht nur dafür, die Beziehung zwischen dem Verfasser und dem Adressaten sichtbar zu machen. Vielmehr konnten durch bewusst gewählte Narrative im Brief auch ganze Netzwerke konstruiert und verbreitet werden. Libanius beherrschte diese Kunst glänzend. Er gestaltete seine Schreiben oftmals so geschickt, dass – sofern der Empfänger es vorlas – sowohl seine eigene soziale Stellung in einem grösseren sozialen Netzwerk als auch die Integration des Adressaten in diesen Kreis verbreitet wurde. Dies funktionierte, indem eine konkrete Situation geschildert wurde, in welcher der Empfänger entweder über den Brief oder über ein Gespräch als anwesend imaginiert wurde. Gegenüber Anatolius, dem Prätoriumspräfekten von Illyricum, führte Libanius beispielsweise aus, wie er höchstes Lob über ihn aus dem Munde seines Amtskollegen Strategius Musonianus vernommen habe. Es sei Abend gewesen

642

Lib. ep. 1480.5. Vgl. zu diesem Brief auch Sandwell 2007b, 226. Sandwell impliziert allerdings eine Identifikation des Adressaten mit dem gleichnamigen Prätoriumspräfekten unter Julian. Dies ist eher unwahrscheinlich, da einerseits Hinweise darauf, dass Gerontius ein hohes Amt ausgeübt hatte, in dem Schreiben fehlen, und da Libanius andererseits zu Beginn des Briefes ausführt, dass er zunächst nicht wusste, welcher seiner Bekannten mit Namen Gerontius ihm geschrieben hatte. Wären Briefe eines ehemaligen Prätoriumspräfekten in Antiochia eingetroffen, so wäre dies sicherlich bekannt gewesen. 643 Sandwell 2007b, bes. 227–231 mit Verweis u. a. auf Lib. ep. 694; 770; 736; 710; 712. Auch die weiter oben, S. 165 f., paraphrasierte ep. 739 an Anatolius gehört in diesen Kontext. 644 Zur Datierung des Briefes auf 364 vgl. Fatouros/Krischer 1980, 310. Zu solchen Statements nach dem Tode Julians vgl. Sandwell 2007b, 229 f.

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II. Libanius

und er habe sich zusammen mit Strategius in dessen Residenz in der Nähe des Bades aufgehalten, als das Gespräch auf die arete verschiedener Beamter gekommen sei. Bei diesem Thema habe natürlich Anatolius’ Name fallen müssen. Strategius habe ihn dafür gelobt, dass er dem Kaiser gesagt habe, unter seiner Ägide werde kein Übeltäter geschont. Auch Amtsinhaber, seien sie zivile oder militärische Würdenträger, würden bestraft werden, wenn sie sich nicht an das Gesetz hielten. Der Kaiser habe dem zugestimmt, und wenig später habe Anatolius den Worten bereits Taten folgen lassen, indem er einen hohen Militär habe festnehmen lassen, weil er sich feige gegenüber den Barbaren verhalten habe. Libanius fügte an, dass zwar nur fünf Personen anwesend gewesen seien, als Strategius dieses Lob ausgesprochen habe, er selbst habe aber dafür gesorgt, dass es weiterverbreitet worden sei.645 Das Enkomion auf Anatolius verwob Libanius dabei eng mit einer Schilderung seiner eigenen Stellung in Antiochia. Dies gelang ihm, indem er ausführlicher als nötig den Ort, die Zeit und die anwesenden Personen beschrieb und dadurch deutlich machte, dass es sich um eine äusserst exklusive Runde handelte, die sich abends bei den Bädern des Prätoriumspräfekten aufhielt. Die Bedeutung von Abendbesuchen und gemeinsamem Baden wurde bereits im vorherigen Kapitel herausgestellt: Damit konnte Libanius subtil zu verstehen geben, dass er zum Kreis der philoi des Strategius zählte. Sollte Anatolius den Brief des Libanius vorlesen, um damit auch seinen eigenen Ruhm zu verbreiten, so würde zugleich auch die einflussreiche Position des antiochenischen Sophisten kundgetan.646 Wäre es grundsätzlich schon als Erfolg zu werten, wenn sein Brief von einem amtierenden Prätoriumspräfekten vorgelesen würde, gelänge es Libanius so mit seinem geschickt formulierten Schreiben, seine Verbindungen zu gleich zwei amtierenden Prätoriumspräfekten zu präsentieren. Gerade zur Amtszeit des Strategius bemühte sich Libanius darum, dass der Einfluss, den er lokal genoss, auch ausserhalb Antiochias verbreitet wurde. So dankte er Themistius beispielsweise nicht einfach für einen Brief, in welchem ihm jener von seiner Aufnahme in den Senat von Konstantinopel berichtete, sondern erzählte ausführlich, wie er schon lange vor diesem Schreiben von der guten Nachricht erfahren habe: Strategius hatte dem Libanius nämlich die Briefe, die er von Themistius und dem Kaiser erhalten hatte, gezeigt.647 Dass Strategius die Nachricht in Antiochia ver645

Lib. ep. 552.5–8. Zum schwierigen Verhältnis zwischen Libanius und Anatolius vgl. die Ausführungen in II.2.2. Indem Libanius sich selbst in der Nähe des Strategius positionierte, demonstrierte er dem Anatolius seinen Einfluss. Vgl. II.3.2. 647 Lib. ep. 434.2: ἐγὼ δὲ καὶ πρὶν ἐπιστεῖλαί σε πρὸς ἐμὲ ταῦτα ᾔδειν ἐκ τῶν πρὸς τὸν ἄριστον ἡκόντων Στρατήγιον γραμμάτων. ἔδωκε γὰρ ἅ τε σὺ πρὸς αὐτὸν καὶ ἃ περὶ σοῦ πρὸς τὴν βουλὴν ὁ πάντα ἀγαθὸς ἔγραψε βασιλεύς. ἃ δὴ δι’ ἑρμηνέως ὅ τι εἴη μαθόντες ὑπερεχαίρομεν. ἐγένετο 646

4. Kommunikation mit Abwesenden

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breitete, war ein Lob für Themistius. Dass Libanius zu denjenigen gehörte, welche die Kunde von dem Prätoriumspräfekten persönlich erfuhren, zeigte dessen vertrauten Umgang mit dem hohen Amtsinhaber. Das Schreiben des Themistius war nicht das einzige, das Strategius ihm weiterreichte. Auch einen Brief, den sein enger Freund Aristaenetus aus Nicomedia an den Prätoriumspräfekten geschickt hatte, bekam Libanius zu Gesicht: (4) ὅπως δὲ ἡμῖν εἰς χεῖρας ἦλθεν ἃ πρὸς ἐκεῖνον ἔγραψας, ἄκουσον. ἀνέστρεψε μὲν ἐκ Χαλκηδόνος, ἐγὼ δέ, τοῦτο δὴ τὸ εἰωθός, πρὸ τῆς πόλεως ἠσπαζόμην. ὁ δὲ ἅμα τε ἐφίλησε καὶ γράμματα ἃ ἧκεν αὐτῷ παρὰ σοῦ, δώσειν μοι ταῦτα ἔφη. (5) καὶ ταῦτα ἐλέγετο σὺν φαιδρότητι σοί τε καὶ ἐμοὶ τιμὴν ἔχοντα, Νεβρίδιος δὲ ἠκροᾶτο σὺν ἐκείνῳ φερόμενος. ὡς οὖν οἴκαδε ἦλθον, αὐτοῦ δόντος ἀνέγνων οὐ πλείω μᾶλλον ἢ καλλίω. ἐγὼ μὲν οὖν ἐπῄνουν, ὁ δὲ ἥδετο. «4. Wie aber der Brief, den du ihm [Strategius Musonianus] geschrieben hast, in meine Hände gelangte, sollst du nun erfahren. Er kam aus Chalkedon zurück, und ich begrüsste ihn, wie üblich ausserhalb der Stadt. Er aber sagte mir sogleich bei der Begrüssung, er werde mir den Brief, der von dir gekommen sei, zu lesen geben. 5. Dies alles wurde in freudiger Stimmung gesagt, und es machte dir wie mir Ehre; Nebridius, der mit ihm reiste, hörte zu. Als sie nun zu Hause waren, gab er mir den Brief, und was ich las, war nicht sehr viel, aber sehr schön. Ich lobte es also, und er freute sich.»648 Mit der Schilderung dieser kurzen Szene konnte Libanius seinem Freund vermitteln, dass er in seine Interaktion mit dem praefectus praetorio durch den Brief eingebunden war. Zugleich war an der Bedeutung, die Strategius dem Brief des Aristaenetus zuwies, auch dessen Wertschätzung für den Korrespondenten ablesbar. Gerade Amtsinhaber, die täglich zahlreiche Briefe bekamen, konnten nicht jedem einzelnen Schreiben dieselbe Aufmerksamkeit zukommen lassen. Manche Briefe wurden auch ungelesen abgewiesen.649 Durch den Umgang mit dem Schriftstück konnte der Empfänger also verdeutlichen, welche Stellung der Sen-

δὲ καὶ τούτων τῶν γραμμάτων πρεσβυτέρα φήμη καὶ οὐκ ἠπιστήθη, ταχὺ δὲ προσετέθη καὶ τὰ γράμματα. – «Ich meinerseits habe, noch ehe du mir schriebst, die Neuigkeiten erfahren, und zwar durch die Briefe, welche der allerbeste Strategius erhielt. Denn er gab mir alles, was du ihm geschrieben hast und was der vortreffliche Kaiser über dich an den Senat geschrieben hat. Und als mir letzteres durch einen Dolmetscher verständlich gemacht wurde, da freute ich mich ausserordentlich. Noch vor diesen Briefen aber trafen Gerüchte ein, denen wir durchaus Glauben schenkten, und alsbald wurden sie durch die Briefe bestätigt.» (Übers. FK 57). 648 Lib. ep. 561.4–5 (Übers. FK 23). Auch in ep. 326.2 spricht Libanius von einem Brief des Aristaenetus an Strategius, den er zu lesen bekam. 649 Vgl. Lib. ep. 1443.1.

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II. Libanius

der bei ihm einnahm. Freute sich ein Empfänger über den Brief, las er ihn vor. Reichte er ihn weiter, so ehrte dies auch den Verfasser. Libanius vermittelte dem Aristaenetus durch die Schilderung dieser Episode also, dass er bei einem der einflussreichsten Beamten hohes Ansehen genoss. Dies war natürlich eine Nachricht, die Aristaenetus selbst gerne verbreitet wissen wollte. Genau hierfür diente der Brief des Libanius. Indem Libanius sich selbst in das Narrativ integrierte und auch noch Nebridius, den comes Orientis, als Statisten erwähnte, zeigte er gleichzeitig auch, in welch illustrer Gesellschaft er verkehrte. Nicht nur begrüsste er den Prätoriumspräfekten vor den Stadttoren und wurde dort persönlich angesprochen, er war später auch noch bei Strategius zuhause, wo er den Brief zu lesen bekam. Aristaenetus war bei all diesen Interaktionen präsent. Wenn er diesen Brief in Nicomedia vorlas, zeigte er, in welches Netzwerk er in Antiochia integriert war. Gleichzeitig wurde in Nicomedia, wo Libanius selbst mehrere Jahre gewohnt hatte, auch die einflussreiche Stellung des antiochenischen Sophisten bekannt. Libanius verstand es hier wie anderswo, durch geschickt gewählte Schilderungen im Brief ein grösseres Beziehungsnetz zu konstruieren und sich wie auch die Adressaten mit den Zentren der Macht zu verbinden. Vor dem Hintergrund solcher Strategien virtueller Netzwerkbildung erhält der in antiken Briefen verbreitete Topos, dass der Abwesende durch den Brief anwesend sei, eine konkrete soziale Bedeutung.

4.3. Performanz von Nähe und Distanz über das Medium des Briefes Nicht-Schreiben als Zeichen der Distanz Innerhalb der städtischen Elite wurde sehr genau beobachtet, wer von wem einen Brief erhielt und wer nicht. Über das Medium des Briefes wurde die Einbettung des Einzelnen in ein überregionales Netzwerk sichtbar. Auch Veränderungen, insbesondere das plötzliche Ausbleiben von Briefen, wurden wahrgenommen und öffentlich diskutiert.650 Die Stellung, die ein Mann wie Libanius in einer anderen Stadt und vor allem am Hof genoss oder nicht genoss, konnte sich dadurch direkt auf seine Position in Antiochia auswirken. In grosse Schwierigkeiten kam Libanius deshalb, als im Jahre 388 ein ehemaliger Schüler in Konstantinopel gegen ihn Stimmung machte. Thrasydaeus hatte sich von seinem früheren Lehrer schlecht behandelt gefühlt und sann auf Rache. Er versuchte, zum einen die Immunität von Libanius’ Sohn Kimon anzufechten und zum anderen Libanius selbst in den

650

Vgl. z. B. Lib. ep. 549; 556; 938; 940.

4. Kommunikation mit Abwesenden

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höchsten Kreisen zu diskreditieren.651 Als er sich im Rahmen einer Gesandtschaft am Kaiserhof in Konstantinopel aufhielt, streute er dort das Gerücht, dass Libanius mit dem Usurpator Maximus sympathisiert habe.652 Diesen Vorwurf konnte Kaiser Theodosius nicht ungeprüft lassen. Im Falle einer Anklage hätte auf ein solches Vergehen die Todesstrafe gestanden. Libanius spürte schnell, dass er auf dem Prüfstand war, da plötzlich keiner seiner hochrangigen Freunde im Umfeld des Kaisers mehr schrieb. Auch der Prätoriumspräfekt Flavius Eutolmius Tatianus schwieg in dieser Zeit: (1)  Τῶν πρώτων σου γραμμάτων εὐθὺς ἡμῖν ἐν ἀρχῇ τῆς ἀρχῆς ἡκόντων, εἶτα ἑτέρων οὐχ ἡκόντων θαυμάζειν ἐπῄει τοῖς φίλοις καὶ ζητεῖν, ὅτῳ ποτὲ τοῦθ’ οὕτως ἔσχεν. (2) ἐγὼ δὲ αὐτοὺς οὐκ εἴων ἀπορεῖν οὐδὲ σὴν τοῦτο νομίζειν μεταβολήν, οὐ γὰρ σὸς οὗτος ὁ τρόπος, ἀλλ’ ἐπὶ τὴν αἰτίαν ἣν ἔσχον ὡς πονηρὸς εἰς τοὺς κρατοῦντας γεγονώς, ἦγον τῆς σιωπῆς τὴν αἰτίαν κωλύειν λέγων τὸν νόμον τὰς τῶν τηλικούτων πρὸς τοὺς τοιούτους ἐπιστολάς, τῆς μέμψεως δὲ ἐξελεγχθείσης ἔφην ὄψεσθε τὰ γράμματα. (3) ταῦτα εἶπον, ταῦτα προσεδόκησα, ταῦτα ἐξέβη τῆς αὐτῆς ἡμέρας σὴν ἐνεγκούσης ἐπιστολὴν καί τινων ἄλλων, ἐν αἷς ἦν μανθάνειν ὡς ἀφείθημεν ἐλεύθεροι. «1. Dein erster Brief erreichte uns gleich zu Beginn deines Amtes, danach folgten aber keine weiteren mehr. Dies löste bei meinen Freunden Verwundern aus und Nachfragen, weshalb wohl sich dies so verhielt. 2. Ich aber liess nicht zu, dass sie ratlos waren, noch dass sie glaubten, dies sei Ausdruck deiner geänderten Einstellung mir gegenüber, denn dies ist nicht deine Art. Ich führte die Ursache für das Schweigen vielmehr auf die Anklage zurück, welche gegen mich vorlag, nämlich dass ich mich schlecht gegenüber den Machthabern verhalten habe. Ich sagte, dass das Gesetz es Personen in eurer Position verbiete, an Personen wie mich zu schreiben. ‹Sobald die Anschuldigungen widerlegt sein werden›, so sprach ich, ‹werdet ihr auch wieder Briefe sehen.› 3. Dies sagte ich, dies habe ich erwartet und dies trat ein an jenem Tag, als ich deinen Brief und die Schreiben von einigen anderen erhielt, aus welchen ich schloss, dass ich freigesprochen bin und ein freier Mann.»653 Tatianus und Libanius kannten sich möglicherweise bereits aus der Zeit von Libanius’ Unterrichtstätigkeit in Konstantinopel zu Beginn der 350er  Jahre,654 651

Lib. or. 1.257–258; 32. Thrasydaeus musste für die Stadt eine Gesandtschaft übernehmen; eine Aufgabe, von der er sich vergeblich versucht hatte, befreien zu lassen, wofür er Libanius verantwortlich machte. Vgl. Norman 1965, 233 f. 652 Lib. or. 32.27. 653 Lib. ep. 840.1–3. 654 Es kann allerdings nicht mit Sicherheit gesagt werden, ob es sich bei dem in ep. 456, 17 und 1542 erwähnten Tatianus um dieselbe Person handelt. Falls die beiden identisch wären,

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II. Libanius

spätestens aber seit Tatianus zu Beginn der 370er Jahre zunächst als consularis Syriae und dann als comes Orientis in Antiochia amtiert hatte.655 Als Tatianus 388 zum praefectus praetorio per Orientem ernannt wurde, unterrichtete er den antiochenischen Sophisten persönlich über seinen Amtsantritt.656 Libanius zählte zu diesem Zeitpunkt folglich zum Kreis der philoi des Tatianus. Aufgrund seiner Verbindung zu Antiochia wird Tatianus mit mehreren Persönlichkeiten vor Ort in Kontakt gestanden haben. Es ist also davon auszugehen, dass regelmässig Briefe des Tatianus in Antiochia eintrafen. Als nun plötzlich keine Schreiben mehr für Libanius dabei waren, fiel dies auf. Libanius wurde von verschiedenen Seiten auf die ausbleibenden Briefe angesprochen. Hätte diese Situation länger angehalten, wären seine Stellung in Antiochia und seine Anziehungskraft als Lehrer nachhaltig geschädigt worden. Da gleich mehrere Personen den Kontakt zu Libanius eingestellt hatten, lief er Gefahr, seinen Einfluss zu verlieren. Das orchestrierte Vorgehen machte auch deutlich, dass Libanius hier nicht aufgrund persönlicher Differenzen gemieden wurde, sondern dass politische Gründe dazu führten, dass es für niemanden in einer höheren Stellung ratsam schien, in sichtbarer Verbindung zu Libanius zu stehen. In einem solchen Fall war offenbar Distanz nur dadurch ausdrückbar, indem die Kommunikation gänzlich eingestellt wurde. Ein Brief, so die umgekehrte Schlussfolgerung, hätte bereits einen Grad an Nähe symbolisiert, der in dieser Situation nicht existieren durfte. Dass Briefschreiben zu den mit philia verbundenen Interaktionsformen gehörte, wurde bereits festgestellt. Doch was bedeutete dies für die Austragung von Konflikten? In einem Sammelband zum Thema Conflits et polémiques dans

würde dies bedeuten, dass Libanius den Tatianus zu Beginn seiner Karriere mit Empfehlungsschreiben unterstützt hatte. 655 Tatianus durchlief eine klassische Ämterlaufbahn. Er war zuerst Advokat, wurde dann Assessor diverser Beamter bis er 367 zum praefectus Aegypti (367–370) und gleich anschliessend zum consularis Syriae und comes Orientis ernannt wurde. Danach hielt er von 374 bis 379 für längere Zeit das Amt des comes sacrarum largitionum. 379 zog er sich in den Ruhestand zurück, bis ihn im Jahr 388 Theodosius I. zum Prätoriumspräfekten des Orients ernannte. 391 wurde er zum Consul designiert. Er genoss höchstes Ansehen und die Gunst des Kaisers, bis er im Jahre 392 zusammen mit seinem Sohn Proclus einer Intrige zum Opfer fiel. Zur Karriere vgl. Ensslin 1932; PLRE I, 876–878 (Fl. Eutolmius Tatianus 5). Zum Sturz des Tatianus vgl. Rebenich 1989. Zu Tatianus’ Verhältnis zu Libanius vgl. Seeck 1906, 285–288 (Tatianus I); Petit 1994, 240–243 (Tatianus  I); Swain 2004, 389 f. Seltsamerweise fehlt Tatianus in Libanius’ or. 1. 656 Der Briefwechsel zum Amtsantritt des Tatianus ist nicht mehr erhalten, da dieser in die Überlieferungslücke fällt. Die späte Korrespondenz des Libanius setzt 388 mit diesem Schreiben an Tatianus wieder ein. Vgl. Norman 1992 (Vol. 2), 302 Anm. a und Van Hoof 2014c, 217–220.

4. Kommunikation mit Abwesenden

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l’épistolaire notieren die Herausgeber in der Einleitung eher beiläufig eine wichtige Beobachtung: Auseinandersetzungen finden sich zwar in Briefen – jedoch mit der zentralen Einschränkung, dass sich die Konflikte nicht zwischen dem Sender und dem Empfänger des Briefes abspielten. Vielmehr würden sich Polemiken gegen Dritte in den Briefen finden, die somit als Medium der Allianzbildung eingesetzt wurden.657 Zur Erklärung wird hier sowie in den meisten Studien zum antiken Brief auf gattungsspezifische Eigenarten verwiesen. Antike Briefe hätten, so Michael Trapp, «friendliness built into their standard, defining formulae at beginning and end». Da die Form des Briefes die Korrespondenten verpflichte, mit Grüssen zu beginnen und guten Wünschen zu enden, wäre ein feindlicher Brief «an abuse of the medium».658 Zu Libanius stellt Raffaella Cribiore ebenfalls fest, dass die Briefe aus gattungsspezifischen Gründen immer Freundschaft oder die Fiktion von Freundschaft transportierten, während sich Kritik in Form von Invektiven nur in den orationes fände.659 Während diesem Befund grundsätzlich zuzustimmen ist, muss gleichzeitig auch davon ausgegangen werden, dass sich die Funktion des Briefes und Gattungskonventionen interdependent entwickelten. Es sind deshalb nicht primär gattungsspezifische Motive, welche die Austragung von Konflikten über das Medium des Briefes erschwerten oder verunmöglichten, so die hier vertretene These, sondern vielmehr die eben geschilderte Sichtbarkeit brieflicher Beziehungen und die symbolische Bedeutung, die dem Brief dadurch zukam. Bereits der Erhalt eines Briefes war beobachtbar und Zeichen einer existierenden Freundschaft. Während eine Vielzahl von Interaktionsmöglichkeiten in der Kommunikation unter Anwesenden graduelle Unterschiede in der Formalisierung oder Individualisierung der Beziehung verdeutlichen konnten, war die briefliche Kommunikation deutlich eingeschränkter. Die binäre Codierung «schreiben» oder «nicht-schreiben» erlaubte nur den Ausdruck von «Nähe» oder «Distanz». Im Brief selbst konnten deshalb nur graduelle Nuancen von Nähe transportiert werden, nicht jedoch grundsätzliche Distanz. Erst das Nicht-Schreiben symbolisierte Distanz. Der Adressat konnte seinerseits durch die Art und Weise, wie er den Brief in Empfang nahm und welche Ehren er ihm zuteilwerden liess, die Existenz einer Beziehung bestätigen und nuancieren. Lehnte er den Brief ab, war deutlich, dass

657 Gavoille/Guillaumont 2015, 29: «[…] il est relativement rare que l’épistolier s’adresse directement à son adversaire et, s’il le fait, il s’efforce le plus souvent d’atténuer la violence de ses attaques. Il écrit plus volontiers à un ami qu’il prend à témoin, un disciple qu’il cherche à convaincre ou encore une autorité qu’il veut rallier à sa cause.» 658 Trapp 2003, 40. 659 Cribiore 2013, 124–126; 130.

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II. Libanius

er die Beziehung nicht wünschte. Zeigte er den Brief herum und las er ihn vor, signalisierte er die Nähe zum Verfasser. Mit seinem Antwortschreiben bestätigte er die Beziehung. In seltenen Fällen schrieb Libanius vorwiegend hochrangigen Personen, dass es ihm schon viel bedeuten würde, wenn sie sich über den Brief freuten, auch wenn sie nicht antworteten.660 Diese Aussagen müssen vor dem Hintergrund gelesen werden, dass Libanius vom Boten oder anderen Bekannten vor Ort übermittelt wurde, wie sein Brief empfangen wurde. Ein freudiger Empfang von einem vielbeschäftigten Amtsinhaber bedeutete bereits grundsätzliches Wohlwollen. Wurde zudem noch die charis, um die gebeten wurde, erfüllt, konnte von der Existenz einer Beziehung ausgegangen werden. Dennoch bedurfte es für die Bestätigung in Antiochia eigentlich auch der Briefe. So schilderte Libanius dem magister peditum Barbatio, die Leute begännen sich schon zu wundern, dass er zwar keine Mühen für ihn scheue, aber nie ein Brief von ihm eintreffe.661 Grundsätzlich war es üblich, dass ein Brief beantwortet wurde, sofern einem an der Beziehung gelegen war. Bei einer neuen Kontaktaufnahme bestätigte das erste Antwortschreiben die philia. Bestand philia, gehörte regelmässiges Briefschreiben, wie bereits ausgeführt, zur Pflicht. Temporäre Schreibpausen konnten dabei bewusst als Ausdruck einer Krise oder Zeichen von Distanzierung inszeniert werden. Als ein Bote aus Phönikien in Antiochia eintraf und dem Libanius ein Bündel Briefe aus der Region überreichte, realisierte Libanius sofort, dass der Brief eines bestimmten Freundes fehlte. Als er sich danach erkundigte, wusste der Bote ihm zu berichten, dass sich jener Freund vernachlässigt fühlte und darüber bekümmert sei.662 Libanius’ Freund hatte also bewusst nicht geschrieben, obwohl er die Möglichkeit dazu gehabt hätte, um seine Verstimmung zum Ausdruck zu bringen. Auch Libanius entschied sich, nachdem ihn der Prätoriumspräfekt Anatolius wiederholt beleidigt hatte, dass die Zeit gekommen sei, nicht mehr zu schreiben.663 Zur Inszenierung von Distanz brauchte es immer die prinzipielle Möglichkeit zum Schreiben und die damit einhergehende Inklusion Dritter. Die Exklusion aus dem Kreis der Briefempfänger war erst erfahrbar, wenn ein Bote eintraf und nur andere Briefe erhielten. So hatte sich Libanius einige Jahre zuvor seinerseits bei Anatolius beschwert, dass er nicht geschrieben hatte. Damals war Anatolius gerade zum praefectus praetorio Illyrici ernannt worden. Libanius klagte, dass er zwar zu denjenigen gehört hatte, die sich über Anatolius’ neues Amt gefreut hatten, er sich jedoch nicht zu denjenigen zählen konnte, die von 660 661 662 663

Vgl. z. B. Lib. ep. 2; 510.5. Lib. ep. 556. Zur Korrespondenz mit Barbatio vgl. Seeck 1906, 94. Vgl. PLRE I, 146 f. Lib. ep. 1221.3. Lib. ep. 80.2. Vgl. zu Anatolius auch die Ausführungen in II.2.2., S. 76–83.

4. Kommunikation mit Abwesenden

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ihm einen Brief erhalten hatten. Er habe sich zu denjenigen gesellt, die aufgezählt haben, für wen alles ein Brief eingetroffen sei, und wen Anatolius geehrt habe. Er selbst sei aber leer ausgegangen.664 Auch als Themistius zahlreichen Personen in Antiochia seine neueste Rede zusandte, musste sich Libanius mit der Position des Beobachters zufriedengeben. Einer nach dem anderen habe verkündigt, so schrieb er, dass er das neueste Werk aus Themistius’ Feder erhalten habe, nur er allein sei leer ausgegangen. Dass Themistius ihn von diesem literarischen Fest ausschloss, interpretierte er als Zeichen dafür, dass es noch keine Versöhnung zwischen ihnen gebe.665 Gegenüber Honoratus, einem früheren comes Orientis, legte Libanius ausführlich dar, wie er an dessen Schreibverhalten ablesen konnte, dass er zunehmend auf Distanz ging: Nach seinem Weggang aus Antiochia erhielt Honoratus ein höheres Amt, die Prätoriumspräfektur von Gallien.666 Zu seinem Amtsantritt schrieb er an einen gewissen Theophilus und liess Libanius durch jenen grüssen. Er hatte ihn damit nicht gänzlich ignoriert, aber nicht mit einem eigenen Brief geehrt. Der Umstand, dass er nicht persönlich an ihn schrieb, irritierte Libanius. Er argwöhnte, dass Honoratus sich auf diese Weise langsam von ihm distanzieren wolle, so dass die Leute über die Veränderung nicht geschockt sein würden.667 Ganz selbstverständlich ging er auch hier davon aus, dass das geänderte Schreibverhalten von seinen antiochenischen Mitbürgern zur Kenntnis genommen würde. Als später zwar Briefe aus Gallien in Antiochia eintrafen, jedoch keiner an Libanius adressiert war, deutete Libanius dies endgültig als Indiz dafür, dass zwischen ihnen keine Freundschaft mehr bestehe.668 Eine Beziehung endete in den wenigsten Fällen mit einer förmlichen Aufkündung der Freundschaft oder gar einer Erklärung der Feindschaft. Vielmehr endete mit dem Briefwechsel auch die philia.669 Dadurch wurde nicht zwingend eine Feindschaft, sondern vielmehr ein Zustand einer sistierten philia oder einer nicht-philia erreicht. Unter Umständen konnte die philia zu einem späteren Zeitpunkt wieder reaktiviert werden. Genau dies versuchte Libanius auch mit seinem Brief an Honoratus, in welchem er ihn implizit aufforderte, das Vergangene vergangen sein zu lassen und die alte Freundschaft wieder aufzunehmen. Sein Brief zeigte diesen guten Willen – der nicht zuletzt vielleicht auch davon herrührte, dass Honoratus bald das Amt des Stadtpräfekten von Konstantinopel antreten

664 665 666 667 668 669

Lib. ep. 549.3. Lib. ep. 818.3. Zu Honoratus vgl. PLRE I, 438 f. (Honoratus 2); Petit 1994, 129 f. (Honoratus I). Lib. ep. 386.4–5. Lib. ep. 386.6. Vgl. hierzu auch II.2.4.

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II. Libanius

sollte. Allein durch die Tatsache, dass man schrieb, bekundete man, dass man an der Wahrung der philia interessiert war. So sollte dieser Umstand ein anderes Mal auch den Themistius überzeugen, dass Libanius Gerüchten, wonach sich Themistius despektierlich über Libanius geäussert habe, keinen Glauben geschenkt hatte.670 Wir fassen Konflikte in den Briefen deshalb immer nur in den Momenten, in denen sie überwunden wurden. Weil der Brief per se ein Symbol der Freundschaft war, eignete er sich nicht als Medium für eine Freundschaftsaufkündigung oder die Kommunikation mit Feinden. Eine Ausnahme stellten offene Briefe dar, wie an einem Exkurs zu Kaiser Julian kurz ausgeführt werden soll.

Kommunikation mit Feinden: Der offene Brief Eines der seltenen Beispiele eines feindlichen Briefes stammt aus der Feder von Kaiser Julian. Das Schreiben stellt gewissermassen eine Invektive in Briefform dar – und somit auch ein Spiel mit den Gattungskonventionen. Gerichtet ist der Brief an, oder wie es die meisten Handschriften formulieren, gegen Nilus Dionysius, einen römischen Senator.671 Julian hatte Nilus wahrscheinlich kurz nach seiner Proklamation zum Augustus in der zweiten Hälfte des Jahres 361 ein Amt angeboten.672 Nilus lehnte jedoch ab, da er fürchtete, in dem zu erwartenden Bürgerkrieg zwischen Julian und Constantius II. zwischen die Fronten zu geraten. Julian versuchte, ihn daraufhin mit einem Brief umzustimmen.673 Dieses Schreiben liess Nilus unbeantwortet, womit er deutlich signalisierte, dass er kein Interesse an dem Amt hatte und womöglich auch nicht davon ausging, dass Julian sich lange gegen Constantius II. durchsetzen könne. Als dieser jedoch kurz darauf unerwartet starb und Julian zum Kaiser proklamiert wurde, änderte sich die Ausgangslage dramatisch. Julian war jetzt nicht mehr ein Usurpator, für dessen Unterstützung man mit dem Tod bestraft werden konnte, sondern der legitime Herrscher. Ein Amt unter Julian war entsprechend begehrenswert. Nilus reiste daraufhin an den Hof, doch Julian weigerte sich, ihn zu empfangen.674 Daraufhin verfasste Nilus ein Schreiben an den Kaiser, welches Julian mit einem offenen Brief beantwortete. Aus Julians Antwort geht hervor, dass Nilus sich einerseits damit entschuldigt hatte, dass er ein gebranntes Kind sei, da er schon unter Constans und Magnentius gedient hatte. Andererseits stilisierte er sich offenbar selbst als Philosophen und gerierte sich als Ratgeber des Kaisers: Nicht die Übereifri-

670 671 672 673 674

Lib. ep. 62. Jul. ep. 82: Ἰουλιανὸς κατὰ τοῦ Νείλου. Zu Nilus vgl. PLRE I, 632 (Dionysius Nilus 2). Für die folgende Rekonstruktion der Ereignisse und Datierungen s. Wiemer 1996a. Jul. ep. 82 (446a). Jul. ep. 82 (446b).

4. Kommunikation mit Abwesenden

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gen solle Julian in die Ämter berufen, sondern Leute, die nur zögerlich ein Amt annehmen würden. Julian war über diese Art von Schreiben sichtlich verärgert.675 In seinem langen Antwortschreiben porträtierte Julian den Nilus als verweichlichten, moralisch verwerflichen Mann und sprach ihm jegliche Bildung ab, indem er gar auf eine falsche – sprich: nicht attizistische – Wortwahl in Nilus’ Schreiben hinwies. Julian nutzte damit zwei in Invektiven gängige Diffamierungsstrategien, die einerseits auf die paideia sowie andererseits auf die moralische und sexuelle Integrität der Person abzielten.676 Allerdings kleidete Julian seine Invektiven in die Form eines Briefes. Den Brief sandte er jedoch nicht an Nilus persönlich, sondern liess ihn breit zirkulieren: Καὶ γὰρ νῦν ἔγραψα ταυτηνὶ τὴν ἐπιστολὴν οὐ σοὶ μόνον ἀνάγνωσμα, ἐπεὶ καὶ ἀναγκαίαν πολλοῖς αὐτὴν ᾔδειν, καὶ δώσω γε πᾶσιν οὐκ ἄκουσιν, ὡς ἐμαυτὸν πείθω, ληψομένοις· σεμνότερον γὰρ ὁρῶντές σε καὶ ὀγκωδέστερον τῶν ἔμπροσθέν σοι βεβιωμένων ἄχθονται. Τελείαν ἔχεις παρ’ ἡμῶν τὴν ἀπόκρισιν, ὥστε σε μηδὲν ἐπιποθεῖν. Οὔκουν οὐδὲ ἡμεῖς παρὰ σοῦ τι πλέον ἀπαιτοῦμεν· ἀλλ’ ἐντυχών, ὅτε βούλει τοῖς γράμμασι χρῆσαι· τὰ γὰρ τῆς ἡμετέρας φι λίας ἀπείρηταί σοι. Ἔρρωσο τρυφῶν καὶ λοιδορούμενος ἐμοὶ παραπλησίως. «Auch habe ich diesen Brief da nicht für dich allein zum Lesen geschrieben, da ich weiss, dass er auch für viele andere einem Bedürfnis entspricht, und ich werde ihn deshalb auch allen (zu lesen) geben; sie werden ihn, davon bin ich überzeugt, nicht ungern zur Kenntnis nehmen. Denn wenn sie dich nun so viel mehr Würde 675 Jul. ep. 82 (446b): Οὐ γὰρ τοὺς ἐξ ἑτοίμου φὴς ἥκοντας οὐδὲ τοὺς ἐφεδρεύοντας ταῖς ἀρχαῖς, ἀλλὰ τοὺς βεβαίᾳ κρίσει χρωμένους καὶ κατὰ τοῦτο τὸ δέον αἱρουμένους, τούτους δεῖν ἀλλὰ τοὺς ἑτοίμως ὑπακούοντας αἱρεῖσθαι. Καλάς γε ἡμῖν ἐλπίδας ὑποφαίνεις οὐδὲν δεομένοις ὡς ὑπείξων, ἢν αὖθίς καλῶμεν ἐπὶ κοινωνίαν πραγμάτων. Ἐμοὶ δὲ τοσοῦτον μέρος τούτου περίεστιν, ὥστε σε, τῶν ἄλλων εἰσιεμένων, οὐδὲ προσείρηκα πώποτε. Καίτοι γε πρὸς πολλοὺς ἔγωγε τοῦτο ἐποίησα γνωρίμων τε καὶ ἀγνοουμένων ἐμοὶ κατὰ τὴν θεοφιλῆ Ῥώμην διατρίβοντας, οὕτω σου τῆς φιλίας ἀντεποιούμην, οὕτω σε σπουδῆς ἄξιον ᾠόμην. – «Du erklärst nämlich, nicht die bereitwillig sich Einstellenden, auf die Ämter Spekulierenden, sondern die eines sicheren Urteils sich Bedienenden und demgemäss für ihre Schuldigkeit sich Entscheidenden müsse ich wählen, aber nicht die willig sich Fügenden. Erfreuliche Aussichten, wahrlich, eröffnest du mir, der ich dich überhaupt nicht bitte; du wirst mir sicher den Gefallen tun, wenn ich dich erneut zur Mitwirkung an den Staatsgeschäften berufe! Dafür aber habe ich so grosses Interesse übrig, dass ich dir, während die anderen vorgelassen wurden, noch nie ein Wort gegönnt habe. Dabei habe ich damit doch wahrlich viele andere ausgezeichnet, mir bekannte wie auch unbekannte Bewohner Roms, das die Götter lieben; so sehr lege ich es auf deine Freundschaft an, so sehr hielt ich dich meiner Bemühung für wert!» (Übers. W 29, S. 85). 676 Wenig überzeugend ist die These von Malosse 2008b, dass Nilus tatsächlich homosexuell gewesen sei und von Julian in einem Subtext der Prostitution angeklagt werde, weil er ein Verhältnis mit Constans und Magnentius gehabt habe. Zu sexuellen Diffamierungen in Invektiven vgl. z. B. Cribiore 2013, 98–108.

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II. Libanius

und Gewichtigkeit zur Schau tragen sehen, als dein bisheriges Leben bewiesen hat, fühlen sie sich von Unwillen ergriffen. Damit hast du von uns die (entsprechende) Antwort so vollständig, dass dir nichts zu wünschen bleibt. Auch wir fordern nun nichts weiter von dir; wenn du mein Schreiben gelesen hast, mache Gebrauch davon, wie du willst: die Berufung auf unsere Freundschaft ist dir ja versagt. Gehab dich wohl, in Üppigkeit und in entsprechendem Lästern gegen mich!»677 Dass dieses Schreiben tatsächlich publiziert wurde, bezeugt Libanius, der an zwei Stellen darauf Bezug nahm.678 Weshalb Julian das Medium des offenen Briefes wählte, um Nilus für sein Verhalten zu bestrafen, lässt sich nicht restlos begründen und muss wohl auch mit Julians Persönlichkeit erklärt werden.679 Wie Julian im Schreiben selbst deutlich machte, hätte er auch das Vermögen des Senators einziehen können, weil sich jener weigerte, einen kaiserlichen Befehl auszuführen. Neben dem Umstand, dass Julian düpiert war, weil Nilus seine Angebote ausgeschlagen hatte, ging es möglicherweise auch darum, das Verhältnis klarzustellen. Zweimal betonte Julian, dass es keine philia zwischen ihm und Nilus gebe und gegeben habe. Es ist gut vorstellbar, dass sich Nilus zu profilieren versuchte, indem er die früheren Schreiben des Julian herumzeigte. Kaiserliche Briefe eigneten sich besonders zur performativen Inszenierung der eigenen Beziehungen, dessen war sich auch Julian bewusst.680 So ist auch der Hinweis zu verstehen, dass Nilus mit dem vorliegenden Brief des Julians machen könne, was er wolle, nur als Beleg für eine philia könne er ihn nicht verwenden. Die übliche Nutzung des Briefes war ihm also verwehrt. Julian wählte bewusst das Medium des offenen Briefes, damit die Freundschaftsaufkündigung weitherum bekannt wurde und Nilus den Brief nicht als Freundschaftsbeleg verwenden konnte. Die Auflösung einer philia konnte nicht in einem nur an den Adressaten gesendeten Brief kommuniziert werden. Dies lag nicht an gattungsspezifischen stilistischen Vorgaben, sondern vielmehr daran, dass der Brief an sich eine positive Beziehung symbolisierte, die bereits durch den Brieferhalt öffentlich bekannt wurde. Allein schon der Empfang eines kaiserlichen Briefes hätte die Stellung des Nilus besser 677

Jul. ep. 82 (446b) (Übers. W 29, S. 85; Hervorhebung S. R.). Lib. or. 18.198; ep. 758. 679 Vgl. auch Bidez 1960, 93 und Malosse 2008b, 60. 680 Vgl. Jul. ep. 40: Καὶ ἴσως ἔχει μέν τι πρὸς τὸ γαυριᾶν καὶ ἀλαζονεύεσθαι τοῖς ἰδιώταις ἡ τῶν βασιλικῶν ἐπιστολῶν ἐπίδειξις, ὅταν πρὸς τοὺς ἀσυνήθεις ὥσπερ δακτύλιοί τινες ὑπὸ τῶν ἀπειροκάλων φερόμενοι κομίζωνται. – «Vielleicht liegt auch für Privatpersonen eine Verlockung zum Grosstun und Aufschneiden im Vorzeigenkönnen kaiserlicher Briefe, wenn sie, wie die Ringe an der Hand geschmackloser Leute, an Menschen gelangen, die dessen ungewohnt sind.» (Übers. W 10). 678

4. Kommunikation mit Abwesenden

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gemacht – erst recht in Kombination mit den zuvor erhaltenen Schreiben, die ihn zur Übernahme eines Amtes aufforderten. Die Aufkündigung der Freundschaft musste deshalb öffentlich erfolgen. Zur Kommunikation mit Feinden war der Brief nicht das richtige Medium.

Affektive Sprache im Brief: Ein Zeichen von Nähe? Ein Brief symbolisierte per se die Existenz oder das Bemühen um philia. Dies haben die bisherigen Ausführungen gezeigt. Nicht mit allen Briefpartnern war Libanius jedoch gleich eng verbunden. Es stellt sich deshalb die Frage, inwiefern im Brief graduelle Abstufungen von Nähe zum Ausdruck gebracht werden konnten. Im Gegensatz zur Kommunikation unter Anwesenden, wo die Quellen meist nur die Handlung an sich überliefern, können wir bei der Kommunikation mit Abwesenden auch verbale Finessen analysieren. Emotionen und insbesondere eine Sprache, die affektive Verbundenheit ausdrückt, spielen in den Briefen eine wichtige Rolle. Es wäre allerdings ein Trugschluss zu meinen, dass wir dadurch Einblick in die Gefühlswelt der antiken Briefschreiber bekämen. Während die Empfindung von Gemütsregungen zu einem bestimmten Grad als anthropologische Konstante betrachtet werden kann, sind die Art und Weise, wie Emotionen aus- oder unterdrückt werden, kulturell bedingt. Dasselbe gilt auch für die Kopplung von Emotionen und Handlungen. Welche Emotionen in welchen Situationen zum Ausdruck gebracht werden, richtet sich also auch nach den gesellschaftlichen Erwartungen.681 Wie bereits herausgestellt wurde, handelte es sich beim Brief um ein literarisches Genos, das zu einem hohen Grad stilistischen Normen unterworfen war. Es ist hier nicht mit dem Ausdruck spontaner Gefühle zu rechnen, sondern mit einer reflektierten Verwendung emotionaler Sprache, die sich nach den gattungsund adressatenspezifischen Erwartungen richtete. Was Angelos Chaniotis für antike Texte allgemein festgehalten hat, gilt für den Brief besonders: «Various parameters determine if, how, and what emotions are displayed, suppressed, or elicited. What people really felt individually or collectively can hardly ever be studied. Ancient historians and classicists should not have any illusions to the contrary. […] But, generally, what historians can study is the part played by emotions in complex strategies of communication.»682 Fragt man nach der Funktion

681 Emotionsforschung ist zur Zeit ein florierendes Forschungsfeld in den Altertumswissenschaften. Vgl. z. B. die neueren Studien in Cairns/Fulkerson 2015; Cairns/Nelis 2017; Chaniotis 2012; Chaniotis/Ducrey 2013; Sanders/Johncock 2016. Zu Emotionen im Brief vgl. bes. Hall 2009; Dickey 2016. 682 Chaniotis 2015, 88.

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II. Libanius

affektiver Sprache im Brief, so fällt auf, dass sich vollmundige Bezeugungen von Freundschaft oftmals in Beziehungen finden, in welchen sich die Korrespondenten kaum oder gar nicht kannten. Hinzu treten Fälle, in welchen Konflikte beigelegt wurden. Jon Hall hat deswegen in seiner Analyse der Briefe Ciceros zu Recht herausgestellt, dass explizite Beteuerungen der Verbundenheit oftmals einen «inverse indicator» des effektiven Verhältnisses darstellten. Er bezeichnet diese Verwendung von emotionaler Sprache als eine «strategy of affiliative politeness».683 Der Befund bei Libanius bestätigt diese Beobachtungen weitgehend. Als besonders enge Beziehung kann die philia mit Aristaenetus gelten, die auf Libanius’ Zeit in Nicomedia zurückgeht. Aristaenetus war nach Libanius’ eigener Aussage sein bester Freund.684 Die beiden standen nach Libanius’ Rückkehr nach Antiochia in regelmässigem Briefkontakt: Zwischen 355 und 358 sind nicht weniger als 33  Briefe erhalten.685 Die Beziehung nahm ein abruptes und tragisches Ende, als Aristaenetus bei dem verheerenden Erdbeben, welches Nicomedia im August 358 erschütterte, ums Leben kam. Ein Ereignis, das Libanius in tiefe Trauer stürzte und welches er auch literarisch verarbeitete.686 Auffallend ist nun, dass in den 33 erhaltenen Briefen explizite Bekundungen der Verbundenheit kaum vorkommen. Die Briefe fallen vielmehr durch ihr Detailreichtum und ungewöhnlich lange Schilderungen aus dem Alltag auf. So berichtete Libanius seinem Freund ausführlich über seine Lehrtätigkeit und die damit verbundenen Schwierigkeiten im ersten Winter in Antiochia.687 Eine ähnlich detaillierte Schilderung findet sich nur noch in einem Schreiben an seinen Onkel.688 Auch die Sorge um die unsichere Dauer seines Aufenthaltes in Antiochia sprach Libanius gegenüber Aristaenetus offen an und gab sogar zu, dass die Krankheiten,

683 Hall 2009, 45: «Such remarks are clearly affiliative in intent, and so, from this perspective, can be classified as a strategy of affiliative politeness. Their frequent use, however, in negotiations between powerful men also endows them with a degree of formality. Such assertions are rarely necessary in relationships founded on real trust. Explicit professions of goodwill in Cicero’s letters thus often function as an inverse indicator of the intimacy that existed between correspondents. They frequently suggest that there is in fact some reason to suspect the absence of a warm rapport (as their repeated appearances in his letters to Appius Claudius attest). These expressions then are usually stylized and used in contexts characterized by a considerable degree of social distance. Courteous aristocrats such as Cicero and Marcellus take care to declare their goodwill in a conventionalized and appropriate manner; in doing so, they again demonstrate their verecundia.» 684 Lib. or. 1.56–57. Zu Aristaenetus vgl. auch II.2.2., S. 84 f. 685 Zur Korrespondenz zwischen Libanius und Aristaenetus vgl. Petit 1994, 47 f. 686 Watts 2014, 41–48. 687 Lib. ep. 405. 688 Lib. ep. 454 an Phasganius.

4. Kommunikation mit Abwesenden

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aufgrund deren er sich von Konstantinopel zurück in seine Heimatstadt hatte versetzen lassen, nur erfunden waren.689 Als Aristaenetus’ Frau starb, drückte Libanius seine tiefe Anteilnahme aus. Nach Ablauf der Trauerzeit forderte er seinen Freund jedoch auch mehrfach auf, neuen Lebensmut zu finden.690 Die individuelle Nähe zwischen Libanius und Aristaenetus fand ihren Ausdruck folglich primär in ungewöhnlich langen und ausführlichen Briefen, die teilweise bewusst mit den stilistischen Vorgaben brachen.691 Bezeichnenderweise wurde die Freundschaft zwischen Aristaenetus und Libanius nur in zwei Fällen direkt angesprochen: Zum einen als Aristaenetus länger nicht geschrieben hatte, und zum anderen als er Libanius’ Cousin keine Unterstützung zukommen liess bei der Beschaffung von wilden Tieren für Spiele, die jener in Antiochia ausrichtete.692 Libanius erinnerte seinen Freund also nur dann an die zwischen ihnen bestehende Beziehung, als jener mit philia verbundenen Pflichten nicht nachkam. Ansonsten wurde die philia als gegeben vorausgesetzt.693 Die individuelle Nähe zeigte sich also gerade in der Absenz affektiver Sprache. Dass die Beteuerung emotionaler Verbundenheit primär eine Strategie zur Herstellung einer Beziehung war, wo sie zuvor nicht bestand, bestätigt sich anhand von Briefen, in welchen Libanius die Korrespondenz mit Personen eröffnete, die er kaum oder gar nicht kannte. Libanius versuchte nur selten über das Medium Brief mit Personen in Kontakt zu kommen, mit welchen er zuvor noch nicht oder erst kurz persönlich zusammengetroffen war. Solche Kontaktversuche bargen immer das Risiko, abgewiesen zu werden. Es fällt deshalb auf, dass Libanius genau in diesen Fällen die emotionale Verbundenheit zwischen sich und dem Adressaten herausstellte. Ein solches Beispiel stellt die Kontaktaufnahme mit Gaianus dar, die bereits in Kapitel II.2.1. im Hinblick auf die Verbindung von philia und charis besprochen wurde.694 Libanius wandte sich an den phönikischen Advokaten, weil er von ihm einen Gefallen für einen Landsmann erwirken wollte. Er kannte ihn noch nicht persönlich, was ihn jedoch nicht hinderte, auf eine äusserst affektive Sprache zurückzugreifen. Er stellte mehrfach die philia heraus, die er für Gaianus empfinde, und bezeichnete den Brief als Liebesbeweis (ἐρωτικόν). Hier wird einerseits ein pragmatischer Zugang zu Emotionen sichtbar: Die philia wurde etabliert, um eine charis erbitten zu können. Andererseits wird mit der 689

Lib. ep. 430.2. Lib. ep. 405; 414; 430; 495. 691 Die richtige Länge von Briefen wurde überdies spielerisch diskutiert: Lib. ep. 561; 580. 692 Lib. ep. 20; 586. 693 So auch Bradbury 2006, 246, der zudem noch weitere Beispiele aus anderen Korrespondenzen zusammengestellt hat. 694 Lib. ep. 336. Vgl. S. 63 für das vollständige Zitat der zu besprechenden Passage. 690

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II. Libanius

zusätzlich eingebrachten eros-Terminologie auch eine platonische Prägung des Freundschaftsvokabulars evident. Damit evozierte Libanius den verbindenden Bildungshintergrund.695 Als Grundlage für die im Brief geäusserten Gefühle zu Gaianus wurden dann auch die logoi angeführt. Das gewählte Vokabular drückte die Beziehung aus, die Libanius erreichen wollte, die zum Zeitpunkt des Schreibens aber noch nicht bestand. Auch als Libanius einen Brief an den magister militum per Orientem Ellebichus sandte, war er nicht sicher, ob er bereits von einer Freundschaftsbeziehung ausgehen konnte.696 Er war in Antiochia nur kurz mit ihm zusammengetroffen. Der Brief verfolgte also auch hier das Ziel, eine philia überhaupt erst zu konstituieren. Als Referenz diente ihm der Bote Florentianus, der offenbar mit Briefen des Ellebichus in Antiochia eingetroffen war und wieder zu ihm zurückreiste. Für Libanius war kein Brief dabei, doch hatte Florentianus ihn aufgefordert, dennoch zu schreiben und die Initiative zu übernehmen: Γράμματα μὲν ὁ χρηστὸς Φλωρεντιανὸς οὐκ ἤνεγκέ μοι παρὰ σοῦ, γράψαι δέ με πρότερον ἔπεισεν ὀμόσας ἐμὲ φιλεῖσθαι παρὰ σοῦ. καὶ ἐγὼ τῷ μὲν οὐκ ἀπιστήσας, σὲ δὲ θαυμάσας εἰ τὰ ἐπὶ τῆς ἑσπέρας ἐκείνης ῥήματα ὀλίγα φιλίας ἀρχὴν ἐποιήσω, γέγραφα τοῦ τε φιλεῖσθαι χάριν εἰδὼς καὶ γράμματα ἀπαιτῶν. εἰ δ’ αὖ καὶ κωλύῃ τῷ πλήθει τῶν πραγμάτων, ἀλλ’ ἔμοιγε μέγα καὶ τὸ φιλεῖσθαι μόνον. «Einen Brief hat mir der gute Florentianus von dir nicht gebracht, aber er überzeugte mich, dir zuerst zu schreiben, indem er versicherte, dass du mir freundschaftlich gesinnt seiest [wörtl.: dass ich von dir geliebt werde – ἐμὲ φιλεῖσθαι παρὰ σοῦ]. Ich misstraute dem nicht, wunderte mich aber über dich, dass du für dich das wenige Gesprochene an jenem Abend zum Beginn der Freundschaft [φιλίας ἀρχήν] machtest. Ich habe dir geschrieben, denn ich weiss Dank für deine freundschaftliche Gesinnung [wörtl.: für das Geliebtwerden – τοῦ τε φιλεῖσθαι] und fordere einen Brief zurück. Wenn du aber von der Menge deiner Angelegenheiten abgehalten wirst, bedeutet mir allein schon die freundschaftliche Gesinnung [wörtl.: das Geliebtwerden – τὸ φιλεῖσθαι] viel.»697

695 Für die Verwendung des platonischen Freundschaftsvokabulars in Libanius’ Briefen vgl. auch die in II.2.2. besprochene Korrespondenz mit Anatolius (bes. Lib. ep. 438) sowie allgm. Bradbury 2006, 254 f. Wenn Bradbury allerdings bemerkt, dass der Rekurs auf «the erotic language of Platonic love […] implicitly praises the official’s literary culture without imposing the obligations of philia», so ist dies zu relativieren. Bereits das angeführte Schreiben an Gaianus zeigt, dass philia- und eros-Terminologie nebeneinanderstehen und durchaus auch explizit mit den Bitten um charites verbunden sein konnten. 696 Zu Ellebichus vgl. Seeck 1906, 167 (Hellebicus); PLRE I, 277 f. (Ellebichus). 697 Lib. ep. 2. Florentianus ist ausserhalb dieses Briefes, der in das Jahr 383 datiert, nicht bekannt.

4. Kommunikation mit Abwesenden

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In jedem Satz dieses kurzen Schreibens verwandte Libanius das Verb φιλέω. Es würde ihm viel bedeuten, von Ellebichus geliebt zu werden, so führte er aus, und er hoffte, mit dem Brief die philia zu initiieren. Als magister militum war Ellebichus eine wichtige Person. Auf den Statusunterschied ist die Vorsicht zurückzuführen, mit der sich Libanius ausdrückte: Zwar würde er gerne einen Brief von Ellebichus erhalten und sich so die philia bestätigen lassen, doch selbst falls ihn jener in dieser Hinsicht enttäuschen würde, wolle er von einer freundschaftlichen Gesinnung ausgehen. Diese Rückversicherung von Seiten des Sophisten erwies sich als unbegründet: Ellebichus reagierte auf die Kontaktanfrage, und es sind in der Folge noch eine Handvoll Briefe erhalten.698 Auch in einigen späteren Schreiben erinnerte Libanius an die Verbundenheit zwischen ihm und dem magister militum, indem er auf die gemeinsam in Antiochia verbrachte Zeit verwies.699 Es findet sich aber auch ein Empfehlungsschreiben an Ellebichus für einen ehemaligen Schüler, das gänzlich ohne Appell an die Freundschaft auskam.700 Offenbar ging Libanius zu diesem Zeitpunkt von der Existenz einer gefestigten philia aus, so dass er sie nicht mehr zu erwähnen brauchte. Besonders deutlich wurde Libanius bezeichnenderweise erst wieder, als die Beziehung kriselte. Libanius hatte sich vergeblich darum bemüht, dass sein Hilfslehrer Thalassius in den Senat von Konstantinopel aufgenommen würde, um so den kurialen Pflichten zu entgehen.701 In der entsprechenden Sitzung des Senates war Ellebichus präsent, versäumte es aber, Partei für Thalassius zu ergreifen. Libanius war sogar zu Ohren gekommen, dass sich Ellebichus gegen Thalassius ausgesprochen hatte. Diesem Gerücht wolle er jedoch nicht glauben, denn Ellebichus sei ihm immer ein guter Freund gewesen (σύ τε γὰρ χρηστὸς καὶ φίλος ἡμῖν).702 Libanius erinnerte Ellebichus damit deutlich an die bestehende Freundschaft. Von einem Freund erwartete er Unterstützung, was er am Ende des Briefes nochmals 698 Ellebichus hatte später zeitweise (um 385) auch in Antiochia gelebt, wo er eine herrschaftliche Villa und ein Bad errichten liess (vgl. Lib. ep. 898). Er scheint in dieser Zeit den Libanius auch um einen Panegyricus gebeten zu haben, den jener erfolgreich aufführte (vgl. die Verweise in Lib. or. 1.232 und or. 22.2). 387 wurde Ellebichus von Theodosius nach dem Statuenaufstand erneut nach Antiochia geschickt und erwies sich dabei als milder Richter, wofür er Libanius’ Dank erntete. Daraufhin verfasste Libanius in or. 22 nochmals einen kleinen Panegyricus auf den magister militum, der zu dieser Zeit allerdings bereits wieder in Konstantinopel weilte. Erst in ep. 925 (390) zeigte er sich enttäuscht über Ellebichus: Offenbar hatte jener seinen Einfluss nicht dafür eingesetzt, die Kandidatur von Libanius’ Hilfslehrer Thalassius in den Senat zu unterstützen. 699 Vgl. Lib. ep. 868 und 898. 700 Lib. ep. 884. 701 Zu Libanius’ Bemühungen um Thalassius vgl. Norman 2000, 145–148. Zu Thalassius vgl. Seeck 1906, 291 (Thalassius IV); PLRE I, 888 f. (Thalassius 4). 702 Lib. ep. 925.2.

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II. Libanius

zum Ausdruck brachte, indem er die Bitte für Thalassius wiederholte. Es handelt sich hier um das letzte erhaltene Schreiben an den magister militum. Es ist also davon auszugehen, dass Ellebichus auf dieses Schreiben nie reagierte und Libanius damit zu verstehen gab, dass er ihn nicht mehr als philos betrachtete. Eine Beziehung, die Höhen und Tiefen kannte, war diejenige zu Proclus.703 Auffallend ist hier vor allem, dass aus der Feder des Libanius einerseits heftige Invektiven gegen Proclus erhalten sind und andererseits Briefe, welche die Verbundenheit betonen. Albert F. Norman bemerkt in Bezug auf Proclus gar: «There is little more distasteful about Libanius’ attitude to officialdom than his gross flattery of the man in his letters and his vilification of him in private orations.»704 Eine nähere Betrachtung der Briefe bestätigt jedoch durchaus die Differenzen, die zwischen Libanius und Proclus bestanden. Proclus war von 383 bis 384 als comes Orientis in Antiochia tätig gewesen. In dieser Zeit kam Libanius wohl erstmals mit ihm in Kontakt. Die Beziehung scheint von Beginn an zwiespältig gewesen zu sein. Einerseits war Libanius mit Proclus’ Vater Tatianus befreundet, und Proclus liess während seiner Amtszeit offenbar ein Porträt von Libanius im Rathaus aufstellen.705 Andererseits proklamierte Libanius in einer Rede aus jener Zeit öffentlich, dass es keine philia zwischen ihm und Proclus gebe.706 Während diese Aussage noch verhältnismässig harmlos war, beschrieb Libanius die Amtszeit des Proclus in seiner Autobiographie mit folgenden Worten: Πρόκλου δὲ μνησθεὶς χειμῶνός τε μέμνημαι καὶ αἰγίδος καὶ πληγῶν καὶ αἵματος. ἦν μέντοι τι καὶ ἐνταῦθα ἀγαθὸν ἐμοί, τὸ τοῖς δρωμένοις τούτοις καὶ ἄχθεσθαι καὶ δοκεῖν· οὐδὲ γὰρ ᾔειν ὡς αὐτόν, ὃ πρὸς οὐκ ὀλίγους ἐπεποίητό μοι τῶν ἐπὶ τῆς αὐτῆς τάξεως. «Wenn ich des Proclus gedenke, so denke ich an Gewitter, Sturm, Schläge und Blut. Doch hatte auch das sein Gutes für mich, nämlich dass ich mich über sein Tun empörte und diese Empörung zeigen konnte: Ich machte ihm keine Besuche wie sonst vielen in seiner Stellung. Zur Ehre gereichte mir also mein offener Hass gegen ihn und sein Hass gegen mich, den er verheimlichen wollte und doch nicht konnte.»707

703 Zu Proclus vgl. Seeck 1906, 248–250 (Proculus III); PLRE I, 746 f. (Proculus 6); Petit 1994, 213–217 (Proculus  III). Die Beziehung zwischen Libanius und Proclus wird u. a. bei Martin 1988, 205–215; Swain 2004, 385–389 und Cribiore 2013, 126–129 thematisiert. 704 Norman 1992 (Vol. 2), 307 Anm. d. 705 Lib. or. 42.40–41. Zu Tatianus vgl. die Ausführungen weiter oben, S. 171 f. 706 Lib. or. 10.3. Vgl. zu dieser Rede bereits die Ausführungen in II.3.1. 707 Lib. or. 1.212 (Übers. nach Wolf 1967). Vgl. auch Lib. or. 1.221–224; 26.30; 27.13; 27.30; 29.10.

4. Kommunikation mit Abwesenden

185

Proclus verliess sein Amt überhastet noch vor den Olympischen Spielen des Jahres 384. Wahrscheinlich war er in Ungnade gefallen, was die harten Worte des Libanius, der Proclus’ Amtszeit auch als Tyrannis bezeichnete, erklären würde.708 Allerdings erschien Proclus nur zwei Jahre später wieder auf der politischen Bühne, als er das Amt des comes sacrarum largitionum übernahm und damit fortan am Hof anzutreffen war. Im Jahre 388 kehrte er kurzzeitig nach Antiochia zurück, wahrscheinlich um begonnene Bauprojekte fertigzustellen.709 Noch im gleichen Jahr wurde er zum Stadtpräfekt von Konstantinopel ernannt, während sein Vater Tatianus die Prätoriumspräfektur des Orients übernahm. Das VaterSohn-Duo gehörte in der Folge bis zu ihrem Sturz im Jahre 392 zu den einflussreichsten Personen in Konstantinopel.710 Es erstaunt nicht, dass Libanius in dieser Zeit die Beziehung auch zu Proclus wiederaufnahm. Allerdings kam es wenig später erneut zu einem Eklat, welcher sich in einer weiteren harschen Invektive niederschlug: Proclus weigerte sich, genauso wie Ellebichus und auch Tatianus, die Aufnahme von Libanius’ Hilfslehrer Thalassius in den Senat zu unterstützen. Als Stadtpräfekt wäre Proclus in der einflussreichen Position gewesen, den Antrag in der Senatssitzung zu unterstützen. Als Libanius von dem negativen Entscheid hörte, schrieb er nochmals an Proclus und wiederholte seine Bitte. Seinen Brief leitete er wie folgt ein: Ἡμεῖς δὲ οὐ πεπόνθαμεν τὸ τῆς παροιμίας, ἥ φησιν ἔρωτα ὕβρει λύεσθαι, ἀλλ’ ἐλαυνόμενοι καὶ παιόμενοι καὶ τί κακὸν οὐκ ἀκούσαντες ὅμως ἐσμὲν ἐρασταὶ καὶ τῶν αὐτῶν ἐπιθυμοῦμεν κἂν δέχηταί τις, ἐρχόμεθα μεθ’ ἡδονῆς οὐδὲν εἰρῆσθαι τῶν εἰρημένων νομίζοντες. «Wir haben nicht erfahren, dass gemäss dem Sprichwort die Liebe [eros] von der Hybris aufgelöst wird; obwohl wir geschlagen und getreten wurden und es kaum etwas Schlechtes gibt, was uns nicht zu Ohren gekommen ist, so bleiben wir dennoch Liebende und wir begehren dieselben Dinge. Und sollte uns jemand empfangen, kommen wir mit Freuden und erachten von dem Gesagten nichts als gesagt.»711 Libanius betont also, dass trotz allem was vorgefallen sei, er immer noch davon ausgehen wolle, dass er und Proclus befreundet seien. Auch hier ist das eros708

Lib. or. 1.221. Lib. ep. 840.5. Vgl. auch ep. 852.2. 710 Wie Matthews 1975, 114 hervorhebt, wurde Tatianus in dem Moment zum Prätoriumspräfekten des Orients ernannt, als Theodosius sich in den Westen begeben musste, um den Usurpator Maximus zu bekämpfen (388–391). Die gleichzeitige Ernennung von Proclus zum Stadtpräfekten von Konstantinopel zeugt deutlich von dem Vertrauen und der Gunst des Kaisers, welche die beiden zu dieser Zeit genossen haben müssen. 711 Lib. ep. 922.1. Das Proverb, welches Libanius zitiert, findet sich auch in ep. 801.1. 709

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II. Libanius

Vokabular greifbar. Wenn Libanius eros aber in Verbindung mit einem Sprichwort bringt und beteuert, bei ihm treffe nicht zu, dass eros durch hybris zerstört worden sei, so assoziiert er das Verhalten des Proclus mit hybris. Der Brief stellt ein Versöhnungsangebot dar; das Vergangene soll vergessen werden, das Gesagte soll als ungesagt gelten. Der Brief ist aber keineswegs schmeichelhaft, obwohl Libanius von eros spricht und sich selbst als erastes bezeichnet. Vielmehr kann man die Distanz zwischen den Zeilen deutlich lesen, aber auch das Bemühen, diese zu überwinden. Proclus hat auf dieses Schreiben lange nicht reagiert und seine Entscheidung zu Thalassius auch nicht geändert. Libanius machte seinem Ärger in einer Invektive Luft, in welcher er auch mit Proclus hart ins Gericht ging.712 Ob diese Schrift publiziert wurde und wie breit sie gegebenenfalls zirkulierte, ist strittig.713 Zwischen Libanius und Proclus herrschte nach dieser Angelegenheit erst einmal Funkstille: ein klares Anzeichen für die angespannte Stimmung. Auf das lange Nicht-Schreiben nahm der nächste erhaltene Brief des Libanius Bezug.714 Die Korrespondenz setzte von da an wieder ein und wurde auch fortgeführt bis ins Jahr 392 und damit bis zum Sturz des Proclus. Wir fassen hier also das Beispiel einer politischen Versöhnung. Festzuhalten ist, dass in Fällen akuter Krise der Briefverkehr unterbrochen wurde. Das Briefschreiben wurde erst wieder aufgenommen, wenn der Wille, den Konflikt beizulegen und eine neue Beziehung zu beginnen, zumindest auf einer Seite vorhanden war.

Zusammenfassung: Die symbolische Bedeutung des Briefes Briefschreiben war Teil der mit philia verbundenen Normen und Konventionen. Befanden sich zwei Freunde an unterschiedlichen Orten, so wurde erwartet, dass sie sich schrieben, wann immer die Möglichkeit dazu bestand. Dabei war der Umstand, dass geschrieben wurde, wichtiger als der konkrete Informationsgehalt des Briefes. Die Bedeutung des Briefes für die Pflege von Freundschaftsbe-

712

Lib. or. 42.33–44. Vgl. Martin 1988; Norman 2000, 147 f.; Cribiore 2013, 128 f. Martin und Norman gehen davon aus, dass diese Rede höchstens einem kleinen Kreis von Vertrauten vorgelesen wurde, da sonst der weitere Briefwechsel mit Proclus schwer erklärbar sei. Cribiore 2013, 130 dagegen betont zu Recht, dass die Spannung in den Briefen ebenfalls ersichtlich sei. Zudem argumentiert sie, dass die Invektiven durchaus publiziert worden sein könnten, da den Zeitgenossen die gattungsspezifischen Konventionen vertraut gewesen seien und sie über Invektiven wohl nicht erfreut, aber doch auch nicht sonderlich empört reagiert hätten. Dies widerspricht allerdings dem, was beispielsweise Lendon 1997 zur Bedeutung der Ehre in der römischen Gesellschaft herausgearbeitet hat. 714 Lib. ep. 938. Zur Abfolge der Korrespondenz vgl. Petit 1994, 213 f. 713

4. Kommunikation mit Abwesenden

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ziehungen ist entsprechend in der Forschung auch immer wieder herausgestellt worden. Doch die soziale und symbolische Funktion des Briefes ist damit noch nicht erschöpfend erklärt. Die symbolische Bedeutung des Briefes wird evident, wenn nach der Darstellung von Nähe und Distanz gefragt wird und dabei die Umstände des Empfangs von Briefen und dessen Sichtbarkeit in den Blick genommen werden, die Möglichkeiten der Performanz betrachtet werden und gleichzeitig die auffällige Absenz feindlicher Briefe berücksichtigt wird. Zunächst ist zu betonen, dass der Erhalt von Briefen im städtischen Raum potentiell sichtbar war. Trafen Boten in der Stadt ein, so war dies ein Ereignis, das sich schnell herumsprach. Hinzu kommt, dass Briefe oftmals an öffentlichen Plätzen wie der agora und damit vor den Augen zahlreicher Umstehender übergeben wurden. Der Brief wurde dabei als Zeugnis einer existierenden Beziehung betrachtet. Die Sichtbarkeit brieflicher Verbindungen ist zentral für die symbolische Bedeutung des Briefes. Erst dadurch, dass Schreiben und Nicht-Schreiben öffentlich wahrgenommen wurden, konnten sie als wirksame Instrumente zur Herstellung von Nähe und Distanz eingesetzt werden. Von Seiten des Senders markierte der Brief immer Nähe. Der Adressat konnte den Brief bei Erhalt publikumswirksam abweisen, um zu demonstrieren, dass ihm an dieser Verbindung nichts gelegen war. Oder er konnte seine Freude zum Ausdruck bringen und mit einem Antwortschreiben die philia bestätigen. Indem der Empfänger den Brief weiterreichte oder vorlas, ehrte er den Verfasser. Gleichzeitig machte er damit die Beziehung zu dem abwesenden Freund einem weiteren Kreis bekannt. Über die mittelbare Präsenz mit Hilfe des Briefes und teilweise auch des Boten, der als lebendiger Stellvertreter des Verfassers agieren konnte, wurde der Abwesende in die Kommunikation unter Anwesenden integriert. Dabei wurden Briefe auch bewusst bei bestimmten Anlässen wie einem Gastmahl rezitiert und damit der Abwesende als anwesend wahrgenommen. Wie gezeigt wurde, antizipierten Verfasser das Vorlesen ihrer Briefe. Auf diese Weise konnten Briefe als strategisches Mittel genutzt werden, um überregionale Netzwerke zu konstruieren und bekannt zu machen. Weil ein Brief per se Nähe symbolisierte, konnten Konflikte nur bis zu einem gewissen Grad über die Korrespondenz ausgetragen werden. Dies erklärt die erstaunliche Absenz feindlicher Briefe. Aufgrund der symbolischen Bedeutung des Briefes konnte nur solange geschrieben werden, wie grundsätzlich der Wille zu einer philia gegeben war. Konflikte sind im Brief deshalb immer nur dann fassbar, wenn die Involvierten bemüht waren, sie beizulegen. Distanz konnte nur durch demonstratives Nicht-Schreiben zum Ausdruck gebracht werden. Für die Inszenierung von Distanz mit Abwesenden brauchte es immer Dritte, die inkludiert waren, um die Exklusion überhaupt sichtbar zu machen. Nicht-Schreiben

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II. Libanius

konnte immer dann performiert werden, wenn es gleichzeitig andere gab, an die geschrieben wurde. In einer Stadt von der Grösse Antiochias war dies ohne Weiteres der Fall. Es wurde aufmerksam beobachtet, wer von wem einen Brief bekam und wer nicht. Bereits einmaliges Auslassen einer Möglichkeit zur Korrespondenz konnte eine Verstimmung signalisieren. Je häufiger Briefe eintrafen, umso gefestigter war die Beziehung. Graduelle Unterschiede in der Nähe zwischen zwei Korrespondenten konnte jedoch nicht primär an der Regelmässigkeit des Briefverkehrs festgemacht werden, da immer auch äussere Umstände wie die Verfügbarkeit von Boten bedingten, wie oft geschrieben werden konnte. Im Brief selbst waren graduelle Unterschiede von Nähe feststellbar. Hier zeigte sich, dass sich die Korrespondenten umso stärker von den formalen Vorgaben der Epistolographie lösen konnten, je grösser die individuelle Nähe und je geringer der Unterschied in der Hierarchie war. Besonders lange und besonders detaillierte Schilderungen finden sich entsprechend vor allem in Beziehungen, die durch eine grössere Nähe gekennzeichnet waren. Relative Distanz zeigte sich demgegenüber in formelhaften Wendungen, zahlreichen Topoi und oftmals einem stark affektiven Vokabular. Immer dann, wenn die Beziehung nicht gefestigt war, es Konflikte zu überwinden galt oder der Kontakt überhaupt erst hergestellt werden sollte, wurden die philia und das philein im Brief besonders betont. Solche Versicherungen der Verbundenheit waren in gefestigten Beziehungen nicht nötig. Der Brief selbst war ja bereits ein Symbol der Nähe. Zur Kommunikation mit Feinden eignete er sich deshalb nur, wenn er als offener Brief publiziert wurde, indem er von Anfang an einen breiteren Adressatenkreis gesandt wurde. Diese Strategie wurde von Libanius – im Gegensatz zu dem christlich sozialisierten Julian – nicht genutzt. Wir werden aber im dritten Teil dieser Arbeit sehen, dass christliche Autoren auf das Medium des offenen Briefes auswichen, um Diskussionen mit kirchenpolitischen Gegnern zu führen. Im Folgenden soll nun das Freundschaftsverständnis der Kappadokier und des Johannes Chrysostomus betrachtet und nach den Möglichkeiten der Performanz von Nähe und Distanz im klerikalen Kontext gefragt werden.

III. Die Kappadokier und Johannes Chrysostomus 1. Die Kappadokier und Johannes Chrysostomus als Vertreter der christlichen Eliten Mit den drei Kappadokiern und Johannes Chrysostomus werden vier christliche Autoren betrachtet, die in unmittelbarer zeitlicher und geographischer Nähe zu Libanius stehen. Sie gehören alle zu derjenigen Generation von Christen, deren Leben in die Zeit nach der konstantinischen Wende fiel und damit auch in die Zeit, in der die Verbreitung des Christentums erstmals kaiserlich gefördert und dadurch beschleunigt wurde. Um nach Christianisierungsprozessen auf der Ebene interpersonaler Beziehungen zu fragen und zugleich eine Vergleichbarkeit mit dem paganen Protagonisten dieser Arbeit zu gewährleisten, eignen sich diese Autoren deshalb besonders gut. Zunächst gilt es, sie über ihre Biographie und ihre soziale Stellung historisch zu verorten (III.1.1.). Im Anschluss werden ihre Beziehungen und die hierfür einschlägige Quellenlage kurz dargelegt (III.1.2.).

1.1. Soziale Stellung Die Kappadokier Basilius von Caesarea und sein jüngerer Bruder Gregor von Nyssa entstammten einer kinderreichen christlichen Grossgrundbesitzerfamilie, die Ländereien in den Provinzen Pontus, Kappadokien und Kleinarmenien besass. Ihr Vater, Basilius der Ältere, war Rhetor und Advokat in Neocaesarea. Ihre Mutter Emmelia gehörte einer angesehenen kappadokischen Familie an.1 Ob die Familie senato-

1

Zur Familie des Basilius vgl. u. a. Hauschild 1980, 302; Hauschild 1990, 2; Rousseau 1994, 1–26; Van Dam 2003, 15–24. Zu Basilius’ Leben und Wirken vgl. v. a. Rousseau 1994 sowie die prägnante Darstellung in Hauschild 1990, 1–31; Hauschild 1993, 1–29. S. aber auch die wichtigen Studien von Bernardi 1968; Courtonne 1973; Fedwick 1979; Fedwick 1981; Fedwick 1993; Fedwick 2004; Giet 1941a; Pouchet 1992; Van Dam 2003; Vischer 1953a. Zu Gregor von Nyssa vgl. u. a. Meredith 1999; Silvas 2007, 1–57; Marmodoro/ McLynn 2018; Radde-Gallwitz 2018.

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III. Die Kappadokier und Johannes Chrysostomus

rischen Status hatte, wurde kontrovers diskutiert.2 Mehrheitlich wird davon ausgegangen, dass die Familie der provinzialen Elite zuzurechnen ist und lokal über beachtlichen Einfluss verfügte.3 Die Familien mütterlicher- wie väterlicherseits waren schon seit mehreren Generationen christlich. Sie vereinten christliche und klassische Bildung. Basilius wuchs bei seiner Grossmutter Makrina der Älteren auf, die ihrerseits eine Schülerin von Gregor dem Wundertäter war. Sie vermittelte dem kleinen Basilius die erste Einführung in die christliche Lehre.4 Durch seinen Vater wurde er mit der griechischen Literatur vertraut, ohne allerdings dadurch die christlichen Schriften zu vernachlässigen.5 Später besuchte er eine Schule in Caesarea. Möglicherweise lernte er bereits hier Gregor von Nazianz kennen, der seine erste rhetorische Ausbildung ebenfalls in der kappadokischen Hauptstadt erhielt.6 Von Caesarea führten ihn die Studien nach Konstantinopel. Die Stadt am Bosporus war für ihre Sophisten und Philosophen bekannt.7 Allerdings hielt sich Basilius hier nur kurz auf, bevor er nach Athen ging, um dort seine Ausbildung in griechischer Rhetorik zu vervollständigen. Spätestens hier trafen Basilius und Gregor von Nazianz aufeinander. Die beiden kappadokischen Christen verbrachten die Studienzeit in Athen gemeinsam und wurden Freunde.8 Gregor von Nazianz war Ende der 320er Jahre als Sohn des gleichnamigen Bischofs von Nazianz geboren worden.9 Er war damit etwas älter als Basilius von Caesarea, dessen Geburtsjahr um 330 anzusetzen ist. Gregor von Nazianz stammte ebenfalls aus einer begüterten christlichen Familie, die ihm eine her-

2

Treucker 1961, 7–16 sprach sich dafür aus, während Giet 1965 und Kopecek 1973 dies ablehnten und der Familie des Basilius kuriale Herkunft bescheinigten. 3 Vgl. Hauschild 1990, 2, der die Familie dem «begüterten Landadel Kappadokiens» zuweist. Van Dam 2003, 18 spricht von «provincial aristocrats», erwähnt in 192 Anm. 7 allerdings, dass Basilius und sein Bruder sich nie sorgten, zu kurialen Pflichten beigezogen zu werden, womit er impliziert, dass auch die These der senatorischen Herkunft nicht ganz von der Hand zu weisen sei. Dies kann jedoch auch damit erklärt werden, dass Basilius wie auch Gregor als Kleriker von munizipalen Pflichten befreit waren. 4 Vgl. Bas. ep. 204.6; 210.1; 223.3. S. Van Dam 2003, 16 f. zu den Grosseltern von Basilius und deren Rolle in seinem Leben. 5 Vgl. Greg. Naz. or. 43.12. Zu Basilius dem Älteren vgl. Van Dam 2003, 18–24. 6 Greg. Naz. or. 43.13. Gregor erwähnt an dieser Stelle, dass auch er in Caesarea studiert habe, führt aber nicht aus, ob er und Basilius gemeinsam die Schulbank gedrückt haben. 7 Greg. Naz. or. 43.14. Zu Konstantinopel als Ausbildungsstätte vgl. u. a. Schlange-Schöningen 1995. 8 Greg. Naz. or. 43.14–23. Zu Basilius’ Zeit in Athen s. Rousseau 1994, 27–60. Zur Entwicklung der Freundschaft zwischen Gregor von Nazianz und Basilius vgl. u. a. Van Dam 2003, 156–161. 9 Zu Gregor von Nazianz und dem Folgenden vgl. u. a. Gallay 1943; Ruether 1969; Bernardi 1995; McGuckin 2001; Van Dam 2003; Daley 2006; McLynn 2006a; McLynn 2006b; Beeley 2008; Beeley 2012; Elm 2012; Storin 2019.

1. Die Kappadokier und Johannes Chrysostomus als Vertreter der christlichen Eliten

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vorragende Ausbildung ermöglichte.10 Nach ersten Studien in Caesarea begab sich Gregor zunächst nach Palästina und dann nach Alexandria, bevor auch er in Athen seine rhetorische Ausbildung abschloss.11 In Athen lernte Gregor, und mit ihm wohl auch Basilius, den späteren Kaiser Julian kennen.12 Ungefähr um das Jahr 356 verliess Basilius und wenig später Gregor von Nazianz die berühmte Ausbildungsstätte. Basilius kehrte nach Caesarea zurück, wo er kurzzeitig als Rhetoriklehrer tätig war. Er entschied sich jedoch für ein asketisches Leben und gab seine beruflichen Ambitionen auf. Möglicherweise wurde er bei diesem Schritt von seiner älteren Schwester Makrina beeinflusst, die zusammen mit ihrer Mutter eine Klostergemeinschaft gegründet hatte.13 Auch mit Eustathius von Sebaste, der im Osten ein Vorreiter der asketischen Bewegung war, stand Basilius in Kontakt.14 Um die verschiedenen asketischen Lebensformen kennenzulernen, unternahm er eine ausgedehnte Studienreise zu den wichtigsten monastischen Zentren in Ägypten, Palästina, Syrien und Mesopotamien.15 Nach seiner Rückkehr zog er sich auf ein familiäres Landgut in Annisi zurück, das in Pontus am Ufer des Flusses Iris gelegen war, um sich der Askese hinzugeben. Hier blieb er mehrere Jahre.16 Auch Gregor von Nazianz lud er zu sich ein.17 Gregor war nach dem Studium nach Nazianz zurückgekehrt, wo er wie Basilius zunächst als Rhetoriklehrer arbeitete.18 Er folgte der Einladung seines Freundes und besuchte ihn in Annisi, wenn auch nicht für lange.19 Um das Jahr 362 drängte ihn sein Vater zur Priesterweihe, damit er ihn bei der Betreuung der Gemeinde von Nazianz unterstütze. Gregor floh zunächst vor der Verantwortung und fand nochmals bei Basilius Unterschlupf. Kurze Zeit später kehrte er jedoch nach Nazianz zurück, wo er fortan die Gemeinde an der Seite seines Vaters leitete.20 Basilius’ Zeit in Annisi war immer wieder von Aufenthalten in Caesarea unterbrochen, wo er um das Jahr 364 ebenfalls zum Priester geweiht wurde. In dieser 10

Zur kurialen Herkunft von Gregor vgl. McLynn 2006b. Greg. Naz. or. 43.13; 7.6; de vita sua 112–130; 211. Zur Ausbildung von Gregor von Nazianz vgl. Daley 2006, 3–7; Beeley 2008, 5–9. 12 Greg. Naz. de vita sua 355. Zum Verhältnis von Gregor und Julian vgl. insbes. Elm 2012. 13 Greg. Nyss. vita Macr. 6.5–7.8. Zu Makrina der Jüngeren und Basilius’ Mutter Emmelia vgl. Van Dam 2003, 98–113. Zu Makrina s. auch Albrecht 1986; Silvas 2008. 14 Vgl. Bas. ep. 1 und 223.2. S. auch Hauschild 1982; Rousseau 1994, 239–244. 15 Bas. ep. 1 und 223.2. 16 Siehe Bas. ep. 210.1. 17 Vgl. Bas. ep. 14. S. auch Greg. Naz. ep. 1; 2; 4. 18 Siehe McLynn 2006a. 19 Vgl. Greg. Naz. ep. 5. 20 Siehe Greg. Naz. or. 1; 2. Zu Gregors Tätigkeit in Nazianz vgl. u. a. McGuckin 2001, 83–168. 11

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III. Die Kappadokier und Johannes Chrysostomus

Funktion unterstützte er Eusebius, den Bischof von Caesarea, und nahm auch bereits aktiv an der Kirchenpolitik teil. Nach Eusebius’ Tod im Jahre 370 wurde Basilius zum Bischof von Caesarea geweiht. In dieser Position wirkte er bis zu seinem Tod im Jahr 378.21 Sein Episkopat fiel in eine kirchenpolitisch turbulente Zeit. Der trinitarische Streit war noch immer in vollem Gange. Basilius selbst entwickelte sich im Laufe seines Lebens von einem Homöusianer, der allerdings das Nizänum akzeptierte, zu einem Neunizäner.22 Das von Kaiser Valens favorisierte homöische Bekenntnis lehnte er ab. Er widersetzte sich den Beamten des Kaisers wie auch dem Kaiser selbst.23 Offenbar war Basilius’ Einfluss in der Region gross, denn er konnte dennoch im Amt bleiben. Valens, der mehr an einem Ausgleich denn an Konfrontation interessiert war, verzichtete darauf, ihn zu exilieren.24 Allerdings trug Valens mit einer anderen Massnahme indirekt zur Schwächung der Stellung des Basilius bei: Er teilte 372 die Provinz Kappadokien in zwei unabhängige Provinzen, Cappadocia prima und Cappadocia secunda. Zuvor hatte Basilius als Metropolit die gesamte Provinz verwaltet. Da sich die kirchlichen Strukturen an den weltlichen Verwaltungsbezirken orientierten, bedeutete diese administrative Neuorganisation, dass Basilius einen Teil seines ehemaligen Einflussgebietes an den Bischof von Tyana, der neuen Hauptstadt der Cappadocia secunda, verlor.25 Um Gebietsverluste an die Homöer zu verhindern, richtete Basilius zusätzliche Bistümer ein und besetzte zwei kleine, aber strategisch wichtig gelegene Bischofssitze mit seinen Vertrauten: Seinen Bruder Gregor machte er zum Bischof von Nyssa, sein Freund Gregor sollte den Sitz von Sasima übernehmen.26 Gregor von Nyssa spielte mit und liess sich zum Bischof weihen. Nicht immer erfüllte er diese Aufgabe zur Zufriedenheit seines Bruders, da er mitunter den Dialog mit anderen Parteien suchte, so dass Basilius sich verraten fühlte.27 Nichtsdestotrotz stand Gregor fest hinter seinem Bruder. Als es im Jahr 375/376 zu weiteren Auseinandersetzungen mit Valens kam, musste Gregor – wohl weil man hoffte, dadurch Basilius zu treffen – ins Exil gehen. Man warf ihm vor, Gelder veruntreut zu haben.28 Er konnte erst 378 auf seinen Bischofssitz zurückkehren. 21

Zum Wirken von Basilius in Caesarea vgl. insbes. Rousseau 1994, 133–189. Zur Entwicklung der dogmatischen Positionen des Basilius vgl. bes. Drecoll 1996. 23 Greg. Naz. or. 43.46–53 bietet ein eindrückliches, rhetorisch stilisiertes Narrativ der persönlichen Konfrontation. S. auch Van Dam 1986. 24 Zu Valens’ Religionspolitik vgl. Lenski 2002, 242–263. 25 Vgl. Greg. Naz. or. 43.58–59. S. auch Bas. ep. 74–76; 97–98. 26 Rousseau 1994, 235 f. 27 Bas. ep. 100. 28 Vgl. Bas. ep. 225. S. auch Bas. ep. 231; 232; 237; 239. 22

1. Die Kappadokier und Johannes Chrysostomus als Vertreter der christlichen Eliten

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Gregor von Nazianz dagegen wurde nicht Bischof von Sasima. Er war empört über das Kaff, das ihm Basilius zuwies: Σταθμός τίς ἐστιν ἐν μέσῃ λεωφόρῳ τῆς Καππαδοκῶν, ὃς σχίζετ’ εἰς τρισσὴν ὁδόν, ἄνυδρος, ἄχλους, οὐδ’ ὅλως ἐλεύθερος, δεινῶς ἀπευκτὸν καὶ στενὸν κωμύδριον. κόνις τὰ πάντα καὶ ψόφοι καὶ ἅρματα, θρῆνοι, στεναγμοί, πράκτορες, στρέβλαι, πέδαι, λαὸς δ’ ὅσοι ξένοι τε καὶ πλανώμενοι. αὕτη Σασίμων τῶν ἐμῶν ἐκκλησία· τούτοις μ’ ὁ πεντήκοντα χωρεπισκόποις στενούμενος δέδωκε – τῆς εὐψυχίας – καὶ ταῦθ’, ἵν’ ἁρπάζοντος ἄλλου πρὸς βίαν περικρατήσῃ τὴν καθέδραν καινίσας. «Ein Fuhrmannsdorf liegt da mitten an der Landstrasse von Kappadokien, wo die Wege nach drei Richtungen auseinandergehen, ohne Wasser, ohne Grün, überhaupt eines freien Mannes unwürdig, ein ganz verwünschtes und enges Nest. Staub ist alles dort, Lärm und Fuhrwerke, Klagen, Ächzen, Häscher, Foltern, Fesseln. Die einzigen Einwohner sind Fremde und Landstreicher. Das war meines Sasima Kirchgemeinde! Dorthin schickte mich der Mann, den fünfzig Chorbischöfe beengten, welche Grossmut! Und das nur, damit er über einen anderen, der ihn gewaltsam berauben wollte, die Oberhand gewänne durch die Einrichtung dieses neuen Stuhls.»29 Gregor liess sich zwar zunächst ordinieren, widerrief die Weihe aber wenig später.30 Er reiste zurück nach Nazianz und unterstützte seinen Vater im Bischofsamt. Von diesem Vorfall sollte sich die Freundschaft zwischen Basilius und Gregor von Nazianz nie mehr ganz erholen.31 Inhaltlich setzten sich die beiden aber weiterhin für dieselbe Sache ein: die Stärkung der nizänischen Theologie. Beide präzisierten die Lehre in ihren Schriften. Basilius von Caesarea versuchte überdies, eine Einigung der Nizäner im Osten zu erreichen. Zudem nahm er Kontakte zum Westen auf, in der Hoffnung, über die Kirchengemeinschaft mit der lateinischen Kirche die östlichen Strömungen zu

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Greg. Naz. de vita sua 439–450 (Übers. Jungck 1974). Siehe hierzu McGuckin 2001, 193 f. 31 Vgl. z. B. Greg. Naz. or. 43.59. Zur schwierigen Freundschaft zwischen Basilius und Gregor vgl. auch Giet 1941b; Vischer 1953b; White 1992, 61–84; Rousseau 1994, bes. 234–239; McGuckin 2001, bes. 167–198; McLynn 2001; Van Dam 2003, 155–184; Storin 2019. 30

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III. Die Kappadokier und Johannes Chrysostomus

einen.32 Seine Unternehmungen führten zwar nicht zum unmittelbaren Erfolg. Aber durch seine unermüdlichen Bemühungen kam Basilius nach dem Tode des Athanasius von Alexandria durchaus eine Vorreiterrolle im Kampf gegen homöische Strömungen zu.33 Den durchschlagenden Erfolg, den seine Politik nach dem Herrschaftsantritt von Theodosius I. hatte, erlebte er allerdings nicht mehr. Gregor von Nazianz erreichte den – allerdings kurzen – Höhepunkt seiner Karriere erst nach dem Tod des Basilius, als er im Jahre 379 nach Konstantinopel berufen wurde, um dort die kleine nizänische Gemeinde zu leiten.34 Dank seiner rhetorischen Fähigkeiten gelang es Gregor, mit seinen Predigten im neuen Rom die Aufmerksamkeit der höchsten Kreise auf sich zu ziehen. Nur wenige Tage nachdem Theodosius I. im Herbst 380 in Konstantinopel eingetroffen war, ernannte er Gregor zum Bischof.35 Das im Mai 381 stattfindende Konzil in Konstantinopel bestätigte seine Einsetzung. Als mit Meletius von Antiochia der Leiter des Konzils kurz darauf unverhofft verstarb, wurde Gregor von Nazianz mit dem Vorsitz des Konzils betraut. In dieser Funktion scheiterte er jedoch. Es gelang ihm nicht, eine mehrheitsfähige Lösung für das seit Jahrzehnten andauernde antiochenische Schisma zu finden, und auch seine theologische Konzeption des Heiligen Geistes fand nicht den Zuspruch, den er sich erhofft hatte.36 Die verspätet eintreffenden Bischöfe aus Ägypten zweifelten zudem grundsätzlich an, dass die Weihung von Gregor auf den begehrten Episkopat von Konstantinopel rechtmässig sei, da er formal immer noch als Bischof von Sasima gelte und gemäss Kanon 15 des Konzils von Nizäa nicht auf einen anderen Bischofssitz hätte transferiert werden dürfen.37 Als Gregor daraufhin seinen Rücktritt anbot, wurde dieser angenommen.38 Gregor reiste zurück nach Kappadokien. Noch kurz über-

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Siehe u. a. Hauschild 2004. Rousseau 1994, 2. Vgl. auch Hauschild 1980, 310. 34 Greg. Naz. de vita sua 592–597; 607–608; carm. 2.1.12.77–84. Vgl. McGuckin 2001, 236 und Beeley 2008, 33 für plausible Argumente, dass Gregor von Nazianz durch die von Meletius einberufene Synode 379 in Antiochia mit der Leitung der nizänischen Gemeinde in Konstantinopel beauftragt wurde. 35 Greg. Naz. de vita sua 1305–1376. Zu Gregor und Theodosius  I. vgl. McLynn 2005; McLynn 2010. Elm 2012, 7–9 stellt pointiert heraus, wie Gregor seine rhetorischen Fähigkeiten bewusst einsetzte, um im kirchlichen Kontext Karriere zu machen. Sie wendet sich damit zu Recht gegen ein verbreitetes Bild in der Forschung, wonach Gregor beinahe gegen seinen Willen und ohne besondere Fähigkeiten zum Bischof der nizänischen Gemeinde in Konstantinopel geweiht wurde. Vgl. Elm 2012, 5 mit Anm. 12. 36 Zu Gregors Zeit in Konstantinopel vgl. McGuckin 2001, 311–369. S. Beeley 2008, 46–49 für eine Zusammenfassung der theologischen Streitpunkte. 37 Beeley 2008, 50 f. 38 Vgl. u. a. Greg. Naz. de vita sua 1591–1679; or. 42; Thdt. hist. eccl. 5.8.7–9; Socr. 5.6–8; Soz. 7.7.6–8. 33

1. Die Kappadokier und Johannes Chrysostomus als Vertreter der christlichen Eliten

195

nahm er die Leitung der Kirche von Nazianz, bevor er auch diese abgab und sich auf sein Landgut zurückzog. Abseits von der kirchenpolitischen Bühne verfasste Gregor eine Reihe von autobiographischen Schriften, in welchen er sein kurzes Wirken in Konstantinopel reflektierte und ins beste Licht rückte.39 Auch seine Beziehung mit Basilius verarbeitete er in dieser Zeit literarisch. Er starb um 390.

Johannes Chrysostomus Johannes Chrysostomus war etwas jünger als die Kappadokier. Er wurde Ende der 340er Jahre in Antiochia geboren. Sein Vater, wahrscheinlich ein Beamter im Dienste des magister militum per Orientem, starb früh. Seine Mutter, eine Christin, zog ihn auf.40 Johannes Chrysostomus stammte wohl aus etwas bescheideneren Verhältnissen als die Kappadokier. Die Familie hatte aber Vermögen genug, um ihm eine gute Ausbildung zu finanzieren. Wahrscheinlich besuchte er die Rhetorikschule bei Libanius – und das nicht ohne Erfolg, wie sein posthumer Beiname «Goldmund» (Chrysostomus) besagt.41 Chrysostomus liess sich jedoch, genauso wie die Kappadokier, nicht nur in klassischer Bildung unterweisen, sondern studierte auch die christlichen Schriften. Daneben war ihm die Askese wichtig. Hierfür zog er sich bereits in jungen Jahren aus der Stadt zurück und hielt sich in verschiedenen asketischen Gemeinschaften und als Einsiedler im Umland von Antiochia auf.42 Gesundheitliche Beschwerden zwangen ihn nach sechs Jahren, die Askese abzubrechen. Zurück in Antiochia wurde er 381 von Meletius zum Diakon ernannt. Meletius’ Nachfolger Flavianus weihte ihn fünf Jahre später zum Presbyter. In dieser Funktion konnte er auch Predigten halten. Dies war die grosse Stärke des begnadeten Redners. Er zog die Gemeindemitglieder in seinen Bann, und sein Ruf verbreitete sich rasch über die syrische Metropole hinaus.43 Als Nectarius, der Bischof von Konstantinopel im September 397 starb, fiel die Wahl für seinen Nachfolger auf Johannes Chrysostomus. Der Legende nach fädelte

39 Hierzu gehören u. a. eine fiktive Abschiedsrede an die Bischöfe in Konstantinopel (or. 42) und die Gedenkrede auf Basilius (or. 43). Vgl. Elm 2000; McGuckin 2001, 371–398. Auch das Gedicht De vita sua und die Briefsammlung datieren in diese Zeit. Vgl. Storin 2019 zur Selbstdarstellung von Gregor in seinen Briefen. 40 Zur Herkunft von Johannes Chrysostomus vgl. Socr. 6.3; Pall. Dial. 5. S. auch Allen/ Mayer 2000, 5. Zum Amt des Vaters vgl. Jones 1953. Zu Johannes Chrysostomus allgm. vgl. Kelly 1995; Brändle 1999; Allen/Mayer 2000; Tiersch 2002; Liebeschuetz 2011a. 41 Vgl. Socr. 6.3; Soz. 8.2. 42 Zu Chrysostomus’ jungen Jahren und der Hinwendung zur Askese vgl. u. a. Kelly 1995, 1–35; Liebeschuetz 2011a, 126–132. 43 Allen/Mayer 2000, 5–7, und zu Chrysostomus als Prediger bes. 26–33. Zu Chrysostomus’ Zeit in Antiochia vgl. auch Kelly 1995, 36–103; Tiersch 2002, 42–110; Mayer 2004.

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III. Die Kappadokier und Johannes Chrysostomus

Kaiser Arcadius auf Anraten des Eunuchen Eutropius die heimliche Abreise des Chrysostomus aus Antiochia ein. Der Prediger habe selbst nicht gewusst, wie ihm geschah.44 Er wurde 398 durch seinen späteren Gegner Theophilus von Alexandria in Konstantinopel zum Bischof geweiht. Johannes Chrysostomus hätte als Bischof nicht unterschiedlicher sein können als sein Vorgänger Nectarius. Während Nectarius, selbst dem Senatorenstand entstammend, vor allem seiner politischen Fähigkeiten wegen in das Amt gewählt worden war, vertrat Chrysostomus als überzeugter Asket ein ganz anderes Christentum. Zwar vermochten seine Predigten auch in Konstantinopel zu begeistern, schnell eckte er jedoch mit seinen hohen Ansprüchen an eine christlich-asketische Lebensweise bei verschiedenen Bevölkerungsgruppen an.45 Als er in seinen Predigten dann mehr oder weniger direkt die Kaiserin für ihren Luxus kritisierte, gerieten auch die guten Verbindungen zum Kaiserhaus ins Wanken.46 Zu Fall brachten Chrysostomus kirchen- und machtpolitische Verstrickungen, auf die hier nicht en détail eingegangen werden muss.47 Ein einflussreicher Drahtzieher hinter der Absetzung des Chrysostomus war Theophilus von Alexandria.48 Theophilus klagte Chrysostomus an, weil jener mit den sogenannten Langen Brüdern eine Gruppe von Mönchen aufgenommen hatte, die von Theophilus in Ägypten des Origenismus bezichtigt und exkommuniziert worden war. Es hätte ursprünglich ein Konzil unter der Leitung des Chrysostomus stattfinden sollen, um den Status dieser Gruppe zu klären; allerdings versäumte es dieser, rechtzeitig die Initiative zu ergreifen, und überliess so das Feld Theophilus, der nun seinerseits ein Konzil einberief, das die Absetzung des Chrysostomus vorantrieb. Die sogenannte Eichensynode, zu der Chrysostomus nicht erschien, da er sie nicht als rechtmässig anerkannte, enthob ihn im Herbst 403 in absentia seines Amtes.49 Der Kaiser unterzeichnete einen entsprechenden Beschluss, den er am nächsten Tag widerrief – angeblich nach einem Vorfall im kaiserlichen Schlafgemach: Möglicherweise hatte die Kaiserin eine Fehlgeburt erlitten.50 Man 44 Zur Wahl von Chrysostomus zum Bischof von Konstantinopel vgl. u. a. Tiersch 2002, 19–41 mit einer ausführlichen Diskussion der antiken Berichte zu diesem Vorgang. 45 Siehe u. a. die Studien von Liebeschuetz (Liebeschuetz 1984; Liebeschuetz 1985; Liebeschuetz 1990; Liebeschuetz 2011a) sowie Tiersch 2002, 183–264. 46 Zum Verhältnis zwischen Kaiserin Eudoxia und Johannes Chrysostomus vgl. Tiersch 2002, 206–228; Liebeschuetz 2011a, 231–247. 47 Siehe u. a. Liebeschuetz 1985; Liebeschuetz 1990, 157–227; Liebeschuetz 2011a, 224–247; Kelly 1995; Tiersch 2002. 48 Vgl. u. a. Elm 1998. 49 Zur Eichensynode vgl. Kelly 1995, 211–227; Tiersch 2002, 327–353. 50 Vgl. Pall. Dial. 9.4–7. Die Kirchenhistoriker nennen Unruhen in der Hauptstadt als Grund (Socr. 6.16.4–5; Soz. 8.18.2–4; 8.18.6). Vgl. Wallraff 1997, 68 f. und Tiersch 2002, 354–357 für eine Wertung der antiken Zeugnisse.

1. Die Kappadokier und Johannes Chrysostomus als Vertreter der christlichen Eliten

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sah darin ein schlechtes Omen und rief Chrysostomus zurück. Dieser begann zu predigen, bevor er formell wieder in sein Amt eingesetzt worden war. Das war ein kirchenrechtlicher Verstoss und bereits für sich genommen ein hinreichender Grund für eine Absetzung. Da er zudem nicht aufhörte, die Kaiserin in seinen Predigten zu kritisieren, wurde er im Sommer 404 erneut verbannt, und zwar nach Cucusus in Armenien.51 Auch als im Herbst die Kaiserin unerwartet starb, wurde sein Exil nicht aufgehoben. Im Gegenteil: Ein kaiserliches Gesetz vom November desselben Jahres bestätigte ausdrücklich den Entscheid.52 Offenbar hatten mehrere einflussreiche Gruppierungen in Konstantinopel seine Exilierung gefordert.53 Nach drei Jahren sollte er ins noch weiter abgelegene Pityus verbracht werden. Auf dem Weg dorthin verstarb er im September 407. Die Kappadokier und Johannes Chrysostomus stammten alle aus angesehenen und vermögenden Familien der provinzialen Eliten. Sie alle hätten in Bezug auf Herkunft und Bildung auch die Möglichkeit zu einer weltlichen Karriere gehabt, entschieden sich aber bewusst, ihr Wirken in den Dienst der Kirche zu stellen. Alle vier gewannen Einfluss durch ihre sprachlichen und rhetorischen Fähigkeiten. Ihre Lebensläufe exemplifizieren alternative Karrierewege in der kirchlichen Hierarchie und illustrieren die Konkurrenz, die Sophisten im vierten Jahrhundert durch Kleriker und Bischöfe erwuchs. Auch deshalb eignen sich diese vier Christen besonders, um mit Libanius verglichen zu werden.

1.2. Beziehungen Sowohl Basilius von Caesarea als auch Gregor von Nazianz verfügten über ein relativ grosses Netzwerk, das die unterschiedlichsten Personengruppen inkludierte: In beiden Briefsammlungen finden sich unter den Adressaten Christen wie Nicht-Christen, bedeutende Amtsinhaber, lokale Beamte, Bischöfe, einfache Kleriker, Mönche, Militärpersonen, Sophisten sowie einige wenige Frauen.54 Geographisch umspannten ihre Netzwerke vorwiegend die östlichen Provinzen des Römischen Reiches mit einem deutlichen Schwerpunkt in den Regionen 51 Zur Zeit zwischen den beiden Exilen und zur neuerlichen Verbannung vgl. Kelly 1995, 228–271; Tiersch 2002, 354–395. 52 CTh 16.4.6. 53 Liebeschuetz 1985. 54 Zum Beziehungsnetz der beiden Kappadokier vgl. Bernardi 1995, 241–263 (Gregor); Courtonne 1973, 11–30 (Basilius); Pouchet 1992 (Basilius). Eine Prosopographie zu den Schriften Gregors bietet Hauser-Meury 1960. Eine detaillierte Studie zu diesen Netzwerken, welche auch Überschneidungen mit Libanius thematisieren würde, ist nach wie vor ein Forschungsdesiderat.

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III. Die Kappadokier und Johannes Chrysostomus

rund um Kappadokien sowie nach Konstantinopel. Basilius unternahm einige kirchenpolitisch motivierte Versuche, Kontakte in den Westen zu etablieren.55 Auch Johannes Chrysostomus stand mit Klerikern, Laien, zivilen und militärischen Amtspersonen sowie adeligen Frauen in Kontakt.56 Die erhaltene Sammlung Gregors von Nyssa ist zu klein, um verlässliche Aussagen über sein Netzwerk zu machen. Aber auch hier zeigt sich, dass unter den Adressaten andere Bischöfe wie auch Sophisten und zivile Amtsinhaber zu finden sind. Alle vier in dieser Fallstudie zu betrachtenden Autoren hinterliessen Briefsammlungen, die als zentrale Quelle für die Analyse ihrer Beziehungen herangezogen werden können. Für die Kommunikation unter Anwesenden wird zudem auf Reden sowie auf Schilderungen der Kirchenhistoriker zurückgegriffen. Gerade Johannes Chrysostomus wird sowohl von seinem Biographen Palladius als auch in den Kirchengeschichten des Sokrates und des Sozomenus ausführlich gewürdigt.57 Diese Beschreibungen sind sehr hilfreich, da sie spezifische Interaktionen in einem grösseren Kontext darstellen. Für die Kommunikation mit Abwesenden sind vor allem die Korrespondenzen aufschlussreich. Während von Gregor von Nyssa nur 30 Briefe erhalten sind, die ihm zudem oftmals nicht zweifelsfrei zugewiesen werden können,58 sind unter Basilius’ Namen 366 Briefe überliefert, von denen 325 als echt anzusehen sind.59 Die Briefe sind sowohl vor dem als auch während des Episkopats verfasst.60 Gregor von Nazianz hat als einziger der hier betrachteten Autoren eine erste Sammlung seiner Briefe noch zu Lebzeiten veröffentlicht.61 Von ihm sind 245 Briefe erhalten, die von den späten 350er Jahren bis in die Mitte der 380er Jahre datieren.62 Die Briefe des Johannes Chrysostomus stammen alle aus der Zeit seiner zweiten Verbannung vom Herbst 404 bis zu seinem Tod im Jahre 407. Wir haben es hier folglich ausschliesslich mit Briefen zu tun, die aus dem Exil geschrieben wur55

Vgl. Hauschild 2004. Vgl. Delmaire 1991; Delmaire 1997. S. auch Liebeschuetz 1984; Liebeschuetz 1990, bes. 157–227; Mayer 2001. Zu Johannes Chrysostomus’ Beziehungen zu Frauen vgl. bes. Mayer 2014. 57 Vgl. u. a. Pall. Dial., passim; Socr. 6.7.1–31; 6.9.1–18; 6.9.25; 6.21.1–10; Soz. 8.11.1–8.28.3; Ps-Mart., passim; Photius Bibl. 59. Vgl. hierzu bes. III.3.1. 58 Zur Briefsammlung von Gregor von Nyssa vgl. Teske 1997; Silvas 2007; Radde-Gallwitz 2017b. 59 Zu den Briefen des Basilius vgl. Courtonne 1957–1966; Hauschild 1973–1993; Fedwick 1993; Radde-Gallwitz 2017a. 60 Radde-Gallwitz 2017a, 69. Vgl. auch Schor 2014. 61 Vgl. Greg. Naz. ep. 51–54. Dieser Aspekt wird in III.4.1. thematisiert. 62 Zur Briefsammlung des Gregor von Nazianz vgl. Gallay 1957; Gallay 1969; Storin 2017; Storin 2019. 56

2. Philia und agape bei christlichen Autoren

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den. Die Sammlung ist grob in zwei Teile gegliedert: Zum einen sind 17 Briefe an Olympias erhalten, zum anderen 221 Briefe ad diversos. Darunter lassen sich 159 verschiedene Adressaten ausmachen.63 Dass die Briefe erhalten sind, belegt, dass Chrysostomus selbst im Exil Kopialbücher führte. Wer die Briefe nach seinem Tod herausgegeben hat, ist nicht bekannt.64 Es ist schliesslich als grosser Verlust zu werten, dass die Briefe vor seiner Verbannung nicht erhalten sind. Bereits aus den Schilderungen der Lebensläufe der Kappadokier sowie des Johannes Chrysostomus wird ersichtlich, dass alle drei mit der klassischen paideia und der griechisch-römischen Kultur bestens vertraut waren. Wenn sie sich in ihrem Verhalten von den traditionellen Normen der Freundschaftskommunikation entfernten, so geschah dies, weil sie eine bewusste Abgrenzung suchten. Diese Formen der Abgrenzung, aber auch die Möglichkeiten der christlichen Adaption von philia werden im Folgenden interessieren.

2. Philia und agape bei christlichen Autoren Am Übergang vom zweiten zum dritten Jahrhundert reflektierte Clemens von Alexandria als erster christlicher Autor über philosophische und theologische Konzeptionen von Freundschaft.65 Clemens war von der griechischen paideia und der christlichen Lehre gleichermassen geprägt. Dies zeigt sich insbesondere in seiner Rezeption der ursprünglich auf Aristoteles zurückgehenden Dreiteilung der Freundschaft: Τριττὰ δὲ εἴδη φιλίας διδασκόμεθα, καὶ τούτων τὸ μὲν πρῶτον καὶ ἄριστον τὸ κατ’ ἀρετήν· στερρὰ γὰρ ἡ ἐκ λόγου ἀγάπη· τὸ δὲ δεύτερον καὶ μέσον κατ’ ἀμοιβήν· κοινωνικὸν δὲ τοῦτο καὶ μεταδοτικὸν καὶ βιωφελές· κοινὴ γὰρ ἡ ἐκ χάριτος φιλία· τὸ δὲ ὕστατον καὶ τρίτον ἡμεῖς μὲν τὸ ἐκ συνηθείας φαμέν, οἳ δὲ τὸ καθ’ ἡδονὴν τρεπτὸν καὶ μεταβλητόν. «Man lehrt uns aber, dass es drei Arten von Freundschaft [philia] gibt, und von ihnen ist die erste und beste die auf der Tugend beruhende; denn unerschütterlich ist die auf vernünftigen Gründen beruhende Liebe [ἡ ἐκ λόγου ἀγάπη]; die zweite und mittlere Art ist die auf Gegenseitigkeit beruhende; diese ist bereit, zu 63

Washburn 2017, 192. Vgl. auch Delmaire 1991. Vgl. hierzu auch Mayer 2015. 65 Clemens’ Kenntnis philosophischer Freundschaftstheorien sowie die Prominenz der Gottesfreundschaft ist in der Forschung mehrfach herausgestellt worden. Vgl. z. B. Harnack 2018 [1924], 433–436; Peterson 1923, 186–191; Vischer 1953b, 174 f.; Treu 1972, 427; Treu 1981, 1053; Pizzolato 1993, 246–252; Banateanu 2001, bes. 27–29; O’Brien 2004; Rebenich 2008a, 18. 64

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III. Die Kappadokier und Johannes Chrysostomus

geben und mitzuteilen und ist fürs Leben nützlich; denn allen Menschen eigen ist die auf Gunsterweisungen beruhende Freundschaft [ἡ ἐκ χάριτος φιλία]; die dritte und letzte Art nennen wir die auf Gewohnheit beruhende, andere die auf Vergnügen beruhende, die wandelbar und veränderlich ist.»66 In dieser kurzen Passage ist Clemens’ starkes Bemühen feststellbar, die divergierenden Begrifflichkeiten und Konzepte der Freundschaft aus der christlichen und nicht-christlichen Überlieferung zu vereinen und für seine eigene Theologie fruchtbar zu machen. Einerseits integriert Clemens die christliche Liebe (agape) in die aristotelische Dreiteilung: Die in der klassischen, nicht-christlichen Tradition erste und beste Art der Freundschaft, die auf der Tugend beruht, wird mit der auf dem logos beruhenden agape (ἐκ λόγου ἀγάπη) gleichgesetzt. Wenn Clemens an anderer Stelle die Tugend als «im ganzen Leben mit dem logos übereinstimmendes Verhalten der Seele» definiert, werden die beiden Ausdrücke gleichbedeutend.67 Logos selbst wiederum steht für das Wort Christi. Indem Clemens die Tugend und ein tugendhaftes Verhalten christlich färbt, wird ein allfälliger Widerspruch zwischen christlicher und nicht-christlicher Freundschaft aufgelöst. Noch deutlicher wird Clemens’ Harmonisierungsbestreben allerdings bei der zweiten Art von Freundschaft, die auch für die Konzeption zwischenmenschlicher Beziehungen bedeutender ist als das – oftmals unerreichte – Ideal einer Tugendfreundschaft. Gegenüber Aristoteles fällt die Verschiebung der Begrifflichkeit und des Werturteils auf: Während Ersterer von auf Nutzen (διὰ τὸ χρήσιμον) beruhender philia spricht,68 setzt Clemens mit der Gegenseitigkeit (ἀμοιβή) und der Gunsterweisung (χάρις) den Aspekt des gegenseitigen Gebens und Nehmens in den Mittelpunkt. Die Bezeichnung dieser Beziehung als ἡ ἐκ χάριτος φιλία verdeutlicht bereits den Bezug zur sozialen Praxis, wie sie anhand von Libanius bereits im zweiten Teil dieser Arbeit dargelegt wurde.69 Clemens schreibt dieser Art der Freundschaft eine allgemeine Gültigkeit unter den Menschen zu, indem er sie mit dem Attribut κοινή versieht und als philia der Menschen bezeichnet.70 Steht Clemens bei seinen Ausführungen grundsätzlich in einer älteren philosophischen und insbesondere stoischen Tradition, so ist die Vermittlung einer positiven Deutung dieser Freundschaft durch die wenig später vorgenommene

66

Clem. Alex. strom. II 19.101.3–19.102.1 (Übers. Stählin 1936–1938). Vgl. Clem. Alex. Paed. I 13.101.2 (Übers. nach Stählin 1934). 68 Aristot. eth. Nic. 1156a. 69 Vgl. II.2.1. zur Verbindung von philia und charis. 70 Clem. Alex. strom. II 19.102.1. Für die Verbindung koine philia vgl. auch Clem. Alex. strom. VI 9.71.5. 67

2. Philia und agape bei christlichen Autoren

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Verbindung des gegenseitigen Gebens und Nehmens mit dem göttlichen Gebot der Nächstenliebe neu und genuin christlich. Mit dem Hinweis, dass der Geber zugleich erhält und der Empfänger zugleich gibt (Apg 20,35), wird eine allfällige Unvereinbarkeit zwischen dem Gebot der uneigennützigen Nächstenliebe und der reziprok definierten Freundschaft von Anfang an aus dem Weg geräumt.71 Freundschaft war als zwischenmenschliche Beziehung also insofern relevant, als sie die Ausführung des göttlichen Gebotes darstellte, seinem Nächsten Wohltaten zu erweisen.72 Indem Clemens dadurch das traditionelle Konzept der philia, das auf Reziprozität beruhte, in die Vorstellung der christlichen Nächstenliebe integrierte, akzeptierte er ihre soziale Bedeutung und perpetuierte diese in der christlich geprägten Gemeinschaft. War damit von theoretischer Seite der Konflikt zwischen christlicher Nächstenliebe und klassischer Freundschaft gelöst, stellt sich dennoch die Frage, nach welchen Grundsätzen Christen ihre Beziehungen in der Praxis führten. Welche Rolle spielten philia und agape in den Korrespondenzen spätantiker Autoren? Wie wirkte sich die zunehmende Christianisierung auf die Konzeption und die Konstituierung von interpersonalen Beziehungen aus? In einem ersten Schritt soll in diesem Kapitel nach Kontinuitäten und Diskontinuitäten bei der Bildung von auf philia beruhenden Netzwerken gefragt werden (III.2.1.). Es wird zu zeigen sein, dass Autoren wie Basilius und Gregor von Nazianz philiai nach denselben Normen und Konventionen pflegten, wie wir sie bei Libanius festgestellt haben. Gleichzeitig finden sich aber auch christliche Umdeutungen insbesondere der Reziprozität. Anschließend soll nach der Bedeutung von agape gefragt werden (III.2.2.). Ausgangspunkt ist eine Beobachtung von Kurt Treu, wonach sich Basilius und Gregor von Nazianz in der Verwendung von agape und philia wesentlich unterscheiden.73 Während bei Gregor agape eine untergeordnete Rolle spielt, ist sie in den Briefen des Basilius von zentraler Bedeutung. Diese Diskrepanz konnte bislang nicht schlüssig erklärt werden. Ich werde argumentieren,

71 Vgl. Clem. Alex. strom. II 19.102.2: τῷ γὰρ ὄντι εἰκὼν τοῦ θεοῦ ἄνθρωπος εὐεργετῶν, ἐν ᾧ καὶ αὐτὸς εὐεργετεῖται· ὥσπερ γὰρ ὁ κυβερνήτης ἅμα σῴζει καὶ σῴζεται. διὰ τοῦτο ὅταν τις αἰτῶν τύχῃ, οὔ φησι τῷ διδόντι· «καλῶς ἔδωκας», ἀλλά· «καλῶς εἴληφας.» οὕτω λαμβάνει μὲν ὁ διδούς, δίδωσι δὲ ὁ λαμβάνων. – «Denn tatsächlich ist Abbild Gottes ein Mensch, der Wohltaten erweist [Vgl. Cicero, Pro Q. Ligario 12.38.], wodurch er aber auch selbst Wohltaten erhält. Denn wie der Steuermann rettet er und wird zugleich gerettet. Wenn deshalb jemand um etwas bittet und es erhält, so sagt er zu dem Geber nicht: ‹Du hast recht gegeben›, sondern: ‹Du hast recht empfangen.› [Vgl. Apg 20,35.] Auf diese Weise erhält der Geber, und gibt der Empfänger.» (Übers. Stählin 1936–1938). Zur stoischen Freundschaftskonzeption und Clemens’ Einordnung in diese Tradition vgl. die Studie von Banateanu 2001. 72 Vgl. Clem. Alex. strom. II 19.102.2 sowie insbesondere Clem. Alex. q.d.s. 32.6. 73 Treu 1961.

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III. Die Kappadokier und Johannes Chrysostomus

dass bei Basilius der Versuch einer semantischen Trennung zwischen zwei verschiedenen Arten sozialer Inklusion fassbar ist: Auf der einen Seite stehen Beziehungen, die als philia bezeichnet wurden und die den tradierten Regeln sozialer Interaktion folgten. Daneben tritt bei Basilius im klerikalen Kontext agape als genuin christliche Beziehung, die nur zwischen Personen geschlossen werden konnte, welche im Glaubensbekenntnis übereinstimmten, und die zur Netzwerkbildung in theologischen Auseinandersetzungen von Bedeutung war.

2.1. Philia: Kontinuitäten und christliche Umdeutungen Kontinuitäten: Philia und charis Gregor von Nazianz war bestens vertraut mit klassischen Freundschaftstopoi und der Art, wie man unter gebildeten Freunden um eine charis bat. So berief er sich auf den Dichter Theognis von Megara, um diejenige philia zu loben, die nicht nur auf Vergnügen beruhe, sondern auch in schwierigen Zeiten Bestand habe: Ἐπαινῶ τὸ Θεόγνιδος, ὃς τὴν μέχρι πότων καὶ τοῦ ἡδέος φιλίαν οὐκ ἐπαινῶν, ἐπαινεῖ τὴν ἐπὶ τῶν πραγμάτων· τί γράφων; Πολλοὶ πὰρ κρητῆρι φίλοι γίνονται ἑταῖροι, ἐν δὲ σπουδαίῳ πρήγματι, παυρότεροι. «Ich lobe das Wort von Theognis, der nicht die Freundschaft lobt, die nur auf Trinken und Vergnügen beruht, sondern jene, die sich auf ernsthafte Dinge gründet. Was schreibt er? ‹Zahlreich sind die Freunde, die uns am Mischkrug Gefährten sind, in ernster Not aber sind es schon weniger›.»74 Mit dem Zitat leitete er einen Brief an seinen Vetter Amphilochius ein, den späteren Bischof von Iconium, der zum Zeitpunkt des Schreibens noch als Rechtsanwalt tätig war.75 Gregor suchte die Hilfe des Amphilochius für die Verteidigung von Nicobulus, einem angeheirateten Verwandten, in einem Gerichtsprozess.76 Rhetorisch geschickt und unter Beweis seiner literarischen Kenntnisse baute er einen Kontrast zwischen Bekanntschaften aus Weingelagen und der philia zwischen ihm und Amphilochius auf. Ihre philia, die schon von den Vätern her bestehe, gründe nämlich auf dem Wohlwollen, das auf Taten beruhe (τὴν ἐπὶ τῶν ἔργων δ’ ἀπαιτοῦμεν εὔνοιαν). Amphilochius gab er damit auch zu verste74

Greg. Naz. ep. 13.1 (Übers. Wittig 1981). Vgl. Theognis, Elegien I.643–644. Zu Amphilochius vgl. Hauser-Meury 1960, 30–32; PCBE 3, 106–133 (Amphilochios 1). 76 Nicobulus war der Mann von Gregors Nichte Alypiana. Zu Nicobulus vgl. HauserMeury 1960, 128–131; PLRE I, 629 f. (Nicobulus 1). Gallay 1969, XV datiert den Brief auf das Jahr 365. 75

2. Philia und agape bei christlichen Autoren

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hen, was von ihm erwartet wurde: ein Beweis seiner philia in Form von konkreter Unterstützung in der vorliegenden Notlage. An anderer Stelle kombiniert Gregor die Aussage, dass Freunden alles gemeinsam sei – und zwar Freud wie Leid –, mit einem Zitat des Tragikers Euripides: Πάντα γὰρ κοινὰ ποιούμεθα πρὸς σέ, καὶ λύπας καὶ εὐφροσύνας· τοιοῦτον γὰρ ἡ φιλία. Ἐπεὶ δ’ ἐπανήκεις, μετάδος φίλοισι σοῖσι τῆς εὐπραξίας, φησὶν ὁ εἰπών· […]. «Wir haben alles gemeinsam mit dir, Betrübnis und Freude; dergestalt ist die Freundschaft. Nun, da du wieder zurückkommst, ‹lass deine Freunde an deinem Glück teilnehmen›, wie es der Dichter sagt […].»77 Der literarische Rückgriff diente auch hier der Einleitung einer Bitte.78 Ähnliche Beispiele finden sich bei Basilius. Seine Vertrautheit mit Sprichwörtern und philosophischen Reflexionen zur philia aus der paganen Tradition zeigt beispielsweise sein Schreiben an einen Censitor, den er um eine Steuersenkung für einen Freund bat. Basilius bemerkt in Anspielung auf die philosophische Tradition, dass er neben anderen Tugenden auch die Freundschaft gelernt habe und er den weisen Spruch kenne, dass der Freund ein anderes Selbst sei.79 Die Erwartungshaltungen von Gregor wie auch von Basilius an eine bestehende philia-Beziehung waren durchaus traditionell: Gregor bezeichnet es als die Regel der philia (φιλίας ὅρος), dass Freunde sowohl Freud als auch Leid teilten.80 Philia sollte sich aber auch auf die Freunde der Freunde ausdehnen, und es gehörte zu den Freundschaftspflichten, Empfehlungsschreiben nachzukommen.81 Die Zuverlässigkeit in der philia galt entsprechend als eine positive Eigenschaft, die bei einem Empfohlenen besonders erwähnt wurde, nicht zuletzt um deutlich zu machen, dass der Protegierte einen Gefallen zu erwidern wisse.82 Auch bei Basilius ist philia aufs Engste mit dem Austausch von Gefallen verbunden. Eine bestehende philia konnte folglich als Argument für das Erhalten oder Geben einer Hilfeleistung angeführt werden. Sehr schön kann dies anhand 77 Greg. Naz. ep. 15.2–3 (Übers. nach Wittig 1981). Vgl. Eur. Orest. 450. Eine ähnliche Aussage mit Verweis auf die Tragiker findet sich in Greg. Naz. ep. 88. 78 Der Adressat dieses Briefes, Lollianus, ist nicht näher bekannt. Er war sehr wahrscheinlich ein einflussreicher Mann in Kappadokien. Vgl. Hauser-Meury 1960, 144. 79 Bas. ep. 83. 80 Greg. Naz. ep. 31.1. Vgl. auch ep. 15 und 88, in welchen Gregor dieselbe Vorstellung unter Verweis auf die Tragiker zum Ausdruck bringt. 81 Vgl. z. B. Greg. Naz. ep. 134; 159; 195. 82 Vgl. z. B. Bas. ep. 273.

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III. Die Kappadokier und Johannes Chrysostomus

einer Epistel gezeigt werden, die Basilius an einen Freund gerichtet hatte, der Censitor der Provinz Galatia geworden war. Basilius schrieb ihm anlässlich der Amtseinsetzung: […] Παρέσχε γάρ σοι ὁ Θεὸς ἀφορμὴν τοῦ τὴν καλοκἀγαθίαν τῶν τρόπων εἰς φανερὸν ἀγαγεῖν καὶ παντὶ τῷ ἐφεξῆς βίῳ ἀγαθῆς μνήμης ἀφορμὰς ἐναφεῖναι. Ὁποῖαι γὰρ ἂν ὦσιν αἱ ἀποτιμήσεις αὗται, τοιαύτη καὶ ἡ ἐπ’ αὐταῖς μνήμη παρὰ τῶν ἐπιγινομένων διασώζεσθαι πέφυκεν, ἐπεὶ δὲ οὐδὲ εὐχομένοις Γαλάταις ὑπῆρξεν ἂν φιλανθρωποτέρου ἤθους ἐπιτυχεῖν, ἀκριβῶς ἐγὼ πέπεισμαι. Ἔχω δὲ οὐ Γαλάτας μακαρίζειν τῆς σῆς ἐπιστασίας μόνον, ἀλλὰ καὶ αὐτὸς ἑαυτόν. Ἔστι γὰρ κἀμοὶ οἶκος ἐν Γαλατίᾳ καὶ οἴκων γε ὁ λαμπρότατος σὺν Θεῷ, εἰς ὃν εἰ τύχοιμι παρὰ σοῦ τινος βοηθείας (τεύξομαι δὲ ἕως ἂν φιλία τὴν οἰκείαν ἰσχὺν ἔχῃ), μεγάλην εἴσομαι τῷ Θεῷ τὴν χάριν. Εἰ οὖν τις λόγος παρὰ τῇ σῇ τιμιότητι τῆς ἐμῆς φιλίας, ὁμολογουμένην τινὰ ὠφέλειαν παρασχέσθαι τῷ οἴκῳ τοῦ θαυμασιωτάτου ἄρχοντος Οὐλπικίου ἡμῶν ἕνεκεν παρακλήθητι, ὥστε ὑφελεῖν τι τῆς νῦν οὔσης ἀπογραφῆς μάλιστα μὲν ἀξιόλογον καὶ τῆς σῆς μεγαλονοίας ἄξιον, προσθήσω δὲ ὅτι καὶ τῆς ἡμετέρας πρεσβείας τῶν ἀγαπώντων σε. Εἰ δὲ μή, ἀλλ’ ὅσον οἵ τε καιροὶ συγχωροῦσι καὶ ἡ τῶν πραγμάτων ἐπιδέχεται φύσις, πάντως δὲ ὑφελεῖν καὶ μὴ ἐᾶσαι ἐπὶ τῆς ταὐτότητος, ὥστε ἡμᾶς μυρίων ὧν ἔχομεν παρὰ τοῦ ἀγαθοῦ ἄρχοντος εὐεργεσιῶν μίαν χάριν ταύτην διὰ τῆς σῆς σεμνότητος ἀντεκτίσαι. «[…] Gott hat dir eine Gelegenheit geschenkt, die Vortrefflichkeit deines Charakters öffentlich zu bekunden und der ganzen Nachwelt Anlass für ein gutes Andenken zu geben. Wie beschaffen nämlich diese Censusfestsetzungen sind, so wird gewöhnlich auch die Erinnerung an sie von den kommenden Generationen bewahrt, da – wie ich fest überzeugt bin – die Galater nicht einmal, wenn sie es wünschen, einen Mann von menschenfreundlicherer Art bekommen hätten. Ich vermag aber nicht allein die Galater wegen deiner Herrschaft glücklich zu preisen, sondern auch mich selbst. Denn auch ich habe ein Haus in Galatien, und zwar – mit Gottes Hilfe – das prächtigste Haus; wenn ich dafür von dir irgendeine Hilfestellung bekommen kann (und ich werde sie bekommen, solange die philia die ihr eigene Kraft behält!), werde ich Gott grossen Dank abstatten. Wenn also bei deiner Ehrwürden meine philia irgendeinen Wert hat, dann gewähre bitte unseretwegen dem Haus des bewundernswertesten Beamten Ulpicius einen gewissen zulässigen Vorteil, etwas von der jetzigen Steuerveranlagung zu ermässigen, was besonders ansehnlich und deiner Grossmut, aber auch, so füge ich hinzu, unserer Vermittlung, die wir dich lieben, angemessen ist, andernfalls aber soviel, wie die Umstände gestatten und die Natur der Sache erlaubt; doch ermässige überhaupt etwas und lass es nicht beim selben Stand, so dass wir für die unzähligen Wohltaten, die wir von dem

2. Philia und agape bei christlichen Autoren

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guten Beamten erfahren haben, diesen einen Dank durch deine Ehrwürden abstatten.»83 Mit zweimaliger Wiederholung appellierte Basilius in diesem Schreiben an die bestehende philia-Beziehung zwischen ihm und dem Adressaten. Philia wurde dabei ganz klar mit dem Anspruch auf eine Hilfeleistung verbunden. Der namentlich nicht bekannte Empfänger dieser Zeilen war ein Christ, wie die Ausdrucksweise des gesamten Briefes mit seinen verschiedenen Anspielungen auf das Wirken von Gott nahelegt. Auf philia wurde also nicht nur rekurriert, um einen nicht-christlichen Freund um einen Gefallen zu bitten. Das soziale Konzept der philia fand vielmehr auch zwischen Christen Anwendung. Zahlreiche Verwendungen des philia-Begriffes fallen in den Bereich der Empfehlungs- und Bittschreiben an Staatsbeamte, und zwar ungeachtet deren Religionszugehörigkeit.84 Basilius erklärte es als selbstverständlich, dass ein Amtsinhaber seine Macht im Interesse seiner Freunde einsetze, und verglich den Einfluss einer Amtsperson mit den Fähigkeiten eines Arztes: Von beiden sollte man zu seinen eigenen Gunsten profitieren.85 Ähnlich äusserte sich Gregor, wenn 83

Bas. ep. 313 (Übers. nach Hauschild 1993). Vgl. Bas. ep. 83; 84; 109; 273; 274; 313. Agape spielt in diesem Kontext eine untergeordnete Rolle. In nur zwei Briefen appellierte Basilius an agape, um einen Beamten um Unterstützung zu bitten: So führte Basilius in ep. 72 die agape eines gewissen Hesychius zu ihm als Grund an, um ihn um Vermittlung in einem Streitfall zu bitten. Den Magister Himerius (ep. 274) bat er, sich als Patron für einen gewissen Heras einzusetzen. Er appellierte dabei an die agape des Himerius ihm selbst gegenüber, damit er den Gefallen für Basilius und dessen Schützling ausführe. Gleichzeitig nannte er als Grund für sein Unterstützungsgesuch die philia, die ihn mit Heras verband. Philia und agape stehen in diesem Brief anscheinend gleichbedeutend nebeneinander: Beide werden als durch Gott bewirkt dargestellt und beide haben dieselbe Implikation, nämlich die Verpflichtung und Erwartung zur gegenseitigen Unterstützung. Es ist nicht leicht zu sagen, ob Basilius hier im zweiten Fall von agape sprach, um eine Wiederholung von philia zu vermeiden, oder ob er den Begriff absichtlich und entsprechend mit einer anderen Bedeutungsnuance verwandte. Zum Begriff der agape bei Basilius vgl. weiter unten III.2.2. 85 Bas. ep. 84.1: Σχεδὸν μὲν ἄπιστόν ἐστιν ὃ μέλλω γράφειν, γεγράψεται δὲ τῆς ἀληθείας ἕνεκεν ὅτι, πᾶσαν ἔχων ἐπιθυμίαν, ὡς οἷόν τε ἦν, πυκνότατα διαλέγεσθαί σου τῇ καλοκαγαθίᾳ, ἐπειδὴ εὗρον ταύτην τῶν γραμμάτων τὴν ἀφορμήν, οὐκ ἐπέδραμον τῷ ἑρμαίῳ, ἀλλ’ ἀπώκνησα καὶ ἀνεδύην. Τὸ οὖν παράδοξον ἐν τούτῳ ὅτι, ἅπερ ηὐχόμην ὑπάρξαι, ταῦτα γενόμενα οὐκ ἐδεχόμην. Αἴτιον δὲ ὅτι αἰσχύνομαι δοκεῖν μὴ φιλίας ἕνεκεν καθαρῶς, ἀλλὰ χρείαν τινὰ θεραπεύων ἑκάστοτε γράφειν. Ἀλλά με εἰσῆλθεν ἐκεῖνο (ὃ καὶ σὲ βούλομαι διανοηθέντα μή τοι νομίζειν ἡμᾶς ἐμπορικῶς μᾶλλον ἢ φιλικῶς ποιεῖσθαι τὰς διαλέξεις), ὅτι χρή τι διάφορον ἔχειν τὰς τῶν ἀρχόντων προσρήσεις παρὰ τοὺς ἰδιώτας. Οὐ γὰρ ὁμοίως ἐντευκτέον ἡμῖν ἰατρῷ τε ἀνδρὶ καὶ τῷ τυχόντι, οὔτε ἄρχοντι, δηλονότι, καὶ ἰδιώτῃ, ἀλλὰ πειρατέον τοῦ μὲν ἐκ τῆς τέχνης, τοῦ δὲ ἀπὸ τῆς ἐξουσίας ἀπολαύειν εἰς τὰ ἡμέτερα. – «Fast unglaublich ist das, wovon ich schreiben will, doch wird es um der Wahrheit willen geschrieben sein: Trotz aller Wünsche, mich mit deiner Vortrefflichkeit so oft wie möglich zu unterhalten, stürzte ich mich nicht, 84

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III. Die Kappadokier und Johannes Chrysostomus

er zur Rechtfertigung einer Bitte gegenüber einem Beamten die Frage aufwarf, für wen anders die Häfen da seien als für die vom Sturm Heimgesuchten und für wen anders die Arzneimittel als für die Kranken.86 Die philia war der Weg, um Zugang zu hohen Amtsträgern zu erhalten. So formulierte Gregor gegenüber Saturninus, einem hohen Militär: Εἰ καὶ τὸ τῆς ἀρχῆς ὕψος ἀπρόσιτον, ἀλλὰ φιλάνθρωπον ἡ φιλία, δι’ ἣν ἐθαρρήσαμεν ταύτην σοι προσαγαγεῖν τὴν παράκλησιν. «Wenn auch die Höhe deines Amtes unzugänglich ist, so ist doch deine philia menschenfreundlich, derentwegen wir es wagten, dir diese Bitte vorzutragen.»87 Freimütig gab Gregor zu, dass einmal gewährte Bitten von höheren Amtsinhabern immer weitere nach sich zögen, da bekannt werde, wer bei wem in der Gunst stehe und Wohltaten bewirken könne.88 Philia erfüllte also weiterhin und auch zwischen Christen eine zentrale Funktion, indem sie die Interaktion der sozialen und politischen Eliten regelte. Auch bei christlichen Autoren war philia aufs Engste mit dem Austausch von charites verbunden. Gregor und Basilius rekurrierten genauso wie ihr paganer Zeitgenosse Libanius auf das klassische Konzept der philia, um Freunde um einen Gefallen zu bitten. Philia wurde dabei unabhängig von der Religionszugehörigkeit des Adressaten angewandt.

als ich diesen Anlass für einen Brief fand, auf den unverhofften Gewinn, sondern mied ihn zögernd. Das Widersinnige dabei ist, dass ich das, von dem ich wünschte, dass es einträfe, als es eingetreten war, nicht packte. Der Grund dafür ist aber, dass ich mich schäme, den Anschein zu erwecken, jedesmal nicht rein aus Freundschaft, sondern weil ich irgendeinen Zweck verfolge, zu schreiben. Mir kam das aber in den Sinn (ich will, dass auch du darüber nachdenkst, damit du nicht glaubst, dass wir eher nach Art von Händlern als nach Art von Freunden die Unterredungen pflegen), dass die Anreden an Regierende sich von denen an Privatpersonen unterscheiden müssen. Denn nicht auf gleiche Weise dürfen wir einen Arzt und irgendeinen beliebigen Mann ansprechen, erst recht nicht einen Regierenden und eine Privatperson, sondern wir müssen versuchen, von der Kunstfertigkeit des einen und der Macht des anderen für unser Eigenes zu profitieren.» (Übers. Hauschild 1990). 86 Greg. Naz. ep. 148 (Übers. nach Wittig 1981): Τίνων γὰρ οἱ λιμένες, ἢ τῶν χειμαζομένων; τίνων δὲ τὰ φάρμακα, ἢ τῶν ἀρρωστούντων;. 87 Greg. Naz. ep. 181.1 (Übers. nach Wittig 1981). Zu Saturninus vgl. Hauser-Meury 1960, 153 f.; PLRE I, 807 f. (Flavius Saturninus 10). 88 Greg. Naz. ep. 148.

2. Philia und agape bei christlichen Autoren

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Christliche Überzeugungsstrategien und Umdeutungen Neben Aussagen, die sich ganz der griechisch-römischen Tradition zuordnen lassen, finden sich bei Basilius und Gregor von Nazianz allerdings auch christliche Überzeugungsstrategien und Ansätze einer christlichen Umdeutung der mit philia verbundenen Reziprozität. Dies kann insbesondere in Briefen an christliche Amtsinhaber festgestellt werden. So forderte Gregor den Assessor Asterius89 auf, sich für seine Angelegenheiten einzusetzen, um dadurch selbst auf Gottes Hilfe zählen zu können: Δὸς χεῖρα πιεζομένοις, ἵνα καὶ αὐτὸς τῆς ἐκ Θεοῦ τύχῃς, χρῄζων ταύτης ὡς ἄνθρωπος. (5) Καὶ χρῆσαι πάσῃ τῇ φιλίᾳ καὶ τῇ συνέσει καὶ τῷ δύνασθαι σὺν Θεῷ περὶ τὰ ἡμέτερα πράγματα. «Reiche deine Hand denen, die niedergeschlagen sind, damit du selbst Gottes Hand erhältst, die du als Mensch brauchst. 5. Mache also Gebrauch von deiner ganzen philia, deiner Einsicht und deiner Macht mit Hilfe Gottes für unsere Angelegenheiten.»90 Die Reziprozität wurde also nicht mehr auf die zwischenmenschliche Beziehung beschränkt, sondern erhielt eine weitere Dimension, indem an die Vergeltung durch Gott erinnert wurde.91 Der christliche Glauben konnte in Empfehlungsschreiben, aber auch als zusätzliches Argument eingesetzt werden, das durchaus mit einem Appell an eine bestehende philia-Beziehung verbunden werden konnte. Einen hohen Militär namens Ellebichus erinnerte Gregor gleich im ersten Satz eines Bittschreibens an die philia und die Vertrautheit, die zwischen ihnen bestehe.92 Er bat um Entlassung eines gewissen Mamas aus dem Militärdienst, der in den Klerus eintreten wollte, aber als Sohn eines Soldaten eigentlich zum Militärdienst verpflichtet war. Gregor schloss seine Bitte mit folgenden Worten ab:

89 Asterius war Assessor des Statthalters Olympius in Cappadocia II. Vgl. Hauser-Meury 1960, 34 f.; PLRE I, 119 (Asterius 4). An ihn sind Greg. Naz. ep. 147; 148; 150; 155; 156 gerichtet. 90 Greg. Naz. ep. 148.4–5 (Übers. nach Wittig 1981). 91 Ungewöhnlich ist in dieser Passage die Verwendung von philia. Erwarten würde man hier eigentlich eher einen Appell an die philanthropia. Wittig 1981 übersetzt philia deshalb mit «Freundlichkeit». Denkbar wäre auch, dass Gregor hier philia im Singular verwendete, damit aber die Summe aller philia-Beziehungen meinte, die Asterius besaß. In diesem Fall würde er ihn also auffordern, von seinem Netzwerk Gebrauch zu machen. 92 Zu Ellebichus, der auch mit Libanius in Verbindung stand, vgl. PLRE I, 277 f. (Ellebichus).

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III. Die Kappadokier und Johannes Chrysostomus

(4) Ἄφες τῷ Θεῷ καὶ ἡμῖν, ἀλλὰ μὴ συναριθμήσῃς τοῖς πλάνησι, καὶ δὸς ἔγγραφον τὴν ἐλευθερίαν ἵνα μηδὲ ὑπ’ ἄλλων ἐπηρεάζηται. Δώσεις γὰρ σεαυτῷ δεξιὰς τὰς τοῦ πολέμου καὶ τῆς στρατηγίας ἐλπίδας. Ναί, παρακαλῶ, τούτου φρόντισον. (5) Οἷς γὰρ τὰ μέγιστα ἐν χερσὶ καὶ ἐν οἷς τὸ πᾶν ταλαντεύεται, τούτοις μάλιστα φροντιστέον Θεοῦ καὶ τῆς ἐκεῖθεν ἐπικουρίας. «4. Lass ihn Gott und uns, zähle ihn nicht zu den Deserteuren und gib ihm seine Befreiung schriftlich, damit er nicht von anderen misshandelt wird. So wirst du dir selbst gute Hoffnungen für den Krieg und Deine militärische Führung verschaffen. Ja, ich beschwöre dich, bedenke dieses. 5. Jene, die die grössere Macht in den Händen halten und die über alles entscheiden, müssen sich auch am meisten um Gott und um die Hilfe des Jenseits kümmern.»93 Gregor kombinierte also eine Erinnerung an die philia zwischen ihm und Ellebichus mit einer Aufforderung, sich als mächtiger Mann auch um Gott – und damit um den Klerus – zu kümmern. Als Christ könne Ellebichus nicht nur die diesseitigen Kriege im Auge haben. Der christliche Glaube sollte ihn also dazu bewegen, Mamas’ Wunsch zu unterstützen. Basilius integrierte ähnliche Überzeugungsstrategien in seine Schreiben. Den comes Helladius erinnerte er nicht nur an die philia-Beziehung, die zwischen ihnen bestand, sondern auch daran, dass Helladius seine Macht (dynamis) von Christus erhalten habe. Diese sollte er nun in der Hoffnung auf Vergeltung durch Gott für eine Witwe einsetzen, da – wie Basilius nicht vergass zu erwähnen – dem Herrn die Witwen und Waisen besonders am Herzen lägen.94 Eine solche Argumentation eignete sich auch dann, wenn noch keine philia bestand, wie aus folgendem Schreiben des Basilius an einen Censitor deutlich wird: Ἐπειδὴ δὲ ἐκάλεσέ σε ὁ Θεὸς εἰς πρᾶγμα φιλανθρωπίας ἐπίδειξιν ἔχον, δι’ οὗ δυνατόν ἐστι διορθωθῆναι ἡμῶν τὴν πατρίδα παντελῶς ἐδαφισθεῖσαν, ἡγοῦμαι πρέπειν μοι ὑπομνῆσαί σου τὴν χρηστότητα, ἵνα ἐπ’ ἐλπίδι τῆς παρὰ Θεοῦ ἀνταποδόσεως τοιοῦτον σεαυτὸν καταξιώσῃς παρασχέσθαι ὥστε ἀθανάτου μὲν τῆς μνήμης ἀξιοῦσθαι, γενέσθαι δὲ αἰωνίων ἀναπαύσεων κληρονόμον ἐκ τοῦ ἐλαφροτέρας ποιῆσαι τοῖς καταπονουμένοις τὰς θλίψεις. «Da Gott dich aber zu einer Sache berufen hat, mit der man Menschenfreundlichkeit beweisen kann und durch die es möglich ist, unser völlig zugrunde gerichtetes Vaterland wieder aufzurichten, glaube ich, dass es mir zusteht, deine Güte aufzufordern, damit du in der Hoffnung auf die Vergeltung von Gott dich bitte solcherart erweist, dass du unsterblicher Erinnerung 93 94

Greg. Naz. ep. 225.4–5 (Übers. Wittig 1981). Bas. ep. 109. Zu Helladius vgl. PLRE I, 412 (Helladius 3).

2. Philia und agape bei christlichen Autoren

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gewürdigt und ein Erbe der ewigen Erquickung wirst, weil du den Bedrückten ihre Lasten erleichtert hast.»95 Basilius leitete diesen Brief damit ein, dass sein persönliches Zusammentreffen mit dem Adressaten leider nur sehr kurz war. Er konnte also nicht auf eine bestehende philia-Beziehung zurückgreifen, um von dem Censitor einen Gefallen zu erwirken.96 Stattdessen appellierte er nun an dessen philanthropia und verwies darauf, dass sein Amt gottgegeben sei und er von Gott Vergeltung für seine Taten erhalten werde. Mit der Betonung der gottbewirkten Einsetzung wurde zugleich der Erwartung Ausdruck verliehen, dass das Amt nach christlichen Prinzipien geführt werde.97 Die beiden Kappadokier setzten der philia jedoch auch Grenzen. In seiner Funktion als Bischof von Nazianz lehnte es Gregor ab, die Scheidung der Tochter des Christen Verianus durchzuführen:

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Bas. ep. 83 (Übers. Hauschild 1990). Basilius rief aber sehr wohl die Gesetze der philia in Erinnerung, wie die Fortsetzung von ep. 83 zeigt: ἐπειδὴ δὲ κἀμοί τίς ἐστι κτῆσις περὶ Χαμανηνήν, ἀξιῶ σε προστῆναι αὐτῆς ὡς οἰκείας. Μὴ θαυμάσῃς δέ, εἰ ἐμαυτοῦ λέγω τὰ τῶν φίλων, μετὰ τῆς ἄλλης ἀρετῆς καὶ φιλίαν πεπαιδευμένος καὶ μεμνημένος τοῦ σοφῶς εἰπόντος· « Ἄλλον ἑαυτὸν εἶναι τὸν φίλον.» Τὴν τοίνυν κτῆσιν τὴν διαφέρουσαν τῷδε, ταύτην ὡς ἐμαυτοῦ παρατίθεμαι τῇ τιμιότητί σου, καὶ παρακαλῶ, ἐπισκεψάμενον τὰ τῆς οἰκίας δυσχερῆ, δοῦναι αὐτοῖς καὶ τῶν παρελθόντων χρόνων παραμυθίαν καὶ πρὸς τὸ μέλλον αἱρετὴν αὐτοῖς κατασκευάσαι τὴν οἴκησιν, τὴν φευκτὴν καὶ ἀπηγορευμένην διὰ τὸ πλῆθος τῆς ἐπικειμένης αὐτῇ συντελείας. Σπουδάσω δὲ καὶ αὐτὸς περιτυχών σου τῇ κοσμιότητι ἐντελέστερον περὶ ἑκάστου διαλεχθῆναι. – «Da aber auch ich in der Chamanene einen gewissen Besitz habe, bitte ich dich, ihn zu schützen, als ob er dir selbst gehörte. Wundere dich aber nicht, wenn ich das Eigentum der Freunde als meiniges bezeichne, da ich zusammen mit anderer Tugend auch die Freundschaft gelernt habe und an den weisen Ausspruch denke: ‹Ein Freund ist ein anderes Selbst.› Den Besitz also, der diesem Mann gehört, übergebe ich deiner Ehrwürden, als ob es mein eigener wäre, und ich bitte dich, unter Berücksichtigung der misslichen Lage des Hauses ihnen Trost für die vergangenen Zeiten zu geben und ihnen für die Zukunft den Aufenthaltsort erwünscht zu machen, den man gemieden und verlassen hat wegen der grossen Steuerlast, die auf ihm liegt. Ich werde mich bemühen, auch selbst mit deiner Ehrwürden zusammenzutreffen, um ausführlicher über alle Einzelheiten zu reden.» (Übers. Hauschild 1990). 97 Interessant ist vor diesem Hintergrund auch Greg. Naz. ep. 173 an Postumianus, der von Hauser-Meury 1960, 148 mit dem gleichnamigen Prätoriumspräfekten des Jahres 383 identifiziert wird. Vgl. auch PLRE I, 718 (Postumianus). Gregor erinnerte Postumianus daran, dass Gott ihn zu dem gemacht habe, was er sei, und er deswegen auch zu Leistungen gegenüber Gott verpflichtet sei. Gregor bat ihn deshalb, sich bei dem anstehenden Bischofskonzil um den Frieden zwischen den Kirchen zu kümmern. Sollte die Identifizierung zutreffen, wandte sich Gregor an einen weltlichen Würdenträger, um kirchenpolitische Unstimmigkeiten zu lösen. 96

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III. Die Kappadokier und Johannes Chrysostomus

Ἐμοὶ δὲ οὐ σχολή, ἵνα τῇ ὑμετέρᾳ φιλίᾳ χαρίσωμαι (εἰ καὶ τὰ πάντα οἶδα ὑμᾶς ἐμαυτῷ τιμιωτάτους), Θεῷ προσκρούειν, ᾧ λόγον ὑπέχω παντὸς κινήματος καὶ διανοήματος. «Es steht mir nicht zu, um eurer Freundschaft zu willfahren (auch wenn ich euch die grösste Achtung entgegenbringe), Gott zu beleidigen, dem ich für jede Handlung und jeden Gedanken Rechenschaft ablegen muss.»98 Den Wunsch des Verianus sah Gregor in Konflikt mit dem Willen Gottes, weshalb er sich trotz bestehender philia-Beziehung weigerte, der Bitte nachzukommen.99 Auch Basilius sprach der philia im kirchlichen Bereich die Gültigkeit ab, die er ihr in weltlichen Angelegenheiten zugestand und auf die er auch selbst regelmässig rekurrierte. Insbesondere die rechtmässige Vergabe von Kirchenämtern sah Basilius durch persönliche Netzwerke gefährdet. So tadelte er die Landbischöfe seines Bezirks dafür, dass die Aufnahme von neuen Klerikern nicht aufgrund von deren Würdigkeit erfolge, sondern aufgrund bestehender Verwandtschafts- oder philia-Beziehungen.100 Basilius wehrte sich vehement gegen diese Praxis und führte genaue Listen, um der missbräuchlichen Aufnahme in den Kirchendienst entgegenzutreten. Als er selbst von seinem Freund Nectarius eine Empfehlung für die Wahl eines Landbischofs erhielt, antwortete er ihm, dass er nicht aufgrund von «menschlichen philiai» in die Vergabe von Kirchenämtern eingreife: Περὶ μέντοι τῆς τῶν προστησομένων τῆς συμμορίας ἐκλογῆς, εἰ μὲν ἀνθρώποις χαριζόμενος ἢ ἱκεσίαις ἐνδιδοὺς ἢ φόβῳ εἴκων ποιῶ τι, μήτε ταυτὶ ποιήσαιμι. Οὐ γὰρ οἰκονόμος, ἀλλὰ κάπηλος ἔσομαι τὴν δωρεὰν τοῦ Θεοῦ πρὸς ἀνθρωπίνας φιλίας διαμειβόμενος. «Indes hinsichtlich der Auswahl derer, die einem Bezirk vorstehen sollen, so könnte ich, wenn ich etwas den Menschen zu Gefallen oder Bitten nachgebend oder aus Furcht zurückweichend tue, so nicht handeln. Denn ich werde nicht ein Verwalter [vgl. Tit 1,7; 1 Kor 4,1], sondern ein Händler sein, wenn ich die Gabe Gottes gegen menschliche Freundschaft eintausche.»101 Indem Basilius die philia mit dem Zusatz ἀνθρωπίνη versah, ordnete er sie eindeutig der menschlichen Sphäre zu und konnte damit ihre Gültigkeit für den göttlichen Bereich, das heisst die Kirche, ablehnen. 98

Greg. Naz. ep. 145.5 (Übers. Wittig 1981). Vgl. Rebenich 2008a, 28. 100 Bas. ep. 54. 101 Bas. ep. 290 (Übers. nach Hauschild 1993). 99

2. Philia und agape bei christlichen Autoren

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Wurden die Grenzen der philia also dort gezogen, wo die Interessen der Kirche tangiert wurden? Eine solche Folgerung wäre vorschnell, wie der Umstand zeigt, dass Basilius selbst keine Skrupel kannte, auf Freundschafts- und Verwandtschaftsbeziehungen zurückzugreifen, als er seinen Bruder Gregor zum Bischof von Nyssa und seinen gleichnamigen Freund zum Bischof von Sasima ernannte.102 Die Grenzen der Gültigkeit von philia-Netzwerken wurden also vielmehr dort gezogen, wo die eigene Autorität als Bischof in Frage gestellt war.

Konstituierende Elemente Um in Kontakt mit einem namentlich nicht bekannten Statthalter von Neocaesarea zu treten, berief sich Basilius auf einen Vers des Euripides, der besagt, dass die weisen Männer einander Freunde seien: Τὸν σοφὸν ἄνδρα, κἂν ἑκὰς ναίῃ χθονός, κἂν μήποτ’ αὐτὸν ὄσσοις προσίδω, κρίνω φίλον, Εὐριπίδου ἐστὶ τοῦ τραγικοῦ λόγος. Ὥστε, εἰ, μήπω τῆς κατ’ ὀφθαλμοὺς ἡμῖν συντυχίας τὴν γνῶσίν σου τῆς μεγαλοφυΐας χαρισαμένης, φαμὲν εἶναι φίλοι σου καὶ συνήθεις. μὴ κολακείαν εἶναι τὸν λόγον κρίνῃς. Εἴχομεν γὰρ φήμην πρόξενον τῆς φιλίας μεγαλοφώνως τὰ σὰ πᾶσιν ἀνθρώποις συμβοῶσαν· ἀφ’ οὗ μέντοι καὶ τῷ αἰδεσιμωτάτῳ ἐλπιδίῳ συνετύχομεν, τοσοῦτόν σε ἐγνωρίσαμεν καὶ οὕτω κατ’ ἄκρας ἑαλώκαμέν σου, ὡσανεὶ πολὺν χρόνον συγγεγονότες καὶ διὰ μακρᾶς τῆς πείρας τῶν ἐν σοὶ καλῶν τὴν γνῶσιν ἔχοντες. « ‹Den weisen Mann, mag er auch in einem fernen Land wohnen, mag ich ihn auch niemals mit Augen sehen, halte ich für einen Freund›, lautet ein Spruch des Tragikers Euripides. Wenn wir behaupten, dein Freund und Vertrauter zu sein, obgleich uns niemals ein persönliches Zusammentreffen die Bekanntschaft mit deiner Erhabenheit vergönnt hat, halte daher die Aussage nicht für Schmeichelei. Denn als Vermittler der Freundschaft hatten wir deinen Ruf, der laut deine Taten unter allen Menschen verkündet; seitdem wir aber mit dem ehrwürdigsten Helpidius zusammentrafen, haben wir dich so sehr kennengelernt und sind so völlig von dir eingenommen, als ob wir schon lange Zeit mit dir verbracht und aus langer Erfahrung Kenntnis deiner Vorzüge hätten.»103 Basilius war mit dem Adressaten noch nicht persönlich zusammengetroffen. Es handelte sich also um eine schriftliche Freundschaftseröffnung. Umso aufschlussreicher ist das Schreiben, um zentrale Elemente für die Aufnahme einer philia-Beziehung herauszuarbeiten. 102 103

Vgl. hierzu III.1. Bas. ep. 63 (Übers. Hauschild 1990). Zu Helpidius vgl. PLRE I, 415 (Helpidius 7).

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III. Die Kappadokier und Johannes Chrysostomus

Indem er den Brief mit einem Zitat des bekannten Tragikers beginnen liess, präsentierte sich Basilius als ein in der klassischen Literatur gebildeter Mann. Zugleich inkludierte er durch das geschickt gewählte Zitat den Adressaten als σοφὸν ἄνδρα in diesen Kreis. Um einen Kontakt über geographische Distanz hinweg zu initiieren, evozierte Basilius auch an anderer Stelle die gemeinsame Liebe zur Rhetorik (ὅ τε περὶ λόγους κοινὸς ἔρως).104 Die Verbindung zu persönlich nicht bekannten Adressaten wurde also – wie wir es bei Libanius ebenfalls beobachtet haben – über die klassische paideia hergestellt. Auch die weiteren Elemente, die Basilius in dem zitierten Brief als konstitutiv anführte, reihen sich in die klassische Tradition ein: Der Ruf (φήμη) wurde zusammen mit gemeinsamen Freunden als Vermittler (πρόξενος) für die philia genannt. Im Anschluss an den zitierten Ausschnitt listete Basilius eine Reihe von charakterlichen Vorzügen des Briefempfängers auf, welche er von dem gemeinsamen Bekannten erfahren hatte. Er schloss die Aufzählung mit der rhetorischen Frage, wie er einen solchen Mann nicht hätte lieben sollen.105 Und er bat den Statthalter, ihn in den Kreis seiner Freunde aufzunehmen, indem er ihm häufig Briefe schreibe und ihn so über die Abwesenheit hinwegtröste – ein weiterer klassischer Topos. Konstitutiv für die philia waren bei Basilius – wie bei Libanius – die klassische paideia, der gute Ruf und der einwandfreie Charakter des Adressaten sowie gemeinsame Freunde.106 Besiegelt wurde die Beziehung mit dem abwesenden Freund durch den Brief. Auch bei Gregor von Nazianz vermittelten Freunde durch ihre Empfehlung neue philiai.107 Daneben findet sich häufig die alte Vorstellung, dass philia von den Vätern vererbt werde.108 Die λόγοι führte Gregor von Nazianz ebenfalls als Grund für eine philia an. Sein Zusatz, dass es für die Menge (τοῖς πολλοῖς) nichts gebe, was eine stärkere Verbindung hervorrufe, lässt allerdings aufhorchen.109

104 Bas. ep. 64. Hauschild 1990, 202 Anm. 290 postuliert, dass der Adressat dieses Briefes, Hesychius, ein Heide sei, da der Brief keinerlei christlich-biblische Reminiszenzen enthalte. Gleichzeitig setzt Hauschild diesen Hesychius mit dem Empfänger von ep. 72 gleich. In jenem Brief finden sich jedoch Anspielungen auf christliche Vorstellungen, so dass entweder von zwei unterschiedlichen Adressaten mit Namen Hesychius ausgegangen oder aber die Annahme, dass der Hesychius von ep. 64 ein Heide sei, in Zweifel gezogen werden muss. 105 Auffallend ist hier die Verwendung von ἀγαπάω: Πῶς οὖν οὐκ ἔμελλον ἀγαπᾶν τὸν τοιοῦτον;. 106 Vgl. auch Bas. ep. 64. 107 Vgl. z. B. Greg. Naz. ep. 38; 39. 108 Vgl. z. B. Greg. Naz. ep. 13; 24; 174. 109 Vgl. Greg. Naz. ep. 67.1: ἐμοὶ πρὸς σὲ φιλίας μὲν πολλὰ δίκαια, καὶ εἰ μή τι ἄλλο, οἱ λόγοι ὧν οὐδὲν τοῖς πολλοῖς αἰδεσιμώτερον οὐδὲ οἰκειότερον […]. – «Ich habe viele Gründe für meine Freundschaft mit dir, und wenn es sonst nichts gäbe, so doch die Literatur, im Vergleich zu der es für die Menge nichts Ehrenwerteres gibt, noch etwas, was stärker verbindet […].» (Übers. Wittig 1981).

2. Philia und agape bei christlichen Autoren

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Fassen wir hier die Ironie eines Christen, der mit dem christlichen Glauben etwas kennt, was stärker verbindet als die gemeinsame Liebe zur Literatur? In einem anderen Empfehlungsschreiben differenzierte Gregor zwischen der nicht-christlichen und der christlichen Bildung: Ὁ μὲν γὰρ πολλὴν ἐν βραχεῖ τὴν παίδευσιν ἐπεδείξατο, τήν τε σπουδασθεῖσαν ἡμῖν ποτε, ὅτε μικρὸν διεβλέπομεν, καὶ τὴν νῦν ἀντ’ ἐκείνης σπουδαζομένην, ὅτε πρὸς τὸ τῆς ἀρετῆς ὕψος ἐβλέψαμεν. «Er hat in kurzer Zeit eine umfassende Bildung bewiesen, sowohl jene, nach der auch wir einst strebten, als wir noch wenig durchschauten, wie auch die, mit der wir uns jetzt statt jener anderen eifrig beschäftigen, jetzt, wo wir unseren Blick zur Höhe der Tugend erhoben haben.»110 Gregor verzichtete nicht darauf, die paideia des Empfohlenen hervorzuheben, um ihm die philia eines Freundes zu vermitteln. Der Empfohlene habe sich jedoch nicht nur in der weltlichen paideia bewiesen, sondern auch in der christlichen. Das Bemühen um eine christliche Bildung sowie das Leben nach christlichen Grundsätzen allgemein umschrieb Gregor mit dem Streben nach Tugend (arete). Diese arete wurde oft als verbindendes Element zwischen Freunden evoziert und war integraler Bestandteil von Gregors Definition eines Freundes: Φίλους δ’ ὅταν εἴπω, τοὺς καλοὺς λέγω καὶ ἀγαθοὺς καὶ κατ’ ἀρετὴν ἡμῖν συναπτομένους, ἐπειδή τι καὶ αὐτοὶ ταύτης μεταποιούμεθα. «Wenn ich Freunde sage, dann meine ich die rechtschaffenen und ehrbaren Leute und die, die mit uns in der Tugend verbunden sind, weil ja auch wir etwas Anspruch auf sie erheben.»111 Indem Gregor arete christlich interpretiert, wird die Übereinstimmung im Glauben zur zentralen Voraussetzung für philia. Beständige Freundschaft und Vertrautheit (βεβαία φιλία καὶ οἰκείωσις) kann für Gregor nur zwischen Christen bestehen.112 Potentiell sind alle, «die auf Gott hin leben und dem gleichen Evangelium gemäss wandeln, untereinander Freunde und Verwandte» (φίλοι πάντες ἀλλήλων καὶ συγγενεῖς οἱ κατὰ Θεὸν ζῶντες καὶ τῷ αὐτῷ εὐαγγελίῳ

110

Greg. Naz. ep. 39.3 (Übers. nach Wittig 1981). Greg. Naz. ep. 39.1 (Übers. Wittig 1981). Vgl. zudem z. B. Greg. Naz. ep. 39; 204; 233; or. 43.19–21. Zur Umdeutung der Tugendfreundschaft bei Gregor von Nazianz vgl. auch Vischer 1953b, 187 f.; Rebenich 2008a, 22 f. 112 Greg. Naz. ep. 100.4. Auch im Westen wurde virtus christlich gedeutet. Vgl. hierzu Rebenich 2008a, bes. 18–25 mit zahlreichen Beispielen. 111

214

III. Die Kappadokier und Johannes Chrysostomus

στοιχοῦντες).113 Gregor verwendet den philia-Begriff also auch zur Beschreibung des Verhältnisses zweier Glaubensgenossen, indem er die der philosophischen Tradition entlehnten konstituierenden Elemente – wenn nötig – christlich umdeutet. Dabei findet eine klare Hierarchisierung statt, indem nur die Freundschaft zwischen Christen für beständig erklärt wird. Eine christliche Adaption der traditionell mit philia verbundenen Normen und Konventionen kann jedoch nicht festgestellt werden. Zusammenfassend kann bislang festgehalten werden, dass philia als etabliertes soziales Konzept auch für Christen von grosser Bedeutung war, um mit anderen Angehörigen der sozialen Eliten zu interagieren. Das soziale Konzept der philia bildete einen verbindlichen und verlässlichen Rahmen für die gegenseitige Unterstützung und den Austausch verschiedenster Dienstleistungen, der nicht nur zwischen Christen, sondern über die Religionsgrenzen hinweg stattfand. Es soll hier betont werden, dass diesbezüglich kein Unterschied zwischen Gregor und Basilius feststellbar ist. Beide bemühten sich gleichermassen, philia-Beziehungen zu etablieren und zu pflegen, um sich innerhalb des Imperium Romanum zu vernetzen und ihre Interessen durchzusetzen. Beide waren sich auch einig, dass die Gültigkeit der philia in kirchlichen Angelegenheiten kritisch bewertet werden musste. Hier liegt aber auch der grösste Unterschied zwischen den beiden Autoren. Während Gregor philia so definierte, dass sie auch die Beziehung zwischen zwei Glaubensgenossen beschreiben konnte, zog Basilius die Trennung zwischen weltlichen und kirchlichen Angelegenheiten stärker, indem er im innerchristlichen Diskurs bevorzugt auf ein anderes genuin christliches Konzept rekurrierte: die agape. Dies soll im Folgenden näher ausgeführt werden.

2.2. Agape: Eine alternative Strategie sozialer Inklusion In einem kurzen Aufsatz aus dem Jahre 1961 hat Kurt Treu auf einen markanten Unterschied in der Verwendung der Freundschaftsterminologie bei den kappadokischen Kirchenvätern hingewiesen: Während Gregor von Nazianz Beziehungen fast ausschliesslich mit philia beschreibt, bevorzugt Basilius von Caesarea den christlichen Begriff agape.114 In Zahlen: Gregor von Nazianz verwendet in 53 seiner 244 Briefe den Begriff philia, aber nur in 8 Briefen agape. In den Briefen des Basilius von Caesarea dominiert dagegen agape mit insgesamt 176 Stellen, wovon Treu 40 dem Gebrauch zur Beschreibung zwischen113 114

Greg. Naz. ep. 11.2 (Übers. Wittig 1981). Treu 1961.

2. Philia und agape bei christlichen Autoren

215

menschlicher Beziehungen anrechnet.115 Philia erscheint dagegen bei Basilius nur in 29 Briefen.116 Wie ist dies zu erklären? Eine Analyse der einzelnen Belegstellen führt Treu zu der These, dass bei Basilius «philia, soweit sie weltlich ist, der agape entgegengesetzt, soweit sie aber im Glauben gegründet ist, in der agape mit eingeschlossen» sei.117 Agape sei dabei der stärkere Begriff, da er eine glaubensmässige Verbundenheit voraussetze.118 Im Gegensatz zu philia sei agape bei Basilius ausnahmslos positiv gewertet und habe einen «transzendenten, übernatürlichen Charakter, der alle negativen Möglichkeiten, wie etwa die Vergänglichkeit», ausschliesse.119 Gregor dagegen kenne eine solche Differenzierung zwischen philia und agape nicht. Bei ihm könne philia deshalb auch in Kontexten stehen, in welchen Basilius eindeutig agape bevorzugt hätte. Umgekehrt erscheine agape bei Gregor ohne grossen eigenen Bedeutungsinhalt.120 Da Gregor von Nazianz und Basilius von Caesarea in Bezug auf «Herkunft, Bildungsgang und theologische Anschauungen eng miteinander verknüpft»121 seien, führt Treu den auffallenden Unterschied in der Verwendung der Freundschaftsterminologie auf eine «Verschiedenheit des Charakters» sowie eine «Verschiedenheit der Neigungen» zurück: «Basilius ist stärker durch die kirchliche Überlieferung gebunden, aus der agape kommt, Gregor bleibt unbefangener der antik-griechischen Tradition verpflichtet, in der philia lebt.»122 Klaus Thraede hat Kurt Treus Analyse im Rahmen seiner Studie zur griechisch-römischen Brieftopik kritisch aufgegriffen.123 Er beanstandet insbesondere, dass Treu rein wortgeschichtlich vorgehe und keine Rücksicht auf die gattungsspezifischen Besonderheiten des Briefes nehme. Seine eigene Interpretation stellt diese entsprechend in den Mittelpunkt: Die «Existenz eines gattungseigenen Motivfeldes» erfordere, «Wortwahl und Bedeutungsinhalt streng auseinanderzuhalten.»124 Innerhalb eines Brieftopos sieht Thraede, «wenn statt philia agape eintritt, wie bei Basilios durchweg und bei Joh. Chrysostomos sehr oft, kein[en] sachliche[n], sondern nur ein[en] verbale[n] Unterschied.»125 115 Nicht mitgezählt werden von Treu Stellen, in denen Basilius agape im theologischen Kontext verwendet. Leider listet Treu die Briefe, die er einbezieht, nirgends separat auf. 116 Treu 1961, 423. 117 Treu 1961, 424. 118 Treu 1961, 425. 119 Treu 1961, 426. 120 Treu 1961, 426. 121 Treu 1961, 423. 122 Treu 1961, 427. 123 Thraede 1970, 132–137. 124 Thraede 1970, 132. 125 Thraede 1970, 127.

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III. Die Kappadokier und Johannes Chrysostomus

Philia und agape würden in solchen Fällen deshalb dasselbe bedeuten.126 Die Wortwahl stellt in Thraedes Augen einen «Christianismus» dar, der die inhaltliche Aussagekraft nicht tangiere.127 Ähnlich interpretiert Carolinne White den Befund. White weist zwar auf die unterschiedlichen Präferenzen in der Verwendung von philia und agape bei Basilius und Gregor von Nazianz hin, hält aber zur Vorsicht in der Interpretation an, da auch Basilius philia in positivem Sinn benutze. Wie zuvor Klaus Thraede zieht sie Chrysostomus bei, um die These zu stützen, dass die beiden Begriffe ein ähnliches Bedeutungsfeld abdeckten und sogar austauschbar gewesen seien.128 Demgegenüber sieht David Konstan in der jeweiligen Bevorzugung des philia- oder des agape-Begriffes eine Bejahung respektive eine Ablehnung der weltlichen Freundschaft, die im Gegensatz zur universalen christlichen Liebe als Dyade konzipiert gewesen sei.129 Auch Raymond Van Dam führt die Unterschiede in der Terminologie von Basilius und Gregor auf unterschiedliche Vorstellungen von interpersonalen Beziehungen zurück: Während Gregor sich vorwiegend an dem Ideal der klassischen philia orientierte, habe Basilius sich der agape und den kirchlichen Gesetzen verpflichtet gefühlt. Van Dam sieht in den unterschiedlichen Erwartungen an ihre Freundschaft auch den Hauptgrund für die Auseinandersetzung zwischen den beiden Kappadokiern, die infolge der unfreiwilligen Weihung von Gregor zum Bischof von Sasima durch Basilius entstand.130 Die Unterschiede bei Basilius und Gregor hinsichtlich der Verwendung von philia und agape wurden in der Forschung bislang vor allem mit ihrer Orientierung am klassischen respektive christlichen Freundschaftsideal erklärt. Die Präferenz der agape bei Basilius wird damit als Ausdruck stärkerer christlicher Identität gesehen. Sofern überhaupt anerkannt wird, dass die terminolo-

126

Thraede 1970, 134. Thraede 1970, 133. 128 White 1992, 53 f. 129 Konstan 1997, 165; Konstan 2000, 176 f. 130 Basilius, so Van Dam 1986, 71, «consistently gave priority to the spiritual agape of the Catholic church, a brotherhood of believers which in theory required little effort to initiate or maintain because it was presupposed through the working of the Holy Spirit. Personal friendships, for Basil, had become but one discrete portion of this larger – and much more indiscriminate – spiritual kinship, and they could even be ignored if they interfered with the realization of Christian community or with the service of God. Since spiritual kinship was all-inclusive, since the demands for the establishment of an orthodox consensus were so overpowering, no requests could be unreasonable.» Gregor dagegen, so Van Dam 2003, 164 f., habe sich an den klassischen Normen der Freundschaft orientiert, wonach eine Bitte einen Freund nicht in ein Dilemma bringen dürfe. Der Gedanke, dass der Konflikt zwischen Gregor und Basilius auf unterschiedliche Freundschaftsideale zurückzuführen ist, findet sich bereits bei Vischer 1953b und White 1992, 61–84. 127

2. Philia und agape bei christlichen Autoren

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gischen Unterschiede eine Auswirkung auf die soziale Praxis hatten, wird dies vor allem mit Blick auf die Beziehung zwischen Basilius und Gregor von Nazianz diskutiert, deren Konflikt auf unterschiedliche Erwartungen an eine Freundschaftsbeziehung zurückgeführt wird. Eine simple Dichotomie zwischen einem klassischen und einem christlichen Freundschaftsideal greift allerdings zu kurz, um die Verwendung von philia und agape bei Basilius und Gregor von Nazianz zu erklären. Wie die bisherigen Ausführungen gezeigt haben, griff auch Basilius auf das soziale Konzept der philia zurück. Die Frage ist also, welche Bedeutung den beiden Konzepten zukam und wieso wir bei Basilius sowohl philia als auch agape finden, bei Gregor von Nazianz jedoch fast ausschliesslich philia. Im Folgenden werde ich argumentieren, dass Basilius bewusst zwischen philia und agape differenzierte und damit zwei unterschiedliche Konzepte sozialer Interaktion beschrieb. Basilius reagierte damit auf kirchenpolitische Herausforderungen seiner Zeit, in der die mit dem sozialen Konzept der philia verbundenen Kriterien der In- und Exklusion nicht mehr genügten. Die unterschiedliche Verwendung der beiden Begriffe bei Basilius und Gregor von Nazianz wird als Teil eines nicht homogen verlaufenden Christianisierungsprozesses in einer Phase religiösen Umbruchs interpretiert.

Philia und agape bei Basilius: Zwei unterschiedliche Strategien sozialer Inklusion Im Jahre 373 schrieb Basilius von Caesarea an Petrus, seinen neu geweihten Bischofskollegen von Alexandria. Er leitete seinen Brief mit folgenden Zeilen ein: Τῆς μὲν σωματικῆς φιλίας ὀφθαλμοὶ πρόξενοι γίνονται καὶ ἡ διὰ μακροῦ χρόνου ἐγγινομένη συνήθεια βεβαιοῖ. Τὴν δὲ ἀληθινὴν ἀγάπην ἡ τοῦ Πνεύματος δωρεὰ συνίστησι συνάπτουσα μὲν τὰ μακρῷ διεστῶτα τῷ τόπῳ, γνωρίζουσα δὲ ἀλλήλοις τοὺς ἀγαπητούς, οὐ διὰ σωματικῶν χαρακτήρων, ἀλλὰ διὰ τῶν τῆς ἀρετῆς ἰδιωμάτων. Ὃ δὴ καὶ ἐφ’ ἡμῶν ἡ τοῦ Κυρίου χάρις ἐποίησε παρασχομένη ἡμᾶς ἰδεῖν σε τοῖς τῆς ψυχῆς ὀφθαλμοῖς καὶ περιπτύξασθαί σε τῇ ἀγάπῃ τῇ ἀληθινῇ καὶ οἱονεὶ συμφυῆναί σοι καὶ πρὸς μίαν ἐλθεῖν ἕνωσιν ἐκ τῆς κατὰ τὴν πίστιν κοινωνίας. «Die leibliche Freundschaft [philia] vermitteln die Augen, und die durch die Länge der Zeit bewirkte Vertrautheit bekräftigt sie. Die wahre Liebe [agape] aber begründet die Gabe des Geistes, dadurch dass sie das räumlich weit voneinander Getrennte verbindet und als gegenseitig liebenswert kundtut, und zwar nicht durch leibliche Kennzeichen, sondern durch die jedem eigentümlichen Qualitäten. Das hat denn auch bei uns die Gnade des Herrn getan, da sie uns dich mit den Augen der Seele sehen und dich mit der wahren Liebe umarmen, mit dir

218

III. Die Kappadokier und Johannes Chrysostomus

gleichsam zusammenwachsen und aufgrund der Gemeinschaft im Glauben zu einer einzigen Einheit kommen liess.»131 Basilius kontrastierte in diesem Schreiben die christliche agape mit der aus der klassisch-paganen Tradition stammenden philia. Während die philia, die Basilius mit dem Attribut «leiblich, körperlich» (σωματική) versah, des physischen Zusammentreffens bedurfte, wurde die agape durch die «Gabe des Geistes» (ἡ τοῦ Πνεύματος δωρεά) bewirkt und konnte dank dieser auch zwischen räumlich weit voneinander Getrennten entstehen, wie es bei den beiden Bischöfen der Fall war. Konstitutiv waren dabei die Tugendeigenschaften des Adressaten sowie die Gemeinschaft im Glauben. Letztere förderte die Intensität der Verbindung und liess die Gläubigen zu einer einzigen Einheit zusammenwachsen. Sehr ähnlich äusserte sich Basilius, als er auf die briefliche Kontaktaufnahme durch einen gewissen Ascholius reagierte, der in einigen Handschriften als Mönch und Presbyter tituliert wird, in anderen als Bischof von Thessalonike. Basilius war mit dem Adressaten noch nicht persönlich zusammengetroffen. Entsprechend betonte er gegenüber Ascholius die Bedeutung und die Möglichkeit der geistlichen agape (ἡ πνευματικὴ ἀγάπη), die sich im Gegensatz zur weltlichen philia (ἡ τοῦ κόσμου φιλία) auch über geographische Distanz hinweg allein durch die Gemeinschaft im Glauben konstituieren könne.132 In beiden Briefen wurde agape als gott- oder geistgewirkte Verbindung dargestellt und die Gemeinschaft im Glauben (ἡ κατὰ τὴν πίστιν κοινωνία / ἡ τῆς πίστεως κοινωνία) als zentrale Bedingung für ihre Konstituierung angeführt. Wie die Fortsetzungen der beiden Briefe zeigen, ging es dabei nicht nur darum, dass sich beide Briefpartner grundsätzlich zum Christentum bekannten, sondern dass sie über übereinstimmende dogmatische Vorstellungen verfügten und nicht einer – aus dem jeweiligen Blickwinkel – häretischen Lehre anhingen. Die Orthodoxie setzte Basilius im Falle des Ascholius aufgrund des Inhalts des 131

Bas. ep. 133 (Übers. Hauschild 1973). Bas. ep. 154: Καλῶς ἐποίησας καὶ κατὰ τὸν τῆς πνευματικῆς ἀγάπης νόμον κατάρξας τῶν πρὸς ἡμᾶς γραμμάτων καὶ τῷ ἀγαθῷ ὑποδείγματι πρὸς τὸν ὅμοιον ζῆλον ἡμᾶς ἐκκαλεσάμενος. Καὶ γὰρ ἡ μὲν τοῦ κόσμου φιλία ὀφθαλμῶν δεῖται καὶ συντυχίας. ὥστε ἐκεῖθεν ἀρχὴν τῆς συνηθείας γενέσθαι· οἱ δὲ πνευματικῶς ἀγαπᾶν εἰδότες οὐ τῇ σαρκὶ προξένῳ κέχρηνται τῆς φιλίας, ἀλλὰ τῇ τῆς πίστεως κοινωνίᾳ πρὸς τὴν πνευματικὴν συνάφειαν ἄγονται. […] – «Gut und dem Gesetz der pneumatischen Liebe gemäss hast du gehandelt, indem du zuerst an uns geschrieben und mit diesem guten Beispiel uns zum gleichen Eifer herausgefordert hast. Denn die weltliche Freundschaft bedarf ja der Augen und des Zusammentreffens[, damit daraus die Vertrautheit ihren Anfang nimmt]; die aber pneumatisch zu lieben verstehen, gebrauchen nicht das Fleisch zur Vermittlung [der philia], sondern kommen durch die Gemeinschaft im Glauben zur pneumatischen Verbindung. […]» (Übers. nach Hauschild 1973. Eigene Ergänzungen in eckigen Klammern.). 132

2. Philia und agape bei christlichen Autoren

219

empfangenen Briefes voraus. Im Falle des Petrus postulierte er sie aufgrund der Tatsache, dass Petrus ein Schüler des Athanasius, des verstorbenen Bischofs von Alexandria, war und folglich in demselben Geiste wandle wie jener (τῷ αὐτῷ πορεύεσθαι πνεύματι) und denselben Lehrsätzen des rechten Glaubens folge (τοῖς αὐτοῖς στοιχεῖν τῆς εὐσεβείας δόγμασι). Basilius’ Schreiben war, wie der Schluss des Briefes zeigt, ein Appell an Petrus, seinem Lehrer und Vorgänger auf dem Bischofsstuhl in Bezug auf seinen Einsatz für den rechten Glauben und die Ausübung seines Bischofsamtes nachzueifern. Und nicht zuletzt sollte er auch dessen Haltung Basilius gegenüber übernehmen. Zu vermerken ist ferner, dass Basilius beide Briefe mit der Bitte um fortwährende Korrespondenz beschloss. Die Bedeutung, die dem regelmässigen Briefschreiben in beiden Briefen beigemessen wurde, unterstreicht, dass auch die geistliche agape einer performativen Bestätigung und kontinuierlichen Rückversicherung ihrer Existenz bedurfte. Durch die Korrespondenz versicherten sich die Briefpartner der Übereinstimmung im Glaubensbekenntnis, die sich dann im Vorhandensein einer pneumatischen Verbindung durch die agape manifestierte.133 Die symbolische Manifestation einer solchen Verbindung durch regelmässigen Briefwechsel war gerade in der Zeit, in der die trinitätstheologische Frage um das Verhältnis von Vater, Sohn und Geist zu heftigen Debatten führte, von grosser Bedeutung. Da Basilius als Vertreter des nizänischen Glaubensbekenntnisses nicht konform ging mit dem homöisch geprägten Reichsdogma im Osten des Römischen Reiches, war er als Bischof umso mehr auf die Bildung tragfähiger und weitreichender Netzwerke angewiesen. Genauso wie Briefwechsel mit hohen Reichsbeamten zur Erhöhung des sozialen Prestiges beitrugen, so förderte eine grosse Anzahl einflussreicher Briefpartner, die im Bekenntnis übereinstimmten, die kirchenpolitische Durchsetzungskraft. Der agape kam bei Basilius folglich eine wichtige Funktion in der Versicherung der glaubensmässigen Übereinstimmung und damit in der Durchsetzung seiner theologischen Positionen zu. Die agape war in diesem Kontext nicht die bedingungslose christliche Liebe, die sich sogar auf Feinde ausdehnte. Sie integrierte nur den Kreis der Rechtgläubigen und exkludierte all diejenigen, die verdächtig wurden, einer häretischen Lehre anzugehören. Das theologische Konstrukt der Orthodoxie und der Heterodoxie bestimmte über In- und Exklusion. Die Übereinstimmung im Glauben war die Conditio sine qua non für die Konstituierung und den Fortbestand der Verbindung. So warnte Basilius die Gemeinde von Neocaesarea, dass von der Wahl ihres neuen Bischofs abhänge, wie sich die Beziehung zwischen ihrer und seiner Gemeinde in Zukunft gestalte:

133

Bas. ep. 133; 154. Zur Funktion des Briefes im klerikalen Kontext vgl. ausführlich III.4.

220

III. Die Kappadokier und Johannes Chrysostomus

[…] πεπεισμένοι […] ὅτι ἐκ τοῦ δοθησομένου ποιμένος ὑμῖν, ἢ ἐπὶ πλέον τῷ συνδέσμῳ τῆς ἀγάπης ἑνωθησόμεθα, ἢ πρὸς παντελῆ διάστασιν […]. «[…] seid überzeugt, dass wir, je nachdem welcher Hirte euch gegeben wird, entweder mehr durch das Band der Liebe [agape] vereint sein werden oder uns gänzlich entfremden.»134 Nur wenn der neue Bischof dieselbe Lehrmeinung unterstütze, könne das Band der Liebe aufrechterhalten werden. Entwickelten zwei Verbündete divergierende Ansichten über die rechte Auslegung des christlichen Glaubens, erklärte Basilius, dass die agape erkaltet sei.135 Waren die Positionen nicht mehr vereinbar, bedeutete dies den Abbruch der Beziehung. Konkret lässt sich diese allgemeine Feststellung an der Beziehung zwischen Basilius und Eustathius von Sebaste nachweisen. Eustathius war lange Zeit Basilius’ Mentor gewesen, aber im Zuge der kirchenpolitischen Auseinandersetzungen um das Verhältnis zwischen Gottvater, Gottsohn und Heiligem Geist favorisierten sie unterschiedliche Auslegungen. Da Eustathius auch nach langen Verhandlungen nicht bereit war, zu einem nizänischen Glaubensbekenntnis mit antipneumatomachischem Zusatz zu stehen, brach die Freundschaft der früheren Verbündeten entzwei und endete in Feindschaft. Der Verlauf dieser Beziehung soll im Folgenden detaillierter beleuchtet werden. Eustathius, aus Armenien stammend, war ein Verfechter der radikalen Askese und massgeblich an der Entwicklung des griechischen Mönchtums beteiligt.136 Mitte der 350er Jahre wurde er Bischof von Sebaste in Kleinarmenien. Er gilt damit als erster Asket auf einem Bischofsstuhl.137 Der damals noch junge Basilius scheint in dieser Zeit mit ihm in Kontakt gekommen und von ihm in seiner Hinwendung zu einer asketischen Lebensweise beeinflusst oder zumindest bestärkt worden zu sein.138 Hinweise in der Korrespondenz lassen vermuten, dass Eustathius den Basilius ermuntert hatte, kurz nach seiner Studienzeit in Athen Reisen zu verschiedenen Zentren asketischer Gemeinschaften in Syrien, Ägypten, Palästina und Mesopotamien zu unternehmen.139 Als sich Basilius in den folgenden Jahren auf ein Landgut zurückzog und ein asketisches Leben führte, stand er nach eigener Aussage in regelmässigem Austausch mit Eustathius, der ihn dort

134

Bas. ep. 28.3 (Übers. Hauschild 1990). Vgl. z. B. Bas. ep. 119; 172 sowie die folgenden Ausführungen. 136 Vgl. Hauschild 1982, 549 mit Verweis auf Soz. 3.14.31. 137 Zu Eustathius’ Leben und Wirken vgl. Hauschild 1982, hier bes. 547. Zu Eustathius und Basilius vgl. auch Rousseau 1994, 239–254. 138 Bas. ep. 1 und 223.2–3. Vgl. auch Hauschild 1990, 6. 139 Bas. ep. 1. Vgl. Gribomont 1959. 135

2. Philia und agape bei christlichen Autoren

221

auch besuchte.140 Durch Eustathius wurde Basilius auch in die überregionale Kirchenpolitik eingeführt.141 In ihrer dogmatischen Ausrichtung gehörten Eustathius wie auch Basilius in jener Zeit zu den sogenannten Homöusianern. Sie stimmten in dem im vierten Jahrhundert aktuellen theologischen Streit um das Verhältnis von Gottvater zu seinem Sohn denjenigen zu, die Vater und Sohn als «wesensähnlich» (ὁμοιούσιος) bezeichneten. Allerdings setzte Basilius sich schon früh für die Akzeptanz des Nizänums, das die Wesenseinheit von Vater und Sohn proklamierte, unter den Homöusianern ein.142 Auch Eustathius unterschrieb 365/366 als Teil einer dreiköpfigen Gesandtschaft der Homöusianer in den Westen ein nizänisches Glaubensbekenntnis, um so die Kirchengemeinschaft mit der lateinischen Kirche zu erreichen.143 Als in der Folge der Synode von Tyana 366 eine Spaltung der Homöusianer wegen der Anerkennung des Nizänums erfolgte, versuchte Eustathius eine Mittelposition einzunehmen. Es ist davon auszugehen, dass schon in den späten 360er Jahren, also vor Basilius’ Bischofswahl, gewisse dogmatische Differenzen zwischen Eustathius und Basilius bestanden. Erste Anzeichen für eine Unstimmigkeit finden sich allerdings erst in ep. 119, die Basilius sehr wahrscheinlich im Jahre 371 oder 372 an Eustathius sandte.144 Er schrieb darin von üblen Verdächtigungen (ὑπόνοιαι), die gegen ihn geäussert worden seien und die von Eustathius nicht ungeprüft übernommen werden sollten. Die genaue Natur dieser Vorwürfe wird aus dem Brief nicht deutlich. Es war Aufgabe des Briefboten Petrus, diese darzulegen.145 Basilius äusserte die Befürchtung, dass die Verleumdungen eines Gegners, der ebenfalls Basilius hiess, die agape des Eustathius erschüttern könnte: Οἷα γὰρ ἡμῖν ἐνεδείξατο ὁ γενναῖος Βασίλειος ὃν ἀντὶ φυλακτηρίου τῆς ἐμῆς ζωῆς παρὰ τῆς σῆς εὐλαβείας ὑπεδεξάμην ἐγὼ μὲν καὶ εἰπεῖν αἰσχύνομαι, εἴσει δὲ τὰ καθ’ ἕκαστον παρὰ τοῦ ἀδελφοῦ ἡμῶν διδαχθείς. Καὶ τοῦτο λέγω οὐκ ἐκεῖνον ἀμυνόμενος (εὔχομαι γὰρ αὐτῷ μὴ λογισθῆναι παρὰ τοῦ Κυρίου), ἀλλὰ βεβαίαν μοι τὴν παρὰ σοῦ ἀγάπην μεῖναι ἡμῖν διοικούμενος, ἣν φοβοῦμαι μὴ διασαλεύσωσι ταῖς ὑπερβολαῖς τῶν διαβολῶν ἃς εἰκὸς αὐτοὺς κατασκευάσαι εἰς ἀπολογίαν τοῦ πταίσματος. 140

Bas. ep. 223.5. Vgl. Hauschild 1990, 16 f. 142 Hauschild 1990, 12 f. 143 Die folgenden Ausführungen stützen sich vor allem auf Hauschild 1990; Hauschild 1993; Drecoll 1996 und Brennecke 1988. 144 Für die Datierung s. Drecoll 1996, 200. 145 Zur möglichen Identifikation des Petrus mit Basilius’ leiblichem Bruder vgl. Hauschild 1973, 161 Anm. 68. 141

222

III. Die Kappadokier und Johannes Chrysostomus

«Denn was uns der edle Basilius, den ich von deiner Gottesfurcht als Schutzwache für mein Leben erhielt, vorgeworfen hat, das schäme ich mich überhaupt auszusprechen. Du wirst es aber in allen Einzelheiten von unserem Bruder erfahren. Und dies sage ich nicht, um es jenem heimzuzahlen (denn ich bete, es möge ihm vom Herrn nicht angerechnet werden), sondern weil ich uns deine Liebe fest erhalten will, welche jene, wie ich befürchte, mit ihren teuflischen Übertreibungen erschüttern könnten, die sie natürlich zur Verteidigung ihres Fehltritts vorbringen.»146 Basilius bat Eustathius, die Vorwürfe und das Verhalten der Verleumder zu prüfen, die «hinter einem freundlichen Gesicht und hinter vor Liebe triefenden Worten ihr abgrundtief von Verschlagenheit und Feindschaft erfülltes Inneres verstecken»147 würden. Das asketische Leben sei in der Stadt durch die ganze Angelegenheit in Verruf geraten, und es obliege Eustathius, dies wiedergutzumachen. Denn, so fuhr Basilius fort: Τὰ γὰρ παρὰ Σωφρονίου συνερραμμένα ἐγκλήματα ἡμῖν οὐκ ἀγαθῶν ἐστι προοίμια, ἀλλ’ ἀρχὴ διαιρέσεως καὶ χωρισμοῦ καὶ σπουδὴ τοῦ καὶ τὴν ἐν ἡμῖν ἀγάπην ἀποψυγῆναι. Ὃν ὑπὸ τῆς σῆς εὐσπλαγχνίας παρακαλοῦμεν κατασχεθῆναι ἀπὸ τῆς βλαβερᾶς ταύτης ὁρμῆς καὶ πειραθῆναι τῇ παρ’ ἑαυτοῦ ἀγάπῃ κατασφίγγειν μᾶλλον τὰ διιστάμενα ἢ τοῖς πρὸς διάστασιν ὡρμημένοις συνεπιτείνειν τὸν χωρισμόν. «Die von Sophronius gegen uns zusammengetragenen Vorwürfe sind nämlich kein Vorspiel zu Gutem, sondern der Anfang der Trennung und Absonderung sowie der Eifer darum, auch unsere Liebe abkühlen zu lassen. Wir bitten daher, dass er durch deine Barmherzigkeit von diesem schädlichen Vorsatz zurückgehalten wird und dass durch deine Liebe versucht wird, das Auseinanderklaffende eher fest zusammenzuschnüren, als für diejenigen, welche sich auf dem Weg zur Spaltung befinden, die Trennung noch zu vergrössern.»148 Basilius befürchtete, dass es zu einer Trennung zwischen ihm und Eustathius kommen könnte, und versuchte, diese zu verhindern. Auffallend ist dabei sein Rückgriff auf die agape-Terminologie in diesem Brief: Er wollte die agape, die zwischen ihm und Eustathius bestand, erhalten und nicht durch die Verleumder erkalten lassen. Das Bild der Liebe, die erkaltet, entstammt dem Matthäus-Evan146

Bas. ep. 119 (Übers. Hauschild 1973). Bas. ep. 119 (Übers. Hauschild 1973): […] ἐν φαιδρῷ τῷ προσώπῳ καὶ τετιμημένοις ἀγάπης ῥήμασιν ἀμύθητόν τινα δόλου καὶ πικρίας βυθὸν τῆς ψυχῆς συγκαλύπτοντες […]. 148 Bas. ep. 119 (Übers. Hauschild 1973). 147

2. Philia und agape bei christlichen Autoren

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gelium, wo es in der Prophezeiung der Endzeit heisst: «Und da die Missachtung des Gesetzes überhand nehmen wird, wird die Liebe in vielen erkalten.»149 Basilius verwandte den Ausdruck einerseits, um allgemein die Ausbreitung der Häresie durch die homöische Religionspolitik als «Missachtung des Gesetzes» zu beklagen.150 Er konnte die Sentenz, wie im vorliegenden Fall, andererseits aber auch personalisieren, um das Auseinanderdriften zweier Christen zu umschreiben. Basilius’ Bemühungen, den Dissens aus dem Weg zu räumen, hatten nur temporär gefruchtet. Im Herbst des Jahres 373 kam es zum Bruch zwischen den ehemaligen Asketen-Freunden. Führt man die verstreuten Aussagen des Basilius aus diversen Briefen zusammen, entsteht der Eindruck, dass es vor allem äussere, kirchenpolitische Umstände waren, die die beiden zwangen, das stillschweigende Dulden der Ansichten des anderen aufzugeben und sich voneinander zu distanzieren.151 Die anti-nizänische Religionspolitik von Kaiser Valens erforderte eine Bündelung der Kräfte der Nizäner. Basilius und seine Verbündeten strebten deshalb danach, die Nizäner im Osten zu einen und eine Kirchengemeinschaft mit dem Westen einzugehen. Dafür war es jedoch nötig, das Verhältnis zu den Homöusianern und Pneumatomachen, die das Nizänum nicht oder nicht ganz akzeptierten, zu klären. Während Basilius bestrebt war, diese Gruppen zu integrieren und die Kirchengemeinschaft mit Eustathius aufrechtzuhalten, sahen andere Nizäner wie die Bischöfe Theodotus von Nikopolis und Meletius von Antiochia in Eustathius und seinem Kreis nichts anderes als Häretiker. Sie forderten Basilius auf, Position zu beziehen. Da Basilius dadurch in die Gefahr kirchenpolitischer Isolation geriet, bemühte er sich um Vermittlung. Er traf Eustathius zu einem zweitägigen Gespräch, das kontrovers verlief, am Schluss aber doch zur gewünschten Einigung führte: Eustathius unterschrieb ein nizänisches Bekenntnis mit anti-pneumatomachischem Zusatz. Allerdings widerrief Eustathius dieses Bekenntnis unmittelbar nach seiner Rückkehr wieder. Weitere Vermittlungsbemühungen scheiterten. Es kam zum Bruch der Kirchengemeinschaft und zum völligen Zerwürfnis zwischen Eustathius und Basilius. In der Folge starteten Eustathius und sein Kreis eine öffentliche Kampagne gegen Basilius, indem sie ihm Tritheismus und Sabellianismus vorwarfen. Im folgenden Jahr publizierten sie die Abschrift eines 20 Jahre alten Briefes des Basilius an Apollinaris von Laodicea zusammen mit einer anonymen sabellianischen Schrift. Die beiden Dokumente zusammen suggerierten, dass Basilius in seiner 149

Mt 24,12: καὶ διὰ τὸ πληθυνθῆναι τὴν ἀνομίαν ψυγήσεται ἡ ἀγάπη τῶν πολλῶν. So zum Beispiel in ep. 91 an den Bischof Valerianus. 151 Die Rekonstruktion der Ereignisse folgt der Darstellung von Hauschild 1990; Hauschild 1993. 150

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III. Die Kappadokier und Johannes Chrysostomus

trinitätstheologischen Auffassung von Apollinaris beeinflusst gewesen sei, und sollten seiner Diskreditierung in nizänischen Kreisen dienen.152 Basilius reagierte im Sommer 375 mit einem langen offenen Brief gegen Eustathius. Er verteidigte sich darin gegen die Vorwürfe, von Apollinaris beeinflusst worden zu sein, und betonte, seine theologischen Positionen nicht geändert zu haben. Eustathius hielt er vor, dass er die Vorwürfe gegen ihn ungeprüft verbreitet und leichtfertig die philia mit einem Bruder aufgegeben habe: Πολλὰ δεῖ μεριμνῆσαι καὶ πολλὰς ἀγρύπνους νύκτας διενεγκεῖν, καὶ μετὰ πολλῶν δακρύων ἐκζητῆσαι παρὰ Θεοῦ τὴν ἀλήθειαν, τὸν μέλλοντα φιλίας ἀδελφοῦ διατέμνεσθαι. Εἰ γὰρ οἱ τοῦ κόσμου τούτου ἄρχοντες, ὅταν τινὰ τῶν κακούργων θανάτῳ καταδικάζειν μέλλωσιν, ἐφέλκονται τὰ παραπετάσματα, καλοῦσι δὲ τοὺς ἐμπειροτάτους πρὸς τὴν ὑπὲρ τῶν προκειμένων σκέψιν, καὶ πολὺν ἐνσχολάζουσι χρόνον, νῦν μὲν τοῦ νόμου τὸ αὐστηρὸν ὁρῶντες, νῦν δὲ τὴν κοινωνίαν τῆς φύσεως δυσωπούμενοι, καὶ πολλὰ στενάξαντες καὶ τὴν ἀνάγκην ἀπολοφυρόμενοι πάνδημοι πᾶσι γίνονται πρὸς ἀνάγκην ὑπηρετοῦντες τῷ νόμῳ, οὐ κατ’ οἰκείαν ἡδονὴν ἐπάγοντες τὴν κατάκρισιν· πόσῳ χρὴ πλείονος σπουδῆς ἄξιον ἡγεῖσθαι καὶ μερίμνης καὶ τῆς μετὰ πλειόνων βουλῆς τὸν μέλλοντα φιλίας ἀδελφῶν ἀπορρήγνυσθαι τῆς ἐν πολλῷ χρόνῳ βεβαιωθείσης; «Viele Überlegungen anstellen, viele schlaflose Nächte verbringen und unter vielen Tränen von Gott die Wahrheit zu erfahren suchen muss der, der die Freundschaft mit einem Bruder brechen will. Denn wenn die Herrscher dieser Welt, sooft sie einen Übeltäter zum Tode verurteilen wollen, die Vorhänge zuziehen, und die erfahrensten Leute zur Untersuchung des vorliegenden Falles hinzuziehen sowie viel Zeit aufwenden, bald die Härte des Gesetzes beachtend, bald die Gemeinschaft der Natur scheuend und unter heftigem Seufzen die Notwendigkeit beklagend, dann zeigen sie allen öffentlich, dass sie aus Notwendigkeit dem Gesetz dienen und das Urteil nicht aus persönlicher Lust fällen – wieviel grössere Mühe und Sorge und Beratung mit mehreren muss der für erforderlich halten, der eine Freundschaft mit Brüdern brechen will, die in langer Zeit gefestigt worden ist?»153 Die Verurteilung eines Mannes und das Aufkündigen einer Freundschaft müssten grundsätzlich sorgfältig erfolgen, so argumentierte Basilius. Dies gelte für weltliche Verbindungen und erst recht für Beziehungen zwischen Glaubensgenossen. Die philia zwischen Brüdern könne jedenfalls nicht einfach aufgegeben werden. Die von Eustathius angeführten Belege gegen ihn würden unmöglich 152 153

Vgl. hierzu ausführlicher III.4.2., S. 284–290. Bas. ep. 223.6 (Übers. Hauschild 1993).

2. Philia und agape bei christlichen Autoren

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einen hinreichenden Grund darstellen. Der wahre Grund für die Trennung, so polemisierte Basilius, sei ein machtpolitischer: Eustathius und sein Kreis hätten die Kirchengemeinschaft (koinonia) mit ihm aufgekündigt, um nicht bei den jetzigen homöischen Machthabern schlecht dazustehen, weil sie das nizänische Bekenntnis unterzeichnet hatten.154 Aufschlussreich ist ein Vergleich des ersten Schreibens (ep. 119), in welchem die Verstimmung festgestellt wurde, mit dem zweiten (ep.  223), das verfasst wurde, als der Bruch bereits vollzogen war. Mit dem veränderten Beziehungsstatus änderte Basilius auch das Vokabular zur Beschreibung des Verhältnisses: In ep. 119 ist die Rede von der agape, die nicht erkalten, sondern erhalten werden soll. In ep. 223 dagegen spielt agape keine Rolle mehr. Es wird stattdessen von der philia und der koinonia gesprochen, die gebrochen worden seien. Es lässt sich somit festhalten, dass sich Basilius zur Konstituierung oder zur Bestätigung seiner Beziehung mit einem Glaubensgenossen auf die agape bezog. Deuteten sich Differenzen in der Auffassung von Orthodoxie an, wurden Zweifel über das Bild der agape, die erkaltet, ausgedrückt. Um den Bruch der Beziehung zu thematisieren, wurde dagegen der philia-Begriff verwendet. Indem Basilius die Perspektive weg von der individuellen Beziehung hin auf eine grössere Gemeinschaft lenkte, konnte er über die Auflösung der koinonia, der Kirchengemeinschaft, ebenfalls das Ende einer Beziehung zum Ausdruck bringen.155 Der Wechsel des Vokabulars lässt sich dadurch erklären, dass nur die weltliche philia, nicht aber die geistliche agape beendet werden konnte.156 Wie verhielt sich nun die philia bei Basilius zum Glaubensbekenntnis? Basilius griff auf philia zurück, wenn er das Verhältnis zwischen Christen und Heiden charakterisierte. Philia beschränkte sich aber nicht auf die Beschreibung von interreligiösen Beziehungen, wie die vorhergegangenen Ausführungen gezeigt haben, sondern kam auch zwischen Christen zur Anwendung. Insbesondere, wenn es um weltliche Belange ging, wurde auf die philia rekurriert. Allerdings wurden die Kriterien, die zur Konstituierung einer philia beitrugen, im innerchristlichen Diskurs um einen wichtigen Punkt ergänzt: die Übereinstimmung im Bekenntnis. Oder genauer: Eine grundsätzliche Differenz im Bekenntnis war Grund, die philia aufzukündigen. So schrieb Basilius im Sommer 373 an seinen Vertrauten Eusebius, Bischof von Samosata, dass er sich von dem homöischen Bischof Euhippius, obwohl jener als gelehrter und alter Mann ein Anrecht auf seine philia gehabt hätte, getrennt habe, da er nicht mit ihm gemeinsam vor den

154 155 156

Bas. ep. 223.7. Zum Begriff der koinonia bei Basilius vgl. Pouchet 1992, 77–80 und White 1992, 75; 81. Vgl. auch Treu 1961, 425.

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III. Die Kappadokier und Johannes Chrysostomus

Altar Gottes treten könne.157 Auch hier griff Basilius auf das philia-Vokabular zurück, um das Ende der Beziehung zu beschreiben. Gleichzeitig kam in seiner Formulierung zum Ausdruck, dass Euhippius im weltlichen Kontext sehr wohl ein Freund sein könnte, als Bischöfe konnten sie jedoch nicht miteinander verkehren, da sie nicht die gleichen dogmatischen Positionen vertraten. Im selben Brief hielt Basilius aber auch fest, dass man sich nicht so ohne Weiteres von denen trennen solle, mit denen man im Glauben differiere. Vielmehr solle man sich nochmals um die Männer bemühen und sie zum Anschluss an das Bekenntnis der Väter auffordern. Als Grund für diese Bemühungen vor dem endgültigen Bruch führte Basilius das christliche Gebot der Nächstenliebe, die alten Gesetze der agape (οἱ παλαιοὶ θεσμοὶ τῆς ἀγάπης), an.158 Scheiterten diese Bemühungen allerdings, so akzeptierte Basilius den Abbruch der Beziehung, wie es auch im Falle des Euhippius und des Eustathius geschah. Die Gültigkeit und die Reichweite des agape-Gebotes wurden also nicht ins Unendliche ausgedehnt, sondern pragmatisch an die Realität im Kirchenalltag angepasst. Damit wurde agape zu einem Konzept sozialer Inklusion, das im kirchlichen Kontext einen exklusiveren Kreis definierte, während philia auch mit Personen unterhalten werden konnte, die anderen Glaubens waren. Basilius konnte somit begrifflich zwischen zwei parallel existierenden Netzwerken unterscheiden. In zwei Briefen verwandte Basilius philia im kirchenpolitischen Kontext, als er an Christen schrieb, mit denen ein theologischer Konsens bestand. Auf den ersten Blick scheint diese Verwendung dem eben entworfenen Schema zu widersprechen. So endete Basilius den Entwurf eines Schreibens an den römischen Bischof Damasus mit der Aufforderung, die Kirchen Gottes wieder zur philia zu führen (εἰς φιλίαν τὰς Ἐκκλησίας τοῦ Θεοῦ ἐπανάγοντας).159 Basilius

157 Bas. ep. 128.2. Zu Euhippius vgl. Hauschild 1973, 163 Anm. 92 mit weiteren Verweisen sowie Courtonne 1973, 110 (bes. Anm. 2). 158 Bas. ep. 128.3: Οὐ μὴν οὐδὲ παντελῶς μοι δοκεῖ τῶν μὴ δεχομένων τὴν πίστιν ἀλλοτριοῦν ἑαυτούς, ἀλλὰ ποιήσασθαί τινα τῶν ἀνδρῶν ἐπιμέλειαν κατὰ τοὺς παλαιοὺς θεσμοὺς τῆς ἀγάπης, καὶ ἐπιστεῖλαι αὐτοῖς ἀπὸ μιᾶς γνώμης πᾶσαν παράκλησιν μετ’ εὐσπλαγχνίας προσάγοντας, καὶ τὴν τῶν Πατέρων πίστιν προτεινομένους προκαλεῖσθαι αὐτοὺς εἰς συνάφειαν· κἂν μὲν πείσωμεν, κοινῶς αὐτοῖς ἑνωθῆναι, ἐὰν δὲ ἀποτύχωμεν, ἀρκεῖσθαι ἡμᾶς ἀλλήλοις […]. – «Indes halte ich es aber nicht für richtig, dass man sich von denen, die das Glaubensbekenntnis nicht akzeptieren, so ohne weiteres trennt. Sondern man soll sich nach den alten Vorschriften der Liebe etwas um diese Männer bemühen und ihnen das Glaubensbekenntnis der Väter vorlegen und sie dann zum Anschluss auffordern. Wenn wir sie überzeugen, dann verbinden wir uns gemeinsam mit ihnen; fordern wir sie aber vergeblich auf, dann genügt uns die Gemeinschaft untereinander. […]» (Übers. Hauschild 1973). 159 Bas. ep. 70: Τούτων μίαν προσεδοκήσαμεν λύσιν τὴν τῆς ὑμετέρας εὐσπλαγχνίας ἐπίσκεψιν, καὶ ἐψυχαγώγησεν ἡμᾶς ἀεὶ τὸ παράδοξον τῆς ὑμετέρας ἀγάπης ἐν τῷ παρελθόντι χρόνῳ, καὶ φήμῃ φαιδροτέρᾳ πρὸς βραχὺ τὰς ψυχὰς ἀνερρώσθημεν ὡς ἐσομένης ἡμῖν τινος

2. Philia und agape bei christlichen Autoren

227

appellierte an die Unterstützung der Kirche im Westen, da sich im Osten die als häretisch betrachtete Lehre des Arius ausbreitete. Wie Robert Pouchet zu Recht bemerkt, würde man im Kontext der Beziehung zwischen Kirchen eher koinonia erwarten.160 Auch agape wäre vorstellbar, aber philia ist ungewöhnlich. Kurt Treu mutmasst, dass Basilius mit philia hier einen «geringeren Grad von Eintracht, einen mehr äusserlichen modus vivendi im Unterschied zu der kaum erreichbaren völligen dogmatischen Übereinstimmung» zum Ausdruck bringen wollte.161 Doch möglicherweise wollte Basilius hier zusätzlich auf den Aspekt der gegenseitigen Unterstützung abheben, die er wünschte, aber bei der Kirche im Westen vermisste. Für eine solche Deutung spricht auch die zweite Stelle: Gegenüber Poimenius, dem Bischof von Satala, beschwerte sich Basilius, dass Faustus aus Armenien begonnen habe, mit Anthimus, dem Bischof von Tyana, Gemeinschaft (koinonia) zu halten. Als Ursache vermutete Basilius, dass er sie und ihre Kirche zu wenig interessant für eine philia halte.162 Auch in diesem Kontext wurde der Aspekt der gegenseitigen Unterstützung, die von Faustus offenbar als zu gering erachtet wurde, betont. Es scheint also, dass Basilius im kirchenpolitischen Kontext auf philia zurückgriff, wenn es darum ging, Hilfeleistungen einzufordern.

ἐπισκέψεως παρ’ ὑμῶν. Ὡς δὲ διημάρτομεν τῆς ἐλπίδος, μηκέτι στέγοντες ἤλθομεν ἐπὶ τὴν διὰ τοῦ γράμματος ἡμῶν παράκλησιν διαναστῆναι ὑμᾶς πρὸς τὴν ἀντίληψιν ἡμῶν καὶ ἀποστεῖλαί τινας τῶν ὁμοψύχων, ἢ τοὺς συμβιβάζοντας τοὺς διεστῶτας, ἢ εἰς φιλίαν τὰς Ἐκκλησίας τοῦ Θεοῦ ἐπανάγοντας, ἢ τοὺς γοῦν αἰτίους τῆς ἀκαταστασίας φανερωτέρους ὑμῖν καθιστῶντας, ὥστε καὶ ὑμῖν φανερὸν εἶναι τοῦ λοιποῦ πρὸς τίνας ἔχειν τὴν κοινωνίαν προσῆκε. – «Als einzige Lösung für diese Probleme erwarteten wir den Besuch eurer Barmherzigkeit; uns stärkte in der vergangenen Zeit immer das Wunder eurer Liebe [agape], und durch eine freudige Kunde wurden wir kurzfristig seelisch gestärkt: dass uns irgendein Besuch von euch zuteil würde. Da wir aber in dieser Hoffnung fehlgingen, kamen wir, weil wir es nicht mehr ertragen konnten, zu der durch unseren Brief vorgetragenen Bitte, ihr solltet euch zur Hilfeleistung für uns aufraffen und einige Gleichgesinnte schicken, die entweder die Entzweiten wieder zusammenbringen oder die Kirchen Gottes zur Freundschaft [philia] führen oder wenigstens die Urheber der Verwirrung euch deutlicher zeigen, so dass auch euch fortan klar ist, mit wem man Gemeinschaft [koinonia] haben sollte.» (Übers. Hauschild 1990). 160 Pouchet 1992, 79. 161 Treu 1961, 426. Wenig aussagekräftig ist Thraede 1970, 133: «Wo Basilios philia wählt, hat das bestimmte Gründe. Da liest man z. B. im Brief an Damasus von philia statt von agape zwischen den Kirchen, aber das betrifft wohl offizielle Kontakte.» 162 Bas. ep. 122: […] ὥρμηνται λοιπὸν πρὸς τὸν Ἄνθιμον ἑαυτῶν μεταθεῖναι τὴν κοινωνίαν, ἡμῶν καὶ τῆς Ἐκκλησίας ταύτης ὡς ἑώλων εἰς φιλίαν καταφρονήσαντες.

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III. Die Kappadokier und Johannes Chrysostomus

Basilius von Caesarea: Ein Sonderfall? Im Gegensatz zu Basilius von Caesarea verwendet Gregor von Nazianz die agapeTerminologie sehr selten in seiner Korrespondenz: Das Substantiv ἀγάπη kommt in seiner Briefsammlung zehnmal, das Verb ἀγαπάω siebenmal vor. Die rare Verwendung spricht für eine marginale Bedeutung des Begriffes bei Gregor von Nazianz und erschwert eine inhaltliche Analyse. Zudem ist eine Abgrenzung gegenüber dem Bedeutungsfeld von philia nicht immer möglich. So beteuert Gregor gegenüber einem nicht näher bekannten Adressaten, dass er zwar gerne dessen agape geniessen würde, ihn aber nicht ohne Weiteres besuchen könne.163 In zwei Briefen äussert Gregor den Gedanken, dass durch die agape alles gemeinsam sei.164 Diese Vorstellung hat er andernorts durch die philia ausgedrückt.165 Schwierig zu interpretieren ist auch ein Schreiben an Eusebius von Caesarea, den Vorgänger von Basilius auf dem Bischofsstuhl. Eusebius hatte Gregor von Nazianz zu einem Treffen eingeladen, nicht aber Basilius, mit welchem er im Streit lag. Gregor betonte, dass er Basilius zum Gefährten seines Lebens und seiner Philosophie gemacht habe und er es deshalb nicht dulden könne, dass Eusebius ihn verachte. Indem Eusebius ihn ehre, Basilius aber zurückweise, handle er wie jemand, der mit der einen Hand jemandem über den Kopf streichle und gleichzeitig mit der anderen eine Ohrfeige gebe. Gregor brachte also seine enge Verbundenheit mit Basilius zum Ausdruck. Sein Ratschlag an Eusebius lautete wie folgt: (7) Εἴ τι οὖν ἐμοὶ πείθοιο, τοῦτο ποιήσεις (πεισθῆναι δ’ ἀξιῶ· καὶ γὰρ δίκαιον)· εἰ ἐκεῖνον θεραπεύσεις τὰ εἰκότα, καὶ παρ’ ἐκείνου θεραπευθήσῃ. Τὸ δὲ καθ’ ἡμᾶς ἕψεται ὥσπερ τοῖς σώμασιν αἱ σκιαί, μικρούς τ’ ὄντας καὶ πρὸς εἰρήνην ἑτοιμοτέρους. (8) Οὐδὲ γὰρ οὕτως ἀθλίως πράττομεν ὥστε τἄλλα μὲν ἐθέλειν φιλοσοφεῖν καὶ τῆς κρείττονος εἶναι μερίδος, ὑπερορᾶν δὲ πράγματος ὃ τοῦ καθ’ ἡμᾶς λόγου κεφάλαιόν ἐστι, τῆς ἀγάπης· ἄλλως τε καὶ πρὸς ἄνδρα ἱερέα τε καὶ τοσοῦτον, ὃν καὶ βίῳ καὶ λόγῳ καὶ πολιτείᾳ πάντων ἄριστον, ὧν ἴσμεν, γινώσκομεν. Οὐ γὰρ ἐπισκοτήσει τὸ λυπεῖσθαι τῇ ἀληθείᾳ. «7. Also, wenn du mir glauben willst, wirst du folgendes tun (ich verdiene es, dass du mir glaubst, und das ist nur gerecht): Wenn du diesen Mann schicklich behandelst, wirst auch du von ihm so behandelt werden. Was dann uns anbelangt, wird sich daraus ergeben, wie die Schatten den Körpern folgen, sind wir doch gering und recht friedfertig. 8. Denn wir sind doch nicht so erbärmlich, dass wir 163 164 165

Greg. Naz. ep. 227. Greg. Naz. ep. 74; 168. Vgl. Greg. Naz. ep. 15; 31; 88.

2. Philia und agape bei christlichen Autoren

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im übrigen Philosophen sein und zum besseren Teil [vgl. Lk 10,42] gehören wollen, dabei aber die Übung übersehen, die für uns die Hauptsache unserer Lehre ist: die Nächstenliebe; vor allem einem priesterlichen Menschen gegenüber und einem, den wir wegen seines Lebens, seiner Lehre und seiner Lebensführung für den Besten halten von allen, die wir kennen. Denn unser Ärger wird die Wahrheit nicht verdunkeln.»166 Gregor forderte Eusebius auf, Basilius höflich zu behandeln, um von ihm ebenso behandelt zu werden. Er selbst werde Basilius folgen, was das Verhältnis zu Eusebius betreffe. Dieser Gedankengang erinnert mehr an das klassische Konzept der philia mit dem Anspruch, dass Freunde gemeinsame Freunde und gemeinsame Feinde haben. Gregor knüpfte die agape zu Eusebius an die Bedingung seiner Versöhnung mit Basilius. Agape wird von Gregor hier also nicht als die universale christliche Liebe verstanden, sondern als eine Beziehungsform mit konkreten Bedingungen für die In- und Exklusion. Die Bedingung wäre in diesem Fall, eine Allianz mit dem gleichen Freund zu schliessen. Der Brief zeigt, wie stark Gregor trotz seiner theologischen Bildung in der Konzipierung interpersonaler Beziehungen von den klassischen Freundschaftsvorstellungen seiner Zeit geprägt war. Christlich deuten lässt sich demgegenüber der Beginn eines Briefes an Theodor, den Bischof von Tyana und Metropoliten der Provinz Cappadocia secunda: Ἀγάπης συμβόλοις ἡδόμεθα, καὶ μάλιστα καιροῦ τοιούτου καὶ παρὰ τοιούτου νεοπαγοῦς τε ὁμοῦ καὶ τελείου […]. «Wir freuen uns über die Beweise deiner Liebe [ἀγάπης συμβόλοις ἡδόμεθα], vor allem in einer solchen Zeit, und weil sie von jemandem kommen, der erst kürzlich eingesetzt worden und schon vollkommen ist […].»167 Als erstes Wort des Schreibens nimmt agape einen prominenten Platz ein. Was genau Gregor hier allerdings als Zeichen der agape bezeichnet, bleibt unklar. Gregor hatte den Brief offenbar kurz nach der Amtseinsetzung von Theodor verfasst. Hatte Theodor sich mittels eines Briefes mit Gregor verbunden und dabei seine theologische Überzeugung und seine Rechtgläubigkeit demonstriert? Bei Basilius wäre dies die naheliegende Interpretation von agape in einem vergleichbaren Kontext. Bei Gregor sind die Belege allerdings zu spärlich, um auf eine solche Verwendung schliessen zu können. Eine weitere Verwendung von agape, die mit derjenigen von Basilius identisch ist, kommt in einem Brief an Eusebius von Samosata vor (ep. 42), von dem auf166 167

Greg. Naz. ep. 16.7–8 (Übers. nach Wittig 1981). Greg. Naz. ep. 121.1 (Übers. Wittig 1981).

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III. Die Kappadokier und Johannes Chrysostomus

grund des Inhalts im Allgemeinen angenommen wird, dass ihn Gregor im Auftrag seines Vaters verfasst hat.168 Eusebius, dessen agape in dem Schreiben gleich zweimal angesprochen wird, wird gebeten, anlässlich der anstehenden Bischofswahl von 370 nach Caesarea zu kommen. Gregor der Ältere war zu diesem Zeitpunkt Bischof von Nazianz und setzte sich nach dem Tod seines Amtskollegen in Caesarea für die Wahl von Basilius zum Bischof ein.169 Es spricht nichts gegen die Annahme, dass Gregor der Ältere den Brief verfasst und Gregor der Jüngere ihn in seine Sammlung aufgenommen hat, da er seinen Freund Basilius betrifft. Die Verwendung von agape in ep. 42 entspricht durchaus derjenigen von Basilius. Gregor der Ältere schilderte, wie er angesichts der aktuellen Notlage der Kirche von Caesarea an Eusebius von Samosata dachte und auf dessen Hilfe hoffte: (2) Ἐπὶ γὰρ τῇ κοιμήσει τοῦ μακαρίου Εὐσεβίου τοῦ ἐπισκόπου φόβος ἡμᾶς κατέλαβεν οὐ μικρὸς μήποτε οἵ ποτε ἐφεδρεύοντες τῇ Ἐκκλησίᾳ τῆς μητροπόλεως ἡμῶν καὶ βουλόμενοι αὐτὴν αἱρετικῶν ζιζανίων πληρῶσαι, καιροῦ νῦν λαβόμενοι, τὴν πολλῷ καμάτῳ κατασπαρεῖσαν ἐν ταῖς ψυχαῖς τῶν ἀνθρώπων εὐσέβειαν ταῖς παρ’ ἑαυτῶν διδασκαλίαις ἐκριζώσωσι καὶ ταύτης τὴν ἑνότητα κατατέμωσιν, ὅπερ καὶ ἐπὶ πολλῶν Ἐκκλησιῶν πεποιήκασιν. (3)  Ἐπειδὴ δὲ καὶ γράμματα πρὸς ἡμᾶς ἀφίκετο τοῦ κλήρου, παρακαλοῦντα μὴ παροφθῆναι ἐν καιρῷ τοιούτῳ, περιβλεψάμενος ἐν κύκλῳ ἐμνήσθην τῆς ὑμετέρας ἀγάπης καὶ τῆς ὀρθῆς πίστεως καὶ τοῦ ζήλου ὃν ἔχετε ἀεὶ ὑπὲρ τῶν Ἐκκλησιῶν τοῦ Θεοῦ·[…]. «2. Nach dem Entschlafen des seligen Bischofs Eusebius hat uns nicht geringe Furcht ergriffen, es möchten jene, die einst der Kirche unserer Hauptstadt auflauerten und sie mit ketzerischem Unkraut [vgl. Mt 13,25] anfüllen wollten, jetzt die Gelegenheit ergreifen und durch ihre verkehrten Lehren die Frömmigkeit entwurzeln, die mit viel Mühe in die Seelen der Menschen gesät worden ist, und die Einheit zerreissen, so wie sie es auch in vielen anderen Kirchen gemacht haben. 3. Als uns nun auch Briefe vom Klerus erreichten, mit der Bitte, unter solchen Umständen nicht unbekümmert zu sein, habe ich mich im Kreise umgeschaut und mich an eure Liebe erinnert, an euren rechten Glauben und an den Eifer, den ihr stets für die Kirchen Gottes habt. […]»170 Agape wird in einem Atemzug mit dem rechten Glauben und dem Einsatz des Eusebius für die Kirchen Gottes genannt. Die Übereinstimmung im Glauben war

168

Greg. Naz. ep. 42. Gallay 1969, XVII; Wittig 1981, 243 Anm. 134. Vgl. auch Greg. Naz. ep. 41 und 43, die ebenfalls im Namen von Gregor dem Älteren verfasst sind. Auch in ep. 43 verwendet Gregor der Ältere agape, so dass Gregor von Nazianz nur noch sieben der insgesamt zehn Verwendungen von agape zugeschrieben werden können. 170 Greg. Naz. ep. 42.2–3 (Übers. Wittig 1981). 169

2. Philia und agape bei christlichen Autoren

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also auch hier implizit mit agape verbunden. Dasselbe gilt auch für die Verwendung von agape in ep. 100, die allerdings wiederum nicht Gregors eigene zu sein scheint. Das Schreiben war an einen gewissen Gigantius171 gerichtet und wurde von Gregor wie folgt eingeleitet: (1) Ἡσθεὶς τῇ κλήσει, ὑπερήσθην οἷς γράφεις, οὐχ ὅτι ἐπαινούμεθα (μικρὸν γάρ), ἀλλ’ ὅτι φρονεῖς ὀρθῶς· καὶ δεσμός σοι τῆς πρὸς ἡμᾶς ἀγάπης ἡ τῶν αὐτῶν ἐλπὶς καὶ ἡ γνησία τῆς Τριάδος προσκύνησις, (2) ἣν φθεγγόμεθα μᾶλλον ἢ ἀναπνέομεν καὶ μετὰ κινδύνων καὶ ἀκινδύνως […]. «1. Erfreut über deine Einladung, war ich über deinen Brief noch mehr entzückt, nicht weil wir gelobt werden (denn das ist unwichtig), sondern weil du richtig denkst; das Band deiner Liebe zu uns ist die Hoffnung auf die gleichen (Güter) und die aufrichtige Verehrung der Dreifaltigkeit, 2. die wir öfter verkünden, als wir atmen, sowohl unter Gefahren, als auch dann, wenn es keine gibt […].»172 Gregor antwortete ganz offensichtlich auf einen Brief des Gigantius. Er bekräftigte dessen Auffassung, dass das Band seiner Liebe zu Gregor (δεσμός σοι τῆς πρὸς ἡμᾶς ἀγάπης) auf der Übereinstimmung im Glauben beruhe. Die Formulierung fällt auf, da Gregor nicht von seiner Liebe zu Gigantius sprach, sondern die Perspektive des Gigantius einnahm. Es liegt deshalb nahe, dass Gregor diese Formulierung dem Schreiben des Gigantius entlehnt hatte. In der Fortsetzung des Briefes schilderte Gregor, dass er es als höchste Ehre empfinde, in einer kirchenpolitisch unruhigen Zeit als Künder der Wahrheit für würdig befunden worden zu sein. Dauerhafte philia, so Gregor weiter, sei für ihn nur mit Leuten möglich, die sich ebenfalls so verhalten: Πρὸς οὖν τί ταῦτα γράφω; ἵν’ ἐκεῖνο δηλώσω ὅτι μόνη μοι βεβαία φιλία καὶ οἰκείωσις πρὸς τοὺς οὕτως ἔχοντας. «Aber wozu schreibe ich dir das? Um dir zu zeigen, dass es für mich dauerhafte Freundschaft und Vertrautheit nur mit denen gibt, die sich so verhalten.»173 Gregor von Nazianz begann den Brief also mit einem Zitat aus dem Schreiben des Gigantius, in welchem agape zur Bezeichnung der glaubensmässigen Verbin-

171 Zu Gigantius vgl. Hauser-Meury 1960, 85 f. An Gigantius ist nur dieser eine Brief adressiert, er ist aber womöglich noch Gegenstand von zwei Epigrammen (Greg. Naz. epigr. 1; 2). Demnach wäre Gigantius ein Einsiedler, der seinen Namen von seinen grossen Händen erhalten hat. 172 Greg. Naz. ep. 100.1–2 (Übers. Wittig 1981). 173 Greg. Naz. ep. 100.4 (Übers. Wittig 1981).

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dung verwendet wurde. Gregor führte die Thematik selbst weiter aus, um dann damit zu schliessen, dass die Grundlage für dauerhafte philia und Vertrautheit der Einsatz für den rechten Glauben auch in schwierigen Zeiten sei. Gregor selbst bevorzugte also den Begriff der philia auch für die Bezeichnung einer Verbindung zweier im Bekenntnis übereinstimmender Christen. Er adaptierte den philia-Begriff an die kirchenpolitischen Bedürfnisse, indem er die konstituierenden Elemente je nach Kontext anpasste. Die eben zitierten Briefe Gregors vermitteln aber auch, dass agape nicht nur von Basilius mit der Übereinstimmung im Glauben verbunden wurde. Gregor der Ältere und der besagte Gigantius scheinen agape ebenso verwendet zu haben. Demgegenüber bietet die Korrespondenz von Synesius von Kyrene einen ähnlichen Befund wie die Gregors von Nazianz: Synesius benutzt in seinen Briefen ausschliesslich philia; agape kommt in seiner Korrespondenz nicht vor. Berücksichtigt man den neuplatonischen Hintergrund des Synesius, ist dies nicht erstaunlich.174 Ein anderer Befund ergibt sich aus den Briefen des Johannes Chrysostomus und Theodoret von Kyrrhos. Agape und philia stehen bei diesen Autoren weitgehend gleichbedeutend nebeneinander. Bei Chrysostomus dominiert in quantitativer Hinsicht der agape-Begriff in der Korrespondenz, doch dort, wo philia vorkommt, kommt ihr keine andere Bedeutung zu als agape.175 Philia wird gegenüber weltlichen Würdenträgern genauso verwendet wie gegenüber Bischöfen und Klerikern allgemein.176 Auch die Beziehung zu Frauen wird als philia bezeichnet.177 In verschiedenen Schreiben stehen philia und agape nebeneinander, ohne dass ein Bedeutungsunterschied festgemacht werden könnte. So freute sich Chrysostomus, als er hörte, dass der antiochenische Presbyter Romanus auch in den stürmischen Zeiten die agape zu ihm nicht aufgebe und unverändert in der philia zu ihm stehe.178 Gegenüber Callistratus, dem Bischof von Isaura, drückte Chrysostomus sein Bedauern aus, dass er ihn nicht persönlich treffen und seine aufrichtige und warme agape (τῆς γνησίας καὶ θερμῆς ἀγάπης) erfah-

174

Zur Freundschaft bei Synesius vgl. Luchner 2010. Zur Freundschaft im Neuplatonismus ist auf die ausführliche Studie von Schramm 2013 zu verweisen. 175 Philia kommt in den Briefen des Chrysostomus an 18 Stellen vor. Der agape-Begriff ist mit 242 Verwendungen ubiquitär, bezeichnet allerdings nicht nur interpersonale Beziehungen. 176 Bischöfe: Joh. Chrys. ep. 26; 27; 110; 200; Kleriker: ep. 91; 107; 130; Laien und weltliche Würdenträger: ep. 38; 73; 129; 132; 190. 177 Joh. Chrys. ep. 178; 179; 232. 178 Joh. Chrys. ep. 91 (PG 52, c. 655): Καὶ τοῦτο σὸν, καὶ τῆς μεγάλης σου καὶ ὑψηλῆς καὶ φιλοσόφου γνώμης, τὸ μηδὲ ἐν χειμῶνι τοσούτων πραγμάτων ἐπιλαθέσθαι τῆς ἡμετέρας ἀγάπης, ἀλλὰ μένειν ἀκίνητον καὶ ἀκμάζουσαν διατηροῦντα τὴν πρὸς ἡμᾶς φιλίαν. Zu Romanus vgl. Delmaire 1991, 155 f.

2. Philia und agape bei christlichen Autoren

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ren könne. Doch sei bereits der erhaltene Brief ein Zeichen von warmer und aufrichtiger philia (θερμῆς καὶ γνησίας φιλίας).179 Sogar die Attribute, mit welchen er agape und philia bedenkt, sind identisch. Auch bei Theodoret von Kyrrhos fällt die Parallelisierung von agape und philia auf. Wie bei Chrysostomus und Basilius ist bei ihm zwar ebenfalls die agapeTerminologie vorherrschend. Seine Briefe spiegeln allerdings nochmals eine neue Entwicklung: Theodoret integriert die philia-Terminologie in das christliche Gebot der Nächstenliebe. In einem Schreiben an den Bischof Theoktistos von Beroia zitiert er zunächst das Gebot «Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst» und führt danach aus, wie dieses Gebot erfüllt werden könne. Das Gebot erfülle derjenige, so Theodoret, der sich nicht nur in guten, sondern auch in schlechten Zeiten um das Wohl seines Nächsten kümmere und die Gesetze der philia (τῆς φιλίας τοὺς ὅρους; τῶν δὲ τῆς φιλίας νόμων) beachte.180 Das Matthäus-Evangelium (Mt 22,37–40), aus welchem Theodoret zitiert, bietet keine Grundlage für diese Verwendung von philia. Im Zusammenhang mit dem christlichen Gebot der Nächstenliebe wird dort wie im gesamten Neuen Testament die agape-Terminologie eindeutig bevorzugt. Fassen wir bei Basilius noch eine deutliche Unterscheidung zwischen den beiden Begriffen und Konzepten, sind für Theodoret philia und agape so weit identisch, dass er sogar das göttliche Gebot der Nächstenliebe als Gesetze der philia und – an anderer Stelle – Christus als Gesetzgeber der philia (ὁ τῆς φιλίας νομοθέτης) bezeichnen kann.181 Folglich verwendet er in seinen Briefen – wie bereits Chrysostomus – abwechselnd agape und philia, ohne dass sich die Begriffe in ihrer Bedeutung unterscheiden.182

Zusammenfassung Fassen wir die bisherigen Beobachtungen der begriffsgeschichtlichen Analyse zusammen: Basilius von Caesarea scheidet als einziger Autor strikt zwischen philia und agape. Gregor von Nazianz sowie Synesius von Kyrene orientieren sich dagegen fast ausschliesslich an dem klassischen Konzept der philia. Auch im kirchlichen Bereich konzipieren sie Beziehungen als philia. Johannes Chrysostomus und Theodoret bevorzugen dagegen agape. Philia verschwindet aber nicht. Vielmehr fällt die Parallelisierung der Begrifflichkeit auf: Philia und agape stehen nun

179 Joh. Chrys. ep. 200 (PG 52, c. 723). Zu Callistratus s. Delmaire 1991, 115 f.; PCBE 3, 568 (Kallistratos). 180 Thdt. Coll. Sirm. ep. 135. 181 Thdt. Coll. Patm. ep. 43. 182 Zu Theodorets Verwendung von agape, philia und anderen Begriffen zur Bezeichnung einer Nahbeziehung im klerikalen Kontext vgl. auch Schor 2011, 20–22.

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III. Die Kappadokier und Johannes Chrysostomus

nebeneinander, ohne dass sie unterschiedliche Bedeutungen haben. Bei Theodoret geht dies so weit, dass sogar das christliche Gebot der Nächstenliebe mit philia ausgedrückt werden kann. Der begriffsgeschichtliche Befund ist also heterogen. Die semantischen Unterschiede lassen sich nur schlüssig erklären, wenn sie in den grösseren historischen und kirchenpolitischen Kontext gestellt werden. Die zweite Hälfte des vierten Jahrhunderts kann als eine Zeit des Umbruchs gesehen werden. Nach Konstantin dem Grossen setzte eine zunehmende Christianisierung verschiedener Lebensbereiche ein. Christianisierung ist dabei nicht als einseitige Übernahme neuer Werte und Handlungsnormen zu verstehen, sondern vielmehr als wechselseitiger Prozess der Übernahme und Adaption, der in verschiedenen Lebensbereichen und geographischen Räumen unterschiedlich ablaufen konnte.183 Der Prozess der Christianisierung beinhaltete eine Auseinandersetzung von christlichen Akteuren mit tradierten nicht-christlichen Elementen der sozialen, politischen, literarischen oder materiellen Kultur. Auch der Umgang von Christen mit traditionellen Formen der Gemeinschaftsbildung und der Konstituierung von sozialen Netzwerken muss in diesem Kontext gesehen werden. Die reziprok konzipierte philia klassisch-griechischer Provenienz stand – zumindest theoretisch – im Widerspruch zur zweckfrei gedachten christlichen Nächstenliebe. Wie die philosophisch-theologischen Überlegungen des Clemens von Alexandria sowie die gesichteten Korrespondenzen zeigen, blieb philia dennoch ein zentrales Konzept sozialer Beziehungen. Neben der kulturellen Verankerung in der Gesellschaft legte allein schon ein gewisser Pragmatismus auch Christen die Anwendung dieses Konzeptes nahe, das von allen Gruppen akzeptiert wurde und dessen Normen und Konventionen allgemein bekannt waren. Der Rückgriff auf philia garantierte somit Verlässlichkeit in der Strukturierung sozialer Interaktion zwischen und innerhalb der heidnischen und christlichen Eliten im griechischsprachigen Osten des Imperium Romanum. Dass agape erst in den Korrespondenzen des fünften Jahrhunderts breitflächigen Eingang in die Korrespondenzen fand, ist damit zu erklären, dass agape erst dann auch an die Stelle von philia treten konnte, als eine Mehrheit von Personen sich an dem christlichen Glauben orientierte. Damit kann eine begriffsgeschichtliche Entwicklung erklärt werden, die von einer klaren Präferenz von philia zur Bezeichnung sozialer Inklusion hin zu einer Gleichsetzung von philia und agape führte. Mit dieser Entwicklung einher ging eine christliche Umdeutung des klassischen Freundschaftskonzeptes: Philia verband nun auch die Gläubigen und integrierte einen typisch christlichen Wertekatalog. Ansätze dieser Umdeutung

183

Vgl. hierzu bes. Leppin 2012.

2. Philia und agape bei christlichen Autoren

235

sind beispielsweise bei Gregor von Nazianz und Basilius von Caesarea feststellbar, wenn sie die Reziprozität von philia über Gott begründeten und die zwischen Freunden verbindend wirkende arete mit einem Leben nach christlichen Grundsätzen gleichsetzten. Doch es ging nicht nur darum, einen allfälligen Gegensatz zwischen einer uneigennützigen christlichen Nächstenliebe und einer auf wechselseitiger Unterstützung beruhenden Freundschaft zu überwinden. Von grösserer Bedeutung war es, dass sich im Zuge der kirchenpolitischen Auseinandersetzungen ein neues Freund-Feind-Schema entwickelte, wie Stefan Rebenich anhand der Beziehung zwischen Hieronymus und Augustinus exemplarisch herausgearbeitet hat.184 Freundschaft zwischen Christen konnte nur dann bestehen, wenn sie in den theologischen Debatten identische Positionen vertraten. Die Kriterien zur Konstituierung von Freundschaft wurden im innerchristlichen Diskurs folglich um ein zentrales Element erweitert: die Übereinstimmung im Glaubensbekenntnis. Wichtig ist indes festzuhalten, dass dies nur die Beziehung zwischen Klerikern betraf oder zwischen Christen, die sich an den theologischen Debatten beteiligten. Ansonsten konnten Christen sehr wohl Beziehungen zu nicht-christlichen Mitbürgern sowie weltlichen Würdenträgern unabhängig von ihrer religiösen Überzeugung eingehen. Bei Gregor von Nazianz wurde gezeigt, dass die inhaltliche Konstituierung von philia immer kontextabhängig war. Basilius versuchte, diese Kontexte auch semantisch voneinander zu trennen, indem er im klerikalen Diskurs nicht auf philia, sondern auf agape rekurrierte. Dass die einzig fassbare Strategie, dem aus der klassisch-paganen Tradition entstammenden Freundschaftskonzept ein eigenes genuin christliches Konzept sozialer Inklusion entgegenzustellen, ausgerechnet aus der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts stammt, das von religiöser Pluralität auf der einen und heftigen innerchristlichen Konflikten auf der anderen Seite geprägt war, ist vielleicht gar nicht erstaunlich. Mit agape nutzte Basilius einen vorhandenen christlich besetzten Terminus zur begrifflichen Differenzierung seiner sozialen Kontakte. Im Kontext kirchenpolitischer Allianzen war agape allerdings nicht die bedingungslose christliche Liebe, die sich sogar auf Feinde ausdehnte. Vielmehr integrierte agape nur den Kreis der als rechtgläubig betrachteten Mitchristen und exkludierte all diejenigen, die verdächtig wurden, einer häretischen Lehre anzugehören. Die Übereinstimmung im Glauben war die Conditio sine qua non für die Konstituierung und den Bestand der Verbindung. Die begriffliche Differenzierung zwischen einem klerikalen Netzwerk, das Unterstützer in den kirchenpolitischen Auseinandersetzungen seiner Zeit

184

Rebenich 2008a; Rebenich 2012. Vgl. auch Brändli 2016.

236

III. Die Kappadokier und Johannes Chrysostomus

umfasste, und einem weltlichen Netzwerk, das der Durchsetzung allgemeiner politischer und sozialer Anliegen diente, entstand somit aus den spezifischen Anforderungen eines Umfelds, das von der notwendigen Kooperation mit Angehörigen unterschiedlicher Religionen und dem Konflikt mit anderen Christen gleichermassen definiert war. Die Differenzierung zwischen philia und agape kann also als Strategie des Basilius gedeutet werden, im Prozess der Akkommodation des Christentums an die Bedingungen der diesseitigen Welt eine neue kontextorientierte Norm sozialer Inklusion zu etablieren. Dass er sich nicht durchsetzte, hing wohl nicht zuletzt auch damit zusammen, dass die Bedeutung von agape zu breit war, um einen exklusiven Kreis rechtgläubiger Christen zu bezeichnen. Die Heterogenität des begrifflichen Befundes verweist auf eine Zeit des Umbruchs und der Orientierung, von der interpersonale Beziehungen besonders betroffen waren. Im Folgenden soll deshalb gefragt werden, wie sich die zunehmende Christianisierung auf die Performanz von Freundschaftsbeziehungen auswirkte.

3. Kommunikation unter Anwesenden Ende des zweiten Jahrhunderts hielt Clemens von Alexandria seine christlichen Mitbürger dazu an, nicht mit ihren gesellschaftlichen Beziehungen anzugeben. Auf überschwängliche Begrüssungen auf der Strasse, die nur den Zweck hätten, allen sichtbar vor Augen zu führen, mit wem man in gutem Kontakt stünde, solle verzichtet werden.185 Diese Anweisung ist gleich in mehrerer Hinsicht aufschlussreich: Einerseits stellt sie einen Beleg für die Praxis dar, auch unter Christen Nähe und Distanz in der persönlichen Interaktion performativ umzusetzen. Implizit vorhanden ist die Bedeutung, die solchen Inszenierungen für die eigene soziale Stellung zukam, wie sie im zweiten Teil dieser Arbeit anhand des Zeugnisses von Libanius für das vierte Jahrhundert herausgearbeitet wurde. Andererseits zeugt diese Aufforderung aber auch von einem Spannungsverhältnis, in welchem sich Christen – und insbesondere die Christen, welche den sozialen Eliten angehörten – befanden: Viele soziale Praktiken, welche den eigenen herausragenden Status kontinuierlich bestätigten, waren schlecht mit christlicher Bescheidenheit vereinbar. So ziemte es sich nicht, die eigenen einflussreichen Verbindungen zur Schau zu stellen. Auch in der Wahl ihrer Kleidung, herkömmlicherweise ebenfalls ein Distinktionsmerkmal, sollten Männer wie Frauen ihre Demut beweisen und dem Luxus abschwören.186 185 186

Clem. Alex. Paed. II 11.82.2. Vgl. z. B. Clem. Alex. Paed. II 12.120.6; II 12.122.1; II 12.128.1; III 2.4–3.25.

3. Kommunikation unter Anwesenden

237

Die Regeln, welche Clemens propagierte, zielten jedoch nicht nur auf die äusserlichen Merkmale von Rang und Reichtum ab. Mehrere Verhaltensregeln griffen in Bereiche ein, die ganz zentral für die Pflege von Beziehungen waren: So warnte Clemens vor übermässigem Baden. Zu viel und zu warmes Baden sei schädlich und unnötiger Luxus.187 Ebenso wurden die bei den sozialen Eliten üblichen und teilweise üppigen Gastmähler kritisiert. Auch diese sollten, wenn immer möglich, gemieden werden. War die Teilnahme unabdingbar, sollte die eigene Bescheidenheit dadurch zum Ausdruck gebracht werden, dass nur von den einfachsten Speisen gekostet wurde – und auch von diesen nur mässig.188 Doch genauso wenig wie das Baden nur der Körperhygiene diente, so waren auch Gastmähler nicht nur dazu da, den Hunger zu stillen: Beides waren wichtige Orte der Zusammenkunft, die einen zentralen Platz in der Pflege von philia-Beziehungen einnahmen.189 Ein Christ, der diese Anweisungen befolgte, hätte an vielen sozialen Praktiken, die das städtische Zusammenleben ausmachten und eng mit philia verbunden waren, nicht oder nur teilweise partizipieren können. Es wäre jedoch falsch, aufgrund solcher normativen Texte auf das tatsächliche Verhalten der Christen jener Zeit zu schliessen. Vielmehr sprechen solche Ermahnungen gerade dafür, dass zahlreiche Christen sich in ihrer Lebensführung nicht wesentlich von ihren paganen Zeitgenossen unterschieden.190 Ihre Beziehungen pflegten wohl viele von ihnen in derselben Weise, wie nicht zuletzt das Zeugnis des Libanius vermuten lässt, unter dessen Freunden zahlreiche Christen waren, mit denen die Interaktionen nach denselben tradierten Mustern abliefen wie die Beziehungen mit Nicht-Christen.191 Daraus lässt sich allerdings nicht folgern, dass die Ausführungen eines Clemens von Alexandria nur theoretische Überlegungen darstellten, die nichts mit dem praktischen Leben zu tun hatten.

187 Clem. Alex. Paed. III 9.46–48. Zur Kritik an der luxuriösen Ausstattung, die Frauen mit in die Bäder nahmen, s. Paed. III 5.31 und zur Kritik am gemeinsamen Baden von Männern und Frauen Paed. III 5.32. Vgl. hierzu Pujiula 2006, 211–230. 188 Clem. Alex. Paed. II 1.9.4–2.10.6. Vgl. zu Clemens’ Einstellung zum Essen und zu Gastmählern Grimm 1996, 90–113. 189 Vgl. II.3.2. Dies betont auch Clemens in Bezug auf Gastmähler, vgl. Paed. II 7.53.3. 190 Vgl. auch Clem. Alex. Paed. III 11.80.1–3: (1) Τοιούτους δὲ ἐχρῆν παρ’ ὅλον τὸν βίον φαίνεσθαι καὶ διαπλάττεσθαι τοὺς Χριστῷ τελουμένους οἵους σφᾶς ἐν ἐκκλησίαις ἐπὶ τὸ σεμνότερον σχηματίζουσιν […]. […] (3)  Τὸ γοῦν τῆς συναγωγῆς ἔνθεον μετὰ τὴν ἐνθένδε ἀπαλλαγὴν ἀποθέμενοι τοῖς πολλοῖς ἐξομοιοῦνται, μεθ’ ὧν καὶ διαιτῶνται […]. – «1. Diejenigen, die Christus geweiht sind, sollten sich im ganzen Leben ebenso zeigen und gestalten, wie sie sich in den Kirchen zeigen, wo sie eine würdigere Haltung annehmen […]. […] 3. Sie legen nämlich die gottergebene Haltung, die sie in der Versammlung zeigten, ab, sobald sie daraus fortgegangen sind, und werden der grossen Masse ähnlich, in der sie leben […].» (Übers. Stählin 1934). 191 Vgl. hierzu II.3.

238

III. Die Kappadokier und Johannes Chrysostomus

Vielmehr stand Clemens zusammen mit anderen am Beginn einer asketischen Ausrichtung des Christentums, die insbesondere im Osten im Laufe der folgenden Jahrhunderte zunehmend Verbreitung fand. Christen verschiedener sozialer Herkunft zogen sich einzeln oder in Gruppen in die Abgeschiedenheit zurück und führten dort ein einfaches Leben, das von Fasten, Gebeten und dem Studium der heiligen Schriften geprägt war.192 Ihre ausgemergelten Körper zeugten von den Strapazen, die sie im Namen des christlichen Glaubens auf sich nahmen. Wer sich aus den Reihen der Senatoren und Kurialen für ein asketisches Leben entschied, verabschiedete sich oft auch von seinen bisherigen sozialen Beziehungen.193 Der Abschied musste jedoch nicht endgültig sein: Im vierten Jahrhundert wurden Priester und insbesondere Bischöfe vermehrt aus diesem Kreis besonders frommer Christen rekrutiert. Auch Basilius von Caesarea und Johannes Chrysostomus hatten vor ihrem Eintritt in den Dienst der Kirche während einiger Jahre zurückgezogen gelebt.194 Es galt als Vorteil, wenn sich ein Anwärter auf den Bischofsstuhl zuvor in der asketischen Lebensweise bewährt hatte. Die selbstauferlegte Prüfung durch den Verzicht auf alle Annehmlichkeiten des diesseitigen Lebens demonstrierte für alle sichtbar die eigene Überzeugung. Andrea Sterk hat die ideengeschichtlichen Grundlagen dieser Entwicklung nachgezeichnet und dabei auch die zentrale Rolle der Kappadokier und des Johannes Chrysostomus herausgestellt, die in ihren Schriften ebenfalls das Ideal eines Mönchsbischofs verbreiteten.195 Auch Claudia Rapp hat die Askese als eine wichtige Quelle der Autorität identifiziert, die für die Stellung und Legitimität von Bischöfen zentral war. Sie betont, dass eine asketische Lebensweise ein wichtiger und sichtbarer Teil der christlichen Selbstdarstellung war und zugleich ein Aspekt, der von jedem erreicht werden konnte.196 Allerdings gab es für Bischöfe in der Spätantike noch keinen einheitlichen und verbindlichen Habitus, wie Hartmut Leppin zu Recht hervorgehoben hat.197 So konnte Sisinnius, der Bischof der Novatianer in Konstantinopel, auf die Frage, weshalb er ein weisses Gewand trage und nicht ein schwarzes, erwidern, dass nirgendwo geschrieben stehe, dass

192 Zur Askese vgl. u. a. Brown 1971; Rousseau 1978. In der Neuauflage seiner immer noch wichtigen Studie bietet Rousseau einen Überblick über die neuere Forschung, vgl. Rousseau 2010, ix–xxvi. 193 Vgl. Rebenich 2001, 72. 194 Vgl. III.1. 195 Sterk 2004. S. auch Rapp 2005, 100–152. Für den Westen vgl. u. a. die Studien von Rousseau 2010; Leyser 2000. 196 Rapp 2005, 17 f. Zur Bedeutung der Askese für die Selbstdarstellung und als Quelle von Autorität vgl. auch die zentrale Studie von Brown 1971 zum ‹heiligen Mann›. 197 Leppin 2009, 8 f.

3. Kommunikation unter Anwesenden

239

er ein schwarzes tragen müsse.198 Und auf die Frage, weshalb er zweimal täglich bade, soll er geantwortet haben, dass er keine Zeit habe, das Bad dreimal zu besuchen.199 Aus diesen Anekdoten wird aber auch deutlich, dass Sisinnius sich für einen Bischof ungewohnt verhielt und deshalb Nachfragen provozierte. Es scheint also durchaus verbreitet gewesen zu sein, dass sich Bischöfe von weissen Toga-Trägern durch ihr schwarzes Kleid unterschieden und möglicherweise die Badeanstalten auch seltener frequentierten. Von Bischöfen wurde grundsätzlich erwartet, dass sie ein Leben nach christlichen Grundsätzen führten, das den Gemeindemitgliedern zum Vorbild gereichte. Meist gehörten Bischöfe den gebildeten und landbesitzenden Eliten an. Zwar rekrutierten sie sich nach wie vor aus allen sozialen Schichten, Anwärter kurialer Herkunft waren jedoch besonders stark vertreten.200 Besonders geeignet, einer Gemeinde vorzustehen, waren Personen, die sich in der Askese bewiesen hatten und gleichzeitig über die nötige Bildung verfügten, um alle Aufgaben eines Episkopos zu erfüllen.201 Denn der Bischof war nicht nur für die Durchführung von Gottesdiensten und die Vermittlung der christlichen Lehre durch Predigten zuständig, ihm oblag auch die Besetzung des Klerus und die Verwaltung des kirchlichen Vermögens. Neben pastoralen und administrativen Tätigkeiten übernahm er zudem wichtige karitative Aufgaben, indem er sich für die Benachteiligten in seiner Gemeinde einsetzte. Er trat möglicherweise als Bauherr von Spitälern und Herbergen auf und bemühte sich um die Sicherung der Grundversorgung, wenn die Lebensmittel knapp waren.202 Diese Aktivitäten brachten Bischöfe immer auch in Kontakt mit weltlichen Eliten, wie die in Kapitel III.2. besprochenen Briefe bereits gezeigt haben. In vielen Aspekten glich ihr Handlungsfeld demjenigen von weltlichen Patronen.203 Ein Zusammenspiel mit Beam-

198

Socr. 6.22.5–7; Soz. 8.1.9–15. Socr. 6.22.3–4. 200 Vgl. Rapp 2005, 172–207, bes. 183: «Most bishops in late antiquity came from the municipal elite in the cities of the Roman Empire: the curiales.» Vgl. zur sozialen Herkunft von Bischöfen auch Eck 1978; Eck 1983; Maxwell 2011; McLynn 2006b; Rapp 2000; Van Dam 2007; Van Dam 2011. 201 Zu diesem «Typ» von Bischof, zu dem auch die Kappadokier und Johannes Chrysostomus gerechnet werden müssen, vgl. Rapp 2005, 186 f. 202 Zum vielfältigen Aufgabenbereich von Bischöfen vgl. u. a. Haensch 2003; Haensch 2007; Rapp 2005; Van Dam 2007; Lizzi Testa 2009. 203 Vgl. Rapp 2005, 173: «As the episcopate was the single office at the top of the hierarchy of the ecclesiastical cursus honorum, and the bishop held a unique position of influence and power within his city, the distinction between the episcopate and a civil magistracy could become blurry.» Vgl. auch Rapps Ausführungen zur Funktion des Bischofs als patronus am Beispiel des Synesius von Kyrene und des Theodor von Sykeon (Rapp 2005, 155–166). Zu Recht betont Rapp hier auch, dass Bischöfe in ihrer Funktion als Patrone nicht nur mit weltlichen Würden199

240

III. Die Kappadokier und Johannes Chrysostomus

ten und anderen wichtigen Persönlichkeiten in seiner Stadt war für einen Bischof zentral, damit er seinerseits als patronus agieren konnte. Hier stellt sich die Frage, wie sich solche Beziehungen gestalteten. Was bedeutete insbesondere eine asketische Lebensweise für die Pflege sozialer Beziehungen? An welchen Regeln und Grundsätzen der Kommunikation unter Anwesenden orientierten sich Bischöfe und Kleriker allgemein? Angesichts des Umstandes, dass wir uns in einer Zeit des Umbruchs befinden und sich noch keine normierten Verhaltensweisen herausgebildet hatten, ist hier nicht mit eindeutigen Antworten zu rechnen. Gerade Bischöfe konnten sich in der Situation wiederfinden, dass sie einflussreiche weltliche Kontakte pflegen mussten, um effizient als Patron für ihre Schützlinge zu wirken, und gleichzeitig wurde von ihnen ein Leben nach asketischen Grundsätzen erwartet, das mit gewissen unter den sozialen Eliten üblichen Interaktionsformen in Konflikt stand. Dieses Spannungsverhältnis soll im ersten Teil dieses Kapitels (III.3.1.) ausgelotet werden. Im Zentrum wird der Episkopat des Johannes Chrysostomus stehen. Chrysostomus ist bekannt dafür, dass er während seiner Amtszeit in Konstantinopel Gastmähler mied. Die überlieferten Reaktionen auf dieses Verhalten belegen, dass er hierdurch mit tradierten Normen brach. An seinem Beispiel sollen die grundsätzlichen Konflikte analysiert werden, die zwischen einem asketischen Lebensstil und der Pflege politisch wirksamer Netzwerke bestanden. Es wird zu zeigen sein, dass es für Bischöfe, die in Städten agierten, welche zugleich wichtige politische Zentren waren, immer eine Gratwanderung zwischen einem asketischen Lebensstil und der Partizipation an Interaktionsformen der weltlichen Eliten zu meistern galt. Asketisch motivierte Zurückgezogenheit konnte als Zeichen der Distanz aufgefasst werden und wirkungsvollen Bündnissen mit einflussreichen Persönlichkeiten im Wege stehen. Anschließend stehen im zweiten Teil dieses Kapitels (III.3.2.) Beziehungen zwischen Klerikern im Zentrum des Interesses. Es soll gefragt werden, wie in der Interaktion zwischen Klerikern Nähe und Distanz performativ dargestellt wurden. Wurde bei Interaktionen zwischen kirchlichen Würdenträgern auf dieselben Kommunikationsformen zurückgegriffen wie bei nicht-christlichen Beziehungen? Wie wirkte es sich aus, dass in kirchlichen Beziehungen neben Formen formalisierter und gegebenenfalls individueller Nähe nun zwingend die Übereinstimmung im Glaubensbekenntnis, also eine theologische Nähe, treten musste? Hier werde ich argumentieren, dass für die Performanz von religiöser und nicht-religiöser Nähe vielfach dieselben Interaktionsformen zum Zuge kamen, was umgekehrt die Darstellung individueller Distanz bei Personen desselben Bekenntnisses erschwerte. trägern vergleichbar waren, sondern auch mit ‹heiligen Männern›. Zu verschiedenen Patronatsformen vgl. zudem Brown 1971; Krause 1987; Rebenich 2001.

3. Kommunikation unter Anwesenden

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3.1. Interaktion zwischen Tradition und Religion: Das Gastmahl Auf der sogenannten Eichensynode, die Theophilus von Alexandria mit dem Ziel leitete, Johannes Chrysostomus seines Amtes zu entheben, brachten Gegner des Bischofs von Konstantinopel eine Reihe von Anklagen vor.204 Die Akten dieser Synode sind verloren. Photius bietet in seiner Bibliotheke jedoch eine kurze Zusammenfassung und listet auch insgesamt 49  Punkte auf, die von zwei persönlichen Widersachern, einem Diakon namens Johannes, den der gleichnamige Bischof abgesetzt hatte, und Isaak, dem Anführer der Mönche in Konstantinopel, gegen Johannes Chrysostomus vorgebracht wurden. Es handelt sich um ein buntes Sammelsurium von Beschuldigungen, die offenbar ohne jegliche thematische Ordnung angeführt wurden. Unter anderem kritisierte man Johannes Chrysostomus’ Umgang mit seinem Klerus, stellte seine Verwendung von kirchlichen Mitteln in Frage, prangerte unrechtmässige Ordinationen an und beanstandete schliesslich seine Lebensführung.205 Viele der Anklagepunkte verwiesen weniger auf ein konkretes Vergehen, sondern spiegelten eher den Akzeptanzverlust, den Johannes Chrysostomus in seinem Episkopat erfahren hatte.206 Die Absetzung von Chrysostomus erfolgte dann bezeichnenderweise auch nicht aufgrund dieser Anklagen, sondern wegen seiner Weigerung, überhaupt vor der Synode zu erscheinen. Für die Frage nach den sozialen Interaktionen des Bischofs sind zwei Anklagen, die Johannes Chrysostomus’ Speiseverhalten betreffen, von besonderem Interesse. Der Diakon Johannes warf seinem früheren Vorgesetzten vor, «dass er alleine isst und ein gefrässiges Leben führt wie die Zyklopen»207, und der Mönch Isaak kritisierte, «dass er die Gastfreundschaft vernachlässigt, indem er alleine zu essen pflegt.»208 Dem übergeordneten Zweck der Synode folgend, zielten die Anklagen darauf ab, Chrysostomus zu diffamieren und seinen Anspruch auf den Bischofsstuhl in Frage zu stellen. Bereits in der Formulierung der beiden zitierten Vorwürfe wird deutlich, welche Angriffsflächen Johannes Chrysostomus bot: Indem er allein ass, entzog er sich jeglicher sozialen Kontrolle. Es konnte niemand bestätigen, ob er auch hinter verschlossenen Türen ein asketisches Leben führte, und

204 205 206 207 208

Zur Eichensynode vgl. Kelly 1995, 211–227; Tiersch 2002, 327–353. Kelly 1995, 221 f. So auch Tiersch 2002, 349 f. Phot. Bibl. 59 (18b): εἰκοστὸν πέμπτον ὅτι μόνος ἐσθίει ἀσώτως ζῶν Κυκλώπων βίον. Phot. Bibl. 59 (19a): τρίτον ὅτι τὴν φιλοξενίαν ἀθετεῖ, μονοσιτίαν ἐπιτηδεύων.

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III. Die Kappadokier und Johannes Chrysostomus

Vorwürfe, dass er ungehemmt schlemme, wurden dadurch ermöglicht. Zugleich wurde ihm vorgeworfen, durch dieses Gebaren auch seinen Pflichten als Gastgeber nicht nachzukommen. Die Aufnahme dieser auf den ersten Blick etwas merkwürdigen Vorwürfe in den Anklagekatalog zeigt, dass Chrysostomus sich über Erwartungen hinwegsetzte, die man an ihn als Bischof richtete. Johannes Chrysostomus’ Speiseverhalten war nicht nur Thema der Eichensynode, sondern fand auch Eingang in die verschiedenen Darstellungen seines Lebens. Pseudo-Martyrius, Palladius, Socrates und Sozomenus gehen in ihren Schilderungen des Episkopats von Chrysostomus alle auf den Umstand ein, dass er bevorzugt allein ass.209 Chrysostomus hatte mit seinem Verhalten gleich mit mehreren Normen gebrochen. Dies wird insbesondere in der langen Rechtfertigung deutlich, die Palladius für ihn verfasst hat. Palladius, seinerseits Bischof von Helenopolis, war ein grosser Unterstützer des Johannes Chrysostomus und hielt auch noch zu ihm, als er seines Amtes enthoben wurde. Er reiste in den Westen, um sich in Rom für ihn zu verwenden. Als Palladius als Teil einer Gesandtschaft zu Kaiser Arcadius nach Konstantinopel zurückkehrte, wurde er verhaftet und seinerseits verbannt. Im Exil verfasste Palladius kurz nach Chrysostomus’ Tod den Dialog über das Leben von Johannes Chrysostomus. In Form eines fiktiven Gespräches, das in Rom zwischen einem namenlosen Bischof aus dem Osten und einem römischen Diakon namens Theodorus stattfindet, stellt Palladius das Leben und Wirken des Johannes Chrysostomus dar. Als primäres Publikum hat Demetrios Katos zu Recht westliche Unterstützer von Johannes Chrysostomus ausgemacht.210 Die Dialogform erlaubt es Palladius, auf den unterschiedlichen Informationsstand im Westen und im Osten einzugehen. So erzählt der Diakon zu Beginn des Dialogs, was in Rom über Johannes Chrysostomus berichtet wird und welche Nachrichten den römischen Bischof Innozenz und den römischen Klerus erreicht haben. Sein Gesprächspartner, der gut informierte östliche Bischof, schildert daraufhin ausführlich, was sich in Konstantinopel zugetragen habe.211 Palladius versuchte Johannes Chrysostomus gegen verschiedene Gerüchte und Anschuldigungen, die offenbar breit zirkulierten, zu verteidigen. Die gewählte literarische Form eines fiktiven Dialogs unterstützte seine Absicht, ein Korrektiv für divergierende Erzählungen und Ansichten zu bieten.212 Chrysostomus’

209

Ps-Mart. 73; Pall. Dial. 12–13; Socr. 6.4.5–8; Soz. 8.9.5–6. Katos 2011, 48. Vgl. auch Barnes/Bevan 2013, 22. 211 Es liegt nahe, hinter dem anonymen östlichen Bischof Palladius selbst zu sehen. 212 Katos 2011, 33–61 hat die rhetorischen Stilmittel des Dialogs untersucht und überzeugend dargelegt, dass sich Palladius an forensischer Literatur orientierte. Vgl. auch Katos 2011, 64–71 zum Thema des Allein-Essens. 210

3. Kommunikation unter Anwesenden

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Speisegewohnheiten nehmen darin einen prominenten Platz ein. Unmittelbar nachdem der östliche Bischof die Schilderung des Lebens von Johannes Chrysostomus mit den Umständen seines Todes im Exil beendet hat, legt er dem Diakon im Dialog als Erstes die Frage in den Mund, ob es wirklich wahr sei, dass Chrysostomus allein gegessen habe und was die Gründe hierfür gewesen seien.213 Indem Palladius nach der chronologischen Darstellung einen ersten thematischen Schwerpunkt auf das Essverhalten legt, räumt er diesem Aspekt besondere Bedeutung ein. Dieser eine Vorwurf wird noch vor anderen Anklagen, die auf den ersten Blick kirchenpolitisch bedenklicher scheinen (wie Johannes Chrysostomus’ Weihung von Bischöfen in der Provinz Asia), behandelt. Bereits in der Art und Weise, wie der Diakon des Dialogs die Frage formuliert, schwingt eine gewisse Ungläubigkeit mit, die nochmals verdeutlicht, dass Chrysostomus’ Verhalten keineswegs bischöflichen Gepflogenheiten entsprach. Dessen war sich auch Palladius bewusst. Nichtsdestotrotz bemüht er sich im Dialog, Chrysostomus’ Meidung von Gastmählern nicht nur zu rechtfertigen, sondern geradezu als vorbildlich darzustellen. Deshalb charakterisiert er den Chrysostomus als Asketen, der es nicht gewohnt gewesen sei, viel zu trinken und zu essen. Den Wein, ein wichtiger Bestandteil von Gastmählern, hätte er gar ganz gemieden, da dieser den Kopf beneble.214 Wer aber nicht viel trinke und laut lache, der werde bei Gastmählern nicht gerne gesehen.215 Zudem führt Palladius den angeschlagenen Magen des Bischofs an, weshalb er viele herkömmliche Speisen nicht vertragen habe.216 Darüber hinaus habe Chrysostomus das Essen oftmals vergessen, weil er entweder mit kirchlichen Angelegenheiten beschäftigt, in Meditation versunken oder in das Studium der Heiligen Schrift vertieft gewesen sei.217 In nachgerade topischer Manier wird Chrysostomus als asketischer Heiliger dargestellt, der im Gegensatz zur grossen Menge der physischen Nahrung nicht bedurfte, sondern sich aus spirituellen Quellen ernährte. Dementsprechend erscheint bei Palladius die Verweigerung von Gastmählern zunächst als konsequente Fortsetzung einer grundsätzlich lobenswerten asketischen Lebensweise. Etwas kritischer beleuchten die Kirchenhistoriker Socrates und Sozomenus das Verhalten des Johannes Chrysostomus. Auch sie führen den angeschlagenen Magen des Bischofs als Grund dafür an, dass er an keinen Mahlzeiten teilgenommen habe.218 Socrates hält aber auch fest, dass eigentlich niemand so genau

213 214 215 216 217 218

Pall. Dial. 12.3–6. Pall. Dial. 12.15–18. Pall. Dial. 12.25–29. Pall. Dial. 12.18–20. Pall. Dial. 12.20–29. Socr. 6.4.1–8; Soz. 8.9.5.

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III. Die Kappadokier und Johannes Chrysostomus

habe erklären können, weshalb Chrysostomus allein ass. Einige hätten dahinter auch eine übertriebene Askese vermutet.219 Doch was auch immer die Motivation für Chrysostomus’ Verhalten gewesen sei, es habe seinen Gegnern in die Hand gespielt.220 Εἰς πίστιν δὲ ἦγεν τοὺς ἀκούοντας τὰ λεγόμενα τὸ μὴ βούλεσθαι τὸν ἐπίσκοπον συνεσθίειν τινὶ μηδὲ καλούμενον ἐφ’ ἑστίασιν παραγίνεσθαι. Ἐξ οὗ καὶ μάλιστα ἡ μείζων ἐκράτησεν διαβολὴ κατ’ αὐτοῦ. «Was die Zuhörer dazu veranlasste, dem Gesagten Vertrauen zu schenken, war, dass der Bischof sich weigerte, mit jemandem zu essen, und auch nicht, wenn man ihn einlud, beim Gastmahl erschien. Vor allem daraus resultierten auch die schwersten Vorwürfe gegen ihn.»221 Die Kirchenhistoriker machen den Umstand, dass Chrysostomus Gesellschaft beim Essen mied und Einladungen ablehnte, dafür verantwortlich, dass auch andere Beschuldigungen bereitwilliger geglaubt wurden.222 Socrates vermerkt aber gleichzeitig, dass die einfachen Leute von Chrysostomus’ Predigten begeistert gewesen seien und sich nicht um die Anschuldigungen, die gegen ihn geäussert wurden, gekümmert hätten.223 Also stiess der Bischof vor allem die einflussreichen Kreise mit seinem Verhalten vor den Kopf.224 Auch Palladius hebt darauf ab, dass es aristokratische Bankette waren, an denen Chrysostomus hätte teilnehmen sollen. Er beanstandet sogar die Motivation solcher Gastmähler: Es gehe nicht darum, Bedürftigen zu helfen, sondern die Reichen würden sich gegenseitig einladen. Zudem, so wird impliziert, seien diese Gastmähler nicht uneigennützig, sondern eine Einladung werde nur im Hinblick auf eine Gegeneinladung ausgesprochen. Palladius kritisiert insbesondere Priester, die nur die Reichen und Mächtigen an ihrem Tisch versammelten, und unterstellt ihnen, dass sie damit lediglich ihren eigenen Ruf steigern oder selbst eingeladen werden wollten.225 Wenig später dehnt er das Argument auch auf die Gastfreundschaft aus: Abraham habe weder Konsuln noch Generäle noch sonstige bedeutende Männer empfangen, sondern einfache und arme Leute, die auf der Durchreise waren.226 In einer von guten Gesetzen regierten Stadt wie 219 220 221 222 223 224 225 226

Socr. 6.4.6. Socr. 6.4.7. Socr. 6.4.5. Socr. 6.4.1–8, bes. 5–6; Soz. 8.9.5. Socr. 6.4.7. So auch Maraval 2006, 271 Anm. 2. Pall. Dial. 12.51–53. Pall. Dial. 12.95–102.

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Konstantinopel, wo alle Bewohner gastfreundlich seien, sei es zudem nicht nötig, dass der Bischof diese Aufgaben übernehme.227 Doch all das sei auch von Chrysostomus erwartet worden. Er hätte Bankette für die High Society in Konstantinopel ausrichten sollen. Doch er habe das Geld lieber für die Armenfürsorge aufgewandt, statt es für luxuriöse Gelage auszugeben. Als Verwalter Christi sei der Bischof zudem für die gesamte Bevölkerung Konstantinopels zuständig und solle deswegen alle für würdig halten, mit ihm zu essen – oder aber niemanden.228 Wenn indes alle mit ihm speisten, so hätte er keine Zeit mehr für die wirklich wichtigen Aufgaben, wie das Studium der Heiligen Schrift, die Fürsorge für Witwen, Waisen und Kranke oder die Bekehrung derer, die im Glauben irrten.229 Der Bischof, so könnte man Palladius’ Votum zusammenfassen, sollte sich primär um das seelische und nicht um das körperliche Wohl seiner Gemeinde kümmern. Seine Zeit sei deshalb besser in Predigten als in Gastmähler investiert.230 Palladius war nicht der Einzige, der sich gegen die Verbindung des Bischofs mit weltlichen Würdenträgern aussprach. Im lateinischen Westen riet Hieronymus Bischöfen und Priestern davon ab, solche Personen an ihren Tafeln zu verköstigen. Es sei eine Schande, wenn vor den Türen von Klerikern die Bediensteten von Konsuln warteten und ein Statthalter im Bischofssitz eine bessere Mahlzeit geniesse als in seiner eigenen Residenz.231 Hieronymus war sich aber durchaus bewusst, dass ein Bischof die Beziehungen zu den Mächtigen pflegen musste, wenn er sich selbst wirksam für seine Schützlinge einsetzen wollte. Er plädierte jedoch dafür, sich für diese Aufgabe nicht zu verbiegen: Ein weltlicher Würdenträger schätze einen Kleriker mehr für seine Heiligkeit als für seinen Reichtum. Und falls der Beamte zu jenen gehören sollte, die einem Kleriker nur über einem Glas Wein ihr Ohr schenkten, so solle auf dessen Hilfe verzichtet und stattdessen ganz auf Gott vertraut werden.232 Die Widersprüchlichkeit der Anforderungen an einen Bischof wird in diesen Zeilen deutlich. Einerseits sollte ein Bischof als Patron agieren, andererseits wurde er angehalten, die tradierten Interaktionsformen zu meiden, bei welchen üblicherweise Beziehungen geknüpft und Gefälligkeiten ausgetauscht wurden. An der Kritik eines Palladius und eines Hieronymus lässt sich aber auch ablesen, was wohl verbreitete Realität war: Auch Bischöfe und Kleriker luden zum 227

Pall. Dial. 12.104–111. Pall. Dial. 12.35–38: πρὸς τούτοις τὸ πλῆθος τῆς πόλεως ἐννοῶν ἐσκόπει, ὅτι ἢ πᾶν ἀξίωμα ὀφείλει ταύτης τῆς τιμῆς ἀξιῶσαι ὡς Χριστοῦ οἰκονόμος, ἢ μηδενὶ παρασχεῖν τὸ πρᾶγμα. 229 Pall. Dial. 13.30–38. 230 Vgl. z. B. Pall. Dial. 13.76–90. 231 Hier. ep. 52.11. S. hierzu Cain 2013, 223–226. 232 Hier. ep. 52.11. 228

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III. Die Kappadokier und Johannes Chrysostomus

Gastmahl die Reichen und Einflussreichen ein, zumal sie selbst meist derselben Schicht entstammten. Ambrosius von Mailand ist beispielsweise bekannt dafür, dass er auch weltliche Würdenträger in seinem Bischofssitz empfing. Er verkehrte mit Konsuln und speiste mit Arbogast, dem römischen General fränkischer Herkunft.233 Allerdings lud Ambrosius zwar illustre Gäste an seine Tafel ein, er vermied es aber, selbst Einladungen anzunehmen. Damit verhinderte er, selbst in Abhängigkeit zu geraten, und er kontrollierte, mit wem er am Tisch speiste.234 Diesen Rat gab er auch Augustinus, der sich nach Auskunft seines Biographen Possidius daran hielt.235 Wenn der Bischof nur selbst als Gastgeber auftrat, stellte sich die Frage nicht, welchen Platz er im triclinium einnehmen sollte. Basilius hielt die Mönche seiner Gemeinschaft dazu an, sich keinen Wettkampf um den niedrigsten Platz zu liefern, da auch der Anspruch, der Bescheidenste zu sein, der Bescheidenheit widerspreche.236 Offenbar gab es unter Christen die Tendenz, die herkömmliche Sitzordnung genau umzudrehen und statt nach dem ersten nach dem schlechtesten Platz zu streben. Für Bischöfe hätte diese Variante eine subtile Möglichkeit geboten, sich der Einordnung in die weltliche Hierarchie zu entziehen. Allerdings schweigen hierzu die Quellen. So ist nicht bekannt, ob einem Bischof bei aristokratischen Banketten der Platz nach seiner Stellung in der christlichen Gemeinde oder nach seiner sozialen Herkunft zugewiesen wurde. Dass ein Bischof jedoch kontinuierlich mit weltlichen Amtsinhabern verglichen wurde, bestätigt Gregor von Nazianz. Er beklagt sich darüber, dass sein Lebensstil während seines kurzen Episkopats in Konstantinopel genau beobachtet und er immer an den dort anwesenden Konsuln, Präfekten und Generälen gemessen worden sei.237 Dem Bischof von Konstantinopel kam eine wichtige Funktion zu, und offenbar wurde von der dortigen Bevölkerung erwartet, dass sich dies auch am Lebensstil zeigte. Im Gegensatz zu Johannes Chrysostomus verschloss sich Gregor von Nazianz Gastmählern nicht gänzlich. Genauso wie sein westlicher Kollege Ambrosius war sich Gregor der Bedeutung bewusst, die gemeinsame Mahlzeiten für die Pflege von Beziehungen und den Austausch von Gefälligkeiten hatten.238 Allerdings pflegte er bei Banketten nur wenig zu essen.239 Auch er versuchte, sich durch das Essen von weltlichen Magistraten zu unterscheiden und dadurch seinem asketischen Ideal treu zu bleiben. Sich dem aristokratischen Wetteifern nicht anzu233 234 235 236 237 238 239

Siehe hierzu McLynn 1994, 257. McLynn 1994, 257. Vgl. Ambr. off. 1.86. Poss. vita 27.4. Vgl. hierzu auch Hiltbrunner 2005, 178. Bas. reg. fus. 21. Vgl. hierzu auch Larsen 2012, 312–315. Greg. Naz. or. 42.24. Siehe hierzu auch McLynn 1994, 257. Greg. Naz. or. 42.24.

3. Kommunikation unter Anwesenden

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schliessen, konnte für einen Bischof also durchaus ein Distinktionsmerkmal sein. Allerdings barg eine komplette Verweigerung, wie sie Johannes Chrysostomus praktizierte, die Gefahr, dass der eigene Platz von anderen übernommen wurde. Konstantinopel war mit seiner hohen Dichte an Senatoren, Amtsinhabern und Mitgliedern des kaiserlichen Hofes ein besonders kompetitiver Ort. Viele Bischöfe reisten nach Konstantinopel, um ihre Anliegen dem Kaiser vortragen zu können, und blieben teilweise mehrere Wochen in der Stadt.240 Wenn der Bischof von Konstantinopel nicht an sozialen Anlässen partizipierte und die Netzwerke nicht pflegte, überliess er das Feld anderen und konnte in politischen Ränkespielen leichter ausmanövriert werden. So richtete Chrysostomus’ einflussreichster Gegner, Theophilus von Alexandria, während seines Aufenthaltes sehr wohl Gastmähler aus. Palladius berichtet, dass er sich durch seine grosszügigen Ausgaben und die reichlich gedeckten Tische viele Verbündete erworben habe.241 Dass Johannes Chrysostomus zum Ende seines Episkopats so isoliert war, hing auch damit zusammen, dass er sich den üblichen sozialen Interaktionen verweigert hatte.242 Indem der Bischof mit Gastmählern gerade diejenigen Veranstaltungen mied, an denen er mit einflussreichen Angehörigen der politischen Elite der östlichen Hauptstadt hätte zusammensitzen können, verpasste er eine Chance, sich wichtige Unterstützung im Umfeld des Kaisers zu sichern. Die Meidung von Gastmählern kam einer Meidung sozialer Interaktionen gleich. Nach dem herkömmlichen kulturellen Code signalisierte Chrysostomus durch sein Verhalten einer Reihe von wichtigen Akteuren in Konstantinopel seine Distanz.243 Dies machte es schwieriger, tragfähige Netzwerke zu etablieren. Zudem wurde er für die Angehörigen der politischen Eliten auch ein unberechenbarer Partner, da er offensichtlich nicht bereit war, Beziehungen nach den tradierten Normen zu führen. Es erstaunt deshalb wenig, dass nach Johannes Chrysostomus’ Absetzung mit Arsacius, dem Bruder von Nectarius und damit des Vorgängers von Chrysostomus, ein Mann auf den Bischofsthron gehoben wurde, der selbst der senatorialen Elite Konstantinopels angehörte und von dem zu erwarten war, dass er sich auch nach der Weihung seinen früheren Freunden sowie auch dem Kaiser verpflichtet fühlte.244

240 Van Nuffelen 2014 hat das kompetitive Umfeld auch in Bezug auf Predigten herausgearbeitet. 241 Pall. Dial. 8.49–59. 242 Vgl. hierzu auch Liebeschuetz 1984, 95 f.; Tiersch 2002, 163. 243 Tiersch 2002, 165 sieht in der Weigerung, an Gastmählern teilzunehmen, zu Recht auch einen Versuch des Bischofs, seine parrhesia zu wahren und sich nicht in die weltlichen Strukturen einzugliedern. 244 So auch Tiersch 2002, 352 f., die zu Recht betont, dass ein sozial integrierter Bischof, der nicht von seiner parrhesia Gebrauch machte, dem Kaiser angenehmer war. Zu Arsacius vgl. PLRE I, 110 (Arsacius 4).

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III. Die Kappadokier und Johannes Chrysostomus

Johannes Chrysostomus’ Verhalten stiess allerdings nicht nur bei den Angehörigen der sozialen und politischen Eliten in Konstantinopel auf Unverständnis. Die Anklagen auf der Eichensynode wurden von einem Mönch und einem seiner eigenen Kleriker vorgebracht. Auch innerhalb der kirchlichen Strukturen wurde sein Verhalten also kritisiert. Palladius tat sich in seinem Dialog deutlich schwerer, Chrysostomus gegen die Vorwürfe aus den eigenen Reihen zu verteidigen. Nachdem im Dialog lange und ausführlich die Frage behandelt worden ist, wieso ein Bischof nicht an Gastmählern mit Magistraten teilnehmen müsse, wendet der Gesprächspartner ein, dass Chrysostomus, wenn nicht weltliche Würdenträger, so doch zumindest Bischöfe oder seinen eigenen Klerus hätte einladen können. Schliesslich habe Jesus Christus auch mit den zwölf Jüngern gegessen.245 Das gemeinsame Mahl hatte auch innerhalb der christlichen Gemeinde einen wichtigen Stellenwert und diente der Gemeinschaftsbildung.246 Palladius lässt den Diakon im Dialog hier also einen legitimen und gewichtigen Einwand gegen das Verhalten des Johannes Chrysostomus äussern; denn für einen Bischof hätte es sich durchaus geziemt, die Mahlzeiten zusammen mit seinen Klerikern einzunehmen. Johannes Chrysostomus hatte mit seiner radikalen Weigerung, mit anderen zu essen, also nicht nur gegen weltliche, sondern auch gegen christliche Normen verstossen. Entsprechend konnte Chrysostomus nur mit dem Hinweis verteidigt werden, dass sein Klerus nicht würdig gewesen sei, mit ihm zu speisen: Sie seien den kulinarischen Gelüsten verfallen, hätten kein Mass gekannt und seien nicht bereit gewesen, ihre Essenszeiten an die ihres Bischofs anzupassen.247 Es ist offensichtlich, dass Palladius hier den Klerus attackierte, der den von ihm verehrten Chrysostomus bei der Eichensynode nicht unterstützt hatte. Auffallend ist aber auch, dass Johannes Chrysostomus’ Verhältnis zu seinem Klerus nicht für vorbildlich erklärt wurde. Während Johannes Chrysostomus im Hinblick auf seine Meidung aristokratischer Bankette wiederholt zum Vorbild stilisiert wurde und entsprechende Worte auch in den Mund des Diakons gelegt werden, fehlen solche Äusserungen in Bezug auf den Klerus. Denn es wäre durchaus angezeigt gewesen, dass ein Bischof und sein Klerus die christliche Gemeinschaft auch im Mahl nach Jesu Vorbild zelebrierten. Dass Johannes Chrysostomus dies nicht tat, lag kaum allein an seinen asketischen Übungen, an welchen die Mitglieder des

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Pall. Dial. 13.1–11. Zur Bedeutung des Mahls im frühen Christentum vgl. v. a. die ausführliche Studie von Klinghardt 1996 sowie u. a. Alikin 2010; Klinghardt/Taussig 2012; Leonhard/Eckhardt 2010, 1067–1105; Lumpe 1966; Smith 2003; Smith/Taussig 2012; Nielsen/Nielsen 1998 (darin bes. White 1998). 247 Pall. Dial. 13.12–16. 246

3. Kommunikation unter Anwesenden

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Klerus durchaus hätten partizipieren können. Die Verweigerung des gemeinsamen Mahls ist vielmehr in Zusammenhang mit dem schlechten Verhältnis zwischen dem Klerus und Johannes Chrysostomus zu verstehen. Zu Recht hat Claudia Tiersch darauf hingewiesen, dass es aufgrund von Reformen, gerade auch im Bereich der Verteilung von Kirchengeldern, und wegen seines autokratischen Führungsstils zu Konflikten mit dem Klerus gekommen war. Indem Chrysostomus auch gemeinsame Mahlzeiten ausschlug, habe er eine wichtige Möglichkeit verpasst, seine Entscheidungen mit dem Klerus abzusprechen.248 Zudem handelte er sich so den Vorwurf ein, unnahbar und arrogant zu sein. Das gemeinsame Mahl war auch im christlichen Kontext ein Zeichen der Nähe. Schwer zu entscheiden ist deshalb die Frage, ob die Verweigerung des Mahls zu dem schlechten Verhältnis führte, oder ob auf das gemeinsame Mahl verzichtet wurde, weil bereits Konflikte bestanden und somit das gemeinsame Mahl als Zeichen der Verbundenheit oder Freundschaft fehl am Platz gewesen wäre. Sicherlich sind auch innerhalb des christlichen Klerus divergierende Vorstellungen von dem idealen Verhalten eines Christen im Dienste der Kirche aufeinander getroffen. Asketisch lebende Christen waren allerdings, wie die vorausgehenden Ausführungen gezeigt haben, immer in einem Dilemma zwischen einer Lebensweise, die ihren christlichen Überzeugungen entsprach, und der Notwendigkeit, an spezifischen Formen der Interaktion zu partizipieren, die für das Zusammenleben und die Bildung von tragfähigen Netzwerken von zentraler Bedeutung waren und die nicht nur die eigene christliche Gemeinschaft betrafen. Eine asketische Lebensweise konnte eine innere Überzeugung widerspiegeln, sie konnte aber auch ein strategisch einsetzbares Mittel der Selbstdarstellung sein. Für den Bischof einer Stadt wie Konstantinopel, der im Zentrum des öffentlichen Interesses stand, galt es hier einen Weg zu finden, welcher den unterschiedlichen Anforderungen gerecht wurde. Vor allem durfte er anderen einflussreichen Akteuren keine Distanz signalisieren. Johannes Chrysostomus ist zwar nicht ausschliesslich, aber auch daran gescheitert.

3.2. Performanz von Nähe und Distanz Ausführlich und in dramatischen Bildern schildert Gregor von Nyssa seinem Bischofskollegen Flavianus das gescheiterte Zusammentreffen mit Helladius, dem Nachfolger von Basilius auf dem Bischofsstuhl von Caesarea:249 Von ver248

Tiersch 2002, 152–182. Greg. Nyss. ep. 1 = Greg. Naz. ep. 249. Für die Zuweisung dieses Briefes an Gregor von Nyssa hat Maraval 1984; Maraval 1990, 53–55 überzeugend plädiert. Seine Argumentation 249

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III. Die Kappadokier und Johannes Chrysostomus

schiedenen Seiten war es Gregor zugetragen worden, dass Helladius ihm feindlich gesinnt sei. Als er sich auf dem Heimweg von Sebaste befand, wo er mit der dortigen Gemeinde eine Gedenkfeier begangen hatte, erfuhr er, dass sich Helladius anlässlich einer Märtyrerfeier in einem nahegelegenen Ort aufhielt.250 Gregor entschloss sich, einen kurzen Umweg auf sich zu nehmen, um Helladius zu treffen und sich mit ihm auszusprechen. Er trennte sich von seiner Reisegruppe und liess den Wagen, mit welchem er unterwegs war, stehen. Per Pferd und zu Fuss reiste er mit einem kleinen Gefolge in die 15  Meilen entfernte Ortschaft. Da sie einen Teil der Nacht für den Marsch genutzt hatten, kamen sie am frühen Morgen am Ort der Feierlichkeiten an. Sofort sandten sie einen Boten, um ihr Kommen anzukünden. Nach kurzer Zeit erschien der Diakon des Helladius bei ihnen, und Gregor bat ihn, sie beim Bischof von Caesarea anzumelden. Anstatt die Weitgereisten gleich zu begrüssen, liess Helladius sie jedoch im Freien unter der glühenden Sonne mehrere Stunden warten. Die Leute zeigten schon mit den Fingern auf sie. Erschöpft und gedemütigt bereute Gregor bereits, dass er die mühsame Reise auf sich genommen hatte.251 Erst gegen Mittag entschloss sich Helladius, den Bischof von Nyssa zu empfangen. Gregors Begleiter mussten allerdings draussen warten. Nur ein Diakon, der den von der Reise und der Hitze ermatteten Gregor stützte, durfte mit hinein. Doch als sie zu Helladius geführt wurden, hallte ihnen eisiges Schweigen entgegen. Keine Anrede, kein Wort der Begrüssung, kein Erkunden nach dem Grund für ihre Reise. Sie wurden nicht einmal aufgefordert, Platz zu nehmen, woraufhin Gregor sich dann von sich aus auf einer der etwas weiter weg stehenden Bänke niederliess.252 Nach einer Weile brach Gregor seinerseits das Schweigen.253 Seine versöhnlichen Worte fielen jedoch nicht auf fruchtbaren Boden. Helladius hörte Gregor nur unwillig zu und liess ihn nicht zu Ende sprechen.254 Die feindselige Haltung blieb bestehen. Helladius lud Gregor auch nicht ein zu bleiben, weder zum Baden noch zum Essen noch zu den Feierlichkeiten zu Ehren der Märtyrer: wurde in neueren Übersetzungen übernommen, vgl. Teske 1998, 94 Anm. 1; Silvas 2007, 104. Honigmann 1961, 32–35 und Devos 1961, 91–101 hatten den Brief Gregor von Nazianz zugeschrieben. Ihnen folgte Gallay 1969 bei seiner Edition der Briefe des Gregor von Nazianz. Für die folgenden Ausführungen ist die Frage der Zuordnung von untergeordneter Bedeutung. Eine detaillierte Zusammenfassung der Ereignisse, die zum schwierigen Verhältnis von Helladius von Caesarea mit Gregor von Nyssa und Gregor von Nazianz geführt hatten, bietet Limberis 2012. S. auch Storin 2019, 166–171 zur Konkurrenzsituation der Bischöfe nach dem Tode von Basilius von Caesarea. 250 Greg. Nyss. ep. 1.6–7. 251 Greg. Nyss. ep. 1.10. 252 Greg. Nyss. ep. 1.11–13. 253 Greg. Nyss. ep. 1.21. 254 Greg. Nyss. ep. 1.22–23.

3. Kommunikation unter Anwesenden

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(24)  Ὥρα ἦν πλείων ἢ κατὰ τὴν ἕκτην, καὶ τὸ λουτρὸν εὐτρεπὲς καὶ ἐν παρασκευῇ ἡ ἑστίασις καὶ σάββατον ἡ ἡμέρα καὶ μαρτύρων τιμή· καὶ πάλιν ὁ μαθητὴς τοῦ εὐαγγελίου πῶς μιμεῖται τὸν τοῦ εὐαγγελίου δεσπότην; ὁ μὲν μετὰ τελωνῶν καὶ ἁμαρτωλῶν ἐσθίων καὶ πίνων ἀπελογεῖτο τοῖς ὀνειδίζουσιν ὡς κατὰ φιλανθρωπίαν τοῦτο ποιῶν, ὁ δὲ (25)  ἄγος κρίνει καὶ μίασμα τὴν ἐπὶ τραπέζης κοινωνίαν. μετὰ τὸν κόπον ἐκεῖνον ὃν ἐκ τῆς ὁδοιπορίας ὑπέστημεν, μετὰ τὸ θάλπος τὸ τοσοῦτον ἐν ᾧ ὑπαίθριοι ταῖς θύραις αὐτοῦ προσκαθήμενοι κατεφρύγημεν, μετὰ τὴν σκυθρωπὴν ἐκείνην κατήφειαν ἣν ἐν ὀφθαλμοῖς αὐτοῦ γεγονότες ἀνέτλημεν, ἀποπέμπεται ἡμᾶς πάλιν ἐπὶ τὸ αὐτὸ διάστημα διὰ τῆς αὐτῆς ὁδοῦ ταλαιπωροῦντας ἐν ἐκλελοιπότι ἤδη καὶ καταπεπονημένῳ τῷ σώματι· ὥστε μόλις ἡμᾶς περὶ δείλην ὀψίαν, πολλὰ διὰ μέσου κακοπαθήσαντας, καταλαβεῖν τὴν συνοδίαν· […]. «24.  Die sechste Stunde war schon vorübergegangen, das Bad war glänzend hergerichtet, das Essen in Vorbereitung, es war Sabbat und Ehrenfest der Märtyrer. Und wie ahmt wiederum der Schüler des Evangeliums den Lehrer des Evangeliums nach? Dieser ass und trank ‹mit Zöllnern und Sündern› [Mt 9,11; Mk 2,15–16; Lk 5,30] und rechtfertigte sich vor denen, die ihn deshalb schmähten, dass er aus Menschenliebe so handle, jener aber hält die Gemeinschaft bei Tisch für Schande und Befleckung. 25. Nach der Strapaze, die wir mit der Reise ertrugen, nach der grossen Hitze, in der wir unter freiem Himmel vor seiner Tür sitzend ausdörrten, nach jener finsteren Schande, die wir, als wir vor seine Augen traten, ertrugen, schickt er uns wieder dieselbe Strecke auf demselben Weg zurück, die wir an einem schon geschwächten und entkräfteten Körper litten, so dass wir nur mit Mühe am Spätnachmittag, nachdem wir unterwegs viel Übles erlebt hatten, unsere Reisebegleitung erreichten.»255 Gregor musste also unverrichteter Dinge zurückkehren. Helladius hatte das Versöhnungsangebot schroff abgewiesen und durch seinen Umgang mit Gregor deutlich gemacht, dass er ihm weiterhin feindlich gegenüberstand. Gregor war empört über diese Behandlung, die er für ungerechtfertigt und für unvereinbar mit der christlichen Tradition der Gastfreundschaft hielt. Durch die ausführliche Schilderung seiner Begegnung mit Helladius wollte er seinem Briefpartner Flavianus – und darüber hinaus wohl einem breiteren Adressatenkreis – vor Augen führen, wie überheblich sich der Bischof von Caesarea ihm gegenüber verhalten hatte. Der Brief endet mit einem Plädoyer, gegen Helladius vorzugehen und «seinen Hochmut und seine Missachtung gegenüber Gleichgesinnten und Gleichrangigen» zu brechen.256 Gregor kritisierte folglich 255 256

Greg. Nyss. ep. 1.24–25 (Übers. Teske 1997). Greg. Nyss. ep. 1.26–35. Vgl. bes. 1.27: Καί τι ἀναγκαζόμεθα λοιπὸν καὶ ὑπὲρ ἡμῶν

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III. Die Kappadokier und Johannes Chrysostomus

nicht nur, dass Helladius christliche Grundsätze missachtet hatte, sondern auch, dass er gegen weltliche Normen im Umgang mit Gleichrangigen verstossen habe. Es spricht viel dafür, den Adressaten Flavianus mit dem gleichnamigen Bischof von Antiochia zu identifizieren.257 Damit wäre Gregor von Nyssa mit seiner Beschwerde gleich an den Inhaber einer der wichtigsten Bischofssitze im Osten des Imperium Romanum gelangt. Um allfällige Schritte gegen Helladius einzuleiten, hätte sich Flavianus von Antiochia in der richtigen Position befunden. Helladius selbst war ebenfalls Inhaber eines bedeutenden Bischofssitzes: Als Bischof von Caesarea war er gleichzeitig Metropolit der Provinz Cappadocia prima, in der auch Gregors Gemeinde Nyssa lag. Demgegenüber war Gregor von Nyssa der Bruder des weitaus bekannteren Vorgängers von Helladius: Basilius von Caesarea. Der Hinweis auf den Hochmut des Helladius lässt bereits vermuten, dass in der Auseinandersetzung auch Fragen der Hierarchie und der standesgemässen Behandlung eine Rolle spielten. Gregors Ausführungen enthalten zahlreiche Anspielungen auf symbolische Kommunikationselemente, welche die Distanz zwischen den beiden Bischöfen signalisierten: Verweigert wurden die Begrüssung, der Kuss, allgemeine Zeichen der Gastfreundschaft sowie im Besonderen das gemeinsame Mahl und das Bad. Diese einzelnen Interaktionsformen sollen – mit Ausnahme des Gastmahls, das bereits behandelt wurde – im Folgenden näher betrachtet werden. Im Vordergrund steht die Frage, wie in klerikalen Beziehungen Nähe und Distanz zum Ausdruck gebracht wurden. Dabei wird zu zeigen sein, dass zwischen Klerikern die Performanz von Nähe und Distanz nie nur in Bezug auf persönliche Sympathie intendiert und gedeutet wurde, sondern immer auch in Relation zu ihrem hierarchischen Verhältnis und ihren dogmatischen Überzeugungen stand.

βουλεύσασθαι, μᾶλλον δὲ ὑπὲρ αὐτοῦ ἐκείνου· τὸ γὰρ μὴ ἀνακοπῆναι αὐτοῦ τὴν προαίρεσιν ἐν τοῖς πρότερον γεγενημένοις, εἰς ταύτην αὐτὸν ἤγαγε τὴν τύφουσαν ἀμετρίαν· οὐκοῦν ὡς ἂν κἀκεῖνος ἑαυτοῦ γένοιτο κρείττων, τάχα τι προσήκει καὶ παρ’ ἡμῶν γενέσθαι, ὡς ἂν μάθοι ἄνθρωπος ὢν καὶ οὐδεμίαν κατὰ τῶν ὁμοφρόνων τε καὶ ὁμοτίμων ὕβρεως καὶ ἀτιμίας τὴν αὐθεντίαν ἔχων. – «Und wir werden irgendwie gezwungen, in Zukunft Vorkehrungen zu treffen, für uns, mehr aber noch für jenen selbst. Denn die Tatsache, dass wir bei den früheren Ereignissen seinen Kurs nicht gehindert haben, hat ihn zu einer solch eitlen Masslosigkeit gebracht. Damit also auch er sich bessert, muss vielleicht etwas von unserer Seite unternommen werden, damit er lernt, dass er ein Mensch ist und keine Berechtigung zu Hochmut und Missachtung gegenüber Gleichgesinnten und Gleichrangigen hat.» (Übers. Teske 1997). 257 Die Identifikation ist nicht gesichert, wird aber von allen Editoren der Briefsammlung als plausible Möglichkeit in Betracht gezogen. Vgl. Maraval 1990, 82 f. Anm. 2; Teske 1997, 94 Anm. 2; Silvas 2007, 106 f.

3. Kommunikation unter Anwesenden

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Begrüssung Helladius hatte Gregor von Nyssa lange warten lassen, bevor er ihn empfing, und als er ihn endlich einliess, richtete er kein Wort der Begrüssung an ihn: ἐγὼ δὲ τούτοις ἐναποπαγεὶς τὴν διάνοιαν διὰ τὸ μηδὲ τῆς κοινῆς αὐτὸν θελῆσαι μεταδοῦναι φωνῆς διὰ τῶν κατημαξευμένων τούτων τὴν συντυχίαν ἀφοσιούμενον, οἷον τοῦ εὖ ἥκεις ἢ τοῦ πόθεν ἥκεις; ἢ ὑπὲρ τίνος; αὐτόματος, ἢ τίς ἡ τῆς παρουσίας σπουδή; τὴν ἡσυχίαν ἐκείνην τῆς ἐν ᾅδου διαγωγῆς ἐποιούμην εἰκόνα. «Ich aber erstarrte dadurch im Denken, dass er uns nicht einmal eine allgemein übliche Anrede zuteil werden liess und die Begegnung nicht wenigstens formal höflich gestaltete durch die üblichen Floskeln wie: ‹Bist du gut angekommen?› oder ‹Woher kommst Du?› oder ‹Weshalb?› ‹Kommst Du aus eigenem Antrieb oder welchen Grund für Deine Anwesenheit gibt es?› Ich hielt jene Stille für ein Abbild des Lebens im Hades.»258 Gregors Wortwahl impliziert, dass sich Helladius nicht einmal zu ein paar allgemeinen Begrüssungsformeln durchringen konnte, geschweige denn zu einem Empfang, wie er unter Klerikern üblich gewesen wäre. Es ist davon auszugehen, dass die Anrede unter Bischöfen auch die Ansprache des jeweils anderen mit dem Amtstitel beinhaltet hätte. Wurde diese Ehrerbietung verweigert, brachte man damit unweigerlich zum Ausdruck, dass man den rechtmässigen Anspruch des anderen auf den Bischofsstuhl in Frage stellte. Indem Helladius zudem auf die üblichen Höflichkeitsfloskeln verzichtete, zollte er Gregor und seinem Begleiter keinerlei Respekt und signalisierte mehr als deutlich, dass die Ankömmlinge unerwünscht waren. Allfällige Gesten, die Teil der Begrüssung waren, lassen sich leider nicht mehr vollständig rekonstruieren. Der Rangniedrigere hatte aber auch im klerikalen Bereich dem Ranghöheren aufzuwarten. Beim Eintreten eines Bischofs wurde von Klerikern erwartet, dass sie sich erhoben: Als Johannes Chrysostomus für kirchliche Angelegenheiten in die Diözese Asia reisen musste, überliess er seine Gemeinde in Konstantinopel der Obhut des Severian von Gabala. Mit dieser Besetzung war der Archidiakon Sarapion nicht glücklich, und er zeigte allen Anwesenden seine Verachtung für Severian, indem er sich absichtlich nicht erhob, als jener eintrat. Damit verweigerte er ihm die Ehre, die einem Bischof gebührte.259 Bei Begegnungen zwischen Klerikern zählte indes nicht nur der 258 259

Greg. Nyss. ep. 1.13 (Übers. Teske 1997). Socr. 6.11 (Version B) 14–15; Soz. 8.10.4. Die Provokation fruchtete offenbar: Severian

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III. Die Kappadokier und Johannes Chrysostomus

Rang innerhalb der christlichen Gemeinde, sondern auch die Stellung, welche sie vor ihrem Eintritt in den Dienst der Kirche innehatten. Die Vernachlässigung weltlicher Kriterien für einen standesgemässen Empfang war für Gregor von Nyssa deshalb ein zusätzlicher Anlass für seinen Ärger gegenüber Helladius. So schrieb er: (16)  ἀλλ’ ἐκεῖνο μάλιστά μου τῆς διανοίας καθήπτετο, ὅτι ὁ πάσης κτίσεως δεσπότης, ὁ μονογενὴς υἱὸς ὁ ὢν ἐν τοῖς κόλποις τοῦ πατρός, ὁ ἐν ἀρχῇ ὤν, ὁ ἐν μορφῇ θεοῦ ὑπάρχων, ὁ τὰ σύμπαντα φέρων τῷ ῥήματι τῆς δυνάμεως αὐτοῦ, οὐκ ἐν τούτῳ μόνον ἐταπείνωσεν ἑαυτόν, ἐν τῷ διὰ σαρκὸς ἐπιδημῆσαι τῇ ἀνθρωπίνῃ φύσει, ἀλλὰ καὶ τὸν προδότην ἑαυτοῦ Ἰούδαν τῷ ἰδίῳ στόματι διὰ φιλήματος προσεγγίζοντα δέχεται καὶ εἰσελθὼν εἰς τὴν οἰκίαν Σίμωνος τοῦ λεπροῦ τὸ μὴ φιληθῆναι παρ’ αὐτοῦ ὡς ἀφιλάνθρωπον ὀνειδίζει· ἐγὼ δὲ οὐδὲ ἀντὶ λεπροῦ ἐλογίσθην. (17) τῷ τίνι ὁ τίς; τὴν διαφορὰν εὑρεῖν οὐκ ἔχω· τῷ πόθεν καταβεβηκότι ὁ ποῦ κείμενος; εἴ γε τὰ τοῦ κόσμου βλέπει τις τούτου. εἰ μὲν γὰρ τὰ τῆς σαρκὸς ἐξετάζοι τις, τοσοῦτον ἴσως ἀνεπαχθές ἐστι λέγειν, ὅτι ὁμότιμον ἐπ’ ἀμφοτέρων τὸ εὐγενὲς καὶ ἐλεύθερον· […]. «16.  Jenes aber beschäftigte am meisten meinen Sinn, dass der Herr aller Schöpfung [vgl. 3 Makk 2,2 (LXX)], der eingeborene Sohn, der im Schosse des Vaters lebt [vgl. Joh 1,18], der am Anfang ist [vgl. Joh 1,1.2], der in der Gestalt Gottes existiert [Phil 2,6], der alles mit dem Wort seiner Kraft trägt [Hebr 1,3], nicht nur darin sich erniedrigte [Phil 2,8], dass er im Fleische in der menschlichen Natur gewohnt hat, sondern auch seinen Verräter Judas, der sich seinem Mund mit einem Kuss nähert [vgl. Lk 22,47–48], empfängt und beim Betreten des Hauses des aussätzigen Simon [vgl. Mt 26,6; Mk 14,3] es als unfreundlich tadelt, von ihm nicht mit einem Kuss [vgl. Lk 7,45] begrüsst zu werden. Ich aber werde nicht einmal wie ein Leprakranker eingeschätzt. 17. Wer ist er denn und wer bin ich? Ich kann keinen Unterschied finden. Von woher ist er herabgestiegen und wo liege ich, wenn man es nach dem Massstab dieser Welt betrachtet? Denn wenn jemand die fleischlichen Bedingungen untersuchen würde, kann man vielleicht ohne jemanden zu beleidigen so viel sagen, dass bei beiden die edle und freie Abkunft gleichwertig ist. […]»260 Er tadelte seinen Bischofskollegen in zweierlei Hinsicht: Nicht nur erinnerte er daran, dass Jesus selbst Verräter und Aussätzige empfangen hatte. Er wies auch von Gabala hatte sich nach Aussage der Kirchenhistoriker zur blasphemischen Aussage hinreissen lassen, dass, falls Sarapion als Kleriker sterben solle, Christ nicht Mensch geworden sei. Daraufhin wurde er von Johannes Chrysostomus aus Konstantinopel verwiesen. 260 Greg. Nyss. ep. 1.16–17 (Übers. Teske 1997).

3. Kommunikation unter Anwesenden

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darauf hin, dass selbst wenn sich Helladius nicht an das christliche Vorbild halte, er auch nach weltlichen Normen verpflichtet gewesen wäre, ihn als Standesgenossen zu empfangen.261 Auffallend ist, dass Gregor zur Illustration seiner schlechten Behandlung gleich zwei biblische Referenzstellen ausgesucht hatte, in denen vom Kuss die Rede ist. Dies lässt die Vermutung zu, dass er erwartet hatte, mit einem Kuss begrüsst zu werden. Wie im zweiten Teil dieser Arbeit ausgeführt wurde, war der Kuss auf den Mund oder die Wange im weltlichen Kontext eine übliche Begrüssung unter Gleichrangigen sowie unter Familienangehörigen.262 Im christlichen Kontext wurden jedoch die Grenzen derer, die für küssbar befunden wurden, verschoben.

Der Kuss Der Kuss auf den Mund war unter frühen Christen nicht auf gleichrangige Freunde desselben Geschlechts beschränkt, sondern umfasste alle, die zur Gemeinde gehörten – ungeachtet ihres sozialen Status und ihres Geschlechtes.263 Damit wurde der Kuss als Instrument der Gruppenbildung eingesetzt: Die christliche Gemeinde verstand sich nicht nur begrifflich als familia Christiana, sondern das Zusammengehörigkeitsgefühl wurde durch den Kuss, welcher der familiären Sphäre (ius osculi) entlehnt war, zusätzlich erfahrbar gemacht.264 Es versteht sich von selbst, dass dieses revolutionäre Verhalten, welches den überkommenen Normen zuwiderlief, Aufsehen erregte und auf Unverständnis stiess. Den Kontrast zu klassisch-paganen Kusssitten verdeutlicht exemplarisch Tertullian, der sich schon im dritten Jahrhundert vorstellte, wie wenig Verständnis ein heidnischer Ehemann für seine küssende christliche Frau haben würde: Unter anderem verstünde er nicht, dass sie in einen Kerker schleiche, nur um die Ketten der Märtyrer zu küssen. Anstoss würde sie bei ihrem Mann erst recht erregen, wenn sie mit einem Mitbruder einen Kuss austauschte.265 Tertullian nennt hier gleich zwei Kontexte, in welchen sich die christlichen Kusssitten von 261

Die Ausführungen deuten darauf hin, dass Gregor sich in Bezug auf die weltliche Stellung dem Helladius überlegen fühlte. Zur Bedeutung des sozialen Status bei Bischöfen vgl. auch Rapp 2000 und Maxwell 2011. 262 Vgl. II.3., bes. S. 119 und 137–139. 263 Zum Kuss und dessen Mehrdeutigkeit im Christentum vgl. v. a. Thraede 2008 sowie Klassen 1992; Klassen 1993; Philips 1996; Penn 2002; Penn 2003; Penn 2005. Die folgenden Ausführungen werden sich auf die Bedeutung des Kusses als Medium der In- und Exklusion beschränken. 264 Vgl. hierzu besonders Penn 2002 und Penn 2005, 30–37. Kritisch gegenüber einer solchen Deutung äussert sich Thraede 2008, 559. 265 Tert. uxor. 2.4 (CCL 1:389): Quis in carcerem ad osculanda vincula martyris reptare patietur? Iam vero alicui fratrum ad osculum convenire […]?

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III. Die Kappadokier und Johannes Chrysostomus

denen der nicht-christlichen Mitbürger unterschieden. Im ersten Fall küsste die Christin die Märtyrer als Zeichen der Verehrung. Solche Küsse waren auch im paganen Bereich üblich, sie waren jedoch Götterstatuen oder mächtigen Patronen vorbehalten. Einer Person im Kerker, die möglicherweise niedriger Herkunft war, die Ehrerbietung durch Küsse zu erweisen, war dagegen undenkbar. Der zweite von Tertullian angeführte Fall belegt, dass die Christen den Kuss nicht nur über Standes-, sondern auch über die Geschlechtergrenzen hinweg austauschten. Dieser Kuss, oft als Friedenskuss (osculum pacis) oder Heiliger Kuss (ἅγιον φίλημα) bezeichnet, wurde ab einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt in den Gottesdienst integriert. Er galt als Zeichen der Liebe (pietatis et caritatis signum / σύμβολον ἀγάπης).266 Geradezu institutionalisiert ist der Kuss bei Clemens von Alexandria: Der Lärm der Küsse halle durch die Kirchen, allerdings ohne dass diese noch Ausdruck der Gesinnung der Gläubigen seien. Die agape, erinnert Clemens, werde nicht nach einem Kuss, sondern nach der liebevollen Gesinnung beurteilt.267 Diese sollte idealerweise im Kuss zum Ausdruck kommen. Allerdings hatte der Austausch von Küssen unter den Christen, glaubt man Clemens, ein solches Ausmass erreicht, das dem «Heiligen Kuss» nicht mehr würdig war: Καὶ γὰρ δὴ καὶ τοῦτο ἐκπέπληκεν ὑπονοίας αἰσχρᾶς καὶ βλασφημίας τὸ ἀνέδην χρῆσθαι τῷ φιλήματι, ὅπερ ἐχρῆν εἶναι μυστικόν – «ἅγιον» αὐτὸ κέκληκεν ὁ ἀπόστολος –, † ἀποφαινομένης (ἀξίως τῆς βασιλείας πολιτευώμεθα) τῆς ψυχῆς τὴν εὔνοιαν διὰ στόματος σώφρονος καὶ μεμυκότος, δι’ οὗ μάλιστα δείκνυται τρόπος ἥμερος. «Denn in der Tat hat auch dies, nämlich die Sitte, den Kuss ohne Hemmung und Mass zu verwenden, überall schimpflichen Verdacht und üble Nachrede hervorgerufen, da ja der Kuss etwas Geweihtes sein sollte (‹heilig› hat ihn der Apostel genannt), indem die Seele die liebevolle Gesinnung durch den keuschen und geschlossenen Mund kundgibt, der das beste Kennzeichen eines sanften Wesens ist.»268 Wenn Clemens hier von übler Nachrede spricht, so denkt er offensichtlich an pagane Betrachter, denen die christliche Kusspraxis seltsam erscheinen musste,

266 Vgl. Penn 2005, 38–49; Thraede 2008, 557–569, bes. 568. S. auch Klassen 1992; Klassen 1993. 267 Clem. Alex. Paed. III 11.81.2: Ἀγάπη δὲ οὐκ ἐν φιλήματι, ἀλλ’ ἐν εὐνοίᾳ κρίνεται. Οἳ δὲ οὐδὲν ἀλλ’ ἢ φιλήματι καταψοφοῦσι τὰς ἐκκλησίας, τὸ φιλοῦν ἔνδον οὐκ ἔχοντες αὐτό. 268 Clem. Alex. Paed. III 11.81.3 (Übers. Stählin 1934). Zum heiligen Kuss vgl. Röm 16,16; 1 Kor 16,20; 2 Kor 13,12; 1 Thess 5,26.

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gerade die Küsse zwischen den Geschlechtern, wie bereits Tertullian betont hat. Die Abgrenzung vom erotischen Kuss ist Clemens deshalb besonders wichtig; deshalb fordert er dazu auf, den Kuss mit geschlossenem Mund durchzuführen. Da Clemens hier auf ein nicht-christliches Publikum Bezug nimmt, ist davon auszugehen, dass die Christen sich nicht nur in der Kirche küssten, sondern auch an Orten, wo sie von ihren nicht-christlichen Mitbürgern gesehen werden konnten. Anlass des Kusses wird, wie auch unter Nicht-Christen, vor allem die Begrüssung und Verabschiedung gewesen sein. Die Einheit einer familia Christiana wurde dadurch auch gegenüber einem nicht-christlichen Umfeld demonstriert. Dass der Kuss zwischen Christen geschwisterlicher Natur sei, hält auch Johannes Chrysostomus in seiner Auslegung des zweiten Korintherbriefes fest: Der Kuss solle dazu beitragen, dass sich Christen lieben wie Brüder ihre Brüder lieben, wie Kinder ihre Eltern und wie Eltern ihre Kinder.269 Wenn die Mutter Gregors von Nazianz sich weigerte, ihre leiblichen, nicht-christlichen Verwandten zu küssen und dafür ihre christlichen Glaubensgenossen mit einem Kuss begrüsste, wird offenkundig, wie durch den Kuss oder dessen Verweigerung Nähe und Distanz ausgedrückt werden konnten, die sich jetzt folglich nicht mehr an weltlichen, sondern an genuin christlichen Kriterien orientierten.270 Es ist vielleicht nicht erstaunlich, dass der Bericht über die komplette Verweigerung des Kusses all denjenigen gegenüber, die den christlichen Glauben nicht teilten, eine Frau betrifft. Ein Mann war, wenn er nicht ein asketisch-eremitisches Leben führte, auch in weltliche Netzwerke eingebunden und musste es sich gut überlegen, ob er seine nicht-christlichen Freunde durch eine Verweigerung des Begrüssungskusses vor den Kopf stossen wollte. Zudem war der Kuss, wie die Ausführungen im zweiten Teil dieser Arbeit gezeigt haben, immer auch ein Zeichen der Standeszugehörigkeit.271 Die Bedeutung des Kusses wurde dadurch vermehrt vom Kontext abhängig. Johannes Chrysostomus spricht dem Kuss eine egalisierende Funktion zu: Er befriedige und nivelliere alles, Verachtung und Neid würden vertrieben.272 Einen solchen Zweck erfüllte am ehesten der Kuss, der im Rahmen der Eucharistie-Feier ausgetauscht wurde. Es ist davon auszugehen, dass hier jeder Gottesdienstteilnehmer seinen unmittelbaren Nachbarn küsste.273 Theoretisch zumindest wurde dieser ritualisierte Kuss noch immer über Standesgrenzen hinweg vollzogen, wobei allerdings einschränkend zu bemerken ist, dass diese

269 270 271 272 273

Joh. Chrys. In epistulam II ad Corinthios 30.2 (PG 61.607). Greg. Naz. or. 18.10. Vgl. II.3.1. Joh. Chrys. In epistulam ad Romanos 21.4 (PG 60.671). Vgl. auch Penn 2005, 45 f. Vgl. Penn 2005, 46.

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III. Die Kappadokier und Johannes Chrysostomus

Annahme eine gemischte Sitzordnung voraussetzt. Wahrscheinlicher jedoch ist, dass die Gottesdienstbesucher in Gruppen kamen und neben ihresgleichen sassen. Im dritten Jahrhundert wurde der Austausch des Kusses zunehmend auf dasselbe Geschlecht beschränkt.274 Kirchenordnungen des vierten Jahrhunderts legten überdies fest, dass nicht mehr jeder jeden küssen sollte, sondern dass Kleriker nur andere Kleriker und Laien nur Laien küssen sollten. Damit wurde die kirchliche Hierarchie über den Kuss performativ inszeniert.275 Der Kuss wurde folglich auch innerhalb der christlichen Gemeinde genutzt, um Grenzen zu ziehen.276 Diese Beobachtung trifft in noch stärkerem Grad auf Küsse zu, die ausserhalb des Gottesdienstes ausgetauscht wurden.277 Während davon auszugehen ist, dass sich christliche Laien in Bezug auf ihre Kusssitten nicht von ihren nichtchristlichen Mitbürgern unterschieden, kam dem Kuss zwischen Klerikern eine ungleich höhere Symbolik zu. Deutlich wird dies in einer Auseinandersetzung im Kontext des origenistischen Streites zwischen Rufinus und Epiphanius von Salamis. Rufinus war empört, dass Epiphanius von Salamis ihn bei einem Treffen geküsst hatte und nur wenig später eine Streitschrift gegen ihn publizierte.278 Offenbar standen sich der Kuss als Symbol und die Anklage der Häresie diametral gegenüber. Rufinus’ eigene Ausführungen zum Thema sind nicht mehr erhalten, ebenso wenig eine allfällige Stellungnahme des Epiphanius. Allerdings übernahm Hieronymus die Verteidigung des anti-origenistischen Bischofs von Salamis in einer gegen Rufinus gerichteten Schrift. Daraus wird auch ersichtlich, dass Rufinus dem Epiphanius offenbar vorgeworfen hatte, ihn mit unaufrichtigem Herzen geküsst zu haben, wobei er ihn implizit oder explizit mit Judas in Verbindung brachte.279

274

Vgl. Penn 2003. Penn 2005, 23 f. 276 Penn 2005; Thraede 2008. 277 Penn 2005, passim unterscheidet zu wenig zwischen Küssen im Rahmen der Eucharistie-Feier und Küssen, die zur Begrüssung ausgetauscht wurden. Zur Eucharistie waren nur getaufte Gemeindemitglieder und externe Kleriker zugelassen, deren Rechtgläubigkeit bekannt war. Insofern stellte die Eucharistie-Feier als Ganzes bereits eine exklusive Veranstaltung dar. Dem Kuss kam sicherlich ein gruppenbildendes Element zu, indem sich die Gläubigen als Familie auffassten und – zumindest theoretisch – über die Standesgrenzen hinweg verbrüdern konnten. Bedeutender scheint mir hier aber die erwähnte Differenzierung zwischen Klerikern und Laien zu sein, welche interne Grenzen aufzeigte. Demgegenüber kam dem Kuss zwischen Klerikern, der ausserhalb des Gottesdienstes ausgetauscht wurde, eine ungleich höhere Symbolik und Sichtbarkeit zu, wie im Folgenden ausgeführt werden soll. 278 Vgl. hierzu auch Penn 2005, 63–67. Zum origenistischen Streit allgemein vgl. v. a. Clark 1991; Clark 1992. 279 Hier. adv. Ruf. 3.23; 3.33. 275

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Hieronymus griff die Frage der Beurteilung dieses Kusses dreimal auf, wobei er jedes Mal eine leicht divergierende Interpretation vorbrachte. Allein aus dieser umfassenden Verteidigung kann geschlossen werden, dass Rufinus einen gewichtigen Vorwurf gegen Epiphanius geäussert hatte. Zunächst wies Hieronymus darauf hin, dass sich Umstände änderten und somit auch Einschätzungen von Menschen. Dass Epiphanius den Rufinus geküsst hatte, heisse nicht, dass seine Haltung ihm gegenüber unverändert bleiben müsse und es deshalb unmöglich sei, eine Streitschrift zu publizieren. Hieronymus betonte damit die Momenthaftigkeit und den ephemeren Charakter des Symbols. Wenig später verteidigte er Epiphanius auch gegen den Vorwurf des Judas-Kusses und drehte den Spiess um: Epiphanius habe Rufinus auf den rechten Weg zurückbringen wollen und ihn deswegen geküsst. In dieser Darstellung wird Rufinus zum Judas, dem der Kuss nicht verweigert wurde.280 Schliesslich griff Hieronymus nochmals das erste Argument auf und führte es weiter aus: Epiphanius habe erst nach dem Zusammentreffen über einen gewissen Atarbius von der origenistischen Einstellung des Rufinus erfahren. Epiphanius habe also erst nachträglich «jenen, dessen Orthodoxie er durch den Kuss bestätigt habe», als Häretiker verurteilt.281 Hiermit wird deutlich, dass der Kuss eigentlich nur zwischen Christen ausgetauscht werden konnte, die im Glauben übereinstimmten. Der Kuss wurde damit auch unter Klerikern zu einem Instrument der Performanz von Nähe und Distanz, wobei es in diesem Kontext primär um eine theologische Nähe ging. Wer des Begrüssungskusses nicht für würdig erachtet wurde, gehörte nicht zum Kreis der Rechtgläubigen. Damit wurde der Kuss auch zum Symbol der In- und Exklusion.282 Vor diesem Hintergrund erscheint Gregor von Nyssas Ärger über die ausbleibende Begrüssung des Helladius und den fehlenden Kuss nochmals in anderem Licht. Nicht nur liess Helladius es an Respekt mangeln, der Gregor von Nyssa aufgrund seiner kirchlichen Stellung wie auch seiner weltlichen Herkunft gebührt hätte. Im innerkirchlichen Kontext bedeutete die Distanz, die Helladius signalisierte, automatisch auch, dass er Gregor von Nyssa als nicht rechtgläubig betrachtete. Schon allein deswegen konnte Gregor die Behandlung, die ihm seiner Meinung nach zu Unrecht widerfahren war, auch nicht auf sich beruhen lassen, sondern musste sich dagegen zur Wehr setzen, indem er sich beim Bischof von Antiochia beschwerte und in seinem Brief das unchristliche Verhalten des Helladius von Caesarea anprangerte und verbreitete. 280

Hier. adv. Ruf. 3.23. Hier. adv. Ruf. 3.33. 282 Vgl. auch Ambr. ep. 30.3; 30.12, wo Ambrosius dem Kaiser Valentinian II. schildert, dass er dem Usurpator Maximus, der zudem ein Häretiker war, den Begrüssungskuss verweigert hatte. 281

260

III. Die Kappadokier und Johannes Chrysostomus

Die Episode macht jedoch auch deutlich, dass die Symbolik im innerchristlichen Kontext eigentlich keinen Spielraum für individuelle Distanz liess. Die Beziehung zwischen zwei Bischöfen hatte sich primär an ihren dogmatischen Positionen auszurichten. Die Verweigerung des Kusses wurde automatisch als Zeichen der theologischen Distanz gedeutet. Damit wird nochmals die Multivalenz des Kusses deutlich. Je nach sozialer Stellung, Amt und Kontext konnte ein Kuss zwischen zwei Personen unterschiedliche Bedeutung haben. In symmetrischen Beziehungen war er nötig, um sich gegenseitig der sozialen Stellung zu versichern, in asymmetrischen Beziehungen konnte er als Zeichen der Ehre oder individueller Nähe gedeutet werden.283 Im Bereich der Kirche wurde mit dem Kuss die Zugehörigkeit zur christlichen Gemeinschaft ausgedrückt und Kleriker wurden von Laien geschieden. Damit wurde der Kuss zu einem komplexen Symbol formalisierter und theologischer Nähe. Wie die Episode um Helladius und Gregor zeigt, handelten die kirchlichen Akteure oftmals nicht nur in einer Rolle, sondern begegneten sich sowohl als soziale Standesgenossen wie auch als christliche Bischöfe. Die Distanz zwischen Gregor von Nyssa und Helladius offenbarte sich jedoch nicht erst durch den verweigerten Kuss. Bereits der Umstand, dass Gregor vor den Augen der zahlreichen Besucher der Märtyrerfeierlichkeiten, darunter womöglich auch Bischöfe umliegender Orte, ungebührlich lange hatte warten müssen, machte einem breiten Kreis von Anwesenden deutlich, dass Gregor bei Helladius von Caesarea kein gern gesehener Gast war. Als Amtskollege hätte er einen raschen Empfang erwarten können, auch wenn er unangekündigt am Ort der Feierlichkeiten erschienen war. Wurde der Besuch eines auswärtigen Bischofs in der Stadt erwartet, war es ein Zeichen der Wertschätzung, wenn der lokale Episkopos den Ankömmling zusammen mit seinem Klerus bereits vor den Toren empfing und ihn in die Stadt und zur Kirche geleitete.284 So wartete Johannes Chrysostomus dem Epiphanius von Salamis mit seinem gesamten Klerus auf, als er in Konstantinopel eintraf.285 Epiphanius lehnte den Empfang und die ebenfalls angebotene Gastfreundschaft jedoch ab. Als wenig später Theophilus von Alexandria, der Verbündete des Epiphanius, in Konstantinopel eintraf, erschien niemand aus dem Klerus mehr zum Empfang, da – wie die Kirchenhistoriker herausstellen – allen bekannt war, dass

283

Vgl. hierzu die Ausführungen in II.3.1. zur osculatio im Rahmen der salutatio. Dieser adventus war dem Empfang weltlicher Würdenträger nachempfunden. Dufraigne 1994 hat zahlreiche Beispiele zusammengetragen und ausgewertet. 285 Soz. 8.14.6–7. 284

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Theophilus dem Chrysostomus feindlich gesinnt war.286 Ein Empfang vor den Toren der Stadt bedeutete eine Ehre für den Gast und signalisierte die Nähe zwischen den Beteiligten. Entsprechend kam nur derjenige in den Genuss eines solchen Begrüssungskomitees, der als Freund betrachtet wurde. Als Johannes Chrysostomus auf seinem Weg ins Exil nach Caesarea kam, begrüsste ihn zwar der gesamte dortige Klerus, nicht jedoch der Bischof selbst. Pharetrius von Caesarea hatte zuvor noch angekündigt, dass er Johannes Chrysostomus mit offenen Armen empfangen werde. Als es soweit war, liess er sich jedoch nicht blicken.287 Höchstwahrscheinlich schien es ihm zu riskant, sich als Freund des exilierten Bischofs zu positionieren. Auch die Gastfreundschaft gewährte er Johannes Chrysostomus nicht. Der Empfang und die Gastfreundschaft waren oftmals gekoppelte Interaktionselemente, indem der in der Stadt neu eingetroffene Bischof von seinem Amtskollegen in die Kirche und in die Bischofsresidenz geführt wurde, wo er üblicherweise auch sein Quartier beziehen konnte.

Gastfreundschaft Die Gastfreundschaft war eine zentrale christliche Tugend, die eng mit dem Gebot der Nächstenliebe verbunden war.288 Reisende und Bedürftige sollten ungeachtet ihres sozialen Status aufgenommen werden. Allerdings erstreckte sich die Nächstenliebe und die Gastfreundschaft nicht auf Häretiker. Deren Aufnahme sollte, wie auch Hieronymus festhält, vermieden werden.289 In den Städten kam dem Bischof eine wichtige Funktion in der Betreuung von Reisenden zu. Mit dem Bau von Herbergen, sogenannten Xenodochien, ist eine zunehmende Institutionalisierung der Gastfreundschaft zu beobachten. Eine besondere Symbolik kam jedoch nach wie vor der Aufnahme von Klerikern und Bischöfen anderer Gemeinden zu. So hatte sich der oben erwähnte Pharetrius geweigert, den exilierten Chrysostomus zu empfangen und bei sich aufzunehmen. Sehr wahrscheinlich befürchtete er Sanktionen aufgrund des Gesetzes, das die Kommunion mit Chrysostomus verbot. Er drohte seinerseits der Christin Seleucia, die Johannes Chrysostomus an seiner Statt in ihrem Landhaus untergebracht hatte, mit der Exkommunikation, so dass sich diese 286

Soz. 8.17.1. Allerdings waren gerade Getreideschiffe aus Alexandria in Konstantinopel vor Anker und deren Besatzungen empfingen den Bischof unter Akklamationen. Sehr wahrscheinlich fand dieser spontane Empfang direkt am Hafen statt. 287 Joh. Chrys. ep. 9.1.29–9.2.17 (Malingrey 1968). 288 Zur christlichen Gastfreundschaft vgl. u. a. Gorce 1925; Hiltbrunner/Gorce/Wehr 1972, 1103–1120; Hiltbrunner 2005; Mratschek 2019. 289 Hier. adv. Ruf. 3.17; ep. 130.14.

262

III. Die Kappadokier und Johannes Chrysostomus

veranlasst sah, einen Angriff der Isauren zu fingieren, um Chrysostomus möglichst rasch zur Weiterreise zu bewegen.290 Doch die gastfreundliche Aufnahme in der Bischofsresidenz war nicht gleichbedeutend mit der Glaubensgemeinschaft. So hatte Johannes Chrysostomus die sogenannten Langen Brüder aus Ägypten zwar beherbergt, nicht jedoch zur Eucharistie zugelassen.291 Vor diesem Schritt wollte er erst sicherstellen, dass sie von Theophilus von Alexandria nicht bereits exkommuniziert worden waren. Allerdings wurde Chrysostomus bereits die Aufnahme der Brüder zum Verhängnis, da er damit zu viel Nähe und Unterstützung für Personen signalisiert hatte, die von seinem Amtskollegen in Alexandria vertrieben worden waren. Zudem wurde Theophilus von Alexandria überbracht, dass er mit den Brüdern auch die Eucharistie gefeiert habe.292 Die Verdächtigungen des Epiphanius von Salamis beruhten ebenfalls auf dieser Nähe des Chrysostomus zu den origenistischen Mönchen Ägyptens. Die Kirchenhistoriker schildern nicht genau, wie Epiphanius auf den Empfang durch Johannes Chrysostomus und seinen Klerus reagiert hatte. Sie stellen jedoch seine ablehnende Haltung heraus sowie den Umstand, dass er einem Zusammentreffen mit Chrysostomus auswich und dessen Gastfreundschaft ausschlug: (6)  οὐκ εἰς μακρὰν δὲ πρῶτος Ἐπιφάνιος ἐκπλεύσας ἐκ Κύπρου κατῆρεν εἰς τὸ πρὸ τῆς Κωνσταντινουπόλεως καλούμενον Ἕβδομον. εὐξάμενος δὲ ἐν τῇ ἐνθάδε ἐκκλησίᾳ ἧκεν εἰς τὴν πόλιν. ὁ δὲ Ἰωάννης εἰσιόντα αὐτὸν τῇ ὑπαντήσει τοῦ παντὸς κλήρου (7) ἐτίμησεν. Ἐπιφάνιος δὲ δῆλος ἦν εἴξας ταῖς κατ’ αὐτοῦ διαβολαῖς· προτραπεὶς γὰρ ἐν οἰκήμασιν ἐκκλησιαστικοῖς καταμένειν οὐκ ἠνέσχετο. καὶ Ἰωάννῃ μὲν εἰς ταὐτὸν συνελθεῖν ἀπέφυγεν· ἰδίᾳ δὲ συγκαλῶν τοὺς ἐνδημοῦντας ἐν Κωνσταντινουπόλει ἐπισκόπους ἐπεδείκνυ τὰ ψηφισθέντα κατὰ τῶν Ὠριγένους λόγων, καί τινας ἐπιψηφίσασθαι ἔπεισεν· οἱ δὲ πλείους παρῃτήσαντο. […] (9)  ὁ δὲ Ἰωάννης δι’ αἰδοῦς εἶχεν ἔτι τὸν ἐπιφάνιον καὶ παρεκάλει αὐτὸν ἐκκλησιάζειν καὶ σύνοικον ἔχειν. ὁ δὲ οὔτε συνοικεῖν οὔτε συνεύχεσθαι αὐτῷ ἀντεδήλου, εἰ μὴ καταψηφίσηται τῶν Ὠριγένους λόγων καὶ Διόσκορον καὶ τοὺς σὺν αὐτῷ ἐξελάσῃ. «6. Nach kurzer Zeit fuhr Epiphanius als erster von Zypern ab und landete am sogenannten Hebdomon vor Konstantinopel. Nach einem Gebet in der dortigen Kirche begab er sich in die Hauptstadt. Johannes ehrte seinen Einzug, indem er ihn mit dem ganzen Klerus begrüsste. 7. Epiphanius aber war offenbar den über Johannes verbreiteten Verleumdungen erlegen, denn die Einladung, in kirchli290 291 292

Joh. Chrys. ep. 9.2.62–9.3.28 (Malingrey 1968). Socr. 6.9.9–11; Soz. 8.1.13–14. Socr. 6.9.11.

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chen Gebäuden zu wohnen, lehnte er ab. Auch vermied er eine Begegnung mit Johannes. Aus eigenem Antrieb rief er die in Konstantinopel weilenden Bischöfe zusammen und zeigte ihnen die Beschlüsse gegen die Bücher des Origenes. Einige brachte er dazu, zuzustimmen, die Mehrzahl lehnte das ab. […] 9. Johannes aber wahrte noch seinen Respekt vor Epiphanius und bat ihn, Gottesdienst zu halten und Gast in seinem Hause zu sein. Dieser aber liess ihn wissen, er werde weder bei ihm wohnen noch mit ihm beten, wenn er nicht die Bücher des Origenes verurteile und Dioscorus und seine Gefährten vertreibe.»293 Epiphanius verdächtigte Johannes Chrysostomus der Häresie und wollte deshalb nicht mit ihm zusammen gesehen werden, solange jener nicht die Lehren des Origenes und dessen Anhänger verdammte. Er zeigte seine Distanz zu Chrysostomus für alle sichtbar, indem er sein Haus und seine Kirche mied. Hohe Signalwirkung hatte es auch, dass Theophilus von Alexandria nach seiner Ankunft in Konstantinopel an der Kirche vorbei und in ein kaiserliches Gebäude ging, in welchem für ihn ein Zimmer vorbereitet war.294 Der fehlende Empfang durch Chrysostomus kommunizierte die bestehende Feindschaft zwischen den beiden Bischöfen. Indem er sein Quartier in einem kaiserlichen Gebäude bezog, wurde darüber hinaus seine Nähe zum Kaiser deutlich. Nähe und Distanz waren im städtischen Raum auch räumlich inszenierbar. Die Aufnahme im eigenen Haus signalisierte Nähe. Doch auch diese Nähe war graduell abstufbar. Als der Bischof Acacius von Beroea in Konstantinopel eintraf, logierte er als Gast bei Johannes Chrysostomus. Die Zimmerzuteilung sorgte allerdings für Unmut: Da das beste Zimmer bereits von einem Priester besetzt war, musste Acacius mit einem etwas weniger vornehmen Gemach Vorlieb nehmen. Dies habe den Bischof von Beroea so sehr empört, dass er sich den Gegnern des Chrysostomus angeschlossen haben soll.295 Er hatte sich offensichtlich zurückgesetzt gefühlt. Da Acacius selbst ein äusserst asketisches Leben führte, ging es ihm dabei nicht um allfälligen Luxus in der Ausstattung.296 Vielmehr war es die Symbolik, die ihn kränkte: Nicht nur war das beste Zimmer einem Mann vorbehalten worden, der in der kirchlichen Hierarchie unter ihm stand. Er empfand offenbar, dass seine Beziehung zu Chrysostomus nicht genügend wertgeschätzt wurde. Wie Claudia Tiersch herausgestellt hat, war Acacius ein Verbündeter von Chrysostomus’ früherem Bischof, Flavianus von Antiochia,

293 294 295 296

Soz. 8.14.6–7; 8.14.9 (Übers. nach Hansen 2004). Socr. 6.15.11–12; Soz. 8.17.2. Ps-Mart. 45; Pall. Dial. 6.9–14. Zu Acacius’ asketischem Leben vgl. Soz. 7.28.1–3.

264

III. Die Kappadokier und Johannes Chrysostomus

und erwartete offenbar, dass solch alte Verbindungen gewürdigt wurden.297 Die Zuteilung eines schlechteren Zimmers interpretierte er als bewusstes Zeichen der persönlichen Demütigung und der Distanzierung. Die Verteilung der Räume war eine vorzügliche Möglichkeit zur graduellen Abstufung von Nähe und Distanz. Aufschlussreich ist in diesem Kontext auch eine Information über die Organisation des Hauses von Paulinus von Nola. Paulinus hiess jeden, der ihn aufsuchte, willkommen und übte sich so in christlicher Nächstenliebe. Seine senatorischen Freunde, die ihn besuchten, nächtigten allerdings nicht zusammen mit den anderen Gästen im Erdgeschoss seines Hauses, sondern in speziellen Räumlichkeiten im ersten Stock.298 Der Raum oder der Bereich des Hauses, der dem Gast zugewiesen wurde, spiegelte folglich den jeweiligen sozialen Status und die jeweilige individuelle Nähe. Die bei Paulinus von Nola sichtbare Trennung zwischen einem weitgehend öffentlichen Untergeschoss und einem für spezielle Gäste reservierten Obergeschoss passt gut zu den Ergebnissen im zweiten Teil dieser Arbeit: Auch bei Libanius wurde bei Besuchen eine Abstufung der Nähe sichtbar, je nachdem, ob man als Gast im Erdoder Obergeschoss empfangen wurde.299 Diese Differenzierung ist auch für den klerikalen Bereich zu postulieren. Allerdings sind für Besuche bei Klerikern allgemein die Hinweise nicht sehr zahlreich. Wir erfahren beispielsweise nur, dass Johannes Chrysostomus als exilierter Bischof viele Besucher empfing, weil er gegenüber Olympias die Befürchtung geäussert hatte, die abweisende Haltung des Bischofs von Caesarea habe etwas mit seiner Beliebtheit zu tun: Nicht nur versicherten ihm die Kleriker ihre Unterstützung, es suchten ihn auch die wichtigsten Männer der Stadt und zahlreiche Beamte auf. Die ganze Bevölkerung sei bei ihm erschienen.300 Bischöfe hielten darüber hinaus auch salutationes ab und agierten überdies als Schiedsrichter in Streitigkeiten.301 Da der Bischof explizit auch die Ansprechperson der einfachen Leute sein musste, ist davon auszugehen, dass die Aufwartungen bei ihm – im Gegensatz zur salutatio beim Statthalter – nicht hierarchisch organisiert waren. Dies würde auch erklären, dass der junge Augustinus nicht zu Ambrosius gelangen konnte aufgrund des grossen Andranges. Lapidar bemerkte er: non vacat Ambrosio, Ambrosius hat keine Zeit.302

297

Tiersch 2002, 165 f. Vgl. Mratschek 2002, 551 f. mit Verweis auf Paul. Nol. ep. 29.13; carm. 21.392–394. 299 Vgl. hierzu II.3.2., S. 127 f. 300 Joh. Chrys. ep. 9.3.53–60 (Malingrey 1968). 301 Zur episcopalis audientia vgl. Selb 1967; Herrmann 1980, 207–231; Cimma 1989; Lamoreaux 1995; Rapp 2005, 242–252. 302 Aug. Conf. 6.11.18. Vgl. auch Conf. 6.3.3 ebenfalls zu Ambrosius: non enim quaerere ab 298

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Schliesslich beinhaltete die Gastfreundschaft immer auch die Verköstigung der Gäste. Ein weiterer Kritikpunkt Gregors von Nyssa war deshalb auch, dass ihn Helladius nicht an seine Tafel eingeladen hatte. Aus dem eingangs zitierten Brief wird jedoch zugleich deutlich, dass Gregor nicht nur erwartet hätte, das Mahl gemeinsam mit Helladius einzunehmen, sondern dass er auch ins Bad eingeladen würde. Um den Affront der ausbleibenden Einladung zu betonen, wies er explizit darauf hin, dass die Bäder bereits hergerichtet gewesen wären.303

Baden Auch Johannes Chrysostomus wurde auf der Eichensynode dafür angeklagt, dass er das Bad nur für sich habe heizen und niemand anders darin habe baden lassen.304 Die Anklage lässt offen, ob hierbei eher sein verschwenderisches Verhalten angeprangert wurde, da er das Bad für sich allein heizte und niemand anders davon profitieren liess, oder ob hier, wie bei den Mahlzeiten, wiederum der Aspekt der Isolation im Vordergrund stand. Deutlich wird auf jeden Fall, dass die Residenz des Bischofs von Konstantinopel über ein eigenes Bad verfügte, und dass es durchaus üblich war, dass der Bischof nicht allein badete, sondern das Bad zusammen mit seinem Klerus einnahm. Ob Gregor von Nyssa erwartet hatte, in das private Bad des Helladius eingeladen zu werden, oder ob er mit ihm zusammen ein öffentliches Bad, das für den Bischof hergerichtet worden war, aufsuchen wollte, wird aus dem Brief nicht klar. Wir können noch nicht einmal mit Sicherheit sagen, ob Helladius am Ort des Treffens überhaupt über ein eigenes Bad verfügte. Auffällig ist es jedoch, dass Gregor von Nyssa diesen Punkt in seinem Schreiben herausstellte. Wollte er nur möglichst plastisch darlegen, dass Helladius die Pflichten christlicher Gastfreundschaft auch in dieser Hinsicht verletzt hatte? Oder war das gemeinsame Baden ein weiteres Symbol der Nähe? Wieso suchten er und seine Begleitung nicht ein anderes Bad in dem Ort auf, um sich zu erfrischen und von den Strapazen der Reise zu erholen? Dass Gregor von Nyssa das Bad erwähnte, deutet darauf hin, dass er dem gemeinsamen Baden eine symbolische Bedeutung zuwies. Es stellt sich die Frage, ob diese Bedeutung im christlichen Kontext über den Ausdruck individueller Nähe, wie sie auch im nicht-christlichen Bereich belegt ist, hinausging.305 Leider ist die eo poteram quod volebam, sicut volebam, secludentibus me ab eius aure atque ore catervis negotiosorum hominum, quorum infirmitatibus serviebat. 303 Greg. Nyss. ep. 1.24. 304 Phot. Bibl. 59. Vgl. Zellinger 1928, 17 f. 305 Zum Baden vgl. auch II.3.2. und Ruprecht 2020. Ein immer noch nützlicher Quellenüberblick findet sich in Zellinger 1928. Eine prägnante Zusammenfassung des Forschungsstandes zur christlichen Einstellung zum Baden bieten Bady/Foschia 2014.

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III. Die Kappadokier und Johannes Chrysostomus

Quellenlage hierzu dürftig: Es gibt lediglich eine Stelle, in welcher das gemeinsame Bad auch als Ausdruck einer religiösen Nähe erscheint und die Vermeidung entsprechend als Inszenierung der Distanz dargestellt wird. Theodoret schildert in seiner Kirchengeschichte eine Anekdote über die Gemeinde von Samosata. Unter der Herrschaft des Valens war der nizänische Bischof der Stadt, Eusebius, vertrieben worden. Stattdessen wurde Eunomius eingesetzt, der ein homöisches Bekenntnis vertrat. Wie Theodoret betont, war die nizänische Gemeinde jedoch stark genug, um diesen Bischof nicht zu akzeptieren.306 Ein Erlebnis im Bad soll dazu geführt haben, dass Eunomius freiwillig wieder von Samosata wegzog: Als er eines Tages ins Bad ging und die Bediensteten die Türen schlossen, um zu verhindern, dass andere eintraten, wurde Eunomius gewahr, dass sich die Menge vor der Türe aufhielt. Er liess die Türen deshalb wieder öffnen und forderte die Leute auf, mit ihm zu baden. Diese aber blieben am Beckenrand stehen, ohne ein Wort zu sagen. Eunomius hielt ihr Verhalten für ein Zeichen des Respekts. Die Bewohner von Samosata dagegen hätten befürchtet, so Theodoret, dass das Wasser durch den häretischen Bischof kontaminiert worden sei. Sie liessen sich deshalb neues Wasser ins Bad ein, als der Bischof das Gebäude verlassen hatte. Als Eunomius den Grund ihrer Zurückhaltung erfuhr, habe er die Stadt verlassen, weil er es für sinnlos gehalten habe, in einem Umfeld zu bleiben, das ihm gegenüber so feindlich eingestellt war.307 Theodoret präzisiert nicht, in welchem Bad sich das Ganze ereignet haben soll. Es ist jedoch davon auszugehen, dass es sich hier um ein öffentliches Bad handelte, vor dem sich die Bevölkerung versammelte. Eunomius scheint ein öffentliches Bad aufgesucht zu haben, das üblicherweise verschlossen wurde, solange der Bischof sich darin befand. Sein Angebot, das Bad auch für die Bevölkerung zu öffnen, während er selbst badete, war somit ein Zeichen seiner Volksnähe. Allerdings lehnten die Samosater dieses Angebot ab. Interessant ist nun, dass diese Ablehnung offenbar verschieden interpretiert werden konnte. Der Bischof sah darin ein Zeichen des Respekts: Die hierarchische Distanz, so dachte er, war zu

306

Thdt. hist. eccl. 4.15.1. Vgl. jedoch Bas. ep. 219 zu Verwerfungen innerhalb des Klerus in Samosata. 307 Thdt. hist. eccl. 4.15.2–3: ἐπειδὴ γὰρ λούσασθαι βουληθέντος οἱ οἰκέται τοῦ βαλανείου τὰς θύρας ἔκλεισαν τοὺς εἰσελθεῖν βουλομένους κωλύοντες, πλῆθος πρὸ τῶν θυρῶν θεασάμενος ἀναπετάσαι ταύτας ἐκέλευσε, καὶ ἀδεῶς τοῦ λουτροῦ τοὺς πάντας κοινωνῆσαι προσέταξε. ταὐτὸ δὲ τοῦτο καὶ ἔνδον ἐν τοῖς θόλοις πεποίηκε. λουομένῳ γὰρ αὐτῷ παρεστηκότας ἰδών, συμμετασχεῖν τῶν θερμῶν ὑδάτων ἐκέλευσεν· οἱ δὲ σιγῶντες εἱστήκεισαν. ὁ δὲ τιμὴν τὴν στάσιν ὑπολαβών, θᾶττον ἀναβὰς ἐξελήλυθεν. οἱ δὲ τοῦ τῆς αἱρέσεως ἄγους καὶ τὸ ὕδωρ μετεσχηκέναι νομίσαντες, ἐκεῖνο μὲν τοῖς ὑπονόμοις παρέπεμψαν, ἕτερον δὲ αὐτοῖς κερασθῆναι προσέταξαν. τοῦτο μαθὼν ἐκεῖνος ᾤχετο τὴν πόλιν καταλιπών, πόλιν οἰκεῖν ἀπεχθανομένην καὶ κοινὴν δυσμένειαν ἔχουσαν ἀβέλτερον εἶναι νομίσας καὶ λίαν ἀνόητον.

3. Kommunikation unter Anwesenden

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gross, als dass die Bevölkerung sein Angebot annehmen konnte. Dies entspricht der Deutung des gemeinsamen Badens, wie wir sie auch bei Libanius angetroffen haben. In hierarchischen Beziehungen signalisierte das gemeinsame Baden einen gewissen Grad von Nähe. Offenbar wurde dort, wo kein eigenes Bad für eine Person wie den Bischof vorhanden war, das Bad vorübergehend für andere Besucher gesperrt. Die nizänische Bevölkerung von Samosata lehnte das gemeinsame Bad mit ihrem homöischen Bischof ab, da sie nicht mit einem Häretiker baden wollte. Dies ist zumindest die Erklärung, welche Theodoret vorbringt. Dahinter steckte wohl auch die Idee, dass gemeinsames Baden eine besondere Nähe symbolisierte, die hier wiederum auch die theologische Nähe implizierte. Möglicherweise dachte Theodoret bei dieser Geschichte auch an eine ältere Anekdote, die über ein Zusammentreffen des Apostels Johannes mit dem Gnostiker Kerinth berichtet wird: Johannes habe das Bad aufgesucht. Als er erfuhr, dass auch Kerinth dort sei, habe er das Gebäude fluchtartig verlassen, da er nicht mit jenem unter demselben Dach sein wollte. Zudem habe er allen geraten, es ihm gleich zu tun. Da ein Feind der Wahrheit sich im Bad aufhalte, drohe das Gebäude einzustürzen.308 Die Vermeidung der räumlichen Nähe und damit zugleich einer symbolischen Nähe verbindet sich in diesen Anekdoten mit der Angst vor einer Verunreinigung durch eine als häretisch erachtete Lehre.309 Allerdings wurde das gemeinsame Baden als Symbol der Nähe ansonsten selten thematisiert. Viel eher beschäftigte zahlreiche Christen die Frage, ob sich das Baden überhaupt mit der christlichen Lehre verbinden lasse.310 Georg Schöllgen hat darauf hingewiesen, dass Irenäus im zweiten Jahrhundert die Anekdote von Johannes und Kerinth noch ohne weitere Erörterungen erzählen konnte. Eine Nacherzählung von Epiphanius aus dem vierten Jahrhundert betont dagegen, dass Johannes sich nur zum Bad begeben habe, weil der Heilige Geist ihm dies so aufgetragen habe.311 Während die frühen Christen das Bad also noch als selbstverständlich betrachteten, kamen später zunehmend Bedenken auf. Insbesondere das gemeinsame Baden von Männern und Frauen wurde kritisch betrachtet.312 Wie Guillaume Bady und Laurence Foschia herausgearbeitet haben, betraf die grundsätzliche Kritik am Baden nur ein asketisch-monastisches 308 Die Geschichte wird von Irenäus Adv. haer. 3.3.4 erzählt und von Eus. hist. eccl. 3.28.6 und 4.14.6 aufgegriffen. 309 Dass Wasser kontaminiert sein und Verunreinigungen übertragen kann, ist ein Gedanke, der sich auch in nicht-christlichen Quellen findet. Vgl. beispielsweise Pol. 30.29.2–5. 310 Zu christlichen Auseinandersetzungen mit traditionellen Badepraktiken vgl. u. a. Bady/ Foschia 2014; DeForest 2019; Leppin 2019, 321–323; Pujiula 2006, 211–230; Schöllgen 1995. 311 Schöllgen 1995, 192 mit Verweis auf Epiphan. pan. 2.30.23.1–5 (GCS 25, 365 f. Holl). 312 Vgl. Schöllgen 1995, passim.

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III. Die Kappadokier und Johannes Chrysostomus

Milieu, während die meisten Christen, wie auch Bischöfe, an der Badekultur festhielten.313 Dies bestätigt nicht zuletzt auch der eingangs zitierte Brief Gregors von Nyssa. Er bezeugt, dass es auch unter Bischöfen durchaus üblich war, Gäste ins Bad einzuladen.

Zusammenfassung Im christlichen wie im paganen Bereich wurden durch verschiedene Handlungen und Interaktionsformen Nähe und Distanz ausgedrückt. Während sich ein Grossteil der Christen derselben Kommunikationsformen bediente wie ihre nicht-christlichen Zeitgenossen und in zahlreiche interreligiöse Verbindungen integriert waren, stellte sich insbesondere für Kleriker die Frage, nach welchen Grundsätzen sie Beziehungen führen sollten. Sie standen in Bezug auf ihre Lebensweise unter besonderer Beobachtung und waren gleichzeitig darauf angewiesen, zahlreiche Kontakte mit weltlichen Beamten zu pflegen, um selbst als patronus für ihre Gemeindemitglieder erfolgreich auftreten zu können. Da im vierten Jahrhundert asketische Lebensformen auch für die Bischöfe zunehmend attraktiver wurden, sich aber gleichzeitig noch kein verbindlicher Habitus für das Gemeindeoberhaupt etabliert hatte, kam es zu Spannungen zwischen verschiedenen Erwartungen, die an die Bischöfe herangetragen wurden. Ein Leben nach asketischen Grundsätzen konnte ein wichtiger Aspekt der Selbstdarstellung sein, der innerhalb der Gemeinschaft autoritätsbildend wirkte. Andererseits war ein völliger Rückzug undenkbar, da die Einbindung in ein politisch wirksames Beziehungsnetz für die Stellung des Bischofs in seiner Stadt von zentraler Bedeutung war. Verschiedene Formen der Interaktion mit den sozialen Eliten mussten deshalb gepflegt werden. Dabei kam es zu schwierigen Situationen. Vor allem die Teilnahme an Gastmählern war mit einer asketischen Lebensweise nur schwer vereinbar. Jeder Bischof musste hier seinen eigenen Weg finden. Die meisten Bischöfe suchten nach einem Kompromiss zwischen beiden Welten, so dass einerseits ihre asketische Autorität nicht in Frage gestellt wurde, sie andererseits aber die Verbindungen zu politisch und sozial wichtigen Netzwerken aufrechterhalten konnten. Eine komplette Meidung jeglicher Bankette, wie sie Johannes Chrysostomus praktizierte, wurde nicht akzeptiert; sein Fall exemplifiziert vielmehr die Probleme, welche entstanden, wenn sich ein Bischof den tradierten Normen sozialer Interaktion verschloss und einer Reihe von wichtigen Akteuren seine Distanz signalisierte. 313 Bady/Foschia 2014. Schöllgen 1995, 189 hat für die vorkonstantinische Zeit zudem zu Recht festgehalten, dass Kritik am Baden gleichermassen von christlichen wie nicht-christlichen ‹Moralisten› stammte.

3. Kommunikation unter Anwesenden

269

Kleriker mussten jedoch nicht nur Kontakte zu Beamten und nicht-christlichen Mitbürgern pflegen, sondern selbstverständlich auch Beziehungen zu ihresgleichen. Der performativen Inszenierung der Gastfreundschaft gegenüber Klerikern anderer Städte kam dabei eine wichtige Funktion zu. Oftmals wurden Gäste vom lokalen Klerus bereits an den Stadttoren empfangen und zur Kirche und zur Bischofsresidenz geleitet. Damit wurde die Beziehung für die ganze Stadtbevölkerung sichtbar und räumlich inszeniert. Fehlte ein solcher Empfang oder wurde die Gastfreundschaft gar verweigert, verdeutlichte dies die Distanz. Um hingegen Nähe darzustellen, waren wie im nicht-christlichen Bereich gemeinsame Mahlzeiten wichtig. Distanz und Nähe richteten sich in klerikalen Beziehungen nach theologischen Kriterien; Distanz implizierte folglich eine grundsätzliche Differenz in der Frage des Glaubensbekenntnisses. Es gab jedoch in klerikalen Beziehungen durchaus die Möglichkeit zu graduellen Abstufungen. Theologische Nähe wurde durch das gemeinsame Feiern der Eucharistie zum Ausdruck gebracht. Aufnahme ins eigene Haus signalisierte ebenfalls theologische Nähe, für welche die Glaubensgemeinschaft nicht unbedingt nötig war. Der Kuss wurde zu einem Instrument der In- und Exklusion, wodurch Glaubensgenossen von Häretikern geschieden werden konnten. Innerhalb des Klerus gab es jedoch auch Interaktionen, welche der internen Hierarchie entsprachen und somit formalisierte Nähe zum Ausdruck brachten. Hierzu gehörte ebenfalls der Kuss, der analog zum nicht-christlichen Bereich nicht mit jedem ausgetauscht wurde, sondern nun Kleriker von Laien schied. Auch bei der Gastfreundschaft waren graduelle Abstufungen möglich, die sich insbesondere in der Zuteilung der Räume manifestierte. Je höhergestellt ein Gast war, umso besser sollte der Raum sein, der ihm zugewiesen wurde. Hingegen war es eine besondere Ehre und konnte Ausdruck individueller Nähe sein, wenn einem rangniedrigeren Gast die bessere Unterkunft zugeteilt wurde. Umgekehrt deutete man es als Zeichen einer relativen Distanz, wenn dem Gast nicht das gewährt wurde, was man allgemein für angemessen hielt. Wie die Ausführungen gezeigt haben, trat im klerikalen Bereich jedoch neben die individuelle und formalisierte Nähe, welche auch die Beziehungen im nichtchristlichen Kontext charakterisierten, eine spezifische theologische Nähe, die alle anderen Formen von Nähe überlagern konnte. Schwierig zu kombinieren waren individuelle Distanz und theologische Nähe, wie das Beispiel von Helladius von Caesarea und Gregor von Nyssa gezeigt hat. Helladius und Gregor stimmten im Glaubensbekenntnis überein. Als Bischöfe wäre es ihre Pflicht gewesen, diese theologische Nähe auch performativ umzusetzen. Allerdings gab es eine individuelle Distanz zwischen den beiden. Ihr Konflikt bezog sich augenscheinlich auf die Frage der Hierarchie. Weltliche und klerikale Massstäbe überlagerten sich

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III. Die Kappadokier und Johannes Chrysostomus

oftmals, wie der Umstand illustriert, dass Gregor gegen den Metropoliten durchaus auf seine höhere soziale Herkunft verwies. Die Symbolik, die mit spezifischen Handlungen verbunden war, erschwerte es, Konflikte auszutragen, die nicht theologischer Natur waren. Indem Helladius von Caesarea dem Gregor von Nyssa die Begrüssung und die Gastfreundschaft komplett verweigerte, signalisierte er eben nicht einfach seine individuelle Distanz, sondern missachtete die Regeln der Interaktion unter Standesgenossen und drückte gleichzeitig auch eine theologische Distanz aus. Grundsätzlich lässt sich also festhalten, dass auch im innerkirchlichen Kontext die Performanz von Nähe und Distanz von zentraler Bedeutung war. Individuelle und formalisierte Nähe hatten sich jedoch der theologischen Nähe oder Distanz unterzuordnen.

4. Kommunikation mit Abwesenden Als Gregor von Nazianz nach langer Zeit wieder mit seinem Studiengenossen Meletius in Verbindung trat, sprach er im Brief das lange Schweigen zwischen ihnen an. Dieses durchbrach er mit seinem Schreiben, und er forderte Meletius auf, es ihm gleich zu tun: Σοὶ δὲ εἴ τι μέλει τῆς ἡμετέρας φιλίας, ἐξ ὧν ἐπιστέλλεις δηλωθήσεται. «Du aber, wenn dir irgend etwas an unserer Freundschaft liegt, so wird man es an den Briefen merken.»314 Auch Basilius bat einen nicht näher bekannten Adressaten, das Schweigen zu brechen: Ὅτι σε φιλῶ, οἷς ἐπιστέλλω μάθε. Ὅτι με μισεῖς, οἷς σιωπᾷς ἔγνων. Γράφε δὲ κἂν τοῦ λοιποῦ, καλάμῳ καὶ μέλανι καὶ βραχεῖ χάρτῃ φιλοῦντας φιλῶν. «Dass ich dich liebe, merke an dem, was ich schreibe. Dass du mich hasst, erkannte ich daran, wie du schweigst. Schreibe doch wenigstens in Zukunft, indem du mit Schreibrohr, Tinte und einem knappen Blatt die Liebenden liebst.»315 Der Brief war die sichtbare Manifestation der philia und der agape. Christliche wie nicht-christliche Freundschaft brauchten gleichermassen regelmässige Bestätigung.316 Nicht-Schreiben konnte als Zeichen der Distanzierung gedeutet 314 315 316

Greg. Naz. ep. 240.4 (Übers. Wittig 1981). Bas. ep. 330 (Übers. Hauschild 1993). Siehe hierzu bereits III.2.2., bes. S. 219.

4. Kommunikation mit Abwesenden

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werden, wie die zitierte Passage aus dem Brief des Basilius zeigt. Demgegenüber vermochte der Brief den Abwesenden zu vergegenwärtigen.317 Christliche Autoren waren bestens vertraut mit den epistolographischen Theorien und der idealen Gestalt des Briefes. Mit den Episteln des Neuen Testaments lagen ihnen jedoch auch andere Vorbilder zum Abfassen eines Briefes vor. Es lässt sich beobachten, dass sich neben kurzen Freundschaftsbriefen in der klassischen Tradition auch Briefe finden, die längere theologische Ausführungen enthalten, um den oder die Adressaten zu belehren und im christlichen Glauben zu erbauen.318 Der Brief war zudem ein wichtiges Medium der Kommunikation in christlichen Gemeinden. Über den Brief konnten Festtage bestimmt, dogmatische Diskussionen geführt sowie moralische und praktische Unterstützung in kirchenpolitisch turbulenten Zeiten gewährt werden, um nur einige Bereiche aufzuzählen.319 Im zweiten Teil dieser Arbeit wurde herausgestellt, dass briefliche Kommunikation immer multimedial und multifunktional ist.320 Dies gilt auch für Briefe, die zwischen Christen ausgetauscht wurden. Diese überbrachten zusammen mit anderen Nachrichten einzelne Boten, die nun häufig dem Klerus angehörten. In der klerikalen Kommunikation wurde oftmals ein grösserer Teil der zu überbringenden Nachricht in den Brief integriert, als dies im weltlichen Bereich der Fall war. Die Festlegung von Feiertagen oder Ausführungen zur christlichen Lehre mussten schriftlich festgehalten werden, um unverfälscht beim Adressaten anzukommen. Die informative Funktion des Briefes gewann deshalb an Bedeutung. Darüber hinaus kam dem Brief eine kulturelle und soziale Funktion zu.321 Auch wenn die christlichen Angehörigen der sozialen Eliten oftmals die einfache Sprache der neutestamentlichen Schriften lobten, verliessen sie sich doch auf die Kraft der Rhetorik und demonstrierten durch geschickt platzierte Zitate ihre Kenntnis der klassischen wie der christlichen Literatur: Bildung war ein wesentlicher Teil der Selbstdarstellung und integrierte die Verfasser in den exklusiven

317

Zu klassischen Brieftopoi in christlichen Briefen vgl. Thraede 1970 mit zahlreichen Belegen. 318 Zur Entwicklung des Briefes im christlichen Kontext vgl. Schneider 1954; Thraede 1970; Stowers 1986, 41–47; Zelzer 1997; Doering 2012; Neil/Allen 2015. 319 Die Bedeutung des Briefes als Medium der Kommunikation in der Kirche hat beispielsweise Baumkamp 2014 in ihrer Studie zum dritten Jahrhundert dargelegt. Allen/Neil 2013, bes. 11–35, haben sich mit dem bischöflichen Krisenmanagement beschäftigt und dabei auch die Rolle von Briefen diskutiert. 320 Vgl. hierzu ausführlich II.4.1. 321 Zu den verschiedenen Funktionen des Briefes vgl. Littlewood 1976 sowie die Ausführungen in II.4.1., S. 153 f.

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III. Die Kappadokier und Johannes Chrysostomus

Kreis der pepaideumenoi.322 Zugleich stellte der Brief eine Verbindung zwischen Verfasser und Adressat her. Wie schon in Kapitel II.4. wird auch in den folgenden Ausführungen dieser Aspekt der brieflichen Kommunikation im Zentrum stehen. Es interessiert insbesondere die Frage, welche kommunikative Bedeutung der Brief im christlichen Milieu hatte. Hierzu gilt es, als Erstes (III.4.1.) nach der Sichtbarkeit und den Möglichkeiten der Performanz brieflicher Beziehungen zu fragen, da Briefe, wie bereits im zweiten Teil dieser Arbeit gezeigt wurde, ihre Wirkung nur dann entfalteten, wenn sie bekannt waren. Die Informationen zur Sichtbarkeit des Briefempfangs sind bei christlichen Autoren spärlicher gestreut als bei Libanius. Doch trugen Christen durch Vorlesen und Weiterreichen zur Verbreitung ihrer brieflichen Kontakte bei und demonstrierten dadurch ihre Einbettung in überregionale Netzwerke. Da wir mit Gregor von Nazianz einen Autor haben, der seine eigene Briefsammlung zu Lebzeiten herausgab, soll diese Form der Inszenierung brieflicher Beziehungen ebenfalls in den Blick genommen werden. In einem zweiten Schritt (III.4.2.) soll dann nach der symbolischen Bedeutung des brieflichen Kontaktes gefragt werden. Im zweiten Teil der Arbeit wurde die These entwickelt, dass Briefkontakt per se ein Zeichen von Nähe war. Wie verhielt sich dies bei christlich-klerikalen Autoren? Es wird zu zeigen sein, dass die Partizipation an Korrespondenznetzwerken über die In- und Exklusion in eine überregionale christliche Gemeinschaft entschied. Die Ergebnisse, die sich aus der Analyse des klassisch-paganen Milieus ergaben, sind im christlich-klerikalen Kontext dahingehend zu modifizieren, dass nun bei der Kommunikation mit Abwesenden, genauso wie bei der Kommunikation mit Anwesenden, die theologische Nähe zum zentralen Kriterium wurde. Da Freundschaft mit Glaubensfeinden nicht möglich war, war auch kein Briefkontakt, der per se ein Zeichen der Freundschaft war, mit Personen möglich, die der Häresie verdächtigt wurden. Um dennoch theologische Debatten zu führen und um Distanz zu inszenieren, wurde in solchen Fällen auf das Medium des offenen Briefes zurückgegriffen.

322

Zur Demonstration von Bildung in Briefen s. bes. Gemeinhardt 2007, 184–244. Verschiedene Einzeluntersuchungen haben zudem die Bedeutung von Briefen zur Integration von Einzelnen in literarische Zirkel herausgestellt. Vgl. u. a. Rebenich 1992; Mratschek 2002; Schröder 2007; Howard 2013.

4. Kommunikation mit Abwesenden

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4.1. Sichtbarkeit und Inszenierung brieflicher Beziehungen Der Kirchenhistoriker Eusebius ging harsch mit dem abgesetzten Bischof von Antiochia, Paulus von Samosata, ins Gericht. Wie ein Amtsinhaber habe sich jener aufgeführt und sich in der Stadt wichtig gemacht. So habe er im Gehen Briefe gelesen und diktiert.323 Ein solches Gebaren gehörte sich nicht für einen Bischof. Für Eusebius war es mit einem bescheidenen christlichen Auftreten nicht vereinbar, mit Briefen anzugeben, die man erhielt und selbst schrieb. Dennoch wurde selbstverständlich beobachtet, an wen ein Bischof schrieb und von wem er Briefe erhielt. Die Briefe verwiesen auf die Zugehörigkeit zu einflussreichen weltlichen Netzwerken, und gerade in Zeiten kirchenpolitischer Auseinandersetzungen konnten auf diese Weise auch Allianzbildungen sichtbar gemacht werden. So entschuldigte sich Basilius bei einer nicht namentlich genannten Witwe, ihr nicht früher geschrieben zu haben; er habe befürchtet, dass sie durch seinen Brief in Schwierigkeiten kommen könnte: Ἐγὼ καὶ πάνυ βουλόμενος συνεχῶς ἐπιστέλλειν τῇ εὐγενείᾳ ὑμῶν ἐπέσχον ἐμαυτὸν ἀεί, μήπως δόξω τινὰς πειρασμοὺς ὑμῖν ἐπεγείρειν διὰ τοὺς φιλεχθρῶς πρὸς ἡμᾶς διακειμένους καί, ὡς ἀκούω, μέχρι καὶ τούτων τὴν ἔχθραν ἐλαύνοντας ὥστε πολυπραγμονεῖν εἴ πού τις καὶ γράμμα ἡμέτερον δέχοιτο. «Ich wollte euer Wohlgeboren schon längst schreiben, hielt mich aber zurück, um euch keine Schwierigkeiten zu machen. Denn gewisse Leute sind uns feindlich gesonnen und haben, wie ich höre, ihre Feindschaft bereits so weit getrieben, dass sie genau aufpassen, ob irgendwo jemand einen Brief von uns bekommt.»324 Der Brief ist höchstwahrscheinlich in die Zeit der Auseinandersetzung mit den Pneumatomachen einzuordnen, als alte Briefe des Basilius kursierten, die ihn der Häresie verdächtig machten.325 Basilius antwortete der Adressatin deshalb nur, weil sie die Korrespondenz von sich aus eröffnet und damit gezeigt hatte, dass sie den Kontakt zu ihm wünschte. Als Gregor von Nazianz einen Brief des Eusebius von Samosata erhielt, rühmte er sich, dass dadurch seine eigene Stellung und sein eigenes Ansehen besser geworden seien:

323 324 325

Eus. hist. eccl. 7.30.6–9. Bas. ep. 174.1 (Übers. Hauschild 1973). Vgl. hierzu ausführlich weiter unten in III.4.2.

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III. Die Kappadokier und Johannes Chrysostomus

Οὐ γὰρ ὠφέλεια ἡμῖν μόνον τῶν σῶν καταξιοῦσθαι γραμμάτων, ἀλλὰ καὶ καύχημα πρὸς τοὺς πολλοὺς καὶ καλλώπισμα ὅτι λόγος ἡμῶν ἐστι παρ’ ἀνδρὶ τοσούτῳ τὴν ἀρετὴν καὶ τοσαύτην ἔχοντι πρὸς Θεὸν οἰκειότητα ὥστε καὶ ἄλλους οἰκειοῦν δύνασθαι καὶ λόγῳ καὶ ὑποδείγματι. «Denn es ist für uns nicht nur ein Gewinn, deiner Briefe gewürdigt zu werden, sondern auch ein Grund des Ruhmes vor der ganzen Welt und eine Auszeichnung, dass wir Ansehen geniessen bei einem Mann, der soviel Tugend hat und der bei Gott eine solche Vertrautheit geniesst, dass er (ihm) auch die anderen durch sein Wort und Beispiel vertraut machen kann.»326 Gregor von Nazianz sandte Eusebius diesen Brief, als jener bereits von Kaiser Valens ins Exil nach Thrakien verbannt worden war.327 Dieser Umstand bedeutet, dass es Gregor hier weniger um seine eigene Stellung ging; seine Aussage stellte vielmehr eine Loyalitätsbekundung gegenüber dem verbannten Freund dar. Auch wenn der Kontakt mit einer Person, welche der kaiserlichen Gunst verlustig ging, riskant war, proklamierte Gregor, dass es für ihn eine Auszeichnung sei, mit den Briefen des Eusebius geehrt zu werden. Auch hier setzte Gregor ganz selbstverständlich voraus, dass der Briefkontakt zwischen ihnen bekannt sei. Da, wie im zweiten Teil dieser Arbeit ausgeführt wurde, das Eintreffen von Boten und die Übergabe von Briefen beobachtet werden konnten und auch beobachtet wurden, signalisierte bereits der Empfang eines Briefes das Bestehen einer Verbindung.328 Zur weiteren Verbreitung ihrer Briefe bedienten sich auch Bischöfe der üblichen Praktiken wie des öffentlichen Vorlesens oder des Weiterreichens der Schriftstücke. Dadurch konnte die Beziehung zum Verfasser des Briefes genauso publik gemacht werden wie zu allfälligen anderen, im Brief genannten Personen. Im klerikalen Kontext war dabei der Hinweis auf existierende Kontakte genauso wichtig wie auf konkrete Abgrenzungen. So betrifft einer der wenigen Fälle, in welchen Basilius explizit Bezug auf das Vorlesen eines Briefes nahm, ein Schreiben, in welchem ihm Athanasius, der Bischof von Alexandria, die Exkommunikation eines ursprünglich aus Kappadokien stammenden Beamten kundgetan hatte: Ἐνέτυχον τοῖς γράμμασι τῆς ὁσιότητός σου, δι’ ὧν τοῦ ἡγεμόνος τῆς Λιβύης, τοῦ δυσωνύμου ἀνδρός, κατεστέναξας. Καὶ ὠδυράμεθα μὲν τὴν ἑαυτῶν πατρίδα, 326

Greg. Naz. ep. 66.3 (Übers. Wittig 1981). Vgl. Wittig 1981, 246 Anm. 177. Der Brief ist auch in der Sammlung des Basilius von Caesarea (Bas. ep. 167) überliefert, wird aus stilistischen Gründen aber Gregor zugeschrieben. 328 Vgl. II.4.2. 327

4. Kommunikation mit Abwesenden

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ὅτι τοιούτων κακῶν μήτηρ ἐστὶ καὶ τροφός. […] Ἐκεῖνον μὲν οὖν αἱ μάστιγες μένουσι παρὰ τοῦ δικαίου Κριτοῦ, τῷ ἴσῳ μέτρῳ ἀντιμετρηθησόμεναι ἃς αὐτὸς προλαβὼν ἐπέθηκε τοῖς ἁγίοις αὐτοῦ. Ἐγνωρίσθη δὲ καὶ τῇ Ἐκκλησίᾳ ἡμῶν ἐκ τῶν γραμμάτων τῆς σῆς θεοσεβείας, καὶ ἀποτρόπαιον αὐτὸν πάντες ἡγήσονται, μὴ πυρός, μὴ ὕδατος, μὴ σκέπης αὐτῷ κοινωνοῦντες, εἴπερ τι ὄφελος τοῖς οὕτω κεκρατημένοις κοινῆς καὶ ὁμοψήφου καταγνώσεως. Ἀρκοῦσα δὲ αὐτῷ στήλη καὶ αὐτὰ τὰ γράμματα ἀναγινωσκόμενα πανταχοῦ. Οὐ γὰρ διαλείψομεν πᾶσιν αὐτοῦ καὶ οἰκείοις καὶ φίλοις καὶ ξένοις ἐπιδεικνύντες. Πάντως δέ, κἂν μὴ ἅψωνται αὐτοῦ παραχρῆμα τὰ ἐπιτίμια, ὥσπερ τοῦ Φαραώ, ἀλλ’ εἰς ὕστερόν ποτε βαρεῖαν αὐτῷ καὶ ἀλγεινὴν τὴν ἀνάδοσιν οἴσει. «Ich bekam den Brief deiner Heiligkeit, in dem du über den Statthalter von Libyen, diesen abscheulichen Mann, stöhnst. Und wir haben unser Vaterland beklagt, dass es Mutter und Ernährerin solcher Übel ist. […] Jenen nun erwarten die Strafen vom gerechten Richter, die mit demselben Mass bemessen werden, das er selbst vorher nahm und Gottes Heiligen auferlegte. Das wurde aber auch unserer Gemeinde aufgrund des Briefes deiner Frömmigkeit bekanntgemacht, und alle werden ihn für ein Scheusal halten und weder Feuer noch Wasser noch Wohnung mit ihm teilen – wenn denn die, die so beherrscht werden, Nutzen aus einer gemeinsamen, einstimmigen Verurteilung ziehen können. Es reicht für ihn als Brandmal aber auch gerade dein Brief, der überall gelesen wird. Denn wir werden nicht aufhören, ihn all seinen Verwandten und Freunden und auch den Fremden zu zeigen. Jedenfalls wird es ihm, auch wenn ihn nicht sofort die festgesetzten Strafen treffen wie Pharao, später einmal schwere und schmerzliche Vergeltung eintragen.»329 Der im Brief genannte Statthalter von Libyen ist nicht näher bekannt. Da seine Familie in Kappadokien wohnte und zu erwarten war, dass er nach dem Ende der Amtszeit in seine Heimat zurückkehren würde, informierte Athanasius den Bischof von Caesarea über seine vermeintlich schrecklichen Taten. Basilius bestätigte die Exkommunikation, indem er den Brief seines alexandrinischen Kollegen publik machte. Auch wenn Basilius darüber nicht ausdrücklich reflektierte, so implizierte die Verbreitung eines solchen Schreibens auch, dass seine Beziehung zu Athanasius, einem der wichtigsten Vorkämpfer des nizänischen Glaubens, weitherum bekannt wurde. Briefe wurden nicht nur deswegen vorgelesen, weil sie einen theologisch oder kirchenpolitisch relevanten Inhalt enthielten. Vielmehr wurde durch das Vorlesen auch der Verfasser geehrt und überregionale Netzwerke der pepaideumenoi

329

Bas. ep. 61 (Übers. Hauschild 1990).

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III. Die Kappadokier und Johannes Chrysostomus

wurden gebildet oder gestärkt. So ist unter den Briefen Gregors von Nyssa ein Schreiben erhalten, das, wenn es authentisch ist, an Libanius adressiert war. Gregor nahm darin zunächst Bezug auf das Neujahrsfest, das kürzlich gefeiert worden war. Er sei an diesem Fest unverhofft beschenkt worden, nämlich mit einem Brief des Libanius: (2)  ἦλθε γὰρ τότε καὶ εἰς τὰς ἐμὰς χεῖρας χρυσός, οὔ τοι κατὰ τὸν πάνδημον τοῦτον χρυσόν, ὃ ἀγαπῶσιν οἱ ἄρχοντες καὶ δωροφοροῦσιν οἱ ἔχοντες, τὸ βαρὺ καὶ αἰσχρὸν καὶ ἄψυχον κτῆμα, ἀλλ’ ὃ παντὸς πλούτου τοῖς γε νοῦν ἔχουσιν ὑψηλότερόν ἐστι, τὸ κάλλιστον ὄντως δεξίωμα κατὰ Πίνδαρον, τὰ σὰ φημὶ γράμματα καὶ ὁ πολὺς ἐν ἐκείνοις πλοῦτος. (3)  οὕτω γὰρ συνέβη κατὰ τὴν ἡμέραν ἐκείνην ἐπιφοιτήσαντά με τῇ μητροπόλει τῶν. Καππαδοκῶν ἐντυχεῖν τινι τῶν ἐπιτηδείων, ὅς μοι τὸ δῶρον τοῦτο, τὴν ἐπιστολήν, οἷόν τι σύμβολον ἑορτῆς προετείνατο. (4) ἐγὼ δὲ περιχαρὴς τῇ συντυχίᾳ γενόμενος κοινὸν προὔθηκα τοῖς παροῦσι τὸ κέρδος, καὶ πάντες μετεῖχον τὸ ὅλον ἕκαστος ἔχειν φιλονεικοῦντες, καὶ οὐκ ἠλαττούμην ἐγώ· διεξιοῦσα γὰρ τὰς πάντων χεῖρας ἡ ἐπιστολὴ ἴδιος ἑκάστου πλοῦτος ἐγίνετο, τῶν μὲν τῇ μνήμῃ διὰ τῆς συνεχοῦς ἀναγνώσεως τῶν δὲ δέλτοις ἐναπομαξαμένων τὰ ῥήματα, καὶ πάλιν ἐν ταῖς ἐμαῖς ἦν χερσί, πλέον εὐφραίνουσα ἢ τοὺς ὀφθαλμοὺς τῶν πολυχρύσων ἡ ὕλη. «2. Denn damals gelangte auch in meine Hände Gold, allerdings nicht dieses gewöhnliche, das die Herrscher lieben, und das die, die es besitzen, verschenken, diesen schweren und hässlichen und seelenlosen Besitz, sondern das, was für die, die Verstand haben, wertvoller ist als jeder Reichtum, das nach Pindar wirklich ‹schönste Geschenk›, ich meine deinen Brief und den in ihm liegenden Reichtum. 3. Denn es ergab sich so, dass ich an jenem Tag die Hauptstadt der Kappadokier besuchte und einen meiner Freunde traf, der mir dieses Geschenk, den Brief, wie ein Symbol für das Fest übergab. 4.  Ich aber freute mich ausserordentlich über das Begebnis und machte den Gewinn für die Anwesenden zum Gemeinbesitz, und alle hatten daran Anteil, wobei sich die einzelnen darum stritten, das Ganze zu besitzen, und ich wurde dabei nicht um den Gewinn gebracht. Denn der Brief ging von Hand zu Hand und wurde so Eigentum jedes einzelnen, für die einen in ihrem Gedächtnis aufgrund des häufigen Vorlesens, für die anderen dadurch, dass sie die Worte auf Schreibtäfelchen abschrieben, und er war dann wieder in meinen Händen und erfreute mehr, als die Augen derer, die Gold lieben, das Material erfreut.»330 Gregor von Nyssa brachte in dieser Schilderung des Briefempfangs seine Wertschätzung der Korrespondenz mit Libanius zum Ausdruck. Mit Gold verglich er 330

Greg. Nyss. ep. 14.2–4 (Übers. Teske 1997).

4. Kommunikation mit Abwesenden

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gar den erhaltenen Brief und lobte damit seine stilistische Form, nicht ohne selbst noch seine Kenntnis der klassischen Literatur mit einer Anspielung auf Pindar unter Beweis zu stellen. Auch die Tatsache, dass sich alle Anwesenden um den Brief rissen, ihn mehrmals vorlasen und einzelne Passagen gar in ihre Wachstäfelchen notierten, bedeutete eine grosse Ehre für den Verfasser. Bei der Übergabe war Gregor nicht im beschaulichen Nyssa, sondern in Caesarea, der Metropole Kappadokiens. Da zudem das Neujahrsfest begangen wurde, werden zahlreiche Freunde und Umstehende den Erhalt des Briefes des antiochenischen Sophisten wahrgenommen haben, welcher als literarisches Ereignis gefeiert wurde. Der Brief zeigt exemplarisch, dass sich auch christliche Autoren am Austausch unter Gebildeten beteiligten und der Brieferhalt ein Moment war, der mit anderen anwesenden Personen geteilt wurde. Auch Synesius berichtet davon, wie er einen Brief bei Erhalt vorgelesen hatte. Hierfür trommelte er sogar seine Freunde zusammen, um ein würdiges Publikum zu erhalten.331 Briefen, so sein Rat, sollte man deswegen keine Geheimnisse anvertrauen, da sie dazu gedacht seien, dem Erstbesten vorgelesen zu werden.332 Werfen wir einen kurzen Blick in den lateinischen Westen. Paulinus von Nola rechnete damit, dass sein Brief an Augustinus vorgelesen werde: Er befürchtete deshalb, dass die «klugen Söhne» (filii prudentes), die um Augustinus herumstünden, bei seinen unbeholfenen Fragen zur Exegese ausgewählter Bibelpassagen lachen würden. Er bat sie, seinem Brief «mit dem Wohlwollen brüderlicher Liebe» (benivolentia fraternae caritatis) zu begegnen.333 Ganz selbstverständlich wurde also ein breiterer Adressatenkreis vorausgesetzt, der in die Diskussion theologischer Fragen einbezogen wurde. Einen anderen Brief hatte Augustinus nicht nur den Brüdern seiner Gemeinschaft gezeigt, sondern auch noch Weiteren geschickt.334 Im Falle von Paulinus und Augustinus kann die Zirkulation der Briefe detailliert rekonstruiert werden, wie die Arbeiten von Catherine Conybeare und Sigrid Mratschek zeigen.335 So konnte Augustinus in Nordafrika aus einem Brief zitieren, den Paulinus nach Südgallien an Sulpicius Severus gesandt hatte.336 Paulinus zitierte seinerseits aus einem Brief des Augustinus, als

331

Syn. ep. 101. Syn. ep. 137 (Z. 42–45): ἐμοὶ δὲ οὐ καλῶς ἔχει γραμματίῳ πιστεύειν τὰ τοιάδε. Τὸ γὰρ τῆς ἐπιστολῆς πρᾶγμα οὐκ ἐχέμυθον, ἀλλὰ φύσιν ἔχει τῷ περιτυχόντι προσδιαλέγεσθαι. 333 Paul. Nol. ep. 50.1. Vgl. auch Conybeare 2000, 41 f. 334 Aug. ep. 27.2; 27.6. 335 Conybeare 2000, 41–48; Mratschek 2002, 408–411. Dies gilt auch für Hieronymus und Augustinus, vgl. hierzu Rebenich 2008a und Fürst 1999. 336 Aug. ep. 186.40 zitiert Paul. Nol. ep. 30.2. Vgl. Conybeare 2000, 43 und Mratschek 2002, 413. 332

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III. Die Kappadokier und Johannes Chrysostomus

er an zwei Landsleute schrieb.337 Auf diese Weise entstanden komplexe Zitationsnetzwerke. Ein anderer Adressat teilte Paulinus mit, dass er ein Verzeichnis aller Briefe erstellt habe, die jener ihm geschickt habe.338 Auch hier ist davon auszugehen, dass dies nicht nur der persönlichen Erbauung diente, sondern der Vorbereitung einer Publikation. Wobei Publikation in diesen Fällen bedeutete, dass die Texte kopiert, gruppiert und als Arrangement an verschiedene Freunde gesandt wurden, welche wiederum zur weiteren Verbreitung beitrugen. Eine solche Streuung der eigenen Briefe konnte also ohne das Zutun der Verfasser erfolgen. Es gab jedoch einige christliche Autoren, die selbst eine Auswahl ihrer Briefe publizierten. Zu ihnen gehört im Osten Gregor von Nazianz. Die Publikation der eigenen Briefsammlung war immer auch ein Akt der Selbstdarstellung, durch die verschiedene Facetten der eigenen Person inszeniert werden konnten.339 Einerseits spiegelten die Briefe die rhetorischen Fähigkeiten sowie die klassische und christliche Bildung des Verfassers. Andererseits belegten sie das erfolgreiche Engagement in ausgewählten Bereichen, etwa beim Einsatz für Schwächere, in Verhandlungen mit Beamten oder in kirchenpolitischen Angelegenheiten. Nicht zuletzt konnte durch die Auswahl der Adressaten auch die Einbettung in spezifische Netzwerke demonstriert werden. Gregor von Nazianz hat seiner Sammlung vier Widmungsbriefe vorangestellt, die Aufschluss über seine Intentionen bei der Publikation geben (ep. 51–54). Alle vier Briefe sind an seinen Neffen Nicobulus gerichtet.340 Nachdem Gregor ihm, wohl auf Nachfrage, zunächst ausführlich dargelegt hatte, welche Eigenschaften ein idealer Brief in Bezug auf die Länge, Klarheit, Anmut und die Verwendung von Zitaten sowie rhetorischen Stilmitteln haben sollte,341 hatte Nicobulus seinen Onkel um Anschauungsmaterial gebeten. Gregor stellte ihm daraufhin eine Auswahl seiner eigenen Briefe zusammen.342 Ein wichtiges Kriterium für dieses Korpus war sicher die rhetorische Kunstfertigkeit. Doch offenbar provozierte die von Gregor gewählte Anordnung der Briefe eine Nachfrage von Nicobulus. So schrieb Gregor in einem weiteren Brief: Ἀεὶ προτιμήσας ἐμαυτοῦ τὸν μέγαν Βασίλειον, εἰ κἀκείνῳ τοὐναντίον ἐδόκει, καὶ νῦν προτιμῶ οὐχ ἧττον διὰ τὴν ἀλήθειαν ἢ τὴν φιλίαν. Διὰ τοῦτο προθεὶς τὰς ἐκείνου ἐπιστολάς, τὰς ἐμὰς ὑποτίθημι. Καὶ γὰρ ἐπιθυμῶ πανταχοῦ συν337

Paul. Nol. ep. 44 zitiert aus Aug. ep. 27. Vgl. Mratschek 2002, 412. Vgl. Paul. Nol. ep. 41.1. S. hierzu auch Mratschek 2002, 409. 339 Der Selbstdarstellung von Gregor von Nazianz durch seine Briefsammlung hat sich jüngst Storin 2019 angenommen. 340 Zu Nicobulus vgl. Hauser-Meury 1960, 132 f. (Nicobulus II). 341 Vgl. Greg. Naz. ep. 51. 342 Vgl. Greg. Naz. ep. 52. 338

4. Kommunikation mit Abwesenden

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εζεῦχθαι ἡμᾶς ἀλλήλοις, καὶ ἅμα τύπον παρέχων τοῖς ἄλλοις τοῦ μετρίου καὶ τῆς ὑφέσεως. «Ich habe immer den grossen Basilius mir selbst vorgezogen, auch wenn er das Gegenteil glaubte, und ich ziehe ihn auch jetzt noch vor, ebenso sehr wegen der Wahrheit als wegen der Freundschaft. Deswegen stelle ich seine Briefe an den Anfang und meine dahinter. Denn ich wünsche, dass wir überall miteinander verbunden sind, und zugleich gebe ich den anderen ein Beispiel an Bescheidenheit und Nachgiebigkeit.»343 Gregor hatte also nicht nur eine Blütenlese seiner eigenen Briefe veröffentlicht, sondern überdies auch Briefe des Basilius in seine Sammlung aufgenommen, die seinen eigenen vorangestellt waren. Die ursprüngliche Anordnung seiner Sammlung wurde jedoch in den erhaltenen Handschriften nicht bewahrt. Es ist aufgrund des zitierten Briefes aber davon auszugehen, dass die publizierte Sammlung mit den Widmungsbriefen an Nicobulus begann. Danach folgten zunächst einige Briefe des Basilius entweder en bloc oder, was wahrscheinlicher ist, zusammen mit den Antwortschreiben Gregors.344 Die weiteren Briefe waren nach Adressaten gruppiert.345 Gregor von Nazianz präsentiert in der auf uns gekommenen Auswahl seine Kontakte mit Amtsinhabern in Kappadokien und in Konstantinopel, mit verschiedenen Bischöfen und Klerikern, mit Sophisten sowie mit vereinzelten christlichen Frauen.346 In die Briefsammlung aufgenommen zu werden, war als Auszeichnung gedacht und zugleich ein Ausweis der Nähe; doch Gregor zeichnete unter allen Personen der Sammlung Basilius von Caesarea besonders aus. Er gewichtete dadurch die Beziehung zu ihm höher als die zu den anderen Adressaten seiner Briefe. In gewisser Weise nahm er damit eine Abstufung der Nähe vor, wobei Basilius die Hierarchie anführte. Dies war nicht selbstverständlich, wie Gregor in der oben zitierten Passage verdeutlicht: Basilius hätte Gregor vielleicht nicht als einen so engen Freund gesehen und schon gar nicht als einen, der die Wünsche des Freundes über die eigenen gestellt hätte. Zur Erinnerung: Gregor konnte sich trotz mehrfachen Aufforderungen nicht dafür erwärmen, längerfristig mit Basilius ein asketisches Leben in der Abgeschiedenheit zu führen. Als Basilius aus kirchenpolitischen Gründen seinen Freund

343

Greg. Naz. ep. 53 (Übers. nach Wittig 1981). Gallay 1957, 11–14 geht davon aus, dass zuerst alle Briefe des Basilius kamen, dann alle Briefe Gregors an Basilius und danach die Briefe an andere Adressaten. McLynn 2001, 185 f. hat zu Recht eingewendet, dass direkte gegenseitige Bezugnahmen von Briefen des Basilius und Gregors durch eine solche Anordnung zerstört würden. 345 Vgl. Storin 2017 und Storin 2019, 29–100 zu möglichen Anordnungen. 346 Einen Überblick über die Adressaten bietet die Prosopographie von Hauser-Meury 1960. 344

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III. Die Kappadokier und Johannes Chrysostomus

zum Bischof von Sasima weihte, verweigerte sich Gregor ebenfalls.347 Gerade die letzte Episode wird zum Zeitpunkt der Publikation der Briefe den Zeitgenossen nur allzu bekannt gewesen sein. Denn nur wenige Jahre zuvor musste Gregor von Nazianz den Bischofssitz in Konstantinopel aufgeben, unter anderem weil seine Gegner vorbrachten, dass er offiziell noch immer Bischof von Sasima sei. Anlässlich der Diskussion um die Rechtmässigkeit seines Anspruches auf den Episkopat in Konstantinopel dürfte seine Weihung wider Willen durch die Hand des Basilius wieder im Gespräch gewesen sein. Ob Gregor von Nazianz angesichts dieser Umstände als besonders enger Freund von Basilius gegolten hat, sei dahingestellt. Neil McLynn hat die enge Verbindung zwischen der Briefsammlung und der nur wenig früher publizierten Gedenkrede Gregors auf den verstorbenen Basilius (or.  43) detailliert nachgezeichnet.348 Gregor hatte diese Rede einige Jahre nach Basilius’ Tod, möglicherweise im Januar 382, in Caesarea gehalten. Darin nahm die Freundschaft zwischen ihm und Basilius einen grossen, für eine Gedenkrede unüblich grossen Raum ein. Vor allem der gemeinsamen Studienzeit in Athen, die den Zuhörern wenig bekannt gewesen sein dürfte, wies er eine hohe Bedeutung zu. McLynn bezeichnet die Kombination der beiden Publikationsunternehmen als «The Literary Construction of a Christian Friendship». Gregor beeinflusste durch seine Schriften das Bild ihrer Freundschaft massgeblich und nachhaltig. Da im Laufe der Überlieferung die Briefe des Basilius einer eigenen Sammlung zugewiesen wurden, lässt sich nicht mehr genau sagen, welche Gregor auch in sein Korpus integriert hatte. Interessant ist jedoch, dass Basilius’ Stellungnahme zu der Affäre Sasima heute gänzlich fehlt; möglicherweise war sie gar nicht in Gregors Auswahl zu finden. Zu diesem wichtigen Thema sind nur Gregors Texte erhalten. Der Gedanke, dass Gregor genau diesen Aspekt in seiner Briefsammlung nur aus seiner Perspektive darstellen wollte, liegt deshalb nahe.349 Insgesamt gelang es Gregor, dass trotz der vielen Differenzen zwischen ihm und Basilius ihre beiden Namen bis heute aufs Engste verbunden sind. Die Freundschaft zu Basilius war in den Jahren nach seinem Rückzug aus Konstantinopel ein wesentlicher Teil seiner Selbstdarstellung. Er erhoffte sich offenbar, durch die Verbindung zu seinem verstorbenen Freund von dessen Ansehen zu profitieren. Die Aufnahme von Basilius’ Briefen in seine eigene Sammlung war ein Teil dieser Strategie und demonstrierte seine Nähe zu dem früheren Bischof von Caesarea.350 347 Zur Freundschaft zwischen Basilius und Gregor von Nazianz vgl. die Ausführungen in III.1. mit weiteren Literaturhinweisen. S. besonders White 1992, 61–84 und Van Dam 2003. 348 McLynn 2001. Auch zentrale Passagen in Gregors autobiographischem Gedicht De vita sua müssen in Verbindung dazu gelesen werden. 349 So McLynn 2001, 189. 350 Vgl. McLynn 2001; Storin 2019, 146–173.

4. Kommunikation mit Abwesenden

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Briefe eigneten sich jedoch nicht nur zur Inszenierung von Freundschaft. Durch die Sichtbarkeit von Korrespondenznetzwerken konnte In- und Exklusion gleichermassen dargestellt werden. Gleichzeitig konnten Feinde über offene Briefe demonstrativ ausgegrenzt werden. Gerade bei kirchenpolitischen Auseinandersetzungen war die Trennung zwischen Freund und Feind wichtig. Die Bedeutung des Briefes in diesem Kontext soll auf den folgenden Seiten analysiert werden.

4.2. Der Brief als Medium der In- und Exklusion Sichtbare Distanz: Johannes Chrysostomus und die ausbleibenden Antwortschreiben Im September 404, gut zwei Monate nach seiner Verbannung, schrieb Chrysostomus einen vorwurfsvollen Brief an Bassus, einen Bischof in Kilikien: Obwohl Bassus früher eine so grosse agape für Chrysostomus gezeigt habe, sei bislang noch kein Brief von ihm eingetroffen. Er erinnerte ihn deshalb an das Band der philia (ὁ τῆς φιλίας δεσμός), das sie eine, und forderte ihn auf, zu schreiben.351 Durch die erhaltenen Briefe des exilierten Bischofs zieht sich ein Thema wie ein roter Faden: die Bitten im Namen der philia oder der agape um Briefe.352 Das Schreiben an Bassus kann deshalb exemplarisch für viele stehen. Auch in seiner verfehlten Wirkung ist es vergleichbar mit manch anderen: Die ersehnte Antwort blieb aus. Es gelang Johannes Chrysostomus nicht, sein Netzwerk während seines Exils aufrechtzuerhalten. Zwar erstreckt sich die Korrespondenz über die gesamte Zeit seiner Verbannung, vom Sommer 404 bis zu seinem Tod im Jahre 407. Eine genauere Analyse der zeitlichen Verteilung seiner Briefe zeigt jedoch, dass der Kontakt mit den meisten seiner ‹Freunde› bereits im ersten Winter abbrach. Chrysostomus war zunehmend isoliert. Es ist den prosopographischen und chronologischen Studien von Roland Delmaire zu verdanken, dass die Entwicklung der Korrespondenz so gut nachgezeichnet werden kann.353 Seine wichtigsten Beobachtungen seien im Folgenden kurz zusammengefasst: Der Grossteil von Johannes’ Briefen stammt aus der Zeit zwischen September und November 404, als er

351

Joh. Chrys. ep. 110 (PG 52, c. 688). Bassus ist nicht näher bekannt. Vgl. Delmaire 1991,

114. 352 Vgl. z. B. Joh. Chrys. ep. 26; 30; 41; 48; 59; 75; 79; 101; 103; 116; 119; 120; 126; 179; 185; 190; 198; 202; 205; 208; 209; 211; 213; 216; 217; 219; 223; 224; 225. 353 Vgl. Delmaire 1991; Delmaire 1997.

282

III. Die Kappadokier und Johannes Chrysostomus

mit Cucusus die erste Station seines Exils erreicht hatte. Ganze 97 Briefe rechnet Delmaire dieser Zeitspanne zu.354 40 weitere Briefe folgten über den Winter 404/405. Danach verringerte sich die Zahl der Briefe dramatisch. Nur noch 25 Briefe datieren in das Jahr 405. Aus dem Jahr 406 stammen dann wieder 43. Danach endet die Korrespondenz mit Chrysostomus’ Tod zu Beginn des Jahres 407. Gewisse Schwankungen in der Korrespondenz lassen sich mit den abgelegenen Aufenthaltsorten erklären, die für Reisende auch durch Übergriffe der Isaurer nur schwierig zu erreichen waren. Doch wie zuletzt Wendy Mayer betont hat, war Chrysostomus keineswegs komplett isoliert. Er verfügte vielmehr über einen treuen Kreis von Freunden, die ihn nicht nur während des Exils begleiteten, sondern auch Botendienste übernahmen.355 So war es seiner Freundin Olympias und dem Bischof Helpidius bis zum Schluss möglich, mit Chrysostomus in brieflichem Kontakt zu stehen.356 Wieso schrieben aber seine anderen Freunde nicht mehr? Roland Delmaire hat den Abbruch der Korrespondenz schlüssig mit dem am 18. November 404 erlassenen Edikt in Verbindung gebracht, das die Kirchengemeinschaft mit Arsacius, Chrysostomus’ Nachfolger in Konstantinopel, Theophilus von Alexandria und Porphyrius von Antiochia forderte.357 Bischöfe und Kleriker, die nach diesem Zeitpunkt noch in Kirchengemeinschaft mit Chrysostomus verbleiben wollten, wurden entweder ihrerseits in entlegene Gebiete im Osten des Reiches verbannt oder sie mussten ins Exil in den Westen gehen.358 Diesen Weg wählten unter anderem der weiter oben genannte Helpidius von Laodicea sowie Palladius von Helenopolis, der später eine Lebensbeschreibung des Chrysostomus verfassen sollte.359 In Konstantinopel, wo das Edikt erlassen worden war, machte sich dessen Auswirkung sofort bemerkbar. Kein Kleriker aus Konstantinopel hielt den Kontakt zu Chrysostomus nach November 404 noch aufrecht.360 Auch die meisten Laien und Amtsinhaber stellten den Kontakt ein. Demgegenüber konnte Delmaire zeigen, dass das Edikt in Syrien erst zu Beginn des Jahres 405 bekannt wurde, da hier die Verbindungen zu den Klerikern länger anhielten. In der Region Antiochia besass Chrysostomus überdies treue Unterstützer, die den Austausch bis ins Jahr 406 weiterpflegten.361 354

Vgl. Delmaire 1997, 302 und passim für das Folgende. Mayer 2006. 356 Zu Helpidius vgl. Delmaire 1991, 130 f. sowie Delmaire 1997, 303. Zu Olympias vgl. PLRE I, 642 f. (Olympias 2). 357 CTh 16.4.6. 358 Vgl. Tiersch 2002, 384 mit Anm. 25. 359 Vgl. hierzu III.3.1. 360 Vgl. Delmaire 1997, 304. 361 Delmaire 1997, 304–306. 355

4. Kommunikation mit Abwesenden

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Palladius berichtet von Repressionen gegen Kleriker und Amtsinhaber, die nach dem Erlass des Ediktes noch in Kontakt mit Chrysostomus standen.362 Es drohte ihnen der Verlust ihres Vermögens und ihres Amtes. Chrysostomus war am Kaiserhof zu einer persona non grata geworden. Der Abbruch der Korrespondenz ist durchaus vergleichbar mit der Situation, die Libanius widerfahren war, als er verdächtigt wurde, mit dem Usurpator Maximus zu sympathisieren und plötzlich keiner seiner Freunde aus Konstantinopel mehr schrieb.363 Durch das Edikt und die Verbannung war die kaiserliche Meinung zu Chrysostomus jedoch der ganzen Welt eindeutig mitgeteilt worden. Die Beziehung unter diesen Umständen aufrechtzuerhalten, war mit hohen Risiken für seine Freunde verbunden. Erschwerend kam hinzu, dass Chrysostomus durch seine Lebensweise selbst mit dazu beigetragen hatte, dass sich die Zahl seiner Unterstützer in Grenzen hielt.364 Auch der Umstand, dass es sich hier nicht um einen dogmatischen Konflikt handelte, erschwerte die Bildung von Allianzen. Standen Gregor von Nazianz und Basilius von Caesarea beispielsweise während der Herrschaft des Valens durchaus in Kontakt mit dem verbannten nizänischen Bischof Eusebius und trotzten damit dem homöischen Kaiser, war eine Unterstützung aus theologischen Gründen bei Chrysostomus nicht notwendig, denn seine Gegner und er unterschieden sich – wie auch im Edikt festgehalten wurde – nicht im Bekenntnis. Chrysostomus zu helfen, erschien deshalb den meisten nicht opportun: Zu viel stand auf dem Spiel. Die Distanz zeigten sie, indem sie die Briefe unbeantwortet liessen. Die Korrespondenz des Chrysostomus ist gerade deswegen interessant, weil er in seinem Anspruch, seine Kontakte aufrechtzuerhalten, scheiterte: Er erhielt keine Antwortbriefe. Seine Bitten um Inklusion in klerikale sowie weltliche Netzwerke verhallten ungehört, denn jeder, der nicht in Konflikt mit dem Kaiser geraten wollte, vermied die Korrespondenz mit ihm. Da der Brief ein sichtbares Zeichen der Inklusion darstellte, signalisierte das Ausbleiben oder das Verweigern eines Briefes die Exklusion.365 Während sich im Falle des Chrysostomus viele frühere Freunde mit dem Abbruch der philia begnügten, war es in anderen Fällen nötig, die Distanz offensiver zu kommunizieren. Dies konnte über das Medium des offenen Briefes erfolgen.

362 363 364 365

dria.

Vgl. Pall. Dial. 11.31–47; 11.54–58. Vgl. II.4.3., S. 170–172. Vgl. hierzu III.3.1. Vgl. auch Baumkamp 2014, 331 zu Cyprian von Karthago und Dionysius von Alexan-

284

III. Die Kappadokier und Johannes Chrysostomus

Kommunikation mit Feinden: Der offene Brief Anfang der 370er Jahre zerbrach die lange Verbindung zwischen Basilius und seinem früheren Mentor, Eustathius von Sebaste. Zum Bruch geführt hatte der Streit um den Heiligen Geist. Während Basilius von dessen Gottheit überzeugt war, lehnte Eustathius die Unterzeichnung eines entsprechenden Glaubensbekenntnisses ab, so dass er nicht länger mit den Nizänern und den nizänischen Homöusianern in Kirchengemeinschaft stehen konnte.366 Da sich die beiden früheren Verbündeten nun gegenseitig der Häresie bezichtigten, war eine Beziehung nicht mehr möglich. Mit dem Ende der Freundschaft endete auch der persönliche Briefwechsel. Die Auseinandersetzung wurde fortan über offene Briefe weitergeführt, die weiträumig zirkulierten. Es bestätigt sich zunächst die These, die bereits auf der Grundlage der Korrespondenz von Libanius und Julian Apostata formuliert wurde: Briefverkehr bestand nur, solange beide Partner von einer philia ausgingen oder zumindest der Wille dazu vorhanden war. Im Falle einer Feindschaft mussten andere Medien der Kommunikation gewählt werden. In der Auseinandersetzung um divergierende theologische Positionen waren dies Invektiven oder Traktate, aber auch der offene Brief.367 Um den Bruch einer Beziehung und den Vorwurf der Häresie einem breiteren Publikum bekannt zu machen, war dieses Medium ein probates Mittel. Da Eustathius und Basilius lange um eine Einigung gerungen hatten, waren sie in ihren jeweiligen theologischen Lagern selbst unter Verdacht geraten. Umso wichtiger schien eine Klarstellung der Verhältnisse. Eustathius publizierte deshalb wohl im Herbst 373 einen ersten offenen Brief. Darin verkündete er die Auflösung der Kirchengemeinschaft mit Basilius und bezichtigte ihn, eine neue häretische Pneumatologie zu lehren, in welcher er von Apollinaris von Laodicea beeinflusst werde.368 Die Annäherung des Basilius an Apollinaris sollte ihn in den Kreisen der Nizäner diskreditieren, da die Inkarnationslehre des Apollinaris als Häresie galt.369 Basilius reagierte zunächst nicht auf diesen offenen Brief.370 Dies mag einerseits damit zu erklären sein, dass Basilius in jener Zeit mit gesundheitlichen Beschwerden zu kämpfen hatte.371 Andererseits waren Basilius’ Bemühungen, 366 Zum Verlauf dieser Beziehung und zum Kontext der Auseinandersetzung vgl. ausführlich III.2.2. S. auch die Rekonstruktion der Ereignisse bei Hauschild 1993, 1–28 und Drecoll 1996, 199–212. 367 Im Kontext der Diskussion um die Gottheit des Heiligen Geistes ist auch Basilius’ Schrift De Spiritu Sanctu zu verorten. Vgl. Hauschild 1993, 6; Drecoll 1996, 183–269. 368 Vgl. Bas. ep. 244.1; 244.3; 226.3; 130.1. 369 Siehe hierzu Hauschild 1993, 4 f. 370 Siehe Bas. ep. 223.1. 371 Vgl. Hauschild 1993, 5.

4. Kommunikation mit Abwesenden

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Eustathius zur Unterzeichnung eines Bekenntnisses anzuhalten, dem Druck geschuldet gewesen, den mit ihm verbündete Bischöfe ausübten. Sie hatten Eustathius bereits der Häresie verdächtigt, wollten das Verhältnis zu ihm geklärt wissen und forderten Basilius auf, im Streit eine klare Position zu beziehen. Mit Eustathius’ erstem offenen Brief wurde manifest, dass Basilius in keiner Gemeinschaft mehr mit ihm stand. Dem Vorwurf der Häresie mass Basilius zu diesem Zeitpunkt offenbar kein allzu grosses Gewicht bei. Dies änderte sich schlagartig im darauffolgenden Jahr, als Eustathius im Winter 374/375 oder im Frühjahr 375 einen weiteren offenen Brief in Umlauf setzte.372 Eustathius wiederholte in diesem Schreiben die zuvor gegen Basilius vorgebrachten Häresievorwürfe, doch diesmal untermauerte er seine Anklagen mit schriftlichen Beweisen: Er publizierte eine Abschrift von einem oder mehreren Briefen des Basilius an Apollinaris. Diesen Brief verband er überdies mit einer Abhandlung, dessen Verfasser nicht genannt wurde. Aufgrund der Verbindung zwischen dem Brief und der Abhandlung sollte offenbar der Eindruck entstehen, dass Basilius das Gedankengut des Textes teile.373 Damit sollte gezeigt werden, dass Basilius in seiner Trinitätslehre von Apollinaris beeinflusst sei. Der Vorwurf zielte darauf ab, Basilius des Sabellianismus oder Tritheismus zu bezichtigen.374 Diesen Anschuldigungen konnte Basilius nicht mehr mit Schweigen begegnen; er musste sich verteidigen. Deshalb veröffentlichte er seinerseits einen offenen Brief gegen Eustathius (ep.  223), in dem er seine Sicht des Endes seiner Beziehung mit Eustathius darstellte. Dann bezichtigte er ihn seinerseits der Häresie und begann eine Diffamierungsstrategie, die er auch in weiteren Briefen fortführte: Eustathius sei ein Schüler des Arius. Schliesslich warf er ihm politischen Opportunismus vor: Der Angriff gegen seine Person sei von machtpolitischen Motiven geleitet, da Eustathius bei den jetzigen homöischen Machthabern Erfolg haben wolle.375 Gleichzeitig musste Basilius zu den Häresievorwürfen und seinem Verhältnis zu Apollinaris Stellung beziehen. Dass Eustathius einen Brief des Basilius als Beleg für seine Verbindung zu Apollinaris publiziert hatte, unterstreicht die Bedeutung dieses Mediums im innerchristlichen Kontext. Es lohnt sich, Basilius’

372 Dieser Brief war an einen gewissen Dazinas adressiert, zirkulierte aber breit. Vgl. Bas. ep. 131. 373 Vgl. Bas. ep. 129.1; 131; 223.4; 224.2; 226.4; 244.5. 374 Vgl. die Verteidigung in Bas. ep. 131.2: Ἡμεῖς, ἀδελφὲ Ὀλύμπιε, οὔτε τρεῖς θεοὺς λέγομεν οὔτε Ἀπολιναρίῳ κοινωνοῦμεν. – «Wir, lieber Bruder Olympius, lehren nicht drei Götter und haben auch keine Gemeinschaft mit Apollinaris.» (Übers. Hauschild 1973). S. auch Hauschild 1993, 17 f. 375 Bas. ep. 223.5; 223.7; 226.2.

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III. Die Kappadokier und Johannes Chrysostomus

Versuch, die Vorwürfe zu entkräften, genauer anzuschauen, um die Frage, welche Funktion dem Brief in diesem Kontext zukam, zu beantworten.

Briefkontakt zwischen Klerikern: Ein Zeichen von theologischer Nähe? Gegen den Vorwurf, mit Apollinaris in Verbindung zu stehen, startete Basilius eine breite Verteidigungsoffensive, die sich in verschiedenen Briefen nachvollziehen lässt. Zunächst nahm er in einem offenen Schreiben gegen Eustathius Stellung zu den vorgebrachten Beweisen: Ἐγκαλούμεθα γὰρ τὴν εἰς Θεὸν βλασφημίαν οὔτε ἀπὸ συγγραφῆς ἧς προεβαλλόμεθα, ἢ ὅσα ἀγράφως ἀπὸ στόματος ἀεὶ ἐν τῷ φανερῷ ταῖς Ἐκκλησίαις τοῦ Θεοῦ διελέχθημεν. Ἀλλ’ οὐδὲ μάρτυς εὑρέθη ὁ λέγων παρ’ ἡμῶν ἀκηκοέναι τι τῶν ἀσεβῶν ἐν παραβύστῳ φθεγξαμένων. Πόθεν οὖν κρινόμεθα, εἰ μήτε συγγράφομεν ἀσεβῶς, μήτε δημηγοροῦμεν ἐπιβλαβῶς, μήτε ἐν ταῖς κατ’ οἶκον ὁμιλίαις τοὺς ἐντυγχάνοντας διαστρέφομεν; Ὢ τοῦ καινοῦ δράματος. «Ὁ δεῖνα, φησίν, ἐπὶ τῆς Συρίας ἔγραψέ τινα ὡς οὐκ εὐσεβῶς· σὺ δὲ ἐπέστειλας αὐτῷ πρὸ εἴκοσιν ἐτῶν καὶ πλειόνων. Κοινωνὸς ἄρα σὺ τοῦ ἀνθρώπου, καὶ τὰ ἐκείνου κατηγορήματα καὶ σὰ γινέσθω.» Ἀλλ’, ὦ φίλε τῆς ἀληθείας ἄνθρωπε, ὁ τὸ ψεῦδος γέννημα εἶναι τοῦ διαβόλου δεδιδαγμένος, πῶς ἐπείσθης ἐμὴν εἶναι τὴν ἐπιστολὴν ἐκείνην; Οὐ γὰρ ἀπέστειλας, οὐδ’ ἠρώτησας, οὐδὲ παρ’ ἐμοῦ, τοῦ δυναμένου σοι τἀληθὲς εἰπεῖν, ἐδιδάχθης. Εἰ δὲ καὶ ἐμὸν τὸ γράμμα, πόθεν δῆλον ὅτι τοῦτο τὸ νῦν σοι ἐμπεσὸν σύνταγμα σύγχρονον τοῖς ἐμοῖς γράμμασι; Τίς σοι ὁ εἰπὼν ὅτι εἴκοσίν ἐστιν ἐτῶν ἡ συγγραφὴ αὕτη; Πόθεν δὲ δῆλον ὅτι ἐκείνου ἐστὶ τοῦ ἀνθρώπου τὸ σύνταγμα πρὸς ὃν καὶ ἡ παρ’ ἐμοῦ ἐπιστολὴ διεπέμφθη; Εἰ δὲ κἀκεῖνος ὁ συγγραφεὺς κἀγὼ ἐκείνῳ ἐπέστειλα καὶ χρόνος εἷς τῶν τ’ ἐμῶν γραμμάτων καὶ τοῦ συγγράμματος, ὅτι παρεδεξάμην αὐτὸ τῇ διανοίᾳ καὶ ἔχω ἐν ἐμαυτῷ ἐκεῖνο τὸ φρόνημα, τίς ἡ ἀπόδειξις; «Wir werden der Lästerung gegen Gott beschuldigt, ohne dass man uns aufgrund einer Schrift, die wir selbst über den Glauben veröffentlicht haben, oder aufgrund von Worten, die wir ohne schriftliche Form mündlich stets in der Öffentlichkeit in den Kirchen Gottes gesprochen haben, überführen könnte. Aber auch kein Zeuge wurde gefunden, der behauptete, von uns im Geheimen irgendein gottloses Wort gehört zu haben. Weshalb also werden wir angeklagt, wenn wir weder gottlos schreiben noch schädlich verkündigen noch in privaten Gesprächen die Anwesenden verderben? Oh, welch neues Schauspiel! Ein Gewisser, heisst es, hat in Syrien etwas angeblich nicht rechtgläubig geschrieben; du aber hast ihm einen Brief geschickt vor zwanzig Jahren und noch früher, folglich bist du ein Genosse dieses Menschen, und seine Ver-

4. Kommunikation mit Abwesenden

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brechen werden auch die Deinigen. Doch, lieber Mann der Wahrheit, der du gelehrt worden bist, dass die Lüge ein Produkt des Teufels ist [vgl. Joh 8,44], wie bist du überzeugt worden, dass jener Brief von mir stammt? Denn du hast nicht hergeschickt, hast weder gefragt noch von mir, der ich dir die Wahrheit sagen könnte, eine Auskunft bekommen. Wenn es aber wirklich mein Brief ist, woher ist es klar, dass die Abhandlung, die dir jetzt in die Hände gefallen ist, aus der gleichen Zeit wie mein Brief stammt? Wer hat dir gesagt, dass diese Abhandlung zwanzig Jahre alt ist? Woher ist es klar, dass die Abhandlung von jenem Menschen stammt, an den auch der Brief von mir geschickt wurde? Wenn aber jener der Verfasser ist, ich jenem geschrieben habe und die Zeit meines Briefes und der Abhandlung sich deckt, was ist dann der Beweis dafür, dass ich sie der Gesinnung nach akzeptiert habe und jenes Denken in mir selber trage?»376 Basilius hatte sich gegen zwei Anklagepunkte zu verteidigen: Zum einen musste er die Autorschaft der anonymen Schrift häretischen Inhalts von sich weisen und zum anderen seinen Kontakt mit Apollinaris von Laodicea richtigstellen. Basilius’ Brief an Apollinaris wurde von seinen Gegnern als Zeugnis dafür verwendet, dass er in Verbindung mit einem Häretiker stehe. Offenbar war in der Anklage argumentiert worden, aufgrund dieses Briefkontaktes sei davon auszugehen, dass Basilius auch das Gedankengut seines Briefpartners teile und folglich selbst als Häretiker zu betrachten sei. Basilius zog die Authentizität des Briefes in Zweifel: Die Anklage beruhe auf einem einzigen Brief, dessen Echtheit nicht bestätigt sei, da Eustathius höchstens eine Kopie besitze und ihn deshalb nicht anhand der Unterschrift als Brief des Basilius identifizieren könne.377 Zudem wies er zweimal auf das hohe Alter des vorgelegten Briefes hin: Zwanzig Jahre sei er alt.378 Basilius bestritt aber nicht grundsätzlich, dass es einen Kontakt zwischen ihm und Apollinaris gegeben habe. Er stellte aber jeden Bezug zu der ebenfalls verbreiteten Abhandlung in Frage. Weder der Autor noch die Abfassungszeit des Textes, der anonym zirkulierte, stünden fest. Zudem kritisierte er die Prämisse des Eustathius: Selbst wenn Apollinaris die Schrift verfasst habe und diese zu dem Zeitpunkt abgefasst worden sei, als er mit ihm in Briefkontakt gestanden habe, so sei dies noch kein Beleg dafür, dass er seine Ansichten teile.

376

Bas. ep. 223.4 (Übers. Hauschild 1993). Bas. ep. 223.6. 378 Bas. ep. 223.4; 223.6. Möglicherweise hatte Eustathius diese Information bereits bei der Publikation des Briefes gegeben, oder der Brief war mit einem Datum versehen. 377

288

III. Die Kappadokier und Johannes Chrysostomus

Diese Argumente führte er in anderen Briefen, in welchen er sich gegen diese Vorwürfe verteidigte, weiter aus. An die ihm als Bischof unterstellten Asketen schrieb er:379 Εἴ τις ἐν Συρίᾳ συγγράφει, τοῦτο οὐδὲν πρὸς ἡμᾶς. «Ἐκ γὰρ τῶν λόγων σου δικαιωθήσῃ, φησί, καὶ ἐκ τῶν λόγων σου καταδικασθήσῃ». Οἱ ἐμοὶ λόγοι ἐμὲ κρινέτωσαν· ὑπὲρ δὲ ἀλλοτρίων ἡμᾶς σφαλμάτων μηδεὶς καταδικαζέτω, μηδὲ τὰς πρὸ εἴκοσιν ἐτῶν γραφείσας παρ’ ἡμῶν ἐπιστολὰς εἰς ἀπόδειξιν προβαλλέσθω τοῦ νῦν κοινωνικοὺς ἡμᾶς εἶναι τοῖς ἐκεῖνα συγγράψασιν. Ἡμεῖς γὰρ πρὸ τῶν συγγραμμάτων λαϊκοὶ ὄντες πρὸς λαϊκοὺς ἐπεστέλλομεν, πρὸ τοῦ τινα καὶ ὑπόνοιαν τοιαύτην κατ’ αὐτῶν κινεῖσθαι· καὶ ἐπεστέλλομεν οὐδὲν περὶ τῆς πίστεως, οὐδ’ οἷα νῦν ἐπὶ τῇ καθ’ ἡμῶν διαβολῇ περιφέρουσιν οὗτοι, ἀλλὰ ψιλὰς προσηγορίας ἀγαπητικὴν προσφώνησιν ἀποπληρούσας. Ἡμεῖς γὰρ ὁμοίως καὶ τοὺς τὰ Σαβελλίου νοσοῦντας καὶ τοὺς τὰ Ἀρείου δόγματα ἐκδικοῦντας ὡς ἀσεβεῖς ἀποφεύγομεν καὶ ἀναθεματίζομεν. «Wenn jemand in Syrien etwas verfasst, haben wir nichts damit zu tun. ‹Denn aufgrund deiner Worte wirst du gerechtfertigt werden›, heisst es, ‹und aufgrund deiner Worte wirst du verurteilt werden› [Mt 12,37]. Meine eigenen Worte sollen mich richten, aber für fremde Vergehen soll uns niemand verurteilen und soll auch niemand die vor zwanzig Jahren von uns geschriebenen Briefe zum Beweis dafür vorlegen, dass wir jetzt in Gemeinschaft mit denen stehen, die jenes verfasst haben. Wir haben nämlich vor den verfassten Texten als Laien an Laien geschrieben, bevor jemand überhaupt einen solchen Verdacht gegen sie hegte. Auch haben wir nicht über den Glauben geschrieben, auch nicht das, was diese Leute jetzt zu unserer Verleumdung verbreiten, sondern blosse Grussworte, die den Zweck einer freundschaftlichen Anrede erfüllten. Denn gleichermassen die, die an der Krankheit des Sabellius leiden, wie die, die die Lehren des Arius verteidigen, meiden wir als Gottlose und verdammen sie.»380 In diesem Brief räumte Basilius ein, dass es einen Briefkontakt zwischen ihm und Apollinaris gegeben habe. Er sprach nun gar von mehreren Briefen, die zwischen ihnen ausgetauscht wurden. Zwei Gründe führte er an, weshalb dies dennoch kein Beweis dafür sei, dass er mit Apollinaris in Gemeinschaft stehe: Einerseits 379

Die Adressaten sind mit Hauschild 1990, 198 Anm. 130 als asketische Gemeinschaften zu identifizieren, deren spiritueller Lehrer Basilius war. Da Eustathius seinerseits Basilius’ Mentor in asketischen Fragen gewesen war und sein Einfluss auf diese geographisch wohl vor allem im Pontus-Raum und im nördlichen Kappadokien zu suchenden Gemeinschaften möglicherweise ebenfalls nicht gering war, war es für Basilius wichtig, diese Gruppen auf seine Seite zu ziehen. 380 Bas. ep. 226.4 (Übers. Hauschild 1993; Hervorhebung S. R.).

4. Kommunikation mit Abwesenden

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würden die Briefe nur den Kontakt von vor zwanzig Jahren belegen, und andererseits habe Apollinaris zu jenem Zeitpunkt noch nicht im Verdacht gestanden, einer häretischen Lehre anzuhängen. Die besagte Abhandlung sei erst nach dem Briefwechsel entstanden. Zudem hätten sie sich damals «als Laien» geschrieben. Die Briefe hätten keine theologischen Fragen berührt und seien deshalb nur als freundschaftliche Grussworte zu verstehen. Implizit unterschied Basilius hier zwischen einem Briefwechsel zwischen Laien und einem Briefwechsel zwischen Klerikern. Dieselbe Argumentationsstrategie verfolgte er auch gegenüber einem nicht näher bekannten Presbyter Genethlius, über den er sich an einen weiteren Kreis von Sympathisanten wandte:381 Εἰ δὲ ἐπιστολὴν προφέρουσι τὴν λοιπὸν πρὸ εἴκοσι πέντε ἐτῶν γραφεῖσαν αὐτῷ, παρὰ λαϊκοῦ πρὸς λαϊκὸν (καὶ οὐδὲ ταύτην ὡς γέγραπται παρ’ ἐμοῦ, ἀλλὰ μεταποιηθεῖσαν, ὑπὸ τίνων δὲ ὁ Θεὸς οἶδε), γνωρίσατε αὐτόθεν τὴν ἀδικίαν, ὅτι οὐδεὶς ἐν ἐπισκοπῇ ὢν ἐγκαλεῖται, εἴ τι κατὰ ἀδιαφορίαν ἐν τῷ λαϊκῷ βίῳ ἀπαρατηρήτως ἔγραψε· καὶ τοῦτο μηδὲν περὶ πίστεως, ἀλλὰ ψι λὸν γράμμα φι λικὴν ἔχον προσηγορίαν. Τάχα δὲ κἀκεῖνοι φαίνονται καὶ Ἕλλησι καὶ Ἰουδαίοις γράψαντες καὶ μὴ ἔχοντες ἐγκλήματα. Μέχρι γὰρ σήμερον οὐδεὶς ἐκρίθη ἐπὶ τοιούτῳ πράγματι ἐφ’ ᾧ ἡμεῖς καταδικαζόμεθα παρὰ τῶν διυλιζόντων τοὺς κώνωπας. «Wenn sie aber einen Brief vorbringen, der übrigens vor fünfundzwanzig Jahren an ihn geschrieben wurde, und zwar von einem Laien an einen Laien – und nicht einmal so, wie er von mir geschrieben wurde, sondern Gott weiss von wem verändert –, dann erkennt man daran das Unrecht, weil niemand im Bischofsamt getadelt wird, wenn er irgend etwas Belangloses während seines Lebens als Laie unvorsichtig geschrieben hat. Und dieses hatte gar nichts mit dem Glauben zu tun, sondern war ein blosser Brief, der einen freundschaftlichen Gruss enthielt. Vielleicht aber zeigt sich, dass jene auch an Hellenen und Juden Briefe geschrieben haben, ohne dafür getadelt zu werden. Denn bis heute wurde noch niemand für eine solche Sache gerichtet, für die wir von denen verurteilt werden, die ‹die Mücken seihen› [vgl. Mt 23,24].»382 Basilius differenzierte zwischen der Verantwortung und der Handlung eines Bischofs und der eines Laien. Auch hier betonte er, dass das Schreiben nur ein freundschaftlicher Gruss gewesen sei. Damit konnte er den Briefverkehr mit der Korrespondenz mit Nicht-Christen vergleichen, wofür auch niemand getadelt 381 382

Vgl. Bas. ep. 224.3. Bas. ep. 224.2 (Übers. nach Hauschild 1993; Hervorhebung S. R.).

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III. Die Kappadokier und Johannes Chrysostomus

werde. Er räumte allerdings implizit ein, dass die Korrespondenz als problematisch hätte betrachtet werden können, hätte er solches als Bischof geschrieben. Da er aber zum Zeitpunkt des Briefes noch Laie gewesen sei, könne ihm dies nicht negativ angerechnet werden.383 Ein Teil des Briefwechsels zwischen Apollinaris von Laodicea und Basilius ist erhalten.384 Die Briefe sind – entgegen Basilius’ Beteuerungen – keine blossen Freundschaftsgrüsse, sondern behandeln konkrete theologische Fragen. Basilius erkundigte sich bei Apollinaris beispielsweise über die Bestimmung des Begriffes homousios («wesenseins»).385 Es könnte durchaus sein, dass Eustathius ein solcher Brief des Basilius vorlag. Aus dem Briefwechsel wird allerdings auch deutlich, dass Apollinaris und Basilius in ihren Positionen stark differierten. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Korrespondenz deshalb nach kurzer Zeit wieder abbrach. Unabhängig von der Beurteilung dieses spezifischen Falles stellt sich die Frage, welche Bedeutung einem Briefwechsel im klerikalen Kontext zukam. Eustathius hatte den Brief als Beweis für eine bestehende Glaubensgemeinschaft verbreitet. Basilius versuchte dies zu widerlegen, indem er den Brief als Korrespondenz zwischen Laien einordnete. Hätte es einen Unterschied gemacht, wenn der Brief zeitgenössisch gewesen wäre? Hätte es sich um eine Korrespondenz zwischen zwei Bischöfen gehandelt, wäre dann die Gemeinschaft zwischen ihnen bestätigt gewesen? Basilius hielt fest, dass ihm die Gemeinschaft mit Apollinaris nur unterstellt werden könne, wenn aktuelle Beweise vorlägen: Ἀλλ’ ἐροῦσιν ὅτι κοινωνὸς Ἀπολιναρίου ἐγὼ καὶ τῶν τοιούτων δογμάτων τὴν διαστροφὴν ἔχων ἐν ἐμαυτῷ. Ἀπαιτηθήτωσαν τὰς ἀποδείξεις. Εἰ μὲν καρδίαν ἀνθρώπου διερευνᾶν ἴσασι, τοῦτο ὁμολογείτωσαν, καὶ γνωρίσατε αὐτῶν τὴν περὶ πάντα ἀλήθειαν. Εἰ δὲ ἐκ τῶν φαινομένων καὶ πᾶσι προδήλων ἐλέγχουσί μου τὴν κοινωνίαν, δειξάτωσαν ἢ κανονικὰ γράμματα παρ’ ἐμοῦ πρὸς αὐτὸν διαπεμπόμενα, ἢ παρ’ἐκείνου πρὸς ἐμέ· ἢ τῶν κληρικῶν τὰς πρὸς ἡμᾶς ἐπιμιξίας, εἴ τινα αὐτῶν εἰς κοινωνίας εὐχὴν ἐδεξάμεθά ποτε. 383 Wie Hauschild 1993, 196 Anm. 115 herausgestellt hat, bedeutet Basilius’ Altersangabe von 20 bis 25 Jahren, dass der Briefwechsel Anfang der 350er Jahre zu datieren ist, als er selbst noch Student in Athen oder Konstantinopel war. Apollinaris dagegen wird damals bereits Lektor, und somit kein Laie mehr, gewesen sein. 384 Bas. ep. 361–364. Zu diesem Briefwechsel vgl. Prestige 1956; De Riedmatten 1956; De Riedmatten 1957; Mühlenberg 1969; Drecoll 1996, 21–37; Capone 2013. Der Briefwechsel wird mehrheitlich für authentisch erachtet. Zur Forschungsdiskussion vgl. Drecoll 1996, 20 Anm. 2. 385 Vgl. Bas. ep. 361.

4. Kommunikation mit Abwesenden

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«Doch sie werden behaupten, dass ich mit Apollinaris in Gemeinschaft stehe und die Verkehrtheit solcher Lehren in mir trage. Man solle Beweise fordern! Denn wenn sie das Herz eines Menschen zu erforschen verstehen [vgl. Röm 8,27], sollen sie das bekennen, und Ihr sollt ihre Wahrheit in allen Dingen erkennen. Wenn sie aber aufgrund von offensichtlichen, für alle klaren Umständen mich der Gemeinschaft überführen, dann sollen sie Beweise liefern: entweder kanonische Briefe, die von mir an ihn oder von ihm an mich geschickt wurden, oder den Verkehr der Kleriker mit uns, ob wir jemals einen von ihnen in die Gebetsgemeinschaft aufgenommen haben.»386 Als Beleg für eine Gemeinschaft würde zum einen die Aufnahme von Mitgliedern aus Apollinaris’ Klerus in die Gebetsgemeinschaft gelten. Das gemeinsame Feiern der Eucharistie war Zeichen grösstmöglicher Verbundenheit. Zum anderen könnten auch grammata kanonika oder grammata koinonika, wie es in einer alternativen Lesart lautet, die Übereinstimmung im Glauben bezeugen. Beide Begriffe stehen für die Bestätigung der Kirchengemeinschaft in Briefform.387 Solche Schreiben wurden unter anderem zu Beginn der Amtszeit von Bischöfen ausgetauscht. Ihnen kam eine hohe Bedeutung zu. Auf der Synode, welche Paulus von Samosata als Bischof von Antiochia absetzte, und Domnus zu seinem Nachfolger weihte, wurde verfügt, die Bischöfe von Rom und Alexandria sowie zahlreiche Provinzbischöfe entsprechend zu informieren und sie anzuhalten, an Domnus zu schreiben und von ihm den Gemeinschaftsbrief zu empfangen (ἐδηλώσαμέν τε ὑμῖν, ὅπως τούτῳ γράφητε καὶ παρὰ τούτου τὰ κοινωνικὰ δέχησθε γράμματα).388 Allerdings weigerte sich Paulus, seinen Bischofssitz aufzugeben, und wandte sich diesbezüglich an Kaiser Aurelianus. Dieser entschied, dass derjenige rechtmässiger Bischof sei, «mit welchem die christlichen Bischöfe Italiens und Roms in schriftlichem Verkehr stünden» (τούτοις νεῖμαι προστάττων τὸν οἶκον, οἷς ἂν οἱ κατὰ τὴν Ἰταλίαν καὶ τὴν Ῥωμαίων πόλιν ἐπίσκοποι τοῦ δόγματος ἐπιστέλλοιεν).389 Gerade in Zeiten kirchenpolitischer Auseinandersetzungen war der Brief als Beleg für die koinonia wichtig. Sowohl Cyprian von Karthago als auch Athanasius von Alexandria versuchten, ihre Gemeinschaften aus dem Exil zu orchestrieren, indem sie Listen versandten, in welchen alle von Ihnen als rechtgläubig

386

Bas. ep. 224.2 (Übers. Hauschild 1993; Hervorhebung S. R.). Vgl. u. a. can. 8 der Synode von Antiochia 341 und Eus. hist. eccl. 7.30.17–19. S. auch Popkes 1976, 1136. 388 Eus. hist. eccl. 7.30.17. 389 Eus. hist. eccl. 7.30.19. 387

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III. Die Kappadokier und Johannes Chrysostomus

anerkannten Bischöfe genannt waren, mit denen Briefe ausgetauscht werden durften.390 Auch Todesfälle und Neueinsetzungen wurden auf diese Weise kommuniziert. Je nachdem, ob die Kirchengemeinschaft mit dem Vorgänger auf dem Bischofsstuhl schon bestand oder nicht, konnte die Kontaktaufnahme mit einem neuen Kollegen mehr oder weniger formal erfolgen. Als Basilius beispielsweise zum ersten Mal an Petrus, den Nachfolger von Athanasius auf dem Bischofssitz von Alexandria schrieb, postulierte er die Gemeinschaft im Glauben (ἡ κατὰ τὴν πίστιν κοινωνία), weil Petrus ein Zögling des Athanasius sei und er folglich «in demselben Geiste» wandle wie er (τῷ αὐτῷ πορεύεσθαι πνεύματι) und «denselben frommen Lehrsätzen» (τοῖς αὐτοῖς στοιχεῖν τῆς εὐσεβείας δόγμασι) folge.391 Inhaltlich wurde der Glauben nicht näher bestimmt. Der Brief nahm insgesamt eher die Form eines christianisierten Freundschaftsbriefes an: Basilius sah sich in wahrer Liebe (agape) mit Petrus verbunden. Auch als er auf den ersten Brief eines Bischofs namens Sophronius reagierte,392 verdichtete er die Charakterisierung ihrer Verbindung auf die agape: Durch das Schreiben hatte Sophronius seine agape bewiesen, was in einer Zeit, in der «wegen des Anwachsens der Gesetzlosigkeit die Liebe der Menge erkaltet» sei (Mt 24,14), besonders bedeutsam erscheine.393 Die inhaltliche Übereinstimmung wurde auch hier nicht näher ausgeführt. Demgegenüber bekannte sich Basilius in einem Brief an den illyrischen Bischof Valerianus zur «guten Lehre unserer in Nizäa versammelten Väter» und verdammte die Häresie des Arius. Doch auch hier ist das Schreiben eher ein Freundschaftsbrief in christlichem Gewand als eine förmliche Erklärung der Kirchengemeinschaft.394 Es gibt keine Hinweise, dass den genannten Briefen noch ein unterzeichnetes Bekenntnis beigelegt gewesen wäre.395 Vielmehr war bereits der Umstand, dass geschrieben wurde, von entscheidender Bedeutung. Der Brief als solcher stand für Nähe, die im klerikalen Kontext auch theologische Nähe bedeutete. So riet Basilius seinem Freund Amphilochius, Bischof von Iconium, zunächst mittels Boten das von Häresien erschüt-

390

Vgl. z. B. Cypr. ep. 59.9. Vgl. hierzu auch Baumkamp 2014, 246; 250. Athanasius integrierte solche Listen mit dem expliziten Hinweis, an wen zu schreiben sei, in seine Osterfestbriefe, vgl. hierzu Gwynn 2019. 391 Bas. ep. 133 (Übers. Hauschild 1973). Vgl. zu diesem Brief auch III.2.2., S. 217–219. 392 Über Sophronius ist nichts bekannt. Für mögliche Identifizierungen vgl. Hauschild 1973, 171 f. Anm. 193. 393 Bas. ep. 172. 394 Bas. ep. 91. 395 Explizite Glaubensbekenntnisse wurden dann gefordert, wenn die Position des anderen unklar war. So sollte Eustathius ein entsprechendes Bekenntnis unterschreiben, um den Nizänern seine Rechtgläubigkeit zu beweisen. Vgl. die Ausführungen weiter oben, S. 223.

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terte Lykien zu erkunden, bevor er einen Brief an die rechtgläubigen Bischöfe und Presbyter der Gegend sende und sie zu einem Treffen einlade: […] ἵνα καταξιώσῃς ἄνδρα σπουδαῖον πέμψαι εἰς τὴν Λυκίαν καὶ κατασκέψασθαι τίνες εἰσὶν οἱ τῆς ὀρθῆς πίστεως. Δεῖ γὰρ τάχα μὴ παροφθῆναι αὐτούς, εἴπερ ἀληθῆ ἐστιν ἅ τις τῶν ἐκεῖθεν παραγενομένων πρὸς ἡμᾶς εὐλαβῶν διηγήσατο· ὅτι πάντη πρὸς τὸ Ἀσιανὸν φρόνημα ἀπηλλοτριωμένοι ἡμᾶς καταδέχονται ἐπιγράφεσθαι κοινωνούς. Εἰ δὲ μέλλει τις ἀπιέναι, ἐπιζητησάτω ἐν Κορυδάλοις Ἀλέξανδρον ἀπὸ μοναζόντων ἐπίσκοπον καὶ ἐν Λιμύρᾳ Διάτιμον καὶ ἐν Κύροις Τατιανὸν καὶ Πολέμωνα καὶ Μακάριον πρεσβυτέρους, ἐν Πατάροις ἐπίσκοπον Εὔδημον, ἐν Τελμεσῷ Ἱλάριον ἐπίσκοπον, ἐν Φέλῳ Λολλιανὸν ἐπίσκοπον. Τούτους καὶ ἔτι πλείους ἀνεγνώρισέ τις ἡμῖν ὡς ὑγιαίνοντας περὶ τὴν πίστιν, καὶ πολλὴν ἔσχον χάριν τῷ Θεῷ, εἴ τινες ὅλως ἐν τῷ κλίματι τῷ Ἀσιανῷ ἔξω εἰσὶ τῆς βλάβης τῶν αἱρετικῶν. Ἐὰν μὲν οὖν ᾖ δυνατόν, τέως ἄνευ γραμμάτων αὐτοὺς κατασκεψώμεθα· πεισθέντες δέ, λοιπὸν καὶ ἀποστέλλομεν ἐπιστολὴν καὶ σπουδάζομέν τινα ἐξ αὐτῶν προσκαλέσασθαι εἰς τὴν συντυχίαν ἡμῶν. Γένοιτο δὲ πάντα ἐν καιρῷ περὶ τὴν ποθεινοτάτην ἡμῖν Ἐκκλησίαν τὴν Ἰκονίου. Πάντα τὸν τίμιον κλῆρον καὶ τοὺς συνόντας τῇ θεοσεβείᾳ σου ἀσπαζόμεθα διὰ σοῦ. «[…] Du möchtest bitte einen tüchtigen Mann nach Lykien schicken, um zu erkunden, welches die Leute mit dem rechten Glauben sind. Denn man darf sie vielleicht nicht ausser acht lassen, falls es wahr ist, was einer der gottesfürchtigen Leute, die von dort zu uns gekommen sind, erzählte: Da sie der asiatischen Gesinnung ganz entfremdet sind, akzeptieren sie es, uns als Glaubensgenossen zu dekretieren. Wenn aber jemand fortreisen sollte, dann soll er in Korydalla Alexander, den Bischof von den Mönchen, aufsuchen, in Limyra Diatimus und in Myra die Presbyter Tatianus, Polemon und Makarius, in Patara den Bischof Eudemus, in Telmessus den Bischof Hilarius, in Phellus den Bischof Lollianus. Diese und noch mehrere andere machte uns jemand als ‹gesund im Glauben› [vgl. Tit 2,2] kenntlich, und ich war Gott sehr dankbar dafür, dass überhaupt einige in der asiatischen Region ausserhalb des schädlichen Einflusses der Häretiker stehen. Wenn es also möglich ist, wollen wir sie eine Zeitlang ohne ein Schreiben erkunden: Wenn wir aber überzeugt sind, dann schicken wir schliesslich auch einen Brief und bemühen uns darum, einen von ihnen zu unserer Zusammenkunft einzuladen.»396

396 Bas. ep. 218 (Übers. Hauschild 1993). Zum Ausdruck «asiatische Gesinnung» (τὸ Ἀσιανὸν φρόνημα), der nur hier vorkommt, vgl. Hauschild 1993, 190 Anm. 63. Die Mehrzahl der Gemeinden in der Diözese Asia war nicht-nizänisch, weshalb Basilius hier offenbar die regionale Bezeichnung mit einer häretischen, d. h. arianischen Geisteshaltung gleichsetzte. Zu den erwähnten Klerikern vgl. PCBE 3, 93 (Alexandros 1); 217 f. (Diatimos); 885 f.

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III. Die Kappadokier und Johannes Chrysostomus

Basilius entwarf ein Itinerar der Rechtgläubigkeit, das es vor dem ersten Briefkontakt zu überprüfen galt. Da dem Brief eine hohe symbolische Bedeutung zukam, konnten Basilius und Amphilochius nicht einfach die dortigen Kleriker anschreiben und auf ihre Reaktion warten. Bereits der erste Brief war bedeutend, und deshalb hiess es, Vorsicht walten zu lassen. Eine briefliche Verbindung durfte erst dann eingegangen werden, wenn die theologische Nähe bestätigt war. So begründete Basilius den Beginn seiner Korrespondenz mit nicht näher bekannten ägyptischen Bischöfen im Exil mit dem Hinweis, dass er über ihre Rechtgläubigkeit in Kenntnis gesetzt worden war: Ἐπεὶ οὖν τῇ τοῦ Θεοῦ χάριτι ἐμάθομεν ὑμῶν τὴν ὀρθότητα τῆς πίστεως, ἐμάθομεν τὸ περὶ τὴν ἀδελφότητα ἐπιμελὲς καὶ ὅτι οὐ παρέργως οὐδὲ ἠμελημένως παρέρχεσθε τὰ κοινωφελῆ καὶ ἀναγκαῖα πρὸς σωτηρίαν, ἀλλ’ εἴ τι πρὸς οἰκοδομὴν τῶν Ἐκκλησιῶν ἐνεργεῖν προαιρεῖσθε, δίκαιον ἐνομίσαμεν κοινωνοὶ γενέσθαι τῆς ἀγαθῆς μερίδος ὑμῶν καὶ συνάψαι ἑαυτοὺς διὰ τοῦ γράμματος τῇ ὑμετέρᾳ εὐλαβείᾳ. «Da wir nun durch Gottes Gnade von eurer Rechtgläubigkeit erfahren haben, von der Fürsorge für die Bruderschaft und davon, dass ihr das, was zum Heil nützlich und nötig ist, nicht nur nebenbei oder nachlässig verrichtet, sondern dass ihr alles mögliche zur Erbauung der Kirchen zu tun euch vorgenommen habt, hielten wir es für recht, Teilhaber eures guten Anteils zu werden und uns durch einen Brief eurer Frömmigkeit zu verbinden.»397 Die einmal festgestellte Übereinstimmung im Glauben brauchte allerdings eine regelmässige Rückversicherung durch den Brief. Wenn in schwierigen Situationen nicht mehr geschrieben wurde, konnte dies als Zeichen bewusster Distanz gedeutet werden. Zeichneten sich in einer Region Unruhen ab oder hörte man Gerüchte über befreundete Kleriker, die deren Orthodoxie in Frage stellten, versuchte man, sich brieflich der Verbundenheit – und dies bedeutete der Rechtgläubigkeit – des Adressaten zu versichern. Aufschlussreich ist diesbezüglich ein Schreiben, das Basilius an die Presbyter von Neocaesarea richtete.398 Er sprach das lange Schweigen an, das zwischen ihnen geherrscht habe. Dass kein «freundlicher Brief» ihn erreicht habe, deutete er dahingehend, dass die Presbyter seinen Verleumdern ihr Ohr geschenkt hatten. Basilius forderte sie eindringlich auf,

(Tatianos 1); 812 (Polemon 1); 632 (Makarios 1); 276 (Eudemos 2); 445 (Hilarios 1); 620 (Lollianos 1). 397 Bas. ep. 265 (Übers. Hauschild 1993). 398 Bas. ep. 204. Es fällt auf, dass das Schreiben nicht an den Bischof gerichtet war, mit dem Basilius nicht in Verbindung stand.

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nicht mit ihm zu brechen. Er wies darauf hin, dass dann alle diejenigen Bischöfe, die in Kirchengemeinschaft mit ihm stünden, auch mit ihnen brechen würden: Δικαιότερον δὲ τὰ καθ’ ἡμᾶς κρίνεσθαι μὴ ἐξ ἑνὸς ἢ δευτέρου τῶν μὴ ὀρθοποδούντων πρὸς τὴν ἀλήθειαν, ἀλλ’ ἐκ τοῦ πλήθους τῶν κατὰ τὴν οἰκουμένην ἐπισκόπων συνημμένων ἡμῖν χάριτι τοῦ Κυρίου. Ἐξετασθῶσι δὲ Πισίδαι, Λυκάονες, Ἰσαῦροι, Φρύγες ἑκάτεροι, Ἀρμενίων ὅσον ὑμῖν ἐστὶ πρόσοικον, Μακεδόνες, Ἀχαιοί, Ἰλλύριοι, Γάλλοι, Σπάνοι, Ἰταλία σύμπασα, Σικελιῶται, Ἄφροι, Αἰγύπτου τὸ ὑγιαῖνον, τῆς Συρίας ὁπόσον λείψανον· οἵτινες πέμπουσί τε πρὸς ἡμᾶς γράμματα καὶ πά λιν δέχονται παρ’ ἡμῶν. Ὧν ἐστὶν ὑμῖν ἔκ τε τῶν ἐκεῖθεν φερομένων γραμμάτων μαθεῖν καὶ ἐκ τῶν ἐντεῦθεν πά λιν ἀντιπεμπομένων αὐτοῖς διδαχθῆναι ὅτι σύμψυχοι πάντες ἐσμέν, τὸ ἓν φρονοῦντες. Ὥστε ὁ τὴν πρὸς ἡμᾶς κοινωνίαν ἀποδιδράσκων μὴ λανθανέτω ὑμῶν τὴν ἀκρίβειαν πάσης ἑαυτὸν τῆς Ἐκκλησίας ἀπορρηγνύς. Περιβλέψασθε, ἀδελφοί, πρὸς τίνας ἐστὶν ὑμῖν ἡ κοινωνία· ἐπειδὰν παρ’ ἡμῶν μὴ δεχθῆτε, τίς ὑμᾶς λοιπὸν ἐπιγνώσεται; «Es wäre gerechter, unsere Sache nicht aufgrund von ein oder zwei Leuten zu beurteilen, die ‹nicht den geraden Weg der Wahrheit gehen› [Gal 2,14], sondern aufgrund der Menge der uns durch die Gnade des Herrn in der ganzen Welt verbundenen Bischöfe. Man möge Psidier befragen, Lykaonier, Isaurier, beide Phryger, von den Armeniern welche, so weit sie euch benachbart sind, Makedonier, Achäer, Illyrier, Gallier, Spanier, ganz Italien, Sizilianer, Afrikaner, den gesunden Teil Ägyptens, Syrien, soweit es übriggeblieben ist: Sie schicken uns Briefe und empfangen wiederum welche von uns. Daher könnt ihr aus den dorther überbrachten Briefen erfahren und aus den von hier dorthin geschickten Antwortschreiben lernen, dass wir alle einmütig dasselbe denken. Deswegen – das möge eurem Scharfsinn nicht entgehen! – reisst sich derjenige, welcher sich aus der Gemeinschaft mit uns löst, von der ganzen Kirche los. Blickt umher, liebe Brüder, mit wem ihr jetzt Gemeinschaft habt. Wenn ihr von uns nicht mehr akzeptiert werdet, wer wird euch dann noch anerkennen?»399 Als Zeichen der glaubensmässigen Verbundenheit führte Basilius die Briefe an, die zwischen ihm und den anderen Bischöfen ausgetauscht worden waren. Dass er selbst an die Presbyter von Neocaesarea schrieb, zeigte sein Bemühen, den Konflikt beizulegen und die Gemeinschaft zu bestärken.

399

Bas. ep. 204.7 (Übers. Hauschild 1973; Hervorhebung S. R.).

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III. Die Kappadokier und Johannes Chrysostomus

Zusammenfassung Auch unter Christen wurde beobachtet, wer von wem einen Brief erhielt. Zur Inszenierung brieflicher Kontakte griffen christliche Autoren auf dieselben Strategien zurück wie ihre nicht-christlichen Zeitgenossen: Briefe wurden bei Erhalt vorgelesen, weitergereicht, abgeschrieben und teilweise in Sammlungen publiziert. Der Brief war ein Symbol der Freundschaft und behielt unter geänderten Vorzeichen auch im christlichen Kontext seine Bedeutung. Geschrieben wurde nur, solange Nähe vorlag oder intendiert wurde. Im christlichen Milieu muss jedoch zwischen der Korrespondenz unter Klerikern und der Korrespondenz unter Laien oder von Klerikern mit Laien unterschieden werden. Während die Korrespondenz unter Laien ein Zeichen individueller Nähe war, erhielt der Brief unter Klerikern eine zusätzliche Bedeutung: Ein Briefwechsel zwischen Klerikern signalisierte immer auch eine theologische Nähe. Bereits bei der Kommunikation unter Anwesenden wurde darauf hingewiesen, dass die theologische Nähe bei der Interaktion andere Formen von Nähe überlagerte. Dies gilt auch für den Brief und damit die Kommunikation mit Abwesenden. In der Konsequenz bedeutet dies, dass Briefe unter Klerikern nur solange ausgetauscht werden konnten, wie davon ausgegangen wurde, dass der Briefpartner grundsätzlich einer nach dem jeweiligen Blickwinkel ‹orthodoxen› Lehrmeinung folgte. Bestanden erhebliche Zweifel, musste der Briefwechsel abgebrochen werden. Denn das Nicht-Schreiben signalisierte Distanz. Wenn diese Distanz einem grösseren Kreis publik gemacht werden sollte, empfahl sich das Medium des offenen Briefes. Damit konnten die Aufkündigungen von persönlichen Freundschaften und kirchlicher Gemeinschaft einem grösseren Kreis kundgetan und die Distanz zusätzlich inszeniert werden. Zugleich eignete sich der offene Brief, um theologische Debatten zu führen, die nicht (oder nicht mehr) in einem persönlichen Briefwechsel ausgetragen werden konnten, da die theologische Nähe nicht gegeben war oder erhebliche Zweifel daran bestanden. Auch zwischen Klerikern war der regelmässige Briefwechsel von zentraler Bedeutung für die kontinuierliche Bestätigung der Beziehung nach innen und der Performanz nach aussen. Über die briefliche Kommunikation wurden die Inund Exklusion in eine den jeweiligen Ort transzendierende, überregionale christliche Gemeinschaft erfahrbar.

IV. Fazit Das vierte Jahrhundert war eine Zeit des Umbruchs, in der das Imperium Romanum einschneidende Veränderungen erfuhr, die sich auch auf die Zusammensetzung der sozialen, politischen und religiösen Eliten auswirkten. Das Christentum avancierte von der verfolgten zur tolerierten und schliesslich zur kaiserlich protegierten Religion. Immer mehr Angehörige der oberen Schichten gehörten dieser neuen Glaubensgemeinschaft an. Kleriker und insbesondere Bischöfe übernahmen wichtige Funktionen in den Städten des Römischen Reiches und traten zunehmend mit Sophisten und anderen lokalen Patronen in Konkurrenz. Zugleich bestimmten kirchenpolitische Auseinandersetzungen das Klima zwischen verschiedenen christlichen Gruppierungen. Doch nicht nur religiöse, sondern auch administrative Veränderungen beeinflussten die Konstituierung der spätantiken Eliten. In Konstantinopel wurde ein zweiter Senat gegründet, die Verwaltung des Imperium Romanum ausgebaut und der Dienst in der kaiserlichen Administration mit der Verleihung des Senatorentitels belohnt. Zahlreiche Angehörige der provinzialen städtischen Oberschichten im Osten des Römischen Reiches stiegen dadurch in den Senatorenstand auf. Für Ausbildung und Karriere verliessen viele – zumindest für einige Jahre – ihre Heimat. Geographische und soziale Mobilität prägten das vierte Jahrhundert gleichermassen. Dies förderte die Bildung von überregionalen Netzwerken. Die vielfältigen Möglichkeiten und Betätigungsfelder von provinzialen Eliten illustrieren nicht zuletzt auch die Lebensläufe der hier untersuchten Autoren: Libanius erlangte als Sophist eine Stellung von weitreichender Bedeutung. Die Kappadokier – Basilius von Caesarea, Gregor von Nazianz sowie Gregor von Nyssa – und Johannes Chrysostomus, die in Bezug auf ihre soziale Herkunft und ihre Ausbildung durchaus mit Libanius vergleichbar sind, entschieden sich für den Dienst in christlichen Gemeinden. Auch sie hatten schliesslich Positionen inne, deren Einfluss weit über ihre Heimatstädte hinausreichte. Für den Erfolg jedes Einzelnen waren die Beziehungen, über die er verfügte, von zentraler Bedeutung. Über Netzwerke wurden Informationen ausgetauscht, aber es wurde auch Einfluss ausgeübt. Kontakte wurden über das Medium des Briefes im gesamten griechischsprachigen Osten des Imperium Romanum gepflegt. Im Zentrum dieser Arbeit standen die Freundschaftsbeziehungen, welche die sozialen, politischen und religiösen Eliten miteinander verbanden: Philia integrierte die heterogenen spätantiken Oberschichten im Osten des Imperium

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IV. Fazit

Romanum in einflussreiche Netzwerke flexibler Konstellation. Für die Kohäsion der spätantiken Gesellschaft waren diese Netzwerke von herausragender Bedeutung. Ziel dieser Arbeit war es, zum ersten Mal systematisch die Normen und Konventionen zu analysieren, die in der Spätantike mit philia verbunden waren. Unter Rückgriff auf begriffsgeschichtliche Methoden wurden die Funktionsweise und die Bedeutung von philia als Beziehungsform eruiert (1.). Zudem wurden die Formen symbolischer Kommunikation unter Freunden in den Blick genommen. Interessiert haben in diesem Zusammenhang die Sichtbarkeit von Freundschaftsbeziehungen und die Möglichkeiten der Performanz von Nähe und Distanz sowohl durch bestimmte Interaktionen als auch durch den Brief  (2.). Durch die Untersuchung von Freundschaftsbeziehungen sowohl im paganen als auch im christlichen Milieu konnte ferner der Einfluss der zunehmenden Christianisierung auf die Konstituierung und den Erhalt sozialer Beziehungen bestimmt werden (3.). Im Folgenden sollen die wichtigsten Ergebnisse zusammengefasst werden.

1. Philia als Beziehungsform In einer Zeit schwacher staatlicher Strukturen und fehlender Sozialversicherungen war es für den Einzelnen unerlässlich, in ein tragfähiges Netz von Freunden eingebunden zu sein, die ihn bei Bedarf in ökonomischen, juristischen oder politischen Angelegenheiten unterstützten. Auch für eine Karriere in der Ämterhierarchie waren die Empfehlungen von einflussreichen Freunden von zentraler Bedeutung. Die begriffsgeschichtliche Analyse hat ergeben, dass philia eng mit charis, d. h. dem reziproken Austausch von Gefälligkeiten und Hilfeleistungen, verbunden war. Von Freunden wurde die Unterstützung in verschiedenen Lebensbereichen erwartet. Wenn Freunde ein Amt ausübten, so erachtete man es als selbstverständlich, dass sie ihre philoi an den Vorteilen ihrer dynamis partizipieren liessen. Über Freundschaftsbeziehungen konnte folglich der eigene Einflussbereich beachtlich ausgeweitet werden. Philoi waren eine wichtige Ressource und Teil des eigenen sozialen Kapitals. Freundschaftsverbindungen trugen damit massgeblich zur gesellschaftlichen Stellung des Einzelnen bei. Über einflussreiche Freunde konnte auch die Vertikalität anderer Beziehungen relativiert werden. Freundschaftsbeziehungen sollten deshalb nicht nur als Dyaden, sondern im Kontext eines grösseren Netzwerkes betrachtet werden. Philia war ein dynamisches Konzept. Rangverhältnisse innerhalb einer Beziehung konnten sich im Laufe der Zeit ändern. Dies trifft auf den untersuchten Zeitraum besonders zu, da die zahlreichen neugeschaffenen Stellen in der kaiserlichen Administration die soziale Mobilität förderten. Als deutungsoffener Begriff konnte philia horizontale wie vertikale Beziehungen gleichermassen

IV. Fazit

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beschreiben. Dynamisch war philia nicht nur im Hinblick auf die Hierarchie: Auch die individuelle Nähe zwischen den beteiligten Personen konnte variieren. Philia beschrieb Beziehungen unterschiedlicher Intensität und Stabilität. Philia-Beziehungen wurden pragmatisch eingegangen. Eine emotionale Verbundenheit zwischen den philoi war möglich, aber keine Bedingung. Denn philiai konnten sowohl aus längerem Kontakt erwachsen als auch vererbt oder durch Freunde empfohlen werden. Mitunter entstanden philiai auch zwischen Personen, die sich nie begegnet waren. In diesen Fällen wurde die Freundschaft über den Brief konstituiert. Gemeinsame Freunde bürgten für den Charakter, den Ruf und das korrekte Verhalten des neuen philos. Wichtig war zudem das Bekenntnis zu einem gemeinsamen Bildungsideal. Denn Bildung war nicht nur ein soziales Distinktionsmerkmal, sondern wurde auch als Grundstein für ein angemessenes Verhalten angesehen. Wer über paideia verfügte, wusste auch, wie er sich als philos zu verhalten hatte. Philiai konnten deshalb über die Religionsgrenzen hinweg zwischen Christen und Heiden bestehen. Es ist kein Initiationsritual bekannt, welches die philoi vor Zeugen aneinandergebunden hätte. Vielmehr wurde von philia gesprochen, wenn beide Parteien bereit waren, die damit verbundenen Regeln und Pflichten einzuhalten. Hierzu gehörte der reziproke Austausch von charites genauso wie die Partizipation an verschiedenen Kommunikationsformen.

2. Kommunikation unter Freunden und die Performanz von Nähe und Distanz Als wichtige Kommunikationsformen unter Freunden, die sich am selben Ort aufhielten, konnten Besuche, Gastmähler und Begleitungen ins Bad identifiziert werden. Auch die Art und Weise der Begrüssung gab Aufschluss über die Beziehung. Bei Freunden, die geographisch getrennt waren, wurde über den Brief kommuniziert. Die Performanz von philia über diese Kommunikationsformen war aus mehreren Gründen wichtig: So wurde durch die Kommunikationen die Existenz einer philia überhaupt erst manifest. Da philia im Gegensatz zu Verwandtschaftsbeziehungen nicht als gegeben vorausgesetzt werden konnte, musste sie über verschiedene Formen der Interaktion kontinuierlich bestätigt werden. Auch für Dritte wurde philia erst durch diese Interaktionen sichtbar. Da sich nur Beziehungen auf den sozialen Status auswirken konnten, die allgemein bekannt waren, kam der Sichtbarkeit eine grosse Bedeutung zu. Die Öffentlichkeit bot zudem eine gewisse Kontrollinstanz, die säumige Freunde sanktionieren konnte: Wer sich nicht für seine Freunde einsetzte, riskierte einen schlechten Ruf, der es ihm wiederum erschwerte, neue Freunde zu gewinnen. Umgekehrt war die öffentliche

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IV. Fazit

Wahrnehmung auch eine Entschädigung für all diejenigen, die ihren vermeintlichen Freunden halfen, ohne eine angemessene Gegenleistung erhalten zu haben. Ihr gesellschaftliches Ansehen stieg aufgrund des Einsatzes für den philos, denn nur wer sich für seine Freunde engagierte, verfügte über entsprechenden Einfluss. Durch philia-Beziehungen konnte somit auch die eigene Macht (dynamis) demonstriert werden. Die verschiedenen Kommunikationsakte dienten überdies dazu, verschiedene Grade von Nähe und Distanz zum Ausdruck zu bringen. Netzwerke unterschiedlicher Stabilität und Intensität wurden dadurch sichtbar. Wie gezeigt wurde, war die Kommunikation dabei immer sowohl von der individuellen Nähe zwischen zwei Personen als auch von ihrer relativen sozialen Hierarchie, der formalisierten Nähe, bestimmt. Bei Besuchen variierte die Bedeutung je nach Tageszeit. Am Vormittag fanden die sogenannten salutationes statt, die im Osten des Imperium Romanum nur für Beamte und nicht für Privatpersonen belegt sind. Die Teilnahme an den salutationes erfolgte hierarchisch in Rangklassen. Bereits die Zulassung stellte eine Auszeichnung dar: Wer teilnehmen konnte, gehörte zur sozialen Elite. Die salutationes dienten deshalb immer auch der Selbstvergewisserung einer Gruppe und der Inszenierung der relativen Rangfolge. Nicht nur der Zugang erfolgte gestaffelt: Auch im Innern des Hauses wurden Gäste ihrem Rang entsprechend in unterschiedlichen Räumen empfangen. Gewisse Besucher wurden bei der Begrüssung zudem durch einen Kuss von dem Beamten ausgezeichnet. Im vierten Jahrhundert waren es jedoch nicht mehr die Magistrate selbst, die über die zu vergebenden Ehren und damit über die Performanz von Nähe und Distanz bestimmten, sondern vielmehr regelten verschiedene kaiserliche Gesetze die Rangfolge des Zugangs und den Kreis derer, die in den Genuss der osculatio kommen sollten. Die salutationes demonstrierten daher primär die formalisierte Nähe zwischen den Beteiligten. Sie sollten die kaiserlichen Ranggesetze performativ umsetzen und die Rangordnung dadurch perpetuieren. Mit diesen Ranggesetzen sollte nicht zuletzt festgeschrieben werden, dass die Entscheidungshoheit über die Nähe zum Zentrum der Macht und die Vergabe von symbolischen Ehren beim Kaiser und nicht bei subalternen Beamten lag. Ausdruck individueller Nähe und Distanz war dem Hausherrn sowie den Besuchern nur noch in beschränktem Masse möglich. Dies bedeutete indes nicht, dass salutationes für die Interaktionen der Oberschichten weniger wichtig gewesen wären. Im Gegenteil: Erst dadurch, dass man regelmässig die sozialen Hierarchien inszenierte, wurden Abweichungen erkennbar, die als Ausdruck individueller Nähe interpretiert werden konnten. Individuelle Nähe wurde bei Besuchen am Nachmittag zum Ausdruck gebracht. Sie waren ein sicheres Zeichen von philia. Graduelle Unterschiede konnten

IV. Fazit

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über die Häufigkeit dargestellt werden. Die Hierarchie zwischen den Beteiligten bestimmte, ob die Besuche gegenseitig waren oder ob nur der Rangniedrigere den Ranghöheren aufsuchte. Die Erlaubnis zu einem Nachmittagsbesuch bei einem hohen Beamten stellte eine grosse Ehre dar. Eine weitere Steigerung lässt sich mit der Einladung zum Gastmahl feststellen. Auch architektonisch wurde zwischen den Besuchern differenziert: Freunde wurden im Obergeschoss empfangen, andere Gäste im Untergeschoss. Ebenfalls ein Zeichen der Nähe war die Einladung in ein privates Bad. Unter Gleichrangigen zeigte sich philia darin, dass öffentliche und privat betriebene Bäder gemeinsam aufgesucht und die Freunde zusammen an öffentlichen Plätzen gesehen wurden. Je häufiger solche Interaktionen stattfanden, umso gefestigter war die Freundschaft. Veränderungen waren im städtischen Raum leicht beobachtbar. Blieben Besuche und andere Kommunikationsformen aus, konnte von Distanz ausgegangen werden. Auch Begrüssungen spiegelten die Beziehungen. Um die Form der Begrüssung richtig zu deuten, musste die relative Hierarchie bekannt sein. Der Kontext der Begegnung war ebenfalls relevant. So hatte ein Kuss zur Begrüssung in asymmetrischen Beziehungen eine ungleich höhere Aussagekraft als in symmetrischen. Während ein Kuss unter Standesgenossen die formalisierte Nähe symbolisierte und bei der salutatio gar durch kaiserliche Gesetze vorgeschrieben war, demonstrierte ein Kuss auf den Mund zwischen Personen mit einem Statusgefälle individuelle Nähe. Wurde auf eine standesgemässe Begrüssung verzichtet, signalisierte dies Feindschaft. Die ausdifferenzierten Interaktionsformen zwischen Anwesenden wurden bei der Kommunikation mit Abwesenden durch den Brief ersetzt. Der Brief galt bereits in der antiken Brieftheorie als Symbol der Freundschaft, und moderne Forschungen haben immer wieder auf die Bedeutung von Briefnetzwerken hingewiesen, um Beziehungen auch über Distanz zu pflegen. Der Fokus dieser Arbeit lag auf der Visibilität brieflicher Kommunikation und den Möglichkeiten, Nähe und Distanz mit abwesenden Freunden performativ zu inszenieren. Es wurde herausgestellt, dass die Bedeutung des Briefes nur adäquat erfasst werden kann, wenn auch nach den Umständen des Brieferhalts und der grundsätzlichen Sichtbarkeit von Briefen gefragt wird. Briefe wurden oftmals auf öffentlichen Plätzen wie der agora übergeben und damit vor den Augen zahlreicher Mitbürger. Wenn ein Bote mit Briefen in der Stadt eintraf, sprach sich dies schnell herum, und man eilte zu den Orten, wo man den Boten anzutreffen hoffte. Im städtischen Raum wurde genau beobachtet, wer von wem einen Brief erhielt und wer nicht. Gängige Praktiken wie das Vorlesen und Weiterreichen von Briefen erhöhten die Sichtbarkeit und waren ein Mittel zur öffentlichkeitswirksamen Darstellung der eigenen Beziehungen.

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IV. Fazit

Dabei muss der Brief immer als multimediales und multifunktionales Kommunikationsmedium betrachtet werden. Die Nachricht bestand neben dem geschriebenen Wort meist auch aus einer mündlichen Mitteilung, die der Bote direkt überbrachte. Zudem konnte der Bote, je nach Beziehung zum Verfasser, auch als dessen Stellvertreter agieren. Über den Brief und den Briefboten konnten folglich Abwesende in die Kommunikation unter Anwesenden integriert werden. Die Verfasser antizipierten das Vorlesen ihrer Briefe und verfolgten verschiedene Methoden der wechselseitigen Inklusion: Entweder imaginierten sie sich selbst als anwesend bei konkreten Anlässen und richteten sich direkt an ein breiteres Publikum, so dass der Empfänger den Brief lediglich zum richtigen Zeitpunkt vortragen musste. Oder sie schilderten, wie sie ihrerseits den Adressaten durch das Vorlesen und Weiterreichen seines Schreibens in ihre lokalen Netzwerke integriert hatten. Verbreitete der Empfänger diesen Brief, wurde auch an seinem Wohnort bekannt, über welche Beziehungen er und sein Korrespondent in anderen Städten verfügten. Die wechselseitige Integration über das Medium des Briefes in Kommunikationsformen unter Anwesenden war somit eine Strategie der überregionalen Netzwerkbildung. Eine zentrale These dieser Arbeit besagt, dass der Brief aufgrund seiner Sichtbarkeit und seiner Funktion als Symbol der Freundschaft nicht geeignet war, um Konflikte auszutragen. Wie gezeigt wurde, kam bereits dem Erhalt eines Briefes eine hohe symbolische Bedeutung zu. Ein Brief signalisierte von Seiten des Verfassers immer den Wunsch nach philia. Der Empfänger konnte den Brief publikumswirksam abweisen, um deutlich zu machen, dass er die Beziehung nicht wünschte. Im Gegensatz zu der ausdifferenzierten Interaktion unter Anwesenden gab es bei der Kommunikation mit Abwesenden nur die Möglichkeit, zu schreiben – oder eben nicht zu schreiben. Diese binäre Codierung erlaubte deshalb nur den Ausdruck von Nähe oder Distanz. Im Brief selbst konnten lediglich graduelle Abstufungen von Nähe ausgedrückt werden, nicht jedoch grundsätzliche Distanz. Der Brief eignete sich deshalb nicht zum Austragen von Konflikten. Es konnte aufgezeigt werden, dass eine stark affektive Sprache gerade kein Beleg für eine besonders enge Beziehung war, sondern vielmehr ein Indiz dafür, dass die Korrespondenten nicht sehr vertraut miteinander waren und überhaupt erst eine philia herstellen wollten. Auch wenn es Konflikte zu überwinden galt, wurde auf ein affektives Vokabular und zahlreiche Appelle an die Freundschaft zurückgegriffen. Demgegenüber war es ein Zeichen von grösserer Nähe, wenn die Briefe sich von epistolographischen Vorgaben lösten und auf formelhafte Wendungen verzichteten. Distanz konnte erst durch den Abbruch der Korrespondenz demonstriert werden. Um Distanz zu inszenieren, brauchte es immer die Inklusion anderer. Erst wenn ein Bündel Briefe in der Stadt eintraf und beobachtet werden konnte, an

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wen diese Briefe verteilt wurden und an wen nicht, wurden Nähe und Distanz sichtbar. Philia wurde im weltlichen Kontext in den seltensten Fällen aufgekündigt. Vielmehr endete die philia mit dem Ende der Korrespondenz; sie konnte jedoch jederzeit wieder aktiviert werden, sofern von beiden Beteiligten der Wille dazu vorhanden war. Sollte die Freundschaft mit einem Abwesenden aufgekündigt und die Feindschaft erklärt werden, musste hierzu auf das Medium des offenen Briefes zurückgegriffen werden. Es waren insbesondere christliche Autoren, die den offenen Brief nutzten, um theologische Debatten zu führen und sich gegebenenfalls von Häretikern zu distanzieren.

3. Christliche Strategien der Netzwerkbildung Christen und Nicht-Christen partizipierten gleichermassen an philia-Netzwerken. Zahlreiche Beziehungen zwischen Christen und Heiden sowie unter Christen sind in den Korrespondenzen belegt, die sich nach den tradierten Normen und Konventionen von Freundschaft richteten. Die Bedeutung von philia lag also gerade darin, dass sie religionsübergreifend konzipiert war und dadurch innerhalb der sozialen Eliten integrierend wirkte. Es konnte zwar festgestellt werden, dass die Freundschaft zwischen zwei Christen idealisiert und mit der traditionellen Tugendfreundschaft gleichgesetzt wurde: ‹Wahre› Freundschaft konnte in dieser Perspektive nur zwischen zwei Christen bestehen. So finden sich Ansätze einer christlichen Umdeutung der Reziprozität von Freundschaftsbeziehungen: Als Dank für einen erwiesenen Gefallen wurde nun auch die Vergeltung durch Gott in Aussicht gestellt. Aber auch unter Christen war die gegenseitige Unterstützung ein zentrales Element von Freundschaftsbeziehungen. Die Gemeinsamkeiten zwischen Christen und Heiden waren grösser als die Unterschiede, solange es sich um weltliche Beziehungen handelte. Wichtiger als die grundsätzliche Trennung zwischen Christen und Heiden ist deshalb die Differenzierung nach dem Kontext des jeweiligen Kontaktes. Im kirchlichen Bereich wurden die Kriterien zur Konstituierung von Freundschaft um die Übereinstimmung in dogmatischen Überzeugungen ergänzt. Basilius machte auch semantisch sichtbar, dass Beziehungen im weltlichen und im klerikalen Kontext nicht deckungsgleich waren. Für die Beziehungen im kirchlichen Kontext verwandte er den genuin christlichen Begriff der agape, während er im weltlichen Bereich an die philia seiner christlichen und heidnischen Freunde appellierte. Dadurch wird die Parallelität zweier verschiedener Konzepte sozialer Inklusion manifest. Während für die agape klare In- und Exklusionskriterien bestanden, orientierte sich philia weiterhin am offenen klassischen Ideal, das theoretisch alle Angehörigen der sozialen Eliten zu inkludieren vermochte. Auch

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bei Autoren, welche die semantische Trennung des Basilius nicht übernahmen, konnte die inhaltliche Differenzierung zwischen Beziehungen im weltlichen und im klerikalen Kontext festgestellt werden. Der Kontakt mit weltlichen Eliten war für Kleriker und insbesondere für Bischöfe ausserordentlich wichtig. Denn um selbst als Patrone für ihre Gemeindemitglieder auftreten zu können, waren sie ihrerseits auf einflussreiche Beziehungen angewiesen. Briefliche Kontakte mit sozialen Eliten führten Bischöfe und Kleriker nach den tradierten Regeln der philia. In der direkten Interaktion mit weltlichen Eliten waren Kleriker jedoch mit der Frage konfrontiert, wie sie gewisse soziale Praktiken mit einer asketischen Lebensweise vereinen konnten. Insbesondere die Teilnahme an den üppig ausgestatteten aristokratischen Gastmählern stand in eklatantem Widerspruch zur asketischen Enthaltsamkeit. Ein einheitlicher Habitus für Bischöfe hatte sich im vierten Jahrhundert allerdings noch nicht ausgebildet. Entsprechend finden sich in den Quellen die unterschiedlichsten Lösungsansätze. Wenig förderlich für die Pflege von Beziehungen war die prinzipielle Weigerung, an Banketten teilzunehmen, wie das Beispiel des Johannes Chrysostomus gezeigt hat. Auf diese Weise wurde gegenüber einflussreichen Männern Distanz signalisiert, was wiederum die Möglichkeiten zur Etablierung tragfähiger Netzwerke einschränkte. Im Kontakt unter Klerikern hatten sich ebenfalls eine Reihe von Interaktionsformen etabliert, welche geeignet waren, Nähe und Distanz auszudrücken. Theologische Nähe wurde durch das gemeinsame Feiern der Eucharistie kommuniziert. Eine hohe Symbolik kam auch dem Kuss unter Klerikern zu: Er versinnbildlichte ebenfalls die Übereinstimmung in Fragen des Glaubens. Zudem wurde der Kuss nur zwischen Klerikern, nicht aber zwischen Klerikern und Laien ausgetauscht. Damit wurde durch den Kuss auch im kirchlichen Bereich eine formalisierte Nähe zum Ausdruck gebracht. Kamen Bischöfe anderer Städte zu Besuch, wurden sie vom gesamten Klerus der lokalen Kirche vor den Mauern der Stadt in Empfang genommen und zur Kirche geleitet. Ein solcher Einzug, der an den adventus weltlicher Magistrate angelehnt war, inszenierte die Beziehung räumlich und veranschaulichte einem breiten Publikum die Akzeptanz des Ankömmlings durch den heimischen Bischof. Fehlte ein solcher Empfang, bedeutete dies Distanz. Wichtig für klerikale Kontakte waren darüber hinaus die Gastfreundschaft und das gemeinsame Einnehmen von Mahlzeiten. Graduelle Abstufungen konnten in der Zuweisung der Räumlichkeiten sichtbar gemacht werden. Für diese Interaktionen war eine grundsätzliche theologische Nähe die entscheidende Voraussetzung. Kirchliche Gemeinschaft konnte hinzutreten. Häretikern verweigerte man hingegen selbst die christliche Gastfreundschaft. Wurde Distanz angezeigt, so implizierte dies immer, dass keine Übereinstimmung im

IV. Fazit

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Bekenntnis vorlag. Die Möglichkeiten, individuelle Distanz bei gleichzeitiger theologischer Nähe darzustellen, waren deshalb eingeschränkt. Bei der Kommunikation mit Abwesenden behielt der Brief auch unter Klerikern seine symbolische Bedeutung: Er stand grundsätzlich für Nähe, die nun notwendigerweise theologische Nähe implizierte. Auch diese Verbindung musste regelmässig über den Brief bestätigt werden. Blieben die Briefe aus, musste befürchtet werden, dass auch die theologische Nähe nicht mehr gegeben war und der Freund in kirchenpolitischen Auseinandersetzungen die Seite gewechselt hatte. Weil der Brief unter Klerikern nicht nur individuelle, sondern auch theologische Nähe symbolisierte, war jeglicher schriftliche Kontakt mit Häretikern oder der Häresie verdächtigen Personen zu meiden. Genau wie im weltlichen Bereich hätten bereits das Senden oder der Erhalt eines Briefes eine Beziehung vorausgesetzt. Man liess deshalb höchste Vorsicht walten, wenn es zu entscheiden galt, an wen geschrieben werden konnte und an wen nicht. Mitunter wurden sogar Boten ausgesandt, um zu prüfen, mit wem man in Kontakt treten könne. Gerade im Zuge kirchenpolitischer Auseinandersetzungen war nicht nur die Inszenierung von Nähe wichtig, sondern auch die Abgrenzung gegenüber Häretikern. Über den offenen Brief konnten theologische Diskussionen geführt und es konnte Distanz gegenüber dogmatischen Gegnern zum Ausdruck gebracht werden. Unter Freunden wie Feinden bestimmte folglich ein etabliertes Repertoire an symbolischen Formen der Kommunikation die Art und Weise, wie interagiert werden konnte. In der stratifizierten römischen Gesellschaft wurden nicht nur soziale Hierarchien performativ umgesetzt, sondern auch unterschiedliche Grade von Nähe und Distanz in individuellen Beziehungen inszeniert. Durch jeden Kommunikationsakt wurde die horizontale wie vertikale Verflechtung der römischen Eliten aktualisiert und perpetuiert. Die öffentliche Performanz dieser ubiquitären Verbindungen verweist auf deren strukturelle Bedeutung im weltlichen wie im klerikalen Kontext. Der kaiserliche Hof und Verwaltungsapparat sowie die kirchlichen Gemeinden waren zur Rekrutierung von geeigneten Kandidaten und zur Durchsetzung überregionaler Interessen auf individuelle Freundschaftsverbindungen angewiesen – und zwar sowohl im hier untersuchten Osten wie im Westen des Imperium Romanum. Freundschaften hielten das Römische Reich zusammen.

V. Bibliographie 1. Abkürzungen Es werden die gängigen Abkürzungen antiker Autoren und Werktitel verwendet, die sich mit geringfügigen Modifikationen nach Der Neue Pauly, Bd. 1, xxxix–xlvii; Lampe, Geoffrey W. H. (Hrsg.), A Patristic Greek Lexicon, Oxford 1961, xi–xlv und dem Index librorum scriptorum inscriptionum des Thesaurus linguae Latinae richten. Abkürzungen von Fachzeitschriften folgen der Année Philologique. Zudem werden im Text und in der Bibliographie folgende Abkürzungen verwendet:

BGL CIL FK 64

GCS JLA LSJ PCBE 3 PG PLRE I RAC SC TRE W 24

Bibliothek der griechischen Literatur Corpus Inscriptionum Latinarum Fatouros, Georgios/Krischer, Tilman, Libanios. Briefe griechisch-deutsch. In Auswahl herausgegeben, übersetzt und erläutert (Tusculum), München 1980, hier bspw. Brief Nr. 64. Die griechischen christlichen Schriftsteller der ersten Jahrhunderte Journal of Late Antiquity Liddel, Henry G./Scott, Robert, revised and augmented throughout by Jones, Sir Henry S., A Greek-English Lexicon, Oxford 1996 [1843]. Destephen, Sylvain, Prosopographie Chrétienne du Bas-Empire, Vol. 3, Diocèse d’Asie (325–641), Paris 2008. Patrologiae Cursus Completus, Series Graeca Jones, Arnold H. M./Martindale, John R./Morris, John, The Prosopography of the Later Roman Empire, Vol. I, A.D. 260–395, Cambridge 1971 [reprinted 1975]. Reallexikon für Antike und Christentum Sources Chrétiennes Theologische Realenzyklopädie Weis, Bertold  K., Julian. Briefe. Griechisch-deutsch (Tusculum), München 1973, hier bspw. Brief Nr. 24.

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V. Bibliographie

2. Quelleneditionen In das Verzeichnis wurden nur diejenigen Quellen aufgenommen, die in der Arbeit ausführlich zitiert wurden. An erster Stelle wird jeweils die verwendete Textausgabe angegeben. Übersetzungen und Kommentare folgen in der alphabetischen Reihenfolge ihrer Herausgeber.

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ep. 15.1: 148 ep. 27: 278 ep. 27.2: 277 ep. 27.6: 277 ep. 186.40: 277 Basilius von Caesarea De Spiritu Sanctu: 284 ep. 1: 191, 220 ep. 14: 191 ep. 28.3: 220 ep. 54: 210 ep. 61: 275 ep. 63: 211 ep. 64: 212 ep. 70: 226 ep. 72: 205, 212 ep. 74: 192 ep. 75: 192 ep. 76: 192 ep. 83: 203, 205, 209 ep. 84: 205 ep. 84.1: 205 ep. 91: 223, 292 ep. 97: 192 ep. 98: 192 ep. 100: 192 ep. 109: 205, 208 ep. 119: 220, 221, 222, 225 ep. 122: 227 ep. 128.2: 226 ep. 128.3: 226 ep. 129.1: 285 ep. 130.1: 284 ep. 131: 285 ep. 131.2: 285 ep. 133: 218, 219, 292 ep. 154: 218, 219 ep. 167: 274

340

ep. 172: 220, 292 ep. 174.1: 273 ep. 196: 69 ep. 204: 294 ep. 204.6: 190 ep. 204.7: 295 ep. 210.1: 190, 191 ep. 218: 293 ep. 219: 266 ep. 223: 225, 285 ep. 223.1: 284 ep. 223.2: 191 ep. 223.2–3: 220 ep. 223.3: 190 ep. 223.4: 285, 286 f. ep. 223.5: 221, 285 ep. 223.6: 224, 287 ep. 223.7: 225, 285 ep. 224.2: 289, 290 f. ep. 224.3: 289 ep. 225: 192 ep. 226.2: 285 ep. 226.3: 284 ep. 226.4: 285, 288 ep. 231: 192 ep. 232: 192 ep. 237: 192 ep. 239: 192 ep. 244.1: 284 ep. 244.3: 284 ep. 244.5: 285 ep. 265: 294 ep. 273: 203, 205 ep. 274: 205 ep. 290: 210 ep. 313: 205 ep. 330: 270 ep. 335–359: 46 ep. 361: 290 ep. 361–364: 290 reg. fus. 21: 131, 246 Cicero Lael. 20: 9 Lig. 12.38: 201 Clemens von Alexandria q.d.s. 32.6: 201 Paed. I 13.101.2: 200

VI. Indices

Paed. II 1.9.4–2.10.6: 237 Paed. II 7.53.3: 237 Paed. II 11.82.2: 236 Paed. II 12.120.6: 236 Paed. II 12.122.1: 236 Paed. II 12.128.1: 236 Paed. III 2.4–3.25: 236 Paed. III 5.31: 237 Paed. III 5.32: 237 Paed. III 9.46–48: 237 Paed. III 11.80.1–3: 237 Paed. III 11.81.2: 256 Paed. III 11.81.3: 256 Paed. III 11.82.2: 139 strom. II 19.101.3–19.102.1: 200 strom. II 19.102.1: 200 strom. II 19.102.2: 201 strom. VI 9.71.5: 200 Codex Theodosianus 1.16.6: 139 1.16.12: 120, 126 1.16.13: 120, 126 3.5.6: 138 6.24.4: 118 6.26.5: 118 12.1: 33 12.1.38: 76 12.1.39: 76 12.1.57: 33 12.1.109: 119 16.4.6: 197, 282 Cyprian ep. 59.9: 292 Demetrius Eloc. 223: 151 Eloc. 224: 149 Eloc. 232: 154 Dio Chrysostomus 3.86: 57 3.104–106: 57 Diogenes Laërtius 2.81: 57

1. Quellenindex

Epiphanius von Salamis pan. 2.30.23.1–5: 267 Eunapius vit. soph. 10.6.1–3: 76 vit. soph. 16.1.7–8: 24 vit. soph. 16.2.8: 36 Euripides Andr. 188: 83 Orest. 450: 203 Eusebius von Caesarea hist. eccl. 3.28.6: 267 hist. eccl. 4.14.6: 267 hist. eccl. 7.30.6–9: 273 hist. eccl. 7.30.6–17: 158 hist. eccl. 7.30.17: 291 hist. eccl. 7.30.17–19: 291 hist. eccl. 7.30.19: 291 Gregor von Nazianz carm. 2.1.12.77–84: 194 de vita sua: 195, 280 de vita sua 112–130: 191 de vita sua 211: 191 de vita sua 355: 191 de vita sua 439–450: 193 de vita sua 592–597: 194 de vita sua 607–608: 194 de vita sua 1305–1376: 194 de vita sua 1591–1679: 194 ep. 1: 191 ep. 2: 191 ep. 4: 191 ep. 5: 191 ep. 11.2: 214 ep. 13: 212 ep. 13.1: 202 ep. 15: 203, 228 ep. 15.2–3: 203 ep. 16.7–8: 229 ep. 24: 212 ep. 31: 228 ep. 31.1: 203 ep. 38: 212 ep. 39: 212, 213 ep. 39.1: 213 ep. 39.3: 213

ep. 41: 230 ep. 42: 229, 230 ep. 42.2–3: 230 ep. 43: 230 ep. 51: 278 ep. 51–54: 198 ep. 52: 278 ep. 53: 279 ep. 66.3: 274 ep. 67.1: 212 ep. 74: 228 ep. 88: 203, 228 ep. 100: 231 ep. 100.1–2: 231 ep. 100.4: 213, 231 ep. 121.1: 229 ep. 134: 203 ep. 145.5: 210 ep. 147: 207 ep. 148: 206, 207 ep. 148.4–5: 207 ep. 150: 207 ep. 155: 207 ep. 156: 207 ep. 159: 203 ep. 168: 228 ep. 173: 209 ep. 174: 212 ep. 181.1: 206 ep. 195: 203 ep. 204: 213 ep. 225.4–5: 208 ep. 227: 228 ep. 233: 213 ep. 240.4: 270 ep. 241: 69 ep. 249: 249 epigr. 1: 231 epigr. 2: 231 or. 1: 191 or. 2: 191 or. 7.6: 191 or. 18.10: 257 or. 42: 194, 195 or. 42.24: 246 or. 43: 3, 195, 280 or. 43.12: 190 or. 43.13: 190, 191 or. 43.14: 190

341

342

or. 43.14–23: 190 or. 43.19–21: 213 or. 43.45–53: 192 or. 43.58–59: 192 or. 43.59: 193 Gregor von Nyssa ep. 1: 249 ep. 1.6–7: 250 ep. 1.10: 250 ep. 1.11–13: 250 ep. 1.13: 253 ep. 1.16–17: 254 ep. 1.21: 250 ep. 1.22–23: 250 ep. 1.24: 265 ep. 1.24–25: 251 ep. 1.26–35: 251 ep. 1.27: 251 ep. 14.2–4: 276 vita Macr. 6.5–7.8: 191 Hieronymus adv. Ruf. 3.17: 261 adv. Ruf. 3.23: 258, 259 adv. Ruf. 3.33: 258, 259 ep. 22: 149 ep. 52.11: 245 ep. 130.14: 261 Inschriften CIL VIII 17896–17897: 117 Irenäus Adv. haer. 3.3.4: 267 Johannes Chrysostomus ep. 9.1.29–9.2.17: 261 ep. 9.2.62–9.3.28: 262 ep. 9.3.53–60: 264 ep. 26: 232, 281 ep. 27: 232 ep. 30: 281 ep. 38: 232 ep. 41: 281 ep. 48: 281 ep. 59: 281 ep. 73: 232 ep. 75: 281

VI. Indices

ep. 79: 281 ep. 91: 232 ep. 101: 281 ep. 103: 281 ep. 107: 232 ep. 110: 232, 281 ep. 116: 281 ep. 119: 281 ep. 120: 281 ep. 126: 281 ep. 129: 232 ep. 130: 232 ep. 132: 232 ep. 178: 232 ep. 179: 232, 281 ep. 185: 281 ep. 190: 232, 281 ep. 198: 281 ep. 200: 232, 233 ep. 202: 281 ep. 205: 281 ep. 208: 281 ep. 209: 281 ep. 211: 281 ep. 213: 281 ep. 216: 281 ep. 217: 281 ep. 219: 281 ep. 223: 281 ep. 224: 281 ep. 225: 281 ep. 232: 232 In epistulam II ad Corinthos 30.2: 257 In epistulam ad Romanos 21.4: 257 hom. stat. 1–21: 4 hom. stat. 13.2–6: 133 hom. stat. 17.2: 133 Julian ep. 11: 149 ep. 35: 96 ep. 40: 178 ep. 80: 162 ep. 82: 176–178 ep. 86: 96 ep. 89a: 96 ep. 96: 149 ep. 98: 26 ep. 114: 92

1. Quellenindex

Misop. 367C–D: 34 Libanius ep. 1–18: 52 ep. 2: 77, 98, 131, 174, 182 ep. 3: 100 ep. 4: 100 ep. 16.3: 30 ep. 17: 171 ep. 19: 53 ep. 19.7: 80 ep. 19.10: 76 ep. 19.10–12: 80 ep. 19.13: 80 ep. 19.14–15: 81 ep. 19.16: 81 ep. 19.17: 81 ep. 19–607: 52 ep. 20: 84, 181 ep. 20.1: 84 ep. 34: 149 ep. 34.3: 128 ep. 44.7: 148 ep. 46: 53 ep. 49.5: 87, 98 ep. 55: 87 ep. 56: 70 ep. 58: 87 ep. 62: 176 ep. 66: 130, 157 ep. 75: 68 ep. 80.2: 66, 82, 174 ep. 80.4–5: 80, 82 ep. 81: 76, 150 ep. 81.1: 80, 83 ep. 88: 52, 157 ep. 95.2–3: 63 ep. 95.8: 73 ep. 105: 70 ep. 105.1: 64 ep. 108: 129 ep. 114: 133 ep. 115: 30 ep. 115.2: 29 ep. 126: 29, 62 ep. 128.3: 157 ep. 138: 124 ep. 141: 29 ep. 156: 99

ep. 156.2: 99 ep. 157: 99 ep. 175: 44 ep. 186: 29 ep. 205: 46 ep. 215.2: 71 ep. 215.3: 72 ep. 217.2: 104 ep. 218: 62 ep. 221: 71 ep. 253.1–2: 104 ep. 253.2–3: 66 ep. 255: 157 ep. 258: 121 ep. 258.3: 121 ep. 283: 163 ep. 298: 130 ep. 298.2: 64 ep. 308: 130 ep. 311.2: 76 ep. 326: 84 ep. 333: 81 ep. 336: 98, 181 ep. 336.1–2: 63 ep. 339: 53, 78 ep. 348: 79 ep. 357.1: 71 ep. 361.1: 64 ep. 362.7: 50 ep. 362.8: 78 ep. 364.3: 131 ep. 364.5: 98 ep. 369: 150 ep. 374: 84 ep. 374.1–2: 84 ep. 381: 84 ep. 381.3: 132 ep. 382.1: 101 ep. 382.5: 72 ep. 386.4–5: 175 ep. 386.6: 175 ep. 387: 53 ep. 391: 76, 77 ep. 391.7: 79 ep. 399: 150 ep. 405: 180, 181 ep. 409: 48 ep. 414: 84, 181 ep. 423: 76

343

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ep. 430: 181 ep. 430.2: 163, 181 ep. 430.10: 108, 136 ep. 434.2: 168 ep. 435: 133 ep. 435.6: 136 ep. 435.7: 101 ep. 436: 98 ep. 438: 77, 150, 182 ep. 438.1: 77 ep. 438.3: 77 ep. 438.4–5: 77 ep. 441: 75, 133 ep. 444–449: 51 ep. 454: 29, 180 ep. 456: 171 ep. 476.2: 163 ep. 477: 163 ep. 491: 48 ep. 495: 84, 181 ep. 497.1: 89 ep. 504.4: 150 ep. 504.6: 150 ep. 509: 29, 76, 157 ep. 509.6: 80 ep. 510: 48, 98 ep. 510.4: 101 ep. 510.5: 174 ep. 512: 76 ep. 537: 84 ep. 549: 170 ep. 549.3: 175 ep. 549.4: 80 ep. 550: 51 ep. 550–559: 51 ep. 551: 51 ep. 552: 51 ep. 552.3–4: 80 ep. 552.4: 76 ep. 552.5: 79, 136 ep. 552.5–8: 168 ep. 556: 170 ep. 557: 50 ep. 558: 50, 98 ep. 559: 72 ep. 560: 68 ep. 560.2: 101 ep. 560.4: 101 ep. 560.5: 98, 102

VI. Indices

ep. 561: 150, 181 ep. 561.2: 150 ep. 561.4: 108, 139, 140 ep. 561.4–5: 169 ep. 562: 84 ep. 563: 78 ep. 568: 60, 151 ep. 569–577: 88 ep. 571.2: 89 ep. 571.3: 98 ep. 571.4: 88, 89 ep. 574: 89 ep. 578.3: 79 ep. 578.4: 79 ep. 578.5: 79 ep. 578.6: 79 ep. 580: 150, 181 ep. 582: 78 ep. 583: 79 ep. 586: 181 ep. 603: 50 ep. 604: 50 ep. 617.1: 73 ep. 617.3: 130 ep. 650: 131 ep. 650.1–2: 151 ep. 650.3: 158 ep. 651: 130 ep. 661.2: 151 ep. 673: 68 ep. 694: 167 ep. 695: 157 ep. 696.4–6: 71 ep. 704: 151 ep. 710: 167 ep. 712: 167 ep. 715.6: 132 ep. 724: 92 ep. 732: 130 ep. 734: 46 ep. 734.3: 149 ep. 736: 142, 167 ep. 739: 31, 165, 167 ep. 739.1: 166 ep. 740.1: 121 ep. 757.1: 71, 91 ep. 757.2–3: 91 ep. 758: 178 ep. 762: 65

1. Quellenindex

ep. 763: 93 ep. 763.1: 93 ep. 763.2–3: 93 ep. 763.3: 92 ep. 763.4–6: 92 ep. 763.7: 93 ep. 770: 167 ep. 779.2: 157, 163 ep. 788: 67 ep. 793.1–2: 135 ep. 800: 121 ep. 801.1: 185 ep. 804: 91 ep. 811: 131 ep. 812: 99 ep. 818.3: 175 ep. 819: 95 ep. 819.1–4: 94 ep. 819.5–8: 92 ep. 836: 98, 131 ep. 836.2: 154 ep. 838.5–10: 44 ep. 840 : 54 ep. 840.1–3: 171 ep. 840.5: 139, 185 ep. 845.4: 37, 55 ep. 852: 133 ep. 852.2: 185 ep. 868: 183 ep. 870: 69 ep. 881: 105 ep. 881.2: 65 ep. 884: 183 ep. 898: 133, 183 ep. 904–909: 69 ep. 907.1–2: 69 ep. 909: 69 ep. 909.3: 75 ep. 914: 46 ep. 915: 53 ep. 917: 46 ep. 918–921: 69 ep. 922.1: 185 ep. 925: 183 ep. 925.2: 183 ep. 932.1–2: 104 ep. 933.2: 53 ep. 938: 170, 186 ep. 938.2: 160

ep. 940: 170 ep. 940.4: 160 ep. 959.4–5: 37, 55 ep. 963.1: 159 ep. 967.2: 86 ep. 973: 46 ep. 974: 46 ep. 987.6: 160 ep. 1004.2–4: 156 ep. 1004.4–5: 159 ep. 1004.6–7: 160 ep. 1004.8: 159 ep. 1004.9: 159 ep. 1021: 148 ep. 1021.1–2: 149 ep. 1024.4: 150 ep. 1028.1–2: 160 ep. 1028.2: 160 ep. 1036: 158 ep. 1036.9: 23 ep. 1061: 150 ep. 1084: 46 ep. 1097: 46 ep. 1098: 46 ep. 1113: 66, 152, 158 ep. 1113.1: 128 ep. 1149: 105 ep. 1173: 161 ep. 1174.1–3: 70 ep. 1184.9: 133 ep. 1218: 52 ep. 1220.3: 95 ep. 1221.2–3: 157 ep. 1221.3: 174 ep. 1222.4: 70 ep. 1223: 44 ep. 1223.1: 149 ep. 1224.1: 34 ep. 1224.6: 44 ep. 1225: 131 ep. 1225.3: 145 ep. 1231: 66 ep. 1232: 66 ep. 1259.1: 162 ep. 1264.5: 53 ep. 1277.2: 162 ep. 1307: 52 ep. 1333.2: 101 ep. 1351.2: 165

345

346

ep. 1364: 92 ep. 1364.2: 105 ep. 1367.4: 140 ep. 1368: 140 ep. 1381.2: 129 ep. 1381.3: 129 ep. 1392.3: 100 ep. 1392.3–5: 101 ep. 1399: 61, 65, 66 ep. 1399.5–6: 61 ep. 1399.6: 66 ep. 1400: 61 ep. 1410.2: 121 ep. 1410.3: 122 ep. 1411.3: 94 ep. 1411.5: 94 ep. 1413.3: 104 ep. 1414: 94 ep. 1425: 95 ep. 1426: 164 ep. 1428.1: 165 ep. 1428.2: 164 ep. 1429.6: 150 ep. 1443.1: 169 ep. 1443.2: 163 ep. 1458: 131 ep. 1459.4: 65 ep. 1459.5: 66 ep. 1472.3: 86, 98 ep. 1480: 157 ep. 1480.5: 167 ep. 1497: 68 ep. 1507.2: 105 ep. 1508: 163 ep. 1514.1: 70 ep. 1534: 95 ep. 1537: 149 ep. 1542: 171 ep. 1543: 40, 46 or. 1: 110, 172 or. 1.1: 110 or. 1.2: 27, 28 or. 1.3: 28 or. 1.4: 28 or. 1.4–5: 24 or. 1.4–6: 28 or. 1.5: 28, 37 or. 1.6: 38 or. 1.13: 28, 29, 38

VI. Indices

or. 1.16–27: 24 or. 1.24–25: 24 or. 1.29–31: 41 or. 1.30: 24 or. 1.35–44: 41 or. 1.36–37: 24 or. 1.43–47: 24 or. 1.44: 43 or. 1.48–50: 41 or. 1.48–51: 25 or. 1.56–57: 180 or. 1.65: 41 or. 1.70–72: 41 or. 1.74: 25 or. 1.75: 131 or. 1.78: 41 or. 1.78–79: 25 or. 1.79: 24 or. 1.80: 25, 76 or. 1.80–86: 25 or. 1.85: 25, 41 or. 1.86: 28, 38, 85 or. 1.86–89: 25 or. 1.87–89: 43 or. 1.88: 29 or. 1.89: 43 or. 1.90–91: 41, 42 or. 1.95: 29, 41 or. 1.98: 41, 42 or. 1.99–100: 141 or. 1.100: 42 or. 1.100–102: 41 or. 1.101–102: 42 or. 1.104: 41, 42 or. 1.106: 25, 75 or. 1.106–108: 107 or. 1.106–115: 78 or. 1.108: 113, 124, 136 or. 1.109–110: 41, 42 or. 1.111–113: 43 or. 1.115: 48 or. 1.115–116: 125 or. 1.116: 29, 125 or. 1.120: 142 or. 1.139: 23 or. 1.143: 23 or. 1.144: 26 or. 1.156–170: 109 or. 1.162: 123

1. Quellenindex

or. 1.163: 131 or. 1.168: 125, 127 or. 1.171–178: 123 or. 1.174: 131 or. 1.175: 54 or. 1.177–178: 54 or. 1.183: 131 or. 1.195–196: 37 or. 1.196: 55 or. 1.197–201: 28 or. 1.211: 125 or. 1.212: 115, 133, 184 or. 1.215: 28 or. 1.221: 185 or. 1.221–224: 184 or. 1.232: 183 or. 1.251–255: 109 or. 1.257–258: 171 or. 1.275–278: 135 or. 1.278–280: 29 or. 2.6: 138 or. 2.7: 116, 140 or. 2.7–8: 36 or. 2.8: 116 or. 2.9: 125, 127 or. 2.10: 27 or. 2.13: 25 or. 2.15: 28 or. 2.33: 34 or. 3.14: 131 or. 4.32: 125 or. 4.39: 137 or. 6.16: 131 or. 7.3: 131 or. 8: 57, 60, 62, 86 f. or. 8.6–7: 57 or. 8.8–9: 57 or. 8.11: 58 or. 10.3: 114, 116, 120, 121, 184 or. 10.9: 28 or. 10.12: 28 or. 11.133–149: 34 or. 11.134: 132 or. 11.144: 34 or. 11.158–162: 28 or. 11.213–218: 133 or. 11.220: 132 or. 11.225: 129 or. 11.227: 129

or. 11.231: 131 or. 11.234: 132 or. 11.236bis: 132 or. 11.244–245: 132 or. 11.245: 132, 133 or. 11.257: 132, 133 or. 11.266: 132 or. 16.41: 133 or. 18.125: 95 or. 18.155–156: 139 or. 18.198: 178 or. 19: 4, 5 or. 19.45–46: 28 or. 20: 4 or. 20.6: 133 or. 20.18–20: 28 or. 21: 4, 5 or. 21.5: 4 or. 21.8: 128 or. 21.8–11: 4 or. 21.33: 3 or. 22: 4, 5, 183 or. 22.2: 183 or. 22.6: 133 or. 22.7–8: 4 or. 23: 4 or. 23.27–28: 133 or. 25.59: 65 or. 26.5: 132 or. 26.30: 184 or. 27.13: 132, 184 or. 27.30: 184 or. 29.10: 184 or. 30.1: 37 or. 31.7: 102 or. 32: 171 or. 32.7: 55 or. 32.27: 171 or. 33: 109 or. 37: 122, 123 or. 37.1: 113, 122 or. 37.3–4: 123 or. 37.12: 122 or. 37.18: 123 or. 37.20: 123 or. 40: 68 or. 42.24: 121 or. 42.33–44: 186 or. 42.36: 116

347

348

or. 42.40–41: 184 or. 42.43: 28 or. 45.1: 37 or. 47: 74 or. 47.16: 37 or. 48: 34 or. 49: 34 or. 51: 116, 126 or. 51.4: 115 f., 126, 128 or. 51.4–5: 127 or. 51.5: 116, 136 or. 51.6: 115 or. 51.9: 136 or. 51.10: 115, 119 or. 51.11: 148 or. 51.12: 126 or. 51.13–17: 127 or. 51.15: 43 or. 51.29: 127 or. 51.30–31: 126 or. 52: 126, 127 or. 52.4–7: 127 or. 52.7: 136 or. 52.13: 127 or. 52.19: 127 or. 52.22: 138 or. 52.30: 127 or. 52.39–41: 127 or. 52.40: 137 or. 52.44: 127 or. 52.46: 126 or. 52.47: 127 or. 53.4: 28 or. 56: 127, 140 or. 56.2: 115 or. 57.9: 140 or. 62.27–28: 45 or. 63.7: 135 Ps-Martyrius passim: 198 45: 263 73: 242 Novum Testamentum Mt 9,11: 251 Mt 13,25: 230 Mt 22,37–40: 233 Mt 23,24: 289

VI. Indices

Mt 24,12: 223 Mt 24,14: 292 Mk 2,15–16: 251 Lk 5,30: 251 Lk 10,42: 229 Joh 8,44: 287 Apg 20,35: 201 Röm 16,16: 256 1 Kor 4,1: 210 1 Kor 16,20: 256 2 Kor 13,12: 256 Gal 2,14: 295 1 Thess 5,26: 256 Tit 1,7: 210 Jak 4,4: 12 Palladius Dial.: 198 Dial. 5: 195 Dial. 6.9–14: 263 Dial. 8.49–59: 247 Dial. 9.4–7: 196 Dial. 11.31–47: 283 Dial. 11.54–58: 283 Dial. 12–13: 242 Dial. 12.15–18: 243 Dial. 12.18–20: 243 Dial. 12.20–29: 243 Dial. 12.25–29: 243 Dial. 12.35–38: 245 Dial. 12.51–53: 244 Dial. 12.95–102: 244 Dial. 12.104–111: 245 Dial. 13.1–11: 248 Dial. 13.12–16: 248 Dial. 13.30–38: 245 Dial. 13.76–90: 245 Paulinus von Nola carm. 21.392–394: 264 ep. 29.13: 264 ep. 30.2: 277 ep. 41.1: 278 ep. 44: 278 ep. 50.1: 277 Photius Bibl. 59: 198, 265 Bibl. 59 (18b): 241

1. Quellenindex

Bibl. 59 (19a): 241 Plinius der Ältere nat. hist. 26.2–4: 138 Plutarch mor. 807A–B: 70 mor. 808B: 70 mor. 808B–C: 71 mor. 808F–809A: 71 mor. 823B: 134 Perikles 36–37: 71 Polybius 30.19.2–5: 267 Possidius vita 27.4: 246 Michael Psellos ep. 223: 163 Seneca de benef. 6.33.4–34.3: 116 de ira 2.24.1: 137 Socrates Scholasticus 5.6–8: 194 6.3: 195 6.4.1–8: 243, 244 6.4.5: 244 6.4.5–8: 242 6.4.6: 244 6.4.7: 244 6.7.1–31: 198 6.9.1–18: 198 6.9.9–11: 262 6.9.11: 262 6.11 (Version B) 14–15: 253 6.15.11–12: 263 6.16.4–5: 196 6.21.1–10: 198 6.22.3–4: 239 6.22.5–7: 239 Sozomenus 3.14.31: 220 5.15.11–12: 92 7.7.6–8: 194

7.28.1–3: 263 8.1.9–15: 239 8.1.13–14: 262 8.2: 195 8.9.5: 243, 244 8.9.5–6: 242 8.10.4: 253 8.11.1–8.28.3: 198 8.14.6–7: 260, 263 8.14.9: 263 8.17.1: 261 8.17.2: 263 8.18.2–4: 196 8.18.6: 196 Symmachus ep. I.21: 152 ep. II.82: 67 ep. III.2: 154 ep. VII.87: 67 ep. VII.129: 154 ep. IX.60: 67 ep. IX.90: 67 Synesius ep. 85: 151 ep. 101: 277 ep. 137: 277 Tertullian uxor. 2.4: 255 Themistius or. 22: 20, 68 Theodoret Coll. Sirm. ep. 43: 233 Coll. Sirm. ep. 135: 233 hist. eccl. 4.15.1: 266 hist. eccl. 4.15.2–3: 266 hist. eccl. 5.7.7–9: 194 Theognis I.643–644: 202 Xenophon Mem. 2.4: 57 Mem. 2.4.7: 57

349

350

VI. Indices

2. Personen- und Ortsindex Römische Zahlen nach den Personennamen beziehen sich auf die Prosopographien von Seeck 1906 und (sofern es sich um Amtsinhaber handelt) Petit 1994. Arabische Zahlen stehen für den Eintrag in der PLRE I. Arabische Zahlen in eckigen Klammern verweisen auf den Eintrag in der PCBE 3. Abraham: 244 Aburgius: 69 Acacius I/8: 69, 70, 130 Acacius III/7: 148 Acacius, Bischof von Beroea: 263 f. Achaea: 106 Aelius: s. Aristides Aemilianus: 91 Aesop: 87 Ägypten: 46, 108, 129, 147, 148, 149 Anm. 565, 191, 194, 196, 220, 262, 295 Aischylos: 82 Alexander der Grosse: 57, 58 Alexander III/5: 43 f., 94, 100, 165 Anm. 638 Alexander [1], Bischof in Korydalla: 293 Alexandra: 46 Anm. 123, 149, 261 Anm. 286 Alexandria: 108, 191, 261 Anm. 286, 262 Alypiana, Nichte v. Greg. Naz.: 202 Anm. 76 Ambrosius: 13, 246, 259 Anm. 282, 264 Ammianus I/3: 71, 72 Ammianus Marcellinus: 134 Amphilochius [1] von Iconium: 40 Anm. 95, 46, 202, 292, 294 Anatolius I/3 von Berytus: 29 Anm. 37, 48, 50 Anm. 148, 53, 76–83, 89, 167 f., 174 f., 182 Anm. 695 Anatolius IV/5: 165 f. Ancyra: 130 Andronicus II/3: 44, 98, 99 Anm. 353 u. 356, 101, 104, 163 Anm. 630 Annisi: 191 Anthimus, Bischof von Tyana: 227 Antiochia am Orontes: 23 f. u. passim – strategische Lage: 49 f., 108 Anm. 385 – als Kaiserresidenz: 26, 49, 108 Anm. 385, 141, 160 Anm. 616 – als Amtssitz: 35, 49, 51, 63 Anm. 196, 76, 106–109, 113, 125, 129, 136, 141, 142, 164, 168, 172, 175, 182, 184

– als Bischofssitz: 5, 194, 195, 252, 259, 273, 291 – als Austragungsort der Olympischen Spiele: 28, 37, 60–62, 65, 66, 104, 181, 185 – agora: 157 – Bäder: 131–133, 135, 136, 168, 183 Anm. 698 – bouleuterion: 42, 157 – Häuser, mehrstöckig: 127–129 – Steueraufstand 387: 3–5, 128 – Zusammenleben von Heiden u. Christen: 31, 91 f. – Vorort Daphne: 157 Apollinaris von Laodicea: 223 f., 284–291 Arabien, Arabia: 45, 46, 64, 65, 92, 93 Anm. 329 Arabius II: s. Kimon Arbogast: 246 Arcadius, Kaiser: 196, 242 Argyrius: 28 Anm. 33 Aristaenetus I/1: 78, 84–85, 88, 89 Anm. 309–310, 98, 125 Anm. 460, 150, 162, 169 f., 180 f. Aristides, Aelius: 142 Aristophanes: 53 Anm. 157 Aristoteles: 8, 9, 58, 103, 199, 200 Arius: 227, 285, 288, 292 Armenien: 45, 47, 197, 220, 227 Arsacius 4, Bischof von Konstantinopel: 247, 282 Ascholius: 218 Asia (Diözese): 253, 293 Anm. 396 Asia (Provinz): 243 Asterius 4: 207 Asterius, Vater v. Eusebius XXI: 31 Anm. 49 Atarbius: 259 Athanasius von Alexandria: 194, 219, 274 f., 291, 292 Athen: 64 – als Ausbildungsstätte: 24, 25, 38, 48 f., 72

2. Personen- und Ortsindex

Anm. 239, 106, 107, 190 f., 220, 280 – in klassischer Zeit: 62 Anm. 193–194, 79 Anm. 273 Augustinus: 13, 148 Anm. 562, 235, 246, 264, 277 Aurelian: 291 Ausonius: 85 Anm. 294, 152 Anm. 583 Auxentius II/5: 100, 101 Auxentius V: 99 Anm. 356 Bacchius: 91, 104 Anm. 374 Barbatio: 48, 174 Basilicus: 91 Basilius der Ältere, Bischof von Caesarea: 189 Basilius von Caesarea: 3, 5, 6, 19 f., 46, 246, 297 u. passim – Herkunft: 189 f. – Ausbildung: 190 f. – Kirchenpolitik: 192, 193, 194 – Briefe: 197, 198, 270, 273–275, 286–295 – philia: 201, 202, 203–214, 233–236, 303 – agape: 201 f., 214–227, 233–236, 303 – u. Eustathius von Sebaste: 220–225, 284–287 – s. auch Gregor von Nazianz Basilius, Gegner v. Bas.: 221 f. Bassianus 2: 30, 121, 122 Anm. 448 Bassus, Bischof in Kilikien: 281 Belaeus: 64, 92 Berytus: 39, 76 Bithynien: 45 Bosporus: 64, 190 Bostra: 92–94 Caesarea (Cappadocia): 5, 261, 264, 277, 280 – als Ausbildungsort: 190 f. – als Bischofssitz: 192, 230, 249, 252, 275 Caesarius 1/IV: 61, 65, 66, 152 f., 155, 158 Anm. 611 Caesarius VII/6, Flavius: 3–5, 21, 128 f. Calliopius I/2: 72 Calliopius 3: 46 Anm. 123 Callistratus, Bischof von Isaura: 232 f. Cappadocia: s. Kappadokien Casius, Berg südl. v. Antiochia: 165 Celsus I/3: 60 f., 65, 66, 128, 142, 152 Chalkedon: 169 Chamanene: 209 Anm. 96 Cicero: 9, 10, 145, 180, 201 Anm. 71

351

Cimon: s. Kimon Clearchus 1/I: 99, 100 Clematius II/2: 78, 136 Clemens von Alexandria: 139, 199–201, 234, 236–238, 256 f. Constans: 176, 177 Anm. 676 Constantius II.: 24, 29, 30 Anm. 48, 31, 32, 47 Anm. 132, 48, 50 Anm. 147, 51, 78, 89, 90, 106, 160 Anm. 616, 176 Cucusus: 197, 282 Cynegius 3, Maternus: 126 Anm. 467, 137 Cyprian von Karthago: 13 Anm. 50, 283 Anm. 365, 291 Damasus, Bischof von Rom: 226, 227 Anm. 161 Datianus 1: 48, 75, 133 Anm. 507, 160–162 Dazinas: 285 Anm. 372 Demetrius, Verfasser der Brieftheorie: 151, 154 Demetrius I/2: 163 Diatimus: 293 Dio Chrysostomus: 57 Diogenes Laërtius: 57 Diokletian: 28, 32, 112 Dionysius 11, Flavius: 24 Anm. 9 Dionysius von Alexandria: 283 Anm. 365 Dioscorus: 263 Dius: 152, 153 Anm. 587 Domnus: 291 Dulcitius III/5: 61 Ecdicius I: 67, 68 Ellebichus: 4, 5, 77 Anm. 258, 133 Anm. 507, 182–184, 185, 207 f. Elpidius: s. Helpidius Emmelia, Mutter v. Basilius v. Caesarea: 189 Encratius: 129 Epiphanius von Salamis: 258 f., 260, 262 f., 267 Eudaemon I/3: 129, 157 Anm. 604 Eudaemon II/2: 164 f. Eudemus [2], Bischof in Patara: 293 Eudoxia, Kaiserin: 196 f. Eugenius: 28 Eugnomonius: 72 Euhippius: 225 f. Eumolpius: 68 Eunapius von Sardis: 23 Anm. 2, 24 Anm. 10, 35, 36, 76 Anm. 248

352

VI. Indices

Eunomius, Bischof: 266 f. Euphratensis: 46, 63, 71 Euripides: 82, 203, 211 Eusebius XXI: 31 Anm. 49, 94 Eusebius XXII/24: 68, 69 Eusebius, Bischof von Caesarea (Kirchenhistoriker): 273 Eusebius, Bischof von Caesarea (Vorgänger v. Bas.): 192, 228, 229, 230 Eusebius, Bischof von Samosata: 225, 229 f., 266, 273 f., 283 Eustathius: 53 Eustathius 1, Philosoph: 96 Eustathius von Sebaste: 191, 220–225, 226, 284–287, 288 Anm. 379, 290, 292 Anm. 395 Eustochius: 53 Eutropius V/3: 137 Eutropius, Eunuch: 196 Evagrius IV/6: 31 Anm. 49 Faustus: 227 Flavianus, Bischof von Antiochia: 5, 40, 195, 249, 251, 252, 263 Florentianus: 182 Florentius 3/II: 48 Gaianus 6: 62, 63, 92, 181 f. Gaius I: 60 Galatien, Galatia: 45, 47, 129, 130, 204, 205 Gallien: 175, 277 Gallus, Flavius Constantius (Caesar): 106 Anm. 380, 141, 163 Genethlius, Presbyter: 289 Georg, Bischof von Alexandria: 46 Anm. 125 Gerontius: 166 f. Gigantius: 231 f. Gregor der Ältere, Bischof von Nazianz, Vater v. Greg. Naz.: 190, 230, 232 Gregor von Nazianz: 19 f., 46, 72 Anm. 238, 201, 250 Anm. 249, 283, 297 u. passim – Herkunft: 20, 190 f., 257 – Ausbildung: 190, 191 – in Konstantinopel: 194, 246 – Briefe: 197, 198, 270, 272, 273 f., 278–280 – philia: 202–214, 233, 235 – agape: 214–217, 228–232 – u. Basilius von Caesarea: 3, 5 f., 190, 193, 195, 278–280

Gregor von Nyssa: 19, 20, 189, 192, 198, 249–255, 259 f., 265, 269 f., 276 f. Gregor Thaumaturgos: 190 Griechenland: 8 Anm. 18, 9, 46, 103 Gymnasius: 150 Helena, Ehefrau Julians: 123, 162 Helladius 3: 208 Helladius, Bischof von Caesarea: 249–255, 259 f., 265, 269 f. Hellespontus (Provinz): 45 Helpidius I/4: 30 Anm. 48, 121 f. Helpidius 7: 211 Helpidius, Bischof: 282 Herakles: 101 Anm. 360 Heras: 205 Anm. 84 Hermogenes IV/3: 29 Anm. 36, 48, 87, 124, 125 Anm. 460 Hesychius: 205 Anm. 84, 212 Anm. 104 Hieronymus: 13, 235, 245, 258, 259, 261, 277 Anm. 335 Hilarius [1], Bischof in Telmessus: 203 Himerius 2, Sophist: 39 Himerius 5: 205 Anm. 84 Honoratus I/2: 175 Hypatius I/1: 99 Anm. 356 Hyperechius I: 99, 130 Iamblichus 2: 88, 89 Icarius 2: 90, 132 Anm. 498 Illyricum (Präfektur): 48, 76, 78 Anm. 265, 167 Innozenz, Bischof von Rom: 242 Ionien: 45 Irenäus: 267 Iris (Fluss): 191 Isaak, Mönch: 241 Isaurien: 46 Italicianus: 30 Anm. 48 Italien: 28 Anm. 28 Jesu Jünger: 12, 248 Jesus: 12, 248, 254 Johannes Chrysostomus: 14, 19 f., 188, 216, 257, 297, 304 u. öfters – Herkunft: 195 – Askese: 195, 238, 243 f. – in Antiochia: 4 Anm. 5, 5, 31 Anm. 50, 40, 195

2. Personen- und Ortsindex

– in Konstantinopel: 195 f., 240, 241–249, 253, 260 f., 262–264, 265, 268 – im Exil: 197, 198, 261 f., 281–283 – Briefe: 198 f., 281–283 – philia: 232 f. Johannes, der Apostel: 267 Johannes, Diakon: 241 Jovian, Kaiser: 90 Anm. 317 Jovianus II/2: 103, 104 Jovinus II/1: 86, 98 Judas: 254, 258, 259 Julian Apostata: 31, 34, 122, 139 u. öfters – Briefe, Briefsammlung: 20, 149, 162, 176– 179, 284 – heidnische Kulte: 26, 90, 165 – u. Christen: 92, 95–97, 191 – u. Libanius: 26, 36, 43 f., 47 Anm. 132 f., 49, 52 Anm. 157, 86, 91, 116 Anm. 421, 123, 142, 157, 167 Kappadokien, Cappadocia: 5, 45, 189, 190, 192, 193, 194, 198, 275, 277, 279, 288 Anm. 379 – Cappadocia prima: 192, 252 – Cappadocia secunda: 192, 207 Anm. 89, 229 Karien, Caria: 45 Kerinth: 267 Kilikien, Cilicia: 45 f., 60, 142 Kimon, Sohn des Libanius: 29, 34, 37, 55, 149, 150, 170 Kleinarmenien: 189, 220 Kleinasien: 108 Kodratos, Briefbote: 156 Konstantin: 6, 24, 31, 32, 108 Anm. 384, 109, 139 Anm. 537, 234 Konstantinopel: 108, 198, 244, 247, 279 u. passim – als Kaisersitz: 5, 130, 171, 242, 263, 282 – als Bischofssitz: 5, 194, 195, 196, 238, 240, 241, 246, 247, 249, 253, 260, 263, 265, 280 – als Sitz des Senates: 32, 71, 85, 99, 117, 131, 168, 183, 297 – als Sitz des Stadtpräfekten: 86, 139, 160, 175, 185 – als Ausbildungsstätte: 24, 48 f., 190 – Lehrtätigkeit des Libanius: 24, 25, 41, 48, 76, 100 Anm. 357, 106, 121, 135, 171

353

– Bäder: 132, 135, 136, 265 – agora: 163 Korydalla: 293 Letoius I: 50 Anm. 147, 51 Levante: 46 Libanius: passim – Herkunft u. Familie: 23 f., 27–30, 34, 37 – Ausbildung: 24 – Briefe: 23, 52–56 u. öfters – Tätigkeit als Sophist: 24–26, 37–45 u. öfters – Netzwerk: 25, 26, 45–50 u. öfters – Verhältnis zu Christentum u. Christen: 26, 88–97 – u. Anatolius v. Berytus: 76–83 u. öfters – u. Proc(u)lus: 113 f., 120, 121, 160, 184– 186 u. öfters – s. auch Julian Apostata Libyen: 275 Limyra: 293 Lollianus: 203 Anm. 78 Lollianus [1], Bischof in Phellus: 293 Lucianus 6: 115, 140 Lykien: 293 Macedonius: 98 Magnentius, Fl. Magnus: 176, 177 Anm. 676 Mailand: 46, 76, 78 Anm. 265 Mainz: 126 Maiorinus 1: 101 Anm. 363 Maiorinus 2: 98 f., 101, 102 Makarius [1], Presbyter in Myra: 293 Makrina die Ältere, Grossmutter v. Basilius: 190 Makrina die Jüngere, Schwester v. Basilius: 191 Malalas: 132 Mamas, Soldat: 207 f. Marc Aurel: 142 Marcellinus 10: 125 f. Anm. 464 Marcellus, Arzt: 78 Mariscianus, Ulpius: 117 Maximus VI/19: 129 Anm. 481 Maximus XII: 130 Maximus von Ephesus 21: 96, 139 Maximus 39, Usurpator: 55 Anm. 170, 159 Anm. 616, 171, 185 Anm. 710, 259 Anm. 282, 283 Meletius von Antiochia: 194, 195, 223

354

VI. Indices

Meletius, Studienfreund v. Greg. Naz.: 270 Mesopotamien: 191 Modestus 2, Domitius: 46 Anm. 125, 53 Anm. 161, 73, 78, 87, 128, 129, 130, 139 f. Musonianus: s. Strategius Musonianus Musonius: 50 Mygdonius: 50 Myra: 293 Nazianz: 191, 193, 194, 230 Nebridius 1: 169 f. Nectarius 2, Bischof von Konstantinopel: 195, 196, 247 Nectarius, Korrespondent v. Bas.: 210 Neocaesarea: 189, 211, 219, 294, 295 Nicaea: 25, 41, 292 Nicobulus 1: 202 Nicobulus 2, Neffe v. Greg. Naz.: 278 f. Nicocles: 94 Nicomedia: 25, 41, 48 f., 84, 89 Anm. 310, 169, 170, 180 Nilus Dionysius 2: 176–178 Nizäa: s. Nicaea Nordafrika: 136 Anm. 520, 277 Numidien, Numidia: 117 Nyssa: 192, 211, 252, 277 Olympias 2: 199, 264, 282 Olympius II/3: 31 Anm. 49, 33 f., 135, 157, 165 f. Olympius V: 31 Anm. 49 Olympius VI/6: 50 Anm. 147 Olympius 10: 207 Anm. 89 Olympius, ev. Sohn von Olympius I: 100 Anm. 357 Olympius, Korrespondent v. Bas.: 285 Orient, Oriens (Präfektur): 100 f. u. passim Orient, Oriens (Diözese): 101 u. passim Origenes: 263 Orion: 92–94 Palästina: 45, 46, 78, 191 Palladius von Helenopolis: 198, 242–245, 247, 248, 282, 283 Palladius, Bote: 150 Pannychius: 63, 73 Panolbius: 28, 29, 30, 37, 38 Paphlagonien: 45 Papirianus 1: 67

Parthenius: 68 Anm. 217 Patara: 293 Paulinus von Nola: 264, 277 f. Paulus von Samosata: 273, 291 Pelagius 1: 125 f. Anm. 464 Perikles: 70 Persien, Perserreich: 49, 108 Anm. 385 Petrus, Bischof von Alexandria: 217, 219, 292 Petrus, Bruder v. Basilius: 221 Anm. 145 Pharetrius von Caesarea: 261 Phasganius: 28, 29, 30, 38, 48, 62 Anm. 190, 76, 180 Anm. 688 Phellus: 293 Philagrius 2: 125 f. Phönikien, Phoenicia: 46, 63, 91, 99 Anm. 356, 104, 114, 157, 174 Photius: 241 Phrygien: 61 Pientius: 144 f. Pindar: 276 Pityus: 197 Platäa: 64 Plutarch: 9 Anm. 27, 70, 71, 80 Anm. 273 Poimenius, Bischof von Satala: 227 Polemon [1], Presbyter in Myra: 293 Polycarpus: 61 Polycles: 122 f. Pontus: 189, 191, 288 Anm. 379 Porphyrius von Antiochia: 282 Possidius: 246 Postumianus 2: 209 Anm. 97 Proc(u)lus III/6: 86, 90, 113 f., 115, 116, 120, 121, 133 Anm. 507, 139 Anm. 533, 160, 172 Anm. 655, 184–186 Prohaeresius: 39 Psellos Michael: 163 Anm. 632 Pseudo-Martyrius: 242 Richomer(es), Flavius: 49, 150 Rom: 9 Anm. 27, 46, 50 Anm. 147, 51, 76, 110, 111, 113, 132, 133, 134, 138 Anm. 528, 145 Anm. 553, 156, 242, 291 Romanus, antiochenischer Presbyter: 232 Rufinus: 258 f. Sabellius: 288 Sabinus I/5: 78 Salutius: s. Secundus 3

2. Personen- und Ortsindex

Samosata: 266 f. Sarapion, Archidiakon: 253 f. Sasima: 6, 192, 193, 194, 211, 216, 280 Saturninus 10, Flavius: 206 Sebaste: 250 Secundus 3, Saturninius Salutius: 33, 34 Anm. 62, 44, 164, 165 Seleucia: 261 Seleucus 1: 46 Anm. 123, 125 Anm. 460, 149, 163 Seneca der Jüngere: 116 Severian von Gabala: 253 f. Severus 14/XII: 140 Anm. 543 Siburius I: 159 Anm. 615 Simon: 254 Sirmium: 78 Sisinnius, Bischof der Novatianer in Konstantinopel: 238 f. Socrates Scholasticus: 198, 242, 243, 244 Sopatros: 64 Sophronius, Gegner v. Bas.: 222 Sophronius, Bischof u. Korrespondent v. Bas.: 292 Sozomenus: 198, 242, 243 Spectatus, Cousin v. Lib.: 29, 30, 32, 38, 48, 50, 51, 181 Strategius Musonianus: 25, 43, 49, 75, 76 Anm. 252, 78, 89 Anm. 311, 90, 106–108, 124, 136, 139 Anm. 533, 140, 144, 162, 167, 168–170 Südgallien: 277 Sulpicius Severus: 277 Symmachus 3, L. Aurelius Avianus: 160 Anm. 616 Symmachus 4, Quintus Aurelius: 67 Anm. 213, 72 Anm. 238, 90, 148 Anm. 561, 152 Anm. 583, 153, 154, 155, 158, 159, 160 Synesius von Kyrene: 150 f., 232, 233, 239 Anm. 203, 277 Syrien: 4, 19, 25, 45, 46, 60, 63, 78, 108, 128, 129 Anm. 479, 191, 220, 282, 286, 288, 295 Tarsus: 45 Anm. 118, 100 Anm. 359, 101 Tatianus I/5, Fl. Eutolmius: 49, 54 f., 69, 75, 110 Anm. 392, 149, 160, 171 f., 184, 185 Tatianus [1], Presbyter in Myra: 293 Telmessus: 293 Tertullian: 255 f., 257

355

Thalassius I/1: 30, 32, 91 Thalassius II/2: 30, 53 Anm. 161 Thalassius IV/4: 104 Anm. 373, 116 f., 183– 186 Thamugadi: 112, 117, 119 Themistius: 12 Anm. 42, 20, 68 Anm. 218, 89, 90, 130, 134, 135, 157, 163, 168, 169, 175, 176 Theodor von Sykeon: 239 Anm. 203 Theodor, Bischof von Tyana: 229 Theodora 2, Schwester des Spectatus: 30 Theodora 3: 96 Theodoret von Kyrrhos: 232, 233 f., 266, 267 Theodorus 8, Oberpriester: 96 Theodorus, Diakon: 242 Theodosius I.: 3, 4, 5, 26, 27, 34, 35, 36, 37, 40, 49, 54, 55, 90 Anm. 316, 115, 133, 159 Anm. 616, 171, 171 Anm. 655, 183 Anm. 698, 185 Anm. 710, 194 Theodotus von Nikopolis: 223 Theodulus: 92 Theognis von Megara: 202 Theoktistos, Bischof von Beroia: 233 Theophilus, Bischof von Alexandria: 196, 241, 247, 260, 261, 262, 263, 282 Theophilus I/1: 106 Theophilus: 175 Theseus: 101 Thessalonike: 218 Thrakien: 45, 64, 108, 141, 274 Thrasydaeus: 170 f. Tisamenus: 109 Anm. 390 Türkei: 45, 46 Tyana: 192 Ulpicius: 204 Valens: 26, 36 Anm. 73, 43 Anm. 108, 53, 54, 55, 144, 192, 223, 266, 274, 283 Valentinian I.: 36 Anm. 73 Valentinian II.: 259 Anm. 282 Valerianus, Bischof: 223 Anm. 150, 292 Verianus: 209 f. Xenophon: 57, 58 Zenobius: 42 Zeus: 94, 95, 165 Zypern: 262

356

VI. Indices

3. Sachindex Administration, imperiale – neue Stellen: 32, 33 Anm. 57, 85, 118, 297, 298 – Karrieremöglichkeiten: 31, 32 f., 38, 39, 43, 75, 297 (s. auch Mobilität, soziale) adventus: 139, 140, 141, 143, 260, 262, 269, 304 agape, ἀγάπη: 12, 15, 22, 199–202, Kap. III.2.2. passim, 256, 270, 281, 292, 303 – als alternatives Konzept sozialer Inklusion: 217–227, 233–236, 303 – bei Basilius: 201 f., 214–227, 292, 303 – bei Greg. Naz.: 201, 214–217, 228–232 – bei Joh. Chrys.: 232 f. – bei Theodoret: 233 – bei Synesius: 232 amicitia: 8, 9, 10, 11, 13, 14, 83, 111, 154, 155 Amtsmissbrauch: 70 (s. auch Korruption u. dynamis) arete, ἀρετή: 13, 72, 168, 213, 235 Arianer, arianisch: s. Homöer, homöisch Askese: 191, 195, 220, 238, 239, 243, 240, 244, 246, 248, 268, 288, 304 Bad, baden: – Begleitungen ins Bad: 11, 107, 110, 120, 126, 131–137, 146 – gemeinsames Baden als Zeichen der Verbundenheit: 120, 134–137, 143, 252, 265– 268, 299, 301 – Bad des Statthalters: 107, 126, 136, 144 – Bad des Bischofs: 251, 252, 265–267 – christliche Badepraktiken: 237, 239, 265– 268 – Bäder in Antiochia: 132 f., 136 – Bäder in Konstantinopel: 132 – Bäder in Rom: 132 – Bau von Bädern durch einflussreiche Bürger u. Beamte: 133, 183 Anm. 698 – Briefschreiben im Bad: 158 Begriffsgeschichte: 15, 22 – v. philia: 8 f., Kap. II.2. passim, 199–202, Kap. III.2.1. passim, 233–236 – v. agape: Kap. III.2.2. passim, 233–236

Begrüssung: 137–143, 169, 250, 252, 253– 255, 257, 259, 270, 301 u. öfters (s. auch salutatio, adventus u. Kuss) Besuche: 18 f., 105, 107, 110, 113, 120, 121– 131, 263 f. u. öfters (s. auch salutatio u. ordo salutationis) – Differenzierung nach Tageszeit: 120, 124 – räumliche Differenzierung: 116 f., 120, 127 f., 263 f. – gesetzliche Regelung: 120, 125–127 – u. soziale Hierarchie: 120, 124 f. Bildung: 26, 39 f., 44, 77, 161, 177, 197, 199, 239, 278 u. öfters – als Distinktionsmerkmal: 27, 40, 72, 85, 102, 154, 195, 271 f., 299 – als verbindendes Element: 77, 78, 90, 96, 102, 154, 182, 212, 213, 271 f., 299 – rhetorische Bildung: 24, 38, 39 f., 43, 44, 84, 190 f., 195 – christliche Bildung: 190, 191, 213, 278 – s. auch Jurisprudenz – s. auch Stenographie Bischof: 5, 6, 46, 192, 193, 194, 195, 196, 211, 219, 230, 268 f., 280 u. öfters – als Konkurrenten von Sophisten: 5, 40, 197 – als Patron: 239, 240 – soziale Herkunft: 239 – Kleidung: 238 f. – Lebensweise: 239, 241–244, 265, 267 f., 273 – Interaktion mit anderen Bischöfen u. Klerikern: 219, 220, 225, 226, 227, 241, 248 f., 249–265, 269 f., 289–291, 292–294, 304 – Interaktion mit weltlichen Eliten: 239, 244–247, 268 boule: s. Rat Brief, Briefschreiben: Kap. II.4. u. III.4. passim – Materialien: 147 f. – Handschrift: 148 f. – Siegel: 148 – Funktionen: 153 f., 155, 221, 271 f. – Sichtbarkeit: 156–158, 187, 273 f., 296 – Vorlesen: 158–164, 166, 170, 275–277

3. Sachindex

– als Symbol v. philia: 172, 176, 179, 186–188, 270, 283, 296 – als Symbol v. theol. Nähe: 286–295, 296 – Konflikte im Brief: 172–176, 183–186 – offener Brief: 176–179, 284–286 Briefbote: 29, 51, 52, 128, 148, 156, 157, 174, 187, 274, 301 – Funktion: 145 f., 150 f., 153, 164–166, 221, 302 – Auswahl: 151 f., 188, 271 Briefsammlung: 12, 14, 20, 147, 153, 197 f. – v. Libanius: 20, 52–56 – v. Greg. Naz.: 195 Anm. 39, 198, 272, 278–280 Brieftheorie, antike: 149 f., 152, 154, 301 caritas: 9 Anm. 28, 12, 256, 277 charis, χάρις: 59, 60–68, 70, 71, 72, 73, 74, 77, 86, 91, 97, 98, 100, 103, 104, 105, 120, 127 Anm. 472, 174, 181, 182 Anm. 695, 200 Anm. 69, 202, 206, 298, 299 Chariten: 71, 91 Christen, christlich: passim – Begriff: 21 Anm. 68 Christianisierung: 6, 14, 15, 31, 32 Anm. 53, 201, 234, 236, 298 cliens, clientela: 10, 11, 80 Anm. 273, 111, 134 comes Orientis: 35, 46 Anm. 125, 73, 74, 76 Anm. 249, 87, 108, 109, 110 Anm. 392, 113, 114, 115, 116, 117, 121, 124, 125, 128, 129, 130, 139, 140, 142, 144, 170, 172, 175, 184 consularis Syriae: 24 Anm. 9, 30 Anm. 48, 35, 44, 76 Anm. 249, 95, 100 Anm. 359, 108 f., 110 Anm. 392, 115, 126 Anm. 464, 127 Anm. 473, 136, 137, 140, 144, 158, 165 Anm. 638, 172 u. öfters convivium: 11 (s. auch Gastmahl) curialis, curiales: s. Kuriale cursus publicus: 151, 152 Anm. 583 deipnon, δεῖπνον: s. Gastmahl Dekurionen, Dekurionenstand: 32, 34, 56, 117, 118 (s. auch Kurialen) Diakon: 195, 241, 242, 243, 248, 250, 253 Distanz, individuelle, formalisierte, u. theologische: 17 f. u. passim dynamis, δύναμις: 70, 71, 72, 104, 208, 298, 300

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– u. philia: 70–74 Eichensynode: 196, 241, 242, 248, 265 eisodos, εἴσοδος: s. salutatio u. Besuche Emotionen: 179 f. – u. Freundschaft/philia: 7, 9, 18, 59, 100, 102, 103, 181, 299 epitaphios logos: s. Gedenkrede Eucharistie: 257, 258 Anm. 277, 262, 269, 291, 304 Exil: 163, 192, 197, 198, 199, 242, 243, 261, 264, 274, 281, 282, 283, 291, 294 Exklusion: 13, 17, 22, 146, 174, 187, 217, 219, 229, 255 Anm. 263, 259, 269, 272, 281, 283, 296, 303 Feindschaft: 12, 18, 119 Anm. 439, 122, 143, 175, 220, 222, 263, 273, 284, 301, 303 Freundschaft: passim – Definition: 6 f. – Abgrenzung von Patronage: 7, 8, 10, 75, 88 – Abgrenzung von Nächstenliebe: 12 f., 201, 234 – philosophische u. theologische Konzepte: 8 f., 12 f., 58, 96 f., 199–201 – christliche Umdeutung: 13, 199–201, 207–211, 213, 234 f., 303 – s. auch philia u. amicitia Gabentausch: 65, 149 (s. auch charis u. Geschenke) Gastfreundschaft: 96, 241, 244, 251, 252, 260, 261–265, 269, 270, 304 Gastmahl: 110, 121, 127, 129–131, 144, 158, 165, 187, 237, 240, Kap. III.3.1. passim, 299, 301 (s. auch convivium) Gedenkrede: 3, 5, 6, 95, 195 Anm. 39, 280 Gericht: 72, 115 Anm. 418, 116 Anm. 422, 118, 119 Gesandtschaft: 4, 29, 38, 40, 50 Anm. 147, 51, 61, 71, 160 Anm. 616, 171, 221, 242 Geschenke: 128, 148 Anm. 561, 149, 154, 160, 276, Häresie, Häretiker: 13, 223, 258, 259, 261, 263, 267, 272, 273, 284, 285, 287, 292, 293, 305 heidnisch, Heiden: passim – Begriff: 21 Anm. 68

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VI. Indices

Heirat, Heiratsverbindung: 30, 121, 122 Hierarchie, soziale: 35, 74, 75, 85, 112, 117, 125, 143, 188, 246, 300, 301, 305 – Performanz: 11, 75, 110, 117–120, 131, 134, 143 f. – im Klerus: 246, 252, 258, 263, 269 Homöer, homöisch: 192, 194, 219, 223, 225, 266, 267, 283, 285 Homöusianer: 192, 221, 223, 284 honoraria dignitas: 36, 37, 115 honoratus, honorati: – Privilegien von honorati: 33, 34, 113, 115, 117 – Libanius als honoratus?: 34–37, 56, 81, 113 Inklusion: 13, 17, 22, 146, 163, 174, 202, 214, 217, 219, 226, 229, 234, 235, 236, 255 Anm. 263, 259, 269, 272, 281, 283, 296, 302, 303 Juden, jüdisch: 31 Anm. 50, 46 Anm. 124, 88, 289 Jurisprudenz – als Konkurrenz zur rhetorischen Ausbildung: 39 f. Kirchengemeinschaft: 193, 221, 223, 225, 282, 284, 291, 292, 295 (s. auch koinonia) Klerus: 207, 208, 230, 239, 241, 248 f., 260, 261, 262, 265, 269, 271, 291 (s. auch Bischof, Diakon, Presbyter, Priester) Klient, Klientel: s. cliens, clientela koinonia, κοινωνία: 225, 227, 291 (s. auch Kirchengemeinschaft) kolax, κόλαξ: s. Schmeichler Kommunikation: 15–17 u. passim Konflikte: 68 Anm. 218, 82, 216 Anm. 130, 217, 235, 236, 249, 269 f., 283 – zwischen Christen u. Heiden: 31, 91–97 – u. Briefe: 146, 172–176, 186, 187, 295, 302 – u. affektive Sprache: 179 f., 188 Konkurrenz, Konkurrenten: 5, 39, 40, 41, 42, 68, 108, 109, 141, 160, 197, 250 Anm. 249, 297 Konzil – von Nizäa (324): 194 – von Konstantinopel (381): 5, 194 Kopialbuch: 52, 53, 54, 55, 81, 148 Anm. 560, 152, 199

Korruption: 72 Anm. 238, 120 Kuriale: 33 f., 74, 108, 117, 125 Anm. 463, 130, 191 Anm. 10, 238, 239 Anm. 200 – von Antiochia: 4, 23, 28, 51, 109 Anm. 390 – kuriale Pflichten: s. munus – «Kurialenflucht»: 32, 33, 85 – principalis, principales: 27 Anm. 27, 51, 130 Kuss, küssen (s. auch osculatio) – zur Begrüssung: 119, 137, 139, 257, 300 – ius osculi: 138 Anm. 528, 255 – in asymmetrischen Beziehungen: 119, 137, 138 Anm. 526, 139, 140, 143, 260, 300, 301 – als Zeichen individueller Nähe: 138, 139, 140, 142, 143, 301 – als Zeichen formalisierter Nähe: 138, 143, 258, 260, 301 – als Zeichen theologischer Nähe: 258–260, 269, 304 – unter Klerikern: 252, 254 f., 258–260, 304 – als Medium der In- u. Exklusion in christlichen Gemeinden: 255–260, 269 – Friedenskuss, Heiliger Kuss: 256 f. Laie: 198, 232 Anm. 176, 258, 260, 269, 282, 288, 289, 290, 296, 304 Lange Brüder (Mönchsgruppe): 196, 262 Magie-Anklagen: 24, 26, 54, 123, 141 magister militum: 4, 182, 183, 184, 195 magister officiorum: 3, 4, 48, 50, 128, 129, 165 magister peditum: 48, 174 Mobilität – geographische: 41, 297 – soziale: 33, 75, 83–85, 88, 297, 298 Mönch: 196, 197, 218, 241, 246, 248, 262, 293 Mönchtum: 220 Morgenbegrüssung: s. salutatio munus: 33, 34, 62, 63, 68, 69, 71, 94, 101, 118, 132, 133, 183, 190 Anm. 3 Nähe, individuelle, formalisierte u. theologische: 17 f. u. passim Neuplatonismus, neuplatonisch: 12 Anm. 42, 91 Anm. 319, 97, 232 Nizäner, nizänisch: 5, 192, 193, 194, 223, 224, 266, 267, 283, 284

3. Sachindex

Nizänum, nizänisches Bekenntnis: 192, 193, 219, 220, 221, 223, 225, 275 Opfer, Opferfest: 94, 165, 166 ordo salutationis: 112, 117 f., 119 osculatio: 118, 119 Anm. 438, 138, 143, 260 Anm. 283, 300 Pagane, pagan: passim – Begriff: 21 Anm. 68 paideia: s. Bildung Panegyricus: 3, 4, 43, 44, 159 Anm. 616, 163, 183 Anm. 698 Parrhesie, parrhesia, παρρησία: 27, 39, 82, 83, 247 Anm. 243–244 Patronage: 7, 10, 11, 74, 75, 88 Performanz: 17 u. passim Philanthropie, philanthropia: 5, 114, 120, 207 Anm. 91, 208, 209 philia: 14 f., 59 f., 298 f. u. passim – bei Aristoteles: 8 f., 103 – im NT: 12 – bei Clem. Alex.: 199–201, 234 – in Abgrenzung zu agape: 12, 234–236 u. öfters (s. auch agape) – Konstituierung: 13, 15, 60, 63, 88, 98–103, 201, 211–214, 225, 235, 298, 299, 303 – Aufkündigung: 105, 176, 178, 224, 296 – als reziproke Beziehung: 60–67, 207–211 u. öfters – als dynamisches Konzept: 74 f., 83–85, 87 f., 299 – als soziales Kapital: 85–88 u. öfters (s. auch dynamis) – u. sozialer Status: 74–85 u. öfters – u. Religion: 88–97, 205, 207–211 u. öfters – u. Emotionen: 9, 18, 100, 102, 103, 179, 181 f., 299 – Sichtbarkeit u. Performanz: 6, 14, 16, 17, 19, 104–106, 145, 146, 156–158, 298, 299, 301 u. passim Pneumatomachen, pneumatomachisch: 220, 223, 273 praefectus urbi: s. Stadtpräfekt Prätoriumspräfekt, praefectus praetorio: 35, 84 Anm. 289, 109 Anm. 389 – per Orientem: 29 Anm. 36, 33, 49, 69, 75, 76, 87, 90, 106–108, 109, 124, 125, 136,

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139, 140, 144, 168, 169, 170, 172 Anm. 655, 185 – Illyrici: 50 Anm. 148, 53, 76, 78 Anm. 265, 89, 167, 168 – Galliarum: 175 Presbyter: 40, 195, 218, 232, 289, 293, 294, 295 Priester: – christlich: 40, 191, 238, 244, 245, 263 – heidnisch: 91, 92, 96, 117, 163 Provinzstatthalter, Statthalter: 108 f., 125 u. passim (s. auch consularis Syriae) Rat von Antiochia: 28, 29 Anm.  36, 34, 42, 162 Rat von Athen: 25 Ratsherren: s. Rat, Dekurionen u. Kuriale Redefreiheit: s. Parrhesie Reziprozität: – von Freundschaft: 6, 201, 207, 234, 235, 298, 299, 303 – von Kommunikation: 16 Sabellianismus: 223, 285 salutatio: 11, 18, 22, 75, 110, 111–120, 121, 124, 125, 126, 127, 130, 138, 140, 143, 144, 260 Anm. 283, 264, 300, 301 Schmeichler: 79, 80 Selbstdarstellung: 3, 26, 40, 51, 55, 56, 110, 134 Anm. 511, 142, 144, 195, 238, 249, 268, 271, 278, 280 Senat von Konstantinopel: 25, 32, 71, 85, 104 Anm. 373, 117, 168, 169 Anm. 647, 183, 185, 297 Senat von Rom: 32, 111 Senator: 11, 33 Anm. 57, 99, 111, 112, 117, 119, 131, 134 Anm. 511, 156, 159, 176, 178, 238, 247 Senatorenstand: 32, 33 Anm. 57, 34, 35, 81, 82 Anm. 284, 85, 88, 111, 113, 115 Anm. 413, 118, 189 f., 196, 297 Senatsaristokratie: 112, 113 Sklaven, Sklaverei: 46, 57, 60, 65 Anm. 204, 96 Anm. 341, 128, 134 Anm. 511, 148, 149, 151, 152 Sophist: 24, 29, 34, 37 u. öfters – Tätigkeit: 24, 38 – Salär: 34, 38, 41 f. – sozialer Status: 25, 27, 34, 36, 38 f., 41, 42 f., 47, 51, 80, 125

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VI. Indices

– Konkurrenz durch Bischöfe: 40, 197, 297 – Libanius als Sophist: 37–45, 56, 73 f., 80 f., 141 u. öfters Spiele: 27, 33, 62 – Olympische Spiele in Antiochia: 28, 37, 60, 61, 65, 66, 104, 114, 181, 185 Stadtpräfekt: – von Konstantinopel: 25 Anm. 13, 86, 139, 160, 175, 185 – von Rom: 76, 156 Stenographie: – als Konkurrenz zur rhetorischen Ausbildung: 39, 44

Steuern: 4, 33, 62, 133 Anm. 508, s. auch munus Steueraufstand in Antiochia (387): 4 f. Tachygraphie: s. Stenographie triclinium: 131, 246 trinitarischer Streit, trinitätstheologische Debatte: 192, 219, 220 f., 223 f., 284 f. Verbannung: s. Exil Vertrauen: 6, 60, 97 f., 103–105 Verwaltung: s. Administration Wachstäfelchen: 148, 149, 276 f.