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German Pages 547 Year 1994
CHRISTOPH SCHÖNER
Mathematik und Astronomie an der Universität Ingolstadt im 15. und 16. Jahrhundert
MÜNCHENER UNIVERSITÄTS SCHRIFTEN
Universitätsarchiv LUDOVICO MAXIMILIANEA Universität Ingolstadt-Landshut-München Forschungen und Quellen Herausgegeben von Laetitia Boehm Forschungen Band 13
Mathematik und Astronomie an der Universität Ingolstadt im 15. und 16. Jahrhundert
Von
Christoph Schöner
Duncker & Humblot . Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Schöner, Christoph: Mathematik und Astronomie an der Universität Ingolstadt im 15. und 16. Jahrhundert / von Christoph Schöner. - Berlin : Duncker und Humblot, 1994 (Ludovico Maximilianea : Forschungen; Bd. 13) (Münchener Universitätsschriften : Universitätsarchiv) Zugl.: München, Univ., Diss., 1993 ISBN 3-428-08118-8 NE: Universität (München): Ludovico Maximilianea / Forschungen
Alle Rechte vorbehalten
© 1994 Duncker & Humblot GmbH, Berlin
Druck: Color-Druck Dorfi GmbH, Berlin Printed in Gennany ISSN 0720-7662 ISBN 3-428-08118-8
Zum Geleit Seit Erscheinen des letzten Bandes der Reihe Ludovico Maximilianea sind sieben Jahre vergangen; Jahre, welche für die allgemeinen Bedingungen der Forschung wie auch speziell für die Aufgaben des Universitäts-Archivs manche Veränderungen mit sich gebracht haben: Engpässe des Hochschulbudgets, Kostensteigerungen bei den Verlagen, einen Siegeszug elektronischer Textverarbeitung mit Konsequenzen für die Rationalisierung wissenschaftlicher Arbeitsweisen, teils aber auch mit Folgen für Verlagerungen des technischen Arbeitsaufwandes auf Autoren und Herausgeber zwecks Senkung der Verlagskosten beim Fotoprintverfahren, wie es für diese Reihe mit dem vorliegenden Band erstmals erprobt wird. Was schließlich die Situation des Archivs der Ludwig-MaximiliansUniversität betrifft, das als Herausgeber zeichnet, so hat das Inkrafttreten des Bayerischen Archivgesetzes seit dem 1.1.1990, dessen Schutz- und Archivierungsauflagen auch die Körperschaftsarchive einbeziehen, im Zusammenhang des begrüßenswert gewachsenen Interesses an Universitätsgeschichte naturgemäß den Aufgabendruck durch vermehrte Repertorisierungen und Serviceleistungen bei leider unveränderter Personalnot gesteigert. Positiv vermerkt sei, daß die Reihe Ludovico Maximilianea 1993 in die von Rektor und Akademischem Senat präs,idierte Reihe ,,Münchener Universitätsschriften" aufgenommen wurde, was ohne Einbuße der Entscheidungsfreiheiten von Herausgeber und Verlag als Faktum der Anerkennung gelten und wirken darf. Besonders erfreulich ist es, daß die Ludovico Maximilianea 1994/95 mit mehreren Veröffentlichungen antreten kann, die auch das Spektrum interdisziplinärer wissenschaftsgeschichtlicher Bezüge wesentlich bereichern werden. Eröffnet wird diese neue Etappe durch die hiermit als Band 13 der Abteilung Forschungen vorgelegte, von Gutachtern zweier Fakultäten einhellig summa cum laude bewertete Dissertation von ChristophSchöner, die im ganz konkreten Sinne inhaltlich und methodisch eine wissenschaftsgeschichtliche Integrationsleistung zwischen zwei Fachdisziplinen darstellt. Die Untersuchung der Entwicklung der Disziplinen Mathematik und Astronomie an einer der ältesten deutschen Universitäten unter dem Aspekt der Interdependenzen zwischen institutioneller, fachlicher, personeller und pädagogischer Entwicklung von Theorie und Lehrpraxis war eine Expedition in weites Neuland; denn außer den Forschungen von H. Grössing für Wien gibt es bisher für die altdeutsche Hochschullandschaft bezüglich der ,,naturwissenschaftlichen" Seite der Artistenfakultäten, deren Struktur- und Personengeschichte ohnehin vielfach noch der Analyse harrt, keine vergleichbaren Studien, wie sie in wichtigen Ansätzen für Paris, für englische und italienische Universitäten sowie für Krakau vorliegen.
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Zum Geleit
Die in der Abteilung Forschungen folgenden Bände 14-16, deren Laserausdrucke bereits abgeschlossen sind, widmen sich den Themenbereichen: "Völkerkunde in München. Voraussetzungen, Möglichkeiten und Entwicklungslinien ihrer Institutionalisierung (ca. 1850 bis 1933)"(Wolfgang Smolka), ,,Deutsche Philologie in München. Zur Geschichte des Fachs und seiner Vertreter an der Ludwig-Maximilians-Universität vom Anfang des 19. Jahrhunderts bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges"(Magdalena Bonk), "Von der Selbstverwaltung zum Führerprinzip. Die Universität München in den ersten Jahren des Dritten Reiches (1933 bis 1936)"(Helmut Böhm). Für die Bände 3 und 4 der Abteilung Quellen/Dokumentationen ist in Vorbereitung ein Biographisches Handbuch des Lehrkörpers der Universität Ingolstadt-Landshut-München als biobibliographisches Nachschlagewerk mit Einzelartikeln über alle Dozenten, verfaßt von jeweils fachkompetenten Autoren; Teil I mit rd. 900 Kurzbiographien zur Epoche der Universität in Ingolstadt und Landshut (1472-1826) wird voraussichtlich 1995 erscheinen und damit einem empfindlichen Desiderat entgegenkommen. Der Sinn eines Herausgeber-Geleitwortes bezieht sich vor allem auf den Dank an diejenigen Personen und Institutionen, welche offiziell zur Möglichkeit der Veröffentlichung beigetragen haben. Der Abschluß des Forschungsprojekts bis zum Druck der hiermit der Öffentlichkeit übergebenen Arbeit ist insonderheit zu verdanken der finanziellen Unterstützung durch die Volkswagenstiftung, deren Förderung Herr Christoph Schöner M.A. im Rahmen des Graduiertenkollegs am Deutschen Museum erfahren durfte, sowie einer Beihilfe durch die Kurt-VogelStiftung. Als Herausgeber möchte ich auch Herrn Professor Norbert Simon, dem Geschäftsführer (Gesellschafter) des Verlages Duncker und Humblot, für die nahezu problemlose Fortführung der traditionell guten Zusammenarbeit herzlich danken; und im Zusammenhang der Umstellung auf ein neues Herstellungsverfahren sei in diesem Falle auch ein besonderes Dankeswort gesagt an seinen jahrzehntelang erfahrenen Leiter der Herstellungsabteilung, Herrn D. H. Kuchta, für die Ratschläge bei der Umstellung auf das Fotoprintverfahren und für die ebenso zUgige wie korrekte Mühewaltung bei den gehäuft angefallenen Kalkulationsfragen. Möge dieser erneute Start der Reihe Ludovico Maximilianea im Rahmen der Münchener Universitätsschriften auf eine weitere erfolgreiche Wegstrecke im Dienst universitätsgeschichtlicher Forschung führen. Mai 1994
Laetitia Boehm Vorstand des Universitäts-Archivs München
Vorwort Die vorliegende Arbeit ist zwischen zwei Disziplinen angesiedelt, der Uni versitätsgeschichte und der Geschichte der Naturwissenschaften, die in letzter Zeit, besonders in München, näher zueinander gefunden haben. Daher rührt auch der Umstand, daß ich, wenn nicht de jure, so doch de facto zwei Doktoreltern habe: meine Doktormutter Frau Prof. Dr. Laetitia Boehm und meinen Doktorvater Herrn Prof. Dr. Menso Folkerts. Ihnen bei den, die mich gleichermaßen gefördert haben und immer ein offenes Ohr nicht nur für fachliche, sondern auch fUr menschliche Probleme hatten, sei hier an erster Stelle mein Dank abgestattet. Der nächste Dank gebührt meiner Frau Andrea. Sie mußte sich meine Thesen und Gedanken gelegentlich bis zum Überdruß anhören und hatte unter den Tiefphasen, die im Verlauf einer mehrjährigen Arbeit unvermeidlich auftreten, gewiß am meisten zu leiden. Trotzdem hat sie nie das Interesse an meiner Untersuchung verloren und mir in unzähligen Gesprächen wertvolle Anregungen gegeben. Vieles wurde mir selbst erst im Verlauf unserer Diskussionen klar. Zuletzt übernahm sie auch noch einen Teil der formalen Korrekturarbeiten an der Endfassung der Dissertation. Finanziell wurde ich durch die Volkswagenstiftung im Rahmen des Graduiertenkollegs am Deutschen Museum und durch die Kurt-Vogel-Stiftunggefördert. Beiden sei dafür gedankt. Die Möglichkeit, Zwischenergebnisse vor einem kompetenten Kreis vorzutragen, bewahrt vor Irrwegen und gibt Anregungen für die weitere Arbeit. Zweimal durfte ich im Colloquium meiner Doktormutter Frau Prof. Boehm, welches auf eine beinahe so lange bewährte Vergangenheit wie ich selbst auf mein Leben zurückblicken kann, aus meiner Werkstatt referieren und konnte beide Male bedeutenden Gewinn daraus mit nach Hause nehmen. Ebenfalls zweimal hatte ich Gelegenheit, im Colloquiumdes Graduiertenkollegs am Deutschen Museum meine Thesen zu präsentieren. Allen Mitgliedern des Kollegrates, die meiner Arbeit mit Sympathie und hilfreich gegenüberstanden, sei dafUr mein Dank abgestattet. Auf mehr privater Ebene durfte ich etliche meiner Kommilitonen immer wieder mit Einzelfragen, aber auch generellen Problemen meiner Arbeit behelligen. Sie alle aufzuzählen, würde hier zu weit führen. Stellvertretend für alle möchte ich Herrn Gerhard Brey und Herrn Dr. Freddy Litten, die meine Dissertation nunmehr bald so gut wie ich selbst kennen dürften, danken. Außerdem stand mir Gerhard Brey bei allen Problemen, die sich während der Erstellung der Druckvorlage mit WB" ergaben, zur Seite; ohne seine Hilfe hätte ich zahllose Programmierungsprobleme nicht zu bewältigen vermocht.
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Vorwort
Ohne die tätige Unterstützung von Archiven und Bibliotheken hätten in einer Arbeit wie dieser viele Lücken nicht gefüllt werden können. Allen, die mir solche Unterstützung angedeihen ließen, sei hier gedankt. Die Namen all derer, denen ich besonders viel zu verdanken habe, sind in den Fußnoten zu finden. Ich hoffe, niemanden vergessen zu haben. Das Universitätsarchiv wurde mir während meiner Recherchen beinahe zur zweiten Heimat. Für ihre Unterstützung möchte ich mich hier bei Herrn Dr. Wolfgang Smolka, Herrn Michael Schaich, Frau Hedwig Spin sowie allen Hilfskräften bedanken. Die angenehme Atmosphäre an den Instituten, mit denen ich im Verlauf meiner Arbeit zu tun hatte, wird auch entscheidend von den Sekretärinnen geprägt. Bedanken darf ich mich hier bei Frau Gerlinde Petzke (Institut für Geschichte der Naturwissenschaften), Frau Gertraud Ellerkamp und Frau Margret NidaRümelin (Forschungsinstitut am Deutschen Museum) und bei Frau Angelika Mume (Institut für Bildungs- und Universitätsgeschichte). Wenn die Arbeit gelungen ist, so habe ich dies in erster Linie auch meinen lieben Eltern zu verdanken. Sie standen meinen Interessen und Neigungen, einschließlich aller Kehrtwendungen oder Umwege, immer mit Sympathie und Verständnis gegenüber und haben mich auf meinem Weg entscheidend gefördert. Sie haben weite Teile der Dissertation nach Tipp-, Rechtschreib- und Stilfehlern durchforstet; wenn noch Fehler geblieben sind, so liegt dies nicht an ihnen, sondern an den zahlreichen Änderungen, die ich auch nach der Korrektur noch am Text anbrachte. Meinen Eltern verdanke ich auch, daß ich nach dem Auslaufen der Förderung durch die Volkswagenstiftung meine Dissertation ohne Sorgen um den Unterhalt beenden konnte. Meine Dankesschuld für alles, was sie für mich getan haben, zu begleichen, ist unmöglich. Die vorliegende Dissertation sei ihnen gewidmet.
Inhaltsverzeichnis Einleitung .....................................•..........................
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A. Der Interpretationsrahmen
Erstes KIlpitel: Voraussetzungen und Vorbilder. Die Stellung der Mathematik und der Mathematiker im Spätmittelalter .. .... . ....... . .. ..... ....... . .. ...•.
23
I. Paris und Oxford: Mathematik und Theologie. . . . . . . • . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 o. Padua und Bologna: Mathematik und Medizin ............................ 44 01. Die Universitäten im Reich: Imitate und Sonderentwicklungen . . . . . . . . • . . . . . 62 1. Organisation und Curriculum der Artistenfakultäten: Das Imitat. . . . . . . . . . 62 2. Wien, Erfurt und Leipzig: Die Sonderentwicklungen . . . . . • . . . . . • . . . . . . . . 66 IV. Krakau: \Urbild und Motor. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 V. Mathematik am Hof: Praktische Lebenshilfe und Politik. . • • . . . . . . . . . . . . . . . . 96 VI. Mathematik und humanistische Bewegung ......•.•....................... 103 1. Das Modell der ,Humanistischen NatulWissenschaft' ..........•.....•.. 103 2. Soziologische und institutionelle Aspekte ....•..........• ;............ 108
B. Die Mathematik In Ingolstadt
Zweites KIlpitel: Die Mathematik im artistischen Studienbetrieb von Ingolstadt
(1472-1515) .......................................................... 121
I. Der Ausgangspunkt: Die Statuten von 1472. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 121
U. Die Entwicklung bis 1515 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Die Fortschreibung der Statuten. . . . . . . . . . • . . . . . . . . . • . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Die Oligarchiebildung in der Artistenfakultät und ihre Folgen für die Mathematik . . . . . . . . . • . . . . • . . • . . . . . . . . . . . . . . . • . . . . . . . . . . . . . . . . . . . •. 3. Die Praxis des mathematischen Unterrichts. . . . . . • . • . . . . . . . . . . • • . . . . . ..
124 124 135 146
Drittes KIlpitel: Wandermathematiker, Mediziner und Artisten: Die Mathematik neben der Artistenfakultät bis zur Gründung der KIlnzel (1472-1489) . . . . . . .. 162 I. Johannes Tolhopf: Ein Wandermathematiker in IngoIstadt (1472-1479) ...... O. Erhard Windsberger: Arzt, Humanist, Astrologe. • . . . . . . . . • . . . . . . . • . . . . . • .. 01. Anonymi und Studenten .................•...........•.......••........ 1. Die Studenten der siebziger Jahre: Ein Irrlicht? • • . . . . . . . . . . . . • . . . . . • . . .. 2. Die Traditions- und Gemeinschaftsbildungen der achtziger Jahre .........
162 182 189 190 194
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Inhaltsverzeichnis a) Johannes Engel und Friedrich Weiß I: Die Tradition von Erhard Windsberger . . . . . . . . . . . . . . . . • . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . • . . .. 195 b) Andreas Stiborius und Johannes Stabius: Der Kern des späteren Celtiskreises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . • . . . . . .. 202
Viertes Kilpitel: Gründung und Frühgeschichte der mathematischen Kilnzel (1489-1497) .......................................................... 216
I. Friedrich Weiß D (1489-1492) .......................................... 216 D. Johannes Engel D (1492-1497): Vom Iatromathematiker zum Humanisten .... 223 Fünftes Kilpitel: Die Mathematilc im Celtiskreis (1492-1503) .................... 233 I. Die naturwissenschaftlichen und mathematischen Interessen von Conrad Celtis D. Pläne und Werke: Die Aktivitäten des Celtiskreises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Der Ingolstädter Schüler- und Freundeskreis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Organisation und Inhalt der Lehre. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3. Die Projekte: Anwendungsorientierte Mathematik und Technik ......•.•.. DI. Das Ende: Die Abwanderung des Celtiskreises nach Wien . . . . . . . . . . . . . . . . .. IV. Johannes Stabius (1498-1502/03): Die Nachhut des Celtiskreises .........•..
234 245 246 251 257 268 272
Sechstes Kilpitel: Die Mathematilclektur zwischen Universität, Herzog und Artistenfalcultät . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 285 I. Die Verhandlungen von 1503: Hieronymus Rud (1502/03-1503/04).. . . . . . . .. D. Johannes Ostermair (1503/06-1513): Der Kandidat des Herzogs ............. 1. Zur Biographie und den Werken von Johannes Ostermair . . . . . . . . . . . • . • .. 2. Die ,Nova Ordinatio'und die Verhandlungen von 1507: Das ungelöste Verfassungsproblem .. . . . . . . . . • . . . . . . . . . . . • . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. DI. Johannes Würzburger I (1513-1515): Der Sieg der artistischen Oligarchie .•..
286 291 292 296 308
Siebentes Kilpitel: Die ReformpluJse: Leowrd von Eck und die Mathematilclektur . 314 I. Johannes Würzburger D (1515-1519): Der Kampf Leonhards von Eck gegen die Artistenfakultät ................•................................... D. Die Mathematik neben der Reform .................. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Die Mathematik in Theologenkreisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . • .. 2. Die Mathematik in Aventins ,sodalitas litteraria Angilostadiensis' ...•.•.. DI. Höhepunkt und Abschluß der Reform. . . . . . . . . . . . . • . . . . . . . . . • . . . . . . • . . . .. 1. Das Reskript von 1518 .............................................. 2. Hieronymus Rosa (1519-1521/22) und J ohannes Veltmiller (1520/21-1527): Die Kandidaten Leonhards von Eck ........................•.......•.
316 325 326 330 337 338 344
Achtes Kilpitel: Peter Apian (1526/27-1552) und Philipp Apian (1552-1568). Die humanistischeMathematilc, Höhepunkt und Abstieg •................... 358 I. Die Berufung von Peter Apian ....... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . •. 359 D. Die Stellung des Mathematiklektors zur Universität und zur Artistenfakultät •. 364
1. Die Mathematik im Lehrbetrieb . . • . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . • . . . . . . . .. 365
Inhaltsverzeichnis 2. Parallelen und Divergenzen: Die Mathematiklektur und die anderen artistischen Fachlekturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . • . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Die institutionelle Stellung der Mathematiklektur . . . . • . . . . . . • . • . . . .. b) Soziologische Gesichtspunkte ............................•....... ßI. Die Werke Peter Apians: Ein Programm. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . • . . . . . . . .. IV, ,Nebenrollen' ......•..•.••••.........•..•.....•...................•... 1. Peter und Philipp Apian als Hofmathematiker .......................... 2. Peter und Philipp Apian als Buchdrucker. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. V. Das Ende der humanistischen Mathematik: Philipp Apian und die Medizin ..•.
11 380 382 398 403 415 415 424 426
Neuntes Kapitel: JohannesLonnaeusBoscius (1568-1585) ...................... 430 I. Mathematik als Hilfswissenschaft zur Medizin. . • . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 430 Die Mathematiklektur und das Vordringen der Jesuiten in der Artistenrakultät. 437
n.
Zehntes Kapitel: Die Obernahme der Mathematiklelctur durch die Jesuiten (1585) und Ausblick ....•.......•...........................•..............•. 450 Schlußbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . • . . . . . . . . . . . . . . . . .. 459 Anhang
Anhang A: Exkurse........................................................ 463 I. Johannes Tolhopr und Johannes Parreut. Zwei Namen und drei Personen ..... Johannes Engel und das Projekt einer humanistischen Gemeinschaft von 1475. ßI. Der verlorene Akt UAM, 0 I 3 ..•••..•....•........•••.................. IV. Der Mathematiker Johannes Fischer: Ein Phantom ......................... V. Zur Entstehungsgeschichte der Handschrift Wien, ÖNB, cvp 5277 . . . . . . . . . ..
n.
463 466 473 477 480
Anhang B: Quellen........................................................ 483 Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . • . . . . . . • . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 506 Quellenverzeichnis . . • • . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . • . . . . . . . . • . . . . . . . . . • . . . . . • .. 507 Literaturverzeichnis ..... ..............•....•.•............................. 510 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 533
Einleitung I. Eine Untersuchung Ober die Mathematik und Astronomie! an einer Universität in der frühen Neuzeit muß von einem zweifachen Ansatz ausgehen: einem institutionengeschichtlichen und einem disziplinengeschichtlichen. Zwischen beiden ist eine Synthese erforderlich. Institutionengeschichtlich ist die Frage zu beantworten, weIche Stellung die Mathematik und ihre Vertreter innerhalb des organisatorischen Rahmens der Universität gewannen oder behaupteten, weIche Möglichkeiten denen, die sich dieser Fachwissenschaft widmen wollten, zur Verfügung standen und wie sich diese äußeren Bedingungen im Verlauf des zu bearbeitenden Zeitraumes veränderten. Eine Analyse dieser Entwicklung läßt sich nur im Vergleich mit anderen Universitäten vornehmen. Disziplinengeschichtlich geht es um den Inhalt des an der Institution Geleisteten, um die Klärung der Frage, ob am untersuchten Ort ein bestimmter Stil oder charakteristische Schwerpunkte vorherrschten, ob sich unter Umständen eine Schule bildete. Hier muß zur Bewertung und Einordnung des Geleisteten der Blick auf die Entwicklung der ganzen Fachwissenschaft der Zeit gerichtet werden. Beide Aspekte sind im Zusammenhang zu sehen, da die institutionellen und die fachlichen Entwicklungen einander in hohem Maße bedingen. Inhaltlich wird das Fach von denen getragen, die sich ihm verstärkt widmen, den organisatorischen Rahmen aber, der Voraussetzung ihrer Tätigkeit an der Universität ist, erhalten sie von anderen vorgegeben: von der Universität oder vom 1 Mathematica als übergeordneter Begriffumfaßt im Sprachgebrauch der Zeit ebenso die Mathematik im heutigen Sprachsinn als auch die Astronomie und Astrologie. Astronomia und astrologia werden identisch angewandt und können sowohl die Sternkunde als auch die Sterndeutung, gelegentlich auch beide zugleich bedeuten. Für die diese Wissenschaften ausübenden Personen werden in den gesichteten Quellen unterschiedslos die Bezeichnungen mathematicus, astronomus und astrologus benutzt, was zum einen nur daher rührt, daß die Personen alle diese Wissenschaften zugleich pflegten, zum anderen aber auch wiederum dem Sprachgebrauch der Zeit entspricht. Da im Rahmen der Universität im 16. Jahrhundert die Mathematik nie von der Astronomie und Astrologie zu trennen ist, soll im folgenden, um die unschöne Doppelung Mathematik und Astronomie zu vermeiden, Mathematik als Oberbegriff alle drei Wissenschaften - Mathematik, Astronomie, Astrologie - bezeichnen; wenn Mathematik im heutigen Sinne gemeint ist und dies nicht aus dem Kontext hervorgeht, so wird dies eigens vermerkt. Astronomie und Astrologie werden dem heutigen Sprachgebrauch gemäß verwendet. Vgl. hierzu R. Lemay: The Teaching of Astronomy, S. 198 (Astronomie und Astrologie) und S. 210 (Mathematik).
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Einleitung
Herzog und seinen Beratern. Verglichen mit der Innensicht der Mathematiker betrachten die letztgenannten die Wissenschaft gewissermaßen von außen, indem sie, ausgehend von bildungsprogrammatischen oder politischen Nützlichkeitserwägungen, die nötigen Ressourcen zur Verfügung stellen, ohne in der Regel mit den fachimmanenten Problemen im Einzelnen vertraut zu sein. 2 Trotzdem beeinflußen sie die Entwicklung der Fachwissenschaft in zweifacher Weise: personell und durch allgemeine Erwartungen oder Anforderungen an das Fach und seine Vertreter. Zum einen treffen sie die Auswahl unter den Bewerbern, welche je nach ihrer Herkunft bestimmten Richtungen oder Schulen angehören, die dadurch gelegentlich prägend für die Entwicklung des Faches im regionalen oder auch überregionalen Rahmen werden können. 3 Zum anderen stellen sie gewisse, recht spezifische Forderungen an diejenigen, die sie berufen. 4 Das Spektrum dieser Erwartungen kann breit sein. Am Anfang stehen in Ingolstadt die astrologische Beratung des Herzogs und seiner Räte, die jährliche Erstellung eines Almanachs und die iatromathematischen Anforderungen der Mediziner. Später erweitert es sich durch die Förderung eines humani2 Der Anteil der Artistenfakultät, von deren Mitgliedern grundsätzlich die meiste Kompetenz zu erwarten gewesen wäre, an der Konzeption des institutionellen Rahmens war in Ingolstadt gering. Im Bezug auf die 1489 eingerichtete Mathematiklektur traten ihre Organe, d. h. in erster Linie das Fakultätskonzil, aktiv erst in Erscheinung, als die dauerhaften und weittragenden Entscheidungen bereits gefallen waren. Die Folge davon war, daß, von kurzen Zwischen perioden abgesehen, der Mathematiklektor bis zur Übernahme der artistischen Fakultät durch die Jesuiten 1585 nur in einem ganz lockeren Verhältnis zu ihr stand. Konkret: Er versah ab 1513 die im artistischen Curriculum vorgeschriebenen mathematischen Vorlesungen, erst nur einen Teil, dann alle. Vom restlichen Leben der Fakultät, d. h. von Sitzungen des Fakultätskonzils, Prüfungen, etc., blieb er ausgeschlossen. - Auf Quellenbelege wird hier, wo es einführend um die allgemeinen Entwicklungslinien geht, verzichtet. Sie sind in den einzelnen Kapiteln zu finden. 3 Zur Illustration sei hier nur auf die an einer Universität angesiedelte, sich aber hauptsächlich durch kaiserliche Förderung entfaltende Zweite Wiener mathematische Schule (vgl. H. Grössing: Humanistische Naturwissenschaft) verwiesen. Stark unter fürstlicher und päpstlicher Patronage entwickelte sich die Schule von Urbino (vgl. P. L. Rose: The Italian Renaissance of Mathematics). Die Merton School in Oxford (vgl. R. T. Gunther: Early Science in Oxford, Bd. 1, S. 96-8 und Bd. 2, S. 42-73; J. A Weisheipl: Repertorium Mertonense) dagegen verdankte vermutlich ihren Ursprung autochthonen, universitären Kräften, wobei u. U. eine Rolle spielte, daß die Einrichtung von Kollegien seit dem 13. Jahrhundert und verstärkt im 14. Jahrhundert die Pflege der mathematischen Wissenschaften, vor allem außerhalb des Curriculums, förderte; auf diesen Aspekt wies A L. Gabriel: The College System, S. 19, hin. Das Zusammengehörigkeitsgefühl der Mitglieder der beiden erstgenannten Schulen äußert sich signifikant in der Reflexion über die Geschichte ihres Faches, in die sie sich und die von ihnen vertretene Richtung selbstbewußt einordnen (vgl. unten S. 241). 4 Diese beiden Gesichtspunkte, Personalpolitik und Anforderungen, sind gelegentlich, doch nicht immer deckungsgleich. So wurde Philipp Apian kaum wegen seiner später von ihm gezeigten Fähigkeiten im Bereich der Landesvermessung berufen, sondern in erster Linie wegen seiner allgemeinen Begabung und als Sohn Peter Apians. Die Forderung der Landesvermessung wurde erst später an ihn herangetragen.
Einleitung
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stischen Bildungsprogramms, welches stark die Kosmographie, aber auch immer noch die Astrologie betont. Das humanistische Interesse an der Landeskunde, gepaart mit administrativen und politischen Bedürfnissen, führt schließlich zum Wunsch nach einer genauen Landesaufnahme und Vermessung. Persönliche Patronage, humanistisches Ideal, Faszination und konkreter BedarfS gehen Hand in Hand. So unzutreffend es wäre, hier von Forschungslenkung sprechen zu wollen, so einseitig wäre es auch, diesen Aspekt völlig außer Acht zu lassen. Selbstverständlich können derartige Erwartungshaltungen nicht ohne Kenntnis des wissenschaftlich Möglichen entstehen. Sie sind abhängig vom Bildungsstand und der sozialen und kulturellen Einbindung derer, die sie ausdrücken. Dieser Standard wird, bezogen auf eine Fachwissenschaft, zu einem nicht geringen Teil von eben den Gelehrten bestimmt, die mit dieser vertraut sind und ihre Inhalte lehrend und teilweise auch werbend weitervermitteln. Daneben spielt allerdings auch das Zugehörigkeitsgefühl zu bestimmten philosophischen Richtungen eine Rolle. 6 Es ergibt sich also in der frühen Neuzeit eine spezifische wechselseitige Abhängigkeit zwischen denen, die den institutionellen Rahmen schaffen und denen, die ihn im Interesse der Fachwissenschaft nutzen. Vom Zusammenspiel beider Seiten hängt es ab, in welche Richtung sich die Universitätsmathematik entwickelt, ob sie Anschluß an den Standard ihrer Zeit hält, eventuell sogar S Faszination wird hier in dem von H. Kuhn: Versuch über das 15. Jahrhundert, S. 88 formulierten Sinn als quasi-mythisches Element, das immer noch Teil der in den volkssprachlichenSchriftliteraturen des Mittelalters wirkenden Interessen ist, verstanden, wobei das von Kuhn über die volkssprachliche Literatur Gesagte teilweise auch für den meist Latein schreibenden universitären Bereich gilt; steht doch gerade die astrologische Praxis an einer Nahtstelle zwischen akademischer und Laienwelt, was sich im häutigen Gebrauch der deutschen Sprache für Almanache, Judizien und Horoskope, die an Universitäten entstanden sind, augenfällig äußert. Über die hinter dem Faszinationsbereich Theorie, Praxis und Praktiken in Schule und Leben, unter den er auch die quadrivialen Fächer subsumiert, stehenden Interessen schreibt Kuhn treffend: Ihr gemeinsamer Gegenstand sind -die lateinisch schulmäßigen Zuordnungen (artes) überall auf Praxis hin durchstoßend -die direktesten Lebensbedürfnisse, ja Lebenszwänge(wie z. B. Krankheit). (S. 90). Hier erfolgt der Brückenschlagzum konkreten Bedarf. 6 Gerade der Platonismus, so wie er im 15. und 16. Jahrhundert verstanden wurde, spielte bei einigen von denen, die die mathematischen Wissenschaften förderten, wenn auch nicht selbst betrieben, eine bedeutende Rolle: So war z. B. Kardinal Bessarion, der Mäzen von Peuerbach und Regiomontanus, Schüler des Platonikers Gemistus Pletho (vgl. dazu P. O. Kristeller: Platonismus in der Renaissance, S. 54); zu den Plänen von Conrad Celtis, wohl unter dem Einfluß der Florentiner Akademie von Marsilio Ficino eine platonische Akademie unter Einschluß der mathematischen Wissenschaften ins Leben zu rufen, vgl. H. Rupprich: Der Briefwechsel des Conrad Celtis, S. 32 und 164. J. HI6Yrup: Platonism or Archimedism, bestreitet die Bedeutung des Platonismus für die Entwicklung der mathematischen Wissenschaften und versucht ihn durch einen vorherrschendenArchimedismus zu ersetzen, doch betrachtet er, wie schon aus dem Untertitel seiner Arbeit On the Ideology and Self-Imposed Model ofRenaissance Mathematicians (1400 to 1600) hervorgeht, ausschließlich die Innensicht der Mathematiker. Die Divergenz von Außensicht und Innensicht kann kaum sinnfälliger als in dem AntagonismusPlatonismus-Archimedismus zum Ausdruck kommen.
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führend wird, oder ob sie sich von der allgemeinen Entwicklung des Faches wegbewegt und damit ins Abseits gerät. 7
11. Je nach dem Ausmaß und der Form der äußeren Einwirkung auf die innere Entwicklung lassen sich an der Universität Ingolstadt mehrere deutlich voneinander zu unterscheidende Phasen in der Geschichte der Mathematik feststellen. Zum Zeitpunkt der Gründung bestanden keinerlei institutionalisierte Einrichtungen zur Pflege der Mathematik. Trotzdem wurden die quadrivialen Fächer intensiv betrieben, was sich in der regen literarischen Produktion vor allem des Magisters Johannes Tolhopf und des Mediziners Erhard Windsberger sowie an der hohen Zahl von artistischen Studenten, die später literarisch oder praktisch8 vor allem auf dem Gebiet der Astronomie tätig wurden, manifestiert.9 Gerade auch die Förderung der beiden genannten Gelehrten durch den herzoglichen Hof spielte hierbei eine beachtliche Rolle. Einen epochalen Markstein stellte die Installierung einer mathematischen Kanzel an der Universität im Jahr 1489 dar, nach dem derzeitigen Stand der Forschung die erste derartige Lektur an einer deutschen Universität. Woher die Initiative zur Gründung dieser Kanzel kam, kann nicht mit Sicherheit festgestellt werden. Vom herzoglichen Hof gingen anscheinend keine Anstöße aus, und auch die Artistenfakultät kommt hierfür kaum in Frage, da der erste Inhaber der Lektur genauso wie seine Nachfolger als Universitätslektor völlig außerhalb der Artistenfakultät stand. 10 Es bleibt nur das Interesse der Universität, vielleicht speziell der medizinischen Fakultät, an einem Mathematiker, der in ihrem Auftrag den Almanach 7 R. S. Westman: The astronomer's role in the sixteenthcentury, hat aus soziologischer Sicht die Ursachen dafür, daß das kopernikanische System an den Universitäten kaum rezipiert wurde und damit die Universitäten gegenüber der allgemeinen Entwicklung im 16. Jahrhundert in Rückstand gerieten, in der für Mathematikprofessoren typischen Karrierestruktur gesucht, nach der fast alle Lektoren an einer höheren Fakultät, bevorzugt der medizinischen, weiterstudierten (S. 116-21). Dazu, daß diese Sicht zumindest für die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts nur teilweise den Tatsachen entspricht, vgl. unten S. 117ff. 8 Unter praktisch wird hier und im folgenden vor allem der Bau von mathematischen und astronomischen Instrumenten, der in Ingolstadt große Bedeutung besaß, verstanden. Die angewandte Astrologie im Sinne der Erstellung von Almanachen und Prognostiken tendiert ihrem Medium nach mehr zur literarischen Seite hin, könnte jedoch als astronomischelngenieurskunst(E. Knobloch: Astrologie als astronomische Ingenieurkunst), bzw. astronomical engineering(L. White jr.: Medieval astrologers, S. 3(0) auch der praktischen Tätigkeit zugerechnet werden. 9 Dieser astronomische Schwerpunkt innerhalb der Universitätsmathematik ist für das Spätmittelalter typisch. Vgl. G. Beaujouan: Motives and Opportunities, S. 223. 10 Zur Problematik der Universitätslektoren in Ingolstadt vgl. allgemein A. Seifert: Statuten- und Verfassungsgeschichte, S. 156-60 und ders.: Der Humanismus an den Artistenfakultäten, S. 146-7; außerdem A Liess: Die artistische Fakultät, S. 28-30, und H. Hradil: Der Humanismus an der Universität Ingolstadt, S. 42-3 et passim.
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zu berechnen hatte. Allerdings ist der erste Mathematiker, Friedrich Weiß (14891491/92), aufgrund des Mangels an Quellen für uns kaum faßbar. Dagegen sind beim zweiten Lektor, Johannes Engel (1492-1497), die Beziehungen zur Medizin offensichtlich. Zeitgleich mit diesen ersten Lektoren, aber unabhängig von ihnen, setzte unter dem Einfluß des auch die mathematischen Fächer umfassenden Bildungsprogrammes von Conrad Celtis eine kurze aber intensive humanistisch geprägte Periode ein. Innerhalb des Celtiskreises vertraten vor allem Andreas Stiborius und Johannes Stabius, der 1498-1502/03 die Mathematiklektur bekleidete, die Mathematik. Betrachtet man die literarische Produktion jener Jahre sowie Zahl und Namen derjenigen Studenten, die später vor allem Stabius als ihren Lehrer in den mathematischen Fächern bezeichneten, so kann man mit Recht von einer Glanzperiode der Mathematik in Ingolstadt sprechen. Die gesamte Zweite Wiener mathematische Schule ging auf Wurzeln an der Universität Ingolstadt zurUck. ll Die Abwanderung des Celtiskreises nach Wien ließ um die Mathematiklektur für zwölf Jahre ein Vakuum entstehen, das Einflüssen aus den verschiedensten Richtungen Raum zur Entfaltung bot. Erstmals ist 1503 ein massiver Versuch der Regierung zu konstatieren, einen von ihr präsentierten Kandidaten, Johannes Ostermair, als Lektor durchzusetzen. Vorläufig wehrte sich die Universität noch erfolgreich gegen diesen Einmischungsversuch zugunsten des von ihr favorisierten Kandidaten Hieronymus Rud (1502/03-1503/04). Nach dessen Tod gelangte aber dann doch Johannes Ostermair (1503/06-1513) auf die Lektur. Nochmals anders stellte sich die Situation bei der Neubesetzung 1513 dar. Zwischenzeitlich hatte die Artistenfakultät die Mathematiklektur als Pfründe für einen ihrer Magister, Johannes Würzburger (1513-1519), entdeckt. Die Mathematiklektur war zur Versorgungsmöglichkeit für einen verdienten Magister herabgesunken; an die Einsetzung Würzburgers als Fachlektor für die Mathematik im artistischen Kurs dachte die Artistenfakultät gar nicht. Mit ihren Vorgängern Engel und Stabius konnte sich keiner dieser drei messen, so daß es auch nicht verwundert, wenn die Nachrichten über die literarische Produktion in jenen Jahren völlig aussetzen. Erst die erneute Einmischung seitens der Regierung führte hier zu einem Umschwung. Von 1515 bis 1526 bemühte sich der herzogliche Rat und spätere Kanzler, Leonhard von Eck, tatkräftig, aber nicht immer erfolgreich um eine grundlegende Neuorganisation der artistischen Lehrverfassung, in die er auch die Mathematiklektur einbezog. Neben der mit großer Verbissenheit geführten Auseinandersetzung um die verfassungsmäßige Einbindung des Mathematiklektors in die Artistenfakultät, in der sich die Artistenfakultät gegen Leonhard von Eck weitgehend behaupten konnte, galt sein Augenmerk vor allem der Berufung von angesehenen Fachleuten auf die Lektur, wobei er mit der Ernennung der von ihm favorisierten Hieronymus Rosa (1519-1521/22) und Johannes Veltmiller (1520/21-1527) einen Erfolg verbuchen konnte. 11
Vgl. H. Grössing: Humanistische Naturwissenschaft, bes. S. 170-85.
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Erst nachdem der Verfassungsstreit mit einem Kompromiß beendet worden war und, wieder auf Betreiben Leonhard von Ecks, Peter Apian auf die mathematische Kanzel berufen worden war, konnte sich die Mathematik in Ingolstadt ungestört und fruchtbar entwickeln. Die durch Peter Apian (1526/27-1552) und seinen Sohn Philipp Apian (1552-1568) geprägte Epoche war die produktivste in der Geschichte der Ingolstädter Mathematik, wenn auch die Ausstrahlung auf ihre Umgebung mittels mathematisch interessierter Studenten geringer war als während der humanistischen Phase unter Andreas Stiborius und Johannes Stabius. Die Berufung eines Mediziners auf die MathematikIektur nach dem erzwungenen Abgang Philipp Apians im Jahr 1568 entsprach dem sich damals an allen deutschen Universitäten, katholischen wie protestantischen, durchsetzenden Brauch. Johannes Lonnaeus Boscius (1568-1585) besaß zwar durchaus eine gediegene mathematische Ausbildung, war aber kein Fachmann im eigentlichen Sinn. Sein Schwerpunkt lag auf der Medizin, und entsprechend sank auch die Zahl der mathematisch interessierten Studenten weiter. 12 Mit der Übergabe der mathematischen Lektur an die Jesuiten 1585 begann eine völlig neue Zeit. Da die jesuitischen Lektoren jeweils nur relativ kurze Zeit an einer Universität verweilten, wäre es zwecklos, weiterhin nach Ingolstädter Spezifika suchen zu wollen. Diese Periode könnte nur im Rahmen einer Geschichte der Mathematik bei den Jesuiten adäquat behandelt werden.
m. An dieser zeitlichen Gliederung orientiert sich die folgende Arbeit. Hinter der Darstellung der institutionellen und fachlichen Entwicklung steht dabei immer auch C:ie Frage, wie sich beide gegenseitig beeinflußten und worin sich einerseits spezifische, nur in Ingolstadt beobachtbare Sonderentwicklungen festmachen lassen. Andererseits soll aber auch das Typische, allen Universitäten Gemeinsame, herausgearbeitet und in seinen Ursachen analysiert werden. Die Universität Ingolstadt ist dabei von ihrer Funktion her ebenso als LehrAnstalt wie auch als Forum für einen sich im Keim zu Beginn des 16. Jahrhunderts herausbildenden Berufsstand der Mathematiker zu betrachten. 13 Beide 12 Vgl. dazu nochmals die Argumentation von R. S. Westman: The astronomer's role in the sixteenth century, oben Anm. 7. 13 Die Antwort aufdie Frage, wann sich ein solches professionelles Profil herausbildete, ist in der Forschung umstritten. Dazu, daß hierbei gerade die seit dem Spätmittelalter auftauchenden Astrologen an Höfen und Universitäten eine wichtige Rolle spielen und zu Beginn des 16. Jahrhunderts mit Recht, wenn auch unter gewissen Einschränkungen, von einem Berufsstand gesprochen werden darf, vgl. unten S. 118tf. Das Auffallige bei diesen Berufsmathematikern ist gerade die fehlende oder unvollständige akademische Graduierung, die z. B. in Ingolstadt für die Lektoren Friedrich Weiß, Johannes Stabius, Johannes Ostermair, Peter Apian und Philipp Apian nachweisbar ist. Dadurch, daß am Ende der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts ein Bruch in dieser Entwicklung stattfand, so daß die Entwicklung im ausgehenden 17. Jahrhundert nochmals von vorne, und wieder nur am Rande der Universitäten, zu beginnen hatte, wurde der Blick vieler Forscher von diesem Phänomen abgelenkt.
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Funktionen bedingen einander, wobei sich die Frage stellt, warum nach den ersten vielversprechenden Ansätzen im 16. Jahrhundert letztlich die Entwicklung der Mathematik und Astronomie doch wieder außeruniversitäre Wege ging, um erst über 200 Jahre später erneut den Zugang zur Universität zu finden, diesmal unter völlig veränderten Voraussetzungen. Der Einfluß des fürstlichen Mäzenatentums, unter dessen Dach sich die Mathematiker besonders seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zurückzogen, ist dabei immer im Auge zu behalten. 14 Aufgrund der Interdependenz zwischen institutioneller, fachlicher und pädagogischer Entwicklung erwies sich die chronologische Vorgehensweise einer thematischen Gliederung als überlegen. Jede der beschriebenen Epochen weist enge Bezüge zwischen allen drei Bereichen auf, so daß eine jeweils separate Behandlung nach den Gesichtspunkten Institutionengeschichte, Geschichte der literarischen und praktischen Tätigkeit und Geschichte der Lehre ein umständliches und unorganisches System von Querverweisen, das die Lesbarkeit sehr erschweren und die Zusammenhänge eher verdecken als erhellen wUrde, erfordert hätte.
IV. In der Geschichte der Ludwig-Maximilians-Universität von Karl Prantl 15
konnte dem generellen Charakter der Arbeit entsprechend der Mathematik nur wenig Platz eingeräumt werden. So war es erst Gustav Bauch,16 der in einer Untersuchung über die Anfänge des Humanismus in Ingolstadt auch, beinahe in Vorwegnahme der These von einer humanistischenNaturwissenschaft, 11 die Frühzeit der Mathematik in Ingolstadt bis zum Weggang von Conrad Celtis und darüber hinaus untersuchte. Die ausschließliche Suche nach dem Humanistischen 18 verbaute ihm allerdings den Blick auf die aus anderen Wurzeln kommenden institutionellen wie fachlichen Entwicklungsrnomente. Materialreich aber ohne Analyse ist die Dissertation über die Geschichte der Physik an der Universität Ingolstadt von Josef Schaff. 19 Gleiches gilt auch für die 14 Zur Bedeutung des fürstlichen Mäzenatentums vgl. R. S. Westman: The astronomer's role in the sixteenth century, S. 121-7. IS Prantl, Karl von: Geschichte der Ludwig-Maximilians-Universität in Ingolstadt, Landshut, München, 2 Bde. (München 1871-2) (Ndr. Aalen 1968). 16 Bauch, Gustav: Die Anfänge des Humanismus in Ingolstadt. Eine litterarische Studie zur deutschen Universitätsgeschichte (München-Leipzig 1901). 17 Formulierung und Begründung dieses Begriffes stammen aus Grössing, Helmuth: Humanistische Naturwissenschaft (Baden-Baden 1983), besonders S. 40-6. 18 Dies wird vor allem von A1fons Lhotsky: Die Wiener Artistenfakultät, bes. S. 191, 196 et passim in einer regelrechten Invektive gegen die Neuhumanisten Gustav Bauch, Paul Joachimsen und Ottokar Lorenz scharf kritisiert, wobei seine eigene apologetische Darstellung der Politik der Wiener Artistenfakultät gegenüber den Humanisten (S. 195ff.) auch nicht unanfechtbar ist. 19 Schart: Josef: Geschichte der Physik an der Universität Ingolstadt (Erlangen 1912).
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etwas ältere Untersuchung Siegmund Günthers über Peter und Philipp Apian. 2o Auguste Gruber konnte für ihre Dissertation über Philipp Apian viel bis dahin unbekanntes Material auffinden und erstmals verarbeiten, doch analysierte sie es ihrer Aufgabenstellung entsprechend fast ausschließlich unter biographischen Gesichtspunkten. 21 Gegenüber diesen älteren Arbeiten bringt die Akademieabhandlung von Josef Ehrenfried Hofmann 22 für die Frühzeit der Mathematik in Ingolstadt nichts Neues, dafür aber aufgrund von Fehlinterpretationen häufig Falsches.23 Ohne daß er eine spezielle Untersuchung über die Mathematik in Ingolstadt angestellt hätte, finden sich in zahlreichen Arbeiten von Arno Seifert Hinweise auf diese,24 wobei seine Interpretationen fast ausnahmslos das Richtige trafen und als wertvolle Richtungsweiser für die vorliegende Untersuchung dienten.25
V. Das Interesse der wissenschaftsgeschichtlichen Forschung an der Universitätsmathematik im Mittelalter fokusiert sich auf die als Leituniversitäten erkannten Hohen Schulen von Paris und Oxford auf der einen, Padua und, mit Einschränkungen, Bologna auf der anderen Seite. Unter der Fülle der Arbeiten können hier nur die für die vorliegende Untersuchung wichtigsten genannt werden. Für Paris sind die universitäts- wie disziplinengeschichtliche Voraussetzungen berücksichtigenden Arbeiten von Guy Beaujouan grundlegend,26 außerdem 20 Günther, Siegmund: Peter und Philipp Apian, zwei deutsche Mathematiker und Karthographen (= Abhandlungen der Kgl. Böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften, VI. Folge, 11. Band, Math.-naturwiss. Classe 4) (prag 1882) (Ndr. Amsterdam 1967). 21 Gruber, Auguste: Philipp Apian. Leben und Werk (Diss. masch. München 1923). 22 Hofmann, JosefEhrenfried: Die Mathematik an den altbayerischen Hochschulen (= Abhandlungen der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Math.-nat. K1. N. F. 62) (München 1954). 23 So legt er z. B. die Gründung der mathematischen Kanzel in das Jahr 1495 (S. 7) oder läßt die Lektur erst durch das Reskript von 1518 in gänzlicher Verkennung seines Inhaltes zu einer Dauereinrichtungwerden (ibidem; zu dem Reskript vgl. unten S. 338ff.). 24 Insbesondere sei verwiesen auf folgende Arbeiten: Logik zwischen Scholastik und Humanismus, Das Kommentarwerk Johannes Ecks (München 1978); Der Humanismus an den Artistenfakultäten des katholischen Deutschland, in: Reinhard, Wolfgang (Hg.): Mitteilungen XII der Kommission für Humanismusforschung. Humanismus im Bildungswesen des 15. und 16. Jahrhunderts (Weinheim 1984), S.135-54; Der jesuitische Bildungskanon im Lichte zeitgenössischer Kritik, in: Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte 47 (1984), S. 43-75. 2S Die zwei wichtigsten Thesen, in denen die vorliegende Arbeit von der von Seifert vertretenen Meinung abweicht, betreffen die Frage nach der Angleichung der Universitätslekturen an die falcultätseigenen Lekturen in der Artistenfakultät, sowie die damit zusammenhängende Beurteilung des im 16. Jahrhundert beginnenden Prozesses, in dessen Verlauf das artistische Lehramt von einer Etappe auf dem Weg zur Graduierung in einer höheren Fakultät zu einer Lebensstellung wurde (vgl. unten S. 398ff.). 26 Besonders L'enseignement de I'arithmetique elementaire, aber auch sein Artikel Motives and Opportunities.
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auch die Untersuchungen von Pearl Kibre. 27 Zu Oxford liegt die, allerdings in vielen Punkten überholte, monumentale Arbeit von R. T. Gunther vor. 28 Die fachlichen Entwicklungen auf den Gebieten der Naturphilosophie und der Mathematik/Astronomie hat in jüngster Zeit John D. North dem neu esten Stand der Forschung entsprechend zusammengefaßt;29 der Entwicklung des artistischen Curriculums im 13. und 14. Jahrhundert widmete James A. Weisheipl zwei Untersuchungen. 3o Die frühe Entwicklung in Padua untersuchte Nancy G. Siraisi. 31 Eine vergleichende Studie zu den unterschiedlichen Entwicklungen der Naturwissenschaften an den nordalpinen und den italienischen Universitäten unternahmen Pearl Kibre und Nancy G. Siraisi gemeinsam,32 wobei vor allem im von Siraisi verfaßten Abschnitt über die italienischen Universitäten die Folgen der in Italien andersgearteten institutionellen Voraussetzungen für die Disziplinengeschichte knapp, aber überzeugend dargestellt sind. Im 15. Jahrhundert erlangte die Universität Krakau als mathematisches Bildungszentrum herausragende Bedeutung für die Mathematik an den deutschen Universitäten. Nachdem bereits Aleksander Birkenmajer diesem Thema einige Studien gewidmet hatte,33 ist die Erforschung der Mathematik in Krakau dank der zahlreichen Veröffentlichungen von Mieczyslaw Markowski 34 und der Studien von Grazyna Rosinska 35 sowohl unter institutionengeschichtlichem als auch disziplinengeschichtlichemAspekt weiter fortgeschritten als für alle anderen Universitäten. In der wissenschaftsgeschichtlichen Forschung zur Universitätsmathematik liegt der Akzent eindeutig auf dem 13. und 14. Jahrhundert und - bereits merklich weniger stark, wenn man von Krakau absieht - auf dem 15. Jahrhundert. Dies mag damit zusammenhängen, daß der Arlteil der Universitäten an der Entwicklung der Naturwissenschaften im 16. und 17. Jahrhundert, anders als im Mittelalter, allgemein als gering bewertet wird. 36 Dies heißt selbstverständlich Vor allem The Boethian De institutione Arithmetica und The Quadrivium. Early Science in Oxford. 29 Astronomy and Mathematics und Natural Philosophy in Late Medieval Oxford. 30 Curriculum of the Faculty of Arts und Developments in the Arts Curriculum. 31 Arts and Sciences at Padua. 32 The institutional setting. 33 L'astrologie Cracovienne, Les debuts de I'Ecole astrologique de Cracovie und L'universite de Cracovie. 34 Vgl. hierzu die Titel im Literaturverzeichnis. 3S Besonders Scientific Writings and Astronomical Tables in Cracow. 36 Nicht die Frage ob, sondern nur warum die Universitätsmathematik im 16. Jh. hinter der allgemeinen Entwicklung zurückblieb, behandelt R. S. Westman in Humanism and Scientific Roles und in The Astronorner's Role in the Sixteenth Century. Zur Kritik an Westmans Ergebnissen vgl. unten S. 1171I. 27
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nicht, daß es keine Untersuchungen von wissenschaftsgeschichtlicher Seite zur Mathematik an einzelnen Universitäten auch in späterer Zeit gäbe; doch findet in diesen Einzelstudien, die hier aufzuzählen zu weit fUhren würde, keine Auseinandersetzung mit dem Allgemeintypischen der Universitätsmathematik statt.
A. Der Interpretationsrahmen Erstes Kapitel
Voraussetzungen und Vorbilder. Die Stellung der Mathematik und der Mathematiker im Spätmittelalter Die EinflUsse, die auf die Entwicklung der Mathematik an der Universität Ingolstadt während der ersten Jahrzehnte nach ihrer Gründung wirkten, leiteten 'sich von mehreren, teilweise voneinander völlig unabhängigen Strömen ab, deren Ursprünge im europäischen Raum bis in den Beginn des 13. Jahrhunderts zurückreichen. Je nach regionaler Herkunft und sozialer Anbindung variieren diese sowohl hinsichtlich ihres fachlichen Schwerpunktes innerhalb der mathematischen Wissenschaften als auch hinsichtlich der Ausrichtung des Personenkreises, der als deren Träger in Erscheinung tritt. Innerhalb des Universitätsbereiches lassen sich deutlich zwei Stränge unterscheiden: Der erste ist auf Paris zurückzuführen, wo die mathematischen Fächer am Rande des artistischen Curriculums gegenüber dem Corpus Aristotelicum, und hier besonders den logischen Fächern von Anfang an einen zwar unbestrittenen, aber in jedem Fall untergeordneten Rang behaupteten. Gemäß der ganzen Ausrichtung der Universität Paris waren es häufig Theologen, die sich neben anderem auch dem Quadrivium widmeten. Der zweite Strang weist nach Italien; hier fanden die Mathematik und besonders die Astrologie als Hilfswissenschaften zur Medizin Eingang in den Fächerkanon der artistischen Fakultäten. Häufig wurden Mediziner mit der Lehre dieser Fächer betraut, doch bot das für Italien charakteristische System der Fachlekturen auch an der artistischen Fakultät seit dem Beginn des 14. Jahrhunderts erstmals die Möglichkeit zur Spezialisierung im Rahmen der Universität. Daneben verschafften sich in Ingolstadt zwei weitere, bis dahin weitestgehend außerhalb des universitären Bereiches angesiedelte Bewegungen Zugang zur Hohen Schule. Zum einen ist hier die wiederum bis ins 13. Jahrhundert zurückzuverfolgende Tradition der höfischen Mathematiker, deren Betätigungsfeld sich von der astrologischen Beratung bis zur Übernahme von technischen Aufgaben erstreckte, gemeint, zum anderen die humanistische Bildungsbewegung, die sich in Deutschland ebenfalls auf dem Weg über die Höfe, teilweise
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1. Kapitel: Voraussetzungen und Vorbilder
aber auch selbständig gegen Ende des 15. Jahrhunderts an den Universitäten zu etablieren vermochte. Das Zusammenfließen und die Verschmelzung solch breitgefacherter Einflüsse an einer einzigen Universität brachte in Ingolstadt neue, individuelle Formen hervor. Um das Traditionelle vom in Ingolstadt ausgebildeten Neuen unterscheiden zu können, ist es unabdingbar, die genannten Entwicklungen soweit nötig zurückzuverfolgen. Besonderes Augenmerk ist dabei auf die Universität Krakau zu richten, von wo die wichtigsten innovativen Impulse am Ende des 15. Jahrhunderts ausgingen. Auch darf nicht übersehen werden, wie die übrigen Universitäten im Reich, jeweils auf ihre eigene Art, dem wachsenden Interesse an den mathematischen Disziplinen in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts begegneten; Ingolstadt war nur eine von ihnen. I. Paris und Oxford: Mathematik und Theologie
Der Befund der Statuten Obwohl die ältesten Statuten der Universität Paris 1 nur wenige und ungenaue Angaben über vorzutragende Gegenstände aus dem Quadrivium enthalten, darf als gesichert gelten, daß von Beginn an die mathematischen Disziplinen gepflegt und vielleicht auch im Rahmen des artistischen Curriculums gelehrt wurden.2 Bereits in einer gegen Ende des 12. Jahrhunderts abgefaßten, möglicherweise von Alexander Neckam stammenden Liste von Textbüchern für alle vier Fakultäten sind Autoritäten für die Mathematik und Astronomie zu finden: 3 Für die Arithmetik werden Boethius und Euklid angegeben, letzterer ist auch als Autorität tur die Geometrie genannt; in der Astronomie stützt sich der Unterricht auf die Canones von Ptolemäus sowie auf die Einführungsschrift des A1fraganus.4 1 Statut des Robert de Cour~n von 1215 (CUP I Nr. 20, S. 78-80), Statuten der Artisten der natio anglicana von 1252 (CUP I Nr. 201, S. 227-30), Statuten der Artistenfakultät über ihre Vorlesungen von 1255 (CUP I Nr. 246, S. 277-9). 2 Die älteren Werke von C. Thurot: De I'organisation de I'enseignement, und H. Rashdall: The Universities, Bd. I, S. 439-50 sind zur Behandlung dieses Komplexes mittlelWeiie entbehrlich, da dank der Untersuchungen von P. Kibre (Ibe 'Quadrivium' in the Thirteenth Century Universities und The Boethian 'De institutione arithmetica') sowie von G. Beaujouan (L'enseignement de I'arithmetique elementaire und Motives and Opportunities) die Geschichte der Mathematik und des mathematischen Unterrichts an der Universität Paris während des 13. und 14. Jahrhunderts in Spezialstudien aufgearbeitet wurde. 3 Ed. Ch. H. Haskins: Studies in the History of Mediaeval Science, S. 372~. Zur Verfasserschaft Neckams ibid., S. 359-71. Dieser Entscheidung für Alexander Neckam als Autor schloß sich P. Kibre: The Boethian 'De institutione arithmetica', S. D!72, an. 4 Ch. H. Haskins: Studies in the History of Mediaeval Science, S. 374: Instautis arsmetice informandus arsmeticam Boecii et Euclidis legat. Postea musicam Boecii legat.
I. Paris und Oxford
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Auch wenn diese Liste noch in der Zeit vor der eigentlichen FormierungsphaseS der Universität entstanden ist, so weist die Aufschlüsselung der Lehrbücher nach artes, Medizin, Jura und Theologie doch schon auf die später charakteristische Lehrorganisation der Universität in vier Fakultäten hin. Die Gliederung des Stoffes ging der Lehrorganisation zwangsläufig voraus, und hier hatte die Mathematik ihren festen Platz. Trotzdem sind die mathematischen Disziplinen in den wenigen erhaltenen Statuten aus dem 13. Jahrhundert, welche Prüfungsanforderungen und Lehrprogramme für Bakkalaureanden und Magistranden enthalten, praktisch nicht vorhanden. 6 Im Statut des Robert de Cour~n von 1215 werden die quadrivialen Fächer nur summarisch unter den an Feiertagen, also wohl außerhalb des Curriculums, zulässigen Vorlesungen genannt. 7 In den Statuten der Artisten der englischen Nation von 1252, denen ein ausführliches Verzeichnis der vor dem Erwerb des Bakkalaureats zu hörenden Textbücher beigegeben ist, fehlt jeder Hinweis auf die Mathematik,8 ebenso in den Statuten der Artistenfakultät von 1255.9 (... ) Deinde ad theoremata geometrie que ordine artijiciosissimo disponit Euclides in SilO libro. Demum ad eanones Tholomei aeeedat astronomie seeretis daturus operam.ln artem vero quam subtilissime ediseerit Tholomeus ysagogas seripsil eompendiosas Alfraganus. S J. Verger und Ch. Vulliez (in J. Verger (Hg.): Histoire des universites en France, S. 28-30) setzen diese, selbstverständlich eingedenk der weit ins 12. Jahrhundert zurückreichenden WUlZeln, in die Jahre kulZ nach 1200, und sehen als entscheidenden Schritt den päpstlichen Brief von 1208-1209 (CUP I Nr. 8, S. 67-8) an, in dem von einer soeietas gesprochen wird, wogegen sie in dem Privileg von Philipp n. August von 1200 (CUP I Nr. 1, S. 59-61) noch keine Hinweise auf eine derartige Organisation erkennen. 6 Daß dies mit der unvollständigen Überlieferung und dem fragmentarischen Zustand des Erhaltenen zusammenhängen könnte und deswegen bei der alleinigen Betrachtung dieser Quellen zwangsläufig ein schiefes Bild entstehen muß, hat v. a. P. Kibre: The 'Quadrivium', S.I/175 hervorgehoben. G. Beaujouan: L'enseignement,S. 97-104 dagegen betont gerade aufgrund des Befundes nach den Statuten den privaten und extracurricularen Charakter der Lehre der mathematischen Fächer in Paris, im Gegensatz zu Oxford. In der Bewertung, daß die Statuten nicht einmal ansatzweise die wirkliche Bedeutung der Mathematik im Rahmen der an der Universität gepflegten Wissenschaften widerspiegeln, stimmen beide überein. 7 CUP 1 Nr. 20, S. 78: Non legant in festivis diebus nisi philosophos et rhetorieas, et quadruvialia, et barbarismum, et ethicam, si placet, et quartum topiehorum. In den zwei vorangehenden Sätzen werden dagegen die Dialektik von Aristoteies und die Grammatik von Priscian ausdrücklich als ordinarie zu lesende Bücher aufgelistet, wodurch der Gegensatz zu den Feiertagslektionen offensichtlich wird. Die Leetio über Priscian wird auch in der Bulle Pa rens seientiarum von Gregor IX. aus dem Jahr 1231 (CUP I Nr. 79, S. 136-9) als ordinarie zu lesende vorgeschrieben (S. 138). Hierauf machte als erster H. Suter: Die Mathematik auf den Universitäten des Mittelalters, S. 63-4 aufinerksam. 8 CUP I Nr. 201, S. 227-30, die Liste S. 228. 9 CUP I Nr. 246, S. 277-9, das VelZeichnis S. 278. Die dort genannten aristotelischen Schriften De caelo et mundo, sowie die Bücher 1 und IV der Metheora sind Bestandteil der Physik und können nicht unter die mathematischen bzw. astronomischen Textbücher gerechnet werden. Vgl. dazu die gleich anzusprechende, von M. Grabmann analysierte Quaestionensammlung, in der die Quaestionen zur seientia naturalis in die drei Gruppen
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1. Kapitel: Voraussetzungen und Vorbilder
Diesem Befund widerspricht allerdings eine von Martin Grabmann entdeckte Quaestionensammlung aus den Jahren zwischen 1230 und 1240, die in Paris von einem anonymen Magister eigens für Examinazwecke abgefaßt wurde. 10 Alle vier artes des Quadriviums sind hier unter einer eigenen Rubrik für Mathematik vertreten, als Autoritäten fungieren für die Astronomie Ptolemäus, für die Geometrie Euklid sowie für die Arithmetik und die Musik BoethiusY Das einzige Statut der Universität Oxford aus dem 13. Jahrhundert, welches die rur das Magisterium zu absolvierenden Textbücher auflistet, erwähnt die Mathematik überhaupt nicht. 12 Erst im 14. Jahrhundert fand die Mathematik in Oxford in differenzierter Form Eingang in das artistische CurriculumP In den aus dem Beginn des 14. Jahrhunderts stammenden Statuten sind hier erstmals mathematische Texte unter den pro forma zu hörenden Vorlesungen zu finden, und zwar gleich in stattlicher Anzahl: die Bücher I-VI der Elemente von Euklid über fünf Wochen, die Arithmetik nach Boethius drei Wochen lang, je eine Woche Computus, Algorismus und De sphaera. Ausdrücklich wird auch festgelegt, daß bei den Angaben über die Dauer der Vorlesungen die Feiertage nicht mitgezählt werden, woraus sich eindeutig ergibt, daß der wichtigste Teil der mathematischen Fächer in Oxford die Nische der außerordentlichen Vorlesungen verlassen und sich im Curriculum etabliert hatte. 14 Zugleich sind mit diesem Programm erstmals die später für die meisten nichtitalienischen Universitäten in mehr oder weniger modifizierter Form verbindlichen mathematischen Veranstaltungen definiert. Metaphysik, Mathematik und Physik eingeteilt werden, wobei beide genannten Bücher unter die Physik eingereiht sind (M. Grabmann: Eine rur Examinazwecke abgefaSte Quaestionensammlung, S. 192). 10 M. Grabmann: Eine rur Examinazwecke abgefaSte Quaestionensammlung.Aus dem Text geht eindeutig hervor, daS die Quaestionen rur die Examina dienen sollten: ..• que maxime in examinibus solent fleri . .. (ibid., S.184). Die gegenüber M. Grabmann genauere Datierung auf die Jahre zwischen 1230 und 1240 bei P. Kibre: Tbe 'Quadrivium', S. 1/176 Anm. 5. G. Beaujouan, der den privaten Charakter der mathematischen Vorlesungen betont, hat diese Quaestionensammlung nirgends erwähnt. 11 M. Grabmann: Eine rur Examinazwecke abgefaSte Quaestionensammlung, S. 1889. 12 Forma secundum quam magistri debent admittere determinatores von 1268, in: S. Gibson: Statuta antiqua, S. 25-6; übersichtlich in Tabellenform zusammengestellt bei C. A McMenomy: Tbe discipline of astronomy, S. 456. Eine spezielle Untersuchung zur Mathematik im Lehrbetrieb von Oxford im 13. Jahrhundert fehlt bislang; R. T. Gunther: Early Science in Oxford, Bd. 1, S. 92-6 handelt nur kursorisch über das 13. Jahrhundert und geht dabei kaum auf Oxford selbst ein; J. D. North: htronomy and Mathematics behandelt nur die fachliche Entwicklung, nicht jedoch die institutionellen Voraussetzungen und den Lehrbetrieb. 13 Das Oxforder Curriculum im 14. Jahrhundert hat gründlich J. A. Weisheipl: Curriculum ofthe Faculty of Arts und Developments in the Arts CUrriculum untersucht. 14 S. Gibson: Statuta antiqua, S. 33-4. Dort sind die Statuten Be/ore 1350? datiert, wogegen sie J. A Weisheipl: CUrriculum of the Faculty of Arts, S. 160 in das frühe 14. Jahrhundert setzt.
I. Paris und Oxford
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Gewiß spielte in Oxford beim Hinüberwechseln der mathematischen Texte zu den libri ordinarie legendi das entschiedene Eintreten Roger Bacons für ihre intensivere Pflege, nicht zuletzt im Dienste der Theologie, eine mitentscheidende RolIe. 15 Während ab diesem Zeitpunkt die Mathematik in Oxford durch das gesamte 14. und 15. Jahrhundert ihren festen Platz im artistischen Curriculum behaupten konnte,16 blieben die diesbezUglichen Bestimmungen in den Pariser Statuten weiterhin merklich indifferent. In einem von den Bakkalaureanden zu leistenden Eid aus der Zeit kurz vor 1366 wird diesen lediglich abverlangt, an mindestens 100 Lektionen in der Mathematik teilgenommen zu haben; dies wird zugleich dahingehend eingeschränkt, daß darunter ein komplettes mathematisches Buch wie z. B. De sphaera zu verstehen sei, sowie ein zweiter nicht spezifizierter mathematischer Traktat, den der Kandidat in der ehrlichen Hoffnung, ihn zu Ende zu bringen, gerade höre. 17 In den 1366 verfaßten Statuten für alIe Fakultäten wird denen, die das Lizenti at in den artes anstreben, lediglich zur Bedingung gemacht, einige mathematische Bücher gehört zu haben; ein mathematisches Curriculum ist nicht formuliert. 18 Dafür mehren sich im 14. Jahrhundert die Zeugnisse für extraordinarie vorgetragene mathematische Stoffe. Entsprechende Genehmigungen für Privatvorlesungen an Feiertagen liegen aus den Jahren 1340, 1358, 1382 und 1432 vor, wobei es sich mit einer Ausnahme um Stoffe handelt, die in Oxford zur gleichen Zeit bereits Bestandteil des Curriculums waren. 19 Es bleibt festzuhalten, daß an den Universitäten Paris und Oxford erst nach einer längeren Anlaufphase die mathematischen Fächer im Verlauf des 14. Jahrhunderts in das artistische Curriculum integriert wurden, nachdem sie bereits 15 Dies ist ausführlich dargestellt bei P. Kibre: The 'Quadrivium', S. 177-9. Auf die Bedeutung der Mathematik für die Theologie wird unten S. 36ff. eingegangen. 16 In den Statuten von 1409 (S. Gibson: Statuta antiqua, S. 200), sowie in den Statuten von 1431 (ibid., S. 234-5), hier erweitert um die Musik nach Boethius, die Perspektive nach Witelo oder A1hazen, und wahlweise die Theorica planetarum oder den Almagest von Ptolemäus. 17 CUP n Nr. 1185, S. 673: ltem, quod audivistis eentum leetionesdeMathematiea ad minus. -lstud per Jaeultatem sie est interpretatum quod suffieit audivisse unum librum totalem, sieut tradatum de Spera, et alium librum aetu audire eum spe audiendi usque ad finem sine fraude. Zur gleichen Zeit waren für den Traetatus de sphaera in Oxford 8 Lektionen vorgesehen (vgl. oben S. 26), eine Zeitspanne, die sich auch an anderen Universitäten allgemein durchsetzte. Mithin dürften die 100 verlangten Lektionen eine rein fiktive Zahl darstellen. 18 CUP UI Nr. 1319, S.145: ... etquod aliquos librosmathematicosaudiverit. Hierzu G. Beaujouan: L'enseignement, S. 101. 19 1340De sphaera (CUP Aucl.I, S. 44),1382 die Elementa von Euklid (CUP Aucl.I, S. 627), 1432 Theoriea planetarum (CUP Aucl. ß, S. 367). Lediglich die 1358 beantragte Genehmigung für das Centiloquium und das Quadripartitum (CUP Aucl. I, S. 225) betraf Vorlesungen, die auch in Oxford nicht zum Curriculum gehörten.
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1. Kapitel: Voraussetzungen und VOIbilder
vorher als an Feiertagen zu haltende Lektionen eine Stellung am Rande des Curriculums besessen hatten. In Oxford ging dieser Wandel schneller vonstatten als in Paris. An der englischen Universität erschienen auch zum ersten Mal diejenigen mathematischen Vorlesungen im Curriculum, die später zum Standardstoff an a11en Universitäten nördlich der Alpen werden sollten. Beides, die Feiertagslektionen wie das im 14. Jahrhundert als gültig formulierte Curriculum, wirkte vorbildhaft auf die deutschen Universitäten und damit auch auf Ingolstadt. 2o Die Entstehung der Textbücher Die Tatsache, daß die mathematischen Disziplinen erst allmählich Teil des Curriculums wurden, darf nicht zu der Annahme führen, daß sie in Paris und Oxford während des 13. Jahrhunderts überhaupt nicht gepflegt worden seien. Gerade in Paris und teilweise in Oxford wurden in diesem Zeitraum die wichtigsten Textbücher für den Universitätsunterricht der nächsten zweihundert Jahre geschrieben. 21 Während in der vermutlich von Alexander Neckam stammenden Liste von Textbüchern aus dem Ende des 12. Jahrhunderts22 mit Boethius, EukIid und Ptolemäus noch antike, bzw. mit Alfraganus arabische Autoritäten das Feld beherrschten, vermochten am Ende des 13. Jahrhunderts nur mehr EukIid und teilweise Boethius diese Position zu behaupten. 23 Schon bald wurden die Schriften 20 Am entschiedensten äußert dies G. Beaujouan: Motives and Opportunities, S. 222: Thus the University 0/ Paris appears to have tolerated, although not really encouraged, the private teaching 0/ the exact sciences without including it in the 'cursus studiorum'. Im Anschluß bringt er Beispiele aus den Wiener Statuten von 1389 und den Heidelberger Statuten von 1443, die die Ausstrahlung des Vorbildes auf Deutschland demonstrieren. Die Gegenthese von P. Kibre: The 'Quadrivium', S.I/176 stützt sich dagegen in erster Linie auf die von M. Grabmann entdeckte Quaestionensammlung: ... despite the lacunae in the statutes, ... there is ampie evidence that the mathematical arts . .. were carried over into the university arts curriculum and were being taught or lectured on in the thirteenth century alongside the newly translated texts 0/ Aristotle. Allerdings darf diese Äußerung von P. Kibre nicht so rigoros ausgelegt werden, wie sie klingt, da aus ihrer weiteren Argumentation hervorgeht, daß sie den Begriff curriculum sehr weit auslegt und keineswegs auf die Libri pro /orma legendi beschränkt. Die scharfe Kritik, die R. Lemay: The Teaching of Astronomy, S. 212-5 an G. Beaujouan übt, gründet auf einem Mißverständnis dessen, was unter private teaching zu verstehen sei. Seine Feststellung, daß dieses keines der characteristics 0/ secret teaching aufweise (S. 213), ist richtig, nur daß auch G. Beaujouan solches gar nicht behauptet hat. Zur Stiftung zweier Lekturen für Astrologie am College du Maitre Gervais durch König Kar! V. um 1370, die R. Lemay gegen G. Beaujouan ins Feld führt (S. 213-4), vgl. unten S. 58. 21 Das KapitelDie mathematische Unterrichtslitteratur des XIII. undXJv. Jahrhunderts in S. Günther: Geschichte des mathematischen Unterrichts, S. 175-91 gibt einen kurzen Überblick über die verwendeten Lehrbücher und ihre Inhalte. Seine Wertungen müssen jedoch als durch die neuere Forschung völlig überholt gelten. 22 Vgl. oben S. 24. 23 Die in Oxford für das Quadrivium verwendeten Textbücher hat J. A. Weisheipl: Curriculum of the Faculty of Arts, S. 170-3 zusammengestellt, wobei er, da die eindeutige
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der anderen durch neue, den speziellen Bedürfnissen der Universitäten angepaßte Lehrbücher ersetzt. Den Anfang machten die um 1200 verfaßte Massa compoti und das ungefähr 1200/03 geschriebene Carmen de algorismo von Alexander de Villa Dei.24 Speziell die Abfassung in Hexametern zeichnet sie als Lehrbücher aus. Die die nächsten Jahrhunderte dominierenden Lehrbücher für den Einführungsunterricht entstanden allerdings erst einige Dezennien später: vor 1220 für die Astronomie der Tractatus de sphaera, danach zur Berechnung des Osterfesttermins der Tractatus de computo, um 1230/45 für das schriftliche Rechnen der Tractatus de algorismo, alle von Johannes de Sacrobosco in Paris verfaßt. 25 Der Tractatus de sphaera ersetzte die bei Alexander Neckam aufgelistete isagogische Schrift von Alfraganus, von der er vieles, aber nicht alles übernahm. Seine zweite Hauptquelle war der Almagest von Ptolemäus, der für eine Einführung zu schwer und zu umfangreich gewesen wäre, weshalb Sacrobosco ihm in vereinfachter Form das entnahm, was ihm wichtig erschien, wobei er auf alles, was gründlichere mathematische Kenntnisse erfordert hätte, verzichtete. 26 Konkurrenz erhielt Sacroboscos Tractatus de sphaera durch die gleichnamige, wenig später in Oxford erstellte Abhandlung von Robert Grosseteste, sowie weitere Texte von Johannes Pecham und Campanus de Novara, die jedoch nie eine Sacrobosco vergleichbare Popularität erringen konnten. 27 Die Berechnung des Ostertermins gehörte bereits seit der Karolingerzeit zum Lehrstoff der Kloster- und später der Domschulen, die Menge der seit dem 9. Zuordnung eines bestimmten Autors zu den nur den Titel angebenden Statutentexten nur selten möglich ist, praktisch die gesamte im 14. Jahrhundert auch außerhalb von Oxford gebräuchliche Lehrbuchliteratur verzeichnet. 24 P. Glorieux: La faculte des arts, S. 86. Die Datierung des Carmen de algorismo auf 1200/03 bei G. Beujouan: L'enseignement, S. 106. 25 Eine ausflihrliche Diskussion der Datierungsfrage für den Tractatus de sphaera und den Tractatus de computo bei L. Thomdike: The Sphere of Sacrobosco, S. 5-14. Die Datierung des Tractatus de algorismo nach G. Beaujouan: L'enseignement, S. 106. Vgl. auch P. Glorieux: La faculte des arts, S. 235-6. 26 Die Diskussion der Quellen bei L. Thomdike: The Sphere of Sacrobosco, S. 158. Zwar wird der Almagest in den Oxforder Statuten (1431) genannt (vgl. oben S. 27); ebenso in der flir Examinazwecke abgefaßten Quaestionsammlung (1230-40; vgl. oben S. 26); doch ist kaum anzunehmen, daß er wirklich jemals im Rahmen des artistischen Curriculums zum Vortrag kam. Zudem ist der Text der Quaestionensammlung, die nur in einer Handschrift aus dem 14. Jahrhundert überliefert ist (Archivo de la Corona de Arag6n, Cod. Ripoll 109), offensichtlich verderbt: Hec scientia traditur secundum unam sui partem in Tolomeo secundum autem aliam partem traditur in Almagesto et isti libri combusti sunt. (M. Grabmann: Eine für Examinazwecke abgefaßte Quaestionensammlung, S. 189). Ob combusti auf ein sonst völlig unbekanntes Verbot des Almagest hinweist, oder aber vielleicht eine Verschreibung für Sacrobusti ist, kann hier nicht entschieden werden. rI L. Thomdike: The Sphere of Sacrobosco, S. 23-8. J. A Weisheipl: Curriculum of the Faculty of Arts, S. 172 führt nur De sphaera von Sacrobosco als Textbuch an, die Texte der Oxford viel näher stehenden Robert Grosseteste und Johannes Pecham bleiben unerwähnt.
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Jahrhundert hierzu verfaßten Lehrbücher und Literatur ist kaum überschaubar. 28 Umso bezeichnender ist es, daß auch auf diesem traditionellen Gebiet die alten Autoritäten im Universitätsunterricht völlig von dem neuen Tractatus de computo von Johannes de Sacrobosco verdrängt wurden, neben dem sich lediglich die Massa compoti von Alexander de Villa Dei, deren Versform zum Memorieren des Gelernten besonders gut geeignet war, zu halten vermochte. Selbst in Oxford wurde der von Robert Grosseteste geschriebene Compotus schon zu Beginn des 14. Jahrhunderts endgUltig durch die Schrift des Johannes de Sacrobosco verdrängt.29 Völlig neu war dagegen die Technik des Rechnens mit den indisch-arabischen Ziffern, die in Sacroboscos Tractatus de algorismo einführend beschrieben wird. Auch hier deuten einige Indizien darauf hin, daß ergänzend die Verse aus dem Carmen de algorismo von Alexander de Villa Dei als mnemotechnisches Hilfsmittel Anwendung fanden. 3o Die wichtigsten Disziplinen, für die keine den speziellen Bedürfnissen des Universitätsunterrichts angepaßten Lehrbücher existiert hatten, waren so bereits einige Jahre vor der Mitte des 13. Jahrhunderts durch neue, in Paris und teilweise Oxford entstandene didaktische Literatur abgedeckt. Weniger dringlich schien es, die alten Autoritäten für Arithmetik, Musik und Geometrie, Boethius und Euklid, zu ersetzen. Die Institutio arithmetica von Boethius war schon seit dem 10. Jahrhundert als Lehrbuch im Gebrauch und vermochte ihre Stellung auch an den Universitäten zu behaupten. Zwar war von Jordanus Nemorarius, vermutlich in den ersten Jahrzehnten des 13. Jahrhunderts, eine stark an Boethius orientierteArithmetica erschienen; sie konnte sich jedoch nicht an seiner Stelle im Universitätsunterricht etablieren. Erst die in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts von Johannes de Muris, der in Paris geschult worden war, geschriebeneArithmetica communis fand dann im Universitätsbetrieb neben der Schrift von Boethius weitere Verbreitung. 31
A. Cordiolani: Les traites de computzähIt allein bis zum Jahr 1003 achtzig Schriften. J. A. Weisheipl: Curriculum ofthe Faculty of Arts, S. 172-3. 30 G. Beaujouan: L'enseignement, S. 106-14 gibt eine ausführliche Beschreibung des Inhalts und der Lehrmethode. 31 P. Kibre: The Boethian 'De institutione arithmetica', S. 11174. In den Oxforder Statuten von 1431 (S. Gibson: Statuta antiqua, S. 234) ist Boethius als Autorität genannt. Zu den späteren curricularen Vorschriften an mitteleuropäischen Universitäten vgl. S. Lorenz: Libri ordinarie legendi, S. 229-36, wo die pro forma für Bakkalaureat und Magisterium an den Universitäten Prag (1390), Krakau (1404/06), Wien (1389), Heidelberg (Ende 14. Jh.), Köln (1398), Erfurt (1412), Leipzig (1409/10) und Löwen (1427, 1429) zu hörenden Bücher aufgelistet sind; nur Arithmetica ohne Autorenangabe wird in Prag, Wien, Köln und Löwen verlangt, die Arithmetica communis von Johannes de Muris in Krakau, Erfurt und Leipzig. Heidelberg fordert keine Arithmetik. 28
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Ebenso wie in der Arithmetik diente auch in der Musik zunächst Boethius weiter als maßgebliche Autorität, mußte aber seit dem Ende des 14. Jahrhunderts fast vollständig der Musica des Johannes de Muris weichen.32 Von den Elementen des Euklid wurden die ersten sechs, planimetrischen Bücher auf Dauer in den Universitätsunterricht integriert.33 Das Wichtigste aus dem Stoff der arithmetischen Bücher VII-IX war einfacher anhand der Arithmetik von Boethius zu vermitteln, die übrigen Bücher der Elemente waren zu kompliziert, um je ins Curriculum eingehen zu können. Die im Spätmittelalter am weitesten verbreitete Ausgabe der Elemente entstand allerdings nicht in Paris oder Oxford, sondem wurde von einem Italiener, Campanus de Novara, in den Jahren zwischen 1255 und 1259 besorgt.34 Somit standen bereits zur Mitte des 13. Jahrhunderts die bis zum Ende des Mittelalters und teilweise darüber hinaus auch an den deutschen Universitäten und in Ingolstadt verwendeten Textbücher in den grundlegenden mathematischen Disziplinen zur Verfügung. Mit Ausnahme des Algorismus handelt es sich dabei um Fächer, die schon vorher, aber teilweise nach anderen Autoritäten, gelehrt worden waren. Da sie fast ausnahmslos in Paris oder - seltener - Oxford abgefaßt wurden, darf wohl als gesichert geiten, daß auch an beiden Universitäten nach ihnen gelehrt wurde, wobei nach dem Befund der Statuten ein Unterricht neben oder am Rande des artistischen Curriculums wahrscheinlich ist. Doch der Kanon der mathematischen Disziplinen wurde in Paris und Oxford nicht nur bewahrt, sondern auch ausgebaut. Bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts eroberten sich die Perspectiva, die Planetentheorie und die Proportionenlehre 32 In der Quaestionensammlung von 1230/40 wird die Musik nach Boethius abgehandelt (M. Grabmann: Eine für Examinazwecke abgefaSte Quaestionensammlung, S. 189); ebenso in den Oxforder Statuten von 1431 (S. Gibson: Statuta antiqua, S. 234). In den von S. Lorenz: Libri ordinarie legendi, S. 229-36 abgedruckten Tabellen findet sich dagegen nur mehr entweder Johannes de Muris oder gar kein Name; allerdings wurde auch an den Universitäten, die keinen bestimmten Autor vorschrieben, Musik nach Johannes de Muris gelesen (vgl. ibid., S. 222). 33 Erstmals werden die Bücher I-VI in den Oxforder Statuten aus dem Beginn des 14. Jahrhunderts (S. Gibson: Statuta antiqua, S. 33) gefordert, später variieren die Ansprüche von Universität zu Universität; gelegentlich genügte es, Buch I (z. B. Löwen 1427, 1429) gehört zu haben, häufiger jedoch wurden die Bücher I-III (z. B. Krakau 1404/(6) oder I-VI (z. B. Wien 1389) verlangt, wobei gelegentlich Buch I schon Bestandteil des Kurses für das Bakkalaureat war (z. B. Wien 1389); vgl. dazu S. Lorenz: Libri ordinarie legendi, S.229-36. 34 Die neueste und gründlichste Studie zu den Lebensstationen von Campanus de Novara bei F. S. Benjamin Jr./G. J. Toomer: Campanus of Novara, S. 3-11. Der einzige Hinweis auf Paris, der wohl P. Glorieux: La facuIte des arts, S. 118-20 veranlaßt hat, Campanus unter die Pariser Magister aufzunehmen, war vermutlich die Tatsache, daß er sich ca. 1288/92 als Kanoniker in Paris bezeichnet (vgl. F. S. Benjamin Jr./O. J. Toomer: Campanus of Novara, S. 8). Unabhängig davon, ob dieses Kanonikat mit einer Residenzpflicht verbunden war oder nicht, gilt es festzuhaIten, daß seine Euklidausgabe Jahrzehnte vorher fertiggestellt war; zur Euklidausgabe von Campanus vgl. ibid., S. 12-3.
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einen gesicherten Platz unter den an den Universitäten gepflegten mathematischen Dizsiplinen. Die Perspectiva hatten schon die philosophischen Einleitungsschriften des 12. Jahrhunderts unter dem Namen De aspectibus als Teil der Mathematik betrachtet; auch Thomas von Aquin rechnete sie 1257, wenn auch mit Einschränkungen, unter diese.35 Trotzdem erwachte erst in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts ein größeres Interesse an ihr, was dazu führen sollte, daß sie im artistischen Curriculum etlicher, wenn auch nicht aller Universitäten enthalten ist. 36 Auch hier ist der Ursprung der wichtigsten LehrbUcher, obwohl sie in Italien geschrieben wurden, in Paris und vor allem Oxford zu suchen. Fast eine MonopolsteIlung erlangte im Universitätsunterricht die vermutlich um 1277-1279 von Johannes Pecham verfaßtePerspectiva communis, die diesen Titel erst später eben aufgrund ihrer weiten Verbreitung erhielt. 37 Weniger Ausstrahlungskraft besaß die kurz vorher fertiggestelltePerspectiva von Witelo.38 Kurz nach der Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert verstärkte sich in Paris und Oxford das Interesse fUr die bis dahin ziemlich vernachlässigte rechnerische Astronomie und die Astrologie. 39 Auch wenn die Anstösse dafür aus dem SUden kamen, vor allem vom Hof Alfons X. des Weisen von Kastilien und aus Italien, so wurden sie doch in Paris von Johannes de Lineriis, Johannes de Saxonia und Johannes de Muris, in Oxford von den Mitgliedern des Merton College schnell aufgegriffen und durch Umarbeitungen und Lehrbuchliteratur zugänglich gemacht. Grundlage für die rechnerische Astronomie war die Planetentheorie. Zwei Lehrbücher standen seit der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts hierfür zur 3S Al-Farabi: CatAlogo de las ciencias, S. 148-51; Dominicus Gundissalinus: De divisione philosophiae, S. 112; id.: De scientiis, S. 93-9. Thomas von Aquin rechnet sie unter die [scientiae] mediae, quae principia mathematica ad res naturales applicant, und teilt ihr gemeinsam mit der Musik und Astronomie entsprechend eine Stellung in der Mitte zwischen scientia naturalis, d. h. Physik, und der Mathematik zu; vg!. Thomas von Aquin: Expositio super librum Boethii de trinitate, Qu. V art. m ad sextum, S. 188-9, wo eine grössere Nähe zur Mathematik behauptet wird; außerdem id.: Commentaria in Deto libros Physicorum, ß cap. 2 lect. 3, S. 63; hier rechnet er sie mehr zur scientia naturalis. 36 Auf die theologischen Gründe für dieses neuerwachte Interesse wird unten S. 38 eingegangen. Unter dieLibri ordinarie legendi gehörte diePerspectiva z. B. in Prag (1390), Krakau (1404/06), Wien (1389), Köln (1398), Erfurt (1412) und Leipzig (1409/10); vg!. S. Lorenz: Libri ordinarie legendi, S. 229-36. 37 Zur Datierung vg!. D. C. Lindberg: John Pecham, S. 18, zum Titel ibid., S. 12. Zu seinen sonstigen Schriften P. Glorieux: Repertoire, Bd. 2, S. 86-98 und La facuIte des alts, S. 231-2. JohannesPecham studierte und wirkte sowohl in Paris als auch in Oxford (0. C. Lindberg: John Pecham, S. 5-9), wobei die Anstösse für seine eingehendere Beschäftigung mit der Optik wohl aus Oxford kamen (vg!. unten S. 38). 38 Zur Datierung vg!. D. C. Lindberg: John Pecham, S.18. Zu seinen sonstigen Schriften P. Glorieux: La facuIte des alts, S. 386. 39 Dieses erwachende Interesse, verbunden mit einer Schwerpunktverschiebungan den Universitäten hin zur Astronomie, betont v. a. G. Beaujouan: Motives and Opportunities, S.223.
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Verfügung: eine anonyme Theorica planetarum, die häufig, aber fälschlich, Gerhard von Cremona als Autor zugeordnet wurde,40 und ein zweiter gleichnamiger Text, von Campanus de Novara zwischen 1261 und 1264 in Italien geschrieben.41 Enstehungsort und Datierung der anonymen Theorica planetarum liegen fast völlig im Dunkeln, doch deuten einige Indizien auf einen Autor hin, der in England nach der Mitte des 13. Jahrhunderts lebte und vielleicht mit Johannes de Sacrobosco bekannt war. 42 Zu Beginn des 14. Jahrhunderts waren beide Lehrbücher in Paris und Oxford bekannt. Johannes de Lineriis bemühte sich um eine Verbesserung des von Campanus in seiner Theorica planetarum entworfenen Aequatoriums, auf das er direkt Bezug nimmt;43 daß auch in Oxford schnell das Interesse an derartigen Scheibeninstrumenten erwachte, zeigen der Tractatus Albionis, den Richard von Wallingford 1327 abfaßte, sowie zahlreiche noch erhaltene Modelle solcher Geräte Oxforder Provenienz.44 Von Paris aus fand dann die Theorica planetarum, fast ausschließlich nach dem Gerhard von Cremona zugeschriebenen Traktat gelesen, Aufnahme in die artistischen Curricula fast aller mitteleuropäischen Universitäten. 4s Um 1320 wurden die ungefähr 50 Jahre vorher fertiggestellten Alfonsinischen Tafeln erst in Paris, dann auch in Oxford bekannt. Schnell erfolgte ihre Reduktion auf die entsprechenden Meridiane. In Paris bemühte man sich auch um die Aufbereitung der nötigen Grundlagen zu ihrem Gebrauch und Verständnis. Von Johannes de Lineriis stammt eine Anleitung zum Bruchrechnen, die unabdingbar war zur Handhabung der in den Tafelwerken verwendeten SexagesimalbrUche.46 Der40 Die Haltlosigkeit sämtlicher früherer Spekulationen über die Identität des Autors, als der neben Gerhard von Cremona auch Gerardus de Sabbionetta angesehen wurde, demonstriert überzeugend O. Pedersen: The Origins of the 'Theorica pianetaNm', S. 118-22. 41 Vgl. F. S. Benjamin Jr./G. J. Toomer: Campanus of Novara. Entstehungsort und Entstehungszeit ergeben sich aus der Widmung des Werkes an Papst Urban IV.; ibid., S. 128-35. 42 O. Pedersen: The Origins ofthe 'Theorica pianetaNm', S. 120-l. 43 D. J. Price: The Equatorie ofthe Planetis, S.125-7; F. S. Benjamin Jr./G. J. Toomer: Campanus of Novara, S. 32. Zu den Aequatorien, auf die das Astronomicum Caesareum von Peter Apian autbaut, vgl. unten S. 417. 44 Dazu, daß das Albion (All by one) von Richard von Wallingford allerdings auf anderen GNndlagen autbaute als das Aequatorium von Campanus, vgl. J. North: Richard of Wallingford, Bel. 2, S. 258. Ein Verzeichnis von Oxforder Scheibengeräten zur Ermittlung der Planetenpositionen bei R. T. Gunther: Early Science in Oxford, Bd. 2, S. 234-44. 45 Z B. Prag (1390), Krakau (1404/06), Wien (1389), Köln (1398), Erfurt (1412), Leipzig (1409/10); nicht in Heidelberg (Ende 14. Jh.) und Löwen (1427, 1429); vgl. S. Lorenz: Libri ordinarie legendi, S. 229-36. Die Statuten geben keine Autorität, sondern nur den TItel der Vorlesung an; dazu, daß nach Ps.-Gerhard gelesen wurde, vgl. O. Pedersen: The Origins ofthe 'Theorica pianetaNm', S. 115. 46 Ed. H. L. L. Busard: Het rekenen met breuken. Dort findet sich auch (S. 4-8) eine kurze Darstellung des BNchrechnens im Abendland vor dem Traktat von Johannes de Lineriis. Auf die Bedeutung des Rechnens mit SexagesimalbTÜchen für die Handhabung von astronomischen Tafeln geht Busard allerdings nicht ein.
3 Schön...
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1. Kapitel:
~raussetzungen und ~rbilder
selbe schrieb auch eine Anleitung zum Gebrauch der trigonometrischen Tafeln,47 während die im Spätmittelalter dominierenden Canones zu den Alfonsinischen Tafeln von seinem Schüler Johannes de Saxonia stammen.48 Johannes de Lineriis, Johannes de Saxonia und Johannes de Muris arbeiteten bei diesen Projekten zusammen, wobei die für die spätere Zeit weniger wichtigen unter ihren zahlreichen Schriften zu diesen Themen hier übergangen werden müssen.49 Etwa zehn Jahre später als in Paris erfolgte die Aneignung des neuen Wissens in Oxford, wobei sich die beteiligten Magister um das Merton College als Mittelpunkt konzentrierten. so Keine dieser Schriften gelangte in das artistische Curriculum einer der Universitäten nördlich der Alpen, dafür waren die Anforderungen, die an ihr Verständnis gestellt wurden, zu hoch und zu speziell. Einen Nährboden, auf dem sich die Pflege dieses Zweiges der Astronomie entfalten konnte, boten allerdings die sich im 14. Jahrhundert immer schneller vermehrenden Kollegien, wie z. B. in Oxford das Merton College, in Paris vielleicht das Coll~ge de Navarre. Die dort möglichen Privatvorlesungen außerhalb des Curriculums gaben Gelegenheit zu einer weitergehenden Spezialisierung. s1 Unverzichtbar war der Umgang mit astronomischen Tafelwerken auch für den Astrologen, der Nativitäten und Horoskope erstellen wollte, weshalb die rechnerische Astronomie gelegentlich auch als regelrechte Hilfswissenschaft der Astrologie bezeichnet wurde. S2 Eine erste Hinwendung zur Astrologie läßt sich in Paris bereits bei Johannes de Saxonia feststellen, der 1331 einen Kommentar zum beliebtesten astrologischen Lehrbuch des SpätmittelaIters, dem Liber isagogicus des Alcabitius, schrieb.s3 Allerdings sollte dieser Zweig der Mathematik in der Dazu M. Curtze: Urkunden, S. 390-1. E. Poulle: Les tables Alphonsines, S. 17-8 nimmt an, daß die weite Verbreitung dieser Canones mit ihrem Gebrauch im Universitätsunterricht zusammenhänge; allerdings könne, so Poulle, die Ausstrahlung nach dem Befund der erhaltenen Handschriften erst im letzten Drittel des 14. Jahrhunderts begonnen haben. 49 Den besten Überblick bieten die drei von E. Poulle verfaßten Artikel in DSB 7, S. 122-8 (lohn 0/ Lignieres), S. 128-33 (lohn 0/Murs) und S. 139-41 (lohn o/Saxony). so R. T. Gunther: Early Science in Oxford, Bd. 2, S. 44-7 und J. D. North: Astronomy and Mathematics, S.122. SI Vgl. G. Beaujouan: Motives and Opportunities, S. 223, wo er neben dem Merton College auch auf das Colegio viejo de San Bartolome in Salamanca hinweist, an dem die mathematischen Wissenschaften intensiv betrieben wurden (vgl. dazu auch idem: Manuscrits scientifiques, Einffihrung S. 24-8). Zum hier ebenfalls angeffihrten College du maitre Gervais in Paris vgl. unten S. 58. Dieselbe Meinung wie Beaujouan vertritt auch A L. Gabriel: The College System, S. 19. H. Grundmann: Naturwissenschaft und Medizin übersieht diesen Aspekt völlig und betont lediglich den propädeutischen Charakter des artistischen Kurses, der jegliche Spezialisierung verhindert hätte (S. 34). S2 Z. B. G. Beaujouan: Motives and Opportunities, S. 223. 53 Vgl. F. J. Carmody: Arabic Astronomical and Astrological Sciences, S. 145, Nr. 27.1b. 47
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Seinemetropole erst etwa fünfzig Jahre später, im Verbund mit der Medizin, fester Fuß fassen können. 54 Die für bald 200 Jahre letzte Erweiterung des mathematischen Fächerkanons, die noch Einfluß auf die Gestaltung des artistischen Curriculums an den deutschen Universitäten gewinnen konnte, hatte ihren Ursprung in der von Thomas Bradwardine in Oxford initiierten Auseinandersetzung mit dem Bewegungsgesetz in der aristotelischen Physik. Die Untersuchung des Verhältnisses von Geschwindigkeit, Kraft und Widerstand in seinem 1328 vollendeten Tractatus de proportionibus velocitatum in motibus führte zu einer Vertiefung der Kenntnis der Proportionenlehre, um die sich in erster Linie die Oxforder Calculatores am Merton College verdient machten. 55 Gelehrt wurde allerdings meistens nicht nach dem Traktat von Bradwardine, sondern nach einer verkürzten und einfacheren Fassung, die unter dem Titel Proportiones breves bekannt wurde. 56 In engem Zusammenhang mit der Proportionenlehre stand die Lehre von den Formlatituden, die eine graphische Darstellung für ähnliche Probleme, wie sie von Bradwardine formuliert worden waren, bot.57 Prägend für diesen Zweig der Mathematik wurde der Traktat De configurationibus qualitatum et motuum, den Nicole Oresme in den fünfziger Jahren des 14. Jahrhunderts während seiner Zeit am Coll~ge de Navarre verfaßte. 58 Das Standardlehrbuch hierzu, De latitudinibus formarum, entstand allerdings erst einige Jahrzehnte später in Italien, der Autor war wahrscheinlich ein J acobus de Sancto Martino. Ähnlich wie bei den Proportiones breves beschreibt er den Inhalt in vereinfachter Art. Wie sehr man sich allerdings des Pariser Ursprungs bewußt war, geht nicht zuletzt daraus deutlich hervor, daß der Traktat schon kurz nach seiner Entstehung Nicole Oresme als Autor zugeordnet wurde. 59 An den mitteleuropäischen Universitäten wurden Proportiones und Latitudines nur selten im Rahmen des artistischen Curriculums gelehrt, dann aber, was auch ihrer thematischen Zusammengehörigkeit entspricht, immer gemeinsam.6o Vgl. unten S. 55ff. Die moderne Diskussion dieses Aspekts der Merton School wurde eingeleitet von A. Maier: Die Vorläufer Galileis, besonders im 4. Kapitel: Der FunktionsbegriJf in der Physik des 14. Jahrhunderts (S. 81-110). Sehr gute Zusammenfassungen der Diskussion bei E. Murdoch/E. D. Sylla: The Science of Motion, S. 223-31 und J. D. North: Natural Philosophy, S. 78-82. Eine Liste der Magister des Merton Colkge bei J. A Weisheipl: Repertorium Mertonense. 56 J. A. Weisheipl: Oevelopments in the Arts Curriculum, S. 173-4. 57 Die beste Zusammenfassung, die auch die ältere Literatur diskutiert, findet sich bei E. Murdoch/E. D. Sylla: The Science ofMotion, S. 231-41. 58 Zur Datierung vgl. M. CIagett: Nicole Oresme, S. 14. 59 Vgl. hierzu M. Clagett: Nicole Oresme, S. 85-91. Die ungedruckte Dissertation von Th. Smith: A Critical Text and Commentary upon Oe latitudinibus formarum (Univ. of Wisconsin 1954), aus der Clagett seine Informationen übernommen hat, habe ich nicht gesehen. 60 Um 1400 sind sie nur in den Statuten von Wien (1389) und Köln (1398) enthalten, nicht dagegen in den Statuten von Prag (1390), Krakau (1404/06), Heidelberg (Ende 14. S4
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Dieser Überblick über die in Paris und Oxford verfaßte Lehrbuchliteratur zeigt, daß dort fast der gesamte Kanon der im Unterricht der Artistenfakultäten der deutschen Universitäten verwendeten mathematischen Lehrbücher entstanden ist. Als Ausnahmen sind nur die von Campanus de Novara verfaßten Traktate sowie die Latitudines von Jacobus de Sancto Martino, die aber in einer Pariser Tradition stehen, zu nennen. Zugleich wird deutlich, daß der Befund der Statuten nur in sehr unzureichendem Maße als Spiegel für das wirkliche Niveau der Mathematik in Paris und Oxford dienen kann. Paris wie Oxford waren bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts herausragende Zentren in der Beschäftigung mit Mathematik. Nicht nur, daß das alte Wissen gepflegt und für den Unterrichtsbetrieb aufbereitet wurde; daneben zeigte man sich auch gegenüber von außen kommenden Kenntnissen, wie z. B. den astronomischen Tafelwerken, aufgeschlossen. Darüber hinaus wurden neue Fragestellungen aufgeworfen und gelöst. Eine gewisse Stagnation trat gegen die Mitte des 14. Jahrhunderts ein, wobei das Wüten der Pest eine Rolle gespielt haben mag. 61 Wichtiger scheint jedoch eine Schwerpunktverlagerung der Mathematik hin zur Medizin und Iatromathematik, eine Entwicklung, die an den italienischen Universitäten zu Beginn des 14. Jahrhunderts eingeleitet worden war. Zwar bot die Artistenfakultät vorläufig kaum Platz für diesen Zweig der Mathematik, doch öffnete sich Paris im letzten Drittel des 14. Jahrhunderts diesem Einfluß auf andere Weise. 62 An den Universitäten im Reich dagegen wurde der um 1350 erreichte Stand in den Curricula der artistischen Fakultäten konserviert. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, begann hier das italienische Vorbild erst mit dem Eindringen des Humanismus stärker zu wirken. Die Rolle der Theologie
Daß der Kurs an den Artistenfakultäten in Paris und Oxford, und hier besonders das Studium der aristotelischen Schriften, in erster Linie zur Vorbereitung auf das weiterführende Studium der Theologie diente, ist allgemein anerkannt.63 Auch Jh.), Erfurt (1412), Leipzig (1409/10) und Löwen (1427, 1429); vgl. S. Lorenz: Libri ordinarie legendi, S. 229-36. Für die Proportiones wurden in Wien sowohl der Traktat von Bradwardine als auch die Proportiones breves benutzt. Für die Latitudines schreiben die Wiener Statuten nur aliquem de latitudinibus fornulrum vor, das Werk von Jacobus de Sancto Martino, das gerade um diese Zeit erst geschrieben wurde, konnte vermutlich damit noch nicht gemeint sein (vgl. die Edition der Statuten von A Lhotsky: Die Wiener Artistenfakultät, S. 243). Der Pariser Ursprung wird aus der Übernahme noch vor der Fertigstellung des Standardlehrbuches in Wien offensichtlich. 61 Dies macht J. D. North: 1348 and All That für Oxford auch durch statistische Auswertung sehr wahrscheinlich. 62 Vgl. unten S. 58. 63 Vgl. H. Rashdall: The Universities Bd. 1, S. 235; außerdem G. Leff: Paris and Oxford, S. 119-20.
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auf die mathematischen Wissenschaften trifft diese propädeutische Funktion zu. In welchem Umfang des weiteren von der Theologie im 13. und 14. Jahrhundert Anregungen für die Untersuchung mathematischer Probleme ausgingen und umgekehrt auch die scientia divina zur Legitimation für die Beschäftigung mit mathematischen Fragen herangezogen wurde, soll im folgenden kurz dargestellt und begründet werden.64 Die Bedeutung des Computus für die Theologie ist offensichtlich: Nicht nur wurden mit seiner Hilfe die mobilen Feste im Feiertagskalenderbestimmt, darüber hinaus verband sich mit ihm auch eine heilsgeschichtliche Dimension, das Messen der den Menschen bis zum Ende aller Zeiten verbliebenen Tage, sinnfällig in der Überlieferungsgemeinschaft von Computus, Chronik und Martyrolog, die seit der Zeit Bedas bestand und sich erst im 11. Jahrhundert aufzulösen begann.65 Auch die Arithmetik war auf den Schöpfer hin orientiert. Die Arithmetik hatte Gott vor Augen, als er an die Schaffung der Welt ging, schreibt Boethius;66 deswegen sei auch alles, was vom Anfang der Zeiten herrühre, nach der ratio der Zahlen gebildet.67 Die Übernahme dieses Satzes in die Einleitung des Tractatus de algorismo von Johannes de Sacrobosco, der sich nicht mit Zahlentheorie sondern mit den neuen indisch-arabischen Ziffern befaßte, zeigt überdeutlich das theologische Legitimationsbedürfnis dieses neuen Zweiges der Mathematik.68 Im Tractatus de sphaera versäumt es Johannes de Sacrobosco nicht, den Leser mit einem heilsgeschichtlichen Diskurs zu verabschieden. Im Anschluß an die Behandlung von Sonnen- und Mondfinsternissen kommt er auf die eigentlich unmögliche Sonnenfinsternis am Tage der Kreuzigung zu sprechen, die bei Vollmond stattfand, während sie eigentlich nur bei Neumond eintreten kann. Er 64 Mit dem Verhältnis zwischen Naturwissenschaft und Theologie in der Scholastik befaßt sich F. Krafft in seinen beiden Artikeln Wissenschaft und Weltbild (I) und (11). Allerdings geht er dabei kaum auf die mathematischen Fächer ein, sondern stellt die Naturphilosophie in den Mittelpunkt. Auch die Diskussion der Achsendrehung bei Nicole Oresme (Wissenschaft und Weltbild I, S. 69-72) berührt ein Problem, das von Oresme mehr unter Anwendung der aristotelischen Physik als der Mathematik diskutiert wurde. Hinweise auf die Verwendung naturphilosophischer und mathematischer Kenntnisse in Sentenzenkommentaren finden sich verstreut bei J. D. North: Natural Philosophy und Idem: Astronomy and Mathematics. 65 Vgl. dazu A Borst: Computus; S. 16-9 zur Einführung dieser Gemeinschaft bei Beda; S. 34 zur Auflösung derselben im 11. Jahrhundert. 66 Boethius: De institutione Arithmetica I I, S.10: Haec [sc. arithmetica] enim cunctis prior est, non modo quod hane; ille huius mundanae molis conditor deus primam suae habuit ratiocinationis exemplar et ad hanc cuncta constituit, quaecunquefacricante ratione per numeros adsignati ordinis invenere concordiam, ... 67 Boethius: De institutione Arithmetica I 2, S. 12: Omnia quaecunque a primaeva rerum natura constructa sunt, numerorum videntur ratione formata. Hoc enim fuit principale in animo conditoris exemplar. 68 Johannes de Sacrobosco: Tractatus de algorismo, S. 174: Omnia quae a primaeva rerum origine processerunt, ratione numerorumformata sunt, .•.
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1. Kapitel: Voraussetzungen und Vorbilder
verweist auf das Wunderbare dieses Naturereignisses und schließt mit einem Zitat aus Dionysius Areopagita. 69 Trugen diese Äußerungen noch mehr topischen Charakter, so stellten Bonaventura, Thomas von Aquin, Robert Grosseteste und Roger Bacon tiefere Bezüge zwischen dem Studium der mathematischen Wissenschaften und-der Theologie her. In einer Zeit, als das alte Lehrplangefüge der septem artes liberales unter dem Eindringen der aristotelischen Schriften an den Artistenfakultäten endgUltig auseinanderzubrechen begann, formulierte auf dominikanischer Seite Thomas von Aquin neue stufenartige Studiensysteme, in denen die Mathematik unter den Propädeutika, die zum Studium der Theologie hinführten, ihren festen Platz erhielt.7o
Von der metaphysischen Spekulation her verknüpfte der Franziskaner Robert Grosseteste die Mathematik, und hier besonders die Optik, mit der Theologie. Als Ausgangspunkt diente ihm in Anlehnung an Augustinus die Analogie zwischen dem physikalischen Licht und dem spirituellen Licht, durch welches dem Verstand die unveränderlichen Urformen der Dinge mitgeteilt werden.?! Von dieser Lichtmetaphysik Grossetestes gingen in Oxford die Anstöße zur Untersuchung der geometrischen Optik aus, und so verwundert es nicht, wenn gerade aus dem intellektuellen Klima von Oxford die beherrschenden Texte zur Lehre der Perspectiva an den Artistenfakultäten hervorgegangen sind.72 Das Ausmaß 69 Johannes de Sacrobosco: Tractatus de sphaera, S. 116-7: Ex predictis etiam manifestum est quod, cum eclipsis solis esset in passione domini et eadem passio esset in plenilunio, illa eclipsis non fuit naturalis, immo miraculosa et contraria nature, quoniam eclipsis solis in novilunio vel circa debet contingere. Propter hoc legitur Dionysius Ariopagita in eadem passione dixisse: Aut deus nature patitur, aut machina mundi dissolvitur. 70 Vgl. Thomas v. Aquin: In decem Iibros Ethicorum Aristotelis ad Nicomachum Expositio, Iib. VI lect. VII, S. 331, wo nach der Diskussion der in einem Kind und Jugendlichen gradweise reifenden Fähigkeit zum Verständnis komplexerer Zusammenhänge ein stufenförmiger Lehrplan skizziert wird: Erit ergo congruus ordo addiscendi ut primo quidem pueri logicalibus instruantur, quia logica docet modum totius philosophiae. Secundo autem instruendi sunt in mathematicis quae nec experientia indigent, nec imaginationem transcendunt. Tertio autem in naturalibus; quae etsi non excedunt sensum et imaginationem, requirunt tamen experientiam. Quarto in moralibus quae requirunt experientiam et animum a passionibus liberum, ut in prima habitum est. Quinto autem in sapientialibus et divinis quae transcendunt imaginationem et requirunt validum intellectum. Vg!. dazu P. Kibre: The Boethian 'De institutione arithmetica', S. ll(78-9. M. Grabmann: Die Bewertung der profanen Studien, S. 322 betont daneben eine bei Thomas formulierte Berechtigung zur autonomen, von der Theologie losgelösten Beschäftigung mit den profanen Wissenschaften, erwähnt unter diesen jedoch die mathematischen Fächer nicht. 71 Zur Lichtmetaphysik des Grosseteste vg!. A. C. Crombie: Robert Grosseteste, S. 128-34. Zur tieferen Verankerung der augustinisch-franzislcanischenliluminationstheorie im Franziskanerorden durch Bonaventura und Matteo d'Acquasparta im 13. Jh. vgl. M. Grabmann: Die Bewertung der profanen Studien, S. 320. 72 A. C. Crombie: Robert Grosseteste, S.131: The analogy between the corporeal'lux', whose mathematicallaws he held to underlie the operations 0/ physical things, and this
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des Einflusses von Robert Grosseteste und seiner lichtmetaphysik auf Johannes Pecham, Witelo und Roger Bacon ist zwar umstritten, daß aber alle drei bei ihrer Beschäftigung mit der Optik von ihm abhingen, wird nicht in Zweifel gezogen.73 Als konsequentester Fortsetzer der von Grosseteste propagierten Ideen muß Roger Bacon gelten, der ein ganzes Kapitel seines Opus maius dem Nutzen der Mathemati k fUr die Theologie widmete. 74 Zum einen sieht er ihn in der Propädeutik zur Theologie, der die Mathematik bei der Bibelauslegung, der Chronologie und beim Verständnis des göttlichen Schöpfungsplanes behilflich sein kann.7s Aber auch auf den tieferen, symbolischen Gehalt des lichtes kommt er als SchOler Grossetestes zu sprechen: Die Fortpflanzung des lichtes sei eine Analogie zur Vermittlung der Gnade Gottes an die Menschen. Gute und perfekte Menschen nähmen die Gnade ungebrochen und unreflektiert auf, wie das licht beim rechtwinkligen Einfall; bei guten, aber nicht perfekten Menschen sei die Ankunft der Gnade dem licht, das beim Eintritt gebrochen werde, vergleichbar; von den ~chlechten Menschen schließlich pralle die Gnade ab wie reflektiertes licht. 76 Roger Bacons eigene Untersuchung zur Optik, Tractatus de multiplicatione speeierum, gewinnt vor diesem Hintergrund eine mehr als nur mathematische oder physikalische Dimension. Im Verlaufe des 14. Jahrhunderts wurden in Paris und Oxford noch mehr Fragen, die einen theologischen Hintergrund besitzen, auf mathematische Art und Weise diskutiert. Probleme des Unendlichen, die mit der Allmacht Gottes zusammenhängen, oder die Behandlung von isoperimetrischen Körpern, die die spiritual 'Iux , gave an additional force and inlerest to Grosseteste sbeliefthat the study of geometrical optics was the key to knowledge of the natural world, and it must be reckoned among the reasons for the popularity of optics and mathematical science in the Oxford school. Zu den Lehrbüchern vgl. oben S. 32. 73 Auf Roger Bacon wird sogleich näher eingegangen. Ansonsten vgl. A C. Crombie: Robert Grosseteste, S. 165-7 (pecham) und S. 213-32 (Witelo). Daß Crombie die Abhängigkeit von Grosseteste übertreibe, konstatiert D. C. Lindberg: lohn Pecham, S. 25; trotzdem geht auch er von einem, wenn auch geringeren Einfluß der Lichtmetaphysik auf Johannes Pecham aus (vgl. ibid., S. 19). 74 Mathematicae in divinis utilitas (= Opus maius, Bd. 1, S. 175-238). Zum Verhältnis von Roger Bacon zu Robert Grosseteste vgl. A C. Crombie: Robert Grosseteste, S. 13940. Eine kUlZe Zusammenfassungvon Bacons Forderungen zum Studium der Mathematik bei P. Kibre: The 'Quadrivium', S.1/179-80. 7S Roger Bacon: Opus maius, pars IV, Bd. 1, S. 175: Cum igitur ostensum sit quod philosophia non potest sciri nisi sciatur mathematica, et omnes sciant quod theologia non potest sciri nisi sciatur philosophia, necesse est ut theologus sciat mathematicam. Auf S. 180-238 folgen sodann auf eine allgemeine Diskussion des Ansehens der Mathematik bei den Kirchenvätern sieben Gründe rur ihre Unabdingbarkeit bei der Exegese, der Chronologie und dem Verständnis des Schöpfungsplanes. 76 Roger Bacon: Opus maius, pars IV, Bd. 1, S. 21~7: Deinde de spiritualibus rebus exprimendis per res geometricas pono exemplum in gratia et gloria salvandis ac damnandis, ut videamus quomodo lineae rectae, fractae, et reflexae, valeant hujusmodi spiritualibus adaptari. Es folgt die detaillierte Ausbreitung des Beispiels. Vg\. dazu auch D. C. Lindberg: John Pecham, S. 19.
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1. Kapitel: Voraussetzungen und Vorbilder
mathematische Zweckmäßigkeit der von Gott geschaffenen Welt zu illustrieren vermögen, wären hier anzufUhren.77 Dies waren jedoch Bereiche, die auf die Gestaltung des artistischen Curriculums keine Auswirkungen hatten. Noch lange stand die Theologie Pate bei vielen mathematischen Spekulationen. Nikolaus von Kues bemUhte sie zum besseren Verständnis der Welt,7S und wenn 1503 der in Ingolstadt gebildete Theologe Andreas Stiborius zusammen mit dem Arzt Georg Tannstetter, der gleichfalls in Ingolstadt studiert hatte, die Schrift Libellus Linconiensis de physicis lineis, angulis et figuris von Robert Grosseteste edierte, so darf dies als einer der letzten Ausläufer eines im Mittelalter mächtigen Stromes betrachtet werden.79 Noch Johannes Kepler verstand die Astronomie als Gottesdienst,SO doch verdrängte allmählich die Durchsetzung der empirischen Methode den rein spekulativen Ansatz, der diejenigen Arbeiten des Spätmittelalters, die die Mathematik auf die Theologie bezogen, ausgezeichnet hatte.
Der soziokulturelle Hintergrund Aus dem Vorigen ergibt sich zwangsläufig die Frage, in welchem Verhältnis diejenigen Magister, die sich intensiver den mathematischen Disziplinen widmeten, zur Theologie standen: Hatten sie Theologie studiert oder standen sie als Mitglieder eines der in Paris und Oxford starken Bettelorden der Dominikaner und Franziskaner in einem engeren Verhältnis zu ihr, oder dUrfen sie vielleicht schon als Mathematiker im eigentlichen Sinn des Wortes angesprochen werden? Drei Einschränkungen sind bei einer derartigen Fragestellung vorauszuschikken, weshalb die folgenden Beobachtungen auch mehr kursorischen Charakter tragen; eine umfassende Analyse ist im Rahmen der vorliegenden Arbeit weder möglich noch angebracht: (1) Noch bis ins Spätmittelalter waren die Träger jeglicher Wissenschaft fast ausschließlich Kleriker, unabhängig davon, ob sie eine theologische Ausbildung besaßen oder nicht. Die Anfänge einer laikaIen Bildungswelt, die auch in die Universitäten reicht, sind nicht in Frankreich oder England zu suchen, sondern 77 Eine ausführliche Darstellung dieses Komplexes bei J. D. North: Astronomy and Mathematics, S.14~3. 78 Vgl. dazu W. Schulze: Zahl, Proportion, Analogie, S. 99: Cusanus sieht die quadrivialenDisziplinen und die artes liberales im allgemeinen (wie auch die artes mechanicae) als Einübung in die Theologie, weil die Gott-gewollte Ordnung hier am angemessensten wiedererstrahlt. Vgl. außerdem S. 102 zu der Vorstellung des Cusanus, Gott hätte, als er die Schöpfung als das harmonische Zusammenwirken eines proportionsmäßig strukturierten Ganzen konzipierte, sich der Mathematik und näherhin der Geometrie bedient. Ähnlich sieht F. Nagel: Nicolaus Cusanus, S. 57 die Rolle der Mathematik bei Cusanus: Sie ist ihm Mittel zur Gotteserkenntnis, zur Selbsterkenntnis und Mittel zur Welterkenntnis. 79 Nümberg 1503. 80 Dies wurde apodiktisch im Titel des Aufsatzes Astronomie als Gottesdienst von F. Kram formuliert und sodann im Einzelnen bewiesen.
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in ltalien. 81 Entsprechend trugen auch die Universitäten Paris und Oxford ebenso wie die nach ihrem Vorbild gegründeten Hohen Schulen einen halbklerikalen Charakter. Nicht zuletzt äußerte sich dies in der Vorschrift des Zölibats für die an der Universität lehrenden Magister; in Paris besaß dieser bis 1452 sogar für die Mediziner Gültigkeit. 82 (2) Da das Studium an der Artistenfakultät in der Regel dem weiterführenden Studium an einer der höheren Fakultäten vorgeschaltet war, bildeten sich die meisten Magister, die an der untersten Fakultät lehrten und dort nur ihr durch die Statuten vorgeschriebenes biennium absolvierten, gleichzeitig in der Theologie, Jurisprudenz oder Medizin weiter. Magister, die ihr Lehramt an der Artistenfakultät als eine Lebensstellung betrachteten und auf die Graduierung in einer höheren Fakultät lebenslang verzichteten, lassen sich in Paris wie Oxford erst an der Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert feststellen. 83 Da aber eine solche Spezialisierung auf das artistische Lehramt, wenn nicht Voraussetzung, so doch ein günstiger Nährboden für eine ausschließliche Konzentration auf die mathematischen Fächer war, wäre es unangebracht, schon im 13. Jahrhundert nach ausgesprochenen Fachmathematikern in Paris oder Oxford suchen zu wollen. (3) Die biographischen Angaben zu denjenigen Magistern, die durch Veröffentlichungen auf dem Gebiet der quadrivialen Fächer hervortraten, sind häufig zu spärlich, um daraus weitergehende Schlüsse über ihre Lebensstellung oder ihre sonstigen Interessen ziehen zu können. Insbesondere gilt dies für Johannes de Sacrobosco, von dessen Lebensweg fast nichts bekannt ist.84 Bei jenen Magistern, die sich in der Nachfolge von Robert Grosseteste mit der geometrischen Optik auseinandersetzten, d. h. in erster Linie Roger Bacon, Johannes Pecham und Witelo, handelt es sich ausschließlich um theologisch gebildete Kleriker, deren mathematische Interessen teilweise auch im Zusammenhang mit der oben skizzierten Lichtmetaphysik Robert Grossetestes zu sehen sind.8s Ganz anders liegen die Verhältnisse bei der Gruppe Pariser Magister, die um die Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert die aus Spanien und Italien kommenden Vgl. unten S. 45. Vgl. V. L. Bullough: The Medieval Medical University at Paris, S. 205-6. Die Aufhebung der Vorschrift 1452 in CUP IV, Nr. 2690, S. 723. 83 Vgl. hierzu J. Miethke: Zur sozialen Situation, bes. S. 258-9, wo er diesenProzeß als eine stärkere Spezialisierung, ja Professionalisierung der Artisten-Magister bezeichnet. Als frühe, und damit noch untypische Beispiele für den Verzicht auf die Graduierung an einer höheren Fakultät führt er in Paris bereits im 13. Jh. Siger von Brabant und Boethius von Dacien an (S. 259). 84 Die spärlichen, unter dem hier gefragten Gesichtspunkt aber nicht aussagekräftigen Daten zum Leben Sacroboscos finden sich bei L. Thorndike: The Sphere of Sacrobosco, S.2-3. 8S P. Glorieux: Repertoire, Bd. 2, Nr. 312, S. 60-76 (Roger Bacon), und Nr. 316, S. 87-98 (JeanPeckham). Id.: La faculte des arts, S. 386 (Witelo). 81
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Impulse zur Beschäftigung mit der Planetentheorie und den astronomischen Tafelwerken aufgriffen. Weder für Johannes de Lineriis, noch für Johannes de Saxonia und Johannes de Muris läßt sich der Erwerb eines theologischen Grades belegen; auch sind von ihnen nur mathematische, astronomische und musiktheoretische Werke bekannt.86 Es besteht Grund zu der Annahme, daß Johannes de Lineriis und Johannes de Saxonia unter jene professionellen Artistenmagister, die in Paris um jene Zeit erstmals feststell bar werden, zu rechnen sind und zugleich als die ersten an der Universität Paris tätigen Fachmathematiker angesprochen werden dürfen. Es fällt des weiteren auf, daß ihre Schriften fast auschließlich komplizierte technische Aspekte der Astronomie und Mathematik betreffen, die jeden Bezug auf die Theologie vermissen lassen. Vielleicht ist hierin die Ursache dafür zu suchen, daß ihre Werke niemals Aufnahme in das artistische Curriculum gefunden haben. Verglichen mit den beiden eben Untersuchten weist Johannes de Muris ein deutlich anderes Profil auf. Die meisten seiner Arbeiten entstanden an der Sorbonne, auch umfassen sie ein weiteres Spektrum der quadrivialen Wissenschaften. Nicht seine im Kontext der astronomischen Tafeln entstandenen Werke, sondern seine Traktate über Musiktheorie und theoretische Arithmetik machten ihn im ganzen Spätmittelalter als Lehrbuchautor, der im Rahmen des artistischen Curriculums gelesen wurde, bekannt. Anders als Johannes de Lineriis und Johannes de Saxonia verließ er die Universität: Zwischen 1338 und 1342 ist er unter den Geistlichen bei Philipp III. d'Evreux, König von Navarra, nachzuweisen, 1344 war er Kanoniker in M~zi~res-en-Brenne. Johannes de Lineriis und Johannes de Saxonia sollten bis zum letzten Drittel des 14. Jahrhunderts die einzigen nachweisbaren Fachmathematiker an der Universität Paris bleiben.87 Nicole Oresme, der letzte Pariser Magister, von dem noch Beiträge zum Ausbau der mathematischen Disziplinen innerhalb des artistischen Curriculums stammen, bildete sich in der Theologie, in der er 1355 oder 1356 den Magistergrad erwarb, weiter. Sein Interesse an den quadrivialen Fächern steht in einem größeren Rahmen. 88 In Oxford fand die Mathematik hauptsächlich am Merton College ihre Pflegstätte. Von den acht Magistern, die durch Werke auf diesem Gebiet bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts am Merton College faßbar sind,89 standen sechs in einem 86 P. Glorieux: La faculte des arts, S. 222-3 (Jean de Linieres), S. 226-30 (Jean de Murs) und S. 237-8 (Jean de Saxe). Die wichtigsten biographischen Daten sind in den drei von E. Poulle verfaßten Artikeln in DSB 7, S. 122-8 (John 0/Lignreres), S. 128-33 (lohn 0/Murs) und S. 139-41 (lohn o/Saxony) zu finden. Hierauf wird bei den folgenden Ausführungen zurückgegriffen. 87 Vgl. unten S. 58. 88 Alle wichtigen biographischen Daten enthält der von M. Clagett verfaßte Artikel über Nicole Oresme in DSB 10, S. 223-30. 89 Das Folgende hauptsächlich nach A. B. Emden: A Biographical Register und J. A. Weisheipl: Repertorium Mertonense. Diejenigen Magister am Merton College, die
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näheren Verhältnis zur Theologie oder schlugen eine kirchliche Laufbahn ein: William Heytesbury promovierte 1348 zum Doktor der Theologie, John Dumbleton brachte es, vermutlich 1349, zum Bakkalaureus der Theologie, Thomas Bradwardine wurde 1349 Erzbischof von Canterbury, William Rede 1368 Bischof von Chichester, John Maudith erscheint 1343 als Dekan von Auckland, und Simon Bredon wurde 1348 durch päpstliche Ernennung Kanoniker in Chichester. Lediglich über John Ashinden, der einige astrologische Schriftchen verfaßte, und Richard Swineshead, der 1354 die Diakonsweihe empfing, lassen sich keine näheren Angaben machen. Mit medizinischen Interessen, deren Verbindung mit der Mathematik für Italien typisch werden sollte, trat der oben schon genannte Simon Bredon hervor, wobei unklar bleibt, ob er in dieser Wissenschaft einen Grad erworben hat. 90 Aus dieser Reihe ergibt sich auch für Oxford, deutlicher sogar noch als für Paris, ein Übergewicht der Theologen unter denen, die mathematische Studien betrieben. Richard von Wall ingford, früher häufig mit dem Merton College in Verbindung gebracht,91 scheint, da es ihm als Benediktiner unmöglich war, diesem nie angehört zu haben. 92 Es gab also auch außerhalb dieses College in Oxford Möglichkeiten, seine mathematischen Kenntnisse zu vertiefen. Kurz bevor er nach seiner Mutterabtei st. Albans zurückkehrte und dort zum Abt gewählt wurde, erwarb er 1327 in Oxford den Grad eines Bakkalaureus der Theologie.93 Die Tradition der Theologen, die starkes Interesse an den mathematischen Wissenschaften zeigten, setzte sich nördlich der Alpen durch das gesamte 15. und bis in den Beginn des 16. Jahrhunderts hinein fort. So hatte z. B. Johannes von Gmunden, der Begründer der sogenannten Ersten Wiener mathematischen Schule, 1415 in Wien das theologische Bakkalaureat erworben.94 Ebenso ist Nicolaus Cusanus als einer der zahlreichen Theologen, die sich im 15. Jahrhundert
keine mathematischen Werke verfaßten, wurden nicht berücksichtigt. Auf Einzelangaben wurde, da die Daten in den beiden genannten Werken leicht auffindbar sind, im folgenden verzichtet. 90 R. T. Gunther: Early Science in Oxford, Bd. 2, S. 52, erwähnt, ohne seine Quelle mitzuteilen, für 1330 die Promotion zum Doktor der Medizin. C. H. Talbot: Simon Bredon, S. 20 nennt lediglich seine frühen medizinischen Interessen, von einem Grad in der Medizin ist nirgends die Rede. 91 z. B. R. T. Gunther: Early Science in Oxford, Bd. 2, S. 48, allerdings mit der Einschränkung, daß es sich dabei um eine unsichere Überlieferung handle. 92 J. North: Richard ofWallingford, Bd. 2, S. 2-3 und Bd. 3, S. 129-31 (Appendix 14). 93 J. North: Richard ofWallingford, Bd. 2, S. 2. 94 P. Uiblein: Johannes von Gmunden, S. 25 verzeichnet für den 30. August seine Zulassung zum cursor biblicus, S. 28 die Erteilung der höheren Weihen für Weihnachten 1417.
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1. Kapitel: Voraussetzungen und Vorbilder
intensiv mit der Mathematik befaßten, zu nennen. 9S Auch in Ingolstadt sind bis ins dritte Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts noch etliche Theologen zu finden, die ein größeres Interesse für die Mathematik zeigen: Johannes Stöffler, Gregor Reisch und Andreas Stiborius dürften die bekanntesten unter ihnen gewesen sein. Erst als die Mathematik seit etwa 1530 in ein immer enger werdendes Verhältnis zur Medizin trat, verschwand diese Tradition allmählich und unmerklich. 96
ll. Padua und Bologna: Mathematik und Medizin
In drei Aspekten, die für die Geschichte der Mathematik an den Universitäten von entscheidender Bedeutung sind, wichen die italienischen Universitäten von den Universitäten Pariser Typs ab. Unter ihnen sollen hier aufgrund ihrer Vorbildhaftigkeit vor allem Bologna und Padua betrachtet werden. Erstens hingen die Artistenfakultäten mit den medizinischen Fakultäten zusammen, beide bildeten seit dem 14. Jahrhundert eine institutionelle Einheit. Diese organisatorische Zusammengehörigkeit gründete in dem gemeinsamen Kampf der Artisten und Mediziner um die Emanzipierung von den Juristen, die bis dahin auch die Oberaufsicht über diese Fächer ausgeübt hatten; in Bologna wie in Padua endete die Auseinandersetzung im 14. Jahrhundert mit der Etablierung einer selbständigen Artisten- und Medizineruniversität. 1 Für die Mathematik hatte dies, verglichen mit den Universitäten nördlich der Alpen, zur Folge, daß sie noch bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts fast ausnahmslos als Hilfswissenschaft zur Medizin gelehrt wurde,2 eine Beziehung zur Theologie, wie in Paris und Oxford, war nicht gegeben. Der zweite Aspekt betrifft den Charakter des Lehramtes. Von Beginn an existierten auch an den Artistenfakultäten Fachlekturen für die einzelnen Disziplinen des Curriculums. Die Professoren wurden jährlich von den fortgeschrittenen Studenten auf diese Lekturen gewählt, später erlangten die Kommunen durch die Stiftung von Lehrstühlen, deren Besoldung sie übernahmen, ebenfalls Einfluß auf 9S Er erwarb 1422 in Padua den Dr. decr., der als Voraussetzung für eine Kirchenkarriere geeigneter war als eine theologische Ausbildung. Trotzdem muß er, von der Mathematik aus gesehen, unter die Theologen gerechnet werden. 96 Zur Verbindung von Mathematik und Medizin im 16. Jh. vgl. unten S. 119. 1 V gl. zu Bologna H. Rashdall: Tbe Universities, Bd. 1, S. 233-4; allerdings macht er keine genaueren Angaben über den Zeitpunkt oder auch nur Zeitraum, zu dem sich diese Entwicklung abspielte. In Padua war der Verselbständigungsprozeß 1399 abgeschlossen; vgl. A Gloria: Monumenti 1318-1405, Bd. 2, S. 342-5 und H. Rashdall: The Universities, Bd. 2, S. 18. N. Siraisi: Arts and Sciences, S. 23 stellt bis etwa 1350 eine vollkommene Unterordnung der Artisten und Mediziner unter die Juristen fest, die in den folgenden Jahren dann allmählich abgebaut und 1399 endgültig aufgehoben wurde. Allerdings scheint schon 1259 ein eigenes Kollegium der Doktoren der artes und/oder Medizin bestanden zu haben (vgl. ibid., S. 24). 2 Vgl. P. L. Rose: Tbe Italian Renaissance of Mathematics, S. 283-4.
11. Padua und Bologna
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die Zusammensetzung der Lehrerschaft. 3 Die Einrichtung solcher Fachlekturen förderte, verglichen mit Paris oder Oxford, unter anderem auch die Spezialisierung, obwohl die Zahl derer, die ihr Lehramt an der Artistenfakultät als eine Lebensstellung betrachteten, ähnlich wie dort bis zum 15. Jahrhundert sehr gering war. 4 Drittens war an den italienischen Universitäten das lai kaIe Element viel stärker vertreten als in Paris oder Oxford. Die Entstehung aus einer mehr oder weniger reinen Juristenuniversität, an der von den artes höchstens einige der Ausbildung von Juristen nützliche triviale Disziplinen gelehrt wurden,s sowie das für Italien typische Fehlen einer theologischen Fakultät gaben ihnen einen Charakter, in dem das klerikale Moment von untergeordneter Bedeutung war. 6 Der Gesichtspunkt der Berufsausbildung von Juristen und Medizinern, überwiegend aus dem Laienstand, rückte demgegenüber in den Vordergrund. 7 3 Zu den verschiedenen Modellen der Lehrerbesoldung vgl. L. Boehm: Libertas scholastica, S. 32-4. Als älteste Beispiele für die Bereitstellung eines sicheren Salaire durch die weltliche (städtische oder staatliche) Obrigkeit sind hier (S. 34) der 1228 geschlossene Vertrag der Kommune Vercelli mit den nach Padua ausgewanderten Bologneser Scholaren, die Verpflichtung des Grafen Raimund VII. zum Unterhalt von 14 Magistern bei der Gründung der Universität Toulouse 1229/33, und die staatlich besoldeten Professoren an der 1224 gegründeten Universität Neapel angeführt. Dazu, daß die staatliche Obrigkeit, nachdem sie die Besoldung übernommen hatte, auch allmählich das Ernennungsrecht an sich zog, vgl. H. Rashdall: The Universities, Bd. 1, S. 210. 4 Vg\. N. Siraisi in P. Kibre/N. Siraisi: The institution al setting, S. 137. Erst am Beginn des 15. Jahrhunderts findetSiraisi in Italien Universitätsmathematiker, die nicht zur Medizin weitergingen; als Beispiele führt sie Blasius von Parma (+ 1416) und Prosdocimo de'Beldomandi (+ 1428) an. S Vg\. N. Siraisi: Arts and Sciences, S. 34-5. Dies betont auch H. Grundmann: Vom Ursprung der Universität, S. 26-7. 6 In Bologna wurde eine theologische Fakultät 1360 durch Papst Innozenz VI. genehmigt und 1364 eröffnet (vg\. H. Rashdall: The Universities, Bd. 1, S. 251), in Padua nahm eine solche 1363 den Betrieb auf(vgl. ibid., Bd. 2, S.15). 7 Vg\. dazu P. Classen: Zur Bedeutung, S. 286-7, wo der Unterschied zwischen Paris und den italienischen Universitäten gerade auf diesem Feld zutreffend herausgestellt wird. Auf die von H. Grundmann: Vom Ursprung der Universität ausgelöste Diskussion kann hier nicht ausführlich eingegangen werden, doch muB auf seine ungenügende Berücksichtigung der italienischen Universitäten hingewiesen werden. Zwar gesteht Grundmann zu, daß die Universitäten auch Stätten der Berufsausbildung für Juristen, Theologen und Mediziner gewesen seien (S. 37), doch sei nicht dies, sondern das gelehrte, wissenschaftliche Interesse, das Wissen- und Erkennen-Wollen primär und konstitutiv für die Entstehung der Universitäten gewesen (S. 39). Wie stark aber der Aspekt der Berufsausbildung gerade bei dem von Grundmann nur marginal behandelten Studium der Medizin im Vordergrund stand, zeigt sich gerade darin, daß die Änte ständig um die Anerkennung ihres Faches als scientia überhaupt zu kämpfen hatten. Peter von Abano widmete die ganze Diff. 3 des Conciliator (Quod medicina non si! scientia; es wird nach der Ausgabe Mantua 1472 zitiert; da das Exemplar der Bayerischen Staatsbibliothek (Rar. 853) nicht paginiert ist, wird hier jeweils nur die Nummer der Differentia angegeben) der Widerlegung der Behauptung, daß die Medizin keine scientia sei. Diff. 4 (Quod medicina non si! theorica) behandelt die damit zusammenhängende Frage, ob die Medizin eine theoretische Wissenschaft sei oder
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1. Kapitel: Voraussetzungen und Vorbilder
Die theoretischen Grundlagen
Die Bezeichnung Iatromathematik für die astrologische Medizin, das heißt die Anwendung der Astrologie auf die Medizin für Diagnose und Therapie, läßt sich erstmals im Tetrabiblos des Ptolemäus nachweisen.8 Die Sache selbst ist allerdings bedeutend älter als der Begriff; Karl Sudhoffverfolgte die Anfänge der astrologischen Medizin bis ins ZweistromIand zurück.9 Sie fußt auf der Annahme, daß das Schicksal des Einzelnen, und damit auch seine Gesundheit, von den Sternen regiert wird. Nicht nur durch das Geburtshoroskop ist nach dieser Theorie der Lebensweg vorbestimmt, auch aktuelle Gestirnungen können auf den körperlichen Zustand einwirken, indem sie Ursache rur akute Erkrankungen sind. lO So diente die Astrologie dem Arzt als Hilfsmittel bei der Diagnose. Des weiteren hatte der Arzt bei therapeutischen Anwendungen auf den Stand der Sterne zu achten, seine diätetischen Vorschriften danach zu richten und die Tage, an denen er einen Patienten zur Ader lassen wollte, genau auszuwählen. ll Nicht nur das Schicksal des Individuums wird von den Sternen nur auf praktische Anwendung abziele. Dieses Bemühen demonstriert zweierlei: Erstens galt die Anerkennung der Medizin als scientia für die Mediziner durchaus als erstrebenswert, wobei der Legitimationsdruck mit dem Ziel der Gleichstellung mit den als scientiae akzeptierten Fächern gewiß eine Rolle gespielt hat. Zweitens verhinderte dieser niedrigere Status der Medizin als praktische ars keineswegs ihre Integrierung in die Universitäten. Wie sehr das Studium der Medizin in Italien auf die Praxis hin ausgerichtet war, zeigt auch die Einbindung der Otirurgie in den medizinischen Cursus von Bologna schon in der Mitte des 13. Jahrhunderts (vg!. V. L. Bullough: Medieval Bologna, S. 202-4). Somit greift auch die von A Seifert: Studium als soziales System, S. 611 reformulierte These Grundmanns nur teilweise: Die scholastische Erkenntnissuche war dadurch, daß sie sich innerhalb einer auf theoretische Praxis eingeschMlOrenen Gruppe abspielte, gegenüber gruppenextemenNützlichkeitserwägungen und Verwertungsinteressen weitgehend immunisiert. Es bleibt zu fragen, ob eine Verallgemeinerung der Ursachen für die Entstehung so verschiedenartiger Einrichtungen wie der Hohen Schulen von Paris und Bologna und der Medizinerschule von Salerno überhaupt möglich ist. 8 Ptolemäus: Tetrabiblos 1.3, S. 32. Vg!. dazu K. Sudhoff: latromathematiker, S. 7. 9 K. Sudhoff: latromathematiker, S. 3-4. 10 Vg!. dazu Ptolemäus: Tetrabiblos 1lI.12, S. 316-33. 11 Dieser Glaube führte im Spätmittelalter zur Produktion einer Flut von Almanachen und Aderlaßkalendern; vg!. zu den überlieferten Handschriften E. Zinner: Verzeichnis, Nr. 4998-5052 s. v. Jahrbuch, sowie die auf Nr. 5052 folgenden Verweise auf weitere Handschriften; zu den Drucken Idem: Geschichte und Bibliographie, S. 11-23 und im Register s. v. Almanach, Jahrbuch und Kalender; ich zähle bei Zinner bis zum Ende des 15. Jh. unter insgesamt 749 astronomischen Drucken 410 Almanache, Jahrbücher, Kalender und Tafeln der Neu- und Vollmonde; Vorhersagen und Prognostiken wurden nicht mitgezählt. Zur Bedeutung der Tagwählerei bei Hippokrates und Galen vg!. K. Sudhoff latromathematiker, S. 13-7, wobei allerdings zu berücksichtigen ist, daß sich Sudhoff krampfhaft darum bemüht, die beiden Heroen der antiken Medizin aus seiner Untersuchung über einen Gegenstand, bei dem es sich um eine ausgesprochene Verirrung handelt (S. 2), herauszuhalten. Nur bei der Besprechung der von Galen vertieften hippokratischen Lehre von den dies critici kommt er um das Zugeständnis, daß der grosse Galenos hier eine Anleihe bei der auch sonst von ihm für den Arzt für wichtig erklärten Astronomie und MIOhl auch Astrologie habe nehmen müssen, nicht mehr herum (S. 16-7).
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determiniert, auch Epidemien können nach der iatromathematischen Lehre durch die Planeten oder Kometen bedingt sein. 12 Erste Spuren der Verbindung von Medizin und Astrologie lassen sich im Abendland an der Wende vom 12. zum 13. Jahrhundert beobachten. Schon von Ursus von Lodi wurde 1198 ihre Bedeutung fOr die Heilkunst betont,13 Ein anderes frühes Beispiel ist Guilelmus Anglicus, Arzt in Marseille, der 1231 im Kolophon eines Traktates anfUhrt, daß er aufgrund seiner Kenntnis der Sterne den Beinamen Der Astronom erhalten habe. 14 Eine umfassendere Behandlung erfuhr die astrologische Medizin im Abendland jedoch erst gegen Ende des 13. Jahrhunderts durch Amaldus de Villanova und Peter von Abano. 1S Von besonderem Interesse ist hier die von Peter von Abano verfaßte Schrift Conciliator differentiarum philosophorum et praecipue medicorum,16 in welcher er in Quaestionenform versucht, 210 unterschiedliche Meinungen von Philosophen und Ärzten miteinander in Einklang zu bringenP Die ersten zehn Differentiae behandeln Fragen allgemeinen Charakters, die die nicht unumstrittene Legitimation der Medizin als scientia erweisen sollen. 18 Die restlichen Differentiae sind Einzelproblemen gewidmet, die überwiegend rein medizinischen Inhalts sind, teilweise aber auch Grenzfragen, die ebensogut zur Medizin wie zur Philosophie gehören können, betreffen. 19 12 Vgl. z. B. Ptolemäus: Tetrabiblos 11.8, S. 180, 182; zu den Kometen vgl. ibid. n.9, S. 192-4, wo allerdings nur allgemeine Anmerkungen über ihren möglichen schädlichen EinHuß gemacht werden. 13 Vgl. L. White: Medical astrologers, S. 300. 14 Vgl. A Birkenmajer: Le TÖle joue par les medecins, S. 85. IS Vgl. K Sudhoff: latromathematiker, S. 21-3. L. White: Medical astrologers, S. 311 betont die Bedeutung der medizinischen Astrologie als Stimulus schon für die Übersetzungen aus dem Arabischen im 12. Jahrhundert, doch vermag auch er keine Beispiele für eine eingehende Beschäftigung abendländischer Gelehrter mit der Thematik vor dem Ende des 13. Jahrhunderts anzuführen. 16 Zitiert wird nach der Ausgabe Mantua 1472. 17 Ein guter knapper Überblick über den Inhalt des Werkes findet sich bei L. Thorndike: A History, Bel. 2, S. 884-7. Auf S. 888-913 bespricht Thorndike einzelne Aspekte des Schaffens von Peter von Abano, wobei er meist auf den Conciliator als Quelle verweist; besonders wichtig ist hier S. 893-4: Astrological medicine. 18 Im Titel zitiert Peter von Abano jeweils die zu widerlegende Ansicht. Diff. 1: Quod neeessarium non sit medieo eeteras seire speeulationis seientias, Diff. 2: Quod non sit opus medieo logieum esse, Diff. 3: Quod medieina non sit seientia, Diff. 4: Quod medicina non sit theoriea, Diff. 5: Quod medieina non sit artium exeellentissima, Diff. 6: Quod corpus humanum non sit medieine subieetum, Diff. 7: Quod predietum medieine subieetum non uni sed pluribus medicis eommittendum, Diff. 8: Quod doetrinarum ordinariarum numerus non sit trium sed indeftnitus, Diff. 9: Quod natura humana non sit debilitata ab eo quod antiquitus, Diff. 10: Quod quis existens medieus per seientiam astronomie non possit eonferre in salutem egroti. 19 Als Beispiele seien nur die TItel von zwei Differentiae angegeben; Diff. 14: Quod aer sit natura frigidus und Diff. 30: Quod solus sanguis non nutriat.
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1. Kapitel: Voraussetzungen und Vorbilder
Die grundlegende Bedeutung der Kenntnis der speculationis scientiae für den Arzt wird in Differentia 1 dargelegt.20 Den meisten Raum nimmt dabei die Logik ein, mit deren Bedeutung für die Medizin sich auch die gesamte Differentia 2 befaßt. Außer den quadrivialen Wissenschaften betont Peter von Abano auch die Unerläßlichkeit einer Schulung in Rhetorik, scientia naturalis und Metaphysik. Das Verständnis der Arithmetik, besonders der Zusammensetzung der Zahlen und BrUche, sei unverzichtbar zur Berechnung der dies critici, des weiteren als Hilfswissenschaft zur Musik und Astrologie.21 Etwas gezwungen erscheint die Argumentation zugunsten der Geometrie: Durch sie könne der Arzt die Gestalt von Wunden interpretieren und die Heilungschance abschätzen;22 außerdem diene auch sie als Hilfswissenschaft zur Astrologie. 23 Für die Musik beschränkt sich Peter von Abano auf einen Hinweis auf Differentia 83, wo die Frage, ob im Puls eine musikalische Konsonanz zu finden sei, behandelt wird. 24 Allein schon der jeweilige Umfang zeigt, daß der Astrologie unter den quadrivialen artes die größte Bedeutung beigemessen wurde: Die Arithmetik beansprucht fünf Zeilen, die Geometrie zehn, die Musik nur eine, die Astrologie dagegen 34.25 Besonders vom Stand des Mondes und der Planeten hänge die Wahl des Zeitpunktes, zu dem bestimmte Therapien angewandt werden dürfen, ab, weshalb die Astrologie nicht der am geringsten zu schätzende Teil der Medizin sei.26 In die Hände eines der Astrologie unkundigen Arztes solle man sich am besten erst gar nicht begeben.27
20 Zur DitT. 1 vgl. auch N. Siraisi: Arts and Sciences, S. 51 (Rhetorik), 58 (Logik), 70 (Arithmetik), 75 (Geometrie), 83 (Astrologie), 97 (Musik) und 109 (naturalis seientia und Metaphysik). 21 Peter von Abano: Conciliator, DitT. 1: Est et neeessaria arismethiea numerorum scientia et in se quantum ad dies eretieos de quibus negotiatur plurimum medicina ut per eam seiat eompositonem numerorum et fraetionum eorumque naturas. Et in eo quod ad alias ordinatur mathematieas ut musieuam et preeipue astrologiam. Die Lehre von den dies eritiei gab an, an welchen Tagen des synodischen Monats bestimmte therapeutische Anwendungen erlaubt oder verboten sind. 22 Peter von Abano: Conciliator, DitT. 1: Eget etiam geometria seientia magnitudinum mensurativa ut ea vulnerum eognoseatftguras. 23 Peter von Abano: Conciliator, DitT. 1: Neeessaria etiam existit inquantum ad astrologiam ordinatur. 24 DitT. 83: Quod musiealis eonsonantia reperitur in pulsu. 25 Es sei nochmals darauf verwiesen, daß die Ausgabe von Mantua 1472 zugrunde gelegt wurde. 26 Petervon Abano: Conciliator, DitT. 1: Neeessitate quoque non modica sibi neeessaria extat astrologia, que est seientia quantitatum et motuum eelestium eorporum in se ae in suis effeetibus universaliter eonsiderativa, ut ea medicaminibus eleetis utatur temporibus, quibus est luna felieibus eontemperata pklnetis. (.•• ) Qui vero ea que de re altissima traetavimus rata tenent et eredunt, norint astronomiam medieine non minimam partem esse. 27 Peter von Abano: Conciliator, DitT. 1: Cuiusmodi est medicus, qui astrologiam ignorat, nullus debet se in eius manus ponere.
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In detaillierterer Form geht Peter von Abano nochmals in Differentia 10 auf die Wichtigkeit der Astrologie ein. 28 Ein weiteres Mal betont er, daß die Medizin ohne die Astrologie nicht auskommen könne 29 und streicht ihren Nutzen sowohl für die Diagnose als auch für die Therapie heraus. 30 Den Beweis hierfür gliedert er in fünf Schritte, wobei er vom Nachweis des allgemeinen (1) und speziellen (2) Einflusses der Himmelskörper ausgehend, die Möglichkeit für den Arzt, diese Einflüsse zu erkennen, nachweist (3), um dann, wiederum allgemein (4) und speziell (5), den Beitrag der Astrologie zur Gesundung eines Kranken zu diskutieren. 31
Entsprechend spielen astrologische Argumente in den übrigen, EinzeIproblemen gewidmeten Differentiae des Conciliatoreine wichtige Rolle. 32 Im Zentrum steht dabei die Beachtung des Mondlaufes, nach welchem sich die Lehre von den dies critici richtet,33 der aber auch bei Anwendungen wie z. B. dem Aderlaß berücksichtigt werden muß. 34 Daß die im Conciliator geäußerten Ansichten bezüglich des Nutzens der quaörivialen Fächer und besonders der Astrologie für die Medizin der an den italienischen Universitäten vorherrschenden Meinung entsprachen, wird sich sogleich bei der Behandlung des Curriculums zeigen. 3S Weniger aussagekräftig ist die Überlieferung des Traktates im Spätrnittelalter. Es sind lediglich vierzehn Handschriften aus dem 14. und 15. Jahrhundert, die ihn enthalten, bekannt.36 Erst die Erfindung des Buchdruckes verhalf ihm innerhalb von kürzester Zeit zu weiter Zu Diff. 10 vgl. vor allem auch N. Siraisi: Arts and Sciences, S. 83-5. Peter von Abano: Conciliator, Diff. 10: Illi vero, qui sequuntur medieinam sieut debent et suorum maiorum dicta diligenter inspiciunt, concedunt hanc scientiam astronomie non solum utilem sed et necessariam maxime medieine ... 30 Peter von Abano: Conciliator, Diff. 10: Scientia astronomie confert medieine operative dupliciter. Primo quidem debite corporiapplicandotria instrumenta medicine, dietam quidem, potionem, er cirurgiam ... Confert et alio modo in prognostieando. 31 Peter von Abano: Conciliator, Diff. 10: Primo quod corpora celestia in hec agunt inferiora. Secundo quot et quibus modis. Tertio quod medieus existens astrowgus huius potest cognitionem habere. Quarto quod confert astrowgia ad salutem egroti. Quinto quibus quotque modis. 32 Zahlreiche Einzelbeispiele finden sich verstreut bei L. Thomdike: AHistory, Bd. 2, 28
29
S.891-9oo.
33 Vgl. vor allem Peter von Abano: Conciliator, DitI 104: Quod vigesima et decimaseptima dies sit magis cretica et indicativa vicesimaprima et vieesimaquarta und DitI 105: Quod crisis xiiii diei sit fortior ea que septima. 34 Vgl. Peter von Abano: Conciliator, Diff. 168: Quod in prima quadra lunationis amplius quam in reliquis competat Jleubotomia. 35 Vgl. dazu auch Ch. B. Schmitt: AristoteIes bei den Ärzten, S. 245, wo er im Anschluß an eine kurze Darstellung des Inhaltes von Diff. 1 schreibt: Diese Verbindung von Disziplinen bildete während der folgenden Jahrhunderte in Italien das allgemein güüige Modell für den medizinischen Studienbetrieb. 36 L. Thomdike: Manuscripts ofthe writings ofPeterofAbano, S. 202-3 fUhrt 14 Handschriften an, unter denen eine verschollen ist (Erfurt); mindestens fUnf der Handschriften sind unvollständig. 4 Schöner
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1. Kapitel: Voraussetzungen und Vorbilder
Verbreitung. Die Editio princeps erschien 1471 in Venedig,37 weitere Ausgaben in schneller Folge in den Jahren 1472, 1476, 1483, 1490 und 1496,38 also zu einer Zeit, in der auch nördlich der Alpen der Einfluß der Iatromathematik auf die Universitäten immer stärker spürbar wurde. 39 Andere astrologische Werke von Peter von Abano, die einen direkten Bezug zur Medizin besitzen, nämlich die Abhandlung De motu octave spere, der wie der Conciliator in Quaestionenform abgefaßte Lucidator dubitabilium astrologie, und eine Sammlung astrologischer Imagines hatten verglichen mit dem Conciliator eine geringere Wirkung. Lediglich die Imagines wurden 1488 von dem Ingolstädter Magister Johannes Engel, der 1492 an seine Mutteruniversität als Mathematiklektor berufen werden sollte, als zweiter Teil seines Astrolabium planum abgedruckt. 4O
Das italienische Modell Die anderen intellektuellen Voraussetzungen, kombiniert mit dem nördlich der Alpen noch nicht praktizierten System der besoldeten Fachlekturen, führten an den italienischen Universitäten, verglichen mit Paris und Oxford, erstens zu einer erheblichen Erweiterung des artistischen Curriculums und zweitens zu einer tiefergehenden Spezialisierung derer, die die mathematischen Fächer lehrten. Die Ausbildung von Experten, vielleicht sogar mit der Möglichkeit einer Graduierung nur in der Astrologie, wurde auch dadurch gefördert, daß die Lektoren der Mathematik über die reine Lehre hinaus auch praktische, vor allem astrologische Aufgaben erfüllen mußten. Schon seit dem 13. Jahrhundert scheinen in Padua und Bologna die mathematischen Fächer, besonders die Astrologie, gelehrt worden zu sein, doch sind von keiner der beiden Universitäten Statuten, die über den Studiengang an der Artistenfakultät Aufschluß geben, aus dem 13. oder 14. Jahrhundert erhalten.41 Die ersten bekannten Statuten der medizinischen und artistischen Universität in Bologna, welche die im artistischen Kurs vorzutragenden Textbücher auflisten, stammen aus dem Jahr 1405,42 doch ist anzunehmen, daß sie größtenteils einen 37 So L. Thomdike: A History, Bd. 2, S. 919. Bei A. C. K1ebs: Incunabula, ist diese Ausgabe nicht elWähnt. MerkwürdigeIWeise beschränkt sich Thomdike auf die Feststellung, daß diese Ausgabe im British Museum nicht vorhanden sei, ohne ein anderes Belegexemplar angeben zu können. 38 A. C. K1ebs: Incunabula, S. 250, Nr. 773,1 (Mantua 1472), 773.2 (Venedig 1476), 773.3 (Venedig 1483), 773.4 (pavia 1490),773.5 (Venedig 1496), 773.6 (Venedig 1496). 39 Vgl. unten S. 83 und S. 87. 40 Vgl. L. Thomdike: Manuscripts of the writings of Peter of Abano, S. 209 und N. Siraisi: Arts and Sciences, S. 81. 41 Zu Bologna vgl. E. Bortolotti: La scuola matematica, S. 7-8, zu Padua N. Siraisi: Arts and Sciences, S. 67 und 78-81. 42 Ed. C. Malagola: Statuti, S. 213-307; die Liste der Textbücher auf S. 274-6.
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schon im 14. Jahrhundert erreichten Stand reflektieren. 43 Gegenüber den in Oxford im Curriculum enthaltenen und auch in Paris gelehrten Fächern fällt auf, daß der Astronomie und Astrologie viel mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird, die elementaren Teile aber sehr viel Übereinstimmungen mit den Curricula an den Universitäten nördlich der Alpen aufweisen. Im einzelnen wurde im Verlauf eines vierj ährigen Kurses folgendes gelesen: Im ersten Jahr das Rechnen mit ganzen Zahlen und Brüchen, vermutlich nach Johannes de Sacrobosco und Johannes de Lineriis, das erste Buch der Elemente Euklids in der Ausgabe von Campanus de Novara, die Al fonsini schen Tafeln mit Erklärungen, wahrscheinlich in der von Johannes de Saxonia besorgten Ausgabe,44 und die Theorica planetarum; im zweiten Jahr der Tractatus de sphaera, wobei fast mit Sicherheit anzunehmen ist, daß auf das Lehrbuch von Johannes de Sacrobosco zurückgegriffen wurde, das zweite Buch der Elemente Euklids, die Canones super tabulis de linerijs, also wohl die Erklärungen, die Johannes de Lineriis zu den trigonometrischen Tafeln verfaßt hat,45 und der Traktat De compositione et utilitate astrolabii von Messahala;46 im dritten Jahr der Liber isagogicusvon Alcabitius,47 das pseudo-ptolemäische Centiloquium mit dem dazugehörigen Kommentar von Rali ben Ridwan,48 das dritte Buch der Elemente Euklids und der Tractatus quadrantis, wahrscheinlich nach Robertus Anglicus;49 im vierten und letzten Jahr schließlich das Quadripartitum von Ptolemäus,50 ein iatromathematischer Liber de urina non visa und das dritte Buch des Almagests von PtoJemäus, weIches der Bewegung der Sonne und den Jahrespunkten gewidmet ist.51
46
Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.
47
Vgl. F. J. Carmody: Arabic Astronomical and Astrological Sciences, S. 144-5, Nr.
43 44
4S
1.1.
27.1.
N. Siraisi: Arts and Sciences, S. 76, 151 und 168. oben S. 34. oben S. 34. F. J. Carmody: Arabic Astronomical and Astrological Sciences, S. 23-5, Nr.
Vgl. F. J. Carmody: Arabic Astronomical and Astrological Sciences, S.I6-7, Nr.3. Vgl. N. Siraisi: Arts and Sciences, S. 77. 50 Dies ist die lateinische Übersetzung des oben (S. 46) bereits erwähnten Tetrabiblos, wobei ab hier der Titel Quadripartitum, der im lateinischen Mittelalter üblich war, verwendet werden soll. SI C. Malagola: Statuti, S. 276: In astrologia in primo anno primo Iegatur algorismi de minutis et integris, quibus lectis, legatur primus geumetrie Euclidis cum comnmento Campani. Quo lecto, legantur tabule Al/onsi cum canonibus. Quibus Iectis, Iegatur theorica planetarum. In secundo anno prima legatur tractatus de sphera, quo Iecto, Iegatur secundus geumetrie Euclidis, quo lecto Iegantur canones super tabulis de linerijs. Quibus lectis, legatur tractatus astrolabij Meschale. In tertio anno, primo Iegatur AlJcabicius, quo Iecto legatur Centiloquium Ptolomej cum commento haly. Quo Iecto Iegatur tertius geumetrie, quo lecto, legatur tractatus quadrantis. In quarta anno primo Iegatur quadripartitus totus, quo lecto, legatur liber de urina non visa. Quo Iecto, Iegatur dictio tertia almagesti. Dictis annis completis, et completis dictis libris in dicto termino, fiat circulus, et redeatur ad lecturam primj anni postea ad lecturam secundi ann~ et sic per ordinem. 48
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1. Kapitel: Voraussetzungen und Vorbilder
Der Kurs ist didaktisch geschickt gegliedert: Vom Einfacheren schreitet er allmählich zum Schwierigeren fort; lediglich die Ansiedlung des Tractatus de sphaera im zweiten Jahr, nachdem bereits die Alfonsinischen Tafeln und die Theorica planetarum vorgetragen worden waren, flU1t etwas aus dem Rahmen. Signifikant ist, daß unter den Textbüchern der ersten zwei Jahre die Pariser Lehrbuchliteratur überwiegt. Dies zeigt, daß zu Beginn des 14. Jahrhunderts, als die Lehre der Mathematik an den italienischen Universitäten organisiert wurde, starke Anstöße zur Entwicklung des Curriculums aus dem Norden kamen.52 Sogar der Pariser Brauch, mathematische Vorlesungen auf die Feiertage zu legen,53 wurde in Bologna übernommen. 54 Die Erweiterungen des Kanons der Textbücher fanden dann jedoch im Norden keine Entsprechung mehr. Gemäß den Anforderungen der Medizinerausbildung kamen in erster Linie astrologische Traktate hinzu, mit dem Traktat De compositione et utilitate astrolabii von Mesahala und dem Tractatus quadrantis von Robertus Anglicus außerdem einige Schriften über Analog- und Beobachtungsinstrumente, deren Kenntnis der Arzt zur Berechnung vergangener und zur Bestimmung aktueller Gestirnungen brauchte. Beruhrungsängste gegenüber arabischen Autoritäten, die in Paris im 13. Jahrhundert zur Ablösung der arabischen isagogischen Literatur durch christliche Autoren geruhrt hatten,55 spielten dabei keine Rolle. Bei den Ärzten, die auch auf Averroes oder Avicenna ohne Bedenken zurückgriffen, waren solche unbekannt.56 Nicht ganz gesichert ist, ob es in Bologna sogar möglich war, im Rahmen einiger Fächerkombinationen einen eigenen Grad in der Astrologie zu erwerben; verschiedene Indizien deuten in diese Richtung.57 An verschiedenen Stellen der 52 Wie sich das Corpus Astronomieum der an den Universitäten gelehrten astronomischen Fächerzuerst um die Schriften von lohannesde Sacroboscozu formieren begann und dann sukzessive elWeitert wurde, wobei die zentrale Stellung der Schriften Sacroboscos immer erkennbar blieb, zeigt aufgrund eingehender Handschriftenstudien überzeugend O. Pedersen: The Corpus Astronomicum, S. 73-82. 53 Vgl. oben S. 25. 54 Vgl. C. Malagola: Statuti, S. 259: De hora qua debent legere doetores eleeti ad salaria. Rubriea lij. (... ) eleetus ad astrologiam legat a principio studij usque ad earnisprivium omni die festivo de sero, hora vesperarum parvarum; post earnisprivium vero legat omni die festivo de mane. 55 Vgl. oben S. 28ft'. 56 Zum Problem des sogenannten Paduaner Averroismus vgl. N. Siraisi: Arts and Sciences, S. 136-9. Zu den Schriften von Averroes und Avicenna, die im Rahmen des medizinischen Kurses gelesen wurden, vgl. C. Malagola: Statuti, S. 274-6, zusammengefaßt bei V. L. Bullough: Medieval Bologna, S. 213-4. 57 Vgl. H. Rashdall: The Universities, Bd. 1, S. 242 und N. Siraisi in P. Kibre/N. Siraisi: The institutional setting, S. 138; Siraisi gibt folgende Kombinationen an: Alle artes und Philosophie, Logik und Philosophie, Grammatik und Rhetorik, Philosophie und Astrologie, Medizin und eine der artes; allerdings vermag ich aus der von ihr hierfür angegebenen Quelle (C. Malagola: Statuti, S. 274-5, d. i. der eben beschriebene Katalog der im Curriculum zu lesenden Textbücher) dies nicht herauszulesen. In Padua war die Graduierung in einzelnen Fächern nicht möglich (vgl. N. Siraisi: Arts and Sciences, S. 31).
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Statuten ist von denjenigen, die in aliqua artium promovieren wollen, die Rede,58 wogegen einmal nur ein allgemeines Lizentiat in artibus genannt ist.59 Auch die Regelung der Einschreibepflicht unterschied nach Studenten einzelner artes oder der Chirurgie, Philosophie und Notarskunst. 60 Schließlich trennte die Vorschrift über den Kreis von Studenten, die berechtigt waren, jährlich die Lektoren zu wählen, nach Studenten einzelner Fächer. 61 Danach durfte ein Student, der ein Jahr die Medizin und am Morgen - d. h. ordinarie - die Physik gehört hatte, die Professoren für die Medizin und die artes mitwählen, wer zwei Jahre die Logik und ein Jahr Philosophie gehört hatte, die Doktoren der Logik, Philosophie, Rhetorik und Astrologie, wer zwei Jahre Logik gehört hatte, die Lektoren der Logik und Rhetorik, und wer sich zwei Jahre nur der Rhetorik gewidmet hatte, den Lehrer für dieses Fach. Zwar ist die Studentenschaft nach einzelnen Fächern aufgeschlUsseIt, die Astrologie aber fehlt hier als Spezial studium. Eine letztgUltige Entscheidung, ob ein Fachstudium nur in den quadrivialen Fächern zulässig war oder nicht, kann nicht getroffen werden. Der zweite Aspekt, in dem sich die italienischen Universitäten von den Hohen Schulen nördlich der Alpen essentiell unterschieden, betraf den Charakter des artistischen Lehramtes. Die Lektoren für die Fächer des artistischen Curriculums wurden nicht, wie dies an den Universitäten Pariser TYps bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts üblich war, jedes Semester oder Jahr durch das Los bestimmt, sondern durch die Studentenschaft auf besoldete Fachlekturen gewählt. Später verdrängte die Ernennung durch die Kommunen, die auch den Unterhalt der Lehrkräfte übernahmen, allmählich dieses studentische Wahlrecht. Fachlektoren für die Astrologie lassen sich seit dem 14. Jahrhundert in Bologna, Padua, Florenz, Pavia und Siena nachweisen, seit dem 15. Jahrhundert an allen italienischen Universitäten.62 Die Aufgaben dieser Fachlektoren beschränkten sich meist nicht auf die reine Lehre der im artistischen Curriculum vorgeschriebenen mathematischen Fächer, 58 Vgl. C. Malagola: Statuti, S. 255: DeJuramento examinandorum in medicina quam in artibus. Rubrica xxxxv. Item statuerunt quod si aliquis scolaris voluerit promoverj in medicina seu aliqua artium (... ); ibid., S. 256: De se sacramento publicandorum tam in medicina quam in artibus. Rubrica xxxvj. Item statuerunt quod quilibet promovendus tam in medicina quam aliqua liberalium artium (... ). 59 Vgl. C. Malagola: Statuti, S. 272: Quod licentiandi in artibus tantum solvantquantum licdentiandi in medicina. Rubrica lxxij. Statuerunt etiam quod quilibet scolaris de cetero examinandus vellicentiandus vel conventuandus in artibus ( ... ). 60 Vgl. C. Malagola: Statuti, S. 287: De matricula artistarum quolibet anno fienda. Rubrica Ixxxxiiij. ( ... ) quilibet scolaris forensis studens in cyrugia, loyca, phylosophya sive astrologia vel grammatica vel notaria, (... ). 61 Vgl. C. Malagola: Statuti, S. 305-6: De his qui possunt dare vocem in universitate, et quibus est prohibitum dare vocem et ad scruptinium admitti. Rubrica cxvj. 62 Eine soweit als möglich vollständige Liste der Astrologie- und Mathematiklektoren an italienischen Universitäten findet sich bei M. Biagioli: The Social Status, S. 91-5. Für Bologna, das in dieser Liste fehlt, verweist Biagioli aufU. Dallari: I rotuli dei lettori.
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1. Kapitel: Voraussetzungen und Vorbilder
sondern umfaßten auch praktische Arbeiten im Auftrag der Universität und ihrer Mitglieder. So mußte in Bologna der Astrologielektor63 für die Studenten kostenlos innerhalb eines Monats nach Bestellung astrologische Juditien abgeben.64 Zwei astrologische Quaestionen hatte er jährlich zu disputieren, einmal mußte er eine astrologische Disputation de quolibet abhalten. Diese war zur Veröffentlichung an der statio bei den Pedellen zu hinterlegen.6s Ebenfalls zur Publikation war eine Jahresprognostik, die er zu verfassen hatte, bestimmt.66 Besonders die Jahresprognostik, die sich natürlich in erster Linie an Ärzte, die ihre Therapien nach dem Kalender richteten, wandte, aber auch allgemeine Angaben über das zu erwartende Wetter, Kriege, etc. enthielt,67 diente auch zur Repräsentation der Universität nach außen. Ihr Beispiel sollte an den deutschen Universitäten, schon lange ehe das italienische Modell dort größere Auswirkungen zeigte, Schule machen. 68 Der Astrologielektorin Bologna wurde von den Studenten gewählt und von der Kommune besoldet. 69 Es dürfte sich also um einen Lektor handeln, dessen Unterhalt erst nachträglich von der Bürgerschaft übernommen wurde. Seine Pflichten erstreckten sich ausschließlich auf Dienste für Mitglieder der Universität. 63 Zur Astrologielektur in Bologna vgl. auch besonders E. Bortolotti: La scuola matematica, S. 7-9; zu seinen über die Lehre hinausgehenden Pflichten A Agostini: Gli obblighi, S. 58. 64 Vgl. C. Malagola: Statuti, S. 264: Quod doctor electus ad salarium in astrologia det iudicia gratis, et etiam teneatur disputare. Rubriea Lx. [tem statuerunt, ordinaverunt et firmaverunt quod doctor electus ad salarium ad legendum in astrologia, teneatur iudieia dare gratis scolaribus dicte Universitatis infra unum mensem postquam fuerint postulata, ( ). 6S Vgl. C. Malagola: Statuti, S. 264 (immer nochRubrica Lx): [tem quod doctor electus ad salarium astrologie teneatur et debeat quolibet anno disputare duas questiones in astrologia et eas determinare infra octo dies a die diete disputationis et etiam teneatur disputare de quolibet in astrologia semel adminus, et dictum quodlibet determinare, ut supra, et dictas questiones et dictum quodlibet in scriptis ad stationem ponere et dare de bona littera et in bonis cartis membranis, non abrasis ad formam modi maioris infra quindecim dies post determinationem. Et dicte questiones continue stent in statione, ut de eis copia habeatur. Zur statio, wo die zur Veröffentlichung bestimmten Bücher hinterlegt wurden, vgl. C. Malagola: Statuti, S. 285-6: De libris venalibus ad stationem generalium bidellorum ponendis. Rubrica lx:ccxij. 66 Vgl. C. Malagola: Statuti, S. 264 (immer noch Rubrica Lx): (••• ) teneatur (... ) et etiam singulariter iudicium annj in scriptis ponere ad stationem generalium Bidellorum ( ... ). 67 Vgl. A Agostini: Gli obblighi, S. 58-9. 68 Vgl. unten S. 74ff. (f} Zur Wahl vgl. C. Malagola: Statuti, S. 257: De modo et forma electionis doctorum ad salaria electorum. Item providerunt, ordinaverunt et firmaverunt quod dominus Rector presens, et qui pro tempore fueril, precise teneatur et debeat quolibet anno de mense Maij Universitatem facere congregarj infra tres dies, et in dieta Universitate eligi facere (... ) quendam [sc. doctorem] in astrologia, videlicet solum unum (... ). Daß er von der Kommune besoldet wurde ergibt sich aus ibid., S. 259: De hora qua debent legere doctores electi ad salaria. Rubrica lij. (... ) quod quilibet electus vel de cetero eligendus ad salaria Communis Bononie (... ) electus ad astrologiam (... ).
...
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Anders verhält es sich mit einer zweiten, mehr der Mathematik im eigentlichen Sinn des Wortes gewidmeten Lektur, Ad Arithmeticam, Lectura Abbach~ Arsmetrice oder auch Geumetrie genannt, die sich seit dem Ende des 14. I ahrhunderts nachweisen läßt.70 Die Statuten von 1405 treffen über den Inhaber dieser Lektur keine Anordnungen, so daß der Schluß nahe liegt, die Universität habe über ihn keinerlei Verfügungsgewalt besessen. Auch die Vorschriften über seine zusätzlichen Pflichten verstärken den Eindruck, daß es sich mehr um einen Mathematiker in städtischen Diensten als um einen Universitätslektor handelte: er mußte im Auftrag der Kommune Vermessungsarbeiten vornehmen und die Rechnungsbücher auf ihre Richtigkeit hin überprüfen.71 Der Arithmetiklektor besaß gegenüber dem Astrologielektor ein geringeres Ansehen; der von ihm vertretene Bereich galt in der wissenschaftlichen Hierarchie als weniger vornehm. 72 Außerdem war der Nutzen der Mathematik im eigentlichen Sinn bezüglich der Medizin geringer als der der Astrologie. 73 Auch in Padua ist erst gegen Ende des 14. Jahrhunderts eine verstärkte Hinwendung zu den eigentlich mathematischen Fächern zu konstatieren. 74 Entsprechend dominierten auch an den Universitäten im Reich, als der italienische Einfluß zu wirken begann, zuerst die Astronomie und die Astrologie. Hauptsächlich das Interesse an diesen Fächern in der Verbindung mit der Medizin veranlaßte dort die Einrichtung von Fachlekturen seit dem Ende des 15. Jahrhunderts; 75 Arithmetik und Geometrie fristeten in ihrer dienenden Funktion noch lange ein Schattendasein an den deutschen Universitäten. Die Ausstrahlung des italienischen Modells
Hatte einerseits die in Paris entstandene Lehrbuchliteratur am Beginn des 14. Jahrhunderts als Grundlage für die Entwicklung des artistischen Curriculums in den mathematischen Fächern an den italienischen Universitäten gedient, so läßt sich spätestens ab der Mitte des Jahrhunderts ein umgekehrter Einfluß beobachten, Zu dieser Lektur vgl. E. Bortolotti: La scuola matematica, S. 9-12. Vgl. U. Dallari: 1 rotuli dei lettori I, S. 5: ( ... ) omnem mensuram te"e et muri et generaliter cuiuslibet laborerii communis Bononie mensurare et agrimensare, et etiam omnes rationes communis Bononie male visas et chalculatas revidere et refformare.. Zu diesen Pflichten vgl. A. Agostini: Gli obblighi, S. 9-10. 72 Besonders betont wird der niedere soziale Status der Arithmetiklektoren von M. Biagioli: The Social Status, S. 43: Therefore, at the begining oftheRenaissance, we find a quite literal socic;-professionaldistinction between 'terrestrial' and 'celestial' mathematicians. 73 Vgl. dazu die Ausführungen von Peter von Abano im Conciliator, oben S. 47. 74 Vgl. A Favaro: 1 lettori, S. 5-6 zur Unterordnung der eigentlichen Mathematik unter die Astrologie und S. 24-9 zu Biagio Pelacani von Parma, der erstmals in Padua die Mathematik aus dieser dienenden Rolle herausgeführt habe. Zu Biagio Pelacani vgl. DSB 2, S. 192-5 (Blasius of Parma). 75 Vgl. unten S. 91ft". und S. 222. 70 71
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1. Kapitel: Voraussetzungen und Vorbilder
der sich im allmählichen Eindringen der Astrologie und auch der Iatromathematik, besonders in Paris, manifestierte. Seit der Kirchenväterzeit hatte die Astrologie prinzipiell als eine verbotene Wissenschaft gegolten. 76 Trotzdem war weder in Paris noch in Oxford die grundlegende Annahme eines naturgegebenen Einwirkens der Sterne, Planeten und des Äthers je in Frage gestellt worden; zu offensichtlich war z. B. die Abhängigkeit der Jahreszeiten vom Sonnenlauf oder der Gezeiten vom Mondlauf. J. D. North hat kürzlich betont, daß auch die Lichtmetaphysik von Robert Grosseteste auf dieser These basierte.77 Doch die judizielle Astrologie fand im 13. Jahrhundert weder in Paris noch in Oxford eine Heimstätte. Die Grunde für ihre Ablehnung waren hauptsächlich theologischer Natur: Die Determinierung der Zukunft durch die Sterne widerspricht der Lehre vom freien WilIen. 78 Erst gegen Ende des 13. Jahrhunderts begannen sich die Anzeichen für eine intensivere Beschäftigung mit der Astrologie in Paris zu mehren. Peter von Abano hat vermutlich den größten Teil des Conciliator während seines dortigen Aufenthaltes verfaßt, ihn vielleicht sogar in Paris vollendet, jedoch nicht dort veröffentlicht.79 Trotzdem darf dieser kaum als ein dem Pariser Umfeld entstammendes Werk betrachtet werden. Erstens waren die kulturellen Einflüsse, die auf Peter von Abano vor seiner Ankunft in Paris wirkten, zu vielgestaltig, als daß sie sich nur nach Paris zurückverfolgen ließen; seine Reisen hatten ihn vorher bis nach Konstantinopel geführt, eventuell auch nach England, Schottland und Spanien, wo die Chancen, Bekanntschaft mit der astrologischen Medizin zu machen, 76 Vg\. z. B. Aurelius Augustinus: De civitate dei V, 7 (= Bd. 1, S. 135): An eos [sc. mathematicos] paenitebit his rebus dies eligere easque ad caeleste negabunt pertinere decretum, et solos sideribus subdent homines, quibus solis in te"a Deus dedit liberas voluntates? His omnibus consideratis non inmerito creditur, cum astrologi mirabiliter multa vera respondent, occulto instinctu fieri spiritum non bonorum, quorum cura est has falsas et noxia opiniones de astralibus fatis inserere humanis mentibus atque firmare, non horoscopi notati et inspecti aliqua arte, quae nulla est.; vg\. dazu L. Thomdike: AHistory, Bd. 1, S. 513-4. 77 Zur grundlegenden Anerkennung des himmlischen Einflusses durch Gelehrte wie z. B. Robert Grosseteste, Roger Bacon, Johannes Pecham, Thomas von Aquin und Siger von Brabant vg\. J. D. North: Celestial influence, S. 62--82; zur Lichtmetaphysik ibid., S. 64-6. Vgl. zur Lichtmetaphysik auch oben S. 38. 78 Vgl. J. D. North: Celestial influence, S. 66. 79 Der Conciliator war 1303 im Prinzip vollendet (vg\. L. Thomdike: AHistory, Bd. 2, S. 878-9), enthält jedoch Ergänzungen, die nicht vor 1310, als Peter von Abano bereits in Padua tätig war, angebracht worden sein können (vg\. N. Siraisi: Arts and Sciences, S. 59 Anm. 129). Wann Peter von Abano Paris verlassen hat, läßt sich nicht mit Sicherbeit sagen. N. Siraisi: Arts and Sciences, S. 59 gibt hierfür ohne Quellenbeleg das Jahr 1306 an, wobei sie vermutlich das Datum aus seiner Ankunft in Padua in diesem Jahr abgeleitet hat. Zum letzten Mal läßt er sich aber in Paris im Jahr 1295 nachweisen (vg\. L. Thomdike: A History, Bd. 2, S. 877). Noch vor 1303 muß er sich mit Marco Polo in Italien getroffen haben (ibid., S. 878), wobei unklar ist, ob er damals bereits dauerbaft oder nur vorübergehend nach Italien zurückgekehrt war. Fbensowenig läßt sich entscheiden, ob zwischen Peter von Abanos Pariser und seiner Paduaner Zeit noch eine Lehrtätigkeit in Bologna lag (ibid., S. 879).
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ungleich besser waren als in Paris.8o Zweitens fand seine Konzeption der Medizinerausbildung mit ihrer starken Betonung der Astrologie vorläufig keinerlei Widerhall im Curriculum der medizinischen Fakultät in der Seinemetropole.81 Und drittens sind die Motive, deretwegen Peter von Abano Paris verließ und nach Italien zurückkehrte, um von 1306 bis zu seinem Tod als Professor der Medizin in Padua zu wirken, völ1ig unbekannt. Es wäre jedoch zumindest denkbar, wenn auch nicht beweisbar, daß ihn die günstigeren Voraussetzungen in Italien für die Realisierung seiner Vorstellungen zum Ortswechsel führten. Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß die Bereitstellung von astronomischen Tafelwerken und die Fähigkeit, mit ihnen umzugehen, unabdingbare Voraussetzungen zur Berechnung von Nativitäten und Horoskopen sind.82 Diese Voraussetzungen wurden in Paris in den Jahren nach 1320 durch Johannes de Lineriis, Johannes de Muris und Johannes de Saxonia geschaffen. Der Letztgenannte kommentierte auch 1331 den Liber Isagogicus von Alcabitius, der, wie bereits gesagt wurde, zur populärsten Einführungslektüre für die Astrologie an den italienischen und später auch an den deutschen Universitäten wurde.83 Direkt greifbar wird die Iatromathematik in Paris zur Mitte des 14. Jahrhunderts indem 1348 im königl ichen Auftrag erstell ten Gutachten der medi zini schen Fakultät über die Pestepidemie, die seit 1347 ganz Europa heimsuchte. 84 Der erste der bei den nach scholastischem Brauch summae genannten Gliederungspunkte dieses Traktats erl äutert die Ursachen der Katastrophe und gibt Prognosen über ihren weiteren Verlauf, der zweite gibt Empfehlungen für Prophylaxe und Therapie. Unter den Ursachen rangieren an erster Stelle die astrologischen Gründe: Causa universalis sei eine 1345 eingetretene Konjunktion der drei oberen Planeten Mars, Jupiter und Satum im Zeichen des Wassermann gewesen.85 Diese Konjunktion, verbunden mit anderen Konjunktionen und Eklipsen, habe zur Verderbnis der Luft geführt, was schließlich zum allgemeinen Sterben führte. 86 80 Zu den Reisen vgl. L. Thomdike: A History, Bd. 2, S. 877. Zu Spanien, wo in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts dank der Förderung durch König Alfons X. den Weisen die Astrologie blühte, vgl. unten S. 99. 81 Zur Medizinerausbildung in Paris vgl. P. Kibre: Arts and Medicine, S. 224-5. 82 Vgl. oben S. 34. 83 Zu Johannes de Saxonia vgl. oben S. 42, zu seiner Übersetzung des Liber isagogicus von A1cabitius oben S. 34. 84 Compendium de epidemia, ed. H. Eo Rebouis: Etude historique et critique sur la peste (paris 1888). Bei J. Domes und G. Keil (Würzburg), die mir diese Ausgabe zugänglich machten, darf ich mich an dieser Stelle herzlich bedanken. 8S Compendium de epidemia, S. 76: De causa universali et remota. Dicamus igitur quod remota causa et primeria istius pestilentie fuit et est aliqua constellatio celestiso Anno namque domini MCCCXLV fuit maxima conjunctio trium planetarum superiorum, scilicet XXa die mensis marti~ in aquario, prima hora post meridiem (0 00)0 86 Compendium de epidemia, S. 76: (0 0 0) que quidem conjunctio, cum aliquibus conjunctionibus et eclipsibus prioris corruptionis pemecabilis ipsius aeris nos circumdantis
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1. Kapitel: Voraussetzungen und Vorbilder
Unter den Pestgutachten dieser Jahre war das von Paris das erste, welches so dezidiert die astrologischen Ursachen in den Vordergrund rückte, sogar eindringlicher, als die gleichzeitigen italienischen Gutachten, die teilweise auf dem Pariser Gutachten autbauten. 87 Trotzdem ist es falsch, deswegen in der medizinischen Fakultät der Pariser Universität zu jener Zeit einen Vorreiter der astrologischen Medizin sehen zu wollen.88 An den italienischen Universitäten lassen sich solche Neigungen fünfzig Jahre früher feststellen, und dort, nicht in Paris, hatten die Mathematik und die Astrologie zuerst einen festen und nicht unbedeutenden Platz in der Medizinerausbildung errungen. Bestrebungen, ihnen einen vergleichbaren Stellenwert auch in der medizinischen Ausbildung in Paris zu sichern, lassen sich erst etwa dreißig Jahre nach dem Ausbruch des Schwarzen Todes feststellen. In den 70er Jahren des 14. Jahrhunderts stiftete der Leibarzt König Karls V., Maitre Chrestien Gervais, an der Universität von Paris ein Kolleg für vier Studenten der Theologie, zwei Studenten der Medizin und 12 Scholaren, die sich den artes widmen sollten.89 Ergänzend schuf der König an diesem Kolleg zwei dotierte Stellen für Mathematiker, die scolares regis genannt wurden. 9o Der eine dieser beiden Mathematiker sollte an allen ordentlichen Lestagen in vico straminum, d. h. dort, wo die öffentlichen Vorlesungen der Artisten stattfanden, über die zugelassenen mathematischen Stoffe im Rahmen des Kurses der Artistenfakultät lesen, der andere sollte in der Aula der Artisten des Kollegs an Feiertagen über ein anderes zugelassenes mathematisches Buch vortragen. 91 Unter allen im Spätmittelalter in Paris gegründeten Kollegien ist das Coll~ge du Maitre Gervais das einzige, das nachweislich von einem Mediziner gestiftet causa existens, mortalitatem et famem nec non et alia multa signal, de quibus, quia ad nostrum non spectat propositum, nunc tacemus. 87 Die 16 bekannten Gutachten von 1348 bis 1350 werden von A M. Campbell: The Black Death, S. 6-33 besprochen; zu den in diesen Gutachten angeführten astrologischen Ursachen vgl. ibid., S. 37-44. 88 So argumentiert A M. Campbell: The Black Death, S. 123-4, wobei sie ihre Argumentation einzig auf dem Pestgutachten von 1348 autbaut. Peter von Abano wird in ihrer ganzen Abhandlung nur ein einziges Mal erwähnt (S. 71), und zwar im Zusammenhang mit einer Stellungnahme im Conciliator zu einem bestimmten Gift. Seine Ansichten über die Bedeutung der Astrologie für die Medizin übersieht sie gänzlich. 89 Vgl. die Statuten des College du Maitre Gervais, ed. P. Feret, S. 634-5. Zu Maitre Chrestien Gervais vgl. E. Wickersheimer: Dictionnaire, Bd. 1, S. 189-90. Dieses Kolleg behandelt ausführlich R. Lemay: The Teaching of Astronomy. 90 Vgl. die Statuten des College du Maitrc Gervais, S. 635: Item in dicto collegia erunt duo magistri in artibus Parisienses qui scolares regis vocabuntur,per eundem regem dominum nostrum pro legendo de scienciis mathematicis licitis ordinati et fundat4 (... ). 9\ Vgl. die Statuten des College du Maitre Gervais, S. 635: Et tenebuntur illi duo magistri legere de scienciis mathematicis, videlicet libros de quadrivio arcium liberalium licitos per sacros canones vel per Universitatem Parisiensem nullatenus reprobatos. Quorum unus leget in vico straminum diebus legibilibus a qua hora pro legendo in arcium facultate ordinata. Et alter leget de alio libro eiusdem quadrivii in aula artistarum dieti eollegii diebus festivis et horis in Universitate Parisiensi eonsuetis.
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wurde. 92 Zwar scheint Chrestien Gervais niemals in seinem Leben Italien besucht zu haben, doch ist das Bemühen, durch sein Kolleg ein dem italienischen Vorbild entsprechendes Studienzentrum in Paris zu begründen, offensichtlich;93 auch stammte der Hofastrologe König Karls V., Thomas de Pisan, der Vater von Christine de Pisan, aus ltalien.94 Ob allerdings überhaupt die Vermittlung des in Italien gebildeten Arztes Thomas de Pisan nötig war, um in Paris das italienische Modell bekannt zu machen, darf bezweifelt werden. In jedem Fall wurde das gesteckte Ziel erreicht: Das Coll~ge du Mahre Gervais entwickelte sich zu einem einflußreichen Zentrum der astrologischen Medizin in Paris.95 Erst im 16. Jahrhundert löste sich dort die Medizin endgültig von der Astrologie. 96 Bemerkenswert ist, daß eben zu der Zeit, zu der die Astrologie in Paris fest Fuß zu fassen begann, sich auch ihre Gegner formierten. Zwei der prominentesten Pariser Magister, Nicole Oresme und Heinrich von Langenstein, bekämpften von der theologischen Seite her die sich damals ausbreitende Praxis astrologischer Vorhersagen, ohne jedoch grundsätzlich den möglichen Einfluß der Himmelskörper auf irdische Geschehnisse zu bestreiten.97 Gegen die sich unter königlichem Schutz entfaltende Astrologie am Coll~ge du MaHre Gervais vermochten sie allerdings nichts auszurichten. Lediglich die Artistenfakultät in Paris erwies sich trotz der Vorschrift, daß einer der bei den scolares regis im Rahmen ihres Kurses seine Vorlesungen halten sollte, gegen das Einsickern der Astrologie weitestgehend immun. Anders als an den italienischen Universitäten wurden astrologische Vorlesungen nie Bestandteil ihres Curriculums; sie finden sich entsprechend auch nicht in den Statuten der von Paris beeinflußten Artistenfakultäten der deutschen Universitäten. 98 92 Vgl. die bei H. Rashdal1: The Universities, Bd. 1, S. 536-9 abgedruckte Liste der Kollegien und ihrer Gründer. Allerdings muß berücksichtigt werden, daß bei etlichen Kollegien der Stifter nicht bekannt ist. Auch bei A L. Gabriel: The College System und id.: Motivation of the Founders waren keine Hinweise auf weitere von Medizinern gestiftete Kollegien zu finden. 93 Dies nimmt auch R. Lemay: The Teaching of Astronomy, S. 204-5 an, wobei er speziell auf Peter von Abano verweist. 94 Zu ihm vgl. E. Wickersheimer: Dictionnaire, Bd. 2, S. 764-5. 95 Vgl. R. Lemay: The Teaching of Astronomy, S. 200-4. 96 Vgl. R. Lemay: The Teaching of Astronomy, S. 215-7. 97 Vgl. hierzu J. D. North: Celestial influence, S. 89-99 und H. Grössing: Humanistische Naturwissenschaft, S. 47-52. Als Reorganisator des Wiener Studiums übte Heinrich von Langenstein auch auf einen Teil der deutschen Universitäten einen prägenden Einfluß aus. 98 Hier liegt das oben S. 28 Anm. 20 bereits angesprochene grundlegende Mißverständis, das R. Lemay: The Teaching of Astronomy, S. 212-5 zu seiner scharfen Kritik an G. Beaujouan veranlaßt hat. G. Beaujouan hat nirgends behauptet, daß die mathematischen Wissenschafien in Paris kaum gelehrt worden wären, sondern lediglich betont, daß sie hauptsächlich extraordinarie an Feiertagen vorgetragen wurden. In diesem Rahmen, so betont er, hat Paris auf bedeutende Weise zur Entwicklung der mathematischen Wissenschaften beigetragen; vgl. G. Beaujouan: L'enseignement, S. 104:Ainsi l'Universite de
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1. Kapitel: Voraussetzungen und Vorbilder
Dies bedeutet allerdings nicht, daß die Astrologie zu den facultates non licite gehört hätte.99 Als 1358 ein magister Rubertus Normannus beantragte, über das Centiloquium und das Quadripartitum von Ptolemäus an Feiertagen vortragen zu dürfen, wurde ihm dies ohne Umstände genehmigt.100 Paris blieb nördlich der Alpen lange Zeit die einzige Universität, an der das italienische Modell institutionelle Auswirkungen zeigte. Erst in der Mitte des 15. Jahrhunderts öffnete sich auch Krakau diesem Einfluß, was aufgrund seiner Vorbildlichkeit für die deutschen Universitäten in einem eigenen Kapitel besprochen wird. 101 An anderen Universitäten, die sich zur Mitte des 15. Jahrhunderts eine spezielle mathematische Kanzel schufen, ist nur noch Salamanca zu nennen. Die Gründung der Kanzel fiel in die Zeit um 1460, der erste archivalische Nachweis stammt von 1464. 102 Ob sie auf autochthone Wurzeln zurückgeht oder nach fremden Vorbildern geschaffen wurde, läßt sich nicht mit Sicherheit entscheiden. Als auffälliges Faktum ist jedenfalls festzuhalten, daß der erste Lektor, Nicolaus Polonius, seinem Beinamen nach zu schließen wahrscheinlich ein Pole war. 103 Daß er aus Krakau gekommen ist und somit die Einrichtung der Lektur indirekt auf italienischen Mustern basierte, ist in Erwägung zu ziehen, zumal mehrere Krakauer Magister aus jener Zeit, die den Vornamen Nicolaus trugen, bekannt sind. 104 Paris ne sut pas organiser, comme celle d'Oxford, l'enseignement des sciences exactes; elle n'en contribua pas moins a leur developpement en attirant autour de sa faculte de theologie les plus grands esprits de ce temps la. Das College du Maitre Gervais bot zwar ein Forum zur Beschäftigung mit der Mathematik, besaß jedoch keinen Einfluß auf die Gestaltung des artistischen Kurses. 99 Dies behauptet z. B. A Lhotsky: Die Wiener Artistenfakultät, S. 115: Nun gehörte die Astrologie ohne Zweifel zu den /acultates non licite'und es versteht sich, daß sie grundsätzlich nicht gelehrt werden sollte. 100 CUP Aucl. I, S. 225. 101 Vgl. unten S. 83ff. 102 Zur Gründung der Kanzel vgl. J. Sams6: La astrologfa de Enrique de Villena, S. 19 sowie M. Cirilo FI6rez/p. Garcfa Castillo!R. Albares Albares: EI humanismo cientffico, S. 45 und 105. Die Belege aus dem erst 1464 einsetzenden Libro de C/austros der Universität Salamanca und einigen anderen Quellen hat F. Cantera Burgos: Notas, S. 371-83 zusammengetragen und auszugsweise in kommentierter Form ediert. 103 Vgl. F. Cantera Burgos: Notas, S. 371. 104 Dazu, daß die Krakauer Astrologie vor allem aus Bologna beeinflußt war, vgl. unten S. 87. Prinzipiell kämen in Frage: Nicolaus von Grabostaw, 1431/32 Krakauer Magister (vgl. M. Markowski: Astronomie an der Krakauer Universität, S. 263 Anm. 34), verfaßte 1434 einen Kommentar zum Tractatus de Computo von Johannes de Sacrobosco (vgl. M. Markowski: Astronomica et Astrologica Cracoviensia, S.134-5 Nr. 91), Nachrichten über seinen weiteren Werdegang scheinen zu fehlen; Nicolaus de Ciezkowice, verfaßte 1472 ein Juditium über den Kometen dieses Jahres (vgl. M. Markowski: Astronomica et Astrologica Cracoviensia, S. 134 Nr. 91a), Nachrichten über sein früheres Leben scheinen nicht vorhanden zu sein. Die Frage nach der Identität des Salmantiner Lektors Nicolaus Polonius kann hier nur angeschnitten, nicht aber entschieden werden.
11. Padua und Bologna
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Bis zur Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert überwog bei den Inhabern der Kanzel eindeutig das astrologische Interesse, erst dann wurde die Astrologie von der Geographie und Kosmographie als Schwerpunkt abgelöst. lOS Welche Rolle dabei die medizinische Astrologie spielte, kann beim derzeitigen Stand der Forschung nicht entschieden werden; 106 immerhin war Diego de Torres, Inhaber der Kanzel von 1480(?)-1487(?), Arzt,107 und auch der durch seinen Almanach perpetuum lO8 bekannt gewordene Jude Abraham Zacuto, der zwar nicht zur Universität, aber in ihren intellektuellen Umkreis gehörte, schrieb über Iatromathematik. 109 Bei der GrUndung der Universitäten im Reich bis zum Ende des 15. Jahrhunderts spielte das italienische Modell fUr die Artistenfakultäten keine Rolle;1l0 es wirkte dann jedoch, vor allem im Gefolge der humanistischen Bewegung, vorbildhaft bei der Reformierung der Fakultäten am Beginn des 16. Jahrhunderts. Einzelne Fachlekturen fUr die humanistischen Fächer und die Mathematik waren dieser Reform bereits im 15. Jahrhundert vorausgegangen.
10.5 Vgl. M. Cirilo FI6rez/p. Garcia Castillo/R. Albares Albares: EI humanismo cientifico, S. 105 (Astrologie) und S. 112-3 (Ablösung der Astrologie durch die Geographie und Kosmographie bei der zweiten Generation von Naturwissenschaftlern an der Universität Salamanca). 106 Die bei M. Cirilo FI6rez/P. Garcia Castillo/R. Albares Albares: EI humanismo cientffico, S. 31 abgebildete Karte von Europa, in die pauschal die auf Salamanca wirkenden Einflußlinien eingezeichnet sind, vermag in keiner Weise zu überzeugen. Folgende Linien zeigen dort nach Salamanca: aus Oxford die Linie derCalculatores, aus Paris Nominalismus und Averroismus, aus Montpellier die Astrologie, aus Bologna der Humanismus und aus Wien die Astronomie. Wieso die Astrologie gerade aus Montpellier gekommen sein soll, wird nicht begründet. Zwar waren in Montpellier einige astronomische Schriften, u. a. 1288 der Quadrans novus von Profatius Judaeus entstanden, doch spielte die Astrologie in der dortigen Medizinerausbildung, zumindest im 14. Jahrhundert, überhaupt noch keine Rolle (vgl. C. A McMenomy: The discipline of astronomy, S. 92 und 459). Krakau fehlt auf der Karte. 107 Vgl. M. Cirilo FI6rez/P. Garcia Castillo/R. Albares Albares: EI humanismo cientifico, S.108. 108 Erstmals gedruckt Leira 1496. Zitiert nach der Faksimileausgabe von L. de A1buquerque (s. I. [Imprensa nacional- Casa da Moeda, Portugal] 1986). 109 Zu einem unedierten iatromathematischen Werk Zacutos in der Bibliotheca Colombina in Sevilla vgl. F. Cantera Burgos: Notas, S. 87-8. Der Almanach perpetuum enthält eine Tafel De animodar ptholomei. Tabula more infantis in utero matris (S. 402-4 der Faksimileausgabe), die ebenfalls zur Iatromathematik gerechnet werden kann. Diese Tafel soll ermöglichen, aus dem Zeitpunkt der Geburt den Augenblick der Empfängnis zurückzurechnen und umgekehrt. 110 Die einzige Ausnahme stellten die astrologischen Judizien und JahJbücherdar; vgl. unten S. 74
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1. Kapitel: Voraussetzungen und Vorbilder
m. Die Universitäten im Reich: Imitate und SonderentwickIungen 1. Organisation und Curriculum der Artistenfakultäten: Das Imitat
Die Artistenfakultäten der im Reich gelegenen Universitäten aus der ersten Gründungswelle, die mit der Eröffnung der Hohen Schulen in Rostock (1419) und Löwen (1425) ihren Abschluß fand, waren, sowohl was die Lehrverfassung als auch den im Curriculum enthaltenen Lehrstoff anlangt, ausnahmslos direkt oder indirekt am Pariser Vorbild orientiert. Dies gilt auch für die Universität Prag, deren Gesamtstatuten zwar enge, teilweise wörtliche Anlehnungen an die Bologneser Statuten zeigen, während die Artistenfakultät völlig nach Pariser Muster gestaltet wurde. 1 Mit besonderem Blick auf die Pflege der Mathematik heißt dies konkret: (1) Die magistri regentes und legentes an den Artistenfakultäten mußten in der Lage sein, jede zum Curriculum gehörende Vorlesung zu übernehmen. Die einzelnen Vorlesungen und Übungen wurden zu Beginn eines jeden Semesters unter den zur Verfügung stehenden Magistern verlost.2 Nur einige wenige zentrale Veranstaltungen wurden gelegentlich durch Wahl besetzt,3 nie jedoch Ober 1 P. Moraw: Die Universität Prag, S. 43 charakterisiert die Vermischung von Pariser und Bologneser Einflüssen in den Universitätsstatuten von 1368 folgendermaßen: Dies kann nicht schöner als durch die Feststellung illustriert werden, daß die deutlich überwiegenden Pariser Wesenszüge in den Statuten der Prager Universität wohl von 1368, ihren wichtigsten im Mittelalter, mit Worten aus Bologna ausgesprochen wurden. Denn die Pariser Universität besaß überhaupt keine geschriebene Ordnung, die man hätte übernehmen können. Auf den Inhalt des artistischen Curriculums, das ausschließlich Pariser Einflüsse zeigte, wird sogleich eingegangen. 2 Eine Ausnahme stellt Wien dar. Dort verzichteten die Statuten von 1389 ausdrücklich darauf, den Verteilungsmodus festzulegen; vgl. A Lhotsky: Die Wiener Artistenfakultät, S. 251: Et quia pro nunc difficile apparet nimis dare certam regulam, que omni anno quasi stabiliter eadem semper permaneat ad libros distribuendum, igitur placet, quod distribuantur libri ordinarie legendi modo et ordine, quibus pro tune facultati visum fuerit pro futuro anno expedire. Et alio anno observabunt eundem modum, si placuerit. So setzte sich am Beginn des 15. Jahrhunderts der Brauch durch, daß jeder Magister in der Reihenfolge des Seniums, d. h. der seit der Promotion vergangenen ä\itspanne, seine Vorlesung frei auswählen durfte. 1398 und 1399 war die Verteilung noch durch das Los erfolgt (vgl. P. Uiblein: AFA I, S. 163 (28. August 1398) und S. 170 (17. August 1399); die Festlegung des Verteilungsmodus erfolgte jeweils in der letzten Sitzung des Fakultätskonzils vor dem 1. September). Für das Jahr 1400 fehlen die entsprechenden Eintragungen in den Akten (vgl. ibid., S. 184). 1402 wird beschlossen, genauso wie in den zwei vorangegangenen Jahren vorzugehen, nämlich dergestalt, daß jeder Magister sich sein Buch selbst aussuchen durfte (vgl. ibid., S. 209 (20. August 1402». Es mußte nur sichergestellt sein, daß alle pro forma zu hörenden Bücher auch vorgetragen wurde. (vgl. dazu P. Uiblein: Johannes von Gmunden, S. 15). Die Leidtragenden bei diesem System waren die jüngeren Magister, die die vorgeschriebenen Vorlesungen, die kein anderer übernehmen wollte, halten mußten. 3 Zu diesem Phänomen, das mit der Entstehung einer Gruppe von bevorrechteten Magistern in den Artistenfakultäten zusammenhängt, vgl. unten S. 137.
III. Die Universitäten im Reich
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einen längeren Zeitraum mit ein und demselben Magister. Eine Spezialisierung auf bestimmte Teile des Curriculums wie z. B. die mathematischen Fächer war bei diesem System nicht möglich. Vielmehr wurde der gesamte artistische Stoffkomplex als eine Einheit gesehen, deren Beherrschung jedem Magister abverlangt werden konnte. Da in der Regel von den neu promovierten Magistern eine zweijährige Lehrtätigkeit an der Artistenfakultät gefordert wurde, während der sie gewissermaßen den gelernten StofIlehrend nochmals zu wiederholen hatten,4 war eine allzu enge Spezialisierung auch gar nicht erwünscht. (2) Der Kanon der mathematischen Fächer im artistischen Curriculum orientierte sich ebenfalls am Pariser Vorbild. 5 Zwar war es dort bis ins 14. Jahrhundert hinein in den Statuten nie zu einer konkreten Festlegung desselben gekommen,6 doch ist in Anbetracht der Herkunft der ersten an den Artistenfakultäten im Reich lehrenden Magister7 wie auch der verwendeten Lehrbuchliteratur keinesfalls daran zu zweifeln, daß das Muster der Seinemetropole mehr oder weniger getreu kopiert wurde. Das Programm war an allen Universitäten im Reich in ungefahr dasselbe, nur die Verteilung auf die Kurse für Bakkalaureanden und Magistranden difIerierte: 8 Von Johannes de Sacrobosco wurden der Tractatus de sphaera9 und, allerdings nur in Wien, der Algorismus in den Statuten vorgeschrieben. Auch die theoretische Arithmetik und die Musik gehörten an allen hier besprochenen Universitäten zum Curriculum der Bakkalare, wobei häufig nicht zu klären ist, ob nach Johannes 4 Zu diesem biennium vgl. z. B. die Vorschrift der Wiener Statuten von 1389 (A. Lhotsky: Die Wiener Artistenfakultät, S. 247): De iuramentis incipientium cum ascendunt cathedram. (... ) ltem [sc. iurabit], quod per spatium duorum annorum hic legat in artibus, nisi per facultatem artium super hoc secum fuerit dispensatum. S Den besten Zugang zum Inhalt der Curricula in den Statuten der mitteleuropäischen Universitäten der ersten Gründungswelle findet man bei S. Larenz: Libri ordinarie legendi, S. 229-36, wo die Curricula nach den Statuten von Prag (1390), Krakau (1404/06), Wien (1389), Heidelberg (Ende 14. Jahrhundert), Köln (1398), Erfurt (1412), Leipzig (1409/10) und Löwen (1427 und 1429) in Tabe lien form aufgelistet sind. Statt einzelner Belege wird für die folgende Besprechung der Curricula hiermit auf diese Tabellen verwiesen. 6 Vgl. oben S. 24ff. 7 Z. B. in Prag Heinrich Totting von Oyta, in Wien erst Albert von Sachsen, dann Heinrich von Langenstein, in Heidelberg Marsilius von Inghen. 8 Hiermit sind Prag, Wien, Köln, Erfurt, Leipzig und Löwen gemeint. Die Vorschriften der Statuten von Heidelberg werden, da sie einerseits undeutlich sind und andererseits am offensichtlichsten auf Paris zurückgehen, gleich anschließend behandelt. Krakau wird in einem eigenen Kapitel (unten S. 83ff.) besprochen. Zu den hier genannten Lehrbüchern sei auf die ausführliche Besprechung der Lehrbuchliteratur aufS. 28ff. verwiesen. Die Studenten, die noch keinen Grad besaßen und mit dem Ziel der Graduierung zum Bakkalaureus studierten, werden in den Quellen meist als scholares bezeichnet, wogegen diejenigen, die zum Magisterexamen weiterstudierten, gemäß dem bereits erworbenen Grad baccalaurei genannt werden. Auf diese Unterscheidung, besonders darauf, daß mit Bakkalar ein Student gemeint ist, der auf das Magisterexamen hin studiert, ist im folgenden zu achten. 9 Für Scholaren in Prag (dort nochmals für Bakkalare!), Wien, Brfurt und Leipzig; für Bakkalare in Köln und Löwen.
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1. Kapitel: Voraussetzungen und Vorbilder
de Muris oder nach Boethius gelesen wurde. lO Bei den Elementen von Euklid schwankte der Umfang des innerhalb des Kurses für Bakkalare Vorzutragenden zwischen nur dem ersten Buch und den Büchern I-ßI oder 1-VI. l l Mit Ausnahme von Löwen verlangten auch alle Universitäten die Perspectiva communis von Johannes Pecham und die Theorica planetarum von ihren Magistranden. Nur an den nominalistisch ausgeprägten Universitäten Wien und Köln waren schließlich auch der Tractatus proportionum und der Tractatus de latitudinibus formarum Bestandteil dessen, was ein Magistrand an gehörten Vorlesungen nachweisen mußte. 12 Der Computus war in Wien getreu der Pariser Tradition als Feiertagslektion, die von den Bakkalaren zu halten war, in den Statuten der Artistenfakultät verankert. 13 Zum Curriculum zählte er jedoch nicht, obwohl er gelegentlich auch an den ordentlichen Lestagen nicht von Bakkalaren sondern von Magistern, die für sich diese Vorlesung bei der Verteilung der Bücher am Beginn des Wintersemesters selbst auswählten, gehalten wurde. 14 Allerdings wäre es verfehlt zu glauben, daß der Befund der Statuten auch dem entpräche, was tatsächlich an den Artistenfakultäten gelehrt wurde. Vielmehr dürfen die Statuten höchstens als erste Orientierung über den an den Artistenfakultäten vorgetragenen Stoff verstanden werden; anzunehmen, daß diese meist aus der Tradition geborenen Textwerke 1S die Wirklichkeit der Lehre determinierten 10 Johannesde Muris ist als Autorität für Arithmetik und Musik in den Statuten von Erfurt und Leipzig (Arithmetica communis) genannt; die Statuten der restlichen Universitäten machen keine Angaben über das zu lesende Textbuch. 11 Nur Buch I in Löwen; Bücher I-III in Köln; Bücher I-VI in Prag und Wien (dort wird Buch I schon von den Bakkalaureanden verlangt); keine Angaben über die Anzahl der Bücher in Erfurt und Leipzig. 12 Zum Wiener Nominalismus vgl. A. Lhotsky: Die Wiener Artistenfakultät, S. 579. Zur anfänglichen Vorherrschaft des Nominalismus in Köln vgl. E. Meuthen: Kölner Universitäts geschichte Bd. 1, S. 170-3, zur Abhängigkeit der Kölner Statuten von 1398 von den Wiener Statuten ibid., S. 171 und v. a. A-D. v. den Brincken: Die Statuten, S. 399ff. 13 Vgl. A. Lhotsky: Die Wiener Artistenfakultät, S. 241: Quamvis divinum officium sieut non debemus, ita nolumus perturbare, tamen sanius reputamus, quod nostri scolares simul et baccallarii etiam diebus festivis visitent scolas quam tabernas, dimieent disputando lingua quam gladio. Ergo baccallarii nostre facultatis disputent, legant gratis et propter deum computos et alia mathematicalia, precipue tamen ecclesie catholiee deseventia diebus festivis post prandium, maioribus tamen festis exceptis, quibus omnes volumus et precipimus festivare. Von dort fand diese Bestimmung fast wortgleich Eingang in die Statuten der Ingolstädter Artistenfakultät; vgl. J. N. Mederer: Annales, Bd. 2, S. 89. 1. Z. B. 1421, 1430 und 1432; vgl. A Lhotsky: Die Wiener Artistenfakultät, S. 111. 1S ZU den Abhängigkeiten der Statuten von den Statuten früherer Universitäten vgl. G. Kaufmann: Geschichte, Bd. 2, S. 158-9; vgl. zu den Entstehungsumständen von Statuten im allgemeinen auch A Seifert: Statuten- und Verfassungsgeschichte, S. 40, zu den Abhängigkeiten ibid., S. 48-52, zur Divergenz von Verfassungs- und TexttradiJio" vgl. ibid., S. 52-3.
III. Die Universitäten im Reich
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oder auch nur die vor ihrer Entstehung vorhandene Wirklichkeit korrekt reflektierten, hieße, besonders für die mathematischen Fächer, ihnen als historische Quelle einen Wert zuzusprechen, den sie nicht verdienen. Besonders am Beispiellngolstadt wird sich später zeigen, daß das Curriculum das Spektrum dessen, was in der Mathematik vorgetragen wurde, weder nach oben noch nach unten begrenzte: 16 Zahlreiche vom Curriculum vorgeschriebene mathematische Vorlesungen wurden gar nicht gehalten oder wenigstens von vielen Studenten nicht gehört, wofür sie beim Examen gegen ein Strafgeld Dispens erhieltenP Die mathematischen Kenntnisse, die andere Studenten an Universitäten erwarben, gingen dagegen weit über das im Curriculum Vorgesehene hinaus. Die schon in Paris belegte Tradition der privaten Kollegien hat dabei gewiß eine Rolle gespielt. 18 Besonders deutlich wird diese Situation bei der Betrachtung der Statuten der Universität Heidelberg aus dem Ende des 14. Jahrhunderts, die bezüglich der Mathematik eine fast vollkommene Identität mit den in Paris gOltigen Vorschriften ~us dem Jahr 1366 zeigen. 19 Lediglich der Tractatus de sphaera von Johannes de Sacrobosco wird den Magistranden abverlangt; die Pariser Bakkalaureanden hatten 1366 zu schwören, eben dies Buch gehört zu haben und ein weiteres Buch cum spe audiendi usque ad finem sine fraude gerade durchzunehmen. 20 Ansonsten treffen die Heidelberger Statuten für die Magistranden nur die Anordnung, aliquos distinctos libros totales mathematice gehört zu haben, wiederum in fast wörtlicher Übereinstimmung mit den Pariser Statuten von 1366.21 Dies hinderte die Heidelberger Magister allerdings nicht daran, in ihren Lektionskatalog einen 16 Dies gilt nicht nur für die Statuten der deutschen Universitäten, sondern vermutlich generell. Für die Mathematik an englischen Universitäten im 16. Jahrhundert hat z. B. M. Feingold: The mathematicians' apprenticeship, S. 43 festgestellt: In conclusion, then, if either the university or college statutes are to be 0/ any help at all in deciphering the situation in the universities, they must be used in conjunction with other evidence 0/ university practises. Any explanations based on the assumption that the statutes were an exact description 0/ reality is totaly inadequate. Ohne Einschränkungen kann dies auch auf andere Regionen und frühere Zeiten übertragen werden. Das Versagen der Pariser Statuten als Quelle für das Ausmaß der Lehre in den mathematischen Fächern wurde bereits oben auf S. 24ff. demonstriert. 17 Zu solchen Dispensen vgl. z. B. P. Uiblein: AFA I, S. 259,269 und 305; auf S. 305 werden u. a. auch die Elemente von Euklid erwähnt: (... ) dispensavit [sc. facultas artium] cum eis super de/ectibus eorum isto adiecto, quodNicolaus de Nova Civitate, si contingeret eum promover4 Iegeret 40r libros Euclidis, in quibus de/ecit preter primum; similiter et Iohannes de Muldorff (... ). In diesem Fall wurde ihnen also eine Nachholpflicht nach der Promotion auferlegt. 18 Vgl. oben S. 27. 19 Ed. von E. Winkelmann: Urkundenbuch, Bd. 1, S. 31-44. 20 E. Winkelmann: Urkundenbuch, Bd. 1, S. 38. Die Pariser \brschrift in CUP n, Nr. 1185, S. 673 (vgl. oben S. 27 Anm. 17). 21 E. Winkelmann: Urkundenbuch, Bd. 1, S. 38: Item iurabunt, se audivisse aliquos distinctos libros totales mathematice et non solum plures parciales eiusdem et presertim, quod audiverint tractatum de spera mundi in isto vel alio studio privilegiato (... ). Die Pariser Vorschrift in CUP III, Nr. 1319, S. 145 (vgl. oben S. 27 Anm. 18).
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1. Kapitel: Voraussetzungen und Vorbilder
Kanon mathematischer Fächer aufzunehmen, der in den meisten Punkten dem eben besprochenen ungefähr zeitgleichen Curriculum an den anderen Universitäten im Reich entsprach: Zum Vortrag kamen außer dem Tractatus de sphaera auch die Perspectiva communis, die Bücher I-IV der Elemente von Euklid, der Tractatus de algorismo von Johannes de Sacrobosco, der Computus cirometralis und die Theorica planetarum. 22 Deutlicher könnten die Abhängigkeit des Inhalts der Statuten nur von der Tradition und die Diskrepanz zwischen den Prüfungsvorschriften und den tatsäch1ich behandelten mathematischen Stoffen kaum zum Ausdruck kommen. Allerdings ist auch durch den Inhalt des Lektionskataloges noch nicht bewiesen, daß die dort vorgesehenen Vorlesungen in der Tat regelmäßig gehalten wurden. Als letzte Beobachtung zum Curriculum ist festzuhalten, daß sich in der Ausgestaltung des Curriculums der älteren deutschen Universitäten noch kein italienischer Einfluß bemerkbar machte. Es fehlten die astronomischen Tafelwerke ebenso wie die Astrologie. Dies gilt auch für die Universitäten der zweiten Gründungswelle, die nach einer Pause von 30 Jahren mit der Einrichtung der Studien in Greifswald (1456) und Freiburg (1455/56) eingeleitet wurde und zu der unter anderen Ingolstadt gehörte.
2. Wien, Erfurt und Leipzig: Die Sonderentwicklungen Trotzdem blieb die Pflege der Mathematik an den deutschen Universitäten nicht auf das bisher geschilderte elementare Niveau beschränkt. Sonderentwicklungen, die teilweise in anderen institutionellen Voraussetzungen an den deutschen Universitäten begründet, teilweise aber auch privater Initiative zu verdanken sind, führten besonders in Erfurt, Wien und Leipzig schon früh zu einer Intensivierung der mathematischen Studien. Inwieweit solche Entwicklungen auch an anderen Universitäten festzustellen sind, müssen weitere Untersuchungen klären; der momentane Forschungsstand erlaubt hierüber keine definitiven Aussagen. Zu einer wichtigen Voraussetzung für die Pflege der Mathematik in Erfurt und Wien wurden die dortigen Magisterkollegien, eine in dieser Form spezifisch mitteleuropäische Einrichtung, die von den in Paris bestehenden Kollegien fast nur den Namen entliehen hatte. 23 Um ihren Stellenwert innerhalb des Lehrsysterns der Artistenfakultät zu verstehen, ist es unumgänglich, einen Blick auf die artistische Lehrerschaft als Ganzes zu werfen: 22 E. Winkelmann: Urkundenbuch, Bd. 1, S. 42: ltem de perspectiva duo gross~ de quatuor libris Euclidis tantum et consequenter de tractatu sphere materialis unus grossus cum medio, de algorismo unus grossus, de computu cyrometrali tantu"" de theorica planetarum unus grossus cum medio. 23 Die folgenden Ausführungen basieren aufA. Seifert: Die UniversitätskolIegien, bes. S. 362-5. Auch er betont den völlig anderen Oiarakter der deutschen MagisterlmlIegien; vgl. ibid., S. 364: Die besondere Art und Funktion dieser Kollegien liißt es zweifelJuJft erscheinen, ob sie mit den Pariser Studentenhäusern genetisch überhaupt verwandt sind.
III. Die Universitäten im Reich
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Die Lehrtätigkeit an der Artistenfakultät stellte für die meisten Magister nur ein Durchgangsstadium auf dem Weg zur Graduierung in einer der drei höheren Fakultäten dar. 24 Die Einnahmen aus Hörgeldern und Prüfungsgebühren dienten ihnen zur Finanzierung des weiteren Studiums. Sobald sie dieses abgeschlossen hatten, beendeten sie die Lehrtätigkeit an der untersten der Fakultäten. In einem funktionierenden System stellte die Rekrutierung des artistischen Lehrkörpers nur selten ein Problem dar, da die Zahl der Studenten, die so ihr Studium an einer höheren Fakultät materiell absicherten, immer ausreichend groß war. Anders verhielt es sich, wenn ein solches System erst in Gang gebracht werden mußte. Dies war an den deutschen Universitäten, die fast ausschließlich Gründungsuniversitäten waren,25 der Fall. Hauptsächlich zur Schaffung eines Grundstockes für die Artistenfakultät, um den sich dann allmählich eine wie oben beschrieben funktionierende artistische Lehrerschaft formieren konnte, wurden von der Obrigkeit Magisterkollegien für eine bestimmte Anzahl von bepfründeten Magistern eingerichtet, die an der Artistenfakultät zu lehren hatten. Die Attraktivität solcher fest besoldeter Stellen, die es sonst an der untersten Fakultät nicht gab, stellte sicher, daß der Lehrbetrieb an der Artistenfakultät in Gang kommen konnte. 26 Wie wichtig eine solche Anschubfinanzierung war, zeigen die gescheiterten ersten Gründungsversuche für Universitäten in Krakau (1364) und Wien (1365). Erst im Zusammenhang mit der in bei den Fällen von Erfolg gekrönten Reorganisation der Studien in Wien (1384) und Krakau (1400) entstanden auch gestiftete Magisterkollegien. 27 Ihr Anteil am Gelingen der Reorganisation kann nicht übersehen werden. Die mathematischen Vorlesungen waren unter den Magistern aus mehreren Gründen nicht sonderlich beliebt. Eine der wichtigsten Ursachen hierfür dürfte der geringe Profit, den sie einbrachten, gewesen sein; zwar lagen die Gebühren, verglichen mit anderen Veranstaltungen, noch im Mittelfeld, doch wurden sie wahrscheinlich durch die mäßige Teilnehmerzahl erheblich verringert.28 24 Zu den wenigen, die seit der Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert ihr artistisches Lehramt als Lebensstellung ansahen, vgl. oben S. 41. 2S Nur Leipzig entstand, nachdem wegen des Kuttenberger Dekrets die nicht-böhmischen Magister und Studenten Prag verlassen hatten, als Auswanderungsuniversität. Obwohl hier ein funktionierender Körper, quantitativ um die böhmische Nation verringert, transloziert wurde, innerhalb dessen das eingefahrene Prager System hätte weiterfunktionieren können, wurden auch dort mit dem Collegium maius und dem Collegium minus gleich zwei Magisterkollegien gegründet; vgl. B. Stübel: Urkundenbuch, Nr. 2, S. 4. 26 Vgl. A Seifert: Die Universitätskollegien, S. 362. 27 In Wien das Collegium ducale, in Krakau das Collegium maius. Nur die ganz im Westen gelegenen Universitäten von Köln und Löwen besaßen keine obrigkeitlich gestifteten Magisterkollegien aus der Gründungszeit. 2B Vgl. z. B. die Wiener Gebühren von 1389 in A Lhotsky: Die Wiener Artistenfakultät, S. 252-3: Sie schwankten zwischen 12 gr. für die Ethik und 2 gr. für die Ökonomik; für die Bücher li-Vi der Elemente waren 6 gr. zu bezahlen, für die Theorica planetarum 4 gr., die Perspectiva communis 4 gr., Tractatus de sphaera 3 gr., Proportiones longe Bragwardini 3
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1. Kapitel: Voraussetzungen und Votbilder
Eine feste Besoldung, die den Magister von den Hörgeldeinnahmen unabhängig machte, hätte hier einen Anreiz bieten können, sich auf einzelne, auch weniger einträgliche Fächer des artistischen Curriculums zu spezialisieren. Daß dies nur selten geschah, ist auf zwei Ursachen zurückzuführen: Erstens erhielten auch die Kollegiaten wie alle anderen Magister ihre Vorlesungen zugelost und konnten sie in der Regel nicht frei wählen;29 und zweitens studierten die meisten Kollegiaten an einer höheren Fakultät weiter. Obwohl in der Intention der Stifter der Magisterkollegien die Versorgung der Artistenfakultät mit Lehrern obenan gestanden hatte, wurde die Lehrtätigkeit an der Artistenfakultät von diesen nur als Übergangsphase, erleichtert durch ein festes Stipendium, betrachtet.3o Ein Interesse an einer Spezialisierung auf bestimmte Fächer des artistischen Curriculums läßt sich nur selten nachweisen. Ein solcher Fall, der für die Geschichte der Mathematik von besonderer Bedeutung ist, lag in Wien vor: Dort hat sich Johannes von Gmunden, nachdem er bereits seit 1406 häufiger die im artistischen Curriculum vorgesehenen mathematischen Vorlesungen besorgt hatte, von 1414 bis 1434 an der Artistenfakultät nur mehr mit mathematischen Stoffen abgegeben. 31 Dabei kam ihm entgegen, daß in Wien, anders als an den übrigen deutschen Universitäten, die Vorlesungen an der Artistenfakultät nicht durch das Los vergeben wurden; jeder Magister durfte seine Vorlesungen nach eigenem Gutdünken unter den zur Verfügung stehenden Textbüchern auswählen, wobei nach dem Senium vorgegangen wurde. 32 Es mußte lediglich sichergestellt sein, daß das gesamte Spektrum des artistischen Curriculums abgedeckt war. Dies führte dazu, daß die jüngeren Magister die weniger beliebten und weniger einträglichen Vorlesungen übernehmen mußten, zu gr. und De latitudinibus formarum 2 gr.; die Vereinbarung der Gebühren für die restlichen Vorlesungen, d. h. in der Mathematik Euklid Buch I, A1gorismus, Arithmetik und Musik, war den Studenten und Magistern selbst überlassen, woraus zu schließen ist, daß sie noch niedriger waren. Über die Zahl der Teilnehmer liegen nur wenig gesicherte Erkenntnisse vor, doch hatte schon im 13. Jahrhundert Roger Bacon beklagt, daß die Studenten bei der Durchnahme von Euklid I, 5 (d. i. der Beweis, daß die Basiswinkel im gleichschenkligen Dreieck gleich sind) flöhen; vgl. Roger Bacon: Opus tertium, S. 21: (... ) sie est quod isti qui ignorant utilitatem alieujus scientiae, ut sit geometriae, statim, nisi sint pueri qui eoguntur per virgam, resiliunt et tepeseunt, et va volunt tres vel quatuor propositiones seire. Unde t:X hoe aeeidit quod quinta propositio geometriae Euclidis dicitur 'Elefuga', id est fuga miserorum; 'elegia' enim Graeee dieitur, Latine 'miseria'; et 'elegi' sunt 'miseri'. Daran hat sich bis zum 16. Jahrhundert nichts geändert; vgl. zu den Dispensen rur Ingolstädter Magistranden, die die Vorlesungen über die Elemente und die Theoriea planetarum nicht gehört hatten, unten S. 147. 29 Zu dem in Wien geläufigen anderen Modus der Vorlesungsverteilung durch Auswahl nach dem Senium vgl. oben S. 62 Anm. 2. Auf die sich daraus ergebenden Möglichkeiten, die Johannes von Gmunden nutzte, wird sogleich eingegangen. 30 Vgl. A. Seifert: Die Universitätskollegien, S. 363-4. 31 Seine daneben gehaltenen theologischen Vorlesungen bis 1420/21 werden sogleich besprochen (vgl. unten S. 69). 32 Vgl. oben S. 62 Anm. 2.
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denen auch die mathematischen zählten. 33 So hatte Johannes von Gmunden von Beginn an wenig Probleme, sich die mathematischen Veranstaltungen auszusuchen; mit fortschreitendem A1ter, als er in der Rangfolge des Seniums immer weiter vorrOckte, stellten sich ihm dabei gar keine Schwierigkeiten mehr in den Weg. Auch seine literarische Produktion unterstreicht mehr als deutlich, daß sein Hauptinteresse der Mathematik galt; dies ist zu bekannt, als daß es hier im Detail behandelt werden müßte.34 Im Wintersemester 1400/1401 in Wien immatrikuliert, war Johannes von Gmunden 1402 zum Bakkalaureus und 1406 zum Magister promoviert worden. 35 Wohl bald danach wurde er auf eine vakante Kollegiatur im Collegium ducale, welches Stellen fOr 12 besoldete Magister bot, gewählt.36 Da die Kollegiaten verpflichtet waren, neben ihrer artistischen Lehrtätigkeit das Studium der Theologie aufzunehmen, widmete sich auch Johannes von Gmunden dieser Disziplin und brachte es 1415 bis zum Bakkalar der Theologie. 37 Er hielt 1415 bis 1416 noch den nach dem theologischen Bakkalaureat obligatorischen cursus biblicus und las 1416 bis 1420/21 mit Unterbrechungen Ober die Sentenzen des Petrus Lombardus, womit er alle an einen Baccalaureus formatus der Theologie gestellten Anforderungen erfüllt hatte. Weitere Grade in der Theologie strebte er nicht an. Vielmehr widmete er sich mit immer deutlicher hervortretender Ausschließlichkeit den mathematischen Disziplinen. Obwohl Johannes von Gmunden nach neunzehnjähriger Zugehörigkeit 1425 aus dem Collegiumducale ausschied, weil 33 1401 wurden bei einer Gesamtzahl von 23 Magistern die vier gehaltenen mathematischen Vorlesungen von den Magistern auf den Rängen 10, 21, 22 und 23 gewählt (vgl. P. Uiblein: AFA I, S. 197). 1402 fiel das Ergebnis etwas günstiger für die Mathematik aus: sechs mathematische Vorlesungen wurden gehalten; unter den 25 Magistern entfielen diese auf die Plätze 3, 8, 15, 18, 19 und 25 (vgl. ibid., S. 210). 1403 nahmen die vier Magister, die über Mathematik vortrugen, die Ränge 5, 17, 22 und 24 ein; 25 Magister standen zur Verfügung (vgl. ibid., S. 222). Zur Klärung der Frage wären jedoch weitere Untersuchungen nötig. 34 Vgl. R. Klug: Johannes von Gmunden, M. G. Firneis: Johannes von Gmunden - Der Astronom und H. K Kaiser: Johannes von Grnunden und seine mathematischen Leistungen. 35 Vgl. P. Uiblein: Johannes von Gmunden, S. 12-3. Ursprünglich als überarbeitete Neuauflage der Akademieabhandlung von R. Klug: Johannes von Gmunden geplant, hat Uiblein mit der ihm eigenen Gründlichkeit auch die entferntesten Quellen, die Aufschluß über die Biographie Johannes von Gmundens geben können, zusammengetragen und analysiert. Es ist so gut wie ausgeschlossen, daß noch weiteres Material an den Tag kommt. Demgegenüber tragen die Artikel von M. G. Firneis: Johannes von GmundenDer Astronom und H. K Kaiser: Johannes von Gmunden und seine mathematischen Leistungen aus demselben Band, die sich mit den wissenschaftlichen Leistungen des Wiener Gelehrten befassen, noch keinen so endgültigen Charakter; dies ist bei den sich immer wieder ändernden Interpretationsansätzen, die der Untersuchung der wissenschaftlichen Tätigkeit eines Gelehrten zugrunde liegen, auch kaum in dem Maße möglich wie bei den biographischen Darstellungen. 36 Vgl. P. Uiblein: Johannes von Gmunden, S. 18. 37 Vgl. P. Uiblein: Johannes von Gmunden, S. 25.
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1. Kapitel: Voraussetzungen und Vorbilder
er ein Kanonikat bei St. Stephan in Wien erhalten hatte,38 beendete er deswegen keineswegs seine Lehrtätigkeit an der Artistenfakultät. Jedoch wurden seine Vorlesungen, zu denen er nicht mehr verpflichtet war, seltener: Bis zum Studienjahr 1434/35 las er noch zweimal über astronomische Instrumente, nämlich 1431/32 tiber das Albion und 1434/35 tiber das Astrolab. Betrachtet man den Lebensweg Johannes von Gmundens, so kann man ihn mit gewissen Einschränkungen jener Gruppe von professionellen Magistern zurechnen, die ihr artistisches Lehramt als eine Lebensstellung betrachteten.39 Fast dreißig Jahre lang hielt er Vorlesungen an der Artistenfakultät, ohne an einer höheren Fakultät mehr als nur den Grad eines Bakkalaureus der Theologie anzustreben. Die wichtigste Voraussetzung hierftlr war unbestreitbar seine Kollegiatur am Collegium ducale, die ihn, unabhängig von Hörgeldern und Sporteln, in den Stand versetzte, sich fast ausschließlich auf die Mathematik und Astronomie zu spezialisieren. Paul Uiblein hat in diesem Zusammenhang vom allmählichen Übergang zur ersten Fachprofessur der Mathematik in Wien gesprochen, jedoch gleichzeitig zutreffend betont, daß es sich bei Johannes von Gmunden um eine durch seine eigenen wissenschaftlichen Neigungen bedingte freiwillige Spezialisierung seiner Lehrtätigkeit gehandelt hat; es war dies noch keine feste Institution. 40 Auffallig ist dabei, daß Johannes von Gmunden mit fortschreitender Zeit immer häufiger, und zwar mit Zustimmung der Artistenfakultät, Stoffe zum Vortrag brachte, die nicht zum Curriculum der Artistenfakultät zählten. 41 1423 erreichte er sogar, daß ihm der Vortrag eigener Forschungsergebnisse in seinem Privatzimmer als Erftlllung der Regenzpflicht, die ihm als Kollegiaten auferlegt war, angerechnet wurde. 42 Trotzdem handelte es sich hier nur um die Initiative eines Einzelnen, die durch gewisse institutionelle Voraussetzungen begünstigt wurde. Zwar vermachte Johannes von Gmunden der Wiener Artistenfakultät testamentarisch seine astronomischen Instrumente und seine Bibliothek;43 eine institutionelle Vorsorge, die nach dem Erlahmen seiner Lehrtätigkeit 1435 und nach seinem Ableben 1442 Vgl. P. Uiblein: Johannes von Gmunden, S. 42. Vgl. oben S. 41. 40 Vgl. P. Uiblein: Johannes von Gmunden, S. 32. 41 Erstmals 1419, als er mit Genehmigung der Artistenfakultät astronomische Tafeln erklärte: An quedam tabule in astronomia sint pronunciande publice, ut magister J. de G. tempore suo comodius valeret declarare. Et dabatur licencia pronuncciandi per unum magistrum ita tamen, quod ipse post per se declaret et corrigeret incorrecta. UAW AFA 11, f. 3Ov, zitiert nach P. Uiblein: Johannes von Gmunden, S. 58. 42 UAW AFA 11, f. 64v, zitiert nach P. Uiblein: Johannes von Gmunden, S. 58: Er bittet um Erlaubnis, daß er aliqua per eum collecta, nondum completa, que successive complere proponit, ut possint interim successivepronunciar~ et quod declaracio eorundem in camera sua sibi pro regencia computetur. Der Antrag wird bewilligt. 43 Eine neue kritische Edition des Testaments bei P. Uiblein: Johannes von Gmunden, S.59-62. 38
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eine kontinuierliche Entwicklung hätte einleiten können, trafen aber weder er noch die Artistenfakultät oder die Universität. Zu fremd war den Hohen Schulen Pariser 7yps noch der Gedanke an Fachlekturen an den Artistenfakultäten. Um die Verbindung zwischen Johannes von Gmunden und den beiden nächsten, renommiertesten Vertretern der Ersten Wiener mathematischen Schule, Georg von Peuerbach und Johannes Regiomontanus, herzustellen, ist man gezwungen, einen Umweg zu machen, der vorübergehend von der Universität Wien wegführt. Er führt Ober Georg Muestinger, den Mathematiker-Propst44 des Stifts Klosterneuburg. Von 1418 bis zu seinem Tod 1442 leitete dieser das Chorherrenstift4s und baute es zu einem Zentrum der Mathematikpflege aus, das auch noch nach seinem Tod Gelehrte anzog, die sich aus der dortigen Bibliothek Antworten auf ihre mathematischen Fragen erhofften. 46 Einiges spricht dafür, daß Georg von Peuerbach sich dort umfassende mathematische Kenntnisse aneignete, ehe er 1446 die Universität Wien bezog.41 Mit einer nicht genau datierbaren Unterbrechung zwischen den Jahren 1448 und 1451, während der Georg von Peuerbach eine Italienreise unternahm und 1449 an der Universität Padua mathematische Vorlesungen hielt, verblieb er an der Universität Wien bis zu seinem Tod 1461. 48 Soweit ersichtlich, war Georg von Peuerbach in seiner Universitätslaufbahn keineswegs so begünstigt wie Johannes von Gmunden. Er erhielt keine Kollegiatur, und auch sonst machte die Universität keine Anstalten, einen Mathematiker, der sich schon in Padua einen Namen gemacht hatte, an sich zu binden. Vielmehr hat Georg von Peuerbach an der Universität nie offiziell mathematische Vorlesungen gehalten und mußte sich seinen Unterhalt, hauptsächlich im Fürstendienst, außerhalb der Hohen Schule verdienen. 49 Der Tod traf ihn gen au in dem Augenblick, in dem er im Begriff war, im Gefolge des Kardinals Bessarion die Universität, vermutlich für immer, zu verlassen. Diese Chance ergriff an seiner Stelle sein Schüler Johannes Regiomontanus. Auch er hatte an der Universität keine Gelegenheit gefunden, seine ma44 Die treffende Formulierung stammt von H. Grössing: Humanistische Naturwissenschaft, S. 79. 45 Vgl. H. Grössing: Humanistische Naturwissenschaft, S. 77. 46 Vgl. D. B. Durand: The Vienna K10sterneuburg Map Corpus, S. 67-90 passim; K Pilz: 600 Jahre Astronomie in Nürnberg, S. 51. 47 Vgl. H. Grössing: Humanistische Naturwissenschaft, S. 79. 48 Zu den biographischen Daten vgl. H. Grössing: Humanistische Naturwissenschaft, S.79--83. 49 1454 las er über die Aeneis OJAW AFA III, f. 74v), 1456 Juvenal OJAW AFA 111, f. 97r), 1458 Horaz OJAW AFA 111, f. 117r); vg\. A. Lhotsky: Die Wiener Artistenfakultät, S. 127. Auf die Bedeutung des Fürstendienstes für Georg von Peuerbach wird unten aufS. 101 eingegangen. Zur Bedeutung des Humanismus, dem augenscheinlich die hier angeführten Vorlesungen gewidmet waren, vg\. unten S. 1031I.
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1. Kapitel: Voraussetzungen und Vorbilder
thematischen Interessen mit einer den Lebensunterhalt sichernden Besoldung zu verbinden.so Während der nächsten dreißig Jahre ging die Pflege der Mathematik an der Universität Wien nicht über das hinaus, was auch andernorts von nicht spezialisierten Magistern im Rahmen des artistischen Curriculums geboten wurde. s1 Es zeigt sich deutlich, daß eine langdauernde, kontinuierliche Blüte der Mathematik an einer Universität auch und entscheidend von günstigen institutionellen Voraussetzungen abhing. Eine Kollegiatur wie im Fall von Johannes von Gmunden konnte einen mathematisch interessierten Magister über Jahrzehnte hinweg an der Universität halten; fehlten solche Voraussetzungen, war mit einem derartigen Glücksfall kaum zu rechnen. Die Beispiele von Georg von Peuerbach und Johannes Regiomontanus demonstrieren dies beredt. Zwar hatte die Universität Wien die Spezialisierung von Johannes von Gmunden wohlwollend gefördert, doch ging ihr Interesse an der Mathematik nicht so weit, daß sie eine institutionelle Vorsorge getroffen hätte, um den erreichten Stand zu bewahren und eventuell auch auszubauen. Etwas anders als in Wien entwickelten sich die Verhältnisse in Erfurt. Daß dort die Mathematik eine bleibende Heimstatt finden konnte, war zuerst privater Initiative zu verdanken; doch erkannte die Universität die Möglichkeiten, die diese bot, und bemühte sich, auch zur Steigerung ihres eigenen Ansehens, ständige Vorsorge zu treffen. Nicht in den Leistungen, aber in der Kontinuität übertraf Erfurt die Wiener Universität bei weitem. Der Ausgangspunkt war die Stiftung des Himmelspfortenkollegs durch Amplonius Ratinck aus Berka. Der in Köln tätige Professor der Medizin hatte schon zu den Gründungsmitgliedern der Erfurter Universität gehört und den Kontakt dorthin nie ganz aufgegeben. 1412 setzte er einen anscheinend schon lange gehegten Plan in die Tat um, indem er dort ein Kolleg für 15 Studenten gründete.s2 Daß die endgültige Realisierung des Planes wegen einiger Mißstimmigkeiten zwischen Amplonius und der Erfurter Hohen Schule noch um über 20 Jahre verzögert wurde, ist für die vorliegende Untersuchung ohne Interesse. Wichtig ist jedoch die Tatsache, daß Amplonius schon 1412 seine Bibliothek, die Bestandteil des zu schaffenden Kollegs sein sollte, der Erfurter Uniso Er las 1458/59 Perspectiva communis (UAW AFA 01, f. 117v), 1460/61: Euklid I (UAW AFA III, f. 136v), beides Vorlesungen, die zum Curriculum gehörten. Eine filr 1461/62 vorgesehene Vorlesung über die Bucolica von Vergil (UAW AFA III, f. 145r) hat er wegen seiner Abreise nach Italien nicht mehr gehalten; vgl. E. Zinner: Leben und Wirken, S. 78. Zu Regiomontanus' Karriere außerhalb der Universität vgl. unten S. 101. SI ZU Johannes Grossnickel, der einzigen Ausnahme in Wien vgl. unten S. 91 und S. 111. Es ist zu wenig über ihn bekannt, als daß man Genaueres über seine Tätigkeit in Wien sagen könnte. Jedenfalls scheint er mehr in der medizinischen als in der artistischen Fakultät engagiert gewesen zu sein, zumal er den Magistergrad nicht besaß. S2 Es sei betont, daß es sich dabei nicht um ein Magisterkolleg, sondern um eines der wenigen an deutschen Universitäten angesiedelten Studentenhäuser handelte. Zu diesen vgl. A Seifert: Die Universitätskollegien, S. 359-61.
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versität übergab. 53 Nach dem von ihm noch selbst erstellten Verzeichnis der Büchersammlung54 enthielt diese insgesamt 635 Bände, worunter sich, was bei einem Mediziner auch nicht verwundert, 73 Codices mit mathematischen Texten befanden. 55 Praktisch das gesamte Spektrum der mathematischen Wissenschaften wurde dadurch abgedeckt; vor allem waren auch astronomische Tafelwerke56 und astrologisches Schrifttum samt Iatromathematischem57 darin enthalten. Damit besaß die Universität Erfurt eine mathematische Bibliothek, der die anderen deutschen Universitäten derselben Zeit nichts Vergleichbares entgegensetzen konnten. 58 Das Himmelspfortenkolleg bot seinen Kollegiaten außer Unterkunft und Verpflegung auch ein eigenes Lehrprogramm. Prinzipiell waren von diesem Programm auswärtige Studenten, die nicht dem Kolleg angehörten, ausgeschlossen, doch machte Amplonius im Stiftungsbrief eine Ausnahme: an Veranstaltungen über Mathematik, Arithmetik, Geometrie, Musik, Astronomie, Astrologie und Perspektive durften Auswärtige teilnehmen. 59 Bemerkenswert ist, abgesehen von der eben genannten Ausnahmeregelung, daß hier auch die Astrologie, die im Curriculum der Artistenfakultät natürlich fehlte,60 als Lehrstoff genannt wird. Diese private Initiative allein hätte allerdings kaum genügt, um in Erfurt eine kontinuierlich intensive Pflege der Mathematik zu begrUnden. Dafür war anscheinend eine zusätzliche Initiative von Seiten der Universität nötig, bei der wie in Wien das universitäre Magisterkolleg, das Collegium maius, eine wichtige Rolle spielte. Vgl. E. Kleineidam: Universitas studii, Bd. 1, S. 98. Ed. MBK 2, S. 1-95. 55 Vgl. MBK 2, S. 20--31. 56 Z. B. MBK 2, S. 27: ltem tabule illustris regis Alfoncii optime et correctissime a principio usque ad finem; / canones Dankonis, scilicet Johannis de Saxonia optimi ( ... ). 51 Z. B. MBK 2, S. 26: ltem liber Abraham de iudiciis signorum; / liber de interrogacionibus eiusdem; / liber de interrogationibus Abenzre; / liber de electionibus; / liber Abenzre de electionibus,' / liber Abraham de nativitatibus; / liber Abraham de revolucionibus; / liber Omar de nativitatibus; / kalendarium valde bonum. oder ibid., S. 27: ltem Alkubicius; / (... ) exposiciones valde bone super Alkubicium cum multis adiacentibus; / astrologia Ypocratis medicine conferens (... ). 58 Das Testament des Johannes von Gmunden, das allerdings nur diejenigen Bücher auflistet, für die der Erblasser bestimmte Benutzungsbedingungen vorschreibt, enthält z. B. nur 19 mathematische Codices, die i. d. R pro Band auch noch weniger Texte als die Bücher des Amplonius enthielten. Auch dies stellte bereits eine ansehnliche Sammlung dar. Dazu kamen noch einige astronomische Instrumente (vgl. die Edition des Testaments bei P. Uiblein: Johannes von Gmunden, S. 59-62). E. Kleineidam: Universitas studii, Bd. 2, S. 65 bemerkt dazu ein wenig zu emphatisch: Es gab in ganz Europa kaum eine Bibliothek, die sich an Reichtum mathematisch-astronomischer Schriften mit der Erfurter Amploniana messen konnnte. Wenn man die Aussage auf Deutschland einschränkt, entspricht sie völlig den Tatsachen. 59 Vgl. E. Kleineidam: Universitas studii, Bd. 2, S. 65. 60 Vgl. oben S. 63. 53 54
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1. Kapitel: Voraussetzungen und Vorbilder
Seit den zwanziger Jahren des 15. Jahrhunderts war der 1423 in Erfurt zum Magister promovierte Johannes von Sundershausen vermutlich Mitglied dieses Kollegs. Zu einem nicht genau bestimmbaren Zeitpunkt erwarb er den Grad eines Bakkalaureus der Medizin. Da er über profunde mathematische Kenntnisse verfUgte, beauftragte ihn die Artistenfakultät spätestens seit 1434 mit der jährlichen Berechnung eines A1manachs.61 Es ist sichergestellt, daß dies im Auftrag der Artistenfakultät oder vielleicht auch der Universität geschah, da das Dekanatsbuch der artistischen Fakultät zum Jahr 1435 vermerkt, daß man Johannes von Sundershausen CUr seine Arbeit am Almanach eine Stopa gallischen Weins spendiert habe;62 sein Nachfolger Christi an Roder wurde daCUr sogar regelrecht entlohnt: Er erhielt diese Aufgabe ab 1457 übertragen und bekam dafür von der Artistenfakultät eine rechtmäßige Propina von 4 fl. zugesprochen, weIche die Universität seit dem WS 1464 noch um einen weiteren Gulden aufstockte.63 Daß die Universität regelmäßig einen Almanach berechnen und veröffentlichen ließ, war ursprünglich ein italienisches Phänomen gewesen. Die Bedürfnisse der Ärzte, die ihre Diagnosen und therapeutischen Maßnahmen nach dem Stand der Planeten richteten, hatten dahintergestanden. 64 So verwundert es nicht, daß die Universität Erfurt mit Johannes von Sundershausen einen Bakkalaureus der Medizin mit der Berechnung des Jahrbuches betraute. Das italienische Vorbild kann dabei Pate gestanden haben: Seit 1410 lassen sich Erfurter Medizinstudenten an der Universität Padua nachweisen, wogegen Bologna vornehmlich von Erfurter Jurastudenten aufgesucht wurde. 6s Allerdings könnte auch die Konkurrenz mit der Universität Krakau, die seit etwa 1405 über eine nur den quadrivialen Fächern gewidmete Kollegiatur verfügte, den Anstoß gegeben haben. Der Inhaber dieser Krakauer Kollegiatur hatte auch die Pflicht, zur höheren Ehre der Universität jährlich einen Almanach zu veröffentlichen, doch liegen die erhaltenen Krakauer Almanache alle später als die ersten in Erfurt publizierten.66 Auch der Erfurter Almanach entwickelte sich zu einer Prestigeangelegenheit der Universität; das Geheimnis seiner Berechnungsgrundlagen wurde eifersüchtig 61 Vgl. Erfurt, WA, Q. 358, f. lr-13r: ein von Johannes von Sundershausen berechneter Almanach für 1434. Dieser müßte spätestens 1433 berechnet worden sein, damit er 1434 zur Verfügung stand. Vgl. dazu E. Kleineidam: Universitas studii, Bd. 2, S. 66. 62 Vgl. E. Kleineidam: Universitas studii, Bd. 2, S. 66 Anm. 416: (... ) collectores deberent unam stopam vini Gallici propinare rev. Magro. Johanni Sundershausen pro labore Almanach ex parte facultatis. 63 Vgl. E. Kleineidam: Universitas studii, Bd. 2, S. 71 Anm. 429: Conclusumfuit et commissum Dno. Decano et collectoribus ad providendum de novo Almanach pro honore facultatis ad instantem annum laborque istius Almanach commissus fuit Mgro. Christiano Roder de Hamburch, qui etiam annuavit conficiendo novum Almanach pro quo facultas artium exhibuit ei propinam legalem quatuor florenum. Vgl. ibid., Anm. 430 zu dem einen Gulden, den später die Universität zuschoß. 64 Vgl. oben S. 54. 6S Vgl. E. Kleineidam: Universitas studii, Bd. 2, S. 45-6. 66 Vgl. unten S. 86.
III. Die Universitäten im Reich
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gehütet. Als 1440 der schon erwähnte Propst des Stiftes Klosterneuburg, Georg Muestinger,67 durch Vermittlung von Johannes Krebs, einern 1440 nach Erfurt übergesiedelten Paduaner Doktor der Medizin, Aufklärung \iber die Berechnungsmethode zu erlangen wünschte, weigerte sich Johannes von Sundershausen unter den verschiedensten fadenscheinigen Vorwänden, das Geheimnis preiszugeben.68 Johannes Krebs griff daraufhin zu unlauteren Mitteln, so wichtig war ihm das Anliegen des Klosterneuburger Propstes: Er bestach mit der ungeheuren Summe von 60 tL einen Freund von Johannes von Sundershausen, um endlich Zugang zu den gesuchten und dem Wert nach auf 100 Dukaten geschätzten Schriften zu erhalten, was auch gelang. 69 Ob er allerdings auch Kopien davon anfertigen und damit sein Ziel erreichen konnte, ist nicht bekannt. Die Erfurter Universität traf, anders als Wien, gründliche Vorsorge, um immer über einen mathematisch gebildeten Magister verfügen zu können. Es wurde bereits erwähnt, daß Johannes von Sundershausen wahrscheinlich eine Kollegiatur am Collegium maius erhielt.7o Dies ist umso erstaunlicher, als einiges darauf hindeutet, daß Sundershausen verheiratet war und mit Sicherheit einen Sohn hatte. 71 Vom Erfurter Collegium maius sind aus jener frühen Zeit keine Statuten erhalten, doch waren die Inhaber von Pfründen an den Magisterkollegien der deutschen Universitäten gewöhnlich zu einer zölibatären vita communis im Gebäude des Kollegs verpflichtet; auch für das Erfurter Collegium maius ist dies anzunehmen. Umso deutlicher wird das Bemühen, einen renommierten Mathematiker an der Universität zu halten; man war bereit, seinetwegen grundlegende Vorschriften außer acht zu lassen. Auch der schon genannte Nachfolger Sundershausens, Christi an Roder, erhielt eine Pfründe am Collegium maius.72 Erst der Tod von Christian Roder 1478, der in eine Zeit fiel, in der die Universität Erfurt mit zunehmenden Schwierigkeiten zu kämpfen hatte,73 führte hier zu einem Bruch. Zwar bemühte man sich weiter erfolgreich um die Herausgabe des Almanachs, der zwi67
Vgl. oben S. 71.
Die ganze Affäre ist in einem Brief von Krebs an Muestinger beschrieben; ed. D. B. Durand: The Vienna Klosterneuburg Map Corpus, App. 1, S. 332-3; auch abgedruckt bei E. Kleineidam: Universitas studii, Bd. 2, S. 68-9. Der originellste Vorwand war, er könne die Tafeln, nach denen er den Almanach erstelle, jetzt gerade nicht unter seinen Büchern suchen: (... ) altera die se non posse querere inter libros suos (... ); vgl. D. B. Durand: The Vienna Klosterneuburg Map Corpus, S. 332. 69 Vgl. D. B. Durand: The Vienna Klosterneuburg Map Corpus, S. 332: Insuper intellexi ipsum tabu las suas pro centum ducatis taxare, sed pactum cum uno sibi amico pro 60 florenis renensibus teci ut occasionem haberem tabulas ilIas secundario videndo, sicque iterato vidi. Et quia diligenter consideravi (... ). 70 Vgl. oben S. 74. 7! Dieser Sohn wird in dem Brief von Johannes Krebs an Georg Muestinger erwähnt; er hatte ein Empfehlungsschreiben an seinen Vater für Krebs verfaßt: Quia statim 3a die postquam Erffordiam ven~ ipsum [sc. Sundershausen] accessi et litteras filii sui presentavi (... ); vgl. D. B. Durand: The Vienna Klosterneuburg Map Corpus, S. 332. 72 Vgl. E. Kleineidam: Universitas studii, Bd. 2, S. 69. 73 Vgl. E. Kleineidam: Universitas studii, Bd. 2, S. 19-20. 68
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1. Kapitel: Voraussetzungen und Vorbilder
schenzeitlich Konkurrenz von etlichen anderen Universitäten erhalten hatte, doch scheint am Collegium maius keine Stelle mehr für einen Mathematiker reserviert worden zu sein. Wie groß das Ansehen der Erfurter Mathematiker in den siebziger Jahren war, zeigt am eindrucksvollsten ein Brief, den Regiomontanus 1471 dorthin richtete, um einen der Erfurter Mathematiker zur Mitarbeit an seinem Projekt zur Wiederherstellung der Astronomie zu gewinnen.74 Nicht so klar wie in Wien und Erfurt lassen sich aufgrund der schlechteren Quellenlage die Verhältnisse an der Universität Leipzig nachzeichnen. Um einen Zugang zum Verständnis der einzelnen, zusammenhanglosen Nachrichten, die über das 15. Jahrhundert verstreut vorliegen, zu finden, soll zuerst das Endergebnis betrachtet werden, wie es sich am Ausgang des Jahrhunderts darstellte. In einer 1499 abgefaßten Redaktion der Statuten der Artistenfakultät wurde bestimmt, daß einige geeignete Magister speziell dazu abgeordnet werden sollten, die mathematischen Vorlesungen zu übernehmen. Als Grund für diese Maßnahme wurde angegeben, daß wegen des Mangels an mathematisch gebildeten Magistern die mathematischen Bücher selten gründlich und regelmäßig gelesen würden; deshalb zog man sogar in Betracht, falls es nötig wäre, diesen Magistern eine eigene Besoldung zukommen zu lassen.75 In der Tat hatte dies zur Folge, daß sich ein Kreis von Magistern herauskristallisierte, der nur mehr Ober mathematische Stoffe las. Seit dem Wintersemester 1502/03 sind die Listen, die Auskunft über die gehaltenen Vorlesungen und ihre Verteilung unter die lesenden Magister geben, erhaIten.76 Aus ihnen läßt sich ersehen, daß diese Gruppe in der Regel zwei bis vier Dozenten urnfaßte. Allerdings waren diese innerhalb des Spektrums der mathematischen Fächer keineswegs noch weiter spezialisiert, sondern tauschten bis 1507 semesterweise die mathematischen Vorlesungen untereinander aus. Diese merkwürdige Mischung aus allmählicher Spezialisierung und Beibehaltung des an den Artistenfakultäten üblichen Systems der walzenden Lektionen, nach dem jedem Magister jedes 74 Ed. M. Curtze: Der Briefwechsel, 324-36. Da der Brief an einen magister Christianus adressiert ist, ging man bisher immer davon aus, daß Ouistian Roder der Adressat war. M. Folkerts: Conrad Landvogt, S. 234 und 246 machte jedoch kürzlich auf eine Bemerkung von Conrad Landvogt aufinerksam, in der dieser behauptet, der Brief sei an Gottfried Wollack gerichtet gewesen. Die noch unentschiedene und wohl auch unentscheidbare Frage, an welchen der beiden sich Regiomontanus gewandt hat, besitzt im Rahmen der vorliegenden Studie allerdings keine Bedeutung. Was hier von Belang ist, nämlich die Kombination von persönlicher Neigung, privater Initiative und Vorsorge durch die Universität, wurde bereits dargestellt. 75 Vg\. F. Zamcke: Die Statutenbücher, S. 455-6: Quia lihri mathematicales fortasse propter paucitatem magistrorum in mathematicalibus exercitatorum rara diligenter leguntur et in facultate arcium continuantur, ideo placet, quod decetero singulis mutationihus sub certa mercede, si opus fueril, deputet aliquos magistros, in mathematicalihus peritos et instructos, ad legendum et continuandum utiliores lihros in mathematica (... ). 76 Mat. Leipzig, Bd. 2, S. 389. Die weiteren Listen ibid., passim.
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Semester ein anderes Stoffgebiet zugeteilt wurde, läßt sich nur in Leipzig beobachten und soll deswegen im folgenden als Leipziger Modell bezeichnet werden. Der nächste Schritt in Richtung der Fachlekturen, der in Leipzig 1502 erfolgte, um die Attraktivität der Hohen Schule gegenüber der neugegrOndeten Universität Wittenberg zu erhalten, war die Einführung der Hörgeldfreiheit für die Studenten der Artistenfakultät, welche die Besoldung aller lesenden Magister nach sich zog; 77 den Abschluß bildete in der Mathematik 1507 der Verzicht auf die jährliche Neuverteilung der Lektionen.78 Ähnliches folgte bald auch für die anderen Fächer des artistischen Curriculums. Damals, und nicht erst 1542,79 erfolgte die Abschaffung der mittelalterlichen Lehrverfassung mit ihrem nicht spezialisierten Gremium der magistri regentes. Nur in Leipzig wuchsen die artistischen Fachlekturen organisch aus der mittelalterlichen Lehrverfassung der Artistenfakultät ohne merkliche KontinuitätsbrOche hervor. Aus diesem Vorgriff auf eine spätere Zeit ergeben sich einige grundsätzliche Fragen nach den Ursprüngen des Leipziger Modells: War die 1499 getroffene Bestimmung eine aus der Not der Zeit geborene Neuerfindung, oder griff sie auf ältere Vorbilder zurück? Und: War es um die Leipziger Mathematik vor 1499 wirklich so schlecht bestellt, wie die Formulierung des Statuts glauben macht? Die in der Forschung geäußerten Ansichten über das Niveau der Leipziger Universitätsmathematik bescheinigen dieser fast generell ein niedriges Niveau.8o TI Vgl. B. Stübel: Urkundenbuch, Nr. 225, S. 265. Nur extraordinarie darf noch gegen Hörgeld gelesen werden: Und wiewol solche lectiones umbsonsten zu lesen vorordent, so sol doch einem ieglichen magistro, welcher lesen older resumiren wil umbs geld extraordinarie, vorgunt und gestattet werden (... ). Zu den Gehältern, die im Wintersemester 1502/03 gezahlt wurden, vgl. Mat. Leipzig, Bd. 2, S. 389; danach erhielt Andreas Alexander als Mathematiker 40 H. bezahlt, der zweite Mathematiker Konrad Tockler 16 H. Weitere Magister, die über Mathematik gelesen hätten, sind 1502/03 nicht erwähnt. Die Gehälter der übrigen Magister bewegten sich zwischen 5 H. (Ars epistolandl) und 20 H. (Metaphysica), Die Höhe von Alexanders Gehalt übersteigt also alle übrigen um mindestens das doppelte, was das Interesse, das man an ihm hatte, unterstreicht. Tocklers Gehalt lag im Mittelfeld. 78 Ab 1507 las Konrad Tockler über die perspectiva und Euklid, ein zweiter Lektor über sphaera cum appetentibus; vgl. Mat. Leipzig, Bd. 2, S. 429 (anno 1507) und passim für die folgenden Jahre. 79 1542 sieht H. Helbig: Die Reformation, S. 71 als entscheidendes Jahr in diesem Prozeß an. 80 Der Begründer dieser Ansicht war E. Zinner: Leben und Wirken, S. 14-5; darauf wird sogleich einzugehen sein. Von dort wurde sie kritiklos in Arbeiten übernommen, die, anders als bei Zinner, dessen Hauptaugenmerk selbstverständlich Regiomontanus galt, gerade die Leipziger Mathematik zum Gegenstand haben, so daß weitergehende Aufschlüsse hätten erwarten werden dürfen; vgl. z. B. M. Schwarzburger: Die Mathematikerpersönlichkeiten, S. 351-4 oder H. Wussing: Regiomontanus als Student in Leipzig, S. 173. Erst die Arbeiten von D. Döring (v. a. Die Beziehungen, aber auch seine Untersuchung Die Bestandsentwicklung, in der er nochmals seine Ergebnisse zusammenfaßte) haben hier eine Wende herl>eigeführt: Vor allem die Hinzuziehung der von Döring erstmals im Zusammenhang untersuchten Bestände an mathematischen Handschriften in der Universitätsbibliothek, verl>unden mit einer zwar knappen, aber trefflichen Analyse der
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1. Kapitel: Voraussetzungen und Voroilder
Erstes vermeintliches Zeugnis hierfür ist der Wechsel des 1447 an der Universität Leipzig im Alter von elf Jahren inskribierten Regiomontanus81 an die Universität Wien, die er 1450 bezog.82 Als Grund für diesen Umzug gibt E. Zinner an, daß Regiomontanus in Leipzig niemanden hätte finden können, der seinen Wissensdurst auf mathematischem und astronomischem Gebiet zu befriedigen imstande gewesen wäre. 83 Zwar erwähnt Zinner, daß Regiomontanus in Leipzig ein Jahrbuch für 1448 berechnet hat, das, detaillierter als der zum Vorbild dienende Gutenberg-Kalender, die Positionen der Planeten für jeden einzelnen Tag des Jahres angab und eine für einen Zwölfjährigen erstaunliche Leistung darstellt;84 auch verweist er, um die Leistung zu würdigen, in diesem Zusammenhang auf die schon erwähnten Versuche Georg Muestingers, das Geheimnis Johannes von Sundershausens an sich zu bringen; doch dann kommt er zu dem Schluß, die Berechnung sei eine geniale eigenständige Leistung des Kindes gewesen, da sich in Leipzig niemand nachweisen ließe, der es ihm hätte beibringen können.8s Die umgekehrte Schlußfolgerung besäße unseres Erachtens aber bedeutend mehr Berechtigung: Wer anders als ein Leipziger Magister hätte einem gerade zwölfjährigen Kind beibringen sollen, den Almanach zu berechnen? Nachrichten aus den Statuten und Akten der Universität, haben die Möglichkeit zu einer realistischeren Einschätzung der Verhältnisse in Leipzig geschaffen. So kommt Döring (Die Bestandsentwicklung, S. 23) zu dem richtigen Schluß: Auf alle Fälle läßt sich auch hier wieder die Feststellung unterstreichen, daß unser bisheriges geringes WISsen nicht so sehr in der Dürftigkeit des sich bietenden Bildes begründet ist, sondern in unserer zu mangelhaften Erschließung der vorhandenen Quellen. Einzelne Aspekte, vor allem die Algebra an der Universität Leipzig, waren schon vorher in nicht universitä~- sondern disziplinengeschichtlich ausgerichteten Untersuchungen von W. Kaunzner: Uber Johannes Widmann und Kurt Vogel: Die erste deutsche Algebra aufgearoeitet worden. 81 Mal. Leipzig, Bd. 1, S. 161. 82 Mal. Wien, Bd. 1, S. 275. 83 Vgl. E. Zinner: Leben und Wirken, S.19. 84 Wien, ÖNB. cvp 4988, f. 1v-188v(mit Fortsetzung bis zum Jahr 1463). 8S Vgl. E. Zinner: Leben und Wirken, S. 15: ( ... ) denn der erste Gedanke angesichts des mit sehr kindlichen Schriftzügen geschriebenen Jahrbuches Regiomontans (... ) ist: der Zwölfjährige hat dies nur abgeschrieben. Berechnet hatten es seine Leipziger Lehrer. Doch da entsteht die erste Schwierigkeit. Wekher Lehrer käme dafür in Betracht. Es ist nämlich nicht möglich, für die damalige Zeit Gelehrte in Leipzig nachzuweisen, denen man eine sokhe Berechnungzutrauendürfte. Nicht einmal die Namen der überAstronomie vortragenden Magister lassen sich feststellen. In Leipzig herrschte noch die Sitte, die nötigen Vorlesungen der Reihe nach unter die Magister der artistischen Fakultät zu verteilen. Es wurde also auf Begabung oder Vorliebe keine Rücksicht genommen, und dies war wohl der Grund für das Zurückbleiben der Leipziger Universität gegenüber der Wiener auf dem Gebiete der Astronomie und Mathematik. Abgesehen davon, daß die Unmöglichkeit, die Namen der_zu Regiomontanus' Studienzeit in Leipzig lesenden Magister festzustellen, durch die Uberlieferungslage und nicht durch das vermeintlich niedrige Niveau der Leipziger Mathematik bedingt ist, schätzt Zinner hier auch die Verhältnisse an der Wiener Universität, die genauso wenig wie die Leipziger Rücksicht auf Begabung oder Vorliebe nahm, falsch ein.
III. Die Universitäten im Reich
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Die Quellen für die nächsten Jahrzehnte sind spärlich, und in der Tat kritisierten der Kurfürst Ernst und Herzog Albrecht in einem Schreiben an die Universität von 1471(?), daß sich kein Magister an der Universität finde, der über Astronomie und Mathematik lese, adder etwas practicire, worunter vermutlich die Berechnung des prestigeträchtigen Almanachs zu verstehen ist.86 Abhilfe sollten hier diejenigen Magister, die eine Kollegiatur besaßen, schaffen; wenn sich unter ihnen kein geeigneter ausmachen ließe, sollten sie einen solchen kooptieren, damit zcukunftiglich nicht großer mynnerunge daruß irwachße. 87 Es ist bezeichnend, daß Kurfürst und Herzog zur Behebung des Mißstandes zuallererst auf die Kollegiaten zurückzugreifen gedachten und, jedoch nur im äußersten Fall, in Erwägung zogen, einen in der Mathematik versierten Magister mit einer Pfründe an einem der beiden Leipziger Kollegien auszustatten. K. Sudhoff hat vermutet, daß daraufhin Johannes Tolhopf, der 1472 von Leipzig zur neu gegründeten Universität Ingolstadt abwandern sollte, eine Kollegiatur am Collegium maius übertragen bekam. 88 In der Tat erschien Tolhopf schon 1471 in einer Liste der Kollegiaten des Collegium maius,89 nahm es jedoch mit seiner Residenzpflicht in Leipzig nicht sonderlich genau: Er brachte das Kunststück fertig, gleichzeitig in Leipzig und in Ingolstadt eine Pfründe an den Kollegien zu behaupten, wobei seine Aufenthalte in Leipzig bedeutend seltener als in Ingolstadt waren. 90 Daß man in Leipzig bereit war, dieses Verhalten zu dulden, zeigt, wie stark das Interesse an einem mathematisch gebildeten Magister dort war. Der Brief der bei den Herrscher gibt allerdings noch eine weitere Frage auf: Entsprach ihre Forderung, für die Pflege der Mathematik an der Universität Leipzig zu sorgen, einem neu entstandenen Bedürfnis, oder sollte ein früherer Zustand wiederhergestellt werden? Sowohl die Formulierung des Briefes als auch einige Indizien, die ein wenig Licht auf die Pflege der Mathematik in Leipzig während der sechziger Jahre des 15. Jahrhunderts werfen, sprechen für die zweite Annahme.
86 Vgl. B. Stübel: Urkundenbuch Nr. 162, S. 203: Wir vernemen auch, das iczt in unser hoenschulen keyner in der astronomei und mathematica nüczlichen noch flißlichen leße, adder etwas practicire, das auch eine ringerunge bringt der universitet; wollet mit den egnanten collegiaten auch redenunde sie von unser wegen anhalden, das sie schaffen unde bestellen nach dem mal das sie zcu verweßung unde redlicher regirunge der fryen kunste dohen geordent syn, das ymands sich undir yn der egnanten kunste unde practica anneme, adder ymands sollichs zcu sich czyhen, der in dem underwyßung thue unde practicire, das zcukunJtiglich nicht großer mynnerunge daruß irwachße. Die Datierung wird von Stübel als unsicher angegeben. 87 Vgl. die vorige Anmerkung. 88 Vgl. K Sudhoff: Die medizinische Fakultät, S. 4~1. 89 Vgl. K Sudhoff: Die medizinische Fakultät, S. 41. 90 Hier soll nicht näher auf Johannes Tolhopf eingegangen werden. Eine detaillierte Besprechung seines Lebensweges und seiner Aktivitäten erfolgt unten auf S. 162ff.
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1. Kapitel: Voraussetzungen und Vorbilder
Immerhin hat Johannes Tolhopf seine Studien in Leipzig absolviert und 1468 mit der Ablegung des Magisterexamens abgeschlossen.91 Also muß er wohl dort seine mathematischen Kenntnisse erworben haben, auch wenn sich nicht feststellen Hillt, wer seine Lehrer gewesen sind.92 Ob Tolhopf auch praktizierte, ist nicht bekannt. Daß aber die Berechnung des Almanachs in Leipzig zumindest nicht unbekannt war, zeigt ein Jahrbuch, das Magister Nicolaus Gerstmann in Leipzig für 1463 und die folgenden Jahre berechnete.93 Es hat also bei des, Lehre und Praxis, in Leipzig gegeben, bevor die FOrsten ihr Fehlen dort bemängelten. Der Verlust von Johannes Tolhopfbedeutete für die Mathematik an der Universität Leipzig einen herben ROckschIag; der Brief der FOrsten, der wohl eher auf das Jahr 1472, nachdem Tolhopf Leipzig verlassen hatte, zu datieren ist, ist als Reaktion hierauf zu verstehen. Dies legt auch die Formulierung, das iczt in unser hoenschulen keyner in der astronomei unde mathematica nüczlichen noch flißlichen leße, adder etwas practicire, nahe; der daraus folgende Ansehensverlust wird dagegen von den FOrsten erst für die Zukunft erwartet: (. .. ) das zcukunftiglich nicht großer mynnerunge daruß irwachse. 94 Die bisher in der Forschung vertretene Meinung ist also gründlich zu revidieren: Zumindest am Ende der sechziger Jahre des 15. Jahrhunderts war es um die Universitätsmathematik in Leipzig keineswegs schlecht bestellt. Allerdings lassen sich beim derzeitigen Forschungsstand keine genaueren Angaben Ober die institutionelle Verankerung der Mathematik an der Universität Leipzig machen. Auch in den achtziger Jahren hatte das Leipziger Studium Magister aufzuweisen, die ihre Aktivitäten hauptsächlich auf mathematischem Gebiet entwickelten. Johannes Widmann aus Eger, der 1480 in die Matrikel eingetragen wurde und Mat. Leipzig, Bd. 2, S. 214. Als sein Promotor fungierte ein MagisterJohannesKunigsperg(vgl. Mat. Leipzig, Bd. 2, S. 214), der bei derselben Gelegenheit auch noch als Promotor eines Philipus de Kungsberg (ibid., S. 213) in Erscheinung trat. Diesen wie K Csapodi-Gardonyi: Die Wolfenbütteler Tolhopff-Corvine, S. 89 mit Regiomontanus zu identifizieren, wäre allerdings vorschnell, da es in Leipzig noch einen weiteren Magister Johannes KLlnigsberg gab, der in den Akten vor dem Datum der Promotion Tolhopfs zum letzten Mal im Jahr 1466 nachzuweisen ist (vgl. B. SlÜbel: Urkundenbuch, S. 173), danach nicht mehr. Otrono logisch wäre es möglich, daß Regiomontanus 1468 seinen Ungamaufenthalt für einige Monate, vielleicht sogar ein halbes Jahr, unterorach, um in Leipzig zu lehren. Außerdem weisen auch einige weitere Indizien darauf hin, daß Tolhopf den Unterricht von Regiomontanus genossen hat, doch kann nicht gesagt werden, ob dies schon in Leipzig oder erst bei ihrem Zusammentreffen in Rom 1475 geschah. Der Verfasser beabsichtigt, der Frage eines möglichen Wirkens von Regiomontan in Leipzig bei anderer Gelegenheit nachzugehen. Für die Argumentation genügt an dieser Stelle der Hinweis darauf, daß Tolhopf seine Ausbildung in Leipzig erhalten hat, und deswegen das Niveau der Leipziger Universitätsmathematik nicht so niedrig wie gemeinhin angenommen gewesen sein kann. 93 München, BSB, Clm 14111, f. 328r-333v. 94 Vgl. oben S. 79 Anm. 86. 91
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1482 zum Bakkalaureus und 1485 zum Magister promovierte, ragt hier heraus.95 Allerdings muß betont werden, daß seine Vorlesungen zur Arithmetik und Algebra keine offiziellen Universitätsveranstaltungen waren, sondern extraordinarie vorgetragen wurden. 96 Im Vordergrund des Wirkens der Universität nach außen stand jedoch die Publikation von Almanachen und Jahresprognostiken. Seit 1482 veröffentlichte der Arzt Wenzel Faber alljährlich eine lateinische und eine deutsche Vorhersage;97 vor allem dank seiner Arbeiten wurde Leipzig zum führenden Verlagsort für astrologische Schriften, obwohl er nicht der einzige war, der auf diesem Feld aktiv wurde. 98 Sie waren so beliebt, daß sogar gelegentlich bei ein und demselben Drucker Vorhersagen verschiedener Autoren für ein Jahr publiziert wurden. 99 Seit 1484 erschienen in Leipzig auch jährlich die für den Arzt so wichtigen Tafeln der Neu- und Vollmonde, ebenfalls sowohl lateinisch als auch deutsch. 1Oo Aufschluß darüber, ob die Wurzeln des Leipziger Modells vor das Jahr 1499 zurückreichen, läßt sich aus all diesen Nachrichten nicht gewinnen; sie liegen weniger in der Geschichte der Mathematik als in der Geschichte der Leipziger Artistenfakultät begründet. Schon früh begann sich dort ein Stamm von bevorrechteten Magistern zu bilden, der sich darum bemühte, die übrigen Lehrer an der 95 Mal. Leipzig, Bel. 1, S. 323: Johannes Weidman(!) de Egra; ibid., Bel. 2, S. 272 (promotion zum Bakkalaureus) und S. 289 (promotion zum Magister) Zu seinem Leben vgl. W. Kaunzner: Über Johannes Widmann von Eger, S. 1-3. 96 Vgl. die Vorlesungs ankündigungen in der Handschrift Dresden, Sächsische LB, Kodex C 80, f. Iv (2 Anzeigen) und 349v, ed. von H. E. Wappler: Zur Geschichte der deutschen Algebra, S. 9-10. Die erste der drei Anzeigen (S. 9) enthält keine Angaben über den Lestag, es heißt in der undatierten Ankündigung lediglich, daß die Veranstaltung hodie beginnen solle. Die zweite und dritte der Ankündigungen legen den Beginn aber auf die zweite Stunde nach Beendigung der Disputation der Bakkalare fest (S. 10: hora secunda celebrata baccelaureorum disputatione bzw. hora secunda post sermonem atque Baccelaureorum celebrata disputatione); die Disputation der Bakkalare fand gewöhnlich sonntags statt (vgl. G. Kaufmann: Geschichte, Bel. 2, S. 370), was auch durch die Erwähnung der Predigt in der letzten Ankündigung unterstrichen wird; daraus folgt, daß es sich nicht um ordentliche Vorlesungen gehandelt haben kann. Der Text der \brlesung über Algebra von 1486 in Dresden, Sächsische LB, Kodex C 80, f. 35Or-364v und UBL, ms. 1470, f. 479r-493v; nach der Dresdener Handschrift abgedruckt bei H. E. Wappler: Zur Geschichte der deutschen Algebra, S. 11-30. 97 Die erste bei E. Zinner, Geschichte und Bibliographie Nr. 152, S. 101; zu den weiteren vgl. ibid., passim. 98 Vgl. D. Döring: Die Beziehungen, S. 11: Allein zwischen 1480 und 1500 erschienen in der Stadt rund 70 Prognostiken, die von Gelehrten der eigenen Universität ver/aßt wurden. Zu Wenzel Fabervgl. ibid., S.14. 99 Z. B. bei M. Landsberg 1487 die Vorhersagen von Wenzel Faber (E. Zinner: Geschichte und Bibliographie Nr. 282, S. 107) und Martin Pollich (ibid. Nr. 290 und 292, S. 108), bei K Kachelofen ebenfalls das Judicium von Martin Pollich (ibid. Nr. 291, S. 108) und eine anonyme Vorhersage (ibid. Nr. 311, S. 109). 100 Die ersten bei E. Zinner: Geschichte und Bibliographie Nr. 211-3, S. 104; zu den weiteren vgl. ibid., passim.
6 Schöner
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1. Kapitel: \braussetzungen und \brbilder
Artistenfakultät sowohl von der Regierung der Fakultät als auch von den Vorlesungen, die die meisten Einnahmen versprachen, fernzuhalten. Dazu beschränkte die Fakultät den Kreis derer, die Zugang zum Fakultätskonzil hatten, schon bei GrUndung der Universität auf die Magister, deren Promotion mindestens zwei Jahre zurUcklag. 101 1420 wurde diese Anforderung auf ein dreijähriges Magisterium gesteigert,l02 und 1471, in eben dem Zeitraum, als der drei Jahre vorher promovierte Tolhopf Leipzig verließ, auf ein fünfjähriges Magisterium. 103 Gleichzeitig wurden einträgliche Vorlesungen für die älteren Magister reserviert. 104 Die Mathematik gehörte nicht zu diesen Vorlesungen, und hierin dUrfte der Grund für ihre Vernachlässigung durch die Leipziger Magister liegen. lOS Seit wann diese Oligarchiebildung Auswirkungen auf die Pflege der Mathematik an der Universität Leipzig hatte, kann nicht gesagt werden, doch ist festzustellen, daß spätestens seit 1471 in Erwägung gezogen wurde, die mathematischen Vorlesungen einem einzelnen, spezialisierten Magister zu übertragen. Seit den achtziger Jahren sind ständig mehrere Gelehrte, die herausragende mathematische Kenntnisse besaßen, in Leipzig belegbar. Es wäre also durchaus denkbar, daß schon vor 1499 eine Gruppe von Magistern auf den Vortrag der mathematischen Fächer spezialisiert war und daß das Statut aus diesem Jahr 106 lediglich einen akuten Mangel reflektiert. Die besprochene Entwicklung in Leipzig fällt ausschließlich in die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts, vielleicht sogar mit voller Wirkung auf die MathematHe erst in eine Zeit, zu der in Ingolstadt (1489) bereits die erste mathematische Fachlektur an einer deutschen Universität gegrUndet worden war. Trotzdem ist es gerechtfertigt, das Leipziger Modell in diesem zweiten Kapitel unter dem Stichwort Voraussetzungen und Vorbilder mitzubehandeln. Zwar zeigte die Verlagerung des fachlichen Schwerpunktes hin zur Astrologie in den achtziger Jahren 101 Vgl. F. Zamcke: Die Statutenbücher, S. 306. Dies könnte auf das Prager \Urbild zurückgehen, wo schon 1390 ein vierjähriges Magisterium gefordert wurde. Eine solche Forderung ließ sich bei einer neuentstandenen Universität, die auf Zuzug aus allen Richtungen angewiesen war, natürlich nicht aufrechterhalten. Zu Vergleichsbeispielen von anderen Universitäten vgl. A Seifert: Statuten- und Verfassungsgeschichte, S. 163. 102 Vgl. F. Zamcke: Die Statutenbücher, S. 315. 103 Vgl. F. Zamcke: Die Statutenbücher, S. 385. Bei A. Seifert: Statuten- und Verfassungsgeschichte, S. 163 ist fälschlich von einem sechsjährigen Magisterium die Rede, doch heißt es in der Quelle lediglich: (... ) quod sextum annum sui magisterii anigerit (... ), d. h. das sechste Jahr mußte begonnen haben. Fhenso die Formulierung in den Jahren 1409 und 1420, die Seifert richtig gedeutet hat. 104 Vgl. F. Zamcke: Die Statutenbücher,S. 363f.: Schon 1444 wurde festgelegt, daß nur vierjährige Magister das Anrecht auf Zuteilung der mit 1 0. besonders teuren Übung zur Metaphysik besitzen sollten. lOS Auf die Frage dieser Oligarchiebildung im allgemeinen und ihre Folgen für die Geschichte der Ingolstädter Artistenfakultät und damit auch für die Geschichte der Mathematik wird unten auf S. 135tI. eingegangen. 106 Vgl. oben S. 76.
IV. Krakau
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durchaus auswärtigen, nämlich Krakauer oder italienischen Einfluß, doch ist die institutionelle Form, in der man den gestiegenen Anforderungen gerecht zu werden suchte, eben das Leipziger Modell, ein autochthones Produkt der Leipziger Artistenfakultät. 107 Es modifizierte lediglich die schon im gesamten 15. Jahrhundert an allen Universitäten Pariser Typs gängige Lehrverfassung, ohne daß einschneidende Eingriffe einer auswärtigen Instanz, z. B. des Landesherrn, nötig gewesen wären. Die Frage der Integration des Mathematiklektors, bzw. der Mathematiklektoren in den artistischen Lehrbetrieb, die besonders in Ingolstadt, aber auch in Tübingen und Wien akut werden sollte, hat sich in Leipzig nie gestellt. Der Leipziger Sonderweg traf sich mit der Entwicklung an den anderen deutschen Universitäten erst wieder, als dort, wenn auch über völlig andere Stationen, ebenfalls die Fachlekturen an den Artistenfakultäten eingeführt wurden. Es hat sich gezeigt, daß an mehreren deutschen Universitäten während des 15. Jahrhunderts Sonderentwicklungen stattfanden, die der intensiveren Pflege der Mathematik eine materielle Basis boten. In Wien und Erfurt, weniger ausgeprägt in Leipzig, spielte dabei die nur für die mitteleuropäischen Universitäten typische Einrichtung des Magisterkollegs eine Rolle. Auch in Ingolstadt bot eine Pfründe am Magisterkolleg dem bereits erwähnten Johannes Tolhopf die Gelegenheit, seinen mathematischen Neigungen nachzugehen. lOS Außer in Leipzig bildeten sich die mathematischen Fachlekturen allerdings an keiner deutschen Universität organisch aus der alten Lehrverfassung heraus. Vielmehr standen sie wie die humanistischen J...ekturen zu Beginn völlig außerhalb der Artistenfakultäten. 109 Die wichtigste Rolle als Vorbild spielte dabei das italienische Modell; die Mittlerfunktion zwischen Italien und Deutschland übernahm größtenteils die Universität Krakau, wogegen der direkte Einfluß aus Italien, von humanistischen Gelehrten und Ärzten nach Deutschland importiert, geringer war.
IV. Krakau: Vorbild und Motor Die erste Universität östlich von Paris und nördlich der Alpen, die schon seit dem Beginn des 15. Jahrhunderts über zuerst eine, später sogar zwei mathematische Fachlekturen verfügte, war die Hohe Schule von Krakau. Dank dieser 107 Dazu, daß die Universität Ingolstadt diesem Vorbild erst mit mehrjähriger Verspätung und dann auch nur ansatzweise folgte, vgl. unten S. 142tf. 108 Vgl. unten S. 163. Dort wird auch gezeigt werden, daß besonders das Interesse des helZoglichen Rates Martin Mair Tolhopf, der wegen mehrerer Eskapaden nicht gerade das uneingeschränkte Wohlwollen der Universität genoß, davor bewahrte, seine Kollegiatur zu verlieren. Das Interesse an dem Mathematiker war so groß, daß nicht nur in Leipzig, sondern gleichzeitig auch in Ingolstadt seine Sonderwege ungeahndet blieben, solange er sich obrigkeitlicher Protektion erfreute. Der Verlust der Gunst Martin Mairs zwang ihn dann 1479 zum Abzug aus lngolstadt. 109 Vgl. Z. B. zu Ingolstadt unten S. 223, zu Wien unten S. 270.
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1. Kapitel: Voraussetzungen und Vorbilder
günstigen institutionellen Voraussetzungen entwickelte sie sich seit der Mitte des 15. Jahrhunderts zu dem Zentrum der Astronomie und Astrologie im ost- und mitteleuropäischen Raum, das Scholaren aus sämtlichen angrenzenden und weiteren Gebieten anzog. 1 Die Anstöße, die von dort für die Pflege der Mathematik an den deutschen Universitäten am Ende des 15. und am Beginn des 1~. Jahrhunderts ausgingen, sind kaum zu überschätzen. Viele der später als Mathematiklektoren an deutschen Universitäten angestellten Magister hatten ihre Ausbildung in Krakau erhalten.2 Auch Ingolstädter Scholaren fanden am Ende des 15. Jahrhunderts immer wieder ihren Weg dorthin. Zwar hat keiner der in Ingolstadt tätigen Fachlektoren für die mathematischen Fächer dort studiert,3 doch sind die Bemühungen des Kreises um Conrad CeItis zur Förderung der Mathematik an der Universität Ingolstadt von seinem Studienaufenthalt in Krakau während der Jahre 1488 bis 1490 zweifellos mit inspiriert worden. 4 Die Krakauer Astronomische Schule
Ähnlich wie in Wien, bedurfte es auch in Krakau zweier Anläufe, bis das studium tatsächlich in Gang kam: Eine erste Gründung durch den polnischen König Kasimir den Großen im Jahr 1364, die nach Bologneser Muster erfolgte, blieb aufgrund der mangelhaften materiellen Ausstattung der Universität weitestgehend erfolglos.s Erst die Neudotierung durch Ladislaus Jagiello im Jahr 1400, die praktisch auf eine Neugründung, diesmal nach dem Vorbild der Universität Paris, hinauslief, legte den Grundstein zu einer gedeihlichen Entwicklung.6 Das damals gestiftete CoUegiumMaius wurde zum Zentrum der Krakauer Hohen Schule.7 Die Artistenfakultät in Krakau unterschied sich anfangs weder organisatorisch noch in ihrer Lehrverfassung sonderlich von anderen Universitäten Pariser 1Yps. Ebensowenig wie an den Schwesteruniversitäten existierten an der Artistenfakultät spezielle Lekturen für die einzelnen Fächer des artistischen Curriculums; auch war in diesem keine besondere Betonung der quadrivialen Fächer Vg\. A. Birkenmajer: L'universite de Cracovie, passim. Zu den Beispielen vg\. unten S. 92ff. 3 Nur Aventin, der jedoch nie die Mathematiklektur in Ingolstadt innehatte, stellt eine Ausnahme dar, auf sein angebliches Wirken als Lehrer der Mathematik in Ingolstadt wird unten aufS. 253 eingegangen werden. 4 Es muß allerdings betont werden, daß Celtis, als er in Ingolstadt eintraf, bereits eine besoldete Lektur für Mathematik vorfand. Dies war der bisherigen Forschung nicht bekannt. Zu den daraus folgenden Konsequenzen vg\. unten S. 233ff. 5 Zu den wenigen Zeichen von Aktivität, die sich nach der ersten Gründung an der Universität Krakau feststellen lassen, vg\. C. Morawski: Histoire, Bd. I, S. 47-52. 6 Zur Neugründung und Neudotierung vg\. C. Morawski: Histoire, Bd. I, S. 73-81, zur Vorbildhaftigkeit von Paris ibid., S. 76. 7 Vg\. C. Morawski: Histoire, Bd. I, S. 77-9 und P. W. KnolI: The Arts Faculty, S. 140-2. 1
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bemerkbar. 8 Die Vorlesungen wurden, wie auch andernorts üblich, unter die zur Verfügung stehenden Magister verlost. 9 Was Krakau zu seiner herausragenden Stellung auf dem Gebiet der Astronomie und Astrologie verhalf, war nicht auf eine vom Ursprung her spezifisch andere organisatorische Grundlage oder auf obrigkeitliche Eingriffe zurückzuführen, sondern ausschließlich auf private Initiative. Um 1405 stiftete der Krakauer Bürger Johannes Stobner eine Kollegiatur,lO deren Inhaber ausschließlich die mathematischen Fächer zu lesen hatte.H Genannt werden die Elemente von Euklid, die Perspectiva, Arithmetik, Musik und Planetentheorie, sowie die Alfonsinischen Tafeln, deren Vortrag eine Einführung in die Bruchrechnung vorauszuschicken sei. 12 Seine Lehrtätigkeit sollte die Vorlesungen über quadriviale Gegenstände, die von anderen Magistern der Artistenfakultät im Rahmen des normalen Vorlesungszyklus' gehalten wurden, ergänzen, nicht aber ersetzen. Trotzdem stand seine Tätigkeit in engem Zusammenhang mit der Artistenfakultät, wie die Vorschrift, daß er sich mit dem Dekan der Artisten über seine Vorlesungen abstimmen soll, zeigt. 13 Außerdem hatte der Stobnersche Kollegiat die Pflicht, markante Himmelsereignisse wie z. B. Finsternisse voraus-
8 Für das Bakkalaureat wurde der computus cyrometralis verlangt, rur das Magisterium galt: (... ) arismetica communis, tres libri euclidis, musica muris, theorica planetarum, et perspectiva ante magisterium audiantur. Vgl. J. Muczkowski: Statuta, S. XII-XIII. Daß sich das Curriculum und die Organisation der Krakauer Artistenfakultät anfänglich kaum von anderen Universitäten unterschieden, betont v. a. P. W. KnolI: The Arts Faculty, S. 142-3. Den einfachsten Zugang zum Inhalt des Krakauer Curriculums bietet S. Lorenz: Libri ordinarie legendi, S. 230, wo der Inhalt in Tabellenform aufgelistet ist. 9 Vgl. C. Morawski: Histoire, Bd. 3, S. 283-4. 10 Der Inhaber wird in den Quellen als Collegiatus bezeichnet; vgl. ems. Arch. U. J. (= Codex manu scriptus Archivi Universitatis Jagellonicae) 63, S. 18, zitiert nach M. Markowski: Astronomie an der Krakauer Universität, S. 258 Anm. 7: (... ) collegiatus domini Stobneri (... ). 11 Zu ebenfalls in der ersten Hälfte des 15. Jh. gestifteten Kollegiaturen in Krakau, die anderen Fächern, z. B. dem Elementarunterricht in der Grammatik, gewidmet waren, vgl. C. Morawski: Histoire, Bd. 2, S. 141-2. Hier liegt der fundamentale Unterschied zwischen den Universitäten im Reich und Krakau. An keiner deutschen Universität war einer Kollegiatur statutarisch ein bestimmter Fächerkomplex zugeordnet, auch in Erfurt nicht. 12 Vgl. M. Markowski: Astronomie an der Krakauer Universität, S. 258: (... ) pro uno legat in mathematica hoc ordine, videlicet Euclidem, perspectivam, arismetricam et musicam et Theoricam planetarum, demum Tabulas Alphonsii premisso Algorismo minuciarum (... ). 13 Vgl. M. Markowski: Astronomie an der Krakauer Universität, S. 258: (... ) quod si aliquis magistrorum a sorte librum, quem ipse [sc. collegiatus domini Stobneri) debet legere ex ordine, legendum accepit, a tunc ipse librum aliquem a libris sibi deputatis vacantem legat vel alium, quem decanus facultatis cum duobus senioribus de Collegio magis vult(?) apedire.
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1. Kapitel: Voraussetzungen und Vorbilder
zuberechnen und jährlich einen Almanach zu veröffentlichen, beides zur höheren Ehre der Universität. 14 Während der vom Stifter für den Kollegiaten vorgesehene Lektionsplan kaum über das hinausging, was auch von den Statuten für das artistische Curriculum vorgesehen war, - nur die Einführung in den Gebrauch der Alfonsinischen Tafeln war darin nicht enthalten 15 - handelte es sich bei der Pflicht, jährlich den Almanach zu berechnen, um etwas, das bis dahin nur an den italienischen Universitäten, nicht aber nördlich der Alpen üblich war. Trotzdem erlaubt die Quellenlage keine Schlüsse darauf, ob das italienischeModell bei der Einrichtung der Lektur eine Rolle spielte. Jedenfalls besaß Johannes Stobner keinen Grad in der Medizin und hatte sich anscheinend auch nie in Italien aufgehalten. 16 Unter den neun Krakauer Gelehrten, die sich vor 1440 besonders den quadrivialen Fächern widmeten, befanden sich nur zwei Doktoren der Medizin;17 zwei wurden Professoren der Theologie in Krakau,18 während drei lediglich artistische Grade besaßen 19 und bei zweien nichts über akademische Grade, die sie erworben hätten, bekannt ist. 2o Die Astrologie spielte in jener frühen Epoche noch kaum eine Rolle.21 Zwar besitzt die Krakauer Universitätsbibliothek mehrere Handschriften aus dem Ende 1~ Vgl. M. Markowski: Astronomie an der Krakauer Universität, S. 258: Pro secundo actu scilicet et publicat notoria(?) eclipses, eclipses(!), almanach et minuciones pro honore Universitatis. 15 Vgl. oben S. 85 Anm. 8. Die A1fonsinischen Tafeln hatte er alle zwei Jahre zu lesen, wobei er dann, wohl aufgrund des anspruchsvollen Vorlesungsthemas und dem damit verbundenen Zeitaufwand, von anderen Pflichten befreit war. Vgl. ibid.: Cum autem Tabulas Alphonsi legerit, ab alio actu pronunciatus sit absolutus, quos semper infra byennium tenetur legere et consequenter redire ad libros priores per responsionem legendas ex debito. 16 Freundliche Mitteilung von Mieczystaw Markowski, dem ich an dieser Stelle für seine Auskünfte herzlich danken darf. Es bleibt eine einzige bekannte Erwähnung der Medizin im Zusammenhang mit der Stobnerschen Kollegiatur festzustellen: (... ) eclipses quoque cum minucionibus et farmaciis practicabit, intimabit et conftciet (... ); vgl. M. Markowski: Astronomie an der Krakauer Universität, S. 259 Anm. 7. 17 Nikolaus von Oszkowice, Krakauer Magister 1418, Dr. med. zwischen 1425 und 1430. Johannes von Ludzisko, Krakauer Magister 1422, Dr. med. Padua 1433. Diese und die folgenden Angaben zu den Personen nach M. Markowski: Astronomie an der Krakauer Universität, S. 262-3. 18 Laurentius von Ratibor, Krakauer Magister 1416, Prof. Theol. Krakau vor 21. August 1433. Andreas von Buk, Krakauer Magister 1419, Prof. Theol. ca. 1437. 19 Franziskus von Liegnitz, Krakauer Bakkalaureus 1416. Nicolaus von Grabostaw, Krakauer Magister WS 1431/32. Martinus von Münsterberg, Krakauer Magister 1420. 20 Johannes von Nowe Miasto, Krakauer Student wahrscheinlich seit 1419. Sandowogius von C2echto, in Krakau von 1429 bis 1431. 21 Auf den Zusammenhang zwischen der Ablehnung der Astrologie und dem damals in Krakau dominierenden Buridanismus hat M. Markowski: Die mathematischen und Naturwissenschaften, S. 124 hingewiesen. Auch A Birkenmajer: Les debuts de l'Ecole astrologique, S. 469 konstatierte, daß die Pflege der Astrologie erst um 1450 einsetzte.
IV. Krakau
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des 14. und dem Anfang des 15. Jahrhunderts, die astrologische Texte enthalten,22 doch lassen sich vor 1440 praktisch keine astrologischen Texte von Krakauer Autoren nachweisen.23 Von den neun oben genannten Gelehrten hat nur ein einziger, nämlich Nicolaus de Grabostow, einmal einen astrologischen Text abgeschrieben; 24 weitere Aktivitäten auf dem Gebiet der Astrologie sind für diese frUhe Phase nicht bekannt. Dies änderte sich zur Mitte des Jahrhunderts grundlegend. Hauptsächlich unter dem Einfluß von Bologna fand die medizinische Astrologie Eingang in Krakau. Die Stiftung einer zweiten Kollegiatur, deren Inhaber die Astrologie vertreten sollte, war wiederum ausschließlich privater Initiative zu verdanken: Da bis 1527 in Krakau keine Doktoren der Medizin promoviert werden durften,25 gingen die meisten der Krakauer Mediziner, die diesen Grad erwerben wollten, nach Italien, zuerst vornehmlich nach Padua, später nach Bologna.26 entscheidend fUr die Geschichte der Astrologie an der Universität Krakau wurde der Aufenthalt von Martinus Rex aus Zurawica in Bologna.27 1445 in Krakau zum Magister promoviert, machte er sich 1446 über Prag und Wien auf den Weg nach Bologna, wo er 1448/49 als einer der drei in diesem akademischen Jahr angestellten Astronomielektoren fungierte und 1449 zum Doktor der Medizin promoviert wurde. Nach seiner Rückkehr nach Krakau erhielt er zuerst die Stobnersche Kollegiatur, wechselte aber bald in die medizinische Fakultät.28 Mit Martinus Rex hielt die Iatromathematik Einzug in Krakau. Bis zu seinem Tod
22 Vg!. z. B. Krakau, BI, cms 566, 584, 709, 715, 754 und 1915; zu den einzelnen Texten in diesen Handschriften vg!. G. Rosinska: Scientific Writings, passim (Zugang über das Register der Handschriftensignaturen, S. 552-6; der Census enthält nur Textbeschreibungen, die alphabetisch nach dem Incipit geordnet sind.). 23 Die einzige Ausnahme bildet Krakau, BI, cms 2110, p. 3-68: Tractatus Cracoviensis(?) de astrologia. Der Text wurde ungefähr 1437 verfaßt; seine Entstehung in Krakau ist allerdings nicht gesichert. Vg!. M. Markowski: Astronomica et Astrologica Cracoviensia, S. 209 Nr. 129.12. 24 Krakau, BI, cms 563, f. 242va-243vb: Astrologische Notiz über die zwölflierkreiszeichen und ihre Eigenschaften. Incipit: Aries est signum mobile et est masculinum, igneum et calidum ( ... ); ca. 1425 von Nicolaus de Grabostow abgeschrieben. Vg!. G. Rosinska: Scientific Writings, S. 52, Nr. 206. Zur Handschrift insgesamt vg!. die Beschreibung bei M. Markowski: Astronomica et Astrologica Cracoviensia, S. 294; dieser Text ist allerdings dort nicht aufgeführt, da Markowski nur von Krakauer Gelehrten verfaßte, nicht aber von ihnen lediglich kopierte Texte registriert hat. Vg!. auch M. Markowski: Ilegami, S. 113:
Nella prima meta dei secolo XV I'insegnamento dell'astrologia non era ancora ufficiale.
25 Die ersten Krakauer Doktoren der Medizin wurden am 28. Februar 1527 promoviert; vg!. M. Markowski: Les manuscrits de listes, S. 128. 26 Vg!. M. Markowski: Ilegami, S. 113. 27 Vg!. M. Markowski: Ilegami, S. 117. 28 Vg!. M. Markowski: Ilegami, S. 117; zur Promotion zum Dr. med. vg\. M. Markowski: Astronomie an der Krakauer Universität, S. 259 Anm. 8.
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1. Kapitel: Voraussetzungen und Vorbilder
1453 verötIentlichte er zwei Jahresprognostiken für 1451 und schrieb mehrere kleine astrologische Traktate. 29 Noch wichtiger wurde jedoch seine anscheinend unter dem Eindruck der Verhältnisse in Bologna getrotIene Entscheidung, 1453 testamentarisch eine zweite mathematische Kollegiatur an der Universität Krakau zu stiften, die, komplementär zur Stobnerschen Kollegiatur, der exklusiven Pflege der Astrologie dienen sollte, und zwar sowohl durch die Lehre als auch die regelmäßige Herstellung von Jahresprognostiken. 3o Unter den Schülern und Nachfolgern von Martinus Rex gelangte die Krakauer Astronomische Schule31 zu ihrer vollen Entfaltung. Die Zahl der Ärzte unter den mathematisch interessierten Krakauer Gelehrten nahm stark zu, was bei der Schwerpunktverschiebung hin zur Astrologie und der nun dominierenden Bologneser Tradition auch nicht verwundert. 32 Zum einen wurden regelmäßig Jahresprognostiken publiziert und die Astrologie gepflegt.33 Zum anderen nahmen aber auch die Planetentheorie und die rechnerische Astronomie einen wichtigen Platz ein, und zwar keineswegs nur als Hilfswissenschaften zur Astrologie. Nicht zu übersehen ist dabei der Einfluß von Georg von Peuerbach und Regiomontanus auf die Entwicklung der Krakauer Astronomie im letzten Drittel des 15. Jahrhunderts. Schon 1448 hatte Martinus Rex Peuerbach in Padua getrotIen. 34 29 Vgl. M. Markowski: Astronomica etAstrologica Cracoviensia,S.119-21; Nr. 81.1: Iudicium anni 1451, Nr. 81.2: Iudicium anni 1451 cum figura caeli et carmine, Nr. 81.3: Iudicium de pluviis, Nr. 81.4: Electiones, Nr. 81.5 Electiones, Nr. 81.10: Tractatulus de astrologia. 30 Martini autem dicti Rex [sc. legat] Ptolomeum in Quadrupartito(!), Alcabitium, Centiloquium verborum Ptolome~ Albumasar et alios libros spectantes ad astrologiam. Judicium quoque correctum et a senioribus in eadem facultate revisum et approbatum universitate singulis annis presentabit. Zitiert nach M. Markowski: Astronomie an der Krakauer Universität, S. 260 Anm. 12. 31 Als astrologische Schule wird sie von A Birkenmajer: Les d6buts de I'Ecole astrologique bezeichnet; M. Markowski: Beziehungen nennt sie eine astronomische Schule. Wir schließen uns an Markowski an, doch sei betont, daß Astrologie und Astronomie in jener Zeit eine untrennbare Einheit bildeten, so daß die Frage, ob man die Krakauer Schule als astrologisch oder astronomisch bezeichnet, völlig nebensächlich ist; vgl. zur Begriffsgeschichte auch oben S. 13 Anm. 1. In den folgenden zwei Absätzen werden Astrologie und Astronomie in ihrer modemen Bedeutung gebraucht. 32 Vgl. zur steigenden Bedeutung der Iatromathematik in Krakau im Gefolge von Martinus Rex M. Markowski: Astronomie an der Krakauer Universität, S. 26&-7. Es würde zu weit führen, hier alle promovierten Mediziner, die sich in Krakau mit Astronomie und Astrologie beschäftigten, aufzulisten. Es sei nur erwähnt, daß fast alle direkten Schüler von Martinus Rex den medizinischen Doktorgrad erworben haben: Andreas Grzymala aus Posen vor dem 3. November 1461, Adalbertus von Opat6w 1456, Petrus Gaszowiec aus Lozmiena Polska 1454 (vgl. ibid., S. 266). 33 Vgl. M. Markowski: Astronomica et Astrologica Cracoviensia, passim. Außerdem A Birkenmajer: Les debuts de l'Ecole astrologique und idem: L'Astrologie Cracovienne a son apogee. 34 Vgl. M. Markowski: Beziehungen,S. 134.
IV. Krakau
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Peuerbachs Theoricae novae planetarum, die allmählich als Lehrbuch der Planetentheorie die alte Theorica planetarum völlig verdrängen sollten,35 wurden seit 1471 von Adalbert von Brudzewo, bei dem unter anderen Conrad Celtis und später Copernicus lernten, seinen Vorlesungen zugrunde gelegt;36 1482 vollendete er seinen Kommentar Ober dieses Werk, der 1494 in Mailand erstmals gedruckt wurde. 37 Auf der Grundlage der Planetentheorie Peuerbachs wurden 1501 in Krakau neue Tafeln für die Berechnung der Sonnenbahn erstellt.38 Auch Regiomontanus stand in engem Kontakt mit einem in Krakau ausgebildeten Astronomen, Martin Bylica aus Olkusz. Beide trafen sich wahrscheinlich um 1461 in Padua und 1464 in Rom;39 eine enge Zusammenarbeit zwischen beiden entwickelte sich in den Jahren 1467 bis 1471, als sie sich gemeinsam in Ungarn aufhielten. 4o Ihre Gespräche bei den Treffen in Italien gaben Regiomontanus den Anstoß zur Abfassung seines kleinen Werkes Disputationes inter Viennensem et Cracoviensem super Cremonensis in 'Planetarum theoricas' deliramenta, in welchem er die Fehler in der damals als Textbuch an den Universitäten verwendeten Theorica planetarum nachweist. 41 Aus der Hinterlassenschaft von Martin Bylica gelangten zahlreiche Manuskripte mit Werken von Regiomontanus an die Universitätsbibliothek von Krakau, doch hatten seine Schriften auch schon vorher ihren Weg dorthin gefunden;42 etliche von ihnen, insbesondere die trigonometrischen Tafelwerke, wurden in Krakau mit Canones versehen und kommentiert.43 Doch die Krakauer Astronomen nahmen nicht nur wichtige Anregungen von außen auf, sie wirkten auch ihrerseits seit der Mitte des 15. Jahrhunderts an vielen ausländischen Zentren. Außer Martinus Rex lassen sich bis zum Ende des 15. Vgl. O. Pedersen: The Dec1ine and Fall, S. 163. Vgl. J. Babicz: Die exakten Wissenschaften, S. 310. 37 Vgl. M. Markowski: Astronomica etAstrologica Cracoviensia,S.11-3 Nr. 4.33-40; der Druck Mailand 1494 Nr. 4.39. 35
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38 Tabula Cracoviensis aequationis Solis secundum Georgium Peurbachium composita; vgl. M. Markowski: Astronomica et Astrologica Cracoviensia, S. 36 Nr. 30.3-6.
Vgl. M. Markowski: Beziehungen, S. 134. Zum Ungarnaufenthalt vgl. unten S. 101. 41 Zum Anlaß für die Schrift vgl. M. Markowski: Beziehungen, S. 134. Eine Analyse ihres Inhalts bei O. Pedersen: The Dec1ine and Fall, S. 171-82. Zu den Ausgaben vgJ. M. Markowski: Astronomica et Astrologica Cracoviensia, S. 85-6 Nr. 59.1-3. Daß Regiomontanus dabei eindeutig auch auf den Universitätsunterricht abzielt, geht aus einem der letzten Sätze der Einleitung hervor: Sed ne longius praeferemur incipiemus percurrere 39 40
Theoricas planetarum Gerardocremonensi ut fertur editas: iam pridemque in omnibus studiis generalibus legi caeptas: opus quidem tenue sed a multis magnisque ingeniis credule probatum. (S. 515 der Ausgabe von F. Schmeidler). 42 Zu den Werken von Regiomontanus, die durch die Vermittlung von Martin Bylica nach Krakau kamen, vgl. G. Rosinska: L'audience de Regiomontanus, S. 317. Den am leichtesten benutzbaren Überblick über Texte von Regiomontanus in Handschriften der BI Krakau findet man in Tabellenform ibid., S. 327-33. 43 Vgl. M. Markowski: Astronomica et Astrologica Cracoviensia, S. 86-8 Nr. 59.4-15.
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Jahrhunderts noch sechs weitere Krakauer Magister nachweisen, die in Bologna vorübergehend eine astronomische oder astrologische Lektur versahen.« Auf die Möglichkeit, daß der erste Mathematiklektor an der Universität Salamanca aus Krakau gekommen sein könnte, wurde bereits hingewiesen;45 auf die Krakauer Magister, die sich an Fürstenhöfen als Astrologen verdingten, wird noch eingegangen werden. 46 Die Anziehungskraft Krakaus für ausländische Scholaren wuchs dagegen erst im letzten Viertel des 15. Jahrhunderts. Es mag eine RoHe gespielt haben, daß es einige Zeit dauerte, bis sich der Ruf der Krakauer Astronomischen Schule so weit verbreitet hatte, daß Studenten von weit her kamen, um sich dort in den mathematischen Fächern zu bilden. Doch war Krakau nicht nur für mathematisch Interessierte attraktiv, auch Humanisten fanden häufig ihren Weg dorthin, wobei sie humanistische Studien gelegentlich mit Studien der Mathematik, Astronomie und Astrologie verbanden. 47 War die Linie des Wirkens der Krakauer Astronomen bisher in südwestlicher Richtung über Ungarn nach Italien verlaufen, so sollten nunmehr verstärkt Studenten aus dem Reich ihren Weg an die polnische Universität finden. Was sie dort erfuhren, wirkte prägend auf die weitere Entwicklung der Mathematik an den deutschen Universitäten. Krakau und die deutschen Universitäten
Zwischen 1470 und 1520 haben insgesamt 732 Studenten aus den deutschen Ländern die Universität Krakau bezogen, einzelne Besucher, die von deutschen Universitäten kamen, lassen sich auch schon vorher nachweisen. 48 Hauptsächlich deutsche Scholaren sorgten gegen Ende des 15. Jahrhunderts für die Ausstrahlung der Krakauer Astronomischen Schule auf die Universitäten im Reich, seltener nur waren die Träger Krakauer Magister, die ihr ganzes Studium in Krakau absolviert hatten und erst dann an eine deutsche Universität wechselten. Dies gilt aHerdings nicht für die Schiene Krakau-Ungarn-Italien, Vgl. M. Markowski: Ilegami, S.117-20. Vgl. oben S. 60. 46 Vgl. unten S. 101. 47 Zum Stel1enwert der humanistischen Studien in Krakau vgl. C. Morawski: Histoire, Bd. 3, S.l-l72, G. Bauch: Deutsche Scholaren, S. 10-7 und P. W. Knol1: The World, S. 27-34. Im Vorgriff auf das gleich Folgende sei hier nur erwähnt, daß z. B. Conrad Celtis und Heinrich Bebel zeitweise in Krakau studierten. 48 Die Zahl nach M. Markowski: Die wissenschaftlichen Verbindungen, S. 278. Die von Markowski gebrauchte Formulierung aus den deutschen Ländern schließt vermutlich Studenten aus Böhmen und den westlichen noch zum Reich gehörigen Gebieten aus. Ibid. auch Beispiele für Kölner Studenten, die vor 1470 - erstmals 1454 - nach Krakau gingen. Neun Studenten aus Wien bezogen in der ersten Hälfte des 15. Jh. die Universität Krakau; vgl. M. Markowski: Beziehungen, S. 130-40. 44 45
IV. Krakau
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auf der, wie schon dargestellt, seit etwa 1450 Krakauer Magister nach Süden wanderten. Offensichtlich waren für diese frühen Mathematiker Ungarn, wo der Mäzen Matthias Corvinus49 wirkte, und Italien, wo die Mathematik viel früher institutionalisiert war und wohin es die Medizinstudenten zog, bedeutend attraktiver als die deutschen Universitäten. Hier war die materielle Basis, auf der sich die Mathematik entwickeln konnte, zu dürftig, um Magister anzuziehen, denen sich andernorts bessere Chancen boten.50 Isoliert steht das Beispiel des mathematisch gebildeten Krakauer Magisters Peter Gaszowiec von Lozmierza da, der sich im März 1454 in die Kölner Matrikel eintrug. 51 Dort arbeitete er vor allem eng mit dem ebenfalls mathematisch interessierten Mediziner Gerard Hoefmans zusammen.52 Daß sein Wirken in Köln keine weiteren Folgen zeitigte, verwundert nicht. Köln gehörte nicht zu den wenigen Universitäten im Reich, die besondere Vorsorge für die Pflege der Mathematik trafen. 53 Die später auf mathematischem Gebiet so fruchtbaren Beziehungen zwischen Krakau und Wien eröffnete Johannes Grossnickel aus Münsterberg.54 1467 wurde er in Krakau zum artistischen Bakkalaureus promoviert und hat sich dort anscheinend eine solide, vor allem astronomisch ausgerichtete Bildung angeeignet. Zum Wintersemester 1472/73 wechselte er nach Wien, 1474 ist er als Scholar der Medizin eingetragen. 55 In den Akten der medizinischen Fakultät ist schon 1475 betont, daß er in der Astronomie wohl bewandert sei und über die Fertigkeit verfüge,
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Vgl. unten S. 101.
so Dies bedeutet allerdings nicht, daß sich gar keine Krakauer Magister an deutschen
Universitäten immatrikuliert hätten. Nur befanden sich unter diesen kaum Gelehrte, die sich durch ihre mathematischen Kenntnisse ausgewiesen hätten. SI Mat. Köln, Bd. I, S. 568. S2 M. Markowski: Die wissenschaftlichen Verbindungen, S. 280-3. S3 Es wurde bereits erwähnt, daß Köln bei seiner Gründung kein obrigkeitlich gestiftetes Magisterkolleg besaß (vgl. oben S. 67). Trotzdem waren dort bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts mehrere solcher Kollegien entstanden, und zwar ausschließlich auf dem Wege des allmählichen Zusammenschlusses und auf der materiellen Grundlage großzügiger privater Stiftungen, vor allem der Magister selbst, aber auch anderer Personen (... ); vgl. E. Meuthen: Die Artesfakultät, S. 368-73 (das Zitat auf S. 372). Doch ist anscheinend, anders als in Krakau, bei keiner dieser privaten Stiftungen eine besondere Vorsorge für die mathematischen Fächer erkennbar. S4 Zu ihm vgl. G. Bauch: Deutsche Scholaren, S. 20-1 Nr. 3. Bauchs Untersuchung bildet die Grundlage der Erforschung der personalen Beziehungen zwischen Krakau und den Universitäten im Reich am Ende des 15. und zu Beginn des 16. Jahrhunderts. Die meisten der im folgenden angeführten Personendaten sind ihr entnommen. S5 Mat. Wien, Bd. 2, S. 136. Die Eintragung 1474 in das Registrum scolariumfacultatsi medicine bei K Schrauf: AFM D, S. 216; sie wurde nach Grossnickels Magisterpromotion 1478 nochmals wiederholt; vgl. K Schrauf: AFM D, S. 217.
92
1. Kapitel: Voraussetzungen und Vorbilder
Finsternisse vorauszuberechnen;56 1478 wird er als nostra in universitate protune astrologus e.xpertissimus et profundissimus clarens bezeichnet.57 Der verstärkte Besuch mathematisch interessierter Studenten und Magister aus dem Reich setzte in der Mitte der achtziger Jahre ein. Unter diesen erlangten viele später eine Stellung als Mathematiker an deutschen Universitäten. Der zeitlich erste unter ihnen war Johannes Virdung, der von der Universität Leipzig kam und im Wintersemester 1484/85 das Studium in Krakau aufnahm. 58 Nachdem er im Herbst 1486 in Krakau das artistische Bakkalaureat erworben hatte, kehrte er 1487 nach Leipzig zurück und promovierte dort im Wintersemester 1491/92 zum Magister. 59 Schon in Leipzig begann er mit der Veröffentlichung von Prognostiken, doch wurde Heidelberg seine Hauptwirkungsstätte.1n der dortigen Matrikel ist er im Oktober 1492 zu finden;60 bis zu seinem Tod 1538 oder 1539 blieb er in der kurpfälzischen Hauptstadt.61 In welchem Verhältnis er auf Dauer zur Universität Heidelberg stand, ist schwer zu bestimmen.62 Abgesehen von dem Matrikeleintrag läßt sich lediglich feststellen, daß sich die Universität, da sie einen fähigen Mathematiker zu den ihren zählte, die Gelegenheit nicht entgehen ließ, ab 1495 den Markt der astrologischen Einblattdrucke nunmehr auch durch ihr Juditium zu bereichern. Der Heidelberger Almanach für 1495, den Johannes Virdung verfaßte, erschien noch in Leipzig, ab 1500 wurden die Vorhersagen für das kommende Jahr auch in Heidelberg gedruckt. 63 Des weiteren hat er 1514 im Auftrag der Universität Heidelberg ein Kalendergutachten für Papst 56 Vgl. K Schrauf: AFM 11, S. 167: Secundus [sc. articulus]jUit ex parte unius baccaLarii Cracoviensis universitatis, cuius nomen jUit J ohannes de Münsterberg, in astronomia instruct~ et scivit practicare eclipses soLis et /une (... ). Auf den Vorfall, der in den Akten anschließend berichtet wird, ist noch zurückzukommen (vgl. unten S. 111). 57 Bei seiner zweiten Eintragung in das Registrum scolarium facuLtatis medicine; vgl. K Schrauf: AFM 11, S. 217. SB Vgl. G. Bauch: Deutsche Scholaren Nr.13, S. 30-1. Mat. Leipzig, Bd. 1, S. 325. Die neueste Würdigung Johannes Virdungs von M. Steinmetz: Johannes Virdung von Haßfurt. 59 Er wurde 1487 nicht nochmals in die Matrikel eingetragen. Zur Magisterpromotion vgl. Mat. Leipzig, Bd. 2, S. 326. 60 Mat. Heidelberg, Bd. 1, S. 403. 61 Das Todesdatum ist nicht genau feststellbar; vgl. M. Steinmetz: Johannes Virdung von Haß furt, S. 212-3. 62 Bei G. Ritter: Die Heidelberger Universität sucht man vergebens nach weiteren Aufschlüssen; Johannes Virdung kommt dort überhaupt nicht vor. 63 Vgl. E. Zinner: Geschichte und Bibliographie, Nr. 594 und 596 (S. 124). Angeblich wurde eine de utsche Vorhersage für 1495 von J ohannes Virdung zusätzlich auch in Heidelberg gedruckt; vgl. ibid., Nr. 595 (S. 124). Die Vorhersage für 1500 ibid., Nr. 783, S. 134. Vgl. zu den Almanachen für Heidelberg M. Steinmetz: Johannes Virdung von Haßfurt, S. 198-9. Vorher waren in Heidelberg nur gelegentlich Tafeln der Neu- und Vollmonde für das nächste Jahr gedruckt worden; z. B. E. Zinner: Geschichte und Bibliographie, Nr. 261 (S. 106), Nr. 355 (S. 111, von Johannes Engel!) und Nr. 440 (S. 116); außerdem eine Prognosticatio von Johannes Lichtenberger, ibid., Nr. 328 (S. 110).
IV. Krakau
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Leo X. geschrieben. 64 Daneben, oder vielleicht auch schwerpunktmäßig war Virdung im Dienst mehrerer pfälzischer Kurfürsten tätig. Bereits 1497 nennt er sich mathematicum et bombardistam,65 wobei vor allem die zweite Bezeichnung schon auf eine Anstellung als Militäringenieur in fürstlichem Dienst hinweist.66 Seine spätere enge Beziehung zum Hof ist zu gut belegt, als daß sie hier im einzelnen diskutiert werden müßte. 67 Es bleibt unklar, ob an der Universität Heidelberg für Johannes Virdung eine spezielle Lektur für die mathematischen Fächer am Ende des 15. oder Beginn des 16. Jahrhunderts eingerichtet wurde. Daß eine enge Beziehung zum Hof hierfür durchaus förderlich sein konnte, wird sich bei der Besprechung der Ingolstädter Verhältnisse zeigen. 68 Der Einfluß der Krakauer astronomischen Schule auf die Universität Ingolstadt war mehr indirekter Art. Nicht ein Mathematiker, sondern ein Humanist mit mathematischen Interessen brachte Krakauer Vorstellungen an die Universität Ingolstadt mit, nämlich Conrad Celtis. 69 Um Ostern 1489 bezog er die Universität Krakau, wo er zwei Jahre lang blieb. Unter Adalbert von Brudzewo widmete er sich dort auch mathematischen Studien. 7o Welche Ideen er aus Krakau mitbrachte, und wie er sie erst in Ingolstadt, später in Wien in die Tat umzusetzen versuchte, wird später zu behandeln sein. 71 Noch ehe jedoch Celtis nach Wien übersiedelte, hatten dort bereits mehrere Krakauer Magister versucht, sich an der Universität als Mathematiker zu installieren. Es ist bekannt, daß sich 1497 der Krakauer Mathematiker Johannes von Glogau in Wien aufhielt, wenn auch nur Mutmaßungen darüber angestellt werden können, was er in Wien zu tun plante. 72 Daß bereits ein Jahr früher ein Krakauer Vgl. M. Steinmetz: Johannes Virdung von Haßfurt, S. 200. Vgl. M. Steinmetz: Johannes Virdung von Haßfurt, S. 199. 66 Mathematiker im militärischen Einsatz waren in Italien zu jener Zeit bereits eine alltägliche Erscheinung; vgl. M. Biagioli: The Social Status, S. 44-6. Vgl. dazu auch unten S.97. 67 Vgl. M. Steinmetz: Johannes Virdung von Haßfurt, S. 199-202. 68 Vgl. unten S. 291. Vor allem Johannes Ostennair scheint 1503/06 den Sprung vom Hofdienst an die Universität dank fürstlicher Protektion geschallt zu haben. @ Vgl. G. Bauch: Deutsche Scholaren Nr. 17, S. 34-7. Vorher hatte sich schon Johannes Riedner, der sich 1484 in die Matrikel der Universität Ingolstadt einschrieb und dort Celtis' Vorgänger als Poetiklektor war, von 1479 bis 1480 in Krakau aufgehalten vgl. ibid. Nr. 7, S. 25-6. Mathematische Interessen lassen sich allerdings bei ihm nicht nachweisen. 70 Hierzu steht in der Celtisvita, die den Libri quatuor odarum vorangestellt ist: ( ... ) Cracoviam petiit, ubi per duos annos praesertim studiis mathematico-astronomicis vacavit multosque amicos sibi conciliavit. Vgl. F. Pindter: C. Celtis, Libri Odarum, S. DI. 71 Vgl. unten S. 244; dort werden auch seine weiteren Beziehungen zu Adalbert von Brudzewo behandelt. 72 Vgl. M. Markowski: Beziehungen, S.139; er hält es für möglich, daß seine Tätigkeit auf eine Wiederbelebung der verfallenden Wiener Nitronomie ausgerichtet war. 64 6S
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1. Kapitel: Voraussetzungen und Vorbilder
Mathematiker dort aufgetaucht war, um an der Universität über mathematische Stoffe zu lesen, ist der Forschung bislang jedoch entgangen.73 Am 24. Juli 1496 brachte der artistische Dekan im Fakultätskonzil zur Sprache, daß ein Krakauer Magister namens Christoph74 unter Mißachtung des durch den Dekan und seine Beisitzer verhängten Verbotes auf Betreiben einiger Doktoren der Medizin öffentlich über Mathematik lese. Dies geschehe mit Billigung der Regenten,7S die, wiederum per suggestionem aliquorum medicorum doctorum, wünschten, daß besagter Christoph seine Lehrtätigkeit aufnehmen solle, ohne vorher, wie es bei rezipierten auswärtigen Magistern der Brauch war, öffentlich respondiert zu haben. Daraufhin wurde von der Artistenfakultät beschlossen, eine Deputation zu den Regenten zu entsenden, die diese vollständiger über die geltende Ordnung unterrichten sollte; eine Formulierung, hinter der sich in vergleichbaren Akten meist eine entschiedene Mißbilligung der getroffenen obrigkeitlichen Maßnahme versteckt. In jedem Fall sollte verhindert werden, daß Christoph ohne vorherige öffentliche Responsio zu lesen beginne.76 Besonders bemerkenswert an diesem ersten Teil der Angelegenheit ist, daß es Mediziner waren, die darauf drängten, den Krakauer Magister über Mathematik lesen zu lassen. Mit Sicherheit standen iatromathematische Interessen hinter ihrem Wunsch, doch mußte der Umstand, daß die Artistenfakultät den Vortrag der Mathematik zu ihrer Domäne rechnete, zwangsläufig zu einer Konfrontation führen. Der Streit um Verfassungsfragen, der später auch in ähnlicher Weise in Ingolstadt geführt wurde, deutete sich hier an. In Wien endete die Affäre in einem Kompromiß mit leisen, aber unüberhörbaren Mißklängen. Wie lange die Verhandlungen mit den Regenten gedauert haben und wie sie verliefen, ist nicht
73 Bei G. Bauch: Die Rezeption findet sich nichts darüber. Auch von der späteren Forschung wurden die gleich zu besprechenden Einträge in das artistische Dekanatsbuch nicht bemerkt. 74 Es könnte sich um den im SS 1489 immatrikulierten Krakauer Magister Christoferus Hepner de Glotz (Mat. Wien, Bd. 2.1, S. 209) handeln, wobei dann allerdings verwunderlich wäre, daß er bis 1496 keinen Anteil am Leben der Artistenfakultät hatte. 75 Zur Einrichtung dieses staatlichen Aufsichtsgremiums durch Friedrich 111., der dadurch ohne Rücksicht auf das verbriefte Se Ibsbestimmungsrecht der Universität diese einer strengeren staatlichen Kontrolle unterstellte, vgl. A Lhotsky: Die Wiener Artistenfakultät, S.178-83. 76 Vgl. UAW AFA III, f. 386r-v: Tercius Articulus ad audiendum quedam per dec-
anum proponeneda. Et proposuit decanus ex parte unius Magistri Nomine Cristofferi Cracophiensis universitatis, qui contra prohibicionem decani et suorum assessorum et ex informatione aliquorum medicorum doctorum(?) intimaviI et legil publice quedam Mathematicalia. lnsuper Regentes per suggestionem aliquorum medicorum doctorum(?) voluerunt quod legeret absque hoc, quod respondeat publice iuxta ordinaciones nostras. Placuit facultati quod regentes informarentur de nostra ordinatione plenius. Et deputati sunt Magister J oannes golperger, Magister Osbaldus de weykenstorff, Magister Georgius peterstorffer, decanus cum suis. Et facultas nullo pacto voluil quod legeret nisi publice responderet..
IV. Krakau
95
bekannt. 77 Jedenfalls erschien am 1. September 1496, dem Aegidiustag, an dem regelmäßig die Vorlesungen für das nächste Studienjahr unter die magistri regentes verteilt wurden, der Krakauer Magister Christoph vor der Fakultät und bat um die Zuteilung einiger mathematischer Bücher. Sein Antrag wurde genehmigt, doch waren die Artisten noch immer etwas verschnupft: Sie flochten in die Genehmigung ausdrücklich einen Vorbehalt ein, den sie sich reservierten.78 In der Realität war somit zugleich den Ansprüchen der Artisten auf die Oberaufsicht Genüge geleistet, als auch sichergestellt, daß der Krakauer Magister die von den Medizinern gewünschten Bücher lesen konnte. Die Entwicklung der Mathematik an der Wiener Universität während der nächsten zehn Jahre stand völlig unter dem Bann der von Conrad Celtis verfochtenen Ideen. Diese Ideen waren, ebenso wie Celtis' Mitarbeiter, ein Import aus Ingolstadt und werden deswegen an späterer Stelle besprochen.79 Nach 1500 hatte die Krakauer Astronomische Schule ihren Höhepunkt überschritten, doch sollten im dritten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts noch einmal Krakauer Magister eine mathematische Fachlektur an einer Universität mitbegrUnden helfen. Nach Heidelberg, mit Vorbehalten Ingolstadt, und Wien war Wittenberg die vierte deutsche Universität, an der man beim Ausbau des mathematischen Unterrichts auf die polnische Universität zurückgriff. Nachdem schon 1509 der in Krakau gebildete Magister Bartholomaeus Stein vorübergehend über Kosmographie gelesen hatte,80 wurde 1514 eine mathematische Fachlektur durch Beschluß der Artistenfakultät begründet; die Besoldung übernahm der Kurfürst. 81 Als erster Lektor wurde Bonifacius Erasmi bestellt, der 1505 in Krakau den Grad eines Bakkalars erworben hatte, dann jedoch an die Universität Wittenberg wechselte und dort 1509 Magister wurde. 82 Probleme mit der Integration des Mathematikers in die Artistenfakultät gab es in Wittenberg, anders als an den meisten Universitäten, nicht: Schon 1515 wurde Erasmi zum Dekan gewählt. 83 1518/19 wurde Erasmi dann jedoch in Wittenberg verabschiedet, da er 77 Die Akten der medizinischen Fakultät sind für die Zeit vom Sommersemester 1495 bis einschließlich zum Sommersemester 1496 nicht überliefert; vgJ. K Schrauf: AFM ßI, S.30-1. 78 VgJ. UAW AFA m, f. 386v: Ibidem petivit quidam Magister [durchgestrichen: Cri-
stofferus] cracophiensis studii aliquos libros mathematicales ex facultate artium; facultas concessit ej ad tempus cum cautione tamen.
Vgl. unten S. 268. Vgl. W. Friedensburg: Geschichte, S. 105-6 und G. Bauch: Deutsche Scholaren Nr. 29, S. 49-50; Stein kam 1495 nach Krakau und promovierte dort 1498 zum Bakkalaureus und 1501 zum Magister. Über die Bedeutung der Kosmographie und in ihrem Gefolge auch der Kartographie im humanistischen Bidlungsprogramm vgJ. unten S. 242. 81 Vgl. W. Friedensburg: Geschichte, S. 106. 82 Vgl. G. Bauch: Deutsche Scholaren Nr. 40, S. 58. 83 Vgl. W. Friedensburg: Geschichte, S. 107. 79
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1. Kapitel: Voraussetzungen und '\btbilder
angeblich seiner Aufgabe nicht gewachsen war.84 Trotzdem griff man erneut auf einen Mathematiker, der in Krakau gewesen war, zurück. Johannes Volmar war 1501 in Krakau zum Bakkalar kreiert worden, war dann, ähnlich wie Erasmi zehn Jahre vorher, 1514 nach Wittenberg gegangen und dort 1515 eben durch Erasmi zum Magister promoviert worden.85 1518/19 wurde er sein Nachfolger.86 Erst als 1525 in Wittenberg eine zweite mathematische Lektur eingerichtet wurde, kam ein Magister zum Zuge, der nicht in Krakau gewesen war: Johannes Longicampianus, der auch in Ingolstadt, allerdings nicht als Mathematiker sondern als Humanist, von sich reden gemacht hatte.87 Das Krakauer Vorbild war für die Einrichtung von Fachlekturen an den deutschen Universitäten von kaum zu überschätzender Bedeutung. Unter den Universitäten, die vor 1510 eine mathematische Fachlektur besaßen, scheinen nur TUbingen und Leipzig nicht von dort beeinflußt worden zu sein.88 Doch würde ein falscher Eindruck entstehen, wenn man glaubte, daß sich die Fundamente, aus denen am Ende des 15. Jahrhundert an einigen deutschen Universitäten und auch in Ingolstadt mathematische Fachlekturen erwuchsen, nur im universitären Bereich verankert wären. Von außen kommende höfische und humanistische Einflüsse spielten eine mindestens ebenso große Rolle.
V. Mathematik am Hof: Praktische Lebenshilfe und Politik Am Ende einer Untersuchung über die Motive und Möglichkeiten der Naturwissenschaft an mittelalterlichen Universitäten stellte G. Beaujouan dieser die Welt der höfischen Naturwissenschaft mit ihren ganz anderen Schwerpunkten gegenüber; beide schienen, so Beaujouan, wie durch einen eisernen Vorhang voneinander getrennt zu sein. Kursorisch umriß er zur Illustration das höfische Spektrum mit Beispielen wie dem Falkenbuch Kaiser Friedrichs 11. (Biologie), seinen Verbindungen mit Leonardo Fibonacci (Mathematik), und einem 1352 im Königreich Aragon verabschiedeten Dekret, nach dem jedes Schiff zwei Seekarten an Bord haben mußte (Kartographie und Kosmographie). All dies seien
84 Vgl. W. Friedensburg: Geschichte, S. 134. Der Anteil Melanchthons hieran müßte geprüft werden. Er sorgte sich in ähnlicher Weise wie Leonhard von Eck in Ingolstadt (vgl. unten S. 314ff.) besonders auch um die Mathematik. 8.S Vgl. G. Bauch: Deutsche Scholaren Nr. 34, S. 53-4. 86 Vgl. W. Friedensburg: Geschichte, S.134-5. 87 Vgl. unten S. 335. 88 Allerdings ist die Rolle, die dort Erasmus Höritz, der 1494 als Kölner Magister nach Krakau zog (vgl. G. Bauch: Deutsche Scholaren Nr. 47, S. 47-8), spielte, noch ungeklärt. Zu Höritz, der auch in Ingolstadt war, vgl. unten S. 248.
V. Mathematik am Hof
97
Zweige der Naturwissenschaft, die an den Universitäten höchstens am Rande, vielleicht in Privatkollegien, einmal zur Sprache kamen. 1 Was die im fürstlichen Umkreis und mit fürstlicher Förderung betriebenen Wissenschaften grundlegend von den an den Universitäten gepflegten unterschied, waren, von wenigen Ausnahmen abgesehen, die ständig hinter ihnen auszumachenden Nützlichkeitserwägungen. Erst sie vermochten überhaupt das mit Aufwand und Kosten verbundene Interesse eines Herrschers an den Naturwissenschaften zu wecken. Dies galt auch für die mathematischen Fächer; besonders die Astrologie diente seit dem 13. Jahrhundert an zahlreichen Höfen als Basis für politische und persönliche Entscheidungen. In späteren Jahren kamen, durch die Zeitumstände bedingt, die Geographie und der Festungsbau hinzu; die Geographie zuerst auf der iberischen Halbinsel, als durch den Fortschritt der geographischen Entdeckungen neue kartographische und nautische Hilfsmittel nötig wurden,2 der Festungsbau, als nach der Erfindung der Kanone Bastionen auf mathematischer Grundlage konstruiert werden mußten, die einer Beschießung standhalten konnten. 3 Eine systematische Untersuchung zur höfischen Mathematik und Astrologie fehlt bislang, weshalb auch die folgenden Ausführungen mehr kursorischen und illustrierenden Charakter tragen müssen. Vor allem soll gezeigt werden, daß die Kluft zwischen den Höfen und den Universitäten auf dem Gebiet der Mathematik nicht so unüberbrückbar war, wie die Formulierung G. Beaujouans glauben macht. Schon im 14. Jahrhundert erfolgte zwischen beiden der BTÜckenschlag: zuerst, und zwar vor allem personell, von der Universität aus, indem teilweise Universitätsmagister als astrologische Berater in den Fürstendienst traten. Ab der Mitte des 15. Jahrhunderts schließlich begannen sich in umgekehrter Richtung die astrologischen Anspruche der Fürsten auf das fachliche Spektrum und die institutionelle Gestaltung der Universitätsmathematik auszuwirken. 4 Die Wurzeln für die Anwendung der Mathematik und Astrologie in der Politik im christlichen Abendland sind im islamischen Mittelalter zu suchen. Bereits im 9. und 10. Jahrhundert christlicher Zeitrechnung waren in der arabischen Literatur 1 G. Beaujouan: Motives and Opportunities, S. 235: It almost seems as if there were two ccr-existing worlds divided by invisible iron curtains. Die Beispiele und der Vergleich mit den Universitäten ibid., S. 235-6. 2 Das Ziel der Verbesserung der Navigation stand schon hinter den astronomischen Arbeiten, die im Auftrag des Königs Pedro el Ceremonioso von Aragon (1336-87) durchgeführt wurden, wenn auch ihr Anteil verglichen mit rein astrologischen Zwecken umstritten ist; vgl. J. M. Millas VaJlicrosa: Las tablas astron6micas, S. 60-3. Großenteils nautisehe Ziele verfolgte die Gründung der Seefahrerakademie auf Kap Sagres durch Heinrich den Seefahrer 1419 in Portugal; vgl. G. Hamann: Der Eintritt der südlichen Hemisphäre, S. 38-9. 3 Auf diesen Aspekt machte v. a. M. Biagioli: The Social Status, S. 44-6 aufmerksam. 4 Ein erstes Anzeichen für diese Auswirkung ist bereits die Stiftung zweier mathematischer Lekturen durch König Karl V. am Kolleg des Maitre Gervais, doch fand dieses Beispiel vorläufig keine Nachahmer. Vgl. unten S. 99.
7 Schöner
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1. Kapitel: '\Uraussetzungen und '\Urbilder
zur Sekretärskunst Kenntnisse in der Arithmetik, Geometrie und der praktischen Astronomie fester Bestandteil der Qualifikation eines Kanzlisten. Zur Steuer- und Zollberechnung, Landvermessung und manchem mehr mußte er befähigt sein.s Neben der Beherrschung des Kalenders dürften mit Kenntnissen in der praktischen Astronomie hauptsächlich astrologische Fertigkeiten gemeint gewesen sein. Seit dem 8. Jahrhundert übten astrologische Vorhersagen einen kaum zu überschätzenden Einfluß auf politische Entscheidungen aus: Als günstigster Termin rur die Grundsteinlegung der Stadt Bagdad wurde von den Astrologen der 14. Juli 762 errechnet und vom Stadtgründer auch eingehalten.6 Für politische Entscheidungen wie den Beginn von Feldzügen, die Annahme von angebotenen Schlachten und den Aufbruch zu Reisen holte man den Rat des Astrologen ein. 7 Im Emirat von C6rdoba ist ein offizieller Hofastrologe seit der Regierungszeit al-Hakams I. (796-822) nachweisbar, doch hatte schon Hisham I. (788-796) die Sterndeuter konsultiert. 8 Überblickt man diese Ursprünge, so verwundert es nicht, die ersten Astrologen im Dienst abendländischer Fürsten am halborientalischen Hof Kaiser Friedrichs 11. 9 in Sizilien und am Hof AI fons X. des Weisen von Kastilien anzutreffen. Der aus Spanien zurückgekehrte Michael Scotus wurde um 1227 von Friedrich 11. als Astrologe in seine Dienste genommen,IO nach seinem Tod folgte ihm der Magister Theodor, der vermutlich vom ägyptischen Sultan zu Friedrich 11. geschickt worden war, in derselben Funktion nach. Theodors Aufgaben erschöpften sich nicht in der astrologischen und wissenschaftlichen Beratung, darüber hinaus übertrug ihm der Kaiser auch politische Missionen. ll Als Friedrich 11. während der Belagerung Parmas 1247 im Angesicht der Gegner eine neue Stadt mit dem bedeutungsvollen, letztlich aber verfehlten Namen Victoria gründete, ließ er den S Vgl. hierzu vor allem das Kapitel Rechnen als berufliche Qualifikation in U. Rebstock: Rechnen im islamischen Orient, S. 59-80. 6 J. Vemet: Astrologia y poHtica, S. 92. 7 Beispiele bei J. Vemet: Astrologia y politica, S. 92-5. Vemet verweist auch auf die Möglichkeit, Rückschlüsse auf den Einfluß der astrologischen Beratungen auf bedeutende politische Entscheidungen zu ziehen, indem man die Konstellationen für diese Zeitpunkte zurückrechnet, und illustriert seine Methode mit Beispielen aus den Feldzügen Almanzors (976-1002) (S. 98-100). Mit erstaunlichen Ergebnissen wurde diese Methode von F. Stuhlhofer in H. Grössing / F. Stuhlhofer: Versuch einer Deutung angewandt (vgl. unten S.99). 8 J. Sams6: The Early Development, S. 228-9. 9 eh. H. Haskins: Studies in the History of Mediaeval Science, S. 244 weist auf ein noch früheres Beispiel hin: am Hofe Wilhelms U. von Sizilien soll es einen arabischen Atrologen gegeben haben, doch kann er sich nur auf bildliche Quellen berufen, so daß genauere Aussagen über seine Funktion nicht möglich sind. 10 eH. H. Haskins: Studies in the History of Mediaeval Science, S. 245: His official position was that 0/ court astrologer ... Vgl. außerdem das lncipit seines Liber particularis, ibid., S. 291: Incipit liber particularis Michaelis Scotti astrologi domini Frederici Rome imperatoris ... 11 eh. H. Haskins: Studies in the History of Mediaeval Science, S. 246-7.
V. Mathematik am Hof
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günstigsten Zeitpunkt hierfür von seinen Astrologen berechnen;12 die Parallele zur Gründung von Bagdad ist offensichtlich. Das Beispiel Friedrichs II. machte in Italien besonders unter der staufischen Anhängerschaft Schule: Ezzelino da Romano und Guido von Montefeltre umgaben sich mit Astrologen, der bekannte Guido Bonatti stand bei den als Hofastrologe zur Verfügung. 13 Auch hinter den breiten wissenschaftlichen Interessen des kastilischen Königs AlfonsX. stand, wenigsten teilweise, die Astrologie. 14 Die meisten der von ihm in Toledo versammelten Gelehrten beschäftigten sich mit astrologischen und astronomischen Problemen, was dadurch etwas verdeckt wird, daß das einflußreichste Produkt dieses Kreises die im Spätmittelalter in ganz Europa dominierenden Alfonsinischen Tafeln waren. 15 Es dauerte nicht lange, bis auch nördlich der Alpen die Astrologie als politische Entscheidungshilfe Fuß fassen konnte. Schon König Rudolf I. von Habsburg stand unter ihrem Einfluß: für Krönung, Hochzeit und andere politisch wichtige Ereignisse wählte er nachweislich Daten, an denen signifikante, für das jeweilige Vorhaben günstige Konstellationen vorherrschten. 16 Für die nächsten einhundert Jahre fehlen bislang einschlägige Untersuchungen, so daß es nicht möglich ist festzustellen, ob Rudolfs Rückgriff auf die Astrologie nur eine ephemere Erscheinung blieb oder auch in Deutschland traditionsbildend wirkte. 17 In der Zwischenzeit hatte das Interesse des Herrschers an der Sterndeutung in Paris auch auf die Universität zurückgewirkt. Um 1370 stiftete Karl v., der sich
12 Vgl. N. Siraisi: Arts and Sciences, S. 78-9, die allerdings tälschlich Victoria als eine Gründung Ezzelinos bezeichnet. Victoria wurde am 18. Februar 1248, als die Besatzung von Parma bei einem verzweifelten Ausfall einen entscheidenden Sieg errang, der zur Aufhebung der Belagerung zwang, zerstört. 13 Vgl. eh. H. Haskins: Studies in the History ofMediaeval Science, S. 257-8. Haskins erkennt allerdings nicht, daß erst Friedrich 11. die Astrologie in die italienische Politik einführte, wenn er die dort tätigen Astrologen als etwas typisch Italienisches bezeichnet. Erst durch Friedrich 11. wurden sie dazu. 14 Vgl. J. Sams6: A1fonso X. S. 85. 15 Ein guter Überblick über die astrologischen und astronomischen Aktivitäten am Hof Alfons X. des Weisen in Toledo, samt einer Diskussion der älteren Literatur, bei J. M. Torroja Menendez: EI sistema dei mundo, S. 173-82. Auf S. 183-231 folgt eine ausführliche Vorstellung der dort erstellten Übersetzungen und Werke. 16 Vgl. F. Stuhlhofer in H. Grössing / F. Stuhlhofer: Versuch einer Deutung, S. 276-9. Daß der Krönungstermin, bei dem zumindest fraglich ist, ob Rudolf ihn selbst festlegen konnte, vermutlich auch nach astrologischen Gesichtspunkten gewählt wurde, macht Stuhlhofer aufS. 278 wahrscheinlich. 17 F. Stuhlhofer in H. Grössing/ F. Stuhlhofer: Versuch einer Deutung hat keine Belege für das 14. Jh. gefunden, doch deckt seine Untersuchung nur einen relativ kleinen Bereich des Spektrums ab, so daß daraus noch keine definitiven Schlüsse gezogen werden dürfen.
7'
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1. Kapitel: Voraussetzungen und Vorbilder
auch selbst einen Hofastrologen hielt, zwei mathematische Lekturen am Kolleg des Mahre Gervais. 18 Bei den Habsburgern läßt sich erst an der Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert wieder ein Hofastrologe nachweisen. Mit Friedrich von Drosendorf erscheint erstmals ein Magister der Universität Wien in dieser Funktion. 19 S~it dem Beginn des 15. Jahrhunderts begannen diese mit den reinen Astrologen ohne Universitätsbildung als astrologische Berater am FOrstenhofzu konkurrieren. Ab der Mitte des 15. Jahrhunderts verdingten sich dann auch die fOhrenden Mathematiker der Zeit bei den FOrsten. Die Höfe von Matthias Corvinus in Ungarn und von Kaiser Friedrich III. entwickelten sich zu regelrechten Zentren der Astrologie; keiner von beiden wollte auf den Rat namhafter Sterndeuter verzichten. Schon 1452 befand sich unter den Begleitern beim Romzug Friedrichs m. ein meister Hans Astronomus, der mit dem 1457/58 verstorbenen Johannes Nihil Bohemus identisch sein könnte. 2o Gleichzeitig versicherte sich der König und spätere Kaiser der Hilfe zweier führender Mathematiker seiner Zeit: Georg von Peuerbach und Regiomontanus, beide Magister der Wiener Universität. Vor seiner Heirat mit Eleonore von Portugal ließ er 1451, vermutlich von Georg von Peuerbach, das Horoskop seiner Braut stellen. Im FrUhjahr 1459 berechnete und interpretierte Regiomontanus die Nativität des eben geborenen Erbprinzen, des späteren Kaisers Maximilian 1. 21 In den siebziger Jahren fungierte Johannes Lichtenberger, der keine akademische Bildung besaß und auch für Herzog Ludwig den Reichen von Bayern-Landshut gearbeitet hatte, als kaiserlicher Hofastrologe,
18 Vgl. oben S. 58. Der Hofastrologe Karls V. war Thomas de Pisan, der Vater von Christine de Pisan (vgl. E. Wickersheimer: Dictionnaire, Bel. 2, S. 764-5). 19 Er wird in den Wiener Annalen von 1348-1404 (MG, Deutsche Chroniken VI, S. 240), die seine Deutung des Kometen von 1402 wiedergeben, als pro tune astrologus Austrie bezeichnet. Vgl. A Lhotsky: Die Wiener Artistenfakultät, S. 115-6. 20 Zu den Begleitern beim Romzug vgl. D. Kurze: Johannes Lichtenberger, S. 8. Zu Nihil Bohemus, der als Hofastrologe Friedrichs 1lI. gilt E. Zinner: Leben und Wirken, S. 29 und H. Grössing: Humanistische Naturwissenschaft, S. 128. Zur Astrologiegläubigkeit Friedrichs 111. allgemein E. Zinner: Leben und Wirken, S. 23-4. 21 Das Eleonoren-Horoskop wurde von E. Zinner: Leben und Wirken, S. 48-50 dem damals erst 14-jährigen Regiomontanus zugeschrieben, doch hat, nachdem F. Schmeidler: Opera collectanea, S. XII ernste Zweifel an dieser Zuordnung angemeldet hatte, H. Grössing in H. Grössing / F. Stuhlhofer: Versuch einer Deutung, S. 27~73 mit historischen und philologischen Argumenten eher eine Verfasserschaft Georg von Peuerbachs glaubhaft gemacht. Beim Maximilians-Horoskop läßt sich nicht mit Sicherheit entscheiden, ob es eine Gemeinschaftsarbeit Peuerbachs und Regiomontans darstellt, oder ob es von einem von beiden allein verfaßt wurde; vgl. E. Zinner: Leben und Wirken, S. 51, der für Regiomontanus plädiert, und H. Grössing in H. Grössing / F. Stuhlhofer: Versuch einer Deutung, S. 274-5, der das Horoskop ebenfalls Regiomontanus zuschreibt, doch auch die anderen möglichen Varianten zur Verfasserschaft nicht endgültig ausschließt.
V. Mathematik am Hof
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Mitte der achtziger Jahre wurde er von Johannes Canter als astrologus imperialis abgel öst. 22 Daß eine Stellung als Hofastrologe für einen Universitätsmagister, der sonst, wenn er keine Kollegiatur innehatte, auf die Einnahmen aus seiner Regenz angewiesen war, durchaus Attraktivität besaß, zeigt sich deutlich in der Karriere von Georg von Peuerbach. Auf Vermittlung von Johannes Nihil Bohemus trat er 1453 mit einer Jahresbesoldung von 241b. in die Dienste von Ladislaus Postumus, nach dessen Tod wechselte er, da durch das Ableben von Johannes Nihil Bohemus die Stelle eben frei geworden war, 1457 oder 1458 als Hofastrologe zu Friedrich III. 23 Trotzdem setzte Peuerbach gleichzeitig auch seine Lehrtätigkeit an der Universität fort, wo er hauptsächlich humanistische Vorlesungen hielt. 24 Anders sein SchUl er Regiomontanus. Nachdem er noch bis zum Wintersemester 1460/61 in Wien über mathematische und humanistische Themen gelesen hatte,25 verließ er 1461 die Universität, um von den ihm verbliebenen 15 Lebensjahren zehn in der Umgebung von Höfen zu verbringen. Von 1461 bis 1467 gehörte er zum Gefolge des Kardinals Bessarion in Italien, daran schloß sich ein vierjähriger Aufenthalt in Ungarn in den Diensten von Jan Vit~z, dem humanistisch gebildeten Erzbischof von Gran, und von Matthias Corvinus an. 26 Seine Lehrtätigkeit 1464 in Padua und 1467 an der neugegrundeten Universität Preßburg blieb demgegenüber kurzfristige Episode. 27 Matthias Corvinus zog Magister von mehreren Universitäten an seinen Hof in Buda. Die wichtigsten unter diesen kamen aus Krakau. Neben Johannes Stercze aus Leukirch (Queitsch) und Bartholomäus Mariensüß aus Patschkau28 ist hier vor allem Martinus Bylica aus Olkusz zu nennen, der ungefähr gleichzeitig mit Regiomontanus nach Ungarn kam, ebenfalls vorübergehend an der Universität Preßburg lehrte und sich dann bis zu dessen Tod bei Matthias Corvinus
22 Vgl. D. Kurze: Johannes Lichtenberger, S. 8-9. Zu Lichtenbergers Arbeiten für Herzog Ludwig den Reichen vgl. ibid., S. 8 und 74-5, sowie unten S. 183; vgl. auch D. Kurze: Popular Astrology, S. 179 und 18I. 23 Vgl. H. Grössing: Humanistische Naturwissenschaft, S. 8I. 24 Vgl. oben S. 7I. 2S Vgl. oben S. 72. 26 Zu Regiomontans Diensten bei Kardinal Bessarion vgl. H. Grössing: Regiomontanus und Italien, S. 224-30; er bezeichnet sich selbst als clientelus und familiaris des Kirchenfürsten (vgl. ibid., S. 224). Zu Regiomontans Ungarn aufenthalt vgl. L. Bendefy: Regiomontanus und Ungarn, bes. S. 244-9, sowie E. Zinner: Leben und Wirken, S. 145-7. 27 Vgl. zu Padua E. Zinner: Leben und Wirken, S.110-7; zu Preßburg ibid., S.145-7, sowie A. L. Gabriel: The Medieval Universities, S. 42-3. 28 Johannes Stercze, Krakauer Magister 1464; Bartholomäus Mariensüß, Krakauer Magister 1474; zu beiden vgl. M. Markowski: Astronomie an der Krakauer Universität, S. 268. Dort wird auch ein weiterer Krakauer Magister genannt, Gregorius aus Nowa Wies, der Astrologe von Papst Paul ß. wurde.
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1. Kapitel: Voraussetzungen und Vorbilder
als Hofastrologe verdingte. 29 Dasselbe Amt besaß er auch noch unter Corvinus' Nachfogler Ladislaus. 30 Anzufügen ist an diese Reihe außer dem bereits genannten Regiomontanus noch der Leipziger Magister Johannes Tolhopf, der vorher gut sieben Jahre lang an der Universität Ingolstadt gewirkt hatte. 31 Die Beispiele ließen sich mit Blick auf Italien, wo Jakob von Speyer und Paul von Middelburg am Hof von Urbino wirkten, oder wo Giovanni Bianchini von Friedrich III. 1452 während seines Italienzuges als Ratgeber angenommen wurde,32 noch erheblich vermehren, doch dürften bereits zwei Aspekte hinlänglich klar geworden sein: Erstens suchten seit der Mitte des 15. Jahrhunderts viele der bekanntesten Mathematiker der Zeit ihr Auskommen vorübergehend oder dauernd als Astrologen an fUrstlichen Höfen. Neben Universitätsmagistern erschienen in dieser Funktion auch astrologische Praktiker ohne akademische Bildung, deren Kenntnisse auf ihrem Fachgebiet aber deswegen nicht schlechter gewesen sein müssen. Es handelte sich keineswegs ausschließlich um Propheten, die über die Quellen ihrer Weisheit niemandem Rechenschaft schuldeten und die erst im 16. Jahrhundert von Spezialisten, weIche über die nötigen astronomischen und rechnerischen Fertigkeiten verfügten, abgelöst wurden. 33 Zweitens war die Kluft zwischen der höfischen und der an den Universitäten gepflegten Naturwissenschaft, weIche G. Beaujouan konstatierte,34 zumindest im Bereich der Astrologie nach der Mitte des 15. Jahrhunderts weitestgehend überwunden. Die Herkunft der Astrologen demonstriert dies deutlich. Erste Eingriffe 29 Vgl. M. Markowski: Astronomie an der Krakauer Universität, S. 268. Zu seiner Tätigkeit gleichzeit mit Regiomontanus in Preßburg vgl. J. Babicz: Die exakten Wissenschaften, S. 311-2 und A L. Gabriel: Tbe Medieval Universities, S. 43-5. Zu den Astrologen am Hof von Matthias Corvinus vgl. auch M. Csaky: Humanistische Gelehrte, S.261-3. 30 Vgl. J. Babicz: Die exakten Wissenschaften, S. 311-2. 31 Vgl. unten S. 172. 32 Vgl. E. Zinner: Leben und Wirken, S. 242. 33 So argumentiert B. Bauer: Die Rolle des Hofastrologen, bes. S. 94: Das Berufsbild des höfischen 'Astrologus', 'Astronomus' und 'Mathematicus' entwickelte sich in drei Schritten vom Propheten über den weisungsgebundenen Spezialisten bis zum autonomen Wissenschaftler, der sich seine Ziele nicht mehr vorschreiben ließ. Zur Illustration der von ihr postulierten ersten Phase der Propheten führt sie auf S. 96-7 Antonius Arquatus (genannt Torquatus) und JohannesLichtenberger an, über die sie schreibt: TorquatusundLichtenberger argumentierten zum geringsten Teil astrologisch. Sie setzten höchstens gemäß der aristotelisch-ptolemäischen Tradition einen meteorologischenKilusalzusammenhang zwischenPlanetenkonjunktionen oder Finsternissen und angekündigten res gestae voraus, ohne ihn irgendwie zu begründen. Statt dessen stellten sie sich in die Nachfolge des Propheten Daniels, ... (S. 96-7). Daß Torquatus und Lichtenberger keineswegs die einzigen Astrologen jener Zeit waren und auch nicht als ihre typischen Vertreter betrachtet werden dürfen, geht aus dem eben gegebenen Überblick hervor. Spezialisten wie Georg von Peuerbach, Regiomontanus, Martinus Bylica oder auch der Ingolstädter Johannes Tolhopf werden von B. Bauer nicht erwähnt. 34 Vgl. oben S. 96.
VI. Mathematik und humanistische Bewegung
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der Herrscher an Universitäten zugunsten von ihnen geförderter Mathematiker lassen sich außer in Paris am CoII~ge du Maitre Gervais auch bereits in Preßburg feststellen, wo Jan Vittz für Martinus Bylica und Regiomontanus Vorsorge traf. 35 Das nächste in dieser Reihe zu erwähnende Beispiel wäre die Universität Ingolstadt. 36 An den Höfen nördlich der Alpen wurden um jene Zeit außer der Astrologie keine weiteren nennenswerten naturwissenschaftlichen oder mathematischen Interessen gepflegt; Geographie und Kartographie sollten erst etwa fünfzig Jahre später dort aufgegriffen werden, anfangs im Rahmen des von den Humanisten propagierten Bildungsprogrammes, dann auch zu den praktischen Zwecken einer genauen Landesaufnahme.37 VI. Mathematik und humanistische Bewegung 1. Das Modell der /lumanistischenNaturwissenschaft'
Daß die mathematischen Wissenschaften ein integraler Bestandteil des von deutschen Humanisten am Ende des 15. Jahrhunderts propagierten Bildungsprogrammes waren, wurde von einem Teil der Humanismusforschung schon vor langem erkannt, wenn auch die literarische Seite des Renaissance-Humanismus noch immer, und wohl auch zurecht die weitaus größte Beachtung findet. Schon Gustav Bauch bezog die Untersuchung der Pflege der Mathematik an den Hohen Schulen in diverse Studien zur Geschichte des Humanismus an deutschen Universitäten, die er im Zusammenhang mit einer nie vollendeten Ausgabe des Briefwechsels von Conrad Celtis anstellte, mit ein. 1 Trotzdem haben die Humanismus-Theorien noch bis in die jüngste Zeit den naturwissenschaftlichen Aspekt des humanistischen Bildungsprogrammes kaum berücksichtigt. 2 Erst P. O. Kristeller hob in verschiedenen Untersuchungen immer wieder die Bedeutung der humanistischen Bewegung für die Entwicklung der Vgl. oben S. 101. Vgl. unten S. 168ff. 37 Auf die von den Humanisten geförderte Geographie und die daraus hervorgehende Landesvermessung, die erst im 16. Jahrhundert in Angriff genommen wurde, wird an geeigneter Stelle (vgl. unten S. 242, S. 257ff. und S. 420) eingegangen, da ihre Wurzeln kaum ins 15. Jahrhundert zuTÜckreichen. 1 Zur geplanten Ausgabe des Briefwechsels vgl. H. Rupprich: Der Briefwechsel, S. IX-X. In seiner Untersuchung Die Anfänge des Humanismus in Ingolstadt widmete G. Bauch das ganze letzte Kapitel (S. 92-115) den Mathematikern und Astronomen; in der Studie Die Rezeption des Humanismus in Wien bespricht er die mathematischen Wissenschaften besonders im Zusammenhang mit der Geschichte der Gründung des Collegium poetarum et mathematicorum (S. 117-56), doch bezieht er sie auch an anderen Stellen immer wieder in seine Untersuchung mit ein. 2 Im einzelnen soll und kann an dieser Stelle hierauf nicht eingegangen werden. Eine treffliche Zusammenfassung findet sich bei H. Grössing: Humanistische Naturwissenschaft, Kap. 1.1: Systembildungen (S. 17-28). Zusammenfassend gibt er als Ursache rur die Ausblendung der naturwissenschaftlichen Seite des Humanismus an (S. 44): Der 35
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1. Kapitel: Voraussetzungen und Vorbilder
Naturwissenschaften, speziell auch der Mathematik, Astronomie und Astrologie, hervor. 3 A. Buck hat dann dem Verhältnis von Humanismus und naturwissenschaftlichem Denken einen eigenen Aufsatz gewidmet, in dem er die Beziehungen vom Humanismus zur Naturwissenschaft und umgekehrt untersuchte.4 Ein Vertiefung der Fragestellung, bei der konkrete Einzeluntersuchungen und Systematisierung Hand in Hand gingen, erfolgte durch D. Wuttke, F. Krafft und H. GrÖssing.s So gelangte die Humanismus-Forschung im Bereich der Geschichte der Naturwissenschaften zu einem Punkt, an dem, wie H. Grössing schreibt, die Einführung des Terminus technicus 'Humanistische Naturwissenschaft' nur noch einer, sich nahezu selbst bedingenden, semantischen Reflexion bedurfte.6 Grössing hat dann auch versucht, die humanistische Naturwissenschaft in sein Humanismus-Modell mit einzubauen: 7 Nachdem der Humanismus anfllngIich nur die triviale Seite der Bildung in den septem artes tangiert hatte, habe in der Mitte des 15. Jahrhunderts die Berührung der Naturwissenschaft mit dem Humanismus stattgefunden, die sich vorerst in der Humanistischen Naturwissenschaft, das heißt der Anwendung Neuhumanismus des 18. und 19. Jahrhunderts hat nur vermeintlich die volle Tradition des Renaissance-Humanismus des 16. Jahrhunderts aufgenommen; in Wirklichkeit hatte er sich bevorzugt der griechischen Antike zugewandt und die humanistische Naturwissenschaft des 16. Jahrhunderts unberücksichtigt gelassen. Hieraus ist das auf den Humanismus bezogene terminologische Mißverständnis entstanden. 3 Vgl. z. B. P. O. Kristeller: Platonismus in der Renaissance (zuerst 1955 erschienen), bes. S. 64ff., idem: Humanistische Gelehrsamkeit (nach einem 1959 gehaltenen Vortrag, zuerst 1965 erschienen), S. 27 und idem: Der italienische Humanismus (zuerst 1969 erschienen), S. 256-7. Der Titel der von F. Kliem verfaßten Studie Humanismus und Mathematik, die schon 1929 erschien, verspricht mehr als der Inhalt zu erfüllen in der Lage wäre; nur aufS. 25-33 des 60 Seiten umfassenden Bändchens listet er einige von Humanisten besorgte Editionen von Texten von Euklid, Archimedes und Apollonius auf: läßt jedoch die prinzipielle Problematik des Verhältnisses von Humanismus und Mathematik völlig unbehandelt. 4 Vgl. A. Buck: Der Beitrag des Renaissance-Humanismus; zu Ansatz und Methode der Untersuchung vgl. S. 34: Der gemeinsame Ursprung von Humanismus und Naturwissenschaft in der mit der Renaissance auflcommenden neuen Geisteshaltung legt die Frage nahe, ob und in welcher Hinsicht es zwischen Humanismus und Naturwissenschaften außerhalb der polemischen Auseinandersetzung über ihre verschiedenen Methoden und WISsenschaftsbegriffe positive Beziehungen gegeben hat. Solche Beziehungen können in zwei Richtungen verlaufen: vom Humanismus zur Naturwissenschaft und umgekehrt, und in der Tat hat ein reziprokes Verhältnis im Sinne einer gegenseitigen Beeinflussung zwischen Humanismus und Naturwissenschaft bestanden. Dabei war allerdings wohl der Humanismus mehr der gebende als der nehmende Teil 5 Vgl. D. Wuttke: Aby M. Warburgs Methode, idem: Humanismus in Nümberg, idem: Beobachtungen; F. Kram: Renaissance der Naturwissenschaften und idem: Tradition (aus der Vielzahl der Veräffentlichungen beider zu diesem Thema ist dies nur eine kleine Auswahl). Zu einer Zusammenfassung ihrer Ergebnisse vgl. H. Grässing: Humanistische Naturwissenschaft, S. 26-7. 6 Vgl. H. Grässing: Humanistische Naturwissenschaft, S. 11. 7 Die graphische Darstellung seines Modells in H. Grässing: Humanistische Naturwissenschaft, S. 45.
VI. Mathematik und humanistische Bewegung
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der philologischen Methode auf die naturwissenschaftliche Arbeit, auswirkte: Mathematiker wie Regiomontanus führten die Fehler in den überlieferten mathematischen Traktaten in erster Linie auf eine im Verlauf der Zeit immer mehr zunehmende Verderbtheit der Texte zurück. Die Wiederherstellung der mathematischen Wissenschaften hat deswegen bei den Texten einzusetzen; diese sind von den Traditionsfehlem zu reinigen, die sachlich-inhaltliche Richtigstellung ergebe sich danach von selbst.8 Die Ausweitung des humanistischen Bildungsprogrammes auf die Gesamtheit der artes und die enkyklia mathemata habe dann, so Grössing, die Phase des Integralen Humanismus eingeleitet. Etwa um 1500 sei diese Phase erreicht worden und habe bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts gedauert. Unter dem Dach des Integralen Humanismus sei die Gesamtheit der sprachlichen wie der naturwissenschaftlichen Disziplinen in einem einheitlichen Bildungsund Forschungsprogramm vereint worden. 9 Als den hervorragendsten Vertreter dieser Richtung des Humanismus in Wien betrachtet er Conrad CeItis. 10 In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts seien dann aus der bis dahin einheitlichen Naturwissenschaft die einzelnen Naturwissenschaften herausgewachsen, indem sie auch methodisch über die Humanistische Naturwissenschaft hinausgingen. l1
8 Vgl. H. Grössing: Humanistische Naturwissenschaft, S. 39: Wenn ein humanistischer 'Mathematiker' des 15. Jahrhunderts, wie Regiomontanus, die Astronomie-Astrologie restaurieren wollte, so tat er im Grunde nichts anderes als castigare, denn er versuchte die unverfälschte, etwa Ptolemäische oder Eudoxinisch-AristotelischeAstronomie durch formal-philologische Behandlung - woraus sich, zumindest für den Humanisten, die sachlich-inhaltliche von selbst ergab - wieder herzustellen und der WISsenschaft seiner Zeit zu präsentieren. Oder S. 117: In Regiomontanus müssen wir, wie gesagt, nicht nur einen hervorragenden deutschen Frühhumanisten sehen, sondern auch das Urbild des humanistischen Naturwissenschafters, der Diophantos im Original lesen konnte und der der 'SYNTAXIS MA THEMA TIKE , vor dem 'ALMAGEST' [sc. der griechischen Urversion vor der lateinischen Übersetzung des Hauptwerkes von PtolemäusJ den Vorzug gab womit nicht alles, aber fast das meiste über die humanistischeNaturwISsenschaft ausgesagt ist. 9 Vgl. H. Grössing: Humanistische Naturwissenschaft, S. 12: (... ) und als die zeitlich späteren humanistischen Studien, die aufgrund eines neu gewonnenen WISsenschaftsbegriffes sich kritisch-rational der Gesamtheit der Artes widmeten und die enkyklia mathemata entweder in enzyklopädischer Manier additiv-sammelnd-beschreibend zu erfassen suchten (Conrad Celtis) oder das systematische Element zur Bewältigung undNormierung des Insgesamt der Wissenschaft und der wissenschaftlichen Gegenstände einführten (Philipp Melanchthon). Die beiden letzten Standorte des Renaissance-Humanismus, die etwa um 1500 erreicht und bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts eingenommen wurden, wollen wir 'Integraler Humanismus' nennen. 10 Vgl. H. Grössing: Humanistische Naturwissenschaft, S. 147: Als einer der hervorragendsten Sachwalter des Integralen Humanismus in Wien um 1500 (... ) tritt uns der deutscheArchipoeta und Humanist Conrad Celtis entgegen. 11 Vgl. H. Grössing: Humanistische Naturwissenschaft, S. 205: Die Kultur der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts war über jenen, seit etwa zwei Jahrhunderten kontinuierlich erfolgten Prozeß der Assimilation der Antike zu einem Sättigungsgrad gelangt, der die Wiederaufnahme des geistigen Gutes des Altertums nicht mehr (... ) zu einem 'notwendigen Kulturvorgang' machte. Rezeption der Antike wurde in der Naturwissenschaft abgelöst
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1. Kapitel: Voraussetzungen und Vorbilder
Von dort habe der Weg zur ScientiaNova geführt. 12 Exemplarisch stellte Grössing sein Modell anhand der Geschichte der ersten und zweiten Wiener mathematischen Schule mit ihren Hauptexponenten Georg Peuerbach und Regiomontanus einerseits und Conrad Celtis andererseits dar. Modelle, die einen komplexen Zusammenhang und zahllose Einzelvorgänge in ein überschaubares Schema einzuordnen versuchen, müssen notgedrungen simplifizieren, so daß es leichter ist, sie zu kritisieren als sie zu konstruieren. Auch wenn sie, soweit dies in den Geisteswissenschaften möglich ist, induktiv gewonnen werden,13 beginnen sie bei allem Bemühen um methodische Integrität von einem bestimmten Zeitpunkt an die Sammlung und Interpretation von Fakten zu beeinflußen, vom Erkenntnisziel zum Erkenntnismittel zu werden. Dies muß nicht notwendig ihre immanente Richtigkeit in einem begrenzten Bereich beeinträchtigen, in jedem Fall aber ihre umfassende Gültigkeit. Schließlich ist einer der Zwecke von Modellen auch, daß sie Nachfolgern als heuristisches Hilfsmittel dienen, wobei ihre Funktion sich nicht in der Hilfe bei der Einordnung von Fakten in Zusammenhänge erschöpft; mindestens ebenso fruchtbar können sich Modelle erweisen, wenn sie einer kritischen Auseinandersetzung als Ausgangspunkt dienen, von dem aus gesehen das Nicht-typische, welches sich nicht in das Modell einordnen läßt, nur umso deutlicher hervortritt. Die vorliegende Arbeit verdankt der Auseinandersetzung mit dem von H. Grössing konstruierten Modell viel;14 in vielen Punkten hat sich die Richtigkeit desselben erwiesen, was auch daher rühren mag, daß der von H. Grössing als Bei spi el für den Integralen Humanismus untersuchte Krei s um Conrad Celti s nicht nur auf die Geschichte der Wiener, sondern auch der Ingolstädter Mathematik zeitweise prägend gewirkt hat. Es ist unbestreitbar, daß es eine Humanistische Naturwissenschaft gegeben hat, und ebenso unbestreitbar ist es, daß in etlichen humanistischen Bildungsprogrammen der Zeit um 1500 und kurz danach ein umfassendes Wissen gefordert wurde, das den Terminus vom Integralen Humanismus rechtfertigt. durch einen Akt des Transzendierens der antiken (aristotelischen) Naturphilosophie. Die Zeit war reif geworden zum 'Überschreiten' ( ... ). 12 Vgl. H. Grossing: Humanistische Naturwissenschaft, S. 44: Die Naturwissenschaften der Renaissance gehen über die humanistische Naturwissenschaft hinaus; sie sind in der Spätrenaissance bereits zu den modernen Naturwissenschaften, zur Scientia Nova zu zählen. 13 Zu seiner induktiven Vorgehensweise vg!. H. Grössing: Humanistische Naturwissenschaft, S. 11: Dabei wurde nicht deduktiv vorgegangen, sondern von induktiv-empirischen Resultaten her argumentiert, die wohl der Erweiterung fähig, aber für sich allein schon repräsentativ genug sind, um zu jener terminologischen Schlußfolgerung [sc. der 'Humanistischen Naturwissenschaft'] zu gelangen. 14 Nicht unerwähnt bleiben dürfen auch zwei Gespräche, die der Verfasser mit H. Grässing in Wien im März 1989 und im Dezember 1991 führen durfte. Im zweiten Gespräch wurden auch die folgenden Modifikationen diskutiert.
VI. Mathematik und humanistische Bewegung
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Die Kritik, oder besser gesagt Modifikation setzt am Zusammenfließen aller Stränge der mittelalterlichen Wissenschaft - nach dem Modell aus den drei Strömen Quadrivium, Trivium und Humanismus, der sich schon in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts mit dem Trivium vereinigt- in den Integralen Humanismus ein, aus dem, auf die naturwissenschaftliche Seite reduziert, wiederum die neuzeitlichen Naturwissenschaften und letztlich die Scientia nova entspringen. Wie die folgende Untersuchung immer wieder zeigen wird, hat es eine solche Fokusierung der Naturwissenschaft auf den Integralen Humanismus, vor allem in Verbindung mit dem ausschließlichen Herauswachsen der Naturwissenschaften aus demselben, nicht gegeben. Bezogen auf die Mathematik existierte daneben eine mindestens ebenso starke iatromathematische Strömung, die nur zeitweise durch den Einfluß des Humanismus verdeckt wurde. Die humanistischen Gelehrten standen der Iatromathematik zwar keineswegs geschlossen ablehnend gegenüber; vielmehr stellt Georg Tannstetter Collimitius, der sich nach Celtis' Tod 1508 intensiv, 15 aber letztendlich erfolglos um die Fortsetzung seines Werkes bemühte, ein schlagendes Beispiel rur die Integration der Iatromathematik in die Humanistische Naturwissenschaft dar. 16 Doch gab es daneben eine Richtung der Iatromathematik, die vor allem unter soziologischen Gesichtspunkten von den humanistischen Mathematikern absticht. 17 Schon vor dem Eindringen des Humanismus hatte das Interesse an der Iatromathematik die Installierung von Mathematiklektoren an Universitäten gefördert. Weder in Wien noch in Ingolstadt stand letztlich das humanistische Bildungsprogramm allein hinter der Einrichtung der mathematischen Fachlekturen; in beiden Fällen waren entscheidende Entwicklungen schon in Gang gekommen, bevor Conrad CeItis eintraf. Das oben genannte Beispiel des Krakauer Magisters, rur den sich 1496 gerade die Mediziner stark gemacht hatten, mag vorläufig genügen. 18 CeItis verstand es lediglich, diese Entwicklungen in den Dienst seiner Idee zu stellen, in Ingolstadt mit weniger, in Wien mit mehr Erfolg. In Krakau hatte der Einfluß des Italienischen Modells zur Gründung der Kollegiatur durch Martinus Rex gefOhrt,19 wobei italienisch nicht gleichbedeutend mit humani15 Vgl. dazu Chr. Treml: Humanistische Gemeinschaftsbildung, S. 58-9 (sodalitas Collimitiana ). 16 Vgl. H. Grössing: Humanistische Naturwissenschaft, S. 201, nachdem er eine Liste von Tannstetter in einem seiner Werke zitierter Autoren besprochen hat: Anhand dieser Autorenliste ist wieder einmal sehr schön der Weg der Iatromathematilc und überhaupt der Naturwissenschaft von der klassischen Antilce zu denArabern, den hochmittelalterlichen Lateinern und schließlich zu den humanistischen Naturwissenschaftern verfolgbar. 17 Der soziologische Aspekt, der einerseits weitere Argumente zugunsten der Humanistischen Naturwissenschaft und des Integralen Humanismus beizusteuern vermag, andererseits aber auch deutlich zeigt, wie sich an den Universitäten eine 50 Jahre lang fast unsichtbare, dann jedoch dominierende Strömung bemerkbar macht, wird unten S. 117ff. besprochen. 18 Vgl. oben S. 94. 19 Vgl. oben S. 87.
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1. Kapitel: \braussetzungen und Vorbilder
stisch ist. In Erfurt war es mit Amplonius Ratinck ebenfalls ein Mediziner, der den Grundstock für die intensive Pflege der Mathematik in der Mitte des 15. Jahrhunderts gelegt hat. 2o Und Leipzig läßt sich schließlich in gar kein Schema einordnen. 21 Ebensowenig wie italienisch mit humanistisch gleichzusetzen ist, darf selbstverständlich medizinisch mit nicht-humanistisch identifiziert werden. Die italienischenÄrzte-Humanisten, mit Marsilio Ficino als ihrem prominentesten Vertreter, zeigen dies deutlich. Und auch unter den deutschen humanistischen Mathematikern lassen sich etliche finden, die den medizinischen Doktorgrad besaßen; nochmals sei auf Georg Tannstetter verwiesen. Um den Unterschied zwischen humanistisch gebildeten Ärzten, die Mathematik betrieben, und humanistischen Fachmathematikern einerseits, und den der älteren Tradition angehörenden Medizinern, die sich auch mit Mathematik beschäftigten, andererseits herauszuarbeiten, ist es nötig, über die rein geistesgeschichtliche Betrachtung hinaus auch institutionengeschichtliche und soziologische Aspekte in die Diskussion einzubeziehen. 2. Soziologische und institutionelle Aspekte Der sozi al geschichtliche und soziologische Aspekt des Renaissance-Humanismus und der Mathematikgeschichte, besonders im deutschen Raum, stellt ein noch relativ wenig erforschtes Gebiet dar.22 Dabei besaß gerade er für die Form, in der die humanistischen Disziplinen im Rahmen der spätmittelalterlichen Universitäten ihren Platz fanden, entscheidende Bedeutung.23 Als Ausgangspunkt dient die Betrachtung der nach der traditionellen Ansicht humanistischen Fächer, d. h. der Poetik, später auch des Griechischen und des Hebräischen. Sind die Besonderheiten der diese Fächer tragenden Personengruppe, vor allem im Kontrast zu den eingesessenen Artistenmagistern herausgearbeitet, soll anschließend ein Vergleich mit der Situation der humanistischen Mathematiker angestellt werden. Die Integration der Humanisten in die deutschen Universitäten vollzog sich keineswegs reibungslos. Vielmehr wurden in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts die humanistischen Lektoren vorerst nicht in die Artistenfakultäten, denen Vgl. oben S. 72. Vgl. oben S. 76ff. 22 Einen Anfang stellt das Kapitel Die Humanisten -Soziologisch ein neuer Stand? von Chr. Treml: Humanistische Gemeinschaftsbildung, S. 15-40 dar, doch wird in der Behandlung der Universitäten (S. 24-35) der hier vor allem interessierende Gesichtspunkt der Abhängigkeit der institutionellen Einbindung der Humanisten in das Lehrgefiige und die Verfassung der Universität von ihrer Qualifikation nur gelegentlich gestreift (z. B. S. 26-8). Daß die 233 Kurzbiographien, auf die sie ihre Untersuchung stützt (vgl. S.16) nicht mit abgedruckt wurden, ist angesichtdes Raumes, den sie beanspruchen würden, verständlich, trotzdem aber bedauerlich. Eine derartige Materialsammlung könnte weitergehende Studien wesentlich erleichtern. 23 Vgl. L. Boehm: Humanistische Bildungsbewegung. Einzelbelege werden in der gleich folgenden detaillierten Besprechung dieses Gesichtspunktes gegeben. 11)
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VI. Mathematik und humanistische Bewegung
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sie mit ihrem Stoffgebiet zwar nicht dem Herkommen, wohl aber der allgemein verbreiteten Meinung nach, angehören sollten,24 integriert. Die Lekturen wurden, meist aufgrund obrigkeitlicher Verfügung, ohne Verbindung mit irgendeiner Fakultät, gewissermaßen im leeren Raum, errichtet.25 Sie stellten ein zusätzliches Lehrangebot dar, häufig extraordinarie an den Feiertagen vorgetragen. Die Teilnahme war für die Studenten zum Erwerb eines akademischen Grades, sei es an der artistischen oder einer höheren Fakultät, nicht obligatorisch.26 Dieses Nebeneinander, zeitweise auch Gegeneinander von Humanisten und Artisten hatte aber seinen Ursprung weniger in dem oft überbetonten Gegensatz von Humanismus und scholastischer Tradition, als vielmehr in institutionellen und verfassungsrechtlichen Gründen. 27 Viele der Humanisten, die an Universitäten wirkten, besaßen keinen akademischen Grad, schon gar nicht den artistischen Magistertitel; die Krönung zum poeta laureatus, die dem Anspruch nach einer Magisterpromotion gleichwertig sein sollte, wurde von den Universitäten nicht anerkannt. Da aber der Magistergrad Voraussetzung für die Teilnahme am Leben der Artistenfakultät war, also für das Recht, bei den Sitzungen des Fakultätskonzil~ zugegen zu sein und abzustimmen ebenso wie für die Teilnahme an der Promotion von Bakkalaren und Magistern, ergab sich von vornherein keine Möglichkeit, ohne Sprengung der alten Verfassung die Humanisten zu integrieren. 28 Durch die besondere Art der Qualifikation zum Humanisten ergaben sich noch zwei weitere Konfliktfelder mit der hergebrachten Verfassung der Artistenfakultät: Während die Magister in jährlichem oder halbjährlichem Thmus die Vorlesungen des artistischen Curriculums unter sich verteilten,29 besaßen die humanistischen Lektoren weder den Willen noch, falls ihnen ein akademischer Grad fehlte, die bildungsmäßigen Voraussetzungen, sich an diesem System zu beteiligen. Sie konnten an einer Universität nur dann dauerhaft lehren, wenn durch die Schaffung einer Fachlektur die Voraussetzungen dafür geschaffen wurden, daß sie sich ausschließlich ihrer Disziplin widmen konnten. Fehlte diese Voraussetzung, waren sie gezwungen, von Universität zu Universität zu wandern, in der Hoffnung, daß Vgl. A Seifert: Der Humanismus, S.144. Vgl. A Seifert: Der Humanismus, S. 136: Für den Modus vivend~ der sich schließlich überall in Deutschland einspielte, scheint mir in mehr strukturgeschichtlicherHinsicht die Unverbundenheit charakteristisch, in der das noch unangetasteteRegenzsystemder eigentlichenArtistenfakultäten mit der Vortragstätigkeit der zumeist besoldeten Poeten und auchMathematiker koexistierte. Diese gehörten den Fakultäten in der Regel nicht an, sondl!Tn nahmen, auch in der Ranghierarchie der Universitäten, einen unklaren Sonderstatus em. 26 Vgl. L. Boehm: Humanistische Bildungsbewegung, S. 330--1. 27 Vgl. L. Boehm: Humanistische Bildungsbewegung, S. 320--1 und 329. 28 Vgl. L. Boehm: Humanistische Bildungsbewegung,S. 331-6. 29 Vgl. oben S. 62. 24
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1. Kapitel: Voraussetzungen und Vorbilder
sich ihnen irgendwann die gewünschte Gelegenheit bieten würde; das Phänomen der Wanderpoeten in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts legt davon beredtes Zeugnis ab. Das zweite Konfliktfeld betraf, über den Aspekt der Fachlektur hinaus, den Charakter ihres Lehramtes. Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß für die Mehrzahl der artistischen Magister die Lehrtätigkeit an der Artistenfakultät nur ein Durchgangsstadium auf dem Weg zur Graduierung an einer der höheren Fakultäten darstellte. 3o Anders für die Humanisten: Abgesehen davon, daß für viele von ihnen die studia humanitatisbereits einen Selbstzweck darstellten, über den hinaus keine weiteren akademische Grade erstrebenswert schienen,31 war den Humanisten, die gar keinen Grad an der Artistenfakultät besaßen, der Weg zur Graduierung an einer höheren Fakultät bereits durch ihre mangelnde Qualifikation im artistischen Bereich verbaut. Es scheint berechtigt, diejenigen Humanisten, die dauerhaft auf eine weitere Qualifikation verzichteten, als Berufshumanisten zu bezeichnen. Die Universitäten stellten für sie neben dem Dienst am Hof und bei den Städten32 einerseits Foren von Öffentlichkeir33 dar, zugleich aber auch eine Möglichkeit, sich den Lebensunterhalt zu verdienen. Vergleicht man die Situation der Humanisten mit derjenigen der humanistischen Mathematiker, so stellt sich heraus, daß auf letztere genau die gleichen individuellen Eigenarten wie auf jene zutreffen: beginnend mit der fehlenden akademischen Graduierung über die sich daraus ergebende verfassungsmäßige Einbindung an der Universität bis hin zu den möglichen Betätigungsfeldern. Die Spezialisierung auf die Mathematik erforderte einen Unterricht, den die Universitäten im Rahmen der ordinarie zu lesenden Fächer nicht bieten konnten. Außer dem Wechsel an die Universität Krakau, wohin es, wie bereits gezeigt wurde, etliche mathematisch interessierte Studenten zog,34 blieb nur noch die außerordentliche oder gänzlich private Unterrichtung durch einen mathematisch gebildeten Magister, vorausgesetzt die Universität, an der man studierte, verfügte über einen solchen. Eine derartige mathematische Ausbildung verlief aber völlig außerhalb des traditionellen Graduierungsverfahrens der Artistenfakultät; schlimmstenfalls konnte es soweit kommen, daß ein Student in langjährigem Studium sich zwar gute Kenntnisse in der Mathematik aneignete, auf der Graduierungsleiter aber erst die unterste Stufe des Bakkalaureats erklommen hat-
Vgl. oben S. 67. 31 Vgl. zum programmatischenAnspruch spezifischer Disziplinen L. Boehm: Humanistische Bildungsbewegung, S. 329-30. 32 Zu den Wirkungsbereichen von Humanisten vgl. ehr. Treml: Humanistische Gemeinschaftsbildung, S. 17-40. 33 Der Ausdruck wurde von A. Seifert: Der Humanismus, S. 135 geprägt. 34 Vgl. oben S. 90. 30
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te oder noch gar keinen Grad besaß. Besonders als Almanachschreiber waren diese Studenten den Universitäten trotzdem willkommen.3s Ähnlich wie die Wanderpoeten mußten am Ende des 15. Jahrhunderts auch viele Mathematiker, wir möchten sie Wandermathematiker nennen,36 auf der Suche nach einer dauerhaften Anstellung von Universität zu Universität und von Hof zu Hof wandern; die Chancen, an einem Ort seßhaft zu werden, waren rur viele gering. In die Matrikeln wurden sie gelegentlich als mathematici oder astronomi eingetragen, ähnlich wie man Humanisten als poetae inskribierte.31 Konflikte mit der Universitätsverfassung konnten bei diesem dem Humanismus parallel gelagerten Sachverhalt nicht ausbleiben, zumal, wenn die Ausbildung in der Mathematik dazu führte, daß sich ein Mathematiker den Universitätsmagistern wenigstens gleichrangig fühlte. Ein erster solcher Konflikt ereignete sich 1475 an der Universität Wien. Ausgetragen wurde er mit dem bereits erwähnten Johannes GrossnickeI. 1467 war er in Krakau zum artistischen Bakkalaureus promoviert worden und hatte sich dort anscheinend eine solide, vor allem astronomisch ausgerichtete Bildung angeeignet. 1475 wurde er, noch immer nicht zum artistischen Magister promoviert, in der medizinischen Fakultät wegen eines Vorfalles aktenkundig, der schlaglichtartig zum ersten Mal das Verfassungsproblem beleuchtet: Obwohl er nicht zum Magister promoviert worden war, beanspruchte er für sich, in der Öffentlichkeit das Birett, welches nur den Magistern zustand, tragen zu dürfen. Die Betonung, die in den Akten auf seine astronomischen Kenntnisse und die Fertigkeit, Finsternisse zu berechnen, gelegt wird, sowie der zweite Eintrag in das Registrum scolarium facultatis medicine, in dem er als protune astrologus expertissimus et 35 So wurden in Erfurt z. B. Jakob Honiger und Erhard Etzlaub, die keinen Magistergrad besaßen, am Ende des 15. Jh. mit der Berechnung des Almanachs beauftragt; vgl. E. Kleineidam: Universitas Studii, Bd. 2, S. 75. In Leipzig publizierte Johannes Virdung seine erste Prognostik im Jahr 1487 (E. Zinner: Geschichte und Bibliographie, S. 109 Nr. 309), wurde jedoch erst 1491 zum Magister promoviert. 36 Schon A Birkenmajer: L'universite de Cracovie, S. 486 fiel diese Gruppe auf; ihre Mitglieder bezeichnete er treffend als astrologues itinerants, doch berücksichtigte er noch nicht die Parallele zu den Wanderpoeten. Der Lebensweg von Regiomontanus, dessen Stationen (Leipzig, Wien, Italien, Ungarn, Nürnberg) schon verschiedentlich erwähnt wurden, ist hierfür beispielhaft. Noch ausgeprägter läßt sich der Mangel an stabilitas loei an der Biographie von Johannes Tolhopf demonstrieren: Leipzig, Ingolstadt, Rom (3x), Pommern und zuletzt Regensburg, die kleineren Stationen nicht mitgerechnet (auf Tolhopf wird unten auf S. 162ff. näher eingegangen). Die Beispiele ließen sich vermehren (z. B. Erasmus Höritz u. a. m.). 37 Z.B. Johannes von Eperies in Mat. Wien, Bd. 2.1, S. 227 CYVS 1492): Dom. et Mag. lohannes ex Epperys mathematieus eeelesie eollegiate Seepusiensis leetor et eanonieus; oder Erasmus Höritz in Mat. Wien, Bd. 2.1, S. 294 (SS 1501): Erasmus Erieius mathematieus de Horitz. Ein sehr spätes Beispiel ist der Eintrag von Johannes Carion in Mat. Wittenberg, Bd. 1 CYVS 1531/32): lohannesCarion astronomus. Eine systematische Durchsicht von Matrikeln nach ähnlichen Einträgen wurde nicht unternommen.
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1. Kapitel: Voraussetzungen und Vorbilder
profundissimus da rens bezeichnet wird, lassen vermuten, daß er sein vermeintliches Recht auf das Birett hieraus ableitete. Die Fakultät ließ ihm jedoch eine solche Anmaßung nicht durchgehen und rief ihn zur Ordnung.38 Johannes Grossnickel studierte an der medizinischen Fakultät und darf, da er einen höheren Grad anstrebte, nicht als Berufsmathematiker bezeichnet werden; wichtig ist hier allein die Tatsache, daß die Selbsteinschätzung eines Mathematikers zum ersten Mal zu einer Konfrontation mit der Universitätsverfassung fOhrte. In die gleiche Richtung deutet auch die Auseinandersetzung, die die Wiener Artistenfakultät 1496 mit dem Krakauer Magister Christoph hatte, weil dieser zu lesen beginnen wollte, ohne vorher öffentlich respondiert zu haben. Auch an dieser Auseinandersetzung hatten die Mediziner teiJ.39 Universitätsmathematiker, die den Magistergrad nicht besaßen, lassen sich in Deutschland bis etwa zur Mitte des 16. Jahrhunderts nachweisen, danach nicht mehr. 4o Die Konsequenzen, die sich daraus für die Stellung des Mathematiklektors an der Universität ergaben, waren genau dieselben wie bei den humanistischen 38 Vgl. K. Schrauf: AFM, S. 167: Seeundus[sc. articulus]fuit exparte uniusbaeealarii Craeoviensis universitatis, euius nomen fuit Johannes de Münsterberg, in astronomia instruet~ et scivit praetieare eclipses solis et lune,' ille inobediens fuit faeultati medieine in hoc, quod voluit publiee portare birretum et audire a doetoribus leeciones ordinarias. Fuit in eongregacione finaliter eonelusum, quod deberet adhue pie informar~ quod servaret eonsuetudines universitatis nostre et faeultatis et non deferret birretum (... ). Zu einem ähnlichen Vorfall in Ingolstadt, in dessen Verlauf sich der Magister und Mathematiker Johannes Tolhopf das rote Birett, das nur den Doktoren der oberen Fakultäten zustand, anmaßte, vgl. unten S. 164. 39 Vgl. oben S. 94. 40 Z. B. in Ingolstadt Friedrich Weiß, Johannes Stabius, Johannes Ostermair, Hieronymus Rosa, Peter Apian und Philipp Apian; in Tübingen Johannes Hyltebrand (1536-1543 Leetio Euclidis, 1557 und nochmals 1568 Leetio mathematiees, daneben diverse humanistische Lekturen und 1556-1564 Leetio organi aristotelis, vgl. N. Hofmann: Die Artistenfakultät, S. 10, 242 und 247-9; erst im Dezember 1536 wurde er Bakkalaureus, nach heftigem Drängen der Universität promovierte er im Januar 1540 zum Magister, vgl. Mat. Tübingen 105, 19; für zusätzliche Informationen darf ich mich bei N. Hofmann (Lauffen) herzlich bedanken) und Philipp Imser (1531-1535 und 1537-1557 Leetio mathematiees, vgl. N. Hofmann: Die Artistenfakultät, S. 246; eine Promotion zum Bakkalaureus oder Magister ist nicht nachweisbar; dafiir promovierte er 1545 in Ingolstadt(!) zum Doktor der Medizin, vgl. L. Liess: Geschichte der medizinischen Fakultät, S. 168-9); in Erfurt Valentin Engelhardt (seine Promotionsdaten sind unklar: in Wittenberg wurde er schon 1545 als Magister bezeichnet, vgl. W. Friedensburg: Geschichte, S. 230; in Erfurt dagegen rezipierte man ihn 1547 nur als Wittenberger Bakkalar, vgl. E. Kleineidam: Universitas studii, Bd. 3, S. 74-5 und 255-6) und Valentin Naboth (Wittenberger Bakkalar, vgl. E. Kleineidam: Universitas studii, Bd. 3, S. 74-5 und 255-6). Daß Ähnliches auch in England möglich war, zeigt das Beispiel des Müncheners Nikolaus Kratzer, der 1517/18 nach England zog, dort zuerst im Dienst König Heinrichs VIII. wirkte und anfangs auf königlichen Befehl, dann seit 1523 am Corpus Christi College in Oxford die Mathematik lehrte (als einer von vier publici lectores, die die humanistischen und mathematischen Fächer zu vertreten hatten!); wie Peter Apian besaß er nur den Bakkalaureusgrad, den er in Köln 1509 erworben hatte; erst in Oxford bemühte er sich auch um den Magistertitel (vgl. J. North: Nicolaus Kratzer, S. 210-3 und 215--8). H. Grössing machte mich noch darauf aufmerksam, daß auch Georg von Peueroach, als er 1449 mathematische Vorlesungen in Padua hielt, erst den Grad eines
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Lektoren. Sie standen neben der Artistenfakultät und waren von ihrem Leben gänzlich ausgeschlossen.41 Zwar verdankten die mathematischen Fachlekturen ihre Entstehung nur teilweise dem Einfluß des Humanismus, doch führten die durch die Humanistische Naturwissenschaft und den Integralen Humanismus geschaffenen Berührungspunkte zwischen Humanisten und Mathematikern sowie die für beide gleich gelagerten Probleme mit der Universitätsverfassung bald zur einer Annäherung. Ein einziger früher Versuch, von humanistischer Seite her die Pflege der Mathematik an einer Universität zu intensivieren, ist bekannt: 1460 kritisierte der in Heidelberg ansässige Humanist Matthias Widman von Kernnat,42 der sich im Kloster Reichenbach am Regen mathematisch gebildet hatte, in einem Brief an den kurfürstlichen Notar Johannes Prüß, daß der Universität Heidelberg ein fähiger Vertreter der scientia quadrivialis fehlte. 43 Matthias Widman selbst kündigte an der Heidelberger Universität, wohl um jene Zeit, eine Veranstaltung über die Mathematik an, in der er vom A1gorismus über die Geometrie bis hin zur Astronomie und Astrologie alles vorzutragen versprach. 44 Ob er sein Versprechen in diesem Umfang einlösen konnte, ist unbekannt. Obwohl Widman, betrachtet man seinen Bildungsgang, durchaus von selbst auf die Forderung nach der Intensivierung der mathematischen Studien an der Universität Heidelberg kommen konnte, ist bemerkenswert, daß bereits Peter Luder, der 1456 in Heidelberg als erster Wanderpoet an einer deutschen Universität immatrikuliert wurde und ein enger Freund von Matthias Widman war,45 die mathematischen Disziplinen in sein Bildungsprogramm mit einbezogen hatte. 46 Allerdings blieben die Forderungen von Widman und Luder ohne nachweisbare Folgen. Conrad Celtis hat bei seinen Versuchen, die Mathematik auch institutionell enger an die humanistischen Disziplinen anzubinden, immer auf bereits bestehende artistischen Bakkalaureus besaß; vgl. H. Grössing: Humanistische Naturwissenschaft, S. 79-80. Um dieses früheste Beispiel eines nicht voll graduierten Mathematikers, der an einer Universität Vorlesungen hielt, bewerten zu können, bedürfte es noch weitergehender Untersuchungen zur speziellen Situation an den italienischen Universitäten. 41 Hier irrt Chr. Treml: Humanistische Gemeinschaftsbildung, S. 32, wenn sie behauptet, daß die Mathematiker der Artistenfakultät angehört und ihre Fächer im Rahmen des Quadriviums gelehrt hätten. 42 Vgl. zu ihm B. Studt / F. J. Worstbrock: Artikel ,,Matthias von Kemnat'. 43 München, BSB, Clm 1817 (Epistola astrologica ad Jo. PTÜSS), f. 3r: Quare [sc. weil es so schwer sei, ein korrektes astrologisches Juditium abzugeben] mirum in modum discrutior, quod hec nostra Achademia seu gymnasium tot preclaris viris omni virtute et seientia gaudeat, in scientia vero quadriviali seu mathematicali paucos aut nullum nutriat, qu i et influentias corporum celestium artijicialiter et debito modo exponant. 44 BibI. Va!., Cod. Pal. lat. 1381, f. 123r; Abgedruckt in Mittler, Elmar (Hg.): Bibliotheca Palatina, Bd. I, S. 26. 4S Zur Beziehung zwischen Peter Luder und Matthias Widman vgl. G. Ritter: Die Heidelberger Universität, S. 457. 46 Vgl. H. Grössing: Humanistische Naturwissenschaft, S. 32-3. 8 Schöner
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1. Kapitel: Voraussetzungen und Vorbilder
oder geplante Einrichtungen zurückgegriffen. Trotzdem wirkten seine Vorstellungen prägend auf die institutionelle Gestaltung der Mathematik an der Universität Ingolstadt. Als tatkräftiger Fortsetzer Celtis' wirkte dort der herzogliche Rat und spätere Kanzler l..eonhard Eck. 47 Betrachtet man die mangelnde akademische Qualifizierung vieler Universitätsmathematiker und die sich daraus ergebenden Folgen für ihre Karrieremöglichkeiten an den Universitäten, so stellt sich die Frage, ob rur einen Zeitraum von etwa 1500 bis 1550 von einer Gruppe von humanistisch geprägten Berufsmathematikern gesprochen werden darf. Daß eine solche Bezeichnung gerechtfertigt ist, wird sich am klarsten bei einem Vergleich mit den Universitätsmathematikern ab der Mitte des 16. Jahrhunderts zeigen. Es soll hier nicht versucht werden, die vor allem in der Soziologie geruhrte Diskussion über die ProfessiolUllisierung der Naturwissenschaften bis ins 16. Jahrhundert hinein auszudehnen. Zu sehr ist der Begriff ProfessiolUllisierung mit Inhalten belegt, die aus Entwicklungen des 19. Jahrhunderts abgeleitet und dann verallgemeinert wurden. Wie jeder von einer nicht historischen Sozialwissenschaft geprägte Begriff muß er umso mehr versagen, je weiter man sich zeitlich von der Epoche, aus der er empirisch gewonnen wurde, entfemt. 48 Die Suche nach Vorformen einer Professionalisierung muß auch deswegen scheitern, weil zwischen den humanistischen Berufsmathematikern und den professionellen Mathematikern des 19. und vielleicht auch schon des 18. Jahrhunderts keine Kontinuität besteht. 49 unter diesen Voraussetzungen verwundert es nicht, wenn eine soziologisch präformierte Forschung nicht nur, was sich von selbst ergibt, keine Anzeichen einer Professionalisierung vor dem 18. Jahrhunderts zu entdecken vermag, sondern auch Phänomene, die nicht in das Bild von der Wissenschaftspflege in einer traditional society passen, schlichtweg übersieht. 47 Diese Feststellung muß hier genügen. Auf Celtis' Vorstellungen und sein Bemühen um ihre Verwirklichung wird unten auf S. 233ff. eingegangen, auf Leonhard Eck unten aufS. 314ff. 48 Zur Demonstration sei hier das von H. Kuklick: Professionalization entworfene Modell referiert. Professional groups zeichnen sich aus durch: 1. sie sind formally organized and self-regulating, und 2. their authorily typically depending on state sanction. Um einer professional group angehören zu können, ist rur einen Wissenschaftler Voraussetzung: 1. Juli-time commitment to the craft, 2. completion of standardized training and certification procedures, und 3. maintenance ofeollective standardsofpraetice. Eine Wissenschaft wird dann professionell, wenn sie folgende Bedingungen erfült: 1. distinet substantive interests peculiar to eaeh field, 2. standardized eareer patterns, incorporatingformal training and promotions within institutionalized bureaueratic hierarehies, 3. oceupational associations and journals, und 4. the 'pure research' ethos, sustained by the beliefthat the disinterested pursuit of know/edge will ullimately benefit the publie. Wie wenig ein solches Modell auf historische Sachverhalte anwendbar ist, betont Kuklick selbst: The formal eharaeter of sociological models used in this sort of analysis is defeetive, not allowing for historieal variation. 49 Den wenigen Spuren von Vorformen professioneller Betätigung bei einigen Mathematikern des 17. Jh. ist I. Schneider: Forms ofProfessional Activity nachgegangen.
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Aus marxistischer Sicht hat E. Zilsel die Ursachen für die Entstehung des Begriffs des wissenschaftlichen Fortschritts zu analysieren versucht. 50 Entschieden bestreitet er irgendeinen Anteil der humanistischen Bewegung an diesem Prozeß: Der Glaube an die Unübertreffbarkeit der Antike, die eigene Ruhmsucht statt des Interesses an der Sache und der ausgeprägte Individualismus, der die Entwicklung einer Zusammenarbeit verhinderte, hätten der Entstehung eines Fortschrittsgedankens bei den Humanisten im Wege gestanden.51 Vielmehr sei für den Fortschrittsgedanken die handwerkliche Tradition, deren Erfindungen auf das Gemeinwohl ausgerichtet waren, entscheidend geworden.52 Erst im 16. Jahrhundert hätte dann, zuerst in England, unter dem Druck der fortschreitenden Technologie die Mauer, die seit dem Altertum die 'liberalen' von den 'mechanischen' Künsten getrennt hatte, zu bröckeln angefangen.53 Allmählich hätten sich Universitätsabsolventen den neuen Verhältnissen angepaßt und praktische Probleme zu lösen begonnen.54 Von dort hätte der Weg zu Francis Bacon geführt, wobei die Wurzeln für die Baconische Idee in den Bedürfnissen der frühluzpitalistischen Ökonomie und Technologie zu finden seien. 55 Damit ist der Anschluß an die Institutionalisierung der Wissenschaft im England des 17. Jahrhunderts und letztlich auch die Professionalisierung hergestellt; darauf geht Zilsel nicht mehr ein. 56 Einen völlig anderen Ansatz verfolgte J. Ben-David, der die Rolle des Wissenschaftlers in der Gesellschaft von der Antike bis zum 20. Jahrhundert untersuchte. 57 Er verwarf die von der marxistischen Wissenschaft aufgestellte Beso Vgl. E. Zilsel: Die Entstehung des BegriflS. Vgl. E. Zilsel: Die Entstehung des BegriflS, S. 132-3. Nach dem Modell von H. Kuklick (vgl. oben S. 114, Anm. 48.) ist der Glaube an den sozialen Nutzen der eigenen Tätigkeit, der sich mit dem Fortschrittsgedanken von Zilsel deckt, eine der Voraussetzungen für die Professionalisierung einer Wissenschaft; ebenso die Kommunikation über berufliche Vereinigungen und Periodika. Daß die Voraussetzungen, von denen Zilsel ausgeht, in keiner Weise zutreffen, sondern das historische Faktum der zu beweisenden Zielvorstellung untergeordnet wird, ist evident; vgl. z. B. zur Entwicklung der Zusammenarbeit bei den Humanisten, die ein zentrales Anliegen humanistischer Betätigung war, Clu. Treml: Humanistische Gemeinschaftsbildung, passim. 52 Vgl. E. Zilsel: Die Entstehung des BegriflS, S. 133--6. 53 Vgl. E. Zilsel: Die Entstehung des BegriflS, S. 144. 54 Als frühes Beispiel führt er hier die Arbeiten Peter Apians an, den wir, wie noch zu zeigen sein wird, als einen der herausragenden Repräsentanten des humanistischen Mathematikertyps betrachten (vgl. unten S. 118); vgl. E. Zilsel: Die Entstehung des BegriflS, S. 145-6. Daß er hierbei Peter Apian eine Promotion an der Universität Leipzig andichtet (S. 146), ist fast schon nebensächlich. 55 Vgl. E. Zilsel: Die Entstehung des BegriflS, S. 148. 56 Dies geschieht dafür in dem Sammelband von G. Boehme u. a.: Experimentelle Philosophie. W. Krohn: Die ,Neue Wissenschaft' der Renaissance wiederholt hier mehr oder weniger Zilsels Gedankengang. Der im Anschluß folgende Aufsatz von W. van der Daele: Die soziale Konstruktion der Wissenschaft geht dann auf die englische Entwicklung im 17. Jahrhundert ein, hängt jedoch nicht an den von W. Krohn gegebenen Prämissen. 57 Vgl. J. Ben-David: Tbe scientist's role. 51
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1. Kapitel: Voraussetzungen und Vorbilder
hauptung, daß zwischen Perspektiven und Motiven sozialer Gruppen einerseits und philosophischen, rechtlichen oder religiösen Denksystemen andererseits eine bestimmten Regeln folgende Beziehung bestehe.58 Die Frage, die seine ganze Arbeit durchzieht, lautet dagegen: Seit wann gibt es in der GeseHschaft eine eigenständige, nicht an andere Institutionen oder Beschäftigungen gebundene Rolle des Naturwissenschaftlers? Die Definition von Rolle, die dahintersteht, betrifft in erster Linie die Anerkennung des Verhaltens und der Motive einer bestimmten Gruppe - hier derer, die sich den Naturwissenschaften widmen - durch andere, außenstehende. 59 Ohne diese Akzeptanz könne es keine institutioneHe Absicherung geben. 60 Eine solche, durch sich selbst gerechtfertigte RoHe des Naturwissenschaftlers gibt es nach Ben-David erst in Ansätzen seit dem 17. Jahrhundert,61 vorher sei die Beschäftigung mit den Naturwissenschaften immer an eine andere, fremde RoHe, wie z. B. die des Priesters oder des Arztes gebunden gewesen. 62 Dies gelte auch rur die Universitäten. Zwar habe es seit dem Spätmittelalter die eigene RoHe des Universitätsmagisters gegeben,63 eine eigene naturwissenschaftliche RoHe hätte sich daraus jedoch nicht entwickelt. Dies sei einerseits dadurch verhindert worden, daß das artistische Lehramt nur als Sprungbrett zu einer Professur an einer höheren Fakultät gedient hätte,64 andererseits 58 Vgl. J. Ben-David: The scientist's role, S. 7-10; die Schlußfolgerung daraus auf S. 12: Thus although societies can accelerate or decelerate scientiftc growth by lending or denying support to science or certain parts of it, they can do relatively little to direct its course. This course is determined by the conceptual state of science an by individual creativity -and these follow their own laws, accepting neither command nor bribe. S9 Vgl. J. Ben-David: The scientist's role, S. 16-7: This is a pattern of behaviors, sentiments, and motives conceived by people as a unit of socu,l interaction with a distinct function of its own and considered as appropriate in given situations. This concept implies that people understand the purpose of the actor in a role and are capable of responding to il and evalualing it. Anscheinend vermeidet Ben-David hier bewußt den Terminus society und ersetzt ihn durchpeople. 60 Vgl. J. Ben-David: The scientist's role, S. 17: Therefore, the emergence of the scientific role was connected to changes in the normative patterns ('institutions') regulating cultural activity, and also (subsequently and indirectly) to other kinds of social activity. Hier nähert sich die Frage nach der Rolle derjenigen nach der Institutionalisierung und Professionalisierung, wobei jedoch zu bemerken ist, daß Ben-David den Begriff Professionalisierung rur alle Entwicklungen bis ins 17. Jh. hinein sorgfältig vermeidet. 61 Vgl. J. Ben-David: The scientist's role, S. 75ff. 62 Vgl. J. Ben-David: The scientist's role, S. 31: The slow and irregular patterns of scientific growth described at the beginning of this chapter [hier handelt er über alle traditional societies, wie sie nach seiner Meinung bis zum 16. Jh. bestanden] can be explained, therefore, by the absence of the specialized role of the scientist and the nonacceptance of science as a goal in its own right. 63 Diese bezeichnet er als professionaluniversity teachers, wogegen, dies sei nochmals betont, von professional scientists o. ä. rur die frühe Zeit nirgends die Rede ist; vgl. J. Ben-David: The scientist's role, S. 46. Man vergleiche auch die aus einem ganz anderen, historischen Ansatz gewonnenen Resultate von J. Miethke: Zur sozialen Situation, bes. S. 258-9. 64 Sie! Vg!. J. Ben-David: The scientist's role, S. 51.
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sei bei der Vergabe von mathematischen Lekturen der Besitz eines Grades in der Medizin (z. B. Cardano), Theologie (Luca Pacioli) oder Jura,6S und nicht die mathematische Qualifikation entscheidend gewesen. Eine rudimentäre Vorform der spezifisch naturwissenschaftlichen Rolle findet er dagegen bei gewissen Künstlern und ersten Naturwissenschaftlern in Italien, wobei - hier trifft er sich mit E. Zilsel- das steigende Prestige der Praktiker, speziell der Techniker und Künstler, von Belang gewesen sei.66 Die Verbindung dieser Gruppen mit dem Humanismus in den italienischen Akademien des 16. Jahrhunderts habe schließlich das Modell abgegeben, aus dem in Nordeuropa im 17. Jahrhundert durch die Verbindung mit dem Protestantismus die Rolle des Naturwissenschaftlers erwuchs.67 Methodisch schloß sich R. S. Westman eng an die Arbeit von J. Ben-David an. In zwei Aufsätzen untersuchte er die Rolle des Astronomen im 16. Jahrhundert und den Zusammenhang zwischen Humanismus und naturwissenschaftlichen Rollen. 68 Die Grundaussage, zu der er kommt, ist in beiden Artikeln dieselbe: Die Universitätsmathematiker des 16. Jahrhunderts waren keine Spezialisten, sondern meist Medizinstudenten, die sich durch ihre Tätigkeit als Mathematiklektoren den Lebensunterhalt bis zur Graduierung in der höheren Fakultät verdienten, oder Medizinprofessoren, die nebenbei die mathematische Lektur betreuten.69 Da die Mathematik für sie nur eine Nebentätigkeit darstellte, hatten sie kein Interesse daran, in dieser Wissenschaft innovativ zu wirken. 7o Dadurch hätten die Universitäten im 16. Jahrhundert den Anschluß an die neuesten Ergebnisse mathematischer und astronomischer Forschung verloren, weswegen sich die wissenschaftliche Revolution des 17. Jahrhunderts ganz abseits der Universitäten abspielte. Die wissenschaftliche Rolle sei nicht an den Universitäten entstanden, sondern an den Höfen, die Fachmathematikern seit der Mitte des 16. Jahrhunderts eine Möglichkeit gegeben hätten, sich den Lebensunterhalt zu verdienen und sich ausschließlich ihren mathematischen Forschungsarbeiten zu widmen. 71 Zu der Frage, ob der Humanismus eine spezielle Rolle für den Mathematiker geschaffen hat, verweist Westman lediglich auf Regiomontanus: Ein Vagant, Handschriftensammler, der auch Handschriften kopierte, ein kritischer Editor, Übersetzer aus dem Griechischen und Autor selbständiger Werke sei er gewesen, und dies sei 6S Sie!, aber ohne Beispiel, das sich auch schwerlich finden lieBe; vgl. J. Ben-David: The scientist's role, S. 53. 66 Vgl. J. Ben-David: The scientist's role, S. 55-7. 67 Vgl. J. Ben-David: The scientist's role, S. 59-67. 68 Vgl. R. S. Westman: The Astronomer's Role und idem: Humanism and Scientific Roles. 69 Vgl. R. S. Westman: Humanism and Scientific Roles, S. 88: It is a striking and generally unnoticed feature of sixteenth-century chairholders in mathematics that their tenure as mathematicians occurred ei/her while studying for a higher degree, practising or holding a joint chair in 'medicine'. Fast wortgleich wiederholt in R. S. Westman: The Astronomer's Role, S. 118. 70 Vgl. R. S. Westman: The Astronomer's Role, S. 120. 71 Vgl. R. S. Westman: The Astronomer's Role, S. 1211I.
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1. Kapitel: Voraussetzungen und Vorbilder
das typisch Humanistische an ihm.72 Dann geht er zu dem bereits beschriebenen Modell der Mediziner-Mathematiker an den Universitäten über.73 Die empirische Basis, auf der Westman aufbaut, beschränkt sich fast nur auf die Auswertung der Liste der Marburger Mathematikprofessoren, ergänzt durch einige wenige Beispiele aus Wittenberg. Auch die von Westmans Schülerin Chr. A McMenomy verfaßte Dissertation, die in einigen Passagen an Westmans Untersuchungen anknüpft, kam über diesen Stand nicht hinaus. 74 Hätte Westman seine empirische Basis nicht so eng gefaßt, wäre er mit Sicherheit auf die humanistischen Mathematiker in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts gestoßen, auf die die von ihm beobachteten und dann verallgemeinerten Merkmale in keiner Weise zutrafen. Es hat bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts eine Gruppe von Mathematikern gegeben, die die Beschäftigung mit der Mathematik als eine Lebensaufgabe ansahen und nichts weiter als eine Gelegenheit, sich ganz auf ihr Fach zu konzentrieren, suchten. Typischste Vertreter dieser Gruppe sind die Mathematiker, die keinen Magistergrad besaßen;75 Aufstiegschancen über eine mathematische Lektur hinaus konnten sich ihnen gar nicht bieten. Doch auch promovierte Magister lassen sich dieser Gruppe zuordnen, z. B. in Wittenberg Erasmus Reinhold und Georg Joachim Rheticus. Daneben gab es allerdings auch weiterhin diejenigen Mathematiklektoren, die ihre Stellung als Pfründe auf dem Weg zu einem höheren Grad betrachteten.76 Diese humanistischen Berufsmathematiker trafen bei denjenigen, die im Sinne einer humanistischen Reform auf die Universitäten einwirkten, auf große Akzeptanz. Es wird sich zeigen, daß ein beachtlicher Teil der Auseinandersetzung zwischen Leonhard Eck und der Artistenfakultät in Ingolstadtnurvor diesem Hintergrund verständlich wird. Als Johannes Veltmiller, auf den er große Hoffnungen gesetzt hatte, sich immer mehr der Medizin zuwandte, scheute er sich nicht, ihn fallen zu lassen und an seiner Stelle die Berufung Peter Apians durchzusetzen. 77 Mit derselben Zielsetzung, wenn auch mit anderen Mitteln, wirkte Melanchthon an der Universität Wittenberg. 72 Vg!. R. S. Westman: Humanism and Scientific Roles, S. 88: The career of an individual may be viewed as the history ofthe successive roks occupied by that individual. In this perspective, the career of Regiomontanus displays for us some of the social roks which humanism, in the early stages of typographical culture, introduced into the rokcomplex of the astronomer: the astronomer as travelkr and colkctor of manuscripts, as copyist, as critical editor, as translator /rom Greek into Latin, as publisher and finally, as the author of his own war/es. Regiomontanus' career was, in certain respects, a model for the careers of many Iater Northern Europeans who were astronomical practitioners. 73 Vg!. R. S. Westman: Humanism and Scientific Roles, S. 88fI. 74 Vg!. Chr. A. McMenomy: The discipline of astronomy, S. 3-5 und 99-10l. 7S ZU den Beispielen vg!. oben S. 112, Anm. 40. Peter Apian muß als einer der herausragendsten Repräsentanten dieses Typs angesehen werden. 76 In Ingolstadt z. B. Johannes Würzburger und Johannes Veltmiller. 77 Vg!. unten S. 358ff.
VI. Mathematik und humanistische Bewegung
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Als gegen die Mitte des 16. Jahrhunderts der Elan der humanistischen Bewegung allmählich versiegte, nachdem Teile des humanistischen Bildungsprogramms in die Curricula der Artistenfakultäten eingegangen waren,78 verloren auch die humanistischen Berufsmathematiker immer mehr an Boden. Immer häufiger, am Ende ausnahmslos, wandten sich die Mathematiklektoren dem Studium der Medizin zu. Philipp Imser holte sich, als er schon 14 Jahre lang als Mathematiklektor gewirkt hatte, in Ingolstadt den medizinischen Doktorgrad,79 Philipp Apian ging dazu 1564 nach Italien. Es genügte nicht mehr, nur Mathematiker zu sein. Am Ende des 16. Jahrhunderts lassen sich an den protestantischen Universitäten keine Mathematiklektoren mehr finden, die nicht zugleich Medizin studiert oder gelehrt hätten. 80 An den katholischen Universitäten dagegen wurden die artistischen Lekturen nach und nach fast vollständig von Jesuiten übernommen. Si So gelangte seit der Mitte des 16. Jahrhunderts die Universitätsmathematik zu ihrem Ausgangspunkt zurück: Als Hilfswissenschaft zur Medizin hatte sie in Italien begonnen; die Medizin hatte auch hinter der Einrichtung der ersten Fachlekturen an den deutschen Universitäten gestanden; und zum medizinischen Propädeutikum wurde sie ab der Mitte des 16. Jahrhunderts nach einer humanistischen Zwischenphase wieder reduziert. Von jetzt ab treffen die von R. S. Westman gemachten Beobachtungen in der Tat voll zu.82 Welche Konsequenzen haben diese Beobachtungen für das Modell vom Integralen Humanismus? Zuerst gilt es festzuhalten, daß die Theorie von der Vereinigung mathematischer und poetischer Bildung im Programm des Integralen Humanismus durch die institutionengeschichtlichen und soziologischen Gesichtspunkte noch eine weitere Stütze gefunden hat. Daneben muß aber auch berücksichtigt werden, daß an den Universitäten die Verbindung der Oratoria mit den mathematischen Fächern und die humanistische Mathematik eine Episode geblieben sind. Sie wurden von älteren Vorbildern in der Mitte des 16. Jahrhunderts eingeholt und schließlich verdrängt. Diese medizinisch-mathematische Tradition, deren Vertreter zwar Teile der zwischenzeitlich zum Gemeingut gewordenen humanistischen Gedanken aufgenommen hatten, die jedoch nie so weit wie die Vg!. A Seifert: Der Humanismus, S. 147-9. Vg!. oben S. 112, Anm. 40. 80 Vg!. R. S. Westman: The Astronomer's Role, S. 118. Auch an den von Westman nicht erfaßten Universitäten waren nur Mathematiker zu finden, die gleichzeitig Medizin studierten. Eine vollständige Erfassung steht allerdings noch aus. 81 Dies gilt in der Mathematik auch für Würzburg, wo nach Adrianus Romanus, der zugleich Medizin lehrte, bis zur Aufhebung des Jesuitenordens nur mehr zweimal ein Nicht-Jesuit die Mathematik vertrat (vg!. M. Reindl: Lehre und Forschung,S. 45ff.: Verzeichnis der Mathematikprofessoren): der Prämonstratenser Johannes Zahn (um 1700, gleichzeitig mit jesuitischen Lektoren) (vg!. ibid., S. 16-9 und 58-9) und der 1725 aus gesundheitlichen Gründen aus dem Orden ausgeschiedene Ignatius Roderique (1725-1727, ebenfalls neben einem jesuitischen Lektor extra Jacultatem) (vg!. ibid., S. 67-8). 82 Vg!. oben S. 117. 78
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1. Kapitel: Voraussetzungen und Vorbilder
aus dem Integralen Humanismus geborenen humanistischen Berufsmathematikr gegangen waren, die Mathematik zum Beruf zu erheben, hat es kontinuierlich gegeben. Ob die modernen Naturwissenschaften demnach wirklich aus dem Integralen Humanismus herausgewachsen sind, bliebe zu prüfen.83
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Vgl. oben S. 105.
B. Die Mathematik in Ingolstadt Zweites Kapitel
Die Mathematik im artistischen Studienbetrieb von Ingolstadt (1472-1515) Die Artistenfakultät der Universität Ingolstadt unterschied sich im GrUndungsjahr 1472 kaum von den Artistenfakultäten anderer Universitäten: Weder das Lehrprogramm noch die Lehrverfassung mit den Vorschriften zum Erwerb der artistischen Grade wiesen große Besonderheiten auf. Es soll im folgenden, soweit dies überhaupt möglich ist, der Stellenwert, den die Mathematik im artistischen Studienbetrieb besaß, beschrieben und bewertet werden. Die Ober diesen Rahmen hinausgehende private Unterrichtung, die es in Ingolstadt von Anfang an gegeben hat, wird im nächsten Kapitel behandelt. Als Ausgangspunkt dienen die artistischen Statuten von 1472, die noch nicht auf eigener Erfahrung, sondern nur auf Übernahmen von anderen Universitäten beruhten. Im weiteren soll untersucht werden, wie die Artistenfakultät in den folgenden Jahren ihr Curriculum in den mathematischen Fächern weiterentwickelte und wie der Unterricht in der Realität aussah. Obwohl bereits 1489 an der Universität Ingolstadt eine Kanzel fUr Mathematik errichtet wurde, blieb die artistische Fakultät bis zum Jahr 1513 von dieser Entwicklung völlig unbeeinftußt. Erst durch die Berufung von Johannes WOrzburger rOckte die Lektur in größere Nähe zur Artistenfakultät, ehe dann 1515 der Streit mit Leonhard Eck um die Einbindung der Lektur in das artistische Lehrprogramm mit voller Schärfe ausbrach.
I. Der Ausgangspunkt: Die Statuten von 1472 Bei ihrer Gründung verfUgte die Ingolstädter Universität nicht über eine, sondern Ober zwei Artistenfakultäten: die Fakultät der via antiqua und die Fakultät der via moderna. Die Unterscheidung zwischen diesen beiden Wegen, hervorgegangen aus dem im 14. Jahrhundert in Paris entstandenen Gegensatz von Realismus und Nominalismus, hatte an deutschen Universitäten seit der Mitte des 15. Jahrhunderts unter den Magistern der Artistenfakultäten zu teilweise heftigen Auseinandersetzungen und Parteibildungen geführt. 1 In Ingolstadt versuchte man 1
Vgl. zu dieser Auseinandersetzung allgemein G. Ritter: Via antiqua und via moderna.
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2. Kapitel: Mathematik im artistischen Studienbetrieb
dem dadurch zu begegnen, daß man von vornherein zwei Fakultäten schuf, mit je einem Dekan, eigenem Konzil, Fiskus und Siegel.2 Die einzige Konsequenz, die der Wegestreit auf die Mathematik vor der Gründung der Universität Ingolstadt nach sich zog, war, daß nur die nominaIistisch ausgerichteten Universitäten Wien und Köln - in Köln in der Anfangsphase3 - den Tractatus proportionum und den Tractatus de latitudinibus /ormarum unter die pro /orma zu hörenden Bücher aufgenommen hatten. 4 Beide Bücher waren erst im 14. Jahrhundert in Paris zu einer Zeit, in der die nominalistische Richtung dominierte, entstanden.s Ob dies große Auswirkungen auf das Niveau der mathematischen Unterweisung an diesen Universitäten hatte, ist mehr als fraglich; wichtiger als die ordentlichen Vorlesungen waren bei der Entstehung eines Zentrums die Privatkollegien; und Köln ragte außerdem nie als ein besonderes Zentrum der Mathematikpflege hervor.6 In den Statuten der Ingolstädter Artistenfakultäten spiegelte sich die Trennung der Fakultäten nicht im Curriculum wider: Obwohl es zwei unabhängige Fakultäten gab, galten für beide dieselben Statuten.7 In ihnen vermischten sich die Einflüsse aus Wien, woher die meisten der Vertreter der via moderna nach Ingolstadt gekommen waren, und Leipzig, dem wichtigsten Herkunftsort der Magister der via antiqua, u. a. auch von Johannes Tolhopf, wobei das Wiener Vorbild überwog.8 Vgl. A. Liess: Die artistische Fakultät, S. 11-2. Vgl. oben S. 64. 4 Vgl. ebenfalls oben S. 64. S Vgl. oben S. 35. 6 Bei Forschern, die nur aus den Statuten voreilige Schlüsse auf das Niveau des Unterrichts in der Mathematik zogen, werden dagegen diese Vorschriften sehr hoch bewertet; vgl. z. B. J. E. Hofmann: Die Mathematik an den altbayerischen Hochschulen, S. 7; oder A Lhotsky: Die Wiener Artistenfakultät, S. 113, der außerdem noch Fehler bei der Identifizierung der Textbücher begeht: Als Gegenstand der Arithmetica communis identifiziert er im Gegensatz zum Algorismus bloß die Grundrechnungsarten und vielleicht auch die Anleitung zum Gebrauch der Rechenbehelfe, namentlich des ,Ilbacus'. Daneben fand aber noch ein zweiter KlArs statt, der als ,Illgorismus'bezeichnetwurde (... ) (S. 111). Bei den Elementen von Euklid, von denen er die 15-Bücher-Version kennt, frägt er sich, warum nur die ersten fünf Bücher (sie! In den Statuten ist von Buch I für die Scholaren und weiteren fünf Büchern für die Bakkalare die Rede, was insgesamt Buch I-VI ergibt) vorgetragen wurden und kommt zu dem Schluß (S. 113): Warum soll man aber von einem Werke, das wie kein anderes ein geschlossenes Ganzes darstellte, grundsätzlich nur die ersten fünf Bücher behandelt und auf die zehn übrigen verzichtet haben? Es läßt sich nur so erklären, daß bei den Wiener Artisten eine auf den Namen des Boethius gehende, aber erst im IX. oder X Jahrhundert als Machwerk eines praktischen Feldmessers entstandene Bearbeitung verwendet wurde, die das Werk des Eukleides bald in zwe~ bald in etwas mehr, bis zu fünf, Büchern, wiederzugeben suchte; leider hat sich keine Handschrift davon erhalten. Aufweitere Beispiele, die sich anführen ließen, wird verzichtet. 7 Ed. bei J. N. Mederer: Annales, Bd. 4, S. 69-94. 8 Vgl. A. Liess: Die artistische Fakultät, S. 12-3. 2
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I. Die Statuten von 1472
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Direkt aus den Wiener Statuten von 1389 wurde eine Vorschrift übernommen, nach der an den Feiertagen die Bakkalare gratis über Computus und andere der 1«1tho/ischen Kirche dienliche mathematische Stoffe lesen sollten.9 Ob diese bereits aus der Pariser Tradition stammende Feiertagslektion auch jemals in Ingolstadt gehalten wurde, muß bezweifelt werden; es konnten jedenfalls keine Belege zur Bestätigung der Anordnung der Statuten gefunden werden. Vermutlich muß die Passage mehr als Beispiel für die Beharrungskraft von einmal statutarisch verankerten Vorschriften denn als Argument für die Pflege der Mathematik an den Feiertagen gewertet werden. In zwei weiteren, die Mathematik einmal indirekt und einmal direkt betreffenden Punkten jedoch wichen die Ingolstädter Statuten vom Wiener Muster ab:
Zum einen konnten die magistri regentes nicht unter den zur Auswahl stehenden Vorlesungen das auswählen, was ihnen genehm war, sondern sie erhielten ihren Vorlesungsstoff durch das Los zugeteilt. lO Die Wiederholung eines Falles wie desjenigen von Johannes von Gmunden, der sich in Wien auf die mathematischen Fächer spezialisiert hatte, war damit ausgeschlossen. Zum anderen fehlten im Lektionskatalog die typisch modernen Bücher Tractatus proportionum und Tractatus de latitudinibus formarum. In der Mathematik begnügte sich der Katalog mit einem Minimalprogramm: für Scholaren der Tractatus de sphaera, Buch I der Elemente von Euklid ll und der Tractatus de 9 Vgl. J. N. Mederer: Annales, Bd. 4, S. 89: De studio et lectione diefesto. Etsi divinum officium ut nec debemus, nolumus pertubare, tamen sanius reputamus, quod nostri Scolares simul et Baccalarii diebus festis scolas visitent, non tabernas, dimicentque lingua, non gladio. Baccalarii itaque disputent, legantque gratis computos, et alia mathematicalia, precipue Katholice Ecclesie deserventia diebus festis post prandium, majoribus tamen festis exceptis, qu ibus omnibus precipitur celebrari. Die entsprechende Wiener Bestimmung bei A. Lhotsky: Die Wiener Artistenfakultät, S. 241; vgl. oben S. 64. 10 Vgl. J. N. Mederer: Annales, Bd. 4, S. 77: De Librorum legendorum distributione. Volumus preterea, singulos Magistros cujuslibet vie ad legendum et finiendum libros substanciales pro Baccalariatu in unaquaque, et pro Magisterio in duabus mutationibus esse obligatos hoc pacto, ut libri ipsi sorte distribuantur (... ). 1t Bei der Formulierung primi libri Euclidis (vgl. J. N. Mederer: Annales, Bd. 4, S. 93) handelt es sich, wie bei allen anderen Textbuchangaben um ein Genitivattribut zu lectiones et exercitia und nicht um einen Plural, so daß K. Prantl irrt, wenn er schreibt: (... ) die ersten Bücher des Euklides. (vgl. K. Prantl: Geschichte, Bd. 1, S. 58). S. Günther, der nur auf Prantl fußt und auf die Einsicht in die Quelle velZichtet zu haben scheint, macht daraus - vermutlich durch Analogieschluß mit den statutarischen Vorschriften anderer Universitäten - die sechs ersten Bücher des Euklid (vgl. S. Günther: Geschichte des mathematischen Unterrichts, S. 216). Woher J. E. Hofmann: Die Mathematik an den altbayerischen Hochschulen, S. 7 die Information genommen hat, daß eineAuswahl aus den ersten vier Büchern der Elemente gelesen wurde, ist schwer nachvollziehbar; die einzige Erwähnung von vier Büchern von Euklid findet sich in einem Beschluß der Fakultät der via moderna vom 16. Januar 1473 (vgl. K. Prantl: Geschichte, Bd. 2, S. 50); dort ist von der Abschaffung der Lektion die Rede. Da die Korrektur solcher Fehler endlos wäre, soll zukünftig auf die Namhaftmachung von Fehlangaben bei S. Günther und J. E. Hofmann velZichtet werden. Dieses Beispiel möge genügen.
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2. Kapitel: Mathematik im artistischen Studienbetrieb
algorismo, für Bakkalare Theorica planetarum und Arithmetica communis. 12 Die für die einzelnen mathematischen Vorlesungen eingeplante Zeit war knapp bemessen: Je eine Woche für Euklid I, A1gorismus und Arithmetica communis, 3 Wochen für die Theorica planetarum, und angeblich 11 Wochen für den Tractatus de sphaera. 13 Mit Ausnahme des Libellus rhetoricalis und der Vorlesung über Obligatoria, die beide auch nur eine Woche beanspruchten, dauerten alle anderen Veranstaltungen mindestens sechs Wochen. Entsprechend dürftig waren auch die Hörgelder: Für Euklid I und A1gorismus je 1 gr., 2 gr. für dieArithmetica communis und 3 gr. für den Tractatus de sphaera und die Theorica planetarum. 14 Auch hier lagen die mathematischen Fächer zusammen mit dem Libellus rhetoricalis und den Obligatoria an letzter Stelle, die übrigen Vorlesungen wurden mit einem Hörgeld von 3 gr. aufwärts von jedem Studenten vergütet, wobei mit der Ethik und den im Zentrum des Kurses für die Scholaren stehenden Parva logicalia sogar ein Gulden zu verdienen war. Daß die Statuten immer nur einen ersten Anhaltspunkt für die Annäherung an die Wirklichkeit bieten können, wurde bereits betont. Wie weit die Realität im vorliegenden Fall von der Norm abweicht, wird sich sogleich bei der Besprechung der weiteren Entwicklung zeigen. 11. Die Entwicklung bis 1515 1. Die Fortschreibung der Statuten
Für die Jahre bis 1477, als das Experiment, für die zwei Wege der antiquiund der moderni getrennte Fakultäten einzurichten, aufgegeben und beide Fakultäten vereinigt wurden, stehen lediglich die Akten der via moderna zur Verfügung.! Diese Überlieferung genügt jedoch, um zu zeigen, daß die Vorgaben der Statuten mit der Wirklichkeit des ordentlichen Lehrbetriebes nur wenig zu tun hatten. Diese in Ingolstadt besonders auffällige Diskrepanz mag daher rühren, daß die Vereinigung der teilweise unterschiedlichen Vorlesungen beider Wege in einem einzigen Lektionskatalog schlechthin unmöglich war, und folglich sich die moderni mehr an das Herkommen als an die Norm hielten. Vgl. J. N. Mederer: Annales, Bd. 4, S. 93-4. Vgl. J. N. Mederer: Annales, Bd. 4, S. 93-4. Bei den 11 Wochen, die dort für den Tractatusde sphaera angegeben sind, muß es sich um einen Druckfehler handeln, was sich jedoch nicht mehr nachprüfen läßt, da die Vorlage, nach der Mederer den Text abdruckte, verlorenging (vgl. A Seifert: Die Universität Ingolstadt, S. 520). Im Lektionskatalog von 1478 waren hierfür 6 Wochen vorgesehen (vgl. K Prantl: Geschichte, Bd. 2, S. 90), ebenso in der Stundenordnung von 1487, wo sich der Tractatus de sphaera mit dem Libellus rhetoricalis gemeinsam 10 Wochen zu teilen hat, wobei auf die astronomische Vorlesung davon 5 bis 6 Wochen, auf den trivialen Gegenstand nur 4 Wochen entfallen sollen (vgl. UAM, 0 I 2, f. 19v, unvollständig ediert bei K Prantl: Geschichte, Bd. 2, S. 94). 14 Vgl. J. N. Mederer: Annales, Bd. 4, S. 93-4. 1 UAM,Oll. 12
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11. Die Entwicklung bis 1515
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Schon am 2. Januar 1473 beschloß die via moderna, daß einige Vorlesungen des Curriculums fUr ihre Scholaren nicht mehr obligatorisch sein sollen. 2 Unter anderem werden der dritte Teil des Doctrinale von Alexander de Villa Dei und die Insolubilia als nicht mehr verpflichtend zu hörende BUcher genannt. Diese waren im Lektionskatalog der Statuten von 1472 gar nicht unter den pro forma nachzuweisenden Veranstaltungen geführt worden,3 doch gehörten nach den Wiener Statuten von 1389 die Insolubilia zum Pflichtstoff.4 Am 16. Januar wurde diese Reduzierung des Stoffes fortgesetzt; diesmal waren auch mathematische BUcher davon betroffen. Es sollte im Kursus der Bakkalare auf die Musica Muris, die Latitudines formarum, die Perspectiva communis, die Proportiones breves und auf vier BUcher der Elemente von Euklid verzichtet werden. 5 Wiederum sucht man diese Fächer im Lektionskatalog von 1472 vergebens, ebenso wie die gleichfalls betroffenen exercitia librorum de generatione. 6 Auch die Verlegung der BUcher De anima und der Posteriora aus dem Kurs der Scholaren in denjenigen der Bakkalare stellte nur eine vermeintliche Neuerung dar, wenn man den Statuten von 1472 Glauben schenkt, denn dort waren sie bereits an dieser Stelle vorgesehen.
Es bleibt nur der Schluß, daß die statutarischen Vorschriften von 1472 keinerlei Aussagewert fUr die Feststellung des realen Lehrbetriebes besitzen. Zwar näherte sich das Curriculum der via moderna durch diese BeschlUsse den statutarischen Vorschriften allmählich an - in der Mathematik war alles weggefallen, was in Wien gelesen wurde, in den Ingolstädter Statuten aber nicht vorgesehen war - , doch scheinen die Magister der via moderna vorerst von der Gewohnheit, und nicht von den Statuten ausgegangen zu sein. Als am 1. September 1476, dem Aegidiustag, zu dem gewöhnlich die Vorlesungen unter die magistri regentes verlost wurden, die moderni daran gingen, eine Stundenordnung fUr die ordentlichen Vorlesungen zu entwerfen und ihr Lehrprogramm zu reformieren, blieb von der Mathematik nur mehr die allernötigste Substanz übrig: im ersten Entwure wurde an Mathematischem lediglich der Traclalus de sphaera für die erste nachmittägliche Stunde vorgesehen, die er sich mit mehreren aneinander anschließenden Vorlesungen zu teilen hatte; ihm wurden 6 Wochen zugestanden. Allerdings begingen die Magister in diesem ersten Entwurf einen Rechenfehler: Die Addition der für jede der vier nacheinander zur ersten nachmittäglichen Stunde abzuhaltenden Vorlesungen vorgesehenen Zeiträume Vgl. K Prantl: Geschichte, Bd. 2, S. 50. Vgl. J. N. Mederer: Annales, Bd. 4, S. 93-4. 4 Vgl. A Lhotsky: Die Wiener Artistenfakultät, S. 236. 5 Vgl. K Prantl: Geschichte, Bd. 2, S. 50. 6 Hierüber war nach den Statuten von 1472 lediglich eine lectio vorgesehen, die exercitia wurden unter einer eigenen Rubrik geführt (vgl. J. N. Mederer: Annales, Bd. 4, S.94). 7 UAM, 0 11, f. Br-v. 2
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2. Kapitel: Mathematik im artistischen Studienbetrieb
ergibt lediglich 20 Wochen, während das Semester 24 Wochen dauerte.8 Die fehlenden 4 Wochen wurden in der endgültigen Stundenordnung, die am 13. Oktober 1476 publiziert wurde, mit dem A1gorimus und Buch I der Elemente von Euklid, fi.ir die je zwei Wochen veranschlagt wurden, ausgefüllt.9 Vermutlich handelte es sich im ersten Entwurf nur um ein Versehen. Zugleich wurde, nachdem vorher die Zustimmung von Herzog Ludwig dem Reichen eingeholt worden war, der Katalog der libri pro forma audiendi weiter reduziert; in der Mathematik waren davon die Arithmetica communis und die Theorica planetarum betroffen, die ab sofort nicht mehr obligatorisch waren. lO Für diese zunehmende Reduzierung der Anforderungen in der Mathematik war vermutlich das Bestreben verantwortlich, die Attraktivität der Ingolstädter Universität gegenüber den konkurrierenden Hohen Schulen zu erhalten. Im Entwurf zur Reform des Curriculums vom 1. September 1476 wurde das Ziel, die Studenten finanziell zu entlasten, deutlich zum Ausdruck gebracht; die veröffentlichte Fassung dagegen begnügte sich mit einer abgeschwächten Formulierung.l l Da die Mathematik für viele Studenten eine ungeliebte Last war, von der sie 8 Vgl. UAM, 0 11, f. 8v: Terciaetultima hora legendj est hora prima, in qua legentur sequentes librj et quilibet in mutacione tamen semel hoc ordine: prima Elencorum per 8 sep., secundo obligatoria per 2 sep. Inde spera materialis per 6 sep., ultimo de arte epistolandj libellus per 4 septimanas. 9 Vgl. K. Prantl: Geschichte, Bd. 2, S. 76: TertÜl vero et ultima hora legendi est hora 1 post meridiem, in qua legentur pro scolarihus prima lihri Elenchorum per 8 septimanas, postea Obligatoria per 2 septimanas, deindeAlgorismus per 2 septimanas, tum Euclidis primus per 2 septimanas, insuper Sphaera materialis per 6 septimanas, ultima libellus de arte epistolandi per 4 septimanas. 10 Vgl. UAM, 0 I 1, f. 8v (1. September 1476) und 10r (Veröffentlichung vom 13. Oktober; diese bei K Prant1: Geschichte, Bd. 2, S. 7~): Baccalarios vero non oportebit futuro ad gradum magisterii audire (... ) theoricas planetarum, Arismeticam communem [Prantl hat fälschlich generalem] (... ). 11 Im Entwurf heißt es dazu (UAM 0 I 1, f. 8r-v): Et ut dicti scolares facilius possint solvere labores et pastus talium resumpcionum [sc. zweier neu eingeführter Resumptionen zur Grammatik und Logik] magistris, deposita sunt Exercitia publica scilicet parvorum loicalium, veteris artis et phisicorum una cum pastibus eorum. Et simul 4 gross. den. a pastu exercicii priorum pro quo exercitando dabuntur futuro solum 6 grossi. In der veröffentlichten Fassung wurde das Argument der Geldersparnis durch den zusätzlichen Hinweis auf die Möglichkeit, bei Wegfall der Resumptionen bequemer die Vorlesungen hören zu können, ergänzt und damit ein wenig abgeschwächt; dafür wurden aber die Gebühren für einige Vorlesungen noch weiter verringert; vgl. K Prant1: Geschichte, Bd. 2, S. 75: Tertio ordinat serenissimus dominus princeps et artium facultas antedictu, ut saepenominati auditores has institutas resumptiones suis magistris facilius persolvant et publicas lectiones commodius audiant, absoluti et liberati sunt scolaresfuturo ab auditione trium ordinariorum exercitiorum et a solutione pastuum eorundem; et dabitur futuro pro lectione Parvorum Iogicalium tantum 1 fl. [so auch schon die Statuten von 1472!], de veteri arte 3 ß den. [= 90 den.; 1472 war die Gebühr auf 24 gr. = 192 den. festgesetzt worden], pro phisicorum similiter 1 fl. ren. [wie 1472]; sed a prima parte, ut utilius auditorihus legatur, dabuntur 40 den. [1472: 3 gr. =24 den.]; ab exercitio autem Priorum depositi sunt 4 gross~ et habebit futuro pastum dumtaxat 6 gross., cui additum est aliud exercitium audiendum, sc. Elenchorumpro eodempastu, sc. 48 den. [= 6 gr.] (... ) dabunturquepro primis quatuor libris Topicorum solum 4 grossi [1472: 6 gr.] et pro exercitioPosteriorum
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sich bei Examen lieber dispensieren ließen statt sie auf sich zu nehmen,12 diente eine Verringerung der mathematischen Anforderungen, die den teuren Dispens ilberflilssig machte, gleichfalls als Anreiz fUr Studenten, sich nach Ingolstadt zu begeben. Der schärfste Konkurrent saß jedoch in lngolstadt selbst: die artistische Fakultät der via antiqua. Auch wenn von dieser keine Akten erhalten sind, scheint doch sichergestellt zu sein, daß sie das Beispiel der via moderna nicht nachahmte, sondern die mathematischen Fächer ungeschmälert im Curriculum beließ; dies erhellt die Neuregelung des Curriculums nach der Vereinigung beider Fakultäten. 13 Der Einfluß von Johannes Tolhopf, der im Sommersemester 1475 der via antiqua als Dekan vorstand,14 spielte dabei gewiß eine Rolle. Bereits seit dem Sommer 1477 war die Vereinigung der Fakultäten beider Wege spruchreif geworden. 15 Die fortgesetzten Streitigkeiten, die sich auch aus der Majorisierung der kleineren Fakultät, der via antiqua, durch die via moderna bei Voten der Artisten im Senat, wo sie nur eine Stimme besaßen, ergaben,16 erwiesen tantum 8 gr. [1472: 10 gr.) (... ) de lectionibus vero omnium decemEthicorum pastus erit 1 fl. ren. [wie 14721 de exercitioMetaphisicae 1 fl. [wie 1472). Die Entlastung vor allem durch die Verbilligung der ars vetus um 102 den., war enonn. Es wurde mit folgendem Münzfuß gerechnet: 1 H. = 30 gr. = 8 ß = 240 den. Allerdings variierte der Münzfuß häufig, so daß je nach Herkunftsort der Münze mit unterschiedlichen Werten gerechnet wurde. Vor allem ist immer wieder unklar, ob der Groschen zu 8 oder zu 12 den. gerechnet wurde. Zu den im Algorismus Ratisbonensis in den Jahren nach 1450 gleichzeitig verwendeten Münzflißen, die die Praxis jener Jahre widerspiegeln, vgl. K Vogel: Die Practica, S. 234-7. 12 Zu den Dispensen in Ingolstadt vgl. unten S. 147. 13 Auf dieses Argument wird unten S. 129 zurückzukommen sein. 14 Vgl. K Prantl: Geschichte, Bd. 2, S. 72. 15 Die erste Erwähnung der Fakultät der via antiqua als Einrichtung, die nicht mehr bestand, findet sich unter dem Datum 9. August 1477 in UAM, D 1lI 1, f. 166r: (... ) facultatis arcium olim vie Realistarum (... ). Am 7. September wurde sie dagegen wieder als existent bezeichnet; vgl. UAM, D 1lI 1, f. 167r: (... ) facultatis arcium tune vie Realistarum (... ). Zur Vereinigung der Fakultäten vgl. A Liess: Die artistische Fakultät, S.14-5. 16 Vgl. K Prantl: Geschichte, Bd. 2, S. 72: Quia in universitate Ingotstatensi facultas artium habet unum votum (... ). Dies widersprach nicht der Bestimmung der Statuten von 1472, daß alle Magister Mitglied des Senats sein sollten (vgl. A Seifert: Statuten- und Verfassungsgeschichte, S. 450): Deinde volumus, ut doctores et licentiati omnium facultatum ac eciam magistri in artibus (... ) eidem consilio [d. i. der Senat, um Verwechslungen auszuschließen, wird im Text zur Unterscheidung vom Fakultätskonzil zukünftig immer von Senat gesprochen, wenn auch dieser Begriff erst im 16. Jahrhundert geläufig wurde) tanquam persone consiliares interesse et in quibuslibet actibus et causis in eodem tractandis vota sua da re possint et debeant. Eine weitere Bestimmung der Statuten von 1472 legte nämlich fest, daß jede Fakultät nur eine Stimme besitzen sollte, so daß man vorher fakultäts intern zu einer Entscheidung zu kommen hatte; vgl. ibid., S. 451: (... ) statuimus et ordinamus, quod in electione rectoris ac omnibus et singulis eciam aliis actibus ac causis in dicto consilio tractandis et diffiniendis omnes persone dicti consili~ que de eadem facultate sunt, unam duntaxat vocem habeant. Zu der Gesamtproblematik vgl. auch A Seifert: Statuten- und Verfassungsgeschichte, S. 211.
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allmählich, daß das Experiment der zwei unabhängigen Fakultäten nicht zuletzt an der Unmöglichkeit, die Doppelfakultät in die Verfassung der Gesamtuniversität einzubauen, gescheitert war. Am 16. Februar 1478 verfügte der Herzog endgültig die Vereinigung beider Fakultäten unter einem Dekan und mit einem Konzil,17 am 15. Mai 1478 wurden die Magister der via antiqua in das Konzil der neuen, nun nicht mehr getrennten Artistenfakultät aufgenommen. Dieser Vorgang erweckt mehr den Eindruck einer Annexion der via antiqua durch die via moderna denn einer Vereinigung zweier gleichberechtigter Fakultäten, zumal die Magister der vw antiqua, unter ihnen auch Johannes Tolhopf, den Aufnahmeeid, den sie gewiß schon einmal geleistet hatten, erneut schwören mußten. 18 Die Vereinigung machte eine Neuregelung der Stundenordnung für die Vorlesungen notwendig. Diese erfolgte schon vor der ebenfalls fiilligen Neuredaktion der Gesamtstatuten am 1. September 1478, d. h. bei der Verteilung der Vorlesungen für das Wintersemester. 19 Dieser Stundenplan enthält unvermittelt wieder einige der mathematischen Bücher, die die moderni in den vorangegangenen Jahren sukzessive abgeschafft hatten; nur die Arithmetica communis und die Perspectiva, sowie die von den antiqui nie rezipierten Traktate De latitudinibus formarum und Proportiones breves tauchten nicht wieder auf. Dafür wurde ab sofort wieder über die Musica Muris, die Theorica planetarum und die Bücher lI-V der Elemente von Euklid für Bakkalare gelesen. Im einzelnen: Für Scholaren umfaßte der Kurs weiterhin nur den Algorismus (1 Woche), das erste Buch der Elemente von Euklid (ebenfalls 1 Woche) und die Sphaera materialis (6 Wochen). Alle diese Vorlesungen fanden um 1 Uhr nachmittags statt, die Gebühren sind dieselben wie schon in den Statuten von 1472.20 Soweit hatten auch die moderni das Curriculum nie angetastet. Die für Bakkalare wieder vorgesehenen mathematischen Vorlesungen dagegen waren alle abgeschafft worden: um 11 Uhr die Musica Muris (2 Wochen, 2 gr.), um 1 Uhr die Bücher lI-V der Elemente von Euklid (3 Wochen, 3 gr.). Diese beiden Bücher waren nicht einmal in den Statuten von 1472 enthalten gewesen, doch waren sie von den moderni 1473 abgeschafft worden. 21 Auch die Theorica planetarum war wieder vertreten, und zwar wurde sie als Anhängsel zu einer der beiden Hauptvorlesungen für Bakkalare am Ende des Semesters 2 Wochen lang gelesen: im Sommer um 8 Uhr nach Abschluß der Vorlesung über Metaphysik, im Winter um 9 Uhr in den letzten zwei Wochen VgI. K Prantl: Geschichte, Bd. 2, S. 77-S. VgI. UAM, 0 I 2, Ir: Quintadecima mensis maij anno utsupra etc. Recepti sunt ad Consilium facultatis artisticae Magistri subnotatj qui tune iurarunt facultati et decano totius facultatis. Insgesamt wurden 16 Magister, die alle aus der vio antiqua stammten und wohl deren gesamte Lehrerschaft ausmachten, aufgenommen. 19 UAM, 0 I 2, f. 2v-3r, ed. K PrantI: Geschichte, Bd. 2, S. 89-90. 20 Für den Algorismus und Buch I der Elemente von Euklid 1 gr., für den Tractatus de sphaera 3 gr.; vgI. K Prantl: Geschichte, Bd. 2, S. 90; Die Gebühren von 1472 bei J. N. Mederer: Annales, Bd. 4, S. 93-4. 21 VgI. oben S. 125. 17
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nach Beendigung der Ethik.22 Gegenüber den Statuten von 1472 war lediglich die Dauer der Vorlesung von 3 auf 2 Wochen und entsprechend auch das Hörgeld von 3 auf 2 gr. reduziert worden. 23 Es stellt sich die Frage, woher dieser plötzliche Sinneswandel karn. Zwei Möglichkeiten kommen in Betracht: Zum ersten war durch die Aufhebung der Trennung der heiden Fakultäten die Konkurrenz mit der Fakultät der via antiqua weggefallen; daß der Wegestreit noch bis 1514 immer wieder Anlaß zu Mißstimmigkeiten geben sollte,24 ehe ihn Leonhard von Eck abrupt mit obrigkeitlichen Mitteln heendete, war noch nicht abzusehen. Damit entfiel auch scheinbar die Notwendigkeit, Maßnahmen zur Steigerung der Attraktivität des eigenen Weges zu ergreifen. Wahrscheinlicher ist jedoch eine zweite Erklärungsmöglichkeit: Es fällt auf, daß außer auf die Arithmetica communis und die Perspectiva auch weiterhin und C1auerhaft auf die modernen Bücher De latitudinibus formarum und Proportiones verzichtet wurde. Da noch immer die Konkurrenz mit auswärtigen Hohen Schulen bestehen blieb und es deswegen sinnvoll erschienen wäre, die eigene Attraktivität zu steigern, indem man jene in den mathematischen Anforderungen unterbot, drängt sich der Schluß auf, daß die Wiederaufnahme der mathematischen Fächer in den Lektionsplan auf den Einfluß der Magister der via antiqua zurückging. Johannes Tolhopf wäre mit einer Reduzierung der Mathematik im Curriculum gewiß nicht einverstanden gewesen; wenn auch seine häufige Abwesenheit von Ingolstadt 25 dazu mahnt, seinen Einfluß nicht zu hoch zu veranschlagen, so darf doch nicht übersehen werden, daß er als Kollegiat zum Stamm der Lehrerschaft der via antiqua gehörte und im Sommersernester 1475 als ihr Dekan fungiert hatte. Auch wenn sich dies durch Quellen nicht belegen läßt, muß doch als wahrscheinlichste Möglichkeit angenommen werden, daß die antiqui die von den moderni praktizierte Reduzierung der Mathematik im Curriculum nicht nachgeahmt, sondern die quadrivialen Fächer unangetastet gelassen hatten. Über die antiqui fand die Mathematik dann wieder Eingang in die Stundenordnung vorn 1. September 1478. Die kurz danach fertiggestellte neue Redaktion der Statuten26 traf über die pro forma zu hörenden Bücher keine Anordnungen mehr;27 ob Uneinigkeit dahinterstand oder aber die Bestimmungen vom 1. September 1478 als ausreichend 22 Vgl. UAM, 0 I 2, f. 2v; die Edition von K Prant!: Geschichte, Bd. 2, S. 89 ist an dieser Stelle fehlerhaft, wobei er durch die hier nicht reproduzierbare graphische Anordnung der Tabelle irritiert wurde. 23 Vgl. J. N. Mederer: Annales, Bd. 4, S. 94. 24 Vgl. K Prantl: Geschichte, Bd. 2, S. 152-3. 25 Vgl. unten S. 166ff. 26 Vgl. K Prantl: Geschichte, Bd. 2, S. 78-88. 27 Vgl. K Prantl: Geschichte, Bd. 2, S. 86. 9 Schöner
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erachtet wurden, läßt sich nicht entscheiden. Lediglich die ebenso traditionelle und wie vermutlich nichtssagende Bestimmung über die Feiertagslektion der Bakkalare über Computus und der Kirche dienliche mathematische Stoffe wurde erneut aufgenommen. 28 Dieser 1478 festgeschriebene Zustand blieb für die mathematischen Fächer während der nächsten 37 Jahre zumindest formal verbindlich. Trotzdem wurde der von den moderni eingeschlagene Weg, die mathematischen Anforderungen zu senken, auch von der vereinigten Fakultät schon wenige Jahre später wieder aufgenommen. Dies nimmt nicht Wunder, wenn man berücksichtigt, daß die moderni in der Überzahl waren und damit bei Fakultätsbeschlüssen die antiqui majorisieren konnten. Nur die Mittel, zu denen man griff, änderten sich. Im Zusammenhang mit einer Reform des Verteilungsmodus' der Vorlesungen29 wurde 1487 auch ein neuer Stundenplan für die Artistenfakultät erstellt.3o Vordergründig waren in diesem Stundenplan31 die mathematischen Fächer sogar besser vertreten als in der Lektionsordnungvon 1478: für Scholaren wurden die Vorlesungen über den Tractatus de algorismo und das Buch I der Elemente von Euklid von 1 auf 2 Wochen verlängert, die Dauer der Veranstaltung über den Tractatus de sphaera wurde bei 6 Wochen belassen; zwei der drei quadrivialen Vorlesungen rur die Bakkalare, nämlich die Musica Muris und die Theorica planetarum wurden auf je drei Wochen angesetzt, was für die Musik eine Verlängerung um eine Woche bedeutete, während bei der Planetentheorie alles beim Alten belassen war. Bei den Büchern li-V der Elemente von Euklid fehlt die Angabe der Dauer, was, wie gleich zu zeigen sein wird, daran liegt, daß der Lektionsplan für die Bakkalare in seiner ersten Fassung schon aus Zeitgründen unmöglich in die Realität umzusetzen war, weshalb am Ende auf ein ebenfalls schlecht durchdachtes Provisorium ausgewichen wurde. Doch wenn man die Uhrzeiten, zu denen die mathematischen Veranstaltungen stattfinden sollten, betrachtet, wird die Abwertung der Mathematik, die sich hinter dem scheinbar gegenteiligen Befund versteckt, mehr als deutlich. Nur der Tractatus de sphaera konnte die hergebrachte Stunde, nämlich 1 Uhr nachmittags, behaupten. Die Zeitangaben für die restlichen mathematischen Vorlesungen sind so vage, daß sogar Zweifel berechtigt sind, ob sie wirklich noch regelmäßig vorgetragen werden sollten. A1gorismus und Buch I der Elemente sollten zur an sich gut gelegenen ersten Lesstunde stattfinden, d. h. im Sommer um 8 Uhr und im Winter um 9 Uhr, doch sind sie kaum mehr als Anhängsel zur ordinaria lectio über die Ars vetus, die Vgl. K Prantl: Geschichte, Bd. 2, S. 84. Auf die Bedeutung dieser Reform für die Mathematik wird unten S.140 eingegangen. 30 Der Entwurf zu diesem Stundenplan mit Korrekturen in UAM, 0 I 2, f. 19v; die Endfassung ibid., f. 20r (ed. K Prantl: Geschichte, Bd. 2, S. 94-5; auf Fehler in dieser Edition wird an entsprechender Stelle hingewiesen werden). 31 Vgl. K Prantl: Geschichte, Bd. 2, S. 94-5. 28
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zur selben Stunde stattfand, und die nach dem Lektionsplan von 1478 das ganze Semester in Anspruch nahm.32 Ob wirklich am Ende des Semesters Zeit blieb für die zwei kleinen mathematischen Vorlesungen, zu denen sich noch die ebenfaHs 2 Wochen dauemdeLectio über die Obligatoria geseHen soHte, ist mehr als fraglich. In dem der Endfasssung vorausgehenden Vorentwurf33 wurde diese Regelung als Notbehelf bezeichnet und eine bessere Lösung in Aussicht gesteHt. In jedem Fall konnte die neue Leszeit im bevorstehenden Wintersemester 1487/88 noch nicht durchgesetzt werden, weil sich die Magister, die diese kleinen Vorlesungen zugelost bekommen hatten, wehrten; sie werden gewußt haben, warum sie die vermeintlich gute Leszeit nicht akzeptieren wollten.34 Im Lektionskatalog der Statuten von 1492 waren dann der Algorismus und Buch I der Elemente wieder auf 1 Uhr nachmittags, wo sie schon vor 1487 gestanden hatten, zurUckgekehrt.35 Fast noch schlechter stand es um die mathematischen Veranstaltungen für die Bakkalare, die Musica Muris, die Theorica planetarum und die Bücher lI-V der Elemente von Euklid. 36 Zusammen mit den Parva naturalia soHten diese Vorlesungen gemäß dem Vorentwurf37 im Winter um 3 Uhr nachmittags stattfinden, und zwar in der zweiten Semesterhälfte nach Abschluß der Exercicia über Posteriora und De anima. Diese zwei Übungen allein dauerten nach der Endfassung bereits 14 Wochen, so daß nur mehr 10 Wochen für die vier Vorlesungen übrigblieben. DieParva naturalia, die Musica Muris und die Theorica planetarum beanspruchten je drei Wochen, für die Bücher lI-V der Elemente wurde keine Dauer angegeben, doch ergibt sich aus der Länge der Leszeit im Semester ein Rest von nur einer Woche; es war unmöglich, in dieser Zeit auch nur einen Überblick über den Inhalt der Bücher lI-V zu geben, von einer lectio nach dem Text ganz zu schweigen. Im Sommer soHte gar auf die drei mathematischen Bücher ganz verzichtet werden, da zur selben Zeit ein Exercicium metaphysice angesetzt war. Eine Ergänzung zum Entwurf zog dann in Betracht, diese Vorlesungen auf eine andere Stunde zu verlegen, wenn die Zeit nicht reichen sollte, und auch im Sommer wenigstens eines der drei Bücher doch vorzutragen. 38 Vgl. K Prantl: Geschichte, Bd. 2, S. 89. UAM, 012, f. 19v; bei K Prantl: Geschichte, Bd. 2, S. 94-5 nicht mit abgedruckt. 34 Vgl. UAM, 012, f. 19v: Etiam videtur melius, quod elenchorum legentur in suo ordine et tres minores librj, scilieet obligatoria, Algorismus et Euclidis post veterem artem, sed nu ne non potest fierj propter eos, qui obtinuerunt sorte post huiusmodi ordinacionem librorum ete. eogitetur de modo meliorj. 35 Vgl. K Prantl: Geschichte, Bd. 2, S. 110. Vgl. unten S. 133. 36 Es wird nach UAM, 0 12, f. 19v (Vorentwurt) und f. 20r (endgültige Fassung) referiert. Die Edition dieses Teils bei K Prantl: Geschichte, Bd. 2, S. 95 ist fehlerhaft und völlig irreflihrend. 37 Vgl. UAM, 0 12, f. 19v. 32 33
38 Vgl. UAM 0 I 2, f. 19v: Item post exereieiaBaeealariorum leganturparva naturalia et postea eadem hora [am linken Rand mit Verweiszeichen: Aut alia hora si non habuerit
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Die Änderungen, die deswegen in der Endfassung angebracht wurden, tragen aber mehr den Charakter einer dürftigen Reparatur als einer konsequenten Korrektur der erkannten Fehler und Mänge1.39 Die einzigen klaren Vorschriften betrafen das Wintersernester: Im Anschluß an die zwei Exercicia für die Bakkalare sollten je drei Wochen lang Parva naturalia, Musica Muris und Theorica planetarum gelesen werden; die Elemente von Euklid, für die die Zeit nicht mehr ausgereicht hätte, wurden aus diesem Block herausgenornrnen.40 Der Rest war Provisorium: Im Sommer, wenn das Exercicium metaphysice den Platz der mathematischen Vorlesungen einnahm, sollten diese auf irgendeine freie Stunde verlegt werden. Wahllos wurden 11 Uhr, 1 Uhr und 2 Uhr angegeben,41 wobei sich die Redaktoren der Endfassung fast entschuldigend darauf hinausredeten, daß zufällig eine der für Bakkalare vorgesehenen Veranstaltungen zu diesen Zeiten ausfallen könnte;42 die einzig wirklich unbelegte Zeit unter diesen Alternativen war um 2 Uhr, doch dürften die Bakkalare um diese Zeit lieber Mittagsruhe gehalten haben, als die ungeliebte Mathematik zu hören. Die Bücher li-V der Elemente von Euklid, für die im Lektionsplan kein Platz mehr war, wurden pauschal auf 2 Uhr gegen Ende jedes Semesters gelegt; allerdings wurde offengelassen, sie auch zu einer beliebigen anderen gerade unbelegten Stunde zu lesen. 43 Hatte die Vereinigung der via antiqua mit der via moderni in einer Fakultät 1478 zu einer Wiederbelebung der mathematischen Fächer in der Gesamtfakultät geführt, so stellt der Lektionsplan von 1487 den Zustand der via moderna vor 1478 de facto fast wieder her. Formal wurde die Mathematik nicht angetastet, sondern die Leszeiten erfuhren sogar noch eine Verlängerung; aber der Stundenplan zeigt deutlich, weIchen Stellenwert sie genoß. Mit Ausnahme des Tractatus de sphaera wurden die mathematischen Vorlesungen für die Scholaren auf Zeiten gelegt, zu denen sie kaum jemals zum Vortrag karnen. Der provisorische Chatempus sufficiens] primo Musica Muris ad 3 septimanas, deinde theorice planetarum ad tres septimanas et ultimo librj Euclidis; et sie isti tres librj utlimi legentur tantum in hyeme propter exercieium methphisiees; aut [über der Zeile ergänzt] ad minus unus eorum. 39 Vgl. UAM, 0 12, f. 20r. 40 Vgl. UAM, 0 12, f. 20r: In Hyeme Parva naturalia incipiantur purificationis post exercicia waeealariorum, legantur usque ad 9 diem marcii ad 5 septimanas; Musica muris ad penultimum mareij ad tres septimanas; Theorice planetarum ad tres septimanas ad finem mutaeionis. 41 Daher die irreführende Angabe bei K Prantl: Geschichte, Bd. 2, S. 95: Hora secunda (aut undecima vel prima, si aliqui alii lihri pro waeealariis illis horis forte pro tune non legerentur). 42 Vgl. UAM, 012, f. 20r:InEstateveropropterexereitiummethaphisicenonpoterunt legi hae hora, ideo si venerint legendj in estate, legentur hora seeunda aut undeeima vel prima, si aliqui alij librj pro waeealarijs illis horis forte pro tune non legentur. 43 Vgl. UAM, 0 1 2, f. 2Or: Librj Euclidis pro waeealarijs In HyemelEstate semper legentur hora seeunda in fine mutacionis aul aliqua alia hora vaeante videlicet undeeima aut prima eie.
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rakter der Bestimmungen über die Vorlesungen für die Bakkalare wurde bereits herausgestellt. Trotzdem müssen sich die 1487 getroffenen Verfügungen bereits nach kurzer Zeit als teilweise unrealisierbar herausgestellt haben. 1490 erstellte die Artistenfakultät für die Scholaren einen dreisemestrigen Studienplan bis zum Erwerb des Bakkalaureusgrades. 44 Ursache für diese Maßnahme war anscheinend, daß sich die jungen Studenten im Angebot der artistischen Vorlesungen nicht zurechtfanden und deswegen mit ihren Studien langsamer als erwünscht vorankamen.45 Nach diesem Studienplan waren der Algorismus und Buch I der Elemente im zweiten Semester zu hören, demselben Jahr, in dem auch die Ars vetus auf dem Programm stand. Dies deutet darauf hin, daß die zwei kleinen mathematischen Vorlesungen für Scholaren noch immer im Anschluß an diese Hauptvorlesung stattfanden. Der Tractatus de sphaera fiel dagegen ins dritte Semester. Anders dann die Statuten von 1492,46 die letzten in der hier zu besprechenden Phase: Sie zeigen eine partielle Rückkehr zu den Zuständen vor 1487. Die Vorlesungen Ober den Algorismus und Buch I der Elemente kehrten an ihren angestammten Platz um 1 Uhr nachmittags zurück. Dies hatte jedoch rur den Algorismus zur Folge, daß die Dauer der Vorlesung wieder auf 1 Woche verkürzt wurde,47 da sich anders nicht alle für 1 Uhr vorgesehenen Vorlesungen innerhalb eines Semesters hätten unterbringen lassen. Für die mathematischen Vorlesungen für Bakkalare blieb es bei den 1487 getroffenen Bestimmungen, doch wurden diese noch ein wenig konkretisiert. Im Sommersemester sollten die Musica Muris, die Theorica planetarum und die Bücher lI-V der Elemente von Euklid je 3 Wochen im Anschluß an die Parva naturalia um 2 Uhr nachmittags gelesen werden,48 wobei es jedoch dem Dekan freigestellt blieb, diesen Block auf eine andere Stunde zu verlegen.49 Diese Zusatzverfügung entsprach wohl dem Wunsch, wenn möglich eine freie Zeit zu finden, zu der die Studenten mehr Lust hatten, sich in den Hörsaal zu Vgl. UAM, 0 I 2, f. 35r (13. Oktober 1490). Vgl. UAM, 0 I 2, f. 35r: Et ne scolares nostre facultatis, dum saepius visitare collegium coguntur, minus in audiendis lectionibus et exercicijs diligentie ac fervoris exhibeant. Ac quo minus a suo privato studio per hoc retardentur. Placuit facultat~ quod librj audiendj ordine infra notato audiantur distincte. 46 Ed. K Prantl: Geschichte, Bel. 2, S. 101-17; der Lektionskatalog aufS. 109-11. 47 Vgl. K Prant1: Geschichte, Bd. 2, S. 110. 48 Vgl. K Prant1: Geschichte, Bd. 2, S. 110. In Prantls Text: Euclidis libri 29, 34, 4ti et 7timi, per tres ebdomadas haben sich gleich zwei Lesefehler eingeschlichen. Die hochgestellte 9, die eine Kürzung für die Endung -us darstellt, las er einmal als 9 und einmal als 4, woraus sich 29 und 34 ergaben. Die spätmittelaIterliche Schreibweise für die Zahl Fünt: die sich in der Form der heutigen Schreibweise für die Zahl Sieben nähert, hat er als solche gelesen; in Wirklichkeit sind die Bücher lI-V der Elemente von Euklid gemeint. 49 Vgl. K Prantl: Geschichte, Bd. 2, S. 110: Hora secunda aut alia vacante ordinarie dispositione decani. 44
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begeben, und damit einen besseren Besuch der mathematischen Veranstaltungen zu erreichen; sie blieb ein Notbehelf. Auch im Wintersemester behielt man den 1487 eingeführten Modus bei. Die Musica Muris und die Theorica planetarum wurden um 3 Uhr am Ende des Semesters nach den Exercicia für die Bakkalare abgehalten,SO die Festlegung der Uhrzeit für die Euklidvorlesung dem Dekan überlassen.51 Die einzige Veränderung gegenüber 1487, die von Bedeutung sein konnte, war, daß mit dem Dekan eine Instanz bestimmt wurde, die über die Zeiten zu bestimmen hatte. Hatte der jeweilige Vorsteher der Artistenfakultät Interesse an den mathematischen Fächern, konnte er durch die Zeitenwahl Vorsorge für deren Besuch treffen; fehlte dieses Interesse, unterblieb die Vorsorge. Die Vorschrift über die Feiertagslektion der Bakkalare über Computus und der Kirche dienliche mathematische Stoffe war stillschweigend verschwunden. Mehr als eine Anpassung an bereits bestehende Verhältnisse war dies kaum. Kurz danach, im Jahr 1494, bricht die Überlieferung der Akten der Artistenfakultät ab. Das neue Dekanatsbuch, das es mit Sicherheit gegeben hat, ist verlorengegangen. 52 Erst 1513 setzt die Überlieferung wieder ein.53 Über eventu~ elle weitere Änderungen im Curriculum der Artistenfakultät, die auch die Mathematik betroffen haben könnten, liegen keine Informationen vor, doch zeigen die Akten der Artistenfakultät im Jahr 1513, daß es für die Mathematik beim Zustand von 1492 geblieben war. 54 Die bis 1492 vorgenommenen Statutenänderungen spiegeln die Realität gewiß klarer wider, als das auf Tradition beruhende Konstrukt der Statuten von 1472. Trotzdem geht aus allen Einzelbestimmungen immer wieder zweierlei hervor: Erstens waren die meisten neuen Statuten keinesfalls Vorschriften, die neue Normen schufen, sondern höchstens die nachträgliche Sanktionierung von bereits eingeführten Gewohnheiten. Selbst dabei traute man sich nur selten, den Boden der Tradition zugunsten einer Festschreibung der Realität völlig zu verlassen. Die Vorschriften der Statuten über die Mathematik im artistischen Curriculum Vgl. K Prantl: Geschichte, Bd. 2, S. 111. Vgl. K Prantl: Geschichte, Bd. 2, S. 111: Euclidis libr~ per tres ebdomadas dispos;t;one decani. S2 Vgl. UAM, 0 12, f.SOr: UlterioraActa atque conclusa incliti artistarum Collegij in Studio lngolstatiensi Sub decanali presidentiaMagistri Georgij federmanMemingensis Reperientur in Novo libro ActorumAnno domini Millesimo quadringentesimoNonagesimo quarta Mutacione Estivalj: Reliquorumque decanorum Acta pariter in novo reperiuntur libro actorum succedentium seu successorum. J. N. Mederer: Annales, Bd. 1, S. 4SfI. zitierte noch daraus. Der Akt 0 I 3, aus dem K PrantI: Geschichte, Bd. 1, S. 123fI. zitierte und der im 2. Weltkrieg verlorenging, kann es kaum gewesen sein. Nach PrantIs Zitaten zu schließen, muß es sich hier eher um einen künstlich zusammengestellten Faszikel gehandelt haben; er enthielt einzelne, die Artistenfakultät betreffende Briefe und lose Blätter, vgl. dazu unten Exkurs 1lI., S. 473fI. S3 UAM, Georg. 111/22. S4 Dies ergeben vor allem die Listen über die Verteilung der Vorlesungen; vgl. UAM, Georg. 1l1/22, f. 2r, 3v, 4v und 6v. .50
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zeigen dies deutlich: Hatten die moderni vor 1478 noch in aller Deutlichkeit die Konsequenzen aus der RandsteIlung, in die die Mathematik allmählich gedrängt wurde, gezogen, so kommt dies nach 1478 in den Statuten nur mehr indirekt durch die Leszeiten zum Ausdruck. Erst eine Untersuchung der Dispense, die artistische Studenten vor allem bei der Promotion zum Magister erlangten, wird zeigen, wie marginal die Mathematik im artistischen Curriculum wirklich war. Und zweitens kommen in den Statuten Entwicklungen, die unterhalb einer bestimmten Bewußtseinsebene abliefen, überhaupt nicht oder erst sehr spät zum Ausdruck. Gemeint ist hier vor allem die bereits kurz nach Gründung der Universität einsetzende Entwicklung der Artistenfakultät in Richtung einer Ordinarien/akuität, wie sie bei den drei oberen Fakultäten schon zum Zeitpunkt der Gründung der Universität beinahe abgeschlossen war. Die Abschaffung der Computusvorlesung der Bakkalare 1492 war ein Reflex dieser Entwicklung, doch ist der Hinweis darauf, daß diese Vorlesung vermutlich schon bei der Gründung der Universität Ingolstadt nur mehr auf dem Papier bestand, deutliches Indiz dafür, wie lange es dauerte, bis sich die Wirklichkeit auch in den Statuten niederschlug. Die Entstehung eines bevorrechteten Stammes von artistischen Lehrern, der erste Schritt auf dem Weg zur Ordinarien/akuität, verlief so unterschwellig, daß sie vorläufig kaum einer statutarischen Festlegung bedurfte. Ob dieser erste Schritt auf diesem Weg bereits mit einer konkreten Zielvorstellung unternommen wurde, oder ob nicht ganz andere Motivationen dahinterstanden und die Resultate auch für die Zeitgenossen am Ende überraschend kamen, wird gleich zu untersuchen sein. Die Konsequenzen fUr die Mathematik im artistischen Lehrprogramm hatte bestimmt keiner bedacht. 2. Die Oligarchiebildung in der Artistenfakultät und ihre Folgen für die Mathematik
Im Gegensatz zu den oberen Fakultäten steIlte sich die Artistenfakultät zum Zeitpunkt ihrer Gründung nach den Statuten noch als eine für jeden promovierten Magister offene Fakultät dar. Das Konzil der oberen Fakultäten war von Anfang an auf die Gruppe der mit einer besoldeten Lektur ausgestatteten Professoren beschränkt.ss Diese hatten auch die Hauptlast der Vorlesungen zu tragen; die Vorlesungen der Bakkalare, die 55 Vgl. A. Seifert: Statuten- und Verfassungsgeschichte, S. 170-1. 7.A1r juristischen Fakultät vgl. H. WoltI: Geschichte der Ingolstädter Juristenfakultät, S. 221fI. und 281. Die Statuten der theologischen Fakultät von 1475 enthalten hierüber keine konkreten Vorschriften, doch heißt es in der Arenga bezeichnend: (... ) per dominos doctores pknum et perfectum collegium eiusdemfacullatis repraesenlantes(.. . ); vgl. K Prant1: Geschichte, Bd. 2, S. 55. Die medizinische Fakultät stand anfangs noch allen Doktoren der Medizin, unabhängig von ihrer Ausstattung mit einer besoldeten Lektur, offen; vgl. K Prant1: Geschichte, Bd. 2, S. 39-40. Dazu, daß sich auch hier der Kreis der Konzilsberechtigten bald auf die bestallten Doktoren reduzierte, vgl. L. Liess: Geschichte der medizinischen Fakultät, S. 14-5.
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nach den Statuten vorgesehen waren, reduzierten sich immer mehr, um schließlich mit Ausnahme der theologischen Fakultät bald völlig zu verschwinden. 56 Doch auch in der Artistenfakultät war die Offenheit gegenüber allen promovierten Magistern faktisch schon zur Mitte des 15. Jahrhunderts großenteils nur mehr eine llIusion, die höchstens noch zum Zeitpunkt der Gründung einer Universität eine gewisse Berechtigung besitzen konnte. Innerhalb der artistischen Lehrerschaft von etablierten Universitäten hatten sich überall bevorrechtete Gruppen von Magistern vom Rest abgesetzt. Um zu verstehen, daß die Entwicklung solcher bevorrechteter Gruppen immer erst dann beginnen konnte, wenn die Universität bereits einige Jahre in Funktion war, muß man sich die spezielle Gründungssituation vor Augen führen: Die Magister, die an die neue Hohe Schule kamen, um dort in der Artistenfakultät zu lehren, waren anfangs prinzipiell alle gleichberechtigt. Es gab keine Alteingesessenen, die gegenüber den Neuankömmlingen auf ältere Rechte hätten pochen können. Eine gewisse Ungleichheit wurde an den deutschen Universitäten jedoch von Anfang an dadurch in der Lehrerschaft der Artistenfakultäten geschaffen, daß es eine Gruppe von besoldeten Magistern gab, die durch Kollegiaturen abgesichert waren und damit von den Sorgen um Hörgelder und Emolumente, die die übrigen Magister zu beschäftigen hatten, befreit waren. Daß dieseAnschubfoumzierung nötig war, um den artistischen Studienbetrieb in Gang zu bringen, wurde bereits dargestellt. 51 Ebenso verfuhr man auch in Ingolstadt mit der Gründung eines Magisterkollegs, welches später zur Unterscheidung vom 1494 gegründeten Georgianum das Collegium vetus genannt wurde. 58 Eine Ungleichheit innerhalb der artistischen Lehrerschaft ergab sich jedoch nach wenigen Jahren zwangsläufig. Vor allem unterschieden sich die Magister hinsichtlich ihres Promotionsalters und hinsichtlich ihrer weiteren Absichten. Neben den frisch promovierten Magistern, die vorläufig einmal ihrer zweijährigen Lehrverpflichtung nachkamen, gab es solche, die schon länger an der Artistenfakultät unterrichteten. Aber auch diejenigen, die schon länger tätig waren, lassen sich nochmals in zwei Gruppen einteilen: in solche, die ihre Lehrtätigkeit nur als .56 Zu den Vorlesungen der theologischen Bakkalare vgl. W. Kausch: Geschichte der Theologischen Fakultät, S. 73ft'. Auch die juristischen Statuten von 1472 verlangten von den Bakkalaren eine einjährige Lehrtätigkeit, bevor sie zur Lizenz zugelassen wurden; vgl. H. Wolft': Geschichte der Ingolstädter Juristenfakultät, S. 282; ebenso noch die Statuten von 1524 (vgl. J. N. Mederer: Annales, Bd. 4, S. 251), doch scheint zweifelhaft, ob diese Vorschrift noch durch das ganze 16. Jh. hindurch Gültigkeit besaß. Gegen Ende des 16. Jh. waren die lesfreien Tage, an denen die Vorlesungen der Bakkalare nach den Statuten hätten stattfinden sollen, dafür reserviert, daß repetirt, disputirt und exercirtwerden sollte; darunter dürfte kaum mehr die Feiertagsvorlesung der Bakkalare zu verstehen sein (vgl. H. Wolft': Geschichte der Ingolstädter Juristenfakultät, S. 75). Zum Verschwinden der Vorlesungen der medizinischen Bakkalare vgl. L. Liess: Geschichte der medizinischen Fakultät, S. 31-2. S7 Vgl. oben S. 67. S8 Vgl. A. Seifert: Das Ingolstädter Collegium vetus.
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Möglichkei t, sich ihr Studium an einer höheren Fakultät zu finanzieren, betrachteten, und in solche, die diese als Lebensstellung ansahen. Auf die Entstehung einer Gruppe von professionellen Magistern seit dem Beginn des 14. Jahrhunderts in Paris wurde bereits hingewiesen. 59 Es scheint, spinnt man den Faden weiter, logisch, daß diese alteingesessenen Magister versuchten, sich gegenüber den Neulingen abzugrenzen und sich die Entscheidungsbefugnis in Angelegenheiten der Fakultät, aber auch diejenigen Vorlesungen innerhalb des artistischen Curriculums, die die höchsten Gebühren abwarfen, zu sichern. Die Anwartschaft auf die Pfründen an den Magisterkollegien konnte ein weiteres Ziel sein, das die alteingesessenen Magister gegen die Neulinge abzusichern beabsichtigten. Anzeichen für eine solche Oligarchiebildung in der Artistenfakultät lassen sich an deutschen Universitäten schon seit Beginn des 15. Jahrhunderts beobachten. Die Änderung des Verteilungsmodus' für die Vorlesungen der Artistenfakultät an der Wiener Universität rUhrt mit Sicherheit von solchen Motiven her.6o Die Möglichkeit der Wahl der Vorlesungen nach dem Senium, d. h. nach dem Promotionsalter, begünstigte die älteren Magister vor den jüngeren; daß ein Gelehrter wie Johannes von Gmunden diese Gelegenheit nutzte, sich auf die Mathematik zu spezialisieren, war der Ausnahmefall, wobei die Befreiung von den Sorgen um den Lebensunterhalt durch die Übertragung einer Kollegiatur am Collegium ducale bestimmt eine Rolle spielte.61 Wer nicht auf diese Weise abgesichert war, konnte es sich kaum leisten, auf die Übernahme derjenigen Vorlesungen, die finanziell am meisten versprachen, zu verzichten. Noch krasser als in Wien trat allerdings die Oligarchiebildung in Leipzig zu Tage. Die Forderung einer fünfjährigen Expektanz bis zur Aufnahme ins Konzil der Artistenfakultät begrenzte dort den Kreis der Fakultisten praktisch schon völlig auf die professionellen Magister. Wer an einer höheren Fakultät weiterstudierte, hatte sein Studium fast vollendet, ehe er Zugang zum Konzil fand. Da sich zugleich die Fakultisten die teuren Vorlesungen sicherten und die weniger ergiebigen den Neulingen überließen, kam es in Leipzig vermutlich zu jener Vernachl ässigung der Mathematik, die auf einem paradoxen Umweg letztlich zur Einrichtung von mathematischen Fachlekturen führte. Dies wurde bereits dargestellt. 62 Die Entwicklung in Ingolstadt verliefweniger ausgeprägt als in Leipzig. Trotzdem entzog die Oligarchiebildung auf Dauer der Mathematik gerade diejenigen Lehrkräfte, die aufgrund ihrer langen Lehrerfahrung vielleicht noch am ehesten dazu befähigt gewesen wären, den Studenten den ungeliebten Stoff einigermaßen 59 60 61
62
Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.
oben S. 41. oben S. 62. oben S. 68ff. oben S. 76ff.
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gründlich zu vermitteln. Einzige Abhilfe wäre hier die Ausstattung eines mathematisch interessierten Magisters mit einer Kollegiatur gewesen; die Berufung von Johannes Tolhopf wurde allerdings nicht durch derartige Motive bedingt,63 da sich zu jenem Zeitpunkt auch für die Verantwortlichen die Entwicklung noch nicht absehen ließ. Deswegen fand Tolhopf auch keinen Nachfolger am Collegium vetus. Die Schritte, die in Ingolstadt zur Herausbildung einer Gruppe von privilegierten Magistern innerhalb der regentes führten, sind schnell beschrieben.64 Die ersten Statuten der Artistenfakultät hatten noch allen promovierten Magistern den Zugang zum Konzi I der Fakultät gestattet;65 in der speziellen GrUndungssituation war dies gar nicht anders möglich. Doch schon wenige Jahre später schlossen sich die Magister der via moderna einer an allen deutschen Universitäten zu beobachtenden Entwicklung an, indem sie die Aufnahme in ihr Konzil von einer vier Jahre zurückliegenden Promotion und einer zweijährigen Regenz abhängig machten.66 Diese Bestimmung wurde 1478 von der vereinigten Fakultät übernommen67 und ging dann in die Neuredaktion der Statuten von 1492 ein.68 Eine Ausnahme wurde nur bei den Magistern gemacht, die eine Kollegiatur am Collegium vetus besaßen oder als Konventor eine Burse leiteten; sie fanden qua PfrUnde bzw. Amt Zugang zum Konzil,69 mußten dieses jedoch wieder verlassen, wenn die Voraussetzung wegfiel und nicht zwischenzeitlich ihre Promotion vier Jahre zurUcklag. 7o Auf diese Weise war die artistische Lehrerschaft in zwei Gruppen gespalten worden, nämlich in diejenigen Magister, die als regentes dem gremium, d. h. der Vgl. unten S. 163. Zur hier zu beschreibenden Verkleinerung des artistischen Konzils vgl. A. Seifert: Statuten- und Verfassungsgeschichte, S. 162-4 und A Liess: Die artistische Fakultät, S. 16-7. 6S Vgl. J. N. Mederer: Annales, Bd. 4, S. 70. 66 Vgl. K Prantl: Geschichte, Bd. 2, S. 54 (23. Januar 1476): (... ) quod nullus magistrorum petat recipi ad concilium facultatis nostre nisi quatuor annos in magisterio compleverit, legerit in artibus per biennium, et tam ordinarie quam extraordinarie disputaverit sulficienter. Zu den Vergleichsbeispielen an anderen Universitäten vgl. A Seifert: Statuten- und Verfassungsgeschichte, S. 163. 67 Vgl. K Prantl: Geschichte, Bd. 2, S. 88. 68 Vgl. K Prantl: Geschichte, Bd. 2, S. 104. 69 Vgl. K Prantl: Geschichte, Bd. 2, S. 154-5: (... ) nisi collega, regens aut alieuius contubernii praefectus esset (... ). 70 Vgl. A. Seifert: Die Universität Ingolstadt, S. 98-9 (Text korrigiert nach UAM, Georg. 111/22, f. 44r): (... ) facultas arcium ad requisicionem doctoris Leonardi de Wolfseck ad consilium suum recepit dominos conventoresmagistrum MatheumLucz burseAngeliee, magistrum Johannem Modler Lilij burse et Anthonium Praw burse Parisiensium, illa tamen condicione, quod hij venerabiles magistri sint in consilio dum sunt in actuali regencia, si autem aliquis conventorum non est amplius in actuali regencia alicuius burse et eciam non complevisset quatuor annos in magisterio, sieut eciam de illis quatuor annis cernit decretum, ille magister qui fuit conventor sua sponte et voluntarie, sine requisieione alicuius consilium exeat et complecionem quatuor annorum sicut alij magistri debet facere et hoc idem se facturum iuravit quilibet eorum. 63 64
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Gruppe der Magister, die eine Vorlesung übernehmen konnten, angehörten, und diejenigen, die außerdem auch konzilsberechtigt waren. Es war nur natürlich, daß die consiliarii in einem nächsten Schritt darangingen, sich die einträglichsten Vorlesungen zu sichern und die weniger lohnenden den übrigen Magistern zu überlassen. 7l Innerhalb des artistischen Curriculums hatte sich schon vor Gründung der Ingolstädter Universität ein Kern von fünf Hauptvorlesungen herauskristallisiert, die am Morgen zur besten Zeit, d. h. im Sommer um 8 Uhr und im Winter um 9 Uhr, gelesen wurden und die die höchsten Gebühren abwarfen: im Kurs der Scholaren die Parva logicalia, die Ars vetus und die Physik, im Kurs der Bakkalare die Ethik und die Metaphysik.72 Daß die drei Vorlesungen der Scholaren den Kern ihres Studiums bildeten und in jedem Fal1 gehört werden mußten, wurde ihnen von der via moderna schon 1475 eingeschärft. 73 Auch rur die zwei zentralen Veranstaltungen der Bakkalare wurde bei dieser Gelegenheit Vorsorge getroffen, wobei nur die Metaphysik nicht zwingend auf die Leszeit am Morgen gelegt wurde. 74 Fast in einem Atemzug mit der Verkleinerung des Konzils der via moderna, die am 23. Januar 1476 erfolgt war, sicherten sich die Fakultisten auch diese einträglichen Hauptvorlesungen: Am 1. September desselben Jahres wurden sie aus dem Losverfahren, nach dem die restlichen Vorlesungen auch weiterhin vergeben wurden, mit herzoglicher Genehmigung herausgenommen, und bestimmt, daß zukünftig die Lektoren dieser fünf Bücher durch das Fakultätskonzil mittels Wahl bestel1t werden sol1ten.75 Auch wenn es nicht gesagt wird, so war damit eindeutig beabsichtigt, die Mitglieder des Gremiums von der Verteilung 71 Diese Entwicklung ist pauschal, aber zutreffend bei A Liess: Die artistische Fakultät, S. 17-8 beschrieben. Um die Folgen für die Mathematik ermessen zu können, ist es nötig, detaillierter darauf einzugehen. 72 Vgl. A. Liess: Die artistische Fakultät, S. 17-8. Von diesen Vorlesungen waren nach den Statuten von 1472 die Parva Iogicalia, die Physik und die Ethik mit 1 11. (= 240 den.) zu vergüten, die Ars vetus mit 24 gr. (= 192 den.), während die Metaphysik mit 9 gr. (= 72 den.) etwas abfiel (vgl. J. N. Mederer: Annales, Bd. 4, S. 93-4). 1478 blieb es im großen Ganzen bei dieser Gebührenregelung, nur die Ars vetus war erheblich auf3 ß (= 90 den.) verbilligt worden (vgl. K Prantl: Geschichte, Bd. 2, S. 89). 1492 kosteten die Parva logicalia, die Physik, die Metaphysik und die Ethik einheitlich 1 6., die Ars vetus verblieb bei 3 ß (vgl. K Prantl: Geschichte, Bd. 2, S. 109-11). 73 Vgl. K Prantl: Geschichte, Bd. 2, S. 53. 74 Vgl. K Prantl: Geschichte, Bd. 2, S. 53. 75 Vgl. UAM, 0 11, f. 8v: Omnes vero nominatj librj legendj et exercitandj distribuentur sorte ut antea demptis libris parvorum Iogicalium, veteris artis, phisicorum, ethicorum et methaphisice tam legende quam exercitande, quorum lectores et exercitatores eliget facultas omni mutacione (... ). In der bei K Prantl: Geschichte, Bd. 2, S. 74--6 edierten Endfassung dieser Studienreform fehlen diese Bestimmungen. Dies erklärt sich einfach daraus, daß es sich hierbei um die zur Veröffentlichung bestimmte Fassunghandelte, in der das mitgeteilt wurde, was für die Studenten von Belang war; die Interna gingen niemanden etwas an.
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auszuschließen und den Fakultisten das alleinige Anrecht auf diese Bücher zu übertragen. Die Vereinigung mit der via antiqua scheint hier, wie auch in anderen Punkten, retardierend auf die Bestrebungen der Magister der via moderna gewirkt zu haben. Im 1478 erstellten Lektionsplan wurde zwar die zentrale Bedeutung dieser fünf Vorlesungen, die hier erstmals in den Akten als libri ordinarii bezeichnet werden, hervorgehoben, die Vergabe derselben durch Wahl aber nicht aufgegriffen. 76 Zufällig ist teilweise bekannt, wer injener Zeit die Ethik vorgetragen hat: 77 im Sommersemester 1479 Johannes Tolhopf und Georg Degner,78 im Sommersemester 1482 Johannes Plümel.79 Tolhopfund Plümel gehörten gewiß zum Stamm der Fakultät, Georg Degner80 dagegen kaum. Die Entwicklung verlief jedoch konsequent weiter; nur scheinbar widersprach der erste Schritt auf diesem Weg dem angestrebten Ziel. 1482 wurde beschlossen, daß ein Magister, der gerade einen liber ordinarius gelesen hatte, ein Jahr lang nicht mehr auf einen solchen gewählt werden dürfte; Metaphysik und Ethik wurden von dieser Bestimmungjedoch ausgenommen.8i Die Sorge, daß alle an diesen einträglichen Lektionen teilhaben konnten, stand offensichtlich hinter diesem Beschluß. Wenige Jahre später, 1487, wurde dann jedoch klar, daß diese Teilhabe aller sich nur auf die Fakultisten bezog: Eine im Frühjahr 1487 eingesetzte Kommission, die sich Gedanken über einen neuen und besseren Verteilungsmodus der Vorlesungen machen sollte,82 unterbreitete den von der Fakultät angenommenen Vorschlag, die drei ordinariae leetiones für Scholaren und die Ethik und Vgl. K Prant1: Geschichte, Bd. 2, S. 89. Listen, die über die Verteilung der Vorlesungen Auskunft geben, sind erst seit dem WS 1492/93 erhalten, brechen dann mit den Akten im Sommer 1494 ab und setzen erst im WS 1513/14 wieder ein. Die folgenden Angaben stammen aus den Akten des Rektorgerichts (UAM, D III 1); dem Umstand, daß die Magister hier von zahlungsunwilligen Studenten die ihnen zustehenden Gebühren eintreiben mußten, ist es zu verdanken, daß einige wenige Angaben über die Magister und die von ihnen gehaltenen Vorlesungen vorliegen. Vgl. unten im Quellenanhang S. 484. 78 Vgl. UAM, D III 1, f. 224v. 79 Vgl. UAM, D III 1, f. 283v. 80 Er ist weder in der Matrikel noch in den Fakultätsakten zu finden. 81 Vgl. UAM, 0 12, f. 12r (12. März 1482): Eadem die conclusit facultas artistica, Quod 76 77
legens ultra tres lecciones alicuius ordinarij libri principalis non habeat amplius regressum ad resumpciones neque facultatem vendendj eundem librum, quique suum ordinarium quemlibet per se incipiat, legens quoque ordinarium, amplius uno integro anno ordinario careat demptis metaphisices et ethicorum. Dies wurde fast wortgleich in die Statuten von
1492 übernommen; vgl. K Prantl: Geschichte, Bd. 2, S. 108-9. 82 Vgl. UAM, 0 I 2, f. 18r, 12. März 1487: Item in die Gregorij anno quo supra conclusit facultas arcium pro distributione librorum, Quod si melior modus possit fieri in
distributione aut Lectionibus Librorum, pro Modo inveniendo alio aut distribucione alia deputavit facultas arcium dominos Licentiatos J ohannem plumei et J ohannemRamelspach et Magistros venerabiles Georgium Eysenhut, Michaelem putersax, Andream Groschoph, J ohannem Hagenawer una cum decano.
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Metaphysik für Bakkalare wieder aus dem Losverfahren herauszunehmen und durch die Wahl seitens der konzilsberechtigten Magister zu vergeben. Die Hauptvorlesungen für Scholaren wurden dabei doppelt besetzt, die für Bakkalare, die abwechselnd jedes zweite Semester zum Vortrag kamen, einfach.83 Die Formulierung, daß ein Magister aus dem gremium, d. h. aus der Gruppe aller regentes einschließlich derer, die nicht im Konzil saßen, gewählt werden könnte, stellte nicht mehr als eine leere Phrase dar. Die Mitglieder der entstehenden Oligarchie, die wahlberechtigt waren, wären kaum je auf den Gedanken gekommen, einen Nicht-Fakultisten auszusuchen. Die Statuten von 1492 übernahmen dann die 1482 und 1487 getroffenen Regelungen. 84 Die Reservierung der Hauptvorlesungen für die Mitglieder einer Oligarchie innerhalb der Artistenfakultät, wie das Bemühen, jedem Mitglied dieser Oligarchie die gleichmäßige Teilhabe daran zu sichern, dies waren die Hauptmerkmale der ersten Stufe der Oligarchiebildung in der Artistenfakultät. Die beschriebene Restriktion des Fakultätskonzils war dafür die Voraussetzung. Daß vorläufig die über die Verteilung der ergiebigsten Vorlesungen getroffenen Vereinbarungen einerseits peinlich genau eingehalten wurden, und andererseits nur Fakultisten zum Zuge kamen, zeigen die erhaltenen Listen über die Verteilung der Vorlesungen vom Wintersemester 1492/93 bis zum Sommersemester 1494.85 Die drei lectiones ordinariae für Scholaren waren pro Semester je zweimal zu vergeben, dazu kam immer eine der beiden Hauptvorlesungen für Bakkalare, im Winter Ethik, im Sommer Metaphysik. Dies ergibt im Verlauf von 4 Semestern 28 Zuteilungen. Nur fünf Magister kamen dabei in den Genuß, zweimal eine der Hauptvorlesungen halten zu dürfen, wobei in zwei Fällen ein Semester, in den drei restlichen zwei Semester dazwischenlagen. Kein einziges Mal wurde ein Magister gewählt, der nicht zum Konzil gehörte. Der Verlust der Akten zwischen 1494 und 1513 macht es schwer, die Entwicklung zur zweiten, gewiß vor 1513 erreichten Stufe nachzuverfolgen. Es kann nur das Endresultat betrachtet werden. Die nächsten und zugleich letzten vier Listen, die über die Zuteilung von Vorlesungen an Magister des Gremiums Auskunft geben, stammen vom Winterse83 Vgl. K Prant!: Geschichte, Bel. 2, S. 93-4 (= UAM, 0 I 2, f. 19r): 30 die Augusti propter nimiam concurrentiam variasquepracticas legentium propositis variis modis ( ... ) elegit ex omnibus aliis modum in lectionibus et exercitiis subscriptum ad tempus observandum et approbandum: primum quod de tribus ordinariis lectionibus, sc. Parvis loycalibus, Veteri arte et libris Phisicorum, eligantur omni mutatione duo magistri de gremio facultatis iuxta votorum pluralitatem, sic tamen, quod omnes pro tune de consilio eligentes iurent, quod pro tali electione non velint facere conspirationes practicas brigas aut subordinationes aliquas nec uti eisdem, sed secundum suae conscientiae dietamen sine dolo et fraude ydoneos eligere, (... ) distribuantur etiam electione Ethieorum et Metaphisiea ut alii ordinarii Ubri (... ). 84 Vgl. K Prant!: Geschichte, Bel. 2, S. 108-9. 85 Vgl. UAM, 0 I 2, f. 43r-v (WS 1492/93), f. 46r-v (SS 1493), f. 47r (WS 1493/94) und f. 49v (SS 1494). Sie sind im Quellenanhang S. 484tI. abgedruckt.
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mester 1513/14 bis zum Sommersemester 1515.86 Dreierlei fällt beim Betrachten dieser Listen auf: Erstens wurden bei der zweimal jährlich stattfindenden Vergabe der Vorlesungen von den fünf Hauptvorlesungen nur mehr die Parva logicalia und dieArs vetus geführt, Physik, Metaphysik und Ethik fehlten. Eine Erklärung hierfür liefert die zweite Beobachtung: An der Verteilung der Vorlesungen in diesen vier Semestern beteiligten sich nur vier der Kollegiaten, nämlich Johannes Salach, Johannes Schwebermair, Johannes Engelhard und Michael Putersaß. Sie übernahmen nie die Hauptvorlesungen, da sie als Kollegiaten kostenlos zu lesen hatten und damit nur Magistern, die auf ihre Hörgeldeinnahmen angewiesen waren, die teuersten Vorlesungen weggenommen hätten, ohne selbst etwas dabei zu gewinnen. Christoph Tengler und Thomas Ramelspach, die zwei übrigen Kollegiaten, nahmen am turnusmäßigen Wechsel der Vorlesungen nicht teil. Zumindest bei Tengler findet sich hierfür eine einfache Erklärung: Er, der promovierte Jurist, 87 las ständig über die Ethik!88 Als er aus dem Collegium vetus 1514 ausschied, wurde an seiner Stelle erst Johannes Parsch,89 nach dessen baldigem Tod im selben Jahr Nioolaus Appel gewählt.9o Parsch, dessen Wahl von den Herzögen am 16. März 1514 bestätigt wurde, beteiligte sich am 12. März schon nicht mehr an der Verteilung der Vorlesungen; er wußte mit Sicherheit bereits, daß er in der Nachfolge Tenglers die Ethik lesen würde, da die Wahl mehrere Tage vor der Bestätigung, folglich auch vor der Verteilung der Vorlesungen stattgefunden haben muß. Das gleiche gilt fUr Nioolaus Appel. Seine Wahl wurde am 19. September 1514 bestätigt. Anscheinend war sie nach dem 1. September erfolgt, denn im Wintersemester 1514/15 las Appel nochmals über Parva logicalia. In den Listen vom Somrnersemester 1515 taucht er dann nicht mehr auf. Irgendwann zwischen 1494 und 1513 war also eine der Kollegiaturen an den Vortrag eines bestimmten Stoffes, nämlich den der Ethik, gebunden worden. Ebenso muß es sich mit der Kollegiatur verhalten haben, die Thomas Ramelspach, Bakkalar der Theologie,91 innehatte; sein Vortragsgebiet wäre dann die Metaphysik gewesen.
86 Vgl. UAM, Georg. III/22, f. 2r (WS 1513/14), f. 3v (SS 1514), f. 4v (WS 1514/15) und f. 6v-7r (SS 1515). Sie sind im Quellenanhang S. 488ff. abgedruckt. 87 Vgl. H. Wolff: Geschichte der Ingolstädter Juristenfakultät, S. 312: Dr. iur. canon. 1510. 88 Vgl. UAM, Georg. III/22, f. 2r (1. September 1513): Per artistarum facultatem in eodem consilio conclusum fuit, quod dominus doctor tengler possit unum alium lectorem in locum suum instituere, si non tam cito rediret, qui librorum ethicorum lectionem in sua absentia continuaret ac perficeret. 89 Vgl. UAM, EI 1, f. 22v; dieses herzogliche Bestätigungsschreiben datiert vom 16. März 1514. 90 Vgl. UAM, EIl, f. 23r; dieses herzogliche Bestätigungsschreiben datiert vom 19. September 1514. 91 Vgl. W. Kausch: Geschichte der Theologischen Fakultät, S. 231: 1. Oktober Principium zum Bak. theol., Oktober!513 Sententiarius, Mai 1516 Lizentiat, 8. Mai 1516 Dr. theol.
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Als er nach seiner Promotion zum Doktor der Theologie aus dem Collegium vetus ausgeschieden war, kam Georg Behaim (Spies) an seine Stelle.92 Anders verfuhr man mit der Physikvorlesung.1509 erhielt Johannes Würzburger, der spätere MathematikIektor, der in diesem Jahr die Physik gelesen hatte, aus der Universitätskasse eine Entschädigung von 4 fl. 93 Während der Kämmerer diesen Posten 1509 noch unter der Rubrik gemeine außgab geführt hatte, rückte der Vermerk der Besoldung für einen Magister pangracius, der 1510 die Physik vertrat und 8 fl. erhielt, bereits in die RubrikAußgab au/meiner Herrn söld auf; allerdings stand pangracius in der Besoldungsliste unter allen Professoren an letzter Stelle. 94 Neben den Kollegiaten war der PhysikIektor der einzige artistische Magister, der eine Besoldung aus der Universitätskasse erhielt. Für die Jahre 1511 und 1512 ist dann wiederum kein besoldeter PhysikIektor im Rechnungsbuch des Universitätskämmerers vermerkt;95 dann bricht das Rechnungsbuch ab, so daß keine weiteren Aussagen möglich sind. Noch scheint also die Übernahme der Besoldung für einen PhysikIektor durch die Universität keine feste Einrichtung gewesen zu sein. Auch hatten 1509 und 1510 zwei verschiedene Magister die Physik vorgetragen. Doch könnte das Fehlen der Physik in den I...ektionslisten seit dem Wintersemester 1513/14 darauf hinweisen, daß man zu der sich 1509 und 1510 andeutenden Entwicklung in Richtung einer physikalischen Fachlektur zurückgekehrt war. Vielleicht war sogar ein Magister bestellt worden, der ähnlich wie die zwei Kollegiaten für die Ethik und die Metaphysik, nur mehr für die Physik auf Dauer zuständig war. Die Physik, früher eines der ordinarii libri für die Scholaren, war frühestens zum Wintersemester 1505/06 und spätestens zum Wintersemester 1509/10 vom Kurs der Scholaren in denjenigen für die Bakkalare verlegt worden. 96 Die Vermutung, daß diese Maßnahme in einem Zusammenhang mit der Nova Ordinatio von Vgl. UAM, E I 1, f. 23v-24r. Vgl. UAM GG IV a 1, f. 137r. Item aus geschäft meiner Herren hab ich maister hannsen vischer [= Würzburger1 der das phisicorum pro vaccalarijs gelesen, geben iij Ib. iiij ß den. Der Gulden war zu diesem Zeitpunkt bereits auf 210 den. abgewertet worden, wogegen das Pfund den alten Wert des Guldens, nämlich 240 den. vertrat. Wie ungewohnt der neue Wert des Guldens noch war, drückte der Kämmerer im Rechnungsbuch dadurch aus, daß er die Besoldung häufig sowohl in Gulden als auch in Pfund angab; später fiel das Pfund als Rechnungseinheit in den Rechnungsbüchern der Universität weg. Im hier vorliegenden Fall gilt: 3 Ib. = 720 den., 4 ß = 120 den. Die Summe betrug also 840 den., was genau 4 1'1. entsprach. Die Wahl war am 18. Oktober 1509 erfolgt, also erst zum Wintersemester 1509/10; vgl. UAM, 0 V 1, f. 84v: Item in die sancti Iuce qua lector pro libris phisicorum fuit electus pro simbolo 2 fl. et 4 den. 94 VgI. UAM, GG IVa 1, f. 162v:Item magistropangraciovondemphisicorumzelesen geben vij Ib. den. 7 Ib. = 1680 den. = 8 H. Da Würzburger für ein Semester 4 H. erhalten hatte, liegt der Schluß nahe, daß der Magister pangracius für zwei Semester bestellt wurde. 95 Die Besoldungslisten finden sich in UAM, GG IV a 1, f. 203r und 238r-v. 96 Der Terminus post quem ergibt sich aus einem Eintrag in das Rechnungsbuch der Artistenfakultät vom SS 1505, gemäß dem ein Scholar bei der Promotion zum Bakkalar die Dispensgebühr rur die fehlende Vorlesung über Physik zu bezahlen hatte; vgl. UAM, 0 V 1, f. 78v: [tem j fl. magistro tunc legenti Libros phisicorum recepte vero a quodam scolarj 92 93
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1507 stand, liegt nahe. 97 Mit der Ethik, Metaphysik und der Physik waren also genau die Hauptvorlesungen für die Bakkalare an Fachlektoren übergeben worden. Auch dafür, warum nur diese Vorlesungen an besoldete Magister übergeben worden waren, gibt es eine einfache Erklärung: Nur ein geringer Teil der Studenten setzte seine Studien bis zur Ablegung des Magisterexamens fort. Die Zahl der Hörer und damit auch die Vorlesungsgebühren waren also für die Magister, die Ethik, Metaphysik und Physik lasen, bedeutend geringer, als für diejenigen, die die Hauptvorlesungen für die Scholaren übernommen hatten. Trotzdem mußte sichergestellt sein, daß die wichtigsten Veranstaltungen im Kurs der Bakkalare abgehalten wurden. Die einfachste Methode hierfür bot die Übertragung dieser Aufgabe an besoldete Magister. Die ParalelIen zum Leipziger Modell sind offensichtlich.98 Die Oligarchiebildungwar jedoch bis 1513 noch in einem weiteren Punkt fortgeschritten, der sich aus der dritten Beobachtung ergibt: Innerhalb der Mitglieder des artistischen Konzils hatte sich unterhalb der Ebene der Kollegiaten noch eine zweite privilegierte Schicht herausgebildet, die zwölf Magister umfaßte. Diese zwölf Magister teilten sich die beiden verbliebenen lihri ordinarii für Scholaren, nämlich dieParva logicalia und dieArs vetus untereinander. Da bei diesen jeweils doppelt besetzten Vorlesungen pro Semester nur vier von ihnen zum Zuge kommen konnten, wechselten sie sich in einem sich über drei Semester erstreckenden Thrnus ab. Im Sommersemester 1515 lasen wieder genau dieselben Magister die Parva logicaliaund dieArs vetus wie schon im Wintersemester 1513/14, nämlich Johannes Winhart, Johannes Würzburger (alias Fischer),99 Georg Behaim (alias Spies) und Johannes KneißeI. Die übrigen Mitglieder dieser Oligarchie waren Johannes Zaler als Regens des Georgianurns, Euban Ott, Jakob Schaider, Wolfgang Lotter, Georg Polling, Nicolaus Appel, Andreas Haindl und Paul Muldorfer. Aus genau dieser Gruppe rekrutierten sich auch die Kandidaten für freiwerdende KOllegiaturen: Behaim, Lotter und Appel sollten diesen Sprung in den nächsten propterea quod neglexit libros phisicorum tempore dispensationis. Der Terminus ante quem folgt daraus, daß bei der Vergütung Würzburgers im Rechnungsbuch der Universität ausdrücklich angegeben ist, daß er die Vorlesung für Bakkalare gehalten hat; vgl. UAM GG IV a I, f. 137r: Item aus geschäft meiner Herren hab ich maister hannsen vischer [= Würzburger1 der das phisicorum pro vaccalarijs gelesen, geben iij Ib. iiij Pden. In den Statuten der Artistenfakultät von 1519 wurde dann konsequenteIWeise auch statutarisch die Zugehörigkeit der Physik zum Kurs der Bakkalare festgeschrieben; vgl. K Prantl: Geschichte, Bd. 2, S. 161. 97 Zur Nova Ordinatio vgl. unten S. 296ff. 98 Eine Parallelentwicklung, die noch weiter ging als in Ingolstadt, läßt sich in genau demselben Zeitraum in Tübingen beobachten. 1508 oder kurz danach wurden hier den Kollegiaten feste Fachgebiete zugewiesen. Der erste Kollegiat sollte jedes Semester eine konzise Einführung in die Logik für die Scholaren geben, der zweite für Bakkalare über die Naturphilosophie, d. h. die Physik,De generatione,De anima undDe celo et mundo lesen. Die zwei restlichen Kollegiaten erbielten die Aufgabe, immer im Wintersemester die Ethik und die Metaphysik vorzutragen. Vgl. R. Roth: Urkunden, S. 378-80 Anm. 1. 99 Zu Würzburger/Fischer vgl. unten S. 309 und den Exkurs IV" S. 477.
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Jahren schaffen. 100 Nur der 1516 an Stelle von Thomas Ramelspach ins Collegium vetus aufgenommene Johannes Parsch gehörte dieser Gruppe nicht an. Vielleicht war er der Magister, der schon im Wintersemester 1513/14 Christoph Tengler in der Ethikvorlesung vertreten hat, so daß er deswegen gewählt wurde. lOl Die Differenzierung innerhalb der Magisterschaft hatte also seit 1494 erhebliche Fortschritte gemacht. An oberster Stelle standen zwei Kollegiaten, die mit der Vertretung der Ethik und der Metaphysik betraut waren und bereits als Fachlektoren bezeichnet werden dürfen; darunter, ohne in die Hierarchie eigentlich eingebaut zu sein, die anderen vier Kollegiaten, die nur darauf zu achten hatten, daß sie der dritten Gruppe nicht die einträglichsten Vorlesungen wegnahmen; sodann folgte die zwölf Magister umfassende Gruppe der Anwärter, die die zwei noch zur Disposition stehenden libri ordinarii unter sich aufteilten. Die vierte Position nahmen die Magister des Konzils ein, die 1494 noch alle ein mehr oder weniger gleiches Anrecht auf die Hauptvorlesungen hatten geltend machen können, jetzt jedoch ein weiteres mal, nämlich in die Gruppe der Anwärter, aufsteigen mußten, ehe sie an die begehrten reichlichen Hörgelder kommen konnten. Auf dem letzten Rang standen die übrigen magistri regentes, die nur dem gremium angehörten und nach vier Jahren in die nächsthöhere Gruppe aufrücken konnten. Die Oligarchie hatte sich noch deutlicher abgegrenzt, der Kreis der Bessergestellten war nochmals kleiner geworden; die Ingolstädter Artistenfakultät fand sich auf dem besten Wege, mit mehrjähriger Verspätung dem Leipziger Modell nachzueifern. Nur am Rande sei bemerkt, daß die Fakultät, als sie 1513 die Mathematiklekturin ihre Hand bekam, zuerst an einen ihrer Anwärter, nämlich Johannes Würzburger, dachte, den sie mit der frisch ergatterten Pfründe versorgte. Ein gesteigertes Interesse an der Mathemati k stand noch kaum dahinter, doch davon wird an anderer Stelle zu berichten sein. 102 Erst wenn man diese Entwicklung betrachtet, wird klar, wie tief der Einschnitt war, den das Eingreifen von Leonhard von Eck im Jahre 1515 bedeutete. Die gesamte kunstvoll abgestufte Hierarchie wurde mit einem Schlag beseitigt, sämtliche Vorrechte, die sich eine privilegierte Gruppe von Magistern oberhalb des Fakultätskonzils geschaffen hatten, gingen mit einem Mal verloren. Auch dies wird später zu besprechen sein. l03 Es fällt auf, daß bei der Darstellung der gesamten Entwicklung beinahe nie von der Mathematik die Rede war. Doch, so paradox es klingen mag: Damit ist schon fast alles über den Stellenwert, den die Mathematik bei der artistischen Lehrerschaft genoß, gesagt. Die durch die pekuniären Interessen einer Oligarchie 100 Vgl. 1518). \0\ Vgl. \02 Vgl. 103 Vgl.
10 Schöner
UAM, E I I, f. 23r (Appei, 1514), f. 23v-24r (Behaim, 1516) und 24v (Lotter, oben S. 142 Anm. 88. unten S. 308. unten S. 3141I.
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allmählich aus dem Curriculum herausgehobenen und zum begehrten Objekt gewordenen Vorlesungen waren andere, die mathematischen zählten nicht zu ihnen: Sie wurden weiterhin einfach verlost. Da sich auch Mitglieder der Oligarchie an den Verlosungen beteiligten, wenn die Reihe, eine der Hauptvorlesungen zu übernehmen, gerade nicht an ihnen war, konnte es geschehen, daß auch von ihnen gelegentlich eine mathematische Vorlesung gehalten wurde. 104 Auf diese Weise kam sogar, rein zufällig, der Mathe11Ultildektor Johannes Würzburger im Wintersemester 1514/15 an die Vorlesung über A1gorismus. 105 Ein besonderes Interesse daran hatte keiner der magistri regentes.
3. Die Praxis des mathematischen Unterrichts Die bisherige Untersuchung hat einiges Licht auf die statutarischen Vorschriften zur Mathematik im artistischen Curriculum, also auf die Norm, und auf den allgemeinen Stellenwert der Mathematik innerhalb des Fächerkanons und bei der artistischen Lehrerschaft geworfen. Über die Praxis des Unterrichts ist damit noch wenig gesagt, doch wird sich zeigen, daß sich die hier zu machenden Beobachtungen ebenfalls in das allgemeine Bild einfügen: Die Mathematik rangierte auf einem der untersten Plätze. Hatten schon die statutarischen Vorschriften, besonders 1487, offen gelassen, die mathematischen Vorlesungen für Bakkalare gelegentlich ganz ausfallen zu lassen,l06 so beweisen ein Blick auf die erhaltenen Listen über die Verteilung der Vorlesungen 107 und einige verstreute Hinweise im Rechnungsbuch der Artistenfakultät, lOB daß sie in der Tat zwar meistens, aber nicht immer gelesen wurden. Im Sommersemester 1494, als anscheinend die Zahl der zur Verteilung anstehenden Bücher diejenige der zur Verfügung stehenden Magister überschritt, verzichtete man auf die Vergabe der Bücher lI-V der Elemente von Euklid und von De generatione et CO"uptione. 109 Nicht nur ein mathematisches Buch, sondern auch ein naturphilosophisches war also davon betroffen. Doch die zwei weiteren Hinweise auf ausgefallene Vorlesungen während der nächsten 20 Jahre zeigen, daß man vornehmlich auf die Mathematik verzichtete, wenn es nicht möglich war, alle Veranstaltungen anzubieten. Als 1506 wegen des ausklingenden Landshuter Erbfolgekrieges und wegen einer Epidemie acht Vorlesungen ausfallen mußten, waren wieder mindestens zwei mathematische davon betroffen: die Musica muris und die Theorica planetarum. Die anderen Veranstaltungen, die der Zeitumstände wegen nicht abgehalten 104 z. B. Johannes Parsch im WS 1513/14 den Algorismus, oder im SS 1514 Georg Behaim (alias Spies) die Theoricaplanetarum; vgl. Quellenanhang S. 488ff. lOS Vgl. UAM, Georg. III/22, f. 3v. 106 Vgl. oben S. 13I. 107 Vgl. unten QuellenanhangS. 484ff. 108 UAM, 0 V I. 109
Vgl. UAM, 0 I 2, f. 49v (unten Quellenanhang S. 488f.).
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werden konnten, waren die Parva naturalia, welche nach der Stundenordnung von 1487 zum seI ben Block wie die mathematischen Vorlesungen für Bakkalare zählten, und die Metheora. 110 Welche weiteren Vorlesungen Krieg und Pest zum Opfer fielen, kann nicht gesagt werden, doch erlangte ein Magistrand wegen acht nicht gehaltener und deswegen von ihm auch nicht gehörter Vorlesungen Dispens. lll Im Jahr 1508 entfielen gar alle mathematischen Vorlesungen für die Bakkalare, d. h. die Musica muris, die Theorica planetarum und die Bücher 11V von Euklid. ll2 Ob die hier genannten Vorlesungen die einzigen waren, die während des untersuchten Zeitraumes nicht gehalten wurden, Hißt sich aufgrund der Überlieferungslage nicht feststellen. 113 Doch ist es signifikant, daß sich unter den insgesamt neun Veranstaltungen, deren Ausfall namentlich belegt ist, sechs mathematische Vorlesungen befanden. Noch aufschlußreicher als die Zahl der nicht gehaltenen mathematischen Vorlesungen ist jedoch die Zahl der Studenten, die, obwohl sie dazu verpflichtet gewesen wären, diese Vorlesungen nicht besuchten. Bei der MagisterprOfung hatten die Kandidaten den Nachweis darüber zu führen, daß sie alle zum Erwerb des Grades vorgeschriebenen Vorlesungen gehört hatten. 1l4 Konnten sie keine Testate für einige kleinere Veranstaltungen beibringen, so gab es die Möglichkeit,
110 Vgl. UAM, 0 V 1, f. 8Ov: Item a baeealario kretz 74 den. pro quattuor libris non leetis tempore belli et epidemie, seilieet textu metheororum, parvorum naturalium, euclides(sic!) et musica muris. 111 Vgl. UAM, 0 V 1, f. 8Ov:Item aloanneprenteloetosolidosetsexdenariosprooeto libris non leetis tempore belli et epidemie pro magisterio. Daß im vorigen Fall nur von vier Vorlesungen die Rede war, hier jedoch, bei derselben Prüfung, von acht, muß daran liegen, daß in einem der vorangegangenen Semester noch einige dieser Veranstaltungen stattgefunden hatten; der in der vorigen Anmerkung genannte Bakkalar Kretz muß diese dann bereits damals gehört haben, so daß ihm nur die vier eben ausgefallenen Vorlesungen fehlten. Daraus ergäbe sich, daß die mathematischen Vorlesungen über mehr als ein Semester nicht gehalten worden waren. Johannes Prentel jedenfalls kann vom Curriculum der Bakkalare nicht viel Kenntnis besessen haben, wurde aber trotzdem promoviert. 112 Vgl. UAM, 0 V 1, f. 84r: Item reeepi a sex magistrandis duodeeimflorenos, unus fuerat pauper qui nihil dedit. Quidam vero ex eis quasdam leetiones non eompleverun~ que leete non fuerant, quibus iniunxit faeultas solueionem pastuum earundem, videlieet theoriee planetarum, musiee muris et libri euclidis. 113 Es muß betont werden, daß es sich bei UAM, 0 V 1 um das Rechnungsbuch der Artistenfakultät handelt. Die hier berichteten Fälle wurden aus Erwähnungen in Dispensverhandlungen der Artistenfakultäten mit Magistranden herausgezogen, wie aus den Zitaten hervorgeht. Das Rechnungsbuch diente i. d. R. nicht dazu, Notizen über die gehaltenen oder auch nicht gehaltenen Vorlesungen aufzunehmen. Daß sich einige wenige Erkenntnisse in dieser Richtung aus ihnen gewinnen lassen, ist reiner Zufall; vollständig sind die Angaben in keinem Fall. 114 In den Statuten von 1492 (K. Prantl: Geschichte, Bd. 2, S. 101-17) fehlen solche Bestimmungen, vermutlich, weil man sie für selbstverständlich erachtete. Daß es so gehandhabtwurde, geht eindeutig aus der Dispenspraxis, von der die gleich zu besprechenden Einträge im Rechnungsbuch (UAM, 0 V 1) Zeugnis ablegen, hervor.
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von diesen gegen Bezahlung eines Strafgeldes dispensiert zu werden.u s Über die Praxis dieser Dispense während der Jahre 1486 bis 1515 gibt das artistische Rechnungsbuch Aufschluß, in das die durch die Strafgelder eingenommenen Gebühren, die mit dem für die Vorlesung zu entrichtenden Hörgeld identisch waren, eingetragen wurden. . Insgesamt wurden von der Ingolstädter Artistenfakultät in den 28 Jahren vom Januar 1487 bis zum Januar 1515 ungefähr 317 Bakkalare zu Magistern promoviert,u6 Von diesen hatten mindestens 33 die Euklidvorlesung, 16 die Theorica planetarum und 23 die Musica muris nicht gehört. In Wirklichkeit lagen die Zahlen vermutlich um etliches höher, da nur die Fälle gezählt wurden, in denen die Vorlesung, für die der Dispens zu erlangen war, angegeben ist. Häufig geschah dies nicht, sondern es wurde nur pauschal die zu bezahlende Summe vermerkt. l17 Die krassesten Beispiele sind die Jahre 1490, 1496 und 1509: 1490 hatte keiner der acht Magistranden die Euklidvorlesung gehört, 1496 keiner die Theorica planetarum, und 1509 wurden alle sieben Magistranden von den nicht gehaltenen Vorlesungen über die Elemente, Theorica planetarum und Musica muris dispensiert. H8 Außerdem ragen noch die gegen Ende der untersuchten Periode liegenden Jahre 1512, 1513 und 1515 heraus. 1512 konnten sieben von neun Magistranden die Musica muris, 1514 fünf von neun die Euklidvorlesung, und 1515 zehn von dreizehn dieselbe Veranstaltung nicht nachweisen. 119 Auch wenn sich keine absoluten Zahlen feststellen lassen und die genannten Werte sich nur auf die nachweisbaren Fälle beziehen, so ist es doch bezeichnend, daß die Magistranden von keiner der anderen namentlich genannten Vorlesungen so häufig einen Dispens auszuhandeln vermochten wie bei den mathematischen. Strenger als mit den mathematischen Vorlesungen für Bakkalare scheint man bei den Anforderungen an die Scholaren verfahren zu sein. Vergleichbare Zahlen 115 Zur Möglichkeit des Dispenses und dem Dispensverbot für bestimmte Veranstaltungen nach den Statuten von 1492 vgl. K Prantl: Geschichte, Bd. 2, S. 103 und 115. 116 Diese Zahl errechnet sich aus den Eintragungen über die Promotions gebühr von 2 0. pro Kandidat in UAM, 0 VI, f. Ir, 17r, 2Ov,24r, 27v, 30r, 34v, 38v, 47r, SIr, 53v, 56v, 6Or, 62v, 64v, 66v, 72v, 75r, 77r (= Januar 1505; hier fand keine Magisterpromotion statt!), 78v, 8Ov, 81v, 84r, 85v, 88r, 91r, 93v, 97v und 99v. Die Zahl der pauperes, die keine Gebühr zu entrichten hatten, und der nobiles, die 4 0. bezahlen mußten, ist jeweils mit angegeben. Die neu kreierten Magister wurden als solche in die fraternitas der Artistenfakultät aufgenommen (vgl. UAM, 0 IV 1, f. 2v-8r). Dort lassen sich auch die Namen der Promovierten feststellen. Gelegentlich differiert die Zahl der in die fratemitas aufgenommenen Magister gegenüber den Angaben des Rechnungsbuches um eins oder zwei nach oben oder unten (1489 -1,1490 +1,1493 -2,1496 +2,1503 fehlt der Eintrag in die Matrikel derfratemitas, 1514 -1). 1n der Gesamtzahl ergeben sich dadurch kaum Veränderungen, wenn man den fehlenden Eintrag von 1503 außer acht läßt. Woher die Divergenzen kommen, müßte mit personengeschichtlichen Untersuchungen, die hier nicht vorgenommen wurden, geklärt werden. 117 Z. B. 1501 (UAM, 0 V 1, f. 64v), 1503 (f. 72v-73r) und 1511 (f. 88r). 118 Vgl. UAM, 0 V 1, f. 24r (1490), SIr (1496) und 84r (1509). 119 Vgl. UAM, 0 V 1, f. 93v (1512), 97r (1514) und 99v (1515).
11. Die Entwicklung bis 1515
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liegen nicht vor, da bei den Dispensen für die Bakkalaureanden im Rechnungsbuch fast nie die Veranstaltungen, die dem Kandidaten fehlten, genannt sind. Lediglich im Januar 1505, als nur eine Bakkalaureus-, jedoch keine Magisterpromotion stattfand, wurde vermerkt, daß ein Bakkalaureand 24 den. für den nicht gehörten Text der Sophistici Elenchi, ein anderer 8 den. für die Vorlesung über Buch I der Elemente von Euklid bezahlen mußte. l20 Ein Beleg für eine rigorosere Handhabung liegt aus dem Sommersemester 1515 vor: Damals kam ein Scholar namens Johannes Stiller aus Schongau an die Universität Ingolstadt,121 der vorher in Basel studiert und dort einige Vorlesungen aus dem Kurs der Scholaren gehört hatte. Er wandte sich an die Artistenfakultät mit der Bitte, ihn darüber aufzuklären, weIche Anforderungen er über die von ihm bereits erbrachten hinaus erfüllen müßte, um zur Bakkalaureusprüfung zugelassen zu werden. Die Fakultät teilte ihm daraufhin mit, daß er in der Grammatik noch das maius et minus volumen prisciani, in der Rhetorik den Augustinus Datus, sowie die drei mathematischen Vorlesungen über Algorismus, Sphaera, und Euklid (d. h. Buch I) zu hören habe. 122 Ob hier lediglich die Anforderungen der Statuten, oder aber die auch in der Praxis geltenden Ansprüche mitgeteilt wurden, kann selbstverständlich nicht ohne weiteres gesagt werden, doch scheint die zweite Alternative in diesem konkreten Fall wahrscheinlicher zu sein. Ebensowenig kann entschieden werden, ob dieser Fall aus dem Jahr 1515 Allgemeingültigkeit für die ganze davorliegende Periode besitzt. Trotzdem sollte festgehalten werden, daß dieses Indiz darauf hindeutet, daß man es mit den mathematischen Vorlesungen für die Scholaren ernster nahm als mit denen für die Bakkalare. Damit ist jedoch noch nichts über den konkreten Inhalt der mathematischen Vorlesungen, die gehalten wurden, gesagt. Betrachtet man die Vorlesungsdauer, die für die mathematischen Lektionen in den Statuten und den Lektionsplänen angesetzt war, 123 so fällt, vergleicht man sie mit dem Inhalt der Textbücher, sofort auf, daß in fast keinem Fall die angesetzte Frist genügt haben kann, um wirklich eine lectio nach dem Text durchzuziehen. Nur für den Tractatus de sphaera könnten die sechs Wochen, die zur Verfügung standen, ausgereicht haben; schon für den Algorismus war eine Woche, wie sich gleich zeigen wird, zu wenig. Daß das Buch I der Elemente in einer Woche abgeschlossen werden könnte, ist nur Illusion, ebenso wie die drei Wochen, die man für die Bücher li-V veranschlagte. 120 Vgl. UAM, 0 V 1, f. 77r. Item Erasmus Ganß dedit 24 den. pro Textu Elenchorum non completo. Item paulus Saurzapf dedit viij den. pro Euclide. 121 Mat. Ingolstadt, Bd. 1, S. 380. 122 Vgl. UAM, Georg. III/22, f. 8r (27. Juni 1515): Eodem die comparuit adolescens quidam Joannes stiler ex schongaw asserens se aliquas Iectiones in studio basiliensi Complevisse Gradum waccalaureatus concernentes. Pecijt desuper informar~ quid super prefatas lectiones hic complere debeat; decrevit itaque inclita facultas, quod hic compleat Infra signa tos libros: prisciani maius/minus volumen, Euclidem, Algorismum, speram mund;' Augustinum datum, et insuper resumptiones usque ad ieiunium. 123 Vgl. oben S. 124 und S. 128ff.
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2. Kapitel: Mathematik im artistischen Studienbetrieb
Gleiches gilt für die 3 Wochen, die man der Theorica planetarum und der Musica Muris jeweils gab. Die sicherste Quellengattung, mit deren Hilfe festgestellt werden könnte, welche Inhalte in den Vorlesungen vermittelt wurden, wären Kolleghe~e. Allerdings konnte aus dem hier behandelten Zeitraum nur eine Mitschrift einer mathematischen Vorlesung, die nachweislich in Ingolstadt enstanden ist, ausfindig gemacht werden;124 eine weitere Handschrift in Wien stammt mit großer Wahrscheinlichkeit ebenfalls aus dem Ingolstädter Lehrbetrieb. l2S Doch genügt die Berliner Handschrift, um einige wichtige Aspekte aus der Praxis der Vorlesungen zu beleuchten. Die Handschrift stammt von dem am 11. Oktober 1478 in Ingolstadt immatrikulierten Hospitaliter Johannes Gramug aus Memmingen;126 sie enthält hauptsächlich humanistische Texte, u. a. auch das in Ingolstadt zum Curriculum der Scholaren gehörende Büchlein Elegantiolae von Augustinus Datus. 127 Die Texte wurde in den Codex zwischen 1478 und 1480 eingetragen. Der Tractatus de algorismo von Johannes de Sacrobosco, der auf f. 299r310v steht, ist am Ende unvollständig; er bricht mitten in der Behandlung der progressio ab, die Teile über das Wurzel ausziehen fehlen. Der Text ist mit großen Abständen zwischen den Zeilen geschrieben und läßt am Rand reichlich Platz frei; wie breit der Rand einmal war, läßt sich nicht mehr feststellen, da der Codex vom Buchbinder beschnitten wurde. Bis zur Mitte des Kapitels über die duplatio, 128 das auf die Behandlung der numeratio, aMitio, subtractio und mediatio folgt, ist der Rand mit ausführlichen Glossen versehen, die jedoch ebenfalls dem Buchbinder soweit zum Opfer fielen, daß von den Anmerkungen am oberen Rand jeweils der Anfang, von denen am linken und rechten Rand die Zeilenanfänge bzw. enden verlorengingen. Unter diesen Glossen befinden sich mehrere durch die Überschrift Enigma gekennzeichnete Beispielaufgaben.129 Am Rand der Kapitel über die multiplicatio, divisio und progressio fehlen die Anmerkungen. l3O 124 Berlin, SBPK, Ms. lat. 4° 382, t: 299r-31Ov: Johannes de Sacrobosco, Tractatus de algorismo (unvollständig). Die im Universitätsuntenicht gängigen mathematischen Texte sind selbstverständlich in zahllosen Handschriften enthalten, doch fehlen meistens die Angaben über den Entstehungsort und die genaue Entstehungszeit in den älteren Katalogen. Eine systematische Durchsicht aller in Frage kommenden Handschriften konnte nicht unternommen werden, so daß noch mit neuen Funden zu rechnen sein wird. 125 Wien, ÖNB, cvp 3502. 126 Mat. Ingolstadt, Bd. 1, S. 85: J ohannes Gramück de Memingen ordinis Sancti Spiritus. 127 F. 5lr-95v. Die ausführlichste Beschreibung der Handschrift bei A. Sottili: I codici deI Petrarca, S. 35-41; der mathematische Text auch beschrieben bei M. Folkerts: Mittelalterliche mathematische Handschriften, S. 70. 118 F. 305r. 129 F. 302r, 304r, 305r. 130 Eine einzige Ausnahme macht eine kurze Notiz über die divisio am rechten Rand von f. 309r.
11. Die Entwicklung bis 1515
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Um diesen Befund zu verstehen, muß ein kurzer Blick auf die Vorlesungspraxis jener Zeit geworfen werden. Es war generell unerwünscht, daß die Magister in ihren Vorlesungen den Studenten den Text des vorzutragenden Buches einfach diktierten. Um ein derartiges, trotz aller Verbote gängiges Verfahren zu unterbinden, traf die artistische Fakultät in Ingolstadt einige statutarische Vorkehrungen. Im Sommer 1476 bestimmte die Fakultät der via 11JOderna, daß ab dem kommenden Wintersemester die Studenten den Text in die Vorlesung mitbringen sollten, wobei unter Rücksichtnahme auf die Kosten, die mit der Beschaffung des Buches verbunden waren, genügen sollte, wenn drei Studenten gemeinsam einen Text besaßen. l3l Dadurch wurde die verpönte 1ectio in calamum überflüssig und der Magister konnte sich darauf beschränken, den Text zUgig vorzutragen und gleichzeitig zu erklären. Damit die Studenten wenigstens nicht die teuren Bücher selbst beschaffen mußten, beschloß die Fakultät, zwei Magister abzuordnen, die die Texte den Studenten diktieren sollten, was selbstverständlich so zu verstehen ist, daß dies außerhalb der Vorlesungen geschah. Um die Kosten weiter zu senken, übernahm die Fakultät einen Teil der dafür fälligen VergUtung. 132 Daß dieses Verfahren genau befolgt wurde, zeigt die Berliner Handschrift. Der Text war vor Beginn der Vorlesung von Johannes Gramug in sein Kollegheft eingetragen worden. Die Randbemerkungen reflektieren die Erklärungen des Magisters, wobei Gramug dies durch die Formulierung Hic magister assignat einmal deutlich zu erkennen gibt. 133 Doch noch etwas weiteres, im Rahmen der vorliegenden Untersuchung wichtigeres, beleuchten die Randbemerkungen: Sie brechen in der Mitte des Textes ab, Grundrechenarten wie die Multiplikation oder die Subtraktion wurden nicht mehr behandelt. Für die Vorlesung über den Algorismus stand genau eine Woche zur Verfügung. 134 Daß dies nicht ausreichte, um den gesamten Stoff zu vermitteln, ist schon beim einfachen Durchsehen des zu lesenden Textes schnell zu bemerken, die Mitschrift von Johannes Gramug liefert dafür den anschaulichen Beweis. Anscheinend hatte Gramug zu Beginn der Vorlesung den Text noch nicht vollständig abgeschrieben. Als er sah, daß der Magister in der Mitte würde abbrechen müssen, verzichtete er darauf, den Rest zu kopieren.
131 Vgl. K Prant!: Geschichte, Bd. 2, S. 74: [tem ut ad proximam futuram mutationem eogantur seolareset baeealarii ad minus tres habereunum tatum in qualibet eorum leetione, quod ita se eomplevisse iurabit quisque in eongregatione faeulJatis ante admissionem ad examen. 132 Vgl. K Prant!: Geschichte, Bd. 2, S. 73: Quarta angarillpentheeostesfaetaprima eongregatione faeultatis eonclusum fuit ab eadem, quod statuantus duo magistri leetores textuum ad beneficium ealam~ quibus dabitur pastus et a faeulJate et ab audientibus seriptoribus seeundum dispositionem deeani et suorum assessorum (... ). 133 F. 303r, rechter Rand. 134 Vgl. oben S. 133.
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2. Kapitel: Mathematik im artistischen Studienbetrieb
Einen ähnlichen Befund zeigt die Wiener Handschrift, die über den Tractatus de algorismo 135 hinaus noch mehrere andere algoristische Schriften, teilweise in deutscher Sprache, enthält und die ebenfal1s um 1475 bis 1481 erst als Schulheft in Schwäbischgmünd, dann als Kol1egheft in Ingolstadt entstanden ist. Der Al gorismus wurde 1481, mit großer Wahrscheinlichkeit in Ingolstadt, von einem Johannes von Eschenbach 136 geschrieben. Im Gegensatz zu dem von Wien ist er vol1ständig, doch scheint der Teil, der auf die Progressio folgt, nachträglich ergänzt worden zu sein. 137 Ab der Behandlung der multiplicatio werden die Anmerkungen bedeutend spärlicher, so daß angenommen werden darf, daß der Magister in seiner Vorlesung nur unwesentlich weiter als in der Berliner Handschrift kam. Die zusätzlich eingetragenen Texte und die al1erdings spärlicheren Kommentare zu den letzten Kapiteln des Tractatus de algorismo zeigen, daß der Schreiber an der Materie ein größeres Interesse als Johannes Gramug hatte. War es schon beim Algorismus schwierig, den Text komplett vorzutragen, so war dies bei den übrigen mathematischen Textbüchern mit Ausnahme des Tractatus de sphaera, für den sechs Wochen zur Verfügung standen, noch weniger möglich. Man behalf sich in einigen Fäl1en wohl mit kursorischen Vorlesungen, die den Studenten zwar nicht den Inhalt des Textes, wohl aber einen al1gemeinen Überblick zu bieten vermochten. Wie solche kursorische Vorlesungen ausgesehen haben könnten, geben einige Drucke zu erkennen, die zu Beginn des 16. Jahrhunderts speziel1 für den Vorlesungsbetrieb entstanden sind. Die 1503 veröffentlichte Margarita philosophica des Freiburger Kartäusers Gregor Reisch, der vorübergehend auch in Ingolstadt gewirkt hatte,138 fand mit Sicherheit im Universitätsunterricht Verwendung. Auch in Ingolstadt dachte man 1517 daran, sie dem Unterricht in den quadrivialen Fächern zugrundezulegen. 139 Die ersten sieben BUcher sind den artes liberales in ihrer traditionel1en Reihenfolge gewidmet, die nächsten vier al1gemeinen Fragen der Naturphilosophie und der Moralphilosophie. Der mathematische Stoff ist fast auf einen reinen Überblick zusammengekürzt, so daß einerseits jeder Student wisl3S Wien, ÖNB, cvp 3502, f. 150r-167v. Zur der Handschrift vgl. F. Unterkircher: Die datierten Handschriften ... 1451-1500, S. 81 und Abb. 479 (S. 330). 136 In der Ingolstädter Matrikel finden sich um jene Zeit mehrere Studenten aus Eschenbach, die den Vornamen Johannes tragen, doch läßt sich nicht entscheiden, welcher von ihnen mit dem hier genanntenJohannesvonEschenbach identisch ist; vgl. Mat.lngolstadt, Bd. 1, S. 68 (Johannes Fabri), S. 79 (Johannes Karl) und S. 86 (Johannes Emerdorfer). In einem kurz vor dem Tractatus de algorismo stehenden Musterbrief, in dem Johannes von Eschenbach seinen Vater um die Übersendung von Geld bittet, nennt er sich J ohannes de Eschenbach, studens lngolstadii (f. 147r). 131 Bis dahin steht der Kommentar am Rand und auf der der Textseite gegenüberliegenden, eigens freigelassenen Seite. Bei der Behandlung der Wurzelausziehung ist dagegen bereits ein Kommentar in den Text mit eingeflochten; die Bemerkungen am Rand der radicum extractio sind spärlich. 138 Mat. Ingolstadt, Bd. 1, S. 234. 139 Vgl. A. Seifert: Die Universität Ingolstadt, S. 87.
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sen konnte, was die eigentlichen Textbücher in ungefahr enthielten, andererseits aber auch auf das elementare Niveau der Vorlesungen und die beschränkte Zeit Rücksicht genommen wurde. 140 Ein ähnliches Bild zeigen die in Paris zu Beginn des 16. Jahrhunderts von Jacobus Faber Stapulensis herausgegebenen mathematischen Unterrichtswerke. 141 Während der Pariser Magister sonst rigoros für die Abkehr von den Kompendien und die Verwendung der aristotelischen Texte in neuen, vollständigen und gereinigten Übersetzungen eintrat,142 schuf gerade er in der Mathematik ein Kompendium, das in der Geometrie von den Elementen von Euklid nur noch eine Zusammenfassung der Definitionen, Axiome und Propositionen übrigließ; die anspruchsvollen Beweise fehlen gänzlich. Speziell in Ingolstadt hat Johannes Eck versucht, durch verkürzte Texte eine neue Grundlage für den mathematischen Unterricht zu schaffen. Noch aus seiner Freiburger Zeit stammt ein Kollegheft, das sich in der Universitätsbibliothek München erhalten hat. 143 In diesem findet sich ein von Johannes Eck eigenhändig geschriebenes Introductorium breve Cosmographicum adPtolomeij Tabulas, weIches einerseits den Stoff des Tractatus de sphaera von Johannes de Sacrobosco zusammenfaßt, andererseits jedoch auch Ergänzungen zur Länderkunde im Stil des Ptolemäus enthält. 144 Nach einem Vermerk am Ende des Textes hat er diesen in Freiburg in den Jahren 1506, 1508 und 1510 vorgetragen. 145 Derselbe Text ist noch in einer weiteren Handschrift der Universitätsbibliothek München
140 Einen guten Überblick über die mathematischen Teile der Margarita philosophica bietet H. Gericke: Zur Geschichte der Mathematik, S. 11-27; in stark verkürzter Fassung idem: Mathematik im Abendland, S. 219-24. 141 J. Faber Stapulensis: Textus de Sphaera ... 142 Zu diesem programmatischen Textualismus, der besonders auf den Pariser Kreis der Fabristen zurückging, vgl. A Seifert: Der Humanismus, S. 138-43. (zu Faber speziell S. 139-40). Faber scheute sich allerdings nicht, auch selbst Kompendien nicht nur für die Mathematik, sondern auch für die aristotelischen Bücher zu schreiben (vgl. E. F. Riee jr.: Humanist Aristotelianism, S. 137-8). 143 UBM, 4° Cod. ms. BOO. 144 UBM, 4° Cod. ms. BOO, f. 1r-28r. Auf f. 7Ov-91r finden sich Aufzeichnungen zum Astrolabium und zu Horologien, die jedoch in diesem Zusammenhang weniger interessieren. Zu der Handschrift vgl. auch S. Günther: Johann Eck als Geograph, S. 142-5, der jedoch etwas anachronistisch meint (S. 143): (... ) so unterliegt es für uns keinem Zweife~ daß der Verfasser die Absicht hegte, Materialien zu Vorlesungen über exakte und beschreibende Erdkunde zusammenzutragen. Günther übersieht die Parallelen zum Tractatus de sphaera von Johannes de Sacrobosco und verkennt deswegen auch die Nähe von Ecks Vorlesung zu der in den Statuten der Artistenfakultäten vorgeschriebenen Veranstaltung hierüber. 145 Vgl. UBM, 4° Cod. ms. BOO, f. 28r: Resumpta per me anno dominj 1506, 1508, 1510.
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2. Kapitel: Mathematik im artistischen Studienbetrieb
Oberliefert,l46 außerdem in einer Wiener Handschrift. 147 Die Wiener Handschrift wurde, obwohl die Schrift einige Anklänge an Ecks Hand zeigt, nicht von ihm geschrieben, doch ist sie eine getreue Kopie des Autographen. l48 Ähnlich wie der Autograph enthält der Wiener Text am Ende einen Vermerk, aus dem hervorgeht, daß Johannes Eck sein Introductorium auch in Ingolstadt als Grundlage für eine Vorlesung verwendete, die er im Jahr 1512 kurz vor der Fastenzeit extraordinarie an den lesfreien Tagen hielt. 149 1517, als der Kampf um die Verfassung zwischen Leonhard von Eck und der Artistenfakultät schon voH im Gange war, bot Johannes Eck der Artistenfakultät an, ein Kompendium Ober die ganze Mathematik, die im Kurs der Scholaren vorzutragen sei, zu schreiben. 150 Die Artistenfakultät, für deren Lehrbetrieb Johannes Eck bereits mehrere Bücher verfaßt hatte,151 nahm das Angebot an, der Magister Johannes Kneißel woHte, wie schon bei den anderen Werken, die Eck im Auftrag der Artistenfakultät geschrieben hatte, für den Druck und den Vertrieb sorgen. 152 Das mathematische Kompendium wurde anscheinend nie vollendet. Man wird jedoch kaum fehlgehen, wenn man annimmt, daß Eck dafür u. a. auf sein Introductorium zurückgreifen wollte, zumal der Stoff der wichtigsten mathematischen Vorlesung für die Scholaren, eben des Tractatus de sphaera, in ihm zusammengefaßt war. 153 146 UBM, 4° Cod. ms. 746, f. 119r-14Or. Diese Handschrift enthält am Ende einige unwesentliche Abweichungen von dem in UBM, 4° Cod. ms. 800 i,iberlieferten Text. Die in den einzelnen Satrapien der drei Erdteile Europa, Africa und Asien gelegenen Städte werden hier, anders als in Ecks Autograph, in Tabellenform wiedergegeben; außerdem finden sich bei jeder Stadt die Angaben über die geographische Länge und Breite. Am Ende fehlt der Prolog (= UBM, 4° Cod. ms. 800, f. 27v-28r). 147 Wien, ÖNB, cvp 3193, f. 208r-232r. 148 Freundliche Mitteilung von Gerhard Schott (Universitätsbibliothek München). Ich darf mich bei ihm an dieser Stelle auch für weitere wertvolle Hinweise und die zuvorkommende Unterstützung bei meinen Recherchen in der UBM herzlich bedanken. 149 Vgl. Wien, ÖNB, cvp 3193, f. 233r: Resumptaperd. doctoremEekium in vaeantijs earnisprivialibusAuripolj, 1512. 1.50 UAM, Georg. III/22, f. 24r (18. Dezember 1517; ed. A. Seifert: Die Universität Ingolstadt, S. 89): Eodem die referebaturadfaeultatem ad commissionem clarissimi docloris Ioannis Eekij, si faeultati eonsultum videretur, unum in malhematiea ae in toto quadrivio epitoma, quod pro seolastieis legendum sit, eomponere ae edere velit, quod summe plaeuit facultat4 ita tamen eomponat, ut idipsum epiloma demonstrationes sparsim in libris Aristotelis positas deelarat principiaque mathematicalia elare ae dilucide tradat. 151 Vgl. A. Seifert: Logik, S. 7-13. 152 UAM, Georg. III/22, f. 24r (18. Dezember 1517; ed. A. Seifert: Die Universität Ingolstadt, S. 89): Eodem die magisterloannesKneißlin sua spontefaeultati promisit, idipsum mathematicale epithoma suis expensis imprimi facere velle, ila ut dimidium lueri faeultali eedat; damnum ipse magister loannes solus patiatur, ae doetorem loannem Eekium de laboribus eontentum reddat. Eandem promissionem faeultas gratanter aeeeptavil. 153 Den Leichenreden auf Johannes Eck in S. Tb. Eck: Tres orationes ist u. a. eine Liste von seinen veröffentlichten und unveröffentlichten Werken beigegeben (f. A4r ff.). Unter der Rubrik Commentarii (f. [A6r]) erscheinen neben dem gesamten CursusEekianus auch
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Da von den Studenten, vor allem bei kursorischen Vorlesungen, kaum verlangt werden konnte, daß sie die komplizierten Beweisgänge einer mathematisch, und vor allem geometrisch angelegten Astronomie verstünden, mußte im Unterricht Wert auf Anschaulichkeit gelegt werden. Dazu konnten entsprechende Geräte wie Armillarsphären oder Planetarien dienen. Die Geräte, die Johannes von Gmunden der Wiener Artistenfakultät aus seinem Besitz vermacht hatte, werden gewiß schon bei ihm selbst und später auch im Unterricht der Artistenfakultät entsprechend verwendet worden sein. I54 Auch die Ingolstädter Artistenfakultät verfügte über solche Geräte. Ihre Zahl muß jedoch eher als bescheiden gelten; mit Sammlungen wie derjenigen der Wiener Artistenfakultät, die auch nicht sonderlich umfangreich war, konnte sie sich schon nicht mehr messen. Konkret: Im Jahr 1487 läßt sich eine Sphaera im Besitz der Artistenfakultät nachweisen, wobei nicht zu entscheiden ist, ob es sich um eine Armillarsphäre oder um einen Himmelsglobus, d. h. eine sphaera so/wa gehandelt hat. Beide Geräte hätten zur Erläuterung des Tractatus de sphaera von Johannes de Sacrobosco dienen können. Diese Sphaera wurde anscheinend separat verwahrt und vor dem Zugriff Unbefugter geschützt. Die einzige Erwähnung der Sphaera stammt nämlich aus dem Rechnungsbuch der Artistenfakultät, als dort die Kosten für einen neu anzufertigenden Schlüssel eingetragen wurden. ISS Eine zweite Sphaera mundi erwarb die Fakultät im Wintersemester 1496/97.156 Dem Terminus Sphaera mundi nach muß es sich um einen Erd- oder Himmelsglobus gehandelt haben. Vielleicht war die Fakultät durch den Nürnberger Behaimglobus von 1492 dazu angeregt worden, sich ein ähnliches Schaustück anzuschaffen. drei Kommentare in Musicam, in Arithmeticam und in Cosmographiam. Der letzte der genannten Kommentare ist unschwer mit dem Introductorium zu identifizieren; ob die beiden anderen, nicht erhaltenen Schriften Teile des geplanten Epitoma waren, ist nicht zu entscheiden. 154 Vgl. das Testament von Johannes von Gmunden, ed. in P. Uiblein: Johannes von Gmunden, S. 59-62. Dort (S. 61) sind genannt: eine spera solida, die nur zur Schaustellung gelegentlich von der Artistenfakultät aus dem Schrank geholt werden sollte, instrumenta Campani de equacionibus planetarum, die zur Erklärung der Planetentheorie dienten, ein albion, das in ungefähr dem gleichen Zweck diente, weitere ftgure communes in theoricis planetarum und ein hölzernes Astrolab. ISS Vgl. UAM, 0 V 1, f. 19r (1487): Item tres solidos sex denarios pro quindecim clavibus ad liberariam et una ad speramfacultatis. 156 Vgl. MBK, Bd. 3, S. 227 (= UAM, 0 V 1, f. 54r): Item pro spera mundi 10 cruc. et hanc comparavi facultati a magistro sebastiano präntl. &; kann sich dabei kaum um ein Buch, das den Tractatus de sphaera von Johannes de Sacrobosco enthielt, gehandelt haben. Denn erstens heißt es honc comparavi und nicht etwa hunc librum comparavi o. ä., und zweitens ist in der Buchbinderrechnung, die zwei Jahre später für das Binden der zur gleichen Zeit wie die sphaera erworbenen Bücher fällig wurde, kein Tractatus de sphoera genannt (UAM, 0 V 1, f. 58r = MBK, Bd. 3, S. 228).
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2. Kapitel: Mathematik im artistischen Studienbetrieb
Erst im Jahr 1511 wird wieder ein corpus spericum genannt, das die Artistenfakultät für 12 ß auf Rat der Collegiae erwarb. 157 Die Bezeichnung corpus deutet hier unzweifelhaft auf eine sphaera solwa hin. Wer die Collegiae sind, deren Rat Anlaß zu dem Kauf gab, ist nicht zu ermitteln; die Collegiati des Collegium vetus werden in der Regel nicht so bezeichnet. 1ss Vielleicht gehörte Johannes Eck, der in seinem bereits erwähnten Vorlesungskonzept sehr auf Anschaulichkeit baute, zu ihnen. Ob diese dritteSphaera ergänzend zu der 1487 genannten und der 1496 erworbenen trat, ob sie diese ersetzen sollte, oder ob die alten Geräte mittlerweile untergegangen waren, ließ sich ebenfalls nicht feststellen. In der Zwischenzeit war die Artistenfakultät dank der Rührigkeit von Johannes Plümel, dem Rektor des Wintersemesters 1506/07, noch zu einem weiteren wertvollen Hilfsmittel für den Astronomieunterricht gekommen. Er hatte beim Herzog erreicht, daß dieser ein Planetarium, in den Quellen als instrumenta planetaria oder theoricae planetariae bezeichnet, aus seinem Schloß der Universität schenkte. 159 Vielleicht geschah dies in Anerkennung der schnellen Huldigung, die die Universität nach dem Tod von Herzog Georg dem Reichen schon während des Landshuter Erbfolgekrieges im Mai 1504 den Herzögen Albrecht IV. und Wilhelm geleistet hatte. 16o Die herzoglichen Diener überbrachten das Geschenk. Die Artistenfakultät bedankte sich bei Plümel, indem sie ihm Fische schenkte, was darauf hindeuten könnte, daß sich die Transaktion während der Fastenzeit abspielte. 161 Sofort bestellte die Fakultät beim Schreiner ein Behältnis und beim Schlosser ein Schloß, um die wertvollen Instrumente vor Beschädigung und unbefugtem Zugriff zu schützen. 162 Die Erwähnung der durch den Schreiner gebauten capsa weist auf ein größeres Lehrinstrument, vielleicht aus Messing oder Metall, hin. In jedem Fall muß es sich um mehr gehandelt haben als nur um ein flaches Scheibeninstrument. Nähere Angaben sind nicht möglich. Die Artistenfakultät trug auch dem steigenden Interesse an der Geographie, das erstmals durch Conrad Celtis in Ingolstadt geweckt worden war, Rechnung. Schon vor seiner Ankunft erhielt sie von Johannes Tröster eine auf Pergament gemalte Weltkarte geschenkt; sie ist im Bibliothekskatalog von 1492 vermerkt und schmückte die an das Lectorium Senece stoßende Wand. 163 1507 erwarb
!
157 VgI. UAM, 0 V I, f. 91v (1511): ltem xij ß vj den. pro corpore sperico empto consilio Collegiarum(!}. 158 Es könnte sich allerdings um einen Schreibfehler handeln. 159 VgI. UAM, 0 V I, f. 81r (WS 1506/(7): ltem x cruc. famulis principis qui Theoricas planetarias a principe ex castro ad rectorem deportarunt. 160 VgI. K. Prant1: Geschichte, Bel. I, S. 104. 161 Vgl. UAM, 0 V I, f. 81v (WS 1506/(7): ltem quinque solidos pro piscibus domino rectorj, qui nobis instrumentaria planetaria a principe impetravit. 162 VgI. UAM, 0 V I, f. 81v (Ws 1506/(7): ltem 19 ß den. scrinatorj pro capsa in qua reposita sunt Instrumenta planetaria. ltem quinque solidos seratorj qui seram et alia necessaria ad capsam predictam disposuit. 163 VgI. MBI fateatur eas cosmographo usque amplectendas ... [es folgt eine Lücke von etwa 15 Buchstaben]. Rupprich umschreibt dieses Verlangen in seinem Regest mit ErsuchenDalbergs um Erklärung geographischer Tafeln, doch scheint mir die Aufforderung auf eine Verbesserung, nicht Erklärung abzuzielen. 108 H. Rupprich: Der Briefwechsel, S. 228 (Johannes Vigilius aus Heidelberg an Celtis, 15. November 1496): Voluit, [sc. Dalberg] inquam, ut tibi scriberem, ut ei transmitteres
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5. Kapitel: Mathematik im Celtiskreis
ließ Dalberg seinen Wunsch einen Monat später, diesmal in weniger fordernder Weise, wiederholen. 109 Noch weniger ist über die Arbeiten von Stiborius zu erfahren. 1497 ist in einem Briefvon Johannes Vigilius von einem BuchDe umbra die Rode, um dessen leihweise Überlassung Stiborius gebeten hätte. 110 Dies könnte ein Hinweis darauf sein, daß Stiborius um diese Zeit an seinem eigenen gleichnamigen Werk, dem Opus umbrarum quinque libris partialibusdivisum, 111 zu arbeiten begann. Im Juli 1497 fungierte dann Stiboriusin Nürnberg als Celtis' Agent in den Verhandlungen mit dem Rat der Stadt wegen einer Überarbeitung von Celtis' Norimberga. 112 Über den konkreten Inhalt von Stabius' mathematischen Unternehmungen sagt der Briefwechsel gar nichts aus. Es ist ihm lediglich zu entnehmen, daß er sich im Frühjahr 1494 in Nürnberg autbielt und dort Umgang mit Sebald Schreyer und Hieronymus Münzer pflegte. 1l3 Ungefahr um dieselbe Zeit hat er auch eine Reise nach Wien unternommen. 1l4 Dafür hat sich aber ein gegen Ende seiner Ingolstädter Zeit entstandenes Werk, die Sonnenuhr an der Südwand der Nürnberger Lorenzkirche, erhalten. 115 Die Anregung für die Uhr ging von Johannes Werner aus, Stabius lieferte den Entwurf, und ein dritter Angehöriger des Celtiskreises, Sebastian Sperantius, seit 1499 Leiter der St. Lorenz-Schule, übernahm die Ausführung. Sperantius schrieb auch tuam Germaniam [von daher die Vermutung, daß es sich um Vorarbeiten zur Germanio illustrata handelte] -loquor de tabulis quibusdam -et a te iam dudum descriptam et praeterea aliom, quam habes impressam (... ). 109 H. Rupprich: Der Briefwechsel, S. 231 (Vigilius aus Heidelberg an Celtis, 9. Dezember 1496): Petii enim inter alia, ut praesuli Vormatiensi transmitteres, quicquid tabularum haberes, quibus descriptio esset Germaniae, quas et ipse illaesas et brevi restitueret. 110 Vgl. H. Rupprich: Der Briefwechsel, S. 257 (Johannes Vigilius aus Heidelberg an Celtis, 5. März 1497). 111 Vgl. oben S. 259 Anm. 93. Diese Schrift ist in vier, nicht fünf Büchern in München, BSB, Clm 24103, f. 1-21v überliefert. Ziegler, der die Kopie angefertigt hat, schrieb am Ende des vierten Buches die aufschlußreiche Bemerkung: Usque huc pervenerunt labores Andreae Stiborii ad me de umhris; quintus liber certe deest; is autem quartus utrum completus sit necne amhigo. J acobus Ziegler ex Landau Bavarioe scripsiAnno salutis MD decimo quarta kalendas Maias. 112 Vgl. H. Rupprich: Der Briefwechsel, S. 278-9 Nr. 167 (Celtis an den Rat der Stadt Nürnberg, 11. Juli 1497), S. 279-80 Nr. 168 (der Rat der Stadt Nürnberg an Celtis, 18. Juli 1497) und S. 285 Nr. 173 (Sebald Schreyer aus Nürnberg an Celtis, 11. September 1497). 1\3 Vgl. H. Rupprich: Der Briefwechsel, S. 120-2 (Stabius aus Nümberg an Celtis, 12. März 1494). 114 Vgl. H. Rupprich: Der Briefwechsel, S. 45-7 Nr. 26 (Heinrich Finck aus Wien an Celtis, 1494). Das von Rupprich nur unter Vorbehalten angegebene Datum 1492 April 7. hat H. Grössing: Johannes Stabius, S. 243 mit guten Gründen in 1494 geändert. 11S Vgl. E. Zinner: Die fränkische Sternkunde, S. 46. und Idem: Deutsche und niederländische astronomische Instrumente, S. 70 (mit Abbildung des zugrundeliegenden Liniennetzes) und S. 539. K Pilz: 600 Jahre Astronomie in Nürnberg, S. 135 bringt gegenüber Zinners Erkenntnissen nichts Neues.
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eine neben der Uhr angebrachte, in Hexametern abgefaßte Gebrauchsanweisung, in der er auf das Besondere des Werkes hinweist: die Hyperbeln, mit deren Hilfe aus der Länge des Schattens die Dauer des Tages und die ungleich langen Stunden abgelesen werden können. 116 Solche Kurven der Tageslänge traten erstmals an einer 1487 am Regensburger Dom angebrachten Süduhr auf,117 doch kam bei der Nürnberger Uhr das zusätzliche Problem hinzu, daß die ünien der Abweichung der Mauer von der Ost-West-Richtung um 6° angepaßt werden mußten. Wer solche Linien konstruieren wollte, mußte sich mit Kegelschnitten auskennen, und entsprechend verweist Sperantius alle Unwissenden auf die Conica von Apollonius. Werner hatte sich mit den Kegelschnitten und damit den theoretischen Grundlagen beschäftigt, Stabius setzte sie bei der Konstruktion der Sonnenuhr in die Praxis um. 118 Zugleich diente der Hinweis von Sperantius auf die Conica aber auch der Selbstdarstellung des Celtiskreises, in dem solches Wissen gepflegt wurde. 119 Celtis selbst hat die Uhr dann in einer Ode gefeiert. l20 Eine der Nürnberger ähnliche Sonnenuhr findet sich auch an der Südwand der Martinskirche in Landshut, die gleichfalls nicht gen au in der Ost-WestAchse liegt. 121 Möglicherweise handelt es sich auch hierbei um eine Arbeit von Stabius aus seiner Ingolstädter Zeit, diesmal in der herzoglichen Residenzstadt und vielleicht im Auftrag seines Landesherrn. l22 Beweisen läßt sich dies nicht, 116 Illud si nescis discrimen hyperbola monstrat, I Quam tibi Apollonii conica clara dabunt. Der Text in seiner heutigen Form ist abgedruckt bei E. Zinner: Die fränkische Sternkunde, S. 46, doch wurde der ursprüngliche Text verändert, da drei Zeilen vor dem Ende ein Hinweis auf Renovierungen der Uhr in den Jahren 1569, 1658 und 1691 enthalten ist. Wahrscheinlich stellt dieser Einschub die einzige Veränderung gegenüber dem Originaltext dar. Bei E. Zinner: Deutsche und niederländische astronomische Instrumente, S. 539 ist der Text in gereinigter Form, d. h. ohne den Einschub über die Renovierungen, abgedruckt. Die Gebrauchsanweisung kann nicht vor 1503 entstanden sein, da in ihr Stabius bereits als Maximiliani Imperatoris Mathem. bezeichnet wird. 117 Das Liniennetz der Regensburger Sonnenuhr ist abgebildet bei E. Zinner: Deutsche und niederländische astronomische Instrumente, S. 68. 118 Die Schrift Werners über Kegelschnitte wurde erst 1522, im Jahr seines Todes, veröffentlicht; vgl. J. Werner: Libellus. Der Libellus war eigentlich als Einffihrung in Werners Schrift über die Würfelverdoppelung gedacht, doch zeigt er, daß sich Werner auch generell mit Kegelschnitten, v. 8. mit Hyperbeln, auskannte; vgl. dazu M. Folkerts: Artikel ,Wemer, Johann(es)', S. 274. 119 Auch P. L. Rose: Tbe Italian Renaissance of Mathematics, S. 199 betont die Rolle des Sonnenuhrenbaus bei der Beschäftigung mit den Kegelschnitten. Allerdings datiert er den Beginn dieser Beschäftigung in Italien erst auf die Mitte des 16. Jahrhunderts. Schon 1536 beklagte Francesco Maurolyco in einem Brief an den Kardinal Pietro Bembo, daß u. a. Apollonius an den Schulen und Universitäten nicht gelehrt werde (ibid., S. 162); zu Maurolycos eigener Bearbeitung der Conica von Apollonius (1547) vgl. ibid., S. 166, zur Ausgabe von Federico Commandino (1566) ibid., S. 203. 120 C. Celtis: Libri Odarum D, 21 (S. 53). 121 Vgl. E. Zinner: Die ältesten Räderuhren, S. 85,115 undAbb. 76. Die beste Abbildung bei G. Kneschl C. G. Holtzhausen: Licht und Zeit, S. 41. 122 Die Annahme von F. Mader: Die Kunstdenkmäler, S. 66 und G. Kneschl C. G. Holtzhausen: Licht und Zeit, S. 42, daß die Uhr von Peter Apian stamme, basiert vermutlich
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5. Kapitel: Mathematik im Celtiskreis
obwohl die neben der Sonnenuhr angebrachten Verse auf die Nähe des Herstellers zum Celtiskreis deuten. l23 Mit lohannes Werner, der den Bau der Nürnberger Sonnenuhr angeregt und die theoretischen Grundlagen geliefert hatte, verbanden Stabius besonders enge wissenschaftliche Beziehungen. Noch in zwei weiteren Projekten arbeitete er mit diesem ehemaligen Ingolstädter Studenten l24 zusammen, welche aber wahrscheinlich kaum in Stabius' Ingolstädter Zeit zurOckreichen und deswegen hier nur kurz angesprochen werden sollen. Zum einen bei der Entwicklung des oben bereits unter den Erfindungen von Stabius angesprochenen Meteoroskops.l25 Werner berichtete 1503 in einem Brief an Celtis davon, daß er das bei Ptolemäus beschriebene Instrument nachgebaut hätte,126 während Tannstetter das Meteoroskop als eine Erfindung von Stabius bezeichnetep7 Die Lösung dieses scheinbaren Widerspruches ergibt sich aus der Tatsache, daß Werner in seinem Brief von einem anderen, gleichnamigen Instrument, jedoch noch nicht von dem Quadranten, der später den Namen Meteoroskop erhielt, sprach. Bei dem Gerät, das Wemer nachgebaut hat, handelt es sich um die von Ptolemäus selbst als Astrolabon bezeichnete Armille,l28 mit der sich schon darauf, daß die zweite Landshuter Uhr mit Hyperbellinien auf der Trausnitz von diesem entworfen wurde (vgl. unten S. 360). Ein Vergleich der Ziffernblätter der Uhr an der Lorenzkirche mit den beiden Landshuter Uhren zeigt jedoch, daß die Uhr auf der Trausnitz, die mehrere übereinander gezeichnete Ziffernblätter enthält, bedeutend komplizierter und variantenreicher gestaltet ist als die beiden anderen Uhren, die sich sehr ähneln. Die Zuschreibung der Uhr von St. Martin an Peter Apian ist deswegen eher unwahrscheinlich. 123 Auf die Ähnlichkeit der Inschrift mit den Oden von Conrad Celtis hat schon E. Zinner: Die ältesten Räderuhren, S. 115 hingewiesen. Sie lautet (ibid.): Qui cupit phebi varios labores / Nosse quo signa gradibus cu"at / Horasque semper quota sit diei / Climate nostro / 1110 de nodo vide et eadentem / Cireulos inter gradientis umhram / solis et lunae ee/eres meatus / Tempore noctis. Die Anklänge an die Ode, die Celtis auf die Nürnberger Sonnenuhr dichtete, sind verblüffend. Man vergleiche: Qui cupis Phoebum roseum vagantem / Nosse, quo signo gradibusve eu"at / Horaque semper quota sit diei / Climate nostro, /I Quanta vel nobis data sit diurnae / Portio lueis, sive stet sub alto / Cireulo Phoebus gelidumve pergat / Vrsere Caprum /I Umbra gnamonis globulo pere"ans / Indicat Phoebi varios labores / Annuos Lunae et ee/eres meatus / Tempore noctis. (C. CeItis: Libri Odarum, n 21, Strophe 1-3, S. 53). Allerdings ist nicht bekannt, wann die Tafel mit der Inschrift angebracht wurde, obwohl angesichts der doch vorhandenen Abweichungen von Celtis' Ode kaum anzunehmen ist, daß es sich um ein Plagiat handelt. 124 Vgl. oben S. 206. 125 Vgl. oben S. 259. 126 H. Rupprich: Der Briefwechsel, S. 547-8 (Werner an Celtis, 7. Dezember 1503): Superioribus diebus organum illud in Geographia mirandum utilissimumque, quod Pt meteoroskopeion [in griechischen Buchstaben] appellat; eo quoque ipse ex distantiis locorum aut per stadia aut per miliaria deprehensis eorum longitudines et latitudines elieuit. 127 Vgl. oben S. 259. 128 Vgl. dazu E. Zinner: Deutsche und niederländische astronomische Instrumente, S. 202-3.
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1462 Regiomontanus zur Bestimmung der Länge und Breite von Orten auf der Erdoberfläche bei bekanntem Abstand in Meilen beschäftigt hatte; Wemer druckte Regiomontanus' diesbezüglichen Brief an Kardinal Bessarion 1514.129 Erst danach scheinen er und Stabius sich gemeinsam an den Entwurf eines Instruments, das die gleichen Operationen erlaubte, aber einfacher und billiger herzustellen war, gemacht zu haben. 13o Weil es dieselben Operationen erlaubte, erhielt es auch denselben Namen. Bei dem zweiten Gemeinschaftsprojekt handelte es sich um die sogenannte Stabius-Werner-Projektion, einen einer pol ständigen Kegelprojektion ähnlichen Gradnetzentwurf. \31 Wemer veröffentlichte die dazugehörigen Gradnetze 1514 im Anhang zu seiner NeuUbersetzung des ersten Buches der Geographie von Ptolemäus. 132 Einer der ersten, der sich, allerdings in modifizierter Form, dieses Gradnetzes bedienen sollte, war Peter Apian mit seiner Weltkarte von 1520. 133 Es ist noch auf eine letzte mathematische Disziplin, die im Celtiskreis eine bedeutende Rolle spielte, einzugehen: die Astrologie. Auch wenn anzunehmen ist, daß Celtis, Stiborius und Stabius alle in der Lage waren, ein Horoskop zu berechnen und zu deuten, so fungierte doch ein Auswärtiger, der ehemalige Ingolstädter Kollegiat Johannes Tolhopf134, innerhalb des Celtiskreises als astrologischer Berater des Erzhumanisten. Die Briefe von Tolhopf an Celtis sind übersät mit astrologischen Anspielungen und Ratschlägen an seinen Freund, wie er sich der gültigen Konstellation entsprechend verhalten solle. 135 Vgl. E. Zinner: Leben und Wirken, S. 137-8 und 314. Der Text von Wemer wurde ediert von J. Würschmidt nach den Vorarbeiten von A A Bjömbo in: Abhandlungen zur Geschichte der mathematischen Wissenschaften 24.2 (1913); vgl. J. Wemer: Oe meteoroscopis. Wie bei der gleich zu besprechendenStabiusWerner-Projektion muß es sich dabei aber um ein Gemeinschaftswerk gehandelt haben, da sonst kaum Tannstetter die Erfindung Stabius zugeschrieben hätte. J. D. North: Wemer, Apian, Blagrave, S. 61--4 schreibt allerdings nichts über eine Beteiligung Stabius' an der Entwicklung des Meteoroskops. 13l Ausführlich wird dieser Gradnetzentwurf bei H. GTÖssing: Humanistische Naturwissenschaft, S. 172--4 und Idem: Johannes Stabius, S. 255-7 diskutiert. 132 Vgl. J. Wemer: Nova translatio, Anhang. 133 P. Apian: Tipus Orbis Universalis, abgebildet bei H. WoltI: PhilippApian S. 27 Abb. 13 134 Zu ihm vgl. oben S. 162tI. l3S Vgl. H. Rupprich: Der Briefwechsel, S. 69-71 Nr. 41 (folhopfan Celtis, 20. Oktober 1492), S. 103-7 Nr. 63 (30. Juni 1493), S. 107-9 Nr. 64 (Juli 1493), S. 109-10 Nr. 65 (25. Juli 1493), S. 110-3 Nr. 66 (1493), S. 165-7 Nr. 101 (1495) und S. 408-10 Nr. 244 (1500, vor dem 4. August?). Zur Illustration sei ein Beispiel aus dem Brief Tolhopfs von 1495 gegeben (S. 167): Aeeumulatissimas divitias eredas eolligere et summos honores nos habituros eum perhenni fama et laude perpetua. Nune haee traetanda sunl, quoniam Mereurius tuus meo se Apoltine in loeo praeeise natalieo meo, ubi etiam punetaliter tune errant eonsoeiati J ovis, tune sextilitate mutua reeessione amicissima i"adiati. Et ut tune, ita et nune Pallade medii eoeli loeum maiestalem oceupante ita lanigerum sihi eoneessum oeeupant, et oeeupat ecce maxima eonformitas natalis et revolutionis. Hoc anno duran129
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5. Kapitel: Mathematik im Celtiskreis
Doch gingen die Beziehungen zwischen Celtis und Tolhopfwährend der neunziger Jahre über die reine astrologische Beratertätigkeit hinaus. Wie eng sie miteinander befreundet waren, erhellt ein mindestens dreimonatiger Aufenthalt Celtis' bei Tolhopf in Regensburg. Damals scheinen die Projekte, von denen in den Briefen Tolhopfs an Celtis immer wieder die Rede ist, geplant worden zu sein. l36 Eine erste Frucht dieser Zusammenarbeit war die astrologisch-geographische Herleitun~ des Namens Nürnberg, die Tolhopf 1493 Celtis für seine Norimberga lieferte. 13 Wie weit die PI äne reichten, die Celtis und Tolhopf in Zusammenarbeit mit Sebald Schreyer 138 in Nürnberg verwirklichen wollten, geht aus einem Brief von Tolhopf an Celtis aus dem Jahr 1495 hervor. Er habe zum Lob Nürnbergs und der deutschen Nation bereits Hand an einen Kommentar zum Almagest von Ptolemäus gelegt, außerdem an einen immerwährenden Kalender, ein Büchlein über Geburtshoroskope, eines über die achte Sphäre und an den Herculesp9 Nachdum erit ex Palladicis rebus et maiestalibus etiam vehementer, ad id cor leonis punctum orizontis in revolutione, [quare] quae erit 4 huius, possidetpotenlissimum. Quare disponite vos, si me volueritis lucrum et huiusmodi percepturi; haec velis nostro Clamitoso [sc. Sebald Schreyer] effare et Petro nostro [sc. Peter Danhauser] et Koberger [sc. Anton Koberger]. Außer Tolhopfhat auch Sebald Schreyer Celtis immer wieder astrologisch begründete Ratschläge gegeben. Nachdem Celtis von seiner Syphilis genesen war, erinnerte ihn Schreyer daran, daß er ihn schon 1496 vor einer ungünstigen Konstellation gewarnt hätte (ibid., S. 392 [Schreyer an Celtis, 23. März 1500D. 136 Daß er eine Reise, die ihn u. a. nach Regensburg führen sollte, plante, kündigte Celtis zum ersten Mal in einem Brief an Sixtus Tucher im September 1492 an; vgl. H. Rupprich: Der Briefwechsel, S. 65 (Celtis an Tucher, zwischen 31. August und 21. September 1492). Eine dringende Einladung TolhoplS an Celtis, weil er seine Mithilfe bei verschiedenen literarischen Arbeiten benötigte, erging im November/Dezember 1492; vgl. ibid., S. 84-5 (Tolhopf an Celtis, November/Dezember 1492), bes. S. 84: Egeo opera tua in poematibus historiisque accumulandis, in re, quam tibi summopere placere existima. Bereits am 18. Dezember 1492 ist Celtis daraufhin bei Tolhopfnachweisbar, wobei er in einem Brief an Tucher die Absicht äußert, mehrere Monate lang zu bleiben; vgl. ibid., S. 85-6 (Celtis an Tucher, 18. Dezember 1492). Noch am 27. Februar 1493 hielt er sich in Regensburg auf; vgl. ibid., S. 1~2 (Johannes Krachenberger an Celtis, 27. Februar 1493). Spätestens im Juni 1493 war Celtis dann nach Nümberg weitergereist; vgl. ibid., S. 103-7 (Tolhopf an Celtis in Nümberg, 30. Juni 1493). Zu dieser Reise und dem Unmut, der sich in lngolstadt wegen Celtis' langer Abwesenheit und der damit veibundenen mangelhaften Pfiichterfüllung als Lektor breitmachte, vgl. auch G. Bauch: Die Anfänge des Humanismus, S.53-7. 137 Vgl. H. Rupprich: Der Briefwechsel, S. 110-3 Nr. 66. Dazu, daß Celtis allerdings TolhoplS Beitrag nicht in seiner Norimbergaverwandte, vgl. K Arnold: Vates Herculeus, S.136. 138 Die erste Kontaktaufnahme zwischen Tolhopf und Schreyer datiert vom Sommer 1493, wie K Arnold anhand von zwei neu aufgefundenen Briefen zwischen Tolhopfund Schreyer zeigen konnte; vgl. K Arnold: Vates Herculeus, S. 137-9; die Briefe sind ibid., S. 147-9 ediert. 139 H. Rupprich: Der Briefwechsel, S. 166 (Tolhopf an Celtis, 1495): Si Sebaldus noster [sc. Schreyer] et tu egoque ditari voluerimus laudem Noriburgo, immo Germanicae nationi acquirere et toti reipublicae commoditatem progenerare, sunl opera omnia poemata in se continentia repetenda et denuo nostris commenlariis annotanda, sunl per universum emptores ad sciscitandum vehementissime cuiusque etiam nationis, praecipueltali,' de propriis
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weislich vollendet wurde von alledem lediglich der Hercules, ein Einblattdruck, auf dessen Rectoseite Kaiser Maximilian als Hercules Germanicus im Kampf gegen seine Feinde dargestellt ist, auf der Versoseite aber das Tolhopf 1480 von Matthias Corvinus verliehene Wappen. l4O Wie weit die übrigen der genannten Projekte gediehen, ist nicht bekannt. Wie dieser Überblick gezeigt hat, umspannten die von Celtis und seinem Kreis gehegten PI äne in der Mathematik ein breites Spektrum. Vieles davon kam jedoch nie Ober die Planungsphase hinaus, manches mag auch verlorengegangen sein. Nicht alles, was Stabius und Stiborius während der neunziger Jahre in Angriff nahmen, war neu und erst von Celtis angeregt worden. 141 Die Astrologie, die in der Arbeit von Stiborius und Stabius überraschenderweise in den neunziger Jahren in den Hintergrund rückte, war schon in den achtziger Jahren in ihrem Kreis gepflegt worden. Auch die Beschäftigung mit der Instrumentenkunde könnte in Tngolstadt bereits in jene frühere Zeit zurückreichen. Es sei nur daran erinnert, daß auch Friedrich Weiß, obwohl er dem Celtiskreis so fern stand, auf diesem Gebiet arbeitete. 142 Doch erhielt sie durch Celtis eine andere Dimension. Noch etwas anderes n!llt auf: Obwohl das Zusammengehörigkeitsgefühl im Celtiskreis sehr stark war und auch die Projekte mit den Ideen des ganzen Kreises im Einklang standen, behielt doch jeder einzelne ein seinen Interessen entsprechendes ganz persönliches Profil. Celtis befaßte sich hauptsächlich mit der Kosmographie, Stiborius mit dem Instrumentenbau und Stabius mit dem Instrumentenbau und der mathematischen Geographie. Was aber alle diese Arbeitsgebiete gemeinsam hatten, war die Anwendungsorientiertheit und das Bestreben, das erworbene Wissen technisch zu verwerten, sei es beim Bau von Sonnenuhren wie derjenigen an der Lorenzkirche in Nürnberg, sei es beim Zeichnen von Landkarten oder sei es bei der Zuhilfenahme der Astrologie für persönliche Entscheidungen.
quis tune eredere potest? lam manum apposuiAlmagesto; item kalendario perpetuo, Parealibus libellis, octavo [sie Rupprich!] sphaerae et Hereuli ete. Rupprich bezeichnet in seinem Regest (S. 165) die Pareales libelli als ein Büchlein über die Sehiclcsalsgöttinnen, doch scheint es seltsam, wenn Tolhopf mitten unter seinen astronomischen Arbeiten plötzlich eine Untersuchung zur Mythologie elWähnt. Die Parcae waren Geburtsgöttinnen, die jedem Menschen bei der Geburt seine Lebensspanne und sein Schicksal zuteilen; deshalb halte ich es flir wahrscheinlicher, hinter dem verschlüsselten Titel ein Büchlein über Nativitäten zu vermuten. K Arnold: Vates Herculeus, S. 140 läßt die Frage, was sich hinter den Parcales libelli verbirgt, offen und übersetzt den Titel lediglich als $chicksalsbuch'. 140 Der Holzschnitt ist abgebildet bei K Arnold: Vates Herculeus, S. 143-4; eine Interpretation dazu ibid., S. 139-46. 141 Vgl. dazu oben S. 202ff. 142 Vgl. S. 218fT. Außerdem war das Interesse am Instrumentenbau, vor allem an den Sonnenuhren, nicht auf die Universität Ingolstadt und den Celtiskreis begrenzt. So hielt z. B. Konrad Tockler in Leipzig 1498 eine Vorlesung über Zeitmeßinstrumente (Leipzig, UB, ms. 1605, f. lOr-15v) und 1501 eine Vorlesung über Sonnenquadranten (ibid., f. 2r-7r); vgl. dazu D. Döring: Die Beziehungen, S. 15.
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5. Kapitel: Mathematik im Celtiskreis
m. Das Ende: Die Abwanderung des Celtiskreises nach Wien
Trotz des verheißungsvollen Beginns und der weitgesteckten Pläne, die Celtis in seiner Oratio und der Panegyris verkündet hatte, war das Verhältnis zwischen ihm und der Universität Ingolstadt von Anfang an nicht ungetrübt. Die Ursachen für die Mißstimmungen waren vielfältig, doch lag der Hauptgrund in der mangelnden Bereitschaft und Fähigkeit Celtis', sich gewissenhaft den Pflichten zu widmen, die er als Lektor für Poetik übernommen hatte. Diese Pflichten hinderten ihn nicht daran, schon im Sommersemester 1492 so viele Vorlesungen ausfallen zu lassen, daß er Sixtus Thcher versprechen mußte, diese im Spätherbst nach Martini nachholen zu wollen. 1 Ob er dieses Versprechen eingehalten hat, ist nicht bekannt, denn eben um diese Zeit machte er sich auf den Weg zu seinem Freund Johannes Tolhopfnach Regensburg, um dort einige Monate zu bleiben.2 Nach Ingolstadt kehrte er erst wieder im Mai 1494, diesmal als festbesoldeter und unbefristet angestellter Poetiklektor, zurUck. Doch auch nach seiner festen Anstellung 1494 änderte sich an seinem Gebaren nur wenig. 3 Im Sommer 1494 wanderte er für mehrere Monate an den Rhein, Ostern 1495 war er bei Sebald Schreyer in Nürnberg zu finden. Der Ausbruch einer Pestepidemie in Ingolstadt im Sommer 1495 bot ihm die - fast ist man versucht zu sagen: willkommene - Gelegenheit zu einer erneuten Reise an den Rhein und nach Heidelberg, von der er erst im Februar 1496, über einen Monat nach dem Wiederbeginn der Vorlesungen, zurUckkam. Als er sich auch noch einer Rüge seiner Hörer wegen seines unregelmäßigen Lesens und häufig unvorbereiteten Vortrages ausgesetzt sah, nahm er Verhandlungen wegen eines Wechsels an die Universität Wien auf. Im Oktober 1497 kehrte er Ingolstadt für immer den Rücken. Der Ablauf der Ereignisse scheint zur BegrUndungfür Celtis' Abzug aus Ingolstadt zu genügen. Gewiß spielte Celtis' charakterliche Veranlagung eine nicht zu unterschätzende, vielleicht sogar die bedeutendste Rolle für die schnelle Entfremdung zwischen ihm und wichtigen Teilen der Universität; aber betrachtet man die Voraussetzungen, unter denen er in Ingolstadt angetreten war, und vergleicht sie mit seinen Zielen sowie mit den Bedingungen, die er später in Wien vorfand, so wird noch eine zweite, strukturelle Ursache für sein Scheitern klar. Celtis wollte die universitäre Bildung von Grund auf reformieren, doch ist ein einzelner kaum imstande, von innen heraus eine solche Reform in die Wege zu 1 Vgl. H. Rupprich: Der Briefwechsel, S. 74 Nr. 44 (Celtis an Tucher, Spätherbst 1492). 2 Vgl. oben S. 266 3 Das Folgende ist bei G. Bauch: Die Anfänge des Humanismus, S. 58-70 in aller Ausführlichkeit berichtet. Auf die Belege wird deswegen verzichtet; sie finden sich alle bei Bauch und sind über seine Datumsangaben leicht bei H. Rupprich: Der Briefwechsel zu überprüfen.
III. Die Abwanderung des Celtiskreises
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leiten. Deswegen zählte Celtis auf die landesherrliche Unterstützung; nicht umsonst hatte er in der Panegyris Herzog Georg als denjenigen angesprochen, der für die Blüte der Studien an seiner Universität die Verantwortung trage. 4 Doch genau hier hatte er sich getäuscht, denn Herzog Georg unternahm während der fünf Jahre des gelegentlichen Wirkens von Celtis in Ingolstadt nichts zu dessen Unterstützung. 5 Celtis muß sich schnell darüber klar geworden sein, daß er von dieser Seite nichts zu erwarten hatte, und daß deswegen sein Bildungsprogramm zwar innerhalb eines begrenzten Kreises, nie jedoch in einem größeren Rahmen in Ingolstadt verwirklicht werden konnte. In gewisser Weise trug er auch selbst die Schuld daran, da er glaubte, mit seiner Panegyris genug getan zu haben, sich die Gunst Georgs zu sichern.6 Den wohlgemeinten Ratschlag, den ihm Sixtus Tucher schon im Spätherbst 1492 erteilte, nämlich den Herzog durch eine Studentenpetition zum Eingreifen für Celtis zu bewegen, schlug er als seiner nicht würdig aus. 7 In seiner sanguinischen Art beschimpfte er den Fürsten wegen dessen Untätigkeit schon in zwei Briefen an Sixtus Thcher vom Spätherbst und vom 18. Dezember 1492 als princeps Barbarus; Thcher wird diese Äußerungen wohlweislich für sich behalten haben. 8 Wie gering seitens der Regierung das Problem von Celtis' Stellung an der Universität geachtet wurde, geht auch aus dem Protokoll der Befragung von Universitätsangehörigen hervor, die 1497 auf herzogliche Anordnung hin unternommen wurde und den Auftakt zu zehnjährigen Reformüberlegungen bildete, welche in der Nova Ordinatio von 1507 ihren Abschluß fanden. 9 Die Probleme, die die Universität mit Celtis hatte, waren nur eine von vielen Fragen, und keinesVgl. oben S. 235. Dazu, daß die Regierung in jener Zeit kaum in die inneren Universitätsangelegenheiten eingriff; vgl. A Seifert: Statuten- und Verfassungsgeschichte, S. 76-8. Auf die ibid., S. 78-9 behandelte Befragung von Universitätsangehörigen zu Mißständen im Jahr 1497 wird sogleich eingegangen. 6 Vgl. H. Rupprich: Der Briefwechsel, S. 76; das Zitat unten in Anm. 8. 7 Der Ratschlag in H. Rupprich: Der Briefwechsel, S. 75-6 Nr. 45 (fucher an Celtis, Spätherost 1492). Celtis' Reaktion in seinem Antwortbrief lautete (ibid., S. 76 (Celtis an Tucher, Spätherost 1492)): Consulis suffragia iterum nobis a puerulis vestris vendicanda iterumque in pudorem et aemulorum nostrorum ludibrium e:xponere animum meum. 8 H. Rupprich: Der Briefwechsel, S. 76 (Celtis an Tucher, Spätherost 1492): Paucis accipe: si beneficia nostra, in gloriam, famam et ornamentum Barbari principis et gymnasium suum Ingolstadiense collata [sc. die Panegyris1 mihi apud vos omnes, qui bonum reipublicae vestrae providere tenentur, suffragari non possunt, ego plane hoc pati possum, ut stipendium nostrum vestris consiliis a duobus medicis singulos auditores habentibus et ab homine inerudito et illepido, quem vos poetam et oratorem dicitis [sc. Johannes Riedner1 distrahatur. Außerdem ibid., S. 86 (Celtis an Tucher, 18. Dezember 1492: Quod si mea alia negotia non turbaren~ darem operam, ut principi Barbaro illa ego detegerem et ulcerosa quorundam terga pungerem saniemque e:xprimerem. 9 Zu dieser Befragung vgl. A. Seifert: Statuten- und Verfassungsgeschichte, S. 78-9. Aus dem Protokoll sind die Voten der Theologen Johannes Permeter von Adorf und Georg Zingel bei K Prantl: Geschichte, Bd. 2, S. 132-5 Nr. 28 ediert, die Voten der übrigen Befragten bei A. Seifert: Die Universität Ingolstadt, S. 38-56 Nr. 7. 4
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5. Kapitel: Mathematik im Celtiskreis
wegs die herausragende. Hauptsächlich interessierte die Regierung die Meinung der Universitätsangehörigen zu seinem mangelhaften Vorlesungsfleiß und die Frage, ob ihm gekündigt werden solle. Die Voten waren gemischt: von strikter Ablehnung über Gleichgültigkeit bis hin zu verhaltener Verteidigung des Erzhumanisten. 10 Auf seine Entscheidung, nach Wien zu gehen, hatte diese Befragung keinen Einfluß mehr. Ganz anders gestaltete sich die Lage in Wien. Dort war 1492 von Friedrich III. mit Bernhard Perger als Superintendent ein staatlicher Aufsichtsbeamter eingesetzt worden, ohne dessen Zustimmung die Universität und besonders die Artistenfakultät nichts mehr unternehmen konnten. l1 An ihn und nicht an die Universität richteten sich Celtis und seine Freunde mit ihren ersten Versuchen, eine Berufung des Erzhumanisten nach Wien zu erreichen. Da sich Perger Celtis gegenüber ablehnend verhielt, war diesen Versuchen allerdings vorläufig kein Erfolg beschieden,12 Erst als sich mit Johannes Krachenberger und Georg Fuchsrnagen zwei der von Maxi mi Ii an I. eingesetzten Regenten für Celtis aussprachen,13 konnte Pergers Widerstand gebrochen werden. Die Einladung des Königs persönlich an Celtis, nach Wien zu kommen und dort die oratoriae et poetices lectiones zu übernehmen, datiert vom 7. März 1497.14 Auch wenn in Wien die staatliche Universitätsaufsicht viel ausgeprägter als in Ingolstadt war, so ließ sich eine Reform der Artistenfakultät im Sinne von Conrad Celtis doch nicht durchsetzen. Noch 1498, kurz nach seiner Ankunft, hoffte Celtis, der wegen der Leszeiten in einen Konflikt mit der Artistenfakultät geraten war,IS daß nach der Rückkehr des Königs nach Wien eine Klärung stattfinden würde. 16 1499 und 1501 von den Regenten unternommene Versuche, die Artistenfakultät nach humanistischen Vorstellungen umzugestalten, schlugen fehlP Da es somit auch unmöglich war, Celtis und sein Lehrprogrammin die Artistenfakultät schrittweise zu integrieren, griff man zu einem wahrhaft revolutionären 10 Die Voten über Celtis bei A. Seifert: Die Universität Ingolstadt, S. 52-3; Adorf und Zingel äußerten sich nicht zu dieser Frage. 11 Vgl. dazu A. Lhotsky: Die Wiener Artistenfakultät, S. 17~3. 12 Vgl. dazu G. Bauch: Die Rezeption, S. 55-60. 13 Zu den Regenten vgl. A. Lhotsky: Die Wiener Artistenfakultät, S. 182. 14 H. Rupprich: Der Briefwechsel, S. 260-1 Nr. 155 (Berufungsschreiben Maximilians). 15 Zu diesem KonHikt vgl. G. Bauch: Die Rezeption, S. 87-8. 16 H. Rupprich: Der Briefwechsel, S. 316 (Celtis an Schreyer, 18. Januar 1498): Ego Viennae melius habeo quam Ingelstodiae, tamen condicionem meam adhuc tibi plenorie scribere non possum, et adventum regis expectamus, et itam aliarum rerum in universitate mutationem. 17 Zu diesen Reformversuchen vgl. G. Bauch: Die Rezeption, S. 94-105 und A. Lhotsky: Die Wiener Artistenfakultät, S. 183-5. Lhotskys Darstellung endet eigentlich mit dem Jahr 1497, in dem CeItis berufen wurde; auf den (Miß-)Erfolg und Fortgang der Reformbemühungen geht er deswegen nur mehr mit wenigen Worten ein (S. 203-4).
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Mittel. Celtis erhielt dank obrigkeitlicher Stiftung seine eigene Falalltät. Am 31. Oktober 1501 stellte Maxi mi Ii an I. in Bozen die GrUndungsurkunde für das Wiener Collegium poetarum et mathematicorum aus. 18 Das Collegium, welches über zwei Poetik- und zwei Mathematiklektoren verfügte, wurde nach der ausdrücklichen Formulierung der Stiftungsurkunde an die Universität angeschlossen. 19 Es verfügte wie jede Fakultät über eigene Insignien, nämlich Szepter, Ring, Barett und Siegel, sowie auch über ein eigenes, von der Artistenfakultät unabhängiges Graduierungswesen: die Krönung zum poeta laureatus.2o Die Geschichte des Collegiums und die Gründe, die zuletzt doch zum Scheitern des Experiments führten, liegen außerhalb des Themas der vorliegenden Arbeit. 21 So schnell sich Celtis mit der Universität Ingolstadt entzweit hatte, so schnell hatte er auch unlösbare Bande zwischen sich und seinen Mitarbeitern Stiborius und Stabius geknüpft. Für beide war es keine Frage, daß sie Celtis nach Wien begleiten würden. Sie reisten schon im Herbst 1496 nach Wien, um dort in Celtis' Auftrag mit dem Regenten Johannes Krachenberger wegen einer Berufung des Erzhumanisten zu verhandeln. 22 Im Februar 1497 war Stabius in derselben Angelegenheit schon wieder in Wien. 23 Gleichzeitig bemühte er sich für seine Person um eine Pfarrei, da er als Nichtpromovierter kaum hoffen konnte, in Wien Zugang zur Artistenfakultät zu erhalten. Weil diese Bemühungen nicht fruchteten, kehrte er nochmals nach Ingolstadt zurUck.24 Als Celtis im Oktober 1497 Ingolstadt verließ, zog er deswegen vorerst nur Stiborius und Aventin mit sich,25 für Stabius gelang es ihm, in anderer Weise zu Ediert bei H. Rupprich: Der Briefwechsel, S. 458-60. H. Rupprich: Der Briefwechsel, S. 459: ( ... ) cum in poetica et oratoria arte nihil haclenus ibi [sc. in noslro Vlennensi gymnasio] instiluerimus, decrevimus pro ipsius universilalis noslrae augmento, collegium poelarum ibidem, priscorum imperatorum anlecessorum noslrorum more, erigere abolitamque prisci saeculi eloquentiam restituere. [taque pro hac re provehenda et imitanda duos et in poetica oratoriD, duos vero in mathematicis disciplinis eruditos ad ipsum collegium deputamus (... ). Dazu, daß ursprünglich ein reines Poetenkollegium geplant war, Celtis aber, als er davon härte, daß an der Artistenfakultät zwei besoldete MathematikersteIlen eingerichtet werden sollten, diese eiligst für sein Kolleg einheimste, vgl. G. Bauch: Die Rezeption, S. 123-5. Diese Details sind hier unwichtig; es soll nur herausgearbeitet werden, wie Celtis in Wien ausschließlich dank obrigkeitlicher Unterstützung, die ihm in Ingolstadt gefehlt hatte, zur institutionellen Verwirklichung seiner Pläne gelangte. 20 Zu der angesichts dieser Ausstattung trefflichen Bezeichnung des Collegiums als quinta facultas vgl. G. Bauch: Die Rezeption, S. 151. 21 Vgl. dazu H. Grössing: Humanistische Naturwissenschaft, S. 148. 22 Vgl. H. Rupprich: Der Briefwechsel, S. 221-2 Nr. 135 (Krachenberger an Celtis, 24. Oktober 1496). 2J Vgl. H. Rupprich: Der Briefwechsel, S. 250-2 (Stabius aus Wien an Celtis, 26. Februar 1497). 24 H. Rupprich: Der Briefwechsel, S. 251: (... ) parrochiam nondum habeo (... ). 2S Stiborius ist im Wintersemester an der Universität Wien immatrikuliert (Mat. Wien, Bd. 2, S. 259). Aventin hat sich wie Celtis nicht in die Matrikel eintragen lassen; dazu, daß er Celtis 1497 nach Wien folgte vgl. E. Dünninger: JohannesAventinus, S. 16. 18
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sorgen.26 Obwohl Stiborius bereit war, seine Stellung in Ingolstadt aufzugeben, um Celtis zu folgen, hat er sich in Wien doch wieder um die Integration in die Artistenfakultät bemüht. Für einen Freund des Erzhumanisten war dies nicht leicht,21 doch entsprach es der von Stiborius schon in Ingolstadt verfolgten Linie. Außerdem stellt sich die Frage, was er anderes hätte unternehmen können. Er verfügte nicht wie Celtis über eine besoldete Lektur, und auch eine geistliche Pfründe war vorläufig nicht in Aussicht. Erst mit der Einrichtung des Collegium poetarum et mathematicorum fand er eine seinen Fähigkeiten entsprechende Stellung als besoldeter Mathematiker.28
IV.lohannes Stabius (1498-1502/03): Die Nachhut des Celtiskreises Trotz seines keineswegs freundlichen Abschiedes von Ingolstadt blieb der Einfluß von Conrad Celtis auf die weitere Entwicklung der Mathematik in Ingolstadt groß. Ihm hatte es Johannes Stabius zu verdanken, daß er 1498 mit der durch Engels Weggang vakanten Mathematiklektur bestaHt wurde. So blieb Johannes Stabius, dem sich trotz seiner Bemühungen 1497 in Wien keine günstigen Perspektiven eröffnet hatten, l noch vier weitere Jahre in Ingolstadt und wirkte dort im Sinne von Celtis' Ideen weiter. Mit Jakob Locher, der selbst immer wieder bekannte, daß er von Celtis während ihres kurzen Zusammentreffens in Ingolstadt im Sommer 1492 entscheidende Anstöße erhalten hatte,2 war auch die Poetiklektur wieder mit einem Mitglied des Celtiskreises besetzt worden. Doch hatte Locher von Celtis nicht die Idee des Poetik und Naturwissenschaften gleichermaßen umfassenden integralen Humanismus übernommen. Vielmehr zeigte er an den Naturwissenschaften und der Mathematik kein gesteigertes Interesse, so daß in diesem Sinne Stabius als der einzige Fortsetzer von Conrad Celtis in Ingolstadt zu gelten hat. Stabius fühlte sich in Ingolstadt nach der Trennung von Celtis und Stiborius ziemHch alleingelassen,3 so daß anzunehmen ist, daß er sogar ohne den äußeren Anstoß der sogenannten Vertreibung wohl bald versucht hätte, seinen Vgl. unten S. 273ff. Dies geht aus dem Protokoll der Artistenfakultät in Wien helVor. Ein mit Stiborius nach Wien gezogener Ingolstädter Magister Georg Prenner fand ohne Schwierigkeiten 1498 Aufnahme in die Fakultät, während Stiborius vorläufig abgelehnt wurde. Vgl. UAW, AFA IV, f. 5v (13. Oktober 1498): Tertius articulus Ad audiendum peticionem duorum magistrorum alterius universitatis pro admissione responsionis petere volentium. Quorum primus magister andreas stoberle Ingolstatiensis, Cui dictum est ut se conformet statutis facultatis arcium et suae ordinis; secundus magister georius prenner Ingolstatensis sine difficultate admissus est. 28 Vgl. H. Grössing: Humanistische Naturwissenschaft, S.177. 1 Vgl. oben S. 271. 2 G. Heidloff: Untersuchungen, S. 143-5; die entsprechenden Bekenntnisse Lochers bei H. Rupprich: Der Briefwechsel, S. 344-6. 3 So schrieb er schon 1498 an Conrad Celtis in Wien: ( ... ) a vobis separatusvino et mathematicis libellis careo (... ) (H. Rupprich: Der Briefwechsel, S. 351). 26
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Freunden nach Wien zu folgen. Als er 1502 diesen Schritt unternahm, ging die erste, kurze aber intensive Periode einer humanistisch geprägten Mathematik an der Universität Ingolstadt unwiderruflich zu Ende. Die Berufung
Nachdem über den Vorgang der Berufung von Friedrich Weiß gar nichts und über die Berufung von Johannes Engel nur sehr wenig bekannt ist, sind wir über die Anstellung von Johannes Stabius dank eines Berichtes, den Hieronymus de Croaria an Celtis gegeben hat, erstmals etwas besser unterrichtet.4 Aus diesem Bericht geht klar hervor, daß die Entscheidung über die Neubesetzung der Lektur zuerst im Senat fiel; die herzogliche Mitwirkung beschränkte sich, wie wahrscheinlich schon bei der Berufung von 10hannes Engel,S auf die nachträgliche Bestätigung des von der Universität prllsentierten Kandidaten.6 Ob Stabius 1498 der einzige Kandidat für die vakante Lektur war, geht aus dem Bericht von Croaria nicht hervor. In jedem Fall aber hatten Celtis und Stiborius für Stabius dadurch vorgesorgt, daß sie den seit seinem Eintritt in die Universität Ingolstadt 1497 mit Celtis eng befreundeten Kanonisten Hieronymus de Croaria7 um die Förderung von Stabius in den anstehenden Senatsverhandlungen baten. Wenn schon die Bitte der Fürsten gleich einem Befehl sei, schreibt Croaria, um wieviel mehr sei dann erst der Bitte von Philosophen zu entsprechen, da doch diese nichts Ungerechtes oder Unehrenhaftes zu fordern imstande wären. Deswegen sei er durch Celtis' Brief davon überzeugt worden, daß in Ingolstadt niemand gefunden werden könne, der fähiger und für die Lektur geeigneter als Stabius sei. Er habe darum gerne und mit Freude alles, was in seiner Macht stand, zugunsten von Stabius unternommen. Die beschriebenen Bemühungen von Croaria müssen Anfang des 1ahres 1498 stattgefunden haben, und sie wurden von Erfolg gekrönt. Denn bereits am 18. Januar 1498 bestätigte Herzog Georg die von der Universität getroffene WahJ.8 4 Der Bericht bei H. Rupprich: Der Briefwechsel, S. 319-20 (Croaria aus Ingolstadt an Celtis in Wien, 10. März 1498). Obwohl schon G. Bauch: Die Anfänge, S. 101 den Inhalt dieses Briefes richtig gedeutet hatte, bezog ihn Rupprich in seinem Regest völlig falsch auf ein angebliches Berufungsangebotan Croaria aus Wien, welches in Wirklichkeit niemals stattfand. S Vgl. oben S. 226. 6 Der Bericht von Hieronymus de Croaria ist ebenso wie das herzogliche Bestitigungsschreiben (UAM, EI 1, f. llv) im QuellenanhangS. 496f. abgedruckt. Auf Einzelbelege wird deswegen im folgenden verzichtet. 7 Zu Hieronymus de Croaria vgl. H. WoHl': Geschichte der Ingolstädter luristenfakultät, S. 265, zur Freundschaft mit Celtis G. Bauch: Die Anfänge, S. 62. Vgl. auch H. Rupprich: Der Briefwechsel, S. 290 (Croaria aus Ingolstadt an Celtis in Wien, 24. Oktober 1497), wo Croaria in warmen Worten sein Bedauern über Celtis' Weggang aus Ingolstadt ausdrückt. 8 UAM, E I 1, f. 11 v; abgedruckt im Quellenanhang S. 496.
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5. Kapitel: Mathematik im Celtiskreis
Er erklärte sich mit der Berufung von Johannes Stabius und mit allen von der Universität vorgeschlagenen Anstellungskonditionen, d. h. vor allem dem wie bei Engel auf 32 t1. jährlich festgesetzten Gehalt, einverstanden.9 Mehr Aktivität hat er bei dieser Berufung nicht entwickelt. Johannes Stabius vertrat von seinem Werdegang und seinem geistigen Hintergrund her eine ganz andere Richtung in der Mathematik als sein Vorgänger Johannes Engel. Zwar hatte sich dieser gegen Ende seiner Ingolstädter Zeit ebenfalls an Conrad Celtis angenähert, zum Zeitpunkt seiner Anstellung aber war er noch einer rein astrologischen und iatromathematischen Tradition zuzurechnen. In den Erwartungen, die die Universität an den zu berufenden Mathematiker stellte, muß sich in den sechs Jahren zwischen Engels und Stabius' Berufung ein tiefgreifender Wandel vollzogen haben, der auf das Konto von Conrad Celtis ging. Zwar war Stabius selbstverständlich genau wie Engel in der Lage, jährlich den Almanach zu berechnen, über fundiertere medizinische Kenntnisse verfUgte er jedoch nicht. Auch wenn die Nachrichten über die Verhandlungen des Jahres 1498 ergiebiger sind als die über frühere Berufungen, so fehlen doch einige wichtige Details, die zur Aufhellung der Gründe, die letztlich den Ausschlag zugunsten von Stabius gaben, unabdingbar wären. Croaria beschränkt sich darauf, seinen eigenen Anteil am Erfolg gegenüber Celtis herauszustreichen, und verweist ihn ansonsten auf den Bericht, den ihm Stabius wohl bald persönlich erstatten werde. So läßt der Bericht offen, ob sich auch andere Kandidaten um die vakante Lektur beworben hatten. Dies darf jedoch angenommen werden, da andernfalls eine so massive Förderung von Stabius durch Croaria wohl kaum vonnöten gewesen wäre. Außerdem weist die Formulierung Croarias, daß in Ingolstadt kein geeigneterer und fähigerer als Stabius hätte gefunden werden können, darauf hin, daß andere Universitätsangehörige wenigstens potentiell in Betracht gezogen worden waren. Um wen es sich dabei handelte, ist nicht bekannt, doch käme z. B. Johannes Erndorffer 10 durchaus in Frage. Auch wird nichts darüber gesagt, wie sich die restlichen Senatsmitglieder während des Auswahlverfahrens verhielten. Es wäre vor allem interessant zu wissen, welche Stellung die Mediziner und die Artisten in den Verhandlungen einnahmen, da doch sie von ihren Fachgebieten her weitaus mehr von der Entscheidung betroffen waren als der Jurist Croaria. Die Artistenfakultät scheint Stabius zumindest nicht ablehnend gegenübergestanden zu haben, da sie ihm 9 Von der Höhe des Gehaltes ist weder in Croarias Bericht noch im herzoglichen Schreiben die Rede, doch geht die Summe von 32 0. aus einer im Spätsommer 1498 erstellten Liste der auf der Universitätkammer lastenden fixen Ausgaben, d. i. vor allem Personalkosten, hervor (UAM, EI 1, f. 1v). T. p. q. für die Liste ist der 31. August 1498, da das Gehalt des zweiten Kanonisten Johannes Rosa erst zu diesem Termin auf 100 0. jährlich erhöht worden war (UAM, E I 1, f. 13r). 10 Zu ihm vgl. oben S. 248. Allerdings ist zu bedenken, daß dieser als wohlbestallter Kollegiat am Collegium vetus u. U. gar kein Interesse an der Mathematiklektur hatte.
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nach seiner Ernennung zum Mathematiklektor sogleich einen SchlUsseI zu ihrer Bibliothek aushändigte. ll In jedem Fall war die noch bei Johannes Engel bestehende Verbindung zwischen dem Medizinstudium und der Mathematiklektur durchbrachen worden. Johannes Stabius bemühte sich nicht um einen Grad an einer der höheren Fakultäten, sondern sah in der Mathematik und dem Studium der humanistischen Fächer seine Lebensaufgabe. Er wandte sich vor allem an Studenten, die wie er die gleiche Verbindung zwischen den studia humaniora und den Naturwissenschaften anstrebten. Wie erfolgreich er dabei während der wenigen Jahre seines Wirkens als Mathematiklektor in Ingolstadt war, zeigt sich an dem SchUlerkreis, den er dort um sich scharte.
Der Schülerlcreis Über den ersten SchUl er von Stabius in Ingolstadt, Hieronymus Rud, ist wenig bekannt. Er hatte am 22. April 1496, also noch zu der Zeit, als CeItis und Stiborius in Ingolstadt wirkten, die Universität bezogen; im Wintersemester 1497 promovierte er zum Bakkalar, im Januar 1500 zum Magister. 12 Daß er zum SchUlerkreis von Stabius zählte, geht nur daraus hervor, daß dieser ihn 1502, als er nach Wien aufbrach, zu seinem Stellvertreter auf der mathematischen Kanzel bestimmte. Da er bereits 1503 oder 1504 starb, hatte er nicht die Zeit, seine Talente zu entfalten. 13 Umso besser bezeugen dafür drei andere SchUler von Stabius in Ingolstadt, daß er weiter in der Lehre dem Programm von Conrad Celtis treu blieb: Veit Bild, Johannes Mader Foeniseca und Georg Tannstetter. Veit Bild hat in Ingolstadt nach seiner Immatrikulation am 4. Januar 149914 nur gut eineinhalb Jahre studiert, dann zwang ihn vermutlich die Geldnot, seine Studien aufzugeben und in Augsburg bei St. U1rich die Stelle eines Pfarrschreibers anzunehmen. Ein Traumgesicht veranlaßte ihn schließlich, 1503 als Novize in das Augsburger Benediktinerkloster St. Ulrich und Afra einzutreten. Bis zu seinem Tod in der zweiten Hälfte des Jahres 1529 blieb er dort, abgesehen von einem einjährigen Aufenthalt im Kloster Melk 1511/12. 15 UAM, 0 V 1, f. 59r. Mat. lngolstadt, Bd. 1, S. 37: Hieronymus Rüd u Hewbach; die Bakkalaureuspromotion nach UAM, 0 IV 1, f. 34v; die Magisterpromotion nach UAM, 0 IV 1, f. Sv: Hier. Rid(!) u Heubach. Im SS 1500 erhielt er dann den Schlüssel zur Bibliothek, was auf die Aufnahme ins gremium der Artistenfakultät schließen läßt (UAM, 0 V 1, f. 63v). Weitere Einzelheiten über seinen Werdegang sind nicht bekannt. Er taucht in den Akten nur mehr am 27. Januar 1502 als Zeuge bei einem Schuld anerkenntnis des Magisters Sebastian Freysinger über 70 1'1., die er Paulus Keil, dem Rektor, schuldete, auf (UAM, D 111 1, f. 463v). 13 Vgl. unten S. 290. 14 Mat. lngolstadt. Bd. ~, S. 271. 15 Über die Biographie von Veit Bild unterrichtet am besten A Schröder: Der Humanist Veit Bild, S. 174-7. Über die für ihn entscheidenden Jahre 1500 bis 1503 hat Bild im 11
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5. Kapitel: Mathematik im Celtiskreis
Bild hat sich während seiner kurzen Studienzeit in Ingolstadt hauptsächlich an den Mathematiker Johannes Stabius und den Poeten Jakob Locher Philomusus gehalten. Aufschluß über sein Verhältnis zu beiden gibt sein Briefwechsel, den er fOr die Jahre 1503 bis 1529 in drei von ihm selbst mit Conscriptiofles meae betitelten Bänden gesammelt hat. 16 In mehreren Briefen an Jakob Locher nennt sich Bild dessen SchUler;17 Stabius, mit dem er ebenfalls mehrere Briefe wechselte, bezeichnete er gleichfalls mehrmals als seinen verehrten Lehrer. 18 Bilds mathematische Interessen sind zu weiten Teilen eine getreue Kopie der Arbeitsgebiete seines Lehrers. Vor allem wandte er sich der Instrumentenkunde zu, und hier besonders dem Bau von Sonnenuhren. 19 Als Höhepunkt seiner Tätigkeit als Instrumentenbauer betrachtete er die Herstellung von sechzehn Fenstersonnenuhren für den Kurfürsten von Sachsen, Friedrich den Weisen, mit dem er anläßlich des Augsburger Reichstages 1518 in Kontakt kam.2o Wie eng dabei zeitlebens seine Bindungen an Johannes Stabius waren, zeigen neben den Erwähnungen von Stabius im Briefwechsel auch von Bild verfaßte Canones zu dessen Clipeus Austriae, die zur Veröffentlichung bestimmt waren, jedoch nie gedruckt wurden. 21
ersten Band seiner Conscriptiones einen eigenen Bericht hinterlassen (Augsburg, Ordinariatsarchiv, Ms. 81 I, f. 54v). 16 Augsburg, Ordinariatsarchiv, Ms. 81 I-III. Einen ersten Zugang zu 318 der 600 Briefe dieser Sammlung in Regestenform bietet A Schröder: Der Humanist Veit Bild, S. 191-218. Noch weitestgehend unbearbeitet sind diejenigen Briefe, die die Mathematik zum Thema haben. Der Verfasser beabsichtigt, diese Briefe in nächster Zeit zu analysieren und zu edieren. 17 Briefe an und von Locher in Augsburg, Ordinariatsarchiv, Ms. 81 11, f. 79v-80r, 82r-v, 84v und III, f. Ir, 2r (2x); Bei A. Schröder: Der Humanist Veit Bild, die Nummern 51,52,65,66,68 und 72. Die Stellen lauten: n, f. 80r: (... ) suoque [sc. Bilds] quondam praeceptori dignissimo (... ) und f. 82v: (... ) praeceptor mj omnj saeculo colendissime ( ... ). 18 Briefe an und von Stabius in Augsburg, Ordinariatsarchiv, Ms. 81 11, f. 119v-120r, 129v,13Ov und III, f. 33v. In zahlreichen anderen Briefen verweist er aufStabius, den er häufig als seinen Lehrer bezeichnet; vgl. u. a. einen Brief an Jakob Stoppel, den er kulZ nach Stabius' Tod 1522 schrieb: (Ms. 81 n, f. 218v): (... ) offero [sc. dem Stoppelius] (... ) parvulum instrumentum, stilo haud indigens, horas Usuales, cum signorum insertione probe demonstrans, quod dissertissimus praecaeptor quondam meus (cuius umbram dei misericordiae commendo) Ioannes Stabius, haud multum ante obitum suum adinvenit (... ). 19 Vgl. dazu E. Zinner: Deutsche und niederländische astronomische Instrumente, S.248-9. 20 Zu den Fenstersonnenuhren vgl. E. Zinner: Deutsche und niederländische astronomische Instrumente, S. 74-5. Die Korrespondenz mit Georg Spalatin wegen der Sonnenuhren für Friedrich den Weisen zog sich vom August 1518 bis zum April 1519 hin; vgl. A Schröder: Der Humanist Veit Bild, S. 203-5. 21 Augsburg, Ordinariatsarchiv, Ms. 81 III, f. 86r-93v. Zum ClipeusAustrwevgl. oben S.261.
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Daneben beschäftigte sich Bild praktisch mit allen Zweigen der Mathematik: 22 mit der Astronomie ebenso wie mit der Astrologie, auch mit Arithmetik23 und, ganz auf der Linie der im Celtiskreis betonten praktischen Anwendbarkeit der Mathematik, mit der Herstellung und Verwendung von Visierruten zur Faßmessung. 24 Für den Stabius- und Locherschüler Bild war es auch ganz selbstverständlich, daß er Kontakte zu Humanisten und Mathematikern in ganz Süddeutschland knüpfte 25 und sich dem Augsburger Humanistenkreis um Konrad Peutinger anschloß. 26 Ebenso wie Bild suchte und fand ein anderer Schüler von Stabius in Ingolstadt, Johannes Mader Foeniseca, die Nähe zum Augsburger Humanistenkreis. Er hat sich 1501, also bereits nachdem Bild Ingolstadt wieder verlassen hatte, an der Universität Ingolstadt immatrikuliert. 27 Seine Verbindungen zu Stabius sind durch den Briefwechsel von Veit Bild dokumentiert.28 So erfuhr Bild 1515 über unseren Mader von der bevorstehenden Ankunft Stabius' in Augsburg. 29 Bei dieser akademischen Herkunft von Mader ist es nicht verwunderlich, wenn 22 Auskunft über diese Interessensgebiete geben außer dem Briefwechsel vor allem mehrere mathematische und astronomische Handschriften aus dem Besitz von Veit Bild, v. a. Augsburg, SSB, 2° Cod. 207 und 208, sowie 8° Cod. 1 , 100 und 103. Die Texte im folgenden einzeln anzugeben, würde zu weit führen. Deswegen sei auf die Beschreibungen von H. Spilling: Handschrirtenkataloge der Staats- und Stadtbibliothek Augsburg, Bd. 3 und W. Kaunzner: Über die mittelalterlichen mathematischen Handschriften verwiesen. 23 Hier sei zusätzlich auf einen bisher unbekannten, von Bild 1508 verfaßten deutschsprachigen A1gorismus in Augsburg, Ordinariatsarchiv, Ms. 81 I, f. 204r-219r verwiesen. 24 Augsburg, SSB, 2° Cod. 207, f. lr-4v, 43v-45v, 48r-51v, 57r-65v, 80r-112r und 29Ov-294r. Zu den spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Visiertraktaten vgl. M. Folkerts: Die Entwicklung und Bedeutung der Visierkunst. 25 Für die lange Liste seiner Korrespondenten von Straßburg über Dresden und Nümberg bis Wien sei auf das Personenregister bei A Schröder: Der Humanist Veit Bild, S. 227 verwiesen. Unter denjenigen, mit denen er mathematische, astronomische, astrologische und kosmographische Themen besprach, seien Willibald Pirckheimer, Georg Hartmann, Johannes Schöner, Sebastian Sperantius, Johannes Mader Foeniseca und Johannes Vögelin besonders erwähnt. 26 Die 26 Briefe zwischen Bild und Peutinger sind ediert bei E. König: Conrad Peutingers Briefwechsel, Nr. 106-7,112-3, 143-5,149, 166,216,224,234,242,244-5, 251,253,255, 258-9261,265,269-71 und 275. Zur Sodalitas litteraria Augustana um Konrad Peutinger vgl. G. Bauch: Die Rezeption, S. 72-3 und Chr. Treml: Humanistische Gemeinschartsbildung, S. 62-4. Beide haben jedoch die Zugehörigkeit Bilds zu diesem Kreis übersehen. Bei Treml fehlt in der Liste der Sodalen auch der gleich zu behandelnde Johannes Mader Foeniseca. 27 Mal. Ingolstadt, Bd. 1, S. 287. 28 Im ersten Brief von Bild an Mader vom 8. Oktober 1510 (Augsburg, Ordinariatsarchiv, Ms. 81 11, f. 19r = A Schröder: Der Humanist Veit Bild, Nr. 31) bat er diesen um Erklärungen zum Jakobstab, wobei der Hinweis auf eine zwischen beiden eingetretene Verstimmung darauf schließen läßt, daß sie schon länger miteinander in Kontakt standen. 29 Augsburg, Ordinariatsarchiv, Ms. 81 11, f. 119v-20r (Bild an Stabius, 30. Mai 1515 = A Schröder: Der Humanist Veit Bild, Nr. 92): (... ) nisi de tuae [sc. Stabius '] in proximo
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5. Kapitel: Mathematik im Celtiskreis
1517 Leonhard von Eck bei seinen Versuchen, anstelle des Mathematiklektors Johannes Würzburger einen angesehenen Fachmann zu berufen, auch an Mader dachte. 3o Der bekannteste Schüler von Stabius während seiner Zeit als Lektor in Ingolstadt aber war Georg Tannstetter CoIlimitius.31 Auch er bezog, wie Hieronymus Rud, die Universität Ingolstadt noch ehe Celtis nach Wien abzog; am 8. April 1497 ist er inskribiert.32 Daß Stabius sein Lehrer war, hat Tannstetter später in den Viri Mathematici bezeugt.33 Anders als sein Lehrer hat er aber den kompletten artistischen Kurs absolviert und im Januar 1501 mit dem Erwerb des Magistergrades abgeschlossen. 34 Danach ließ er sich ins Gremium der lesenden Magister aufnehmen, so daß man annehmen darf, daß er bis zu seiner Abwanderung nach Wien Vorlesungen im Rahmen des artistischen Curriculums gehalten hat.35 Schon damals muß er durch seine rhetorischen Fähigkeiten aufgefallen sein, denn im November 1501 übertrug ihm die Artistenfakultät die Aufgabe, die Rede aus Anlaß des Katharinentages, d. h. des Festes der Fakultätspatronin, zu halten. 36 Trotzdem war seine Bindung an Johannes Stabius enger als diejenige an die Artistenfakultät, denn als Stabius im Frühjahr 1502 Ingolstadt in Richtung Wien verließ, folgte ihm Tannstetter bald nach.37 Allerdings ließ er sich wieder, ähnlich wie vor ihm schon Stiborius, in die Artistenfakultät aufnehmen. 38
ad nos dignitatis adventu perfoenisecam nostrum certior redditus fuerim. Vorausgegangen war ein Brief von Bild an Mader (Ms. 81 11, f. 119r A. Schröder: Der Humanist Veit Bild, Nr. 90), in welchem Bild Mader darauf aufmerksam machte, daß Stabius in Nürnberg weile und Bücher kaufen wolle; Mader solle ihm doch seine eigenen Bücher anbieten. 30 A. Seifert: Die Universität Ingolstadt, S. 89-90. Vgl. dazu ausführlich unten S. 323. 31 Zu ihm vgl. F. Stuhlhofer: Georg Tannstetter Collimitius. Zusammenfassungen der Ergebnisse aus dieser ungedruckten Dissertation wurden veröffentlicht von F. Stuhlhofer: Georg Tannstetter (Collimitius). Astronom, Astrologe und Leibarzt und Idem: Georg Tannstetter (Collimitius) 1482-1535. 32 Mat. Ingolstadt, Bd. 1, S. 258. F. Stuhlhofer: Georg Tannstetter Collimitius, S. 25 bringt über Tannstetters Ingolstädter Studienzeit nichts, was über die &kenntnisse von G. Bauch: Die Anfänge des Humanismus, S. 111-2 hinausginge. & beschränkt sich auf das Datum der Immatrikulation und die Bemerkung, daß Tannstetter im Sommer 1502 bereits zum Magister promoviert war. 33 G. Tannstetter: Viri Mathematici: Inter caetera nobilissma eius [sc. Stabius'] inventa haec a me discipulo suo [sc. Tannstetter] collecta sunt. 34 UAM, 0 IV 1, f. 6r. 35 Die mit der Aufnahme ins Gremium einhergehende Übergabe des Schlüssels zur Fakultätsbibliothek ist belegt in UAM, 0 V 1, f. 64v. 36 UAM, 0 V 1, f. 67r. 37 Mat. Wien, Bd. 2, S. 306 (13. Oktober 1502). 38 Der Antrag, zur responsio zugelassen zu werden, in UAW, AFA 4, f. 3Ov-31r; die Aufnahme ins Fakultätskonzil ibid., f. 32v; vgl. dazu F. Stuhlhofer: Georg Tannstetter Collimitius, S. 27.
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Auch wenn er bestimmt schon in Ingolstadt von Johannes Stabius in die Mathematik eingeführt worden war,39 so betrachtete er seine Studien auf diesem Gebiet trotzdem vor seinem Wechsel nach Wien noch nicht als beendet. In Wien schloß er sich dann enger an Stiborius als Lehrer an, der wie er an der Artistenfakultät tätig war. 40 Schließlich wurde er, vielleicht als Nachfolger von Stiborius, zu einem nicht genau feststelIbaren Zeitpunkt auf eine der zwei seit 1502 bestehenden mathematischen Lekturen an der Universität Wien berufen.41 Während der nächsten 33 Jahre bis zu seinem Tod 1535,42 die er überwiegend in Wien verbrachte, veröffentlichte er zahlreiche eigene und fremde mathematische Schri ften, wobei unter den eigenen Werken eindeutig die Astrologie, für die der 1513 zum Doktor der Medizin promovierte Arzt Tannstetter43 selbstverständlich ein besonderes Interesse hatte, gegenüber anderen mathematischen und kosmographischen Stoffen überwog. 44 Wie sehr sich der humanistische Naturwissenschaftler Tannstetter dem Erbe von Conrad Celtis, von dem er in seiner Wiener Zeit offensichtlich starke Anregungen empfangen hatte, verbunden fühlte, zeigt die Sodalitas CollimitiLzna, in der er die Tradition der vom Erzhumanisten
39 Über seine Mathematikstudien in Ingolstadt haben sich keine Quellen erhalten; die Annahme beruht einzig auf seinen engen Bindungen an Stabius und seinen späteren Interessen, die allerdings zur Begründung ausreichen dürften. Die UB München besitzt eine Handschrift (4 0 Cod. ms. 743) die auf f. 156r-l6Or einen Text Theoricarum pÜlnetarum compositiones er Campano denuo abbreviatae per cÜlrissimum virum Gaeorgium(!) Collimitium Tansteterenthält, doch stammt dieser, wie schon allein die BezeichnungTannstetters als clarissimus vir bezeugt, gewiß nicht aus seiner Ingolstädter Zeit. Die Handschrift scheint in den Jahren um und nach 1500 in Wien entstanden zu sein (f. 73r: Finitus esthic liber per me michelem Golzmen de aubing tune temporis suppositum alme universitatis studii wienensis anno Salutis 1500.). Möglicherweise war dieser in der Mat. Wien nicht nachweisbare Michael Golzmen ein Verwandter von Georg Theander (Gotzmann) aus Aubing, so daß die Handschrift über Theander in die UBM gelangt sein könnte; vgl. dazu auch unten den Exkurs v., S. 480. 40 Zu Stiborius' Stellung in Wien vgl. oben S. 272. In seinen Viri Mathematici bezeichnete er neben Stabius auch Stiborius als seinen Lehrer: Index lucubratorum eiusdem magistri Andree Stiborij Boij praeceptoris mei. H. Grössing: Humanistische Naturwissenschaft, S. 183 nimmt an, daß der EinHuß von Stiborius auf Tannstetter sogar stärker war als de~enige von Stabius. 41 F. Stuhlhofer: Georg Tannstetter Collimitius, S. 28-9 diskutiert die verschiedenen zur Diskussion stehenden Daten von 1504 bis 1516 für die Berufung von Tannstetter zum Mathematiklektor ausführlich, ohne jedoch eine Entscheidung für ein bestimmtes Jahr zu fällen. Die erste Nennung Tannstetters als Viennae in astronomia professor ordinarius datiert aus dem Jahr 1511 (ibid., S. 28). 42 Zum Todesdatum wie auch zu etlichen in der Literatur angegebenen falschen Sterbedaten vgl. F. Stuhlhofer: Georg Tannstetter Collimitius, S. 21-2. 43 K Schrauf: AFM, Bd. 3, S. 84-5 und 87. 44 Die handschriftlichen wie die gedruckten Werke sind ausführlich bei F. Stuhlhofer: Georg Tannstetter Collimitius, S. 107-97 besprochen. Sie hier im einzelnen aufzulisten, würde zu weit führen. Zu Tannstetters Iatromathematik vgl. auch H. Grössing: Humanistische Naturwissenschaft, S.198-201.
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gegründeten Sodalitas Danubiana noch bis in die Mitte der zwanziger Jahre des 16. Jahrhunderts fortführte. 45 Über den TannstetterschUler Peter Apian soHte die Mathematik in Ingolstadt 25 Jahre nach der Abwanderung des Celtiskreises nach Wien wieder Anschluß an diesen gewinnen. 46 Nur am Rande sei erwähnt, daß sich während der Jahre, in denen Johannes Stabius die Mathematiklektur bekleidete, noch ein weiterer Mathematiker, der später in Wien auf eine Lektur berufen werden soHte, vorübergehend in Ingolstadt aufhielt: 1498 trug sich Stephan Rosinus (Rösslin) in die Matrikel ein. 47 Er hatte 1496 in Krakau den Magistertitel erworben48 und war dann, nachdem er sich vergeblich um die DomschulmeistersteHe in Augsburg beworben hatte, eigentlich mehr aus Verlegenheit nach Ingolstadt gekommen. Seine Angehörigen erklärten sich nur unter der Bedingung bereit, ihn weiterhin zu unterstützen, wenn er in Ingolstadt das Jurastudium aufnehme.49 Er hat Ingolstadt dann auch möglichst schneH wieder den Rücken gekehrtSO und schließlich 1503 als Mathematiklektor an Celtis' Collegium poetarum et mathematicorum eine SteHung gefunden, die seinen Neigungen mehr entsprach als das Rechtsstudium.51 Über irgendwelche näheren Kontakte zwischen Rosinus und Stabius während ihrer kurzen gemeinsamen Zeit in Ingolstadt oder über einen merklichen Einfluß Rosinus' auf die Mathematik in Ingolstadt ist nichts bekannt.
Die ,Vertreibung< aus Ingolstadt Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß Stabius schon 1497 in Wien versucht hatte, eine geistliche Pfründe zu bekommen,52 und daß er sich in Ingolstadt nach dem Abzug von Celtis und Stiborius ziemlich verlassen fühlte. 53 Deswegen hatte er auch anscheinend nach seiner Berufung auf die mathematische Kanzel nichts 4S Zu diesen beiden Sodalitäten vgl. (]u. Treml: Humanistische Gemeinschaftsbildung, S. 55-9 und G. Bauch: Die Rezeption, S. 75-f,7. Zur SodaliJas CollimiJiana vgl. auch H. Grössing: Humanistische Naturwissenschaft, S. 181-2. 46 Vgl. unten S. 358. 47 Mat. Ingolstadt, Bd. 1, S. 270. 48 G. Bauch: Deutsche Scholaren, S. 50 Nr. 30. 49 H. Rupprich: Der Briefwechsel, S. 340-1 Nr. 206 (Rosinus aus Ingolstadt an Celtis in Wien, 25. Oktober 1498). In diesem Brief schildert er dem Freund seine Mißerfolge, an denen auch der Empfehlungsbrief. den Celtis ror ihn nach Ausgburg gesandt hatte, nichts änderte. Außerdem bittet er ihn flehentlich um Hilfe, um möglichst schnell dem ihm aufgezwungenen Jurastudium wieder entkommen zu können. so Seinen nächsten Brief an Celtis vom 10. Mai 1499 hater bereits aus Rom geschrieben (H. Rupprich: Der Briefwechsel, S. 359-61 Nr. 216). SI H. Grossing: Humanistische Naturwissenschaft, S. 190. S2 Vgl. oben S. 271. S3 Vgl. oben S. 272 Anm. 3.
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Eiligeres zu tun, als möglichst schnell seine Freunde in Wien zu besuchen.54 Es gibt sogar ein Indiz, welches darauf hindeutet, daß er von dort Ende August 1498, also Ober sieben Monate nach seiner Anstellung, noch immer nicht zurückgekehrt war. 55 Bei diesem Sachverhalt verwundert es auch nicht, wenn Stabius im März 1502, fUnfMonate nachdem Celtis von Maxi mi Ii an I. die Stiftungsurkunde für das Collegium poetarum et mathematicorum erlangt hatte, nach Wien umzog, wo ihm Stiborius eine Stellung als Mathematiker an der Universität verschaffen wollte.56 Da jedoch damals noch nicht völlig klar war, ob die Mathematiklekturen, wie im Stiftungsbrief des Collegiums vorgesehen, dem Collegium oder aber doch der Artistenfakultät angegliedert werden sollten,57 und da ebensowenig feststand, ob 54 In seinem Bericht über die Berufung von Stabius zum Mathematiklektor kündigte Hieronymus de Croaria an, daß Celtis die Einzelheiten der Verhandlungen bald persönlich von Stabius mitgeteilt bekommen würde; vgl. H. Rupprich: Der Briefwechsel, S. 319 (Croaria an Celtis in Wien, 10. März 1498; abgedruckt im QuellenanhangS. 496f.): Quantum promotio tua et communis nostri amici Andreae pro Johanne Stabio facta valueril, ipse ex ore eiusdem, ut puto, percipies. Also plante Stabius damals eine Reise nach Wien. Vermutlich hat er sogar als Bote für den Brief von Croaria an Celtis fungiert. 55 Nämlich jene nach dem 31. August 1498 entstandene Gehaltsliste (UAM, E I 1, f. 1v; vgl. oben S. 274 Anm. 9.). In dieser Liste werden sämtliche Lektoren namentlich mit ihren Gehältern angegeben; auch der von seiner Stellung zur Universität her mit dem Mathematiker vergleichbare PoetJ akob Locher Philomusus. Nur anstelle des Namens von Stabius steht die Funktionsbezeichnung astronomo. Dies kann nur dahingehend interpretiert werden, daß sich der Kämmerer nicht völlig sicher war, ob dieser astronomus nun wirklich der im Januar berufene Stabius war. Wenn sich dieser, wie nach dem Brief von Croaria in Kombination mit der Gehaltsliste anzunehmen ist, wirklich seit März in Wien aufhielt und noch immer nicht nach Ingolstadt zurückgekehrt war, ist diese Unsicherheit des Kämmerers verständlich. 56 H. Rupprich: Der Briefwechsel, S. 474 (Vinzenz Lang an Celtis, 12. März 1502): Johannes Stabius die Saturni ante dominicam Laetare [5. März 15021 Viennam venit, quem Andreas Stiborius fovet et secum in nova domo mathematicorum Viennensis studii collocare et fovere intendit. 57 Zu diesen Auseinandersetzungen um die Ansiedlung der Mathematiklekturen am Collegium oder an der Artistenfakultät, deren Ausgang in der Forschung noch nicht restlos geklärt werden konnte, vgl. G. Bauch: Die Rezeption, S. 123-30. Wahrscheinlich endeten sie mit einem Komprorniß, nach dem den Mathematikern eine MittelsteIlung zwischen Artistenfakultät und Collegium zukam (ibid., S. 130). Aufschlußreich an dieser Diskussion ist, daß auch Stiborius trotz seiner Freundschaft mit Celtis für die Anbindung an die Artistenfakultät eintrat. Dies fügt sich einerseits in die von ihm schon immer verfolgte Linie, nach der er in Ingolstadt wie in Wien nie zugunsten des Erzhumanisten die Integration in die Artistenfakultät aufgegeben hatte. Andererseits wirft es aber auch ein bezeichnendes Licht auf die Erfolgschancen, die er dem Collegium unter Celtis' Leitung einräumte; seine Meinung über dessen Organisationstalentscheint nicht allzu hoch gewesen zu sein; vgl. zu den Gründen für das letztendliche Scheitern des Projekts auch H. Grössing: Humanistische Naturwissenschaft, S. 148: Mit der von Maximilian J. am 31. Oktober 1501 ausgestellten Gründungsurkunde des ,Collegium', die wahrscheinlich von Celtis konzipiert und deren Ausfertigung von ihm bezahlt worden war, stand der Dichter-Humanist und Naturwissenschafter vor einem Beginnen, das ihm sogleich schwierige administrative und personelle Probleme vorlegte, die ihm nicht wenig zu schaffen machten. Mit der Idee hielt eben die Tat nicht Schritt: das Schicksal von Konrad Celtis.
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5. Kapitel: Mathematik im Celtiskreis
Stabius wirklich zum Zuge kommen würde - erst später stellte sich dann heraus, daß nicht er, sondern Stiborius und Rosinus angestellt wurden - , ist es ebenso verständlich, daß er vorläufig noch nicht auf seine Mathematiklektur in Ingolstadt resignierte, sondern mit Hieronymus Rud vorläufig nur einen Stellvertreter benannte. 58 Erst als er 1503 bei Maximilian I. eine Position als Hofhistoriograph gefunden oder wenigstens sicher in Aussicht hatte, gab er seine Lektur in Ingolstadt auf. 59 Diese Motive reichen zur Erklärung von Stabius' Wechsel nach Wien, wie auch zur Begründung der konkreten Details dieses Umzugs aus, doch muß sich zu Beginn des Jahres 1502 in Ingolstadt noch etwas anderes ereignet haben, was möglicherweise Stabius' Abzug nicht unwesentlich beschleunigte: Gemeint ist die sogenannte Vertreibung Stabius' aus Ingolstadt, derer Jakob Locher den Theologen Georg Zingel in einer persönlichen Fehde beschuldigte.6o Kurz nach seinem Wechsel an die Universität Freiburg veröffentlichte Locher, dessen Abschied aus Ingolstadt keineswegs harmonisch verlaufen war, eine Invektive gegen den Theologen Georg Zingel, in der er diesen unter anderem dafür verantwortlich machte, daß Johannes Stabius 1502 die Universität Ingolstadt verlassen hatte. Zingel habe dazu geraten, aus Ingolstadt die Astrologen und die Mathematiker zu vertreiben, wovon Johannes Stabius ein Lied singen könne. Diesem habe er das Recht, astrologische Vorhersagen zu ersteHen, untersagen wollen und deswegen einige Mönche und fast die ganze Universität gegen Stabius aufgehetzt. 61 Zingel und die Universität ließen diese Beschuldigungen nicht unerwidert. 1505, etwas spät, veröffentlichte die Universität eine umfangreiche Verteidigungsschrift gegen Lochers Angriffe, in der sie sich auch gegen die wegen Stabius erhobenen Vorwürfe zur Wehr setzte. Zwar habe schon Plato angeblich die Weissager aus der Stadt vertrieben, und das göttliche wie das menschliche Recht würden unter schwersten Strafen die Lektüre der Schriften dieser Weissager verbieten. Aber es sei in Ingolstadt nichts davon bekannt, daß Zingel etwas gegen 58 Vgl. dazu unten S. 286. H. Grössing: Johannes Stabius, S. 246 meint, daß Stabius doch bis zum Sommer 1503 als Mathematiker am Collegium gelesen hätte, doch ist dies den Quellen ebensowenig eindeutig zu entnehmen wie das Gegenteil davon. Weil Stabius aber bis zum April 1503 noch nicht auf seine Ingolstädter Lektur resignierte, halte ich es für wahrscheinlicher, daß er bis dahin in Wien noch keine zukunftsträchtige Anstellung gefunden hatte. S9 Zur Resignation Stabius' auf seine Ingolstädter Lektur vgl. UAM, D III 1, f. 472r (abgedruckt im Quellenanhang S. 497; dazu auch unten S. 287.). Zur Anstellung als Hofhistoriograph bei Maximilian I. vgl. H. Grössing: Johannes Stabius, S. 246. Das genaue Anstellungsdatum innerhalb des Jahres 1503 steht nicht fest. (j() Zu dieser Fehde vgl. K Prantl: Geschichte, Bd.1, S.131-3, G. Bauch: Die Anfänge des Humanismus, S. 72 und G. Heidloff: Untersuchungen, S. 158-9. 61 J. Locher: Apologia, f. 3v: Ab urbe auripolitana vates: et mathematicos expellendos suasit: seit hocce vaframentum doctus vir Ioannes stabius poeta et Mathematicus: cui artem divinandi iudicandique adimere voluit: contra quae quosdam religiosos patres: totumque pene gymnasium concitaverat (... ).
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den Mathematiker unternommen hätte. Lediglich die Astrologie und Weissagerei hätten Zingel wie auch seine Kollegen in den Lehrsälen entkräftet.62 Locher veröffentlichte als Antwort auf diese Expurgatio nochmals eine Schmähschrift gegen Zingel;63 auf die Vertreibung von Stabius kommt er hier aber nicht mehr zu sprechen. Es steht in dieser Affäre Aussage gegen Aussage, und da keine weiteren Quellen zu dem Vorfall existieren, wird es wohl unmöglich sein, jemals in Erfahrung zu bringen, was sich 1502 wirklich ereignet hat. Ein wenig Ucht ist allerdings durch eine Untersuchung des Umfeldes des Streites in das Dunkel zu bringen. Die einzige Konzession, die Zingel und die Universität gegenüber den Anschuldigungen von Locher in ihrer Expurgatio machten, war die, daß Zingel und seine Kollegen Gegner der astrologischen Vorhersagen seien. In der Tat hat dann auch Zingel bei den Berufungsverhandlungen von 1503 verlangt, daß der zu berufende Kandidat vor seiner Anstellung zu examinieren sei, was sich wohl kaum auf dessen Fähigkeiten als Mathematiker bezog, sondern vielmehr auf seine Einstellung zur Astrologie.64 Die Kontrolle der astrologischen Juditien durch den Rektor und die Dekane vor der Veröffentlichung spielte dann auch eine Rolle bei den Verhandlungen über die Nova Ordinatiovon 1507, wobei damals behauptet wurde, diese Kontrolle sei bereits früher beschlossen worden. Möglicherweise war dieser Beschluß um 1502 und im Zusammenhang mit der Vertreibung gefaßt worden;6s zumindest zu den Zeiten von Johannes Engel, der seine Vorhersagen noch in privater Regie zusammen mit dem Drucker Georg Wirtrel herausgab," hatte eine solche Vorschrift noch nicht bestanden. Es scheint also zumindest ein wahrer Kern in der Behauptung von Locher zu stecken. Trotzdem muß man sich davor hüten, Lochers Anschuldigungen wörtlich zu nehmen. Bei der Apologia handelt es sich um eine typische humanistische Schmähschrift, von denen Locher im Verlauf seines Lebens noch mehr publizieren sollte. 67 Die Fehde mit Zingel hatte schon einige Jahre vor 1503 begonnen,68 62 Expurgatio, f. Sv: Simul et divinatores [sc. außer den Poeten] PÜltonem eliminasse fertur. Quorum artem sub gravissimis penis divina et humana iura non sine maximis rationibus legi prohibuerunt. Nos vero nunquam audivimus dominum Georgium in mathematicum aut poetam invexisse, nec verisimile est quod vir tante prudentie et etatis [Zingel war schon über siebzig] contra huiusmodi homines verbis contendat. Divinatricem autem artem et ipse et nos in scolis publicis carpimus. 63 J. Locher: In anticategoriam rectoris. 64 UAM, D III I, f. 472v; abgedruckt im Quellenanhang S. 498f. Vgl. dazu ausführlich unten S. 289. 65 Vgl. unten S. 306. 66 Vgl. oben S. 229. 67 Zu seinen Fehden in den Jahren 1503 bis 1506 vgl. G. Heidloff: Untersuchungen, S. 158-64. Die Streitschriften sind verstreut in der Bibliographie der Werke Lochers ibid., S. 18-139 zu finden. 68 Die erste Andeutung eines solchen Streites findet sich in einem Brief Lochers an Celtis vom 19./20. April 1500 (H. Rupprich: Der Briefwechsel, S. 397-8 Nr. 238). In einem
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5. Kapitel: Mathematik im Celtiskreis
die Apologia war nur der Höhepunkt eines allmählich eskalierenden Konflikts. Dabei hatte Zingel in Ingolstadt zu den treu esten Freunden von Celtis gezählt und diesem, als er im Oktober 1497 nach Wien aufbrach, sogar noch mit einem Darlehen ausgeholfen. 69 Die Beschimpfung Zingels als hostis poetarum im Titel von Lochers Apologia entpricht somit keinesfalls den Tatsachen. Allerdings ist anzunehmen, daß sich der über siebzigjährige Zingel an dem arroganten Benehmen des gerade dreißigjährigen Locher stieß und diesem deswegen nicht die Sympathien, die er gegenüber Celtis hegte, entgegenbrachte. Unabhängig davon, wie viel oder wie wenig von Lochers Vorwürfen wegen der Vertreibung Stabius' aus Ingolstadt wahr ist, darf diese lediglich als der letzte Anlaß, nie jedoch als der eigentliche Grund für Stabius' Abwanderung nach Wien betrachtet werden. Daß er diesen Schritt unternehmen würde war spätestens seit dem Zeitpunkt, zu dem Celtis auf die institutionelle Verwirklichung seiner Bildungsideen im Wiener Collegiumpoetarum et mathematicorum hoffen durfte, abzusehen. Mit Georg Tannstetter zog Stabius dann auch noch im Herbst 1502 den letzten oder vielleicht auch vorletzten Verfechter der Ideen von Conrad Celtis nach. Es verblieb, quasi als Nachhut der Nachhut, noch Hieronymus Rud in Ingolstadt. Ob er plante und in der Lage gewesen wäre, das Werk von Stabius fortzuführen, muß offenbleiben, denn sein früher Tod 1503 oder 1504 hinderte ihn an der Entfaltung.
Brief an Celtis vom 30. Juni 1501 (H. Rupprich: Der Briefwechsel, S. 449-50 Nr. 261) ließ er der Wut auf seine Gegner in Ingolstadt dann bereits freien Lauf; er bezeichnet sie als Einfaltspinsel (buccones) und leere Schwätzer (blaterones), er frägt Celtis, ob er, Locher, denn ein Esel unter Affen sei, und verballhornt den lateinischen Namen von Ingolstadt (Auripolis) zu Ackerstadt (Agragopolis). 69 H. Rupprich: Der Briefwechsel, S. 291-2 Nr. 177 (Zingel an Celtis, 26. Oktober 1497).
Sechstes Kapitel
Die Mathematiklektur zwischen Universität, Herzog und Artistenfakultät Durch den Weggang des Celtiskreises nach Wien entstand um die Mathematiklektur ein Vakuum: Hatte sich Conrad Celtis 1498 von Wien aus noch persönlich dafür eingesetzt, daß mit Johannes Stabius ein seinen Vorstellungen entsprechender Nachfolger für Johannes Engel berufen wurde, l so zeigte dagegen 1503 niemand mehr aus seinem Kreis Interesse daran, die Verhandlungen über eine Neubesetzung der Lektur in irgendeiner Weise zu beeinftußen.2 Die Umstände des Abzugs von Johannes Stabius aus Ingolstadthatten mit Sicherheit ihren Anteil daran. 3 Damit waren Einwirkungen von anderer Seite die Tore geöffnet. 1503 bemühte sich der Herzog erstmals, die Lektur mit einem von ihm präsentierten Kandidaten, nämlich Johannes Ostermair, zu besetzen. Er sah sich jedoch dem geschlossenen Widerstand der Universität gegenüber, die den Magister Hieronymus Rud, den noch Johannes Stabius als seinen Vertreter eingesetzt hatte, dem ihr unbekannten Ostermair vorzog. Der Herzog gab vorläufig nach und berief Hieronymus Rud. Trotzdem kam Ostermair nach Ruds Tod 1503 oder 1504 auf die Lektur, wobei die Umstände seiner Berufung im Dunkeln liegen. Als 1513 Johannes Ostermair starb, änderte sich die Situation nochmals grundlegend: Die Artistenfakultät entdeckte die mathematische Lektur als Einnahmequelle für ein Mitglied ihrer Oligarchie und engagierte sich bei den Herzögen zu Gunsten von Johannes Würzburger. Anders als Georg der Reiche 1503, machten die Herzöge keinen Versuch mehr, einen eigenen Kandidaten zu präsentieren. Die Mathematiklektur war zu einer Pfründe für einen verdienten artistischen Magister herabgesunken. In die Mitte dieser Periode, als gerade der herzogliche Kandidat die Mathematiklektur bekleidete, fallen die Beratungen über die Nova Ordinatio. Die Frage nach dem Platz, den der Poetik- und der Mathematiklektor in der Gesamtuniversität einnehmen sollten, trat damit in den Mittelpunkt. Während der humanistischen Phase hatten beide Lekturen eher neben der Universität und ihren Fakultäten gestanden. An ihren Einbau in die Artistenfakultät dachte auch 1507 keiner, doch wurden die beiden Lektoren durch die Nova Ordinatio senatsfähig. Vgl. oben S. 273. Auch Hieronymus de Croaria, der 1498 als Celtis' Agent in Ingolstadt fungiert hatte (vgl. oben S. 273), fügte sich, wie im folgenden zu zeigen sein wird, 1503 fast widerstandslos in die neue Situation. 3 Vgl. oben S. 282ff. 1
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6. Kapitel: Zwischen Universität, Herzog und Artistenfakultät
Dem Poeten gelang es, in der Rangleiter eine Stellung direkt unter den oberen Fakultäten und noch vor den Artisten zu gewinnen, wogegen dem Mathematiklektor Johannes Ostermair, für den erschwerend hinzukam, daß er keinen akademischen Grad besaß, der letzte Platz zugewiesen wurde. I. Die Verhandlungen von 1503: Hieronymus Rud (1502/03-1503/04) Johannes Stabius hatte es bei seinem Aufbruch nach Wien im März 1502 vermieden, alle Brücken hinter sich abzubrechen, und deswegen noch nicht förmlich auf seine Lektur resigniert. Vorläufig bestimmte er mit Magister Hieronymus Rud aus Heubach einen Vertreter, der an seiner Stelle während seiner Abwesenheit die Lektur versehen sollte. 1 Rud gehörte zu diesem Zeitpunkt zwar dem Gremium der in der Artistenfakultät lesenden Magister an, war aber mit Sicherheit im März 1502, als Stabius ihn zu seinem Stellvertreter ernannte, noch nicht Mitglied des Fakultätskonzils, da seine Promotion zum Magister gerade erst 14 Monate zurücklag. 2 Die Universität nahm an dieser über ein Jahr dauernden ungeklärten Situation keinen Anstoß und wurde von sich aus vorläufig nicht aktiv. Die Initiative zur Klärung der Lage kam vom herzoglichen Hof: Anfang April 1503 übergab der in Ingolstadt unbekannte Johannes Ostermair dem Rektor ein herzogliches Schreiben, in dem er der Universität als Mathematiklektor präsentiert wurde. 3 Über Ostermair ist noch weniger bekannt als über Rud. Es steht nur fest, daß er keinen akademischen Grad besaß und deswegen wohl als Beru!smathematilrer betrachtet werden muß. 4 Diese herzogliche Initiative traf die Universität völlig unvorbereitet, wie die Voten der einzelnen Fakultäten in der deswegen am 4. April 1503 einberufenen Senatssitzung erkennen lassen.5 Klarheit herrschte nur über die Ablehnung 1 In den gleich zu besprechenden Verhandlungen vom 3. April 1503 erklärte die Artistenfakultät eindeutig (UAM, D III I, f. 472r): Et quia stabius subordinavit aliquem in locum suum ( ... ). Daß damit nur Hieronymus Rud gemeint sein kann, geht aus dem Bestätigungsschreiben von Herzog Georg dem Reichen vom 7. April 1503 hervor, in dem er bestimmt, daß Rud doch Nu weiter dann biP uff unnser widerrufen bestellt werden soll (UAM, E I I, f. 18v); d. h. daß Rud schon vorher gelesen hat. Die hier zitierten Quellen sind alle im Quellenanhang S. 497fI. abgedruckt. 2 Zum Werdegang von Hieronymus Rud vg!. oben S. 275. 3 Der Brief selbst ist nicht erhalten, doch geht sein Inhalt aus den folgenden Senatsverhandlungen hervor; vgl. UAM, D III 1, f. 472r. Das Protokoll, auf dem auch die folgenden Ausführungen basieren, ist im Quellenanhang S. 497 abgedruckt; auf Zitate wird deswegen verzichtet. 4 Auf Ostermair wird ausführlicher unten S. 291fI. eingegangen. Die fehlende Graduierung ergibt sich aus den Beratungen über die Nova Ordinatio; vg!. unten S. 302. 5 Zum Konzilsverfahren vor der Nova Ordinatio von 1507 vg!. A. Seifert: Statutenund Verfassungsgeschichte, S. 205-16, bes. S. 211-3: Nachdem die zu behandelnden
I. Hieronymus Rud
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des herzoglichen Kandidaten Johannes Ostermair, da niemand seine fachliche Qualifikation kannte. 6 Ansonsten sind die Voten der einzelnen Fakultäten durch die Unsicherheit in der Beurteilung der Lage gekennzeichnet. Vor allem die ungeklärte Frage, ob Johannes Stabius nunmehr abgesetzt sei oder nicht, stand einer eindeutigen Stellungnahme im Wege. Erst in seiner conclusio gab der Rektor überraschend bekannt, er habe durch einen Briefvon Johannes Stabius erfahren, daß dieser nicht nach Ingolstadt zurückkehren wUrde. Der Brief muß in Ingolstadt eingetroffen sein, nachdem die Fakultäten ihre Beratungen über diesen Tagesordnungspunkt abgeschlossen hatten, doch noch ehe die Senatssitzung beendet war. Auch dieser Umstand unterstreicht, wie wenig Klarheit zu diesem Zeitpunkt in Ingolstadt über die schwebende Berufungsfrage bestand. Das Votum der Artistenfakultät kam einer Stimmenthaltung gleich. Sie gab lediglich zu Protokoll, daß man zufrieden sei, wenn ein geeigneter Mathematiker berufen würde. Die oberen Fakultäten nutzten die Gelegenheit, um ihre grundsätzlichen Ansichten über die Mathematiklektur zum Ausdruck zu bringen. Der Vorschlag, dem sich die anderen oberen Fakultäten mehr oder weniger anschlossen, kam dabei von der medizinischen Fakultät: Man solle den Mathematiker aus der Artistenfakultät nehmen und sein Gehalt verringern. Außerdem müßte er verpflichtet werden, an allen Feiertagen und an anderen Tagen, an denen nicht ordinarie gelesen werde, seinen Stoff vorzutragen. Als Kandidat wurde Hieronymus Rud vorgeschlagen. Die juristische Fakultät konkretisierte die Gehaltsvorstellungen, indem sie 16. fl., d. h. die Hälfte dessen, was Stabius erhalten hatte, vorschlug, gab jedoch zugleich zu erkennen, daß sie eigentlich den Mathematiklektor für überflüssig hielt und es viel dringlicher wäre, einen lector in decretis anzustellen. Die theologische Fakultät hatte dem Vorschlag der Mediziner nichts Neues hinzuzufügen.
In diesem Sinn faßte dann der Rektor, nachdem er bekannt gegeben hatte, daß mit Stabius' Rückkehr nicht mehr zu rechnen war, auch seine conclusio ab: Dem Herzog sollte mitgeteilt werden, daß man Hieronymus Rud berufen wollte und daß dieser nur mehr während der größeren Ferien lesen sollte. Von Johannes Ostermair, dem herzoglichen Kandidaten, war nicht mehr die Rede. Diese Voten lassen erkennen, welche Kluft sich zwischen den Vorstellungen, die der Celtiskreis vertreten hatte, und den Vorstellungen der Universität auftat. Tagesordnungspunkte vom Rektor formuliert worden waren, gab jede Fakultät ihr Votum ab. Die Artistenfakultät begann, dann folgten die medizinische und die juristische Fakultät; das letzte, und damit häufig wichtigste Votum blieb der theologischen Fakultät. Am Ende faßte der Rektor die vorgebrachten Meinungen zusammen und formulierte daraus die conclusio. 6 Nur die theologische Fakultät äußerte sich nicht hierzu, doch ist ihr Eintreten rur Hieronymus Rud aussagekräftig genug, um sagen zu können, daß auch sie sich in diesem Punkt der Meinung der anderen Fakultäten anschloß.
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6. Kapitel: Zwischen Universität, Herzog und Artistenfakultät
Die Artistenfakultät zeigte sich, wie kaum anders zu erwarten war, völlig unbeteiligt. Die Halbierung des Gehaltes wurde durch die finanziellen Interessen der Universität diktiert, doch mußte allen, die an der Entscheidung mitwirkten, klar sein, daß man für diese Summe kaum einen gut qualifizierten Mathematiker gewinnen konnte. 7 Der Antrag der medizinischen Fakultät, den Mathematiker an den lesfreien Tagen vortragen zu lassen, könnte dem Wunsch entsprungen sein, dadurch den Studenten der Medizin, für die die Mathematik einige Bedeutung besaß, den Besuch der mathematischen Vorlesungen zu ermöglichen. Zugleich bedeutete aber auch diese Maßnahme eine Degradierung des Mathematiklektors; an Feiertagen fanden sonst nur die Vorlesungen der Bakkalare statt. Die von den Fakultäten geäußerten Meinungen mußten nicht unbedingt mit den Ansichten aller ihrer stimmberechtigten Mitglieder übereinstimmen, da die Mehrheit entschied. Einzelne Professoren und Magister konnten durchaus eine davon abweichende Meinung vertreten, nur kam diese dann im Votum der Gesamtfakultät nicht mehr zum Ausdruck. 8 Herzog Georg der Reiche ging erstaunlich schnell auf die Wünsche der Universität ein und bestätigte bereits am 7. April 1503 die Berufung von Hieronymus Rud zu den von der Universität vorgeschlagenen Bedingungen.9 Warum er als Landesherr seinen Kandidaten Johannes Ostermair widerstandslos fallen ließ, ist unerklärlich. Da einige Jahre später Ostermair doch als Mathematiklektor in Ingolstadt erscheint, kann eine uns unbekannte taktische Berechnung dahintergestanden haben. Am 11. April 1503 wurde dann im Kammerkonzil die Berufung von Hieronymus Rud endgültig beschlossen. lO Da eine Neuberufung in erster Linie die 7 Es sei daran erinnert, daß Andreas A1exander in Leipzig zur selben Zeit ein Jahresgehalt von 40 0. erhielt, Konrad Tockler als zweiter Lektor jedoch auch nur 16 0.; vgl. obenS.77. 8 Daß in der theologischen Fakultät Georg Zingel und in der juristischen Fakultät Hieronymus de Croaria eine abweichende Meinung vertraten, geht aus dem Protokoll der gleich zu besprechenden Kammerkonzilssitzung vom 11. April 1503 hervor. Anders als im Senat hatte im Kammerkonzil jedes Mitglied persönlich eine Stimme. 9 UAM, E I 1, f. 18v; abgedruckt im Quellenanhang S. 498. G. Bauch: Die Anfänge des Humanismus, S. 105 hat mit falschen Emendationen einige Verwirrung in die aus den Quellen klar ersichtlichen Abläufe vom April 1503 gebracht. Er zitierte das Protokoll der Senatsverhandlungenvom 4. April 1503, für welches er auch noch falsch f. 412 statt f. 472r angab, als Nachweis für die Berufung von Johannes Ostermair, woraus sich nur der Schluß ziehen läßt, daß Bauch lediglich den Anfang des schwer zu entziffernden Textes gelesen hat. Da hierzu eine Bestätigung der Berufung von Hieronymus Rud am 7. April 1503 nicht passen konnte, behauptete Bauch einfach, daß das Datum falsch wiedergegeben und auf 1502 zu veibessern sei. Auch daß Stabius selbst Rud zu seinem Vertreter bestellt hatte, entging ihm. Damit wurde Rud für ihn zu einem Lückenbüßer, den die Universität(!) für die Dauer von Stabius' Abwesenheit 1502 eingestellt und 1503 durch Johannes Ostermair ersetzt hat. Das Protokoll zu den Verhandlungen im Kammerkonzil bemerkte Bauch gar nicht, obwohl es in UAM, D III 1 gleich auf das Protokoll der Senatssitzung vom 4. April 1503 folgt. 10 UAM, D III 1, f. 472v; abgedrucktim QuellenanhangS. 498f.
I. Hieronymus Rud
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Universitätskasse, aus der die Gehaltskosten bestritten wurden, betraf, war anscheinend auch die Zustimmung des über diese Kasse verfügenden Gremiums nötig. tl Das Interesse der Kammerkonzilsmitglieder an der Berufungsfrage war nicht mehr sonderlich groß, da in der Senatssitzung eine Woche vorher und durch das herzogliche Schreiben alle Entscheidungen bereits gefallen waren. 12 Entsprechend konnte auch der Rektor in seinem decretum die Anstellung von Hieronymus Rud beschließen. 13 Nur zwei Mitglieder des Kammerkonzils äußerten noch ihre Meinung, und beide wurden auch bereits früher im Zusammenhang mit der Mathematiklektur genannt: der Theologe Georg Zingel und der Jurist Hieronymus de Croaria. 14 Zingel betonte, daß der zu berufende Mathematiker vorher noch examiniert werden müßte und gab deswegen auch nicht seine Zustimmung zur Anstellung von Hieronymus Rud. Aus diesem Votum spricht ein tiefes Mißtrauen gegen die Mathematiker, so daß Locher nicht ganz unrecht gehabt haben wird, wenn er Zingel für die Vertreibung von Johannes Stabius aus Ingolstadt verantwortlich machte. 15 Hieronymus de Croaria, der bei der Berufung von Stabius als Celtis' Agent in Ingolstadt fungiert hatte und als einziger in den entscheidungsbefugten Gremien noch immer seinen alten Ansichten treu blieb, gab seine Zustimmung zu der gefundenen Lösung nur mit Widerwillen. Er gab zu Protokoll, daß es durchaus möglich gewesen wäre, geeignete Magister für die Mathematiklektur zu finden, die ihre Vorlesungen an allen ordentlichen Lestagen hätten halten können, fügte 11 Zum Kammerkonzil vgl. A Seifert: Statuten- und Verfassungsgeschichte, S. 329-31. Allerdings hat Seifert das hier zu besprechende Kammerkonzilsprotokoll von 1503 übersehen, so daß seine Annahme, das Kammerkonzil habe sich erst nach der Nova Ordinatio von 1507 herausgebildet, samt den Gründen, die er für die Entstehung des Kammerkonzils annimmt, hinfällig sind. Dem Kammerkonzil gehörten i. d. R alle direkt von der Universität besoldeten Professoren an, deren Gehälter durch eine eventuelle Mißwirtschaft in erster Linie betroffen gewesen wären. Jedes Mitglied des Kammerkonzils hatte eine Stimme, eine Zusammenfassungder Voten nach Fakultäten, wie im Senat, wäre beim Aufgabenbereich des Kammerkonzils auch sinnlos gewesen. Der Poetik- und der Mathematiklektor, die sich später im Kammerkonzil nachweisen lassen, gehörten ihm anscheinend 1503 noch nicht an. Daß kein Mathematiklektor an der Sitzung vom 11. April 1503 teilnahm, ergibt sich selbstverständlich schon allein aus dem Umstand, daß diese Lektur, über deren Neubesetzung verhandelt wurde, vazierte; doch auch Jakob Locher, der Poetiklektor, nahm an der Sitzung nicht teil. 12 Der Mediziner Wolfgang Peysser konnte sich des bissigen Kommentars nicht enthalten, daß die Sache doch schon im Senat durchgekaut (masticata) worden wäre. Trefflicher konnte er kaum zum Ausdruck bringen, wie lästig er es empfand, sich noch einmal mit der Angelegenheit befassen zu müssen. 13 Zur Bedeutung eines decretum vgl. A Seifert: Statuten- und Verfassungsgeschichte, S. 215. Seifert sieht in den decreta jedoch nur zur Veröffentlichung bestimmte Beschlüsse. Ob sämtliche Entscheidungen über Neuberufungen ebenfalls in die Form eines Dekrets gekleidet wurden, wäre zu prüfen. 14 Vgl. oben S. 282 und S. 273. 15 Vgl. oben S. 282
19 Schön ...
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6. Kapitel: Zwischen Universität, HelZog und Artistenfakultät
sich jedoch der Mehrheitsmeinung mit dem Hinweis, dadurch würde wenigstens verhindert, daß die Mathematiklektur völlig unbesetzt bliebe. Die in der Senatssitzung am 4. April von seinen Kollegen in der Juristenfakultät geäußerte Ansicht, daß ein lector in decretis nützlicher als ein Mathematiker wäre, wird er bei diesem Votum mit Sicherheit nicht vergessen haben. Als Anhänger der vom Celtiskreis vertretenen Ansichten muß ihn diese Entwicklung hart getroffen haben. Ob Croarias Befürchtungen berechtigt waren, kann nicht mehr beurteilt werden, denn bereits kurz nach seiner Berufung starb Hieronymus Rud. Sein Name ist im Totenbuch der Artistenfakultät vor dem Wintersemester 1504/05 zu finden; eine genaue Datierung des Eintrages ist nicht möglich, doch könnte eine Formulierung Prantls über Ruds Nachfolger Ostermair nach einem im 2. Weltkrieg verlorengegangenen Akt eventuell sogar noch auf das Jahr 1503 deuten. 16 In keinem Fall jedoch war Rud nur der Lückenbüßer, als den G. Bauch ihn in völliger Verkennung der Sachlage bezeichneteP Zwei Studenten, die sich später durch mathematische Kenntnisse auszeichneten, schrieben sich während der kurzen Zeit, die Rud als Mathematiklektorwirkte, in die Ingolstädter Matrikel ein. 1502 Georg Erlinger aus Augsburg18 und 1503 Georg Hartmann aus Nümberg. 19 Georg Erlinger2° machte sich später als Buchdrucker in Augsburg und Bamberg einen Namen. 21 Von ihm selbst stammt ein Papierinstrument,Instrumentum planeticum genannt, mit dessen Hilfe der Mondlaufund der Einfluß der Planeten dargestellt werden konnten; er druckte dieses Instrument 1516 in Augsburg. 22 Georg Hartmann dagegen betätigte sich später hauptsächlich auf dem Gebiet des Instrumentenbaus, und hier wiederum schwerpunktmäßig auf dem des Sonnenuhrenbaus.23 Über dieses Thema korrespondierte er in den Jahren 1527 16 Vgl. K. PrantI: Geschichte, W. 1, S. 137. Eine ausführliche Diskussion dieser anscheinend verderbten TextsteIle in Prantls Werlc findet sich unten in Exkurs III., S. 473. Die Totenliste in UAM, 0 IV 1, t: 162r. Direkt auf den Namen von Hieronymus Rud folgen zwei Einträge (Andreas Jachenhauserund Stephan Forster) von der Hand Johannes Salachs, Dekan im WS 1504/05, woraus sich der t. a. q. ergibt. Die Hand, die Ruds Namen und die vorhergehenden Namen eingetragen hat, ist nicht eindeutig identifizierbar. 17 Vgl. oben S. 288 Anm. 9. 1& Mat. Ingolstadt, W. 1, S. 292. 19 Mat. Ingolstadt, W. 1, S. 297. 20 Zu ihm vgl. NDB 4, S. 596 und ADB 6, S. 226-7. Zu seiner Tätigkeit als Drucker in Bamberg vgl. K Schottenloher: Die Buchdruckertätigkeit Georg Erlingers. 21 In Bamberg erschienen in seiner Druckerei u. a. ein Werk von Johann Copp über das htrolab (E. Zinner: Geschichte und Bibliographie, S. 164 Nr. 1294) und der Wandkalender von Sebald Busch (zu ihm vgl. oben S. 209) für 1526 (ibid., S. 165 Nr. 1314). Vgl. dazu K Schottenloher: Die Buchdruckertätigkeit Georg Erlingers, S. 112-5. 22 E. Zinner: Geschichte und Bibliographie, S. 150 Nr. 1049-50. Vgl. K. SchottenIoher: Die Buchdruckertätigkeit Georg Erlingers, S. 12-5 und E. Zinner: Deutsche und niederländische astronomische Instrumente, S. 36-7. 23 Vgl. E. Zinner: Deutsche und niederländische astronomische Instrumente, S. 357-68 und K Pilz: 600 Jahre htronomie in Nürnberg, S. 169-76.
11. Johannes Ostermair
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und 1528 auch mit Veit Bild, wobei die Kontaktaufnahme anscheinend durch Hartmann erfolgt war.24 Er grüßte in Bild den Stabiusschüler, von dem er noch einiges zu lernen hoffe. Die bei den scheinen vorher weder Ober den Celtiskreis noch über den Nürnberger Humanistenkreis miteinander bekannt geworden zu sein. Ob Erlinger und Hartmann die erste EinfOhrung in ihre Mathematikstudien noch von Hieronymus Rud erhalten haben, ist nicht bekannt. Als StabiusschUler hätte Rud aber gewiß Hartmann das Interesse am Bau von Sonnenuhren vermitteln können. II. Johannes Ostermair (1503/06-1513): Der Kandidat des Henogs Über die den Berufungsverhandlungen von 1503 folgenden drei Jahre schweigen die Quellen. Zu Beginn des Jahres 1506, in dem die Überlieferung wieder einsetzt, erscheint dann als Inhaber der Mathematiklektur mit einem lahresgehalt von 16 fl. plötzlich Johannes Ostermair, der herzogliche Kandidat, den die Universität 1503 abgelehnt haue.! Wann Johannes Ostermair als Lektor Nachfolger des verstorbenen Hieronymus Rud wurde, ist nicht mit Sicherheit festzustellen. Die Angaben von K. Prantl, der noch über Quellen verfügen konnte, die seit dem 2. Weltkrieg verschollen sind, lassen aufgrund ihrer Mehrdeutigkeit keine klaren Schlüsse zu. 2 Da sich Ostermair der Protektion Herzog Georgs des Reichen erfreute, Herzog Georg aber am 1. Dezember 1503 starb, hat die Annahme, daß er mit seiner Hilfe noch im lahr 1503 berufen wurde - und damit auch Hieronymus Rud noch 1503 starb -, einiges für sich;3 doch ist andererseits nicht auszuschließen, daß sich Ostermair die Hilfe der neuen Herzöge Albrecht und Wolfgang sichern konnte und erst zu einem nicht 24 Zu Veit Bild vgl. oben S. 275fI Der erste Brief von Hartmann an Bild hat sich nicht erhalten, doch nimmt Bild in seinem Antwortschreiben darauf (Augsburg, Ordinariatsarchiv, Ms. 81 11, f. 257v = A Schröder: Der Humanist Veit Bild, Nr. 292) das ihm von Hartmann dargebrachte Freundschaftsangebot an. Weitere Briefe zwischen Hartmann und Bild in Augsburg, Ordinariatsarchiv, Ms. 81 11, f. 260v und 01, f. 57r =A Schröder: Der Humanist Veit Bild, Nr. 298-9). 1 Vgl. UAM, GG IV a I, f. 20r (Jahrrechnung des IngoIstädter Kastners von Februar 1506 bis Februar 1507): Domino J ohanne(!) ostermair mathematico xvj gulden tund xiiij Ib. den. Der Gulden hatte zu diesem Zeitpunkt nur mehr den Wert von 210 den., der alte Wert des Gulden (240 den.) wurde durch das Pfund (Ib.) ausgedrückt. 2 Vgl. K Prant!: Geschichte, Bd. 1, S. 137. Prant! zitierte aus dem verschollenen Akt UAM, 0 I 3; zu den spärlichen Kenntnissen, die aus dem Versuch einer Rekonstruktion des Aktes über die Ostermair betreffenden Stücke zu gewinnen waren, sowie zu den mehrdeutigen Angaben Prantls vgl. unten Exkurs 01., S. 473. 3 Dies könnte man auch aus Prantls Angaben herauslesen, doch hatte Prant! mit ziemlicher Sicherheit nicht das herzogliche Berufungsschreiben als Quelle vorliegen; vgl. unten Exkurs III., S. 476.
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6. Kapitel: Zwischen Universität, Herzog und Artistenfakultät
genau feststell baren Zeitpunkt zwischen dem Juni 1504 und Anfang 1506 nach Ingolstadt kam.4 1. Zur Biographie und den Werken
von Johannes Ostermair
Johannes Ostermair war ein astronomischer Praktiker, der, wie seine Vorgänger Friedrich Weiß und Johannes Stabius, keinen artistischen Magistergrad besaß. Im Gegensatz zu diesen beiden scheint er aber auch nie im Verlauf seiner Ausbildung eine Universität besucht zu haben. 5 Wie fern er dem akademischen Betrieb stand, beleuchtet auch der Umstand, daß er nicht in die Ingolstädter Matrikel eingetragen wurde. Über das Umfeld, aus dem er entstammte, ist nichts bekannt. Da er der Universität Ingolstadt genau in dem Augenblick vom Herzog präsentiert wurde, in dem sich abzuzeichnen begann, daß Johannes Stabius nicht aus Wien zurückkehren wUrde, wäre denkbar, daß er sich bereits vorher längere Zeit am Hof aufgehalten hatte. Dies wäre zumindest wahrscheinlicher als die Annahme, Ostermair wäre nur durch den Zufall begünstigt gen au zu diesem Zeitpunkt bei Georg dem Reichen vorstellig
4 Der Juni 1504 als t. p. q. ergibt sich daraus, daß die Universität Ingolstadt während des Landshuter Erbfolgekrieges, der dem Tod von Herzog Georg dem Reichen folgte, den neuen Herzögen Albrecht und Wolfgang erst am 24. Mai 1504 huldigte; vgl. K Prantl: Geschichte, Bd. 1, S. 104. Der t. a. q. Anfang 1506 folgt aus dem bereits erwähnten Gehaltseintrag in das Rechnungsbuch des Ingolstädter Kastners (UAM, GG IV a 1, f. 20r); da hier das ganze Jahresgehalt abgerechnet ist, muß Ostermair auch das ganze Jahr über gelesen haben; Jakob Locher, der 1506 nach Ingolstadt zurückkehrte, erhielt z. B. nach anzal der Zeit nur 68 H. von seinen 80 H. Jahresgehalt ausbezahlt; vgl. UAM GG IV a 1, f.20r. S Mit einem 1491 in den Akten erscheinenden Johannes Ostermair, der vorübergehend als Paedagogus einiger Studenten in Ingolstadt weilte (vgl. UAM, D 1lI 1, f. 349v), ist er wohl kaum zu identifizieren, da bei den Verhandlungen von 1503 gegen den Mathematiker Ostermair angeführt wurde, daß er in Ingolstadt völlig unbekannt sei (vgl. UAM, D III 1, f. 472r). Wahrscheinlich ist dieser Paedagogus identisch mit einem Joannes ostermayr u pferrach (fehlt in der Mat. Ingolstadt), der 1490 in Ingolstadt zum Bakkalar promovierte; vgl. UAM, 0 I 2, f. 86v. Bei den Studenten handelt es sich um Johann und Veit Reiger aus Aich und Kaspar Reiger aus Weidenbach (alle Mat. Ingolstadt, Bd. 1, S. 186). Die Herkunftsorte dieser Studenten sind nicht eindeutig feststellbar, da es zwei Orte namens Weidenbach gibt, in deren Nähe ein Ort namens Aich liegt: Zum einen Weidenbach und Aich in Mittelfranken nahe Ansbach, und zum anderen Weidenbach bei Waldkreiburg und Aich bei Vilsbiburg. Auffällig ist die Nähe der letztgenannten Orte zu Landshut, von wo der Mathematiker Ostermair sich das herzogliche Empfehlungsschreiben, das er 1503 der Universität präsentierte, holte (vgl. oben S. 286). Allerdings gab es um 1500 so viele Träger des NamensJohannesOstermair, daß eine eindeutige Zuordnung nie möglich sein wird (vgl. H. Ostermair: Die Ostermair, passim). Aus eben diesem Grund ist auch die Identifizierung des Mathematikers mit einem Johannes Ostermair aus Aibling, der sich im WS 1489/90 an der Universität Wien einschrieb (Mat. Wien, Bd. 2.1, S. 211), sehr zweifelhaft.
11. Johannes Ostermair
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geworden, und dieser hätte ihn, ohne ihn näher zu kennen, der Universität sogleich als zukünftigen MathematikIektor empfohlen.6 Literarische Werke haben sich von Johannes Ostermair nicht erhalten, doch scheint er astronomische Juditien abgefaßt zu haben. 7 Mit Sicherheit hat er sich als Konstrukteur von Sonnenuhren betätigt. Eine der Sonnenuhren an der Ingolstädter Liebfrauenkirche wurde von ihm entworfen.8 Außerdem erhielt Ostermair 1507 vom Rat der Stadt Regensburg den Auftrag, am Marktturm in Regensburg eine Sonnenuhr anzubringen. Wie diese Regensburger Uhr ausgesehen hat, ist nicht bekannt. 9 6 Allerdings schweigen auch hier die Quellen. Ostermair ist nicht in den Hofkammerrechnungen, die nach 1488 noch für die Jahre 1503/04 und 1504/05 erhalten sind, zu finden; vgl. BayHStA, Herzogtum Bayern - Ämterrechnungen bis 1506, Nr. 522 und 523. Es muß dabei jedoch bedacht werden, daß auch Johannes Lichtenberger gut dreißig Jahre früher nicht namentlich in den Rechnungen aufgeführt worden war, so daß das Schweigen der Rechnungsbücher noch kein Argument dafür darstellt, daß Ostermair nicht zur Umgebung des Hofes gehört hätte. Ebenso erscheint der Name von Johannes Ostermair nicht unter den Bestallungsbriefen der Beamten und Diener von Herzog Georg (BayHStA, NKB 103). BayHStA, NKB 124 enthält zwar auch Bestallungsbriefe aus der Zeit Herzog Georgs, doch sind darunter keine Hofbeamten. Auch in der Hofordnung Herzog Georgs von 1491 (BayHStA, NKB 26, f. 255r-280r), besonders in der Tischordnung (f. 273v) wird kein Astrologe erwähnt; das Jahr 1491 wäre in Bezug auf Ostermair in jedem Fall zu früh, doch hätte die Nennung eines Hofastrologen eventuell Rückschlüsse darüber zulassen können, ob sich prinzipiell ein Astrologe in Georgs Diensten befand. 7 Dies läßt sich indirekt daraus schließen, daß bei den Beratungen über die Nova Ordinatio von 1507 auch besondere Vorkehrungen für die Stellung von Juditien getroffen wurden; demnach wurde der Mathematiker verpflichtet, jedes Juditium vom Rektor und den vier Dekanen approbieren zu lassen; vgl. G. Bauch: Die Anlange des Humanismus, S. 83. Es wäre natürlich auch denkbar, daß dieses Statut unter rein allgemeinen Gesichtspunkten erlassen wurde, zumal der Theologe Georg Zingel schon bei den Berufungsverhandlungen von 1503 verlangt hatte, daß der Mathematiker vor seiner Anstellung noch examiniert werden müsse (vgl. oben S.289). Es ist jedoch wahrscheinlicher davon auszugehen, daß auch Ostermair solche Juditien abfaßte, da die Statutengeber i. d. R. wenig Neigung dazu zeigten, Regelungen für Fragen zu entwerfen, die sich im Augenblick gar nicht stellten. S Vgl. H. Ostermair: Die Ostermair, Teil I, S. 40. 9 E. Zinner: Deutsche und niederländische astronomische Instrumente, S. 460 behauptet, der Auftrag hätte gelautet, eine Sonnenuhr ähnlich der von Stabius und Sperantius an der Nürnberger Lorenzkirche gebauten zu konstruieren. Als Quelle gibt er seine Abhandlung Die ältesten Räderuhren, S. 40 an, wo er aber nur die gleiche Behauptung aufStellte, mit einem weiteren Hinweis auf seine Schrift Die fränkische Sternkunde, S. 46. Hier hat die Suche ein Ende, denn an dieser Stelle bespricht Zinner nur mehr die Nürnberger Sonnenuhr, ohne die von Johannes Ostermair stammende Regensburger Uhr zu erwähnen. Woher Zinner die genauen Angaben über das Aussehen der Sonnenuhr genommen hat, ist somit unklar. Auf Anfrage beim Stadtarchiv Regensburg teilte mir Herr Sterl mit, daß die Ratsprotokolle aus jener Zeit bereits im 19. Jh. vernichtet wurden, so daß Zinner in keinem Fall mehr auf sie zurückgreifen konnte. Ebenfalls Herrn Sterl verdanke ich zwei weitere Hinweise auf C. Th. Gemeiner: Regensburgische Chronik und Chr. G. Gumpelzhaimer: Regensburg's Geschichte, aus denen Zinner wahrscheinlich seine Informationen nahm. Hierfür darf ich Herrn Sterl an dieser Stelle herzlich danken. Bei C. Tb. Gemeiner: Regensburgische Chronik, Bd. 4, S. 154 Anm. 307, der noch aus den vernichteten Prolo-
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6. Kapitel: Zwischen Universität, Herzog und Artistenfakultät
Auf dem Gebiet des Sonnenuhrenbaus hatten sich auch schon etliche Mitglieder des Celtiskreises betätigt,10 so daß sich Ostermair in diese Tradition einfügt. Kontakte Ostermairs zum Celtiskreis sind nicht belegt, doch kannte er Willibald Pirckheimer in Nürnberg, bei dem er im Juli 1511 als Gast weilte. Pirckheimer lud zu dieser Zeit einige namhafte Nürnberger Gelehrte zu sich zum Abendessen, und zwar auschließlich Persönlichkeiten, die ein Interesse an der Mathematik und speziell an der Kosmographie hatten: den Nürnberger Stadtarzt Johannes Lochner, den Bamberger Chorherrn Lorenz Behaim,u den Kompaßmacher Erhard Etzlaub und Johannes Werner, der in seinem Diarium Ober dieses Abendessen eine Eintragung machte. 12 Diese vereinzelte Notiz wirft doch einiges Licht auf die Kreise, in denen sich Ostermair gegen Ende seines Lebens bewegte, wenn auch die Formulierung Werners in seinem Diarium nicht unbedingt den Eindruck erweckt, als hätte Pi rckheimer die Gesellschaft aufgrund der Anwesenheit Ostermairs in Nürnberg geladen. 13 Über den Inhalt der bei diesem Essen geführten Gespräche sagt Werner nichts aus. 14 Kurz vor diesem Besuch bei Pirckheimer hatte Ostermair Ingolstadt verlassen, denn 1511 bezahlte der Ingolstädter Kastner an ihn nur mehr die Hälfte seines Jahresgehaltes aus, näm1ich 8 fl.,15 nachdem Ostermair bis dahin jährlich 16 fl. erhalten hatte. 16 1512 sind im Rechnungsbuch keine Gehaltszahlungen an Johannes kollen zitierte, findet sich der Hinweis, daß der Astronom von Ingolstadt M. Hans 1507 den Auftrag erhalten hat, eine Sonnenuhr am Marktturm zu setzen. Chr. G. Gumpelzhaimer: Regensburg's Geschichte, Bel. 2, S. 621 identifizierte diesen dann mit Ostermair. In keiner der beiden Quellen wird etwas über das Aussehen der Sonnenuhr ausgesagt, so daß die Angaben von Zinner aller Wahrscheinlichkeit nach nur auf einer Vermutung beruhen. 10 Vgl. oben S. 262tI. und S. 276. 11 Vgl. zu Behaim, der seit 1473 in Ingolstadt studiert hatte, oben S. 191. 12 Wolfenbüttel, HAB, Cod. Guelf. 17.6. Aug. 4°, f. 32v (auch abgedruckt bei F. Schnelbögl: Leben und Werk, S. 220): Die 10 Julij eomedi eum Wilibaldo pireamer et invitati illie erant J ohannes Loehner medicine doctor, Laurentius Behem deeretorum doetor, ErhardusEtzlaub Horologiorum opifex. et quidam Astrologuslngolstatensis J ohannes seilicet Ostermair. Als erster machte auf diese Quelle S. Bachmann: Johannes Werner, S. 326 aufmerksam. 13 Dies zeigt schon die Nennung von Ostermair an letzter Stelle sowie die Formulierung et quidam Astrologus Ingolstatensis J ohannes seilicet Ostermair, die den Eindruck erweckt, als sei zufällig auch Ostermair anwesend gewesen. 14 P. May: Naturwissenschaftliche Erkenntnisse, S. 177-8 schreibt, daß man sich bei diesem Abendessen über Landkarten und Geographie unterbalten habe. Allerdings sagt Werner in seinem Diarium weder an der oben zitierten Stelle noch andernorts etwas über den Inhalt der Gespräche, wie ich durch Autopsie an der Handschrift feststellen konnte. Auf Anfrage teilte mir P. May mit, daß er seine Kenntnisse über das Abendessen aus F. Schnelbögl: Leben und Werk, S. 220 gezogen habe; da auch dort nichts über die Gesprächsthemen gesagt wird, muß es sich bei der Aussage von P. May um eine reine Vermutung handeln, die jedoch, betrachtet man den Kreis der Geladenen, einige Wahrscheinlichkeit für sich in Anspruch nehmen kann. lS UAM, GG IV a 1, f. 203r (Rechnungsjahr 1511/12). 16 Vgl. UAM, GG IV a 1, f. 20r (Rechnungsjahr 1506/07), f. 57r (1507/08), f. 96r (1508/09), f. 136r (1509/10), f. 162r (1510/11). Das Rechnungsjahr begann, dies sei
11. Johannes Ostennair
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Ostermair oder einen anderen Mathematiker vermerkt,11 so daß die Reise Ostermairs, die ihn im Sommer 1511 zuerst nach Nürnberg führte, anscheinend länger gedauert hat. Es ist fraglich, ob Ostermair überhaupt vor seinem Tod noch einmal nach Ingolstadt zurückkehrte. In jedem Fall hätte er die Möglichkeit zu einer Rückkehr nach Ingolstadt besessen, da offensichtlich die Mathematiklektur auch während seiner Abwesenheit für ihn reserviert wurde. Erst nach seinem Tod im Herbst 1513 setzten die Bemühungen um die Neubesetzung der mathematischen Kanzel ein. 18 Über die Aktivitäten Ostermairs als Lektor in Ingolstadt ist nichts bekannt. Nur ein einziger Student, der sich in jenen Iahren in Ingolstadt immatrikuliert hat, zeigte später ein gesteigertes Interesse an der Mathematik: 1506 Georg Stroelin aus U1m. 19 Zum Wintersemester 1509/10 wechselte er als Ingolstädter Bakkalar an die Universität Krakau,2o und schloß sich 1511 in Wien dem Kreis des zwischenzeitlich verstorbenen Celtis an. 21 Besonders verdient machte er sich dort durch seine Mithilfe bei der Herausgabe der Finsternistafeln von Georg von Peuerbach und der Tabula primi mobilis von Regiomontanus durch Tannstetter und Stiborius. 22 Welche Rolle Ostermair bei seiner ersten Ausbildung und bei seiner Entscheidung, nach Krakau zu gehen, eventuell gespielt hat, kann nicht entschieden werden. Aus diesen wenigen Notizen über Leben und Werk von Iohannes Ostermair läßt sich zumindest der Schluß ziehen, daß er ein Fachmann gewesen sein muß, der, da er Ober keinen akademischen Grad verfügte, die Beschäftigung mit der Mathematik als seine Lebensaufgabe angesehen hat. Für einen solchen Berufsmathematiker ist es auch nicht verwunderlich, daß er die Nähe zu humanistischen nochmals wiederholt, an Mariae Lichtmeß (2. Februar) des einen Jahres und endete am selben Tag des folgenden Jahres. 17 Vgl. die Besoldungsliste in UAM, GG IV a 1, [ 238r (Rechnungsjahr 1512/13). 18 Vgl. UAM, EI 1,5. Oktober 1513 (abgedruckt im QuellenanhangS. 499): Das Empfehlungsschreiben der Artistenfakultät für Johannes Würzburger als Nachfolger Ostennairs auf der Mathematiklektur. Nur aus diesem Schreiben geht auch hervor, daß Ostennair verstorben war: Nachdem kurtzverschinen tagen Maister hans ostermair, der u:ctur in der Astronomey alhie in E. f. g universitet verweser, mit tod abgangen, (••• ). Die Anspielung auf den erst kurz vorher eingetretenen Tod von Ostennair läßt darauf schließen, daß er sich nicht allzu weit von Ingolstadt entfernt aufgehalten haben muß, da sonst die Artistenfakultät nicht so schnell Nachricht davon erhalten hätte. Merkwürdig ist, daß Ostennair hier als Maister tituliert wird, war er doch 1507 nachweislich noch nicht Magister und hat auch danach diesen Grad nicht erworben, zumindest nicht in Ingolstadt. 19 Mat. Ingolstadt, Bd. 1, S. 312. 20 Vgl. G. Bauch: Deutsche Scholaren, S. 64 Nr. 47. 21 Vgl. H. Grössing: Humanistische Naturwissenschaft, S. 190. 22 Vgl. G. Tannstetter: Viri Mathematici: Georgius Strolin Patricius Ulmensis Medi-
cinae studiosissimus: et in Astronomia apprime doctus. Cuius officio et e:xempltJribus in emendatione geminarum tabultJrum nonnunquam usus sum. Qui et ob studiorum nostrorum conformitatem [sc. die Medizin] vitaeque et morum honestatem mihi est coniunctissimus.
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6. Kapitel: Zwischen Universität, Herzog und Artistenfakultät
Kreisen suchte; dies ist durch seinen Besuch bei Willibald Pirckheimer im Sommer 1511 dokumentiert. Doch nicht nur in geistesgeschichtlicher Sicht bestand die Verbindung zwischen Mathematik und Humanismus in Ingolstadt, wenn auch weniger ausgeprägt als zur Zeit von Conrad Celtis, weiter. Auch unter dem institutionengeschichtlichen Aspekt betrachteten die Magister und Doktoren der Universität Ingolstadt die Mathematik- und die Poetiklektur, die unorganisch mehr neben der Universität standen als ihr angehörten, als etwas Zusammengehöriges. Die Verhandlungen Ober die Nova Ordinatio von 1507 zeigen dies deutlich.
2. Die Nova Ordinatio'unddie Verhandlungen von 1507: Das ungelöste Verfassungsproblem Die Nova Ordinatio, die Herzog Albrecht IV. im März 1507 der Universität zur Beratung präsentierte,23 war das Zwischenergebnis einer beinahe 20 Jahre andauernden Diskussion über eine fällige Reform der Grilndungsverfassung der Universität Ingolstadt von 1472. Die Mängel, die den Anlaß zu diesen langwierigen Diskussionen gaben, sind zu mannigfach und fUr die vorliegende Untersuchung größtenteils zu wenig relevant, als daß sie hier im einzelnen referiert werden müßten; der auch nach der Vereinigung der beiden artistischen Fakultäten der antiqui und der moderni fortschwelende Wegestreit, der durch das zahlenmäßige Übergewicht der moderni in der vereinigten Fakultät noch eher angeheizt wurde, statt allmählich zur Ruhe zu kommen, war nur einer von diesen Mängeln.24 Im Zusammenhang mit der Nova Ordinatio beschäftigte sich die Universität Ingolstadt, soweit die rur die FrIlhzeit fragmentarische Überlieferung eine solche Aussage überhaupt zuläßt, erstmals grundsätzlich mit den schon seit mehreren Jahrzehnten bestehenden Lekturen fUr Poetik und Mathematik. Fragen zur Einbindung der bei den Lektoren in die Hierarchie der Gesamtuniversität und ihre Teilhabe an den Geschäften und Entscheidungen der Hohen Schule wurden ebenso diskutiert wie Vorschriften über ihre Lehrverpflichtungen und Möglichkeiten der Kontrolle über beide Lektoren.
Bis zu diesem Zeitpunkt war die Stellung dieser Lektoren an der Universität merkwürdig undefiniert geblieben. Mehrere Faktoren, die einer Integration des Poeten und des Mathematikers in das VerfassungsgefUge der Universität im Wege standen, wirkten dabei in Ingolstadt zusammen: die Umstände bei der Einrichtung der Lekturen, die teilweise ablehnende Haltung vor allem der Artistenfakultät gegenüber den Inhabern der Lekturen, die Unregelmäßigkeiten in den Bildungsgängen von Poeten und Mathematikern, die eine Einordnung in die durch akademische Grade bestimmte Hierarchie der Universität unmöglich Ediert bei A. Seifert: Die Universität IngoJstadt, S. 58-67, Nr. 9. Eine detaillierte Darstellung der \brgeschichte der Nova Ordinatio findet sich bei A Seifert: Statuten- und Verfassungsgeschichte, S. 76-82. 23
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11. Johannes Ostermair
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machten, und die Verfassung der Universität Ingolstadt von 1472, die mit geringen Modifikationen bis 1507 Gültigkeit besaß. Im Einzelnen: Die Poeti klektur war durch ein Dekret von Herzog Ludwig dem Reichen 1477, anscheinend ohne Mitwirken der Universität, ins Leben gerufen worden. Den Anlaß dazu hatte ein Angebot des Mediziners Erhard Windsberger gegeben, gegen eine Gehaltserhöhung täglich eine Stunde über Poetik zu lesen, weil etlich Studenten sunder begir haben söllen, poetrei zu hören. 2S Trotzdem darf nicht übersehen werden, daß in den folgenden Jahren auch die Universität selbst die Initiative ergriff, um bestimmte Humanisten nach Ingolstadt zu ziehen. Während über die Verhandlungen, die der Berufung von Windsbergers Nachfolger Johannes Riedner im Jahr 1484 vorausgingen, nichts bekannt ist,2' versuchte Conrad Celtis bei seinen Bemühungen um eine dauerhafte Anstellung in Ingolstadt die ungeklärte Kompetenzfrage zwischen Universität und Herzog sowie das Interesse, das beide daran hatten, ihn nach Ingolstadt zu ziehen, auszunützen, um nach Gutdünken zwischen bei den zu lavieren. 27 Ähnlich scheint auch Jakob Locher bei seiner ersten Berufung 1498 verfahren zu sein. 28 Die Initiative zur Berufung von Seba25 Vgl. UAM, E 11,17. März. A Liess: Der Humanismus, S. 38 betont, daß die initiative hierfür nicht vom Landesherm sondern von Windsberger ausgegangen ist, doch muß umgekehrt ebenso betont werden, daß sich Windsberger mit seinem Vorschlag nicht an die Universität, sondern direkt an den Herzog wandte. Eine Einschätzung des Vorganges, der zur Gründung der Kanzel rur Poetik führte, wird nicht nur dadurch erschwert, daß Windsberger bereits als Medizinprofessor in Ingolstadt installiert war, sondern auch dadurch, daß es ihm anscheinend weniger um die Poetik als vielmehr um eine Gehaltserhöhung ging, die er mit dem Angebot, über Poetik zu lesen, begründete. Die Einrichtung einer neuen Lektur hätte wohl kaum ohne Mitwirkung der Universität ablaufen können; dagegen war es durchaus üblich, daß sich Professoren mit einer Bitte um Gehaltserhöhung direkt an den Herzog wandten, so daß sich fast der Eindruck aufdrängt, die Gründung der poetischen Kanzel sei nur ein Nebenproduktvon Gehaltsverhandlungengewesen. In jedem Fall wären die Umstände der Einrichtung der Lektur einfacher zu bewerten, wenn der neue Lektor nicht wie Windsberger bereits als Professor an einer höheren Fakultät gelehrt hätte. 26 Es hat sich lediglich die Abschrifi eines herzoglichen Briefes aus dem Jahr 1485, gemäß dem Riedner eine Gehaltserhöhung um 10 H. zugesprochen bekommt, erhalten, doch sagt dieser Brief nichts über die Berufungsverhandlungen von 1484 aus; vgl. UAM, EI 1, f. 8r. 27 Im ersten herzoglichen Anstellungsdekret vom 5. Mai 1492 (UAM, E I 1, f. 9r; ediert bei H. Rupprich: Der Briefwechsel, S. 55), demgemäß Celtis für ein halbes Jahr bestellt wurde, gab Georg der Reiche lediglich seine Zustimmung zu einer Initiative der Universität. Als Celtis sich gegen Ende des Jahres um eine Verlängerung der Anstellung bemühte, hatte er bei der Universität Ingolstadt viel von seinem Kredit verloren, weil er seine LehrverpHichtung zu sehr vernachlässigt hatte. In den mit seinem Freund Sixtus Tucher im Spätherbst 1492 gewechselten Briefen erwogen dann beide ein kombiniertes Vorgehen bei der Universität und beim Herzog, um die Verlängerung oder auch eine dauerhafte Anstellung zu erreichen (vgl. H. Rupprich: Der Briefwechsel, Nr. 42-6, S. 72-7). Das Anstellungsdekret vom Mai 1494, das Aufschluß darüber geben könnte, auf welchem Weg Celtis letztlich erfolgreich war, hat sich nicht erhalten. Vgl. allerdings zu der fehlenden obrigkeitlichen Unterstützung für Celtis und sein Bildungsprogramm oben S.269. 28 Das Anstellungsdekret für Locher hat sich nicht erhalten, doch geben zwei andere Quellen einigen Aufschluß über die Umstände seiner Berufung: In einer nach dem 31.
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6. Kapitel: Zwischen Universität, Herzog und Artistenfakultät
stian Sperantius, der von 1503 bis 1506 für die Poetik zuständig war, ging wieder nur von der Universität aus, während der Herzog lediglich seine Zustimmung zu dem Kandidaten gab. 29 Der Rückkehr Lochers nach Ingolstadt 1506 lag dagegen ein herzogliches Dekret zugrunde, durch welches die Universität, da Sperantius seine Stellung nicht gekündigt worden war, unangenehm überrascht wurde. 30 Während also bei der Berufung der Poetiklektoren die Initiative abwechselnd vom herzoglichen Hof und von der Universität gekommen war, lag in der Mathematik das Übergewicht bei der Hohen Schule. Trotz des Interesses, das schon Herzog Ludwig der Reiche an den Ingolstädter Mathematikern gezeigt hatte,31 war die Berufung der ersten drei Mathematiklektoren Friedrich Weiß, Johannes Engel und Johannes Stabius anscheinend jeweils von der Universität ausgegangen, während die herzogliche Mitwirkung auf die Zustimmung des von der Universität präsentierten Kandidaten beschränkt war. Erst 1503 versuchte Georg der Reiche, mit Johannes Ostermair einen von ihm präsentierten Bewerber für die mathematische Kanzel durchzusetzen. 32 Letztlich war für die AußenseitersteIlung, in die die Poetik- und Mathematiklektoren an der Universität Ingolstadt bis zur Nova Ordinatio gedrängt waren, jedoch nicht die Frage entscheidend, wie sich die Universität oder die Artistenfakultät zu den Lekturen und den Lektoren stellten, sondern vielmehr die spezielle August 1498 entstandenen Aufstellung der regelmäßigen Ausgaben der Universität (vgl. UAM, Eil, f. Iv; der Terminus post quem ergibt sich aus dem Jahresgehalt des Juristen Johannes Rosa von 100 H., das dieser erst am 31. August 1498 zugesprochen bekommen hatte; vgl. UAM, Eil, f. 13r) wird Locher mit einem Jahresgehalt von 40 H. geführt. Dies entsprach in ungefähr dem Stipendium von Erhard Windsberger (147740 H. Gehaltserhöhung für die zusätzliche Vorlesung über Poetik) und Johannes Riedner (bis 148540 H., danach 50 H.), während Conrad Celtis 80 H. erhalten hatte. Die Kürzung des Stipendiums bei der Neubesetzung der Lektur scheint eine Maßnahme der Universität gewesen zu sein, denn wenige Monate später, im Dezember 1498 kann Locher berichten, daß dank herzoglicher Hilfe sein Stipendium nunmehr doch 80 H. betrage: Senatus ducalis providil mihi de 80 fl., quos secta peripatetica adducto supercilio lwen/er denegasset, sed victor Apollo triumphat. Vgl. H. Rupprich: Der Briefwechsel, S. 347. Dieser Befund deutet darauf hin, daß Locher zuerst von der Universität angestellt wurde und sich erst danach an den Herzog wandte, um seine Gehaltsvorstellungen durchzusetzen. 29 Vgl. G. Bauch: Die Anfänge des Humanismus, S. 72-3 nach dem verschollenen Akt UAM, Dill 2, f. 8: Sperantius wandte sich am 26. Juli 1503 an den Senat mit der Bitte um ein Empfehlungsschreiben an Herzog Georg. Allerdings sollte sein Stipendium wieder nur 40 H. betragen. wobei verwundert, daß Bauch mitteilt, diese 40 H. hätten Lochers Gehalt entsprochen ( ... und ihm 40 Gulden wie Locher zu geben). Vermutlich handelt es sich hierbei um eine Interpretation Bauchs und nicht um ein Zitat aus dem verlorenen Akt. 30 Das herzogliche Dekret vom 16. März 1506 in UAM, Eil, f. 22r. Zu den Schwierigkeiten, die sich daraus ergaben, vgl. G. Bauch: Die Anfänge des Humanismus, S. 74-6 nach dem verschollenen Akt UAM, D ßl 2. In einem gewissen Gegensatz zu Bauchs Bericht steht die Beobachtung, daß im Rechnungsbuch der Universität für 1506 kein Gehalt für Sperantius mehr aufgeführt wird; vgl. UAM, GO IV a I, f. 20r. Vielleicht hat der Herzog, der durch seine Initiative die Verwirrung gestiftet hatte, die Abfindung von Sperantius persönlich übernommen. 31 Vgl. oben S.168 und S. 183. 32 Vgl. oben S. 286.
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Gegebenheit der Universitätsverfassung von 1472, die diesen Lektoren von ihrer Struktur her überhaupt keinen Platz im Gefüge der Universität oder ihrer Untergliederungen, den Fakultäten, bieten konnte. Auf die allgemeinen verfassungsgeschichtlichen Aspekte, die einer Integration der humanistischen Lektoren an allen Universitäten-im Wege standen, wurde bereits hingewiesen: 33 Es handelt sich um den programmatischen Anspruch der studia humanitatis, der ihren Einbau in den artistischen Cursus unmöglich machte, und um das Prinzip der von Spezialisten betreuten Fachlekturen, das dem in der artistischen Lehrverfassung gültigen Modus der walzenden Lektionen grundsätzlich widersprach. Auch das Problem der Irregularität der Bildungswege von Humanisten und Mathematikern wurde an dieser Stelle bereits behandelt. Um die speziell in Ingolstadt auftretenden Probleme verstehen zu können, ist es nötig, diese Thematik hier noch etwas zu vertiefen. Der übliche Bildungsweg begann mit dem Studium als Scholar an der Artistenfakultät, mit dem ersten Abschluß des artistischen Bakkalaureats. Scholaren wie Bakkalare besaßen als supposita in keiner Weise ein Mitspracherecht bei die Artistenfakultät oder die Gesamtuniversität betreffenden Angelegenheiten. Erst der Erwerb des Magisteriums mit dem Eintritt in das gremium der magistri regentes begründete eine Anwartschaft auf den Eintritt in das entscheidungsbefugte consilium der Artistenfakultät, in das ein Magister in Ingolstadt nach einer mehrjährigen Expektanz aufgenommen wurde. In der Regel begannen die frisch promovierten Magister, wenn sie über ihre zweijährige Lehrverpflichtung an der Artistenfakultät hinaus an der Universität blieben, neben ihrer Tätigkeit an der Artistenfakultät ein Studium an einer der drei höheren Fakultäten, an der sie wieder die Stufenleiter der Graduierungen vom Bakkalar zum Lizentiat zu erklimmen hatten. Während dieses ganzen Zeitraumes und auch noch nach der Promotion zum Lizentiaten blieben sie aber Mitglieder der Artistenfakultät, was für sie unter anderem auch den Vorteil hatte, daß sie als magistri regentes durch ihre Lehrtätigkeit an der untersten Fakultät die Kosten des weiteren Studiums bestreiten konnten. Erst der Erwerb des Doktorats an einer der oberen Fakultäten hatte automatisch das Ausscheiden aus der Artistenfakultät und damit auch den Verlust der Möglichkeit, an den Hörgeldern und Emolumenten der facultas inferior teilzuhaben, zur Folge. Allerdings bedeutete der Erwerb des Doktorgrades schon gegen Ende des 15. Jahrhunderts nicht mehr automatisch den Eintritt in eine der oberen Fakultäten; in diesen auf dem Weg zur Ordinarienfakultät bereits im 15. Jahrhundert weit fortgeschrittenen Fakultäten war der Kreis der Fakultisten schon bald nach der Gründung der Universität Ingolstadt auf diejenigen Doktoren, die als besoldete Lektoren ordinarie lasen, eingeschränkt. Die Gruppe der an der Artistenfakultät Entscheidungsbefugten war also nach unten durch die Mindestanforderung des Magisteriums samt einer Expektanz, nach oben durch die erlaubte Höchstqualifikation als Uzentiat einer oberen Fakultät begrenzt. 33
Vgl. oben S. 108ff.
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6. Kapitel: Zwischen Universität, Herzog und Artistenfakultät
Von den zehn Lektoren für Poetik und Mathematik, die bis 1507 an der Universität Ingolstadt tätig waren, besaßen nur vier, nämlich Conrad Celtis, Sebastian Sperantius, Johannes Engel und Hieronymus Rud den artistischen Magistergrad, und nur diesen. Keiner von ihnen konnte aber zum Zeitpunkt seiner Bestellung auch auf eine vierjährige Regenz an der Universität Ingolstadt zurOckblicken.34 Die zwei ersten Poeten, Erhard Windsberger und Johannes Riedner, waren auf der akademischen Stufenleiter als Doktoren in einer der oberen Fakultäten aberqualifiziert,35 die restlichen vier, Jakob Locher, Friedrich Weiß, Johannes Stabius und Johannes Ostermair, als Bakkalare oder gar ohne artistischen Grad dagegen unterqualifiziert. Von besonderer Bedeutung ist hierbei der Umstand, daß der erste Poetiklektor Erhard Windsberger nicht nur Doktor der Medizin war, sondern zugleich auch der medizinischen Fakultät angehörte, mithin also überhaupt kein Interesse daran haben konnte, zur Artistenfakultät zugelassen zu werden. Auch Conrad Celtis, dessen Verhältnis zu den modern i in Ingolstadt ohnehin getrObt war,36 verspürte wohl kaum ein Verlangen, in ein näheres Verhältnis zur untersten Fakultät zu treten. Unter den Mathematikern hätte nur Johannes Engel, der schon einmal dem consilium der Artistenfakultät angehört hatte, überhaupt die Chance besessen, Mitglied ihres Rates zu werden. Daß er es nach seiner Rückkehr nach Ingolstadt gar nicht mehr versuchte, beweist, wie fern die Mathematiklektur der Artistenfakultät stand. Als die Universität in die Beratungen über die Nova Ordinatio eintrat, wollte der Zufall, daß mit Jakob Locher und Johannes Ostermair zwei Lektoren auf den Stellen saßen, die überhaupt keinen artistischen Grad erworben hatten, nicht einmal den Bakkalaureustitel. Eine Integration in die Artistenfakultät kam also gar nicht in Frage. Doch nicht nur in der Artistenfakultät war kein Platz für eine Mitwirkung dieser Lektoren. Auch die Gesamtuniversität erlaubte vor der Nova Ordinatio diesen nur eine AußenseitersteIlung. Prinzipiell muß die Universität als Zusammenschluß von teilweise autonomen Korporationen, nämlich den vier Fakultäten, die 34 Dies gilt auch für Sebastian Sperantius und Johannes Engel, da beide zwischenzeitlich die Universität Ingolstadt verlassen hatten und nach der Berufung zum Poetikbzw. Mathematiklektor wieder dorthin zurückkehrten. Zu Engel vgl. oben S. 195tI. und S. 223tI., zu Sperantius S. 250 und S. 262. 35 Hier ist anzumerken, daß prinzipiell alle Mitglieder der Universität, die keinen Doktorgrad an einer der oberen Fakultäten besaßen, als Mitglieder der Artistenfakultät betrachtet wurden, also auch die Studenten, Bakkalare und Lizentiaten der Theologie, Jurisprudenz und Medizin. Dies ist leicht dadurch zu erklären, daß diese fast alle den artististischen Magistergrad besaßen, und zwar die Theologen praktisch ausnahmslos, die Juristen und Mediziner in der übelWiegenden Mehrzahl; vgl. A Seifert: Statuten- und Verfassungsgeschichte, S. 148tI. Der Erwerb des Doktorgrades hatte dagegen automatisch das Ausscheiden aus der Artistenfakultät zur Folge. Problematisch war die Zuordnung nur bei den Jura- und Medizinstudenten, die das Studium aufuahmen, ohne vorher die Artistenfakultät durchlaufen zu haben, und eben bei den Lektoren für Poetik und Mathematik. 36 Vgl. dazu G. Bauch: Die Anfänge des Humanismus, S. 52 und 59-60.
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das Recht eigener Statutengebung besaßen, verstanden werden. Entscheidungen im Universitätskonzil, das hier zur Unterscheidung vom Fakultätskonzil der Artisten immer mit dem erst später eingebürgerten Begriff Senat bezeichnet werden soll, wurden, wie schon die Berufungsverhandlungen von 1503 gezeigt haben, durch die Voten der vier Fakultäten getroffen; stimmberechtigte Einzelpersonen waren nicht vorgesehen. Eben deswegen konnten vor der Reform des Senats von 1507 weder der Poetik- noch der Mathematiklektor an seinen Sitzungen teilnehmen. Doch auch zu den Sitzungen des Kammerkonzils, dem alle direkt von der Universitätskammer besoldeten Professoren der oberen Fakultäten, die sechs Kollegiaten des collegium vetus und der Dekan der Artistenfakultät angehörten, scheinen sie nicht zugelassen worden zu sein. 37 An dieser Stelle setzte die Reform des Jahres 1507 ein. Die Schwerfälligkeit der Entscheidungsfindung in einem Senat, dessen Verfahren vor der Abgabe der Voten jedes Mal eine itio in partes, d. h. in die Fakultäten, erforderte, war schon lange offenbar; deshalb stand eine Reform der Senatszusammensetzung und des Abstimmungsverfahrens spätestens seit 1497 im Raum. 38 Das Hauptproblern fUr einen Übergang vom Fraktions- zum Einzelstimmprinzip war die Größe der artistischen Senatsfraktion, die von ihrer Mitgliederzahl her die Fraktionen der anderen Fakultäten um ein Mehrfaches übertraf. Sollte das seit 1472 gültige Gleichgewicht der einzelnen Fakultäten gewährleistet und einer Majorisierung des Senats durch die Artisten vorgebeugt werden, so mußte notgedrungen die Zahl der senatsfähigen Artisten radikal reduziert werden. In eben diese Richtung wiesen schon die Vorschläge, welche einige der 1497 auf herzogliche Anordnung hin über die Mängel an der Universität befragten Professoren der höheren Fakultäten, Arti stenmagi ster und teilweise auch Studenten machten. 39 Die Nova Ordinatio von 1507 setzte dann diese Vorschläge in die Realität um, indem sie die Zahl der Artisten im Senat auf vier beschränkte.
Zugleich eröffnete der geplante Übergang zum Einzelstimmprinzip aber auch die Möglichkeit, die bis dahin ausgeschlossenen Lektoren für Poetik und Mathematik in den Senat zu integrieren. Schon bei den Beratungen von 1497 wurde
37 Dies ergibt sich aus dem einzigen erhaltenen Kammerkonzilsprotokoll aus der Zeit vor 1515, UAM 0 III 1, f. 472v; abgedruckt im Quellenanhang S. 498f. Die Behauptung von H. Hradil: Der Humanismus, S. 43, daß die humanistischen Lektoren über ihren Platz im Universitätskonzil . .. in die Korporation Universität eingebunden waren, ist falsch. Vor 1507 war dies, wie eben gezeigt, gar nicht möglich. Auf die kurzfristige Veränderung von 1507 und die weitere Entwicklung, in deren Verlauf Mathematiker wie Poet wieder in der alten Außenseiterposition standen, wird sogleich eingegangen (vgl. unten S. 303). 38 Zur Vorgeschichte der Nova Ordinatio seit 1497 vgl. A Seifert: Statuten- und Verfassungsgeschichte, S. 76-9. 39 Teile des Protokolls dieser Befragung sind ediert bei K Prantl: Geschichte, Bel. 2, S. 132-5 Nr. 28, der Rest bei A Seifert: Die Universität IngoJstadt, S. 38-56 Nr. 7. Vgl. zu dieser Befragung auch oben S. 269.
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6. Kapitel: Zwischen Universität, Herzog und Artistenfakultät
dies vom Dekan der Artistenfakultät, Leonhard Gans, in Betracht gezogen.40 Ob auch der Jurist Johannes Rosa an den Poeten und den Mathematiker dachte, als er vorschlug, außer dem artistischen Dekan, den Lizentiaten und Bakkalaren der Theologie sowie den Bursenkonventoren auch alle, so von der camer sein, in den Senat aufzunehmen, ist angesichts der Unschärfe dieser Formulierung nicht zu entscheiden.41 Einen allerdings nur scheinbar entscheidenden Schritt tat dann die Nova Ordinatio, indem sie vorschrieb, daß Poet und Mathematiker Mitglieder im auf 15 Konziliare und den Rektor beschränkten Senat sein sollten.42 In der Tat nahmen dann auch Jakob Locher und Johannes Ostermair an den am 7. April 1507 beginnenden Beratungen über die Nova Ordinatio teiJ. 43 Allerdings kam es schon am zweiten Sitzungstag, an dem das Abstimrnungsverfahren im Senat und die Lokation der Universitätsmitglieder bei Prozessionen diskutiert wurden, zu Unstimmigkeiten über den Rang des Poeten und des Mathematikers.44 Obwohl die Nova Ordinatio selbst keinerlei Verfügung über diese Rangfragen traf, scheint die dem Senat präsentierte, nicht mehr erhaltene Vorlage beide bei Prozessionen vor die Magister der Artistenfakultät gestellt zu haben. An dieser Verfügung nahm der Jurist Johannes Rosa Anstoß, wobei er zuungunsten von Johannes Ostermair besonders hervorhob, daß dieser keinen akademischen Grad besäße und deswegen keinesfalls vor die artistischen Magister lociert werden dürfte.45 Rosas Meinung 40 Vg\. A. Seifert: Die Universität Ingolstadt, S. 41: Item myndrung des rats, das man alle die nemb, so besoldnet waren zu der universitet, und darzu das man heraus nemb aus der artisten fakultet ein acht oder zehen (... ). 41 Vg\. A. Seifert: Die Universität Ingolstadt, S. 40; ibid., Anm. 6 und Idem: Statutenund Verfassungsgeschichte, S. 190 interpretiert Seifert diese Stelle dahingehend, daß damit alle von der Universität besoldeten Lehrkräfte gemeint seien, doch wäre ebenso denkbar, daß Rosa nur die Mitglieder des Kammerkonzils damit ansprach. Da Seifert fälschlich die Entstehung des Kammerkonzils erst in die Jahre nach der Nova Ordinatio setzte (vg\. oben S. 289), konnte er an eine solche Interpretation dieser Aussage selbstverständlich nicht denken. Dem Kammerkonzil gehörten aber weder der Poet, noch der Mathematiker an, so daß Rosas Vorschlag noch nicht auf die Aufnahme beider in den Senat abgezielt hätte. 42 Vg\. A. Seifert: Die Universität Ingolstadt, S. 60: (•.. ) nach inen der lector in der poeter~ auch der so in der aslronomey lisst, (... ). 43 Vg\. G. Bauch: Die Anfänge des Humanismus, S. 76-7 nach dem verschollenen Akt UAM, D DI 2, f. 71. 44 Daß exakt über den Artikel der Nova Ordinatio, der u. a. die Zusammensetzung des Senats betraf, diskutiert wurde, geht aus dem Zitat hervor, das G. Bauch: Die Anfänge des Humanismus, S. 77 aus D DI 2 gibt: Super quinta articulo, incipienti: Nachdem ain yeder weiter rat (... ); vg\. dazu A Seifert: Die Universität Ingolstadt, S. 59: Item nach dem ein jeder weitter rat (... ). Die Diskussionen über diesen Punkt sind nur durch G. Bauch: Die Anfänge des Humanismus, S. 77-8 überliefert, wogegen K. Prantl: Geschichte, Bd. I, S. 137 nur ganz pauschal und teilweise mißverständlich das Endresultat der Beratungen referiert. 45 Vg\. G. Bauch: Die Anfänge des Humanismus, S. 78: (... ) quod, si aslronomus, qui non magister [sill neque aliquem gradum habeat, prelocari debeat magislrO arcium, esset illicitum, non de iure.
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schlossen sich noch der Jurist Georg Bart und der Mediziner Georg Beham an. Von den übrigen Beratenden sprach sich die Mehrzahl für die Beibehaltung der alten Ordnung, anscheinend einer nicht überlieferten Prozessionsordnung, aus; unter anderen auch der Dekan der ArtistenfakultätIohannes Faltermairund Jakob Locher. 46 Anscheinend räumte diese alte Ordnung dem Poeten einen Platz direkt neben dem artistischen Dekan und vor den übrigen Magistern ein, wobei, dies ist auffällig, sich niemand daran stieß, daß auch Locher keinen artistischen Grad besaß. Der Aktenverlust im 2. Weltkrieg erlaubt keine definitive Interpretation dieser Beratungen, doch liefen sie im Endergebnis auf den Beschluß hinaus, daß der Poet bei Senatsverhandlungen im Anschluß an den artistischen Dekan sein Votum abgeben soll, wogegen ihm bei Prozessionen ein Platz an der linken Seite des Dekans reserviert wurde. Der Mathematiker dagegen wurde in beiden Fällen auf den letzten Platz verwiesen. 47 Allerdings ist fraglich, ob diese Vorschrift der Nova Ordinatio \iberhaupt längere Zeit nach 1507 in Kraft blieb. Bis 1515 liegen keine Protokolle des Senats mehr vor; ab 1515 erscheinen dann in den Protokollen des Senats, denen gelegentlich Teilnehmerlisten beigegeben sind, nie die Namen des Poeten oder des Mathematikers. 48 In den Universitätsstatuten von 1522 sind dann der Po46 G. Bauch: Die Anfänge des Humanismus, S. 78 referiert diese Voten, doch läßt sich aus seinen Ausführungen keine vollständige Klarheit über den wirklichen Inhalt der Diskussion gewinnen. Der Einspruch Rosas zielte anscheinend nur auf die Prozessionsordnung, wogegen Bauch den Vorgang so referiert, als ob davon die Prozessionsordnung und das Abstimmungsverfahren im Senat betroffen gewesen wären. Ob dabei die Votanten wirklich auf eine alte Ordnung Bezug nahmen, ist nicht zu entscheiden, da Bauch kein Zitat anführt, sondern lediglich von der alten Ordnung in Anführungszeichen spricht; es drängt sich fast der Eindruck auf: als ob dieser Begriff erst von Bauch so fonnuliert worden wäre, der der ganzen Diskussion ein wenig hilflos gegenüberstand und sich mit dieser Hilfskonstruktion eine Verständnisbasiszu schaffen versuchte. Betrachtet man die FonnuIierung des endgültigen Beschlusses zu dieser Frage (vgl. die folgende Anmerkung), so wäre denkbar, daß die alte Ordnung ein Statut darstellte, mit dessen Hilfe ein schon länger zwischen Locher und dem artistischen Dekan ausgefochtener Streit über die Lokation beigelegt werden sollte. 47 Vgl. G. Bauch: Die Anfänge des Humanismus, S. 78: Item. De contencione inter dominum decanum prefate facultatis arcium et dominum Philomusum, poetam, de eorum prelocatione conclusum est unanimiter, quod decanus artistarum debeat votum suum dare ante Philomusum et in processionibus debeat [Philomusus] ambulare secum in latere sinistro. De mathematico vel astronomo conclusum es/, quod in locando et querendo in consilio universitatis sit ultimus. 48 Vgl. UAM, 0 III 4, p. 13-14, 15, 16, usw. G. Bauch: Die Anfänge des Humanismus, S. 76-7 hatte mit feinem Gespür die wichtige Beobachtung gemacht, daß Locher in der Liste der Teilnehmer an den Beratungen über die Nova Ordinatio gleich nach dem Dekan der Artistenfakultät und noch vor den anderen Artisten genannt ist, wogegen Ostennairs Name erst an letzter Stelle erscheint (die Liste aus dem verschollenen Akt UAM, 0 III 2 ist ibid. abgedruckt). Vergleicht man diese Liste mit den Gehaltsabrechnungen in UAM, GG IV a 1 (f. 20r, 57r, 96r, 136r, 162r, 203r und 238r), so stellt man fest, daß Locher hier erst im Jahr 1509 (f. 136r) vor die Kollegiaten des Collegium vetus rückte, während er bis dahin immer an vorletzter Stelle unter den Lektoren direkt vor dem Mathematiker Johannes Ostennair gestanden hatte. 1512 rutschte er dann plötzlich wieder hinter die
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et und der Mathematiker konsequenterweise auch nicht unter den Konziliaren genannt.49 Dagegen nahmen Poet und Mathematiker an den Sitzungen des Kammerkonzils als direkt von der Universität besoldete Lektoren mindestens von 1515 bis zum Beginn des Jahres 1517 teil. 50 Spätestens nach dem Ausscheiden von Würzburgers Nachfolger Hieronymus Rosa im Jahr 1522 war jedoch der Mathematiker nicht mehr in diesem Gremium vertreten. Dies hängt in erster Linie damit zusammen, daß die Kammer von der Besoldung Johannes Veltmillers, der zeitweise parallel zu Rosa die Mathematik in der Artistenfakultät vorgetragen hatte, vorläufig befreit war, so daß der Anlaß, aus dem der Mathematiker Mitglied des Kammerkonzils gewesen war, wegfiel.51 Doch auch nachdem die Kammer 1524 die Besoldung wieder übernommen hatte, blieb der Mathematiker ausgeschlossen. Waren somit Poet und Mathematiker durch die Nova Ordinatio wenigstens vorübergehend in einige universitäre Entscheidungsgremien integriert worden, so hatte die fürstliche Verordnung über die Frage der ihnen in der Lehre aufzuerlegenden Pflichten keine Anordnungen getroffen. Dieser Punkt blieb der selbständigen Entscheidung der Universität überlassen. Auch die Vorschriften über die Lehre dokumentieren die RandsteIlung extra facultates, die Poet und Mathematiker an der Universität Ingolstadt innehatten. Beide wurden verpflichtet, während der größeren Ferien ihre Vorlesungen zu halten,52 wobei der Mediziner Georg Beham wünschte, daß der Mathematiker außerdem auch während der übrigen Vakanzen Lehrveranstaltungen abhalte. 53 Spätestens seit dem Jahr 1503 hatte die Universität versucht, die durch diesen Beschluß statuierten Vorschriften gegenüber den Lektoren für Poetik und Mathematik durchzusetzen. Schon Hieronymus Rud war unter genau der Bedingung Kollegiaten (f. 238r). Ob diese Rückstufung vielleicht ein Reflex auf einen generellen Ansehensverlust, möglicherweise auch sein Ausscheiden aus dem Senat ist, kann bei der schlechten Quellenlage nicht entschieden werden, zumal wenn man berücksichtigt, daß sein Aufrücken nach oben in der Gehaltsliste erst 1509 erfolgt war. Johannes Ostermair dagegen stand unter den Lektoren, solange er in den Gehaltslisten nachweisbar ist, immer am letzten Platz. 49 Vgl. J. N. Mederer: Annales, Bd. 4, S. 185. .50 Vgl. UAM, D III 4, p. 343fI. Nach dem Januar 1517 (UAM, D III 4, p. 358) sind in den Protokollen keine Teilnehmerlisten mehr enthalten. 51 Vgl. unten S. 348fI. 52 Vgl. G. Bauch: Die Anlange des Humanismus, S. 81: Illud statutum, pariJeret decre-
tum approbant domini de consilio universiJatis, iJa quod poeta ac eciam astronomus sint coacti ad legendum in vacancijs maioribus, quia sint ad hoc conduct~ et quod scribendum sit principi de Philomuso, quod manuteneat illustris gracia sua illud decretum. SimiliJer astronomus legat, pro ut antecessor magister Jeronimus Rued legit, in quem locum siJ assumptus. 53 Vgl. G. Bauch: Die Anlange des Humanismus, S. 81-2: Der Dr. Boehem wünschte dazu noch, 'quod prefatus astronomus in omnibus alijs vacancijs legat'.
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eingestellt worden, daß er in den größeren Ferien Vorlesungen abzuhalten habe,54 während sich Ostermair, der unter Berufung auf seinen Vorgänger Rud an diese in seinem Anstellungsvertrag enthaltene Bestimmung erinnert wurde, anscheinend nicht an diese Klausel gehalten hatte. 55 Gleiches galt filr Jakob Locher; da man bei ihm befürchtete, daß er versuchen könnte, durch eine Supplik beim Herzog die Aufhebung des Statuts zu erreichen, sollte auch der Fürst sogleich über die ergriffene Maßnahme informiert werden. 56 Auch wenn keine früheren Vorschriften über die den humanistischen Lektoren zukommenden Leszeiten bekannt sind, so gibt doch ihre gelegentliche Benennung als lectores ordinarii zu erkennen, daß sie vor 1503 auch, und vielleicht ausschließlich an den ordentlichen Lestagen vorgetragen hatten. 57 Erst der Weggang des Celtiskreises öffnete der Universität den Weg, diese Vorlesungen in eine Randposition zu drängen, von der aus sie den ordentlichen Vorlesungen an den vier Fakultäten keine Konkurrenz mehr machen konnten. Johannes Ostermair, der in den Verhandlungen anscheinend nie sonderlich hervortrat,58 filgte sich widerspruchslos in dieses Schicksal. Gegen Jakob Locher, der sich zu wehren versuchte, scheint die Universität rigoros eingeschritten zu sein.59 Anders als für den Poeten hatte die Verlegung der Vorlesungen des Mathematikers auf die Feiertage nicht nur Nachteile. Besonders die Mediziner hatten einig~s Interesse an dieser Regelung, da es ihren Studenten so ermöglicht wurde, die Vorlesungen des Mathematikers, die zeitlich nicht mit den ordentlichen medizinischen Vorlesungen in Konflikt kommen konnten, zu hören. Nur so ist der Antrag von Georg Beham, daß der Mathematiker anders als der Poet nicht nur während der größeren, sondern währendl aller Ferien lesen sollte, zu verstehen. 6o Es sei nur daran erinnert, daß die medizinische Fakultät auch schon bei den Berufungsverhandlungen von 1503 dafür plädiert hatte, den Mathematiker an allen 54
Vgl. oben S. 287.
ss Sonst hätte die Formulierung des Beschlusses kaum gelautet: Simililer astronomus
legat, pro ut antecessor magister J eronimus Rued legit, in quem locum sil assumptus. V gl. G. Bauch: Die Anfänge des Humanismus, S. 81. .56 Vgl. oben S. 304 Anm. 52. S7 Vgl. z. B. UAM, E 11,17. März 1477; herzogliches Berufungsschreiben für Erhard Windsberger: (... ) das er alle leßtag die nm stund Innhalt seins erpilens in den zwaien küsten [sic!, sc. Medizin und Poetik] lese.; oder H. Rupprich: Der Briefwechsel, S. 145; Anrede von Trithemius in einem Brief an Conrad Celtis vom 11. April 1495: (... ) Conrado Cdti, poetae laureato, in gymnasio Ingolstatensi ordinarie legenti (.•• ); oder UAM, E I I, f. 18r, eine Schuldverschreibung Lochers bei seinem Abzug 1503:EgoJacobusLocher philomusus poeta et Orator laureatus, In poetices professione ordinarius; usw. 58 Zumindest berichtet G. Bauch: Die Anfänge des Humanismus nichts über Initiativen von Johannes Ostermair. Wären solche im verschollenen Akt UAM, D ßl 2 verzeichnet gewesen, hätte er sie bestimmt vermerkt. S9 G. Bauch: Die Anfänge des Humanismus, S. 82 berichtet, daß Locher schriftlich gegen diese Verfügung Einspruch einlegte, daß aber dieser, nachdem der Notar schon mit seiner Aufnahme in das Protokoll begonnen hatte, kurzerhand wieder gestrichen wurde. 60 Vgl. oben S. 304 Anm. 53. 20 Schöner
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lesfreien Tagen, also nicht nur während der Ferien, vortragen zu lassen, während der damals gefaßte Beschluß dann doch nur die größeren Ferien einschloß.61 Die Verlegung der humanistischen und mathematischen Vorlesungen war von längerer Dauer als die ebenfalls 1507 beschlossenen Vorschriften über die Zusammensetzung des Senats. 1522, als die Zahl der humanistischen Lektoren noch um einen Gräzisten und einen Hebraisten erweitert worden war, fand das Statut über die Ferienlektionen Aufnahme in die Neuredaktion der Statuten der Universität.62 Konsequent wurde dann auch in einem Statut über das Pedell amt von 1522 dem Pedell ausdrücklich verboten, dem Poeten den Beginn der großen Ferien anzuzeigen,63 während die kleineren Ferien auch für den Poeten galten.64 Noch ein weiteres den Mathematiker betreffendes Statut wurde während der Reformverhandlungen am 26. Juni 1507 verabschiedet: Ab sofort sollte der Mathematiker nur mehr dann ein astrologisches Juditium veröffentlichen dürfen, wenn dieses vorher vom Rektor und den vier Dekanen approbiert worden war.65 Nach den Angaben von G. Bauch war in dem verlorenen Protokoll von 1507 vermerkt, daß es sich dabei lediglich um ein älteres Statut gehandelt hat, welches nur aufgrund der Nachlässigkeit des Notars nicht in das Statutenbuch eingetragen worden war. 66 Bauch geht bestimmt nicht fehl, wenn er annimmt, daß dieses Statut zum ersten Mal im Zusammenhang mit der Vertreibung von Johannes Stabius aus Ingolstadt und auf Initiative von Georg Zingel beschlossen worden war.67 Auch hierin zeigt sich, daß wenigstens von einem Teil der Universität die astrologischen Aktivitäten des Mathematikers keineswegs gern gesehen wurden; es sei auch nur daran erinnert, daß gerade Georg Zingel bei den Berufungsverhandlungen von 1503 in der Sitzung des Kammerkonzils, als eigentlich schon 61 Vgl. oben S. 287. Das damalige \btum der medizinischen Fakultät und der Beschluß sind in QueUenanhang S. 497 abgedruckt. 62 Vgl. J. N. Mederer: Annales, Bd. 4, S.195:Ne tamen inerti otioScholasticipenitus tabescant, estivalis vacationis tempore, ideo statuimus, ut tam oratorie quam Poetices, ac Mathematice, linguarumque hebrearum ac grecarum Professores per easdem studiorum vacationes suas Lectiones continuent, et diligenter perficÜlnt, ac si nulle penitus essent vacationes. Quod si legere neglixerint, punÜlntur pro rata emende negligentÜlrum, sieut superius cavemus. 63 Vgl. A. Seifert: Statuten- und Verfassungsgeschichte, S. 504: (... ) poete autem pro universitate conducto easdem [sc. magnas vacationes] indieare intermittat. 64 Vgl. A. Seifert: Statuten- und Verfassungsgeschichte, S. 504: Alias vero vacationes (... ) indicet pedellus (••• ) et domino philomuso (.•• ). 6S Vgl. G. Bauch: Die Anfänge des Humanismus, S. 83: (•.. ) quod nullus astronomus amplius facÜlt iudieia, nisi prius sint revisa per rectorem et quatuor decanos. Die Formulierung bei K Prant!: Geschichte, Bd. 1, S. 137, daß der Mathematiker ohne Billigung des Rectors und der Decane kein Gutachten (sie!) abgeben dürfe, zeigt lediglich, daß Prant! nicht wußte, was ein Juditium eigentlich war. 66 Vgl. G. Bauch: Die Anfänge des Humanismus, S. 83. tiI Vgl. G. Bauch: Die Anfänge des Humanismus, S. 83. Zu den Umständen der Vertreibung vgl. oben S. 280ft".
11. Johannes Ostennair
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alles entschieden war, nochmals forderte, ut prius examinetur assummendus.68 Ebenso wie die Bestimmung über die Ferienvorlesungen fand schließlich auch diese Vorschri ft Aufnahme in die Statuten von 1522. 69 Überblickt man diese Vorschriften von 1507, so ist zweierlei festzuhalten. Zum einen muß gewürdigt werden, daß erstmals ein Versuch unternommen wurde, alle die Poetik- und Mathematiklektur betreffenden Fragen umfassend zu regeln und den beiden Lektoren nicht nur einen Platz an der Universität, sondern auch eine Stellung in ihren Entscheidungsgremien zuzuweisen. Betrachtet man jedoch zum anderen das Ergebnis, so nUlt dieses mehr als bescheiden aus. Nicht nur, daß die Mitgliedschaft von Poet und Mathematiker im Senat nicht lange währte und ihre Teilnahme an den Sitzungen des Kammerkonzils nicht viel länger dauerte; auch die Vorschriften Ober die Vorlesungszeiten und die zusätzliche Kontrolle über die astrologischen Juditien des Mathematikers zeigen, daß die Zeiten eines Conrad Celtis und eines Johannes Stabius längst vergessen waren. Vom allgemeinen Standpunkt aus gesehen wären die Chancen rur eine umfassende Integration der Lekturen in den Lehrbetrieb, vielleicht sogar der Artistenfakultät, nie besser gewesen als 1507. Soeben begannen sich dort für die Ethik, die Metaphysik und die Physik die ersten artistischen Fachlekturen auszubilden,7o so daß die Übertragung der unbeliebten Mathematik an einen Spezialisten, ähnlich wie in Leipzig, eigentlich dem Zug der Zeit entsprochen hätte. Doch die speziellen Voraussetzungen, unter denen die Verhandlungen aufgenommen wurden, waren so schlecht, daß sie kaum ungünstiger hätten sein können. Johannes Ostermair war ein mathematischer Praktiker, zwar ein Berufsmathematiker, aber eben kein artistischer Magister. Als solcher war er für die Artistenfakultät nicht akzeptabel, und die Zeit, in der eine obrigkeitliche Verfügung bestimmen konnte, daß ein Praktiker den ordentlichen Unterricht im Rahmen des artistischen Kurses übernehmen sollte, war noch nicht angebrochen. Erst Leonhard von Eck setzte sich mit der Berufung von Peter Apian über all diese Schranken hinweg. 71 1507 hatte sich für den Inhaber der Mathematiklektur die reelle Chance geboten, sowohl im Senat als auch in der Prozessionsordnung einen Platz vor oder an der Spitze der Artistenfakultät einzunehmen. Da Ostermair die akademische Qualifikation fehlte, wurde ihm dieser Rang verwehrt. Vgl. Quellenanhang S. 498 und oben S. 289. Vgl. J. N. Mederer: Annales, Bd. 4, S. 195: [dem de Mathemotico ordinario statuimus, ne Prognostica aut Siderum iuditia publicari faciat, nisi prius huiusmodi iuditia a Rectore et quatuor Decanis fuerint concorditer admissa. Contravenienti pena arbitrio Consilii inftigatur. Interessant ist, daß hier der Mathematiker wieder als Mathemoticus ordinarius bezeichnet wird. Zu den Veränderungen, die sich bis 1522 ergeben hatten und die diese Formulierung trotz der ebenfalls hier enthaltenen Vorschrift über die Ferienlektionen rechtfertigten, vgl. unten S. 3141f. 70 Vgl. oben S. 1421f. 71 Vgl. unten S. 3651f. 68
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So verhinderten die konkreten Umstände im Jahr 1507 eine umfassende Klärung der Verfassungsfrage ebenso wie die mögliche Einbindung des Mathematiklektors in den Lehrbetrieb der Artistenfakultät. Als Leonhard von Eck acht Jahre später zu seiner grundlegenden Reform der Artistenfakultät ansetzte, stand er bezUglich der Mathematiklektur praktisch wieder vor denselben Problemen, die sich schon 1507 gestellt hatten. In der Zwischenzeit hatte jedoch die Artistenfakultät ihr Interesse an der mathematischen Kanzel entdeckt: nicht als Fachlektur, deren Inhaber die mathematischen Disziplinen im Rahmen des artistischen Curriculums vortragen sollte, sondern als reine PfrUnde fUr ein Mitglied ihrer Oligarchie.
III. Johannes Würzburger 1(1513-1515): Der Sieg der artistischen Oligarchie Als Johannes Ostermair 1513 starb, bewarb sich mit Johannes WUrzburger erstmals ein artistischer Magister, der zugleich Mitglied der Oligarchie in der Fakultät war, um die Lektur. Um sein Ziel zu erreichen, wandte er sich an die Artistenfakultät mit der Bitte um ein Empfehlungsschreiben, das ihm diese auch ausstellte. l Die Argumente, die in diesem Brief zugunsten von Würzburger als Kandidat vorgebracht werden, werfen ein bezeichnendes Licht auf die Einstellung der Artistenfakultät zur Mathematiklektur. Selbstverständlich wird hervorgehoben, daß WUrzburger sich der Mathematik seit Jahren ganz besonders gewidmet habe. Was dann folgt, hat jedoch nichts mehr mit einer fachlichen Qualifikation zu tun: Als ein Grund, warum ihn die Artistenfakultät für würdig erachtet, wird angegeben, daß Wurzburger mehrere Jahre lang als Bursenkonventortätig gewesen sei; um der Berufung eines Mathematikers, der wie Ostermair von auswärts kam, vorzubeugen, wird der FUrst auch gleich noch darauf aufmerksam gemacht, daß in jedem Fall die in Ingolstadt bereits bekannten und verdienten Magister gegenüber Neulingen zu bevorzugen seien. Deutlicher konnte die Fakultät ihren Wunsch, das Einkommen aus der Lektur einem ihrer verdienten Magister zukommen zu lassen, kaum zum Ausdruck bringen. In der Tat hatte sich WUrzburger während langer Jahre allmählich in der Artistenfakultät hochgedient und gehörte im Jahr 1513 zu jener Gruppe der Anwärter in der Artistenfakultät, die die Hauptvorlesungen fUr die Scholaren turnusmäßig
1 UAM, E 11,5. Oktober 1513; abgedruckt im QuellenanhangS. 499. Auf Zitate wird deswegen hier venichtet.
111. Johannes Würzburger I
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unter sich verteilten 2 und aus denen sich die Kandidaten für freiwerdende Kollegiaturen rekrutierten. 3 Würzburger hatte sich 1499 in Ingolstadt immatrikuliert4 und könnte damit noch bei Johannes Stabius mathematische Vorlesungen gehört haben. Im Wintersemester 1501/02 promovierte er zum Bakkalar,s im Wintersemester 1503/04 zum Magister. 6 Schon 1507, nachdem er als magister quatuor annorum wohl gerade in das Konzil der Artistenfakultät aufgenommen worden war, nahm er an den Beratungen über die Nova ordinatio teiL 7 Während der nächsten Jahre erscheint er, soweit die fragmentarisch Uberlieferten Akten einen solchen Schluß zulassen, als eines der aktivsten Mitglieder der Artistenfakultät. Am 18. Oktober 1509, als erstmals ein von der Universität zu besoldender Lektor für die Physik, die wahrscheinlich zu diesem Zeitpunkt vom Kurs der Scholaren in denjenigen der Bakkalare gewandert ist, gewählt wurde,8 kam WUrzburger zum Zuge.9 Er muß also damals bereits zur Gruppe der Anwärter gehört haben; da der Physiklektor direkt von der Universität besoldet wurde, war es nur logisch, daß mit dem 2 Würzburger las im WS 1513/14 und im SS 1515 über Parva Iogicalia (UAM, Georg. 111/22, f. 2r und 6v; abgedruckt in Quellenanhang S. 488ff.). Der dort genannte Johannes Fischer ist mit Johannes Würzburger identisch. Dies geht nicht nur aus der unterschiedslosen Nennung beider Namen in verschiedenen Akten, die eindeutig ein und denselben Mathematiker betreffen, hervor, sondern wird auch an einer Stelle des Rechnungsbuches der Artistenfakultät ausdrücklich gesagt; vgl. UAM, 0 V I, f. 89v: (... ) venerabilis vir magister Johannes vissher(!) alias wirtzpurger. Die Geschichte der Fehlidentifizierung von Johannes Fischer ist derart verworren, daß sie in Exkurs IV., S. 477 separat behandelt wird. 3 Vgl. oben S. 144. 4 Mal. Ingolstadt, &I. 1, S. 277 (25. Oktober 1499): Iohannes Wirtzburgerex Dietfurt 6gr. s Vgl. UAM, 0 IV 1, f. 38v. 6 Vgl. UAM, 0 IV I, f. 6v. Im gleichen Semester wurde er auch in das gremium der Artistenfakultät aufgenommen, was aus der Übergabe des Bibliotheksschlüssels hervorgeht; vgl. UAM, 0 V I, f. 75r. 7 Vgl. J. N. Mederer: A1lOales, &I. I, S. 75, der, wie die Formulierungen im einzelnen zu erkennen geben, genau die Liste aus dem verschollenen Akt UAM, D 1lI 2 ausgewertet hat, die angeblich bei G. Bauch: Die Anfänge des Humanismus, S. 77 vollständig wiedergegeben ist. Merkwürdigerweise ist die Liste bei Bauch kürzer als bei Mederer; es fehlen die Magister Christoph Tengler, Emeram Moller, Johannes Fischer(!) und Johannes Salach. Da Mederer diese Namen schlecht erfunden haben kann, bleibt nur der Schluß, daß die Liste bei Bauch eben doch nicht vollständig ist; ihm kam es nur auf die Ordinarien an (vgl. S. 76), unter die er diejenigen Magister, die keine Kollegiatur besaßen, offensichtlich nicht rechnete. Allerdings bleibt unklar, warum bei Bauch dann auch Christoph Tengler fehlt, der schon 1503 eine Kollegiatur erhalten hat (vgl. UAM, E I I, f. 19v). 8 Vgl. UAM, 0 V I, f. 84v: Item in die sancti luce qua lector pro libris phisicorum fuit electus pro simbolo 2 fl. et 4 den. 9 Vgl. UAM, GG IV a I, f. 137r: Item aus geschäft meiner Herren hab ich maister hannsen vischer, der das phisicorum pro vaccalarijs gelesen, geben iij Ib. iiij ß den. [= 4 H. ).
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6. Kapitel: Zwischen Universität, Herzog und Artistenfakultät
Vortrag dieses Stoffes kein Kollegiat sondern eben ein Anwärter betraut wurde. IO Am 13. September 1510 Obernahm er als Konventor die Pariser Burse,l1 die er bis zum Sommersemester 1513 leitete. 12 Ebenfalls noch 1510 hielt er die Rede anläßlich des Festes der Heiligen Katharina, der Patronin der Artistenfakultät,!3 und nahm als Deputierter der Artistenfakultät an der RechnungsprOfung in der fakultätseigenen Engelsburse teil. 14 Über die Qualifikation, welche WOrzburger fUr die Mathematiklektur vorweisen konnte, ist nichts bekannt. Es ist lediglich festzuhalten, daß er sich ab einem nicht genau bestimmbaren Zeitpunkt dem Studium der Medizin widmete. IS Als Mediziner verfUgte er natürlich Ober gewisse mathematische und vor allem astrologische Grundkenntnisse. Als die Artistenfakultät dem Herzog Johannes WOrzburger als Kandidaten fUr die vakante Mathematiklektur vorschlug, dachte sie keineswegs daran, diesen Lektor zur Abdeckung der mathematischen Veranstaltungen im artistischen Curriculum einzusetzen. Vielmehr betonte sie, daß der Lektor nur dazu verpflichtet 10 Dazu, daß im WS 1509/10 die Ausgaben mr den Physiklektor vom Ingolstädter Kastner noch unter der Rubrik Gemaine außgab verbucht wurden, und zur weiteren Entwicklung vgl. oben S. 143. 11 Vgl. UAM, 0 V I, f. 89v: Item magister georgius hellenstaler terciodecimo die men-
sis septembris resignavit bursam parisiensium, pro qua instiJerat venerabilis vir magister Johannes vissher(!) alias wirtzpurger. /dem postquam ceptus fuerat ab incliJa facultate arcium, contribuit pro collacione fienda 20 cruc., quos pro piscibus exposuiJ; ad eosdem pro supplicacione collacionis addidiJ decanus quatuor solidos et duos den. 12 Vgl. UAM, 0 V I, f. 96v: Item 9 ß et 6 cruc. exposui ultra mediumJl., quem dediJ Magister J ohannes bisling, quando fuiJ asumptus in conventorem burse parisiensium. 13 Vgl. UAM, 0 V I, f. 89v: Item venerabili viro magistro iohanni wirtzpurger pro eo, quod sermocionatus fuerat in solemnitate sanete /catherine 32 den. 14 Vgl. UAM, 0 V I, f. 89v: Item quando spectabilis vir iohannes valtermair arcium magister ac utriusqueJuris liceneiatus feciJ racionem in preseneia venerabilium virorum et magistrorum georgij sweiwelmair, Johannis zaler, thome ramelspach et iohannis visscher de expositis omnibus pro burse angelice utiliJate, sunt recepti sedecim fIoreni et 26 den.; et idem remansit obligatus facultatj arcium in viginti fIorenis renensibus et quatuor solidis, qua computacione facta pro consolacione magistrorum exposu; 46 den. Ansonsten sind
in den artistischen Akten zu Johannes Würzburger nur mehr zwei Strafzahlungen wegen versäumter Disputationen vermerkt; vgl. UAM, 0 V 1, f. 88v (mr das WS 1510/11) und 96r (mr das SS 1513). 15 In die Matrikel der medizinischen Fakultät wurde Würzburger unter dem Namen Fischer im Jahr 1515 eingetragen; vgl. München, B.,lIimitius) 1482-1535. Astronom und Mathematiker, in: Bellot, Josef(Hg.): Lebensbilder aus dem Bayerischen Schwaben 13, s.1. 1986, 18-33 SudhoJf, Karl: Die medizinische Fakultät zu Leipzig im ersten Jahrhundert der Universität (Studien zur Geschichte der Medizin, Heft 8), Leipzig 1909 - Iatromathematiker vornehmlich des 15. und 16. Jahrhunderts (Abhandlungen zur Geschichte der Medicin, Heft 2), Breslau 1902 Suter, Heinrich: Die Mathematik auf den Universitäten des Mittelalters, Zürich 1887 Talbot, C. H.: Simon Bredon (c. 1300-1372). Physician, Mathematician and Astronomer, in: The British Journal for the History ofScience 1 (1962) 19-30 Tannstetter, Georg: Viri Mathematici quos inclytum Viennense gymnasium ordine celebres habuit, in: Georg Tannstetter / Andreas Stiborius: Tabulae eclypsium Georgii Peurbachii. Tabula primi mobilis Joannis de Monte regio, Wien 1514 ThollUls vonAquin: G>mmentaria in Octo Iibros Physicorum Aristotelis (= Opera omnia, Bd. 2), Rom 1884 - Expositio super Iibrum Boethii De Trinitate, hg. v. Bruno Decker, Ndr. Leiden 1965 - In decem Iibros Ethicorum Aristotelis ad Nicomachum Expositio, hg. v. Spiazzi, Turin 1964 ThorndiJce, Lynn: AHistory of Magic and Experimental Science Bd. 1-2, New York 1923-29 - John Tolhopf again, in: Isis 24 (1935-36) 419-21 - John Tolhopf alive in 1485, in: Isis 22 (1934-35) 229 - Manuscripts of the writings of Peter of Abano, in: Bulletin of the History of Medicine 15 (1944) 201-19 - Science and Thought in the Fifteenth Century, New Yort 1929 - The 'Sphere' ofSacrobosco and Its G>mmentators, Chicago 1949 Thurot, C.: De I'organisation de I'enseignement dans l'Universite de Paris au Moyen-Age, Paris 1850 Torroja Menendez, Jose Maria: EI sistema deI munda desde la antigüedad hasta A1fonso X el Sabio, Madrid 1980 Treml, Cbristine: Humanistische Gemeinschaftsbildung. Sozio-kulturelle Untersuchung zur Entstehung eines neuen Gelehrtenstandes in der frühen Neuzeit, HildesheimZürich-New York 1989 Trilhemius, Johannes: Catalogus iIIustrium virorum germaniam suis ingenijs et lucubrationibus omnifariam exornantium, Mainz 1495 - De scriptoribus ecclesiasticis, Basel 1494 Uib1ein, Paul: Acta Facultatis artium Universitatis Vindobonensis, 1385-1416, Graz-Köln 1968 - Johannes von Gmunden. Seine Tätigkeit an der Wiener Universität, in: Hamann, Günther / Grössing, Helmuth (Hg.): Der Weg der Naturwissenschaften von Johannes von Gmunden zu Johannes Kepler, Wien 1988, 11-64 34 Schön ...
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Register 1. Personenregister Adalbertus de Brudzewo: siehe Blar Adalbertus von Opat6w 88 Adorf: siehe Permeter, Johannes Adriansens, Comelius 454-5 Adrianus Romanus 119,457 Aegidius de Aibling: siehe Pistoris, Aegidius Aegidius Romanus 180 Aemilius, Paulus 386, 399, 434 Agricola, Johannes 343, 357, 371, 374, 377-8,381-3,391,395,399,411,425, 428-9,431,435 Agricola, Rudolf 239-40,243 Aimschmalz, Magnus 199, 484 Aistetter, Johannes 465 Alber, Matthias 395 Albertus Magnus 180 Albert von Sachsen 63 Alberti, Georg 488 Alberti, Johannes Wimpinensis 384, 387, 401 Albertus, Johannes427 Albrecht IV. der Welse, Herzog von Bayern 156,205,291-2,296,305,314 Albrecht v., Herzog von Bayern 387, 396, 412,420-4,431-4,438,445,502 Albrecht, Herzog von Sachsen 79, 166, 172,188 Albrecht, Erzbischofvon Mainz 416,502 Albrecht Alcibiades, Kurfürst von Brandenburg420 Albubather 204 Albumasar 88, 187,224 Alcabitius 34, 51, 57, 311,322 Alexander, Andreas 77, 288 Alexander de Villa Dei 29-30, 125, 315, 318 Alfons X. der Weise, König von Kastilien 32,57,98-9,346 Alfonso de Piiieda 439-40 Alfraganus 24, 28-9
al-Hakam I., Emir von Cordoba 98 Alhazen27 Alliaco: siehe Petrus de Alliaco Almanzor98 Alonso de Santa Cruz 416,460 Altenbeck, Johannes 159, 168, 170, 172, 491,493 Amantius, Bartholomäus 368, 373, 404 Ambrosius 180 Amerbach, Georg 399 Amerbach, "eit377-80,390-1,396-400, 402 Amicus, Conrad 200, 227, 230 Amplonius: siehe Ratinck Andreas von Buk 86 Apfelpeck, Sigismund 252 Apian, Georg 254, 362-3, 367, 391, 405, 418,424-6 Apian, Gregor 418 Apian, Nikolaus 418 Apian, Peter 14,18, 33,112,115,118,157, 188, 243, 254, 263-5, 280, 307, 315, 344,355,358-80,385-7,390-7,399, 401, 403-20, 424-6, 435, 437, 452, 457,459-62,500-5 Apian, Philipp 14,18, 112,119, 243, 338, 358-9, 364-5, 368, 370-2, 374-80, 385, 388, 390, 395-6, 401, 403, 405, 408, 411-4, 415, 417, 419-37, 441, 457,459-62,500,504-5 Apian, Sabine 424, 461 Apollonius 104, 263 Appel, Nikolaus 142,144, 339-43, 489-90 Appenzeller, Johannes 454-5, 458 Apuleius 243, 252 Aquinas Dacus 208-9 Arboreus, Heinrich 439-42 JUchimedeslO4,221 Aristoteles 25, 154, 158, 164, 180, 252, 317,321,323,437 Arnaldus de Villanova 47
534
Register
Amold, Leonhard 475, 485, 487 Arnsperger, Ü$wald 329 Arquatus, Antonius 102 Aschenburger, Jakob 467 Ashinden, John 43 Augustinus 38, 56, 180 Augustinus Datus 149-150 Australis, Erasmus 176-7 Aventinus, Johannes 84, 205-6, 216, 234, 241, 247, 250-1, 253-4, 271, 313-6, 318,320-1,324,326,329-37,344-6, 359-62,372,406,421,430,459,500 Averroes 52, 180 Avicenna 52, 180 Axter, Ouistoph 485-6, 488 Axter, Georg 493 Ayrer, Marx 189,191-2,195,201-2,213, 224,229 Azarquiel255-6,26O Bacon, Francis 115 Bacon,Roger27,38-9,41,56,68 Bader, Georg 451 Baldi, Bemardino 242, 462 Bart, Georg 303 Bart, Wolfgang 489 Baumgartner, Gabriel184, 246 Bayer, Johannes 455 Bayr, Johannes 491, 493 Bebei, Heinrich 90 Beda 37, 241, 337 Behaim, Bemhard 203 Behaim, Gcorg 143-4, 146, 303-5, 312, 476,488-90 Behaim, Linhart 203 Behaim, Lorenz 191-2, 194, 294 Beibringer, Johannes 490 Bembo, Pietro, Kardinal 263 Berbinger, Onophrius 434 Bessarion, Johannes (Basilios), Kardinal 15,71,101,265 Biagio Pelacani: siehe ßlasius von Parma Bianchini, Giovanni 102 Bild, Veit 275-8, 291 Bisling, Johannes 310 Blar, Adalbert 89, 93, 177,244 Blasius von Parma 45, 55 Boethius 24, 26-8, 30-1, 37,64,122,160, 180 Boethius von Dacien 41 Bonatti, Guido 99, 225 Bonaventura 38
Bomer, Caspar 387 Böschenstein, Johannes 327,381 Boscius, Johannes Lonnaeus 18, 359, 3756,396,401-2,428-49,450,453,459 Botterlein, Blasius 490 Bradwardine, Thomas 35-6, 43, 221 Brassicanus, Johannes Alexander 381 Braun, Anton 348 Braxatoris, Johannes 491 Bredon, Simon 43 Brogel, Friedrich 227, 230 Brotbiechel, Mattias 312 Burckhollzer, Ulrich 490 Burgau, Walter 490-1 Burgkmair, Hans 261 Burkhart, Franz (Artist) 342 Burkhart, Franz (Jurist) 341, 363, 392-3, 395,501 Burkhart, Peter 498 Busch, Sebald 209, 290 ButtersaB, Michael 140, 142, 168, 171, 182,189,194,202,205-8,213-4,246, 249, 341, 343, 475, 485-6, 489, 491, 493 Bülzlin, Valentin 373 Bylica, Martin 89, 101-3 C3esarius,Johannes381,401 Camerarius, Joachim 387-8 Cammerer, Bemhard 351-2, 491 Campanus de Novara 29, 31, 33, 36, 51, 180,221 Canisius, Petrus 437-8 Canter, Johannes 101 Carcineus, Jodocus 438 Cardano, Girolamo 117, 437 Carel, Sebastian 396 Carion, Johannes 111 Cellius, Erhard 370-1, 376, 378-9, 395, 412,414,417,419-20,426-7 Celtis, Conrad 15, 17,84,89-90,93,95, 103,105-7,113,156,159,175-7,182, 188,190-1,194-5,200-2,205-6,20810, 212-4, 216, 227, 230-1, 233-58, 261-75, 277-81, 283-5, 287, 28991,294-8,300,305,307,313-5,327, 330-4,336,358-61,371-3,377,389, 410-1,459-60,462,466,496-7 Christine de Pisan 59, 100 Christoph, Herzog von Württemberg 4212 Christoph von Kelheim 487
1. Personenregister Christoph von Lauingen 469 Clavius, Christoph 441 Clemendt, Karl 203 Commandino, Federico 263 "Conradus" 484 Contarini, Caspar 418 Copernicus, Nicolaus 89, 437, 442, 455, 461-2 Copp, Johannes 290 Croaria: siehe Hieronymus de Croaria Curio, Jacob 374 Currer, Caspar 383, 386, 388, 397 Cusanus, Nicolaus 40, 43, 220-1 Dachs, Gregor 485 Dacus: siehe Aquinas Dacus Dalberg: siehe Johannes von Dalberg Danhauser, Peter 159, 206-8, 213,266 Daxer, Jacob 489, 491 Degner, Georg 140,484 Denekel, Wolfgang 491 Diego de Torres 61 Dill, Johannes 489-90 Dill, Valentin 489-91 Dionysius Areopagita 38, 180 Dionysius Germanus 438 Diophantos 105 Dornvogt, Leonhard 485, 487 Dringenberg, Wilhelm 207 ,,Drucker des Lescherus" 199 Du Chemin 417 DOrer, Albrecht 243, 258 Dumbleton, John 43 Duxor, Vitus 489-91 Eck, Johannes 153-4,156,161,317,319, 323,325-9,366,425,476,482 Eck, Leonhard von 17-8, 96,114,118,121, 129,138,145,154,160,234,278,3078, 311, 313-25, 330-2, 334, 336-61, 363-4,369,377-9,383-4,386,391-4, 396,428,430,459,478,500-1 Eck, Simon 428, 443, 447 Eckentaler,Johannes 158,163-4,485,487 Eckschmidt, Georg 487 Einkirchen, Hieronymus 488 Eisengrein, Martin 443-5,447 Eisenhut, Georg 140 Eisenmann, Simon 347, 353 Eleonore von Portugal 100 Eliner, Hermann 418 Emerdorfer, Johannes aus Eschenbach 152
535
Engel, Johannes 17, 50, 92,189,191-202, 205,207,213-4,216-7,221-32,245, 272-5,283,285, 298, 300, 399,465, 466-73,495--6 Engelhard, Johannes 142,341,343 Engelhardt, Valentin 112 ,,Engelhardus" 489 EngelIender, Johannes 484 Engerd, Johannes 449 Enrique de Villena 60 Erasmi, Bonifatius 95--6, 387 Erlinger, Georg 290-1 Erndorfer: siehe Fabri, Johannes aus Erbendorf ,,Erndorfer, Lukas" 250 Ernst, Kurfürst von Sachsen 79, 166, 172 Ernst, Herzog von Bayern, Administrator von Passau und SaIzburg 205, 316, 321, 331-2,372 Etzlaub, Erhard 111,294 Eudoxos von Knidos 180 Euklid 24, 26-8, 30-1, 51, 64--6, 68, 72, 77,85,104,122--6,128,130-4,146-9, 153, 158, 220-1, 223-4, 226-7, 253, 328,347,351,370,379,410,436,4534,485,487,489-91 Euring, Thomas 485, 487 Eusebius 180 Ezzelino da Romano 99 Faber, Sigmund 229 Faber, Wenzel 81 Faber Stapulensis, Jacobus 153, 161,315 Fabius Romanus 395 Fabri, Conrad 486 Fabri, Johannes aus Erbendorf 216, 24850,274,485-7 Fabri, Johannes aus Eschenbach 152 Fabri, Johannes aus Ingolstadt 249 Fabri, Johannes: siehe Salach, Johannes Fabricius, Rainer 446 Fabritius, Paulus 374--6 Faltermair, Johannes 303, 310, 475 Feder, Georg: siehe Pheder, Georg Federkiel, Wolfgang 158 Federmann, Georg 134, 199, 487-8 Fenck, Michael 395 Fend, Erasmus 434, 451 Ferdinand 1., Kaiser 333, 354,412-3,416, 418,504 Ferdinand ßI., Kaiser 481 Feurschmid, Wolfgang 329
536
Register
Fibonacci, Leonardo 96 Ficino, Marsilio 15, 108, 193, 239, 244, 472 Filelfus, Franciscus 467 Finele, Gabriel 489 Finele, Heinrich 247,262 Finnicus Matemus, Julius 225 Fischer, Johannes: siehe Wüuburger, Johannes Flavio Biondo 242 Fonnair, Peter 464 Forster, Stephan 290, 464, 486-7 Franciscus von Liegnitz 86 Franckenhaus, Georg 470 Franckmann, Georg 322 Franckmann, Willibald 348 Freysinger, Sebastian 275 Friedrich D., Kaiser 96, 98-9 Friedrich 01., Kaiser 94, 100-2, 188, 239, 270 Friedrich 01. der Weise, Kurfürst von Sachsen 276, 387, 394, 415 Friedrich von Drosendorf 100 Fridwitzhofen, Sebastian von 418-9 Fröhlich, Georg 489-90 Froschauer, Johannes 191 Fuchsmagen, Georg 270 Fuemel, Ulrich 484 Fugger, Albert 481 Gabriel von Eyb 164-5 Gadner, Georg 372 Galenus 46 Gannser, Johannes 486 Gans, Leonhard 302, 488 Ganss, Erasmus 149 Gaszowiec, Petrus 88, 91 Geber405-6,502 Gebhart, Leonhard 383-5 Gemma Frisius, Comelius 360 Gemma Frisius, Reiner 360, 370, 405-6, 412,432,436,462 Gemistus PIetho 15 Genoveva von Rohrbach 474, 477 Georg der Reiche, Heuog von BayemLandshut 156, 168, 174, 184-6, 195, 221,226,235-6,240,269,273,2856,288,291-3,298,465,475,495-8 Georg, Heuog von Sachsen 394-5, 415-6 Georg I. von Werdenberg 251 Georgius Gennanus 438 Gerardus de Sabbionetta 33
Gerhard von Cremona 33 Gerhart, Fridericus 209 Geroch, Johannes 489, 491 Gerstmann, Nicolaus 80 Gervais, Chrestien 58-9 Giphanus, Hubert 456-7 Gisbert von Stolzenburg 184 Glaser, Thomas 391 Glareanus, Heinrich 436 Glasperger, Georg 369 Glentz, Katharina 211 G1uck, Conrad 487-8 Goldberger, Johannes 94 Goldgruber, Christoph 489-91 "Golzmen" , Michael aus Aubing 279 Gordan, Conrad 486 Gotthard, Wolfgang 398-9, 402 Gotzmann, Georg: siehe Theander, Georg Gramug, Johannes 150-2 Gran, Melchior 488 Graner, Absolon 489 Grebingen, Johannes 257 Gregor I. der Große, Papst 180 Gregor IX., Papst 25 Gregorius Nazanzenus 257 Gregorius de Nowa Wies 101 Grill, Lorenz 427, 433 Grosseteste, Robert 29-30, 38-41, 56 Grosskopf, Andreas 140, 465, 485-6 Grossnickel, Johannes 72,91, 111-2, 165 Grün, Johannes: siehe Parreut, Johannes Grünbeck, Joseph 206, 209, 214, 248 Grünhofer, Peter 486-7 Grüninger, Johannes 224 Grynaeus, Simon 388 Guymata, Andreas 88 Guido von Montefeltre 99 Guilelmus Anglicus 47 Hagel, Balthasar 449 Hagenauer, Johannes 140 Haindl, Andreas 144,160, 489-91 Halbpaur, Hermes 439 Hali ben Ridwan 51 Haller, Jodocus 493 Hartmann, Georg 277, 290-1 Hauer, Georg 329, 335, 363, 501 Hauser, Samuel446 Hedwig, Herzogin von Bayern 168 HeindeI, Georg 351-2 Heinrich VIII., König von England 112 Heinrich von Heidelberg 186
1. Personenregister
Heinrich von Kreutznach 472, 484 Heinrich von Langenstein 59, 63,241 Heinrich der Seefahrer 97 Hepner, Christoph 94-5, 112 Hennann der Lahme (Contractus) 241, 336 Hennann, Kaspar376-9,399,401 Hettenstaler, Georg 310 Heyner, Johannes 469 Heyswasser, Achatius 486 Heytesbury, William 43 Hieronymus de Croaria 273-4, 281, 285, 288-90,313,496,498 Hieronymus de Vallibus 468 Hiltmansperger, Georg 491 Hipparch 219, 256 Hippokrates 46 Hirschenauer, Johannes 489, 491 Hisham I., Emir von Cordoba 98 Hitzhofer, Christoph 472 Hochensteger, Johannes 485 Hochmair, Leonhard 487Hocholtinger, Sebastian 212 Hoefmans, Gerard 91 Hoffaeus, Paulus 443-4, 446 Hollyng, Edmund 399, 449 Hommel, Johannes 388 Honiger, Jakob 111 Horaz71 Hrabanus Maurus 180 Höritz, Erasmus 96,111,206,248 Huber, Johannes 485-7 Hugel, Johannes 485 Hund, Wiguleus 395, 428 Hunderpfundt, Gotthard 486, 488 Hunger, Albrecht 442-3 Hyltebrand, Johannes 112 Iisung, Sebastian 314,339,499 Imgarten, Johannes 356 Imhof, Pangratius 171 Imser, Philipp 112, 119, 374, 388, 395, 415, 427 Innozenz VI., Papst 45
Jachenhauser, Andreas 290 Jacobaeus, Vitus 387 J acobus de Sancto Martino 35-6 Jakob von Speyer 102 ,)oachim" 489 Joachim von Fiore 175 Johannes,Abt zu Ratenhasenlach 185 Johannes von Andernach 381
537
Johannes von Dalberg 261-2 Johannes von Eperies 111 Johannes von Eschenbach 152 Johannes von Glogau 93 Johannes von Gmunden 43, 68-73, 123, 137,155,160 Johannes ex Graphing 257 Johannes de Kesching 484 Johannes de Lineriis 32-4,42,51,57 Johannes von Ludzisko 86 Johannes de Muldorff 65 Johannes de Münsterberg 92, 112 Johannes de Muris 30-2, 34, 42, 57, 634,85,125,128,130-4,146-8,150,328, 485-6,488-91 Johannes von Reitenau 251 Johannes von Nowe Miasto 86 Johannes de Sacrobosco 29-30, 33, 37-8, 41,51-2,60,63,65-6,150,153,155, 236,366-7,370,436,454-5 Johannes de Saxonia 32, 34, 42, 51, 57 Johannes von Sundershausen 74-5, 78 Jordanus Nemorarius 30, 367, 408 Juande Vega417 Julius H., Papst 326 Jungenwirt, Sebastian 489-90 Juvenal71 Kachelofen, Johannes 81,229,464 Kaltofen, Johannes 488 Karel, Sebastian: siehe Carel, Sebastian Karl V., Kaiser 188, 416-9,460,501-3 Karl V., König von Frankreich 58-9, 97, 99-100 Karl, Johannes aus Eschenbach 152 Karoch, Samuel 466-7 Kasimir der Große, König von Polen 84 Kaufmann,Johannes246 Keil, Paulus 275 Keller, Andreas 485-6 Keller, Johannes 485-8 Kepler, Johannes 40 K1aiber, Alexius 485-7 K1eschainer, Johannes 168 Knab, Michael 381 Kneißel, Johannes 144,154,327-30,4812,488-90,500 Koberger, Anton 266 Kölner, Augustin 314 Krachenberger, Johannes 214, 246, 266, 270-1 KrapU: Willibald 485-8
538
Register
Kratzer, Nikolaus 112, 319 Krautwadel, Michael 373 Krebs,Johannes75 Krener, Johannes 485 Kretz, nn., Ingolstädter Bakkalar 147 Kretz, Matthias 333-4, 336,347 Kübel, Jakob 385 Kunhofer, Andreas 250-1, 256-7 Kunigsberg, Johannes (nicht Regiomontanus!) 80 Ladislaus, König von Ungarn 102 Ladislaus J agiello, König von Polen 84 Ladislaus Postumus 101 Lagus,~par396,401,434,449
Landau, Friedrich 384,401, 428 Landsberger, Johannes 361 Landvogt, Conrad 76 Lang, Georg 351-2, 421 Langenauer, Sebastian 489-90 Langenmantel, Johannes 248 Lanz,Johannes458 Laurentius von Ratibor 86 Lauther, Georg 434 Lazius, Wolfgang 371 Letevre d'Etaples, Jacques: siehe Faber Stapulensis Leib, Kilian 194 Leicht, Hieronymus 355, 357 Leo X., Papst 93, 256, 326-7 Leonhard, David 385-6, 399 Leuberstarffer, Oswald 485-7 Liberius, Stephan 438 Lichtenberger, Johannes 92, 100, 102, 183-6,248,293 Link, Sebastian 383-4, 388, 396-7 Lipsius, Justus 457 Locher, Jakob: siehe Philomusus Lochner, Johannes 294 Löffelholtz, Johannes 168 Longicampianus, Johannes 96, 335 Lorichius, Johannes377, 383 Löscher, Abraham 377,384,401 Löscher, Paul211 Lotter, Wolfgang 144, 339,342,381,397, 489-91 Lotzenhofer, Andreas 164, 214, 484 Luchs, Matthäus 343 Luder, Peter 113 Ludwig IX. der Reiche, Herzog von Bayenl-Landshut100, 126, 162, 165, 169,172,183-7,297-8
Ludwig X., Herzog von Bayern 415 Ludwig, Herzog von Württemberg 423 Luppulus, Heinrich 188 Lutz, Andreas 361, 424 Lutz, Matthias 138, 322 Lyresius, Johannes 384, 401 Macer, Caspar 383 Mader, Johannes 275, 277-8, 323 Mair, Georg 491 Mair, Johannes 171-2,492-3 Mair, Martin 83, 162, 165, 168-72, 185, 420,492 Mair, Martin (Magister in Ingolstadt) 484 Manutius, Paulus 457 Marder, Benedikt 228 Mariensüß, Bartholomäus 101 Marsilius von Inghen 63 Marstaller, Leonhard 395 Marstaller, Michael 321 Martini, Friedrich 434 Martinus von Münsterberg 86 Mästlin, Michael 461 Matthias Corvinus, König von Ungarn 91, 100-2,167,172-4,177-8,180-1,188, 195,238,267,409,415,417,495 Maudith, John 43 Maurer (Bäcker in Ingolstadt) 493 Maurolyco, Francesco 263, 417 Matteo d'Acquasparta 38 Maximilian 1., Kaiser 100, 188, 248, 263, 267,270-1,281-2,326-7 Maximilian 1., Herzog von Bayern 457-8 Megersheimer, Johannes 484 Meges, Johannes 329 Melanchthon, Philipp 96, 105, 118, 192, 367,380,387,427 Mercator, Gerhard 370 Merer, Caspar 413 Messahala 51-2 Meurer, Wolfgang 387 Middelburg, Paul von 102, 326-7 Miller, Marcus 381,397 Minsinger, Georg 484 Misch, Fr. 224 Modler, Johannes 138, 335 MoUer, Emeram 309 Montfort, Georg von 434 Montfort, Johannes von 434 Moritz, Herzog von Sachsen 420 Muestinger, Georg 71, 75, 78 Muldorfer, Paull44, 490-1
1. Personenregister
Müller, Johannes: siehe Regiomontanus, Johannes Münzer, Hieronymus 246, 262 Muretus 457 Naboth, Valentin 112 Nicolaus de Ciezkowice 60-1 Nicolaus von Grabostaw 60, 86-7 Nicolaus de Nova Civitate 65 Nicolaus de Orbellis 158 Nicolaus von Oszkowice 86 Nicolaus Polonius 60-1 Nihil Bohemus, Johannes 100-1 Noviomagensis, Thomas 438 Öder, Wolfgang 158, 465 OefIelein, Wolfgang 355-6, 392-3 Oresme, Nicole 35,37,42,59 Osiander, Andreas 461 Ostermair, Johannes 17-8, 93, 112, 217, 252-3,285-88,290-307-8,358,4734,476-7,497,499 Oswaldus de Weykensdorf94 Ott, Euban 144, 489 Ottheinrich, Pfalzgraf 415, 420 Otto n. von Pfalz-Moosbach 208 Pacioli, Luca 117 Pangratius nn., Magister in Ingolstadt 143 Parreut, Johannes 184-5, 463-6 Parsch, Johannes 142, 145-6, 211, 249, 485,487,489 Passauer, Johannes 479 Paternoster, Hieronymus 468-9,471-2 Paul n., Papst 101, 171 PaulllI., Papst 462 Paulus de Geyrheysem 218 Pecham,Johannes29,32,39,41,56,64 Pedioneus, Johannes 364 Pedro el Ceremonioso, König von Aragon 97 Peichelschmid, Jakob 485 Peltanus, Theodor 438-9 Pemerl, Sebastian 343, 351-2 Perez, Hurtadus 438,441 Perger, Bernhard 270 Permete~Johannes246,269-70,491,498
Pernegger,Johannes 199 Peter von Abano 45, 47-50,55-9,225, 435 Petersdorfer, Georg 94 Petrarca 239-41 Petreius, Johannes367
539
Petrus de Alliaco 224 Petrus Hispanus 381,484 Petrus Lombardus 69 Petz, Petrus 249 Peucer, Caspar 427 Peuemach, Georg 15, 71-2,88-9, 100-2, 106,112-3,159-60,180,189,216,231, 241,261,295,311,366,370,436,462 Peutinger, Conrad 277 Peysser, Wolfgang 289, 310, 479, 499 Pfeilschmidt, Heinrich 163-4 Pflaum, Jakob 346 Pflügel, Johannes 488 Pflüger, Kilian 163-4 Pheder, Georg 450, 452-3 Philipp n. August, König von Frankreich 25 Philipp 1lI. d'Evreux, König von Navarra 42 Philipp, Pfalzgraf 235 Philippus de Kungsberg 80 Philomusus, Jakob 272, 276-7, 281-3, 289,292,297-8,300,302-5,325,335, 369,399 Phoeniseca: siehe Mader, Johannes Pichler, Friedrich 228 Pichler, Ursula 228 Pirckheimer, Willibald 163,255,277,294, 296,406-7,410 Pistoris, Aegidius 170,214,465,472 Planck, Heinrich 212 Planck, Johannes 485-6 Platon 179-80, 282-3 Plinius 256 Plümel, Johannes 140,156, 159, 198,475, 484-8 Pollich, Martin 81 Polling, Georg 144, 489-91 Polo, Marco 56 Pomponius Laetus 239 Pomponius Mela 158 Pontanus,Jakob 458 Printe I, Sebastian 155, 486-8, 499 Praw, Antonius 138 Prellox, Anton 312 Prenner, Georg 272 Prenninger, Martin 163-4,167,170,193, 466-9,471-2 Prentel, Johannes 147 Priscianus 25, 491 Profatius Judaeus 61 Proklos Diadochos 370, 436
540
Register
Prosdocimo de'Beldomandi 45 Prunner, Johannes 401 Prunner, Lukas 486--S Prunner, Pantaleon 479 Prüß, Johannes 113 Ptolemäus, Claudius 24, 26-9, 46-7, 51, 60,88,105,153,157,159-60,179-80, 187,194,219,238,243,251-2,2546, 260, 264-6, 311, 333, 366, 379, 406--S,410, 418, 436, 502 Pullinger, OJristoph 471 Raimund VII. Grafvon Toulouse 45 Ramelsbach,Johannes 140,142,145,160, 465 Ramelsbach, Thomas 310,491 Ranpeck, Ulrich 170, 171, 196--S, 466-73, 484,491-2 Ranzenmoser, Georg 485 Raphaelis, Andreas 485,487 Ratdolt, Erhard 224-5 Ratinck, Amplonius 72-3, 108, 160 Rauch, Melchior 396-7 Rauchmoser, Georg 488Rede, William 43 Reger, Johannes 191 Regiomontanus, Johannes 15,71-2, 76--S, 80, 88-9, 100-3, 105-6, 111, 117-8, 159,167,172,175,179-80,189,208, 216,218,225,231,241,256,265,295, 409-11,424,462 Reiger, Johannes 292 Reiger, Kaspar 292 Reiger, Veit 292 Reindei, Rupert 453 Reinhold, Erasmus 118, 427, 437, 462 Reisacher, Sebastian 377, 383,401 Reisch,~gor44,152,161,251,322-3
Reitenau: siehe Johannes von Reitenau Rem, Matthias 159 Reuchlin, Johannes 335, 381 Rex, Martinus 87-9, 107 Rhegius, Urbanus 320-1, 325, 331-3, 336 Rhenanus, Beatus 254, 333 Rheticus, Georg Joachim 118, 387-8, 396, 427,460-2 Richard von Wallingford 33,43 Riederer, Georg 484 Riedner, Johannes 93, 237, 269, 297-8, 300 Rieger, Urban: siehe Rhegius, Urbanus Riemann, Johannes 160 Robertus Anglicus 51-2
Robert de Cou~n 24-5 Robertus Normannus 60 Roder, Christian 74-6 Roderique,Ignatius 119 Rosa, Augustinus 344-6 Rosa, Hieronymus 17,112,304,315,321, 324,338,344-6,361,365,406,477-8, 500 Rosa, Johannes 274,298,302-3,344,346, 406,498 Rosinus, Stephan 280, 282 Rösslin, Stephan: siehe Rosinus, Stephan Roswitha von Gandersheim 241, 251, 336 Rotmar, Valentin 399, 401 Rötter, Katharina 468-72 Rud, Hieronymus 17, 210, 250-1, 253, 275,278,282,284-91,300,304-5,473, 497-9 Rudolfl. von Habsburg, König 99 RudolfII., Kaiser 413 Ruland, Paul465, 484 Sabicellus, M. Antonius 239 Sailmair, Christoph 465, 485-8 Salach,Johannes142, 160,290,309,3412,487-90 Salicetus, Johannes 384, 401 Sambucus, Johannes 372 Sampach, Erhard 160 Sandowogius von Czechlo 86 Sauerzapf, Paul149 Säuftel, Sigismund 470 Schack, Georg 491 Schaider,Jakob 144, 488-91 Schatz, Wolfgang 391 Schatzger, Johannes 314 Schedei, Hartmann 187, 242 Scheiner, Christoph 458 Scherei, Wolfgang 449 Scheubel, Johannes 422 Schindel, Johannes 346 Schletl, Peter 489-91 Schmeidel, Georg 486-7 Schöner, Johannes 277 Schönloner, Georg 160 Schorichius, Petrus 437 Schreckenfuchs, Erasmus Oswald 437 Schreckenfuchs, Lorenz 437 Schrembein, Erhard 166 Schreyer, Sebald 163, 251, 255, 262, 266, 268,270
1. Personenregister Schrötinger, Johannes 331,335,343,48990 Schwebelmair, Georg 160, 310, 339, 3412,485,487,490,498-9 Schwebermair, Johannes 142 Schweiß, A1exander 502 Scotus, Michael 98 Seidel, Wolfgang 334 Seliger, Gotthard 447 Sensenschmidt, Johannes 199, 201, 207, 222 Setznagel, MalX 372 Sifanus, Laurentius 399,434 SigeIstarffer, Wolfgang 488 Siger von Brabant 41, 56 Sigonius 457 Sigmund von Prustat: siehe Faber, Sigmund Silberhom, Christoph 453--4 Silvius, Petrus 438-9 Sinius, Nicolaus 370 Sintzel, Friedrich 486-7 Sixtus IV., Papst 167-8,171,178,181,417 Solinus, C. Julius 158 Spalatin, Georg, 276 Sparber, Andreas 485-8 Sperantius, Sebastian 250-1, 256, 262-3, 277,293,297-8,300 Spies, Georg: siehe Behaim, Georg Sprenz, Johannes 250 Sprenz, Sebastian: siehe Sperantius, Sebastian Sprenz, Veit 250 Stabius, Johannes 17-8, 112, 159, 161, 189,191,194,200,202,205-7,20910,212--4,222,224-5,228,233--4,236, 241,244-5,247,250-3,256-65,267, 271-89,291-3,298,300,306-7,309, 313, 323, 360, 371, 410-1, 436, 460, 462,473,496-8 Stadmion, Christoph 373 Stainmack, Sixtus 485-7 Stainpeck, Johannes 484 Staphylus, Friedrich 369-70, 379-80, 385 Staud, Wolfgang 492-3 Stegner, Johannes 484, 486 Stein, Bartholomäus 95 Stercze, Johannes 101 Steudel, Dorothea 386 Stewart, Peter 452 Stiborius, Andreas 17-8,40,44,159,1613, 189, 194, 201-2, 205-14, 216-7,
541
222, 224-5, 228, 231, 233, 236, 241, 244-53, 255-62, 265, 267, 271-3, 275, 278-82, 295, 326-7, 331, 333, 373,410,460,462,481,485,487,496 Stiller, Johannes 149 Stobner, Johannes 85-6 Stöffier, Johannes 44,191--4,326-7,3467,355,374,406,415,462 Stolzenburg: siehe Gisbert von Stolzenburg Stoppel, Jakob 276 Strabon 158 Strobel, Jakob 485, 487-8 Strobel, Stefan 351-2 Stroelin, Georg 295 Sufi 406, 502 Swineshead, Richard 43 Tacitus 242 Tannstetter, Georg 40,107-8,159-60,193, 228,231,256-61,264-5,275,278-80, 284,295,311,326-7,330,333,358-9, 404,406-7,410 Tartaglia, Nicollo 367 Tengler, Christoph 142,145,309 Theander, Georg 279, 481-2 Theodor, ,,Magistet" 98 Thomas von Aquin 32, 38, 56, 180 Thomas de Pisan 59, 100 TInctoris, Nicolaus 164, 484 Tockler, Conrad 77, 267, 288 Tolhopf (1), Johannes 16, 79-80, 82-3, 102,111-2,122,127-9,138,140,16282, 184, 186, 189, 191, 193-5, 200, 202,207-8,214,216-7,238,241,244, 246, 265-8, 415, 417, 420, 463-6, 468,484,491-5 Tolhopf (II), Johannes: siehe Parreut Torquatus: siehe Arquatus Torres, Balthasar 441 Totting, Heinrich von Oyta 63 Trithemius, Johannes 162-3, 234, 241, 305 Trost, Johannes 183--4 Tröster, Johannes 156-8 Tucher, Sixtus 183, 235, 237, 239, 246, 266,268-9,297,475 Tumbeck, Martin 174 Turel, Jakob 486-7 Turmair: siehe Aventinus Turnachtinger, Johannes 485-8 Turner, Robert 401, 448-9
542
Register
Ulin, Wilhelm: siehe V1inus, Wilhelm Uisenius, Dietrich 200 Urban IV., Papst 33 Urban von Trenbach 373 Ursinus, Carolus 440 Ursus von Lodi 47 Vadianus, Joachim 256 Veltmiller, Johannes 17, 118, 190, 304, 338,344-57,358,363,371,395,4778,501 Vener, Johannes 340,489-91 Ventimontanus: siehe Windsberger Vergil 72, 458, 467-8 Vespucci, Amerigo 157 Vetter, Matthias 488-9, 491 Vetter, Matthäus 331 Vigilius, Johannes 261-2 Vigilius, Stephan: siehe Wacker, Stephan Virdung,Johannes92-3,111,436 VlScher, Johannes 426 Vit6z, Jan 101, 103 "Vitus" aus Augsburg 489 VlZanus, Paulus 434 V1inus, Wilhelm 386, 388 Vögelin, Johannes 277,333,389 Vogt, Ulrich 493 Volmar, Johannes 96 Voltt,JohannesI91-2 Wacker, Stephan 383 Wagner, Michael 437 Waidenlich, Thomas 488 Waidgiesser, Hans 203 Waldkirch, Bemhard 248 Walman, Johannes 485-7 Walther, Bemhard 208 Waltkirch, V. 502 Watt, Joachim: siehe Vadianus, Joachim Weber, Johann Baptist 364 Weinher, Peter 431 Weiß, Friedrich 17-8, 112, 189, 191-2, 194-5,201-2,206,209,213-23,2267,267,273,292,298,300 Weissenburger, Johannes 254, 362 Weißenhom, Alexander 425 Wel, Johannes2$2 Wenigei, Sebastian 491 Werdena, Wilhelm de 491
Wemer von Bacharach 385--6 Wemer, Johannes aus Kemnath 176 Wemer, Johannes 176, 206-7, 209, 251, 255,262-5,294,311,360,462 Weygandt, Konrad 231 Widmann, Johannes 80-1 Widmann, Conrad 485 Widman, Matthias von Kemnath 113 Widmanstetter, Konrad 418 Wildenauer(?), Jodocus 484 Wilhelm 11., König von Sizilien 98 Wilhelm IV., Herzog von Bayem 156, 308, 310, 314, 317, 364, 392, 394, 396-7, 420,476,499,502 Wilhelm IY., Landgrafvon Hessen 417 Wilhelm V., Herzog von Bayem 424, 4502 Wimpheling, Jakob 234,241 Windsberger, Erhard 16, 162, 182-9, 191, 194-5, 200-2, 205, 213, 215, 217, 237,297-8,300,305,420,491 Winhart, Johannes 144, 488, 490 Winmann, Nicolaus 383, 386, 396 Winsheim, Sebastian Theodor 370 WirfIel, Georg 201, 229, 283, 469 Wirtensis, Gerhardus 438 Witelo 27, 32, 39, 41, 359, 404, 407, 410 Witlich, Friedrich 488 Wittich, H. 431 Woll!, Georg 485, 487 Wolfgang, Herzog von Bayem 291-2, 475 Wollack, Gottfried 76 Würzburger (Fischer), Johannes 17, 118, 121, 143-6, 160, 278, 285, 295, 304, 308-25,327,335,337-8,344-7,349, 373,477-80,488-90,499-500 Zacuto, Abraham 61 Zahn, Johannes 119 Zaler, Johannes 144, 310, 476, 488-90 Zettel, Wolfgang 398-9, 401-2, 449 Ziegler, Andreas 250, 254 Ziegler, Hieronymus 398, 402 Ziegler, Jakob 250-1, 254-7, 261-2 Ziegler, Johannes 250-1,254-5,257 Zingel, Georg 158,269-70,282-4,288-9, 293,306,492,498 Zinner, Johannes 438 Zwibracher 391 Zwichem, Viglius van 395
2. Ortsregister
543
z. Ortsregister Abensberg 253, 361 Aldersbach 205 Altdorf250 Antwerpen 372, 405 Aubing 279,481 Auckland43 Augsburg 224, 248, 275, 280, 290, 323, 330,342,406,455,458 Bagdad98 Bamberg 201, 207, 222, 290, 294 Basel 149,330,467 Berlin 176 Blaubeuren 193 Bologna 20,44-6,50-6,60-2, 74,84,878,90,239,427 Bourges 426 Braunau464 Breslau 431 Buda 101, 172,176,238,243 Canterbury 43 Cllichester 43 C6rdoba 98 Dillingen 347, 454-5 Dingolfing 164 Dinkelsbühl 250, 312 D61e426 Dresden 277, 395, 415-6 Ebersberg 257 Eichstätt 164, 212,226,374,420,439 &ding 193 Erfurt 30, 32-3, 36, 63-4, 66, 72-6, 83, 108,112,164,218,239,249,386 Ferrara 239, 394 Florenz 15,53,239,244,472 Forchheim 175, 177 Frankfurt 363, 425, 501 Freiburg 66, 152-3, 161, 248, 282, 326, 366,389,437 Freising 354 Gran 101 Greifswald 66 Gunzenhausen 164
Heidelberg 28, 30, 33, 35, 65-6, 92-3, 95, 113,224,234-5,239,243,245,261-2, 268,322-3,374,421 Innichen 171 Justingen 193, 327 Kaufbeuren 312 Kelheim 348 Kemnath 163, 168, 174-6 Kempten 251 Klostemeuburg 71, 75 Köln 30, 32-3, 35,63-4,67,72, 9(H, 112, 122,175-7,184,218,229,238-9,246, 248,318-9,325,353,389,445 Krakau 21, 24, 30-3, 35, 60, 63, 67, 74, 83-96, 101-2, 107, 110-2, 177, 233, 244,248,253,280,295 Krems 227, 231 Landau 250, 262, 330 LandshutI83-5,187,254,263-4,360-3, 367,372,415,426,496 Leipzig 30, 32-3, 36, 63-4, 66-7, 76-83, 92, 96, 102, 108, 111, 115, 122, 137, 144-5,160-1,163,166-9,172-3,177, 191-3, 206, 208, 239, 267, 288, 307, 347,351,354,359,378,387,389,394, 396 Linz 176, 246, 248 Löwen 30-1, 33, 36, 62-4, 67, 318, 401, 432-4,445,447 Mainz 171, 355, 389 Marburg 118, 355,402 Marseille 47 Meckenhausen 418 MeiSen 176, 416 Melk 275 Memmingen 150 Meßkirch 446 Mezieres-en-Brenne 42 Mockersdorf 174 Montpellier 61 München 112, 384, 415, 423-4, 431,447, 454,503 Münsterberg 91
544
Register
Naturns 221 Neapel 45 Neunkirchen 174 Nümberg 111, 155, 176-7, 185, 187--8, 191,201-3,208-9,224,239,242,2457,255,257,260,262-4,266-8,277--8, 290-1, 293-5, 367--8, 405, 409, 421, 463,465 Oxford 14,20-1,24-36,38-45,50-1,56, 61,112,319 Padua 20-1, 44-5, 50-3, 55-7, 71, 74-5, 87-9,101,112,212,225,239,394,472 Passau 325, 373 Pavia 53 Paris 20-1, 23-36, 39-46, 50-3,55-60, 62~, 99, 103, 121-3, 137, 153, 164, 182,189,315,319,426,445 Panna 98-9 Prag 30, 32-3,35, 62-4, 67, 82, 87 Preßburg 101-3, 174-5 Regensburg 111, 163, 168, 174-7, 186, 208-9, 216-8, 221, 241, 245~, 252, 263,266,268,293,336,361-2,418-9, 500,504 Reichenbach 113 Rom 89, 10, 111, 165, 167--8, 171, 17~, 178-9,181,188,191,239-40,326-7, 437,472 Rostock 62, 239 Salamanca 34, 60-1, 90 Salemo 46 Salzburg 372 Schlettstadt 207 Schongau 149 Schwäbischgmünd 152 Schwäbisch "all 312
Siena 53 Sponheim 163, 234 Stettin 176 Straßburg 183,224,277,330,426 Sulzbach 474 Teuerstadt 174 Toledo 99 Toulouse45 Tübingen 83, 96, 112, 144, 190-1, 193, 206, 326-7, 332, 354, 374, 378, 383, 386, 388, 390, 394-5, 411, 413, 415, 422,424-5,427,429,461,466 U1m295 Urbino 14 Valladolid 416 Venedig 50, 224-5,239 Vercelli 45 Victoria 98-9 Wangen 373 Wemding329 Wien 14, 17, 19,28, 30-3, 35~, 43, 59, 61-4, 66-73, 75~, 78, 83, 87, 90-1, 93-5,100,105-7,111-2,122-3,125, 137, 155, 161, 163, 165, 188, 192-5, 206,209,212,227,230-1,233-4,241, 245, 247, 252-3, 256-7, 261-2, 268, 270-3,275,277--82,28~,292,295,
326-8,330,333-4,354,358-60,3712,374,389,394,408,411,466-7,4812 Wittenberg 77, 96,111-2,118,335,354, 378--80, 387, 389-90, 402, 415, 427, 462 Würzburg 119, 227, 230-1, 457 Yuste 418
3. Handschriftenregister
545
3. Handschriftenregister
Augsburg, Ordlnarlatsarchiv Ms. 81 I-III: 27~7, 291 Augsburg, Staats- und StadthibUothek 2° Cod. 207: 277 2° Cos. 208: 277 4 ° Cod. 52: 454-5 8° Cod. 1: 277 8° Cod. 100: 277 8° Cod. 103: 277 Barcelona, Archivo de la Corona de Arag6n Ripoll 19: 29 Basel, UniversitätsbibUothek FV 44:467 BerUn, StaatsblbUothek Preußischer Kulturbesitz Ms.lat. 4° 382: 150-1 Brüssel, BlbUotheque Royale Ms.2962-2978:217-20 Coburg, LandesbibUothek Ms. 5: 225 Dresden, Sächsische LandesbibUothek Kod. C80: 81 ErCurt, WlssenschaRliche AUgemelnbibUothek Q. 358: 74 Erlangen, UnlversitätsblbUothek Us.639:467 Us. 762: 468 Frankfurt, Stadt- und UnlversitätsbibUothek Ms. Barth. 59: 325 Heidelberg, UniversitätsblbUothek Cpg 12: 183 Cpg832: 225 Cpg833: 225 Krakau, BlbUoteka JagleUonska cms563: 87 cms566: 87 cms584: 87
cms 709: 87 cms 715: 87 cms 754: 87 cms 1915: 87 cms 2110: 87 Leipzig, UniversitätsbibUothek ms.1470: 81 ms. 1605: 267 London, Brltlsh Museum Add. 15696: 225 München, Bayerlsche StaatsbibUothek Cgm 737: 202,204-5 Cgm 2200: 432 Cgm 3042: 248 Cgm 5379: 424 Cgm 6021: 202-5,209 Clm 215: 163 Clm 410: 205 Clm414:182,185,187-8 Clm 543: 442 Clm 1817: 113 Clm2841:202,204-5 Clm 9801: 455 Clm 14111: 80 Clm 14386: 336 Clm 14783: 209 Clm 14908: 209 Clm 19689: 261 Clm 22048: 225 Clm24103:255-6,261 Clm 24105: 261 Clm 25013: 203-5 Clm 27322(2: 449-51 Cod. icon. 142: 424 4° L.imp.c.n.ms. 93: 344 München, UniversitätsblbUothek 2° Cod. ms. 593: 159 4° Cod. ms. 737: 159-60 4° Cod. ms.738: 159-60 4° Cod. ms. 743: 279 4° Cod.ms.746: 154 4· Cod.ms.800: 153-4 4° Cod. ms. 811: 467 4· Cod. ms.876: 455
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Register
Nümberg, Germanisches Nationalmuseum Hs.1747: 225 oxrord, Bodlelan Ubrary Ms. Arch. Seid. B. 45: 238 Paris, Blbllotheque Nationale Ge. D. 3286: 368 Lat. 4822: 407 Prag, Statnl knlhovna CFR sltnl knlhovna MS VII E 28: 331
Unlver-
Stresa, Glntro Intemazlonale dl Studl Rosmlnlanl B. Baldi, Vite de' Matematici: 242, 462 Tüblngen, Universitätsbibliothek M.c.28: 194
Vatikanstadt, Blblloteca Apostollca Vaticana Cod. pa!. lat. 1381: 113 Cod. vat.lat. 3103: 167, 178-81,494-5 Wien, Österrelchlsche Nationalbibliothek cvp 2950: 203-5 cvp 2983: 203,205 cvp 3193: 154,366 cvp 3502: 150, 152 cvp 4775: 209 cvp4988: 78 cvp 5277:328, 333, 480-2 cvp 5280: 255-6 WolrenbüUeI, Herzog August Bibliothek Cod. Guelf. 84.1 Aug. 2°: 173, 178, 180-1,495 Cod. Guelf. 17.6 Aug. 4°: 294