Zwei Gulden vom Fuder: Mathematik der Fassmessung und praktisches Visierwissen im 15. Jahrhundert 3515120521, 9783515120524

Wieviel Wein ist eigentlich in einem Holzfass enthalten? Diese Frage stellt sich nicht nur der Liebhaber eines guten Tro

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German Pages 344 [346] Year 2018

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Table of contents :
VORWORT
INHALTSVERZEICHNIS
1 MEISTERLICHE FASSMESSUNG: EINLEITUNG UND ÜBERSICHT
1.1 „SO KOMMEN DIE VISIERER HER“
1.2 VISIERWISSEN ZWISCHEN THEORIE UND PRAXIS: ZIELE DER ARBEIT
2 TEXTE, SPEZIALISTEN UND MESSINSTRUMENTE: ZUM FORSCHUNGSSTAND
2.1 VISIERTEXTE UND IHRE VERFASSER
2.2 DIE VISIERER: SPEZIALISTEN DER FASSMESSUNG
2.3 EXEMPLARE AN VISIERRUTEN
3 EINE SAMMLUNG VON VISIERTEXTEN
3.1 DIE EINZELTEXTE
3.2 DIE HANDSCHRIFTEN
4 VISIERRUTEN IN DER VISIERTEXTSAMMLUNG
4.1 INHALTSBESTIMMUNG VOLLSTÄNDIG GEFÜLLTER FÄSSER
4.2 INHALTSBESTIMMUNG TEILWEISE GEFÜLLTER FÄSSER
4.3 TIPPS UND TRICKS FÜR DEN GEBRAUCH VON VISIERRUTEN
4.4 ALTERNATIVEN ZUR VISIERRUTE
4.5 ZUSAMMENFASSUNG UND ERGEBNISSE
5 MATHEMATIK FÜR DAS FASS
5.1 EUKLIDISCHE GEOMETRIE
5.2 SCHRIFTEN DER PRAKTISCHEN GEOMETRIE
5.3 TRADITIONELLE ZAHLENVERHÄLTNISSE
5.4 EIN „ALGORISMUS DE MINUTIIS“
5.5 ASTRONOMISCHES HANDWERKSZEUG
5.6 ZAHLENTAFELN
5.7 GEFLÜGELTE WORTE
5.8 ZUSAMMENFASSUNG UND ERGEBNISSE
6 DIE VISIERER AM BEISPIEL DER STADT NÜRNBERG
6.1 NÜRNBERG UND DER WEINHANDEL
6.2 DIE NÜRNBERGER VISIERER
6.3 EXKURS: VISIERER IN ANDEREN STÄDTEN
6.4 ZUSAMMENFASSUNG UND ERGEBNISSE
7 SAMMLERINTERESSE: DIE VISIERTEXTSAMMLUNG UM 1500 IN ITALIEN
7.1 UNTER DIPLOMATEN
7.2 MATHEMATIK DES VISIERENS FÜR DEN INGENIEUR
7.3 ZUSAMMENFASSUNG UND ERGEBNISSE
8 KODIFIZIERUNG DES VISIERWISSENS: ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK
8.1 HISTORISCHER HINTERGRUND
8.2 DIE VISIERTEXTSAMMLUNG ALS SCHRIFT ÜBER PRAKTISCHES WISSEN
8.3 DENKER UND SPEZIALISTEN BEIM VISIEREN
ANHANG
I DETAILREKONSTRUKTION DER VISIERRUTEN AUS DER VISIERTEXTSAMMLUNG
II VERZEICHNIS DER VISIERER IN NÜRNBERG (1357 – 1525)
III EDITION DER VISIERTEXTSAMMLUNG
LITERATUR
VERZEICHNIS DER HANDSCHRIFTEN, ARCHIVALIEN UND MESSSTÄBE
ORTSREGISTER
PERSONENREGISTER
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Zwei Gulden vom Fuder: Mathematik der Fassmessung und praktisches Visierwissen im 15. Jahrhundert
 3515120521, 9783515120524

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Gunthild Peters

Zwei Gulden vom Fuder Mathematik der Fassmessung und praktisches Visierwissen im 15. Jahrhundert

Wissenschaftsgeschichte Franz Steiner Verlag

Boethius Band 69

Gunthild Peters Zwei Gulden vom Fuder

b oet h ius Texte und Abhandlungen zur Geschichte der Mathematik und der Naturwissenschaften Begründet von Joseph Ehrenfried Hofmann, Friedrich Klemm und Bernhard Sticker Herausgegeben von Menso Folkerts und Richard L. Kremer Band 69

Gunthild Peters

Zwei Gulden vom Fuder Mathematik der Fassmessung und praktisches Visierwissen im 15. Jahrhundert

Franz Steiner Verlag

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2018 Zugl.: Berlin, Technische Universität, Diss., 2016 Druck: Offsetdruck Bokor, Bad Tölz Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-12052-4 (Print) ISBN 978-3-515-12054-8 (E-Book)

Meinen Eltern

V ORWORT Diese Studie ist die leicht bearbeitete Fassung meiner Dissertation, die im November 2016 von der Fakultät I Geistes und Bildungswissenschaften der Technischen Universität Berlin angenommen wurde. Diese Arbeit hätte ich ohne die Unterstützung zahlreicher Spezialisten nicht schreiben können. Zuerst gebührt meinem Doktorvater Friedrich Steinle mein herzlicher Dank. Er hat mich von Beginn an darin bestärkt, eine interdisziplinäre Dissertationsschrift zwischen Mathematik und Geschichte anzufertigen. Ich bedanke mich für sein Vertrauen, die hervorragende Zusammenarbeit und die aufmerksame Betreuung meiner Dissertation am Institut für Philosophie, Literatur-, Wissenschafts- und Technikgeschichte der Technischen Universität Berlin. Dankbar bin ich ebenso Jürgen Renn, der die Aufgabe des Zweitgutachters übernommen und sich mit scharfem Blick konstruktiv dafür eingesetzt hat, diese Arbeit konzeptionell in allgemeine Forschungsfragen der Wissenschaftsgeschichte einzubetten. Matteo Valleriani hat mich unermüdlich bei der Ausarbeitung der Dissertationsschrift unterstützt. Ihm verdanke ich die Einbindung in seine Forschungsgruppe Long-Term Development of Mechanical Knowledge am MaxPlanck-Institut für Wissenschaftsgeschichte und bereichernde Einblicke in die internationale Forschungswelt. Am Zuschnitt des Themas und der Auswahl der Handschriften hatte Menso Folkerts einen prägenden Anteil. Ich schulde ihm großen Dank für seine Hilfe bei der Anfertigung der Edition des lateinischen Textes. Nicht zuletzt danke ich Pamela H. Smith, die mir bei meinem Forschungsaufenthalt an der Columbia University in New York aufgezeigt hat, wie eng Wissen und Tun miteinander verknüpft sind. Von Jean-Christophe Blanchard, Sonja Brentjes, Isabelle Draelants, Consuelo Dutschke, Thomas Falmagne, Péter Farbaki, Moritz Firsching, Jürgen Herold, Michael Korey, Antoni Malet, Ad Meskens, Elio Nenci, Adam Poznanski, ´ Simone Rieger, Katalin Szende und Bernd Thier habe ich Hinweise erhalten, die meine Arbeit bei schwierigen Fragen einen großen Schritt weitergebracht haben. Ihren jeweiligen Beitrag habe ich an der entsprechenden Stelle kenntlich gemacht. Wichtige Anregungen verdanke ich Christina Abel, Rafael Ugarte Chacón und Harry und Joëlle George. Für die Sichtung des Manuskriptes spreche ich Isabel Schlangen, Helge Wendt und meinem Mann Christopher Peters meinen großen Dank aus. Die Mitarbeiter der Bibliothèque nationale de France und der Bibliothèque de l’Arsenal in Paris, des Archivio storico dell’Abbazia di San Pietro in Perugia, des Stadtarchivs Nürnberg, des Staatsarchivs Nürnberg, der Stadtbibliothek Nürnberg, des Historischen Archivs des Deutschen Technikmuseums Berlin, des Mathematisch-Physikalischen Salon der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, der Rare Books and Manuscript Library der Columbia University in New York und der Medical Historical Library

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an der Yale University in New Haven standen mir bei Recherchen vor Ort mit weitblickendem Rat zur Seite. Ich hatte die Gelegenheit, Teile meiner Arbeit in Vorträgen bei Kolloquien an der Technischen Universität Berlin, dem Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte, der Freien Universität Berlin, der Bergischen Universität Wuppertal, der Universität Rostock, dem Alfried Krupp Wissenschaftskolleg Greifswald, der Deutschen Gesellschaft für die Geschichte der Medizin, Naturwissenschaft und Technik e.V. sowie der Gesellschaft für Wissenschaftsgeschichte, der Central European University in Budapest und der Columbia University vorzustellen. Die Teilnehmer dieser Veranstaltungen haben mit lebendigen und bereichernden Gesprächen dazu beigetragen, dass sich immer wieder konkrete Hinweise für meine Forschung ergeben haben. Einen kleinen Beitrag über die der Visiertextsammlung beigefügten Zahlentafeln habe ich im Jahr 2014 im Tagungsband des Adam-Ries-Bundes zur Tagung „Arithmetik, Geometrie und Algebra der frühen Neuzeit“ bereits veröffentlicht, wie ich an entsprechender Stelle kenntlich gemacht habe. Für seine Hilfe, die Edition mit dem Satzprogramm Latex und dem Paket ednotes zu gestalten, spreche ich Uwe Lück meinen herzlichen Dank aus. Ich danke ebenso dem Franz Steiner Verlag für die freundliche Aufnahme dieser Arbeit in die Reihe „Boethius“. Der Fondazione per l’Istruzione Agraria und der Soprintendenza archivistica e bibliografica dell’Umbria e delle Marche gilt mein besonderer Dank für die großzügige Genehmigung, in der Edition des lateinischen Textes die Zahlentafeln aus der Handschrift in Perugia als Faksimile beifügen zu dürfen. Meine Arbeit wurde durch ein Promotionsstipendium der Hanns-SeidelStiftung, durch ein Kurzstipendium für Doktoranden des DAAD und das MaxPlanck-Institut für Wissenschaftsgeschichte großzügig finanziell unterstützt. Ganz besonders freue ich mich darüber, dass die vorliegende Dissertation im September 2017 mit dem Georg Uschmann-Preis für Wissenschaftsgeschichte ausgezeichnet wurde. Für diese besondere Würdigung danke ich der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina – Nationale Akademie der Wissenschaften. Schließlich gebührt mein Dank meiner Familie, die mir jederzeit zur Seite stand.

Berlin im April 2018

Gunthild Peters

I NHALTSVERZEICHNIS 1 Meisterliche Fassmessung: Einleitung und Übersicht . . . . . . . . . . . . 1.1 „So kommen die visierer her“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Visierwissen zwischen Theorie und Praxis: Ziele der Arbeit . . . . . .

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2 Texte, Spezialisten und Messinstrumente: Zum Forschungsstand 2.1 Visiertexte und ihre Verfasser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Die Visierer: Spezialisten der Fassmessung . . . . . . . . . . . 2.3 Exemplare an Visierruten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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3 Eine Sammlung von Visiertexten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Die Einzeltexte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Die Handschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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4 Visierruten in der Visiertextsammlung . . . . . . . . . . 4.1 Inhaltsbestimmung vollständig gefüllter Fässer . . . 4.2 Inhaltsbestimmung teilweise gefüllter Fässer . . . . 4.3 Tipps und Tricks für den Gebrauch von Visierruten 4.4 Alternativen zur Visierrute . . . . . . . . . . . . . . . 4.5 Zusammenfassung und Ergebnisse . . . . . . . . . .

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5 Mathematik für das Fass . . . . . . . . . . 5.1 Euklidische Geometrie . . . . . . . . 5.2 Schriften der praktischen Geometrie 5.3 Traditionelle Zahlenverhältnisse . . 5.4 Ein Algorismus de minutiis . . . . . . 5.5 Astronomisches Handwerkszeug . . 5.6 Zahlentafeln . . . . . . . . . . . . . . 5.7 Geflügelte Worte . . . . . . . . . . . . 5.8 Zusammenfassung und Ergebnisse .

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6 Die Visierer am Beispiel der Stadt Nürnberg 6.1 Nürnberg und der Weinhandel . . . . . 6.2 Die Nürnberger Visierer . . . . . . . . . . 6.3 Exkurs: Visierer in anderen Städten . . . 6.4 Zusammenfassung und Ergebnisse . . .

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7 Sammlerinteresse: Die Visiertextsammlung um 1500 in Italien 7.1 Unter Diplomaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Mathematik des Visierens für den Ingenieur . . . . . . . . 7.3 Zusammenfassung und Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

8 Kodifizierung des Visierwissens: Zusammenfassung und Ausblick 8.1 Historischer Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2 Die Visiertextsammlung als Schrift über praktisches Wissen . 8.3 Denker und Spezialisten beim Visieren . . . . . . . . . . . . . .

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Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 I

Detailrekonstruktion der Visierruten aus der Visiertextsammlung . . . . 199

II Verzeichnis der Visierer in Nürnberg (1357 – 1525) . . . . . . . . . . . . . 219 III Edition der Visiertextsammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 Verzeichnis der Handschriften, Archivalien und Messstäbe . . . . . . . . . . 337 Ortsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341

1 M EISTERLICHE FASSMESSUNG : E INLEITUNG UND Ü BERSICHT „Will denn der kaufmann geren wissen, Wie vil da in den vassen wer, So kommen die visierer her, Und der ist auch bestellet drey, Die sagen, wie vil darynn sey, Aus der kunst arismetrica, So finden sy die eimer da, Müssents an den podem schreiben.“

„Was wirt und burger wein haben, Visiert man auch mit der ruten, Den geringen als den guten, Mus man do geben bey dem punt Von yedem eimer funffthalb pfunt, Das ist vor langer zeit betracht Und der gemein zu gut gemacht.“

Ein Lobgedicht auf Nürnberg des Meistersängers Kunz Haß (1490)1

1.1 „S O KOMMEN DIE VISIERER HER “ Der Nürnberger Meistersänger Kunz Haß (um 1450 – vor 1527) pries in seinem Lobgedicht auf Nürnberg aus dem Jahr 1490 die Erfolge der einflussreichen Stadt und bewunderte, wie die eng verzahnten Abläufe innerhalb der Stadt ein funktionierendes Gemeinwesen garantierten. Unter anderem begleitete er den Leser in die Welt des Handels und stattete dem Nürnberger Weinmarkt einen Besuch ab. Er schilderte, wie die Fässer auf dem Weinmarkt ankamen und dass die Kaufleute wissen wollten, wieviel Wein in den Fässern enthalten sei. Für diese Aufgabe kamen sogleich Spezialisten vorbei, die Visierer, die den Inhalt des Fasses bestimmten, entweder auf rechnerischem Wege oder mit einem Messstab, der Visierrute. Sie maßen jede Art von Wein, unabhängig von seiner Qualität, und ermittelten auch den Weinbestand in den Kellern der Nürnberger Bürger. Nach der Messung versiegelten die Visierer das Fass, und es ging seinen weiteren Weg im Handel. Für den Kaufmann rechneten die Visierer die fällige Weinsteuer aus, die er an die Stadt Nürnberg zahlen musste. Diese Verfahren der Messung und Steuererhebung seien vor langer Zeit eingerichtet worden und hätten sich bewährt: „Ist das nit meisterlich regirt?“2 Nicht nur in Nürnberg stellte die Weinsteuer im ausgehenden Mittelalter eine der bedeutendsten Einnahmequellen dar. Auch in anderen Städten, die in einen florierenden Weinhandel entlang größerer Flüsse wie Rhein, Main und Donau oder wichtiger Handelsstraßen eingebunden waren, war der Weinhandel von zentraler Bedeutung und straff organisiert. Unter den zahlreichen Spezialisten für die anfallenden Aufgaben im Weinhandel genossen die Visierer ein besonders hohes Ansehen. Sie bestimmten den Inhalt der gehandelten Weinfässer und die Höhe der Weinsteuer, die der Kunde oder der Verkäufer zahlen musste.

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[Haß 1858, Z. 188–195 und 200–206]. [Haß 1858, Z. 223]. Zu Leben und Werk des Kunz Haß siehe [Bartsch 1879].

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1 Meisterliche Fassmessung: Einleitung und Übersicht

In manchen Regionen verwendete man für die Vermessung des Fasses einen Messstab, die Visierrute. Die handgefertigten Fässer im Weinhandel waren nicht normiert, nur gelegentlich geeicht und von unterschiedlichem Aussehen.3 Zum Beispiel bemerkte Johannes Kepler (1571–1630), dass das österreichische Fass bauchiger als die am Rhein verbreitete Fassform sei.4 Fässer waren im späten Mittelalter eines der am häufigsten gebrauchten Gefäße für Waren aller Art – von Wein und Bier über Getreide, Fische und Felle transportierten Händler darin Produkte über weite Strecken.5 Die Visierer im Weinhandel hatten es mit einem komplexen Messablauf zu tun und verfügten über ein Wissen, das nicht jedem zur Verfügung stand. Dieses Wissen war stark mathematisch geprägt und kann anhand einer weit verbreiteten Texttradition studiert werden, welche die Herstellung der Messstäbe beschreibt. Es spiegelte sich ebenso in den Messinstrumenten selbst wider: Die Visierruten unterschieden sich anhand der Skalen, die sowohl linear, quadratisch als auch kubisch eingeteilt waren.6 Eine Vorstellung von Quantifizierbarkeit und Messung war den Zeitgenossen des Kunz Haß in vielen Lebensbereichen seit langem geläufig: Im Handel wurden viele Güter durch ihr Gewicht quantifiziert. Die Grundeinheiten waren vor allem lokal verbreitet, so dass man es über weite Entfernungen mit komplizierten Umrechnungen von Maßeinheiten zu hatte.7 Auch Theologen griffen Aspekte von Messbarkeit auf: Manche Gebete beruhten auf der Länge des Körpers Christi;8 die Größe der Arche Noah versuchte man aus biblischen Angaben zu ermitteln.9

1.2 V ISIERWISSEN ZWISCHEN T HEORIE UND P RAXIS : Z IELE DER A RBEIT In dieser Arbeit rekonstruiere ich Wissen um das Visieren und betrachte, wie es im Alltag verwendet und nutzbar gemacht wurde. Ich untersuche, wer am Visierwissen Teil hatte, wer es prägte und welche Bedeutung Mathematik für das Visieren hatte. Dafür lege ich das Augenmerk auf in Texten kodifiziertes Wissen um Visierkunst, betrachte die für die Fassmessung auf dem Marktplatz typischen Abläufe 3 4

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Im Reich gab es keine verbindlichen Urmaße und keine zentrale Eichbehörde. Siehe [Witthöft 1986b]. Dieser Befund hat Auswirkungen auf die Zuverlässigkeit der Visierruten, wie [Kepler 2000, 454] zeigt. Eine kurze Übersicht über die Geschichte des Holzfasses liefern zum Beispiel [Simi 1993, 393] und [Feldhaus 1970, 285–287]. [Witthöft 1989a], [Folkerts 2008a, 1]. Siehe zum Beispiel [Folkerts 1997b]. Einen ersten Eindruck über die noch im 19. Jahrhundert bestehende Fülle an Maßeinheiten vermittelt [Witthöft 1994]. Ein solches Gebet findet man zum Beispiel in der Handschrift New Haven, CT, Yale University, Beinecke Rare Books & Manuscript Library, Beinecke MS 410. Ich danke Consuelo Dutschke für diesen Hinweis. Zum Beispiel versuchte Hugo von Sankt Viktor (um 1097–1141) die Arche zu zeichnen: [Hugo von Sankt Viktor 1854, 681–704]. Weitere Beispiele nennen [Folkerts, Knobloch und Reich 1989, 376–378].

1.2 Visierwissen zwischen Theorie und Praxis: Ziele der Arbeit

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und beschreibe die Fassmessungsspezialisten. Anhand ausgewählter Textbeispiele werde ich zeigen, dass die Methoden des Visierens ganz unterschiedliche mathematische Konzepte vereinen. Einem Visierer begegneten diese mathematischen Hintergründe in der Messpraxis in Form von in die Visierrute eingeschriebenen Messskalen, welche die Übertragung abstrakter Mathematik in eine Folge von Handgriffen ermöglichten. Ich zeige schließlich, dass die Dokumentation des Wissens um die Visierkunst im 15. Jahrhundert eng mit wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen verknüpft war. Ich gebe nun einen Überblick über den Aufbau meiner Arbeit. Den bisherigen Wissensstand über Visiertexte, Visierer und Visierruten stelle ich im Überblick über den Stand der Forschung dar (Kapitel 2). Der Schwerpunkt lag bislang auf der Untersuchung von Texten über das Visieren, in denen vor allem die Herstellung von Visierruten geschildert wird. Zu den Visierern als Spezialisten oder den Messstäben als materielle Objekte gibt es kaum Arbeiten. Diese Studie stellt eine lateinische Textsammlung ins Zentrum, die einige der ältesten Texte über das Visieren überliefert (Kapitel 3). Ich bezeichne sie im folgenden als „die Visiertextsammlung“. Die Datierungen der Handschriften grenzen den zeitlichen Rahmen dieser Arbeit auf die Jahre zwischen etwa 1420 und etwa 1510 ein, wobei man immer wieder einen Blick auf frühere oder spätere Zeiten werfen muss. Die Handschriften grenzen auch den geographischen Raum ein. Sie wurden hauptsächlich im heutigen Süddeutschland und in Österreich geschrieben; zwei späte Abschriften lassen sich in Italien verorten. Den lateinischen Text stelle ich im Anhang dieser Arbeit als Edition der Textzeugen aus Paris und Perugia zur Verfügung. Die Visiertextsammlung wirft mehrere Fragen auf, von denen ich die folgenden ins Zentrum rücke: Worum geht es in der Visiertextsammlung? Wer hat die Visiertexte geschrieben und wer hat sie gelesen? Welche Bedeutung hat mathematisches Wissen für die Messpraxis der Visierer? Warum wurden die Visiertexte der Sammlung aufgeschrieben? Um mögliche Antworten auf diese Fragen zu finden, untersuche ich in dieser Arbeit verschiedene Schwerpunkte. Zuerst rekonstruiere ich die in den Texten überlieferten Methoden, wie man die jeweiligen Visierruten herstellte (Kapitel 4). Der Gebrauch wird in den Texten häufig nur gestreift. Einige der Visierruten dienen ausschließlich der Inhaltsbestimmung vollständig gefüllter Fässer, während eine bisher unbekannte Visierrute, die virga trigona, speziell für die Inhaltsbestimmung von teilweise gefüllten Fässern konzipiert wurde. Die Texte geben immer wieder Hinweise, wie man den Umgang mit der Visierrute durch bestimmte Handgriffe vereinfacht. Dass eine Visierrute ein geschickt erdachtes Messinstrument ist, macht der Blick auf andere Methoden deutlich, mit denen der Inhalt eines Fasses bestimmt werden kann. Das nachfolgende Kapitel charakterisiert das in der Textgruppe kodifizierte Visierwissen aus mathematischer Perspektive (Kapitel 5). Die Visiertextsammlung spiegelt einen Querschnitt mathematischer Traditionen wider, wie ein Blick auf mathematische Konzepte zeigt. Die (anonymen) Verfasser zitieren immer wieder Klassiker der akademischen Literatur oder geben sie als Referenzen an. Besonders häufig findet man Verweise auf die Elemente des Euklid, doch auch andere

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1 Meisterliche Fassmessung: Einleitung und Übersicht

Schriften über Geometrie, Arithmetik und Astronomie sind in die Argumentation eingebunden. Die vorgestellten Rechnungen sind nicht immer übersichtlich; ihre Ergebnisse werden in langen Zahlentafeln zusammengefasst, die einen wesentlichen Teil der Textsammlung ausmachen. Die Betrachtung ermöglicht es, die Verfasser (und Leser) der Visiertextsammlung indirekt zu charakterisieren. Ein Blick auf die Spezialisten für die Fassmessung (Kapitel 6) ermöglicht eine Einschätzung, welches mathematische Wissen die Visierer für ihre alltägliche Arbeit tatsächlich benötigten und wie sie es sich aneigneten. Da die Stadt Nürnberg für die Überlieferung der Visiertextsammlung bedeutend war und in Nürnberger Archiven Dokumente über Visierer im betrachteten Zeitraum erhalten sind, untersuche ich exemplarisch die Fassmessungsspezialisten der Handelsstadt im 15. Jahrhundert. Sie waren eng in die stark hierarchisch organisierte Struktur des Weinhandels eingebunden. Die zentrale Funktion der Visierer für die Stadt Nürnberg wird deutlich, wenn man die Weinsteuer (sogenanntes Ungeld), ihre Erhebung und Bedeutung für die Nürnberger Stadtkasse beleuchtet. Die in Nürnberg aufbewahrten Archivalien erlauben auch eine Beschreibung des gesellschaftlichen Umfeldes der Visierer. Auf der Suche nach Berührungspunkten zwischen dem in den Handschriften kodifizierten, stark mathematisch geprägten Visierwissen und den Visierern wird es hilfreich sein, die Ausbildung der Visierer zu betrachten und schrittweise den genauen Ablauf einer Messung zu rekonstruieren. Ein Exkurs zu Visierern in anderen Städten zeigt vergleichbare Strukturen; man kann die Nürnberger Visierer deshalb als exemplarischen Fall auffassen. Ein namentliches Verzeichnis der Nürnberger Visierer zwischen 1350 und 1520 ist im Anhang der Arbeit beigefügt. Die Handschriften können Informationen darüber liefern, wo das in der Visiertextsammlung dokumentierte Wissen zirkulierte und welcher Status ihm zugemessen wurde. In dieser Arbeit rekonstruiere ich daher den Entstehungskontext und den späteren Weg der der Edition zugrunde liegenden Textzeugen aus Paris und Perugia (Kapitel 7). Sowohl die Materialität der Handschriften als auch ihre Überlieferungszusammenhänge lassen Rückschlüsse zu, welche Personenkreise mit der Form des Visierwissens zu tun hatten, wie sie in den Handschriften überliefert ist. Im Fall der Pariser Handschrift führt der Weg ins diplomatische Milieu Venedigs; die in Perugia aufbewahrte Handschrift gehörte einem Ingenieur und Architekten, der ebenfalls in venezianischen Diensten stand. Die Visiertextsammlung weckte wegen ihres hohen mathematischen Anspruchs das Interesse von Sammlern mathematischer Schriften. Im letzten Kapitel fasse ich die Ergebnisse zusammen und bette sie in Diskussionen um die Struktur praktischen Wissens ein (Kapitel 8). In der Visiertextsammlung geht es vor allem darum, feine Skalen für verschiedenen Visierrutentypen zu erstellen und ein aus mathematischen Konzepten geformtes Fundament für das Visieren zu liefern. Die Verfasser der Visiertexte waren Gelehrte mit umfassendem mathematischem Wissen, die das Visieren beobachteten oder gelegentlich selbst den Inhalt von Fässer bestimmten. Städtische Visierer wie zum Beispiel diejenigen in Nürnberg haben die Visiertextsammlung höchstens in Ausnahmefällen zur Kenntnis genommen. Für ihre Arbeit benötigten sie kaum geometrisches

1.2 Visierwissen zwischen Theorie und Praxis: Ziele der Arbeit

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Hintergrundwissen, sondern gute Rechenkenntnisse; vor allem aber mussten sie sich innerhalb der Strukturen des Weinhandels behaupten. Die Entstehung und Verbreitung von Visiertexten insgesamt wurde durch mehrere Faktoren begünstigt und von wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen des 15. Jahrhunderts geprägt, vor allem dem zunehmenden Weinhandel und der Vergabe von Ungeldprivilegien. Die Visierkunst stellt ein Beispiel dafür dar, wie sich ein Wissenskorpus zwischen zeitgenössischer Mathematik und der handwerklichen Aktivität des Visierers formte.

2 T EXTE , S PEZIALISTEN UND M ESSINSTRUMENTE : Z UM F ORSCHUNGSSTAND Es gibt eine ganze Reihe an einzelnen Texten unterschiedlicher Herkunft, die Methoden vorstellen, wie man den Inhalt von Fässern bestimmen kann (Kapitel 2.1). Sie beruhen auf der Idee, den Inhalt eines Fasses näherungsweise durch reguläre Körper zu bestimmen, deren Inhalt leichter als ein Fass als solches zu berechnen ist. Auf dieser Grundlage wurde ein Messtab entwickelt, die Visierrute. In den Städten des 15. Jahrhunderts wurden Fässer in der Regel von Spezialisten vermessen, den Visierern (Kapitel 2.2). Über erhaltene Messstäbe, die Visierruten, ist bislang wenig bekannt (Kapitel 2.3).

2.1 V ISIERTEXTE UND IHRE V ERFASSER Heutiges Wissen über historische Methoden der Fassmessung gehen vor allem auf Studien von Texten aus der jeweiligen Zeit zurück. Über die Autoren weiß man im allgemeinen wenig; nur einige der zahlreichen Texte wurden bisher im Detail untersucht. Anhand der Texte konnten verschiedene Methoden rekonstruiert werden, wie man den Inhalt von Fässern ermittelte. Der Zugang vor allem zu den handschriftlichen Texten wird dadurch erschwert, dass bisher nur wenige Schriften als Editionen vorliegen.

2.1.1 Näherung durch Zylinder und Kegelstumpf Die Frage, wie man den Inhalt eines Fasses bestimmen kann, ohne es vollständig zu leeren, und das mit seinen gewölbten Wänden in einer eher unregelmäßigen Form daherkommt, hat die Menschen seit langer Zeit beschäftigt. Vor allem als kurze Abschnitte in Texten zur Stereometrie und Geometrie findet man Vorschläge, ein Fass durch reguläre Körper anzunähern und deren Rauminhalt als Inhalt des Fasses zu verstehen.1 Zwei Konzepte tauchen besonders häufig auf. Der Idee, ein Fass durch einen Zylinder anzunähern, begegnet man nicht nur in einer Heron von Alexandria (gest. nach 62) zugeschriebenen Geometrie, sondern auch in zahlreichen weiteren Geometrietexten, darunter die Schrift Quadrans vetus aus dem 13. Jahrhundert, die Practica Geometriae von 1346 des Dominicus de Clavasio (vor 1349 – um 1360), die etwa zur gleichen Zeit entstandene 1

Man findet bis zum 14. Jahrhundert weder in der griechisch-römischen Antike noch im westlichen Mittelalter eigenständige Abhandlungen, die ausschließlich der Fassmessung gewidmet sind. Siehe [Folkerts 2008a, 7]. Einen Blick auf frühe Erwähnungen von Fässern und ihren Messmethoden erarbeitet derzeit Ad Meskens unter dem vorläufigen Titel „On the early history of the barrel and its measurement“.

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2 Texte, Spezialisten und Messinstrumente: Zum Forschungsstand

Abbildung 2.1: Näherung eines Fasses durch einen Zylinder (für die Durchmesser: a, b der Fassböden, c des Fassbauches, d des Näherungszylinders).

Schrift De arte mensurandi des Johannes de Muris (um 1300 – um 1360) und andere.2 Die Grundfläche des Zylinders ist ein Mittelwert des kleinsten und größten Querschnitts des Fasses; die Länge des Zylinders entspricht der Länge des Fasses (Abb. 2.1). Ein anderer Ansatz bestimmt den Inhalt eines Fasses, indem zwei Kegelstümpfe mit den kreisförmigen Grundflächen aneinander gelegt werden (Abb. 2.2). Solche Verfahren findet man zum Beispiel in der lateinischen Kompilation geometrischer Sätze Geometria incerti auctoris3 oder in der italienischen Practica geometriae des Leonardo Cremonese von Anfang des 15. Jahrhunderts.4 Auch im 16. Jahrhundert griff Valentin Mennher (1521–1570) dieses Konzept auf.5 In Texten aus dem Umfeld der italienischen Rechenlehrer, der maestri d’abbaco, schlugen die Verfasser außerdem ein Prisma als Näherungsfigur vor und fügten Korrekturfaktoren hinzu.6 Zahlreiche Zahlentafeln, die den italienischen Texten 2

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Weitere Anmerkungen und Hinweise auf Editionen der genannten Texte liefern [Folkerts 1974, 3–4], [Leibowitz 1933, 29], [Thorndike 1949b, 107] und [Folkerts 2008a, 7–9]. [L’Huillier 1976, 580] nennt ebenso: (1) Geometrie aus der Picardie (anonym, Handschrift datierbar auf 1275/76), zur Fassmessung siehe [Henry 1882, 62–64], und (2) Artis cuiuslibet consummatio, siehe die Edition in [Victor 1979, 348–359]. Siehe auch die von Fra Giovanni Giocondo übersetzten Geometrietexte aus dem Französischen ins Lateinische und Italienische, editiert in [Tura 2008, 261–262, 264, 275–278]. [Folkerts 2008a, 7]. Außerdem nennt [L’Huillier 1976, 581] eine Geometrieschrift, die dem Epaphroditus und Vitruvius Rufus zugeschriebene Abschnitten umfasst, siehe [Mortet 1896, 549–550, par. 46]. [L’Huillier 1976, 581] verweist auf einen Abschnitt zur Fassmessung in [Curtze 1902, 406–411], der dort Leonardo Mainardi aus Cremona zugeschrieben wird. Zur Autorenfrage siehe [Favaro 1904b] und [Favaro 1904a]. [Meskens 2013, 107]. [Simi 1993, 395–398] liefert eine Übersicht an edierten Texten solcher Beispiele.

2.1 Visiertexte und ihre Verfasser

19

Abbildung 2.2: Näherung eines Fasses durch zwei Kegelstümpfe.

beigefügt sind, legen nahe, dass den Inhaltsformeln empirische Untersuchungen zugrunde lagen, vor allem bei der Herleitung von Methoden für teilweise gefüllte Fässer.7 Die bei den italienischen maestri d’abbaco angeführten Verfahren zur Fassmessung sind häufig eigenständige Überlegungen. Sie lassen sich nicht auf die von Leonardo von Pisa (1160/1170 – nach 1241), genannt Fibonacci, verfasste Practica Geometriae zurückführen, sondern eher mit den Methoden des Dominicus de Clavasio und Johannes de Muris vergleichen.8

2.1.2 Fassmessung mit Messstäben Mit Beginn des 15. Jahrhunderts tauchten eine ganze Reihe schriftlicher Zeugnisse auf, die ein Messinstrument beschreiben, mit dem man den Inhalt von Fässern bestimmen kann: die Visierrute. Mit der Bezeichnung des „Visierens“ ist gemeint, Gefäße auszumessen und zu eichen;9 kaum beachtet wurde bisher, dass man in frühneuhochdeutschen Texten eine Visierrute auch „beile“ genannt hat.10 Im Lateinischen ist meist von einer virga visoria die Rede, während heutige Forschungsartikel zum Beispiel im Französischen oder Englischen die Bezeichnungen jauge oder gauging rod gebrauchen. Bei der Visierrute handelt sich um einen langen Stab, der meist aus Holz oder Metall gefertigt ist und auf dem verschiedene Skalen angebracht sind. Dem Messverfahren liegt die Idee zugrunde, ein Fass durch einen Zylinder anzunähern. 7 8 9

10

[Simi 1993, 399–403] und [Simi 1992]. Zu teilweise gefüllten Fässern siehe Kapitel 2.1.4. [Simi 2004, 32–37], [Folkerts 2008a, 9]. Zu Leben und Werk des Leonardo von Pisa siehe zum Beispiel [Peters 2015]. Die Bedeutung der Bezeichnung „visieren“ reicht von „zielen“ über „einen Entwurf festlegen“ bis hin zum „Eichen und Ausmessen“ von Fässern und anderen Gefäßen. Siehe [J. Grimm und W. Grimm 1991, 376–378]. Vergleiche auch [Leibowitz 1933, 4], [Folkerts 2008a, 2], [Werlin 1964, 162] und [Baufeld 1996, 90]. Man sagt: „die beile (oder beiel, beilen, beigel) in das fas/auf den wein stossen“. Entsprechend heißt der Visiermeister „beile“ (Urkundenbuch Thurgau, 1390). Siehe [Reichmann 2002, 919– 921].

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2 Texte, Spezialisten und Messinstrumente: Zum Forschungsstand

Die Skalen auf einer Visierrute sind auf ein bestimmtes Anfangsvolumen geeicht; die Beschriftungen der Skala geben Vielfache des Anfangsvolumens an.11 Bei der Messung des Fasses sind nur noch wenige Handgriffe nötig, bei denen man mit nur wenigen oder sogar ohne Rechnungen den Inhalt des Fasses ermittelt.12 Einen der wohl frühesten schriftlichen Nachweise für einen (nicht erhaltenen) Text über Visierruten findet man in einem Bibliothekskatalog des Klosters St. Emmeram für das Jahr 1347.13 Vor das Jahr 1400 dürfte eine Pergamentrolle aus Damme zu datieren sein, die in niederländischer Sprache angibt, wie man eine Visierrute herstellt.14 Eine der ältesten deutschsprachigen Anleitungen zur Herstellung einer Visierrute findet man in den Aufzeichnungen Von meim geslechet und von abenteur des Nürnberger Weinhändlers Ulman Stromer (1329–1407) von Ende des 14. Jahrhunderts.15 Mit Beginn des 15. Jahrhunderts lässt sich eine Phase intensiver Textproduktion von lateinischen und deutschen Visiertraktaten feststellen, das heißt solchen Texten, die sich ausschließlich mit der Herstellung von Visierruten beschäftigen.16 Die ältesten Handschriften stammen aus der Zeit vor 1450 und entstanden im süddeutschen und österreichischen Raum.17 Viele der Dokumente sind als Einzelexemplare überliefert. Nur selten gibt es mehrere Abschriften, wie im Fall einer Gruppe von vier kleineren Texten, die sich in einer Textsammlung zusammenfanden. Diese Sammlung von Visiertexten überliefert einige der ältesten Schriften über Fassmessung und bildet die Grundlage der vorliegenden Studie. Bislang sind zwölf Handschriften von Anfang des 15. bis Anfang des 16. Jahrhunderts bekannt, die die Sammlung von Visiertexten oder Teile davon enthalten. Die Texte sind anonym überliefert und zeugen bereits bei einer ersten Sichtung von fortgeschrit-

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In mathematische Formeln zum Beispiel in [Meskens 2013, 104–105] gefasst; Illustration zum Beispiel in [Chlench 2014, 156]. Zu verschiedenen Visierrutentypen siehe Kapitel 2.1.3. [Bockstaele 1970, 527], [Folkerts 1974, 13]. Eine Edition bietet [Meskens u. a. 1999]. [Gümbel 1926, 298], [Sarton 1947, 1112, 1318, 1580]. Für eine Edition und Übertragung anhand eines Teilfaksimiles siehe [Kurras 1990, 44–45]. [Hegel 1961, 105–106, Anm. 4] gibt die von Ulman Stromer dargestellte Methode kurz wider; für eine ausführliche Rekonstruktion siehe [Chlench 2014, 158–161]. Ein unverzichtbares Verzeichnis von 86 handschriftlichen und 46 gedruckten Visiertexten hat [Folkerts 2008a, 13, 24–34] zusammengestellt. Darunter befinden sich die Hinweise auf Handschriften und Drucke aus [Thorndike 1949b], [Sarton 1947, 1580–1581] und [Bockstaele 1970]. Vier der aufgeführten, in Bamberg aufbewahrten Texte werden genauer in [Folkerts 2008b] betrachtet. Zu den deutschen „Visierbüchlein“ siehe auch [Keil 1999]. Einige weitere Titel nennt [Mertens 1990]. Für Schriften seit dem 17. Jahrhundert ergänzen die Angaben in [Leibowitz 1933, 28] diese Verzeichnisse. Es liegen drei Editionen kurzer lateinischer Erläuterungen vor: Ein Textstück aus einem Wiener Kodex (Wien, ÖNB, Ms. 3083, fol. 161v) aus dem 15. Jahrhundert hat [Werlin 1964, 163–164] ediert; einen Visiertraktat aus der Kartause Grünau im Spessart stellt [Hellmann 2017] mit Edition und Übersetzung ins Deutsche vor. Auch ein von Fra Giocondo übertragener Text ist auf Lateinisch verfasst; eine Edition liefert [Tura 2008, 177–179]. [Folkerts 2008a].

2.1 Visiertexte und ihre Verfasser

21

tenen mathematischen Kenntnisse der Verfasser. Auf ihre Aufbewahrungsorte und Datierungen werde ich später ausführlich eingehen.18 Etwa zeitgleich zu dieser Textsammlung entstand in Köln der Traktat des Peter von Jülich, der als einer der wenigen Verfasser jener Zeit die Visiermethoden grundsätzlich in Frage stellte und auf fundamentale methodische Fehler hinwies.19 Da gerade die Handschriften über das Visieren oft anonym und ohne Datierung überliefert sind, müssen Nachrichten zu Besitzern, Schreibern und Überlieferungszusammenhängen zusammengetragen werden, um die Herkunft der frühen Visiertexte einordnen zu können. Man findet Hinweise auf unterschiedliche Umfelder und Personen, die Visiertexte besaßen oder verfasst haben könnten. Mehrere Handschriften lassen sich mit Klöstern aus dem süddeutsch-österreichischen Raum in Verbindung bringen, wie St. Emmeram, Tegernsee oder das Schottenkloster Würzburg.20 Da einige Professoren und Studenten Visiertexte besaßen, ist naheliegend, dass das Visieren in der universitären Lehre aufgegriffen wurde, zum Beispiel in Köln, Erfurt, Wien, Wittenberg und Leipzig.21 Unter den Besitzern von Visiertraktaten findet man nicht nur herausragende Mathematiker wie Johannes Regiomontanus (1436–1476), der Visiermethoden wohl in Wien kennenlernte und mehrere Schriften über Fassmessung besaß.22 Ebenso sind Instrumentenbauer wie Johann Schöner (1477–1547), Theodor Ruffi (15. Jh.), Michiel Coignet (1549–1623) oder William Oughtred (1574–1660) als Autoren von Visiertexten nachweisbar oder kommen als solche in Frage.23 Im 16. und 17. Jahrhundert traten mehrere Rechenmeister als Verfasser handschriftlicher und gedruckter Visiertexte hervor.24 Oft waren die Rechenmeister selbst als Visierer tätig, wie zum Beispiel Jakob Köbel25 (um 1462–1533), Adam Ries26 oder Heinrich Schreyber (vor 1496–1525/1526), genannt Grammateus,27 dessen Rechenbuch Ayn new kunstlich Buch der namhafte Nürnberger Künstler Erhard Schön (um 1491–1542) illustrierte (Abb. 2.3).28 Bisweilen lässt sich nachweisen, dass das Wissen um das Visieren weitergetragen wurde. So bezog sich der Antwerpener Visierer Michiel Coignet auf die Schriften des Ulrich Kern.29 18 19 20 21 22 23

24 25 26 27 28 29

Siehe Kapitel 3. Für einen kurzen Einblick in diese bemerkenswerte Schrift siehe 2.1.5. [Folkerts 2008a, 18]. [Folkerts 2008a, 14–18]. Zum Visieren an der Universität Erfurt siehe [Folkerts 1996, 18]. [Leibowitz 1933, 29], [Folkerts 1980, 186–197]. [Folkerts 2008a, 17, 18, 22]. Zu Michiel Coignet siehe [Meskens 2013, 113–137]. In dieser Liste ist der Name des Jean Fusoris nicht genannt, da eine lange Zeit unter seinem Namen geführte Abhandlung über Geometrie, die auch einen Abschnitt über einen Visierstab enthält, ihm fälscherlicherweise zugeschrieben wurde. Siehe dazu [Poulle 1963a, 85] und die Edition in [Tura 2008, 119–171]. Zu Leben und Werk des Jean Fusoris siehe [Poulle 2008a]. [Folkerts 2008a, 19–22]. [Hergenhahn 1995, 13, 22] und [Schuppener 2008, 75–76]. [Bitterlich 2006] (1452/1453–1559) und der ergänzende Kommentar von Menso Folkerts in [Wußing 2009, 162]. [Röttel 1996, 67–80]. [Röttinger 1925, 42–43] und [Strauss 1984, 74]. Zu Leben und Werk siehe [Mielke 2007]. [Meskens 2013, 106]. [Leibowitz 1933, 32–34] fasst den Inhalt zusammen.

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2 Texte, Spezialisten und Messinstrumente: Zum Forschungsstand

Abbildung 2.3: „Kunstlich zuberaitung visier ruten durch den quadrat und triangel.“ Heinrich Schreyber, Ein new künstlich . . . Rechenbüchlin, Nürnberg, 1521. Bayerische Staatsbibliothek München, Res/Math.p. 182 m, fol. 108r.

Wer Rechenmeister werden wollte, wurde auch im Visieren geprüft: Georg Wendler (1619–1688) notierte 1646 in Nürnberg die Fragen aus seiner Rechenmeisterprüfung, in der er sein Wissen zu Visierruten und die Anwendung anhand konkreter Messaufgaben unter Beweis stellen musste.30 Die beiden Ärzte Buchard Mithob31 (1501–1564) und Johann Hartmann Beyer32 (1563–1625) fallen hinsichtlich ihres Berufes unter den Autoren gedruckter Visiertexte kaum ins Gewicht. 30 31 32

Für eine Edition des Fragenkataloges mit Kommentar siehe [Folkerts 2003, 101–103, 118–120]. Zur Vita des Georg Wendler siehe [Folkerts 1999]. [Kästner 1970, 646], [Günther 1969, 261–262, Anm. 1 IX] und [Cantor 1907, 449]. Eine Inhaltsangabe des Visierbuches und eine sprachliche Analyse findet man in [Špotáková 2014].

2.1 Visiertexte und ihre Verfasser

23

Daher ist die Einschätzung verlockend, die Visierkunst bis zu Keplers Beiträgen ausschließlich als eine Domäne der Rechenmeister zu betrachten.33 Damit lassen sich jedoch Studien zu den Rechenlehrern in Antwerpen kaum in Einklang bringen. Zwischen Rechenlehrern, Verfassern von Visiertexten und aktiven Visierern gab es in der bedeutenden Handelsstadt des 16. Jahrhunderts kaum personelle Übereinstimmungen. Von den nachweisbaren Rechenlehrern in Antwerpen war einzig Michiel Coignet als offizieller Visierer der Stadt angestellt. Daher lässt sich aus dem Befund, dass sich unter den Autoren der Visiertexte viele Rechenmeister befinden, im allgemeinen nicht schließen, dass die Visierer überwiegend Rechenmeister waren.34 Entsprechend der so unterschiedlichen Verfassergruppen von Visiertexten fällt die Einschätzung der Visiertexte hinsichtlich ihres Schwierigkeitsgrades sehr unterschiedlich aus. Von einem „dürftigen Zustand der Geometrie“35 und davon, dass die „theoretische Durchdringung der Thematik in der Regel nur eine geringe Tiefe erreicht“36 , reicht die Bewertung bis zu einer durchaus „wissenschaftlichen“37 Betrachtung. Es dürfte sehr davon abhängen, welcher konkrete Text zur Untersuchung vorliegt. Man findet einerseits Schriften, die in lehrbuchartiger Form oder als kurze Notizen „von Praktikern für Praktiker“38 geschrieben wurden und daher als Gebrauchsliteratur eingeschätzt werden können.39 Andererseits fällt auf, dass die Autoren der Visiertexte durchaus um saubere geometrische oder arithmetische Herleitungen der Messverfahren bemüht waren und daher verschiedene Stufen der Gelehrsamkeit ansprachen.40 Häufig findet man Zeichnungen innerhalb oder am Rande der Texte und lange Zahlentafeln, die die Herstellung oder den Gebrauch mit den Visierruten vereinfachen sollen.41 Schließlich spiegeln die Visiertexte wirtschaftliche Verhältnisse bestimmter Regionen wider, zum Beispiel durch die Verwendung regionaler Maßeinheiten.42 Womöglich handelte es sich bei der Visierkunst um ein „Mittelding zwischen wissenschaftlicher und gewerblicher Thätigkeit“.43

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[Folkerts 1974, 21]. Eine Vortragsfassung dieses Artikels findet man in [Folkerts 1975]. [Meskens 2013, 45 und Anm. 52]. [Cantor 1907, 449]. [Schuppener 2008, 73] folgt [Müller 1999, 2370]. [Leibowitz 1933, 6]. [Folkerts 1974, 15]. Weitere Beispiele: (1) Visierbuch von 1485 eines gewissen Bynczendorffer, [Folkerts 2008b, 104], (2) Abschnitt aus Wiener Kodex zwischen 1460 und 1470, [Chlench 2014] oder (3) Visierbuch des Christian Knödel von 1675: langjährige Erfahrung als Visierer, kein Universitätsbesuch. Siehe [Gebhardt 2014]. [Leibowitz 1933, 6]. Zum Beispiel: Johannes Preu, Visierschrift „Pithometria“ von 1577. Siehe [Folkerts 2008b, 106]. Die Funktion der Zahlentafeln in den Visiertexten ist nicht systematisch erforscht. Einen ersten Versuch findet man in [Storeck 2014]. [Folkerts 1986b, 137–138]. [Günther 1969, 327].

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2 Texte, Spezialisten und Messinstrumente: Zum Forschungsstand

Über die Einordnung der Visiertexte innerhalb verschiedener Fachdisziplinen gibt es unterschiedliche Meinungen. Zum Beispiel greifen seit Ende des 18. Jahrhunderts Einführungswerke in die Mathematikgeschichte die Visierkunst (mit Visierruten) auf, wenn es um praktische Geometrie und ihre Veranschaulichung geht.44 Nur selten wird am Rande der Aspekt berücksichtigt, dass gerade die gedruckten Texte ebenso als Anhänge zu Rechenbüchern veröffentlicht wurden und manche Visierbücher eine Einführung in die Arithmetik geben.45 In der Sprachforschung stehen für die Einordnung und Abgrenzung vor allem der frühneuhochdeutschen Visiertexte als Fachprosa die genauen Kategorisierungsprinzipien und die Merkmale einer Fachsprache der Geometrie in der frühen Neuzeit zur Debatte.46 Neben den lateinischen und deutschen Texten über die Fassmessung mit einem Messstab sind auch Texte in anderen Sprachen bekannt. Die bereits erwähnte Pergamentrolle aus dem Sint-Janshospitaal in Damme überliefert einen flämischen Text. Das Wissen um Visierstäbe kursierte auch in Brügge.47 Seit dem 16. Jahrhundert machten sich mehrere flämische Autoren um die Visierkunst verdient, darunter die Rechenmeister Michiel Coignet, Martin Van den Dijcke (um 1549–1600) oder Adriaan Metius (1571–1635).48 Auf Französisch liegen die Jean Fusoris (um 1365–1436) zugeschriebene Geometrie und die 1484 verfasste Abhandlung über Geometrie des Nicolas Chuquet (1445/1455–1487/1488) vor, die beide auf die Fassmessung mit einem Messstab eingehen.49 Dass es weitere französische Texte über die Fassmessung mit einem Messstab gegeben haben muss, machen die Übersetzungen des Fra Giovanni Giocondo (1434–1515) deutlich, in denen unter anderem vom Gebrauch eines Messstabes (schantillon) für die Fassmessung die Rede ist.50 In italienischer Sprache sind die Übersetzungen des Fra Giocondo aus dem Französischen die einzigen bislang bekannten Texte, die sich ausschließlich der Herstellung und dem Gebrauch von Visierruten widmen. Sonst findet man Abschnitte über die Inhaltsbestimmung von Fässern in Texten aus dem Umfeld der maestri d’abbaco. Meistens handelt es sich dabei um Traktate über Geometrie, in

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[Kästner 1970, 646–647], [Günther 1969, 327–329], [Cantor 1907, 449], [Folkerts, Knobloch und Reich 1989, 126, 133–134], [Gericke 1990, 197–198]. [Schuppener 2008, 75]. [Schuppener 2008, 73–75] führt inhaltliche und formale Kriterien an, während [Chlench 2014, 165–166] auf Chronologie, Verfasser/Adressaten und Vermittlungsstrategien verweist. Zur Fachsprache in der Geometrie siehe [Müller 1999]. [Verlé 1960] studiert eine flämischen Handschrift über die Konstruktion von Skalen einer Visierrute für Brügger Maße. [Meskens u. a. 1999, 58] verweist für eine Übersicht flämischer Texte auf die Verzeichnisse in [Bockstaele 1970] und [Folkerts 1974]. Metius schlug zum Beispiel einen Proportionalzirkel als Hilfsmittel beim Visieren vor; siehe [Meskens 2013, 111]. Die wichtigsten Argumente beider Verfahren nennt [L’Huillier 1976, 583]. Zur Fassmessung in der sogenannten Fusoris-Geometrie siehe [Tura 2008, 162–171]; für Nicolas Chuquet siehe [Chuquet 1979, 421–430]. [Tura 2008, 265–270, 275–278].

2.1 Visiertexte und ihre Verfasser

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denen die Inhaltsbestimmung von Fässern in kleineren Aufgaben behandelt wird. Als eigenständige Abhandlungen sind bislang keine Visiertexte nachweisbar.51 Es gibt bisher ebenso keine Hinweise auf eine vergleichbare Texttradition zu Visierstäben im englischen und spanischen Sprachraum.52 Die bisher bekannte Zahl der Visiertexte dürfte jedoch eine zu niedrige Schätzung sein, da das Thema nicht nur in Geometrietexten, sondern auch in Abhandlungen über Arithmetik aufgegriffen wurde, wenn auch nur in kurzer Form.53 Immer wieder findet man weitere Texte und Handbücher, die Abschnitte zur Visierkunst anführen.54

2.1.3 Visierrutentypen Anhand der bisher studierten Texte kann man drei Haupttypen von Visierruten unterscheiden, die sich durch ihre Skalen klassifizieren lassen. Da alle Arten von Visierrutentypen in der später zu untersuchenden Visiertextsammlung vorkommen und dort im Detail rekonstruiert werden, nenne ich hier nur einige Merkmale. Wenn ich in der vorliegenden Arbeit von der Länge oder Höhe eines Fasses spreche, meine ich den Abstand der beiden Bodenflächen zueinander; die Tiefe eines Fasses bestimmt man durch den Durchmesser oder die Flächen der Fassböden. Der bei weitem am häufigsten auftretende Typ ist die Quadratrute.55 Eine Quadratrute ist mit zwei Skalen versehen, nämlich einer Längen- und einer Tiefenskala. Man ermittelt den Inhalt eines Fasses, indem man seine Länge und mittlere Bodenfläche bestimmt und beide Zahlen miteinander multipliziert. Die Längenskala ist linear eingeteilt, die Tiefenskala quadratisch. Für die Tiefenskala gibt es ein vorgegebenes Einheitsmaß oder es wird anhand eines Normgefäßes ermittelt.56 Die Vielfachen konstruiert man mithilfe geometrischer Methoden57 oder auf arithmetischem Wege, wie es zum Beispiel Michiel Coignet in seinem Arithmetikbuch vorstellte.58 In einigen Visiertexten findet man zu diesem Zweck Quadratwurzeltabellen beigefügt.59 Bei manchen Quadratruten werden mehrere Tiefenzeichen zu sogenannten „Prinzipalen“ zusammengefasst; gelegentlich werden Methoden beschrieben, wie man für eine gegebene Längenskala eine

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[Simi 1993]. [Sarton 1947, 1581]. Mit der Visierkunst in Großbritannien vor allem im 19. Jahrhundert beschäftigt sich [Martin 2009]. [Meskens u. a. 1999, 58]. Darunter befindet sich eine Handschrift des Mathias von Kemnat (Handschrift Vat. Pal. lat. 1381, fol. 87v). Siehe [Schuba 1992, 119]. Siehe auch gedruckte Texte wie [Kaukol 1666], [Beutel 1690], [Pickel 1782], [Wurster 1786] oder [Gauging Manual 1941]. In Schriften aus dem Weinhandel dürften ebenso Abschnitte über das Visieren zu finden sein, wie im „Rechenbüchlein des Weinkauffs“ von 1562, auf das [Wirtler und Schäfke 2003, 137] hinweisen. Eine kurze Beschreibung liefert zum Beispiel [Folkerts 2008a, 10–11, 21–23]. [Folkerts 2008a, 11], [Leibowitz 1933, 7–8]. Details in [Leibowitz 1933, 9–10], [Meskens u. a. 1999, 63–67] und [Folkerts 2008a, 21–23]. [Meskens 2013, 106–107]. [Meskens u. a. 1999, 60–62].

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2 Texte, Spezialisten und Messinstrumente: Zum Forschungsstand

Tiefenskala anhand eines geeichten Gefäßes ermitteln kann und andersherum.60 Man findet Nachweise für den Gebrauch von Quadratruten vor dem Jahr 1400 in Flandern und in Nürnberg;61 im 16. Jahrhundert dürfte sie in Europa weit verbreitet gewesen sein.62 Nicht immer wurden die Messstäbe als Quadratruten bezeichnet, wie bei Peter von Jülich (1390/1391–1446), Nicolas Chuquet, Jean Fusoris oder Ulman Stromer.63 Möchte man die Rechnung vermeiden, die bei der Messung mit einer Quadratrute anfällt, so kann man sich einer Wechselrute bedienen.64 Sie verfügt neben einer Längen- und einer Tiefenskala über mehrere weitere Skalen, auf denen der Inhalt direkt abgelesen werden kann. Die Zahlen auf einer Inhaltsskala werden für eine bestimmte Fasstiefe und variierende Fasslängen berechnet. Man findet Beschreibungen von Wechselruten sowohl in deutschsprachigen Texten als auch in Antwerpen und dem niederländischen Raum.65 Eine weitere Vereinfachung ermöglicht die Kubikrute, mit der nur eine Aktion anfällt, nämlich die Messung des Fassinneren. Das Ergebnis lässt sich direkt auf der Skala ablesen. Eine Kubikrute verfügt über eine kubische Skala, das heißt die in linearen Abstände eingeteilte Skala erhält als Beschriftungen die Kubikzahlen 1, 8, 27 und so weiter. Mit einer Kubikrute können jedoch nur solche Fässer vermessen werden, deren Form zum Eichfass ähnlich ist.66 Für die Beschriftung der kubischen Skala wurde einigen Texten Kubikwurzeltabellen beigefügt;67 andere Texte bestimmen die Zahlen der Skala auf geometrischem Weg, zum Beispiel durch Würfelverdopplung.68 Man findet ebenso Kubikruten, deren Skala gleichmäßig beschriftet ist: Man misst drei Dimensionen und multipliziert die erhaltenen Werte, so dass die Visierrute eher wie ein Zollstock verwendet wird.69 Womöglich entwickelte man die Kubikrute in Österreich.70 Man begegnet in keinem der niederländischen Texte aus dem 16. Jahrhundert einer Konstruktionsanleitung dieses Messstabes.71 Der von den Visierern ermittelte Inhalt eines Fasses wurde häufig auf das Fass geschrieben. Ich werde später zeigen, dass die Nürnberger Visierer dazu Kreide verwendeten. Man geht davon aus, dass die Visierer in manchen Gegenden 60 61 62 63 64 65

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[Leibowitz 1933, 10–12]. [Folkerts 2008a, 13–14]. Sicher in Frankreich, in Flandern, im Rheintal und in Süddeutschland. Siehe [Meskens u. a. 1999, 72]. Zu Antwerpen siehe [Meskens 1994, 123–124]. Siehe für die genannten Verfasser jeweils [Hellmann 2011, 253], [Chuquet 1979, 421–430], [L’Huillier 1976, 583–584] und [Chlench 2014, 161–165]. Man findet eine Abbildung in [Leibowitz 1933, 14–16] und [Folkerts 1974, 24–26]. [Leibowitz 1933, 13–17] illustriert Erläuterungen aus einem Kodex aus Gotha. Auf niederländische Autoren verweist [Meskens 1994, 124–125], [Meskens u. a. 1999, 62] und [Meskens 2013, 107–108]. [Leibowitz 1933, 8], [Bockstaele 1970, 537] und [Folkerts 2008a, 12]. Eine Kubikwurzeltabelle bildet [Folkerts 2008b, 105] ab. [Leibowitz 1933, 21–24], [Folkerts 1974, 30]. [Folkerts 1974, 30] [Folkerts 2008a, 12]. [Meskens 2013, 109].

2.1 Visiertexte und ihre Verfasser

27

spezielle Zahlzeichen gebrauchten, die wegen ihrer Form leicht in Holz eingeritzt werden konnten.72 Es handelte sich um ein Zeichensystem aus horizontalen Strichen oder mehreren Dreiecken, die zu einem einzigen Zeichen zusammengesetzt werden, so dass alle Zahlen von 1 bis 9999 darstellbar waren.73 Auf Fässern sind diese speziellen Zeichen jedoch bislang nicht belegt.74

2.1.4 Inhaltsbestimmung teilweise gefüllter Fässer Die Visiertexte über die Herstellung und den Gebrauch von Visierruten setzen in der Regel voraus, dass die zu messenden Fässer vollständig gefüllt sind und sich daher sinnvoll durch das Volumen eines Zylinders approximieren lassen. Deutlich seltener geben die Visiertexte Methoden an, wie man den Inhalt teilweise gefüllter Fässer bestimmt. Bemerkenswerte Ansätze findet man zum Beispiel in Texten über Geometrie: Dominicus de Clavasio bestimmte in der Practica Geometriae den vollen Teil des Fasses, indem er den Querschnitt des Fasses als Kreis auffasste, die Fläche des Kreisabschnittes im gefüllten Teil bestimmte und diese Fläche mit der Länge des Fasses multiplizierte. Die Fläche des Kreisstückes errechnete er, indem er es stückweise approximierte.75 Auf ähnliche Weise teilte der Verfasser in der französischen, Fusoris zugeschriebenen Geometrie den als Kreis aufgefassten Querschnitt eines Fasses in horizontale Streifen ein. Jeder Streifen entsprach einem gewissen Anteil der Querschnittsfläche und stellte eine bestimmte Menge im Fass dar.76 Johannes de Muris unterschied in De arte mensurandi drei geometrische Formen, durch die er ein Fass annäherte. Schließlich gab er ein allgemeines Verfahren an, mit dem er den im Fass fehlenden Teil bestimmt. Dazu benötigt er Sehnentabellen und berechnet eine geeignete Fläche zwischen Kreisbögen. Für die Herleitung dieser Methode bezog sich Johannes de Muris auf die Schrift De sphaera et cylindro des Archimedes (um 287 v. Chr.–212 v. Chr.) und betrachtete geometrische Körper, die durch Rotation entstanden sind.77 Im 16. Jahrhundert führte der Antwerpener Visierer Michiel Coignet für seine Messmethode den Inhalt eines teilweise gefüllten Fasses auf ein ähnliches, volles Fass zurück.78 Er korrigierte eine Formel, die er bei Willem Raets (1540– 1576) fand, und schlug den Gebrauch eines Proportionalzirkels vor. Im Jahr 1573 kündigte Coignet eine allgemeine Regel zur Inhaltsbestimmung teilweise gefüllter Fässer mit geometrischen Methoden an, die er aber nicht ausführte.79 In den 72 73

74 75 76 77 78 79

Eine ausführliche Darstellung bietet [King 2001, 164–171]. [King 2001, 239–242, 335–341] und [Meskens u. a. 1999, 67–72]. Ähnlich wie die Kölner „Röderzeichen“ sehen die vom Kloster Nivelles bei Brüssel verwendeten Zeichen aus. Siehe [Hoebanx 1971, 160–163] und [Hoebanx 1990]. [King 2001, 171]. [Busard 1965, 565–566, 575]. [Tura 2008, 162–171, 275–278]. [Johannis de Muris 1998, 16–17, 388–390] und [Folkerts 2008a, 8–9]. [Meskens 1994, 124–127]. [Meskens 2013, 108–111].

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2 Texte, Spezialisten und Messinstrumente: Zum Forschungsstand

deutschsprachigen Visierbüchern gaben zum Beispiel Buchard Mithob, Ulrich Kern, Erhart Helm oder Johann Neydlein Messmethoden für teilweise gefüllte Fässer an.80 Johannes Kepler erläuterte in der deutschen Ausgabe seiner Schrift zur Fassmessung von 1616 eine Methode für teilweise gefüllte Fässer, für die er sich auf Michiel Coignet bezog.81 Empirisch hergeleitete Formeln in italienischen Texten beruhten darauf, den im Fass fehlenden Teil (scemo) zu bestimmen. Dazu maß man die Höhe des fehlenden Teils mit einem mit Kerben versehenen Stab (stagia) und errechnete mithilfe geometrischer Sätze die Menge der nicht vorhandenen Flüssigkeit. Einige dieser Regeln waren recht verbreitet und wurden in mehreren Texten erwähnt, während man andere Verfahren nur in bestimmten Regionen verwendete und auf einzelne maestri d’abbaco zurückführte. Häufig sind den Darstellungen umfangreiche Zahlentafeln beigefügt, die empirische Messreihen widergeben.82 Auf italienische Zahlentafeln bezog sich später Michiel Coignet und stellte Abweichungen zu Antwerpener Fassformen fest.83

2.1.5 Visiermethoden auf die Probe gestellt In nur wenigen Texten findet man kritische Bemerkungen, die die Güte der Messverfahren anzweifeln.84 Manche Texte warnen vor Betrug und davor, das Wissen um die Visierkunst an Unbefugte weiterzugeben.85 Ein Vergleich der Messmethoden der flämischen Visierer des 16. Jahrhunderts mit den Resultaten, die sich ergeben, wenn man den Inhalt eines Fasses mit Methoden der Integralrechnung ermittelt, hat gezeigt, dass der relative Fehler bei der Inhaltsbestimmung voller Fässer unter leichten Normalisierungsannahmen bei nur 8 % liegt. Deutlich schlechter fällt der Vergleich aus, wenn es um teilweise gefüllte Fässer geht: Die Visiermethoden lieferten hierfür nur sehr ungenaue Messergebnisse.86 Einer der ersten Texte, der die bekannten Visiermethoden grundlegend in Frage stellte und fundamentale Fehler aufdeckte, stammt aus der Feder des Peter von Jülich aus Köln. In der bislang unbeachteten Schrift Incipit tractatus Magistri

80

81 82 83 84

85 86

Zu Kern und Mithob siehe Textauszüge bei [Leibowitz 1933, 21–24]. Das Verfahren Erhart Helms ist mit demjenigen Coignets vergleichbar. Siehe [Folkerts 1974, 33]. Auf Methoden des Johann Neydlein verweist [Folkerts 2008b, 105]. [Kepler 2000, 457–461]. Siehe auch [Leibowitz 1933, 24–25], [Folkerts 1974, 34] und [Meskens 1994, 127]. [Simi 1993, 403–411] führt acht verschiedene Methoden vor. Zu Orbetano da Montepulciano siehe auch [Simi und Toti Rigatelli 1993, 464–466]. Ich danke Ad Meskens für diesen Hinweis. Siehe auch [Meskens 1994, 125] und [Meskens 2013, 103]. Siehe die Anmerkungen von [Folkerts 2008a, 15, 19]. So zweifelte zum Beispiel Coignet die Genauigkeit bei Raet an, siehe [Meskens 2013, 106] und [Meskens 1994, 125]; für die Kritik Valentin Mennhers an der Herstellungsmethode der Quadratrute siehe [Meskens 2013, 107]. [Leibowitz 1933, 5] verweist auf einen Kodex in Gotha. [Meskens 1994, 137–146].

2.1 Visiertexte und ihre Verfasser

29

Petri de Juliacho von Anfang des 15. Jahrhunderts erläuterte der Verfasser in 27 Kapiteln seine Zweifel und benannte Verbesserungsvorschläge.87 Dabei stellte er zunächst zwei verschiedene Messmethoden vor, die jedoch systematisch entweder zu kleine oder zu große Messwerte lieferten. Peter von Jülich schlug deshalb eine dritte Methode vor, die die beiden ersten vereinte: Er näherte den Inhalt des Fasses zunächst durch zwei geschickt gewählte Pyramidenstümpfe an und bildete schließlich einen gewichteten Mittelwert dieser beiden Rauminhalte. Nachdem er in diesem ersten Teil der Abhandlung eine einheitliche Fasstiefe bestimmt hatte, widmete er sich im zweiten Teil der Einteilung der Skalen auf der Quadratrute und der Frage, wie man aus mittlerer Fasstiefe und der Fasslänge den Inhalt des Fasses berechnet. Seine Überlegungen schloss er mit allgemeinen Bemerkungen zum Messen und zu Maßeinheiten ab: Er plädierte dafür, dass nur fachkundige Spezialisten die Messungen durchführen und dass einheitliche Maßeinheiten verwendet werden sollten. Man merkt dem Text an, dass sich Peter von Jülich im universitären Umfeld bewegte. Nachdem er sich 1401/1402 an der Universität Köln immatrikuliert hatte, wurde ihm nicht nur mehrfach das Amt des Dekans der Artistenfakultät übertragen, sondern wirkte ebenso als Rektor der Universität. Im Jahr 1434 trat der Kartause Sankt Barbara bei. In der Visierschrift verband Peter von Jülich mathematische Begründungen immer wieder mit Verweisen auf Schriften des scholastischen Lehrbetriebs, wie zum Beispiel Aristoteles’ Ethik. Auch biblische Zitate führte er an. Unter den erhaltenen Schriften über Fassmessung fallen die beiden Schriften Johannes Keplers auf: die lateinische Nova Stereometria Doliorum Vinariorum von 1615 und der deutsche Außzug auß der uralten Messe Kunst Archimedis von 1616.88 Kepler zweifelte grundsätzlich daran, dass die Visierer mit bisherigen Messmethoden gute Messergebnisse erhielten. Seine Antwort waren tiefgründige Überlegungen, an die keiner der früheren und späteren Visiertexte heranreichte. Im ersten Teil der Stereometria Doliorum, die der Verfasser in die Tradition des Archimedes stellte, konstruierte er durch die Drehung von Kegelschnitten zahlreiche Körper verschiedener Form, zum Beispiel einer Pflaume oder einer Zitrone. Im zweiten Teil stellte er seine Überlegungen zu österreichischen Fässern vor, um im dritten Teil auf die kubische Visierrute einzugehen. Kepler kam schließlich zu dem Ergebnis, dass dieser Visierrutentypus für österreichische Fassformen gute Messergebnisse liefere. In einer bekannten Anekdote schilderte er im Widmungsschreiben zur Nova Stereometria, wie er nach seiner zweiten Heirat die Visierer

87

88

Das vollständige Incipit lautet „Incipit tractatus Magistri Petri de Juliacho de modo virgulando sive mensurandi vasa“. Einen Überblick über diese Schrift ermöglicht [Hellmann 2011]. Menso Folkerts und Martin Hellmann erarbeiten derzeit eine textkritische Edition des lateinischen Textes mit einer Übersetzung ins Deutsche. Ich danke ihnen für die Einsicht in das noch zu veröffentlichende Manuskript, dem ich für die Darstellung in diesem Absatz folge. [Kepler 1615] und [Kepler 1616]. Es liegen Editionen beider Texte vor in [Kepler 2000]; eine deutsche jedoch nicht vollständige Übersetzung der Nova Stereometria Doliorum Vinariorum fertigte [Kepler 1908] an. Zur Entstehungsgeschichte beider Texte siehe [Kepler 2000, 430– 436]. Mit den mathematischen Inhalten beschäftigen sich [Wieleitner 1930] und [Kepler 2000, 436–461].

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2 Texte, Spezialisten und Messinstrumente: Zum Forschungsstand

bei der Fassmessung beobachtet hatte und auf das Thema gestoßen sei.89 Die deutsche Ausgabe über die Messekunst fasst einige Ergebnisse aus der lateinischen Stereometria zusammen, führt weniger Beweise vor, erklärt keine Kegelschnitte und ergänzt einen Anhang über Maße und Gewichte. Ob und inwiefern die Schriften Johannes Keplers spätere Visiertexte geprägt haben, wurde bisher nicht im Detail untersucht, doch würdigte man Keplers Schriften sowohl aus historischer wie mathematischer Perspektive. So hielt zum Beispiel Margaret Brusstor am 7. Februar 1912 im Göttinger Seminar bei Felix Klein (1849–1925) einen Vortrag über Keplers Stereometria doliorum.90 Franz Maria Feldhaus (1874–1957) dokumentierte in seinem umfassenden KarteikartenArchiv neben einer Notiz zu Johannes Kepler mehrere Hinweise zur Visierkunst und verwertete einige dieser Notizen in seinen Publikationen.91 Wie die Schriften Keplers über Fassmessung innerhalb mathematischer Teilgebiete zu verorten ist, wird unterschiedlich bewertet.92 Seine Texte haben wohl Arbeiten anderer Verfasser über Rauminhalte angeregt.93 Schließlich hielten jüngere mathematische Konzepte Einzug in die Theorie der Fassmessung. Die Näherungsformeln zur Fassmessung aus verschiedenen Jahrhunderten wurden miteinander verglichen94 und mit unterschiedlichen Werkzeugen der Mathematik geprüft und weiterentwickelt. Zum Beispiel stützten sich Überlegungen des Geheimen Oberbaurats Eytelwein zum in Berlin gebräuchlichen Visierstab auf Rechnungen zu Differentialverhältnissen. Er trug seine Ergebnisse im Jahr 1803 in der Königlichen Akademie der Wissenschaften und schönen Künste vor, nachdem er im Auftrag des Königlichen Accise-Departements Messungen mit verschiedenen Fassformen durchgeführt hatte, um unter den bekannten Näherungsformeln die für gängige Fassformen am besten geeignete Regel zu ermitteln.95 Die historischen Beispiele wurden aber auch um neue Vorschläge ergänzt, die auf Rotationsintegralen beruhen und die die Erzeugendenfunktionen variieren (kubisches Polynom, trigonometrische und biquadratische Funktion).96 89 90

91 92

93 94 95 96

[Kepler 2000, 9] oder auch [Kepler 1908, 99–100]. Sie orientierte sich eng an Klugs Übersetzung. Das handgeschriebene Protokoll des Vortrags findet sich unter http://www.uni-math.gwdg.de/aufzeichnungen/klein-scans/klein/ V29-1909-1912/V29-1909-1912.html (besucht am 12.02.2018), S. 223–225. Ich danke Moritz Firsching für diesen Hinweis. [Feldhaus 1970, 1245]. Das Karteikarten-Archiv des Technikhistorikers Franz Maria Feldhaus befindet heute im Deutschen Technikmuseum, Historisches Archiv, Berlin. Keplers Schriften gelten als Beitrag zur (1) Theorie der Maxima und Minima, siehe [Wieleitner 1930, 301], (2) zur Untersuchung einer Funktion von zwei unabhängigen Veränderlichen in einem Sattelpunkt, siehe [Weiß 1940, 262], oder auch (3) Entwicklung und Verbreitung infinitesimaler Methoden, siehe zum Beispiel [Kaiser und Nöbauer 1984, 181–183] und [Wußing 2008, 437–439]. [Kepler 2000, 431, Anm. 17.22] verweist auf Arbeiten von Paul Guldin (1577–1643), Bonaventura Cavalieri (1598–1647) und anderen. Einen Vergleich verschiedener Approximationsformeln aus jüngeren Texten unternahm zum Beispiel [Verlé 1960, 42]. [Eytelwein 1806]. [Jongmans 2008].

2.2 Die Visierer: Spezialisten der Fassmessung

31

2.2 D IE V ISIERER : S PEZIALISTEN DER FASSMESSUNG Für die Inhaltsbestimmung von Fässern waren im städtischen Weinhandel in der Regel sorgfältig ausgewählte, vereidigte Spezialisten zuständig. Auf Grundlage ihrer Messung bestimmte man die zu zahlende Weinsteuer im Handel. Je nach Region sprach man neben Visierern auch von Öhmern, Rödern oder Sinnern. Erste Hinweise auf Visierer findet man seit Beginn des 14. Jahrhunderts. Im 15. Jahrhundert lassen sich Visierer in zahlreichen Städten nachweisen, darunter Nürnberg, Straßburg, Köln und Antwerpen. Manche Details in der Erhebung, der Art oder der Höhe des Weinungeldes unterscheiden sich je nach Stadt voneinander. Für alle Städte handelte es sich beim Weinungeld jedoch um eine unverzichtbare Einnahmequelle. Zwar liegt bislang keine Studie vor, die die Visierer in einer oder mehreren Städte in den Fokus stellt, jedoch begegnet man Notizen zu den Fassmessungsspezialisten in Untersuchungen über den Weinhandel oder das Weinungeld. Da ich in meiner Arbeit den Fall der Nürnberger Visierer später ausführlich betrachte, fasse ich diese Forschungsergebnisse dort zusammen (Kapitel 6.3). Es wird sich herausstellen, dass die Visierer in Nürnberg und anderen Städten für ähnliche Aufgaben zuständig und in vergleichbarer Weise organisiert waren.

2.3 E XEMPLARE AN V ISIERRUTEN Dass eine Visierrute wesentlich zum Bild eines Visierers in der Öffentlichkeit gehörte, belegt nicht nur die literarische Erwähnung der Visierer bei Kunz Haß. Auch im Fastnachtsspiel Des Baurn Flaischgaden Vasnacht aus dem 15. Jahrhundert dient eine Visierrute für das Eichen und Visieren als Mittel derben Humors.97 Ebenso sind Visierruten in einem Verzeichnis von Gegenständen aufgeführt, die ein Nürnberger Visierer seiner Familie bei seinem Tod vererbte.98 Zum Messinstrument der Visierrute und seiner Materialität wurde jedoch bislang kaum geforscht. Die Identifikation von Visierruten birgt mehrere Schwierigkeiten in sich: Vor allem aus dem Zeitraum der älteren Visiertexte sind wohl nur wenige Visierruten erhalten, da die Messinstrumente meistens aus Holz gefertigt wurden, das heißt einem vergänglichen Material. Außerdem fertigten die Visierer wohl auch bedarfsabhängig neue Visierruten an.99 Weiterhin ist es bisweilen mühsam, unter den erhaltenen Messstäben die Visierruten zu finden, da man eine unregelmäßig erscheinende Skala zu identifizieren versucht. Nur gelegentlich sind die Messstäbe mit regionalen Maßeinheiten oder Namen beschriftet. Lange Holzstücke mit Einritzungen wie ein Fund bei Ausgrabungen in Freiberg gelten oft als Kerbhölzer oder werden im Kultbereich verortet.100 97 98 99

[Keller 1853, 712, Z. 16–23]. Siehe Kapitel 6. [Schneider 1986, 127]. Bei den Antwerpener Visierwettbewerben mussten die Kandidaten ihre Messinstrument vor Ort selbst herstellen. Siehe [Meskens 1994, 132]. 100 [Gühne 1991, 55, Fundstück 1]. Ich danke Bernd Thier für diesen Hinweis.

32

2 Texte, Spezialisten und Messinstrumente: Zum Forschungsstand

Abbildung 2.4: Visierrute. Mathematisch-Physikalischer Salon, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Inv.-Nr. B I 4.

Einer der ältesten erhaltenen Visierstäbe befindet sich im MathematischPhysikalischen Salon der Staatlichen Kunstsammlungen in Dresden (Abb. 2.4). Der Messstab ist aus Holz gefertigt und mit Silberzwingen versehen. Von ursprünglich drei Teilen des Messtabes sind heute zwei erhalten. Seine Beschriftung lässt darauf schließen, dass es sich um eine Visierrute handelt: Er ist beschriftet mit „Dreßdenisch Ohm“ und „Leiptzisch“ und umfasst neben linearen Skalen ebenso mindestens eine quadratische Skala.101 Die Visierrute lässt sich wohl einem Eintrag im ersten Kunstkammer-Inventar von 1587 zuordnen.102 Ein weiterer Messstab aus Messing in der Dresdner Sammlung besteht aus zwei Teilen, die ineinandergeschoben werden können (Abb. 2.5). Der erste Teil umfasst drei lineare und eine quadratische Skala; die Beschriftungen weisen nicht nur auf Leipziger Maße hin, sondern auch auf Skalen für einen Kreisdurchmesser oder die Seite eines gleichseitigen Dreiecks.103 Der Stab ist signiert mit „Fridericus Oswaldus Inventor“ und „V[iktor]S[tarck]F[ecit] Anno 1636“. Möglicherweise kam der Messstab erst 1661 in die Kunstkammer. Er ist ein Beispiel dafür, dass man auf Messstäben wie Visierruten zusätzliche Skalen auftrug und so einen größeren Anwendungsbereich eröffnete. Ähnliche Verwandtschaften lassen sich in der Ballistik zwischen Visierruten und Kalibermaßstäben belegen: Um für ein Geschütz das passende Geschoss zu finden, änderte man die Messskalen so, dass man anhand

101 Inv.-Nr. B I 4 (unsign.). http://skd-online-collection.skd.museum/de/contents/show?id= 50475 (besucht am 12.02.2018). 102 Der Eintrag lautet: „1 Andere viesirruthe uf leipztiger und dreßdnisch ohm, mit silbern zwingen“. Ich danke Michael Korey für diesen Hinweis. 103 Inv.-Nr. B I 35. Der Messingschlitten trägt die Beschriftungen „1 Künstliche Cubische Zoll derer 100 Vf l Leip: Visier Kanne Gehen. Oder Ladus Quadrati.“, „2 Diameter Circuli 2“, „3 Latus Trianguli aequi lateri: 3“, „4 Sphaerische Visier Ruthe daruf die Leipz: Kan: Verzeichnet stehen.“. Die Hülse des zweiten Teil ist beschriftet mit „5 Visier Ruhte Zum Vassen auf Leip: Vis: Kan: gerichtet. eingeschlossen der 2. bodendicke.“, „6 Cylindrische Visier Ruthe im Lichten auf Leipz. Visier Kannen gerichtet.“, „7 Sphaerische Oder Kugelrunde Visier Ruthe auf Leipz: Visier Kannen gerichtet.“, „8 Sphaerische Visier Ruthe, auf Pfunde an reinen Wasser gerichtet.“. Ich danke Michael Korey für diesen Hinweis.

2.3 Exemplare an Visierruten

33

Abbildung 2.5: Visierrute. Mathematisch-Physikalischer Salon, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Inv.-Nr. B I 35.

der Durchmesser eine hinsichtlich Größe und Schwere geeignete Kugel aus Eisen, Blei oder Stein auswählen konnte.104 Drei Messstäbe aus der Kölner Weinschule befinden sich heute im Historischen Museum Köln. Sie sind als Weinruten katalogisiert.105 Ob sich diese oder andere Visierruten mit Texten in Verbindung bringen lassen, ist nicht geklärt. Spätestens seit dem 17. Jahrhundert verwendete man auch Visierbänder zur Fassmessung. Es handelt sich um oft in runden Schachteln aufbewahrte, beschriftete Pergamentoder Papierstreifen.106 Es gibt keinen Katalog erhaltener Visierruten.107

104 [Leibowitz 1933, 31–32] und [Folkerts 1974, 34–35]. 105 HM 1888/178 A (D58), HM 1888/176 A (D59). Zwei Stäbe der Länge von 90 cm aus Birnbaum sind mit der Aufschrift „Biege! Roitt der kupfferen Ahm Eichen auf der Bach 1603 B“ versehen. Eine weitere Weinrute mit der Signatur HM 1888/I83 A (D64) mit der Aufschrift „Biege! Roth Der Kuffer Ahm I in der Weinschull 1750“ liefert eine andere Skala. Siehe [Wirtler und Schäfke 2003, 108–110]. 106 [Bassermann-Jordan 1991, 770, Anm. 1]. 107 Meine Anfragen bei Museen und Sammlungen in Deutschland und Österreich haben etwa 25 Exemplare aus dem 16. bis 19. Jahrhundert ergeben.

3 E INE S AMMLUNG VON V ISIERTEXTEN Unter den zahlreichen Abhandlungen, die allein der Frage gewidmet sind, wie man den Inhalt eines Fasses mit einem Messstab bestimmt, gibt es eine Gruppe von vier Texten, die in mehreren Handschriften einzeln oder in unterschiedlicher Kombination gemeinsam überliefert sind. Diese Gruppe an Texten bezeichne ich im folgenden als „die Visiertextsammlung“ und stelle sie ins Zentrum dieser Arbeit. Wenn ich später verkürzt von „den Verfassern der Visiertextsammlung“ spreche, sind damit diejenigen gemeint, die an den Einzeltexten oder der Zusammenstellung der Sammlung mitgewirkt haben. Ich habe mich gegen die Bezeichnung als „Korpus“ zugunsten einer „Sammlung“ entschieden, weil ich betonen möchte, dass es sich um vier einzelne Texte handelt, die unabhängig voneinander entstanden sind und im Laufe des 15. Jahrhunderts zusammengefügt wurden. Ein Korpus scheint mir eine fest gefügte Einheit zu suggerieren, die man bei der Gruppe von Visiertexten nur in einigen Handschriften vorfindet.1 Die Bezeichnung als „Visierkorpus“ ist jedoch gerechtfertigt, wenn man sich auf den Standpunkt stellt, dass immerhin in der Hälfte der Handschriften alle vier Texte gemeinsam überliefert sind, wenn auch in unterschiedlicher Reihenfolge, und sich manche der Einzeltexte sogar aufeinander beziehen.2

3.1 D IE E INZELTEXTE Jeder der vier lateinischen Texte ist einer bestimmten Visierrute gewidmet und schildert die Herstellung und bisweilen den Gebrauch des Messinstrumentes.3 In der edierten Fassung der Visiertextsammlung gehört zu jedem Text mindestens eine Zahlentafel; die Sammlung umfasst außerdem einen Kommentar zu einem der Texte und eine Zusammenstellung geometrischer Sätze.4 In der nachfolgenden Übersicht ist eine grobe Gliederung der Textsammlung dargestellt. Die Reihenfolge der Abschnitte folgt der Textfassung, die im Anhang als Edition beigefügt ist und auf zwei Handschriften beruht. In anderen Handschriften begegnet man auch einer anderen Reihenfolge der vier Einzeltexte. Menso Folkerts hat eine Bezeichnung der Texte mit den Buchstaben A, B, C, D eingeführt, die hier mit einer kurzen Titelform beziehungsweise dem Incipit der Textabschnitte verzeichnet 1

2 3 4

Die gleiche Textreihenfolge der vier Visiertexte, wie sie in der Edition im Anhang dokumentiert ist, findet man neben den Handschriften aus Perugia und Paris außerdem in den Textzeugen aus New Haven und dem Vatikan. Für ein „Visierkorpus“ entscheidet sich zum Beispiel [Folkerts 2008a, 17]. Die Anleitungen rekonstruiere ich in Kapitel 4. Diese Sammlung geometrischer Sätze, vor allem zur Geometrie des Kreises, ist keiner bestimmten Visierrute zugeordnet, da sie gemäß ihres Titels für die gesamte Visiertextsammlung brauchbar ist.

36

3 Eine Sammlung von Visiertexten

sind.5 Ich gebe die beschriebenen Visierruten mit ihrer lateinischen Bezeichnung (virga plana, virga scripta, virga quadrata, virga trigona, virga cubica) aus der Visiertextsammlung an und untersuche später, welchen Visierrutentypen (Quadrat-, Kubik- und Wechselrute) diese Visierruten zuzuordnen sind.6

Bezeichnung: Incipit (kurz)

Visierrute

Text A: Incipiunt collectiones ad virgas planam et scriptam7

virga plana, virga scripta virga plana, virga scripta virga plana, virga scripta virga quadrata virga plana, virga scripta

Tafel 1 zu Text A: Tabula ad inveniendum longitudinem8 Tafel 2 zu Text A: Tabula ad inveniendum capacitatem9 Tafel zu Text B: Hec tabula docet formare virgam visoriam10 Kommentar zu Text A: Ad intelligendum propositiones11 Sammlung geometrischer Sätze: Nota de circulis et diametris12 Text D, II: Sequitur secunda pars tractatus de virga cubica13 Text B: Virga secunda sequitur 14

5 6 7

8

9

10 11

12 13 14

virga cubica virga quadrata

[Folkerts 1980, 191], [Folkerts 2008a, 17]. Siehe Kapitel 4. Incipiunt collectiones ad virgas planam et scriptam pro capacitate vasorum inquirenda construendas et usu earum, et est virga circularis. Virgam visoriam planam ad vasorum columnarium capacitatem inveniendam construere. Virgam visoriam dico . . . (siehe Edition im Anhang S. 229). Tabula ad inveniendum longitudinem spissitudini et latitudini date correspondentem et per consequens virgam visoriam faciliter inscribendi, et econverso: Data latitudine et longitudine capacitatem vasorum seu spissitudinem eis correspondentem invenire (siehe Edition S. 251). Tabula ad inveniendum capacitatem vasorum columnarium habita latitudine eorum per virgam visoriam et componendum atque inscribendum virgam predictam per eandem tabulam (siehe Edition S. 260). Hec tabula docet formare virgam visoriam in qua profunditates omnes secundum partes equales describuntur (siehe Edition S. 263). Ad intelligendum propositiones et earum canones notanda sunt infra scripta notabilia. Ad constituendam virgam visoriam columnarem. Accipe primo virgam planam . . . (siehe Edition S. 264). Nota de circulis et diametris quedam utilia pro canonibus virgarum visoriarum (siehe Edition S. 272). Sequitur secunda pars tractatus de virga cubica, que est de usu eius (siehe Edition S. 278). Virga secunda sequitur, scilicet de virga visoria quadrata. Virgam visoriam ad vasorum columnarium capacitatem per ipsam inveniendam faciliter construere. Sit longituto mensure qua vas metiemur . . . (siehe Edition S. 281).

3.2 Die Handschriften

Text C: Sequitur de tertia virga visoria15 Tafel 1 zu Text C: latus quadrantis primum (ab)16 Tafel 2 zu Text C: latus quadrantis secundum (bc)17 Tafel zu Text B: meta mesura18 Text D, I: Sequitur de virga quarta19 Tafel zu Text D: Sequntur tabule20

37

virga trigona virga trigona virga trigona virga quadrata virga cubica virga cubica

3.2 D IE H ANDSCHRIFTEN Es waren bislang zehn Textzeugen bekannt, in denen die Visiertextsammlung oder Teile davon überliefert sind.21 Im Laufe dieser Arbeit ließen sich zwei weitere Handschriften identifizieren, die bislang in der Forschung in diesem Zusammenhang nicht berücksichtigt wurden, nämlich die in Perugia und Innsbruck aufbewahrten Schriften.22 Die Handschrift in Perugia umfasst die gesamte Textsammlung und weist große Ähnlichkeiten mit der Pariser Handschrift auf. Die Texte der Sammlung sind in der gleichen Reihenfolge überliefert und weisen nur geringer Abweichungen in den Formulierungen auf.23 Allerdings bilden die Zeichnungen in der Handschrift Perugia die Anweisungen aus dem Text etwas genauer ab. Die Handschrift in Innsbruck überliefert fast nur Zahlentafeln und lässt sich durch einen Vergleich mit den Tafeln in der Pariser Handschrift dem Visieren zuordnen. Die Visiertextsammlung ist demnach in den folgenden zwölf Handschriften mindestens teilweise überliefert:24 15

16 17 18 19 20 21

22 23 24

Sequitur de tertia virga visoria scilicet trigona seu quadrante. Quadrantem seu trigonum ad capacitatem partis vasis vacue inveniendam construere. Accipe primo virgam planam . . . (siehe Edition S. 286). Siehe Edition S. 290. Siehe Edition S. 291. Siehe Edition S. 293. Sequitur de virga quarta, scilicet visoria cubica. Virgam visoriam, cuius usus et factio faciles, figurare. Sit mensura data . . . (siehe Edition S. 294). Sequntur tabule pro formatione virge visorie cubice (siehe Edition S. 306). [Folkerts 2008a, 24–29]. Einige der Handschriften sind aufgeführt im digital verfügbaren internationalen Katalog naturwissenschaftlicher Handschriften des Mittelalters „Jordanus“, http://jordanus.badw.de/ (besucht am 12.02.2018), und ebenso bei [Sarton 1947, 1580], [Thorndike 1949b, 107], [Thorndike und Kibre 1963, 1699], [Kristeller 1967] und [Bockstaele 1970, 528–530]. Diese Titel sind auch in den im folgenden als Referenzen angegebenen Bestandskatalogen der Bibliotheken angeführt. Für diese Studie lagen mir alle Handschriften als digitalisierte Microfilme vor. Die Handschriften in Paris, Perugia, New Haven und New York habe ich im Original gesichtet. Siehe den textkritischen Apparat der Edition im Anhang. Im folgenden bezeichne ich die für diese Arbeit gesichteten Handschriften nach ihrem derzeitigen Bibliotheksort, ohne jedes Mal die vollständigen bibliographischen Angaben zu nennen.

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3 Eine Sammlung von Visiertexten

Signatur (Datierung, Provenienz)

Einzeltexte

Freiburg i. Br., Universitätsbibliothek, Hs. 28 (15. Jh.)25 Innsbruck, Universitäts- und Landesbibliothek Tirol, Cod. 593 (1443)26 Klagenfurt, Bischöfliche Bibliothek, XXX b 7 (15. Jh.)27 Klosterneuburg, Stiftsbibliothek, Cod. 683 I (15. Jh.) II (1431, Klosterneuburg)28

A (fol. 167r–177r)

Klosterneuburg, Stiftsbibliothek, Cod. 684 (15. Jh., Klosterneuburg)29 Leipzig, Universitätsbiblitohek, Hs. 1475 (15. Jh.)30 München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 14504 (15. Jh., St. Emmeram)31 New Haven, Yale University, Harvey Cushing/John Hay Whitney Medical Library, Medical Historical Library, MS. 25 (Mitte 15. Jh., Salzburg)32

25 26

27 28

29

30

31 32

Tafeln zu A A (fol. 11r–20r)

B (fol. 57r–60v) A (fol. 61r–78v; ohne cap. XXX und XXXI) Kommentar zu cap. A.VI (fol. 178) C, D, A, Zusätze (fol. 340v– 362r) A, C, D, B, Zusätze (fol. 358r– 393v), Kommentar (fol. 374r) A, B, C, D (fol. 1r–42r), Kommentar zu A (fol. 43r–52r), Kommentar zu cap. A.VI (fol. 54r–55v)

Die Handschrift steht mit weiteren bibliographischen Angaben digital zur Verfügung unter: http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/hs28 (besucht am 12.02.2018). Die Handschrift ist mit bibliographischen Angaben teilweise digital verfügbar: http:// manuscripta.at/?ID=9411 (besucht am 12.02.2018). Für einen gedruckten Katalog siehe [Neuhauser 2009, 366–368]. [Menhardt 1927, 31]. Auch geführt unter: Klosterneuburg, Augustiner-Chorherrenstift. Die Handschrift ist mit bibliographischen Angaben digital verfügbar: http://manuscripta.at/?ID=887 (besucht am 12.02.2018). Auch geführt unter: Klosterneuburg, Augustiner-Chorherrenstift. Die Handschrift ist mit bibliographischen Angaben digital verfügbar: http://manuscripta.at/?ID=888 (besucht am 12.02.2018). Die Universitätsbibliothek Leipzig erarbeitet derzeit einen Gesamtkatalog. Siehe die Notizen im zugehörigen Eintrag in der Datenbank „Jordanus“, http://jordanus.badw.de/ (besucht am 12.02.2018). Die Handschrift ist mit bibliographischen Angaben digital verfügbar: http://www. manuscripta-mediaevalia.de/dokumente/html/obj31725777 (besucht am 12.02.2018). [Faye und W. H. Bond 1962, 59] und [The Harvey Cushing Collection 1943]. Die Handschrift stammt aus dem Bestand des Benediktinerstiftes St. Peter in Salzburg und gehörte Joh. Serlinger. Gemäß maschinenschriftlicher Notizen, die der Handschrift in der Bibliothek beigelegt sind, wohl identisch mit dem gleichnamigen Bischof von Seckau. Zu dessen Vita siehe [Gatz 1996, 661].

3.2 Die Handschriften

New York, Columbia University, Rare Book and Manuscript Library, Plimpton MS 188 I (1501, Nürnberg) II (um 1450–1475, Süddeutschland)33

Paris, Bibliothèque nationale de France, Département des manuscrits, Latin 10259 (1504, Legnago)34 Perugia, Abbazia di San Pietro, Archivio storico, CM 18 (vor 1515)35 Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 1354 (1464, St. Emmeram)36

39

C, D, B, A unvollst. (fol. 164r– 195r) B, D, C ohne Tabellen, A unvollst. (fol. 199r–210v), Kommentar zu A (fol. 172r) A, B, C, D (fol. 1r–32v), Kommentar zu A (fol. 13v–18v) A, B, C, D (fol. 17r–57r) A, C, D, B (fol. 2v–30v), Kommentar zu A (fol. 12v), Kommentar zu cap. A.VI (fol. 251v)

Mehrere dieser Handschriften hat Menso Folkerts genauer untersucht. Seine Ergebnisse beziehen sich vor allem auf die Überlieferung des Textes A über zwei Visierruten (virga plana und virga scripta), der als einziger mindestens in Teilen in allen Handschriften erhalten ist. Ich gebe nun den Überlieferungskontext dieser Handschriften wider und ergänze die Betrachtungen um kurze Notizen zu den Handschriften aus Innsbruck, Perugia und Paris.37 Die älteste Fassung des Textes über die virga plana und virga scripta in 27 Propositionen dürfte 1425 in Nürnberg entstanden sein und ist damit zugleich der älteste datierbare Abschnitt der Visiertextsammlung; möglicherweise war Johann Schindel (um 1370 – 1450) der Verfasser.38 Nach einem Studium in Wien hielt er zwischen 1407 und 1409 dort Vorlesungen, um dann in der Zeit von 1423 bis 1438 33 34 35 36 37

38

Die Handschrift ist mit bibliographischen Angaben teilweise digital verfügbar: http://ds.lib. berkeley.edu/PlimptonMS188_20 (besucht am 12.02.2018). Die Handschrift ist mit bibliographischen Angaben digital verfügbar: http://archivesetm anuscrits.bnf.fr/ark:/12148/cc71994c (besucht am 12.02.2018). [Bistoni Colangeli 1995, 458, Nr. 1] und [Battelli 1967, 250, Nr. 18]. Ich danke Isabelle Draelants und Thomas Falmagne für den Hinweis auf diese Handschrift. Eine Beschreibung der Handschrift bietet [Schuba 1992, 27–33]. [Folkerts 1980, 191–197], [Folkerts 2008a, 15–17]. Auf die Handschriften aus Perugia und Paris gehe ich im Detail in Kapitel 7 ein; die Handschrift aus Innsbruck spielt für die Betrachtung der Zahlentafeln in Kapitel 5 eine Rolle. In der Handschrift New Haven findet man die Notiz et sic est finis factum Nuremberge Anno 1425 (fol. 10r). Außerdem wird Nürnberg zweimal in den Tafeln erwähnt. Auf Johannes Schindel weist ein Zusatz nach Kapitel 31 hin: Eadem longitudo et latitudo seu profunditas urne norimbergensis que dicitur urna cubica stat in virga mea id est magistri Johannis schindel circulari signata per lineolam super cuprum transversum . . . Siehe [Folkerts 1980, 192], [Folkerts 2008a, 15].

40

3 Eine Sammlung von Visiertexten

als Stadtarzt in Nürnberg tätig zu sein. Er berechnete mehrere astronomische Tafeln und stellte Instrumente für Messungen in der Astronomie her. Manche Handschriften umfassen weitere Kapitel (bis einschließlich Kapitel 31), die wohl in Wien oder Klosterneuburg ergänzt wurden; der Schriftduktus der Handschrift Klosterneuburg 683 erinnert an Johannes von Gmunden (um 1384–1442).39 Die anderen drei Texte (B, C und D) dürften im 15. Jahrhundert in Österreich entstanden sein.40 Johannes von Gmunden stand in engem Kontakt mit Georg Müstinger (gestorben 1442), dem Prior des Augustiner Chorherrenstiftes Klosterneuburg. Er interessierte sich für Mathematik und Astronomie, ließ wichtige Schriften der Wiener Schule abschreiben und machte das Stift Klosterneuburg zu einem „Zentrum der Mathematikpflege“.41 Möglicherweise hat er Tafeln für den Visiertext berechnet.42 Die 1431 in Klosterneuburg entstandene Abschrift liefert jedoch keine direkten Hinweise auf Georg Müstinger;43 die andere Klosterneuburger Handschrift 684 enthält einen Kommentar zu einer der Propositionen des Visiertextes.44 Über die Tafeln, die zum Text über die virga plana und die virga scripta gehören, verfügte außerdem das Kloster Neustift bei Brixen, das als Tochterkloster von Klosterneuburg enge Kontakte unterhielt.45 Die Abschrift wurde 1443 im Wiener Raum angefertigt und enthält außer Zahlentafeln nur wenige textliche Erläuterungen. In Wien begegnete möglicherweise auch Johannes Regiomontanus der Visierkunst. Er besaß eine Abschrift der Visiertextsammlung, die er jedoch nicht kommentierte. Sie lässt sich womöglich einem Titel aus einem der Bücherverzeichnisse des Regiomontanus zuordnen.46 Als Schreiber eines weiteren Textzeugen kommt ein Magister aus Wien namens Stefanus Rosinus in Frage.47 Zwei weitere Handschriften entstanden im 15. Jahrhundert, jedoch sind der Schreiber und der Abfassungsort nicht bekannt.48 Der Handschrift des Johannes Regiomontanus

39 40 41 42 43 44 45 46

47 48

[Folkerts 2008a, 16]. Zu Leben und Werk des Johannes von Gmunden siehe zum Beispiel [North 1991] oder [Vogel 2008]. [Folkerts 2008a, 17]. [Schöner 1994, 71]. Darauf deutet eine Notiz in der Handschrift New Haven (fol. 52r) hin. Siehe [Folkerts 1980, 192]. Handschrift Klosterneuburg 683. Siehe [Folkerts 1980, 193–194]. Handschrift Klosterneuburg 684. Handschrift Innsbruck. Siehe [Stampfer und Girstmair 2011]. Ich identifiziere die Handschrift als Textzeuge der Visiertextsammlung in [Storeck 2014, 132–133]. Siehe dazu [Folkerts 1980, 187, 195]. Man findet das Besitzzeichen des Johannes Regiomontanus in der Handschrift New York II (fol. 199r). Auf dem Vorsatzblatt ist von späterer Hand die Notiz De duplici arte visorie angebracht. Siehe die Handschrift Klagenfurt. Handschriften Freiburg und Leipzig. Die Freiburger Handschrift ist eine medizinischastronomisch-mathematische Sammelhandschrift. Siehe [Folkerts 1980, 196].

3.2 Die Handschriften

41

wurde nach seinem Tod eine weitere Abschrift der Visiertextsammlung vorgebunden, die 1501 in Nürnberg angefertigt wurde.49 Zwischen Nürnberg und Wien lag die Benediktinerabtei St. Emmeram in Regensburg, in der im 15. Jahrhundert zwei Abschriften der Visiertextsammlung angefertigt wurden.50 Eine der Abschriften ist Teil eines Kodex, der von Fridericus Amann (gest. 1464/1465) geschrieben wurde. Auch wenn gerade die Visiertextsammlung von anderer Hand stammt, nimmt man an, dass der Mathematiker und Astronom Fridericus Amann mit dem Thema der Fassmessung vertraut war. Möglicherweise brachte ein Magister Reinhard aus Kloster Reichenbach die Kenntnisse über das Visieren nach Regensburg, nachdem er zuvor Bücher in Klosterneuburg abgeschrieben hatte.51 Spätestens zu Ende des 15. Jahrhunderts lag die Visiertextsammlung auch in Italien vor.52 Die besonders schön gestaltete Handschrift aus Legnago ist auf das Jahr 1504 datiert.53 Der venezianische Kanzleischreiber Andrea de’ Franceschi (1473–1552) fertigte diese Handschrift an.54 Auf einer der ersten Seiten findet man einige Zeilen, die als Widmung für einen Kanzler des ungarischen Königs galten. Bei genauer Betrachtung des heute eingebundenen Blattes stellt sich jedoch heraus, dass es sich dabei um eine Adressierung auf einem wiederverwendeten Umschlag handelt und deshalb die Funktion der Handschrift als Geschenk an einen ungarischen Diplomaten überdacht werden muss. In venezianischen Diensten stand seit 1503 auch der Ingenieur und Architekt Fra Giocondo, von dessen Hand eine weitere Abschrift der Visiertextsammlung stammt.55 Sie zeichnet sich vor allem durch ihre präzisen Zeichnungen aus. Die Handschriften Perugia und Paris bilden die Grundlage für die im Anhang beigefügte Edition. Doch zunächst gehe ich der Frage nach, worum es in der Visiertextsammlung geht, und rekonstruiere, wie man die in der Visiertextsammlung dargestellten Visierruten und ihre Skalen erstellt.

49 50

51 52 53 54 55

[Folkerts 1980, 195]. Handschriften München (größtenteils mit New Haven identisch) und Vatikan (von 1464). Beide Handschriften enthalten außerdem einen Teil eines Kommentars, den man in der Handschrift New Haven findet. Siehe [Folkerts 1980, 194]. [Folkerts 1980, 194], [Folkerts 2008a, 17]. Siehe Kapitel 7. [Folkerts 1980, 195–196], [Folkerts 2008a, 17]. [Tura 2007]. [Tura 1999, 705–706].

4 V ISIERRUTEN IN DER V ISIERTEXTSAMMLUNG Jeder der vier Traktate der Visiertextsammlung ist einer oder zwei (eng verwandten) Visierruten gewidmet. Die Visiertextsammlung beschreibt nicht nur die bekannten Visierrutentypen (Quadrat-, Kubik- und Wechselrute), sondern gibt die Konstruktion für eine bislang in der Forschungsliteratur nicht studierte Visierrute an, die virga trigona. Mit allen Visierruten kann der Inhalt voller Fässer bestimmt werden (Kapitel 4.1), während nur für einige der Messstäbe auch Methoden angegeben werden, wie man den Inhalt teilweise gefüllter Fässer ermittelt (Kapitel 4.2). Der Gebrauch einer Visierrute wird in der Regel nur am Rande geschildert. Halbe Werte einer Zahl werden häufig notiert, indem die nächstgrößere Zahl durchgestrichen wird, das heißt zum Beispiel 3 für 2 12 . Die Ergebnisse sind in langen Zahlentafeln zusammengefasst. Außerdem geben die Verfasser immer wieder Hinweise, wie man sich den Umgang mit einer Visierrute vereinfachen kann (Kapitel 4.3). Schließlich zeigt ein Blick auf andere Methoden zur Inhaltsbestimmung von Fässern, dass eine Visierrute ein geschickt erdachtes Messinstrument ist (Kapitel 4.4). Die Beschreibung der Konstruktionsverfahren habe ich behutsam in moderne Schreibweisen überführt. Der lateinische Text enthält keine moderne algebraische Notation (zum Beispiel Gleichungen), sondern schildert Rechnungen in sprachlicher Form.1 Diese Entscheidung, von der zeitgenössischen Darstellung abzuweichen, birgt unter anderem das Risiko, dem heutigen Leser eine größere Allgemeinheit zu suggerieren, als sie die Verfasser der Visiertextsammlung vor Augen hatten. Die Verfasser rechneten oft mehrere Beispiele gemäß einer bestimmten Regel vor. In manchen Fällen formulierten sie diese Regel in der Tat in allgemeiner Form, während es in anderen Fällen dem Leser selbst überlassen blieb, die bekannten Fälle zu abstrahieren und so neue Probleme gleicher Art lösen zu können. Die Verfasser orientierten sich außerdem nur gelegentlich am heute bevorzugten Schema, einer mathematischen Behauptung einen Beweis folgen zu lassen. Ich habe mich trotz dieser Risiken für eine Übertragung in heutige Schreibweisen entschieden, um keine reine Übersetzung des lateinischen Textes zu liefern, sondern um mit der algebraischen Darstellung bereits eine erste Interpretation und damit neue Perspektive auf den Text anzubieten. Die Vorzüge der algebraischen Schreibweise liegen unter anderem in ihrer Kompaktheit und Übersichtlichkeit, da man nicht erst viele Seiten Text mit zeitgenössischem Spezialvokabular verstehen muss. Der Zugriff auf die Argumentationsstruktur in den Visiertexte ist damit bereits durch die optische Aufbereitung möglich. Schließlich erleichtert die Formulierung in Formeln spätere Vergleiche mit anderen Methoden.

1

In den Anmerkungen verweise ich im Zuge der Rekonstrukion auf Textstellen mit den zugehörigen Seitenzahlen der Edition im Anhang.

44

4 Visierruten in der Visiertextsammlung

4.1 I NHALTSBESTIMMUNG VOLLSTÄNDIG GEFÜLLTER FÄSSER Mit allen Visierruten, die in der Visiertextsammlung vorgestellt werden, kann der Inhalt vollständig gefüllter Fässer ermittelt werden. Im folgenden Abschnitt stelle ich zwei Quadratruten (virga plana und virga quadrata), eine Kubikrute (virga cubica) und eine Wechselrute (virga scripta) vor. Die virga circularis hat nur wenige Spuren hinterlassen. Die bislang unbekannte virga trigona erwähne ich hier nur am Rande, da mit dieser Visierrute vor allem teilweise gefüllte Fässer vermessen werden. Die Fachbegriffe in der Visiertextsammlung für die Dimensionen des Fasses lauten longitudo, latitudo/profunditas/amplitudo und spissitudo/capacitas.2 Die Herleitungen werden anschaulich, wenn man sich ein Fass auf seiner gewölbten Wand liegend vorstellt. Unter longitudo ist die Länge des Fasses als der Abstand zwischen den beiden Bodenflächen zu verstehen; man könnte ebenso von der Höhe eines stehenden Fasses sprechen. Die latitudo oder profunditas gibt die Tiefe des Fasses an, das heißt die Größe der (gemittelten) Bodenflächen. Je nach Zusammenhang ist auch der Durchmesser der Bodenflächen oder des Fassquerschnittes an der bauchigsten Stelle des Fasses gemeint. Aus diesen Werten berechnet man den Inhalt des Fasses, die spissitudo.

4.1.1 Quadratrute I: Die virga plana Der erste Traktat der Visiertextsammlung ist zwei eng verwandten Visierruten gewidmet, der virga plana und der virga scripta. Im ersten Teil des Traktates geht es um die Herstellung beider Visierruten, im zweiten Teil um ihre Verwendung.3 Der anonym überlieferte Text in 31 Kapiteln ist in fast allen Handschriften vorhanden, die mit der Visiertextsammlung in direkter Verbindung stehen.4 Er wird ergänzt durch einen Kommentar, der jedoch nicht Teil dieser Untersuchung ist.5 Bei der virga plana handelt es sich um eine Quadratrute, die auf einer Seite mit zwei Skalen beschriftet ist. Sie kann für die Inhaltsbestimmung zylindrischer Gefäße verwendet werden, wie im Text mehrfach betont wird.6 Die Skalen lassen sich für jedes gängige Maß erstellen, gemäß dessen ein Visierer messen möchte.

2 3 4 5

6

Für Belegstellen siehe zum Beispiel Visiertextsammlung Text A, cap. I, II, XXVIII (S. 229, 230, 245), und Text B, Anfang (S. 281). Visiertextsammlung Text A, cap. I bis VI (S. 229 bis 235) und XXVI (S. 244). In seiner ursprünglichen Fassung dürfte er 27 Kapitel umfasst haben und später ergänzt worden sein. Siehe Kapitel 3. Ich beschränke mich auf die vier Texte A, B, C und D. Dem Kommentar sollte eine eigene Studie gewidmet werden, die auf die Besonderheiten des Textgenres in angemessener Weise eingeht. Für meine Arbeit ließ der Zeitrahmen nicht genügend Spielraum, jedoch ist der Kommentar Teil der Edition der Visiertextsammlung im Anhang. In der Handschrift Klosterneuburg 684 findet man außerdem einen weiteren kurzen Kommentar zum sechsten Kapitel des Textes A. Visiertextsammlung Text A, cap. I (S. 229), und Rubrizierung mehrerer Kapitel in Text A.

4.1 Inhaltsbestimmung vollständig gefüllter Fässer

45

Die der virga plana zugrunde liegende Messmethode beruht auf der Idee, ein Fass durch einen Zylinder gleicher Höhe anzunähern; sein Durchmesser ist ein Mittelwert aus den Fassdurchmessern. Das Volumen des Zylinders erhält man, indem man seine Länge mit seiner Bodenfläche multipliziert. Ich fasse zunächst die Schritte zusammen, wie man die Skalen auf einer virga plana erstellt. Man wählt dazu ein etwa daumendickes, gerades, hartes Holzstück oder einen gusseisernen Vierkantstab, das heißt mit quadratischem Querschnitt.7

À Grundmaß: Wähle ein Längengrundmaß, zum Beispiel eine „Handbreit“.

Das Tiefengrundmaß betrage die vierfache Länge des Längengrundmaßes8 und entspreche dem Durchmesser eines zuvor festgelegten „Einheitsfassbodens“.

Á Längenskala: Zeichne auf der ersten Seite der virga plana entlang der einen Kante 16 Vielfache des Grundmaßes ab. Nummeriere die Markierungen mit den Zahlen von 1 bis 16 und gegenläufig mit den Zahlen 17 bis 32. Unterteile jeden Abschnitt zwischen zwei Markierungen in acht gleiche Abschnitte.

 Tiefenskala: Trage das Tiefengrundmaß auf der ersten Seite der virga plana entlang der anderen Kante auf der Tiefenskala ab. Konstruiere ganz- und halbzahlige Vielfache des Tiefengrundmaßes (Abb. III.2)9 : Vervielfache die dem „Einheitsfassboden“ entsprechende Kreisfläche (geometrisch mit dem „Satz des Pythagoras“ oder arithmetisch per Wurzelrechnung). Eine ausführliche Darstellung der Konstruktionsmethode mit Verweisen auf die jeweiligen Textstellen habe ich im Anhang beigefügt.10 Folgt man den Anweisungen Schritt für Schritt, so ergibt sich die Beschriftung der virga plana. Weil die Beschriftung der ersten Seite der virga scripta entspricht, verweise ich auf die Abbildung dort (Abb. 4.1). Ich komme nun zur Messung des Fassinhaltes mit einer virga plana für zylinderartige Gefäße.11 Das Spundloch des Fasses befindet sich auf der Längsfläche des Fasses in seinem Bauch. Da jedoch meistens der Bauch eines Fasses dicker als seine beiden Böden und deshalb die Fasswand gewölbt ist, soll man einen Mittelwert der Fassböden bilden.12

7 8 9 10 11

12

Visiertextsammlung Text A, cap. I (S. 229). Diese Angabe wird nicht begründet. Visiertextsammlung Text A (S. 231). Siehe Anhang I.1. Der Text weist mehrfach darauf hin, dass die Messung mit einer virga plana für zylindrische Gefäße oder solche Gefäße, die sich auf zylinderartige Formen zurückführen lassen, möglich ist. Siehe zum Beispiel Visiertextsammlung Text A, cap. I (S. 229) oder die Rubrizierung zu cap. XXIIII (S. 244). Visiertextsammlung Text A, cap. XXV (S. 244). Diesen Abschnitt findet man fast wörtlich ebenso in Text D, Secunda Pars, cap. II (S. 278).

46

4 Visierruten in der Visiertextsammlung

Es seien B 1 und B 2 mit B 1 < B 2 die Bodenflächen des Fasses. Der jeweils erste Teil der folgenden Rechnungen greift die Schritte aus der Visiertextsammlung auf; es folgt die Umformulierung in die geläufigere Mittelwertsformel. Bilde den Mittelwert M der Bodenflächen: M=

B1 + B2 B2 − B1 + B1 = . 2 2

(4.1)

Es sei B 3 der Querschnitt des Fasses am Spundloch und B 3 > M . Bilde den Mittelwert T aus allen betrachteten Fasstiefen als T=

B3 − M M + B3 +M = . 2 2

(4.2)

Für die eigentliche Messung bleiben wenige Handgriffe und eine kleine Rechnung:

À Miss die Länge des Fassinnenraums L (ohne Böden) und bestimme die (gemittelte) Fasstiefe T (siehe (4.2)).

Á Berechne den Inhalt des Fasses13 als I=

T ×L . 8

(4.3)

Anstelle der Rechnung (4.3) kann man den Wert direkt aus der „Tafel zur Ermittlung des Inhalts“ (Tabula ad inveniendum capacitatem) ablesen, die in fast allen Handschriften der Visiertextsammlung überliefert ist.14 Die Spalten geben Fasstiefen T (latitudo) an, während in den Zeilen Fasslängen L (longitudo) betrachtet werden. Im Wertebereich findet man jeden Eintrag in Ganzen und in Brüchen in der Einheit „Fässer“ (tine) angegeben. Der Text gibt eine Hilfestellung, wie man bei gegebener Länge und Tiefe eines Fasses den Inhaltswert aus dem Kreuzungspunkt von Zeile und Spalte abliest.15 Der Text erläutert außerdem ein Interpolationsverfahren: Hat man eine Fasstiefe gemessen, die zwischen zwei möglichen Spalten der Zahlentafel liegt, so soll man den nächst kleineren und größeren Tiefenwert betrachten. Für beide Werte liest man die entsprechenden Inhaltswerte aus der Tafel ab und berechnet aus ihnen gemäß bestimmter Proportionalitätsregeln den gesuchten Inhaltswert. Damit ein solcher Fall möglichst selten vorkommt, soll man je nach angestrebter Genauigkeit schon bei der Berechnung der Tafeln eine feinere Schrittweite für die Fasstiefen betrachten, wie zum Beispiel halbe oder sogar nur Viertelwerte.16 13 14

15 16

Visiertextsammlung Text A, cap. VIII (S. 236) und XXVI (S. 244). Der vollständige Titel lautet: Tabula ad inveniendum capacitatem vasorum columnarium habita latitudine eorum per virgam visoriam et componendum atque inscribendum virgam predictam per eandem tabulam. Die Tafel folgt in der Visiertextsammlung auf Text A (S. 260). Sie ist in den Handschriften New York I und New York II nicht überliefert. Siehe Kapitel 3. Visiertextsammlung Text A, cap. XXVIII (S. 245). Visiertextsammlung Text A, cap. XXVIII (S. 245).

4.1 Inhaltsbestimmung vollständig gefüllter Fässer

47

In manchen Handschriften ist ein konkretes Zahlenbeispiel (Länge = 24, Tiefe = 6 43 ) in den Text eingeflochten.17

4.1.2 Wechselrute I: Die virga scripta Um die virga scripta, eine Wechselrute, geht es ebenfalls im ersten Text der Visiertextsammlung.18 Die virga scripta kann man als weitergedachte virga plana verstehen. Während die virga plana auf nur einer Seite des Vierkantstabes mit zwei Skalen für Länge und Breite beschriftet wird, ist die virga scripta rundum mit Zahlen versehen. Die zusätzlichen Skalen auf den anderen drei Seiten des Vierkantstabes machen es möglich, den Inhalt des Fasses bei der Messung direkt abzulesen. Man spart die Rechnung, die bei der virga plana anfällt, und erhält schnell ein zuverlässiges Ergebnis.19 Dass mit einer virga scripta auch teilweise gefüllte Fässer vermessen werden können, bespreche ich später.20 Eine ausführliche Darstellung der Konstruktionsmethode findet sich im Anhang.21 Der Name virga scripta wurde darauf zurückgeführt, dass man die Visierrute mithilfe „geschriebener“ Zahlentafeln erstellte.22 Diese Interpretation ist naheliegend, da die Zahlentafeln allein aufgrund ihrer Länge in der Visiertextsammlung nicht zu übersehen sind und ihre Vorteile im Text besonders hervorgehoben werden. Allerdings kann die virga scripta auch ohne die Zahlentafeln allein mit Kenntnis der Rechenregel beschriftet werden. Daher erklärt der Text die Bezeichnung der virga scripta damit, dass alle ihre Flächen mit Zahlen beschrieben sind, während die virga plana nur Skalen auf einer Seite trägt.23 Man hat mit der virga scripta deshalb eine Wechselrute vorliegen, allerdings taucht die Bezeichnung der Visierrute als „Wechselrute“ im lateinischen Text nicht auf. Der Text über die virga scripta ist in fast allen Handschriften enthalten.24 Eine Besonderheit ist die Innsbrucker Handschrift, weil nur die Zahlentafeln überliefert. Da diese Handschrift die textlichen Erläuterungen der Visiertextsammlung nicht widergibt, sind die Tafeln zunächst nur schwer einzuordnen und bisher nicht mit der Fassmessung in Verbindung gebracht worden. Ein Vergleich der Tafeln macht deutlich, dass es sich um die Zahlentafeln der Visiertextsammlung handelt.25

17 18 19 20 21 22 23 24

25

Visiertextsammlung Text A, cap. XXVIII Practica intrandi in tabulas (S. 245). Diesen Abschnitt findet man in den Handschriften Paris, Perugia, München und Vatikan. Visiertextsammlung Text A, cap. VII–XXIIII (S. 235–244), XXVII (S. 245). Visiertextsammlung Text A, cap. VII (S. 235). Siehe Kapitel 4.2. Siehe Kapitel I.2. [Folkerts 2008a, 11]. Visiertextsammlung Text A, cap. I (S. 229) und XXVIII (S. 245). Siehe auch die Ausführungen in [Storeck 2014, 131, 133–134]. Es handelt sich um die Handschriften Paris, Perugia, Freiburg, Klosterneuburg, Klagenfurt, Leipzig, New Haven, München und Vatikan. Der Text ist in den Handschriften New York I, New York II teilweise überliefert. Zur Identifikation siehe [Storeck 2014, 132–133].

48

4 Visierruten in der Visiertextsammlung

Abbildung 4.1: Beschriftung einer virga scripta (und virga plana). Klosterneuburg, Stiftsbibliothek, Codex 683, fol. 77v (Ausschnitt).

Um eine virga scripta zu fertigen, muss man mehrere Skalen auftragen und ihre Beschriftung berechnen.

À virga plana: Man beginnt mit einer virga plana, die bereits auf der ersten Seite mit zwei Skalen (für Länge und Tiefe) beschriftet ist.

Á Inhaltsskalen: Man beschriftet die drei leeren Seiten mit jeweils mehreren Skalen. Jede dieser Skalen gibt die Inhalte verschieden langer Fässer für eine bestimmte Fasstiefe an. Die Einträge auf jeder Inhaltsskala stehen in direktem Bezug zur Längenskala auf der ersten Seite der virga scripta und werden für eine Fasslänge L und Fasstiefe T berechnet gemäß I=

L ×T . 8

(4.4)

Um die Inhaltsskalen nicht zu verwechseln, notiert man auf der jeweiligen Fläche der virga scripta zu Beginn der ersten Skala die Fasstiefen, für die die Skalen berechnet wurden. Wenn eine neue Skala auf derselben Kante beginnt, markiert man den Beginn der Skala mit einem gut sichtbaren Zeichen (Abb. 4.1). Als Hilfe zur Beschriftung der virga scripta dient die „Tafel zu Ermittlung der Länge“ (Ad inveniendum longitudinem).26 Sie stellt ähnlich wie die andere Tafel (Ad inveniendum capacitatem) dieses Mal für gegebene Fasstiefe und -inhalt einen Längenwert zur Verfügung. Man liest die Werte aus der Tabelle auf die gleiche Weise ab, wie es für die andere Tafeln dargestellt wurde.27

26

27

Der vollständige Titel lautet: Tabula ad inveniendum longitudinem spissitudini et latitudini date correspondentem et per consequens virgam visoriam faciliter inscribendi, et econverso: Data latitudine et longitudine capacitatem vasorum seu spissitudinem eis correspondentem invenire. Die Tafel folgt in der Visiertextsammlung auf Text A (S. 251). Visiertextsammlung Text A, cap. XXIIII (S. 244).

4.1 Inhaltsbestimmung vollständig gefüllter Fässer

49

Die Inhaltsbestimmung eines Fasses oder eines zylindrischen Gefäßes reduziert sich auf wenige Schritte.28

À Bestimme die Länge des Fasses. Á Bestimme die Tiefe des Fasses (als Mittelwert, siehe Rechnung (4.2)).29 Â Wähle die für die gemessene Fasstiefe geeignete Inhaltsskala aus. Ã Lies auf dieser Inhaltsskala (oder aus der Zahlentafel Ad inveniendum capacitatem) an der der Länge entsprechenden Markierung den Fassinhalt ab.

4.1.3 Wechselrute II: Die virga circularis Gelegentlich wird in der Visiertextsammlung eine weitere Visierrute erwähnt, die virga circularis. Aus den wenigen Belegstellen lässt sich schließen, dass es sich um eine Wechselrute gehandelt haben dürfte.30 An anderer Stelle ist schlicht eine virga scripta gemeint, die mit einem weiteren Fachausdruck bezeichnet wird.31 Aus einem kurzen Abschnitt in der Visiertextsammlung geht hervor, dass man eine virga circularis zum Beispiel in Nürnberg verwendet hat.32 Schließlich wird der kompetente Umgang mit einer virga circularis vorausgesetzt, wenn es um den Gebrauch der virga trigona geht.33

28 29

30

31 32 33

Visiertextsammlung Text A, cap. XXVII (S. 245) und XXVIII (S. 245). In der Visiertextsammlung Text A, cap. XXVII (S. 245), ist zunächst keine Rede von einem Mittelwert. Allerdings ist der Abschnitt darüber (cap. XXV; S. 244) sowohl dem Gebrauch der virga plana als auch der virga scripta vorangestellt und daher offenbar auf beide Visierruten zu beziehen. Visiertextsammlung, Kommentar zu Text A (Ad intelligendum propositiones): Nota facilem usum virge circularis (S. 265, Z. 1); Et secundum hunc modum in hac virga circulari unum tantum eius latus ad opus sufficeret, in quo scilicet notarentur longitudines et latitudines tantum. (S. 265, Z. 14); Text C, Anfang: per collationem 31 de virga circulari (S. 286, Z. 6), Mitte: Quere primo capacitatem vasis totius secundum doctrinam collationum virge circularis vel per virgam trigoni vel alterius (S. 287, Z. 18); Text D, cap. XXX: Brevitati latitudinum virgarum, circularis scilicet et quadrate, remediari. (S. 302), Ende: Quod totum probare et examinare poteris per 31m virge prime, scilicet circularis. (S. 305, Z. 23). Visiertextsammlung, Überschrift Text A: Incipiunt collectiones ad virgas planam et scriptam pro capacitate vasorum inquirenda construendas et usu earum, et est virga circularis (S. 229). Visiertextsammlung Text A: Eadem longitudo et latitudo seu profunditas urne nurimbergensis, que dicitur urna cubica, stat in virga mea circulari [. . . ] (S. 302). Visiertextsammlung Text C, Mitte: Capacitatem partis vasis vacue [. . . ] invenire. Quere primo capacitatem vasis totius secundum doctrinam collationum virge circularis vel per virgam trigoni vel alterius [. . . ] (S. 287, Z. 18).

50

4 Visierruten in der Visiertextsammlung

4.1.4 Quadratrute II: Die virga quadrata Mit der virga quadrata wird im zweiten Text der Visiertextsammlung nach der virga plana eine weitere Quadratrute vorgestellt, die jedoch über eine feinere Skala für die Messung des Fassbodens verfügt und deren Skala auf anderem Wege hergeleitet wird.34 Der anonym überlieferte Text gibt eine ausführliche Anleitung, wie man die auf dem Stab angebrachte Tiefenskala beschriftet. Ein kurzer Satz soll den Gebrauch der Visierrute illustrieren; ein Abschnitt ist der dem Text zugehörigen Zahlentafel gewidmet.35 Die Beschreibung der virga quadrata ist nicht in allen Handschriften der Visiertextsammlung enthalten.36 Bemerkenswert ist die Handschrift New Haven, anhand derer ich später die Entstehung der Zahlentafel veranschauliche. Man findet Reste dieser Rechnungen in der Handschrift Klosterneuburg.37 Die Erläuterungen zur virga quadrata erschließen sich nicht sofort bei der ersten Lektüre. Ein Grund dafür liegt darin, dass der zentrale Begriff mensura in zweierlei Bedeutung verwendet wird. Einerseits bezeichnet mensura ein allgemeines Grundmaß38 , andererseits ist eine spezifische Maßeinheit39 gemeint. Zur Illustration der Maßeinheit mensura dienen geometrische Größen (Strecken em bis eq), die kleinere Anteile einer mensura veranschaulichen sollen. Im weiteren Verlauf der Erklärung, wie man die Skalen der virga quadrata ermittelt, sind sie nicht immer von Bedeutung. Liest man den Text, ohne die Passagen zu spezifischen Maßeinheiten zu berücksichtigen, so ergibt sich ein schlüssiges Bild.40 Deshalb stelle ich hier die Rekonstruktion der virga quadrata und ihrer Skalen als

34

35

36

37 38 39

40

Visiertextsammlung Text B. Man findet am Ende der Erläuterungen zur virga quadrata einen geometrischen Satz, der sich mit der Verdopplung der Fläche eines Quadrates beschäftigt (S. 285). In den Handschriften München und Vatikan steht diese Ergänzung an anderer Stelle, nämlich am Ende des virga trigona-Textes, während sie in den Handschriften New Haven und New York II nicht vorhanden ist. Einen weiteren Abschnitt über eine Quadratrute findet man als Teil des Textes D, der jedoch als zu einer Kubikrute gehörig betitelt ist (De virga visoria quarta facilis constructionis, scilicet cubica.) (S. 305). Diese Tafel ist in der Edition im Anhang entsprechend der Reihenfolge in den Handschriften Perugia und Paris dem Text vorangestellt. In den Handschriften Klosterneuburg und New Haven dagegen folgt die Tafel auf den Text. Er ist Teil der Handschriften München, New York II, New Haven, Klosterneuburg 683, Vatikan, Paris und Perugia; er kommt nicht vor in den Handschriften New York I (anders dokumentiert bei [Folkerts 2008a, 27]), Leipzig, Freiburg, Innsbruck, Klagenfurt und Klosterneuburg 684. Siehe Kapitel 5.6. In leicht veränderter Form der Darstellung findet man die Zahlentafel auch in den Handschriften Paris, Perugia und Vatikan. Visiertextsammlung Text B, Anfang: Sit longitudo mensure qua vas metiemur [. . . ] (S. 281, Z. 4) und ebenso Sit amplitudo seu profunditas fundi mensure [. . . ] (S. 281, Z. 9) Visiertextsammlung Text B, Anfang: [. . . ] erit circulus predictus cum longitudine premissa, scilicet er , una mensura, idest medietas quartalis, et cum longitudine e f due mensure, et cum longitudine ek tres mensure [. . . ] (S. 281, Z. 15). Dieses Vorgehen ist außerdem durch die Skizzen zur virga quadrata in den Handschriften gerechtfertigt, da die Zeichnungen die Strecken em bis eq nicht immer abbilden. Siehe die Handschriften New Haven (fol. 13v und 16r) und Klosterneuburg (fol. 57r und 59v).

4.1 Inhaltsbestimmung vollständig gefüllter Fässer

51

eine vom Grundmaß unabhängige Methode vor und verstehe mensura als allgemeines Grundmaß. Wie auch zuvor beruht die der virga quadrata zugrunde liegende Messmethode auf der Idee, ein Fass durch einen Zylinder anzunähern.41 Um eine virga quadrata mit ihren Messskalen zu versehen, geht man in den folgenden Schritten vor:

À Grundmaß: Wähle ein Grundmaß für die Länge und die Tiefe des Fasses. Sie werden durch eine Strecke e f beziehungsweise einen Kreis bd e dargestellt (Abb. III.26).42

Á Längenskala: Zeichne Vielfache des Grundmaßes e f auf die erste Seite der Visierrute.

 Tiefenskala: Teile den Durchmesser be des Kreises bd e in 16 kleine Stücke und trage diese Stücke auf der zweiten und dritten Seite der Visierrute ab. Beschrifte diese Markierungen mit den Zahlen, die sich aus der schrittweisen Approximation von Kreisflächen (als Vielfache des Kreises bd e) durch kleine Kästchen ergeben. Man erhält insgesamt eine quadratische Skala: Auf der zweiten Seite der Visierrute werden ganze Zahlen verzeichnet, während die dritte Seite mit Achtelbeträgen eine feinere Skalierung ermöglicht. Eine ausführliche Darstellung der Konstruktionsmethode ist im Anhang beigefügt.43 Folgt man den Anweisungen Schritt für Schritt, so ergibt sich die Beschriftung der virga quadrata wie in der folgenden Skizze (Abb. 4.2). Die Zahlenwerte für die Beschriftung der virga quadrata sind in einer Tabelle zusammengefasst.44 Ihre Einträge ergeben sich aus der geometrischen Konstruktion, durch die die größer werdenden Kreise der Tiefenskala durch Rechtecke und Quadrate angenähert werden. Die Tafel spiegelt wider, dass man kleine Kästchen zählt und in nächstgrößere Einheiten umrechnet. Jede Zeile der Tabelle bezieht sich auf eine Markierung auf der zweiten und dritten Seite der Visierrute. Für die Beschriftung der Visierrute sind die Einträge in den Spalten integra collecta und octave collecta wichtig, während die anderen drei Spalten Zwischenschritte der Rechnung widergeben.45

41

42 43 44 45

Dass die Messmethode damit für zylindrische Gefäße gültig ist, betont Text B bereits im Titel: Virgam visoriam ad vasorum columnarium capacitatem per ipsam inveniendam faciliter construere (S. 281). Visiertextsammlung Text B (S. 282). Siehe Kapitel I.3. Man findet die Tafel in den Handschriften Paris, Perugia, Klosterneuburg 683, New Haven und Vatikan. Visiertextsammlung Text B, Ende: Formantur autem tabule tales sic [. . . ] (S. 284, Z. 25). Die wenigen Abweichungen der Tabellenwerte von den Resultaten gemäß der Rechenregel ergeben sich aus einem systematischen Fehler in der Spalte der quadrata relicta, da eine Rundung systematisch nicht durchgeführt wurde.

52

4 Visierruten in der Visiertextsammlung

Abbildung 4.2: Beschriftung einer virga quadrata (Anfang)

Eine Messung eines Fasses mit einer virga quadrata ist einfacher als mit den bisherigen Visierruten und umfasst zwei Schritte:

À Bestimme die Länge und die Tiefe des Fasses. Á Multipliziere beide Werte. Falls man als Grundmaß die spezifische Maßeinheit mensura gewählt hat, sieht die Visiertextsammlung außerdem vor, dass man das Ergebnis aus der Multiplikation auf die Einheit „Viertel“ (quartalia) normiert und deswegen das Resultat durch die Zahl 32 teilt. Die in der Visiertextsammlung sehr kurz gehaltene Bemerkung geht nicht darauf ein, wie man die Visierrute an das Fass anlegt.46 Den praktischen Teil der Messung muss der Leser deshalb bereits kennen oder sich selbst erschließen. Auch das genaue Vorgehen bei der Multiplikation eines Längenwertes, der sich womöglich aus Ganzen und Sechzehnteln zusammensetzt, mit einem Tiefenwert, der von zwei verschiedenen Skalen in unterschiedlichen Maßstäben stammt, bleibt dem Leser überlassen und wird nicht mehr erklärt. 46

Visiertextsammlung Text B, Ende: Sequitur usus virge precedentis. Multiplica longitudinem in profunditatem et divide per 32, et provenient quartalia (S. 284, Z. 35).

4.1 Inhaltsbestimmung vollständig gefüllter Fässer

53

4.1.5 Kubikrute: Die virga cubica Die Erläuterungen zur virga cubica, der Kubikrute, findet man im letzten Teil der Visiertextsammlung. Der Text ist anonym überliefert und eng verwandt mit der Beschreibung der virga quadrata. Dafür spricht nicht nur die Herleitung der Skalenbeschriftung, die das für die virga quadrata vorgestellte Konzept vom zweidimensionalen in den dreidimensionalen Raum überträgt. Gelegentlich tauchen ebenfalls die für die virga quadrata erwähnten Maßeinheiten der „Viertel“ (quartalia) auf. Die virga cubica wird in mehreren, oft heterogenen Teilen vorgestellt, die in einigen Handschriften überliefert sind.47 Der in 17 Kapitel gegliederte erste Abschnitt beleuchtet die geometrischen Hintergründe und erklärt, wie die Skalen auf drei Seiten der Visierrute beschriftet werden.48 Die sich ergebenden Zahlenwerte sind in einer langen Zahlentafel zusammengefasst. Ein zweiter Teil beschreibt, wie man mit einer virga cubica misst, jedoch ist dieser Abschnitt dem ersten Teil in den meisten Handschriften vorangestellt.49 Die Handschriften liefern außerdem einen dritten Abschnitt, dessen Titel zwar die Herstellung der virga cubica ankündigt, der aber dann eine Quadratrute behandelt.50 Es gibt außerdem mehrere kleinere Ergänzungen, die vor allem geometrische Hintergründe aufgreifen und zum Text über die virga circularis zu rechnen sind.51 Ich behandle sie daher nicht an dieser Stelle.52 Stattdessen soll es um das der virga cubica zugrunde liegende Konzept gehen:

Abbildung 4.3: Konzept zur virga cubica

47

48 49 50 51 52

Man findet mindestens einen der Abschnitte des Textes über die virga cubica (in unterschiedlicher Reihenfolge) in den Handschriften Perugia, Paris, New York I, New York II, Leipzig, New Haven, München und Vatikan. Der Text kommt nicht vor in den Handschriften Freiburg, Klosterneuburg 683 und 684, Innsbruck und Klagenfurt. Einige Handschriften enthalten außerdem kurze Abschnitte über weitere Kubikruten, die in den Handschriften aus Perugia und Paris nicht überliefert sind und daher auch nicht Teil der Edition und dieser Untersuchung sind. Es geht um eine virga cubica minori (New York I, New Haven) und um eine virga alia cubica (Leipzig, München, Vatikan). Visiertextsammlung Text D, Teil I, cap. I bis XVII (S. 294 bis 301). Visiertextsammlung Text D, Teil II: Sequitur secunda pars tractatus de virga cubica. Außerdem ist Text D, Teil II, cap. II (S. 278), bis auf einen Satz identisch zu Text A, cap. 25 (S. 244). Visiertextsammlung Text D, Teil I, Ende: De virga visoria quarta facilis constructionis . . . (S. 305). Visiertextsammlung Text D, Teil I, cap. XXX, XXXI (S. 302 und 303) und weitere Ergänzungen. Siehe dafür Kapitel 4.1.3.

54

4 Visierruten in der Visiertextsammlung

Abbildung 4.4: Skala der virga cubica: Seitenlängen eines größer werdenden Würfels (vereinfachte Darstellung)

Die Messung mit einer virga cubica beruht auf der Idee, ein Fass als zylindrische Form zu verstehen und diesen Zylinder durch einen Würfel gleichen Rauminhaltes darzustellen.53 Die Seitenlänge dieses Würfels wird dabei als kubische Wurzel aufgefasst (Abb. 4.3). Der Würfel wird Schritt für Schritt vergrößert, indem die Kanten verlängert werden (Abb. 4.4). Die Skala auf der ersten Seite der virga cubica kann als Kante dieses wachsenden Würfels gedacht werden. Die Visiertextsammlung begründet die Gültigkeit dieses Messverfahrens mit Verweisen auf mehrere euklidische Sätze.54 Außerdem sind zwei weitere Seiten der virga cubica mit Skalen beschriftet, mit denen die Werte der ersten Skala in bestimmten Fällen leicht modifiziert werden können:

À Grundmaß: Wähle ein kubisches Grundmaß (cubus), dargestellt durch einen Würfel. Indem mehrfach Kanten in 24 Teile geteilt werden, ergeben sich aus der geometrischen Anschauung die kleineren Einheiten quadrata, supplementa und cubelli (Abb. 4.5).55 53 54 55

Ein konkretes Beispiel liefert die Visiertextsammlung Text D, Teil I, nach cap. XXXI (S. 304). Visiertextsammlung Text D, Teil I, cap. VI (S. 296), VII (S. 297) und XXXI (S. 303). Man findet Verweise auf die euklidischen Bücher XI.35, XII.2 und XII.12. Siehe [Campanus 2005]. Visiertextsammlung Text D, Teil I, cap. I bis IIII (S. 294 bis 295).

4.1 Inhaltsbestimmung vollständig gefüllter Fässer

55

Á Erste Seite (Kubische Skala): Die Zahlen der Beschriftung dieser Skala wachsen kubisch (Einheit cubi). Sie beruht darauf, die Kante des Würfelgrundmaßes als dritte Wurzel aufzufassen. Mit dieser Seite der virga cubica ermittelt man den gesamten Rauminhalt des Fasses.56

 Zweite Seite (Differenzenskala I): Verfeinerung der kubischen Skala auf der ersten Seite der virga cubica. Die Werte dienen dazu, den mithilfe der ersten Seite der virga cubica gemessenen Inhalt genauer zu bestimmen.57

à Dritte Seite (Differenzenskala II): Differenzen zwischen der Beschriftung einer Markierung und ihrem Nachfolger auf der ersten Seite der virga cubica. Die Werte dienen dazu, den mithilfe der ersten und zweiten Seite der virga cubica bestimmten Inhalt in einem speziellen Fall genauer zu bestimmen.58 Aus Gründen der Übersichtlichkeit schlägt die Visiertextsammlung vor, die Markierungen in große 24er-Abschnitte (cubi integrali entsprechend) eingeteilt zu denken. Eine Markierung innerhalb eines solchen Abschnittes wird auch als einem cubus partialis entsprechend bezeichnet. Eine ausführliche Darstellung der Konstruktionsmethode findet sich im Anhang.59

Abbildung 4.5: Die Maßeinheiten cubus, quadratum, supplementum und cubellus. New Haven, Yale University, Harvey Cushing/John Hay Whitney Medical Library, Medical Historical Library, MS. 25, fol. 32r.

56 57 58 59

Visiertextsammlung Text D, Teil I, cap. V bis VIIII (S. 295 bis 298). Visiertextsammlung Text D, Teil I, cap. X bis XIII (S. 298 bis 299). Visiertextsammlung Text D, Teil I, cap. XIIII (S. 299). Siehe Kapitel I.4.

56

4 Visierruten in der Visiertextsammlung

Die sich aus der Beschreibung für die Herstellung der virga cubica ergebende Beschriftung lässt sich vor allem hinsichtlich der Skalen auf der zweiten und dritten Seite der virga cubica nicht vollständig mit der Beschreibung über ihren Gebrauch in Deckung bringen. Man findet keine Skizze der virga cubica in den Handschriften. Meine beigefügte Zeichnung gibt deshalb nur eine mögliche Lesart wider (Abb. 4.6): Ich habe die Skala anhand der Werte in der Zahlentafel beschriftet. Zur besseren Lesbarkeit gebe ich nur die Beschriftung jeder dritten Markierung wider. Die Beschriftung der zweiten Seite habe ich auf den Wert für die Einheit cubi beschränkt, während in der Tabelle auch die Werte der kleineren Einheiten quadratum, supplementum und cubellus angegeben sind.60

Abbildung 4.6: (Mögliche) Beschriftung einer virga cubica

Den Inhalt eines Fasses bestimmt man mit einer virga cubica mit diesen Schritten:

À Bestimme die mittlere Fasstiefe (Rechnung (4.2)). Á Markiere Länge und Tiefe des Fasses auf der ersten Seite der virga cubica. Â Errechne den Inhalt des (gemittelten) Gefäßes je nachdem, in welchem Verhältnis Fasslänge und Fasstiefe zueinander stehen. Mit Hilfe der Skalen auf der zweiten und dritten Seite der virga cubica wird das errechnete Ergebnis in bestimmten Fällen leicht modifiziert. 60

Für die ersten und dritte Seite der virga cubica geht die Einheit der Beschriftung aus dem Text hervor. Für die zweite Seite ist unklar, welche Zahlen aus dem errechneten Zahlenquadrupel für die Beschriftung der virga cubica übernommen werden.

4.2 Inhaltsbestimmung teilweise gefüllter Fässer

57

4.1.6 Die virga trigona Die virga trigona ist eine Visierrute, die bislang in der Forschungsliteratur nicht auftauchte. Sie dient zwar vor allem zur Inhaltsbestimmung teilweise gefüllter Fässer, wie später ausführlicher betrachtet werden soll, kann aber auch für volle Fässer eingesetzt werden.61 In der Visiertextsammlung findet man an dieser Stelle nur eine kurze Notiz. Es handelt sich um eine Rechnung, mit der man den gemessenen Wert direkt in die Einheit mensurae umrechnen kann, wenn man gemäß dieses Grundmaßes misst.

À Bestimme die Länge L und den mittleren Durchmesser D des Fasses. Á Berechne den Inhalt I (in der Einheit mensurae) des vollständig gefüllten Fasses gemäß der Rechenregel I=

D2 × L . 64 × 64 × 64

(4.5)

4.2 I NHALTSBESTIMMUNG TEILWEISE GEFÜLLTER FÄSSER Bisher ging es darum, wie man den Inhalt eines vollständig gefüllten Fasses ermittelt. Häufig dürfte jedoch das zu messende Fass nur teilweise gefüllt gewesen sein, da ein Händler womöglich bereits unterwegs einen Teil des Weines verkaufen konnte. Die Visiertextsammlung bietet für diesen Fall bemerkenswerte Messverfahren, die nicht nur aus mathematischer Perspektive von Interesse sind. Sie ergänzen auch die in der Forschungsliteratur beschriebenen Methoden. Zur Inhaltsbestimmung teilweise gefüllter Fässer liegen kaum Untersuchungen vor, obwohl sich aus der Messpraxis durchaus Belege dafür anführen lassen, dass die Visierer für die Messung teilweise gefüllter Fässer vor einer Herausforderung standen. Zum Beispiel weigerten sich die Kandidaten beim Antwerpener Visiererwettbewerb im Jahr 1567, auch teilweise gefüllte Fässer zu vermessen, weil sie die dafür benötigen Visierruten nicht zur Hand hätten.62 Dass tatsächlich besondere Visierruten zur Inhaltsbestimmung teilweise gefüllter Fässer entwickelt wurden, belegt die Visiertextsammlung mit dem Text über die virga trigona. Bevor ich diese bislang unbekannte Visierrute vorstelle, gehe ich darauf ein, wie man gemäß der Visiertextsammlung mit bereits bekannten Visierruten den Inhalt teilweise gefüllter Fässer ermitteln kann.

61 62

Visiertextsammlung Text C, Ende (S. 289). Zur Herstellung der virga trigona siehe Kapitel 4.2. [Meskens 1994, 132–133].

58

4 Visierruten in der Visiertextsammlung

4.2.1 Bekannte Visierruten für teilweise gefüllte Fässer Der Text greift die folgende Methode im Anschluss an die Darstellung zur virga plana und virga scripta auf, doch wäre es grundsätzlich denkbar, ebenso jede andere Visierrute mit einer quadratischen Skala zu verwenden. Der als Theorema besonders hervorgehobene Abschnitt des ersten Textes in der Visiertextsammlung kommt in fast allen Handschriften vor.63 Die Visiertextsammlung erläutert eine Methode, wie ein Visierer den Inhalt eines etwa zu drei Vierteln gefüllten Fasses errechnen kann.64 Er muss dazu die Länge des Fasses und die mittlere Bodenfläche kennen, die sich beide mit einer quadratischen Visierrute ermitteln lassen. Die Herleitung der Messmethode und der Skalenbeschriftung ist sehr anspruchsvoll und benötigt Resultate aus fortgeschrittener mathematischer Literatur. Die Idee besteht darin, das teilweise gefüllte Fass durch einen abgeschnittenen Zylinder zu approximieren. Seine Höhe entspricht der Länge des Fasses; seine Grundfläche ist ein Kreisstück, von dem entlang einer Sehne ein Teil abgeschnitten wurde. Das Kreisstück repräsentiert den vollen Teil des Fasses, während das abgeschnittenen Stück den leeren Teil darstellt. Die Visiertextsammlung betrachtet dazu eine Referenzfigur mit konkreten Zahlenwerten (Abb. 4.7).65 Mithilfe von Resultaten aus Schriften des Euklid, Ptolemaeus, Boethius und einer Sehnentabelle kann man die Fläche des Kreisstückes f cg e = 129 34 bestimmen.66 Dieses Kreisstück f cg e verhält sich zur Fläche des Kreises f d g e = 154 wie die Querschnittsfläche des teilweise gefüllten Fasses zur mittleren Fassbodenfläche. Die Querschnittsfläche des teilweise gefüllten Fasses ist die gesuchte unbekannte Größe. Es sind deshalb alle Werte vorhanden, um sie proportional aus den anderen drei Werten zu berechnen. Schließlich ergibt sich der Inhalt des teilweise gefüllten Fasses, indem man den Wert der Querschnittsfläche mit der Fasslänge multipliziert. Die Visiertextsammlung rechnet ein Beispiel dafür vor, das das Verfahren allerdings kaum klarer macht. Problematisch an diesem Beispiel ist die Maßeinheit von 40 metreta, die eigentlich eine Volumeneinheit darstellt und sich nicht in den Kontext einfügen lässt.67 Die Messmethode ist insgesamt an konkrete geometrische Figuren gebunden, sodass sich auf diese Weise nur Fässer mit einem bestimmten Füllstand vermessen lassen, nämlich zu etwa drei Vierteln gefüllte Fässer. Auf diese Einschränkung weist die Visiertextsammlung jedoch nicht explizit hin. Mit der Herleitung der Methode hat der Visierer bei der Messung nun nichts mehr zu tun. Er muss die Länge des Fasses, den Mittelwert der Bodenflächen und

63 64 65 66 67

Visiertextsammlung Text A, cap. XXVIIII (S. 246). Der Abschnitt kommt in den Handschriften New York II und Innsbruck nicht vor. Visiertextsammlung Text A, cap. XXVIIII (S. 246). Eine solche Zeichnung findet man zum Beispiel in der Handschrift Perugia, Abbazia di San Pietro, Archivio storico, CM 18, fol. 25v. Ich stelle die Berechnung dieser Querschnittsfläche Schritt für Schritt im Anhang I.5 vor. Visiertextsammlung Text A, cap. XXVIIII (S. 246).

4.2 Inhaltsbestimmung teilweise gefüllter Fässer

59

Abbildung 4.7: Näherung des Querschnittes eines teilweise gefüllten Fasses

einen aus der Herleitung resultierenden Skalierungsfaktor kennen. Für zu etwa drei Vierteln gefüllte Fässer kann er aus diesen Werten durch Multiplikation den Inhalt der Fässer berechnen. Eine komplizierte Herleitung mündet damit in eine einfache Rechnung.

À Es seien L die Länge des Fasses und A m die Fläche des Fassquerschnitts.68 Bestimme die Fläche des Querschnittes des teilweise gefüllten Fasses A t : At =

129 34 × A m 154

.

Á Berechne den Inhalt des teilweise gefüllten Fasses I t als I t = A t × L.

68

Für eine Rechenmethode dazu siehe zum Beispiel die Rechnung (4.2).

(4.6)

60

4 Visierruten in der Visiertextsammlung

4.2.2 Die virga trigona Eine spezielle Visierrute, die virga trigona, die eigens der Inhaltsbestimmung teilweise gefüllter Fässer dient, wird in der Visiertextsammlung im dritten Text vorgestellt.69 Im Gegensatz zur vorherigen Methode lassen sich teilweise gefüllte Fässer mit verschiedenen Füllständen messen. Der Name der virga trigona (auch: virga quadrante) geht auf ein dreieckiges oder quadratisches Stück Holz oder Metall zurück, das mit drei Skalen (Fassradius, Halbkreisfläche, Fläche Kreisstück) versehen ist und für die Messung benötigt wird. Die virga trigona selbst ist mit einer linearen Skala beschriftet. Eine ausführliche Darstellung zu Herstellung und Gebrauch der virga trigona habe ich im Anhang beigefügt.70 Nicht alle Schritte der Konstruktion der virga trigona werden im Text begründet. Mit der virga trigona kann man ebenso den Inhalt eines vollständig gefüllten Fasses bestimmen.71 Die virga trigona und das zugehörige Holzdreieck beschriftet man wie folgt:

À Grundmaß: Ermittle die Grundlänge l (geschickt gewählte Würfelkante). Á Beschriftung der virga trigona: Zeichne auf einer Seite der virga trigona 64tel des Grundmaßes ab und nummeriere die Markierungen.

 Beschriftung des Holzdreiecks: Bezeichne die Ecken des Dreiecks mit den Buchstaben a, b und c, wobei b beim rechten Winkel liege (Abb. 4.8).72

¶ Beschriftung der Linie ab: Fertige zwei Skalen entlang der Linie ab an: Die erste Skala gibt den Fassradius an; die zweite Skala gibt Fläche des Halbkreises zum jeweiligen Fassradius an.

· Beschriftung der Linie bc und Verbindungslinien i. Die Beschriftung der Diagonalen von Punkt a zur Geraden bc gibt den sinus versus und damit die Höhe des fehlenden Teiles im Fass an. ii. Die Skala entlang der Linie bc gibt den Flächeninhalt zwischen Kreisbogen und Kreissehne an, das heißt den Querschnitt des im Fass fehlenden Teiles. Dem Text über die virga trigona sind mehrere Zahlentafeln beigefügt, die die Beschriftung der Skalen ab und bc zusammenfassen.73 Der Text über die virga trigona beschreibt nicht, wie die Werte der zweiten Tafel zustande kommen. 69 70 71 72 73

Der Text ist in den Handschriften Paris, Perugia, New York I, Leipzig, New Haven, München und Vatikan überliefert. Siehe Anhang I.6. Visiertextsammlung Text C, Ende (S. 289). Siehe Kapitel 4.1. Eine solche Zeichnung findet man zum Beispiel in der Handschrift Perugia, Abbazia di San Pietro, Archivio storico, CM 18, fol. 43v. Die Tafeln findet man in den Handschriften Paris, Perugia, New York I, Vatikan, München, New Haven und Leipzig.

4.2 Inhaltsbestimmung teilweise gefüllter Fässer

61

Abbildung 4.8: Beschriftung des Holzdreiecks für die virga trigona

Die zugrunde liegende Vorstellung für die Messung mit der virga trigona ist der im vorherigen Abschnitt vorgestellten Methode ähnlich: Man fasst den Querschnitt des Fasses als Kreis auf, bei dem ein entlang einer Sehne abgeschnittenes Kreisstück fehlt (Abb. 4.7).74 Das fehlende Kreisstück wird als leerer Teil des Fasses interpretiert. Man kann die Höhe des fehlenden Teiles im Fass ermitteln, indem man die virga trigona durch das Spundloch senkrecht bis zum Boden in das Fass hineinhält und betrachtet, wie lang das trockene Stück der virga trigona (bis zur Fasswand) ist.

74

Visiertextsammlung Text A (S. 247).

62

4 Visierruten in der Visiertextsammlung

Um den Inhalt des teilweise gefüllten Fasses zu bestimmen, benötigt man die virga trigona und das Holzdreieck und berechnet den Inhalt des leeren Fassteils:

À Bestimme mit der virga trigona • den Inhalt des gesamten Fasses, • die Länge des Fasses und den mittleren Durchmesser und • die Höhe des leeren Teils im Fass.

Á Bestimme anhand dieser Werte mit dem Holzdreieck • die Querschnittsfläche des leeren Teils im Fass und • einen Korrekturfaktor. Es bleiben offene Fragen zu den Details der Rechnung.75

 Berechne daraus den Inhalt des im Fass fehlenden Teils als Produkt von Fasslänge, Querschnittsfläche des leeren Teils im Fass und einem Korrekturfaktor.

4.3 T IPPS UND T RICKS FÜR DEN G EBRAUCH VON V ISIERRUTEN In der Visiertextsammlung geht es nicht nur darum, wie man unterschiedliche Visierruten beschriftet und für die Messung verwendet. Die Verfasser geben auch Empfehlungen, die dem Visierer den Umgang mit der Visierrute im Alltag erleichtern sollen. Für den Fall, dass eine virga plana zu kurz ist, gibt der Text eine kurze Hilfestellung.76 Ein eigener Abschnitt, den sowohl der erste als auch der letzte Text der Visiertextsammlung aufgreifen, befasst sich mit dieser Frage ausführlicher.77 Sollte eine Visierrute für den Transport zu lang sein, soll sie in der Mitte geteilt werden.78 Dass dieser Hinweis durchaus berechtigt ist, ergibt sich für ein Beispiel: Setzt man eine Handbreit als 10 cm und folgt dem Text über die virga plana, der eine Visierrute von 16 Handbreit konstruiert, so ergibt sich ein Messtab mit einer Länge von 1,6 m. Die Visiertextsammlung thematisiert auch den Anwendungsbereich der Methoden. Die Visierruten der Visiertextsammlung sind für die Inhaltsbestimmung von zylindrischen Gefäßen bestimmt, das heißt vor allem von Fässern. Eine zylindrische Form haben aber zum Beispiel auch Brunnen, wie der Text über die virga plana bemerkt.79 Für die Inhaltsbestimmung anderer geometrischer Formen zum

75 76 77 78 79

Siehe Kapitel I.6. Visiertextsammlung Text A, cap. XXVI (S. 244). Visiertextsammlung Text A, cap. XXX (S. 248), und Text D, Wiederholung von cap. XXX (S. 302). Visiertextsammlung Text A, cap. I (S. 229). Visiertextsammlung Text A, cap. I (S. 229).

4.4 Alternativen zur Visierrute

63

Beispiel mit quadratischer Grundfläche müsse man erst sorgfältig über das Verfahren nachdenken, könne aber die zur Verfügung gestellten Hilfsmittel (Rechenregel, Zahlentafeln) verwenden.80 Auch für die Erstellung der Visierruten hält die Visiertextsammlung Hinweise bereit. Ob die jeweilige Skala auf der Visierrute richtig erstellt wurde, kann man in bestimmten Fällen überprüfen. Für die Tiefenskala auf der virga plana wird ein Test durch eine Skizze veranschaulicht: Teilt man die Tiefenskala in vier Abschnitte, so müssen in jedem Abschnitt bestimmte Markierungen vorkommen, wenn die virga plana auf die vorgesehen Weise beschriftet wurde.81 Für die eng beschriftete virga cubica empfiehlt der Text, vor allem die erste Skala deutlich zu strukturieren und nach jeweils 24 Markierungen die Beschriftung in einer anderen Farbe kenntlich zu machen oder schräg zu schreiben.82 Schließlich versucht der Text über die virga cubica eine anschauliche Vorstellung der Skalen und des Messverfahrens zu vermitteln. Weil es schwierig sei, das kubische Grundmaß als dreidimensionalen Körper auf einer Fläche zu zeichnen, empfiehlt die Visiertextsammlung, auf dünne Holzstäbe oder kleine Äste zurückzugreifen. Auf diesen Stäben verzeichnet man die jeweiligen Einheiten quadrata, supplementa und so weiter getrennt voneinander.83

4.4 A LTERNATIVEN ZUR V ISIERRUTE Um den Inhalt eines Fasses zu bestimmen, braucht man nicht unbedingt eine Visierrute. In der Visiertextsammlung findet man allerdings kaum Hinweise auf andere Messmethoden. Bemerkenswert ist ein Abschnitt in der Sammlung geometrischer Sätze, die auf den ersten Text der Visiertextsammlung folgt. In diesem Abschnitt geht es um die Berechnungen von Längen in jener Kreisfigur, die der Methode für teilweise gefüllte Fässer mit der virga plana und virga scripta zugrunde liegt.84 Es wird dabei ein Seil (funis) erwähnt, jedoch geht aus der Textstelle nicht eindeutig hervor, wofür es gebraucht wurde.85 Ein Seil als Hilfsmittel war für einen Visierer nichts Ungewöhnliches, wenn man den Blick neben der Visiertextsammlung auf weitere Quellen richtet und den geographischen Untersuchungsraum erweitert. Für die Kölner Visierer ergänzte eine Schnur das Repertoire an Messinstrumenten. Die Visierer sollten jedes

80 81

82 83 84 85

Visiertextsammlung Text A, cap. I (S. 229) und cap. XXVIII (S. 245). Visiertextsammlung Text A, cap. IIII (S. 230) und zugehörige Skizze III.4. Anders als in der Zeichnung zur Konstruktion der Tiefenskala III.2 wird der bewegliche Zirkelfuß nicht in den Punkt n, sondern in den Mittelpunkt des Halbkreises s gesetzt. Visiertextsammlung Text D, Teil I, cap. VIII (S. 297). Visiertextsammlung Text D, Teil I, cap. IIII (S. 295). Siehe dazu Kapitel 4.2. Visiertextsammlung, Sammlung geometrischer Sätze, Ende: Et per primam partem poteris cognoscere, si funis dimissus fuerit [. . . ] (S. 276, Z. 22). Es handelt sich nicht um einen eigenwilligen Fachterminus, da man in diesem Zusammenhang eher die Bezeichnungen von Strecken im Kreis als „Sehne“ (corda) oder „Höhe einer Sehne“ (sagitta) erwartet.

64

4 Visierruten in der Visiertextsammlung

Abbildung 4.9: Eichung von Fässern. Volkacher Salbuch (1504), Stadt Volkach, Stadtarchiv, B2, fol. 414v.

ankommende Fass mit Schnur und Visierrute vermessen („röden“).86 Auch eine Trierer Dienstordnung von 1607 umfasste ein Kapitel darüber, wie ein Röder die Schnur handhaben solle. Für das Schnüren erhielt er ein Schnürgeld.87 Bei Andreas Helmreich findet man in seinem Visierbuch von 1557 Erläuterungen zum Visieren mit einer Lederschnur.88 Gegen Ende des 17. Jahrhunderts schrieb Johannes Vulpius in seinem Lehrbuch zum Weinvisieren über beide Messinstrumente, das heißt Visierruten und Messschnüre.89 Dass in Italien für die Inhaltsbestimmung von Fässern wohl keine Visierruten verwendet wurden, habe ich bereits geschildert.90 Allerdings findet man bei den Verfassern Petriboni und Sfortunati Hinweise auf eine Schnur (corda), die in bestimmten Abständen mit Knoten versehen war.91 Giovanni de’ Danti verwies in einem arithmetischen Traktat auf eine vor allem in der Gegend von Montepulciano verbreitete Regola de fare la corda de mesurare bocti, um bei einem teilweise gefüllten Fass den fehlenden Teil zu ermitteln. An anderer Stelle wies er ebenso auf eine mit Knoten versehene Schnur hin.92

86 87 88 89 90 91 92

Eine Anleitung dazu findet man zum Beispiel in der Schrift „In desem wyn boich vint men nutz Begryffen . . . “ von 1520. Darauf weist [Wirtler und Schäfke 2003, 136] hin. [Zitzen 1952, 40]. Vom „Schnüren“ sprechen außerdem [G. Schreiber 1980, 135] und [Werlin 1964, 162]. [Folkerts 1974, 31]. [Vulpius 1691]. Siehe Kapitel 2.1. [Simi 1993, 400–402]. [Simi 1993, 407–408].

4.4 Alternativen zur Visierrute

65

Abbildung 4.10: Auswiegen von Butterfässchen. Volkacher Salbuch (1504), Stadt Volkach, Stadtarchiv, B2, fol. 432r.

Den Inhalt eines Fasses kann man ebenso bestimmen, indem man es vollständig ausleert, den Inhalt mit geeichten Gefäßen auffängt oder das leere Fass mit geeichten Gefäßen wieder Schritt für Schritt auffüllt (Abb. 4.9). Zum Beispiel im Rheinland unterschied man die sogenannte Wassereiche, bei der ein leeres Fass zur Eichung mit Wasser gefüllt wurde, von der Visiereiche, bei der das Fass vom Visierer vermessen wurde.93 In Speyer wurde visiert und nachträglich zusätzlich geeicht: Solche Weinfässer, deren Inhalt vollständig ausgeschenkt war, wurden zum Eichmeister gebracht, wo die Fässer zusätzlich zur vorherigen Messung der Visierer beim Verkauf nachträglich geeicht wurden.94 Die Visiertextsammlung geht jedoch nicht darauf ein, den Inhalt eines Fasses mit einem Normgefäß zu bestimmen. Auf zeitgenössischen Darstellungen von Szenen aus dem Handel sieht man immer wieder, wie Waren gewogen werden. Gelegentlich sind auch kleine Fässer dabei, wie zum Beispiel die Butterfässchen auf dem Markt in Volkach am Main (Abb. 4.10).95 Zwar handelte man bestimmte Flüssigkeiten wie Öl oder Tran nach Gewicht96 , jedoch war kein allgemeines Konzept von „Dichte“ bekannt.97 Für den Weinhandel konnte ich kein Beispiel dafür ausfindig machen, dass Weinfässer nach Gewicht gehandelt wurden. Grundsätzlich konnten Weinfässer aber gehoben werden, wie die Schwergutkrane in großen Handelszentren belegen:

93 94 95 96 97

[Zitzen 1952, 45]. Eine spätere Verordnung von 1718 sah für Kurtrier vor, dass jedes Fass mit Wasser gefüllt und sein Inhalt auf dem Boden vermerkt werden sollte. [Weisbrod 1952, 44]. Für die Visierer in Speyer siehe Kapitel 6.3. [Arnold und Feuerbach 2009, Faksimile, fol. 432r]. [Ziegler 1977, 279]. [Simi 1993, 398].

66

4 Visierruten in der Visiertextsammlung

Brügge (Abb. 4.11), Frankfurt, Köln, Straßburg, aber auch kleinere Orte entlang des Rheins verfügten über Krane, mit denen Weinfässer von den Schiffen an Land gehievt wurden.98 Dass die Krane jener Zeit jedoch an technische Grenzen gerieten, machen spätmittelalterliche Kranordnungen deutlich. Aus den 70er Jahren des 14. Jahrhunderts wurde in der Gebührenordnung für den Kölner Hafenkran festgelegt, dass Fässer mit einem Inhalt von mehr als sieben Ohm auf das Risiko des Kaufmanns befördert werden sollte. Die größten Fässer umfassten einen Inhalt von acht bis zehn Ohm. Setzt man ein Ohm als etwa 145 Liter an und veranschlagt das Eigengewicht des Fasses mit etwa 200 kg, so ergibt sich, dass der Kölner Kran Lasten von ungefähr einer bis anderthalb Tonnen heben konnte. Diese Schätzungen lassen sich für andere Städte entlang des Rheins bestätigen.99 Diese Hebewerke wurden aber wohl nicht zum Wiegen verwendet. Wer so häufig die gleichen Handgriffe anwendete, wie es für die Visierer und die Messung mit der Visierrute anzunehmen ist, dürfte schnell einen Blick dafür entwickeln, wieviel Wein ein Fass enthielt.100 Die Visiertextsammlung bringt nur wenige Argumente für eine Messung nach Augenmaß. Die Verfasser machen deutlich, dass die Messung eines Fasses nicht immer mit den erläuterten Regeln zu bewerkstelligen sei, sondern dass es auf die Erfahrung und Kompetenz der Spezialisten ankomme.101 Der Visierer sollte außerdem eine Anschauung der Begründungen haben, die hinter dem Visieren mit einem Messtab stehen.102 Eben diese Herleitungen und Begründungen stellt die Visiertextsammlung ins Zentrum und wendet sich damit deutlich gegen reine Schätzungen. Im Text über die virga cubica werden gängige Zitate gelehrter Denker aufgegriffen, in denen es sich um die Sinneswahrnehmung und ihren täuschenden Charakter dreht.103 Tut man diese Anlehnungen nicht als rein rhetorische Stilmittel ab, so machen sich die Autoren der Visiertextsammlung ganz explizit für eine streng mathematische Herleitung der Messmethoden stark. Diesen Eindruck spiegelt auch die Argumentationsstruktur jedes einzelnen Textes der Visiertextsammlung wider: Die Skalen auf den jeweiligen Visierruten werden streng geometrisch hergeleitet, Brüche werden im Sexagesimalsystem bis auf kleinste Bruchteile genau bestimmt und die Zahlentabellen weichen bis auf wenige Ausnahmen nicht von den angegebenen Rechenregeln ab.

98 99 100 101 102

103

Zur Verbreitung verschiedener Krantypen seit dem 13. Jahrhundert siehe [Matheus 1985, 12–19]. Zum Bau des Hafenkrans in Damme im Jahr 1269 siehe [Meskens u. a. 1999, 54]. Der Kran in Straßburg konnte wohl schwerere Fässer von bis zu drei Tonnen heben. Siehe [Matheus 1985, 32–35]. [Gericke 1990, 197] geht davon aus, dass bei der Messung mit der Quadratrute zumindest Mittelwerte häufig nach Augenmaß gebildet wurden. Visiertextsammlung Text A, cap. XXVIIII: Virge visor igitur seu geometra [. . . ] (S. 246). Die Methoden sollen für die Sinne und das Auge sichtbar gemacht werden (ad sensum ostendere, ad oculum demonstare.). Siehe Visiertextsammlung Text D, Teil I, cap. IIII und V (S. 295). Visiertextsammlung Text D, Teil I, cap. VIII (S. 297). Siehe auch Kapitel 5.7 zum experimentum fallax.

4.4 Alternativen zur Visierrute

67

Abbildung 4.11: Weinhandel rund um den großen Kran in Brügge. Flämischer Kalender, Bayerische Staatsbibliothek München, Clm 23638, fol. 11v.

In der Praxis haben die Visierer die Inhalte von Fässern wohl jedoch häufiger nach Augenmaß bestimmt als vorgesehen. In der Tat klagte ein Nürnberger Ungelter in einem Beschwerdebrief an den Rat der Stadt über die Unzuverlässigkeit der Visierer, die nicht präzise maßen.104 Die Visiertextsammlung dagegen will die Messung nach Augenmaß nicht unterstützen, sondern durch deduktiv hergeleitete Messverfahren auf Grundlage mathematischer Ergebnisse ersetzen.

104 Siehe Kapitel 6.2.7.

68

4 Visierruten in der Visiertextsammlung

4.5 Z USAMMENFASSUNG UND E RGEBNISSE Zunächst zeigt die Bilanz der Visierruten eine nennenswerte Vielfalt: Die Visiertextsammlung vereint Anleitungen zu zwei verschiedenen Typen von Quadratruten (virga plana, virga quadrata), einer Wechselrute (virga scripta beziehungsweise virga circularis) und einer Kubikrute (virga cubica). Die Quadratruten sind mit unterschiedlichen Skalen versehen, da die Herleitung der Skalenbeschriftung auf verschiedenen Konzepten beruht. Mit der Darstellung zur virga scripta ließ sich eine Wechselrute in der lateinischen Literatur identifizieren. Die virga trigona war als Visierrutentyp bislang nicht bekannt. Mit allen Visierruten kann man den Inhalt vollständig gefüllter Fässer ermitteln. Die Visiertextsammlung stellt ebenso Methoden vor, mit denen man den Inhalt teilweise gefüllter Fässer ermitteln kann, nämlich mit Quadratruten und mit einer eigens für teilweise gefüllte Fässer angefertigten virga trigona. Verwendet man eine Quadratrute, so ist die Messmethode jedoch nur für solche Fässer geeignet, die etwa zu drei Vierteln gefüllt sind. Dass die Methode vom Füllstand abhängt, liegt in der Herleitung begründet. Die komplizierte mathematischen Herleitung resultiert in einer einfachen Rechenregel. Um den Inhalt zu bestimmen, muss der Visierer die Länge des Fasses und die mittlere Bodenfläche bestimmen, um daraus den Inhalt des zu drei Vierteln gefüllten Fasses zu berechnen. Die virga trigona dagegen ist eine Visierrute, die eigens für den Zweck konzipiert wurde, den Inhalt teilweise gefüllter Fässer mit verschiedenen Füllständen zu bestimmen. Man benötigt außerdem ein geschickt beschriftetes Holzdreieck mit mehreren Skalen. Den Inhalt des teilweise gefüllten Fasses bestimmt man aus der Fasslänge, dem kleinsten und größten Radius und dem Füllstand des Fasses. Der Schwerpunkt der Darstellungen in der Visiertextsammlung liegt darauf, wie man die verschiedenen Skalen auf die jeweiligen Visierruten aufträgt. Die komplizierte Herstellung der Skalen verlangte eine feine Arbeit, da oft mehrere Skalen auf einer schmalen Seite des Messstabes untergebracht werden mussten. Man brauchte nur wenige Hilfsmittel wie Zirkel oder Lineal; die Messstäbe bestanden aus Materialien wie Holz oder Metall. Für fast alle Visierruten lieferte die Textsammlung hilfreiche Tabellen, die die Werte für die Skalen zusammenfassten. Wie man die Visierrute verwendet, wird selten im Detail geschildert. Vielmehr lassen die Texte der Sammlung hinsichtlich des Gebrauchs der Messstäbe häufig wichtige Fragen offen. Wer die Visiertextsammlung liest, muss bereits wissen oder aus dem Text herauslesen, welche der Skalen man wie genau an ein Fass anlegt. Die eingeflochtenen Ratschläge aus der Praxis greifen nur wenige Aspekte auf, wie zum Beispiel den Fall einer zu kurzen oder zu langen Visierrute. Die Rekonstruktion der Visierruten macht dennoch klar, dass für die Inhaltsbestimmung nur wenige Handgriffe nötig sind. Lange Rechnungen und geometrische Herleitungen werden auf Faustregeln reduziert. Die Visiertextsammlung erwähnt kaum andere Methoden, den Inhalt eines Fasses zum Beispiel durch Ausleeren oder Wiegen zu ermitteln. Eine einzige Textstelle deutet daraufhin, dass ein Seil eine Visierrute ersetzen könnte. Die Erfahrung eines Visierers beim Messen und sein womöglich

4.5 Zusammenfassung und Ergebnisse

69

geschultes Augenmaß kommen in der Visiertextsammlung kaum zum Tragen. In der Sammlung geht es weniger um das Visieren als Messprozess, sondern um die Herstellung der Messstäbe. Als präzise Bezeichnung wäre daher eigentlich „Visierrutenherstellungs-Textsammlung“ angemessen. Aus Gründen der Lesbarkeit behalte ich die bisherige Bezeichnung als „Visiertextsammlung“ bei. Weiterhin macht die Visiertextsammlung deutlich, dass die Skalen auf den Visierruten in der Regel für lokale Gegebenheiten angefertigt werden. Die Texte spiegeln wider, dass man die Visierruten für regional verbreitete Fassformen fertigte und den Fassinhalt in den in der Umgebung gebräuchlichen Maßeinheiten bestimmte. Dass es um typische Fassformen ging, belegen die Anleitungen für die virga plana und die virga scripta. Im Fall der virga plana sieht die Visiertextsammlung vor, nur 16 Längenzeichen auf der Visierrute aufzutragen. Gemäß der Visiertextsammlung kann man damit die sich im Umlauf befindenden Fässer messen.105 Für die virga scripta trifft der Text sogar eine Auswahl aus den vielen errechneten Werten, da es genügt, die Skalen für die gängigen Fassproportionen zu errechnen.106 Sollten doch andere Skalen und Beschriftungen nötig sein, lassen sich diese leicht mit den vorgestellten Anleitungen errechnen. Die Anleitungen zur Beschriftung der Visierruten sind unabhängig vom Grundmaß. Die Visiertextsammlung betont diesen Vorteil in der Einleitung zur virga plana und virga scripta explizit.107 Ähnliche Bemerkungen bringen die Verfasser bei der Konstruktion der virga cubica und der virga trigona.108 Zugleich spiegeln sich in der Visiertextsammlung ganz konkrete Maßeinheiten. So begegnet man zum Beispiel in der Handschrift New Haven der Notiz, dass die Tafeln zur virga scripta für Nürnberger Fässer (tine) berechnet worden seien.109 Weiterhin findet man in der Beschreibung zur virga quadrata konkrete Maßeinheiten wie „Maß“ (mensura), „Viertel“ (quartalis) oder „Achtel“ (octale), die in bestimmten Relationen zueinander stehen.110 Ein detaillierter Vergleich mit bekannten Maßeinheiten in bestimmten Regionen dürfte es ermöglichen, Teile der Visiertextsammlung regional zu verorten und die Entstehungskontexte der Handschriften über metrologische Argumente zu charakterisieren.111 Schließlich bleibt die Einheit metreta im Text über die virga plana und virga scripta zu nennen, die ich jedoch nicht einzuordnen vermag.112

105 106 107 108 109 110 111 112

Visiertextsammlung Text A, cap. II (S. 230). Zum Beispiel Visiertextsammlung Text A, cap. XIII (S. 238). Visiertextsammlung Text A, cap. I (S. 229). Visiertextsammlung, Text D, Teil I, cap. II (S. 294), und Text C, Beschriftung der Linie ab (S. 286). Handschrift New Haven, Yale University, Medical Historical Library, Cushing/Whitney Medical Library, MS. 25, fol. 18r und 21r. Visiertextsammlung Text B, Anfang (S. 281). Aus Gründen der Bearbeitungszeit ließ sich eine solche Studie im Rahmen dieser Arbeit nicht anfertigen. Die Einheit metreta begegnet als antikes Volumenmaß (siehe [Trapp 1992, 207, 209]) und als biblisches Maß. Siehe dazu zum Beispiel die Bibelstelle Vulgata, 2 Chr 4,5 (nachzulesen in [R. Weber, Gryson und Fischer 2010]).

70

4 Visierruten in der Visiertextsammlung

Schließlich ermöglicht die Untersuchung der Anleitungen für die Skalenbeschriftungen, die Verfasser und Leser der Visiertextsammlung indirekt zu charakterisieren. Diese erste Charakterisierung werde ich nach dem folgenden Kapitel über die mathematischen Hintergründe um weitere Erkenntnisse ergänzen.113 Zunächst wird deutlich, dass die Texte der Visiertextsammlung mehreren Autoren zuzuschreiben sind. Dies legen zum Beispiel sprachliche Brüche innerhalb eines Textes oder kleinere Abschnitte nahe, die nicht in allen Handschriften enthalten sind.114 Dass die Sammlung von Visiertexten über einen längeren Zeitraum hinweg entstand, indem nach und nach Texte über das Visieren zusammengebunden oder aufeinander folgend abgeschrieben wurden, zeigt die handschriftliche Überlieferung.115 So eng die einzelnen Schritte in den Konstruktionsanleitungen miteinander verknüpft sind, legt die Visiertextsammlung als Zusammenstellung und auch im Hinblick auf die Einzeltexte einen heterogenen Charakter offen. Der Text der Visiertextsammlung bietet kaum namentliche Anhaltspunkte, die auf Verfasser oder Leser der Visiertextsammlung schließen lassen. Eine Charakterisierung der Autoren und Leser ist daher nur indirekt durch eine Charakterisierung des Textes und seiner Inhalte möglich. Über weite Strecken spiegelt der Text eine Lehrsituation wider: Ein erfahrener Lehrer berichtet, wie er selbst oder „man“ eine Visierrute herstellt. Seinen Gegenüber, den Schüler, spricht er gelegentlich in der zweiten Person mit „Du“ oder als Aufforderung im Imperativ an. Der Anfänger lernt vom Berufserfahrenen. Man kann die Visiertextsammlung in dieser Hinsicht im lehrenden und lernenden Umfeld verorten. Fasst man die Visiertextsammlung als eine Zusammenstellung von Anleitungen auf, die Schritt für Schritt die Herstellung mehrerer Messstäbe beschreiben, zeigen die einzelnen Texte zweifellos eine gewisse Nähe der Verfasser zur Messpraxis auf. Die Ratschläge aus der Messpraxis zu Skalentests oder dem Umgang mit der Visierrute vereinfachen den Umgang mit dem Messstab. An der Praxis ist ebenfalls die Bemühung orientiert, die langen Herleitungen auf einfache Rechenregeln zu reduzieren. Wenn die Visierrute einmal gefertigt ist, genügen für die Messung der Fässer in den meisten Fällen versierte Kenntnisse in den Grundrechenarten. Die Verfasser der Texte dürften selbst als Visierer tätig gewesen sein oder hatten direkten Zugang zum Visieren, so dass sie den Messablauf beobachten und über seine Hintergründe nachdenken konnten. Aus diesen Überlegungen resultieren Texte auf einem fortgeschrittenen Niveau, die sich auf bestimmte Aspekte konzentrieren, nämlich vor allem die Ermittlung der Messskalen. Dass die Verfasser über ein umfangreiches mathematisches Wissen verfügten, untersuche ich im nächsten Kapitel.116 113 Siehe Kapitel 5.8. 114 Zu sprachlichen Brüchen gehören zum Beispiel Variationen der Fachbegriffe (wie latitudo, profunditas und amplitudo) oder unerwartete Subjektwechsel. Einen kurzen Abschnitt, den nicht allen Handschriften enthalten, stellt zum Beispiel der Teil Theorema (Visiertextsammlung Text A, cap. XXVIIII; S. 246) über die Inhaltsbestimmung teilweise gefüllter Fässer dar. 115 Siehe Kapitel 3. 116 Siehe Kapitel 5.

5 M ATHEMATIK FÜR DAS FASS Die Anleitungen zur Herstellung der Visierruten zeigen auf, dass in die Konstruktionsmethoden verschiedene mathematische Konzepte eingehen. Im folgenden Kapitel soll es darum gehen, ausgewählte Aspekte zur Mathematik zu betrachten. Die Themen dieses Kapitels ergeben sich aus direkten Anknüpfungspunkten in der Visiertextsammlung, sei es die Erwähnung eines Namens, die Verwendung bestimmter Fachbegriffe und Methoden oder der Gebrauch gewisser Notationen. Es wird sich herausstellen, dass sich diese Aspekte mathematischen Traditionen zuordnen lassen, die häufig bereits über längere Zeit gewirkt haben und sich ebenso in anderen zeitgenössischen Texten wiederfinden lassen. Ich werde zeigen, dass die Visiertextsammlung einen beachtlichen Querschnitt durch das verfügbare Wissen an Mathematik im 15. Jahrhundert repräsentiert. Von geometrischen Aussagen (Kapitel 5.1 und 5.2) über das Rechnen mit ganzen Zahlen und Brüchen (Kapitel 5.3 und 5.4) bis zu Grundbegriffen der Trigonometrie und Zahlentafeln (Kapitel 5.5 und 5.6) begegnet man Bereichen ganz unterschiedlichen Charakters. Die Verfasser der Visiertextsammlung kannten die akademische mathematische Literatur ihrer Zeit bestens und gingen sogar darüber hinaus (Kapitel 5.7). Die Visiertextsammlung stellte hohe Ansprüche an ihre Leserschaft.

5.1 E UKLIDISCHE G EOMETRIE Die den Skalen der Visierstäbe zugrunde liegende Idee beruht auf der Näherung eines Fasses durch einen Zylinder, und diese geometrische Auffassung wird in der Visiertextsammlung mit Sätzen aus der Geometrie gestützt, bearbeitet und weiterentwickelt. Einer der in dieser Zeit an den Universitäten prominentesten Texte über Geometrie sind zweifellos die Elemente des Euklid.1 Hält man sich die enorme Anzahl an Drucken und Handschriften vor Augen, in denen die Elemente in verschiedenen Übersetzungen, Kommentaren und Editionen die Zeiten überdauert haben, so überrascht es nicht, dass auch die Visiertextsammlung stark von euklidischer Geometrie geprägt ist. Die Verweise auf euklidische Geometrie in der Visiertextsammlung sind zahlreich. In den Texten über die virga plana und die virga scripta, die virga quadrata und die virga cubica findet man etwa gleich viele explizite Verweise auf euklidische Bücher.2 Die Elemente des Euklid stellen damit die einzige Abhandlung dar, von

1 2

Zu Leben und Werk des Euklid siehe zum Beispiel [Bulmer-Thomas 2008] und [Vitrac 2008]. Zur Systematisierung der Euklid-Versionen siehe [Murdoch 2008] und [Campanus 2005, 1–40]. Siehe in der Visiertextsammlung Text A: 5 Verweise, Text B: 4 Verweise, Text D: 2 Verweise, Kommentar: 6 Verweise.

72

5 Mathematik für das Fass

der Spuren in (fast) allen Visiertexten nachweisbar sind. Eine Ausnahme bildet der Text über die virga trigona, der nicht explizit auf Euklid verweist. Studiert man diesen Text jedoch im Detail, so wird deutlich, dass der Text das Wissen um euklidische Geometrie voraussetzt und ohne Umschweife zu fortgeschrittenen, trigonometrischen Themen voranschreitet.3 Die mathematischen Ansprüche der Visiertextsammlung gehen weit über den traditionellen Umfang an euklidischen Büchern hinaus, wie sie im Unterricht des Quadriviums vorgesehen waren. Berücksichtigt man den Kommentar zunächst nicht4 , so sind Aussagen aus den euklidischen Büchern I, II, VII, XI und XII für die Erstellung von Visierruten von Bedeutung, das heißt überwiegend aus den Büchern zur ebenen Geometrie und zur Stereometrie. Damit gehen die Verfasser der Visiertexte aber bereits über den klassischen Rahmen des Quadriviums hinaus, da dort häufig nur die ersten sechs oder sogar nur das erste Buch gelehrt wurden.5 Die Verfasser der Visiertextsammlung benötigten mathematische Sätze aus den Elementen des Euklid vor allem für die Herleitungen der Verfahren, wie die jeweiligen Skalen der Visierruten erstellt werden sollen. Die Autoren beziehen sich zum Beispiel auf den sogenannten „Satz des Pythagoras“ (Campanus I.47) oder ein Ergebnis über das Verhältnis von Kreisen und Quadraten, deren Seitenlänge dem Durchmesser der Kreise entspricht (Campanus XII.2). Man begegnet ebenso der Vorstellung, dass ein Zylinder aus einem Rechteck und zwei Kreisen konstruierbar ist (Campanus XI. Definition xi). Die Visiertextsammlung verstärkt durch die Verweise auf euklidische Sätze über längere Abschnitte den Eindruck einer beweisartigen, deduktiv argumentierenden Struktur.6 An einigen Stellen der Visiertextsammlung kann man nachweisen, dass die Verfasser auf Teile der Euklid-Bearbeitung des Campanus von Novara (um 1220– 1296) zurückgegriffen haben. Sie zogen damit eine ausgesprochen populäre, wenn nicht sogar die meist gelesene Euklid-Version des späten Mittelalters zu Rate.7 Ein erstes Indiz dafür ist die namentliche Erwähnung des Campanus im Text über die virga cubica.8 Vor allem findet man aber wörtlich übernommene Formulierungen.9 Häufiger verweisen die Verfasser nur auf bestimmte Bücher und Resultate. Solche Stellenangaben decken sich bis auf eine Ausnahme mit der Nummerierung

3 4 5

6 7 8 9

Siehe Kapitel 4.2. Der Kommentar verweist außerdem auf die Bücher III und VI. Eine Übersicht über die euklidischen Bücher I–XIII findet man in [Bulmer-Thomas 2008, 415–425]. Die Bücher XIV und XV entstanden später. Siehe auch [Folkerts, Knobloch und Reich 1989, 45, 47, 56]. Zum Beispiel in der Visiertextsammlung Text A, cap. IIII und XXXI (S. 230, 248). Zu Leben und Werk des Campanus von Novara siehe [Neuenschwander 1983], [Toomer 2008b], [Toomer 2008a] und [Campanus 2005, 32–40]. Visiertextsammlung Text D, cap. VI (S. 296). Vergleiche zum Beispiel (1) die Definition des Zylinders als Rotationsfigur eines Rechtecks (Visiertextsammlung Text A, cap. I, S. 229: Columna autem est, ut vult Euclides diffinitione 9a undecimi . . . ) wie Campanus XI.11 (nicht 9.), oder (2) zum Verhältnis von Kreisen und Quadraten über Durchmessern (Visiertextsammlung Text D, cap. VII, S. 297: Omnium duorum circulorum . . . ) wie Campanus XII.2.

5.2 Schriften der praktischen Geometrie

73

in der Campanus-Bearbeitung. Einzig ein Verweis im Text über die virga cubica zur Konstruktion eines Gnomon, angeblich zu finden bei Euklid I.23, ließ sich nicht eindeutig auf einen euklidischen Satz zurückführen.10 Die Ähnlichkeiten mit der Campanus-Bearbeitung bedeuten jedoch wiederum nicht, dass den Verfassern der Visiertextsammlung in jedem Fall, in dem sie sich auf euklidische Bücher beziehen, eine vollständige Textfassung vorgelegen haben muss. Vielmehr ist zu berücksichtigen, dass bestimmte Definitionen und Sätze auch in anderen Schriften fester Bestandteil der Argumentation waren. So greift zum Beispiel Dominicus de Clavasio in seiner Schrift über Geometrie die Definition eines Zylinders in gleicher Weise wie die Visiertextsammlung auf.11 Da die Schrift des Dominicus de Clavasio die Visiertextsammlung auch in anderen Aspekten geprägt hat, wie der nächste Abschnitt zeigen wird, kommt seine Abhandlung ebenso als indirekter Vermittler euklidischer Geometrie in Frage.

5.2 S CHRIFTEN DER PRAKTISCHEN G EOMETRIE Der euklidischen Geometrie werden häufig Schriften der sogenannten „Praktischen Geometrie“ gegenübergestellt. Man findet eine ganze Reihe an Abhandlungen, die einen solchen Titel tragen. Die Abgrenzung zu einer „theoretischen“ Geometrie ist dabei selten klar zu fassen.12

5.2.1 „Praktische“ Geometrie Man führt die Gliederung der Geometrie in einen theoretischen und einen praktischen Zweig auf Hugo von Sankt Viktor zurück. In mittelalterlichen Schriften, die sich mit der Klassifikation von Wissenschaften beschäftigen, erhielt praktische Geometrie einen festen Platz. So unterschied zum Beispiel Dominicus Gundissalinus beide Arten von Geometrie anhand von sieben Merkmalen, darunter die behandelten Themen und der Zweck der Texte.13 Die Schriften zur praktischen Geometrie unterscheiden sich jedoch stark. Typisch für diese Texte sind Aufgaben zur Messung von Höhen (zum Beispiel eines Turmes), Entfernungen (zum Beispiel zwischen zwei Flussufern), verschiedener Flächen oder dem Inhalt geometrischer Figuren. Es ist fast immer eine Beschreibung von Messinstrumenten enthalten. Ergänzend kommen in einigen Abhandlungen auch Einführungen in das Rechnen mit Brüchen, unter anderem in Sexagesimalschreibweise, Verzeichnisse regionaler Maße oder Bemerkungen zur

10 11 12 13

Zum Vergleich habe ich die Edition [Campanus 2005] herangezogen. Vergleiche Visiertextsammlung Text A, cap. I (S. 229), und Dominicus de Clavasio, Practica Geometriae, Buch II.26. Siehe [Busard 1965, 567]. [Victor 1979, 42–54]. Für eine detaillierte Betrachtung zum Status der „Praktischen Geometrie“ siehe zum Beispiel [Axworthy 2016, 249–253]. [Victor 1979, 10].

74

5 Mathematik für das Fass

Astronomie hinzu.14 Der Charakter der Schriften änderte sich jedoch: Während in den frühen Schriften die Messung mit Instrumenten im Vordergrund stand, waren spätere Texte zunehmend von Beweisen geprägt und mit einer vollständig theoretischen Basis unterlegt. Trennende Kriterien aus mittelalterlichen Schriften über Klassifizierungen der Wissenschaften lassen sich angesichts zunehmender Axiomatisierung der Schriften kaum noch aufrecht erhalten.15

5.2.2 Praktische Geometrien in der Visiertextsammlung Die Tradition der praktischen Geometrien spiegelt sich auch in der Visiertextsammlung wider. Zum Beispiel haben Dominicus de Clavasio mit seiner Schrift über praktische Geometrie und Boethius (um 480/485–524/526) zugedachte Schriften die Visiertexte geprägt. Ich gehe zunächst auf Dominicus de Clavasio ein, dessen Namenszuschreibung zwar nicht eindeutig ist, aber aus dessen Schrift ein wörtliches Zitat identifiziert werden kann. Im zweiten Teil dieses Abschnittes diskutiere ich Verweise auf Boethius. Es ist ein charakteristisches Merkmal der Messmethode mit der virga plana, dass sie unabhängig vom Grundmaß verwendet werden kann. Für die Konstruktion der Visierrute schlagen die Verfasser des Textes zwar ein Grundmaß vor, nämlich eine Handbreit, jedoch sei eine Visierrute für alle gängigen Maße (famose quantitates) konstruierbar. Je nach betrachteter Handschrift verweist die Visiertextsammlung für einen Beleg auf eine geometrische Schrift eines Dominicus pisiensis16 oder Dominicus parisiensis.17 Als solcher, nämlich Dominicus Parisiensis, wird Dominicus de Clavasio in Abschriften seiner Practica Geometriae bezeichnet.18 Die Practica Geometriae von 1346 war wohl der am weitesten verbreitete Text des Dominicus de Clavasio.19 Die Schrift erläutert in drei Büchern die Bestimmung von Abständen, Flächen und Volumina. Das dritte Buch endet mit Ausführungen zum Fassungsvermögen verschiedener geometrischer Figuren, eines Brunnens und eines vollen sowie eines teilweise gefüllten Fasses.20 Dass die Practica Geometriae des Dominicus de Clavasio die Visiertextsammlung geprägt hat, bestätigt ein wörtliches Zitat, nämlich die oben angeführte Textstelle zum beliebig wählbaren Grundmaß. Sie ist fast wortgleich aus der Schrift des Dominicus de Clavasio übernommen. Die „gängigen Maße“ sind dabei diejenigen, die von vielen Personen genutzt werden. Dominicus de Clavasio nennt vor allem Längen-

14 15 16 17 18 19 20

[Victor 1979, 31]. [Victor 1979, 54–73]. Handschriften Paris und Perugia. Siehe Visiertextsammlung Text A, cap. I (S. 229). Handschrift New York I, fol. 189v. Ebenso begegnet man der Lesart (Dominicus) perisiensis. [Busard 1965, 520, 575]. Eine Edition bietet [Busard 1965]. Zu Leben und Werk siehe [Kren 2008] und [Folkerts 1986a]. [Busard 1965, 568–575].

5.2 Schriften der praktischen Geometrie

75

einheiten wie Handbreit, Fuß, Stadium und andere.21 Für die Visiertextsammlung bedeutet der Befund, dass die Anleitungen zur Erstellung von Visierruten und ihren Skalen nicht allein aus der Anschauung heraus zu erklären sind. Gewiss ist eine Handbreit ein taugliches Grundmaß, mit dem sich Visierruten der benötigten Längen passend zu geläufigen Fassgrößen herstellen lassen. Zugleich zeigt die Textstelle über die „gängigen Maße“, dass die Visiertextsammlung mit einer verbreiteten Texttradition im Einklang steht. Die Verfasser der Visiertextsammlung beriefen sich auf einen bewährten Text, der gelehrten Lesern aus dem universitären Studium bekannt war. Auch ist bemerkenswert, dass sich der Abschnitt über Fassmessung aus der Practica Geometriae des Dominicus de Clavasio nicht in expliziter Form in der Visiertextsammlung widerspiegelt. Zwar ist der Textsammlung und der Practica Geometriae gemeinsam, dass die Messmethode auf der Näherung eines Fasses durch einen Zylinder beruht, doch handelt es sich bei den Texten der Visiertextsammlung um unabhängige, neue Schriften. Daraus lassen sich Bemerkungen für den Umgang der Verfasser der Visiertextsammlung mit schriftlichen Vorlagen ableiten: Womöglich konnten sie sich nicht auf den Fassmessungsteil des Dominicus de Clavasio beziehen, weil ihnen keine vollständige Textfassung aller drei Bücher vorlag, oder sie grenzten sich bewusst von der Practica Geometriae ab, vielleicht weil dieser Text die Anforderungen der Messpraxis bei weitem nicht erfüllte. Zum Beispiel findet man keine Anleitung, wie man detaillierte Messskalen erstellt. Die Visiertextsammlung verweist auf eine weitere Schrift über Geometrie, nämlich eine Boethius zugeschriebene Abhandlung.22 Boethius begegnet dem Leser der Visiertextsammlung an zwei Stellen namentlich. Bei der für die virga plana und die virga scripta vorgestellten Methode zur Inhaltsbestimmung eines teilweise gefüllten Fasses wird die Fläche des Fassquerschnittes berechnet. Um die Fläche des Kreisstückes zu bestimmen, muss man den Flächeninhalt eines rechtwinkligen Dreiecks kennen. Die Visiertextsammlung verweist für die Flächenberechnung von Dreiecken auf eine Geometria practica des Boethius.23 Eine weitere Referenz auf Boethius, allerdings ohne Erwähnung eines Werktitels, findet man im Kommentar zum Text über die virga plana und virga scripta.24 Da ich den Kommentar in dieser Arbeit jedoch nicht betrachte, kommentiere ich diese Erwähnung nicht. Der Verweis auf Boethius in der Visiertextsammlung lässt sich nun nicht ohne weiteres auf eine einzelne lateinische Schrift als Vorlage zurückführen. Unter dem

21 22 23 24

Vergleiche Visiertextsammlung Text A, cap. I (S. 229): Que scilicet mensura apud omnes aut multos est usitata . . . mit [Busard 1965, 524 (fol. 61r)]. Zu Leben und Werk des Boethius, insbesondere der mathematischen Schriften, siehe [Folkerts 1983], [Gruber 1983] und [Minio-Paluello 2008]. Visiertextsammlung Text A, cap. 29 (S. 246). Siehe Visiertextsammlung, Sammlung geometrischer Sätze: Nota de circulis et diametris (S. 272). Es ist der Durchmesser eines Kreises mit Umfang 44 gesucht, der sich gemäß der Darstellung des Boethius auf 14 belaufe.

76

5 Mathematik für das Fass

Namen des Boethius sind zwei Abhandlungen über Geometrie überliefert, die man als Kompilationen geometrischer Sätze betrachten muss. Die jüngere der beiden Schriften, die sogenannte Geometria II, entstand zwischen 1000 und 1050. Sie überliefert unter anderem Euklid-Exzerpte aus den Büchern I bis IV der Elemente, einen Abschnitt über das Rechnen mit dem Abakus und über indisch-arabische Ziffern.25 Der Text wurde von den aufkommenden Euklid-Übersetzungen aus dem Arabischen schnell verdrängt und war im 13. und 14. Jahrhundert kaum bekannt. Erst Gelehrte des 15. und 16. Jahrhunderts interessierten sich wieder für den Text, den sie als von Boethius verfasst betrachteten.26 Die Visiertextsammlung lässt sich angesichts der schwierigen Überlieferungslage also mit einer Kompilation vergleichen, von der man glaubte, dass sie von Boethius stammte. In der Tat behandelt die Geometria II auch Dreiecke und zum Beispiel die Flächenberechnung eines rechtwinkligen Dreieckes.27 Die Verfasser des Textabschnittes in der Visiertextsammlung könnten also tatsächlich ein mathematisches Resultat mit einer Referenz zu Boethius belegt haben. Es ist aber weniger der Verweis auf die Berechnung von Dreiecken, die die Textstelle bemerkenswert macht, sondern die Tatsache, dass es um eine Geometria practica des Boethius geht. Diese Bezeichnung ist ungewöhnlich und wird in der Forschungsliteratur zu Boethius’ Geometrie nicht aufgegriffen. Auch wenn es um die Tradition der Texte einer „praktischen“ Geometrie oder allgemeiner einer „praktischen“ Mathematik geht, gelten die Boethius zugeschriebenen Abhandlungen eher als Musterbeispiel für beweislastige und daher eher als theoretisch einzustufende Texte.28 Allerdings lässt sich der „Geometria II“ ein gewisser praktischer Aspekt nicht absprechen, wenn man ihre Vorlagen betrachtet: Die Schriften der römischen Feldmesser, der Agrimensoren, spiegeln sich deutlich in der geometrischen Abhandlung wider.29 In diesen Schriften ging es auch um angewandte Fragen der Feldvermessung. Insofern sagt der Verweis in der Visiertextsammlung auf eine Geometria practica des Boethius weniger über die Visiertextsammlung aus, sondern spiegelt eher eine Einschätzung der Verfasser des Boethius-Textes und seiner Überlieferung wider. Womöglich lag den Verfassern der Visiertextsammlung auch eine umfangreiche Bearbeitung eines Textes mit geometrischen Inhalten vor, die auf Boethius zurückging oder ihm zugeschrieben wurde.30

25 26 27 28

29 30

Eine Edition des Textes bietet [Folkerts 1970]. Siehe auch [Folkerts 1968] und [Gruber 2010, 162–163, 166–167]. [Folkerts 1981, 208]. [Folkerts 1970, 100–101; 148–159, Z. 579–97, 649–652, 692–704]. Zum Beispiel hat [Victor 1979] die Geometrie des Boethius nicht in seinen Kanon an Schriften zur praktischen Geometrie aufgenommen; [Zenner 2002] untersucht, inwiefern Geometrie gemäß Boethius als Vorlage für Baumeister von Kirchen einflussreich gewesen sein könnte. Gemäß [Victor 1979, 5–6] gehen die Schriften über praktische Geometrie sogar im allgemeinen auf die Traktate der Agrimensoren zurück. Eine Edition von anonymen Euklid-Bearbeitungen, die vor allem Mischformen aus der Tradition nach Boethius und Adelard von Bath (um 1070–1160) belegen, bietet [Folkerts 1971].

5.3 Traditionelle Zahlenverhältnisse

77

5.3 T RADITIONELLE Z AHLENVERHÄLTNISSE In der Visiertextsammlung spiegeln sich nicht nur zeitgenössische Konzepte der Geometrie, sondern auch traditionelle Bezeichnungen von Zahlen und ihren Verhältnissen zueinander. Es fallen Begriffe wie multiplices, superparticulares oder superpartientes. Hinter diesen Bezeichnungen steht ein bekanntes zahlentheoretisches Konzept.

5.3.1 Fünf Arten von Zahlenverhältnissen In zahlreichen zeitgenössischen Texten über Mathematik und Zahlen fand die Rede von multiplices und superparticulares Eingang. Gemeint sind bestimmte Zahlen beziehungsweise ihre Verhältnisse zueinander. Dieses Konzept lässt sich mindestens bis auf die um 500 n. Chr. verfasste und Boethius zugeschriebene Schrift De institutione arithmetica zurückführen, die ihrerseits auf der Einführung in die Arithmetik des Nikomachos von Gerasa (1./2. Jh.) beruhte.31 Es handelte sich um einen weit verbreiteten Text, der mit den anderen Schriften des Boethius zu Geometrie und Musik als einer der maßgeblichen Texte der Fächer im Quadrivium galt.32 Dem Studium der Arithmetik kam gemäß Boethius im Vergleich zu den anderen Fächern des Quadriviums eine prioritäre Rolle zu. Die Einführung in die Arithmetik in zwei Büchern beginnt mit einer Definition von Zahl und betrachtet Eigenschaften der Zahlen wie gerade und ungerade. Es geht unter anderem um Primzahlen, Polygonalzahlen, Proportionen und verschiedene Typen von Mittelwerten.33 Zu den Eigenschaften der Zahlen gehört unter anderem, dass sie beim Vergleich mit einer anderen Zahl anhand von fünf verschiedenen Arten von Verhältnissen klassifiziert werden können.34 Es seien n, a ∈ N gegeben. 1. Eine Zahl n heißt multiplex im Verhältnis zu einer Zahl a, wenn n ein ganzzahliges Vielfaches von a ist.35 Beispiele: 2 steht zu 1 im doppelten Verhältnis (duplus); 6 steht zu 2 im dreifachen Verhältnis (triplus).

31

32 33 34 35

Der Text wurde mehrfach ediert, zum Beispiel in [Boethius 1999], [Boethius 2002] oder [Boethius 2007]; für eine englische Übersetzung siehe [Masi 1983]. Ein übersichtliches Werkverzeichnis bietet [Marenbon 2009, 303–310]. Eine Bibliographie bis 1998 hat [Gruber 1997, 343–347] vorgelegt. [Folkerts 1983] und [Guillaumin 2012]. Zu den Handschriften der Boethius-Texte siehe zum Beispiel [Gibson 1995] und weitere Bände aus der Reihe der Codices Boethiani. Für eine Inhaltsübersicht siehe [Marenbon 2003, 14–15] und [Guillaumin 2012, 143–153]. [Guillaumin 2012, 145–146] führt die Bezeichnungen der „Ungleichheiten“ unter den Zahlen auf griechische Terminologie zurück. Boethius, Arithm. I, 23: [Boethius 2002, 47–50], [Boethius 1999, 56–57], [Masi 1983, 101–103].

78

5 Mathematik für das Fass

2. Man nennt eine Zahl n superparticularis im Verhältnis zur Zahl a, wenn n die Summe von a und einem Bruchteil von a ist.36 Beispiele: 3 steht zu 2 im anderthalbfachen Verhältnis (sesqualter), denn 3 ist die Summe von 2 und der Hälfte von 2. Es steht 4 zu 3 im vielfachen Verhältnis sesquitertius, denn 4 ist die Summe von 3 und einem Viertel von 4. 3. Ein Zahl n heißt superpartiens im Verhältnis zu einer Zahl a, wenn n die Summe von a und einem vielfachen Teil von a ist.37 Beispiele: 5 steht zu 3 im Verhältnis superbipartiens, denn 5 ist die Summe von 3 und zwei Dritteln von 3. Es steht 7 zu 4 im Verhältnis supertripartiens, denn 7 ist die Summe von 4 und 3 Vierteln von 4. 4. Man nennt eine Zahl n multiplex superparticularis im Verhältnis zu einer Zahl a, wenn n die Summe von einem Vielfachen von a und einem Bruchteil von a ist.38 Beispiele: 5 steht zu 2 im Verhältnis duplex sesqualter, denn 5 ist die Summe aus dem Doppelten von 2 und der Hälfte von 2. Es steht 7 zu 2 im Verhältnis triplex sesqualter, denn 7 ist die Summe aus dem Dreifachen von 2 und der Hälfte von 2. 5. Eine Zahl n heißt multiplex superpartiens im Verhältnis zu einer Zahl a, wenn n die Summe von einem Vielfachen von a und einem vielfachen Teil von a ist.39 Beispiel: 8 steht zu 3 im Verhältnis duplex superbipartiens, denn 8 ist die Summe aus dem Doppelten von 3 und zwei Dritteln von 3.

Diese Darstellung betrachtet die Zahlenverhältnisse von der größeren der beiden Zahlen aus.40 Aus der Perspektive der kleineren Zahl ergänzt man die Namen der Proportionen mit der Vorsilbe -sub. Es steht daher zum Beispiel eine Zahl a im Verhältnis submultiplex zu einer Zahl n, wenn eine mehrfache Addition von a die Zahl n ergibt, das heißt zum Beispiel ist 2 submultiplex zu 6. Die Abhandlung De institutione arithmetica erläutert nicht nur die Definitionen dieser Zahlverhältnisse mit einigen Beispielen, sondern geht auch darauf ein, wie man jeweilige Zahlenpaare systematisch findet.41 Dieses Konzept, Zahlen gemäß ihrer gegenseitigen Verhältnisse zu charakterisieren, prägte zahlreiche Schriften bis mindestens ins 16. Jahrhundert, wie zum Beispiel die Einführungen in die Arithmetik des Jordanus Nemorarius, Johannes de Muris und ebenso mehrere anonyme Schriften.42

36 37 38 39 40

Boethius, Arithm. I, 24: [Boethius 2002, 50–52], [Boethius 1999, 60–63], [Masi 1983, 103–104]. Boethius, Arithm. I, 28: [Boethius 2002, 58–61], [Boethius 1999, 70–73], [Masi 1983, 108–110]. Boethius, Arithm. I, 29: [Boethius 2002, 61–64], [Boethius 1999, 73–77], [Masi 1983, 110–113]. Boethius, Arithm. I, 31: [Boethius 2002, 65–66], [Boethius 1999, 78–79], [Masi 1983, 113]. [Boethius 2002, 66, Anm. 199] erläutert, dass sich die vielfältigen Formen der Zahlenverhältnisse auf jeweils einfache Formeln zurückführen lassen. Eine Zahl n ∈ N steht in einem der genannten Zahlenverhältnisse zu einer Zahl a ∈ N mit a < n, wenn es geeigq+1 nete Zahlen m, p, q ∈ N gibt, so dass: superparticularis: n = a + q1 a = a q , superpartiens: p

q+p q , multiplex superparticularis: n p mq+p = ma + q a = a q .

n=a+ q a=a tiens: n 41 42

= ma + q1 a = a

mq+1 q , multiplex superpar-

[Masi 1983, 101–118], [Taylor 1816, 34–55], [Masi 1981b, 268] und [Moyer 2012, 482]. [Masi 1981a, 82–89] und [Lafleur und Carrier 1997, 513–516].

5.3 Traditionelle Zahlenverhältnisse

79

In der Musiktheorie entwickelten Verfasser die Lehre von Intervallen und harmonischen Klängen auf Grundlage dieser Zahlenverhältnisse.43 Ebenso begegneten die Leser von sogenannten Algorismus-Schriften oder Texten zur praktischen Geometrie den multiplices und ihren Geschwistern: Während ein gewisser Meister Gernardus (wohl 13. Jh.) in seinem Algorismus de integris und dem Algorismus de minutiis allein auf (sub-)multiplices einging44 , griff Dominicus de Clavasio zu Beginn seiner Practica Geometriae die traditionellen Zahlenverhältnisse über längere Abschnitte auf: Die multiplices, superparticulares und superparcientes geben nicht nur die Struktur der ersten Abschnitte des ersten Buches vor, sondern werden außerdem in die Sprache der Bruchrechnung übertragen. Als Beispiel für Zahlen der Familie superparticulares betrachtete Dominicus de Clavasio das Verhältnis von 9 zu 6 (sesquialter) und fasste es als gemischten Bruch „Eins und ein Halb“ auf.45 Man findet bis ins 16. Jahrhundert Schriften, die Aspekte der von Boethius zur Verfügung gestellten Zahlentheorie aufgreifen, wie zum Beispiel die 1501 veröffentlichte Abhandlung Liber de triplici motu des Alvarus Thomas (15./16. Jh.).46 Die wohl anschaulichste Vermittlung der Zahlenverhältnisse trifft man schließlich im mittelalterlichen Brettspiel Rithmomachia an. Im „Kampf der Zahlen“ traten zwei Spieler gegeneinander an und versuchten, sich gegenseitig mit multiplices, superparticulares und superpartientes zu übertrumpfen. Es gewann, wer als erster mit einer bestimmten Anzahl von Spielsteinen in einer Reihe bestimmte Mittelwerte legen konnte.47

5.3.2 Zahlenverhältnisse in der Visiertextsammlung Die Verfasser der Visiertextsammlung greifen mit den superparticulares und ihren Geschwistern ein weit verbreitetes Konzept auf, das die akademische Literatur stark geprägt hat und im Rahmen des Quadriviums von allen Studenten ausführlich studiert wurde. Die Zahlenverhältnisse begegnen dem Leser im Text über die virga plana und der virga scripta bei der Konstruktion der Tiefenskala, mit der die Bodenfläche des Fasses gemessen wurde. Im Detail greifen die Verfasser multiplices und superparticulares auf, während die Zahlenverhältnisse der submultiplices und superpartientes nur am Rande erwähnt werden.48

43 44 45 46

47 48

[Masi 1983, 23–30]. [Eneström 1912–1913, 293] und [Eneström 1913–1914, 102]. [Busard 1965, 525]. [Trzeciok 2016a, 129, 156–164] und [Trzeciok 2016b, 15]. Weitere Beispiele nennt [Masi 1983, 51–57], darunter Luca Pacioli, Jacques Lefèvre d’Étaples (1450/1455–1536), Heinrich Glarean (1488–1563), Giorgio Valla und andere. [Breidert 1995], [Guillaumin 2012, 159–160], [Folkerts, Knobloch und Reich 1989, 331–344] oder [Moyer 2001]. Visiertextsammlung Text A, cap. VI (S. 234).

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5 Mathematik für das Fass

Es sind vor allem die ganzzahligen Vielfachen auf der Tiefenskala, die multiplices, die sich geometrisch konstruieren lassen.49 Im nächsten Schritt bei der Skalenerstellung geht es darum, die Markierungen für halbe Zwischenwerte mit einem arithmetischen Verfahren zu bestimmen, die in der Visiertextsammlung als superparticulares aufgefasst werden. Im Vergleich zur oben angeführten klassischen Definition wird damit die Definition der superparticulares verengt. In der Visiertextsammlung sind halbe Werte gemeint, die zwischen den ganzzahligen Vielfachen liegen, die aber nicht im engeren Sinne der Definition der superparticulares entsprechen. Eine solche Verengung deutete sich zum Beispiel bereits in der Practica Geometriae des Dominicus de Clavasio an, der die superpartikularen Zahlen als anderthalbfaches Zahlenverhältnis illustrierte. Die Visiertextsammlung folgt dieser Verengung und spiegelt deshalb eine schrittweise Veränderung mathematischer Konzepte wider.

5.4 E IN „A LGORISMUS DE MINUTIIS “ Neben Spuren einer abstrakten Zahlentheorie findet man in der Visiertextsammlung Hinweise auf praktische Rechenverfahren. Auf Rechenverfahren mit arabischen Ziffern gingen in der zeitgenössischen Literatur zum Beispiel die sogenannten Algorismus-Texte ein. Der Name leitet sich vom arabischen Verfasser al-Hw¯arizm¯ı (um 780–835/850) her, auf den man die neuen Rechenmethoden (im˘Gegensatz zum Rechnen mit dem Abakus) zurückführte.50 Den Anknüpfungspunkt bietet die Visiertextsammlung erneut im ersten Text über die virga plana und die virga scripta, in dem man neben einer geometrischen Konstruktion der Tiefenskala eine Anleitung für ein auf Wurzeln beruhendes arithmetisches Verfahren findet. Die Kenntnis darüber, wie man eine Quadratwurzel aus einer Zahl zieht, setzen die Verfasser voraus und verweisen nur kurz darauf, dass man eine solche Methode am Ende eines (logismus/Algorismus) de minutiis finde.51 Einen ähnlichen Hinweis auf einen tractatus de minutiis gibt die Visiertextsammlung, wenn es um die Beschriftung der Inhaltsskalen für die virga scripta geht: Gegen Ende eines tractatus de minutiis werde erläutert, wie man aus drei bekannten Zahlen einen vierten unbekannten Wert berechne. Mit dieser Methode sei es außerdem möglich, Zahlentafeln zu erstellen.52 Ein Blick auf die Überlieferung der Algorismus-Texte zeigt wie schon in den vorangegangenen Kapiteln, dass die Visiertextsammlung lange bestehende Traditionen aufgreift.

49 50 51

52

Visiertextsammlung Text A, cap. IIII (S. 230). [Folkerts und Neuenschwander 1995]. Visiertextsammlung Text A, cap. VI (S. 234). In anderen Handschriften fehlt die Bezeichnung als tractatus oder algorismus, wie zum Beispiel in der Handschrift New York II, fol. 208r (ut docetur in fine de minutiis). Visiertextsammlung Text A, cap. VIII (S. 236).

5.4 Ein Algorismus de minutiis

81

5.4.1 Algorismus-Texte über Bruchrechnung Sogenannte Algorismus-Schriften entstanden vor allem im Zeitraum vom 13. bis 15. Jahrhundert. In diesen und verwandten Texten wurden unter anderem die indisch-arabischen Ziffern eingeführt und die Grundrechenarten erläutert. Neben der Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division galten ebenso Halbieren und Verdoppeln als eigenständige Operationen. Einige Schriften stellten auch Verfahren zum Wurzelziehen und einfache arithmetische und geometrische Folgen vor. Im lateinisch-sprachigen Umfeld trafen diese Methoden zum Beispiel auf das verbreitete Verfahren, Rechnungen mit einem Abakus und Rechensteinen auszuführen. Zunächst waren Algorismus-Schriften in Klöstern verbreitet, erreichten aber ab dem 13. Jahrhundert auch den Unterricht für Arithmetik an den artes-Fakultäten der Universitäten.53 Unter den Algorismus-Texten findet man einige Abhandlungen, die sich dem Umgang mit Sexagesimalbrüchen widmen, zum Beispiel ein Algorismus de minutiis des Meister Gernardus oder der Algorismus de minutiis des Johannes de Lineriis(1. Hälfte 14. Jh.).54 Die Sexagesimalbrüche beruhen auf der Teilung eines Ganzen in Sechzigstel und eines Sechzigstels in weitere Sechzigstel; die Brüche heißen Minuten (minuta), Sekunden (secunda) und so weiter. Entsprechende Rechnungen werden zur Basis 60 ausgeführt. Man fand eine gängige Kurzschreibweise, die sich auch in der Visiertextsammlung widerspiegelt, zum Beispiel steht 50 2500 für 5 Minuten 25 Sekunden.55 Das Rechnen mit Sexagesimalbrüchen ist für astronomische Berechnungen grundlegend und wird in Handbüchern wie zum Beispiel dem Almagest des Ptolemaeus (um 100 – nach 160) als gängiges Verfahren benutzt.56 Ob einer dieser Texte den Autoren der Visiertextsammlung vorgelegen haben könnte, ist angesichts der ersten, ungenauen Angabe aus der Visiertextsammlung über ein Quadratwurzelverfahren schwer zu überprüfen. Die meisten Algorismus-Texte kommen zuletzt auch auf Wurzelrechnung zu sprechen. Während die Algorismus-Schriften aus dem 12. Jahrhundert nur Verfahren für die Berechnung von Quadratwurzeln angeben, findet man ab dem 13. Jahrhundert auch Verfahren zur Berechnung von Kubikwurzeln.57

53

54

55 56 57

[Folkerts und Neuenschwander 1995]. Auf den Einträgen der Handschriftendatenbank „Jordanus“ beruht das Verzeichnis von Algorismus-Handschriften im Anhang bei [Ambrosetti 2008, Allegato 2]. Die Datenbank ist online verfügbar unter http://jordanus.badw.de/ (besucht am 12.02.2018). Siehe [Eneström 1913–1914] und [Busard 1968]. Weitere Titel zu (Sexagesimal-)Brüchen nennen [Busard 1998, 74–78] und [Clagett 1941, 145–150], darunter (1) die beiden Jordanus Nemorarius zugeschriebenen Texte Tractatus minutiarum und sogenannte Demonstratio de minutiis, siehe [Eneström 1907–1908] und [Eneström 1906–1907], und (2) der Tractatus de minutiis (physicis) des Johannes von Gmunden, siehe [Folkerts 2006]. Man führt zum Beispiel: 50 2500 34000 410000 , in dem jede kleinere Einheit erneut durch 60 geteilt wird. Siehe Visiertextsammlung, Sammlung geometrischer Sätze: Nota de circulis et diametris. [Ptolemaeus 1984, 7]. [Busard 1998, 82].

82

5 Mathematik für das Fass

5.4.2 Johannes de Lineriis’ Algorismus de minutiis Ein strengeres Kriterium ermöglicht der Hinweis in der Visiertextsammlung, dass am Ende eines tractatus de minutiis ein Verfahren über proportionabilia behandelt werde. Man wird zum Beispiel im Algorismus de minutiis des Johannes de Lineriis fündig: Im Anschluss an die Betrachtung der Quadrat- und Kubikwurzeln folgt eine Darstellung, wie man aus drei bekannten Größen einen vierten, proportionalen Wert berechnen kann.58 Dieser Ansatz ist auch für die Visiertextsammlung von Bedeutung, die die Länge eines Fasses aus seinem Inhalt, seiner Tiefe und der Zahl 8 berechnen will.59 Bei Johannes de Lineriis’ Algorismus de minutiis handelt es sich um einen recht verbreiteten Text, der um 1320 entstanden sein dürfte. In der Forschungsliteratur ist die Titelbezeichnung nicht eindeutig: neben einem Algorismus de minutiis ist ebenso von einem Tractatus de minutiis die Rede. Der Algorismus de minutiis des Johannes de Lineriis hat spätere Algorismus-Texte geprägt.60 Der Algorismus de minutiis des Johannes de Lineriis ist wegen seiner großen Verbreitung, der beiden Titelvarianten der Schrift, wegen der Erläuterungen zu Quadratwurzeln und Berechnungen einer Unbekannten aus drei gegebenen Werten ein womöglich zentraler Text für die Visiertextsammlung. Es lassen sich auch sprachliche Ähnlichkeiten im Algorismus de minutiis des Johannes de Lineriis und in der Visiertextsammlung ausmachen, zum Beispiel in der Terminologie von numerator (Zähler) und denominator (Nenner).61 Trotz aller Argumente, die einen Einfluss von Johannes de Lineriis’ Schrift auf die Visiertextsammlung plausibel machen, bleiben offene Fragen. Der eher allgemeine Hinweis in der Visiertextsammlung auf eine theoretische Abhandlung über Brüche fällt so knapp aus, dass er ebenso als rhetorisches Mittel gewertet werden könnte. Es geht darum, p die Wurzel aus der Zahl 288 zu ziehen, die kommentarlos näherungsweise als 288 ≈ 17 angegeben wird. Ob für eine solche Rechnung tatsächlich ein kompliziertes Wurzelverfahren gebraucht wurde,62 ob man die Lösung durch Ausprobieren oder mithilfe einer großen Multiplikationstafel fand, lässt sich letztlich nicht entscheiden. Und schließlich findet man Verfahren, aus drei bekannten Zahlen eine vierte Unbekannte zu berechnen, ebenso in anderen Schriften.63

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62 63

[Busard 1968, 36]. Visiertextsammlung Text A, cap. VIII (S. 236). Für Leben und Werk sowie zur Diskussion um den Namen „Johannes de Lineriis“ siehe [Clagett 1941, 148, Anm. 24], [Busard 1968, 9–13], [Poulle 1991], [Poulle 2008b] und [D. E. Smith 1908, 13–15]. Zur Nachwirkung des Werkes siehe [Busard 1998, 77]. Alternativen in der Terminologie führen [Tropfke 1980, 118–119] an. Es lassen sich andere ähnliche Ausdrücke finden, zum Beispiel reducere ad eandem denominacionem (Johannes de Lineriis: [Busard 1968, 28], Visiertextsammlung Text A, cap. VIII, S. 236). [Tropfke 1980, 287–289] führen ein Verfahren des Apian im Detail vor. [Busard 1965, 540, Supposicio quarta]. Auch im Vergleich mit dieser Schrift ließen sich Gemeinsamkeiten des mathematischen Fachvokabulars anführen.

5.5 Astronomisches Handwerkszeug

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5.5 A STRONOMISCHES H ANDWERKSZEUG Die Visiertextsammlung schließt nicht nur an Themen an, die man im Rahmen des Quadriviums in den Bereichen von Geometrie und Arithmetik verortete. Es lassen sich ebenso Elemente finden, die eher der Astronomie und ihren Einführungswerken zuzuordnen sind.

5.5.1 Aus dem Almagest des Ptolemaeus Im Text über die virga plana und virga scripta findet man einen Abschnitt über die Inhaltsbestimmung teilweise gefüllter Fässer, in dem der Querschnitt eines teilweise gefüllten Fasses betrachtet wird.64 Im Rahmen dieser Rechnungen ist es nötig, Strecken und Flächen im Kreis in gegenseitige Verhältnisse zu setzen. Man trifft an dieser Stelle in der Visiertextsammlung auf ein Zitat aus dem Almagest des Ptolemaeus, in dem gesagt wird, dass sich ein Kreis zu einem Kreisbogen wie die Kreisfläche zur Fläche des von dem Bogen überspannten Sektors verhält.65 Dieses Zitat ist einem der bekanntesten Texte über Astronomie entnommen. Der sogenannte Almagest des Claudius Ptolemaeus entstand um 140 n. Chr. und beschäftigt sich in 13 Büchern mit der Himmelskunde.66 Es handelte sich um ein sehr weit verbreitetes Lehrbuch, das an Euklids Elemente und wenige astronomische Grundbegriffe anknüpfte. Es wurden zahlreiche Übersetzungen und Kommentare gefertigt. Das Zitat in der Visiertextsammlung ist dem sechsten Buch des Almagest in der Übersetzung des Gerhard von Cremona (um 1114–1187) entnommen, in dem es um Finsternisse geht.67 Man findet eine ausführliche Erläuterung, wie man umfangreiche Zahlentafeln erstellen kann, um Sonnen- und Mondfinsternisse zu berechnen. Im Laufe der Rechnung wird das Resultat eingeflochten, das auch die Visiertextsammlung benötigt.68 Die Visiertextsammlung ist nicht der einzige Text mathematischen Charakters, in dem der Verfasser eine Textstelle aus Ptolemaeus’ Almagest aufnimmt. Auch in Campanus’ Elemente-Bearbeitung69 oder in der Practica Geometriae des Dominicus de Clavasio begegnet man Verweisen auf das astronomische Handbuch.70

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Visiertextsammlung Text A, cap. XXVIIII (S. 246). Visiertextsammlung Text A, cap. XXVIIII (S. 246). [Toomer 2008c], [Kunitzsch 1980], [Schmeidler 1995] und [O. Pedersen 2011]. Visiertextsammlung Text A, cap. XXVIIII (S. 246): „Ut vult ptolomeus in almagesti [. . . ] ad superficiem.“ Zum Vergleich siehe [Almagestum Ptolemaei 1515, fol. 68, Z. 44–45]. Mit der Übersetzung des Gerhard von Cremona und den Texten aus der arabischen Tradition beschäftigt sich [Kunitzsch 1974]. [Ptolemaeus 1963, 387] oder [Ptolemaeus 1984, 304]. Campanus XIII.9 verweist auf Buch I.9 des Almagest. Siehe [Campanus 2005, 469, Z.306–307]. In einer der Handschriften, die die Practica Geometriae des Dominicus de Clavasio überliefern, findet man eine Notiz, die auf Buch VI.7 des Almagest verweist. Siehe [Busard 1965, 557, Anm. 233].

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5 Mathematik für das Fass

Sogar die gleiche Textstelle wie in der Visiertextsammlung liefert ein anderer, anonym überlieferter Text über Geometrie aus dem 15. Jahrhundert als vollständiges Zitat: Der Verfasser der Schrift De inquisitione capacitatis figurarum berechnete mithilfe des geometrischen Resultates die Fläche eines Kreissektors.71 Ein solcher Umgang mit dem Text des Almagest überrascht nicht, wenn man sich vor Augen führt, dass das umfangreiche Handbuch in der Regel nicht von der ersten bis zur letzten Seite studiert wurde. Die Mehrheit der Astronomen hatte wohl keine vollständige Version des Almagest vorliegen und auch keinen Zugang zu einer solchen in einer Bibliothek. Da aber Astronomie als eine der sieben artes liberales an den Universitäten gelehrt wurde und eine Prüfung notwendig war, um zu den höheren Fakultäten für Medizin, Recht oder Theologie zugelassen zu werden, dürfte man auf vereinfachte Handbücher für den Lehrbetrieb zurückgegriffen haben. Fortgeschrittene Studenten dürften Zusammenfassungen des Almagest studiert haben, wie zum Beispiel Almagestum parvum oder Almagestum minoris libri VI, die in der Übersetzung des Gerhard von Cremona vorlagen. Es handelte sich dabei um eine Einleitung zu den eher mathematischen Abschnitten des Almagest.72 Der in der Visiertextsammlung zitierte Satz, der sich wie ein allgemeiner Lehrsatz liest und daher leicht in andere Zusammenhänge eingebettet werden kann, könnte aus einem solchen astronomischen Kurzlehrbuch stammen. Auch andere Texte über Mathematik, wie zum Beispiel die oben genannte, anonyme geometrische Schrift oder die Geometrie des Dominicus de Clavasio kommen als vermittelnde Texte in Frage.

5.5.2 Strecken am Kreis: sinus rectus und sinus versus Die Visiertextsammlung ist von trigonometrischen Grundbegriffen geprägt. Vor allem bei der Inhaltsbestimmung teilweise gefüllter Fässer sind bestimmte Strecken am Kreis (sinus rectus, sinus versus und sagitta) unverzichtbar. Zur Entstehungszeit der Visiertextsammlung wurden diese Konzepte als Grundlagen der Astronomie gelehrt, um Berechnungen zur Bewegung der Himmelskörper genau auszuführen. Die Bezeichnung „Trigonometrie“ muss an dieser Stelle für den historischen Kontext mit großer Vorsicht gewählt werden, da sie erst im 16. Jahrhundert auftauchte und die Auffassung widerspiegelt, dass es vor allem um die Beschäftigung mit ebenen Dreiecken, ihren Seiten, Winkeln und deren Verhältnissen gehe.73 Für Berechnungen in der Astronomie wäre diese Beschreibung zu eng gefasst: Es gehen nicht nur Sätze zu ebenen Dreiecken, sondern ebenso sphärische Geometrie auf einer Kugel oder am Kreis in die Überlegungen ein.74

71 72 73 74

[Curtze 1898, 38]. Dieser Absatz greift Ergebnisse von [O. Pedersen 2011, 18] auf. Siehe auch [Pereira 1978]. [Van Brummelen 2009, 9–19], [Folkerts 2006, 74] und [Folkerts 1983]. Für historische Betrachungen zu trigonometrischen Themen siehe [J. D. Bond 1921], [Braunmühl 1900–1903, Bd. 1] und [Van Brummelen 2009].

5.5 Astronomisches Handwerkszeug

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Vor allem für die Herleitung der Skala auf der virga trigona sind Strecken am Kreis und die zugehörigen geometrischen Sätze unverzichtbar.75 In der Visiertextsammlung werden dabei die Fachbegriffe sagitta, sinus rectus und sinus versus nicht eingeführt, sondern als bekannt vorausgesetzt. Der sinus rectus und sinus versus werden jedoch sofort anschaulich, wenn man ihre Definitionen am Kreis betrachtet, zum Beispiel anhand einer Skizze aus der Visiertextsammlung (Abb. 4.7). Es sei der Kreis b f d g mit dem Durchmesser (diameter) bd und Mittelpunkt h gegeben. Die Strecke f cg ist eine Kreissehne (corda), über der sich ein Kreisbogen f d g (arcus) spannt. Der sinus rectus entspricht der Hälfte der Sehne, also der Strecke f c oder cg , während der sinus versus durch die Strecke cd gegeben ist. Eine andere Bezeichnung für den sinus versus ist sagitta, also „Pfeil“. Dieser Begriff ist sehr anschaulich, wenn man an Pfeil und Bogen denkt und diese Vorstellung auf den Kreisbogen f d g als Bogen und die Höhe cd desselben Kreisstückes als Pfeil überträgt. Bereits diese Skizze belegt, dass die Visiertextsammlung sich auch hier in bestehende Traditionen einbetten lässt. Man findet diese Skizze nicht nur in der Visiertextsammlung, wo sie den Querschnitt eines teilweise gefüllten, liegenden Fasses darstellt. Vielmehr ist sie gängiger Bestandteil geometrischer Texte:76 Dominicus de Clavasio erklärt den sinus rectus mit einer ähnlichen Zeichnung.77 Eine vergleichbare Skizze findet man ebenso im Liber embadorum in der Übersetzung des Plato von Tivoli (1. Hälfte 12. Jh.),78 in der Practica geometriae des Leonardo Mainardi79 oder in vereinfachter Form zu Beginn der anonymen Abhandlung De inquisicione capacitatis figurarum.80 Die Geschichte des sinus rectus und anderer Strecken am Kreis reicht jedoch viel weiter zurück.81 Sie liest sich vor allem als eine Geschichte von Zahlentafeln und solcher Texte, die in die Erstellung und den Gebrauch von Zahlentafeln einführen. Zum Beispiel findet man in Ptolemaeus’ Almagest voll ausgebildete Methoden, um Sehnen am Kreis und damit Kreisbögen zu berechnen.82 Einzelne Rechenwerte sind in Zahlentafeln zusammengefasst, die bis auf zwei Stellen im Sexagesimalsystem genau angeben sind.83 Die Abhandlung bietet außerdem eine Darstellung der mathematischen Grundlagen, um die Sehnentafel zu berechnen.84

75 76 77 78 79 80 81 82 83

84

Visiertextsammlung Text C über die virga trigona. Wie man anhand ähnlicher Zeichnungen bestimmte Kreissehnen elementargeometrisch berechnen kann, führt [Van Brummelen 2009, 72–74] vor. Dominicus de Clavasio, Practica Geometriae, Buch II.15. Siehe [Busard 1965, 538]. [Curtze 1900, 326]. [Curtze 1902, 388]. [Curtze 1898, 36]. An dieser Stelle kann ich nur einige Beispiele nennen. Bedeutende Beiträge zu trigonometrischen Berechnungen lieferten arabische Autoren. Siehe [Van Brummelen 2009, 135–222]. [Folkerts 2006, 74]. Almagest I, 11. Die Werte werden eigentlich als Sekanstafeln angeführt. Siehe [Toomer 2008c, 188] und die detaillierten Berechnungen von [Van Brummelen 1993, 46–73]. Zur älteren Sehnentafeln siehe zum Beispiel [Toomer 1974]. [Toomer 2008c, 188].

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5 Mathematik für das Fass

Weit verbreitet und einflussreich waren die Sinustafeln, die den sogenannten Toledanischen Tafeln beigefügt waren, und die Tafeln, die Johannes de Lineriis als Teil seiner Canones tabularum primi mobilis von 1322 zur Verfügung stellte.85 Obwohl mehrere lateinische Schriften kursierten, die Methoden zur Berechnung von Tafeln vorstellten, interessierte man sich an den Universitäten eher für die Grundlagen der Astronomie gemäß Ptolemaeus und lehrte kaum technische Rechenverfahren.86 Im 15. Jahrhundert gab es umfangreiche Bemühungen, genauere Tafeln zur Verfügung zu stellen. Johannes von Gmunden berechnete für seinen Tractatus de sinibus, chordis et arcubus von 1437 neue Sinustabellen, die eine kleinere Schrittweite von 10’ betrachten.87 In seinen Vorlesungen an der Universität Wien betrachtete er ebenso die mathematischen Grundlagen, die man für astronomische Berechnungen benötigte.88 Eine wesentliche Verfeinerung der Sinustafeln legte Johannes Regiomontanus vor, da er die Tafelwerte in Minutenschrittweite angab. Seine Tafeln bildeten bis Anfang des 17. Jahrhunderts eine der wesentlichen Grundlagen für andere trigonometrische Tafelwerke.89 Als die Visiertextsammlung zusammengestellt und vervielfältigt wurde, gehörten die Konzepte von sinus rectus und sinus versus für das astronomische Rechnen nicht nur zum Standardrepertoire, sondern es standen sogar Methoden zur Verfügung, mit Strecken am Kreis sehr präzise zu rechnen. Dass ebenso die Form der Zahlentafeln die Visiertextsammlung pägte, thematisiere ich im folgenden Abschnitt.

5.6 Z AHLENTAFELN Blättert man durch die Handschriften der Visiertextsammlung, so fallen neben geometrischen Skizzen auch Zahlentafeln ins Auge, die bisweilen über mehrere Seiten lange Zahlenkolonnen liefern. In der Tat machen Zahlentafeln etwa ein Viertel der gesamten Visiertextsammlung aus. Wie sich diese Tafeln in Mathematik und Astronomie des 14. und 15. Jahrhunderts einordnen lassen und welche Funktion sie im Zusammenspiel mit den Visiertexten einnehmen, untersuche ich in diesem Abschnitt. In einzelnen Fällen lässt sich im Detail rekonstruieren, wie die Tafeln berechnet wurden. Es steht zur Debatte, ob Spezialisten (tabuliste) solche Tafeln berechnet haben.

85 86 87 88 89

Für den edierten Text siehe [Curtze 1900, 391–404]. [Folkerts 2006, 79]. Eine Anleitung zur Berechnung trigonometrischer Tafeln liefert zum Beispiel Jean Fusoris. Siehe die Edition und Erläuterungen in [Poulle 1963a, 75–80, 191–200]. [Folkerts 2006]. Für eine Edition des Traktates siehe [Busard 1971a]. Er referierte 1412 über einen Algorismus de minutiis und 1422 über astronomische Tafeln. Siehe [Porres de Mateo 2006, 107, 116]. [Folkerts 1997a].

5.6 Zahlentafeln

87

5.6.1 Zahlentafeln in Mathematik und Astronomie Dass zur Entstehungszeit der Visiertextsammlung Zahlentafeln kein neues Medium waren, habe ich bereits am Beispiel der trigonometrischen Tafeln für Strecken am Kreis wie sinus rectus und sinus versus dargelegt.90 Die mit Abstand umfangreichsten Tafelwerke sind ohne Zweifel astronomischen Berechnungen zuzuordnen.91 Seit dem 12. Jahrhundert verfügte man über Planetentafeln, mit denen man die Position der Planeten bestimmen konnte. Die in den Tafeln zusammengefassten Werte beruhen auf der Planetentheorie nach Ptolemaeus’ Almagest und geben die Bewegung der Planeten (in verschiedenen Koordinatensystemen) sowie Korrekturwerte an. Zu den bekanntesten Tafeln gehören die sogenannten Toledanischen Tafeln, die für den Meridian von Toledo berechnet wurden.92 Die sogenannten Alfonsinischen Tafeln, die man mit Alfons X. von Kastilien (1221– 1284) in Verbindung brachte, wurden um 1320 in Paris berechnet und dienten astronomischen Berechnungen bis ins 16. Jahrhundert als Grundlage. Oft sind Zahlentafeln zur grundlegenden Trigonometrie Teil der großen astronomischen Werke. Zu den Tafelwerken gehören Erläuterungen, die Canones, in denen beschrieben wird, wie man die Tafeln berechnet und verwendet. Nicht immer mussten Zahlentafeln die Dimensionen astronomischer Tafeln annehmen. Ein Musterbeispiel sind Multiplikationstabellen zum kleinen Einmaleins, die man bereits in der Arithmetik des Boethius findet. In manchen Traktaten erweiterte man die Tafeln im 14. und 15. Jahrhundert auf Größen von 20x20 Feldern. Auch in italienischen Mathematiklehrbüchern aus dem Umfeld der maestri d’abbaco sind Tafeln zum elementaren Rechnen enthalten.93 Gelegentlich mischen sich verschiedene Zahlschreibweisen innerhalb einer Tafel.94

5.6.2 Zahlentafeln in der Visiertextsammlung In der Visiertextsammlung spiegelt sich das Konzept, viele Zahlenwerte in optisch übersichtlicher Weise zu strukturieren, in mehreren Handschriften in großem Umfang wider.95 In der im Anhang edierten Fassung der Visiertextsammlung sind jedem der vier Texte eine oder mehrere Tafeln beigefügt. Damit steht die Visiertextsammlung bei weitem nicht als Einzelfall da. Auch andere Abhandlungen über Fassmessung wurden um Zahlentafeln ergänzt. Manche Handschriften umfassen

90 91 92 93 94 95

Siehe Kapitel 5.5. Dieser Absatz orientiert sich, sofern nicht anders gekennzeichnet, an [Folkerts 1997a] und [Poulle 1997]. Eine detaillierte Studie und Edition unternimmt [Chabás und Goldstein 2003]. Zum Beispiel in der Handschrift New York, Columbia University, RBML, Plimpton MS 167: Paolo dell’Abbaco, Trattato di tutta l’arte dell’abacho, fol. 1–123v. [King 2001, 162–163]. Ohne Zahlentafeln dagegen ist die Handschrift New York II überliefert; New York I zeigt nur gewisse Ansätze von Tafeln.

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5 Mathematik für das Fass

sogar ausschließlich Zahlentafeln ganz ohne textliche Erläuterung.96 Durch den Vergleich von Zahlentafeln ließ sich eine weitere Abschrift der Visiertextsammlung identifizieren.97 In diesem Abschnitt geht es zunächst um die Vorteile der Visiertafeln, für die sich die Verfasser der Visiertextsammlung stark machen. Danach werte ich textliche Hinweise und die Struktur der Tafeln aus, da sie die Methoden offenlegen, wie die Tafeln berechnet wurden. Ich stelle drei verschiedene Beispiele für Methoden zur Tafelberechnung vor: Den Visiertafeln lagen die Canones des Johannes de Lineriis zugrunde (Tafel zur virga plana und virga scripta), sie beruhten auf einer Systematisierung von Nebenrechnungen (Tafeln zur virga quadrata, trigona) oder es gingen von den Verfassern geschickt gewählte Zahlenfolgen ein (Tafel zur virga cubica). Doch zunächst zum Zweck und den Vorteilen der Visiertafeln: Bei der Rekonstruktion der Visierruten ist ihr Zweck am jeweiligen Beispiel bereits deutlich geworden. Für die virga plana soll die beigefügte Zahlentafel die Messung erleichtern, weil der Visierer den Fassinhalt direkt ohne eigene Rechnung aus der Tafel ablesen kann. Für die anderen Visierruten (virga scripta, quadrata, cubica, trigona) fassen die jeweiligen Tafeln die Werte zusammen, mit denen man die Skalen beschriftet. Bisweilen umfassen diese Tafeln auch Zwischenschritte der Rechnung. Die Verfasser der Visiertextsammlung sprechen die Vorzüge der Visiertafeln direkt an: Die übersichtliche Darstellung mache es leicht, die Einträge in den Tafeln gemäß der geschilderten Rechenregeln zu korrigieren.98 Außerdem seien die Tafeln immer wieder verwendbar und machten es möglich, beliebig viele Visierruten herzustellen.99 Wie nah die Zahlentafeln der Messpraxis standen, bleibt zu diskutieren. Während die Zahlentafeln zur virga plana und virga scripta ein vollständiges Kompendium für alle nur denkbaren Fälle zusammenfassen, trifft der Text für die Beschriftung der Visierrute eine Auswahl. Man findet im Text zum Beispiel nur diejenigen Zahlen der Längentafel angeführt, die für regionalen Fassgrößen und -formen von Bedeutung sind.100 In den Tafeln begegnet man jedoch zahlreichen Werten, die in der Messpraxis nur selten oder womöglich gar nicht vorkamen. Ich widme mich nun der Berechnung von Visiertafeln. Die in den Zahlentafeln der Visiertextsammlung verzeichneten Werte beruhen auf den Rechenregeln, die in den zugehörigen Texten vorgestellt werden: Bei der virga plana und der virga scripta geht es um Proportionen zwischen Fasslänge, -bodenfläche und -inhalt. Für die Skalen auf der virga quadrata und der virga cubica zählt man Näherungskästchen und -würfelchen der kreisförmigen Bodenfläche. Die Skalen der virga trigona greifen auf Strecken am Kreis wie den sinus rectus zurück; detaillierte Rechnungen enthält die Visiertextsammlung dazu jedoch nicht. Nur selten weichen

96 97 98 99 100

[Folkerts 2008a, 27–29, Handschriften 50, 71, 77, 82]. [Storeck 2014, 132]. Visiertextsammlung Text A, cap. VIII und XXVIII (S. 236, 245). Visiertextsammlung Text D, cap. XV (S. 239). Visiertextsammlung Text A, cap. VIIII bis XXIII (S. 237 bis 243).

5.6 Zahlentafeln

89

die Werte in den Zahlentafeln von diesen Regeln ab und lassen sich oft als Flüchtigkeiten beim Abschreiben erklären. Die Zahlentafeln der Visiertextsammlung sind deshalb zum Beispiel nur bedingt mit den Zahlentafeln über Fassmessung in den italienischen abbaco-Texten vergleichbar. Die dort notierten Tabellen spiegeln empirische Messungen wider, mit denen die italienischen Verfasser Regeln für die Inhaltsbestimmung teilweise gefüllter Fässer herleiteten.101 Die Zahlentafeln der Visiertextsammlung sind errechnete Tafeln. In ausgewählten Fällen lässt sich nachvollziehen, wie die Zahlentafeln entstanden sind. Ich rekonstruiere nun drei Beispiele, für die sich die Grundlagen angeben oder sogar die schrittweise Berechnung der Zahlentafeln nachvollziehen lassen. Als erstes Beispiel greife ich zwei Hinweise im Text über die virga plana und virga scripta auf eine Sinustafel auf, die mit Johannes de Lineriis in Verbindung gebracht wird. Es geht dabei um eine Methode, wie man aus einer Tafel auf geschickte Weise bestimmte Werte abliest. Der Leser solle an die Art und Weise denken, mit der Johannes de Lineriis bei gegebenem Sinus einen Bogen ermittelte.102 Johannes de Lineriis tauchte im Rahmen dieser Arbeit bereits als Verfasser eines Algorismus-Textes auf, doch ist er vor allem für seine astronomischen Tafeln und die zugehörigen Canones bekannt.103 Man unterscheidet drei seiner großen Werke zur Astronomie, die auch astronomische Tafeln umfassen: die oft als Canones super tabulas magnas betitelte Darstellung, die Canones tabularum primi mobilis von 1322 und die Erläuterungen mit dem Incipit Quia ad inveniendum loca planetarum.104 Für die Betrachtung der Visiertextsammlung sind vor allem die Canones tabularum primi mobilis (kurz: Canones) von Bedeutung, weil sie einen einführenden Teil über rechnerische Grundlagen enthalten. Die Canones umfassen 44 Kapitel und erläutern unter anderem die tägliche Bewegung der Sonne. Die zu den Canones zugehörigen Zahlentafeln sind daher Sinustafeln, Deklinationstafeln und andere.105 In den Canones begegnet man der gesuchten Methode, wie man geschickt bestimmte Werte aus einer Zahlentafel abliest: Nach einer Definition von sinus rectus und sinus versus beschreibt Johannes de Lineriis zunächst, wie man aus den Sinustafeln, die den Canones folgen, bei gegebenem Kreisbogen (arcus) den zugehörigen Sinus-Wert abliest und umgekehrt.106 101 102 103 104

[Simi 1993, 403–411]. Visiertextsammlung Text A, cap. XXVIII (S. 245). Zu Leben und Werk siehe [Poulle 1991], [Poulle 2008b]. Siehe auch Kapitel 5.4. Zur Frage, wie die Tafeln mit den Toledanischen und den Alfonsinischen Tafeln zusammenhängen, gibt es unterschiedliche Einschätzungen. Siehe [Poulle 2008b], [Saby-Rousset 1987, 186] und [F. S. Pedersen 2002, 23, 760]. 105 [Poulle 2008b, 123]. Eine Einteilung des Werkes in zwei Teile nimmt [Saby-Rousset 1987, 185] vor und spricht sich dafür aus, von einem einheitlichen Werk auszugehen, dessen Teile etwa zeitgleich um 1320 verfasst wurden. [F. S. Pedersen 2002, 760, 954] spricht von Johannes de Lineriis zugeschriebenen Tafeln. 106 Cuiuslibet arcus propositi sinum rectum invenire und Sinus recti propositi arcum invenire. Siehe [Curtze 1900, 391–392]. Dieser Abschnitt ist nicht Teil der Edition der Johannes de Lineriis zugeschriebenen Tafeln in [F. S. Pedersen 2002, 954–959]. In [Curtze 1900, 411] findet man wiederum nur eine teilweise Edition.

90

5 Mathematik für das Fass

In der Visiertextsammlung findet man jedoch keinen Hinweis, wie der Leser dieses Verfahren selbstständig auf die komplizierten Tafeln in der Visiertextsammlung mit mehr Spalten übertragen könnte. Dass die Canones des Johannes de Lineriis die Visiertextsammlung geprägt haben, wird anhand weiterer Gemeinsamkeiten beider Texte ersichtlich. Zum Beispiel wird das für die Erstellung der virga plana verwendete Interpolationsverfahren zwar nicht namentlich mit Johannes de Lineriis in Verbindung gebracht, doch zeigt ein direkter Vergleich der Textstellen deutliche Ähnlichkeiten: Der Verfasser der Visiertextsammlung paraphrasiert zunächst das Verfahren des Johannes de Lineriis (ohne Nennung seines Namens), greift danach die Struktur der Erklärung im Detail auf und setzt die Begriffe ein, die für die Fassmessung wichtig sind.107 Es lassen sich weitere Ähnlichkeiten beider Texte anführen.108 Als zweites Beispiel führe ich die Tafeln zur virga quadrata und virga trigona an, die eine Systematisierung von Nebenrechnungen offenlegen. Während sich die Tafel zur virga quadrata in den Handschriften Paris und Perugia als übersichtlich gestaltete Seite darstellt, ermöglicht die Handschrift New Haven einen Blick darauf, wie die Tafel entstanden sein könnte (Abb. 5.1).109 Die Seite zeigt die Näherungskonstruktion der Fassbodenfläche, die der Skala der virga quadrata zugrunde liegt. Die sorgfältig ausgeführte Zeichnung veranschaulicht die Kästchen, die man bei der Konstruktion der Skala auf der virga quadrata bis zur zweiten Hauptmarkierung in jedem Schritt zählen muss.110 Links neben der Skizze findet man eine dreispaltige Tabelle. Liest man diese Tabelle von unten nach oben, so erhält man in der Tat die ersten Einträge der Zahlentafel. Auf den nachfolgenden Seiten der Handschrift New Haven findet man die Zeichnung sogar bis zum vierten Schritt für die Konstruktion der Skala ausgeführt.111 Die Tafel zur virga quadrata ist das Ergebnis sorgfältigen Kästchenzählens. Dass eine Systematisierung von Nebenrechnungen nicht immer zu einer besseren Übersicht führt, zeigt die Tafel mit merkwürdigen Maßen, die den Tabellen zur

107 Man hat in der Visiertextsammlung Text A, cap. XXVIII (S. 245): De qua differentia accipies partem proportionalem secundum proportionem partis latitudinis, . . . Quam partem proportionalem addes spissitudini minori in tabula invente vel in virga . . . . Bei Johannes de Lineriis findet man: De qua differentia accipe partem proportionalem secundum proportionem minutorum in arcu proposito contentorum infra 30 ad 30, . . . , quam partem proportionalem addas equacioni sinus prius accepte . . . Siehe [Curtze 1900, 392]. 108 Man findet ähnliche (1) Formulierungen in den Rubrizierungen der zu den Zahlentafeln gehörenden Kapitel, vergleiche zum Beispiel die Rubrizierung Text A, cap. XXIIII und XXVIII, mit [Curtze 1900, 401], (2) optische Strukturen der Visiertafeln oder (3) Schreibweisen der Brüche als in der Astronomie gängigen Notationsweise in Grad, Minuten etc. Vergleiche zum Beispiel mit der Sinustafel zu den Canones in der Handschrift Paris lat. 7295, online verfügbar unter http://gallica.bnf.fr/ark:/12148/btv1b90725952/f161.image (besucht am 12.02.2018). 109 Man findet Spuren davon auch in der Handschrift Klosterneuburg, Stiftsbibliothek, Cod. 683, fol. 59v. 110 Siehe Kapitel 4.1. 111 Handschrift New Haven, Yale University, Medical Historical Library, Cushing/Whitney Medical Library, MS. 25, fol. 16v–17r.

5.6 Zahlentafeln

91

Abbildung 5.1: Entstehung der Zahlentafel zur virga quadrata. New Haven, Yale University, Harvey Cushing/John Hay Whitney Medical Library, Medical Historical Library, MS. 25, fol. 16r.

92

5 Mathematik für das Fass

virga trigona folgt.112 Es handelt sich zwar um eine optisch übersichtlich gegliederte Darstellung, aber sie ist auf den ersten Blick kaum verständlich. Während an dieser Stelle in den meisten Handschriften einige deutschsprachige Maßeinheiten auftauchen, wie zum Beispiel eymer, verdentail oder sechzehendentail113 , sind diese Begriffe in anderen Handschriften auf Italienisch (unter anderem sechie, quarto de mensura, sedecimo) übersetzt worden.114 Dass die Zahlenwerte mit der Tafel zur virga trigona zusammenhängen, macht jedoch nur eine intensive Lektüre des Textes zur virga trigona deutlich. In der Handschrift New Haven dagegen wird diese Verbindung sogar auch in der Tafel selbst sichtbar. Die Notizen haben weniger den Charakter einer eigenständigen Tabelle, sondern stattdessen hat jemand Zwischenwerte in freie Felder der vorhergehenden Tafel geschrieben (Abb. 5.2). Später wurde aus diesen ergänzten Notizen eine eigene Tafel, nämlich die Tafel mit den merkwürdigen Maßeinheiten in den Handschriften aus Perugia und Paris. Als drittes Beispiel für Berechnungsmethoden von Zahlentafeln stelle ich ein ausgeklügeltes Additionsverfahren vor, das man im Text über die virga cubica findet.115 Das Konstruktionsverfahren der kubischen Skala beruht darauf, einen gegebenen Würfel schrittweise um kleine Würfelchen (cubelli) zu vergrößern.116 Da die Anzahl dieser kleinen Würfelchen schnell unübersichtlich groß wird und sich der Text mit einer dreidimensionalen Darstellung schwer tut, wird ein praktikables Rechenverfahren vorgeschlagen. Die Anzahl der kleinen Würfelchen ermittelt man durch geschickte Addition. Mit bestimmten Startwerten beginnend schreibt man in jedem Schritt vier Zahlen untereinander, wobei im unteren Feld immer die Zahl 6 steht und nicht verändert wird. In jedem Schritt ermittelt man ein Zahlenquadrupel: Um den Eintrag des neuen dritten Feldes zu erhalten, addiert man die Zahl 6 zur darüberstehenden Zahl; der Eintrag des neuen zweiten Feldes ergibt sich als Summe aus dem alten zweiten und dem neuen dritten Feld; der Eintrag des neuen ersten Feldes stellt die Summe des alten ersten und des neuen zweiten Feldes dar.117 Die Zahl in der ersten Zeile des Zahlenquadrupels gibt die Anzahl an kleinen Würfelchen und damit den Rauminhalt des schrittweise vergrößerten Anfangswürfels an. Die Würfelchenanzahl wird in die nächstgrößere Einheit umgerechnet und diese Zahl in die Tafel eingetragen. Aus der Tafel lässt sich deshalb die Beschriftung einer bestimmten Markierung auf der Skala der virga cubica gewinnen.

112 Man findet die Tabelle mit den Maßen in den Handschriften Paris, Perugia, New Haven, München und Vatikan. 113 Zum Beispiel in der Handschrift Paris, BnF, Dép. des manuscrits, Latin 10259, fol. 23v. 114 Zum Beispiel in der Handschrift Perugia, Abbazia di San Pietro, Archivio storico, CM 18, fol. 47r. 115 Visiertextsammlung Text D, cap. XVI und XVII (S. 299). 116 Siehe den Abschnitt 4.1 zur Erstellung der virga cubica. Man nähert das Fass durch einen Zylinder an, um dann einen inhaltsgleichen Würfel zu bestimmen. 117 Visiertextsammlung Text D, cap. XVI (S. 299). Dort findet man auch eine Darstellung zur Rechenmethode. Im Text beginnt die Rechnung (ohne Begründung) mit den drei Startwerten 1, 1, 6 und ergänzt ab dem zweiten Schritt die vierte Zahl 6. Man hat deshalb im zweiten Schritt das Quadrupel 8, 7, 6, 6.

5.6 Zahlentafeln

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Abbildung 5.2: Notizen zu Tafeln der virga trigona. New Haven, Yale University, Harvey Cushing/John Hay Whitney Medical Library, Medical Historical Library, MS. 25, fol. 31r.

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5 Mathematik für das Fass

Dieses Rechenverfahren lässt sich in den Worten heutiger Mathematik mithilfe von Partialsummen zentrierter Sechseckzahlen beschreiben; im lateinischen Text findet man diese Auffassung nicht in dieser Form formuliert. Eine zentrierte Sechseckzahl S 1 , S 2 , S 3 , . . . bezeichne die jeweilige Anzahl der Punkte in den Sechsecken, die in der Abbildung 5.3 in der unteren Reihe zu sehen sind.118 In jedem Schritt wird um das vorhandene Sechseck ein weiterer Ring gelegt, so dass sich die Seitenlängen des zusätzlichen Sechseckes um 1 erhöhen. Die Sechseckzahlen S i lassen sich berechnen als S i +1 = 1 + 3i 2 + 3i

für i = 0, 1, 2, . . . .

(5.1)

Man erhält die Zahlenfolge 1, 7, 19, 37, . . ..119 Diese Zahlenfolge lässt sich geometrisch an einem Würfel veranschaulichen, der aus kleinen Würfeleinheiten zusammengesetzt ist. Nimmt man einen kleinen Würfel an einer Ecke heraus, so bleiben um die Lücke sieben benachbarte Würfelchen. Nimmt man diese sieben Würfelchen heraus, besteht die nächste Schicht aus 19 Würfelchen und so weiter (siehe Abb. 5.3).

Abbildung 5.3: Zentrierte Sechseckzahlen am Würfel

118 Für diese Abbildung orientiere ich mich an der Darstellung in [Gardner 1988, 20]. 119 Folge A003215 OEIS, http://oeis.org (besucht am 12.02.2018). The On-Line Encyclopedia of Integer Sequences, oder [Sloane und Plouffe 1995, M4362].

5.6 Zahlentafeln

95

Die Gesamtzahl an Würfelchen, die den entfernten Würfel in der Zeichnung beziehungsweise den schrittweise vergrößerten Würfel für die virga cubica bilden, berechnet man als Partialsummen Z N der Sechseckzahlen S i , also ZN =

NX −1

S i +1

für N = 1, 2, 3, . . . .

(5.2)

i =0

Mit dem in der Visiertextsammlung angegebenen Rechenverfahren erhält man tatsächlich die Anzahl der jeweiligen Würfelchen, die in dem schrittweise vergrößerten Würfel enthalten sind. Auch mit Sechseckzahlen beziehungsweise allgemeiner den Polygonalzahlen haben sich mathematisch interessierte Denker bereits vor der Entstehungszeit der Visiertextsammlung beschäftigt. Zum Beispiel tauchen Drei- und Viereckszahlen als Lösungsbedingung im Archimedes zugeschriebenen „Rinderproblem“ auf, in dem ermittelt werden soll, wie viele Tiere einer bestimmten Farbe die Herde umfasst.120 Es lassen sich mehrere Schriften griechischer und lateinischer Autoren anführen, die die Beschäftigung mit den Eigenschaften der Polygonalzahlen belegen.121 Eine viel gelesene und an Universitäten verbreitete Schrift, die auch Polygonalzahlen behandelte, war zum Beispiel die von Johannes de Muris im Jahr 1324 verfasste Abhandlung Arithmetica speculativa.122 Immer wieder sind es die Sechseckzahlen, die für Missverständnisse sorgen und ungenau berechnet wurden.123 In der Visiertextsammlung jedoch beweisen die Verfasser einen sicheren Umgang mit Sechseckzahlen und entwickeln aus ihrer geometrischen Anschauung eine ausgeklügelte Rechenmethode für die Beschriftung der Skalen auf der virga cubica.

5.6.3 Professionelle Tafelmacher? Die Verfasser der Visiertextsammlung benennen nur wenige Akteure. Oft liest sich der Text so, dass ein unbekannter Lehrer einen seiner Schüler direkt anspricht und ihm die Herstellung der Visierruten erklärt. Um so mehr fallen in den Texten über die virga plana und virga scripta die expliziten und mehrfachen Nennungen der tabuliste auf. Für die Verfasser der Visiertextsammlung scheinen dabei die tabuliste so bekannte Figuren zu sein, dass sie nicht näher erklärt werden müssen. Aus dem Text geht hervor, dass tabuliste Spezialisten im Umgang mit Zahlentafeln sind. Sowohl das bereits dargestellte Interpolationsverfahren als auch die Art und

120 [Cantor 1907, 312], [Dickson 1992, 1, 342–345] und [P. Schreiber 1993]. 121 Zum Beispiel [Cantor 1907, Stichwort „Polygonalzahlen“], [Dickson 1992, 1–6] und [Masi 1983, 133–142]. 122 [Busard 1971b]. 123 [Cantor 1907, 557–558, 586, 864–865].

96

5 Mathematik für das Fass

Weise, wie Johannes de Lineriis bestimmte Werte aus den Tafeln geschickt (per modum) abzulesen, sei ein typisches Vorgehen jener tabuliste.124 Die tabuliste haben in Wörterbüchern und in der Forschungsliteratur nur wenige Spuren hinterlassen, die es möglich machen, ihre Aufgaben und Fähigkeiten zu fassen.125 Es fällt zunächst nicht schwer, die tabuliste im Umfeld astronomischen Denkens zu verorten, vor allem wenn man die konkreten textlichen Verweise auf Johannes de Lineriis, die Sinustafeln und das Interpolationsverfahren bedenkt. Aus den Studien der überlieferten Handschriften ging bereits hervor, dass die Visiertextsammlung mit astronomisch gebildeten Gelehrten wie Johann Schindel, Georg Müstinger oder Johannes von Gmunden in Verbindung stand.126 Der Text gibt jedoch keine weiteren Hinweise darauf, dass in der Tat einer dieser Gelehrten mit tabulista gemeint sein könnte. Immerhin lässt sich wegen der Datierungen der Handschriften festhalten, dass die Bezeichnung tabulista mindestens auf 1425 datiert werden muss.127 Aber auch im 16. Jahrhundert findet man weitere textliche Belege in der Form tabulistas.128 So veröffentlichte Hieronymo de Chaves (1523–1574) im Jahr 1545 eine Übersetzung des Tractatus de sphera mundi des Johannes de Sacrobosco (um 1195–1256) ins Kastilische und ergänzte den Text durch eigene Kommentare, Tafeln und graphische Darstellungen. Unter anderem trifft der Leser auf die tabulistas, die sich in astronomischen Fragen sehr gut auskannten. Sie hatten wie der cosmographó und der astronomó die Kosmographie des Ptolemaeus studiert und waren in der Lage, anhand von Längen- und Breitengrad eines Ortes die Planetenbewegungen und Finsternisse zu berechnen.129 Ein weiteres Beispiel ist der anonym überlieferte Traktat über Zeiteinteilung Repertorio tiempos von 1554. Auch in diesem Text werden explizit tabulistas erwähnt, die die Bewegung von Fixsternen bestimmten.130 Nicht zuletzt findet man die tabulistas in der Schrift Institución de la Academia Real Mathemática des Juan de Herrera (1532–1597) aus dem Jahr 1584. In dieser Abhandlung stellte der Verfasser eine Klassifikation mathematischer 124 Visiertextsammlung Text A, cap. XXVIII (S. 245): per modum eundem magistro Johannis de lineriis . . . Qui modus apud tabulistas communis est. Das Interpolationsverfahren geht bei der Erstellung der virga plana in die Erläuterungen ein. Siehe Kapitel 4.1. 125 Diese Überlegungen habe ich in Teilen bereits in [Storeck 2014, 134–137] dargestellt. 126 Siehe Kapitel 3. 127 Handschrift New Haven, Yale University, Medical Historical Library, Cushing/Whitney Medical Library, MS. 25, fol. 9v. Zur Datierung dieser Handschrift siehe [Folkerts 2008a, 15]. Danach lassen sich die Tafeln (sowie die Bezeichnung tabuliste) in der Handschrift Klosterneuburg, StiB, 683, von 1431 belegen; die Tafeln allein (ohne Erwähnung der tabuliste) liegen in der Handschrift Innsbruck, ULB Tirol, Cod. 593, von 1443 vor. 128 Diccionario de la Ciencia y de la Técnica del Renacimiento, DICTER, Suchbegriff tabulista, http://dicter.usal.es (besucht am 12.02.2018). Ich danke Sonja Brentjes für diesen Hinweis. Weitere Nachweise für tabulista/tabulistas für einen Schüler beim Lesenlernen oder einen Würfelspieler trage ich in [Storeck 2014, 136] zusammen. 129 [Sacrobosco 1545, Lv]. In der Sphaera des Sacrobosco taucht tabulista nicht auf. Siehe [Thorndike 1949a, 76–117]. 130 [Repertorio 1554, XXv].

5.7 Geflügelte Worte

97

Wissenschaften und ihrer Anwendungsbereiche vor. Ein wichtiger Bereich ist die Himmelskunde. Die tabulistas berechneten aber nicht nur Sternen- und Planetenbewegungen, sondern verfügten auch über eine sie auszeichnende praktische Fähigkeit (facultad prática).131 Spätere Belege nach dem 16. Jahrhundert für tabulista liefern zum Beispiel portugiesische Wörterbücher. Ein tabulista bleibt dabei ein Spezialist für mathematische Zahlentafeln.132 Ob die tabuliste jedoch als Verfasser von Zahlentafeln gelten können, bleibt unklar. Betrachtet man allein den Umfang der großen Tafelwerke wie den sogenannten Alfonsinischen Tafeln oder den Tafeln des Johannes des Lineriis, so wurde bereits der Gedanke geäußert, dass diese Tafelwerke nicht von einer Person allein, sondern von kleinen Gruppen berechnet wurden. Allerdings konnte ein solcher Vorschlag zumindest für die Tafelwerke des Johannes de Lineriis bisher nicht explizit belegt werden.133 Möglicherweise lässt sich die Bezeichnung tabulista aus der Visiertextsammlung auf einen solchen Werkstattzusammenhang zurückführen.

5.7 G EFLÜGELTE W ORTE Die Verfasser der Visiertextsammlung unterstreichen ihr Anliegen, die Fassmessung auf ein mathematisches Fundament zu stellen, durch zeitgenössische Bonmots und Anlehnungen an Texte, die man nicht mathematischen Traditionen zuordnen würde. Ich gehe zunächst auf eine kurze Anspielung ein, dass die einzelne Sinneswahrnehmung (experimentum fallax) für das Visieren nicht zielführend sei. Danach führe ich zwei Textpassagen in der Visiertextsammlung an, die an Texte der lateinischen Aristoteles-Tradition erinnern. Die folgenden Bemerkungen sind als Ausblick zu verstehen, da ich hier nur einige Indizien zusammentrage. Bei der Darstellung der virga cubica ist die Rede vom experimentum fallax, die nach eigenen Angaben den Großen Sentenzenbüchern des Hypocras entnommen sei: Da die einzelne Erfahrung oftmals irreführend sei, solle sich der Leser bei der Erstellung der virga cubica besser auf eine allgemein gültige Regel (ars generalis) verlassen.134 Verfolgt man die Angabe in der Visiertextsammlung, so lässt sich der Ausspruch auf die Aphorismen oder Sententiae des Hippocrates (auch Hypocras) zurückführen:135

131 [Herrera 1584, 6r]. 132 [Coutò Guerreiro 1784, 306], [Vieyra 1827, 634] oder im Wörterbuch léxico: dicionário de português online, Suchbegriff tabulista, online verfügbar unter http://www.lexico.pt/tabulista/ (besucht am 12.02.2018). 133 „The magnitude of the work that he [= John of Lignères] and his collaborators accomplished in so few years is admirable. Although there is no formal proof of the existence of a team of workers, the terms in which John of Saxony expressed his admiration for his maître bear witness to the enthusiasm that John of Lignères evoked.“ Siehe [Poulle 2008b, 124]. 134 Visiertextsammlung Text D, cap. VIII (S. 297). 135 [Kibre 1985, 29–90]. Der Name des Hippocrates als Verfasser der Aphorismen tauchte in verschiedenen Varianten auf, darunter die Schreibweise als Hypocras. Siehe [Kibre 1985, 39a].

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5 Mathematik für das Fass

„Das Leben ist kurz, die Kunst lang, die Gelegenheit flüchtig, die Erfahrung unsicher [experimentum fallax], das Urteil schwierig. Nicht bloß der Arzt muß bereit sein, das Erforderliche zu leisten, sondern auch der Kranke selbst und seine Pfleger und die äußeren Lebensbedingungen.“136

Die Aphorismen stellen eine Sammlung medizinischer Beschreibungen und Therapien dar, deren Lektüre bis ins 15. Jahrhundert fester Bestandteil der universitären Ausbildung war.137 Zur Entstehungszeit der Visiertextsammlung gehörte der Ausspruch des experimentum fallax wohl zu den bekanntesten geflügelten Worten des lateinischsprachigen Mittelalters und wurde in allen möglichen Schriften aufgegriffen, wie zum Beispiel von Bernard von Clairvaux (um 1090–1153),138 Hugo von Sankt Victor139 und anderen.140 Das Zitat des experimentum fallax geht in die Visiertextsammlung ein, um dem Leser die Tragfähigkeit der mathematischen Herleitung vor Augen zu führen. Weil die Sinneswahrnehmung oft täuschend sei, solle sich der Leser der Visiertextsammlung auf ein mathematisch fundiertes Messverfahren stützen. In der Visiertextsammlung spiegeln sich außerdem Zugangsweisen, die an mathematische Begriffe anknüpfen, deren Wurzeln jedoch in einem weitaus größeren Spektrum akademischer Texte zu finden sind, vor allem rund um die Auseinandersetzung mit Schriften des Aristoteles. Es geht um die Vorstellung von Dimension und eine direkte Anbindung aristotelischer Kategorien an geometrische Grundbegriffe. Wo die abstrakte, mathematische Vorstellung versagen könnte, greifen die Verfasser der Textsammlung auf andere Erklärungen zurück. Im Zuge der Argumentation, in welchen mathematischen Verhältnissen Zylinder und Würfel stehen,141 wird der Leser daran erinnert, sich die jeweiligen Dimensionen als Punkt, Linie, Fläche oder Körper zu veranschaulichen und das Objekt der nächsthöheren Dimension aus der vorherigen zu konstruieren: ein bewegter Punkt ergibt eine Linie, eine bewegte Linie bringt eine Fläche hervor usw.142 Diese Sichtweise

136 [Hippocrates 1934, XIV/23]. Für eine lateinische Fassung (Vita brevis, ars vero longa, tempus acutum, experimentum fallax, iudicium autem difficile.) siehe zum Beispiel [Theophilus, Hippocrates und Galenus 1476]. Weitere Lesarten auf Grundlage des griechischen oder arabischen Textes führt [O’Boyle 1998, 140, Anm. 32] an. 137 Für Forschungsliteratur zu Hippocrates’ Aphorismen siehe die regelmäßig aktualisierte Bibliographie zum Corpus Hippocraticum der BBAW, Abschnitt 13: http://cmg. bbaw.de/online-publikationen/hippokrates-und-galenbibliographie-fichtner (besucht am 12.02.2018). 138 [Bernhard von Clairvaux 1966, 374, Z. 21]. 139 [Hugo von Sankt Viktor 1939, 36, Z. 23–24]. 140 Einen Eindruck vermittelt eine Stichwortsuche (experimentum fallax) in der Library of Latin Texts LLT-A. Weitere Nachweise bei Johannes Mansor, Petrus Hispanus (Medicus), PseudoAdam von Boefeld und Petrus von Abano liefert zum Beispiel [Köhler 2007, 132, Anm. 32]. 141 Visiertextsammlung Text D, cap. VII (S. 297). 142 Modo sicut imaginatur, quomodo punctus serpens producit lineam, et linea mota ad latus producit superficiem, et superficies in altum ducta gignit corpus. Siehe Visiertextsammlung Text D, cap. VII (S. 297).

5.7 Geflügelte Worte

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hat nur wenig mit der euklidischen Auffassung zu tun. Gemäß Campanus ist eine Linie eine Länge ohne Tiefenausdehnung, während eine Fläche sich in Länge und Tiefe ausdehnt und durch Linien begrenzt ist.143 In der Regel ist in Texten über Geometrie nicht explizit von einer Bewegung die Rede, wenn es um den Zusammenhang von Punkt, Linie, Fläche und Körper in ihrer grundlegenden Definition geht.144 Eine eng verwandte Formulierung zur Diskussion in der Visiertextsammlung (punctus serpens producit lineam) findet man dagegen in Abhandlungen, die sich mit Schriften des Aristoteles auseinandersetzen. Mit der Formulierung punctus facit lineam veranschaulichte Thomas von Aquin (1225–1274) unter anderem die Denkweisen der mathematici und eines metaphysicus.145 Das Konzept punctus facit lineam wurde sowohl platonischen Denkern146 als auch der Schule des Pythagoras zugeschrieben.147 Wie gängig diese Formulierung war, zeigen die zahlreichen zeitgenössischen Textstellen, die vor allem in der Auseinandersetzung mit den aristotelischen Schriften belegbar sind.148 Mit der Formulierung punctus serpens producit lineam verhält es sich daher ähnlich wie mit dem Ausspruch des experimentum fallax: Es handelte sich um eine gängige Formulierung aus einem bestimmten Kontext, der über rein mathematische Schriften hinausing. Ob es sich um ein wörtliches Zitat handelt, vermag ich nicht zu sagen.

143 Def. I.2: Linea est longitudo sine latitudine. Def. I.5–6: Superficies est que longitudinem et latitudinem tantum habet, cuius termini quidem linee. Siehe [Campanus 2005, 55]. 144 Zum Beispiel [Curtze 1897, 195] oder [Busard 1965, 524]. Zur Charakterisierung geometrischer Definitionen und ihrer Einordnung in platonische und aristotelische Traditionen siehe auch [Vitrac 1990, 129–130]. 145 Thomas von Aquin, In physicorum, Liber 8, Lectio 5, Num. 3: Mathematici etiam utuntur motu imaginatio, dicentes quod punctus motus facit lineam. Metaphysicus autem considerat de primis principiis. Siehe [Thomas von Aquin 1965, 525]. 146 Zum Beispiel Thomas von Aquin, De anima, Liber 1, lectio 11, num. 170: Sed secundum quod dicunt Platonici, motus puncti facit lineam, linea autem mota facit superficiem, superficies vero corpus. Siehe [Thomas von Aquin 1959, 44]. 147 Avicenna, Liber de philosophia prima, Tract. 7, cap. III: Miror autem de Pythagoricis qui unitates indivisibiles ponunt principia mensurarum, cum ipsi sciant mensuras dividi in infinitum. Quidam etiam dixerunt quod, cum unitas adiungitur materiae, fit punctus secundum considerationem illorum, et cum dualitas adiunguntur ei, facit lineam, et ternarietas superficiem, et quarternarietas corpus. Siehe [Avicenna latinus 1977, 373, 1–6]. 148 Zum Beispiel Thomas von Aquin, De caelo et mundo, Liber 1, lectio 2, num. 16: Et utitur modo loquendi quo utuntur geometrae, imaginantes quod punctus motus facit lineam, linea vero mota facit superficiem, superficies autem corpus. [Thomas von Aquin 1952, 11]. Ebenso Averroes, De physico auditu, Lib. III.60: Sicut ut, cum imaginatur, quod figurae habent positiones, et quod, cum punctus movetur, facit lineam, et quod, cum linea movetur, facit superficiem, et superficies corpora, et similiter videtur ponere diminutionem esse semper, non secundum quod extra animam est sic. Siehe [Aristoteles 1562, fol. 114, F–G]. Weitere Belegstellen bei Thomas von Sutton, Albertus Magnus und Bonaventura liefert [Kolbinger 2014, 232, Anm. 135]. Vergleiche dagegen Aristoteles, De caelo, Buch III, 1. Siehe [Aristoteles 2009, 85; 298b 33 – 299a 1, 99a 8–12].

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5 Mathematik für das Fass

Schließlich verweist die Visiertextsammlung bei der Konstruktion der virga cubica explizit auf die Praedicamenta des Aristoteles.149 Die Kategorienschrift des Aristoteles in lateinischer Fassung war im Trivium fester Bestandteil des Unterrichts über Logik. Es geht um die Frage, warum die für die virga cubica wichtige Ergänzung der Einheiten quadrata, supplementa und cubelli zu einem gegebenen Würfel überhaupt wieder einen Würfel ergeben sollte. Im Rückgriff auf die Euklid-Bearbeitung des Campanus wird angeführt, dass sich wieder Parallelogramme (oder Rechtecke und Quadrate) ergeben, wenn man Parallelogramme (oder Rechtecke und Quadrate) in geeigneter Weise zusammenfügt.150 Diese Tatsache bestätige Aristoteles in seiner Schrift Praedicamenta, wo als Illustration für die Kategorie der Bewegung Quadrate zueinander ergänzt werden.151 Die Verknüpfung der Frage der Quadrate mit Aristoteles’ Praedicamenta wurde allerdings nicht von den Verfassern der Visiertextsammlung geleistet. Bereits bei Campanus findet man die Verknüpfung von Aristoteles’ Schrift mit den euklidischen Elementen über das Stichwort des Quadrates.152 Gelegentlich begegnet der Verweis auf Aristoteles’ Praedicamenta im Zusammenhang mit der Figur eines Quadrates auch an anderer Stelle in der lateinischen Literatur.153 Die in der Visiertextsammlung angeführte Formulierung erinnert an eine Textstelle, die man im lateinischen Kommentar des Boethius über die Kategorienschrift des Aristoteles findet, ist jedoch nicht identisch.154 Welche lateinische Fassung der aristotelischen Kategorienschrift in der Visiertextsammlung anklingt, konnte ich nicht klären. Diese Anmerkungen zu ausgewählten Textstellen aus der Visiertextsammlung deuten darauf hin, dass sich über mathematische Texte hinaus in der Visiertextsammlung eine breite, akademische Allgemeinbildung widerspiegelt. Eine tiefer und weiter aufgefächerte Untersuchung dürfte sicherlich Zitate und Anlehnungen an weitere Schriften offenlegen, die wegen nicht genannter Namen und Werktitel nur schwer zu identifizieren sind.

149 Visiertextsammlung Text D, cap. VI (S. 296): hoc est quod dicit Aristoteles in predicamentis: Quadratum addito sibi gnomone crescit, sed non mutatur, idest, fit quadratum maius, sed a quadrature specie non recedit. 150 Camp. Elem., Buch II, Def. 2. Siehe [Campanus 2005, 95; II, Def. 2]. 151 Zu den Praedicamenta gemäß Boethius siehe zum Beispiel [Minio-Paluello 2008], [Arlig 2011] und [Casey 2012, 200–210]. 152 Camp. Elem. II, Def. 2: Unde paralellogramum addito ergo gnomone quamvis crescat minime tamen alteratur quemadmodum dixit Aristoteles in praedicamentis suis. Siehe [Campanus 2005, 95, Z. 25–27]. 153 Siehe zum Beispiel den Kommentar des Thomas von Aquin De caelo et mundo, Lib. I, lect. 7, num. 74: Est autem considerandum quod signanter in hac ratione mentionem facit de corporibus physicis: quia in corporibus mathematicis potest esse augmentum sine alteratione, puta cum quadratum crevit apposito gnomone, sed non est alteratum, ut dicitur in praedicamentis. Siehe [Thomas von Aquin 1952, 35]. 154 Vergleiche Visiertextsammlung Text D, Kap. VII (S. 297): Quadratum addito sibi gnomone crescit, sed non mutatur mit einem Kommentar zu Boethius’ Kategorien: Quod dicit tale est: Si quadrato, inquit, addatur gnomo, crescit quidem quadratus, non tamen commutatur. Siehe [Boethius 1891, lib.4, col. 290 D]. Ich habe diesen Satz nicht in der Edition von [Aristoteles latinus 1961, 39–40] gefunden.

5.8 Zusammenfassung und Ergebnisse

101

5.8 Z USAMMENFASSUNG UND E RGEBNISSE Der Blick auf mathematische Aspekte in der Visiertextsammlung hat offengelegt, dass die Mathematik am und für das Fass in der Visiertextsammlung weit über Konzepte „praktischer“ Geometrie hinausgeht und außerdem abstrakte Zahlbegriffe, konkrete Rechenverfahren und Grundlagen astronomischen Rechnens einbindet. Auf den ersten Blick ist zweifellos die Prägung der Visiertexte durch geometrische Konzepte wegen der zahlreichen Verweise auf euklidische Bücher, wegen der beigefügten Zeichnungen und der grundlegenden Idee, ein Fass durch einen Zylinder zu approximieren, sehr deutlich sichtbar. Von den zahlreichen Übersetzungen und Bearbeitungen der Elemente spiegelt sich eine der am weitesten verbreiteten Fassungen in den Visiertexten wider, nämlich die Bearbeitung des Euklidtextes von Campanus von Novara. Es handelt sich um die einzige Vorlage, die in fast allen Texten der Visiertextsammlung nachweisbar ist. Ebenso dem Bereich der Geometrie zuzuordnen ist die Schrift Practica Geometriae des Dominicus de Clavasio, aus der die Verfasser der Visiertextsammlung zitieren: Die Feststellung, dass die Konstruktionsmethode für die virga plana und virga scripta für beliebige Maße gültig ist, liest sich in den Worten des Dominicus de Clavasio. Wichtige Konstruktionsschritte der Skalen auf den Visierruten beruhen aber gleichermaßen auf arithmetischen Verfahren. Die Visiertextsammlung ermöglicht den Blick auf zwei unterschiedliche Traditionen. Zunächst geht es eher um abstrakte Zahlbegriffe. Die gemeinhin Boethius zugeschriebene Klassifizierung von Zahlen als bestimmte Vielfache (multiplices, superparticulares, superpartientes und so weiter) hat das mittelalterliche Denken stark geprägt. Gewissen Spuren dieser Konzepte begegnet man in der Visiertextsammlung, die sich dieses Fachvokabulars bedient und die Konstruktionsanleitung für die Erstellung von Visierskalen bisweilen entsprechend dieser Zahlbegriffe konzipiert. Die Visiertextsammlung dokumentiert dabei eine leichte Verengung der traditionellen Zahlbegriffe. Eine andere Tradition im Umgang mit und in der Auffassung von Zahlen liegt in sogenannten Algorismus-Texten vor, die vor allem die Grundrechenarten behandeln. Ihre Inhalte wurden an den artes-Fakultäten der Universitäten unterrichtet. In der Visiertextsammlung findet man zwei Verweise auf einen Tractatus de minutiis und einen Algorismus de minutiis. Die Verfasser der Visiertextsammlung geben diese Texte als Referenzen an, in denen man spezifische Rechenverfahren (Wurzelziehen, Bestimmung proportionaler Werte) findet. Die Hinweise in der Visiertextsammlung deuten womöglich auf mehr als eine Vorlage allein hin. Von besonderem Interesse ist der Algorismus de minutiis des Johannes de Lineriis, der aus mehreren Gründen für die Visiertextsammlung von Bedeutung ist. Dass sich die Visiertextsammlung mit in der Astronomie gebildeten Gelehrten wie Johann Schindel, Georg Müstinger, Johannes von Gmunden oder Johannes Regiomontanus in Verbindung bringen lässt, habe ich bereits bei der Sichtung der handschriftlichen Überlieferung der Visiertextsammlung thematisiert.155 Auch auf inhaltlicher Ebene geben die Verfasser der Visiertextsammlung Referenzen zu 155 Siehe Kapitel 3.

102

5 Mathematik für das Fass

astronomischen Texten und bedienen sich der Werkzeuge, die für astronomische Rechnungen hilfreich sind. Dazu zählt zum Beispiel der Almagest des Ptolemaeus, aus dem die Visiertextsammlung einen Satz aufgreift. Da jedoch zahlreiche Exzerpte des Almagest im Umlauf waren und sich mathematische Sätze auch in anderen Abhandlungen widerspiegeln, steht zur Diskussion, ob es sich in der Visiertextsammlung nicht eher um eine allgemeine Anspielung an das berühmte Lehrwerk handelt; ein direkter Textbezug auf eine spezifische Fassung des Almagest lässt sich nicht festmachen. Zum Handwerkszeug astronomischer Berechnungen gehörte ebenso die Kenntnis, bestimmte Strecken am Kreis genau bestimmen zu können. Der Umgang mit sinus rectus, sinus versus und sagitta bei der Inhaltsbestimmung teilweise gefüllter Fässer spiegelt diese Perspektive wider. Auch in diesem Fall konnte ich keine eindeutige Textvorlage für die Visiertextsammlung ausmachen. Im Bereich der Astronomie zu verorten ist ebenso der Umgang mit Zahlentafeln. Die der Visiertextsammlung beigefügten Tabellen dienen vor allem dem Zweck, bei der Messung mit der Visierrute eine anfallende Rechnung zu vermeiden und dazu, die Skalen auf den jeweiligen Visierruten mit entsprechenden Zahlen zu beschriften. Alle Tafeln in der Visiertextsammlung wurden berechnet; sie geben keine empirischen Messwerte wieder. Die Methoden zur Berechnung der Zahlentafeln lassen sich auf verschiedene Konzepte zurückführen: In einem Fall lehnen sich die Verfasser an die Canones des Johannes de Lineriis an. Andere Tafeln beruhen auf der systematisierten Darstellung von Nebenrechnungen, die jedoch nicht immer zu einem besseren Verständnis der Rechenergebnisse führte. Für die Erstellung einer weiteren Tafel schließlich gibt der Text der Visiertextsammlung ein Verfahren an, in dem man schrittweise Sechseckzahlen addiert. Wer die Visiertafeln errechnet hat, vermag ich nicht anzugeben. Aufgrund der Berechnungsverfahren muss man aber davon ausgehen, dass die Urheber der Tafeln mit Texten über Astronomie und fortgeschrittenen mathematischen Methoden vertraut waren. In der Visiertextsammlung werden im Zusammenhang mit Zahlentafeln tabuliste erwähnt, die wohl als Spezialisten im Umgang mit Zahlentafeln besonders geschult waren. Eine Identifikation solcher Spezialisten gestaltet sich als sehr schwierig, da nur wenige weitere Nachweise für tabuliste vorliegen. In der Visiertextsammlung begegnet man einem Querschnitt durch das verfügbare Wissen über Mathematik im 15. Jahrhundert. Die sehr unterschiedlichen Aspekte stehen nicht isoliert nebeneinander, sondern sind fest in die Argumentation der Textsammlung eingebunden. Die Visiertextsammlung liefert eine ausführliche Darstellung des theoretischen Fundamentes, auf dem die Methoden zur Fassmessung beruhen. Sie zeichnet sich über weite Teile durch eine beweisartige, deduktiv argumentierende Darstellung aus. Über mathematische Themen hinaus findet man Aspekte akademischer Allgemeinbildung in Form verbreiteter, geflügelter Worte. Die Rede vom experimentum fallax unterstreicht das Bestreben, die Fassmessung auf ein mathematisches Fundament zu stellen. Die Bemühungen nach größerer Anschaulichkeit spiegeln sich unter anderem darin wider, Punkt, Linie und Fläche als Objekte darzustellen, die sich durch Bewegung jeweils auseinander

5.8 Zusammenfassung und Ergebnisse

103

konstruieren lassen. Schließlich wird kein Geringerer als Aristoteles in einer lateinischen Fassung bemüht, um die Gültigkeit der geometrischen Konzepte zu unterstreichen. Die Betrachtung mathematischer Inhalte in der Visiertextsammlung ermöglicht es, die Verfasser der Visiertextsammlung ergänzend zu charakterisieren. Die Analyse der mathematischen Hintergründe zeigt, dass mehrere Verfasser mit umfangreichem mathematischen Wissen beteiligt waren.156 Sie hatten Zugang zu gängigen Texten, die im universitären Quadrivium unterrichtet wurden. Manche Referenzen gehen darüber hinaus, wie zum Beispiel die euklidischen Bücher XI und XII oder die intensive Beschäftigung mit Zahlentafeln. Unter den Verfassern der Visiertextsammlung waren nicht nur universitär gebildete Gelehrte, sondern versierte Mathematiker. Dass die Visiertextsammlung in lateinischer Sprache abgefasst ist, ergänzt das Bild bestens. Die Verweise auf Literatur in der Visiertextsammlung lassen kaum darauf schließen, dass die Verfasser vollständige Werke vorliegen hatten, wie sie heutigen Forschern in modernen textkritischen Editionen zur Verfügung stehen, sondern dass eher Exzerpte und Florilegien eingegangen sein dürften. Insofern lässt sich die Visiertextsammlung als Spiegel einer akademischen Allgemeinbildung interpretieren, die sich an ein bestimmtes Themenfeld anschließen lässt, das heißt in diesem Fall die geometrische Behandlung des praktischen Problems „Fassmessung“. Die Textsammlung stellt damit angesichts so komplexer mathematischer Zusammenhänge und akademischer Anspielungen einen hohen Anspruch an ihre Leserschaft. Zugleich umfasst die Visiertextsammlung viele praktische Hinweise.157 Die Verfasser der Visiertextsammlung darf man sich daher als universitär gebildete Gelehrte mit zum Teil fortgeschrittenem Wissen um Mathematik vorstellen, die aber zugleich eine große Nähe zur Praxis hatten und womöglich selbst gelegentlich als Visierer tätig waren.

156 In diesem Sinne äußerte sich bereits [Folkerts 2008a, 16–17]. 157 Siehe Kapitel 4.

6 D IE V ISIERER AM B EISPIEL DER S TADT N ÜRNBERG Der Inhalt von Fässern wurde meist von Spezialisten bestimmt, den Visierern (auch Öhmer oder Schnürer). Sie waren in den jeweiligen Städten eng in die Strukturen des Weinhandels eingebunden. Über ihre genaueren Lebensumstände, ihre Ausbildung und ihren Verdienst ist bislang wenig bekannt. Da die Textsammlung mehrfach mit der Stadt Nürnberg in Zusammenhang gebracht werden kann, soll das Hauptaugenmerk in diesem Kapitel auf den Visierern in Nürnberg liegen. Nach einer Einführung in die Strukturen des Nürnberger Weinhandels und die Funktion des sogenannten Weinungeldes (Kapitel 6.1) betrachte ich Nürnberger Visierer im Zeitraum von etwa 1350 bis 1525. Anhand von Dokumenten aus dem Staatsarchiv Nürnberg und dem Stadtarchiv Nürnberg1 lassen sich Nürnberger Visierer nicht nur namentlich ausmachen, sondern es wird ebenso ihr persönliches Umfeld, ihre Ausbildung und ihre Verdienst sichtbar (Kapitel 6.2). Die Archivalien erlauben es, den Ablauf einer Fassmessung in Nürnberg Schritt für Schritt zu rekonstruieren. Die Visierer stellten aber auch in anderen Städten unverzichtbare Spezialisten im straff organisierten Weinhandel dar, auf deren Kompetenzen ein wesentlicher Teil städtischer Einnahmen beruhte (Kapitel 6.3).

6.1 N ÜRNBERG UND DER W EINHANDEL In diesem Abschnitt stelle ich das Umfeld der Nürnberger Visierer vor. Der Nürnberger Weinhandel zeichnete sich durch hierarische Strukturen und eine umfassende Arbeitsteilung aus. Für die 1430er Jahre liegen konkrete Zahlen über die Höhe der Nürnberger Ungeldeinnahmen vor. Die Stadt Nürnberg hatte großen Einfluss auf die Weinherstellung und den Weinhandel im Umland.

6.1.1 Nürnberg als Handelszentrum Die Stadt Nürnberg, in der Karl IV. (1316–1378) im Jahr 1356 die Goldene Bulle erließ und zugleich festlegte, dass jeder Römische König nach seiner Wahl den ersten Reichstag in Nürnberg abhalten solle, hatte sich schrittweise königliche Hoheitsrechte zugesichert und den Status einer Reichsstadt erlangt.2 Nürnberg war mit zwischen 20000 und 28000 Einwohnern innerhalb der Stadtmauern nicht nur eine der größten Städte des Reiches. Auch als einflussreiches Handelszentrum

1 2

Die Angaben der Archivalien in den Fußnoten sind abgekürzt mit StAN (Staatsarchiv Nürnberg) beziehungsweise StadtAN (Stadtarchiv Nürnberg). [Neuhaus 2000], [Engelke 2000] und [Bauernfeind 2000d]. Eine gute lesbare Einführung in die Geschichte Nürnbergs bieten [Schultheiß 1966] und [Fleischmann 2012].

106

6 Die Visierer am Beispiel der Stadt Nürnberg

war Nürnberg weithin bekannt.3 Mit großem diplomatischem Geschick sicherten sich die Nürnberger Kaufleute Zollbefreiungen und Handelsprivilegien.4 Dem Reich gegenüber war die Stadt Nürnberg steuerpflichtig und befasste sich ab 1480 immer wieder mit Kreditwünschen der Regenten des Reiches.5 Der Fernhandel Nürnbergs reichte in alle Himmelsrichtungen. Man weiß von der Präsenz Nürnberger Kaufleute bei den Champagnemessen, vom Viehhandel vor allem mit Polen und Ungarn und von Beziehungen bis nach Italien, woher orientalische Produkte, Glas aus Murano oder Wein aus dem Friaul bezogen wurden. Häufig waren Nürnberger Maße, Gewichte und Preise Bezugspunkte für den Großhandel. Die einheimische Herstellung lieferte vielgefragte Produkte, wobei vor allem die Verarbeitung von Eisen, Messing und Bronze nicht nur Werkzeuge und Gegenstände für den alltäglichen Bedarf, sondern auch Rüstungen und Geschütze fertigten. Nicht zuletzt waren es mechanische Geräte und präzise Instrumente wie Kompasse, Uhren oder Glockenspiele, die die Nürnberger Handwerker über die Stadtgrenzen hinaus berühmt machten. Das Buchdrucker- und Verlagswesen florierte.6 Zu einem der wichtigsten Handelsgüter gehörte der Wein, aber auch weitere flüssige Waren wie Bier, Branntwein, Met und Essig. Der Wein ist dabei als alkoholisches Getränk nicht nur als reines Genussmittel aufzufassen, sondern als eines der grundlegenden Nahrungsmittel, da die Qualität des Wassers häufig nicht sehr hochwertig war. Um so wichtiger war es, dass die Qualität des Weines gewisse Mindeststandards erfüllte.7 Auch Bier galt als Grundnahrungsmittel und wurde in Nürnberg in größeren Mengen als Wein getrunken, wie Nürnberger Ungeldabrechnungen belegen.8 In Nürnberg kreuzten sich europäische Weinhandelswege, und es trafen Lieferungen aus Italien und Frankreich ein.9 Die Handelswege führten über Hamburg, Lüneburg, Erfurt oder auch Frankfurt.10 Der in die Stadt Nürnberg importierte Wein durfte nur auf dem Weinmarkt gehandelt werden, der einmal in der Woche an Donnerstagen stattfand.11 Der Weinmarkt befand sich zunächst in der Sebalder Altstadt und lieh dem sogenannten Weinmarktviertel seinen Namen.12 Nicht verkaufter Wein wurde eingelagert.13

3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13

Die Angaben der Forschung schwanken. Siehe [Müllner 2003, 7*], [Fleischmann 1993, XXIX– XXX] und [Sander 1902, 902–910]. [Wendehorst 1993, Teil IV]. [Mummenhoff 1890, 22] und [Fleischmann 2012, 30]. [Wendehorst 1993, Teil IV]. [Bauernfeind 2000j] und [Fouquet 2012, 320]. Zur Bedeutung des Brauens siehe zum Beispiel [Blanckenburg 2001, 349–371]. Zu den Weinund Biermengen in Nürnberger Ungeldabrechnungen siehe S. 116. [Ammann 1970, 190–191] notiert ebenfalls eine große Vielfalt an Weinsorten, die in Nürnberg getrunken wurden. [Hartmeyer 1905, 77]. [Bauernfeind 2000j]. [Fischer-Pache 2000b]. Auf einer Karte markiert in [Fouquet 2012, 323]. Siehe auch [Roth 1802, Bd. 3, 250; Bd. 4, 357–359] und [Bauernfeind 2000l]. [Fischer-Pache 2000a] und [Diefenbacher 2000].

6.1 Nürnberg und der Weinhandel

107

6.1.2 Organisation des Weinhandels Der Nürnberger Weinhandel war seit dem 14. Jahrhundert durch eine große Zahl von Regeln geprägt, die in den Nürnberger Satzungsbüchern überliefert sind.14 Wer Wein verkaufen wollte, musste dazu auf den Weinmarkt gehen. Gemäß älterer Satzungen durften die Fässer nur vom Wagen herunter verkauft werden. Die Weinpreise waren Höchstpreise und wurden vom Rat der Stadt festgelegt. Bei Verstößen gegen die Vorschriften drohten meist hohe Geldstrafen.15 Die Aufsicht über den Weinmarkt führte eine Deputation des sogenannten Inneren Rates („zum Weinmarkt“) oder der „Hüter am Weinmarkt“.16 Der Arbeit auf dem Weinmarkt teilten sich mehrere, auf bestimmte Aufgaben spezialisierte Gruppen. Die Spezialisten waren meist eidlich dazu verpflichtet, die Vorschriften für den Weinhandel in der Praxis und vor allem die konsequente Erhebung des Weinungeldes durchzusetzen. Keiner der Spezialisten durfte Geschenke wie Kleidung oder Lebensmittel annehmen oder nach eigenem Ermessen den Weinhändlern Gebühren erlassen. Die Weinsteuer wurden vom Ungelter auf dem Weinmarkt oder in den Kellern erhoben, nicht etwa an den Toren der Stadt. Er beaufsichtigte die Erhebung der Verbrauchssteuer und musste die Einnahmen jeden Mittwoch und Samstag oder spätestens am darauf folgenden Tag bei den Losungern abliefern, wie in den Nürnberger Satzungsbüchern festgelegt ist. Nicht immer ist eine klare Abgrenzung der Pflichten der Ungelters zu denen der Visierer deutlich.17 Wer Weinfässer auf seinen Karren auf- oder davon abladen oder die Fässer in einem Keller einlagern wollte, nahm die Dienste der Schröter (auch Einleger, Weinzieher oder Fasszieher) in Anspruch (Abb. 6.1). Der Name der seit dem 14. Jahrhundert belegbaren Beamten leitet sich dabei vom Herablassen („Schroten“) der Fässer in die Keller her. Die Schröter hatten darauf zu achten, dass nur solche Fässer bewegt wurden, die visiert, verungeltet und auf Qualität geprüft waren.18 Die Aufgabe der ebenfalls seit dem 14. Jahrhundert nachweisbaren Weinkieser bestand darin, gegen eine kleine Gebühr den Wein zu probieren und das geprüfte Fass mit einem Zeichen zu versehen, wenn der Wein den jeweils vorgeschriebenen

14

15 16 17 18

Für eine Edition siehe [Schultheiß 1965], die die ältere Fassung von [Baader 1966] in großen Teilen ersetzt (Abschnitte über den Weinhandel [Baader 1966, 202–210, 241–250]). In den folgenden Abschnitten verweise ich auf Baaders Edition daher nur, wenn die Editionen deutlich voneinander abweichen. Weiterhin führen [Siebenkees 1794, 220–232] und [Siebenkees 1795, 719–720] Notizen zum Weinhandel an, die den anderen beiden Titeln entsprechen. Siehe auch [Bauernfeind 2000j]. [Schultheiß 1965, 46, 109–112, 310–311]. Zum Umgang mit den Weinpreisen siehe auch [Biebinger und Neukam 1934, 11, 61, 80, 88, 101, 108, 110, 129]. [Bauernfeind 2000j]. [Schultheiß 1965, 310, 312–313]. Siehe auch [Reicke 1896, 113, 607], [Sander 1902, 240–241, 305], [Hartmeyer 1905, 86]. Für die Aufgaben der Schröter siehe [Schultheiß 1965, 46, 115, 309–310], [Sander 1902, 241, 304], [Hartmeyer 1905, 87] und [Bauernfeind 2000e]. Die Datierung des Weinschröters Hans Schnabel in der Abb. 6.1 beruht auf [Treue u. a. 1967, Tafel 198].

108

6 Die Visierer am Beispiel der Stadt Nürnberg

Abbildung 6.1: Links: Weinschenk Nüssel (um 1425). Rechts: Weinschröter Hans Schnabel (1515). Hausbuch der Mendelschen Zwölfbrüderstiftung (Mendel I), Stadtbibliothek Nürnberg, Amb. 317.2°, fol. 21v und 132r.

Qualitätsansprüchen entsprach.19 Für das Prüfverfahren sammelten Knechte zunächst morgens Weinproben ein und brachten sie auf die Kiesstube. Die beiden Weinkieser testeten die zuvor anonymisierten Proben und ermittelten eine Rangfolge. Sollte das Urteil der Weinkieser nicht eindeutig ausgefallen sein, traf ein Obmann eine Entscheidung.20 Es gab weitere Spezialberufe wie die Weinrufer21 , Anstecher22 oder Unterkäufel23 . Ohne städtische Genehmigung durfte ein Wirtshaus keinen Wein ausschenken (Abb. 6.1).24 Ein zentrales Thema beim Weinverbrauch waren nicht nur sein Genuss und viele mit Humor behandelte Erlebnisse (Abb. 6.2), sondern ernst zu nehmende gesundheitliche Fragen. Die Stadt Nürnberg hatte großen Einfluss auf den Weinhandel mit der umliegenden Region. Während auf dem Weinmarkt Weine aus dem Elsass, vom Rhein, aus Österreich, Südtirol oder dem Mittelmeergebiet gehandelt wurden, so wurde der klassische Weinkonsum der Stadt durch Weine aus der fränkischen Region bedient.25 Mehrere Indizien deuten darauf hin, dass der Frankenwein mit 19 20 21 22 23 24 25

[Schultheiß 1965, 115]. Man nannte sie auch Weinversucher, Euterer, Weinprobierer oder Weinschätzer. Siehe auch [Sander 1902, 241–242] und [Bauernfeind 2000k]. [Bauernfeind 2000k] und [Schieber 1995, 129]. [Schultheiß 1965, 59, 116, 237]. Siehe auch [Sander 1902, 242]. [Schultheiß 1965, 46, 113–114]. Siehe auch [Sander 1902, 241] und [Bauernfeind 2000a]. [Schultheiß 1965, 47, 110]. Siehe auch [Hartmeyer 1905, 89–90] und [Bauernfeind 2000h]. [Schultheiß 1965, 46, 109–112]. Zum fränkischen Weinhandel siehe [A. O. Weber und Dohna 2012], zu fränkischen Weintraditionen [Meyer 2000], für andere Regionen auch [Matheus 1997] und [Matheus 2004].

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109

Abbildung 6.2: Fass mit Narr und Hund. New York, Columbia University, Rare Book and Manuscript Library, Plimpton MS 160, fol. 41v.

Abstand am meisten getrunken wurde, da zum Beispiel die Steuer auf fränkischen Wein einen großen Posten in den Nürnberger Stadtrechnungen darstellte, obwohl er mit dem niedrigsten Ungeldtarif zu versteuern war.26 Die Stadt Nürnberg versuchte, auf den Umgang mit Wein im Herstellungs- und Transportprozess und damit auf seine Qualität einzuwirken.27 Die Behandlung von Wein mit den verschiedensten Zusatzstoffen war im 15. Jahrhundert eine gängige Methode.28 Eines der Hauptprobleme bestand darin, die Gärung des Weines zu kontrollieren und den Wein zu schönen, das heißt trübe Schwebstoffe herauszufiltern. So findet man in den Nürnberger Satzungsbüchern zahlreiche Vorschriften, die sich dagegen wenden, dem Wein Alaun, Eier, Sand, Nesselwurz, Waidasche, Milch oder Lehm hinzuzufügen.29 Vor allem der Zusatz von Schwefel und die Schwefelung der Fässer stand unter Strafe, da man Krankheiten und Fehlgeburten darauf zurückführte.30 In literarischen Beiträgen griff zum Beispiel Sebastian Brant das Thema der Weinfälschung auf (Abb. 6.3).31 Es sind zeitgenössische Methoden überliefert, wie man feststellen könne, ob der Wein mit Wasser verfälscht sei, wie zum Beispiel der Birnentest. Gemäß Gottfried von Franken nahm man eine kleine Birne und legte sie in das geöffnete Fass.

26 27 28 29 30 31

Zum Beispiel StAN, Reichsstadt Nürnberg, Stadtrechnungsbelege, Einzelbelege Nr. 267. [Scheler 1984]. [Horling 2012]. [Schultheiß 1965, 112, 307]. [Baader 1966, 258–259]. [Brant 2004, 269, Kap. 102].

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6 Die Visierer am Beispiel der Stadt Nürnberg

Abbildung 6.3: „Von Falsch und Beschiss“: Weinschmier und Alchemie. Sebastian Brant, Das Narrenschiff, S.l., 1506. Bayerische Staatsbibliothek München, Res/4 P.o.germ. 17, fol. CXXXVIIr.

6.1 Nürnberg und der Weinhandel

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Schwamm die Birne oben, so war der Wein nicht mit Wasser gemischt und hatte den Qualitätstest bestanden.32 War der Wein zu verdorben, so wurde er entsorgt und der Verkäufer bestraft.33 Johannes Müllner (vor 1577 – nach 1624/1625) berichtet, dass im Jahr 1447 zwei Fässer Wein so sehr mit Senf verfälscht wurden, dass man den Fässern die Böden ausschlug und den Wein von der Nürnberger Fleischbrücke in die Pegnitz schüttete.34

6.1.3 Maße im Nürnberger Weinhandel Das Mittelalter kannte eine Vielzahl von Maßeinheiten, die oft regional gebunden waren oder unter gleichem Namen verschiedene Maßstäbe setzten. Die gängigen Maßsysteme zu rekonstruieren und die Entsprechungen zu heutigen Maßeinheiten einzuschätzen, verlangt die Berücksichtigung einer großen Vielfalt sowohl textlicher und als auch gegenständlicher Überlieferung. Es gab insgesamt weniger verschiedene Hohlmaße als Längenmaße.35 Zu den verbreiteten Maßen für Flüssigkeiten gehörten zum Beispiel Fuder, Eimer oder Ohm.36 Seit dem Altertum bestand ein enger Zusammenhang zwischen der Normierung von Hohlmaßen und Gewichten.37 . Ein Fuder beschrieb zunächst den Produktionsertrag eines Tages (zwischen 952 und 1088 l) oder die Belastbarkeit eines Zugtieres oder einer Karre.38 Sprachlich sind die Bezeichnungen von Fass und Fuder bisweilen deckungsgleich: Das größte Fass im Handel war das Fuderfass, kurz „Fuder“ oder „Fass“ genannt; daneben gab es ebenso das Halbfuderfass, auch als „Fass“ bezeichnet. Erst im späten Mittelalter verwendete man größere Fässer als das Fuderfass, sogenannte Stückfässer.39 Zu den häufigsten Normgefäßen gehörte der Eimer, der den wechselnden Einflüssen von Norm- und Preispolitik nicht ausgesetzt war. Von Maßveränderungen wegen fiskalischer Einflüsse (Steuererhöhungen, Entwertung von Zahlungsmitteln) waren in der Regel Schankmaße, nicht aber Visiermaße betroffen.40 Ein wichtiges Maß im Nürnberger Weinhandel war das Fuder, das die Grundeinheit für das Ungeld bildete. Bei den kleineren Einheiten unterschied man ein Visier- und ein etwas kleineres Schenkmaß. Zum Eichen von Gefäßen verwendete man Wasser.

32 33 34 35 36 37 38 39 40

[Werlin 1966, 136]. Weitere Literaturangaben zur Prüfung der Weinqualität nennt [Horling 2012, 312, Anm. 129]. [Schultheiß 1965, 110]. Siehe auch [Biebinger und Neukam 1934, 56]. [Müllner 1984, 390]. [Ziegler 1977, 278] und [Witthöft 1994]. [Witthöft 1986a] und [Ziegler 1977]. [Ziegler 1977, 279] und [Ziegler 2010] [Witthöft 1989a]. [Ziegler 1977, 292, 322–323]. [Witthöft 1993], [Ziegler 1977, 281] und [Witthöft 1989b].

112

6 Die Visierer am Beispiel der Stadt Nürnberg

Es ergaben sich folgende Relationen:41 1 Fuder 1 Eimer

= 12 Eimer = 32 Viertel = 64 Visiermaß = 128 Seidel = 256 Schoppen = 34 Schenkviertel = 68 Schenkmaß = 136 Schenkseidel

Man begegnet Mengenangaben in Vierteln (quartalia) zum Beispiel bei Weingeschenken der Stadt an wichtige Gäste.42 Der Nürnberger Eimer stand möglicherweise in Relation zur Wormser Ohm.43 Um 1800 ermittelte man den Inhalt eines im Jahr 1380 gefertigten Nürnberger Eimers, der etwa 73,683 Liter entsprach.44 Leicht abweichend ergibt sich das Fassungsvermögen eines Eimers von etwa 73,3 Litern, wenn man die Ergebnisse des Frankfurter Rechenschreibers Georg Kaspar Chelius von Anfang des 19. Jahrhunderts zugrunde legt. Er hatte von einem Nürnberger Eichmeister Kannen im Visier- und Schenkmaß erhalten, deren Inhalt er bestimmte.45 Damit erhält man die Umrechnungen auf metrische Größen:46 1 Fuder 1 Eimer 1 Visiermaß 1 Schenkmaß

≈ 884 Liter47 ≈ 73,683 Liter (Eimer von 1380) ≈ 1,145 Liter (Messung von Chelius)48 ≈ 1,078 Liter (Messung von Chelius)49

6.1.4 Das Nürnberger Weinungeld Das Nürnberger Weinungeld machte im 14. bis 16. Jahrhundert ein Drittel bis zur Hälfte der Einnahmen im Nürnberger Haushalt aus.50 Mehrere im Staatsarchiv Nürnberg aufbewahrte Zettelbelege bestätigen, dass die in den Nürnberger Satzungsbüchern festgehaltenen Regelungen zum Ungeld auch in der Praxis durchgesetzt wurden. In diesem Abschnitt betrachte ich zunächst, seit wann ein Weinungeld in der Stadt Nürnberg erhoben wurde. Da nun eine Ungeldordnung

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42 43 44 45 46 47 48 49 50

[Bauernfeind 2000c], [Ziegler 1977, 281, Anm. 25], [Kreutzer 1971/1972, 345, 348–349] und [Folkerts 1986b, 138, Anm. 19]. Siehe auch [Sander 1902, 853, Anm. 1], [Roth 1802, 255] und ihnen folgend [Biebinger und Neukam 1934, 5, Anm. 7]. [Biebinger und Neukam 1934, 12–16]. [Ziegler 1977, 293, 331]. [Ziegler 1977, 281, Anm. 25]. [Ziegler 1977, 293, Anm. 80] und [Ziegler 2010, 471]. Zum Umgang mit Maßeinheiten in Nürnberg siehe auch [Bauernfeind 2000c]. Legt man den Eimer von 1380 zugrunde, ergibt sich gemäß der Relation zwischen Fuder und Eimer: 12 × 73,683 Liter = 884,196 Liter. Berechnet man aus diesem Visiermaß den Inhalt eines Eimers, erhält man den im Vergleich zum Eimer von 1380 leicht abweichenden Wert: 64 × 1,145 Liter = 73,28 Liter. Berechnet man aus diesem Schenkmaß den Inhalt eines Eimers, erhält man den im Vergleich zum Eimer von 1380 leicht abweichenden Wert: 68 × 1,078 Liter = 73,304 Liter. [Bauernfeind 2000f], [Sander 1902, 847] und [Siebenkees 1792, 40].

6.1 Nürnberg und der Weinhandel

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aus dem Jahr 1386 den Nürnberger Handel für lange Zeit prägte, habe ich den Titel der vorliegenden Arbeit an den Bericht des Johannes Müllner über diese Ungeldordnung angelehnt.51 Dann gehe ich darauf ein, wie das Ungeld abgerechnet und verwendet wurde, und betrachte, nach welchen Abläufen die Stadt das Ungeld von den Händlern erhob. Das Ungeld war eine der ältesten Steuereinnahmen, die auf bestimmte Lebensmittel seit Ende des 12. Jahrhunderts in zahlreichen Städten erhoben wurden.52 Es charakterisiert außerdem historische Entwicklungen, in denen die Städte des Mittelalters zunehmend den Einfluss des jeweiligen Stadtherren zurückdrängten. Für das Weinungeld gibt es durch die Nürnberger Satzungsbücher erste Nachweise seit 1302; ein Name „Ungelter“ ist bereits seit 1265 belegt.53 Die Stadt Nürnberg erhob ebenso ein Ungeld auf Bier, Met, Essig und seit dem 16. Jahrhundert auf bestimme Getreidesorten.54 Als weitere große Abgabe neben dem Ungeld fiel für die Nürnberger Bürger die „Losung“ an, eine direkten Vermögenssteuer, die im Gegensatz zum Ungeld in einer Art Selbstverpflichtung erhoben wurde.55 Die Kompetenz, ein Ungeld zu erheben, lag beim Reichsschultheiß und war damit an die Genehmigung eines römisch-deutschen Königs oder Kaisers des Reichs gebunden.56 Trotz der Verankerung des Ungeldes an höchster Stelle lag die Organisation der Erhebung seit Beginn in den Händen kommunaler Bediensteter.57 Das Ungeldprivileg löste sich jedoch in zahlreichen Städten des Reiches immer häufiger und für längere Zeiten aus dem Zuständigkeitsbereich des Reiches und ging an die Städte über. Die Stadt Nürnberg erhielt zunächst zeitliche befristete Zugeständnisse, um damit vor allem Wege und Straßen zu finanzieren. Es sind mehrere Urkunden erhalten, in denen es um das Nürnberger Ungeld geht.58 51

52

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„Dies Jahr ist ein neue Ungelts Ordnung gemacht worden, daß man nemblich geben sollen von Francken-, Necker-, Tauber- und Bergstraßer Wein vom Fuder 2 fl., Elsaßer Wein vom Fuder 3 fl., vom Fuder Met auch 3 fl., von welschen Weinen, als Rainfal, Paßawer, Veltliner, Kleßner und dergleichen vom Fuder 6 fl., von Romanaier, Malvasir, griechischen Wein, Vernetsch, Muscatel vom Fuder 8 fl., vom Fuder Bier ein halben Gulden, und was für Wein innerhalb einer halben Meil umb die Stadt Nürnberg gewachsen, hat ein ringer Ungelt gehabt als der ander Wein.“ Siehe [Müllner 1984, 128]. In manchen Gegenden sprach man auch von „Akzise“. Siehe [Irsigler 1980]. Frühe Ungelderhebungen lassen sich belegen zum Beispiel für: Hamburg 1189, Köln 1206, Ulm und Eßlingen 1231, Speyer 1238, Mainz 1244, Worms 1264, Friedberg 1285, Frankfurt 1286. Siehe [Habich 1967, 9] für entsprechende Nachweise. Ausführliche Studien zum Ungeld liegen vor für das Herzogtum Österreich ([Walter 1941]), Frankfurt ([Habich 1967]), Speyer ([Weisbrod 1952]), die schwäbischen Städte ([Wagner 1903]) und das Elsass ([Dubled 1960]). Zum Beispiel [Mummenhoff 1890, 21–22] und [Bauernfeind 2000f]. [Reicke 1896, 607–608], [Biebinger und Neukam 1934, 5, Anm. 9] und [Bauernfeind 2000f]. [Lochner 1873, 175–176] und [Bauernfeind 2000b]. [Bauernfeind 2000f], [Mummenhoff 1890, 21–22]. [Pitz 1956, 117]. Darunter 1327 Mai 3, Ludwig der Bayer, [RI VII] H. 5 n. 80, in: Regesta Imperii Online, http://www.regesta-imperii.de/id/1327-05-03_1_0_7_5_0_80_80 (besucht am 12.02.2018). Ebenso 1341 August 3, Ludwig der Bayer, [RI VII] H. 10 n. 384, in: Regesta Imperii Online, http://www.regesta-imperii.de/id/b0dbff6c-a6f2-49a1-8a37-8cf42dd3b3e7 (besucht am 12.02.2018). Siehe auch [Wießner 1932, 28].

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6 Die Visierer am Beispiel der Stadt Nürnberg

Schrittweise festigte die Stadt Nürnberg ihren Zugriff auf das Ungeldprivileg.59 Auf den 23. April 1350 datierte eine für die Nürnberger Bürger wichtige Urkunde, das ihnen das Ungeldprivileg zusicherte und den Grundstein dafür legte, dass das Ungeld zu einer der wichtigsten Einnahmequellen Nürnbergs wurde:60 Karl IV. legte fest, dass allein der Stadt Nürnberg die Einnahmen aus dem Ungeld zustanden. Wer dagegen verstoße, wende sich gegen Reichsrecht und habe mit einer Strafe von 200 Pfund Gold zu rechnen, die zur einen Hälfte der königlichen Kammer, zur anderen der Stadt Nürnberg zugute kommen sollte. Alle gegenteiligen Dokumente wiederrief er. Der historische Entstehungskontext dieser Urkunde ist umstritten.61 Endgültige Verfügungsgewalt über das Ungeld und vor allem die Ungeldtarife scheint Nürnberg jedoch erst später erhalten zu haben, womöglich im Jahr 1385, als sich die Stadt für 8000 Gulden das Amt des Reichsschultheiß zusicherte.62 Zwar war im „Weistum über das Amt des Reichsschultheißen zu Nürnberg vom 5. September 1385“ eine Zuständigkeit des Reichsschultheißen für das Ungeld nicht explizit erwähnt, doch es ist auffällig, dass unmittelbar nach der Sicherung des Schultheißenamtes eine neue Ungeldverordnung im Jahr 1386 in Kraft trat.63 Womöglich war der Zeitpunkt der neuen Ungeldverordnung jedoch auch von zeitgleichen Veränderungen im Münzwesen im Reich beeinflusst. Gemäß dem Münzgesetz König Wenzels vom 6. Juli 1385 sollte unter anderem eine neue Hellermünze herausgegeben werden, deren Ausgabetermin auf Ostern 1386 datiert wurde. Unter den Münzstätten war Nürnberg verzeichnet.64 Auf den gleichen Zeitraum datieren die Vereinbarungen der vier rheinischen Kurfürsten aus dem Jahr 1385 oder 1386 im sogenannten Rheinischen Münzverein. Im Vertragswerk veranlassten die Erzbischöfe von Köln, Mainz und Trier sowie der Pfalzgraf bei Rhein unter anderem die Prägung eines Goldgulden, dessen Währungsgebiet nicht nur rheinische Lande, sondern auch Bayern und Franken umfassen sollte.65

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Zwischenzeitlich verlieh Karl IV. am 21. Juni 1349 das Ungeldprivileg dem Burggrafen von Nürnberg und seinen Kanzler Domprobst Niklas von Prag für einen Zeitraum von vier Jahren. Siehe [RIplus] Regg. Karl IV. (Diplomata) [n. 1223], in: Regesta Imperii Online, http://www.regesta-imperii.de/id/d1b811fd-e475-438d-9892-24cfbda4d2e0 (besucht am 12.02.2018). Einige der Urkunden berücksichtigen zum Beispiel [Lochner 1873, 31], [Biebinger und Neukam 1934, 38, Anm. 1] und [Pitz 1956, 116–117]. StAN, Reichsstadt Nürnberg, Kaiserliche Privilegien, Urkunden 86. Die Urkunde liegt in digitalisierter Form vor: https://www.gda.bayern.de/findmitteldatenbank/?archivalie= 3cad29ad-1799-4f52-bc7a-b304095acc68 (besucht am 22.03.2018). Siehe auch [Kühn 1979– 1991, 87, Nr. 106]; [Müllner 1972, 472–474], [Lochner 1873, 45–46] und [Biebinger und Neukam 1934, 38, Anm. 1]. [Lochner 1873, 45–46] und [Ruser 1960, 17–19, 27, 47–49, 53–55]. [Fleischmann 2012, 12–14, 34]. [Schultheiß 1965, 327–330]. [Wielandt 1973, 16]. Siehe auch [Kellner 1957]. Siehe [Hess 1970, 310]. Zum Rheinischen Münzverein siehe [Kirchgässner 1970], [Berghaus 1995] oder [Weisenstein 2002]. [Eichhorn 1973, 42] stellte fest, dass der Goldumlauf in Franken im zweiten Drittel des 15. Jahrhunderts vom rheinischen Goldgulden wesentlich bestimmt wurde.

6.1 Nürnberg und der Weinhandel

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Aus den nachfolgenden Jahren sind zahlreiche Bestätigungen des Ungeldprivilegs durch verschiedene römisch-deutsche Könige oder Kaiser erhalten.66 Es bleibt zu untersuchen, welche Art von Gegenleistungen die Stadt Nürnberg dem jeweiligen Regenten versprochen haben dürfte, wie zum Beispiel die Gewährung von Krediten oder Unterstützung in anderer Form. Die Ungeldordnung aus dem Jahr 1386 vervielfachte die Einnahmen Nürnbergs aus dem Weinungeld im Vergleich zu 1377/78 auf das Achtfache.67 Die Neuerungen wurden Ulrich Peuntinger zugeschrieben, der am 7. April 1386 das Amt des Ungelters übernahm.68 Neben der Hebeweise des Ungeldes im Jahr 1386 änderte sich die Art der Abrechnung von Wochen- zu Jahressummen.69 Die Ungeldordnung von 1386 sah eine Staffelung je nach Weinsorte vor: Für die leichten Landweine aus Franken, vom Neckar, von der Bergstraße oder der Tauber waren zwei Gulden pro Fuder aufzubringen. Es wurden drei Gulden pro Fuder für schwere Weine aus dem Elsass oder vom Rhein sowie Met berechnet. Am teuersten waren Weine wie Roviglio, Veltin oder Bassano für sechs Gulden pro Fuder und sogar acht Gulden pro Fuder für Romanie und Muskateller. Auch Bier war ungeldpflichtig mit einem halben Gulden pro Fuder.70 Spätere Ungeldordnungen behielten diese Struktur bis 1806 bei, wobei die Höhe der Ungeldsätze schwankte.71 Zeitweise wurde ein sogenanntes Eimergeld eingeführt, das als Grundeinheit der Steuertarife anstelle des Fuders den Eimer ansetzte. Die Abrechnung und Verwendung des Weinungeldes lässt sich anhand der Rechnungsbücher Nürnbergs beschreiben. Für den Zeitraum der 1430er Jahre lassen sich quantitative Aussagen über das Weinungeld machen. Nur wenige andere Einnahmequellen wie zum Beispiel die Losung, Verkäufe von Ewiggeld oder Leibgedingen erreichten überhaupt die Höhe des Ungeldes: Im Gegensatz zur Losung, einer direkten Vermögenssteuer, war das Ewiggeld ein Zins von einem

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Diese sind zum Beispiel: 1401 Jan. 6, König Ruprecht bestätigt Privilegien, unter anderem auf alle Waren ein Ungeld zu nehmen, [Regg. Pfalzgrafen 2] n. 352, in: Regesta Imperii Online, http: //www.regesta-imperii.de/id/1401-01-06_14_0_10_0_0_352_352 (besucht am 12.02.2018); 1420 Nov. 4, Sigmund bestätigte der Stadt Nürnberg die Urkunde Karls IV. vom 5. April 1355, RI XI,1 n. 4316, in: Regesta Imperii Online, http://www.regesta-imperii.de/id/1420-11-04_2_ 0_11_1_0_4854_4316 (besucht am 12.02.2018); 1420 Nov. 17, Sigmund befreite die Nürnberger von einem möglichen Weinungeld des Bischofs von Würzburg, RI XI,1 n. 4325, in: Regesta Imperii Online, http://www.regesta-imperii.de/id/1420-11-17_2_0_11_1_0_4865_4325 (besucht am 12.02.2018); 1429 Sept. 5, Sigmund bestätigte die Ungeldprivilegien Heinrichs VII. und Karls IV., RI XI,2 n. 7410, in: Regesta Imperii Online, http://www.regesta-imperii.de/id/ 1429-09-09_3_0_11_2_0_1458_7410 (besucht am 12.02.2018). Auch im 16. Jahrhundert wurde das Ungeldprivileg mehrfach bestätigt. Siehe ebenso [Müllner 2003, 693, Anm. 2989–2992]. [Reicke 1896, 113] und [Sander 1902, 847]; dagegen datieren [Müllner 1984, 128] und [Mummenhoff 1890, 21–22] die Ungeldordnung auf das Jahr 1390. [Sander 1902, 847]. [Pitz 1956, 119]. [Schultheiß 1965, 310], [Müllner 1984, 128], [Mummenhoff 1890, 21–22], [Hartmeyer 1905, 86] und [Sander 1902, 238–239]. [Bauernfeind 2000f].

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6 Die Visierer am Beispiel der Stadt Nürnberg

Abbildung 6.4: Anteil des Ungeldes an den Einnahmen der Stadt Nürnberg in den Jahren 1431 bis 1440

vom Gläubiger unkündbaren Darlehen;72 das Leib(ge)ding ist mit einer heutigen Rentenversicherung vergleichbar.73 Das Weinungeld war für die städtischen Finanzen Nürnbergs unverzichtbar (Abb. 6.4).74 Der von den Ungeltern abgelieferte Betrag wurde ohne Abzug als Einnahme verbucht. Zum Ungeld addierten sich kleinere Beträge aus den Gebühren für die Dienste der zuarbeitenden Beamten wie den Schrötern oder Visierern, aus der Miete für die Einlagerung von Weinen und aus Strafzahlungen derjenigen, die die Vorschriften im Weinhandel nicht eingehalten hatten. Unter dem Titel „Visieramt“ sind in den Stadtrechnungen die Einnahmen verzeichnet, die nach Abzug des Lohnes für die Visierer an die Stadtkasse gingen. Als geringe Ausgaben fielen das Gehalt für den Ungelter und Erstattungen des Ungeldes an.75 Aus den Jahren 1487 und 1489 sind zwei detaillierte Jahresabrechnungen des Nürnberger Weinungeldes erhalten, die die Einnahmen und Ausgaben für die Erhebung des Ungeldes für Wein und Bier zusammenfassen und einen Blick auf

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Unter den Nürnberger Archivalien findet man zahlreiche Ewiggeld-Urkunden ähnlicher Form, wie zum Beispiel vom 12. April 1502: „Bürgermeister und Rat der Stadt Nürnberg verkaufen dem Prior Conrad Thumberger und dem Konvent des Frauenbrüderklosters daselbst ein Ewiggeld von 40 fl. aus der Losungstube um 1200 fl. unter Vorbehalt des Rückkaufsrechtes“. Siehe StAN, Rep. 5.6 Karmeliterkloster in Nürnberg, Urkunden, Nr. 5. Siehe [Ogris 1991], [Heydenreuter, Pledl und Ackermann 2009, 133] und [Stunz 2005, 145]. Für diese Abbildung habe ich Tabellen in [Sander 1902, 310, 325] ausgewertet. [Sander 1902, 304–305, 311, 320, 347–351, 362–363, 366–368].

6.1 Nürnberg und der Weinhandel

117

die Abrechnungsvorgänge ermöglichen.76 Die Abrechnungen waren für Wein nach Sorten (Malvasier, Rainfal und welisch Wein, Frankenwein, Met) aufgeschlüsselt. Die abgerechneten Ungeldsummen machen deutlich, dass wesentlich mehr Bier als Wein getrunken wurde. Unter den Weinen nahm der Frankenwein die unbestrittene Spitzenposition ein.77 Das Ungeld war bei den Nürnberger Bürgern sehr unbeliebt. Der Meistersänger Kunz Haß fand kritische Worte.78 Es gab häufige Beschwerden gegen die Abgabe, die in Einzelfällen sogar öffentlichen Widerstand provozierte.79 Die ursprünglich zweckgebundene Abgabe für die Sicherung von Wegen oder die Befestigung der Stadt kam vor allem dem städtischen Gesamthaushalt zugute und diente der Finanzierung von Ausgaben für Militär oder städtischer Verwaltung.80 Zu Anfang des 17. Jahrhunderts stand das Ungeld etwa gleichberechtigt neben der Losung, verlor jedoch nach dem 30-jährigen Krieg an Bedeutung. Die Gründe für diesen Bedeutungsverlust sind nicht eindeutig festzumachen.81 Wie das Nürnberger Weinungeld erhoben wurde, ist im Detail in den Ungeldordnungen festgehalten. Die ältesten erhaltenen Ungeldordnungen Nürnbergs stammen vom Beginn des 14. Jahrhundert und sind in den sogenannten Amtsund Standbüchern überliefert.82 Ungeldpflichtig waren Wirte, Bierbrauer und alle, die Bier oder Wein einlagerten;83 Geistliche und Adlige mussten für Weinmengen des Eigenbedarfes kein Ungeld zahlen.84 Jedes zu verkaufende Fass musste verungeltet werden. In der Regel geschah dies direkt auf dem Weinmarkt, wo wiederholt angemahnt werden sollte, dass das Ungeld unbedingt an die Stadt bezahlt werden musste.85 Wurde das Fass dort noch nicht verungeltet, konnte die Steuer auch in den privaten Kellern erhoben werden, also unmittelbar nach der Einlagerung.86 Für den Ablauf der Erhebung war in den frühen Satzungsbüchern von Ende des 14. Jahrhunderts ursprünglich festgelegt, dass der Ungelter bei der Messung

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StAN, Reichsstadt Nürnberg, Stadtrechnungsbelege, Einzelbelege Nr. 267 („Visieramt, 3 Listen, 1486/87“) und Nr. 344 („Visieramt, 1 Jahresabrechung, 1489“). Ähnlich StAN, Reichsstadt Nürnberg, Stadtrechnungsbelege, Einzelbelege Nr. 149 („Ungeld, 3 Zettel, 1482/83“). Zum Beispiel StAN, Reichsstadt Nürnberg, Stadtrechnungsbelege, Einzelbelege Nr. 267. Daraus ergeben sich Ungeldbeträge von 1487 in Gulden: Malvasier 96, Rainfal und welisch Wein 99, Frankenwein 5984, Met 73, Summe Wein 6252; Fremdes Bier 696, Hiesiges Bier 8120, Summe Bier 8816. Da der Ungeldsatz für Bier geringer als für Wein ausfiel, muss der Bierdeutlich über dem Weinverbrauch gelegen haben. [Haß 1858, Z. 160–177]. [Müllner 2003, 427–428, 512, 547]. Siehe auch [Vogler 2009]. [Sander 1902, 848–854]. [Sander 1902, 878] und [Bauernfeind 2000f]. Einen Blick in die Regelungen von 1463 zu den Visierern ermöglichen die Aufzeichnungen in den Archivalien StAN, Amts- und Standbücher 268, fol. 39r. Siehe auch [Biebinger und Neukam 1934, 5, Anm. 9]. [Lochner 1873, 176] und [Reicke 1896, 113]. Die Vorschriften für das Bierungeld fasst [Sander 1902, 237–238] zusammen. [Sander 1902, 238]. [Schieber 1995, 103]. [Sander 1902, 239] und [Gümbel 1926, 298].

118

6 Die Visierer am Beispiel der Stadt Nürnberg

des Fassinhaltes durch die Visierer anwesend sein und sofort das Ungeld einziehen sollte.87 Für die detaillierten Abläufe in der Praxis ist eine Ungeldordnung des Rates von 1561 sehr erhellend, die auf die Zusammenarbeit der Ungelter mit den Visierern eingeht.88 Der Inhaber des Ungeldamtes sollte ein „Zettelbüchlein“ führen, in das er die Namen derer notierte, die ihr Ungeld noch bezahlen mussten. Am Samstag kamen die Visierer beim Ungelter vorbei und legten ihre Zettel, auf denen sie die während der Woche gemessenen Visiere verzeichnet hatten, neben die Aufzeichnungen des Ungelters. Bei diesem Vergleich scheinen sich regelmäßig Unstimmigkeiten ergeben zu haben, weil zum Beispiel die Visierer mehr oder weniger Fässer vermessen hatten, als im Heftchen des Ungelters verzeichnet waren, oder sich die Namen der Ungeldpflichtigen widersprachen. Weil der Stadt durch solche Irrtümer Ungeld vorenthalten werde, sollten die Visierer eine genauere Dokumentation anlegen. Sollten Fässer auf der Ungeldliste stehen, für die das Ungeld möglicherweise nicht gezahlt wurde, sollten die Visierer eigene Erkundigungen einziehen und bei den betroffenen Personen nachfragen. Der Befragte sollte zur Überprüfung das Zettelchen holen, dass ihm bei der Messung ausgehändigt worden war. Neben weiteren Detailregelungen, die die Ausgabe und den Umgang mit den Ungeldzettelchen betrafen, ist ebenso der Abschnitt der Ungeldordnung zur Schreibweise der Zettelchen instruktiv. Bis zur Abfassung der Ungeldordnung wurden Zahlen auf den Ungeldzettelchen in Ziffern geschrieben. Dies muss zu zahlreichen Betrügereien und Fälschungen geführt haben, denn die Ungeldordnung sah vor, dass der Ungeldbetrag nicht mehr nur in Zahlen, sondern ergänzend auch in Worten verzeichnet werden sollte. Die Ziffernschreibweise sei jedoch für die Einleger unerlässlich, da sie die Anzahl der zu transportierenden Fässer kennen mussten. Offenbar konnten nicht alle Einleger lesen. Sobald das Ungeld bezahlt war, wurde das Fass versiegelt, damit kein Wein nachgefüllt werden konnte. Konnte der Fassbesitzer das Ungeld nicht sofort aufbringen, sollten die Fässer unversiegelt bleiben. Der Ungelter sollte sich ebenfalls den Namen des Besitzers und den Inhalt des Fasses aufschreiben, um das Ungeld später einzuziehen. Die Zahlungsfrist betrug acht Tage, danach wurden außerdem hohe Mahngebühren fällig.89 Letztlich wurde sogar der Weinkunde bei der Ungelderhebung in die Pflicht genommen, denn solche Getränke, für die kein Ungeld gezahlt wurde, durften nicht getrunken werden. Es war nicht gestattet, unvergelteten Wein in kleineren Gefäßen wie Flaschen, Krügen oder Fässchen mit nach Hause zu nehmen.90

87 88

89

90

[Schultheiß 1965, 312]. Siehe auch [Hartmeyer 1905, 86]. StAN, Reichsstadt Nürnberg, Ratskanzlei B-Laden, Akten 73, Nr. 1, sechster bis zehnter Abschnitt. Zu dieser Darstellung passen auch die Notizen von 1463 in StAN, Amts- und Standbücher 268, fol. 39r. [Schultheiß 1965, 47, 63, 193, 237, 310, 312]. Siehe auch [Hartmeyer 1905, 87]. Dass mit Ungeldschulden nicht leichtfertig umgegangen wurde, zeigen mehrere Einträge in den Nürnberger Ratsverlässen. Siehe [Stahl 1983, 226, 228, 231, 247, 263] und [Schieber 1995, 18, 79, 221]. [Baader 1966, 245, 248].

6.1 Nürnberg und der Weinhandel

119

Innerhalb der Stadtmauern Nürnbergs galten andere Ungeldsätze als für das unmittelbare Umland.91 Das Ungeld wurde von Winzern auch in einem bestimmten Bereich rund um die Stadt erhoben, falls der Wein für längere Zeit gelagert werden sollte. Wurde Wein nach außerhalb verkauft, so war kein Ungeld fällig. Handelte es sich um nur kleine Mengen von weniger als fünf Eimern Wein, verzichtete der Rat auf die Messung der Fässer.92 Das hohe Maß an Organisation im Nürnberger Weinhandel belegen die Regelungen für die Erstattung von Weinungeld. Dieser Fall konnte eintreten, wenn ein Nürnberger Bürger seinen Wein zum Verkauf wieder ausführte. Dafür musste er jedoch zuvor alle Voraussetzungen erfüllt haben und nachweisen können, dass die Visierer, Ungelter und Schröter ihre Arbeit bei der Einfuhr des Weines erfüllt hatten. Die Fässer mussten außerdem eine Mindestgröße von drei Eimern haben. Bei der Ausfuhr des Weines erhielt der Bürger fünf Sechstel des Ungeldes zurück.93 Die in den Nürnberger Satzungsbüchern niedergeschriebenen Regeln für den Weinhandel und die Erhebung des Ungeldes lassen sich durch Dokumente aus der Praxis bestätigen. Dass man das Verfahren der Ungelderhebung tatsächlich als „Zettelwirtschaft“ charakterisieren kann, belegt unter anderem ein Ungeldbüchlein von 1433.94 Das Bändchen in der Größe eines Notizbuches wird von einem Pergamentumschlag eingefasst und durch eine umwickelte Schnur verschlossen. Es enthält einige weiße Papierblätter, die mit einem Faden eingebunden wurden. Man findet fragmentarische Notizen zu den Ungeldvorschriften, die wohl von einem der Ungelter stammen.95 In das Büchlein ist außerdem ein handschriftliches Blatt eingelegt, auf dem ein Ungelter Beschwerden und Anmerkungen zum Weinhandel zusammenfasst.96 Das Ungeldbüchlein war wohl längere Zeit in Gebrauch, wie die verschiedenen Daten nahelegen. Ob es allein für Notizen des Ungelters über die gültigen Verordnungen im Gebrauch war oder ob der Ungelter darin tatsächlich das zu zahlende Ungeld verzeichnete, lässt sich aufgrund der wenigen Notizen nicht klären. Aus dieser Zeit sind außerdem zwei handschriftliche Rechnungsbelege aus den Jahren 1465 und 1477/78 über das Weinungeld erhalten. Der Zettel von 1477/78 zeigt, dass das Ungeld für Wein und Bier getrennt voneinander berechnet wurde.97

91 92 93

94 95 96 97

[Müllner 1984, 360] und [Bauernfeind 2000f]. [Schultheiß 1965, 311, 313]. Siehe auch [Sander 1902, 238–239]. [Baader 1966, 246–247]. Siehe auch [Hartmeyer 1905, 87] und [Reicke 1896, 607–608]. An anderer Stelle ist zu lesen, dass die Hälfte des Weinungeldes erstattet wurde. Siehe [Sander 1902, 239] (ohne Quellenangabe). StAN, Reichsstadt Nürnberg, Losungsamt Akten, S I L 124, Nr. 7 („Ordnung der Umgelder von 1492, nebst einem alten Umgeldbüchlein von 1433“). Ein Eintrag beginnt mit „Item Herr Niklas Muffel sagt mir, dass..“, ein anderer mit „Es gepieten die burger vom rate..“. Siehe StAN, Reichsstadt Nürnberg, Losungsamt Akten, SIL 124, Nr. 7. Siehe Kapitel 6.2. StAN, Reichsstadt Nürnberg, Stadtrechnungsbelege, Einzelbelege Nr. 71 („Ungeld von Wein und Bier, 1 Zettel, 1477/78“). Ebenso StAN, Reichsstadt Nürnberg, Stadtrechnungsbelege, Einzelbelege Nr. 3 („Ungeld von Wein, 1 Zettel, 1465“).

120

6 Die Visierer am Beispiel der Stadt Nürnberg

6.2 D IE N ÜRNBERGER V ISIERER Nach ersten Einblicken in den Nürnberger Weinhandel stehen im folgenden Abschnitt die Nürnberger Visierer im Zentrum. Nach einem kurzen Blick auf die Aufgaben der Visierer und den Ablauf der Fassmessung geht es um ihre Amtszeiten, ihren Zuständigkeitsbereich und ihre Bezahlung. Von den namentlich bekannten Visierern stelle ich einige kurz vor, um schließlich die Ausbildung zum Visierer und das Ansehen der Berufsgruppe zu betrachten. Neben den Nürnberger Satzungsbüchern ziehe ich dafür bisher nicht ausgewertete Dokumente aus dem Staatsarchiv Nürnberg zu Rate. In den Belegen zur Stadtrechnung lassen sich wichtige Hinweise auf die Praxis und Ausbildung der Visierer finden. Für eine Einschätzung des beruflichen Hintergrundes und des Familienumfeldes einiger Visierer ist das im Anhang beigefügte Verzeichnis der Nürnberger Visierer zwischen etwa 1350 und 1525 hilfreich, das ich vor allem anhand der sogenannten Ämterbüchlein erstellt und mit Nachrichten aus Nürnberger Gerichtsakten aus dem Stadtarchiv Nürnberg ergänzt habe.

6.2.1 Aufgaben der Visierer In Nürnberg sind seit langem Spezialisten für die Inhaltsbestimmung von Fässern nachweisbar. Bereits um 1302 wurden „Weinmezzer“ oder „Mezzmeister“ in den ersten Satzungsbüchern erwähnt, die vom Rat der Stadt eingesetzt wurden.98 Die Bezeichnungen als Weinmesser oder Messmeister verschwanden nach 1360 zugunsten von „Visierern“.99 Jedes Fass, das auf dem Weinmarkt gehandelt werden sollte, musste von den Visierern gemessen werden, bevor die anderen Spezialisten im Weinhandel wie Schröter, Unterkäufel und andere überhaupt aktiv werden durften. Erst danach durfte der Händler seinen Wein zum Verkauf anbieten. Allein die vereidigten Visierer sollten den Inhalt der Fässer bestimmen. Die Visierpflicht betraf Bürger Nürnbergs und Gäste gleichermaßen und galt für Weine, die auf dem Weinmarkt und in den Kellern gehandelt wurden. Wer seine Fässer nicht visieren ließ, musste mit einer Geldstrafe rechnen.100 Die Visierer unterstanden der Aufsicht einer eigenen Deputation des Inneren Rates „zum Weinmarkt“; ihr direkter Vorgesetzter war der Ungelter.101 . Später wechselte diese Zuständigkeit zum Ungeldamt.102 Mit Beginn des 16. Jahrhunderts liegen zahlreiche Akten des Ungeldamtes vor.103

98 99 100 101 102 103

[Schultheiß 1965, 46, 110, 114]. [Bauernfeind 2000i]. [Schultheiß 1965, 115, 117, 312]. [Gümbel 1926, 298]. [Bauernfeind 2000g]. Diese Dokumente im Stadtarchiv Nürnberg habe ich für diese Arbeit aufgrund des durch die Handschriften gegebenen Untersuchungszeitraumes nicht gesichtet.

6.2 Die Nürnberger Visierer

121

Von 1397 ist in einem der Satzungsbücher ein Eid der Nürnberger Visierer überliefert.104 Der Kandidat sagte bei seiner Vereidigung zu, dass er sein Amt „getrewlichen pflege“ und alle Anfragen nach einer Messung gleichermaßen behandle. Die Namen der vereidigten Visierer (und anderer Handwerker) notierte die Stadt in den sogenannten „Ämterbüchlein“, wobei ein Kürzel hinter dem Namen oft die Vereidigung belegte.105 Die Ämterbüchlein sind von Ende des 14. Jahrhunderts bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts bis auf wenige Lücken erhalten und ermöglichen es, die Nürnberger Visierer namentlich auszumachen.106 Die Visierer übernahmen neben der eigentlichen Fassmessung zusätzliche Aufgaben in der Organisation des Weinhandels. Sie waren angehalten, die Einhaltung der Regelungen im Weinhandel zu beobachten und durchzusetzen.107 Die Visierer beaufsichtigten auch das Umfüllen und Abfüllen von Fässern.108 Desweiteren waren sie mit einigen Auflagen bedacht und durften zum Beispiel weder als Gastwirte noch als Getränkehändler tätig sein. Sie durften keine höheren Gebühren verlangen als die städtische Verordnung vorsah. Ab dem 15. Jahrhundert mussten sie die Hälfte der eingenommenen Gebühren im Losungsamt abgeben.109 Ein Teil der Visiergebühr bildete damit einen kleinen Zuschlag zum Ungeld, der in den Nürnberger Rechnungsbüchern als eigener Einnahmeposten verbucht ist.110 Im 14. Jahrhundert mag es Überschneidungen der Aufgaben des Ungelters und des Visierers gegeben haben.111 Möglicherweise beruht diese Einschätzung auf einem Eintrag im Ämterbüchlein von 1396, in dem als Ungelter und Visierer die gleiche Person Ulrich Peuntinger genannt wird.112 Doch bereits im Ämterbüchlein von 1397 sind zwei verschiedene Personen als Visierer verzeichnet, die wohl nicht die Aufgabe des Ungelters übernommen haben. Diese Trennung der Zuständigkeiten zwischen Ungelter und Visierer spiegelte sich ebenso im jeweiligen Eid der Visierer und der Ungelter.113

6.2.2 Ablauf der Fassmessung Wie die Messung eines Fasses und die Erhebung des Weinungeldes im Detail ablief, lässt sich anhand der in den Nürnberger Satzungsbüchern festgehaltenen Regelungen und ausgewählter Archivalien rekonstruieren.

104 [Schultheiß 1965, 311–312]. 105 [Döbereiner 1993, 371–377]. 106 [Fleischmann 2003]. Ein Verzeichnis der Visierer zwischen der Mitte des 14. Jahrhunderts und 1525 ist als Anhang II beigefügt. Ich ziehe es in den folgenden Abschnitten immer wieder für Aussagen über die Visierer heran. 107 [Schultheiß 1965, 307]. 108 [Bauernfeind 2000i]. 109 [Bauernfeind 2000i]. 110 [Sander 1902, 240]. 111 [Reicke 1896, 113], [Gümbel 1926, 298] und [Pitz 1956, 156]. 112 StAN, Ämterbüchlein Nr. 1, fol. 2. 113 [Schultheiß 1965, 312].

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6 Die Visierer am Beispiel der Stadt Nürnberg

Sobald ein Fass auf dem Weinmarkt ankam und ein Visierer hinzugerufen wurde, bestimmte dieser den Inhalt des Fasses mit einer Visierrute (Abb. 6.5).114 Er schrieb das Ergebnis mit Kreide auf den Boden des Fasses und versiegelte das Fass, damit es nicht aufgefüllt wurde.115 Die Ausgaben für Kreide und Wachs wurden den Visierern später erstattet.116 Auch auf dem Siegel war wohl der Inhalt des Fasses notiert. Nur solche Fässer, die über das amtliche Siegel der Visierer verfügten, durften gehandelt werden. Wer das auf dem Fass angebrachte Siegel nach dem Visieren unerlaubt ablöste, musste mit Geld- und Freiheitsstrafen rechnen.117 Gemäß der Regelungen in den frühen Satzungsbüchern sollte der Ungelter bei der Messung der Visierer anwesend sein. Da es um 1500 vier aktive Visierer gab, ist nicht anzunehmen, dass diese Vorschrift in der Praxis umgesetzt wurde. Der Visierer bestimmte anhand des gemessenen Fassinhaltes die anfallende Ungeldsumme je nach gültiger Ungeldordnung und außerdem die Visiergebühr für seine Arbeit, die sich nach der gemessenen Menge richtete und zusätzlich eine Pauschale pro Fass vorsah. Die Gebühr für das Visieren sollte gemäß der Nürnberger Satzungsbücher von den Käufern anteilig bezahlt werden. Wurden ein Nürnberger Bürger und ein Gast von außerhalb handelseinig, so zahlte der Bürger ein Drittel der Gebühr. Kaufte ein Gast von einem anderen, so wurde die Visiergebühr jeweils zur Hälfte von Käufer und Verkäufer eingenommen. Nahm der Visierer die Messung des Fasses im Haus des Besitzers vor, erhöhte sich die Visiergebühr. Wer wegen der zahlreichen Vorschriften und Kosten den Visierer schlecht behandelte, musste für eine hohe Geldstrafe aufkommen; wer als geschworener Visierer eine zu hohe Gebühr verlangte, wurde ebenfalls zur Kasse gebeten. Die Einnahmen aus der Visiergebühr sollte der Visierer unter den Augen seines Kollegen in eine Büchse legen und diese Summe unangetastet regelmäßig in die Losungsstube bringen.118 Der Visierer dokumentierte das Ergebnis seiner Messung, den Namen des Fassbesitzers und die Anzahl der Fässer schriftlich und sollte am selben oder am darauffolgenden Tag den Ungelter oder das Ungeldamt über seine Messung und die anfallende Ungeldsumme informieren.119 Der Visierer trug diese Informationen in ein Schuldbuch oder in ein Register für Wein (und Bier) ein. Ein den städtischen Rechnungsbüchern für das Jahr 1484 beigelegter Zettel dokumentiert, dass den Visierern die Ausgaben für solche Arbeitsmaterialien erstattet wurden.

114 [Sander 1902, 240] und [Gümbel 1926, 298]. 115 [Baader 1966, 246] und [Sander 1902, 240]. 116 StAN, Reichsstadt Nürnberg, Stadtrechnungsbelege, Einzelbelege Nr. 589 („Verwaltungskosten: 1 Zettel, 1496“) und StAN, Reichsstadt Nürnberg, Stadtrechnungsbelege, Einzelbelege Nr. 685 („Ungeld: 1 Rechnung über Verwaltungsausgaben, 1500“). 117 [Schultheiß 1965, 310–311]. Siehe auch [Hartmeyer 1905, 84–86] und [Bauernfeind 2000i]. 118 Dieser Absatz folgt [Schultheiß 1965, 47, 116–117, 312]. Siehe auch [Sander 1902, 305], [Hartmeyer 1905, 84–85] und [Gümbel 1926, 298]. 119 [Sander 1902, 240] und [Bauernfeind 2000i].

6.2 Die Nürnberger Visierer

123

Abbildung 6.5: Ein Visierer. Handbuch des deutschen Kaufmanns (1511), Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Cod. Guelf. 18.4 Aug. 4◦ , fol. 90v.

124

6 Die Visierer am Beispiel der Stadt Nürnberg

Erwähnt werden zum Beispiel Notizbücher, Papier und Tinte (Abb. 6.6).120 Zwei weitere Abrechnungen dieser Art aus den Jahren 1496 und 1500 führen außerdem Schreibfedern auf.121 Diese Verwaltungskosten bestritt die Stadt aus den Ungeldeinnahmen.122 Ebenso gab der Visierer dem Fassbesitzer einen Zettel mit den Messergebnissen und der anfallenden Ungeldsumme. Den Zettel musste der Händler dem Ungelter vorlegen und die Weinsteuer bezahlen. Ganz ähnlich müssen die Abläufe strukturiert gewesen sein, wenn ein Visierer den Bestand in einem Keller bestimmte. Eine solche Messung und Ungeldzahlung bestätigt ein Zettel, der den Nürnberger Rechnungsbüchern für das Jahr 1492 beigelegt war (Abb. 6.7).123 Ein gewisser Conrad Zymer visierte am Montag nach Juliani 1492 für einen gewissen Hans Moslach (?). Conrad Zymer ist in der Tat im Ämterbüchlein für das Jahr 1492 als vereidigter Visierer aufgeführt (Abb. 6.8).124 Auf dem Visierzettel folgt eine Liste an Mengenangaben (im Hohlmaß „Eimer“) und wohl den zugehörigen Preisen.125 Vermutlich darf jede Zeile der Mengenangaben als einzelnes Fass interpretiert werden, in denen sich verschiedene Weinsorten befanden, für die jeweils unterschiedliche Ungeldsätze galten. Möglicherweise handelte es sich um zum Beispiel im Rheinland gebräuchliche Stückfässer, die etwa 15 bis 15 12 Eimer Visiermaß fassten.126 An dieser Lesart bleibt jedoch zu diskutieren, warum die Angaben deutlich von den Ungeldordnungen abweichen. Die Grundeinheit des Ungelds in Gulden war das Fuder; ein Eimergeld wurde in der kleineren Einheit der Heller festgelegt. Behielte man die Lesart bei, handelte es sich um sehr teure Ungeldtarife. Die Summe der Mengen belief sich jedenfalls auf 1531/2 Eimer, für die ein Ungeldbetrag von 460 Gulden und 37 Hellern zu entrichten war.127 Setzt man einen Eimer mit 73 Litern an, ergibt sich mit insgesamt etwa 11000 Litern der Inhalt eines beachtlichen Weinkellers. In einer Weinabrechnung von 1566 sind nur fünf Personen verzeichnet, die über einen Weinbestand von mehr als 100 Eimern verfügten.128 Auf dem Ungeldzahlungsbeleg ist ebenso die Bezahlung der

120 StAN, Reichsstadt Nürnberg, Stadtrechnungsbelege, Einzelbelege Nr. 171 („Visierer, Ausgaben, 1 Zettel, 1484“). 121 StAN, Reichsstadt Nürnberg, Stadtrechnungsbelege, Einzelbelege Nr. 589 („Verwaltungskosten: 1 Zettel“) und StAN, Reichsstadt Nürnberg, Stadtrechnungsbelege, Einzelbelege Nr. 685 („Ungeld: 1 Rechnung über Verwaltungsausgaben“). 122 StAN, Reichsstadt Nürnberg, Stadtrechnungsbelege, Einzelbelege Nr. 685 („Ungeld: 1 Rechnung über Verwaltungsausgaben, 1500“). 123 StAN, Reichsstadt Nürnberg, Stadtrechnungsbelege, Einzelbelege Nr. 462 („Visieramt, summarische Rechnung, 1492“). Ich danke den Mitarbeitern des Stadtarchivs Nürnberg für die Hilfe beim Entziffern schwer lesbarer Wörter. 124 StAN, Ämterbüchlein Nr. 15. 125 Zum Beispiel in der 5. Zeile: „xvj aymer ung[elt] (?) vii fl“, das heißt 15 12 Eimer Ungeld 7 Gulden. Ich habe keine überzeugende Interpretation für die in mehreren anderen Zeilen angegebene Notiz „max“ (?) gefunden. 126 Ein Fuder enthielt 12 Eimer Visiermaß. Siehe [Roth 1802, 255]. 127 Rechnet man die Summen nach, ergeben sich nur leicht abweichende Beträge. 128 StAN, Reichsstadt Nürnberg, Stadtrechnungsbelege, Bündel Nr. 232.

6.2 Die Nürnberger Visierer

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Abbildung 6.6: Ausgaben für die Visierer 1484. Staatsarchiv Nürnberg, Reichsstadt Nürnberg, Stadtrechnungsbelege, Einzelbelege, Nr. 171.

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6 Die Visierer am Beispiel der Stadt Nürnberg

Einleger mit einer Summe von 153 Hellern notiert. Damit ergibt sich ein Lohn von einem Heller pro Eimer. Offenbar gaben die Visierer bisweilen Rabatte auf das zu zahlende Ungeld, obwohl dieses Vorgehen von den Ungeltern untersagt war.129 Als Preisnachlass lässt sich jedoch die erste Zeile der Ungeldquittung interpretieren, in der neben einer Menge von 15 Eimern kein Geldbetrag notiert wurde. Der Ungelter verglich seine Zahlungseingänge mit den Unterlagen der Visierer, um bei Abweichungen Steuerschuldner ausfindig machen. Ebenso nahm er Einnahmen aus der Visiergebühr entgegen. Die Hälfte des Betrags stand den Visierern als Verdienst zu, während der Rest an die Stadtkasse ging.130 Solche Einzahlungen wurden regelmäßig dokumentiert, wie mehrere Listen für die Jahre 1482 und 1484 bis 1486 belegen (Abb. 6.7):131 Man findet die Einnahmen aus den Visiergebühren, die dem anteiligen Lohn der Visierer entsprechen müssten, meistens an Samstagen verzeichnet.132

6.2.3 Anzahl, Amtszeiten und Zuständigkeitsbereiche Die in den Ämterbüchlein verzeichneten Namenslisten an vereidigten Handwerkern, die für die Stadt Nürnberg tätig waren, ermöglichen eine genauere Einschätzung über die Anzahl der aktiven Visierer, ihre Amtszeiten und ihren Zuständigkeitsbereich.133 Nicht immer sind die Angaben in den Ratsverlässen und in den Ämterbüchlein deckungsgleich. Zum Beispiel visierte Erhard Veyelhauer gemäß der Ratsverlässe im Zeitraum von 1482 bis 1485, während er in den Ämterbüchlein nicht nachweisbar ist.134 Etwa Mitte des 14. Jahrhunderts war mindestens ein Visierer in Nürnberg aktiv.135 Die Ämterbüchlein belegen, dass zu Beginn des 15. Jahrhunderts schon zwei

129 StAN, Reichsstadt Nürnberg, Losungsamt, Akten, SIL 124, Nr. 7 („Ordnung der Umgelder von 1492“). 130 Neben den bereits angeführten Nachweisen in den Satzungsbüchern belegen auch Rechnungsbelege, dass ein „halbtail“ einer bestimmten Summe zustand. Siehe StAN, Reichsstadt Nürnberg, Stadtrechnungsbelege, Einzelbelege Nr. 185 („Ämterliste: Jahresübersicht, Einnahmen und Ausgaben aller besonders genannten Ämter, 1484/85“). 131 StAN, Reichsstadt Nürnberg, Stadtrechnungsbelege, Einzelbelege, Nr. 117 („Visierkosten, 1 Abrechnung, 2 Zettel, 1482“); StAN, Reichsstadt Nürnberg, Stadtrechnungsbelege, Einzelbelege, Nr. 195 („Visierer, 2 Listen, 1484, 1485“; StAN, Reichsstadt Nürnberg, Stadtrechnungsbelege, Einzelbelege, Nr. 267 („Visieramt, 3 Listen, 1486“. 132 Für das 16. Jahrhundert sind ganze Stapel an Abrechnungen des Visiergeldes erhalten. Zum Beispiel: StAN, Reichsstadt Nürnberg, Stadtrechnungsbelege, Bündel Nr. 430 (Zeitraum 1590– 1599). In sehr einheitlicher Form dokumentierten die Visierer in mehrere Kategorien aufgeschlüsselt, welche Summen ihnen im jeweiligen Monat für die Messungen bezahlt wurden. 133 Siehe Verzeichnis der Visierer im Anhang, II. 134 [Gümbel 1926, 298–299, Anm. 3]. 135 Für das Abrechnungsjahr 1357/58 ist im Ämterbüchlein zwar kein Visierer aufgeführt, doch war eine Notiz im Ämterbüchlein vorgesehen. Im darauf folgenden Jahr ist der Name „Peutinger“ für das Visieramt notiert.

6.2 Die Nürnberger Visierer

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Abbildung 6.7: Links: Ein Visierzettel von 1492. Rechts: Einzahlungen der Visierer von 1486/87. Staatsarchiv Nürnberg, Reichsstadt Nürnberg, Stadtrechnungsbelege, Einzelbelege Nr. 462 und Nr. 267.

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6 Die Visierer am Beispiel der Stadt Nürnberg

Visierer ihre Dienste in Nürnberg verrichteten.136 Zu den beiden Visierern wurde gemäß der Ratsverlässe am 2. November 1479 ein dritter Bediensteter bestellt.137 Es scheint ein dritter Visierer für den innerstädtischen Bereich gemeint gewesen zu sein, denn seit 1480 wurde in den Ämterbüchlein ein Visierer aufgeführt, der eigens für Gostenhof zuständig war. Insgesamt waren daher seit 1480 für den Rat sogar vier Visierer tätig.138 Bis 1525 sind gemäß der Ämterbüchlein bis auf das Jahr 1500 mit nur zwei Visierern durchgängig vier Amtsinhaber belegbar.139 Unter den Visierern bestand im 15. Jahrhundert keine große Fluktuation. Wer Visierer wurde, übte dieses Amt für viele Jahre aus. Leupolt Schutz, Heinz Taschner, Stephan Putzolt und Herman Holtzapfel sind für sogar jeweils mehr als 20 Jahre als Visierer nachweisbar. Ihre Kollegen Cristoff Bernkopf, Anthoni Tallner, Niclas Nützel und Albertus Maienbach waren mindestens zwölf Jahre aktiv. Bei anderen Visierern lassen sich die vermutlich ähnlich langen Amtszeiten aufgrund der verloren gegangenen Ämterbüchlein nicht bestätigen. Nicht selten wurde erst mit dem Tod eines Visierers sein Nachfolger berufen.140 Die Visierer erledigten ihre Aufgaben nicht nur auf dem Nürnberger Weinmarkt und innerhalb des Mauerrings, sondern auch in den Nürnberger Vororten Wöhrd und Gostenhof (Abb. 6.8).141 Eine klare Trennung der geographischen Zuständigkeitsbereiche findet man in den Ämterbüchlein seit 1480. Ab diesem Jahr ist in den Büchlein neben der Überschrift „Visierer“ auch ein „Visierer zu Gostenhof“ und ab 1483 ein „Visierer zu Gostenhof und Werde“ notiert. Ab 1508 gibt es die Präzisierung der „Visierer“ als „Visierer in der Stadt“.142 Mit Ende des 15. Jahrhunderts lässt sich beobachten, dass die Karriere eines Visierers durchaus in Gostenhof beginnen konnte. Sowohl Erhart Rosenzweyg als auch Cristoff Bernkopf waren als Visierer zu Gostenhof und Wöhrd tätig, bevor sie Visierer in Nürnberg wurden.143 Besonders beliebt scheint die Arbeit in den Vororten jedoch nicht gewesen zu sein, denn in den Jahren 1495 bis 1501 wurde in den Ämterbüchlein kein Visierer für Gostenhof und Wöhrd vereidigt.144 136 [Hartmeyer 1905, 84] und [Sander 1902, 240]. 137 [Gümbel 1926, 299, Anm. 2] und [Jäger 1925, 141]. Die Ämterbüchlein sind nur aus den Jahren 1476/77 und 1480/81 erhalten. Siehe StAN, Ämterbüchlein Nr. 6 und 7. 138 Glaubt man einem Ratsverlass vom 4. Mai 1482, arbeiteten schon „seit langer Zeit“ vier Visierer für die Stadt Nürnberg. Siehe [Hampe 1904, 38, Nr. 267]. 139 [Müllner 2003, 415] und [Jäger 1925, 141] datieren die Bestellung eines vierten Visierers auf das Jahr 1511. Ein Blick in die Ämterbüchlein dieser Jahre legt nahe, dass weniger die Anzahl der Visierer erhöht, sondern ein Nachfolger für den bereits aktiven vierten Visierer ernannt wurde. 140 Zum Beispiel rückte Herman Holtzapfel für den verstorbenen Anthoni Tallner nach. Siehe Anhang II. 141 Eine Ungeldabrechnung aus Gostenhof ist aus dem Jahr 1476 erhalten. Siehe StAN, Reichsstadt Nürnberg, Stadtrechnungsbelege, Einzelbelege 12 („Gostenhof: Ungeld und Zinsabgabe, 2 Zettel, 1476“). 142 StAN, Ämterbüchlein Nr. 28. 143 Siehe Anhang II. 144 StAN, Ämterbüchlein 18–23. Im Jahr 1504 gibt es noch nicht einmal die Rubrik des Visierers zu Gostenhof. Siehe StAN, Ämterbüchlein Nr. 26.

6.2 Die Nürnberger Visierer

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Abbildung 6.8: Ausschnitt aus dem Nürnberger Ämterbüchlein von 1492. Staatsarchiv Nürnberg, Ämterbüchlein Nr. 15.

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6.2.4 Bezahlung und Vermögen Die Nachrichten darüber, wieviel die Visierer verdient haben, sind nicht immer eindeutig, jedoch ist nicht anzunehmen, dass die Visierer ihre Aufgabe ehrenamtlich ausübten.145 Sie erhielten mindestens die Hälfte der Visiergebühr. Unter gewissen Annahmen lässt sich die Höhe des Visierlohnes für den Zeitraum von 1431 bis 1440 aus den Rechnungsbüchern Nürnbergs rekonstruieren.146 Pro Woche ergibt sich ein durchschnittlicher Verdienst von etwa anderthalb Pfund Heller, allerdings schwanken die Beträge zwischen etwa drei und weniger als einem halben Pfund Heller pro Woche. In den 1480er Jahren dürfte der Verdienst der Visierer bei etwa anderthalb Pfund Heller gelegen haben, da die Stadt solche Beträge als ihre Hälfte aus den Visiereinnahmen dokumentierte (Abb. 6.7).147 Von der Stadt erhielten die Visierer außerdem kleinere Zuwendungen, wie zum Beispiel ein Quantum Wein an bestimmten Festtagen (Abb. 6.6).148 Die Bewertung der Höhe des Visiererlohns fällt unterschiedlich aus. Man findet eine Notiz darüber, dass der vierte Visierer berufen worden sei, weil die Bezahlung so gut ausfalle.149 In den 1480er Jahren dagegen galt die Bezahlung der Visierer höchstens noch als guter Nebenverdienst.150 Die Visierer waren mit ihrem Verdienst unzufrieden: Im Jahr 1488 baten sie um einen Zuschuss auf Kleidung und 1512 fragten sie eine Verbesserung des Soldes an.151 Diese Wahrnehmung lässt sich mit den insgesamt stark schwankenden Preisen während des 15. Jahrhunderts in Einklang bringen, wobei die Tendenzen von einem niedrigen Ausgangsniveau zu Beginn in eine allgemeine Preissteigerung gegen Ende des 15. Jahrhunderts mündeten.152

145 [Folkerts 2008a, 4]. 146 [Sander 1902, 310]. Die Annahmen bestehen darin, dass (1) die in den Rechnungsbüchern als „Visiergeld“ verzeichneten Einnahmen tatsächlich die Hälfte der insgesamt eingenommenen Gebühr für das Visieren darstellen, das heißt dass die Visierer keine zusätzliche Gratifikation erhielten und auch keine Gelder veruntreuten, und dass (2) zu Beginn des 15. Jahrhunderts zwei Visierer aktiv waren. Die beiden Visierer erhielten also für das jeweilige Abrechnungsjahr zu zweit die gleiche Summe, die in den Rechnungsbüchern verzeichnet ist. Die Jahressumme habe ich auf 52 Wochen und für eine Person umgerechnet. 147 Für einen Verdienst der Visierer von zwei Pfund neuer Heller pro Woche im Jahr 1485 spricht sich auch [Gümbel 1926, 298] aus. 148 StAN, Rst. Nbg, Stadtrechnungsbelege, Einzelbelege Nr. 171 („Visierer, Ausgaben, 1 Zettel, 1485“). 149 [Jäger 1925, 142]. 150 [Gümbel 1926, 298]. 151 [Jäger 1925, 142]. 152 Nach der Nürnberger Währungsreform von 1396/97 rechnete man die Währungseinheiten eines Pfundes neuer Heller als 120 Pfennige, genauer: 1 Pfund neuer Heller = 20 Schillinge = 120 Pfennige = 240 Heller. Die Nürnberger Roggenpreise schwankten im Zeitraum von 1430 bis 1440 zwischen 179 und 850 Pfennigen pro Sümmer Getreide. Verdiente ein Visierer etwa 2 Pfund neuer Heller = 240 Pfennige, entsprach dies je nach Erntejahr etwas mehr als einem Sümmer oder nur einem Drittel davon. Ein Nürnberger Sümmer Getreide umfasste ca. 318 l. Siehe [Bauernfeind 1993, 180–187, 511].

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Mancher Visierer verfügte über ein nennenswertes Vermögen, das gewiss nicht allein der Visiertätigkeit entstammte. Die Kinder des Stephan Putzolt erbten nach seinem Tod einen Garten und mehrere Häuser im Wert von mindestens 780 Gulden. Die Tochter Ursula Putzolt brachte außerdem 140 Gulden als Heiratsgut in ihre Ehe mit. Stephan Putzolt bezog aus seinem Garten einen Nebenverdienst, da er im November 1503 vor Gericht eine Restzahlung von über zwölf Gulden für Obst und Weinbeeren einforderte. Auch andere Visierer hatten immer wieder mit größeren Geldbeträgen und Sachwerten zu tun. Anthoni Tallner forderte im Oktober 1500 die Restzahlung für ein Pferd ein, das er kurz zuvor verkauft hatte. Stefan Mecherer sicherte sich seinen Altenteil von 29 Gulden pro Jahr, indem er einen Vertrag mit seinem Sohn Linhart abschloss, ihn damit zu vierteljährlichen Zahlungen verpflichtete und den Garten als Pfand einsetzte. Das Erbe des Erhart Rosenzweyg ist schließlich das charakteristischste für den Berufsstand der Visierer: Neben einigen anderen Dingen hinterließ er mehrere Visierruten.153 Offenbar befand sich das Arbeitsinstrument in seinem Privatbesitz und wurde nicht von der Stadt gestellt.

6.2.5 Ausgewählte Lebensläufe Einige der Nürnberger Visierer des 15. Jahrhunderts haben Anlass zu genaueren Studien gegeben. Die folgenden drei Beispiele belegen unter anderem, dass die Visierer unterschiedliche berufliche Hintergründe hatten und fest in die städtischen Strukturen Nürnbergs eingebunden waren. Weitere Lebenswege lassen sich anhand des im Anhang beigefügten Verzeichnisses skizzieren.154 Im Jahr 1411 verzeichnete die Reichsstadt Nürnberg einen neuen Bürger namens Albrecht von Metpach, das mit dem heutigen Medebach im Sauerland identifiziert werden kann. Als „Albertus Maienbach“ wurde er im Ämterbüchlein von 1417 als Visierer geführt. Unter dem gleichen Namen ist eine Stiftungsurkunde von 1429 überliefert. In dieser Urkunde legte Albrecht von Metpach ein Jahr vor dem Ende seiner Visiertätigkeit die finanzielle Grundlage für Seelenmessen in Medebach für sich und seine Familie, regelte den Ablauf der Messe und präzisierte Stipendien für den Klerus. Als Stiftungskapital war der vergleichsweise hohe Wert von 50 Gulden vorgesehen. Für den Geldtransfer von Nürnberg nach Medebach griff Albrecht von Metpach womöglich auf das Netzwerk Nürnberger Handelshäuser mit Niederlassungen in Köln zurück, mit denen er in seinem Beruf als Visierer in Berührung gekommen sein dürfte.155 Der Maler Ulrich Hübsch (gest. um 1462) ist vor allem in der Kunstgeschichte durch seine Arbeiten in der Stadt Nürnberg bekannt.156 Im Jahr 1487 bezahlte ihn

153 Die Archivbelege für diesen Abschnitt habe ich für die jeweiligen Visierer im Visiererverzeichnis angeführt. Siehe Anhang II. 154 Siehe Anhang II. 155 Zu diesem Absatz siehe [Trippe 2003]. 156 Zu diesem Absatz siehe [Grieb 2007, 708], sofern nicht anders angegeben.

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6 Die Visierer am Beispiel der Stadt Nürnberg

Michael Behaim (1459–1519) für einen Totenschild und für die Ausbesserung von Schilden in St. Sebald. Zwei Jahre später stellte er zwei Engel für das HeiligGeist-Spital her, wo er wohl bereits gemeinsam mit anderen Künstlern in den 1470er Jahren die Orgel bemalt hatte. Er wohnte am Heilig-Geist-Spital im Haus der Mutter Cristina und des Vaters Gerhart, der als Schnitzer das Bürgerrecht erhalten hatte. Ulrich Hübsch wurde am 16. November 1479 vom Rat der Stadt zum dritten Visierer ernannt. Der Rat bestätigte ihn in seinem Amt im Ratsverlass vom 4. Mai 1482.157 Seine Visiertätigkeit ist anhand der Ämterbüchlein von 1480 bis 1489/90 durchgehend belegbar.158 Nach seinem Tod Ende 1490 oder Anfang 1491 heiratete seine zweite Frau Brigitta den Visierer Niclas Gaulenhofer.159 Eine der vermutlich am besten studierten Personen unter den bekannten Visierern dürfte Ruprecht Kolberger sein, der als Rechenmeister und Waagenbauer arbeitete. Erstmals ist sein Aufenthalt in Nürnberg für das Jahr 1470 belegt, als er das Bürgergeld für das Bürgerrecht der Stadt Nürnberg entrichtete.160 Ruprecht Kolberger trat mehrfach als ein des Rechnens kundiger Nürnberger in Erscheinung. Aus dem Jahr 1486 wird von einem Wettstreit der drei Nürnberger Rechenmeister Ruprecht Kolberger (gest. 1505), Michel Jöppel und Ulrich Wagner (gest. um 1490) berichtet.161 Weiterhin ist aus dem Jahr 1492 eine Jahresrechnung erhalten, die Kolberger für Hans Rappolt angefertigt hatte. Hans Rappolt war mit dem Einkauf der Tuche beauftragt, die für Söldner oder sonstige Stadtdiener anfielen.162 Sehr übersichtlich sind sowohl die Einkäufe als auch die Verkäufe mit den Namen der Käufer und den jeweiligen Beträgen aufgeschrieben.163 Auf das Jahr 1495 datiert ein Flugblatt des Nürnberger Dichters Hans Folz (1437–1513), der sich gegen die Judenschaft in Nürnberg wendete. Auf dem Flugblatt ist eine von Kolberger angefertigte Zinstabelle dargestellt, die die Auswüchse des Darlehens- und Pfandleihegeschäftes der Nürnberger Juden veranschaulichen sollte.164 Schließlich beauftragte die Stadt Nürnberg Ruprecht Kolberger mehrfach mit dem Bau von Waagen.165 Ruprecht Kolberger kam immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt. Ab 1482 war er in eine Reihe von Schuldhändeln verwickelt, die in Untersuchungshaft und peinliche Befragung mündeten. Kolberger wurde vorgeworfen, ihm nicht gehörige

157 [Gümbel 1926, 298–299, Anm. 3]. 158 StAN, Ämterbüchlein 7–12. Sein Name wird 1489/90 aufgeführt und durchgestrichen. 159 StadtAN B 14/II Nr. K, fol. 236v. Ich habe dieses Dokument am 24.07.2014 in den Kurzverzeichnissen in der entsprechenden Datenbank des Stadtarchives Nürnberg gesichtet. 160 [Gümbel 1926, 261]. 161 [Gümbel 1926, 291]. 162 [Gümbel 1926, 297, Anm. 1]. 163 StAN, Reichsstadt Nürnberg, Stadtrechnungen, Einzelbelege 448 („Barchant, 1 ausführliche Jahresrechnung, 1492“). Es handelt sich damit um eine Handschriftenprobe Kolbergers. 164 Es handelt sich um den Einblattdruck: Hans Folz, Die rechung Ruprecht Kolpergers von dem gesuch der iuden auf 30 den, [Nürnberg], [ca. 1490/91]. Er ist digital verfügbar unter http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00101644/image_1 (besucht am 12.02.2018). Ein Teil des Blattes ist abgedruckt in [Liebe 1903, 40]. Siehe auch [Gümbel 1926, 302–304]. 165 [Gümbel 1926, 282–285, 291–295, 304–308].

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Werte versetzt, einen Schuldbrief erschlichen und eine Schuldurkunde gestohlen zu haben. Er floh zunächst aus Nürnberg nach Leipzig, erhielt zur Verhandlung freies Geleit nach Nürnberg und wurde dennoch später zu einer Gefängnisstrafe verurteilt.166 Für die Dauer von einigen Monaten, nämlich vom 17. April bis zum 10. Juli 1490, war Ruprecht Kolberger als Visierer tätig. Er gab auch Unterricht im Visieren. Die Stadt war gemäß der Ratsverlässe mit seinen Diensten jedoch nicht zufrieden, da sie anstelle Kolbergers einen Visierer aus Kitzingen verpflichtete, der das Nürnberger Bürgerrecht anstrebte.167 Dagegen war Kolberger als Rechenmeister bis zum Ende seines Lebens zwischen dem 8. und 13. Mai 1505 tätig.168

6.2.6 Ausbildung und Ernennung der Visierer Unter den namentlich bekannten Nürnberger Visierern waren viele verschiedene Beruf vertreten. Ulrich Hübsch (1480–1489/90) war Maler, während Ruprecht Kolberger (1490) Waagen baute und Schüler im Rechnen unterrichtete. Erhart Rosenzweyg (1480–1483/84) verdiente seinen Lebensunterhalt als Schmied, während Niclas Nützel (1486–1490/91) Taschen fertigte. Ferner arbeitete Sebolt Schicker (1507–1516) wohl als Seidenneter, Meister Jacob (1511–1515) als Stadtpflasterer und Martin Brunast (1516–1520/21) als Schreiner. Mit Bartolomeus Dorß (1520– mind. 1525) ist wiederum ein Rechenmeister vertreten, während Hofmann (1501– 1503) Bierbrauer war.169 Es lässt sich nicht ausmachen, in welchem Maße diese Visierer weiterhin in ihrem gelernten Beruf tätig waren. Ein Bezug zum Weingewerbe war jedoch offenbar für die Berufung als Visierer nicht ausschlaggebend.170 Vielmehr brauchten die Visierer eine gewisse Übung im Umgang mit der Visierrute und rechnerische Fähigkeiten, um das Ungeld und die anfallende Visiergebühr zu bestimmen. Die Erstattungsbelege unter den Stadtrechnungen zeigen weiterhin, dass die Visierer eigene Notizen machten und daher ebenso lesen und schreiben konnten. In diesem Abschnitt gehe ich deshalb auf das Nürnberger Schulwesen und die Aufgaben der Rechenmeister ein. Danach untersuche ich, in welchem Rahmen Visierkenntnisse vermittelt und geprüft wurden. Etwa seit dem 14. Jahrhundert bildete sich in Nürnberg ein städtisches Schulwesen heraus, das vor allem auf zwei Säulen beruhte, nämlich den Lateinschulen

166 [Gümbel 1926, 285–290]. Über die zahlreichen Streitigkeiten mit Kolberger geben auch die Einträge in den Nürnberger Gerichtsbüchern Auskunft. Ich habe die Datenbank der Gerichtsbücher (Bestand StadtAN B 14/II) zum Stichwort „Kolberger, Ruprecht“ gesichtet. 167 [Gümbel 1926, 298, Anm. 1]. Der dort genannte Visierer von Kitzingen kann nicht ohne weiteres als einer der Visierer aus den Ämterbüchlein identifiziert werden. 168 [Gümbel 1926, 307] und [Endres 1989, 154]. 169 Ob Hanns Jungkman (1430) Lebküchner war, bleibt zu klären. Die Berufe gehen aus dem Verzeichnis der Visierer hervor, wo man auch die hier angegebenen Amtszeiten sowie weitere Lebensdaten nachlesen kann. Siehe Anhang II. 170 Es lässt sich nicht bestätigen, dass die Visierer aus dem Kreis der Küfer gewählt worden seien. Siehe [Folkerts 2008a, 4].

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6 Die Visierer am Beispiel der Stadt Nürnberg

und den privat geführten Schulen der Schreib- und Rechenmeister. Die vier Lateinschulen konzentrierten sich in ihrem Fächerkanon auf den Unterricht der lateinischen Sprache, mit der die Schüler auch lesen und schreiben lernten. Die Schulen waren schulgeldpflichtig; arme Schüler durften kostenlos am Unterricht teilnehmen. Insbesondere wurden keine nennenswerten mathematischen Fähigkeiten vermittelt.171 Deshalb boten Rechenlehrer in Nürnberg seit dem 14. Jahrhundert Privatunterricht im Rechnen gegen zusätzliche Bezahlung an.172 Ihr Ruf reichte bis über die Stadtgrenzen hinaus. Die Rechenmeister unterrichteten zum Beispiel Söhne von Kaufleuten, Anwärter für herrschaftliche oder städtische Finanzaufgaben, aber auch zukünftige Güter- und Hausverwalter und Handwerker. Häufig wohnten, aßen und arbeiteten die Schüler beim Rechenmeister wie Lehrlinge bei ihrem Meister. Die Rechenmeister waren meistens ebenso Schönschreiblehrer (Modisten) und übernahmen weitere Aufgaben im Dienste der Stadt, zum Beispiel den Bau von Waagen oder die Entwicklung von Eichverfahren.173 Gerade das Amt des Visierers übten die Rechenmeister im 16. Jahrhundert häufiger als Nebentätigkeit aus. So bescheinigte man Joachim Schramm in seinem Meisterbrief „Gottesforcht, lesen, schreiben, rechnen, visiren und dazugehörige Künste“.174 Als die führenden Rechenmeister des 15. Jahrhunderts dürfen Ulrich Wagner (gest. um 1490)175 , Michel Jöppel (1463–1516 nachweisbar) und der bereits bekannte Ruprecht Kolberger gelten. Ein frühes schriftliches Beispiel für die Nürnberger Rechenkunst ist das „Bamberger Rechenbuch“ des Ulrich Wagner von 1483. Einige der Rechenmeister kamen mehrfach wegen übler Nachrede, Unterschlagung, Diebstahl oder Urkundenfälschung mit dem Gesetz in Konflikt.176 Mit den Familien Neudörfer und Düstau gab es seit dem 16. Jahrhundert regelrechte Rechenmeisterdynastien, in denen die Söhne die Schule des Vaters übernahmen.177 Für den Zeitraum vom 15. bis 17. Jahrhundert ergeben sich insgesamt 185 Vertreter des Berufsstandes, der 1821 aufgelöst wurde.178 Die Rechenmeister durchliefen eine Ausbildung, die sich im 16. Jahrhundert fest etablierte.179 Anfangs konnte jeder, der über die nötigen Fertigkeiten verfügte, eine Schule eröffnen. Häufig handelte es sich bei den Rechenlehrern um Handwerker, um ehemalige Schüler der Lateinschule oder auch um Studenten, die als Nebenerwerb das Rechnen unterrichteten. Die Rechenmeister stammten aber nicht nur aus dem Handwerkerstand, sondern wurden auch als Berufsstand 171 [Gümbel 1926, 295–297], [May 1991, 291–292], [Beyerstedt 2000a], [Jakob 2000c], [Jakob 2000b] und [Jakob 2000a]. 172 [Günther 1969, 296–298] und [Gümbel 1926, 295–297], [Schneider 2002], [Deschauer 2010] und [Sauer 2012]. 173 [May 1991, 291–292] und [Lochner 1970]. 174 [Endres 1989, 147]. 175 [Endres 1989, 154] und [Beyerstedt 2000b]. 176 [Endres 1989, 155–156] und [Deschauer 2010, 102]. 177 [Endres 1989, 151]. 178 [Deschauer 2010, 101]. 179 [Sauer 2012, 108–110].

6.2 Die Nürnberger Visierer

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Abbildung 6.9: Rechenmeister und Erdreichmesser. Cebes ‹Philosophus› und Hans Sachs, Tabula Cebetis Thebani (Nürnberg, 1551), Bayerische Staatsbibliothek München, Res/2 A.gr.b. 432 h (Ausschnitt).

selbst dazu gezählt. Im 17. Jahrhundert betrug die Lehrzeit für einen zukünftigen Rechenmeister in der Regel sechs Jahre und musste mit einer Prüfung abgeschlossen werden.180 Georg Wendler notierte im Jahr 1646 die Fragen aus seinem Rechenmeisterexamen, die ebenfalls das Visieren betrafen. Neben Fragen zum Messinstrument der Visierrute musste er konkrete Aufgaben lösen können, wie die Inhaltsbestimmung von Kästen, Zylindern und Kegelstümpfen, aber auch Brunnen und Fässern. Georg Wendler berichtete ausführlich von seiner Visierprobe und notierte seine Messergebnisse.181 Die Rechenmeister zeichneten sich durch ein hohes Standesbewusstsein aus. Der Nürnberger Rat verlieh immer wieder Ehrungen an die Rechenmeister, wie zum Beispiel den Zutritt zur Herrentrinkstube oder das Waagmeisteramt.182 Das Bestreben nach höherem Ansehen spiegelt sich nicht zuletzt in den Darstellungen der Schreib- und Rechenmeister seit dem 16. Jahrhundert.183 Erhard Schön illustrierte 1551 die Verse des Hans Sachs (1494–1576) Tabula Cebetis Thebani und stellte dar, dass die Rechenmeister auf dem Weg zum Gipfel des Berges der Seligen bereits die ersten Hürden passiert hatten (Abb. 6.9).184 180 181 182 183 184

[Endres 1989, 147–148] und [Folkerts 2003, 93–96]. [Folkerts 2003, 101, 120]. [Endres 1989, 151–153]. [Sauer 2012, 108–110]. [Strauss 1984, 287–290].

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6 Die Visierer am Beispiel der Stadt Nürnberg

Beim Rechenmeister lernten die Schüler auch das Visieren. Ein Beispiel für den Visierunterricht beim Rechenmeister liefert Ruprecht Kolberger, der am 27. April 1490 während seiner Zeit als Visierer die Erlaubnis erhielt, einen Eimer nach städtischem Maß zu eichen, um ein Muster für seinen Unterricht zu haben. Sobald er diesen Eimer nicht mehr benötigte, solle er ihn wieder zurückgeben.185 Kolberger betrieb dabei einen für die Rechenschulen typischen Betrieb: Im Jahr 1503 forderte er „costgeld“ für drei Jungen, die er unterrichte und mit „rechenpuchlein, rechenpfennig und schwabacher pier“ versorgt hatte.186 Leider gibt die Notiz keine Auskunft darüber, ob mit dem erwähnten Rechenbüchlein eher ein Schreibheft für Übungsaufgaben oder ein mathematisches Lehrbuch gemeint ist. Dass es bereits früh gedruckte deutsche Visiertexte gab, belegen zwei Beispiele aus Bamberg aus dem Jahr 1485. Während das eine Visierbüchlein anonym überliefert ist, wird „Ein Fisierbüchlein auff allerhand Eich“ einem gewissen Bynczendorffer zugeschrieben.187 Ob diese Texte dem Unterricht dienten, wurde bisher nicht untersucht. Das Visieren konnte man allerdings nicht nur bei den Rechenmeistern, sondern vor allem bei „tüchtigen Praktikern“188 lernen. In der Tat belegen die Nürnberger Ratsverlässe für Ende des 15. Jahrhunderts, dass es förmlichen Unterricht im Visieren gab. Ein Visierer aus Wöhrd, einem Vorort von Nürnberg, erhielt am 17. März 1487 die Erlaubnis vom Rat, seinen Unterricht durch öffentliche Anschläge bekannt zu machen. Wenige Monate später erhielt dieser Visierer am 2. Mai 1487 außerdem die Erlaubnis, von der Stadt geeichte Fässer durch seine Schüler zu Übungszwecken visieren zu lassen.189 Es ist davon auszugehen, dass auch andere Visierer Unterricht abhielten oder ihr Wissen an ihre Kinder weitergaben, wie es der Fall von Herman Holtzapfel und seinem Sohn Michel belegt.190 Ein wichtiges Auswahlverfahren zukünftiger Visierer waren öffentliche Prüfungen, die „gemeinen Proben“ oder auch das „Einstoßen“. Zu diesen Prüfungen konnte sich jeder anmelden, der über die geforderten Fähigkeiten zu verfügen glaubte.191 Wer die Prüfung bestanden hatte, konnte später bei Bedarf als Visierer berufen werden. In manchen Fällen lässt sich belegen, dass der Ernennung eines Visierers tatsächlich eine solche Prüfung vorausging, wie im Fall des Bartholomeus Dorß.192 Den besten Prüflingen waren Preise vorbehalten.193 Für die Jahre 1482 und 1543 finden sich bei Johannes Müllner Notizen über die Visierproben, in

185 [Gümbel 1926, 299, Anm. 3]. 186 [Gümbel 1926, 306–307, Anm. 3] bezieht sich auf eine Notiz im Conservatorium des Städtischen Archives vom 13. November 1503. 187 [Folkerts 2008a, 30]. 188 [Gümbel 1926, 299]. 189 [Gümbel 1926, 299, Anm. 1]. 190 Siehe Anhang II. [Jäger 1925, 144] führt außerdem die Visierer Preu, Dorß und Fels an. 191 [Gümbel 1926, 299, Anm. 2]. Von Visierprüfungen weiß man auch aus Antwerpen. Siehe [Meskens 1994, 132–135]. 192 [Jäger 1925, 143–144]. 193 [Gümbel 1926, 299] und [Bauernfeind 2000i]. Hinweise darauf dürfte man bei einer Sichtung der Abrechnungen der Kosten für die Visierproben im Staatsarchiv Nürnberg finden.

6.2 Die Nürnberger Visierer

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denen Visierschüler für gute Messungen mit „etlich Gaben“ belohnt wurden.194 Die Prüfungen der Visierer und ihrer Schüler fanden unter Aufsicht einer eigenen Ratsdeputation im Frühjahr und im Herbst eines jeden Jahres statt. Die „zur Visierprobe“ (oder „zur Eich und Visier“) bestellten Kandidaten hatten 25 Fässer zu vermessen.195 Unter den Belegen zu den Nürnberger Stadtrechnungen findet man Kostenaufstellungen zu den Visierproben. Aus dem Jahr 1482 ist ein kleiner handschriftlicher Zettel erhalten, der die Gesamtkosten aufschlüsselt.196 Die Stadt Nürnberg musste nicht nur die Fässer kaufen, die vermessen werden sollten, sondern auch den Büttner bezahlen, der die Fässer zuvor eichen sollte. Die Kandidaten mussten zwei verschiedene Fassgrößen vermessen. Ab Mitte des 16. Jahrhunderts bis etwa 1800 sind solche kleinen Zettel mit Abrechnungen über Visierkosten stapelweise erhalten.197 Dass die Visierproben bereits im 15. Jahrhundert zwei Mal im Jahr stattgefunden haben und damit viele mögliche Visiererkandidaten hervorgebracht haben, ist schwer mit den langen Amtszeiten der Visierer und wenigen Wechseln der Amtsinhaber in Einklang zu bringen. In den Ämterbüchlein sind keine Gesellen der Visierer verzeichnet. Womöglich verdingten sich erfolgreiche Kandidaten als Visierer im Nürnberger Umland.

6.2.7 Ansehen der Visierer Die Beurteilungen über das Ansehen der Visierer fallen unterschiedlich aus. Einerseits nahmen die Visierer zweifellos eine besondere Stellung unter den städtischen Bediensteten ein, da aufgrund ihrer Messung und Berechnung vom jeweiligen Fassbesitzer das Ungeld erhoben wurde. Auf den Kompetenzen der Visierer beruhte eine der wichtigsten Einnahmequellen Nürnbergs. Ein Visierer musste lesen, schreiben und rechnen können und danach eine Visierprobe bestehen, um vom Rat berufen und vereidigt zu werden. Der Rat hat die Fähigkeiten der Visierer geschätzt, denn ein anderswo bewährter Visierer hatte gute Aussichten auf das Nürnberger Bürgerrecht.198 Einige der Visierer übernahmen verantwortungsvolle 194 [Müllner 2003, 60, 724]. 195 [Bauernfeind 2000i]. 196 StAN, Reichsstadt Nürnberg, Stadtrechnungsbelege, Einzelbelege Nr. 117 („1 Abrechnung, 2 Zettel, 1482“). 197 StAN, Reichsstadt Nürnberg, Stadtrechnungsbelege, Einzelbelege Nr. 1423 („Visierprobe, Unkosten, 1 Zettel, 1520“). Die Zettel über Kosten für Visierproben im Nürnberger Staatsarchiv sind nach Zeiträumen sortiert. Es sind nicht alle Jahrgänge vollständig erfasst, doch finden sich solche Zettel zum Beispiel in: StAN, Reichsstadt Nürnberg, Stadtrechnungsbelege, Bündel Nr. 163 (1550–1559), Nr. 430 (1590–1599), Nr. 561 (1610–1619), Nr. 685 (1620–1629), Nr. 772 (1630–1639), Nr. 853 (1640–1649), Nr. 933 (1650–1659), Nr. 1008 (1660–1669), Nr. 1169 (1680– 1699), Nr. 1272 (1700–1719), 1357 (1720–1739), Nr. 1451 (1740–1759), Nr. 1559 (1760–1779), Nr. 1647 (1780–1797). 198 Ein Visierer aus Kitzingen ersuchte 1490 um das Bürgerrecht; einem Goldschmied oder Visierer aus Amberg sprach man 1491 für zwei Gulden das Nürnberger Bürgerrecht zu. Siehe [Gümbel 1926, 298, Anm. 1] und [Hampe 1904, 66, Nr. 450].

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6 Die Visierer am Beispiel der Stadt Nürnberg

Aufgaben. Vermutlich gestaltete der Visierer Friedrich Ungelter das Abgabensystem aktiv mit, als er 1386 eine neue Ungeldordnung vorschlug. Andere Visierer wie zum Beispiel Niclas Nützel sind als Nachlassverwalter belegbar. Stefan Mecherer und Michel Holtzapfel wurden als Zeugen in Klagen gegen einen Ungelter befragt. Im Fall Mecherers wurde der Ungelter nicht nur für schuldig befunden, sondern sogar mit Exekution bestraft. Niclas Gaulenhofer vertrat die Frau Brigitta seines verstorbenen Kollegen Ulrich Hübsch vor Gericht, da sie wegen der Schulden ihres Mannes verklagt wurde. Kurz darauf schlossen Niclas Gaulenhofer und Brigitta Hübsch einen Ehevertrag und Brigitta heiratete den ehemaligen Visiererkollegen ihres Mannes. Der Visierer Anthoni Tallner kam finanziell für seine Familie auf, wenn auch ungern: Da seine Frau über 13 Wochen mit Medizin versorgt werden musste, war er dem Arzt eine beträchtliche Summe schuldig, bestritt dies jedoch mit allerlei Ausreden.199 Andererseits sind zahlreiche Nachrichten überliefert, die kein gutes Licht auf die Visierer werfen. Niclas Nützel war als Nachlassverwalter in mehrere Klagen vor Gericht verstrickt.200 Besonders ab dem 16. Jahrhundert häufen sich die Berichte über Vergehen einiger Visierer. Gerade die Rechenmeister scheinen sich nicht als vorbildliche Visierer hervorgetan zu haben.201 Der Rat ermahnte die Visierer zu Beginn des 16. Jahrhunderts, seine „Sorgenkinder“202 , zu mehr Fleiß und Zuvorkommenheit gegenüber den Kunden. Gemäß einem Bericht der Ungelter für den Rat, wie es um den Weinhandel, seine Organisation und die Durchsetzung der Ratsverordnungen stehe, zeichneten sich nicht alle Visierer durch Zuverlässigkeit aus.203 Die Visierer würden vielen Fassbesitzern bereits vor der Vermessung der Fässer erlauben, das Fass anzustechen und Wein auszuschenken. Manchmal sei das Visieren sogar ganz vergessen worden. Man müsse bei den Visierern nachfragen, wem der Wein überhaupt gehöre, und sie dazu anhalten, das jeweilige Fass auf dem Markt zu visieren. Dadurch gehe der Stadt viel Ungeld verloren. Die Aufgabe des Visierens scheint seit dem 16. Jahrhundert immer mehr an Attraktivität verloren zu haben. Bartholomeus Dorß besserte sich mit dem Visieren seinen Altenteil auf.204 Im Ämterbüchlein von 1525 ist sogar in den Randnotizen von einem Mangel an Visierern die Rede.205 Nach 1527 gab es lange Zeit keine Rechenmeister mehr, die als Visierer tätig waren. Die Visierproben fielen immer schlechter aus. Im Jahr 1577 sollten gemäß einer Ratsanordnung Schüler aus den Rechenschulen rekrutiert werden, um den Nachwuchs an Visierern zu sichern. Oft verstanden sie ihr Handwerk besser als die unterrichtenden Visierer.206

199 200 201 202 203

Siehe Verzeichnis der Visierer im Anhang, II. Siehe Verzeichnis der Visierer im Anhang, II. [Jäger 1925, 146]. [Jäger 1925, 142]. StAN, Reichsstadt Nürnberg, Losungsamt, Akten, SIL 124, Nr. 7 („Ordnung der Umgelder von 1492“). 204 [Jäger 1925, 142]. Siehe Verzeichnis der Visierer im Anhang, II. 205 StAN, Ämterbüchlein Nr. 45. 206 [Jäger 1925, 144–146].

6.3 Exkurs: Visierer in anderen Städten

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6.3 E XKURS : V ISIERER IN ANDEREN S TÄDTEN Nach der ausführlichen Betrachtung der Visierer in Nürnberg liegt die Frage auf der Hand, ob es auch in anderen Städten Spezialisten für die Inhaltsbestimmung von Weinfässern gab und wie sie organisiert waren. Die Darstellungen des folgenden Abschnittes fassen Ergebnisse aus der Literatur zusammen, die gelegentlich über das 15. Jahrhundert hinausgehen, und erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Die regionalen Gliederungen sind als grobe Einzugsbereiche zu verstehen.

6.3.1 Visierer am Rhein und an der Mosel Zahlreiche Hinweise belegen, dass in den Städten entlang des Rheins Visierer gearbeitet haben, wie zum Beispiel Basel,207 Straßburg,208 Worms,209 Koblenz,210 Bonn211 , Mainz212 und im weiteren Sinne auch Aachen.213 Man findet ebenso Hinweise auf Messspezialisten und den Gebrauch von Visierruten entlang der Mosel, zum Beispiel im Stift Münstermaifeld für das Jahr 1400 und Cochem.214 In Trier enthielt eine Dienstordnung von 1607 ein Kapitel über die Handhabung der Schnur und das Schnüren zur Inhaltsbestimmung von Fässern.215 Im folgenden sollen die Aufgaben der Fassmessungsspezialisten in Köln und Speyer beispielhaft betrachtet werden. In Köln übernahm die Weinschule seit Ende des 14. Jahrhunderts die Funktion der oberste Aufsichtsbehörde über den Weinhandel.216 Der Weinhandel fand nicht nur innerhalb der Stadt, sondern häufig bereits auf den Schiffen auf dem Rhein statt. Jedes Fass, das von einem Kölner Bürger in die Stadt gebracht wurde, musste vermessen werden.217 In Köln bezeichnete man die Visierer auch als „Röder“ oder „Öhmer“; es sind auch die Eidformeln von 1342 und 1407 überliefert.218 Jeder der

207 208 209 210 211 212 213 214 215 216

217 218

Die Visierer heißen „Sinner“. Siehe [Weiss-Bass 1958, 42–56] und [G. Schreiber 1980, 152]. Auch hier ist von „Sinnern“ die Rede. Siehe [Hartmeyer 1905, 82–86]. [Boos 1899, 67]. [Kerber 1997, 289]. Die „Weinrute“ zählte zu den Akzise-Einnahmen. Siehe [Ennen und Höroldt 1976, 116]. [Reitzel 1964, 12–13]. Es sind Visierer seit 1338 nachweisbar. Siehe [Zitzen 1952, 45]. Die Herbstabreichnungen weisen auf Messungen mit Visierruten hin. Siehe [G. Schreiber 1980, 151]. [Zitzen 1952, 38–39]. [Hartmeyer 1905, 51, 54]. Auf eine Ordnung der Weinschule vom 18. März 1465 weist [Wirtler und Schäfke 2003, 132] hin. Eine detaillierte Betrachtung des Kölner Weinhandels im 15. Jahrhundert liefert [Van Uytven 1965]. [Hartmeyer 1905, 55, 61]. [Stein 1895, Nr. 15, Nr. 114 Art. XXXIX]. Siehe auch [Wirtler und Schäfke 2003, 126]. Die Aufgaben der Visierer in Köln fassen zum Beispiel [Bassermann-Jordan 1991, 770 mit Anm. 1], [Arntz 1964, 801–802], [Ossendorf 1982, 21] oder [Ossendorf 1996, 69–71] zusammen. Spätere Weinröder-Verordnungen verzeichnet [Keussen 1899, Nr. 357, 2738].

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6 Die Visierer am Beispiel der Stadt Nürnberg

beiden Röder (später vier oder sogar sechs) hatte zwei Visierruten zur Verfügung, deren Vorlagen als Muster auf der Rentkammer hinterlegt waren.219 Der private Besitz und Gebrauch von Visierruten war nicht gestattet und wurde bei Verstoß mit besonders hohen Geldstrafen und dem Ausschluss aus der Weinkaufmannschaft für ein Jahr bestraft.220 Die Röder trugen das Ergebnis ihrer Fassmessung (mit Schnur oder Visierrute) zusammen mit dem Namen des Besitzers in ein Buch ein und versahen das gemessene Fass mit einer Marke.221 Die Kölner Röder verwendeten dafür besondere Röderzeichen als Zahlzeichen, die „kölnische Ritzung“ oder „Rode“. Die Kölner Messzeichen waren weithin anerkannt.222 Kam der Wein auf dem Schiff nach Köln, so wurden die Fässer bereits an Bord vermessen. Die mit einem von den Rödern mit einem roten Wachssiegel versehenen Fässer ließ der Kranmeister an Land hieven, wo der Kranenschreiber ein Eingangsbuch führte. Der Weinhändler erhielt einen Zettel, den er zur Kellerschreiberstube bringen und ihn abzeichnen lassen musste. Der Kellerschreiber nahm die Daten des Röders in das Kellerschreiberbuch auf.223 Derjenige, der die Messung eines Fasses in Auftrag gab, bezahlte die Visierer für die Messung mit dem sogenannten „Rutenpfennig“.224 Regelmäßig lieferten die Röder die Einnahmen daraus auf der Rentkammer ab. Ihr Lohn setzte sich aus einem Anteil des Rutenpfennigs und der aus dem Weinhandel eingegangenen Strafgelder zusammen.225 Um als Röder zugelassen zu werden, musste der Kandidat eine Prüfung bestehen, die auch andere Städte anerkannten.226 Sein Wissen durfte ein Röder nicht an andere weitergeben.227 Ebenso war es den Kölner Rödern nicht gestattet, mit Wein zu handeln oder Wein auszuschenken.228

219 [Stein 1895, Nr. 51, Art. XI]. 220 [Stein 1895, Nr. 21, Nr. 114, Art. XXXVIII, Nr. 148 Art. II § 56]. Siehe auch [Hartmeyer 1905, 61–62], [Korsch 1958, 144] und [Wirtler und Schäfke 2003, 129]. 221 [Stein 1895, Nr. 114, Art. XXXIX]. Siehe auch [Knipping 1897–1898, XLV], [Arntz 1964, 801], [G. Schreiber 1980], [Ossendorf 1982, 21] und [Wirtler und Schäfke 2003, 128]. 222 Die Zeichen galten nicht nur in Rheinnähe, sondern auch an den Zielorten des Rheinweines, zum Beispiel im gesamten Bereich der Hanse, den Niederlanden, in England, Skandinavien und an der Ostsee. Für die Händler bedeutete die Anerkennung der Kölner Visierzeichen eine gewisse finanzielle Entlastung, da die Fässer nicht erneut vermessen werden mussten. Siehe [Militzer 1993, 166–167], [Kuske 1956, 168], [G. Schreiber 1980, 135], [Ossendorf 1982, 22] und [Ossendorf 1996, 70]. 223 [Ossendorf 1996, 66–67] und [Militzer 1993, 166–167]. 224 Andere Bezeichnungen: Rödergeld, Rutenpfennig, denarius virgulaturae, de virga, de virgula, veryerepenninc, die royde. Siehe auch [Hartmeyer 1905, 71] und [G. Schreiber 1980, 136]. Bisweilen verpachtete die Stadt den Visierrutenpfennig. Siehe [Stein 1895, Nr. 8, Nr. 259], [Hartmeyer 1905, 70] und [Ossendorf 1982, 21]. 225 Siehe auch [Hartmeyer 1905, 62], [Arntz 1964, 801]. 226 [G. Schreiber 1980, 136]. 227 [Stein 1895, Nr. 148, Art. I, § 9]. Siehe auch [Knipping 1897–1898, XLV] und [Hartmeyer 1905, 61–62]. 228 [Knipping 1897–1898, XLV] und [Hartmeyer 1905, 62].

6.3 Exkurs: Visierer in anderen Städten

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Die Stadt Speyer bestritt mit dem Weinungeld etwa 45 % der städtischen Einnahmen. Die Visierer bestimmten den Fassinhalt mit einer Visierrute und waren ursprünglich auf dem Weinmarkt tätig. Jeder Visierer musste seine Messungen, den Namen des Fasseigentümers und die Fasszahl aufschreiben. Der Kunde erhielt ein Zeichen, das er dem Ungelter vorlegte und bei diesem das Ungeld bezahlte. Für Anfang des 15. Jahrhunderts ist belegt, dass ein Span aus dem Fass geschnitten werden sollte, den der Kunde dem Ungelter bei seiner Zahlung vorlegte. Damit war eine direkte Zuordnung zum verungelteten Fass möglich. An bestimmten Tagen mussten die Visierer ihre Register mit den beim Ungelter abgegebenen Zeichen der Kunden abgleichen. Bei Bedarf wurden Mahnungen an Ungeldschuldner ausgesprochen. Für ihre Arbeit berechneten die Visierer eine Visiergebühr, die sie regelmäßig zum Ungelter brachten. Ein Drittel bis zur Hälfte der Visiergebühr fiel den Visierern als Bezahlung zu.229 Eine bemerkenswerte Besonderheit, die sich in dieser Weise in keiner anderen Stadt außer Speyer belegen ließ, ist ein Verfahren, das eine möglichst genau Messung sicherstellen sollte. Sobald ein angezapftes Fass leer war, wurde es zur Eichung zu den sogenannten Bronnenträgern („Stabstoßern“) gebracht. Man füllte das Fass mit Wasser und ließ es dann in ein Eichgefäß ablaufen. Danach verglich man die Werte der Eichung mit der Messung der Visierer. War die Abweichung größer als die Menge eines Eimers, so musste der Visierer aus eigener Tasche den entsprechenden Betrag an den Käufer oder an die Ungeldkasse der Stadt erstatten.230

6.3.2 Visierer zwischen Main und Donau Bevor ich die Organisation der Visierer in den Städten Volkach, Frankfurt und Würzburg entlang des Maines vorstellen werde, verweise ich auf die Visierer in Bamberg, die zum Beispiel in den Fürstbischöflich-Bambergischen Verordnungen 1485 und 1529 erwähnt werden.231 Der Bamberger Visierer Jorg Schweipolt wurde 1515 und 1525 in Nürnberger Gerichtsbüchern genannt.232 An der Donau arbeiteten ebenfalls Visierer: In Ulm vermaßen die sogenannten Siegler die gehandelten Fässer und bestimmten das Ungeld.233 Über die Visierpraxis in Lauingen und Oettingen geben Aufzeichnungen am Ende einer Handschrift Auskunft, die mehrere Visiertexte überliefert.234

229 Dieser Absatz folgt der Darstellung in [Weisbrod 1952, 13–16, 42–45, 58–68, 80–99]. Für die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts sind die beiden Visierer Hans Krieg und Jost Zymermann namentlich bekannt. 230 [Weisbrod 1952, 44, 52]. 231 [Meyer 2000, 20]. 232 StadtAN B 14/II Nr. 6, fol. 80r (7. Februar 1515) und Nr. 21, fol. 129r (4. Oktober 1525). Siehe die Datenbank zum Bestand StadtAN B 14/II im Lesesaal des Stadtarchives Nürnberg (24.07.2014). 233 [Hartmeyer 1905, 85–86]. 234 [Folkerts 2008b, 106–107].

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6 Die Visierer am Beispiel der Stadt Nürnberg

Eine der schönsten Darstellungen der Visierer ist im Volkacher Salbuch von 1504 erhalten (Abb. 6.10).235 Ein Visierer steht vor dem Bürgermeister, während er in der einen Hand eine Visierrute hält und die andere Hand zum Eid erhebt. Im Hintergrund ist eine Messung zu beobachten, bei der ein Visierer eine Visierrute in das Fass hineinhält. Der wohl jährlich erneuert abgelegte Eid der Visierer ist unterhalb des Bildes wiedergegeben. Der Visierer schwor, dass er die Messungen für Arme und Reiche gleichermaßen durchführen und in Zweifelsfällen wiederholen würde.236 Im Rahmen des Bildes ist der Name des Visierers verzeichnet, nämlich Heinczs Osterreich. Wertet man den Namen im Sinne der allgemeinen Namensforschung als Herkunftsbezeichnung, wäre es denkbar, dass die Stadt Volkach einen Spezialisten für die Fassmessung aus dem Süden berief. Neben dem Visierer haben auf die Ungelter den Füllstand der Fässer überprüft.237

Abbildung 6.10: Volkacher Visierer. Volkacher Salbuch (1504), Stadt Volkach, Stadtarchiv, B2, fol. 415r.

235 [Arnold und Feuerbach 2009, Faksimile, fol. 415r]. 236 Eine Edition des Volkacher Visiereides findet man in [Arnold und Feuerbach 2009, 301–302]. Die Abläufe im Weinhandel skizzieren [Heinrich 1980, 110] und [Kramer 1985, 54]. 237 [Arnold und Feuerbach 2009, Faksimile, fol. 430v].

6.3 Exkurs: Visierer in anderen Städten

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Die Frankfurter Visierer waren dem Ausschuss der sechs Rechenmeister als Finanzverwalter unterstellt.238 Seit 1320 findet man die Visierer regelmäßig in den Bedebüchern erwähnt, ab 1348 tauchen die Einnahmen der Visierer in den Rechenbüchern Frankfurts auf und von 1409 ist eine umfangreiche Aufgabenbeschreibung erhalten.239 Ebenso ist ein Eid der Visierer bekannt.240 Während zunächst im 14. Jahrhundert zwei bis drei Visierer zugleich tätig waren, sind für das 15. Jahrhundert vier Visierer belegt. Die Visierer kontrollierten auch die Weinqualität und das Abfüllen von Fässern, durften aber nicht als Weinhändler tätig sein. Legte ein Schiff mit Wein in Frankfurt an, so ging nach der Bezahlung des Zolles der Visierer an Bord. Er zählte die Fässer, vermaß sie mit einer Visierrute und trug den Fassinhalt in ein Visierbuch ein. Als Überschlag bestimmte der Visierer die zu zahlende Steuer, die er auf Grundlage des Preises beim Verkauf berechnete. Der Steuerbetrag wurde ebenfalls auf das Fass geschrieben. Nach der Messung versiegelte der Visierer das Fass. Die Angaben des Visierers wurden ins Pfortenbuch eingetragen. Bei großen Schiffsladungen von mehr als drei Fudern Wein gingen zwei Visierer an Bord. Kam der Wein über Land nach Frankfurt, so verzeichneten ihn die Visierer direkt an einem der Stadttore. Da die Wagen meist mit einer Menge von zwei Fudern Wein beladen waren, war die Abgabensituation deutlich übersichtlicher als am Fluss. Von 1470 und 1487 sind Anweisungen an die Visierer erhalten, auch die in die Stadt gebrachte Menge der Trauben am Stadttor zu beobachten und die Händler unter Eid nach den verkauften Traubenmengen zu befragen. Diese Mengen sollten ebenfalls ins Visierbuch eingetragen werden, um einen zukünftigen Weinbestand schätzen zu können. Die Frankfurter Bürger waren über ihren Weinbestand auskunftspflichtig und mussten den Visierern auf Anfrage Zugang den Kellern gewähren.241 Bemerkenswert ist ein Eintrag in einem städtischen Rechenbuch von 1356, in dem ein Visierer eine Ungeldnachzahlung von über 500 Gulden notierte. Dank der Nachzahlung sei das „Seelen-Heyl“ des Steuerbetrügers wieder hergestellt.242 Das Ungeld machte im Zeitraum von 1360 und 1439 zwischen 15 % und 30 % der Frankfurter Einnahmen aus, wobei der Hauptteil während der Messezeiten erzielt wurde.243 Auch der Stadt Würzburg diente der Main als Transportweg im Weinhandel.244 Von den Würzburger Visierern wird im Jahr 1483 von einem Streit zwischen drei Visierern berichtet. Zwei Visierer beschuldigten dabei einen dritten, dass er die Unterkäufer als Vermittler zwischen Käufer und Verkäufer besteche, um mehr Kunden zugesprochen zu bekommen.245 Die Weinvisierer, die auch in Würzburg

238 239 240 241 242 243 244 245

[Bücher 1915, 45] und [Rothmann 1998, 61]. [Bücher 1915, 45], [Rothmann 1998, 129–131] und [Wolf 1969, 213–216]. [Habich 1967, 96, Anm. 35]. Sofern nicht anders gekennzeichnet, folge ich in diesem Absatz den Darstellungen in [Habich 1967, 84–86, 97], [Rothmann 1997, 395] und [Rothmann 1998, 122, 129–131]. [Habich 1967, 96–97, 99]. [Rothmann 1998, 62]. Eine Darstellung findet man zum Beispiel in [Fries 1981, Faksimile fol. 331r]. [Sprandel 2012, 59].

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6 Die Visierer am Beispiel der Stadt Nürnberg

seit dem 14. Jahrhundert nachweisbar sind, wurden vom Rat beaufsichtigt und waren auf den Würzburger Steuerlisten verzeichnet.246 Nach der Messung eines Fasses sollten sie das Spundloch mit Wachs versiegeln. Bevor das Fass angestochen wurden, prüfte der Ungelter, ob das Siegel unversehrt war. War auf einem der umliegenden Dörfer kein Visierer vor Ort, sollte der Ungelter einen Span aus dem Holz des Fasses schneiden lassen, um das Fass später zu vermessen und derweil den Wein ausschenken lassen.247 Bis Mitte des 15. Jahrhunderts zahlten die Händler das Ungeld zeitweise an die Visierer.248 Der Würzburger Visierer Johann Neydlein verfasste 1560 ein Rechen- und Visierbüchlein.249

6.3.3 Visierer in Leipzig Es ist eine Leipziger Besonderheit, dass das Ungeld „Schlägeschatz“ hieß, doch sind die Verordnungen im Weinhandel mit denen anderer Städte vergleichbar. Ein Eintrag in den Leipziger Ratsbüchern von 1467 hielt die zahlreichen Bestimmungen rund um die Visierer fest:250 Sollte ein Weinhändler eine bestimmte Menge Weines in Leipzig lagern, so musste er dies dem Visierer melden, der die Mengen in ein Buch eintrug, und danach den Schlägeschatz zahlen. Wurde der Wein direkt weitergehandelt und nicht gelagert, fiel kein Schlägeschatz an; Adlige und Geistliche waren vom Schlägeschatz befreit. Sollte der Handelspartner kein Leipziger Bürger sein, so musste er den Schlägeschatz unmittelbar beim Visierer bezahlen. Solche Weine, die in Leipzig nicht verkauft und wieder mitgenommen wurden, mussten dem Visierer ebenfalls mitgeteilt werden, damit der Visierer die Menge aus seinem jährlich zu Michaelis neu angelegten Buch streichen konnte. Für seine Dienste erhielt der Visierer eine Gebühr pro gemessenem Eimer als Lohn.251 Aus dem Jahr 1590 ist ein Eid der Visierer erhalten.252 Mancher Visierer wie zum Beispiel Claus Gysel war in Streitigkeiten verwickelt.253 Der Leipziger Rat verpflichtete Visierer nicht selten von außerhalb, wie zum Beispiel die Berufung des Visierers Nicolaus Helmut aus Schweinfurt im Jahr 1487 belegt.254 Im 16. und 17. Jahrhundert waren auch Rechenmeister wie Isaak Ries (1537–1601), Jacob Faber oder Michael Schwiner als Visierer tätig.255

246 247 248 249 250 251 252 253 254 255

[Hoffmann 1940, 52], [Schott 1995, 295–296, 441] und [D. Weber 1994, 27]. [Heffner 1776, 4–6, Ordnung IV]. [Sprandel 2012, 56] und [Hoffmann 1940, 60]. [Folkerts 2008b, 105]. [Steinführer 2003, 36–37]. Eine Studie zu den Leipziger Visierern hat [Rüdiger 2006, 135–150] vorgelegt. [Steinführer 2003, 75–76]. [Rüdiger 2002, 45–46]. [Steinführer 2003, 13, 18, 147–148, 154–155, 264–265, 292]. Siehe auch [Rüdiger 2014, 219–220]. [Steinführer 2003, 326]. Weitere Beispiel nennt [Rüdiger 2006]. [Rüdiger 2002, 38–44] und [Rüdiger 2006, 141–144].

6.4 Zusammenfassung und Ergebnisse

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6.3.4 Visierer anderswo Detaillierte Aussagen lassen sich über die Visierer im Flandern des 16. Jahrhunderts, ihren eher geringen Verdienst, den Unterricht und die Wettbewerbe im Visieren machen. Nur für einen der Antwerpener Visierer kann belegt werden, dass er Rechenunterricht gab.256 Im späten 16. Jahrhundert verewigte Hendrik van Balen (1575–1632) die flämischen Visierer in einem Gemälde über die Messkunst.257 Auch in Gent und Brügge kannte man Visiermethoden.258 In Damme sicherte sich das Sint-Janshospitaal 1397 das Recht auf Fassmessung zu.259 Eine der ältesten Verordnungen, die Visierer in Frankreich betraf, stammt aus dem Paris des 13. Jahrhunderts. Im Livre des métiers wurde festgehalten, dass ein Pariser Visierer einen Eid schwören sollte. Zweifelte ein Kunde am Messergebnis eines Visierers, sollte ein anderer Visierer die erste Messung prüfen und notfalls einen dritten Visierer zu Rate ziehen.260 Bereits 1416 arbeiteten sechs Visierer mit sechs Schülern im Pariser Handel.261 Zu Anfang des 14. Jahrhunderts muss es auch Visierer in La Rochelle gegeben haben, da für das Jahr 1399 von einem Treffen mit Visierern aus Antwerpen berichtet wird.262 Es gibt außerdem Hinweise auf Weinschätzer zum Beispiel in Meran, Bozen und Tramin.263 In der Gegend von Siena war das ufficio del martellino für die Kontrolle verkaufter Weinmengen zuständig.264 Auch in England waren Spezialisten für die Fassmessung aktiv.265

6.4 Z USAMMENFASSUNG UND E RGEBNISSE Der Blick auf den Nürnberger Weinmarkt und den Weinhandel anderer Städte hat gezeigt, dass die Visierer für die Erhebung des Weinungeldes und damit einer der wichtigsten Einnahmequellen vieler Städte unverzichtbar waren. In Nürnberg aufbewahrte Archivalien haben offengelegt, dass die Visierer Handwerker aus verschiedenen Berufszweigen waren, die als Mittlerfiguren zwischen Rat und Händler verantwortungsvolle Aufgaben übernahmen. Inwiefern sich diese Ergebnisse auf

256 Eine umfangreiche Studie zu den Antwerpener Visierern mit Messergebnissen zweier Visierprüfungen und ein namentliches Verzeichnis der Visierer zwischen 1550 und etwa 1605 hat [Meskens 1994, 128–137] vorgelegt. Siehe auch [Meskens 2013, 97–104]. 257 [Bennett 1995, Titelseite]. 258 [Bockstaele 1970, 526]. 259 [Meskens u. a. 1999, 55–58]. 260 [Lespinasse und Bonnardot 1879, XXVIII und 24 (Titre VI)]. 261 [Portet 1993–1994, 469, 484]. 262 [Meskens u. a. 1999, 71–72]. 263 [G. Schreiber 1980, 152]. 264 [Simi und Toti Rigatelli 1993, 463] und [Simi 1993, 395]. 265 Zwei Nachweise für englische Visierer führt [Sarton 1947, 1581] an. Siehe auch [Hartmeyer 1905, 14]. Eine Visierrute aus dem 18. Jahrhundert führt [Bennett 1995, 36] an, die im Museum of the History of Science in Oxford aufbewahrt wird (Inventarnr. 1002).

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6 Die Visierer am Beispiel der Stadt Nürnberg

die Visierer in anderen Städten übertragen lassen, müssen zukünftige Studien zeigen. Bereits eine Übersicht über Resultate aus der Weinhandelsforschung hat gezeigt, dass die Visierer in anderen Städten für ähnliche Aufgaben zuständig und in vergleichbaren Strukturen organisiert waren. Es ist deshalb angemessen, die Nürnberger Visierer als exemplarischen Fall zu betrachten. Zugleich begegnet man bisweilen abweichenden Vorschriften wie zum Beispiel in Speyer, wo die Messungen der Visierer anhand der leeren Fässer überprüft wurden. Derartige Regelungen dürften durchaus Auswirkungen auf die Ausbildung der Spezialisten und womöglich die Weiterentwicklung der Messmethoden gezeigt haben.

6.4.1 Ohne Visierer kein Nürnberger Ungeld Die einflussreiche Handelsstadt Nürnberg verfügte über ein weitreichendes Handelsnetz. Zu den gehandelten Gütern gehörte Wein aus ganz Europa. Der Weinhandel war durch viele Verordnungen geprägt, die in den Nürnberger Satzungsbüchern dokumentiert sind. Die auf dem Weinmarkt und im Weinhandel anfallenden Aufgaben teilten sich mehrere Spezialisten, die in der Regel einen Eid ablegten. Die Aufsicht über die Bediensteten des Weinmarktes führte der Ungelter, bei dem jeder Händler die Weinsteuer, das Ungeld, bezahlen musste. Über die Regelungen des Weinhandels übte Nürnberg Einfluss auf die Herstellung des Grundnahrungsmittels Wein in den umliegenden Regionen aus. Ein Ungeld als Abgabe auf den Handel mit bestimmten Waren ist seit Ende des 12. Jahrhunderts belegt. Um ein Ungeld erheben zu dürfen, bedurfte es eines königlichen oder kaiserlichen Privilegs. In Nürnberg fiel das Ungeld in den Zuständigkeitsbereich des Schultheiß. Die Stadt Nürnberg erhielt 1350 von Karl IV. das Ungeldprivileg zugesprochen, um mit den Einnahmen den Bau von Straßen, die Sicherung von Wegen und die Errichtung der Stadtbefestigung zu finanzieren. Im Jahr 1386, womöglich in Zusammenhang mit dem Kauf des Schultheißenamtes, erließ der Rat eine neue Ungeldordnung, die ihrer Struktur nach bis Ende des 18. Jahrhunderts gültig blieb. Die Ungeldtarife richteten sich nach der Weinsorte (das heißt der Weinqualität) zur Grundeinheit Fuder. Das Weinungeld, ergänzt durch kleinere Abgaben aus dem Weinhandel, machte für den Nürnberger Haushalt einen der größten Einnahmeposten aus. Die Erhebung des Weinungeldes erfolgte nach einem festen Ablauf. Alle Bediensteten des Weinhandels waren dazu verpflichtet, die Zahlung des Weinungeldes durchzusetzen. Die Höhe des anfallenden Ungeldes richtete sich nach der Messung der Visierer. Sie arbeiteten vor allem auf dem Weinmarkt, vermaßen aberauch Fässer in den Kellern der Nürnberger Bürger. Nachdem sie den Inhalt eines Fasses mit einer Visierrute ermittelt hatten, schrieben sie das Ergebnis mit Kreide auf den Boden des Fasses und versiegelten es. Je nach Fassinhalt berechneten sie die Höhe des zu zahlenden Ungeldes. In einem Büchlein notierten sie den Namen des Fassbesitzers, die Anzahl der gemessenen Fässer, ihre Inhalte und die Ungeldsumme. Der Händler erhielt danach einen Zettel als Quittung, den er beim

6.4 Zusammenfassung und Ergebnisse

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Ungelter vorlegen und seine Ungeldschuld bezahlen musste. Für seine Dienste berechnete der Visierer eine Visiergebühr, die von Verkäufer und Käufer anteilig bezahlt werden sollte. Die Visiergebühr legte der Visierer unter den Augen seines Kollegen in eine Büchse. Jeden Mittwoch und Samstag gingen die Visierer zum Ungelter, um die Zahlungseingänge mit ihren Aufzeichnungen zu vergleichen. Der Ungelter teilte den Visierern die Hälfte der Visiergebühren als Lohn zu, während die andere Hälfte der Stadtkasse zugute kam. Anhand der Nürnberger Ämterbüchlein, ausgewählter Gerichtsakten und Archivalien aus den Rechnungsbelegen der Reichsstadt lassen sich die Visierer und ihre Aufgaben näher charakterisieren. Während zu Beginn des 15. Jahrhunderts nur zwei Visierer für die Stadt arbeiteten, erhöhte sich ihre Zahl gegen Ende des 15. Jahrhunderts auf vier Bedienstete, die für bestimmte Bereiche in oder direkt außerhalb von Nürnberg zuständig waren. In der Regel hat ein Visierer sein Amt über einen Zeitraum von bis zu 20 Jahren bis zu seinem Tod ausgeübt. Der Verdienst der Visierer schwankte und wurde unterschiedlich beurteilt. Einige Visierer verfügten bei ihrem Tod über nennenswerte Vermögen. Im Verlauf des 15. Jahrhunderts verdienten die Visierer wohl weniger und spürten die allgemeinen Preissteigerungen des 15. Jahrhunderts. Die beruflichen Hintergründe der Visierer lagen nicht im Weinhandel. Die Stadt Nürnberg beschäftigte ganz unterschiedliche Handwerker als Visierer, darunter einen Maler, einen Schreiner, einen Stadtpflasterer, einen Bierbrauer, einen Taschenmacher oder auch einen Rechenmeister. Wer Visierer werden wollte, konnte die nötigen Kenntnisse zum Beispiel bei einem aktiven Visierer oder einem Rechenmeister erwerben. Bisweilen gab der Vater das Wissen um das Visierern an seinen Sohn weiter. Der Ernennung eines Visierers ging wohl seit Ende des 15. Jahrhunderts eine Visierprobe voraus. Zweimal im Jahr gab der Rat Visierproben in Auftrag, zu denen sich jeder anmelden konnte. Es waren zuvor geeichte Fässer zu vermessen; der Kandidat mit dem besten Ergebnis gewann einen Preis und hatte Aussichten, bei Bedarf als neuer Visierer berufen zu werden. Betrachtet man die langen Amtszeiten der Visierer, bleibt unklar, wie und wo man die bei den Wettbewerben ausfindig gemachten Nachwuchsvisierer einsetzte. Die Visierer waren angesehene Spezialisten auf dem Nürnberger Weinmarkt, die für die Erhebung des Ungeldes unverzichtbar waren. Auf ihrer Messung beruhte die Summe der Weinsteuer, die ein Bürger bezahlen musste. Mit Visierkenntnissen hatten auswärtige Handwerker gute Aussichten auf das Nürnberger Bürgerrecht. Gelegentlich übernahmen einzelne Visierer außerdem weitere verantwortungsvolle Ämter und Aufgaben. Allerdings ist auch die Beschwerde eines Ungelters erhalten, dass die Visierer ihre Aufgaben nur unzuverlässig wahrnehmen und der Stadt dadurch viel Ungeld verloren ginge. Einige Visierer mussten sich vor Gericht verantworten. Insgesamt verlor das Visieramt seit dem 16. Jahrhundert an Attraktivität. Die Messergebnisse wurden schlechter, und es fehlte der Nachwuchs an geeigneten Visierern.

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6 Die Visierer am Beispiel der Stadt Nürnberg

6.4.2 Schriftlichkeit und Mathematik unter den Visierern Das Visieren im Nürnberg des 15. Jahrhunderts war von schriftlichen Dokumenten geprägt, vor allem in den alltäglichen Abläufen: Die Regeln des Weinmarktes besagten, dass die Visierer Buch führen und dem Kunden einen Quittungszettel ausstellen sollten. Die Kosten für das Schreibmaterial wurden ihnen von der Stadt erstattet. In einer Ungeldordnung von 1561 wurde festgelegt, dass der Ungeldbetrag nicht nur in Ziffern, sondern auch in Worten zu vermerken war, um Fälschungen zu vermeiden.266 Wer Visierer werden wollte, wurde durch öffentliche Bekanntmachungen per Anschlag auf Unterricht im Visieren aufmerksam gemacht. Kam ein Schüler beim Rechenmeister mit Visierverfahren in Kontakt, musste er unter anderem für ein Rechenbüchlein aufkommen. Es bleibt unklar, ob es sich dabei um ein Lehrbuch oder ein Heft für Rechenübungen handelte. Die Visierer konnten âlso lesen und schreiben, aber ein intensiver Umgang mit Texten lässt sich nicht annehmen. Unter den Dingen, die einige Visierer ihren Kindern als Erbe hinterließen, sind zum Beispiel keine Bücher verzeichnet. Ebenso ist nicht bekannt, dass einer der Visierer des 15. Jahrhunderts aus Nürnberg ein größeres Werk verfasst hat. In den gesichteten Unterlagen sind schließlich keine Dokumente aufgetaucht, die den Visierern ausgeprägte Kenntnisse der lateinischen Sprache bescheinigten, die wiederum eine Lektüre universitätsnaher Texte hätte ermöglichen können. Wer Visierer war, beherrschte auch Grundlagen der Mathematik: Die Nürnberger Archivalien und die Ungeldordnung von 1561 belegen, dass den Visierern Zahlen sowohl in römischer und arabischer Ziffernschreibweise als auch als ausgeschriebenes Wort vertraut waren. Aus dem Ablauf einer Fassmessung geht hervor, dass ein Visierer mindestens Zahlen addieren können musste, um die Ungeldsumme und die Visiergebühr zu berechnen. Sicherlich waren Kenntnisse im Multiplizieren hilfreich. Sie waren sogar notwendig, falls die Visierer eine Quadratrute als Visierruten verwendeten. Im Gegensatz zu Wechsel- oder Kubikruten fiel die Multiplikation von Bodenfläche und Fasslänge an. Schenkt man der Darstellung von Kunz Haß Glauben, dass die Visierer den Fassinhalt „aus der Kunst arismetrica“ und mit Visierruten ermittelten, würde eine Quadratrute gut zu dieser Darstellung passen. Leider sind keine Nachrichten darüber erhalten, ob die Nürnberger Visierer ihre Visierruten selbst anfertigten, das heißt ob sie für eine neue Visierrute die Skalen eigens konstruierten, oder sich an einer vorhandenen Visierrute als Vorlage orientierten. Als Indiz dafür, dass sie die Skalen nicht jedes Mal neu konstruierten, spricht, dass die Visierruten Erhard Rosenzweigs als Teil seines Erbes angeführt wurden. Die Messstäbe wurden nicht etwa als unnütze Gegenstände entsorgt, sondern weitergegeben.267 Wenn Visierruten aber von anderen übernommen oder anhand einer Vorlage gefertigt wurden, benötigte ein Visierer das Wissen um

266 StAN, Reichsstadt Nürnberg, Ratskanzlei B-Laden, Akten 73, Nr. 1. 267 Die Kinder des Erhard Rosenzweyg erbten Becher, Visierruten und andere, nicht spezifizierte Dinge. Siehe StadtAN B 14/II Nr. J, fol. 64r.

6.4 Zusammenfassung und Ergebnisse

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Geometrie und quadratische Wurzeln nicht, wie es in der Visiertextsammlung für die Konstruktion der Skalen vorausgesetzt wird. Es genügte, dass sich derjenige in weiterführenden mathematischen Fragen auskannte, der das Modell fertigte. Zu solchen Kennern dürften die Rechenmeister unter den Visierern gehört haben. Die Rechenmeister und ihre Schüler waren aufgrund ihrer rechnerischen Fähigkeiten für das Visieramt besonders geeignet. Der Beitrag des Ruprecht Kolberger zum Flugblatt des Hans Folz zeigt, dass der Rechenmeister mit der Zinsrechnung bestens vertraut war. Die Notizen aus der Rechenmeisterprüfung des Georg Wendler von 1646 belegen, dass die Rechenmeister zumindest im 17. Jahrhundert ein breites Spektrum der Mathematik abdecken mussten. Fortgeschrittene Texte und größere Publikationen sind im Umfeld der Rechenmeister denkbar. Daraus zu schließen, dass alle Visierer mit akademischen Texten Berührung kamen, wäre jedoch nicht vertretbar. Die Rechenmeister-Visierer in Nürnberg im 15. Jahrhundert waren bei weitem nicht in der Überzahl. Die Visierer wurden vor sehr unterschiedlichen beruflichen Hintergründen berufen. Wie sich die Visierer, die keine Rechenmeister waren, ihre Kenntnisse aneigneten, ist schwer festzumachen. Den Rechenunterricht beim Privatlehrer musste man sich leisten können. Ein Blick auf den Ausbildungsweg einiger Rechenschüler des 16. Jahrhunderts zeigt, dass sie erst nach dem Besuch der Lateinschule zum Rechenmeister gingen. Die vielen verschiedenen Berufe der Visierer sprechen zugleich dafür, dass es aber auch quer durch alle Handwerke einzelne Personen gab, die zumindest die Grundrechenarten gut beherrschten und an ihre Lehrlinge weitergaben.

6.4.3 Magister artis? Ein Nürnberger Visierer konnte sein Amt also mit genügend Rechenkenntnissen ausüben, ohne komplizierte Mathematik verstanden haben zu müssen. Wie ist dieser Schwerpunkt des Rechnens beim Visieren mit Visierruten zu bewerten? Ein klares Statement zu diesem Befund hat der Kunsthistoriker Michael Baxandall abgegeben.268 Da seine Argumentation während meiner Arbeit immer wieder angeführt wurde, nehme ich hier in einem Exkurs dazu Stellung. Michael Baxandall verglich im Rahmen seiner Theorie zur Bildrezeption im Italien des 15. Jahrhunderts in einem kurzen Abschnitt die Fassmessung in Italien und im deutschsprachigen Raum. Ein Florentiner Händler habe in den abacoSchulen gelernt, ein Fass als Zylinder oder sogar in zwei Kegelstümpfe zerlegt zu denken und deshalb den Inhalt der vereinfachten geometrischen Formen gemäß euklidischer Regeln zu bestimmen. In die Berechnungen gehe sogar die Zahl π ein. Baxandall führte dafür zwei Beispiele aus den Aufgabenbüchern von Filippo Calandri (gest. 1469) und Piero della Francesca (um 1420–1492) an. Ein deutscher Visierer mache keine solche Analyse nach euklidischer Art, sondern greife zur Visierrute. Zwar seien die Ergebnisse mit einer Visierrute recht genau, doch belege

268 [Baxandall 1980, 146–147].

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6 Die Visierer am Beispiel der Stadt Nürnberg

das Messinstrument eher einen im allgemeinen zu beobachtenden Mangel an analytischen Fähigkeiten, nämlich Größen und Mengen aufgrund ihrer Form zu schätzen: „The results [drawn from measurement with gauging rods] were no doubt as accurate as those of the geometrical Italians and may well have been more so, but the Visierrute stands for the lack of vernacular skill and disposition to analyse geometrical masses and volumes.“269

Die Fähigkeit, Mengen und Größen auf einen Blick zu erfassen, bettete Baxandall an anderer Stelle in eine Theorie der Bildrezeption in der italienischen Renaissance ein.270 Da Künstler und Auftraggeber häufig einen ähnlichen Ausbildungsweg durchlaufen hätten, mit den Rechenbüchern aus den abaco-Schulen und den geometrischen Zerlegungsaufgaben vertraut gewesen seien, schlägt Baxandall vor, diese Kompetenz bei der Betrachtung von Bildern mitzudenken. Gemälde und Fresken seien als spielerische Einladung zu interpretieren. Der Künstler lade den Betrachter ein, wie in den abaco-Büchern die abgebildeten Dinge und Figuren gedanklich in geometrische Formen zu zerlegen und dadurch tiefer zu durchdringen. Daraus entstünden bisweilen geometrische Scherze und Anspielungen, die den Betrachter unterhielten. Die Ergebnisse der vorliegenden Studie über die Visierer erfordern einen Kommentar dazu, wie Baxandall die mathematischen Verfahren der Fassmessung einordnet und die Fähigkeiten der Visierer bewertet. Lässt man Baxandalls Einschätzung unkommentiert stehen, ergibt sich ein leicht schiefes Bild.271 Ich werde deshalb der These Baxandalls entgegentreten: Mir scheint zunächst eine der Voraussetzungen seiner Argumentation nicht gegeben zu sein. Weiterhin halte ich die Einordnung der Visierrute als reines Symbol für einen lack of vernacular skill für unvollständig. Liest man Baxandalls Darstellung, so drängt sich der Eindruck auf, ein italienischer Spezialist der Fassmessung habe beim Anblick eines Fasses sofort einen euklidischen Satz im Sinn gehabt und entsprechend einer abstrakten geometrischen Vorstellung den Inhalt bestimmt. Dass dieser Schluss von den Aufgabenbüchern auf die Messpraxis auf diese Weise tragfähig ist, möchte ich hinterfragen. Zwar steht eine intensive Beschäftigung mit den Abschnitten über die Fassmessung, die man in italienischen Rechenbüchern findet, und ein Vergleich mit Texten aus dem deutschsprachigen Raum noch aus, aber es lassen sich doch einige Indizien zusammentragen. Zunächst scheinen die Beispiele Baxandalls unglücklich gewählt.272 Filippo Calandri und Piero della Francesca legten bei der Lösung der (Rechen-)Aufgaben keinen großen Wert auf den Bezug zur geometrischen Anschauung. Vielmehr übertragen beide Verfasser das geometrische Problem in eine Folge von Rechenoperationen. Auch der italienische Fassmessungsspezia269 [Baxandall 1980, 147]. 270 [Baxandall 1972, 86–93]. 271 Es ist überraschend, dass Baxandall keinen der bis zur Publikation seiner Theorie erschienenen Artikel zu Visiertraktaten aus dem deutschsprachigen Raum in seinen Literaturangaben angeführt hat. 272 [Baxandall 1972, 86, 89].

6.4 Zusammenfassung und Ergebnisse

151

list musste die geometrischen Hintergründe nicht verstanden haben. Es genügte zu wissen, welche Zahlen man im Laufe der Rechnung ändern musste. Beide Rechenbücher orientierten sich an Beispielen und brachten keine allgemein formulierte Theorie vor. Die beiden italienischen Rechenbücher belegen deshalb die gleiche Tendenz, wie man sie mit der Visiertextsammlung und den Visierruten beobachten kann: Die Verfasser übersetzten ein geometrisches Konzept in eine Folge von Rechenoperationen, um ein alltagstaugliches Verfahren zur Verfügung zu stellen. Aus diesem Grund sind die Anforderungen an die Messspezialisten vergleichbar: Gefordert waren versierte Kenntnisse der Grundrechenarten, vor allem der Addition und der Multiplikation. Ich vermute, dass die italienische Messpraxis im Prinzip ähnlich wie in Nürnberg aussah. Letztlich benötigte man auch für die italienischen Rechenansätze die Länge und den Durchmesser des Fasses. Sollten sich die Hinweise verdichten, dass man in Italien eine mit Knoten versehene Schnur zum Messen verwendet hat, würde dies eine Gemeinsamkeit der Methoden dies- und jenseits der Alpen belegen: Mit einem linearen Maßstab ermittelte der Spezialist bestimmte Werte und errechnete aus ihnen den Fassinhalt. Ich vermute, dass der Zusammenhang zu euklidischen Herleitungen in der Praxis gleichermaßen fern war. Ich betrachte nun die Einschätzung, eine Visierrute einzig für eine fehlende Fähigkeit, geometrische Massen und Volumina zu bestimmen, und einen Mangel an vernacular skill hinzustellen. Wie ich oben dargestellt habe, teile ich die Einschätzung, dass ein Visierer die geometrischen Hintergründe nicht vollständig verstanden haben musste, um sein Amt auszuüben. Dennoch sollte man nicht unterschätzen, dass die Nürnberger Handwerker in ihren verschiedenen handwerklichen Tätigkeiten zum Beispiel als Maler oder Bierbrauer gewiss mit Schätzungen von Rauminhalten zu tun hatten. Man sollte ebenso nicht vergessen, dass die Besitzer der zu visierenden Fässer als eine Art Kontrollinstanz auftraten. Zweifelte ein Händler die Messung des Visierers an, weil sie von seiner eigenen Schätzung nach Augenmaß zur sehr abwich, musste der Visierer erneut messen. Um gut schätzen zu können, waren Kenntnisse über euklidische Geometrie sicherlich hilfreich, aber nicht notwendig. Ein Händler konnte zweifellos aus eigenen Interessen in bestimmtem Rahmen Mengen schätzen, aber eher aus einer jahrelangen Erfahrung heraus, denn aus mathematischem Wissen im Sinne Euklids. Zieht man schließlich die Rechenmeister unter den Visierern in Betracht, so lassen sich umfangreiche Kenntnisse über Geometrie explizit belegen, da sie bei der Rechenmeisterprüfung gefragt waren. Michael Baxandall äußerte sich nicht im Detail darüber, was er unter vernacular skill verstand. Ich möchte diesen Ausdruck hier grob übersetzen als „handwerkliche Fähigkeiten“ im Sinne von Fähigkeiten, über die ein Handwerker verfügte, obwohl ich damit nicht die volle Bedeutung des Wortes vernacular erfasse. Im Hinblick auf die Fassmessung muss man den Nürnberger Handwerkern dann jedoch zugute halten, dass allein der Gebrauch einer Visierrute als Fähigkeit zu bewerten ist, über die nicht jeder verfügte und die von der Stadt Nürnberg gesucht und geprüft wurde. Eine Visierrute war ein komplexes Messgerät mit vielen Skalen, deren Verwechslung unmittelbare Auswirkungen auf die Berechnung des Weinungeldes

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6 Die Visierer am Beispiel der Stadt Nürnberg

hatte. Desweiteren benannten sogar die Verfasser der Visiertextsammlung an einzelnen Stellen explizit, dass die niedergeschriebenen Visiermethoden angesichts der vielen verschiedenen Fassformen im Umlauf womöglich nicht immer anwendbar waren, und verwiesen auf die Erfahrung der Visierer. In manchen Fällen müsse der Visierer nach seinem Ermessen die in der Visiertextsammlung vorgestellten Regeln leicht verändern. Dies sei gemäß der Visiertextsammlung eine besondere Kunstfertigkeit (ars). Nach meinen Ergebnissen belegen die Visierruten und die Textsammlung als Anleitungen unter den Visierern weder ein fehlendes Gespür für geometrische Größen noch einen Mangel an vernacular skill. Akzeptiert man die Einschätzungen, dass der Schwerpunkt des Visierens in der Praxis auf arithmetischen Verfahren lag – auch und gerade in italienischen Rechenbüchern – und dass die Visierer vielmehr über eine ganze Reihe an vernacular skills verfügten, geraten die Ausgangspunkte für Baxandalls Theorie zur Bildrezeption im 15. Jahrhundert ins Wanken. Sein Vorschlag, dass ein Betrachter ein Bild in geometrische Formen zerlegt dachte, mag zutreffen; man scheint jedoch die Verfahren der Fassmessung und die Ausbildung der Visierer nicht als Beleg dafür anführen zu können. Worin aber bestand ein solches Bündel an Fähigkeiten, über das ein erfolgreicher Visierer verfügte? Dazu gehörte nicht nur, dass ein Visierer lesen und schreiben können sowie die Grundrechenarten beherrschen musste.273 Für einen reibungslosen Ablauf im Handel waren weitere Kompetenzen unerlässlich. Neben einer großen Sorgfältigkeit bei der Messung war die Stadt Nürnberg außerdem daran interessiert, dass jeder Visierer seine Aufgabe auf zuverlässige Weise ausübte. Die Visierer sollten im Sinne der Stadt handeln, das heißt das Ungeld für den gesamten Weinbestand korrekt berechnen und die eingenommene Visiergebühr vollständig abliefern. Schließlich mussten die Visierer über eine gewisse Autorität verfügen, die es ihnen erlaubte, die sich aus den Messergebnissen ergebenden Maßnahmen durchzusetzen. Die darauf beruhenden Abgaben sollten in ihrer Höhe vom Händler sofort akzeptiert und nicht in Frage gestellt werden. Die Visierer traten als Mittlerfiguren zwischen Händler und Rat auf, die gegensätzliche finanzielle Interessen vertraten. Sogar die sehr akademisch geprägte Visiertextsammlung brachte den Visierern eine besondere Würdigung entgegen. Es ist von einem Visierer als magister artis die Rede. Betrachtet man die Abläufe im Nürnberger Handel und die zugehörigen Dokumente, scheint zwar die dem akademischen Bereich entnommene Bezeichnung als magister nicht recht ins Bild zu passen, da die Visierer Handwerker aus allen Bereichen waren. Stattdessen begegnet man manchem der Messspezialisten als Visierer Meister, wie zum Beispiel Stephan Putzolt.274 Beiden Bezeichnungen gemeinsam ist jedoch eine besondere Würdigung der Fähigkeiten, über die die Visierer verfügten. Zweifellos waren sie Meister ihrer Kunst und verfügten über ein Wissen, das nicht jedem zugänglich war. 273 Anders schätzt [Gümbel 1926, 298] die Visierer als Handwerker oder kleine Leute „ohne besondere schulische Vorbildung“ ein. 274 StadtAN B 14/II Nr. 5, fol. 21r (1514). Siehe die Datenbank zu diesem Bestand im Lesesaal des Stadtarchives (abgerufen am 31.03.2014).

7 S AMMLERINTERESSE : D IE V ISIERTEXTSAMMLUNG UM 1500 IN I TALIEN Der Blick auf die Spezialisten für Fassmessung in Nürnberg hat gezeigt, dass es nur wenige Anknüpfungspunkte gibt, anhand derer sich ein Text wie die Visiertextsammlung mit einer deutlichen Prägung akademischer Mathematik in das handwerkliche Umfeld einbinden lässt. Dieser Befund legt die Frage nahe, wer sich darüber hinaus für die Visiertextsammlung interessiert und eine Abschrift des Textes in Auftrag gegeben haben könnte. Eine genauere Untersuchung des handschriftlichen Materials verspricht Erkenntnisse darüber, in welchem geographischen und personellen Umfeld das in der Visiertextsammlung kodifizierte Wissen um Visierkunst kursierte. Im folgenden Abschnitt stelle ich die beiden Handschriften aus Paris (Kapitel 7.1) und Perugia (Kapitel 7.2) ins Zentrum, weil sie die Grundlage der im Anhang beigefügten Edition der Visiertextsammlung bilden. Es handelt sich um zwei spätere Abschriften der Visiertextsammlung, die um 1500 entstanden und eng miteinander verwandt sind. Prüft man die Handschriften im Hinblick auf Schreiber, Ortsnachweise, Besitzvermerke und spezifische materielle Merkmale, lassen sie sich in ihr zeitgenössisches Umfeld einbetten.

7.1 U NTER D IPLOMATEN Mit der in Paris aufbewahrten Abschrift der Visiertextsammlung liegt ein prächtiges Exemplar vor. Es ist sorgfältig von einer Hand geschrieben und mehrfarbig gestaltet. Innerhalb der Rechnungen lassen sich nur vereinzelt Abweichungen identifizieren. Im folgenden Abschnitt untersuche ich spezifische Merkmale dieser Handschrift genauer, nämlich einen Ortsnachweis, ein Wappen und einige bisher als Widmung identifizierten Zeilen. Außerdem trage ich Nachrichten über den Schreiber der Handschrift zusammen.

7.1.1 Die Städte Legnago und Porto Am Ende der Pariser Handschrift findet man einige Zeilen, welche die Handschrift zeitlich und geographisch verorten lassen (Abb. 7.1).1 Gemäß dieser Notiz hat der Schreiber die Abschrift am Tag vor den Kalenden des September des Jahres 1504 in Porto Lignago fertiggestellt.

1

Transkription: Et sic est finis huius operis anno domini MDIIII pridie kalendis sept. Porti Lignagi.

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7 Sammlerinteresse: Die Visiertextsammlung um 1500 in Italien

In Bibliothekskatalogen hat man bisweilen abweichend Porto Legnano statt Porto Legnago notiert, wie zum Beispiel in einem Handschriftenverzeichnis, in dem Charles Le Tonnellier (gest. 1686/1687) im Jahr 1650 die Büchersammlung des Ismaël Bouillaud (gest. 1694) dokumentierte.2 An anderer Stelle wurde Porto Legnago als die südlich von Venedig gelegene Hafenstadt Legnano identifiziert.3 Ebenso werden in verschiedenen geographischen Verzeichnissen die Namen Legnano und Legnago mit zwei verschiedenen Städten in nicht eindeutiger Weise in Zusammenhang gebracht, nämlich mit einer Stadt bei Mailand und einer weiteren in der Nähe von Verona. Aufgrund der Kombination der Bezeichnungsvarianten gehe ich im folgenden davon aus, dass in der Pariser Handschrift der Ort Legnago nahe Verona gemeint ist.4 Die Suche nach weiteren Mitteilungen zu Porto Lignago für das 15. Jahrhundert führt über die Stadtgeschichte von Legnago zum Befund, dass Porto und Legnago für diesen Zeitraum als zwei unabhängige Städte (comunes) belegt sind. Sie befanden sich an gegenüberliegenden Ufern der Etsch (Adige) und waren durch eine Brücke verbunden. Erst 1582 wurden die beiden comunes Legnago und Porto zur Stadt Legnago vereinigt. Die Etsch wurde als Teil des Handelsweges zwischen Venedig, Verona und dem Trentino zum Transport von Waren benutzt. Seit Mitte des 12. Jahrhunderts standen die Bewohner unter wechselnder Herrschaft, bis ab 1405 die Venezianer das Gebiet für sich beanspruchten.5 Legnago und Porto befanden sich innerhalb der sogenannten terraferma. Es handelte sich um Gebiete im heutigen Oberitalien, die sich die Stadt Venedig vor allem im 15. Jahrhundert einverleibte und die damit zum venezianischen Territorium gehörten (Abb. 7.2).6 Venedig profitierte vor allem von Steuereinnahmen und behielt sich die Aufsicht der Gebiete durch sogenannte provveditori vor.7 Für den Zeitraum von 1405 bis 1798 ist für Legnago eine ununterbrochene Folge venezianischer provveditori belegt. Venedig rekrutierte die hochrangigen Bediensteten aus venezianischen Adelsfamilien und sandte sie routinemäßig von Venedig aus in die umliegenden Gegenden.8 Den venezianischen provveditori war auch Personal für Sekretariatsaufgaben zur Seite gestellt, wie zum Beispiel ein Schreiber.9 2 3 4

5 6 7 8 9

Mehr dazu im Kapitel 7.1.6. [Folkerts 2008a, 17]. Ich habe folgende Verzeichnisse zu den Lemmata Legnago und Legnano gesichtet: [Zedler 1732–1754] in der digital verfügbaren Fassung unter http://www.zedler-lexikon.de (besucht am 12.02.2018), [Fäsch 1735, 1137], [Bischoff und Möller 1829, 1072], [Pierer 1857–1865] digital unter http://www.zeno.org/Zeno/0/Suche?q=legnago&k=Bibliothek (besucht am 12.02.2018), [Graesse 1980] digital unter http://www.columbia.edu/acis/ets/Graesse/orblatl.html (besucht am 12.02.2018) und [Engel 1979]. Zu Geschichte des Städte Legnago und Porto siehe zum Beispiel [Vallerin 1993], [Varanini 1986] und [Campagnaro 2002]. Für diese Abbildung orientiere ich mich an der Darstellung in [Hale 1990, 8]. Zur Verwaltung der terraferma siehe [Knapton 2013, 93–97]. Dieser Posten war ein Schritt auf dem Weg zu mancher erfolgreichen Karriere in Venedig. Siehe [Relazioni 1977, LIX–LXII]. [Vallerin 1993, 134–135].

7.1 Unter Diplomaten

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Abbildung 7.1: Ortsnachweis in der Handschrift Paris, Bibliothèque nationale de France, Département des manuscrits, Latin 10259, fol. 32v.

Abbildung 7.2: Legnago in der terraferma um 1500

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7 Sammlerinteresse: Die Visiertextsammlung um 1500 in Italien

Porto und Legnago befanden sich im 15. Jahrhundert immer wieder im Zentrum der Auseinandersetzungen zwischen den Städten Verona, Venedig, Mantua und Ferrara und nahmen nicht zuletzt eine militärische Funktion zum Schutz des unter venezianischem Einfluss stehenden Festlandes ein.10 Ab 1494 wurden erste venezianische Befestigungen errichtet, wobei der Schwerpunkt der Befestigungsanlage im südwestlich gelegenen Legnago lag.11

7.1.2 Die Familie Badoer Schlägt man die Pariser Handschrift auf, so fällt sofort ein Wappen ins Auge. Der aufgerichtete goldene Löwe mit langem Schwanz im Zentrum des Wappens blickt nach rechts, steht auf dem linken Hinterbein und erhebt die Vorderpfoten. Das Heroldsbild im Hintergrund ist schräg rechts durch gerade Linien in sechs gleichbreite, rote und weiße Streifen geteilt (Abb. 7.3).12 Es handelt sich um das Familienwappen der Familie Badoer aus Venedig.13 Damit ergibt sich eine Verbindung der Visiertextsammlung zu einer der berühmtesten venezianischen Familien, die über lange Zeit im öffentlichen Leben Venedigs sichtbar war. Die Wurzeln der Familie Badoer lassen sich wohl auf eines der ältesten Dogengeschlechter von Venedig zurückführen; seit dem 12. Jahrhundert urkundlich belegt, tauchen Familienmitglieder der Badoer in großer Zahl als Träger öffentlicher venezianischer Ämter, als Kaufleute und Grundbesitzer auf. Bis in die heutige Zeit gibt es Nachkommen der Familie Badoer.14 Der Eigentumsvermerk eines (unbekannten) Badoer in Form seines Wappens wirft die Frage auf, wer sich für die Visiertextsammlung interessiert haben könnte und warum. Eine Suche nach möglichen Verbindungen zwischen der Familie Badoer und den Orten Legnago und Porto liefert eher dürftige Ergebnisse. Zwar hatte Antonio Badoer im Jahr 1445 das Amt des venezianischen provveditore in Legnago inne,15 allerdings lässt sich dieser Zeitraum kaum mit der Handschrift aus dem Jahr 1504 in Verbindung bringen. Es scheinen daher inhaltliche Aspekte

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14

15

[Varanini 1986], [Vallerin 1993], [Campagnaro 2002, 42–45]. Die Verteidigungsanlagen Legnagos im 15. Jahrhundert stellt [Varanini 1986] dar; eine ausführliche Untersuchung des Festungsbaus (mit Kartenmaterial) für das 15. und 16. Jahrhundert bietet [Campagnaro 2002]. Handschrift Paris, Bibliothèque nationale de France, Dép. des manuscrits, Latin 10259, fol. 1r. Ich danke Isabelle Draelants und Jean-Christophe Blanchard für diesen Hinweis. Die Blüte am oberen Rand des Wappens darf als dekoratives Element interpretiert werden. Dem Wappen der Badoer begegnete man zum Beispiel auch im Palazzo Barbarigo della Terrazza am Canal Grande in Venedig. Siehe [Lamprecht 2014, 53 und Abb. 35]. Zu diesem Absatz siehe [Romanello 1980b]. Die Badoer sind außerdem aufgenommen in verschiedene Verzeichnisse, zum Beispiel [Coronelli 1750, 5–7] und [Elenco ufficiale 1898, 15] oder in der dem Wappenbuch des Heinrich Kellner von 1563/1572 beigefügten Liste (Handschrift Frankfurt am Main, UB, Ms. lat. qu. 17), http://sammlungen.ub.uni-frankfurt. de/msinc/id/6464383 (besucht am 12.02.2018). Siehe [Relazioni 1977, LIX].

7.1 Unter Diplomaten

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Abbildung 7.3: Wappen in der Handschrift Paris, Bibliothèque nationale de France, Département des manuscrits, Latin 10259, fol. 1r.

ausschlaggebend zu sein. Ein grundsätzliches Interesse einzelner Familienmitglieder am Thema der Fassmessung ist aus mehreren Gründen nicht auszuschließen. Zumindest für das 13. Jahrhundert ist belegt, dass die Familie Badoer Weingüter besaß.16 Weiterhin gab es unter den Badoer Händler mit einem weit verzweigten Handelsnetz, wie im Fall des Giacomo Badoer (1403 – vor 1445). Sein Rechnungsbuch Libro dei Conti belegt, dass er mit Weinen aller Art handelte.17 Es ging nicht nur um volle, sondern auch um teilweise gefüllte und leere Fässer, vor allem zum Transport von Wein und Öl.18 Vor dem Hintergrund der Weinherstellung und des Weinhandels könnte die Visiertextsammlung tatsächlich praktische Relevanz gehabt haben.

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Zu den Besitzungen des Marco Badoer im 13. Jahrhundert siehe [Pozza 1982, 60–62]. Eine Edition liegt in [Giacomo Badoer 1956] vor, ergänzt durch [Giacomo Badoer 2002]. Siehe auch die Untersuchungen in [Peragallo 1981], [Peragallo 1983] und [Morrison 2001]. [Giacomo Badoer 2002, 132, 159–160].

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7 Sammlerinteresse: Die Visiertextsammlung um 1500 in Italien

Die Datierung der Pariser Handschrift auf 1504 macht es jedoch schwer, einen direkten Bezug der Visiertextsammlung mit Giacomo Badoer herzustellen, wenn man nicht eine in der Familie kursierende Textvorlage annimmt. Da es bislang keine Hinweise auf eine solche frühere Abschrift der Visiertextsammlung im Besitz der Familie Badoer gibt, soll der Untersuchungszeitraum auf das Ende des 15. Jahrhunderts und die zu dieser Zeit lebenden Vertreter der Familie Badoer eingeschränkt werden. Der Venezianer Marin Sanudo (1466–1536) erwähnt in seiner Chronik ein gutes Dutzend an Mitgliedern der Badoer. Die Familie war in hohen Ämtern vertreten, zum Beispiel weilte Giacomo in der Funktion des bailo als administrativer Leiter der venezianischen Handelskolonie in Konstantinopel und Giovanni verwaltete als podestà in Chioggia einen von neun Bezirken im Herrschaftsbereich des Dogen außerhalb von Venedig. Auch zwei Gesandte finden sich darunter, nämlich Sebastiano und ein weiterer Giovanni Badoer.19 Der venezianische Staatsmann Sebastiano Badoer (1425/1427–1498) verfügte über eine umfangreiche humanistische Bildung. Er wurde unter anderem im Jahr 1474 zu König Matthias Corvinus (1443–1490) in Ungarn entsandt, um ihn davon zu überzeugen, den Kampf gegen die Türken mitzutragen und venezianische Militäraktionen im Mittelmeer zu unterstützen.20 Auf Giovanni Badoer, ebenfalls Gesandter in Ungarn in den Jahren 1503 und 1504 und an mathematischen Themen interessiert, wird ausführlich einzugehen sein.

7.1.3 Am ungarischen Hof: Georg Szatmári und Giovanni Badoer Auf der ersten Seite der Pariser Handschrift findet man direkt hinter dem Buchdeckel eine Notiz von anderer Hand als der Haupttext, die quer zur Schreibrichtung auf dem Blatt notiert ist (Abb. 7.4).21 Diese Notiz sieht auf den ersten Blick wie eine Widmung aus. Die Interpretation liegt nahe, dass die Handschrift einem ungarischen Kanzler als Geschenk überreicht worden sein könnte, dem man als angesehene Persönlichkeit ein besonders kunstvoll ausgestaltetes Exemplar widmete.22 Unklar bleibt dabei jedoch

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Siehe das Stichwort Badoer im Personenverzeichnis zum Beispiel in [Sanuto 1969c] und [Sanuto 1969b]. Zur Biographie des Sebastiano Badoer siehe [Cracco 1963] und [Romanello 1980a]; zum Umgang der Badoer in gelehrten Kreisen siehe zum Beispiel [Pulsoni 1994] oder die Erwähnung bei Pietro Bembo (1470–1547) in [Bembo 2007, 35]. Vorsatzblatt Hs. Paris, Bibliothèque nationale de France, Département des manuscrits, Latin 10259. Transkription: Reverendo Domino Georgio praeposito, Cancellario Regiae Maiestatis Hungariae: Amico nostro Carissimo. P.de. Für verschiedene Schreiber spricht: (1) Es wurden verschiedene Schreibfedern auf unterschiedliche Weise verwendet; (2) Die Buchstaben stehen nicht im gleichen Winkel und die Buchstabenschäfte nach unten sind rundlich; (3) Die Kapitälchen im Haupttext und in der Widmung sind nicht identisch. Ich danke den Teilnehmern der Summer School Medieval Paleography and Codicology im Juli 2013 an der Central European University in Budapest für eine lebendige Diskussion. [Folkerts 2008a, 17].

7.1 Unter Diplomaten

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Abbildung 7.4: Adressierung in der Handschrift Handschrift Paris, Bibliothèque nationale de France, Département des manuscrits, Latin 10259 (um 90◦ gegen den Uhrzeigersinn gedreht).

die Abkürzung „P.de.“. Untersucht man weiterhin das Material der Handschrift im Original, so ergeben sich andere Unstimmigkeiten, die letztlich gegen die Auffassung der Zeilen als eine klassische Widmung sprechen. Eine detaillierte Untersuchung macht eine umfassende Einbettung der Handschrift in ihren zeitgenössischen Kontext am ungarischen Hof in Buda möglich, wie ich nun zeigen werde. Bei der Interpretation der Zeilen als Widmung und der Handschrift als Geschenk an eine angesehene Persönlichkeit am ungarischen Hof lässt sich zunächst die Schreibrichtung nur schwer erklären. Üblicherweise wurden Widmungen in Büchern in der Schreibrichtung des Haupttextes auf der ersten Seite notiert, nicht aber orthogonal dazu.23 Weiterhin fällt das Material der ersten Seite auf. Während die restliche Handschrift vollständig auf Papier geschrieben wurde, bestehen die erste und letzte Seite aus Pergament. Bis auf die Zeilen der vermuteten Widmung sind die Pergamentblätter unbeschrieben. Sowohl das erste als auch das letzte Blatt weisen in gleicher Art über die Seite verlaufende Faltungen auf. Die Papierlagen sind ihrerseits sehr einheitlich: Man findet nur ein einziges Wasserzeichen, nämlich eine Form des Chapeau, der sehr häufig belegt ist, unter anderem in Dokumenten aus Ungarn und Venedig.24 Sowohl die Schreibrichtung der lateinischen Zeilen als auch die Faltung der Pergamentblätter lassen sich erklären, wenn man die Kultur des Briefeschreibens

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Leider konnte ich keine systematische „Kodikologie der Widmung“ ausfindig machen, um diese Behauptung mit größer angelegten Studien zu belegen. Ich berufe mich daher auf Gespräche mit verschiedenen Wissenschaftlern bei Vorträgen, Bibliotheks- und Archivrecherchen, während derer ich allgemeine Zustimmung zu dieser Annahme erfuhr. [Briquet 1923, 224 und Abb. 3404].

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im 15. Jahrhunderts berücksichtigt. Es gibt viele Beispiele von Briefen, die in ähnlicher Weise gefaltet und auf der äußeren, freien Fläche mit einem Adressaten (das heißt einer suprascriptio) versehen wurden.25 Die Pergamentblätter der Pariser Handschrift scheinen wiederverwendetes Material zu sein, nämlich eines nicht vollendeten Briefes. Das Material des Pergamentes war als Schutzumschlag für die empfindliche Papierhandschrift bestens geeignet. Vor diesem Hintergrund passt es schließlich ins Bild, die bislang ungeklärte Abkürzung „P.de.“ als kalligraphisch ausgeführtes Padue zu lesen, bei dem die mittleren Vokale mit dem Buchstaben d verschränkt sind.26 Der nicht verfasste Brief sollte an einen angesehenen Georgius vom ungarischen Hof nach Padua geschickt werden. Die oben angeführten Zeilen sind nicht als Widmung, sondern als Adressierung aufzufassen. Der Befund, dass die ersten Zeilen rund um den ungarischen Georgius jedoch womöglich nicht viel mit der Visiertextsammlung zu tun haben könnten, ist zunächst sehr ernüchternd. Weil es sich um für einen Schutzumschlag verwendetes Restmaterial handelte, der heute in die Handschrift eingebunden ist, könnten die Pergamentseiten der Visiertextsammlung zu jedem beliebigen Zeitpunkt hinzugefügt worden sein. Die Identifikation eines Georgius am ungarischen Hof wäre damit ausgesprochen schwierig und trüge zur Überlieferungsgeschichte der Visiertextsammlung nur wenig bei. Folgt man dieser Annahme, ist die Untersuchung an dieser Stelle beendet. Ich möchte jedoch auch der Spur nachgehen, dass die Pergamentseiten aus dem näheren Umfeld des Schreibers stammen könnten, der die fragile und wertvolle Papierhandschrift womöglich von Beginn des Schreibprozesses an zwischen pergamentene Schutzseiten legte. Weil ein solcher Umgang mit Handschriften gängig war, ist diese Annahme für die Überlieferung der Pariser Handschrift eine ernsthaft zu prüfende Möglichkeit. Wegen der Datierung der Handschrift auf 1504 ist der Zeitraum bereits eingegrenzt, in dem ein Georgius am ungarischen Hof zu finden sein müsste. Weiterhin gibt die Adressierung preis, dass Georgius als hoher Bediensteter in der Verwaltung (cancellario) der ungarischen Majestät tätig war und den Titel eines praepositus führte. Man begegnet der Bezeichnung praepositus sowohl bei kirchlichen Leitungsfunktionen, zum Beispiel als Probst, oder in allgemeinerem Sinne als Verwalter.27 Die neuere ungarische Forschung beschäftigt sich eingehend mit den Personen in der Verwaltung des spätmittelalterlichen Ungarns. Anhand von vorläufigen

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Ein Beispiel eines an einen Adressaten in Mantua gesendeten Briefes findet man in [Gonzaga 2013, 217–218 und Tafel VI]. Zur Entwicklung der mittelalterlichen Briefform, insbesondere der suprascriptio, siehe [Herold 2009, 89]. Als Vergleichsmaterial eignen sich ebenso Briefe der venezianischen Gesandten in Ungarn an den Consiglio dei Dieci, vor allem ein zweiseitiger, zum Teil verschlüsselter Bericht des Giovanni Badoer. Das Doppelblatt wurde gefaltet und mit Absender und Adressat versehen. Siehe Archivio di Stato di Venezia, I dispacci conservati all’Archivio di Stato di Venezia, Capi del Consiglio dei Dieci, Lettere degli ambasciatori in Ungheria, B 30, nn. 258–259. Ich danke Jürgen Herold für diesen Hinweis. Siehe den Eintrag zum Stichwort praepositus in [Niermeyer und van den Kieft 2002]. Ich danke Adam Poznanski ´ für diesen Hinweis.

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Resultaten aus diesen Studien lässt sich belegen, dass in der Tat zum Zeitpunkt der Fertigstellung der Handschrift im Jahr 1504 genau ein königlicher Kanzler Ungarns mit dem Namen Georgius bekannt ist, nämlich Georg Szatmári.28 Auch den Titel des praepositus trug er im Laufe seines Lebens. Sein Zeitgenosse Francesco Massaro beschrieb Georg Szatmári (um 1457– 1524) als eine der bedeutendsten Persönlichkeiten der ungarischen Jagiellonenzeit.29 Georg Szatmári wurde in der königlichen Freistadt Kaschau als Sohn einer wohlhabenden deutschen Kaufmannsfamilie geboren. Die Stadt war ein wichtiges Handelszentrum im Nordosten Ungarns, in dem Waren zum Beispiel aus Südpolen, Siebenbürgen, dem Weingebiet Tokaj und der ungarischen Tiefebene gehandelt wurden. Georg Szatmári studierte in Krakau und Bologna.30 Im Jahr 1480 erbte er mit dem Tod des Onkels Franz Szatmári ein großes Vermögen. In den 1490er Jahren trat er in die Kanzlei von Ladislaus II. (1456–1516) ein. Ab 1493 bekleidete er das Amt des conservator, im darauf folgenden Jahr dasjenige des secretarius und übernahm damit die Leitung die Kanzlei. Im Jahr 1503 ernannte ihn Ladislaus II. zum geheimen Kanzler. Als Leiter der Kanzlei und hoher Diplomat hatte Georg Szatmári großen Einfluss und wirkte zum Beispiel auf die Vereinbarung des Erbfolgevertrages zwischen Jagiellonen und Habsburgern im Jahr 1506 ein.31 Georg Szatmári wurde für seine Kanzleitätigkeit mit kirchlichen Pfründen belohnt, eine durchaus gängigen Praxis im 15. Jahrhundert. Eine kirchliche Karriere schien er jedoch zunächst nicht angestrebt zu haben. Nach mehreren Ämtern in der Funktion als Probst folgten die Bischofsämter in Veszprém (1499), Großwardein (Várad/Nagyvárad) (1501) und Fünfkirchen (1505–1521). Drei Jahre vor seinem Tod wurde er schließlich zum Erzbischof von Gran ernannt und stand damit an der Spitze der ungarischen Kirchenhierarchie. Die letzten Tage des Georg Szatmári waren von schwerer Krankheit gezeichnet, bis er am 7. April 1524 starb. Ein Testament wurde nicht bekannt.32 Die Haltung Szatmáris gegenüber Venedig lässt sich nur bruchstückhaft rekonstruieren. Auf literarisch-intellektueller Ebene hatte Szatmári intensive Kontakte nach Italien und Venedig. Über seinen Sekretär Sigmund Thurzo stand er im Jahr 1501 in Briefkontakt mit Aldus Manutius (1449–1515). Aus der Anfrage an Manutius resultierte ein kleiner Cicero-Band Epistolae familiares, den Manutius 1502 herausgab.33 Doch den Machtansprüchen Venedigs schien Georg Szatmári misstrauisch zu begegnen. Als am 10. Dezember 1508 Kaiser Maximilian I. (1459–1519)

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Im zeitlichen Rahmen von etwa 30 Jahren ist kein anderer Georgius bekannt. Ich danke Katalin Szende für Unterstützung bei dieser Recherche und den entscheidenden Hinweis. Zum Mäzenatentum Georg Szatmáris siehe [Farbaky 1999–2000], [Farbaky 2002a] und [Farbaky 2002b, 178, 187]. [Capro¸s 2010, 184]. Dieser Abschnitt folgt den Angaben zur Vita Szatmáris in [Farbaky 1999–2000, 214–217] und [Farbaky 2002b, 178–179]. Zu diesem Absatz siehe [Farbaky 1999–2000, 215–216]. [Farbaky 1999–2000, 217].

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und Ludwig XII. (1462–1515) von Frankreich einen Bündnisvertrag gegen Venedig in Cambrai unterzeichneten, stellte sich auch Georg Szatmári gegen die Seerepublik und forderte die Rückgabe Dalmatiens an Ungarn. Aus der Sicht Venedigs war man sich des Einflusses Szatmáris bewußt, denn noch im Bericht des Francesco Massaro im Jahr 1523 galt Georg Szatmári als homo savio et de grandissmia auctoritate.34 Zu Georg Szatmári und dem ungarischen Hof lässt sich auch eine Verbindung mit der Familie Badoer herstellen. Der venezianische Chronist Marin Sanudo erwähnt in diesem Zeitraum einen gewissen Giovanni Badoer, der von 1501 bis 1503 als Gesandter der Republik Venedig in Buda weilte.35 Giovanni Badoer (um 1465–1535) übernahm nach seinem Studium in Padua, das er als Doktor der Theologie beendete, zunächst kleinere Ämter im venezianischen Verwaltungswesen, zum Beispiel das des provveditore. Als venezianischen Gesandten schickte man ihn nach Spanien (1498) und Neapel (1500). Im November 1501 kam er in Buda an, wo er König Ladislaus II. als Verbündeten im Kampf gegen die Türken gewinnen sollte. Nach weiteren Ämtern in der venezianischen Verwaltung übergab ihm die Serenissima 1507 die Leitung der Gesandtschaft nach Rom, um mit Papst Julius II. (1443–1513) zu verhandeln. Die Verhandlungen verliefen nicht erfolgreich; Julius II. schloss sich der Liga von Cambrai gegen Venedig an. Da dieser diplomatische Misserfolg unter anderem Giovanni Badoer zur Last gelegt wurde, betrat er erst wieder ab 1511 die große politische Bühne.36 Ein Jahr vor seinem Tod war er schließlich im Jahr 1534 einer der acht venezianischen Gesandten zum neu gewählten Papst Paul III. (1468–1549). Von Giovanni Badoer ist ein literarischer Beitrag in Form von drei Eklogen Filareto all’aurea sua catena aus dem Jahr 1503 erhalten.37 Für die Überlieferung der Visiertextsammlung und die Pariser Handschrift ist die Zeit in Ungarn von Bedeutung, über die Marin Sanudo berichtete. Er beschrieb Giovanni Badoer: 5. Februar 1504. Im Collegio. Es kam sier Zuan Badoer, dotor und cavalier, orator in Ungarn, wo er 27 Monate verbracht hat. Er ist nicht sehr gesund. Er hat Fieber. Er trug einen Mantel aus Samt, auf den Schultern befestigt, campononi und ein Barett a la forestiera aus schwarzem Samt, das heißt auf französische Art.38

Giovanni Badoer kehrte Anfang Februar 1504 von Buda nach Venedig zurück und trug drei Tage später seinen Bericht über die Zeit am ungarischen Hof seit November 1501 vor dem venezianischen Senat vor:39 Er war nach seiner Ankunft in Buda im Jahr 1501 nach Polen zu König Alexander dem Jagiellonen (1461–1506)

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[Sanuto 1969d, 109]. [Sanuto 1969c, 804–805]. [Bembo 2008, 247–249]. [Giovanni Badoer 1830]. Zur Vita des Giovanni Badoer siehe [Ventura 1963]. [Sanuto 1969c, 804–805], Übersetzung der Autorin. [Sanuto 1969c, 823].

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geschickt worden. Bei der Rückkehr nach Ungarn war er zugleich mit dem venezianischen Diplomaten Sebastiano Giustinian (1459–1543) vor Ort, um ab dem 25. Februar 1503 die venezianische Gesandtschaft in Buda allein anzuführen.40 Im Oktober 1503 erhielt er Weisung, nach Venedig zurückzukehren. Das wichtigste Thema im ungarisch-venezianischen Verhältnis war das angespannte Verhältnis zu den Türken.41 Giovanni Badoer, zunächst el dotor, orator nostro, berichtete mehrfach über die Friedensverhandlungen des ungarischen Königs mit den Türken.42 Immer wieder dokumentierte er, welche Nachrichten ihm aus anderen Gegenden zugetragen wurden, wie über eine Seuche oder eine Hungersnot in Konstantinopel.43 Giovanni Badoer verschwieg in seinem Bericht an Venedig auch finanzielle Anfragen nicht. Mehrfach bat der ungarische König um Unterstützung: Im Oktober 1503 fragte er bei Giovanni Badoer an, ob Venedig 10000 Dukaten verleihe, da 6000 Dukaten an die Fugger zu bezahlen wären. Giovanni Badoer lehnte die Anfrage ab.44 Ebenso tauchten die ungarischen Kirchenoberhäupter in den Berichten auf. So gibt Marin Sanudo im November 1503 eine Nachricht wieder, dass der Bischof von Várad anstelle des erkrankten Gesandten Martino Zobor zu den Türken entsandt werden soll.45 Das Bischofsamt in Várad (Großwardein) hatte zu jener Zeit Georg Szatmári inne. Von herausragender Bedeutung ist jedoch ein Ereignis des August 1503, nämlich die Taufe der ungarischen Königstochter Anna (1503–1547), bei der sowohl Giovanni Badoer als auch der Bischof von Várad, Georg Szatmári, zugegen waren. Ausführlich schilderte Giovanni Badoer die Taufe der Königstochter Anna am 15. August 1503. Er übernahm als Repräsentant der Republik Venedig die Taufpatenschaft der Prinzessin. Außer ihm und Georg Szatmári waren zahlreiche weitere politische und kirchliche Würdenträger anwesend. Bevor die Prinzessin vom Kardinal von Esztergom (Gran) getauft wurde, wurde sie in einer festlichen Zeremonie zur Kirche begleitet. Die Königin war anlässlich dieses Ereignisses in reiche, perlengeschmückte Gewänder gekleidet, deren Wert Giovanni Badoer auf das Vermögen von 50000 Dukaten schätzte. Für die Feierlichkeiten wurde ein großes königliches Bankett gegeben, zu dem nicht nur Adlige und hohe Würdenträger, sondern auch zahlreiche Bewohner von Buda und Pest geladen waren. Man feierte bis tief in die Nacht.46 Die Ehre der Taufpatenschaft wurde der Republik Venedig schon lange vorher versprochen. Die ungarische Königin hatte dies bereits im Februar 1503 in Aussicht gestellt, falls sie eine Tochter bekommen sollte.47 Für Venedig bedeutete

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Sebastiano Giustinian war spätestens im November 1503 als podestà und capitano in Capo d’Istria. Siehe [Sanuto 1969c, 392, 1067]. Für weitere Aspekte der Beziehungen zwischen Venedig und Ungarn siehe [Branca 1973]. [Sanuto 1969c, 8, 28, 56, 158]. [Sanuto 1969c, 195]. [Sanuto 1969c, 195]. [Sanuto 1969c, 345]. [Sanuto 1969c, 72–73]. [Sanuto 1969a, 862].

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dieses Ereignis aber nicht nur eine repräsentative Bühne und die Festigung der Beziehungen mit Ungarn, sondern auch gewisse Ausgaben. Giovanni Badoer notierte sorgfältig, welche Geschenke die Gäste anlässlich der Taufe machten und welche Kostbarkeiten die Republik Venedig an Königin Anna (1484–1506) schickte, wie zum Beispiel edle Stoffe und ein Löwenfell.48 Der Aufenthalt in Buda endete für Giovanni Badoer am 7. Januar 1504 mit der Ernennung zum cavalier durch den ungarischen König.49 In seinem Bericht legte Giovanni Badoer schließlich auch darüber Rechenschaft ab, welche Geschenke er selbst anlässlich seiner Ernennung zum cavalier erhielt.50 Marin Sanudo berichtete ab diesem Zeitpunkt über Giovanni Badoer als dotor e cavalier. Über den hohen Bildungsgrad des Giovanni Badoer gibt eine Widmung des Giorgio Valla (um 1447–1499) aus dem Jahr 1498 Auskunft.51 Im Jahr 1498 gab Giorgo Valla eine ganze Reihe an Schriften heraus, von denen er einige mit persönlichen Widmungsschreiben versah. Während er dem Sebastiano Badoer eine theologische Abhandlung widmete, legte er Giovanni Badoer die astronomische Schrift De magnitudinibus et distantiis solis et lunae des Aristarch von Samos (um 310 v. Chr – um 230 v. Chr.) vor. Unter anderem werden darin die Größen und Abstände von Sonne und Mond mit geometrischen Methoden bestimmt. Giorgio Valla charakterisierte Giovanni Badoer in seinem schmeichelhaften Widmungsschreiben als Gelehrten der Künste und herausragenden Denker, mit dem ihn eine lange Freundschaft verbinde. Giovanni Badoer möge sich auch den mathematischen Wissenschaften widmen, weshalb ihm jene Schrift des Aristarch gewidmet sei.52 Giorgio Valla schien Giovanni Badoer die Beschäftigung mit einem solchen Thema zuzutrauen und bei ihm auf Interesse zu stoßen. Die Pariser Handschrift nennt den Namen Giovanni Badoers nicht explizit, sondern trägt nur das Familienwappen der Badoer. Es kommt die Identifikation des Adressaten auf den Pergamentseiten der Pariser Handschrift als Georg Szatmári hinzu, der durch eine venezianische Chronik in die Schilderung eintretende Giovanni Badoer, weil er zugleich in Ungarn zugegen war und aufgrund seiner umfassenden Bildung zu einer solchen Handschrift passen könnte – bislang liegen mehrere Indizien vor, die sich sicherlich auch in anderer Weise zu einer sinnvollen Erklärung zusammenfügen lassen, um die Entstehung der Handschrift aus Perugia darzustellen. Die Verbindungen verdichten sich jedoch, wenn man auch den Schreiber der Handschrift in die Betrachtungen einbezieht.

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[Sanuto 1969c, 72–73, 345, 473, 587–588]. [Sanuto 1969c, 740, 977–979]. Item, come la volse far cavalier, et li donò uno cavallo, una vesta a la ungara d’oro fodrà di armelini, e do vasi d’arzento, e cussi li donò il re di Polana; le qual tutte cosse apresenterà, justa il solito, a le raxon nove. Siehe [Sanuto 1969c, 823]. Ich danke Elio Nenci für diesen Hinweis. [Valla 1498].

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7.1.4 Der Schreiber Andrea de’ Franceschi Bei der Pariser Handschrift handelt es sich eindeutig um eine italienische Schrift von Ende des 15. Jahrhunderts. Solche Schriften zeichnen sich oft durch besondere Eigenheiten und individuelle Züge aus, die in nur wenigen Textzeugen begegnen. In diesem Fall gibt es drei weitere Manuskripte, in denen die gleichen Schriften wie im Pariser Manuskript auftauchen.53 Für keines der Manuskripte ist der Name eines Schreibers überliefert. Besonders bemerkenswert ist daher ein weiterer Fund einer Inkunabel, in deren Marginalien sich sowohl die elegante Schrift des Haupttextes als auch die fantasievolle Variante zum Beispiel beim Ortsvermerk der Pariser Handschrift belegen lassen.54 Der Wiegendruck ist nämlich mit einem Besitzvermerk in der Hauptschrift versehen. Nach einem paläographischen Prinzip, dass graphische Identität zwischen einem Ex libris und einem Text als Authentifizierung zu beurteilen sei, kann man deshalb Andrea de’ Franceschi als Schreiber der Pariser Handschrift benennen.55 Der Venezianer Andrea de’ Franceschi (1473–1552) durchlief eine zügige Karriere in der Cancelleria ducale, der venezianischen Kanzlei.56 Neben zahlreichen Dokumenten, die seine Schreibertätigkeit belegen, sind von zwei seiner vielen Reisen im Dienste Venedigs Berichte überliefert. Er nahm im Jahr 1492 als Gehilfe des Sekretärs Giorgio de’ Federicis an der venezianischen Gesandtschaft Giorgio Contarinis und Paolo Pisanis zu Kaiser Friedrich III. (1415–1493) teil, über deren Reiseverlauf er die detaillierte Beschreibung Itinerario di Germania delli Magnifici Ambasciatori Veneti verfasste. Unter anderem führte diese Reise in den süddeutschen und österreichischen Raum, auch nach Nürnberg, von dem er ein lebendiges Bild zeichnete.57 Fünf Jahre später war er Sekretär des Andrea Trevisan auf einer Gesandtschaft nach England und verfasste einen Itinerarum Britanniae.58 Am 14. September 1529 gipfelte die Karriere De’ Franceschis in der Ernennung zum Cancelliere grande. Rund um die Entstehungszeit der Pariser Handschrift sind einige wenige biographische Informationen vorhanden. In Bezug auf seine Schreibertätigkeit wurde De’ Franceschi im Jahre 1500 zum notaio ordinario ernannt und reiste als Sekretär des Sebastiano Giustinan nach Ungarn. Ende August 1503 wurde Andrea de’ Franceschi gemäß Marin Sanudo zu den savii ai ordeni in Venedig als Schreiber abgeordnet.59 Kurz darauf ist er im November 1503 als Schreiber von provveditori generali in Faenza belegt.60 Im Jahr 1505 begleitete er in der Funktion des Sekretärs den Gesandten Domenico Pisani nach Rom.

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[Tura 2007, 439–441]. Nämlich die Inkunabel IGI 5842. Siehe [Tura 2007, 442]. [Tura 2007, 442–443] bezieht sich auf [Bernardinello 1979, 1]. Dieser Absatz greift Lebensdaten aus [Neff 1985, 431–435] auf. Siehe auch [Zamperetti 1988]. [Schiffmann 1904]. Für eine Edition siehe [Malfatti 1953]; zur Urheberschaft siehe [Neff 1985, 434]. [Sanuto 1969c, 64]. [Neff 1985, 432] und [Sanuto 1969c, 374–375].

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7.1.5 Die Visiertextsammlung in ungarisch-venezianischem Umfeld Die bisherigen Erkenntnisse lassen eine ganze Reihe an möglichen Rückschlüssen über die Entstehung der Pariser Handschrift zu. Es sollen die Hinweise zusammengeführt werden, die sich aus der Untersuchung des Wappens, des Ortsnachweises, der Schrift und der Adressierung des Schutzumschlages ergeben haben. Den Rahmen dieser Geschichte bildete der Hof des ungarischen Königs Ladislaus II. in Buda. Ab Februar 1503 waren zwei venezianische Gesandte vor Ort, nämlich Sebastiano Giustinian und Giovanni Badoer, der gerade aus Polen zurückgekehrt war. Sebastiano Giustinian übergab die Leitung des Gesandtschaft an Giovanni Badoer und reiste im März 1503 nach Venedig. Beiden Gesandten waren Sekretäre zur Seite gestellt: Sebastiano Giustinian erhielt Unterstützung von Andrea de’ Franceschi, während dessen Cousin Andrea Rosso dem Gesandten Giovanni Badoer unterstellt war. Giovanni Badoer war als Repräsentant Venedigs für den ungarischen König und für hohe Würdenträger der ungarischen Kirche nicht nur ein wichtiger Ansprechpartner, wenn es um die Friedensverhandlungen mit den Türken oder um finanzielle Unterstützung von Seiten Venedigs ging. Als der Republik die Taufpatenschaft für die Königstochter Anna im August 1503 angetragen wurde, war er der offizielle Vertreter der Serenissima bei den Feierlichkeiten. Unter den Beratern des ungarischen Königs befand sich in jener Zeit unter anderem ein gewisser Bischof von Várad Georg Szatmári, der ab 1503 die königliche Kanzlei leitete. Auch er war bei der Taufe der Prinzessin Anna bei den Feierlichkeiten anwesend. Damit sind alle Beteiligten zu Beginn des 16. Jahrhunderts an demselben Ort versammelt. Dies dokumentiert nicht zuletzt der Bericht des Sebastiano Giustinian bei seiner Rückkehr aus Buda im März 1503, in dem die genannten Personennamen in einem Dokument vereint sind.61 Der Entstehungsort der Handschrift Legnago (beziehungsweise Porto) passt insofern in den Rahmen, als die Stadt innerhalb der terraferma lag und damit venezianischer Verwaltung unterstand.62 Legnago war ein eigener provveditore zugewiesen, dem wiederum ein offizieller Schreiber zur Seite stand. Für venezianische Kanzleischreiber war ein solcher Posten ein gängiger Schritt auf der Karriereleiter.63 Ein solcher Auftrag könnte Andrea de’ Franceschi nach seiner Rückkehr aus Buda erteilt worden sein. Wie die an der Geschichte der Handschrift beteiligten Personen Zugang zur Visiertextsammlung hatten, ist nicht leicht zu beurteilen. Nimmt man an, dass das Wappen der Badoer nicht nur belegt, dass die Handschrift im Besitz der Familie war, sondern auch auf den Auftraggeber hinweist, ist Giovanni Badoer wegen seines persönlichen Umfeldes und seiner Offenheit gegenüber mathematischen Themen ein guter Kandidat dafür, eine prachtvolle Abschrift der Textsammlung in

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Allerdings sprach Sebastiano Giustinian abweichend von der bisherigen Darstellung davon, dass ein Alvise Rosso der Schreiber des Giovanni Badoer sei. Der Bischof von Várad sei ein gewisser Jurich. Siehe [Sanuto 1969a, 858–863]. [Reumont 1879] klärt diese Punkte nicht. [Sanuto 1969c, 52, 56, 339, 820] trägt Nachrichten aus Legnago zusammen. [Neff 1985, 129–155].

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Auftrag gegeben zu haben. Bestens ausgebildete Schreiber der venezianischen Schule bewegten sich in seinem direkten Umfeld. Wie die Visiertextsammlung in das ungarische und venezianische Umfeld gekommen sein könnte, ist in mehreren Szenarien denkbar. Zunächst kursierte die Visiertextsammlung im süddeutschen und österreichischen Raum, durch den Andrea de’ Franceschi im Jahr 1492 als Sekretär der venezianischen Gesandtschaft zum Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Friedrich III. reiste.64 Für Andrea de’ Franceschi dürfte ein fortgeschrittenes mathematisches Interesse an der Visiertextsammlung jedoch ausscheiden, da die Skizzen der Pariser Handschrift zu deutlich von den Konstruktionsbeschreibungen im Text abweichen. Falls er jedoch Visierer und den dahinterstehenden Steuererhebungsprozess zum Beispiel in Nürnberg beobachtet haben sollte, könnten handelspolitische Erwägungen im Interesse der Stadt Venedig eine Rolle gespielt haben. Da weiterhin wohl Regiomontanus eine Abschrift der Visiertextsammlung besaß65 und Mitte des 15. Jahrhunderts in Buda am Hofe des Matthias Corvinus zugegen war, könnte die Visiertextsammlung Mitte des 15. Jahrhunderts kopiert worden sein und daher in Buda vorgelegen haben. Die Bibliothek des Matthias Corvinus umfasste auch viele nichtreligiöse Werke. Dies galt auch für die umfangreichen Privatbibliotheken, wie zum Beispiel des Johann Vitez (1408–1472).66 Falls die Visiertextsammlung in Ungarn vorhanden gewesen sein sollte, ist ebenso Sebastiano Badoer nach seiner Zeit am ungarischen Hof bei Matthias Corvinus ein möglicher Kandidat dafür, eine Abschrift für die Interessen der Familie Badoer und derjenigen Venedigs in Auftrag gegeben zu haben. Auf der Pariser Handschrift prangt zwar das Wappen der Familie, doch ließen sich keine eindeutigen Hinweise auf Vorgängerexemplare im Besitz der Familie ausmachen. Schließlich gibt es außer der Adressierung auf dem Schutzumschlag der Pariser Handschrift nur wenige Hinweise, die die Visiertextsammlung mit Georg Szatmári in Verbindung bringen. Thematisch war die Visiertextsammlung auf ähnliche Weise von praktischem Interesse für eine Händlerfamilie wie im Falle der Badoer. Georg Szatmári besaß Weinberge in der Region von Tokaj und bezog Weine aus Südungarn.67 Über seinen privaten Bücherbesitz lassen sich jedoch kaum Aussagen treffen, da bislang kein Verzeichnis der Privatbibliothek Georg Szatmáris bekannt ist.68 Seine Bibliothek war wohl in seinem Palais im Ofner Burgviertel untergebracht, doch darf man davon ausgehen, dass er auch Literatur an den Amtssitzen zur Verfügung hatte. Nur wenige Handschriften geben heute Hinweise auf Georg Szatmári, der die Bibliotheca Corvinana gut gekannt und benutzt haben dürfte.69

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[Schiffmann 1904]. Siehe Kapitel 3. [Csapodi-Gárdonyi 1984]. Ich danke Péter Farbaky für diese Hinweise. [Farbaky 2002b, 185–187]. [Farbaky 1999–2000, 260].

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7 Sammlerinteresse: Die Visiertextsammlung um 1500 in Italien

Falls in diesem Umfeld eine Abschrift der Visiertextsammlung vorgelegen haben und Georg Szatmári an der Weitergabe des Textes beteiligt gewesen sein sollte, geschah dies sicherlich kaum auf offizieller, diplomatischer Ebene. Szatmáris skeptische Haltung gegenüber der Republik Venedig dürfte den Gesandten bekannt gewesen sein. Wenn überhaupt, ist wohl eher an einen Austausch unter gebildeten Staatsmännern zu denken, da Szatmári die intellektuelle Szene in Venedig schätzte und würdigte. Für eine abschließende Beurteilung müssten auch die anderen Abschriften der Visiertextsammlung intensiv studiert werden.70

7.1.6 Wege nach Paris Über längere Zeit findet man keine Hinweise auf den Verbleib der Pariser Handschrift, bis sie im 17. und 18. Jahrhundert in zwei Bücherverzeichnissen mathematisch interessierter Sammler auftaucht. Einem passenden Eintrag begegnet man in einem Bücherverzeichnis aus dem Jahr 1650, das Charles Le Tonnellier angefertigt hatte. Er war zwischen 1664 und 1684 Bibliothekar der Abtei von Saint-Victor in Paris71 und dokumentierte in seinem Catalogus Catalogorum von 1675 die Bestände anderer Abteien und Klöster in Frankreich sowie einiger Privatpersonen. Darunter befindet sich ein Bücherverzeichnis eines gewissen Ismaël Bouillaud aus dem Jahr 1650.72 Die Büchersammlung des Ismaël Bouillaud lässt sich als Zusammenstellung von Texten über Mathematik, Astronomie und benachbarter Themenbereiche charakterisieren. Die Liste umfasst insgesamt 32 Einträge lateinischer und griechischer Abhandlungen. Man findet darunter verschiedene Schriften über Geometrie und Optik, Geographie und Kriegsführung sowie Traktate, die den Gebrauch und die Anfertigung von Astrolab und Armillarsphäre erläutern. Zum Beispiel sind neben Aristarchs De magnitudinibus et distantiis solis et lunae auch Herons Pneumatica sive spiritualia, des Leonardo von Pisa Practica Geometrie oder ein Auszug aus den Kommentaren des Federico Commandino (1506–1575) zu den Mathematicae collectiones des Pappus (4. Jh.) verzeichnet. Die Sammlung wird durch arithmetische Texte wie ein Abakus-Traktat, Erläuterungen zu Kalenderberechnung und

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Da nur wenige der Handschriften datierbar und nur in Ausnahmefällen Schreiber oder Besitzer bekannt sind, wird eine tiefere paläographische und kodikologische Untersuchung nötig sein, die ich im Rahmen dieser Arbeit nicht leisten konnte. [Delisle 1868, 233]. Zu weiteren Ämtern im Konvent siehe die digital verfügbare Datenbank Panorama Victorinum, Stichwort Le Tonnellier, Carolus: http://www.pthsg.de/ prosopographie (besucht am 12.02.2018). Der vollständige Titel lautet: Catalogus catalogorum sive elenchus mss. codicum qui hactenus reperiuntur in plurimis Europae bibliothecis, desumptus et in unum volumen congestus magna cura, diligencia ac summo opere Caroli le Tonnelier, anno M DC LXXV, Paris, Bibliothèque de l’Arsenal, MS 4630. Auf fol. 132–134 sind die Titel aus dem Besitz des Ismaël Bouillaud verzeichnet. Siehe auch [Delisle 1868, 342–343].

7.2 Mathematik des Visierens für den Ingenieur

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sogar arabische Autoren in lateinischer Übersetzung ergänzt. Die Pariser Abschrift der Visiertextsammlung lässt sich eindeutig als Katalogeintrag und daher als Teil der Sammlung des Ismaël Bouillaud identifizieren.73 Die Handschrift wird in einem weiteren Katalog aus dem 18. Jahrhundert aufgeführt, nämlich einer Anschaffungsliste des Département des Manuscrit der heutigen Bibliothèque nationale de France. Am 10. März 1756 befand sich die Abschrift der Visierextsammlung unter jenen 34 Bänden, die aus dem Umfeld eines Monsieur Bouillaud und eines Monsieur de Saint-Port gekauft wurden.74 In der Handschrift lässt sich auf dem hinteren Einband die leicht verwischte Notiz entziffern:75 pour Monsieur de St Port . . . Ein Vergleich der Bücherverzeichnisse des Ismaël Bouillaud von 1650 und der Katalogeinträge von 1756 legt zahlreiche Übereinstimmungen der Titel offen. Hinzugekommen war unter anderem eine Kopie der Schrift des Ptolemaeus über Harmonie, die Ismaël Bouillaud sogar eigenhändig angefertigt hatte.76 Einige der Bände des Anschaffungsverzeichnisses von 1756 lassen sich im heutigen Bestand der Bibliothèque nationale de France nachweisen.77

7.2 M ATHEMATIK DES V ISIERENS FÜR DEN I NGENIEUR Die Visiertextsammlung ist in einer weiteren Handschrift überliefert, die wohl in Italien angefertigt wurde. Sie ist eng mit der Pariser Handschrift verwandt. Es gibt nur geringe textliche Abweichungen und auch die Gestaltung der Seiten ist sehr ähnlich. Sie liegt ebenso der Edition im Anhang zugrunde. Anhand der Handschrift aus Perugia lassen sich zwei erfahrene Mathematiker des 15. Jahrhunderts mit der Visiertextsammlung in Verbindung bringen. Die Handschrift befand sich ebenfalls in venezianischem Umfeld, wie die im folgenden Abschnitt vorgestellten Untersuchungen zum Schreiber und Nachbesitzer der Handschrift zeigen.

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Collectiones ad virgas planam et scriptam pro capacitate vasorum inquirenda construendas et usu earum et est virga circularis a porto lignano. fol. Siehe Catalogus catalogorum, Paris, Bibliothèque de l’Arsenal, MS 4630, fol. 134r, Nr. 25. Collectiones ad virgas planam et scriptam pro capacitate vasorum inquriendam construendas, et usu earum, et est virga circularis, ms. sur pap. en 2 colonnes, avec figures, relié en veau, in fol. Siehe den Katalog: Paris, Bibliothèque nationale de France, Département des Manuscrits, Archives Ancien Régime 65, registre des acquisitions du Département des Manuscrits 1667– 1758, fol. 356v, Nr. 4. Insbesondere war die Handschrift damit nicht Teil der Sammlung des Bernard Bollot, wie [Poulle 1963b] festhält. Paris, Bibliothèque nationale de France, Département des manuscrits, Lat. 10259, hinteres Einbandblatt. Bibliothèque nationale de France, Département des Manuscrits, Archives Ancien Régime 65, registre des acquisitions du Département des Manuscrit 1667–1758, fol. 357v, Nr. 9. Suchbegriff Bouillaud im Handschriftenkatalog der Bibliothèque nationale de France, digital verfügbar unter http://archivesetmanuscrits.bnf.fr (besucht am 12.02.2018).

170

7 Sammlerinteresse: Die Visiertextsammlung um 1500 in Italien

7.2.1 Der Schreiber Fra Giocondo Fra Giovanni Giocondo (1434–1515) lässt sich zweifelsfrei als Schreiber der Handschrift in Perugia identifizieren.78 Er galt als Spezialist auf mehreren Gebieten, darunter Inschriftenkunde, Ingenieurskunst, Architektur und Philologie.79 Giovanni Giocondo wurde um 1434 in Verona oder Umgebung geboren. Über die ersten 50 Jahre seines Lebens sind nur spärliche Informationen erhalten.80 Er war wohl Franziskanerpater, aber auch seine Zugehörigkeit zu einem anderen Orden wird diskutiert. Seit 1489 dürfte er sich in Neapel am Hofe Alfons’ II. (1448–1495) aufgehalten haben. Bei der Eroberung Neapels durch die Franzosen 1495 ging er an den Hof Karls VIII. (1470–1498) nach Paris. Für das Jahr 1498 ist belegt, dass er von Karl VIII. großzügig für seine Dienste entlohnt wurde. Auch wenn über seine Arbeit als königlicher Architekt nur wenig bekannt ist, gilt seine Beteiligung an der Planung und dem Baubeginn der Seine-Brücke bei Notre-Dame im Mai 1500 als gesichert. Bei diesem Projekt spiegelten sich die Kenntnisse Fra Giocondos über mechanische und hydraulische Geräte der Antike wider, wie zum Beispiel der archimedischen Schraube.81 Fra Giocondos Tätigkeit beim Brückenbau in Paris brachte ihm bald eine Empfehlung nach Venedig ein. In einem Brief an die Serenissima vom 18. November 1504 drückte der venezianische Gesandte Francesco Morosini seine Bewunderung aus und setzte sich dafür ein, dass man Fra Giocondo in venezianische Dienste nehmen sollte.82 Neben seinen mathematischen, architektonischen und militärischen Kenntnissen hob der Diplomat hervor, dass Fra Giocondo außerdem Schriften des Vitruv (1. Jh.) lese. Schließlich ging es um politische Dimensionen: Fra Giocondo sei im Umfeld des französischen Königs als Sekretär tätig gewesen und könne aus dem Gedächtnis wichtige Details eines Abkommens mit dem römisch-deutschen König und dem Herzog von Burgund wiedergeben. Francesco Morosini berichtete diese Informationen umgehend in seinem Brief. Im Frühjahr 1506 traf Giocondo in Venedig ein, wohin ihm sein Ruf als inzegnier und praticho für den Bau von Festungen und Wassergräben schon vorausgeeilt war.83 Aus dem Jahr 1507 ist ein Brief Fra Giocondos erhalten, in dem er in Venedig für seine Qualifikation warb und eine konkrete Vergütung für seine Dienste in Venedig vorschlug. Marin Sanudo charakterisierte ihn als homo excelentissimo.84 Man geht davon aus, dass Giocondo in Venedig an einer der öffentlichen Vorlesungen des Luca Pacioli (1445–1514/1517) über Euklid teilnahm.85 Bereits aus der Pariser Zeit stammten philologische Arbeiten Giovanni Giocondos. Er hatte unbekannte Briefe Plinius’ des Jüngeren entdeckt, deren Edition 78 79 80 81 82 83 84 85

[Tura 1999, 705–706]. [Tura 2008, 16–21]. [Pagliara 2001]. Weitere Nachrichten hat [Tura 2008, 21–28] zusammengetragen. Dieser Brief ist im Wortlaut abgedruckt in [Brenzoni 1960, 26–29]. [Brenzoni 1960, 43]. [Sanuto 1969c, 442]. [Tura 2008, 17].

7.2 Mathematik des Visierens für den Ingenieur

171

er Aldus Manutius übergab, der dann 1508 eine vollständige Ausgabe der Epistulae des Plinius veröffentlichte. Fra Giocondo fand auch unberücksichtigte Textzeugen des Nonius Marcellus sowie des Sallust und veröffentlichte 1513 eine Edition der Commentarii Caesars.86 Mit dem Namen Fra Giocondos wurden mehrere venezianische Bauprojekte in Verbindung gebracht, zum Beispiel der Bau des Fondaco dei Tedeschi in Venedig oder die Lagunenplanung unter Alessio Agliardi il Vecchio (1443 – nach 1506), allerdings bleibt in der heutigen Forschung umstritten, in welchem Ausmaß er tatsächlich beteiligt war.87 Im Jahr 1508 traf eine Anfrage aus Verona ein, um den Bau einer Brücke zu begleiten. Im März 1509 entsandte man Fra Giocondo zur Inspektion von Festungsbauten. Dabei ging es unter anderem um die Befestigungsanlagen in Legnago und die Frage, ob durch Überflutungsstrategien mit Wasser der Etsch die Verteidigungsmöglichkeiten verbessert werden können. Das Vorhaben scheiterte jedoch am niedrigen Wasserstand des Flusses und an den Bewohnern des Umlandes, die sich gegen eine Überflutung ihrer Felder stellten. Im Mai 1509 geriet Fra Giocondo in Legnago in die ersten Auseinandersetzungen zwischen der Liga von Cambrai und Venedig. Während die Franzosen Legnago eroberten, zog sich Giocondo wohl mit dem venezianischen Heer über Padua zurück.88 Im Hinblick auf mögliche Belagerungen wies Venedig seine Ingenieure in dieser Zeit an, die Kapazitäten des Kornmahlens zu erhöhen. Giocondo entwickelte eine Mühle bei Murano, die die Gezeiten nutzen sollte. Allerdings arbeitete sie nur wenige Stunden am Tag und galt als wenig erfolgreiches Projekt. Im September 1509 analysierte Giocondo das Flusssystem von Brenta und Bacchiglione, da die Liga von Cambrai bei Belagerungen Flüsse aufstaute, um dadurch Wassernotstand in den Städten zu bewirken. Zur Umleitung des Brenta sind auch Schriften des Fra Giocondo überliefert.89 Nachdem Fra Giocondo im Jahr 1511 aus den Diensten Venedigs entlassen wurde, widmete er sich verstärkt seinen literarischen Studien. Er veröffentlichte 1513 Vitruvs De architectura, gewidmet Giuliano de’ Medici, zusammen mit der Schrift De aqueductibus urbis Romae des Frontin. Zwei Jahre vor seinem Tod wurde er als Architekt von San Pietro nach Rom berufen, wo er im Juni 1514 eintraf. Für den Bau an San Pietro sind Beratungen mit Raffael (1483–1520) dokumentiert. Fra Giovanni Giocondo starb am 2. Juli 1515. Die Camera apostolica konfiszierte seine Bücher nach seinem Tod, um ein bereits ausgezahltes Gehalt zurückzufordern.90 Man darf von weiteren, nicht erhaltenen Publikationen Giocondos ausgehen. Es sind darunter nicht zuletzt einige Titel mit technischen oder mathematischen Inhalten, wie zum Beispiel eine Ausgabe von Lacilaos Libro de machine vulgare.91

86 87 88 89 90 91

[Pagliara 2001]. Sofern nicht anders gekennzeichnet, folgt dieser Absatz der Darstellung in [Pagliara 2001]. Die von Marin Sanudo dokumentierten Nachrichten über Giocondos Aufenthalte in Legnago trägt [Brenzoni 1960, 30–41] zusammen. Eine Transkription bietet [Brenzoni 1960, 129–150]. [Pagliara 2001]. [Brenzoni 1960, 83].

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7 Sammlerinteresse: Die Visiertextsammlung um 1500 in Italien

Im Widmungsschreiben seiner Vitruv-Edition für Papst Julius II. erwähnte Giocondo schließlich, dass er ein Werk über Architektur und die Anwendung mathematischer Wissenschaften auszuarbeiten gedachte.92

7.2.2 Fra Giocondo und die Visiertextsammlung In der Bibliothek des Fra Giocondo befanden sich zahlreiche von ihm kopierte mathematische Texte, darunter das Liber abaci des Bernelino, ein Teil der sogenannten Geometria incerti auctoris, die Schrift De arte mensurandi des Johannes de Muris oder ein Traktat über den Gebrauch des Quadranten von Georg Peuerbach (1423–1461).93 Fra Giocondo kopierte während seiner Zeit in Frankreich einige Texte zur praktischen Mathematik. Unter diesen Texten befand sich eine ursprünglich Jean Fusoris zugeschriebene Geometrie, die sich bei genauer Betrachtung jedoch als eine Kompilation von der Hand Fra Giocondos herausstellte, der die Abschnitte teilweise aus dem Französischen übersetzt haben dürfte.94 Auch eine Abhandlung über Schiffsbau von Fra Giocondos Hand ist überliefert.95 Bemerkenswert ist sein Interesse für die Inhaltsbestimmung von Fässern. Fra Giocondo kopierte nicht nur die Visiertextsammlung, sondern besaß mindestens vier weitere Texte, in denen die Fassmessung zumindest angesprochen wird. Darunter befinden sich zwei Abhandlungen über Visierstäbe.96 Ob Fra Giocondo der Visiertextsammlung in venezianischem Umfeld begegnete, lässt sich weder bestätigen noch widerlegen. Es liegt die Frage nahe, ob Fra Giocondos Interesse an der Fassmessung und der praktischen Geometrie durch einen direkten Bezug zu seiner alltäglichen Arbeit zu begründen ist. Der Philologe Adolfo Tura schließt einen Bezug zu seiner Tätigkeit als Ingenieur jedoch aus, da die behandelten Probleme zu weit von den Fragen entfernt seien, mit denen sich Fra Giocondo beruflich beschäftigte. Auch sei das mathematische Niveau der Texte so niedrig, dass Fra Giocondo dadurch kaum sein Wissen habe vergrößern können. Zudem scheint Fra Giocondo die von ihm abgeschriebenen Texte nicht wieder gelesen zu haben, da ihm sonst manch grober Fehler in seinen Abschriften aufgefallen wäre. Die Lektüre der praktischen Geometrien könne eher als Ergänzung zu Fra Giocondos Vitruv-Studien interpretiert werden. Tura spricht sich dafür aus, dass es Fra Giocondo am ehesten um eine Publikation der französischen Geometrietexte gegangen sei. Zwar gebe es keine zweifelsfreien Hinweise auf die Planung eines eigenen mathematischen Werkes über Geometrie, aber ein Blick auf seine Editionen zeige, dass Giocondo das Publizieren nicht fremd war. In Venedig wollte er wohl bestimmte Texte über

92 93 94 95 96

[Fra Giocondo und Vitruvius 1511]. [Tura 1999, 701–706]. [Tura 2008, 6–14]. [Tura 2008, 101–103]. Fassmessung: [Tura 2008, 275–278]. Visierstäbe: [Tura 2008, 177–179, 261–262, 264, 265–270].

7.2 Mathematik des Visierens für den Ingenieur

173

Arithmetik drucken lassen. Zu berücksichtigen sei ebenfalls, dass das Textgenre angewandter Traktate von Gelehrten konzipiert wurde, obwohl es durchaus für weniger gebildete Leute gedacht gewesen sei. Sein Zeitgenosse Francesco di Giorgio (1439–1501) setzte ein solches Vorhaben mit der mathematischen Schrift Praticha di gieometria um.97 Auf die Frage, welche Interessen es nun seien, die zur Beschäftigung mit einem Text führten, entwickelt Adolfo Tura eine dreigliedrige Theorie. Es gebe den type substantiel, den type culturel und den type érudit. Ein Gelehrter mit grundlegendem Interesse an der mathematischen Materie sei zum Beispiel Regiomontanus, der Euklidtexte kopierte und kommentierte. Ein kulturelles Interesse dagegen hänge von der Bedeutung ab, die dem Gegenstand zugeschrieben werde. So seien zu den Euklid-Vorlesungen Luca Paciolis auch Hörer gekommen, die sich nicht in erster Linie für die mathematischen Inhalte interessierten, sondern die das gesellschaftliche Ereignis nicht verpassen wollten. Das Interesse des Gelehrtentyps schließlich könne durch jede Art von Text geweckt werden, der ihm in irgendeiner Weise erhaltenswürdig scheint, zum Beispiel wegen der Seltenheit oder des Alters des Textes. Dieser Bezug ersetze jedoch nicht naturwissenschaftliches oder praktisches Wissen. Fra Giocondo jedenfalls habe ein Gelehrteninteresse im obigen Sinne an den praktischen Texten gehabt.98 Überhaupt sei Fra Giocondo ein Ausnahmetalent, da er neben seinen philologischen Fähigkeiten auch über die Kompetenzen eines mechanicus, architectus und antiquarius verfügte.99 Fra Giocondo gilt als typisches Beispiel dafür, dass die Unterscheidung zwischen theoretisch gebildetem Gelehrten und praktisch ausgebildetem Handwerker im 15. und 16. Jahrhundert nicht haltbar ist.100 Er kann womöglich als Teil einer Tradition von bricolagic practitioners betrachtet werden, die über ein ganz ähnliches Spektrum an Kompetenzen verfügten. Die Historikerin Pamela Long führt zum Beispiel Leonardo Bufalini (gest. 1552) an, der nicht nur als Ingenieur für militärische Angelegenheiten hervortrat, sondern er auch Holzschnitte und geographische Karten anfertigte.101

7.2.3 Der Nachbesitzer Andreas Coner Die Abschrift der Visiertextsammlung von Fra Giocondo gelangte später in die Hände des Andreas Coner, der die Handschrift im Jahr 1515 in Rom gekauft haben dürfte.102 Nur wenige Lebensphasen des Klerikers aus der Diözese Bamberg lassen 97 98 99 100 101 102

[Tura 2008, 41–50]. Für diesen Abschnitt vgl. [Tura 2008, 81–88]. [Tura 2008, 40]. [Long 2011, 83–85]. [Long 2017, 227–230]. Man findet auf dem Vorsatzblatt der Handschrift die Notiz Romae 1515 Andreae Coneri. Dem ersten Text Georgij Purbachi . . . ist die Notiz 1515 Romae Andreae Coneri vorangestellt (fol. 14r); der dritte Teil ist mit dem Besitzzeichen des Andreas Coner versehen, einem in eine Sphäre eingeschriebenen Kegel (fol. 64r).

174

7 Sammlerinteresse: Die Visiertextsammlung um 1500 in Italien

sich rekonstruieren.103 Im Jahr 1508 hielt er sich in Venedig und 1510 in Mantua auf, wie die Besitznachweise mehrerer Handschriften nahelegen, die er in diesen Jahren dort erworben hat. Im Jahr 1515 befand er sich in Rom, wie der oben bereits erwähnte Besitznachweis der Handschrift aus Perugia nahelegt. Im Februar 1516 lieh er sich den Band Euclidis Geometria cum Musica Ptolemei aus der Vatikanischen Bibliothek aus, den er am 1. April 1516 wieder zurückgab.104 Die Zeit vor seinem Tod am 8. November 1527 lässt sich recht umfassend rekonstruieren.105 Über seine Interessen gibt heute vor allem das Inventar seines Besitzes Auskunft, das ein gewisser Magister Angelus Sauer kurz nach dem Tod Coners anfertigte. Es sind Autoren wie Euklid, Ptolemaeus, Pappus und Heron vertreten. Coner besaß Schriften des Peuerbach, Regiomontanus, Pacioli und Johann Werner. Auch in der Archimedesforschung ist Coner besonders bekannt. In Venedig kaufte er 1508 das heute berühmte Autograph des Wilhelm von Moerbeke, der mehrere Schriften des Archimedes ins Lateinische übersetzt hatte.106 Coner erwarb die Handschrift wohl aus dem Besitz des Pietro Barozzi (gest. 1407). Von besonderer Bedeutung sind die Korrekturen, die Coner zwischen 1508 und 1513 im MoerbekeAutograph anbrachte. Sie zeugen von einem umfassenden Verständnis des archimedischen Textes und davon, dass Coner ihn mit anderen Versionen verglichen hat. Coner lieferte damit bessere Textversionen als einige spätere Drucke.107 Die Visiertextsammlung in der Handschrift aus Perugia weist außer dem Besitzvermerk des Andreas Coner aus dem Jahr 1515 in Rom keine weiteren Lesespuren oder Kommentare auf. Es lässt sich daher nicht feststellen, wie intensiv er sich mit dem Thema der Fassmessung auseinandergesetzt hat. Während sich die anderen beiden Teile der Handschrift Perugia wohl auf Einträge im Inventar des Andreas Coner bei seinem Tod zurückführen lassen, ist dies für die Visiertextsammlung weniger offensichtlich.108 Im Inventar findet sich keine Notiz, die sich eindeutig der Visiertextsammlung zuordnen lässt.109 Später wird die Handschrift in einem Katalog des Archivio dell’Abbazia di San Pietro aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erwähnt. Don Mauro Bini beschrieb die Handschrift, nachdem zahlreiche Bände wiederbeschafft wurden, die ursprünglich zum Bestand des Klosters San Pietro gehört hatten, aber im Zuge französischer Herrschaft in Italien verloren gegangen waren.110

103 104 105 106 107 108 109 110

[Clagett 1978, 527–529] und [Tura 1999, 706–708]. [Bertòla 1942, 43–44]. [Clagett 1978, 529–530]. Es handelt sich um die Handschrift Vatikan, Ottob. lat. 1850. [Clagett 1978, 528]. [Clagett 1978, 532, 535]. [Tura 1999, 706–709]. Georgii Purbachii Astronomi Viennensis Canones de compositione et usu Gnomonis Geometrici; Andree Coneri Collectiones ad Virgas Planam et Scriptam pro capacitate vasorum inquirenda construendas et usu earum = Milei vel Menelai Sphericon Libri tres. . . Codice cartaceo del secolo XVI nel 1515. Volume unico intiero in foglio. Siehe Archivio storico, Abbazia di San Pietro, Perugia, serie „Inventari“, n. 2, S. 310. Ich danken den Mitarbeitern des Archivio storico für diesen Hinweis.

7.3 Zusammenfassung und Ergebnisse

175

7.3 Z USAMMENFASSUNG UND E RGEBNISSE Die Untersuchung der beiden Handschriften aus Paris und Perugia und ihrer Entstehungszusammenhänge zeigen, dass die Visiertextsammlung um 1500 in Venedig vorlag. Gelehrte Denker brachten sorgfältig gestaltete Abschriften der Visiertextsammlung in ihre Schriftenbestände ein.

7.3.1 Die Visiertextsammlung in Italien Die Pariser Handschrift wurde im August 1504 in Porto beziehungsweise in Legnago fertiggestellt. Beide Orte befanden sich in der Nähe von Verona am Ufer der Etsch und lagen innerhalb der terraferma, des venezianischen Einflussgebietes auf dem Festland. Das Wappen auf der ersten Textseite der Pariser Handschrift lässt sich der Familie Badoer zuordnen, so dass man davon ausgehen darf, dass die Handschrift einem Familienmitglied der Badoer gehörte. Einige Badoer hatten einflussreiche Ämter in der Republik Venedig inne; als Kaufleute verfügten andere über weitreichende Handelskontakte. Vor dem Haupttext der Pariser Handschrift begegnet man einigen Zeilen, die als Widmung der Schrift an einen ungarischen Kanzler interpretiert wurden, dem die Visiertextsammlung als Geschenk überreicht worden sei. Betrachtet man jedoch das Material und die Gestaltung der Seite, scheint eine Interpretation der Zeilen als Adressierung zutreffender. Es handelte sich eher um einen unvollständigen Brief, der als Schutzhülle für die fragile Papierhandschrift wiederverwendet wurde. Die Handschrift war kein Geschenk für einen ungarischen Kanzler, sondern befand sich im Privatbesitz eines Badoer. Geht man davon aus, dass die pergamentene Hülle für die Papierhandschrift später ergänzt wurde, lässt sich an dieser Stelle nicht viel mehr über die Handschrift sagen. Verfolgt man die Annahme, dass der Brief und die Handschrift etwa zeitgleich entstanden, ergibt sich eine umfangreiche Theorie, die es zunächst ermöglicht, den Adressaten des Briefes als Georg Szatmári zu identifizieren. Szatmári machte am ungarischen Hof unter Ladislaus II. Karriere. Nach seinem Eintritt in die königliche Kanzlei übernahm er bald auch diplomatische Aufgaben und hatte ebenso hohe Kirchenämter als Bischof beziehungsweise Erzbischof inne. Im Umfeld Szatmáris bewegte sich außerdem ein Familienmitglied der Badoer. Giovanni Badoer befand sich in den Jahren 1503 und 1504 als Gesandter der Republik Venedig am Hof in Buda. Wahrscheinlich trafen die beiden sehr gebildeten Staatsmänner bei Besprechungen venezianischer Gesandter mit Kirchenfunktionären oder bei der Taufe der ungarischen Prinzessin Anna im August 1503 aufeinander. Es ist anzunehmen, dass Giovanni Badoer auch Interesse an mathematischen Themen hatte, wie eine Widmung des Giorgio Valla von 1498 nahelegt. In dieses Umfeld am ungarischen Hof fügt sich schließlich der in unabhängigen Studien ermittelte Schreiber der Handschrift Andrea de’ Franceschi ein. Bevor er gegen Ende seiner Karriere zum cancelliere grande ernannt wurde, ordnete ihn die Serenissima nach Ungarn ab, wo er bis 1503 Schreiber des Sebastiano Giustinian war, des Vorgängers des Giovanni Badoer und kurzzeitig

176

7 Sammlerinteresse: Die Visiertextsammlung um 1500 in Italien

gleichzeitig mit ihm vor Ort. Alle beteiligten Personen erwähnte Sebastiano Giustinian bei seiner Rückkehr nach Venedig in seinem Bericht. Viel spricht dafür, dass Giovanni Badoer eine Abschrift der Visiertextsammlung bei einem der besten venezianischen Schreiber, Andrea de’ Franceschi, in Auftrag gab. Es bleibt unklar, auf welchem Weg die Visiertextsammlung in das diplomatische Umfeld gelangte. Womöglich ist die Pariser Abschrift auf eine Vorlage zurückzuführen, die entweder Georg Szatmári, Andrea de’ Franceschi oder einer der Badoer zur Verfügung hatten. Vielleicht war die Visiertextsammlung auch am Hof in Ungarn vorhanden, zum Beispiel in der Bibliothek des Matthias Corvinus, und ist auf den Aufenthalt des Johannes Regiomontanus Mitte des 15. Jahrhunderts in Buda zurückzuführen. Die Pariser Handschrift ist in zwei Verzeichnissen aus dem 17. und 18. Jahrhundert aufgeführt. Die Handschrift aus Perugia fertigte der Ingenieur, Architekt und Philologe Fra Giovanni Giocondo an. Die Republik Venedig holte ihn 1506 von Paris nach Venedig, um ihn dort mit dem Bau und der Instandhaltung von Festungen, Wassergräben und Bewässerungssystemen zu beauftragen. In seiner Bibliothek befanden sich zahlreiche Schriften zu verschiedenen mathematischen Themen, vor allem mehrere Abhandlungen zur Fassmessung neben der Visiertextsammlung. Ob er die Traktate über praktische Geometrie und Fassmessung sammelte, weil sie einen Bezug zu seiner alltäglichen Arbeit hatten, bleibt umstritten. Womöglich trug er Themen für eine eigene Publikation über Mathematik zusammen. Kurze Zeit später gelangte die Handschrift aus Perugia in die Hände des Andreas Coner, über den nur wenig bekannt ist. Aus seiner großen Sammlung auch seltener mathematischer Texte sticht vor allem eine Handschrift heraus, die die Moerbeke-Übersetzung des Archimedes enthielt. Andreas Coner hat die Schrift des Archimedes nicht nur gelesen, sondern eigenhändig kommentiert. Spätestens Mitte des 19. Jahrhunderts bewahrte man die Handschrift in Perugia in der Abbazia di San Pietro auf, wo sie sich bereits vor französischer Herrschaft befand und wohin sie später zurückgegeben wurde. Die beiden Handschriften aus Paris und Perugia ermöglichen den Blick auf ihre Schreiber, Besitzer und damit nicht zuletzt auf vermutliche Leser der Visiertextsammlung. Beide Handschriften aus Paris und Perugia standen mit gebildeten Personen in Zusammenhang. Gelegentlich lässt sich eine lockere Verbindung zur Weinherstellung oder zum Weinhandel belegen, wie im Falle der Familie Badoer oder Georg Szatmáris. Dennoch waren weder Giovanni Badoer noch Georg Szatmári hauptberuflich in den Weinhandel involviert. Fragt man, warum die beiden Abschriften angefertigt worden sein könnten, ergeben sich mehrere Anknüpfungspunkte. Im Fall Fra Giocondos wurde bereits diskutiert, dass er mathematische Kenntnisse für seine alltägliche Arbeit benötigte und womöglich eine eigene Publikation plante. Giovanni Badoer dagegen hatte als venezianischer Diplomat womöglich die Interessen Venedigs im Blick. Das in der Visiertextsammlung dokumentierte Wissen war in einen komplexen und streng strukturierten Ablauf im Weinhandel eingebunden und ermöglichte eine bedeutende Einnahmequelle, die ebenso für Venedig von Interesse sein könnte. Es handelte sich für venezianische

7.3 Zusammenfassung und Ergebnisse

177

Kaufleute, die zum Beispiel mit Kaufleuten aus Nürnberg handelten, um wertvolles Wissen. Während eine solche wirtschaftspolitische Motivation Giovanni Badoers nur vermutet werden kann, gibt es Hinweise, dass der Diplomat die intellektuelle Herausforderung eines mathematischen Textes schätzte. Da es sich bei der Visiertextsammlung – zum Beispiel im Gegensatz zu den Elementen des Euklid – um einen weniger verbreiteten Text handelte, mag eine Sammelleidenschaft eine Rolle gespielt haben. Für die Handschriften aus Paris und Perugia lässt sich beobachten, dass die Ausfertigung der Texte eine besondere Würdigung des in der Visiertextsammlung dokumentierten Wissens widerspiegelt. Beide Textzeugen waren nicht unter den Messspezialisten der Visierer zu Hause, sondern zu Beginn des 16. Jahrhunderts in Privatbibliotheken von gelehrten Verantwortungsträgern in Venedig.

8 KODIFIZIERUNG DES V ISIERWISSENS : Z USAMMENFASSUNG UND AUSBLICK Die Untersuchung von Visiertexten leistet einen Beitrag zur wissenschaftshistorischen Diskussion, warum und wie Handwerker und praktisch arbeitende Spezialisten seit Beginn des 14. Jahrhunderts ihr Wissen dokumentiert oder die Dokumentation dieses Wissens geprägt haben. Im folgenden Abschnitt liegt der Schwerpunkt deshalb zunächst auf historischen Hintergründen und allgemeineren Motiven, die für eine Einordnung der Visiertextsammlung eine Rolle spielen (Kapitel 8.1). Danach geht es darum, die Textsammlung als Träger praktischen Wissens zu betrachten, insbesondere praktischer Mathematik (Kapitel 8.2). Schließlich fasse ich zusammen, wie sich Leser und Verfasser der Visiertexte charakterisieren lassen und welche spezifischen Gründe für die Abfassung der Visiertextsammlung in Frage kommen (Kapitel 8.3). In den jeweiligen Abschnitten knüpfe ich an ausgewählte Studien zu praktischem Wissen und seiner Kodifizierung an, um diese Arbeit in ihr Forschungsumfeld einzuordnen.

8.1 H ISTORISCHER H INTERGRUND Für die Kodifizierung des Visierwissens spielten wirtschaftliche Gründe eine zentrale Rolle. Der Wissenschaftshistoriker Matteo Valleriani macht sich im allgemeinen dafür stark, dass wirtschaftliche Motivationen als der treibende Motor für die Kodifizierung praktischen Wissens betrachtet werden sollten, um den schnelleren Austausch praktischen Wissens als handelbares Gut sowie seine Bewahrung zu ermöglichen: „[. . . ] it becomes evident that the well-documented process of the codification of practical knowledge in the early modern period was a consequence of the positive economic development, which was driven in large part by technological innovation and the implementation of these new technologies.“1

Der Prozess der Verschriftlichung des Visierwissens ging in der Tat mit einer Phase des ausgedehnten Weinhandels einher, wobei große Mengen über weite Entfernungen umgeschlagen wurden. Man beobachtet gemeinhin, dass sich seit dem 14. Jahrhundert die Handelsmengen erhöhten und Waren über größere Distanzen gehandelt wurden. Diese Tendenz traf vor allem auf den Weinhandel zu.2 Am Beispiel der Stadt Nürnberg wurde bereits deutlich, dass Wein nicht nur

1 2

[Valleriani 2017, 4]. [Meuthen 2012, 8].

180

8 Kodifizierung des Visierwissens: Zusammenfassung und Ausblick

auf lokaler und regionaler Ebene, sondern auch über weite Strecken von der Nordsee bis zum Mittelmeer transportiert wurde.3 Angesichts größerer Handelsmengen wurden mehr Visierer benötigt, wie die Nürnberger Archivalien zweifelsfrei gezeigt haben. Neben der Ausweitung des Handels spielte die Verschiebung von Regierungsmacht vom Reich auf lokale Akteure eine entscheidende Rolle, das heißt die Vergabe eines Ungeldprivilegs. Das praktische Problem, den Inhalt von Fässern zu bestimmen, bestand im Handel seit langer Zeit. Es gewann jedoch im 12. und 13. Jahrhundert an Dringlichkeit, weil sich mit Fassmessung Geld verdienen ließ. Das Privileg, eine direkte Abgabe (Ungeld) auf bestimmte Waren zu erheben, vergaben römisch-deutsche Herrscher immer öfter an bestimmte einzelne Akteure. In dieser Untersuchung standen besonders Städte im Mittelpunkt, aber auch adelige Landesherren und Klöster erhoben bisweilen ein Ungeld.4 Die Vergabe des Ungeldprivilegs bildete damit den notwendigen rechtlichen Rahmen, der es dem Wissen um das Visieren überhaupt erst ermöglichte, eine größere Bedeutung zu gewinnen. Wer über die Einnahmen aus der Fassmessung verfügen konnte, interessierte sich dafür, dass dieses Wissen nicht verloren ging und dokumentierte es. Dass das Ungeldprivileg schrittweise an verschiedene Akteure vergeben wurde, prägte daher ebenso die Form der Dokumentation. Beim Visieren handelte es sich um eine wertvolle Fähigkeit, die nicht jedem zugänglich gemacht werden sollte. Die Städte im Reich des 15. Jahrhunderts standen in wirtschaftlicher Konkurrenz zueinander. In den verschiedenen Eiden von Beginn des 14. Jahrhunderts mussten die Visierer schwören, ihr Wissen nicht an andere weiterzugeben. Eine solche Konstellation, die von einer gewissen Spannung zwischen Verbreitung (wegen des Bedarfs an Visierern) und Geheimhaltung zeugt, begünstigte vermutlich die Entstehung zahlreicher Einzeltexte. Allein der wirtschaftliche Bedarf der Städte an Ungeldeinnahmen und die Möglichkeit der Erhebung kann allerdings keine hinreichende Erklärung für die Dokumentation des Visierwissens sein. Warum sollte es für das Reich zuvor von untergeordnetem Interesse gewesen sein, eine Ungeldpflicht durch Reichsgesetze zu regeln? Um das Wissen um Visierkunst überhaupt wertvoll werden zu lassen, mussten man den Anspruch auf die Zahlung eines Ungelds durchsetzen und kontrollieren. Dazu waren offenbar lokale Organisationsstrukturen unverzichtbar, ebenso wie das genügend ausgebildete Personal, um solche Strukturen aufrecht zu halten. Es mag deshalb kein Zufall sein, dass gerade die einflussreichen Handelsstädte bei der Eintreibung von Ungeldern erfolgreich waren. Sie verfügten über eine geeignete Verwaltungsstruktur und über spezialisierte Bedienstete, um

3

4

Zu den Voraussetzungen des Handels im 15. Jahrhundert (Handelswege, Transportmittel, Netzwerke von Händlern, Spezialisierung auf bestimmte Waren in gewissen Regionen) siehe zum Beispiel [Childs 1998]. Zum Beispiel findet man unter den Nürnberger Archivalien immer wieder Hinweise darauf, dass bestimmten Akteuren im Nürnberger Einzugsbereich die meist zeitlich befristete Erhebung eines Ungeldes erlaubt war.

8.1 Historischer Hintergrund

181

ihre Ansprüche durchzusetzen.5 Die Nürnberger Archive bezeugen bis heute, mit welcher Akribie die Rechnungsbücher geführt wurden und wie ausgefeilt die Regelungen für den Weinhandel waren. Hatte eine Stadt wie Nürnberg das Ungeldprivileg zugesprochen bekommen, begann der Rat umgehend, die neuen Gestaltungsmöglichkeiten im Sinne der Stadt zu nutzen. Für das Nürnberger Weinungeld bedeutete dies, die Ungeldverordnung neu zu strukturieren und die Einnahmen zu erhöhen. In Städten wie Nürnberg sammelte sich zudem eine ausgeprägte technische Expertise, die die Weiterentwicklung praktischen Wissens begünstigte.6 Auch ohne eine verbreitete Akzeptanz schriftlicher Dokumente ist die große Zahl an Visiertexten kaum erklärbar. Im allgemeinen gewannen schriftliche Dokumente in allen Bereichen des Lebens im 15. Jahrhundert an Bedeutung.7 Man geht davon aus, dass im Reich der Reformationszeit in den Städten 10 % bis 30 % der Bevölkerung lesen konnten, wobei von Unterschieden der einzelnen Schichten auszugehen sei.8 Wer aber nicht nur lesen und schreiben lernen wollte, nahm in Nürnberg nach dem Besuch der Lateinschule Unterricht bei einem privaten Rechenmeister, der auch Grundkenntnisse im Visieren vermittelte. Rechenmeister und ebenso aktive Visierer erschlossen sich deshalb mit der Ausbildung neuer Visierer eine zusätzliche Einnahmequelle. Wirft man über die Visiertextsammlung hinaus einen Blick auf die zahlreichen Exemplare an gedruckten, deutschsprachigen Visiertexten, so spiegelte sich gewiss auch das Streben der Rechenmeister nach größerem Ansehen wider, wie es für Nürnberg mit mehreren Beispielen belegbar ist: Für sie bedeutete ein Rechenbuch mit Visieranhang nicht nur Werbung für die eigene Rechenschule, sondern brachte auch so manchen Posten oder Auftrag einer Stadt oder des Regenten ein. Der Verfasser eines Visiertextes erhöhte seine eigene Sichtbarkeit. Weitere Motive dürften sich je nach spezifischem Visiertext ergeben:9 Es gibt unter den Visiertexten eine große Spannbreite zwischen theoretisch und praktisch orientierten Texten, das heißt solchen Abhandlungen, die stark von akademischen Schriften geprägt sind, wie zum Beispiel die Visiertextsammlung, und solchen, die deutlich davon zeugen, dass der Verfasser selbst gemessen und seine Erfahrungen und

5 6

7 8 9

Einen Überblick über verschiedene Typen städtischer Strukturen im Europa des 15. Jahrhunderts ermöglicht [Dobson 1998]. Über die Bedeutung der Städte als Ort für Innovationen hat sich bereits [M. Weber 1999, 270] anhand eines Beispiel der Militärtechnik geäußert. Überblicksartig trägt [Isenmann 2012, 872–874] die weitreichenden Kompetenzen der Handwerker im Nürnberger Metallgewerbe zusammen. [Meuthen 2012, 177]. [Isenmann 2012, 567]. [P. H. Smith 2013, 176–179] stellt einen auf zahlreichen Einzelstudien beruhenden Katalog an Gründen zusammen, warum Spezialisten mit praktischer Expertise ihr Wissen dokumentierten. Die Bandbreite reicht vom Bewahren von Notizen aus der Werkstatt über den Austausch mit Mäzenen bis zur Frage nach einer eigenen, legitimierten Identität der Spezialisten, deren Arbeit sich durch Handlungen auszeichnete.

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8 Kodifizierung des Visierwissens: Zusammenfassung und Ausblick

Beobachtungen zu Papier gebracht hat, ohne über die tieferen Hintergründe des Verfahrens zu reflektieren.10 Das akademische Umfeld prägte die Visiertextsammlung in besonderer Weise. Zwar sind die Anfänge der Visierkunst und ihrer Kodifizierung nicht ohne weiteres greifbar, aber selbst die ältesten Texte dokumentieren eine vertiefte Beschäftigung der Verfasser mit komplizierten, mathematischen Abhandlungen. Solche Texte kursierten vor allem im universitären Unterricht und befanden sich in manchen klösterlichen Beständen. Dass bestimmte Klöster mit ihren Sammlungen akademischer Schriften aller Art im Mittelalter als herausragende Bildungszentren galten, muss nicht näher erläutert werden. Es ist aber zu wenig erforscht, in welchem Maße in Klöstern visiert wurde, zum Beispiel um den Kirchenzehnt einzutreiben. Für die Anfänge der Visiertextsammlung, das heißt vor allem die Entstehung der Einzeltexte, spielte die mathematische Ausbildung in Klöstern und der Wissensaustausch bestimmter Klöster untereinander eine zentrale Rolle. Neben den bereits bekannten Visiertexten stammte zum Beispiel ebenso ein bisher noch nicht genauer untersuchter Text des Mathias von Kemnat (um 1430–1476) aus dem klösterlichen Umfeld. Mathias von Kemnat wurde später an den Hof des Kurfürsten Friedrichs I. von der Pfalz (1425–1476) berufen.11 Der Visiertext von seiner Hand entstand wohl während seiner Ausbildungszeit im Kloster Reichenbach um 1475. Da auch frühe Erwähnungen von Visierruten häufig im klösterlichen Bereich nachweisbar sind, dürfen kirchliche Bildungszentren nicht vernachlässigt werden, wenn man die Kodifizierung des Visierwissens in ihrer Breite erklären will.12 Die Visiermethoden wurden aber nicht nur von kirchlichen Denkern vermittelt, sondern standen auch in engem Zusammenhang mit dem sich seit dem 12. Jahrhundert in Europa rasch ausbreitenden Universitätswesen.13 Einige Texte, die typischerweise Teil des Curriculums des artes-Unterricht waren, sind in die Argumentation der Visiertextsammlung eingebunden. Die Verschriftlichung des Visierwissen lässt sich deshalb nicht allein aus dem Handwerk heraus erklären, sondern trägt in vielen Texten, darunter die Visiertextsammlung, stark akademische Züge. Ob und in welchem Ausmaß das Visieren und seine mathematischen Grundlagen an den Universitäten unterrichtet wurden, bleibt eine offene Frage für zukünftige Forschungsvorhaben. Dass das Visieren von so zentraler Bedeutung für städtische Finanzen werden konnte, lag schließlich in der Gestalt des Messinstrumentes begründet. Die Messmethode mit Visierruten setzte sich gegenüber anderen Verfahren wie zum

10

11 12 13

Siehe Kapitel 2.1.2 und die Angaben über die Einschätzung des Schwierigkeitsgrades der Visiertexte. Da die dort angeführten Texten bislang nicht im Detail betrachtet wurden und häufig nur in schwer lesbarer handschriftlicher Form vorliegen, war an dieser Stelle im Rahmen meiner Arbeit leider kein umfassender Textvergleich möglich. [Schuba 1992, 116]. Da sich die vorliegende Studie auf eine bestimmte Textgruppe konzentriert hat, konnte eine solche umfassende Darstellung hier nicht geleistet werden. Einen Überblick über die Geschichte der Universitäten in Europa ermöglicht zum Beispiel [Rüegg 1993].

8.2 Die Visiertextsammlung als Schrift über praktisches Wissen

183

Beispiel dem Wiegen oder dem Ausleeren von Fässern durch, weil man schnell viele Fässer messen und auch größere Mengen im Weinhandel einfach bewältigen konnte. Es ließen sich die Einnahmen aus dem Weinungeld optimieren, indem kleinere Einheiten besteuert werden konnten: Durch die detailreichen Skalen mit einer kleinteiligen Beschriftung der Visierruten ließen sich Fassinhalte auf den Eimer genau bestimmen, während ein mit Knoten versehenes Seil nur eine grobere Einteilung ermöglichte. Schließlich ließ sich eine Visierrute mit geringen mathematischen Vorkenntnissen bedienen, auch wenn ein Visierer bisweilen bei ungewöhnlichen Fassformen seine Erfahrung einbringen und nach Augenmaß messen musste. Hohe städtische Bedienstete wie der Nürnberger Ungelter kritisierten solche Messungen wegen mangelnder Genauigkeit und deshalb zu geringer Abgabenbeträge. Die Historikerin Pamela Smith skizziert, dass eine solche Fähigkeit zur Improvisation angesichts unerwarteter, leicht von den gewöhnlichen Fällen abweichender Problemstellungen ein zentraler Bestandteil handwerklicher Tätigkeit war und damit als ein charakteristisches Merkmal praktischen Wissens zu betrachten ist.14 Anhand der Visierruten ließen sich mathematische Konzepte in eine Folge von Handlungen übertragen. Diese Übertragung hatte weitreichende Folgen. Sie ermöglichte nicht nur, dass eine größere Gruppe von Personen Zugang zu einem bestimmten Wissenskorpus erhielt, sondern sie prägte gesellschaftliche Strukturen. Das Instrument der Visierrute, in die in Form ihrer Skalen komplizierte mathematische Zusammenhänge eingeschrieben waren, machte die Visierer im Handelsalltag sichtbar. Die Visierruten knüpften an eine lange Tradition linearer Messstäbe an, brachten Mathematik direkt auf den Marktplatz und machten ursprünglich geometrische Konzepte in einer umfassend bearbeiteten Form allgegenwärtig. Die Messinstrumente stehen für eine einzigartige Verbindung von Denkern und Machern, weil komplizierte Messverfahren für die Praxis tauglich wurden. Wenn man über die Kodifizierung des Visierwissens spricht, sollten deshalb zukünftig nicht nur Texte in Betracht gezogen werden, sondern ebenso die Messinstrumente selbst. Es gibt bisher jedoch keine Studien, die Visierruten und ihre Materialität in den Blick nehmen.

8.2 D IE V ISIERTEXTSAMMLUNG ALS S CHRIFT ÜBER PRAKTISCHES W ISSEN Die Visiertextsammlung ist ein Beispiel technischer Spezialliteratur am Übergang von Mittelalter zu früher Neuzeit. Sie fügt sich in eine umfangreiche Tradition von Texten ein, welche die Herstellung von Visierruten behandelten; zugleich stellt sie anspruchsvolle Texte über praktische Mathematik zusammen. Ein Blick auf den Inhalt der Visiertextsammlung macht deutlich, dass man es zweifellos mit der Dokumentation einer spezifischen Form praktischen Wissens zu tun hat, wie die Auffassung Matteo Vallerianis veranschaulicht:

14

[P. H. Smith 2013, 197].

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8 Kodifizierung des Visierwissens: Zusammenfassung und Ausblick

„Practical knowledge is the knowledge needed to obtain a certain product – for instance, an artistic or mechanical artifact, or specific outputs, such as healing practices or mathematical results – that follows a defined workflow. The workflow can be a construction procedure, a recipe, or even an algorithm, which are, from a formal point of view, all equivalent to one another.“15

In der Tat geht es in den vier zur Visiertextsammlung gehörenden Abhandlungen vor allem um die Anfertigung der Messstäbe (Kapitel 4), während ihr Gebrauch höchstens am Rande erklärt wird. Jeder der Texte ist einem bestimmten Visierrutentypus gewidmet und schildert im Detail, wie man die Skalen auf dem jeweiligen Messstab anbringt. Unter den vorgestellten Visierruten findet man neben Quadratund Kubikruten auch eine bislang nicht studierte virga trigona. Überdies lässt sich erstmals eine Wechselrute (virga scripta) in der lateinischsprachigen Literatur identifizieren. Man fertigte die Visierruten für regional verbreitete Fassformen an und wählte für die Skalen jeweils ein regionales Grundmaß. Die Visierruten eignen sich sowohl für die Inhaltsbestimmung voller als auch teilweise gefüllter Fässer, allerdings erwähnen die Texte nur kurz, wie man tatsächlich ein Fass misst. Gelegentlich sind Hinweise aus der Praxis in die Darstellung eingeflochten. Die Visiertextsammlung geht jedoch nicht auf andere Messmethoden ein und erwähnt ein Seil als Ersatz für einen Visierstab nur beiläufig. Anhand der Visiertextsammlung lässt sich die Ausformung einer tiefgründigen, recht weit verbreiteten Spezialliteratur zu einem technischen Thema beobachten. Technische Texte tauchten in handschriftlicher Form vor allem seit etwa 1400 auf, wobei ihre Zahl stetig zunahm. Ab etwa 1530 erhöhte sich auch die Zahl der Drucke technischer Schriften deutlich.16 Verschiedene Felder wie zum Beispiel das Bergbauwesen und die Festungsarchitektur bildeten eigene Texttraditionen mit typischen Darstellungsformen aus. Über bestimmte Instrumente entstanden zunächst einzelne Abhandlungen, die ihre Beschaffenheit und Anwendung erläuterten. Ein anspruchsvolles Beispiel stellt Niccolò Tartaglias (1500–1557) Traktat Nova Scientia dar, in dem er sich mit den Grundlagen der Ballistik und dem Instrument des Kanonierquadranten beschäftigte. Anhand des Textes und des Messinstrumentes lässt sich zeigen, dass Tartaglia eine deduktiv-theoretische Abhandlung schuf, die sich gleichermaßen auf die Tätigkeit des Kanoniers und aristotelische Naturphilosophie stützte. Er leistete damit einen Beitrag in der zeitgenössischen Diskussion um die Frage, ob mit aristotelischen Konzepten der Bewegung die Flugbahn eines Geschosses erklärt werden kann. Dabei initiierte das Instrument des Kanonierquadranten die Reflektion Tartaglias und wurde damit zur zentralen Brücke zwischen Theorie und Praxis.17 Auch für die Visierkunst bildete sich eine solche Spezialliteratur heraus. Die Visiertextsammlung zeigt, dass die Verschriftlichung von Wissen über die Visierkunst bereits früh in großem Maße sichtbar wurde und dass ihre Wurzeln tief ins 15. Jahrhundert reichen.

15 16 17

[Valleriani 2017, 1]. [Hall 1979, 48–49]. [Valleriani 2013, 41–44].

8.2 Die Visiertextsammlung als Schrift über praktisches Wissen

185

Die Entstehung technischer Spezialliteratur besonders in der Renaissance und zu Beginn der frühen Neuzeit wird unter anderem mit dem Aufkommen neuer Berufe in Zusammenhang gebracht.18 Um die neu entstehenden Berufe ausüben zu können, genügte es nicht mehr, allein eine Lehre zu absolvieren, sondern es war die Kombination ganz unterschiedlicher handwerklicher und reflektierender Fähigkeiten gefragt. Zum Beispiel musste sich der Spezialist für den Bau von komplizierten Instrumenten nicht nur mit der Holz- und Metallverarbeitung auskennen, sondern auch ganz verschiedene Skalen auftragen können, die Kenntnisse aus Vermessung, Astronomie oder anderen Bereichen verlangten. Vor diesem Hintergrund trugen einzelne Denker, die mehr in der Praxis als der Theorie verankert waren, diese neuen Wissensfelder zusammen und verliehen ihnen durch die Kompilation und Verschriftlichung eine Form von Allgemeinheit, über die das Wissen im handwerklichen Kontext nicht verfügte. Peter Damerow fasste zusammen: „Erst auf Grundlage dieser literarischen Erfassung und Präsentation [des handwerklichen Wissens] sind Ansätze zu seiner Systematisierung sowie theoretischen Durchdringung und Weiterentwicklung möglich. Sowenig man diese Literatur als wissenschaftliche Literatur im strengen Sinne bezeichnen kann, so charakteristisch ist es für sie, das praktische Erfahrungswissen mit Erkenntnissen zu verbinden, die den Wissenschaften, vornehmlich den mathematischen, entstammen.“19

Für die Visiertextsammlung ist diese Einschätzung teilweise zutreffend. In der Tat trug die Verschriftlichung des Visierwissens wesentlich zu seiner Systematisierung, Verbreitung und Bearbeitung bei. Im Fall der Visiertextsammlung wurden die Einzeltexte unter mathematisch und astronomisch gebildeten Denkern weitergegeben, welche die Notizen weiterentwickelten und um neue Perspektiven ergänzten. Den vielversprechenden geometrischen Lösungsansatz für die Inhaltsbestimmung eines Fasses (Näherung eines Fasses durch einen Zylinder) konnte man in Kombination mit Methoden aus Arithmetik und Astronomie deutlich verbessern. Welche Aspekte in eine Mathematik am und für das Fass Einzug hielten, war nicht zuletzt von Erfordernissen geprägt, die für die Messpraxis Relevanz hatten. Vor allem die Messmethoden für teilweise gefüllte Fässer in der Visiertextsammlung belegen eine ausgeprägte Kreativität der Verfasser, bekannte mathematische Resultate in neuer Weise zusammenzubringen und zu tauglichen Verfahren zu verschmelzen. Neben der reinen Dokumentation in schriftlicher Form begünstigte die abstrahierte Notation in Zahlentafeln die Weiterentwicklung des Visierwissens, weil sich die Tafeln von den Texten lösen konnten. Die systematische Zusammenfassung der Resultate aus den Rechenregeln machte die Texte für die meisten Situationen überflüssig. Wer die Handgriffe beim Visieren kannte, konnte die Zahlentabellen als Kompendium beim Messen und bei der Erstellung von Visierruten gebrauchen.

18 19

Für diesen Abschnitt siehe [Adams 1985, 6]. [Adams 1985, 6].

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8 Kodifizierung des Visierwissens: Zusammenfassung und Ausblick

Dass außerdem Visiertafeln tatsächlich wanderten und räumliche Entfernungen zurücklegten, lässt sich dank einer Bemerkung des Visierers Michiel Coignet aus dem 16. Jahrhundert belegen: Er kannte italienische Tafeln, die den Fassinhalt relativ zur Höhe der im Fass enthaltenen Flüssigkeit angaben. Für den Antwerpener Fall musste er die Tafeln jedoch anpassen.20 Das in Zahlentafeln systematisierte und abstrahierte Visierwissen bewegte sich daher nicht nur geographisch, sondern wanderte ebenso von einem reflektierenden in ein messpraktisches Umfeld und zurück. Schließlich ist der mathematische Charakter der Visiertextsammlung unübersehbar. Es handelt sich dabei jedoch kaum um eine behelfsweise Verbindung mit Erfahrungswissen der Visierer, sondern anders als im obigen Zitat angedeutet um eine detailliert ausgearbeitete akademische Abhandlung. Die Visiertextsammlung bildet einen Querschnitt durch das im 15. Jahrhundert verfügbare Wissen über Mathematik ab (Kapitel 5). Möchte man die Skalen der Visierruten rekonstruieren, sind die Texte ohne umfangreiches mathematisches Wissen nicht voll verständlich. Die Verfasser der Visiertextsammlung hatten Zugang zu Texten oder Exzerpten größerer Werke, die dem universitären Quadrivium oder – darüber hinaus – eher dem astronomischen Rechnen zugerechnet werden. Gerade der enorme Umfang an Zahlentafeln unterstreicht die Breite mathematischen Wissens in der Visiertextsammlung. Über mathematische und astronomische Themen hinaus trifft man auf Aspekte einer akademischen Allgemeinbildung wie zum Beispiel ein geflügeltes Wort aus den Schriften des Hippocrates. Angesichts dieser unterschiedlichen Prägungen lässt sich die Visiertextsammlung als mathematischer Text nicht leicht innerhalb der mathematischen Disziplinen verorten. In der Forschungsliteratur begegnet man immer wieder der kaum hinterfragten Feststellung, dass das Visieren und Visierbücher dem Bereich der (praktischen) Geometrie zuzurechnen seien.21 Ob man bei der Visiertextsammlung von einem Text in der Tradition praktischer Geometrie spricht, hängt davon ab, ob man den Schwerpunkt der Betrachtung auf die grundlegende Idee der Zylinderapproximation oder die elaborierte Ausarbeitung der Messmethoden legt. In der Tat liegt den in der Visiertextsammlung vorgestellten Messmethoden die Idee zugrunde, ein Fass durch einen Zylinder anzunähern, also ein geometrisches Konzept. Ein Beleg aus der Visiertextsammlung selbst regt an, die Visiertextsammlung dem Bereich der Geometrie zuzurechnen: Die Verfasser der Visiertextsammlung verwenden die Bezeichnungen als virge visor und als geometra für den Messspezialisten im gleichen Atemzug, wenn es um die Inhaltsbestimmung teilweise gefüllter Fässer geht.22 Aus der Textstelle wird nicht deutlich, ob es sich dabei um eine Person handelte, welche die geometrischen Sätze der akademischen Mathematik beherrschte, oder gar ein Feldvermesser gemeint war.

20 21 22

[Meskens 1994, 125] und [Meskens 2013, 103]. [Chlench 2014, 155]. Auf Verbindungen zur Arithmetik weist [Schuppener 2008, 73–74] kurz hin. Virge visor igitur seu geometra accipe totius circuli f d g e superficiem . . . . Siehe Visiertextsammlung Text A, cap. XXVIIII.

8.2 Die Visiertextsammlung als Schrift über praktisches Wissen

187

Möchte man die Visiertextsammlung als Schrift über praktische Geometrie verstehen, bietet es sich weiterhin an, die Untersuchungen des Mathematikhistorikers Stephen Victor über Texte zur praktischen Geometrie zur Hand zu nehmen. Er hat Abhandlungen untersucht, die den Titel „Praktische Geometrie“ tragen oder aus inhaltlichen Gründen sehr eng mit solchen Schriften verwandt sind. Letztlich münden seine Ergebnisse in einer recht allgemein gehaltenen Charakterisierung solcher Schriften: „In sum, then, a practical geometry may be simply described as a treatise concerned with measurement, in one, two, or three dimensions, using either instruments or proportional relations or both. A practical geometry may contain further material to develop or extend its scope, following the author’s particular interests.“23

Im Sinne dieser Definition ist die Visiertextsammlung eine Schrift über praktische Geometrie. Es geht um einen Spezialfall von Messungen in drei Dimensionen. Die Messungen werden mit dem Messinstrument der Visierrute durchgeführt, deren Skalen unter anderem auf den proportionalen Verhältnissen bestimmter geometrischer Figuren beruhen. Schließlich umfasst die Textsammlung weiteres Material: Die Sammlung geometrischer Sätze soll nach eigenen Angaben für die Lektüre der Visiertraktate nützlich sein;24 die langen Zahlentafeln dienen als wesentliches Hilfsmittel zur Beschriftung der Visierruten. Diese Untersuchung hat aber auch gezeigt, dass die Verfasser der Visiertexte für die Ausarbeitung dieser Konzepte ganz wesentlich auf Hilfsmittel aus anderen mathematischen Bereiche zurückgreifen. Man wird der Vielfalt an mathematischen Aspekten in der Visiertextsammlung nicht gerecht, wenn man sie allein als Text über Geometrie und ihre Anwendungen begreift. Die Verfasser entnahmen wichtige Konzepte aus Schriften über Arithmetik wie zum Beispiel die Rechenverfahren zum Wurzelziehen oder zur Berechnung der Einträge auf der Skala der virga cubica. Das Rechnen nahm in der Visiertextsammlung eine zentrale Rolle ein. Die Visiertextsammlung ist damit kein Einzelfall unter den Visiertexten. Die Nähe des Visierens zum Rechnen und zu arithmetischen Aspekten wird in anderen Texten als der Visiertextsammlung noch deutlicher. So findet man Methoden des Visierens als Ergänzung zu Rechenbüchern; andere Visierbücher beginnen mit einer Einführung in das Rechnen.25 Zieht man also eine größere Menge an Texten in die Betrachtung ein, so wird deutlich, dass das Visieren weit mehr als (praktische) Geometrie behandelte. Es wäre deshalb sicherlich aufschlussreich, die Methoden des Visierens direkt mit mathematischen Prozeduren aus anderen Bereichen wie dem kaufmännischen Rechnen oder der Feldmessung zu vergleichen

23 24 25

[Victor 1979, 31]. Visiertextsammlung, Sammlung geometrischer Sätze: Nota de circulis et diametris quedam utilia pro canonibus virgarum visoriarum. [Schuppener 2008, 75]. [Günther 1969, 327–329] führt die Visierbücher im Kapitel über die Verbreitung arithmetischer (und geometrischer) Kenntnisse an.

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8 Kodifizierung des Visierwissens: Zusammenfassung und Ausblick

und somit genauer zu verorten.26 Die Visiertextsammlung ist ein hervorragendes Beispiel für die Breite mathematischer Themen beim Visieren. Nicht zuletzt lässt sich die Visiertextsammlung strukturell sogar mit bestimmten astronomischen Werken vergleichen. In der Astronomie sind längeren Tafelwerken in der Regel sogenannte Canones beigegeben, die dem Leser offenlegen, wie man die Einträge in den Tafeln berechnet. Die Canones des Johannes de Lineriis wurden in dieser Arbeit als textliche Vorlage für die Visiertextsammlung diskutiert. Die Sammlung von Visiertexten weist in den späteren Handschriften in der Tat eine solche Struktur auf. Wer die Sammlung um 1500 erstmals in den Händen hielt, könnte die Visiertexte als Beigabe, das heißt als canones, zu den Visiertafeln aufgefasst haben. Die jüngeren Handschriften ließen nicht mehr erkennen, auf welche Weise die Zahlentafeln berechnet wurden, sondern legten dem Leser ein fast fehlerfreies, übersichtlich notiertes Ergebnis vor. Die Sammlung von Visiertexten in ihrer Form um 1500 lag damit in einer typische Werkform vor, wie sie für astronomische Abhandlungen verbreitet war. Die Visiertextsammlung stellt eine einzigartige Verzahnung unterschiedlicher mathematischer Konzepte dar. Sie erwuchs aus einem Stamm mathematischen Wissens, das im späten Mittelalter in bestimmten Bereichen zugänglich war. Die Herleitung der Methoden wurden mit abstrakten mathematischen Prinzipien begründet; nach und nach wurden von akademischer Seite zu einem bestehenden Text kleinere Beiträge ergänzt, die die Methoden stetig weiterentwickelten. Die Visiertextsammlung ist eine akademische Reflektion über ein praktisches Thema, in die deutliche Spuren einer praktischen Tätigkeit eingingen.

8.3 D ENKER UND S PEZIALISTEN BEIM V ISIEREN Die Charakterisierung der Visiertextsammlung als ein deutlich mathematischakademisch geprägter Spezialtext über praktisches Wissen der Visierkunst legt die Frage nahe, wer mit diesen Texten zu tun hatte und warum sie aufgeschrieben wurden. Gewisse Überlegungen lassen sich an die Diskussion um sogenannte engineer-scientists anschließen. Da die Einzeltexte der Visiertextsammlung anonym überliefert sind, lassen sich ihre Leser und Verfasser nur indirekt charakterisieren. Man kann diejenigen, die an der Entstehung der Visiertextsammlung mitgewirkt haben, anhand der Strukturen und Inhalte der Einzeltexte beschreiben. Die handschriftliche Überlieferung der Visiertextsammlung (Kapitel 3) legt offen, dass man die Einzeltexte im Laufe des 15. Jahrhunderts zu einer Sammlung an Konstruktionsanleitungen zusammengefügt hat. Der sprachlich heterogene Charakter legt nahe, mehrere Verfasser anzunehmen, die jeweils kleinere Abschnitte oder Kommentare ergänzten. Man findet bis auf eine Ausnahme, einen Beleg in einer Handschrift, keinerlei Namen im Text erwähnt. Diese Ausnahme ist wiederum sehr instruktiv, da sie mit

26

Eine solche Betrachtung konnte ich im Rahmen dieser Arbeit nicht leisten und muss sie deshalb zukünftigen Projekten überlassen.

8.3 Denker und Spezialisten beim Visieren

189

der Nennung Johannes Schindels einen mit mathematischen Themen vertrauten Gelehrten ins Spiel bringt, der selbst eine Visierrute besessen haben soll. In der Regel sind die Texte in nummerierte Abschnitte eingeteilt, wie sie für Abhandlungen aus dem universitären Umfeld typisch sind. Es rücken Verfasser mit Universitätsbildung ins Blickfeld, wie es bereits der Blick auf die mathematischen Grundlagen nahegelegt hat. Die Ergebnisse aus den Kapiteln zur Rekonstruktion der Visierruten und den mathematischen Hintergründen fügen sich daher zu einem facettenreichen Bild über die Verfasser der jeweiligen Einzeltexte zusammen. Sie waren universitär gebildete, versierte Mathematiker, die über ein fortgeschrittenes Wissen um Mathematik und gute lateinische Sprachkenntnisse verfügten. Zugleich befanden sie sich nahe an der Messpraxis, die sie regelmäßig beobachteten, oder sie visierten gelegentlich selbst. Sie wandten bekannte mathematische Werkzeuge auf das Problem der Fassmessung an und entwickelten daraus verbesserte oder sogar ganz neue Messmethoden und -instrumente wie die virga trigona.27 Die Visiertextsammlung stellte hohe Ansprüche an ihre Leser. Um die Visiertextsammlung in allen Facetten nachvollziehen zu können, brauchte ein Leser ein großes mathematisches Hintergrundwissen, gute Lateinkenntnisse und eine gewisse Nähe zur Messpraxis der Visierer. Waren die Leser der Visiertextsammlung also jene Spezialisten für die Fassmessung, die in zahlreichen Städten fest in den Weinhandel eingebunden waren? Wie im Kapitel über die Visierer in Nürnberg (Kapitel 6) gezeigt, sollte man den Bildungsstand der Visierer nicht unterschätzen, auch wenn sie bisher als einfache Handwerker ohne besondere Ausbildung galten. Die Archivalien in Nürnberg belegen, dass die Visierer mit dem Lesen und Schreiben vertraut waren und detailliert über ihre Messungen Buch führten. Sie stellten dem Händler eine Quittung aus, die dieser beim Ungeldamt vorlegen musste. Die Visierer waren in gut organisierte Verwaltungsabläufe eingebunden, die vor allem der Erhebung der Weinsteuer dienten. Welche Rolle schriftliche Dokumente in der Ausbildung der Visierer spielten, lässt sich dagegen nur schwer einschätzen. In mindestens einem Fall machte ein aktiver Visierer seinen Unterricht im Visieren für jedermann per Anschlag bekannt. Ob aber die schriftliche Bekanntmachung oder eher eine direkte, mündliche Empfehlung dem Visierer mehr Schüler einbrachten, lässt sich nicht nachvollziehen. Erhielt ein Handwerkersohn tatsächlich Unterricht beim Rechenmeister, so konnte er bereits lesen und schreiben und erledigte Rechenaufgaben sicherlich auch schriftlich. Die Erwähnung eines Rechenbuches unter den Ausgaben, die ein Rechenmeister für seine Schüler einforderte, deuten zumindest auf ein Übungsheft hin. Ausgeprägte Lateinkenntnisse der Visierer ließen sich anhand der gesichteten Materialien allerdings nicht belegen. Ich habe weiterhin

27

Ein ähnlich akademisch geprägter Text dürfte mit der Abhandlung des Peter von Jülich von 1425 vorliegen. Peter von Jülich unterrichtete an der Kölner Universität und stellt ein Beispiel für einen solchen gebildeten Gelehrten nahe der Visierpraxis dar. Er notierte in seinem Visiertraktat, dass er die Visierer beobachtete und daraufhin die Grundlagen überdachte. Siehe [Hellmann 2011].

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8 Kodifizierung des Visierwissens: Zusammenfassung und Ausblick

keine Hinweise darauf gefunden, dass den Visierern solche universitären Schriften zugänglich waren, wie sie in der Visiertextsammlung verarbeitet wurden. Dass einer der Nürnberger Visierer mit der Visiertextsammlung oder Teilen daraus in Berührung kam, lässt sich nach dem bisherigen Stand nicht belegen. Alles deutet daraufhin, dass die Visierer keinen intensiven Umgang mit längeren, akademischen Texten hatten; die Visiertextsammlung scheint eine unabhängige Texttradition darzustellen. Im allgemeinen stellt sich das Visierertum in Nürnberg so dar, dass die Visierkunst dem Handwerk zugerechnet wurde und deshalb das Wissen darum persönlich und mündlich weitergegeben wurde, das heißt von einem Meister zu seinem Lehrling. Dafür spricht zum Beispiel, dass in den Nürnberger Gerichtsbüchern von einem „Visierermeister“ die Rede ist. Durch diesen Titel wird dem Visierer nicht nur eine besondere Würdigung zuteil, sondern er legt auch das Selbstverständnis und die Organisationsform der Visierer offen. Wie stand es um die mathematischen Fähigkeiten der Nürnberger Visierer? Fasst man das Visieren als Folge von Handlungen auf, die ein Spezialist der Reihe nach ausführen musste, um den Fassinhalt als Zahl anzugeben, lag der Schwerpunkt der benötigten mathematischen Kenntnisse deutlich auf dem Rechnen und der Arithmetik. Für die Arbeit der Visierer auf dem Nürnberger Weinmarkt oder in den Weinkellern der Nürnberger Bürger waren vor allem gute Fertigkeiten in den Grundrechenarten wichtig: Die Visierer mussten je nach Visierrute die gemessenen Werte der Fasslänge und -tiefe multiplizieren und daraus das anfallende Ungeld berechnen; bei mehreren Fässern waren mehrere Werte zu addieren. Dass die Messpraxis vor allem gute Rechenkenntnisse verlangte, spiegelt nicht zuletzt die Bezeichnung der Visierrute als virga arithmetica wider.28 Auch Kunz Haß betont in seinem Loblied auf Nürnberg, dass die Visierer den Inhalt eines Fasses auf arithmetische Weise ermittelten.29 Im Alltag des Visierers spielte Wissen über Geometrie nur in Ausnahmefällen eine Rolle. Vertieftes geometrisches Wissen war nur dann von Bedeutung, wenn ein Visierer eine Visierrute selbst fertigte, das heißt auch die Skalen selbst konstruierte, und nicht etwa eine alte Visierrute als Vorlage verwendete. Ob und wie oft die Visierer eine neue Visierrute anhand einer Vorlage fertigten, lässt sich schwer abschätzen. In Köln dürften sie wohl selten eigenständig Visierruten und Skalen erstellt haben, da zwei Modellruten bei der Stadt hinterlegt waren. Neue Messstäbe sollten die Kölner Spezialisten anhand dieser Vorlagen anfertigen; Privatleute durften keine Visierruten besitzen. Wenn aber Visierruten einzig anhand von Vorlagen gefertigt wurden, bestand nur eingeschränkter Bedarf, den Visierern die genaue Funktionsweise und mathematische Herleitung der Visiermethoden zu erklären. Es genügte, wenn ein Kenner der mathematischen Konzepte eine fertige Visierrute lieferte. Ein solcher Fall ist für Nürnberg Anfang des 16. Jahrhunderts denkbar. Der Kleriker Johann Werner war ein geschickter Instrumentenbauer, besaß eine große

28 29

[J. Grimm und W. Grimm 1991] und [Werlin 1964, 162]. [Haß 1858, Z. 193].

8.3 Denker und Spezialisten beim Visieren

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Sammlung mathematischer Schriften und visierte selbst gelegentlich in St. Johannis, unmittelbar außerhalb der Nürnberger Stadtmauern.30 Im Jahr 1508 fragte er beim Nürnberger Rat an, eine von ihm gefertigte Visierrute vorführen zu dürfen. Der Rat muss von der Tauglichkeit der neuen Visierrute sehr überzeugt gewesen sein, denn er bot Johann Werner eine Belohnung an. Leider liegt keine Nachricht darüber vor, was mit der neuen Visierrute passierte und ob die Nürnberger Visierer die Visierrute des Johann Werner als Vorlage verwendeten. Als Visierer taucht Johann Werner in den Ämterbüchlein nicht auf. Anders als in Köln und Nürnberg stellten sich später die Anforderungen an die Visierer in Flandern im 16. Jahrhundert dar, wo die Visierer bei ihren Wettbewerben die Messstäbe vor den Augen der Jury anfertigten. Die flandrischen Visierer mussten daher mindestens über solche geometrischen Kenntnisse verfügen, dass sie mit Zirkel und Lineal eine Visierrutenskala erstellen konnten. Angesichts dieser Einschätzung kommen die Nürnberger Visierer als Verfasser der Visiertextsammlung nicht und als Leser höchstens in Ausnahmefällen in Frage. Die Visierer in anderen Städten müssten noch im Detail untersucht werden, vor allem auch die Güte der mathematischen Ausbildung der Handwerker im 15. Jahrhundert, aber die Sichtung der Organisationsstrukturen im Weinhandel und im Visierertum hat gezeigt, dass man von ähnlichen Bedingungen wie in Nürnberg ausgehen darf. Deshalb dürften auch die dortigen Visierer kaum in Kontakt mit der Visiertextsammlung gekommen sein, sofern überhaupt eine Abschrift der Texte vorlag. Die flandrischen Visierer benötigten zwar das in der Textsammlung dokumentierte Wissen, allerdings lässt sich die handschriftliche Überlieferung nicht mit ihnen in Verbindung bringen: Die Visiertextsammlung lag bereits zu Anfang des 15. Jahrhunderts in einem anderen geographischen Raum vor, wo sie wiederum recht verbreitet war. Die Visiertextsammlung scheint jedoch keine nennenswerte Rückwirkung auf die Visierer gehabt zu haben. Wenn aber die Visierer die Visiertextsammlung nicht gelesen haben, bleiben die Fragen, für wen und warum die Texte geschrieben wurden und wer sie stattdessen studiert haben könnte. Um das Umfeld zu beschreiben, in dem die Visiertextsammlung tatsächlich kursierte, und um daraus möglicherweise auf die tatsächlichen Leser der Visiertextsammlung zu schließen, habe ich in dieser Arbeit mit den Handschriften in Paris und Perugia zwei Exemplare und ihren Entstehungskontext genauer untersucht (Kapitel 7). Es handelt sich um die beiden der Edition zugrunde liegenden Handschriften; ich schließe nicht aus, dass die genauere Betrachtung anderer Handschriften die Gewichtung meiner Einschätzung verschieben würde. Für die beiden Handschriften in Paris und Perugia lassen sich sowohl die Schreiber als auch die Besitzer der Handschriften ausmachen, die ebenso als Leser der Visiertextsammlung in Frage kommen. Beide Handschriften befanden sich in Büchersammlungen gebildeter Personen, die höchstens lockere

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[Jäger 1925, 141]. Es wäre zu prüfen, ob eine der Handschriften der Visiertextsammlung mit Johann Werner in Verbindung gebracht werden kann, wie zum Beispiel die in Nürnberg gefertigte Kopie New York I.

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8 Kodifizierung des Visierwissens: Zusammenfassung und Ausblick

Verbindungen zum Weinhandel unterhielten. Es handelte sich eher um Gelehrte, nämlich den venezianischen Diplomaten Giovanni Badoer und den für Venedig tätigen Ingenieur Fra Giovanni Giocondo. Von größerem Interesse dürfte gewesen sein, dass die Handschriften eine gewisse intellektuelle Herausforderung boten, dass sie Material für weitere mathematische Publikationen enthielten oder sogar handelspolitischen Interessen der Republik Venedig dienen sollten. Die späteren Aufbewahrungsorte der Handschriften bestimmten Kenner mit ausgeprägter Sammlerleidenschaft mathematischer Texte. Die beiden Handschriften zirkulierten nicht unter Visierern, sondern waren Teil von Privatbibliotheken. Über die Gründe für die Abfassung der einzelnen Texte der Visiertextsammlung und die von den Verfassern angedachte Zielgruppe kann ich nur Vermutungen anstellen. Allein wegen ihrer schriftlichen Form steht die Visiertextsammlung zunächst für das Bestreben nach der Dokumentation des Wissens um das Visieren. Ein schriftliches Dokument bot nicht nur einen Referenzpunkt für Streitfälle, sondern ermöglichte es vor allem, eine Visierrute jederzeit und an jedem Ort zu rekonstruieren. Selbst wenn zum Beispiel eine Visierrute verloren gegangen oder der verfügbare Spezialist für die Fassmessung verstorben sein sollte, war das wertvolle Wissen um die Skalen auf den Visierruten nicht verloren. Es rückt damit eine weitere mögliche Zielgruppe für die Visiertexte in den Blick. Es geht um die Frage, wer die Visierruten hergestellt hat. Zwischen den Anleitungen zur Herstellung von Visierruten und der Praxis des Visierens lag die Erstellung der Messstäbe. Es ist nicht bekannt, in wessen Hand dieser Prozess letztlich lag, zu dessen zentralen Elementen gehörte, die Skalen zu berechnen und zu konstruieren. Da das dafür nötige tiefe mathematische Verständnis bei den aktiven Visierern in der Breite nicht vorlag, liegt die Vermutung nahe, dass man es neben den Visierern und den Verfassern der Visiertexte womöglich mit einer dritten Gruppe zu tun haben könnte, nämlich den Herstellern von Visierruten, sei es als Nebentätigkeit oder als professionelle Instrumentenbauer. Sie kommen als Adressaten der Visiertexte in Betracht. Bedenkt man, dass Nürnbergs Handwerker über die Stadtgrenzen hinaus für präzise gefertigte Messinstrumente bekannt waren, bleibt in zukünftigen Studien zu prüfen, ob die Nürnberger Instrumentenbauer auch Visierruten fertigten. Der Kleriker Johann Werner kam bereits zur Sprache, der am Instrumentenbau interessiert war und eine taugliche Visierrute fertigte. Mit dem Messen von Materialien beschäftigte sich aber zum Beispiel ebenso der Goldschmied und Kunsthandwerker Wenzel Jamnitzer (1508–1585). Er fertigte nicht nur einzigartige Kunstschätze, sondern erstellte auch erlesene Messinstrumente.31 Es bleibt die Frage offen, ob man es hinsichtlich der Fertigung von Visierruten mit einer gewissen Autonomie gegenüber den Visiertexten zu tun hat. Die Verfasser der Visiertextsammlung wollten das Wissen um Visierkunst jedoch nicht nur dokumentieren, sondern auch verbessern. Sie ergänzten die mathematischen Konzepte und verfeinerten die Herleitungen, um einerseits die

31

[P. H. Smith 2004, 75–82].

8.3 Denker und Spezialisten beim Visieren

193

Messungen noch präsizer zu machen und andererseits die Erstellung von Visierruten zu erleichtern. Weiterhin sollte das dokumentierte Visierwissen vermittelt werden, denn die sprachliche Form der Visiertextsammlung legt nahe, dass die Verfasser eine Lehrsituation vor Augen hatten, in der ein Schüler von einem erfahrenen Lehrer lernt. Betrachtet man den Bildungsstand der Visierer, so schrieben die Verfasser aber entweder an ihrer eigentlichen Zielgruppe vorbei, oder sie hatten tatsächlich ein eher universitär geprägtes Publikum als Leser im Sinn. Nicht zuletzt scheint für die Abfassung der Visiertextsammlung weniger das Streben eines Verfassers nach größerer Reputation ausschlaggebend gewesen zu sein, da die anonyme Überlieferung der Visiertextsammlung die Würdigung eines spezifischen Verfassers nicht zulässt. Betrachtet man schließlich, warum einzelne Handschriften der Visiertextsammlung angefertigt wurden, so kommt auch der Aspekt in Frage, dass es sich in bestimmten Fällen um die Vorlage für einen Druck der Visiertextsammlung handeln könnte.32 Einen Druck der Visiertextsammlung hat man jedoch bislang nicht gefunden. Die Verfasser der Visiertextsammlung waren Brückenfiguren zwischen akademischer Welt und Handwerk. In der Diskussion um praktisches Wissen und seine Kodifizierung begegnen solche Figuren besonders seit dem 16. Jahrhundert immer wieder. Je nach Werdegang kannten sie sich in Technik, Ingenieurskunst und Handwerk aus. Einige reflektierten über geläufige Prozesse, abstrahierten ihre Tätigkeiten zu allgemeinen Regeln und suchten nach Gesetzmäßigkeiten. Aus dieser Gleichzeitigkeit von technischen und reflektierenden Aspekten ging unter anderem die Bezeichnung dieser Personen als „praktische Mathematiker“ oder engineer-scientists hervor.33 Als typische Vertreter gelten zum Beispiel Leon Battista Alberti (1404–1472), Piero della Francesca, Guidobaldo del Monte (1545– 1607) oder Galileo Galilei (1564–1642). Es handelte sich dabei um eine neue Kategorie eines Intellektuellen, vor allem in den großen städtischen Zentren Europas. Sie waren zum Beispiel an der Durchführung größerer Projekte wie dem Bau des Florentiner Doms beteiligt. Ihre Kenntnisse in der Organisation von Wissen, Ressourcen und Arbeitskraft ergänzten sie durch neue Ideen. Häufig entwickelte sich dabei eine technische Expertise, die unabhängig von akademischen Traditionen entstand und kaum auf scholastische Traditionen zurückwirkte. Ihr Wissen gaben sie zunächst in traditioneller Form weiter, das heißt vor allem mündlich und im Zuge handwerklicher Tätigkeit. Dabei blieb es aber nicht. Immer wieder wurde das handwerklich-technische Wissen zum Thema literarischer Produktion. Die „praktischen Mathematiker“ spezialisierten sich bisweilen auf die Reflektion über praktisches Wissen und widmeten sich seiner literarischen Dokumentation. Gleichzeitig entwickelten sie ihr Wissen weiter. Das neu angesammelte Wissen geriet dabei nicht selten in Konflikt zu bestehenden Lehrmeinungen, weil es sich

32

33

Auf diese Möglichkeit für die Pariser Handschrift haben mich mehrere Spezialisten für Paläographie und alte Drucke unabhängig voneinander hingewiesen. Ihre Einschätzung beruht auf der Art der Seitengestaltung der Pariser Handschrift und den sorgfältig ausgeführten Zeichnungen. Für die diese Charakterisierung folge ich vor allem [Renn, Damerow und Rieger 2001, 66–68].

194

8 Kodifizierung des Visierwissens: Zusammenfassung und Ausblick

zum Beispiel als anti-aristotelisch darstellte. Häufig blieben die reflektierenden Techniker von großzügigem Mäzenatentum und der Patronage großer Herrscherhöfe finanziell abhängig. Die Übergänge zwischen praktischer Mathematik, Ingenieurswesen, Technik und wissenschaftlicher Begründung waren fließend. So sind zum Beispiel die Texte des Galileo Galilei nicht vollständig interpretierbar, wenn man nicht seine vielfältigen Tätigkeiten als Techniker, Ingenieur und Instrumentenbauer in Betracht zieht. Galilei hat die Linsen für seine Teleskope in exzellenter Qualität selbst gefertigt; seine Arbeiten zu physikalischen Eigenschaften bestimmter Materialien und fester Körper lassen sich in großem Maße auf seine Zeit im Umfeld des venezianischen Schiffbaus im Arsenal Venedigs zurückführen.34 Kann man auch die Verfasser der Visiertextssammlung als Vertreter dieser „praktischen Mathematiker“ oder engineer-scientists auffassen? Es lassen sich Argumente für und gegen diese Betrachtung anführen. Dafür spricht sicherlich die gekonnte Verbindung mathematischer Abstraktion und messpraktischer Hinweise, wie sie in der Visiertextsammlung zum Vorschein kommt. Wie auch die reflektierenden Techniker der Renaissance konzentrierten sich die Verfasser der Visiertexte darauf, über gängige handwerkliche Prozesse nachzudenken. Dabei entwickelten sie neues Wissen, das direkt aus der Praxis hervorging. Wie auch die praktischen Mathematiker des 16. Jahrhunderts strebten sie danach, diese Reflektionen wieder nutzbar zu machen. Das Beispiel der virga trigona belegt bestens, dass die Verfasser der Visiertexte einen Transfer von komplizierter Mathematik zu anwendbaren Messinstrumenten möglich machen wollten. Die Messpraxis war für sie ein ausreichendes und legitimierendes Argument, über die Visierprozesse nachzudenken. Es treten aber auch Aspekte zutage, die sich mit dem Konzept der reflektierenden Techniker der Renaissance kaum in Übereinstimmung bringen lassen. Es seien drei Punkte betrachtet: Zunächst muss bedacht werden, dass die historischen Voraussetzungen eines Galilei doch gänzlich andere waren, wenn man allein den Zugang zu mathematischen Spezialtexten betrachtet. Die rasche Verbreitung solcher Literatur war mit dem Buchdruck seit Mitte des 15. Jahrhunderts auf völlig andere Weise als zur Zeit der ersten Visiertexte möglich. Dies wiederum hatte Einfluss darauf, welche mathematischen Kenntnisse überhaupt in die Reflektion über die praktischen Prozesse eingehen konnten und wie das neue Wissen dokumentiert und verbreitet wurde. Weiterhin sind die Wurzeln der Visiertexte nicht notwendigerweise im städtischen Umfeld zu verorten. Eine Einschätzung wird dadurch besonders erschwert, dass die Anfänge der Visiertexte kaum greifbar sind. Die wenigen bekannten Namen im Zusammenhang mit der Visiertextsammlung stehen jedoch alle mit Klöstern in Verbindung, also insbesondere nicht einem städtischen Umfeld, wie es für die technischen Neuerungen der Renaissance typisch war. Es waren nicht die Visierer auf dem Marktplatz, die schrieben und nachdachten, sondern die Denker, die beobachteten und bisweilen maßen. 34

[Valleriani 2010, 46–47, 117–153].

8.3 Denker und Spezialisten beim Visieren

195

Schließlich markiert das Verhältnis zu bestehenden Tradition einen wesentlichen Unterschied. Die in der Visiertextsammlung vorgestellten Methoden und Begründungen gerieten nicht in Gegensatz zu bekannten Erklärungskonzepten, weil sie zum Beispiel als anti-aristotelisch und damit einer unumstößlichen Lehrmeinung widersprechend verstanden wurden. Die Verfasser der Visiertexte versuchten im Gegenteil, durch Anspielungen oder Zitate aus der akademischen Literatur ihre Darstellungen zu stützen. Die Sammlung an Visiertexten entstand im Einklang mit den geläufigen mathematischen und akademischen Traditionen. Die Stärke und die Neuheit der in der Visiertextsammlung zusammengetragenen Visiermethoden begründete sich in der klugen Kombination bekannter Wissensfelder. Knüpft man an Studien zu praktischem Wissen und seiner Kodifizierung an, so lässt sich mit dieser Arbeit zunächst belegen, dass es sich um ein frühes Beispiel für die Ausformung einer tiefgründigen Spezialliteratur zu einem technischen Thema handelt. Weiterhin stellt dabei die im Zentrum stehende Sammlung von Visiertexten eine akademische Texttradition dar, die zwar gewisse Aspekte der Messpraxis verarbeitete, aber nur an wenigen Punkten auf sie zurückwirkte. Man hat es durchaus mit einer gewissen Distanz zwischen Akademikertum und Handwerkern zu tun, wobei einzelne akademische Figuren zwischen diesen Bereichen vermittelten. Für die Kodifizierung des Visierwissens spielten wirtschaftliche Aspekte eine zentrale Rolle, die Verschriftlichung wurde jedoch ebenso wesentlich von rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen begünstigt. Das Visieren bildete sich unter Einwirkungen aus Recht und Regierungsmacht, aus Mathematik und Bildungswesen, aus Universität und Handwerk, aus Handel und Messpraxis heraus. Diese Studie hat ebenso gezeigt, dass für die Visiertextsammlung und ihr Umfeld eine Parallelität von Text und Praxis charakteristisch ist. Das verschriftlichte Visierwissen ging eigene Wege und die Texte entfernten sich immer weiter von der Messpraxis. Die Visiertextsammlung und die praktische Messkunst existieren nebeneinander und stellten zwei Tradition dar, die sich nur selten berührten. Diese Parallelität betraf jedoch mehr das textliche Ergebnis als den Prozess der Verschriftlichung. Im Hinblick auf die Kodifizierung dieses Spezialwissens ist nicht gemeint, dass etwa in der Messpraxis bestimmte Methoden vollständig entwickelt und danach aufgeschrieben wurden. Vielmehr geht es um einen kreativen Prozess, in dem sich das Wissen um Visierkunst herausbildete. Im Zuge der Kodifizierung dachte man über die Inhaltsbestimmung von Fässern nach und entwickelte schon bekannte Vorgehensweisen weiter. Die Visiertextsammlung muss dabei von einer mündlichen Überlieferung und praktischen Erfahrungen profitiert haben, die zwar nicht dokumentiert sind, aber dennoch in den reflektierenden Prozess eingingen. Die Kodifizierung des Visierwissens und seine Weiterentwicklung sind daher nicht voneinander zu trennen, sondern sie gingen miteinander einher. Theorie und Praxis prägten das Wissen um das Visieren gleichermaßen.

A NHANG

I D ETAILREKONSTRUKTION DER V ISIERRUTEN AUS DER V ISIERTEXTSAMMLUNG I.1 R EKONSTRUKTION DER „ VIRGA PLANA “ In diesem Abschnitt erläutere ich die Herstellung der virga plana im Detail.1 Die Messmethode beruht auf dem Konzept, das Fass durch einen Zylinder gleicher Höhe anzunähern. Die beiden Skalen auf der virga plana werden erst mit einem Zirkel anhand einer Skizze konstruiert und in einem zweiten Schritt auf den Messstab übertragen. Für die Konstruktion der Tiefenskala stellt der Text ein geometrisches und ein arithmetisches Verfahren vor. Die Erklärungen werden durch mehrere Skizzen ergänzt. Für eine virga plana wählt man ein etwa daumendickes, gerades, hartes Holzstück oder einen gusseisernen Stab mit einer Länge von 16 Handbreit mit quadratischem Querschnitt. Man erstellt die Skalen auf den Seiten der Visierrute zunächst anhand einer Skizze, um sie in einem zweiten Schritt auf dem Messtab zu markieren. Die Seiten der virga plana werden durch eine Zeichnung dargestellt (Abb. III.1)2 : Die Ecken der virga plana seien mit den Buchstaben a bis l bezeichnet, wobei die Ecken a und k bzw. b und l auf der virga plana identisch sind. Es seien ab, cd , e f , g h und kl die Kanten (latus) der virga plana, wobei ab und kl dieselbe Kante bezeichnen.3

À Grundmaß: Wähle ein Grundmaß nt , zum Beispiel eine „Handbreit“. Á Einteilung der Längenskala: Sei mn eine Gerade mit Länge des Fasses. ¶ Das vorgegebene Maß wird als Strecke nt auf der Gerade nm beginnend bei n 16 Mal abgetragen. Jeder Längenabschnitt wird in acht gleiche Teile unterteilt, indem entsprechend oft halbiert wird.4

· Die für die Gerade mn gefundenen Markierungen werden auf die Rute auf die Kante ab übertragen. Vom Punkt b aus werden an den markierten Stellen die Zahlen 1 bis 16 aufgetragen bzw. gegenläufig die Zahlen 17 bis 32 (Abb. III.1).5

1 2 3 4 5

Für eine Kurzfassung siehe Kapitel 4. Visiertextsammlung Text A (S. 229). Visiertextsammlung Text A, cap. I (S. 229). Visiertextsammlung Text A, cap. II (S. 230). Visiertextsammlung Text A, cap. II (S. 230).

200

I

Detailrekonstruktion der Visierruten aus der Visiertextsammlung

 I Einteilung der Tiefenskala (geometrisch) a) Einheitsmaß auf der Tiefenskala: Es sei np = 4nt der Bodendurchmesser des „Einheitsbodens“, das heißt der Tiefe des Fasses.6

¶ Zeichne die Strecke np auf der Gerade nm ab. · Übertrage die Markierung auf die Kante cd der Visierrute.7 b) Ganzzahlige Vielfache des Einheitsmaßes auf der Tiefenskala: Die Vielfachen des ersten Messpunktes findet man durch Vervielfachung von Kreisen (Abb. III.1).8 Der Text begründet dies mit den Sätzen I.46 („Satz des Pythagoras“) und XII.2 aus den Elementen des Euklid.9

¶ Mit einem Zirkel wird zuerst der doppelte Kreis als doppelte Fassbodenfläche konstruiert. 1. Zeichne den Kreis pqnr mit Durchmesser np und Mittelpunkt s (auf der Geraden mn). 2. Nimm mit dem Zirkel den Abstand pq und zeichne vom Punkt s auf der Geraden mn den Punkt u (oberhalb vom Punkt p) ab. 3. Setze mit dem gleichen Zirkelabstand den beweglichen Zirkelfuß in n, setze den festen Fuß auf die Gerade mn und zeichne oberhalb von u den Punkt 2 ab. Konstruiere weitere Unterteilungen als Kreisvielfache.10

· Trage die Zeichen auf die Visierrute (Seite ad , Kante cd ) auf.11 c) Halbe Zwischenwerte auf der Tiefenskala



1. Nimm für den ersten Zwischenwert mit dem Zirkel den Abstand pq, setze den festen Fuß in n und zeichne auf der Geraden mn den Punkt y (oberhalb von s). 2. Zeichne den Kreis mit Durchmesser n y und Mittelpunkt x 0 (auf mn). Konstruiere weitere Unterteilungen.12

· Übertrage die Zahlen auf die Visierrute (Seite ad , Kante cd ).13

6 7 8 9 10 11 12 13

Visiertextsammlung Text A, cap. IIII (S. 230). Visiertextsammlung Text A, cap. III (S. 230). Visiertextsammlung Text A (S. 229). Visiertextsammlung Text A, cap. IIII (S. 230). Visiertextsammlung Text A, cap. IIII (S. 230). Auch die Konstruktion des dreifachen Kreises wird ausführlich vorgeführt. Visiertextsammlung Text A, cap. IIII (S. 230). Visiertextsammlung Text A, cap. V (S. 233). Visiertextsammlung Text A, cap. V (S. 233).

I

Detailrekonstruktion der Visierruten aus der Visiertextsammlung

201

 II Einteilung der Tiefenskala (arithmetisch): Dieses Verfahren ist eine Alternative zur geometrischen Konstruktion. Die Erläuterung geht von einem Beispiel mit konkreten Zahlenwerten aus. Es sei der Durchmesser r q = 12 gegeben.

¶ Bestimme den Durchmesser d 2pq des doppelten Kreises zum Kreis pq. d 2pq =

q

2 × r q2 =

p

2 × 122 ≈ 17.

(I.1)

Die Wurzel wird mit einem Verfahren gezogen, das in einem Algorithmus de minutiis beschrieben wird.14 Verfahre entsprechend für die ganzzahligen Vielfachen, indem der quadrierte Wert vervielfacht wird. Die Quadratwurzel soll so genau wie möglich gezogen werden.15 Bestimme den mittleren Wert d 1 pq (bzw. Kreis) zwischen dem einfa2 chen und dem doppelten Kreis, d.h. der Kreis, der pq um die Hälfte von pq überragt.

s d 1 pq = 2

r q2 +

r q2 p 7 = 144 + 72 ≈ 14 . 2 10

(I.2)

Weitere Zwischenwerte: Ebenso verfährt man für die Zwischenwerte anderer Vielfacher.16

· Die Zahlen werden auf die Visierrute neben der Kante cd aufgetragen, beginnend beim Ende d .17

14 15 16 17

Siehe Kapitel 5.4. Visiertextsammlung Text A, cap. VI (S. 234). Visiertextsammlung Text A, cap. VI (S. 234). Der Text erläutert die Fortsetzung der Konstruktion am Fall des doppelten und dreifachen Kreises. Visiertextsammlung Text A, cap. VI (S. 234).

202

I

Detailrekonstruktion der Visierruten aus der Visiertextsammlung

I.2 R EKONSTRUKTION DER „ VIRGA SCRIPTA “ Die Herstellung der virga scripta erläutere ich hier im Detail.18 Die im Vergleich zur virga plana zusätzlich aufgetragenen Skalen auf den anderen drei Seiten des Vierkantstabes geben den Inhalt des Fasses an. Eine bestimmte Inhaltsskala kann dabei nur für diejenigen Fässer einer bestimmten Tiefe verwendet werden, für die die Inhaltsskala berechnet wurde. Man beginnt mit einer virga plana, auf der bereits eine Längen- und eine Tiefenskala verzeichnet sind. Die Bezeichnungen der Ecken und Kanten der virga scripta sind wie die Darstellung für die virga plana zu verstehen (Abb. 4.1). Jede Inhaltsskala (auf drei Seiten der virga scripta) wird für eine bestimmte Fasstiefe berechnet.

À Erste Inhaltsskala (2 12 -fache Fasstiefe)

Es sei T = 2 12 die Fasstiefe, das heißt sie betrage das Zweieinhalbfache der Einheitsbodenfläche. Die zugehörige Inhaltsskala soll auf der virga scripta auf der Fläche c f entlang der Kante cd verzeichnet werden. Die Fasslänge L betrage 16 Handbreit. Der erste Messpunkt der 2 12 -Inhaltsskala befindet sich auf der Höhe des Messpunktes 16 der Längenskala (auf der Fläche c f ), das heißt an einem Ende der virga scripta. Der Inhalt I eines Fasses berechnet sich gemäß I=

L ×T . 8

(I.3)

Den ersten Messpunkt auf der 2 12 -Inhaltsskala19 beschriftet man mit der Zahl 5. Alle weiteren Messpunkte auf dieser Skala sollen in 12 -Schritten größer werden, so dass der nächste Messpunkt der 2 12 -Inhaltsskala ein Fass mit dem 5 12 -fachen Inhalt des Einheitsfasses bestimmen wird. Es muss berechnet werden, welcher Fasslänge diese beiden Werte entsprechen. Das Ergebnis gibt an, auf welcher Höhe (im Vergleich zur Längenskala) der folgende Messpunkt 5 12 auf der 2 12 -Inhaltsskala markiert werden soll. Diesen Längenwert L berechnet man aus dem Fassinhalt I und der Fasstiefe T : L=

I ×8 . T

(I.4)

Man erhält für das Beispiel (T = 2 12 , I = 5 12 ) eine Länge L = 17 35 Handbreit. Das bedeutet, dass sich der Messpunkt für den Fassinhalt 5 12 auf der 2 12 Inhaltsskala auf Höhe der 17 35 -Markierung der Längenskala befindet.20

18 19 20

Für eine kürzere Übersicht siehe Kapitel 4. Visiertextsammlung Text A, cap. VIII (S. 236). Visiertextsammlung Text A, cap. VIII (S. 236).

I

Detailrekonstruktion der Visierruten aus der Visiertextsammlung

203

Auf die gleiche Weise bestimmt man, wo die Messpunkte 6, 6 12 usw. auf der 2 12 -Inhaltsskala (im Verhältnis zur Längenskala) verzeichnet werden. Insgesamt umfasst die 2 12 -Inhaltsskala nur vier Markierungen, da für die betrachtete Fasstiefe von 2 12 sehr lange Fässer unüblich seien.21

Á Weitere Inhaltsskalen (3- bis 10-fache Fasstiefe)

Alle weiteren Inhaltsskalen für die Bodenflächen, die das 3-, 3 12 -, 4-fache usw. der Einheitsbodenfläche betragen, werden nach diesem Prinzip konstruiert.22 Je nach Bodengröße haben Fässer üblicherweise eine minimale Länge bzw. überschreiten eine gewisse Länge nicht. Deshalb wird jede Kante der virga scripta von bis zu drei Skalen zugleich genutzt, die aufeinanderfolgend notiert sind. So beginnt zum Beispiel nach den vier Markierungen der 2 12 -Inhaltsskala die 5 12 -Inhaltsskala, die mit dem Wert 14 beginnt. Der direkte Anschluss der 5 12 -Inhaltsskala an die erste Skala bedeutet aber auch, dass Fässer mit Bodentiefe 5 12 eine bestimmte Mindestlänge haben müssen. Für kürzere Fässer ist die so konstruierte virga scripta nicht geeignet. Die Ergebnisse aus den beiden angeführten Rechenregeln findet man in den Zahlentafeln Ad inveniendum longitudinem (gemäß Rechenregel (I.4)) und Ad inveniendum capacitatem (gemäß Rechenregel (I.3)).

21 22

Visiertextsammlung Text A, cap. VIII (S. 236). Visiertextsammlung Text A, cap. VIIII bis XXIII (S. 237 bis 243).

204

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Detailrekonstruktion der Visierruten aus der Visiertextsammlung

I.3 R EKONSTRUKTION DER „ VIRGA QUADRATA “ Die bereits als Zusammenfassung vorgestellte Rekonstruktion der virga quadrata und ihrer Skalen stelle ich hier Schritt für Schritt vor.23

À Grundmaß: Wähle ein Grundmaß für die Länge und die Tiefe des Fasses. Das Längengrundmaß wird als Strecke e f dargestellt. Das Tiefengrundmaß entspricht einem Fassboden und wird durch den Kreis bd e mit Durchmesser be repräsentiert. In diesem Fall betrage be das Vierfache von e f .

Á Längenskala: Zeichne Vielfache des Grundmaßes e f auf der ersten Seite der gesamten Visierrute ab (oder so viele wie benötigt).

 Tiefenskala ¶ Teile den Durchmesser be des Kreises bd e in 16 kleine Stücke und zeichne sie auf der zweiten und dritten Seite der virga quadrata so weit ab, wie Markierungen auf der Längenskala angebracht wurden.

· Schreibe an die 16. Markierung auf der zweiten Seite der virga quadrata die Zahl 1.

¸ Beschrifte alle übrigen Markierungen auf der zweiten und dritten Seite der virga quadrata. Die Zahlen ergeben sich aus einer Näherungskonstruktion. Sie nähert in jedem Schritt größer werdenden Kreise (als Vielfache des Tiefengrundmaßes bd e) durch größer werdende Quadrate an (Abb. III.26):24 Diese Näherungskonstruktion stellt der Text ausführlich vor. Der Verfasser betrachtet das Beispiel, wie man die Zahlen der Beschriftung für die 17. Markierung auf der zweiten und dritten Seite der virga quadrata ermittelt: • Bilde ein Quadrat beg h über dem Durchmesser be. • Bilde das größere Quadrat uzg y:25 – Teile die Seite g h des Quadrates beg h in 16 gleiche Teile und verbinde die Unterteilungspunkte auf den Quadratseiten be und g h durch gerade Linien. – Verlängere die Seite g e (entsprechend der Länge der Visierrute) und erhalte die Strecke g ea. Verlängere die Seite g h um den gleichen Betrag wie g e und erhalte die Linie g hx.

23 24 25

Für eine kurze Darstellung siehe Kapitel 4. Visiertextsammlung Text B (S. 282). Gemäß Konstruktion ist das Quadrat uzg y um

1 8

und

1 32

größer als das Quadrat beg h.

I

Detailrekonstruktion der Visierruten aus der Visiertextsammlung

205

– Verlängere die Seite hb über b hinaus um ein Sechzehntel des Durchmessers be und erhalte die Strecke bs. Verlängere die Seite eb über b hinaus um den gleichen Betrag und erhalte die Strecke bt . – Zeichne eine Strecke mit der Länge et und parallel zu et von der Strecke ae durch den Punkt s und erhalte die Strecke uz. • Schreibe neben die 17. Markierung auf die zweite Seite der virga quadrata die Zahl 1 und auf die dritte Seite die Zahl 1. Die Zahl auf der zweiten Seite steht für das gegebene Quadrat beg h; die Zahl auf der dritten Seite steht für den Achtelbetrag, um den das neue Quadrat uzg y größer ist. Das Kästchen ut bs wird vernachlässigt, da es ein 256tel des großen Quadrates beträgt.26 Von der Konstruktion mit größer werdenden Quadraten auf größer werdende Kreise überzugehen, wird im Text durch einen Verweis auf den euklidischen Satz in Buch XII.2 begründet.27 Für den Fall der 17. Markierung auf der Visierrute gesprochen bedeutet dies, dass der Kreis mit dem Durchmesser zu ungefähr das 1 18 -fachen des Grundkreises bd e beträgt. Wie in der gerade betrachteten Näherung vergrößert man für jede weitere Markierung auf der virga quadrata das zuvor konstruierte Quadrat um einen schmalen Streifen. Ebenso ergeben sich die Zahlen für die 18. bis 20. Markierung für die Beschriftung der zweiten und dritten Seite der Visierrute.28 Mit der Beschriftung der 21. Markierung (oder dem fünften Konstruktionsschritt) geht ein weiteres Konzept ein, nämlich die Berücksichtigung eines Approximationsfehlers. Während die kleinen Kästchen, die 256teln des Anfangsquadrates beg h entsprechen, bisher vernachlässigt wurden, wird ihre Fläche insgesamt so groß, dass sie für die Skalenbeschriftung berücksichtigt wird. So ist das fünfte Quadrat um fünf Achtel-Kästchen und 25 256tel-Kästchen größer als das Anfangsquadrat beg h ist. Es sind aber 25 256tel-Kästchen bereits größer als ein halbes Achtel-Kästchen, so dass in diesem Fall auf ein ganzes Achtel-Kästchen aufgerundet wird. Bei der 21. Markierung wird auf der zweiten Seite der virga quadrata daher die Zahl 1 und auf der dritten Seite die Zahl 6 notiert. Auf diese Weise bestimmt man die Beschriftungen der 22. bis 32. Markierungen durch die Konstruktionen größerer Quadrate. Die Anzahl der 256tel-Kästchen wird auf Achtel-Kästchen umgerechnet (mit Rundung bei Restbeträgen größer 16 auf Achtelkästchen) und ebenso fasst man Achtel-Kästchen als ganze Quadrate zusammen.29 26 27

28 29

Diese Fehlergrenze wird in der Visiertextsammlung nicht begründet, aber in den jeweiligen Rechenschritten konsequent berücksichtigt. Visiertextsammlung Text B, Mitte (S. 282), verweist auf Campanus Buch XII.2: Betrachte zwei Quadrate mit den jeweiligen Seitenlängen a 1 bzw. a 2 und zwei Kreise mit den jeweiligen Durchmessern a 1 bzw. a 2 . Dann entspricht das Verhältnis der beiden Quadrate zueinander dem Verhältnis der beiden Kreise. Siehe [Campanus 2005, 431]. Visiertextsammlung Text B, Mitte (S. 283). Notiert man in der Reihenfolge „Markierung | 2. Seite Visierrute | 3. Seite Visierrute“, so lauten die Ergebnisse 18. | 1 | 2 ; 19. | 1 | 3; 20. | 1 | 4 Es ergeben sich weitere Zahlenbeschriftungen für die zweite und dritte Seite der virga quadrata. Siehe Visiertextsammlung Text B, zweite Hälfte (S. 283).

206

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Detailrekonstruktion der Visierruten aus der Visiertextsammlung

I.4 R EKONSTRUKTION DER „ VIRGA CUBICA “ In der folgenden Darstellung betrachte ich genauer, wie man eine virga cubica und ihre Skalen erstellt. Die Messmethode beruht auf der geometrischen Idee, das Fass durch einen Zylinder anzunähern und diesen Zylinder in einen Würfel gleichen Rauminhaltes zu überführen. Diese Zusammenhänge begründet die Visiertextsammlung mit euklidischen Sätzen.30 Da der Rauminhalt dieses Würfels bereits durch seine Kanten bestimmt ist, sieht die Visiertextsammlung vor, die Würfelkante als geometrische Entsprechung einer dritten Wurzel aus dem jeweiligen Volumen zu betrachten. Die Skala der virga cubica entspricht in der Anschauung dieser Würfelkante.

I.4.1 Herstellung der virga cubica: Skalenbeschriftung

À Grundmaß Wähle ein kubisches Grundmaß (cubus), das durch einen Würfel dargestellt wird. Man erhält kleinere Einheiten dieses Grundmaßes, in dem man den Würfel gedanklich in kleinere Stücke schneidet (Abb. 4.5): Teile eine Kante des Würfels in 24 gleiche Stücke und erhalte 24 quadratische Scheiben (quadrata). Teile eine der langen Kanten eines quadratum in 24 gleiche Teile und erhalte 24 schmale Quader (supplementa). Teile eine der langen Kanten eines supplementum in 24 gleiche Teile und erhalte 24 Würfelchen (cubelli).31 Aus dieser Konstruktion ergibt sich, wie die kleineren Einheiten zur jeweils größeren zusammengefasst werden und welchen Anteil eine gewisse Anzahl an cubelli vom Grundmaß cubus ausmacht.32

Á Erste Seite: Kubische Skala I Zeichne auf der ersten Seite der Visierrute die Länge einer Kante des Würfels ab, der das Grundmaß darstellt. Teile diese Länge in 24 Teile, so dass die kleinen Stücke der Kantenlänge eines cubellus entsprechen. Zeichne diese kleineren Markierungen auf der gesamten ersten Seite der Visierrute ab. Diese Skala entspricht der Kante des als Grundmaß gewählten Würfels und gibt dritte Wurzeln des Gesamtvolumens an.33 Man beschriftet die Skala:

30 31 32 33

Visiertextsammlung Text D, Teil I, cap. VII (S. 297). Visiertextsammlung Text D, Teil I, cap. I (S. 294). Visiertextsammlung Text D, Teil I, cap. III und VIIII (S. 294 und 298). Visiertextsammlung Text D, Teil I, cap. II (S. 294).

I

Detailrekonstruktion der Visierruten aus der Visiertextsammlung

207

Ê Schreibe neben die 24. Markierung die Zahl 1.34 Diese Markierung entspricht der Kantenlänge des als Grundmaß gewählten Würfels.

Ë Die Beschriftung der nächsten Markierungen wird ermittelt, indem der gedachte Würfel in jeder Dimension um ein 24tel seiner Kantenlänge, das heißt um die Kantenlänge eines cubellus, vergrößert wird (Abb. 4.4). Man schreibt den Rauminhalt des neuen Würfels (in cubi) neben die betrachtete Markierung. Wenn der Größenunterschied zum alten Würfel weniger als die Hälfte des Grundmaßes beträgt, so wird er vernachlässigt.35 Beispiel (Beschriftung der 25. Markierung): Verlängert man die Kanten des gegebenen Würfels um die Kantenlänge eines cubellus, so ist der neue Würfel um drei quadrata, drei supplementa und ein cubellus größer. Der Größenunterschied zum gegebenen Würfel beträgt weniger als die Hälfte des Grundmaßes und wird vernachlässigt. Man schreibt die Zahl 1 neben die 25. Markierung auf der ersten Seite der Visierrute.

Ì Allgemeine Rechenregel: Um den einer cubelli-Markierung entsprechenden Rauminhalt zu ermitteln, zähle die cubelli-Markierungen und nimm diese Zahl ins Kubik. Entsprechend der Konstruktion lässt sich dieser Betrag durch mehrfache Division durch 24 in die kleineren Einheiten umrechnen.36

 Zweite Seite: Kubische Skala II Zeichne auf der zweiten Seite der Visierrute kleine Markierungen ab, die der Kantenlänge eines cubellus entsprechen37 , und denke diese Markierungen in 24-er Abschnitte eingeteilt. Der Text bezeichnet einen solchen 24er-Abschnitt als einen ganzen Würfel (cubus integralis), während die 24 kleineren Markierungen innerhalb eines Abschnittes jeweils Teilwürfel (cubi partiali) darstellen.38 Bestimme für jede der kleinen Markierungen, welchem Rauminhalt sie entspricht. Die Darstellung ist einer heutigen Schreibweise angepasst.39

34 35 36 37 38 39

Visiertextsammlung Text D, Teil I, cap. II (S. 294). Visiertextsammlung Text D, Teil I, cap. V (S. 295). Visiertextsammlung Text D, Teil I, cap. VIII (S. 297). Visiertextsammlung Text D, Teil I, cap. II (S. 294). Visiertextsammlung Text D, Teil I, cap. X (S. 298). Visiertextsammlung Text D, Teil I, cap. XI bis XII (Berechnung der supplementa; S. 298) und cap. XIII (Berechnung der cubelli; S. 299).

208

I

Detailrekonstruktion der Visierruten aus der Visiertextsammlung

Es seien mit i = 0, 1, 2, . . . die 24er-Abschnitte und mit j = 1, 2, . . . , 24 die Markierungen der Teilwürfel gezählt. 1. Bestimme die Anzahl der supplementa S ij , die der j -ten Teilwürfelmarkierung im i -ten 24er-Abschnitt entsprechen. Es ist S ij = 3i j 2 .

(I.5)

2. Bestimme die Anzahl der cubelli C ij , die der j -ten Teilwürfelmarkierung im i -ten 24er-Abschnitt entsprechen. Es ist C ij = j 3 .

(I.6)

3. Rechne Anzahl der supplementa und cubelli in die nächstgrößeren Einheiten (quadrata, cubi) um, addiere gleiche Einheiten und rechne das Resultat erneut in die nächstgrößeren Einheiten um. In welcher Einheit die Markierungen auf der zweiten Seite beschriftet werden, geht nicht aus dem Text hervor. Als Ergebnis der Rechnungen für jede einzelne Markierung erhält man Zahlenquadrupel aus cubi, quadrata, supplementa und cubelli, während im Abschnitt über den Gebrauch der virga cubica von cubelli die Rede ist (Kapitel I.4.3).40 Auch die beigefügte Zahlentafel liefert Quadrupel.41 In der Skizze 4.6 ist die Skala in cubi beschriftet und folgt damit den Einheiten auf der ersten und dritten Seite der virga cubica. Der Text betrachtet die 17. Markierung im siebten 24er-Abschnitt exemplarisch. Es seien i = 7 und j = 17. Dann beträgt wegen der Rechnungen (I.5) und (I.6) die Anzahl der supplementa 7 S 17 = 3 × 7 × 172 = 6069.

(I.7)

Rechnet man diesen Betrag in die anderen Einheiten um, erhält man für 6069 supplementa = 10 cubi 12 quadrata 21 supplementa. Weiterhin beläuft sich die Anzahl der cubelli auf 7 C 17 = 173 = 4913.

40 41

Visiertextsammlung Text D, Teil II, cap. III (S. 278). Visiertextsammlung Tafel zu Text D: Sequntur tabule (S. 306).

(I.8)

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Detailrekonstruktion der Visierruten aus der Visiertextsammlung

209

Rechnet man diesen Betrag in die anderen Einheiten um, erhält man für 4913 cubelli also 8 quadrata 12 supplementa 21 cubelli. Addiert man die Beträge aus (I.7) und (I.8) ergibt sich, dass der 17. Markierung im siebten 24er-Abschnitt ein Rauminhalt von 10 cubi, 21 quadrata, 9 supplementa und 17 cubelli entspricht.42 Man findet diesen Eintrag ebenso in der Zahlentafel.43

à Dritte Seite: Differenzenskala Zeichne auf der dritten Seite der Visierrute Markierungen ab, die der Kantenlänge eines cubellus entsprechen.44 Die Zahlen dieser Skala (in der Einheit cubi) geben die Differenzen zwischen dem jeweiligen Eintrag und ihrem Nachfolger auf der ersten Seite der virga cubica an.45 Es werden Beträge mindestens halber cubi aufgerundet.46 Wieder betrachte ich als Beispiel die Beschriftung der 17. Markierung im siebten 24er-Abschnitt. Auf der ersten Seite der virga cubica entsprechen der 17. bzw. 18. Markierung im siebten 24er-Abschnitt die Rauminhalte 458 cubi 0 quadrata 9 supplementa 17 cubelli bzw. 465 cubi 11 quadrata 15 supplementa 0 cubelli. Man schreibt daher neben die 17. Markierung im siebten 24er-Abschnitt die Zahl 7.

I.4.2 Zahlentafel Die Zahlen, mit denen die jeweiligen Markierungen auf drei Seiten der virga cubica beschriftet werden, sind in einer Zahlentafel zusammengefasst.47 Wie die Tafel zur virga cubica zustande kommt, erfährt der Leser in drei ausführlich ausgearbeiteten Kapiteln, die zwei unterschiedliche Ansätze vorstellen.48 Die Tabelle hat eine komplexe Struktur: In der Spalte Numerus generalis cuborum omnium werden die cubelli-Markierungen über die gesamte Visierrutenlänge durchgezählt.49 Jeweils einmal pro Seite gibt es eine Spalte Numerum cuborum partialium, die nun die Gliederung der Markierungen in 24er-Abschnitte aufgreift.

42 43

44 45 46 47 48 49

Visiertextsammlung Text D, Teil I, cap. XII (S. 298). Visiertextsammlung Tafel zu Text D: Sequntur tabule (S. 306). Man beachte, dass die Zahlentafel die 24er-Abschnitte anders zählt und der betrachtete Eintrag daher im achten 24erAbschnitt in der 17. Zeile zu finden ist. Visiertextsammlung Text D, Teil I, cap. II (S. 294). Visiertextsammlung Text D, Teil I, cap. XIIII (S. 299). Dies folgt aus der Analyse der Zahlenwerte der Tafel zu Text D. Die Zahlentafel zu Text D ist in mehreren Handschriften (Paris, Perugia, Vatikan, München, New Haven, Leipzig) überliefert. Visiertextsammlung Text D, Teil I, cap. XV (1. Variante; S. 299) und cap. XVI bis XVII (2. Variante; S. 299). Siehe auch Kapitel 5.6. Im Text ist nur von 288 Markierungen die Rede, weil damit bereits alle gängigen Fassformen bestimmt werden können. Siehe Visiertextsammlung Text D, Teil I, cap. II (S. 294).

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I

Detailrekonstruktion der Visierruten aus der Visiertextsammlung

Die 24er-Abschnitte werden durch fortlaufende Zahlen am unteren Rand der Tabelle nummeriert.50 Am unteren Rand findet man ebenfalls Zwischenwerte von der Berechnung der Tafel.51 Bis auf den ersten 24er-Abschnitt (für den gegebenen Würfel)52 folgen für jeden 24er-Abschnitt drei Spalten verschiedener Breite (mit den Einheiten cubi, quadrata, supplementa, cubelli). Sie geben gemäß des Textes zur virga cubica die Beschriftung für jede der Seiten der virga cubica an.53

I.4.3 Inhaltsbestimmung eines Fasses mit einer virga cubica Der Text bemerkt, dass die drei beschrifteten Seiten der virga cubica verschiedenen Zwecken dienen: Mithilfe der ersten Seite der virga cubica lässt sich der gesamte Rauminhalt betrachten, dessen dritte Wurzel auf der Skala markiert ist. Mit der zweiten und dritten Seite der virga cubica wird dieser Wert in bestimmten Fällen leicht modifiziert, indem das Verhältnis der Fasstiefe und der Fasslänge berücksichtigt wird.54

À Bestimme die mittlere Fasstiefe T (Rechnung (4.2)). Á Markiere die Länge des Fasses und seine Tiefe auf der ersten Seite der virga cubica.

 Errechne den Inhalt des (gemittelten) Gefäßes (Fallunterscheidung betrifft zweite/dritte Seite der virga cubica). Es bezeichne L die Länge des Fasses. Es werden fünf größere Fälle unterschieden:55 L = T Den Inhalt des Fasses kann man auf der ersten Seite der virga cubica neben der markierten Stelle direkt ablesen. L ≈ 1T Siehe unten den Fall 32 T < L < 2T .

50

51 52 53

54 55

Es gibt eine Verschiebung zur Nummerierung im Text. Dort beginnt die Zählung bei 0, da der gegebene Würfel nicht mitgezählt wird. Deshalb findet man den Eintrag für das Beispiel der 17. Markierung im siebten 24er-Abschnitt (10 cubi 21 quad. 9 suppl. 17 cubelli) in der Tafel in den Spalten für den achten ganzen Würfel. Siehe Visiertextsammlung, Tafel zu Text D (S. 306). Wie die Tafel berechnet wird, stelle ich in Kapitel 5.6 dar. Cubus datus auctus ex cubellis tantum. Zur Berechnung der Einträge der ersten vier Zeilen siehe Visiertextsammlung Text D, Teil I, cap. XVI (S. 299). Die Spalte Terminus tabularum primus cubi . . . führt die Beschriftung der Markierungen auf der ersten Seite der virga cubica an, während die Spalte Terminus tabularum secundus collectorum ex supplementis et cubellis . . . für die zweite Seite der virga cubica gedacht ist. Die dritte Spalte Mensurae differentiarum . . . terminus tertius behandelt die Beschriftung der dritten Seite der virga cubica. Siehe Visiertextsammlung Text D, Teil I, cap. XV (S. 299). Visiertextsammlung Text D, Teil II, cap. I (S. 278). Visiertextsammlung Text D, Teil II, cap. III (S. 278).

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Detailrekonstruktion der Visierruten aus der Visiertextsammlung

211

L = i T , i = 2, 3, . . . Die Zahl neben der Markierung der Fasstiefe T gibt den Betrag des i -fachen Fassinhaltes an.56 L ≈ 2T Unterscheide die beiden Fälle: 3 2T

< L < 2T Betrachte die Werte auf der zweiten Seite der virga cubica neben den Markierungen für die Länge L und die Tiefe T des Fasses.57 Ermittle die Differenz d dieser Zahlen in cubelli. Subtrahiere für je sechs cubelli der Differenz d einen cubellus von der Tiefenzahl T . Sollte die Differenz d an cubelli von 6 verschieden sein, betrachte die Zahl Z , die neben der Tiefenmarkierung auf der dritte Seite der virga cubica angebracht ist.58 Bestimme einen proportionalen Anteil p der Zahl Z auf der dritten Seite der virga cubica gemäß d : 6 = p : Z . War die Differenz d an cubelli größer bzw. kleiner als 6, addiere bzw. subtrahiere den proportionalen Anteil p zur bzw. von der Tiefenzahl T . Erhalte den Betrag des Fassinhaltes.

2T < L < 52 T Verfahre wie im ersten Fall, aber addiere für je sechs cubelli einen cubellus zur Tiefenzahl T . L ≈ i T , i = 3, 4, . . . Verfahre wie im Fall für i = 2. Der Text äußert sich nicht dazu, wie im Fall L ≈ 2T damit umzugehen ist, dass die dritte Seite der Visierrute gemäß der vorherigen Anleitungen in der Einheit cubi (nicht cubelli) beschriftet ist. Auch die Beschriftung der zweiten Seite der virga cubica bleibt im Detail unklar.59

56

57 58 59

Man erhält in diesem Fall (und auch für i = 1) das Volumen bis auf den Faktor π4 . Denn sei L = i T . Dann berechnet sich das Volumen des entsprechenden Zylinders V Z als V Z = π( 12 T )2 L = π4 i T 3 . Visiertextsammlung Text D, Teil II, cap. III (S. 278). Im Text wird einzig der Fall betrachtet, dass die Differenz etwa 6 cubelli beträgt. Es geht nicht um eine Division durch 6 mit Rest. Siehe Visiertextsammlung Text D, Teil II, cap. III (S. 278). Meine Zeichnung in Kapitel I.4.2 beruht auf den Einträgen der Zahlentafel.

212

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Detailrekonstruktion der Visierruten aus der Visiertextsammlung

I.5 D IE „ VIRGA PLANA “ UND „ VIRGA SCRIPTA “ FÜR TEILWEISE GEFÜLLTE FÄSSER Im Abschnitt über Messmethoden für teilweise gefüllte Fässer habe ich dargestellt, wie in der Visiertextsammlung eine Methode für die virga plana und virga scripta entwickelt wird.60 Die Visiertextsammlung schlägt vor, ein teilweise gefülltes Fass durch einen abgeschnittenen Zylinder anzunähern. Die Höhe des Zylinders entspricht der Länge des Fasses; der Grundfläche des Zylinders entspricht ein Kreisstück, von dem entlang einer Sehne ein Stück (dem leeren Teil des Fasses entsprechend) abgeschnitten wurde. Der Inhalt des Fasses berechnet sich als Inhalt des abgeschnittenen Zylinders, das heißt als Produkt aus der Fläche des abgeschnittenen Kreisstücks und der Zylinderhöhe. Die Visiertextsammlung belegt bei der Herleitung vertiefte mathematische Kenntnisse der Verfasser, wenn es um die Flächenbestimmung des abgeschnittenen Kreisstückes geht. Wie man die Fläche dieses mit konkreten Zahlenwerten eingeführten Kreisstückes berechnet, führe ich hier vor.61 Die Notation in der Visiertextsammlung für geometrische Figuren ist für den heutigen Leser zunächst ungewohnt, da sie häufig durch markante Punkte bezeichnet werden. So wird zum Beispiel ein Kreis nach vier auf seiner Kreislinie liegenden Punkten benannt. Je nach Kontext kann die Kreislinie oder die Kreisfläche gemeint sein. Gelegentlich begegnet man ebenso Angaben von Größen im Sexagesimalsystem, sei es zur Angabe von Kreisbögen über das Gradmaß (bei unverändertem Radius) oder auch zur genauen Bestimmung kleiner Bruchteile. In der Bezeichnung der geometrischen Figuren folge ich der Visiertextsammlung; die Darstellung mathematischer Argumentation habe ich in heutige Schreibweisen übertragen. Die Visiertextsammlung gibt keine Einheiten an. Man berechnet die Fläche des Kreisstückes g e f c in vier Schritten. Gegeben sei eine Strecke ab der Länge 16 mit Mitte h (Abb. III.5).62 Auf dieser Strecke liegt ebenso die Strecke d e der Länge 14 und Mitte h sowie ein Punkt c, so dass man erhält: ad mit Länge 1, d c mit Länge 3 und ch mit Länge 4. Es wird ein Kreis mit Radius hd um den Mittelpunkt h gezeichnet. Orthogonal zur Strecke hd und durch Punkt c legt man eine Gerade, die den Kreis in den Punkten g und f schneide. Es werden die Strecken hg und f h gezogen. Der Text geht davon aus, dass man die Fläche des Kreises f g d e als A = 154 berechnet. S CHRITT 1. Bestimme die Länge der Sehne f g = 11 12 . Begründung: Nach Voraussetzung beträgt die Länge der Strecke ch = 4 und der Radius h f = 7. Damit folgt für die Fläche der Quadrate über diesen Geraden ( f h)2 = 49 und (ch)2 = 16. Da das Dreieck ch f rechtwinklig ist, ergibt sich so ( f c)2 = 33 („Satz des Pythagoras“: Campanus „Elemente“ Buch I.46). Um nun die

60 61 62

Siehe Kapitel 4.2. Alle Rechnungen beruhen auf den Ausführungen der Visiertextsammlung Text A, cap. XXVIIII (S. 246). Visiertextsammlung Text A (S. 247).

I

Detailrekonstruktion der Visierruten aus der Visiertextsammlung

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Seitenlänge des Quadrates ( f c)2 zu erhalten, wird die Quadratwurzel gezogen, das p heißt ( f c)2 = f c ≈ 5 43 . Damit erhält man die Länge der Sehne f g = 2 f c = 11 21 . Für den nächsten Schritt führt die Visiertextsammlung einen Normierungsfaktor ein, der nicht näher erläutert wird. Vermutlich beabsichtigten die Verfasser, bestimmte Sehnentafeln verwenden zu können, die für gewisse Radien berechnet worden waren.63 Auf welche Tafeln sich die Verfasser bezogen, vermag ich nicht zu sagen. S CHRITT 2. Ermittle den Kreisbogen f d g = 110◦ 270 . Begründung: Es sei f cg = 11 12 die Sehnenlänge (gemäß Schritt 1). Es sei d e = 120 ein Normierungsfaktor.64 Man berechnet 1 Sehnenlänge × d e 11 2 × 120 4 = = 98 ≈ 98◦ 340 . Durchmesser 14 7

Man schlägt in einer Sehnentabelle nach und erhält für den Kreisbogen f d g = 110◦ 270 . Die zu Rate gezogene Sehnentabelle ist nicht in den Handschriften enthalten.65 Für den weiteren Gedankengang wird ein Resultat aus dem Almagest des Ptolemaeus benötigt. Almagest VI.7 Es verhält sich der Vollkreis zum Bogen eines Kreissektors (in Grad) wie die Kreisfläche zur Fläche des Kreissektors.66

S CHRITT 3. Bestimme die Fläche des Kreissektors h f d g = 47 14 . Begründung: Es seien der Kreisbogen f d g = 110◦ 270 (wegen Schritt 2), entsprechend der Vollkreis f d g e = 360◦ und die Kreisfläche f d g e = 154 gegeben. Man erhält mit dem Satz des Ptolemaeus die Fläche des Kreissektors h f dg =

27 Bogen fdg × Fläche fdge 110 60 × 154 1 = ≈ 47 . Vollkreis fgde 360 4

Schließlich berechnet man die Fläche des Kreisstückes g e f c wie folgt.

63 64 65

66

Man berechnete Sehnentafeln für Kreise mit unterschiedlichen Radien. Siehe für einen Einstieg Siehe [Folkerts 1997a]. Es ist in der Tat nicht der Durchmesser d e gemeint. Bemerkenswert ist die Genauigkeit dieser Angabe in der Visiertextsammlung. In der Ptolemaeus-Ausgabe von 1528 dagegen findet man nur Inkremente in halben Grad und 30 Minuten verzeichnet. Siehe [Ptolemaeus 1528, fol. 7v]. Siehe [Ptolemaeus 1984, 304] und Kapitel 5.5.

214

I

Detailrekonstruktion der Visierruten aus der Visiertextsammlung

S CHRITT 4. Ermittle die Fläche des größeren Kreisstückes g e f c = 129 34 . Begründung: Es ist ch = 4 nach Voraussetzung und f c = 5 34 (wegen Schritt 1). Man berechnet die Fläche des Dreiecks h f g als h f g = 23.67 Die Fläche des kleineren Kreisstückes f d g c ergibt sich als Differenz aus dem Kreissektor h f d g (wegen Schritt 3) und dem Dreieck h f g : 1 1 f d g c = h f d g − h f g = 47 − 23 = 24 . 4 4 Damit lässt sich die Fläche des größeren Kreisstückes g e f c als die Differenz der Kreisfläche f d g e = 154 und des Kreisstückes f d g c berechnen: 3 1 g e f c = f d g e − f d g c = 154 − 24 = 129 . 4 4 Dieses Resultat wird für die weitere Herleitung der Messmethode für teilweise gefüllte Fässer mit der virga plana und der virga scripta benötigt.68

67 68

Visiertextsammlung Text A, cap. XXVIIII (S. 246), verweist nur ungenau auf eine Schrift des Boethius. Siehe Kapitel 5.2. Siehe Kapitel 4.2.

I

Detailrekonstruktion der Visierruten aus der Visiertextsammlung

215

I.6 R EKONSTRUKTION DER „ VIRGA TRIGONA “ In diesem Abschnitt soll die Herstellung der virga trigona ausführlich erläutert werden.69 Man nehme einen flachen und geraden Stab, der so lang wie der größte Durchmesser des Fasses ist, und ein drei- oder viereckiges Stück Holz oder Metall (mit mindestens einem rechten Winkel, an den zwei gleich lange Seiten grenzen). Aus Gründen der Übersichtlichkeit sei im folgenden von einem rechtwinkligen, gleichschenkligen Holzdreieck die Rede.

I.6.1 Beschriftung der virga trigona

À Grundmaß: Ermittle die Grundlänge l (geschickt gewählte Würfelkante).70 Á Beschriftung der virga trigona ¶ Zeichne die Grundlänge l auf einer Seite der virga trigona ab. · Teile die gesamte Skala in 64tel des Grundmaßes ein und nummeriere die Markierungen bei Eins beginnend.71

¸ Schreibe an ein Ende der virga trigona den Betrag der Länge l und den kubischen Wert, dem die Länge l als kubische Wurzel entspricht.

 Beschriftung des Holzdreiecks: Zeichne die beiden Linien ab und bc mit dem rechten Winkel im Punkt b und von der halben Länge der Visierrute auf das Holzdreieck. Der Abstand der Linie ab zur Kante des Holzstückes soll etwa zwei Fingerbreit betragen, um dort später Zahlen notieren zu können (Abb. 4.8).

¶ Beschriftung der Linie ab 1. Übertrage die Unterteilungen der Skala auf der virga trigona auf die Strecke ab. 2. Ziehe zu ab senkrechte kleine Linien von diesen Teilungspunkten aus in Richtung der unteren Kante des Holzdreiecks. Parallel zur Linie ab zeichne unterhalb eine zweite Linie gleicher Länge, so dass Felder in zwei Reihen entstehen.

69 70 71

Ich folge den Ausführungen der Visiertextsammlung Text C. Für eine kürzere Übersicht siehe Kapitel 4.2. Die Visiertextsammlung, Text C, Anfang (S. 286), verweist auf Kapitel XXXI zur virga circularis, wo ein Zylinder in einen Würfel gleichen Volumens überführt wird. In der Visiertextsammlung, Text C, Anfang (S. 286), reicht die Nummerierung bis zur Markierung 240.

216

I

Detailrekonstruktion der Visierruten aus der Visiertextsammlung

3. Beschrifte die zweite Linie beginnend bei der 32. Markierung fortlaufend mit ganzen Zahlen 32, 33 usw. bis 120. Diese Skala gibt den Fassradius (semidiameter circuli vasis) an. 4. Interpretiere die Skala auf der Linie ab als Fläche des Halbkreises (quantitas semicirculi) zum jeweiligen Fassradius. Beschrifte die Markierungen der Linie ab gemäß der Rechenregel Fläche Halbkreis =

Fassradius × Fassradius , 32

das heißt schreibe zum Beispiel die Zahl 32 neben die bereits eingetragene Markierung (für 32) auf der Skala für den Radius des Fasses.

· Beschriftung der Linie bc und Verbindungslinien 1. Teile die Linie bc in 120 kleine Abschnitte wie zuvor die Linie ab. 2. Von Punkt a ziehe gerade Linien zu den Punkten auf der Linie bc. Da die Linien eng beieinander liegen, zeichne einige der Linien nur teilweise.72 3. Beschrifte die Diagonalen bei 1 beginnend mit einer Schrittweite von 30’.73 Die Diagonalen geben den sinus versus (auch: sagitta) an, das heißt die Höhe des fehlenden Kreisstückes. 4. Interpretiere die Skala entlang der Linie bc als Flächeninhalte zwischen Kreisbogen und Kreissehne (contentus inter cordam et arcum). Entnimm die Beschriftung aus der beigefügten Zahlentafel.74

72

73

74

Konkret empfiehlt die Visiertextsammlung, Text C (S. 286): (1) Man zeichnet eine auf ab senkrechte Linie bei der 40. Unterteilung und zieht die obigen geraden Linien von dieser Senkrechten aus nach bc, das heißt der Bereich bei der Spitze des Dreiecks bleibt frei. Sollten die Linien zu dicht liegen, wird eine Verbindungslinie zu nur jedem zweiten Punkt auf der Linie bc gezogen. (2) Man zeichnet eine zu ab senkrechte Linie bei der 70. Unterteilung. Von hier aus werden Verbindungslinien zu allen Punkten auf bc durchgezogen. Der Text empfiehlt, sich bei der Beschriftung auf ganze Zahlen zu beschränken. In der Zeichnung sind es sogar Fünferschritte. In der zugehörigen Tafel (Tafel 1 zu Text C: Kante ab; S. 290) dagegen findet man die genauen Werte für Schritte im 30 min-Abstand. Visiertextsammlung Tafel 1 zu Text C: Kante bc (S. 291). Wie man die Werte in der Tafel berechnet, wird nicht erläutert.

I

Detailrekonstruktion der Visierruten aus der Visiertextsammlung

217

I.6.2 Gebrauch der virga trigona Für die Messung benötigt man sowohl die virga trigona als auch das Holzdreieck. Aus mehreren Werten wird der Inhalt des fehlenden Teils im Fass berechnet.

À virga trigona ¶ Bestimme mit der virga trigona – den Inhalt des ganzen Fasses, – die Höhe h des fehlenden Teils im Fass (sagitta vacui, Länge des trockenen Stückes der Visierrute) und – die Länge l des Fasses sowie den kleinsten und den größten Fassdurchmesser d 1 , d 2 . Es sei hier d 1 ≤ d 2 .

· Markiere den Betrag beider Fassdurchmesser d1 , d2 und ihrer Radien r1 =

d1 2

und r 2 =

d2 2

auf der virga trigona.

Á Holzdreieck ¶ Bestimme die mittlere Höhe h f des im Fass fehlenden Teils (sagitta vacui equata): Fall 1 : Wenn h > d 2 − d 1 , berechne hf = h −

r2 − r1 2

Fall 2 : Wenn h < d 2 − d 1 , dann – zeichne ein neues Dreieck abc mit rechtem Winkel in b, den Seitenlängen ab = d 2 − d 1 und ac = h, – markiere auf der Strecke ab den Punkt d , so dass ad = ac. Zeichne im Punkt d eine zu ab senkrechte Linie, die die Strecke ac im Punkt e schneide, und – setze h f = d e für die gesuchte mittlere Höhe.75

· Zeichne auf dem Holzdreieck die beiden Radien r 1 und r 2 ab. Zeichne dazwischen mittig eine zu ab senkrechte Strecke der Länge h f . Lies die zur berührenden Diagonalen gehörige Zahl y auf der Skala bc ab, die die Fläche zwischen Kreisbogen und -sehne angibt.

¸ Lies auf der zweiten Skala unter der Strecke ab (für die Halbkreisflächen) in dem Punkt, wo h f die Strecke ab schneidet, den Betrag x ab.

75

Die zugehörige Zeichnung in den Handschriften Perugia und Paris gibt diese Anweisungen nur ungenau wider (Abb. III.29). In der Zeichnung würde man eine kürzere Strecke ac erwarten, sodass ad = ac gilt.

218

I

Detailrekonstruktion der Visierruten aus der Visiertextsammlung

 Rechnung ¶ Es seien x und y die auf den Skalen ab (Halbkreisfläche) und bc (Fläche Kreisstück) abgelesenen Werte. Bestimme den fehlenden Teil im Fass I f (in mensurae) durch die Rechnung If =

x x×y ×l = × y ×l, 1108800 1108800

(I.9)

das heißt man berechnet den leeren Teil des Fasses als Produkt aus der Fasslänge l und der Querschnittsfläche des leeren Teils y, versehen mit einem Korrekturfaktor.

· Normiere bei Bedarf auf die Einheit scaphi und erhalte I˜f als fehlenden Teil im Fass76 : I˜f =

76

1 If . 64 × 8

(I.10)

Visiertextsammlung Text C, Ende (S. 287): Die genaue Normierung hängt vom Verlauf der vorherigen Rechnung ab.

II V ERZEICHNIS DER V ISIERER IN N ÜRNBERG (1357 – 1525) In der folgenden Übersicht habe ich die Nürnberger Visierer im Zeitraum zwischen 1357 und 1525 verzeichnet, sofern ich sie in den überlieferten Ämterbüchlein, edierten Ratsverlässen oder anderen Hinweisen ausmachen konnte.1 Ich beginne bei den ersten erhaltenen Ämterbüchlein und gehe etwas über den durch die Handschriften der Visiertextsammlung vorgegebenen Zeitrahmen hinaus.2 Die Amtszeiten der Visierer lassen sich aus Gründen der Überlieferung nicht immer lückenlos ermitteln. Die Schreibungen der Namen orientieren sich an den in den Ämterbüchlein verzeichneten Namen, wobei einige abweichende Schreibungen in den Anmerkungen angegeben sind. Nicht aufgenommen habe ich solche Abweichungen wie die Verdopplung von Konsonanten innerhalb des Namens, wie zum Beispiel „Peter“ oder „Petter“, den Wechsel von „u“ und „w“, wie zum Beispiel in „Preu“ bzw. „Prew“, oder „d/t“ und „b/p“.

1 2

3 4 5 6 7 8 9

Name, Amtszeit

Anmerkungen

unbekannt, 1357/58

kein Visierer im Ämterbüchlein aufgeführt, aber Eid war vorgesehen3

Peuntinger, 1358/59

Name Peuntinger mehrfach unter Visierern des 14. Jahrhunderts;4 um 1330 Strafzahlung für ein unvisiertes Fass an einen Peuntinger;5 wohl nicht identisch mit Ulrich Peuntinger (1396/97)

Ulrich Peuntinger,6 1396/97

Visierer und Ungelter;7 unklar, ob aus gleichnamiger Patriziatsfamilie aus Augsburg stammend;8 evtl. im Jahr 1369 zum Visierer ernannt, evtl. am 7. April 1386 zum Ungelter ernannt;9 Urheber der Ungeldordnung

Zur Würdigung der Ämterbüchlein siehe [Döbereiner 1993], [Fleischmann 2003] und [Schuh 2000]. Die im folgenden in den Fußnoten angegebenen Bestände im Nürnberger Stadtarchiv StadtAN B 14/I und B 14/II habe ich über die jeweiligen Datenbanken gesichtet, die im Lesesaal des Stadtarchives zugänglich sind (31.03.2014 und 24.07.2014). [Döbereiner 1993, 385, Nr. 9]. [Döbereiner 1993, 396]. Dies notieren die Nürnberger Satzungsbücher. Siehe [Schultheiß 1965, 116]. Abweichende Schreibungen: Ulreich. StAN, Ämterbüchlein 1 (1396), fol. 2r; Ämterbüchlein 1 (1397), fol. 29r; Name durchgestrichen. StadtAN GSI-Personendatenbank, Stichwort „Peuntinger, Ulrich“ (24.07.2014). [Sander 1902, 847].

220

II

Verzeichnis der Visierer in Nürnberg

von 1386?10 Kontrolle des Weinfälschungsverbotes;11 in zweiter Ehe verheiratet mit Kunigunde,12 ein Sohn Jacob; gest. 1397;13 wohl nicht identisch mit Peuntinger (1358/59) Peter Schezzel,14 1397–1400/0115 Hans Snitzel, 1397–1400/0116 Albertus Maienbach,17 1417–143018 Herman Rosslauf, 1417–1423/2419 Ulrich Holpier (?), 1423/2420 Ulrich Tischinger,22 1423/24–143123 Leupold Schutz,25 1424/25–1430/31, 1442/43–1445/4626

10 11 12 13 14 15

16

17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27

zur Vita siehe Kapitel 6.2

wohl 1423/24 verstorben21 erwähnt in Stadtrechnungen 143124 erwähnt in Stadtrechnungen 143127

[Hegel 1961, 361], [Reicke 1896, 112], [Sander 1902, 847]. Nürnberger Satzungsbücher (1380 bis 1424). Siehe [Schultheiß 1965, 307]. StadtAN GSI-Personendatenbank, Stichwort „Peuntinger, Ulrich“ (24.07.2014). [Hegel 1961, 94]. Abweichende Schreibung: Schossel. StAN, Ämterbüchlein 1 (1397), fol. 29r; Ämterbüchlein 1 (1398), fol. 49r und fol. 62v (Namen durchgestrichen); Ämterbüchlein 1 (1399), fol. 72r; Ämterbüchlein 1 (1400), fol. 96. Für eine Teiledition des Ämterbüchleins von 1400 siehe [Biebinger und Neukam 1934, 45]. StAN, Ämterbüchlein 1 (1397), fol. 29r; Ämterbüchlein 1 (1398), fol. 49r und fol. 62v (Namen durchgestrichen); Ämterbüchlein 1 (1399), fol. 72r; Ämterbüchlein 1 (1400), fol. 96. Für eine Teiledition des Ämterbüchleins von 1400 siehe [Biebinger und Neukam 1934, 45]. Abweichende Schreibungen: Albrecht bzw. Metpach. StAN, Ämterbüchlein 2 (1417–1425), Ämterbüchlein 3 (1426–1430); sein Name ist für das Jahr 1430 aufgeführt und durchgestrichen. StAN, Ämterbüchlein 2 (1417–1423); Name für das Jahr 1423 aufgeführt und durchgestrichen. StAN, Ämterbüchlein 2 (1423); Eintrag schwer lesbar, da durchgestrichen. StAN, Ämterbüchlein 2 (1423), Notiz am Rand neben Visierereintrag: abiit . . . . Abweichende Schreibungen: Ulrico. StAN, Ämterbüchlein 2 (1423–1425), Ämterbüchlein 3 (1426–1430); sein Name wurde für das Jahr 1423/24 wohl nachträglich ergänzt. [Sander 1902, 350]. Abweichende Schreibungen: Schucz, Schuczz, Schuczze. StAN, Ämterbüchlein 2 (1424–1425), Ämterbüchlein 3 (1426–1430), Ämterbüchlein 4 (1442– 1445/46). Name für das Jahr 1424/25 wohl nachträglich ergänzt. [Sander 1902, 350].

II

Verzeichnis der Visierer in Nürnberg

221

Heinsz Taschner,28 1442–1445/46, 1463/6429 Hanns Bischer (?), 1444/4530 Hanns Jungkman, 146331

evtl. Lebküchner32

Caspar von Püntzendorf, 1476 (?), 1480–1482/8333 Nützel, 147634

identisch mit Niclas Nützel (1485)?

Ulrich Hübsch, 1480–1489/9035

Maler, einer von vier Visierern im Ratsverlass vom 4. Mai 1482;36 Schwester Clara; zweite Ehe mit Brigitta, Kinder Clara, Hans, Lenhart, Magdalena, Christina, Balthasar;37 Nachlassverwalter 148738

Niclas Gaulenhofer,39 1480–1483/8440

einer von vier Visierern im Ratsverlass vom 4. Mai 1482;41 in zweiter Ehe verheiratet mit Brigitta, Witwe von Ulrich Hübsch;42 Vertreter vor Gericht;43 gest. vor 2. November 150744

28 29 30 31 32

33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

Abweichende Schreibungen: Heinrich bzw. Tasche. StAN, Ämterbüchlein 4 (1442–1445), Ämterbüchlein 5. StAN, Ämterbüchlein 4 (1444), Eintrag schwer lesbar, da durchgestrichen. StAN, Ämterbüchlein 5 (1463). Ab 1490 finden sich mehrere Nachrichten über einen Lebküchner Hanns Jungkman, der jedoch nicht als Visierer bezeichnet wird. Siehe zum Beispiel StadtAN, B 14/II Nr. F, fol. 16r; Nr. H, fol. 29r und spätere. StAN, Ämterbüchlein 6, Eintrag nicht eindeutig; Ämterbüchlein 7–9; Name für 1482/83 aufgeführt und durchgestrichen. StAN, Ämterbüchlein 6 (1476). StAN, Ämterbüchlein 7–12, Name für 1489/90 aufgeführt und durchgestrichen. [Gümbel 1926, 298, Anm. 3]. StadtAN, B 14/II Nr. O, fol. 137v; Nr. N, fol. 166v; Nr. 96, fol. 112v. Siehe auch [Grieb 2007, 708]. StadtAN B 14/II Nr. D, fol. 268v. Ebenso ist ein unvollständiges Schuldbekenntnis von 1485 an Hübsch erhalten. Siehe StadtAN B 14/II Nr. D, fol. 120r. Abweichende Schreibung: Nicolas. StAN, Ämterbüchlein 7–10. [Gümbel 1926, 298, Anm. 3]. StadtAN B 14/II Nr. K, fol. 237r. StadtAN B 14/II Nr. K, fol. 236v. StadtAN B 14/II Nr. 96, fol. 112v (Inserat aus Litterarum Nr. 8, fol. 102).

222

II

Verzeichnis der Visierer in Nürnberg

Erhard Veyelhauer, 1482–1485

erwähnt als einer von vier Visierern im Ratsverlass vom 4. Mai 1482,45 nicht in Ämterbüchlein nachweisbar

Erhart Rosenzweyg,46 1480–1483/84

Visierer zu Gostenhof 1480–82/8347 , dann in Nürnberg; Schmied;48 gest. vor 28. September 1489;49 Kinder Jorg, Cristoffel, Ulrich, Herman, Heinrich, Hans, Anna, Agnes, Els (Elisabeth), Dorothea;50 Streitfälle vor Gericht;51 Streit um Erbe52

Cristoff Bernkopf, 1483, 1486, 1489–90/91, 1492–1494/9553

Visierer zu Gostenhof und Wöhrd 1483, 1486 und 1492–1494/95; von 1489–1490/91 zusätzlich Visierer in Nürnberg; verheiratet mit Ella;54 gest. zw. 1491 und 149555

Anthoni Tallner,56 1486, 1489, 1490–1501/0257

wohl seit dem Jahr 1485 Visierer;58 gest. vor 13. Januar 1501; verheiratet mit Margreth;59 Brüder Bernhart60

45 46 47 48 49 50

51

52 53 54 55

56 57 58 59 60

Er wird wohl im Jahr 1485 abgelöst. Siehe [Gümbel 1926, 298–299, Anm. 3]. Abweichende Schreibungen: Rosenzwey, Rosenzweyd. StAN, Ämterbüchlein 7–10; Name für 1483/84 für Gostenhof aufgeführt und durchgestrichen, stattdessen unter „Visierer“ ergänzt. StadtAN B 14/II Nr. E, fol. 64r. StadtAN B 14/II Nr. E, fol. 205r. Jorg: StadtAN B 14/II Nr. D, fol. 231r; Cristoffel: StadtAN B 14/II Nr. E, fol. 205v; Ulrich: StadtAN B 14/II Nr. G, fol. 105v; Herman: Identisch mit Heinrich? StadtAN B 14/II Nr. G, fol. 181r; Heinrich: Identisch mit Herman? StadtAN B 14/II Nr. J, fol. 64r; Hans: StadtAN B 14/II Nr. N, fol. 3v; Anna: StadtAN B 14/II Nr. D, fol. 210r; Nr. E, fol. 205r; Agnes: StadtAN B 14/II Nr. E, fol. 147v; Els (Elisabeth): StadtAN B 14/II Nr. F, fol. 200v; Nr. G, fol. 105v; Nr. G, fol. 181r; Dorothea: StadtAN B 14/II Nr. F, fol. 229v; Nr. G, fol. 105v; Nr. G, fol. 181r. StadtAN B 14/II Nr. D, fol. 210r (12. Februar 1487: ausstehendes Heiratsgeld von insges. 8 Gulden); Nr. E, fol. 64r (9. Juli 1488: Streit wegen Fenstern); Nr. E, fol. 84r (22. August 1488: Fortsetzung Fenster, drohende Pfändung); Nr. E, fol. 91r (24. September 1488: Fortsetzung Fenster); Nr. E, fol. 172v (19. Juni 1489: Zahlung von 28 Pfund). StadtAN B 14/II Nr. J, fol. 64r (10. November 1494: Kinder erben Becher, Visierruten u.a. (nicht spezifiziert). StAN, Ämterbüchlein 10–13, 15–17; Name für 1490/91 genannt und durchgestrichen. Er taucht erneut 1492–1494/95 als Visierer zu Gostenhof und Wöhrd auf. StadtAN B 14/II Nr. F, fol. 236v. Ella ist spätestens seit dem 18. Juni 1491 Witwe des Cristoff Bernkopf. Siehe StadtAN B 14/II Nr. F, fol. 236v. Allerdings wird Bernkopf in den Ämterbüchlein 1492–1494/95 weiterhin als Visierer zu Gostenhof und Wöhrd angeführt. Abweichende Schreibungen: Anton bzw. Taller. StAN, Ämterbüchlein 11–24; Name für 1501/02 genannt und durchgestrichen. [Gümbel 1926, 298, Anm. 3] nennt eine Notiz in den Ratsverlässen. StadtAN B 14/II Nr. J, fol. 63v; Nr. K, fol. 81v; Nr. L, fol. 196v; Nr. N, fol. 78r (30. Oktober 1500: Medizin für Margreth über 13 Wochen). StadtAN B 14/II Nr. N, fol. 148r.

II

Verzeichnis der Visierer in Nürnberg

223

und Hans,61 Schwester in Bozen;62 Gerichtsentscheidungen in Zahlungsfragen;63 Tallner vermittelt in Streitfall;64 Streit um Erbe65 Niclas Nützel,66 1486, 1489–1490/9167

wohl seit 1485 Visierer, als Taschenmacher berufen;68 nicht zu verwechseln mit Ratsfamilie Nützel; identisch mit Nützel (1476)?

Niclas Nützel („Nützelein“), 1496–,69 1500–1501, 1503–1504, 1507–1515/1670

1496–1499 als „Nützelein“ geführt, daher verwandt oder identisch mit gleichnamigem Niclas Nützel?; gest. vor 30. März 1518;71 Vater Fritz, Mutter Katherina;72 verheiratet mit Helena;73 Kinder Ursula,74 Wolfgang (Chorherr),75 Gregor,76 Katherina,77 Susanna,78

61

62 63

64 65

66 67 68 69 70 71 72 73

74 75

76

77 78

StadtAN B 14/II Nr. K, fol. 91r (19. Dezember 1496: Tallner zahlt Dorothea, Witwe des Bruders Hans, insgesamt 700 Gulden rh.; weitere Notizen); Nr. K, fol. 184v (13. Dezember 1497: Tallner soll Forderungen der Mägde von Dorothea begleichen); Nr. K, fol. 91r (5. Februar 1498: Zahlung der 700 Gulden an Dorothea vollständig). StadtAN B 14/II Nr. Q, fol. 171. StadtAN B 14/II Nr. F, fol. 112r; Nr. F, fol. 191v;; Nr. K, fol. 213v; Nr. K, fol. 220v (6. Juli 1498: Zahlung des A.T.); Nr. N, fol. 71r; Nr. N, fol. 71v (16. Oktober 1500: Restzahlung für ein Pferd an Tallner); Nr. N, fol. 71v. StadtAN B 14/II Nr. H, fol. 175v. Es handelt sich vor allem um Schuldnachzahlungen und Zahlungen kleinerer Summen: StadtAN B 14/II Nr. N, fol. 99r, 101r, 102r, 135r, 148r; Nr. O, fol. 43, 115r; Nr. Q, fol. 81r, 92v, 138r, 146v, 171, 174r; Nr. P, fol. 163; Nr. U, fol. 112r. Abweichende Schreibungen: Nikolaus, Niclaus. StAN, Ämterbüchlein 11–13; Name für 1490/91 genannt und durchgestrichen. [Gümbel 1926, 298, Anm. 3] nennt eine Notiz in den Ratsverlässen. StAN, Ämterbüchlein 19–22. StAN, Ämterbüchlein 23–35; Name für 1515/16 genannt und durchgestrichen. Dieses Datum ergibt sich aus der Erbauszahlung an die Kinder (siehe unten). Laut GSIPersonendatenbank im Stadtarchiv Nürnberg verstarb Niclas Nützel im Jahr 1517. StadtAN B 14/II Nr. P, fol. 33r, 37v. StadtAN B 14/II Nr. L, fol. 190v (21. Juni 1499: Klage wegen Kranz mit 15 Gulden beliehen, versetzter Schleier, 2 goldene Ringlein, Paternoster, brauner Rock, Gesamtwert 10 Gulden); Nr. L, 191r, 192r; Nr. U, fol. 60r (1. Januar 1508: Ewiggeld) und andere. StadtAN B 14/II Nr. Q, fol. 187r (5. Oktober 1504: Hochzeit, 140 Gulden rh. Heiratsgut, Erbregelung). StadtAN B 14/II Nr. 7, fol. 25r; Nr. 11, fol. 2v (30. März 1518: Chorherr zu St. Johannis in Würzburg, Erbe der Eltern erhalten), gemäß GSI-Personendatenbank im Stadtarchiv Nürnberg nicht Sohn, sondern „Sonstige Personen“. StadtAN B 14/II Nr. 7, fol. 25r (15. Januar 1515: Vicarier zu Haug, 18 Jahre alt, braucht Geld für päpstl. Bullen und Studien in Köln, Mainz, Erfurt), gemäß GSI-Personendatenbank im Stadtarchiv Nürnberg nicht Sohn, sondern „Sonstige Personen“. StadtAN B 14/II Nr. 10, fol. 78v. StadtAN B 14/II Nr. 7, fol. 136r (12. September 1515: Trennung von Ehemann); Nr. 10, fol. 138v.

224

II

Verzeichnis der Visierer in Nürnberg

Jheronimus (Pfarrer),79 Gabriel;80 diverse Fälle vor Gericht;81 visierte 1501 den Weinbestand im Keller des H. Hartung82 Conradt Zymer,83 1490–1498/150084

wohl auch Visierer zu Gostenhof und Wöhrd 1490– 1491/92;85 Visierzettel86

Steffan Mecherer,87 1490–1499/150088

Sohn Linhart;89 mehrere Gerichtsentscheidungen in Finanzfragen90

Ruprecht Kolberger, 1490

Visierer gemäß Ratsverlässen vom 17. April bis 10. Juli 1490;91 nicht in Ämterbüchlein nachweisbar; zur Vita siehe Kapitel 6.2

Stephan Putzolt,92 1501, 1503–04, 1507– mind. 152593

„Visierer Meister“,94 auch als „Stephan Visirer“ angeführt;95 gest. vor 26. August 1532;96 verheiratet mit Kunigunde97 und Margaretha;98 Kinder Heinrich,99

79 80 81

82 83 84 85 86 87 88 89

90

91 92 93 94 95 96 97 98 99

StadtAN B 14/II Nr. 9, fol. 9r (21. Januar 1516: Priester, Schwager Jorg zahlt 15 Gulden an Mutter des Kindes des Jheronimus); Nr. 11, fol. 2v. StadtAN B 14/II Nr. 11, fol. 3r. StadtAN B 14/II Nr. D, fol. 225v (24. April 1487: Streit in Baufragen); Nr. Z, fol. 109v (22.Januar 1511: Nachlassverwalter); Fortsetzung Nachlassverwalter: Nr. Z, fol. 113r, 252v; Nr. 1, fol. 211r; Nr. 2, fol. 118v; Nr. 7, fol. 129r; Nr. 6, fol. 88v. StAN, Reichsstadt Nürnberg, Stadtrechnungsbelege, Einzelbelege Nr. 752 „Weinabrechnung, 1 Zettel des Hauswirtes, 1501“). Abweichende Schreibungen: Cunratt bzw. Zimer. StAN, Ämterbüchlein 13–22; Name für 1498/99 sowie 1499/1500 genannt und durchgestrichen. StAN, Ämterbüchlein 13–14, jedoch nur als „Conrad“ bezeichnet StAN, Reichsstadt Nürnberg, Stadtrechnungsbelege, Einzelbelege Nr. 462 („Visieramt, summarische Rechnung, 1492“). Abweichende Schreibung: Stephan bzw. Mechrer. StAN, Ämterbüchlein 13–22; Name für 1499/1500 genannt und durchgestrichen. StadtAN B 14/II Nr. T, fol. 119r (1. Februar 1507: Vertrag mit Sohn, dass dieser erbt sowie Schulden und Außenstände übernimmt; Vater erhält lebenslang 29 rheinische Gulden pro Jahr in vierteljährlichen Zahlungen, Pfand ist Garten Linharts; Sohn muss Vater Bett und Kleidung geben); Nr. T, fol. 161v und spätere Einträge. StadtAN B 14/II Nr. G, fol. 165v (14. November 1492: 9 Gulden Schulden); Nr. G, fol. 250v; Nr. J, fol. 217r (3. Juli 1497: Kauf eines Gartens); Nr. N, fol. 176 r (19. Juli 1501: Weinkauf); Nr. R, 176v (18. Januar 1507: Streit um 40 Gulden mit Stadtungelter, dem zur Exekution verholfen wird). [Gümbel 1926, 298, Anm. 1]. Abweichende Schreibungen: Steffan bzw. Putz. StAN, Ämterbüchlein 24–45. StadtAN B 14/II Nr. 5, fol. 21r (1514). StadtAN B 14/II Nr. Q, fol. 11v, 110v; Nr. R, fol. 49r; Nr. Z, fol. 6v. StadtAN B 14/II Nr. 33, fol. 147v. Kurzregesten zu StadtAN B 14/I Nr. 16, fol. 205r (1500); Nr. 14, fol. 208r (1501). StadtAN B 14/II Nr. Z, fol. 56v; Nr. 13, fol. 163r. StadtAN B 14/II Nr. 7, fol. 95v (1515: Heinrich zahlt Vater 22 Gulden für Werkzeug); Nr. 34, fol. 36r.

II

Verzeichnis der Visierer in Nürnberg

225

Peter (Wirt),100 Ursula,101 Martha,102 Margrethlein,103 Hans,104 Stephan,105 Elspeth;106 Kauf mehrerer Häuser;107 Verkauf eines Hauses;108 Klagen vor Gericht;109 Nachlassverwalter und Erbangelegenheiten;110 Testament bzw. Vertrag über Erbe111 Herman Holtzapfel, 1501, 1503–04, 1507– mind. 1525112

verheiratet mit Barbara;113 Kinder Hans (Gürtler), Jacob, Michel (Visierer), Wolfgang114

Hofman, 1501, 1503115

Visierer zu Gostenhof und Wöhrd 1501, 1503; evtl. Bierbrauer116

100 StadtAN B 14/II Nr. 31, fol. 133r. 101 StadtAN B 14/II Nr. Q, fol. 187r (5. Oktober 1504: Ursula bringt 140 Gulden rh. Heiratsgut in die Ehe mit). 102 StadtAN B 14/II Nr. 13, fol. 180v, identisch mit Margrethlein?. 103 StadtAN B 14/II Nr. 13, fol. 163r, identisch mit Martha?. 104 StadtAN B 14/II Nr. Z, fol. 56v. 105 StadtAN B 14/II Nr. Z, fol. 56v. 106 StadtAN B 14/II Nr. 7, fol. 137r (3. August 1515: Heiratsverabredung, 20 Gulden aus mütterlichem Erbe). 107 Kurzregesten zu StadtAN B 14/I Nr. 16, fol. 205r (1500); Nr. 23, fol. 69r (1508: Haus am Neuen Bau in St. Lorenz, 50 Gulden); Nr. 23, fol. 183 v (1509: weiteres Haus am Neuen Bau, 80 Gulden); Nr. 29, fol. 125r (1515: vier Hauseigenschaften auf dem Neuen Bau, 112 Gulden); Nr. 31, fol. 192v (1519: 2 Gärten vor dem Spittlertor, 30 Gulden); Nr. 40, fol. 66v (1527: Hauskauf). Ebenso StadtAN B 14/II Nr. S, fol. 127r (6. März 1506: Haus auf dem Neuen Bau, ratenweise Zahlung). 108 Kurzregesten zu StadtAN B 14/I Nr. 14, fol. 208r (1501: Haus beim äußeren Spitaler Tor). 109 StadtAN B 14/II Nr. Q, fol. 11v (3. Februar 1503: Streit um Gartenzaun); Nr. Q, 110v (10. November 1503: Putzolt fordert Restbetrag von 39 Gulden für Obst und Weinbeeren); Nr. R, fol. 49r (25. Juni 1505: Schulden von 8 Gulden Eigenzins, Putzolts Exekution empfohlen); Nr. 6, fol. 43r; Nr. 13, fol. 12v (13. Mai 1519: Erbgerechtigkeit und Nutzungsrecht eines Gartens). Siehe auch Kurzregesten aus StadtAN B 14/I Nr. 43, fol. 117 r/v (1531: Streit um einen Brunnen). 110 StadtAN B 14/II Nr. Z, fol. 6v, 7r, 8r, 56v; Nr. 5, fol. 21r; Nr. 22, fol. 31r/v. 111 StadtAN B 14/II Nr. 13, fol. 163r (11. Juli 1520: Haus auf Neuem Bau, Hausrat); Nr. 33, fol. 145v; Nr. 33, fol. 147v (26. August 1532: Vertrag zwischen drei erbenden Parteien, aufgeteilt werden ein Garten (Wert: 300 Gulden) und mehrere Häuser (Wert: mind. 480 Gulden); Nr. 33, fol. 190r. 112 StAN, Ämterbüchlein 24–45. 113 StadtAN B 14/II Nr. 38, fol. 90r, 125v. 114 Hans: StadtAN B 14/II Nr. 38, fol. 90r, 125v; Jacob: StadtAN B 14/II Nr. 38, fol. 90r; Wolfgang: StadtAN B 14/II Nr. 38, fol. 90r. 115 StAN, Ämterbüchlein 24–25. 116 Der Bestand StadtAN B 14/II umfasst zwischen 1492 und 1535 diverse Einträge für einen Bierbrauer Hanns Hofmann, genannt Zwingel. Es bleibt zu klären, ob es sich um den Visierer Hofmann handelte.

226

II

Verzeichnis der Visierer in Nürnberg

Sebolt Schicker (?), 1507–1516117

Visierer zu Gostenhof und Wöhrd 1507–1510, danach Visierer in Nürnberg, evtl. Seidenneter118

Maister Jacob, 1511–1515119

Stadtpflasterer, Visierer zu Gostenhof und Werd 1511– 1515

Martin Brunast (?),120 1516–1520/21121

Schreiner, Visierer zu Gostenhof und Werd 1516–1519

Hans Preu, 1517 – mind. 1525122

gest. 1546; Rechenmeister, Rat mit Arbeit unzufrieden;123 zahlreiche Nachrichten im Stadtarchiv Nürnberg124

Bartolomeus Dorß,125 1520 – mind. 1525126

Visierer zu Gostenhof und Werd 1520 – mind. 1525; Rechenmeister, Prüfung durch „Einstoßen“127

Michel Holtzapfel, mind. 1525128

Sohn des Visierers Herman Holtzapfel;129 Gerichtsangelegenheiten;130 Erbe131

117 StAN, Ämterbüchlein 27–36; Name für 1516/17 genannt und durchgestrichen. 118 Der Bestand StadtAN B 14/II umfasst zwischen 1486 und 1505 diverse Einträge für einen Seidenneter Sebolt Schicker. Es bleibt zu klären, ob es sich um den Visierer Schicker handelte. 119 StAN, Ämterbüchlein 31–35. 120 Abweichende Schreibung: Bernast. 121 StAN, Ämterbüchlein 36–40; Name für 1520/21 genannt und durchgestrichen. 122 StAN, Ämterbüchlein 37–45. 123 [Jäger 1925, 142–143] mit weiteren Nachrichten zur Vita des Hans Preu. 124 Man findet zahlreiche Einträge zu Hans Preu zum Beispiel in den Beständen StadtAN B 14/I und StadtAN B 14/II. 125 Abweichende Schreibungen: Bartolomeß bzw. Dorsch. 126 StAN, Ämterbüchlein 40–45. 127 [Jäger 1925, 143–144]. 128 StAN, Ämterbüchlein 45. 129 StadtAN B 14/II Nr. 28, fol. 146r. 130 StadtAN B 14/II Nr. 28, fol. 146r (23. Juli 1529: Aussage wegen eingelagerten Weines). 131 StadtAN B 14/II Nr. 38, fol. 90r.

III E DITION DER V ISIERTEXTSAMMLUNG B EMERKUNGEN ZUR E DITION Die folgende Edition der Visiertextsammlung beruht auf den beiden Handschriften Perugia und Paris, die eng miteinander verwandt sind.1 Der lateinische Text gibt die Visiertextsammlung wider, wie sie in der Handschrift Perugia überliefert ist. Im textkritischen Apparat findet man abweichende Lesarten aus der Handschrift Paris verzeichnet.2 Um die Edition mit den Handschriften direkt vergleichen zu können, sind am äußeren Seitenrand die entsprechenden Angaben (in Folio) notiert.3 Im Quellenapparat habe ich angegeben, mit welchen anderen Texten bestimmte Passagen der Visiertextsammlung in Verbindung gebracht werden können. Mit dieser Edition möchte ich den handschriftlichen Text dem heutigen Leser zugänglich machen. Da die Schreibungen in beiden Handschriften sehr unterschiedlich und sogar innerhalb einer Handschrift nicht einheitlich sind, umfassen die folgenden Editionskriterien vor allem Vereinheitlichungen und Vereinfachungen. In der Edition des lateinischen Textes sind Ligaturen und Abkürzungen aufgelöst. Die e-Schreibweisen wurden vereinfacht und mit e widergegeben (caudierte e, ae-Schreibung). Treten gleiche Buchstaben in verschiedenen Schreibungen auf, ist dies auf eine Schreibweise reduziert (zum Beispiel zwei Formen von r und s, langes s als s, langes i als i). Ebenso wurde die Schreibung von u und v angeglichen. In den textkritischen Apparat habe ich Abweichungen zwischen den Handschriften in der Graphie zum Beispiel bei Buchstabenverdopplung oder Abweichungen wie m/n nicht aufgenommen (comuniter/communiter oder tanquam/tamquam). Auch Unterschiede wie seu/vel, deinde/item, cum/quum, sic/ita, idest/scilicet oder Vertauschungen in der Wortreihenfolge sind aus Gründen der Lesbarkeit nicht im Apparat notiert. In solchen Fällen orientiert sich die Edition an der Handschrift Perugia. Ich habe ebenso der Handschrift aus Perugia folgend incohando übernommen, während Paris inchoando schreibt. Die Interpunktion ist einem heutigen Textverständnis angeglichen und weicht bisweilen deutlich von der Zeichensetzung in den Handschriften ab. Oft werden

1 2

3

Handschrift Perugia, Abbazia di San Pietro, Archivio storico, CM 18, und Handschrift Paris, Bibliothèque nationale de France, Département des manuscrits, Latin 10259. Ich danke Menso Folkerts für seine großzügige Hilfe bei der Anfertigung der Edition. Er hat nach einer Sichtung des Textes die Kollationierung mit der zweiten Handschrift übernommen und die Interpunktion im Text angeglichen. In der Handschrift Perugia wurde in der Folio-Nummerierung die Zahl 32 übersprungen. Die Nummerierung in der Edition springt deshalb für die Handschrift Perugia von fol. 31v zu fol. 33r.

228

III

Edition der Visiertextsammlung

Zahlen (zum Beispiel .5.) und mit Buchstaben bezeichnete Punkte einer Zeichnung durch das Satzzeichen „Punkt“ (.) im Fließtext kenntlich gemacht. Aus Gründen der Lesbarkeit fallen diese Punkte in der Edition weg. Durchgestrichene Zahlen sind als halbe Werte zu interpretieren, zum Beispiel 3 als 2 12 . In der Pariser Handschrift beginnen größere Abschnitte mit einer Überschrift in Majuskeln. Dies ist auch in der Edition übernommen. In beiden Handschriften gibt es zumeist zu Beginn eines Absatzes farbig markierte Textabschnitte, die in der Edition kursiv hervorgehoben sind. An Satzanfängen ist eine Majuskel gesetzt; es handelt sich hierbei häufig um rein editorische Entscheidungen auf Grundlage syntaktischer Strukturen. Für die Zahlentafeln zu Text A habe ich zu den Abbildungen aus der Handschrift Perugia zwei Seiten aus der Pariser Handschrift ergänzt, da die Pariser Handschrift die Tafeln an dieser Stelle ergänzt. Die Zeichnungen orientieren sich an der Handschrift Perugia.4 Im textkritischen Apparat verwende ich die folgenden Abkürzungen:

add. in marg. ex . . . corr. Pa Pe om.

4

addidit in margine (Hinzufügung am Rand einer Handschrift) ex . . . corrigit (Korrektur in einer Handschrift) Handschrift Paris, Bibliothèque nationale de France, Département des manuscrits, Latin 10259 Handschrift Perugia, Abbazia di San Pietro, Archivio storico, CM 18 omittit (Auslassung in einer Handschrift)

Man begegnet einem editorischen Eingriff gegenüber der Zeichnung in der Handschrift Perugia auf fol. 43v (Beschriftung des Holzdreiecks der virga trigona): In der Beschriftung der oberen Skala zwischen den Punkten a und b sind an Stelle der Zahlen 3, 250 (Handschrift) die Werte 32, 50 (Edition) notiert. Dies entspricht der textlichen Schilderung.

III

229

Edition der Visiertextsammlung

I NCIPIUNT COLLECTIONES AD VIRGAS PLANAM ET SCRIPTAM PRO CAPACITATE VASORUM INQUIRENDA CONSTRUENDAS ET USU EARUM , ET EST VIRGA CIRCULARIS .

5

10

15

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I Virgam visoriam planam ad vasorum columnarium capacitatem inveniendam construere. Virgam visoriam dico, quia ea quasi habente visum, magister artis visorie vasis capacitatem pronunciat; unde et magistri artis huius visores seu virge visores appellantur. Planam dico ad differentiam virge scripte. Plane enim seu simpliciter in uno tantum laterum huius signa longitudinis et latitudinis signantur. Quantitas autem spissitudinis seu capacitatis ex his officio numeri invenitur. In virga autem scripta omnia signata sunt, et ipsa arte calculationis non indiget, sed solum virga visa, visor vasis quantitatem enunciat. Vasorum columnarium dico, quia hic modo de vasis aliarum figurarum, que immediate ad columnares reduci non possunt, non est intentio. Verumtamen in quibusdam aliis vasorum formis per modos dicendos veritatem capacitatis speculator inveniet. Columna autem est, ut vult Euclides diffinitione 9a undecimi, transitus parallelogrammi rectanguli latere rectum angulum continente fixo, ipsaque superficie, donec ad locum suum redeat, circumducta. Capacitatem vasis putei sive fontis et cetera, de quibus idem est iudicium, dummodo columnaria fuerint, voco numerum mensure famose aliquoties in vase mensurando contente. Que scilicet mensura apud omnes aut multos est usitata, ut vult Dominicus pisiensis in sua geometria. Sit igitur virga construenda de ligno firmo recto, aut enea conflatilis competentis spissitudinis ut digiti vel pollicis, quadrilatera, quia hec figura est huic negocio aptior; longa virga ut 16 palmi hominis aut alias, secundum quod vasorum comuniter currentium exigunt quantitates. Et si propter longitudinem eius dispendium virge videbitur, in medio aut alio eius loco convenienti dividatur ita, ut dum necesse fuerit, valeat replicari et usque ad locum operis compendiosius deportari. Cuius unum latus sit ab, secundum cd , tertium e f , quartum g h, quintum kl , quod idem est cum ab. Prima autem superficies virge sit ad , secunda c f , tertia eh, quarta g l .

Abbildung III.1: Zeichnung Pe 17r in marg. (um 90◦ gegen den Uhrzeigersinn gedreht).

14 diffinitione ] diffinitive Pe dii Pe

18 aliquoties ] ex aliquotiens corr. Pe

21 vel pollicis ] aut me-

14–16 transitus parallelogrammi . . . circumducta ] Camp. Elem. XI, Def. xi. [Campanus 2005, 390, Z. 89–91] 18–19 apud omnes aut multos est usitata ] Dom. Cl. Practica, 61r: Famosa quantitas est que apud omnes aut multos usitata est. [Busard 1965, 524, 61r].

Pe 17r, Pa 1r

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Pa 1v Pe 17v

Pa 2r

III

Edition der Visiertextsammlung

II Longitudinem mensure famose date in virga proposita collocare. Primo notandum quod vasa predicta secundum naturam cuiuslibet rei materialis ternam habent dimensionem, scilicet longitudinem, que secundum longitudinem vasis transversam et per circulos accipitur, et latitudinem, que in fronte seu fundo vasis attenditur, et profunditatem, que consideratur secundum vasis spissitudinem, et hec spissitudo | est ipsa capacitas, de qua principaliter intenditur. Ad quam habendam oportet primas duas, scilicet longitudinem et latitudinem, inquirere. Esto | igitur linea recta tracta in plano secundum longitudinem virge date, que sit mn. De qua linea a parte n accipiam portionem ad quantitatem lateris seu partis stantis, mensure famose date secundum quam mensurare voluero. Ut verbi gratia: Sit longitudo eius palmi hominis, que sit nt . Secundum igitur quantitatem hanc longitudinis nt accipiam partes quot placuerint de linea nm. Et nunc causa brevitatis aut vasorum currentium quantitatis in 16 punctis seu signis longitudinis sufficiat. Que signa cum numeris suis signentur in linea nm predicta a parte n incohando. Quas partes longitudinis subdivides in partes equales quot placuerint. Competenter autem quelibet ipsarum in 4 seu 8 subdividitur partes equales. Que partes et partium partes signentur signis et numeris suis in virga data sic precise, sicut erant in linea nm signata, a puncto b incohando, et si placet, iuxta latus ab omnia signando; et propter vasa que longiora quam virga predicta sepe occurrunt, oportet ut longitudines predicte in virga replicentur. Ab a igitur versus b procedendo signentur longitudines replicate cum numeris propriis circa priora puncta retrograde versus priores, ita, ut ubi prius erat principium signi directi ultime longitudinis, scilicet 16, fiat finis primi signi replicate seu retrograde longitudinis, scilicet 17, et principium 15mi directe fiat finis 18, et ita usque ad 32, et ibi sufficiat.

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III Latitudinem mensure famose date in virga proposita situare. Esto linea ut prius mn. De qua iterum a parte n accipiam portionem ad quantitatem diametri fundi mensure columnaris date, scilicet secundum quam mensurare voluero. Que portio verbi gratia sit np. Que si placuerit sit quadrupla ad lineam nt . Quam latitudinem signabo in virga proposita per punctum seu signum et numerum suum, scilicet unum circa latus cd ab puncto d incohando. Ita igitur habentur in virga proposita longitudo et latitudo date mensure. Et secundum has, scilicet longitudinem et latitudinem, mensura data famosam continebit quantitatem, ut unam tinam, aut mediam, aut eius quartam, aut octavam, et cetera, sicut usitatum fuerit apud plures, vel in ea regione in qua fueris.

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IIII Date latitudini multiplices, ut duplam, triplam, quadruplam, et sic de aliis signis eis competentibus in virga proposita geometrice designare. Linea np predicta posita diametro secundum quantitatem eius circinabo circulum pqnr , cuius centrum s. Erit igitur iste circulus amplitudo fundi, seu ipsum fundum mensure famose date.| Illius igitur duplum est querendum. Dividatur circulus pqnr in

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4 transversam . . . accipitur ] transversum per circulos attenditur Pa 5 consideratur . . . spissitudinem ] attenditur penes utrumque, vasis scilicet spissitudinem Pa 10 partis ] parietis Pa 12 longitudinis ] longitudinis linee add. Pa 16 subdividitur ] subdividantur Pa 24 18 ] 18ui Pa 30 ab puncto d ] a puncto b Pa 34 vel . . . fueris ] om. Pa

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III

Edition der Visiertextsammlung

Abbildung III.2: Zeichnung Pe 18r.

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Pe 18r

Pe 18v

Pa 2v

III

Edition der Visiertextsammlung

quatuor quartas precise equales, scilicet pq, qn, nr , r p. Quo diviso figam pedem circini in puncto q et alium extendam in punctum p. Deinde non moto circino ponam unum pedem eius in | centrum circuli, scilicet s, et alium extendam ultra p super lineam nm, et ubi tetigerit lineam nm, faciam notam, que sit u. Deinde iterum sic manente circino ponam pedem eius mobilem in puncto n et alium immobilem figam in linea nm, ubi contigerit. Et facto ibidem centro circinabo circulum occultum, et ubi circulus iste lineam nm tetigerit, faciam signum 2. Circulus enim isto modo factus est duplus ad circulum primum pqnr . Quod sic ostenditur. Quadretur diameter r q et lineetur diameter quadrati q p3. Ergo per penultimam primi euclidis quadratum diametri 3pq est duplum ad quadratum coste r sq. Ergo per secundam duodecimi eiusdem circulus, cuius diameter est linea 3pq, que est equalis linee n2, est duplus ad circulum, cuius diameter est linea r sq, igitur et cetera. Deinde pro habendo circulo triplo ad circulum primum pqnr pone pedem circini in puncto q et alium extende ad notam modo factam, scilicet u, et non variato circino pone pedem eius unum ad s et alium extende ultra p secundum lineam nm, et ubi tetigerit lineam nm, fac iterum notam x. Deinde iterum sic manente circino pone pedem eius mobilem in puncto n et alium, scilicet immobilem, extende secundum lineam nm, et ubi tetigerit eandem, lineam nm facto centro circinetur circulus occultus iterum, et ubi iste circulus secuerit lineam nm, fac signum 30 . Iste circulus iam factus ultimo est triplus ad primum, scilicet pqnr . Quod sic patet: Tracta linea uq, quia latus us est equale lateri pq per hypothesim, ergo quadratum lateris us est duplum ad quadratum lateris sq; et quia quadratum lateris uq valet duo quadrata duorum laterum, scilicet us et sq, ergo quadratum lateris uq est triplum ad quadratum lateris sq. Ergo per priora circulus, cuius semidiameter est uq, est triplus ad circulum, cuius semidiameter est sq; et sic demonstrando deduci potest usque quo placet; ita tamen, ut longitudinem virge date non excedas. Que omnia sic inventa in linea nm eodem modo per puncta signa et numeros proprios directe in suis locis in virga signabis. Notandum autem quod latitudines in virga sic, ut dictum est, per integra signate solum per 1/8 tine se excedunt. Notandum item quod, dum signa latitudinis in virga sicut dictum est concepta inscripseris, divide | virgam totam in quatuor partes equales; et si prima quarta in signum prime latitudinis, et secunda in quartum, et tertia in nonum, et quarta in sextumdecimum ceciderint, presumetur de perfecta virge signatura. Sin autem, errasti. Ratio huius, quia costa primi quadrati est medietas coste quarti quadrati, et tertia pars noni quadrati, et quarta pars sextidecimi quadrati, ut clare patet in | depictis quartis predictis, ut infra.

19 lineam nm ] om. Pe 20 Iste . . . ultimo ] Et quia circulus ultimo iam factus Pa 26 potest ] ad add. Pa 35 et ] est Pa, Pe corr. ex est 36–37 depictis . . . infra ] Quando dicitur quadretur diameter hoc est constituetur super ipsum quadratum. Supposito quod virga tot: vel plures habeat latitudines add. Pa in marg. 9–10 per penultimam primi euclidis ] Camp. Elem. I, 46. [Campanus 2005, 92–93, Z. 861–888] 11 per secundam duodecimi eiusdem ] Camp. Elem. XII, 2. [Campanus 2005, 431–432, Z. 30–81]

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V Date latitudinis, signatis continuis multiplicibus per premissam, medietatem excessus sequentis in medietate ad priorem cuiuslibet patefacere. Pone pedem circini in puncto q et alium extende in punctum p et non variato circino pone pedem eius unum in puncto n et alium extende secundum lineam nm, et ubi tetigerit lineam nm, fac notam y. Facta igitur diametro n y circinetur circulus y3, cuius centrum x 0 , et manifestum est quod quadratum linee | r q est duplum ad Pa 3r quadratum linee pq et per consequens ad quadratum linee n y. Circinetur ergo per prius allegata circulus, cuius diameter r q est duplus ad circulum cuius diameter n y. Est igitur circulus y3 medietas circuli pq; et quia quelibet latitudo sequens in virga excedit precedentem suam in circulo pq, ergo medietas illius excessus cuiuslibet est circulus y3. Querendus igitur est per precedentem circulus quidam, qui excedat circulum datum, scilicet circulum pqnr , in circulo y3, et habebitur intentum. Verbi gratia: Queratur circulus triplus ad circulum y3, et ille necessario continebit circulum pq semel et cum hoc plus circulo y3. Similiter per premissam queratur circulus quintuplus ad circulum y3, et ille iterum excedet circulum, qui est duplus ad circulum pq, in circulo y3. Deinde iterum per eandem querendus est circulus septuplus ad circulum y3, qui excedet iterum circulum triplum ad circulum pq in circulo y3, et sic de aliis. Et pulchre patent iste proportiones ordinate contra se et in duobus ordinibus numerorum secundum progressionem per 2 intercisam. Quorum unus, scilicet pq, incipiat a binario, et alius, scilicet y3, incipiat ab unitate.

Abbildung III.3: Zeichnung Pe 18v.

Et per eundem modum simpliciter poterit medietas medietatis predicti excessus inveniri, et sic usque quo placet.

2 in medietate ] corr. Pa ex. immediate om. Pa

11 quidam ] quidem Pa

19 in ] om. Pa

21 incipiat ]

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Pe 19r

Pa 3v

III

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VI Date in virga latitudini multiplices et superparticulares utriusque inequalitatis arithmetice reperire. Esto circulus datus cui querere duplum intendo pq, cuius diameter r q sit ut 12. Quadrabo igitur ipsam diametrum r q et proveniunt 144, et quadratum dupla|bo, et sunt 288. Cuius queram radicem quadratam, ut docetur in fine logismi de minutiis et proveniunt fere 17. Hec igitur sunt diameter, cuius circulus est duplus ad circulum datum; et pro habendo circulo triplo ad circulum datum tertiabo quadratum diametri circuli dati, et pro quadruplo quartabo, et pro quintuplo quintuplabo, et sic de aliis; et cuiuslibet queram radicem quadratum quantum precisius potero, et factum est. Si vero superparticulares maioris inequalitatis habere volueris, et primo ut habeas circulum quendam, qui excedat pq circulum in medietate ipsius pq seu in medietate excessus unius latitudinis propinquioris ad alteram super quadratum diametri pq, scilicet super 144, adde medietatem ipsius, scilicet 72, et provenient 216; cuius radix quadrata, scilicet 14 cum 7/10 unius, sunt diameter circuli, qui excedit circulum pq in quantitate predicta, scilicet in medietate eius aut medietate excessus sequentis propinquioris latitudinis ad priorem; et sic modo habeo medium inter duplum et simplum, idest, inter circulum pq et duplum eius. Si vero inter duos circulos, quorum unus est duplus et alius triplus ad circulum pq, medium seu medietatem excessus habere voluero super quadratum diametri circuli precedentis, idest dupli, habite per quartam, adde medietatem quadrati diametri circuli pq, scilicet 72, et residui quere radi|cem quadratam, quia hec est diameter circuli que continet circulum duplum ad pq, et cum hoc medietatem excessus inter circulum eundem duplum et triplum ad circulum pq, et sic de omnibus aliis maioris inequalitatis, scilicet solum adde medietatem quadrati diametri circuli pq, scilicet 72, super quadratum diametri circuli, cuius et sibi proxime maioris differentie medietatem habere volueris; et producti extrahe radicem, quia hec radix est diameter circuli, qui circulus continet circulum minorem datum, et cum hoc medietatem differentie seu excessus proximi maioris dati ad predictum minorem. De submultiplicibus vero et superpartientibus omnino ut dictum est agendum est; solum quod ubi prius addi mandatum est, hic itidem quodlibet a suo genere subtrahi oportet. Habitis igitur his signis latitudinis, scilicet dupli, tripli, quadrupli et cetera, et eorum intermediis in linea nm ea omnia in eadem si placet virge superficie in qua prius longitudines signasti, scilicet iuxta latus cd , precise secundum easdem distantias quas in linea nm habueris, solicite loca cum punctis eis partientibus et numeris a puncto d locare incohando. Nunc igitur virga visoria plana secundum sui modum est signata: nondum tamen scripta dici meretur.|

5 logismi ] Algorismi Pa 7 tertiabo ] triplabo Pa 7 quartabo ] quadruplabo Pa 10 et primo ut ] primo fac Pa 13 provenient ] proveniunt Pa 21 quadratam ] Pe corr. ex quartam 25 diametri ] Pa add. in marg. 29 superpartientibus ] superparticularibus Pa 30 itidem ] ididem Pa 36 sui ] suum Pa 5 logismi de minutiis ] Vgl. JdL Alg. min. [Busard 1968, 33–34]. Siehe Kapitel 5.4.

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Abbildung III.4: Zeichnung Pe 19v.

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VII Virgam visoriam scriptam ad vasorum columnarium capacitatem habendam Pe 19v construere. Habita virga visoria plana in qua arte calculationis vasorum capacitas ex longitudine et latitudine per ipsam prehabitis invenitur, nunc autem propter non usitatos in numeris aut causa brevitatis in opere virgam scriptam, in qua calculatione uti non est opus, inscribere tentabo. A principio igitur primi signi replicate longitudinis, scilicet 17mi , quod est finis ultimi directi, scilicet 16mi , et a 3 signo latitudinis que sibi scilicet 3 vasis communiter currentibus correspondent, virgam scribere incipiam, quia horum et eis minorum capacitas officio numeri aut solo mentis intuitu propter parvitatem eorum potest faciliter deprehendi. Ex directo igitur finis signi lon|gitudinis 16 in fine virge in eius superficie secunda c f Pe 20r circa latus, si placet, cd inscribam 3 signa latitudinis, et quia quodlibet signorum

7 scilicet 3 ] om. Pa

8 scribere ] inscribere Pa

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III

Edition der Visiertextsammlung

longitudinis semper in partes equales dividitur. Non autem est ita de signis spissitudinis. Mutata enim latitudine mutantur spissitudines et earum partium quantitates; et quia de spissitudine seu capacitate principalis existit intentio, ideo preponam signa latitudinis et spissitudinis in fractionibus famosis seu apud plures usitatis in virga in medietatibus. Quibus positis queram in inscribendo virgam quantum predictis latitudini et spissitudini longitudinis correspondet. Oppositum autem erit in practica: nam ibi per longitudinem et latitudinem queretur spissitudo.

Pa 4r

Pe 20v

VIII Et quia ultimo signo longitudinis directo, scilicet 16, et primo signo latitudinis notabilis quantitatis, scilicet 3, correspondent 5 tine sive 5 signa spissitudinis, ut patet multiplicando 3 signa latitudinis per 16 signa longitudinis et dividendo per 8, accipiam igitur proximum maius signum spissitudinis in quantitate famosa post 5 quod est 6, et queratur quantum longitudinis ei et 3 signis latitudinis correspondeat: et causa huiusmodi inquisitionis hic et in sequentibus notandum est quod quatuor proportionabilia hec considerare oportet: primum spissitudinem vasis; secundum longitudinem vasis tanquam partem spissitudinis, quia est latus vasis eius; tertium latitudinem vasis; et | quartum octonarium numerum, tanquam partem latitudinis. In octonarium enim latitudines distinguntur. Unde quibuscunque horum tribus datis seu notis, ex his extrahitur quartum ignotum, ut docetur circa finem tractatus de minutiis; et per hunc modum possunt corrigi tabule et de novo formari huius rei, que in fine huius aliqualiter formate sunt; et conferunt auxilium in hac re et in aliis. Verbi gratia. He sunt tres quantitates note, scilicet 6 signum spissitudinis, postea 3 signa latitudinis, tertium octonarius, qui hic semper pro noto et integro ponitur quartus. Secunda igitur quantitas, scilicet longitudo, est ignota. Igitur multiplicetur primus per quartum et dividatur per tertium, et proveniet secundus ignotus, et hoc sic: primus, scilicet 6, reducatur ad eandem denominationem multiplicando 5 per 2 et addendo producto medietatem, et sunt 11/2. Quas si multiplicabo per 8, provenient 88/2. Deinde reducam 3 ad eandem denominationem multiplicando 2 per 2 et addendo 1/2, et provenient 5/2; per quas dividam 88/2 sic: ducam denominatorem divisoris, scilicet 2, in numeratorem dividendi, scilicet 88, et denominatorem dividendi, scilicet 2, in numeratorem divisoris, scilicet 5, et factum est. Ex hac igitur divisione proveniunt 176/10. Dividas igitur 176 per 10 et proveniunt 17 signa longitudinis et 3/5 unius. Ex directo igitur puncti eiusdem replicate longitudinis iam invente et in latere 3 signorum latitudinis inscribantur | 6 signa spissitudinis cum puncto suo. Deinde iterum accipiam aliam spissitudinem famosam post 6 que 6 medietate excedat,

5 in ] ut Pa; Pe corr. in in 6 correspondet ] correspondent Pa 17 vasis ] om. Pa 19 ex his ] om. Pa 23 postea ] prima Pa 23 signa ] om. Pa 23 tertium ] tertia Pa 25 primus ] prius Pa 26 proveniet ] provenit Pa 27 producto ] om. Pa 28–29 et sunt . . . et addendo 1/2 ] om. Pa 29 provenient ] proveniunt Pa 31 numeratorem dividendi, scilicet 88, et ] om. Pe et add. in marg. 31 scilicet ] in add. et del. Pe 31–32 in numeratorem divisoris, scilicet 5 ] add. Pe in marg. 35 inscribantur ] inscribuntur Pa 35 signa ] om. Pa 20 tractatus de minutiis ] Vgl. JdL Alg. min. [Busard 1968, 36]. Siehe Kapitel 5.4.

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scilicet 6, et per modum iam dictum videbo quantum longitudinis ei cum 3 signis latitudinis respondeat: et sunt 19 signa longitudinis et 1/5. Ex directo igitur illius puncti longitudinis et in latere latitudinis 3 signentur 6 signa spissitudinis, et sufficit: quia circa talem latitudinem in vasis communibus maior longitudo vix contingit preter 4/5 unius signi longitudinis ultra longitudinem 17 ultimo iam inventam, scilicet 19 1/5. Que longitudo, scilicet 20 signa, cum predicta latitudine, scilicet 3, circa vasa communia interdum deprehenditur. Quibus tunc, scilicet latitudini et longitudini, per modum iam dictum 6 signa spissitudinis cum 1/4 unius respondebunt. VIIII Expedita igitur spissitudine correspondente latitudini 3 signorum cum longitudinibus sibi possibilibus, idem cum tribus signis latitudinis agendum est. Circa principium igitur predicte replicate longitudinis in eadem secunda virge superficie c f , scilicet circa latus e f , inscribantur 3 signa latitudinis: et quia ultimo signo directe longitudinis, scilicet 16, et tribus signis latitudinis correspondent 6 signa spissitudinis per notabile premissum, accipiam proximam medietate maiorem spissitudinem, scilicet 7, cum predicta latitudine, scilicet 3, et queram per modum iam dictum quantum his de longitudinibus correspondeat. Et sunt 17 signa longitudinis et 1/3 unius. Et secundum hunc modum 7 signis spissitudinis correspondent 18 signa longitudinis et 2/3 unius, et 8 signis spissitudinis correspondent 20 signa longitudinis; et usque huc de tali longitudine cum predicta latitudine sufficiat, et signentur date spissitudines in directo sibi inventarum longitudinum, et in ordine latitudinis trium signorum. X Deinde iterum circa principium replicate longitudinis in tertia superficie virge, scilicet eh et circa latus e f , inscribatur proxime maior medietate latitudo, scilicet 4, cui et 16 signis longitudinis correspondent 7 signa spissitudinis. Cuius proxime maior spissitudo famosa est 8, quibus respondent 17 signa longitudinis et 1/7 unius. Et 8 signis spissitudinis respondent 18 signa longitudinis et 2/7 unius, et 9 signis spissitudinis respondent 19 signa longitudinis et 3/7 unius, et 9 signis spissitudinis respondent 20 signa longitudinis et 4/7 unius. Et de tali longitudine cum predicta latitudine in vasis communiter currentibus sufficiat. Signenturque | date spissitudines ex directo inventarum sibi longitudinum et in ordine date Pa 4v latitudinis, scilicet 4, et stabunt optime. XI Deinde iterum circa principium predicte replicate longitudinis et in eadem tertia virge superficie, scilicet circa latus g h, inscri|batur iterum medietate maior Pe 21r latitudo, scilicet 4, cui et 16 signis longitudinis respondent 8 signa spissitudinis. Quorum proxime medietate maior spissitudo est 9, cui et 4 signis latitudinis respondent 17 signa longitudinis. Et 9 signis spissitudinis respondent 18 signa longitudinis, et 10 signis spissitudinis 19 signa longitudinis, et 10 signis spissitudinis 20 signa longitudinis, et 11 signis spissitudinis 21 signa longitudinis. Et sufficiat,

2 igitur ] iterum add. Pa 4 sufficit ] sufficiat Pa 10–11 longitudinibus ] corr. Pe ex latitudinibus 13 scilicet circa latus e f ] om. Pa 17 de ] om. Pa 32 et stabunt optime ] om. Pa 39 20 signa . . . spissitudinis ] om. Pe et add. in marg.

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ut non extra proportionem vasorum communium exeamus. Scribanturque iterum date spissitudines in directo inventarum longitudinum et in ordine sue latitudinis, scilicet 4. XII Deinde iterum circa eundem virge finem: sed in quarta superficie eius, scilicet g l circa latus g h, inscribantur 5 signa latitudinis, quibus et 16 signis longitudinis correspondent 9 signa spissitudinis, cuius medietate proxime maior spissitudo est 10, cui et 5 signis latitudinis respondent 16 signa longitudinis et 8/9 unius. Et 10 signis spissitudinis respondent 17 longitudinis et 7/9 unius, et 11 signis spissitudinis correspondent 18 signa longitudinis et 6/9 unius, et 11 signis spissitudinis 19 signa longitudinis et 5/9 unius, et 12 signis spissitudinis 20 signa longitudinis et 4/9 unius, et 12 signis spissitudinis respondent 21 signa longitudinis et 3/9 unius, et 13 signis spissitudinis respondent 22 signa longitudinis et 2/9 unius, et 13 signis spissitudinis respondent 23 signa longitudinis et 1/9 unius, et 14 signis spissitudinis respondent 24 signa longitudinis. Et sufficiat. Scribanturque date spissitudines ex directo longitudinum sibi inventarum et in ordine latitudinis 5. XIII Deinde iterum in eodem virge fine et in eadem quarta superficie g l , scilicet circa latus kl , inscribantur 5 signa latitudinis, quibus et 16 signis longitudinis correspondent 10 signa spissitudinis, cuius medietate maior spissitudo est 11 signa spissitudinis, quibus et 5 signa latitudinis correspondent 16 signa longitudinis et 4/5 unius. Et 11 signis spissitudinis respondent 17 signa longitudinis et 3/5 unius, et 12 signis spissitudinis respondent 18 signa longitudinis et 2/5 unius, et 12 signis spissitudinis respondent 19 signa longitudinis et 1/5 unius, et 13 signis spissitudinis respondent 20 signa longitudinis, et 13 signis spissitudinis respondent 20 signa longitudinis et 4/5 unius, et 14 signis spissitudinis respondent 21 signa longitudinis et 3/5 unius, et 14 signis spissitudinis respondent 22 signa longitudinis et 2/5 unius, et 15 signis spissitudinis respondent 23 signa longitudinis et 1/5. Et de tali longitudine cum predicta latitudine in communi usu vasorum sufficiat. Scribanturque date spissitudines ex directo longitudinum sibi inventarum et in latere date latitudinis, scilicet 5. Pe 21v

XIIII Deinde iterum accipienda est proxime medietate maior latitudo, scilicet 6, et inscribatur si placet in secunda virge super|ficie, scilicet c f , iuxta latus cd ex directo puncti illius, ubi prius spissitudo 6 signorum et 1/4 cum 3 signis latitudinis et 20 signis longitudinis terminantur. Deinde videndum est quantum spissitudinis 6 signis latitudinis et 20 signis longitudinis correspondet, et ut patet in notabili octave sunt 13 signa spissitudinis et 3/4 unius, cuius proxime maior spissitudo famosa est 14 signa. Queram igitur, quantum longitudinis huic spissitudini, scilicet 14, correspondeat cum predicta, scilicet 6, latitudine, et sunt 20 signa longitudinis et 4/11 unius, et 15 signis spissitudinis respondent 21 signa longitudinis 1/11 unius. Et 15 signis spissitudinis respondent 21 signa longitudinis

1 communium ] communius Pa 11 unius ] om. Pa 13 signis ] om. Pa 21 signis ] om. Pa 29 scilicet ] que est Pa 34 correspondet ] correspondent Pa 39 longitudinis ] Pa add. et 39 signa ] om. Pa

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et 9/11 unius, et 16 signis spissitudinis respondent 22 signa longitudinis et 6/11 unius, et 16 signis spissitudinis respondent 23 signa longitudinis et 3/11 unius, et 17 signis spissitudinis respondent 24 signa longitudinis, et 17 signis spissitudinis respondent | 24 signa longitudinis et 8/11 unius, et 18 signis spissitudinis respon- Pa 5r dent 25 signa longitudinis et 5/11 unius, et 18 signis spissitudinis respondent 26 signa longitudinis et 2/11 unius. Et de hac longitudine cum latitudine sufficiat. Scribanturque date spissitudines ex directo longitudinum sibi inventarum et in latere latitudinis date, scilicet 6. XV Deinde iterum accipiatur proxime medietate maior latitudo, que est 6, inscribaturque in eadem secunda virge superficie c f , scilicet iuxta latus e f , ex directo puncti illius, ubi 8 signis spissitudinis et 20 longitudinis cum 3 latitudinis terminantur. Et tunc videndum est quantum spissitudinis huic latitudini, scilicet 6, et 20 signis longitudinis correspondent, et sunt 15 signa spissitudinis. Illius igitur accipienda proxime medietate maior spissitudo que est 16, et querendum est quantum longitudinis eidem cum predicta longitudine data modo correspondet, et sunt 20 signa longitudinis et 2/3 unius. Et 16 signis spissitudinis respondent 21 signa longitudinis et 1/3 unius, et 17 signis spissitudinis 22 signa longitudinis, et 17 signis spissitudinis 22 signa longitudinis et 2/3 unius, et 18 signis spissitudinis 23 signa longitudinis et 1/3 unius, et 18 signis spissitudinis 24 signa longitudinis, et 19 signis spissitudinis 24 signa longitudinis et 2/3 unius, et 19 signis spissitudinis 25 signa longitudinis et 1/3 unius, et 20 spissitudinis 26 signa longitudinis, et 20 signis spissitudinis 26 longitudinis et 2/3 unius. Et hoc sufficiat propter causam sepe dictam. Scribanturque spissitudines ex directo longitudinum sibi inventarum et in latere date latitudinis 6. XVI Deinde iterum accipiatur proxime medietate maior latitudo que est 7, et inscribatur in tertia virge superficie, scilicet eh, iuxta latus e f ex directo puncti, ubi 9 signa spissitudinis et 20 longitudinis et 4/7 unius cum latitudine 4 terminantur.| Et Pe 22r huic longitudini, scilicet 20 signis cum 4/7 unius, et 7 signis latitudinis correspondent 16 signa spissitudinis et 5/7 unius. Accipiam igitur sequentem spissitudinem famosam maiorem proxime, que est 17, cui correspondent signa longitudinis 20 et 12/13 unius. Et 18 signis spissitudinis respondent 21 signa longitudinis et 7/13 unius, et 18 signis spissitudinis respondent 22 signa longitudinis et 2/13 unius, et 19 signis spissitudinis respondent 22 signa longitudinis et 10/13 unius, et 19 signis spissitudinis respondent 23 signa longitudinis et 5/13 unius, et 20 signis spissitudinis respondent 24 signa longitudinis, et 20 signis spissitudinis respondent 24 signa longitudinis et 8/13 unius, et 21 signis spissitudinis respondent 25 signa longitudinis et 3/13 unius, et 21 signis spissitudinis respondent 25 signa longitudinis et 11/13 unius, et 22 signis spissitudinis respondent 26 signa longitudinis et 6/13 unius, et 22 signa spissitudinis respondent 27 signa longitudinis et

1 signis ] signa Pa 10 virge ] virga Pa 15 correspondet ] correspondeat Pa 19 signis ] signa Pa 21–22 et 20 signis spissitudinis 26 longitudinis ] om. Pe 24 latitudinis ] que est add. Pa 26 ubi ] om. Pa 32 signis ] signa Pa 35–36 et 20 signis . . . 24 signa longitudinis ] om. Pe 39 signa ] signis Pa

240

III

Edition der Visiertextsammlung

1/13 unius. Et sufficiat. Scribanturque date spissitudines ex directo longitudinum sibi inventarum et in latere latitudinis date, scilicet 7.

Pa 5v

Pe 22v

XVII Deinde iterum sumatur proxime medietate maior latitudo, scilicet 7, et scribatur in eadem tertia virge superficie eh, scilicet circa latus g h, et ex directo puncti, ubi 11 signa spissitudinis et 21 longitudinis cum 4 signis latitudinis terminantur. Quo facto videndum est quantum spissitudinis respondet 21 signis longitudinis et 7 latitudinis, et sunt 18 signa spissitudinis et 3/8 unius. Accipiatur igitur famosa spissitudo proxime maior que est 19, cui correspondent signa longitudinis 21 et 1/7 unius. Et 19 signis spissitudinis respondent 21 longitudinis et 5/7 unius, et 20 signis spissitudinis respondent 22 longitudinis et 2/7 unius, et 20 signis spissitudinis respondent 22 longitudinis et 6/7 unius, et 21 signis spissitudinis respondent | 23 signa longitudinis et 3/7 unius, et 21 signis spissitudinis respondent 24 signa longitudinis, et 22 signis spissitudinis respondent 24 longitudinis et 4/7 unius, et 22 signis spissitudinis respondent 25 signa longitudinis et 1/7 unius, et 23 signis spissitudinis respondent 25 signa longitudinis et 5/7 unius, et 23 signis spissitudinis respondent 26 longitudinis et 2/7 unius, et 24 signis spissitudinis respondent 26 signa longitudinis et 6/7 unius, et 24 signis spissitudinis respondent 27 longitudinis et 3/7 unius, et 25 signis spissitudinis respondent 28 signa longitudinis. Et satis est. Scribantur igitur spissitudines date ex directo longitudinum sibi inventarum, et in latere latitudinis sue, scilicet 7. XVIII Deinde iterum accipiam proxime medietate maiorem latitudinem, que est 8, et inscribam eam in quarta virge superficie g l circa latus g h ex directo puncti, ubi | 14 signa spissitudinis, et 24 longitudinis cum 5 latitudinis terminantur. Quo facto ut ante videbo, quantum spissitudinis correspondeat 24 signis longitudinis et 8 latitudinis, et ut ex notabili octave patet, sunt 22 signa spissitudinis et 1/2 unius. Quo facto accipiam famosam spissitudinem proxime maiorem, que est 23, cui correspondent 24 signa longitudinis et 8/15 unius. Et 24 signis spissitudinis respondent 25 signa longitudinis et 1/15 unius, et 24 spissitudinis respondent 25 longitudinis et 9/15 unius, et 25 signis spissitudinis respondent 26 longitudinis et 2/15 unius, et 25 spissitudinis respondent 26 longitudinis et 10/15 unius, et 26 spissitudinis respondent 27 longitudinis et 3/15 unius, et 26 signis spissitudinis respondent 27 signa longitudinis et 11/15 unius, et 27 signa spissitudinis respondent 28 signa longitudinis et 4/15 unius, et 27 signis spissitudinis respondent 28 longitudinis et 12/15 unius, et 28 signis spissitudinis respondent 29 longitudinis et 5/15 unius, et 28 signis spissitudinis respondent 29 signa longitudinis et 13/15 unius, et 29 signis spissitudinis respondent 30 signa longitudinis et 6/15 unius, et

2 date, scilicet ] om. Pa 6 respondet ] correspondeat Pa 10 signis ] signa Pa 16 signis ] om. Pa 17 signis ] om. Pa 17 signa ] om. Pa 17 signis ] om. Pa 18 respondent ] om. Pa 18 signis ] signa Pa 19 respondent ] correspondent Pa 24 correspondeat ] correspondent Pa 29 signis ] om. Pe 30 et 25 ] signa add. Pa 30 respondent 26 ] signa add. Pa 31 signis ] signa Pa 32 signa ] om. Pa 33 signa ] om. Pa 33 signis ] om. Pa 34 signis ] om. Pa 35 signis ] om. Pa 35 signa ] om. Pa 36 signis ] om. Pa

5

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15

20

25

30

35

III

5

10

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30

35

Edition der Visiertextsammlung

241

29 signis spissitudinis respondent 30 signa longitudinis et 14/15 unius, et 30 signis spissitudinis respondent 31 signa longitudinis et 7/15 unius, et 30 signis spissitudinis respondent 32 signa longitudinis. Et est finis virge, et sufficit. Et inscribantur date spissitudines ex directo longitudinum sibi inventarum, et in latere date latitudinis sue, scilicet 8. XVIIII Deinde iterum accipiam latitudinem proxime medietate maiorem, que est 8, et inscribam eam similiter in quarta virge superficie g l , scilicet circa latus kl , idest circa latus ab, quoniam idem sunt, et ex directo puncti, ubi 15 signa spissitudinis et 24 longitudinis cum 5 signis latitudinis terminantur. Quo facto videbo, quantum spissitudinis 24 signis longitudinis cum 8 latitudinis correspondet, et sunt 24 signa spissitudinis. Accipiam igitur famosam spissitudinem proxime maiorem, scilicet 25, cui respondent similiter 25 longitudinis. Et 25 spissitudinis respondent 25 longitudinis, et 26 spissitudinis respondent 26 longitudinis, et 26 spissitudinis respondent 26 longitudinis, et 27 spissitudinis respondent 27 longitudinis, et 27 spissitudinis respondent 27 longitudinis, et 28 spissitudinis respondent 28 longitudinis, et 29 spissitudinis respondent 29 longitudinis, et 29 spissitudinis respondent 29 longitudinis, et 30 spissitudinis respondent 30 longitudinis, et 30 spissitudinis respondent 30 longitudini, et 31 spissitudinis respondent 31 longitudinis, et 31 spissitudinis respondent 31 longitudinis, et 32 spissitudinis respondent 32 longitudinis, et 32 spissitudinis respondent 32 longitudinis. Et sufficit. Scribanturque igitur date spissitu|dines in directo sibi inventarum longitudinum Pe 23r in latere latitudinis 8. XX Deinde iterum accipiam latitudinem proxime medietate maiorem, que est 9, et inscribam eam in secunda virge superficie, scilicet c f , iuxta latus cd ex directo puncti, ubi 18 signa spissitudinis, et 26 longitudinis et 2/11 unius cum 6 signis latitudinis terminantur. Quo facto videbo, quantum spissitudinis correspondet 26 signis longitudinis et 2/11 unius et 9 signis latitudinis, et sunt 27 signa spissitudinis et 9/11 unius. Accipiam igitur illi proxime maiorem famosam spissitudinem, que est 28 signa, et videbo, quantum illi longitudinis cum 9 signis | latitudinis correspondet: et manifestum, quia sunt 26 signa longitudinis cum Pa 6r 6/17 unius. Et 29 signis spissitudinis correspondent 26 signa longitudinis et 14/17 unius, et 29 signis spissitudinis respondent 27 signa longitudinis et 5/17 unius, et 30 signis spissitudinis respondent 27 signa longitudinis et 13/17 unius, et 30 signis spissitudinis respondent 28 signa longitudinis et 4/17 unius, et 31 signis spissitudinis respondent 28 signa longitudinis et 12/17 unius, et 31 signis spissitudinis

1 signis ] om. Pa 1 signa ] om. Pa 2 signis ] om. Pa 2 signa ] om. Pa 2 signis ] om. Pa 3 respondent ] correspondent Pa 10 correspondet ] correspondent Pa 12 Et 25 ] signis add. Pa 14 respondent ] om. Pa 15 respondent ] om. Pa 15 respondent ] om. Pa 16 respondent ] om. Pa 17 respondent ] om. Pa 18 respondent ] om. Pa 19 respondent ] om. Pa 19–20 respondent ] om. Pa 26–27 correspondet ] correspondent Pa 27 signis ] signa Pa 27–28 et sunt 27 . . . 9/11 unius ] om. Pe 30 correspondet ] correspondent Pa 31 14/17 ] 14/7 [!] Pa 33 signis ] om. Pa 34 signa ] om. Pa 34 signis ] om. Pa 35 signa ] om. Pa 35 signis ] om. Pa

242

III

Edition der Visiertextsammlung

respondent 29 signa longitudinis et 3/17 unius, et 32 signis spissitudinis respondent 29 signa longitudinis et 11/17 unius, et 32 signis spissitudinis respondent 30 signa longitudinis et 2/17 unius, et 33 signis spissitudinis respondent 30 signa longitudinis et 10/17 unius, et 33 signis spissitudinis respondent 31 longitudinis et 1/17 unius, et 34 spissitudinis respondent 31 longitudinis et 9/17 unius, et 34 spissitudinis respondent 32 longitudinis. Et sic finitur virga pro hac latitudine. Scribantur autem date spissitudines ex directo sibi inventarum longitudinum et in latere sue latitudinis, scilicet 9.

Pe 23v

XXI Deinde iterum ut prius accipiam latitudinem proxime medietate maiorem, scilicet 9. Quam inscribam similiter in secunda virge superficie, scilicet c f , sed circa latus e f . Scribamque eam ex directo puncti, ubi 20 signa spissitudinis et 26 longitudinis et 2/3 unius cum 6 signis latitudinis terminantur. Qua scripta videbo, quantum spissitudinis 26 signis longitudinis et 2/3 unius cum 9 signis latitudinis correspondet, et sunt 30 signa spissitudinis. Tunc accipiam famosam spissitudinem proxime maiorem, que est 31, et videbo, quantum illi longitudinis correspondet, et sunt 27 signa longitudinis et 1/9 unius. Et 31 signis spissitudinis respondent 27 signa longitudinis et 5/9 unius, et 32 signis spissitudinis respondent 28 signa longitudinis, et 32 signis spissitudinis respondent 28 signa longitudinis et 4/9 unius, et 33 signis spissitudinis respondent 28 signa longitudinis et 8/9 unius, et 33 spissitudinis respondent 29 longitudinis et 3/9 unius, et 34 spissitudinis respondent 29 longitudinis et 7/9 unius, et 34 spissitudinis respondent 30 longitudinis et 2/9 unius, et 35 spissitudinis respondent 30 longitudinis et 6/9 unius.| Et 35 spissitudinis respondent 31 longitudinis et 1/9 unius, et 36 spissitudinis respondent 31 longitudinis et 5/9 unius, et 36 spissitudinis respondent 32 signa longitudinis in fine virge. Et sufficit. Inscribantur itaque date spissitudines ex directo longitudinum sibi inventarum et in latere date sue latitudinis, scilicet 9. XXII Deinde iterum assumam latitudinem proxime medietate maiorem, scilicet 10. Quam inscribam in tertia virge superficie eh circa latus e f . Scribamque eam ex directo puncti virge, ubi 22 signa spissitudinis et 27 longitudinis et 1/13 unius cum 7 signis latitudinis terminantur. Qua scripta videbo, quantum spissitudinis correspondeat 27 signis longitudinis cum 1/13 unius et 10[!] signis latitudinis, et sunt 32 signa spissitudinis et 2/13 unius. Et accipiam ei proxime maiorem spissitudinem famosam que est 33. Deinde videbo, quantum longitudinis illi iam date seu accepte spissitudini correspondeat, et sunt 37[!] signa longitudinis et 7/19 unius. Et 33 signis spissitudinis respondent 27 signa longitudinis et 15/19 unius, et 34 spissitudinis respondent 28 longitudinis et 4/19 unius, et 34 spissitudinis respondent 28 longitudinis et 12/19 unius, et 35 spissitudinis respondent 29 longi-

1 signa ] om. Pa 3 signis ] om. Pa 16 correspondet ] 18 signa ] om. Pa 24 signa ] om. Pa

1 signis ] om. Pa 2 signa ] om. Pa 2 signis ] om. Pa 3 signa ] om. Pa 3 signa ] om. Pa 4 signis ] om. Pa 7 Scribantur autem ] Et scribentur Pa correspondent Pa 16 signis ] om. Pa 17 signa ] om. Pa 17 signis ] om. Pa 18 signis ] om. Pa 18 signa ] om. Pa 19 signis ] om. Pa 19 signa ] om. Pa 32 ei ] sibi Pa 36 et 34 ] signis add. Pa

5

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20

25

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35

III

5

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Edition der Visiertextsammlung

243

tudinis et 1/9 unius, et 35 spissitudinis respondent 29 longitudinis et 9/19 unius, et 36 spissitudinis respondent 29 longitudinis et 17/19 unius, et 36 spissitudinis respondent 30 longitudinis et 6/19, et 37 spissitudinis respondent 30 longitudinis et 14/19, et 37 spissitudinis respondent 31 longitudinis et 3/19 unius, et 38 spissitudinis respondent 31 longitudinis et 11/19 unius, et 38 spissitudinis respondent 32 signa longitudinis, scilicet in fine virge. Et sufficiat. Scribanturque iterum date spissitudines ex directo longitudinum sibi inventarum et in ordine sue latitudinis, scilicet 10. XXIII Deinde iterum accipiam latitudinem proxime medietate maiorem, scilicet 10. Quam inscribam in eadem tertia virge superficie eh, scilicet iuxta latus g h. Scribamque eam ex directo puncti virge, ubi 25 spissitudinis | et 28 longitudinis Pa 6v cum 7 signis latitudinis terminantur. Qua scripta videbo, quantum spissitudinis respondeat 28 signis longitudinis et 10 latitudinis, et sunt 35 signa spissitudinis. Cuius spissitudinis accipiam proxime maiorem spissitudinem famosam, que est 36, et tunc videbo, quantum illi longitudinis respondeat, et sunt 28 signa longitudinis et 2/5 unius. Et 36 signis spissitudinis respondent 28 longitudinis et 4/5, et 37 signis spissitudinis respondent 29 longitudinis et 1/5 unius, et 37 spissitudinis respondent 29 longitudinis et 3/5 unius, et 38 spissitudinis respondent 30 longitudinis, et 38 spissitudinis respondent 30 longi|tudinis et 2/5 unius, et 39 Pe 24r spissitudinis respondent 30 longitudinis et 4/5 unius, et 39 spissitudinis respondent 31 longitudinis et 1/5 unius, et 40 spissitudinis respondent 31 longitudinis et 3/5 unius, et 40 spissitudinis respondent 32 longitudinis in fine, scilicet virge. Et sufficiat. Scribanturque date spissitudines omnes ex directo longitudinum sibi inventarum et in latere date latitudinis, scilicet 10. Notandum autem quod hic virge inscriptionis modus ponitur pro exemplo. Secundum ipsum igitur poterit quis date latitudini cuicumque maiorem addere longitudinem vel minorem, vel e converso, aut cum eadem latitudine continuare ulterius longitudinem vel e converso virgam breviorem aut longiorem facere ad libitum voluntatis cuiuscunque. Utilius tamen ac commodius erit, si fuerit scripta secundum vasorum tunc currentium proportionem disposita atque ordinata. Omnia autem hec signa spissitudinis sic inventa dividentur in quatuor partes aut alias quot placet equales. Et erunt he partes quarte medietatis signi spissitudinis. Totius autem signi erunt octave. Item omnes he partes signorum spissitudinis que continentur sub eadem latitudine sunt equales. Sic igitur virga scripta secundum hunc modum est completa.

3 et 6/19 ] unius add. Pa 4 et 14/19 ] unius add. Pa 13 respondeat ] respondent Pa 14 spissitudinem ] om. Pa 15 respondeat ] correspondeat Pa 16 signis ] om. Pa 16 et 4/5 ] unius add. Pa 17 signis ] om. Pa 27–29 aut cum eadem latitudine . . . cuiuscunque ] Virgamque breviorem: aut longiorem facere ad libitum cuiuslibet voluntatis Pa 30 erit. . . scripta ] scripta si fuerit Pa 30–31 vasorum . . . ordinata ] proportionem vasorum tunc currentium ordinata Pa 34 spissitudinis ] om. Pa

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III

Edition der Visiertextsammlung

S ECUNDA PARS TRACTATUS DE VIRGA XXIIII Virgam visoriam scriptam ad vasorum columnarium capacitatem habendam per tabulas ad hoc factas construere. Data igitur latitudine et spissitudine passibus quibuscunque, quas in virga scribere voleris, intra in tabulam que intitulatur Ad inveniendum longitudinem et cetera cum data spissitudine in primam lineam a sinistris, et cum latitudine in capite tabule et in angulo communi invenies longitudinem datam ad spissitudinem et latitudinem pertinentem. Scribe igitur latitudinem in loco suo, ut prius dictum est, et spissitudinem similiter, cum qua intrasti, scribe ut prius ex directo longitudinis in tabula iam invente. Et quia latitudo et spissitudo augentur seu scribuntur per medium signum tantum earum in tabulis. Si tu igitur in subtiliori fractione earum hec aliquando habere volueris intra cum duplici introitu per modum illum, quo utuntur communiter tabuliste. In secunda etiam tabula si opus fuerit, erit similiter faciendum. Notandum autem quod hec omnia que dicta sunt clare patent in linea nm et in virga al . Que ut clarius pateant, in fine huius pro exemplo depingentur.

Pa 7r; Pe 24v

XXV Vasa columnaria irregularia ad rectam columnarem figuram reducere. Quia vasa quibus communiter utimur sunt irregularia, idest, quod secundum extremitates eorum sunt subtiliora, in medio vero crassiora. Cum igitur aliquod illorum mensurandum occurrerit, sic ipsum equabis, seu ad perfectam columnarem figuram reduces. Vide cum virga diametrum | utriusque fundi | vasis secundum duas, si placet, fundorum differentias, scilicet a sursum ad deorsum et a sinistro ad dextrum. Et semper duarum sibi correlativarum diametrorum considera unius ad alteram excessum, et cuiuslibet excessus accipe medietatem. Et super diametrum minorem correlativam sui generis adde. Et erit diameter vasis secundum funda ipsius equata. Deinde vide etiam per vasis orificium diametrum eius in medio, et vide iterum excessum huius diametri ad diametrorum fundorum vasis equatam. Et similiter medietatem huius excessus adde super diametrum fundorum vasis equatam, eritque totaliter vas equatum, ac si esset undique columnare. Hoc itaque sic est, si vas ab utroque fundorum versus eius orificium fuerit rectilineare. Sed hoc ita communiter non est. Immo est ut frequenter arcuale, et ideo, non tamen in multo, secundum hoc diversificatur, et propter hanc diversitatem non de facili huius dantur regule, sed magistri artis ingenio relinquetur. XXVI Capacitatem vasorum columnarium per virgam visoriam planam inquirere. Primum virga vasi secundum longitudinem eius annexa videatur eiusdem vasis longitudo. Dico solum vasis partis illus que liquorem continet, et non funda eius in longitudinem ipsius computentur. Et si virga vase brevior fuerit, ipsa tantum quantum opus erit secundum vasis longitudinem replicetur, et quot signa longitudinis infra illam vasis longitudinem includantur, notandum est. Deinde virga commensuretur diametro vasis equate per premissam et videatur, quot

4 passibus ] del.Pe 4 quas ] quos Pa 7 ad spissitudinem et latitudinem ] spissitudini et latitudini Pa 9 invente ] inventa Pa 11 aliquando ] aliquam Pa 18 crassiora ] grossiora Pa 26 diametrorum ] diametrum Pa 32 dantur regule ] datur regula Pa 37 erit ] fuerit Pa

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Edition der Visiertextsammlung

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signa latitudinis diametro fundi equata includantur a prima latitudine numerare incohando. Deinde ducantur signa longitudinis in numerum signorum latitudinis, et productum dividatur per 8, ut docet notabile octave. Et productum est numerus tinarum in vase sic mensurato contentarum. 5

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25

XXVII Capacitatem vasorum columnarium per virgam visoriam scriptam indagare. Intra in virgam scriptam cum vasis longitudine et latitudine habitis modo quo in premissa, et in angulo seu puncto communi invenies vasis spissitudinem, idest capacitatem que queritur. Notandum autem quod in virga visoria scripta latitudines plures non sunt inscripte nisi usque ad 10 inclusive propter virge compendium, aut quia vasa communiter currentia predictam latitudinem vix excedunt. Si tamen latiora mensuranda occurrerint, fiat de iis, ut dictum est in premissa. XXVIII Capacitatem vasorum columnarium per tabulas ad hoc factas invenire. Intra tabulam que intitulatur: Tabula ad inveniendum capacitatem et cetera, cum longitudine in primam lineam a sinistris, et cum latitudine in lineam que est in capite tabule, et quicquid in angulo communi inveneris, est ipsa capacitas quesita. Hic notandum quod dum cum latitudine | in virga plana seu scripta aut in tabu- Pe 25r lis inventa intrando in virgam scriptam vel tabulam ipsam, scilicet latitudinem precise invenire non poteris, intrabis cum minori latitudine et maiori, et duarum spissitudinum vel huius accipies differentiam. De qua differentia accipies partem proportionalem secundum proportionem partis latitudinis, cum qua non intrasti ad medietatem signi latitudinis, per quam augetur latitudo in tabula vel in virga. Quam partem proportionalem addes spissitudini minori in tabula invente vel in virga et habebis ipsam pro loco | illo virge vel tabule equatam. Propter id autem Pa 7v bonum est, ut latitudines in virga differentiis inscribantur pluribus, scilicet per medietates et quartas, ut precisius invenias.

P RACTICA INTRANDI IN TABULAS .

30

Virge sit longitudo 24 et profunditas 6 et 3/4 unius medietatis. Intrabo igitur primum cum minori profunditate in virgam scriptam, scilicet cum 6, et post ipsam et in directo longitudinis, scilicet 24, invenio in virga 17. Quam scribo extra. Deinde intro in virgam cum profunditate proxime maiori in virga scripta, scilicet cum 6 et post 6, et in directo longitudinis invenio 18. Et subtraham primum a secundo, 1 includantur ] includat Pa 6 habitis ] habita Pa 6 modo ] om. Pa 15–16 est in capite tabule ] Pa om. et add. in marg. 16 et quicquid in angulo communi inveneris ] Pa om. et add. in marg. 26 ut precisius invenias ] om. Pa 28 Virge ] Virga Pa 29 in virgam scriptam ] in virga scripta Pa 31 proxime ] proxime proxime Pe 20–21 De qua differentia . . . secundum proportionem ] JdL Canones 1: De qua differentia accipe partem proportionalem secundum proportionem minutorum in arcu proposito contentorum infra 30 ad 30 [. . . ] [Curtze 1900, 392]. 23 Quam partem proportionalem addes ] JdL Canones 1: quam partem proportionalem addas equacioni sinus prius accepte [. . . ] [Curtze 1900, 392].

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Pe 25v

Pa 8r

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Edition der Visiertextsammlung

scilicet 17 a 18, et manet differentia 2. De hac differentia accipiam partem proportionalem secundum proportionem eorum, cum quibus primum non intravi in virgam ad medietatem tine, per quam augetur profunditas in virga. Hoc est dicere, secundum proportionem 3/4 unius medietatis, que sunt 24 mensure ad medietatem unius profunditatis, que sunt 32. Et hoc sic 32 sit numerus primus, secundus 24, tertius differentia, scilicet 96 mensure. Multiplica igitur secundum per tertium et divide per primum, et proveniunt 72 mensure. Que adde ad 18, quod cum primo introitu accepisti, scilicet ad 17, et proveniunt 17 tine et 4 mensure. Que sunt capacitas equata. Notandum autem quod per primam tabulam, que intitulatur: Ad inscribendum virgam etc., potest haberi usus tabule secunde, scilicet que intitulatur: Ad inveniendam capacitatem etc., intrando in eam cum longitudine et latitudine, et querendo per eas capacitatem seu spissitudinem secundum modum quem habet magister Johannes de lineriis in querendo arcum per sinum. Et similiter per tabulam secundam que intitulatur: Ad inveniendum capacitatem etc. potest etiam haberi usus prime, scilicet inscribendi tabulam, sed tunc oportet intrare in tabulam cum spissitudine et latitudine querendo longitudinem iterum per modum eundem magistro Johannis de lineriis, quo ipse querit arcum per sinum et talia plura. Qui modus apud tabulistas communis est. Tamen propter faciliorem modum agendi placuit ambas ponere tabulas. Et iste ambe tabule pos|sunt faciliter corrigi: Immo de novo formari per notabile positum in octava. Notandum etiam quod licet de vasis columnaribus hic tantum fiat mentio, tamen de vasis quadratis, ut fiunt vasa magna quadrata immobilia, et de quibusdam aliis per regulas et tabulas positas speculator veritatem inveniet. XXVIIII Portionis vasis date capacitatem invenire. Esto vas, cuius absoluta seu medii eius diameter sit ab, verbi gratia 16 partium, et eius pars discooperta ac, verbi gratia 4 partium. Equata autem diameter sit d e, verbi gratia 14 partium, cuius circumferentia f d g e 44 partes, et centrum h. Erit igitur d c pars, scilicet diametri equate discooperta, 3 partes, et ch residuum semidiametri equate 4 partes. Et ducantur linee f cg perpendiculariter super d h et h f et hg . Stantibus his ita, ut propositum melius aggrediar, restat ponere modum querendi | portionem circuli, gratia cuius subiungam figuram cum suo theoremate. Dati circuli portionem sub certa diametri parte cordaque eius contentam invenire. Sit portio circuli querenda g e f c. Quia igitur ch est 4 partium, cuius quadratum est 16, et h f semidiameter circuli est 7, cuius quadratum est 49. Ablato igitur quadrato ch de quadrato h f per penultimam primi euclidis remanet quadratum f c 33 partes. Cuius radix est linea f c 5 partes et 3/4 unius feré. Quare tota linea f g erit partes 11 1/2 secundum quantitatem qua diameter d e est 14 partes. Ergo 1 2 ] vel 1 1/2 add. Pa 18 Johannis ] Joannis Pa

13 secundum modum ] modi Pa 14 Johannes ] Joannes Pa 32 figuram cum suo theoremate ] hoc theorema Pa

14 Johannes . . . per sinum ] Vgl. JdL Sinustafel. [F. S. Pedersen 2002, 954–959]. 18 Johannis . . . per sinum ] Vgl. JdL Sinustafel. [F. S. Pedersen 2002, 954–959]. 36 per penultimam primi euclidis ] Camp. Elem. I, 46. [Campanus 2005, 92–93, Z. 861–888].

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Abbildung III.5: Zeichnung Pe 25v.

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secundum quantitatem, qua diameter d e est 120, erit f g partes 98 4/7. Quod est fere 340 minuta. Patet sic: d e, prout est 14, sit primus numerus; f g 11 1/2 secundus; d e vero, prout est 120, tertius. Duc secundum in tertium et divide per primum, quia provenient 98 4/7, et sic patet. Ergo arcus f d g per tabulas cordarum erit 110 partes et 27 minuta feré, prout tota circumferentia f d g e est 360 partes. Sed quia talis proportio est circumferentie ad arcum, que est aree circuli ad aream sectoris eiusdem arcus, ut vult ptolomeus in almagesti dictione sexta capitulo 7 dicens: Et quia proportio orbium ad arcus erit equalis proportioni superficierum eorum ad superficiem sectoris, erit superficies sectoris, scilicet superficies h f d g , partes 47 1/4. Patet sic. Sit circumferentia circuli, scilicet 360, primus numerus et arcus f d g , scilicet 110 et 270 mi|nuta secundus, et area circuli, scilicet 154, tertius. Pe 26r Duc igitur secundum in tertium et cetera. Area autem circuli invenitur ex ductu medietatis diametri, scilicet 7, in medietatem circumferentie, scilicet 22. Et quia ch, ut patuit, est 4 partes. Et c f est 5 partes et 3/4 unius, ducto igitur ch in c f provenit superficies trianguli h f g partes 23, ut patet per Boetium in sua geometria practica. Subtraham igitur hanc superficiem trianguli h f g de superficie sectoris h f d g , que erat 47 partes et 1/4 unius: et remanet superficies portionis circuli f d g c partes 24 et 1/4 unius. Hanc igitur portionis circuli superficiem f d g c, que est partes 24 et 1/4 unius, subtraham de superficie totius circuli f d g e, que est 154 partes: et remanet superficies 4 quia provenient 98 4/7 ] om. Pa 4 sic ] om. Pa 7 ptolomeus ] ptolemeus Pa 9 superficiem ] superficies Pa 11 et ] om. Pa 11 scilicet ] om. Pa 18 unius ] om. Pa 18 unius ] om. Pa 19 portionis ] portionem Pa 8–9 Et quia proportio . . . ad superficiem sectoris ] Gerh. Crem. Almagest VI.7: Et quia proportio orbium ad arcus erit equalis proportioni superficierum earum ad superficies sectoris. [Almagestum Ptolemaei 1515, fol. 68, 44–45]. 16 per Boetium in sua geometria practica ] Vgl. Boeth. Geom. II. [Folkerts 1970]. Siehe Kapitel 5.2.

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portionis circuli maioris g e f c, que est partes 129 et 3/4 unius. Quod erat secundo propositum. Virge visor igitur seu geometra accipe totius circuli f d g e superficiem, que est 154, pro primo numero, et superficiem portionis circuli g e f c, que est 129 et 3/4 unius, pro secundo, et totius fundi equati seu circuli f d g e capacitatem secundum virgam seu artem tuam inventam, verbi gratia 40 metretas, pro numero tertio. Et duc secundum in tertium et divide per primum, et provenit capacitas fundi equati, scilicet g e f , partes 33 et 2/3 et 1/30, quod est 42 minuta phisica. Per que multiplica longitudinem vasis dati et producitur capacitas portionis vasis que queritur. Quod erat propositum principale.| Pa 27r Pa 27v

Pe 26v

XXX Brevitati latitudinum virgarum circularis scilicet et quadrate remediari. Quia virge predicte et in sequentium in sequentium longitudines possunt | quotiens placuerit replicari, ideo in quantuncunque longo vase sufficiunt: latitudines vero non sic, immo nec semel replicari possunt. Ideo necessarium fuit earum brevitati, dum forte acciderit, dare remedium. Notandum ergo quod si portionem virge sub quacunque latitudine repertam secundum quantitatem continuam duplicaveris, in fine dupli eiusdem latitudinem quadruplam ad latitudinem priorem, sub qua portionem virge acceperas, secundum quantitatem discretam invenies. Dum igitur ad vas metiendum accesseris et virga secundum latitudinem non suffecerit, tunc eiusdem vasis fundi equati medietatem in latere latitudinum virge signabis, et circa hoc signum latitudinem inventam quadruplabis. Et quod provenerit, est latitudo vasis predicti eadem, ac si per eandem virgam, si ipsa sufficiens esset, fuisset accepta. Quoniam latitudinem si in longitudinem eiusdem vasis duxeris, productum erit vasis capacitas, et eodem modo et per eandem rationem poteris quantuncunque vas profundum cum satis brevi virga metiri. Et forte alleviabitur, si sceptrum acceperis in profunditate vasis prolixum et in eo continue latitudines a virga sumendo radicem usque ad extremum profunditatis signaveris. Verbi gratia: Si vas ita grande occurrerit, ut virga tua eius profunditatis equate medietatem comprehendere non possit, accipe tunc baculum qualencunque sufficientis tamen | longitudinis, et in eo vasis profunditatem equatam signa. Quam in 4 partes equales divide, et virgam eius radice super principium prime quarte posita secundum profunditatem vasis extende. Et numerum profunditatis virge super finem eiusdem quarte prime cadentem quadrupla. Et proveniet medietas profunditatis vasis predicti. Quam medietatem si iterum quadruplaveris, totius vasis mensurandi profunditas exurget. XXXI Datam columnam rotundam altera parte longiorem in columnam cubicam rotundam reducere. Sit columna data altera parte longior abc, cuius latus altitudinis ab verbi gratia sit ut 16, longius latere latitudinis bc quod sit verbi gratia 1 129 ] partes add. Pa 6 et divide . . . provenit ] et cetera et proveniet Pa 6 capacitas ] portionis add. Pa 7 est ] om. Pa 8 portionis ] proportionis Pa; Pe corr. ex proportionis 10 XXX ] Pa om. cap. 11 virge predicte ] in virgis predicitis Pa 11 in sequentium ] om. Pa 11 longitudines ] earum add. Pa 14 dare remedium ] remediandum Pa 18 ad ] om. Pa 22 ipsa ] ipsam Pa 22–23 Quoniam ] Quam Pa 28 occurrerit ] fuerit Pa 36 XXXI ] Pa om. cap. 37–38 cuius . . . ab ] om. Pa

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ut 2. Ducatur ergo diameter bc, scilicet 2, in se ipsam, et productum ducatur in altitudinem columne date, scilicet in 16, et producetur columna quadrata, cuius capacitas est 64. Cuius capacitatis queratur radix cubica, quanto precisius poterit, que est 4. Super radicem igitur, que est 4, erigam cubum d e f , cuius cubi basis erit quadratum e f , scilicet 16. Ergo bases harum quadratarum columnarum ipsarum altitudinibus erunt mutue seu mutechesie. Sicut enim se habet basis columne d e f , scilicet 16, ad basim columne abc, scilicet ad 4, sic econverso altitudo columne abc, scilicet 16, ad altitudinem d e f scilicet ad 4. Ergo per secundam partem 35 undecimi euclidis columne quadrate abc et d e f seu columna et cubus sunt equales. Linea igitur e f facta diametro circinabo circulum e f . Et eo basi facto erigam columnam rotundam in eadem altitudine e f seu ed . Et quia per 2 duodecimi euclidis: Sicut se habet quadratum e f ad quadratum bc, sic circulus e f ad circulum bc, ergo bases harum columnarum rotundarum erunt similiter altitudinibus earum mutue. Ergo per secundam partem 12me duodecimi euclidis ipse columne rotunde erunt similiter e|quales, ergo etc. Et confirmatur querendo Pa 28r capacitatem utriusque earum singillatim. Idem enim provenit utrobique. Quadra diametrum columne et quadratum duc in altitudinem columne eiusdem. Et producti extrahe radicem cubicam, quia ipsa est diameter circuli. Qui circulus est basis columne cubice, quam quesivimus supra. Similiter fieri potest de diametro ut 4 et altitudine ut 32 quadrando diametrum et cetera.|

Abbildung III.6: Zeichnungen Pe 26v.

7–8 sic econverso . . . ad 4 ] om. Pa 11 altitudine ] altitudinem Pa 19 quam quesivimus supra ] quesite Pa 20 fieri potest ] est Pa 20–21 quadrando diametrum et cetera. ] et cetera duplicando Pa; 30mam et 31mam canones vide retro post canones quarte virge visorie et ideo ibi scripti sunt, quia defer. . . (deferunt?) ad plures virgas. add. Pa in marg. 8–9 per secundam partem 35 undecimi euclidis ] Camp. Elem. XI, 35. [Campanus 2005, 420, Z. 906–922]. 11–12 per 2 duodecimi euclidis ] Camp. Elem. XII, 2. [Campanus 2005, 431–432, Z. 30–81]. 14 per secundam partem 12me duodecimi euclidis ] Camp. Elem. XII, 12. [Campanus 2005, 452–453, Z. 762–792]

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Abbildung III.7: Zeichnungen Pe 27r.

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Abbildung III.8: Tabula ad inveniendum longitudinem (1). Perugia, Abbazia di San Pietro, Archivio storico, CM 18, fol. 27v.

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Abbildung III.9: Tabula ad inveniendum longitudinem (2). Perugia, Abbazia di San Pietro, Archivio storico, CM 18, fol. 28r.

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Abbildung III.10: Tabula ad inveniendum longitudinem (3). Perugia, Abbazia di San Pietro, Archivio storico, CM 18, fol. 28v.

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Abbildung III.11: Tabula ad inveniendum longitudinem (4). Perugia, Abbazia di San Pietro, Archivio storico, CM 18, fol. 29r.

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Abbildung III.12: Tabula ad inveniendum longitudinem (5). Perugia, Abbazia di San Pietro, Archivio storico, CM 18, fol. 29v.

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Abbildung III.13: Tabula ad inveniendum longitudinem (6). Perugia, Abbazia di San Pietro, Archivio storico, CM 18, fol. 30r.

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Abbildung III.14: Tabula ad inveniendum longitudinem (7). Perugia, Abbazia di San Pietro, Archivio storico, CM 18, fol. 30v.

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Abbildung III.15: Tabula ad inveniendum longitudinem (8). Perugia, Abbazia di San Pietro, Archivio storico, CM 18, fol. 31r.

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Abbildung III.16: Tabula ad inveniendum longitudinem (9). Paris, Bibliothèque nationale de France, Département des manuscrits, Latin 10259, fol. 11r.

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Abbildung III.17: Tabula ad inveniendum capacitatem (1). Paris, Bibliothèque nationale de France, Département des manuscrits, Latin 10259, fol. 11v.

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Abbildung III.18: Tabula ad inveniendum capacitatem (2). Perugia, Abbazia di San Pietro, Archivio storico, CM 18, fol. 31v.

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Abbildung III.19: Tabula ad inveniendum capacitatem (3). Perugia, Abbazia di San Pietro, Archivio storico, CM 18, fol. 33r.

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Abbildung III.20: Hec tabula docet formare virgam visoriam. Perugia, Abbazia di San Pietro, Archivio storico, CM 18, fol. 33v.

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Pe 34r, Pa 13v

Pe 34v

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A D INTELLIGENDUM PROPOSITIONES ET EARUM CANONES NOTANDA SUNT INFRA SCRIPTA NOTABILIA

Ad constituendam virgam visoriam columnarem. Accipe primo virgam seu lignum planum competentis longitudinis, ut longitudinis 16 palmorum hominis aut alias secundum quod vasorum communiter currentium exigunt quantitates. Et si nimis longa foret sic, quod propter eius longitudinem dispendiosum esset eandem deferre vel ad opus applicare, tunc in medio vel in alio loco convenienti dividatur ita, ut dum necesse fuerit valeat replicari, idest vice versa componi et ad locum operis compendiosius deportari. Quo facto attende, ubi dicitur iuxta finem primi canonis, cuius latus sit ab, secundum cd et cetera. Nota quod per latera non intelligitur superficies virge, sed lineas sive acies virge, quibus superficies virge concluduntur, et sicut ponuntur quatuor virge superficies, ita quatuor latera. Sed cum he quatuor superficies in plano debent designari, tunc oportet quinque lineis easdem superficies in plano concludi. Quia constat quod quatuor superficies in plano quatuor lineis non possunt designari, quamobrem dicitur in compositione quintum latus, quod est idem cum ab, quod est primum latus. Isto facto dividatur latus virge ab in 16 partes incipiendo easdem partes seu divisiones a puncto b et procedendo usque ad punctum a, et he sextedecime fiant secundum mensure famose longitudinem vel altitudinem. Quod idem est. Idest capiatur mensure date altitudo. Hac accepta per circinum fac secundum eiusdem mensure altitudinem in latere ab 16 divisiones. Sed ad faciendum has 16 divisiones primo dividatur latus ab, idest in propinquo iuxta latus ab fiant due divisiones, vel dividatur latus ab primo in duas medietates. Quibus factis postea dividatur quelibet illarum medietatum in duas partes vel iterum in medietates. Habebit ergo latus ab iam quatuor divisiones. His factis quelibet illarum quartarum dividatur in duas medietates, et quelibet medietas iterum in duas: sicque quelibet quartarum habebit quatuor divisiones. Erunt ergo in toto latere ab 16 divisiones, et quelibet harum 16 divisionum erit tanta, quanta est mensure longitudo vel altitudo. Et his factis habebis longitudines mensure famose date in virga tua etc. Et ut scias distinguere inter quartas et sextasdecimas, tunc fac in loco cuiuslibet quarte tria puncta vel aliud signum, per quod cognoscere possis quartas. Et in locis sexdecimarum etiam fac specialia signa. Hoc facto quamlibet sextamdecimam divide in octo partes, habebitque tota virga 128 partes. Et propter vasa, que longoria sunt quam vasa predicta, oportet ut longitudines predicte in virga replicentur. Ab a igitur versus b procedendo signentur longitudines replicate cum numeris propriis circa priora puncta | retrograde versus priores, ita ut, ubi prius erat principium signi directi ultime longitudinis, scilicet 16mi , fiat finis primi signi replicate seu retrograde longitudinis, scilicet 17mi . Et principium 15mi directi fiat finis 18mi , et ita usque ad 32 fiat talis progressus.

3 visoriam ] seu add. Pa 3 Accipe ] Recipe Pa 3 virgam ] planam add. Pa 5 quantitates ] Pe corr. ex quantitatem 6 eius ] ipsius 9 Quo . . . dicitur ] Tunc dicitur Pa 10 quod ] om. Pa 11 intelligitur ] intelligit Pa 11 sed ] per latera intelligit add. Pa 15 quamobrem ] Et ergo add. Pa 20 Idest ] om. Pa 37–38 16mi . . . scilicet ] om. Pa 39 fiat talis progressus ] om. Pa

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Nota facilem usum virge circularis. Vide quot sunt in latitudine equata, et tot scaphos da quibuslibet 8 longitudinibus. Cuilibet vero longitudini ultra 8 si sint ibi, dabis 8lia et cuilibet 8ue longitudinis si ibi sint dabis | tot mensuras. Quo facto Pa 14r habetur capacitas. Verbi gratia. Sint 7 latitudines equate et 1/8 seu 2/16 unius, quod idem est, et longitudines 20 et 2/8. Pro 16 igitur longitudinibus, scilicet totius virge saltem punctis, duplabo latitudinem et erunt 13 scaphi et 16 mensure. Deinde habeo adhuc quatuor longitudines ultra 8, seu que non possunt complere 8. Cuilibet ergo earum dabo tot 8lia , quot sunt latitudines. Unde pertinebunt uni longitudini 7 8lia et 1/8 unius 8lis , idest una mensura. Quod quadruplabo, quia 4 sunt longitudines in residuo, et erunt 26 8lia et 4 mensure. Deinde habeo adhuc 2/8 unius longitudinis, quarum uni pertinet 7 mensura et 1/8 unius. Quod duplabo, et erunt 13 mensure et 1/4 unius. Que omnia si simul iungantur, proveniunt 16 scaphi et 49 mensure et 1/4 unius seu 17 scaphi etc. Et sic potest fieri de qualibet virge portione, ea quasi pro tota virga assumpta. Et secundum hunc modum in hac virga circulari unum tantum eius latus ad opus sufficeret, in quo scilicet notarentur longitudines et latitudines tantum. Latitudinem mensure famose date in virga proposita geometrice designare. Nota quod per latitudinem intelligit quantitatem mensure fundi dati vel quantitatem rotunditatis. Et si easdem, videlicet quantitatem fundi vel rotunditatem, volueris bene designare, tunc fac lineam rectam in tabula plana, in qua tantus circulus possit designari, quantus est fundus mensure date; idest, quod tabula sit tanta, quod possit capere circulum tantum, quanta est rotunditas vel fundus mensure date. Hac tabula habita divide eandem per medium, et precise in medio fac lineam, que sit nm. De qua linea a parte n accipiam portionem ad quantitatem diametri fundi mensure columnaris date, scilicet secundum quod mensurare voluerim, idest, recipiam tantam partem de linea nm, quanta est diameter fundi mensure famose date. Que portio vel pars in linea nm sumpta sit np. Et precise tanta debet esse in longitudine, sicut est diameter mensure famose date, scilicet secundum quam mensurare voluerim. Quam latitudinem signabo in virga proposita per punctum seu numerum, scilicet 1. Et hec signatura | fiat circa latus cd , quod debet fieri ex Pe 35r opposito lateris ab, sed hanc signaturam incipe a puncto b vel ab d , quod est ex opposito b. Ita igitur habentur in virga proposita longitudo et latitudo date mensure. Et secundum has, scilicet longitudinem et latitudinem, mensura famosa data, famosam continebit quantitatem ut unam tinam, aut mediam, aut eius quartam, aut octavam, sicut usitatum fuit apud plures. Date latitudini multiplices, ut duplam, triplam, quadruplam et ceteris signis eis competentibus in virga proposita geometrice designare. Nota ut predictum est in precedenti canone de latitudine mensure famose date, quomodo hec virga possit designari. Et quia dictum est de simplici mensura solum, idest de unica mensura,

1 circularis ] Calculatio seu usus virge circularis add. Pa in marg. 3 dabis ] Pe corr. ex dabit 12–13 Que . . . unius ] om. Pa 18 dati ] date Pa 20 tabula . . . qua ] assere plano in quo Pa 21 tabula sit tanta ] asser sit tantus Pa 23 Hac tabula habita ] Hoc assere habito Pa 23 eandem ] eundem Pa 25 quod ] quam Pa 25 voluerim ] voluero Pa 29 voluerim ] voluero Pa 34 aut ] aut aut Pe 35 fuit ] fuerit Pa 37 predictum ] dictum Pa

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Pa 14v

Pe 35v

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non multiplici, hic ergo in isto canone loquitur de mensura multiplici, idest de inventione mensure multiplicis, ut quia prima per precedentem canonem inventa est simpla, quomodo ergo inveniri potest dupla ad eandem simplam, similiter tripla vel quadrupla ad eandem simplam, et sic de aliis specialius multiplicibus. Fac ergo secundum quod docet canon. Dicit enim canon: linea np posita diametro secundum quantitatem eius circinabo etc., idest np posita diametro si volueris secundum quantitatem eius invenire circulum, tunc hanc diametrum, scilicet np, divide in duas medietates precise, et tunc precise in medio pone pedem circini | immobilem in puncto medietates distinguente, et alium mobilem directe extende usque ad finem seu extremitatem diametri. Quo facto secundum eius quantitatem circinabis circulum pqnr , cuius centrum s. Erit ergo iste circulus amplitudo fundi seu ipsum fundum mensure famose date. Illius igitur duplum est querendum. Tunc dicit canon: Dividatur circulus pqnr in quatuor quartas precise equales, scilicet pq, qn, nr , r p. Quo diviso figam pedem circini in puncto q et alium extendam in punctum p. Deinde non moto circino, ponam pedem eius unum in centrum circuli, scilicet in puncto s, et alium extendam ultra p super lineam nm, et ubi tetigerit lineam nm, faciam notam, que sit u. Deinde iterum sic manente circino ponam pedem eius mobilem in puncto n et alium immobilem figam in linea nm, ubi contigerit, et ibidem facto centro ducam circulum, et ubi tetigerit seu secuerit lineam nm, ibi fiat signum numeri 2. Circulus enim modo factus est duplus ad circulum primum, scilicet pqnr . Et si volueris probare, utrum bene feceris, pone extremitatem virge super puncto n ita, ut tota virga hereat linee nm. Et si note facte in virga conveniunt et concordant cum notis factis in linea, bene est; si autem non conveniunt, male stant, etc. Tunc in canone probat quod circulus secundo factus sit duplus ad circulum primo factum, et probat hoc per constitutionem quadrati vel per quadrationem diametri. Deinde dicitur in canone pro habendo circulo triplo | ad circulum pqnr pone pedem circini in puncto q et alium extende ad notam modo factam, scilicet u. Et non variato circino pone pedem eius unum ad s et alium extende ultra p secundum lineam nm. Et ubi tetigerit lineam nm, fac notam iterum, scilicet x, et cetera. Et nota quod sicut

2 mensure ] figure Pa 4 tripla vel ] om. Pa 16 centrum ] centroPa 17 u ] nota quod u est signum pro circulo triplo add. Pa in marg. 19–20 facto centro . . . numeri 2 ] maneat pes circini immobilis, sed pes mobilis in puncto n positus, primo pede manente fixo in linea nm vertatur usque quo tetigerit lineam nm. Et ubi tetigerit lineam nm fac signum 2 Pa 21 pqnr ] Nota quando ponitur ultimo pes circini mobilis in puncto n et alius immobilis figitur in linea nm tunc pede immobili manente fixo in linea nm et alio pede mobili in puncto n posito. Iste in puncto n positus mobilis, deberet circunduci, et causare circulum. sed quia asser propter paruitatem non esset forte capax istius circuli, propter quod pede circini immobili in linea nm manente fixo, vertitur mobilis usque ad lineam nm et ibi sit signum pro circulo duplo, ad circulum pqnr et circino sic manente, pone pedem eius mobilem in extremitate virge, et alium immobilem in linea ubi contigerit. Deinde verte mobilem in extremitate virge positum: et ubi tetigerit virgam, ibi fac notam. et hec nota erit 2 sicut et linea nm prius fecisti. add. Pa 21–24 Et si . . . male stant, etc. ] Et si probare volueris utrum bene fecisti in virga, posita extremitate virge super puncto n et tota virga quasi super lineam nm ut quasi tangat eandem, vertendo notas in virga factas, versus notas in linea factas. Et si concordant, tunc bene, si non tunc male et cetera Pa

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nota u facta fuit pro inveniendo circulo triplo ad circulum pqnr , sic x erit nota ad inveniendum circulum quadruplum ad circulum pqnr Et posito pede circini uno in q et alio in x et iterum sic manente circino posito uno pede eius in s et alio extenso ultra p in linea nm fac notam y. Que nota erit pro circulo quincuplo ad circulum pqnr . Et sic semper extenso circino ab q ad notam priorem, et ipso sic manente et in s posito fit nota pro circulo sexcuplo, et sic usque ad 11, ut videre poteris in linea nm etc. Et nota quod dum circinum sic extensum habueris pro inventione circuli aliquam habentis proportionem ad circulum pqnr , ut dum circinus extensus fuerit | et unus pes mobilis in puncto n positus et alius ubi contigerit, et ipso Pa 15r pede mobili verso super lineam nm pro signo circuli dupli, tripli, quadrupli, quincupli, sexcupli etc. Tunc circino sic manente pone pedem eius unum mobilem in extremitate virge et alium in virga ubi contigerit. Deinde pedem mobilem verte versus aliam extremitatem virge immobili semper manente fixo. Et ubi pes mobilis ceciderit, ibi fac signum in virga, ut si quesivisti circulum duplum, tunc fac in virga signum 2, si triplum, tunc 3, si quadruplum, tunc 4, et sic usque ad 11. Tunc in quinta propositione docet latitudinis date signatis prius continuis multiplicibus per precedentem medietatem excessus sequentis immediate ad quamlibet priorem invenire, ut quia circulus duplus ad circulum pqnr continet bis circulum pqnr sicque circulus duplus ad circulum pqnr excedit circulum pqnr in circulo pqnr , docet ergo invenire circulum qui excedit circulum pqnr solum in medietate qui continet circulum pqnr et cum hoc medietatem circuli pqnr , hoc est circulum, qui est sesquialter ad circulum pqnr . Et primo docet invenire circulum qui est medietas circuli pqnr , et hunc appellat y3, et eius centrum est x, non x positum prius, sed facto centro et circulo y3 in centro eiusdem pone x. Nota pro habendo circulo triplo ad circulum y3 pone pedem circini in puncto 3 et alium in puncto y. Et non mutato circino pone pedem unum in centro minoris circuli, scilicet in x, et alium extende secundum lineam nm, et ubi tetigerit lineam nm, fac signum. Et illud signum erit pro circulo triplo inveniendo, et sit illud signum e. Tunc iterum non mutato circino pone pedem eius mobilem in puncto n et alium immobilem extende | secundum lineam nm. Et facto ibidem centro Pe 36r circinetur circulus occultus. Et hic erit duplus ad circulum y3, et est de necessitate circulus prior, idest primo factus, videlicet pq, duplus ad circulum y3. Tunc pro triplo pone pedem circini in puncto 3 et alterum in puncto note ultimo facte scilicet e. Deinde non mutato circino pone pedem in puncto x et alium extende secundum lineam nm, et ibidem fac notam. Et hec nota erit pro circulo quadruplo ad circulum y3, et sit hec nota f . Deinde non mutato circino iterum pone pedem

5 ab ] a Pa 18 immediate ] in medietate Pa, Pe corr. ex in medietate 21 invenire ] unum ˙ Pa ˙ Pa ˙ Pa ˙ Pa add. Pa 24 y3 ] y3 25 y3 ] y3 28 y ] y˙ Pa 34 y3 ] y3 35 y3 ] y3 36–37 pedem circini . . . non mutato ] pedem circini in puncto note ultimo facte scilicet e et ˙ Pa alium in puncto 3 et non mutato Pa 39 y3 ] y3

268

Pa 15v

Pa 15v

III

Edition der Visiertextsammlung

eius mobilem in puncto n et immobilem extende secundum lineam nm. Et ibi facto centro circinetur circulus occultus, qui erit triplus ad circulum y3. Qui de necessitate excedit circulum pq in medietate eius eritque sesquialter ad circulum pqnr , quia continebit totum circulum pqnr et cum hoc medietatem eius vel alteram partem, et erit triplus ad circulum y3. Et circino sic manente pone unum pedem eius in extremitate virge et alium ubi contigerit ipso manente fixo. Sed mobilem in extremitate virge positum verte versus aliam extremitatem. Et quocumque ceciderit pes circini mobilis, ibi fac notam vel punctum notabilem et sub eodem fac unum cum dimidio quasi duo sic 2. Deinde pro habendo circulo quincuplo ad circulum y3 pone unum pedem circini in puncto 3 et alium in puncto f . Et circino sic manente pone pedem unum in puncto x, idest in centro minoris circuli, et alium extende ultra x in linea nm. Et ubi ceciderit in linea nm, ibi fac notam, quia hec nota erit pro inveniendo circulo quincuplo ad circulum y3. Et sit ista nota g . Sed per circinum sic exten|sum a puncto 3 usque ad punctum f et circino sic manente uno pede posito in puncto x et alio in linea nm, tunc in eadem fit nota pro circulo quincuplo, ut prius est dictum. Et iterum sic manente circino pone pedem unum in puncto n et alium in linea nm. Hunc fige et positum in n move et videbis quod hic, qui in n positus fuit, veniet ad signum 2 prius signatum in linea nm, cum signate fuerint latitudines multiplices, ut dupla, tripla, quadrupla etc. eius mobilem in puncto n et immobilem extende secundum lineam nm. Et ibi facto centro circinetur circulus occultus, qui erit triplus ad circulum y3. Qui de necessitate excedit circulum pq in medietate eius eritque sesquialter ad circulum pqnr , quia continebit totum circulum pqnr et cum hoc medietatem eius vel alteram partem, et erit triplus ad circulum y3. Et circino sic manente pone unum pedem eius in extremitate virge et alium ubi contigerit ipso manente fixo. Sed mobilem in extremitate virge positum verte versus aliam extremitatem. Et quocumque ceciderit pes circini mobilis, ibi fac notam vel punctum notabilem et sub eodem fac unum cum dimidio quasi duo sic 2. Deinde pro habendo circulo quincuplo ad circulum y3 pone unum pedem circini in puncto 3 et alium in puncto f . Et circino sic manente pone pedem unum in puncto x, idest in centro minoris circuli, et alium extende ultra x in linea nm. Et ubi ceciderit in linea nm, ibi fac notam, quia hec nota erit pro inveniendo circulo quincuplo ad circulum y3. Et sit ista nota g . Sed per circinum sic exten|sum a puncto 3 usque ad punctum f et circino sic manente uno pede posito in puncto x et alio in linea nm, tunc in eadem fit nota pro circulo quincuplo, ut prius est dictum. Et iterum sic manente circino pone pedem unum in puncto n et alium in linea nm. Hunc fige et positum in n move et videbis quod hic, qui in n positus fuit, veniet ad signum 2 prius signatum in linea nm, cum signate fuerint latitudines multiplices, ut dupla, tripla, quadrupla etc. ˙ Pa 5 y3 ] y3 ˙ Pa 10 y3 ] y3 ˙ Pa 14 y3 ] y3 ˙ Pa 15 et circino . . . uno ] Invenies 2 y3 ] y3 ˙ ut patet: quia extenso Pa 17–18 Hunc fige et positum in n circulum quadruplum ad circulum y3, move ] eodem manente fixo, et alium in n. positum move Pa 19 fuerint ] fuerunt Pa 22 y3 ] ˙ Pa 24 y3 ] y3 ˙ Pa 29 y3 ] y3 ˙ Pa 33 y3 ] y3 ˙ Pa 34 et circino . . . uno ] Invenies circulum y3 ˙ ut patet: quia extenso Pa 37 Hunc fige et positum in n move ] quadruplum ad circulum y3, eodem manente fixo, et alium in n. positum move Pa 38 fuerint ] fuerunt Pa

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III

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Edition der Visiertextsammlung

Si volueris igitur invenire circulum quincuplum ad circulum y3, pone pedem circini unum in puncto 3 et alium in puncto g signato. Deinde sic manente circino pone unum pedem in puncto x et alium extende in linea nm, et ubi ceciderit, ibi fac notam. Que nota sit h, quia hec nota erit pro circulo sexcuplo ad circulum y z. Et pro triplo prius invento ad circulum pqnr , ut patet manifeste practicanti, si ponitur unus pes circini in puncto x et alius in puncto h iam signato, deinde sic manente circino ponatur pes circini unus in puncto n et alius qui sit immobilis in linea nm, et mobilis in n positus vertatur et in lineam nm ponatur. Videbis manifeste quod mobilis veniet ad signum 3 prius signatum. Circulus enim taliter | signatus est triplus ad pqnr , ergo sexcuplus ad y3 etc. Tunc ad propositum adhuc Pe 36v pro quincuplo inveniendo pone, ut dictum est, unum pedem circini in puncto 3 et alium in puncto g . Et circino sic manente pone pedem unum in puncto x et alium extende in linea nm. Et ubi ceciderit, fac notam, quia hec erit pro circulo sexcuplo, ut dictum est prius. Deinde sic manente circino pone pedem unum in puncto n et alium immobilem in linea mn. Deinde mobilem in puncto n positum verte et eundem in linea mn pone. Et ubi ceciderit, fac notam, quia hec erit pro circulo quincuplo ad circulum y3, sed continebit bis circulum pqnr et cum hoc alteram eius partem. Et sic habere poteris quincuplum ad circulum y3.

˙ Pa 1 y3 ] y3 nota add. Pa

3 ubi ] quo Pa

˙ Pa 10 y3 ] y3

13 ubi ] quo Pa

16 ubi ] quo Pa

16 erit ]

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Pa 16r

Pe 37r

III

Edition der Visiertextsammlung

Circulum sexcuplum ad circulum y3 non oportet querere, quia hic iam inventus est, cum inventus fuit circulus triplus ad circulum pqnr , quia triplus ad pq est sexcuplus ad y3, ut patet. Sed pro septuplo inveniendo ad circulum y3 pone unum pedem circini in puncto 3 et alium in puncto seu nota facta, dum querebatur circulus sexcuplus ad circulum y3. Dum enim querebatur circulus sexcuplus ad circulum y3, positus fuit unus pes circini in puncto 3 et alius in puncto h. Deinde sic manente circino positus fuit unus pes eius in puncto x et alius extensus in linea mn ibique facta fuit nota. Et hec pro circulo septuplo ad circulum y3 posita fuit hec nota circa unum cum dimidio. Pro inveniendo igitur septuplo pone unum pedem circini in nota predicta et alium in puncto 3. Deinde sic manente circino pone pedem unum in puncto x et alium extende in linea nm, et ubi ceciderit, fac notam, quia hec nota erit pro circulo sequente maiore. Deinde circino sic manente pone pedem mobilem in puncto n et alium immobilem in linea nm, et ubi ceciderit, erit pro circulo septuplo ad circulum y3 et continebit circulum pq ter cum dimidio. Et sic procedes usque ad 11 inclusive observando hoc, quod dum ponitur pes circini in puncto 3 et alius in nota in qua oportet eundem scilicet alium collocare, et circino sic manente, dum pes circini ponitur in puncto x et alius extenditur in linea nm, per quem etiam fit nota in eadem linea: tunc hec nota est pro circulo in medietate, scilicet qui iam queritur excedente ut si queritur | circulus septuplus vel alius. Tunc ponitur pes circini in puncto 3 et alius in puncto facto pro sexcuplo. Et circino sic manente ponitur pes circini in x et alius extenditur in linea nm. Et per eundem pedem extensum in linea nm fit nota que fit pro circulo excedente iam factum, ut pro septuplo, si iam factus est sextuplus. Tunc hec nota fit pro septuplo. Item uno pede posito in x[!] et alio in nota facta pro septuplo et circino sic manente ponitur pes unus in puncto x et alius in linea nm. Et per eundem fit iterum | nota pro octuplo vel alio precedentem in aliquo excedente et cetera usque ad 11. Et circulus qui erit octuplus ad circulum y3, erit quadruplus ad circulum pq, et sic usque in finem. Nota etiam quod circulus pq est duplus ad circulum y3, quia circulus y3 est medietas circuli pq. Nota. Operare eodem modo in inventione istorum excessuum in medietate, sicut operatus es in inventione multiplicium, nisi ubi prius in inventione multiplicium operatus es per circulum pq, hic operare per circulum y3. Et istos excessus immediate signabis in virga sic ut primo per 1, deinde 1, post hoc unum cum dimidio ut sic 2, deinde 2, deinde tertium dimidium ut sic 3, post hoc 3, deinde quartum dimidium ut sic 4, post hoc 4, deinde quintum dimidium ut sic 5, deinde 5, deinde sextum dimidium ut sic 6, post hoc 6, et sic usque in finem, ultimo 11m dimidium ut sic 11, post hoc 11, et cetera. Tunc pro ulteriori compositione virge. Prius enim factus est circulus, qui altera pars seu medietas est circuli pq.

˙ Pa 3 y3 ] y3 ˙ Pa 5 y3 ] y3 ˙ Pa 6 y3 ] y3 ˙ Pa 8 hec ] fuit add. Pa 9 y3 ] y3 ˙ Pa 1 y3 ] y3 12–14 fac notam. . . ubi ceciderit ] om. Pa 16 oportet ] oportuit Pa 20 septuplus ] sextuplus Pa ˙ Pa 29 y3 ] y3 ˙ Pa 29 y3 ] y3 ˙ Pa 32 y3 ] y3 ˙ Pa 33 immediate ] in medietate Pa 27 y3 ] y3

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Qui circulus vocabatur y3. Circuli enim primo facti secundum quos sumpte sunt latitudines multiplices, scilicet dupla, tripla, quadrupla et cetera, excedebant se in circulo pq et ergo medietas illius excessus fuit inventa. Et hec medietas fuit circulus y3, et secundum hunc circulum y3 sumpte fuerunt medietates latitudinum in virga proposita, ut patet. Quia ex quo circulus y3 est medietas circuli pq, tunc statim hec medietas fuit in virga signata in eo loco, quo signantur latitudines. Eritque tantum spacium ab initio virge ad hanc notam: Quanta est diameter circuli y3, item post hoc inventus fuit unus circulus, qui sesquialter fuit ad circulum pq et cetera, ut patuit sufficienter ex prioribus. Iam ergo restat invenire circulum, qui sit medietas circuli y3 sic, quod circulus y3 sit duplus ad eundem. Quia circulus y3 continebit eundem circulum bis, et sicut prius inventi fuerunt circuli qui excedunt se in circulo y3 tanquam in medietate circuli pq. Quia circulus y3 est medietas circuli pq. Sic iam inveniendi sunt circuli qui excedunt se in medietate circuli y3. Nota quod sicut inventus fuit circulus y3, ita similiter potest inveniri circulus qui sit medietas circuli y3. De inventione autem circuli y z vide propositionem quintam. Inventa igitur medietate circuli y z operare per eandem, sicut operatus es per circulum y3. Et que inventa fuerint per eandem medietatem, in virga consignentur, sicut consignata fuerunt ea que inventa fuerunt per circulum y3, et operare per eundem circulum usque in finem virge. Operatione expleta per eundem invenias iterum medietatem illius circuli ultimo inventi, et operare per eundem sicut prius, et iterum illius iam ultimo inventi medietatem. Et semper inventa medietate circino per eosdem circulos in virga consignabis per puncta. Et ita diu sic procedes, quousque ista puncta non multum dista|bunt.| Et dum eadem Pe 37v; sic equaliter distare videris, tunc per circinum sumendo istam distantiam alia Pa 16v facies usque in finem. Et his completis tunc virga est completa. Et per numeros poteris per eandem operare, ut docet canon unus ut habita longitudine et latitudine vasis et cetera, ut docet canon 26. Qui docet operari et indagare vasorum capacitatem per virgam planam. Quem vide circa alia et cetera. Date in virga latitudini multiplices et superparticulares utriusque inequalitatis arismetrice reperire. Vide canonem. Cuius exemplum sit: Si voluero habere circulum duplum ad circulum cuius diameter est 12, tunc diametrum, scilicet 12, quadrabo, idest, hanc diametrum ducam in se quadrate, idest multiplicabo ipsam per se ipsum, et proveniunt 144. Et quia volo habere circulum duplum ad circulum cuius diameter est 12, duplicabo quadratum predictum, et producti inveniam radicem quadratam. Et si voluero precise operari, oportet primo reducere ad secunda per multiplicationem in 60a . Et reducam primo ad minuta et proveniunt 17280 minuta. Que reducam ad secunda et proveniunt 1036800 secunda. Quorum secundorum radix in minutis 1018. Que reducantur ad integra per divisionem 60ariam et provenient 16 integra et 58 minuta. Est ergo radix in integris 16 integra et 58 minuta. Ex quo igitur diameter divisa est in 12 partes. Tunc de eisdem partibus numerentur 17 integra in linea nm, idest numerentur 17 12me

˙ Pa 4 y3 ] y3 ˙ Pa 4 y3 ] y3 ˙ Pa 5 y3 ] y3 ˙ Pa 10 y3 ] y3 ˙ Pa 10 y3 ] y3 ˙ Pa 10 y3 ] 1 y3 ] y3 ˙ Pa 12 y3 ] y3 ˙ Pa 12 y3 ] y3 ˙ Pa 14 y3 ] y3 ˙ Pa 15 sit medietas ] medietas est Pa 15 y3 ] y3 ˙ Pa 15 propositionem ] proportionem Pa 18 y3 ] y3 ˙ Pa 22 medietate ] mediante Pa y3

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III

Edition der Visiertextsammlung

in linea nm. Et id quod provenit erit diameter circuli dupli ad circulum cuius diameter est 12. Et sicut operatus es de duplo: sic operari poteris de triplo triplando quadratum diametri, querendo quadruplum quadrupla quadratum diametri. Et sic de singulis semper stante priori divisione diametri in 12. Quod si volueris habere circulum medietate solum maiorem ad circulum cuius diameter est 12, scilicet circulum sesquialterum ad circulum cuius diameter est 12, tunc quadra diametrum et medietatem eius quadrati adde ei, et illius totius extrahe radicem. Exempli gratia. Quadratum diametri 12 est 144. Medietas eius est 72. Adde illam medietatem ad quadratum et provenient 216, et illius extrahe radicem hoc modo. Prius reducas 216 integra ad 2a , et provenient 777600. Et tunc illorum secundorum extrahe radicem, et radix est 882. Reduc in integra dividendo per 60, et proveniunt 14 integra et 42 minuta. Que 42 minuta faciunt 7/10 unius integri. Quod si volueris precise operari, tunc unam predictarum 12 partium diametri divide in 10 partes, et 7 de illis decimis adde super 14 integra. Et habebis quod queris et cetera.

N OTA DE CIRCULIS ET DIAMETRIS

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QUEDAM UTILIA PRO CANONIBUS VIRGARUM VISORIARUM .

Pe 38r

Pa 17r

Secundum intentionem Boetii, posita circumferentia circuli 44 eius diameter sic invenietur. Primo queratur 22da pars huius | circumferentie, scilicet dividendo hanc circumferentiam per 22. Et in quotiente habebis vigesimamsecundam partem que est 2. Et hanc subtraho a tota circumferentia, et remanent 42. Et illius tertia pars est 14, ut patet dividendo 42 per 3, nam in quotiente proveniunt 14. Diameter igitur circuli, cuius circumferentia est 44, erit 14. Quod si probare volueris, tripla 14 vel multiplica per 3, et triplato adde 22am partem prius inventam, que sunt 2. Quam dixi | subtrahi debere a tota circumferentia, que sunt 44, et proveniet predicta circumferentia. Si centra duorum circulorum a se per 31 partes et 48 minuta unius, prout semidiameter est 60 partes, distiterint, et per intersectiones circulorum linea recta ducatur, dico quod quelibet circuli portio arcu interiori et predicta linea contenta est sue lunule equalis. Sint duo circuli abcd , cuius centrum s, et l pne, cuius centrum g . sg ergo linea est 31 partium et 480 minutorum, et hg medietas eius erit 15 partium et 540 minutorum. Ergo al per tabulas de sinibus erit 15 220 . Ergo arcus ap residuum de 90 est 74 380 . Et sinus eius ah 57 570 1600 secundum qua semidiameter est 60 partes. Sed secundum quantitatem qua semidiameter est 7 partes erit hg 1 150 1800

3 quadratum diametri ] Pe corr. ex diametrum 3 quadratum diametri ] Pe corr. ex diametrum 7 ei ] sibi ipsi Pa 8 12 est ] om. Pa 8 eius est ] om. Pa 9 provenient ] proveniunt Pa 9 hoc modo ] om. Pa 20 remanent ] post subtractionem add. Pa 21 nam ] et Pa 22 Diameter . . . erit 14 ] que sunt tertia pars de 42/14 autem sunt diameter circuli 44 Pa 24 subtrahi debere ] subtrahe Pa 27 partes ] pars Pa; Pe corr. ex pars 33 90 ] quo Pa; Pe corr. ex quo 33 secundum ] quantitatem Pa 34 partes ] pars Pa; Pe corr. ex pars 34 partes ] pars Pa; Pe corr. ex pars

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III

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Edition der Visiertextsammlung

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et ah 6 450 000 . Ergo per 9 huius erit area trianguli ag c 12 310 1600 et per 5 huius erit area sectoris 63 510 1100 . Ergo ablato triangulo de sectore remanet area portionis circuli apch 51 190 5500 . Qua duplata tota figura equalis apcd producitur, scilicet 102 390 5000 . Qua de area totius circuli, scilicet de 154, sublata remanet lunula aend 51 200 . Que, ut apparet, est predicte portioni circuli equalis, ut patet in figura.

Abbildung III.21: Zeichnung Pe 38r.

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Quando diameter quadrati est 14, tunc costa quadrati est 9 530 5800 11000 prope; posita costa diametro eius circumferentia est 3 160 4500 43000 area 77 00 000 6000 . Hoc est dicere: Cum unus circulus est duplus ad alium, tunc inscripto quadrato in circulo maiori dico quod una ex costis quadrati eiusdem est diameter circuli minoris seu subdupli. Patet, quia quadratum diametri est duplum ad quadratum coste per penultimam primi euclidis. Ideo circulus, cuius scilicet diametri | quadratum est Pe 38v duplum ad quadratum coste circuli inscriptum, est duplus ad circulum, cuius diameter est costa quadrati predicti, per secundam 12mi . Posito circulo data parte eo maiorem aut minorem circulum producere. Quadretur diameter circuli propositi, et a quadrato dematur data pars, et residui queratur radix quadrata precise. Qua radice diametri posita super ipsam circulum circinabis, quia hic circulus est qui queritur per secundam 12mi euclidis. Vel alio modo: Dati circuli aream queras. De qua deme datam partem quotam volueris, vel adde 30, et residui 1/11 invenias. Quam tripla, et triplatum adde toti residuo, vel

10–11 per penultimam primi euclidis ] Camp. Elem. I, 46. [Campanus 2005, 92–93, Z. 861–888] 13 per secundam 12mi ] Camp. Elem. XII, 2. [Campanus 2005, 431–432, Z. 30–81] 17 per secundam 12mi euclidis ] Camp. Elem. XII, 2. [Campanus 2005, 431–432, Z. 30–81]

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Pa 17v

III

Edition der Visiertextsammlung

ab eo subtrahe secundum quod volueris. Et producti queras radicem quadratam, quia hec radix est diameter circuli quesiti. Sit diameter ab, circulum super eandem constituere. Divide diametrum ab in duas partes equales, et in eius medio pone pedem circini in puncto d . Et circinabis circa extremitates diametri ad b. Pone pedem circini in puncto d , aliusque pes tangat ambas extremitates diametri sive linee ab, et circumducatur, et facies circulum. Habita ex supradicto notabili quantitate diametri circuli cognoscere aream eiusdem. Dum diameter circuli est 14, area circuli est 154. Cuius radix quadrata est 12 partes 24 | minuta 35 secunda sine sensibili errore. Si igitur illa radix quadretur, provenit quadratum equale circulo priori multum prope, scilicet 154 00 400 20000 250000 . Si vis quadratum equale circulo pingere, quadra circulum directe duabus diametris, et a capite cuiuslibet diametri ex utraque parte accipe arcum 27 graduum 340 minutorum. Et ibi fac puncta. Per que trahas costas quadrati et habebis quod queris. De extremitatibus vero cuiuslibet diametri abscindatur per costas quadrati 17ma pars diametri et 36 minuta unius. In quanta proportione se habet quadratum circulo circumscriptum ad circulum eidem quadrato inscriptum: Quadratum circulo circumscriptum habet se in proportione ad circulum inscriptum sicut 14 ad 11. Probatur. Diameter circuli est 14. Quam si triplicas, proveniunt 42. Et producto si 7am partem diametri eiusdem, que 7ma est 2, addideris, proveniet circumferentia circuli, scilicet 44. Cuius medietatem, scilicet 22, duxeris in medietatem diametri, scilicet in 7, proveniet 154. Quod est podismus vel area circuli predicti.

Abbildung III.22: Zeichnung Pe 38v.

1 queras ] queram Pa

10 partes ] pars Pa; Pe corr. ex pars

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Cui si quadratum circumscripseris, ipsum quadratum continebit in area 196. Pe 39r Patet ducendo vnum latus quadrati, scilicet 14, in seipsum. Dico ergo quod quadratum predictum ad circulum sibi inscriptum habet se in proportione sicut 14 ad 11. Patet. Sit 14 numerus primus, 11 secundus, 196 tertius. Duc igitur secundum in tertium et divide per primum, et proveniet 154. Quod erit area circuli. Patet igitur propositum. Quod si volueris invenire istam proportionem, querantur minimi termini, scilicet subtrahendo quantitatem aree circuli, que est 154, a quantitate aree quadrati, scilicet 196, semper unum ab alio. Et surget in 14. Divide utrunque, scilicet aream circuli et quadrati, et dividendo aream quadrati per 14 provenient 14 in quotiente. Sed dividendo aream circuli per 14 provenient in quotiente 11. Et sic patet, quod se habent sicut 14 ad 11. Quadratum aut quodcunque aliud spacium in circulum redigere. Quod si scire volueris quantum area quadrati superet aream circuli sibi inscripti, subtrahe aream circuli, scilicet 154, ab area quadrati, scilicet 196, et remanent 42, que sunt excessus aree quadrati super aream circuli. Et si volueris scire quantum quilibet angulus quadrati extra circulum contineat, divide 42, qui est excessus per 4, qui est numerus angulorum, et provenient 10 et una media, idest 2/4. Et hoc est una media. Probare poteris in minimis terminis, ut patet. Ex his sequitur quod quadratum circulo circumscriptum est duplum ad quadratum eidem circulo inscriptum, ut patet per quartam primi euclidis. Et hic in figura apparet.|

Abbildung III.23: Zeichnung Pe 39r.

5 Quod erit ] Que sunt Pa 10 per 14 ] om. Pa ad 11 ] om. Pa 20 Et ] ut Pa

10 in quotiente ] om. Pa

10–11 Et sic . . .

20 per quartam primi euclidis ] Unklar. Vgl. Camp. Elem. IV, 8–9. [Campanus 2005, 148–149, Z. 159–180].

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Pa 18r

Pe 39v

III

Edition der Visiertextsammlung

Datum quadratum circulare, seu quadratum immo quodlibet aliud spacium datum in circulum redigere. Dati spacii 1/11 quere et ipsum tripla, et triplatum dato quadrato seu spatio superadde, et totius producti radicem quadratam quere, quia ipsa est diameter circuli quesiti. Et quanto precisius radicem extraxeris, tanto propinquius datum spacium circinabis. De inventione diametri sphere per circumferentiam. Nota ad inveniendum diametrum sphere primo queratur quantitas circumferentie vel quantitas maximi circuli, et ab illa dematur 22da pars. Et ex his que remanent 3a pars est diameter sphere vel circuli. De inventione circumferentie per diametrum. Nota quod si per diametrum volueris habere circumferentiam qualiscunque, etiam ponatur diameter. Multiplica diametrum per 22 et divi|de per 7, et productum est circumferentia. Erit enim 22 primus numerus, 7 secundus, circumferentia ignota tertius, et diameter posita quartus. Duc igitur primum in quartum, et productum divide per secundum, etc. Si autem circumferentia poneretur nota, duc secundum in tertium et divide per primum etc. Sit circulus abcd , cuius sinus versus ae ut 2 et sinus rectus eb ut 4, et volueris scire residuum diametri, scilicet lineam ec. Multiplica sinum rectum, scilicet 4, in se, et provenient 16, et divide per sinum versum, scilicet per 2, et provenient 8. Et illud est linea ec. Si vero sciueris ec et ae et volueris scire eb, tunc multiplica ec per ae, et residui extrahe radicem, et proveniet eb. Et per primam partem poteris cognoscere, si funis dimissus fuerit ad infra facta parte circuli cum fune, tractis lineis ab et bc patet per 30am tertii et per corellarium 8ue sexti euclidis.

Abbildung III.24: Zeichnungen Pe 39v.

7 sphere ] circuli Pa; Pe corr. ex circuli

23 per 30am tertii ] unklar

8 ex his que ] om. Pa

24 euclidis ] om. Pa

23–24 per corellarium 8ue sexti euclidis ] unklar

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III

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Edition der Visiertextsammlung

277

Si circulum in sex partes equales diviseris, quod fit non mutato circino dum predictum circulum circinasti, et 1/6 in 2 partes equales diviseris et a centro circuli ad illam medietatem duxeris lineam, et aliam lineam intersecantem primam a proximis punctis divisionum feceris: dico quod linea, que est a centro usque ad intersectionem, est latus eptagoni circulo predicto inscripti. Verbi gratia. Sit in circulo exagonus abcd e f , cuius centrum g . Dividatur ergo latus ab in duo media in puncto h et ducatur linea g h. Tunc dico quod ea linea est latus heptagoni circulo predicto inscripti. Et si volueris habere latus octogoni, subtrahe 1/4 de sexta parte circuli prius habita 5/4 eius, et residuum est arcus lateris octogoni. Et si a sexta parte circuli subtraxeris 1/3 illius sexte, remanebit arcus lateris enagoni. Et si 2/5 subduxeris, remanebit arcus lateris decagoni.| Si vero curiosius velis invenire latus octogoni etiam preter circulum, forma Pa 18v quadratum abcd ,| in quo trahe diametrum ac, cuius medietas sit ae. Accipe igitur Pe 40r de linea ab secundum quantitatem ae, et sit linea a f . Similiter de linea ba que sit bg , et bh et ck et cl et d m et d n et np, que omnes sunt equales medietati diametri ae. Tunc trahe lineas f k, hm, l p et ng . Dico igitur quod hec figura f khml png est octogonus equilaterus et equiangulus.

Abbildung III.25: Zeichnung Pe 40r.

7 ea linea ] ipsa Pa 10 enagoni ] novogoni Pa 11 subduxeris ] om. Pa quartum Pa 15 sunt ] sint Pa 17 octogonus ] octonus [!] Pa

13 quadratum ]

278

III

Edition der Visiertextsammlung

S EQUITUR SECUNDA PARS TRACTATUS DE VIRGA CUBICA , QUE EST DE USU EIUS . I Officia laterum virge quibus sit usus distinguere. Pro quo notandum quod tres termini sive tria latera virge in usu eius sunt consideranda, scilicet latus primum, quod est inter reliqua duo medium, latus secundum, quod est a primo a sinistris, et latus tertium, quod est a primo a dextris, saltem tenta virga radice deorsum. Et latus primum, seu inter residua medium, ostendit quantum vas continet absolute. Et in ipso fiunt signa profunditatis et longitudinis vasis in mensurando capacitatem eius. Latus autem secundum ostendit quantitatem in ascendendo ultra signum profunditatis in primo latere factum. De prius in eodem primo latere absolute inventis sit minuendum aut pro descendendo augendum. Latus vero tertium ostendit excessus seu differentias eorum ad invicem que in primo latere posita sunt. Quarum differentiarum aliqua etiam additur vel subtrahitur ab his que in primo latere absolute erant inventa. Hec plane patent in prima parte huius locis suis. Et adhuc patebit infra lucidius.

Pe 40v

Pa 19r

II Vasa columnaria irregularia ad rectam columnarem figuram reducere. Quia vasa quibus communiter utimur sunt irregularia, idest quod secundum extremitates eorum sunt subtiliora, in medio vero eorum sunt crassiora. Cum igitur eorum aliquod mensurandum occurrerit, sic ipsum equabis seu ad perfectam columnarem figuram reduces. Vide cum virga diametrum utriusque fundi vasis secundum duas si placet fundorum differentias, scilicet a sursum ad deorsum et a sinistro ad dextrum. Et semper duarum sibi correlativarum diametrorum considera unius ad alteram excessum, et cuiuslibet excessus accipe medietatem, et super diametrum minorem adde correlativam, et erit diameter vasis secundum funda ipsius vasis equata.| Deinde etiam vide per vasis orificium diametrum eius in medio, et vide iterum excessum huius diametri ad diametrum fundorum vasis prius equatam, et similiter medietatem huius excessus adde super diametrum equatam. Et erit | totaliter vas equatum, ac si esset undique columnare. Hoc itaque est, si vas ab utroque fundorum versus eius orificium fuerit rectilineare. Sed hoc ita communiter non est. Immo est ut frequenter arcuale. Et ideo secundum hoc: Hoc nostrum opus non tamen multum diversificatur a precisione secundum quod magis vel minus vas est in suis lateribus arcuatum. Et propter hanc diversitatem non de facili huius datur regula, sed magistri artis ingenio relinquitur. III Capacitatem vasorum columnarium per virgam visoriam cubicam indagare. Vas, cuius capacitatem scire volueris, equatur per precedentem, et eius equati profunditas et longitudo in primo virge latere a caudis virge versus caput ascendendo signantur. Et si tunc longitudo et profunditas fuerint equales, licet raro hoc accidat, tunc numerus circa signum quo profunditas et longitudo vasis erant signate inventus: mensuras in eo vase contentas nihil addito vel deposito designabit. Longitudo autem vasis minor profunditate eius in vasis saltem communibus vix contingit.

4 reliqua ] residua Pa 17 crassiora ] grossiora Pa in marg. 38 eo ] eodem Pa

27–28 Hoc itaque est ] Nota iterum add. Pa

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Edition der Visiertextsammlung

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Monstruosum enim vas esset, cuius longitudinem latitudo excederet. Sed tamen si contingeret, fiat opus per descensum per signum profunditatis, ut clarius inferius apparebit. Si vero longitudo vasis precise dupla ad profunditatem eveniat, tunc numerus circa signum profunditatis inventus duplum mensurarum, scilicet quartalia, designabit. Si vero longitudo ad profunditatem tripla, quod etiam raro accidit, contingat: numerus circa signum profunditatis inventus triplum seu tertium mensurarum importat et quartalia quartalium etc. Si vero longitudo vasis ad profunditatem precise dupla non fuerit, aut ergo erit maior aut minor dupla. Et qualitercumque contingat, signa eas ambas, scilicet duplam et maiorem vel minorem duplam, in latere virge primo per signa propria. Et si longitudo ad profunditatem minor quam dupla fuerit, consideretur defectus cubellorum a dupla. Et quos ille defectus in se 6 cubellos habuerit, totiens a signo profunditatis prius signato subtrahendus est cubellus unus. Si vero longitudo ad profunditatem maior quam dupla fuerit, consideretur iterum excessus. Et pro quibuslibet 6 cubellis in illo excessu contentis super signum profunditatis addatur cubellus unus, et ubi illa additio vel subtractio fuerit, consideretur numerus et servetur. Et convenit ut si excessus longitudinis ultra simplum vel duplum vel triplum profunditatis maior medietate profunditatis eiusdem existat, residuum profunditatis predicte defectus respectu superioris profunditatis | complete notetur. Si vero idem excessus minor Pe 41r medietate profunditatis extiterit, excessus respectu inferioris appelletur. Similiter intelligendum est, si excessus longitudinis infra simplum, duplum, vel triplum profunditatis existat. Quod si ille defectus sicut excessus, de quo iam dictum est, non complete per 6 et 6 puncta seu cubellos extiterit, tunc vide in latere virge tertio, scilicet quod est differentiarum a dextris, et hoc iuxta signum profunditatis numerum scriptum, quia ille numerus ibi inventus deservit 6 cubellis. De illo igitur numero accipe partem proportionalem secundum proportionem cubellorum ultra vel infra 6, et adde illam partem proportionalem super prius inventa, si puncta seu cubelli fuerint ultra 6, vel minue, si fuerint infra. Et quod provenit, est capacitas vasis primo equata. Causa autem, quare pro 6 cubellis in hoc | opere Pa 19v tantum unus cubellus subtrahi vel addi iubetur, quia virga ascendendo vel descendendo quantum est de sui formatione et natura crescit vel decrescit cubice. Hoc est, augetur secundum omnem sui dimensionem, scilicet per additionem quadratorum suppletorum et cubellorum, ut patet ex quinta primi huius. In hoc vero loco, scilicet circa signum profunditatis agendo ut predicitur virga augetur vel decrescit tantum secundum unam dimensionem, scilicet longitudinem, hoc est secundum quadrato tantum, secundum longitudinem aucta profunditate semper eadem manente. Et quia hic de longitudine dupla ad profunditatem vel citra que communiter in vasis numeris reperitur principalius intendimus, ubi ergo tum (tamen?) oportet pro mensuris tenere quartalia, ideo pro 6 cubellis unum tantum addi vel subtrahi oportebit.

280

III

Edition der Visiertextsammlung

Deinde numerus cubellorum super profunditatem additorum vel ab ea subtractorum querendus est in virge latere secundo iuxta signum profunditatis vel citra, et hic in superiori parte lateris predicti et quot sub eo inveneris, tot quartalia de prius ultimo inventis deme, si ultra signum profunditatis ascenderas, vel eis adde, si infra signum profunditatis eiusdem descendisti. Et productum est vasis capacitas ultimo equata, et ipsa est capacitas vasis quesita. Causa autem huius est quia virga in eius ascensu vel descensu secundum sui radicalem formationem non solum per quadrata, sed etiam per supplementa et cubellos crescit aut minuitur. Quantum vero ad presens ipsa virga solum secundum quadrata crescit vel minuitur, ut ante dictum est. Quare ergo oportet talia vel minuere vel augere perlecta huius parte prima. Hec iam dicta facile intelliges.|

3 hic ] hoc Pa

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III

Edition der Visiertextsammlung

V IRGA SECUNDA SEQUITUR , SCILICET DE VIRGA VISORIA QUADRATA

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Pa 20r, Pe 41v

Virgam visoriam ad vasorum columnarium capacitatem per ipsam inveniendam faciliter construere. Sit longitudo mensure qua vas metiemur virga quartalis de octali linea e f . Secundum igitur quantitatem linee e f dividam unum laterum virge in tot partes quot placuerit, aut quot ipsa suscipere poterit, et si easdem partes mediavero, ipse medietates mensuras significabunt. Si vero in quartas divisero, erunt signa quartellarum. Sit amplitudo seu profunditas fundi mensure eiusdem circulus bd e, cuius diameter be. Notum igitur est quod circulus huiusmodi est unum quartale octalis stante longitudine e f . Si vero longitudo dupla fuerit, verbi gratia el , erit circulus ille duo quartalia. Si vero longitudo tripla fuerit, verbi gratia en, erit circulus ille tria quartalia. Si vero longitudo quadrupla fuerit, verbi gratia eq, erit circulus ille quatuor quartalia, idest unum octale. Quod si longitudines predicte, ut dictum est, medientur per signa, verbi gratia per r kmp, erit circulus predictus cum longitudine premissa, scilicet er , una mensura, idest medietas quartalis, et cum longitudine e f due mensure, et cum longitudine ek tres mensure, et cum longitudine el quatuor mensure, et cum longitudine em quinque mensure, et cum longitudine en sex mensure, et cum longitudine ep septem mensure, et cum longitudine eq erit circulus ille 8 mensure, que idem sunt quod 4 quartalia ut prius, quod est unum octale. Post hoc diametrum circuli quartalis, scilicet be, dividam in 16 partes equales, et incipiendo a radice virge versus caput inscribam in eius latere secundo iuxta longitudines illas 16 partes fundi quartalis equales; que omnes cum longitudine eq valent unum octale, que octalia hic pro integro tenebuntur. Et secundum quantitatem harum cuiuslibet 16 partium equalium dividam duo virge latera iuxta se posita proxima in tot partes quot ipsa virga secundum longitudinem suam poterit suscipere;| ita tamen, ut divisiones laterum omnium, que dividi debent, ab Pe 42r eadem radice virge incipiant et in latere virge secundo, quod est vicinum lateri primo, in quo signate sunt longitudines, in divisione eius 16ma scribatur unum, verbi gratia unum octale. Nam ipse 16 divisiones cum longitudine eq habet unum octale. Deinde diametrum circuli predicti, scilicet be, quadrabo quadrato beg h et costam quadrati diametro oppositam, scilicet g h, dividam similiter in 16 partes equales, et puncta divisionum se ex opposito respicientia coniungam per lineas rectas. Et latus quadrati g e producam in longum et directum quantum placuerit, aut quantum virgam longam habere voluero, quod sit linea g ea. | Et similiter latus Pa 20v g h producam in continuum et directum secundum quantitatem predictam, quod sit linea g hx. Item etiam latus quadrati hb protraham in continuum et directum ultra b ad quantitatem unius 16me diametri eb, et sit linea bs. Et similiter eb producam secundum eandem quantitatem ultra b et sit linea bt , et incipiendo a

7 medietates mensuras ] corr. Pa in dimidia mensurarum

27 posita ] om. Pa

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III

Edition der Visiertextsammlung

Abbildung III.26: Zeichnung Pe 41v.

linea ae ducam per punctum s lineam equalem et eque distantem linee et , que sit zu. Item est incipiendo a linea hx, ducam per punctum t lineam equalem et eque distantem linee hs, que sit yu, et completur quadratum aliud maius primo, scilicet uzg y. Quod addit super quadratum primum, scilicet super beg h, eius 1/8 cum quadratello ut bs. Patet sic: Quia parallelogrammum zebs per hypothesim est 1/16 quadrati primi, et similiter parallelogramum t bh y est 1/16 quadrati primi, 2/16 autem unius sunt 1/8 eiusdem, igitur etc. Imaginemur igitur circulum super diametrum zu; et quia per secundam 12mi euclidis sicut se habet quadratum diametri circuli unius ad quadratum diametri circuli alterius, sic circulus ad circulum: igitur circulus super diametrum zu addet super circulum, qui est super diametrum eb, 1/8 eius cum quadratello ut bs. Post divisiones igitur 16 prius signatas scribam in divisione virge 17a in latere eius secundo 1, quod significat quadratum primum, seu unum octale, scilicet cum latitudine eq, et in latere eius tertio scribam similiter 1, quod significat 1/8 unitatis in secundo latere scripte, seu unam mensuram ultra unum octale cum longitudine predicta. Quare notandum quod ea, que scribuntur in latere virge secundo, sunt octave eorum que scribuntur in latere primo, et que in tertio sunt octave eorum que scribuntur in latere secundo, scilicet ceteris paribus.

13 scilicet ] Pa corr. ex saltem

18 scilicet ] Pa corr. ex saltem

8–9 per secundam 12mi euclidis ] Camp. Elem. XII, 2. [Campanus 2005, 431–432, Z. 30–81]

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De quadratello autem ut bs non curetur, quia ipsum extra relictum nullum errorem sensibilem efficiet. Est enim cum longitudine eq tantum 256ta pars unius octalis, quod est 1/16 unius quadratelle. Deinde iterum ut prius producam hs lineam ultra s secundum quantitatem 1/16 diametri eb, et sit linea s2, et similiter et producam ultra t secundum quantitatem predictam, et sit linea t 3. Et ut prius incipiendo a linea ae educam lineam per punctum 2 equalem et equedistantem e3, que sit 45, et similiter incipiendo a linea hx ducam lineam | equalem et equidistantem linee h2, que sit 65, et com- Pe 42v pletur quadratum secundum 456g , quod per rationem antedictam addit super quadratum primum, scilicet ebhg , 2/8 eius et quadratellum 53b2. Igitur in divisione virge sequenti priores, scilicet in 18a , scribam in secundo latere 1 et in tertio 2. Quadratellum autem 53b2 dimitto iterum exterius, quia adhuc nullum sensibilem errorem importat in opere. Habet enim solum quatuor particulas, ut patet tractis lineis transversalibus; que 4 particule sunt tantum 4/32 unius mensure vel huius. Deinde iterum protraham lineam h2 ultra 2 et e3 ultra 3 secundum quantitatem predictam, et complebo tertium quadratum, quod per rationem supradictam addit super quadratum primum 3/8 eius cum quadratello 9/32 unius. Quare in secundo latere virge scribatur post priora 1 et in tertio 3, et quadratellum adhuc iterum relinquatur exterius propter causam antedictam. Deinde iterum eodemmodo complebo quartum quadratum, et illud addet super quadratum primum 4/8 eius cum quadratello de 16/32, ut patet in quadratello lineis transversalibus tractis. In sequentibus igitur virge divisionibus in latere secundo scribetur 1 et in tertio 4 quadratello adhuc relicto exterius. Deinde iterum complebo quadratum 5tum , quod addet super primum 5/8 eius cum quadratello de 25/32. Igitur in virga post priora scribetur in latere secundo 1 et in latere tertio 6, quia pro 25/32, que non licet iam extra relinquere, cum sint plura medietate unius octave, additur unum, et quadratum 6m addet super quadratum primum 6/8 et quadratellum de 36/32. Igitur post priora scribam in latere virge secundo 1 et in tertio 7 unum iterum addendo propter | 36/32, et Pa 21r quadratum 7m addet super primum 7/8 eius cum quadratello de 49/32. Et quia 49/32 habent semel unum integrum et cum hoc 17/32, que sunt plus medietate unius, que iam non licet extra relinqere: quare addam 2 ad 7/8 et erunt 9/8, scilicet unum integrum et 1/8 eius. Scribam igitur post priora in latere virge secundo iam 2 et in tertio 1. Voco autem hic quasdam fractiones integra respectu earum fractionum subtiliorum. Item quadratum 8m addet super primum 8/8 et quadratellum de 64/32, que valent duo integra. Ideo post priora scribetur in latere secundo 2 et in tertio similiter 2. Et quadratum 9m addet super quadratum primum 9/8 et 81/32, que valent tria integra. Scribe igitur post priora in virge latere secundo 2 et in tertio 4.

14 vel huius ] del. Pe

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Pe 43r

III

Edition der Visiertextsammlung

Item quadratum 10m addet super primum 10/8 et quadratellum de 100/32, que valent tria integra. Ideo in latere secundo scribam 2 et in tertio 5. Item quadratum 11m addet super primum 11/8 et quadratellum de 121/32, que valent 4/8. Scribe igitur post sequentia in latere virge secundo 2 et in tertio 7. Et quadratum 12m addet super quadratum primum 12/8 et quadratellum de 144/32, que valent 4 integra. Scribe igitur in latere virge secundo post priora 3 et in tertio 0. Item quadratum 13m addet super quadratum primum 13/8 et quadratellum de | 169/32. Que valent 5 integra. Quinque autem et 13 faciunt 18, que divisa per 8 faciunt 2 et 2/8. Adde igitur hec 2 ad unum quod fuit in secundo latere a principio, et erunt 3. Que scribe in secundo latere virge, et 2/8 in tertio. Item quadratum 14m addet super quadratum primum 14/8 et quadratellum de 196/32, que valent 6 integra. Scribe igitur in secundo latere 3 et in tertio 4. Et quadratum 15m addet super primum 15/8 et quadratellum de 225/32, que valent 7 integra. Scribe igitur post prius scripta in secundo virge latere 3 et in tertio 6. Et quadratum 16m addet super primum 16/8 et quadratellum de 256/32, que valent 8/8 vel ut prius 8 integra. 8/8 autem et 16/8 faciunt 24/8 et sunt tria integra, et a radice unum. Scribe igitur post priora in virge latere secundo 4 et in tertio 0. Et sicut in his primis 16 additionibus processum est, ita in sequentibus 16 et tertiis et quartis et quintis 16 2arum penitus procedetur, excepto quod in primis 16 additionibus augmentum fit per unam octavam. In secundis autem 16 additionibus fiet augmentum per 2/8 et in tertiis per 3/8, et cetera. Quare autem sic fiat, patet, dum quadrata ad hoc depicta inspexeris. Potest autem hec virga facilius inscribi ex tabulis ad hoc formatis. Formantur autem tabule tales sic: In prima linea ponuntur unitates, in secunda linea fit augmentum per unitates ab unitate incipiendo. Que unitates sunt octave eorum, que in prima linea ponuntur. In tertia linea ponuntur particule quadratellorum relictorum. Quarum si 32 aut eorum medietate magis collecte fuerint, ponuntur pro eis in eadem linea tertia unum. Quarum unitatum quelibet valet tantum sicut ea, que in linea secunda ponuntur. Postea collectis simul linea secunda et tertia cum prima huius tabule fiat alia tabule tantum duarum linearum. Que secundum modum predictum protenduntur, usquequo libuerit. Et de hac erat ante intentio.

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S EQUITUR USUS VIRGE PRECEDENTIS . 35

Multiplica longitudinem in profunditatem et divide per 32, et provenient quartalia.

33 intentio ] He ambe tabule sunt scripte ante post alias tabulas cum earum 4atorum (4tum ?) Pa add. in marg.

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Diametri quadrati ad costam eiusdem medietas duple proportionis esse dignoscitur. Sit quadratum ad f e, cuius diameter ed . Quam dividam per medium in puncto b et describam aliud quadratum bd ca, cuius diameter erit necessario costa quadrati prioris ad per quartam secundi euclidis. Sequitur igitur quod sicut se habet diameter quadrati maioris ed ad costam quadrati eiusdem ad , sic se habet ad diameter quadrati minoris ad costam quadrati eiusdem minoris bd . Sed primi, scilicet ed , ad ultimum, scilicet bd , est proportio dupla per hyphothesim. Et | cum proportio extremorum componitur ex proportionibus intermediorum, Pe 43v ut vult euclides diffinitione 19a septimi et deducitur in secunda libri de 36 modis proportionum sufficienter, cum autem in intermediis sit proportio continua: sequitur necessario, quod ed ad ad est medietas duple proportionis et ad ad d b reliqua medietas proportionis duple eiusdem, etc.|

Abbildung III.27: Zeichnung Pe 43r.

4 per quartam secundi euclidis ] Vgl. Camp. Elem. II, 4. [Campanus 2005, 97–98, Z. 72–105] 9 euclides diffinitione 19a septimi ] Vgl. Camp. Elem. VII, Def. 19. [Campanus 2005, 230, Z. 35–36] 9–10 in secunda libri de 36 modis proportionum ] unklar

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Pa 21v

Pe 44r

III

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S EQUITUR DE T ERTIA VIRGA VISORIA SCILICET TRIGONA SEU QUADRANTE Quadrantem seu trigonum ad capacitatem partis vasis vacue inveniendam construere. Accipiam primo virgam planam et directam tante longitudinis, quanta est diameter maior spissitudinis vasorum que te speraveris mensurare et in eius una extremitate longitudinem scaphi et melius cubici quam per collationem 31 de virga circulari reperies notabis. Quam longitudinem cubici predicti divides in 64 partes equalissime et secundum easdem totam virgam divides in tot partes, quotquot ipsa poterit suscipere, et singulis eius divisionibus ab unitate incipiendo secundum ordinem numeros proprios inscribes, et forte in 240 poterit suscipere, et hec erit virga trigoni presentis. Deinde fiat trigonus seu quadrans, si placet, ligneus vel ereus orthogonus, cuius duo latera angulum rectum ambientia sint equalia, ducanturque in eis linee ab et bc ita, ut ad b sit | angulus rectus. Et extra lineam ab relinquatur spatium quasi secundum digiti latitudinem, in quo numeri huic rei necessarii inscribantur. Et item latera ab et bc sint tante longitudinis, quanta est virge modo facte medietas. Post hoc virgam trigoni sic, ut predicitur, divisam applica ad lineam trigoni ab et ipsam divide totam directe secundum divisiones prius in eadem virgam trigoni factas. Et a punctis divisionum predictarum in linea ab iam factarum trahes lineolas in spatio quantitatis prius extra lineam ab relicto. Que lineole sint omnes perpendiculares ad lineam ab quadrantis. Et idem spatium cum lineolis in eo iam tractis secundum longitudinem eius divides in duas partes per lineam equidistantem lateri quadrantis ab, et in eius parte seu linea prima, scilicet que est ab extra incipiendo a prima divisione circa a vel quia parva vasa non occurrunt tali modo mensuranda poteris incipere a lineola 32a et ibi scribere 32, deinde in sequenti 33, deinde 34 et sic usque in finem huius prime, que in 120 terminabitur. Que inquam linea semidiameter circuli vasis vocabitur. Deinde secundam lineam, videlicet immediate iuxta lineam ab, sic inscribes. Primum scribe 32 in directo priorum 32. Deinde multiplica 33 in se et productum divide per 32, et provenient 34, que scribe in lineola sequenti, scilicet in directo 33 prime linee. Deinde multiplica in se 34 et divide iterum per 32, et provenient 36. Que locabis in lineola sequenti, et sic usque in finem linee huius, que cum 450 necessario terminatur. Et hanc lineam quantitatis semicirculi vocabis. Hec patent in figura. Deinde in alio latere quadrantis, scilicet in linea bc, incipiendo a puncto b versus c facies similiter 120 divisiones precise illis, que sunt in latere ab, equales. Deinde a puncto a duc lineas rectas ad singulas divisiones linee bc. Si vero circa punctum a nimium litterarum concursum abhorreas, tunc ducta linea per superficiem trigoni perpendiculari ad lineam ab verbi grati ad eius 40am divisionem vel aliam notabiliter ab a distante. Ab eadem linea primo incipies manifeste trahere lineas ad singulas divisiones linee bc. Si vero adhuc

35 rectas ] rectas rectas Pa 5–6 per collationem 31 de virga circulari ] Siehe Text A, cap. XXX.

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ad singulas divisiones lineas propter densitatem earum ducere non poteris, tunc ducas lineas inter eas duas et duas linee bc divisiones includendo, donec demum duces iterum aliam in quadrante perpendicularem ad latus ab, verbi gratia, ad eius 70am divisionem. A qua tunc linea duces lineas manifestas omnes ad singulas divisiones lateris bc, et circa hanc lineam in superficie quadrantis ad latus ab tracta poteris signare sinum versum per numeros proprios incipiendo a latere ab et extendendo ipsum versus lineam ac per 30 minuta, si poteris, hoc est, si linee ab a versus bc tracte suffecerint. Sin autem, per 60, ut eo facilior sit eorum numerorum, qui in quadrante querentur, inventio. Quo facto iuxta latus bc inter lineas | a puncto a versus bc tractas a b versus c incipiendo in prima divisione Pe 44v circa b inscribes 1049, in secunda divisione 2883, in tertia divisione 5304, et sic de aliis inscribendo omnes numeros per ordinem quos habes in tabula in fine lateris bc 1108800 inscribantur. Et hec linea contentum inter cordam et arcum vocabitur, cuius sinus versus est sagitta vacui. Et his numeris prescribes sinum versum portionis circuli a latere ab incipiendo et ipsum ut prius versus ac per 30 minuta extendendo, donec in ultima linea 60 compleantur.| Capacitatem partis vasis vacue per quadrantem seu trigonum ad hoc compositum Pa 22r invenire. Quere primo capacitatem vasis totius secundum doctrinam collationum virge circularis vel per virgam trigoni vel alterius, et eam etiam cum maiore et minore vasis profunditate diametrum, et cum vasis longitudine serva. Deinde maiorem et minorem diametros predictas in virga trigoni signa. Postea utranque harum diametrorum mediabis, et earum medietates in latere trigoni ab signabis. Post hoc si pars diametri maioris que stetit in vacuo, quod est sagitta vacui, quam tibi virge siccitas demonstrabit, fuerit maior quam differentia maioris et minoris diametri, tunc ab eadem sagitta vacui minuenda est medietas differentie duarum semidiametrorum prius in latere ab signatarum, et residuum est sagitta vacui equata. Cuius una extremitas applicetur perpendiculariter linee quantitatis ab, et hoc in puncto medietatis differentie, quod fit certius per gnomonem, et alia extremitas extendatur in quadrante. Et quam lineam hec extremitas sagitte vacui equate in quadrante extensa tetigerit, in eadem linea capiendus est numerus magnus iuxta latus bc scriptus. Qui multiplicetur per numerum in directo medietatis differentie duarum semidiametrorum in secunda linea iuxta lineam ab scriptum; et productum dividatur per numerum magnum ultimo in linea bc positum, scilicet 1108800, si potest, et provenient mensurarum aree inter cordam et arcum contente, si in virga trigoni mensuras dinstinxeras. Si vero productum per 1108800 dividi non poterit, tunc dividatur per 277200, et provenient quarte arearum de mensuris inter cordam vacui et arcum vasis contentarum, quia 277200 est 1/4 de 1108800. Et si adhuc per 1/4 dividi productum non poterit, dividatur per 1/16, scilicet per 69300, etc. Deinde ultimo ex divisione productum multiplica in vasis longitudinem prius servatam, quia exinde tota partis vasis vacue capacitas producetur. Quam divide per 64, deinde per 8, et provenient scaphi. Si prima divisio facta fuit per 1108800

18 doctrinam ] om. Pa

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Abbildung III.28: Zeichnung Pe 43v.

Pe 45r

et sic secundum eandem proportionem in aliis, et hi scaphi vel huius quod fuerit sunt quibus vas a sua plenitudine deficit. Si vero sagitta vacui minor fuerit differentia duarum diametrorum, proiice in | plano lineam differentie duarum diametrorum equalem, que sit ab, a cuius una extremitate lineam sagitte vacui equalem perpendiculariter erige, que sit ac. Quibus hipotenusa subiuncta abc orthogonus est productus. A cuius angulo recto de linea ab accipienda est portio equalis linee ac, que sit ad , et a puncto d super lineam ab erigatur perpendicularis d e, et hec linea, scilicet d e, est nunc sagitta vacui equata, cum qua ut cum priore agendum est, ut patet inferius in figura.

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Per hanc virgam trigoni etiam totius vasis capacitatem invenire. Profunditatem vasis equatam per hanc virgam inventam duc in se ipsam, et productum multiplica in vasis longitudinem, et postremum productum divide ter per 64, quia in tantum ultimum productum decrevit; vel idem ultimo productum divide semel per 262144 et provenient scaphi, et residuum sunt mensure seu 64e .|

Abbildung III.29: Zeichnung Pe 45r.

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Abbildung III.30: Perugia, Abbazia di San Pietro, Archivio storico, CM 18, fol. 45v.

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Abbildung III.31: Perugia, Abbazia di San Pietro, Archivio storico, CM 18, fol. 46r.

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Abbildung III.32: Perugia, Abbazia di San Pietro, Archivio storico, CM 18, fol. 46v.

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Abbildung III.33: Perugia, Abbazia di San Pietro, Archivio storico, CM 18, fol. 47r.

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Pa 24r, Pe 47v

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S EQUITUR DE VIRGA QUARTA , SCILICET VISORIA CUBICA I Virgam visoriam, cuius usus et factio faciles, figurare. Sit mensura data, qua vasa vel huiusmodi metiri volueris cubice disposita, idest quod eadem sit eius longitudo, latitudo et profunditas, cubus abcd , qui secundum equidistantiam lateris, verbi gratia ad , dividatur seu dividi imaginetur, exempli gratia in 24 partes equales. Et tales partes, si placet, vocentur quadrata, et quadratum ulterius intelligatur dividi simpliciter secundum equidistantiam laterum, et in maiore eius latitudine etiam in 24 partes equales, et partes huiusmodi vocentur supplementa. Et supplementum dividatur secundum medium iam dictum simpliciter in 24 partes equales, et particule huiusmodi vocentur cubelli, idest cubi parvuli.

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Abbildung III.34: Zeichnung Pe 47v.

II Virgam visoriam in cubellos seu divisiones sibi convenientes dividere. Ad radicem, seu unam virge extremitatem, que virga verbi gratia sit ab f , applicabo unam extremitatem lateris cubi dati seu mensure date non secundum extrinsecum, sed secundum eius intrinsecum. Et aliam extremitatem lateris virge eiusdem extendam secundum longitudinem virge, ipsamque secundum mensure iterum intrinsecum diligenter puncto signabo. Et spatium a radice virge, verbi gratia ab a, usque ad punctum modo signatum dividam in 24 partes equalissimas. Que partes saltem secundum latitudinem earum cubellis prius dictis erunt necessario equales, immo et si predicte partes 24 cubellis iam dictis secundum omnem divisionem, videlicet quod ipsa virga ita subtilis formari poterit, essent equales pulcherrimum appareret. Hi igitur 24 cubelli, in quos latus cubi dati est divisum, equaliter sunt radix cubica cubi dati, seu mensure date, et in ultima harum 24 divisionum inscribam unum ad demonstrandum quod virga in loco sui illo unam tantum mensuram importat. Deinde etiam consequenter totam virgam predictam ab f in tribus eius lateribus dividam secundum divisiones cubellorum predictas tot, quot placuerit; aut tot, quot ipsa virga in se poterit suscipere. Et fortasse dum ipsa 288 vel huius divisiones habuerit satis erit, saltem ad vasa communia localiter mobilia mensuranda.

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III Cubellos supplementa et quadrata ad fractiones grossiores colligere. Quotienscumque in sequentibus acciderit, ut in cubellis 24 coadunata existant, pro eis semper in supplementis addenda est unitas, et pro 24 supplementis in quadratis unitas, et pro 24 | quadratis unum in cubis similiter addendum est. Ratio huius Pe 48r est ex prima huius. Nam cubus datus 24 quadrata continet, et quadratum unum 24 supplementa, et supplementum unum 24 cubellos. Qui 24 cubelli, quia sunt radix cubi dati, ut in precedenti dictum est, si in se cubice ducantur,| totus cubus Pa 24v datus producitur, scilicet 13824 cubelli. Sequitur etiam ex hoc, quod data quacumque divisione seu quocumque cubello cubi dati, scire poteris quotam partem mensure date, id est datus cubellus uel data divisio, importat: solum numerum ordinis dati cubelli a radice virge duc in se cubice et per productum divide 13824, qui sunt cubelli mensure date, et in numero quotiente quot continentur totam partem mensure predicta divisio representat, vel id scies primum productum per 24 dividendo. IIII Causam dictorum dicendorumque ad sensum ostendere. Et ut a radice rem intelligas, quia huiusmodi cubi quadrata et corpora solida, de quibus dictum est et dicetur, apte in plano pro informatione depingi non possunt, ideo accipe lignum vel maguderim vel rem huiusmodi facile scissibilem, aut plures, et eas quantum propius poteris per incisionem in cubos redige equales, et uno eorum loco cubi dati indiviso dimisso, alios unum in quadrata, alium in supplementa, alium in cubellos secundum modum dictum in prima huius divide, et hec super cubum datum, secundum quod dicetur in sequentibus, adde; et subito ad sensum invenies, quot quadrata, quot supplementa et quot cubelli pro quolibet cubo seu qualibet virge divisione super cubum datum sint addendi, et ita utique rem poteris oculis subicere et de agendis facilius speculari. V Quantum importent cetere virge divisiones ad oculum demonstare. Quia igitur iam tota virga in partes sibi convenientes seu in suos cubellos est divisa, nunc instandum est quantum quelibet virge divisio secundum ordinem earum importet. Et quia de primis 24 divisionibus virge, que sunt cubi dati, in tertia huius dictum est, de 25ta igitur divisione nunc restat dicendum. Ad cubum igitur datum applicabo, seu applicari imaginabor, 3 quadrata his, de quibus in prima huius dictum est, omnino equalia et tria huiusmodi etiam supplementa et unum cubellum, ad quamlibet scilicet trium superficierum cubi dati quadratum unum. Deinde ad quodlibet trium laterum eius iuxta quadrata nunc addita addam supplementum unum, et ad angulum communem, in quo supplementa iam addita minantur concurrere, addam cubellum unum, et sic ex his cubo dato additis gignitur cubus novus. Et licet super cubum datum tria quadrata etiam fuerint iam addita, tamen iste cubus novus ad virgam relatus non excedit radicem cubi dati, scilicet 24 divi|siones, nisi in cubello uno videlicet per precedentem. In quadratis vero tribus Pe 48v et tribus supplementis secundum cubum ipsum datum excedit secundum capa-

3 supplementis ] supplementi Pa

6 Qui 24 cubelli ] om. Pa

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Pa 25r

Pa 25v

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citatem que tria quadrata et cetera, ut patet per tertiam. Huius multo pauciora sunt quam medietas unius mensure. Ideo eis propter parvitatem eorum dimissis exterius in divisione 25ta scribam iterum, ut et in precedenti tantum unum ad denotandum quod virga in loco sui illo unam tantum mensuram importat, et pro divisione virge 26 super cubum datum 6 quadrata, 12 supplementa et 8 cubelli, et pro divisione 27 9 quadrata, 27 supplementa et 27 cubelli super eundem cubum datum, ut totum patet per quartam huius sunt addendi. Et quia utrobique, scilicet tam in 26 quam in 27 divisionibus, quadrata et supplementa et cetera minus quam medietatem mensure significant, ideo dimittantur exterius, cum propter paucitatem eorum non patiuntur operantem sensibiliter ober|rare. Pro 28va vero virge divisione super cubum datum oportet addere, ut patet per eandem precedentem, 12 quadrata, 48 supplementa et 64 cubellos, que per tertiam huius sunt 14 quadrata, 2 supplementa et 16 cubelli. Que quadrata 14 etiam sunt, ut patet per primam et tertiam huius, plus medietate unius mensure. Ideo ea iam amplius non licet abicere, sed potius pro eis in eadem 28va divisione 2 inscribe ad denotandum quod virga in hoc sui loco iam duas mensuras importat, et sic semper de sequentibus virge lineis omnibus.| VI Possibilitatem precedentis autentice edocere. Quod autem cubi sequentes ita generentur, scilicet addendo dato cubo circa quadrata et supplementa et cubellos, patet sic. Quia, ut vult Campanus circa 23 primi Euclidis et ipse Euclides diffinitione secunda secundi, quod duo supplementa cum quadrato circa diametrum consistente complent gnomonem, scilicet superficialem, qui gnomon additus quadrato gignit quadratum novum, et hoc est quod dicit Aristoteles in predicamentis: Quadratum addito sibi gnomone crescit, sed non mutatur, idest, fit quadratum maius, sed a quadrature specie non recedit: Modo sicut hoc fit in superficie, ita precise fit idem in solido, solum post quam hec ducuntur in se superficialiter, illa scilicet pro gnomone cubico seu solido debent in se duci seu fieri solide, et sic ex quadrato et supplementis superficialibus producentur supplementa solida et quadrata seu cubelli solidi, que gnomonem cubicum constituunt. Cubicum dico, quia additus cubo priori alium cubum constituit.

20–21 diffinitione ] diffinitive Pe 20 Campanus circa 23 primi Euclidis ] Unklar. Vgl. Camp. Elem. I, 43. [Campanus 2005, 90, Z. 800–815] 20–21 Euclides diffinitione secunda secundi ] Camp. Elem. II, Def. 2. [Campanus 2005, 95, Z. 9–27] 21–22 quod duo supplementa . . . gnomonem ] Camp. Elem. II, Def. 2: Eorum vero paralellogramorum que circa eandem diametrum consistunt quodlibet unum cum supplementis duobus gnomo nominatur. [Campanus 2005, 95, Z. 11–12] 23 dicit Aristoteles in predicamentis ] Camp. Elem. II, Def. 2: Unde paralellogramum addito ergo gnomone quamvis crescat minime tamen alteratur quemadmodum dixit Aristoteles in praedicamentis suis. [Campanus 2005, 95, Z. 25–27] 24 Quadratum addito sibi gnomone crescit, sed non mutatur ] Boeth. Cat.: Quod dicit tale est: Si quadrato, inquit, addatur gnomo, crescit quidem quadratus, non tamen commutatur. [Boethius 1891, lib.4, col. 290, lin. 49–52]

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VII Radicem veritatis totius processus presentis rationabiliter indagari. Iste processus specialiter tamen signi et divisionum virge habet veritatem ex secunda duodecimi Euclidis, que est: Omnium duorum circulorum est proportio alterius ad alterum tamquam proportio quadrati diametri unius ad quadratum diametri alterius.| Sicut igitur habet se quadratum ad circulum, sic cubus ad columnam Pe 49r eiusdem altitudinis rotundam. Non enim alio modo imaginatur mathematicus de quadrato ad cubum, cuius cubi idem quadratum est basis, vel de circulo ad columnam rotundam, cuius columne idem circulus est basis, nisi sicut de puncto, linea et superficie. Modo sicut imaginatur, quomodo punctus serpens producit lineam, et linea mota ad latus producit superficiem, et superficies in altum ducta gignit corpus: sic omnino quadratum in altum directe gradiens et terminum sui lateris non excedens generat cubum, et circulus columnam rotundam. Similiter ergo que est proportio quadrati diametri ad circulum, eadem est cubi, cuius latus est diameter basis columne, ad columnam.| VIII Dato in virga quocumque cubello numerum mensurarum ei corresponden- Pa 25r tem arte scrutari. Quia interdum error contingit in sensibilibus, ut testat hypocras circa principium libri sui sententiarum grandium dicens: Experimentum fallax etc., ideo ponam artem generalem sciendi quot mensuras quilibet cubus, cuius radix quotcumque cubellorum in virga accipitur, comprehendat. Pro quo notandum quod hec virga intelligitur esse radix cubica cuiusdam cubi, cuius ipsa tota unum latus existit. Quod latus, ut in secunda huius dictum est, totum in cubellos divisum est. Quare si scire volueris, quantum virga secundum sui totalem capacitatem contineat, numerorum omnium cubellorum in ea signatorum duc in se cubice, et producetur cubus, cuius scilicet ipsa tota virga radix est. Quem cubum si per 24 diviseris, provenient per tertiam huius supplementa, et residuum, quod amplius per 24 dividi non potest, stabit in loco cubellorum. Et si iterum supplementa per 24 diviseris, provenient quadrata per eandem, et residuum iterum stabit in loco supplementorum. Et si quadrata iterum per 24 diviseris, provenient cubi seu mensure date, et residuum similiter stabit in loco quadratorum, et patebit, quot mensuras tota virga secundum totam sui amplitudinem comprehendat; et sic de quocumque cubello volueris. Vide solum, quotus ipse est in ordine a principio, et numerum ordinis in se cubice multiplica, et quod provenerit, est cubus spatii seu numeri cubellorum a radice virge usque ad cubellum, de quo fit mentio. Quem si per 24 et iterum per 24 et cetera, ut iam in presenti dictum est, diviseris, exibunt mensure, quas virga in eodem cubello importat. Et per eundem modum poteris facere incipiendo a 25 virge divisione et eundo per omnes alias usque ad virge

2–3 secunda duodecimi Euclidis ] Camp. Elem. XII, 2. [Campanus 2005, 431–432, Z. 30–81] 3–5 Omnium duorum circulorum . . . diametri alterius ] Camp. Elem. XII, 2: Omnium duorum circulorum est proportio alterius ad alterum tamquam proportio quadrati sue diametri ad quadratum diametri alterius. [Campanus 2005, 431, Z. 30–31] 16–18 hypocras circa principium libri sui sententiarum grandium dicens: Experimentum fallax etc. ] Vgl. Hipp. Aph. Vita brevis, ars vero longa, tempus acutum, experimentum fallax, iudicium autem difficile.). Siehe [Theophilus, Hippocrates und Galenus 1476].

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Pe 49v

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finem de qualibet, quantum importat practicans singilatim, et numerum quem cui invenies, eidem inscribes ad denotandum, quod virga in loco sui illo tantum importat, et | pro numerorum compendio rediges mensuras in scaphos, et eos in virge locis eis debitis vario a mensurarum colore, vel saltem transversim inscribes. Et hec de latere virge medio sufficiant. Quod etiam latus medium semper post quaslibet 24 divisiones speciali colore signabis et iterum de quibuslibet 6 cubellis in quoslibet 6 saltem atramento distingues. VIIII Datis mensuris seu scaphis quibuscumque saltem in virga habilibus cubellum eis correspondetem experiri. Hec est conversa prioris. Reduc igitur scaphos datos primum ad mensuras ipsas per 64 vel huius multitudo, deinde mensuras reduc ad quadrata, et quadrata ad supplementa, et supplementa ad cubellos quodlibet grossius semper per 24 multiplicando. Deinde postquam totum in cubellos fuerit reductum, illius totius quere radicem cubicam. Que radix erit numerus cubellorum a virge compendio.|

Pa 25v

Pa 26r

Pe 50r

X Secundum latus virge sic inscribitur. Quomodo secundum virge latus inscribitur ostendere. Notandum quod 24 divisiones, que sunt in principio virge, dicuntur cubus integralis datus, sed 24 divisiones has sequentes dicentur cubus integralis primus, et alie 24 divisiones post has dicentur cubus integralis secundus. Item alie 24 has sequentes dicentur cubus integralis tertius, et sic semper usque in finem virge. Et quilibet cubus integralis habet in se 23 cubos partiales, et solum 24tus est proprie integralis, quia aliquotiens precise continet cubum datum. Tamen in proposito omnes 24 simul sumpti dicuntur cubus integralis, partiales vero cubi dicuntur, quia sunt partes cubi integralis. XI Supplementa cuiuslibet cubi primi partialis in quolibet integrali deprehendere. Sciendum igitur quod supplementa cuiuslibet cubi primi partialis in quolibet cubo integrali sunt tot, quot numerus ordinis eiusdem sui integralis ab integrali primo utroque extremorum incluso ut in 3 ductus producit. Causa huius patet ex quarta virga primi cubi partialis. De primo integrali supplementa sunt 3, quia numerus ordinis eiusdem sui integralis, scilicet primi, est unum semel. Igitur 3 sunt 3, et primi cubi | partialis de secundo integrali supplementa sunt 6, quia huius integralis numerus ordinis a primo sunt 2, bis igitur 3 sunt 6, et primi partialis de tertio integrali supplementa sunt 9, qui tertii integralis numerus ordinis a primo sunt 3, qui in 3 ductus 9 producit, et sic de aliis. XII Supplementa residuorum cuborum partialium post primum in quolibet cubo integrali scrutari. Scitis supplementis cuiuslibet cubi primi partialis in quolibet integrali per precedentem, supplementa aliorum cuborum partialium sic invenies. Considera in quolibet cubo integrali, quotus a primo partiali fuerit in ordine cubus partialis, cuius supplementa habere volueris utroque extremorum incluso. Et numerum | ordinis in supplementa cubi primi partialis bis ducito, et productum sunt supplementa cubi partialis, de quo quesivisti. Verbi gratia: Volo querere supplementa 17mi cubi partialis, qui est in 7mo cubo integrali modo cubi primi partialis. De hoc 7mo cubo integrali supplementa per precedentem sunt 21,

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et numerus ordinis cubi partialis, de quo queris, sunt 17. Multiplica igitur 17 in 21, et proveniunt 357. In que iterum multiplica secunda vice 17, et proveniunt 6069 supplementa. Que si per 3 ad fractiones grossiores reduxeris, provenient 10 mensure, seu cubi dati 12 quadrata et 21 supplementa. 5

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XIII Cubellos cuiuslibet cubi partialis in quolibet integralium perquirere. A primo partiali numerum ordinis cubi presentis duc in se cubice, ut in octava est dictum, et provenient cubelli cubi partialis presentis. Quibus cubellis et supplementis per precedentem inventis et per 3 ad fractiones grossiores reductis iunge omnia simul quodlibet suo generi addendo, et exibunt ea, que in secundo virge latere sunt scribenda. Verbi gratia: In eodem 7mo cubo, de quo in precedenti, si 17 bis in se multiplicentur, proveniunt 4913 cubelli. Qui si per 24 dividuntur, proveniunt 8 quadrata, 12 supplementa et 17 cubelli. Que si cum iis, que ex supplementis in precedenti inventa sunt, iungantur, proveniunt 10 cubi, 21 quadrata, 9 supplementa et 17 cubelli, et eadem forte in quibusdam tabulis cubi 7mi invenies. Et hec sunt que scribenda sunt in latere virge secundo iuxta 17mam divisionem cubi integralis 7mi , et ita de omnibus aliis virge divisionibus. Sed forte competentius erit, ut in quolibet virge cubo integrali signes numeros ab unitate usque 24, et tunc iuxta hec scribes ea, que sunt per hanc et precedentem inventa, quodlibet iuxta id, cui numerasti.

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XIIII Tertium virge latus sic inscribitur. Quomodo tertium virge latus inscribitur, declarare. Vide differentias seu excessus eorum, que scripta sunt in latere virge primo, subtrahendo scilicet quodlibet precedens a quolibet immedietate sequenti. Et illas differentias scribe in latere virge 3o , quodlibet scilicet inter illa, quorum ipse est differentia.

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XV Tabulas pro tollenda difficultate predictorum componere. Ad tollendum igitur prolixitatem et laborem multiplicem in opere fabricabo quasdam tabulas tripartiales, idest, tres partes seu tres terminos habentes. In primo termino earum ponentur ea, que in qualibet divisionum virge secundum ordinem earum sunt scribenda. Et hunc primum terminum harum tabularum fabricabo secundum doctrinam octave, et per hunc terminum | queretur capacitas vasorum in genere, Pa 26v ut patebit in secundo huius de usu virge. In secundo vero termino earum ponentur ea, que ad prius, capacitatem per primum tabularum terminum inventam, addenda vel ab ea minuenda sunt ratione superflui vel defectus supplementorum et cubellorum in longitudine. Et hunc termi|num secundum faciam per 10 huius. Pe 50v In tertio vero termino harum tabularum scribentur differentie eorum, que in primo termino posita sunt, scilicet quantum quelibet sequens virge divisio plus precedente significat. Et hunc tertium terminum harum tabularum per precedentem doctrinam formabo. Quibus tabulis habitis, et semel formatis, virga sine difficultate formabitur, etiam quotienscumque placuerit.

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XVI Tabulas, de quibus in precedenti fit mentio, facilius figurare. Si in componendis tabulis his modus in precedenti dictus tediosus appareat tibi, alium modum breviorem et certiorem quantum ad calculationem processus exponam, et incipiam verbi gratia a cubo dato et a cubello, quod est minimum in opere. Et in

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his tabulis erunt due linee numeri. Primus numerus in prima linea positus erit generalis continens cubos partiales et integrales indifferenter, et hic augebitur continue per unitatem usque in finem tabularum, aut usque quo placuerit. Secundus numerus continebit cubos partiales, cuius cubi integralis tantum. Et hic incipiet in principio cuiuslibet cubi integralis ab unitate, et finietur semper cum eodem cubo integrali in 24, et in cubo dato erit tantum primus terminus tabularum. In linea igitur prima huius termini versus unitatem in lineis numeri ponam cubellum tantum unum. Deinde illam unitatem scribam etiam exterius in tabula vel in lapide. Cui subscribam inferius in secunda linea aliam unitatem, et sub illa in tertia linea inferius scribam 6, et stabunt sic in margine.

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Abbildung III.35: Zeichnung Pe 50v in marg. (1).

Deinde 6 addam ad unum, et sunt 7, et dimittam tam 6 quam 7 stare in locis suis indeleta. Deinde 7 addam ad primam unitatem, et sunt 8, et dimissis iterum 8 in lapide indeletis ponam in secunda linea in tabulis 8, quia hec secunda linea tabularum, et ea que manserunt in lapide stabunt sicut in margine.

Abbildung III.36: Zeichnung Pe 50v in marg. (2).

Et pro tertia linea et pro omnibus aliis sequentibus adhuc sub prioribus 6 subscribam in quarta linea inferius iterum 6, et stabunt in lapide, sicut stat in margine.

Abbildung III.37: Zeichnung Pe 50v in marg. (3).

1 Primus numerus ] primus numerus add. Pa in marg. rus add. Pa in marg.

4 Secundus numerus ] secundus nume-

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Deinde infimum 6 addam ad superius 6, et proveniunt 12. Quibus dimissis indeletis in sua linea 3 addam ea ad 7, que sunt in secunda linea, et provenient 19. Quibus iterum in eadem linea secunda dimissis indeletis addam ea ad 8 in prima linea, et provenient 27, et per tertiam huius erunt 3 cubelli et unum supplementum, que scribe in tertia linea tabularum. Ea vero, que in lapide relicta sunt, stabunt sicut in margine.

Abbildung III.38: Zeichnung Pe 50v in marg. (4).

Deinde pro linea quarta addam ea iterum omnia simul per modum dictum, et stabunt sicut stat in margine et ultima figura.

Abbildung III.39: Zeichnung Pe 50v in marg. (5).

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Et quia in superiori linea proveniunt 2 supplementa per tertiam et 16 cubelli, igitur pone hec in linea tabularum quarta, quia solum ista, que in prima, scilicet superiori, linea ex hac additione provenient, in tabulis secundum ordinem inscribentur. Alia vero omnia inferiora solum sunt pro invenienda | linea prima. Et notandum Pe 51r quod in toto hoc processu ea, que adduntur, et ea, que ex additione proveniunt, in omnibus lineis in lapide stantibus semper | debent stare indeleta. Item notan- Pa 27r dum quod quotienscunque collecta fuerint in aliqua linearum 24, semper pro eis addenda est unitas in linea eadem proxime versus sinistram, et hec addenda, de quibus iam dictum est, possunt scribi in fine saltem cuiuslibet cubi integralis, ut si quis post aliquem cubum integralem tabulas continuare voluerit, habeat in parato. Ita enim fuit usque in finem tabularum. XVII Tabulas secundi termini materiam continentes conscribere. De secundo termino tabularum, ut in precedenti de primo dictum est, operare, sed solum colligendo ea, que ex supplementis et cubellis tantum crescunt, et hec in cubo dato propter parvitatem eorum nec in virga nec in tabulis scribere oportebit. 2 indeletis ] indetis Pa

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III

Edition der Visiertextsammlung

In ceteris vero cubis vide, quot sunt supplementa cubi primi partialis in cubo integrali, de quo volueris per 17am huius, et scribe ea in linea tabularum prima. Scribe etiam eadem supplementa extra in tabula vel lapide et eadem supplementa sub eis in secunda linea, et duplum supplementorum subtus iterum in tertia linea. Et iunge ea simul per modum dictum in precedenti, et producto adde ea, que stant in linea tabularum secunda cubi dati, et productum scribe in linea secunda termini secundi tabularum, et pro tertia linea adde ea iterum, que stant in lapide simul per modum dictum. Et ad productum adde iterum id, quod stat in tertia linea cubi dati, et sic per totum usque ad finem cubi integralis, de quo operaris, scilicet usque ad 24, et sic in omnibus cubis facies. Verbi gratia: Cubi partialis primi de primo cubo integrali per 17 super 3 supplementa et in prima linea cubi dati stat unus cubellus. Illa ergo ponam pro linea prima termini secundi. Deinde pro linea invenienda secunda scribam exterius in lapide 3 supplementa, et sub his iterum 3, et iterum sub his duplum supplementorum, scilicet 6, et per modum in precedenti dictum iungam ea simul, et proveniunt 12. Et his addam ea, que stant in linea secundi cubi dati, scilicet 8 cubellos. Hec igitur, scilicet 12 supplementa et 8 cubellos, ponam in linea secunda termini tabularum secundi, et sic de omnibus cubis partialibus usque ad 24 cuiuslibet cubi integralis. Tabulas vero tertii termini materiam continentes inscribes per 14 faciliter.

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Pe 51v

Pa 27v

Eadem longitudo et latitudo seu profunditas urne nurimbergensis, que dicitur urna cubica, stat in virga mea circulari signata per lineolam super cuprum transversum, et usque illam lineolam in eadem virga profunditas est 22/16 et 3/5 unius 16me . Hoc reductum ad eandem denominationem facit 113/80, longitudo vero 45/8 et 6/20 unius 8ve , quod reductum facit 453/80. Multiplica igitur profunditatem in longitudinem, et divide per | 8, et provenit una urna. Reducitur autem quantum ad presens sic. Multiplicetur 5 in 16 et producitur denominator communis, deinde 22 per 5, et adduntur 3, vel secundum artem videatur, quota pars integri sunt 3/5 unius 16me , et sunt 3/8. Reducantur igitur 22/16 et 3/8 ad eandem denominationem. 30m prime virge. Brevitati latitudinum virgarum, circularis scilicet et quadrate, remediari. Quia in virgis predictis longitudines earum possunt | quotiens placuerit replicari, ideo in quantumcumque longo vase sufficiunt. Latitudines vero non sic, immo nec semel replicari possunt. Ideo necessarium fuit earum brevitati dum acciderit fore remediandum. Notandum ergo quod si portionem virge sub quacumque latitudine repertum secundum quantitatem continuam duplicaveris, in fine dupli eiusdem, latitudinem 4alem ad latitudinem priorem, sub qua portionem virge acceperas, secundum quantitatem discretam invenies. Dum igitur vas metiendum accesseris et virga secundum latitudinem non suffecerit, tunc eiusdem vasis fundi equati medietatem in latere latitudinum virge signabis, et circa hoc signum latitudinem inventam quadruplabis, et quod provenerit est latitudo vasis predicti eadem, ac si per eandem virgam, si ipsam sufficiens esset, fuisset accepta.

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Quam latitudinem si in longitudine eiusdem vasis duxeris, productum erit vasis capacitas. Et eodem modo et per eandem rationem poteris quantumcunque vas profundum cum satis brevi virga metiri. Et forte alleviabitur, si sceptrum acceperis in profunditate vasis prolixum et in eo continue latitudines a virga sumendo radicem usque ad extremum profunditatis signaveris. Verbi gratia: Si vas ita grande fuerit, ut virga tua eius profunditatis equate medietatem comprehendere non possit, accipe tunc baculum qualemcunque sufficientis tamen longitudinis, et in eo vasis profunditatem equatam signa. Quam in quatuor partes equales divide, et virgam eius radice super principium prime 4te posita secundum profunditatem vasis extende, et numerum profunditatis virge super finem eiusdem 4te prime cadentem quadrupla, et proveniet medietas profunditatis vasis predicti. Quam medietatem si iterum quadruplaveris, totius vasis mensurandi profunditas exurget. 31m prime virge. Datam columnam rotundam altera parte longiorem in columnam cubicam rotundam reducere. Sit columna data altera parte longior abc, verbi gratia, cuius latus altitudinis ab sit ut 16, sit longius laterum latitudinis bc, quod sit verbi gratia ut 2. Ducatur ergo diameter bc, scilicet 2, in se ipsam, et productum ducatur in altitudinem columne date, scilicet in 16, et producetur columna quadrata, cuius capacitas | est 64. Cuius capacitatis queratur radix cubica, quanto precisius Pe 52r potest, que est 4. Super radicem igitur, que est 4, erigam cubum d e f . Cuius cubi basis erit quadratum e f , scilicet 16. Ergo bases harum quadratarum columnarum ipsarum altitudinibus erunt mutue, seu mutechesie. Sicut enim se habet basis columne d e f , scilicet 16, ad basim columne abc, scilicet ad 4, sic econverso altitudo columne abc, scilicet 16, ad altitudinem d e f , scilicet ad 4. Ergo per secundam partem 35 undecimi euclidis columne quadrate abc et d e f seu columna et cubus sunt equales. Linea igitur e f facta diametro circinabo circulum e f et eo basi facto erigam columnam rotundam in eadem altitudine e f seu ed . Et quia per secundam 12mi Euclidis sicut se habet quadratum e f ad quadratum bc, sic circulus e f ad circulum bc, ergo bases harum columnarum rotundarum erunt similiter altitudinibus earum mutue. Ergo per secundam partem 12me duodecimi euclidis ipse columne rotunde erunt similiter e|quales. Igitur et cetera. Et confir- Pa 28r matur querendo capacitatem utriusque earum singillatim. Idem enim proveniet utrobique. 17–18 cuius . . . sit ] om. Pa et add. in marg. 25–26 sic . . . 4 ] om. Pa et add. in marg.

24 mutechesie ] M UTECHESIE add. Pa in marg.

24 altitudinibus erunt mutue ] Camp. Elem. XI.35 Si duo solida equidistantium terminorum fuerint equalia, eorum bases eorum altitudinibus erunt mutue. [Campanus 2005, 420, Z. 906–907] 26–27 per secundam partem 35 undecimi euclidis ] Camp. Elem. XI, 35. [Campanus 2005, 420, Z. 906–922] 30 per secundam 12mi Euclidis ] Camp. Elem. XII, 2. [Campanus 2005, 431–432, Z. 30–81] 32–33 per secundam partem 12me duodecimi euclidis ] Camp. Elem. XII, 12. [Campanus 2005, 452–453, Z. 762–792]

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Edition der Visiertextsammlung

Quadra diametrum columne, et quadratum duc in altitudinem columne eiusdem, et producti extrahe radicem cubicam, quia ipsa est diameter circuli, qui circulus est basis columne cubice quesite. Similiter est de diametro ut 4 et altitudine ut 32 et cetera duplicando, ut figuris patet.

Abbildung III.40: Zeichnung Pe 52r (1).

Abbildung III.41: Zeichnung Pe 52r (2).

4–5 duplicando, . . . patet. ] corr. Pa in quadrando etc.

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De virga visoria quarta facilis constructionis, scilicet cubica. Accipe virgam, que pro vasorum mensurandorum diametris sufficiat, et in ea longitudinem et latitudinem scaphi unius, et plus huic convenit, ut longitudo et latitudo scaphi sint equales. Scaphum dico, secundum quem mensurare volueris, qui communiter 64 mensuras continet. Deinde latitudinem vel longitudinem predictam,| quia equales eas esse supposui, iam in virga predicta signatam divide Pe 52v in 64 partes equales, et secundum easdem partes divide totam virgam in tot partes, quot earum ipsa poterit accipere, et tunc virga ipsa perfecta est. Dum ergo per hanc virgam operari volueris, profunditatem vasis equatam duc in se ipsam, et productum duc in vasis longitudinem, et postremo productum divide 3 per 64, quia in tantum ultimum productum decrevit, vel divide idem productum ultimum semel per 262144, et provenient scaphi, et residuum, quod amplius dividi non potest, sunt mensure vel 64te de tina una. Columnam rotundam altera parte longiorem, cuius basis diameter est 16 et axis 35, ad columnam cubicam modo vulgari redigere. Excessum basis columne super diametrum basis eius, scilicet 19, divide in quatuor partes equales, et 1/4, scilicet 4, et 3/4 super diametrum basis columne ad diametrum producit diametrum basis columne cubice quesite, quod est 20 et 3/4, quod est prope veritatem, quia verior diameter est 20 et 46 minuta. Si vero axis columne predicte rotunde diametrum basis eius, scilicet 16, tantum in 2 excedat, tunc accipe 1/3 illius excessus, quod est 2/3 unius. Quod adde super diametrum basis eius, et proveniet diameter basis columne rotunde cubice quesite, scilicet 16 2/3. Quod est similiter prope veritatem. Quod totum probare et examinare poteris per 31m virge prime, scilicet circularis.

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Edition der Visiertextsammlung

Abbildung III.42: Sequuntur Tabule pro formatione virge visorie cubice (1). Perugia, Abbazia di San Pietro, Archivio storico, CM 18, fol. 53r.

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Abbildung III.43: Sequuntur Tabule (2). Perugia, Abbazia di San Pietro, Archivio storico, CM 18, fol. 53v.

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Abbildung III.44: Sequuntur Tabule (3). Perugia, Abbazia di San Pietro, Archivio storico, CM 18, fol. 54r.

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Abbildung III.45: Sequuntur Tabule (4). Perugia, Abbazia di San Pietro, Archivio storico, CM 18, fol. 54v.

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Abbildung III.46: Sequuntur Tabule (5). Perugia, Abbazia di San Pietro, Archivio storico, CM 18, fol. 55r.

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Abbildung III.47: Sequuntur Tabule (6). Perugia, Abbazia di San Pietro, Archivio storico, CM 18, fol. 55v.

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Abbildung III.48: Sequuntur Tabule (7). Perugia, Abbazia di San Pietro, Archivio storico, CM 18, fol. 56r.

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Abbildung III.49: Sequuntur Tabule (8). Perugia, Abbazia di San Pietro, Archivio storico, CM 18, fol. 56v.

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Edition der Visiertextsammlung

Abbildung III.50: Sequuntur Tabule (9). Perugia, Abbazia di San Pietro, Archivio storico, CM 18, fol. 57r.

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V ERZEICHNIS DER H ANDSCHRIFTEN , A RCHIVALIEN UND M ESSSTÄBE In diese Arbeit gingen zahlreiche Dokumente ein, die heute in Bibliotheken, Archiven und Museen aufbewahrt werden. Meine Ergebnisse beruhen unter anderem auf der Auswertung von Handschriften, Verwaltungsbelegen, Akten, Urkunden, kleineren Zetteln und schließlich auch Messstäben. Sie sind im folgenden angeführt. Die mit (*) markierten Schriftstücke oder Gegenstände konnte ich im Original einsehen und untersuchen.

H ANDSCHRIFTEN Frankfurt am Main, Universitätsbibliothek, Ms. lat. qu. 17 Freiburg im Breisgau, Universitätsbibliothek, Hs. 28 Innsbruck, Universitäts- und Landesbibliothek Tirol, Cod. 593 Klagenfurt, Bischöfliche Bibliothek, XXX b 7 Klosterneuburg, Stiftsbibliothek, Cod. 683 Klosterneuburg, Stiftsbibliothek, Cod. 684 Leipzig, Universitätsbiblitohek, Hs. 1475 München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 14504 New Haven, Yale University, Beinecke Rare Books and Manuscript Library, Beinecke MS 410 (*) New Haven, Yale University, Harvey Cushing/John Hay Whitney Medical Library, Medical Historical Library, MS. 25 (*) New York, Columbia University, Rare Book and Manuscript Library, Plimpton MS 167 (*) New York, Columbia University, Rare Book and Manuscript Library, Plimpton MS 188 (*) Paris, Bibliothèque de l’Arsenal, MS 4630 (*) Paris, Bibliothèque nationale de France, Département des manuscrits, Latin 10259 (*) Paris, Bibliothèque nationale de France, Département des Manuscrits, Archives Ancien Régime 65, Registre des acquisitions du Département des Manuscrits 1667–1758 (*)

338

Verzeichnis der Handschriften, Archivalien und Messstäbe

Perugia, Abbazia di San Pietro, Archivio storico, CM 18 (*) Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 1354 Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 1381 Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Ottob. lat. 1850 Venedig, Archivio di Stato di Venezia, I dispacci conservati all’Archivio di Stato di Venezia, Capi del Consiglio dei Dieci, Lettere degli ambasciatori in Ungheria, B 30, nn. 258–259 Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Cod. Guelf. 18.4 Aug. 4◦ , Handbuch des deutschen Kaufmanns (1511) (*)

A RCHIVALIEN Staatsarchiv Nürnberg (StAN) Ämterbüchlein Nr. 1-45 Amts- und Standbücher 268 (*) Reichsstadt Nürnberg, Kaiserliche Privilegien, Urkunden 86 Reichsstadt Nürnberg, Losungsamt Akten, SIL 124, Nr. 7 (*) Reichsstadt Nürnberg, Stadtrechnungsbelege, Einzelbelege Nr. 3, 12, 71, 117, 149, 171, 185, 195, 267, 344, 448, 462, 589, 685, 752, 1423 (*) Reichsstadt Nürnberg, Stadtrechnungsbelege, Bündel Nr. 163, 232, 430, 561, 685, 772, 853, 933, 1008, 1169, 1272, 1357, 1451, 1559, 1647 (*) Reichsstadt Nürnberg, Ratskanzlei B-Laden, Akten 73, Nr. 1 (*) Rep. 5.6 Karmeliterkloster in Nürnberg, Urkunden, Nr. 5 Stadtarchiv Nürnberg (StadtAN) B 14/I und B 14/II (Datenbank im Lesesaal)

M ESSSTÄBE Visierrute. Mathematisch-Physikalischer Salon, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Inv.-Nr. B I 4 (*) Visierrute. Mathematisch-Physikalischer Salon, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Inv.-Nr. B I 35 (*)

O RTSREGISTER A Aachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 Amberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 Antwerpen . . . 21, 23, 26 ff., 31, 57, 136, 145, 186 B Bamberg . . . . . . . . . . . . . 20, 134, 136, 141, 173 Basel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 Bologna . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 Bonn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 Bozen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145, 223 Brixen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 Brüssel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 Buda . . . . . . . . . . . . . . . 159, 162 ff., 166 f., 175 f. Budapest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 C Cambrai . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 Chioggia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 Cochem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 Cremona. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 D Damme. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20, 24, 66, 145 Dresden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 f., 338 E Erfurt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21, 106, 223 Eßlingen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 Esztergom. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . siehe Gran F Faenza . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 Ferrara. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 Frankfurt . . . . . . 66, 106, 112 f., 141, 143, 156, 337 Freiburg i. Br.. . . . . . . . . 38, 40, 47, 50, 53, 337 Friedberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 Fünfkirchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 G Göttingen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 Gent . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 Gostenhof . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128, 222, 224 ff. Gotha . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26, 28 Gran . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161, 163

Großwardein (Várad/Nagyvárad). . . . . . 161, 163, 166 H Hamburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106, 113 I Innsbruck . . . . . . 37 ff., 47, 50, 53, 58, 96, 337 K Kaschau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 Kitzingen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133, 137 Klagenfurth . . . . . . . . . . 38, 40, 47, 50, 53, 337 Klosterneuburg. . . 38, 40 f., 44, 47 f., 50 f., 53, 90, 96, 337 Koblenz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 Köln . . . 21, 27, 29, 31, 33, 63, 66, 113 f., 131, 139 f., 189 ff., 223 Konstantinopel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158, 163 Krakau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 L Lauingen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 La Rochelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 Legnago . . . . . . . 39, 41, 153 ff., 166, 171, 175 Legnano . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 Leipzig . . . . 21, 32, 38, 40, 47, 50, 53, 60, 133, 144, 209, 337 Lüneburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 M Münstermaifeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 Mailand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 Mainz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 f., 139, 223 Mantua . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156, 160, 174 Medebach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 Meran . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 Montepulciano . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 München. . . 22, 38, 41, 47, 50, 53, 60, 67, 92, 110, 135, 209, 337 Murano . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106, 171 N Nürnberg . . . . . . . . 11, 14, 20 f., 26, 31, 67, 69 Neapel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162, 170 New Haven. . . . 12, 35, 37 ff., 47, 50 f., 53, 55, 60, 69, 90 ff., 96, 209, 337 New York . . . 37, 39 f., 46 f., 50, 53, 58, 60, 74, 80, 87, 109, 191, 337

340

Ortsregister

Nürnberg . . . . . . . . . . . . . . . . . 11, 14, 22, 26, 31, 39 ff., 49, 105 ff., 111 ff., 124 ff., 139, 141, 145 ff., 151 ff., 165, 167, 177, 179 ff., 183, 189 ff., 219 f., 222 f., 226

Siena . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 Speyer. . . . . . . . . . . . . . . . 65, 113, 139, 141, 146 St. Emmeram . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 f., 38 f., 41 Straßburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31, 66, 139

O Oettingen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 Oxford . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145

T Tegernsee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Tokaj . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 Toledo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 Tramin. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 Trier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 f., 114, 139

P Padua . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160, 162, 171 Paris. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 f., 35, 37, 39, 41, 47, 50 f., 53, 60, 74, 87, 90, 92, 145, 153 ff., 162, 164 ff., 175 ff., 191, 193, 209, 217, 228, 259 f., 337 Perugia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 f., 35, 37, 39, 41, 47, 50 f., 53, 58, 60, 74, 90, 92, 153, 164, 169 f., 174 ff., 191, 209, 217, 227 f., 251 ff., 261 ff., 290 ff., 306 ff., 338 Pest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 Porto . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 f., 156, 166, 175 Porto Legnago . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 Porto Legnano . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 Porto Lignago . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 f. R Regensburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 Rom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162, 165, 171, 173 f. S Salzburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 Schweinfurt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 Seckau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38

U Ulm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113, 141 V Várad/Nagyvárad . . . . . . siehe Großwardein Vatikan. . . 35, 39, 41, 47, 50 f., 53, 60, 92, 174, 209, 338 Venedig. . . 14, 154, 156, 158 f., 161 ff., 170 ff., 174 ff., 192, 194, 338 Verona . . . . . . . . . . . . . . . . . 154, 156, 170 f., 175 Veszprém . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 Volkach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 f., 141 f. W Werd(e). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . siehe Wöhrd Wien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 f., 23, 39 ff., 86 Wittenberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Wöhrd (Werd) . . . . . . . . . 128, 136, 222, 224 ff. Wolfenbüttel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 Worms . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 f., 139 Würzburg . . . . . . . . . . 21, 115, 141, 143 f., 223

P ERSONENREGISTER A Pseudo-Adam von Boefeld . . . . . . . . . . . . . . 98 Adelard von Bath . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 Agliardi, Alessio (il Vecchio) . . . . . . . . . . . . 171 Agrimensoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 Alberti, Leon Battista . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 Albertus Magnus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 Albrecht von Metpach . . . siehe Maienbach, Albertus Alexander der Jagiellone . . . . . . . . . . . . . . . 162 Alfons II. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 Alfons X. von Kastilien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 Alvarus Thomas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 Amann, Fridericus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 Anna (Anne de Foix-Candale) . . . . . . . . . . 164 Anna (Jagiello von Böhmen und Ungarn). . . 163, 166, 175 Apian . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 Archimedes. . . . . . . . . . . . . 27, 29, 95, 174, 176 Aristarch von Samos. . . . . . . . . . . . . . . 164, 168 Aristoteles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29, 97 ff., 103 Averroes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 Avicenna . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 B Badoer Antonio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 Familie . . . 156 ff., 162, 164, 166 f., 175 f. Giacomo (bailo) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 Giacomo (Händler) . . . . . . . . . . . . . . 157 f. Giovanni (podestà) . . . . . . . . . . . . . . . . 158 Giovanni (Gesandter) . . . . . . . . 158, 160, 162 ff., 166, 175 ff., 192 Marco . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 Sebastiano. . . . . . . . . . . . . . . 158, 164, 167 Behaim, Michael . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 Bembo, Pietro . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 Bernard von Clairvaux. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 Bernelino . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 Bernkopf Cristoff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128, 222 Ella . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 Beyer, Johann Hartmann . . . . . . . . . . . . . . . . 22 Bischer, Hanns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 Boethius. . . . . . . . . . . . 58, 74 ff., 87, 100 f., 214 Bollot, Bernard . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 Bonaventura . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99

Bouillaud (Monsieur) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 Bouillaud, Ismaël . . . . . . . . . . . . . . . . 154, 168 f. Brunast, Martin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133, 226 Brusstor, Margaret . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 Bufalini, Leonardo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 Bynczendorffer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23, 136 C Caesar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 Calandri, Filippo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 f. Campanus von Novara . . . . . . 72 f., 83, 99 ff., 205, 212 Caspar von Püntzendorf . . . . . . . . . . . . . . . 221 Cavalieri, Bonaventura . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 de Chaves, Hieronymo . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 Chelius, Georg Kaspar. . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 Chuquet, Nicolas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24, 26 Cicero . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 Coignet, Michiel . . . . . . . . 21, 23 ff., 27 f., 186 Commandino, Federico . . . . . . . . . . . . . . . . 168 Contarini, Giorgio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 D de’ Danti, Giovanni . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 Dominicus de Clavasio . . . . 17, 19, 27, 73 ff., 79 f., 83 ff., 101 Dorß, Bartolomeus . . . . . . 133, 136, 138, 226 Düstau (Familie) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 E Epaphroditus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 Euklid . . . . . 58, 71 ff., 76, 83, 100 f., 151, 170, 173 f., 177, 200 Eytelwein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 F Faber, Jacob . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 de’ Federicis, Giorgio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 Feldhaus, Franz Maria . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 Fels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 Fibonacci . . . . . . . . . siehe Leonardo von Pisa Folz, Hans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132, 149 de’ Franceschi, Andrea. . . . . 41, 165 ff., 175 f. Friedrich I. von der Pfalz . . . . . . . . . . . . . . . 182 Friedrich III. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165, 167 Frontin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 Fugger (Familie) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 Fusoris, Jean . . . . . . . . . . . 21, 24, 26 f., 86, 172

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Personenregister

G Galilei, Galileo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 f. Gaulenhofer Brigitta. . . . . . . . . siehe Hübsch, Brigitta Niclas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132, 138, 221 Gerhard von Cremona . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 f. Meister Gernardus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79, 81 Giocondo, Giovanni. . . 18, 20, 24, 41, 170 ff., 176, 192 di Giorgio, Francesco . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 Giustinian, Sebastiano . . . . 163, 165 f., 175 f. Glarean, Heinrich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 Gottfried von Franken. . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 Grammateus . . . . siehe Schreyber, Heinrich Guldin, Paul . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 Gysel, Claus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 H Hartung, H. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 Haß, Kunz . . . . . . . . . . . . . . . 11 f., 117, 148, 190 Heinczs Osterreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 Heinrich VII.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 Helm, Erhart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 Helmreich, Andreas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 Helmut, Nicolaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 Heron von Alexandria . . . . . . . . . 17, 168, 174 de Herrera, Juan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 Hippocrates (Hypocras) . . . . . . . . . . 97 f., 186 Hofmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133, 225 Hofmann, Hanns (genannt Zwingel) . . . 225 Holpier, Ulrich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 Holtzapfel Herman . . . . . . . . . . . . . . . . 128, 136, 225 f. Michel . . . . . . . . . . . . . . . . . 136, 138, 225 f. Hübsch Balthasar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 Brigitta . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132, 138, 221 Christina . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 Clara (Schwester) . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 Clara (Tochter) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 Cristina . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 Gerhart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 Hans. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 Lenhart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 Magdalena . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 Ulrich . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 ff., 138, 221 Hugo von Sankt Viktor . . . . . . . . . . . 12, 73, 98 al-Hw¯arizm¯ı . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 ˘ Hypocras . . . . . . . . . . . . . . . . siehe Hippocrates J Meister Jacob . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133, 226 Jöppel, Michel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132, 134

Johannes de Lineriis . . . 81 f., 86, 88 ff., 96 f., 101 f., 188 Johannes de Muris . . . . . 18 f., 27, 78, 95, 172 Johannes de Sacrobosco. . . . . . . . . . . . . . . . . 96 Johannes von Gmunden . . . . . 40, 81, 86, 96, 101 Jordanus Nemorarius . . . . . . . . . . . . . . . . 78, 81 Julius II.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162, 172 Jungkman, Hanns . . . . . . . . . . . . . . . . . 133, 221 K Karl IV. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105, 114 f., 146 Karl VIII. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 Kellner, Heinrich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 Kepler, Johannes . . . . . . . . . . . . . . . 12, 23, 28 ff. Kern, Ulrich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21, 28 Klein, Felix . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 Knödel, Christian . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 Köbel, Jakob . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Kolberger, Ruprecht . . . 132 ff., 136, 149, 224 Krieg, Hans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 L Lacilao . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 Ladislaus II. (Ladislaus Jagiello). . . . . . 161 f., 166, 175 Le Tonnellier, Charles . . . . . . . . . . . . . 154, 168 Lefèvre d’Étaples, Jacques . . . . . . . . . . . . . . . 79 Leonardo Cremonese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 Leonardo von Pisa (Fibonacci) . . . . . 19, 168 Ludwig der Bayer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 Ludwig XII. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 M maestri d’abbaco . . . . . . . . . . . . 18 f., 24, 28, 87 Maienbach, Albertus (Albrecht von Metpach) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128, 131, 220 Mainardi, Leonardo. . . . . . . . . . . . . . . . . . 18, 85 Mansor, Johannes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 Manutius, Aldus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161, 171 Massaro, Francesco . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 f. Mathias von Kemnat . . . . . . . . . . . . . . . 25, 182 Matthias Corvinus . . . . . . . . . . . . 158, 167, 176 Maximilian I. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 Mecherer Linhart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131, 224 Stefan. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131, 138, 224 de’ Medici, Giuliano . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 Mennher, Valentin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18, 28 Metius, Adriaan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 Mithob, Burchard . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22, 28 del Monte, Guidobaldo. . . . . . . . . . . . . . . . . 193 Morosini, Francesco. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170

Personenregister

Moslach, Hans. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 Müllner, Johannes . . . . . . . . . . . . 111, 113, 136 Müstinger, Georg . . . . . . . . . . . . . . . 40, 96, 101 Muffel, Niklas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 N Neudörfer (Familie) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 Neydlein, Johann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28, 144 Niklas von Prag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 Nikomachos von Gerasa. . . . . . . . . . . . . . . . . 77 Nonius Marcellus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 Nützel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221, 223 Fritz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 Gabriel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 Gregor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 Helena . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 Jheronimus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 Katherina. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 Niclas. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221, 223 Niclas (Nützelein) . . . . . . . . . . . . 128, 223 Susanna . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 Ursula . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 Wolfgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 Nützel (Ratsfamilie) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 O Orbetano da Montepulciano . . . . . . . . . . . . 28 Oswaldus, Fridericus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 Oughtred, William . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 P Pacioli, Luca . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79, 170, 173 f. Paolo dell’Abbaco . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 Pappus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 Paul III. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 Peter von Jülich. . . . . . . . . . . . 21, 26, 28 f., 189 Petriboni . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 Petrus Hispanus (Medicus) . . . . . . . . . . . . . . 98 Petrus von Abano . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 Peuerbach, Georg . . . . . . . . . . . . . . . . . 172, 174 Peuntinger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 Jacob . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 Kunigunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 Ulrich . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115, 121, 219 f. Piero della Francesca . . . . . . . . . . . . 149 f., 193 Pisani Domenico . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 Paolo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 Plato von Tivoli . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 Plinius der Jüngere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 Preu, Hans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 Preu, Johannes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23, 136

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Ptolemaeus, Claudius. . . 58, 81, 83, 85 ff., 96, 102, 169, 174, 213 Putzolt Elspeth . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 Hans. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 Heinrich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 Kunigunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 Margaretha . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 Margrethlein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 Martha . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 Peter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 Stephan . . . . . . . . . . . 128, 131, 152, 224 f. Ursula . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131, 225 Pythagoras . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 R Raets, Willem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 Raffael . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 Rappolt, Hans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 Regiomontanus, Johannes. . . 21, 40, 86, 101, 167, 173 f., 176 Magister Reinhard . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 Ries Adam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Isaak . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 Rosenzweyg Agnes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 Anna . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 Cristoffel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 Dorothea . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 Els (Elisabeth) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 Erhart. . . . . . . . . . 128, 131, 133, 148, 222 Hans. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 Heinrich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 Herman . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 Jorg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 Ulrich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 Rosslauf, Herman . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 Rosso, Andrea . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 Ruffi, Theodor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Ruprecht III. von der Pfalz . . . . . . . . . . . . . 115 S Sachs, Hans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 de Saint-Port . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 Sallust . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 Sanudo, Marin . . . . . . . . . . . . 158, 162 ff., 170 f. Schezzel, Peter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 Schicker, Sebolt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133, 226 Schindel, Johann . . . . . . . . . . . . . . . . 39, 96, 101 Schön, Erhard . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21, 135 Schöner, Johann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Schramm, Joachim . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134

344

Personenregister

Schreyber, Heinrich (Gramamteus) . . . . 21 f. Schutz, Leupolt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128, 220 Schwiner, Michael . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 Serlinger, Joh. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 Sfortunati . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 Sigmund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 Snitzel, Hans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 Stark, Viktor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 Stefanus Rosinus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 Stromer, Ulman . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20, 26 Szatmári (Szakmary) Franz (Ferenc) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 Georg (György). . . . 161 ff., 166 ff., 175 f. T tabuliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86, 95 ff., 102 Tallner Anthoni . . . . . . . . . . . 128, 131, 138, 222 f. Bernhart. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 Dorothea . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 Hans. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 Margreth . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 Tartaglia, Niccolò . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 Taschner, Heinz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128, 221 Thomas von Aquin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 f. Thomas von Sutton . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 Thumberger, Conrad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116

Thurzo, Sigmund (Zsigmond) . . . . . . . . . . 161 Tischinger, Ulrich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 Trevisan, Andrea . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 U Ungelter, Friedrich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 V Valla, Giorgio . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79, 164, 175 Van Balen, Hendrik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 Van den Dijcke, Martin . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 Veyelhauer, Erhard . . . . . . . . . . . . . . . . 126, 222 Vitez, Johann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 Vitruv . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 ff. Vitruvius Rufus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 Vulpius, Johannes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 W Wagner, Ulrich. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132, 134 Wendler, Georg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22, 135 Werner, Johann . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174, 190 ff. Z Zobor, Martino . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 Zymer, Conrad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124, 224 Zymermann, Jost . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141

Wieviel Wein ist eigentlich in einem Holzfass enthalten? Diese Frage stellt sich nicht nur der Liebhaber eines guten Tropfens: Im mittelalterlichen Weinhandel war sie von essentieller Bedeutung, denn die von den Städten beim Weinverkauf erhobene Steuer stellte eine wesentliche Einnahmequelle dar. Da die handgefertigten Fässer nicht normiert waren, erfanden kluge Köpfe für ihre Inhaltsbestimmung einfach zu bedienende Messstäbe, die Visierruten. Bereits lange vor Kepler und seiner Fassregel ließ sich so schnell und recht präzise der Fassinhalt bestimmen. Aber wie erstellt man Visierruten und welche mathematischen Prinzipien liegen ihren Skalen zugrunde? Wer nahm

die Messungen im Alltag vor? Gunthild Peters geht diesen Fragen auf der Grundlage einer im 15. Jahrhundert weit verbreiteten, handschriftlich überlieferten Textsammlung rund um das „Visieren“ nach. Peters rekonstruiert die Herstellungsanweisungen und stellt am Beispiel Nürnbergs die aus dem Handwerk rekrutierten Spezialisten für Fassmessung vor, die Visierer. Auf diese Weise verbindet die Autorin nicht nur historische und mathematische Analyse, sondern zeigt auch das gelungene Zusammenspiel theoretischen und praktischen Wissens auf. Der Band enthält darüber hinaus eine Edition der lateinischen Textgrundlage.

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ISBN 978-3-515-12052-4

9

7835 1 5 1 20524