Massenmedien in Lateinamerika, Band 2: Chile, Costa Rica, Ecuador, Paraguay 9783964567413

In diesem Band werden die Mediensysteme der genannten Länder dargestellt, es wird beschrieben wie sich die Medien der mo

173 94 16MB

German Pages 224 [226] Year 2019

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Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Massenmedien in Chile
Massenmedien in Costa Rica
Massenmedien in Ecuador
Massenmedien in Paraguay
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Massenmedien in Lateinamerika, Band 2: Chile, Costa Rica, Ecuador, Paraguay
 9783964567413

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Wilke (Hrsg.)

Massenmedien in Lateinamerika

aDuDdtPÚGSDOa Herausgeber: Karl Kohut und Hans-Joachim König

Publikationen des Zentralinstituts für Lateinamerika-Studien der Katholischen Universität Eichstätt Serie B: Monographien, Studien, Essays, 5 Publicaciones del Centro de Estudios Latinoamericanos de la Universidad Católica de Eichstätt Serie B: Monografías, Estudios, Ensayos, 5

Publicares do Centro de Estudos Latino-Americanos da Universidade Católica de Eichstätt Série B: Monografías, Estudos, Ensaios, 5

Jürgen Wilke (Hrsg.)

Massenmedien in Lateinamerika Zweiter Band: Chile Costa Rica Ecuador Paraguay

Vervuert Verlag • Frankfurt am Main 1994

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Massenmedien in Lateinamerika / Jürgen Wilke (Hrsg.). Frankfurt am Main : VervuerL NE: Wilke, JUigen [Hrsg.]

Bd. 2. Chile, Costa, Rica, Ecuador, Paraguay -1994 (Americana Eystettensia : Ser. B., Monografías, estudios, ensayos ; 5) ISBN 3-89354-955-2 NE: Americana Eystettensia / B

© Vervuert Verlag, Frankfurt am Main 1994 Alle Rechte vorbehalten Printed in Germany

Inhaltsverzeichnis Vorwort

11

Jürgen Wilke

Massenmedien in Chile

13

Astrid Delgado Rühl 1.

Landeskundliche Grundlagen

13

1.1.

Geographie

13

1.2.

Geschichte

14

1.3.

Politisches System

21

1.4.

Wirtschaft

22

1.5.

Bevölkerungs-und Sozialstruktur

25

2.

Rechtliche Grundlagen der Massenmedien

26

3.

Presse

30

3.1.

Geschichte

30

3.2.

Presserecht

38

3.3.

Die Struktur der Presse in Chile heute

40

3.3.1.

Zeitungen

41

3.3.1.1. 3.3.1.2. 3.3.1.3. 3.3.1.4. 3.3.1.5. 3.3.2.

Bestandsaufnahme Die wichtigsten Tageszeitungen Verbreitung, regionale Konzentration und Leserdichte Besitzstruktur Vertrieb und Finanzierung Zeitschriften

41 44 47 49 50 51

4.

Hörfunk

52

4.1.

Geschichte

52

4.2.

Rundfunkrecht

58

4.3.

Die Struktur des Hörfunks in Chile heute

60

4.3.1.

Bestandsaufnahme

60

4.3.2.

Verbreitung und regionale Konzentration

61

4.3.3.

FM-Hörfunk

62

4.3.4.

AM-Hörfunk

65

4.3.5.

Die Hörfunkketten

65

4.3.6.

Neue Entwicklungen im Hörfunk

70

4.3.7.

Besitzstruktur und Finanzierung

71

6 5.

Femsehen

73

5.1.

Geschichte

73

5.2.

Fernsehrecht

80

5.3.

Das Fernsehen in Chile heute

83

5.3.1.

Bestandsaufnahme

83

5.3.1.1.

Staatliches und universitäres Fernsehen

83

5.3.1.2.

Privatfernsehen

85

5.3.2.

Programmstruktur

87

5.3.3.

Verbreitung, Teilnehmerdichte und Reichweite

88

5.3.4.

Finanzierung

89

5.3.5.

Neue Frequenzen und Projekte

91

5.3.6.

Kabelfernsehen

92

6.

Perspektiven und Probleme der Massenmedien in Chile

95

Bibliographie

99

Massenmedien in Costa Rica

105

Markus Geyer 1.

Landeskundliche Grundlagen

105

1.1.

Geographie

105

1.2.

Geschichte

106

1.3.

Politisches System

108

1.4.

Wirtschaft

109

1.5.

Bevölkerungs-und Sozialstruktur

110

2.

Rechtliche Grundlagen der Massenmedien

111

3.

Presse

112

3.1.

Geschichte

112

3.2.

Presserecht

114

3.3.

Die Struktur der Presse in Costa Rica heute

115

3.3.1.

Zeitungen

115

3.3.1.1. 3.3.1.2. 3.3.1.3.

Bestand und Verbreitung Verbreitung, Finanzierung und Vertrieb Besitzstruktur

115 117 119

3.3.2.

Zeitschriften

120

3.3.2.1. 3.3.2.2. 3.3.2.3.

Bestand und Verbreitung Finanzierung und Vertrieb Besitzstruktur

120 121 121

7 4.

Hörfunk

122

4.1.

Geschichte

122

4.2.

Rundfunkrecht

124

4.3.

Der Hörfunk in Costa Rica heute

126

4.3.1.

Bestand und Verbreitung

126

4.3.2.

Programme

129

4.3.3.

Besitzstruktur

129

4.3.4.

Alternativer Hörfunk

130

5.

Fernsehen

131

5.1.

Geschichte

131

5.2.

Das Fernsehen in Costa Rica heute

134

5.2.1.

Bestand und Verbreitung

134

5.2.2.

Die Sender und ihre Programme

135

5.2.3.

Besitzstruktur

140

6.

Perspektiven und Probleme der Massenmedien in Costa Rica

140

Bibliographie

141

Massenmedien in Ecuador

145

Beate Zwermann 1.

Landeskundliche Grundlagen

145

1.1.

Geographie

145

1.2.

Geschichte

146

1.3.

Politisches System

149

1.4.

Wirtschaft

149

1.5.

Bevölkerung

150

2.

Rechtliche Grundlagen der Massenmedien

151

3.

Presse

152

3.1.

Geschichte

152

3.2.

Presserecht

154

3.3.

Die Struktur der Presse in Ecuador heute

155

3.3.1.

Zeitungen

155

3.3.1.1. 3.3.1.2. 3.3.1.3. 3.3.1.4.

Bestand und Verbreitung Inhalte Die wichtigsten Tageszeitungen Finanzierung und Vertrieb

155 157 160 162

8 3.3.2.

Zeitschriften

162

3.3.3.

Besitzstruktur

163

4.

Hörfunk

165

4.1.

Geschichte

165

4.2.

Rundfunkrecht

165

4.3.

Die Struktur des Hörfunks in Ecuador heute

167

4.3.1.

Bestand und Verbreitung

167

4.3.2.

Besitzstruktur und Programminhalte

169

4.3.2.1. 4.3.2.2.

Nicht-kommerzieller Rundfunk Kommerzieller Rundfunk

169 169

4.3.3.

Hörfunkketten

171

5.

Fernsehen

172

5.1.

Geschichte

172

5.2.

Die Struktur des Fernsehens in Ecuador heute

173

5.3.

Reichweite und Nutzung

175

5.4.

Besitzstruktur

176

5.5.

Programme

176

6.

Nachrichtenagenturen

179

7.

Perspektiven und Probleme der Massenmedien in Ecuador

179

Bibliographie

182

Massenmedien in Paraguay

185

Thorsten Borsdorf 1.

Landeskundliche Grundlagen

185

1.1.

Geographie

185

1.2.

Geschichte

186

1.3.

Politisches System

189

1.4.

Wirtschaft

190

1.5.

Bevölkerung, Bildung und Sprache

192

2.

Rechtliche Grundlagen der Massenmedien

193

3.

Presse

198

3.1.

Geschichte

198

3.2.

Zeitungen

201

3.2.1.

Bestand und Verbreitung

201

3.2.2.

Besitzstruktur

203

9 3.2.3.

Finanzierung

204

3.2.4.

Themen und Inhalte

205

3.2.5.

Nutzung

205

3.3.

Zeitschriften

206

4.

Hörfunk

209

4.1.

Geschichte

209

4.2.

Bestand und Verbreitung

210

4.3.

Besitzstruktur

211

4.4.

Finanzierung

214

4.5.

Programme

214

4.6.

Nutzung

215

5.

Fernsehen

216

5.1.

Geschichte

216

5.2.

Bestand und Verbreitung

216

5.3.

Besitzstruktur

217

5.4.

Finanzierung

217

5.5.

Programminhalte

218

5.6.

Nutzung

219

6.

Perspektiven und Probleme der Massenmedien in Paraguay

219

Bibliographie

221

Vorwort Jürgen Wilke Der vorliegende Sammelband setzt die Reihe von Untersuchungen zu den Mediensystemen Lateinamerikas fort, die mit dem 1992 erschienenen (ersten) Band Massenmedien in Lateinamerika begonnen wurde. Darin wurden die Länder Argentinien, Brasilien, Guatemala, Kolumbien und Mexiko behandelt. Eine Weiterführung wurde angekündigt und kann jetzt - mit Darstellungen der Länder Chile, Costa Rica, Ecuador und Paraguay - vorgelegt werden. Demnächst soll ein dritter Band mit weiteren Ländern folgen. Wiederum liegen den Beiträgen, die in diesem Sammelband vereinigt sind, Darstellungen zugrunde, die zunächst in Form von Magister- oder Diplomarbeiten angefertigt wurden. Drei davon entstanden an der Universität Mainz, die über Costa Rica (unter Betreuung von Prof. Jan Tonnemacher) an der Katholischen Universität Eichstätt. Die gedruckten Fassungen wurden jedoch unter mehr oder minder großer Beteiligung des Herausgebers verfaßt, der die Beiträge redaktionell letztlich hergestellt und zu verantworten hat. Was im Vorwort zum ersten Band über die Kenntnislage zu den Mediensystemen Lateinamerikas (zumal in Deutschland) gesagt wurde, gilt noch heute. Und das dort über die Intention der hier veröffentlichten Studien Gesagte kann auch nur wiederholt werden. Allerdings ist auf zwei hinzugekommene einschlägige Publikationen vorweg hinzuweisen. Eine US-amerikanische Darstellung (Salwen / Garrison 1991) ist um ein Gesamtbild des lateinamerikanischen Journalismus bemüht, geht aber auf knapp 200 Seiten - auf die einzelnen Länder notwendigerweise nur kurz ein. So nützlich die Darstellung als Einführung ist, eine systematische Synopse bietet auch sie nicht. 1993 gab das Centro International de Estudios Superiores para América Latina (CIESPAL), das wichtigste Zentrum lateinamerikanischer Medienforschung in Quito (Ecuador), ein Inventario de Medios de Comunicación en América Latina (López Aijona 1993) heraus. Dieses Kompendium ist bisher einzigartig. Es enthält (in der Regel für das Jahr 1990) die umfänglichste Sammlung von Daten über Tageszeitungen, Radio und Fernsehen in den Ländern Lateinamerikas, die je publiziert worden ist. Dieses Dateninventar ist für jede künftige Beschäftigung mit den Massenmedien des Subkontinents unentbehrlich. Synopsen wie die hier vorgelegten, sind dadurch aber nicht überflüssig. Denn zum einen werden entsprechende Daten hier in einen weiteren Kontext gestellt. Zudem faßt der Inventario die Daten z. T. nach verschiedenen Regionen zusammen, in denen die Werte für die einzelnen Länder dann aufgehen und nicht mehr unterscheidbar sind. Schließlich wirft das Inventar auch nochmals ein bezeichnendes Licht auf die besonderen Schwierigkeiten verläßlicher und systematischer Datensammlung in Lateinamerika. Denn diese stimmen häufig nicht mit Daten aus anderen Quellen überein. Daten gegeneinander abzugleichen, erspart somit künftig auch das Dateninventar von CIESPAL nicht. Die hier vorgelegten Beiträge stützen sich jedenfalls auf eigene Recherchen vor Ort.

12 Mit den hier behandelten Ländern werden - gemessen an der Bevölkerungszahl zwei mittlere und zwei kleinere Länder Lateinamerikas behandelt. Die unterschiedliche Größe der Länder schlägt sich in unterschiedlicher Komplexität auch der Mediensysteme nieder. Gleichwohl ist die Mediensituation in ihnen im ganzen weniger komplex als in den im ersten Band behandelten Ländern, wo es um vier große und ein kleineres ging. Nichtsdestoweniger verdienen auch die kleineren Länder Lateinamerikas Aufmerksamkeit, weil in ihnen die Massenmedien ebenfalls längst zu bestimmenden Größen geworden sind. Mit Chile und Paraguay geht es zudem um zwei Länder, in denen sich in den letzten Jahren beträchtliche politische und gesellschaftliche Transitionsprozesse vollzogen haben. Damit gehen - wie immer - auch Veränderungen in der Massenkommunikation einher. Ecuador und vor allem Costa Rica erscheinen daneben stabil, doch bündeln sich gerade in dem Andenland in letzter Zeit wieder zunehmend Probleme, wie sie für den lateinamerikanischen Subkontinent typisch sind. Wohl verändern sich die Medienverhältnisse auch in Lateinamerika laufend. Insofern kann jeweils nur ein bestimmter Stand festgehalten und dokumentiert werden. Aber auf der Grundlage der hier gebotenen Synopsen wird es künftig vielleicht einfacher sein, die weitere Entwicklung zu beobachten und in gewissen Abständen zu registrieren. Natürlich besteht auch in bezug auf die Beiträge dieses Sammelbandes Anlaß zum Danken. Zu danken ist den Autorinnen und Autoren, ohne deren Erhebungen und Vor-Arbeiten der Band wiederum nicht zustandegekommen wäre. Zu danken ist aber auch Helfern, Informanten und Gesprächspartnern in den Ländern selbst, die nicht alle aufgezählt werden können. Exemplarisch genannt seien für Chile die Kollegen Sylvia Pellegrini Ripamonti und Carlos Cousiño von der Pontificia Universidad Católica, die auch den Herausgeber bei einem Aufenthalt in Santiago unterstützt haben. Für Costa Rica seien Leda. Patricia Vega, für Ecuador Leda. Gloria Dávila de Vela und Marcelo Larrea sowie für Paraguay Magdalena Riveras und Rafael Eladio Velázquez eigens erwähnt. Dank gesagt sei ferner den Herausgebern der Reihe für ihr anhaltendes Interesse, was auch für den Arbeitskreis für Lateinamerika-Studien an der Universität Mainz gilt, der diesmal freundlicherweise den wesentlichen Teil des Druckkostenzuschusses zur Verfügung gestellt hat.

Bibliographie López Arjona, Ana: Inventario de Medios de Comunicación en América Latina y el Caribe. Análisis de Resultados. Quito 1993. Salwen, Michael B. / Bruce Garrison: Latin American Journalism. Hillsdale (N. J.) 1991.

Massenmedien in Chile Astrid Delgado Rühl Chile war bis Anfang der siebziger Jahre eine der stabilsten Demokratien Lateinamerikas. Gleichwohl blieb das Land nicht vor wachsenden Spannungen bewahrt, die sich aus dem Widerspruch zwischen einem demokratischen gesellschaftlichen Pluralismus und einer wirtschaftlichen wie sozialen UnterentwickJung ergaben. Diese Spannungen führten schließlich auch zum Niedergang der chilenischen Demokratie und zur Errichtung autoritärer Herrschaftsstrukturen. Nach 17 Jahren einer repressiven Militärdiktatur trat Chile Anfang der neunziger Jahre in einen Prozeß der Redemokratisierung ein, der dem Land eine Phase der Erholung, ja der inneren Aussöhnung bescherte. Gefördert wurde dies durch eine wirtschaftliche Gesundung, die in Lateinamerika beispiellos ist. So erscheint Chile gegenwärtig auf dem Subkontinent als ein (marktwirtschaftliches) Musterland mit - gemessen an den lateinamerikanischen Nachbarn - geringen sozialen Problemen. Man zählt das Land daher mitunter schon nicht mehr zu den Dritte-Welt-Ländern im eigentlichen Sinne. Dies findet auch seine Entsprechung in der Medienlandschaft, die in Chile heute so vielfaltig ist wie in nur wenigen anderen Ländern Lateinamerikas.

1.

Landeskundliche Grundlagen

1.1.

Geographie

Die Republik Chile befindet sich am südwestlichen Ende des südamerikanischen Kontinents, zwischen dem 17. und 56. Breitengrad sowie dem 67. und 76. westlichen Längengrad. Vermutlich stammt der Name des Landes von Chili ab, was in Quechua, der Sprache der Inkas, "Land im Süden" bedeutet. Die heutige Landessprache ist Spanisch. Im Norden grenzt Chile an Peru, im Osten an Bolivien und Argentinien, im Westen und Süden setzt der Pazifische Ozean dem Land Grenzen. In ihrem NordSüd-Verlauf erstreckt sich die Republik mit rund 4.300 Kilometern über mehr als die Hälfte des südamerikanischen Kontinents. In seiner Breite erreicht das Land maximal 460 Kilometer, an manchen Stellen nur 90 Kilometer. Die lange und schmale Form Chiles ist durch die Morphologie dieses Erdteils vorgegeben (Weischet 1970). Das Land liegt eingeschlossen zwischen zwei Bergketten und einem Ozean. Beide Bergketten durchlaufen die Republik in ihrer gesamten Nord-Süd-Ausdehnung. Die mächtigere und höhere der beiden ist die Hochkordillere der Anden, die entlang der Grenze zu Argentinien verläuft. Sie bildet die natürliche und politische Nord-Ost-Grenze zwischen Chile und seinen Nachbarländern. Der höchste Punkt der Anden auf chilenischem Territorium ist der Vulkan Ojos del Salado mit 7.000 Metern. Entlang der Pazifikküste verläuft, wie der Name

14 besagt, die Küstenkordillere. Zwischen diesen beiden Bergrücken erstreckt sich eine Ebene, die im Norden 1.400 Meter hoch liegt und im Süden unter den Meeresspiegel absinkt. Die Anden stellten bis ins 20. Jahrhundert ein beinahe unüberwindbares Hindernis für Transport und Kommunikation dar. Der seltene Kontakt zur Außenwelt verlieh Chile lange Zeit einen insularen Charakter. Die Chilenen bezeichnen auch heute noch trotz moderner Transport- und Kommunikationstechniken ihr Land als último rincón del mundo, den letzten Winkel der Erde. Die Gesamtfläche Chiles beträgt mit 756.626 Quadratkilometern rund zweimal soviel wie die Fläche der heutigen Bundesrepublik. Zum chilenischen Hoheitsgebiet gehören die Oster-Inseln, die Juan Fernández-Inseln mit den Robinson CrusoeInseln, sowie die Islas Desaventuradas, Sala y Gómez. Seit 1940 beansprucht Chile den Sektor der Antarktis zwischen dem 53. und dem 90. Längengrad. Das Relief dieses Landes ist in seiner Gesamtheit hügelig oder bergig, nur 20 Prozent des chilenischen Festlandes sind eben. Die Republik ist in 13 Regionen mit 51 Provinzen und 335 Gemeinden gegliedert. Die I. Region ist die nördlichste, die XIII. die südlichste. Durch seine extreme Nord-Süd-Ausdehnung ist Chile ein klimatisch und landschaftlich vielfältiges Land, das in fünf wirtschaftsgeographische Zonen eingeteilt wird. Nerdchile ist eine der trockensten Landstriche der Erde. Der Große Norden umfaßt die ersten beiden Regionen Tarapaca und Antofagasta, in denen 5,7 Prozent der Bevölkerung leben. Der Kleine Norden beinhaltet die III. und VI. Region Atacama und Coquimbo. Als Mittelchile wird die Fläche von der fünften bis zur siebten Region einschließlich der Región Metropolitana bezeichnet, in der die Hauptstadt Santiago liegt. Der Süden Chiles ist eine kühlgemäßigte Zone mit viel Regen, großen Waldflächen und Seen. Im Kleinen Süden liegen die VÜI. bis X. Region, der Große Süden bezieht die XI. und XII. Region mit ein. In diesem subantarktischen Klima leben 1,8 Prozent der Bevölkerung. In der XII. Region, durch welche die Magellanstraße führt, herrscht durch die Nähe zum Südpol bereits arktisches Klima. Als XIII. Region wird das von Chile beanspruchte Gebiet in der Antarktis bezeichnet.

1.2.

Geschichte

Die indianische Urbevölkerung Chiles war keineswegs homogen. In der Wüste des Nordens lebte das Volk der Atacameños, etwas weiter südlich die hochentwickelte Kultur der Diaguiter. In Mittelchile siedelten sich die Picunches, Huilliches und die kriegerischen Mapuche-Indianer an, die von den Spaniern Araukaner genannt wurden. Weit im Süden, in Patagonien und dem Gebiet der Magellanstraße, lebten Pehuenches, Puelches, Tehuelches und Chonos. Fast schon auf antarktischem Gebiet herrschten die Onas, Yaganes und Alacalufes (Harriet Campos 1969). 1490 eroberten die Inkas chilenisches Territorium bis zum Rio Maule und behielten dort die Vorherrschaft bis zur Ankunft der Spanier 1539 (Villalobos u. a. 1974). In diesem Jahr sandte Francisco Pizarro Don Pedro de Valdivia von Peru in den Süden des Kontinents, wo Valdivia in das heutige chilenische Territorium vordrang. 1541 gründete Valdivia die Stadt Santiago de la Nueva Estremadura als erste europäische Stadt auf chilenischem Boden. Chile unterstand seit seiner Eroberung dem

15 Vizekönigreich Peru. Seit 1606 besaß das koloniale Chile eine audiencia mit Sitz in Santiago. Die audiencia war oberster Gerichtshof und höchste Berufungsinstanz für die Bevölkerung auf spanischem Territorium in Chile. Unter anderem nahm sie auch Verwaltungsfunktionen wahr. Dies bedeutete eine neue Selbständigkeit gegenüber Peru. 1778 wurde Chile schließlich Generalkapitanat und damit von Peru unabhängig. Die Ausdehnung des Generalkapitanats reichte von Copiapó im wenig besiedelten Norden rund 900 km in den Süden bis zur Garnisonsstadt Concepción. Das Volk der Araukaner setzte der Eroberung (Conquista) entschiedenen Widerstand entgegen (Collier 1992). Der napoleonische Einfall in Spanien 1808 gab den Anstoß für das Erstarken des Unabhängigkeitsbestrebens in Chile. Durch die Absetzung von König Ferdinand V m . von Spanien fühlte sich Chile aus seinen Treuepflichten dem Mutterland gegenüber entbunden. Die erste Erhebung gegen die Spanier fand am 18. September 1810 durch die Bildung einer selbständigen Regierungsjunta statt. 1812 wurde José Miguel Carrera das erste chilenische Regierungsoberhaupt, ohne jedoch Chiles Unabhängigkeit von Spanien zu deklarieren. Zwei Jahre später eroberten die Spanier Chile vom Süden her zurück und übernahmen erneut die Regierung. 1817 reorganisierte sich eine argentinisch-chilenische Armee unter Bernardo O'Higgins und besiegte die Spanier. Die Unabhängigkeit Chiles wurde am 12. Februar 1818 formell ausgerufen. O'Higgins wurde zum ersten Staatsoberhaupt des Landes ernannt. Im selben Jahr wurde eine provisorische Verfassung erlassen, um die Notstandsregierung zu legalisieren. Innenpolitisch zeichnete sich bald eine Konfrontation zwischen den Konservativen und den Liberalen ab, in der es um die zukünftige Regierungsform ging. Die inneren Wirren eskalierten in einem Bürgerkrieg, der erst 1830 durch den Sieg der Konservativen in der Schlacht von Lircay beendet wurde. Von 1830 bis 1860 übernahmen drei konservative Präsidenten nacheinander die Regierung Chiles (Fuentes / Cortes 1966). 1833 wurde die erste Verfassung erlassen, welche eine starke Stellung des Präsidenten mit Notstandsvollmachten vorsah, wie sie auch in einigen der späteren Verfassungen vorkommen sollten. Nach 1860 begann eine Ära der Umbrüche und Neuerungen. Das politische Spektrum differenzierte sich, damit begann die Entwicklung einer ausgeprägten Parteienlandschaft. 1871 übernahm die Liberale Partei die Regierung für mehrere Amtsperioden. In dieser Zeit führte Chile den Salpeterkrieg (1879-1883) mit Peru und Bolivien. Chile gewann diesen Krieg und damit die Regionen Arica und Antofagasta hinzu. Das Land erlebte durch das weltweite Salpetermonopol eine einzigartige wirtschaftliche Blütezeit. Um die Jahrhundertwende entstanden weitere Parteien, unter denen die wichtigsten eine liberale Grundauffassung besaßen. 1890 entflammte ein Machtkampf zwischen dem Präsidenten J. M. Balmaceda und den liberalen Parteien. Während Balmaceda an einem Status quo des parlamentarischen Systems mit den weitgehenden Befugnissen des Staatsoberhauptes festhalten wollte, drängte der Kongreß auf eine Einschränkung der präsidialen Macht. Der Kampf zwischen Parlamentarismus und Präsidialsystem gipfelte in der Revolution von 1891, die zum Sturz und Selbstmord Balmacedas führte.

16 Aus der Revolution von 1891 gingen die Anhänger des Parlamentarismus gestärkt hervor. Der Graben zwischen Liberalen und Konservativen wurde indes immer tiefer. Das Parlament hatte nun zwar weit mehr Befugnisse als vorher. Doch diese Mittel wurden von den zahlreichen Minderheitsparteien im Parlament so oft mißbraucht, daß die Regierung bis in die zwanziger Jahre oftmals handlungsunfähig war (Villalobos u. a. 1974). Die folgenden Jahrzehnte sind gekennzeichnet von der immer stärkeren Herausbildung eines Vielparteiensystems und einer damit verbundenen politischen Instabilität. Als das Salpetermonopol Chiles durch die Gewinnung von Stickstoff aus der Luft in den zwanziger Jahren wertlos wurde, stürzte das Land in eine schwere wirtschaftliche und soziale Krise. Vor allem die Bergleute versuchten in zahlreichen Streiks, eine Verbesserung ihrer Lage zu erreichen. Dabei kam es immer wieder zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der Regierung. Auch in der Armee herrschten seit langem große Mißstände und Unzufriedenheit. 1924 mußte Präsident Jorge Alessandri auf Druck des Militärs hin zurücktreten. Hierbei kam den Offizieren Carlos Ibänez del Campo und Marmaduke Grove eine tragende Rolle zu. Die folgende Militärregierung erwies sich als genauso erfolglos wie die zivile Regierung, so daß im März 1925 Alessandri in sein Amt zurückkehren konnte. Ibänez übernahm das Amt des Kriegsministers. Im September 1925 verabschiedete die Regierung eine neue Verfassung, welche die Befugnisse des Parlaments einschränkte und die Stellung des Präsidenten stärkte. Kurz darauf trieb der Konflikt zwischen dem Präsidenten und seinem Kriegsminister Alessandri abermals zum Rücktritt. Ibänez wurde der Nachfolger Alessandris. Sein Regierungsstil trug diktatorische Züge. Er bekämpfte die etablierten Parteien im Kongreß, da er sie für die politische Instabilität verantwortlich machte. Er verbannte politische Gegner oder ließ sie festnehmen und schränkte nicht zuletzt die Pressefreiheit maßgeblich ein. Auch Ibänez gelang es nicht, die wirtschaftliche Situation des Landes zu festigen. Seine repressiven Maßnahmen riefen den Unwillen der Bevölkerung hervor. 1931 mußte auch er zurücktreten. Die anstehenden Wahlen gewann der Sozialdemokrat Montero, der wenig erfolgreich regierte. Im Juni 1932 rief der Oberst der Luftwaffe Marmaduke Grove, politischer Kontrahent von Ibänez, die "Sozialistische Republik" aus. Politische Differenzen innerhalb der Armee machten das Regieren unmöglich, so daß auch diese Regierung nur sechs Monate währte. Die Neuwahlen gewann abermals Alessandri. Damit begann endlich eine Phase der Stabilisierung der Demokratie, die aber mit der weltweit schwersten Wirtschaftskrise zusammentraf. Der politische Pluralismus hatte so starke Formen angenommen, daß keine der Parteien allein mehr als ein Viertel der Stimmen erringen konnte. Nur durch Koalitionen konnten die Parteien regierungsfähig werden. Von 1938 bis 1952 regierte die politische Linke in Form einer Koalition verschiedener Parteien um die Radikale Partei. Trotz ihrer langen Regierungszeit gelang es der Linken nicht, die wirtschaftlichen und sozialen Probleme des Landes zu lindern (Lundahl 1989). 1964 gewann der Christdemokrat Eduardo Frei die Präsidentschaftswahlen. Wichtigste Programmpunkte seiner "Revolution in Freiheit" war die Nationalisierung der ausländischen Kupferminen im Land, die zum größten Teil nordamerikanischen Konzernen gehörten, sowie eine Agrar- und Steuerreform zugunsten der unte-

17 ren Schichten. Der Widerstand im Kongreß hinderte die Christdemokraten wesentlich an der Durchführung der Reformen. Die Parlamentswahlen von 1969 zeigten eine Dreiteilung des politischen Spektrums: die Rechte erhielt 20 Prozent, die Linke 29 Prozent und die Mitte 31 Prozent der Stimmen. Von einer starken Mehrheit konnte keine Rede mehr sein. Im selben Jahr kam es zu einer Militär-Rebellion, die deutlich machte, daß auch die Streitkräfte von der Politisierung und Polarisierung erfaßt wurden (Gleich 1991). Die Wahlen im September 1970 gewann die Linkskoalition Unidad Populär (UP) mit einem deklariert sozialistischen Programm. Salvador Allende siegte mit 36,3 Prozent der Stimmen vor seinem Gegenkandidaten Alessandri, der 34,9 Prozent erhielt. Gemäß der chilenischen Verfassung mußte bei einem solchen Wahlergebnis der Kongreß den Wahlsieger bestimmen, da keiner der Kandidaten die absolute Mehrheit erhalten hatte. Erst nachdem die Christdemokraten der Unidad eine Reihe konstitutioneller Garantien abgewonnen hatten, wurde Salvador Allende zum neuen Präsidenten der Republik bestimmt. Die Unidad Populär war eine Koalition aus fünf linksliberalen bis linksradikalen Parteien. Zwei grundsätzliche Tendenzen spiegelten sich in ihr wieder. Der revolutionäre Flügel unter dem Partido Socialista (PS) und die Arbeiterbewegung MAPU strebten eine radikale, wenn nötig auch gewaltsame Transformation zum Sozialismus an. Der gemäßigte Flügel unter Allende trat für maßvolle Reformen ein. Er stellte die Minderheit in der Koalition dar. Im Senat fielen der UP nur 20 von 50 Sitzen zu, in der Abgeordneten-Kammer nur 63 der 150 Sitze. Die Regierung Allendes war als Minderheitsregierung auf die Duldung der Christdemokraten angewiesen. Der "chilenische Weg zum Sozialismus" sah die Durchsetzung der unter Frei begonnenen Agrar- und Kupferreform, die Verstaatlichung der Metallindustrie und der Banken sowie die Interventionen und Übernahmen von Industriemonopolen vor. Der chilenische Sozialismus sollte auf starker staatlicher Intervention in der Wirtschaft aufbauen, das Privateigentum des Normalbürgers sollte aber unangestastet bleiben. Im Rahmen des Nationalisierungsprogramms enteignete die Regierung Allende die Niederlassungen großer US-amerikanischer Firmen ohne Ersatzleistungen, da sich diese Firmen nach Ansicht der UP durch illegale Geschäfte bereits genügend bereichert hatten (Chaparro 1987). Die wirtschaftliche Strategie der Regierung erwies sich jedoch als Katastrophe. Durch Lohnerhöhung sollte die Nachfrage und die Produktion angekurbelt werden, was auch kurzfristig gelang. Die Politik der Verstaatlichung hatte aber Investoren im In- und Ausland gründlich abgeschreckt. Die Produktivität sank, und es entstand ein Engpaß in der Versorgung mit Grundbedarfsgütern. Die Inflation wuchs 1972 auf 230 Prozent, 1973 schließlich auf 605 Prozent, und der Schwarzmarkt blühte. Bereits 1970 hatte sich eine Zuspitzung der sozio-ökonomischen und ideologischen Konflikte abgezeichnet. Die politische und wirtschaftliche Lage Chiles führte zunehmend zu einer Polarisierung. Die Regierungskoalition zwischen den Christdemokraten und der Unidad Populär bestand nur auf dem Papier. Die Regierung Allendes lehnte Kompromisse und Dialoge mit den Christdemokraten ab, so daß sich diese schließlich gemeinsam mit den rechten Parteien gegen die UP stellten. In der UP selber hatte sich der radikalere und militante Flüge) ebenfalls gegen den

18

gemäßigten Präsidenten gestellt. Auch die Medien wurden von dem Krieg der Ideologien, der nun anbrach, nicht verschont. Ganze Verlage, Rundfunkketten und Sender ergriffen für eine der beiden Seiten Partei und bekämpften den politischen Gegner. Am 11. September 1973 beendete ein blutiger Militärputsch die sozialistische Regierung Allendes und leitete 17 Jahre Diktatur ein. Die Regierungsgewalt übernahm am 11. September 1973 eine vierköpfige Militärjunta, aus der sich bald General Augusto Pinochet Ugarte als treibende Kraft herausstellen sollte. Am Tag des Umsturzes wurde der Belagerungszustand ausgerufen, wichtige Teile der Verfassung außer Kraft gesetzt und die massive Verfolgung von politischen Dissidenten eingeleitet (Ahrens 1987). Zahlreiche Intellektuelle, die mit der UP sympathisiert hatten, wurden zwangsexiliert. Weiten Teilen der Bevölkerung schien das Eingreifen der Streitkräfte in die Politik notwendig. Die traditionellen politisch-demokratischen Mittel zur Krisenlösung hatten in den Augen der meisten versagt. In dieser Situation trat die Militärregierung als ein einziger politischer Akteur auf. Die Junta versprach zudem baldige Rückkehr zu demokratischen Verhältnissen. Doch bereits im März 1974 erfolgte eine Grundsatzerklärung der Militärregierung (Declaración de Principios), die keinen Zweifel an der Ausdehnung des Zustandes auf lange Zeit ließ (Gleich 1991). Das demokratische System wurde nicht reformiert, sondern zerstört, indem der Kongreß aufgelöst, marxistische Parteien und die Gewerkschaften verboten wurden. 1974 wurde der staatliche Geheimdienst DINA (Dirección de Inteligencia Nacional) ins Leben gerufen, welcher dem Präsidenten der Junta, General Pinochet, unterstand. Pinochet begann, die Macht auf seine Person zu konzentrieren. Seit Ende 1974 beanspruchte er den Titel "Präsident der Republik", obwohl dafür keine Legitimation existierte. Als Oberbefehlshaber des Heeres war er zudem Leiter der mächtigsten Waffengattung, 1979 wurde er Oberbefehlshaber der gesamten Streitkräfte. Durch die neue Verfassung von 1980 wurde die Junta aufgelöst, so daß Pinochet allein an der Führungsspitze Chiles stand. 1975 hatte sich Chile noch nicht von der Wirtschaftskrise erholt, die Inflation betrug immer noch über 340 Prozent. Jetzt wurde ein neoliberales Wirtschaftsmodell eingeführt, das die Einfuhr ausländischer Waren förderte und im Land neue Einnahmequellen erschloß. Die teilweise subventionierten Preise wurden freigegeben, nur diejenigen für Monopolgüter blieben unter staatlicher Aufsicht. Insgesamt reduzierte sich der staatliche Einfluß auf die Wirtschaft. Indes nahmen Chiles Auslandsschulden bis 1981 um über 150 Prozent zu, und die Arbeitslosigkeit verdreifachte sich. 1977 erfolgte ein Verbot aller noch öffentlich aktiven Parteien, darunter auch der Christdemokraten. Die rechten Parteien hatten sich nach dem Putsch selbst aufgelöst, da sie sich mit der Politik des Militärregimes vollkommen identifizierten. Die politische Mitte und die Linke waren bis in die achtziger Jahre hinein zerschlagen oder zersplittert, durch innere Streitigkeiten gelähmt und unfähig, eine wirkliche politische Alternative anzubieten. Die stärkste in der Öffentlichkeit agierende Oppositionstimme kam von der Katholischen Kirche. Die Vicaría de la Solidaridad, das Pfarramt der Solidarität, wurde zum Sprachrohr von politisch Verfolgten und deren Angehörigen.

19 1980 wurde durch eine Volksabstimmung von 67 Prozent der Wähler eine neue, restriktivere Verfassung angenommen. Die Regierung Pinochets hatte damit eine gewisse Legitimation erreicht. Die Konstitution sah eine Stärkung der Position des Präsidenten vor und war teilweise ausdrücklich auf die Person Pinochets ausgerichtet. Die Verfassung sah vor, daß Pinochet zunächst bis 1989 Staatsoberhaupt der Republik Chiles zu bleiben hatte. Dann sollte in Form eines Plebiszits über die weitere Zukunft des Landes entschieden werden. Unabhängig von dem Ausgang des Referendums und der Wahlen bleibt Pinochet bis 1997 Oberbefehlshaber des Heeres. Das Bild des Wirtschaftswunders Chile und somit der erfolgreichen Regierung brach zusammen, als das Land 1981/82 in eine schwere Rezession stürzte. Im Mai 1983 kam es zu dem ersten von zahlreichen Protesttagen, die bis Ende 1984 andauern sollten. Die Massenkundgebungen wurden von der Regierung mit Gewalt beantwortet. Die Niederschlagung der Demonstrationen forderte über einhundert Tote und mehrere hundert Verletzte. Im August 1983 wurde zum ersten Mal seit dem Sturz der Regierung Allende der Ausnahmezustand nicht erneuert, was einen kurzen Prozeß der Apertura (Öffnung) einleitete. Die Einschränkung der Pressefreiheit wurde zum Teil aufgehoben, einige Politiker konnten aus dem Exil zurückkehren, Wahlen in Gewerkschaften und Universitäten wurden wieder zugelassen, politische Parteien toleriert. Als sich die innenpolitische Lage nicht beruhigte, wurde im März 1984 der Ausnahmezustand, im November 1984 der Belagerungszustand verhängt. Damit war die Chance einer politischen Transition fürs erste vertan. Zu gewalttätigem Widerstand gegen das Regime kam es in Form von Attentaten auf Polizisten oder Sabotageakten auf die Stromversorgung durch den militärischen Arm der Kommunistischen Partei, der Frente Patriótico Manuel Rodríguez (FPMR). 1986 verübte der FPMR ein Attentat auf General Pinochet, bei dem fünf seiner Leibwächter ums Leben kamen, er selbst jedoch unverletzt blieb. Daraufhin wurde der Ausnahmezustand erneut verhängt. Ein Jahr vor dem in der Verfassung vorgesehenen Plebiszit über die Zulassung von freien Wahlen lockerte die Regierung die Repressionen. Der Belagerungszustand wurde aufgehoben und die Einführung eines neuen Parteiengesetzes angekündigt. Dieses Gesetz trat bereits im April 1987 in Kraft, erschwerte der Opposition aber durch aufwendige Legalisierungsverfahren die Mobilisierung der Wähler erheblich. Die Opposition fand erst in der zweiten Jahreshälfte 1987 zu einer gemeinsamen Wahlstrategie. Einige Parteien hatten sich zunächst geweigert, am Plebiszit teilzunehmen, da dies einer Anerkennung der Verfassung von 1980 gleichkam, andere fürchteten massive Wahlmanipulationen. Erst nachdem sich die Christdemokraten, die wichtigste Oppositionspartei, unter ihrem neuen Vorsitzenden Patricio Aylwin für eine Teilnahme am Plebiszit entschieden hatten, stand die gemeinsame Strategie der Opposition fest. Im Februar 1988 fanden sich 16 Parteien in der "Kampagne für das Nein" zusammen. Der Zusammenschluß der Opposition ermöglichte die Mobilisierung der chilenischen Mehrheit gegen Pinochet. Am 5. Oktober 1988 entschieden sich 55 Prozent der Wähler gegen weitere acht Jahre unter Pinochet (Ensignia 1990). Damit war der Weg zu freien Präsidentschaftswahlen geebnet. Dieselben Parteien, die sich in der "Kampagne für das Nein" bereits zusammengeschlossen hatten, gin-

20 gen nun als Concertaciön de Partidos por la Democracia in die Präsidentschaftsund Parlaments wählen im Dezember 1989. Gemeinsamer Kandidat für die Concertaciön war der Christdemokrat Patricio Aylwin. Am 14. Dezember 1989 gewann er mit 55 Prozent der Stimmen die Wahlen. Im Abgeordnetenhaus und im Senat konnte die Concertaciön keine Zweidrittelmehrheit erlangen. Dies ist insofern bedeutsam, als Verfassungsänderungen nur mit einer Dreifünftelmehrheit der Abgeordneten oder einer Zweidrittelmehrheit des Senats durchgeführt werden können. In den fünfzehn Monaten zwischen Präsidentschaftswahlen und Amtsübergabe erließ Pinochet noch zahlreiche neue Gesetze und Dekrete, die Grundinteressen der Militärregierung auch über den Machtwechsel hinaus wahren sollten. Diese sogenannten leyes de amarre (Fesselungsgesetze) betreffen den staatlichen Fernsehsender Canal 7, die Privatisierung staatlicher Betriebe, die Zentralbank, das Justizwesen und die Generalamnestie für die Streitkräfte. Unter anderem wurden die Höhe des Militäretats festgeschrieben, staatliche Liegenschaften und Sachmittel auf das Heer übertragen, der dem Präsidenten unterstehende Geheimdienst aufgelöst, Archive und Personal vom Geheimdienst des Heeres übernommen. Von den sechzehn Richtern des Obersten Gerichtshofes ernannte Pinochet neun, die ihr Amt bis zum Alter von 75 Jahren ausüben können. Am 11. März 1990 übernahm Patricio Aylwin die Präsidentschaft der Republik Chile. Nach 17 Jahren Militärregime war wieder eine demokratisch gewählte Regierung in Chile an der Macht. Aylwin begann mit der Stabilisierung der demokratischen Verhältnisse, der Integration Chiles in den Weltmarkt und dem Bestreben, die großen sozialen Disparitäten zu lindern. Die ökonomische Erfolgsbilanz des alten Regimes hatte hohe soziale Kosten gefordert. Im Jahr 1990 wurde von fünf Millionen Armen ausgegangen, deren Familieneinkommen nicht zur Befriedigung der Grundbedürfnisse ausreichte. Langfristig sollen diese großen sozialen Ungleichheiten gelindert werden. Als erster Schritt wurden die Mindestlöhne und einige Sozialleistungen erhöht. Die Beziehungen zwischen der Regierung und den Militärs gelten als gemischt. Die Luftwaffe und die Marine akzeptierten die zivile Regierung. Die Beziehungen zu den Streitkräften, die unwiderruflich bis 1997 General Pinochet unterstehen, blieben aber gespannt. Obwohl Pinochet sich nicht mehr öffentlich an der Politik beteiligen darf, hat er durch die Kontrolle über die Streitkräfte nach wie vor eine Machtposition inne. Unter anderem ermöglicht diese Machtposition, die Aufarbeitung der Vergangenheit und die Verurteilung der Schuldigen für die Ermordung politischer Oppositioneller zu vereiteln. Als Präsident Aylwin kurz nach dem Regierungswechsel General Pinochet zum Rücktritt aufforderte, demonstrierte dieser mit einer 24 Stunden währenden Mobilisierungsübung seine Macht und schloß die Möglichkeit eines neuen Putsches im Fall einer "Demokratiebedrohung" nicht aus. Eine der schwierigen Aufgaben, die Präsident Aylwin nach seiner Amtsübernahme zu bewältigen hatte, war die Aufarbeitung der jüngsten Vergangenheit. Die Koalition hatte in ihrer Wahlkampagne versprochen, die Verbrechen des Regimes aufzuklären und die Täter zu bestrafen. Durch die noch unter Pinochet erlassene Generalamnestie für die Streitkräfte können die Schuldigen nicht belangt werden. Um wenigstens dem moralischen Anspruch auf Gerechtigkeit zu genügen, rief Präsident Aylwin per Dekret im April 1990 die "Nationale Kommission der Wahrheit

21 und Versöhnung" ins Leben. Die Aufgabe der Kommission war die Dokumentation der unter der Militärherrschaft von September 1973 bis März 1990 begangenen Menschenrechtsverletzungen (Ensignia / Nolte 1991). Die wichtigsten Ergebnisse gab Aylwin in einer landesweiten Ansprache über Rundfunk und Fernsehen bekannt. Darin bat er die Angehörigen der Opfer im Namen der Nation um Verzeihung und versprach Wiedergutmachungsleistungen. Obwohl die Kommission keine richterlichen Funktionen hat, hat sie mit der Publikmachung der Verbrechen, die im Namen der Regierung begangen wurden, einen wichtigen Beitrag zur Bewältigung von Chiles jüngster Vergangenheit geleistet. Seit Amtsantritt der Regierung Aylwin wurden bis Ende 1993 372 der 380 politischen Häftlinge der Diktatur entlassen, acht warteten noch auf den Abschluß der Gerichtsverfahren. Nachdem sich Patricio Aylwin trotz seines erfolgreichen Wirkens mit einer vierjährigen Amtszeit als "Übergangspräsident" begnügte, wurde der ehemalige Unternehmer Eduardo Frei Ruiz-Tagle, ein Sohn des chilenischen Staatschefs der Jahre 1958 bis 1964, am 11. Dezember 1993 zum neuen Präsidenten Chiles gewählt. Mit 58 Prozent der Stimmen erzielte der Kandidat der Concertación das beste Ergebnis, das je ein Bewerber bei einer freien Wahl in Chile erreichte. Frei versprach eine Fortsetzung der Politik seines Vorgängers, aber auch mehr Gerechtigkeit, weniger Armut und eine bessere Erziehung. Die Integration des Landes in den Weltmarkt sollte weitergeführt werden. Zwar siegte die Concertación aus Christdemokraten (PDC), Sozialdemokraten (PPD) und demokratischen Sozialisten (PS) auch bei der gleichzeitig stattfindenden Kongreßwahl (55,6 % der Stimmen, 70 von 120 Mandaten), doch blieb ihr hier ebenso wie in der (Teil-)Wahl zum Senat die Zwei-DrittelMehrheit verwehrt, die zu Verfassungsänderungen (etwa bezüglich der noch von Pinochet verfügten Regelungen) notwendig wäre.

1.3.

Politisches System

Chile ist seit seiner Unabhängigkeit eine präsidiale Republik. Die geltende Verfassung wurde 1980 unter der Militärregierung erlassen. Sie basiert in weiten Teilen auf der Verfassung von 1925, die eine starke Stellung des Präsidenten und eingeschränkte Befugnisse des Parlaments festlegte. 1989 wurde die Verfassung in 54 Punkten geändert. Dadurch wurde das Verbot linker Parteien aufgehoben, das Recht des Präsidenten, das Parlament aufzulösen, abgeschafft, das Verfahren zur Reform der Verfassung erleichtert und die Zahl der Senatsmitglieder um zwei erhöht (Nohlen / Nolte 1992). Staatsoberhaupt ist der Präsident der Republik, er wird in direkter Wahl mit absoluter Mehrheit gewählt. Eine Wiederwahl ist nicht möglich. Mit der Verfassungsreform von 1989 wurde eine einmalige Wahlperiode von vier Jahren vereinbart, welche die Rückkehr zu demokratischen Verhältnissen erleichtern sollte. Die Macht des Präsidenten beruht auf einer Vielzahl von Vorrechten. Die Minister haben keine eigene Ressortverantwortlichkeit, sondern gelten als "Mitarbeiter". Der Präsident ist verantwortlich für die innere und äußere Sicherheit. Die Volksvertretung besteht aus einer Abgeordnetenkammer (Cámara de Diputados) mit 120 Abgeordneten sowie einem Senat mit 47 Senatoren. Neun der Sena-

22 toren werden vom Präsidenten eingesetzt. Die Abgeordneten werden durch direkte Wahl auf vier Jahre, die Senatoren auf acht Jahre gewählt. Der Präsident kann den Kongreß einberufen, Minister ernennen oder entlassen und hat in einigen wichtigen Bereichen die alleinige Gesetzesinitiative. Wird eine Gesetzesvorlage im Abgeordnetenhaus abgelehnt, so kann der Präsident den Senat zur Abstimmung einberufen. Im Falle einer Gesetzesannahme durch den Senat benötigt die Abgeordnetenkammer eine Zweidrittelmehrheit, um das Gesetz abzulehnen. Der Präsident kann gegen jede Gesetzesvorlage sein Veto einlegen. Er hat in vielen Bereichen Verordnungskompetenz. Chile ist in 13 Regionen, 51 Provinzen und 335 Gemeinden unterteilt. Bis vor kurzem wurden die Leiter der Verwaltungsbehörden auf Ebene der Regionen, der Provinzen und der Gemeinden vom Präsidenten ernannt. Diese zentralistische Verwaltungsstruktur soll durch ein Reformprojekt zur Dezentralisierung gelockert werden, indem die Verwaltung nach und nach in die Hände der Regionen selbst gelegt und die Funktionen des Präsidenten eingeschränkt werden. Der erste Erfolg dieses Vorhabens ist die Demokratisierung der Kommunalwahlen. Seit Juni 1992 werden die Bürgermeister und Gemeinderäte durch Direktwahl bestimmt.

1.4.

Wirtschaft

Zwischen 1880 und 1920 war der Salpeter Chiles wichtigstes Wirtschafts- und Exportprodukt, mit dem das Land eine Monopolstellung einnahm. Ausländische Investoren erlangten bereits damals eine wichtige Bedeutung. Zwischen 1900 und 1920 bestimmten die Salpeterexporte schätzungsweise ein Drittel des Bruttoinlandsproduktes (BIP). Nach dem Zusammenbruch des Salpetermonopols in den zwanziger Jahren löste der Kupferbergbau den Salpeter allmählich in seiner wirtschaftlichen Bedeutung ab. Durch die Weltwirtschaftskrise 1929 erlitt das Kupfer einen Preisverlust von 70 Prozent und stürzte das Land in eine schwere finanzielle Notlage. Trotz der Bedeutung des Bergbaus war Chile bis etwa 1940 im wesentlichen ein Agrarland (Nohlen / Nolte 1992) Seit den vierziger Jahren bemühte sich Chile, auch die übrigen Wirtschaftszweige auszubauen, um die Abhängigkeit von einem Sektor oder einem Produkt zu verhindern. Die Industrie entwickelte sich zum dynamischsten Sektor der chilenischen Volkswirtschaft, so daß sie 1973 knapp 30 Prozent des BIP ausmachte. Weitere Wirtschaftsbereiche wie die Forstwirtschaft und der Obstanbau wurden verstärkt gefördert. Die Petrochemie, Metall-, Papier- und Fischindustrie erfuhren ebenfalls Unterstützung. Im Bergbau wurde mit dem verstärkten Abbau von Molybdän begonnen. Der Außenhandel Chiles war sehr lange fast ausschließlich vom Bergbau abhängig. Während 1940 rund drei Viertel der Gesamtexporte aus Bergbauprodukten bestanden, waren es 1969 bereits 89 Prozent. Ende der sechziger Jahre machte der Kupferanteil an den Gesamtausfuhren über 79 Prozent aus. Die wichtigsten Kupferbergwerke befanden sich in Händen US-amerikanischer Firmen, die von ihrem Gesamtkapital nur rund 16 Prozent in Chile wieder anlegten. Dieses Verhalten

23 führte zu Konflikten zunächst mit der christdemokratischen, dann mit der sozialistischen Regierung, welche die Minen schließlich nationalisierte. Chile gehört zu den am stärksten industrialisierten Ländern Lateinamerikas. 1970 waren nur 9,3 Prozent der Erwerbstätigen hier beschäftigt, während 1991 24 Prozent im industriellen Sektor beschäftigt waren. Das produzierende Gewerbe war 1992 mit 33,5 Prozent an der Entstehung des BIP beteiligt. Den größten Anteil des produzierenden Gewerbes bildet das verarbeitende Gewerbe, zu dem die Lebensmittel-, Holz-, Metall-, und Textilindustrie zählt. Seit 1983 beträgt das jährliche Wachstum dieser Branchen durchschnittlich 7 Prozent. 1992 trugen diese Industriesektoren mit knapp 21 Prozent zur Entstehung des BIP bei. Die chilenische Industrie konzentriert sich auf den mittleren Teil des Landes. Nord- und Südchile sind industriell unterentwickelt. Hier unterstützt der Staat durch Förderungsprogramme die Gründung neuer Standorte. Der Bergbau Chiles wird weitgehend von der Kupferindustrie bestimmt, die der bedeutendste Wirtschaftszweig des Landes ist. Dennoch arbeiten nur 2,1 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung im Bergbau. Je nach Preisentwicklung erwirtschaftet die Kupferindustrie 45 bis 50 Prozent der Exporterlöse (Statistisches Bundesamt 1991). Die Minen der CODELCO (Corporación del Cobre) sind staatliche Betriebe. Weitere wichtige Bergbauprodukte sind Mangan, Gold, Silber, Schwefel, Phosphate und Salze. 60 Prozent der Weltlieferungen an Jod kommen aus Chile. Die chilenischen Rohöllagerstätten sind beinahe erschöpft, so daß dieser Rohstoff verstärkt importiert werden muß. Chile kann etwa 23 Prozent seines Bodens landwirtschaftlich nutzen. Ein Viertel davon wird als Ackerland bearbeitet, der Rest wird als Weidefläche für die Viehzucht verwendet. Die Landwirtschaft konzentriert sich auf den fruchtbaren Boden Mittelchiles und des Kleinen Südens, da der Norden des Landes durch sein wüstenartiges Klima dafür völlig ungeeignet ist. Wichtige Anbaukulturen sind Getreide, Mais, Rüben, Kartoffeln, Öl- und Hülsenfrüchte, Gemüse, Obst und Wein. Im Bereich der Landwirtschaft hat Chile die Selbstversorgung zu einem großen Teil erreicht. Chile ist einer der größten Fruchtexporteure der Welt und die Landwirtschaft ein bedeutender Devisenbringer für das Land. Der Landwirtschaftssektor ist in den letzten Jahren langsam, aber konstant gewachsen. 1992 betrug die Wachstumsrate 3,1 Prozent. Dem stärkeren Zuwachs der anderen Wirtschaftssektoren ist es zuzuschreiben, daß der Anteil der Landwirtschaft am BIP trotz seiner positiven Entwicklung ständig abnimmt und 1992 nur noch mit 8,2 Prozent daran beteiligt war (1990 waren es noch 9,1%). Die Besitz- und Betriebsstruktur der chilenischen Landwirtschaft blieb bis zu Beginn der Agrarreform unter Frei 1967 nahezu unverändert. Noch heute ist die landwirtschaftliche Besitzstruktur durch eine große Zahl von Minifundien und einen bedeutenden Anteil mittelgroßer Betriebe gekennzeichnet. Der Telekommunikationsbereich ist der zur Zeit expansivste Sektor in der chilenischen Wirtschaft. Das Fernsprechnetz wurde in den letzten Jahren entscheidend ausgeweitet, um die steigende Nachfrage zu decken. Vor allem im entlegenen Norden und Süden des Landes gibt es in kleineren Ortschaften immer noch keinerlei Femmeldeverbindungen. Auch in Santiago selbst warten noch viele Antragsteller

24 auf den Anschluß ihres Telefons. Durch den heute niedrigeren Preis für eine Telefonleitung können sich mehr Menschen diese Anschaffung leisten. Im gesamten Land gab es 1990 circa 1.170.000 Fernsprechanschlüsse, dadurch kamen auf 100 Einwohner 8,8 Anschlüsse. Seit 1980 hat sich die Zahl der Telefonanschlüsse mehr als verdoppelt. Stärkstes Standbein der chilenischen Wirtschaft ist der Außenhandel. Der angestiegene Import von Waren führte 1992 zu einem geringeren Ausfuhrüberschuß. Die wirtschaftliche Situation Chiles ist allerdings besser, als diese Zahlen zunächst vermuten lassen. Die Devisenreserven Chiles stiegen 1992 um einiges auf 9.168 Millionen Dollar an, bedingt vor allem durch steigende Investitionen aus dem Ausland. Das Spektrum der chilenischen Exportwaren hat sich in den letzten Jahren beträchtlich erweitert. 1970 wurden rund 140 verschiedene Produkte exportiert, 1990 sind es an die 1.500 gewesen. Die Diversifizierung des Angebots hat die Abhängigkeit Chiles vom Kupferexport gemindert. Statt dessen werden zunehmend Waren mit einem höheren Verarbeitungsgrad ans Ausland verkauft. Die Branche mit dem größten Wachstum ist die Obstwirtschaft. Auch der Export von Industriegütern wie Elektrogeräte und Chemieprodukte befindet sich im Aufschwung. Knapp drei Fünftel der Gesamtexporte Chiles bestehen aus den vier Hauptprodukten Kupfer (39%), Obst (9,4%), Fischmehl (5,4%) und Zellstoff (5,3%). Als wichtigster Handelspartner trat bisher die Europäische Gemeinschaft auf. Durch den Protektionismus der EG ging der Absatz chilenischer Güter um 3,3 Prozent zurück, während Chiles Käufe in der EG sich um 25 Prozent erhöhten. Chile kauft in der Bundesrepublik bevorzugt Maschinen und Fördermittel, während die Bundesrepublik vor allem Kupfer (23,7%) und Obst (21,5%) sowie andere Bergbauprodukte (21,8%) importierte. Seit Anfang 1993 ist nicht mehr die Bundesrepublik, sondern Großbritannien erster Abnehmer für chilenische Produkte in der EG. Das wichtigste Abnehmerland für chilenische Exportprodukte ist Japan, das 18 Prozent der chilenischen Waren importiert, gefolgt von den USA, die rund 15 Prozent abnehmen, und Frankreich, das rund 6 Prozent importiert. Chile selbst bezog 1991 22 Prozent seiner Importwaren aus den USA, 18,8 Prozent aus der EG und knapp 8 Prozent aus Japan. Die Rückkehr zur Demokratie hat sich auf die chilenische Wirtschaft positiv ausgewirkt. Die Regierung Aylwins verfolgte eine Politik der Stabilisierung, die auf antiinflationären Maßnahmen und gemäßigtem Wirtschaftswachstum basierte. Gesamtwirtschaftlich betrachtet war 1992 für Chile ein erfolgreiches Jahr. Die Inflation erreichte Ende 1992 mit 12,7 Prozent den niedrigsten Stand seit 1981 und war damit seit 1990 um über die Hälfte gesunken. Damit hat die neue Regierung den Grundstein für eine stabile Wirtschaft gelegt. Aufgrund hoher Investitionen ist das BIP 1993 nochmals um 6 Prozent gestiegen. Die Auslandsverschuldung Chiles betrug 1989 noch 20,4 Milliarden US-Dollar, 1992 bereits nur noch 18,2 Milliarden US-Dollar. Damit hat Chile als erstes lateinamerikanisches Land den Weg aus der Schuldenkrise gefunden. Anfang 1991 konnte Chile auf den internationalen Kapitalmarkt zurückkehren, was bedeutet, daß das Land für die Finanzwelt wieder kreditwürdig ist.

25 1.5.

Bevölkerungs- und Sozialstruktur

In Chile leben rund 13,6 Millionen Menschen. Die durchschnittliche Wachstumsrate der Einwohnerzahl nimmt seit Beginn der siebziger Jahre kontinuierlich ab. Die Bevölkerung war bis 1980 jährlich um 1,8 Prozent, 1992 noch um 1,6 Prozent gewachsen (Statistisches Bundesamt 1991). Nach Schätzungen der Vereinten Nationen wird die Bevölkerung des Landes bis zum Jahr 2000 bei einer Zuwachsrate von 1,2 Prozent auf ca. 15 Millionen steigen. Die Bevölkerungsdichte liegt mit 17,9 Einwohnern pro Quadratkilometer sehr niedrig. Dieser Wert entspricht jedoch selten den reellen Verhältnissen. Allein in der Hauptstadt Santiago lebt mit rund 4,6 Millionen Menschen fast ein Drittel der Gesamtbevölkerung Chiles, das sind durchschnittlich 341 Einwohner pro Quadratkilometer. Dies ist die Folge einer andauernden Landflucht, die sich auf Santiago konzentriert. Der Urbanisierungsgrad liegt in Chile erschreckend hoch. Anfang des Jahrhunderts lebten zwei Drittel der Menschen auf dem Land, 1975 waren es noch ein Viertel, und heute leben 86,2 Prozent der Bevölkerung in Städten. Nach der Millionenhauptstadt Santiago sind die nächstgrößeren Städte Viña del Mar mit 316.000 und Concepción mit rund 315.000 Einwohnern. Insgesamt leben zwei Drittel der Chilenen in Mittelchile, während die anderen Regionen des Landes als einwohnerarm gelten. Der Norden und Süden Chiles ist wenig oder kaum besiedelt. In der X I . Region kommt noch nicht einmal ein Einwohner auf einen Quadratkilometer, in den drei nördlichsten Regionen sind es im Durchschnitt fünf Einwohner (INE 1992). Die Verbesserung des Gesundheitswesens hat dazu beigetragen, daß die Lebenserwartung der Chilenen seit 1970 um zehn Jahre stieg und heute 72 Jahre beträgt. Im selben Zeitraum konnte die Säuglingssterblichkeit von 82 auf 16 pro 1.000 Geburten gesenkt werden. Die Bevölkerungsstruktur Chiles ist durch einen hohen Prozentsatz junger Menschen gekennzeichnet. Ein Viertel der Gesamtbevölkerung hat das zehnte Lebensjahr noch nicht erreicht, und rund die Hälfte der Einwohner ist unter 25 Jahren alt. Die über 65jährigen stellten mit 6,1 Prozent eine kleine Gruppe dar. Die ethnische Zusammensetzung der chilenischen Bevölkerung besteht aus Mestizen, hervorgegangen aus der Verbindung zwischen europäischen Einwanderern und indianischer Urbevölkerung, Weißen und Indianern. Über die Größe dieser drei ethnischen Gruppen liegen unterschiedliche Angaben vor (Statistisches Bundesamt 1991; Nohlen / Nolte 1992). Die meisten Quellen geben den Anteil der Mestizen mit 92 Prozent an und den der Urbevölkerung, meist Mapuche- und Chango-Indianer, mit 6,8 Prozent. Der Anteil der Weißen liegt bei 1,6 Prozent. Die Angehörigen dieser Hautfarbe gehören fast ausnahmslos der Oberschicht oder der oberen Mittelschicht an. Wie in allen lateinamerikanischen Ländern ist die katholische Kirche in Chile die bei weitem stärkste Religionsgemeinschaft, der 81 Prozent der Chilenen angehören; 6 Prozent sind Protestanten, 12,8 Prozent bezeichnen sich als Atheisten und 0,2 Prozent sind Juden. Das Bildungswesen ist in Chile recht gut entwickelt. Seit 1928 besteht eine allgemeine Schulpflicht für Kinder von 6 bis 14 Jahren. Die öffentlichen Schulen Chiles sind für die Schüler gebührenfrei. Die Analphabetenrate ist in den letzten Jahr-

26 zehnten entscheidend gesunken. 1990 konnten 6,6 Prozent der über 15jährigen weder Lesen noch Schreiben, 1970 waren es noch 11 Prozent. Die Einschulungsquote liegt bei 95 Prozent, über die Hälfte davon besucht nach den acht Grundschuljahren eine weiterführende Schule, in der das Abitur gemacht wird. An den insgesamt 201 Hochschulen des Landes waren 1991 rund 245.000 Studenten eingeschrieben. An insgesamt 29 Universitäten und Privatinstituten werden Joumalistikstudiengänge angeboten. Wie in anderen Ländern Lateinamerikas liegt die Erwerbsquote in Chile relativ niedrig. Der Anteil der Bevölkerung zwischen 15 und 65, also der erwerbsfähigen Bevölkerung, beträgt 63,3 Prozent, doch nur 35 Prozent der Chilenen arbeiten auch. Das liegt einerseits an dem großen Anteil Jugendlicher und Kinder in der Bevölkerung, die noch keinen Beruf ausüben, sowie an dem zwar steigenden, aber immer noch geringem Anteil berufstätiger Frauen (22 %). Der größte Teil der Erwerbsbevölkerung arbeitet in Santiago. Hier sind über zwei Fünftel aller Erwerbstätigen beschäftigt. Die Arbeitslosenrate betrug 1993 landesweit 4,0 Prozent und ist damit in den letzten fünf Jahren um 2,3 Prozent gesunken. Daß diese Zahlen nicht unbedingt der Realität entsprechen, wird auch von amtlicher Stelle zugegeben. Ein großer Anteil der ungelernten Arbeitskräfte verdient seinen Lebensunterhalt mit Gelegenheitsarbeiten. Diese Gruppe gilt offiziell nicht als arbeitslos, ist aber stark unterbeschäftigt. Zudem besteht eine Schattenwirtschaft mit Schwarzarbeit und Schwarzmarkt, die ihrerseits die amtlichen Zahlen verfälschen.

2.

Rechtliche Grundlagen der Massenmedien

Bereits bevor in Chile die erste Zeitung herausgegeben wurde, gab es rechtliche Verfügungen zur Meinungs- und Pressefreiheit. Das Dekret vom 9. November 1811 setzte den respektlosen und beleidigenden Schmähschriften Grenzen, indem es die persönliche Integrität der Bürger unter Schutz stellte. Die zweite Verfügung vom Januar 1812, von den revolutionären Stadträten des sich von Spanien emanzipierenden Landes erlassen, gewährte die Pressefreiheit nach den Grundsätzen der freien und gebildeten Nationen (González Pino / Martínez Ramírez 1987). Nachdem Chiles erste Zeitung einige Monate erschienen war, ging die Regierung direkt gegen die Presse vor. Die Propagierung von Unabhängigkeitsideen durch den Pater Camilo Henríquez veranlaßte die Regierung im August 1812, eine Vorzensur zu erlassen, die jedoch nie angewandt wurde. Das erste Dekret zur Einschränkung der Meinungsfreiheit wurde noch im selben Jahr erlassen, richtete sich aber nicht gegen chilenische, sondern gegen die regierungsfeindlichen Publikationen der Spanier und der Royalisten, die oftmals aufrührerische Gerüchte in die Welt setzten. Das Dekret zur Pressefreiheit von 1813 ist das wichtigste juristische Vermächtnis des kolonialen Chile. Obwohl es keinen Gesetzescharakter hat, wird dieser Erlaß wegen seiner Bedeutung für die Rechtsgeschichte in vielen Veröffentlichungen als Chiles erstes Pressegesetz bezeichnet, denn mit ihm wurde die Gesetzgebung zur Wahrung der Pressefreiheit eröffnet. Die einleitende Bemerkung zu dem Gesetzestext ist ein flammendes Plädoyer für die Freiheit der Meinung und der Presse, die ein natürliches Recht des Menschen und ein Schutzschild der Bürger gegen den

27 Mißbrauch durch die Tyrannei darstelle. Gleichzeitig erkennt das Dekret, daß diese Freiheit Grenzen hat, die nicht überschritten werden dürfen. Zwischen 1813 und 1823 wurden drei Verfassungen diktiert, die alle dieselben Pressevergehen ahndeten, die bereits das Dekret von 1813 festgelegt hatte. Artikel 11 der Verfassung von 1818 ist die fast wörtliche Wiederholung des Pressedekrets von 1813 und garantiert die freie Äußerung der Ideen durch die Presse. Die Verfassung von 1822 verbot lediglich die Verleumdung und Beleidigung sowie die Anregung zu Verbrechen. Sie erlaubte die freie Zirkulation aller Druckerzeugnisse in jeder Sprache, außer obszönen, unmoralischen oder aufhetzerischen Schriften. In der Verfassung von 1823 schließlich wird die Pressefreiheit gewährt und gefördert, solange sie die Regeln des Anstands wahrt. In Anlehnung an das Dekret von 1811 wurde das Privatleben der Personen ausdrücklich in Schutz genommen. Die Einmischung der Presse in religiöse Fragen blieb unerwünscht. Ein gesondertes Gericht für Fragen der Pressefreiheit wurde eingerichtet. Auch in der Verfassung von 1828 wurde das Grundrecht der freien Meinungsäußerung sowie der Veröffentlichung der Meinungen gewährleistet. Gleichzeitig begann eine Ära der restriktiven Pressegesetze. Aus der Ley de ¡mprenta wurde die Ley de Abusos sobre Libertad de Imprenta, die sich nur am Rande mit den Rechten der Journalisten und der Medien auseinandersetzte und in der Hauptsache Regelungen zum Mißbrauch der Pressefreiheit enthielt. Das Gesetz über den Mißbrauch der Pressefreiheit von 1846 war das restriktivste Pressegesetz des 19. Jahrhunderts. Es blieb 26 Jahre lang in Kraft. In dem 99 Artikel umfassenden Gesetzestext wurde die Meinungs- und Pressefreiheit mit keinem Wort erwähnt. Nur in der Verfassung von 1833 wurde die freie Meinungsäußerung durch die Presse ohne Zensur ausdrücklich festgehalten. Das Mißbrauchsgesetz von 1846 aber beschränkte sich darauf, Pressedelikte zu definieren und schwere Strafen festzusetzen. Erst 1872 trat ein liberaleres Pressegesetz in Kraft. Es handelte sich um die langlebigste Rechtssetzung im chilenischen Pressewesen, da es die nächsten 53 Jahre bis 1925 in Kraft blieb. Wiederum standen die Vergehen und nicht die Rechte der Presse im Vordergrund. Die Zahl der Verfügungen wurde jedoch auf drei reduziert. Es war verboten, die staatliche Religion oder Moral anzugreifen, den guten Ruf eines Beamten zu untergraben oder eine Privatperson unbegründet in Mißkredit zu bringen. Die entscheidende Liberalisierung lag in der Abschaffung der Freiheitsstrafen, die durch einfache Geldbußen ersetzt wurden. Inmitten der politischen Kämpfe zwischen Präsident Alessandri und den Militärs wurden 1925 eine neue Verfassung und ein neues Pressegesetz erlassen. Die Verfassung gewährte im Rahmen der gültigen Gesetze die Meinungsfreiheit in Wort und Schrift ohne jede Zensur. Artikel 44 der Verfassung ermöglichte der Regierung, in Notstandssituationen diese Grundrechte für sechs Monate einzuschränken. Pressedelikte mußten nicht mehr vor einem gesonderten Gericht verhandelt werden, sondern kamen von nun an vor die ordentliche Gerichtsbarkeit (Olivos Marchant / Ventura Mendez 1967). Durch das Gesetzesdekret 425 Sobre Abusos de la Publicidad wurde 1925 ein Pressegesetz erlassen, welches eine Rückkehr zu den restriktiven Normen von 1846 darstellte. Es machte aus vielen Ordnungswidrigkeiten wieder Straftaten. Auch das

28 in der Verfassung erlassene Verbot einer Vorzensur wurde durch das Pressegesetz mißachtet. Mit dem Antritt der Militärregierung Mitte September 1973 wurde der Ausnahmezustand verhängt, der zahlreiche konstitutionelle Garantien außer Kraft setzte. Nach der Normalisierung der Lage schränkten die unter der Diktatur erlassenen Ergänzungsartikel der Verfassung die Pressefreiheit mehrfach ein. Diese Verfassungszusätze sind größtenteils noch heute gültig, da für eine Verfassungsänderung keine politische Mehrheit in Senat und Kongreß besteht. Insgesamt existierten unter der Militärregierung in Chile 34 verschiedene Gesetze, welche die Meinungs- und Informationsfreiheit in der Presse wie auch beim Hörfunk einschränkten (Ossandon / Rojas 1989). Die Verfassung selbst bot der Regierung verschiedene Möglichkeiten zur Einschränkung der Pressefreiheit. Im September 1976 setzte die Militärregierung durch die Verfassungsakte Nr. 3 neue restriktive Maßnahmen durch, welche bereits den Grundstein für die neue Verfassung von 1980 legten. Die Punkte des Statuts von 1971 wurden weitgehend aufgehoben. Politische Äußerungen durften die Moral, das Privatleben oder die innere Sicherheit und Ruhe nicht gefährden. Zum anderen gewährte die Verfassung den Bürgern das Recht auf wahrheitsgemäße und objektive Information über das nationale und internationale Geschehen. Die Enteignung von Massenkommunikationsmitteln wurde erleichtert, indem sie nun keiner Zustimmung der beiden Kammern mehr bedurfte. Politische Parteien und vorbestrafte Personen verloren das Recht, eine Zeitung oder einen Radiosender zu betreiben. Diese Regelung wirkte sich besonders auf politische Oppositionelle aus, die durch eine der zahlreichen "legalen" Methoden der politischen Repression oftmals vorbestraft waren. Den Kommandanten im Ausnahmezustand wurden durch verschiedene Dekrete umfassende Vollmachten zur willkürlichen Suspendierung der Medien gegeben. Dehnbare Definitionen wie "Verzerrung der Wahrheit", "Provokationen der Regierung" und "Unruhestiftung" ermöglichten die Unterbindung jeder Kritik. Wichtigstes Instrument zur Einschränkung der Pressefreiheit bildet die Ley N° 12.927 sobre Seguridad del Estado, das Gesetz zur Staatssicherheit von 1958. Dieses Gesetzeswerk ahndet die Verbreitung von Meldungen, die in irgendeiner Form Panik oder Mißstimmung in der Bevölkerung verursachen könnten und durch tendenziöse oder falsche Berichterstattung das Regime zu stürzen versuchen (Art. 4). Weiterhin wird durch Art. 6 die Beleidigung und Diffamierung des Vaterlandes und seiner Symbole, des Präsidenten und seiner Minister, der Abgeordneten und Richter, des Oberhaupts der Streitkräfte oder der Polizei als Vergehen gegen die öffentliche Ordnung definiert. Auch die Demoralisierung der Armee wird unter Strafe gestellt. Durch das Gesetz zur inneren Sicherheit haben Polizei und Militär jederzeit die Möglichkeit, die Schließung einer Redaktion oder die Konfiszierung von Presseorganen zu veranlassen. Die unter Belagerungs- oder Ausnahmezustand begangenen Pressedelikte werden vor einem Militärgericht verhandelt. Auf diese Weise kamen unter dem Militärregime zahlreiche Journalisten der Opposition unter Ausschluß der Öffentlichkeit vor ein solches Gericht. Die Militärgerichtsbarkeit wird auch dann tätig, wenn in politisch ruhigen Zeiten der Verstoß gegen Art. 284 oder 417 des Código de Justicia Militar, des Militär-

29 strafrechts, vorliegt. Jede Bedrohung, Beleidigung und Beschimpfung der nationalen Streit- oder Polizeikräfte durch Wort, Schrift oder ein anderes Medium wird mit Freiheitsstrafen oder gar Verbannung bestraft. 1992 wurden noch die Fälle von 13 Journalisten vor Militärgerichten verhandelt, fast alle aufgrund des Verstoßes gegen Art. 284. 1980 wurde durch ein Referendum die neue autoritäre Verfassung angenommen, die grundlegende Elemente der Reform von 1976 einschließt. Die Konstitution von 1980 gewährleistet durch Artikel 19, Nr. 12 des Kapitels II über "Rechte und Pflichten der Verfassung" die wichtigsten Grundrechte der Meinungs- und Pressefreiheit. Weiterhin gewährt die Verfassung allen Bürgern den Anspruch auf Gegendarstellung (Abs. 3) sowie auf Gründung eines Presseorgans (Abs. 4). Absatz 2 des Artikels untersagt generell das Monopol des Staates an einem Massenkommunikationsmittel. Dadurch wurde das Fernsehmonopol der Universitäten und des Staates aufgehoben und der Weg zum Privatfernsehen geebnet, wenn auch nicht freigegeben. Denn nur die durch das Gesetz bestimmten Körperschaften haben das Recht, Fernsehstationen einzurichten, zu bedienen und zu unterhalten (s. u.). Die Verfassung schreibt weiter die Einrichtung eines unabhängigen Fernsehrates vor, der über das "korrekte Funktionieren" dieses Mediums wacht. Zur Überwachung des korrekten Ablaufs zählt die Konzessionserteilung, aber auch die Einhaltung des Erziehungsauftrages des Fernsehens. Die Vorzensur für Filmproduktionen und Kinowerbung besteht weiterhin. In rund 15 weiteren Artikeln der Verfassung von 1980 finden sich zusätzliche Normen, die auf die Medien anwendbar sind und oftmals die oben genannten Freiheiten wieder einschränken. Die weitreichendste Restriktion für die Meinungs- und Pressefreiheit, die erst 1989 aufgehoben wurde, beinhaltete der "Antimarxismus"-Artikel 8 der neuen Verfassung über das Verbot von verfassungsfeindlichen Aktivitäten. Das Verbot richtete sich gegen die Propagierung von Doktrinen, die sich gegen die Familie wandten oder für eine Gesellschaftskonzeption mit totalitärem oder klassenkämpferischen Charakter eintraten. Politische Organisationen und Parteien, die einer dieser Doktrinen anhingen, galten als verfassungsfeindlich und waren verboten. Die Personen, die einer dieser Gruppierungen angehörten, wurden durch ein Verfassungsgericht verurteilt und durften zehn Jahre lang kein öffentliches oder parteipolitisches Amt annehmen, keine Lehrfunktion ausüben und vor allem keinen journalistischen oder kommunikationstechnischen Beruf ergreifen. 1986 wurde der Antimarxismus-Artikel auf die Medien ausgeweitet. Den wegen Verfassungs- oder Demokratiefeindlichkeit verurteilten Personen wurde die politische Meinungsäußerung in den Medien verboten. Die Medien selbst machten sich durch die Veröffentlichung oder Rechtfertigung verfassungsfeindlicher Ansichten strafbar und erhielten zeitweiliges Druck- oder Sendeverbot. Die Ahndung dieser Delikte konnte noch fünf Jahre später geschehen. Das Gesetz verstieß zum einen gegen das in der Verfassung gewährte Grundrecht der Information- und Meinungsfreiheit. Zum anderen konnten die Medien durch diese Rechtssprechung ihre wichtige Aufgabe nicht mehr wahrnehmen, nämlich die Schaffung eines politischen Pluralismus in der Gesellschaft. Die Artikel 39 und 41 der Verfassung über Ausnahmezustände erlauben dem Präsidenten, alle Grundrechte außer Kraft zu setzen, sobald sich das Land in Krisen wie innerem oder äußerem Krieg, nationalem Notstand, Katastrophen oder inneren

30 Unruhen befindet. Das bedeutet, die persönliche Versammlungs-, Arbeits-, Informations- und Meinungsfreiheit der Bürger kann im Notstand eingeschränkt und aufgehoben werden. Ergänzend wirkt die Disposición Transitoria Vigésimocuarta, die in Zeiten der Bedrohung für den inneren Frieden dem Präsidenten das Recht einräumt, die Versammlungs- und Informationsfreiheit sechs Monate einzuschränken, letztere nur in bezug auf die Gründung, Verlegung und Verbreitung neuer Druckmedien. Andere weniger restriktive Normen haben ebenfalls Einfluß auf das Presserecht. So werden durch Art. 19 Nr. 4 der Verfassung das Privatleben und die persönliche Ehre des Individuums auch vor der Presse geschützt. Da es im chilenischen Presserecht kein Zeugnisverweigerungsrecht gibt, können Journalisten im Ernstfall nur auf Art. 19 Abs. 5 und 7f zurückgreifen, die das Heim und alle Formen der privaten Kommunikation schützen, sowie ein Aussageverweigerungsrecht einräumen, wenn der Angeklagte gegen sich selbst aussagen soll. Mit dem Inkrafttreten des Art. 19 Nr. 5 der Verfassung von 1980 wurde der Zugang zum Beruf des Journalisten frei. Darin heißt es, daß niemand zu einer Mitgliedschaft gezwungen werden kann, da das Vereinsrecht ein Recht und keine Pflicht ist. Bis dahin hatte jeder Journalist dem Verband Colegio de Periodistas angehören müssen, der nur Diplom-Journalisten aufnahm. Durch die Aufhebung des Verbandzwanges ist auch der Zwang eines Journalistikstudiums weggefallen, und die Presseberufe sind für jedermann zugänglich geworden. Der Großteil der Journalisten ist zwar nach wie vor Mitglied im Colegio, doch vor allem die jüngeren Journalisten treten keiner Berufsorganisation mehr bei.

3.

Presse

3.1.

Geschichte

Während es in Lima und Mexiko bereits im 16. Jahrhundert Druckerpressen gab, war das in Chile erst 200 Jahre später der Fall. Nachrichten aus Europa und dem Rest der Welt gelangten gar nicht oder sehr verspätet nach Chile. Die einzige Informationsquelle war der Mercurio Peritano und später die Gaceta de Lima (Valdebenito 1956). Beide Zeitungen unterlagen der spanischen und der peruanischen Zensur und vertraten in allen Bereichen die Interessen der spanischen Krone. Im Jahre 1747 gelangte dann die erste Druckerpresse auf Bemühen des Jesuitenpaters Haymhausen nach Chile. Obwohl Haymhausen sicherlich vorhatte, auf einer eigenen Druckerpresse Bücher oder Texte für den Orden zu drucken, gibt es keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß die Presse auch in Betrieb genommen wurde. Der erste in Chile gedruckte Text ist eine religiöse Abhandlung mit dem Titel Modo de ganar el Jubileo Santo (1776) (Silva Castro 1958). Als die Jesuiten 1767 auf Befehl des spanischen Königs Carlos III. des Landes verwiesen wurden, ging die Druckerpresse in den Besitz der Universität von San Felipe über, wo sie seit etwa 1796 für den Druck universitätsinterner Bekanntmachungen verwendet wurde. Verantwortlich für diese Publikationen war José

31 Camilo Gallardo, Pedell der Universität, der Chiles erster Buchdrucker wurde. 1800 und 1801 veröffentlichte Gallardo zwei Abhandlungen mit rund 80 Seiten. Als 1808 Napoleon in Spanien einfiel, trafen in Chile Nachrichten aus Europa nur sehr spärlich ein. Einzige Informationsquellen waren die handschriftlichen Publikationen einiger Zeitgenossen, die Zugriff auf Zeitungen aus dem Ausland hatten. Der in Chile lebende nordamerikanische Kaufmann Procopio Polloc übersetzte die Nachrichten aus seinen englischen Zeitungen und brachte sie in Briefform in Umlauf, damit man sich in Chile nicht von den Publikationen aus Spanien in die Irre führen ließ. Es folgten andere handschriftliche Zeitungen, die pasquines (Sepúlveda Caireira 1985). Die bedeutendsten handschriftlichen Zeitungen waren die Advertencias Precautorias (1808), die Proclama de Quirino (1811) und der Diálogo de los Porteros {1811). Die Bestrebungen, aus eigener Initiative eine Druckerpresse für das Land zu beschaffen, schlugen in Chile wiederholt fehl. Im November 1811 erhielt Chile seine erste amtliche Druckerpresse. Der Schwede Arnold Hoevel hatte die Maschine aus New York per Schiff nach Valparaiso bringen lassen. An Bord befanden sich ebenfalls drei Setzer, welche die Presse bedienen sollten. Hoevel verkaufte die Maschine wenige Tage nach seiner Ankunft an die chilenische Regierung, die drei Setzer wurden ebenfalls unter Vertrag genommen. Am 13. Februar 1812 erschien vergleichsweise spät die erste chilenische Zeitung, die Aurora de Chile (Valdebenito 1956). Die Gründung dieser Zeitung war der Regierung zu verdanken. Der damalige Junta-Chef Carrera sah es als notwendig an, für eine geregelte Information zu sorgen. Per Dekret wurde am 16. Januar 1812 der Ordensbruder Fray Camilo Henriquez zum Direktor der ersten chilenischen Zeitung ernannt. Die Aurora de Chile war eine Regierungszeitung. Sie erschien jeweils am Donnerstag in dem kleinen Format von 27x19 cm. Jede Ausgabe umfaßte vier Seiten und wurde mit einer Auflage von 200 Stück gedruckt. In der Zeitung erschienen 1812 auch die ersten gewerblichen Anzeigen (Silva Vildosola 1938). Obwohl die Aurora de Chile eine Regierungszeitung war, hatte sie einen religiösen und politischen Charakter, der von dem Herausgeber herrührte. Henriquez war ein leidenschaftlicher Patriot, der vehement für die nationale Emanzipation und die revolutionäre Bewegung des Landes eintrat. In seinen Artikeln rief er immer wieder zur Proklamation der Unabhängigkeit, zur Gründung einer eigenständigen Republik auf und wurde zum revolutionären Ideologen der Unabhängigkeit. Das liberale republikanische Gedankengut ging der Regierung oftmals zu weit. Im Oktober 1812 wurde eine Zensur für die religiösen Texte, wenig später für die gesamte Zeitung erlassen. Henriquez antwortete mit der Wiedergabe von Miltons Schrift über die Pressefreiheit. Im April 1813 wurde die Aurora de Chile nach 58 Ausgaben ohne öffentliche Erklärung vom Monitor Araucano abgelöst. Der Monitor Araucano nahm die per Dekret festgelegten Aufgaben wahr. Die Regierung war der Ansicht, daß die Berichterstattung der Ereignisse das Gute stärke, das Böse eindämme und die Ehre, die Seele der großen Taten, fördere. Die Zeitung erschien alle zwei Tage unter der Auflage, wichtige Ereignisse sowie Regierungsentscheidungen und die Ein- und Ausgaben der Staatskasse zu veröffentlichen. Der Herausgeber dieser Regierungszeitung war ebenfalls Henriquez. In der Aurora de Chile wie auch im Monitor Araucano nahm die Veröffentlichung offizieller

32 Bekanntmachungen den größten Raum ein. Im Unterschied zu seiner Vorgängerin hatte der Monitor jedoch einen eindeutig regierungstreuen Charakter. Die Zeitung umfaßte acht Seiten, war im Format deutlich kleiner als die Aurora und erreichte bis zur Einstellung im Oktober des folgenden Jahres 183 Ausgaben. Der Semanario Republicano erschien im August 1813. Er wurde von dem guatemaltekischen Schriftsteller de Irisarri herausgegeben. Der Semanario war Chiles erste unabhängige Zeitung und vertrat einen eher kritischen Standpunkt. In diesem Sinne war dies die erste Oppositionszeitung Chiles. Die Gaceta del Gobierno de Chile war das einzige spanientreue Blatt. Sie erschien 1814 und erreichte 173 Ausgaben. In der Gaceta spiegelte sich der politische Geist wieder, der zum Versuch der Wiedereroberung Chiles, der spanischen Reconquista, führte. Die vier Zeitungen des kolonialen Chiles waren Veröffentlichungen, die für eine politische Ideologie eintraten und mit der Berichterstattung Uber Ereignisse wenig zu tun hatten. Nachrichten im heutigen Sinne wurden selten oder nie veröffentlicht. Die wenigen Notizen über Ereignisse im Ausland erschienen mit monatelanger Verspätung. Selbst die Nachrichten aus der nur 100 Kilometer entfernten Stadt Valparaiso erschienen mit einwöchiger Verspätung (Valdebenito 1956). Alle Publikationen wurden eingestellt, als im Oktober 1814 der Rückeroberungskrieg der Spanier einsetzte. Mit der Erlangung der Unabhängigkeit brach eine Epoche an, die durch eine Vielzahl von Zeitungsgründungen geprägt war. Die ersten Publikationen der jungen Republik waren Regierungsblätter, wie die Gaceta del Supremo Gobiemo de Chile, in denen offizielle Mitteilungen, Dekrete und Kriegsberichte dominierten. Bis Ende der zwanziger Jahre des 19. Jahrhunderts wurden an die 100 verschiedene periodische Veröffentlichungen herausgegeben. Sie zeichneten sich durch eine extreme Kurzlebigkeit aus. Oftmals erreichten sie nur zwei Ausgaben, und wenige existierten mehr als ein Jahr. Es handelte sich dabei größtenteils um Blätter mit stark patriotischem Charakter, welche die neu errungene Unabhängigkeit fest zu verankern suchten. In der Diskussion um das richtige Regierungssystem teilte sich 1827 die Presse, wie auch die Bevölkerung, in Anhänger der Konservativen und in Befürworter der Liberalen. Die ideologische Debatte schlug in eine erbitterte Konfrontation um, die in der Presse ein großes Echo fand. Die Zeitungen nahmen am Kampf für die Einführung eines liberaleren Systems teil. Bedeutende Zeitungen dieser Zeit waren La Clave (1827), La Aurora (1827), das Satireblatt El Hambriento (1827) und El Mercurio de Valparaiso (1827). El Mercurio de Valparaiso wurde 1827 als "Zeitung für Wirtschaft, Politik und Literatur" in der bedeutenden Hafenstadt Valparaiso gegründet. Der Mercurio de Valparaiso war ursprünglich auf die Interessen der Schiffahrt zugeschnitten. Zwei der vier Seiten befaßten sich ausschließlich mit Hafen- oder Seefahrtsinformationen und wiesen einen beträchtlichen Anzeigenanteil auf. Zunächst erschien der Mercurio de Valparaiso zweimal wöchentlich, seit 1829 täglich außer an Feiertagen. Somit wurde diese Zeitung zu Chiles erster Tageszeitung. Seit 1847 wurde eine zweite Ausgabe für die Hauptstadt Santiago herausgegeben. Zusätzlich erschien achtmal im Monat eine Provinzausgabe, die einen großen Teil Chiles mit Informationen über das Weltgeschehen versorgte. Die tägliche Auflage lag bei 500 Exem-

33 plaren, von denen allein 200 an die Regierung gingen, knapp 100 durch Subskriptionen und die restlichen 200 auf der Straße verkauft wurden (Gattas Beher 1981). Heute ist El Mercurio de Valparaiso die älteste Tageszeitung Südamerikas. Das Jahr 1830 brachte mit der Wochenzeitung El Araucano eine wichtige Neuerung für den chilenischen Journalismus. Während die vorangegangenen Zeitungen beinahe ausschließlich über landesinterne Politik schrieben, konnte der Leser im Araucano nun auch Berichte über Europa, aktuelle geisteswissenschaftliche Auseinandersetzungen oder Biographien über die Größen der Geschichte vorfinden. Der Araucano wurde 47 Jahre hindurch herausgegeben. Zwischen 1842 und 1866 stand die chilenische Presse unter dem Einfluß des Romantizismus. Die Zeitungen jener Zeit trugen leidenschaftliche Polemiken über Literatur und Kunst aus. Zeitungen und Zeitschriften widmeten diesen Bereichen regelmäßig Sonderseiten, die als Vorgänger des heutigen Feuilletons bzw. Kulturteils gelten können. Durch die Gründung von El Progreso 1842 bekam Santiago eine eigene Tageszeitung. Viele Größen der chilenischen Literatur und damals noch unbekannte junge Poeten veröffentlichten in dieser Zeitung ihre ersten Werke. Neben dem literarischen Charakter kennzeichnete den Progreso ein starkes Engagement für die soziale Gerechtigkeit, die bis zur Aufforderung zur Revolution ging. Mit El Ferrocarril wurde 1855 Chiles erste politisch unabhängige Zeitung gegründet. Der moderate Ton der Berichterstattung, die Zuverlässigkeit der Informationen und die Einführung der Werbeanzeigen machten diese Zeitung zu einer der erfolgreichsten Publikationen. Bis Ende des 19. Jahrhunderts war El Ferrocarril in Chile die tonangebende Zeitung. Die chilenische Regierung unterstützte während dieser Ära die Entwicklung der Presse, indem sie die diversen Zeitungen abonnierte und den Herausgebern einen Mindestverkauf garantierte (Valdebenito 1956). Nach der Revolution von 1891 zeigten sich die Zeitungen und Leser vom doktrinären Kampf erschöpft. Die liberalen Ideen hatten gesiegt, und nun galt es, die politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung des Landes voranzutreiben, immer das nordamerikanische Vorbild vor Augen (Santa Cruz 1988). Die Zeitungen tauschten ihren parteipolitischen gegen den informativen Charakter ein, objektive Information sollte an erster Stelle stehen. Die Propagierung von Ideologien, aber auch einfache Meinungsäußerungen wurden auf die Editorialseite verbannt. Themen wie Sport, Recht, Ausland, Mode, Haushalt und Gesellschaft erweckten neues Interesse. Mit der Gründung von El Mercurio im Jahr 1900 in Santiago brach in Chile die Ära der neuen Presse an. Gründer der Zeitung war Augustin Edwards Mac Clure, dessen Familie seit 1875 im Besitz des Mercurio de Valparaiso war. Die Druckereien des Mercurio in Santiago waren die modernsten in ganz Lateinamerika und die Zeitung die erste, die auf Rotationspressen hergestellt wurde (Valdebenito 1956). Der Mercurio war mit seinem ungewöhnlich großen Format von 55x75 cm und dem etwas sensationslüsternen Stil dem New York Herald nachempfunden. Auch im Inhalt bot diese Zeitung durch den sehr detaillierten Informationsservice den Lesern Neuartiges an. Die Redaktion wurde nicht wie gewohnt von einem, sondern von mehreren Journalisten geführt, da mehr Information auch mehr Arbeit bedeutete. El Mercurio überflügelte bald den Namensvetter aus Valparaiso und avancierte zu

34 einer seriösen, tendenziell konservativen Zeitung, die auch heute noch in Chile das einflußreichste Printmedium darstellt. Wer heute in Chile von El Mercurio spricht, meint immer die Ausgabe von Santiago. 1902 wurden Las Ultimas Noticias de El Mercurio, eine Mittagsausgabe des normalen Mercurio im Magazinstil, zum ersten Mal herausgegeben. Heute heißt diese Zeitung nur Las Ultimas Noticias und stellt eine der auflagenstärksten Zeitungen des Landes dar. Im selben Jahr kam El Diario Ilustrado auf den Markt, die erste Veröffentlichung, die mit Lichtdruck arbeitete, und den Steindruck ablöste. Eine weitere wichtige Zeitung zu Beginn des Jahrhunderts war La Nación, gegründet 1917 durch den Politiker Eleodoro Yáñez, die mit ihrem neuartigen unabhängigen Journalismus Zeichen setzte. Unter der Diktatur des Generals Ibáñez del Campo wurde La Nación enteignet und in ein offizielles Regierungsorgan umgewandelt. Bis heute gilt die Zeitung als offizielles Organ, da die Regierung drei der fünf Direktionsmitglieder bestimmt. Die Zeitschriften hatten sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts bereits einen festen Platz erobert. 1905 hatte der Gründer des Mercurio von Santiago, A. Edwards Mac Clure, den Verlag Zig Zag gegründet. In den folgenden Jahren gab dieser Verlag zahlreiche Zeitschriften für Politik, Familie, Literatur und Mode heraus. Mit Los Tiempos kam 1922 ein Abendblatt auf den Markt, das zum ersten Mal den Schwerpunkt auf die "rote Chronik", die Berichterstattung über Verbrechen, Polizeieinsätze und Kriminalität legte. Die Presselandschaft der fünfziger Jahre bestand aus 43 Tageszeitungen, von denen acht Abendblätter waren. Die Gesamtauflage betrug 465.000 Exemplare. Bei einer Bevölkerung von knapp 6 Millionen kamen somit 79 Zeitungen auf 1.000 Einwohner. Als 1970 Salvador Allende Präsident wurde, war die Medienlandschaft in Chile so vielseitig wie in nur wenigen lateinamerikanischen Ländern. Die Freiheit und der Pluralismus der Presse gehörten zu den Faktoren, welche die demokratische Wahl eines Marxisten zum Staatsoberhaupt überhaupt ermöglichten. 1968 gab es 46 Tageszeitungen, 700 Zeitschriften, 150 Radiosender und drei Fernsehsender. Das journalistische Niveau war eines der höchsten in Lateinamerika. Die Tageszeitung El Mercurio (Santiago) wurde 1961 von Verlegern in den USA zu den besten Zeitungen weltweit gerechnet (Pierce 1979). Charakteristisch für die Presselandschaft zu Beginn der siebziger Jahre sind hohe Auflagenzahlen, niedrige Verkaufspreise und ein Überfluß an Presseorganen mit vorwiegend politischem Charakter. Im Zeitschriftenbereich gab es zahlreiche Neuerscheinungen. Qué Pasa und Portada kamen von der katholisch-konservativen Seite. Während die Zeitung El Siglo als Organ der Kommunistischen Partei bereits für den Wahlkampf Allendes gegründet worden war, kam die Zeitschrift Ramona der kommunistischen Jugend erst unter der Regierung der Unidad Popular auf den Markt. Die Tageszeitungen Clarín und Puro Chile kamen ebenfalls aus dem linken Spektrum. Sie fanden ihren politischen Gegner in der Tribuna, dem Morgenblatt der rechten Nationalen Partei. 1970 war die UP nicht ohne Zugeständnisse an die bürgerlichen Parteien an die Regierung gekommen. Durch das Wahlergebnis war Allende aber auf eine Koalition mit den Christdemokraten angewiesen, welche fünf verfassungsmäßige Garantien zur Pressefreiheit forderten. So wurde 1971 der Verfassung von 1925 das Estatuto

35 de Garantías Constitucionales zugefügt. Dieses Statut gewährte der Pressefreiheit mehr Garantien und Schutz als das eigentliche Pressegesetz. Die Forderung nach diesen Garantien zeigt das Mißtrauen, das die bürgerlichen Parteien gegenüber der UP hegten. Das politische Programm der Unidad Popular bezeichnete es als vorrangiges Ziel, die Herrschaft der Monopole und der Oligarchie zu beenden und in Chile den Sozialismus aufzubauen. Den Medien wurde dabei eine besondere Rolle zugeschrieben, indem sie ihren kommerziellen Charakter ablegen und in den Besitz von sozialen Organisationen übergehen sollten. Diese Zielsetzung bewog die Gegner der Unidad Popular, Allende vor der Amtsübernahme Garantien abzutrotzen, in denen die bestehenden Besitzverhältnisse der Massenkommunikationsmittel, die freie Nutzung und der ungehinderte Zugang aller politischen Gruppen zu den Medien zugesichert wurden. Die UP gewährte diese Garantien (Santa Cruz 1988). Die Besitzstruktur der etablierten Medien sollte nicht zwangsweise geändert werden. Die Strategie der UP, die vorhandenen Medienmonopole zu schwächen, beruhte vielmehr auf der Stärkung der linken Medien und der Erhöhung der Anzahl linker Medien durch Neugründungen oder wirtschaftliche Transaktionen, wie im Fall der Übernahme von Chiles größtem Verlagshaus Zig Zag 1971. Der Betrieb wurde im Dezember 1970 von den fast tausend Arbeitern bestreikt, die eine Lohnerhöhung von 67 Prozent erstritten und damit den ohnehin angeschlagenen Betrieb an den Rand des finanziellen Ruins brachten. 1971 wurde das Unternehmen nach Verhandlungen zwischen Regierung und Verlag in Privatbesitz und staatlichen Besitz aufgeteilt. Die technischen Einrichtungen wurden an die Regierung verkauft, dem Privatsektor blieben der Markenname Zig Zag sowie die kommerzielleren Zeitschriften erhalten. Aus dem Verlagshaus Zig Zag wurde so der Regierungsverlag Quimantú, der weiterhin die Zeitschriften des Privatsektors druckte, zusätzlich aber eine große Zahl eigener Zeitschriften und Hefte. Auch die bürgerlichen Parteien begannen, die Zahl ihrer Oppositionsmedien zu vergrößern. Die Presse wurde zu einem Werkzeug im ideologischen Kampf um die breite Bevölkerung. Die oppositionelle Presse fürchtete den Verlust aller Freiheiten unter dem Sozialismus, die Linke sah in der rechten Presse eine aufwieglerische und aufhetzende Berichterstattung, welche den Sturz der demokratischen Regierung bewirken sollte. Die politische Verteilung der Tagespresse war auf den ersten Blick ausgeglichen. Von den elf Tageszeitungen mit nationaler Verbreitung konnten sechs zu den Gegnern und fünf zu den Anhängern der Unidad Popular gezählt werden. Die Gesamtauflage der Oppositionszeitungen betrug jedoch 541.000 Exemplare gegenüber 312.000 Exemplaren der regierungsnahen Zeitungen. Somit waren die Pressemedien beider Seiten nicht gleich stark. Das Ungleichgewicht wurde dadurch verstärkt, daß die oppositionelle Presse, insbesondere El Mercurio, finanzielle Unterstützung aus dem Ausland erhielt. Die Zeitung erhielt Geldspenden in Millionenhöhe von der CIA, die dafür bezahlte, daß die Oppositionsgruppen ihre Kampagnen gegen die Regierung fortsetzten (Ríos Muñoz 1984). Die renommierteste Tageszeitung Chiles, El Mercurio, war maßgeblich an der regierungsfeindlichen Stimmung im Lande beteiligt, indem sie unter anderem eine konsequente Negativberichterstattung über die Situation der Bevölkerung wie auch der Aktivitäten der Regierung betrieb. Im Bereich der Zeitschriften war die ungleiche Verteilung noch deutlicher zu sehen:

36 keine der linken Zeitschriften konnte nur annähernd an die Auflagenzahlen der Publikationen der rechten herankommen (Fagen 1974). Durch den Militäiputsch im September 1973 stürzte die chilenische Presse von dem Extrem der Liberalität in ein Extrem der Repression. Am Tag des Putsches bombardierte die Luftwaffe die Radiostationen der Regierung, während die Armee den staatlichen Fernsehsender Televisión Nacional und zahlreiche andere Redaktionen besetzte. Alle Organe, die mit der UP sympathisiert hatten, wurden geschlossen und enteignet, unter anderem Clarín, Puro Chile, El Siglo, Ultima Hora sowie kurzzeitig die Regierungszeitung La Nación und zahlreiche Zeitschriften des Verlagshauses Quimantú. Die technischen Einrichtungen dieser Organe gingen meist in den Besitz der neuen Regierung über. Linksorientierte Journalisten wurden mit Namenslisten von der Regierung aufgefordert, sich den Behörden zu stellen. Viele der verhafteten Redakteure wurden ermordet oder verschwanden ohne Erklärung (Baltra Montaner 1988). Andere gingen ins politische Exil. Auch die Zeitungen der Christdemokraten, La Prensa, und der Nationalen Partei, Tribuna, stellten ihr Erscheinen ein. Damit gab es in Chile keine Parteiorgane mehr. Seit dem Umsturz unterlag jede noch nicht verbotene Publikation der Vorzensur, die bis Ende 1974 praktiziert wurde. Sämtliche Publikationen mußten vor der Veröffentlichung dem neugegründeten Ministerium für Soziale Kommunikation DINACOS vorgelegt werden. Die D1NACOS entschied, ob der Inhalt publiziert werden konnte oder nicht. Um die Journalisten unter dem neuen System zu "orientieren", verfügte die Regierung bindende Richtlinien über die Inhalte, die in den Medien veröffentlicht werden durften oder verboten waren. Diese Richtlinien enthielten Listen mit Namen von Personen und Organisationen oder auch Begriffen, die nicht in den Medien genannt werden durften. Die Funktion der Medien sollte in den Augen der Militärregierung darin bestehen, gemäß der Doktrin der Nationalen Sicherheit den Marxismus zu bekämpfen und das Land zur freien Marktwirtschaft hinzuführen. Durch eine Reihe von neuen Dekreten wurden zusätzliche Rechtsgrundlagen zur Einschränkung der Pressefreiheit geschaffen. Bei Verstoß gegen eines dieser Gesetze durch ein Vergehen wie Verbreitung "tendenziöser" Nachrichten oder "Unruhestiftung" konnte die Publikation oder der Sender zeitweilig oder ganz geschlossen werden. Unliebsamen Journalisten konnte aufgrund der oben genannten Verfehlungen jederzeit Berufsverbot erteilt werden. Auch ausländische Journalisten wurden von der DINACOS zensiert, indem ihnen der seit dem Regierungswechsel nötige Berufsausweis verweigert wurde, ohne den sie in Chile keiner journalistischen Tätigkeit nachgehen durften. Chilenischen Korrespondenten ausländischer Medien wurde dieser Ausweis monatelang vorenthalten. Unter diesen Bedingungen funktionierte die Selbstzensur beinahe genauso gründlich wie die Vorzensur. Die Selbstzensur griff auf vier Ebenen (Castro 1991). Konfliktthemen wurden aus der Berichterstattung verbannt, statt dessen eine heile chilenische Realität vermittelt, die unter einer erfolgreichen Regierung einer besseren Zukunft entgegenstrebte. Um dieses Bild zu untermauern, wurden teilweise offizielle Erfolgsmeldungen erfunden, die internationale Berichterstattung zensiert, dafür Sport, Musik und Showereignisse überbetont (Munizaga 1981; Sapag M. 1990).

37 Nach diesen tiefen Einschnitten in die chilenische Presselandschaft reduzierte sich das Spektrum auf drei Redaktionslinien. Die eine war die Regierungspresse, zu der die Zeitung La Nación und die beiden Buchverlage Gabriela Mistral und Editorial Jurídico gehörten. Die zweite Richtung bestand aus regierungsnahen Verlagshäusern wie El Mercurio S.A.P, COPESA und Lord Cochrane, während die dritte Linie durch die Kirchenpresse bestimmt wurde. Hierzu gehörte unter anderem die Monatszeitschrift der Jesuiten Mensaje, die aufgrund ihres christlich-liberalen Gedankenguts einer strengen Zensur unterlag. Die zweite wichtige Kirchenpublikation war Solidaridad, herausgegeben von dem gleichnamigen Vikariat der Katholischen Kirche, das sich gegen die ständigen Verletzungen der Menschenrechte im Lande einsetzte und sich selbst als voz de los sin voz (Stimme der Ungehörten) definierte. 1976 begann die Ära der Oppositionszeitschriften. Diese Publikationen wurden nur in sehr geringer Auflage hergestellt und deswegen von der Regierung toleriert. Die Zeitschrift Apsi (1976), die zum Teil aus dem Ausland finanziert wurde, war die erste Oppositionszeitschrift, es folgten Hoy (1977), Análisis (1978), La Bicicleta (1982), Cauce (1983), die Wochenzeitung Fortin Mapocho (1984). Das Erscheinen der regierungskritischen Zeitschriften leitete den Prozeß der Redemokratisierung der Presse ein. Während der nationalen Protesttage 1983, zu der die Gewerkschaften gegen die Diktatur aufgerufen hatten, gab es durch die regierungseigenen Medien eine derart verzerrte Berichterstattung, daß der Bevölkerung mehr als je zuvor die Unglaubwürdigkeit dieser Organe vor Augen geführt wurde. Auf den Innenseiten der "kommerziellen" Tagespresse hingegen mehrten sich die von der Regierungsmeinung abweichenden Standpunkte. Die Periode der politischen Öffnung währte aber nur kurz. Als am 6. November 1984 der Belagerungszustand ausgerufen wurde, erschien einen Tag später ein Dekret, das die Veröffentlichung von fünf Publikationen auf unbestimmte Zeit verbot. Es handelte sich dabei um die linksorientierten Zeitschriften Análisis, Cauce, Fortín Mapocho, La Bicicleta und Apsi. Andere Medien wurden so umfangreich zensiert, daß ganze Seiten unbedruckt veröffentlicht werden mußten. Die Zeitschrift Hoy unterlag der Vorzensur, worauf sich die Redaktion entschied, die politische Rubrik ganz zu streichen und sich auf Wirtschaftsthemen zu konzentrieren. Insgesamt erlitt die Presse 1984 21 Zensurmaßnahmen, die zum Teil bis zur Schließung reichten (Baltra Montaner 1988). 1987 stellten sich zwei neue Tageszeitungen auf die Seite der Oppositionspresse, die bisher nur von Zeitschriften bestritten wurde. Das Erscheinen von Fortin Mapocho und La Epoca beendete die Monopolstellung der rein kommerziellen, immer noch regierungsnahen Tageszeitungen. Um den Erlaß 107 über die strenge Zulassungsbeschränkung neuer Publikationen zu umgehen, kaufte 1984 der Christdemokrat Jorge Lavanderas das unregelmäßig erscheinende Blättchen des Zentralmarktes Fortin Mapocho und machte daraus eine populäre Wochenzeitung. Im April 1987 schaffte Fortin Mapocho den Sprung von der Wochen- zur Tageszeitung. Im März 1987 war die Tageszeitung La Epoca nach einem vierjährigen Genehmigungsverfahren endlich erschienen. Diese Erweiterung der chilenischen Presselandschaft zog ungeahnte Veränderungen nach sich. El Mercurio sah in La Epoca einen ernsthaften Konkurrenten um die Gunst der gebildeten Leserschaft, vor allem aber um die Leser der Opposition insge-

38 samt. El Mercurio begann ausführlich über die vorher totgeschwiegene Opposition und deren Aktivitäten zu berichten. Neuartig war auch die Wiedergabe unterschiedlicher politischer Meinungen in der Zeitung, die vorher die Regierungsmeinung als einzigen Standpunkt dargestellt hatte. Für den chilenischen Journalismus bedeutete dies die Befreiung von der Selbstzensur. Die Bemühungen des Mercurio waren gerechtfertigt, denn bereits im August 1987 hatte die Zeitung 8,5 Prozent und Las Ultimas Noticias 9,5 Prozent ihrer Leser verloren, La Epoca und Fortin hingegen hatten je 11,8 Prozent der Leser für sich gewonnen (Ossandon / Rojas 1989). Im selben Jahr wurde der im Voijahr verhängte Belagerungszustand aufgehoben. Eine Zensur fand nicht mehr statt, Veröffentlichungsverbote wurden nicht mehr verhängt. Dafür traten Änderungen im Pressegesetz in Kraft, die höchste Strafen für Pressedelikte festsetzten. Mit den Vorbereitungen für die Volksabstimmung 1988 stellte sich die kommerzielle Presse endgültig auf die Seite der Opposition, indem sie öffentlich lange unterdrückte Themen der politischen Vergangenheit und Gegenwart aufgriff und sich im Plebiszit gegen Pinochet entschied. Die Antwort der Militär-Regierung bestand aus der massiven Anwendung der neuen Ergänzungsgesetze zum Antimarxismus-Artikel der Verfassung, sowie des Militärstrafrechts. Bis heute wurden die Fälle von fünf ermordeten Journalisten, drei vermißten, 300 exilierten, 88 verhafteten und 76 verurteilten Journalisten unter der Militärdiktatur bekannt. Der letzte Mord an einem Journalisten geschah 1989. Die Mörder wurden in keinem der Fälle gefaßt. Die vorherrschende Meinung ist, daß es sich um Verbrechen im Auftrag der Regierung handelte, die daher nicht aufgeklärt werden können.

3.2.

Presserecht

Das heutige Presserecht 19.048 Sobre Libertad de Expresión basiert auf der Ley N° 16.643 Sobre Abusos de Publicidad von 1967. Es ist das erste Gesetz nach 150 Jahren, das in seinem Titel wieder den Begriff der Pressefreiheit trägt. In insgesamt 53 Artikeln legt es die Rechte, aber vor allem die Pflichten nicht nur der Presse, sondern auch des Hörfunks und des Fernsehens fest (Art. 16). Durch Art.l garantiert es die freie Veröffentlichung und Übertragung von Meinungen ohne jede Zensur und durch jedes beliebige Medium. Diese Garantie beinhaltet den Informationsanspruch der Presse, indem das Recht auf Zugang, Empfang und Verbreitung von Informationen gewährleistet und eine Verfolgung wegen einer Meinung ausgeschlossen wird. Art. 2 verbietet die Bevorzugung eines journalistischen Unternehmens durch Preismanipulationen von Materialien, die für den Druck oder die Übermittlung von Informationen nötig sind. Die restlichen 51 Artikel des Pressegesetzes 19.048 setzen dieser Freiheit sogleich wieder Grenzen, indem sie ausführlich mögliche Presseinhaltsdelikte und deren Ahndung behandeln. Dabei trägt laut Art. 29 nicht nur der Journalist, sondern auch der Direktor, zuweilen auch der Verleger oder die Druckerei die Verantwortung für die Vergehen des Mediums. Als Vergehen im einzelnen wird die Veröffentlichung falscher oder nicht autorisierter Informationen betrachtet, wenn durch die Publikation die innere und äußere

39 Sicherheit, die Verwaltung, die öffentliche Gesundheit und Wirtschaft, die Reputation oder die Interessen einer Person geschädigt werden. Die öffentliche Verleumdung und Beleidigung von Personen, sowie der Schutz des Privatlebens finden im Presserecht besondere Beachtung und werden durch mehrere Artikel gewährleistet (Art.21, 22, 26, 31). Das Recht auf Gegendarstellung wird jedem Bürger gewährt (Art. 11). Auch die Anstiftung zu einer kriminellen Handlung, die Verteidigung einer Straftat und die Schürung feindlicher Gefühle zwischen den Menschen sind Pressedelikte (Art. 17, 18). Der Pornographie wird zumindest auf dem Papier ein Riegel vorgeschoben, so daß Äußerung und Verbreitung von unmoralischen Ansichten in einem der Medien, insbesondere die Zurschaustellung und der Verkauf obszöner Veröffentlichungen, verboten sind. Dabei bestehen für den Verkauf pornographischer Hefte an Minderjährige besonders strenge Strafen (Art. 20). Informationen und Bilder über kriminelle Taten, Unfälle oder Naturkatastrophen dürfen das natürliche Mitgefühl der Menschen nicht verletzen (Art. 26). Ein weiterer wichtiger Bestandteil des Pressegesetzes sind die Regelungen zum Presseordnungsrecht mit der Impressumsvorschrift, die Kennzeichnungs- und Aushändigungspflichten an Bibliotheken und Regierung behandeln und auch hier wieder die möglichen Strafen festlegen (Art. 3, 4). Weiterhin werden Bestimmungen über Verfahrenswege, Zahlungsverantwortlichkeit und persönliche Anforderungen an die Direktoren (chilenische Staatsbürgerschaft) bzw. Aktiengesellschaften der unterschiedlichen Medien erlassen und die Strafen für die Nichtbeachtung dieser Regeln bestimmt (Art. 5,6, 7, 8,9, 10). Einen Bildungs- oder Erziehungsauftrag der Presse oder eine Formulierung der öffentlichen Aufgabe der Medien finden sich in diesem Gesetz nicht. Auch das Zeugnisverweigerungsrecht wird im Pressegesetz nicht ausdrücklich erwähnt. Der Journalist kann lediglich auf das Grundgesetz und das Strafgesetzbuch zurückgreifen, um das Geheimnis seiner Quelle zu wahren. Art. 247 des Strafgesetzbuches verbietet die Enthüllung von Geheimnissen, in die der Journalist aufgrund seines Berufes eingeweiht wurde und schreibt Verschwiegenheit vor (Cea Egaña 1981). Die Pressefreiheit wird in Chile noch durch ein ganzes Bündel von Gesetzen eingeschränkt. Die wichtigsten Bestandteile dieser Fülle von Rechtsnormen sind die Verfassung von 1980, das Strafrecht, das Militärstrafrecht, das Gesetz zur Wahrung der Inneren Sicherheit, das Notstandsgesetz, das Pressegesetz, das Telekommunikationsgesetz sowie das Fernsehgesetz. Die meisten Bestimmungen wurden in den letzten Jahren reformiert oder befinden sich auf dem Weg zu wichtigen Modifikationen, wie zum Beispiel das Pressegesetz. Als schwierigstes Hindernis auf dem Weg zu einer liberaleren Mediengesetzgebung gestaltet sich die Verfassung, die unter der Militärregierung zahlreiche restriktive Zusätze erhielt. Nach seiner Amtsübernahme 1990 gab Präsident Aylwin die Überarbeitung des bestehenden Pressegesetzes 19.048 und aller damit verbundenen Gesetzgebungen in Auftrag. Eine eigens dafür ins Leben gerufene Presse-Kommission, bestehend aus Vertretern des Radioverbandes (Asociación de Radiodifusoras de Chile / ARCHI), der Zeitungsverleger (Asociación Nacional de Chile / ANP), des Journalistenverbandes und aus Unabhängigen hat einen Gesetzesentwurf ausgearbeitet, der im August 1992 der Regierung vorgelegt wurde (Ley sobre las Libertades de Opinión e Información y Ejercicio del Periodismo). In einigen wichtigen Punkten konnte sich

40 die Kommission nicht einigen, so daß bei verschiedenen Gesetzesartikeln mehrere Vorschläge eingereicht wurden. Es war nun Sache des Senats, einen der Vorschläge anzunehmen oder einen Kompromiß aus den verschiedenen Entwürfen zu erlassen. In den Gründzügen konnte jedoch ein Konsens hergestellt werden. Ein wichtiges Ziel der Reform ist die Entbindung der Pressedelikte aus der Militärgerichtsbarkeit, insbesondere in Fällen der Beleidigung von Streitkräften und Polizei (Art. 284/417 Código de Justicia Militar). Die Mitverantwortung der Direktoren, Verleger und Konzessionäre für jedes Pressedelikt eines angestellten Journalisten, die von den Medien als reine Behinderungsmaßnahme interpretiert wurde, soll aufgehoben werden. Ebenso dringend erscheint der Schutz der Informationsfreiheit. Art. 6 des Entwurfs soll den Journalisten den freien Zugang zu öffentlichen Quellen und der Öffentlichkeit zugänglichen Privatquellen garantieren. Seine Informationen soll der Journalist frei veröffentlichen können, ohne dabei seine Quellen preisgeben zu müssen. Zusätzlich soll er Straffreiheit gegenüber den Delikten genießen, über die er durch seine Informanten in Mitwisserschaft gerät. Damit würde zum ersten Mal in Chile ausdrücklich das Zeugnisverweigerungsrecht eingeräumt. Kein Konsens konnte hinsichtlich der Berufszulassung, der Pressekonzentration und der Gewissensklausel hergestellt werden. Nach Ansicht des Journalistenverbandes soll der Beruf des Journalisten nur noch denjenigen offenstehen, die über eine entsprechende Hochschulausbildung verfügen. Diejenigen Journalisten, die keine solche Ausbildung nachweisen können, sollen diese nachholen. Im Gegensatz hierzu wollen die Verbände der Zeitungsverleger und Radiosender zwar die Berufsbezeichnung des Journalisten schützen, die Ausübung journalistischer Berufe aber weiterhin allen offenhalten. Der Journalistenverband fordert weiter Maßnahmen zur Bekämpfung der Pressekonzentration, da das geltende Antimonopolgesetz bisher im Pressewesen keine Anwendung gefunden hat. ANP und ARCHI lehnen den Vorschlag ab. Nach Meinung des Journalistenverbandes soll die Gewissensklausel den Beschäftigten die Möglichkeit geben, bei Änderung der redaktionellen Grundhaltung ihren Vertrag zu kündigen und eine Entschädigung zu fordern. ANP und ARCHI lehnen diesen Vorschlag grundsätzlich ab. Ferner soll sich der Journalist gegen die Veröffentlichung seiner Artikel sperren, wenn diese ohne seine Zustimmung in ihrer Grundaussage verändert wurden. Passiert dies wiederholt innerhalb eines Monats, kann der Journalist das Arbeitsverhältnis kündigen und eine Entschädigung verlangen. Die Bestrebungen, einen Ethik-Rat für alle Medien zu gründen, haben wenig Aussicht auf Erfolg. Mitte 1993 hatte der Gesetzesvorschlag noch keine Bestätigung durch den Senat erhalten.

3.3.

Die Struktur der Presse in Chile heute

Über die genaue Anzahl, Auflage und die Verbreitungsgebiete der Presseorgane in Chile gibt es keine offiziellen Angaben, da die Printmedien anders als Radio- und Fernsehsender keine Konzession benötigen. Das Presserecht schreibt die Eintragung aller in Chile veröffentlichten Publikationen in einem Register der División de Comunicación Social (Ministerium für Soziale Kommunikation) vor (Art. 6). Diese Eintragungen bieten aber lediglich Daten zur Verlagsanschrift und zur Person des

41 für die Zeitung oder Zeitschrift Verantwortlichen. Es lassen sich jedoch weder Erscheinungsweise noch Auflage daraus erkennen. Für das Jahr 1990 registrierte das Nationale Statistische Institut INE 76 "periodische informative Veröffentlichungen" und 270 Zeitschriften. Die Bezeichnung "periodische Veröffentlichung" wird nicht näher präzisiert, so daß in diese Gruppe die großen Tageszeitungen genauso wie relativ unregelmäßig erscheinende Publikationen fallen. Jede größere Ortschaft in Chile besitzt ein Lokalblatt. Wichtigste Informationsquelle für Bestand und Auflage der Regionalzeitungen ist der Verband ANP, dem nahezu alle größeren Tageszeitungen in Chile angehören. Ihm zufolge wurden 1992 in Chile insgesamt 42 Tageszeitungen herausgegeben. Die Gesamtauflage dieser Zeitungen beträgt nach Angaben der ANP und eigenen Recherchen bei den Medien rund eine Million Exemplare.

3.3.1.

Zeitungen

3.3.1.1. Bestandsaufnahme Die Presse in Chile erlebt zur Zeit eine schwere Krise. Die Leserzahlen sind seit 1988 nachhaltig gesunken. Während vor fünf Jahren noch über 55 Prozent der Gesamtbevölkerung eine Zeitung lasen, sind es heute in Chile nur noch knapp 37 Prozent (PubliMark 47, 1992). Erklärt wird dieses Phänomen mit der nunmehr sicher erscheinenden politischen Lage des Landes. Unter der Militärregierung war das Interesse an den nationalen Ereignissen wesentlich höher als jetzt unter der demokratischen Regierung. Ein weiterer Grund mag die steigende Zahl der Anbieter von Kabel- und Privatfernsehen sein, durch die auch Nachrichtenkanäle wie Cable News Network (CNN) empfangen werden können. Die Antwort der Tagespresse auf die schwindenden Leserzahlen ist zum einen der gezielte Einsatz von Zeitungsbeilagen und Gewinnspielen. Die Zeitungsbeilagen werden suplementos genannt, sie sind kleinformatige Hefte im Magazinstil, allerdings auf Zeitungspapier gedruckt. Das Layout dieser Beilagen ist für jeden Wochentag verschieden, aber immer mit zahlreichen Farbfotos oder farbigen Bildern versehen. Die thematische Abfolge ist bei jeder Zeitung fast dieselbe. Die Woche beginnt mit einer Sport-Beilage, in der die Ereignisse vom Wochenende nachzulesen sind. Am Dienstag ist die Beilage der Frau gewidmet, der Mittwoch gilt den Schülern, der Donnerstag dem Mann. Am Freitag wird ein Feuilletonheft mit Fernsehprogramm und Veranstaltungshinweisen herausgegeben, der Samstag ist dem Zuhause und der Sonntag der Familie gewidmet. Eine Übersicht über die nationalen und regionalen Tageszeitungen in Chile gibt Tabelle 1. Die bedeutendsten Tageszeitungen konzentrieren sich auf die Hauptstadt Santiago, das politische wie wirtschaftliche Zentrum des Landes. Derzeit erscheinen in Santiago neun Tageszeitungen und zwei Wochenzeitungen. Zwei der Tageszeitungen sind Wirtschaftszeitungen, die erst in den letzten Jahren auf den Markt gekommen sind. Die sieben anderen Veröffentlichungen sind zum Teil bereits zu Beginn des Jahrhunderts gegründet worden. El Mercurio wurde 1900 gegründet, Las Ultimas Noticias 1902 und La Nación 1917. Beinahe alle Zeitungen erscheinen sieben Tage in der Woche, d.h. auch an Sonn- und Feiertagen. Da viele Menschen sich

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49 Zusätzlich zu den Regionalzeitungen werden die acht bedeutendsten Tageszeitungen aus der Hauptstadt im ganzen Land vertrieben. Daher liegt die oben angegebene Leserdichte für die Regionen (außer der R.M.) etwas unter dem tatsächlichen Wert, da nicht festzustellen war, wieviele nationale Zeitungen in welchen Regionen abgesetzt werden. El Mercurio und Las Ultimas Noticias vertreiben vier Fünftel ihrer Zeitungen in Santiago, so daß nicht allzuviele Exemplare im übrigen Land zirkulieren. Im Fall von La Tercera allerdings werden 45 Prozent der Auflage in der Provinz abgesetzt. Das bedeutet, 90.000 Exemplare der Tercera werden zusätzlich zu den Regionalzeitungen in den übrigen elf Regionen Chiles gelesen.

3.3.1.4. Besitzstruktur In Chile gibt es seit Ende der sechziger Jahre die Tendenz zur Konzentration von Medien in den Händen einiger weniger Unternehmer. Besonders deutlich wird dies in den Bereichen der Presse und des Fernsehens, also deijenigen Medien, die große Investitionen benötigen, um im Medienmarkt zu bestehen. Wurden 1972 in der Hauptstadt noch 10 Tageszeitungen mit nationaler Verbreitung herausgegeben, so waren es 1984 nur noch fünf (Salinas 1986). 1992 gab es wieder sieben Zeitungen, die im ganzen Land erhältlich waren. Doch der Konzentrationsprozess hält an, indem neue Medien wie Privat- und Kabelfernsehen von den Zeitungsriesen erobert werden. Hauptursache für die Verringerung der Zahl der Zeitungen war die Schließung oppositioneller Presseorgane durch das Militärregime 1973. Daß dies jedoch nicht der einzige Grund war, verdeutlicht die Tatsache, daß sich die Presselandschaft konstant weiter verengte. 1978 wurden in Chile noch insgesamt 62 Tageszeitungen herausgegeben, 1984 waren davon mindestens zwölf große Zeitungen verschwunden (Salinas 1986). Neben der Reduzierung der Anzahl von Presseorganen ist die Konzentration der vorhandenen Organe in der Hand eines Konzerns zu beobachten. Als sich Ende der siebziger Jahre die Sociedad Periodística del Sur (SOPESUR) auflöste, kaufte El Mercurio den größten Teil ihrer Zeitungen auf. Heute wird der Markt der Tageszeitungen von zwei Mediengiganten beherrscht. Der eine ist das Zeitungsunternehmen El Mercurio, der andere das Aktien-Konsortium COPESA. Beide zusammen konzentrieren 77 Prozent der Leserschaft und 89 Prozent der Werbeeinnahmen in Tageszeitungen auf ihre Organe (PubliMark 47, 1992). Zu diesen Marktführern gehören die Zeitungen El Mercurio, La Segunda, Las Ultimas Noticias, La Tercera und La Cuarta. Es sind dies die Tageszeitungen mit der höchsten Auflage und Leserquote. Das restliche Drittel der Leser teilen sich die Tageszeitungen La Epoca und La Nación, sowie die Wirtschaftsblätter El Diario und Estrategia. Das Unternehmen El Mercurio ist seit 1875 im Besitz der Familie Edwards. Heute ist El Mercurio zwar eine Aktiengesellschaft, doch der Clan der Edwards hat nach wie vor die Kontrolle. 1984 noch gehörte die Hälfte aller Zeitungen in Chile dem Edwards-Konzern an, und die Auflagen dieser Zeitungen machten über die Hälfte der täglichen Gesamtauflage des Landes aus. Dadurch hatte das Unternehmen die Mehrheit im Verband der Zeitungsverleger ANP. Von den 1986 in Chile beschäftigten Journalisten, etwa 400, arbeiteten drei Fünftel für Zeitungen des

50 Aíercurio-Konzerns (Salinas 1986). Heute hat sich die Besitzkonzentration der Presse durch Neupublikationen etwas gelockert. Nur noch 400.000 Exemplare (40%) der täglichen Gesamtauflage von einer Million werden von der EdwardsGruppe herausgegeben. Auch der Löwenanteil der Werbeaufwendungen fallt mit über 70 Prozent dem Konzern zu, und er befindet sich weiterhin im Wachstum. Die Zeitung El Mercurio veröffentlicht 65 Prozent der in der Tagespresse erscheinenden Anzeigen, Las Ultimas Noticias und La Segunda veröffentlichen weitere 7,7 Prozent. Das konstante Wachstum der Werbeinvestitionen erklärt sich aus der starken sozialen und wirtschaftlichen Stellung der Leserschaft. Zum Besitz des Unternehmens gehören auch Chiles größtes Kabelfernseh-Untemehmen INTERCOM, zahlreiche Zeitschriften und ein Radiosender. Der Edwards-Clan ist zudem Eigentümer von 40 Betrieben, die sich von der Getränkeindustrie bis ins Bankgeschäft verzweigen. Die Banco de Edwards ist eine der renommiertesten Banken in Chile. Edwards selbst ist zusätzlich Vizepräsident von Pepsi-Cola, Besitzer von Hotels in Miami und von Grundstücken in Brasilien und Paraguay. Das Vermögen des Clans wurde auf 620 Millionen USDollar geschätzt. El Mercurio S.A.P. besaß 1984 davon allein 110 Millionen (Salinas 1986). COPESA hat 1990 strukturelle Veränderungen erfahren. Die Gesellschaft ist in den Besitz von fünf Unternehmern gewechselt, die in Verbindung mit der Bank von Osorno stehen. Das Unternehmen ist Eigner von drei nationalen Tageszeitungen (La Tercera, La Epoca, La Cuarta) und des Fernsehkanals La Red.

3.3.1.5. Vertrieb und Finanzierung Der Vertrieb der Zeitungen läuft in Chile stets über Verteileragenturen, d.h. die Druckereien der großen Zeitungen beliefern Agenturen, die wiederum die Zeitungshändler versorgen. Diese Arbeitsteilung scheint notwendig, da die direkte Lieferung an die Kioske durch deren große Zahl zu aufwendig wäre. In der Asociación de Suplementeros (Vereinigung der Zeitungsverkäufer) waren 1992 rund 5.400 Kioskinhaber aus ganz Chile organisiert. Nach Angaben dieser Vereinigung sind 90 Prozent der Kioskbesitzer Mitglied in ihr. Danach dürfte es in Chile etwa 6.000 Kioske geben (1986: 4.500, vgl. Salinas 1986). Der Großteil davon befindet sich in der Hauptstadt Santiago und dort wiederum im Zentrum. El Mercurio und COPESA haben ihre eigenen Vertriebssysteme. Die Zeitungen werden durch werkseigene Lastwagen an die Verteileragenturen geliefert. Es gibt im ganzen Land zwei Netze von Agenturen, von denen jede nur durch eines der großen Verlagshäuser beliefert wird. Die Agenturen sind immer von einem der beiden Zulieferer abhängig, da sie ohne deren Presseorgane nicht existieren könnten. An den Kiosken sind jedoch immer die Zeitungen und Zeitschriften beider Verlage erhältlich, was darauf schließen läßt, daß sie von beiden Agenturen beliefert werden. Der weitaus größte Teil der Zeitungen und fast alle Zeitschriften werden durch den Verkauf am Kiosk abgesetzt. Den Verkauf auf offener Straße durch ambulante Zeitungsverkäufer, die suplementeros, gibt es zwar auch in Chile, er ist hier jedoch nicht so massiv vorhanden wie in anderen lateinamerikanischen Ländern. Die Zahl

51 der suplementeros in Santiago wird auf 2.000 geschätzt. Die ambulanten Zeitungsverkäufer holen je ca. 35 Exemplare direkt bei den Agenturen ab. Von jeder verkauften Zeitung erhalten sie rund ein Sechstel Provision. Da die Verkaufspreise zwischen 120 und 290 Pesos variieren, fallen die Einnahmen der suplementeros höchst unterschiedlich aus. Die suplementeros verkaufen ihre Zeitungen an belebten Kreuzungen und in Fußgängerzonen. Das Abendblatt La Segunda wird fast ausschließlich durch die Zeitungsverkäufer vertrieben. Der Vertrieb von Zeitungen durch suscripción (Abonnement) spielt in Chile eine untergeordnete Rolle. Nur zwei Tageszeitungen geben an, einen Teil der Auflage durch Abonnements abzusetzen. El Mercurio liefert täglich 20.000 Exemplare ins Haus, und La Epoca verfügt über knapp 5.000 Abonnenten. Die Finanzierung der Zeitungen geschieht nur zu einem geringen Teil durch den Verkauf. Alle großen Zeitungen geben an, daß die Einnahmen aus diesem Bereich gerade die Materialkosten, die Löhne und den Vertrieb decken. Die Haupteinnahmequelle stellt die Werbung dar, obwohl sie seit 1980 um rund zehn Prozent abgenommen hat. Damals flössen noch 45 Prozent des Geldes, das in Werbung investiert wurde, Zeitungen zu. 1991 waren es noch knapp 35 Prozent (PubliMark 51,1992). Die Einnahmen der Presse durch das Anzeigengeschäft sind unter den einzelnen Tageszeitungen allerdings ungleich verteilt. Der größte Teil der Werbeinvestitionen geht an den Mercurio. Rund zwei Drittel der Werbung, die in Tageszeitungen veröffentlicht wird, erscheinen in dieser Zeitung. La Tercera genießt zwar die höchste Verbreitung, kann jedoch nur 15 Prozent der Webeinvestitionen in der gesamten Zeitungsbranche verbuchen. Das bedeutet, daß die Zeitung trotz hoher Auflagen um Anzeigen kämpfen muß. Estrategia steht mit sechs Prozent der Anzeigen in der Tagespresse bei den Werbeinvestitionen an dritter Stelle, obwohl sie nur eine geringe Auflage hat. Ausschlaggebend dafür ist das Zielpublikum der Zeitung, das überwiegend aus Führungskräften besteht. La Epoca muß sich zur Zeit mit 1,6 Prozent der Werbeinvestition zufrieden geben. Las Ultimas Noticias, La Nación und La Segunda haben zusammen mit rund 10 Prozent annähernd gleich große Anteile am Werbemarkt, während La Cuarta von den 0,7 Prozent des Werbeanteils kaum existieren könnte. Sie finanziert sich daher hauptsächlich durch den Verkauf.

3.3.2. Zeitschriften In Chile gibt es zahlreiche Zeitschriften mit wöchentlicher, 14tägiger oder monatlicher Erscheinung zu den verschiedensten Themen wie Politik, Mode, Kultur, Sport, Finanzen und allgemeine Information. Die genaue Anzahl von Zeitschriften läßt sich genauso schwer ermitteln wie die der Zeitungen. Das INE geht von 241 Zeitschriften mit einer Jahres-Gesamtauflage von über 19 Millionen aus, die Werbeagentur McCann Erickson nur von 134 verschiedenen Periodika (INE 1992; McCann Erickson 1992). Nach McCann Erickson teilt sich der Zeitschriftenmarkt in folgende Kategorien: Den größten Anteil bilden mit 92 Titeln die Spezialzeitschriften, die das weite Spektrum von Femsehen, Video, Sport, Fotografie und anderem abdecken. Die zweitgrößte Gruppe besteht aus 12 Familienzeitschriften, gefolgt von acht Frauenzeitschriften und je sieben Nachrichtenmagazinen und Kinderzeitschrif-

52 ten. Jugend- und Männermagazine sind mit je zwei Zeitschriftentiteln mit die kleinste Gruppe auf dem chilenischen Zeitschriftenmarkt. Die Zahl der angebotenen Zeitschriften unterliegt jedoch großen Fluktuationen. Zum einen zeigt sich der Markt durch die erst vor kurzem erfolgte Einführung des Privatfernsehens und die zunehmende Verbreitung des Videos mit speziellen Publikationen sehr experimentierfireudig. Zum anderen bekommen die Nachrichtenmagazine das Abflauen des politischen Interesses in der Bevölkerung besonders stark zu spüren. Das politische Magazin Ercilla zum Beispiel, das seit über 20 Jahren herausgegeben wurde, mußte 1991 das Erscheinen aus finanziellen Gründen einstellen, und die Oppositionszeitschrift Hoy kämpft ums Überleben. Trotz dieser Entwicklung gibt es auf diesem Sektor Neuerscheinungen wie das Politmagazin Los Tiempos, das Mitte 1992 erstmalig herausgegeben wurde. Unter den Publikumszeitschriften ist das großformatige Hochglanzmagazin Caras hervorzuheben (seit 1987). Mit der höchsten Auflage erscheint in Chile die noch junge Femsehzeitschrift TVGrama (rund 80.000 Exemplare wöchentlich). Die Nachrichtenmagazine in Chile können keine hohen Verkaufszahlen verbuchen. Insgesamt machen sie nur ein Zehntel der Gesamtauflage der Zeitschriften aus. Die Marktanteile sind in diesem Sektor relativ gleichmäßig verteilt. Die auflagenstärksten Publikationen dieser Art sind Análisis und Qué pasa mit je 20.000 Exemplaren. Der Anteil der Werbung in diesen Zeitschriften beträgt durchschnittlich nur 15 Prozent, so daß die Finanzierung größtenteils durch den Verkauf geschieht. Die durchschnittlichen Verkaufspreise liegen für chilenische Verhältnisse relativ hoch bei 1.000 Pesos, das sind umgerechnet 3,70 DM. Insgesamt entfielen 1990 7,2 Prozent des Werbebudgets in Chile auf die Zeitschriften (Cuadernos de Información 7, 1991). Den größten Anteil konnten die Publikumszeitschriften verbuchen, die zu zwei Fünftel aus Werbung bestehen und sich auch hauptsächlich durch diese Einnahmequelle finanzieren. Neben den beiden nationalen Magazinen werden in Chile auch ausländische Periodika, u. a. aus Argentinien, Venezuela und Spanien angeboten. Auch für das weibliche Publikum gibt es zahlreiche importierte Zeitschriften, wie z. B. Cosmopolitan. Die bei der Tagespresse vorhandene Besitzkonzentration ist teilweise auch bei den Zeitschriften zu beobachten. Wie Tabelle 3 verdeutlicht, gibt das Verlagshaus Andina S. A. acht der zwanzig erfolgreichsten Zeitschriften in Chile heraus. Der Vertrieb der Zeitschriften wird wie bei den Tageszeitungen kaum durch Abonnements, sondern durch den direkten Verkauf über die Kioske abgewickelt. Dabei beliefern die Druckereien von El Mercurio und COPESA, in denen der Großteil der Zeitschriften als Fremdprodukte gedruckt wird, nach dem bereits beschriebenen Vorgehen die Verteileragenturen und diese die Kioske.

4.

Hörfunk

4.1.

Geschichte

Die erste öffentliche Radioübertragung in Chile fand am 19. August 1922 statt. An jenem Tag konnten die Menschen in der Halle des Verlagshauses von El Mercurio,

53

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