169 106 21MB
German Pages 284 Year 2019
Wilke (Hrsg.)
Massenmedien in Lateinamerika
Herausgeber: Karl Kohut und Hans-Joachim König Publikationen des Zentralinstituts für Lateinamerika-Studien der Katholischen Universität Eichstätt Serie B: Monographien, Studien, Essays, 8 Publicaciones del Centro de Estudios Latinoamericanos de la Universidad Católica de Eichstätt Serie B: Monografías, Estudios, Ensayos, 8 Publicagöes do Centro de Estudos Latino-Americanos da Universidade Católica de Eichstätt Série B: Monografías, Estudos, Ensaios, 8
Jürgen Wilke (Hrsg.)
Massenmedien in Lateinamerika Dritter Band: Bolivien Nicaragua Peru Uruguay Venezuela
Vervuert Verlag • Frankfurt am Main
1996
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Massenmedien in Lateinamerika / Jürgen Wilke (Hrsg.). Frankfurt am Main : Vervuert. NE: Wilke, Jürgen [Hrsg.]
Bd. 3. Bolivien, Nicaragua, Peru, Uruguay, Venezuela. - 1996 (Americana Eystettensia : Ser. B, Monografías, estudios, ensayos ; 8) ISBN 3-89354-958-7 NE: Americana Eystettensia / B
© Vervuert Verlag, Frankfurt am Main 1996 Alle Rechte vorbehalten Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier Printed in Germany
Inhaltsverzeichnis Vorwort
11
Jürgen Wilke
Massenmedien in Bolivien
15
Mónica Salinas Rivas 1.
Landeskundliche Grundlagen
15
1.1.
Geographie
15
1.2.
Geschichte
16
1.3.
Politisches System
21
1.4.
Wirtschaft
22
1.5.
Bevölkerung und Sozialstruktur
25
2.
Rechtliche Grundlagen der Massenmedien
27
3.
Presse
30
3.1. 3.2.
Presserecht Geschichte
30 31
3.3. 3.3.1. 3.3.2
Die Struktur der Presse in Bolivien heute Bestandsaufnahme Die wichtigsten Tageszeitungen
36 36 36
3.3.3. 3.3.4.
Verbreitung, regionale Konzentration und Leserdichte Vertrieb und Finanzierung
41 42
3.3.5. 3.3.6.
Besitzstruktur Zeitschriften
42 44
4.
Hörfunk
47
4.1.
Rundfunkrecht
47
4.2.
Geschichte
49
4.3.
Die Struktur des Hörfunks in Bolivien heute
52
4.3.1.
Bestandsaufnahme
52
4.3.2.
Sendertypen
53
4.3.2.1. 4.3.2.2. 4.3.2.3. 4.3.2.4. 4.3.2.5. 4.3.2.6. 4.3.2.7. 4.3.3.
Staatliche Sender Kommerzielle Sender Kirchliche Sender Sender mit Bildungsprogrammen Sender mit Programmen in den einheimischen Sprachen Radios fronterizas FM-Sender Geographische Verteilung der Sender, regionale Konzentration und Teilnehmerdichte
53 53 54 55 55 56 56 57
6 4.3.4.
Wichtige Radiosender
58
5.
Fernsehen
61
5.1. 5.2. 5.3. 5.3.1. 5.3.1.1. 5.3.1.2. 5.3.1.3. 5.3.2. 5.3.3. 5.3.4.
Geschichte Fernsehrecht Die Struktur des Fernsehens in Bolivien heute Bestandsaufnahme Der staatliche Kanal Kommerzielle Sender Universitätssender Verbreitung, Teilnehmerdichte und Reichweite Besitzstruktur Finanzierung
61 62 64 64 65 65 66 67 67 69
6.
Neue Entwicklungen im Mediensektor
69
6.1. 6.2.
Kabelfernsehen Fernsehen über Satellit
69 72
7.
Perspektiven und Probleme der Massenmedien Boliviens
72
Bibliographie
75
Massenmedien in Nicaragua
83
1.
Landeskundliche Grundlagen
83
1.1. 1.2. 1.3. 1.4. 1.5.
Geographie Geschichte Politisches System Wirtschaft Bevölkerung und Sozialstruktur
83 85 92 93 95
2.
Rechtliche Grundlagen der Massenmedien
96
3.
Presse
100
3.1. 3.2. 3.3. 3.3.1. 3.3.1.1. 3.3.1.2. 3.3.1.3. 3.3.1.4. 3.3.2.
Geschichte Presserecht Die Struktur der Presse in Nicaragua heute Zeitungen Bestandsaufnahme Verbreitung und Leserdichte Vertrieb und Finanzierung Besitzstruktur Zeitschriften
100 108 109 109 109 113 113 114 115
Natalia Pander
7 4.
Hörfunk
115
4.1.
Geschichte
115
4.2.
Rundfunkrecht
120
4.3.
Die Struktur des Hörfunks in Nicaragua heute
121
4.3.1.
Bestandsaufnahme
121
4.3.2.
Organisation und Finanzierung
123
4.3.3.
Programme
123
4.3.4.
Besitzstruktur
126
5.
Fernsehen
126
5.1.
Geschichte
126
5.2.
Fernsehrecht
130
5.3.
Die Struktur des Fernsehens in Nicaragua heute
130
5.3.1
Bestandsaufnahme
130
5.3.2.
Programme
133
5.3.3.
Organisation und Finanzierung
135
5.3.4.
Besitzstruktur
136
5.3.5.
Kabelfernsehen
137
6.
Perspektiven und Probleme der Massenmedien in Nicaragua
137
Bibliographie
139
Massenmedien in Peru
143
Thomas Otter 1.
Landeskundliche Grundlagen
143
1.1.
Geographie
143
1.2.
Geschichte
144
1.3.
Politisches System
149
1.4.
Wirtschaft
150
1.5.
Bevölkerung und Sozialstruktur
151
2.
Rechtliche Grundlagen der Massenmedien
152
3.
Presse
155
3.1.
Geschichte
155
3.2.
Presserecht
158
3.3.
Die Struktur der Presse in Peru heute
159
3.3.1.
Bestand und Verbreitung
159
3.3.2.
Zeitungstypen
163
3.3.3.
Organisation, Vertrieb, Finanzierung
165
3.3.4.
Besitzstruktur
166
8 4.
Hörfunk
166
4.1. 4.2. 4.3. 4.3.1. 4.3.2. 4.3.3. 4.3.4. 4.3.5.
Geschichte Rundfunkrecht Die Struktur des Hörfunks in Peru heute Bestand und Verbreitung Organisation und Finanzierung Programme Reichweite und Nutzung Besitzstruktur
166 169 170 170 170 171 174 174
5.
Fernsehen
175
5.1. 5.2. 5.3. 5.3.1. 5.3.2. 5.3.3. 5.3.4. 5.3.5.
Geschichte Fernsehrecht Die Struktur des Fernsehens in Peru heute Bestand und Verbreitung Organisation und Finanzierung Programme Reichweite Besitzstruktur
175 177 177 177 179 180 184 184
5.3.6.
Video und Kabelfernsehen
185
6.
Perspektiven und Probleme der Massenmedien in Peru
186
Bibliographie
187
Massenmedien in Uruguay
193
Jürgen Wilke 1.
Landeskundliche Grundlagen
193
1.1. 1.2. 1.3. 1.4. 1.5.
Geographie Geschichte Wirtschaft Politisches System Bevölkerung und Sozialstruktur
193 194 197 199 200
2.
Rechtliche Grundlagen der Massenmedien
201
3.
Presse
201
3.1. 3.2. 3.3. 3.3.1. 3.3.1.1. 3.3.1.2
Geschichte Presserecht Die Struktur der Presse in Uruguay heute Zeitungen Bestand und Verbreitung Die wichtigsten Tageszeitungen
201 205 206 206 206 208
9 3.3.1.3. 3.3.1.4. 3.3.1.5.
Finanzierung und Vertrieb Leserdichte und Nutzung Besitzstruktur
212 213 214
3.3.2.
Zeitschriften
215
4.
Hörfunk
216
4.1.
Geschichte
216
4.2.
Rundfunkrecht
218
4.3. 4.3.1. 4.3.2.
Die Struktur des Hörfunks in Uruguay heute Bestand und Verbreitung Sendertypen und Programme
221 221 224
4.3.3. 4.3.4. 4.3.5.
Finanzierung Reichweite und Nutzung Besitzstruktur
225 225 226
5.
Fernsehen
226
5.1. 5.2. 5.3. 5.3.1. 5.3.2. 5.3.3. 5.3.4. 5.3.5. 5.3.6
Geschichte Fernsehrecht Die Struktur des Fernsehens in Uruguay heute Bestandsaufnahme Programme Finanzierung Reichweite und Nutzung Besitzstruktur Kabel- und Abonnementfernsehen
226 228 229 229 230 232 233 234 235
6.
Perspektiven und Probleme der Massenmedien in Uruguay
237
Bibliographie
240
Massenmedien in Venezuela
245
Carsten Dullemond / Jürgen Wilke 1.
Landeskundliche Grundlagen
245
1.1. 1.2.
Geographie Geschichte
245 246
1.3. 1.4. 1.5.
Politisches System Wirtschaft Bevölkerung und Sozialstruktur
251 251 253
2.
Rechtliche Grundlagen der Massenmedien
254
3.
Presse
256
3.1.
Geschichte
256
10 3.2. 3.3. 3.3.1. 3.3.1.1. 3.3.1.2. 3.3.2. 3.3.3.
Presserecht Die Struktur der Presse in Venezuela heute Zeitungen Bestandsaufnahme Verbreitung und Vertrieb Zeitschriften Besitzstruktur
259 260 260 260 262 263 263
4.
Hörfunk
264
4.1. 4.2. 4.3.
Geschichte Rundfunkrecht Der Hörfunk in Venezuela heute
264 266 267
4.3.1. 4.3.2.
Bestandsaufnahme Besitzstruktur
267 270
5.
Fernsehen
270
5.1. 5.2. 5.3. 5.3.1. 5.3.2. 5.3.3.
Geschichte Fernsehrecht Das Fernsehen in Venezuela heute Bestandsaufnahme Kabelfernsehen Besitzstruktur
270 272 273 273 274 275
6.
Perspektiven und Probleme der Massenmedien in Venezuela
276
Bibliographie
278
Vorwort Jürgen Wilke Der vorliegende Sammelband ergänzt die Reihe von Untersuchungen der Mediensysteme Lateinamerikas, die mit dem 1992 erschienenen ersten Band Massenmedien in Lateinamerika begonnen und 1994 mit einem zweiten Band fortgesetzt wurde. Bisher wurden darin neun Länder behandelt. Die angekündigte Weiterfuhrung kann jetzt - mit Darstellungen der Länder Bolivien, Nicaragua, Peru, Uruguay und Venezuela - präsentiert werden. Damit liegt erstmals eine derart umfassende Synopse lateinamerikanischer Mediensysteme in deutscher Sprache vor. Auch in den Vereinigten Staaten oder auf dem Subkontinent selbst findet man z. Zt. etwas Vergleichbares nicht. Zwar sind in den drei Bänden die Länder Lateinamerikas noch nicht komplett bearbeitet, wohl aber alle großen und wichtigen. Was fehlt, sind einige kleinere Länder Zentralamerikas (Belize, El Salvador, Honduras, Panama) sowie die einschlägigen Inselstaaten der Karibik und die abhängigen Gebiete auf dem Subkontinent (Frz. Guayana, Guayana, Surinam). Das größte Desiderat stellt vielleicht Kuba dar. Gerade eine Bearbeitung dieses Landes wirft aber immer noch besondere Probleme auf. Immerhin läßt sich hier auf eine jüngere Darstellung aus den USA verweisen (Lent 1990, 115ff.). Ein - wenn auch sehr knapper - Abriß aus letzter Zeit liegt sowohl für Honduras als auch für Panama vor (Frank 1994, 103f., 107ff.). Wiederum gehen die Beiträge dieses Sammelbandes - von Uruguay abgesehen auf Darstellungen zurück, die zunächst in Form von Magisterarbeiten unter der Betreuung des Herausgebers an der Universität Mainz entstanden sind. Voraussetzung dafür waren in jedem Fall Aufenthalte „vor Ort". Die Druckfassungen der Beiträge sind vom Herausgeber selbst dann redaktionell bearbeitet bzw. hergestellt worden. Er trägt insofern dafür die Verantwortung. Bei dem Beitrag über Peru ist noch die wesentliche Mitarbeit von Margarita Kaufmann hervorzuheben. Die Beschäftigung mit den Massenmedien in Lateinamerika läßt nach wie vor zu wünschen übrig. In Deutschland sind nur die neueren Arbeiten von Daniela Frank (1994) und Ingrid M. Schleicher (1995) zu erwähnen, welche die Beiträge dieser Sammelbände ergänzen bzw. vertiefen. Im wesentlichen ein Inventar von Adressen liefert ein von Margarita Kaufmann für die Konrad-Adenauer-Stiftung zusammengestellter Medienführer Lateinamerika (1994). Hilfreich, wenn auch in den Titelnachweisen unvollständig, ist eine neu aufgelegte Auswahlbibliographie (Koberstein 1994). In der allgemeinen Literatur zu Lateinamerika in Deutschland ist dagegen ein Eingehen auf die Massenmedien weiterhin zu vermissen (vgl. Junker / Nohlen / Sangmeister 1994; Nohlen/Nuscheler 1995). Aus den Vereinigten Staaten wären zwar einzelne spezielle Aufsätze zu nennen (u. a. Amaral/Guimaräes 1994; Barrera 1995), ein größerer zusammenfassender Überblick ist m. W. auch dort nicht vorhanden. Eine begrenzte Übersicht hat lediglich das Freedom Forum Media Studies Center (New York) vorgelegt (Vanden Heuvel/Dennis 1995). Doch darin haben sich die Autoren auf acht Länder beschränkt und das Ganze auf 140 Seiten abgehandelt. Die Publikation ist zwar hübsch illustriert und graphisch ansprechend aufgemacht, läßt aber keine ausgreifende und vertiefte Darstellung zu.
12 Mit Bolivien, Peru und Venezuela geht es in diesem Sammelband nochmals um drei größere, mit Nicaragua und Uruguay um zwei der kleineren Länder Lateinamerikas. Diese Konstellation hat sich aus der Reihenfolge der Bearbeitung ergeben und dazu geführt, daß hier jetzt z. T. recht unterschiedliche Länder vereinigt sind. Neben den vergleichsweise indigen geprägten, Kerngebiete des Subkontinents einnehmenden Ländern Bolivien und Peru steht das eher „europäische" Uruguay. Nicaragua hat als internationaler Konfliktherd jahrelang eine besondere Aufmerksamkeit gefunden, diese inzwischen aber weitgehend eingebüßt. Alle diese Länder haben ihre eigenen Medienstrukturen entwickelt, z. T. mit ganz spezifischen Besonderheiten. Bolivien war lange Zeit z. B. durch seine Minenradios interessant, Nicaragua wegen der sandinistischen Revolution und der Abkehr von ihr seit Anfang der neunziger Jahre. Durch eigenwillige Machtausübung geprägt war die Entwicklung in den letzten Jahren in Peru. Aber auch die anderen Länder weisen im Medienbereich charakteristische Züge auf: Uruguay als „Mittelklassengesellschaft" ebenso wie das zeitweise prosperierende Venezuela, das jedoch zuletzt durch besondere politische Instabilität aufgefallen ist. Auch die Darstellungen dieses Sammelbandes wären nicht ohne den Beitrag und die Mithilfe zahlreicher Personen zustandegekommen. Der Herausgeber dankt zunächst den (Mit-)Autorinnen und Autoren, die die Vor-Arbeiten geliefert haben. Zu danken ist ferner auch Informanten und Gesprächspartnern in den hier behandelten Ländern selbst. Exemplarisch seien genannt: für Bolivien Luis Ramiro Beltrán, Sandra Aliaga Bruch, Ana María R. de Campero, Mario Castro und Gramunt Moragas; für Nicaragua Rafael Ramírez, Rosemary Thornton und Jaime Chamorro Cardenal; für Peru Margarita Kaufmann und Ricardo Burga; für Uruguay die Mitarbeiterinnen) des Instituto de Comunicación y Desarrollo, insbesondere Diego Delgado, sowie Juan Da Rosa und Carmen Rico de Sotelo; für Venezuela schließlich José Antonio Mayobre. Dank gesagt sei ferner wieder den Herausgebern dieser Reihe sowie der Dr. Alexander und Rita Besser-Stiftung und der Firma Alfa Metalcraft, die diesmal den Druckkostenzuschuß im wesentlichen übernahmen.
Bibliographie Amaral, Roberto/Cesar Guimaräes: Media Monopoly in Brazil. In: Journal of Communication 44,4 (1994) S. 26-38. Barrera, Eduardo: State Intervention and Telecommunications in Mexico. In: Journal of Communication 45,4 (1995) S. 51-69. Frank, Daniela: Dimensionen der Programmkonzeption entwicklungsorientierter Hörfunkarbeit. Eine Untersuchung der Arbeit kultureller Radiostationen in Mittelamerika. Konstanz 1994. Junker, Detlef/Dieter Nohlen/Hartmut Sangmeister (Hrsg.): Lateinamerika am Ende des 20. Jahrhunderts. München 1994. Koberstein, Hans: Medien und Kommunikation in Lateinamerika. Eine Auswahlbibliographie. 5., akt. und. erw. Aufl. Berlin 1994. Konrad-Adenauer-Stiftung (Hrsg.): Medios. Guía Latinoamericana. Lima 1994.
13 Lent, John A.: Cuba and the Dominican Republic. In: John A. Lent: Mass cations in the Caribbean . Ames (Iowa) 1990. S. 115-154.
Communi-
Michahelles, Kristina/Marcelo Leite: Presse, Funk, Fernsehen in Brasilien. In: Dietrich Briesemeister/Achim Schräder (Hrsg.): Brasilien heute. Politik, Wirtschaft, Kultur. Frankfurt/M. 1994. S. 546-575. Nohlen, Dieter/Franz Nuscheier: Handbuch der Dritten Welt. Band 2: 1., überarb. und akt. Nachdruck der 3. Aufl. Bonn 1995.
Südamerika.
Priess, Frank: „Vierte Gewalt" oder Prügelknabe: Lateinamerikanische Medien auf Identitätssuche. In: KAS-Auslandsinformationen 12 (1996) H. 4. S. 63-77. Schleicher, Ingrid M.: Televisa S. A. in Mexiko. Genese und jüngste Entwicklung eines kommerziellen Fernsehunternehmens im Spannungsfeld zwischen Rundfunkpolitik und Konzerninteresse. Münster, Hamburg 1994. Vanden Heuvel, Jon/Everette E. Dennis: Changing Patterns - Latin America's Vital Media. A Report of The Freedom Forum Media Studies Center at Columbia University in the City of New York. New York 1995.
Massenmedien in Bolivien Monica Salinas Rivas Bolivien gehört zu den lateinamerikanischen Ländern mit einer besonders wechselvollen Geschichte. Sie reicht vom rätselhaften Tiahuanaco über die Hochkulturen der Aymaras und Inkas bis zur Kolonialzeit unter spanischer Herrschaft. Nach der Erringung der Unabhängigkeit wurde das Schicksal des Landes in neuerer Zeit vor allem von berüchtigten Caudillos, von Militärs und Zinnbaronen bestimmt. Dabei war das Leben der Bevölkerung immer wieder von Unruhen gekennzeichnet. In anderthalb Jahrhunderten erlitt das Land zahllose Militärputsche. Beeinträchtigt wurde sein Schicksal überdies durch wiederholte territoriale Verluste, welche die Wirtschaftskraft des Landes schwächten. Doch nicht nur diese Geschichte hat die Entwicklung auch der Massenmedien in Bolivien bestimmt. Vielmehr mußten diese zudem einer in mehrfacher Hinsicht gespaltenen Bevölkerung gerecht werden: einer kleinen Elite, die sich an der westlichen Kultur orientiert(e), einer Mittelklasse, welche von der cultura de masas geprägt ist, und der Arbeiter- und Unterschicht, die im Land als sectores populäres bekannt sind. Die letztgenannte Gruppe setzt sich hauptsächlich aus Indios zusammen. Aus den historischen, wirtschaftlichen und kulturellen Gegebenheiten Boliviens sind Charakteristika im System der Massenmedien zu erklären, die sich z. T. bemerkenswert (noch) von anderen Ländern des Subkontinents unterscheiden.
1.
Landeskundliche Grundlagen
1.1.
Geographie
Bolivien, im zentralen Südamerika gelegen, umfaßt heute eine Fläche von rund einer Million Quadratkilometern. Gemessen an seiner Ausdehnung, nimmt es den fünften Platz unter den südamerikanischen Ländern nach Brasilien, Argentinien, Peru und Kolumbien ein. Verglichen mit den territorialen Ausmaßen europäischer Länder übertrifft Bolivien der Fläche nach alle, mit Ausnahme von Rußland. Das Land grenzt im Norden und im Osten an Brasilien, im Süden an Argentinien, im Süden und Westen an Chile und im Westen an die Republik Peru. Die Hauptstadt und der Sitz des höchsten Gerichtshofs ist Sucre. Sitz der Regierung und wichtigste Stadt Boliviens ist jedoch La Paz. Bolivien ist ein Binnenland, abgeschnitten vom Zugang zum Meer, den es mit dem Verlust der pazifischen Küste im Krieg gegen Chile 1879 einbüßte. Im Januar 1992 überließ Peru der Regierung in La Paz für einen Zeitraum von 50 Jahren die Verwaltung des Hafens von Ilo, 460 Kilometer westlich von La Paz gelegen, der Teil einer Freihandelszone ist, dazu fünf Kilometer von der bei Touristen sehr beliebten Küste (jetzt Boliviamar genannt). Der topographische Charakter Boliviens stellt sich folgendermaßen dar: Die östliche Region umschließt Teile der Amazonastiefebene und Vorläufer der Hochge-
16 birgszonen Brasiliens, im Südosten stößt man auf die Zonen des Chaco. Die Andenkordilleren und das Altiplano bestimmen die Eigenart der Okzidentalzone. Der Großraum der Yungas und Valles stellt mit seinem hohen Grad an Feuchtigkeit das Hauptanbaugebiet der Kokapflanze dar. Auch Mais, Kakao, Kaffee und eine Vielfalt von subtropischen und tropischen Früchten werden hier angebaut. Die Yungas sind das einzige Gebiet Boliviens, in das schwarze Sklaven gebracht wurden. Mit den Yungas endet das Gebiet der Anden, und es beginnt die Zone der Llanos, der endlosen Ebenen und des tropischen Tieflandes. Die östlichen Llanos (= Tiefebenen) nehmen einen Großteil des bolivianischen Terrains ein, sie sind ein Teil des amazonischen Flußgebietes. Die Departements von La Paz und Cochabamba, weite Teile von Santa Cruz, Beni und Pando gehören zu dieser Tiefebene. Das Klima Boliviens ändert sich je nach Höhenlage. Man unterscheidet drei Zonen: die Andenregion bei über 3.000 Metern über dem Meeresspiegel, wo die jährliche Durchschnittstemperatur bei 5 bis 10 Grad liegt; die Zone der Täler und Yungas mit einer mittleren Temperatur von 15 bis 25 Grad und die tropische Zone der Tiefebene mit Temperaturen von über 30 Grad. Etwa ein Fünftel des bolivianischen Territoriums umschließt Hochebenen und Kordilleren, die zum Teil eine Höhe von über 3.000 Metern erreichen, wo 62 Prozent der Gesamtbevölkerung leben.
1.2.
Geschichte
Das heutige bolivianische Territorium war anfanglich von Aymara-Völkern besiedelt, wobei das Volk der Colla besonders erwähnenswert ist. Die wichtigsten Siedlungen des Colla-Imperiums lagen an den Ufern des Titicaca-Sees. Die Angehörigen dieses Volkes waren bereits einer ideographischen Schrift kundig. Die Hauptstadt der Colla war die aus Stein erbaute Stadt Tiahuanaco, deren Alter man auf 12.000 Jahre vor Christus schätzt (Guzmän 1976). Im Jahre 1430, ein Jahrhundert vor der Ankunft der spanischen Konquistadoren auf dem Altiplano, gab es interne Kämpfe im Königreich der Colla, welche schließlich dazu führten, daß sie das Machtzentrum vom Altiplano in die Täler von Cuzco verlegten und auf diese Weise die Geburt des Inkareiches einleiteten. Die Inkas aus Cuzco waren somit Nachfahren der Zivilisation der Colla aus Tiahuanaco. Die Anführer dieser neuen imperialen Macht sprachen weiterhin ihre Muttersprache, das Aymara, und zwangen dem Volk und den in den Kolonien lebenden Stämmen den Gebrauch des Quechua auf, einer Sprache, die, obwohl sie noch eine gewisse Anzahl von Vokabeln mit dem Aymara gemeinsam hat, von diesem doch in starkem Maße abweicht. Das Inkareich expandierte bis in den Süden von Kolumbien, nach Ecuador, an die Wüstenküste von Peru, auf das Altiplano von Bolivien, ja bis in den Nordwesten von Argentinien und umspannte den gesamten trockenen Norden und die fruchtbaren Böden des Zentrums von Chile. Während der Herrschaft der Inkas bildete das heutige Bolivien eines der vier großen Gebiete, in die das Reich geteilt war, und trug den Namen Kollasuyo. Die Inkas besaßen eine hochentwickelte Kultur und eine straff organisierte Gesellschaft. Dies spiegelte sich im Straßen- und Städtebau sowie vor allem in der Landwirtschaft wider. Im Inkareich gab es ein hervorragendes Straßennetz. Zwei
17 parallele Straßen führten von Norden nach Süden. Sie stellten das Rückgrat auch der Kommunikation dar. Die erste Straße verlief durch das Küstengebiet, die zweite durch die Sierra. Vorläufer späterer Formen und Mittel der Kommunikation waren schon seit präkolumbinischer Zeit die p'ututus (Blashörner, auf denen man von einem höhergelegenen Ort aus blies, um eine Gemeindeversammlung einzuberufen), die kipus (ein System farbiger Knotenschnüre, die mittels einer Art "Knotenschrift" bestimmte Botschaften enthielten), die chaskis (offizielle Boten, die große Entfernungen überwanden, um mündliche oder in kipus festgehaltene Botschaften zu überbringen) und schließlich die in der Quechuasprache abgehaltenen Versammlungen, die man rimajpampa nannte. Die Entwicklung des Inkareichs wurde 1532 brutal durch die spanische Invasion abgebrochen. Die Ankunft der Spanier begann dort mit der Landung der Expedition Francisco Pizarros in Tumbes, die 1533 durch die Männer des Diego de Almagro verstärkt wurde. 1534 hatten sich die Spanier bereits in der alten Hauptstadt der Inkas, in Cuzco, niedergelassen. Nachdem das Inka-Imperium in die Hände der spanischen Eroberer gefallen war, teilte deren König das riesige Reich der Neuen Welt in vier Regionen auf, die auf die Namen Nueva Castilla, Nueva Toledo, Nueva Andalucía und Nueva León getauft wurden. Das Gebiet des heutigen Bolivien war ein Teil von Nueva Toledo. Die Entdeckung einer Silberader im Jahre 1545 im Berg von Potosí zog eine große, nach schnellem Reichtum strebende Menge von Menschen an, was die Entstehung und Entwicklung einer neuen Stadt zur Folge hatte, der Karl V. den Titel Villa Imperial (Kaiserstadt) gab. Das Silber von cerro rico (reicher Berg), der sich mächtig hinter dieser Stadt auf über 4.700 Meter erhebt, wurde für die wirtschaftliche Entwicklung Europas ausgebeutet. Potosí wurde dadurch zu einer der größten und reichsten Städte der damaligen Welt. Die Lebensumstände, unter denen die Indios in dieser Zeit zu leiden hatten, führten zum Aufstand von 1572 unter der Führung von Túpac Amaru, der jedoch bald vom Vizekönig Neu Toledos niedergeschlagen wurde. Ein anderer Aufstand im Jahr 1780 wurde angeführt von dem Indio José Gabriel Condorcanqui, auch Túpac Amaru II. genannt. Er wurde das Opfer eines Verrats. Im darauffolgenden Jahr kam es zu einer neuen Revolte unter der Leitung von Túpac Catari, bei der 80.000 Indios La Paz besetzten, die Stadt, die 1548 von Alonso de Mendoza gegründet worden war. Der Beginn des 19. Jahrhunderts brachte den Anfang des Kampfes um Unabhängigkeit. Der Aufstand, den der Bergmann Pedro Domingo Murillo im Juli 1809 in La Paz anführte, war der erste Versuch, wirkliche Unabhängigkeit für Lateinamerika zu erkämpfen (Muñoz Reyes 1925). Nach der Niederschlagung dieser Verschwörung wurde Murillo 1810 mit vereinten Kräfte der Vizekönige von Lima und Buenos Aires verhaftet und hingerichtet. Er ist heute einer der Nationalhelden Boliviens. Die Revolution, die im Mai 1810 in Buenos Aires ausbrach, fand ein Echo in den Rebellionen von Hochperu, u. a. in Cochabamba und Potosí. Der Unabhängigkeitskrieg nahm alsbald verworrene Formen an, und die argentinischen Heere eilten dem hochperuanischen Volk in seinem Streben nach Unabhängigkeit zu Hilfe. Eine Gruppe von mestizischen Caudillos kam in dieser Zeit zusammen, um den Kampf gegen die Königstreuen aufzunehmen. Einer der bekanntesten Anführer dieser Epoche war Manuel Asencio Padilla, zusammen mit seiner Frau Juana Asurduy de Padilla, genannt die Teniente Coronela de la Independencia. Fünfzehn Jahre dau-
18 erte dieser Krieg, der mit der Schlacht von Ayacucho am 9. Dezember 1824 endete und definitiv die spanische Vorherrschaft in Südamerika schwächte. Die letzte Auseinandersetzung in diesen Streitigkeiten, bezieht man sich auf das heutige Bolivien, war die Schlacht von Tumusla am 3. April 1825. Am 6. August 1825 rief man feierlich die Unabhängigkeit aus und gründete die Republik von Bolivien als eine Art Hommage an den Befreier Simón Bolívar, der zum ersten Präsidenten und "Vater der Republik" erklärt wurde. Der Stellvertreter Bolivars, Marschall Antonio José de Sucre, schuf als zweiter Präsident Boliviens (1825-1828) die ersten Institutionen des Landes. Sucre führte eine Reihe von Reformen durch, die die gesamten Strukturen der alten Kolonialgesellschaft veränderten. Er teilte die Republik in Departements auf, veranlaßte eine Volkszählung und förderte die Entstehung öffentlicher Einrichtungen. Außerdem schaffte er die Tributzahlungen der Indios {Mita) ab und wandelte kirchlichen Besitz in staatlichen um. Die Reformen Sucres entsprachen nicht dem Geschmack der Eliten, und nach einer Revolution im Jahr 1828 wurde er seiner Machtstellung gewaltsam enthoben. Die von ihm geschaffene bolivianische Verfassung wurde annulliert und ein neuer Staat errichtet. Die Tributpflicht für die Indios wurde wieder eingeführt und zur wichtigsten staatlichen Einnahmequelle des 19. Jahrhunderts. Als Präsident folgte Andrés de Santa Cruz, dessen Regierungszeit neun Jahre dauerte, die längste, die Bolivien je erlebte. Er reorganisierte die Justiz, die Wirtschaft und den Handel und bewirkte damit eine Phase der Stabilität und des Fortschritts im Land. Andrés de Santa Cruz, der frühere peruanische Präsident, betrieb die Vereinigung von Bolivien und Peru. Im Jahr 1836 gelang es ihm, eine bolivianisch-peruanische Konföderation ins Leben zu rufen, welche drei Jahre später scheiterte, da Chile sich mit der Existenz einer solchen Konföderation nicht abfinden wollte. Das Land versank in Anarchie bis zu jenem Zeitpunkt im Jahre 1841, als sich drei Regierungen die Macht im Staate streitig machten. Der peruanische Präsident Agustín Gamarra erkannte seinen Vorteil in diesen chaotischen Zuständen und plante die Invasion ins Nachbarland. Solche Pläne hingegen provozierten eine direkte Reaktion der Bolivianer, die solche Absichten zu verhindern wußten: Rund um den General José Ballivián, der zu diesem Zeitpunkt Bolivien regierte, formierte sich der Widerstand, so daß die Peruaner 1841 in der Schlacht von Ingavi vernichtend geschlagen werden konnten. Die erste Epoche der lateinamerikanischen Republiken war gekennzeichnet vom sogenannten caudillismo. Die Armeen und deren militärische Führer (caudillos) waren die einzige reale politische Macht (Lieser 1982). Der Staat wurde von einer Handvoll Männer regiert, die weder politischen noch ideologischen Maßgaben folgten, ihre Macht beruhte auf der Popularität oder der Verwegenheit ihrer Führer. So lösten sich caudillos verschiedenster Art ab: Aristokraten und Militärs, Aufsteiger und Populisten wie etwa Manuel Isidoro Belzu (Diez de Medina 1925). Belzu war 1848 der erste Präsident, der sich auf den Rückhalt der unteren sozialen Klassen des Volkes, der Indios und der sogenannten cholos (= Mischlinge aus Weißen und Indios), stützen konnte, ohne daß er tatsächlich etwas zu ihren Gunsten tat. Die Herrschaft Belzus blieb nicht von ständigen Aufständen und Revolten gegen seine Regierung verschont, angestiftet von der Bourgeoisie einerseits und den Intellektuellen andererseits. Im Jahr 1857 kam in Bolivien der erste zivile Präsident an die Macht. José María Linares hob die Privilegien der Militärs auf, die ein Höchstmaß von Korruption im
19 Staat erzeugt hatten, bis ein Putsch unter der Führerschaft von José María de Achá im Jahr 1861 dem zivilen Zwischenspiel schon wieder ein Ende bereitete. Auf die gleiche gewaltsame Art gelangte im Jahr 1864 der General Mariano Melgarejo an die Macht, der das Land als absoluter Diktator regierte. Melgarejo war verantwortlich für die Zerstörung der indianischen Dorfgemeinschaften, deren Enteignung und Verkauf zu Aufständen unter der indigenen Bevölkerung führte. Ebenso katastrophal waren Melgarejos Abkommen mit Chile und Brasilien, die auf der einen Seite zum Verlust von mehr als 100.000 Quadratkilometern bolivianischen Territoriums führten und auf der anderen Seite eine der Ursachen für den Ausbruch des Salpeterkrieges waren (Lieser 1982). Anfang 1879, während der Regierung von General Hilarión Daza, brach ein Krieg mit Chile und Peru aus, der Bolivien eines großen Teiles seines Territoriums und seines Zugangs zum Meer beraubte. Bei der bolivianischen Pazifikküste handelte es sich um ein schwer zu besiedelndes Wüstengebiet, das jedoch Bodenschätze aufwies. In dieser Küstenregion, für die europäischen Märkte von höchstem Interesse, gab es hochwertige Mineralien wie guano (Vogelmist), der als Dünger und Salpeter verwandt werden konnte und als Ausgangsprodukt zur Herstellung von Kunstdünger und Schießpulver diente (Pampuch / Echalar A. 1987). Die Engländer spielten in dieser Auseinandersetzung eine große Rolle. Gemeinsam mit den Chilenen hatten sich britische Gesellschaften seit Mitte der siebziger Jahre auf bolivianischem Gebiet an die Ausbeutung der Nitratvorkommen gemacht. Da die bolivianischen caudillos nichts taten, um die nationalen Bodenschätze auszubeuten, gingen die Engländer eine Allianz mit Chile ein. Es war nicht schwer für Chile, Bolivien und Peru im Jahr 1883 zu besiegen. Um 1903 enstand ein Konflikt aufgrund der brasilianischen Invasion, in dem Bolivien den Acre Amazónico - reich an Kautschuk - verlor. Am Ende des 19. Jahrhunderts zeichnete sich ein neuer Aufschwung ab, der sogenannte Zinnboom. Mit der Entdeckung großer Zinnvorkommen im Norden des Altiplano wurde La Paz zum nationalen Handelszentrum. Aufgrund dieses Umstandes entfachten die mächtigen Bewohner des Nordens einen Bürgerkrieg gegen den Süden. Dieser Krieg trug auch ideologische Züge, föderalistische Liberale des Nordens gegen zentralistische Konservative des Südens. Als im Jahr 1898 die Konservativen geschlagen wurden, avancierte La Paz zum Regierungssitz. An der Spitze der sozialen Pyramide Boliviens befanden sich die drei "Zinnbarone": Patiño, Hochschild und Aramayo, die bis 1952 den größten Teil der bolivianischen Zinnproduktion unter ihrer Kontrolle hatten. Das Erdöl war im Jahr 1932 die Ursache des Chaco-Krieges, der in enger Beziehung mit den Manipulationen der Standard Oil of New Jersey stand. Dieses Unternehmen provozierte zu jener Zeit den Konflikt zwischen Bolivien und Paraguay und leistete dem bolivianischen Heer finanziellen Beistand mit der Absicht, sich selbst der paraguayischen Chacos zu bemächtigen. Im Jahr 1939, nachdem der regierende Präsident Busch Selbstmord begangen hatte, nutzte die konservative Oligarchie ihre Chance, ergriff die Macht und regierte bis 1952. Der wachsende Einfluß faschistischer Gruppierungen kennzeichnete die folgenden zehn Jahre bolivianischer Politik. Doch die oppositionelle linke Arbeiterbewegung ließ sich nicht mehr aufhalten; 1946 wurde der Diktator Villarroel, der die Förderung von Erdöl verstaatlicht hatte und als Nationalsozialist bekannt war, vor dem Präsidentenpalast von den wütenden Arbeitermassen erhängt. Zu dieser Zeit
20 wurde die Nationalrevolutionäre Bewegung (Movimiento Nacionalista Revolucionario /MNR) zur entscheidenden Kraft der sozialen Umwälzung. Der MNR stellte sich später auf die Seite der faschistischen Staaten, bis sein Begründer Víctor Paz Estenssoro und sein Nachfolger Hernán Siles Zuazo enge Verbindungen mit der 1944 gegründeten Minenarbeitergewerkschaft (FST') und deren Führer Juan Lechin von der trotzkistischen Arbeiterpartei (POR) knüpften. Diese drei Männer bestimmten in den folgenden vier Jahrzehnten die Politik Boliviens (Pampuch / Echalar A. 1987). Die Revolution vom 9. April 1952 hob Víctor Paz Estenssoro nach drei Tagen heftiger Kämpfe in die Präsidentschaft. Die Zinn- und Silberminen wurden verstaatlicht und 1953 wurde das Dekret der Agrarreform unterzeichnet. Das Dekret erklärte die campesinos zu den Besitzern des Landes, welches sie bisher von den Latifundisten leihweise zur Bearbeitung erhalten hatten (Irusta Medrano 1988). Siles Zuazo folgte 1956 auf Paz Estenssoro, letzterer kehrte jedoch in den Jahren 1960 und 1964 wieder in das Amt des Staatschefs zurück. Seine dritte Wahl zum Präsidenten rief Unzufriedenheit hervor. Seine Präsidentschaft wurde schließlich mit einem Staatsstreich beendet und er selbst durch eine Militärjunta ersetzt, deren Führer 1966 René Barrientos war (Pampuch / Echalar A. 1987, 65ff). Unter seiner Regierung wurden Streiks der Mineros militärisch unterdrückt, ihre Führer ins Exil geschickt, einige erschossen. 1965 erfolgte die militärische Besetzung des Minenzentrums Catavi / Siglo XX und die offizielle Einschränkung der gewerkschaftlichen Organisatonsfreiheit. Den Höhepunkt dieser Unterdrückung stellte im Jahr 1967 ein brutales Gemetzel unter wehrlosen Arbeitern in den Minen dar. Das "Massaker der Johannisnacht" ging als eines der schrecklichsten Beispiele für die Unterdrückung der bolivianischen Bergarbeiter in die Geschichte ein. Als Barrientos 1969 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam, übernahm Vizepräsident Luis Alberto Siles Salinas die Regierung. Nach schnellem Wechsel zweier weiterer Generäle kam 1971 Hugo Banzer an die Macht. Banzer regierte Bolivien sieben Jahre lang. Unter dem Motto "Ordnung, Friede und Arbeit" wurden die Jahre der Banzer-Diktatur zu einer Phase der Unterdrückung jeglicher Opposition. Alle linken Parteien und die Gewerkschaften wurden verboten. Eine politische Polizei, das Departement für politische Ordnung (DOP), beraten von emigrierten Nationalsozialisten, sorgte für "Ruhe" im Land. Trotz aller in diesen Jahren erlittenen Repressionen besitzt Banzer noch heute Popularität in Bolivien. Als einer der Kandidaten der bolivianischen Präsidentschaftswahl im Juni 1993 erreichte er als Zweitplazierter 22 Prozent der Stimmen. Im Jahr 1978 übernahm General Juan Pereda Asbún das Präsidentenamt. Er wurde vier Monate später bei einem Staatsstreich, der von dem General David Padilla angeführt wurde, gestürzt. Im Juli 1979 beging man feierlich die Wahlen zum Präsidenten; da es jedoch nicht möglich war, einen der Kandidaten zum Präsidenten zu ernennen, übernahm diese Aufgabe Walter Guevara Arze, der noch im November desselben Jahres gestürzt wurde, wiederum von einem Militär, Oberst Alberto Natusch Busch, der selbst einige Tage später durch Lidia Gueiler Tejada ersetzt wurde. Die neue Interimspräsidentin hatte in ihrer Vergangenheit Verbindungen zu fast allen Parteien gehabt. Für das erste weibliche Staatsoberhaupt Boliviens war es keine leichte Aufgabe, im Chaos zu regieren. Anschläge und Attentate auf Mitglieder linker Parteien und Zeitungen bewiesen, wie gefahrlich die Situation nach wie vor war. Der spätere Präsident Boliviens, Jaime Paz Zamora, damals Führer der Demokrati-
21 sehen Volksunion (Unidad Democrática y Popular / UDP), überlebte nur knapp und mit schweren Verbrennungen einen Flugzeugabsturz, der durch Sabotage herbeigeführt worden war (Pampuch / Echalar A. 1987, 77). Das Ergebnis der Wahlen vom Juni 1980 wurde nicht akzeptiert und es kam zu einem weiteren Putsch unter dem Armeegeneral Luís García Meza. Der Diktator und sein Innenminister Arce Gómez sind in Bolivien für eine bis dahin nicht gekannte Brutalität berüchtigt. Nur wenigen politischen Führern gelang es, ins Ausland zu gehen. Die meisten wurden verhaftet und getötet, wie zum Beispiel der Führer der Sozialistischen Partei (PS-1) Marcelo Quiroga Santa Cruz. Der für seine Grausamkeit bekannte General hatte Verbindungen zur KokainMafia, ein Faktum, das den Begriff des "Koka-Faschismus" prägte. Die aus den Kokablättern gewonnene Kokainpaste wurde unter der Diktatur García Mezas zum wichtigsten Exportartikel Boliviens. Im August 1982 zerfiel die Militärdiktatur und das Land stürzte erneut in ein wirtschaftliches Chaos. Am 5. Oktober 1982 wurde Siles Zuazo zum Präsidenten und Paz Zamora zu seinem Stellvertreter gewählt. Derselbe Mann, der dreißig Jahre zuvor die MNR-R&volution ausgerufen hatte, konnte sich nach 18 Jahren zahlreicher Militärdiktaturen als demokratisch gewählter Präsident feiern lassen. Von diesem Augenblick an begab sich das Land auf einen Weg der Demokratie und der Stabilität. Dazu trugen die beiden nachfolgenden Präsidenten wesentlich bei: von 1985 bis 1989 nochmals Víctor Paz Estenssoro, der eine ordnungspolitische Kehrtwende vollzog und pragmatische marktwirtschaftliche Reformen einführte; von 1989 bis 1993 Jaime Paz Zamora, der den marktwirtschaftlichen Kurs fortsetzte, das Land weiter modernisierte und auch eine aktive außenpolitische Rolle übernahm. Die Konsolidierung nach innen ging mit einem wachsenden internationalen Vertrauen einher. Im Juni 1993 wurde Gonzalo Sánchez de Lozada zum neuen Staatsoberhaupt Boliviens gewählt. Zwar stimmten nur etwa 35 Prozent der Wähler für ihn, doch erhielt er bei der fälligen Parlamentsentscheidung (nach dem Verzicht des unterlegenen Hugo Banzer) 97 von 155 Stimmen. Sánchez de Lozada ist Minenunternehmer und gilt als der reichste Mann Boliviens. Er gehört der Mitte-Rechts-Partei MNR an, stützt sich aber auf eine Koalition mit dem ultralinken Movimiento Bolivia Libre (MBL) und der populistischen Unidad Cívica Solidaridad (UCS). Sein Stellvertreter, der indianische Intellektuelle Víctor Hugo Cárdenas, ist Chef der Partei Movimiento Revolucionario Túpac Katari de Liberación und der erste Aymara, dem es in der gesamten politischen Geschichte der Republik gelungen ist, ein hohes politisches Amt zu übernehmen. Kern des Regierungsprogramms des Präsidentengespanns ist der sogenannte Plan de todos, durch den der Lebensstandard in Bolivien angehoben werden soll. Dazu dienen u. a. weitere Reprivatisierungen von Staatsbetrieben. Auf Streiks und Proteste von Lehrern, Gewerkschaften und Coca-Bauern antwortete Sánchez de Lozada im April 1995 mit der Verhängung des Ausnahmezustands.
1.3.
Politisches System
Bolivien ist eine unabhängige, unitarische Republik in Form einer repräsentativen, parlamentarischen Demokratie mit einem starken Präsidenten an der Spitze. Das Land ist administrativ in neun Departements aufgeteilt, die in 108 Provinzen mit 1.352 ländlichen Kantonen und 198 Städten untergliedert sind (Nohlen / Mayorga
22 1992). Außerdem gibt es noch 4.000 Comunidades indias, die eigene Rechte besitzen. Die Präfekten, die den Regierungsbezirken vorstehen, werden von der Exekutive ernannt. Bestrebungen zur Dezentralisierung sind vorhanden, auch wurden zeitweise abgeschaffte Kommunalwahlen wieder eingeführt. Der Präsident wird alle fünf Jahre neu gewählt. Wenn keiner der Kandidaten im ersten Wahlgang die Hälfte der Stimmen erreicht, entscheidet das Parlament zwischen den Bewerbern, die als die drei ersten aus der Volkswahl hervorgingen. Eine Wiederwahl nach einer Amtszeit ist nicht möglich. Der Präsident besitzt eine starke Stellung, er ist zugleich Staatsoberhaupt, Regierungschef und Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Ihm eignet dadurch ein Vorrang gegenüber der Legislative. Diese wird vom Kongreß gebildet, der wiederum aus der Abgeordnetenkammer und dem Senat besteht (Bieber 1992). Abgeordnete und Senatoren werden ebenfalls für fünf Jahre gewählt. Die Abgeordnetenzahl hängt von der Bevölkerungsdichte ab. 1989 wurden 130, 1993 155 Abgeordnete gewählt. In jedem der neun Departements werden drei Senatoren gewählt. Das infolge der politischen Entwicklung des Landes nur schwach entwickelte Parteiensystem hat sich seit einem Jahrzehnt konsolidiert, bedingt u. a. durch eine Änderung des Wahlgesetzes 1986. Dadurch wurden die Chancen der früher großen Zahl kleiner Parteien in Bolivien verringert. Dies hat wesentlich zur politischen Stabilisierung beigetragen. Zugleich wurde der politisch traditionell starke Einfluß korporativer Einheiten - der Gewerkschaften, des Unternehmerverbandes und des Militärs - zurückgedrängt. Damit einher ging das Bemühen, die früher herrschende Konfrontation durch Konsensfindung zu überwinden. Bedeutsam sind im wesentlichen drei politische Parteien, die Acción Democrática Nacionalista (ADN), der sozialdemokratische Movimiento de Izquierda Revolucionaria (MIR) und der eher rechtsgerichtete Movimiento Nacionalista Revolucionario (MNR). Während diese Parteien großenteils den eingeschlagenen neoliberalen Wirtschaftskurs teilen, verläuft die Konfliktlinie eher zu in letzter Zeit hinzugetretenen, partiell erfolgreichen populistischen Parteien, der Conciencia de Patria (CONDEPA) und der Unidad Cívica Solidaridad (UCS). In der Izquierda Unida (IU) sind mehrere linke Parteigruppierungen vereinigt.
1.4.
Wirtschaft
Bolivien ist industriell hauptsächlich ein Bergbauland. Der Bergbausektor, in dem 1991 aber nur noch etwa vier Prozent der Erwerbstätigen beschäftigt waren, stellt die traditionelle Basis der bolivianischen Wirtschaft dar. Er ist ein wichtiger Devisenbringer des Landes. Seit 1952 entstand durch die Verstaatlichung der Bergwerke die Bergbaukorporation Boliviens COMIBOL (Corporación Minera de Bolivia), ein staatliches Großunternehmen, das bis 1992 einen Gesamtverlust von 740 Millionen US-Dollar einfuhr. Die drei weiteren Bergbaubereiche, die den Minensektor Boliviens kennzeichnen, sind mittlere sowie Kleinunternehmen und Genossenschaften. Die Produktion der mittelständischen Unternehmen hat sich seit 1987 deutlich erhöht. Sie fördern 39 Prozent der Gesamtproduktion, bieten 15 Prozent der Arbeitsplätze und zahlen 52 Prozent der Steuern des Sektors. Zu den wichtigsten Mineralien des Bergbausektors gehören Antimon, Blei, Gold, Kupfer, Silber, Zinn, Zink, Wolfram, Wismut und neuerdings auch Lithium. Die
23 Zinnproduktion ist allerdings in den letzten Jahren rückläufig. Dafür haben neue Rohstoffe wie das Erdöl an Bedeutung gewonnen. Seit 1955 entwickelt sich Bolivien zu einem Exporteur von Erdöl. Die erdölfördernden Zonen liegen größtenteils in den Departements von Cochabamba, Santa Cruz, Tarija und Sucre und werden von der staatlichen Erdölgesellschaft YPFB (Yacimientos Petrolíferos Fiscales Bolivianos) gefördert. Die Produktion von Erdgas hat die stärkste Expansion erfahren, so daß heute die Erdgasgewinnung von größerer Wichtigkeit als der Bergbau ist. In den Jahren demokratischer Verhältnisse war Bolivien mit all den Problemen konfrontiert, die die Diktaturen hinterlassen hatten. Beispielsweise gab es eine "DeDollarisierung", d.h., ein Verbot der Devisenbeschaffung (Verbot aller Dollargeschäfte und Einführung eines festen Wechselkurses), welches einen DollarSchwarzmarkt zu Folge hatte und die galoppierende Inflation anheizte. Die Inflationsrate stieg 1985 auf 8.200 Prozent jährlich (Machicado Saravia 1990, 124), zur Bekämpfung der Inflation kappte Paz Estenssoro sechs Nullen an der Währung und ersetzte den schwachen Peso durch den Boliviano. Entscheidend für die wirtschaftliche Entwicklung Boliviens bleibt jedoch die Kokainökonomie. Ohne den Devisenzufluß durch den illegalen Drogenexport und den Beitrag der Kokainwirtschaft zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) und zur Beschäftigung würde die erreichte Stabilität zusammenbrechen. Bolivien produziert zwischen einem Drittel und der Hälfte des Weltverbrauchs an Kokain. Der Wert seiner Exporte im Drogenhandel wird auf 2,3 bis 4 Milliarden US-Dollar jährlich geschätzt (Krempin 1990, 23). In Bolivien werden Kokablätter seit Jahrhunderten konsumiert. Sie bieten neben ihrer kulturellen Bedeutung eine Überlebenshilfe bei fehlender Nahrung und harter Arbeit. Deshalb ist es wichtig, zwischen diesem traditionellen Gebrauch und dem zusätzlichen Anbau von Kokapflanzen zur Befriedigung der ausländischen Nachfrage zu unterscheiden (Heins 1992). In Bolivien ist die Bevölkerung vornehmlich im landwirtschaftlichen Bereich tätig. Im Jahr 1993 waren 49 Prozent aller Erwerbstätigen in der Landwirtschaft und in der Viehzucht beschäftigt, wodurch die Landwirtschaft mit 20 Prozent am BIP beteiligt war. Das landwirtschaftliche Angebot Boliviens erwächst zu 85 Prozent aus der lokalen Produktion. Dieser Umstand weist das Land als Selbstversorger in einem Großteil der Nahrungsmittel aus, jedoch sah man sich durch das niedrige Produktionsniveau gezwungen, Agrarprodukte wie Reis und Weizen einzuführen (Moreno Muñoz 1990, 26). Auf dem hochgelegenen Altiplano werden verschiedene Sorten Kartoffeln, Mais, Gerste, Weizen, Bohnen, Quinua angebaut, daneben - je nach Klimazone - Gemüse, Bananen und Zitrusfrüchte. Aufgrund der extremen Witterungsverhältnisse, der längst überholten Anbaumethoden, der Bodenerosion und der geringen Verkehrserschließung ist es bisher nicht möglich, die landwirtschaftliche Produktion zu steigern. Im östlichen Tiefland um Santa Cruz konzentrieren sich die modernen Großbetriebe auf den exportorientierten Anbau von Produkten wie Zuckerrohr, Soja, Reis, Mais, Kaffee, Bananen, Baumwolle, Kokablätter, Tee, sowie auf intensive Viehzucht (vor allem Rinder und Schweine). Im Hochland und in den Tälern werden vorzugsweise Schafe, Schweine und Rinder gehalten. Über die Hälfte des Landes ist bewaldet, die Wälder sind reich an Edelhölzern. Im Dschungel werden Kautschuk, Kastanie und Chinarinde gewonnen. Der Forstwirtschaftssektor ist mit weniger als einem Prozent am BIP beteiligt. Um der Boden-
24 erosión entgegenzuwirken, wurden in La Paz und Cochabamba zahlreiche Eukalyptusbäume angepflanzt. Zu den wichtigsten Industriezweigen gehören in Bolivien neben dem Bergbau die Nahrungsmittelindustrie, Textil- und Bekleidungsindustrie sowie die Getränke- und Tabakindustrie. Zementfabriken, Zuckerfabriken, Petrochemie und seit Anfang der siebziger Jahre die Hüttenindustrie, wie z. B. die Zinnhütte in Vinto und die BleiSilberhütte in Karachipampa, gehören ebenso dazu (Lieser 1982). Der überwiegende Teil der Produktion, z. B. im verarbeitenden Gewerbe, wird von handwerklichen Klein- und Mittelbetrieben erwirtschaftet. Im Jahr 1992 trug die Industrie 13,7 Prozent zum BIP bei und beschäftigte 10 Prozent der Erwerbstätigen. Die Industrie in Bolivien ist stark importabhängig. Der bolivianische Dienstleistungssektor hatte im Jahr 1990 einen Anteil von 17,6 Prozent an der Gesamtproduktion der bolivianischen Wirtschaft. Im Verlauf der letzten zehn Jahre lag der durchschnittliche Anteil des Dienstleistungssektors am BIP jedoch bei 33 Prozent. Im Jahr 1991 gab es in Bolivien ungefähr 157 Dienstleistungsbetriebe mit rund 50.000 Angestellten. Neben diesen Betrieben, unter denen vor allem die Verkehrs- und Handelsfirmen und die Banken eine herausragende Stellung einnehmen, werden als im Handels- und Dienstleistungssektor Erwerbstätige auch die Straßenhändler, Schuhputzer, Autowäscher, Träger und Zeitungsverkäufer sowie die Hausangestellten genannt, obwohl diese nur einen Bruchteil des Gesamtverdienstes erzielen. Nach den Wahlen 1993 sahen sich die staatlichen Ämter gezwungen, ihren Personalbestand zu reduzieren. Dieser Umstand, der unter dem Namen "das weiße Massaker" (la masacre blanca) bekanntgeworden ist, zog eine Reihe von Streiks gegen die Regierung von Sánchez de Lozada nach sich. Die Außenwirtschaft Boliviens hat in den letzten Jahren sehr an Bedeutung verloren, vor allem, da die Weltmarktpreise für seine Hauptexportprodukte Erdgas und Metall instabil und in ihrer Grundtendenz fallend waren. Als Konsequenz der Preisstürze von Zinn schlössen 220 Zinnminen und 35.000 Minenarbeiter verloren ihren Arbeitsplatz. Die jährlichen Zinn-Exporte brachten dem Land bislang Einnahmen von 100 Millionen US-Dollar. Dadurch wurden Arbeitsplätze für 40.000 Familien geschaffen. Der Bergbau (Beitrag zum BIP 8%) und der Erdöl- und Erdgassektor (6%) verzeichneten 1992 kein Wachstum. Da sich gleichzeitig der Warenimport erhöhte, entstand 1991 ein Handelsbilanzdefizit. Trotz all dieser Schwierigkeiten befindet sich die bolivianische Wirtschaft auf dem Weg des Wachstums. 1993 belief sich die Steigerung des BIPs gegenüber 1992 auf 3,2 Prozent. Im Gesamtjahr 1993 betrug das wirtschaftliche Wachstum 4 Prozent. Die Inflation lag gegen Ende des Jahres 1992 bei rund 11 Prozent. 1993 belief sich die Inflationsrate nur noch auf knapp 10 Prozent; das war seit 1985 der niedrigste Wert, auch im Vergleich zu anderen lateinamerikanischen Ländern. Die Auslandsverschuldung Boliviens, die 1987 mit 5 Milliarden US-Dollar ihren Höchststand erreicht hatte und in den folgenden Jahren u. a. durch Rückkäufe von Verbindlichkeiten gegenüber den internationalen Gläubigerbanken (vor allem 1988) und ein Schulden-Clearing mit Argentinien (1989) reduziert werden konnte, hat sich durch einen Schuldenerlaß der USA über 0,4 Milliarden US-Dollar bis Ende 1991 auf 4,1 Milliarden US-Dollar verringert.
25 1.5.
Bevölkerung und Sozialstruktur
Bolivien hat einen der höchsten Anteile an ursprünglich indianischer Bevölkerung in ganz Lateinamerika: 6 5 Prozent der Bolivianer sind indianischer Abstammung. Der übrige Teil der Bevölkerung setzt sich zusammen aus 3 0 Prozent Mestizen und fünf Prozent Weißen unterschiedlicher Herkunft. Letztere besitzen als kleine Minderheit aber nahezu die gesamte wirtschaftliche und politische Macht. Unter den Indianern sind die zahlenmäßig größten Gruppen die der Quechua ( 3 5 % ) , der Aymara ( 2 5 % ) und der Stamm der Guaraní ( 2 , 5 % ) . Die übrigen 2,5 Prozent setzen sich aus anderen ethnischen Gruppen wie den Chiquitanos und Yuracaré zusammen, welche eine eigene Sprache besitzen. Die offizielle Landessprache ist Spanisch, welche von mehr als 8 0 Prozent der Gesamtbevölkerung, d. h. von etwa 4 , 6 Millionen, gesprochen wird. Quechua sprechen rund 1,8 Millionen, Aymara 1,3 Millionen und Guaraní 5 0 . 0 0 0 der Einwohner Boliviens. Quechua besitzt die größte Verbreitung in Potosí, Cochabamba und Chuquisaca (Sucre), während das Aymara in L a Paz und Oruro vorherrschend ist. Fremdsprachen werden von drei Prozent der Bevölkerung gesprochen. Die kleineren Tieflandvölker besitzen eigene Sprachen bzw. Dialekte wie z. B . Sirionó. Nach einer Klassifizierung des Instituts für Linguistik gibt es in Bolivien ca. 5 0 Dialekte. Über 9 5 Prozent der Bevölkerung in Bolivien sind katholisch. Nach Artikel 3 der Verfassung kann jedoch jede andere Religion frei ausgeübt werden. So gibt es im Lande 5 0 . 0 0 0 Protestanten und Andersgläubige, darunter deutsche Mennoniten und 5 . 0 0 0 Juden. Dem Resultat der Volkszählung vom 3. Juni 1992 zufolge hat Bolivien 6 . 4 2 0 . 7 9 2 Einwohner. Bolivien ist eines der am dünnsten besiedelten Länder Lateinamerikas. Es ergibt sich eine Bevölkerungsdichte von 5,84 Einwohnern pro Quadratkilometer. Im Zeitraum zwischen den beiden Volkszählungen von 1976 und 1992 betrug das durchschnittliche jährliche Bevölkerungswachstum 2,11 Prozent. Im gleichen Zeitraum betrug das Bevölkerungswachstum im städtischen Umfeld 4 , 1 6 Prozent jährlich, sehr viel höher als in den ländlichen Gegenden ( 0 , 0 9 % jährlich), was darauf hindeutet, daß die Mehrheit der Einwohner sich in den Städten konzentriert. Ein weiteres typisches Merkmal der bolivianischen Bevölkerung stellt die hohe Geburtenrate, die höchste in ganz Lateinamerika, dar. Die Geburtenrate zwischen 1985 und 1990 entsprach 4 3 j e 1000 Einwohner. Nach der Volkszählung von 1992 lag der nationale Durchschnitt bei fünf Kindern pro Frau, während er kontinental bei 3,4 liegt (Montes de Oca 1989). Dem steht in Bolivien eine Sterbeziffer von 7 5 pro Tausend gegenüber. Die durchschnittliche Lebenserwartung liegt verhältnismäßig niedrig und wird mit 5 7 Jahren bei Männern und 61 Jahren bei Frauen ( 1 9 9 2 ) angegeben; noch weit niedriger ist die Lebenserwartung der bolivianischen Bergarbeiter, die etwa 35 Jahre beträgt. Bei der Zusammensetzung der Bevölkerung nach Altersgruppen ist Bolivien durch einen hohen Anteil junger Menschen gekennzeichnet. Bevölkerungsstatistiken von Mitte 1992 zeigen, daß der Anteil der Kinder und Jugendlichen unter 15 Jahre bei 4 2 Prozent liegt. Die Altersgruppe der über 65-jährigen macht nur drei Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Das Durchschnittsalter, auf das ganze Land bezogen, liegt bei 2 4 Jahren, wobei etwa die Hälfte der Bevölkerung 19 Jahre oder jünger ist.
26 Der Anteil der städtischen Bevölkerung liegt bei 60 Prozent. Rund vier Fünftel der ländlichen Bevölkerung leben im Hochland und in den höhergelegenen Andentälern auf 40 Prozent der Landesfläche. In den tiefer gelegenen Gebieten der Yungas und der Llanos leben auf 60 Prozent des Landes nur ca. 20 Prozent der Bevölkerung. 1992 wurde die höchste Bevölkerungsdichte in den Departements Cochabamba und La Paz mit 19,96 bzw. 14,59 Einwohner pro Quadratkilometer gezählt. Die drei wichtigsten und größten Städte nach der Einwohnerzahl sind La Paz und seine Randgebiete, die in die Stadt El Alto mit 1.883.122 Einwohnern umgewandelt wurden, Santa Cruz mit 1.351.191 Einwohnern und Cochabamba mit 1.093.625 Einwohnern. Diese drei Departements umfassen 51 Prozent des Staatsgebietes, bringen 75 Prozent der staatlichen Produktion hervor und vereinigen 68 Prozent der Bevölkerung. Die konstante und beschleunigte Migration vom Land in die Stadt hat problematische Formen angenommen, in besonderer Weise für die schon in den Städten lebenden Bolivianer. Als Folge dieser Migration haben sich riesige Agglomerationen herausgebildet, während der Rest des Landes zum großen Teil völlig entvölkert ist. 48 Prozent der Gesamtbevölkerung sind in Bolivien erwerbstätig. Den Daten der Volkszählung zufolge, gibt es in Bolivien mehr Personen (48,3%), die auf "eigene Rechnung" (cuenta propia) arbeiten. Die Lohnarbeiter machen 39,4 Prozent der Bevölkerung aus. Der Prozentsatz der "häuslichen Arbeiter", d. h. derjenigen, die keinen festen Lohn haben, liegt bei 9 Prozent, der von Arbeitgebern und Angestellten bei 1,6 Prozent, die Anzahl der Mitglieder von Kooperativen erreicht ein Prozent, der Prozentanteil der Selbständigen liegt bei 0,3 Prozent. Die Zahl der Personen, die mehr als einer Beschäftigung nachgehen, liegt bei 400.000, d. h. daß 16 Prozent der Erwerbstätigen mehr als ein Einkommen haben. 1992 hat sich die Zahl der Arbeitslosen durch den Produktionsrückgang in der Landwirtschaft und im Minensektor weiter vergrößert. Heftige Kritik gab es am Nationalen Institut für Statistik, weil die offiziellen Angaben über die Höhe der Arbeitslosigkeit (6% im Jahr 1993) angezweifelt wurden. Die meisten Arbeitslosen, insbesondere die im ländlichen Bereich, werden nicht erfaßt, und ein großer Teil der in den Statistiken der Erwerbspersonen aufgeführten Menschen muß in Wirklichkeit als unterbeschäftigt eingestuft werden. Zur kosmetischen Korrektur der Statistiken weist das Institut Gelegenheitsarbeiter als Vollzeitbeschäftigte aus. Das niedrige Ausbildungsniveau der bolivianischen Bevölkerung schlägt sich auch auf dem Arbeitsmarkt nieder. 165.000 Kinder zwischen 7 und 14 Jahren werden für leichtere Arbeiten wie Viehhüten, Holzsammeln und landwirtschaftliche Tätigkeiten herangezogen, obwohl Kinderarbeit offiziell verboten ist. Dies führt häufig dazu, daß ein Schulbesuch nicht möglich ist. Annähernd 60 Prozent der bolivianischen Bevölkerung sind im schulpflichtigen Alter (5-19 Jahre). Vier Fünftel besuchen in den Städten staatliche Schulen und ein Fünftel Privatschulen. In ländlichen Gebieten gibt es ausschließlich staatliche Schulen. Zwischen den staatlichen Schulen und den privaten Schulen existieren große Unterschiede bezüglich der Ausstattung mit Lehr- und Lernmaterial und der Versorgung mit Lehrern; darüber hinaus sind die privaten Schulen in der Regel nur Kindern der Oberschicht zugänglich. Die Quote der Analphabeten erreicht immer noch fast 20 Prozent, d. h. es findet sich im Durchschnitt ein Analphabet (älter als 15 Jahre) unter fünf Einwohnern.
27
2.
Rechtliche Grundlagen der Massenmedien
Die bolivianische Gesetzgebung ist im Hinblick auf die Massenmedien ziemlich unsystematisch. 1985 gab es in Bolivien ca. 334 Leyes (Gesetze), Decretos Supremos (oberste Rechtsverordnungen) und Decretos Leyes (Gesetzesverordnungen) sowie ca. 193 Resoluciones Supremas (Rechtsentscheidungen), die die Medien betreffen (Larrazábal u. a. 1987). Die Gesetze werden vom Nationalkongreß verabschiedet. Die Rechtsverordnungen werden von der Exekutive erlassen. Die Gesetzesverordnungen sind Zusatzbestimmungen des Nationalkongresses und der Regierung. Die Rechtsentscheidungen sind Anordnungen des Präsidenten und seiner Minister. Bereits in der von Simón Bolívar abgefaßten, ersten Verfassung der Republik Bolivien war die Gewährung der Presse- und Meinungsfreiheit festgeschrieben. Der Artikel 150 der Verfassung von 1826 garantierte jedem Bürger die Freiheit, seine Meinung in Wort oder Schrift auszudrücken und sie in der Presse, ohne vorherige Zensur, zu veröffentlichen. Seit jenem ersten Mandat gewährleisteten die Estatutos Políticos das Recht auf freie Äußerung von Gedanken, unabhängig davon, ob Druckwerke namentlich unterzeichnet wurden oder nicht. Auszunehmen sind davon zwei Artikel, der Artikel 7 (1861) und der Artikel 8 (1868), erlassen von den Präsidenten Achá und Melgarejo. Beide Staatsmänner bestanden auf der Unterzeichnung von Druckwerken durch ihre Autoren (Salamanca Lafuente 1981). Die genannten Statuten, d. h. Rechtsbestimmungen, die die Arbeitsweise der Massenmedien regeln sollten, wurden auf der Grundlage der Verfassung geschaffen. Das Verbot der Monopolbildung von Großkonzernen oder Privatpersonen in den Massenmedien besitzt immer noch Gültigkeit und ist bis heute in folgender Verfassungsvorschrift niedergelegt: Nicht erlaubt ist die private Anhäufung von ökonomischer Macht in solchem Grade, daß die wirtschaftliche Unabhängigkeit des Staates gefährdet ist. Private Monopole werden in keinerlei Form anerkannt. Die Zulassung öffentlicher Programmdienste, in dem Fall, daß sie ausnahmsweise vergeben werden, können nicht länger als für einen Zeitraum von vierzig Jahren verliehen werden (Artikel 134 der Constitución Política del Estado). Die zuletzt 1967 erlassene Verfassung wurde 1994 in einigen Teilen reformiert und ist seit dem 12. August des Jahres in Kraft. In Artikel 7 dieser Verfassung ist unter den Grundrechten auch festgeschrieben, daß jede Person "ihre Ideen und Meinungen durch jedwedes Verbreitungsmittel frei äußern" darf, und zwar in Übereinstimmung mit dem Druckgesetz vom 19. 1. 1925 und dem Gesetz über Pressefreiheit vom 2. 4. 1973. Dieser Artikel stand zeitweise in jähem Kontrast zur Realität, besonders in der Zeit der Militärdiktaturen, als versucht wurde, diese Freiheit mit allen Mittel zu unterbinden. In der Ära der Diktaturen wurden als Folge der massiven Medienzensur die Rechte der Massenmedien kaum respektiert. Heute ist man in Bolivien vor allem auf die Schaffung einer umfassenden und angemessenen Gesetzgebung bedacht, in
28 der sowohl die Rechte der Medien als auch deren Rolle in einer demokratischen Gesellschaft beachtet werden. Der Artikel 15 der Verfassung schützt die Presse-, Meinungs- und Veröffentlichungsfreiheit, indem er Bürgern, die diese behindern, Geldstrafen androht. Besagter Artikel verfügt, daß Amtspersonen, die an der Schließung von Druckereien oder an dem Verbot anderer Medien beteiligt sind, zur Zahlung von Schadenersatz verpflichtet sind. Der Artikel 20 billigt die Überwachung von Privatkorrespondenz und jeglicher Art von Veröffentlichung im Falle eines internationalen Krieges. Der zweite Teil verbietet das Abhören bzw. Abfangen von privaten Mitteilungen und schreibt folgendes vor: Weder die öffentliche Gewalt noch Einzelpersonen oder Organisationen dürfen private Unterhaltungen bzw. Mitteilungen durch ein Medium (z. B. Radio), welches sie kontrolliert bzw. zentralisiert, unterbrechen. Der Artikel 43 besitzt besondere Bedeutung im Bereich der Massenmedien, da er öffentlichen Amtsträgern die Aufgabe als servidores exclusivos (Exklusivbedienstete) der Bevölkerung überträgt: Auf die gleichen Amtsträger bezieht sich auch der Artikel 28 des Druckgesetzes. Er besagt, daß diejenigen, die wegen oder während der Ausübung ihrer amtlichen Funktion von der Presse oder Einzelpersonen zum Zweikampf gereizt, bedroht, beleidigt oder auf andere Weise in ihrer Würde oder Achtung verletzt werden, das Recht haben, beim Bezirksrichter eine Klage einzureichen. Diese Handlungen werden als Pressedelikte verstanden. Das Druckgesetz von 1925 bezog sich ausdrücklich auf die Pressefreiheit, die ein Teil der durch die politische Staatsverfassung zugesicherten Meinungsfreiheit ist. § 1 des Druckgesetzes lautet: Jeder Mensch besitzt das Recht, seine Artikel unzensiert zu veröffentlichen. Die Namen der Verfasser und der Direktoren verschiedener Medien dürfen nicht anonym bleiben. Das literarische Eigentum, sowie die Geheimhaltung von Druckangelegenheiten müssen respektiert werden. Der erste Entwurf zu einem Druckgesetz wurde der Convención (1826) von Casimiro Olañeta präsentiert; darin wurde die Pressefreiheit nach ausländischem Modell proklamiert. Dieses Gesetz ist vergleichbar mit dem, welches im Juli 1776 im amerikanischen Bundesstaat Virginia erlassen worden war. Das Gesetz von 1826 wurde in den Jahren 1840, 1843 und 1848 abgeändert. Alle diese Rechtsbestimmungen zielten auf die Tatbestände der Beleidigung und Verleumdung in der Presse ab und sollten den in jener Zeit üblichen Hang der Presse zu Pamphleten bremsen. Das erste Gesetz, welches die wichtigsten Grundlagen des Pressewesens in Bolivien festlegte, wurde 1861 verabschiedet und bevollmächtigte die Exekutive, den Druck zur reglementieren. Der ständige Kampf zwischen Liberalen und Republikanern am Anfang des 20. Jahrhundert schlug sich in der Presse in einer gewalttätigen Sprache nieder. Das folgende Gesetz von 1918 hatte die Absicht, dieser Verbalgewalt ein Ende zu setzen, indem die Vergehen mittels des Strafgesetzbuches (Código
29 Penal) geahndet und die Urheber durch die zuständigen Richter bestraft werden sollten. Das Regime der Republikaner, welches das der Liberalen ersetzte, brachte 1920 eine neue Gesetzesverordnung mit sich, die das Gesetz von 1918 abänderte. Dieses Gesetz wurde mit Hilfe der Gesetzes Verordnung von 1925 mit dem Titel Ley de Imprenta bekräftigt und verbessert. Die bolivianische Verfassung von 1861 hatte die anonymen Veröffentlichungen dadurch zu bekämpfen versucht, daß Autoren gezwungen wurden, ihre Druckwerke namentlich zu zeichnen. Das von Franz Tamayo geplante Gesetz von 1944 verfolgte die gleiche Absicht. Tamayo, der 1917 die Federación de Periodistas Independientes organisiert hatte, gelang es, die Zustimmung des Kongresses für einen Gesetzesentwurf zu erhalten, der die Anonymität in der Presse verbot. Dadurch wurde erreicht, daß alle Druckwerke, auch die humoristischer Natur, nur mit der Nennung ihrer Urheber erscheinen konnten (Torneo Villanueva 1991). Der Artikel 3 des Tamayo-Gesetzes lautet: Die Unterschrift des Autors muß notwendigerweise am Ende des Schriftstücks erscheinen, die Verantwortung trägt der Direktor, wenn es sich um eine Zeitung handelt, oder der Herausgeber, wenn es sich um eine andere Art von Veröffentlichung handelt. Der Artikel 5 bezieht sich auf die Rundfunksendungen: Bei Radioberichten oder Informationen ist es obligatorisch, deren Herkunft zu benennen. In der Pressegesetzgebung ist das Gesetz Tamayos zwar immer noch in Geltung, aber es wird heute nicht mehr angewandt. Präsident Hugo Banzer erließ 1972 durch das Decreto Supremo 10246 das Estatuto de Profesionalización del Periodista. Dadurch wurden die nötigen Voraussetzungen für die Anerkennung als Journalist festgelegt. Denn zahlreiche Journalisten haben keine Ausbildung im eigentlichen Sinn; darüber hinaus sind unter ihnen viele Anwälte oder Angehörige anderer Berufsgruppen. 1974 wurden unter dem diktatorischen Regime von Banzer 212 Diplome, die die Professionalität des Journalisten bestätigen sollten, vergeben. Später wurde von der konstitutionellen Übergangspräsidentin Lidia Gueiler das Gesetz 494 erlassen, welches den professionellen Status aller diplomierten Journalisten anerkannte. Das Gesetz 494 legte im Artikel 2 fest, daß Personen, die mehr als zehn Jahre als Journalist gearbeitet hatten, einen Berufstitel nach Alter und Fähigkeit erhalten können. Im Mai 1984 gab Präsident Hernán Siles Zuazo dem journalistischen Berufsstatut Boliviens durch das Dekret 20225 Rechtsgültigkeit, wobei die berufliche Qualität des graduierten Journalisten bestätigt und das Recht des Journalisten auf freie Meinungsäußerung festgeschrieben wurde. Dieses Statut beschrieb die journalistischen Berufspflichten genauer, wie z. B. den Gebrauch einer angemessenen Sprache und die nicht verfälschte, in jedem Fall ehrenhafte Wiedergabe der Nachrichten; andernfalls kann der Journalist von seinem Arbeitgeber entlassen werden (Torrico Villanueva 1991).
30 Der Artikel 27 des Statuts fügt hinzu, daß kein Medium sozialer Kommunikation, sei es Wochenblatt, Tagesoder Wochenzeitung, Zeitschrift, Radiosender, Fernsehkanäle und Korrespondenten nationaler sowie internationaler Presseagenturen, seinen journalistischen Pflichten nachkommen kann mit einem Personal, das nicht im Besitz eines Berufsdiploms ist und das nicht im nationalen Register der Journalisten eingetragen ist. Die Journalisten, welche den Einheitsausweis (carnet único) besitzen, können die Titel ihres Berufsstandes, verliehen von der Federación de Trabajadores de la Prensa de Bolivia und der Asociación de Periodistas (Artikel 38) erhalten. La Federación de Trabajadores de la Prensa de Bolivia wurde 1963 zum Zweck der Organisation aller Journalisten des Landes gegründet, um deren sozio-ökonomische Interessen zu vertreten (Viscarra Pando 1977). Dieser Zusammenschluß darf nicht mit dem Sindicato de Trabajadores de la Prensa de La Paz verwechselt werden, einer Gewerkschaft, die im März 1954 ins Leben gerufen wurde und die aus den elitären und pseudoakademischen Vorstellungen freiberuflicher Journalisten entstand.
3.
Presse
3.1.
Presserecht
Die Rechtsbestimmung, deren Ziel und Aufgabe es ist, die Pressefreiheit in Bolivien zu schützen, ist die Ley de Imprenta. Dieses Gesetz wurde schon 1826 erlassen und bis 1925 mehrmals modifiziert. Heutzutage besitzt die Fassung von 1925 immer noch Rechtskraft. Das Gesetz besteht aus 71 Artikeln. In § 1 wird das Publikationsrecht ohne Vorzensur gewährleistet. Das Gesetz nennt in Artikel 2 die verantwortlichen Personen bei Pressedelikten. Die Artikel 3 und 4 unterstreichen, daß die Zeitungen oder Zeitschriften, welche die Namen des Herausgebers oder Direktors bzw. Besitzers nicht bekannt machen, als illegale Veröffentlichungen (publicaciones clandestinas) eingeschätzt werden (Otero Lugones 1988). Die Artikel 7 bis 13 beziehen sich auf die Pressedelikte. Unter Pressedelikten werden Vergehen gegen die politische Staatsverfassung, gegen die Ehre, das Eigentum, das öffentliche Vertrauen und die öffentliche Ordnung verstanden. Die Pressedelikte werden auf der Basis des Strafgesetzbuches (Código Penal) definiert und geahndet. Folgende Beispiele sollen zeigen, welche Personen für Pressedelikte verantwortlich gemacht werden können: - Der Herausgeber, der Geheimnisse einer politischen Autorität oder einer Privatperson aufdeckt (Artikel 9). - Derjenige, der gegen die Verfassung schreibt mit dem Ziel, diese zu zerstören, Verwirrung zu stiften oder zu Straftaten anzuleiten (Artikel 10). - Die Journalisten, die sich der Verleumdung oder Beleidigung öffentlicher Amtsträger schuldig machen (Artikel 28). Die Vergehen werden in der Regel mit Haft- oder Geldstrafen geahndet (Artikel 16).
31 Die Verantwortlichen der bolivianischen Massenmedien sehen heute die Notwendigkeit, die rechtlichen Grundlagen des Gesetzes von 1925 den aktuellen Gegebenheiten anzupassen und dabei das Recht auf Meinungsfreiheit in einer demokratischen Gesellschaft weiter zu schützen und abzusichern. Einen Fortschritt hinsichtlich der Meinungsfreiheit brachte ein 1970 von der Regierung des Generals Ovando erlassenes Dekret. Die wichtigsten Elemente dieses Dekrets waren (Mendoza 1973): - Den Journalisten wird gestattet, ihre Meinung in Form von Leitartikeln zu äußern (Artikel 4). - Den Journalisten wird ein freier Tag (Sonntag) gewährt. - Journalisten wird die Freiheit gewährt, ihre eigene Presse, wie z. B. eine Wochenzeitung (Semanario sindical) der Federación de Trabajadores de la Prensa, herauszugeben (Artikel 2). - Der Artikel 3 des Dekrets verbietet den Unternehmen, Journalisten nur aufgrund der Verbreitung ihrer persönlichen Meinung mit Entlassung zu drohen. Der Artikel 4 war für die bolivianischen Journalisten von großer Bedeutung, da ihnen zum ersten Mal in der Geschichte die Möglichkeit zugesichert wird, unbehelligt ihre eigene Überzeugung bekannt zu machen und zu verbreiten. Die Sociedad Interamericana de Prensa (SIP), die Vereinigung der Presseverleger, war damit nicht einverstanden und wies darauf hin, daß dadurch "die Unternehmer die Kontrolle über die von ihnen Abhängigen verlieren".
3.2.
Geschichte
Katholische Mönche, insbesondere die Jesuiten-Missionare, waren die ersten, die in Bolivien Druckwerke herstellten. Die ältesten, von Alto Perú stammenden Druckereien, waren die der Jesuitenschulen von Chuquisaca und La Paz, von denen viele Andachtsbücher herausgebracht wurden. Diese Druckereien waren kirchlicherseits abhängig vom Bischofssitz in La Paz und im juristischen und administrativen Teil vom Landesgericht in Charcas. In einer jener Druckereien wurde 1612 auch von Pater Ludovico Bertonio das berühmte Diccionario de la Lengua Aymara (Wörterbuch der Aymara-Sprache) herausgegeben (Colque Flores 1989). Das handschriftliche Manuskript war in Bolivien der Vorläufer des gedruckten Journalismus. Das, was in Mexiko als corrido bekannt war, nannte man in Chuquisaca libelo und in La Paz und in Buenos Aires pasquín (Schmähschrift). Der sogenannte pasquín (die handgemachte Zeitung) wurde zuerst in den Kolonialgebieten von Alto Perú im Jahre 1780 bekannt, einige Zeit vor dem Aufstand des Túpac Amaru. Von diesen handgeschriebenen Veröffentlichungen machte die Bevölkerung schon vor der Unabhängigkeit von der spanischen Krone Gebrauch. Sie waren zeitungsähnlich, allein wegen ihres noch nicht kontinuierlichen Erscheinens kann man sie nicht als Periodika bezeichnen (Montenegro 1990). In dieser Zeit trat ein einfacher Journalismus zutage, vor allem in den pasquines, die an die Wände der Kirchen und Gebäude geklebt wurden. Sie waren hauptsächlich in lateinischer Sprache verfaßt und erreichten somit lediglich die "kultivierte und gelehrte Klasse" (clase culta). Der Rest des Volkes mußte sich um irgendeine des Lesens kundige Person scharen, um den Inhalt der pasquines zu erfahren.
32 Unter der Herrschaft des Consejo de Indias (Indienrates) verfügten die Leute weder über die legalen noch die materiellen Mittel, um ihre Vorstellungen bekanntzumachen. Das berühmte Manifiesto de Agravios ("Manifest der Beleidigungen") des Juan Belez de Córdoba wird für eines der bemerkenswertesten Dokumente im Umfeld der spanischen Kolonien gehalten, da sein revolutionärer Inhalt die ersten Äußerungen des bolivianischen Journalismus inspirierte. Dieses Manifest war 1739 in Oruro im Umlauf und forderte die Wiedereinsetzung der Inka-Monarchie. In dieser Stadt gab es um 1813 eine erste Handpresse aus englischer Fabrikation. Wie der Schriftsteller Marcos Beltrán Avila betont, gehörte diese Presse Fermín López, dem Besitzer der Tageszeitung El Industrial. Doch als älteste bolivianische Publikation gilt inzwischen die Bekanntmachung des Verwaltungsgouverneurs von La Paz, Domingo Tristan, veröffentlicht am 21. März 1812. Die erste hochperuanische Zeitung erschien am 30. Oktober 1823 in Cochabamba und hieß El Telégrafo. Behauptet wird, daß diese Zeitung schon im Jahr 1811 als Boletín oficial de los sucesos de la campaña erschienen sei. Dieses, aus der damals in Alto Perú einzigen Druckerei stammende Druckwerk, gestand die manipulative Macht der Presse ein und formulierte zugleich ein erstes ethisches Profil des Journalismus. El Telégrafo lud die Öffentlichkeit ein, keine anonymen Briefe an die Redaktion zu senden, "um die Mißbräuche mit Hilfe der Prinzipien des Verstandes und der Justiz zu attackieren". Im Dezember 1823 wurde erstmalig El Republicano herausgegeben. Diese Wochenzeitung erschien unter dem Motto "Unabhängigkeit, Ordnung und Freiheit" bis zu ihrer Einstellung im Juni 1825 mit 25 Ausgaben, die meist über 16 Seiten umfaßten (Ocampo Moscoso 1978). Pedro Domingo Murillo, Held der Revolution vom Juli 1809 in La Paz, wird als der Initiator des bolivianischen Journalismus angesehen, weil er der einzige war, der das Schweigen der Sklaverei während der Kolonialherrschaft brach. Dieser papelista war der "Drahtzieher" der pasquines, die anonym in der Öffentlichkeit plaziert wurden und die die Stimme des Protests der Einwohner von La Paz gegen ihre Unterdrücker erhoben. Schon bei seiner Entstehung hatte der bolivianische Journalismus einen politischen Charakter. Auf der einen Seite war er das Sprachrohr der Unabhängigkeitsbewegung, die in der Gründung der Republik Bolivars (1825) gipfelte; auf der anderen diente er in seinen Anfängen als Konsolidierungsinstrument der aufstrebenden Nation. Später war der bolivianische Journalismus Wortführer der jeweils machthabenden Regierung und politischer Machtgruppen, welchen es mit Hilfe der Presse gelang, ihre Handlungen und Doktrinen bekanntzumachen. In den ersten Jahren der Republik konzentrierte sich die aufstrebende Presse in Bolivien vor allem auf La Paz und Chuquisaca, weil dies die ersten zwei Departements waren, welche die für den Druck erforderlichen Voraussetzungen besaßen (Salas 1925). Die erste gedruckte bolivianische Zeitung erschien im Februar 1825 in La Paz, nach der Schlacht von Ayacucho. El Chuquisaqueño war voll von liberalen und patriotischen Vorstellungen, inspiriert von Casimiro Olañeta, der Mitglied im Gefolge des Marschalls Sucre war (Gutiérrez 1975). Im Oktober desselben Jahres wurde die Gaceta de Chuquisaca ins Leben gerufen, eher Kommentatorin von Neuigkeiten als Übermittlerin von Nachrichten. Dieser Gaceta gelang es, in neun Ausgaben zu erscheinen. Sie war das letzte öffentliche Blatt vor der Proklamation der Republik. Die Gaceta verschwand noch im gleichen Jahr, bedingt durch das nachlassende Interesse ihrer Leser.
33 Die erste offiziöse Zeitung, El Cóndor de Bolivia, wurde am 12. November 1825 gegründet. Diese Wochenzeitung nahm den Platz der Gaceta de Chuquisaca ein. Nach der Geburt der Republik fand sie auch Verbreitung in Potosí, Oruro, La Paz, Cochabamba und Santa Cruz. Diese Zeitung von hohem politischen, informativen und bürgerlichen Anspruch berichtete über die Aktionen der Regierung und des Parlaments. Sie gab republikanische Überzeugung wieder, säte Patriotismus und führte verschiedene polemische Auseinandersetzungen mit Zeitungen aus Buenos Aires und Lima (Salamanca Lafuente 1975). Die zweite Ausgabe des Cóndor de Bolivia, inspiriert von Präsident Sucre, erschien am 11. Dezember desselben Jahres. Sie erschien fortan unter dem Namen Gaceta de los Jueves. Bis Juni 1828 wurden 134 Ausgaben herausgegeben (Duchen Condarco 1991). Nach dem Aufstand vom 18. April 1828, der die Abdankung des Marschalls Antonio José de Sucre von der Präsidentschaft nach sich zog, entstanden in Bolivien zwei Arten von Zeitungen: El Nacional de Bolivia, der die Putschisten rühmte, und El Eco del Norte, aus La Paz, der diese kritisierte und für Bolívar schrieb. El Nacional de Bolivia, herausgegeben von Casimiro Olañeta, kritisierte in agressiver Form all diejenigen, die nicht mit seinen Vorstellungen übereinstimmten. Er hatte nichts gemeinsam mit dem Cóndor de Bolivia, der im Gegensatz dazu als ehrenhaft und würdig einzustufen ist. Nicht regelmäßig erscheinende Publikationen, die voll von humoristischen Einlagen Politik machten, fand der Leser zur gleichen Zeit in den Zeitungen El Mosquito, El Amigo de la Concordia, El Semanario und La Pajarotada. Während der Regierungszeit des Generals Andrés de Santa Cruz wurde das politische Klima in Bolivien stabiler. Die Zeitungen genossen den Rückhalt der Regierung, die ihnen die Meinungsfreiheit durch die politische Verfassung von 1826 garantierte. Der Journalismus konzentrierte sich in den Zeitungen El Boliviano und El Iris de La Paz (1829), welche auch in Chuquisaca, Oruro und Jahre später in Arequipa, Puno und Lima gedruckt wurden. Im Jahre 1831 wurden eine Reihe von Zeitungen mit patriotischen Tendenzen gegründet. Unter diesen sind besonders hervorzuheben: La Guardia Nacional, El Voto Nacional und El Eco Nacional in Chuquisaca, La Razón und La Lanza Boliviana in La Paz. Alle veröffentlichten Anstiftungen zum Krieg mit Peru, die aber in vorübergehenden Freundschaftsbekundungen endeten. So entstand 1838 El Eco del Protectorado, der die Grundlagen der Konföderation zwischen Peru und Bolivien verteidigte. Im Jahr 1839 erschien die erste Zeitung El Amigo del Pueblo in Oruro. In Cochabamba wurden zur selben Zeit La Hormiga, in Potosí El Adulador, El Potosí und El Potosí Libre herausgegeben, der letzte unter dem Motto "Sole novo, praeclara luce, libertas nascitum orbi" (Ocampo Moscoso 1978). In La Paz wurden im gleichen Jahr El Atalaya de los Andes, El Constitucional, El Correo de Encomiendas, El Illimani und La Razón gedruckt. In der Regierungszeit von General Ballivián gab es ein gewisses Interesse daran, daß die Presse die Aufmerksamkeit der ungebildeten Massen gewann. Der Präsident ließ kostenlos gedruckte Blätter verteilen, so daß auch Handwerker und Bauern in den Besitz von La Gaceta kamen. Dieses war der Beginn einer glänzenden Epoche des bolivianischen Journalismus, der mit der Gründung der Zeitung La Epoca am 1. Mai 1845 zusammenfiel (Salamanca Lafuente 1981). Diese Zeitung aus La Paz besaß eine exponierte Stellung innerhalb der nationalen Tageszeitungen und war
34 zwölf Jahre lang im Umlauf. 1866 erschien sie nach einer Unterbrechung von neun Jahren wieder und verschwand dann für immer 1868 (Quintana Condarco 1988). Die Zeitung La Epoca enthielt kurze Beiträge über Bodenschätze, speziell über den Bergbau und die nationale Industrie. Zugleich öffnete man sich der schöngeistigen, besonders der französischen Literatur. 1848, während der Regierung von Manuel Isidoro Belzu, erhielt die Presse ein revolutionäres Antlitz, dazu bestimmt, das kulturelle Niveau der mestizischen und indigenen Bevölkerung zu erhöhen. Unter Belzu verlor der Journalismus aber an Qualität, die Zeitungen wurden sowohl sprachlich als auch in ihren Absichten anspruchsloser. Publikationen wie El Cholo, El Minero, El Artesano und El Látigo bestanden noch lange Zeit fort. Hervorzuheben aus dieser Zeit ist das Erscheinen von El Pueblo in La Paz. Diese Zeitung wurde wegen ihrer indianerfreundlichen Einstellung sehr bekannt. Die politische Instabilität verschärfte sich in den fünfziger Jahren. Publikationen wie El Revolucionario (1856), La Crisis, La Revolución (beide 1857) wurden in diesen schwierigen Zeiten der ständigen Verschwörungen viel gelesen. Die Revolution wurde zum Normalzustand des Landes. Präsident Linares verfügte mittels eines diktatorischen Dekrets die Kontrolle über alle Artikel, die veröffentlicht wurden, und verbot die Diskussion politischer Themen und Publikationen, die die öffentliche Ruhe störten. Die Presse verlor ihre Bedeutung, da die Zensur jegliche Entwicklung untergrub. Die Meinungsbildung der Journalisten und der Bürger hing während der Diktaturen allein von den Entscheidungen der Machthaber ab. Seit Dezember 1864 wurde Bolivien Schauplatz einer radikalen Spaltung: Einerseits gab es die das Territorium besetzende Armee, andererseits das Urbane, bürgerliche Land, konfrontiert mit zerstörerischen Machtmitteln. Als Konsequenz dieses Zustandes entstanden Verschwörungen und es kam überall zu Kampfhandlungen. Im Jahr 1871 legten die Gesetzgeber die Aufgaben des Journalismus neu fest und verfügten, daß die Verschwiegenheit unverletzlich sei. In Übereinstimmung mit dem Strafgesetzbuch war es schon ein Vergehen, wenn ein Herausgeber eine politische Autorität bloßstellte. Es waren keine leichten Jahre für die Journalisten in Bolivien. La Razón, die Zeitung mit dem höchsten Grad an Liberalität, wurde von Nicolás Acosta 1883 gegründet. Damals erreichte der Journalismus ein hohes kulturelles Niveau. Ein Jahr später, während der Konfrontation der Katholiken mit den Liberalen, kam es zur Bildung von logias masónicas (Freimaurerlogen). Mariano Baptista bolivianischer Präsident von 1892) begann eine Anti-Freimaurer-Kampagne. Verschiedene Presseorgane wurden von den Liberalen bzw. den Freimaurern kontrolliert, obwohl nicht alle Liberalen Freimaurer waren. Wieder andere wurden von katholischen Bürgern geleitet. Um 1886 sprachen sich die Verfechter der Verfassung, die Konservativen und die Jesuiten, gegen die Existenz einer liberalen Partei aus und klagten diese als Sammelbecken von Freidenkern an. Aus den Auseinandersetzungen zwischen Konservativen und Liberalen gingen in der Presse zwei radikale Lager hervor: Die Konservativen hatten Zeitungen wie El Comercio, El Nacional, hingegen die Liberalen El Imparcial, El Liberal und andere. Aufgrund dieser Konfrontationen wurde die Stadt Sucre zur Rivalin von La Paz, was einen Bürgerkrieg zwischen der Regierung, die das Regime verteidigte, und den Liberalen, die eine föderative Organisation anstrebten, heraufbeschwor. Die letzten Jahre am Ende des Jahrhunderts brachten den Sturz der Konservativen und den Aufstieg der Liberalen.
35 Der Journalismus im 19. Jahrhundert zeichnete sich im besonderen durch das rasche Erscheinen und Verschwinden vieler Publikationen aus. Nicht eines der damals geschaffenen Presseorgane hat bis heute überlebt. Es ist wahrscheinlich, daß zwischen 1825 und 1899 rund 250 verschiedene Zeitungen erschienen (Salamanca Lafuente 1981). Allein im Jahr 1862 zum Beispiel wurden 43 Zeitungen herausgegeben. Von diesen erschienen 14 in La Paz, 11 in Sucre, neun in Cochabamba und weitere in anderen bolivianischen Städten. Die bekanntesten der angesprochenen Organe waren: El Ferrocarril aus Potosí (1873), El Pueblo aus Tarija (1875), El Comercio de La Paz (1877-1913), El Heraldo aus Cochabamba (1877), La Estrella de Oriente aus Santa Cruz (1879), La Razón und La Industria aus Sucre (1880), El Eco del Oriente aus Beni (1882), El Diario aus La Paz (1884), La Epoca aus Sucre (1894), El Bien Público aus Trinidad (1894), El Duende aus Sucre (1897 und 1900), Don Quijote aus La Paz (1898), El Periódico aus Potosí (1898-1900) und El Comercio de Bolivia (1899). Zu Beginn des 20. Jahrhunderts füllte der kriegerische Konflikt mit Brasilien die Spalten der bolivianischen Zeitungen. Eine beachtliche Rolle in der Presse spielte El Diario, gegründet am 5. April 1905 von José Carrasco, der schon 1880 El Comercio de Cochabamba geschaffen hatte. Einer der Glanzmomente dieser Tageszeitung, einer Verteidigerin der Prinzipien der liberalen Partei, war, als der Schriftsteller Franz Tamayo (1879-1956) eine öffentliche Debatte über Bildungsthemen anstieß, wodurch es zu dem Buch Creación de la Pedagogía Nacional kam, welches bis heute ein enormes Echo im bolivianischen Bildungswesen findet. Im Jahr 1914 trat Bolivien in den Krieg gegen Deutschland ein. Zu diesem Zeitpunkt wurde gewaltsam in die Arbeit der bolivianischen Presse eingegriffen. Viele Druckereien, in denen man oppositionelle und unabhängige Tageszeitungen herausgegeben hatte, wurden geschlossen oder zerstört. Es gingen ca. zehn Zeitungen ein, darunter El Diario. Drei Jahre später (1917) wurde mit vorrangig politischen Absichten die Zeitung La Razón, die der Republikanischen Partei zu Diensten gewesen war, neu gegründet. Zu dieser Zeit herrschte ein Meinungskampf zwischen den politischen Parteien, welcher einen Anschlag auf La Razón zufolge hatte. Diese Zeitung wurde im Mai 1920 geschlossen und danach von der Zeitung La Nación ersetzt. Nach dem Verschwinden der liberalen Zeitungen versuchte der Präsident Bautista Saavedra die Entwicklung der Presse mit Hilfe des Druckstatuts (Reglamento de Imprenta) von 1920 zu normieren. Das liberale Statut wurde dann 1925 als das Druckgesetz verkündet. Dieses Gesetz forderte im Artikel 1 die Freiheit der Presse, die von späteren Regierungen nicht mehr respektiert wurde, so daß um 1936 die bolivianische Presse immer noch unter ständiger Zensur zu leiden hatte. Carlos Montenegro und Augusto Céspedes, anerkannte bolivianische Schriftsteller und Mitglieder der Partei MNR (Movimiento Nacionalista Revolucionario), gründeten die Zeitung La Calle (1936-1946), die als eines der streitbarsten und einflußreichsten Organe anzusehen ist (Knudson 1986). La Calle, die in ihrer ersten Periode von der deutschen Botschaft finanziert wurde, war die erste Zeitung, die gegen die feudale Bergbauoligarchie Front machte. Durch ihre Grundhaltung war La Calle indirekt mit dem Nationalsozialismus in Deutschland verbunden, insofern beide gegen die Vereinigten Staaten eingestellt waren (Torrico Villanueva 1989). Als der MNR 1952 die Macht ergriff, ließ Präsident Paz Estenssoro La Razón aus La Paz verschwinden und löste später die im September 1943 in Cochabamba von Demetrio Canelas gegründete Zeitung Los Tiempos auf (Knudson 1986). Weitere
36 Zeitungen stellten ihre journalistische Arbeit ein, doch es erschienen neue wie El Minero, La Nación, El Pueblo, die im Dienste der Revolution standen. La Razón war in jener Zeit die modernste Tageszeitung in bezug auf Inhalt und Aufmachung, sie konnte mit jeder anderen großen Zeitung des Kontinents konkurrieren. Es gab jeweils vier wöchentliche Beilagen und bis zu 24 Seiten am Tag und 32 Seiten an Sonntagen. Am Tage der vierten Hundertjahrfeier der Gründung von La Paz erreichte sie eine Spitzenauflage von 100.000 Exemplaren. Mit der Schließung von La Razón 19S2 begann eine längere Phase der Stagnation innerhalb des bolivianischen Verlags- und Druckereigewerbes. Es mußten fast zwanzig Jahre vergehen, bis sich wieder neue Anzeichen einer verlegerischen Aktivität, ähnlich derjenigen, die lange Zeit vorher La Razón hervorgebracht hatte, beobachten ließen. Eines der Ereignisse mit der größten Tragweite in der Geschichte des bolivianischen Journalismus war die Gründung der heute wichtigsten Tageszeitung Presencia am 28. März 1952. Diese Zeitung, die bis September 1958 als Wochenzeitung im Umlauf war, wurde von einer Gruppe Katholiken gegründet, die, angeführt von kirchlichen Amtsträgern, die Idee verfolgten, ein Presseorgan mit grundlegend christlicher Ausrichtung ins Leben zu rufen.
3.3.
Die Struktur der Presse in Bolivien heute
3.3.1. Bestandsaufnahme Im Jahr 1992 erschienen in Bolivien 17 Tageszeitungen und fünf Wochenblätter (vgl. Tabellen 1 und 2). Periodika, die überregional verbreitet werden, erscheinen in den am stärksten entwickelten Zentren wie La Paz, Cochabamba und Santa Cruz, während sich die Verbreitung sonst auf das regionale bzw. das lokale Umfeld beschränkt.
3.3.2. Die wichtigsten Tageszeitungen Die Stadt La Paz als wirtschaftliches Zentrum und Regierungssitz bildete den Hauptort in der Entwicklung der bolivianischen Presse. Infolge der dort herrschenden politischen und wirtschaftlichen Aktivitäten besitzen die in dieser Stadt veröffentlichten Zeitungen auch heute die größte Bedeutung im ganzen Land. Tageszeitungen, die im Land ebenfalls beachtet werden, erscheinen in den zwei Städten, die La Paz hinsichtlich ihrer Wichtigkeit für das nationale Geschehen folgen, nämlich in Santa Cruz und in Cochabamba. Die Zeitungen, die in Sucre, der offiziellen Hauptstadt der Republik erscheinen, finden dagegen auf nationaler Ebene kein großes Echo. Im Bereich der prensa dominante sind vor allem drei Zeitungen zu nennen, deren Gründung in den wichtigen Abschnitten nationaler Geschichte erfolgte. Als erste Zeitung ist El Diario (1904) anzuführen, die einige Jahre nach dem blutigen Bürgerkrieg, der dem Liberalismus zur Macht verhalf und in dessen Folge der Regierungssitz von Sucre nach La Paz verlegt wurde, erschien. Presencia entstand 1952, in der Anfangsperiode der nationalen Revolution. Die Zeitung El Mundo (1979) kam
37 schließlich zu Beginn des jüngeren demokratischen Transitionsprozesses des Landes heraus.
Tabelle 1: Titel
Tageszeitungen in Bolivien Stadt
Verbreitung
Gründungsjahr Auflagen
Presencia El Diario Ultima Hora La Quinta de Ultima Hora Hoy La Razón Nueva-Jornada Primera Plana
La Paz La Paz La Paz
national national national
1952 1904 1929
18.000 16.000 8.000
La La La La La
national national national regional regional
1991 1968 1990 1964 1991
1.000 4.000 3.000 1.000 1.000
Opinión Los Tiempos
Cochabamba Cochabamba
regional regional
1985 1943
4.000 3.000
El Deber El Mundo El Día
Santa Cruz Santa Cruz Santa Cruz
national national regional
1953 1979 1987
18.000 13.000 3.000
Correo del Sur
Sucre
regional
1987
2.000
El Expreso La Patria
Oruro Oruro
lokal regional
1973 1910
1.000 3.000
El Siglo
Potosí
regional
1977
1.000
Insgesamt
Paz Paz Paz Paz Paz
100.000
Die Ziele, die die prensa dominante verfolgt, können in allgemeinen Termini so beschrieben werden: Dienst am Land (servicio al pais), Realisierung eines verantwortlichen Journalismus (periodismo responsable), wozu die Aufgaben der Meinungsbildung (formar opinion), der Kulturarbeit (labor cultural), Information, Erziehung und Unterhaltung (informar, educar y entretener) gehören. Jedoch legt die Zeitung Presencia ihren Schwerpunkt auf die Verwirklichung konkreter Ziele innerhalb einer christlichen Linie, obwohl sie sich selbst als nicht konfessionell gebunden darstellt. Redaktionell schöpft die prensa dominante aus externen Quellen, besonders der spanischen Agentur Efe und der nordamerikanischen AP. Ebenso nutzt man die Dienste von dpa, AFP und in geringem Ausmaß von ANSA. Einige auf nationaler Ebene verbreitete Zeitungen nehmen u. a. die Dienste der 1963 gegründeten Agencia
38 Tabelle 2:
Wochenzeitungen in Bolivien
Titel
Stadt
Verbreitung
Gründungsjahr
Aqui-Semanario del Pueblo Nueva Economía Contratapa
La Paz La Paz La Paz
national regional regional
1979 1993 1990
Unión
Sucre
lokal
1977
Gaceta del Sur
Potosí
lokal
1987
Quelle: Eigene Aufstellung
de Noticias Fides (ANF) in Anspruch, mit dem Bestreben, den Informationen von Radio Fides (s. u.) neue Impulse zu geben. Außerdem gibt es zwei weitere nationale Nachrichtenagenturen, die 1992 gegründete Agentur Jatha und die Nachrichtenagentur von ERBOL (seit 1991). El Diario wurde im Jahre 1904 aus liberaler Überzeugung gegründet. Das Blatt erreicht alle Departements des Landes. El Diario gehört seit seiner Gründung der Familie Carrasco, und die Nachfolge auf der Leitungsebene dieses Unternehmens ist familiär geregelt. Die jetzige Direktorin, Elena Jhansen de Carrasco, ist eine Hauptaktionärin des genannten Unternehmens. Die unabhängige Zeitung erscheint von Montag bis Sonntag; die Sonntagsausgabe (25.000 Exemplare) enthält verschiedene Beilagen (suplementos), darunter eine Kurzgeschichtenbeilage und eine Beilage für die Frau. Außerdem enthält diese Ausgabe als Beilage ein Magazin mit umfangreichen literarischen, kulturellen und wissenschaftlichen Beiträgen. El Diario umfaßt pro Ausgabe durchschnittlich 60 Seiten, in den Sonntagsausgaben hundert und mehr Seiten. Diese sind in zehn Themenbereiche gegliedert: nationale Berichterstattung, internationale Nachrichten, Politik, Wirtschaft, Erziehung, Sport, Rechtsfragen, Meinung, Soziales und Kultur. Die Zeitung besitzt unter der privaten Presse Boliviens den größten Anteil an Werbung. Sie enthält zahlreiche gewerbliche und private Anzeigen, die ihr wirtschaftliches Fortbestehen sichern. Der Verlag verfügt über eine Offset-Druckanlage, mit der (werk-)täglich 16.000 Exemplare vierfarbig gedruckt werden können. Die ökonomische Krise der achtziger Jahre und das massive Aufstreben des Fernsehens zogen eine Verminderung der Auflage nach sich. In den siebziger Jahren erreichte El Diario noch eine durchschnittliche Auflage von 45.000 Exemplaren täglich. Die wichtigste bolivianische Tageszeitung ist das katholische Morgenblatt Presencia (gegründet 1952), in dessen Direktorium sich außer Vertretern der katholischen Kirche auch einige Laien befinden. Im März 1977 feierte die Zeitung ihr 25jähriges Bestehen. Bis dahin hatte sie nur einen einzigen Direktor, Huáscar Cajías, der auch der Gründer der Zeitung war (Viscarra Pando 1977). Presencia hat an Sonntagen eine Auflage von durchschnittlich mehr als 25.000 Exemplaren. Sie ist die Zeitung mit der größten geographischen Verbreitung, doch verfügt sie über einen geringeren Anteil an Werbung als El Diario.
39 Eines der von der bolivianischen Presse meistbeachtetsten Ereignisse und von größter Bedeutung für Presencia war der Tod des Revolutionärs Che Guevara 1977. Die Zeitung konnte mit dieser Meldung damals einen Auflagenrekord von 92.000 Exemplaren verzeichnen. Sie erreichte sogar eine Auflagenstärke von 130.000 Exemplaren zu dem Zeitpunkt, als die Weltpremiere El Diario del Che ("Das Tagebuch Che's") erschien. 1980 hatte die Zeitung eine tägliche Auflage von 55.000 Exemplaren. Presencia verfügt über eine ganze Reihe von eigenen Korrespondenten, die in Oruro, Cochabamba, Santa Cruz, Beni, Tarija, Chuquisaca, Potosí, Huanuni und in den Bergbauzentren tätig sind. Seit 1989 und mit dem Ziel, die Erweiterung ihrer Dienste voranzutreiben, gelang es, ein Netz von freien Mitarbeitern aufzubauen. Die Zeitung besitzt eine größere und vielfältigere Zahl von Beilagen als El Diario. Der älteste der sieben publizierten suplementos ist Presencia Literaria, gefolgt von Suplemento Juvenil. Die suplementos bieten den Lesern Berichte über ausgewählte nationale und soziale Probleme, wie auch detaillierte Informationen z. B. aus der Psychologie. Neben diesen suplementos offeriert Presencia dem Leser auch eine Reihe von kulturellen, wissenschaftlichen, historischen und touristischen Beilagen. Die täglichen Ausgaben der Zeitung erreichen bis zu fünfzig Seiten, die Sonntagsausgaben überschreiten zumeist hundert Seiten. In dieser wichtigen Zeitung wird auf folgende Themen Bezug genommen: nationale und internationale Nachrichten, Politik, Wirtschaft, allgemeine Informationen (Klatschspalten über Prominente, Leserbriefseite, Kommentare), Soziales, Rechtsfragen, Kultur und Sport. Die exzellente Drucktechnik macht aus dieser Zeitung eine der besten Südamerikas. Mit der Überwindung der politischen Instabilität begann in Bolivien ein wechselhafter Demokratisierungsprozeß, der die Geburt von El Mundo (1979) einleitete. El Mundo ist eine rein unternehmerische Gründung. Das in diese Zeitung investierte Kapital ist mit der Agrarindustrie von Santa Cruz, mit den Banken, dem Bergbau und mit Vertretern der bolivianischen Oberschicht verbunden (Sainz Rodríguez 1983). Der Hauptaktionär dieser Zeitung ist die Cámara de Industria y Comercio, von der sie direkt abhängt (Parejas Eguía 1991). Das Verlagshaus von El Mundo (Editorial Oriente) steht in enger Verbindung mit Radio El Mundo, einem Kurz- und Mittelwellensender, 1986 gegründet und in direkter Nachbarschaft der Zeitung ansässig. Außerdem unterhält das Zeitungsunternehmen Beziehungen zu Kanal 13 Cruceña de Televisión, der im Besitz von Zeitungsaktionären wie z. B. des Unternehmers Ivo Kuljis Fuchtner, einem Mitglied des Vorstands des Morgenblattes, ist. El Mundo verfügt über Computerterminals, die direkt mit den Korrespondentenstellen in allen wichtigen Städten des Landes verbunden sind, ausgenommen die Departements von Potosí und Oruro. Die Zeitung ist auch mit modernen Druckanlagen ausgestattet, die an den Wochenenden eine Auflagenstärke von 18.000 Exemplaren erlauben. Die Seitenzahl beträgt in der Regel mindestens 40 und höchstens 96. Die Verbreitung der Zeitung findet über unabhängige Verteileragenturen des Verlagshauses statt. Diese sorgen für den Verkauf der Zeitung in der Stadt durch voceadores (Zeitungsboten), für die Hauslieferung an Abonnenten und für den Verkauf an Kiosken (Parejas Eguía 1991). Die Verteiler sind in der Asociación de Voceadores organisiert. Das Morgenblatt El Mundo enthält Rubriken, die der nationalen, internationalen und kulturellen Information dienen. Das Blatt bietet einen großen Anzeigenteil mit amtlichen und wirtschaftlichen Anzeigen und besitzt sieben suplementos, wobei die
40 Sportbeilage und die Beilage über soziale Themen die beliebtesten sind. Weitere suplementos von El Mundo sind die Kinderbeilage Tiluchin, El Mundo Revista (an Sonntagen), die humoristische und politsatirische Beilage El Bulto und die Sonntagsbeilage mit einer Reihe von Beiträgen internationalen Ursprungs. Die aus Santa Cruz stammende nationale Zeitung El Deber ist seit 1965 im Besitz der Familie Rivero Mercado. Sie verfolgt eine konservative Linie, orientiert an den Interessen der dortigen Region. Das unabhängige Presseorgan, von Dr. Lucas Saucedo Sevilla 1953 gegründet, wurde von der Regierung mit dem Cóndor de los Andes prämiiert, mit der höchsten Auszeichnung, die eine Zeitung für die Qualität ihres Inhalts erhalten kann. Neben Presencia hat die Zeitung die größte Auflagenstärke im ganzen Land mit täglich 18.000 Exemplaren. Die Seitenzahl beläuft sich auf mindestens 56 und höchstens 92. Die unabhängige Zeitung Ultima Hora, 1929 als Abendblatt gegründet, ist eine der Zeitungen mit der längsten journalistischen Tradition in Bolivien. Sie wurde 1987 zum Morgenblatt mit durchschnittlich 24 Seiten umgewandelt. Der jetzige Inhaber (seit 1971) Mario Mercado Vaca Guzmán, ist auch der Gründer des Verlagshauses Khana. Seit April 1991 erscheint in La Paz das nationale Sensationsabendblatt La Quinta als ein Teil der Zeitung Ultima Hora. Die Familie Alexander Dupleich, vormalige Besitzerin von Ultima Hora, gründete 1968 die Zeitung Hoy. Heute erreicht das unabhängige Morgenblatt eine tägliche Auflage von fast 4.000 Exemplaren, ihr Hauptaktionär und Inhaber ist Carlos Serrate Reich. Das Morgenblatt hat einen durchschnittlichen Umfang von 24 Seiten, durch sein kleines Format und bunten Druck besitzt es sehr viel Ähnlichkeit mit der paraguayischen Tageszeitung ABC-Color. Hoy verfügt über die beste Sportbeilage, derentwegen an Sonntagen um die 9.000 Exemplare verkauft werden. 1943 wurde das Morgenblatt Los Tiempos von Demetrio Canelas gegründet und war wie Presencia ernsten Schwierigkeiten in der Zeit der diktatorischen Regierungen ausgesetzt. Zahllose Verbote und eine Reihe von Schließungen waren vorausgegangen, als 1953 die Redaktionsräume überfallen und völlig zerstört wurden. Seit Los Tiempos 1967 unter der Leitung von Varios Canelas „wiederbelebt" wurde, ist sie eine unabhängige Zeitung, journalistisch ersten Ranges, die sich hauptsächlich durch ihre hervorragende Meinungsseite auszeichnet. Sie erzielte in ihren besten Zeiten (1977) eine Auflage von 18.000 Exemplaren täglich und 22.000 Exemplaren an Sonntagen. Die Zeitung La Razón wurde im Mai 1990 gegründet. Ihren Besitz teilen sich zehn Aktionäre; sie ist in allen wichtigen Städten des Departements mit Ausnahme von Beni und Pando verbreitet. Von vielen Leitartiklern wird das Morgenblatt als das einflußreichste betrachtet. Es hat einen durchschnittlichen Umfang von 95 Seiten und verfügt über fünf wöchentliche suplementos. Darüber hinaus gibt La Razón täglich eine Beilage über die Exportwirtschaft und eine weitere mit dem Namen Economía y Negocios heraus und erscheint ebenfalls in einer internationalen Ausgabe Siete Días, die an den Sonntagen herauskommt. Als Beispiel für die alternative Presse in Bolivien soll hier das 1979 gegründete Wochenblatt Aquí angeführt werden (O'Connor 1990). Diese Zeitung, die ihren Gründungsimpuls durch die Mobilisierung des Volkes erhielt, wurde zum zweitwichtigsten nationalen Presseorgan in jener Zeit und es gelang ihr, einen großen Einfluß im Land zu gewinnen. Die Auflage betrug damals 18.000 Exemplare pro Woche. Das Blatt vereinte Journalisten, die wegen des Kampfes gegen die BanzerDiktatur verurteilt worden waren. Sein Einfluß wurde als so störend empfunden, daß
41 der Leiter und Gründer des Wochenblatts, der Jesuitenpater Luís Espinal Camps, von Soldaten des Oberst Luís Arce Gómez entführt, gefoltert und ermordet wurde (1980). Trotz der durchlittenen Krisen ist das Wochenblatt heute ungebrochen aktiv. Es wird landesweit mit einer wöchentlichen Auflage von 2.000 Exemplaren verbreitet. Seit Oktober 1993 gibt es die Wochenzeitung Nueva Economía, die sich ausschließlich der nationalen Wirtschaft widmet. Darüber hinaus bestehen eine Reihe von regelmäßigen Wirtschaftsbeilagen (suplementos económicos), die wöchentlich oder vierzehntägig mit aktuellen nationalen und internationalen Wirtschaftsinformationen aufwarten können. Analysen und Informationen auf dem Gebiet der Wirtschaft und der Politik erscheinen in sieben suplementos der folgenden Zeitungen: Hoy, Ultima Hora, La Razón, El Mundo, El Deber, Los Tiempos und Opinión. Das suplemento, das von der cochabambinischen Tageszeitung Opinión herausgegeben wird, heißt Economía y Sociedad. Es gibt Analysen der sozialen und wirtschaftlichen Probleme des Landes und ist im Auftrag des Instituto de Estudios Sociales y Económicos de la Universidad de San Simón entstanden (Rossells M. 1989). Zur Sensationspresse gehört in Bolivien das Abendblatt La Quinta de Ultima Hora, das von montags bis freitags landesweit erscheint. Bekannt als das Vespertino sin complejos ("Abendblatt ohne Komplexe") liefern seine Seiten sensationell aufgemachte Nachrichten aus dem politischen und sozialen Leben. Tonangebend sind in dieser Zeitung die großen Photos und die roten fettgedruckten Überschriften.
3.3.3. Verbreitung, regionale Konzentration und Leserdichte Acht der 17 bolivianischen Zeitungen sind in La Paz ansässig, zwei in Cochabamba, drei in Santa Cruz, eine in Sucre, zwei in Oruro und eine in Potosí. In Beni, Pando und in Tarija gibt es keine Periodika. Daraus folgt, daß die Presse in Bolivien in stärkstem Maß auf die Städte konzentriert und zugeschnitten ist. Acht Zeitungen erscheinen landesweit, die übrigen auf lokaler bzw. regionaler Ebene. Die Regionalzeitungen sind in La Paz Nueva-Jornada und Primera Plana. In Cochabamba erscheinen Los Tiempos und Opinión. Die Zeitung El Dia aus Santa Cruz, El Correo del Sur aus Sucre, El Siglo aus Potosí und La Patria aus Oruro haben ebenfalls regionale Verbreitung. El Expreso aus Oruro gehört zur lokalen Presse. Die Hälfte der Tageszeitungen, die in Bolivien herausgegeben werden, sind in zwei oder mehr Departements verbreitet, obwohl die durchschnittliche Auflagenhöhe nicht sehr groß ist. Unter den Hauptregionalzeitungen ist El Dia hervorzuheben, die vor allem in den Departements von Santa Cruz, Cochabamba und La Paz erscheint. Das gleiche gilt für die regionalen Zeitungen Nueva-Jornada und Primera Plana. Los Tiempos wird in sechs der neun Departements des Landes verkauft. Die Zeitung La Opinión erreicht die Departements Cochabamba, La Paz und Oruro, gefolgt von El Correo del Sur, der in den Departements von Sucre, Potosí und Tarija im Umlauf ist, und zuletzt La Patria, die den Bereich der Bergbauzone von Potosí abdeckt. In den achtziger Jahren ging die Verbreitung von Zeitungen in Bolivien zunächst stark zurück: Während 1980 noch rund 150.000 Exemplare erschienen, sank die Auflage bis zum Jahr 1987 auf rund 62.000 Exemplare pro Tag. Inzwischen gibt es
42 wieder eine Gesamtauflage von ca. 100.000 täglich erscheinenden Exemplaren. Den bolivianischen Zeitungen ist es gelungen, die ökonomische Krise mit Hilfe von erhöhten Preisen und verstärkter Werbung zu überleben. Allerdings beeinträchtigen der Preisauftrieb und vor allem die niedrige Kaufkraft der Löhne die potentielle Reichweite bei den Lesern. Wenn man die Gesamtbevölkerung des Landes in Betracht zieht (ca. 6,5 Millionen Einwohner), so kommt man auf eine Leserdichte von 65 (= Einwohner pro 1000 Exemplare). Die Zeitungen haben versucht, das Absinken ihrer Auflagen durch die Erweiterung und Vertiefung nationaler, regionaler und lokaler Informationen abzufangen. Gleichzeitig wurden neue Themen wie Tourismus, Frauen, Kinder, Wirtschaft usw. "entdeckt". Auf diesen Gebieten herrscht ein wahrer Wettstreit unter den nationalen Zeitungen um die Abdeckung des größten Spektrums von Themen, die die unterschiedlichsten Gruppen der Bevölkerung interessieren könnten. Andere Zeitungen erhöhten ihre Auflage durch die Befriedigung von Sensationsgier.
3.3.4. Vertrieb und Finanzierung Die übliche Form der Verbreitung ist der Verkauf durch voceadores (ambulante Zeitungsverkäufer), die ihre täglichen Einnahmen bei der Vertriebsabteilung der Zeitung abliefern müssen. Einige Zeitungen haben monatliche, individuelle Verträge mit lokalen Verteileragenturen, die sich um den Absatz in der Hauptstadt bemühen. In den Provinzen kommt es vor, daß mit Privatagenten und manchmal mit Mitarbeitern der Redaktion garbeitet wird. Nach Angaben der Zeitungsunternehmen werden etwa fünf Prozent der ausgelieferten Exemplare nicht verkauft. Die Preise der Zeitungen liegen zwischen 1.50 Bolivianos wochentags und 2.50 bis 3.00 an den Sonntagen. Laut der Notierung der Banco Central de Bolivia vom März 1994 waren 1.70 Bs = 1 DM. Die Finanzierung der Druckmedien in Bolivien ergibt sich überwiegend aus Werbeeinnahmen und privaten Anzeigen. Zeitungen, die nicht zur prensa dominante gehören, werden gelegentlich durch ihre Eigentümer unterstützt. Nach einer im Juli 1987 durchgeführten Studie über die Medien in Bolivien ergab sich folgende Rangfolge beim Umfang des Werbeanteils der wichtigsten Tageszeitungen von La Paz: El Diario (64%), gefolgt von Presencia (32%), Hoy (21%) und Ultima Hora (20%). Den höchsten Werbeanteil findet man donnerstags und sonntags, den geringsten samstags und montags (Rivadeneira Prada 1988a). Davon ausgehend, daß sich die Einnahmen der Druckmedien hauptsächlich aus der Quelle Werbung speisen, fragt man sich, wie Zeitungen mit nur geringen Werbeeinnahmen überleben können, wie z. B. Hoy und Ultima Hora. Die Erklärung dafür ist, daß beide Organe in Beziehung zu politischen Gruppierungen stehen, bei denen das Parteiinteresse über dem kommerziellen steht.
3.3.5. Besitzstruktur In Bolivien lassen sich drei Besitzformen der großen Presse (prensa unterscheiden (Rivadeneira Prada 1988a).
dominante)
43 1. Zeitungen im Besitz von Privatunternehmen aus den Branchen: " Bergbau " Import " Industrie " Dienstleistungsgewerbe ~ Nationalbank und mittelbar durch diese internationale Banken. 2. Zeitungen im Besitz einer Familie. 3. Zeitungen im Besitz von Institutionen: " Kirche. Die Zeitungen, die sich im Besitz von Privatunternehmen befinden, sind meist Aktiengesellschaften (Sociedad Anónima) oder Gesellschaften mit beschränkter Haftung (Responsabilidad Limitada). Sie erreichen vorzugsweise die Bevölkerung der Ober- und der Mittelschicht, obwohl ihre Inhalte alle Bereiche des städtischen Umfeldes ansprechen sollen. Bei den Blättern in Kollektiveigentum gibt es eine Hierarchisierung, wonach vor allem die städtische Mittelschicht, dann die unteren Schichten der Bevölkerung (sectores populares) und zuletzt die Oberschicht angesprochen werden soll. Organe mit institutioneller Trägerschaft erreichen alle Arten von Empfangern, obwohl tendenziell mehr den bevölkerungsreichen Zentren der Vorzug gegeben wird als den ländlichen Gegenden. Fast alle Tageszeitungen in Bolivien (94%) geben an, Bestandteil eines Privatunternehmens zu sein, nur eine wird von einer Institution getragen. Die alternativen Medien weisen eine Art von Gemeinschaftseigentum auf. Unter den Zeitungen im Besitz von Privatunternehmen fällt besonders das Sprachrohr der neuen Rechten El Mundo auf, das sich eine Vorrangstellung auch in Radio und Fernsehen verschafft hat und eigene Werbeagenturen besitzt. Die Zeitung Ultima Hora verfügt, nachdem sie 1987 in ein Morgenblatt mit nationaler Verbreitung umgewandelt wurde, über feste Verbindungen zur Partei Acción Democrática Nacionalista (ADN). Der Vorstandsvorsitzende der Zeitung und Hauptaktionär Mercado Vaca Guzmán war Senator der Republik und hochgestellter Funktionär der ADN. Zu dieser Gruppe von pro-oligarchisch ausgerichteten Tageszeitungen gehören auch La Razón und La Patria. Unter den Zeitungen, die direkt von Familienunternehmen gesteuert werden, findet man El Diario, El Deber, Los Tiempos und Hoy. Der Besitzer des Morgenblatts Hoy, Serrate Reich, ist der Chef der MNR-Vanguardia, einer vom Stamm des Movimiento Nacionalista Revolucionario abgespaltenen Partei. Das einzige institutionell getragene Zeitungsunternehmen Boliviens ist bis heute Presencia. Es gehört der Conferencia Episcopal de Bolivia. Obwohl seine Leitungsstruktur mit den Organisationsformen der Privatunternehmen vergleichbar ist, weichen seine Ziele doch stark von diesen ab. Die Zeitung ist in erster Linie der katholischen Kirche verpflichtet. Eine 1985 vom Statistischen Institut (INE) durchgeführte Bewertung der Besitzstruktur in Bolivien hat gezeigt, daß ungefähr ein Drittel der großen Medien im Land eine Eintragung aufweist, deren gesetzliche Einstufung nicht den Tatsachen entspricht. Diese Situation wurde am häufigsten bei den Rundfunksendern und bei der Presse registriert. Deshalb wurde in Bolivien die sogenannte propiedad real
44 (tatsächlicher Besitz) eingeführt, um den Medienbestand konkreten sozialen Akteuren und Gruppen zuordnen zu können (Larrazäbal u. a. 1987). Tabelle 3 bietet eine Aufstellung der einflußreichsten Zeitungen in Bolivien mit ihren wirtschaftlichen und politischen Verflechtungen. Die Übersicht zeigt, daß es eine enge Verbindung zwischen den wirtschaftlich mächtigen Gruppen und den Eigentümern der Kommunikationsmedien in Bolivien gibt. Der Siglo- Verlag ist das Zeitungsunternehmen mit dem größten Aktionsradius innerhalb des Mediensektors in Bolivien. Der Verlag gab bis 1983 u. a. die heute nicht mehr existierende Wochenzeitung Correo heraus, die die Aktivitäten des Generals Hugo Banzer verteidigte. Der Khana-Verlag ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die die Initiative zur Eröffnung einer Volksbibliothek mit den Werken einheimischer Autoren ergriff.
3.3.6. Zeitschriften In Bolivien erschienen in den letzten zehn Jahren etwa 200 Presse-Publikationen, darunter Zeitschriften, boletines (Nachrichtenbulletins), series (Serienzeitschriften), páginas especiales (Spezialblätter) und hojas informativas (eine Art Flugschriften). Dies ist eine beachtliche Produktion in einem Land, welches unter einer ökonomischen Krise leidet, in dem es eine hohe Analphabetenrate gibt und in dem die Anreize zur Veröffentlichung nur spärlich gesät sind. Ungeachtet dieser Probleme, zeigt sich das Aufblühen intellektueller Interessen im Land. Eine offensichtliche Konsequenz der bestehenden Probleme ist die sporadische Natur eines Großteils dieser Publikationen. Ein hoher Anteil davon verschwindet bereits wieder vor dem Erscheinen der zweiten oder dritten Ausgabe. Die fehlende Kontinuität beim Erscheinen gedruckter Publikationen erwächst hauptsächlich aus dem Mangel an dafür geeigneten Voraussetzungen. Da nicht genügend Datenmaterial über Zeitschriften zur Verfügung steht, ist es schwierig, die genaue Gesamtzahl aller Titel zu ermitteln. Ebenso liegen wenig Daten über Zeitschriftenauflagen vor. Informationen auf Anfrage lassen den Schluß zu, daß die Auflagenstärke einer Zeitschrift, je nach ihrem Bekanntheitsgrad, ungefähr zwischen 1.500 und 2.000 Exemplaren schwankt. La Revista de Cochabamba ist bekannt als das erste nationale Organ, das sowohl literarische als auch wissenschaftliche Interessen gleichermaßen aufgriff. Dieses Blatt erschien erstmals 1852 während der Präsidentschaft des Generals Manuel Isidoro Belzu und war bis 1877 in Umlauf. Weitere Zeitschriften in anderen Departements folgten ihr nach. Besonders hervorzuheben ist aus dieser Gruppe die "Zeitschrift für Wissenschaft, Kunst, Literatur, Industrie und Handel" mit dem Titel Gutenberg Ilustrado. In dem Zeitraum von 1920 bis 1930 war Oruro, damaliger Hauptangelpunkt der nationalen Wirtschaft, eine höchst aktive Stadt auch auf intellektuellem Gebiet. Dort hatte sich beispielsweise die "Künstler- und Intellektuellengruppe der jungen Damen" vereinigt, die ab 1921 die Monatszeitschrift Feminiflor veröffentlichte (Beltrán 1977). Diese konnte später in ganz Bolivien eine große Bedeutung erlangen und besitzt sie noch heute. 1939 erhielt die bolivianische Intellektuellenbewegung größere Weitläufigkeit mit dem Erscheinen der nationalen Geschichtszeitschrift Kollasuyo. Die erste Ausgabe
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72 Das Unternehmen VCU wurde 1991 mit der Absicht gegründet, das Netz des circuito cerrado hinsichtlich einer Erweiterung auf alle bolivianischen Departements zu vergrößern. VCU wird heute durch die Resolución Suprema Nr. 208758 für Kabelfernsehen und die Lizenz Nr. 1 der DGT geregelt.
6.2.
Fernsehen über Satellit
1984 unterzeichneten die Andenländer ein Abkommen über die Inbetriebnahme des gemeinsamen Fernmeldesatelliten Cóndor, der für den Fernmeldeverkehr und für Fernsehübertragungen genutzt werden sollte. Seit 1987 ist Bolivien, wie alle anderen lateinamerikanischen Länder, auch Mitglied des /n/e/ra/-Abkommens (Roncagliolo 1988). Die Fernsehübertragungen via Satellit, die den Empfang von ausländischen Programmen gestatten, sind in Bolivien unkontrollierbar geworden. Private, in La Paz und Santa Cruz ansässige Kanäle (z. B. Canal 21 und Canal 2) sind 24 Stunden täglich mit Produktionen aus Mexiko (Morelos), Brasilien (Brasilsat) und Peru (Panamsat) auf Sendung. Die Produktionen, die in Bolivien über Satellit ausgestrahlt werden - Nachrichten, Themen des Tages, Unterhaltung und Werbung -, haben im allgemeinen wenig mit der bolivianischen Wirklichkeit zu tun. Unter den Programmen, die neue Perspektiven aufzeigen, ist besonders die Arbeit zweier Satellitensender zu nennen. Die bolivianischen Fernsehkanäle und die Video-Cable-Stationen können seit November 1992 mit Hilfe von Intelsat die Sendungen der Deutschen Welle übernehmen. Dieser Kanal arbeitet 14 Stunden pro Tag, sechs davon werden auf Deutsch, sechs auf Englisch und zwei auf Spanisch ausgestrahlt. Die Programme enthalten Nachrichten aus aller Welt, besondere Ereignisse in den Bereichen der Wirtschaft, der Umwelt und der Wissenschaften. Seit März 1993 ist in Bolivien das System der Televisión Educativa Iberoamericana in Betrieb, das mit dem Satellitenystem Hispasat Erziehungs- und Kulturprogramme ausstrahlt. Die Asociación de Televisión Educativa Iberoamericana hat 126 Mitglieder. Darunter befinden sich Erziehungseinrichtungen Lateinamerikas, Spaniens und Portugals. Die Universidad Mayor de San Simón (UMSS) gehört dieser Vereinigung an und strahlt Tag für Tag dreistündige Erziehungsprogramme aus. Die Themen der Programme sind u. a. die Gesundheitserziehung, ergänzende Programme gibt es z. B. aus dem Bereich der Wissenschaft, außerdem werden Lehrerfortbildungsprogramme und Universitätskurse angeboten.
7.
Perspektiven und Probleme der Massenmedien in Bolivien
Die Presse Boliviens litt annähernd zwei Jahrzehnte lang unter der Abfolge von Diktaturen, die nicht nur durch die Zensur, sondern auch durch die Schließungen vieler Zeitungen sowie durch die Verfolgung von Journalisten tiefe Spuren hinterließen. Obwohl es heute in Bolivien mehr Zeitungstitel und mehr potentielle Leser gibt, hat sich die Anzahl der gedruckten Exemplare in den letzten zehn Jahren aber verringert.
73 In der Zeit von 1952 bis 1960 vertrat das staatliche Radio lllimani, eines der wichtigsten, die Interessen der A/A7?-Partei. Damals entstanden die Minen-Radios als einer der ersten Versuche alternativer Kommunikation in Bolivien. Die bolivianischen Bergarbeiter sind auf dem ganzen lateinamerikanischen Kontinent für ihren kämpferischen Geist und ihr politisches Bewußtsein bekannt. In den sechziger Jahren erlangten private Hörfunkstationen wie Nueva América und Altiplano, die Programme für die indianische Bevölkerung machten, eine größere Bedeutung. Bis Mitte der achtziger Jahre entfaltete sich der Hörfunk in ländlichen Gebieten mit Sendungen in den Indianersprachen, wobei die Ziele auf die Erziehung und die Stärkung der kulturellen Identität ausgerichtet waren. Die privaten Sender erzielten in jener Zeit eine nationale Reichweite. Radio Metropolitana pflegte einen neuen, populären Stil, nicht ohne einen gewissen Hang zur Massenmanipulation. Radio San Gabriel und Radio Fides konnten einen beträchtlichen Einfluß auf Informationen, Meinungsbildung und Erziehung in Bolivien gewinnen. 1969 wurde das Fernsehen als staatliches Monopol aus der Taufe gehoben. 1973 wurde der erste Universitätssender in Tarija in Betrieb gesetzt, was zeitlich mit der Diktatur von García Meza zusammenfiel. Die Universitätssender wurden kontrolliert, mit der Folge, daß es eines ihrer höchsten Ziele war, sich von dem direkten Regierungseinfluß zu befreien. Zwischen 1982 und 1985 spielten die Universitätssender eine wichtige Rolle als Alternative zum Regierungsfernsehen. 1984 entstanden die ersten privaten Fernsehstationen, Canal 9 aus La Paz und Canal 13 aus Santa Cruz. Die damalige Regierung der UDP-Partei unter Siles Zuazo erwies sich als unfähig, das unkoordinierte Wachstum von Stationen, das in einem Zeitraum von weniger als drei Jahren 35 Kanäle hervorbrachte, unter Kontrolle zu bringen. Die Rundfunkstationen, der staatliche Kanal und die Universitätssender waren damals durch den "Boom" der kommerziell betriebenen Fernsehkanäle sehr geschwächt. Trotz der durch die Zunahme der Fernsehsender verursachten Schwächung behielten die Radiosender ihre wichtige Stellung, insbesondere auf dem Land. In den achtziger Jahren etablierten sich dort die FM-Sender. Schließlich wurde zwischen den Jahren 1986 und 1990 das staatliche Fernsehmonopol durch die /47ß-Fernsehkette ersetzt, welche die besseren technischen Voraussetzungen im Vergleich zum staatlichen Kanal besaß und alle bolivianischen Departements erreichte. Eine Reihe von politischen, wirtschaftlichen und sozialen Ereignissen bewirkte das ungewöhnliche Wachstum der privaten Fernsehstationen im städtischen Umfeld. In der Zeit zwischen 1982 und 1985 machten sich die Grundlagen einer "neuen Demokratie" bemerkbar, welche die politische Aktivität als ihr ureigenstes Recht verstand. Auf diese Weise wurde den politischen Parteien und den traditionellen Protagonisten des politischen Lebens, den Gewerkschaften und den Streitkräften ein Großteil ihrer politischen Handhabe entzogen. Die Wahl von Paz Estenssoro zum Präsidenten 1985 und seine neoliberale Wirtschaftspolitik gestatteten es den Unternehmern, große Gewinne durch politische Propaganda und durch die ökonomische Stabilisierung zu erzielen. Die Wirtschaftspolitik der Regierung gab der kommerziellen Erweiterung der bolivianischen Medien den nötigen Impuls. Die Zunahme der Werbung in den Medien, besonders im Fernsehen, bewirkte den Aufstieg verschiedener Werbeagenturen. Bedingt durch die neue Wirtschaftspolitik wurden die Medien zu einem erheblichen Teil von einer kleinen Gruppe von Unternehmern, die mit anderen Wirtschaftsbereichen wie Handel, Bergbau, Industrie, usw. in Verbindung standen, vereinnahmt. Die bolivianischen Mas-
74 senmedien bewegen sich heute auf einem freien Markt, d. h. sie wollen zum größten Teil mit Gewinn arbeiten, da die Kommunikation als öffentliche Dienstleistung (z. B. durch Universitätssender) als nicht mehr rentabel angesehen wird. Aufgrund dieser Entwicklung kam es zu einer Schwächung bzw. der Auflösung der alternativen Medien. Von den 30 Minen-Radios, die es in den siebziger Jahren gab, sind 14 aufgrund des Zusammenbruchs der Zinnproduktion verschwunden. Die Universitätssender sehen sich zunehmend mit größeren Finanzproblemen konfrontiert, da ihnen sowohl Werbeeinnahmen als auch Subventionen der Staatskasse fehlen, die in den letzten Jahren für den Erziehungsbereich vermindert wurden. Eine der wenigen überlebenden Periodika alternativen Zuschnitts ist die Wochenzeitung Aquí aus La Paz, welche ebenfalls mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen hat und den Verlust einer großen Zahl von Lesern beklagt. So zeigt es sich, daß die kommerziellen Medien wie die Red ATB-Illimani de Comunicaciones, für die die besten Journalisten arbeiten, in Bolivien die größeren Zukunftschancen haben. Die Medien, die im Bereich der Erziehung und im Dienste der Öffentlichkeit arbeiten, erhalten finanzielle Unterstützung von kirchlichen Organisationen wie zum Beispiel die Kette ERBOL mit 17 Nebenstellen in acht der bolivianischen Departements. Die Dienste der immer weniger werdenden Minenund campesino-Sender sowie der Provinzsender sind innerhalb der bolivianischen Medien für die Indios von hoher Bedeutung. Sie bieten angesichts des Fehlens bzw. der Mängel der Post-, Telegrafen- und Telefondienste Dienstleistungen für die Übermittlung von persönlichen Botschaften an. Bemerkenswert ist die Leistung der Zeitung Presencia, die einen wachsenden Einfluß unter den bolivianischen Druckmedien erlangt hat. Presencia hat durch ihren Inhalt bewiesen: Zeitungsseiten sind "algo más que tigres de papel". Das Morgenblatt folgt einer verantwortungsvollen journalistischen Linie, ist politisch am unabhängigsten und erreicht alle Schichten der bolivianischen Gesellschaft, nicht nur die Oberschicht, sondern auch Angehörige der sectores populares. Die demokratischen Verhältnisse in Bolivien haben seit den achtziger Jahren einerseits dazu beigetragen, daß Journalisten ihre Meinung frei von diktatorischer Zensur äußern können. Andererseits nutzten die Unternehmer die Freiheit dazu, ihre Entscheidungen ganz am kommerziellen Erfolg auszurichten. Dies gilt vor allem für einige private Medien wie z. B. Radio Metropolitana und Canal 4, die ihre journalistische Funktion nur in recht problematischer Weise erfüllen. Der Fall Palenque, so genannt nach dem Besitzer dieser beiden Medienbetriebe, stellt ein viel diskutiertes Thema in Bolivien dar. Palenque versucht die Indios dazu zu bewegen, sich gegen Leute aufzulehnen, die ihm selbst unliebsam sind. So ist es zwischen den kommerziellen Medien und dem medio popular, wie es heißt, zu einem fortwährenden "Wortkrieg" gekommen, ohne daß dabei bestimmte Grenzen respektiert wurden. Dieser mit Worten geführte "Krieg" erinnert stark an die Rivalitäten zwischen Politikern in Wahlkämpfen. Seit dem Beginn des demokratischen Transitionsprozesses in Bolivien (1982) sind die bolivianischen Medien mehr nach Quantität als nach Qualität gewachsen. Qualitativ verbessert haben sich jedoch die Nachrichten, die politischen Debatten, die Interviews und Reportagen. Besonders im Fernsehen wurde die Mauer, die die politische Klasse von der breiten Bevölkerung trennte, abgebaut. Daraus ergibt sich für die politischen Parteien die Notwendigkeit einer seriöseren Darstellung ihrer Bemühungen und Vorhaben. Die öffentliche Meinung äußert sich jetzt ohne Furcht vor
75 diktatorischer Repression. Allerdings verhieß die Verhängung des Ausnahmezustandes durch die Regierung im April 1995 nichts Gutes. Quantitativ gesehen haben sich die privaten Medien in Bolivien unkontrolliert vermehrt. Sie sind, bei kommerzieller Ausprägung, völlig von der Werbung abhängig. Mehr als 60 Prozent der Fernsehprogramme kommen aus dem Ausland, wobei die Telenovelas vorherrschen. Die Kanäle in La Paz strahlen täglich mehr als 20 Telenovelas aus. Ideologisch gesehen weisen die Medien politische Tendenzen von der Linken (Gewerkschaftsmedien) bis zur konservativen Rechten auf. Die Anzahl der Zeitungen, Hörfunksender und Fernsehstationen in der Hand Konservativer überwiegt jedoch. Jedenfalls befindet sich weitaus die Mehrheit der Medien des Landes im Besitz privater Unternehmer. Obwohl ein großer Teil der Bevölkerung Boliviens (65 %) Indios sind, vermögen die Gewerkschafts- oder die alternativen Medien und die medios populäres auf Dauer kaum der Medienmacht der großen Privatunternehmer standzuhalten. Somit gewinnt in Bolivien langsam ein kultureller Konflikt Form. Und mit ihm wachsen die Differenzen sowohl zwischen den bolivianischen Bevölkerungsschichten als auch zwischen verschiedenen Massenmedien selbst. Die Konfrontationen der in der COB vereinigten sectores populäres und der privaten Unternehmer nehmen zu. Die finanziellen Schwierigkeiten der arbeitslosen Bergarbeiter und der campesinos führen dazu, daß ihre Sender nur noch mit Unterstützung weiter betrieben werden können. Die kommerziellen Medien hingegen vergrößern sich ebenso wie die Macht der sie tragenden Unternehmen.
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Massenmedien in Nicaragua Natalia Pander Nicaragua ist ein Land, das bis in die jüngste Gegenwart besonders stark unter gesellschaftlicher und politischer Polarisierung gelitten hat. Diese war einerseits intern durch die Gegensätze zwischen liberalen (später auch sozialistischen) und konservativen Kräften bedingt. Dabei konnten sich keine stabilen demokratischen Strukturen herausbilden. Vielmehr machte dies die jahrzehntelange autoritäre, ja diktatorische Familienherrschaft der Somozas möglich. Andererseits war Nicaragua immer wieder Objekt ausländischer Interventionen. Diese gingen seit dem 19. Jahrhundert vor allem von den Vereinigten Staaten aus (Pastor 1987). Infolge der sandinistischen Revolution 1979 griffen aber auch sowjetkommunistische Interessen auf Nicaragua über. Durch Unterstützung der dagegen mit Waffengewalt opponierenden Contras durch die USA wurde das Land zu einem internationalen Konfliktherd zwischen den Großmächten. So wurde Nicaragua zum letzten Beispiel eines linksgerichteten, Sozialrevolutionären Umgestaltungswillens vor dem Zerfall des Sowjetimperiums. Wie in anderen Fällen scheiterte auch dieser Versuch an der Diskrepanz zwischen ideellem Anspruch und seiner faktischen Umsetzung. Mit den freien Wahlen, die 1990 zu einer Ablösung der Sandinisten aus der Regierungsverantwortung führten, gelangten wieder liberal-demokratische Kräfte an die Macht. Doch insbesondere die hinterlassenen wirtschaftlichen Probleme des Landes bestehen fort. Von der großen Polarisierung und den mehrfachen historischen Brüchen war auch die Entwicklung der Massenmedien in Nicaragua geprägt. Als die Sandinisten auch sie in ihrem Sinne zu "reformieren" suchten, fand dies in marxistisch gesinnten, linksstehenden Kreisen des Westens viel Aufmerksamkeit, ja stieß dort auf Sympathie (vgl. u. a. Ehring / Nachtigall 1985; Mattelart 1986 a u. b). Dabei ging es jedoch nicht ohne Beschönigungen und ideologische Illusionen ab. Der 1990 eingeleitete politische Prozeß hatte dann auch seine Konsequenzen für die Massenmedien.
1.
Landeskundliche Grundlagen
1.1.
Geographie
Die Republik Nicaragua liegt etwa in der Mitte des zentralamerikanischen Isthmus, zwischen dem 15. und 11. Breitengrad Nord und dem 83. und 87,5. Längengrad West. Das Land grenzt im Norden an Honduras und im Süden an Costa Rica. Im Osten Nicaraguas bildet das Karibische Meer eine natürliche Grenze, im Westen der Pazifik. Mit 130.682 Quadratkilometern (einschließlich 9.000 km2 Binnengewässer) ist Nicaragua das größte Land der sechs zentralamerikanischen Staaten (Statistisches Bundesamt 1991). Sieben Prozent der Landesoberfläche nehmen die Seen Lago Managua (Xolotlän) und Lago Nicaragua (Cocibolca) ein. Über die Entstehung des Namens 'Nicaragua' gibt es verschiedene Theorien. Wahrscheinlich wurde das Land nach 'Nicarao' benannt, jenem cacique
84 (Stammesoberhaupt), der zur Zeit der Eroberung durch die Spanier das Gebiet am heutigen Lago Nicaragua beherrschte. 'Nicarao' könnte in der ¿Va/iuar/-Sprache der Nicarao-Indianer auf dem Ausdruck 'Nic-atl-nahuac' basieren, was 'hier am Wasser' oder 'hier am See' bedeutet. Die Pazifikregion ist der dichtbesiedeltste Teil und das Wirtschaftszentrum des Landes. Sie ist ein breites, heißes, sehr fruchtbares Flachland, auf dem es etwa 40 Vulkane gibt, von denen noch elf aktiv sind. Hier befinden sich auch alle wichtigen Städte des Landes, darunter Managua, León und Granada. Durch die fruchtbare Vulkanerde und das heiße Klima mit seinen Regen- und Trockenperioden (191 cm jährlicher Niederschlag) ist die Pazifikregion das produktivste und landwirtschaftlich wichtigste Gebiet in ganz Nicaragua. Dieses Gebiet macht ca. ein Sechstel der Gesamtfläche des Landes aus, auf dem ca. 61 Prozent der Landbevölkerung leben. Das entspricht 2,5 Millionen Einwohnern bei einer Bevölkerungsdichte von 133 Einwohnern/km2. Allein in der Hauptstadt Managua, die das industrielle, kommerzielle, kulturelle und administrative Zentrum des Landes bildet, leben über 30 Prozent der Nicaraguaner. In dieser Region liegen auch die beiden großen Süßwasserseen: der Lago Managua und der Lago Nicaragua. Mit 8.200 Quadratkilometern ist der Lago Nicaragua der größte Süßwassersee Zentralamerikas und der zehntgrößte der Welt. Wesentlich kleiner ist der Lago de Managua, an dessen östlichem Ufer die gleichnamige Hauptstadt liegt. Das zentrale Bergland, das in der Cordillera Isabella bis 2.890 Meter ansteigt, bildet den Kern des Landes. Es ist nur dünn besiedelt. Betrieben wird hier ungefähr ein Viertel der Landwirtschaft Nicaraguas (Brosnahan u. a. 1994). Das Klima ist kühler als in der Pazifikregion, die Regenperioden sind hier sehr viel stärker ausgeprägt als im Tiefland. Die Kultivierung des Berglandes begann erst Ende des 19. Jahrhunderts mit dem Anbau von Kaffeepflanzen. Heute werden in dieser Region ca. zwei Drittel des gesamten nicaraguanischen Kaffees produziert. Die wichtigsten Städte dieses Landstrichs sind Boaco, Matagalpa, Esteli und Jinotega. Außerhalb dieser Orte gibt es kaum eine Infrastruktur. Die karibische Region umfaßt etwa die Hälfte des nicaraguanischen Territoriums. Es ist die flächenmäßig größte Tieflandebene in Zentralamerika, in der aber nur knapp neun Prozent der Gesamtbevölkerung Nicaraguas leben. Das ergibt eine Besiedlungsdichte von fünf Einwohnern/km2. Die Region ist ca. 100 Kilometer breit, mit einer 541 Kilometer langen Küstenlinie, die von vielen Lagunen und Flußeinmündungen unterbrochen wird. 23 Flüsse und somit beinahe neun Zehntel aller Gewässer Nicaraguas durchfließen diese Region (Vilas 1989). Die wichtigsten sind der Río Coco (685 km), Nicaraguas längster Fluß, der auch zugleich den größten Teil der Grenze zwischen Nicaragua und Honduras bildet, und der Rfo Grande Matagalpa (430 km), der den größten Teil der Grenze zwischen Nicaragua und Costa Rica markiert. Klimatisch gesehen ist die Karibikregion das regenreichste Gebiet von Nicaragua. Ergiebige Regenfälle über das ganze Jahr (250 - 600 cm) und tropisches Klima begünstigten das Entstehen großer Regenwälder. Eine Ausnahme hiervon bildet die trockene Savanne im Nordosten des Landes, die vorwiegend von Pinien bewachsen ist. Die Republik Nicaragua wird von Nordwesten nach Südosten von der Nicaraguasenke durchzogen. Dieser geographische Graben ist die Nahtstelle zweier Kontinentalplatten, die sich beständig gegeneinander verschieben, wodurch es häufig zu Erdbeben kommt. Die Hauptstadt Managua ist im 20. Jahrhundert allein dadurch zweimal völlig verwüstet worden (1931 und 1972).
85 Die Verkehrswege in Nicaragua sind in einem mehr als unterentwickelten Zustand. Das gesamte Straßennetz wird mit einer Länge von 14.997 Kilometern angegeben. Bedeutendste Verkehrsader ist die interamerikanische Fernstraße Carretera Interamericana, die sich mit einer Länge von 384 Kilometern von Honduras nach Costa Rica durch Nicaragua hindurchzieht. Nur 1.570 Kilometer des nicaraguanischen Straßennetzes sind Asphaltstraßen, und über 13.428 Kilometer ca. 89 %) bestehen aus Schotter- oder Erdpisten. Mangels Straßen ist z. B. die Atlantikregion nur durch die Küsten-, Binnenschiffahrt oder per Flugzeug zu erreichen.
1.2.
Geschichte
Um das 10. Jahrhundert v. Chr. wanderte ein Indianervolk vom heutigen Mexiko in das pazifische Flachland Nicaraguas ein. Von ihm legen heute noch viele Steinstatuen und Höhlen auf den Inseln im Nicaragua-See Zeugnis ab. Um das 15. Jahrhundert n. Chr. kamen Azteken nach Nicaragua, weshalb heute noch viele Bezeichnungen aus der AfaAi«ii/-Sprache existieren. Zum ersten Kontakt, den die Einwohner des Landes mit europäischen Eroberern hatten, kam es 1502, als Christoph Columbus die karibische Küste entlangsegelte. 1522 erreichte der Spanier Gil Gonzáles Dávila das heutige Nicaragua von Panama aus und begann seinen Eroberungszug durch das Land. Der Versuch der Expedition, zur pazifischen Küste vorzustoßen, scheiterte an dem heftigen Widerstand des cacique Diriangen, der die Spanier zwang, sich in das Gebiet des heutigen Panama zurückzuziehen (Rothschuh Tablada u. a. 1988, 12ff). Erst die zweite Expedition unter Francisco Hernández de Córdoba war erfolgreich und brachte den Sieg über die aufständischen Indianer. Im Jahre 1524 begann Hernández de Córdoba mit der Gründung der Handelsstädte Granada und León. Granada, an der Nordseite des Nicaraguasees gelegen, entwickelte sich zunächst zum Zentrum kreolischer Kultur. Etwas später formierte sich in der Stadt eine starke Wirtschaftselite, die zum Kern der konservativen Partei wurde. Traditionelle spanische Werte, monarchisches Denken und katholische Autorität waren die Säulen dieser Gesellschaftsschicht (Brosnahan u. a. 1994, 384ff). León wurde ursprünglich am Managuasee errichtet. Jedoch wurde die Stadt 1610 durch schwere Erdbeben so stark zerstört, daß sie später 50 Kilometer westlich des Sees wieder aufgebaut wurde. León entwickelte sich schnell zum Zentrum für Handwerker und Kaufleute. Im Unterschied zu Granada siedelten sich hier vor allem die Intellektuellen und der Klerus an. Die liberale Partei Leóns bildete die Opposition zum Konservatismus in Granada. Im Laufe der Zeit entwickelte sich eine immer tiefer werdende Kluft zwischen den beiden Städten, die sich schließlich in offenen militärischen Konfrontationen entlud. Während die Spanier noch versuchten, die Westküste zu kolonisieren, betraten die Briten, die mittlerweile eine große politische Machtstellung in der Karibik einnahmen, 1633 erstmals an der Mosquitoküste nicaraguanischen Boden. Die Engländer, die vorwiegend Farbhölzer und Zuckerpflanzen abnahmen, unterhielten im allgemeinen gute Beziehungen zu den einheimischen Indianern. So konnte das englische Königshaus über 200 Jahre lang die Kontrolle über die Mosquitoküste behalten. Die Herrschaft der Spanier über das Gebiet Nicaraguas endete am 15. November 1821, als die fünf zentralamerikanischen Staaten unter der direkten Führung des guatemal-
86 tekischen Generalkapitanats gegen die Spanier revoltierten (Mulligan 1991). Die Macht wurde daraufhin von einer nationalen oligarchischen Gruppe von Kreolen übernommen, die die Freiheit vor allem in freier Marktwirtschaft sah und das merkantilistische System der Spanier abschaffte. Menschenrechte waren in dieser Epoche noch kaum von Bedeutung, wie die damalige nicaraguanische Unabhängigkeitserklärung zeigte. Einzig die Abschaffung der Sklaverei wurde von allen zentralamerikanischen Staaten befürwortet. 1822/23 schloß sich Nicaragua kurzzeitig Mexiko an. Am 1. Juli 1823 erklärte eine verfassunggebende Versammlung in Guatemala die Unabhängigkeit Zentralamerikas. Die fünf zentralamerikanischen Staaten Guatemala, Honduras, El Salvador, Nicaragua und Costa Rica gründeten die Provincias Unidas de América Central. Am 22. November 1824 kam es zur Verabschiedung der föderativen Bundesverfassung. 1826 trat die erste nicaraguanische Landesverfassung in Kraft, die vornehmlich liberal geprägt war und ein Präsidialsystem mit einer kompetenzschwachen Exekutive vorsah. Da sowohl die konservative Partei als auch die Liberalen versuchten, die Kontrolle über diese neu gegründete Regierung zu erlangen, kam es zu kriegerischen Auseinandersetzungen, sowohl im eigenen Land als auch zwischen den zum Bund gehörigen Staaten. Infolgedessen wurde dieser Staatenbund im Jahre 1838 wieder aufgelöst (Rothschuh Tablada u. a. 1988, 16ff)- Diese Entscheidung beendete jedoch nicht den Konflikt zwischen den beiden politischen Parteien. Zwischen 1821 und 1857 wurde der Krieg um die Regierungskontrolle weiter fortgesetzt. Nachdem Spanien seine Vormachtstellung in Nicaragua verloren hatte, begannen Großbritannien und die Vereinigten Staaten sich für diese politisch wichtige Region zu interessieren. Als die liberale Partei Nicaraguas sich weigerte, die konservative Regierung unter Leitung von Fruto Chamorro aus Granada anzuerkennen, brach 1854 ein Bürgerkrieg aus (Mulligan 1991, 25). Die liberale Fraktion in León bat William Walker, einen amerikanischen Freibeuter und Sklavenhalter, um Hilfe. Walker kam am 16. Juni 1855 mit einer kleinen Gruppe von Anhängern nach Nicaragua, griff Granada an und siegte. Innerhalb eines Jahres nach der Eroberung machte er sich selbst zum Präsidenten Nicaraguas und teilte das Land und seine wirtschaftlichen Erträge unter seinen Anhängern auf. Er kontrollierte innerhalb kürzester Zeit die Politik und das Militär. Im März 1856 erklärten die fünf konservativen Regierungen Zentralamerikas, unter Führung von Costa Rica, den Freibeutern den Krieg. Nachdem William Walker 1857 vernichtend geschlagen war, verloren die Liberalen in Nicaragua an Macht. Um weiteren Streitigkeiten zwischen Konservativen und Liberalen vorzubeugen, war schon 1852 Managua zur neuen Hauptstadt erklärt worden. 1857 übernahm die konservative Partei die Regierung, die sie für die nächsten drei Jahrzehnte (bis 1893) behielt. Politisch war dies die erste stabile Periode in der nicaraguanischen Geschichte, basierend auf der Verfassung von 1858, die vor allem die Kompetenzen der Exekutive erheblich stärkte. Die Oppositionspartei wurde nicht mehr völlig aus der Regierung ausgeschlossen. Bis 1893 gelangten verschiedene konservative Präsidenten an die Macht, die alle eine erfolgreiche Amtszeit zu verzeichnen hatten. Die drei Jahrzehnte konservativer Regierung legten das Fundament für ein semi-patriarchales und semi-kapitalistisches System, dessen wirtschaftliche Basis vor allem der Kaffeeanbau und die Viehzucht waren und das zu einer Erholung der nationalen Wirtschaft führte. Zu einer Zersplitterung innerhalb der konservativen Partei kam es, als 1893 ein konservatives Parteimitglied aus León zum Präsidenten gewählt wurde. Das Volk
87 hoffte vergeblich auf revolutionäre politische Veränderungen. Dies führte im gleichen Jahr zu einer bewaffneten Revolution durch General José Santos Zelaya, einem Liberalen, der mit militärischen Mitteln die Regierung an sich riß. Zelaya führte grundlegende Veränderungen in Nicaragua ein. Er beendete die britische Dominanz an der Atlantikküste und gliederte diese Region wieder Nicaragua ein (Close 1979, 17). Zelaya verabschiedete 1893 eine neue Verfassung, die als La Libérrima - die freieste von allen - bekannt werden sollte. Sie garantierte persönliche Freiheit, Gleichheit und das Recht auf privaten Besitz. Trotzdem regierte Zelaya vornehmlich diktatorisch. Mit der neuen Verfassung von 1905 gingen dann die meisten dieser liberalen Regelungen wieder verloren. Im Streit um die Kanalpläne erzwang Washington im Jahre 1909 zusammen mit rebellischen Konservativen und liberalen Gegnern Zelayas Rücktritt (Knox Amendment). Von 400 amerikanischen Marinesoldaten an der Ostküste Nicaraguas unterstützt, wurden 1910 der Liberale Estrada zum Präsidenten und der Konservative Adolfo Díaz zum Vizepräsidenten gewählt. Schon nach sechs Monaten zerbrach die Regierung, und Adolfo Díaz wurde zum Präsidenten gewählt. Díaz konnte jedoch nicht den Frieden im Land wahren und bat die amerikanische Marine erneut um Hilfe. Im August 1912 landete das amerikanische Militär in Bluefields und blieb bis 1933. Politisch gesehen führten die Vereinigten Staaten zwei wichtige Reformen in Nicaragua durch, um das Land zu einer stabilen liberalen Demokratie zu führen. Die erste Reform bestand in der Organisation von Wahlen unter Aufsicht in den Jahren 1924, 1928 und 1932. Die zweite Reform bezog sich mehr auf die innerstaatliche Stabilität. Um Nicaragua von den Partisanenkriegen zu befreien, gründeten die USA die Nationalgarde - eine Polizeimacht, die aus Nichtpartisanen bestand (Close 1979, 18ff). Keine dieser Reformen blieb nach Abzug des amerikanischen Militärs bestehen. Im Jahre 1926 zettelten die Liberalen eine Revolution an, die diesmal nicht durch den Einsatz amerikanischer Truppen gestoppt werden konnte. Die Vereinigten Staaten sahen sich gezwungen, politisch zu intervenieren. Sie schlössen am 4. Mai 1927 einen Friedensvertrag zwischen den Konservativen und den Liberalen. Dieser Vertrag, bekannt als der Frieden von Tipitapa {El Espino Negro), setzte den liberalen General José María Moneada als Präsidenten ein. Alle Parteien waren bereit, den Vertrag zu unterzeichnen, mit Ausnahme von General Augusto César Sandino (Rothschuh Tablada u. a. 1988, 20ff). Der 'General des freien Mannes', wie das nicaraguanische Volk ihn nannte, war bekannt für seine stark nationalistische und antiimperialistische Einstellung. Sein Ziel war vor allem, den amerikanischen Interventionen ein Ende zu bereiten, die nicaraguanische Souveränität wiederherzustellen und seinem Volk das Recht auf Selbstbestimmung zu erkämpfen (Junghanns 1986; Wünderich 1995). Sandino gründete eine kleine, aber starke Kampftruppe - den Ejército Defensor de la Soberanía Nacional (EDSN). Mit dieser Truppe, bestehend aus Kleinbauern und Landarbeitern, ging Sandino zur Guerilla-Taktik über. Nach sechseinhalb Jahren Kleinkrieg zwang er die nordamerikanischen Truppen Anfang 1933 zum Verlassen des Landes. Am 22. Februar 1933 legte das EDSN seine Waffen offiziell nieder. Sandino wurde die Kontrolle über 36.800 Quadratkilometer Land in den Segovia-Bergen übertragen. Doch in der Nacht des 21. Februar 1934 wurde er von einer Patrouille der Nationalgarde festgenommen und auf Befehl von Anastasio Somoza erschossen. Für Somoza war jetzt der Weg zur Präsidentschaft frei. Durch einen Militärputsch zwang dieser den amtierenden Präsidenten und den Vizepräsidenten im Mai 1936
88 zur Abdankung. In gefälschten Wahlen wurde Somoza am 1. Januar 1937 Präsident von Nicaragua. Damit begannen zwei Jahrzehnte härtester Diktatur. Somozas erste Amtshandlungen bestanden aus der vollständigen Änderung der Verfassung, wodurch er selbst seine Amtsperiode bis 1947 ausdehnte. Die zahlreichen Verfassungen (1939, 1948, 1950, 1974) und Reformen (1955, 1959, 1962, 1966) dienten nur dem Ziel, die Macht der Somozas zu sichern und die amtierende Regierung zu legitimieren (Fuchs 1988; O'Donell 1989). Der neue Staat, den Somoza aufbaute, war vorwiegend zentralistisch organisiert. Um auf die Wirtschaft seines Landes Einfluß nehmen zu können, gründete Somoza die Banco Central de Nicaragua, die er selbst leitete und damit zu seiner persönlichen Bank machte. Eine weitere Veränderung betraf die Nationalgarde. Sie wurde militärisch verstärkt und mit vielen Kontrollzuständigkeiten betraut. Die liberale Partei (Partido Liberal Nacionalista/PLN) wurde zu Somozas persönlichem politischen Instrument, während die konservative Partei durch Verfolgung und Repressalien bedroht war. Alles in allem ruhte die Macht aller Somozas auf füinf Pfeilern: 1. der völligen Kontrolle der Nationalgarde, die zugleich Armee, Polizei und Geheimdienst mit einem großen Repressionspotential war; 2. der Kontrolle über den korrupten politisch-administrativen Apparat, einschließlich der PLN; 3. wirtschaftlichen Machtmitteln durch die sog. kriminelle Bereicherungsdiktatur; 4. der Duldung der traditionellen Oligarchie, aus der sich in den fünfziger Jahren drei große Kapitalgruppen herausbildeten; 5. dem Rückhalt aus den USA (Krennerich 1992, 207). Im Zweiten Weltkrieg bereicherte sich Somoza vor allem an konfisziertem deutschen und italienischen Grundbesitz - vorwiegend Kaffeeplantagen. Damit wurden die Somozas zur reichsten Familie des Landes. Am Ende des Zweiten Weltkrieges bewirkte die antifaschistische Bewegung in Guatemala einen demokratischen Wandel in der Regierung, wodurch sich eine starke Oppositionbewegung gegen Somoza bildete. Die Vereinigten Staaten, die sich der Unterstützung ihrer Alliierten in Zentralamerika versichern wollten, setzten Somoza politisch unter Druck. Daß er damals nicht gestürzt wurde, wie es bei den Diktatoren in Guatemala und El Salvador der Fall war, hatte er nur seinem politischen Geschick zu verdanken. Der Druck durch die Vereinigten Staaten und interne politische Probleme ließen Somoza 1946 von seinem Amt zurücktreten. Um die Kontrolle im Land zu behalten, stellte er für die Neuwahlen einen Kandidaten aus den eigenen Reihen auf: Leonardo Argüello, ein Mitglied der liberalen Partei. Argüello gewann die Wahlen 1947, blieb aber nur 27 Tage im Amt. Als Somoza erkannte, daß Argüello politische Unabhängigkeit erstrebte, setzte er ihn kurzerhand wieder ab und änderte die Verfassung diesmal mit streng antikommunistischen Gesetzen und Klauseln. Als Präsident setzte Somoza seinen Onkel Victor Román y Reyes ein. 1950 wurde Somoza durch die immer stärker werdende Opposition gezwungen, einen Pakt mit dem Parteiführer der Konservativen, General Emiliano Chamorro, zu schließen. In diesem Pakt garantierte er der Minderheitspartei für jede Wahl ein Drittel der Sitze im Kongreß und einen Platz im obersten Gerichtshof. Am 21. September 1956 wurde Anastasio Somoza Garcia von dem jungen nicaraguanischen Literaten Rigoberto López Pérez in León niedergeschossen und starb wenige Tage darauf. Nach Somozas Tod übernahm der ältere der beiden SomozaSöhne, Luis Somoza Debayle, die Präsidentschaft Nicaraguas. Er begann seine Amtszeit mit dem Aufspüren von verbliebenen "kommunistischen Verschwörern". Erst später zeigte er sich als der politische Reformer. Er versuchte seine Familie aus dem Brennpunkt der öffentlichen Politik zu nehmen, um weniger ein Ziel für die
89 Rebellen zu sein. 1958 veranlaßte er eine Verfassungsänderung, die dem regierenden Präsidenten verbot, sich oder einen Blutsverwandten bis zum vierten Grade zur Wiederwahl aufstellen zu lassen. 1959 drangen Rebellentruppen unter der Führung von Pedro Joaquín Chamorro und Enrique Lacayo von Costa Rica in Nicaragua ein, um die Diktatur zu stürzen. Luis Somoza schlug diese Rebellion nieder. Jedoch bildete sie den Auftakt einer zwanzigjährigen Revolte gegen die Somoza-Dynastie, die das Land lang erschüttern sollte. Im Juli 1961 trafen sich Carlos Fonseca, Tomás Borge und Silvio Mayorga in Tegucigalpa (Honduras) und gründeten den Frente Sandinista de Liberación Nacional (FSLN) als Befreiungsbewegung und entschieden sich, einen Guerilla-Krieg zu führen. 1963 beendete Luis Somoza Debayle seine Amtsperiode und brachte bei den nächsten Präsidentschaftswahlen seinen Kandidaten René Schick an die Macht. Schick regierte das Land im Sinne der Somozas von 1963 bis 1966. Er starb 1966 und wurde bis zu den Neuwahlen 1967 von einem Somoza-Anhänger ersetzt. 1967 gewann Anastasio 'Tachito' Somoza Debayle nach einem blutigen Volksaufstand die Präsidentschaftswahlen. Da die Opposition, bestehend aus den Konservativen, den unabhängigen Liberalen, Christlich Sozialen und den Sozialisten, keine Chance zu einem legalen Sieg bei den gefälschten Wahlen sah, kam es am 22. Januar 1967 zu einer Massendemonstration, die von der Nationalgarde blutig niedergeschlagen wurde. Somoza hatte nach diesem Einsatz das Volk gegen sich. Er änderte erneut die Verfassung, indem er zwar alle Wahlen bis 1974 verschob, aber dennoch der konservativen Partei 40 Prozent der Sitze im Kongreß garantierte. Das große Erdbeben von 1972, bei dem Managua fast vollständig zerstört wurde, festigte die zentralistische Macht Somozas noch mehr, da der Diktator im Neuaufbau der Stadt eine große Chance sah, seinen Reichtum zu vergrößern (Close 1979). Von den 32 Millionen US-Dollar, die von den Vereinigten Staaten als finanzielle Hilfe zur Verfügung gestellt wurden, flössen nur 16 Millionen in den Wiederaufbau. Das unzufriedene Volk konnte Somoza aber nicht daran hindern, sich 1974 wieder zur Wahl zu stellen. Damals gab es keinen ernstzunehmenden Gegner, da die einzige politische Opposition, die Unión Democrática de Liberación (UDEL), die Wahlen boykottierte. Durch die Menschenrechtspolitik des US-Präsidenten Carter kühlten auch die politischen Beziehungen Nicaraguas zu den USA erheblich ab. Während der FSLN auf Guerilla-Art gegen das Regime vorging, suchte die UDEL unter Führung Pedro Joaquín Chamorros eine politische Lösung des Konflikts mit Somoza - jedoch ohne Erfolg. Im Oktober 1977 wurde aufgrund dieser Mißerfolge der Opposition die Gruppe der Zwölf (Los Doce) gegründet. Die aus Akademikern und Staatsbeamten bestehende Gruppe rief zu einem Volksaufstand auf, um Somoza zu stürzen. Die Zwölf vereinigten sich mit den Sandinistas und sahen sich gezwungen, nach Costa Rica zu flüchten. Am 9. Januar 1978 fiel Pedro Joaquín Chamorro einem Mordanschlag zum Opfer. Obwohl Somoza seine Unschuld an diesem Mord beteuerte, kam es zu großen öffentlichen Protesten und einem landesweiten Streik. Im März bildeten sich weitere Oppositionsgruppen. Geschäftsleute und Akademiker gründeten die nicaraguanischdemokratische Bewegung - Movimiento Democrático Nicaragüense (MDN). Zwei Monate später vereinigte sich die MDN mit der Gruppe der Zwölf und der UDEL zur Frente Amplio Opositor (FAO). Zur gleichen Zeit wurde dem Movimiento Pueblo
90 Unido (MPU) von vierzehn linksgerichteten Parteien, Studentengruppen und anderen Organisationen gegründet (Close 1979, 33ff). Die USA sahen in Somozas politischer Schwäche eine große Gefahr für ihre Außenpolitik. Sie wollten das Somoza-Regime erhalten, jedoch ohne Somoza somocismo sin Somoza. Aus diesem Grund suchten sie eine Einigung mit dem FAO, um den Diktator abzusetzen und gleichzeitig einer sandinistischen Machtübernahme entgegenzuwirken. Es kam daraufhin zu einer Spaltung des FAO. Die unabhängigen Liberalen, die Christlich-Sozialen und die Gruppe der Zwölf verließen diese Organisation und schlössen sich der MPU an. Sie gründeten die nationale patriotische Front - Frente Patriótico Nacional (FPN). Der FSLN rief im Juni 1979 zu einer letzten Offensive auf. Die landesweite Revolution betreite Stadt für Stadt von den Militärs Somozas, und die siegreiche FSLN marschierte am 19. Juli 1979 in Managua ein. Zwei Tage vorher hatte Somoza das Land verlassen. Ein Jahr später, am 17. September 1980, wurde er in Asunción (Paraguay) bei einem Anschlag ermordet. Der FSLN bildete eine Interimsregierung für den nationalen Wiederaufbau (Junta de Gobierno de Reconstrucción Nacional / JGRN). Die Verfassung von 1974 wurde außer Kraft gesetzt, der nationale Kongreß aufgelöst und die Nationalgarde Somozas durch die sandinistische Armee ersetzt. Im Mai 1980 wurde ein 47-köpfiger Staatsrat ernannt, der repräsentativ aus allen verschiedenen sozialen, politischen und wirtschaftlichen Kreisen Nicaraguas bestehen sollte, die gegen Somoza gekämpft hatten. 1981 reduzierte man die fünfköpfige Junta auf drei Personen, mit Kommandant Daniel Ortega Saavedra als Vorsitzendem. Die Junta entwarf ein vorläufiges Regierungsprogramm, das auf drei Grundprinzipien basierte: 1. gemischte Wirtschaft; 2. politischer Pluralismus; 3. Neutralität und Blockfreiheit. Zur gleichen Zeit übernahm die Revolutionsregierung die Kontrolle über 30 Prozent der erschlossenen landwirtschaftlichen Nutzfläche, 40 Prozent der großen Industriebetriebe, 14 Radiostationen, zwei Fernsehsender und eine Tageszeitung (Letz 1986, 229). Die Sandinistas verschafften sich auch die staatliche Kontrolle über den Finanzsektor und den Außenhandel und nahmen eine ausgedehnte Agrarreform vor. Um den politischen Pluralismus zu gewährleisten, sollten der Staats- und Regierungsrat zusammen die legislativen Tätigkeiten ausüben. Das offizielle Ziel der Sandinistas war, eine demokratische Volksrepublik zu gründen, in der dem einzelnen Bürger die persönliche Freiheit, die Freiheit der Gedanken, der Meinung und der Presse sowie die grundsätzlichen Menschenrechte garantiert werden sollten. Die USA erblickten jetzt in Nicaragua eine große Bedrohung, vor allem für ihre wirtschaftlichen und politischen Ziele. Nachdem Ronald Reagan 1981 Präsident geworden war, stoppten die USA jegliche finanzielle Hilfe für das Land und übten Druck auf internationale Hilfsorganisationen sowie Banken aus. Ende des Jahres 1981 stellten die Vereinigten Staaten die Summe von 10 Millionen US-Dollar bereit, um eine gegenrevolutionäre militärische Gruppe zu finanzieren, die das sandinistische Regime stürzen sollte. Die Contras operierten zuerst von Honduras und später auch von Costa Rica aus, so daß Nicaragua von beiden Landesgrenzen her angegriffen wurde. Der Krieg zog sich die ganzen achtziger Jahre hin. Im Januar 1984 verkündete die FSLN Neuwahlen für November desselben Jahres. Daniel Ortega, der Vorsitzende der regierenden Junta, wurde mit 67 Prozent der Stimmen zum Präsidenten gewählt. Die FSLN gewann 61 von 96 Sitzen in der Nationalversammlung. Die neue Regierung trat im Januar 1985 ihr Amt an. Zwischen 1985 und 1986 arbeitete eine parlamentarische Kommission eine politische Konstitution aus. Ziel war es,
91 das Konzept einer Volksdemokratie verfassungsmäßig zu verankern. So kam es zur Verfassung von 1987. US-Präsident Reagan erkannte die neue Regierung nicht an. Er erklärte die Wahlen für ungültig und gefälscht und vor allem für undemokratisch. Im Mai 1983 begannen die USA mit einem Handelsembargo gegen Nicaragua. Das Embargo blieb fünf Jahre in Kraft und brachte für Nicaragua den wirtschaftlichen Zusammenbruch. Der Krieg und die Wirtschaftsmisere führten zu einer Inflation bis zu 30.000 Prozent im Jahre 1988. Die Regierung versuchte die Contras zu bekämpfen und erließ Gesetze (z. B. das zur Wehrpflicht), um die kämpfende Truppe zu erhalten. Die Bevölkerung des Landes wurde dabei erneut unterdrückt. Der US-Kongreß verabschiedete das Boland Amendment und andere Gesetzesvorlagen, um dem Krieg ein Ende zu bereiten. Der Präsident und der CIA unterstützten weiter die Contras, jedoch diesmal in Form einer Geheimoperation. Erst die IranContra-Affare deckte auf, daß der CIA illegal Waffen an den Iran verkauft hatte, um die Contras in Zentralamerika weiterhin zu finanzieren. Im August 1988 unterzeichneten die Länder Costa Rica, Honduras, El Salvador, Guatemala und Nicaragua schließlich einen Friedensvertrag, der vom costaricanischen Präsidenten Oscar Arias Sánchez entworfen worden war. Dieser Vertrag wurde als großer Schritt in der Geschichte Zentralamerikas angesehen, doch wurde das Friedensabkommen nie ganz erfüllt. Die nächsten Wahlen wurden für Februar 1990 festgesetzt. 1989 wurde die Unión Nacional Opositora {UNO) gegründet, ein Bündnis von 14 kleineren Parteien, deren Gemeinsamkeit lediglich in der Opposition gegen die Sandinisten bestand (Arnson / Mendelson Forman 1991, 98f). Als ihre Präsidentschaftskandidatin stellte die UNO Violeta Barrios de Chamorro auf, die Witwe des ermordeten Pedro Joaquín Chamorro, des Zeitungsverlegers der La Prensa, dessen Ermordung die Revolution ausgelöst hatte. Die Wahlen fanden am 25. Februar 1990 statt. 86 Prozent der registrierten nicaraguanischen Wähler nahmen an der Wahl teil. Chamorro erhielt 54,7 Prozent der Stimmen, Daniel Ortega Saavedra 40,8 Prozent. In der Nationalversammlung gewannen die UNO 51 von 92 Sitzen und der FSLN 39. Damit fehlte der UNO eine Stimme, um die für Verfassungsänderungen notwendige Mehrheit zu haben. Somit blieb die unter der FSLN-Regierung verabschiedete Verfassung von 1987 zunächst bestehen. Der wirtschaftliche Aufschwung, den Violeta Chamorro vorausgesagt hatte, ließ auf sich warten. Die USA hoben zwar ihren Wirtschaftsboykott auf, die versprochene finanzielle Hilfe kam jedoch erst später. Der FSLN zerfiel nach den verlorenen Wahlen in zwei Gruppen. Es bildete sich ein radikaler, orthodoxer Flügel und ein sogenannter liberaler, gemäßigter Frente. Der orthodoxe Flügel, dem auch Daniel Ortega und Tomás Borge angehören, blieb die politisch und sozial einflußreichste Gruppe im Staat. Die liberale Fraktion wurde von dem ehemaligen Vizepräsidenten Sergio Ramírez sowie dem Comandante Henry Ruiz geleitet. Beide befürworteten einen reformerisch-sozialdemokratischen Kurs. Violeta Chamorro erfüllte zwar ihre Wahlversprechen, den Contra-Krieg zu beenden und die Wehrpflicht abzuschaffen. Ihr Versuch, einen politischen Konsens herzustellen, stieß jedoch auf Widerstand in der UNO. Weiterhin gelang es ihr nicht, die Wirtschaft Nicaraguas rasch wiederauf zubauen. Wohl führte sie die neue Währung, den Córdoba Oro (Goldcórdoba), ein, aber sie setzte ganz auf die Privatisierung der Wirtschaft und Auslandsinvestitionen, ohne die landeseigene Produktion anzukurbeln und damit Arbeitsplätze zu schaffen.
92 1994 kam es zu einer der schwersten Krisen seit Ende des Bürgerkrieges, ausgelöst durch die angespannte Wirtschaftslage. Es kam zu einer Geiselnahme von UNOAbgeordneten und zur Entführung von Mitgliedern des FSLN. Ferner wurden die Stadt Esteli und weitere Dörfer im Norden von ehemaligen Contras und nicaraguanischen Rebellen besetzt. Man fand außerdem geheime Waffenlager. Kurzzeitig sah es so aus, als ob Nicaragua wieder in die Wirren eines Bürgerkrieges verwickelt werden sollte. Die Absetzung des Zeitungsdirektors Carlos Fernando Chamorro beim sandinistischen Presseorgan Barricada im Oktober 1994 führte zu Spannungen innerhalb des FSLN. Im November 1994 trat der Dichter Ernesto Cardenal aus der sandinistischen Partei aus. Ortega ließ seinen politischen Widersacher Ramírez über Radio Ya, einen sandinistischen Radiosender, öffentlich diffamieren. Ramírez trat daraufhin aus des FSLN aus und gründete im Mai 1995 die Partei Movimiento de Renovación Sandinista (MRS). Ein weiteres Problem, das Nicaragua 1994 beschäftigte, war die Verfassungsreform. Nachdem die neue Verfassung am 25. November 1994 schon einmal verabschiedet worden war, mußte sie bis zum März 1995 ratifiziert werden. Violeta Chamorro machte jedoch vorher von ihrem Veto-Recht Gebrauch und stellte sich damit gegen das Parlament. Nach langen Wochen der Verhandlungen und Diskussionen verkündete das Abgeordnetenhaus schließlich die Verfassungsreform über Radio Nicaragua am 28. Februar 1995. Das Parlament setzte sich damit über die Befugnis der Staatspräsidentin hinweg, diese Veröffentlichung selbst vornehmen zu können. Nach Art. 21 der reformierten Verfassung tritt die Konstitution im Augenblick ihrer Veröffentlichung durch jede Art von Nachrichtenmedium in Kraft. Zwei Stunden darauf wandte sich Violeta Chamorro ebenfalls über Radio Nicaragua an die Bevölkerung und erklärte diese Veröffentlichung für verfassungswidrig. Während das Parlament in den darauffolgenden Monaten an der Gültigkeit der reformierten Verfassung festhielt, regierte die Präsidentin nach der alten Verfassung. Am 27. April 1995 wurde dieser Streit zur Entscheidung vor den Obersten Gerichtshof getragen. Erst am 15. Juni 1995 erzielte man eine Einigung. Die Regierung und das Parlament unterzeichneten am 2. Juli das Abkommen zur Beendigung des Verfassungsstreits. Die Reformen waren damit rechtsgültig, und Präsidentin Chamorro zog ihr Veto zurück. Die neue Verfassung wurde am 7. Juli 1995 offiziell verkündet. Bei den für den 20. Oktober 1996 angesetzten neuerlichen Präsidentschaftswahlen werden voraussichtlich Daniel Ortega für den FSLN und Arnaldo Alemán, der Ex-Bürgermeister von Managua, für die UNO kandidieren.
1.3.
Politisches System
Nicaragua ist seit 1990 eine präsidiale demokratische Republik. Seit Juli 1995 gilt die reformierte Verfassung, die auf derjenigen von 1987 basiert. Der Staatspräsident ist der Leiter der Exekutive, der durch Volkswahlen für eine fünfjährige Amtsperiode gewählt wird. Er kann nur einmal wiedergewählt werden, jedoch nicht unmittelbar nach Ablauf einer fünfjährigen Amtszeit. Verwandte des amtierenden Präsidenten dürfen sich nicht als Präsidentschaftskandidaten bei einer darauffolgenden Wahl aufstellen lassen. Der Staatspräsident wird von einem Vizepräsidenten und einem von ihm ernannten Kabinett unterstützt. Die Legislative besteht aus einer 92köpfigen Nationalversammlung, die ebenfalls für eine sechsjährige Amtszeit gewählt
93 wird. Dies geschieht auf der Basis des Verhältniswahlrechts (Brosnahan u. a. 1994, 392). Der Präsident der Republik, der zugleich Staatschef, Regierungschef und Oberbefehlshaber der Verteidigungs- und Sicherheitskräfte ist, hat die exekutive Macht. Zu seinen Aufgaben gehören die Ernennung der Minister und Vizeminister, die Ernennung aller Präsidenten und Direktoren staatlicher Einrichtungen, die Verwaltung der Wirtschaft und die Bekanntmachung einschlägiger Gesetze und Programme. Der Präsident ist außerdem für die Organisationsstruktur der Regierungsministerien sowie anderer staatlicher Institutionen zuständig. Ferner hat er die Möglichkeit, gegen jede Gesetzesvorlage sein Veto einzulegen. 1985 war Nicaragua noch in sechs Regionen und drei zonas especiales untergliedert. Violeta Chamorro jedoch kehrte zu dem traditionellen System von 15 Bezirken (inklusive der zwei autonomen Bezirke an der Atlantikküste) zurück. Diese 15 Bezirke untergliedern sich wiederum in 134 Gemeinden. Die Gemeinde- und Bezirksbehörden werden in freien und direkten Wahlen vom Volk für eine sechsjährige Amtsperiode gewählt. Die Regionen an der Atlantikküste haben ihre eigenen Gesetze. Sie haben das verfassungsmäßige Recht, gemäß ihrer historischen und kulturellen Tradition zu leben und Organisationen zu gründen. Der Staat garantiert diesen Gemeinden und Bezirken die freie Wahl ihrer Volksrepräsentanten sowie die Bewahrung ihrer Kultur, Sprache und Religion (Constitución Política de la República de Nicaragua, Art. 175-181).
1.4.
Wirtschaft
Während der Kolonialzeit war Nicaragua bereits ansatzweise durch seine IndigoAusfuhr an den Weltmarkt angekoppelt. Seit 1870 erfolgte der Aufbau zum KaffeeExportland. 1880 stieg die Nachfrage nach Kaffee auf dem von den Engländern kontrollierten Weltmarkt an. Von ihm war der Agrarexport Nicaraguas bis zur Weltwirtschaftskrise abhängig. Erst ab 1950 veränderte sich die Wirtschafts- und Gesellschaftsstruktur des Landes grundlegend (Krennerich 1992). Die Baumwollproduktion dehnte sich rasch aus, während sich die Industrialisierung hauptsächlich auf Nahrungsmittel, Getränke und Textilien beschränkte. Der Kaffee-Export konzentrierte sich nur noch auf die USA und Westeuropa. 1963 erwirtschafteten allein die Latifundien 75 Prozent der gesamten Kaffee-Einnahmen. Der rasante Anstieg der Weltmarktpreise für Baumwolle führte zu einer Erweiterung der Anbaugebiete auf Kosten des Grundnahrungsmittelsektors. 1970 konnten 25 Prozent der industriellen Produktion exportiert werden, während es 1960 nur knapp zehn Prozent waren. Insgesamt gesehen erlebte die Wirtschaft zwischen 1950 und 1975 ein imposantes Wachstum, das insbesondere auf die Nachfrage und die Preisentwicklung für Agrarexportprodukte auf dem Weltmarkt zurückzuführen war. Der wirtschaftliche Wohlstand blieb der breiten Bevölkerung jedoch versagt. Durch Somozas Politik der Bereicherung entstand eine Zweiklassenbevölkerung, die sich aus einer breiten armen Schicht und einer kleinen Anzahl wohlhabender Familien zusammensetzte. In den ersten Jahren nach der sandinistischen Revolution war die Wirtschaftslage Nicaraguas katastrophal. Infrastruktur und Produktionsanlagen waren in erheblichem Maße zerstört, und die Auslandsschulden beliefen sich auf 1,53 Milliarden US-Dollar. Hinzu kam eine massive Kapitalflucht während des Krieges. Die sandinistische
94 Regierung setzte auf eine economía mixta, wobei sich der Staatsanteil an der Erzeugung des BIP in der Zeit von 1978 bis 1980 von 15 Prozent auf 41 Prozent erhöhte. Bis 1982 wurden ein beachtliches Wirtschaftswachstum durch hohe Investitionsausgaben, Kredithilfen des Staates (durch Auslandshilfen finanziert) und eine Konsumforderung durch Anhebung der Einkommen erzielt. 1984 begann jedoch eine wirtschaftliche Talfahrt, die 1988 ihren Höhepunkt erreichte. Die Inflation entwickelte sich zur Hyperinflation bei einer Rate von 33.547,6 Prozent und einem BIP von minus 12,4 Prozent (1988). Die Ursachen für diese Entwicklung lagen vor allem in einem mangelhaft organisierten staatlichen Verteilungssystem sowie in fehlenden Produktionsanreizen, Investitionsboykotten und Kapitalflucht seitens nationaler Unternehmer. Extern führten der Verfall der internationalen Rohstoffpreise sowie der Handelsboykott der USA zum Wirtschaftskollaps. Ab 1988/89 leiteten die Sandinistas drastische Sparmaßnahmen ein, kürzten die öffentlichen Investitionen und die hohen Verteidigungsausgaben (1989 um etwa 39 %), schafften die staatlichen Subventionen ab, reduzierten die Zahl der Beschäftigten im öffentlichen Dienst und reprivatisierten einige staatliche Unternehmen. Von 1988 auf 1989 konnte so die Inflationsrate von 33.547,6 Prozent um die Hälfte gesenkt werden. Mit Beginn der neuen Regierung 1990 kam es zu Liberalisierungs-, Stabilisierungs- und Sparprogrammen. Violeta Chamorro führte am 13. August 1990 die neue Währung des Córdoba Oro ein, um eine Abwertung der Währung zu erreichen. Weiter hob die Regierung die Preise für Grundnahrungsmittel und Benzin an. Die Verkleinerung der Armee und des Beamtenapparates führte zu einer weiteren Entlastung im Staatshaushalt. Im Jahre 1994 betrugen das Wirtschaftswachstum 2,5 Prozent, die Inflationsrate 12,2 Prozent und die Auslandsschulden 11,6 Milliarden USDollar. Die Landwirtschaft ist ein wesentliches Standbein der nicaraguanischen Wirtschaft. Etwa 35 Prozent der werktätigen Bevölkerung sind hier beschäftigt. Die wichtigsten Anbaupflanzen sind Zuckerrohr, Mais, Kaffee, Bohnen, Reis, Knollenfrüchte, Bananen und Orangen. Das hauptsächliche Exportprodukt ist Kaffee. Im Zeitraum von 1990 bis 1992 stieg die Kaffeeproduktion von 28.000 auf 45.000 Tonnen an (Statistisches Bundesamt 1994). Gemessen an der Gesamtausfuhr Nicaraguas war der Kaffee 1992 mit 19 Prozent das primäre landwirtschaftliche Ausfuhrgut, gefolgt von Fleisch mit 15 Prozent, Baumwolle mit elf Prozent, Zucker mit elf Prozent, Krabben mit sechs Prozent und Bananen mit vier Prozent. Deutschland nahm allein 1992 16 Prozent der nicaraguanischen Exportgüter ab und steht damit auf Platz eins unter den Hauptabnehmerländern, gefolgt von den USA. Das Produzierende Gewerbe umfaßt die Bereiche der Energie- und Wasserversorgung, Bergbau, Verarbeitendes Gewerbe und Bau Wirtschaft. 1992 leistete das Produzierende Gewerbe einen Beitrag von 23 Prozent zur Entstehung des BIP. Die wichtigsten Sektoren im Produzierenden Gewerbe sind z. Z. der Bergbau mit einer Wachstumsrate von 11,8 Prozent und das Baugewerbe mit 6,3 Prozent (1992). Mineralische Bodenschätze bilden unter anderem Eisen, Zink, Zinn, Blei, Nickel und Wolframerz. Von wirtschaftlicher Bedeutung sind im wesentlichen nur der Abbau von Edelmetallen und Kupfer. Die wichtigsten Vorkommen befinden sich bei Siuna und Pis Pis in der Zelaya-Region. Der wichtigste Zweig des Verarbeitenden Gewerbes ist die Nahrungs- und Genußmittelproduktion, die sich auf die im Lande erzeugten Agrarprodukte stützt. Es dominieren das Leder-, Textil- und Bekleidungsgewerbe und die Chemische Industrie. Das Verarbeitende Gewerbe ging von 1980
95 bis 1990 stark zurück. 1995 wurde jedoch erstmals wieder mit einem positiven Wachstum von fünf Prozent gerechnet. Der Dienstleistungssektor umschließt in Nicaragua die Bereiche des Handels, der kommunalen und sozialen Dienstleistungen, des Banken- und Versicherungswesens sowie die Bereiche des Verkehrs und der Kommunikation. Der Dienstleistungssektor war 1992 mit 47 Prozent am BIP beteiligt und gewinnt zunehmend an Bedeutung. Die Regierung Chamorro leitete zuerst eine Umstrukturierung des Bankwesens ein. Viele Finanzierungsinstitute wurden privatisiert. 1991 führte Nicaragua als Folge eines Schuldzinserlasses ein neoliberales Strukturanpassungsprogramm durch, das seine negativen Auswirkungen vor allem im Dienstleistungssektor zeigte. Zwei Drittel der Stellen im öffentlichen Dienst wurden gestrichen, und es kam zu drastischen Kürzungen im Gesundheits- und Erziehungssektor. 1995 gab es weitere Kürzungen im nicaraguanischen Haushaltsbudget für die Sektoren Bildung, Erziehung und Gesundheitswesen. Die Tourismusbranche ist der noch am wenigsten entwikkelte Bereich des Dienstleistungssektors, doch war 1994 eine positive Wachstumsrate zu beobachten. Die Außenhandelsbilanz Nicaraguas ist auch in den neunziger Jahren weiterhin negativ geblieben. Der Einfuhrüberschuß belief sich 1992 auf 548 Millionen USDollar, gegenüber 307 Millionen US-Dollar im Jahre 1990.
1.5.
Bevölkerung und Sozialstruktur
In Nicaragua leben heute rund 4,1 Millionen Einwohner. Für den Zeitraum von 1971 bis 1990 ließ sich eine durchschnittliche Wachstumsrate von 3,9 Prozent errechnen (Statistisches Bundesamt 1991, 21). 1994 betrug sie 3,24 Prozent. Die Bevölkerungsdichte liegt bei 33,7 Einwohner pro Quadratkilometer. In der pazifischen Region leben 2,52 Millionen Einwohner. Allein in der Hauptstadt Managua sind es 1,14 Millionen Menschen. Der Urbanisierungsgrad in Nicaragua hat sich in den letzten 30 Jahren erhöht. Während 1963 noch 61 Prozent der Bevölkerung auf dem Land lebten, waren es 1994 nur noch 44 Prozent. Das Hauptmerkmal der nicaraguanischen Bevölkerung ist der hohe Anteil junger Menschen. Fast die Hälfte ist jünger als 15 Jahre. Der Bevölkerungsanteil der zwischen 15- und 30jährigen beträgt 26 Prozent. Nur drei Prozent der Bevölkerung sind älter als 65 Jahre (Statistisches Bundesamt 1994, 212). Laut nicaraguanischen Regierungsstatistiken von 1992 gliedert sich die ethnische Struktur der Bevölkerung in 87 Prozent Mestizen, meist Abkömmlinge spanischindianischer Vorfahren, neun Prozent Schwarze, die vorwiegend an der Atlantikküste angesiedelt sind, und vier Prozent Indianer. Die Indianer sind während der spanischen Koloniaizeit fast völlig ausgerottet worden. Das römisch-katholische Bekenntnis ist die vorherrschende Religion in Nicaragua. Etwa neun Zehntel der Bevölkerung sind katholisch. Die restlichen zehn Prozent sind überwiegend Protestanten, bestehend aus Baptisten, der Pfingstgemeinde und der nicaraguanischen Kirche, den moravianischen Protestanten (Brosnahan u. a. 1994, 393f). Das Bildungswesen Nicaraguas hat sich durch die Bildungsreform und Alphabetisierungskampagne unter der sandinistischen Regierung von 1979 bis 1990 stark entwickelt. Während 1971 noch eine Analphabetenquote von 43 Prozent festgestellt wurde, waren es 1983 nur noch 12 Prozent. Für 1994 wird jedoch wieder eine
96 höhere Quote von 24,9 Prozent angegeben. Seit 1979 besteht für Kinder im Alter von sechs bis acht Jahren eine Schulpflicht. Der Besuch von Grund- und Mittelschulen ist kostenfrei. Die Zahl der Schüler hat sich sehr erhöht. So besuchten 1993 ungefähr 1,38 Millionen Schüler eine Grund-, Mittel- oder Hochschule, während es 1987 nur rund 715.000 waren (Instituto Nacional de Estadísticas y Censos 1994). In Nicaragua beträgt der Anteil der erwerbsfähigen Bevölkerung (zwischen 15 und 65 Jahren) 53 Prozent. Tatsächlich erwerbstätig waren 1993 jedoch nur 46 Prozent. Das liegt zum einen an der schlechten wirtschaftlichen Lage und zum anderen an dem Anteil von Jugendlichen und Kindern in der Bevölkerung, die noch keinen Beruf ausüben. Die Arbeitslosenquote für das Jahr 1994 betrug offiziell 21,8 Prozent (1988: 26,6 %), der Anteil der Unterbeschäftigten lag bei 28,3 Prozent (ebd.). Rund 95 Prozent der Bevölkerung Nicaraguas sprechen Spanisch, die Hauptsprache des Landes. Englisch wird noch an der Atlantikküste gesprochen, indianische Sprachen sind nur noch in sehr geringem Umfang anzutreffen.
2.
Rechtliche Grundlagen der Massenmedien
Die rechtlichen Grundlagen der Massenmedien haben sich in Nicaragua mit den zahlreichen, in der Geschichte des Landes erlassenen Verfassungen erheblich gewandelt (vgl. Fuchs 1988). In Artikel 29 der liberalen Verfassung von 1826 wurde erstmals festgelegt, daß die Freiheit des gesprochenen, geschriebenen und gedruckten Wortes das höchste und geheiligte Recht der Bürger des Landes sei. Dieses verfassungsmäßige Recht dürfe weder versagt, noch durch eine Vorzensur eingeschränkt werden. In Artikel 29 und 30 der Verfassung von 1838 spezifizierte man dieses Recht wie folgt: Kein Mensch dürfe bedroht, bestraft oder verfolgt werden, wenn er sein Recht auf freie Meinungsäußerung in Anspruch nehme. Weiter wurde ausgeführt, daß jeder für den Mißbrauch dieses Rechtes zur Verantwortung gezogen werde. Die Verfassung von 1854 verzichtete auf diese Erweiterung und berief sich wieder auf die grundsätzlichen Rechte von 1826. Grundlegende Änderungen im Presserecht gab es in der Verfassung von 1905. In Artikel 33 und 45 wurde festgelegt, daß die Verbreitung der Meinung in gesprochener oder geschriebener Form frei sei und kein Gesetz diese Freiheit beschränken dürfe. Diese Garantien konnten im Falle eines nationalen Notstandes aber außer Kraft gesetzt werden. Ausnahmen hiervon bildeten die Garantierechte, wie die Unverletzlichkeit des menschlichen Lebens und das Verbot der Verabschiedung von Konfiszierungsgesetzen. Kein Recht wurde im Verlauf der Geschichte Nicaraguas so oft "reformiert" wie die Pressefreiheit. Allein während der Somoza-Herrschaft wurden zahllose zusätzliche Dekrete zur Regulierung des Presserechts verabschiedet. Nach der Machtübernahme Somozas 1932 erfolgte die erste ausführlichere verfassungsmäßige Regelung des Presserechts im Jahr 1939. Artikel 129 und 130 der neuen Verfassung garantierten zwar das Recht der Presse und der freien Meinungsäußerung, schränkten diese jedoch auch erheblich ein. Eine Vorzensur gab es zwar offiziell nicht, jedoch konnte die Regierung Maßnahmen ergreifen, wenn es sich um Fotografien, Darstellungen oder gar öffentliche Veranstaltungen handelte, die als gefährdend für die Kinder, die Jugend oder die allgemeinen Sitten der Gesellschaft angesehen wurden. Entsprechendes galt für die Veröffentlichung unmoralischer oder pornographischer Litera-
97 tur. Als Mißbrauch angesehen wurden ferner Kriegspropaganda und Gewaltaufirufe durch die Medien, soweit diese die politische und soziale Ordnung des Landes gefährden konnten. Was bisher nur ansatzweise vorhanden war, wurde mit der Verfassung von 1948 voll wirksam: die vollständige staatliche Kontrolle über den Mediensektor. Die Artikel 96 und 97 dieser Verfassung drohten mit Strafen und Sanktionen bei Veröffentlichung regierungsfeindlichen Materials. Somoza konnte nun willkürlich Medieninstitutionen schließen, Journalisten verfolgen und inhaftieren und somit die unliebsame Presse unterdrücken. Um seine Macht weiter zu stärken, erließ Somoza 1953, 1956 und 1958 drei weitere Gesetze, die die Pressefreiheit vollständig außer Kraft setzten. Das Dekret Nr. 209 oder Ley de Prensa, das 1953 verabschiedet und 1956 reformiert wurde, führte erstmals die Impressumspflicht für Periodika ein. Der jeweilige Direktor der Publikation mußte seinen ständigen Aufenthalt im Lande haben. Weiter wurde ein regelrechter Katalog möglicher Verstöße gegen die Pressefreiheit aufgestellt. Zu diesen Verstößen gehörten laut Artikel 30 z. B. Veröffentlichungen, die einen propagandistischen oder kommunistischen Einschlag hatten und gegen staatliche Institutionen und die republikanisch-demokratische Regierung gerichtet waren. Neu war, daß kompromittierende Artikel über nicaraguanischer Politiker und Staatsmänner sowie Berichte über die internationale Politik und Wirtschaft Nicaraguas zensiert und unter bestimmten Umständen schwer bestraft wurden. Ebenso hart geahndet wurde der Versuch, mit Artikeln Panik in der Bevölkerung auszulösen. Artikel 40 bis 50 enthielten mögliche Strafen bei mehreren Vergehen gemäß Artikel 30. Die übliche Strafe bei geringeren Verstößen war eine dreimonatige Zwangsschließung der Redaktion und die Zwangsenthebung der Direktoren, die für unbestimmte Zeit ein Berufsverbot erhielten. Dieses Gesetz, auch Ley de Bozal (Maulkorbgesetz) genannt, wurde am 10. Oktober 1958 von der Ley de Aclaraciones y Rectificaciones abgelöst, die sich nur formal von ihrem Vorgänger unterschied und von ihren Gegnern Ley Yugo (Jochgesetz) genannt wurde. Die harten Restriktionen und Repressalien, die die Pressestruktur in den fünfziger und sechziger Jahren fast vollständig zerstörten und nur wenigen großen Zeitungen ein Überleben ermöglichte, folgten auch aus diesem Gesetz. Nach der Kandidatur des letzten Somoza, Anastasio Somoza Debayle, trat am 25. Januar 1967 ein neues Pressegesetz in Kraft, das inhaltlich seinen Vorgängern völlig ähnelte und die Pressefreiheit weiterhin scharf beschränkte. Im April 1974 wurde dieses Gesetz infolge des neuen Strafgesetzes aufgehoben. Mit dem Ausruf des Belagerungszustands und der Einführung des Kriegsrechts am 28. September 1974 ersetzte das Strafgesetz alle Pressegesetze, die bis dahin existierten. Somoza griff immer wieder auf die Gesetze, insbesondere zur Ahndung von Beschimpfungs- und Verleumdungsdelikten, zurück. Dadurch konnte er beinahe jede Publikation und jeden Journalisten, die ihm unbequem wurden, eines Vergehens bezichtigen und durch das Militär verfolgen lassen. Zeitungen wurden konfisziert, Journalisten, Verleger, Druckereibesitzer und Zeitungsdirektoren verfolgt, inhaftiert, gefoltert oder ermordet. Erst am 19. September 1977 hob Somoza den Belagerungszustand und das Kriegsrecht wieder auf. Am 21. Juli 1979, nach der erfolgreichen Revolution des Frente Socialista de Liberación Nacional (FSLN), wurde in Artikel 21 der neuen Verfassung das Recht auf Meinungs- und Pressefreiheit neu verankert. Jedem war es jetzt wieder erlaubt, Informationen zu suchen, aufzubereiten und in mündlicher, geschriebener oder
98 gedruckter Form zu verbreiten (Jung 1988, 701ff). Schon am 20. Juli wurde das Dekret Nr. 8, Derogación de Leyes Represivas, verabschiedet, das die Aufhebung aller Mediengesetze der Somozas zum Inhalt hatte. Am 13. September 1979 wurde das Dekret Nr. 45, Ley General Provisional Sobre Los Medios de Comunicación, in La Gaceta veröffentlicht. Hierbei handelte es sich um das erste umfangreiche Mediengesetz, das die Sandinistas nach der Revolution erließen (Chamorro Cardenal 1989, 55ff). Im ersten Kapitel, Artikel 10 a.) - c.), berief man sich auf die fundamentalen und konstitutionellen Garantien der Pressefreiheit, die unantastbar seien. In Kapitel 2, Artikel 20 bis 40 listete die Regierung sogleich potentielle Verstöße gegen das Gesetz auf. Verboten waren u. a. Kritik oder Kommentare über die vorläufige Regierung, Medien mit "volksfeindlicher Haltung", die Darstellung der Frau als Sexualobjekt oder zu kommerziellen Zwecken, pornographische oder andere, die Menschenwürde gefährdende Bilder sowie die Werbung für alkoholische Getränke und Zigaretten. Kapitel 3 behandelte die Rechte von Radio und Fernsehen, und in Kapitel 4 wurde das Kultusministerium als oberstes Organ bestimmt, bei dem alle Publikationen registriert werden sollten. Weiterhin wurde in Kapitel 5 erklärt, professioneller Journalismus sei nur dann gewährleistet, wenn alle Journalisten mit ihren Rechten und Pflichten vertraut seien. Nach Artikel 90 mußte jeder Journalist Mitglied einer der offiziellen Gewerkschaften, der Unión de Periodistas de Nicaragua {UPN) oder des Syndiacto de Radioperiodistas de Managua (SRM) sein. In Kapitel 6 wurde die Gründung eines Consejo Especial Permanente angeordnet, der die funktionelle Regelung der Medien übernahm. Dieses Gremium bestand aus einem Repräsentanten des Kultusministeriums, einem ernannten Repräsentanten eines Mediums und einem Repräsentanten der Unión de Periodistas de Nicaragua (UPN). Ende September 1979 wurde dieses Gesetz bereits geändert. Hinzu kamen zahlreiche Artikel, die die regionale Verbreitung und Programminhalte der Medien betrafen. Dem Kultusministerium wurde die Dirección de Medios de Comunicación zugeordnet, die für Konzessionen, technische Geräte und die regionale Verbreitung der Medien sowie ihrer Programme zuständig war. Für jede Publikation mußte bei ihrer Anmeldung eine Gebühr von 2.000 Córdobas entrichtet werden, um eine Zulassung zu erhalten. Die Konzession konnte unter bestimmten Umständen wieder entzogen werden. Das Innenministerium, dem das Kultusministerium 1981 zugeteilt wurde, erließ am 10. September 1980 zwei Dekrete, Nr. 511 und 512, die besagten, daß kein Kommunikationsmedium der Republik befugt sei, Notizen oder Informationen, die die innere Staatssicherheit oder die nationale Verteidigung betreffen, zu veröffentlichen. Ferner wurde angeordnet, daß Wirtschaftsnachrichten, vor allem Informationen über Produktpreise und Bevölkerungskonsum, in jeder Hinsicht verboten seien. Am 30. April 1981 wurde abermals die Ley General Sobre Medios de Comunicación reformiert. Der Inhalt der Dekrete Nr. 511 und 512 wurde in den Artikel 1 des Gesetzes aufgenommen. Artikel 46 wurde erweitert, so daß der Consejo Permanente nun auch Vollmacht über temporäre Schließungen von Medien erhielt und nicht mehr nur für Konzessionsfragen zuständig war. Zwischen 1981 und 1982 wurden zahlreiche Notstandsgesetze erlassen. Alle Dekrete glichen sich in ihrer Grundstruktur - der Aufhebung aller Rechte und Garantien, die verfassungsmäßig festgelegt waren. Am 20. März 1982 erließ die Regierung das Dekret Nr. 996, La Ley de Emergencia Nacional, das allein bis 1984 achtmal geändert wurde und die Artikel 7, 11, 34 und 49 der Verfassung ergänzte. Für die Druckmedien bedeutete dieses Gesetz die Einführung der Vorzensur, die bis Oktober 1987 beibehalten und nur für die Neuwahlen 1984 gelockert wurde.
99 Zwischen dem 20. Juli und dem 8. November 1984 blieb die Einschränkung der Pressefreiheit im Zuge der Neuwahlen nur auf die nationale Sicherheit bezogen. Die sandinistische Regierung verabschiedete die Dekrete Nr. 1477 und 1480, welche die Wiederherstellung der Artikel 2 (Presse- und Meinungsfreiheit), Artikel 15 (Freiheit zur Verbreitung der Zeitungen), Artikel 28 (Recht auf Kundgebungen und Veranstaltungen), Artikel 21 (Recht der Presse- und Meinungsfreiheit für politische Parteien und Wahlteilnehmer) für den o. g. Zeitraum zum Inhalt hatten. Aber schon am 8. November 1984 wurde der nationale Notstand wieder verhängt, wobei man sich auf die Gesetze von 1982 bis Juli 1984 berief (Chamorro Cardenal 1989,58ff). Im Jahr 1987 verabschiedete die sandinistische Regierung eine neue Verfassung, die bis Juli 1995 in Kraft war und für diese Zeit die Grundlage des Presserechts bildete. 1989 verkündete Präsident Daniel Ortega Saavedra ein weiteres Gesetz zur Regulierung der Massenmedien, Ley General Sobre los Medios y la Comunicación Social, No. 57, das aber schon im März 1990 widerrufen wurde. In diesem Gesetz nahm die Regierung auf die Pressefreiheit, basierend auf Artikel 46 der Verfassung von 1987, Bezug. Allerdings unterschied sich dieses Gesetz kaum von seinen Vorgängern. In Kapitel I bis V wurde die Pressefreiheit zwar in jeglicher Hinsicht garantiert. In Kapitel VI bis X wurde jedoch wiederum auf die staatliche Regulierung der Medien und Sanktionen bei möglichen Pressedelikten verwiesen. Ausführlich war erstmals von der öffentlichen Aufgabe der Presse die Rede. So behandelte das neue Gesetz vor allem den Bildungs- und Erziehungsauftrag der einzelnen Medien in Kapitel II bis IV. Am 26. Oktober 1989 wurde das Gesetz in vier Artikeln nochmals reformiert. Abschnitt IV der Verfassung von 1987 regelte die Freiheit der Presse, Information und Meinung. Hier sind die Rechte, Pflichten und Garantien des nicaraguanischen Volkes geregelt. In Kapitel I (individuelle Grundrechte) bestimmen Artikel 29 und 30 die Freiheit der Nicaraguaner, ihre Meinung öffentlich oder privat, individuell oder gemeinschaftlich in Wort, Schrift oder in jeder anderen Form frei zu äußern (Jung 1988, 723). Durch Artikel 66 bis 68 wird garantiert, daß jeder Nicaraguaner das Recht auf zutreffende Informationen hat (ebd. 727). Diese Garantie schließt das Suchen und Auswählen von Informationen und deren Verbreitung durch jedes beliebige Medium mit ein. Der Informationsanspruch wird als gesellschaftliche Verantwortung beschrieben, die ein verfassungsmäßiges Prinzip ist und daher nicht durch Zensur eingeschränkt werden darf, jedoch den restriktiven Normen der Gesetze unterliegt. Im gleichen Zuge wurde festgelegt, daß die Massenmedien im Dienst der nationalen Interessen stehen. Der Einfluß ausländischer Interessengruppen und wirtschaftlicher Mächte sollte damit unterbunden werden. Der Wortlaut läßt sich aber auch im Sinne amtlicher Instrumentalisierung deuten. Die Artikel 185-186 der Verfassung über Ausnahmezustände gestatten dem Präsidenten, eine Reihe von Grundrechten und Garantien aufzuheben, wenn sich das Land im Krieg oder nationalen Notstand befindet, Naturkatastrophen oder innere Unruhen erleidet. Die Regierung behielt sich somit das Recht vor, im Falle einer Krise die Vorzensur wieder einzuführen. Die Verfassung fixierte ebenso eine Regelung über die autonome Region der Atlantikküste. Durch Artikel 90 ist garantiert, daß die dortigen Gemeinden ein Recht auf Meinungs- und Pressefreiheit haben und daß ihre unterschiedlichen Sprachen, ihre Kultur und ihre Kunst dem Schutz des Gesetzes unterliegen (Zaffaroni 1993 I, 306). In der im Juli 1995 in Kraft getretenen neuen Verfassung Nicaraguas wurde unter anderem Artikel 26 neu gefaßt. Dieser besagt, daß jedem Bürger das Recht
100 zusteht, alle Informationen über sich, die der Staat speichert, einzusehen. Außerdem ist der Staat nicht mehr befugt, auf Verdacht Hausdurchsuchungen anzuordnen oder in das Privatleben eines Verdächtigen einzudringen, wenn keine definitiven Beweise für ein Vergehen vorliegen. Der Schutz der Privatsphäre und der privaten Kommunikation ist damit erheblich erweitert worden. Nach Art. 68 unterliegen die Massenmedien jetzt nicht mehr der staatlichen Kontrolle. Vielmehr wird ihre neue Aufgabe als ein Beitrag zur Entwicklung der Nation verstanden. Jeder Nicaraguaner erhält das Recht auf freien Zugang zu den Medien. Der Staat behält allerdings seine Überwachungsfunktion in bezug auf die Einflußnahme ausländischer Interessensgruppen und wirtschaftlicher Unternehmen auf die Medien.
3.
Presse
3.1.
Geschichte
Während in Guatemala schon im 17. Jahrhundert eine Druckerpresse vorhanden war, gelangte diese technische Errungenschaft erst später nach Nicaragua. Doch profitierte man dort von der Einführung der Druckerpresse in dem zentralamerikanischen Nachbarland. 1753 wurde ein Kurierdienst eingerichtet, der monatlich zwischen Guatemala und Granada (Nicaragua) Nachrichten übermittelte. Mit diesem Kurierdienst erhielt man auch die ersten gedruckten Publikationen aus Guatemala, u. a. die 1729 gegründete Gazeta de Goathemala, deren Inhalt vorwiegend aus Informationen über die Provinzen des spanischen Königs, Statistiken über Handel, Bevölkerung, Verwaltung und aus allgemein Interessantem bestand (Cáceres de Meléndez 1972, 38). In den Jahren vor der Unabhängigkeitserklärung Nicaraguas, ab etwa 1820, kamen die sogenannten pasquines (Schmähschriften) und blasfemas (Blasphemien) auf. Die pasquines waren handgeschriebene, anonyme Schriften, die vor allem über politische und religiöse Ereignisse und hochgestellte Persönlichkeiten in satirischer Form berichteten. Die bekannteste unter diesen Schriften war La Loca, die 1826 erstmals erschien. Es wird angenommen, daß der Priester Desiderio de la Quadra der Verfasser dieser Schrift war. La Loca war in der besonderen Versform Dezime verfaßt und erschien in unregelmäßigen Abständen. Diese erste "Zeitung" Nicaraguas berichtete vor allem über politische Vorgänge in Granada. Bis zur ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erschienen noch zusätzlich die libelos (Pamphlete) und sátiras (Satiren), die in sogenannten erzählenden versos ensaladas gegen die Regierung protestierten und je nach Erscheinungsort auf die lokalen Nachrichten und Aktivitäten spezialisiert waren. Alle Publikationen dieser Epoche hatten die gleichen charakteristischen Merkmale: Sie erschienen unregelmäßig, waren handgeschrieben und benutzten die Versform, um zu berichten, zu polemisieren und ihre Gegner zu beschimpfen. Die Periode des handschriftlichen Journalismus endete etwa um 1870 (Universidad Centroamericana 1993 II, 3). Verschiedene Dokumente weisen darauf hin, daß die erste Druckerpresse 1825 nach Nicaragua kam. Verwaltungsakten in León bestätigten zwar den Kauf am 4. März dieses Jahres, doch scheint sie bis 1830 nicht verwendet worden zu sein. Die erste gedruckte Publikation erschien jedenfalls 1830, veröffentlicht von der Regierung. Es handelte sich um La Gaceta de Nicaragua. Dieser Staatsanzeiger erschien
101 nur ein einziges Mal. Er bestand aus verschiedenen Teilen, aus Auslandsinformationen, Regierungsnachrichten, Zeitgeschehen und Vermischtem. Am 31. August des gleichen Jahres wurde La Gaceta de Nicaragua durch den in Granada neu auftretenden Staatsanzeiger Gaceta del Gobierno ersetzt. Im April 1833 erschien in León La Opinión Publica. Diese Publikation berichtete vor allem über Grausamkeiten im Bürgerkrieg und versuchte, mehr oder weniger die Meinung des Volkes wiederzugeben. Am 21. Februar 1836 wählte die Asamblea Legislativa del Estado José Zapede zum Regierungschef. Zapede gründete noch im selben Jahr das Regierungsblatt El Telégrafo Nicaragüense, das die nächsten 15 Jahre in 14-tägigem Turnus erschien. Es verbreitete vor allem Regierungsnachrichten, befaßte sich aber auch mit kulturellen Ereignissen. Das Blatt wechselte in der Folgezeit mit jeder neuen Regierung seinen Namen. 1845 wurde El Telégrafo Nicaragüense in El Registro Oficial umbenannt, um dann 1848 seinen Namen in Gaceta del Gobierno Supremo del Estado de Nicaragua und 1857 in Gaceta Oficial de Nicaragua zu ändern. Noch drei weitere Regierungspublikationen erschienen bis zum Jahr 1849. Am 4. Oktober 1847 erschien El Regenerador Nicaragüense, eine Regierungszeitung, die hauptsächlich Berichte über die Arbeit der verfassunggebenden Versammlung veröffentlichte. 1849 folgten El Noticioso und El Correo de Istmo. Ab 1841 erschienen auch mehrere Zeitungen, die einen unabhängigen Charakter besaßen. Sie hatten aber eine eher geringe Auflage und waren sehr kurzlebig. Ein Spiegelbild der politischen Situation waren auch die Nachrichten, die entweder einen liberalen oder konservativen Charakter hatten. Die wichtigsten Zeitungen waren: - El Mentor Nicaragüense: gegründet am 6. November 1841 von Frutos Chamorro in Granada. Diese Zeitung erschien wöchentlich und brachte hauptsächlich Nachrichten über die Politik der konservativen Partei. - El Clamor del Pueblo: gegründet 1854 als politisch-ideologische Opposition zu El Mentor Nicaragüense, Sprachrohr der Demokratischen Partei. - Las Avispas: gegründet 1854 mit Verlagsort Granada. Berichte dieser Zeitung bezogen sich fast immer auf Zusammenstöße zwischen den Gruppen aus León und Granada. - El Centroamericano: gegründet 1857. Diese Publikation hatte einen eher versöhnlichen Charakter und versuchte, zwischen den Antagonisten Leóns und Granadas zu vermitteln (Talavera Torres 1965, 11; Bisbai 1984, 31f). Zwischen 1830 und 1858 erschienen in Nicaragua 44 Zeitungen. 29 von ihnen waren Regierungsblätter, 13 privater und zwei unbekannter Herkunft. Die Mehrheit der Publikationen erschien wöchentlich, zwei erschienen monatlich, die restlichen vierzehntägig oder in unregelmäßigen Abständen. Knapp zwei Drittel der registrierten Publikationen dieses Zeitraums erschienen in León, ein Drittel in Granada und ein Zehntel war verteilt auf Managua, San Fernando de Masaya, Greytown oder San Salvador (Cáceres de Meléndez 1972, 50). Durch die Unabhängigkeitsbewegung und den Einfluß des Amerikaners William Walker auf die Politik des Landes entstanden zwischen 1855 und 1865 zweisprachige Zeitungen in Nicaragua. Die bekannteste dieser Publikationen wurde erstmals am 20. Oktober 1855 in Granada unter dem Namen El Nicaragüense veröffentlicht. Der Inhalt der Zeitung war teils in spanischer, teils in englischer Sprache gedruckt.
102 Walker benutzte dieses Blatt, um Regierungs- und Wirtschafitsnachrichten bekanntzumachen. El Nicaragüense wurde aufgmnd des Krieges gegen die Freibeuter am 9. August 1856 eingestellt (Bisbai 1984, 33ff). Nach der Vertreibung der filibusteros im Jahr 1857 begann eine Periode, die in Nicaragua heute nur noch als die Treinta Años bezeichnet wird. Während der konservativen Herrschaft begann sich die politische und wirtschaftliche Struktur des neuen Nationalstaates zu festigen. Es entwickelte sich eine solide Wirtschaft, die die Entwicklung kultureller Institutionen und vor allem die Veröffentlichung zahlreicher periodischer Publikationen begünstigte. Am 11. März 1867 erklärte der neue Regierungschef Fernando Guzmán in seiner Antrittsrede, daß er die Presse als Stimme der öffentlichen Meinung und des Volkes anerkenne und dafür die Freiheit und Unabhängigkeit der Zeitungen sowie die Veröffentlichung ihrer Stellungnahmen und Kritiken garantiere. Dies war ein entscheidender Schritt zur Pressefreiheit, der die Expansion dieses Mediums maßgeblich beeinflußte. Zwischen 1858 und 1876 erschienen 59 periodische Druckwerke, die in drei Kategorien zu typisieren sind: "ministeriale" Publikationen, politische oder Parteipublikationen und die sogenannten unabhängigen Publikationen, die sich als eine Art "vierte Gewalt" im Staat sahen und über die Einhaltung der Freiheitsgarantien wachten. Die wichtigsten und langlebigsten Zeitungen dieser Periode waren El Centro-Americano, 1857 gegründet von Anselmo H. Rivas in Granada, El Porvenir de Nicaragua, gegründet 1865 in Granada von dem von Deutschen abstammenden Enrique Gottel, und die ebenfalls von ihm 1871 gegründete Publikation Notas geográficas y económicas sobre la República de Nicaragua. El Porvenir de Nicaragua bestand von 1865 bis 1886. Sie war die erste partei- und regierungsunabhängige Zeitung des Landes, die einmal wöchentlich in Rivas erschien (Instituto Nicaragüense de Cultura 1992, 19ff)- Der Schriftsteller Rubén Darío veröffentlichte hier seine ersten journalistischen Arbeiten. Nach dem Tod Gottels 1875 wurde El Porvenir de Nicaragua von dem Italiener Fabio Camevalini übernommen, der den Erscheinungsort der Publikation von Rivas nach Managua verlegte. Am 1. März 1884 erschien der vierseitige El Diario de Nicaragua, der von dem jungen General Rigoberto Cabezas und dem Journalisten Anselmo H. Rivas in Granada herausgegeben wurde. Vier Monate später trennten sich Cabezas und Rivas, da sie sich über die politische Richtung der Zeitung nicht einigen konnten. Aus El Diario de Nicaragua wurde El Diario Nicaragüense mit einer konservativen politischen Tendenz. 1885 wurde das erste Telegrafenbüro in Nicaragua mit Sitz in San Juan del Sur gegründet. Dies war eine entscheidende Hilfe für die Presse bei der Informationsbeschaffung. Ein Nachrichtendienst, von der Regierung finanziert, wurde gegründet, der auf telegrafischem Weg die neuesten Informationen an die Tageszeitungen übermittelte (Talavera Torres 1965, 12). Ab 1875 entwickelten sich periodische Publikationen mit Zeitschriftencharakter. Die erste, die bekannt wurde, war El Mensajero Corazón de Jesús. Sie kam 1875 in León heraus und war eine rein theologische Zeitschrift, die nur vier Jahre Bestand hatte. Bemerkenswert lange hielt sich die Zeitschrift La Patria. 1895 in León gegründet, überlebte sie 25 Jahre, die durch politische Umstürze und amerikanische Invasionen geprägt waren. Diese Publikation fand ihre Leserschaft vor allem unter den Intellektuellen. Sie veröffentlichte insbesondere Werke bekannter Dichter und Schriftsteller. Mit ihr begann in Nicaragua eine neue Ära des wissenschaftlichen und literarischen Journalismus. Eine Reihe regierungstreuer Publikationen, sogenannte Voces Oficiales, erschienen in den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts. Die bekanntesten waren El Once de Julio, El
103 Liberal, Ideas Liberales Independientes und La Democracia. Im Kontrast dazu gab es eine Reihe von Oppositionsblättern, die gegen das Zelaya-Regime gerichtet waren. Zu den bekanntesten gehörte El Cronista, gegründet von dem Konservativen Enrique Guzmán (Bisbai 1984, 38f). Die Atlantikküste Nicaraguas hat - unabhängig von der Pazifikregion - ihre eigene Pressegeschichte. Dies liegt u. a. daran, daß die Atlantikküste zuerst englische Kolonie war, bevor sie von Zelaya in den Staat eingegliedert wurde, sich aber auch danach immer unabhängig von dem restlichen Nicaragua entwickelt hat. Überdies sind fehlende Transportwege die Ursache für einen sich dort eigenständig entwikkelnden Journalismus (Instituto Nicaragüense de Cultura 1992,27ff). Die ersten Zeitungen wurden in Bluefields veröffentlicht. El Ferrocarril wurde 1895 gegründet und erschien als Wochenblatt. The Recorder, eine englischsprachige Publikation, wurde ebenfalls 1895 gegründet und erschien vierzehntägig. Daß schon seit 1880 gedruckte Zeitungen bestanden, die Regierungsverordnungen veröffentlichten, wird zwar vermutet, jedoch ist dies dokumentarisch nicht belegt. Die Zeitungen berichteten entweder über Parteipolitik oder über Wirtschaft. Während des Zelaya-Regimes war auch hier eine politische Spaltung der Zeitungen in zelayistas und antizelayistas zu beobachten. Die Presse der Atlantikküste wurde von einer kleinen gesellschaftlichen Elite getragen, die sich aus Händlern, Regierungsangestellten, Politikern und der Polizei zusammensetzte. Zwischen 1895 und 1930 gab es 25 Zeitschriften, die an der Atlantikküste verbreitet wurden. El Correo del Norte, die 1906/07 erschien, war die einzige registrierte Tageszeitung in dieser Region (Universidad Centroamericana 1993 II, 4ff). Nach Zelayas Rücktritt 1909 begann eine Periode der amerikanischen Intervention, die bis 1933 andauerte. Ihr wird ein kolonialer Charakter attestiert, obwohl Nicaragua formal nach außen hin wie ein politisch unabhängiger Staat handelte. Pressegeschichtlich war diese Periode von großer Bedeutung, da sie u. a. vier Zeitungen hervorbrachte, die sich erstmals längerfristig auf dem nicaraguanischen Pressemarkt behaupten konnten. Sie erreichten eine Lebensdauer zwischen 46 bis 71 Jahren. Das erste dieser langlebigen Blätter war die Tageszeitung La Noticia, die 1915 von Juan Ramón Avilez gegründet wurde. Die Zeitung erschien jeden Abend, bestehend aus vier Seiten, die im Tabloid-Format gedruckt waren. Sie hatte eine nationale Verbreitung. Inhaltlich war eine liberale Tendenz erkennbar. Bekannt waren vor allem die polemischen Editoriales von Avilez zur amerikanischen Intervention und zu den innenpolitischen Spannungen. Avilez wurde zu Beginn des Somoza-Regimes von einem Nationalgardisten erschossen. Die Zeitung hielt sich bis 1967 (Bisbai 1984, 390La Tribuna und El Centroamericano wurden 1917 gegründet. La Tribuna erschien täglich vierseitig mit einer nationalen Verbreitung. Direktor Salvador Buitrago Díaz mußte die Zeitung am 13. November 1929 wegen einer wirtschaftlichen Notlage schließen, eröffnete sie aber wieder am 1. Oktober 1933. Diese Zeitung existierte bis 1951. El Centroamericano war die erste Zeitung Nicaraguas, die bis Ende der siebziger Jahre Bestand hatte und damit 62 Jahre lang existierte. Diese Tageszeitung erschien erstmalig am 7. Oktober 1917 in León, gegründet von General Gustavo Abaunza Torrealba. El Centroamericano war auch die erste Zeitung, die ausländische Werbeanzeigen veröffentlichte. Die ersten Ausgaben des El Centroamericano umfaßten vier Seiten im Standardformat. La Prensa wurde 1926 von Gabry Rivas gegründet. Diese Tageszeitung führte als erste eine Linotype-Druckmaschine und die erste chemiegrafische Werkstatt in Nica-
104 ragua ein. La Prensa wurde während der Erdbeben in Managua 1931 und 1972 zweimal ein Opfer der Zerstörung, war aber auch wieder neu aufgebaut worden (Chamorro Cardenal 1987). Die Zeitung erschien im Standardformat und wurde national verbreitet. Historisch gesehen ist La Prensa ein Organ der Opposition, das politisch eine große Rolle in der Geschichte Nicaraguas spielte und noch heute von großer Bedeutung ist. Zwischen 1926 und 1949 identifizierte sich die Zeitung politisch mit der Fraktion der alten konservativen Partei, deren Parteiführer General Emiliano Chamorro war. In den fünfziger Jahren distanzierte sie sich von der traditionellen konservativen Tendenz. Die Veränderung der politischen Richtung begann 1949 mit dem Einfluß von Pedro Joaquín Chamorro (Universidad Centroamericana 1993 I, lff). Weitere wichtige Publikationen, die vor 1930 erschienen, waren: La Nación (Managua, 1916-1965), El Correo (Managua 1917-1947), El Diario de Granada (Granada, 1907-1974), La Semana (Managua, 1928-1976), La Información (Bluefields, 1917-1979), El Cronista (León, 1919-1956), La Voz de Atlántico (Bluefields, 1918-1940) und La República (Managua 1919-1950). Bis 1930 gab es insgesamt 48 Zeitungen. 29 dieser Zeitungen erschienen in Managua, die übrigen waren auf die Bezirke verteilt. Nur acht der Zeitungen erreichten aber eine nationale Verbreitung, denn die Infrastruktur des Transportwesens war schlecht entwickelt. 27 Blätter waren nur lokal verbreitet. Über die übrigen 13 Zeitungen gibt es keine Angaben. Die Mehrheit dieser Organe bildeten Publikationen mit einer geringen Auflage. Zwischen 1930 und 1949 entstanden insgesamt 154 Zeitungen, die eine ähnliche Struktur aufwiesen wie die Zeitungen vor 1930. Nur zwei von ihnen erreichten jedoch eine nationale Verbreitung. Eine davon war die 1937 gegründete Novedades, das Presse- und Parteiorgan Somozas, und die zweite war El Centroamericano. Die fast vierzigjährige Diktatur der Familie Somoza brachte Nicaragua vor allem große soziale Not, politische und wirtschaftliche Repressionen, Gewalt und Ungerechtigkeit. Dies traf auch die Presse sehr empfindlich. Zwar garantierte die 1937 geänderte Verfassung in den Artikeln 129 und 130 die Meinungs- und Pressefreiheit, doch behielt sich der Staatschef im zweiten Absatz vor, diese Rechte jederzeit außer Kraft zu setzen und jegliche Maßnahmen zu ergreifen, wenn dadurch die politische und soziale Ordnung des Landes verletzt und gefährdet werde. Ein Exempel seiner unumschränkten Macht war die zeitweilige Schließung der Zeitung La Prensa in den vierziger Jahren. 1948 änderte Somoza die Verfassung ein weiteres Mal. Diesmal verfügte er, daß alle Meinungsäußerungen, die gegen die Regierung oder gegen die gesellschaftliche und öffentliche Ordnung gerichtet waren, mit staatlichen Sanktionen geahndet würden (Chamorro Cardenal 1988, 54). 1937 gründete Somoza sein persönliches Presse- und Parteiorgan, die Tageszeitung Novedades. Sie erschien bis zum 7. Juni 1979 und erreichte eine durchschnittliche Tagesauflage von etwa 12.000 Exemplaren. Während der Somoza-Diktatur spaltete sich die liberale Partei in ein pro-somozistisches Lager und eine unabhängige liberale Partei. Die Presse, die historisch gesehen immer ein Spiegelbild der nicaraguanischen Politik war, spaltete sich daraufhin ebenfalls. Auf der einen Seite stand die Tageszeitung Novedades, auf der anderen Seite die unabhängig-liberalen Zeitungen, die sich vom Somozismus mehr oder weniger distanzierten. La Prensa bildete hier jedoch eine Ausnahme, da sie bis 1949 ihre konservative Tendenz beibehielt. Ab 1950 vertrat die große Tageszeitung die politischen Ziele der Sandinistas unter der Leitung von Pedro Joaquín Chamorro.
105 Neben La Prensa und Novedades gab es 1950 noch vier weitere wichtige Tageszeitungen mit einer nationalen Verbreitung, jedoch einer nur geringen Tagesauflage. Diese Zeitungen, die alle der unabhängig-liberalen Richtung zuzuordnen sind, waren: La Noticia, El Gran Diario, Flecha und La Nación. Bis Ende der fünfziger Jahre standen alle Zeitungen Nicaraguas ideologisch hinter den Maximen der Staatskonsolidierung und der Einflußnahme von Seiten der USA. La Noticia blieb bis Mitte der siebziger Jahre bestehen, jedoch mit einer nur bescheidenen Auflage von 6.000 Exemplaren täglich. La Nación wurde von der Regierung geschlossen, als sie 1973 Somozas Finanz- und Wirtschaftspolitik nach der Erdbebenkatastrophe kritisierte. Flecha fiel 1957 und El Gran Diario 1959 der Pressekonzentration zum Opfer (Ehring / Nachtigall 1985, 530- Viele Zeitungen mußten zwischen den fünfziger und siebziger Jahren schließen, da sie als nicht somozistisch eingestellte Organe weder Anzeigen des Staates noch der konservativen Geschäftsleute erhielten. Bei den übrigen Zeitungen ging die Tagesauflage stark zurück (Universidad Centroamericana 1993 II, 18). 1957 übernahm Luis Somoza Debayle das Amt seines Vaters. Ende der fünfziger Jahre entstand auch die anti-somozistische Jugend- und Studentenbewegung Nicaraguas, die Ende der siebziger Jahre die Diktatur stürzen sollte. Diese politische Bewegung war der Beginn der Studentenpresse. Aire Libre und Ventana waren die ersten Studentenzeitungen, die in dieser Zeit veröffentlicht wurden. Beide Zeitungen blieben nur wenige Monate bestehen und vertraten noch keine stringente politische Linie. Die bedeutendste Publikation dieser Bewegung war das Wochenblatt Impacto, das erstmals 1956 in Managua erschien und dessen Direktor Ignacio Briones Torres war. Verglichen mit den beiden genannten Studentenpublikationen zeigte Impacto bereits revolutionäre Tendenzen und vertrat die sandinistische Ideologie. Die erste Periode des Wochenblattes dauerte nur bis 1958. Im April 1959 brachte Briones Torres das Blatt abermals heraus. Nach dem Überfall des FSLN auf die Kaserne in Diriamba ließ Somoza die Redaktion und technische Anlage des Blattes im November 1960 zerstören. Die letzte Ausgabe von Impacto in dieser Periode erschien gleichwohl erst am 13. Mai 1967. Ein drittes Mal suchte Ignacio Briones Torres seine Publikation im März 1976 zu veröffentlichen. Politische Unterstützung erhielt Impacto während der fünfziger bis Anfang der sechziger Jahre von der Juventud Patriótica Nicaragüense, einer Jugendorganisation, die als Vorläufer des FSLN angesehen wird (Instituto Nicaragüense de Cultura 1993, 61f). Die Jahre zwischen 1967 und 1972 waren geprägt von scharfer Pressezensur, Schließungen von Zeitungen und der Verfolgung und Gefangennahme antisomozistischer Journalisten und sogenannter Staatsfeinde. In dieser Zeit kam es zur Anwendung des Código Negro. Vom Kongreß am 10. August 1960 verabschiedet, handelte es sich hierbei um ein Gesetz, das in 11 Punkten die Pressefreiheit strikt beschränkte. Dieses Gesetz kam jedoch erst nach der Amtsübernahme des letzten Somoza zur Anwendung. Gleichermaßen regelte Somoza die Pressefreiheit der Druckmedien in Artikel 71 und 72 der Verfassung von 1967 neu. Ab sofort war jeder Verlag für den Mißbrauch der Verbreitung von Nachrichten, Meinungen, Äußerungen gegen den Staat zur Verantwortung zu ziehen. Selbst der Kirche wurde eine Zensur auferlegt. Die Krise erreichte ihren Höhepunkt, als der Frente Sandinista de Liberación Nacional am 27. September 1974 eine Gruppe von Ministern gefangennahm. Damit wollte er auf ihre Ziele aufmerksam machen. Um zu verhindern, daß Somoza die Berichte über diese Aktion verfälschte, richtete sich der FSLN an Radio und Fernsehen, und suchte sich dadurch live an das Volk zu wenden. Somoza rief prompt den
106 Belagerungszustand aus und führte das Kriegsrecht und die Zensur der Presse ein. Die Militärs erhielten unumschränkte Handlungsbefugnis. Diese Periode dauerte über zwei Jahre bis zum 19. September 1977. Obwohl die Pressegesetze und der Código Negro ausreichende staatliche Kontrolle über die Medien gewährleisteten, erlaubte Somoza zusätzlich die militärische Zensur. Von den sieben Tageszeitungen, die 1975 in Nicaragua erschienen, waren allein sechs liberal oder national-liberal eingestellt. Nur La Prensa behielt ihre oppositionelle Färbung. Zum einen lag das an der scharfen Pressezensur, zum anderen an einem Vorteil, den La Prensa gegenüber den andern Zeitungen hatte: Während La Prensa eine eigene Druckerei besaß, wurden die anderen sechs Tageszeitungen im Druckhaus der Anastasio Somoza Inc. produziert und standen somit in direkter Abhängigkeit vom Regime. Die tägliche Gesamtauflage der Tageszeitungen in Nicaragua im Jahre 1975 betrug 113.500 Exemplare. Die Provinzzeitungen, die ebenfalls in Somozas Druckhaus in Managua gedruckt wurden, waren daran mit 12,3 Prozent (14.000 Exemplaren) beteiligt (Schneider 1983, 149ff). Mit der Ermordung Pedro Joaquín Chamorros, des Chefredakteurs von La Prensa, am 10. Januar 1978 begann die Endoffensive des FSLN und damit auch die Phase des periodismo de catacumba (Knudson 1981). Von da an wurden die Büros von La Prensa zum strategischen und militärischen Hauptquartier der antisomozistischen Bewegung. Die Sandinista-F\Aaex agierten jetzt unter dem Deckmantel des Journalismus gegen Somoza. Der Diktator ließ daraufhin am 11. Juni 1979 die Produktionsstätte der ältesten Oppositionszeitung vernichten. In der Zwischenzeit versuchte man im Hause der Unión de Periodistas de Nicaragua (UPN) eine Art Nachrichtenzentrale einzurichten, in der Informationen gesammelt wurden, um sie später auf Marktplätzen, in Kirchen, an öffentlichen Orten oder per Kassettenrecorder zu verbreiten. Somoza ließ daraufhin eine Namensliste von Journalisten über Radio Nacional verbreiten, die vom somozistischen Regime zum Tode verurteilt waren. Das letzte Jahr vor der Revolution war geprägt von Verfolgung und Ermordung zahlreicher Journalisten, Zwangsschließungen und Zerstörungen von Tageszeitungen, Radio- und Fernsehstationen. Nachdem der FSLN am 19. Juli 1979 durch die Revolution an die Macht gelangt war, erschien von August an La Prensa erneut, jedoch mit Druckort in León. Die Sandinistas beschlagnahmten die Somoza-Zeitung Novedades und gründeten in deren Verlagshaus eine eigene Tageszeitung mit dem Namen Barricada. Das Presseorgan des FSLN war in Aufmachung und Grafik stark dem Zentralorgan der kubanischen Revolution, der Granma, nachempfunden. Chefredakteur war Carlos Fernando Chamorro, der Ende 1994 aufgrund innenpolitischer Schwierigkeiten von Daniel Ortega Saavedra seines Amtes enthoben wurde. Über die politische Linie von La Prensa bestand von Anfang an Uneinigkeit zwischen den Eigentümern. Violeta Barrios de Chamorro sowie Jaime Chamorro Cardenal, ein Bruder des ermordeten Zeitungsverlegers, befürworteten eine eher unabhängige, mit dem Sandinismus sympathisierende Linie, während der Bruder Xavier Chamorro das Blatt ganz dem Sandinismus verpflichten wollte. Im Mai 1980 kam es zur ersten großen Krise, als Violeta Chamorro unter Protest aus der Regierungsjunta ausschied. Am darauffolgenden Tag wurde ein Streik ausgerufen, dem sich die meisten Redakteure und Drucker des Verlagshauses La Prensa anschlössen. Xavier Chamorro Cardenal stieg aus der Leitung der Tageszeitung aus und eröffnete mit finanzieller Unterstützung der sandinistischen Regierung ein Oppositionsorgan zu La Prensa: El Nuevo Diario. Dieses wurde am 19. Mai 1980 in Managua gegründet, mit den typischen Merkmalen der
107 Regenbogenpresse. Zwei Drittel der Angestellten von La Prensa gingen mit Xavier Chamorro Cardenal. Doch der erwartete Zusammenbruch von La Prensa blieb aus. Da viele Privatdruckereien geschlossen wurden und das Radio und Fernsehen weitestgehend verstaatlicht wurde, stießen viele arbeitslose Journalisten zu La Prensa. In der Folgezeit konnte die Zeitung verschiedene Male ihre Tagesauflage von 45.000 Exemplaren verdoppeln (Buss 1986, 38ff). Nach dem ersten Mediengesetz, das am 13. September 1979 verabschiedet wurde, konnte die Pressefreiheit nur dann eingeschränkt werden, wenn es sich um Gefährdung der Staatssicherheit oder der nationalen Verteidigung handelte. Generell verboten waren Reklame für Alkohol und Zigaretten sowie die Darstellung der Frau als Sexualobjekt. Im April 1981 wurde das Gesetz verschärft. Beiträge, die die Staatssicherheit angriffen, die wirtschaftliche Lage und die Versorgung des Landes kritisierten, wurden jetzt rigoros zensiert. Die sandinistische Regierung gründete eine Dirección de Medios, eine Abteilung des Innenministeriums, die für die Kontrolle der Einhaltung der Gesetze zuständig war. Da es sich hier um Gesetze handelte, die weit interpretierbar waren und auch von der sandinistischen Regierung willkürlich angewendet wurden, konnten durch diese Abteilung nach Belieben Artikel zensiert und auch Medien geschlossen werden (Ehring / Nachtigall 1985, 73). Bedingt durch den wirtschaftlichen und sozialen Notstand, der durch die Con/ra-Revolution ausgelöst wurde und eine verschärfte Kritik der Medien provozierte, führte die sandinistische Regierung am 20. März 1982 die generelle Vorzensur ein. Diese betraf vor allem La Prensa, da dies die einzige Zeitung war, die das sandinistische Regime öffentlich kritisierte und Nachrichten über den Krieg und die schlechte Wirtschaftslage brachte (Kunzle 1984). Die Redaktion mußte täglich das gesamte zur Veröffentlichung vorgesehene Material der Zensurbehörde vorlegen. So kam es, daß das renommierte Blatt zwischen 1982 und 1985 33mal nicht erscheinen konnte, da entweder nach der Zensur zu wenig Material zur Veröffentlichung übrig geblieben, oder aber ein direktes Verbot von der Zensurbehörde ergangen war. Ungefähr ein Viertel des gesamten redaktionellen Materials fiel regelmäßig der Zensur zum Opfer (Buss 1986, 39f). In den achtziger Jahren waren die drei wichtigsten Tageszeitungen in Nicaragua: La Prensa, Barricada und El Nuevo Diario. La Prensa behielt trotz aller Zwangsschließungen und Zensurverfügungen eine weiterhin konkurrenzfähige Tagesauflage, die zwischen 45.000 und 90.000 Exemplaren lag. Das sandinistische Parteiorgan Barricada hatte Anfang der achtziger Jahre eine durchschnittliche Tagesauflage von 70.000 Exemplaren und steigerte diese bis 1985 auf ca. 100.000 bis 120.000 Exemplare. Die Sandinistas vertrieben Barricada von Anfang an nur im Straßenverkauf, ausschließlich durch Kinder, um ihre Solidarität mit deren Schicksal und dem der sozial schwachen Gesellschaftsschichten zu bezeugen. El Nuevo Diario hatte 1980/81 eine durchschnittliche Tagesauflage von 30.000 bis 45.000 Exemplaren. Nach der Anschaffung der neuen Rotationspresse im Jahr 1982 konnte die Tagesauflage auf bis zu 90.000 Exemplare gesteigert werden. Die wirtschaftliche Lage, der Coníra-Krieg sowie die innenpolitische Lage sorgten für starke Schwankungen bei den Tagesauflagen. Ohnedies wurden Statistiken über die Medien nur noch vom sandinistischen Propagandaministerium herausgegeben. Die Medienstruktur zwischen 1979 und 1989 kann als sehr instabil bezeichnet werden. 136 Publikationen, von den Tageszeitungen abgesehen, erschienen in diesem Zeitraum. Die Presse hatte vor allem eine propagandistische Funktion und diente der politischen Erziehung, indem sie primär die Ideale der Revolution vertei-
108 digte. Oppositionsorgane waren prinzipiell verboten. Typisch für die Publikationen war eine sehr kurze Lebensdauer von zwei Monaten bis maximal zwei Jahren. Mehrheitlich handelte es sich um sandinistische Regierungs- oder Ministeriumspublikationen. Gleichermaßen kursierten verschiedene Parteiblätter, die vierzehntägig oder wöchentlich erschienen. In der Adantikregion gab es zu dieser Zeit nur drei Blätter. Dies waren Avances, Wani und Nicaribe. In den seltensten Fällen besaßen die Verlage in dieser Zeit eigene Druckereien. Ein Anstieg in der Zahl neuer Druckmedien konnte vor allem in den Jahren 1982 und 1984 beobachtet werden. Im Jahre 1982 erschienen allein 16 neue Publikationen. Zum einen waren durch die scharfe Pressevorzensur viele Titel vom Markt verschwunden. Auch weil sie wirtschaftlich nicht mehr rentabel waren, schrumpfte das Angebot vorhandener Periodika stark. Zum anderen brachte gerade in diesem Jahr die sandinistische Regierung eine Reihe neuer Titel heraus, um die Gefahr ideologischer Propaganda durch oppositionelle Blätter einzudämmen. Im Zeitraum vor den Wahlen des Jahres 1984 stieg die Zahl der Publikationen abermals an. Begünstigt wurde dies infolge der teilweisen Zurücknahme der Pressezensur durch die Regierung. Die 14 neu gegründeten Titel waren vorwiegend Blätter der kommunistischen Partei, der marxistisch-leninistischen Partei, der konservativen Partei und der Arbeiter- und Revolutionspartei. Die Verabschiedung der Verfassung von 1987 führte zu einer neuen und sehr wichtigen Entwicklung im nicaraguanischen Zeitungswesen. Durch die Abschaffung der Zensur und die Etablierung eines neuen Presse-, Meinungs- und Informationsrechtes konnte sich der Journalismus wieder politisch freizügiger entwickeln. Jedoch kam es nicht zu einem explosiven Anstieg neuer Periodika. Die immer noch sehr schlechte wirtschaftliche Lage und die weiterhin bestehenden innen- und außenpolitischen Spannungen bedingten eine Stagnation im Pressebereich. Selbst nach den Präsidentschaftswahlen von 1990 blieb die Pressestruktur unverändert.
3.2.
Presserecht
Ein eigenes Pressegesetz gibt es in Nicaragua gegenwärtig nicht, nachdem Präsident Ortega noch vor der Amtseinführung Violeta Barrios de Chamorros das Gesetz Nr. 57 zur Regulierung der Medien am 13. März 1990 widerrief. Seitdem wurden auch keine neuen Gesetze bezüglich der Presse erlassen. Das Presserecht basierte daher bis Juli 1995 ausschließlich auf der Verfassung von 1987. Mit der Verkündung der neuen Verfassung, die großenteils auf der vorangegangenen beruht, wurde diese zur Grundlage des Presserechts. Die wesentlichen einschlägigen Bestimmungen wurden an anderer Stelle schon erwähnt (vgl. Kap. 2). Von Bedeutung für die Presse sind ferner das mit der Verfassung verbundene Wahlrecht, das Gesetz Amparo (ein legales Verfahren, um eine Überprüfung administrativer Handlungen einzuleiten), das Notstandsgesetz, das Strafgesetz und eine Reihe von Spezialgesetzen. Da es in Nicaragua kein explizites Zeugnisverweigerungsrecht gibt, können Journalisten im Notfall nur auf Artikel 26 und 34 Nr. 7 der Verfassung zurückgreifen. Mit dem ersteren werden das Privatleben, die Familie und alle privaten Formen der Kommunikation geschützt. Artikel 34, Nr. 7 räumt dem Angeklagten ein Aussageverweigerungsrecht ein, wenn er gegen sich selbst oder ein Familienmitglied bis zum 4. Grade aussagen soll (Constitución Política de la República de Nicaragua 1987, 9).
109 Infolge des Art. 87 kam es zu einer Aufhebung des Verbands- und Gewerkschaftszwangs für Journalisten, der in der Ley General Provisional Sobre Los Medios de Comunicación von 1979 verankert war und bis 1986 bestand. Es heißt, daß in Nicaragua volle Freiheit für Gewerkschaften gegeben sei. Kein Arbeitnehmer könne gezwungen werden, einem bestimmten Verband beizutreten, da es sich hier um ein Recht und keine Pflicht handle (ebd. 16). Im nicaraguanischen Strafgesetz Kapitel VII, §§ 169-194 sind Sanktionen bei möglichen Beschimpfungs- und Verleumdungsdelikten der Presse aufgeführt. Diesem Gesetz zufolge werden Verleumdungen und falsche Nachrede mit einer Geldstrafe von umgerechnet bis zu 10.000 US-Dollar belegt. Im Falle einer Beschimpfung, eines Angriffs der Presse auf die Würde, Ehre oder den Ruf einer Person oder der Veröffentlichung rein privater Angelegenheiten eines Bürgers wird eine Geldbuße von umgerechnet 5.000 US-Dollar erhoben. Durch die §§ 176-178 wird bestimmt, daß Kritik an politischen Handlungen und Regierungshandlungen, an ihren Institutionen und Organen nicht als Vergehen im Sinne einer Beschimpfung verstanden wird. Ebensowenig gilt Kritik an wissenschaftlichen literarischen, künstlerischen oder technischen Werken und Produkten als Beschimpfung oder Verleumdung (Zaffaroni 1993 II, 159ff). Gemäß Art. 68 Abs. 3 der neuen Verfassung von Juli 1995 wird jegliche Steuerfreiheit garantiert für den Import von Papier, medientechnischen Maschinen und Ausrüstung, die Einfuhr von Büchern, Zeitschriften, Schulmaterialien, wissenschaftlichen Durckerzeugnissen, Tageszeitungen und jeder anderen Form der Publikation sowie ihre Verbreitung und ihren Verkauf. Technische Ausrüstungen, die zur Verbreitung von Zeitungen dienen, dürfen keinesfalls beschlagnahmt werden.
3.3.
Die Struktur der Presse in Nicaragua heute
3.3.1.
Zeitungen
3.3.1.1.
Bestandsaufnahme
In Nicaragua gibt es heute vier Tageszeitungen: La Prensa, Barricada, El Nuevo Diario und La Tribuna (vgl. Tabelle 1). Sie erscheinen alle mit einer nationalen Verbreitung. Sitz der Verlage ist jeweils Managua. Der Grund für diese Konzentration ist vor allem in den wirtschaftlichen und politischen Folgen des sandinistischen Regimes zu suchen. Rigorose Pressezensur und eine große Bevölkerungsarmut infolge der Wirtschaftsmisere führten zu einer schweren Krise der Tagespresse. Die Auflagen der Zeitungen sanken von 1985 bis 1994 um mehr als 70 Prozent. Allein La Prensa, die Anfang der achtziger Jahre noch eine tägliche Auflage von 100.000 bis 120.000 Exemplaren aufweisen konnte, ist bis 1994 auf 20.000 bis 22.000 Exemplare zurückgegangen. Eine Tageszeitung in Nicaragua kostet zwischen zwei und drei Córdoba (3 C$=0,45 US-Dollar). Der Durchschnittslohn eines Nicaraguaners beträgt monatlich etwa 1.000 Córdoba (= 143 US-Dollar).
110 Tabelle 1:
Tageszeitungen in Nicaragua 1994
Titel
Gründungsjahr/ Erscheinungsort
Verbreitung
Politische Linie
Auflage
LaPrensa
1926 / M a n a g u a
national
konservativ
20.000
Barricada
1979 / M a n a g u a
national
orthodox/ sandinistisch
15.000
ElNuevo Diario
1980 / M a n a g u a
national
sandinistisch
20.000
La Tribuna
1993/Managua
national
liberal
5.700
Quelle: Publimerc 1994 und eigene Recherchen
Samstags und sonntags sinkt die Auflage um weitere acht bis zehn Prozent. Dies liegt vor allem daran, daß der Vertrieb der Tagespresse traditionell zu 90 Prozent über den Straßenverkauf abgewickelt wird, am Wochenende jedoch kaum Menschen in der Innenstadt anzutreffen sind. Vor allem die arbeitende Bevölkerung bleibt aus. Um die Auflage zu beleben, veröffentlicht die Tagespresse in regelmäßigen Abständen, vor allem am Wochenende, Zeitungsbeilagen, sogenannte Suplementos. Diese Beilagen im Tabloid-Format sind immer mit zahlreichen Farbfotos und Bildern versehen. Thematisch variieren sie von Zeitung zu Zeitung. Barricada bringt als einzige drei Suplementos pro Woche, alle anderen nur eines. Alle vier Tageszeitungen bedienen sich der internationalen Nachrichtenagenturen Reuter, UPI, AP, EFE, der mexikanischen Notimex und einer costaricanischen Agentur. La Prensa ist die älteste und auflagenstärkste Zeitung Nicaraguas. Sie besteht seit dem 2. März 1926. Heute wird sie von einer Gruppe, bestehend aus drei Personen, geleitet. Dies sind Violeta Barrios de Chamorro, Jaime Chamorro Cardenal und Ana Maria Holman, die mit jeweils einem Drittel an dem Unternehmen beteiligt sind. Die Zeitung erscheint täglich ab 14.00 Uhr und ist damit das einzige Abendblatt (Vespertino) in Nicaragua. Sie ist in jeder Stadt und jedem größeren Ort Nicaraguas erhältlich. Selbst Bluefields und Puerto Cabeza an der Atlantikküste werden per Flugzeug beliefert und erhalten die Exemplare einen Tag später. Einmal pro Woche werden 10.000 Exemplare mit einer Zusammenfassung der wöchentlichen Ereignisse per Negativfilm nach Florida, Kalifornien und Kanada verschickt und dort an Abonnenten verkauft. La Prensa besitzt eine eigene Rotationspresse, auf der nur die hauseigene Zeitung in schwarz-weiß gedruckt wird. Auf durchschnittlich 32 Seiten im Standard-Format wird über nationale und internationale Politik, Wirtschaft, Sport und Kultur berichtet. Die "Meinung des Volkes", La Voz del Pueblo, erscheint in Form von Leserbriefen auf zwei Seiten. Einmal in der Woche bringt die Zeitung eine literarische Beilage, La Prensa Literaria, und in der ersten Woche jeden Monats Perio Libros heraus. Diese Monatsbeilage ist eine Zeitschrift der UNESCO, die jeweils der auflagenstärksten Zeitung jedes zentralamerikanischen Landes zur Verfügung gestellt wird.
111 La Prensa hat eine Leserschaft, die sich vor allem aus der Ober- und Mittelschicht zusammensetzt. Die Zeitung beschäftigt (1994) 180 Mitarbeiter, davon 20 Journalisten und 15 Korrespondenten. Der Vertrieb wird zu vier Fünftel über den Straßenverkauf organisiert. Nur ein Fünftel läuft über Abonnements. Allein die Hälfte der venta callejera konzentriert sich dabei auf Managua (Multivex 1994a). La Prensa hat seit 1990 viele Leser verloren. Dies liegt nicht nur an der politischen und wirtschaftlichen Situation des Landes. In den letzten Jahren wechselte die Zeitung mehrfach ihre politische Richtung. Da die Staatspräsidentin zu einem Drittel am Kapital des Unternehmens beteiligt ist, fühlte sich die Redaktion z. T. zu einer regierungsfreundlichen Haltung verpflichtet. Da sich das traditionell konservative Blatt jedoch immer der Opposition verschrieben hatte, kam es zu einer inneren Spaltung. Einige Monate publizierte La Prensa pro-Regierungsnachrichten, wechselte dann aber wieder auf einen oppositionellen Standpunkt über. Die Leser, die dadurch verunsichert wurden, verloren das Vertrauen in die älteste Zeitung Nicaraguas und wandten sich z. T. anderen Publikationen zu. Barricada ist die offizielle Tageszeitung der Sandinistas bzw. ihrer Partei und besteht seit dem 25. Juli 1979. Sie wurde von 1990 bis Oktober 1994 von Carlos Fernando Chamorro geleitet, der 1991 von Daniel Ortega beauftragt worden war, ein neues Zeitungskonzept zu entwerfen. Die Veränderungen wurden in den folgenden Jahren sichtbar. Chamorro führte das Blatt weg vom dem in Nicaragua üblichen Sensationsjournalismus und schlug den Weg eines professionellen Journalismus ein, der auch die Veröffentlichung unterschiedlicher Meinungen der verschiedenen politischen Parteien zuließ. Daniel Ortega und Tomás Borge enthoben Ende 1994 Chamorro jedoch seines Postens unter dem Vorwurf des Verrats der nationalen Interessen und einer oppositionellen Haltung gegenüber des FSLN (Lebherz / Klein 1994). Zu diesem Zeitpunkt war noch nicht abzusehen, wie sich das Blatt in Zukunft weiter entwickeln würde. Nur inhaltlich waren schon Veränderungen festzustellen. Ortega und Borge führten Barricada auf die orthodox sandinistische Linie zurück. Die Politik und die Ideale des FSLN wurden wieder zum Hauptthema. Einige der ChamorroMitarbeiter wurden entlassen und die Direktion neu organisiert. So übernahm Borge zunächst selbst die Leitung und entschied fortan über die Veröffentlichung von Themen ohne Rücksprache mit der Redaktion. Ende Oktober 1994 wurde der Posten des Direktors an Humberto Campbell übergeben. Barricada erscheint täglich um 4.00 Uhr morgens, in einer Auflage von ungefähr 15.000 Exemplaren. Ihre Verbreitung ist national mit Ausnahme der Region an der Atlantikküste, die nur von La Prensa beliefert w'rd. Das Morgenblatt besitzt eine eigene Rotationspresse, die im Off-Set-Verfahren die vier Monatsbeilagen, Barricada Internacional und die hauseigene Zeitung druckt (Publimerc 1994, 23). Bei den vier Suplementos handelt es sich um Gente, das sich thematisch mit Kultur, Kunst und Zeitgeistthemen beschäftigt, Ventana, die sogenannte Barricada Cultural, die vor allem der nicaraguanischen Kultur, Geschichte und gesellschaftskritischen Themen gewidmet ist, Deportes, die Sport-Beilage, und Los Cachorritos, die Zeitschrift für Kinder, mit Comics, Rätseln u. ä. Die Kinderbeilage erscheint nur vierzehntägig, jeweils sonntags, während alle anderen Supplemente einmal wöchentlich herauskommen. Barricada erscheint im Vierfarben-Druck mit durchschnittlich 20 Seiten im Standard-Format. Die Zeitungsbeilagen werden traditionell im Tabloid-Format gedruckt. Inhaltlich ist das Blatt in zwei Sektionen unterteilt. Im ersten Teil werden auf drei Seiten aktuelle Geschehnisse behandelt. Es folgen nationale Nachrichten auf vier bis
112 fünf Seiten, der Wirtschaftsteil und das Feuilleton. Im zweiten Teil stehen Berichte über Sport, internationale Vorgänge und kulturelle Ereignisse. Barricada hat eine Leserschaft vorwiegend aus Parteianhängern der Ober- und Mittelschicht. 1994 waren etwa 250 Mitarbeiter bei der Zeitung beschäftigt. Der Verkaufspreis beträgt ebenfalls drei Córdoba. Einmal im Monat veröffentlicht der Verlag die Publikation Barricada Internacional, die in England, Spanien und Kanada vertrieben wird. Hierbei handelt es sich um eine Zeitschrift im Tabloid-Format, die Informationen und Nachrichten über Nicaragua im Ausland verbreiten will. In Nicaragua ist diese Ausgabe nicht erhältlich. El Nuevo Diario wurde am 19. Mai 1980 infolge des Machtkampfes in der Führungsspitze von La Prensa gegründet. Zwei Drittel der La /Venia-Mitarbeiter folgten Xavier Chamorro zu seiner neuen Zeitung. Die politische Richtung dieser Publikation ist sandinistisch. Die Zeitung erscheint jeden Tag, ab vier Uhr morgens, in einer Auflage von 20.000 Exemplaren. Sie besitzt ebenfalls eine eigene Rotationsdruckerei, in der im Off-Set-Verfahren außerdem Magazine und Publikationen für Kirche und Landwirtschaftsorganisationen gedruckt werden. El Nuevo Diario erscheint schwarz-weiß im Standard-Format mit etwa 18 Seiten und bringt einmal wöchentlich (samstags) die kulturelle Beilage Nuevo Amanecer Cultural. Im Tabloid-Format gedruckt, werden hier hauptsächlich Novellen nicaraguanischer Schriftsteller veröffentlicht. El Nuevo Diario kann als Organ der Regenbogenpresse bezeichnet werden. Veröffentlicht werden vor allem notas rojas, Sensationsnachrichten. Die Überschriften sind in großen schwarzen Blockbuchstaben gehalten, Unterteilungen in Wirtschaft, Politik usw. fehlen ganz. Im Durchschnitt informiert eine Seite über Politik. Die Leserschaft setzt sich aus der sozialen Unterschicht und der unteren Mittelklasse zusammen. Ende 1994 waren 225 Personen bei El Nuevo Diario beschäftigt. Wie viele fest angestellte Journalisten darunter sind, ließ sich nicht feststellen. Offenbar gibt es eine größere Zahl freier Mitarbeiter. 90 Prozent des Zeitungsvertriebes werden über den Straßenverkauf abgewickelt. Die restlichen zehn Prozent sind Abonnenten, die sich nur auf Managua konzentrieren. Der Verkaufspreis von El Nuevo Diario beträgt drei Córdoba. Die Tageszeitung La Tribuna ist im Juli 1993 gegründet worden. Sie erscheint allmorgendlich mit einer Auflage von ca. 5.700 Exemplaren und ist national verbreitet. Die Zeitung wurde bis Januar 1994 im Tabloid-Format herausgebracht, bevor sie (aus Konkurrenzgründen) auf Standard-Format umgestellt wurde. La Tribuna besitzt eine eigene Druckerei und produziert die Zeitung im Vierfarbendruck im Umfang von etwa 18 Seiten. Inhaltlich gibt es zwei Sektionen. Der erste Teil beschäftigt sich mit nationalen Nachrichten, Politik, Wirtschaft, Vermischtem und bietet der Bevölkerung Platz für Leserbriefe. Der zweite Teil bietet Sport, Börsengeschäfte und Kultur. Der Schwerpunkt der Zeitung liegt auf Wirtschafts- und Geschäftsnachrichten. La Tribuna kostet nur zwei Córdoba. Da diese Publikation sich selbst als politisch unabhängig bezeichnet und kritisch über das Handeln der Regierung berichtet, wird sie von den größten Werbeinvestoren Nicaraguas, die mehr oder weniger alle staatlich sind, boykottiert. Der Vertrieb der Zeitung findet zu vier Fünfteln über den Straßenverkauf statt. Weitere zehn Prozent laufen über Verteileragenturen, die an verschiedenen Stellen im Land sitzen und ihrerseits das Organ über Restaurants, Geschäfte, Supermärkte oder den Straßenverkauf verbreiten. La Tribuna veröffentlicht fünf Suplementos. Zwei davon, Faciettas und Agropecuaria, erscheinen wöchentlich, jeweils freitags
113 und samstags; Deportes, Informática und La Tribunita, eine Zeitungsbeilage für Kinder, werden einmal monatlich beigefügt. Die Leserschaft setzt sich aus Personen der Mittel- und Oberschicht zusammen. Ende 1994 waren 15 Journalisten und sieben Korrespondenten bei ihr beschäftigt. In der Druckerei von La Tribuna werden verschiedene andere Publikationen gedruckt., u. a. das Wochenblatt El Semanario. Eine andere Gattung stellt die Wochenzeitung dar, die in Nicaragua inhaltlich die Charakteristika einer Tageszeitung aufweist, der Aufmachung nach jedoch eher einer Zeitschrift ähnelt. Zwischen 1985 und 1992 gab es sieben solcher Wochenblätter. 1994 existierte davon nur noch El Semanario. Die Gründe für den starken Rückgang sind, ähnlich wie bei den Tageszeitungen, in den wirtschaftlichen und politischen Auswirkungen des sandinistischen Regimes und seines Kampfes mit den Contras zu sehen. El Semanario erscheint wöchentlich und weist eine nationale Verbreitung auf, mit Ausnahme der Atlantikküste. Das Organ erzielt eine Auflage von 7.000 Exemplaren. 1992 hatte es etwa 1.500 Abonnenten. Das Blatt besteht aus etwa 40 Seiten und erscheint im Tabloid-Format. Inhaltlich ist es in die Sektionen Politik, Wirtschaft, Internationale Nachrichten, Interviews und Feuilleton unterteilt.
3.3.1.2.
Verbreitung und Leserdichte
In Nicaragua konzentriert sich die Verbreitung von Zeitungen auf Managua. Regionale Zeitungen gab es 1994 nicht. Da sich das Land bisher noch nicht von den Folgen des Bürgerkriegs erholt hat, sind so gut wie keine Daten für die regionale Leserschaft vorhanden. Alle Informationen beziehen sich auf das Stadtgebiet Managua, in dem rund 28 Prozent der Bevölkerung leben und alle Tageszeitungen gedruckt werden. Erst seit 1994 gibt es überhaupt Bestrebungen, den Markt der Druckmedien zu erforschen. Man kann schätzen, daß über die Hälfte der Tagesauflagen aller Zeitungen in Managua vertrieben wird und die übrige Hälfte in den Regionen proportional zur Bevölkerungsdichte Verbreitung findet. Der Anteil von La Tribuna, der in Managua abgesetzt wird, dürfte am niedrigsten, der von La Prensa am höchsten sein. Bezieht man die Gesamtauflage der Tagespresse von etwas mehr als 60.000 Exemplaren auf die Gesamtbevölkerung, so ergibt sich eine Leserdichte von 15 (Exemplare pro tausend Einwohner). Damit ist Nicaragua eines der zeitungsärmsten Länder Lateinamerikas. Daran änderte sich auch nichts, wenn man die Analphabeten abrechnen würde.
3.3.1.3.
Vertrieb und Finanzierung
Der Straßeriverkauf ist in Nicaragua der Hauptvertriebsweg der Zeitung. Nur zehn bis 15 Prozent werden über Vorausbestellung veräußert. Bei allen Publikationen ist das System der Abonnements gleich. Sie müssen für mindestens drei Monate abgeschlossen werden. Solche Kunden sind in der Regel Banken, Institute, Firmen, Botschaften, nur einen geringen Anteil stellen Privatpersonen. Ein dritter Weg ist der Vertrieb über Agenturen. Diese wickeln den Verkauf in anderen Städten ab. La Tribuna zum Beispiel läßt ihre Exemplare per Lastwagen in die übrigen Regionen an Agenturen liefern, die sich um die Verbreitung des Blattes dort kümmern.
114 Der Straßenverkauf ist zwar der unkalkulierbarste Weg des Vertriebs, doch nach Angaben der Redaktionen auch der lukrativste. Die Mentalität der Nicaraguaner ist durch die Geschichte so geprägt, daß selbst nach Einführung des Abonnement- und Ladenverkaufs die Bevölkerung nach wie vor ihre Zeitung am liebsten auf der Straße kauft. Die Zeitungsjungen sind vor allem auf den befahrenen Stadtstraßen und Kreuzungen anzutreffen. An jeder Ampel stehen mindestens zehn Verkäufer, die meistens zwei oder drei verschiedene Tageszeitungen gleichzeitig anbieten. Nach Auskunft der Redaktion verdient ein Straßenverkäufer im Durchschnitt drei Prozent der Einnahmen aus dem Zeitungsverkauf. Die Zeitungen finanzieren sich im Durchschnitt zu zwei Fünfteln aus dem Verkauf. Wichtigste Einnahmequelle ist die Werbung mit 53 Prozent. Die restlichen sieben Prozent sind Einnahmen, die aus Schenkungen, Institutsfonds etc. kommen. Knapp 30 Prozent der Werbeinvestitionen entfielen in Nicaragua 1993 auf die Presse. Gegenüber 1992 wurde ein leichter Zuwachs verzeichnet (Universidad Centroamericana 1993, V, 2ff). Die Anteile der einzelnen Tageszeitungen am Anzeigengeschäft ist laut Angabe der Redaktionen unterschiedlich. La Prensa hat mit 42 Prozent den größten Anteil, was vor allem auf ihre politische und geschichtliche Entwicklung zurückzuführen ist. Barricada folgt mit 30 Prozent. Da sich El Nuevo Diario als einziges Blatt zu 60 Prozent aus dem Verkauf und nur zu 40 Prozent aus der Werbung finanziert, ist auch sein geringer Anteil von 18 Prozent an der Werbeinvestition zu erklären. La Tribuna, als liberale Publikation mit der geringsten Auflage, hat nur einen 10-prozentigen Anteil am Anzeigenaufkommen.
3.3.1.4.
Besitzstruktur
In der Tagespresse Nicaraguas gibt es seit Ende der sechziger Jahre eine starke Tendenz zur Konzentration. Der Markt wird beherrscht von der Familie Chamorro und der sandinistischen Partei FSLN, die wiederum von der Tochter der Staatspräsidentin und anderen Familienmitgliedern gestützt wird. Wie man daraus ersehen kann, ist diese Familie selbst in ein rechtes und ein linkes politisches Lager gespalten, was sich in der Pressesituation - einer prensa izquierdista und einer prensa derechista niederschlägt. La Prensa gehört zu je einem Drittel Violeta Barrios de Chamorro, Jaime Chamorro Cardenal und Ana Maria Holman. El Nuevo Diario, gegründet mit der Absicht, ein politisches Oppositionsblatt zu La Prensa zu bilden, gehört zu 60 Prozent dem Bruder von Jaime Chamorro, Xavier Chamorro, und seinem Sohn Francisco Chamorro. Carlos Fernando Chamorro leitete über vier Jahre Barricada, die sich im Eigentum des FSLN befindet. Es wird behauptet, daß Carlos Chamorro mit 33 Prozent an dem Unternehmen beteiligt war. La Tribuna scheint hier die einzige Ausnahme zu sein. Von Direktor Haroldo Montealegre geleitet, der nach seinen Angaben auch alleiniger Besitzer dieses Blattes ist, finden sich auch hier in leitenden Positionen zwei Mitglieder der Familie Chamorro: Adolfo Vivas Chamorro, Direktor der Finanzabteilung, und sein Vetter als Chefeditor.
115 3.3.2. Zeitschriften In Nicaragua gab es im Jahre 1994 34 Zeitschriften, die wöchentlich, vierzehntägig oder monatlich erschienen und über Themen wie Politik, Wirtschaft, Mode, Kultur, Sport etc. berichteten. Allein drei dieser Publikationen waren reine Fernsehprogramm- oder Kabelfernsehzeitschriften. 21 dieser Blätter sind Spezialzeitschriften, die sich hauptsächlich auf Themen wie Wirtschaft, Politik, Fotografie, Theater, Film, Kunst und Immobilien konzentrieren. Drei Periodika sind dem Journalismus und der Publizistik gewidmet, vier beschäftigen sich ausschließlich mit Veranstaltungen in Nicaragua, und die restlichen sechs sind Mode- und Frauenzeitschriften, Erotikpresse und anderes. Die auflagenstärksten Zeitschriften sind das politische Magazin Revista El País (monatlich) mit 4.000 Exemplaren, die Fernsehzeitschrift Cable Guía (monatlich) mit 3.000 Exemplaren, die wissenschaftliche Zeitschrift Revista Nicaragua Gráfica (14-tägig) mit 3.000 Exemplaren, die Modezeitschrift Revista Elegancias (monatlich) und die Zeitschrift Panorama mit jeweils 2.000 Exemplaren. Alle anderen Zeitschriften haben nur Auflagen von weniger als 1.000 Exemplaren (Publimerc 1994). Der Zeitschriftenmarkt ist in Nicaragua von untergeordneter Bedeutung. Dies liegt vor allem am Preis der Publikationen. Sie kosten zwischen 10 und 30 Córdobas (in etwa zwischen 2,30 und 7,00 DM) und sind für die breite Bevölkerung daher nicht erschwinglich.
4.
Hörfunk
4.1.
Geschichte
Die erste Funkanlage kam 1927 durch die nordamerikanischen Marinesoldaten nach Nicaragua. Sie hatte eine rein militärische Bedeutung und wurde außerdem dazu verwendet, Augusto Sandino in den Bergen Nicaraguas aufzuspüren. Die amerikanische Regierung überließ Anfang der dreißiger Jahre einen Teil der mitgebrachten Ausrüstung dem damaligen General der Nationalgarde, Anastasio Somoza Garcia, der sofort die Bedeutung dieser Technik erkannte und am 15. Januar 1933 Radio G.N. oder, wie es auch genannt wurde, Radio Militar und die escuela de radiodifusión gründete. Am 27. März 1936 wurde der Sender in Radio G.N. y Nacional umbenannt. Zu diesem Zeitpunkt gab es schon 53 militärische Radio- und Funkstationen im ganzen Land, selbst bis hin in ländliche Regionen. Das Programm des Militärfunks bestand aus Regierungs- und Gemeindenachrichten (Universidad Centroamericana 1993 III, lff). Das erste kommerzielle Radio Nicaraguas entstand 1933 unter dem Namen Radio Bayer. Der Name des Senders ist auf den deutschen Radiotechniker Ernst Andreas zurückzuführen, der diesen zusammen mit Edmundo Salomón Téfel gründete. Radio Bayer hatte eine Sendeleistung von 500 Watt und sendete auf Kurzwelle. Die Sendezeit betrug drei Stunden täglich am Vormittag und war vor allem mit nationaler Musik ausgefüllt. Die ersten kommerziellen Radios unterlagen noch keiner staatlichen Einflußnahme. Erst am 2. Dezember 1935 erließ der Präsident der Republik, Juan B. Sacasa, das Dekret Nr. 284, das eine Regelung für nationale Funkstationen vorsah. Ende der dreißiger Jahre kam es erstmals zum Empfang ausländischer
116 Radiostationen. So konnten z. B. Radio Vaticano und Radio Eiar aus Rom sowie verschiedene andere Programme aus Guatemala und Mexiko empfangen werden. Eine Besonderheit stellte der Empfang von Radio Berlin dar. Viele jüdische Emigranten versammelten sich damals um die Rundfunkstationen, um Nachrichten aus Deutschland zu hören. Die vierziger Jahre waren in Nicaragua geprägt vom Aufkommen des informativen Radiojournalismus. Anfang des Jahrzehnts kamen auch Unterhaltungs- und Sportsendungen sowie Hörspiele, sogenannte Radionovelas, hinzu. La Voz de la América Central war zu dieser Zeit der wichtigste Hörfunksender im Lande. Er strahlte sein Programm vorwiegend abends aus, als Ergänzung zu den morgens erscheinenden Tageszeitungen. Mitte der vierziger Jahre verstärkten sich die Proteste der Bevölkerung gegen den Diktator Somoza, der seine Amtszeit ohne Neuwahlen bis 1947 verlängert hatte. Die Presse war damals schon politisch engagiert und insofern ein Vorbild vieler Radiosender, die schließlich mit politischen und informativen Programmen auf Sendung gingen (Aranz Rastran 1987, 31f)- Ein zweiter wichtiger Auslöser für diese Programmerweiterung waren die Geschehnisse des Zweiten Weltkriegs. Von 1940 bis 1949 entstanden 23 neue Radiostationen, die über das Land verteilt und später auch im Norden der Republik anzutreffen waren. Die fünfziger Jahre waren geprägt von der Festigung der politischen und wirtschaftlichen Macht der Familie Somoza, die vor allem im Bereich der Medien ihre Auswirkungen zeigte. Die Partei des Diktators übernahm die Leitung vier somozistisch eingestellter Radiosender: Radio Estación X, Radio Regalos, La Unión Radio und Radio Managua. Es bestanden auch Verbindungen zu weiteren Hörfunkstationen, die von Familienmitgliedern Somozas geleitet wurden, so zum Beispiel Radio 715 von Luis Pallais Debayle. Oppositionelle Sender wurden mit Steuern und Abgaben belegt, um ihr finanzielles Überleben zu erschweren. So erhöhte Somoza zum Beispiel die Stromkosten bei diesen Radiosendern, während seine eigenen Stationen gebührenfrei arbeiteten. Nach Somozas Ermordung 1956 übernahm sein Sohn Luis die Regierungsgeschäfte. Die Proteste in der Bevölkerung nahmen zu, und die ersten studentischen Anti-Somoza-Aktionen kamen auf. Im Bereich des Hörfunks zeitigte dies Formen kritischer Berichterstattung und eine steigende Zahl von nationalen Nachrichtenprogrammen. Radio Mundial und Radio Noticias brachten 1952 als erste täglich Nachrichtensendungen. Die Programmstruktur setzte sich in dieser Zeit zusammen aus Kurznachrichten, Humor-, Sport-, Musik- und Hörspielsendungen. Der politische Radiojournalismus mit einer professionellen, politischen und wettbewerbsorientierten Zielsetzung hatte begonnen. Der Hörfunk hatte sich zu einem Massenmedium mit großem Einfluß entwickelt. Die Ursache hierfür lag vor allem in dem Umstand, daß mehr als drei Fünftel der Bevölkerung Nicaraguas Analphabeten waren und somit nicht auf die Zeitung als Informationsquelle zurückgreifen konnten. Empfangsgeräte waren mittlerweile erschwinglich geworden, und so besaßen damals schon viele Familien ein Radio. Somoza reagierte auf die Entstehung des politischen Hörfunks und die darauf folgende Gründung des Sindicato de Radioperiodistas de Managua mit scharfen Zensurmaßnahmen. 1960 verabschiedete er den Código de Radio y Televisión, auch besser bekannt unter dem Namen Código Negro, der in 73 Artikeln die Voraussetzungen zur Zulassung einer Radio- oder Fernsehstation regelte. Dies war das schärfste Zensurgesetz für Massenmedien, das jemals in der Geschichte Nicaraguas erlas-
117 sen wurde. Unbequeme Sender konnten nach Belieben geschlossen oder ihre Programme so zensiert werden, daß ein Überleben praktisch unmöglich wurde. Das Gesetz blieb bis 1979 in Kraft (Aranz Rastran 1987, 34f). So dominierten die Sender, die gute Beziehungen zur Dirección Nacional de Radio y Televisión, dem staatlichen Kontrollorgan des Rundfunks, unterhielten und dadurch ihre Lizenzen und folglich den Zugang zum lukrativen Werbemarkt erhielten. Dieser wiederum wurde von der Organización Nicaragüense de Agencias de Publicidad unter Leitung eines Angehörigen der Somozas kontrolliert, der auch das staatliche Werbebudget verwaltete (O'Donnell 1989, 205). In den sechziger Jahren kam es zu einem imposanten Wirtschaftswachstum in Nicaragua, das zu einem rasanten Anstieg der Werbeinvestitionen in den Medien führte. Der Hörfunk reagierte auf diese Entwicklung mit einem Wechsel der Programmstruktur. Bis dahin lag der Schwerpunkt der Sendungen auf Hörspielen, Musik und Kurznachrichten. Jetzt wurden 90 Prozent der Sendezeit mit Werbung durchsetzt. Nach Gründung der Journalistenschule 1960 gab es zudem eine erhöhte Anzahl universitär ausgebildeter Journalisten, die keinen Arbeitsplatz finden konnten. Es bildeten sich Gruppen, darunter viele Linke, die ein Stück Sendezeit kauften und sie mit Werbung und Nachrichten füllten. Diese Radioperiódicos waren den US-amerikanischen Nachrichten nachempfunden und in politischer Hinsicht völlig unzulänglich. Die Nachrichtensendungen glichen eher unpolitischen Radionovelas, die durch amerikanisierte Werbespots untermalt wurden (Ehring / Nachtigall 1985,55). Anastasio Somoza gründete 1962 die staatliche Rundfunkgesellschaft Radiodifiisora Nacional, mit insgesamt 47 Sendestationen. Alle Informationen, die gesendet wurden, mußten vorher von dieser Institution freigegeben werden. Die Anzahl der Hörfunkgeräte stieg 1955 bis 1966 in Nicaragua von 30.000 auf 105.000. In den sechziger Jahren gab es vier Hörfunkstationen, die eine oppositionelle Haltung einnahmen. Dies waren Radio La Mundial, Radio La Centauro, Radio Mil und Radio Corporación. Sie waren einer ständigen Zensur durch das somozistische Regime unterworfen. Das Erdbeben vom 23. Dezember 1972 setzte der Entwicklung des Radiojournalismus erst einmal ein Ende. Fast alle Hörfunkstationen lagen in Trümmern, teilweise waren die Sendeanlagen zerstört. Geld für den Wiederaufbau war nicht vorhanden. Das bedeutete das Erlöschen vieler Nachrichtensender (Universidad Centroamericana 1993 III, 106f). Auch Radio Mundial, das bis 1972 mit 25 Jahren Hörfunkgeschichte aufwarten konnte, mußte wieder ganz von vorne anfangen. Radio Corporación ging kurz nach dem Erdbeben wieder auf Sendung, allerdings mit seiner allerersten Sendeanlage, die noch aus der Pionierzeit stammte. 1974 führte Somoza aufgrund der Aktionen des FSLN und der wachsenden Oppositionsbewegung das Kriegsrecht ein. Die bis 1977 andauernde militärische Kontrolle und scharfe Zensur der Medien bewirkte eine Zusammenarbeit zwischen den Sandinistas und den ebenfalls in Opposition stehenden Konservativen. PrensaChef Pedro Joaquín Chamorros Radio mi Preferida beschloß, zusammen mit sandinistischen Journalisten gegen das Regime zu kämpfen. Nach Beendigung der Medienzensur 1977 wurde der Hörfunk zunehmend zum Sprachrohr der Anti-SomozaBewegung. In dieser Phase war die Live-Übertragung von direkten Angriffen des FSLN auf die Regierung keine Seltenheit mehr. Somozas Reaktion auf diese Entwicklung war die Verfolgung und Ermordung von Journalisten, u. a. von Pedro Joaquín Chamorro im Jahre 1978.
118
Ende 1978 übernahmen die Sandinistas die staatlichen Hörfunkstationen, u. a. Radio ABC, das sie in Radio Sandino umbenannten (Ehring / Nachtigall 1985, 56f). Von Februar bis April 1979 versuchte Somoza mit letzter Anstrengung die Situation unter Kontrolle zu bekommen. Er schloß mit Hilfe des Militärs die Hörfunksender Radio Futura, Radio Corporación und Radio Extra. Doch am 29. Juli 1979 verkündeten die Unión de Periodistas de Nicaragua (UPN) und das Sindicato de Radioperiodistas de Managua (SRM) über Lautsprecher und Radio den Sieg der FSLN. Mit der Beendigung der Somoza-Diktatur und der Machtübernahme durch die Sandinistas kam es in Nicaragua zu einschneidenden Veränderungen in der Struktur und den Programmen des Hörfunks. Die Sandinistas hatten nicht mit gegen die Regierung gerichteten Medien gerechnet. Bald mußten sie feststellen, daß durch die Unzufriedenheit der Bevölkerung, bedingt durch die schlechte wirtschaftliche Lage und die beginnende Konterrevolution, eine Oppositionsfront gegen ihr Regime entstand. Zum Zwecke der Machtkonsolidierung zentralisierten die Sandinistas die elektronischen Medien und machten sie zu Werkzeugen der Propaganda und Revolutionspolitik. Im Jahr 1979 gab es noch 44 Radiosender, von denen einige nach Ende des Krieges vom FSLN konfisziert wurden, wieder andere mußten aus finanziellen Gründen schließen. Die sandinistische Regierung übernahm insgesamt 18 Radiostationen im ganzen Land. Drei davon befanden sich in Managua. Im November 1979 gründete die Regierungsjunta den Sistema Nacional de Radiodifusión de Nicaragua, dem das staatliche Monopol über die Nutzung der Kurzwellenfrequenz erteilt wurde (O'Donnell 1989, 218). Im Jahr 1981 kam es schließlich per Dekret Nr. 719 zur Gründung der Corporación de Radiodifusión del Pueblo (CORADEP). Hierbei handelte es sich um ein staatliches Kontrollorgan über 16 konfiszierte Hörfunksender in den verschiedenen Regionen des Landes. Die Aufgaben dieser Gesellschaft bestanden in der administrativen und finanziellen Verwaltung der Radiosender. Das sandinistische Radio La Voz de Nicaragua wurde zu einer Art Verwaltungszentrale aller Hörfunkstationen im Land. CORADEP arbeitete sehr professionell. Sie bereitete fingierte Nachrichten für ausländische und auch nationale, gegen die Regierung gerichtete Medien vor. Eine ihrer wichtigsten Aufgaben war es, Untergrundsender zu entdecken und in Besitz zu nehmen. In diesem Jahrzehnt gab es kaum eine nennenswerte Entwicklung im Bereich des privaten und kommerziellen Hörfunks. Zum einen war dies nach der politischen und gesetzlichen Lage kaum möglich. Zum anderen fehlte es durch den Krieg an Werbeinvestitionen, so daß die wenigen privaten Sender hauptsächlich auf Spendengelder oder eigene finanzielle Ressourcen angewiesen waren. Am 15. März 1981 verabschiedete die sandinistische Regierung - bedingt durch die beginnende Konterrevolution - ein Notstandsdekret, das die Einführung der tres meses de silencio im Hörfunk zur Folge hatte. Sieben Radiosender mit insgesamt 29 Nachrichtenprogrammen wurden gesperrt, d. h. sie konnten nicht mehr auf Sendung gehen. Einige Stationen entwickelten daraufhin andere Programme, wie z. B. wissenschaftliche Informations- und Musiksendungen, um überleben zu können. Im Monat Juni des gleichen Jahres hob die Regierung diese Sperre wieder auf. Zwischen 1981 und 1982 entstanden erstmals seit Beendigung der Revolution wieder vier private Hörfunksender: Radio El Despertar, Radio El Pensamiento, Radio El Momento und Radio Informaciones. Ihr Ziel war es, kritische, nicht von der Regierung vorformulierte Nachrichten zu verbreiten. Jedoch stießen sie dabei auf massiven Widerstand der Mediendirektion des Innenministeriums.
119 Im Vorfeld der Wahlen von 1984 wurde die Medienzensur gelockert. Sofort traten eine Reihe neuer und vor allem privater Nachrichtenprogramme hervor, deren Veranstalter die an der Wahl teilnehmenden politischen Parteien waren. Direkt nach den Wahlen wurde der nationale Notstand wieder in Kraft gesetzt und die Zensur erneut eingeführt. 1985 und 1986 wuchsen die innenpolitischen Spannungen in Nicaragua. Die Regierung versuchte mit aller Macht, die Kontrolle über den Hörfunk zu behalten, und schreckte daher auch nicht vor fragwürdigen Methoden zurück. Eines der berüchtigsten Beispiele dafür war die Schließung von Radio Católica am 3. Januar 1986. Auf ähnliche Art befreite sich die Regierung auch in den darauffolgenden Jahren von unbequemen Hörfunkstationen und Journalisten (Aranz Rastran 1987,45ff). Die Verfassung von 1987 brachte ein neues Presse-, Meinungs- und Informationsrecht, so daß sich der Hörfunk erstmals wieder regierungsunabhängig entwickeln konnte. Es folgten im Mai 1988 organisatorische Veränderungen innerhalb der CORADEP. Die finanzielle Administration wurde aufgehoben, die staatlichen Sender mußten sich erstmals wieder selbst um ihre Finanzierung kümmern. Mit dem Regierungswechsel 1990 wurde die CORADEP als Kontrollorgan aufgelöst. In den achtziger Jahren entstand eine besondere Form des Hörfunks: Radio Contrarevolucionaria. Über 76 ausländische Sender konnten in Nicaragua gehört werden. Davon waren 26 costaricanische und 18 honduranische Sender. Fünf solcher Radios wurden in Nicaragua registriert: Radio Liberación, Radio 15 de Septiembre, Radio 590, Radio Impacto und Radio Miskut. Dies waren antisandinistische Sender, die vor allem in umkämpften Zonen, an der nördlichen und südlichen Grenze Nicaraguas sowie in der Atlantikregion anzutreffen waren. Da diese Radiostationen vorwiegend im Untergrund arbeiten mußten und keine finanzielle Basis hatten, wurden sie von der Regierung der Vereinigten Staaten subventioniert. 1988 schlössen sich die zwei größten Stationen, Radio Liberación und Radio 15 de Septiembre, zusammen und gründeten die Organisation Sistema Radial de la Resistencia Nacional. Seit Anfang der neunziger Jahre ist ein Strukturwandel im Bereich des nicaraguanischen Hörfunks eingetreten. Die sandinistische Regierung wurde durch ein demokratisch gewähltes, liberaleres Regime abgelöst, das zuerst alle während des FSLN-Regimes verabschiedeten Gesetze bezüglich des Rundfunks aufhob. Einige Hörfunksender verblieben im Besitz der Gemeinden ihrer Region, andere gingen in private Hand über. Zwischen 1990 und 1992 wurden zehn neue Sender registriert, von denen mehr als die Hälfte ehemalige Staatssender waren, die ihre Besitz- und Programmstruktur sowie ihren Namen geändert hatten. Am 23. November 1992 erfolgte die Gründung der Asociación de Radios (ANR), die sich am 29. September 1993 mit der Asociación de Radiodifusores de Centroamérica y Panamá (ARCAP) zusammenschloß. Daraus ging die neue Vereinigung Asociación Nicaragüense de Radiodifusión (ANIR) hervor, deren Ziel die Verteidigung der Interessen und Aufgaben des nicaraguanischen Hörfunks ist. 1994 trat dieser Verband in Verhandlung mit der Regierung, um einen Großteil der staatlichen Werbeinvestitionen für den Hörfunk zu erhalten. Der ANIR gehörten Ende 1993 22 Hörfunksender in Managua und 13 Stationen in den Departements an.
120 4.2.
Rundfunkrecht
Die gesetzlichen Grundlagen zur Regulierung des Rundfunks in Nicaragua gelten seit 1960 sowohl für den Hörfunk als auch für das Fernsehen. Die Gesetze unterscheiden nicht explizit zwischen diesen beiden Medien, sondern behandeln sie zusammen als Rundfunk. Wenige Jahre nach der Etablierung des ersten Hörfunksenders in Nicaragua erließ Juan B. Sacasa, der Präsident Nicaraguas, am 2. Dezember 1935 das Dekret Nr. 284, Reglamento Nacional de Estaciones Inalámbricas, das eine staatliche Monopolbildung im Bereich des Hörfunks, seiner Administration als auch seiner Lizenz- und Frequenzvergabe vorsah. Die Dirección General de Comunicaciones sollte die Funktion einer staatlichen Kontrollinstanz übernehmen. Sie war zuständig für die Erteilung der Konzessionen, die Überwachung der technischen Anlagen der Sender und ihres korrekten Funktionierens (O'Donnell 1989, 204). Unter der Regierung Anastasio Somozas wurde am 18. August 1960 das umfangreichste und restriktivste Dekret bezüglich des Rundfunks erlassen: Código de Radio y Televisión, Dekret Nr. 523. In 73 Artikeln wurden hier die fundamentalen Prinzipien des Rundfunks, die Konzessionsvergabe, die Überwachung der technischen Anlagen und ihres Betriebs, die Programmgestaltung und mögliche Sanktionen bei Gesetzesüberschreitungen abgehandelt. Gemäß Artikel 8 wurde die Dirección Nacional de Radio y Televisión als oberste Kontrollbehörde geschaffen, deren ausführendes Organ die Nationalgarde war. Der Código Negro, wie er auch damals bezeichnet wurde, gab der Nationalgarde unter Somoza Machtbefugnis, Fernsehoder Radiostationen zu zensieren bzw. zu schließen. Zwar war in Artikel 44 die Freiheit auf Informationsbeschaffung und -Verbreitung garantiert, doch wurde diese in Artikel 48 gleichzeitig mit einer Liste von Verboten erheblich eingeschränkt. Dieses Gesetz blieb bis zur Machtübernahme des FSLN 1979 gültig. Am 13. September 1979 verabschiedete die sandinistische Regierung das Dekret Nr. 48, Ley General Provisional Sobre Los Medios de Comunicación. Hinsichtlich des Rundfunks wurden die Artikel 50 und 60 erlassen, die der Exekutive die Vergabe von Konzessionen und Frequenzen zuordneten. Im September 1980 verabschiedete die Junta del Gobierno de Reconstrucción Nacional (JRGN) drei Verordnungen, ergänzend zum Mediengesetz von 1979, wodurch die Gründung der Dirección de Medios sowie der Corporación de Radiodifusión del Pueblo (CORADEP) (Dekret Nr. 719) gesetzlich verankert wurde. Per Dekret Nr. 499, Ley de Regularización del Uso del Espectro Radioeléctrico wurde die Dirección de Frequencias Radioeléctricas, die von jetzt an die Konzessions- und Frequenzvergabe des Hörfunks sowie des Fernsehens regelte, eingerichtet. Ein Jahr darauf wurden die Gesetze zur Erhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und des wirtschaftlichen Notstandes (Dekret Nr. 996) erlassen. Diese sahen eine Strafe von drei Jahren Gefängnis vor, wenn ein Journalist sogenannte Falschmeldungen über die Wirtschaftssituation veröffentlichte. Einen Monat vor der Regierungsübernahme durch Violeta Chamorro erließ der Präsident Daniel Ortega Saavedra am 23. März 1990 die Dekrete Nr. 503 und 505. Die wichtigsten Veränderungen bestanden in der Gründung einer neuen Behörde, Dirección de Frecuencias Radioeléctricas, die dem Instituto Nicaragüense de Telecomunicaciones y Correos (TELCOR) unterstellt wurde. Ihre Aufgaben wichen aber nicht sonderlich von denen ihres Vorgängers ab. Schon im Dezember des gleichen
121 Jahres wurden diese Gesetze durch das Dekret 55-90, beschlossen von der neuen Regierung unter Violeta Chamorro, ersetzt. Dadurch wurde die División de Administración Nicaragüense del Espectro Radioeléctrico, genannt ANDER, gegründet. Diese Behörde sollte künftig die Konzessions- und Frequenzvergabe im Bereich des Rundfunks vornehmen. In Kapitel VI, Artikel 28, wurde der Regierung weiter das Recht zugestanden, bei Verstößen gegen das Gesetz die Senderlizenz aufzuheben bzw. den Sender zu schließen. Die Gefährdung der politischen Ordnung im Land, z. B. ein Aufruf zur Revolution, wird nach Artikel 30 mit der Konfiszierung des Besitzes sowie der technischen Anlage und gemäß dem Strafgesetz geahndet. Im Falle eines nationalen oder internationalen Konfliktes, der die öffentliche Ordnung des Landes gefährdet, ist die Polizei autorisiert, die Hörfunkanstalten zu überwachen. Die Regierung wollte sich durch diese drei Artikel die Möglichkeit vorbehalten, wieder zu Mitteln der Zensur zu greifen. Es kam zu massiven Protesten der Medienmitarbeiter, die in diesem Gesetz nur eine weitere Beeinträchtigung der Presse-, Meinungs- und Informationsfreiheit sahen. Am 5. Februar 1991 modifizierte Präsidentin Chamorro dieses Gesetz, indem sie die drei einschlägigen Artikel strich. Das heute gültige Rundfunkrecht ist das 1991 reformierte Dekret 55-90. Nach Widerrufung der o. a. Artikel verblieb ein Gesetz, das letztendlich nur die Frequenzund Konzessionsvergabe sowie die technischen Voraussetzungen des Rundfunks regelt. Es gibt keinerlei Richtlinien bezüglich der Programmgestaltung oder anderer Zugangsvoraussetzungen (Zaffaroni 1993 I, 157f). Geplant war eine Reformierung des Rundfunkrechts für Ende 1994. Jedoch wurden diese Bestrebungen aufgrund innenpolitischer Schwierigkeiten und des Streits um die neue Verfassung zurückgestellt.
4.3.
Die Struktur des Hörfunks in Nicaragua heute
4.3.1. Bestandsaufnahme Der Wahlsieg der Unión Nacional Opositora (UNO) unter Violeta Barrios de Chamorro 1990 führte zu großen Veränderungen im Hörfunk Nicaraguas, insbesondere bezüglich der Organisation. Die Administración Nicaragüense del Espectro Radioeléctrico (ANDER), die staatliche Rundfunkverwaltungsbehörde, stellte neue Frequenzen zur Verfügung, die den gestiegenen Anforderungen Rechnung tragen sollten. Einerseits mußte es weiterhin Kurz,- Mittel- und Langwelle geben, da die meisten Rundfunkanstalten mit jahrzehntealten technischen Anlagen arbeiten. Doch seit 1990 hat der Hörfunk jetzt auch Zugang zum FM-Bereich (Universidad Centroamericana 1993 III, 165f). 1994 gab es in Nicaragua 72 Radiosender, während es 1992 nur 48 waren. Dabei handelt es sich hier um selbständige Programme, von denen 48 auf AM (Mittel- und Langwellensender, nur einer strahlt auf Kurzwelle aus) und 24 auf FM (Ultrakurzwelle) senden. Insgesamt 18 Hörfunkstationen strahlen ihre Programme sowohl in FM als auch in AM aus, davon zehn in Managua und acht auf dem Lande. Ein Zuwachs von Hörfunksendern ist nur im FM-Bereich festzustellen. 23 der AM-Sender befinden sich in Managua, 25 in den Bezirken. Von den 24 FM-Sendern sind 19 in Managua angesiedelt, nur fünf auf dem Lande. Über zwei Drittel aller Sender strahlen ihr Programm nach wie vor auf Mittelwelle aus. Über
122 ein Drittel der Hörfunkprogramme war 1994 auf UKW zu empfangen, die restlichen zwei Prozent entweder auf Lang- oder Kurzwelle. 1992 hatten nur sieben Sender technische Anlagen, die zwischen 10 und 50 Kilowatt Leistung erbrachten. Die meisten liegen in der Gruppe 5 bis 10 Kilowatt. Die regionale Verteilung der Sender in Nicaragua zeigt Tabelle 2.
Tabelle 2: Regionale Verbreitung der Radiostationen (1994) Region
Departement
I
Esteli Nueva Segovia Madriz
4,3 3,2 2,6
2 2 2
2,8 2,8 2,8
II
León Chinandega
8,8 8,5
3 2
4,2 2,8
III
Managua
28,1
42
58,0
IV
Rivas Masaya Granada Carazo
3,6 5,4 4,0 4,0
2 3 1 1
2,8 4,2 1,4 1,4
V
Chontales Boaco Zelaya Central Rio San Juan
3,6 3,1 2,8 0,3
2
2,8
1
1,4
Matagalpa Jinotega Zelaya Puerto Cabezas Bluefields Raas
8,9 4,6 0,2 0,9 1,3 1,8
4 1
5,6 1,4
100
72
VI
Insgesamt
Anteil der Bevölkerung (in %)
Anzahl der Sender
-
-
1 3 -
Anteil der Sender (in %)
-
-
1,4 4,2 -
100
Quelle: Eigene Zusammenstellung basierend auf Angaben von Publimerc, 1994, und Instituto Nacional de Estadísticas y Censos, 1994
Von den insgesamt 72 Radiosendern haben drei einen internationalen Sendebereich (bis Honduras und El Salvador), acht einen nationalen, und ungefähr 50 Sender haben nur eine regionale Reichweite, d. h. sie sind in der Pazifik-, Nord-, Süd- oder
123 Zentralzone zu hören. Elf der Sender sind lokal zu empfangen, fünf davon in Managua. Der nicaraguanische Hörfunk weist somit zu ungefähr 70 Prozent eine regionale Senderstruktur auf. Für Dezember 1993 gab das Statistische Institut des Landes (INEC) einen Bestand von 2,96 Millionen Radioempfangsgeräten an. Das entspricht einer Zahl von drei Geräten auf vier Einwohner. Allein knapp zwei Fünftel der Geräte befinden sich in Managua. Man kann jedoch davon ausgehen, daß jede Familie, auch außerhalb der Städte, ein Radiogerät besitzt.
4.3.2. Organisation und Finanzierung In Nicaragua ist der Hörfunk überwiegend privatwirtschaftlich organisiert. Außerdem gibt es Sender in staatlicher und kirchlicher Trägerschaft. Ende 1993 war der Hörfunk mit 31 Prozent am Gesamtwerbevolumen aller Medien beteiligt. Damit wurde ein Rückgang um sechs Prozent zum Vorjahr verzeichnet, trotz der Freigabe der FM-Freqenzen und der damit verbundenen neuen Attraktivität des Hörfunks. Noch 1992 war der Hörfunk im Bereich der Werbeinvestitionen mit 37,4 Prozent marktführend gewesen. Laut Angaben der Universidad Centroamericana (1993, III) finanzierte sich der Hörfunk im Jahre 1993 zu 60 Prozent aus der Werbung. Es folgten der Verkauf von Sendezeit mit 22,8 Prozent, Gesellschaftsaktien mit fünf Prozent, ungefähr fünf Prozent Schenkungen oder Zuschüsse, der Rest war unterschiedlicher Herkunft. Rund 97 Prozent der Werbung aller Hörfunksender sind nationalen Ursprungs, nur drei Prozent kommen aus dem Ausland. Bei den drei staatlichen Sendern gestaltet sich die Finanzierung etwas anders. Radio Nicaragua zum Beispiel erhält zu 40 Prozent staatliche Finanzhilfe. Die restlichen 60 Prozent werden durch Werbung (40 %) und Verkauf von Sendezeit (20 %) bestritten. Radio La Voz Del Atlántico erhält keine staatliche Unterstützung. Dieser Sender finanziert sich vollständig aus lokalen Werbeeinnahmen an der Atlantikküste. Ebenso verhält es sich mit Radio La Mera. Radio Corporación ist in Nicaragua das teuerste Radio in bezug auf den Verkauf von Sendezeit. Hier kosten 30 Minuten 11,5 US-Dollar. Im FM-Bereich kostet die Sendeminute weniger.
4.3.3. Programme In den Studien über die Programmgestaltung der einzelnen Hörfunksender in Nicaragua gibt es kaum Daten über den FM-Hörfunk. Das liegt vor allem daran, daß dieser Hörfunkbereich ausschließlich aus Musikprogrammen besteht. Bevorzugt gesendet werden Stimmungsmusik und solche spanischer Herkunft, insgesamt also leichte Unterhaltung. Nur Radio Guegüense hat sich auf klassische Musik spezialisiert, im Wechsel mit kulturellen Programmen. Im Bereich des AM-Hörfunks gab es Ende 1993 611 Programme mit einer nationalen Reichweite. Der Anteil an Musiksendungen betrug rund 48 Prozent bzw. 292 Programme. In Managua war dieser Anteil deutlich höher als in den Provinzen. Es gibt kaum Hörfunkprogramme, die speziell auf Kinder oder Frauen ausgerichtet sind. Radio Mujer in Managua ist derzeit der einzige Radiosender für Frauen in ganz
124 Nicaragua. Tabelle 3 zeigt die Zusammensetzung der Radioprogramme nach Sparten (1993).
Tabelle 3: Verteilung der Sparten in den Radioprogrammen in Nicaragua (1993) Art der Programme
Managua
Musik Information Jugend Kultur Sport Bildung Frauen Kinder
148 87 22 19 16 16 4 4
Insgesamt
316
Regionen
mit nationaler Reichweite
in %
14 45 38 20 20 19 5 4
92 132 60 39 36 35 9 8
47,8 21,6 9,8 604 5,9 5,7 1,5 1.3
295
611
100
Quelle: Universidad Centroamericana 1993, V, 32.
Die durchschnittliche tägliche Sendezeit im nicaraguanischen Hörfunk beträgt 16 Stunden. Die meisten kleineren Sender in Managua und der Region strahlen ihr Programm zwischen 5.00 Uhr morgens und 22.00 Uhr abends aus. Nur Radio Primer(sima und Radio Diriangén sendeten 1994 ein 24-Stunden-Programm. Vier der Sender (Radio Nicaragua, Radio Ya, Radio Zinica und Radio Corporación) hatten 1994 eine tägliche Sendezeit von 20 Stunden. Radio Ya ist derzeit der meistgehörte Radiosender Nicaraguas. In einer statistischen Untersuchung der Hörerschaft stand er in allen Programmsparten an erster Stelle. Die Programme des Senders sind sehr publikumsnah. So gibt es zum Beispiel Sendungen, in denen nur die Zuhörer zu Wort kommen und ihre Meinungen und Vorstellungen zu bestimmten Themen über Mikrofon direkt oder per Telefon äußern können. Eine zweite Programmsparte sind die Nachrichtenprogramme, eine Mischung aus aktuellen Kurznachrichten und Diskussionssendungen, vorzugsweise in Form von Sensationsberichterstattung. Für die Bauern und Landarbeiter sind drei Stunden tägliche Sendezeit vorbehalten. Hier werden Nachrichten und Berichte zum Thema Landwirtschaft ausgestrahlt. Sport, in Nicaragua eines der wichtigsten Themen, erscheint zweimal täglich mit aktuellen Berichten. Bei besonderen Veranstaltungen und am Wochenende kann die tägliche Sendezeit von einer Stunde auch auf zwei bis drei Stunden ausgedehnt werden. Weiterhin gibt es täglich eine spezielle Musiksendung für Jugendliche und eine Art Magazinsendung, ein gemischtes Programm, bestehend aus Nachrichten, Musik und allgemein gehaltenen Berichten. 1994 existierten in Nicaragua sechs religiöse Hörfunksender. Der bekannteste unter ihnen ist Radio Católica de Nicaragua. Er sendet täglich ein 17-Stunden-Programm. Zweimal täglich strahlt er ein Nachrichtenprogramm aus, um 6.00 Uhr früh
125 etwa zehn Minuten und um 17.00 Uhr sogar eine Stunde. Fünf Stunden des täglichen Programms bestehen aus Musiksendungen, weitere fünf Stunden sind mit Reportagen, Berichten und Magazinen gefüllt. Insgesamt sieben Stunden sind kirchlichen Themen vorbehalten. Entgegen der allgemeinen Vorstellung hat der religiöse Hörfunk in Nicaragua einen beachtlichen Einfluß auf die Bevölkerung, da er auch politisch engagiert ist. Schon während des sandinistischen Regimes gehörte Radio Católica zu den oppositionell eingestellten Hörfunksendern, die von der Regierung zensiert und für mehrere Monate geschlossen wurden. Die Popularität dieser Sender ist ein Zeichen der großen Religiosität der Bevölkerung. 90 Prozent der Nicaraguaner sind überzeugte und praktizierende Katholiken. Die katholische Kirche stand, sowohl unter der Somoza-Regierung als auch unter dem sandinistischen Regime, immer auf Seiten der Bevölkerung. In der Publikumsgunst liegt Radio Católica an 16. Stelle von allen Hörfunksendern des Landes. Es finanziert sich vollständig aus der Werbung. Tabelle 4 zeigt die 10 wichtigsten Hörfunksender und ihren Anteil am Hörerpublikum Nicaraguas für das Jahr 1994.
Tabelle 4: Die zehn meistgehörten Radiostationen Nicaraguas (1994) (Hörer in %) Radiostation
Gesamtprogramm
Musik
Sport
Nachrichten
Radio Ya
31,4
21,7
19,0
31,7
Radio La Musical
13,9
18,9
O.A.
o. A.
Radio Corporación
11,0
3,4
O.A.
13,2
Radio Sandini
6,1
4,4
2,1
6,6
Radio La Primerísima
5,4
3,6
1,7
4,6
Radio Juvenil
4,8
6,8
O.A.
O.A.
Radio Universidad
4,6
6,8
O.A.
O.A.
Radio Onda de Luz
3,2
1,8
O.A.
O.A.
Radio Noticias
2,3
0,6
O.A.
2,2
Radio Ritmo
2,2
2,8
O.A.
o. A.
Quelle: Multivex 1994 (b) und eigene Berechnungen
Wegen der gemischten Bevölkerung, insbesondere an der Atlantikküste, strahlen einige Hörfunksender ihr Programm zwei- bzw. dreisprachig aus. Radio Católica und Radio Bruja senden ein bis zwei Stunden täglich in Miskito, der Sprache der indigenen Bewohner der Atlantikküste. Auch in Managua lebt ein kleiner Teil dieser Bevölkerungsgruppe. In Englisch, Spanisch und Miskito senden die folgenden drei
126 Stationen der Atlantikküste: Radio Caribe, Radio La Voz del Atlántico und Radio Zinica.
4.3.4. Besitzstruktur Nach dem Ende der sandinistischen Regierung 1990 änderte sich die Besitzstruktur im Hörfunk Nicaraguas. 1988 existierten im Land 44 Sender, davon 19 staatliche, die bis auf Radio La Voz de Nicaragua, voz oficial del gobierno sandinista in die Corporación de Radiodifusión del Pueblo (CORADEP) eingebunden waren. Nach der Auflösung dieser staatlichen Organisation im April 1990 gingen einige dieser Sender in den Besitz der alcaldías (Gemeinden) ihrer Region über, die anderen wurden privatisiert. 1994 gab es angeblich noch drei staatliche Hörfunkanstalten. Dies ist jedoch nicht ganz zutreffend, da es in Nicaragua verschiedene Formen von Besitzstrukturen gibt: Privatbesitz, Staatsbesitz, Kollektivbesitz und propiedad mixta. Unter letzterem versteht man auch das Zusammengehen des Staates mit einem Privatunternehmen bei einer Hörfunkanstalt. Ein Beispiel dafür ist Radio Nicaragua, das 1994 zu 65 Prozent von staatlicher und zu 45 Prozent von privater Hand getragen wurde. Offiziell nennt sich der Sender La Voz Oficial del Gobierno. Reine Staatssender, bezüglich ihrer Besitzstruktur, sind Radio La Voz del Atlántico und Radio La Mera, beide an der Atlantikküste gelegen. Fünf weitere Hörfunkanstalten befinden sich im Besitz der Gemeinden, es sind sogenannte staatliche Gemeinderadios. Alle übrigen Sender befinden sich in rein privatem Besitz. Vorherrschend ist die Struktur des Alleinunternehmers. Für 1992 wurden nur zwei Hörfunkstationen genannt, die im Kollektivbesitz verwaltet wurden. Die Schätzungen für 1994 beliefen sich dann auf etwa zwölf Sender. Ein Beispiel dafür ist die Gesellschaft Radio Cadena de Oro mit drei Radiosendern: Radio El Pensamiento, Radio Democracia und FM Stereo La Grande. Der Frente Sandinista de Liberación Nacional (FSLN) ist ebenfalls Betreiber einiger Radiostationen, unter anderem von Radio Ya und Radio Sandino. Es gibt keine genauen Angaben darüber, wieviele Sender sich tatsächlich im Besitz der Partei befinden, da auch sogenannte Strohmänner oder linientreue Mitglieder als offizielle Besitzer eingetragen sind. Die Eigentumsverhältnisse im Hörfunk weisen eine deutlich andere Struktur auf als die der Druckmedien. Es gibt keinen dominierenden Familien- oder Unternehmensbesitz, zu dem mehrere Sender gleichzeitig gehören. Tatsächlich besteht hier eine Vielzahl von Kleinunternehmern, die ums Überleben kämpfen. So ist der Hörfunk auch einem ständigen Wandel unterworfen. Kleine Radiosender haben oft nur eine kurze Lebensdauer und werden leicht von anderen ersetzt.
5.
Fernsehen
5.1.
Geschichte
Der erste Fernsehsender Nicaraguas wurde am 15. Juli 1956 von Anastasio Somoza García unter dem Namen Televisión de Nicaragua S.A. Canal 8 gegründet. Die Sen-
127 destation befand sich damals im Gebäude der Tageszeitung Novedades. Es handelte sich noch um ein älteres Modell der Sendeanlagen von der Marke RCA. Während der ersten zwei Wochen brachte Canal 8 ein allabendliches Programm von sechseinhalb Stunden, und zwar vorwiegend Filme. Die Sendeleistung betrug im ersten Jahr 100 Watt, die Reichweite ca. 20 Kilometer. Das Unternehmen hatte alle Merkmale eines kommerziellen Senders. Seine Finanzierung wurde durch Agenturen, die an der Programmgestaltung beteiligt waren, durch Werbeeinnahmen und durch das Privatvermögen Somozas gesichert. Das Fernsehen war anfänglich nicht der breiten Bevölkerung zugänglich. Empfangsgeräte standen damals nur in öffentlichen Gebäuden, z. B. in Apotheken, internationalen Clubs, der Offiziersmesse und in den Privathäusern der Somozas und ihrer Freunde. Im Jahr 1960 verabschiedete die Regierung das erste Gesetz zur Regulierung des Fernsehbetriebs: Código de Radio y Televisión oder Código Negro. Allerdings war dieses Gesetz bezüglich des neuen Mediums eine Farce, da die Somoza-Gruppe alleiniger Besitzer der vorhandenen Fernsehanlagen war, alle Möglichkeiten hinsichtlich der Programmgestaltung und der Finanzierung besaß und dieses Monopol auch bis 1965 behielt (O'Donnell 1989, 204f). 1962 bekam die Fernsehgesellschaft Televisión de Nicaragua S.A. einen zweiten Sendekanal zugeteilt. Dieser wurde von Televisión de Nicaragua S.A. Canal 6 belegt, dem offiziellen zweiten Fernsehsender der Somozas. Zwar bestand dieses Unternehmen schon seit dem 17. Januar 1957, jedoch wurde erst durch die Trennung der Kanäle ein eigener Sender daraus. Canal 6 befand sich ebenfalls im Gebäude der Somoza-Zeitung Novedades und benutzte die technischen Anlagen von Canal 8, die 1960 erweitert worden waren, so daß beide Kanäle jetzt auch an der Atlantikküste empfangen werden konnten. Die Programme beider Kanäle bestanden aus rund 28 Prozent Kultur, 11 Prozent Kinderprogramm und Spielfilmen und ca. fünf Prozent Nachrichten. Die restlichen 45 Prozent bildeten Themen aus Politik, Kirche und Werbung. Gut drei Viertel der Sendezeit waren aus dem Ausland importiert. Am 17. März 1965 gründeten Octavio Sacasa, seine Frau und sein Sohn Octavio Televicentro S.A. Canal 2. Anastasio Somoza, der Vetter Sacasas, hatte ihm eine Frequenz überlassen, da er der Meinung war, daß mehr Unterhaltung für das Volk die Wahrscheinlichkeit einer Revolution mindern könnte. Die Anlage besaß eine Sendeleistung von 25 Kilowatt und deckte zwei Fünftel des nationalen Territoriums ab. Am 12. August 1965 folgten die Brüder Santiago und Adolfo López Gonzáles mit der Gründung der Fernsehstation Televisión Comercial Canal 12. Noch im selben Jahr schlössen sie sich mit Canal 2 zu der Gesellschaft Televicentro Canal 2 zusammen und sendeten auf den Kanälen 2 und 12 ein identisches Programm. 1966 folgten die beiden Sender Somozas diesem Beispiel und fusionierten zu Televisión de Nicaragua Canal 6 (Universidad Centroamericana 1993 IV, 47ff). In diesem Jahr gab es in Nicaragua nur 16.000 Fernsehapparate (60 % davon in Managua). Im August 1970 kam es in Nicaragua zur Gründung einer weiteren Fernsehanstalt: Telecadena Nicaragüense Canal 4. Da die Presse mehrfach scharfe Kritik an der Besitzstruktur des Fernsehens geäußert hatte, überließ Somoza die Frequenz Canal 4 der Gesellschaft Oleoductos de Nicaragua S.A., die als erstes freies Unternehmen den Fernsehmarkt beleben sollte. Jedoch war dies wiederum nur eine Vortäuschung falscher Tatsachen, denn der eigentliche Besitzer dieses Unternehmens blieb Anastasio Somoza Debayle. Die Sendeanstalt war nur bis 1972 in Betrieb und mußte aus finanziellen Gründen aufgegeben werden.
128 Nach dem Erdbeben von 1972 gründete Somoza per Dekret die Cadena Nacional de Televisión, einschließlich der Sender Canal 2 und Canal 6, mit der vermeintlichen Absicht, einen Beitrag zum Wiederaufbau des Landes zu leisten. In Wahrheit suchte er jedoch eine Möglichkeit, die Unterrichtung der Bevölkerung zu steuern und Regimekritik zu verhindern. Diese Gesellschaft sendete acht Stunden täglich ein Gemeinschaftsprogramm, bestehend aus Nachrichten, Telenovelas und Filmen. Im Jahr 1974 wurden das Farbfernsehen und die Videotechnik in Nicaragua ein geführt. Im gleichen Jahr löste Somoza die Gesellschaft Cadena Nacional de Televisión wieder auf. Die Fernsehanstalten kehrten zu ihrem normalen Programmbetrieb zurück. Für das Jahr 1976 wird die Anzahl der Fernsehapparate im Land mit 90.000 angegeben (Statistisches Bundesamt 1979, 11 u. 22). Bis zum Sturz des Diktators 1979 standen die Fernsehgesellschaften geschlossen hinter Somoza und dem Regime. Zwar gab es neben dem staatlichen Sender Canal 6 noch das private Unternehmen Canal 2, dessen Besitzer jedoch loyale Freunde des Diktators waren, die ihn uneingeschränkt unterstützten. Insofern kann man hier von einem Fernsehmonopol in der Hand der Familie Somoza bis 1979 sprechen. Erst unter der sandinistischen Regierung kam es zu grundlegenden Veränderungen im Bereich des Fernsehens. Nach der siegreichen Revolution des FSLN konfiszierten die Sandinisten Canal 2 und Canal 6 und gründeten die staatliche Fernsehanstalt Sistema Sandinista de Televisión (SSTV), die per Dekret Nr. 1398 vom 22. Februar 1984 gesetzlich verankert wurde. Doch wurden die Sandinisten vor große Probleme gestellt. Bis 1979 lag der Schwerpunkt der Fernsehprogramme auf dem im Ausland produzierten Material. Landeseigene Berichterstattung und Programme fehlten fast völlig. Ziel des FSLN waren jedoch eigenproduzierte Sendungen mit Schwerpunkt auf nationalen Inhalten. Es fehlte aber an Erfahrung und technischer Ausrüstung, um dieses Vorhaben zu verwirklichen. 1980 wurde daraufhin das Centro de Entrenamiento Audiovisual (CEPREN) mit holländischer Hilfe gegründet, das eigene Instruktoren und erste Apparate zur Verfügung stellte. Die ehrgeizige Zielsetzung konnte bis 1989 aber nie verwirklicht werden. Ähnlich wie anderen Ländern der Dritten Welt fehlten Nicaragua die finanziellen Mittel, um die notwendigen neuen Geräte anzuschaffen und ausreichend Personal für dieses Vorhaben zu schulen. So kam der größte Teil des gesendeten Programms aus der 'Konserve', produziert vornehmlich im Ausland. Nur etwa 20 bis 25 Prozent stammten aus dem eigenen Land. Die wichtigste dieser Sendungen war El Noticiero Sandinista (Universidad Centroamericana 1993 IV, 72ff). Ausgelöst durch die schlechte wirtschaftliche Lage des Landes, brach der bis 1979 aufgebaute kommerzielle Fernsehbetrieb zusammen. Die Anzahl der Werbeinvestoren nahm mit dem beginnenden Contra-Kiitg rapide ab. Die Sandinisten waren gezwungen, ihr Fernsehsystem SSTV durch die Regierung und staatliche Institutionen finanzieren zu lassen. Somit entwickelte sich ein kontrolliertes Kommunikationsmedium, das zur Durchsetzung der Regierungsziele sowie zur Bekämpfung oppositioneller Kräfte eingesetzt werden konnte. Das Fernsehen wurde zu einem massiven sandinistischen Propagandamedium. Es bedurfte gar nicht der Zensur, wie bei den anderen Medien, da die Sender parteipolitisch völlig auf der Linie der Regierung lagen. Um möglichen Abweichungen vorzugreifen, unterstand der Sistema Sandinista de Televisión (SSTV) der strengen Kontrolle des Departamento de Agitación y Propaganda. Zwischen 1980 und 1984 waren die Programme ganz daraufhin ausgerichtet, den ideologischen und parteipolitischen Konzepten der Regierung gerecht zu werden.
129 Für die Wahlen 1984 änderte der SSTV seine Programmstruktur. Die Fernsehsender stellten den an der Wahl teilnehmenden Parteien Sendezeit zu Werbezwecken zur Verfügung. Von den oppositionellen Gruppen wurde diese Möglichkeit kaum genutzt, sie konzentrierten sich auf die Presse. Ende 1989, Anfang 1990 kam es zu einer ähnlichen Änderung der Programme beider Fernsehsender wie 1984. Aufgrund der bevorstehenden nationalen Wahlen strahlten Canal 2 und Canal 6 Programme der Parteien aus. Die Sendung Elecciones 90, speziell für dieses Ereignis vom SSTV produziert, wurde täglich als zusätzliches Informationsprogramm von Canal 6 ausgestrahlt. Erstmals gab es eine rege Beteiligung oppositioneller Parteien. Zwischen 1981 und 1989 sendete Canal 2 Serien (mit einem Anteil von rund 45% am Gesamtprogramm), Spielfilme (26%), Kinderprogramme (18-20%) und Nachrichtensendungen (10%). 89 Prozent davon kamen aus der 'Konserve'. Im Dezember 1989 ging Canal 2 wieder in den privaten Besitz Octavio Sacasas über, der auch 1994 noch als leitender Direktor und Besitzer dieses Kanals fungierte. Canal 6 strahlte ebenfalls hauptsächlich Serien aus, jedoch nur mit einem Anteil von 25 Prozent. Weitere 22 Prozent bestanden aus Kultur, 20 Prozent aus Kindersendungen, 16 Prozent aus Telenovelas und sechs Prozent aus Nachrichten. Beide Sender konnten national, mit Ausnahme der zona norte und der Atlantikküste, empfangen werden. Zwischen 1980 und 1987 gab es in Nicaragua 175.000 bzw. 210.000 Fernsehgeräte. Seit 1979 trug sich die Regierung Nicaraguas mit dem Gedanken, auch an der Atlantikküste einen Fernsehsender zu installieren. Doch erst 1984 wurde durch SSTV dort eine Relaisstation in Betrieb genommen, die über einen Transmitter die Mikrowellensignale aus Managua empfangen sollte. Allerdings blieb es erst einmal beim Aufbau der Station. 1986 konnten dann fünf costaricanische Kanäle an der Atlantikküste empfangen werden, jedoch kein nicaraguanischer. Aufgeschreckt durch dieses Zuvorkommen ausländischer Fernsehbetreiber entwickelte die sandinistische Regierung erste konkrete Vorschläge zur Gründung eines nicaraguanischen Senders in dieser Region. Man befürchtete in Nicaragua, daß durch die Werbung und den Inhalt der Sendungen nicht nur zum Kauf von ausländischen Produkten angeregt, sondern auch costaricanisches Kulturgut vermittelt werde, so daß sich die Bewohner der Atlantikküste bald mehr mit den südlichen Nachbarn als mit dem eigenen Lande identifizieren würden. Aufgrund finanzieller Schwierigkeiten dauerte es bis Mai 1988, ehe die Station dort auf Sendung gehen konnte. Über 70.000 US-Dollar wurden aus Spenden privater ausländischer Unternehmen und des SSTV zusammengebracht, um die Grundausstattung des Senders zu finanzieren. Zu Beginn des Regionalkanals arbeiteten sieben Personen bei BTV 9. Die Produktion eigenen Sendematerials war anfänglich aus technischen Gründen nicht möglich. Daher lieferte Canal 6 aus Managua das nötige Programm. Durch einen Sturm wurde die Anlage Ende 1988 schwer beschädigt, und erst am 7. August 1989 konnte BTV 9 wieder auf Sendung gehen. Er bestand bis zum 17. Mai 1992. Juristisch gesehen war der Kanal seit seiner Gründung nie eine eingetragene Gesellschaft gewesen oder explizit zum Staatseigentum erklärt worden. Nach dem Amtsantritt der neuen Regierung wurden BTV 9 und seine technische Ausrüstung den Mitarbeitern des Senders übergeben, die daraus einen politisch unabhängigen TV-Kanal entwickeln wollten. Doch die regionale Regierung an der Atlantikküste intervenierte, da gemäß der Verfassung die Entscheidung über Besitzrechte und Programmgestaltung ihr oblag. Schließlich wurde Ende 1990 ein Kompromiß erzielt, der eine Allianz der regionalen Regierung mit der Gruppe der
130 Beschäftigten vorsah. Für das Programm des Senders waren vier Fünftel spanischsprachige und ein Fünftel englischsprachige Ausstrahlungen vorgesehen. BTV 9 präsentierte selbst Regionalnachrichten. Bis 1989 wurden vom SSTV aus Managua Dokumentationen, Bildungsprogramme für alle Altersgruppen und Spielfilme gesendet. Sport wurde vom Instituto Nicaragüense de Cine (INCINE) übermittelt. BTV 9 warb vorwiegend für nationale Produkte von Firmen mit Sitz in Bluefields.
5.2.
Fernsehrecht
Generell gelten die oben beschriebenen Bestimmungen des Verfassungs- und Rundfunkrechts auch für das Medium Fernsehen. Die einzigen Ausnahmen fanden sich früher in den Verordnungen des Dekrets Nr. 1398, Ley de Creación del Sistema Sandinista de Televisión. Hier wurde die Gründung der sandinistischen Fernsehanstalt gesetzlich verankert. Im März 1990 modifizierte Daniel Ortega Saavedra vor der Amtsübernahme Violeta Chamorros, auch die Verordnung bezüglich des SSTV, jedoch ohne wesentliche Änderung des Inhalts. Mit der Verabschiedung des Dekrets 55-90, dessen reformierte Version auch 1994 noch Gültigkeit hatte, wurden die sandinistischen Verordnungen bezüglich des Fernsehens dann alle aufgehoben. Seit September 1993 gibt es eine Verordnung für Kabel-, bzw. Satellitenfernsehunternehmen. Hier werden vor allem die Zugangsvoraussetzungen zum Betreiben eines solchen Unternehmens festgelegt. Danach erhält ein Unternehmen die Lizenz, wenn durch eine Bankgarantie mindestens zehn Prozent der geplanten finanziellen Investitionen bestätigt sind. Die Lizenz wird dann für die Dauer von fünf Jahren erteilt. Das Unternehmen muß sich bei dem Instituto Nicaragüense de Telecomunicaciones y Correos (TELCOR) und in der Administración Nicaragüensa del Espectro Radioeléctrico (ANDER) registrieren und die technische Anlage genehmigen lassen. Es muß eine Liste über die voraussichtlich genutzten Satelliten- und Fernsehkanäle eingereicht werden. ANDER hat die Frequenzen von 2.500 Mhz bis 2.690 Mhz für solche Unternehmen vorgesehen. Jeden Monat ist eine aktuelle Aufstellung aller Abonnenten bei TELCOR einzureichen. Nur die Artikel 41 bis 43 beziehen sich auf das Programm. Danach muß in mindestens einem der Kanäle ein nationales Programmangebot mit einer täglichen Sendezeit von mindestens zehn Prozent des Gesamtprogramms ausgestrahlt werden. Außerhalb der Werbung, die schon in den gesendeten Programmen enthalten ist. darf keine zusätzliche Werbung erscheinen. Die Betreiber dürfen Programmhefte veröffentlichen.
5.3.
Die Struktur des Fernsehens in Nicaragua heute
5.3.1. Bestandsaufnahme Ende Oktober 1994 gab es in Nicaragua sieben Fernsehprogramme, davon ein staatliches (Canal 6), ein staatlich-privates (Canal 2) und fünf rein private. Alle Sendestationen befinden sich in Managua. Tabelle 5 zeigt den Bestand im Überblick.
131 Tabelle 5: Fernsehsender in Nicaragua (1994) Sender
Frequenz/ Ort
Reichweite
Organisationsform
Betrieb seit
Televicentro De Nicaragua S.A.
Canal 2 Managua
Pazifik-, Nord-, Zentralzone
staatlichprivat
17.03.1965
Nueva Imagen S.A.
Canal 4 Managua
national
privat
1990
Sistema Nacional De Televisión
Canal 6 Managua
national
staatlich
17.01.1957
Televisora Nicaragüense S.A. Telenica
Canal 8 Managua
Managua
privat
03.02.1992
Nicavisión S.A.
Canal 12 Managua
national
privat
Jan. 1993
T.B.N.
Canal 21 Managua
Managua und Umgebung
privat
31.08.1992
Telesat S.A.
Canal 23 Managua
Managua Carazo
privat
1993
Quelle: M & R Consultore 1994 (a), 27ff. Die Kanäle 2 bis 12 senden auf der Frequenz VHF. Da es in Nicaragua durch die Überschneidung der Senderreichweiten vor allem mit Costa Rica zu Problemen kommt, hat man sich darauf geeinigt, daß der südliche Nachbar alle ungeraden Kanäle im VHF-Bereich belegen darf, während die nicaraguanischen Sender diejenigen mit geraden Zahlen erhalten. Nur zwei Programme senden derzeit auf UHF: Canal 21 und Canal 23. In Nicaragua werden die Fernsehsender nach der Belegung ihres Kanals benannt. Der Name der Gesellschaft wird nur in Werbepausen oder am Anfang einer Sendung eingeblendet. Seit 1990 ist auch das Medium Fernsehen in Nicaragua einem starken Wandel unterworfen. Nach Aufhebung des staatlich-sandinistischen Fernsehens SSTV verblieb Canal 6 im Besitz der Regierung und wurde unter Violeta Barrios de Chamorro in Sistema Nacional de Televisión (SNTV) umbenannt. Er ist auch heute noch der einzige rein staatliche Sender im Land. Carlos Briceño war der erste Direktor des SNTV. Er verließ Canal 6 Ende 1991 und gründete im Februar 1992 Telenica Canal 8. 1990 kaufte die Regierung für zwei Millionen US-Dollar Verstärker, die sich heute in Ocotal, Jinotega, Matagalpa, Rivas, Bluefields und San Carlos befinden. Damit hatte der staatliche Sender 1990 eine nationale Reichweite, einschließlich der Atlantikküste. Inhaltlich vollzog sich ein Wandel weg von rein politischen Zielen und Inhalten (wie unter dem FSLN) zu einem Unterhaltungs- und Nachrichtenprogramm. Die erste Nachrichtensendung war Extravisión, die auch heute noch existiert.
132 Die Programmgestaltung des Senders wird zum größten Teil von der Regierung kontrolliert. Man spricht auch von einer regierungsgelenkten Zensur. Sowohl Briceño als auch der heutige Direktor Miguel Shiebel bestätigten, daß Nachrichten zensiert werden und die politische Berichterstattung zugunsten der Regierung ausfällt. Canal 2 wurde offiziellen Berichten zufolge am 15. November 1990 an Octavio Sacasa zurückgegeben, doch in Realität verhält sich alles etwas anders. Die Regierung wollte Anteile des Senders behalten. Man einigte sich auf eine teils private, teils staatliche Besitzstruktur, die damals jedoch mit 75 Prozent Anteil zugunsten des Staates ausfiel. Sacasa sollte den Sender leiten. Die Regierung wollte angeblich auf Programmgestaltung und Sendestruktur keinen Einfluß nehmen. Im Februar 1992 gründete Carlos Briceño zusammen mit drei anderen Geschäftspartnern Telenica Canal 8. Der neue private Sender bedeutete nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine politische Konkurrenz für die beiden anderen Kanäle. Erstmals gab es ein Programm, das nicht von staatlicher Seite beeinflußt war. Briceño setzte seinen Schwerpunkt auf ein Nachrichten- und Informationsproramm, mit dem Ziel, kritisch und lehrreich zu sein. Seit 1990 besteht der Sender Canal 4, der jedoch erst im August 1992 sein Programm ausstrahlte. Dieser Sender ist im Besitz des FSLN, aber rein kommerziell strukturiert. Canal 4 besitzt eine Sendeanlage von 30 Kilowatt, die die stärkste in Nicaragua ist. Im Dezember 1992 begann der Sender mit dem Bau eines Fernsehstudios, aus dem Anfang 1993 die ersten selbstproduzierten Sendungen hervorgingen. Ein Problem besonderer Art stellt die Piraterie im nicaraguanischen Fernsehen dar. Da es keinerlei Gesetze gibt, die den Empfang von Satellitenprogrammen regeln, kann praktisch jeder Sender internationale Programme, insbesondere aus den USA, Venezuela, Mexiko und Brasilien, via Antenne empfangen und selbst weiter verbreiten. Von 1990 bis 1992 waren alle Fernsehstationen an dieser Art von Programmbeschaffung beteiligt. Canal 2 und Canal 6 traten daraufhin 1992 der Asociación de Televisoras de Centroamérica y Panamá (ATELCAP) bei, einer Organisation, bestehend aus 18 zentralamerikanischen Fernsehsendern, die sich auf die Bekämpfung dieser Piraterie konzentriert, aber auch ihren Mitgliedern gleichzeitig finanzielle Vorteile beim Kauf von internationalen Programmen bietet. Bis 1994 profitierten vor allem Canal 4 und Canal 8 noch von Satellitenprogrammen. Fernsehgeräte gibt es heute in fast der Hälfte aller Haushalte des Landes. Oft treffen sich zwei bis drei Familien abends, um zusammen fernzusehen, was somit in Nicaragua einen besonderen sozialen Stellenwert einnimmt. Managua hat, wie beim Hörfunk, mit 40 Prozent den größten Anteil an Empfangsgeräten. Tabelle 6 zeigt die regionale Verteilung der Fernsehgeräte in Nicaragua. In Nicaragua gab es 1994 424.800 Fernsehapparate, was einer durchschnittlichen Versorgung von 106 Geräten pro tausend Einwohner entspricht (Publimerc 1994). 1987 waren es nur 60 Geräte pro tausend Einwohner (Statistisches Bundesamt 1991.) 60 Prozent der Geräte waren VHF-Fernsehapparate, 40 Prozent besaßen sowohl VHF als auch UHF-Frequenzempfang. Zwei Drittel der Geräte sind Schwarz-Weiß-Fernseher, ein Drittel Farbfernsehgeräte.
133 Tabelle 6: Regionale Verteilung der Fernsehgeräte in Nicaragua (1994) Regionen
Haushalte insgesamt
Haushalte mit TV
in %
Las Segovias Occidente Managua Sur Central Norte Zelaya
71.747 124.704 201.585 119.945 47.861 96.149 65.140
22.242 66.093 147.157 80.363 12.444 23.076 16.285
6,1 18,0 40,0 21,9 3,4 6,3 4.3
Insgesamt
727.131
367.660
100,0
Quelle: Eigene Zusammenstellung basierend auf den Daten des Instituto Nacional de Estadisticas y Censos, I.N.E.C.
5.3.2. Programme Die durchsschnittliche Sendezeit aller nicaraguanischen Fernsehanstalten zusammengenommen betrug 1994 ca. 646,5 Stunden pro Woche. Die Verteilung auf die einzelnen Sender war wie folgt: Canal 2: 119 Wochenstunden, Canal 4: 63, Canal 6: 79, Canal 8: 52,5, Canal 12: 102, Canal: 21 63 und Canal 23: 168 Wochenstunden. Im folgenden sollen die einzelnen Sender bezüglich ihrer Programmstruktur kurz vorgestellt werden. Televicentro de Nicaragua S.A. Canal 2 Canal 2 gehört zu 75 Prozent der Regierung und zu 25 Prozent der Familie Sacasa. Direktor der Fernsehanstalt ist Octavio Sacasa. Das Programm des Senders besteht zu 54 Prozent aus Telenovelas, Serien mit etwa 21 Prozent, Kinderprogrammen mit etwa 15 Prozent, Nachrichten mit ungefähr zehn Prozent. Von 17 Stunden Sendezeit pro Tag stammen nur drei Stunden aus eigener Produktion. Der Rest wird aus den USA, Brasilien, Mexiko und Venezuela importiert. Die Ausstrahlung des Programms beginnt morgens um 7.00 Uhr und endet gegen 0.30 Uhr. Die beliebteste Unterhaltungssendung beim Publikum ist Sábado Gigante, eine Gameshow, die jeden Samstag von 18.00 Uhr bis 20.30 Uhr gesendet wird. Die einzige nationale Nachrichtensendung ist Noticiero TV COSEP, die täglich, außer am Wochenende, von 18.30 Uhr bis 18.45 Uhr ausgestrahlt wird. Internationale Nachrichten werden via Satellit abgefangen. Die wichtigsten Lieferanten sind CNN, NBC und UNIVISION. Es bestehen Verträge mit den amerikanischen und brasilianischen Nachrichtensendern, um der Piraterie entgegenzuwirken. Der Sender hat eine nationale Reichweite und wird primär in der Pazifikregion empfangen. An der Atlantikküste kann das Programm nicht empfangen werden. Für
134 1995 plante die Fernsehanstalt die Eröffnung eines zweiten Senders in Esteli unter dem Namen Canal 7. Nueva Imagen S.A. Canal 4 Bis Ende 1992 war das Programm der sandinistischen Fernsehanstalt vorwiegend an Kinder und Jugendliche gerichtet. Es bestand aus Musiksendungen und Zeichentrickfilmen, die bis 20.00 Uhr abends liefen. Danach folgten Kinofilme und Telenovelas. Im April 1993 setzte sich das Programm zusammen aus ca. 59 Prozent Filmen, 24 Prozent Kindersendungen, vier Prozent Nachrichten; die restlichen 13 Prozent aus Serien und Kurzprogrammen mit den Schwerpunkten Sport und Musik. Ungefähr 98 Prozent des gesendeten Programms sind ausländischer Herkunft. Nur etwa zwei Prozent werden in Eigenproduktion hergestellt. Bis 1994 hatte sich daran kaum etwas geändert. Der Fernsehsender empfangt seine ausländischen Programme noch immer via Satellit - jedoch ohne legale Berechtigung. Die von den Zuschauern am höchsten bewertete Nachrichtensendung von Canal 4 ist Extravisión. Die Sendungen können in ganz Nicaragua, außer an der Atlantikküste, empfangen werden. Sistema Nacional de Televisión Canal 6 Das Programm von Canal 6 bestand im Oktober 1994 zu 44,5 Prozent aus Telenovelas, zu 25,5 Prozent aus Serien, Magazinen und Unterhaltungssendungen, zu zehn Prozent aus Nachrichten und informativen Sendungen, zu elf Prozent aus Sport und zu ungefähr neun Prozent aus Kindersendungen. Ein Fünftel dieser Programme wurde in Eigenproduktion hergestellt, die restlichen vier Fünftel aus den USA, Venezuela, Brasilien und Mexiko importiert. Canal 6 erhält seine lizenzierten Programme über die Organisation ATELCAP. Seit 1990 sind die Programme des Senders in ganz Nicaragua, einschließlich der Atlantikküste, zu empfangen. Die Fernsehanstalt beginnt mit der Ausstrahlung ihres Programms um 12.00 Uhr mittags und beendet sie um 23.15 Uhr. Am Wochenende werden Sendungen von 9.30 Uhr bis 22.45 Uhr mit einer leicht veränderten Programmstruktur ausgestrahlt. Vorwiegend Serien, Filme und Telenovelas bestimmen das Programm. Nur einmal pro Tag, um 19.30 Uhr, werden Nachrichten gebracht. Die Unterhaltungssendung Domingos Espectulares verzeichnet die höchsten Einschaltquoten im Gesamtprogramm. Eine Besonderheit bei Canal 6 ist das Nachrichtenmagazin Noticiero Alemán Deutsche Welle, das täglich, außer am Wochenende, um 10.45 Uhr gesendet wird. Mit vorwiegend deutschen und europäischen Nachrichten soll dieses Programm vor allem den deutschstämmigen Bevölkerungsteil in Nicaragua erreichen. Televisora Nicaragüense S.A. Telenica Canal 8 1994 begann Canal 8 mit seinem Sendebetrieb während der Woche um 3.30 Uhr früh und beendete ihn um 23.00 Uhr. Sein Programm bestand zu dieser Zeit zu 15 Prozent aus Nachrichten und zu zehn Prozent aus Informationssendungen. 1992 hatte hierauf noch der Schwerpunkt des Programms mit über 53 Prozent gelegen. Drei Viertel des Programms waren ausländischer Herkunft, zwei Drittel spanisch produzierte Unterhaltungssendungen, und ein Drittel stammte aus den USA. Ähnlich wie Canal 4 bezieht Carlos Briceño seine Programme via Satellit, ohne Lizenz bzw. Genehmigung der Produzenten. Canal 8 verzichtete auch völlig auf Telenovelas und
135 Serien. Ein Viertel des Programms, das entspricht dem Nachrichtenanteil am Gesamtprogramm, wurde in Eigenproduktion hergestellt. Canal 8 hat nur eine lokale Senderreichweite. Das Programm kann vor allem in der Stadt- und Landregion von Managua empfangen werden. Nicavisiön Canal 12 Canal 12 besteht seit Januar 1994. Er beginnt sein Programm um 15.30 Uhr nachmittags auszustrahlen und endet um 24.00 Uhr. Sein Programm umfaßt sowohl Unterhaltung, mit Schwerpunkt auf Serien und Spielfilmen, als auch Nachrichten, jedoch nur internationalen Inhalts. Der Sender kann in der Pazifik-, Zentral- und Nordregion des Landes empfangen werden. T.B.N. Canal 21 Diese Fernsehanstalt begann 1992 als erster UHF-Sender mit der Ausstrahlung ihres Programms. Sie ist der einzige christliche Sender Nicaraguas. Er richtet sich primär an die evangelische Bevölkerung, steht aber damit in Konkurrenz zur evangelischen Kirche, die durch den Sender eine Indoktrination der Bevölkerung befürchtet. Das Programm von Canal 21 bestand Ende 1993 zu 90 Prozent aus religiösen und zu zehn Prozent aus kulturellen Sendungen. Bei diesen Sendungen handelte es sich hauptsächlich um kirchliche Berichte, Diskussionen christlicher Themen, aber auch Spielfilme und Dramen aus den USA oder Mexiko. Tierfilme und wissenschaftliche Berichte runden das Programm ab. Der Sender strahlt keinerlei Werbung aus. 1994 begann das Programm um 14.00 Uhr nachmittags und endete um 23.00 Uhr. Zwischen 14.00 Uhr und 17.00 Uhr wurden nur englischsprachige Sendungen, teilweise mit spanischen Untertiteln, ausgestrahlt. Ab 17.00 Uhr bis Sendeschluß wurde dann in Spanisch gesendet. Der Sender hat eine lokale Reichweite und deckt damit nur das Stadtgebiet Managua und Teile des ländlichen Umfelds ab. Telesat S.A. Canal 23 Canal 23 ist ein reiner TV-Musiksender, der 24 Stunden, rund um die Uhr, Musikvideos, primär aus den USA, aber auch aus lateinamerikanischen Ländern, ausstrahlt. Die Fernsehanstalt sendet ebenfalls auf der Frequenz UHF. Ihre Sendereichweite ist lokal begrenzt und deckt hauptsächlich Managua ab. Das Programm richtet sich vor allem an die jugendliche Bevölkerung. Besondere Sportereignisse werden gelegentlich auch übertragen.
5.3.3. Organisation und Finanzierung Für 1993 wurde für Nicaragua von den einschlägigen Instituten eine berechnete Gesamtwerbeinvestition von ungefähr 24 Millionen US-Dollar angegeben. Die Summe, die anteilig davon auf das Fernsehen entfällt, wird unterschiedlich beziffert; sie bewegt sich zwischen neun und elf Millionen US-Dollar. Das entspricht einem Anteil von ungefähr 40 Prozent aller Werbeinvestitionen für die Medien (M & R Consultores 1994 b). Canal 2 hatte 1994 den größten Anteil an den Fernseh-Werbeaufwendungen, gefolgt von Canal 6, Canal 4 und Canal 8.
136 Bezüglich der Finanzierung muß man bei den Femsehanstalten zwischen staatlichen und kommerziellen Werbeinvestitionen sowie Spenden und Zuwendungen unterscheiden. Letztere Form der Finanzierung betrifft Canal 21, den christlichen Sender, der allein durch Spendengelder und Zuwendungen insbesondere nordamerikanischer Kirchen bestehen kann. Der staatliche Sender Canal 6 finanziert sich zu 90 Prozent aus kommerzieller Werbung und nur zu fünf Prozent aus staatlichen Werbeaufwendungen. Die restlichen fünf Prozent werden aus dem Verkauf von Sendezeit bestritten. Entgegen der verbreiteten Auffassung finanziert sich Canal 6 demnach hauptsächlich aus kommerziellen Werbeeinnahmen. Dies ist damit zu erklären, daß der Sender in der Zuschauergunst landesweit mit Canal 2 um Platz eins konkurriert. Daß das Programm der staatlichen Fernsehanstalt 75 Prozent der Gesamtbevölkerung erreicht, ist für Werbeinvestitionen sehr vorteilhaft. Canal 2 finanziert sich zu ungefähr 95 Prozent aus Werbung, wovon 45 Prozent staatliche und 50 Prozent kommerzielle Werbung sind. Auch hier beträgt der Anteil an verkaufter Sendezeit nur fünf Prozent. Canal 8 lebt zu 90 Prozent von staatlichen Werbeinvestitionen und zu zehn Prozent vom Verkauf von Sendezeit. Hier ist noch deutlich der Kontakt zur Regierung spürbar, den Carlos Briceno während seines Amtes als Direktor von Canal 6 aufgebaut hat. Über Canal 12 gibt es keinerlei Daten.
5.3.4. Besitzstruktur In Nicaragua gibt es einen staatlichen Sender, Canal 6, der sich in der Hand der Regierung befindet. Dieser Sender wird von Violeta Chamorro und ihrer Partei UNO verwaltet. Allerdings besitzt die Regierung auch 75 Prozent Anteile an Canal 2. Die restlichen 25 Prozent gehören hier der Familie Sacasa. Die Auswirkungen einer staatlich kontrollierten Fernsehanstalt zeigen sich besonders bei Canal 6, dessen nationale Berichterstattung zugunsten der Regierung, d. h. der Präsidentin Violeta Barrios de Chamorro und der UNO, ausfallt. Bei Canal 2 ist die Regierung angeblich nur auf finanzieller Basis beteiligt. Das Programmangebot überläßt sie Octavio Sacasa, dessen politische Einstellung aber als regierungsfreundlich eingestuft werden kann. Canal 4 gehört vollständig dem FSLN und wird von den prominenten Sandinisten Tomás Borge und Daniel Ortega geleitet. Canal 8 gehört einer Gruppe von vier Aktionären. Carlos Briceño, auch leitender Direktor der Fernsehanstalt, besitzt den größten Aktienanteil (40 %). Die restlichen 60 Prozent teilen sich drei Aktionäre zu gleichen Teilen auf. Canal 21 ist einer der 300 Fernsehsender der christlichen Fernsehgesellschaft T.B.N., die über weitere Sendestationen u. a. in Rußland, China, Lateinamerika und den Vereinigten Staaten verfügt. Der Musiksender Canal 23 gehört der Gesellschaft Telesat S.A., die eine der bekannteren Kabelgesellschaften Nicaraguas ist. Über die Besitzverhältnisse bei Canal 12 waren keine Informationen zu erhalten. Bei der Betrachtung der Besitzstruktur der Femsehanstalten ergibt sich das gleiche Bild wie beim Hörfunk. Canal 2 und Canal 6, die traditionell schon immer die Merkmale von Staatssendern hatten, verblieben mehr oder weniger im Eigentum der Regierung. Die Gründung eines oppositionellen Senders, jetzt im Besitz des FSLN, war eine logische Folge in der medienpolitischen Entwicklung. Der Aufbau der übri-
137 gen Sender geschah aus privater Initiative, ohne wirtschaftliche Verflechtungen untereinander. Unternehmensgruppen, die auch gleichzeitig an anderen Medien beteiligt sind und übergreifend arbeiten, gibt es in Nicaragua bisher noch nicht.
5.3.5. Kabelfernsehen Seit 1992 gibt es Kabel- und Satellitenfernsehen in Nicaragua. 1993 erließ daraufhin die Regierung das erste Gesetz zur Regelung der Frequenz- und Lizenzvergabe (s. o.). 1994 bestanden schon eine ganze Reihe von Kabel- und Satellitengesellschaften, hauptsächlich in Managua. Ein Monatsabonnement kostete zwischen 15 und 25 US-Dollar, j e nach Betreiber und angebotenem Programm. Die Anbieter profitieren ebenfalls von der liberalen Gesetzeslage zum Empfang von Satellitenprogrammen. Nach Aussage der Gesellschaft Nacional de Comunicaciones S.A. (NACSA) hat kein einziger dieser Anbieter Verträge, die den Empfang solcher Programme legalisierten. 1994 wurden 29 Satellitenprogramme zugeführt, die von den Haushalten empfangen werden können. Der Hauptanteil der Programme ist nordamerikanischer Herkunft. Ein Drittel kommt aus lateinamerikanischen Ländern. Nach Angabe der NACSA ist bereits ein Drittel der Haushalte Managuas verkabelt.
6.
Perspektiven und Probleme der Massenmedien in Nicaragua
Die Presse in Nicaragua war seit ihrer Gründung immer stark politisiert. Vertreten wurde darin ausschließlich die Meinung der hinter ihr stehenden Interessengruppen. Zu keiner Zeit in der Geschichte der nicaraguanischen Presse war man sehr darum bemüht, objektiv oder ausgewogen zu informieren. Niemals ging es um wirkliche Meinungsvielfalt. Spätestens seit Beginn dieses Jahrhunderts kam es in der Gesellschaft zu einer immer stärkeren politischen Polarisierung. Die soziale Spaltung, als Spätfolge der Kolonialzeit, konnte auch nach der Unabhängigkeit des Landes nicht aufgelöst werden. Die extremen Interessengegensätze führten folglich auch zur Herausbildung extrem gegensätzlicher politischer Positionen. Politische Vielfalt, eine Presse verschiedener Färbung, die ein - wie in Europa bekanntes - Spektrum von extremen Flügelpositionen über gemäßigte Gruppen und Parteien der Mitte abdeckt, konnte so nicht entstehen. In der Realität des Landes äußerte sich diese Polarisierung in dem Gegensatz zwischen Sandinistas und Somozistas. Obwohl diese Parteien ideologisch entgegengesetzte Positionen repräsentierten, unterschied sich der tatsächliche Umgang der jeweiligen Regierungen mit den Medien kaum voneinander. Presse sollte Meinungspresse zugunsten der Regierung sein, Opposition sollte weitgehend kontrolliert oder unterdrückt werden. Ausdruck dieser Verhältnisse waren die vielen repressiven Gesetze, die sich durch alle Phasen der nicaraguanischen Mediengeschichte ziehen, unabhängig von der ideologischen Ausrichtung und den Trägern der jeweiligen Regierung. Zum Zeitpunkt seiner Gründung war der Hörfunk in Nicaragua in keiner Weise politisiert. Man wollte damit unterhalten und informieren. Zwar war der erste Radiosender Nicaraguas nicht in privater Hand, doch waren die Motive der staatlichen Stellen bei seiner Gründung nicht parteipolitischer Natur. Der praktisch zeitgleich
138 entstandene kommerzielle Hörfunk entwickelte sich rasch zum Medium des Volkes. Er erreichte abgelegene Landesteile und auch große Teile der Bevölkerung, die nicht lesen konnten. Spätestens seit Ende der fünfziger Jahre, der Gründungszeit des FSLN und der Zeit der Studentenunruhen, ist die Politik auch aus dem Hörfunk nicht mehr wegzudenken. Wie gefahrlich der technisch schwer kontrollierbare Hörfunk den damaligen somozistischen Machthabern erschien, zeigte der Código Negro, der in Gesetzesform versuchte, jede Art politisch linksgerichteten Einflusses auf den Hörfunk zu unterbinden. Begleitet wurde dies durch massiven Propagandafunk der Regierung in den staatlichen Sendern. Obwohl der Hörfunk die sandinistische Revolution mitgetragen hatte, war auch er, ebenso wie die Presse, nach dem Machtwechsel nicht vor Repressalien bei der Verbreitung oppositioneller Medieninhalte geschützt. Das Fernsehen war und ist das am wenigsten politisierte Medium in Nicaragua. Als zunächst staatliche Gründung war ihm die Funktion der Unterhaltung des Volkes zugedacht worden. Als Propagandamedium wurde es kaum benutzt. Auch wenn es dem Namen nach schon zu Somozas Zeiten private Fernsehanbieter gab, war der Einfluß auf diese durch die Regierung doch so groß, daß faktisch nur eines der politischen Lager Zugriff auf das Medium Fernsehen hatte. Gleiches gilt für die Zeit der sandinistischen Regierung. Erst seit Anfang der neunziger Jahre konnte sich ein wirklich privates Fernsehen in Nicaragua etablieren. Inzwischen ist andererseits durchaus eine politische Ausrichtung der einzelnen Kanäle zu erkennen. Seit der Gründung der Zeitung La Tribuna (1993) ist das Bemühen um eine größere politische Ausgewogenheit bei allen drei Medien zu beobachten. Herbeigeführt wurde dies durch jeweils innerparteiliche Konflikte, welche zur Abspaltung einzelner Fraktionen geführt haben. Basierend auf diesen Abspaltungen, hat Nicaragua den ersten Schritt zu einer breiteren politischen Diversifizierung getan, was sich auch in den Inhalten und im Selbstverständnis der Medien widerzuspiegeln beginnt. Nach wie vor ist der Hörfunk das wichtigste Medium im Land. Durch die Erfolge der sandinistischen Alphabetisierungskampagne hat aber auch die Presse ein zumindest potentiell breiteres Publikum gewonnen. Aufgrund der wirtschaftlichen Lage des Landes hat sich allerdings die Konkurrenzsituation der verschiedenen Medien eindeutig zugunsten des Fernsehens verschoben. Hörfunk und Presse leiden beide unter dem Verlust von Werbeeinnahmen, da sie Kunden zunehmend an das Fernsehen verlieren. Die Presse büßt zusätzlich an Auflage ein, da sich immer weniger Einwohner den Kauf einer Zeitung leisten können. Hörfunk und Femsehen sind dagegen gebührenfrei. Solange sich die wirtschaftliche Situation des Landes nicht erheblich bessert, sind kaum große Veränderungen auf dem nicaraguanischen Medienmarkt zu erwarten. Es fehlt an Investitionskapital, um den technischen Standard oder die Kapazitäten der Medien zu verbessern. Mehr noch aber fehlt es an der Kaufkraft der Konsumenten. Es steht zu erwarten, daß in Zukunft das Medienrecht überarbeitet wird. Das bereits Ende 1994 angegangene Vorhaben wurde Anfang 1995 unterbrochen, als es zu Konflikten um die neue Verfassung kam. Das Vorhaben Medienrecht wurde damals auf unbestimmte Zeit aufgeschoben. Das Bedürfnis nach einer verbindlichen und zeitgemäßen Neuregelung der rechtlichen Grundlagen ist bei den Medien groß. Es bleibt zu hoffen, daß der Staat, im Sog der politischen Diversifizierung, dieses Bedürfnis erkennt und aufgreifen wird.
139
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Massenmedien in Peru Thomas Otter Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts war Peru ein relativ wohlhabendes Land mit guten Zukunftsperspektiven. Ungeeignete politische und wirtschaftliche Maßnahmen leiteten in der Folge den Niedergang des Landes ein. Rettungs- und Reformversuche der Machthaber blieben indessen größtenteils wirkungslos. Je größer die Probleme des Landes wurden, um so radikaler die Eingriffe, und um so schneller folgte ein politischer Wechsel dem anderen. Auch am Ende dieses Jahrhunderts ist das Leben in Peru noch stark geprägt von der Reformpolitik während der Militärdiktatur der Jahre 1968 bis 1980 sowie von der wechselvollen politischen Entwicklung der Folgezeit. Keines der bislang umgesetzten politischen Konzepte konnte das Land bislang aus seiner Misere befreien. Daß dies auch Auswirkungen auf die Entwicklung und die Situation der Massenmedien hatte, wird im folgenden zu zeigen sein. Zum einen wurden die Medien von der Politik instrumentalisiert, zum anderen wurden sie von wirtschaftlichen Interessen bestimmt.
1.
Landeskundliche Grundlagen
1.1.
Geographie
Die Republik Peru (span. República del Perú) ist der drittgrößte Staat Südamerikas. Das Land erstreckt sich südlich des Äquators zwischen dem 82. und 72. Grad westlicher Länge über mehr als 2.000 Kilometer bei einer mittleren Breite von 600 bis 700 Kilometern. Im Norden grenzt Peru an Ecuador und Kolumbien, im Osten an Brasilien, im Osten und Südosten an Bolivien, im Süden an Chile, und seine Westgrenze bildet die Pazifikküste. Mit einer Fläche von 1,285 Millionen Quadratkilometern ist Peru fast viermal so groß wie die Bundesrepublik Deutschland. Das Land war stets von der besonderen Vielfalt und den extremen Gegensätzen seiner physisch-geographischen Formenwelt geprägt. Diese Naturgegebenheiten teilen Peru wesentlich in vier Großregionen mit den folgenden Flächenanteilen auf: 1. 2. 3. 4.
die Küstenzone (Costa oder Chala: ca. 12%), das andine Hochgebirge (Sierra: ca. 30%), das östliche Vorgebirge (Montaña oder Selva Alta) und das Tiefland (Selva Baja, zusammen mit Selva Alta ca. 58%).
Der Einfluß der extremen klimatischen und geographischen Unterschiede dieser Regionen auf die Wirtschaft - insbesondere die Landwirtschaft und den Verkehr sind sehr groß (Mikus 1988, 35). Schon 1928 stellte der peruanische Schriftsteller José Carlos Mariátegui fest, daß sich die Aufteilung in die Regionen Küste, Urwald und Hochland "in unserer gesamten sozialen und wirtschaftlichen Realität fortsetzt" (von Oertzen 1988, 11).
144
1.2.
Geschichte
Bei der Eroberung Perus 1532 trafen die spanischen Kolonisatoren auf die InkaKultur, die selbst erst Mitte des 15. Jahrhunderts die Vorherrschaft im zentralen Andenraum übernommen hatte, doch sehr schnell ihre Macht innerhalb eines beträchtlichen Herrschaftsraums konsolidierte. Die spanische Krone setzte sich zum Ziel, Peru zum Zentrum ihrer Herrschaft in Südamerika zu machen, und gründete in der Nähe des alten Pilgerzentrums Pachacámac die neue Residenz Lima, die Hauptstadt des gesamten Kolonialreichs werden sollte. Seinen hervorgehobenen Status behielt Lima bis ins 18. Jahrhundert, als sich das spanische Vizekönigreich von Kalifornien über Mittelamerika und den ganzen südamerikanischen Kontinent erstreckte, mit Ausnahme der portugiesischen Kolonie Brasilien. In den Jahren 1717 und 1778 kam es zu territorialen Neuordnungen des Kolonialreiches, so daß Ende des Jahrhunderts drei hispanische Vizekönigreiche in Südamerika existierten (Mikus 1988). Während ab 1816 in anderen Teilen des Kolonialreiches die Kämpfe um die Unabhängigkeit ausbrachen, blieb Peru die letzte spanische Bastion Lateinamerikas. Weil die peruanischen Kreolen selbst zutiefst gespalten waren und die von England erhoffte Unterstützung ausblieb (Klein 1983, 8), wurde Peru quasi "von außen her" befreit: Der argentinische General José de San Martin nahm im Jahre 1821 Lima ein und versuchte, eine konstitutionelle Monarchie zu etablieren. Der Widerstand der Spanier dauerte drei Jahre, bis 1824 die Generäle Bolívar und Sucre die Kolonisatoren endgültig entmachteten. Dies bedeutete gleichzeitig das Ende der spanischen Kolonialherrschaft in Lateinamerika (von Oertzen 1988). Eine Analyse der wichtigsten Motive und Erwartungen der Unabhängigkeitsideologie in Peru zeigt, daß das Ziel weniger die nationale Selbstbestimmung war, als vielmehr die Suche nach neuen Handelspartnern für die wirtschaftliche Elite. Das erklärt auch, warum im Rahmen dieser Revolution nicht die sozio-ökonomische Struktur der Kolonialzeit in Frage gestellt und die bestehende Gesellschaftsordnung reformiert wurde (Klein 1983, 7). In den ersten 40 Jahren nach Erlangen der Unabhängigkeit regierten 34 verschiedene Präsidenten das Land, wobei jeder einzelne bemüht war, seine kurze Amtszeit zur Vergrößerung des eigenen Reichtums und zur Begünstigung von Verwandten und Gefolgsleuten zu nutzen. Erst Mitte des 19. Jahrhunderts gelang eine Stabilisierung des politischen Systems, die mit einem wirtschaftlichen Aufschwung einherging. Der rasche Anstieg des Exports salpeterhaltigen Seevogel-Dungs Guano und von mineralischem Salpeter, die als Düngemittel in der europäischen Landwirtschaft benötigt wurden (von Oertzen 1988), verliehen der prosperierenden Wirtschaft zusätzliche Dynamik. Im peruanisch-chilenischen "Pazifikkrieg", der 1879 ausbrach, unterlag Peru und mußte 1884 an den Sieger die Gebiete mit Salpetervorkommen abtreten. Der Verlust dieser wichtigsten Stütze der peruanischen Außenwirtschaft entzog dem Land einen Großteil seiner Deviseneinnahmen, und es gelang der Regierung nicht, diese strukturelle Verwerfung über geeignete wirtschaftspolitische Maßnahmen abzufangen. Dennoch konnte ein Teil der finanziell und numerisch stark geschrumpften Oligarchie von dieser Depression profitieren; mit Hilfe internationaler Banken gelang es einigen wenigen, die Ländereien ruinierter Großgrundbesitzer aufzukaufen, was eine beträchtliche Landkonzentration zur Folge hatte. Diese neuen terratenientes bildeten den Kern einer "neuen" Oligarchie des Andenlandes.
145 Massive Kapital- und Technologieinvestitionen ausländischer Unternehmen führten nach 1895 zur Entstehung moderner Großindustrien an der Küste und eines produktiven Bergbaues in der Sierra. Gleichzeitig kam es zur Herausbildung einer kleinen gesellschaftlichen Elite, bestehend aus nur wenigen Familien, die ihre Herrschaft auf das gesamte ökonomische Leben des Landes ausdehnen konnten. Verbunden mit der Industrialisierung bildete sich eine industrielle Arbeiterschaft und vergrößerte sich die Mittelschicht, doch stand der Integration und politischen Partizipation dieser Schichten das starre Klassensystem des oligarchischen Staates entgegen. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten die Modernisierung der Wirtschaft und ihre sozialen Auswirkungen eine Dynamik erreicht, die zunächst zur Schwächung des latifundistischen Teils der Oligarchie führte; Erhebungen und Streiks der Landarbeiter waren mit den gängigen Repressionsmechanismen nicht mehr zu kontrollieren. "So mußte die Oligarchie Anfang der 60er Jahre [...] der [linksorientierten Partei] Acción Popular die politische Herrschaft überlassen, ihre wirtschaftliche Vormachtstellung konnte sie jedoch mit Hilfe ihrer Repräsentanten in der parlamentarischen Opposition beibehalten. Das oligarchische Herrschaftssystem war zwar in der traditionellen Form gescheitert, die Strukturen des oligarchischen Systems blieben dennoch erhalten" (Klein 1983, 18). Innerhalb weniger Jahre verlor die Oligarchie die Unterstützung ihres wichtigsten Verbündeten: Als am 3. Oktober 1968 eine Gruppe von Obristen und Generälen den gewählten christdemokratischen Präsidenten Fernando Belaúnde Terry stürzte, suchte das putschende linksgerichtete Militär erstmals nicht mehr die Verteidigung der Oligarchie, sondern trat selbst mit dem Anspruch an, längst überfällige Reformen verwirklichen zu wollen. Versucht man die Zeit der Militärregierung von 1968 bis 1980 in Phasen einzuteilen, bietet sich eine Dreiteilung an: die Regierungszeit General Vélaseos (Oktober 1968 bis August 1975), die Zeit der Machtübernahme Morales Bermúdez' bis zu den Wahlen zur Verfassungsgebenden Versammlung (August 1975 bis Juni 1978) und schließlich die Jahre bis zu den freien Wahlen im Mai 1980, aus denen wiederum Fernando Belaúnde als Sieger hervorging. Die Anfangsjahre der Militärregierung waren außenpolitisch geprägt von dem Versuch, sich gegenüber den USA zu behaupten, die offen gegen die Enteignung vieler großer US-amerikanischer Gesellschaften protestierten, innenpolitisch vor allem von der 1969 begonnenen Agrarreform, angekündigt als eine der durchzuführenden antioligarchischen Maßnahmen (Küchemann 1988). Die Militärs versuchten die Eckpfeiler ihres neuen Gesellschaftsmodells zu etablieren und führten eine Reihe von Reformen durch, die besonders die Sektoren Industrie und Erziehung betrafen. Der radikale Kurs General Vélaseos führte zu innenpolitischen Spannungen, in deren Folge weite Teile der Bevölkerung der Armee ihre Unterstützung entzogen und nicht mehr zur Zusammenarbeit bereit waren. Immer neue gesellschaftliche Konflikte, eine stark polarisierte Bevölkerung, außen- und wirtschaftspolitische Probleme zwangen die Regierung Velasco schließlich, Kompromisse einzugehen. Ein Staatsstreich schien vorprogrammiert: General Bermúdez stürzte den Militärdiktator im August 1975. Die Regierung Bermúdez suchte eine schrittweise Abkehr von den ursprünglichen Zielen der Revolution, modifizierte die von Velasco verabschiedeten Gesetze über Eigentum und ausländisches Kapital und versuchte, die peruanische Wirtschaft zu sanieren. Die Ankündigung allgemeiner Parlamentswahlen und die Zusage der Militärs, sich nach diesen Wahlen in die Kasernen zurückzuziehen, bildeten den Rahmen für die politische Entwicklung von 1978 bis 1980.
146 Der von den Militärs unterstütze Kandidat Fernando Belaúnde Terry ging als Sieger aus diesen Wahlen hervor. Seine Amtsübernahme im Juni 1980 bedeutete das Ende der letztlich gescheiterten Revolution (Klein 1983). Dennoch hatte die Politik der Militärjunta zu strukturellen Veränderungen geführt, die kaum mehr rückgängig zu machen waren: Ein großer Teil der Produktionsbetriebe war verstaatlicht, die traditionellen Großgrundbesitzer wirtschaftlich und politisch entmachtet (von Oertzen 1988). Die neoliberal-populistische Wirtschaftspolitik Belaúndes war wenig innovativ und der Erfolg seiner exportorientierten Wirtschaftsstrategie blieb aus, da es gerade in diesen Jahren zu einer weltweiten Rezession und zunehmendem Handelsprotektionismus der Industrieländer kam, so daß sich die "terms of trade" für Peru zunehmend verschlechterten. Die verarbeitende Industrie trat ab 1981 eine schwindelerregende Talfahrt an. Die durch Schmuggel und Korruption begünstigte ungehemmte Einfuhr ausländischer Konkurrenzprodukte, steigende Arbeitslosigkeit, der Ausfall eines erheblichen Teils der Binnennachfrage wegen Reallohnsenkungen, eine antiinflationäre Politik des knappen Geldes mit entsprechender Kreditverteuerung trieben viele Industrieunternehmen in den Ruin. Korruptionsskandale und die Hilflosigkeit der Regierung gegenüber der Wirtschaftskrise führten zu deren rapidem Legitimationsverlust. Massive Terroranschläge zweier Guerilla-Organisationen, des Sendero Luminoso ("Leuchtender Pfad") und des Movimiento Revolucionario Túpac Amaru (MRTA), zu Beginn der achtziger Jahre verschärften die innenpolitische Situation in Peru. Den zahllosen Attentaten sollten bis 1995 rund 30.000 Menschen zum Opfer fallen. Nur dank politischer Unterstützung durch die Reagan-Administration konnte 1984 der drohende Staatsbankrott abgewandt werden. Schließlich verzichtete die Regierung unter Präsident Belaúnde gänzlich auf den Versuch, Auswege aus der Krise zu suchen, und richtete sich nur noch auf ihr politisches Überleben bis zur Wahl 1985 ein. Die oppositionelle linksgerichtete Alianza Popular Revolucionaria Americana (APRA) gewann mit ihrem jungen, dynamischen Kandidaten Alan García die Präsidentschaftswahl vom 14. April 1985. Trotz schlechter wirtschaftlicher Ausgangsbedingungen hatte die sozialistische Regierung erstaunliche Anfangserfolge zu verzeichnen. Durch Verstaatlichung der Banken wurde die Kapitalflucht gestoppt und die Inflation gesenkt, die Bedienung aller Auslandsverbindlichkeiten ausgesetzt. Produktion und Handel erreichten Anfang 1986 Umsatzsteigerungen von bis zu 20 Prozent, doch blieb der Beschäftigungseffekt dieses Aufschwungs gering (Dirmoser 1986). Trotz oder gerade wegen der anfänglichen Erfolge versäumte es auch die Regierung Garcia, substantielle Reformen einzuleiten, und unabhängige Wirtschaftsexperten warnten schon früh vor einem "Strohfeuer" der Konjunktur. Tatsächlich versank das Land nach 1987 in wirtschaftlichem Chaos und politischer Gewalt. Das Finanzministerium versuchte die Löcher im Haushalt mit der Notenpresse zu stopfen, was die Inflation auf ungeahnte Höhen trieb. Preise und Einkommen klafften immer mehr auseinander, was sowohl Staatsbedienstete als auch Arbeiter fast aller Wirtschaftszweige mit Streiks beantworteten, die phasenweise das halbe Land lahmlegten. Als im März 1988 ein drastisches Sparprogramm in Kraft trat, das orthodoxe Maßnahmen zur Krisenbekämpfung vorsah, war das Wirtschaftsmodell Alan Garcías endgültig gescheitert. Grundnahrungsmittel waren unerschwinglich geworden, die Realeinkommen innerhalb weniger Monate um bis zu 40 Prozent gefallen, so daß es
147 zu einer Plünderungswelle kam. Lag die jährliche Inflationsrate für 1988 schon bei über 4.000 Prozent, sollte sie 1990 auf 7.650 Prozent steigen (Fuhr 1992, 445). Die Einflußzonen des Sendero Luminoso hatten sich inzwischen auf ein Drittel des Staatsgebietes ausgedehnt, und die Guerilla schickte sich an, ihren Kampf auf die Städte auszuweiten. Peru setzte schließlich seine Hoffnung auf die für April 1990 angesetzten Wahlen. Der Wahlausgang war für das In- und Ausland überraschend: Der unbekannte, japanisch-stämmige Alberto Fujimori gewann gegen den bekannten Literaten und Kandidaten des rechten Parteienbündnisses, Mario Vargas Llosa (Vargas Llosa 1993). Mit seiner erst 1989 gegründeten Bürgerbewegung Cambio 90 war Fujimori im Wahlkampf zunächst kaum aufgefallen und rangierte in den ersten Monaten des Wahlkampfes in Umfragen unter der Rubrik "Sonstige". Erst Anfang März wiesen Umfragen eine steigende Sympathie der Wähler für Fujimori aus. Mit 25 Prozent der Stimmen im ersten Wahlgang, gegenüber 27 Prozent für Vargas Llosa, forderte der Agraringenieur eine Stichwahl heraus, die er schließlich für sich entscheiden konnte (Dirmoser 1990). Als Ursachen, die zum Wahlsieg des politischen Neulings Fujimori beitrugen, können die folgenden angeführt werden: Während der letzten beiden Regierungen hatten die traditionellen politischen Parteien versagt; sowohl die Rechte unter Belaünde als auch die Linke unter Garcia konnten das Land nicht aus seiner Krise führen. Zunächst schienen die peruanischen Wähler zwar bereit, der Rechten unter der Führung Vargas Llosas erneut ihr Vertrauen auszusprechen, doch wurde dieser selbst Opfer seiner Wahlkampfstrategie der schonungslosen Offenheit: Vargas Llosas Konzept zur Sanierung Perus sah den staatlichen Rückzug aus der Wirtschaft und weitgehende Liberalisierung als Lösungsweg vor, so daß sich in der Bevölkerung Angst vor Massenentlassungen und einer Teuerungswelle als Folge der dann anstehenden Privatisierungen breit machte. Fujimori indessen hatte in seinem Wahlprogramm versprochen, mit ihm gäbe es keine wirtschaftspolitische Schocktherapie, sondern eine graduelle Strategie (Dirmoser 1990). Sein Wahlkampfprogramm der allmählichen Wirtschaftsstabilisierung war auf die unteren Bevölkerungsschichten zugeschnitten, d. h. Klein- und Kleinstunternehmer, den informellen Sektor, die arme Bevölkerung in Stadt und Land. Nach der gewonnenen Wahl wandelte sich das "Phänomen Fujimori" indessen schnell vom Hoffnungsträger zur großen Enttäuschung: Noch bevor Fujimori am 28. Juli 1990 sein Amt antrat, entledigte er sich seiner Berater, mit deren Hilfe er dieses Wirtschaftsprogramm erarbeitet hatte. Der Öffentlichkeit wurde überraschend ein Stabilisierungsplan präsentiert, der demjenigen aufs Haar glich, der Vargas Llosa den Einzug in den Präsidentenpalast vermutlich verbaut hatte. Kern des FujimoriProgrammes war es nun, durch eine extreme Anhebung der Preise für öffentliche Güter und Dienstleistungen und die Einführung auch der indirekten Besteuerung Geld in die leeren Staatskassen zu bekommen. Die Preise für Benzin, Strom, Wasser und Telefon wurden um zwei- und teilweise um dreistellige Prozentsätze angehoben, was unmittelbar in steigenden Inflationsraten seinen Niederschlag fand. Nach der anfänglichen Enttäuschung über den Kurswechsel Fujimoris fand schließlich die Konsolidierung des Staatshaushaltes und die konsequente Finanz- und Wirtschaftspolitik die Zustimmung großer Teile der Bevölkerung. Dies beeinflußte vermutlich die öffentliche Meinung dermaßen, daß die peruanische Bevökerung sogar bereit war, den "Selbstputsch" des Präsidenten am 5. April 1992 hinzunehmen und nachträglich gar gutzuheißen.
148 In einem historisch einmaligen Akt löste Fujimori an diesem Tag das Parlament auf, setzte die Verfassung außer Kraft, stellte mit Hilfe der Militärs Politiker, Gewerkschafter und Medienvertreter unter Hausarrest und ließ sämtliche Medieneinrichtungen Limas besetzen (Kaufmann 1992a). Der Putsch wurde vor allem mit der mangelnden Effektivität und Korruption des Parlaments gerechtfertigt, das eine konstruktive Wirtschaftspolitik und eine wirkungsvolle Bekämpfung von Rauschgifthandel und Terrorismus verhindere. Dies muß vor dem Hintergrund gesehen werden, daß Fujimoris Bündnis, jetzt Cambio 90 / Nueva Mayoría, nicht über die Mehrheit im Parlament verfügte. Somit bediente sich der amtierende Präsident mit Hilfe des Militärs eines sogenannten autogolpe, um seine Politik ungehindert umsetzen und seine Machtstellung ausbauen zu können. Bis Ende November 1992 regierte Fujimori ohne Parlament und Verfassung. Ein Übergangsparlament (Congreso Constituyente Democrático) wurde gewählt, das dem Regierungschef als Legitimation dienen sollte, denn der Druck der internationalen Staatengemeinschaft stellte Fujimori zunehmend unter Zugzwang. Die Opposition weigerte sich, an den November-Wahlen teilzunehmen, und rief zum Wahlboykott auf, dem indessen nur wenige Bürger folgten. So brachte das Fehlen großer Teile der Opposition auf den Kandidatenlisten der Gruppierung um Fujimori schließlich die absolute Mehrheit im neuen Übergangsparlament. Das Staatsoberhaupt hatte sein Ziel erreicht: Das gewählte Parlament stand ihm in allen politischen Entscheidungen zur Seite. Die erste Aufgabe, die der Präsident den gewählten Volksvertretern stellte, war die Ausarbeitung einer neuen Verfassung nach den Maßgaben des Auftraggebers (Kaufmann 1992b). Breite Zustimmung in der Bevölkerung fand Fujimoris Programm zur Terrorbekämpfung, zumal es im September 1992 gelang, den Führer der Terrororganisation Sendero Luminoso, Abimael Guzmán, zu verhaften. Zwei Anführer des MRTA wurden fast zeitgleich festgenommen. Auch wenn die Verhaftung Guzmáns von Experten als Zufall und nicht als Verdienst Fujimoris gewertet wurde, so verstand es die Regierung doch, dies als Erfolg ihrer konsequenten Antiterrorstrategie darzustellen. Über die neue Verfassung, die von Fujimoris Einkammer-Parlament erarbeitet wurde, entschied das peruanische Volk am 31. Oktober 1993: Zwar erhielt der neue Gesetzestext nicht die von der Regierung erwarteten 70 Prozent Zustimmung, gewann aber nach offiziellen Angaben doch mit 53,1 Prozent der Stimmen. Ob dies bei einer Wahlbeteiligung von 65 Prozent eine hinreichende Legitimation darstellte, darüber hinaus die Opposition nie ausgeräumte Zweifel am offiziellen Ausgang des Referendums äußerte, wurde vor allem in den regimekritischen Medien angezweifelt. Die neue Verfassung unterscheidet sich von dem alten Text nur in einigen, jedoch zentralen Punkten (Ferrerò Costa 1993): Sie sieht die Möglichkeit der unmittelbaren Wiederwahl des Präsidenten, ein Einkammer-Parlament mit 120 Mitgliedern, die Möglichkeit der Todesstrafe für Terroristen und eine Art Datenschutzgesetz (Habeas Data) vor. Vor allem in den regierungskritischen Medien wurde letztere Änderung heftig diskutiert, da Habeas Data als Instrument der Zensur gegen die Medien eingesetzt werden kann (s. u.), und dies mittels eines Gesetzes mit Verfassungsrang, was dem Habeas Data eine besondere Bedeutung verleiht. In den verbleibenden Monaten seiner ersten Amtszeit bemühte sich Alberto Fujimori um eine populäre und - scheinbar - weniger autoritäre Politik, und am 9. April 1995 entschied er nochmals die Präsidentschaftswahlen für sich, in denen er 64 Prozent der abgegebenen Stimmen auf sich vereinen konnte. Sein wichtigster Gegenkandidat war der ehemalige Generalsekretär der Vereinten Nationen, José Javier
149 Pérez de Cuéllar. Offensichtlich setzten die Peruaner mit ihrem Stimmentscheid wohl auf Kontinuität in der Wirtschafts- und Sicherheitspolitik. Fujimori kam vermutlich zudem der mehrwöchige bewaffnete Grenzkonflikt zwischen Peru und Ecuador im Frühjahr 1995 zugute, der aufgrund eines seit Jahren ungeklärten Grenzverlaufs im Amazonasgebiet entbrannte. Der kandidierende Präsident konnte die öffentliche Meinung schnell für sich gewinnen, zumal er die patriotischen Gefühlsausbrüche geradezu schürte. So konnten Fujimoris Position auch Enthüllungen im Vorfeld der Wahlen nicht beeinträchtigen, nach denen Geheimdienst und Militär von Grenzverletzungen und dem Eindringen ekuadorianischer Truppen auf von Peru beanspruchtes Territorium seit September 1994 gewußt haben sollen. Daß die peruanische Regierung den offenen Konflikt vermutlich absichtlich erst vor den Wahlen im April 1995 suchte und daß aus Gründen der Geheimhaltung die Truppenmobilisierung sehr kurzfristig erfolgen musste, so daß es auf Seiten Perus erhebliche Verlusten zu beklagen gab, war denn auch lediglich Gegenstand von Kommentaren der oppositionellen Presse.
1.3.
Politisches System
Peru ist in zwölf Regionen gegliedert, die sich in die 25 für die Verwaltung des Landes maßgeblichen Departements (sowie eine große Anzahl von Provinzen und Distrikten) unterteilen. Diese Zahl schließt die Stadt Callao ein, die wegen ihres landesweit größten Hafens in unmittelbarer Nachbarschaft Limas von Bedeutung ist und deren Gebiet direkt von der Regierung verwaltet wird. Peru ist u. a. Mitglied der Vereinten Nationen {UNO) und ihrer Sonderorganisationen, der OAS (Organization of American States), der ALAD1 (Asociación Latinoamericana de Integración) und ist Unterzeichner des Andenpaktes und des Amazonasvertrages. Regierungsform ist die präsidiale Demokratie. Gemäß der Verfassung vom 28. Juli 1979 bestand das Parlament (Congreso) aus zwei Kammern, dem Abgeordnetenhaus (Cámara de Diputados) mit 180 Mitgliedern und dem Senat (Senado) mit 60 Mitgliedern. Beide Kammern wurden, ebenso wie der Präsident, alle fünf Jahre neu gewählt (Statistisches Bundesamt 1990). Der Art. 65 dieser Verfassung gewährte erstmals allen volljährigen Peruanern das Wahlrecht, auch den Analphabeten, die bis dahin vom Urnengang ausgeschlossen gewesen waren. Die Stimmabgabe war bis zur Vollendung des 60. Lebensjahres obligatorisch (La Constitución Política del Perú 1979, 22). Die unzeitgemäße Form dieser Verfassung bzw. die Notwendigkeit ihrer Modernisierung, um die Weiterentwicklung des Landes zu sichern, wurden als Begründung für die Ausarbeitung einer neuen Verfassung durch den Congreso Constituyente Democrático 1993 genannt. Allerdings kam es dabei nur zu den schon erwähnten wenigen, wenn auch zentralen Änderungen. Das Parteiensystem Perus ist zersplittert, 1992 stellten sich für die Verfassungsgebende Versammlung (CCD) allein 28 Parteien zur Wahl. Allerdings lassen sich diese drei großen Blöcken zuordnen (Fuhr 1992). Zum rechten (konservativen) Block gehören u. a. die Christliche Volkspartei (Partido Popular Cristiano / PPC) und die Volksallianz (Alianza Popular / AP), die sich 1989 zur Demokratischen Front (Frente Democrático / FREDEMO) zusammenschlössen, für die Vargas Llosa kandidierte. Mitte/links angesiedelt ist die Revolutionäre Volksallianz Amerikas
150 (Alianza Popular Revolucionaria Americana / APRA). Sie wurde 1924 gegründet und war lange Zeit die populärste Partei in Peru. Infolge der Mißwirtschaft unter Präsident Alan Garcia nahm ihre Anhängerschaft stark ab. Links von der APRA sind mehrere Parteien angesiedelt, die wiederum in zwei größere Blöcke zerfallen: die Sozialistische Linke (Izquierda Socialista) und die Vereinigte Linke (Izquierda Unida). Die mangelnde Anziehungskraft des Parteiensystems ermöglicht dabei den vergleichsweise raschen Aufstieg neuer, häufig populistischer Bewegungen wie des Cambio 90 bei der Präsidentenwahl 1990. Wie die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im April 1995 nahelegen, hat sich der Niedergang der traditionellen Parteien in Peru fortgesetzt. Die einst dominierende APRA erreichte nur noch sechs Sitze, die Vereinigte Linke nur noch zwei. PPC und AP sind als Splitterparteien praktisch nicht mehr vorhanden und in der Gefahr, aus dem Parteienregister ganz gestrichen zu werden. Auch für die Kandidatur von Pérez de Cuéllar war kurzfristig wieder eine eigene Bürgerbewegung, die Unión por el Perú (UPP) gebildet worden, die im neuen Parlament aber nur 20 Sitze für sich beanspruchen kann.
1.4.
Wirtschaft
Die wirtschaftliche Entwicklung Perus war von beträchtlichen Schwierigkeiten geprägt. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) betrug 1992 20,873 Milliarden US-Dollar, was eine Veränderung von weiteren minus 2,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr und nur real 72 Prozent des Niveaus von 1987 bedeutete; die Jahresinflation betrug 1992 56,7 Prozent (BCRP 1993). An der Erzeugung des BIP hatten die einzelnen Wirtschaftssektoren folgende Anteile: Landwirtschaft 12,7 Prozent, Fischerei 1,2 Prozent, Bergbau 9,5 Prozent, Elektrizität 1,5 Prozent, verarbeitende Industrie 22,4 Prozent, Bauwirtschaft 6,3 Prozent, Handel 13,7 Prozent und sonstige 32,7 Prozent (INEI 1993). Auf der Verwendungsseite ergab sich für das Jahr 1992: öffentlicher Verbrauch 8,16 Prozent, privater Verbrauch 66,4 Prozent und Bruttoinvestitionen in Höhe von 23,7 Prozent bei einem Außenhandelsüberschuß von 1,74 Prozent des BIP. Die Auslandsschulden beliefen sich auf 18,3 Milliarden US-Dollar. Für den Schuldendienst wurden 1,5 Milliarden US-Dollar aufgewendet, wobei die Zinsquote mit 52 Prozent der Gesamtleistung den Rückzahlungsanteil übersteigt (BCRP 1993). Die Regierung Fujimori hält sich inzwischen eingetretene wirtschaftliche Erfolge zugute: Die Inflationsrate, die 1990 noch 7.650 Prozent betrug, konnte 1994 auf 15,34 Prozent gedrückt werden, und dies bei einem lateinamerikaweiten Rekordwachstum der Wirtschaft von 12,7 Prozent (1993: 6,5 Prozent) (INEI 1995). Staatsausgaben konnten durch Privatisierung staatlicher Betriebe gesenkt und die Einnahmen durch effektivere Steuerverwaltung gesteigert werden, so daß das Defizit des Haushalts der Zentralregierung im Jahr 1994 nach offiziellen Schätzungen etwa 0,9 Prozent des BIP betrug. Gleichwohl hat sich am Beschäftigungsstand und der sozialen Not vieler Peruaner nur wenig geändert. 1992 wurden nur 10,3 Prozent des BIP für Löhne und Gehälter aufgewendet (1986 lag deren Anteil noch über 30%), die Einkommen sind im internationalen Vergleich höchst ungleich verteilt. Neben den Rohstoffen aus dem Bergbau (vor allem Kupfer, Gold, Zink und Eisen) sind Fischmehl und Kaffee die wichtigsten Exportgüter Perus, wohingegen sich die Importe wesentlich aus Rohstoffen, Vorerzeugnissen und Halbwaren, gefolgt von Investitions- und Konsumgütern zusammensetzen (gemäß Jahresumsät-
151 zen in US-Dollar 1994, BCRP 1994). Neben der Grundstoffindustrie, der Landwirtschaft und der Viehzucht sind die wichtigsten Produkte der verarbeitenden Industrie Erfrischungsgetränke, Grundstoffe und Materialien für das Baugewerbe, Textilien und Autoreifen (vgl. Fernández / Webb 1993). Die offizielle Statistik kann sich der wirtschaftlichen Situation des Landes aber nur annähern, da ein großer Teil der wirtschaftlichen Leistungen im informellen Sektor erbracht wird. Dieser setzt sich vor allem aus Straßenhändlern, Klein- und Kleinstunternehmern zusammen. Deren wirtschaftliche Kapazität kann indessen nur geschätzt werden. Für Lima sollen 1991 etwa nur 50 Prozent der arbeitenden Bevölkerung einen steuerrechtlich erfaßten Arbeitsplatz gehabt haben, von denen wiederum nur etwa 55 Prozent voll beschäftigt waren; für den informellen Sektor wird von ähnlichen Relationen ausgegangen. Schätzungen der Banco Central de Reserva del Perú (BCRP) gehen davon aus, daß die Wirtschaftsleistung des ständig wachsenden informellen Sektors (bis 1990) über die Hälfte des real registrierten BIP erbringt, dessen geschätzter Anteil 1980 noch bei 34 Prozent lag (Fernández / Webb 1993). Ein weiterer Schattenbereich der peruanischen Wirtschaft bleibt außerhalb der offiziellen Statistiken: der Anbau des Coca-Strauches und die Weiterverarbeitung eines Großteils der Coca-Blätter zur pasta básica, des Grundstoffes zur Kokainherstellung. Die Schätzungen über die hierdurch erzielten Verkaufserlöse reichen von 1,3 bis 2 Milliarden US-Dollar pro Jahr. Ungeachtet der Tatsache, daß der CocaAnbau für rund 200.000 Bauernfamilien die Existenzgrundlage bildet, ist in offiziellen Statistiken hierzu kein Zahlenmaterial zu finden. In diesem Zusammenhang sind zwei weitere Probleme zu erwähnen: Durch den illegalen Coca-Export fließen permanent beträchtliche Mengen an US-Dollar in das Land, ohne daß die Zentralbank diesen sich als Parallelwährung etablierten Notenumlauf unmittelbar steuern könnte. Versuchte die Zentralbank, diese Dollarbestände durch gezielte Aufkäufe vom Markt zu nehmen, um die Kontrolle über den Geldumlauf wiederzugewinnen, würde die im Gegenzug zu emittierende Landeswährung eine stark inflationäre Entwicklung auslösen. Zudem ist die Terrororganisation Sendero Luminoso in den Coca-Anbaugebieten am stärksten verankert und finanziert sich weitgehend mit Hilfe des Drogenanbaus (Degregori 1991).
1.5.
Bevölkerung und Sozialstruktur
In Peru leben 21,6 Millionen Menschen (Ergebnis der Volkszählung vom 11. Juli 1993). Das Bevölkerungswachstum im Zeitraum von 1981 bis 1993 betrug 2,2 Prozent pro Jahr. Fast ein Drittel (29,3 %) aller Peruaner leben in der Hauptstadt Lima. Lima ist somit die fünftgrößte Stadt in Lateinamerika und wuchs seit 1981 um ca. 150.000 Einwohner pro Jahr. Über die Hälfte der Peruaner sind Indios (54,2 %), wobei die Gruppe der Quechua unter ihnen den größten Anteil ausmacht. 32 Prozent der Bevölkerung sind Mestizen, 12 Prozent Weiße, sowie 1,8 Prozent Mulatten, Schwarze und Asiaten (Munzinger Archiv 45/93). Der Urbanisierungsgrad Perus hat inzwischen die 70 Prozent-Marke überschritten. 1993 lebten nur noch 28,7 Prozent der Peruaner auf dem Land. Die Bevölkerungsverteilung innerhalb des Staatsgebiets ist sehr unterschiedlich. Sie folgt einerseits der naturräumlichen Gliederung des Landes, andererseits den gesellschaftlichen
152 Entwicklungen seit der Kolonialzeit. In der Küstenzone (Costa) leben 53,7 Prozent, im Hochland (Sierra) 38,4 Prozent und in den Landesteilen östlich der Anden (Selva) 11,5 Prozent der Bevölkerung (1993). 1993 lag die Kindersterblichkeit für Kinder bis zu fünf Jahren bei 5,8 Prozent, wobei die Raten zwischen Stadt und Land stark streuen und in Huancavelica ein Maximum von 12,87 Prozent erreichten (INEI 1994). Nach Angaben der katholischen Kirche leiden landesweit 48 Prozent aller Kinder zwischen 6 und 9 Jahren an chronischer Unterernährung, über die Hälfte der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze. Zwischen 1985 und 1993 hatten sich die Werte fast verdoppelt, die Tendenz ist weiterhin steigend Fernández / Webb 1993). Peru ist ein vielsprachiges Land. Neben der inzwischen wieder einzigen Amtssprache Spanisch gibt es über 40 einheimische Sprachen und Dialekte, an denen Quechua mit einem Anteil von fast 80 Prozent und Aymara mit einem Anteil von ca. 10 Prozent hier die wichtigsten sind. Schätzungen gehen davon aus, daß der Anteil der lediglich Spanisch sprechenden Bevölkerung auf 30 Prozent zurückgegangen ist, der Anteil der Zweisprachigkeit inzwischen 60 Prozent erreicht hat und diejenigen, welche ausschließlich eine einheimische Sprache sprechen, nur noch 10 Prozent ausmachen (von Oertzen 1988, 150f). Seit 1946 besteht in Peru eine sechsjährige Schulpflicht, die Ausbildung ist staatlich und kostenlos. Doch besucht in der Regel ein Viertel aller schulpflichtigen Kinder überhaupt keine Schule. Von den im Unterricht befindlichen Schülern bricht jeder fünfte den Schulbesuch vorzeitig ab. Die landesweite Analphabetenrate liegt bei 15 Prozent, wobei der Anteil der Analphabeten unter den Erwachsenen mit 23 Prozent am höchsten ist (von Oertzen 1988, 150ff).
2.
Rechtliche Grundlagen der Massenmedien
In Artikel 2 der Verfassung der Republik Peru von 1979 sind die Grundrechte der Person aufgeführt. Unter Abs. 4 heißt es, daß jeder ein Recht hat auf: Die Freiheit von Information, Meinung, Ausdruck und Verbreitung von Gedanken durch Wort, Schrift oder Bild, durch jedes Medium sozialer Kommunikation, ohne vorherige Erlaubnis, Zensur oder andere Einschränkung, gemäß den gesetzlich festgelegten Verantwortlichkeiten. Die Vergehen, begangen durch Buch, Presse oder irgendein anderes Medium sozialer Kommunikation werden nach dem Strafgesetzbuch beurteilt und durch ordentliche Gerichte verhandelt. Jede Aktivität, die ein Kommunikationsmedium vorübergehend verbietet, schließt oder seine ungehinderte Verbreitung beeinträchtigt, ist ein Vergehen gegen die Pressefreiheit. Das Recht auf Information und Meinung schließt das Recht zur Gründung von Kommunikationsmedien ein. (Perla 1989, 22)
153 Zum ersten Mal sprach damit eine peruanische Verfassung nicht nur von Druck- oder Pressefreiheit, sondern auch von dem Recht auf Information und Meinung. Bedeutsam ist, daß das Verbot von Zensur oder Behinderung der Verbreitung von Medien Verfassungsrang erhalten hat. Weitere Presse und Massenmedien betreffende Bestimmungen sind in der Verfassung von 1979 enthalten. In Art. 2 Abs. 5 heißt es: Jedermann hat das Recht auf persönliche Ehre, guten Nachruf, persönliche und familiäre Intimität und das Recht am eigenen Bild. Jedermann, der von nicht zutreffenden Behauptungen betroffen ist oder in seiner Ehre durch Publikationen in irgendeinem Medium sozialer Kommunikation verletzt wird, hat das Recht auf kostenlose Berichtigung, ohne daß diese das Medjum von weiterer Verantwortlichkeit entbindet. (Perla 1989,45) Insgesamt beziehen sich 19 Bestimmungen der Verfassung von 1979 direkt oder indirekt auf die Medien der sozialen Kommunikation. Es sind dies: -
Pressefreiheit (Art. 2, Abs. 4)
-
Kostenlose Richtigstellung (Art. 2, Abs. 5)
-
Freiheit der Kunst (Art. 2, Abs. 6)
-
Post- und Kommunikationsgeheimnis (Art. 2, Abs. 8)
-
Das Recht sich nicht mitzuteilen bzw. zu schweigen (Art. 2, Abs. 17)
-
Meinungsfreiheit (Art. 2, Abs. 20, Satz 3)
-
Freiheit der Lehre (Art. 31)
-
Verantwortung der Medien sozialer Kommunikation gegenüber der Bildung (Art. 37)
-
Freier Zugang politischer Parteien zu den Medien sozialer Kommunikation, die Eigentum des Staates sind (Art. 70)
-
Derselbe freie Zugang auch während des Wahlkampfes (Art. 71)
-
Veröffentlichung als formale Voraussetzung für das Inkrafttreten von Gesetzen (Art. 87)
-
Vorherrschaft des Staates zu Lande, zu Wasser und in der Luft, in Zusammenhang mit Kommunikation (Art. 97, 98,99)
-
Verbraucherschutz (Art. 110)
-
Urheberrecht (Art. 129)
-
Konzentrationsverbot betreffend Medien sozialer Kommunikation (Art. 134)
-
Pflicht zur Veröffentlichung von Urteilen gegen öffentliche Personen, die Pressevergehen begangen haben (Art. 233, Abs. 3)
-
Recht zur Kritik an Gerichtsentscheidungen (Art. 233, Abs. 17)
-
Recht auf Verwendung der eigenen Muttersprache vor Gericht (Art. 233, Abs. 15)
-
Bestimmung der Steuer auf Werbung und öffentliche Veranstaltungen zugunsten der Gemeinden (Art. 257, Abs. 8). (Perla 1989,46)
154 Die in bezug auf die Medien wichtigsten Aussagen dieser Bestimmungen sollen im folgenden hervorgehoben werden: Art. 37 der Verfassung legt fest, daß die in Staatseigentum befindlichen Medien zur Verbreitung von Bildung und Kultur zur Verfügung stehen müssen, während für die Medien mit privaten Eigentümern nur eine Verpflichtung zur Kooperation mit dem Staat und nicht eine zur permanenten Verfügbarkeit besteht. In Art. 70 verpflichtet sich der Staat, keine der politischen Parteien zu bevorzugen und ihnen allen kostenlosen Zugang zu den staatlichen Medien zu gewähren, jeweils im Verhältnis der Stimmenanteile, die sie bei der letzten Wahl erreicht haben. Art. 71 garantiert diesen Zugang auch während des Wahlkampfes. Art. 134 verbietet die Konzentration von Medien in der Hand eines oder weniger Eigentümer und betont in seinem letzten Satz ausdrücklich, daß diese Regelung gleichermaßen für private Eigentümer wie für den Staat gilt. Eine quantitative Grenze, ab wann eine Konzentration der Medien gegeben ist, wird nicht genannt. (Perla 1989,47f) Die medienrechtlichen Bestimmungen der am 31. Oktober 1993 angenommenen Verfassung unterscheiden sich auf den ersten Blick nur geringfügig von denen der Verfassung von 1979. Art. 2 Abs. 4 (Informationsfreiheit) gleicht dem alten fast aufs Wort. Während der ursprüngliche Text die "Meinungsäußerung in Wort, Schrift und Bild" nennt, benutzt die neue Verfassung die Formulierung "gesprochenes und geschriebenes Wort, Schrift und Bild". Bestimmungen über die Eigentumskonzentration von Medien und über den Zugang von politischen Parteien zu ihnen zum Zwecke der Wahlwerbung sind nicht aufgeführt. Neu in der Verfassung ist der Abs. 3 des Art. 200. In ihm heißt es: Verfassungsmäßige Garantien sind: [...] 3) Die Geltung des Habeos Data [Schutz der persönlichen Daten] gegenüber jeder Autorität, jedem Funktionär oder jeder Person, welche die in Art. 2 Abs. 5, 6 und 7 dieser Verfassung gewährten Rechte verletzen oder bedrohen. (Constitución Política del Perú 1993, 53) Art. 2 Abs. 5 gewährt die Informationspflicht von Behörden gegenüber jedermann, ohne daß die Person die Anfrage begründen muß. Allerdings ist die Anfrage weder unmittelbar noch kostenlos. Ausgenommen von der Auskunftspflicht sind Informationen, welche die persönliche Intimität oder die nationale Sicherheit gefährden. Außerdem ist festgelegt, daß das Bank- und das Steuergeheimnis per Gerichtsbeschluß aufgehoben werden können. Art. 2 Abs. 6 verbietet allen Datensammelstellen, gleichviel ob öffentlich oder privat organisiert, Daten zu erheben und zu speichern, welche die persönliche oder familiäre Privatsphäre betreffen. Art. 2 Abs. 7 gewährt das Recht auf persönliche und familiäre Intimität, das Recht am eigenen Bild und an der eigenen Stimme sowie das kostenlose Recht auf Richtigstellung oder Gegendarstellung gegen "nicht exakte Behauptungen" in Medien (Constitución Política del Perú 1993, 10). Während der oben angeführte Absatz 6 dieses Artikels neu in die Verfassung aufgenommen wurde, finden sich die anderen Bestimmungen so oder ähnlich bereits im Text von 1979. Zunächst erscheint die Formel des Habeas Data nicht als problematisch, handelt es sich doch offensichtlich lediglich um eine Art des Datenschutzes, wie er auch in anderen Ländern existiert. Indessen ist es die legale Funktion des
155 Habeas Data, die für Diskussionen vor allem in den Medien sorgte. Denn es ist nicht zwingend notwendig, einem Datenschutzgesetz Verfassungsrang einzuräumen. Daß die Regierung Fujimori die Formel des Habeas Datas jedoch in den Verfassungstext aufgenommen hat, wird in Medienkreisen als ein Beweis für dessen Wichtigkeit gewertet: So äußerten Journalisten die Befürchtung, daß Habeas Data als ein Druckmittel der Regierung gegen die Medien eingesetzt werden könnte. Denkbar ist etwa, recherchiertes Material durch die Ordnungskräfte unter Berufung auf Habeas Data zu beschlagnahmen. Auf diese Weise könnte die Regierung Recherche und Veröffentlichung bestimmter Themen zu verhindern versuchen.
3.
Presse
3.1.
Geschichte
Die erste Druckerpresse Lateinamerikas ließ die Katholische Kirche 1533 nach Mexiko transportieren. In den folgenden Jahren entstand dort eine ansehnliche Zahl von Druckereien. Der Drucker Antonio Ricardo (oder Riccardi) ließ sich ebendort 1570 nieder, um für die Jesuiten Katechismen herzustellen. Ein Jahrzehnt später schiffte sich Ricardo mit dem Ziel Lima ein. Die Erteilung einer Drucklizenz erlaubte ihm, im Februar 1584 in Peru seine Arbeit aufzunehmen: Er druckte die Pragmática de los Diez Días del Año (Gargurevich Regal 1991, 26ff). Das erste journalistische Druckwerk Perus erschien im Jahre 1594: Unter dem Titel Relación berichtete es von dem Sieg des spanischen Vizekönigs über den englischen Piraten John Hawkins. Während die Relaciones sich nur mit einem einzigen Geschehnis befaßten, wurden in den sogenannten Noticiarios, deren erster 1618 in Lima erschien, mehrere Ereignisse zusammengefaßt. Insofern stellen letztere eine Weiterentwicklung dar. Wichtige Nachrichten aus verschiedenen Ländern Europas wurden in Rom zusammengestellt, nach Sevilla übermittelt und von dort nach Lima übersandt, wo sie in Lizenz neu veröffentlicht wurden. 1622 nahmen die Noticiarios eine Form an, die der späterer Zeitungen schon sehr ähnlich war. So nannte sich ein seit 1630 erscheinendes Druckwerk Diario de Lima, das nicht veröffentlicht wurde, sondern nur der Archivierung diente. Im Jahre 1715 kam erstmals die Gaceta de Lima heraus, die sich ebenfalls auf den Wiederabdruck europäischer Nachrichten beschränkte. Ab 1744 enthielt sie auch lokale Nachrichten und erschien in dieser Form bis 1780. Als erste "echte Zeitung" Perus wird aber das Diario de Lima angesehen, dessen erste Ausgabe mit einem Umfang von vier Seiten am 1. Oktober 1790 erschien. Diese Zeitung enthielt auch Werbeanzeigen, wobei zu den Anzeigenkunden auch Sklavenhändler zählten. Dem Diario de Lima war indessen kein wirtschaftlicher Erfolg beschieden, da es nur wenige Leser fand. Die Gewährung der Druckfreiheit im Jahre 1812 läutete nicht nur das Ende der spanischen Kolonialherrschaft ein, sondern brachte in den Folgejahren auch einen ideologischen Streit zwischen konservativen und liberalen Blättern. Letztere gewannen schließlich die Oberhand und konnten ihre freiheitlichen Ideen verbreiten. So wurden diese zum Wegbereiter der nationalen Unabhängigkeit (Gargurevich Regal 1991, 47ff)- Die Bedeutung des Mediums Zeitung für Staat und Gesellschaft hatte bereits der Befreier Perus, Simón Bolívar, erkannt, denn er hatte in Venezuela, im
156 heutigen Kolumbien und in Lima verschiedene Zeitungen ins Leben gerufen. Am 13. Mai 1826 erschien in Lima die erste Ausgabe des von Bolívar gegründeten El Peruano, der bis heute existiert. Dieser Zeitung kam schon damals neben der Verbreitung von Nachrichten die Aufgabe der Publikation von Gesetzen und Verordnungen zu (Gargurevich Regal 1991, 56ff), eine Funktion, die El Peruano bis heute innehat. Nachdem Simón Bolívar 1824 das Land verlassen hatte, versuchten die Caudillos, die sich um die Vorherrschaft über das Land stritten, die Presse für ihre Interessen einzusetzen. Ständige Machtwechsel prägten die Jahre bis 1845, die gleichzeitig die Entstehung verschiedener Regionalzeitungen markierten. Als erste peruanische Zeitung der Provinz erschien in Trujillo am 16. Juli 1823 El Lince del Perú. Zur wichtigsten Regionalzeitung Perus wurde die 1895 ebenfalls in Trujillo gegründete La Industria. Sie kam zunächst einmal, später zweimal pro Woche heraus und ist seit 1898 eine Tageszeitung. Zusammen mit ihrer 1969 gegründeten Nachmittagsausgabe Satélite ist sie bis heute Perus größte und wichtigste Regionalzeitung geblieben (Barreto 1992, 25ff). Als weiteres Zentrum regionaler Presse entwickelte sich das weiter nördlich von Trujillo, ebenfalls an der Küste gelegene Departement Piura mit seiner gleichnamigen Hauptstadt. Hier erschien mit El Botafuego (1828) die erste Zeitung nach Gründung der Republik (Requejo 1983, 21). Der Mißbrauch der Presse endete - folgt man der peruanischen Fachliteratur - erst 1839, in dem Jahr, in dem El Comercio von Manuel Amunátegui gegründet wurde. Die wirtschaftliche Selbständigkeit dieses Unternehmers sicherte El Comercio eine politische Unabhängigkeit, die andere Zeitungen nicht in dem Maße gewinnen konnten. Die neue Tageszeitung war vor allem das Informationsmedium des Großbürgertums und ist bis heute die größte und wichtigste Tageszeitung Perus. Mit der Konsolidierung der Macht des Großbürgertums, das die traditionell mächtigen Landeigner abgelöst hatte, war politisch und wirtschaftlich Ruhe im Land eingekehrt. Die Machtverhältnisse hatten sich somit 15 Jahre nach Erlangen der Unabhängigkeit weitgehend geklärt. Auch begann sich die peruanische Presselandschaft zu stabilisieren, Neugründungen und Auflösungen von Publikationen wurden seltener. Denn zwischen 1827 und 1834 waren 17 Blätter neu erschienen oder gaben wieder auf, wobei nur die wichtigsten erfaßt sind (Gargurevich Regal 1991, 64f). Bereits ab 1827 war eine Trennung zwischen Tagespresse und Wochenpresse deutlich zu erkennen. Die Unterschiede lagen vor allem in der Auswahl der Themen. Auch diese Differenzierung verfestigte sich nach 1839. Zwischen 1854 und 1856 bereicherte El Heraldo de Lima die Presselandschaft. Trotz seiner kurzen Existenz war er für die Entwicklung des peruanischen Journalismus bedeutsam, versuchte er doch, neue redaktionelle Inhalte zu publizieren. Zudem war El Heraldo die erste Zeitung, die aus Protest gegen Zensurmaßnahmen "weiße", also leere Seiten herausbrachte (Gargurevich Regal 1991, 73). Durch die Fertigstellung der Telegraphen-Linie Lima-Pisco im Jahre 1870 hielt die moderne Technik Einzug in die peruanischen Medien. Sobald die Verbindung mit der südlich von Lima gelegenen Hafenstadt Pisco eingerichtet war, trugen die beiden Zeitungen El Comercio und La Patria ihren Korrespondenten auf, zur Nachrichtenübermittlung den neuen Telegraphen statt der Schiffsverbindung zu nutzen. Doch war die Kommunikation zunächst technisch sehr schlecht und wurde ständig unterbrochen, so daß die per Schiff nach Lima übermittelten Nachrichten oft genug eher vor Ort eintrafen als die fernvermittelten. Gegen Ende des Jahrhunderts war das
157 kontinentale Telegraphen-Netz ausgebaut und sogar mit Europa verbunden, wodurch Nachrichten schneller und auch aus großen Entfernungen eingingen. Mit dem technischen Fortschritt begann auch der Aufstieg der Massenpresse. Die erste Rotationsdruckmaschine wurde in Lima 1907 von La Prensa in Betrieb genommen und erlaubte einen Druck von 20.000 Exemplaren pro Stunde. Zur inhaltlichen Modernisierung des peruanischen Journalismus trugen Impulse aus Europa bei. Antonio Miró Quesada etwa, einer der damaligen Direktoren von El Comercio, brachte nach einem dreijährigen London-Aufenthalt neue Ideen und redaktionelle Stoffe mit, die er bald in seine Tageszeitung einfließen ließ. (Gargurevich Regal 1991, 112f). Die ersten beiden Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts waren bestimmt von einer Vielzahl von Zeitungsneugründungen, von denen sich aber nur wenige längere Zeit behaupten konnten. Neben La Prensa vermochte sich nur die 1912 gegründete La Crónica für lange Zeit auf dem Markt zu etablieren, bis sie 1990 letztmalig erschien. Den anderen Blättern aus dieser Zeit war eine kürzere Lebensdauer beschieden. La Crónica war in Peru Wegbereiterin des Sensationsjournalismus, setzte als erstes Blatt Schlagzeilen und großformatige Überschriften ein und enthielt sich politischer Stellungnahmen. Trotz seiner langen Lebensdauer konnte das Blatt nie den Einfluß erlangen, den La Prensa und El Comercio innehatten (Gargurevich Regal 1991, 21f). Mit dem Putsch des Generals Sánchez Cerro im Jahr 1930 erwachte die lange Zeit unterdrückte politische Presse Perus wieder zum Leben und mischte sich in die sozialen Auseinandersetzungen der Zeit ein. Bei der Bevölkerung stieß diese neue Presse auf größtes Interesse. In diesem Zusammenhang muß Pedro Beltrán Espantoso, ein maßgeblicher Neuerer des peruanischen Journalismus, erwähnt werden. Er war Präsident der Sociedad Nacional Agraria (SNA), in deren Umkreis sich nach 1930 das Interesse an einer eigenen Zeitung artikulierte. Die Wahl fiel schließlich auf ein Blatt, das nach der Präsidentschaft Leguias kaum noch lebensfähig war, La Prensa. Doch erst seit 1934, als Beltrán sich um das Projekt selbst bemühte, begann das Unternehmen erfolgreich zu werden (Gargurevich Regal 1991, 153ff). Der große Durchbruch gelang nach 1947, nachdem Beltrán die Leitung von La Prensa übernommen hatte. Beltrán hatte als Botschafter in den USA den modernen, "objektiven" Journalismus kennengelernt, der nicht ausschloß, daß die eigene politische Position des Blattes in Form von Leitartikeln und Kommentaren zum Ausdruck kam. Beltrán war von dieser Art des Journalismus begeistert und führte sie erfolgreich bei La Prensa ein, was ihm den Ruf des Wegbereiters des modernen Journalismus in Peru einbrachte (Pierce 1982, 179). Ein moderner journalistischer Stils kennzeichnet die Zeitungen der fünfziger Jahre, in denen auch die Zahl der festen Leser wuchs. Gesunkene Verkaufspreise durch gesteigerte Auflagen erlaubten auch der ärmeren Bevölkerung die tägliche Zeitungslektüre, gleichzeitig drängten die Zeitungen der Hauptstadt in die Provinzen vor. So erreichten einzelne Organe nationale Verbreitung und bedeuteten für die Regionalpresse eine ernsthafte Konkurrenz. In den Provinzen indessen mußten in den sechziger Jahren viele Blätter aufgeben, da sie dem Konkurrenzdruck nicht standhalten konnten. Eine einschneidende Zäsur erlebte die peruanische Presselandschaft durch den Putsch des Militärs im Jahre 1968. In vielen Pressehäusern kam es im Zuge von ideologisch-dogmatischen Auseinandersetzungen zu einer internen Polarisierung, was häufig in einer Spaltung zwischen Direktorium und Belegschaft endete. Die Militärjunta nutzte diese Differenzen für ihre eigenen Ziele: Einzelne Zeitungen wie
158 etwa Expresso oder Extra wurden enteignet und mit Berufung auf das hierfür maßgebliche Gesetz Nr. 18169 in Kooperativen umgewandelt. Diese Entwicklung führte im Juli 1974 zum Erlaß der Gesetze Nr. 20680 und 20681, die das Eingreifen in die Eigentumsstruktur formalrechtlich und sehr detailliert regelten. Darin wurden mehrere Kategorien festgelegt, die verschiedene Vollzugsarten der Enteignung definierten. Bemerkenswert ist indessen, daß die Zeitungen in ihrer Freiheit zwar eingeschränkt, in ihrer Existenz jedoch zu diesem Zeitpunkt nicht bedroht waren. Als sich der militärische Druck jedoch verstärkte, die Konfrontation an Schärfe zunahm, war an eine inhaltliche und technische Weiterentwicklung des Journalismus nicht mehr zu denken. Mit der Rückkehr zur Demokratie stellte sich im Pressewesen ein struktureller Wandel ein: Enteignete Organe wurden ihren angestammten Eigentümern zurückgegeben, neue Zeitungen wurden gegründet, denn die neue Verfassung von 1979 ermöglichte den freien Wettbewerb auf dem Pressemarkt. Die Neugründung La República hat als eine der erfolgreichsten Zeitungen aus dieser Zeit zu gelten. Die wachsende politische Gewalt und der Terrorismus in Peru hatten auf die inhaltliche Entwicklung des peruanischen Journalismus Einfluß. Auf die problematische Beziehung zwischen Presse und Terrorismus wurde die Öffentlichkeit erstmals aufmerksam, als 1983 acht Journalisten und Fotografen bei Recherchen über den Sendero Luminoso in Uchuraccay ermordet wurden. Die widersprüchlichen Ergebnisse mehrerer unabhängiger Untersuchungskommissionen (eine von ihnen unter der Leitung des Schriftstellers Mario Vargas Llosa) brachten keine Klarheit. Es konnte nie endgültig geklärt werden, ob rebellische Bauern oder Militärs am Tod der Journalisten schuld und unter welchen Umständen die Journalisten ums Leben gekommen waren. Indessen bildeten diese Ereignisse lediglich den Auftakt für einen sich verschärfenden Konflikt: auf der einen Seite die Militärs, auf der anderen Seite die Terroristen, dazwischen die Medien. In den Jahren nach den Morden von Uchuraccay fielen zahlreiche Journalisten diesem Zweifrontenkrieg zum Opfer, mußten Haft, Folter und Repressalien erleiden, wenn sie sich auf die Berichterstattung über den Sendero oder das Agieren des Militärs einließen. Und dennoch blieben der Terrorismus und seine Bekämpfung bis heute ein zentrales Thema in allen Medien des Landes. Spätestens ab 1988 zog die sich zuspitzende wirtschaftliche Krise Perus auch die Presse und die Druckindustrie in Mitleidenschaft, wobei sich die Rezession auf die Auflagen der Zeitungen, nicht aber auf die Anzahl der Titel auswirkte. Die Auflagen der Printmedien sind seit Ende der achtziger Jahre stark gesunken, viele kleinere Zeitungen haben wirtschaftlich nicht überlebt. Gleichwohl ist der Trend zu ständigen Neugründungen von Printmedien ungebrochen (Gargurevich Regal 1991, 258).
3.2.
Presserecht
Wichtigste rechtliche Grundlage für die Presse sind heute die bereits dargestellten Bestimmungen in der Landesverfassung. Seit der Aufhebung der Pressegesetze durch die Militärregierung (Nr. 18169, 20680 und 20681) im Jahre 1980 gibt es in Peru keine eigenständige Kodifizierung des Presserechts mehr, das sich allein auf die Druckmedien bezieht. Nach 1980 wurde allerdings eine beträchtliche Anzahl von Gesetzen und Verordnungen erlassen, die sich auf die Arbeit der Presse erstrecken.
159 Doch sind diese nicht in einem Gesetzeskomplex zusammengefaßt. Der Verzicht auf eine "zentrale", kohärente Gesetzgebung ergab sich aus dem Willen der ersten demokratischen Regierung 1980, der Presse ihre Freiheit wiederzugewähren, ohne ihr neuerliche Beschränkungen aufzuerlegen. Wichtigste Gesetze waren hier eine Generalamnestie für alle, die von den Militärs wegen Pressevergehen angeklagt oder verurteilt worden waren (Ley 23215 vom 28. Juli 1980); ferner die Resolución Suprema 034-8Ö-OCI (28. Juli 1980) und das Decreto Legislativo 5 (21. November 1980), welche die Rückgabe der Medien an ihre ehemaligen Eigentümer regelten. Nach 1985 standen arbeitsrechtliche Bestimmungen für Journalisten (darunter auch Gewerkschaftsfragen) sowie die Beziehung zwischen Medien und Werbung im Mittelpunkt der Gesetzgebung. (Perla Anaya 1990, 151ff) Das in der Verfassung festgelegte Recht auf freie Kommunikation und Meinungsäußerung schließt das Recht auf Gründung von Kommunikationsmedien ein. Dies gilt für Druckmedien uneingeschränkt, da für die Publikation von Druckwerken keine Lizenzen erteilt werden müssen. Die Schranken der praktischen Arbeit der Journalisten finden sich in allgemeinen Gesetzen, wie dem Recht der persönlichen Ehre, Jugendschutzbestimmungen und dem Strafgesetz. Hier ist besonders das Decreto Legislativo 46 (vom 10. März 1981) zu nennen. Dieses sogenannte "Antiterrorgesetz" stellt Berichterstattung, die für den Terrorismus Partei ergreift oder ihm durch Informationsvermittlung oder -Sammlung zu Hilfe kommt, unter Strafe. Auch wenn dieses Gesetz bereits 1981 verabschiedet wurde, kam es erst nach einer neuen, schärferen Fassung unter der Regierung Fujimori (Decreto Ley Nr. 25475 vom 5. Mai 1992) zu einer restriktiven Anwendung gegen die freie Tätigkeit der Journalisten. Befragte Journalisten und einige Medienunternehmer in Peru bewerten das Fehlen eines gesonderten Presserechtes eher positiv. Aus ihrer Erfahrung und der Kenntnis der zunehmend schwierigeren Beziehung zwischen einigen Medien und dem Staat befürchten sie von einem Presserecht eher eine noch weitergehende Einschränkung der Pressefreiheit als eine Erweiterung ihrer Abwehrmöglichkeiten gegen staatliche Intervention und Restriktion.
3.3.
Die Struktur der Presse in Peru heute
3.3.1. Bestand und Verbreitung 1993 erschienen in Peru 49 Tageszeitungen (1987: 47), davon 17 in Lima (1987: 17) und 32 in den Provinzen (1987: 30). 15 der in Lima erscheinenden Tageszeitungen haben nationale Verbreitung (1987: 12) (Publicidad, Medios y Marketing 59/1993). Alle Zeitungen erscheinen ausschließlich in spanischer Sprache und befinden sich mit Ausnahme von El Peruano in Privateigentum. Zu Beginn der achtziger Jahre zirkulierten in Peru noch 60 Tageszeitungen. Die Zahl aller periodisch erscheinenden Druckwerke umfaßte 1982 507 Titel (Salwen/Garrison 1991, 106). Die folgenden Übersichten geben eine Übersicht über die Zeitungen der Hauptstadt (Tabelle 1) und der Provinz (Tabelle 2). Neben der Hauptstadt ist vor allem der wohlhabende Norden Perus ein wichtiges Absatzgebiet für die nationalen Zeitungen. Aufgrund der historischen Entwicklung und der Tradition der Presse vor Ort besteht hier ein großes Interesse der Bevölke-
160 Tabelle 1: Die Tagespresse in Lima Titel
Gründungsjahr
Verbreitung
Auflage
El Comercio
1839
national
141.000(138.000)
Expreso
1961
national
100.000 (123.000)
Extra
1961
national
50.000
Gestión
1989
national
o. A.
El Gigante
1993
national
o. A.
Idolo
1988
national
50.000
El Informal
1993
national
o. A.
La Mañana
1992
national
o. A.
El Mañanero
1992
national
50.000
Ojo
1968
national
Onda
1989
national
50.000
El Peruano
1825
national
30.000
El Popular
1984
national
38.000
La República
1981
national
2x1
1993
national
o. A.
El Día
1993
lokal
o.A.
La Nación
1992
lokal
o. A.
(83.000)
130.000(180.000)
(70.000)
100.000(114.000)
o. A. = ohne Angaben Die Auflagenzahlen beziehen sich auf 1993, die Angaben in Klammern sind, soweit vorhanden, die Zahlen des Jahres 1987. Quelle: Für 1987 Requejo 1988, 1 lff. Die Auflagenzahlen 1993 beruhen auf eigenen Berechnungen. Grundlage waren meist die Zahlen von 1987, die versuchsweise mit Hilfe von Nutzungsdaten aus einer Leserumfrage (September 1993) hochgerechnet wurden.
rung an Medien. Der innovative Schritt von La República vom 14. Oktober 1.993 unterstreicht diese Bedeutung: Der Verlag unterzeichnete an diesem Tag die Verträge mit dem privatwirtschaftlichen Satellitenunternehmen PanAmSat, die La República zukünftig die Nutzung eines Kanals des Satelliten PAS-1 sichern. So kann die Zeitung elektronisch in die Provinz übermittelt und vor Ort gedruckt werden. Erster Erscheinungsort war die im Departement Trujillo gelegene Hafenstadt Chic-
161 Tabelle 2: Die Tagespresse in der peruanischen Provinz Titel
Gründungsjahr
Ahora
o. A.
Los Andes El Cajamarquino El Comercio Correo
o. A. o. A. o. A. 1962
El Diario El Faro El Huascarán El Imparcial La Industria
o. A. o. A. o.A. o. A. 1895
El Matutino El Observador La Opinión El Oriente Paladín El Pueblo Satélite
o. A. o. A. o.A. o. A. o. A. o.A. 1969
El Sol El Tiempo Verdad del Pueblo La Voz
o. A. 1916 o. A. o. A.
Sitz
Verbreitung
Huacho/ Pucallapa Puno Cajamarca Cuzco Arequipa/Chiclayo/Huancayo/ Juliaca/Piura/Puno/ Tacna/Tumbes Chimbóte Chimbóte Huaraz Huacho Trujillo/Chiclayo/Chimbote/ Cajamarca Iquitos Tarapoto lea Iquitos Ayacucho Arequipa Trujillo/ Chiclayo/Chimbote/ Cajamarca Cuzco Piura Chincha Huancayo/ Ica/Tacna
lokal*
Auflage o. A.
depart. ** depart. depart. depart.
o. A. o. A. o. A. 30.000 (1992)
lokal lokal lokal lokal depart.
o. A. o. A. o. A. o. A. 46.000 (1989)
lokal lokal depart. lokal depart. depart. depart. (1989)
o. A. o. A. o. A. o. A. o. A. o. A. 20.000
lokal depart. lokal lokal
o. o. o. o.
A. A. A. A.
Quelle: eigene Berechnungen, Requejo 1988 und FIEJ 1993 * lokal = Zeitung erscheint in der genannten Stadt, hat aber keine darüber hinausgehende Verbreitung ** depart. = Zeitung erscheint im gesamten Departement, nicht nur in der gleichnamigen Provinzhauptstadt layo, die sich wegen ihrer weitgehenden Industrialisierung und ihrer Lage als Ausgangspunkt für die Verteilung der Zeitung besonders eignet. Die Vorteile dieser dezentralen Herstellung sind offensichtlich: Der kosten- und zeitintensive Transport von der Metropole in die Provinzstadt entfallt, gleichzeitig erlaubt der spätere
162 Redaktionsschluß eine aktuellere Provinzausgabe. Die Gesamtzahl der in Peru aufgelegten Tageszeitungen beläuft sich auf rund 900.000 Exemplare pro Tag (im Durchschnitt Montag bis Sonntag). Eine Tagesausgabe kostet zwischen 0,40 und 1,50 Soles (1 US-$ = 2,15 Soles, 1993). Durch die starke Konzentration der Auflagen auf Lima im Vergleich zu den Provinzen ergeben sich für die einzelnen Landesteile unterschiedliche Leserdichten (Tabelle 3).
Tabelle 3: Leserdichte in Peru (Zeitungsexemplare pro 1.000 Einwohner) Region
Peru insgesamt Großraum Lima Provinzen
Einwohner
Auflage
22 Mio. 7 Mio. 15 Mio.
900.000 600.000 300.000
Exemplare pro 1.000 Einwohner 41 85 20
Quelle: eigene Berechnungen In Tabelle 4 werden die wichtigsten Titel der Wochenpresse Perus 1993 aufgeführt. Da keine Auflagenzahlen zur Verfügung stehen, werden Angaben über die Zahl der Leser gegeben. Tabelle 4: Wochenpresse in Peru Titel
Caretas Gente Oiga Teleguía Globo Sí Chiclayo Proyección Zotac
Gründungsjahr 1950 1957 1956 o.A. o.A. 1987 o.A. o.A. o.A.
Erscheinungsort
Verbreitung
Lima Lima Lima Lima Lima Lima Chiclayo San Martin Tacna
national national national national national national national depart.** depart.
Leser*
292.000 183.000 127.000 85.000 71.000 61.000 o.A. o.A. o.A.
* Leser
die Angaben über die Zahl der Leser beziehen sich auf September 1993 ** depart. = Verbreitungsgebiet ist das gleichnamige Departement Quelle: DATUM S.A. 1993 Caretas, Oiga und Si sind drei wichtige politische Magazine, die zu den am häufigsten gelesenen Publikumszeitschriften gehören. Diese Wochenschriften haben auf
163 Grund ihrer regierungskritischen Haltung mit massiven wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen, denn sie werden von den zahlreichen Anzeigenkampagnen öffentlicher Institutionen ausgeschlossen und auch die Privatwirtschaft erlegt sich eine gewisse Zurückhaltung auf. Ihre Werbeeinnahmen sind in den letzten Jahren zurückgegangen, folglich mußten auch die Auflagenzahlen gesenkt werden, zumal die fehlenden Einnahmen nicht mehr über den Verkaufspreis ausgeglichen werden können, da dieser (1995) mit 7 Soles (3.10 US-$) ohnehin die finanzielle Grenze dessen erreicht hat, was das Publikum verkraften kann. Über die Ursachen für die Krise der Presse in Peru kann man nur spekulieren. Ein Grund ist sicherlich die allgemeine wirtschaftliche Situation des Landes, die niedrigen Einkommen der Bevölkerung und veränderte Lesegewohnheiten sowie weiterhin hoher Analphabetismus. Für die Wochenpresse wird zudem eine geringe Glaubwürdigkeit in der Öffentlichkeit angenommen, wie Tabelle 5 zeigt:
Tabelle 5: Glaubwürdigkeit der Massenmedien in Peru (in %) Frage:
Welches Medium hat für Sie die höchste Glaubwürdigkeit?
TV
Tagespresse
Radio
Wochenpresse
keines
weiß nicht
Summe
73,3
11,7
9,7
0,3
4,3
0,7
100
Quelle: DATUM 1990 b Sowohl in bezug auf Akzeptanz als auch auf Nutzung verlieren die Printmedien gegenüber den elektronischen Medien immer mehr an Boden. Bevölkerungsumfragen über Lesegewohnheiten zeigen einen drastischen Rückgang des Lesepublikums: Im Großraum Lima ist die Zahl der Leser der Tagespresse um etwa 18 Prozent geschrumpft. Waren es 1990 noch 2,6 Millionen Leser, die zur Tageszeitung griffen, so taten dies 1993 nur noch 1,9 Millionen Leser über 15 Jahre. Bei der Wochenpresse ist die Anzahl der Nutzer im gleichen Zeitraum sogar um mehr als die Hälfte zurückgegangen. Gegenüber den 1,7 Millionen, die 1990 noch eine Wochenschrift lasen, waren dies drei Jahre später nur noch 855.000 (DATUM 1990 a; 1993 a).
3.3.2. Zeitungstypen Mit der Ausnahme von El Mundo erscheinen alle Tageszeitungen Perus siebenmal pro Woche, und zwar morgens. Extra und El Popular sind dem Namen nach Vespertinos, also Nachmittagszeitungen. Beide Blätter erscheinen zwar nach wie vor später als die anderen Zeitungen, sind in der Regel aber bereits um acht Uhr früh zu haben. Die echten Nachmittagsausgaben (früher existierten noch La Tercera und eine Nachmittagsausgabe von El Comercio) sind seit der Herrschaft der Militärs allmählich vom Markt verschwunden, oder ihr Erscheinungstermin wurde stetig weiter in den Morgen vorverlegt.
164 Die peruanischen Tageszeitungen sind in drei Klassen einzuteilen. Zur Gran Prensa (den Qualitätszeitungen bzw. der seriösen Presse) gehören: El Comercio, La República, Expreso und El Mundo, weiter El Peruano und die Wirtschaftszeitungen Gestión und Síntesis. El Comercio besitzt in Peru eine wirtschaftlich herausragende Stellung, was sich schon im Umfang der Zeitung manifestiert, denn das Blatt besteht im Durchschnitt zu mehr als der Hälfte aus Werbung. Gestión, Síntesis sowie El Peruano zeichnen sich durch ihre fachspezifische Berichterstattung aus und wenden sich an einen eingeschränkten Leserkreis. Gestión enthält neben einem politisch aktuellen Teil schwerpunktmäßig Berichte über wirtschaftliche Themen. Die Wirtschaftszeitung erscheint seit dem 25. September 1990 und gehört zu den jüngeren Gründungen im Lande. Síntesis ist ein Neuling (1995) auf dem Zeitungsmarkt und muß sich gegenüber den etablierten Zeitungen erst behaupten. Demgegenüber ist El Peruano die älteste aller in Peru aufgelegten Tageszeitungen. Die traditionsreiche Zeitung befindet sich seit ihrer Gründung in Staatseigentum und ist das offizielle Mitteilungsorgan der Regierung. Mit seiner Beilage Normas Legales kommt der Publikation eine große Bedeutung zu, die etwa den Gesetzes- oder Verordnungsblättern der Deutschen Bundesregierung entspricht. Die Mehrzahl der Zeitungen gliedert ihre redaktionellen Teile in Politik, Kommentar und Leitartikel, Lokales, Sport, internationale Nachrichten und Berichte, Wirtschaft und Handel. Weitere Seiten sind der Kultur, den Veranstaltungen (Fernsehprogramm) und als Sonderseiten der Frau, Gesundheit, Motor, Tourismus, Jugend etc. gewidmet. Einzelne Zeitungen haben einen eigenen Anzeigenteil. Die internationalen Berichte beschränken sich fast ausschließlich auf die wörtliche Wiedergabe von Agenturmaterial. Korrespondenten werden zum Teil auf nationaler Ebene unterhalten, während Auslandsberichte in der Regel Fremdberichte sind. Außergewöhnliche Anlässe wie etwa eine Auslandsreise des Präsidenten rechtfertigen im allgemeinen die Entsendung von Sonderkorrespondenten. Die besondere Situation der peruanischen Presse zeigt sich in der Privilegierung einzelner Medien bei staatlich organisierten Presseterminen im In- und Ausland: Hier behält sich die Regierung die Auswahl der Medien - oft namentlich der Journalisten - vor, deren Berichterstattung erwünscht ist. Die wichtigsten Agenturen für den Bezug internationaler Nachrichten sind (in alphabetischer Reihenfolge): AFP, ANSA, AP, dpa, EFE und Reuters. El Comercio, La República und El Mundo nennen grundsätzlich den Agenturnamen als Quelle ihrer Berichte und machen zudem kenntlich, ob der Artikel redaktionell erweitert oder verändert wurde. Expreso hingegen kennzeichnet alle internationalen Berichte mit dem Quellenverweis "Expreso/Agenturen". Mit Ausnahme von El Mundo, die samstags ihre erweiterte Wochenendausgabe herausgibt, erscheinen die oben genannten Tageszeitungen am Sonntag mit einer umfangreicheren Ausgabe, der eine Beilage (Suplemento) hinzugefügt ist. Themen wie Kultur, Familie, Haus und Garten, Tourismus und Gesundheit sowie Interviews, Analysen und Kommentare zu aktuellen Themen ergänzen einen umfangreichen Wochenrückblick. Besonders wegen der Suplementos erfreuen sich diese großer Beliebtheit; dennoch können nur El Comercio und die populäre Tageszeitung Ojo einen merklich höheren Verkauf ihrer Sonntagsausgabe verbuchen: El Comercio erreicht sonntags einen Verkauf von ca. 200.000 Exemplaren, Ojo etwa 160.000 Exemplare. Neben den traditionellen Sonntagsbeilagen gibt es eine Vielzahl thematisch unterschiedlicher Beilagen, die teilweise unregelmäßig erscheinen. Regelmäßige Wochen- sowie Sonderbeilagen findet man z. B. zu Sport und Auto, aber
165 auch zu Ökologie und Umweltschutz, moderner Musik und Boulevardthemen, zu Bildung und Schule. Den Charakter von Boulevardblättern haben die Zeitungen Ojo, El Popular und La Nación, deren Inhalte sensationalistisch aufbereitet sind. Zur eigentlichen Sensationspresse (Prensa Amarilla) zählen El Dia, Extra, El Informal, La Mañana, El Mañanero, Onda und 2x1. Auch El Gigante und Idolo sind dieser Gruppe zuzurechnen, wobei El Gigante eine reine Sportzeitung ist, Idolo seinen Schwerpunkt auf die Sportberichterstattung legt. Alle Tageszeitungen Limas benutzen - zumindest auf der Titelseite - den Vierfarbdruck, der erstmals Mitte der achtziger Jahre in der peruanischen Tagespresse zu sehen war. Inzwischen ist der Vierfarbdruck so beliebt, daß die Sensationspresse ihn zum Teil auf allen Seiten verwendet. Die Wochenpresse teilt sich in die Gruppen: politische Magazine (Caretas, Oiga und Sí), Illustrierte {Gente) und Fernseh-, Jugend- und Modezeitschriften. Dem internationalen Trend der Differenzierung und Spartenbildung folgen auch Perus Medien, wobei Sport, Computer und Pornographie den größten Anteil am Markt haben. Es ist zu erwähnen, daß Perus Zeitschriftenmarkt eine Vielzahl spanischsprachiger Wochenschriften aus den Nachbarländern und Spanien anbietet.
3.3.3. Organisation, Vertrieb, Finanzierung Die großen Verlagshäuser verfügen über alle Voraussetzungen zur Herstellung einer Zeitung. Redaktion, Druckerei und Vertrieb gehören zum Unternehmen (El Comercio, Expreso / Extra, La República). Inwieweit die anderen Tageszeitungen oder die auflagenschwächeren Blätter eigene Setzereien und Druckereien besitzen oder die Produktion an andere Unternehmen vergeben, ist nicht bekannt. Die großen Redaktionen sind mit moderner Technik ausgestattet (PC, Lichtsatz, Vierfarbdruck etc.). Die Verbreitung in die Provinzen erfolgt, je nach geographischer Entfernung, mit dem Auto oder dem Flugzeug. La República benutzt (s. o.) für den Druck ihrer Provinzausgabe die Satellitentechnik. Traditionell hat jede der national erscheinenden Tageszeitungen zwei Ausgaben, eine für die Provinzen und eine für Lima. Der Redaktionsschluß der Provinzausgabe liegt einige Stunden vor dem der Lima-Ausgabe, um eine rechtzeitige Auslieferung zu sichern. Der Verkauf findet ausschließlich am Kiosk oder auf der Straße statt. Außer Gestión bietet kein Verlag die Möglichkeit eines direkten Abonnements. Durch das Fehlen eines Abonnement-Systems kann es nicht zu einem im voraus gesicherten Absatz oder zu einer Finanzierung durch monatliche Vorauszahlung kommen. Bis auf El Peruano finanzieren sich alle Blätter ausschließlich über Werbeeinnahmen und Verkauf. Der Verkaufserlös deckt indessen nur einen Bruchteil der anfallenden Kosten, somit bleibt die wichtigste Finanzierungsquelle die Werbung. Seit 1968 hat die Presse mit einem permanenten Sinken des Werbeaufkommens zu kämpfen. Lag der Anteil der Werbeausgaben für Printmedien im Jahre 1968 noch bei 41 Prozent (Angaben gelten für Tageszeitungen und andere Druckerzeugnisse), ging er bis 1976 auf 26 Prozent zurück (Benitez 1991, 129). 1992 betrug ihr Anteil nur noch rund sechs Prozent des gesamten Werbeaufkommens, wobei hiervon 5,25 Prozent auf die Tagespresse entfielen und nur 0,78 Prozent auf die Wochenpresse. Noch 1991 lag deren Anteil doppelt so hoch (The Peru Report 9/93, 2f).
166 3.3.4. Besitzstruktur Eine erste Analyse der Besitzverhältnisse im Bereich der Printmedien läßt vermuten, daß es in Peru noch zu keinem Konzentrationsprozeß gekommen ist, was zum Teil auf die Enteignungswelle während der Militärdiktatur zurückzuführen sein dürfte. Obwohl seit 1980 viele Druckmedien mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen hatten, führte dies dennoch nicht zu einer Konzentration der Eigentumsverhältnisse. Vielmehr stellten die bankrotten Verlage ihre Zeitungen ein. Neben dem Staatsbetrieb Empresa Peruana de Servicios Editoriales S.A., in dem El Peruano erscheint, gibt es in Lima zwölf Verlage, die 15 Tageszeitungen publizieren; in keinem der Verlage erscheinen jedoch mehr als zwei Zeitungen. Die Gesellschaftsform der Mehrzahl der Verlage (elf von 13) ist die Aktiengesellschaft (Sociedad Anónima, S.A.), andernfalls die Gesellschaft mit beschränkter Haftung (,Sociedad de Responsabilidad Limitada, S.R. Ltda.). Einem gemeinsamen Verlag gehören an: Expreso und Extra (Editora Nacional S.A.), El Popular und La República (Editora La República S.A.) und El Mañanero und Onda (Editora Onda S.A.). Wie die Eigentumsverhältnisse innerhalb dieser Gesellschaften genau aussehen, ist kaum herauszufinden, und somit lassen sich in der Regel auch keine Angaben über die Herkunft des Kapitals machen. El Comercio befindet sich seit Ende des letzten Jahrhunderts im Besitz der Familie Miró Quesada. Das Blatt vertritt die Interessen der Wirtschaft, ohne daß eine Tendenz für die Bevorzugung eines bestimmten wirtschaftlichen Sektors zu identifizieren wäre. Die Tatsache, daß die Familie Miró Quesada sonst keine weitreichenden Verflechtungen mit anderen Unternehmensbereichen eingegangen ist, schafft der Zeitung insofern eine gewisse Unabhängigkeit (Malpica 1984). Die Tageszeitung El Mundo wird von dem Verlag Editora Atlántida S.R. Ltda. herausgegeben und ist mehrheitlich Eigentum der Familie Vera Gutiérrez, zu deren Aktienholding auch der Fernsehsender Andina de Radiodifusión ATV (Canal 9) und der FM-Sender Estereo 100 gehören. Die Zeitung Ojo erscheint im Verlag Empresa Periodística Nacional S.A.. Sie ist somit Eigentum der Gruppe Banchero-Agois, der seit 1992 außerdem die in insgesamt acht Provinzen erscheinende Tageszeitung Correo sowie zu 100 Prozent die Holding Inversiones Pisa S.A., Minera Caylloma S.A. (Bergbau), Naviera Humboldt S.A. (Fischfang) und zu 50 Prozent die Panamericana Cía. de Seguros y Reaseguros (Versicherungen) (Cavanagh 1993, 56) angehören. Dieses Beispiel zeigt, wie verzweigt und verflochten die Eigentumsverhältnisse im peruanischen Pressemarkt sein können, die hinter einer Zeitung stehen und auf deren Inhalt Einfluß nehmen können. Im Gegensatz zur Tagespresse befindet sich die politische Wochenpresse in Familienbesitz (Caretas) oder wird von kleineren Teilhabern gehalten, die keine weitreichenden anderen Interessen verfolgen.
4.
Hörfunk
4.1.
Geschichte
Das erste Funkgerät brachte der italienische Kreuzer "Elba" im Jahre 1903 nach Peru. Der Funkverkehr zwischen der "Elba" und dem Hafen Callao war die erste
167 drahtlose Telegraphie in der Geschichte Perus. Schon 1912 wurde die erste festinstallierte Station für Radiotelegraphie in Lima eingeweiht. Mit der Gründung des Senders OAX im Juni 1925 begann die Etablierung des Hörfunks als öffentliches Medium (Alegría 1988). Seine Programme wurden abends im Kino Excelsior übertragen, während gleichzeitig ein Stummfilm vorgeführt wurde. Diese Vorstellungen fanden zu Beginn viele begeisterte Zuhörer. Weil die Empfangsgeräte wegen ihres hohen Anschaffungspreises kaum Absatz fanden, blieb Radio OAX lange Zeit der einzige Rundfunksender in Peru. Er wurde von der britischen Firma Marconi Wireless Telegraph Co. Ltd. finanziert, da kommerzielle Werbung sich wegen mangelnder Zuhörer noch nicht etablieren konnte (Tello Charún 1986, 7ff). Erst ab 1934 entstand Radio OAX eine Konkurrenz, als die Sender Grellaud, Weston und Miraflores gegründet wurden. Im Jahre 1937 wurde Radio OAX in Radio Nacional umbenannt, blieb aber weiterhin Eigentum der britischen Firma Marconi. Diese hatte ab 1921 per Staatsvertrag die Verwaltung des gesamten peruanischen Post- und Telegraphendienstes übernommen. Von Mitte der dreißiger Jahre an begann das Radio endgültig in Peru Fuß zu fassen. Schon 1950 wurden in Peru 95 Radiosender und etwa eine halbe Million Empfangsgeräte gezählt (Dillner 1980, 52). Zur Gründung von Rundfunksendern war bis 1957 weder eine Lizenz noch irgendeine andere Genehmigung notwendig. Die Programmteile gliederten sich in Information und Musik, wobei internationale Musik die Archive füllte. Weiter erfreuten sich die importierten Radionovelas und Radioteatros (Hörspiele) größter Beliebtheit. Die Stationen in Lima sendeten in diesen Jahren durchschnittlich 19 Stunden täglich Programm (Tello Charún 1986, 14). In den ersten zehn Jahren Hörfunkgeschichte in Peru entwickelte sich das Radio schnell zu einem wichtigen Informationsmedium. Die Nachrichtensendungen bedienten sich ebenso wie die anderen Sparten ausländischer Angebote. Mit dem Service der Agenturen Reuters, BBC, NBC und CBS wurde das Radio für Peru zum "Fenster zur Welt". Nationale und lokale Informationen spielten nur eine untergeordnete Rolle. Mit der Expansion des Marktes wuchs die Konkurrenz, und der Erfolg der Radiosender war vollkommen abhängig von der Nachfrage von Seiten des Publikums und der Inserenten, die sich zunehmend des neuen Mediums als Werbeträger bedienten. Die Einführung des Fernsehens in Peru im Jahre 1957 war Anlaß zur Verabschiedung des Gesetzes Ley General de Telecomunicaciones, in dem auch der Hörfunk eingeschlossen war. Mit seinem Inkrafttreten wurde die Kontrolle des Rundfunks der Generaldirektion von Post und Telekommunikation übertragen und eine Lizenzpflicht für den Rundfunkbetrieb eingeführt. Nach diesem Gesetz sollte das Personal der Sender peruanischer Nationalität sein, wobei ein Ausländeranteil von maximal drei Personen erlaubt war. Die Nutzung anderer oder weiterer Frequenzen und die Erhöhung der Sendeleistung mußten von nun an staatlich genehmigt werden. Hervorgerufen durch die neue Konkurrenz des Fernsehens, kam es nach 1957 zu einem Wandel der Programmstruktur des Hörfunks. Noch im gleichen Jahr wurden humoristische Programme, populäre peruanische Musik und nationale Kultur in das Angebot aufgenommen. Die Konkurrenz des Fernsehens bedeutete für den Hörfunk nicht den Verlust seines Publikums, denn die Zahl der Stationen und der Empfangsgeräte stieg weiter an. Vielmehr wanderte die werbetreibende Wirtschaft schnell zum neuen Medium Fernsehen ab, was den Hörfunksendern wirtschaftlich zu schaffen machte. Durch die sinkenden Werbeeinnahmen war der Betrieb großer Radiostatio-
168 nen kaum mehr möglich, so daß in der Folgezeit die Marktstruktur immer mehr hin zu Kleinunternehmen tendierte. Von den tradierten Programmangeboten konnten sich die Radionovelas am längsten behaupten, doch auch sie verschwanden mit der Zeit mehr und mehr aus dem Angebot. Somit hatte sich der Hörfunk inhaltlich zu seiner heutigen Form entwickelt: viel Musik vermischt mit etwas Information. Die moderne Musik der sechziger Jahre mit Rock, Pop und Beat trug dem Radio vor allem bei jungen Leuten neue Beliebtheit ein. Die Zahl der Radioempfangsgeräte in Peru stieg von 1,1 Millionen im Jahre 1960 auf 2,1 Millionen im Jahre 1964 und hatte sich damit innerhalb von nur vier Jahren fast verdoppelt (Dillner 1980, 16ff). Die schon für die Presse charakteristische Besitzstruktur in der Zeit vor der Militärregierung wiederholte sich beim Radio: Die Eigentümer der Radiostationen stammten aus den wichtigsten Wirtschaftssektoren (Agro-Export, Fischerei, Bergbau, Finanzwirtschaft). Vor 1968 sah die Situation des Hörfunks folgendermaßen aus: Die wenigen Gesetze, die das Radio betrafen (in der Hauptsache aus dem Jahre 1957), wurden kaum oder wenig befolgt. Entweder fehlte es an Interesse oder an der Möglichkeit zur Durchsetzung der Regulierung. Es gab keinen staatlichen Einfluß auf die Programmgestaltung, der Import von technischem Gerät zum Betrieb eines Senders war frei und nicht mit Sonderzöllen oder Steuern belegt. Die wichtigsten Sender befanden sich in der Hand weniger Eigentümer, andere führten eine wirtschaftlich kümmerliche Existenz und verfügten nur über schlechte und veraltete technische Ausstattung. Die Militärdiktatur legte nach 1968 den Anteil nationaler Produktion an den Programmangeboten der Funkmedien auf mindestens 60 Prozent fest. Dieser Prozentsatz wurde indessen weder vom Radio noch vom Fernsehen erreicht (Tello Charún 1993, 71). Verglichen mit der Presse konnte der Hörfunk auch nach 1968 relativ ungestört weiterarbeiten, da ihm von den Militärs keine ideologische Aufgabe oder Propagandafunktion im Dienste der Revolution zugedacht war. Die Ley General de Telecomunicaciones (D.L. 19020) legte lediglich einen Mindestanteil von 25 Prozent Staatskapital bei den wichtigsten Radiosendern fest. Das an den Staat übereignete Aktienkapital wurde von der 1969 gegründeten Gesellschaft ENTEL-PERU (Empresa Nacional de Telecomunicaciones del Perú) verwaltet. ENTEL-PERU war mit der Aufsicht über das Telefon-, Telex- und Satellitenkommunikationsnetz beaufragt, eine Funktion, die zuvor der US-amerikanische Konzern ITT wahrgenommen hatte. 1972 leitete ENTEL-PERU fünf Radiosender, drei Fernsehkanäle, repräsentierte den Staat in 21 Radiosendern und vier Fernsehstationen und verwaltete 21 teilenteignete Unternehmen. 1974 wurde zur Zentralisierung der Kontrolle das SINADI (Sistema Nacional de Información) gegründet, das später in ENRAD-PERU (Empresa Nacional de Radiodifusión) umbenannt wurde. ENRAD übernahm die Aktivitäten von Radio Nacional del Perú inklusive aller seiner Filialen im Land, den staatseigenen Fernsehsender Canal 7 sowie die Geschäftsführung von ENTEL-PERU (Dillner 1980, 540Nach dem Willen der Militärjunta sollte der Hörfunk ein Instrument zur Bildung des Volkes sein, das zur nationalen Integration beiträgt. An der Organisation des Rundfunkwesens änderte die Militärregierung jedoch nichts. Die Sender hatten sich lediglich auf die neuen politischen Spielregeln einzustellen, ohne sich dabei von dem System der Marktwirtschaft entfernen zu müssen. In den achtziger Jahren erlebte der Hörfunk in Peru einen neuen "Boom": Die Freigabe aller Frequenzen, vor allem der bis dahin kaum nutzbaren FM-Frequenzen im Jahre 1980 durch den demokratisch gewählten Präsidenten Belaúnde, brachten
169 bis 1984 einen Anstieg der Zahl der AM-Sender in Lima von 33 auf 44, die der FMSender von 10 auf 19. Gleichzeitig nahm die Konzentration der Hörfunksender in Lima zu, während die Provinzen immer mehr ins Abseits gerieten und neue Sendegebiete kaum erschlossen wurden. Während die Militärregierung sich in ihrer zwölfjährigen Amtszeit des Radios als eines Bildungsinstrumentes bediente (Dillner 1980, 57), mit dem es möglich war, auch in entlegene Winkel des Staatsgebietes vorzudringen, hatten die folgenden Regierungen und noch weniger private Investoren Interesse an dezentralen Stationen.
4.2.
Rundfunkrecht
Die Bestimmungen des Rundfunkrechts in Peru betreffen Hörfunk und Fernsehen gleichermaßen. Sie sind festgelegt im Decreto Ley 19020, der Ley General de Telecomunicaciones. Zuständig für die Überwachung und Durchführung seiner Bestimmungen ist das Ministerio de Transportes y Comunicaciones. Erstmals wurde der Decreto Ley 19020 im Jahre 1971 unter der Regierung General Vélaseos erlassen und stand ganz im Zeichen seiner Revolutionsideologie. Allein aus technischen Gründen war und ist zum Betrieb eines Hörfunk- oder Fernsehsenders eine Lizenz erforderlich, denn mit ihr ist die Zuweisung einer Sendefrequenz verbunden. Die Frequenzen werden vom Ministerio de Transportes y Comunicaciones verwaltet, d. h. dieses überwacht ihre rechtmäßige Nutzung. Sämtliche den Betrieb von Rundfunkstationen betreffenden Fragen sind in dem genannten Erlaß geregelt. Dazu gehören Frequenzvergabe, Sendeleistungen, Regelungen über Werbezeiten und Produktion, bis hin zu Bestimmungen über die Beziehung zwischen Rundfunkstationen und Staat, zu leistende Steuern und Abgaben. Nach 1980 wurden die Bestimmungen über Eigentumsstrukturen, staatliche Beteiligungen (Telecentro), Produktion und Einsatz von Werbung sowie fiskalische Regelungen aus dem Decreto Ley 19020 herausgenommen. Die weiteren Regelungen des D. L. 19020 blieben unangetastet und sicherten auch nach 1980 dem Ministerio de Transportes y Comunicaciones eine einflußreiche Stellung, was im Hinblick auf neue technische Entwicklungen wie die Mikrowellentechnik und Satellitenübertragung wichtig war. Bis 1989 bildete INTELSAT das einzige für Peru nutzbare Satellitensystem, dessen vom Staat angemietete Transponder ebenfalls vom Ministerio de Transportes y Comunicaciones verwaltet werden. Erst als 1989 das private Unternehmen PanAmSat seinen Betrieb aufnahm, wurde dieses Monopol gebrochen. Die Regierung Fujimori änderte am 8. November 1991 den D. L 19020 dahingehend, daß die Sender keinerlei Verpflichtung zur Ausstrahlung von täglich 60 Minuten Bildungsprogramm des Ministerio de Educación und von 60 Prozent nationaler Produktion haben. Weiter wurden das Monopol ausschließlich in Peru und durch peruanische Unternehmen produzierter Werbung sowie die Besteuerung importierter technischer Geräte zur Fernsehproduktion aufgehoben. Die unter den Regierungen Belaúnde und Garcia gewährten Steuererleichterungen für den Betrieb von Rundfunkstationen und Zollerleichterungen für die Einfuhr technischer Geräte zum Betrieb von Rundfunkstationen wurden abgeschafft (Tello Charún 1992).
170 4.3.
Die Struktur des Hörfunks in Peru heute
4.3.1. Bestand und Verbreitung 1993 gab es in Peru etwa 300 Radiosender, wobei nicht jeder Sender ein eigenständiges Unternehmen darstellt. Radiosender bedeutet hier nur die technische Gerätschaft zur Ausstrahlung von Rundfunk. Von diesen 300 Sendern werden ca. 250 selbständige Programme ausgestrahlt. Die Zahl der Sender liegt höher als die der Programme, da einerseits einige Sender auf mindestens zwei Wellenlängen senden (AM und FM) und dafür auch verschiedene Sendeeinrichtungen benötigen. Andererseits stellen einige Stationen nur regionale Vertretungen einer Senderkette dar und strahlen neben kleinen Regionalprogrammen im wesentlichen das nationale Programm der Kette aus. Weniger als 10 Prozent der Sender sind staatlich. Mit einem landesweiten Anteil von etwa 50 Prozent ist die Mittelwelle immer noch die wichtigste Wellenlänge für Radioprogramme, wobei ihr Anteil langsam zurückgeht. Etwa 30 Prozent der Programme werden über Kurzwelle, 20 Prozent über UKW ausgestrahlt (Requejo 1986,91ff). Der Bestand an Radioempfängern liegt bei ca. 5,5 Millionen. Dies entspricht einem landesweiten Durchschnitt von einem Empfangsgerät auf vier Personen. Die Verfügbarkeit von Radioempfängern ist in den Städten größer als auf dem Land. Die wenigsten Radioempfänger gibt es in den Urwaldgebieten (Selva). Es kann davon ausgegangen werden, daß im Landesdurchschnitt jeder Haushalt über einen Radioempfänger verfügt. Zwar gibt es auf dem Land weniger Radios, doch sind dort auch die Familien größer, so daß es zumindest rechnerisch zu einer Verteilung von einem Radio pro Haushalt kommt. In den Städten sind bereits über 96 Prozent aller Haushalte mit Geräten ausgestattet, die sowohl AM- als auch FM-Sender empfangen können. Vergleichbare Zahlen über die Verhältnisse auf dem Land liegen nicht vor (TELEDATUM 1993). Tabelle 6 zeigt die regionale Verteilung der Sender auf die Provinzen im Jahre 1986. Neuere Angaben dazu liegen nicht vor. Von den 37 im Jahr 1993 betriebenen Radiosendern in Lima befand sich nur Radio Nacional in staatlichem Eigentum, alle anderen waren privatwirtsciaftlich organisiert. Noch 1986 waren es 41 private und fünf staatliche Sender. Ob auch in der Provinz die Zahl der Staatssender zurückgegangen ist, ist nicht bekannt, da hierüber kein aktuelles Zahlenmaterial verfügbar ist. Die 37 Sender übermitteln 30 Programme. Die Zahl der Programme ist geringer, da insgesamt neun Stationen :n Lima sowohl in FM als auch in AM senden. Mit 19 FM-Sendern gegenüber 18 AM-Sendern ist das Verhältnis zwischen den genutzten Sendefrequenzen in Lima ausgeglichen (Medios, Publicidad y Marketing 59/93).
4.3.2. Organisation und Finanzierung Mit Ausnahme des staatlichen Radio Nacional befinden sich alle Sender in Privateigentum und finanzieren sich ausschließlich über Werbeeinnahmen. Auch der Hörfunk mußte in den letzten Jahren einen Rückgang des Werbeaufkommens hinnehmen. 1992 standen dem Hörfunk nur noch acht Prozent des gesamten Werbebudgets zur Verfügung (The Peru Report 9/1993). Neben der Kette des staatlichei Radio
171 Nacional sind auch einige private Radios in Ketten organisiert. Die größten und wichtigsten unter ihnen sind Radio Panamericana und RPP (Radio Programas del
Perú).
Tabelle 6: Regionale Verteilung von Radiosendern in Peru Departement
Anteil der Bevölkerung
Private Sender
Ancash Ayacucho Arequipa Amazonas Apurímac Cajamarca Cuzco Huancavelica Huánuco lea Junin Lambayeque La Libertad Lima Lima Provinz Loreto Madre de Dios Moquegua Pasco Piura Puno San Martin Tacna Tumbes Ucayali
4,5 3,4 4,3 1,6 0,9 5,6 4,7 1,2 2,6 2,4 5,4 4,2 5,7 30 2,6 2,9 0,2 0,6 1,3 6,7 4,5 2,2 0,9 0,6 1,0
10 6 21 4 4 15 20 6 5 14 19 10 26 41 13 7
100
-
4 5 8 8 15 6 2 9 278
Staatliche Sender 2 1 1
Anteil der Sender (in %)
1 1 1
3,9 2,3 7,2 1,3 1,3 5,2 6,6 1,9 1,9 4,9 7,5 3,6 8,8 15,1 4,3 2,6 0,3 1,6 1,6 3,3 3,3 4,9 2,3 1,0 3,3
27
100
-
1 -
1 1 4 1 1 5 -
1 1 1 -
2 1 -
Quelle: Requejo 1986, 91ff
4.3.3. Programme Die Aufteilung in FM-Sender mit überwiegendem Unterhaltungscharakter und AMSender mit einem größeren Informationsanteil, wie sie in Peru zu Beginn der achtzi-
172 ger Jahre entstanden ist, erhielt sich bis 1993 weitgehend. Allerdings ist es mit steigender Zahl der FM-Sender in den Städten wieder zu einer teilweisen Umkehr der Entwicklung gekommen. Dies war zumeist dadurch bedingt, daß die neuen FM-Sender bereits bestehende AM-Sender sind, die inzwischen auf beiden Wellenlängen senden. So handelt es sich hier der Programmstruktur nach eigentlich um AM-Sender, die inzwischen auch in FM senden. Eine Ausnahme ist Radio Programas del Perú (RPP). Sein ausschließlich aus Information bestehendes Programm wird nur von Werbung, nicht aber von Musik unterbrochen und 24 Stunden am Tag gesendet. Trotz oder wegen seiner deutlichen Ausrichtung auf Information und große Reichweite ist der Sender heute der meistgehörte in Peru. RPP ist Mitglied der Organisation SOLAD (Sociedad Latinoamericana de Radiodifusión). Diese Organisation begann im Februar 1992 mit der Ausstrahlung einer lateinamerikanischen Nachrichtensendung, bei der Radiostationen aus sechs Ländern (Stand: Oktober 1993) in einer Konferenzschaltung über Satellit miteinander verbunden sind, wobei jeder Sender einen Beitrag liefert und die der anderen jeweils übernimmt. Das Programm trägt den Namen Informativo Solar und wird jeweils morgens um 8 Uhr und abends um 20 Uhr gesendet. Montags bis freitags dauert die Sendung jeweils 10 Minuten, samstags 30 Minuten. Am Informativo Solar sind Radio Panamericana aus Bolivien, Radio Caracas aus Venezuela, Radio Cadena Nacional aus Kolumbien, Radio Quito aus Ecuador und ein Radiosender aus Mexiko beteiligt. Mit diesem Programm können insgesamt etwa 100 Millionen Hörer erreicht werden. Die redaktionelle Betreuung und Moderation der Sendung wechselt im wöchentlichen Turnus zwischen den Ländern. Im Oktober 1993 waren Verhandlungen mit Chile und Argentinien im Gange, die sich auch am Informativo Solar beteiligen wollten. Schwieriger gestaltet sich die Beteiligung spanischer Sender, da die Zeitverschiebung zwischen Südamerika und Spanien eine Zuschaltung nicht sinnvoll macht. Auch wenn in den Städten bereits über 90 Prozent der Haushalte mit Empfangsgeräten ausgestattet sind, die sowohl AM- als auch FM-Sender empfangen können und viele Sender auf beiden Wellenlängen senden, werden nach wie vor beide Wellenlängen genutzt. Denn die Programmangebote auf AM und FM sind trotz weitreichender Überschneidungen noch nicht identisch. Von wachsender Bedeutung sind die Radioprogramme der Comunicación Popular, jene als alternativ zu bezeichnenden Sender, die auf Initiative einer Institution oder einer Bevölkerungsgruppe hin entstehen (Goldschmidt 1992). In Villa el Salvador, dem aufgrund seiner vorbildlichen Organisation und Selbstverwaltung bekannten Vorort südlich von Lima, entstand aus einer Bürgerinitiative Radio Stereo Villa, das seinen Sendebetrieb 1991 aufnahm. Bereits ein Jahr später konnte das Kommunikationszentrum der rund 500.000 Einwohner zählenden Gemeinde (Centro de Comunicación de Villa El Salvador) einen lokalen Fernsehsender eröffnen. Auch wenn Canal 45 kein ganztägiges Programm anbieten kann, so sichern doch täglich drei bis vier Stunden dem Publikum Lokalnachrichten, -reportagen, -interviews, die im limenischen Fernsehangebot konkurrenzlos sind. Der Empfang beider Sender ist auf das südliche Stadtgebiet Lima begrenzt, das erreichte Publikum umfaßt potentiell 2,5 Millionen Hörer und Zuschauer. Anders als die Mehrzahl der Pueblos Jóvenes (neu gegründete Stadtteile) Limas erreichte Villa El Salvador verwalterisch relative Autonomie von der Zentralregierung und konnte sich durch engagierte Arbeit der
173 Bürger und ihrer gewählten Vertreter zu einem infrastrukturell relativ gut versorgten Wohngebiet entwickeln (Gogin Sias 1989). Der geringe Anteil an Nachricht und Information in den Programmen der FMSender hat eine relativ apolitische Haltung zur Folge. Tendenziell führt jedoch die vollkommene Abhängigkeit der Sender von Werbeeinnahmen zu einer regierungsfreundlichen oder zumindest neutralen Position der Programme. Anspruchsvolle politische Programme, die vor allem in der Zeit nach dem Selbstputsch des amtierenden Präsidenten Fujimori eine klare Gegenposition bezogen und die Regierung offen kritisierten, sind jedoch in den Angeboten der kleineren AM-Sender zu finden. Bis zum Volksentscheid über die neue Verfassung 1993 und schließlich bis zum Ende der ersten Amtszeit Fujimoris 1995 hatten die regierungskritischen Sender ebenso wie die oppositionelle Presse unter einem Rückgang der Werbeeinnahmen, unter Störungen ihres Programmbetriebes durch Störsender oder Stromausfall zu leiden (so etwa Radio Red E.I.R.L. und mit Einschränkung auch Antena 1 Radio, die beide ungewöhnlich häufig von den in diesen Jahren nicht ungewöhnlichen Stromausfällen betroffen waren). Für die ländlichen Gebiete Perus ist der Hörfunk nach wie vor das wichtigste Kommunikationsmedium und insofern auch ein politisches Medium. Da die Printmedien aus Gründen der Wirtschaftlichkeit nur in den regionalen Städten hergestellt, Fernsehprogramme ausschließlich aus Lima und großen Provinzzentren ausgestrahlt werden, bleibt das Radio das einzige Medium, das lokale Probleme und Fragen, Interessen und Meinungen aufgreift und verbreitet. Die politische Entwicklung seit 1980 und der Terrorismus, der sich besonders in der ländlichen Region des Landes ausbreitete und in der Folge deren sozio-politische Struktur beeinflußte, ja veränderte, entstand auch für die Radiojournalisten eine besondere Situation. Recherchen und Nachforschungen in den Ausnahmegebieten anzustellen, war nicht nur (von Seiten des Militärs und der Regierung sowie der Terroristen) äußerst unerwünscht, sondern auch (lebens-)gefahrlich. Viele Journalisten wurden aufgrund ihrer Nachforschungen und veröffentlichten Reportagen als Kollaborateure der Terroristen verhaftet und der Betreibung subversiver Tätigkeiten angeklagt. Gleichzeitig waren sie Erpressungsversuchen und Drohungen durch die terroristischen Gruppen ausgesetzt. Eine regelrechte Verhaftungswelle konnte auf der Basis des Gesetzes betreffend der Unterstützung des Terrorismus (Apologfa al terrorismo) ohne weitere Beweise durchgeführt werden. Im Oktober 1993 waren der Journalistenvereinigung Colegio de Periodistas 13 Fälle von Journalisten bekannt, die aufgrund dieser Rechtsbestimmung inhaftiert waren. Unter ihnen waren sieben Rundfunk-, drei Zeitungsjournalisten sowie drei Studenten, wohingegen Fernsehjournalisten von den Verhaftungen unbehelligt blieben. Zum Teil sind die Journalisten bis heute in Haft und warten auf eine Gerichtsverhandlung vor dem Militärgericht. Die Problematik der Berichterstattung in bürgerkriegsähnlichen Zeiten und in Regionen mit Ausnahmegesetzgebung war oft genug Anlaß von offenen Anfragen und Anklagen mutiger und regimekritischer Medien im In- und Ausland. Die monatelangen Inhaftierungen machten gleichzeitig deutlich, daß die schlecht organisierten Journalisten weder über eine ernstzunehmende Vertretung noch über eine Lobby verfügen. So konnten sie ihre schwierige Situation zwischen Informationspflicht und Informationsverbot weder öffentlich wirkungsvoll zu Gehör bringen, noch auf Seiten der Regierung und des Militärs Unterstützung einklagen. Folglich waren die Korrespondenten, die aus den Krisengebieten des großen Landes berichteten, der Willkür
174 der Militärjustiz ausgeliefert und von dem Nachdruck öffentlicher (auch internationaler) Forderungen auf Freilassung der Inhaftierten abhängig. Wie das Beispiel der Auswirkungen des Terrorismus auf die Arbeit der Journalisten zeigt, gewährte der Hörfunk auch unter schwierigsten Bedingungen größere redaktionelle Freiheiten als das Fernsehen. Die bekannte Journalistin Zenaida Solis zum Beispiel kündigte ihre Anstellung als Fernsehmoderatorin bei Canal 5, da ihre vielbeachtete Interviewsendung unerträglich häufig unterbrochen wurde, wenn politisch unerwünschte Themen allzu oft oder zu offen zur Sprache kamen. Die Journalistin wechselte zu dem auf Mittel- und Ultrakurzwelle ausstrahlenden Sender Antena 1 Radio, der 1990 gegründet wurde. Dieser Sender kann als Beispiel dafür herangezogen werden, wie Medien in Peru trotz wirtschaftlicher Krise und sinkendem Werbeaufkommen "durchhalten" konnten, ohne die Regierungsfahne hochzuhalten und zu Sprechern des politischen Verwaltungsapparates und seiner Instanzen zu werden.
4.3.4. Reichweite und Nutzung Es ist schwierig, über die Akzeptanz der Radioprogramme genaue Auskunft zu geben, da die tatsächliche Reichweite von der Sendeleistung sowie von der Frequenz, den geographischen Bedingungen und - zum Teil - von den Witterungsbedingungen abhängt. Die extremen geographischen Bedingungen in weiten Teilen Perus sind großenteils für die schwere Erreichbarkeit mancher Gebiete verantwortlich: Durch die steil aufragenden Hänge der Kordilleren bleiben viele Täler im Funkschatten der Radiowellen. Die etwa von RPP angegebene Versorgung von 85 Prozent des Landes mit dem Radioprogramm dürfte unter Berücksichtigung dieser Gegebenheiten einen Maximalwert darstellen, wenn man den aktuellen technischen Stand der in Peru verfügbaren Sende- und Empfangsgeräte beachtet. Die meisten Radiosender kommen über eine Reichweite von 25 Kilometern nicht hinaus. Die Radios in Lima haben allerdings einen bedeutenden geographischen Vorteil. Mit den Kordilleren im Rücken und einem sonst ebenen Küstenstreifen in Nord-Süd-Richtung kann ein Sender mit einer großen Antenne durchaus auch auf FM noch in 200 Kilometer Entfernung gehört werden.
4.3.5 Besitzstruktur Die Besitzverhältnisse im peruanischen Hörfunk sind seit dem Ende der Militärregierung von ihrer Struktur her gleich geblieben. Allerdings haben sich neue Konzentrationsschwerpunkte gebildet. Die größten Verflechtungen hinsichtlich der Eigentumsverhältnisse bestehen heute zwischen dem Fernsehen und dem Radio. Unter den acht meistgehörten Radiosendern in Lima befinden sich fünf in Händen von nur zwei Fernsehunternehmen. Radio Panamericana und RPP gehören zu Canal 5, Radio Excelsior, Radio 1160 und RBC zu Canal 11. Mit den beiden Sendern Panamericana und RPP verfügt die Familie Delgado Parker über die beiden größten und meistgehörten Senderketten in Peru. Zu Panamericana gehörten in den achtziger Jahren 16 Sender in den Provinzen (Malpica 1984, 60). Die Zahl der Sender von RPP dürfte noch höher liegen, eine genaue Zahl aber fehlt. Laut RPP wird dessen Programm in 85 Prozent des Landes
175 gehört. Zu Anfang der achtziger Jahre war RPP ein noch relativ unbedeutender Sender, der sich auf Hörspiele spezialisiert hatte. Mit Hilfe des Kapitals der Familie Delgado Parker entwickelte sich RPP innerhalb eines Jahrzehnts zum Marktführer. Die Neuinvestitionen bei RPP betrugen 1992 600.000 US-Dollar, die Umsatzsteigerung lag bei 15 Prozent. Ähnlich wie El Comercio bei der Presse hat RPP beim Hörfunk das höchste Werbeaufkommen mit den entsprechend höchsten Werbepreisen (The Peru Report 1/1993). Der Durchschnittspreis einer Werbesekunde im peruanischen Radio lag im August 1993 bei 2 US-Dollar. Bei RPP kostete eine Sekunde dagegen 7 US-Dollar. Neben den zwei genannten Ketten besitzt die Familie Delgado Parker mindestens elf weitere Sender im Land (Malpica 1984,60).
5.
Fernsehen
5.1.
Geschichte
Die Geschichte des Fernsehens in Peru begann im Jahre 1957, als die UNESCO die notwendigen technischen Geräte zur Fernsehübertragung im peruanischen Ministerio de Educación installierte. Die ersten Programme wurden zu Beginn des Jahres 1958 über Canal 7 ausgestrahlt, den der Staatssender bis heute benutzt. Das dreimal wöchentlich ausgestrahlte Programm fand jedoch kaum Resonanz bei der Bevölkerung, vor allem weil es an Fernsehempfangsgeräten fehlte. Zum Jahresende 1958 begann dann die Epoche des kommerziellen Fernsehens, als die Compañía Peruana de Radiodifusión S.A. ihr Fernsehprogramm auf Canal 4 eröffnete. Seine Gründer und Investoren, vornehmlich die Gruppe Umbert, kamen ausschließlich aus dem Hörfunkbereich. Weniger als ein Jahr später, im August 1959, erhielt Canal 4 die erste Konkurrenz, als Canal 9 (Compañía Peruana de Producciones Radiales y TV) als zweiter kommerzieller Sender seinen Betrieb aufnahm. Hinter diesem Sender standen die Interessen und das Kapital der Familie Miró Quesada, Eigentümer der Tageszeitung El Comercio. Ihrem Fernsehprogramm blieb jedoch kein dauerhafter Erfolg beschieden, und so stellte Canal 9 1971 seine Übertragungen wieder ein. Der heute existierende Canal 9 (Andina de Radiodifusión S.A.) ist eine Neugründung aus dem Jahre 1983 und hat mit dem Unternehmen von 1959 nichts gemeinsam. Drei Monate nach der Gründung von Canal 9 nahm Canal 13 (Panamericana TV S.A.) seinen Sendebetrieb als dritter kommerzieller Sender auf. Hier kamen die Gründer, die Familie Delgado Parker, aus dem Hörfunkmarkt, unterstützt vom Kapital der Familie Lindley (Saavedra 1992, 17f)- Die Familie Lindley war damals eine der einflußreichsten Familien Perus, verfügte nicht nur über die wichtigste Getränkeindustrie des Landes und weitreichende Beteiligungen im Finanzsektor, sondern hatte auch großen Einfluß beim Militär und stellte 1963 mit Nicolás Lindley den Staatspräsidenten. Bis 1993 war das Imperium der Lindleys allerdings in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten, und so zogen sie sich aus dem Mediensektor weitgehend zurück (Malpica 1989, 442ff). Trotzdem sollte - langfristig gesehen - dieses Unternehmen zum erfolgreichsten peruanischen Fernsehanbieter werden. 1963 wechselte Panamericana Televisión von Canal 13 auf Canal 5, wo es heute noch sendet.
176 Die Entstehung des Fernsehens in Peru war eindeutig von der politischen Situation bestimmt. Initiiert von der Medienpolitik der UNESCO, der Sonderorganisation der Vereinten Nationen, entstanden in der relativen wirtschaftlichen Stabilität und politischen Ruhe während der zweiten Regierung Manuel Prados und der ersten Fernando Belaúndes innerhalb von nur vier Jahren (1958 bis 1962) ein staatliches und fünf private Fernsehprogramme. Die privaten Anbieter kamen fast ausschließlich aus dem Bereich der finanzkräftigen Eigner des Hörfunks, konnten sie doch so ihre Erfahrung im Umgang mit elektronischen Medien gewinnbringend nutzen. Im Gegensatz zum staatlichen Sender legten die privaten den Schwerpunkt ihres Programmangebotes auf die Unterhaltung, um über höhere Einschaltquoten dieser Programme die Werbewirtschaft für sich zu gewinnen. Ebenso wie die Radiosender wurden die Fernsehstationen von der Militärregierung nach 1968 teilenteignet, wobei der Anteil an Staatskapital auf 51 Prozent festgelegt und die Verwaltung den staatlichen Aufsichtsbehörden Telecentro und SINADI (Sistema Nacional de Información) übertragen wurde. Deren Einfluß auf Arbeitsweise und Programmgestaltung der Fernsehsender blieb indessen relativ gering. Nach der Machtübernahme durch General Bermúdez 1975 fehlte es am Willen zur Durchsetzung von Vorschriften zur Regelung des Rundfunks. In den seit 1968 erstarrten Wettbewerb zwischen den Fernsehstationen kam ab 1977 wieder Bewegung, als die Regierung der Einrichtung von Relaisstationen und neuen Sendeanlagen in den Provinzen, vor allem der Kanäle Canal 4 und Canal 5, zustimmte (Tello Charún 1986, 121f). Eine Öffnung fand auch hinsichtlich des Farbfernsehens statt. Während der ersten Phase der Militärregierung war das damals bereits entwikkelte Farbfernsehen von General Velasco abgelehnt worden, der dieses als einen unnötigen Luxus für ein revolutionäres Land wie Peru ansah. So waren Produktion und Ausstrahlung von Farbprogrammen, aber auch die Einfuhr von Fernsehgeräten untersagt. 1977 beriet das SINADI schließlich über die Einführung des Farbfernsehens, ohne sich jedoch für eines der drei technischen Systeme (NTSC, PAL, SECAM) entscheiden zu können. Somit führte erst die demokratische Regierung Belaunde 1980 das Farbfernsehen offiziell ein. Der erfolgreichste Fernsehsender der ersten Phase peruanischer TV-Geschichte war die Compañía Peruana de Radiodifusión Canal 4, die in Canal 5 einen ernstzunehmenden Konkurrenten fand. Der endgültige Durchbruch der Panamericana Televisión Canal 5 begann mit dem Ende der Militärregierung 1980 und der Rückgabe der enteigneten Anteile der Fernsehkanäle an ihre ursprünglichen Eigentümer, was notwendigerweise mit einer Auflösung des Telecentro einherging. Dem Fernsehen wurden bis 1985 finanzielle Erleichterungen und Steuerbefreiungen gewährt (Tello Charún 1992). Ähnlich wie bei den Printmedien führte die nicht interventionistische, medienfördernde Politik Belaúndes zu Neugründungen und einer Wiederbelebung des Wettbewerbs. Auch der APRA-Präsident Alan Garcia führte diese Politik fort. Zwar lief ein Teil der Steuerbefreiungen, welche die Regierung Belaunde den Sendern gewährt hatte, unter Garcías Präsidentschaft aus, doch blieb die Besteuerung der Fernsehunternehmen weiterhin vergleichsweise niedrig. Mit der Rückkehr zur Demokratie kam es zu einer Reihe weiterer technischer Neuerungen wie der Freigabe der Kurzwellenfrequenzen durch ENTEL-PERU. Nur wenige Monate nach dem Antritt der Regierung Belaunde wurde allen Fernsehstationen zusätzlich die Nutzung von Kurzwellenfrequenzen angeboten. Im Jahre 1986 schloß ENTEL-PERU einen Vertrag über die Nutzung von drei Transpondern des Satellitensystems INTELSAT ab. INTELSAT hatte zunächst das
177 Monopol für Telekommunikation im Weltraum. Nachdem es zu einer vertraglichen Einigung zwischen INTELSAT und dem privaten Betreiber PanAmSat gekommen war, wurde 1988 der erste private Telekommunikationssatellit PAS 1 im Orbit stationiert. Bereits 1989 sicherte sich Canal 5 die Nutzung eines Pan^mSai-Transponders. Damit führten die Eigentümer ihre zentralistische Unternehmenspolitik fort und machten sich von dem staatlichen Verwaltungsorgan ENTEL-PERU unabhängig (Tello Charün 1992).
5.2.
Fernsehrecht
Für das Fernsehen gelten in Peru die gleichen Rechtsgrundlagen wie für den Hörfunk. Sie werden deshalb nicht noch einmal dargestellt (vgl. 4.2).
5.3.
Die Struktur des Fernsehens in Peru heute
5.3.1. Bestand und Verbreitung Im Oktober 1993 gab es in Peru 15 Fernsehprogramme, zehn von ihnen in Lima und fünf in den Provinzen. Von den in Lima ansässigen Kanälen senden drei auf UHFFrequenzen. Damit ist einerseits ihre Reichweite auf das Stadtgebiet Limas begrenzt, andererseits sind auch nur wenige der peruanischen Fernsehgeräte technisch ausgerüstet, diese Frequenzen zu empfangen. Tabelle 7 zeigt den Bestand an Fernsehanstalten im Überblick. Tabelle 7: Fernsehstationen in Peru Programm
Frequenz / Ort
Betrieb seit
Eigentumsstruktur
Cía. Latinoamericana de Radiodifusión S.A. (Frecuencia 2)
Canal 2 Lima
21. Januar 1982
privat
Cía. Peruana de Radiodifusión S.A. (América Televisión)
Canal 4 Lima
15. Dezember 1958
privat
Panamericana Televisión S.A. (Pantel)
Canal 5 Lima
16. Oktober 1959
privat
Empresa de Cine, Radio y Televisión Peruana S.A. (RTP)
Canal 7 Lima
17. Januar 1958
staatlich
Andina de Radiodifusión S.A. (ATV)
Canal 9 Lima
18. April 1983
privat
178 Tabelle 7: Fernsehstationen in Peru (Fortsetzung) Programm
Frequenz / Ort
Betrieb seit
Eigentumsstruktur
EI Red Bicolor de Comunicación S.A. (RBC)
Canal 11 Lima
23. Dezember 1986
privat
Empresa Radiodifusora 1160S.A. (Global TV)
Canal 13 Lima
16. April 1989
privat
Radiodifusora Universal de Televisión S.A.
Canal 27 (UHF) Lima
o. A.
privat
Empresa Interamericana de Radiodifusión S.A.
Canal 33 (UHF) Lima
o. A.
privat
Centro de Comunicación Popular de Villa El Salvador
Canal 45 (UHF) Lima
August 1992
privat
Amazónica de Televisión S.A.
4. Februar 1984
privat
Televisión Continental S.A.
Canal 2 Iquitos Canal 6 Arequipa
10. November 1962
privat
Cía. de Radiodifusión Arequipa S.A.
Canal 8 Arequipa
8. August 1987
privat
Ñor Peruana de Radiodifusión S.A.
Canal 8 Norte
1. August 1991
privat
Andina de Radiodifusión S.A.
Canal 9 Huaraz
1. September 1991
privat
Quelle: Saavedra 1992, 27
o. A. = ohne Angaben
Aus der Epoche der ersten Gründungswelle nach 1957 sind nur noch vier Fernsehsender übrig geblieben. Neben dem staatlichen Canal 7 und dem regionalen Sender Canal 6 sind dies Canal 4 und Canal 5 in Lima, die die erfolgreichsten Anbieter von Fernsehprogrammen des Landes sind. Wie sieht es mit den Empfangsmöglichkeiten der Fernsehprogramme in Peru aus? Zunächst sollen der Bestand, der technische Standard und die Verteilung von Fernsehgeräten aufgezeigt werden. Tabelle 8 führt die absolute und relative Verteilung von Fernsehgeräten und von Haushalten mit TV-Empfangsmöglichkeiten an.
179 Tabelle 8: Verbreitung von TV-Geräten in Peru (Angaben in 1.000 und %) Region
Haushalte mit TV
in %
TV-Geräte
in %
Nördliche Küste Lima Südliche Küste Gebirgsregion Ostliche Landesteile
567 1.160 286 493 123
21,6 44,1 10,9 18,7 4,7
718 1.925 404 608 137
18,9 50,8 10,7 16,0 3,6
Insgesamt
2.629
100
3.792
100
Quelle: Saavedra 1992, 57 Der Bestand von 3,7 Millionen TV-Geräten entspricht einer durchschnittlichen Versorgung von 172 Fernsehapparaten pro 1.000 Einwohner. Für 1986 wurde die Versorgung noch mit nur 58 Geräten pro 1.000 Einwohner angegeben (The Peru Report 9/1993). Für die Verteilung der Geräte ist zu beachten, daß in Lima rund ein Drittel der gesamten Bevölkerung Perus lebt, was 44 Prozent aller Haushalte repräsentiert. Sie besitzen aber etwas über die Hälfte aller Fernsehgeräte des Landes.
5.3.2. Organisation und Finanzierung Die privaten Fernsehstationen in Peru finanzieren sich ausschließlich über Werbeeinnahmen. Allerdings spielen auch beim staatseigenen Sender Canal 7 die Werbeeinnahmen eine Rolle, vor allem infolge der Politik Alberto Fujimoris, die Staatsausgaben zu kürzen und staatseigene Unternehmen zu privatisieren. Im Jahre 1992 erreichte die Verschuldung des Canal 7 ein existenzbedrohendes Ausmaß, so daß auch hier Werbeeinnahmen die Finanzlöcher stopfen sollen: Ein Dekret verpflichtete deshalb die staatseigenen Betriebe, mindestens 30 Prozent ihrer Werbung in Canal 7 zu plazieren (The Peru Report 9/1993). Tabelle 9 zeigt im Überblick die Verteilung der Werbeeinnahmen und ihre Entwicklung bei den drei Mediengattungen. Tabelle 9: Werbeeinnahmen der Medien in Peru (in %) Medium
1968
1976
1992
TV Hörfunk Presse
42 17 41
59 15 26
86 8 6
100
100
100
Insgesamt
Quelle: Benitez 1991, 129 und The Peru Report 9/1993
180 Die meisten Senderketten waren 1993 noch auf die herkömmliche Sendetechnik der Weiterverbreitung über Relaisstationen und terrestrische Frequenzen angewiesen. Nur Canal 5 und Canal 9 strahlten bereits 1993 ihr Programm vollständig über Satellit aus. Im Canal 5 hat die moderne Technik zu einer zentralistischen Unternehmenspolitik geführt: Alle Sendungen und selbst produzierten Programme kommen ausschließlich aus Lima; regionale Studios wurden sämtlich aufgelöst. Ähnliches gilt für Canal 9, wobei der erst 1983 gegründete Sender durch die und mit der Nutzung der Satellitentechnik gewachsen ist, insofern keine technische Umstellung notwendig war. Auch Canal 7 nutzt teilweise die Kapazitäten der INTELSA T-Transponder von ENTEL-PERU. Durch seine Sonderstellung als staatseigener Sender konnte er die neue Technik 1986 als erster nutzen (The Peru Report 9/1993). Es kann mit ziemlicher Sicherheit davon ausgegangen werden, daß sich inzwischen auch die Kanäle Canal 2, Canal 4 und Canal 13 der Satellitentechnik bedienen. Hierüber liegen indessen keine detaillierten Informationen vor.
5.3.3. Programme Die Summe der durchschnittlichen Wochensendezeiten aller peruanischen Fernsehanstalten betrug 1991 etwa 950 Stunden. Auf die großen fünf unter den peruanischen Anbietern entfielen dabei folgende Anteile: Frecuencia 2 (Canal 2) 99,7 Wochenstunden; América TV (Canal 4) 165,3 W-Std.; Pantel (Canal 5) 167,8 WStd.; RTP (Canal 7) 109,4 W-Std. und ATV (Canal 9) 87,6 W-Std. (Saavedra 1992, 93). Im folgenden sollen Inhalte und Herkunft der Programme der wichtigsten peruanischen Fernsehsender kurz porträtiert werden. Frecuencia 2 (Canal 2) Frecuencia 2 setzt seinen Programmschwerpunkt auf Unterhaltung in Form von Spielfilmen (besonders Actionfilme), Telenovelas und Serien. Ein Großteil des Programms ist Importware aus Brasilien, Venezuela, Mexiko und den USA. Auch wenn der Sender noch sehr jung ist, ist er inzwischen wirtschaftlich soweit etabliert, daß er eigene Miniserien für den nationalen und internationalen Markt produzieren kann. Trotz seines Schwerpunkts auf Unterhaltung bietet Frecuencia 2 neben seiner täglichen Nachrichtensendung 90 Segundos auch journalistische Programme wie das Sonntagmorgen-Magazin Contrapunto an, das über die Kabelunternehmen Telemundo und Telemiami auch in Washington D. C. und in Miami zu sehen ist (Saavedra 1992, 92).
América Televisión (Canal 4) Canal 4 hat neben Serien und Spielfilmen auch eine Vielzahl von Kinderprogrammen (vor allem Zeichentrickfilme) im Programm. Der Anteil eigener Produktionen am Gesamtprogramm wurde für 1987 mit 34 Prozent angegeben, wobei zu berücksichtigen ist, daß der Sender zu diesem Zeitpunkt in massiven wirtschaftlichen Schwierigkeiten war. Im Jahre 1993 wurde die Übernahme durch Televisa auch in der Programmstruktur deutlich. Die Leitung des Fernsehunternehmens betont zwar
181 immer wieder ihre Unabhängigkeit und Selbständigkeit hinsichtlich der Programmplanung, gleichzeitig kann sie aber eine enge Zusammenarbeit mit Televisa beim Einkauf von Programmen nicht abstreiten. 1993 lag der Anteil an eigener Produktion bei etwa 40 Prozent. Weitere 30 Prozent kamen ausschließlich von Televisa, der übrige Anteil wird vornehmlich in den USA eingekauft. Die Zusammenarbeit mit Televisa bedeutet besonders für die Nachrichtenerstellung einen Vorteil gegenüber anderen Sendern. Canal 4 kann viele Nachrichtenbilder und Filmmaterial zu internationalen Ereignissen von ECO, dem in Mexiko ansässigen Stammhaus von Televisa, übernehmen. Nach Auskunft von Roberto Reätegui, Nachrichtendirektor bei Canal 4, existiert in Peru kein Abkommen zum Austausch oder Kauf von internationalen Nachrichtenbildern. Werden Bilder benötigt, werden diese oft von internationalen Sendern kopiert (häufig von CNN) und ohne Erlaubnis oder Bezahlung ausgestrahlt. Im Spätjahr 1993 wurde ein Programmabkommen zwischen Canal 4 und Canal 11 geschlossen, über dessen Motive, Inhalt und Umfang sich jedoch beide Seiten in Schweigen hüllten. Es ist nur soviel bekannt, daß Canal 11 Programme von Canal 4 übernimmt, die dort bereits gesendet wurden. Ob dieses Abkommen in irgendeinem Zusammenhang mit Televisa steht, ist nicht bekannt (The Peru Report 9/1993).
Pantel (Canal 5) Canal 5 bietet als wirtschaftlich stärkstes Fernsehunternehmen Perus das umfassendste Programm an: Telenovelas, Serien, Shows und Kinderprogramme, aber auch gelegentlich Dokumentationen und Kultursendungen. Der Anteil an eigener Produktion, darunter Serien und Telenovelas für den nationalen und internationalen Markt, liegt bei 60 Prozent. Einige seiner Eigenproduktionen wie die Unterhaltungsshow Risa y Salsa, aber auch die tägliche Nachrichtensendung 24 horas erreichen seit mehreren Jahren die höchsten Einschaltquoten. Manuel Delgado Parker, Präsident von Canal 5, stellte in einem Interview fest, daß die Gestaltung der Programmstruktur in Lima wegen der großen Konkurrenz an der Unterhaltung als Schwerpunkt nicht vorbeikomme. Und wer hohe Einschaltquoten erzielen wolle, müsse sich an der größten potentiellen Zuschauergruppe, der einfachen Bevölkerung, orientieren (Tello Charün 1988,56).
RTP (Canal 7) Nach Aussage der Leitung des staatlichen Canal 7 besteht sein Programm zu 65 Prozent aus eigener Produktion. Der Sender bemüht sich um eine Veränderung seines Angebotes, da ihm noch immer der Ruf eines offiziellen Staatssenders anhängt. Aufgrund der o. g. wirtschaftlichen Schwierigkeiten muß die Attraktivität des Programms erhöht werden, was zu Lasten der technisch und inhaltlich nicht sehr ansprechenden Kultursendungen geht. Da der amtierende Präsident offensichtlich wenig Interesse an dem staatlichen Medium hat (er zieht es vor, in den erfolgreichen Nachrichtensendungen der kommerziellen Sender aufzutreten), ist diese überfällige Neustrukturierung des Programms ungehindert möglich. Laut Statuten des Senders steht dem Präsidenten und seiner Familie der Sender jederzeit zur Verfügung, um
182 öffentliche Erklärungen und Mitteilungen abzugeben, doch weder Fujimori noch einer seiner Familienangehörigen nutzen den Sender zu diesen Zwecken. Die veränderte Struktur des Canal 7 machte sich ab 1993 bemerkbar. Mitte des Jahres wurde ein Vertrag zwischen Canal 7 und einem nicht näher benannten bolivianischen Kabelfernsehunternehmen unterzeichnet, das die Produktion der abendlichen Nachrichtensendungen von Canal 7 übernimmt (The Peru Report 9/1993).
Andina Televisión (Canal 9) Canal 9 hat seinen Schwerpunkt auf Familienprogramme, Serien (auch Miniserien) und Unterhaltungssendungen gelegt. Seine eigenproduzierten Telenovelas sowie seine Talkshows haben ihm große Beliebtheit beim Publikum und ein Profil eingebracht. Auch seine Sonderprogramme, wie umfangreiche Sportübertragungen und berichterstattung, erhöhten die Einschaltquoten. Der Sender erkaufte sich z. B. die Exklusivrechte zur Übertragung des ersten amerikanischen Fußballpokalwettbewerbs (Copa América) und der Qualifikationsspiele zur Fußball-Weltmeisterschaft. Auch die Exklusivübertragung der 1993 in Cuzco stattfindenden südamerikanischen Volley ballmeisterschaften war ein Erfolg. Bemerkenswert ist der Nachrichtenblock ATV Noticias, der sich durch eine gewisse Neutralität bis Distanz zur Regierung Fujimori auszeichnet.
Global (Canal 13) Über die Hälfte des Programmangebotes von Canal 13 ist dem Sport gewidmet. Um die Qualität des Restprogrammes zu erhöhen, war für November 1993 die Übernahme des "prime-time-block" der National Broadcasting Company (NBC/USA) geplant (The Peru Report 9/1993). Tabelle 10 zeigt den Sendeumfang und die Anteile verschiedener Programmsparten bei den wichtigsten TV-Kanälen Perus im Jahre 1991. Aufgrund der wenig geänderten Rahmenbedingungen dürfte sich die Angebotsstruktur des peruanischen Fernsehens seit 1992 nur wenig verändert haben. Die Gewichtung wird sich womöglich zugunsten der Sportberichterstattung verschieben, zumal die Erfolge von Canal 9 und der Programmschwerpunkt von Canal 13 auf eine Veränderung des Publikumsgeschmacks und ein Anwachsen dieses Angebotssegmentes schließen lassen. Auch die Gruppe Delgado Parker plant, einen Sportkanal (Gigante) im Kabelprogramm anzubieten. Über das peruanische Fernsehprogramm lassen sich folgende allgemeinen Aussagen treffen: Die Tradition der Produktion von Telenovelas ist so alt wie das peruanische Fernsehen selbst. Da die ersten Betreiber von TV-Stationen aus dem Hörfunkbereich kamen, sollten die Telenovelas die Fortsetzung der erfolgreichen Radionovelas sein. Während der Militärdiktatur ging die Produktion von Telenovelas in Peru zurück,um nach deren Ende - allerdings zögernd- wieder zu wachsen. 1982 wurden die ersten Projekte entwickelt, 1984 ging eine peruanische Telenovela auf Sendung (Adrianzen 1991). Sowohl Kosten als auch Produktionsaufwand für Telenovelas sind hoch, dennoch rechtfertigt ihr Erfolg auf
183 dem nationalen und internationalen Markt die Investitionen allemal (Tello Charun 1988, 57).
Tabelle 10: Programminhalte der TV-Stationen in Peru (1991) Programmtyp Telenovelas Miniserien Spielfilme Nachrichten Kinderprogramme Musiksendungen Dokumentation/Kultur Journalistische Programme Spielshows Sport Programme für Frauen Sonstige Insgesamt
Sendedauer in Stunden
Sendedauer in %
7.468,5 6.596,0 5.877,5 5.710,5 4.969,5 3.866,0 2.808,5 2.448,5 1.911,0 1.396,0 1.083,0 1.613,5
16,3 14,4 12,9 12,5 10,9 8,4 6,1 5,4 4,2 3,0 2,4 3,5
45.758,5
100
Quelle: Saavedra 1992, 95 In Gesprächen bezeichneten die Direktoren der Fernsehsender ihre Anstalten sämtlich als politisch unabhängig und objektiv. Nach Einschätzung von Beobachtern ist das Fernsehen tatsächlich das am wenigsten politisierte Medium Perus. Indessen sind die Nachrichtensendungen der großen Sender grundsätzlich regierungsfreundlich eingestellt, lediglich ATV Noticias zeichnet sich durch eine neutrale bis zeitweise distanzierte Haltung gegenüber der Regierung aus. Eine kritische Position gegenüber der Regierung hatte dem Sender im November 1992 den Rückgang seiner Werbeeinnahmen eingebracht, als er sich in seinen Berichten über den geplanten Gegenputsch (contragolpe) einiger hochrangiger Militärs gegen Präsident Fujimori auf die Seite der Putschisten stellte. Eine andere Form der Politisierung erlebten die Medien, in besonderem Maße das Fernsehen, durch ihre Berichterstattung über den Terrorismus. Zu Beginn der achtziger Jahre war das Thema nicht von großer Aktualität und politischem Interesse, beschränkten sich doch die bewaffneten Auseinandersetzungen auf Dörfer und ländliche Gebiete. Mit der Ausweitung der Aktivitäten des Sendero Luminoso auf das gesamte nationale Territorium trug das Fernsehen dem Nachrichtenwert der Anschläge des Leuchtenden Pfades Rechnung. Die TV-Berichterstattung wurde zusehends sensationalistischer gestaltet. Somit muß sich das peruanische Fernsehen den Vorwurf gefallen lassen, Aktivitäten, Ideologie und Namen der terroristischen Aktivisten publik gemacht zu haben (Tello Chanin 1988, 58). Eine vermeintlich objektive Berichterstattung über Terrorakte verstärkte die sich abzeichnende Polari-
184 sierung des Landes. In der Mediengeschichte des Landes einmalig war der Bombenanschlag des Sendero auf die Studios von Canal 2 am 4. Mai 1992 in Lima. Drei Mitarbeiter des Senders verloren bei diesem Attentat ihr Leben, nahezu sämtliche technischen Einrichtungen sowie das Studio wurden zerstört. Seit diesem Vorfall werden die Fernsehsender Limas sowie einige andere Medien rund um die Uhr durch Militäreinheiten oder durch private Sicherheitsdienste bewacht.
5.3.4 Reichweite 1993 waren fünf der peruanischen Fernsehstationen im ganzen Land zu empfangen. Es sind dies die Kanäle Canal 2, Canal 4, Canal 5, Canal 7 und Canal 9. Einige dieser Sender erreichen nur etwa 95 Prozent des peruanischen Territoriums, was in den geographischen Gegebenheiten des Landes begründet liegt.
5.3.5. Besitzstruktur Alle wichtigen und wirtschaftlich erfolgreichen Fernsehkanäle Perus sind in diagonale Zusammenschlüsse von Unternehmen integriert. Somit stellen die Medien Teile großer Wirtschaftsunternehmen dar, die mit medienfremden Betrieben in Händen eines oder mehrerer Eigentümer sind. Die Gruppe Delgado Parker beispielsweise, Eigentümerin des Fernsehsenders Canal 5, konzentriert ihre Unternehmensteile allerdings so stark auf und um den Kommunikationssektor, daß man von einem sowohl horizontalen als auch vertikalen Konglomerat sprechen kann. 1992 gehörten zur Parker-Gruppe die Radiosenderkette Empresa Difusora Radio Panamericana, der Fernsehsender Panamericana Televisión S.A. (Canal 5), die Fernsehproduktionsfirma Producciones Panamericana S.A., der Marktführer im Hörfunkbereich Radio Programas del Perú S.A., weiterhin das Kabelfernsehunternehmen Telecable, das Leitungsnetz Sistema unificado de Retransmisión sowie das Funktelefonnetz Celular 2000. Daß die drei letztgenannten Unternehmen erst nach 1988 zur Gruppe Delgado Parker hinzukamen, ist ein Indiz für die weitere Expansion des Unternehmens (Cavanagh 1993, 63). Dessen jüngste Aktivitäten in Peru sind der Kauf der Mehrheitsanteile an Tele 2000, die Neugründung Sky-Tel del Perú, die via Satellit weltweite "beeper"-Kommunikation ermöglichen wird, und das internationale Kabelfernsehnetz Cadena Sur. Neben den nationalen Unternehmen unterhält die Gruppe Delgado Parker in Miami/Florida (USA) einen Femsehkanal, der auf Kinderprogramme spezialisiert ist und nach Kolumbien, Venezuela und Mexiko ausstrahlt. Das Programm ist allerdings weder in den USA noch in Peru selbst zu empfangen (The Peru Report 9/1993). Mit ihren Unternehmen verfügt die Gruppe Delgado Parker nicht nur über den vielfältigsten, sondern auch über den wirtschaftlich stärksten Massenkommunikationskomplex Perus. Sie besitzt, wie gezeigt, nicht nur den wichtigsten Fernsehsender und ist größter Kabelfernsehanbieter, sondern ist außerdem Eigentümerin der beiden meistgehörten Radiostationen des Landes. Außerdem ist sie der größte Fernsehproduzent. Dem Funktelefonnetz Celular 2000 kommt insofern eine besondere Bedeutung zu, als das staatliche Telefonnetz der CPT bis zum Aufkauf durch die spanische Telefongesellschaft (Telefónica de España) in sehr schlechtem Zustand
185 war. Die technischen Anlagen des C/T-Netzes sind zum Teil noch völlig veraltet; demgegenüber bietet das Funktelefon Komfort und technische Sicherheit. Zu interessanten Veränderungen der Eigentumsverhältnisse kam es in den vergangenen Jahren in Canal 4. Das älteste private Fernsehunternehmen in Peru (Gründung am 15. Dezember 1958) hatte bereits 1942 den Hörfunkbetrieb aufgenommen und war lange Zeit das führende Unternehmen im Fernsehbereich. 1988 mußte das Unternehmen den Bankrott erklären. Ein Übereinkommen mit den Gläubigerbanken, das die Umwandlung von Krediten in Investitionen vorsah, sicherte für kurze Zeit das Überleben des Senders, um den Preis des Eingriffes der Banken in die Geschäfte von Canal 4 bis weit in die Betriebsführung. Mit der Wahlniederlage von Mario Vargas Llosa 1990 endete das Interesse der Banken an Investitionen in den Kanal, so daß diese ihre Anteile wieder abzogen. Canal 4 mußte sich somit nach neuen Investoren umsehen, die er schließlich in dem mexikanischen Mediengiganten Televisa fand. Dieser übernahm gegen die Summe von rund 7 Millionen US-Dollar 76 Prozent der Anteile von Canal 4. Somit hat Televisa seinen Fernsehunternehmen außerhalb Mexikos, neben ATC in Argentinien, ATB in Bolivien, Megavisiön in Chile und Univisiön in Miami/Florida ein weiteres hinzugefügt. Neben Finanzmitteln von 10 Millionen US-Dollar brachte die Beteiligung Televisas auch eine Neuinvestition von 4 Millionen US-Dollar in die technische Ausstattung und sicherte Canal 4 nicht nur das Überleben, sondern auch seine Stellung unter den erfolgreichsten Fernsehunternehmen Perus (Darling 1992; The Peru Report 9/1993).
5.3.6. Video und Kabelfernsehen Neben dem herkömmlichen Fernsehen finden Videofilme heute in Peru in zweifacher Weise Verwendung. Zum einen bedienen sich Selbsthilfegruppen und nichtstaatliche Organisationen (NGO) dieses Mediums. In städtischen Randgebieten, Dorfgemeinschaften und Jugendorganisationen wird das Video von NGOs eingesetzt, um aktuelle Themen wie Menschenrechte, Umweltschutz, Gewalt filmisch zu behandeln. Man will damit die Selbstwahrnehmung fördern, das Gruppenbewußtsein stärken und Verhaltensweisen ändern. Ein einträgliches Geschäft ist der Handel mit kommerziellen Videos. In den zahlreichen Videoshops werden vor allem Produktionen aus den Vereinigten Staaten und Japan verliehen. Bevorzugte Inhalte sind Sex, Action, Horror, Gewalt und Science Fiction. Der Handel mit Raubkopien findet hauptsächlich auf den informellen Märkten und den Straßen statt. Auch das Kabelfernsehen hat inzwischen in Peru Einzug gehalten. Ende 1993 bestanden in Lima zwei Systeme, Telecable, zu Canal 5 gehörend mit 31 Programmen und ca. 20.000 Kunden, ferner MDS, zu Canal 4 gehörend, mit 16 Programmen und ca. 1.500 Kunden. Die einmalige Anschlußgebühr für Telecable betrug im August 1993 203 US-Dollar, die monatliche Gebühr 40 US-Dollar. Seit Mitte 1993 wird in Lima auch das ebenfalls zur Gruppe Delgado Parker (Canal 5) gehörende Kabelfernsehsystem Cadena Sur angeboten, das bereits erfolgreich in Kolumbien, Venezuela, Argentinien, Ecuador, Zentralamerika und den USA angeboten wird (The Peru Report 9/1993). Seine Marktchancen werden allgemein als sehr gut eingeschätzt.
186
6.
Perspektiven und Probleme der Massenmedien in Peru
Seit Beginn der Geschichte der peruanischen Medien stehen diese im Dienste der Interessen ihrer Besitzer. Dies gilt für die politische Presse der Unabhängigkeitsbewegung, für die Zeit der Enteignung zwischen 1968 und 1980 und für die Gegenwart, in der fast ausnahmslos wirtschaftliche Interessen die Unternehmenspolitik bestimmten. Die aktuelle Situation der Medien und des ganzen Landes ist noch immer von den politischen Entscheidungen zur Zeit der Militärregierung geprägt. Der peruanische Hörfunk hat durch die Konkurrenz des Fernsehens einen großen Teil seiner Marktpräsenz verloren. Zwar ist das Radio für große Teile vor allem der ländlichen Bevölkerung auch heute noch das wichtigste Massenmedium, doch kommt ihm kaum politische und wirtschaftliche Bedeutung zu. Auch seine Funktion als wichtigstes Medium für die ärmere Bevölkerung geht immer mehr zugunsten des Fernsehens zurück. In den letzten Jahren sorgte der technische Fortschritt für eine landesweite Ausdehnung des Fernsehens und die geänderten Einfuhrbestimmungen für eine kostengünstige Anschaffung der Fernsehgeräte. Somit ist zu erwarten, daß das Fernsehen seine Position zu Lasten der anderen Medien stärkt und ausbaut. Es stellt sich die Frage, wie ein relativ armes Land wie Peru einen Fernsehmarkt mit fünf landesweit sendenden Kanälen trägt, die sich zudem technisch auf dem neuesten Stand befinden? Eine mögliche Antwort ist in der Tatsache zu finden, daß das peruanische Fernsehen ausschließlich von wirtschaftlichen Interessen gesteuert wird, die zudem eng mit politischen verbunden sind. Hugo Otero, Organisator der Wahlpropaganda von Alan Garcia, sagt: Since the political parties have shown themselves, for the moment at least, incapable of renovation and response to a changed political climate, television has replaced them in the formation of public opinion. (...) The owner of a major television Channel is more important, politically, than a cabinet minister. Owning a Channel gives you the right to sit at the President's table (The Peru Report 9/1993). Ein wichtiger Faktor für die rasche Expansion des peruanischen Fernsehens ist der hohe Anteil an Werbeeinnahmen, der auf die Präferenz der werbetreibenden Wirtschaft im Medium Fernsehen zurückgeht. Da das Fernsehen verglichen mit anderen Medien die größere Reichweite hat und zudem die vergleichsweise höhere Glaubwürdigkeit, liegt es nahe, diesem Medium den Vorzug als Werbeträger zu geben. Diese hohe Glaubwürdigkeit des Fernsehens beruht zum einen auf seiner relativ geringen Politisierung, zum anderen auf der Authentizität von Bild und Ton und auf dem relativ niedrigen Bildungsniveau bzw. dem unkritischen Fernsehkonsum der Bevölkerung. Aufgrund fehlender gesetzlicher Bestimmungen über Monopolbildung konnten sich, wie die Gruppe Delgado Parker demonstriert, Unternehmen zusammenschließen und so die Expansion des Fernsehens vorantreiben. Die peruanische Medienlandschaft weist dennoch eine relative Vielfalt auf, was zum einen auf die Enteignungen zur Zeit der Militärdiktatur (zur Verhinderung von Konzentrationen) und zum anderen auf steuerliche Erleichterungen für Presse und Fernsehen nach 1980 zurückgehen mag. Heute sind Konzentrationsprozesse hinsichtlich der Eigentumsverhältnisse zu beobachten, deren Auswirkungen auf die Angebotsvielfalt noch nicht abzuschätzen sind. Bislang sind diese zunehmenden
187 Besitzanhäufungen für die Legislative des Landes kein Diskussionsgegenstand. Indessen sorgt der Markt selbst für eine gewisse Angebotsvielfalt, wie der Auftritt von Televisa in der peruanische Medienlandschaft zeigt. Peru hat den Medien in seiner Geschichte im allgemeinen die Pressefreiheit zumindest auf dem Papier - gewährt, indessen nie garantiert oder gar verteidigt. Für die Gegenwart kann man nur mit Vorbehalt von freien Medien ausgehen. Lediglich apolitische Medien können ohne Einschränkungen arbeiten, während die kritische Presse mit wirtschaftlichen Nachteilen fertig werden muß. Eine allmähliche Entpolitisierung der Kommunikationsmedien führt dazu, daß in den Programmen der Unterhaltung vor der Politik der Vorzug gegeben wird.
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Massenmedien in Uruguay Jürgen Wilke Unter den Ländern Lateinamerikas stellt Uruguay in mehrfacher Hinsicht einen Ausnahmefall dar. Es ist nicht nur (von Surinam abgesehen) das kleinste Land auf dem Subkontinent, sondern weist auch weniger starke Kontraste auf als die anderen. Dies gilt schon für die landschaftliche Formation, aber auch für die ethnische Zusammensetzung der Bevölkerung. Die vorhandenen gesellschaftlichen Gegensätze wurden zudem schon beizeiten politisch entschärft. Eine fortschrittliche Sozialgesetzgebung sowie ein wirtschaftlicher Wohlstand brachten dem Land den Ruf ein, die "Schweiz" Südamerikas zu sein. Dazu trug auch die zweimal im 20. Jahrhundert übernommene kollegiale Regierungsform mit bei. Inzwischen ist dieser Ruf allerdings verblaßt. Seit den fünfziger Jahren wurde auch Uruguay von Krisen heimgesucht. Das Land erlebte einen wirtschaftlichen Niedergang ebenso wie Jahre repressiver, autoritärer Herrschaft. Mitte der achtziger Jahre kehrten zwar wieder demokratische Verhältnisse ein. Aber sowohl politisch als auch wirtschaftlich ist das Land mit vielen Problemen konfrontiert. Noch wirkt der Glanz vergangener Tage nach, während es an dynamischen Kräften zur Modernisierung mangelt. Geprägt von diesen historischen und aktuellen Umständen ist auch das Massenkommunikationssystem in Uruguay.
1.
Landeskundliche Grundlagen
1.1.
Geographie
Uruguay (span. República Oriental del Uruguay) liegt auf der östlichen Seite des sudamerikanischen Subkontinents zwischen dem 30. und 35. Grad südlicher Breite und dem 53. und 58. Grad westlicher Länge. Mit einer Fläche von 176.000 Quadratkilometern ist das Land etwa halb so groß wie die Bundesrepublik Deutschland, im Vergleich zu seinen lateinamerikanischen Nachbarn aber ziemlich klein. Auf drei Seiten ist das Land von Wasser umgeben, im Osten vom Atlantik, im Süden vom Rio de la Plata und im Westen vom Rio Uruguay, von dem es auch seinen Namen hat. Dieser Fluß bildet die Grenze zu Argentinien. Zu Brasilien im Norden hat Uruguay eine Landesgrenze ohne natürliche Scheidelinie. Vom Nordosten nach Südwesten durchzieht der streckenweise zu Seen gestaute Río Negro das Land. Geographisch liegt Uruguay am Übergang zwischen der argentinischen Tiefebene (Pampa) und dem brasilianischen Bergland. Die flache Landschaft im Süden geht nördlich und östlich in wellige Hügelketten über, deren höchste Erhebungen aber 500 Meter kaum übersteigen. Dies hat den Ausbau guter Transportwege begünstigt. Andererseits sind, durch die geologische Formation bedingt, Bodenschätze (Eisenerze, Gold, Silber, Kupfer, Blei, Mangan, Braunkohle) nur von geringer Bedeutung. Über eigene Erdölvorkommen verfügt das Land nicht. Uruguay hat ein subtropisches, mäßig feuchtes Klima mit milden Wintern und warmen Sommern. Allerdings kann es durch den kalten patagonischen Wind
194 (Pampero) zu Temperaturstürzen und zu beträchtlichen Niederschlägen kommen, die immer wieder zu Überschwemmungen führen. Trotz seiner ländlichen Formation ist Uruguay in starkem Maße urbanisiert. 1,3 Millionen Menschen, nahezu die Hälfte der Bevölkerung, leben allein in der Hauptstadt Montevideo. Dies verursacht dort eine Konzentration staatlicher und sozialer Funktionen. Diese Erscheinung wiederholt sich bis zu einem gewissen Grad in den Hauptstädten der 19 Departements. Die Siedlungsdichte beträgt im Land durchschnittlich 16,9 Einwohner pro Quadratkilometer. Doch gibt es beträchtliche regionale Unterschiede. Am dünnsten besiedelt sind die Provinzen Durazno, Flores und Treinta y Tres mit jeweils 4,7 bzw. 4,8 Einwohnern pro Quadratkilometer (Statistisches Bundesamt 1990).
1.2.
Geschichte
Mit dem Eindringen europäischer Seefahrer in die Region des Río de la Plata im frühen 16. Jahrhundert wurde auch der Landstrich des späteren Uruguay "entdeckt" (Medina Pintado 1988; Caprivi 1990; Arteaga / Coolighan 1992). Angeblich soll Fernando de Magellán, als er 1519 den 146 Meter hohen Hügel am nördlichen Rand des Stromdeltas sah, ausgerufen haben "Monte vide eu" ("Ich sehe den Berg"), wodurch er der künftig entstehenden (Haupt-)Stadt ihren Namen gab. Zu einer Eroberung des Landes kam es zunächst jedoch nicht, da es über keine Edelmetalle verfügte, auf die es die Konquistadoren abgesehen hatten. Wohl gründeten Jesuiten und Franziskaner 1624 eine Mission, doch gab es mit den Charrúa nur eine spärliche indigene Bevölkerung. So herrschte in diesem Gebiet lange Zeit eine Art Vakuum. Als Ende des 17. Jahrhunderts die in Brasilien ansässigen Portugiesen daran gingen, ihr Kolonialreich nach Süden auszuweiten, traten die Spanier dem von Argentinien her entgegen. Fortan blieb das spätere Uruguay ein Streitobjekt zwischen Portugal und Spanien, die die Provinz abwechselnd in ihren Besitz brachten. 1776 wurde die Banda Oriental del Uruguay, das Gebiet östlich des Uruguay-Flusses, in das spanische Vizekönigreich Río de la Plata eingegliedert. Nachdem sich die aus Buenos Aires vertriebenen spanischen Royalisten in Montevideo festgesetzt hatten, brach gegen sie im Februar 1811 unter Führung von José Gervasio Artigas, dem heutigen Nationalhelden Uruguays, ein Aufstand aus. Trotz militärischer Erfolge (Schlacht von Las Piedras am 18. Mai 1811) mußte sich Artigas mit seinem Heer in den Nordwesten des Landes zurückziehen. Doch gelangen ihm 1815 die Einnahme von Montevideo und die Vereinigung mehrerer argentinischer Provinzen, die unter dem Zentralismus von Buenos Aires zu leiden hatten, zur Liga Federal. Im Jahr darauf marschierten erneut portugiesische Truppen in der Banda Oriental ein, doch erst 1821 konnte sie als Provincia Cisplatina Brasilien angeschlossen werden. 1825 kam es erneut zu Aufständen gegen die portugiesische Herrschaft. Die Kämpfe zogen sich wiederum mehrere Jahre hin. Unter Vermittlung Großbritanniens, das damit auch Eigeninteressen verfolgte, wurde zwischen Brasilien und Argentinien ein Kompromiß vereinbart und am 28. August 1828 in Rio de Janeiro ein Vertrag unterzeichnet, mit dem Uruguay als unabhängige Republik entstand. Zwei Jahre später erhielt das Land seine erste, noch sehr stark feudalistisch zugeschnittene Verfassung. Als Pufferstaat zwischen Argentinien und Brasilien hörte die souveräne
195 Republik aber nicht auf, ein Zankapfel zu sein, zumal außer Großbritannien auch Frankreich als fremde Macht mit eingriff. Die Entwicklung des jungen Staates war in den folgenden Jahrzehnten von Wachstum, aber auch von großen innen- und außenpolitischen Konflikten geprägt. Durch Einwanderer nahm die Bevölkerung von 50.000 um 1825 bis Ende des Jahrhunderts auf eine Million zu. Das Land selbst wurde durch eine extensive Vieh- und Weidewirtschaft erschlossen. Doch kam es schon bald im Inneren zu einem Bürgerkrieg. Aus dieser Polarisierung gingen die beiden politischen Hauptströmungen hervor, die bis in die Gegenwart das politische Leben in Uruguay beherrschen. Auf der einen Seite die Colorados (Partido Colorado), Sachwalter von Handelsinteressen, eher liberal-laizistisch gesinnt; auf der anderen Seite die Blancos (Partido Nacional), Mitglieder und Anhänger der Landoligarchie, eher konservativ-klerikal eingestellt. Der innere Konflikt, in dem sich die Colorados durchsetzten und eine dauerhafte Vorherrschaft begründeten, dehnte sich nach außen zur Guerra Grande mit Argentinien aus (1839-52), in der Uruguay wirtschaftlich und politisch ruiniert wurde. Schwere Folgen hatte auch der Dreibundkrieg (Guerra de la Triple Alianza), den Brasilien und Argentinien mit Uruguay zusammen gegen Paraguay führten (1865-1870). Bemühungen, im Inneren zu einem Ausgleich zu kommen, wurden in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts unternommen - vor allem durch Aufteilung der Einflußsphären von Colorados (Montevideo) und Blancos (vier Provinzen). Sie scheiterten jedoch an den Eigeninteressen einzelner Caudillos. Darauf folgte eine Phase der Militärdiktatur (1875-1890). Die wirtschaftlichen Verhältnisse konsolidierten sich unter ihr, doch führte die Agrarpolitik zugleich zu einer Abwanderung in die Städte. Auch nach der Rückkehr eines zivilen Präsidenten fehlte es um die Jahrhundertwende nicht an neuerlichen Putschversuchen. Daß Uruguay seit Beginn des 20. Jahrhunderts einer demokratischen Stabilisierung und wirtschaftlichem Wohlstand entgegenging, war vor allem das Werk des großen Sozialreformers José Batlle y Ordóñez, der zweimal, 1903-07 und 1911-15, das Amt des Präsidenten inne hatte. Er begründete eine moderne Sozialgesetzgebung (Arbeitsrecht, Versicherungswesen, Renten) und machte den Staat zum Motor der wirtschaftlichen Entwicklung. Er war der Schöpfer einer politischen Doktrin, des sog. Batllismo, der als herrschende nationale Ideologie bis heute fortwirkt. Verfassungspolitische Reformen sollten den Weg zu einer pluralistischen und repräsentativen Demokratie ebnen. Dazu wurde mit der Verfassung von 1919 ein kollegiales Regierungssystem (nach Schweizer Muster) eingeführt, so daß der auf vier Jahre gewählte Präsident die Regierungsgewalt mit einem aus neun Mitgliedern bestehenden Verwaltungsrat (Consejo Nacional de Administración) zu teilen hatte. Daß dabei auch die Opposition (Blancos) an der Regierung des Landes beteiligt wurde, trug zur inneren Befriedung maßgeblich bei, ließ aber zugleich ein System der Konfliktschlichtung durch Abstimmung und Proporz entstehen, das in der Verteilung von Pfründen und in einer klientelistischen Versorgungsmentalität auch problematische Folgen hatte (Puhle 1968; Kerbusch 1971). Die sozialen Errungenschaften und der innere Frieden basierten in Uruguay jahrzehntelang auf einer wirtschaftlichen Prosperität. Als das Land Ende der zwanziger Jahre aber die Folgen der Weltwirtschaftskrise zu spüren bekam (Absacken der Agrarpreise), geriet auch das politische System ins Wanken. Im März 1933 löste Präsident Gabriel Terra von den Colorados das Parlament auf und errichtete eine zivile Diktatur. Sein Nachfolger kehrte 1938 allerdings zum Kollegialsystem zurück.
196 Im Gefolge der Nachkriegskonjunktur konnte man sich in Uruguay nochmals soziale Verbesserungen leisten. In der 1952 verabschiedeten Verfassung wurde das Kollegialsystem noch radikalisiert: Der Nationalrat (Consejo Nacional de Gobierno) wurde zum Träger der gesamten Exekutive, der Vorsitz (und damit das Präsidentenamt) wechselte jährlich. Mitte der fünfziger Jahre traten, bedingt vor allem durch den Verfall der Weltmarktpreise, erneut tiefgreifende wirtschaftliche Schwierigkeiten auf (Nohlen 1992a; 1992b). Seitdem wurde Uruguay zu einem krisengeschüttelten Land. Stagnation, j a ökonomische Einbußen verschlechterten die Lebensverhältnisse von großen Teilen der Bevölkerung. Vor diesem Hintergrund erwartete man sich von der Wiedereinführung des Präsidialsystems 1967 eine gestärkte Exekutive. Im übrigen bildete die wirtschaftliche Misere auch in Uruguay den Boden für eine sich in den sechziger Jahren ausbreitende Guerillabewegung. Die Tupamaros, die ihren Namen von jenem letzten, 1781 in Lima zu Tode gefolterten Inka-Häuptling José Gabriel Condorcanqui, genannt Túpac Amaru, ableiteten, traten mit Sprengstoffanschlägen, Entführungen und Morden in Erscheinung (Labrousse 1971; Fernandez Huidobro 19921994). Resonanz fand ein revolutionäres Bewußtsein damals aber auch unter Intellektuellen, Studenten und Gewerkschaftlern. In diesem Umfeld setzte unter dem Präsidenten Jorge Pacheco Areco (1967-71) der schleichende Übergang zur Militärdiktatur ein. Verfassungsmäßige Garantien wurden außer Kraft gesetzt, der Ausnahmezustand verhängt und das Instrumentarium militärischer und politischer Repression angewandt (Unterdrückung von Streiks, Einschränkungen der Pressefreiheit, Abschiebung von Oppositionellen ins Ausland). Der 1971 mit knapper Mehrheit zum Präsidenten gewählte José María Bordaberry vom rechten Flügel der Colorados setzte diesen Weg fort und räumte dem bis dahin weitgehend unpolitischen Militär einen immer größeren Teil der Staatsgewalt ein. 1972 rief er den "inneren Kriegszustand" aus. Mit brutaler Härte ging das Militär jetzt gegen die Tupamaros vor, wodurch die Bewegung der Stadt-Guerilla bereits 1973 zerschlagen war. Im gleichen Jahr wurde der Rat der nationalen Sicherheit {Consejo de Seguridad Nacional / COSENA) als Instanz mit zentraler Machtbefugnis gebildet, was den Einfluß des Militärs weiter vergrößerte. Am 27. Juni 1973 löste Bordaberry das Parlament auf, an dessen Stelle ein von Militärs und (genehmen) Zivilisten besetzter Staatsrat (Consejo de Estado) trat, der Gesetze zu beschließen und den Präsidenten zu wählen hatte. Damit waren demokratische Regeln endgültig außer Kraft gesetzt und der Übergang zu einer elfjährigen Militärdiktatur vollzogen (Lerin / Torres 1987). Als Bordaberry 1976 auch noch die politischen Parteien aufzulösen gedachte, entledigten sich die Militärs seiner und setzten den achtzigjährigen Juristen Aparicio Méndez als ihr ziviles Aushängeschild ein. Mit allen Mitteln ging das Militär jetzt gegen die innere Opposition vor. In zahllosen Fällen kam es zu Menschenrechtsverletzungen. Hunderttausende wurden verhaftet, gefoltert oder zur Emigration gezwungen. Der Versuch des zivilen Wirtschaftsministers, die Wirtschaft Uruguays nach neoliberalen Vorstellungen umzustrukturieren, hatte dagegen nur kurzzeitig gewisse Erfolge, bevor sich die ökonomische Bilanz wiederum zu verschlechtern begann. Um ihre Herrschaft auch künftig zu legitimieren, planten die Militärs, diese in einer neuen Verfassung zu institutionalisieren. Als sie diesen Plan durch eine Volksabstimmung absegnen lassen wollten, scheiterten sie jedoch. Mit 57,2 Prozent lehnte die Mehrheit der uruguayischen Bevölkerung im Oktober 1981 das Verfassungsprojekt ab. Erstmals in Lateinamerika wurde auf diese demokratische Weise
197 das Ende einer Militärdiktatur eingeleitet. Dazu trugen allerdings deren Mißerfolge in der Wirtschaftspolitik wesentlich mit bei. Die Schritte zur Redemokratisierung Uruguays zogen sich im folgenden noch drei Jahre hin. Die Verhandlungen zwischen den Militärs und den Parteien, die 1982 intern Wahlen veranstaltet hatten, aus denen eindeutig die regimekritischen Kräfte als Sieger hervorgingen, mündeten im August 1984 im Pakt des Club Naval (Pacto del Club Naval). Drei Monate später wurden wieder allgemeine Wahlen abgehalten. Aus ihnen ging Julio Maria Sanguinetti von den Colorados als neuer Präsident Uruguays hervor. Er trat sein Amt am 1. März 1985 an. Sanguinetti stand mit seiner ersten postautoritären Regierung vor der Aufgabe, die wiederhergestellten demokratischen Verhältnisse in Uruguay zu konsolidieren (Wagner 1991). Einen kritischen Konfliktstoff bildete dabei die "Vergangenheitsbewältigung". Das schon Ende 1986 vom Parlament beschlossene Gesetz, das den Militärs Straffreiheit für begangene Menschenrechtsverletzungen gewährte, fand 1989 in einer Volksabstimmung auch die mehrheitliche Zustimmung der Bevölkerung (55,9 %). Die Herstellung von Gerechtigkeit wurde somit der Konfliktvermeidung und inneren Befriedung untergeordnet. Auch wirtschaftlich hatte Sanguinetti ein schweres Erbe übernommen. Im ersten Teil seiner Amtszeit erreichte er hier durchaus beachtliche Erfolge (Wirtschaftswachstum, Lohnerhöhungen, Exportsteigerung), doch setzte sich die positive Entwicklung dann nicht fort. Durch die um sich greifende Enttäuschung entstand ein Klima, in dem es 1990 zu einem Machtwechsel kam (Licio 1990). Erstmals nach vielen Jahren wurde mit Luis Alberto Lacalle ein Kandidat des Partido Nacional (Blancos) zum Präsidenten gewählt. Er hatte ein neoliberales Wirtschaftsprogramm angekündigt, das auf Marktöffnung, Exportfreigabe und Privatisierung von Staatsbetrieben setzte. Diese Politik zeitigte in den folgenden Jahren zwar partielle Erfolge, hatte aber auch Fehlschläge zu verzeichnen. 1992 lehnten in einem Volksentscheid nahezu drei Viertel der Bevölkerung das Privatisierungsprojekt der Regierung ab. Damit behielt die Furcht vor sozialer Unsicherheit die Oberhand gegenüber der Einsicht in die Notwendigkeit wettbewerbsfähiger Strukturen. Hinzu kam, daß die Machtbasis Lacalles im Parlament schrumpfte. Generalstreiks und neuerliche Anschläge heizten das innenpolitische Klima an. So endete die Amtszeit Lacalles (wie die seines Vorgängers) in einer verbreiteten Mißstimmung über den Präsidenten. Gleichwohl wurde im November 1994 dieser Vorgänger, Julio Maria Sanguinetti, abermals zum Präsidenten gewählt. Allerdings geschah dies nur mit einer hauchdünnen Mehrheit, was auf das mittlerweile erweiterte Parteienspektrum in Uruguay zurückzuführen ist (s. u.). Die anstehenden, z. T. überfälligen Aufgaben (Rentenreform, Abbau des Staatsapparats, Modernisierung der Wirtschaft, Exportförderung) versprach Sanguinetti in seiner zweiten Amtszeit ebenfalls anzugehen, allerdings mit weniger einschneidenden Maßnahmen.
1.3.
Wirtschaft
Aufgrund seiner landschaftlichen Gegebenheiten ist Uruguay traditionell ein Agrarstaat, der sich vor allem für Viehzucht und Weidewirtschaft (Rinder, Schafe) eignere). Mehr als drei Viertel des Bodens wurden schließlich zu diesem Zweck genutzt, während für Getreide-, Gemüse- und Obstanbau nur ein Bruchteil übrig
198 blieb. Der Anteil von Waldgebieten ist ebenfalls gering. Auch in den Export gingen in erster Linie (sekundäre) Agrarprodukte wie Vieh, Federn, Felle, Wolle, Horn und gesalzenes Fleisch. Zwar entstanden in Uruguay gewerbliche Betriebe schon seit Beginn des 20. Jahrhunderts, aber sie versorgten nur den heimischen Bedarf (Nohlen 1992a; 1992b). Und was an Industrialisierung entstand, sollte vor allem der Importsubstituierung dienen. Die starke Orientierung am Binnenmarkt einerseits als auch die Abhängigkeit vom Weltmarkt bei den Exportgütern andererseits waren die Hauptursachen für die in den zurückliegenden Jahrzehnten immer wieder auftretenden wirtschaftlichen Krisenerscheinungen in Uruguay. Beigetragen hat dazu aber auch, daß die durch eine fortschrittliche Gesetzgebung bedingten Sozialausgaben immer schwerer finanzierbar wurden. Weitgehende Verstaatlichungen hatten die öffentliche Hand zum Arbeitgeber erster Größenordnung in Uruguay gemacht. Eine wirtschaftliche Verelendung, wie sie andere lateinamerikanische Länder erlebt haben, blieb Uruguay damit indessen erspart. Allerdings verschlechterte sich der Lebensstandard auch hier wiederholt. Zugleich kam es zu einer schleichenden Aushöhlung der sozialen Errungenschaften. Mit unterschiedlichen Mitteln und wechselndem Erfolg haben die verschiedenen Regierungen des Landes versucht, den wirtschaftlichen Krisenerscheinungen zu begegnen (Bodemer / Licio / Nolte 1993). Dazu gehörten Bemühungen zur Diversifizierung, Freigabe von Wechselkursen, Exportförderung usw. So gab es Anfang der neunziger Jahre unter Präsident Lacalle zwar ein zunehmendes Wachstum des BIP und eine Reduzierung der Inflationsrate (1992: 68,5 %). Gleichwohl geriet die Leistungsbilanz ins Defizitäre, die Auslandsverschuldung wuchs, wobei die Aufwendungen für den Schuldendienst zurückgingen. Die angekündigten Schritte zur Privatisierung kamen nicht voran und scheiterten am Widerstand der Bevölkerung. Fast ein Viertel der Erwerbstätigen sind Staatsbedienstete. Der Anteil des Dienstleistungssektors am BIP machte 1992 54,4 Prozent aus, derjenige der Landwirtschaft 14,1 Prozent und der der Industrie 31,5 Prozent. Dem öffentlichen Dienst wird Unterbeschäftigung und mangelnde Effizienz vorgeworfen. Letzteres gilt insbesondere für die Post, einer für das gesellschaftliche Zusammenleben (und die Kommunikation) so unentbehrlichen Einrichtung. Mittlerweile hat auch Uruguay den Weg wirtschaftlicher Integration betreten. Im März 1991 beschlossen die Präsidenten Argentiniens, Brasiliens, Paraguays und Uruguays die Schaffung eines gemeinsamen Marktes, des Mercado Común del Sur (Mercosur). Seine erste Stufe begann Anfang 1995. Seitdem sind Zölle im Handel zwischen den beteiligten Ländern entfallen, gegenüber anderen Ländern gibt es einen gemeinsamen Außenzoll. Allerdings sind eine ganze Reihe von Gütern zunächst noch von der Zollfreiheit ausgenommen, die vollständig erst bis zum Jahr 2006 eingeführt sein soll. Uruguay schloß sich dem Mercosur nicht ohne Sorgen an, zwischen den großen Nachbarländern wirtschaftlich zerrieben zu werden. Andererseits erhofft man, zu einer Art Dienstleistungszentrum für die La Plata-Region zu werden. Nach dem Protokoll von Ouro Preto vom Dezember 1994 wurde Montevideo zum administrativen Sitz des Mercosur bestimmt.
199
1.4.
Politisches System
Seit Inkrafttreten der derzeit gültigen Verfassung im Jahre 1967 ist Uruguay (wieder) ein präsidial regierter Einheitsstaat. Zuvor hatte man (wie schon Anfang des 20. Jahrhunderts) eine kollegiale Staatsführung praktiziert (Kerbusch 1971). Heute steht jedoch wieder ein dem Parlament verantwortlicher Präsident an der Spitze des Landes. Er wird alle fünf Jahre zusammen mit dem Parlament neu gewählt. Eine direkte Wiederwahl ist nicht möglich (Nohlen 1992b). Geschwächt wird die Stellung des Präsidenten in Uruguay allerdings durch zweierlei. Zum einen durch die seit Jahrzehnten bestehende Tradition des Proporzes und der Einbindung von Minderheiten in die Staatsführung, zum anderen durch ein Wahlsystem, das einzigartig in der Welt ist. Das Wahlgesetz (Ley de Lemas) erlaubt es, daß innerhalb der gleichen Partei (Lema) Listen mit verschiedenen Präsidentschaftskandidaten (Sublemas) aufgestellt werden (Wagner 1991; 1993). In der Tat zerfallen die Colorados und die Blancos (Partido Nacional), die seit dem 19. Jahrhundert dominierenden politischen Parteien, jeweils in mehrere Richtungen (wobei manche von ihnen einander näherstehen als einer anderen Richtung der gleichen Partei). Als Präsident gewählt ist zwar der Kandidat der stärksten Partei, der die meisten Stimmen erhält, doch vereinigt dieser wegen der Anzahl der Konkurrenten (und der Zersplitterung in den Parteien) kaum noch mehr als ein Viertel der Wähler auf sich. Somit besitzt der gewählte Präsident nur eine schwache Legitimationsbasis. Zugleich ist er gezwungen, sich für die Gesetzgebung jeweils eine eigene parlamentarische Mehrheit zu suchen, was entsprechende Verhandlungen und oft Zugeständnisse verlangt. In diesen Verfahrensregeln, deren Vorteil einst darin bestanden haben mag, die Integration der uruguayischen Bevölkerung zu fördern, wird heute eine wesentliche "Systemblockade" gesehen, die ein effektives Regieren behindert (Bodemer 1993). Dies zwingt den Regierenden zum kleinsten gemeinsamen Nenner, wenn nicht zur Immobilität. Wohl hat man dies in Uruguay inzwischen erkannt, doch konnten Ankündigungen einer Wahlrechtsreform bisher nicht durchgesetzt werden. Ohnehin hat sich das traditionelle Zweiparteiensystem Uruguays seit den siebziger Jahren erweitert. Mehrere linksstehende Parteien - der Partido Comunista (PCU), der Partido Socialista (PSU) und der Partido Demócrata Cristiano (PDC) - verbanden sich damals zum Frente Amplio (FA), der einen bemerkenswerten Erfolg erzielte (1971: 18,3 %). Gemäßigtere Kräfte spalteten sich von ihm in den achtziger Jahren wieder ab, ohne daß dies für den Frente Amplio allerdings zu Einbußen in der Wählerschaft führte. Die Christdemokraten schlössen sich jetzt mit dem Partido por el Gobierno del Pueblo (PGP) und weiteren kleinen Gruppierungen zum Nuevo Espacio (NE) zusammen. Somit gibt es im Parteiensystem Uruguays heute ein Vierer-Spektrum (von den verschiedenen Gruppierungen innerhalb der Colorados und der Blancos ganz abgesehen). Dadurch hat sich die demokratische Repräsentanz der Gesellschaft vervielfältigt; absolute Mehrheiten sind um so weniger zu erwarten, der Zwang zur Konsensbildung und zum Kompromiß ist nur noch größer geworden. Bei den Wahlen im November 1994 erzielte der Partido Colorado mit 32,3 Prozent der Stimmen einen nur äußerst knappen Wahlsieg (Bodemer 1995). Der zuvor regierende Partido Nacional erhielt 31,2 Prozent, die unter dem Namen Encuentro Progresista (EP) angetretene linke Sammlungsbewegung 30,6 Prozent und der Nuevo Espacio 5,2 Prozent. Wie schon bei den Wahlen zuvor dominierte die Linke in der
200 Hauptstadt Montevideo und setzte dort ihren Kandidaten für die Intendencia (Amt des Oberbürgermeisters) durch. Die Legislative besteht in Uruguay aus zwei Kammern. Das Abgeordnetenhaus (Cámara de Representantes) hat 99 Sitze, der Senat (Senado) 30. Für das Abgeordnetenhaus bilden die 19 Departements die Wahlkreise, für den Senat gibt es lediglich einen nationalen Wahlkreis. An der Spitze der Departements stehen Intendenten, die Volksvertretung auf unterer Ebene bilden Provinz-, Stadt- und Gemeinderäte.
1.5.
Bevölkerung und Sozialstruktur
Uruguay hat 3,1 Millionen Einwohner und ist auch insofern eines der kleinsten Länder Lateinamerikas. Gerade zu den bevölkerungsreichen Nachbarländern Brasilien und Argentinien besteht hier ein großer Kontrast. Neun Zehntel der Bevölkerung sind Weiße, was dem Land eine große ethnische Homogenität verleiht. Den Rest bilden im wesentlichen Mestizen und Mulatten. Die Weißen, die seit dem frühen 19. Jahrhundert in zunehmender Zahl ins Land kamen und das siedlungsmäßige Vakuum ausfüllten, sind spanischer, italienischer und britischer Herkunft. Bereits seit längerem weist Uruguay unter den lateinamerikanischen Ländern das geringste Bevölkerungswachstum auf (1985-90: durchschnittlich 0,7 %). Die Geburtenrate ist niedrig, die Säuglingssterblichkeit - dem Entwicklungsstand gemäß gemindert. Jedoch ist der Anteil von Menschen, die das Land verlassen, ziemlich hoch. Dazu trug in den siebziger Jahren die politische Repression maßgeblich bei. In letzter Zeit bewegen eher die begrenzten wirtschaftlichen Aussichten im Land bevorzugt jüngere Leute zur Auswanderung. Dadurch verstärkt sich die tendenziell ohnehin schon gegebene Überalterung der uruguayischen Gesellschaft. Die Lebenserwartung ist hier mit mehr als 70 Jahren die höchste in ganz Südamerika. Die in anderen Ländern des Subkontinents anzutreffende Dominanz von Kindern und Jugendlichen gibt es in Uruguay nicht. Sehr auffällig ist dieser Unterschied gerade im Vergleich zu Brasilien. Kennzeichnend für Uruguay ist eine breite Mittelschicht-Gesellschaft. Dem Land fehlt(en) ebenso eine ausgeprägte Oligarchie wie eine (Industrie-)Arbeiterschaft. Diese soziologische Charakterisierung ist allerdings inzwischen umstritten; zumindest werden - aufgrund der eingetretenen Verringerung des Lebensstandards - die Grenzen zwischen Oberschicht, oberer und unterer Mittelschicht sowie Unterschicht verschieden gesetzt bzw. ein Anwachsen der unteren Schichten festgestellt (Errandonea 1989). Uruguay verfügt über ein gut ausgebautes Bildungssystem. Der Besuch der Grundschulen und der unteren Klassen der weiterführenden Schulen ist verpflichtend. Rund zwei Drittel der Heranwachsenden beginnen auch den Besuch von Einrichtungen im Sekundarschulbereich. Der Analphabetismus ist mit (angegebenen) 3,8 Prozent sehr gering (vor allem wiederum im Vergleich zu anderen lateinamerikanischen Ländern). Amts- und Umgangssprache ist Spanisch, indigene Idiome gibt es (nach Ausrottung der Charrúa im 19. Jahrhundert) nicht. Etwa die Hälfte der Bevölkerung Uruguays bekennt sich zum Katholizismus, rund 30 Prozent zu anderen christlichen Kirchen und Sekten, der überwiegende Rest besteht aus Konfessionslosen. Seit den Reformen von Batlle y Ordóñez ist Uruguay ein laizistischer Staat, mit einer ausgeprägten Trennung von Kirche und Staat.
201
2.
Rechtliche Grundlagen der Massenmedien
Seit der Rückkehr zur Demokratie Mitte der achtziger Jahre besitzen die Bürger Uruguays wieder die grundlegenden Freiheitsrechte, wie sie in liberal-demokratischen Staaten üblich sind. Daran haben auch die Massenmedien bzw. die Journalisten teil. Konkret heißt dies, daß die Bestimmungen der Verfassung von 1967 wieder voll in Kraft getreten sind (ergänzt durch Modifikationen aufgrund von Plebisziten 1989 und 1994). So wird durch den (unter der Militärherrschaft praktisch aufgehobenen) Artikel 29 der Verfassung Meinungs- und Pressefreiheit in Uruguay garantiert: Völlig frei ist, in jeder Angelegenheit, der Austausch von Gedanken, privaten und öffentlichen Schriftwerken in der Presse oder durch jedes beliebige andere Mittel der Verbreitung, ohne vorherige Zensur; unberührt davon bleibt, daß der Autor und, im gegebenen Fall, der Drucker oder Sender entsprechend dem Gesetz verantwortlich sind für begangenen Mißbrauch. (Constitución de la República Oriental del Uruguay 1995,8) Die Wiedereinsetzung dieses Artikels knüpft an die Tradition an, welche die Meinungs- und Pressefreiheit in Uruguay seit dem 19. Jahrhundert hatte. Sein Wortlaut ist, abgesehen von den später hinzugefügten "anderen Mitteln der Verbreitung", nahezu identisch mit dem Artikel 141 der ersten Staatsverfassung von 1830 (Alvarez Ferretjans 1986, 78). Verglichen mit der Verfassung von 1934 ist die Fassung des Artikels 29 in der jetzt gültigen Form aber kürzer. Er enthält gleichwohl die wesentlichen Gewährleistungen für die Freiheit der Massenmedien. Dazu gehören auch die freie Wahl der Mittel der Meinungsverbreitung und das ausdrückliche Zensurverbot. Nicht erwähnt ist die Informationsfreiheit, die z. B. im deutschen Grundgesetz eigens garantiert ist. Im zweiten Teil des Art. 29 sind die Schranken bzw. die Verantwortlichkeit für Mißbrauch der Meinungs- und Pressefreiheit durch Verweis auf das Gesetz geregelt. Gemeint ist damit insbesondere das Strafgesetzbuch (Código Penal). Außer dem Art. 29 enthält die uruguayische Verfassung keine weiteren, direkt auf die Massenmedien bezüglichen Bestimmungen. So werden darin auch Rundfunk oder Telekommunikation nicht gesondert erwähnt. Mittelbar oder potentiell für die Massenmedien relevante Bestimmungen finden sich aber noch in anderen Verfassungsbestimmungen, z. B. im Eigentumsrecht (Art. 7, 32) oder in der Verpflichtung des Staates, das kulturelle Erbe des Landes zu bewahren (Art. 34).
3.
Presse
3.1.
Geschichte
Obwohl kein großes Land, hat Uruguay doch eine vielfältige Entwicklung der Presse erlebt (vgl. zum folgenden Alvarez Ferretjans 1986). Noch bevor das Land zu einer politischen Einheit wurde, sind dort Zeitungen gelesen und hergestellt worden.
202 Lange Zeit war jedoch die 1661 gegründete Gaceta de Madrid die einzige Zeitung, die in die Region des Río de la Plata gelangte. Im ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts fanden dann die neuen, in Buenos Aires ins Leben gerufenen Zeitungen auch jenseits des Río de la Plata eine gewisse Verbreitung. Die erste, auf dem Territorium des späteren Uruguay erscheinende Zeitung war 1806 ein von der britischen Besatzung herausgegebenes zweisprachiges Blatt La Estrella del Sur - The Southern Star, das außer Edikten, Proklamationen, Kommentaren auch nachgedruckte Meldungen aus der London Gazette enthielt. Allerdings gab es von diesem Blatt nur sieben Ausgaben, bevor die Briten wieder abziehen mußten. Die Vertreibung des spanischen Vizekönigs nach der Erhebung in Buenos Aires 1811 führte zur Entstehung der Gazeta de Montevideo, einer gegen diese Revolution gerichteten politischen Zeitung, die bis 1814 herauskam. Als die Banda Oriental dann unter argentinische Herrschaft geriet, trat an ihre Stelle ein Wochenblatt mit dem Titel El Sol de las Provincias Unidas o Gaceta de Montevideo. Es beschränkte sich nicht auf Nachrichten, sondern sollte die Montevideaner von den Vorteilen der Verbindung mit Argentinien überzeugen. Gegen die Fremdherrschaft initiierte General Artigas 1815 den Periódico Oriental. Hatte zunächst eine allgemeine Vorzensur bestanden, so proklamierte ein Dekret vom 26. Oktober 1811 für jedermann das Recht, seine Gedanken zensurfrei zu verbreiten. Mit der Invasion der Portugiesen 1817 und der Bildung der Provincia Cisplatina endete die Freiheit der Montevideaner Presse. Daran änderte sich erst etwas, als 1821 die vom portugiesischen König erlassene Ley de Imprenta eingeführt wurde. Zu den bemerkenswerten Publikationen aus der Besatzungszeit gehörte El Pacífico Oriental de Montevideo, worin eine aufklärerische Gesinnung ihren Ausdruck fand. Nach seiner Einstellung erschien im Juli 1822 El Patriota, der einen moderaten Ton pflegte und französischem Kultureinfluß unterlag. Im Dezember des gleichen Jahres erschienen zwei weitere Blätter, El Pampero und La Aurora, mit politischer Information und meinungsbildender Polemik. Insbesondere La Aurora trat für die Unabhängigkeit ein. Insgesamt erschienen zur Zeit der portugiesischen Besetzung 225 Periodika, darunter auch solche in portugiesischer Sprache (0 Expositor Cis-Platino). 1826 wurde aus Buenos Aires eine Druckerei mit dem Namen De la Provincia Oriental eingeführt, in der für Canelones und Durazno mehrere aufeinanderfolgende Zeitungen hergestellt wurden. Die Gaceta de la Provincia Oriental war die erste Zeitung von ausgesprochener Lokalität. Mit der Erklärung der Unabhängigkeit und der Bildung der República Oriental del Uruguay 1828 setzte eine neue, die eigentlich nationale Phase der Entwicklung der Presse ein. Für die Staatsgründer selbst hatte die Etablierung einer eigenen Presse vorrangige Bedeutung (Villa / Mendive 1980). Als offizielles Organ, das die Bevölkerung über die Beschlüsse der politischen Führung unterrichtete, entstand El Constitucional. Die rechtlichen Voraussetzungen dafür wurden gelegt, indem in der ersten Verfassung des Landes in Art. 14 der freie Austausch von Gedanken und Worten in jeglicher Form garantiert wurde. Schon 1829 war eine Reihe neuer, aber meist kurzlebiger Zeitungen erschienen. Nur El Universal konnte sich bis 1838 halten und war das erste Organ, das in der Presse die Politik des Partido Blanco (später: Nacional) unterstützte. Auch wenn die junge Republik es in den ersten Jahren schwer hatte, so nahm die Presse doch einen bemerkenswerten Aufschwung (Alvarez Ferretjans 1986, 73ff). Allein zwischen 1830 und 1837 kamen mehr als 50 Zeitungen und Periodika heraus. Über die bis dahin häufig dominierenden amtlichen Verlautbarungen hinaus, wurde
203 die Presse jetzt eine politische. Dies sollte für Uruguay bis in die Gegenwart charakteristisch bleiben. Mit El Campo de Asilo erschien 1831 die erste oppositionelle Zeitung. Als die politischen Auseinandersetzungen in der Presse zunahmen, wobei sich La Matraca hervortat, griff Manuel Oribe, der zweite Präsident des Landes, der 1835 ins Amt kam, als erster zu restriktiven Maßnahmen gegenüber der Presse. Mehrere Organe wurden suspendiert oder verboten, u. a. El Nacional. Nicht nur politisch, auch intellektuell artikulierte sich in der Presse eine vielseitige Gesellschaft. Literarische Zirkel, vor allem solche der romantischen Bewegung, hatten ihre eigenen Organe. In den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts, in denen sich die Zahl der europäischen Einwanderer vermehrte, entstanden auch Zeitungen in englischer, französischer und italienischer Sprache. Als besonders qualitätvolle Zeitung des 19. Jahrhunderts gilt El Comercio del Plata, der (mit Unterbrechungen) von 1845 bis Ende der sechziger Jahre erschien. Seine Anfänge fielen zusammen mit der Guerra Grande, durch die sich die Existenzbedingungen für die Presse verschlechterten. Auch wurden in diesen Jahren abermals gesetzliche Maßnahmen gegen die Presse eingeleitet. Nach dem Großen Krieg setzte sich La Fusión zum Ziel, die Kluft zwischen den Parteien zu überwinden. Moderat war auch La Constitución. Doch die Parteien reetablierten sich, einschließlich ihrer Presse. Zu den wichtigen Organen der späten fünfziger Jahre gehörten La Democracia, La Libertad und El País. El Pueblo stand auf Seiten der Colorados. Zu einem Sammelpunkt von Talenten und einem Ort politischer und ökonomischer Debatten wurde seit 1863 für mehrere Jahrzehnte, bis ins 20. Jahrhundert hinein, El Siglo. Die Politik, die Einflußsphären zwischen Colorados und Blancos aufzuteilen, wirkte sich in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts auch auf die Presse aus. In Montevideo gab es Ende 1871 sechs Morgenzeitungen, vier Abendzeitungen sowie sechs Wochenblätter. Die Gesamtauflage der Tageszeitungen belief sich auf 11.000 Exemplare. Die 1875 mit dem año terrible einsetzende Militärdiktatur brachte erneut Einschränkungen für die Presse mit sich, wodurch sich die Diskussion in der Publizistik gezwungenermaßen auf literarische und philosophische Fragen verlagern mußte. Einschlägige Blätter waren El Panorama, La Tribuna, La Razón, El Bien Público und der schon genannte El Siglo. Übergriffe auf die Presse stießen schließlich auf deren geschlossenen Widerstand. In den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts begannen sich auch in Uruguay neue technische Errungenschaften auf die Presse auszuwirken. Daß die französische Nachrichtenagentur Agence Havas seit 1882 telegraphisch Nachrichten übermittelte, führte u. a. zu der Gründung der Tageszeitung El Hilo Eléctrico. Zu dieser Zeit gab es im Lande 21 Tageszeitungen und 40 andere periodische Publikationen mit einer Auflage von inzwischen zusammen 30.000 Exemplaren (Alvarez Ferretjans 1986, 247). 1886 gründete José Batlle y Ordóñez die Zeitung El Dia, die als Organ der Colorados ein Jahrhundert lang das "Flaggschiff' der uruguayischen Tagespresse sein sollte. Daß der Gründer der Zeitung später selbst Präsident wurde, zeigt die durch viele andere Beispiele belegbare Nähe, die in Uruguay immer zwischen Politik und Journalismus bestanden hat. Bis heute war eine Tätigkeit in der Presse häufig der Einstieg in eine politische Karriere. Mit El Dia, der zeitweise sein Erscheinen einstellen mußte, weil sein Herausgeber ins Gefängnis kam, schuf dieser nach Form und Inhalt sowie durch Senkung des Kaufpreises den Typ des Massenblatts. Als erste Zeitung des Landes erschien es 1898 auch sonntags. Zu einem repräsentativen, mit entsprechenden Organen anderer Länder vergleichbaren Nachrichtenblatt wurde auch La Opinión Publica (gegründet 1889). Geson-
204 derte Erwähnung verdient darüber hinaus die vielfältige satirische Presse am Ende des 19. Jahrhunderts. Zur Vertretung ihrer Interessen legten sich zudem Arbeiter und verschiedene Berufsgruppen eigene periodische Organe zu. Politische Brisanz erzeugte die von einer Gruppierung junger Leute mit dem programmatischen Titel El Nacional gegründete Zeitung (1895). In dem von seinen Anhängern und Gegnern angeheizten Klima dekretierte die Regierung im Jahr darauf wieder Maßnahmen zur Reglementierung der Presse. Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts hatte sich das Pressewesen in Uruguay weiter diversifiziert. In Montevideo wurden 24 Tageszeitungen und 91 Zeitschriften veröffentlicht, hinzu kamen 116 Titel im Landesinneren (Alvarez Ferretjans 1986, 298). In den folgenden Jahren, die von der Reformpolitik des 1902 zum Präsidenten gewählten Batlle y Ordóñez und seines Nachfolgers Herrera y Obes bestimmt wurden, verschwanden zwar manche Titel vom Markt, andere, z. T. langlebige Blätter traten aber neu hinzu, so die noch heute bestehenden Tageszeitungen La Mañana 1917 {Colorado), El País 1918 (Blanco) und El Diario 1923. Nennenswerte Titel dieser Jahre sind ferner Diario del Plata, El Tiempo, El Plata, La Defensa und Justicia, die zum Partido Comunista (PC) gehörte. In der nach Parteien und Gruppierungen richtungsbestimmten Presselandschaft Uruguays stellte der 1924 gegründete El Imparcial eine Neuerung bzw. Ausnahme dar. Eine schwierige, an Konflikten reiche Phase kam für die uruguayische Presse wieder unter der Diktatur Gabriel Térras in den dreißiger Jahren. Dieser ging nicht nur mit repressiven Zwangsmaßnahmen gegen unliebsame, oppositionelle Organe vor, er schuf auch mit El Pueblo (1932) ein ihm genehmes Blatt. Seit 1939 kam die Wochenzeitung Marcha heraus, die als kritisch-intellektuelles Organ über Uruguay hinaus zu legendärem Ruhm gelangen sollte. Als Gründung der vierziger Jahre ist noch Acción (1948) zu erwähnen, die sich den politischen Zielen des Batllismo verschrieb (Alvarez Ferretjans 1986, 337ff). Anfang der fünfziger Jahre wurden neun Tageszeitungen in Montevideo herausgebracht. Die wichtigste der Colorados war El Dia, die der Blancos El País. 1954 kam wieder El Nacional hinzu, zwei Jahre später trat El Popular als Organ der Kommunistischen Partei an die Stelle des Diario Popular. Die alte Tribuna Popular der Blancos wurde 1960 unter dem Titel Tribuna fortgesetzt. Und 1962 wurde zunächst aus Kreisen der Sozialistischen Partei die Zeitung La Epoca auf den Markt gebracht. Schon 1967 setzte unter dem Präsidenten Jorge Pacheco Areco der schleichende Übergang zur autoritären Herrschaft und Militärdiktatur ein. Erste Opfer waren linksgerichtete Parteigruppierungen und ihre Presseorgane. In den folgenden Jahren wurde eine ganze Reihe von Titeln zunächst vorübergehend, ab 1973 dann endgültig verboten. Allein schon die zeitweilige Suspendierung konnte den wirtschaftlichen Ruin bedeuten. Betroffen waren u. a. La Epoca, El Sol, Ya, Ahora, schließlich auch die ruhmreiche Marcha. Durch eine Militäraktion, bei der seine Redaktion mitsamt Ausstattung zerstört wurde, brachte man 1974 das kommunistische Blatt El Popular zum Schweigen. Zwischen 1967 und 1985 waren insgesamt 71 Presseorgane solchen Sanktionen ausgesetzt (Gabay 1988). Journalisten mußten das Land verlassen und im Exil leben. Als Tageszeitungen bestanden zwischen 1975 und 1981 nur noch El Dia, La Mañana, El Diario und El País, die ihr Erscheinen mit einer mehr oder minder großen Loyalität gegenüber dem Regime sicherten. Neu zugelassen wurde 1976 das von der rechtsgerichteten Moon-Sekte getragene Boulevardblatt Ultimas Noticias. Zur organisatorischen Kontrolle und Anleitung der Presse (und der anderen Medien)
205 hatte die Staatsfiihrung die Dirección Nacional de Relaciones Públicas (D1NARP) geschaffen. Doch wurde die Vorzensur legal erst 1983 eingeführt, als sich das Ende der Militärherrschaft schon abzeichnete. Bei der Ablösung der Militärherrschaft fiel der Presse in Uruguay eine sehr wichtige Rolle zu (Arndt 1993; Filgueira 1994). Schon im Vorfeld jenes Referendums 1981, bei dem die Militärs mit dem Plan scheiterten, ihre Macht auf Dauer legitimieren zu lassen, war mit Opinar eine neue Wochenzeitung herausgekommen, die sich in der Kampagne für ein Nein stark machte. Nach der Volksabstimmung folgten mehrere andere Wochenzeitungen - Opción (später Aquí), Correo, Convicción, Jaque -, deren Informationen auf große Nachfrage stießen und Stimmen der Opposition gegen das Militärregime Ausdruck verliehen. In ihnen wurden bisher unterdrückte Sachverhalte thematisiert, und in ihnen artikulierten sich ehemalige (und zukünftige) politische Führungskräfte und nahmen das Gespräch untereinander auf. Man hat ihnen geradezu die Funktion eines Ersatzparlaments zugesprochen (Arndt 1993). Nach der freien Präsidentenwahl 1984 ging das Ausmaß der Politisierung in Uruguay, das insbesondere zur Blüte der politischen Wochenzeitungen geführt hatte, deutlich zurück. Zwar begründeten die Erfahrungen der zurückliegenden Jahre noch große Erwartungen an die Rolle der Presse im demokratischen Transitionsprozeß (Alvarez Ferretjans 1985). Aber zahlreiche Publikationen hatten mit dem Regimewechsel ihre Funktion verloren und zogen sich schon bald vom Pressemarkt zurück. Zu einer weiteren Welle von Einstellungen kam es nochmals 1989/90, nach dem Referendum zur Menschenrechts-Problematik und den nationalen Wahlen. Davon waren neben erst kurzzeitig etablierten Neugründungen (Lea, La Hora Popular, Zeta) auch der traditionsreiche El Dia betroffen.
3.2.
Presserecht
Im Unterschied zu manchen anderen Ländern Lateinamerikas hat man in Uruguay nach der Rückkehr zur Demokratie Mitte der achtziger Jahre auch die Pressegesetzgebung vergleichsweise rasch den veränderten politischen Verhältnissen angepaßt und damit eine woanders z. T. widersprüchliche Rechtslage vermieden. Nicht nur gelangte der Artikel 29 der Verfassung von 1967 wieder zur Geltung. Bereits im November 1984 wurde vom Ministerium der Justiz der Decreto Ley de Prensa (No. 15.672) erlassen. Erst dieser löste die seit 1935 geltende, noch aus der Zeit der Diktatur Gabriel Terras stammende Ley de lmprenta (No. 9.480) ab. Dem Erlaß des Pressegesetzes von 1984 folgten schon bald Initiativen, daran abermals Veränderungen vorzunehmen. Einige seiner Bestimmungen wurden als unvereinbar mit der Pressefreiheit, als überflüssig oder unzweckmäßig empfunden. Nachdem diese Initiativen zunächst in einem Proyecto Ley der Regierung aufgenommen wurden, mündeten sie 1989 in einer Neuauflage der Ley de Prensa (No. 16.099). Dieses ist somit in Uruguay derzeit das geltende Pressegesetz (Preza Restuccia 1990). Die Ley No. 16.099 besteht aus sechs Kapiteln und 38 Artikeln. Das erste Kapitel wiederholt noch einmal die Freiheitsgarantie der Verfassung, sichert das Recht zu, unbehindert ein Medium der Kommunikation zu gründen und verleiht den Journalisten zum Informantenschutz das Zeugnisverweigerungsrecht (Art. 1). Präventive Kontrolle wird ausgeschlossen (Art. 2). Die genannten Rechte werden allein Bewoh-
206 nern der Republik Uruguay verliehen (Art. 3). Im Kapitel II sind die formalen Voraussetzungen und Verpflichtungen bei der Wahrnehmung dieser Rechte geregelt. Danach muß die Gründung eines publizistischen Unternehmens unter Angabe verschiedener Namen dem Ministerio de Educación y Cultura angezeigt werden (Art. 4). Das bedeutet aber nicht, daß eine Genehmigung durch dieses notwendig wäre. Die Namen der verantwortlichen Personen müssen auch im Impressum jedes Exemplars der Publikation angeführt werden. An die presserechtlich Verantwortlichen werden bestimmte Anforderungen gestellt (Alter, bürgerliche Rechte - Art. 5). Ausdrücklich finden diese Anforderungen auch auf das Leitungspersonal bei Radio und Fernsehen Anwendung. (In dem vorangegangenen Gesetz wurden Angaben auch zur wirtschaftlichen "Bonität" verlangt.) Kapitel III der Ley de Prensa regelt in mehreren Artikeln das Gegendarstellungsrecht (Art. 7-17). In Kapitel IV folgen Bestimmungen zu Pressedelikten. Dies geschieht nicht nur durch Bezug auf strafbare Handlungen gemäß dem Código Penal, sondern durch ausdrückliche Nennung einer Reihe gesetzlicher Schranken der Pressefreiheit (Diffamierung, Ehrenschutz, Staatsgeheimnisse), inklusive dafür vorgesehener Strafmaße. Auch gibt es Vorkehrungen für den Widerruf (Art. 27). Art. 32 garantiert ausländischen Publikationen die freie Verbreitung. Im fünften Kapitel des Gesetzes ist der Rechtsweg für Presseprozesse festgelegt (Art. 34-37). Danach folgen in Kapitel VI noch Schlußbestimmungen. Die Ley de Prensa No. 16.099 stattet die Presse (und die anderen Medien) in Uruguay mit den für ihre freie Entfaltung notwendigen (Vor-)Rechten aus, setzt diesen aber zugleich die herkömmlicherweise legitimen Grenzen. Im Wortlaut des Gesetzes erscheinen die letzteren manchen Betroffenen, bei aller Würdigung der positiven Grundrichtung des Gesetzes, jedoch überbetont. Insbesondere kritisiert werden die Artikel 19 und 26 mit ihren Vorschriften zu den Pressedelikten. Sie könnten, wie es heißt, die "volle Ausübung der Meinungsfreiheit behindern" (Servicio Paz y Justicia 1994, 104). Es fehlt auch durchaus nicht an einschlägigen Konflikten. Im Juni 1993 wurden in Montevideo nämlich zwei Journalisten und führende Mitglieder der ehemaligen Stadtguerilla, der Tupamaros, wegen Beleidigung des Präsidenten Lacalle (in erster Instanz) zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt.
3.3.
Die Struktur der Presse in Uruguay heute
3.3.1.
Zeitungen
3.3.1.1.
Bestand und Verbreitung
In Uruguay erscheinen gegenwärtig mehr als 30 Tageszeitungen. 1995 wurden insgesamt 34 Titel gezählt. So groß die Titelanzahl demnach noch ist, kennzeichnend sind großenteils geringe Auflagen. Sieben Tageszeitungen werden in Montevideo herausgebracht, die anderen in Städten des Landesinneren. Allerdings erreichen die Zeitungen der Hauptstadt überwiegend höhere (Durchschnitts-)Auflagen, insgesamt etwa soviel wie alle anderen Titel zusammengenommen. Allerdings liegen keine gesicherten Auflagenzahlen vor. Man muß sich auf zumeist ältere Verlagsangaben stützen, soweit diese überhaupt gemacht wurden. In vielen Fällen gibt es nur Schät-
207 zungen, doch sind auch solche nicht durchweg möglich. Auflagenzahlen werden in Uruguay noch weitgehend als Geheimnis gehütet. Einer zur Auflagenkontrolle geschaffenen Einrichtung schloß sich zunächst nur die auflagenstärkste Zeitung des Landes (El Pa(s) an. Eine Aufstellung der in Uruguay erscheinenden Tageszeitungen bietet Tabelle 1. Tabelle 1: Tageszeitungen in Uruguay 1995 Titel
Gründungsjahr
Acción Cambio Correo de Punta del Este Crónicas Crónicas de Nuestra Ciudad El Avisador El Diario El Este El Heraldo El Informativo El Noticioso El Observador El País El Pregonero de Young El Pueblo El Telégrafo Estediario Gaceta de Pando Hoy Canelones Informaciones Jornada La Gaceta La Juventud La Mañana La Palabra La Prensa La República La Unión Norte Nuevos Rumbos Serrano Tiempo Tribuna Salteña Ultimas Noticias
1935 1984 1993 1982 1970 1986 1923 1945 1919 1984 1942 1991 1918 1981 1956 1910 1995 1984 1981 o. A. 1985 1971 1992 1917 1920 1910 1988 1877 1953 1928 1985 1984 1906 1981
Ort (Departement)
Auflage*
Mercedes (Soriano) Salto (Salto) Maldonado (Maldonado) Mercedes (Soriano) Pando (Canelones) Tacuarembó (Tacuarembó) Montevideo Rocha (Rocha) Florida (Florida) Florida (Florida) Canelones (Canelones) Montevideo Montevideo Young (Río Negro) Salto (Salto) Paysandú (Paysandú) Maldonado (Maldonado) Pando (Canelones) Canelones (Canelones) Tacuarembó (Tacuarembó) Rivera (Rivera) Rocha (Rocha) Montevideo Montevideo Rocha (Rocha) Salto (Salto) Montevideo Minas (Lavalleja) Rivera (Rivera) Canelones (Canelones) Minas (Lavalleja) Pando (Canelones) Salto (Salto) Montevideo
6.200 2.500 o. A. 9.500 800 500 3.000 o. A. 1.900 5.000 o. A. 6.000 25.000 o. A. 2.000 8.500 o. A. 1.100 o. A. o. A. o. A. 1.500 o. A. 1.000 1.000 1.300 6.000 2.700 3.500 o. A. 2.200 o. A. 2.500 6.000
Quelle: ICD 1995 •Auflagenzahlen nach ICD 1989 (bisher nicht erneuert) und nach eigenrecherchierten Angaben.
208 Nicht alle Departements des Landes verfügen über eigene Tageszeitungen. Dies ist nur in elf von ihnen der Fall, während in acht Departements Tageszeitungen nicht herausgebracht werden, wobei es sich vor allem um bevölkerungsarme Teile des Landes handelt (Artigas, Cerro Largo, Mercedes, Treinta y Tres, Flores, San José, Colonia, Durazno). Tagezeitungen mit vergleichsweise höheren Auflagen (5.00010.000 Exemplare) werden außerhalb Montevideos nur in einigen größeren Städten hergestellt (Mercedes, Paysandú). Die übrigen Tageszeitungen werden nur in wenigen tausend Exemplaren herausgebracht, bei einer Reihe von ihnen liegt die Auflage sogar unter 1.000. In den Departements, in denen keine eigene Tageszeitung herauskommt, werden z. T. aber diejenigen aus der Hauptstadt oder aus angrenzenden Departements angeboten. An mehreren Orten des Landesinneren gibt es noch Konkurrenz von Tageszeitungen, an anderen besteht ein Zeitungsmonopol. Außer den Tageszeitungen erscheint in Uruguay eine etwa gleich große Zahl von Wochenzeitungen. 1995 wurden 38 Titel gezählt (ICD 1995). Dabei handelt es sich um ganz unterschiedliche Typen. In der Mehrzahl sind es regionale und lokale Publikationen. An den größeren Orten ergänzen sie die Tageszeitungen, in einer Reihe von Departements ersetzen sie diese aber. In Durazno gibt es jedoch nur ein vierzehntägig, in Flores gar nur ein monatlich erscheinendes Blatt mit lokaler Information. Einige der größeren Wochenzeitungen bringen sehr wohl auch nationale, manche sogar knappe internationale Nachrichten. Doch liegt der Schwerpunkt dieser Blätter zumeist auf der Lokal- und Regionalberichterstattung. Davon zu unterscheiden sind die in Montevideo erscheinenden Wochenzeitungen. Hier gibt es im wesentlichen zwei andere Typen. Einerseits sind es Organe bestimmter Bevölkerungsgruppen, etwa der Semanario Hebreo der jüdischen Minderheit oder Mate Amargo, ein den Kreisen der Tupamaros verpflichtetes Blatt. Andere linksstehende Gruppierungen verfügen zumindest über vierzehntägig oder monatlich erscheinende Organe, die jedoch nur sehr geringe Auflagen haben dürften. Dazu gehören etwa die kommunistische Carta Popular und die Frente Obrero der noch vorhandenen (an der Frente Amplio beteiligten) Trotzkisten. Andererseits gibt es mit Búsqueda und Brecha zwei Wochenzeitungen, die unabhängig sind und sich an eine allgemein interessierte Leserschaft wenden. Insgesamt erscheinen in Uruguay weiterhin rund 30 zeitungsähnliche Publikationen vierzehntägig oder monatlich. Nach Format und Aufmachung handelt es sich zwar um Zeitungen, aufgrund ihrer Periodizität müßten sie jedoch als Zeitschriften angesehen werden.
3.3.1.2.
Die wichtigsten Tageszeitungen
Die wichtigsten Tageszeitungen Uruguays erscheinen in Montevideo. Die Hauptstadt ist schon aufgrund ihrer Größe zwangsläufig das Zentrum der Zeitungsproduktion. Allerdings ist die Zahl der Tageszeitungen rückläufig; Anfang der neunziger Jahre waren es noch neun, 1995 dann sieben. Von den Montevideaner Tageszeitungen erscheinen fünf als Morgenblätter (Matutinos): El País, El Observador, La Mañana, La República und La Juventud; zwei kommen gegen 12 Uhr mittags heraus und gelten daher als Abendzeitungen (Verspertinos): El Diario und Ultimas Noticias. Bei den letztgenannten Blättern handelt es sich nach Aufmachung und Inhalt um Boulevardzeitungen, die man unter den Begriff der prensa amarilla faßt. Sie sind ganz
209 sensationalistisch aufgemacht. El País und El Diario erscheinen im traditionellen Querformat, die übrigen fünf Tageszeitungen aber im Tabloid-(Hoch-)Format. Somit gibt es ein typologisches Gemisch: Während El Diario als "primitive" Boulevardzeitung noch das Querformat pflegt, hat El Observador als seriöses Blatt von Beginn an das Tabloid-Format angenommen. Traditionsgemäß war das Zeitungswesen in Uruguay stark (partei)politisch geprägt. Das ist z. T. auch heute noch der Fall, wenn es inzwischen auch eher unabhängige Stimmen gibt. El País, die größte Tageszeitung des Landes, steht bis heute den Blancos (Partido Nacional) nahe. Dies gilt vor allem für die innenpolitischen und wirtschaftlichen Themen. Seit der Einstellung des ruhmreichen El Dia - eine Wiederbelebung scheiterte 1992 - verfügen die Colorados über kein eigenes großes Sprachrohr mehr auf dem Pressemarkt Uruguays. Eine Teilgruppierung von ihnen sieht sich indessen durch La Mañana vertreten, doch ist dieses Blatt wegen seiner geringen Auflage (1.000 Exemplare) ohne größere Bedeutung. Um parteipolitische Unabhängigkeit bemüht ist wohl am meisten El Observador. Diese Zeitung verfolgt wirtschaftlich einen ausgesprochen liberalen Kurs (und dürfte damit entsprechende Strömungen der Blancos stützen), ist in anderen Dingen aber eher konservativ. Daß das Blatt bekanntermaßen von der katholischen Laienorganisation Opus Dei mitgetragen wird - nicht wenige in Leitung und Redaktion gehören ihm auch persönlich an -, schlägt sich in einer kirchenfreundlichen Berichterstattung nieder. Dies ist in dem traditionell ausgeprägt laizistischen Staat ein Novum und trägt zu einer wachsenden Präsenz der Kirche auch im öffentlichen Raum Uruguays bei. La República ist seit ihrer Gründung eine oppositionelle Zeitung und politisch der Linken zuzurechnen. Symptomatisch ist dafür schon das alltäglich unter dem TitelSchriftzug mitgeteilte Motto: "La verdad es el resultado que surge de la oposición de ideas". In den beiden Boulevardzeitungen kann wegen der Betonung anderer Inhalte eine parteipolitische Ausrichtung weniger Platz finden. Allerdings befindet sich Ultimas Noticias im Besitz der rechtsgerichteten Moon-Sekte. Die Tageszeitung La Juventud, die 1992 von wöchentlichem zu täglichem Erscheinen überging, nennt sich "El Diario Frenteamplista y Popular" und vertritt weit links stehende Positionen. Sie wurde von dem früheren Tupamaro-Anführer Raúl Sendic geleitet. Die genannten wichtigen Zeitungen Uruguays, die in Montevideo erscheinen, weisen in der Regel alle herkömmlichen journalistischen Sparten auf. Allerdings gibt es Unterschiede in deren jeweiligem Umfang und in ihrer Plazierung. Außer Politik im In- und Ausland gibt es einen Wirtschaftsteil sowie Teile für Soziales und Gesellschaft sowie für Kultur (Espectáculos) und Fernsehen. Eigene Seiten sind dem Meinungsjournalismus gewidmet (Opinión, Editorial), der in Uruguay eine lange Tradition hat. Großen Raum nimmt im übrigen der Sport ein. Dabei dominiert in dem Land, das selbst zweimal (1930 und 1950) Weltmeister war, der Fußball. Er wird am Río de la Plata mit größter Leidenschaft betrieben. Montags nehmen selbst die seriösen Blätter fast den Charakter von Sportzeitungen an. Im Inhalt weisen die Zeitungen aber auch manche Unterschiede auf: Während El País die internationale Berichterstattung an den Anfang stellt, folgt sie im Observador erst im hinteren Teil. Die Boulevardzeitungen widmen jeden Tag mehrere Seiten der Polizei- und Kriminalberichterstattung, also dem, was man die Crónica roja nennt. Bei der Auslandsberichterstattung stützen sich Uruguays Tageszeitungen auf internationale Nachrichtenagenturen. Genutzt werden vor allem die spanische EFE und die italienische ANSA, aber auch die amerikanische AP und die britische Agen-
210 tur Reuter. Nur sehr vereinzelt findet man einen Quellenhinweis auf den spanischsprachigen Dienst der Deutschen Presse-Agentur {dpa). La República gibt an, den Dritte-Welt-Dienst IPS zu beziehen, La Mañana nennt die chinesische Agentur Xinhua. Ein Blatt wie El País ist zudem den Servicediensten der New York Times und von USA Today angeschlossen, El Observador den Diensten des Wall Street Journal, der Washington Post und der argentinischen Revistas Apertura y la City. El País ist die bei weitem auflagenstärkste Tageszeitung in Uruguay. Sie wurde im Jahre 1918 gegründet und ist inzwischen eine der ältesten unter ihnen. Werktags werden 20.000 bis 25.000 Exemplare gedruckt, am Sonntag sogar viermal soviel. Die Sonntagsausgabe erreicht somit wesentlich mehr Leser. Sie ist mit 150 bis 180 Seiten auch wesentlich "dicker" als die Ausgaben an den Wochentagen (ca. 20 bis 44 Seiten). Dieser Umfang kommt durch mehrere Suplementos zustande, die wiederkehrenden Themenbereichen gewidmet sind. Aber auch den Ausgaben die Woche über sind einzelne Beilagen dieser Art zugefügt, so am Montag für Sport, am Freitag für Kultur. Samstags heißt sie Sábado Show. Noch durch weitere Werbeattraktionen sucht El País die Leser zum Kauf des Blattes anzuregen. Ganze Enzyklopädien werden häppchenweise (etwa im Umfang eines Bogens / 16 Seiten) zum fortlaufenden Sammeln mit jeder Sonntagsausgabe geliefert; oder es werden Compact Discs mit Musik als Zusatz angeboten. Unverzichtbar ist El País überdies sonntags, weil die Zeitung dann auch umfangreiche Beilagen mit Klein- und Geschäftsanzeigen aufweist (El Libro de Clasificados). Wer immer etwas sucht oder anzubieten hat, ist auf diesen Werbeträger angewiesen. Aber auch werktags verfügt El País über die meisten Anzeigen. Das ergibt sich schon wegen seiner im Zeitungswesen Uruguays einzigartigen Reichweite. Damit verfugt die Zeitung über die Finanzmittel für ein reichhaltiges journalistisches Angebot. El País erscheint im Mehrfarbendruck, mit vielen Fotos und Grafiken illustriert. Vergleichsweise konservativ und ganz auf Seriosität bedacht wirkt dagegen El Observador. Die Zeitung wurde erst 1991 gegründet, hat sich aber trotz Schrumpfung des Zeitungsmarktes in Uruguay etablieren können. Typisch fiir das Blatt ist die ausgiebige Wirtschaftsberichterstattung. Anfangs nannte sich die Zeitung El Observador económico. Ursprünglich kam sie nur fünfmal wöchentlich (montags bis freitags) heraus, legte sich dann aber eine Samstags- und seit Oktober 1995 auch eine Sonntagsausgabe zu. Der Wettbewerb dürfte zu dieser Angleichung gezwungen haben, was sich darüber hinaus daran zeigt, daß auch El Observador inzwischen mehrere Suplementos (darunter solche für Reisen, Kinder und solche im Zeitschriftenstil), ja ebenso fortlaufende Sammelwerke enthält. Die Zeitung geht noch sparsam mit Farbe um, hat ein sehr klares, geordnetes Layout und nutzt Mittel der graphischen Präsentation gerade in der Wirtschaftsberichterstattung. Jeden Mittwoch kann man sich im El Observador über Ergebnisse jüngster Bevölkerungsumfragen informieren, die das Meinungsforschungsinstitut EQUIPOS CONSULTORES durchführt. Inhaltlich ist das Blatt auf höchste journalistische Qualität bedacht und erreicht darin internationale Standards. Dies schränkt zwangsläufig den Absatz auf die wirtschaftliche, politische und intellektuelle Elite des Landes ein. In der begrenzten Reichweite liegt zugleich ein Grund, warum El Observador über merklich weniger Anzeigen verfügt als El País. Zu den ältesten heute noch erscheinenden Montevideaner Zeitungen gehört La Mañana. Sie wurde 1917 gegründet. Allerdings führt sie seit längerem wegen ihrer geringen Auflage nur noch ein Schattendasein, ja ihr Fortbestehen dürfte gefährdet sein. Jedenfalls ist das hierfür notwendige Anzeigenaufkommen in ihr äußerst gering.
211 Der Umfang der einzelnen Ausgabe beträgt in der Regel 32 Seiten. Nur zwei bis drei Seiten sind internationalen Ereignissen gewidmet, dafür werden Vorgänge im Landesinneren vergleichsweise ausführlich behandelt (Información rural). Im ganzen ist das journalistische Angebot mager und wird daher nur wenige Leser befriedigen. Daran dürften auch die bescheidenen Suplementos kaum etwas ändern. La República ist eine der Zeitungsgründungen aus den ersten Jahren nach dem Ende der Militärdiktatur in Uruguay. Zurückgekehrte Emigranten schufen das Blatt, die erste Ausgabe erschien 1988. Die Herausgeber und Journalisten verfolgen, wie bereits erwähnt, seitdem einen oppositionellen, linksorientierten Kurs. Das Aufdekken politischer Skandale ist gewissermaßen eine Spezialität von La República geworden. Man hat insbesondere den Kampf gegen Korruption zur eigenen Sache gemacht. So scheint die Zeitung für manchen Beobachter in Uruguay am ehesten eine Art investigativen Journalismus zu betreiben. Doch ist dies zugleich der Grund für Vorbehalte gegen das Blatt wegen Mängeln in der Zuverlässigkeit und Verstößen gegen die Sorgfalt. Da La República sehr farbig und mit großen, lärmenden Schlagzeilen "aufmacht", verkörpert sie im Grund bereits den Typ der Boulevardzeitung. Sie wird daher durchaus auch zur prensa amarilla, wenn auch zur politischen, gerechnet. Suplementos sind bei der Zeitung ebenfalls zu finden, doch sind diese heute zumeist weniger aufwendig gemacht als bei den anderen großen Zeitungen. Hierfür fehlt es offenbar an genügend Anzeigeneinnahmen. Verglichen mit La República wirkt La Juventud, die andere linksgerichtete Tageszeitung Montevideos, eher langweilig und orthodox. Jede Ausgabe besteht aus 24 Seiten, worin man nur wenige, vereinzelte Anzeigen antrifft. Behandelt werden vor allem soziale Themen, Protestbewegungen und Randgruppen. Damit dürften auch die Leser ganz auf die politische Anhängerschaft begrenzt bleiben. Auflagenzahlen liegen nicht vor, ihre Höhe dürfte 1.000, wenn überhaupt, kaum überschreiten. Von den beiden eigentlichen Boulevardzeitungen, die in Montevideo erscheinen, ist El Diario die ältere. Sie wurde 1923 als Abendzeitung gegründet. Die erste Seite ist in der Regel ausschließlich aus großen Schlagzeilen und Fotos (mit Bildunterschriften) zusammengesetzt. Doch fehlen im Inhalt auch nicht politische Berichte (einschlägiger Art). Der Schwerpunkt liegt jedoch auf Sport, Kriminalität und Justiz. Bisher präsentiert sich El Diario ausschließlich im Schwarz-Weiß-Druck, ganz im Unterschied zu Ultimas Noticias, der anderen Boulevardzeitung, die sehr farbig aufgemacht ist. Diese Zeitung erscheint seit 1981 auf dem uruguayischen Zeitungsmarkt. Sie entstammt der Zeit, als in Uruguay noch die Militärs ihre diktatorische Herrschaft ausübten. Sie ließen aus politischen und wirtschaftlichen Gründen die koreanisch-amerikanische Moon-Sekte, welche bis heute Ultimas Noticias verlegerisch herausbringt, ins Land und ermöglichten ihr, diese Zeitung zu gründen. Amtliches Wohlwollen genießt die Sekte in Uruguay aber noch heute, ein Thema öffentlicher Debatten ist daraus nach Ende der Militärdiktatur jedoch nicht geworden. Als Boulevardzeitung ist Ultimas Noticias notwendigerweise auf Popularität angelegt, was politische Einflußnahme nicht ausschließt, aber einem missionierenden Journalismus eher zuwiderläuft. Hier überwiegen die pekuniären Interessen der wirtschaftlich sehr aktiven und erfolgreichen Moon-Sekte vermutlich die ideellen. Der Umfang von Ultimas Noticias bewegt sich normalerweise um die 60 Seiten, kann aber auf mehr als das Doppelte ansteigen, insbesondere an den Tagen, an denen ihr Suplementos oder (wie am Freitag) ein Anzeigenblatt beigegeben werden. Die Zeitung lockt auf ihrer ersten Seite mit Sensationen oder "human interesf'-Meldun-
212 gen, bringt im Inneren aber durchaus auch ausführlichere Berichte aus Politik, Wirtschaft und Kultur. Sie entspricht eher der deutschen Bild am Sonntag als der werktäglichen Bild-Zeitung. Außer den genannten gruppengebundenen Wochenblättern werden in Montevideo drei Organe mit dieser Erscheinensweise herausgegeben, die von übergreifender Bedeutung sind: Búsqueda, Brecha und Crónicas Económicas. Die erstgenannten beiden dienen weniger der aktuellen Information als der Hintergrundberichterstattung, Analyse und Kommentierung. Gleichwohl werden sie von manchen auch als Tageszeitungs-Ersatz gelesen. Búsqueda ist als unabhängiges, liberales Blatt von ausgesprochener journalistischer Qualität anzusehen, vergleichbar am ehesten Der Zeit in Deutschland. Es wird vor allem von Intellektuellen und dem gebildeten Publikum gelesen. Dies gilt auch für Brecha, die in der Nachfolge der legendären, während der Militärdiktatur verbotenen Marcha steht. Sie ist stärker als die thematisch vielseitige Búsqueda auf kulturelle Themen spezialisiert und richtet sich an ein entsprechend interessiertes Publikum, wobei eine progressive, linke Orientierung durchschlägt. Crónicas Económicas ist, wie der Titel sagt, ein Organ für Wirtschaft und Finanzen. Bei den Wochenzeitungen und den anderen, weniger häufig erscheinenden zeitungsähnlichen Publikationen gibt es in Uruguay eine große Fluktuation. Die früher als Wochenblatt gedruckte La Juventud ist inzwischen zu täglichem Erscheinen, das frühere Monatsblatt Mate Amargo zu wöchentlichem Erscheinen übergegangen. Allein im Oktober 1995 machten zwei neue Wochenzeitungen den Versuch, sich am Markt zu etablieren: La Prensa de los Viernes und El Rojo Vivo. Während die erstgenannte eher als Substitution einer Tageszeitung aufgemacht wurde, handelte es sich bei der letzteren ganz offensichtlich um ein weiteres politisches Splitterorgan. Die Lage Uruguays zwischen seinen beiden großen Nachbarn Argentinien und Brasilien hat - zumal nach Etablierung des Meicosur - auch Folgen für das Presseangebot. In Montevideo zumindest werden die großen Zeitungen dieser Länder neben den landeseigenen angeboten. La Nación, Clarín, Página 12 und Ambito Financiero aus Argentinien, El Estado de Säo Paulo, Folha de Sao Paulo, II Globo aus Brasilien.
3.3.1.3.
Finanzierung und Vertrieb
Über die Finanzierung der Zeitungen in Uruguay ist nach außen kaum etwas bekannt. Generell haben sich die wirtschaftlichen Bedingungen hier verschlechtert, was mit eine Ursache ist für die immer wieder beschworene Krise des uruguayischen Pressewesens heute. Außer den eher durch Stagnation gekennzeichneten ökonomischen Rahmenbedingungen in der Entwicklung des Landes wirken sich hier spezifische Faktoren des Mediensektors aus. So hat sich der Anteil des Werbebudgets, das auf die Presse entfällt, deutlich reduziert. Vom "Werbekuchen", der sich angeblich auf rund 200 Millionen US-Dollar jährlich beläuft (= 1,5 % des Bruttosozialprodukts), erhält die Presse mittlerweile nur noch ein Zehntel. Das beeinträchtigt die Möglichkeit, die Zeitungen über die Anzeigeneinnahmen mitzufinanzieren, wie das in liberaldemokratischen, marktwirtschaftlichen Systemen üblich ist. Dies hat zur Folge, daß die Presseorgane viel stärker als gemeinhin, ja z. T. vorrangig aus dem Vertriebserlös finanziert werden müssen. Unzureichende Anzei-
213 geneinnahmen erzwingen dabei einen hohen Preis, den man für das einzelne Zeitungsexemplar zu zahlen hat. In der Tat liegen diese Preise in Uruguay heute ziemlich hoch, gerade im internationalen Vergleich und angesichts des im Land vorhandenen Einkommensstandards. Bei den Tageszeitungen schwankten die Preise pro Exemplar 1995 je nach Tag und Umfang zwischen 10 und 18 Nuevos Pesos (d. h. zwischen 2,20 und 4,~ DM). Die Wochenzeitungen Búsqueda und Brecha kosten 20 bis 25 Nuevos Pesos. Diese hohen Preise dürften wesentlich dafür ausschlaggebend sein, daß die Auflagen der Zeitungen so niedrig sind und sich viele Leute kein Blatt regelmäßig leisten können. (Auch im Landesinneren ist dies im Grundsatz nicht anders.) Unter diesen Umständen kann den Wochenzeitungen eine Ersatzfunktion zukommen. Im übrigen verzerren die unterschiedlichen Marktgewichte den Wettbewerb zusätzlich. Da die Anzeigenkunden häufig an einer breiten Streuung ihrer Werbebotschaften interessiert sind, inserieren sie bevorzugt in den auflagenstarken Blättern, während die auflagenschwächeren Blätter nur wenige Aufträge erhalten oder gar leer ausgehen. Daran ändert sich auch dadurch nicht viel, daß in Uruguay auch staatliche Unternehmen als Inserenten auftreten. Gerade dies kann sogar als Mittel politischer Einflußnahme mißbraucht werden. Eine stichprobenartige Überprüfung erbrachte im Oktober 1995 in El País einen Anzeigenanteil am Zeitungsumfang von ca. 40 Prozent, bei El Observador und La República von ca. 20 Prozent, bei La Mañana von ca. 16 Prozent und bei den "Abendblättern" El Diario und Ultimas Noticias von je zehn Prozent. Kostenmindernd wirkt sich für den Zeitungskäufer in Uruguay auch nicht das z. B. in Deutschland übliche Abonnement aus. Diese Vertriebsform gibt es bis auf Ausnahmefälle dort nicht. Die Zeitungen werden nicht durch die Verlage selbst vertrieben. Sie delegieren den Vertrieb an Kleinunternehmer, die ihrerseits die Zeitungsexemplare an die Verkaufsstellen, die sogenannten canillitas, weitergeben; bzw. letztere sammeln in einer Art Vertriebszentrale, dem Sindicato de Vendedores de Diarios y Revistas, die Zahl von Exemplaren, die sie absetzen zu können glauben. Die Kioskinhaber stellen Zeitungen aufgrund einer festen Abmachung Beziehern, die dies wünschen, auch direkt zu. Somit verkaufen sie dann nur einen Teil der übernommenen Exemplare an die Laufkundschaft auf der Straße. Während auf Montevideos Hauptgeschäftsstraßen alle paar Meter ein Kiosk sein Angebot ausbreitet, sind die Verkaufsstellen in anderen Teilen der Stadt oder erst recht auf dem Land weithin dünn gesät (mit zudem bescheidenem publizistischen Angebot). Im Kernbezirk des hauptstädtischen Vertriebs beanspruchen die canillitas an ihrem Standplatz eine "territoriale" Zuständigkeit, die sie gegen Konkurrenz verteidigen. Sie sind auch gewerkschaftlich organisiert. Man hört sogar von geradezu mailosen Zuständen in diesem Gewerbe. Für die Einfuhr ausländischer Presseerzeugnisse gibt es verschiedene, auf einzelne Titel spezialisierte Importfirmen. Einige Buchhandlungen beschaffen spezielle Publikationen, die es nur bei ihnen gibt, auch direkt.
3.3.1.4.
Leserdichte und Nutzung
Die Verbreitung von Zeitungen mißt man international vergleichend mit der Leserdichte, d. h. der Anzahl der Zeitungsexemplare pro tausend Einwohner. Dieser Wert
214 ist in Uruguay in zwei Jahrzehnten erheblich zurückgegangen, was die Krise des Printmediums drastisch belegt. Nach Angaben der UNESCO betrug die Leserdichte in dem Land 1973 100 (Exemplare pro tausend Einwohner). Wie groß sie heute ist, läßt sich nur schwer genau bestimmen, da keine gesicherten Auflagenzahlen vorliegen. Addiert man die in Tabelle 1 angegebenen Auflagenzahlen und setzt für die Lücken Schätzwerte ein, so dürfte die Gesamtauflage der Tagespresse in Uruguay zumindest um die 100.000 Exemplare betragen. Das entspräche nur noch einer Leserdichte von 30. Oder anders ausgedrückt: Ein Exemplar einer Tageszeitung kommt im Durchschnitt auf neun Haushalte - es gibt davon 900.000 in Uruguay. In acht von neun Haushalten ist dagegen keine Tageszeitung vorhanden. Im lateinamerikanischen Vergleich schneidet Uruguay bei der Leserdichte auffallend schlecht ab; Ende der achtziger Jahre betrugen die entsprechenden Werte in Mexiko 120, in Chile 96 und in Bolivien 50 (UNESCO 1989). Dies ist angesichts des hohen Bildungsstands in Uruguay außerordentlich erstaunlich. Die schwache Stellung der Presse in Uruguay heute zeigt sich auch in der Nutzung dieses Mediums. Nach den regelmäßigen Leserbefragungen von EQUIPOS (1995) erreichten die sechs wichtigsten Tageszeitungen Montevideos (ohne La Juventud) im August 1995 pro Tag im Wochendurchschnitt 17,2 Prozent, d. h. 244.500 Einwohner (zum Vergleich: in Deutschland beträgt die Tagesreichweite 76 %). Allein 11,5 Prozent lesen den auflagenstarken El País, den Observador dagegen nur 2,9 Prozent, La República 2,2 Prozent, Ultimas Noticias 1,8 Prozent, El Diario 0,6 Prozent und La Mañana 0,2 Prozent. Der höheren Auflage entsprechend, wird nur El País sonntags von knapp einem Drittel der Bürger Montevideos gelesen (was gut 400.000 Lesern entspricht). Berechnet man die kumulative Leserschaft, d. h. wieviele Leute im Laufe einer Woche mindestens einmal zu einer Tageszeitung greifen, so kommt man auf knapp die Hälfte der Einwohner Montevideos (49,2 %). Während Männer und Frauen ziemlich gleichmäßig von Zeitungen erreicht werden, steigt die Reichweite mit der sozialen Schicht an. In der obersten von vier Schichten, die EQUIPOS seinen Berechnungen zugrundelegt, lesen pro Woche fast zwei Drittel der Einwohner Montevideos (62,3 %) mindestens einmal die Tageszeitung, in der unteren dagegen weniger als ein Drittel (28,5 %). Trotz insgesamt geringer Verbreitung wird die Presse auch in Uruguay somit überdurchschnittlich in den führenden Kreisen des politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Lebens gelesen und besitzt insofern auch gesellschaftlichen Einfluß. Im Landesinneren dürfte es ähnlich sein. Von den wichtigen Wochenzeitungen Montevideos erreicht Búsqueda rund 63.000 Leser (= 4,4 %) und Brecha 47.000 Leser (= 3,3 %) (EQUIPOS 1995).
3.3.1.5.
Besitzstruktur
Die Besitzstrukturen bei den Medien der Massenkommunikation in Uruguay lassen sich nur schwer getrennt voneinander behandeln. Dies hat mit z. T. beträchtlichen medienübergreifenden Eigentumsverhältnissen zu tun. Zwar ist die Presse davon insgesamt noch am wenigsten betroffen. Doch gehört die auflagenstärkste Tageszeitung des Landes, El Pais, einem der größten Medienkonsortien des Landes, der Gruppe Scheck y asociados. Die Aktionärsanteile sind hier allerdings sehr zersplittert (Pallares / Stolovich 1991, 170ff). Vier Familiengruppen, die jeweils wiederum
215 durch mehrere Personen repräsentiert sind, verfügen über die Aktien, und zwar die Familien Scheck (28,33 %), Aguirre-Serrato (28,33 %), Rodriguez-Larreta-Cardoso Cuenca (25,19 %) und Beltrán-Aguiar (15,00 %). Dazu kommt Marta Elena Bonavia als Einzelaktionärin (3,15 %). Die Gruppe Scheck y asociados hat darüber hinaus Besitz bei Radio und Fernsehen (s. u.). Bei den anderen Tageszeitungen der Hauptstadt ist der Besitz dagegen weitgehend auf den Sektor der Printmedien beschränkt (reicht aber gelegentlich in andere Wirtschaftsbereiche). La Mañana und El Diario wurden bis in die frühen neunziger Jahre von der Sociedad Editora Uruguaya S. A. (SEUSA) verlegt, die sich überwiegend im Besitz von Pedro Santayana befand. La Mañana gehört inzwischen zu dem (Buch-)Verlag Fin de Siglo, die zweitgenannte zu Ediciones El Diario S. R. L El Observador wird getragen von der Microcosmos S. A., deren Aktionäre primär aus Wirtschaft- und Bankenkreisen stammen (hier bestehen auch Verbindungen nach Argentinien). Ultimas Noticias ist, wie früher schon erwähnt, das einzige Beispiel für ausländischen Medienbesitz in Uruguay. Das Blatt gehört der koreanisch-amerikanischen Moon-Sekte, die im Land noch in anderer Form wirtschaftlich aktiv ist (u. a. Elektrohandel, Hotelgewerbe). Federico Fasano, Eigentümer von La República (und CX 30 Radio Nacional) bemühte sich in der letzten Zeit (ebenso wie die Microcosmos S. A.) um eine Zulassung zum Kabelfernsehen in Montevideo (s. u.). Während es in Montevideo bei der Wochen- und Monatspresse auch organisationseigenen Besitz gibt, haben die Zeitungen im Landesinneren in der Regel Einzeleigentümer.
3.3.2. Zeitschriften Strenggenommen wären die bereits oben behandelten Wochen-, Zweiwochen- und Monatszeitungen zu den Zeitschriften zu rechnen, welche man heute bei Einschränkung der publizistischen Merkmale (Periodizität, Aktualität, Universalität) gegeben sieht. Hier sollen jetzt jedoch nur - nach dem in Uruguay üblichen Sprachgebrauch die Revistas angeführt werden. Ende der achtziger Jahre wurden hier rund 40 Titel gezählt (ICD 1989). Die meisten erschienen monatlich, zweimonatlich oder vierteljährlich. Bei zahlreichen Titeln, die heute noch erscheinen, handelt es sich um Organe der Fachpresse, etwa für Landwirtschaft, (Computer-)Technik, aber auch um solche für Wissenschaften, Ökonomie, Literatur oder Sport. Die Leserschaft wird sich dementsprechend aus den jeweiligen Fachkreisen rekrutieren, aber nur zur Herstellung geringer Auflagen ausreichen. Hinzu kommen als eigene Gattung periodische Publikationsorgane von Organisationen und Verbänden, von öffentlichen wie auch privat-kommerziellen Einrichtungen. Deren Zahl ist schwer überschaubar, da sie, anders als die genannten Revistas, nicht an Kiosken oder in Buchhandlungen angeboten, sondern vorrangig intern weitergegeben werden. Als Beispiel einer solchen Verbandszeitschrift sei hier El Periodista angeführt, das offizielle Organ der Journalistengewerkschaft Asociación de la Prensa Uruguaya • Sindicato de Trabajadores de la Comunicación (APU-STQ. Wie in anderen Ländern auch, ist eine Fluktuation gerade im publizistischen Sektor der Zeitschriften anzutreffen. Woran es in Uruguay unter den Revistas weitgehend fehlt, das sind Organe vom Typ der deutschen Nachrichtenmagazine und illustrierten Publikumszeitschriften. Hier sind gegenwärtig bloß zwei Titel zu nennen. Den Typ des Hintergrundmagazins verkörpert die seit 1994 erscheinende Wochenzeitschrift Posdata, die modernistisch
216 aufgemacht und im Hochglanzdruck produziert wird. Älter ist dagegen schon die (seit 1982) monatlich herauskommende Guambia (zu deutsch: Achtung!). Sie ist eine humoristisch-satirische Zeitschrift, die insbesondere von ihren Illustrationen - Karikaturen, Comics, Witzzeichnungen und Fotomontagen - lebt. In Uruguay gibt es keine eigenen Programmzeitschriften für Funk und Fernsehen. Statt dessen bieten die Tageszeitungen z. T. suplementos mit dem Wochenprogramm des Fernsehens an. Übersichten zum TV-Programm finden sich täglich in den Ausgaben der Tageszeitungen, z. T. auch in suplementos. Eine Programmankündigung für die Hörfunkstationen gibt es aber nicht. Die Lücken, die das Zeitschriftenwesen in Uruguay aufweist, suchen wiederum ausländische Organe sich zunutze zu machen und auszufüllen. Die Chance dazu besitzen wegen der räumlichen Nähe vor allem einschlägige Titel aus dem benachbarten Argentinien. Dort produzierte Titel wie Caras, Semanario und andere sind zumindest in Montevideo an den meisten Kiosken zu haben. Aber auch Zeitschriften aus anderen Ländern spanischer Sprache - sozusagen der lingua franca Lateinamerikas -, nicht zuletzt aus Spanien selbst (z. B. ¡Hola!) trifft man in Uruguay an vielen Verkaufsstellen an. Daß Zeitschriften aus Argentinien in Uruguay z. T. mehr gelesen werden als die aus dem eigenen Land, zeigen die Leserschaftsdaten von EQUIPOS (1995). Während Posdata und Guambia nur 1,6 bzw. 0,7 Prozent der Bevölkerung erreichen, lesen Semanario 11,4 Prozent (die Zeitschrift hat damit die weitaus stärkste Nutzung), Caras 3,7 Prozent und Gente 3,2 Prozent.
4.
Hörfunk
4.1.
Geschichte
Die Geschichte des Rundfunks (Hörfunks) in Uruguay begann, von vereinzelten technischen Experimenten abgesehen, im August 1922, als der Vertreter der amerikanischen Firma General Electric, ein Mann namens Salvador Altamirano, einen Radiosender von 10 Watt aus Buenos Aires nach Montevideo brachte und dort installierte (Beceiro 1994). Gleichzeitig fanden sich an dieser Neuheit Interessierte im Radio Club del Uruguay zusammen. Übertragungen der menschlichen Stimme, aber auch schon von Musik, faszinierten sie. Die Mitglieder dieses Klubs waren die ersten, die die Erlaubnis erhielten, in ihren Wohnungen Radioempfänger einzurichten. Solche Berechtigungen wurden von der Dirección General de Telegrafía sin Hilos erteilt. Radio General Electric brachte seine Sendungen alsbald aus dem Teatro Urquiza und übertrug von dort "live" u. a. Operetten. Bereits im September 1922 fand die erste Sportübertragung von der Südamerikanischen Fußballmeisterschaft statt, wenn auch technisch noch unzulänglich. Anfang November 1922 kam ein zweiter Sender hinzu, Radio Paradizábal, benannt nach seinem Besitzer und somit eine rein uruguayische Schöpfung. Dieser verkaufte zugleich Radioempfänger und betrieb sein Programm vom Hotel Florida aus (Castillo 1979). Radio Paradizábal unterbrach sein Programm alsbald auch für erste Werbeeinschaltungen. Schon in der zweiten Woche brachte der Sender zudem ein erstes politisches Radiogespräch mit dem Ex-Präsidenten José Batlle y Ordóñez. Außer Konzerten und Rezitationen führte Radio Paradizábal Unterhaltungen zwi-
217 sehen verschiedenen Personen (charlas especiales) ein, über Themen aus Literatur und Philosophie ebenso wie über Reisen und Kochkunst. Radio General Electric dagegen konnte erstmals die uruguayische Fußballmeisterschaft übertragen. Der Boxkampf Dempsey-Firgo war im September 1923 ein weiterer Höhepunkt des jungen Mediums. Gesendet wurde zu dieser Zeit zwischen zwei und vier Stunden am Tag. Im Jahre 1924 wurden weitere Radiostationen in Uruguay gegründet (Beceiro 1994). Carlos Romay, Inhaber eines Süß Warengeschäfts, richtete ein Studio für seinen Sender CX 20 Radio Montecarlo ein. Da dieser heute noch besteht, ist er inzwischen der älteste in Uruguay. Daß er unter den Sendern alsbald führend wurde, verdankte er nicht zuletzt der Beliebtheit einer neuen Sendeform, den Hörspielen (Radioteatros). Im Jahr darauf folgte CX 30 Radio Nacional. Im Oktober 1928 nahm CX 16 Radio Carve seinen Sendebetrieb auf. Es entstand eine jahrzehntelange Rivalität zwischen diesem neuen Sender und Radio General Electric, das in Radio El Espectador umbenannt wurde. Sowohl in Musik- als in Nachrichtensendungen machte man sich Konkurrenz. Bei Radio Carve prägten Sendungen wie El Diario Oral (journalistisch) und El Suplemento Musical (unterhaltend) das Programm. Sowohl die hohe Zeit des Tango als auch der sich ausbreitende Jazz fanden darin ihren Platz (60 años Carve 1989). Als weiterer Sender trat noch im gleichen Jahr CX 12 Radio Westinghouse (heute Radio Oriental) auf den Plan. Trinidad Blancos Stimme wurde zum Markenzeichen des Senders und dieser damit zum Favoriten des Publikums. Nicht nur in Uruguays Hauptstadt, auch im Landesinneren entstanden in den zwanziger Jahren erste Radiosender, Radio Paysandú 1924, Radio Durazno 1926, Radio Cultural de Salto 1928 (Castillo 1979, 108). Am 13. November 1928 wurde mit der Ley No. 8.390 das erste Rundfunkgesetz in Uruguay erlassen. Es sollte bis Ende der siebziger Jahre die einzige allgemeine Rechtsgrundlage für den Rundfunk in diesem Land bleiben. Im Jahr darauf, 1929, kam es zur Gründung weiterer Radiostationen (Beceiro 1994). Im Juni war es Radio Fénix, das populäre Neuerungen in seinem Musikprogramm einführte. Im Juli folgten CX 22 Fada Radio (dann in Radio Universal umbenannt), im Dezember CX 28 Edison Broadcasting (später Radio Imparcial). Im November hatte sich CX 48 Radio América, ein Anhängsel von Radio Nacional, verselbständigt. Durch die Ley No. 8.557 wurde im Dezember 1929 als staatliche Einrichtung der Servicio Oficial de Difusión Radioeléctrica (SODRE) geschaffen. Diese Organisation wurde nicht nur zum Träger des staatlichen Hörfunks (und später Fernsehens) in Uruguay, sondern entwickelte sich zu einem Gebilde mit vielfältigen Aufgaben im uruguayischen Kulturleben. Die erste Radiostation von SODRE nahm am 4. Januar 1930 über die Frequenz CX 6 ihren Betrieb auf. Weitere Radiostationen kamen noch im selben Jahr hinzu, doch mit Radio Paradizábal, das seinen Platz Radio Sudamericana überließ, verschwand auch eine der ersten Stationen. Die erste Fußballweltmeisterschaft (1930) führte andererseits zu einem Boom im Geräteabsatz. In den Radioprogrammen kam es zu Neuerungen und Veränderungen. Radio Carve brachte den ersten Wetterbericht, und Anfang 1931 übertrug der gleiche Sender das erste Konzert aus Buenos Aires. 1931 wurde noch ein weiterer, für die Geschichte des Hörfunks in Uruguay wichtiger Sender eröffnet. Er hieß zunächst CX 8 Radio Jackson, nahm im Jahre 1946 den Namen Radio Sarandi an, unter dem er bis heute einer der bemerkenswertesten im Lande ist. Er machte als "talk radio" Furore. Sendezeiten und Programme wurden von den Radios ausgeweitet. Radio El Espectador (früher General Electric) legte
218 sich eine Empfangsanlage für die Nachrichtenagentur United Press zu. Es entstanden jetzt berühmte Informationssendungen, u. a. den legendären El Repórter Esso. Radio Sport, aus CX 18 Difusora Colón hervorgegangen, wurde der erste ausschließliche Sportsender (später Radio Libertad Sport). Das Jahr 1933 brachte für den Hörfunk in Uruguay vor allem zwei neue Entwicklungen. Der Diktator Gabriel Terra entdeckte ihn als politisch nutzbares Medium und wandte sich mit seinen Botschaften über ihn an das gesamte Land. Zum anderen schlössen sich elf Radiosender zur Asociación Nacional de Broadcasters Uruguayos (ANDEBU) zusammen, womit eine bis heute bestehende Kettenbildung einsetzte (Imperio 1992). Obwohl Uruguay am Zweiten Weltkrieg nicht teilnahm, blieben die Folgen für das Land nicht aus. So mußte CX 26 Radio Uruguay seine Sendungen auf britischen Druck hin einstellen, weil es den Nazis Informationen über Schiffsbewegungen im Río de la Plata zugänglich machte. 1945 nahm CX 4 Radio Rural seine Sendungen für das Landesinnere auf, und SODRE begann mit Kurzwellensendungen. Ein "goldenes Zeitalter" bescherte die Werbung dem uruguayischen Hörfunk in den fünfziger Jahren. Die Werbezeiten waren ausgebucht wie nie zuvor. Für die Programmgestaltung wurde die Einführung der Langspielplatte bedeutsam. Anerkennung fand die Rolle, die einzelne Sender 1955 beim Sturz des argentinischen Diktators Juan Domingo Perón, in der sogenannten Revolución Libertadora, spielten (Beceiro 1994, 52ff). Die Zahl der Radiostationen in Uruguay vermehrte sich nochmals in den sechziger und siebziger Jahren, und zwar vor allem im Landesinneren. SODRE hatte weitere Sender bereits Ende der vierziger, Anfang der fünfziger Jahre eröffnet. Andererseits wurde das Radio auch in Uruguay durch den Aufstieg des Fernsehens seit den sechziger Jahren einer starken Konkurrenz ausgesetzt. Zu einer neuen Gründungswelle führte jedoch die Einführung des frequenzmodulierten Hörfunks Mitte der achtziger Jahre. Zuvor hatte auch der Hörfunk in Uruguay unter der Militärherrschaft zu leiden gehabt (Gabay 1988). War man Ende der sechziger Jahre zunächst gegen (linksorientierte) Presseorgane vorgegangen, so wurde im Juli 1970 mit Radio Universal erstmals auch ein Hörfunksender für 24 Stunden suspendiert. In der Zuspitzung der politischen Krise machte 1973 Präsident Bordaberry den Versuch, Radio Carve und Radio Montecarlo zu offiziellen Sendern zu erklären. Insgesamt 13 Radiosender wurden verwarnt oder zeitweise - bis zu mehreren Wochen - geschlossen.
4.2.
Rundfunkrecht
Die Rechtsordnung des Rundfunks ist in Uruguay schwer überschaubar und kompliziert (País Bermúdez 1992a). Eine ganze Reihe von Gesetzen und Verordnungen sind in Betracht zu ziehen. Ältere Gesetze sind z. B. bisher nicht aufgehoben oder insgesamt neu gefaßt, sondern durch nachfolgende Dekrete nur (partiell) modifiziert worden. Dies wirkt verwirrend. Die Grundlagen des Rundfunkrechts erstrecken sich sowohl auf Hörfunk als auch auf Fernsehen. Das erste Rundfunkgesetz, das die Zulassung von Sendern regelte, wurde in Uruguay 1928 erlassen (Ley No. 8.390). Es war bis in die siebziger Jahre in Kraft und wurde erst von den Machthabern der Militärdiktatur ersetzt. Der Decreto Ley No. 14.670 vom 23.6.1977, genannt Ley de Radiodifusión, ist, von den zu erwähnenden
219 späteren Modifikationen abgesehen, bis heute in Kraft geblieben. Er erklärte die Rundfunkdienste zu einer Sache öffentlichen Interesses, die von offiziellen und privaten Einrichtungen aufgrund von Autorisierung und Lizenz betrieben werden können (Art. 1). Der Art. 2 räumte dem Servicio Oficial de la Difusión Radioeléctrica (SODRE) eine Präferenz bei der Frequenzzuteilung ein. In Art. 3 wurden den privaten Sendern Vorschriften zur Verantwortlichkeit gemacht. Insbesondere wurden ihnen Störungen der öffentlichen Ordnung, Verletzungen der Moral und guten Sitten, die Gefährdung der Sicherheit und die Beeinträchtigung des Ansehens der Republik untersagt. Die (in Art. 4) angedrohten Maßnahmen reichten bis zur zeitweiligen oder definitiven Schließung von Sendern. Von diesen Sanktionen war unter der Militärherrschaft eine ganze Reihe von Radiosendern betroffen. Die Ausübung des Kontrollrechts über den Rundfunk wurde in dem Gesetz der Dirección Nacional de Relaciones Públicas (DINARP) übertragen. Bereits vor Erlaß des Rundfunkgesetzes war durch den Decreto Ley No. 13.253 vom 25. Juli 1974 die Administración Nacional de Telecomunicaciones (ANTEL) als Zentralbehörde für Telekommunikation mit Monopolanspruch geschaffen worden. Diese Organisation besitzt in Uruguay die fernmeldetechnische Zuständigkeit. Ihre geplante Privatisierung scheiterte durch das u. a. auch dagegen eingeleitete Plebiszit 1992. Ergänzt wurde die Ley de Radiodifusión 1978 durch den Decreto Reglamentario No. 734/978. Damit wurde zusätzlich eine Vielzahl detaillierter Einzelvorschriften erlassen, und zwar in sieben Kapiteln mit 35 Artikeln. Im ersten Kapitel wurde die Zulassungspflicht erneuert. Spätere Änderungen wurden an die Zustimmung der DINARP gebunden, zweckwidriger Gebrauch der Frequenzen oder deren Störung verboten. Freie Frequenzen müssen öffentlich ausgeschrieben werden. Im zweiten Kapitel sind die Voraussetzungen und Erfordernisse für die Zuteilung einer Lizenz genannt. Unterschiede bestehen hier, je nachdem ob es sich um eine natürliche oder eine juristische Person (z. B. Aktiengesellschaft) handelt. Außer über Namen und Wohnort muß über die wirtschaftliche Solvenz Auskunft erteilt werden. Auch vorhandene Beteiligungen an anderen Radiostationen sind offenzulegen. Art. 12 bestimmt, daß keine Person mehr als zwei Frequenzen in jedem der drei Frequenzbänder ganz oder teilweise erhalten kann; gleichwohl kann jemand insgesamt (ganz oder teilweise) über mehr als drei Frequenzen verfügen. Im dritten Kapitel des Dekrets sind Fristen für die Eröffnung von Radio- und Fernsehstationen nach Erteilung der Lizenz vorgegeben. Das vierte Kapitel präzisiert den Charakter der Lizenzen. Beispielsweise ist ein Wechsel in der Trägerschaft ohne Genehmigung nicht erlaubt. Eine Übertragung der Lizenz in den ersten fünf Jahren nach der Erteilung ist überhaupt nicht zulässig, für andere Fälle sind genaue Regeln vorgesehen. Das sechste Kapitel des Dekrets regelt technische Bedingungen, deren Festlegung (einschließlich der Mindestsendezeit) zunächst der DINARP überlassen wurde. Der Lizenznehmer hat über seine technische Ausstattung Rechenschaft abzulegen. Die DINARP wurde ferner zu Inspektionen autorisiert. Unter den Bestimmungen des sechsten Kapitels wurden den Radiostationen Geschenke oder Subventionen aus dem Ausland untersagt, zumindest ohne Erlaubnis der Regierung. Art. 24 des Dekrets spezifizierte die in der Ley de Radiodifusión vorgesehenen Sanktionen. Hinzu kommen (im Kapitel VII) noch Normen zur Programmgestaltung und (mittelbar) zur Finanzierung. Der Artikel 28 konkretisierte in mehreren Punkten die an den Prinzipien der "nationalen Sicherheit" orientierten Programmvorgaben der herrschenden Militärs. Im Art. 29 findet man die Vorschriften für die Werbung. Was ihre Dauer angeht, so besteht ein Unterschied zwischen dem Departement Monte-
220 video und dem Landesinneren. In der Hauptstadt darf im Fernsehen 15 Minuten pro Stunde, im Radio 18 Minuten pro Stunde geworben werden. Im Landesinneren kann diese Grenze um fünf Minuten ausgeweitet werden, sowohl im Radio als auch im Fernsehen. Von der Begrenzung der Werbezeit sind bestimmte Stunden (beim Fernsehen), bestimmte Jahreszeiten (vor den Festtagen am Jahresende) und auch bestimmte Arten von Ankündigungen (öffentliche Dienste, Sicherheit, Gesundheit) wie auch Sendungen (Bildung und Erziehung, Touristik u. a.) ausgenommen. Musikstücke dürfen im Radio nicht für Werbedurchsagen unterbrochen werden. Vier Fünftel der pro Tag gesendeten Werbung müssen aus nationaler Produktion stammen, wofür nähere Kriterien benannt sind. Einer eigenen Erlaubnis bedarf es für die Ausstrahlung fremdsprachiger Programme (Art. 30). Alle Sendungen müssen aufgezeichnet und eine bestimmte Zeit konserviert werden (Art. 31). Art. 32 enthält Bestimmungen zur Kettenbildung. Der Dirección Nacional de Relaciones Públicas (DINARP) wurde in Art. 33 das Recht zugesprochen, über täglich 30 Minuten im Programm verfügen zu können. Dieser Aufsichtsbehörde sollte auch sieben Tage im voraus jeweils der Programmablauf gemeldet werden (Art. 34). Die in großen Teilen restriktive Ley de Radiodifusión No. 14.670 wurde nach dem Ende der Militärherrschaft nie als ganze annulliert. Allerdings wurde sie in der ersten Regierungszeit Julio María Sanguinettis durch den Decreto 350/986 vom 8. Juli 1986 zumindest in Teilen aufgehoben oder doch modifiziert. Bereits mit dem Decreto Ley No. 15.671 vom 8. November 1984 waren die in der Ley de Radiodifusión der Administración Nacional de Telecomunicaciones (ANTEL) überlassenen Kompetenzen bezüglich des Rundfunks dieser Organisation entzogen und der neu eingerichteten Dirección Nacional de Comunicaciones (DNC) übertragen worden, die im Ministerio de Defensa Nacional angesiedelt wurde. Sie hat seitdem die nationale Kommunikationspolitik in Uruguay zu beraten, zu koordinieren und auszuführen. Mit der Auflösung des vorherigen politischen Kontrollinstruments der Dirección Nacional de Relaciones Públicas (DINARP) wurden auch deren Funktionen im Bereich des Rundfunks hinfällig. Danach trat durch den Decreto Ley No. 350/986 nicht nur die Dirección Nacional de Comunicaciones (DNC) im Rundfunk an die Stelle von ANTEL, sondern eine Reihe von Artikeln des Decreto Ley No. 14.670 wurden entweder ganz gestrichen oder geändert. Zwar wurden die formellen Bestimmungen dieses Gesetzes großenteils beibehalten, nur einige (Art. 3c, 4e, 5, 6) erhielten eine neue Fassung. Dagegen wurden die besonders stark vom Geist der Militärherrschaft geprägten inhaltlichen Vorgaben überwiegend ganz beseitigt (Art. 26, 27, 28 [2. 4. 5. 8], 29 [1], 32 [3], 35, 36). Beibehalten wurde die Verpflichtung, nationale Ressourcen künstlerischer, professioneller, technischer und kultureller Art zu fördern. Die hier wiedergegebenen Regelungen des Rundfunkrechts sind in den zurückliegenden Jahren vor allem durch Bestimmungen zum Kabelfernsehen ergänzt worden (s. u.). An einer weitergehenden Reform im Kernbereich des Rundfunkrechts fehlt es dagegen. Daß eine solche notwendig sei, wird jedoch von Fachleuten empfunden (vgl. País 1990; País Bermúdez 1992a). Kritisiert wird z. B. die Zuordnung der Dirección Nacional de Comunicaciones (DNC) (mit ihrer Zuständigkeit für den Rundfunk) zum Ministerio de Defensa Nacional, die sich auf alte, überholte Vorbehalte gegenüber der zivilen Nutzung der Fernmeldetechnik gründet. (Vorgeschlagen wird statt dessen eine Integration in das Ministerio de Educación y Cultura oder das Ministerio del Interior.) Ferner ist u. a. die Verpflichtung, "amtliche" Sendezeit zur Verfügung zu stellen, umstritten.
221 Außer den einschlägigen Rechtsgrundlagen, die hier angeführt wurden, gilt für die Tätigkeit im Rundfunk sinngemäß die Ley de Prensa No. 16.099. Juristische Konflikte hat es in Uruguay in jüngerer Zeit auch beim Radio wieder gegeben. So wurden 1994 durch Verfügung der Dirección Nacional de Comunicaciones (DNC) zwei Radiostationen wegen illegaler Sendungen geschlossen, nachdem diese eine Übertragung zur Auslieferung angeklagter Basken durch die uruguayische Regierung an Spanien organisiert hatten. Während CX 36 Radio Centenario nur zeitweise sein Programm einstellen mußte, war die Schließung von CX 44 Radio Panamericana definitiv. Im letzteren Fall wurde die Lizenz entzogen, da diese 1988 ohne amtliche Genehmigung von den damaligen Inhabern der Túpac Amaru S.R.L. überlassen worden war (Servicio Paz y Justicia 1994,43f).
4.3.
Die Struktur des Hörfunks in Uruguay heute
4.3.1. Bestand und Verbreitung Uruguay verfügt über eine reichhaltige Hörfunklandschaft. 1995 gab es insgesamt 194 Radiostationen. Darunter befanden sich 87 amplitudenmodulierte (AM-) Stationen. Während deren Zahl in den letzten Jahren ziemlich konstant blieb, haben sich die frequenzmodulierten (FM-)Stationen erheblich vermehrt. Waren es Ende der achtziger Jahre noch 66, so 1995 97 derartige Sender, d. h. deren Zahl übersteigt inzwischen die der AM-Stationen. Die übrigen zehn sind Kurzwellensender. Wie sich die Hörfunksender auf die einzelnen Departements verteilen, zeigt Tabelle 2. Die größte Dichte weist auch hier das Ballungszentrum Montevideo auf. In der Hauptstadt sind allein 22 AM-Sender angesiedelt. Hinzu kommen noch 13 FM-Sender (zusammengenommen ist dies ein Fünftel aller Hörfunkstationen des Landes). Die meisten AM-Sender nach Montevideo weisen die Departements Salto sowie Colonia, Paysandü, Rivera und Rocha auf (je 5). Die meisten FM-Stationen außerhalb der Hauptstadt finden sich in Canelones (12), Rocha (8) und Maldonado (7). Auch Mercedes verfügt zumindest über zwei FM-Stationen. Groß sind die Unterschiede in der Sendestärke (und damit der Reichweite) der Radiosender. Diejenigen, die in Montevideo ansässig sind, sind großenteils besser ausgestattet als diejenigen im Landesinneren. Mit 125 Kilowatt besitzt CX 12 Radio Oriental die größte Sendestärke, gefolgt vom staatlichen Sender CX 6 SODRE (100 kw). Weitere Sender mit einer größeren technischen Reichweite sind noch CX 4 Radio Rural (50 kw), CX 16 Radio Carve, CX 14 Radio El Espectador (50 kw) sowie CX 18 Radio Libertad Sport und CX 20 Radio Montecarlo (25 kw). Diese (und einige andere) Radiosender strahlen ihre Sendungen somit auch über Montevideo, ja sogar z. T. landesweit aus. Die AM-Stationen im Landesinneren verfügen dagegen überwiegend nur über eine viel geringere Sendestärke (häufig nur 250 Watt) und decken damit jeweils nur ein begrenztes Gebiet im Lande ab. Letzteres gilt erst recht für die FM-Stationen. Selbst bei größerer Sendestärke ist ihre Reichweite allein technisch bedingt - geringer als bei den AM-Stationen.
222 Tabelle 2: Radiostationen in Uruguay Departement
AM-Stationen
FM-Stationen
Insgesamt
Artigas Canelones Cerro Largo Colonia Durazno Flores Florida Lavalleja Maldonado Montevideo Paysandú Río Negro Rivera Rocha Salto San José Soriano Tacuarembó Treinta y Tres
4 3 4 5 3 1 2 3 3 22 5 3 5 5 7 1 4 4 3
4 12 6 3 4 2 2 3 7 13 5 3 4 8 5 4 4 6 2
8 15 10 8 7 3 4 6 10 35 10 6 9 13 12 5 8 10 5
Insgesamt
87
97
184
Quelle: ICD 1995
In Uruguay ist der Hörfunk fast ausschließlich privatwirtschaftlich organisiert. Von den 87 AM-Sendern sind nur drei in staatlicher Hand, und zwar als Bestandteil des Servicio Oficial de Difusión, Radiotelevisión y Espectáculos (SODRE). Diese Einrichtung war, wie schon erwähnt, 1929 zur Produktion von Informations- und Kulturprogrammen geschaffen worden. Sie ist bis heute Träger des staatlichen Hörfunks (und auch Fernsehens), tritt aber darüber hinaus als Veranstalterin von Theater- und Konzertaufführungen auf und hält sich ein eigenes Ballett. Alle drei AMHörfunksender von SODRE befinden sich in Montevideo. Von drei FM-Stationen SODRES senden eine aus Montevideo und zwei aus Tacuarembó. Führend sind unter den privaten Radiostationen Uruguays noch heute Unternehmen, die bereits in der Frühzeit dieses Mediums entstanden. Dazu gehören CX 16 Radio Carve, CX 12 Radio Oriental, CX 14 Radio El Espectador, CX 20 Radio Montecarlo, CX 22 Radio Universal, CX 24 Radio Nuevo Tiempo und CX 8 Radio Sarandi. Sie bestehen inzwischen mehr als 50, ja bis zu 60 und 70 Jahre. Die FM-Radios haben sich dagegen erst seit Mitte der achtziger Jahre etabliert.
223 Charakteristisch ist für Uruguay - wie für andere Länder Lateinamerikas - die Bildung von Radioketten. Die älteste ist die Asociación Nacional de Broadcasters Uruguayos (ANDEBU), die 1933 gegründet wurde. Die Organisation vertritt gemeinsame Interessen ihrer Mitglieder. In ihrer Declaración de Principios (zuletzt 1992 erneuert) verpflichtet sie sich, der Meinungs- und Kommunikationsfreiheit zu dienen. Jeweils täglich um 12 Uhr schalten sich die zugehörigen Sender für kurze Zeit auch zusammen. ANDEBU gehörten 1995 53 AM-Radiostationen an (Tabelle 3). Dazu gehören auch 17 Sender in der Hauptstadt. Die anderen Ketten werden dagegen ausschließlich von Radios im Landesinneren gebildet. Dabei sind zahlreiche dieser Radios nicht nur einer, sondern gleichzeitig mehreren Ketten angeschlossen. Die Asociación de Radios de Amplitud Modulada del Interior (RAMI) hatte 1995 53 Mitglieder, die Cooperativa de Radioemisores del Interior (CORI) 36, darunter 29 AM- und sechs FM-Stationen.
Tabelle 3: Radioketten in Uruguay: AM-Stationen Departement
ANDEBU
Canelones Cerro Largo Colonia Durazno Flores Florida Lavalleja Maldonado Montevideo Paysandú Río Negro Rivera Rocha Salto San José Soriano Tacuarembó Treinta y Tres
3 3 1 2 1 1 3 3 17 1 1 3 4 2 1 1 3 2
Insgesamt
53
Quelle: ICD 1995
CORI
RAMI
3 1 2 2 1 2 1 2
3 3 5 2 1 2 3 2
-
REDI
SODRE
ohne Angabe _
_ 2 2 1
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
1
-
-
-
-
3
5
3 1 3 4 3 1 1 3 1
5 2 5 4 5 7 2 3 2
1 2 1 1 1
-
-
36
60
-
2 1 -
17
-
-
-
-
-
-
-
1
-
-
-
1
-
-
-
-
3
7
224 CORI wurde 1961 gegründet. Nicht nur technisches Gerät wird gemeinschaftlich beschafft, sondern dies gilt auch für die Akquirierung von Werbung. Hierfür besitzt die Kooperative eine Niederlassung in der Hauptstadt, wozu auch ein Studio gehört. Um 13 und 21 Uhr schließen sich die zugehörigen Sender zu gemeinsamen Informationssendungen gegründet wurde. Neben den genannten besteht noch die Cadena de Oro de Radioemisoras del Interior (REDI), die jeden Tag um 13 Uhr zusammen mit CX 16 Radio Carve (Montevideo) ein Informationsprogramm bietet. Während ANDEBU zusammen. Ähnlich ist es bei RAMI, eine Organisation, die 1985 neben 53 AM- auch 33 FM-Stationen angeschlossen sind, gehören die meisten FM-Sender (bisher) keinen Ketten an (zumindest fehlen Angaben). Bei RAMI und REDI fehlen sie ganz, bei CORI sind es bislang nur wenige (ICD 1995).
4.3.2. Sendertypen und Programme Die Radiosender in Uruguay lassen sich nach Frequenz und Programminhalten in verschiedene Typen gruppieren. Entsprechend unterschiedlich ist auch ihr jeweiliges Publikum. Ein Programm traditioneller Art mit leichter, abwechslungsreicher Musik und unterhaltsamen Nachrichten bieten u. a. CX 16 Radio Carve, CX 20 Radio Montecarlo und CX 22 Radio Universal. Daneben gibt es Stationen, die ein ausgesprochen journalistisches Informationsprogramm pflegen. Hier ist nicht nur der Nachrichtenanteil größer, sondern es gibt auch politische Analysen. Teilweise über Stunden hinweg werden Interviews und politische Diskussionen gesendet. Diesen Typ verkörpern CX 8 Radio Sarandi, CX 14 Radio El Espectador, CX 24 Radio Nuevo Tiempo und CX 30 Radio Nacional. Gehört werden diese Sender vor allem von Leuten mittleren und höheren Alters bzw. von solchen eines mittleren und höheren Bildungsgrades und sozialen Status. Ein weiterer Typ von AM-Stationen widmet sich primär der Folklore-Musik und pflegt die am Río de la Plata verwurzelte Vorliebe für den Tango. Außerdem gibt es Sport- und Informationssendungen. Ein solches Programmangebot findet man u. a. bei CX 12 Radio Oriental, CX 18 Radio Libertad Sport, CX 58 Clarín, aber auch bei den staatlichen Sendern von SODRE (CX 6, CX 26, CX 38). Es wird von älteren und männlichen Hörern der Mittel- und Unterschicht eingeschaltet. Eine Reihe weiterer Hörftinkstationen setzt vor allem auf (journalistische) Sendungen mit Publikumsbeteiligung. Sie werden von älteren Menschen, unabhängig von Geschlecht und sozialer Schicht, geschätzt. Vertreten ist dieser Typ durch CX 4 Radio Capital, CX 28 Radio Imparcial oder CX 32 Radiomundo. Ganz anders sieht es bei den FM-Stationen aus. Ihre Programme bestehen so gut wie ausschließlich aus Musik. Die einen bevorzugen aktuelle, insbesondere RockMusik anglo-amerikanischer und spanischer Provenienz (u. a. Radio Concierto, Radio del Plata, Radio del Sol). Andere bringen Musik der sechziger Jahre und der Zeit danach. FM-Radios werden primär von der Jugend gehört, wobei es weniger geschlechts- als gewisse schichtspezifische Unterschiede gibt. Die reine Unterhaltungsfunktion der FM-Radios zeigt sich überdies darin, daß sie keine religiösen Sendungen aufweisen, was in den AM-Stationen z. T. durchaus der Fall ist. Die auch in Südamerika voranschreitende Internationalisierung hat mittlerweile die Radios erfaßt. Täglich zwischen 10 und 10.30 Uhr schließen sich für kurze Zeit Sender aus vier Ländern zum Red Cono Sur de Comunicaciones zusammen. Daran
225 ist auch Uruguay durch Radio Carve beteiligt. Angeschlossen sind ferner Sender aus Argentinien {Mitre, Buenos Aires), Brasilien (Gaúcha, Porto Alegre) und Paraguay (Ñandutí, Asunción).
4.3.3. Finanzierung Die staatlichen Radiosender von SODRE werden überwiegend aus öffentlichen Mitteln finanziert, die privatwirtschaftlich organisierten Stationen dagegen ausschließlich aus Werbung. Die Hörer müssen folglich keine Gebühren zahlen, wodurch das Hörfunk-Medium für die Bevölkerung viel erschwinglicher ist als die Zeitungen. Der Anteil des Radios an den Ausgaben für Werbung hat in Uruguay abgenommen. Von den 200 Millionen US-Dollar, die das gesamte Werbebudget in Uruguay erreicht hat (jährliche Wachstumsrate ca. 10-15 %), entfallen lediglich noch acht Prozent auf das Radio. Dieses steht damit hinter Fernsehen und Presse an dritter Stelle. Im Laufe der Jahre hat der Hörfunk Werbeanteile an das Fernsehen abgeben müssen. Während die reichweitenstarken Sender der Hauptstadt von den "Großkunden" bevorzugt werden, leben die Sender im Landesinneren von der lokalen Werbung. Allerdings versuchen diese Sender im Gemeinschaftsverbünd (z. B. von CORI) auch Werbung in Montevideo zu akquirieren.
4.3.4. Reichweite und Nutzung In Uruguay ist das Radio das am leichtesten zugängliche Medium. Jeder der rund 900.000 Haushalte verfügt im Durchschnitt über drei Radiogeräte (insgesamt geschätzte 2,7 Millionen). Das entspricht einer Hörerdichte von über 800 pro tausend Einwohner. Allerdings ist die Radionutzung seit Mitte der achtziger Jahre rückläufig. Wurden 1987 pro Woche noch 93 Prozent der Bevölkerung Montevideos vom Radio erreicht, waren es 1992 nur noch 65 Prozent und im ersten Halbjahr 1995 73 Prozent. Die durchschnittliche Reichweite pro Stunde betrug zum letztgenannten Zeitpunkt in der Hauptstadt die Woche über 14,3 Prozent (EQUIPOS 1995). Die Reichweite des Radiomediums steigt vom frühen Morgen an kontinuierlich und erzielt zwischen 10 und 11 Uhr mit 36,9 Prozent der Bevölkerung den höchsten Stundenwert. Danach sinkt die Reichweite langsam ab, auf etwas über 20 Prozent am Nachmittag und unter 10 Prozent am Abend. Der Sender mit der größten Reichweite in Uruguay ist CX 20 Radio Montecarlo. Sie beträgt in Montevideo rund ein Fünftel. Danach folgen drei FM-Sender (Azul, Galaxia, Concierto) mit 12 bzw. knapp zehn Prozent. Wie beliebt selbst ausgesprochene Wortprogramme sind, zeigt sich bei CX 8 Radio Sarandi, das mit 8,4 Prozent Reichweite das zweiterfolgreichste AM-Radio in Montevideo ist. Die anderen großen Radiostationen der Hauptstadt erzielen eine Reichweite zwischen sechs und einem Prozent. Beim staatlichen CX 6 Radio Sodre sind es ebenfalls nicht mehr als 1,1 Prozent. Die Zersplitterung der Reichweiten in Montevideo ist auf die große Anzahl konkurrierender Programmanbieter zurückzuführen. Bei den Radiostationen im Landesinneren ist das großenteils anders. Da es hier lokal zumeist nur wenige Sender gibt, ist deren Reichweite in ihrem Sendegebiet in der Regel größer. In einer ganzen Reihe von Fällen übersteigt sie die 50 Prozent-
226 Marke. Durch die Expansion der FM-Sender haben die AM-Sender Hörer verloren. Der Anteil der erstgenannten an der Radionutzung stieg von 27,8 Prozent (1991) auf 43,6 Prozent (1995), der Anteil der letzteren ging entsprechend zurück (EQUIPOS 199S). Nicht nur die Reichweite, sondern auch die Hördauer des Radiohörens war in Uruguay seit Mitte der achtziger Jahre rückläufig, und zwar von durchschnittlich 2,7 auf 1,1 Stunden pro Tag (Aguiar / Sprechmann / Da Rosa 1992). Zu der Verringerung der Radionutzung trug u. a. bei, daß die uruguayischen Fernsehstationen 1991 dazu übergingen, ihr Programm auszuweiten und damit bereits um 7.30 Uhr zu beginnen, zu einer Zeit, in der üblicherweise viel Radio gehört wird.
4.3.5. Besitzstruktur Der Vielzahl der Sendestationen entsprechend, ist der Besitz beim Hörfunk am breitesten gestreut. Man findet hier Unternehmen ganz unterschiedlicher Größenordnung. Dies sind zum einen die drei großen, (auch) im Fernsehen agierenden Familiengruppen (s. u.). In ihrem Eigentum befinden sich die reichweitenstarken, in Montevideo ansässigen Radiosender. Den Familien Fontaina-De Feo gehören CX 18 Radio Carve und CX 24 Radio Nuevo Tiempo, den Familien Romay-Salvo CX Radio Montecarlo. Bis zum Verkauf an das Movimiento Liberación Nacional (MLN) der Tupamaros war CX 44 Radio Panamericana ein Teil des Konglomerats der Gruppe Scheck y asociados. Daneben gibt es eine Reihe von Gruppierungen mittlerer Größe. Hierzu sind die Difusoras del Uruguay S. A. mit fünf Radiostationen zu rechnen (Pallares / Stolovich 1991, 125ff). Insbesondere im Landesinneren findet sich der lokale Verbund des Besitzes von Radio- und Fernsehsendern (ebd., 189ff). Schließlich gibt es dort auch den Einzelbesitz von Radiostationen, deren Eigentümer als "Unabhängige" anzusehen sind. Dieser Gruppe wurden Anfang der neunziger Jahre 47 AM-Sender (neun in Montevideo, 38 im Landesinneren) und 19 FM-Sender (sechs in Montevideo, 13 im Landesinneren), zugerechnet (ebd., 137ff). Ihre Finanzkraft ist allerdings bescheiden. Diese nimmt von den großen über die mittleren Gruppen nach unten stark ab. In staatlichem Besitz des Servicio Oficial de Difusión, Radiotelevisión y Espectáculos (SODRE) befinden sich drei AM-Sender und ein FM-Sender (sowie zwei Kurzwellensender).
5.
Fernsehen
5.1.
Geschichte
Erste Fernseh-Versuche gehen in Uruguay bis in die dreißiger und vierziger Jahre zurück (Beceiro 1994, 76ff). Ein Autidodakt namens Mario Giampietro machte damals technische Experimente zur elektronischen Bildübertragung zwischen einem Sender und einem Empfänger. 1943 erhielt er eine amtliche Erlaubnis für eine Probeausstrahlung. Dies hat man sogar als erste Lizenzierung eines Fernsehkanals (CX 5 AQ) in Südamerika ausgegeben. Wohl wurde die Sendetechnik über eine Entfernung von 3.000 Metern erprobt, doch mehr wurde daraus - zumal wegen Geldmangels zunächst nicht. 1951 legte das Ministerio de la Defensa Nacional erstmals techni-
227 sehe Normen für das Fernsehen fest. Mit einem Dekret von 1954 schloß man sich dem nordamerikanischen NTSC-System (525 Zeilen) an (Faraone 1989). Am 15. Juli 1955 vereinbarten im Hause des Ministerio de Instrucción Pública y Previsión Social der staatliche Servicio Oficial de Difusión Radioeléctrica (SODRE) und die amerikanische Firma General Electric einen Vertrag über die Nutzung des Fernsehkanals 5 (CXA TV 5). Dieser sollte in gut einem Jahr eingerichtet sein, doch zogen sich die Vorarbeiten dazu - nach einer längeren Unterbrechung - bis 1963 hin. In der Zwischenzeit waren damals allerdings längst andere, privat organisierte Fernsehsender entstanden. Im Dezember 1956 hatte Canal 10 seinen Betrieb aufgenommen (Pallares / Stolovich 1991, 164ff). Dessen Träger war die Sociedad Anónima Emisoras de Televisión (SAETA), deren Anfänge in die späten vierziger Jahre zurückreichten. Ein Probebetrieb war von Dezember 1955 bis Mai 1956 auf einer Industrieausstellung in Montevideo veranstaltet worden (Beceiro 1994, 83f)- Die technischen und programmlichen Möglichkeiten sowie die Reichweite von Canal 10 waren zunächst aber sehr bescheiden. Die rechtliche Grundlage für ihn war im Juni 1956 durch das Dekret Nr. 23.941 geschaffen worden, welches das Fernsehen in die Ley de Radiodifusión No. 8.390 vom 3.11.1928 einfügte (Faraone 1989, 60Am 19. April 1961 nahm ein zweiter Fernsehanbieter sein Programm auf, Montecarlo TV-Canal 4, und am 2.5.1962 folgte ein dritter, Teledoce-Canal 12. Erst am 19. Juni 1963 kam dann der staatliche Canal 5-SODRE hinzu. Damit waren die vier Säulen errichtet, auf denen das uruguayische Fernsehsystem bis heute ruht. Im Laufe der Jahre konnten die technische Ausstattung der Sender verbessert und die Programminhalte erweitert und vielseitiger werden, mit Shows und Musiksendungen, Theateraufführungen und Sportübertragungen, Spielfilmen und "Talk"-Sendungen. 1978, rechtzeitig zur Fußball Weltmeisterschaft, wurde das Farbfernsehen in Uruguay eingeführt. In den sechziger Jahren begann die Ausbreitung des Fernsehens auch in das Landesinnere. Darum bemühte sich insbesondere eine Asociación Pro Televisión Para el Interior (APTI). Großes Interesse daran hatten als Mitglieder vor allem die Gerätehändler (Beceiro 1994, 86ff). Ein lokaler Programmversuch wurde zunächst in Paysandú (Casino Monte Carlo) gestartet, dann in Fray Bentos. Bis Ende des Jahrzehnts entstanden Fernsehsender in verschiedenen Orten des Landes, so in Rocha (1966), Artigas und Tacuarembó (1967), Paysandú und Rivera (1968) sowie Cerro Largo (1970). Ein eigenständiger Programmbetrieb konnte sich im Landesinneren aber nur schwer entwickeln, dazu fehlte es dort an den technischen, finanziellen und programmlichen Voraussetzungen. So suchten sich vielmehr auch dorthin die in der Hauptstadt Montevideo ansässigen Fernsehkanäle auszubreiten. Das private Fernsehen konnte sich in Uruguay bis 1974 vergleichsweise unkontrolliert entfalten. Bis dahin gab es nur eine geringe Regulierung, die über die genannte Festlegung technischer Normen kaum hinausging. Das mittlerweile zur Herrschaft gelangte Militär erließ 1974 jedoch die Ley No. 14.235, mit der die Administración Nacional de Telecomunicaciones (ANTEL) als Regulierungsbehörde eingerichtet wurde. Hinzu kam zur inhaltlichen Aufsicht die Dirección Nacional de Relaciones Públicas (DINARP). Der autoritären Kommunikationspolitik beider Organisationen war fortan auch das Fernsehen unterworfen. Allerdings litt dieses Medium in den folgenden Jahren in weit geringerem Umfang unter den staatlichen Repressionsmaßnahmen als Presse und Radio. Lediglich Canal 10 wurde einmal für drei Tage suspendiert (Gabay 1988). Nicht nur die in diesem Medium vorherrschende unpolitische Unterhaltung, sondern auch eine größere Bereitschaft zur
228 Anpassung dürften die "Schonung" des Fernsehens in den Jahren der Militärdiktatur bedingt haben. Auf Betreiben der Militärs kam es schließlich zur Festschreibung der Hegemonie der drei privaten Montevideaner Femsehkanäle auch über das Landesinnere (Pallares / Stolovich 1991,155ff). Um dem Eindringen von Fernsehsendern aus den Nachbarländern entgegenzuwirken, wurde 1980 der Aufbau einer TV-Kette autorisiert. Diese kam 1981 in Form der Red Uruguaya de Televisión S. A. (RUTSA) zustande. Mittels dieses Verbandes wurde es den Kanälen 4, 10 und 12 ermöglicht, in allen Departements im wesentlichen ihre Programme zu verbreiten (Maldonado ausgenommen, wo sie sich als Anbieter in Punta del Este ohnehin angesiedelt hatten). Praktisch haben sich damit die Fernsehsender des Landesinneren zu bloßen repetidoras oder socios menores der Hauptstadtsender umgewandelt, denen sie untergeordnet sind (s. u.). 5.2.
Fernsehrecht
Die schon beim Hörfunk dargestellten Rechtsgrundlagen des Rundfunks (vgl. 4.2.) gelten in Uruguay grundsätzlich auch für das Fernsehen. Einige Bestimmungen der Ley de Radiodifusión No. 14.670 sowie des Decreto No. 734/978 (einschließlich der Modifikationen) sind für das Fernsehen spezifiziert. So liegt die erlaubte Werbezeit pro Tag - wie erwähnt - etwas unter derjenigen für die Radios, sowohl in Montevideo als auch im Landesinnern (Art. 29a). Für die Präsentation gibt es zudem einige ganz formelle Vorschriften. Werbeschriftzüge dürfen in laufenden Sendungen nicht mehr als ein Drittel im unteren Teil des Bildschirms einnehmen; und in bestimmten Sendungen (z. B. bei Veranstaltungen nationalen Interesses) sind Werbeeinblendungen nur zulässig, wenn sie das TV-Bild nicht stören (Art. 28g, h). Hinzu gekommen sind in den letzten Jahren eigene rechtliche Regelungen für das Kabel- bzw. Abonnementfernsehen. Die Grundlage dafür schuf der Decreto No. 349/990 vom 7. August 1990 (País Bermudez 1992b, 23ff; García Rubio 1994, 121 ff, 229ff). Es bezieht sich auf Telekommunikationsdienste, die mittels kodierter Signale oder künstlicher Träger (Kabel) übertragen werden. Das Dekret umfaßt 41 Artikel in zehn Kapiteln. Bei einer ganzen Reihe von (formalen) Bestimmungen gibt es keine oder nur geringfügige Unterschiede zum terrestrischen Frequenz-Rundfunk. Andere sind dem Kabelfernsehen angepaßt oder spezifisch darauf zugeschnitten worden. Die Genehmigung der Veranstaltung von Kabelfernsehen wird durch die Regierung selbst erteilt, nach vorheriger Prüfung und Beratung durch die Dirección Nacional de Comunicaciones (DNQ. Letzterer obliegt die Kontrolle der zugelassenen Veranstalter und technisch notwendig werdender Veränderungen (Art. 4). Zwar sind auch beim Kabelfernsehen öffentliche Ausschreibungen vorgesehen, auf die sich Interessenten bewerben können (Art. 5). Doch in Regionen, in denen es keinen zufriedenstellenden Fernsehempfang nationaler Programme gibt, kann die Regierung eine Lizenz auch ohne Ausschreibung erteilen (Art. 6). Die Zuteilung ist an die üblichen personellen und sachlichen Voraussetzungen gebunden (Art. 7-10) und gilt nur für die Inhaber (Art. 19). Die Dauer der Genehmigung beträgt zehn Jahre (Art. 21). Es folgen Betriebsauflagen (z. B. Mindestsendezeit, Art. 23). Weitere notwendige Erlaubnisse (z. B. von Kommunen) hat sich der Betreiber selbst zu beschaffen
229 (Art. 28). Die Programminhalte müssen die Gesetze respektieren und die entsprechenden Normen der Moral, des Anstands und der guten Sitten achten. Die Förderung der nationalen Kräfte künstlerischer, professioneller, technischer und kultureller Art wird auch hier verlangt (Art. 29). Für amtliche Bekanntmachungen behält sich die Regierung eine Sendezeit von 15 Minuten pro Tag vor (Art. 33). Einzelne Artikel wurden durch nachfolgende Dekrete modifiziert oder ergänzt. Die formelle Reglementierung des Kabelfernsehens hat sich damit verstärkt. Beispielsweise schreibt der Decreto No. 125/993 den Veranstaltern u. a. ein Fax- oder Telexgerät vor, um unverzügliche Direktiven und Instruktionen der Dirección Nacional de Comunicaciones (DNQ erhalten zu können (Art. 5). Andererseits wurden Auflagen zur Aufbewahrung des Gesendeten z. T. gelockert. Dennoch werden noch bestehende Unklarheiten beklagt und insbesondere der starke Einfluß der Regierung (gemessen an der Verfassung) kritisiert (García Rubio 1994, 123ff).
5.3.
Die Struktur des Fernsehens in Uruguay heute
5.3.1. Bestandsaufnahme Rein technisch gesehen waren 1995 in Uruguay 41 Fernsehsender in Betrieb. Bei 17 handelte es sich jedoch ausschließlich um repetidoras, d. h. um Sender, die lediglich als Transmitter und infolgedessen der Weiterverbreitung eines Programms im Lande dienen. Allein 14 dieser repetidoras sorgen dafür, daß das von SODRE gestaltete staatliche Fernsehprogramm, das in Montevideo über Canal 5 ausgestrahlt wird, in Uruguay fast überall empfangen werden kann. Falsch wäre allerdings die Vorstellung, die übrigen 24 Hauptstationen seien eigenständige Programmanbieter. Dies sind im Grunde nur - neben Canal 5 - die drei in der Hauptstadt ansässigen privaten Stationen CXB 4 Montecarlo TV, CXB 10 SAETA und CXB 12 Teledoce. Sie beherrschen das uruguayische Fernsehsystem, und zwar auf dreifache Weise. Zunächst verfügen sie in Montevideo selbst über Sender mit vergleichsweise großer technischer Reichweite (Canal 4 gibt z. B. 200 Kilowatt an). Darüber hinaus treten alle drei mit eigenen Sendern auch in Punta del Este (Departement Maldonado) als Programmanbieter auf (Canal 2, Canal 7, Canal 11). Hier besteht jeweils ein organisatorischer Verbund, auch wenn die täglich gesendeten Programme nicht identisch sind. Drittens sind die drei Montevideaner Programmveranstalter zusammen durch die Red Uruguaya de Televisión S. A. (RUTSA) mit den meisten privaten TV-Stationen im Landesinneren verbunden. Sie überlassen diesen gewisse Programme zur Ausstrahlung bzw. bestreiten damit selbst z. T. deren Sendezeit. Dies alles hat zur Folge, daß das Fernsehprogrammangebot in Uruguay weit weniger vielfältig ist, als es die Zahl effektiv vorhandener Sender erwarten ließe. Wie sich die Sender auf die einzelnen Departements verteilen, zeigt Tabelle 4. In Canelones, Flores, Florida Mercedes, Rivera und San José sind überhaupt keine Fernsehsender angesiedelt. Durazno und Soriano verfügen über keinen eigenen Privatsender, in Artigas und Lavalleja fehlt es an repetidoras für Canal 5 von SODRE. 16 der 24 TV-(Haupt-)Stationen sind Mitglied der Asociación Nacional de Broadcasters Uruguayos (ANDEBU).
230 Tabelle 4: Fernsehstationen in Uruguay Hauptstationen Artigas Canelones Cerro Largo Colonia Durazno Flores Florida Lavalleja Maldonado Montevideo Paysandú Río Negro Rivera Rocha Salto San José Soriano Tacuarembó Treinta y Tres Insgesamt
3
Repetidoras _
-
-
2 2
2 1 2
-
-
-
-
1 3 4 2 1 1 2 1
1 1 2 1 1
-
-
-
1 -
1 1
1 3 1
24
17
-
Quelle: ICD 1995
5.3.2. Programme Grundsätzlich unterscheiden sich in Uruguay die Programme der privaten Fernsehveranstalter von demjenigen des staatlichen Canal 5-SODRE. Beim letzteren hat man es nicht - wie bei den ersteren - mit einem massenattraktiven Unterhaltungsprogramm zu tun. Canal 5 besitzt vielmehr auch Züge eines Informations- und Kulturkanals. Hier finden sich eigene Sendungen zu Gesundheitsfragen, Landwirtschaft, zu politischen und kulturellen Themen. Dokumentationen, Interviews und Gesprächsrunden haben hier ihren Platz. Jedoch sucht auch dieser TV-Sender Unterhaltungsbedürfnisse zu befriedigen. Dies geschieht z. T. aber in "gehobener" Form. Beispielsweise gibt es hier auch Konzerte klassischer Musik. Canal 5 übernimmt zudem Sendungen ausländischer, insbesondere öffentlich-rechtlicher Fernsehanstalten, z. B. aus dem TV-Programm der Deutschen Welle. Wie sich das Programm von Canal 5 und das der drei kommerziellen Konkurrenten in Montevideo zusammensetzt, zeigt (aufgrund einer im Juli 1992 durchgeführten quantitativen Inhaltsanalyse) Tabelle 5.
231 Tabelle 5: Programminhalte im Fernsehen Uruguays (in %)
Shows Teleserien Filme Soap Operas Nachrichten Sport Bildung Zeichentrickfilme Musik Humoresken Religion Insgesamt Anzahl
Canal 4
Canal 10
Canal 12
35 28 18 2 5 7 2 2
33 27 10 14 6 2 2 2 2 2
31 25 19 10 4 4 2 2 2 2
-
2
-
-
Canal 5 (SODRE) 35 12 8 -
21 11 2 -
11 -
101
100
101
100
57
51
48
65
Quelle: Barros-Lémez 1992
Deutlich belegt wird durch die Daten die Stärke von Canal 5 bei den Informationssendungen und Musikdarbietungen, auch wenn für Shows ein ähnlich hoher Anteil gezählt wurde wie bei den privaten Anbietern. Allerdings vereint diese Kategorie z. T. recht unterschiedliche Sendeformen. Auffallend groß ist bei den kommerziellen Kanälen dagegen der Anteil der Fernsehserien, wozu insbesondere lateinamerikanische Telenovelas gehören. Hinzu kommen außerdem Filme und Soap Operas (die beim staatlichen Sender nicht vorkommen, gleiches gilt für Zeichentrick filme). Während des untersuchten Zeitraums zeigten die Privatanbieter vereinzelt unterschiedliche Schwerpunkte bei einzelnen Sendegattungen, ohne daß man aber von abweichenden Programmstrukturen sprechen könnte. Auch darf man die Sendedauer nicht ganz außer acht lassen. Immerhin erstrecken sich die abendlichen Nachrichtensendungen von Canal 4, (Telenoche 4), Canal 10 (Subrayado) und Canal 12 (Telemundo 12) jeweils über eine ganze Stunde (inklusive Werbung). Im Landesinneren strahlen die der Red Uruguaya de Televisión S. A. (RVTSA) angeschlossenen Sender hauptsächlich bereits in Montevideo verbreitete Programmteile aus, der Eigenanteil beschränkt sich zumeist auf lokale oder regionale Nachrichtensendungen. Überhaupt ist die tägliche Sendedauer geringer als bei den großen Kanälen in Montevideo. Charakteristisch für die Situation des Fernsehens in Uruguay ist der große Anteil von Programmen ausländischer Herkunft. Dies ist schon früher festgestellt worden und wird durch die zuvor bereits zitierte Untersuchung erneut bestätigt (Barros-
232 Lémez 1992). Danach gab es in dem untersuchten Zeitraum 1992 bei den drei großen Privatanbietern in Montevideo 27 Prozent landeseigene Produktionen, 73 Prozent stammten aus dem Ausland. Den größten Anteil stellten mit 39 Prozent die Vereinigten Staaten. Der zweitwichtigste Programmlieferant für Uruguay ist - mit gut 20 Prozent - das benachbarte Argentinien. Während aus den USA vor allem Filme, Sitcoms und Soap Operas bezogen werden, kommen aus Argentinien Shows und Fernsehserien ins uruguayische Fernsehen. Aus anderen lateinamerikanischen Ländern wurde dagegen vergleichsweise wenig importiert (jeweils zwischen ein und zwei Prozent). Aus den Ländern der Europäischen Union waren es zusammengenommen 5,5 Prozent. In markanter Weise unterscheidet sich davon jedoch das Programmangebot des staatlichen Canal 5-SODRE. Bei diesem stammen zwei Drittel aus Uruguay selbst, nur ein Drittel ist ausländischer Herkunft. Darunter dominieren mit 20 Prozent die Länder der Europäischen Union, während aus den USA nur 7,5 und aus Argentinien 5 Prozent des Programms übernommen wurden. Unter den europäischen Ländern hat - allein aus sprachlichen Gründen - Spanien eine bevorzugte Stellung. Doch trifft man auch auf Sendungen deutscher Provenienz. Die Abhängigkeit Uruguays vom Programmimport und die Dominanz ausländischer Produktionen im Fernsehen ist seit längerem ein Thema kritischer Diskussionen in Uruguay. Hier - wie auch in anderen Ländern, für die Ähnliches gilt - wird diese Diskussion vornehmlich unter dem Gesichtspunkt der Bewahrung kultureller Identität geführt. Dabei ist es leichter, die Gründe für die gegebene Situation (insbesondere ökonomische) zu benennen als dafür tatsächlich Abhilfe zu schaffen. Eine Politik zur Stärkung der eigenen audio-visuellen Produktionskapazitäten ist in Uruguay (sieht man von SODRE einmal ab) so gut wie nicht vorhanden. Dies läßt wenig Änderung erwarten, spricht eher für ein "casa sin espejos" (sinngemäß etwa: Unternehmen ohne Hoffung), wie Luciano Alvarez, einer der führenden Medien- und Kulturwissenschaftler des Landes, im Titel einer ausgreifenden Analyse dieses Problems (1993) gesagt hat. Allerdings hat gerade er dem gezeigten Trend auch praktisch zu begegnen versucht, mit der Sendung Inéditos z. B., in der Laienaufnahmen aus der Frühzeit des Films als kulturelle Dokumente des Lebens am Rio de La Plata im frühen 20. Jahrhundert präsentiert wurden (allerdings im staatlichen Canal 5).
5.3.3. Finanzierung Als überwiegend privatwirtschaftlich organisiertes Medium finanziert sich das Fernsehen in Uruguay vor allem aus Werbung. Lediglich die Mittel für den staatlichen Canal 5 von SODRE werden großenteils aus dem Staatshaushalt zur Verfügung gestellt. Aber selbst im Programm dieses Senders gibt es einen gewissen Anteil Werbung. Wegen der geringen Reichweite des Senders sind die Einnahmen daraus jedoch ziemlich bescheiden. 1992 betrugen die Werbeeinnahmen von SODRE angeblich nur gut zwei Prozent derjenigen, welche die drei großen Privatanbieter auf sich vereinigen konnten (Rico 1995). Inzwischen entfallen ca. drei Viertel des in Uruguay umgesetzten Werbebudgets auf das Fernsehen, das damit gegenüber Presse und Hörfunk den Löwenanteil abschöpft. Canal 12 der Gruppe Scheck y asociados erzielte Ende der achtziger Jahre von den drei kommerziellen Veranstaltern den größten Werbeumsatz, nahezu das Dreifache wie Canal 4 und Canal 10 (Pallares /
233 Stolovich 1991, 149). Die Anteile der lokalen / regionalen Sender im Landesinneren liegen weit darunter, auch wenn sie den Werbemarkt "vor Ort" bedienen (können). Nicht übersehen werden sollte, daß der Staat in Uruguay noch immer ein "Großunternehmer" und insofern selbst ein sehr wichtiger Werbetreibender ist. Erst wenn eine stärkere Privatisierung erreicht wäre, dürfte sich daran etwas auch für die Medien Relevantes ändern. Mit dem Wachstum des Werbemarktes in Uruguay, insbesondere durch das Fernsehen, sind die Werbeagenturen zu wichtigen Mittlern im Mediensystem des Landes aufgestiegen. Ihre Zahl und ihr Umsatz sind insgesamt gewachsen (Pallares / Stolovich 1991, 108ffu. ö.).
5.3.4. Reichweite und Nutzung Das Fernsehen ist das Medium mit der größten Reichweite in Uruguay (vgl. zum folgenden EQUIPOS 1995). Wöchentlich wenden sich in der Hauptstadt Montevideo 97 Prozent der Bevölkerung diesem Medium zu. Mehr als 85 Prozent nutzen die drei privat-kommerziellen Kanäle. Hingegen sind es nur 30 Prozent, die pro Woche den staatlichen Canal 5-SODRE einschalten. Dessen weniger auf leichte Unterhaltung abgestelltes Programm stößt dementsprechend auf weit geringeres, ja zeitweise sogar auf so gut wie kaum ein Zuschauerinteresse. Die höchste durchschnittliche Reichweite pro Sendestunde erzielte 1995 in der Hauptstadt Canal 4 mit 8,3 Prozent, gefolgt von Canal 12 mit 7,6 Prozent und Canal 10 mit 5,9 Prozent. Bei Canal 5 waren es lediglich 0,9 Prozent Zuschauer im Durchschnitt pro Sendestunde. Vom staatlichen Sender abgesehen, nutzen in Uruguay die Frauen das Fernsehen mehr als die Männer. Die Nutzung des Fernsehens nimmt mit der Schichtzugehörigkeit nach unten zu, bei Canal 4 und Canal 10 jedoch mehr als bei Canal 12, bei dessen Auswahl dieses Merkmal eher unmaßgeblich ist. Canal 4 und Canal 12 werden weit intensiver als Canal 10 von Kindern gesehen, dagegen finden sich relativ gesehen die meisten älteren Zuschauer bei Canal 10. Im Landesinneren erzielen die Sender der Red Uruguaya de Televisión S. A. (RUTSA) eine Reichweite von mehr als 90 Prozent. Auch die durchschnittliche Zuschauerschaft pro Stunde liegt mit 8,7 Prozent etwas höher als in Montevideo. Während die Nutzung des Radios gegen Abend zurückgeht, nimmt die des Fernsehens zu. Die größte Reichweite hat das Medium zwischen 19.30 und 22.30 Uhr. Naturgemäß hängt der Publikumserfolg im einzelnen vom jeweiligen Typ der Sendung ab, weshalb die "Spitzeneinschaltungen" zwischen den Kanälen wechseln. Die beliebteste Nachrichtensendung war im August 1995 Telemundo 12 (mit einem Marktanteil von 41 %), danach folgten Subrayado (Canal 10, 34 %) und Telenoche 4 (24 %). Bestimmte Fernsehserien, Shows und Programme nationalen Humors können Marktanteile bis über 60 Prozent erlangen, was dann zu Lasten der konkurrierenden Anbieter geht. Daß es auch außerhalb der Hauptsendezeiten noch attraktive Programmangebote gibt, zeigte 1995 das mehrmals in der Woche von Canal 4 nach Mitternacht ausgestrahlte, aus Argentinien (Telefe-Canal 11) übernommene Gewinnspiel Video Match. Es erzielte zu dieser späten Sendezeit noch zwischen 10 und 15 Prozent Reichweite, bis zum Zehnfachen des gleichzeitig bei den anderen TV-Programmen anzutreffenden Publikums.
234
5.3.5. Besitzstruktur Am stärksten konzentriert ist in Uruguays Mediensystem der Besitz im Bereich des Fernsehens. Außer dem in Staatseigentum befindlichen Canal 5 von SODRE gibt es drei private Anbieter(gruppen), so daß man von einem Oligopol sprechen kann. Der älteste Fernsehsender des Landes, CXB 10 SAETA, ist (seit seinen Anfängen) im Besitz der Familien Fontaina und De Feo. Sie stellen die fünf Aktionäre des Unternehmens. Von ihm betrieben werden außerdem Canal 7 (Maldonado) sowie Canal 9 Tele Rocha. Wie erwähnt, gehören zur Gruppe ferner zwei große Radiostationen in der Hauptstadt (Radio Carve, Radio Nuevo Tiempo). Die Familien Fontaina und De Feo haben ihre Aktivitäten bislang nahezu ausschließlich auf den Mediensektor beschränkt. Eine Ausdehnung darüber hinaus hat sich in den letzten Jahren abgezeichnet, so im Gaststättengewerbe (Pallares / Stolovich 1991, 168ff). Der 1961 gegründete Canal 4-Montecarlo TV ist Eigentum der Gruppe RomaySalvo, d. h. im Besitz mehrerer Angehöriger dieser Familien. Sie sind zugleich Träger von Canal 11 (Punta del Este), Rosario Televisión (Colonia), Canal 12 Río Uruguay (Fray Bentos, Río Negro) und Canal 3 Colonia Televisión. Außerdem betreibt die Gruppe mit CX 20 Radio Montecarlo und CX 12 Radio Oriental in Montevideo zwei große Hörfunksender. Die Familien Romay-Salvo sind darüber hinaus wie keine der anderen Gruppen auch in anderen Wirtschaftsbereichen aktiv. Die Diversifizierung dieser Aktivitäten erstreckt sich auf die Agrarwirtschaft, Industrie und Importfirmen. So bestehen hier konglomeratartige Verflechtungen mit z. T. vertikaler Integration. Der Umsatz der Gruppe betrug bereits Mitte der achtziger Jahre 25 Millionen US-Dollar p. a. (Pallares / Stolovich 1991, 166ff). Canal 12 Teledoce, der 1962 als dritter Fernsehsender entstand, ist mehrheitlich im Besitz der Gruppe Scheck y asociados. Allerdings verfügen die Familien dieser Gruppe, denen die Tageszeitung El País zu hundert Prozent gehört, nur über 54 Prozent der Anteile an Canal 12. Die übrigen Anteile an dessen Trägergesellschaft (Sociedad Televisora Larrañaga S. A.) sind auf eine ganze Reihe weiterer Eigner verteilt (Pallares / Stolovich 1991, 173). Dadurch ergibt sich eine gewisse Diversifikation, die zugleich in andere Wirtschaftsbereiche hineinreicht, in denen ebenfalls Beteiligungen bestehen und wirtschaftlich agiert wird (z. B. Elektronik, Petroleum). Die Gruppe Scheck y asociados betreibt überdies den TW-Canal 2 in Punta del Este, ist an CX 32 Radiomundo beteiligt und besaß lange Zeit CX 44 Radio Panamericana. Die Vorherrschaft der privaten Montevideaner Fernsehanbieter in Uruguay ergibt sich nicht nur aus ihrer eigenen Finanzkraft und Reichweite. Sie drückt sich auch in der Verfügung über Fernsehkanäle im Landesinneren aus. Diese besteht (außer in z. T. direktem Besitz) vor allem in Form der Red Uruguaya de Televisión S. A. (RUTSA), an der die drei Gruppen Romay-Salvo, Scheck y asociados und FontainaDe Feo nochmals gemeinsam beteiligt sind. Trotz einer gewissen personellen Streuung hat man es folglich beim Fernsehen in Uruguay mit einem durch hohe Konzentration geprägten Bereich der Medienwirtschaft zu tun.
235 5.3.6. Kabel- und Abonnementfernsehen Seit Ende der achtziger Jahre hat auch in Uruguay das Kabel- und Abonnementfernsehen Einzug gehalten. Um die vorhandenen Sender flexibler nutzen zu können, mehr aber noch aus dem Wunsch nach einem erweiterten (Film-)Angebot, hatten sich viele Haushalte im Land zuvor schon einen Videorecorder angeschafft. Mit 45 Prozent erlangte dieser in Uruguay eine weit größere Verbreitung als in den meisten anderen Ländern der Welt. Infolgedessen entwickelte sich nicht nur eine eigene begrenzte Videoproduktion, sondern vor allem begannen sich Videoclubs zu etablieren, die den Verleih bespielter Videocassetten betreiben. 1989 wurden allein in der Hauptstadt Montevideo 130, im Landesinneren 80 solcher Videoclubs angegeben (Instituto de Comunicación y Desarrollo 1989, 192ff). Die Einführung von Kabel- und Abonnementfernsehen verlief in Uruguay in auffälligem Kontrast zu dem bisher dort sonst Üblichen (García Rubio 1994). Während alle anderen Medien zuerst in der Hauptstadt Fuß faßten und sich dann im Lande ausbreiteten, geschah es jetzt erstmals, daß ein "neues" Medium zuerst im Landesinneren seinen Platz fand, bevor es Montevideo erreichte. Das hatte neben technischen und organisatorischen in erster Linie (gesellschafts)politische Gründe. Dabei sind es verschiedene Techniken, die man in Uruguay hier zu nutzen begonnen hat: Außer (so weit vorhanden) Kabelnetzen gibt es auch die Übermittlung verschlüsselter terrestrischer Signale (TV aérea codificada), entweder über Ultrakurzwellen (UHF) oder Mikrowellen (MMDS / MLDS), die "vor Ort" mit Antenne aufgefangen werden können. Für die Entschlüsselung müssen monatliche Gebühren entrichtet werden (TVpara abonados oder Pay-TV). Das Kabel- und Abonnementfernsehen nahm in Uruguay 1988 seinen Ausgang von einigen kleinen Orten im Landesinneren (San Gregorio de Polanco, Sarandf di Yi), wo das nationale terrestrische Fernsehen nicht oder nur in sehr schlechter Qualität zugänglich war (García Rubio 1994, 133ff). Es kam hier zu lokalen Initiativen, noch bevor ein gesetzlicher Rahmen für diesen Mediensektor erlassen worden war. Ein solcher wurde erst durch das Dekret Nr. 349/990 vom 7. August 1990 geschaffen. Darin legte die Regierung Definitionen und Regeln für das Kabelfernsehen fest und ordnete es der Kontrollbehörde der Dirección Nacional de Comunicaciones (DNC) zu (letzteres blieb allerdings wegen der technischen Merkmale umstritten). Im November 1991 erfolgte eine öffentliche Ausschreibung zum Betrieb des Abonnementfernsehens im Inneren des Landes. Eingereicht wurden 309 Anträge von 145 Unternehmen in 69 verschiedenen Orten. Davon wurden im Januar 1994 113 Anträge von 90 Unternehmen genehmigt. In 42 Orten wurden eine Betreiberfirma, in 11 zwei, in 15 drei und in einem vier zugelassen. Im Mai 1994 hatten 65 dieser Firmen im Landesinneren zu arbeiten begonnen, ein Jahr später waren weitere drei hinzugekommen (Da Rosa 1995). Unterschiedlich ist bisher die Anzahl der Kanäle, die von den Veranstaltern des Kabel- und Abonnementfernsehens - unter "Anzapfung" ausländischer Satelliten angeboten werden. 1994 hatten fünf von ihnen weniger als fünf Kanäle im Angebot, 18 offerierten 6-10 Kanäle, 28 11-17 Kanäle, sechs 18-24 Kanäle und einer sogar mehr als 24 Kanäle. Zu diesen gehören insbesondere US-amerikanische (Sparten-) Programme, solche aus anderen lateinamerikanischen Ländern (Argentinien, Brasilien, Venezuela), aus Spanien und dem übrigen Europa (aus Deutschland z. B. das Deutsche Welle-TV). Auch die Programme der drei großen Montevideaner TV-
236 Anbieter werden eingespeist. Hinzu kommen angeblich in nicht wenigen Fällen täglich oder wöchentlich mehrstündige eigene Produktionen. Noch vor der genannten Ausschreibung war 1990 das Unternehmen Equital S. A. gegründet worden (García Rubio 1994, 143ff). Dabei schlössen sich 20, später 18 der zugelassenen Betreiber mit den privaten Anbietern von Canal 4, Canal 10 und Canal 12 zur gemeinsamen "Ausbeutung" des Kabel- und Abonnementfernsehens zusammen. Somit konnten die das terrestrische Fernsehen beherrschenden Unternehmen ihren vorrangigen Einfluß auch auf das erweiterte Medienspektrum ausdehnen. Das schon bestehende Oligopol mußte sich infolgedessen noch verstärken. Prädestiniert zu diesem Schritt waren die "großen Drei" durch ihre Kapitalkraft und das eigene Programmvolumen. Sie senden ihre eigenen Programme inzwischen auch über den kanadischen Satelliten Anik C 1 zur Weiterverbreitung durch die lokalen Betreiber (Direktempfang gibt es bisher in Uruguay noch so gut wie nicht). Die nicht mit Equital S. A. verbundenen Firmen haben sich in der Cámara Uruguaya de TV Cable zusammengefunden. Die Hauptstadt Montevideo sollte als letzte Anschluß an das Kabel- und Abonnementfernsehen erhalten. Hier wurden die Lizenzen erst am 6. Juli 1993 ausgeschrieben. Acht Anträge von 11 Firmen gingen ein, darunter fünf von Equital S. A.. Mit einem Beschluß der Regierung vom 11. Februar 1994 wurden fünf Antragsteller zugelassen, von denen allein wiederum vier Equital S. A. zugehören, so daß nur ein unabhängiges Unternehmen bleibt. Die Entscheidung der Regierung, durch die andere Antragsteller "ausgebootet" wurden - darunter z. B. Federico Fasano von La República - wurde in Uruguays Öffentlichkeit sehr kritisch aufgenommen, ja stieß auf Protest, bedeutete sie doch eine weitere Privilegierung der im Fernsehmarkt schon bestehenden Machtkonstellation. Hierin sahen nicht wenige eine potentielle Gefahrdung der liberal-demokratischen Bürgerrechte. Zur Verzögerung bei der Einführung des Kabel- und Abonnementfernsehens in Montevideo führte (außer der Regierungspolitik) auch, daß die von linken Kräften {Frente Amplio) geführte Stadtverwaltung aus gesellschaftspolitischen Gründen die Entwicklung eher bremste. Ihr war die Vermehrung ohnehin schon vorhandener Unterhaltungsangebote via Kabel weniger wichtig als eine Förderung "alternativer" Nutzungsmöglichkeiten. So befand sich die Frage der Kabelbelegung in Montevideo noch im Herbst 1995 in der Diskussion (u. a. wurden Abgaben von den potentiellen Nutzern eingefordert). TV aérea codificada über Mikrowellen kann man dort allerdings inzwischen mit der erforderlichen Technik empfangen (Multiseñal, enthält nur ausländische Programme). Mitte 1995 hatten in Uruguay 16 Prozent der Haushalte im Landesinneren einen Anschluß an das Kabel- und Abonnementfernsehen (landesweit gesehen sind das neun Prozent). Am größten war die Reichweite in Durazno (inmitten des Landes) mit 41 Prozent. Am stärksten genutzt wurden noch die Privatkanäle 4, 10 und 12 (aus Montevideo), gefolgt von lokalen Angeboten. Die Reichweite der zugeführten ausländischen Kanäle beträgt bisher zumeist weniger als ein Prozent der Zuschauerschaft. Multiseñal wurde in Montevideo 1995 von ca. 2.000 Haushalten (= 0,5 %) genutzt. Der TV-Konsum ist in den Kabelhaushalten gleichwohl angestiegen (Da Rosa 1995). Die Gebühren, die die Subskribenten zahlen müssen, liegen monatlich in der Regel zwischen 10 und 25 US-Dollar, sind für die Verhältnisse im Land also ziemlich kostspielig. Eine Kommerzialisierung des Kabel- und Abonnementfernsehens durch Werbung (auch amtliche) ist erst in wenigen Ansätzen vorhanden.
237 Uruguay wird - nach den vorhandenen Möglichkeiten - künftig sicher auch an der weiteren Entwicklung neuer Medientechniken partizipieren. Die Kabelanbieter wollen z. T. auch weitere Dienste aufnehmen. Ende 1995 wurde in Montevideo von Plänen zu einer Multimedia-Fabrik (Factoría Multimedia) gesprochen, welche maßgeblich von Familienangehörigen des Präsidenten Julio María Sanguinetti betrieben werden. Man könnte darin den Versuch sehen, die durch den Verlust der Tageszeitung El Dia geschwundene Medienpräsenz der Colorados durch Nutzung neuer Technologien zu kompensieren. Die bislang staatlich organisierte Administración Nacional de Telecomunicaciones (ANTEL) hat Ende 1994 einen Zugang zum Internet eröffnet (mit dem Dienst DATAMUNDI) und damit begonnen, mit ANTELNET die Infrastruktur für eine nationale Vernetzung der lokalen Computer zu schaffen.
6. Perspektiven und Probleme der Massenmedien in Uruguay Das Mediensystem Uruguays ist sowohl durch historische als auch aktuelle Gegebenheiten geprägt. Die Veränderungen, die sich in ihm vollzogen haben und noch vollziehen, haben technische, ökonomische, politische und gesellschaftliche Ursachen, wobei die Medien allerdings wiederum auf diese zurückwirken. Während zum einen ein teilweise gravierender Wandel im Mediensystem zu beobachten ist, gibt es zum anderen gewisse Konstanten, ja wird auch hier - wie sonst im Leben des Landes - die Entfaltung dynamischer Kräfte vermißt. Erwartungen dieser Art hatte man vor allem an die Phase der Redemokratisierung Mitte der achtziger Jahre geknüpft (Barreiro Sánchez 1985, 1986; Alvarez Ferretjans 1985). Die Blüte der politischen Wochenzeitungen in dieser Phase schien manche dieser Erwartungen zunächst zu bestätigen. Doch war dies nur von kurzer Dauer, da die betreffenden Organe zumeist schon bald aufgeben mußten und vom Markt verschwanden. Vieles von den - vielleicht überzogenen - damaligen Erwartungen hat sich somit im Laufe der politischen Normalisierung nicht erfüllt. Charakteristisch für Uruguay ist, daß sich keine deutliche Trennung von politischem System und Mediensystem herausgebildet hat. Das Ineinandergreifen beider Systeme und der Wechsel von einem zum anderen waren das Übliche. Dies gilt vor allem für die Presse des Landes, die immer mehr oder weniger Parteipresse, zumindest aber Meinungspresse war. Was in Uruguay daher bis heute weitgehend fehlt und auch von Einheimischen nicht selten beklagt wird, ist das Fehlen eines unabhängigen, vor allem auf Information und Analyse setzenden Journalismus (Linn 1989; Aisina Thevenet 1991). Immerhin gibt es hierzu Ansätze (und bei den zuvor genannten Autoren auch Anregungen). Insbesondere die Wochenzeitung Búsqueda stellt hier eine immer wieder gerühmte Ausnahme dar. Die in Uruguay anzutreffende Politisierung erstreckt sich - notwendigerweise auch auf die Massenmedien. Dies ist nicht nur an der Berichterstattung und der Kommentierung in der Tagespresse nach den verschiedenen Standpunkten zu ersehen, sondern erfaßte zumindest zeitweise auch das Radio (d. h. bestimmte Sender), am wenigsten noch das Fernsehen wegen seines starken Unterhaltungscharakters. Gerade der zurückliegende Wahlkampf (1994) hat sich zu einem erheblichen Teil auch im Hörfunk abgespielt (Rico 1994). Den Journalisten wird allerdings eine zu große Gefälligkeit gegenüber den Politikern nachgesagt. Eine gewisse Widersprüch-
238 lichkeit besteht insofern, als trotz dieser Politisierung auch bei hochrangigen Funktionären ein medienpolitisches Desinteresse konstatiert wird. Den Erwartungen in der Phase der demokratischen Transition wurde zumindest mit dem Erlaß des neuen, liberalen Pressegesetzes entsprochen. Damit wurde in Uruguay die in anderen lateinamerikanischen Ländern vorhandene Kluft zwischen demokratischer Verfassung und dem faktischen Presserecht vermieden. Zwar wurde auch das Rundfunkrecht der politischen Veränderung angepaßt. Aber eine klare und kohärente Neufassung ist hier nach wie vor ein Desiderat. Noch gibt es Inkonsistenzen und verbliebene, längst nicht mehr als zeitgemäß empfundene Regelungen (z. B. die Zuordnung des Fernsehens zum Ministerio de la Defensa Nacional). Daß sich diesbezüglich in den letzten Jahren zu wenig getan hat, ist aber nicht (nur) auf ein Versagen der Politiker, sondern auch auf die konservative Haltung der Bevölkerung zurückzufuhren. Diese lehnte mehrheitlich in dem Referendum 1992 u. a. die Privatisierung der staatlichen Telekommunikationsbehörde ANTEL ab. Andererseits wird der Zentralregierung vorgeworfen, bei der Organisation des Kabel- und Abonnementfernsehens mit einer zu starken Vollmacht gehandelt zu haben. Die Problemlage bei den einzelnen Medien ähnelt sich zwar, weist aber andererseits auch wesentliche Unterschiede auf. Für die Presse muß man zweifellos von einer "Krise" sprechen (Rama 1992). Sie findet ihren Ausdruck im Rückgang der Titelvielfalt, der (Gesamt-) Auflage und der Reichweite. Dies hat zu der kritischen Diagnose geführt, wohl sei Uruguay einst die erste Mittelklassengesellschaft gewesen, doch jetzt verkörpere sie womöglich die erste "postmoderne Gesellschaft", in der nicht mehr gelesen werde. Das Phänomen ist gerade angesichts des Bildungsstands im Land überraschend und schwer erklärbar. Sicher hat die Krise der Presse wirtschaftliche Gründe und solche, die im Mediensystem - Aufstieg des Fernsehens liegen. Aber dahinter dürfte sich auch ein gesellschaftlicher Wertewandel verbergen. Traditionell großer Beliebtheit erfreut(e) sich in Uruguay der Hörfunk. Radiohören wurde geradezu zu einer uruguayischen Leidenschaft. Nicht ohne Grund siedelte sich in Montevideo die Asociación Internacional de Radiodifusión (AIR) / International Association of Broadcasting (IAB) an, die heute mehr als 15.000 private Sender vor allem in Süd- und Nordamerika, aber auch in Europa, repräsentiert. Zwar hat das Radio durch den Aufstieg des Fernsehens einiges von seiner einstigen Bedeutung verloren, insbesondere hat sich sein Anteil am Werbebudget verringert. Um so mehr sind die häufiger noch als in anderen Ländern vorhandenen Wortprogramme einiger Radiosender bemerkenswert. Gleichwohl ist auch in Uruguay der Trend zu den Musiksendern durch das Hinzutreten von in unterschiedlichen "Farben" spezialisierten FM-Sendern seit Mitte der achtziger Jahre verstärkt worden. Für das Fernsehen in Uruguay ist die geringe Zahl eigenständiger Anbieter charakteristisch. Bei diesem Medium besteht ein Oligopol der drei großen, in Montevideo ansässigen kommerziellen Kanäle. Da sie alle - der Werbeeinnahmen wegen um die Gunst der Zuschauer "buhlen", wirken ihre Programme nahezu austauschbar. Da alles auf Unterhaltung abgestellt ist, lassen sich Kontraste kaum ausmachen, allenfalls wechselnde Schwerpunkte. Je nach Attraktion wechseln die Zuschauer zwischen den Kanälen. Eine stabile Seherschaft gibt es nicht. Neben den privaten existiert zwar der staatliche Canal 5 von SODRE, dessen Programm insgesamt zwar anspruchsvoller ist, aber doch nur schwach genutzt wird. Beim Fernsehen besteht somit eine starke Besitzkonzentration. Es sind nur wenige Familien(gruppen), die hier agieren und denen dieser Besitz nicht nur finanzielle Vorteile, sondern auch Einfluß und gesellschaftliche Privilegien verschafft. Zudem
239 gibt es teilweise einzelne Medien, ja den Mediensektor übergreifende Eigentumsverhältnisse. Dies wird auch in Uruguay von nicht wenigen als problematisch angesehen. Informations- und Meinungsfreiheit seien dadurch (potentiell) bedroht, die publizistische Vielfalt beträchtlich eingeschränkt. Herkömmlich ein schwieriges Problem ist die auch in Uruguay anzutreffende große Kluft zwischen Zentrum und Peripherie, d. h. zwischen Montevideo und dem Landesinneren. Gemäß der Verteilung von Bevölkerung, Institutionen und Ressourcen, befindet sich auch das Medienzentrum in der Hauptstadt. Hier sind (soweit noch vorhanden) die wichtigsten Zeitungen, die meisten (an einem Ort vereinigten) und reichweitenstärksten Radiosender und die dominierenden vier Fernsehkanäle angesiedelt. Die Montevideaner Zeitungen werden z. T. auch im Landesinneren verbreitet; entsprechendes gilt für einige Radiosender mit großer Leistung. Am stärksten ist die Hegemonie der drei privaten Fernsehkanäle (4, 10, 12), die entweder direkt oder über den Verband der RUTSA auch die Programmversorgung im Landesinneren weitgehend bestreiten. Die dort herausgebrachten lokalen Zeitungen sind zumeist sehr magere Blätter. Ihre Finanzierung ist schlecht, entsprechend bescheiden sind ihre journalistischen Leistungen. Ohnehin sind die Auflagen gering. Die besten Möglichkeiten für die lokale Versorgung bieten im Prinzip noch die Radios "vor Ort". Eigenanteile kommen, sofern es sich nicht überhaupt um repetidoras handelt, bei den Fernsehstationen im Landesinneren nur in geringem Umfang vor. Der staatliche Canal 5-SODRE besitzt durch seine repetidoras eine so gut wie landesweite Verbreitung und könnte insofern - würde er nur stärker genutzt - einer nationalen Integration dienen. Jedenfalls stellt die Stärkung der ruralen und lokalen Kommunikation in Uruguay ein essentielles Desiderat dar. Dieses zu verringern, hat sich vor einigen Jahren von Deutschland aus die Friedrich-Naumann-Stiftung bemüht (CIIDU o. J.; Esmoris / Lemos 1989; ECOS 1990). Ob sich durch das Kabel- und Abonnementfernsehen an den etablierten Strukturen etwas Entscheidendes ändern wird, steht dahin, ist aber doch eher zu bezweifeln. Einerseits wachsen zwar durch das vermehrte Angebot die Auswahlmöglichkeiten (wenn auch durch weitere ausländische Programme). Andererseits hat sich aber auch hier schon ein erheblicher Besitzstand der "großen Drei" eingestellt. Während im Landesinneren sowohl auf Seiten der Anbieterfirmen als auch auf Seiten der Nutzer das Kabel- und Abonnementfernsehen schon seinen Platz gefunden hat, stand 1995 seine Durchsetzung in der Hauptstadt Montevideo noch bevor. Zu den kulturell und gesellschaftlich problematischen Seiten des Mediensystems in Uruguay gehört die Dominanz ausländischer Produktionen im Fernsehen. Hier ist das "kleine" Uruguay der Übermacht von Programmherstellern aus fremden Ländern ausgeliefert. Dabei wird der Import von Sendungen aus den USA eher als dysfunktional angesehen als der aus Argentinien. Einflüssen aus dem Nachbarland wird man sich unter den Bedingungen des Mercosur noch weniger entziehen können. Schon bisher waren argentinische Fernsehstationen in Teilen Uruguays direkt zu empfangen (und anderswo werden sie jetzt im Kabelfernsehen eingespeist). Wie in anderen Ländern auch, beschäftigt das Problem kultureller Überfremdung aber mehr die Intellektuellen als die Zuschauer oder Politik und Wirtschaft. Jedenfalls haben deren Desinteresse bzw. ihre spezifische Interessenlage bisher nicht zur Erhöhung des Eigenanteils durch irgendwelche Formen der Produktionsförderung geführt. Die Inhalte der Massenmedien reflektieren in Uruguay bis heute nach Ansicht wissenschaftlicher Analytiker die sozialen Verhältnisse einer Mittelklassengesellschaft. Dies mag zwar noch am wenigsten für die Presse gelten, die sich eher an die
240 oberen Kreise dieser Gesellschaft richtet. Doch selbst hier ist das Spektrum des Angebots weitgehend auf eine Mittellage reduziert. Auch bei der Auswahl der gezeigten ausländischen Programme dürfte dieser gesellschaftliche Selektionsmechanismus wirksam sein. Er ist dies offenbar aber vor allem in den eigenproduzierten Programmbestandteilen, z. B. der aktuellen Berichterstattung. Unter Verweis auf Real de Azüa (1964) spricht der uruguayische Medienwissenschaftler Fernando Andacht (1992) von einer "Mesokratie" in seinem Land. Typisch für eine solche sei die Bestandswahrung und die Ablehnung "abweichenden Verhaltens". Dergleichen bestimme den Diskurs der Medien und schlage sich bis in den Gebrauch der Bilder nieder, mit denen man die Umwelt imaginiere. Wenn dies tatsächlich so sein sollte, so würde es dem verändernden Einfluß des Fernsehens widersprechen, den man in anderen Ländern vielfach belegt hat. Ob Uruguay ein Land ist, für das aus historischen und strukturellen Gründen die früher geltende, inzwischen weitgehend aufgegebene "Verstärkerregel" für die Wirkung der Massenmedien noch gilt, muß jedoch angesichts fehlender umfassender empirischer Analysen einstweilen offen bleiben.
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1.
Landeskundliche Grundlagen
1.1.
Geographie
Venezuela liegt im Norden des südamerikanischen Kontinents zwischen dem ersten und dem 12. nördlichen Breitengrad sowie zwischen dem 60. und 73. westlichen Längengrad. Die Entfernung zwischen dem westlichsten und dem östlichsten Punkt des Landes beträgt etwa 1.500 Kilometer. Die Nord-Süd-Ausdehnung liegt bei 1.300 Kilometern. Insgesamt verfügt Venezuela über eine Staatsfläche von etwa 912.050 Quadratkilometern und ist damit knapp zweieinhalb mal so groß wie die Bundesrepublik Deutschland. Ebenfalls zum Hoheitsgebiet des klimatisch ausschließlich tropischen Landes gehören 72 Inseln im Karibischen Meer, die dem Festland vorgelagert sind. Die größte dieser Inseln ist die Isla Margarita mit einer Fläche von 1.000 Quadratkilometern.
246 Im Norden wird das kontinentale Venezuela von 2.800 Kilometern Karibikküste begrenzt. Die nordöstlich gelegene Atlantikküste besitzt eine Länge von etwa 700 Kilometern. Die westliche Grenze mit Kolumbien erstreckt sich über 2.050 Kilometer. Die Sierra de Perijá stellt über einen Teil dieser Grenze eine natürliche Barriere zu diesem Nachbarland dar. Mit Brasilien im Süden hat Venezuela eine gemeinsame Grenze von etwa 2.000 Kilometern. Zwar sind die Grenzen in diesem Gebiet in der Nähe des Amazonas völkerrechtlich festgelegt, doch gibt es keine Markierungen. Spannungen entstehen immer wieder durch Zwischenfälle mit Goldsuchern, Schmugglern und kolumbianischen Guerrilleros. Mit dem östlichen Nachbarn, Guayana, bestehen seit 1895 ebenfalls Unstimmigkeiten hinsichtlich des Grenzverlaufs. Venezuela erhebt Ansprüche auf einen Teil des Territoriums bis zum Rfo Essequibo. Die nächstgelegenen Nachbarn in der Karibik sind die niederländischen Antillen mit den Inseln Aruba, Curazao und Bonaire sowie der Inselstaat Trinidad and Tobago. Venezuela kann in vier landschaftliche Teile untergliedert werden. Dazu gehören die Andenregion im Westen und die östlich davon gelegene Küstenkordillere, das Becken von Maracaibo, die zentrale Tiefebene der Llanos und das Hochland von Guayana. Mit der nördlichen Absenkung der ganz Südamerika durchziehenden Andengebirgskette verzweigt sich dieses Gebirge und bildet an der kolumbianischen Grenzstadt Cúcuta zwei deutlich zu unterscheidende Kordillerenzüge aus. Nach Norden hin erstreckt sich entlang der kolumbianisch-venezolanischen Grenze die Sierra de Perijá. In Richtung Nordwesten befindet sich die Cordillera de Mérida, jene Region, die üblicherweise als die venezolanischen Anden bezeichnet wird. Sie reicht in Richtung Norden bis zum Übergang in die Küstenkordillere. Dazwischen liegt das sogenannte Becken von Maracaibo. In dieser riesigen, flachen Meeresbucht lagern die größten Erdölvorkommen Venezuelas, Quelle des wirtschaftlichen Aufschwungs in den vergangenen Jahrzehnten. Insbesondere unter dem 13.000 Quadratkilometer großen Maracaibo-See, dem größten des südamerikanischen Kontinents, wird nach Öl gebohrt. Die Llanos del Orinoco, eine der größten Tiefebenen Südamerikas, liegen im mittleren Landesteil. Die Llanos durchziehen das gesamte Land von Kolumbien im Westen bis in den Osten Venezuelas, wo sie westlich von Barcelona durch das Bergland von Guayana begrenzt werden. Die Llanos sind eine meist flache oder leicht hügelige Gras- und Savannenlandschaft, durch die sich der Orinoco seinen Weg zum Atlantik bahnt. Fast ein Viertel des nationalen Territoriums umfaßt das Bergland von Guayana. Der "Guayanaschild" ist bedeckt von mächtigen Sandsteinschichten, aus denen die "Tepuis", die Tafelberge, fast senkrecht herausragen.
1.2.
Geschichte
Schon vor etwa fünfzehntausend Jahren haben Menschen im Orinoco-Becken und in der Umgebung des Maracaibo-Sees gelebt. Ausgrabungsfunde geben Hinweise auf die Existenz menschlicher Zivilisation. Mais muß schon damals ein Hauptnahrungsmittel gewesen sein. Man stieß außerdem auf Anzeichen eines frühen Totenkults. In den darauffolgenden Jahrtausenden erreichten Stämme, die in fruchtbaren Tälern der Anden und ihren Ausläufern Ackerbau betrieben, Terrassen anlegten und ihre Felder systematisch bewässerten, einen gewissen Entwicklungsstand. Die Bedeutung der Petroglyphen, der prähistorischen Felszeichnungen, ist auch heute
247 noch umstritten und unklar. Hochkulturen, wie sie aus anderen Teilen Lateinamerikas bekannt sind, gab es in Venezuela nicht. Auch heute noch ist Brandrodung und Wanderfeldbau unter den Ureinwohnern in Wäldern südlich des Orinoco vorherrschend. Um 1000 v. Chr. wird die präkeramische Epoche abgelöst von Kulturen mit gut gearbeiteter Keramik. Besonders an der Ostküste breitete sich die Kultur der Saldoiden vor knapp 2000 Jahren aus. Plastisch-verzierte Keramik sowie Maisanbau und Goldguß sind die Kennzeichen der Arauquin-Kultur um 400 n. Chr. Die frühesten Keramikfunde im Andengebiet sind auf 200 v. Chr. datiert. Es handelt sich um die sogenannte Tocuyano-Phase, die über ganz Westvenezuela verbreitet war. Im Zeitraum zwischen 350 und 1150 n. Chr. ist bemalte Keramik für dieses Gebiet charakteristisch. Eine der vielseitigsten Kulturen Venezuelas ist die Valencia-Phase, die von 1150 bis 1500 n. Chr. dauerte. Christoph Kolumbus landete im Jahre 1498 auf seiner dritten Amerika-Reise an der Küste des heutigen Venezuela und entdeckte damit den eigentlichen Subkontinent. Gegenüber der Insel Trinidad stieß er auf das Süßwasser am heutigen Golfo de Paria. Rasch wurde ihm klar, daß es sich nicht (wie zuerst angenommen) um eine weitere Insel handelte, auf der er sich befand. Bei seiner weiteren Fahrt entlang der Küste bemerkte er immer wieder die riesigen Mengen Süßwasser, die aus dem Orinoco-Delta strömten. Da ihm nicht bekannt war, daß derartige Mengen Süßwasser jemals in einem Meer aufgetreten wären, nannte er den heutigen Paria-Golf kurzerhand El Mar Dulce. Ein Jahr später segelte der Seefahrer Alonso de Ojeda, begleitet vom Italiener Amerigo Vespucci, weiter nördlich um die Guajira-Halbinsel. Nachdem sie in den Maracaibo-See eingelaufen waren, bemerkten sie die einheimischen Indianer, die ihre strohbedeckten, bäuerlichen Hütten auf Pfählen im See gebaut hatten. Der Anblick der Hüttensiedlungen, umgeben vom Wasser des Sees, erinnerte sie sogleich an die italienische Hafenstadt Venedig. So gaben sie dem kleinen Indianerdorf den Namen "Klein-Venedig", auf spanisch "Venezuela". Die erste spanische Siedlung auf venezolanischem Boden wurde nach der spanischen Stadt Cádiz benannt. Nueva Cádiz wurde etwa im Jahre 1500 auf einer kleinen Insel namens Cubagua südlich der Isla Margarita gegründet. Schon 1541 wurde die Stadt durch ein Erdbeben mit einer nachfolgenden Sturmflut zerstört. Als früheste und noch heute existierende Stadt gilt in Venezuela deshalb Cumaná an der Nordostküste. Sie wurde 1521 gegründet. Im Jahre 1527 verpfändete Karl V. Venezuela bis 1546 an die deutsche Kaufmannsfamilie der Welser. Der spanische Besitz in Lateinamerika war in Provinzen unter einem königlichen Gouverneur aufgeteilt. Die Gewährleistung des Zusammenhalts der sich ständig ausdehnenden Besitzungen sollte dadurch sichergestellt werden. Bis 1739 gehörte Venzuela zum Vizekönigreich Peru, von 1739 an bildete es zusammen mit dem heutigen Kolumbien und Ecuador das Vizekönigreich Nueva Granada mit der Hauptstadt Santafé de Bogotá. (Beyhaut I, 1982). Diese Situation änderte sich bis zur Unabhängigkeit nicht. Faktisch genoß die Region im Gegensatz zu den heutigen Ländern Kolumbien, Peru und Bolivien mit ihren großen Gold- und Silbervorkommen einen hohen Grad an Autonomie. Für die Spanier besaß die spärlich besiedelte Region Klein-Venedig mit ihren z. T. extremen Temperaturen nur eine untergeordnete Bedeutung im Vizekönigreich. So blieb Venezuela über lange Zeit ein eher unbedeutendes Land. Dies sollte später aber schlagartig mit dem Ölboom anders werden. Die frühen europäischen Siedler
248 schürften zwar nach Gold, gaben aber schon bald die fruchtlose Suche wieder auf und widmeten sich statt dessen der Landwirtschaft in der Nähe der Küste und im zentralen Hochland. Erst mehr als 150 Jahre später besiedelten sie auch andere Teile im Landesinneren wie die Llanos und die Gegend um den Maracaibosee im Nordwesten. Von drei kurzen Aufständen gegen die koloniale Herrschaft zwischen 1749 und 1797 abgesehen, gab es in der venezolanischen Geschichte in den ersten dreihundert Jahren nach Ankunft der Europäer kaum bedeutende Ereignisse. Im beginnenden 18. Jahrhundert entwickelte sich Venezuela mit dem Aufschwung der Plantagenwirtschaft dann zu einer wohlhabenden Kolonie Spaniens auf dem südamerikanischen Kontinent. Die Besitzer der großen Kakao-, Kaffee-, Zucker-, Indigo- und Baumwollplantagen drängten auf einen fteien Handel und sahen sich vor Aufständen ihrer Sklaven nicht ausreichend geschützt. Ihr Ziel war die Unabhängigkeit von Spanien. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts änderte sich die Situation in den Kolonien. Das Ende der spanischen Kolonialherrschaft auf dem gesamten Kontinent wurde von dem in Caracas geborenen General Simón Bolívar eingeleitet. Er erhielt die Unterstützung der Plantagenbesitzer. Heute gilt er als der große Befreier des Subkontinents. Francisco de Miranda rief 1806 in Venezuela eine unabhängige Regierung ins Leben. 1810 proklamierte der Kongreß in Caracas die Unabhängigkeit des Landes. Durch den Unabhängigkeitsakt am 5. Juli 1811 wurde die Konföderation Venezuela mit der Hauptstadt Valencia und den Provinzen Barcelona, Barinas, Caracas, Cumaná, Margarita, Mérida und Trujillo ausgerufen. Nach dem Scheitern des Unabhängigkeitsversuches wurde Francisco de Miranda von den Spaniern nach Europa gebracht und starb dort im Gefängnis von Cádiz. Bolívar übernahm danach die Führung der Unabhängigkeitsbestrebungen. Nach zunächst erfolglosen Versuchen im Kampf gegen die Spanier zog er sich nach Kolumbien und Jamaica zurück, bis 1817 der richtige Augenblick für die Rückkehr gekommen war. Die damaligen Verhältnisse in Europa begünstigten Bolivars Absichten. Nach den gerade zu Ende gegangenen Napoleonischen Kriegen gelang es einem Agenten Bolivars in London, Geld zu sammeln und über 5.000 entlassenene britische Veteranen für sich zu gewinnen. Mit diesen britischen Soldaten sowie berittenen Landsleuten aus der Region der Llanos überquerte Bolívar die Anden und brachte die Spanier in den Schlachten von Pantano de Vargas und Boyacá zu Fall. Er bescherte im Jahre 1819 Kolumbien die Unabhängigkeit. Vier Monate später wurde in Angostura, der heutigen venezolanischen Stadt Ciudad Bolívar, ein Kongreß abgehalten, bei dem der neue Staat Großkolumbien mit den heutigen Ländern Kolumbien, Venezuela und Ecuador ausgerufen wurde. Zu dieser Zeit waren Venezuela und Ecuador noch unter spanischer Kontrolle. Obwohl die spanischen Royalisten von Puerto Cabello aus noch zwei weitere Jahre gegen die Aufständischen kämpften, gelang Venezuela mit der Schlacht von Carabobo im Jahre 1821 faktisch doch die Befreiung. Nach diesem Sieg gegen die spanische Kolonialmacht kämpften Bolívar und General Sucre weiter gegen die Krone und befreiten 1824 auch Ecuador, Peru und Bolivien. Obwohl Venezuela demographisch und wirtschaftlich die geringste Bedeutung der Länder Großkolumbiens hatte, waren die neuen Venezolaner dennoch die engagiertesten von allen. Nicht nur, daß sie ihr eigenes Territorium befreiten, sie kämpften auch in der von Bolívar angeführten Armee, die über Kolumbien bis an die Pazifikküste marschierte, um den Kontinent vom spanischen Joch zu befreien. Schätzungen gehen davon aus, daß dabei etwa ein Viertel der venezolanischen Bevölkerung starb.
249 Großkolumbien existierte nur etwa zehn Jahre, bevor es in die drei Länder Venezuela, Kolumbien und Ecuador zerbrach. Nach dem Erreichen der Unabhängigkeit vom spanischen Mutterland und nach dem Zerfall Großkolumbiens im Jahre 1830 durchlebte Venezuela eine Phase der sogenannten "konservativen Oligarchie". Über 17 Jahre lang genoß das Land unter General Páez eine Zeit des relativen Wohlstands und der Stabilität. Er war der erste der Caudillos, der eine konservative Oligarchie verkörperte und das Land über 18 Jahre regierte (1830-1848). Zunehmende soziale Spannungen entstanden durch die Nichteinlösung der während der Befreiungskriege gemachten Reformversprechen wie z. B. das der Sklavenbefreiung. Es folgten zahlreiche Bürgerkriege, die von einer neuen Diktatur unterbrochen wurden. Diese Spannungen führten 1857 zu Konflikten, die zwischen Handelsoligarchie und Großgrundbesitzern um die Wirtschafte- und Kreditpolitik entbrannt waren und die schließlich zu den sogenannten Föderalistenkriegen führten. 1864 wurden die Machtfrage und die soziale Problematik dieses Krieges auf Kosten der Bauern und Tagelöhner entschieden. General Guzmán Blanco kam 1870 an die Macht und behielt diese bis 1888. Wenn auch mit Unterbrechungen, so herrschte zwischen 1863 und 1908 in Venezuela ein politisches Chaos, das durch dauernde Kämpfe der regionalen Caudillos untereinander und durch verschiedene Umsturzversuche herbeigeführt wurde. Noch unter dem letzten klassischen Caudillo, General Juan Vicente Gómez, dessen Diktatur 27 Jahre dauerte und eines der dunkelsten Kapitel der venezolanischen Geschichte bildet, kam seit 1917 mehr und mehr Geld aus Erdöleinnahmen nach Venezuela. Gómez nutzte dieses dazu, den Ausbau der Verkehrswege voranzutreiben, die Verwaltung des Landes zu modernisieren und zu zentralisieren. Seit dem Inkrafttreten des Erdölgesetzes von 1943 konnte die venezolanische Regierung gegenüber den ausländischen Ölkonzernen ihre Steuerhoheit durchsetzen und damit den staatlichen Anteil auf über die Hälfte der Gewinne neu festlegen. Dadurch wurde ein Prozeß eingeleitet, der über die stetige Steigerung des venezolanischen Anteils an den Erdölgewinnen zu einer deutlichen Anhebung der Renten durch die Organisation erdölproduzierender Staaten (OPEC) und letztlich zur Verstaatlichung der Ölkonzerne im Jahre 1976 in Venezuela führte. Im Oktober 1945 kam es zu einem Putsch gegen die Regierung Medina durch junge Offiziere zusammen mit der stärksten Oppositionspartei, der Demokratischen Aktion (Acción Democrática/AD), wodurch ein zügiger Demokratisierungsprozeß eingeleitet wurde. Die Veranstaltung von freien Wahlen nutzte zunächst wesentlich der Acción Democrática. Die Monopolisierung aller politischen Bereiche durch die AD führte im Oktober 1948 erneut zu einem Putsch. Über knapp zehn Jahre herrschte daraufhin General Marcos Pérez Jiménez in einer repressiven und gleichfalls korrupten Diktatur. Beendet wurde die Jiménez-Ára durch einen militärischzivilen Aufstand im Jahre 1958, in dessen Folge Rómulo Betancourt, der Schöpfer des modernen Venezuela, Präsident wurde. Seitdem finden in Venezuela regelmäßig freie Wahlen statt, und die politischen Machtwechsel gehen in friedlicher Form vonstatten. Durch das stetige Anwachsen der staatlichen Öleinnahmen seit Mitte der zwanziger Jahre wurde der venezolanischen Bevölkerung ein Wohlstand zuteil, dem keine Leistungsanreize gegenüberstanden. In der Rentengesellschaft überstieg der Konsum die Einnahmen aus dem Erdölsektor erheblich. Der Staat übernahm aufgrund seiner hohen Erdöleinnahmen eine zentrale Rolle in der Steuerung der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung. Privatinvestitionen wurden gefördert, die Staat-
250 liehe Bürokratie zugleich ausgebaut. Problemen im sozialen Bereich wurden keine neuen Strukturen gegenübergestellt, statt dessen wurden in großem Maße Subventionen eingeführt. Der Wohlstand erreichte gegen Ende der siebziger Jahre seinen Höhepunkt mit der Verstaatlichung der Ölindustrie. Von da an muß eine gegenläufige Entwicklung festgestellt werden. Seit 1980 folgt eine Krise auf die andere. Die zunehmende Verschuldung wird seit 1983 deutlich. Einhergehend damit entwickelt sich die kontinuierliche Abwertung der Landeswährung, des "Bolívar", welche zehn Jahre später zu einer galoppierenden Inflation und einem vorübergehenden Außerkraftsetzen des Devisenverkehrs und gleichzeitiger Suspendierung der konstitutionellen Garantien der Bevölkerung führt. Der kontinuierliche Verfall der Ölpreise seit 1986 läßt das Fehlen von rechtzeitig entwickelten strukturellen Reformen und die Abhängigkeit des Wohlstandes einzig von den bisherigen Öleinnahmen überdeutlich werden. In der zweiten Amtszeit von Präsident Carlos Andrés Pérez, im Februar 1989, kam es in Venezuela zu gewaltsamen Auseinandersetzungen und zahlreichen Protesten gegen dessen neoliberale Strukturanpassungspolitik. Wenngleich Pérez mehrere Erfolge, darunter die Verbesserung der Leistungsbilanz und die Senkung der Inflationsrate, aufzuweisen hatte, gelang es ihm dennoch nicht, die negativen sozialen Folgen für die Bevölkerung wie etwa steigende Armut, Reallohnverluste und Arbeitslosigkeit in den Griff zu bekommen. Dies führte zu einem wachsenden Popularitätsverfall. Die schwelende Staatskrise mit ihren konfliktreichen Verhältnissen mündete schließlich am 4. Februar 1992 in einen Putschversuch durch eine Gruppe von Militärs, die sich als Movimiento Revolucionario Simón Bolívar bezeichnete. Zwar scheiterte der Putsch, die Staatskrise kam aber erst jetzt voll zum Ausbruch. Nur mit Mühe konnte der CAP, so die Bezeichnung für den Präsidenten im Volksmund, die von allen Seiten an ihn herangetragenen Rücktrittsforderungen, insbesondere wegen Korruption, abwehren. Die seit Mitte der achtziger Jahre debattierte und teilweise schon eingeleitete Staatsreform erhielt in der Folge neue Impulse, die als eine Art Rettungsversuch des angeschlagenen Präsidenten bewertet werden müssen. Dazu gehörten eine Revision der Verfassung, Reformen des Parteien- und Wahlgesetzes und die Neuordnung des stark umstrittenen, parteipolitisch dominierten Justizapparates. In dem bis dahin mitunter als stabilste Demokratie Lateinamerikas bezeichneten Land folgte schon im November 1992 ein weiterer Putschversuch, der jedoch ebenfalls scheiterte, aber von nicht wenigen im Land gebilligt wurde. Der unpopuläre Präsident wurde im Juni 1993 schließlich infolge einer institutionellen Anklage der Opposition aus dem Amt entfernt. Der oberste Gerichtshof hatte gegen ihn aufgrund von Korruptionsvorwürfen einen Prozeß eingeleitet. Am 5. Dezember 1993 wurde Rafael Caldera - nach einer ersten Amtszeit von 1968 bis 1973 - diesmal als unabhängiger Kandidat zum zweiten Mal ins Präsidentenamt gewählt. Vor der Wahl, aus der Caldera mit 30,5 Prozent der Stimmen als Sieger hervorging, hatte er versprochen, das Land schnell aus der Krise zu führen. Seine erste Maßnahme war ein Wirtschaftsplan zur Bewältigung der ökonomischen Krise, der schwerpunktmäßig steuerpolitische und fiskalische Veränderungen vorsah. Die aufgrund der maroden Staatsfinanzen noch kurz vor den Wahlen 1993 eingeführte Mehrwertsteuer hatte zu erheblichen Unruhen in der Bevölkerung geführt. Ende Februar 1994, noch im Monat der Vereidigung des neuen Präsidenten, wurde der Wirtschaftsnotstand ausgerufen, der der Regierung Eingriffe in alle Wirtschaftsbereiche ermöglichte. Bereits im Mai tauschte der Präsident nach einem starken, anhaltenden Wertverlust der Landeswährung (Bolívar) seine gesamte Wirtschafts-
251 mannschaft aus. Im Juli 1994 wurden sechs wesentliche Bürgerrechte wegen wirtschaftlicher Notstandsmaßnahmen aufgehoben. Diese Maßnahmen wurden ein Jahr später im Juli 1995 wieder zurückgenommen, galten in den Pufferzonen an den Grenzen zu Brasilien und Kolumbien dennoch weiter.
1.3.
Politisches System
Venezuela ist eine präsidiale Bundesrepublik. Der Präsident wird vom Volk direkt gewählt. Seine Amtszeit beträgt fünf Jahre. Eine unmittelbare Wiederwahl ist nicht möglich. Der Präsident ist Staatsoberhaupt und gleichzeitig oberster Befehlshaber der Streitkräfte. Neben dem Distrito Federal mit der Hauptstadt Caracas besteht das Land aus 20 Departamentos und zwei Territorios Federales. Das Parlament, der Congreso, besteht aus zwei Kammern der Abgeordnetenkammer (Cámara de Diputados) mit z. Zt. 204 Sitzen und dem Senat (Cámara de Senadores) mit 47 Sitzen. Die Kongreßabgeordneten werden auf Länder- und Bundesebene gleichzeitig mit dem Präsidenten für einen Zeitraum von fünf Jahren gewählt. Die 22 Gouverneure der Bundesstaaten und die 323 Bürgermeister werden vom Volk direkt für einen Zeitraum von drei Jahren gewählt. 1995 war es zum dritten Mal für die Bevölkerung möglich, die Kandidaten für diese Ämter direkt zu wählen. Eine unmittelbare Wiederwahl in Folge ist nur einmal möglich. Bei der Wahl 1992 zeigte sich, daß die Bevölkerung die Möglichkeiten der Direktwahl ihrer Bürgermeister voll ausnutzte. Venezuela verdankte die Stabilität seines politischen Systems seit Ende der fünfziger Jahre verschiedenen Pakten zwischen den Parteien und den repräsentativen Organen gesellschaftlicher Gruppen (Gewerkschaften, Unternehmer, Streitkräfte, Kirche) (Boeckh / Hörmann 1995, 535ff). Praktisch herrschte im Land ein Zweiparteiensystem mit der linksgerichteten Acción Democrática (AD) und dem christlichsozialen Comité de Organización Política Electoral Independiente (COPEI). Kandidaten beider Richtungen lösten sich seit 1963 bei den Präsidentenwahlen regelmäßig ab. Es zeugt von der schwindenden Bindekraft der bisher tragenden politischen Institutionen, daß populistische Neugründungen bei den Wahlen 1993 erheblichen Zulauf hatten, vor allem die systemkritische Protestpartei Causa R. Auch der Wahlsieger und neue Präsident Rafael Caldera, der einst für die COPEI kandidiert hatte, schuf sich mit der Convergencia Nacional (CN) eine eigene politische Gruppierung. Diese verfügt im Kongreß allerdings nur über 26 von 204 Sitzen. Die zersplitterten Mehrheitsverhältnisse haben in Venezuela den Hang zu autoritär dekretierten Notstandsmaßnahmen verstärkt.
1.4.
Wirtschaft
Venezuela gehört zu den potentiell reichsten Ländern Südamerikas. Allerdings befindet sich das Land schon seit Jahren in einer schweren Krise, da es am politischen Willen zur Durchführung von dringend notwendig gewordenen Reformen fehlt. Der Ölboom der siebziger Jahre wurde nicht dazu genutzt, um die Wirtschaft zu diversifizieren, die Infrastruktur auszubauen und den Reichtum aus den Ölexpor-
252 ten breit zu verteilen. Das Bruttoinlandsprodukt sank von 58,9 Milliarden US-Dollar (1993) auf 56,1 Milliarden US-Dollar (1994). Damit verringerte es sich um 3,3 Prozent. Nach Berechnungen der CEPAL wuchs im Vergleich dazu das BIP der lateinamerikanischen Region insgesamt um 3,7 Prozent. Bei den wichtigsten landwirtschaftlichen Gütern Venezuelas handelt es sich um Reis, Kaffee, Kakao, Zitrusfrüchte und Zuckerrohr. Der Erdölsektor mit Erdöl, Erdgas und der Raffinierung konnte nach vorläufigen Erhebungen ein Wachstum verzeichnen. Auf dem Nicht-Erdöl-Sektor wurden im Bergbau, bei Elektrizität und Wasser Steigerungen erzielt. Neben dem Erdöl verfügt Venezuela über gigantische Erdgas-Reserven, die bei gleichbleibender Produktion für mehr als 100 Jahre reichen würden. Ausländische Investitionen auf diesem Gebiet sind von der Regierung ausdrücklich erwünscht. Unter der Regierung von Präsident Pérez wurden in den Jahren 1989 bis 1993 eine marktwirtschaftliche Reformpolitik eingeleitet, die Handelsgrenzen geöffnet und Freihandelsabkommen mit den Ländern der Region und Mexiko eingeleitet sowie Staatsunternehmen privatisiert. Die Regierung unter Präsident Caldera hingegen, die mit populistischen Parolen Ende 1993 an die Macht gelangte, schien davon überzeugt, daß es nur geringfügiger Korrekturen bedarf, um das Land bald aus der Krise zu führen. Tatsächlich befand sich Venezuela 1995 im dritten Jahr in Folge in einer rezessiven Phase mit zunehmender Inflation. Die Maßnahmen der Regierung Caldera haben eine immer größer werdende Kluft zu einer marktwirtschaftlichen Politik hervorgebracht. Bei diesen Maßnahmen handelt es sich um Devisenbewirtschaftung, Preiskontrollen und Aufhebung der wirtschaftlichen Garantien. Fachleute erwarten trotz der erheblichen Inflation in einigen Wirtschaftsbereichen eine weitere Öffnung des Marktes für ausländische Investoren in verschiedenen Bereichen. Dazu zählen die Basisindustrien Stahl, Aluminium, Ferrosilizium und Bauxit sowie Firmenbeteiligungen an Hotels, Bürogebäuden, Bananenplantagen, Versicherungen und Industriebeteiligungen (z. B. Telefonkabel, Brauereien). 1994 wurde Venezuela von zahlreichen Bankenskandalen und Zusammenbrüchen erschüttert. Durch Korruption und Diebstahl brachen innerhalb von 15 Monaten 16 Banken zusammen, was zu einer im 20. Jahrhundert einzigartigen Krise auf diesem Sektor führte. Die Verpflichtungen aus diesen Zusammenbrüchen mußten vom venezolanischen Staat übernommen werden, was einem Übernahmebetrag von insgesamt rund sieben Milliarden US-Dollar entsprach. Nach dem Zusammenbruch der zweitgrößten Bank Venezuelas, dem Banco Latino, im Januar 1994 wurden weitere Zusammenbrüche befürchtet, was die Regierung zur Subventionierung von acht Kreditinstituten mit einem Betrag von drei Milliarden US-Dollar veranlaßte. Im Juni 1994 waren alle acht Kreditinstitute zahlungsunfähig und mußten schließen. Die Inflation zählt zu den größten Problemen des Landes. Sie lag Anfang 1994 bei 70 Prozent; im ersten Quartal 1996 betrug die Inflationsrate nach Veröffentlichungen der venezolanischen Zentralbank 24 Prozent. Im April 1996 gab Präsident Caldera einen rigiden Sparplan zur Sanierung der Wirtschaft bekannt (u. a. drastische Erhöhung der sehr niedrigen Benzinpreise). Dies war die Voraussetzung für ein Abkommen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) über Kredite in Milliardenhöhe. In Venezuela herrscht, wie in vielen Entwicklungsländern, Unterbeschäftigung. Die Übergänge zwischen Arbeit, Gelegenheitsarbeit, Tätigkeit unbezahlt mithelfender Familienangehöriger und Arbeitslosigkeit sind fließend. Genaue statistische
253 Angaben oder ein Vergleich mit anderen Ländern sind deshalb schwer möglich. Das Management Consult-Unternehmen Schaeffler, Szilági & Partner (1992-1995) geht von einem etwa 50-prozentigen informellen Sektor aus. Die Arbeitslosenquote lag Ende 1994 nach offiziellen Angaben des Statistikamtes OCEI bei 8,7 Prozent. Wegen Währungsspekulationen und Bankenskandalen schrieb die Regierung unter Präsident Caldera seit Anfang 1994 Preiskontrollen für zahlreiche Grundbedarfsgüter fest. Diese sollten nach offiziellen Angaben lediglich vorübergehenden Charakter haben, wurden aber 1995 von der Regierung nicht aufgehoben. Statt dessen befürchtete man eine Erweiterung der Preiskontrollen, was eine weitere Rezession, Unterversorgung und Schmuggel zur Folge haben würde. Mit den Preiskontrollen und den Wachstumseinbußen in der Privatwirtschaft ging ein weiteres Absinken der Realeinkommen einher. Das Forschungsinstitut CENDA ging für 1994 von einer Reduzierung des Realeinkommens um ca. 50 Prozent aus, da dem Anstieg der Lebenshaltungskosten um 71 Prozent lediglich Lohn- und Gehaltssteigerungen von 20 Prozent gegenüberstanden.
1.5.
Bevölkerung und Sozialstruktur
In Venezuela leben heute schätzungsweise knapp über zwanzig Millionen Menschen. Die genaue Zahl ist nicht bekannt, da eine gesetzliche Meldepflicht nicht besteht. Nach Angaben der Oficina Central de Estadística e Informática (OCEI), dem statistischen Zentralbüro des Landes, wurden durch den Zensus im Oktober des Jahres 1990 18.105.265 Personen mit venezolanischer Staatsangehörigkeit erfaßt. Der Anteil der jungen Menschen ist mit knapp 10 Millionen in der Altersgruppe der bis 19jährigen besonders hoch. Mehr als zwei Drittel der Bevölkerung Venezuelas sind Mestizen oder Mulatten, ein Fünftel Weiße. Bei den Ureinwohnern des Landes handelt es sich um verschiedene Indianerstämme, die besonders im Nordwesten sowie im Orinoco-Delta und im Bergland von Guayana leben. Der wohl bekannteste Indianerstamm ist die Gruppe der Guarani-Indianer. Bei der weißen Bevölkerung handelt es sich vor allem um Personen spanischer oder italienischer Herkunft. Staatssprache ist Spanisch. Über 90 Prozent der Venezolaner gehören offiziell der Katholischen Kirche an. Lediglich etwa drei Prozent der Bevölkerung sind protestantisch. Die Bevölkerungsdichte liegt bei rund 20 Einwohnern pro Quadratkilometer. Dabei wird von einer Grundfläche des Hoheitsgebietes von 912.000 Quadratkilometern ausgegangen. Die beiden größten Seen des Landes Lago de Valencia und Lago de Maracaibo wurden bei dieser Flächenberechnung außer acht gelassen. Die Verstädterung nimmt nach wie vor stetig zu. Dabei kommt Caracas mit dem Distrito Federal eine besondere Bedeutung zu. Mitte der achtziger Jahre lebten hier knapp drei Millionen Menschen. Nach OCEY-Angaben lebten im Jahre der letzten Volkszählung (1990) allein im Stadtbereich von Caracas 1.822.465 Menschen. Hinzu kamen 2.875.691 Einwohner im erweiterten Stadtbereich. Mehr als die Hälfte der Einwohner von Caracas leben in den sogenannten Barrios. Dabei handelt es sich um Wohnsiedlungen am Rande der Stadt, die teilweise nicht einmal über eine grundlegende Wohninfrastruktur wie Wasserzu- oder -ableitungen oder Elektrizität verfügen. Die Bardos entstanden aus der Not der zuziehenden, arbeitsuchenden Landbevölkerung, die dort zunächst einfache Hütten aus Wellblech und Steinen aufbaute.
254 Trotz einer Verbesserung der Infrastruktur in diesen Stadtbereichen handelt es sich bei den meisten Barrios dennoch um Elendsquartiere, in denen völlig unzureichende Wohn- und Lebensbedingungen herrschen. Die Bevölkerung Venezuelas wächst pro Jahr um knapp drei Prozent. Die räumliche Verteilung der Menschen ist sehr unterschiedlich. Uber zwei Drittel der Einwohner leben im nördlichen Teil des Landes, der gut erschlossen ist. Fast menschenleer dagegen ist das Bergland von Guayana. Caracas und der Distrito Federal bilden wie seit jeher das Hauptballungsgebiet des Landes. Im Bundesterritorium Amazonas betrug die Bevölkerungsdichte im Jahr 1990 lediglich 0,1 Einwohner pro Quadratkilometer. Verbesserungen im venezolanischen Erziehungs- und Bildungswesen konnten die Quote der Analphabeten zwischen 1961 und 1985 von 36,7 Prozent auf 13 Prozent bei der Bevölkerung im Alter ab 15 Jahren reduzieren. 1987 waren es nur noch 9,1 Prozent der 15jährigen, die nach offiziellen Angaben nicht lesen konnten. Es besteht Grundschulpflicht für alle Schüler zwischen sieben und 13 Jahren. Wegen des großen Lehrermangels konnte die Grundschulpflicht in den letzten Jahren allerdings nur unzureichend durchgesetzt werden. Die durchschnittliche Dauer des Schulbesuchs beträgt etwa drei Jahre. An den staatlichen Schulen erfolgt der Unterricht unentgeltlich. Mit dem Abschlußzeugnis der Grundschule ist jeder berechtigt, eine zweijährige weiterführende Schule, eine Berufsschule oder eine vierjährige Ausbildung an Lehrerbildungsanstalten zu besuchen.
2.
Rechtliche Grundlagen der Massenmedien
Die Rechtsgrundlagen der Massenmedien Venezuelas sind in der Verfassung vom 23. Januar 1961 niedergelegt. Diese war ausgearbeitet worden, als nach dem Fall der Diktatur von Pérez Jiménez und der Wahl von Rómulo Betancourt zum Präsidenten im Jahr 1958 wieder demokratische Verhältnisse einkehrten. Die Verfassung, die 26. seit der Unabhängigkeit, hat mittlerweile eine vergleichsweise lange Geltungsdauer hinter sich. Auch in den älteren Verfassungen war zumeist formal die Meinungs- und Pressefreiheit zugesichert, doch gab es dafür nicht selten weitreichende rechtliche und praktische Beschränkungen, die sie mehr oder weniger aufhoben. Die für die Massenmedien relevanten Bestimmungen finden sich in Art. 66 der Verfassung von 1961. Jeder hat das Recht, seine Gedanken durch das gesprochene Wort oder in schriftlicher Form auszudrücken und jedes Mittel der Verbreitung zu benutzen, ohne daß eine Vorzensur ausgeübt wird; aber Aussagen, die ein Vergehen darstellen, sind dem Gesetz gemäß strafbar. Anonymität ist nicht erlaubt. Gleichermaßen sind Kriegspropaganda, Verletzungen der öffentlichen Moral und alles, was zum Ungehorsam gegenüber den Gesetzen verleitet, nicht erlaubt, ohne daß dies die Analyse und Kritik der gesetzlichen Vorschriften einengen darf. (Agudo Freites 1976, 235)
255 Die venezolanische Verfassung garantiert somit Meinungs- und Pressefreiheit und verbietet die Vorzensur. Zugleich legt sie unter Hinweis auf die geltenden Gesetze die Grenzen dieser Freiheiten fest. Zusätzlich enthält der zweite Absatz einige dehnbare Formulierungen, die den rechtlichen Vorwand für amtliche Eingriffe bieten können. Die gesetzlichen Grenzen von Meinungs- und Pressefreiheit sind vor allem im Código Penal zu finden (Agudo Freites 1976, 240ff): Landesverrat (Art. 132, 134), Vergehen gegen die Staatsmacht (Art. 148ff) und gegen Amtsträger (Art. 223, 226), Brief- und Postgeheimnis (Art. 188, 190), Verbot von Obszönitäten (Art. 383), Diffamierung und Beleidigung (Art. 444ff). Auch in diesen (und einigen anderen) Artikeln gibt es Formulierungen, die zum Nachteil der Pressefreiheit interpretierbar sind. Eine weitere grundsätzliche Möglichkeit zur Einschränkung folgt aus Artikel 241 der Verfassung. Darin ist ein Notstandsrecht vorgesehen. Es räumt dem Präsidenten das Recht ein, in Zeiten der Bedrohung, der Unruhe sowie wirtschaftlicher und sozialer Not konstitutionelle Garantien einzuschränken oder zu suspendieren. Davon kann auch die in Art. 66 gewährleistete Meinungs- und Pressefreiheit betroffen sein. Daß dies nicht nur eine theoretische Möglichkeit ist, hat sich wiederholt und auch jüngst wieder gezeigt. 1994 setzte Präsident Rafael Caldera zeitweise eine Reihe von Grundrechten außer Kraft. Er suchte damit u. a. zu verhindern, daß offen über die wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Landes, etwa über den wachsenden Schwarzmarkt, berichtet werde. Nicht lange nach der Verabschiedung der Verfassung von 1961 war in Venezuela staatlicherseits bereits der Versuch gemacht worden, den Art. 66 durch nähere Bestimmungen zu regeln (Agudo Freites 1976, 79ff; 187ff). Das Proyecto de Ley Reglamentaria del Artículo 66 de la Constitución Nacional (1964) sah 22 Artikel vor. Einerseits wurden zwar die Kunst-, Forschungs- und Publikationsfreiheit erneut betont, diese andererseits durch verschiedene Maßgaben aber restriktiv gebunden. Mochte ein Entgegnungsrecht zur Herstellung von publizistischer "Waffengleichheit" noch sinnvoll, ja geboten erscheinen, und mochte dies auch noch für die Einrichtung eines "verantwortlichen Redakteurs" gelten, so konkretisierten Art. 9, 10 und 11 in z. T. detaillierter Form Verbotstatbestände bei Störungen des öffentlichen Friedens und der öffentlichen Moral. Zugleich wurden dafür jeweils Strafmaße festgelegt. Das Gesetzesprojekt stieß auf massiven Widerstand der Journalisten und Medienbesitzer. Es geriet sogleich als Ley Mordaza ("Knebelgesetz") in Verruf. So scheiterte das Gesetz am öffentlichen Protest, und seine Initiatoren mußten es in der Schublade verschwinden lassen. Trotz der verfassungsrechtlichen Garantie des Art. 66, auf welche sich die Massenmedien in Venezuela berufen können und die ihnen im Prinzip auch einen im historischen Vergleich großen Spielraum verschafft, kommt es in dem Land immer wieder zu Verletzungen der Pressefreiheit. Dies gilt zumal für die krisenhaften Jahre seit der gescheiterten Präsidentschaft von Carlos Andrés Pérez. Nicht nur, daß Sicherheitskräfte in zahlreichen Fällen die Ausgabe und die Verbreitung von Presseorganen zu verhindern suchten. Auch gegen Radioprogramme ging man vor, ja Journalisten wurden persönlich angegriffen und bedroht. Diese Aktionen und Verstöße werden seit einigen Jahren von einer Initiative minutiös dokumentiert, die sich den Namen Programa Venezolana de Educación y Acción en Derechos Humanos (PROVEA) zugelegt hat. Sie gibt über ihre Ermittlungen Jahresberichte heraus (PROVEA jährl.).
256 Noch aus anderen Gründen wird der Art. 66 der venezolanischen Verfassung als reformbedürftig angesehen. Kritiker argumentieren, daß die Pressefreiheit die Medienbesitzer nicht aus der Verpflichtung entlasse, im Sinne eines servicio público der Gesellschaft zu dienen. Geäußert wird dies insbesondere wegen der Monopolisierungstendenzen im Fernsehsystem des Landes. Die Antimonopol-Gesetzgebung von 1991 müsse auch auf den Mediensektor angewandt werden, um die in der Verfassung garantierte Meinungs- und Pressefreiheit zu sichern (Artículo 66: Reforma Constitucional 1992).
3.
Presse
3.1.
Geschichte
Die Geschichte der periodischen Presse begann in Venezuela Anfang des 19. Jahrhunderts. Ihre Entstehung setzte das Vorhandensein von Druckereien voraus. Bevor es diese im Lande gab, wurden allerdings schon in geringer Zahl handschriftlich Neuigkeiten zusammengestellt, abgeschrieben und verbreitet (Pérez Vila 1979, 121ff). Obwohl man versucht hat nachzuweisen, daß erste Druckwerke bereits in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entstanden (Miliares Carlo 1969, 20ff), ist es allgemein anerkannt, daß die erste Druckerei mit der Expedition Francisco de Mirandas 1806 nach Venezuela gelangte, zusammen mit zwei nordamerikanischen Druckern, Mateo Gallagher und James Lamb (Febres Codero 1974, 15ff). Ihnen kommt das Verdienst zu, auf dieser Presse die erste Zeitung des Landes gedruckt zu haben, die Gazeta de Caracas. Ihre erste Ausgabe erschien am 24. Oktober 1808 (Ratto-Ciarlo 1967, 37ff; Febres Codero 1974, 155ff; Nieschulz de Stockhausen 1981, llff). Es handelte sich zunächst um eine offizielle Zeitung der spanischen Kolonialmacht, weshalb viele Nachrichten aus dem Ausland, insbesondere aus Spanien, stammten, das sich zu diesem Zeitpunkt im Krieg mit Napoleon befand. Die ersten Unabhängigkeitsbestrebungen führten 1811 zur Herausgabe von entsprechend ausgerichteten, republikanisch, ja revolutionär gesinnten Presseorganen (Semanario de Caracas, El Mercurio Venezolano, El Patrioto de Venezuela). Die Sección Legislativa des Kongresses erließ im August des Jahres ein Reglamento sobre la Libertad de la Imprenta. Damit setzte in Venezuela zwar im Prinzip die Geschichte der Pressefreiheit ein (Agudo Freites 1976, llf; 111 ff; Nieschulz de Stockhausen 1981, 16ff). Allerdings geschah dies nur unter bestimmten Kautelen, z. B. der Lizenzierung, und unter der Verpflichtung auf die Verantwortlichkeit vor den Gesetzen. Die Meinungs- und Pressefreiheit einschließlich ihrer Schranken wurde im Dezember 1811 auch in die erste Verfassung Venezuelas aufgenommen. Als Organ des Gesetzgebenden Kongresses erschien zwischen Juli und November 1811 El Publicista de Venezuela, in dessen zweiter Ausgabe die Unabhängigkeitserklärung abgedruckt wurde. Während des Unabhängigkeitskriegs der folgenden Jahre blieb als Zeitung nur die offizielle Gazeta de Caracas bestehen. Erst im Jahre 1820 kam es zu einigen Neugründungen, deren Mehrzahl jedoch noch königstreue Tendenzen vertrat (Nieschulz de Stockhausen 1981, 33ff). Allerdings kamen sie über wenige Ausgaben (und das Jahr 1820) nicht hinaus. Bedingt war dies durch den Sieg Simón Bolívars über die Spanier und die Gründung des neuen Staates Großkolumbien, dessen Teil Venezuela
257 im folgenden Jahrzehnt war. Die Ziele der Konföderation unterstützte die Gaceta del Gobierno de Caracas, die 1821 die inzwischen eingestellte alte Gazeta de Caracas ersetzen wollte, aber auch nur in zwei Ausgaben herauskam. In der Ley Fundamental de la Unión de los Pueblos de Colombia wurde 1821 in Art. 156 wiederum die Druck- und Publikationsfreiheit zugestanden. Zur Reglementierung folgte noch im gleichen Jahr eine Ley sobre la Libertad de Imprenta (Agudo Freites 1976, 15ff; 115ff). Außer in Caracas wurden im frühen 19. Jahrhundert auch in anderen Städten Venezuelas Druckereien eingerichtet (Febres Codero 1974, 169ff; Nieschulz de Stockhausen 1981, 12ff; 96ff). Infolgedessen begannen auch dort Zeitungen zu erscheinen, die ersten in Cumaná (Gazeta de Cumaná, 1811) und in Valencia (Boletín, 1812). Sie mußten aber ebenfalls schon bald eingestellt werden. Das wichtigste Blatt im Unabhängigkeitskrieg gegen die Spanier war der am 27. Juni 1818 in Angostura (der späteren Stadt Ciudad Bolívar) durch Simón Bolívar gegründete Correo del Orinoco. In ihm wurden nicht nur Dekrete und amtliche Akten mitgeteilt, hier wurden auch Schilderungen der großen Schlachten von Boyacá und Carabobo abgedruckt. Hinzu kamen wirtschaftliche Meldungen und solche aus dem In- und Ausland. Das aufgrund seiner Funktion und seines Inhalts für die Pressegeschichte Venezuelas höchst bedeutsame Blatt bestand bis zum 23. März 1822 (Ratto-Ciarlo 1967, 166ff). Die venezolanische Presse war in den Jahren der Zugehörigkeit zu Großkolumbien durch eine mehr oder minder große Fluktuation gekennzeichnet. Eine ganze Reihe von Zeitungen, die in der Regel wöchentlich erschienen und eine Auflage von mehreren hundert Exemplaren hatten, aber auch literarische und wissenschaftliche Zeitschriften suchten ihre Leserschaft. Politisch lassen sich die Blätter im großen und ganzen in zwei Gruppen teilen. Die einen unterstützten, dem Befreier in treuer Gefolgschaft verbunden, die Föderation und ihre Ideale, die anderen waren antibolivarianisch und separatistisch eingestellt, d. h. sie traten für eine Trennung Venezuelas von Großkolumbien ein (Nieschulz de Stockhausen 1981, 40ff). Zu den bedeutenden Presseorganen dieser Jahre gehörten in Caracas El Venezolano (1822-1824), El Colombiano (1823-1826), El Constitucional Caraqueño (1824-1825), El Argos (1825), der von Antonio Lacadio Guzmán, einem noch durch andere Titel berühmt gewordenen Journalisten, herausgegeben wurde (Febres Codero 1974, 103f)- In den anderen Teilen des Landes entstanden neue Periodika in den zwanziger Jahren in Cumaná (u. a. El Indicador del Orinoco), Maracaibo (u. a. El Correo Nacional), Puerto Cabello (u. a. El Vigia de Puerto Cabello) und Valencia (u. a. El Venezolano). Mit dem Zerfall Großkolumbiens und der Herstellung der Selbständigkeit der Republik Venezuela begann 1831 eine neue Phase auch in der Entwicklung der Presse des Landes (Nieschulz de Stockhausen 1981, 50ff). Diese wurde jetzt erst recht zu einem Forum, auf dem die verschiedenen politischen Ideen der Epoche um die Vorherrschaft kämpften, aber auch Wirtschaft, Handel und Literatur bildeten vermehrt die Themen der periodischen Publizistik. Die politischen Blätter wurden zunehmend zum Kern politischer Gruppierungen. Sie können wiederum im wesentlichen in zwei Richtungen eingeordnet werden, in solche mit liberalen und solche mit konservativen Auffassungen. Insgesamt lassen sich in diesen Jahren 114 Periodika zählen. Obwohl eine Vorherrschaft konservativer Kräfte bestand, waren es vor allem liberale Organe, welche den Kampf um die Macht anfachten bzw. durch die sich der
258 Partido Liberal herausbildete (Nieschulz de Stockhausen 1981, 76ff). Insbesondere in den Jahren mit Präsidentschaftswahlen schwoll die Zahl politischer Blätter stark an, von denen die meisten nur kurzlebig waren. Es gab auch längerfristig bestehende Organe, z. B. El Conciso (1832-1838), El Constitucional (1834-1837), El Demócrata (1834-1836), El Liberal (1836-1848), El Republicano (1844-1852), La Prensa (1846-1848) (alle in Caracas) sowie El Independiente (1843-1845, in Barquisimeto), El Observador (1843-1845, in Coro), El Manzanares (1846-1848, in Cumaná), und El Constitucional (1836-1838, in Maracaibo). Mit dem Sieg der Liberalen und ihres Präsidentschaftskandidaten José T. Monagas 1846 setzte dann eine Schrumpfung im venezolanischen Pressewesen ein. Für die liberalen Kräfte war ein wesentlicher Grund ihres publizistischen Engagements weggefallen, die Konservativen mußten ein solches erst wieder entwickeln. Zu einer Neubelebung der Presse kam es mit der Wahl 1850. Rechtlich war die Meinungs- und Pressefreiheit auch in die Verfassung der Republik Venezuela von 1830 (Art. 194) übernommen worden. Doch hatten die Regierenden in den folgenden Jahrzehnten wiederholt Códigos de Imprenta erlassen, die Mittel gegen den "Mißbrauch" der Pressefreiheit legalisierten (1839, 1847, 1849 und 1855) (Agudo Freites 1976, 21 ff; 125ff). Während die Kenntnis der Pressegeschichte Venezuelas in den ersten fünf Jahrzehnten der Unabhängigkeit durch mehrere wissenschaftliche Werke sehr gut dokumentiert ist, fehlt es an entsprechenden Vorarbeiten für die anschließende Zeit (ausgenommen Grases 1950). So läßt sich die weitere Entwicklung der Presse nur unzureichend und lückenhaft überblicken. Das historische Desinteresse hängt hier womöglich damit zusammen, daß die Presse unter der wechselnden Herrschaft zahlreicher Caudillos schlechte Zeiten erlebte und nur eine bescheidene Existenz fristete. Zwar hatte auch die Verfassung von 1864 ein weiteres Mal die Freiheit des Wortes und der Presse ohne Einschränkung zugesichert. Aber praktisch konnten sich nur offizielle Organe aktiv betätigen wie El Federalista und La Opinión Nacional (Agudo Freites 1976, 56f). Unter bestimmten Umständen wurden einzelne Blätter toleriert, denen man eine gewisse Opposition erlaubte, z. B .El Deber, El Anunciador und La Prensa Libre. Aufgrund von Artikeln, die sie darin veröffentlichten, wurden Journalisten gelegentlich jedoch ins Gefängnis gebracht. Ein Organ kämpferischer Opposition gegen den Präsidenten Guzmán Blanco war in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts La Tribuna Liberal. 1894 wurde von dem neugewählten Präsidenten Joaquín Crespo nochmals eine Ley Reglamentaria für das Druck- und Pressewesen erlassen, die - als zu freiheitlich - ein Jahr später bereits zurückgezogen wurde. Sie war die letzte, die noch vom Geist der großkolumbianischen Verfassung von 1821 geprägt war (Agudo Freites 1976, 61ff). Insbesondere die 27jährige Diktatur von Juan Vicente Gómez (1908-1935) ließ die Presse in Venezuela verkümmern. Obwohl er die wirtschaftliche Entwicklung des Landes förderte, unterband er jede politische Aktivität der Zeitungen. Sie mußten sich vor allem jeglicher politischer Stellungnahme enthalten. Nach dem Ende seiner Herrschaft gab es in Caracas daher nur vier Tageszeitungen: La Religión, die 1890 als Organ der Katholischen Kirche gegründet worden war, El Universal, eine Gründung des Dichters Andrés Mata von 1909, ferner El Heraldo (seit 1922) und La Esfera (gegründet 1927). In Gómez' Amtszeit wurden sieben Verfassungen erlassen, was die unsichere Rechtslage dieser Jahre anzeigt (Mayobre 1992a, 23). Unter den Nachfolgern des Diktators kam es zu Bemühungen um eine Rückgewinnung konstitutioneller Garantien. Während dies auch hinsichtlich der Pressefreiheit Früchte trug (in einer Charta von 1945 und der Verfassung von 1947), führte ein
259 erneuter Militärputsch im November 1948 gegen den zum Präsidenten gewählten Schriftsteller Römulo Gallegos wiederum zur Suspendierung dieser Garantien (Agudo Freites 1976, 67ff). 1946 gab es in Venezuela 22 Tageszeitungen, acht davon erschienen (mit einer Auflage von 118.000 Exemplaren) in Caracas, 14 (mit einer Auflage von zusammen 26.400 Exemplaren) im Landesinneren. Für 1948 werden insgesamt 27 Tageszeitungen mit einer Gesamtauflage von 280.000 Exemplaren angegeben. Diese Zahl stagnierte zunächst auch in den folgenden Jahren, d. h. nur einzelne Titel kamen in den fünfziger Jahren hinzu. Eine Expansion der Presse trat dann vor allem in den siebziger Jahren ein. Insbesondere die Zahl der Zeitungstitel in der Provinz vermehrte sich. Hier gab es 1986 61 Tageszeitungen (eine Steigerung gegenüber 1946 um 435 %). In Caracas erschien dagegen mit neun Tageszeitungen nur eine mehr als 1946. Ebenso bemerkenswert ist, daß sich die Gesamtauflage der venezolanischen Tagespresse zwischen 1975 und 1985 von 1,05 auf 2,74 Millionen Exemplare, d. h. um 242 Prozent, erhöhte (Pasquali 1991b, 76f¥).
3.2.
Presserecht
Die maßgebliche Rechtsgrundlage für die Arbeit der Presse ist zunächst der Art. 66 der Verfassung von 1961 (s. o.). Hinzu trat 1972 ein Journalistengesetz Ley de Ejercicio del Periodismo). Dieses Gesetz umfaßt in vier Kapiteln 46 Artikel und regelte damit die Ausübung des Journalistenberufs in Venezuela. Voraussetzungen dafür sind 1. der Erwerb des Titels eines correspondiente an einer Universität oder anderen Einrichtung der Journalistenausbildung und 2. die Mitgliedschaft in der Journalistengewerkschaft, dem Colegio Nacional de Periodistas (CNP). Damit wurde in Venezuela eine Art Kammersystem für den Journalismus vorgeschrieben. Dies mag zwar - der Intention nach - seine Professionalisierung fördern, führt aber zu einer Privilegierung, ja birgt die Gefahr einer Kastenbildung und einer Isolierung der Journalisten aus der Gesellschaft. In seinem Inhalt definierte das Gesetz Funktionen des Journalismus und berufsethische Normen, die bei seiner Ausübung einzuhalten sind. Zu den letzteren gehören u. a. Objektivität, Richtigstellung von Irrtümern u. ä. Außerdem legte es die rechtlichen Grundlagen für die Organisation des Colegio Nacional de Periodistas (CNP) sowohl auf Landes- als auch auf regionaler Ebene fest. Hierfür gibt es präzise Vorgaben. Durch ein eigenes Disziplinargericht (Tribunal Disciplinario Nacional) sollen Verstöße gegen die berufsethischen Prinzipien geahndet werden. Das Berufsgericht kann Sanktionen in verschiedenen Stufen verhängen, von der privaten über die öffentliche Ermahnung bis zur Suspendierung des Wahlrechts (innerhalb des Colegio) und zum Berufsverbot. Artikel in- und ausländischer Mitarbeiter dürfen die Medien nur bringen, wenn diese dem Colegio Nacional de Periodistas angehören. Außerdem traf das Gesetz Vorkehrungen zur sozialen Sicherung der Journalisten und erklärte den 27. Juni, den Geburtstag des Correo del Orinoco, zum Día Nacional del Periodismo. In den letzten Jahren ist das Journalistengesetz von 1972 einer Revision unterzogen worden. Dies geschah durch ein Komitee unter dem Vorsitz von Manuel Isidro Molina, einem ehemaligen Journalisten und Anführer des Colegio. Der neue Entwurf wurde vom Kongreß beschlossen und von Präsident Caldera im Dezember 1994 in Kraft gesetzt (Vanden Heuvel / Dennis 1995, 76ff). Dadurch wurde die Rolle des
260 Colegio aber nur noch erweitert und gestärkt, denn künftig müssen in ihm auch andere Medienmacher, selbst die Techniker, Mitglieder sein. Der Colegio wurde sogar zu einem Beratungsorgan der Regierung in Sachen Medien gemacht. Dem Journalistengesetz, das bisher eher nachlässig gehandhabt wurde, soll offenbar mehr Geltung verschafft werden. Während viele Journalisten dies begrüßten, weil sie dadurch vor nicht-professioneller Konkurrenz geschützt werden, wandten sich die Eigentümer der Medien gegen das neue Gesetz. Mit einsichtigen Gründen argumentierten sie, daß dadurch die anderen Bürger des Landes, gerade auch Intellektuelle, daran gehindert würden, sich an der öffentlichen Diskussion zu beteiligen. Durch geeignete Rechtsmittel suchte daraufhin der venezolanische Verlegerverband schon das alte Journalistengesetz von 1972 als verfassungswidrig erklären zu lassen, weil es die Pressefreiheit und die Freiheit der Berufswahl verletzte.
3.3.
Die Presse in Venezuela heute
3.3.1.
Zeitungen
3.3.1.1.
Bestandsaufnahme
Venezuela ist eines der zeitungsreichsten Länder Lateinamerikas. Mit 7,4 Prozent der in dieser Region publizierten Tageszeitungen liegt das Land an vierter Stelle. Es verfügt nach den vorliegenden Angaben über 75 Tageszeitungen, die zusammen eine Auflage von 2,16 Millionen Exemplaren erreichen (López Arjona 1993, 55ff). 15 davon sind in der Hauptstadt bzw. im Distrito Federal beheimatet, 60 in den Departamentos der Provinz. In den einzelnen Departamentos gibt es unterschiedlich viele Tageszeitungen. Einen Überblick bietet dazu Tabelle 1. Nach dem Distrito Federal (Caracas) finden sich die meisten Tageszeitungen, nämlich sechs, im Bundesstaat Bolívar, gefolgt von Anzoátegui und Nueva Esparta mit jeweils fünf. In vier weiteren Departamentos (Aragua, Barinas, Sucre und Táchira) gibt es je vier, in den übrigen drei oder zwei Tageszeitungen. Keine (eigenen) sind dagegen in den Departamentos Apure und Cojedes anzutreffen, ebensowenig wie in den beiden Territorios Federales Amazonas und Delta Amacuro. Die wichtigsten und auflagenstärksten Tageszeitungen Venezuelas werden in Caracas herausgebracht. Es sind dies Ultimas Noticias (200.000 Exemplare), Meridiano (200.000), El Universal (185.000), El Nacional (180.000) und 2001 (120.000). Große Zeitungen in der Provinz sind Panorama in Maracaibo (130.000 Exemplare), El Carabobeño in Valencia (72.000) und El Impulso in Barquisimeto (50.000). Die Mehrzahl der Tageszeitungen, zumal in der Provinz, erzielen nur geringere Auflagen. Sie liegen bei mehr als zwei Dritteln der Titel unter 20.000 Exemplaren. In den meisten Fällen handelt es sich um Morgenzeitungen (Matutinos). Abendzeitungen (Vespertinos) sind u. a. Meridiano, El Mundo und 2001. Probleme, denen vor allem die auflagenschwächeren Provinzblätter begegnen, sind hohe Papier-, technische Herstellungs- und Verbreitungskosten. Da diese Zeitungen weniger Werbung erhalten als die großen Blätter der Hauptstadt, sind viele in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht. Auffallig bei den Provinzblättern ist, daß jeweils ein Drittel der Zeitung mit Nachrichten aus den Bereichen Sport, Tagesereignisse und nationale Politik gefüllt ist (Mayobre 1992a).
261 Tabelle 1: Tageszeitungen in Venezuela Departamento Distrito Federal Anzoátegui Apure Aragua Barinas Bolívar Carabobo Cojedes Falcón Guárico Lara Mérida Miranda Monagas Nueva Esparta Portuguesa Sucre Táchira Trujillo Yaracuy Zulia
Hauptstadt Caracas Barcelona San Fernando de Apure Maracay Barinas Ciudad Bolivar Valencia San Carlos Coro San Juan de los Morros Barquisimeto Mérida Los Teques Matunn La Asunción Guanare Cumanà San Cristóbal Trujillo San Felipe Maracaibo
Insgesamt
Anzahl 15 5 -
4 4 6 3 -
in % 20,0 6,7 -
5,3 5,3 8,0 4,0 -
3 2 3 3 2 3 5 2 4 4 3 1 3
4,0 2,7 4,0 4,0 2,7 4,0 6,7 2,7 5,3 5,3 4,0 1,3 4,0
75
100
Quelle: López Arjona 1993,558f. Die älteste heute in Venezuela erscheinende Tageszeitung ist La Religión, die auch deshalb hervorzuheben ist, weil sie als einzige von der Katholischen Kirche herausgegeben wird. Sie wurde 1890 gegründet. Die Zweitälteste ist El Impulso (gegründet 1904), die drittälteste El Universal (gegründet 1909). Letztere ist seit langem eines der dominierenden Blätter im Lande. Darauf weist schon der durchschnittliche Umfang der einzelnen Ausgabe hin, der bei dieser Zeitung am größten ist (ca. 100 Seiten). Möglich ist dies nur durch einen entsprechend hohen Anteil von Anzeigenwerbung. El Universal bietet einen vielseitigen Inhalt. Die Zeitung verfolgt keine ganz eindeutige redaktionelle Linie. Sie hat sich aber im allgemeinen für den freien Markt eingesetzt und die Privatisierungspolitik von Präsident Pérez unterstützt, neigte aber dazu, die Anzeichen von Korruption in seiner Regierung zu übersehen (Vanden Heuvel / Dennis 1995,78f). Eher auf der linken Seite des politischen Spektrums angesiedelt ist El Nacional. Gegründet wurde das Blatt 1943 von sozialistischen Gesinnungsgenossen. Es hat sich in den letzten Jahren durch Kritik an Präsident Pérez und durch Aufdeckung seiner Skandale hervorgetan, woraufhin dieser die Zeitung anläßlich des 1992 gegen ihn unternommenen Putschversuchs kurzerhand (vorübergehend) schließen ließ.
262 Auch gegenüber Calderas Wirtschaftspolitik verhielt sich die Zeitung dann eher kritisch. Ihre Rolle in Venezuela ist zudem durch die politischen Ambitionen des Verlegers Otero bestimmt. El Nacional neigt mehr zu sozialen und "human interest"Themen. Der Umfang einer Ausgabe beträgt im Durchschnitt 68 Seiten. Der Anteil von Anzeigen ist auch hier beträchtlich. El Universal und El Nacional pflegen beide noch das Standard-Format. Im Tabloid-Format erscheint (wie inzwischen die Mehrzahl der venezolanischen Zeitungen) das Boulevardblatt Ultimas Noticias, das mit der höchsten Auflage in Venezuela gedruckt wird. Meridiano ist eine Sportzeitung. Erwähnenswert ist ferner die englischsprachige Tageszeitung The Daily Journal, die in Caracas herauskommt, aber auch darüber hinaus verbreitet wird. Auffällig im Vergleich zu anderen Ländern ist, daß den Tageszeitungen in Venezuela weniger die sonst so beliebten Suplementos beigelegt werden.
3.3.1.2.
Verbreitung und Vertrieb
Wie erwähnt, betrug die Gesamtauflage der venezolanischen Tagespresse Anfang der neunziger Jahre 2,16 Millionen Exemplare. Das entspricht einer Leserdichte von 119 (Leser pro tausend Exemplare) (Löpez Arjona 1993, 55f)- Damit weist Venezuela eine vergleichsweise hohe Leserdichte unter den lateinamerikanischen Ländern auf und rangiert vor den meisten anderen Flächenstaaten. Allerdings wirken sich hier inzwischen auch die wirtschaftlichen Schwierigkeiten in sinkenden Werten aus. Die Mehrzahl der Tageszeitungen in Venezuela, nämlich gut drei Viertel, haben eine regionale Verbreitung. Zwölf sind (mehr oder weniger) national verbreitet. Sie haben ihre Zentralen zumeist in Caracas. Die restlichen fünf Titel finden nur lokal begrenzten Absatz (vgl. Tabelle 2). Tabelle 2: Verbreitung von Tageszeitungen in Venezuela Anzahl
in %
Tageszeitungen mit nationaler Verbreitung
12
16,0
Tageszeitungen mit regionaler Verbreitung
58
77,3
5
6,6
75
99,9
Tageszeitungen mit lokaler Verbreitung Insgesamt Quelle: López Arjona 1993, 64ff.
Die Zeitungen werden in Venezuela z. T. auf der Basis von Subskription, überwiegend aber im Straßenverkauf verbreitet. Die Post eignet sich wegen ihrer Unzuverlässigkeit nicht als Distributionsweg. Dies ist ein Hemmnis für die landesweite Verbreitung, weshalb das Wachstum der Provinzpresse seit den siebziger Jahren auch auf die mangelnde Effizienz der Post zurückgeführt wird (Pasquali 1991b, 78).
263 Im lokalen Bereich gibt es neben dem ambulanten Straßenverkauf auch Formen "fester" Zustellung. El Universal läßt z. B. einen Teil seiner Auflage durch Milchmänner zustellen, die die Zeitungen auf ihren Routen mitnehmen (Vanden Heuvel / Dennis 1995, 79).
3.3.2. Zeitschriften Venezuela ist nicht nur ein zeitungsreiches Land, sondern weist traditionell auch ein vergleichsweise breites Zeitschriftenangebot auf (Ortega / Pierce 1982, 1026f; Vanden Heuvel / Dennis 1995, 81). Vertreten ist das ganze Spektrum von seriösen Magazinen bis zu Sensationsjournalen, von Organen fiir das breite Publikum ebenso wie von Zielgruppen-Zeitschriften. Bekannte Nachrichtenmagazine sind Bohemia und Resumen. Populären Zuschnitts sind Momento und Zeta. Die Auflagenzahlen dürften hier zwischen 50.000 und 100.000 liegen (genaue Zahlen sind nicht bekannt). Venezuela Gräfica ist eine Wochenillustrierte. Als Wirtschaftsmagazine sind Exceso, Dinero und Numero zu nennen. Sie lohnen sich trotz geringer Auflagen, weil sie ein wichtiger Werbeträger sind. Vanidades ist in Venezuela eine beliebte Frauenzeitschrift. Der Verlag des spanischen Nachrichtenmagazins Cambio 16 hat damit begonnen, in Venezuela eine lateinamerikanische Version herauszubringen. Eine ganz andere Gattung, die gleichwohl wegen ihrer Erscheinungsweise unter die Zeitschriften zu rubrizieren ist, stellt in Venezuela die Nachbarschaftspresse (prensa vecinat) dar (O'Sullivan Ryan 1989, 87ff; 129ff)- Hierbei handelt es sich um Organe, die sich als Foren alternativer Kommunikation verstehen. Sie sind weniger professionell gemacht, widmen sich aber den Alltagsproblemen dort, wo sie auftreten, und wollen soziokulturelle Aktivitäten "von unten" fördern. So weren auch die Jugendlichen berücksichtigt. Finanziert werden sie durch den Verkauf und z. T. durch Anzeigen privater oder staatlicher Firmen. Als Beispiele seien genannt: El Patoreno, El Hatillano und El Libertario Alternativa.
3.3.3. Besitzstruktur Der Mediensektor ist in Venezuela durch eine starke Besitzkonzentration gekennzeichnet. Bei der Presse sind es im wesentlichen vier Unternehmensgruppen, die den Markt dominieren (Giménez Saldi via / Hernández Algara 1988, 77ff; Vanden Heuvel / Dennis 1995, 83). Eine erste Gruppe ist diejenige um die Tageszeitung El Universal bzw. ihren Verlag Editorial Ambos Mundos C. A. Außer der Familie Núñez gibt es zwei Blöcke von Aktionären, die Standbeine auch in anderen Wirtschaftsbereichen haben. Die Produktion des samstags beigelegten suplemento betreibt ein eigener Unternehmensteil, der zugleich die Zeitschrift Estampas verlegt. Als Korrespondenz zur Beschaffung von Text- und Bildmaterial aus dem In- und Ausland gehört noch Informaciones Nacionales C. A. (INNAC) dazu. Drei Firmen bilden das Fundament für die Tageszeitung El Nacional, zwei für die Herstellung, eine für die Verbreitung. Die Editora El Nacional war zunächst nahezu ausschließlich im Besitz der Familie Otero. Durch Fusion und neue Aktionäre wurde die Kapitalbasis in den siebziger Jahren verbreitert. Ein zu dieser Gruppe gehöriges eigenes Verlagsunternehmen gibt seit 1977 die Wochenzeitschrift Séptimo Día her-
264 aus; die Firma Pasa Press Agencia C. A. dient als Vertriebsagentur. Enge Verflechtungen bestehen hier zu Gesellschaften, die sich auf Geldanlage spezialisiert haben, und zu Transportunternehmen. Noch weit verzweigter sind die beiden anderen der vier großen venezolanischen Verlagsgruppen. Die komplizierten Beteiligungsverhältnisse lassen sich nur schwer überschauen. Die Gruppe De Armas umfaßte Ende der achtziger Jahre 12 Firmen. Allerdings beschränkte sich die Gruppe bis dahin ganz auf das Presse- und Druckwesen. Andererseits bestanden transnationale Verbindungen durch die Editorial Americana mit Sitz in Panama. Dort bringt dieses Unternehmen elf Zeitschriften heraus, darunter Bohemia, Vanidades, Mecánica Popular und Hombre de Mundo. In Venezuela selbst gehören zur Gruppe De Armas zwei Tageszeitungen (Meridiano, 2001) sowie - durch die Editorial Primavera - zehn weitere Zeitschriften (darunter Variedades, Televariedades, Venezuela Farándula und Momento). In der Gruppe De Armas spielen Angehörige dieser Familie nach wie vor die wichtigste Rolle. Über die Continental Publishing Corporation mit Sitz in Miami bestehen alte Verbindungen zum US-amerikanischen Verlagsimperium Hearst. Die Gruppe Capriles ist die jüngste der vier hier genannten. Allerdings reichen die einschlägigen Aktivitäten von Miguel Angel Capriles, der 1959 die erste Firma der heutigen Gruppe gründete, über diesen Zeitpunkt weiter zurück. Elf Firmen bildeten Ende der achtziger Jahre das Konglomerat dieser Gruppe. Sie veröffentlichen mit Ultimas Noticias und El Mundo zwei Tageszeitungen sowie acht Zeitschriften, u. a. Cábala, Deportes, Elite, Venezuela Gráfica. Die Gruppe Capriles agiert darüber hinaus in anderen Wirtschaftsbereichen, in der Textilindustrie und bei Immobilien.
4.
Hörfunk
4.1.
Geschichte
Später und zögerlicher als in anderen Ländern Lateinamerikas hat sich der Hörfunk in Venezuela etabliert (Armas Chitty 1975; Fuenmayor Espina 1983; Cortina 1995). Entsprechende Initiativen konnten sich unter Juan Vicente Gómez, der das Land nahezu drei Jahrzehnte (1908-1935) diktatorisch regierte, kaum entfalten. Als Luis Roberto Scholtz und Alfredo Moller 1926 den ersten Radiosender in Caracas errichteten, gelang dies nur unter Beteiligung von Oberst Arturo Santana, eines Schwiegersohns und Leibwächters des Diktators. Am 23. Mai des Jahres begann der unter dem Kürzel A.Y.R.E. geführte Sender sein Programm auszustrahlen, das aus kurzen Informationen, Musik und Theaterstücken bestand (Cortina 1995, 15ff). Der Sender stammte von Western Electric, hatte eine Stärke von 1 Kilowatt und finanzierte sich aus Gebühren der Besitzer von Empfangsgeräten. Er bestand zunächst nur zwei Jahre. 1928 wurde er im Zusammenhang einer von Gómez aufgedeckten, gegen ihn gerichteten Verschwörung geschlossen. Zwei Jahre danach entstand das erste kommerzielle Radio in Venezuela. Am 9. Dezember 1930 fing die Firma Almacén Americano an, täglich unter dem Namen Broadcasting Caracas (1BC) Sendungen auszustrahlen und ihre Produkte anzupreisen (Cortina 1995, 25ff)- Dafür gab es zunächst noch keine rechtliche Grundlage. 1932 aber schuf General Gómez per Dekret einen Reglamento del Servicio de Radiodifusión, in welchem dem Staat das alleinige Recht zum Betrieb bzw. zur
265 Autorisierung von Radiostationen zugesprochen wurde (Fuenmayor Espina 1983, 17). Daraufhin wurde im Mai 1932 ein zweiter Sender zugelassen, Radiodifusora Venezuela. Eine neue rechtliche Regelung des Rundfunks wurde 1934 eingeführt. Unter der Gómez-Diktatur konnte sich dieses Medium aber nicht recht entfalten, da jegliche regimekritischen Äußerungen und Aktionen verboten waren und unterdrückt wurden. Dies änderte sich 1935 nach dem Tode des Diktators unter der Herrschaft von Eleazar López Contreras. Der Hörfunk erlebte jetzt einen Aufschwung. Zwei neue Sender wurden in der Hauptstadt gegründet, La Voz de Carabobo und La Voz de Táchira, ein weiterer, Ondas del Lago, kam in Maracaibo hinzu. 1936 ließ López Contreras auch den ersten staatlichen Radiosender installieren, zunächst um offizielle Mitteilungen verbreiten zu können. 1946 wurde Radio Nacional dem Ministerio de Educación, später anderen Regierungsstellen zugeordnet (seit 1976 dem Ministerio de Información y Turismo). Ende der dreißiger Jahre expandierte der Hörfunk ökonomisch und geographisch. Bis 1940 wurden sieben weitere Radiostationen tätig, darunter Radio Popular, Radio Barquisimeto, Radio Puerto Cabello, Radio Maracay und Radio Trujillo. Anfang der vierziger Jahre wurden die für lange Zeit gültigen Rechtsgrundlagen des Rundfunks in Venezuela geschaffen, durch die Ley de Telecomunicaciones (1940) und den Reglamento de Radiocomunicaciones (1941) (Fuenmayor Espina 1983, 20; 63 u. 71; Agudo Freites 1976, 84ff; 201 ff). Das erstere behandelt den Rundfunk nicht für sich allein, sondern in einer Reihe mit anderen Telekommunikationsdiensten, für die eine staatliche Autorisierung verbindlich gemacht wurde. Erst in dem nachfolgenden Reglamento wurden detaillierte Vorschriften für den Hörfunks erlassen, für seine Aufgaben ebenso wie für seine Programme, die technischen Voraussetzungen und seine Finanzierung. Unter dem Nachfolger von López Contreras, dem General Isaías Median Angarita, wurden neun Radiostationen zugelassen, u. a. Radio Lara (1942) und YVKE Mundial (1944). Weitere kamen hinzu, nachdem 1945 eine Junta Revolucionaria de Gobierno unter Rómulo Betancourt an die Macht gelangt war. Dazu gehörten Cos de Torbes, La Voz de Apure und Radio Rumbos. Und auch in den Wirren Ende der vierziger, Anfang der fünfziger Jahre, die erneut in eine Diktatur unter Marcos Pérez Jiménez mündeten, kam es zur Gründung einzelner neuer Radiostationen. Ihre Finanzierung durch Werbung war inzwischen üblich. Die Sendezeiten waren ausgedehnt worden, klassische Genres des Mediums, wie z. B. Radioteatros, bildeten feste und beliebte Programmbestandteile. Die Nachrichtensendungen litten dagegen unter der Repression. Mit der Rückkehr zur Demokratie Ende der fünfziger Jahre und dem wirtschaftlichen Aufschwung durch Öleinnahmen brach auch für den Hörfunk in Venezuela eine Blütezeit an. Kaum ein Jahr verging, in dem nicht weitere Radiostationen ihren Betrieb aufnahmen, 1961 Radio Reloj, 1962 Radio Maturin, 1965 Radio Cristal, 1966 Radio Tiempo und Radio Industrial, 1968 Radio Capital und 1970 Radio Juvenil (Fuenmayor Espina 1983, 21; Pasquali 1986, 223ff). Anfang der achtziger Jahre bestanden in Venezuela insgesamt 129 Radiostationen. Die meisten davon (22) waren im Landesteil Zulia angesiedelt, gefolgt von Caracas (21), Carabobo und Lara (je 10), Anzoátegui (9) und Bolívar (8) (Cortina 1995, 128ff). Zwar hatte der Hörftink auch in Venezuela unter der Ausbreitung des Fernsehens seit den sechziger Jahren zu leiden. Zu einer weiteren Expansion des Mediums ist es in den achtziger
266 Jahren aber vor allem durch das Hinzutreten frequenzmodulierter (FM-)Sender gekommen.
4.2.
Rundfunkrecht
Das Rundfunkrecht, das in Venezuela seit den vierziger Jahren geschaffen worden ist, umfaBt(e) zahlreiche Bestimmungen unterschiedlichen Charakters. Dazu gehören Gesetze {Leyes), Rechtsverordnungen (Reglamentos), Dekrete (Decretos) der Präsidenten sowie Beschlüsse (Resoluciones) der für das Medium zuständigen Ministerien. Alle zusammen sind nur schwer zu überblicken und lassen das venezolanische Rundfunkrecht als additiv, inkohärent, ja z. T. sogar widersprüchlich, zumindest aber verwirrend erscheinen. Dies hier in extenso darzustellen, ist nicht möglich. Wir beschränken uns daher im folgenden auf die wesentlichen Grundzüge und verweisen für die Einzelheiten auf die Literatur. Auch für den Rundfunk in Venezuela gilt im Prinzip die Garantie der Meinungsund Pressefreiheit, wie sie in Art. 66 der Verfassung von 1961 enthalten ist. Andererseits spricht diese Verfassung, ähnlich wie dies in vielen anderen Ländern der Fall ist, dem Staat die Zuständigkeit für Post und Telekommunikation zu (Art. 136). Dies war auch schon durch die Ley de Telecomunicaciones von 1940 geschehen. Wie diese Zuständigkeit ausgeübt wurde, legte dann der Reglamento de Radiocomunicaciones von 1941 fest. Diese Rechtsverordnung hatte nahezu ein halbes Jahrhundert Geltung. Zwar traten eine Vielzahl von Decretos und Resoluciones im Laufe der Jahre hinzu, eine Neufassung der grundlegenden Rechtsverordnung kam aber erst 1983 zustande, nachdem mehrfache Ansätze dazu vorher gescheitert waren. Außer dem Reglamento de Radiocomunicaciones wurde 1984 ein eigenes Decreto (No. 329) für den frequenzmodulierten Hörfunk erlassen. Eine neue Rechtsgrundlage gibt es für den gesamten Hörfunk seit 1993, durch den Reglamento sobre la Operación de las Estaciones de Radiofusión Sonora (Decreto No. 2.771). Er stammt aus der letzten Regierungszeit des noch im gleichen Jahr seines Amtes enthobenen Präsidenten Carlos Andrés Pérez. Auch dieser Reglamento hält an der venezolanischen Tradition fest, den Rundfunk (Hörfunk) dirigistisch, mit einer Vielzahl einzelner Bestimmungen zu normieren. Er umfaßt in vier Kapiteln und elf Titeln insgesamt 149 Artikel. Laut Art. 2 sind die Zuteilung, Verwaltung und Kontrolle von Radiofrequenzen ausschließlich der Staatsmacht vorbehalten. Direkt zuständig dafür ist der Ministerio de Transportes y Comunicaciones, der sich dazu der Comisión Nacional de Telecomunicaciones (CON ATEL) bedient. Art. 4 klassifiziert die Radiosender technisch in amplituden- (AM-) und frequenzmodulierte (FM-)Stationen, hinsichtlich des Betriebs in privatwirtschaftliche und institutionelle. Art. 5 bindet den Betrieb an eine Lizenz des genannten Ministeriums. Art. 8 legt präzise Vorgaben für den Besitz von Radiostationen fest. So darf ein einzelner Betreiber nicht über mehr als 10 Prozent aller AM- und FM-Stationen im Land verfügen. In der Region dürfen es nicht mehr als vier Stationen (bei mindestens 20), in jeder Stadt nicht mehr als eine von beiderlei Art sein. Als Träger einer Lizenz sind nur natürliche oder juristische Personen venezolanischer Nationalität zugelassen (Art. 9). Gemeinsame Sendungen verschiedener Stationen sind erlaubt, doch dürfen sie kein dauerhaftes Netz bilden, sofern dazu nicht durch das Ministerio de Transportes
267 y Comunicaciones eine Berechtigung eingeholt wurde (Art. 12). Art. 13 schreibt eine Mindestsendezeit pro Tag vor. Verschiedene Artikel des Reglamento enthalten zudem technische Vorschriften. Deren Einhaltung wird in regelmäßigen Visitationen überprüft. Kapitel IV regelt minutiös die Lizenzvergabe. Diese soll, wie es u. a. heißt (Art. 32), nach den Prinzipien des Pluralismus, der Unparteilichkeit und Chancengleichheit erfolgen. Die Lizenzen werden für die Dauer von 20 Jahren erteilt (Art. 42) und können danach verlängert werden. Ein Wechsel der Eigentümer und Aktionäre muß durch das Ministerium genehmigt werden (Art. 45). Nicht nur das technische Personal, auch die Sprecher müssen Venezolaner mit entsprechenden Zeugnissen sein (Art. 49). Gesonderte Bestimmungen gelten für Sender in Grenznähe und auf dem Lande (Art. 52ff). Die AM-Stationen werden nach vier Typen eingestuft, in weiträumige (canal despejado), regionale (regionales), lokale (locales) und nahräumliche (locales restringidas) (Art. 59ff). Zur Vermeidung von Interferenzen wird durch die Lizenzvergabe die jeweilige Kilowatt-Stärke und die Antennenhöhe der Sender genau festgelegt. Die FM-Stationen werden nach einem ähnlichen System in drei Klassen gegliedert (Art. 91 ff). Inhaltliche Vorgaben für den Programmbetrieb des Hörfunks finden sich unter Titel VII in Kapitel V. Alle 30 Minuten müssen sich die Sender identifizieren (Art. 126). Die Sendungen sollen unter Achtung der Meinungs- und Informationsfreiheit dazu beitragen, die Prinzipien der Demokratie, die Menschenrechte, die Moral, die guten Sitten, das Allgemeinwohl und die gesellschaftliche Solidarität zu verwirklichen (Art. 127). Als Sprache wird das Spanische vorgeschrieben (ausgenommen Musikdarbietungen in der Sprache ihrer Herkunft). Öffentliche Mitteilungen müssen kostenlos ausgestrahlt werden (Art. 128), die Staatsregierung hat wöchentlich Anspruch auf eine Stunde, um Dinge von nationalem Interesse zu behandeln (Art. 129). Zweimal am Tag, zu Sendebeginn und Sendeschluß, muß die Nationalhymne abgespielt werden (Art. 134). Als finanzielle Abgabe muß ein Prozent der Bruttoeinnahmen abgeführt werden (Art. 135). Dem dirigistischen Tenor des Reglamento entspricht, daß allein für 52 der in ihm enthaltenen, hier keineswegs vollständig wiedergegebenen Artikel Sanktionen in Form einer einmonatigen Suspendierung vorgesehen sind (Art. 140). Bei schweren Verstößen kann die Lizenz auch ganz entzogen werden. Bemerkenswert ist andererseits, daß der Reglamento für bestimmte Aspekte des Hörfunkbetriebs keine näheren Vorschriften enthält, so etwa für Werbung und Finanzierung. Schon 1944 war in Venezuela eine Ley Sobre Propaganda Comercial ergangen, die die Resolución No. 3.178 vom 1. November 1972 im Zusammenhang von Regelungen zum Kinder- und Jugendschutz auch ein Werbeverbot für alkoholische Getränke und Zigaretten im Kinderprogramm hinzufügte (Agudo Freites 1976, 91; Fuenmayor Espina 1983, 79).
4.3.
Der Hörfunk in Venezuela heute
4.3.1. Bestandsaufnahme Die Radiolandschaft in Venezuela präzise zu beschreiben, stößt auf Schwierigkeiten, denn die verfügbaren Quellen liefern unterschiedliche Daten. Die Bestandsaufnahme von CIESPAL gibt für Anfang der neunziger Jahre 163 Radiostationen in Venezuela an (Löpez Arjona 1993, 226ff). Dies spricht für eine weniger vielfältige Radioland-
268 schaft als in anderen lateinamerikanischen Staaten. Bei der genannten Zahl dürften bloße Transmitter (repetidoras) nicht mitgezählt sein. Schließt man sie ein, kommt man auf höhere Zahlen. So werden für 1984 schon 247 Stationen angegeben (Pasquali 1991b, 119). In einer neueren Quelle wird inzwischen sogar die Zahl von nahezu 500 Sendern genannt (Konrad-Adenauer-Stiftung 1994, 473). Wie sich die in der Bestandsaufnahme von CIESPAL verzeichneten 163 Radiostationen auf die einzelnen Departamentos des Landes verteilen, zeigt Tabelle 3. Tabelle 3: Hörfunkstationen in Venezuela Departamento
Hauptstadt
Distrito Federal Anzoátegui Apure Aragua Barinas Bolívar Carabobo Cojedes Talcón Guárico Lara Mérida Miranda Monagas Nueva Esparta Portuguesa Sucre Táchira Trujillo Yaracuy Zulia Territorios Federales Amazonas Delta Amacuro
Caracas Barcelona San Fernando De Apure Maracay Barinas Ciudad Bolívar Valencia San Carlos Coro San Juan de los Morros Barquisimeto Mérida Los Tecques Maturín La Asunción Guanare Cumaná San Cristóbal Trujillo San Felipe Maracaibo Puerto Ayacucho Tucupita
Insgesamt
Anzahl
in %
24 12 1 7 3 9 8 1 6 8 10 9 5 5 3 4 6 11 7 4 18 1 1
14,7 7,4 0,6 4,3 1,8 5,5 4,9 0,6 3,7 4,9 6,1 6,1 3,1 3,1 1,8 2,5 3,7 6,7 4,3 2,5 11,1 0,6 0,6
163
100
Quelle: López Arjona 1993, 558f. Die größte Zahl von Radiostationen gibt es demnach in der Hauptstadt Caracas. Dort waren es zum Erhebungszeitpunkt allein 24. Es folgten Zulia mit 18, Anzoátegui mit 12, Táchira mit 11 und Lara mit 10 Stationen. In den anderen Departamentos gab es weniger als zehn Stationen. Apure und Cojedes, Departamentos, in denen keine eigene Tageszeitung herauskommt, sowie die beiden Territorios Federales (Amazonas, Delta Amacuro) verfügen über zumindest je einen Radiosender. Von den 163 Sendern waren Anfang der neunziger Jahre 149 AM-Stationen, 11 FM-Stationen (drei waren ohne Angaben). Unter Ramón Velásquez, dem Interims-
269 Präsidenten zwischen Pérez und Caldera, wurden zahlreiche weitere Lizenzen vergeben, deren Überprüfung Caldera nach seiner Amtsübernahme ankündigte. Durch diese Vergabe hatte sich inzwischen vor allem die Anzahl der FM-Radiosender erheblich erhöht (um schätzungsweise ein halbes Hundert, vgl. Vanden Heuvel / Dennis 1995, 82). Große Unterschiede bestehen hinsichtlich der Sendestärke und folglich der Reichweite der einzelnen Programmanbieter. Nur drei von ihnen sendeten Anfang der neunziger Jahre mit 50 bis 100 Kilowatt (López Arjona 1993, 260f)- Dazu gehören ein Sender von Radio Rumbos (in Villa), La Voz de la Fe (in Maracaibo) und YVKE Mundial (in Caracas). Sie erreichen noch am ehesten eine landesweite Verbreitung. Die Mehrzahl, nämlich über zwei Drittel der venezolanischen Hörfunkstationen, sendeten Anfang der neunziger Jahre mit 5 bis 10 Kilowatt, was nur eine regionale Verbreitung ermöglicht. Radio Tucupita im Territorio Federal Delta Amucro, wo vor allem die indigene Bevölkerung lebt, sendet z. B. mit einer Stärke von 15 Kilowatt. Sehr begrenzt war vor allem die Reichweite des öffentlichen Rundfunks. Sieben Sender besaßen in den achtziger Jahren zusammen lediglich 110 Kilowatt, womit lediglich 15 Prozent des Staatsgebiets und 35 Prozent der Bevölkerung zu erreichen waren (Pasquali 1991b, 119). Fast alle Radiostationen in Venezuela befinden sich in Privatbesitz und werden kommerziell betrieben. Die Finanzierung geschieht ausschließlich aus Werbung. Der staatlich betriebene Rundfunk (Radio Nacional Venezuela) ist schon wegen seiner geringen Reichweite (s. o.) und seiner bescheidenen Mittel von nur sehr untergeordneter Bedeutung. Auch Initiativen zu einem alternativen Hörfunk sind in Venezuela vereinzelt geblieben, stellen aber doch interessante Experimente dar (O'Sullivan Ryan 1989). Die Radioprogramme haben sich auch in Venezuela vor allem unter dem Einfluß des Fernsehens gewandelt. Frühere klassische Bestandteile wie z. B. die Radioserien haben ihre einstige Bedeutung eingebüßt. Zumeist wird Musik unterschiedlicher Art gesendet, insbesondere bei den FM-Radios, die sich häufig an junge Hörer wenden. Aber auch Nachrichtensendungen werden zu festen Zeiten gebracht. Radio Rumbos gilt immer noch als eine der ersten Nachrichtenquellen im Lande. Konzentrationstendenzen lassen sich auch beim Hörfunk in Venezuela feststellen. Es gibt dort zwei Radioketten und acht Senderverbände, denen die große Mehrzahl der Radiostationen angehört. Anfang der neunziger Jahre waren es 105 von 163. Die wichtigsten sind der Circuito Sistema Rumbos mit 24 Sendern und Radio Cadena Celis mit 20 Sendern. Danach kommen der Circuito Radial Maldonado & Asociados mit 14, der Circuito Super Radio mit jeweils acht Sendern. Weiterhin zu nennen sind die Unión Radiocircuito Nacional, der Circuito Nacional Rumbos, der Circuito Radiofónico Dovder Arreaza und der Circuito Radio Continente. Dabei handelt es sich um verschiedene Typen von Zusammenschlüssen. Die Sender können ganz oder in gewissem Prozentanteil dem gleichen Besitzer gehören; die Gemeinschaftlichkeit kann sich auf das Senden von Nachrichten, Spezialprogrammen und Werbung beziehen; aber es gibt auch den bloßen gemeinsamen Weiterverkauf von Werbezeit (López Arjona 1993, 2750Auch in Venezuela ist der Hörfunk - rein technisch gesehen - das am weitesten verbreitete Medium. Anfang der neunziger Jahre gab es im Land geschätzte 7,55 Millionen Radioempfänger, d. h. durchschnittlich rund zwei pro Haushalt. Die Hörerdichte betrug 413 (Radiogeräte pro 1.000 Einwohner). Damit nahm Venezuela
270 in Lateinamerika einen mittleren Platz ein, z. B. hinter Argentinien, Bolivien oder Uruguay, aber vor Mexiko, Kolumbien oder Brasilien (Löpez Arjona 1993, 233).
4.3.2. Besitzstruktur Die Besitzverhältnisse im venezolanischen Hörfunk sind undurchsichtig und vor allem landesweit schwer zu erfassen. Giménez Saldivia und Hernández Algara (1988) stützten ihre Strukturanalyse Ende der achtziger Jahre auf ausgewählte Beispiele. Ihnen zufolge bestehen Verbindungen hinsichtlich der Produktion und Werbevermarktung einerseits und der Ausstrahlung von Sendungen andererseits. Es gibt unter den Sendern solche ohne Verbindung zu anderen. Hierbei begegnet man Einzelunternehmen als wirtschaftlichen Trägern der Sender, wozu jedoch im jeweiligen Fall mehrere Aktionäre gehören (können). Doch handelt es sich hier nur um Kleinbesitz. Andere Strukturen findet man dagegen bei den emisoras relacionadas. Dazu sind allein zwei Drittel der Sender in der Hauptstadt Caracas zu zählen. Hier gibt es verschiedene Formen der Besitzkonzentration, die sich auf zwei und mehr Sender sowie auf Unternehmen außerhalb der Medienbranche beziehen. Zur Aktionärsgruppe Degwitz y Siblez gehören z. B. Radio Libertador und Radiodifusora Venezuela, aber auch Bau- und Immobilienfirmen. Ähnlich ist es bei der Gruppe um Radio Capital. Hier kommt z. B. der nicht seltene Fall vor, daß eine Werbeagentur eingeschlossen ist. Die Aktien sind wieder auf verschiedene Inhaber verteilt. Haupteigentümer der Sistemas Rumbos C. A., wozu Radio Rumbos gehört, sind Mitglieder der Familien Serrano und Trías. Zudem verfügen auch die großen Gruppen aus der Fernsehbranche über einige Radiosender. Estudios 1300 und Estudios 1090 gehören zur Cisneros-Gwppe und Radio Caracas (CORAVEN) zur Gruppe Phelps (s. u.). Gleichwohl zeigte der Hörfunk in Venezuela bis vor kurzem im ganzen eine Konzentration (in der Hauptstadt), die aus kleineren Gruppen bestand. Dies hat sich erst geändert, als Präsident Pérez und sein kurzzeitiger Nachfolger Velásquez neue Konzessionen zu vergeben begannen. Dies ermöglichte die rasche Ausbreitung der Gruppe des Bankiers Orlando Castro. Ihr, die bisher nicht im Hörfunk vertreten war, gelang es sehr schnell, an die 60 Radiostationen zu vereinen (Vanden Heuvel / Dennis 1995, 82).
5.
Fernsehen
5.1.
Geschichte
Anders als der Hörfunk, entwickelte sich das Fernsehen in Venezuela etwa zur gleichen Zeit wie in anderen Ländern Lateinamerikas (Fuenmayor Espina 1983, 22ff). Bereits 1952 entstand in Caracas die erste Fernsehversuchs-Station mit einer kulturellen Zielsetzung, genannt La Televisora Nacional. Sie unterstand dem damaligen Ministerio de Comunicaciones, später der Dirección Nacional de Información del Ministerio de Relaciones Interiores (D1M). Damit wurde zunächst ein Monopol unter direkter staatlicher Kontrolle etabliert. Noch im gleichen Jahr erhielt mit Televisa auch der erste kommerzielle Fernsehsender eine Lizenz. Televisa bestand bis 1964, als der wirtschaftliche Bankrott die
271 Eigentümer zwang, ihre Konzession (zu 45%) an eine Gruppe nordamerikanischer Geldgeber der American Broadcasting Corporation (ABC) zu übertragen. Infolge dessen wurde der Name des Senders in Venevisión geändert. Im übrigen war ebenfalls noch 1952 in Caracas eine zweite kommerzielle Fernsehstation eröffnet worden, Radio Caracas Televisión (RCTV). Damit hatte sich in Venezuela rasch ein gemischtes Fernsehsystem etabliert, mit einem staatlichen und zwei privaten Programmanbietern. Als erster Fernsehsender außerhalb von Caracas (und dritter kommerzieller) trat 1956 Onda del Lago in Maracaibo auf, wo bereits ein Radiosender gleichen Namens bestand. Der Wettbewerb mit den TV-Stationen der Hauptstadt, die ihre Leistungsfähigkeit technisch verbessern und ihre Reichweite bis nach Maracaibo ausdehnen konnten, führte für Onda del Lago nach zwei Jahren zum Ruin. Nicht anders erging es der 1963 in Valencia eröffneten Fernsehanstalt Teletrece, obwohl sie in einer Region mit ökonomisch günstigeren Voraussetzungen entstand und sogar in Caracas empfangen werden konnte. Ein weiterer Versuch wurde 1964 gemacht mit der Gründung der Cadena Venezolana de Televisión (CVTV), woran aus den Vereinigten Staaten CBS (Columbia Broadcasting System) und der Time-Verleger Henry Luce zusammen mit venezolanischen Eigentümern beteiligt waren. Letztere, die Gruppe Vollmer, wurde 1972 zum Alleineigentümer, als ausländischer Besitz im Fernsehen ausgeschaltet wurde. Für 1965 sind noch zwei neue Fernsehstationen zu nennen: Canal 11, dessen Hauptaktionär Amable Espina zunächst als einer der Direktoren zu Radio Caracas Televisión (RCTV) gehört hatte; und die erste Station einer Televisión Educativa, ins Leben gerufen vom Consejo Municipal del Distrito de Sucre (Miranda). Der staatliche TV-Sender Televisora Nacional (TVN), der zunächst nur eine geringe Leistung brachte und der amtlichen Verlautbarung diente, gewann Bedeutung erst nach dem Fall der Jiménez-Diktatur unter dem Präsidenten Betancourt. Er wurde jetzt als Medium zur Verbreitung demokratischer Gesinnung genutzt. Insbesondere wurden Kulturprogramme und nationale Folklore, aber auch Programme zur Alphabetisierung ausgestrahlt. Anfang der siebziger Jahre konnte durch Installierung von Repetidoras die Reichweite von Televisora Nacional (TVN) bis weit in das Landesinnere ausgedehnt werden. Mehrfach mußte dafür aber die Ausstrahlung mehrere Monate lang unterbrochen werden. 1976 wurde Televisora Nacional ein Bestandteil von C. A. Venezolana de Televisión (TVN), einem 1964 zunächst privatwirtschaftlich entstandenen Unternehmen, das der venezolanische Staat 1974 erworben hatte, um daraus eine öffentliche TV-Station zu machen (Mayobre 1992a, 66ff). Als private Anbieter stiegen in Venezuela seit den sechziger Jahren Venevisión und Radio Caracas Televisión zu den marktbeherrschenden TV-Unternehmen auf. Beide konnten ihre Reichweite im Land durch repetidoras ausbauen und dadurch ihren ökonomischen Erfolg festigen. Durch die Ausschaltung des ursprünglich beteiligten ausländischen Kapitals wurden beide "nationalisiert". Es gab keine gesetzlichen Vorgaben, um eine marktbeherrschende Stellung zu verhindern. Vielmehr konnte sich das Fernsehen über viele Jahre hinweg ohne spezifische gesetzliche Regelungen entwickeln. 1980 wurde nach amtlicher Prüfung in Venezuela das Farbfernsehen nach dem US-amerikanischen MS. 7. C.-System (National System Televisión Committee) eingeführt (Fuenmayor Espina 1983, 29). Bis Mitte der sechziger Jahre verfügte etwa ein Drittel der Haushalte in Venezuela über ein Fernsehgerät. In den folgenden Jahren stieg deren Verbreitung kontinuierlich an. 1972 waren es mehr als die Hälfte, 1976 bereits zwei Drittel und 1979 drei Viertel der Haushalte, die ein Fernsehgerät besaßen. In den achtziger Jahren stieg die
272 Zahl dann über 80 Prozent, später über 90, womit man sich langsam der Sättigung näherte. Der Aufstieg des Fernsehens führte zu einer starken Verschiebung bei den Werbeeinnahmen (Martinez Terreo 1991, 83ff). 1973 entfielen 35,4 Prozent der Werbeinvestitionen in Venezuela auf das Fernsehen, 34,6 Prozent auf Zeitungen und 16,8 Prozent auf das Radio. 1984 waren es dagegen beim Fernsehen schon 62,8 Prozent, bei der Presse noch 27,6 Prozent, beim Radio nur noch 5,6 Prozent.
5.2.
Fernsehrecht
Was die Rechtsgrundlagen des Fernsehens angeht, so war die Situation in Venezuela in gewisser Weise paradox. Noch bevor es dieses Medium überhaupt gab, hatte die Ley de Telecomunicaciones schon 1940 eine Geltung für alle Funkdienste, "imágenes y sonidos", beansprucht. Während damals für den Hörfunk im Reglamento der Radiocomunicaciones (1941) sogleich nähere Bestimmungen ergingen, blieben auf das Fernsehen spezifizierte Regelungen, als dieses Medium in den sechziger Jahren auch in Venezuela Fuß faßte, zunächst jedoch aus (abgesehen vom Art. 105 des Reglamento). Erst durch die Resolución No. 1.625 vom 30. November 1964 wurde angeordnet, daß die Errichtung von Fernsehanlagen den gleichen Vorschriften unterworfen sei, wie sie dem Reglamento von 1941 zufolge für Radiostationen galten (Fuenmayor Espina 1983, 72; 78). In den siebziger Jahren folgte eine Reihe von Dekreten der Präsidenten und Resolutionen des zuständigen Ministeriums mit Geltung (auch) für das Fernsehen (Reglamento de Radiocomunicaciones 1984). Ähnlich wie für das Radio wurden hierdurch z. T. sehr detaillierte und dirigistische Vorschriften für das audio-visuelle Medium erlassen. Die Resolution Nr. 3.178 vom 1.11.1972 legte Normen für den Inhalt und die Sendezeiten beider Funkmedien fest (ebd., 53ff). Sie wurden dazu verpflichtet, die moralischen und kulturellen Normen der Nation zu fördern, die demokratischen Verhältnisse und die nationale Einheit zu stärken, der Ausbreitung und Verbesserung der Bildung zu dienen, die Achtung vor den Menschenrechten und der Institution der Familie zu heben und für gute Beziehungen zwischen den Ländern zu wirken. Kommerzielle Sender erhielten den Auftrag, auch im öffentlichen Interesse liegende Programme auszustrahlen. Weitere Vorgaben betrafen die Arten von Sendungen und die Werbung (insbesondere in den Kinderprogrammen). Jede Fernsehanstalt sollte mindestens zehn Stunden pro Woche dem Ministerio de Educación für erzieherische Programme bereitstellen. Eine Resolution vom 26.4.1977 verlangte von den Fernsehstationen täglich eine halbe Stunde für solche Programme und gab dafür auch gewisse Sendezeiten vor (ebd., 58f). Das Dekret Nr. 620 vom 22.5.1980 unterschied fünf Arten von Programmgattungen im Fernsehen (erzieherische, kulturelle, informative, sportliche und unterhaltende) (ebd., 63f). Für andere, hier nicht zuzuordnende Sendungen bedurfte es gegebenenfalls einer eigenen Autorisierung. Der Gesamtumfang der Werbung wurde auf 15 Minuten pro Stunde festgelegt. Die darauf folgende Resolution Nr. 500 des Ministerio de Transportes y Comunicaciones vom 29.5.1980 führte vier Programmklassen nach Altersstufen ein und wies jeder von ihnen ganz bestimmte Sendezeiten am Tag zu (ebd., 64ff). Sendungen ausschließlich für Erwachsene durften danach z. B. erst ab zehn Uhr abends gebracht werden. Serien sollten in nicht mehr als 60 Folgen zu maximal einer Stunde und nicht länger als drei Monate gesendet werden.
273 Über die 15 Minuten Werbezeit pro Stunde hinaus wurde verordnet, daß die Sendungen dafür nicht mehr als viermal unterbrochen werden dürften. Die ministerielle Resolution Nr. 1.029 vom 17.12.1982 systematisierte abermals die für das Fernsehen gültigen Nonnen (ebd., 67ff). In der Klassifikation der Programme wurden jetzt solche für Kinder und solche für Jugendliche nochmals getrennt. Neben den entsprechenden Sendezeiten verfügte das Dekret weitere Vorgaben für die Werbung sowie für die eigenen Programmankündigungen der Sender. Außerdem wurde den TV-Sendern auferlegt, mindestens die Hälfte ihres Wochenprogramms mit nationalen Produktionen zu füllen, bei denen wiederum drei Viertel des technischen und künstlerischen Personals venezolanischer Nationalität sein müßten. Für Jugendliche unter 18 Jahren wurden wöchentlich mindestens fünf Stunden Programm gefordert. Geltung für das Fernsehen hatte dann auch der Reglamento de Radiocomunicaciones vom 1. Februar 1984 (ebd., 3ff). Hierin wurden die Erteilung von Sendeerlaubnissen geregelt und Vorschriften für den technischen Programmbetrieb erlassen. Zahlreiche Artikel legten wieder alle möglichen Einzelheiten genau fest. Im Unterschied zu den zahlreichen Details für die Radiodifusión war hier jedoch von der Radiotelevisión gesondert nur in wenigen Artikeln die Rede. Im Prinzip sollten die meisten Bestimmungen für beide Medien offenbar analog gelten. Doch wurden weitere TV-Konzessionen von technischen Entscheidungen abhängig gemacht. Eine ministerielle Resolution vom 1.11.1982 hatte selbst die Einrichtung bloßer Transmitter (repetidoras) erlaubnispflichtig gemacht (ebd., 53).
5.3.
Das Fernsehen in Venezuela heute
5.3.1. Bestandsaufnahme Anders als bei Presse und Hörfunk, gibt es in Venezuela beim Fernsehen nur wenige Anbieter. Hier ist ein hohes Maß an Konzentration anzutreffen. Im Grunde wird der Markt von zwei Veranstaltern beherrscht. Insgesamt gab es Anfang der neunziger Jahre - der Bestandsaufnahme von C1ESPAL zufolge - in Venezuela elf Fernsehstationen (López Arjona 1993, 4290- Die meisten davon, nämlich sechs, sind in der Hauptstadt Caracas angesiedelt, fünf in anderen Orten des Landes. Vier Departamentos - Mérida, Nueva Esparta, Trujillo und Zulia - sowie eines der Territorios Federales - Amazonas - verfügen über eine eigene Fernsehstation. Nur vier (in Caracas ansässige) Fernsehkanäle besitzen jedoch die technischen Möglichkeiten, ihre Programme so gut wie landesweit auszustrahlen. Dies sind Radio Caracas TV (RCTV / Canal 2), Venevisión (Canal 4), Venezolana de Televisión (Canal 8) und Televen (Canal 10). Ein Fernsehprogramm erzielt regionale Reichweite, die Televisora Nacional (Canal 5), ebenfalls mit Sitz in Caracas. Alle anderen sechs Fernsehstationen sind dagegen nur von lokaler Bedeutung. Die Mehrzahl der Fernsehkanäle und zumal die großen sind privatwirtschaftlich organisiert. Fünf von ihnen bieten ein kommerziell orientiertes, einer ein kulturelledukativ ausgerichtetes Programm. Von den übrigen fünf Fernsehstationen sind zwei in staatlicher und drei in kirchlicher Hand. In staatlicher Trägerschaft befinden sich Venezolana de Televisión (Canal 8) und Televisora Nacional (Canal 5), in kirchlicher Trägerschaft Canal ¡I del Zulia in Maracaibo, Televisora Andina (Canal 6) in
274 Mènda und Amavisión (Canal 7) in Puerto Ayacucho. Die ersten beiden der kirchlichen Sender sind aber kommerziell ausgerichtet, der drittgenannte kulturell-edukativ. Ein weiterer lokaler kultureller Sender ist Teleboconó (Canal 3) in Boconó (Trujillo). Obwohl es zwei staatlich organisierte Fernsehprogramme in Venezuela gibt, sind diese nur von nachrangiger Bedeutung. Sie leiden unter Geldmangel und schlechten technischen Produktionsmöglichkeiten. Mit den großen privaten Anbietern können sie nicht konkurrieren. Televisora Nacional (Canal 5) besitzt ohnehin nur eine regionale Reichweite (immerhin etwa die Hälfte der Bevölkerung) und begnügt(e) sich z. T. damit, Programminhalte des staatlichen (Haupt-)Senders Venezolana de Televisión (Canal 8) noch einmal auszustrahlen. Zwar sind Bemühungen, das staatliche Fernsehen zu erneuern, in Venezuela wiederholt unternommen oder zumindest angekündigt worden. Auch Televisora Nacional (Canal 5) sollte zu einem Kulturprogramm ausgebaut werden. Aus wirtschaftlichen und strukturellen Gründen ist daraus aber nicht viel geworden. Dies liegt auch daran, daß in Venezuela heute im wesentlichen zwei Anbieter sich den Fernsehmarkt aufteilen, RCTV (Canal 2) und Venevisión (Canal 4). Ihre Anfänge gehen schon auf die frühen fünfziger Jahre zurück. Nachdem sie einige Veränderungen durchmachten (s. o.), haben sie sich inzwischen zu den "Mediengiganten" des Landes entwickelt. Sie vereinen auf sich den Großteil der Werbeeinnahmen und erzielen durch ihre massenattraktiven Programme auch die dafür notwendigen Einschaltquoten. Lange Zeit geschah dies vor allem durch Ausstrahlung ausländischer, insbesondere US-amerikanischer (Serien-)Produktionen. Venezuela gehörte zu den Ländern mit einem hohen Anteil an TV-Programmimport. Die Gewinnträchtigkeit des Fernsehens hat in dem Land - ähnlich wie in Mexiko und Brasilien - aber zur Schaffung eigener Produktionskapazitäten geführt. Gerade Venevisión hat in die Herstellung eigener Telenovelas investiert, die inzwischen auch erfolgreich exportiert werden. Das Unternehmen hat sich noch in anderer Weise auf den Weg der Internationalisierung begeben. Venevisión ist ein Teilhaber des in den Vereinigten Staaten (und darüber hinaus) ausgestrahlten spanischsprachigen Fernsehprogramms Univisión. Bezogen auf die Haushalte besitzt das Fernsehen in Venezuela heute eine technische Reichweite von über 90 Prozent. Bei geschätzten 2,5 Millionen Fernsehapparaten im Land ließ sich Anfang der neunziger Jahre eine Seherdichte von 137 (Geräte pro 1.000 Einwohner) errechnen (López Arjona 1993, 432). Da das Fernsehen aber ein Medium ist, das bevorzugt kollektiv (vor allem in der Familie) rezipiert wird, liegt die tatsächliche Sehbeteiligung insgesamt im Durchschnitt bei 80 bis 90 Prozent.
5.3.2. Kabelfernsehen Das Kabelfernsehen ist in Venezuela noch ziemlich unterentwickelt. Rund 80.000 von 3,3 Millionen Fernsehhaushalten sind verkabelt, die Hälfte davon in Caracas. Omnivisiön ist ein Pay-TV-Unternehmen, das den Abonnenten zehn Kanäle offeriert. Es gehört zur Cisneros-Gruppe. Das Angebot besteht aus Sport, Unterhaltung und Filmen. Bei HBO 014 haben sich das amerikanische HBO und Omnivisiön zusam-
275 mengeschlossen, um im venezolanischen Kabel rund um die Uhr Spielfilme zu zeigen (Vanden Heuvel / Dennis 1995, 82).
5.3.3. Besitzstruktur Das venezolanische Fernsehen wird heute von zwei wirtschaftsstarken Unternehmensgruppen beherrscht. Sie brachten es nicht nur zu einer enormen Akkumulation von Kapital, sondern haben sich auch ökonomisch stark diversifiziert und verzweigt. Die Besitzergruppen erstrecken sich sowohl auf andere Teile des Mediensektors, als auch noch mehr auf weitere Wirtschaftsbereiche. Es handelt sich folglich um riesige Konglomerate, in denen Dutzende von Firmen über Besitzanteile und Personen miteinander verflochten sind. Sie können hier nicht alle genannt werden (vgl. Giménez Saldivia / Hernández Algara 1988,153ff). RCTV (Canal 2) gehört als Bestandteil der Corporación Radiofónica Venezolana (CORAVEN, C. A ) zur Gruppe Phelps (manchmal auch genannt Phelps / Granier). Deren Anfänge reichen bis in die frühen zwanziger Jahre, der Gründung der Firma C. A. Almacén Americano, zurück, die zunächst im Früchtehandel tätig war. Sie unternahm 1930 erste Radioversuche (1BC). 1947 eröffnete man C. A. Radio Caracas, ein Jahr später wurde die CORAVEN etabliert. Zu einer wirtschaftlichen Expansion der Gruppe kam es im Zuge des venezolanischen "Booms" seit Ende der sechziger Jahre. Zum Medienbesitz gehören heute außer RCTV (Canal 2) und Radiosendern auch Unternehmen im Presse- (Diario de Caracas) und Druckerei- sowie im Buchverlagswesen und in der Filmproduktion. Außerhalb des Mediensektors liegen Schwerpunkte im Immobiliengeschäft, Bauwesen, Automobilhandel und in der Lebensmittelproduktion. Venevisión (Canal 4) ist im Eigentum der Corporación Venezolana de Televisión C. A. und gehört zur Gruppe Cisneros. Deren Anfänge liegen im Jahr 1940, als zwei Firmen im Getränkehandel gegründet wurden, in welchem noch bis heute Hauptaktivitäten der Gruppe angesiedelt sind. Insbesondere hat man einige Jahre später den Gesamtvertrieb von Pepsi-Cola in Venezuela übernommen. Dadurch ergaben sich auch kapitalmäßige Verbindungen ins Ausland. Die Corporación Venezolana de Televisión wurde 1960 gegründet. Hinzu kamen Beteiligungen an Industriefirmen und Kapitalgesellschaften. Auch in den Hörfunk stieg die Gruppe Cisneros in den sechziger und siebziger Jahren ein (u. a. Radio Visión und Circuito Radio Visión). Selbstverständlich schließt sie ferner die Vermarktung von Anzeigenwerbung mit ein. Insgesamt bestand die Gruppe in den achtziger Jahren aus 50 verschiedenen Unternehmen. 20 davon waren im Getränkehandel aktiv (29 % des Kapitals), 16 im Immobiliengeschäft und anderen Kapitalanlagen (32 %) und acht im Mediensektor (sie repräsentierten 10 % des Kapitals). Die meisten Beteiligungen besitzen mit einem guten Viertel die Familien Cisneros selbst, gefolgt von den Familien Pérez und Monsanto. Mittlerweile ist die Cisneros-Gruppe auch ins Kabelfernsehen eingestiegen (Omnivisión) und will dieses Engagement ausweiten.
276
6.
Perspektiven und Probleme der Massenmedien in Venezuela
Daß das Mediensystem Venezuelas dringender Reformen bedürfe, darüber gibt es in dem Land eine politische Debatte seit Anfang der sechziger Jahre. In deren Mittelpunkt stand immer wieder vor allem die Rundfunkstruktur, insbesondere das Fernsehen. Die Kritik richtete sich vielfach auf die privatwirtschaftliche Organisation dieser Medien. Das wichtigste Forum dieser Diskussion wurde in den siebziger Jahren das RATELVE-Projekt (Gardner jr. / Stevenson 1988; Mayobre 1992a). Die Comisión Preparatoria des Consejo Nacional de la Cultura (COÑAC) setzte im November 1974 ein Comité de Radio y Televisión (RATELVE) mit dem Auftrag ein, eine neue Rundfunkpolitik für Venezuela zu entwerfen. Dieses Komitee veröffentlichte 1976 seinen Bericht, den man einen "Meilenstein" in der lateinamerikanischen Kommunikationspolitik und ihrer Reformbemühungen genannt hat. Der Bericht entstand ganz unter dem Eindruck der in den siebziger Jahren ihrem Höhepunkt zustrebenden, vor allem im Rahmen der UNESCO geführten Debatte um eine neue Weltinformationsordnung. Dementsprechend wurde dem Staat die wesentliche Aufgabe angetragen, für eine Gesamtkontrolle des Rundfunks zu sorgen. Private Aktivität im Medienbereich sollte den Zielen eines öffentlichen Rundfunksystems (servicio público) untergeordnet werden. Zwischen beiden Seiten sollte eine "Harmonisierung" hergestellt werden. Neue Technologien wollte man in staatlicher Zuständigkeit sehen. Eine neu zu schaffende Institution würde drei Radio- und Fernsehsysteme zu betreiben haben, die ihre Programme an ganz bestimmten Teilen der sozio-kulturellen Pyramide Venezuelas ausrichten sollten. Zwar wurden die im RATELVE-Projekt gemachten Vorschläge nicht realisiert, dennoch ging von ihm ein gewisser Einfluß aus. Verschiedene kommunikationspolitische Maßnahmen, die Carlos Andrés Pérez in seiner ersten Amtszeit als Präsident ergriff, hat man darauf zurückgeführt, so z. B. die Einrichtung des Ministerio de Información y Turismo 1976. Dadurch sollten die Informationspolitik und die PRAktivitäten der Zentralregierung gebündelt werden. Außerdem wurde ein Abschnitt über "Soziale Kommunikation" in den V. Plan de la Nación für die Jahre 1976 bis 1981 aufgenommen. Der Plan formulierte Grundprinzipien und Strategien für die Entwicklung der venezolanischen Kommunikationspolitik. U. a. wurde wieder eine Koordination zwischen öffentlichem und privatem Rundfunk gefordert, eine Umorientierung der Werbung, die Einbindung neuer Technologien und die Orientierung der Kommunikationspolitik an den Bedürfnissen ökonomischer und sozialer Entwicklung. Daß auch dieser (unverbindliche) Plan praktisch folgenlos blieb, hinderte nicht, in den VI. Plan de la Nación für die anschließenden Jahre ein noch umfangreicheres und anspruchsvolleres Kapitel zur Kommunikationspolitik aufzunehmen. Es war in sechs Abschnitte gegliedert und stellte acht spezielle Ziele heraus, z. B. die Bildung von Hörer- und Zuschauerorganisationen zur Partizipation, die Einrichtung eines Consejo Nacional de Comunicación Social als Beratungsorgan, die Förderung kleinerer und mittlerer Zeitungen mit regionaler und lokaler Finanzierung und die bevorzugte Zulassung von FM-Radiostationen, die keine Gewinne erzielen wollen. Darüber hinaus sollten Reichweite und Leistung der staatlichen Fernsehkanäle wesentlich verbessert werden. Auch hiervon wurde wenig verwirklicht. Dazu fehlten schon die finanziellen Möglichkeiten, nachdem Venezuela in den Sog des Zusammenbruchs des Ölpreises geraten war.
m Wie daraus ersichtlich ist, hat es in Venezuela in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten eher ein Übermaß an kommunikationspolitischen Plänen und Debatten gegeben, welche die Entwicklung des Mediensystems selbst faktisch aber kaum beeinflußt haben. An entsprechenden Vorschlägen hat es auch für den VIII. Plan de la Nación nicht gefehlt (Catala 1989). Gleichwohl hat es aber ein Zuviel an medienrechtlicher Regulierung unterschiedlicher Art gegeben. Darin schlug sich z. T. eine einzigartige, geradezu hypertrophe Reglementierungssucht nieder. Wenn alle diese Bestimmungen eingehalten und überwacht würden, würde dies die Entwicklung und Arbeit der Medien in Venezuela sehr hemmen. Zwischen Gesetzen und Verordnungen einerseits und der Alltagspraxis der Medien andererseits besteht daher eine unvermeidliche Kluft. Die weitgehende Folgenlosigkeit kommunikationspolitischer Initiativen und die begrenzte Normierungskraft einer durchaus dirigistischen Mediengesetzgebung waren ihrerseits Voraussetzungen dafür, daß sich das venezolanische Mediensystem in den zurückliegenden Jahren (und Jahrzehnten) primär nach Marktgesetzen entwickelt hat. Dies wird wegen negativer Folgen von Kritikern im Lande bemängelt, von den Medienunternehmern aber als Ausdruck einer im Land herrschenden Pressefreiheit befürwortet (oder verteidigt). Jedenfalls haben sich dadurch einige der Medienunternehmen zu politischen Größen herausgebildet, und dies nicht nur, weil Angehörige der sie besitzenden Familien selbst nach Ämtern und politischem Einfluß streben (und z. B. als Abgeordnete kandidiert haben). Hierdurch haben sich immer wieder politische Allianzen ergeben, die recht plötzlich wechseln können und die nicht ohne Folgen für die Berichterstattung bleiben. Die Macht der großen Medienunternehmen zeigt sich noch in anderen Dingen. Bei dem Putsch im Februar 1992 suchte Präsident Carlos Andrés Pérez Zuflucht in einem Studio von Venevisión (Canal 4) und wandte sich von hier aus an die Bevölkerung. Dagegen bedienten sich die Putschisten nur des staatlichen Kanals Venezolana de Televisión (VTV), über den sie ein Videoband ausstrahlten. Man hat das Scheitern des Putsches sogar auf die Unfähigkeit zurückgeführt, sich des Fernsehens effektiv zu bedienen (Mayobre 1992b; Girven 1992). Gleichwohl bekamen die Massenmedien die Labilität des politischen Systems in Venezuela in der Folgezeit selbst immer wieder zu spüren. Erstmals nach mehreren Jahrzehnten wurden den Zeitungen für 30 Tage Zensoren beigegeben (Pasquali 1993). Wie eng die Massenmedien in das politische und wirtschaftliche Wohlergehen Venezuelas eingebunden sind, erwies sich auch im Bankenkrach von 1994. Dieser erschütterte die ökonomischen Fundamente des Landes, wirkte sich aber auch direkt auf den Mediensektor aus. Die Zeitungen Economía hoy und El Globo sind im Besitz von Banken, auch Orlando Castro, der Eigner zahlreicher Radiostationen, ist Bankier, und die Familie Cisneros hat Verbindungen zum Banco Latino (der selbst in Televen investiert hat). Diese Verflechtungen blieben ebenfalls nicht ohne Auswirkung darauf, ob und in welcher Weise von bestimmten Medien über die Bankenkrise berichtet wurde (Vanden Heuvel / Dennis 1995, 83). Die Massenmedien sind in Venezuela eng in die politischen und wirtschaftlichen Krisenerscheinungen des Landes verwickelt. Ob sie unter den gegebenen Umständen als stabilisierende Kräfte taugen, erscheint zweifelhaft. Zu wenig ist der Mediensektor unabhängig von den politischen und wirtschaftlichen, schwer lösbaren Zwängen, und zu sehr ist er ein Spiegelbild der gesellschaftlichen Konflikte. Zu diesen gehört u. a. auch derjenige zwischen Medieneigentümern und Journalisten um das Pressegesetz. Während letztere darin ihre Sonderstellung gesichert sehen, halten dies die
278 ersteren für unvereinbar mit einer demokratischen Ordnung. Andererseits verfolgen sie auch wirtschaftliche Interessen. Die Löhne der Journalisten sind niedrig, was an die sozialen Probleme des Landes erinnert. Überdies waren gerade Journalisten in den zurückliegenden Krisenjahren von gewalttätigen Anschlägen betroffen. Die im Mediensystem Venezuelas virulenten Probleme und Schwierigkeiten werden sich nicht isoliert beheben lassen. Nur eine Überwindung der "Entwicklungskrise" im ganzen dürfte die Voraussetzungen schaffen, um auch im Mediensektor des Landes überfällige Ordnungsprobleme anzugehen, Defizite zu beseitigen und neue Chancen zu eröffnen.
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