Transformationen im südlichen Lateinamerika: Chancen und Risiken einer aktiven Weltmarktintegration in Argentinien, Chile und Uruguay 9783964567741

Im Buch werden die Ergebnisse eines internationalen Forschungsprojekts vorgestellt, an dem Arbeitsgruppen in Buenos Aire

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German Pages 278 [280] Year 2019

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Table of contents :
Inhalt
Vorwort
Einleitung
A. Das neue CEPAL-Konzept einer aktiven Weltmarktintegration und die Dimensionen Wettbewerbsfähigkeit, sozialer Ausgleich und politische Demokratie
A I. Neue Konzepte von Wettbewerbsfähigkeit
A II. Soziale Gerechtigkeit und Weltmarktintegration in Lateinamerika. Das Konzept der CEPAL im Lichte der internationalen Debatte
A III. Die Bedeutung politischer Demokratie im Rahmen des CEPAL-Konzepts einer Transformación productiva con equidad
A IV. Resümee aus der Betrachtung des CEPAL-Konzepts
B. Studien über Argentinien, Chile und Uruguay
B I. Argentinien
B II. Chile
B III. Uruguay
B IV. Schlußfolgerungen
Bibliographie
Bert Hoffmann (Hrsg.) Wirtschaftsreformen in Kuba Konturen einer Debatte
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Transformationen im südlichen Lateinamerika: Chancen und Risiken einer aktiven Weltmarktintegration in Argentinien, Chile und Uruguay
 9783964567741

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Barbara Töpper / Urs Müller-Plantenberg (Hrsg.) Transformation im südlichen Lateinamerika

Schriftenreihe des Instituts für Iberoamerika-Kunde - Hamburg Band 39

Zum Gedenken an Leopoldo Mârmora

Barbara Töpper/Urs Müller-Plantenberg (Hrsg.)

Transformation im südlichen Lateinamerika Chancen und Risiken einer aktiven Weltmarktintegration in Argentinien, Chile und Uruguay

Vervuert Verlag • Frankfurt am Main 1994

Institut für Iberoamerika-Kunde • Hamburg

Verbund Stiftung Deutsches Übersee-Institut

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Transformation Im südlichen Lateinamerika : Chancen und Risiken einer aktiven Weltmarktintegration in Argentinien, Chile und Uruguay / [Institut für Iberoamerika-Kunde ; Verbund Stiftung Deutsches Übersee-Institut]. Barbara Töpper/Urs MüllerPlantenberg (Hrsg.). - Frankfurt am Main : Vervuert, 1994 (Schriftenreihe des Instituts für Iberoamerika-Kunde, Hamburg ; Bd. 39) ISBN 3-89354-239-6 NE: Töpper, Barbara [Hrsg.]; Institut für Iberoamerika-Kunde : Schriftenreihe des Instituts...

© Vervuert Verlag, Frankfurt am Main 1994 Alle Rechte vorbehalten Umschlaggestaltung: Konstantin Buchholz Printed in Germany: Rosch-Buch, Hallstadt

Inhalt Vorwort

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Einleitung

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A. Das neue CEPAL-Konzept einer aktiven Weltmarktintegration und die Dimensionen Wettbewerbsfähigkeit, sozialer Ausgleich und politische Demokratie

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A I. Neue Konzepte von Wettbewerbsfähigkeit (Thomas Hurtienne und Dirk Messner)

19

A II. Soziale Gerechtigkeit und Weltmarktintegration in Lateinamerika. Das Konzept der CEPAL im Lichte der internationalen Debatte (Leopoldo Mármora)

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A III. Die Bedeutung politischer Demokratie im Rahmen des CEPAL-Konzepts einer Transformación productiva con equidad (Barbara Töpper)

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A IV. Resümee aus der Betrachtung des CEPAL-Konzepts (Barbara Töpper) B. Studien über Argentinien, Chile und Uruguay

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B I. ARGENTINIEN {Jorge Schvarzer, Ricardo Sidicaro und Barbara Töpper)

102

B II. CHILE (Ligia García, Eugenio Rivera und Juan Enrique Vega)

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B III. URUGUAY (Michéle Snoeck, Judith Sutz und Andrea Vigorito) B IV. Schlußfolgerungen (,Barbara Töpper) Bibliographie

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Vorwort Im vorliegenden Band werden die wichtigsten Ergebnisse eines internationalen Forschungsprojekts vorgestellt, das in den letzten drei Jahren durchgeführt wurde, um die "Chancen und Risiken einer aktiven Weltmarktintegration" für Lateinamerika zu untersuchen. Eine ausführlichere Fassung dieses Berichts in spanischer Sprache wird von dem Verlag der Nueva Sociedad in Caracas/Venezuela veröffentlicht. Das Projekt wurde von der Volkswagenstiftung finanziert. Beteiligt waren Forschungsgruppen vom Centro de Investigaciones Sociales sobre el Estado y la Administración (CISEA, Jorge Schvarzer und Ricardo Sidicaro) in Buenos Aires, von der Corporación Tiempo 2000 (Juan Enrique Vega) und dem Planungsministerium (Eugenio Rivera und Ligia García) in Santiago de Chile, vom Centro de Información y Estudios del Uruguay (CIESU, Michéle Snoeck, Judith Sutz und Andrea Vigorito) in Montevideo, vom Deutschen Institut für Entwicklungsländer (DIE, Dirk Messner) in Berlin und vom LateinamerikaInstitut der Freien Universität Berlin (LAI, Barbara Töpper, Thomas Hurtienne, Leopoldo Mármora und Urs Müller-Plantenberg). Der Unterschied zwischen dem Thema des Forschungsprojekts und dem Titel dieses Buches markiert die Tendenz der letzten Jahre. Die Eingliederung in den Weltmarkt, die für die lateinamerikanischen Wirtschaften und Gesellschaften noch in den achtziger Jahren als eine Option unter anderen erscheinen mochte, ist zu einer historischen Tendenz und - unter dem Druck der Verschuldungskrise - auch immer mehr zu einer politischen Verpflichtung geworden. Die Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Lateinamerika und die Karibik (CEPAL) hat diese Tendenz mit einer Serie von Dokumenten bestätigt, die die Grundlage für eine Strategie legen sollen, die eine tiefgreifende Umgestaltung der Produktion in einer demokratisch organisierten Gesellschaft mit sozialem Ausgleich zu kombinieren sucht. Die Frage nach der objektiven Möglichkeit einer wirklichen Kompatibilität dieser drei großen Ziele - wirtschaftliche Öffnung, sozialer Ausgleich und politische Demokratie war der Kernpunkt des theoretischen wie empirischen Interesses unserer vier Forschungsteams.

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Aufgabe der Arbeitsgruppe in Deutschland war die Erforschung der allgemeinen Tendenzen auf dem Weltmarkt für die wichtigsten Exportgüter der beteiligten Länder Lateinamerikas, vor allem aber die Diskussion der drei zentralen Konzepte - Wettbewerbsfähigkeit, sozialer Ausgleich und Demokratie - im Kontext der internationalen Debatte der letzten Jahre zu diesen Themen. Wir hoffen, daß die Berichte ein Beitrag zur Diskussion in den Ländern des Südkegels und überhaupt in Lateinamerika sein können. Die Konzentration auf die drei zentralen Konzepte bedeutete auch, daß ein anderes großes Thema nicht so hat behandelt werden können, wie es das unserer Meinung nach verdient: das Thema der nachhaltigen Entwicklung und des Risikos, das eine exportorientierte Wirtschaft für die Umwelt bedeuten kann. Die Aufgabe der Arbeitsgruppen in den Ländern des lateinamerikanischen Südkegels (Cono Sur) war sehr viel stärker empirisch ausgerichtet. Es handelte sich darum, die Beziehung zwischen den realen Prozessen der Demokratisierung und der Wirtschaftsöffnung in den drei Ländern des Cono Sur und ihre Bedeutung für das Wirtschaftswachstum und den sozialen Ausgleich zu analysieren. Die Unterschiede zwischen den Ansätzen der drei Arbeitsgruppen sind dabei nicht so sehr unterschiedlichen Wissenschaftskriterien geschuldet als vielmehr sehr verschiedenen Konjunkturen von Prozessen gesellschaftlicher Veränderung, die, selbst wenn sie einer gemeinsamen allgemeinen Tendenz entsprechen, in Argentinien, Chile und Uruguay doch völlig verschiedene Charakteristika haben. Das haben mit aller Deutlichkeit auch die gemeinsamen Tagungen gezeigt, zu denen sich die Arbeitsgruppen 1991 in Santiago, 1992 in Buenos Aires und 1993 in Berlin getroffen haben. Alle teilnehmenden Forscherinnen und Forscher sind Barbara Töpper für ihre Bemühungen, den Kontakt zwischen den vier Arbeitsgruppen zu organisieren und über den Atlantik hinweg die gemeinsame Arbeit zu koordinieren, zu großem Dank verpflichtet. Kurz vor der Beendigung des Forschungsprojekts und dieses Berichts haben wir unseren Freund und Kollegen Leopoldo Märmora verloren, der das Opfer einer unvorhergesehenen und unbesiegbaren Krankheit wurde. Seiner menschlichen Fröhlichkeit werden wir uns ebenso stets erinnern wie der Ernsthaftigkeit, mit der er in wissenschaftlichen und politischen Fragen für seine Erkenntnisse eintrat. Leopoldo Märmora hat sich am stärksten von uns allen für das Zustandekommen dieses Forschungsprojekts engagiert. Er lebte als Argentinier in Deutschland und sah in dem Forschungsprojekt einen möglichen Beitrag zur Beseitigung oder wenigstens doch Verringerung der Ungleichheit und Ungerechtigkeit zwischen dem Zentrum des Weltsystems und dessen lateinamerikanischer Peripherie. Deshalb widmen wir ihm diesen Band. Berlin, im März 1994 Urs Müller-Plantenberg

Einleitung Lateinamerika wird seit den siebziger Jahre von einer tiefgreifenden wirtschaftlichen und sozialen Krise geschüttelt, welche in ihren Dimensionen mit der Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre vergleichbar ist. Diese Krise hat den grundlegenden Bruch mit der gesamten bisher verfolgten, auf Industrialisierung durch Importsubstitution (ISI) basierenden Entwicklungsstrategie eingeleitet und erzwingt die zunehmende Öffnung der hinter hohen Zollmauern "geschlossenen", ineffizienten Ökonomien Lateinamerikas zum Weltmarkt. Diese Krise ist gleichzeitig auch eine Krise der der ISI zugrunde liegenden Entwicklungskonzepte. Diese waren entscheidend von der CEPAL, der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Lateinamerika und die Karibik, inspiriert. Aus der Diagnose der strukturellen Abhängigkeit der lateinamerikanischen Ökonomien vom Weltmarkt und daraus resultierenden Entwicklungsblockaden hatte die CEPAL die Strategie einer primär binnenmarktorientierten Industrialisierung, die mit Hilfe hoher Protektion und eines systematischen Staatsinterventionismus zu erhöhter nationaler Autonomie führen sollte, abgeleitet. Als dieses Modell zu Beginn der siebziger Jahre - aufgrund der einseitigen Ausrichtung einer ineffizienten Produktion an begrenzten Binnenmärkten, die über einen aufgeblähten, ebenfalls ineffizienten Staatsapparat reguliert wurden - unübersehbar an seine Grenzen gestoßen war, versuchten Militärdiktaturen mit sehr unterschiedlichem, in den meisten Fällen geringem Erfolg die Öffnung zum Weltmarkt. Damit manövrierten sie jedoch die sowieso bereits stagnierenden Volkswirtschaften in noch tiefere Rezessionen und Deindustrialisierungsprozesse. Dieser Politikwechsel wurde legitimiert mit einem Paradigmenwechsel in den wirtschaftstheoretischen Konzepten: Das cepalinische Entwicklungskonzept wurde abgelöst durch orthodoxe neoliberale Anpassungspiogramme, welche ausschließlich auf die Beseitigung von Verzerrungen im Gefiige der relativen Preise orientiert waren, wodurch der Marktmechanismus zur Wirkung gebracht werden sollte. Der Ausbruch der Verschuldungskrise zu Beginn der achtziger Jahre brachte dann aber auch das Scheitern dieser Versuche zum Ausdruck und leitete früher oder später die Redemokratisierung der lateinamerikanischen Gesellschaften ein. Gleichzeitig erzwang die Verschuldungskrise Struktur-

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anpassungsprogramme unter der Ägide von Weltbank und Internationalem Währungsfonds (IWF), die ausdrücklich zum primären Ziel hatten, den Schuldendienst über forcierte Exporte und interne Austerität zu sichern sowie die generelle Öffnung der lateinamerikanischen Ökonomien zum Weltmarkt zu betreiben. Es ließ sich nicht mehr darüber hinweg sehen, daß die Weltmarktintegration der lateinamerikanischen Ökonomien - insbesondere aufgrund der Internationalisierung der Finanzmärkte - bereits zum irreversiblen Faktum geworden war, so daß eine auch nur partielle Abschottung gegenüber dem Weltmarkt keine gangbare Alternative mehr darstellte. Aber selbst, wenn man die Anpassungsprogramme nur an ihren selbstgesteckten Zielen mißt und von allen anderen, vor allem auch sozialen Indikatoren abstrahiert, können zu Beginn der neunziger Jahre nur sehr wenige Länder von der Weltbank als "Erfolgsfälle" ihrer Strategie benannt werden. Dazu gehört in Lateinamerika in erster Linie Chile. Die fortschreitende Marginalisierung des lateinamerikanischen Kontinents in der Weltwirtschaft (gemessen an einem rückläufigen Anteil am Welthandel und an den Direktinvestitionen) konnte nicht aufgehalten werden. Insbesondere gelang nach der Durchführung der Stabilisierungsprogramme nicht die Reaktivierung der lateinamerikanischen Ökonomien, so daß die Binnenmärkte weiter schrumpften und die sozialen Polarisierungen sowie breite Verarmungsprozesse zunahmen. Die demokratischen Regime, die in den achtziger Jahren die Militärdiktaturen ablösten, traten ein schweres Erbe an, ohne über nennenswerte ökonomische Spielräume zu verfügen, die ihnen kurzfristig einen sozialen Ausgleich gestattet hätten. Die Frage, die sich hier stellt, ist, über welche Entwicklungsmöglichkeiten Lateinamerika überhaupt in absehbarer Zeit verfügt, das heißt welche Chancen es hat, die aktuelle Krise zu überwinden und erneut langfristige Entwicklungsprozesse in Gang zu setzen. Weiterhin fragt es sich, welche Konzepte es neben den orthodoxen Anpassungsprogrammen gibt, welche anders als diese eine theoretische Grundlage für langfristig orientierte Entwicklungsstrategien abgeben können. Die einzige Alternative, die gegenwärtig in Lateinamerika existiert, wird erneut von der CEPAL vorgelegt. Dabei ist zu bedenken, daß es sich bei der CEPAL um einen Organismus handelt, der sich vor jeder einzelnen Regierung von zwanzig oder mehr Ländern unterschiedlichster Größenordnung mit sehr verschiedenem Entwicklungsstand und vielerlei politisch-sozialen Gemengelagen zu verantworten hat und deshalb entwicklungsstrategische Orientierungen nur zu formulieren vermag, wenn diese nicht nur dem Zeitgeist, sondern auch dem Parallelogramm der wichtigsten wirtschaftlichen und politischen Kräfte in der Region entsprechen. Auch die CEPAL propagiert heute die Notwendigkeit einer Öffnung der lateinamerikanischen Ökonomien nach außen und vollzieht damit den grund-

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sätzlichen Bruch mit ihrem alten Zentrum-Peripherie-Paradigma. Anders als die IWF- und Weltbank-Strategien, die nach Meinung der CEPAL, wenn überhaupt, nur zu einer kurzfristigen, "passiven", das heißt im Vertrauen auf die Marktkräfte auf die Nutzung statischer komparativer Vorteile reduzierten Weltmarktintegration fuhren können, präsentiert sie jedoch ein Konzept der "aktiven" Weltmarktintegration. Diese muß auf der Schaffung dynamischer "struktureller" Wettbewerbsvorteile beruhen und verfolgt das Ziel, die wirtschaftliche Transformation mit einer Verbesserung der equidad und einer Konsolidierung der politischen Demokratie zu kompatibilisieren (vgl. insbesondere CEPAL 1990d und 1992c). Der neue Cepalismo als Vorreiter in der Debatte über wirtschaftliche Transformation mit sozialem Ausgleich unter den Bedingungen von politischer Demokratie. Skizziert wird ein Entwicklungsweg jenseits der falsos dilemas (Fajnzylber) Binnen- versus Weltmarktorientierung, Industrie versus Landwirtschaft, Planung versus Markt. Im Zentrum des CEPAL-Konzepts steht die Frage, wie unter den aktuellen weltwirtschaftlichen Bedingungen und angesichts des sich global vollziehenden radikalen technologisch-organisatorischen Wandels mit Hilfe einer wirtschaftlichen Transformation dauerhaft wettbewerbsfähige Ökonomien entstehen können. Die eher quantitative Ausrichtung auf "nachholende Industrialisierung" im Rahmen der Importsubstitution, deren Erfolg am Anteil der Industrie am BSP gemessen werden konnte, wird aufgegeben zugunsten einer qualitativen Sichtweise, deren Indikatoren die Produktivitätsentwicklung in den Unternehmen und die internationale Wettbewerbsfähigkeit der nationalen Ökonomien sind. Im Vergleich zur traditionellen CEPAL-Strategie werden fünf grundsätzliche Kurskorrekturen vorgenommen: - Die einseitige Ausrichtung der industriellen Produktion auf den Binnenmarkt wird aufgegeben zugunsten einer pragmatischen Mischung aus Binnenmarkt- und Weltmarktorientierung. In allen Wirtschaftszweigen soll möglichst rasch das internationale Produktivitätsniveau angesteuert werden. Statt des neoliberalen Freihandelskonzeptes "offener Volkswirtschaften" wird eine selektive Weltmarktintegration für realistischer gehalten. Sowohl in der Übergangsphase von der ISI zur Weltmarktorientierung als auch beim Aufbau neuer wettbewerbsfähiger Industrien wird ein zeitlich begrenzter und an Erfolgskriterien geknüpfter Zollschutz für notwendig erachtet, um Lernprozesse von Unternehmen und Institutionen zu ermöglichen. - Während die ISI-Strategie auf den Aufbau eines auf den Binnenmarkt gerichteten ausdifferenzierten und vollständigen Industrieapparates als Vor11

bedingung für sich selbst tragende Entwicklung orientiert war, werden nun Spezialisierungsstrategien empfohlen. In Abhängigkeit von der Größe der jeweiligen Ökonomie gelte es, einige leistungsfähige integrierte Produktionskomplexe zu entwickeln. Dabei soll durchaus an die gegebene Ressourcenausstattung der Länder angeknüpft werden, ohne jedoch das Ziel einer permanenten Erhöhung der nationalen Wertschöpfung aus den Augen zu verlieren. - Der traditionell starke Industrieglas der CEPAL wird abgelöst durch die Forderung einer stärkeren Verknüpfung der drei Wirtschaftssektoren in den jeweiligen Spezialisierungsbereichen. Damit werden bisher vernachlässigte Modernisierungspotentiale im Agrar-(industriellen) Bereich zur Kenntnis genommen. Zugleich wird betont, daß die Wettbewerbsfähigkeit von Industriesektoren wesentlich von vorgelagerten (zum Beispiel Landwirtschaft, Zulieferindustrien, produktionsorientierte Dienstleistungen) und nachgelagerten Wirtschaftsbereichen (zum Beispiel Kommerzialisierung) abhängt. Wettbewerbsfähige complejos sind durch eine enge und Synergien erzeugende Interaktion der beteiligten Unternehmen und Institutionen gekennzeichnet. - Der in Lateinamerika (und insbesondere bei der CEPAL) stark ausgeprägte Etatismus soll zurückgedrängt und der Markt als grundlegender wirtschaftlicher Koordinationsmechanismus akzeptiert werden. Dem zu modernisierenden Staat wird dennoch eine wesentliche Rolle im Prozeß der wirtschaftlichen Transformation zugewiesen, die über den neoliberalen, rahmensetzenden Staat weit hinausreicht. Der Staat soll zwar nicht mehr grundlegende Produktionsbedingungen selbst herstellen, aber er kann auf die verschiedenen Faktoren von Wettbewerbsfähigkeit nachdrücklich einwirken. Dies wird er nicht nur auf der globalen bzw. zentralen, als vielmehr auf einer dezentralen, sektoralen oder auch auf der Mikro-Ebene tun. Zur Optimierung der Leistungsfähigkeit in den Spezialisierungsbereichen sind langfristige Infrastrukturinvestitionen des Staates sowie selektive Industrie- und Technologiepolitiken unabdingbar. Ohne eine enge Abstimmung zwischen öffentlichen und privaten Akteuren kann der Aufbau von nationalen Innovationssystemen nicht gelingen. - Um eine letztlich entwicklungshemmende Marginalisierung von wirtschaftlichen und sozialen Sektoren zu verhindern, muß die staatliche Politik wie auch das Handeln der übrigen sozialen Akteure grundsätzlich an dem normativen Wert sozialen Ausgleichs orientiert sein. Dieser kann aufgrund der Charakteristika moderner Innovationsprozesse durchaus mit weltmarktorientiertem Wachstum kompatibel sein. Um das Ziel sozialen Ausgleichs jedoch auch real politisch durchzusetzen, bedarf es einer konsequenten Demokratisierung des Staates. Das Programm der CEPAL basiert insbesondere auf Arbeiten von Fernando Fajnzylber, der seit Anfang der achtziger Jahre sukzessive die Grenzen des ISI-Modells unter lateinamerikanischen Verhältnissen herausarbeitete. Die von Fajnzylber eingeleitete "entwicklungsstrategische Wende" wird aus zwei 12

Quellen gespeist. Zum einen untersucht Fajnzylber in den achtziger Jahren exportorientierte "Erfolgsländer", wie insbesondere Japan, die ostasiatischen NICs, aber auch kleine europäische Ökonomien (zum Beispiel Holland, Dänemark). Zum anderen rekurrieren Fajnzylber und in seinem Gefolge die CEPAL auf innovationstheoretische Arbeiten insbesondere aus dem Umfeld der OECD (Dosi, Nelson, Freeman), die auf den "strukturellen und systemischen Charakter" von Wettbewerbsfähigkeit hinweisen. Deutlich wird, daß sich Fajnzylber immer zugleich gegen die Verteidiger des traditionellen Cepalismo, die Weltmarktorientierung für eine wesentliche Ursache von Unterentwicklung halten, wie auch gegen den Neoliberalismus, der von der Außenöffnung und einer generellen Liberalisierung automatisch eine effiziente Faktorallokation und somit die Herausbildung wettbewerbsfähiger Wirtschaftsstrukturen erwartet, wendet. Die Untersuchungen von Fajnzylber münden in einigen grundsätzlichen Schlußfolgerungen, die zugleich das "Rückgrat" des cepalinischen Konzepts von wirtschaftlicher Transformation bilden: 1. Weltmarktorientierung und der Aufbau von wettbewerbsfähigen Industriestrukturen sind prinzipiell auch in Entwicklungsländern (siehe Südkorea, Taiwan usw.) und in kleinen Volkswirtschaften (siehe Dänemark, Holland usw.) möglich. 2. Weltmarktorientierung und relativ egalitäre Einkommensstrukturen schließen sich auch in Entwicklungsländern nicht prinzipiell aus (siehe Südkorea und Taiwan). 3. Besonders erfolgreich sind die effizienzorientierten Ökonomien, die zugleich einen leistungsfähigen Sozialstaat aufgebaut haben, der politische Stabilität sichert, ein beachtliches Maß an sozialer Gerechtigkeit und Absicherung garantiert sowie gesellschaftliche Kreatitivität und Innovationsfähigkeit steigern hilft. Ökonomische Modernisierung, Wettbewerbsfähigkeit, politische Demokratie und soziale Gerechtigkeit bedingen sich hier gegenseitig und lösen kumulative Synergieeffekte aus (siehe Westeuropa). 4. Dauerhafte Wettbewerbsfähigkeit (competitividad autintica) hat einen systemischen Charakter. Statt im Prozeß der Außenöffnung auf die gegebene Faktorausstattung (in der Regel niedrige Löhne, natürliche Ressourcen) zu vertrauen, müssen Wettbewerbsvorteile "geschaffen" werden. Dazu bedarf es leistungsfähiger Unternehmen, sektorspezifischer Institutionen und einer engen Kooperation zwischen privaten und öffentlichen Akteuren, um sukzessive ein nationales Innovationssystem aufzubauen, das die Inkorporierung moderner Technologien, deren Adaption und Weiterentwicklung erlaubt.

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Die Fragestellung des Projekts Das Forschungsprojekt, dessen Ergebnisse hier vorliegen, beschäftigt sich in seinem ersten Teil in systematischer Form mit dem CEPAL-Konzept bzw. den in ihm enthaltenen Konzepten von Wettbewerbsfähigkeit (competitividad), sozialem Ausgleich (equidad) und politischer Demokratie. Diese werden im Lichte der international geführten Debatten zu diesen Themen diskutiert und auf ihre Tragfähigkeit vor allem im Hinblick auf die Frage der Kompatibilisierung von Wettbewerbsfähigkeit und Weltmarktöffnung einerseits, von sozialem Ausgleich und politischer Demokratie andererseits analysiert. Der zweite Teil beschäftigt sich dann mit der Rekonstruktion konkreter Wege in die Weltwirtschaft. Auf der Grundlage von Länderfallstudien geht es um die von der CEPAL offen bzw. unerwähnt gelassene Frage, ob und wie Bedingungen in Lateinamerika gegeben sind, die eine Kompatibilisierung von Wettbewerbsfähigkeit, sozialem Ausgleich und Demokratie möglich oder wahrscheinlich werden lassen bzw. unter Umständen auch ausschließen. Es soll versucht werden, eine Antwort auf die Frage zu finden, ob unter den spezifischen lateinamerikanischen Bedingungen eine auf Weltmarktintegration und internationaler Wettbewerbsfähigkeit beruhende wirtschaftliche Transformation möglich ist, die mit einer Verbesserung der sozialen Verhältnisse einhergeht und im Rahmen demokratischer Verhältnisse stattfindet. Angesichts der grundsätzlichen Bedeutung, die nicht nur von der CEPAL, sondern auch in den einschlägigen internationalen Debatten zu Wettbewerbsfähigkeit und Demokratie der Qualität der Akteure und ihrer Interaktionen beigemessen wird, sowie angesichts des Einflusses, den entwicklungsstrategische Diskurse auf das Verhalten der Akteure haben können, sollen die Bedingungen für Erfolg oder Mißerfolg einer wirtschaftlichen Transformationsstrategie (die im genannten Sinne mit sozialem Ausgleich und politischer Demokratie kompatibel ist) auf der Grundlage des Verhaltens und der Interaktion der wesentlichen beteiligten sozialen und politischen Akteure analysiert werden. Die Wahl der Länderfallstudien fiel auf die drei Länder des südamerikanischen Südkegels (Cono Sur) Chile, Argentinien und Uruguay, weil diese gerade in Bezug auf die Frage der Kompatibilität von Wettbewerbsfähigkeit, sozialem Ausgleich und Demokratie einige Besonderheiten aufweisen, die sie zu den fortgeschritteneren Ländern Lateinamerikas gehören lassen und die den sich vollziehenden Umbruch besonders augenfällig und damit auch exemplarisch werden lassen. Gleichzeitig weisen die drei Länder im Hinblick auf Form und Verlauf des eingeleiteten Transformationsprozesses untereinander derartige Unterschiede auf, daß ein Vergleich hier besonders fruchtbar erschien. Alle drei Länder, vornehmlich Argentinien und Uruguay, unterschieden sich vor Ausbruch der Krise vom Rest Lateinamerikas durch relativ hoch ent14

wickelte soziale Sicherungssysteme und ausgeglichenere Verteilungsverhältnisse (vgl. Fajnzylber 1989). Im Falle Uruguays und Chiles war dies mit einer langen Tradition fest verankerter demokratischer Strukturen verbunden. In den drei Ländern existierte somit die historische Erfahrung der Möglichkeit einer Kompatibilität von Wachstum, Verteilung und Demokratie. Die drei Länder unterscheiden sich voneinander zunächst einmal durch ihre Größe: Argentinien gehört zu den größeren Ländern Lateinamerikas, während Chile von mittlerer Größe ist und Uruguay als sehr kleines Land spezifische Probleme aufweist. Der Umbruch wurde dann in den drei Ländern von Militärdiktaturen mit sehr unterschiedlicher Radikalität eingeleitet - trotz ähnlicher neoliberaler Projekte. Während die Diktatur in Chile den Bruch sehr konsequent bis zu Ende durchgeführt und auf den Trümmern des alten ISI-Modells sowie in Anknüpfung an bereits vorher durchgeführte Strukturreformen die Fundamente für ein neues Export-Modell gelegt hat, haben die Diktaturen in Argentinien und noch mehr in Uruguay die Destruktion der ISI-Strukturen noch unvollständig und uneindeutig vollzogen: Während in Argentinien zumindest über die Zollpolitik eine gewisse Außenöffnung eingeleitet wurde, gab es hierzu in Uruguay kaum ernsthafte und dauerhafte Ansätze. Die Ausgangssituation für die demokratischen Regime, die sich in allen drei Ländern inzwischen etablieren konnten, sind daher sehr unterschiedlich. Während die Regierung Aylwin in Chile auf der Grundlage einer erfolgreichen wirtschaftlichen Stabilisierung die Wirtschaftspolitik der Diktatur nur weitgehend fortzusetzen brauchte, suchten die ersten demokratischen Regierungen in Argentinien und Uruguay, Alfonsfn und Sanguinetti, zunächst zumindest partiell zu den alten Verhältnissen größerer Verteilungsgerechtigkeit zurückzukehren und setzten auf die Modernisierung des alten Entwicklungsmodells. Das Scheitern dieser Politik manifestierte sich in Argentinien besonders deutlich durch die Hyperinflationen von 1989 und 1990 sowie den damit zusammenhängenden vorzeitigen Rücktritt Alfonsens und erzwang dort den Wechsel zu einer konsequenteren Anpassungspolitik bzw. den Bruch mit dem alten Entwicklungsmodell. Die Situation in Uruguay ist demgegenüber durch weitgehende Blockierungen gekennzeichnet, hat aber bisher auch nicht zu vergleichbar drastischen sozialen Einschnitten gefuhrt. Die Fragen, die sich angesichts dieser Situation an alle drei Ländern stellten und die mit Hilfe der Länderfallstudien bearbeitet werden sollten, waren die folgenden: Unter welchen politischen und sozialen, internen wie externen, Bedingungen kann eine wirtschaftliche Stabilisierung, die unabdingbare Voraussetzung für langfristiges Wachstum ist, gelingen und welche Akteurskonstellation liegt ihr jeweils zugrunde? Welche veränderten Bedingungen ergeben sich aus einer gelungenen Stabilisierung für langfristige Wachstumsprozesse, und welche

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sozialen und verteilungspolitischen Konsequenzen hat dies jeweils? In welche«Verfassung gehen die wichtigsten Akteure, insbesondere Unternehmer, Gewerkschaften und der Staat aus der Stabilisierung hervor? Lassen sich daraus Perspektiven für langfristige Entwicklung erkennen und welche sind dies? Welche Bedeutung haben für die besondere Form der Stabilisierung spezifische Traditionen oder politische Kulturen? Kann zum Beispiel die historische Erfahrung einer Kompatibilität von Wachstum und Verteilung für eine soziale Abmilderung der Anpassungslasten fruchtbar gemacht werden, oder fordert diese gerade im Gegenteil einen noch viel radikaleren Bruch mit diesen Tradi tionen heraus? Bezüglich der Unternehmer als Akteure stellte sich die Frage, welche Bedeutung die traditionell hohe Rentenorientierung der argentinischen (und uruguayischen) Unternehmer für den Erfolg der Transformation hat bzw. in welchem Ausmaß die entsprechenden Einstellungen und Verhaltenweisen die Transformation behindern. Im Falle Argentiniens, wo das Unternehmertum in besonderem Maße auch von Inflationsgewinnen profitiert hat, stellt sich mit entsprechender Schärfe die Frage, welche Bedeutung dies für die Stabilisierung hat. Welche Bedeutung hat auf der anderen Seite die Tatsache, daß in Chile bereits vor der Diktatur Strukturreformen durchgeführt wurden, die in Argentinien und Uruguay politisch nicht durchsetzbar waren? Im Hinblick auf den Staat als Akteur stellte sich die Frage, welche Konsequenzen für die Wirksamkeit der Transformation die Tradition eines starken Staates in Chile (und Uruguay) im Unterschied zu der eines schwachen Staates in Argentinien hat. Welche Bedeutung haben in diesem Zusammenhang unterschiedliche Formen und Institutionen von Demokratie? Begünstigt die spezifische Funktionsweise der demokratischen Institutionen den Transformationsprozeß, oder behindert sie ihn eher, bzw. in welche Richtung im Sinne von Effizienz und Kompatibilität mit sozialem Ausgleich beeinflußt sie ihn? Diese Fragestellungen wurden für jedes Land auf zwei Ebenen bearbeitet: Zum einen auf der Ebene der Gesamtgesellschaft, wobei die Interaktion der Akteure im Zusammenhang mit einigen zentralen, mit der Anpassungs- und Transformationspolitik verbundenen Gegenstandsbereichen, wie zum Beispiel Privatisierungen, Verfassungsreformen etc. analysiert und auf ihre Konsequenzen im Hinblick auf die Frage der Kompatibilität überprüft wird. Zum zweiten wird die Interaktion der Akteure auf der Ebene einiger ausgewählter, für die aktive Weltmarktintegration besonders relevanter Wirtschaftssektoren exemplarisch untersucht. Der Untersuchungszeitraum umfaßt schwerpunktmäßig die vier Jahre zwischen Frühjahr 1989 und Frühjahr 1993. In Argentinien ist dies vor allem die Zeit seit dem Amtsantritt Menems und damit die Phase des definitiven Bruchs mit dem alten Modell. In Chile geht es um die Phase der Redemokratisierung und die ersten drei Jahre demokratischer Regierung unter Aylwin, in denen 16

sich zeigte, in welchen Bereichen Kontinuität zur Diktatur herrschte, bzw. wo es echte Neuansätze gab. Im Falle Uruguays geht es - wie im Falle Argentiniens - im wesentlichen ebenfalls um die Amtszeit der zweiten demokratischen Regierung, die gleichfalls - allerdings bisher erfolglos - den neoliberalen Bruch versucht hat.

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A. Das neue CEPAL-Konzept einer aktiven Weltmarktintegration und die Dimensionen Wettbewerbsfähigkeit, sozialer Ausgleich und politische Demokratie Mit ihrem neuen Konzept Transformación productiva con equidad von 1990 fordert die CEPAL eine grundlegende Transformation der produktiven Strukturen in der Region, welche in unmittelbarem Verbund mit sozialem Ausgleich 0equidad social) und politischer Demokratie zu erfolgen habe. Dieses neue Konzept sieht eine selektive, weltmarktintegrierte Industrialisierung auf der Grundlage integrierter Produktionskomplexe vor, die grundsätzlich nur als international wettbewerbsfähige denkbar ist. Das damit verbundene Konzept von "systemischer Wettbewerbsfähigkeit" unterscheidet sich vollständig von dem traditionellen, auf dem Theorem komparativer Vorteile beruhenden; es muß als die Grundlage dafür angesehen werden, daß Wachstum, soziale Gerechtigkeit und Demokratie gleichzeitig angestrebt und erreicht werden können. Dieses neue Konzept von Wettbewerbsfähigkeit steht daher auch im Mittelpunkt des neuen Modells. Im Lichte der einschlägigen internationalen Debatte soll es im ersten Kapitel in seinen verschiedenen Dimensionen ausgeleuchtet und in seiner Eignung für lateinamerikanische Verhältnisse überprüft werden. In den folgenden Kapiteln 2 und 3 sollen dann die von der CEPAL verwendeten Konzepte von sozialem Ausgleich und Demokratie erläutert und bezüglich der Begründung, welche die CEPAL für ihre mögliche Kompatibilität mit Wettbewerbsfähigkeit liefert, überprüft werden. Im vierten Kapitel soll schließlich das neue CEPAL-Konzept in seinem Zusammenhang einer kritischen Würdigung unterzogen werden.

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Thomas Hurtienne und Dirk Messner ^

A I. Neue Konzepte von Wettbewerbsfähigkeit 1. Das neue Wettbewerbskonzept der CEPAL Die von der CEPAL für die neunziger Jahre vorgeschlagene neue Entwicklungsstrategie folgt aus ihrer Diagnose, daß weder die einseitig binnenmarktorientierte Industrialisierung der Nachkriegszeit noch die neoliberale Außenöffnung der achtziger Jahre zu einem langfristig tragfähigen Entwicklungsmodell mit einer authentischen Wettbewerbsfähigkeit geführt haben. Die lange Phase der binnenorientierten Industrialisierung hat zwar in einigen Ländern der Region (wie etwa in Brasilien und Mexiko) phasenweise zu einer hohen Wachstumsdynamik bei zunehmender Ungleichheit der Einkommensverteilung, in einigen wenigen anderen (wie in Argentinien, Uruguay und teilweise auch Chile) zu akzeptablen Niveaus des sozialen Ausgleichs bei schwachem Wachstum, in keinem Fall aber zu einer dynamischen Verbindung von Wachstum und sozialem Ausgleich mit einer authentischen Wettbwerbsfähigkeit geführt (vgl. Fajnzylber 1989). Ein zu hohes Niveau des Zollschutzes, überbewertete Währungen und andere staatliche Interventionen haben die lateinamerikanischen Ökonomien zwar vom rauhen Wind der Weltmarktkonkurrenz abschirmen und dadurch bedingt ausländische Konzerne anziehen können. Dafür wurden aber als Kehrseite der Oligopolisierungsgrad mit großen Preisverzerrungen unnötig erhöht, der technische Fortschritt und eine dynamische Produktivitätsentwicklung blockiert, die produktive Artikulaton der Wirtschaftssektoren behindert und die Weltmarktintegration auf wenig dynamische Weltmarktsegmente, vor allem bei natürlichen Ressourcen und arbeitsintensiven Industrieprodukten, festgelegt. Die daraus folgenden strukturellen Zah1 An dieser Kurzfassung des Abschnitts des Forschungsberichts hat Barbara Töpper mitgewirkt.

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lungsbilanzprobleme konnte zwar phasenweise mit Hilfe ausländischer Kredite kompensiert werden - jedoch um den bekannten Preis unkontrollierbarer Inflation und einer eskalierenden Verschuldungskrise. Unter dem Druck der Bedienung des Schuldendienstes, der Abkommen mit Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank und der neuen neoliberalen Orthodoxie konzentrierten sich die Länder Lateinamerikas in den achtziger Jahren dann auf kurzfristige makroökonomische Stabilisierungspolitiken zur Bekämpfung der Inflation und Steigerung der Handelsbilanzüberschüsse sowie mittelfristige Strukturanpassungsprogramme zur Exportförderung, Deregulierung und Privatisierung. Trotz begrenzter Erfolge bei einigen makroökonomischen Variablen konnte die passive Weltmarktintegration auf der Grundlage statischer komparativer Kostenvorteile nicht überwunden werden. Steigende Exportüberschüsse folgten eher aus stagnierenden Binnenmärkten, sinkenden Lohneinkommen und Billigexporten von Rohstoffen als aus einem dynamischen technologischen Wandel. Schockartige Liberalisierungspolitiken konnten zwar einige Preisverzerrungen beseitigen, aber keineswegs die notwendigen Signale für eine dynamische wirtschaftliche Transformation generieren. Die starke Betonung der Marktmechanismus stellte dabei nur die Kehrseite der ebenso einseitigen Rolle staatlicher Interventionen in der Phase davor dar. Auf Grundlage der diagnostizierten fehlenden Entwicklungseffekte strukturalistischer und neoliberaler Strategien propagiert die CEPAL für die neunziger Jahre eine komplexere und zugleich flexiblere Entwicklungsstrategie, die die falschen Dilemmata der Vergangenheit vermeidet. Ziel soll dabei die Herstellung und Aufrechterhaltung dauerhaft wettbewerbsfähiger ökonomischer Strukturen sowohl im Bereich der Binnenmärkte als auch in dem der Exportmärkte sein. Im Gegensatz zu den auf statischen Faktorpreisvorteilen basierenden "flüchtigen" Wettbewerbsvorteilen der Vergangenheit kann eine solche dauerhafte Wettbewerbsfähigkeit nur durch die dynamische Inkorporation des technischen Fortschritts bei komplementärer Verbesserung des institutionellen und infrastrukturellen Umfeldes erreicht werden. Erst auf einer solchen Grundlage lassen sich die unausgeschöpften Entwicklungspotentiale der wirtschaftlichen Verflechtung dynamisieren, die Weltmarktintegration aktivieren und die kreative Interaktion der öffentlichen und privaten Akteure entwickeln. Die Schaffung einer dauerhaften Wettbewerbsfähigkeit ist nach der CEPAL dabei mittelfristig nur im Kontext steigender Arbeitsproduktivitäten, Pro-KopfEinkommen, Reallöhne und Qualifikationsniveaus sowie einer rationalen Nutzung natürlicher Ressourcen erreichbar. Insofern erfordert eine erfolgreiche wirtschaftliche Transformation eine deutliche Verbesserung der sozialen Verhältnisse, der sozialen Kohäsion sowie die Sicherung und Erhaltung der natürlichen Umwelt.

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Bei der Begründung der Determinanten des technologischen Fortschritts und einer dauerhaften internationalen Wettbewerbsfähigkeit bezieht sich die CEPAL nicht mehr wie in früheren Dokumenten primär auf die Schaffung binnenwirtschaftlich geschlossener Produktionsstrukturen auf der Basis nationaler Kapitalgüterindustrien, sondern auf die aus Praxis und Analyse der OECD-Länder ableitbaren neuen Merkmale des beschleunigten technologischen und institutionellen Wandels im Rahmen einer durch zunehmende Konkurrenz und Spezialisierung gekennzeichneten hierarchischen Weltwirtschaft. Im Vordergrund stehen dabei nichtpreisliche Wettbewerbsfaktoren, deren synergetische Interaktion den systemischen Charakter von Wettbewerbsfähigkeit zum Ausdruck bringen: "Auf dem Weltmarkt konkurrieren Volkswirtschaften, für deren Wettbewerbsfähigkeit das Einzelunternehmen zwar ein zentrales Element darstellt, das aber in ein Netz von Verbindungen zum Bildungssektor, zur technologischen, energetischen und Transport-Infrastruktur, zu den Beziehungen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern, zu den privaten und öffentlichen Institutionen sowie zum Finanzsystem eingebettet, das heißt: in ein komplexes sozioökonomisches System integriert ist." (CEPAL 1990d, S. 14). Der systemische Charakter von Wettbewerbsfähigkeit drückt sich vor allem in der zentralen Bedeutung des institutionellen Kontextes der nationalen Innovationssysteme, das heißt in der kreativen Interaktion zwischen öffentichen und privaten Akteuren sowie der auf räumlich-kulturelle Nähe angewiesenen Interaktion zwischen Produzenten und Nutzern von Innovationen aus (CEPAL 1990d, S. 73). Aus diesen neuen Herausforderungen eines international beschleunigten radikalen technologischen und institutionellen Wandels bei zunehmender Weltmarktkonkurrenz leitet die CEPAL die Grundzüge ihrer neuen Entwicklungsstrategie für die neunziger Jahre ab. Das strategische Kriterium ist dabei die Stärkung der authentischen Wettbewerbsfähigkeit durch die sich wechelseitig verstärkende Kombination der instrumenteilen Ziele Verbesserung der Weltmarktintegration, der produktiven Artikulation und der kreativen Interaktion zwischen öffentlichen und privaten Akteuren (CEPAL 1990d, S. 101). Für deren effiziente Umsetzung im institutionellen Kontext einer strategischen concertación zwischen dem Staat und den privaten politischen und sozialen Akteuren schlägt die CEPAL eine breite Palette von Instrumenten sowohl für makroökonomische wie auch sektorspezifischen Politiken vor. So betont sie etwa im Bereich der Handels- und Wechselkurspolitik die Notwendigkeit einer flexiblen Kombination zwischen einem hohen und stabilen realen Wechselkurs und einer schrittweisen Senkung des Zollniveaus sowie der Vereinfachung des Protektionssystems, um zu hohe ökonomische und soziale Kosten einer abrupten Öffnungspolitik zu vermeiden. Für die effiziente Kombination der Handelspolitik mit einer langfristig orientierten Technologiepolitik, entsprechenden Qualifizierungsmaßnahmen sowie der Gründung neuer Unternehmen wird 21

neben sektorspezifischen Politiken auch auf die Notwendigkeit eines selektiven zeitlich begrenzten Zollschutzes für neue Träger des technischen Fortschritts hingewiesen. Da andererseits eine an den modernsten Technologien orientierte produktive Transformation kurz- und mittelfristig die strukturelle Heterogenität zwischen dem formellen und informellen Sektor eher erhöhen wird, sind wiederum eigenständige Förderungspolitiken und komplementäre redistributive Maßnahmen zugunsten der benachteiligten Sektoren notwendig, um langfristig eine Tendenz zur Homogenisierung der Produktivitäts- und Einkommensniveaus durchsetzen zu können. Für die erfolgreiche Umsetzung der kurz- und mittelfristig häufig konfliktiven Sektorpolitiken bedarf es nach der CEPAL einer neuen kreativen Interaktion zwischen öffentlichen und privaten Akteuren auf der Makro-, Mesound Mikroebene. Die begrenzte administrative und finanzielle Interventionskapazität der gegenwärtigen Staatsapparate erfordert grundlegende institutionelle Innovationen, durch die Selektivität, Selbstbegrenzung, Transparenz, Effizienz und die Strategiefahigkeit öffentlicher Akteure erhöht werden müssen (CEPAL 1990d, S. 154ff). Jenseits allgemeiner Hinweise bleiben dabei aber insbesondere die konkreten Formen der Interaktion mit den privaten Akteuren, die Abstimmung staatlicher Interventionen mit marktmäßigen Steuerungsformen und die Gewichtung der Politikinstrumente in unterschiedlichen Sequenzen weitgehend im Dunklen. Ob dies nur an theoretisch-politischen Defiziten der CEPAL liegt oder aber ein allgemeineres Problem in der gegenwärtigen Übergangsphase eines beschleunigten technologischen Wandels und intensivierter internationaler Konkurrenz darstellt, soll durch den Rückgriff auf die neueren wettbewerbstheoretischen Ansätze der OECD und der Industriedistriktdebatte überprüft werden. Dabei wird auch gefragt, inwieweit diese von der CEPAL oft nur sehr kursorisch erwähnten Ansätze die von ihr vertretenen Konzepte ergänzen und konkretisieren können. 2. Strukturelle Wettbewerbsfähigkeit als Folge kumulativen technologischen Wandels und nationaler Innovationssysteme: Neue evolutionäre Konzepte in der internationalen Debatte über Wettbewerbsfähigkeit Die mit dem Abbruch des Nachkriegsbooms seit 1974 deutlich werdende Erschöpfung des Produktivitätspotentials der fordistisch-tayloristischen Massenproduktion, die Intensivierung der internationalen Konkurrenz, die trotz des sich beschleunigenden technologischen Wandels dürftigen industriellen Produktivitätseffekte in den meisten OECD-Ländern, die demgegenüber auf hohen Produktivitätszuwächsen und absoluten Handelsvorteilen beruhende japanische Exportoffensive und der rasche Aufstieg der ostasiatischen Schwellenländer

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waren die Motive dafür, daß in der internationalen Debatte über Wettbewerbsfähigkeit in verstärktem Maße der Frage nachgegangen wurde, wie die unterschiedlichen und sich verändernden Wettbewerbspositionen der Länder zu erklären und wie erneut Wettbewerbsvorteile zu erzielen sind. Im Zuge dieser Überlegungen wurde die eindimensionale und statische neoklassische Sichtweise von faktorbedingter Wettbewerbsfähigkeit und komparativen Vorteilen immer mehr aufgegeben zugunsten einer am erfolgreichen techno-ökonomischen Paradigma Japans orientierten neuen dynamischen und integrativen Sichtweise, welche Wettbewerbsfähigkeit mit den spezifischen wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und institutionellen Gegebenheiten eines Landes begründet und die Herausbildung von Wettbewerbsvorteilen als einen historischen Prozeß auffaßt. Solche integrativen Ansätze finden sich unter anderem bei Michael Porter in seinem inzwischen schon als "Klassiker" gehandelten Buch The Competitive Advantage of Nations (1990), welches im Zuge seiner Tätigkeit für den 1985 von Reagan eingesetzten Regierungsausschuß für industrielle Wettbewerbsfähigkeit entstand; sie finden sich in Konzepten, die auf den Erfahrungen der industriell districts des Dritten Italien beruhen, wie zum Beispiel bei Piore/Sabel (1984) oder in neueren ILO-Publikationen (Pyke et al. 1990; Pyke/Sengenberger 1992). In der wohl am weitesten ausgearbeiteten und umfassendsten Form wurde ein solcher Ansatz aber im Rahmen des neuen Wachstums- und Innovationskonzepts der OECD entwickelt. Dieses soll daher im folgenden im Mittelpunkt der Darstellung stehen. Bei dem neuen Ansatz der OECD geht es um eine Sichtweise, die zunächst von einzelnen Forschergruppen in den Ländern der OECD als heterodoxer Ansatz formuliert wurde und dann in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre auch Eingang in die offizielle Position der OECD gefunden hat. Am umfassendsten ist diese neue Sichtweise in den Abschlußdokumenten des 1988 bis 1992 durchgeführten Programms Technology and the Economy (vgl. OECD 1992) sowie in den Arbeiten der heterodoxen Neoschumpeterianer und Evolutionisten in dem von Dosi, Freeman, Nelson, Silverberg und Soete 1988 herausgegebenen Sammelband Technological Change and Economic Theory dokumentiert. Das neue Konzept der "strukturellen Wettbewerbsfähigkeit" nationaler Innovationssysteme bringt dabei die neue Sichtweise synthetisch zum Ausdruck: "Wir schlagen den Begriff der 'strukturellen Wettbewerbsfähigkeit' zur Bezeichnung der Tatsache vor, daß, während die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen die erfolgreichen Managementpraktiken von Seiten des Unternehmers bzw. der Unternehmensleitung ausdrückt, diese doch von der Stärke und Effizienz der produktiven Struktur einer Volkswirtschaft, ihrer technischen Infrastruktur und anderen Faktoren abhängt, welche die Externalitäten ausmachen, auf die sich die Unternehmen stützen können." (Chesnais 1986, S. 86). 23

Die OECD bezieht sich dabei auch auf Porter, der zu ähnlichen Schlußfolgerungen kommt: "Die Wettbewerbskraft einer Nation hängt ab von der Innovations- und Entwicklungsfähigkeit seiner Industrien und Unternehmen, die Wettbewerbsvorteile ... erlangen, indem sie auf den Druck starker Mitbewerber, draufgängerischer Zulieferer und anspruchsvoller Kunden im eigenen Land reagieren. Der Wettbewerb heute wird zunehmend globaler, was den nationalen Hintergrund jeweils nicht unwichtiger, sondern im Gegenteil bedeutsamer macht. Denn die Basis des Wettbewerbs verlagert sich immer mehr hin zum Wissen, das kreiert und angewendet werden muß. Damit ist aber die Rolle der Nation gewachsen. Wettbewerbsvorteile gehen überwiegend aus einem im höchsten Maße durch heimische Einflüsse bestimmten Prozeß hervor. Nationale Unterschiede nach Wertordnung, Kultur, Wirtschaftsstruktur, Institutionen und Geschichte tragen gemeinsam zum Erfolg bei, so daß die Wettbewerbsfähigkeit einzelner Länder recht ausgeprägte Unterschiede aufweist." (Porter 1990, S. 22). Neue Ansätze einer Außenhandelstheorie Der von Dosi/Pavitt/Soete (1990) im Anschluß an Nelson/Winter (1982) entwickelte innovationstheoretisch fundierte evolutionäre Ansatz, auf den sich das neue OECD-Konzept stützt, sprengt in Methodik, Annahmen und Resultaten den neoklassischen Rahmen, dem auch die neueren Versionen des Faktorproportionentheorems sowie der Ansatz des Technologielückenhandels (Posner, Hufbauer) und der Produktzyklustheorie (Vernon, Hisch) noch verhaftet waren. Ausgangspunkt sind dabei nicht hypothetische Modellannahmen, sondern die aus empirischen Studien abgeleiteten stilisierten Fakten einer zwischen Ländern asymmetrischen Verteilung der Innovationsfahigkeiten, der Arbeitsproduktivitäten und sektoralen Spezifitäten bei Innovationsprozessen mit der Folge von relativ dauerhaften technologischen Lücken, die mit Veränderungen der Weltmarktanteile in fast allen Sektoren verbunden sind (Dosi/Soete 1988, S. 418). Auf dem Hintergrund dieser stilisierten Fakten entwickeln sie dann die Grundzüge eines alternativen Modells der Erklärung für diese strukturellen Asymmetrien: Erstens kann Technologie nicht auf frei verfügbare, leicht transferierbare Informationen oder Sätze von blue prints reduziert werden, sondern sie beruht zum großen Teil auf schwer transferierbarem, akkumuliertem technischem Wissen, das lokalspezifisch ist und daher auch zu kumulativen länderspezifischen Mustern technologischen Wandels führt. Zweitens ist der technologische Wandel mit evolutionären Prozessen der Innovation und Diffusion von besseren Techniken und Produkten verbunden, 24

was zur kontinuierlichen Existenz von technologischen Lücken zwischen Firmen und Ländern führt (Dosi et al. 1990, S. 266). Drittens hängt der Grad der Innovationsfähigkeit für jedes Land in jeder Technologie vom interaktiven Zusammenspiel von wissenschaftsbezogenen Potentialen, länder- und technologiespezifischen Institutionen und der Natur und Intensität ökonomischer Anreize ab. Viertens sind Kapitalakkumulation und technologische Akkumulation so eng miteinander verbunden, daß irreversible Verbesserungen der Inputeffizienz durch Lern- und Suchprozesse entstehen können. Aus diesen Annahmen folgt dann, daß nicht primär die Faktorausstattung, sondern vor allem länderspezifische Bedingungen der technologischen Lernprozesse die Handelsunterschiede erklären. Das impliziert die Existenz von technologischen Unterschieden zwischen Ländern, die eher absoluten Vorteilen entsprechen. Intrasektorale Unterschiede zwischen Ländern führen dabei zu "struktureller" oder "absoluter" Wettbewerbsfähigkeit, auf deren Grundlage jedes Land dann seine komparativen Vorteile in den Sektoren findet, in denen die technologische Lücke proportional geringer oder der Vorsprung größer ist (Dosi et al. 1990, S. 115). Insgesamt intendiert der evolutionäre Ansatz, wie er hier nur grob angedeutet ist, eine Erklärung der strukturellen makroökonomischen Unterschiede zwischen den Ländern, indem er eine Verbindung herstellt zwischen der Makro-Ebene sowie der Dynamik technischen Fortschritts auf der MikroEbene des einzelnen Unternehmens und der externe Effekte schaffenden eigenständigen Rolle des Institutionensystems auf der Meso-Ebene. Die neue evolutionäre Sicht technologischen Wandels als Grundlage nationaler Innovationssysteme und struktureller Wettbewerbsfähigkeit Mit der seit Anfang der siebziger Jahre einsetzenden Erosion der standardisierten Massenproduktion geriet auch die lineare Interpretation technologischen Wandels im Sinne des research-to-marketing-Mode\\s, welche Innovation lapidar als "first application of science and technology in a new way with commercial success" (OECD 1971, S. 11) definierte, in eine Paradigmakrise. Im Vergleich zu den japanischen Methoden der flexiblen Massenproduktion erwies sich die rigide und wenig interaktive tayloristische Organisation von Forschung und Entwicklung zunehmend als Hemmnis für Innovation (Best 1990). Die gleichzeitig forcierte Durchsetzung der neuen Informationstechnologien führte aber außerhalb von Japan nicht zu den erwarteten schnellen Produktivitätszuwächsen (Freeman 1991). Dies wurde in der Innovationsforschung seit Ende der siebziger Jahre mit den fehlenden komplementären organisatorisch-institutionellen und sozialen Innovationen und den auf diesen basierenden kumulati25

ven Lernprozessen in Verbindung gebracht (vgl. Freeman u.a. 1982; Pawitt 1984). Erst auf diesem Hintergrund entstand ein neues evolutionäres Erklärungsmodell technologischen Wandels, das den interaktiven Charakter von Innovationen, die kumulativen Merkmale von Technologieentwicklung und anwendungsbedingte Produktivitätszuwächse in den Mittelpunkt stellte (vgl. Nelson/Winter 1992; Dosi 1982; Rosenberg 1982). Aus dieser Sicht erscheint technologischer Wandel als ein endogener multidimensionaler Interaktionsprozeß mit kumulativen Wirkungen, der durch komplexe Rückkoppelungen zwischen seinen verschiedenen Phasen sowie zu organisatorischen Strukturen, institutionellem Umfeld und unter Unsicherheit handelnden Akteuren gekennzeichnet ist. Daraus folgt die weitgehende Aufhebung der eindeutigen Unterscheidung zwischen Entdeckung, Invention, Innovation und Diffusion (vgl. OECD 1992, S. 24; Lundvall 1988, S. 350). Begründet wird dies damit, daß die meisten Innovationen drastische Veränderungen durch verschiedenartigste Lernprozesse durchlaufen, deren Produktivitätseffekte größer sein können als die der ursprünglichen Invention. Dies impliziert increasing returns to adoption, das heißt Technologien werden nicht gewählt, weil sie effizient sind, sondern die aufgrund ökonomischer, institutioneller und sozialer Faktoren gewählten Technologien entfalten erst im Zuge ihrer Anwendung und Diffusion ihre spezifische Produktivität und Effizienz (vgl. OECD 1992, S. 40; Arthur 1988; Dosi 1988). Diffusionsprozesse können daher mit hohen inkrementellen Innovationen verbunden sein, die auch organisatorische Innovationen, auf Erfahrung beruhende Lernprozesse und einen hohen Stand der Wissensakkumulation umfassen und sich daher auch nicht mehr grundsätzlich von erstmaligen Innovationen unterscheiden (Freeman 1991).

Der interaktive Charakter von Innovationen Innovationen im engeren Sinne einer erstmaligen Einführung von neuen Produkten und Produktionsverfahren sind durch interaktive rückgekoppelte Prozesse gekennzeichnet, in denen industrielles Design, Feedbacks zwischen den markt- und technologiebezogenen Phasen sowie Interaktionen zum wissenschaftlichen und technologischen System eine zentrale Rolle spielen (vgl. OECD 1992, S. 26). Dieser interaktive nichtlineare Charakter von Innovationen erfordert Organisationsstrukturen, die dynamische Interaktionen innerhalb und zwischen Unternehmen ermöglichen und fördern. Innerhalb der Großunternehmen wird die rigide tayloristische Arbeitsteilung durch eine Dynamisierung der linkages zwischen formalisierter Forschung und Entwicklung, Produktion, Zulieferung und Vermarktung bei zunehmender Bedeutung der von Arbeitern, Zulieferern und Konsumenten eingebrachten Kenntnisse und 26

Ansprüche ersetzt. Komplementär dazu kommt Kooperationsbeziehungen zwischen Unternehmen und Forschungsinstitutionen innerhalb von technologischen Netzwerken mit hohen Synergieeffekten und Fusionen von Technologien eine zentrale Bedeutung zu (vgl. Imai/Baba 1991). Der zunehmend komplexe, kostenintensive und unsichere Charakter von Innovationen führt zur Konzentration der industriellen Forschungs- und Entwicklungsausgaben in Großunternehmen, während die öffentliche Grundlagenforschung trotz ihres komplementären Charakters an Gewicht verloren hat. Dadurch steigt auch der Grad der nationalen und globalen industriellen Konzentration sowie die Bedeutung der von Großunternehmen kontrollierten interfirm networks und technologischen Allianzen. Für kleine und mittlere Unternehmen erfolgt der Technologiezugang über Subkontrakte mit den Großunternehmen oder mit Hilfe von contract research organisations (CRO). Dies setzt aber stabile, langfristige Kooperationsbeziehungen voraus. Kumulative Merkmale von Technologie und die zentrale Rolle von informellen Lernprozessen Die volle Bedeutung des interaktiven Charakters von Innovationen wird erst deutlich, wenn die kumulativen Merkmale der verschiedenen Lernprozesse bei der Anwendung neuer Technologien berücksichtigt werden (vgl. OECD 1992, S. 38ff.). Denn Interaktionen beruhen neben marktvermittelten vor allem auf nichtmarktmäßig organisierten Austauschprozessen von Informationen, Kenntnissen und Fertigkeiten, die durch formalisierte und informelle Lernprozesse innerhalb und zwischen Firmen und Institutionen durch die lokale Akkumulation von Wissen entstehen. Grundlegende Bedeutung wird dabei der Unterscheidung zwischen allgemein zugänglichen formalisierbaren Informationen und nur schwer kodifizierbaren firmen- und technologiespezifischen Kenntnissen (tacit knowledge) beigemessen (OECD 1992, S. 69). Letztere entstehen durch informelle Lernprozesse in Produktion, Vermarktung und zwischenbetrieblicher Interaktion als empirische Erfahrung, die von den beteiligten Personen nur schwer auf eindeutige Weise definierbar, kodifizierbar und damit transferierbar ist (vgl. OECD 1992, S. 69; Dosi 1988, S. 1126). Learning-bydoing, learning-by-using, learning-by-interacting und learning-by-learning sind die Wege, auf denen dieses firmenspezische Wissen entsteht und angeeignet wird. Es wird deutlich, daß der subjektive Faktor sowie das spezifische sozialkulturelle Umfeld bei dieser Art von Wissensproduktion und -kumulation eine entscheidende Rolle spielt. Während sich in der traditionellen Sicht die Resultate von Innovationen und produktionsbezogenen Lernprozessen auf eindeutige Weise durch formalisierte blueprints abbilden und ohne großen Aufwand transferieren lassen und 27

dadurch zu gleichen Produktivitäten führen, bedingt die zentrale Bedeutung nichtkodifizierbarer Kenntnisse und Fertigkeiten in der neuen Sicht genau das Gegenteil: hohe nationale und internationale Produktivitätsdifferenzen bei ähnlichen Technologien aufgrund unterschiedlicher kumulativer Effekte und wissensintensiver schwerer Kopier- und Transferierbarkeit (Dosi et al. 1990; Nelson 1987). Ihr auf der Basis erfolgreicher Erfahrungen in der Vergangenheit herausgebildetes Wissen setzen die Unternehmen bevorzugt in den Bereichen ein, in denen sie auch künftig Erfolge erwarten können; das heißt, sie konzentrieren sich eher auf Bereiche in der "Nähe" ihrer existierenden technologischen Basis. Der Innovations- und Diffusionsprozeß erhält dadurch eine hochgradig selektive, lokal geprägte und kumulative Gestalt. Dies wird mit dem Begriff der "technologischen Korridore" (technological trajectories) umschrieben (Dosi 1988), die auf der Grundlage technologischer Paradigmen einen Korridor für selektive Suchprozesse vorgeben, der wiederum durch die firmenspezifische Geschichte der technologischen Akkumulation weiter eingeengt wird. Der technologische Wandel erhält dadurch einerseits trotz aller Unsicherheiten und Zufälle eine relativ geordnete Bahn, ist aber andererseits auch mit hohen Produktivitätsunterschieden zwischen Unternehmen sowie zwischen Regionen und Ländern verbunden. Diese bilden die Grundlage für sich selbst verstärkende Prozesse mit virtuous circles steigender Produktivitätszuwächse, aber auch vicious circles mit sich verfestigenden Effizienzrückständen. Kumulative Effekte innerhalb von technologischen Korridoren haben aber auch ihre technischen und ökonomischen Grenzen, wenn weitere Effizienzsteigerungen nur noch mit einem überproportional wachsenden Aufwand erreicht werden können. Derartige Sackgassen werden dann phasenweise durch radikale Innovationen bzw. diskontinuierliche Veränderungen der technologischen Paradigmen überwunden, die einen neuen Horizont technologischer Möglichkeiten eröffnen (vgl. Perez/Freeman 1988; Dosi 1988). Gerade die im alten technologischen Paradigma besonders erfolgreichen Firmen, Sektoren und Länder können in eine solche Sackgasse geraten, wenn wichtige Teile ihrer spezifischen Wissensbasis, institutionellen Arrangements und Organisationsstrukturen der Durchsetzung eines neuen Paradigmas im Wege stehen (OECD 1992, S. 38ff.). Daraus ergibt sich im Prinzip die Möglichkeit für neue Unternehmen, Regionen und Länder, diese windows of opportunity durch ein schnelles leapfrogging zu nutzen und damit alte Wettbewerbsnachteile zu überwinden (vgl. Perez/Soete 1988). Die realen Möglichkeiten zu solchen Sprüngen sind aber nach der OECD weitaus begrenzter, als dies viele Neoschumpeterianer annahmen. Denn die Akkumulation der für die effiziente Nutzung neuer Technologien notwendigen technischen und organisatorischen Lernfähigkeiten und Wissensbestände braucht Zeit und setzt eine kritische Mindestgröße an bereits vorhandenem 28

Wissen, die leichte Zugänglichkeit neuen Wissens durch hohe spill-overs, eine hohe Absorptionsfähigkeit der Unternehmen und ein entwickeltes institutionelles Umfeld voraus (vgl. OECD 1992, S. 38). Firmen, Länder und Regionen, die über hohe technologische Wissensbestände und lernfähige Institutionen verfügen, können auch in Phasen radikalen technologischen Wandels und trotz der Entwertung vieler Wissensbestände und Fertigkeiten aufs neue kumulative Wettbewerbs vorteile sichern, wenn sie durch flexible Firmenstrategien und staatliche Förderungspolitiken beschleunigte Restrukturierungsprozesse einleiten (vgl. OECD 1992, S. 39). Für die Entwicklungs- und Schwellenländer bedeutet dies jedoch - von wenigen Ausnahmen abgesehen - eine erhebliche Benachteiligung bei dem Versuch, selektive internationale Wettbewerbsvorteile zu schaffen und auszubauen. Diffusion von Technologien Aus dem interaktiven Charakter von Innovation und den kumulativen Merkmalen von technologischer Entwicklung folgt, daß die Diffusion von Technologie als Anwendung einer Innovation durch andere Nutzer sich nicht, wie in der traditionellen Sicht, auf die Einfuhrung neuer Anlagen und Maschinen reduzieren läßt. Erfolgreiche Diffusionsprozesse erfordern vielmehr eine Vielzahl von Adaptationsprozessen (Reorganisation der Arbeitsprozesse, der Managementpraktiken und Marketingprozesse etc.), die die Fähigkeit zu organisatorischen und sozialen Innovationen und damit einem bedeutenden Stand an akkumuliertem technischem, organisatorischem und sozialem Wissen sowie Lernfähigkeiten, die den Zugang zu nicht kodifizierten Kenntnissen ermöglichen, voraussetzt. Die Investitionen in diese ungegenständlichen intangibles übersteigen zumindest in den Industrieländern, und dort vor allem in den HighTech-Bereichen, bereits bei weitem die Investitionen in physische Kapitalgüter (vgl. OECD 1992, S. 113ff.). Dieser als ungegenständliche (disembodied) Technologiediffusion bezeichnete Prozeß, der mit der Verbreitung der neuen Produktionstechnologien deutlich in den Vordergrund gerückt ist, wird durch den halböffentlichen Charakter von Teilen des formalisierbaren technologischen Wissens und der Absorptionsfähigkeit der Unternehmen bestimmt. Der halböffentliche Charakter von formellem technologischem Wissen ergibt sich dabei aus hohen Forschungs- und Wisseris-spillovers, das heißt aus der nur begrenzten privaten Aneigenbarkeit der Resultate von Innovationen durch deren ursprüngliche Anwender und daher deren schnelle unentgeltliche Verbreitung. Dies geschieht entweder durch verschiedene Formen informeller Informationsbeschaffung (Kontakte zwischen Forschern, Imitation etc.) oder aber zunehmend durch die Bildung von formellen und informellen technologischen Netzwerken. Innovationen 29

erhalten dadurch einen quasikollektiven Charakter, da durch Prozesse des learning-by-interacting oder andere Austauschprozesse auf reziproker Basis die Wissensproduktion eines Unternehmens von der seiner Rivalen oder von einem gemeinsamen Wissens-Pool abhängt. Obwohl die begrenzte private Aneigenbarkeit der Ergebnisse von Forschung und Entwicklung einerseits den Anreiz für kostspielige Innovationsinvestitionen behindert, sind diese andererseits eine grundlegende Bedingung für die rasche Diffusion technischen Wissens innerhalb nationaler Innovationssysteme. Die Effizienz ihrer Anwendung hängt allerdings von der Absorptionsfähigkeit der Unternehmen ab. Im Gegensatz zur traditionellen Sichtweise erfordert dies hohe Investitionen in die eigene Forschungs- und Entwicklungskapazität und Innovationsfähigkeit, um zwischen Technologien wählen und um das für effiziente Nutzung nötige kodifizierte und unkodifizierte Wissen anwenden zu können. Die Anforderungen an eine eigenständige Wissensbasis wachsen dabei mit dem kumulativen Charakter der neuen Technologien, dem Umfang an unkodifiziertem technologie- und firmenspezifischem Wissen und der Schnelligkeit des technologischen Wandels. Erfolgreiche Diffusion setzt jedenfalls eine ausbalancierte staatliche Förderpolitik voraus, um durch hohe spillovers den gesellschaftlichen Ertrag zu maximieren, die Absorptionsfähigkeit der Unternehmen zu stärken und die Komplementarität der Industriestruktur zu fördern. Diese eher auf die MikroEbene abzielenden selektiven Förderungspolitiken bedürfen aber eines stabilen makroökonomischen Umfelds und vernetzter institutioneller Rahmenbedingungen, um Schnelligkeit und Effizienz des technologischen Wandels zu stimulieren. Technologische Netzwerke, Cluster und nationale Innovationssysteme Nach der OECD erfordern Diffusionsprozesse in einer Phase radikalen technologischen Wandels, hoher Wechselbeziehungen zwischen technologischen Systemen, gestiegener Wissensanforderungen und der Notwendigkeit des schnellen Zugangs zu nichtkodifizierten Kenntnissen neue institutionelle Strukturen. Spontane Wissens-spillovers und externe Effekte werden daher zunehmend durch verschiedene Formen der flexiblen Kooperation zwischen Unternehmen und Forschungseinrichtungen zu technologischen Netzwerken weiterentwickelt. Neu ist vor allem die zunehmende Formalisierung der Interaktionen durch verschiedenste Formen von technologiebezogenen interfirm agreements, durch die ansonsten rivalisierende Unternehmen in speziellen Bereichen der Forschung und Entwicklung zusammenarbeiten, um durch ein pooling Skalenerträge bei gemeinsamer Forschungs- und Entwicklungsarbeit

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zu erreichen, Risiken von Fehlentwicklungen zu vermindern und vor allem den wechselseitigen Zugang zu firmenspezifischem Wissen zu ermöglichen. Diese qualitativen Austauschbeziehungen beschränken sich aber nicht auf Firmen der gleichen Branche, sondern umfassen auch die Interaktionen mit Zulieferern und Abnehmern. Technologische Netzwerke fiihren daher auch zur Intensivierung der durch marktvermittelte Input-Output-Beziehungen bereits konstituierten intersektoralen Verflechtungen in Clustern. Technologische Netzwerke sind durch eine flexible institutionelle Struktur gekennzeichnet, die sie gegenüber Märkten und Hierarchien als eigenständige, auf horizontalen reziproken Beziehungen und persönlichen Kontakten basierende Form der Koordination ökonomischen Austausches ausweisen (vgl. OECD 1992, S. 77; Powell 1990). Die ohnehin hohen spontanen VJissens-spillovers werden hier zur Grundlage reziproker Kooperationsbeziehungen. Dies birgt allerdings die Gefahr in sich, daß die beteiligten Unternehmen sich durch den Ausschluß anderer die Resultate ihrer Entwicklungsarbeit als kollektive technologische Renten aneignen. Diese von Autoren wie Porter betonte Gefahr von Wettbewerbsverzerrungen durch Kooperationsbeziehungen zwischen Unternehmen wird allerdings von der OECD im Vergleich zu deren vielfältigen Vorteilen eher als gering eingeschätzt. Dies liegt vor allem an der von der OECD betonten zentralen Bedeutung der durch technologische Netzwerke möglich werdenden nichtmarktvermittelten Austauschprozesse von unkodifiziertem Wissen zwischen Unternehmen und Institutionen innerhalb der Verflechtungsstruktur von Clustern. Diese dynamischen Externalitäten innerhalb von Clustern sind die entscheidende Grundlage für deren Verknüpfung zu kohärenten nationalen Innovationssystemen oder regionalen Innovationsverbünden, die zu kumulativen virtious circles der Wissensakkumulation und technologischen Lernprozessen führen können. Die für nationale Förderpolitiken wichtige genaue Analyse der Linkages solcher Makro-Netzwerke kann sinnvoll nur auf der Meso-Ebene durchgeführt werden, um die spezifische Verflechtungsstruktur einer Vielzahl von technoökonomischen Netzwerken erfassen zu können (vgl. OECD 1992, S. 83). Dabei muß besonders berücksichtigt werden, ob und wieweit diese als Wissenschafts-, Technologie- und Marktpole bereits in globale bzw. grenzüberschreitende Netzwerke einbezogen sind. Die dadurch entstehende Gefahr einer Schwächung der strukturellen Kohäsion nationaler Innovationssysteme muß durch eine selektive staatliche Förderung vor allem regionaler technologischer Entwicklungspole entgegengesteuert werden (vgl. OECD 1992, S. 84, 232, 253).

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Neue Organisationsformen als Voraussetzung für technologischen Wandel Die Entwicklung technologischer Netzwerke und ihre Verbindung zu nationalen Innovationssystemen ist mit einer tiefgreifenden Veränderungen der Organisationsformen von Groß- und Kleinunternehmen sowie ihrer spezifischen Verflechtungsstruktur verbunden. Als Modell fungiert hier das japanische Erfolgsbeispiel einer flexiblen Massenproduktion mit verschiedenen Formen von intra- und inter-corporate networks. Das heißt innerhalb eines corporate networks werden mehr marktähnliche Beziehungen zwischen relativ selbständigen Unternehmenseinheiten etabliert, während zu den selbständigen Zulieferern, Abnehmern und Forschungspolen außerhalb der corporate networks sich zunehmend langfristig orientierte kooperative Beziehungen herausbilden. Dadurch wird die für systemische Technologien unzureichende allokative Effizienz sowohl des nur auf Preissignale reagierenden Marktmechanismus, als auch der rigiden hierarchischen Kontrollstrukturen innerhalb der Unternehmen überwunden; die vorher klaren Grenzen zwischen innen und außen sowie zwischen marktmäßigen und institutionellen Koordinationsformen verschwimmen. In ihrer Darstellung des Übergangs von fordistisch-tayloristischen zu toyotistischen Organisationsformen unterschiedet die OECD zwei Wege zur neuen Netzwerkform: Der erste Weg ist der einer Reorganisation der multinationalen Konzerne (MNK) in globale intra-corporate Netzwerke. Er führt über die Verbindung einer größeren Zentralisierung von Schlüsselentscheidungen mit einer weitgehenden Dezentralisierung der Produktion, der Zuliefererbeziehungen und des Absatzes zu flexiblen Formen der Massenproduktion. Die international und zunehmend global agierenden Großunternehmen können dabei ihre spezifischen Größenvorteile mit all jenen Wettbewerbsvorteilen wie variety,flexibility und scope, die von den Theoretikern der flexiblen Spezialisierung wie Piore und Säbel nur kleinen Firmen zugeschrieben werden, zu einem überlegenen neuen Produktivitäts- und Effizienzniveau kombinieren. Für kleine und mittelgroße Unternehmen verbleibt in dieser Sichtweise außer Marktnischen nur noch ihre Integration in die sub-contracting networks der globalen MNKs mit ihren stabilen innovationsfördernden Kooperationsbeziehungen. An diesem Übergewicht der Großunternehmen ändert sich im Prinzip auch nichts durch den zweiten Weg des Aufbaus von genuine networks durch international expandierende mittelgroße Unternehmen - wie zum Beispiel in Norditalien. In diesem Fall schaffen es einheimische core firms in Low-Tech-Industrien durch die Anwendung der Informationstechnologien und schnelle Reaktionen auf sich verändernde modeabhängige Nachfragebedingungen, eine Vielzahl von kleinen Firmen in stabile reziproke Kooperationsbeziehungen zu integrieren, die darüber internationale Wettbewerbsfähigkeit erreichen können 32

(vgl. OECD 1992, S. 104; vgl. dazu unter anderem auch Becattini 1990, Brusco 1990 sowie Schmitz 1992). Der gegenüber diesem sogenannten Benetton-Modell entwicklungspolitisch interessantere und im Mittelpunkt der Arbeiten über industriell districts stehende Fall der Koordination von Kooperationsbeziehungen ohne eine dominierende Firma durch lokale Institutionen wird von der OECD dagegen nur beiläufig erwähnt. Strukturelle Wettbewerbsfähigkeit Mit dem zunehmend systemischen Charakter von Innovationen, den kumulativevolutionären Merkmalen von Technologieentwicklung, der Durchsetzung der Netzwerkform von Unternehmen und der zentralen Bedeutung nationaler Innovationssysteme haben sich auch die Merkmale und Formen nationaler und internationaler Wettbewerbsfähigkeit grundlegend geändert. Neben den nach wie vor relevanten Faktoren stabiler makroökonomischer Rahmenbedingungen sowie den veränderten techno-ökonomischen Konkurrenzparametern auf mikroökonomischer Ebene wird vor allem der zunehmend "strukturelle" makroinstitutionelle und regionale Charakter von systemischer Wettbewerbsfähigkeit betont. Auf der mikroökonomischen Ebene hat sich die Wettbewerbsfähigkeit der Firmen durch den beschleunigten technologischen Wandel und das sich verschiebende technoökonomische Produktionsparadigma entscheidend verändert. In den meisten Sektoren und Branchen läßt sich die mikroökonomische Wettbewerbsfähigkeit nicht mehr primär durch die traditionellen Parameter Preise und Inputkosten, vor allem Lohnkosten, erklären. Entscheidend sind eher nichtpreisliche Faktoren, die zu Unterschieden in der Produktivität von Arbeit und Kapital und der Qualität der Produkte führen. Mikroökonomische Faktoren von Wettbewerbsfähigkeit sind vor allem eine hohe Produktqualität, eine überlegene Prozeßtechnologie und Produktionsorganisation, Liefergeschwindigkeit und Anpassungsfähigkeit an Nachfrageschwankungen bzw. neue Konsumbedingungen sowie ein überlegenes Vermarktungssystem. Dem makroökonomischen Kontext im traditionellen Sinne kommt jenseits der allgemeinen Notwendigkeit stabiler Rahmenbedingungen für die Erklärung der Dynamik internationaler Wettbewerbsfähigkeit nur noch eine begrenzte Rolle zu. Die abnehmende Bedeutung von Lohnstückkosten, Wechselkursen und sonstigen komparativen Vorteilen im traditionellen Sinne impliziert dagegen die Bindung steigender Wettbewerbsfähigkeit an nationale Einkommenszuwächse (vgl. OECD 1992, S. 240f.). Das Konzept der "strukturellen" oder "systemischen Wettbewerbsfähigkeit" stellt daher den Versuch dar, die Rolle technologischer, organisatorischer und institutioneller Faktoren für eine anhaltende, mit Einkommenszuwächsen verbundene internationale Wett33

bewerbsfähigkeit herauszuarbeiten. Im Prozeß der Schaffung und Aufrechterhaltung von Wettbewerbsvorteilen kommt den Unternehmen und ihren Managementpraktiken zwar die zentrale Bedeutung zu; deren Erfolg beruht aber zum großen Teil auf ihrer Zugehörigkeit zu nationalen Innovationssystemen; das heißt, er hängt von der Stärke und Effizienz der produktiven Struktur eines Landes ab, welche durch institutionelle Entwicklungen günstige Bedingungen für Innovationen und technologische Diffusionsprozesse schafft. Besondere Bedeutung kommen dabei der Qualität der intra- und inter-corporate Netzwerke im beschriebenen Sinne zu, dem Niveau der materiellen und immateriellen Investitionen sowie der Unterstützung, welche die Unternehmen von öffentlichen Institutionen auf der lokalen, der regionalen und der nationalen Ebene in Bereichen der Infrastrukturentwicklung, Qualifizierung von Arbeitskräften und Forschung und Entwicklung erhalten (vgl. OECD 1992, S. 242). Die OECD bezieht sich dabei explizit auf Porters Ansatz, den Wettbewerbserfolg innovativer Unternehmen trotz zunehmender Globalisierung vor allem mit der zentralen Rolle des nationalen Umfeldes zu erklären. Durch die dynamische Interaktion von spezifischen Produktionsfaktoren, konkurrenzintensiven Unternehmensstrategien, anspruchsvollen Nachfragestrukturen und entwickelten Zulieferbeziehungen in räumlichen Clustern kommt es nach Porter zur Herausbildung jeweils einzigartiger nationaler Wettbewerbsvorteile, die den Erfolg nationaler Unternehmen prägen und nur schwer kopierbar sind. Strukturelle Wettbewerbsfähigkeit, Einkommensentwicklung und sozialer Ausgleich Aus der abnehmenden Bedeutung der Faktorkosten und insbesondere der Lohnstückkosten als Wettbewerbsfaktor schließt die OECD, daß nationale Wettbewerbsfähigkeit an das Einkommensniveau gebunden und steigende Wettbewerbsfähigkeit somit mit Einkommenszuwächsen verbunden ist. Die empirische Begründung hierfür liefert das "Kaldor-Paradox", das in den sechziger Jahren (1961-73) im Gegensatz zu den Annahmen der wirtschaftswissenschaftlichen Orthodoxie in England und den USA eine Senkung der Lohnstückkosten und - über die Wechselkurse vermittelt - der Exportpreise mit einem Verlust an Weltmarktanteilen einherging, während umgekehrt die Bundesrepublik Deutschland und Japan trotz steigender Lohnstückkosten und Exportpreise wachsende Marktanteile erobern konnten. Diese und daran anknüpfende empirische Ergebnisse fließen in die Definition der OECD von nationaler Wettbewerbsfähigkeit ein, wobei sich die OECD der im Report ofthe US Presidential Commission on Industriell Competitiveness (Bd. II, S. 7) entwickelten Definition anschließt: "Die Wettbewerbs34

fähigkeit einer Nation ist der Grad, bis zu dem diese, unter der Bedingung freier und fairer Marktbedingungen, Güter und Dienstleistungen produzieren kann, welche dem Test des Weltmarktes standhalten und gleichzeitig mit der Expansion des realen Einkommens ihrer Bürger verbunden ist. Wettbewerbsfähigkeit ist die Grundlage für den Lebensstandard in einem Land; sie ist damit fundamental für die Expansion des Beschäftigungsniveaus und für die Fähigkeit eines Landes, seine internationalen Verbindlichkeiten zu erfüllen." ( O E C D 1992, S. 242). Zur Messung von Wettbewerbsfähigkeit schlägt die Kommission vier Indikatoren vor: 1. die Arbeitsproduktivität; 2. das Wachstum der Reallöhne; 3. die Profitabilität des eingesetzten Kapitals; 4. die Position im Welthandel. Die O E C D folgert daraus, daß die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes sich gleichzeitig im Einkommenswachstum, im Beschäftigungsniveau (welches mindestens so hoch sein muß wie das der unmittelbaren Konkurrenten) sowie in einer akzeptablen Zahlungsbilanz-Situation reflektieren muß ( O E C D 1992, S. 241). Internationalen Asymmetrien in der Einkommensentwicklung liegen somit ebenso wie den Asymmetrien auf dem Weltmarkt - primär die unterschiedlichen Innovationskapazitäten der Länder zugrunde: " E s ist zum Beispiel offensichtlich, daß die großen internationalen Unterschiede im Pro-Kopf-Einkommen primär aus dem Zusammenwirken unterschiedlicher Grade der Kapitalakkumulation mit der Technologieentwicklung resultieren und nicht so sehr aus Unterschieden in den relativen Preisen . . . " (Dosi/Pawitt/Soete 1990, S. 10). Ebenso sind Unterschiede in den Lohnniveaus vor allem aus der durchschnittlichen technologischen Lücke zwischen den Ländern zu erklären (Dosi/Pawitt/Soete 1990, S. 220). Nach Dosi/Pawitt/Soete (1990) zieht ein Zuwachs an Wettbewerbsfähigkeit, der auf technologischem Fortschritt beruht und mit wachsenden Weltmarktanteilen verbunden ist, auf drei Wegen Einkommenszuwächse nach sich: Erstens führt der gestiegene Weltmarktanteil über Multiplikatoreffekte, die vom Exportsektor ausgehen, zu erhöhtem wirtschaftlichem Wachstum, welches über die Ausweitung der Beschäftigung zu einem Anwachsen der Lohneinkommen führt. Zweitens führt der Zuwachs an Wettbewerbsfähigkeit über seine Wirkung auf den Wechselkurs zu sinkenden Importpreisen und damit zu steigenden Reallöhnen. Drittens binden die institutionellen Mechanismen der industriellen Beziehungen in den meisten OECD-Ländern die Lohnentwicklung an das Produktivitätswachstum (Dosi/Pawitt/Soete 1990, S. 152). Diese von der Angebotsseite (Produktivitätssteigerung) bedingten Faktoren der Einkommensentwicklung greifen dynamisch ineinander mit nachfragebedingten Faktoren und stehen in einem engen Wechselverhältnis mit diesen, 35

insofern als die Struktur des (insbesondere heimischen) Marktes das Muster und das Ausmaß technologischer Akkumulation bestimmen, während letztere im Falle von Produktinnovationen - neue Märkte und damit auch neue Einkommensquellen schafft (Dosi/Pawitt/Soete 1990, S. 165; vgl. dazu auch Porter 1991, S. 109 ff.). Es ist dieses enge Wechselverhältnis der genannten Faktoren, ihre sich gegenseitig verstärkende Wirkung, welche rasanten technologischen Fortschritt mit dynamischen Einkommenszuwächsen verbindet. Globalisierung und Regionalisierung Die von der OECD ausführlich analysierten Globalisierungstendenzen können den strukturellen Charakter nationaler Wettbewerbsfähigkeit weitgehend unterminieren. Der Globalisierungsprozeß und die Intensivierung internationaler Konkurrenz führt dabei zu kumulativen Prozessen in zwei Richtungen: die kumulative Stärkung der von den globalen Konzernen bevorzugten nationalen Standorte und die kumulative Zersetzung der strukturellen Kohäsion der weniger attraktiven nationalen Produktions- und Innovationssysteme mit der Folge von wachsendem ökonomischem und sozialem Dualismus (vgl. Cantwell 1989). Vor diesem Hintergrund verweisen die OECD, wie auch Porter und die industrial-districts-Ansätze auf die Bedeutung von Clustern und regionalen Agglomerationen (sites) bei Schaffung und Ausbau von vicious circles der Interaktion und des Feedback zwischen der Akkumulation physischen Kapitals, der Qualifizierung der Arbeitskräfte, der technologischen Akkumulation und der Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen. Die besondere Bedeutung dieser sites liegt dabei in ihrer nationale Innovationssysteme integrierenden und gegen die Globalisierungstendenzen abschirmenden Wirkung. Die strukturelle Wettbewerbsfähigkeit einer Gesellschaft hängt somit nicht nur von der Zahl solcher sites, sondern vor allem auch von ihrer wechselseitigen Verflechtung ab, die sie nicht zu bloßen Modernisierungsinseln in einem Meer von Stagnation und Regression werden lassen (OECD 1992, S. 253). Angesichts zunehmender Globalisierung sollte die staatliche Politik daher die Linkages zwischen diesen sites in ihrer Entwicklung fördern und so verhindern, daß sie miteinander in einen ruinösen Wettbewerb (um zum Beispiel auswärtige Unternehmen anzulocken) treten. Die Revision der Technologiepolitik sollte daher einhergehen mit einer neuen Regionalpolitik, um so die strukturelle Kohäsion des nationalen Innovations- und Produktionssystems aufrechtzuerhalten. Das erfordert auch eine genauere Analyse des trade-off zwischen der Förderung nationaler Großunternehmen mit globaler Strategie und der Notwendigkeit, strukturelle Kohäsion und nationale Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Die für die strukturellen Anpassungspolitiken der achtziger Jahre zentralen Deregulierungen und 36

Privatisierungen haben dabei zu einseitig wenige Großunternehmen auf Kosten der strukturellen Aspekte nationaler Wettbewerbsfähigkeit unterstützt. Globalisierung, neue Technologien und late-comer. Implikationen für die Entwicklungsländer Der OECD-Bericht konzentriert sich in seiner Darstellung des Zusammenhangs von technologischem Wandel und struktureller Wettbewerbsfähigkeit auf die Industrieländer. Selbst für diese werden die Herausforderungen durch Globalisierung und neue Technologien immer drückender, die Gefahren der Erosion nationaler Innovationssysteme durch globale Netzwerke immer größer und die Notwendigkeit raschen institutionellen und organisatorischen Wandels immer unaufschiebbarer und kostspieliger. Wenn selbst Länder wie die USA, Großbritannien oder Frankreich der Gefahr unterliegen, im beschleunigten Innovationswettbewerb zurückzufallen und trotz Prosperitätsinseln im kumulativen vicious circle zu landen, so muß dies umso mehr für die Entwicklungsländer, selbst die fortgeschritteneren, gelten. Die Perspektiven werden hier von der OECD eher düster gesehen. Zwar hat sich das Leitbild einer an den neuen Technologien orientierten Restrukturierung und aktiven Weltmarktintegration in den fortgeschritteneren Entwicklungsländern weitgehend durchgesetzt. Gleichzeitig ist aber auch das ohnehin große technologische Kompetenzgefälle zu den Industrieländern noch weiter angestiegen. Begründet wird dies mit den im Zuge des beschleunigten technologischen Wandels rasch ansteigenden Anforderungen an technologische Fähigkeiten, Forschungs- und Entwicklungskapazitäten, flexible Organisationsstrukturen und innovationsfördernde Institutionen sowie den ungünstigen Ausgangsbedingungen der meisten Entwicklungsländer. So sind selbst in den ehemals arbeitsintensiven Industrien durch die Einführung der Informationstechnologien die Produktivitätsniveaus und die Mindestanforderungen an formelles und informelles Wissen und lernintensive Qualifikationen drastisch angestiegen. Die Durchsetzung neuer technologischer und organisatorischer Formen der best practice verstärken dabei technologische Lücken und absolute Handelsvorteile und setzten daher auch die fortgeschrittenen Entwicklungsländer einem neuen Niveau der Konkurrenz aus, dem sie nur noch in Nischenbereichen durch niedrige Löhne und billige Rohstoffe ausweichen können. Die Entwicklungsländer geraten daher mit dem weltweiten Übergang zur flexiblen Massenproduktion in die Klemme: Die noch bis in die siebziger Jahre wichtigen lohnkostenbedingten Vorteile verlieren an Gewicht, die Bedeutung der Kundennähe und rascher Marktreaktionen fördert die Produktion im Norden, und industrielle Exportoffensiven stoßen auf einen zunehmenden Protektionismus. Der Aufbau eigenständiger technologischer Fähigkeiten ist daher 37

einerseits noch nie so dringend und überlebenswichtig gewesen wie gegenwärtig. Andererseits haben sich die internen und externen Bedingungen für deren Realisierung verschlechtert: Intern behindern die Finanz- und Interventionskrise des Staates sowie die Schwäche der materiellen Infrastruktur, des formellen Bildungssystems und der spezialisierten Berufsausbildung ein rasches Aufholen. Als Folge der Verschuldungskrise ist extern der Zugang zu den internationalen Kreditmärkten versperrt und der Technologietransfer via Direktinvestitionen und Lizenzen drastisch gesunken. Die Ausnahmefälle der ostasiatischen Schwellenländer bestätigen indirekt diese pessimistische Sicht, da deren heutige Erfolge auf dem bereits vor Jahrzehnten eingeleiteten Aufbau umfassender Bildungssysteme, technologischer Infrastrukturen, effizienter staatlicher Bürokratien und weniger nationaler Großunternehmen zurückführbar ist. Die O E C D widerspricht mit ihrer düsteren Diagnose den Anfang der achtziger Jahre bei Neoschumpeterianern verbreiteten Hoffnung, daß gerade die Rückständigkeit in den fordistischen Massenproduktionsindustrien - bei angemessener staatlicher Förderung - günstigere Bedingungen für ein sprunghaftes Aufholen in die neuen Produktionsformen bieten könnte. Ebenso obsolet erscheint die im Rahmen der Produktzyklustheorie erwartete massive Verlagerung standardisierter Produktionsverfahren in Billiglohnländer. Die mit der Durchsetzung der Informationstechnologien verbundene Verkürzung und Dynamisierung des Produktzyklus, die enorm gestiegenen technologischen Mindestanforderungen und der neue Protektionismus haben diesen optimistischen Prognosen die Grundlage entzogen. Trotzdem empfiehlt die OECD die möglichst schnelle Einfuhrung neuer Produktionstechnologien, moderner Organisationsformen (wozu das Aufbrechen starrer Hierarchien gehört) und neuer Vermarktungskonzepte, um der drohenden Marginalisierung durch den neu strukturierten Weltmarktzusammenhang wenigsten in Nischenbereichen zu entgehen. Zu den Empfehlungen der O E C D gehört weiterhin das Plädoyer für eine aktive Rolle des Staates bei der Diffusion und Anpassung der Informationstechnologien, insbesondere durch die Einrichtung von Ausbildungsstätten und Institutionen für angewandte Forschung sowie durch den Ausbau der Infrastruktur und die Unterstützung beim Aufbau kommunikativer Netzwerke. Selektive staatliche Fördermaßnahmen zur Unterstützung von Clusterbildungen sollten jedoch nur gegen performance-Garantien der Unternehmen gegeben werden. Ähnlich wie die O E C D weist auch Porter auf die wichtige Rolle des Staates beim Aufbau von nationalen Wettbewerbsvorteilen insbesondere in Entwicklungsländerökonomien hin. Während in den OECD-Arbeiten im wesentlichen theoretische Anstrengungen unternommen werden, um die neuen Determinanten internationaler Wettbewerbsfähigkeit herauszuarbeiten, stehen in den industrial-district-SXaA\tn

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eher konkrete Fallbeispiele dynamischer Entwicklungsregionen im Vordergrund. 3. Die industrial districts - eine Alternative? In der Industrieökonomie haben in den achtziger Jahren Arbeiten zum Erfolg von industrial districts an Bedeutung gewonnen. Vor allem Wachstums- und Exporterfolge von Klein- und Mittelindustrieunternehmen (KMI) in einigen Regionen Norditaliens {The Third /fafy/Drittes Italien), aber auch Dänemarks oder Baden-Württembergs weckten das Interesse an dynamischen industriellen Ballungsräumen und den Entwicklungschancen von KMI. Insbesondere Piore und Säbel haben in ihrer Studie The Second Industrial Divide (1984) diesem Phänomen große Beachtung geschenkt und damit eine breite Diskussion ausgelöst. Die Internationale Arbeits-Organisation ILO (Nadvi 1992, Pyke et al. 1990, Pyke/ Sengenberger 1992) sowie neuerdings auch die Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung UNCTAD (Asheim 1992, v. Dijk 1992) haben eine Reihe von Studien herausgegeben, die mit dem industrial distriet-Knsaiz arbeiten. Als wesentliche Elemente, die dynamische industrial districts ausmachen, tauchen bei den meisten Autoren die folgenden auf: die regionale/lokale Dimension industrieller Entwicklung; die Dominanz von KMI in den districts-, das komplexe Verhältnis von Wettbewerb und Kooperation; der Netzwerkcharakter (oder auch Cluster-Character) zwischen Unternehmen und Institutionen 0collective efficiency) in den Ballungsräumen; die sich daraus ergebende steigende Bedeutung von Agglomerationsvorteilen; die Bedeutung nichtökonomischer, soziokultureller Faktoren für den wirtschaftlichen Erfolg sowie die wesentliche Rolle von local governments. Der Erfolg der districts wird insbesondere auf die spezifischen Charakteristika der Neuen Technologien und neuer Organisationsformen industrieller Produktion zurückgeführt, die flexible Spezialisierung und flexible Interaktionsformen zwischen Unternehmen begünstigten. Dennoch kann sich nicht jede geographisch konzentrierte Ansammlung von KMI durch geschickte regionale Wirtschaftspolitik von heute auf morgen in dynamische industrial districts verwandeln. Wesentliche Grundvoraussetzungen dafür sind: unternehmerische Initiative, (soziale, organisatorische) Flexibilität und Kreativität der wesentlichen Akteure, Innovationsfähigkeit der Unternehmen, sozialer Konsens und ein pool gut ausgebildeter Arbeitskräfte (Pyke et al. 1990, S. 5f.). In Abgrenzung von den OECD-Arbeiten heben die Protagonisten der industrial districts erstens die besonderen Erfolgschancen von KMI, zweitens soziokulturelle Faktoren als wesentliche Wettbewerbsdeterminanten und drit39

tens die wichtige Bedeutung des Staates fiir den Aufbau von dauerhaften Wettbewerbsvorteilen stark hervor, wobei insbesondere die staatlichen Steuerungspotentiale auf der Ebene der local governments in den Mittelpunkt rücken. Diese Sichtweise macht den Ansatz für die Entwicklungsländerforschung interessant: auch die Entwicklungsökonomie betont, stärker als die traditionelle Volkswirtschaftslehre, die Bedeutung von soziokulturellen Bedingungen für Prozesse aufholender Entwicklung; die Wirtschaftsstruktur vieler Entwicklungsländer ist durch die Dominanz von im internationalen Vergleich kleinen Unternehmen gekennzeichnet; in der Diskussion über die Rolle des Staates im Entwicklungsprozeß spielt die Forderung nach Dezentralisierung von Entscheidungsstrukturen mit dem doppelten Ziel, die Demokratisierung zu stärken und den überforderten Zentralstaat zu entlasten, eine wichtige Rolle. Klein- und Mittelindustrie-Cluster als Entwicklungsmotoren? Daß dem Kapitalismus eine inhärente Tendenz zur Zentralisierung innewohne, Großunternehmen die effizienteste Organisationsform der Industrieproduktion seien und kleine Unternehmen langfristig keine Überlebenschancen haben würden, darin waren sich Marx und Lenin ebenso einig wie Chandler (1977), Galbraith (1967), Schumpeter (1934) und die OECD heute. Mit der Krise der fordistischen Massenproduktion und der Durchsetzung neuer Informations- und Fertigungstechnologien im Verlauf der siebziger und achtziger Jahre, auf die die zentralistisch und starr organisierten Großunternehmen nur schwerfällig reagierten, geriet dieses eherne Gesetz der Industrieökonomie ins Wanken. Gerade KMI, die in der "Dritten Technologischen Revolution" auf "flexible Spezialisierung" setzten, erwiesen sich anpassungsfähig gegenüber einer zunehmend turbulenteren ökonomischen Umwelt. KMI in industrial districts sind durch folgende Organisationsmuster charakterisiert, die es erlauben, einen trade off zwischen economies of scope und scale zu erzeugen: Die Unternehmen spezialisieren sich auf einen Arbeitsablauf innerhalb der Wertschöpfungskette; der Einsatz computergesteuerter Anlagen erlaubt rasche Produktwechsel und flexible Reaktionen auf Nachfrageveränderungen; die räumliche Nähe ermöglicht einen engen Verbund zwischen den Unternehmen eines Clusters: gemeinsame Kommerzialisierungskanäle werden aufgebaut, Produktpaletten aufeinander abgestimmt, um im Verbund Skaleneffekte zu realisieren, und c/urfer-spezifische Umfeldbedingungen optimiert (Ausbildungseinrichtungen, Informationssysteme, usw.). Innerhalb der KMI-Cluster werden die economies of scope und scale noch verstärkt durch economies of agglomeration. Dies besagt im Kern, daß Unternehmen, die in einem gut entwickelten Standort, mit entsprechender Infra-

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struktur, einem guten Arbeitskräftepotential, leistungsfähigen Zulieferern und einem guten Informationsangebot produzieren, also extemal economies fruchtbar machen können, niedrigere Produktionskosten haben werden, als die gleichen Unternehmen außerhalb der industrial sites. Grabher (1988) leitet aus der wachsenden Bedeutung dieser "raumstrukturellen Faktoren" für die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen die Dynamik in den regional industrial districts ab. Dabei werden Funktionen, die in Großunternehmen intern erfüllt werden (zum Beispiel Wartung des Maschinenparks, Fortbildung der Beschäftigten, Kommerzialisierung und Marketing), in einem industrial district durch eine leistungsfähige extra-firm infrastructure (Best 1990, S. 17) substituiert. Die industrial-district-TheoKÜker arbeiten ähnlich wie die OECD-Autoren überzeugend heraus, daß Netzwerke sowohl zwischenbetrieblichen Beziehungen überlegen sind, die primär über den Preis koordiniert werden, als auch hierarchischen Entscheidungsstrukturen in traditionellen Großunternehmen. Netzwerke heben sich einerseits durch ihre Stabilität und Kontinuität von primär preisdeterminierten Beziehungen zwischen Unternehmen ab. Andererseits unterscheiden sie sich von hierarchischen Formen der Koordination im Großunternehmen durch ein höheres Maß an Flexibilität (Grabher 1988). Es ist dieses Faktorenbündel, daß die Betriebsgrößenvorteile von Großunternehmen zumindest relativiert und die Wettbewerbsbedingungen von KMIClusters verbessert. Ein nicht unerheblicher Teil der industrial-district-Theoretiker neigt jedoch dazu, auf der Grundlage der empirisch nachweisbaren Erfolge von KMI in unterschiedlichen Regionen und den skizzierten theoretischen Überlegungen das Ende von Großunternehmen überhaupt einzuläuten (zum Beispiel Piore/Sabel) und/oder die districts als islands of unity and solidarity zu verklären, wie Hillebrand (1991) und Schmitz (1991) zurecht kritisieren. Auch Poon (1990) warnt vor zu großem Optimismus hinsichtlich der Entwicklungsperspektiven von KMI, insbesondere was die Entwicklungsländer anbetrifft und verweist darauf, daß es falsch ist, small size mit Flexibilitität quasi gleichzusetzen. Storper und Scott (1989) verweisen mit guten Argumenten darauf, daß die wesentlichen Argumente für die Effizienz von industrial districts für KMI und Großunternehmen gleichermaßen gelten, wenn sich die Großunternehmen intern dezentralisieren, ihre Fertigungstiefe senken (Stichwort: flexible Automatisierung) und ihre Formen zwischenbetrieblicher Arbeitsteilung optimieren. Capecchi (1991) geht noch weiter, wenn er (zurecht) die noch immer relevanten Kostenvorteile von Großunternehmen (zum Beispiel Kapitaldecke für immer aufwendigere F&E-Anstrengungen, internationale Präsenz) betont und feststellt, daß daher längst nicht entschieden sei, ob und in welchen Wirtschaftssektoren künftig KMI-Cluster, restrukturierte Großunternehmen oder diverse Verbundmuster, in denen Groß-, Mittel- und Kleinunternehmen zusammenwirken, dominieren werden. 41

Eine Vielzahl empirischer Untersuchungen aus dem Umfeld des Institutes of Development Studies of Sussex (IDS Bulletin 1992) zeigt , daß diverse erfolgreiche Cluster-Typen, in denen KMI und Großunternehmen jeweils abweichende Funktionen übernehmen, unterschieden werden können. Schmitz (1992) differenziert zwischen hierarchical Clusters, die von einem Großunternehmen dominiert werden, das Produktionsabschnitte oder Dienstleistungsaufgaben an KMI-Zulieferer auslagert (Typ Benetton oder auch Arbeitsteilungsmuster in Baden-Württemberg), sowie non-hierarchical Clusters, in denen gleich starke, sich komplettierende KMI organisiert sind (Typ "Drittes Italien"). Clusters können zudem ungeplant sein, was im Kern den von Marshall beschriebenen industrial districts mit ihren Agglomerationsvorteilen nahekommt; sie können aber auch geplant sein, im Sinne von bewußter Gestaltung des Unternehmensumfeldes durch kooperierende Unternehmen und/oder Institutionen. Geplante Clusters können dann noch einmal nach "paternalistischen" und "partizipatorischen" Organisationsmustern unterschieden werden. Faßt man diese Argumente und die empirischen Entwicklungen, die zeigen, daß sowohl großindustrielle Produktionskonzepte (Fall Südkorea) wie KMICluster (Fall Taiwan, Norditalien) zur Herausbildung von Wettbewerbsfähigkeit fuhren können, zusammen, so kann mit guten Gründen vermutet werden, daß hinsichtlich der Betriebsgröße von Unternehmen zukünftig mit einem institutionell pluralism (Best 1990, S. 255) zu rechnen ist. Keine Zukunft wird es für isoliert agierende, kooperationsunfähige KMI (dem Standardfall in den Entwicklungsländern) geben. Sequenzen bei der Herausbildung der Cluster Die Arbeiten des IDS oder auch von Brusco (1990) legen die Vermutung nahe, daß es eine Sequenzbildung im Prozeß der Herausbildung von Clusters und industrial districts gibt. Eine erste Phase ist geprägt durch spontane, nicht abgestimmte (Kooperations-)Strategien von Unternehmen, auch wenn diese zweifelsfrei in einigen Ländern stärkere historische Wurzeln haben mögen als in anderen. Erst wenn eine kritische Masse von leistungsfähigen Industrieunternehmen entstanden ist, die zwischenbetriebliche Formen der Arbeitsteilung eingeübt haben, kommt es zu einer gezielt gestalteten Entwicklung von clusterbezogener materieller und immaterieller Infrastruktur. Diese Sichtweise konfligiert mit zahlreichen Arbeiten, in denen suggeriert wird, daß collective efficiency die Ausgangsbedingung für eine erfolgreiche KMI-Modernisierung darstellt und Modernisierungen auf Unternehmensebene sich quasi davon ableiten lassen. Auch eigene Untersuchungen (Messner et al. 1991, Messner 1992) legen den Schluß nahe, daß der Aufbau von Wettbewerbsvorteilen fundamental von der Modernisierungsfähigkeit der Unter42

nehmen abhängt, die nicht durch institutionelle oder zwischenbetriebliche Vernetzungen substituierbar ist. Collective efficiency ergibt sich somit erst auf der Grundlage von Modernisierungspotential in den Unternehmen und einer kritischen Masse von Betrieben mit Leistungspotential. Undynamische Unternehmen sind in der Regel nicht nur durch unternehmensinterne Anforderungen überfordert, sondern auch kaum fähig, externe Dienstleistungsangebote und Entwicklungspotentiale (zum Beispiel F&E-Fonds, komplementäre Spezialisierungschancen) zu nutzen. Dies heißt, daß der Staat oder öffentliche Institutionen wettbewerbsfähige Strukturen nicht schaffen können; dies ist wesentlich die Aufgabe der Unternehmen selbst. Aber öffentliche Institutionen können und müssen sehr wohl einen entscheidenden Beitrag leisten, um das Modernisierungspotential der Unternehmen zu fördern und technologisch-organisatorische Innovations und Lernprozesse durch adäquate Politiken zu flankieren. Eine Sektorpolitik soll keine Planungsstrategie im traditionellen Sinne entwerfen, jedoch die zukünftigen Herausforderungen antizipieren helfen, um das Unternehmensumfeld frühzeitig darauf einzustellen und langfristig orientierte Investitionsentscheidungen von Unternehmen zu erleichtern. Grundlage der Erarbeitung von Sektorkonzepten sollten nicht etwa Blaupausen ministerieller Vordenker, sondern Sektorforen sein, in denen private und öffentliche Akteure (zum Beispiel Ministerien, Unternehmen, Universitäten, Gewerkschaften) mittelfristig orientierte Perspektiven und Politiken ausarbeiten. Die sozialkulturelle Dimension der industrial districts und die Bedeutung von local governments Im Unterschied zu den bisherigen Agglomerationstheorien von Marshall (1986) über Perroux (1955), Chinitz (1961) oder Scitovsky (1963) betonen die meisten Autoren, die die Entstehung der industrial districts seit den siebziger Jahren untersucht haben, die Bedeutung soziokultureller, nicht-ökonomischer Faktoren für die Dynamik in den local sites. Neben einem gemeinsamen Wertesystem bedarf es nach Becattini eines "Systems von Institutionen und Regeln... Der Markt, die Familie, die Kirche und die Schule gehören zu diesem Institutionengeflecht; aber ebenso lokale Autoritäten, die lokale Struktur politischer Parteien und Gewerkschaften und viele andere öffentliche und private Akteursgruppen." (Becattini 1990, S. 39). Es sind also regionale Spezifika, sozioökonomische Räume, die Wettbewerbsfähigkeit produzieren und das Überleben im globalen Kapitalismus ermöglichen. Dieser "kulturelle Überbau" erzeugt soziale Kohäsion und ein sozioökonomisches Milieu, das eine produktive Mischung aus Kooperation und Wettbewerb, Markt und Regulierung zuläßt. In den districts werden Unternehmensentscheidungen möglich, die 43

nicht nur einer kurzfristigen Profitlogik, sondern auch den langfristigen Interessen der Region gehorchen können. In den Untersuchungen unterschiedlicher Regionen wird deutlich, daß sich die aktiven Politiken der local govemments zur Verbesserung der Staniortbedingungen in den districts nicht nur von wirtschaftsliberalen Konzepten, sondern auch von traditionell etatistischen industriepolitischen Ansätzen unterscheiden. Während Marktsteuerung durch die Abwesenheit von gezielter Koordination zwischen dezentral agierenden Akteuren charakterisiert ist und hierarchische Steuerung (zum Beispiel Industrieplanung) auf den Staa. als autonomen Steuerungsakteur setzt, sind die Steuerungsformen in den disiricts durch Netzwerkstrukturen gekennzeichnet, in denen private und staatliche Akteure interagieren, um die Strukturgestaltung des regionalen Wirtsetaftsraumes voranzubringen. Neuen Steuerungsformen "between markets and hierarchies" (Powell 1990) zeichnen sich ab: Der Staat agiert hier als Impulsgeber, Koordinator und Moderator einer dialogorientierten Standortpolitik, in die Unternehmen und deren Verbände, Wissenschaft, intermediäre Institutionen und Gewerkschaften einbezogen werden, um die rasche Verbreitung relevinter Informationen zu fördern und gemeinsame mittel- und langfristige Visionei fiir die Region zu entwickeln, die als Orientierungshilfe für staatliche Strutturpolitiken und private Initiativen dienen können. Diese Steuerungsformen und Organisationsmuster sind den top dowi-Ansätzen traditioneller Industriepolitik überlegen, da im Bereich der Standortpolitiken das notwendige Know-hov für langfristig orientierte Politiken und die Implementationskapazitäten auf eine Vielzahl von staatlichen, privaten und intermediären Akteuren verteilt ¡ind. Ließen sich in der Phase des Fordismus und hochstandardisierter Produktionsmuster noch vertikal integrierte Großunternehmen auf der Grundage zentralistischer, staatlicher Industrieplanung (in der ehemaligen Sowjetuiion, Indien oder auch Brasilien) erfolgreich aufbauen, so müssen eindimensioiale, zentralistische Regulationsmuster scheitern, wenn es um die Entwicklung und Unterstützung komplexer Unternehmensnetzwerke und spezialisierter, auidifferenzierter Institutionenlandschaften geht. Für die industrial-district-TheoreUker ist der Schlüssel zur Renaissance der Regionen und der local govemments die zunehmende Bedeutung der "Dichte" von Interaktionen zwischen Unternehmen sowie diesen und Institutioner für den Aufbau von Wettbewerbsvorteilen. In den Clusters konkurrieren die Unternehmen miteinander, aber sie kooperieren zugleich, zum Beispie als Zulieferer, in trade associations, in Unternehmerorganisationen, als Grüider von Ausbildungsinstitutionen. Diese New Competition (Best 1990) in fetzwerken erfordert "partnership, loyality, morality and mutual trust" (Gramvetter 1985), Elemente, die im Kapitalismus als überkommen schienen, die iber zur Stabilisierung von flexiblen Arrangements zwischen den Unternehnen eines Clusters von Bedeutung sind. 44

Stärken und Schwächen des Ansatzes Im Vergleich zu den Arbeiten der OECD ist positiv hervorzuheben, daß den sozioökonomischen und kulturellen Dimensionen von Wettbewerbsfähigkeit eine besondere Bedeutung zugemessen wird. Die «Äsm'cf-Theoretiker leisten mit ihrer Analyse sozialer Beziehungsgeflechte in regionalen Wirtschaftsräumen einen Beitrag dazu, Veränderungen von gesellschaftlichen Organisationsmustern und Steuerungsformen des (lokalen) Staates herauszuarbeiten, die mit den technologisch-organisatorischen Umbrüchen auf der Ebene der Unternehmen einhergehen. Die Herausbildung des postfordistischen Produktionsparadigmas und die damit einhergehende Notwendigkeit der Entwicklung von neuen Politikmustern, die der veränderten Realität angemessen sind, wird von der OECD angesprochen, jedoch kaum weiterverfolgt. Der Nachweis der district-Theoretiker, daß der Verlust an Regulierungskapazität des Nationalstaates durch die Internationalisierung der Ökonomie und die Ausdifferenzierung der Wirtschaft zumindest einhergehen kann mit einer Mobilisierung von Regulierungspotentialen auf regionaler Ebene, wenn netzwerkartige Organisationsmuster jenseits von Marktsteuerung und zentralistischen Staatsinterventionen entwickelt werden, ist demnach hilfreich. Insbesondere Entwicklungsländer haben in der Vergangenheit in der Regel auf den Zentralstaat als Entwicklungsmotor gesetzt und Entwicklungspotentiale auf untergeordneten Ebenen kaum mobilisiert. Dennoch greift der district-Ansalz zu kurz. Die starke Fixierung auf die regionalen districts führt dazu, daß der Zusammenhang zwischen den Regionen, der nationalen Ökonomie sowie der Weltwirtschaft vernachlässigt wird. Weder die Bedeutung von wirtschaftspolitischen Makropolitiken wird bearbeitet, noch der Frage nachgegangen, wie denn die Existenz der districts die Wettbewerbsfähigkeit der Volkswirtschaften beeinflußt. Weshalb, so wäre zu fragen, gelingt es zum Beispiel in Italien nicht, die Erfahrungen aus dem "Dritten Italien" auf die undynamischen Regionen im Süden des Landes zu übertragen? Der Analyserahmen des Ansatzes bleibt also zu eng. Ein weiterer interessanter Beitrag der dwm'cf-Arbeiten besteht darin, die Entwicklungspotentiale von Klein- und Mittelindustrie, denen eine Cluster-Bildung in regionalen Agglomerationsräumen gelingt, herauszuarbeiten. Dennoch sind auch zu diesem Punkt kritische Anmerkungen notwendig. Zum einen werden kaum sektorspezifische Differenzierung vorgenommen; zum anderen verfallen viele Autoren, einem überzogenen small-is-beauti/ul-Denken, was die zukünftigen Unternehmensgrößenstrukturen betrifft, die in der Weltwirtschaft bestehen können. Angesichts der Reorganisation in den Großunternehmen, weltweit zu beobachtenden Fusionswellen zwischen Unternehmen, der Tendenz von Großkonzernen sich zu "strategischen Allianzen" zusammenzuschließen, spricht wenig für den von zahlreichen Autoren beschworenen 45

"Untergang" von Großunternehmen. Insbesondere für die Entwicklungsländer gilt, daß deren nationale Unternehmen in ihrer überwiegenden Mehrzahl viel zu klein sind, um in der Weltwirtschaft bestehen zu können. Hier geht es also darum, überlebensfähige Betriebsgrößenstrukturen anzusteuern und zugleich die collective efficiency-Logik der dwinci-Theoretiker zu berücksichtigen. 4. Neues Grundmuster internationaler Wettbewerbsfähigkeit und offene Fragen Die Analyse der Wettbewerbstheorien deutet ein Grundmuster an, das sich sowohl von neoliberalen als auch von traditionellen strukturalistischen Konzepten absetzt. Die vorgestellten Konzepte stellen zum einen darauf ab, internationale Wettbewerbsfähigkeit nicht nur auf betrieblicher Ebene zu diskutieren, sondern die Wettbewerbskraft von Unternehmen zu analysieren. Ins Blickfeld gerät die Entwicklung internationaler Wettbewerbsfähigkeit von Volkswirtschaften bzw. von regionalen Standorten, die nicht über eine einfache Aggregation betrieblicher Positionierungen auf den internationalen Märkten zu erfassen ist. Sie untersuchen zum anderen, im Gegensatz zu den statischen Lehrbuchmodellen, nicht nur die gegebene Struktur komparativer Vor- und Nachteile, sondern gerade deren Entwicklung und Dynamisierung. Die sich hinter dem Aufbau von Wettbewerbsvorteilen verbergenden Lernprozesse der beteiligten Akteure und Institutionen werden zum Gegenstand der Analyse. Diese Sichtweise überwindet eindimensionale Erklärungssätze und benennt die Komplexität von Determinanten internationaler Wettbewerbsfähigkeit, deren Interaktion ein komplexes System bilden. Die CEPAL rezipiert diese neueren Arbeiten, wobei sie sich vor allem auf die Studien der OECD-nahen Autoren bezieht. Bisher eher als Gegensätze verstandene Orientierungen werden zu Strukturmerkmalen des "neuen Paradigmas": Wettbewerb und Kooperation (zwischen Unternehmen und auch Institutionen), Globalisierung der Ökonomie und Aufwertung von regionalen oder gar lokalen Politiken zur Verbesserung des Standortes, Stärkung von Marktmechanismen (selbst innerhalb von Unternehmen; siehe Einrichtung von profit centers) und politisch gesteuerte Abstimmungsprozesse zur Verbesserung der external economies. Die diskutierten Ansätze und die CEPAL-Strategie weisen eine Reihe von gemeinsamen Schwächen auf: Der Erkenntnisgewinn hinsichtlich des kumulativen, interaktiven und nichtlinearen Charakter von Innovation korrespondiert mit einem Mangel an konkreteren Politikempfehlungen. Unklar bleiben weiterhin der spezifische Stellenwert der jeweiligen Determinanten der Wettbewerbsfähigkeit in unterschiedlichen Weltmarktsegmenten und Industriesektoren sowie im Prozeß des Aufbaus von Wettbewerbsfähigkeit (Sequenzbildung) 46

und die Bedeutung des Konzeptes systemischer Wettbewerbsfähigkeit für schwache Entwicklungsländerökonomien. Zudem haben die neueren Arbeiten noch keine mit der Neoklassik vergleichbare formale Konsistenz erreicht. Diese "offenen Flanken" verweisen auf drei Felder, auf denen die Arbeiten zur Wettbewerbsfähigkeit - neben weiteren innovationstheoretischen Anstrengungen - vorangetrieben werden müssen. 1. In allen untersuchten Ansätzen wird, wenn auch mit unterschiedlich starker Gewichtung, die gesellschaftliche, sozioökonomische Dimension der Wettbewerbsfähigkeit deutlich. Der interaktive Charakter von Innovation und die zunehmende Bedeutung von Austausch- und Kommunikationsbeziehungen zwischen einer Vielzahl von Akteuren impliziert, daß nicht-marktförmige Einflußfaktoren, wie spezifische kulturelle, politische und soziale Organisationsmuster von Gesellschaften, die zur Herausbildung spezifischer gesellschaftlicher Milieus beitragen, zu Determinanten von Wettbewerbsfähigkeit werden. Betont wird in den skizzierten Konzepten der neue Charakter von staatlichen Interventionen und gesellschaftlichen Organisations- und Steuerungsmustern zur Stärkung nationaler Wettbewerbsfähigkeit, ohne daß deren Logiken herausgearbeitet würden. Damit stellt sich erneut die Frage, die Mitte der achtziger Jahre zum Beispiel die Regulationstheoretiker beschäftigte: Wenn der Erfolg des Fordismus in der Kombination eines spezifischen Produktionsparadigma und damit kompatibler gesellschaftlicher Regulationsformen begründet war, was sind nun die gesellschaftlichen Organisationsmuster, die das neue Produktionsparadigma einbetten? Vieles spricht dafür, daß sich auch auf der gesellschaftlichen Ebene und hinsichtlich der Regulierungsanforderungen ähnlich weitreichende Umbrüche anbahnen wie im Produktionsbereich. Während im Zeitalter standardisierter Massenproduktion keynesianisches Globalsteuerungsmanagement zur Verstetigung der nationalen Wirtschaftszyklen beitrug, sind die adäquaten Regulationsmechanismen und die Interventionsebenen im Rahmen der "flexiblen Spezialisierung" noch unklar. Der Nationalstaat scheint in der globalen Ökonomie an Steuerungsfähigkeit einzubüßen; zugleich gewinnen neue Interaktionsformen zwischen Staat, Unternehmen und intermediären Akteuren (between markets and hierarchies, network-building) an Bedeutung. Die Kohärenz nationaler Standorte und die Reichweite nationaler Wirtschaftspolitik werden durch die globalisierten Märkte unterminiert, zugleich erweisen sich die in institutionelle Forschungs- und Ausbildungslandschaften integrierten Cluster bzw. Networks als dynamische soziale Systeme, die durch Interaktionen zwischen Unternehmen, Staat und intermediären Institutionen die Kohäsion von Wirtschaftsstandorten stärken können. Zugleich mangelt es offenbar an Regulierungen auf internationaler Ebene: die nichtregulierten globalen Finanzmärkte induzieren nachhaltige Ungleichgewichte in den national verfaßten Ökonomien. Die Struktur und Dynamik dieser nicht auf Marktbeziehungen reduzierbaren gesellschaftlichen Organisationsformen und Steuerungs47

muster können nur durch eine gesellschaftstheoretischen Fundierung der Theorien zur Wettbewerbsfähigkeit entschlüsselt werden. 2. Zur Fundierung der wettbewerbstheoretischen Ansätze sind weitere empirische Arbeiten notwendig, um die Artikulation zwischen den Dimensionen, in denen Wettbewerbsfähigkeit entsteht, besser zu verstehen, zu einer genaueren Gewichtung der Determinanten von Wettbewerbsfähigkeit zu gelangen und die Bedeutung der jeweiligen Ebenen im Prozeß des Aufbaus von Wettbewerbsvorteilen erschließen zu können. Die empirisch fundierten Arbeiten zu den industriell districts sind in diesem Kontext instruktiv, da sie insbesondere Aufschluß über in den eher theoretischen Arbeiten nur angedeutete soziale, kulturelle und mikropolitische Dimensionen von Wettbewerbsfähigkeit geben. Zugleich wird in den industrial-district-Studien auch die Begrenzung empirischer Arbeiten deutlich. Die Detailanalysen konzentrieren sich auf die Mikround Mesoebenen, blenden jedoch die Einbettung der districts in die nationalen und globalen ökonomischen Zusammenhänge bewußt aus, so daß Aussagen über die Übertragbarkeit in andere institutionelle Kontexte kaum möglich sind. In Zukunft wird es wesentlich sein, empirische und theoretische Arbeiten enger miteinander zu verkoppeln und dabei insbesondere die Interaktion der für dauerhafte Wettbewerbsfähigkeit relevanten Ebenen systematisch zu berücksichtigen. 3. Der interaktive, kumulative und nichtlineare Charakter von Wettbewerbsfähigkeit und der Verweis auf die Bedeutung von soziokulturellen Bedingungen und gesellschaftlichen Organisationsformen für ökonomische Modernisierung verweist darauf, daß es keine Blaupause für die Entwicklung von Weltmarktkompetenz geben kann. Die vorliegenden Arbeiten zur Wettbewerbsfähigkeit geben Aufschluß über wesentliche Strukturdeterminanten, erlauben somit die Skizzierung von Entwicklungskorridoren und Aussagen über notwendige Bedingungen für die Entwicklung von Wettbewerbsvorteilen, jedoch keine zeitlich und funktional eindeutige Zuordnung von Einflußfaktoren. Die Existenz von Grundmustern und die relative Offenheit hinsichtlich der Artikulation und Gewichtung von Einflußfaktoren von Wettbewerbsfähigkeit schließen sich also nicht aus. Das Ansteuern systemischer Wettbewerbsfähigkeit ist nicht beliebig und orientiert sich am vorliegenden Grundmuster; Wettbewerbsfähigkeit ist zugleich jedoch ein running target, dem man sich nur über gesellschaftliche Such- und Lernprozesse annähern kann. Die Akteure agieren unter einem hohen Grad an Unsicherheit. Diese relative Offenheit und Unsicherheit ist nicht nur Ergebnis noch unzureichenden Wissens, sondern dem systemischen Charakter von Wettbewerbsfähigkeit selbst geschuldet. Während neoliberale Ökonomen über stabile Makropolitiken und die Freisetzung von Marktkräften dynamische ökonomische Entwicklung zu induzieren glauben und traditionelle Strukturalisten auf den starken Entwicklungsstaat vertrauen, beide Ansätze also große Spielräume für technokratische Entwicklungsprojekte 48

sehen und einer "Blaupausenlogik" verhaftet bleiben, betonen die Konzepte systemischer Wettbewerbsfähigkeit, daß ökonomische Entwicklung eine umfassende gesellschaftliche Herausforderung darstellt und auf dynamischen Verkopplungen zwischen den die Wettbewerbsfähigkeit beeinflussenden Dimensionen basiert. 5. Schlußfolgerungen für Lateinamerika Im Lichte der internationalen Debatte über Wettbewerbsfähigkeit wird zunächst einmal sehr deutlich, daß die CEPAL ihre neue Position nicht nur in Abgrenzung zu ihrer alten strukturalistisch-etatistischen Entwicklungsstrategie, sondern auch zu den neoliberalen Anpassungspolitiken der achtziger Jahre als eine neue Synthese entwickelt hat. Der Kontrast zur neoliberalen Position erweist sich dabei wie bei der OECD als sehr viel grundlegender, als dies die Rezeption des CEPAL-Dokuments selbst zunächst vermuten läßt (vgl. dazu Müller-Plantenberg 1993). Die für diesen Gegensatz entscheidenden Faktoren seien hier noch einmal kurz benannt: Erstens läßt sich eine dauerhafte internationale Wettbewerbsfähigkeit und die dynamische Schaffung neuer komparativer Vorteile nur im Kontext steigender Arbeitsproduktivität durch die rasche Adaptation neuer Technologien, Organisationsstrukturen und kooperativer Netzwerke sowie durch eine deutliche Verbesserung des Qualifikationsniveaus und eine rationale Nutzung der natürlichen Ressourcen entwickeln. Die aus neoliberalen Anpassungspolitiken folgende Verbesserung der Handelsbilanz durch Abwertungen, Lohndruck und Billigexporte von Rohstoffen fuhrt dagegen in die entwicklungspolitische Sackgasse "flüchtiger" kurzfristiger Wettbewerbsvorteile mit negativen Einkommenseffekten. Zweitens läßt sich dauerhafte Wettbewerbsfähigkeit nur in einem langfristigen gesellschaftlichen Lernprozeß erreichen, der auf der kreativen Interaktion zwischen öffentlichen und privaten Akteuren auf Makro-, Meso- und Mikroebene basiert. Angesichts der administrativen und finanziellen Krise der lateinamerikanischen Staatsapparate erfordert dies grundlegende institutionelle Innovationen: einerseits (in Übereinstimmung mit dem Neoliberalismus) den Rückzug des Staates auf seine ordnungspolitischen und infrastrukturellen Basisfunktionen bei wachsender Effizienz und Transparenz, andererseits (im Gegensatz zum neoliberalen Paradigma) aber auch die Herausbildung neuer effizienterer und flexiblerer Steuerungsfähigkeit auf allen ökonomischen Ebenen. Selektive Industrie- und Technologiepolitiken sollen dabei den Prozeß der Akkumulation von technologischer und organisatorischer Kompetenz aktiv fördern helfen. Die neoliberalen Anpassungspolitiken der achtziger Jahre beschränkten sich dagegen eher auf die Destruktion vermeintlich entwick-

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lungsunfähiger Produktions- und Binnenmarktstrukturen ohne eine kreative Transformation bestehender Qualifikationsniveaus, technologischer Kompetenzen und regionaler Cluster durch selektive staatliche Politiken in Angriff zu nehmen. Drittens haben die neoliberalen Außenöffnungs-, Privatisierungs- und Deregulierungspolitiken der achtziger Jahre mit ihrer einseitigen Betonung des Marktes als zentralem Steuerungsmedium zwar den nationalen Wettbewerbsdruck erheblich erhöht, wegen fehlender selektiver Industriepolitiken aber dessen kreative Umsetzung in produktive Restrukturierungsprozesse eher behindert. Die neue CEPAL-Strategie setzt zwar ebenfalls auf den Weltmarkt als Referenzrahmen, betont aber wie die OECD, Porter und die district-Theoretiker die zentrale Rolle der Dynamisierung der Binnenmärkte, des nationalen Institutionengefuges sowie regionaler Cluster und technologischer Netzwerke mit Hilfe selektiver staatlicher Interventionen. Während viertens die neoliberalen Anpassungsmaßnahmen auf makroökonomischer Ebene ansetzen und daher undiskriminiert wirken, fordern die evolutionären Konzepte die selektive staatliche Intervention - auch auf der MikroEbene: Im Unterschied zur neoliberalen Orthodoxie wird darin keine Wettbewerbsverzerrung gesehen; vielmehr tragen selektive Standortpolitiken dazu bei, dynamische Wettbewerbsvorteile aufzubauen. Mit ihrem evolutionären Ansatz können die neuen Wettbewerbskonzepte fünftens überhaupt erst als Grundlage für Entwicklungskonzepte und -Strategien dienen, während das statische neoliberale Modelldenken dem Verständnis prozeßhafter Entwicklungen im Wege steht. Zu einem solchen prozeßhaften Denken gehört fundamental das Verständnis von Entwicklung als einem multidimensionalen gesellschaftlichen Prozeß. Im Hinblick auf diesen Punkt weisen die Schlußfolgerungen, die aus den neuen evolutionären Konzepten von Wettbewerbsfähigkeit für die Entwicklungsländer gezogen werden müssen, direkt auch auf die Grenzen des CEPALAnsatzes hin: Letzterer nimmt zwar die zentralen Empfehlungen dieser Ansätze auf, kann sie aber nur unzureichend mit den konkreten Bedingungen und Trägern entsprechender Modernisierungsprozesse vermitteln und blendet vor allem die Gefahrenpotentiale, die sich aus den postfordistischen Produktionsstrukturen sowie aus den Globalisierungsprozessen für Lateinamerika ergeben, weitgehend aus. Die konsequente Übernahme des evolutionstheoretischen Ansatzes hätte jedoch gerade dies nahegelegt. Die Wettbewerbsfähigkeit einer Ökonomie ist letztlich Funktion der Mobilisierungsfähigkeit, des Kreativitätspotentials und des verfügbaren und umsetzbaren Know-hows einer Gesellschaft - also eine gesellschaftliche und nicht nur eine ökonomische Herausforderung. Nationen sind daher auf der einen Seite nicht hilflos der globalisierten Ökonomie und international vagabundierenden Kapitalen ausgeliefert. Sie können und müssen ihren nationalen Standort

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gestalten und optimieren, wobei eben qualifizierte Arbeitskräfte, gut ausgebaute Forschungslandschaften und politische Stabilität wesentlicher sind als Niedriglöhne oder gewerkschaftsfreie Zonen. Auf der anderen Seite relativieren sich traditionelle komparative Kostenvorteile von Entwicklungsländern, wie Niedriglöhne oder eine günstige Ressourcenausstattung, was soft-optionStrategien erschwert. Wettbewerbsfähigkeit ist man-made, in Grenzen steuerbar, abhängig von leistungsfähigen nationalen Akteuren - die Meßlatte liegt jedoch hoch.

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Leopoldo Märmora1

A II. Soziale Gerechtigkeit und Weltmarktintegration in Lateinamerika. Das Konzept der CEPAL im Lichte der internationalen Debatte 1. Das cepalinische Konzept von sozialem Ausgleich Das Hauptanliegen der CEPAL hinsichtlich des Themas der sozialen Gerechtigkeit besteht darin, Antworten auf die konkreten sozialen Forderungen zu finden, die einen Großteil der Bevölkerung Lateinamerikas beschäftigen. Das CEPAL-Dokument möchte erklärtermaßen keine tiefergehende Fundierung der vorgestellten Vorschläge vornehmen. Den Vorzug erhalten dabei diejenigen Aspekte der Beziehung zwischen sozialer Gerechtigkeit und der wirtschaftlichen Transformation, die sich gegenseitig ergänzen und verstärken. Die CEPAL verwendet in ihrem neuen Modell nicht den Begriff der justicia social, was dem deutschen Begriff der "sozialen Gerechtigkeit" entsprechen würde; vielmehr arbeitet sie mit dem der equidad social, was im Deutschen genauer mit "sozialer Ausgleich" oder "Verbesserung der sozialen Gerechtigkeit" zu übersetzen wäre. Der spanische Begriff der equidad deutet somit im Unterschied zu dem deutschen der "Gerechtigkeit" eher einen Prozeß oder eine Tendenz an. Diese Begrifflichkeit weist auf den Bruch mit dem traditionellen Paradigma von sozialer Gerechtigkeit und Sozialpolitik hin, wie ihn die CEPAL mit ihrem neuen Konzept vollzieht: 1 Die Kürzung, Bearbeitung und Übersetzung dieses Teils des Forschungsberichts hat Barbara Töpper vorgenommen.

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Ursprünglich hatte die CEPAL den modernisierungstheoretischen Optimismus der fünfziger und sechziger Jahre mitgetragen und soziale Gerechtigkeit als ein dem wirtschaftlichen Wachstum untergeordnetes Ziel angesehen, welches sich als dessen Folge im Sinne des trickle down quasi automatisch einstellen würde, so daß gezielte sozialpolitische Interventionen und Korrekturen überflüssig wären. Dem lag eine utilitaristische Vorstellung von sozialer Gerechtigkeit zugrunde, nach der primär die Wohlfahrtsiwnmf zählt, deren Verteilung nicht oder nur als abgeleitete Variable thematisiert wurde. "Das wirtschaftliche Hauptproblem Lateinamerikas ist das Wachstum des realen Pro-Kopf-Einkommens mittels der Steigerung der Produktivität; denn den Lebensstandard der Massen mittels einer Einkommensumverteilung anzuheben, stellt eine sehr begrenzte Möglichkeit dar." (CEPAL 1951, S. 9). Mittels wirtschaftlichen Wachstums werde jedoch die Ungleichheit der Einkommen abnehmen, und zwar "automatisch, so daß es nicht nötig sein wird, zu intervenieren, um eine exzessive Ungleichheit zu korrigieren, sondern nur die Entwicklung zu fördern, die diese (Ungleichheit) von sich aus beseitigen wird." (CEPAL 1970, S. 5). Dieses Paradigma reihte sich ein in die spezifisch lateinamerikanische Tradition, in der es keine eigenständige philosophische Reflexion über soziale Gerechtigkeit gibt, letztere vielmehr immer nur aus dem Blickwinkel der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften gesehen wurde. Im Rahmen des Entwicklungsmodells der Importsubstitution kam es vor allem darauf an, den von den Mittelschichten getragenen modernen Binnenmarkt so schnell wie möglich auszuweiten. Es ging also in der Sozialpolitik vor allem um Förderung der Mittelschichten: indem Arbeitsplätze im öffentlichen Sektor geschaffen wurden oder indem zum Beispiel die öffentlichen Bediensteten mit billigem Wohnraum versorgt wurden (CEPAL 1967, S. 215f.). Weiterhin war die Sozialpolitik auf die soziale Sicherheit für die Arbeiter im formellen Sektor beschränkt. Eine staatliche Politik für die marginalisierten Sektoren, die über öffentliche Fürsorge hinausgegangen wäre, gab es nicht. Die universalistisch konzipierte Politik folgte dabei der Fiktion einer modernen, sozial und kulturell homogenen Nation, welche den Blick für die zunehmende Ausdifferenzierung innerhalb der formellen Arbeiterschaft sowie vor allem für die zunehmende Marginalisierung eines informellen Sektors verstellte. Als seit der zweiten Hälfte der sechziger Jahre unübersehbar deutlich wurde, daß Armut und soziale Marginalisierung ein strukturelles und nicht lediglich transitorisches Problem darstellten, begann die CEPAL ihre Position zu modifizieren und aus dem Modernisierungskonsens auszuscheren. Jetzt wurden Kriterien der Verteilungsgerechtigkeit eingeführt - allerdings nur auf marginale und zufallsbedingte Weise -, um die Wachstumsungleichgewichte durch Sozialpolitiken zu kompensieren und zu korrigieren. Nach wie vor han53

delte es sich jedoch um Maßnahmen zur Stabilisierung des wirtschaftlichen Wachstums. Die utilitaristische Sichtweise wurde grundsätzlich beibehalten. Seit Anfang der siebziger Jahre radikalisierte die CEPAL ihre Positionen und näherte sich den dependenztheoretischen Kritikern des Kapitalismus an. Die soziale Ungleichheit wurde jetzt als Produkt der strukturellen Heterogenität der sozioökonomischen Verhältnisse diagnostiziert. Das Ziel einer strukturalistischen Armutsbekämpfung müsse demzufolge die Homogenisierung der Produktionsstruktur sein (Pinto/Di Filippo 1978, S. 26f.). Die Perspektive einer Weltmarktintegration wurde nicht akzeptiert, da die Internationalisierung der Produktionsstrukturen als Mechanismus interpretiert wurde, der einkommenskonzentrierend wirkt. Der Rahmen der binnenwirtschaftlichen Industrialisierung durch Importsubstitution konnte auf dieser Grundlage nicht hinterfragt werden. Die Homogenisierung der Produktionsstruktur sollte vielmehr durch eine Strategie der vollständigen Industrialisierung (complete industrialization) angesteuert werden. Dem Staat wurde jetzt eine zentrale Bedeutung nicht nur für wirtschaftliche Entwicklung, sondern auch für Verteilungsgerechtigkeit beigemessen. Diese Strategie mündete schließlich in die Krise. Das protektionistische ISIModell führte zur massenhaften Schaffung und künstlichen Aufrechterhaltung unproduktiver Arbeitsplätze; die nationale Industrie wurde immer abhängiger von steigenden Deviseneinnahmen zur Fortsetzung des Industrialisierungsprozesses, konnte diese jedoch aufgrund fehlender Wettbewerbsfähigkeit nicht selbst erwirtschaften. Die sich beschleunigenden Globalisierungstendenzen in der Weltwirtschaft ließen eine Modernisierung der lateinamerikanischen Ökonomien außerhalb des Referenzrahmens Weltmarkt letztlich nicht mehr zu. Sowohl in der älteren Version der fünfziger Jahre, als auch in der neueren der siebziger Jahre vertrat die CEPAL einen universalistischen Begriff von sozialer Gerechtigkeit im Sinne des spanischen Begriffs justicia, mit dem egalitäre, homogene soziale Strukturen gemeint waren. Mit der Krise des ISIModells wurde jedoch offenkundig, daß die Anstrengungen zur Homogenisierung darauf hinausliefen, größere Ungleichheit zu generieren, weil einseitig die Mittel- und Oberschichten von ihnen profitierten. Weiterhin hatten die modifizierten Positionen die CEPAL in einen diametralen Gegensatz zum Neoliberalismus gebracht, der gegen die universalistischen ökonomischen und sozialpolitischen Modelle, in denen der Staat als zentraler Träger von Verteilungsgerechtigkeit gesehen wurde, antrat. Der neoliberale Vorschlag erkannte allein den Markt als Kriterium für Gerechtigkeit und als Träger von Entwicklung an. Armutsbekämpfung ist für ihn keine Frage der Verteilungsgerechtigkeit, sondern ausschließlich der Humanität. So heißt es bei der Weltbank: "Armut ist nicht das gleiche wie Ungleichheit. Der Unterschied muß hervorgehoben werden. Die Armut bezieht sich auf den Lebensstandard eines 54

Teils der Bevölkerung - die Armen. Die Ungleichheit dagegen bezieht sich auf die relativen Lebensstandards der gesamten Gesellschaft." (Weltbank 1990, S. 31). Gerechtigkeit gibt es aus neoliberaler Sicht nur in der Form der Entlohnungsgerechtigkeit, als ein Ergebnis der freien Transaktionen auf dem Markt. Entsprechend dürfen durch Armutsbekämpfimg keine Mittel durch staatliche Intervention von einer sozialen Gruppe zur anderen transferiert werden, weil dies die Regeln des Marktes verletzen und damit seine Rolle als oberste Regulationsinstanz der Wirtschaft stören würde. Öffentliche Unterstützungsleistungen (als negative Steuer) dürften daher lediglich das Überlebensminimum garantieren (denn "jede Maßnahme gegen die Armut schwächt den Impuls zur Selbsthilfe bei den Armen" - Friedman 1976, S. 246) und müßten sich deshalb auf die ärmsten Gruppen konzentrieren (Fokalisierung). Der von Friedman verabsolutierte Gegensatz zwischen Freiheit und Gleichheit fiel in Lateinamerika auf fruchtbaren Boden, wo eine intellektuelle Dichotomie zwischen individualistischen Konzepten utilitaristischen oder liberalen Zuschnitts auf der einen und organistisch-kollektivistischen Konzepten auf der anderen Seite sich tendenziell durch die gesamte lateinamerikanische Geschichte hindurch zeigt. Jede der beiden Konzeptionen bekämpfte auf ihre Weise die endemischen Übel der lateinamerikanischen Gesellschaften: Die eine die korporatistischen Privilegien - im Namen der Freiheit des Individuums und des Marktes - , die andere die strukturellen Ungleichheiten - im Namen des Egalitarismus und der Gerechtigkeit. Aufgrund der wechselseitigen Polarisierung dieser Positionen verstärkte der daraus resultierende Konflikt die Tendenz zur Geringschätzung der politischen Freiheiten und der Demokratie und trug damit zur Unterstützung und Legitimierung des politischen Autoritarismus bei. Die lateinamerikanischen Gesellschaften gerieten damit an den Rand des Bürgerkriegs und der nationalen Auflösung. Vor diesem historischen Hintergrund der Krise des ISI-Modells im Rahmen der zunehmenden Globalisierung der Weltwirtschaft und der polarisierten gesellschaftlichen Auseinandersetzungen, die in die Diktaturen gemündet waren, ist das neue Konzept der CEPAL von equidad zu verstehen: Die CEPAL akzeptiert heute als Ausgangspunkt ihres neuen Modells die für unvermeidlich erachtete Integration in den Weltmarkt; sie favorisiert die Schaffung von wettbewerbsfähigen Arbeitsplätzen und verwirft die Strategie der Schaffung und unbegrenzten Beibehaltung von unproduktiven Arbeitsplätzen, weil nur über die Herstellung dauerhafter, "struktureller" Wettbewerbsfähigkeit langfristige Einkommenszuwächse und damit auch die Grundlage für verbesserte Verteilungsverhältnisse gesichert ist. Aus der Erkenntnis, daß universalistische Gerechtigkeitsprinzipien und eine darauf aufbauende Politik zur Verstärkung der sozialen Disparitäten beigetragen haben, zieht sie den Schluß, daß zum einen staatliche Sozialpolitik und 55

damit auch grundlegende Fragen sozialer Gerechtigkeit einen eigenständigeren Charakter gegenüber der Wirtschaftspolitik gewinnen müssen, um in der Lage zu sein, gegenüber den aus der wirtschaftlichen Entwicklung resultierenden sozialen Disparitäten gezielt korrigierend eingreifen zu können. Zum anderen müsse Sozialpolitik selektiv intervenieren: durch Fokalisierung bei der Armutsbekämpfung sowie zur Schaffung der Voraussetzungen für Chancengleichheit. Mit einem solchen selektiven Konzept ist der egalitäre Gerechtigkeitsbegriff nicht länger vereinbar. Die CEPAL wählt deshalb den Begriff des "sozialen Ausgleichs", der equidad. In die Definition von equidad, welche die CEPAL vornimmt, gehen drei Bestimmungen ein: "Im Sinne des vorliegenden Entwurfs geht man von einer Verbesserung der equidad aus, wenn in wenigstens einem der drei folgenden Ziele Fortschritte zu verzeichnen sind. Das erste besteht darin, den Anteil der Personen und Haushalte, deren Lebensbedingungen sich unterhalb dessen befinden, was die Gesellschaft im ökonomischen, sozialen sowie politischen Bereich für akzeptabel ansieht, zu minimieren. Das zweite besteht darin, die Entwicklung der in allen gesellschaftlichen Gruppen vorhandenen potentiellen Talente zu fördern, indem Zug um Zug die rechtlich festgeschriebenen Privilegien und Diskriminierungen ebenso wie Chancenungleichheiten jeglicher Art, einschließlich derer, die mit der sozialen, ethnischen oder geographischen Herkunft oder auch dem Geschlecht zu tun haben, abgebaut werden. Drittens muß erreicht werden, daß weder Macht, Reichtum, noch die Früchte des Fortschritts sich dergestalt konzentrieren, daß der Freiheitsbereich der zukünftigen und jetzigen Generationen eingeschränkt wird." (CEPAL 1992c, S. 15). Sozialer Ausgleich umfaßt also unmittelbar Armutsbekämpfung, Sicherung von Chancengleichheit und Sicherung der Freiheit gegenüber Machtkonzentration. Alle drei Punkte sind vordergründig durchaus mit neoliberalen Positionen kompatibel; das cepalinische Konzept hat sich diesen insofern angenähert (vgl. Müller-Plantenberg 1993). Was es jedoch vom Neoliberalismus nach wie vor unterscheidet, ist der Kontext des Gesamtkonzeptes, in dem diese Definition entwickelt wird: Zum einen wird Armutsbekämpfung nicht lediglich im humanitären Sinne als Überlebenssicherung für die Armen verstanden, sondern grundsätzlich unter einer gesellschaftlichen Perspektive, welche zwar nicht mehr an einem optimalen Zustand der Gerechtigkeit orientiert ist, aber doch an strukturellen gesellschaftlichen Zusammenhängen, die es auszugleichen gilt. Dieses wird zweitens dadurch unterstrichen, daß die an den drei Zielen orientierten Politiken eingebettet sind in die Gesamtkonzeption einer gesellschaftlichen Entwicklungsstrategie, die von der strukturellen Interdependenz aller die Unterentwicklung und Armut bestimmenden Faktoren ausgeht und die erhebliche Implikationen für sozialen Ausgleich hat. Im Unterschied zum Neoliberalismus 56

wird die Herstellung von Chancengleichheit nicht einfach dem Marktmechanismus überlassen, sondern ihre Voraussetzungen müssen gezielt, unter anderem auch durch selektive Staatsinterventionen, aufgebaut werden, zum Beispiel im Bildungsbereich durch die prioritäre Förderung der bisher vernachlässigten Primarschulbildung. Die an Produktivitätszuwächsen orientierten ebenfalls selektiven Wirtschafts- und Strukturpolitiken sollen zur Ausdehnung der produktiven Beschäftigung, zur Qualifizierung der Arbeitskräfte und zur Erhöhung ihrer Produktivkraft beitragen. Die auf sozialen Ausgleich orientierte Politik befindet sich damit durchaus im Einklang mit der Strategie wirtschaftlicher Transformation. Lediglich im Falle von Notbeschäftigungsprogrammen und Einkommentransfers sind Zielkonflikte zwischen Wachstum und sozialem Ausgleich zu erwarten. Grundsätzlich jedoch legt die CEPAL den Akzent auf die Kompatibilitäten, während sie das Konfliktpotential weitgehend ausblendet. Dies sieht sie dadurch gerechtfertigt, daß sich Wachstum und sozialer Ausgleich im Rahmen des CEPAL-Konzepts gegenseitig in vielfacher Hinsicht bedingen, was auch bedeutet, daß sie gleichzeitig angestrebt werden müssen (CEPAL 1992, S. 15f.). 2. Offene Fragen und Schwachpunkte des neuen CEPAL-Modells Damit ist allerdings der Tragweite möglicher Zielkonflikte zwischen sozialem Ausgleich und wirtschaftlicher Transformation nicht ausreichend Rechnung getragen. In mindestens drei Bereichen zeigen sich grundsätzliche Probleme einer Kompatibilisierung zwischen beiden Dimensionen: Erstens erkennt die CEPAL zwar makroökonomische Stabilität als Voraussetzung für jegliche weltmarktintegrierte wirtschaftliche Transformation an, weil Instabilität Wachstumsprozesse behindert und negative Verteilungseffekte mit sich zieht; aber die sozialen und wirtschaftlichen Kosten der als notwendig erachteten Anpassungsprogramme werden kaum thematisiert und schon gar nicht konstitutiv in das Modell eingebaut. Es wird lediglich postuliert, daß "produktive Effizienz und sozialer Ausgleich grundsätzlich komplementäre Faktoren während der Stabilisierungsphase sind." (CEPAL 1992c, S. 25). Zweitens werden die sozialen Kosten einer industriellen Strukturanpassung nicht ausreichend thematisiert. Es drängt sich so der Eindruck auf, als ginge die CEPAL davon aus, daß der Großteil des zu Zeiten der Importsubstitution aufgebauten Industrieapparates modernisierungsfähig sei und ohne größere Schwierigkeiten auf Weltmarktniveau orientiert werden könne (CEPAL 1992c, S. 20). Drittens konstatiert die CEPAL zwar, daß der Weg in die Weltwirtschaft eine tiefgreifende Reform der korrupten und ineffizienten Staatsapparate ver57

langt ( C E P A L 1992c, S. 25): Der Staat muß im Rahmen der wirtschaftlichen Transformation zentrale Funktionen ausüben. Dies sind neben der makroökonomischen Steuerung vor allem Investitionen im Sozialbereich, Unterstützung der Unternehmen im Prozeß der Weltmarktintegration, Förderung der Einführung des technologischen Fortschritts in den Produktionsprozeß sowie Maßnahmen im Bereich des Umweltschutzes. Damit aber diese Funktionen effektiv und effizient ausgeübt werden können, muß zuerst das öffentliche Defizit abgebaut werden, was mit Deregulierungen und Privatisierungen verbunden ist - die die C E P A L , wenn auch in einem anderen, vor allem selektiveren Sinne als die orthodoxen Anpassungskonzepte, ebenfalls für notwendig erachtet. Aber auch hier stellt sich die C E P A L nicht deutlich genug die Frage nach den sozialen Kosten, welche die Politiken der Steuer- und Finanzanpassung, der Deregulierung und Privatisierung nach sich ziehen. Sie fragt nicht nach der Dauer dieser Phase, ihren möglichen Widersprüchlichkeiten sowie den Herausforderungen, die diese Politiken hinsichtlich der Leistungsfähigkeit des Staates implizieren. Vor allem thematisiert sie auch nicht die realen politischen Schwierigkeiten, mit denen eine Staatsreform konfrontiert ist. Statt dessen wird erneut lediglich die Komplementarität zwischen Staatsreform und sozialem Ausgleich auf der Grundlage einer Zunahme der Steuereinnahmen postuliert, welche eine sozial ausgewogenere Ausgabenpolitik ermöglichen. Der Realitätsgehalt des CEPAL-Modells erscheint damit höchst zweifelhaft; die zentralen Postulate verbleiben weitgehend auf der Ebene des Voluntarismus. Ebenso übertrieben erscheint der Optimismus bezüglich der Möglichkeit, die Armut über die Schaffung produktiver Arbeitsplätze innerhalb eines überschaubaren Zeitrahmens zu beseitigen. Nach Schätzungen des Demographischen Zentrums für Lateinamerika von 1990 wird die Anzahl der Arbeitskräfte in der Region bis zum Jahr 2 0 0 0 um 2,5 Prozent pro Jahr zunehmen. Gleichzeitig schätzt UNDP, das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen, die jährlichen wirtschaftlichen Wachstumsraten zwischen 1990 und 2 0 0 0 auf knapp 2 , 7 Prozent. Da die Weltmarktintegration Produktivitätssteigerungen auf der Grundlage technologischen Wandels notwendig macht, könne somit davon ausgegangen werden, daß das Beschäftigungswachstum hinter dem des Sozialprodukts zurückbleibt. Um jedoch annähernde Vollbeschäftigung zu schaffen, das heißt 4 4 Millionen Arbeitsanwärter und Arbeitslose zu absorbieren, müßte das von den Volkswirtschaften zur Verfügung gestellte Arbeitsplatzangebot um 7 0 Prozent steigen, was ein durchschnittliches jährliches Wirtschaftswachstum von etwa 7 Prozent implizieren würde. (PNUD 1992, S. 456). Was angesichts dieser Perspektive im Konzept der C E P A L nicht ausreichend berücksichtigt ist - wenn es auch am Rande kurz und kursorisch angesprochen wird ( C E P A L 1992c, S. 145), - ist ein Programm zur Einkommensverbesserung und zur Förderung der Produktivität im informellen Sektor.

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Denn angesichts mangelnder Absorptionskapazität des formellen Sektors wird auch in den neunziger Jahren den informellen Wirtschaftssektoren weiterhin eine entscheidende Rolle bei der Schaffung von Arbeitsplätzen zukommen (vgl. PNUD 1992, S. 456f.). Hinter dieser Vernachlässigung eines für die soziale Lage der Bevölkerung bedeutsamen Sektors der Gesellschaft schimmert offensichtlich doch wieder das alte Ideal einer homogenen Gesellschaft, vereinheitlicht in den modernen industriellen Sektoren und den formellen Arbeitsmärkten, durch. Weiterhin verrät sich daran ein Ansatz, dem es nach wie vor doch primär um rein quantitatives Wirtschaftswachstum geht. Ein Modell, welches in der Perzeption der sozialen Wirklichkeit Lateinamerikas realistischer ist und gleichzeitig die Integration von wirtschaftlicher Transformation und sozialem Ausgleich in aller Konsequenz ernst nimmt, müßte demgegenüber von einer sozioökonomischen Realität ausgehen, in welcher vier Subsysteme interagieren: Der öffentliche Sektor, die profit- und wettbewerbsorientierten privaten Unternehmen, "solidarische Organisationen" wie Familie oder zivilgesellschaftliche Gemeinschaften und Verbände sowie nicht-profitorientierte öffentliche oder halböffentliche Institutionen wie Stiftungen, Nicht-Regierungs-Organisationen (NRO) oder Institutionen der internationalen Zusammenarbeit. "Produktionsprozesse, Verteilungsprozesse und Konsum sind das globale Ergebnis der Interaktion dieser vier Subsysteme. Der Entwicklungsgrad, die Wohlfahrt und die Armut können nur im Rahmen ihrer Interaktion vollständig verstanden werden." (PNUD 1992). Die Frage von theoretischer und praktischer Relevanz ist, wie die staatlichen Sozialpolitiken in diese komplexen Interaktionsprozesse eingreifen können und müssen. Das traditionelle Modell des hierarchisch agierenden Staates, welches das CEPAL-Modell implizit nach wie vor unterstellt (vgl. dazu Abschnitt A 3) eignet sich nicht mehr hierzu. Notwendig ist ein Staat, der über die Kapazität verfügt, nicht nur ausgesprochen selektive Politiken zu entwerfen, sondern auch Interaktionsformen mit den relevanten sozialen und politischen Akteuren zu entwickeln, durch die erst die Moderation und Lenkung eines durch vielgestaltige Akteure und funktionale Räume pluralisierten sozialen Umfeldes möglich werden kann (vgl. Märmora/Messner 1993). Insgesamt zeichnet sich das CEPAL-Konzept zur sozialen Gerechtigkeit bzw. zum sozialem Ausgleich durch erhebliche Inkonsistenzen und Brüche aus, welche die behauptete Kompatibilität mit wettbewerbsorientierter Wirtschaftstransformation nicht besonders plausibel erscheinen lassen. Alle Faktoren, Instrumente und Ziele, die eventuell wichtig sein könnten, um zu einem sozialen Ausgleich in Lateinamerika kommen zu können, werden erwähnt, ohne daß der Kontext in all seinen Dimensionen, auch den entgegenwirkenden,

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vollständig ausgeleuchtet würde und ohne daß eine klare Gewichtung und Prioritätensetzung zwischen den verschiedenen Zielen vorgenommen würde. Demgegenüber ist die vom Neoliberalismus inspirierte Strategie der Weltbank zwar einerseits viel bescheidener, andererseits in ihrer einseitigen, aber stringenten Ausrichtung auf Fokalisierung und Bekämpfung der extremen Armut in praktisch-politischer Hinsicht weit überlegen. Wie bereits betont, ist jedoch das cepalinische Konzept von sozialem Ausgleich nicht nur bzw. auch nicht in erster Linie ein humanitäres Konzept, wie bei der Weltbank, sondern vor allem ein auf die Transformation der gesellschaftlichen Struktur gerichtetes Modell. Dieser Unterschied wird deutlicher, wenn die theoretischen Prämissen, auf denen das CEPAL-Konzept aufbaut, die in ihm selbst jedoch explizit nicht erörtert werden, aufgezeigt werden. Die CEPAL orientiert sich mit ihrem Konzept erklärtermaßen - und im Gegensatz zu der lateinamerikanischen Tradition - an dem von den westlichen Industrieländern entwickelten Modell sozialstaatlich abgesicherter repräsentativer Demokratie, in deren Rahmen Sozialpolitik vor allem auch die Funktion hat, die materiellen Gegebenheiten für alle Staatsbürger so weit zu verbessern und einander anzunähern, daß die individuellen politischen Freiheiten überhaupt realisiert und demokratische Rechte in Anspruch genommen werden können (vgl. dazu Sachße/Engelhardt 1991 sowie auch Rödel/Frankenberg/ Dubiel 1989). Da die theoretische Grundlegung des Problems der sozialen Gerechtigkeit im Rahmen des modernen, freiheitlichen und sozialen Rechtsstaates am systematischsten und in inzwischen geradezu "klassischer" Form in dem Werk von John Rawls The Theory of Justice (1971) entwickelt worden ist, soll im folgenden dessen Konzept von sozialer Gerechtigkeit näher untersucht werden. Daraus sollen dann Schlußfolgerungen hinsichtlich der philosophischtheoretischen Grundlagen des CEPAL-Konzepts von sozialem Ausgleich sowie seiner grundlegenden Differenzen gegenüber dem Neoliberalismus gezogen werden. 3. Die Theorie der sozialen Gerechtigkeit im demokratischen Sozialstaat: John Rawls Die Theorie der Gerechtigkeit von Rawls steht in der Tradition der pragmatischen angelsächsischen politischen Philosophie. Das bedeutet, daß Rawls im wesentlichen nach einer empirischen Theorie der Gerechtigkeit sucht, die sich am historisch Bewährten orientiert, während er die grundsätzliche philosophische Frage nach der Berechtigung einer Gerechtigkeitsperspektive weitgehend offen läßt: Er bezieht sich nicht auf soziale, ökonomische oder natürliche Rechte im ontologischen Sinne, sondern er begründet die Notwendigkeit von Verteilungsgerechtigkeit und die daraus resultierende soziale Verantwortung

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des Staates mit der Tradition des demokratischen Rechtsstaates und seiner Konzeption von Freiheit der Person. Soziale Rechte werden dabei nicht - in Analogie zu den individuell-politischen Rechten als subjektiv-öffentliche Rechte verstanden, sondern als objektiver, empirisch-historisch begründeter Orientierungsrahmen für die Arbeit des Staates. Ausgangspunkt von Rawls ist die Kritik des Utilitarismus: Dieser verstehe unter gerechter Verteilung der sozialen Güter diejenige, die als Korrolarium die maximale Summe an Wohlfahrt für die Gemeinschaft hat, während nur in dem Falle, in dem keine Unterschiede in der Gesamtheit der befriedigten Bedürfnisse bestehen, eine egalitärere Verteilung vorzuziehen sei. Der Utilitarismus verstehe die Gesellschaft als ein kollektives Subjekt mit einem kollektiven Interesse, um dessen Maximierung es geht. Gerechtigkeit sei hier eine Funktion des kollektiven Wohlbefindens; ihr komme auf der Ebene der kollektiven Befriedigung gegenüber der individuellen Freiheit Priorität zu. Jeder Einzelne werde nur als Teil des Kollektivs betrachtet. Verschiedenartigkeit zwischen den Gruppen und Individuen zähle nicht. Vielmehr werde das Entscheidungsprinzip des Individuums im Sinne eines methodologischen Individualismus auf die Gesellschaft als Ganze übertragen: "In seinem traditionellen Verständnis ist der Utilitarismus individualistisch. Die Utilitaristen waren entschiedene Verfechter der individuellen Freiheiten und der Meinungsfreiheit; sie waren davon überzeugt, daß das Gute der Gesellschaft auf dem Guten eines jeden Individuums basiert. Trotz allem ist der Utilitarismus jedoch nicht individualistisch. Er ist es auf jeden Fall dann nicht, wenn er auf natürlichste Weise alle Bedürfhisse zusammenfaßt und das Entscheidungsprinzip der individuellen Personen auf die Gesellschaft anwendet." (Rawls 1972, S. 48). Dem setzt Rawls entgegen, daß jedes individuelle Mitglied der Gesellschaft Träger von Grundrechten sei, die unantastbar sind und die ihre Gültigkeit auch nicht im Namen der Wohlfahrt aller anderen Gesellschaftsmitglieder verlieren. Der Verlust an Freiheit einer Person könne nicht durch einen größeren Nutzen oder größeres Wohlbefinden vieler anderer oder des Kollektivs im allgemeinen kompensiert und ausgeglichen werden. Gleichheit und Freiheit der Personen stünden in einem engen Wechselverhältnis gegenseitiger Durchdringung und Verstärkung und seien ein unwiderrufliches und grundsätzliches Ziel. Politische und soziale Rechte befinden sich entsprechend in unmittelbarer Interrelation. Jegliche Institution und jeglicher Vertrag, durch die dieses Prinzip verletzt wird, sei ungerecht und ungültig. Die Freiheit, genauso wie eine Reihe anderer grundlegender Güter, sind personengebunden und können auch in einem ausdrücklich freien und freiwilligen Akt weder verloren gehen, noch transferiert werden. Dies ist das erste Gerechtigkeitsprinzip bei Rawls; es besitzt Priorität gegenüber allen weiteren. 61

Die Gerechtigkeitsprinzipien beziehen sich bei Rawls weder auf das individuelle, private Verhalten, noch auf alle Bereiche oder Einzelheiten des sozialen Lebens, sondern auf die der Gesellschaft zugrunde liegende Struktur: "Unter grundlegender Struktur verstehen wir die Art und Weise, wie sich die wichtigsten sozialen Institutionen als System artikulieren und womit die grundlegenden Rechte und Pflichten sowie die Vorzüge der sozialen Kooperation verteilt werden. So bilden die politische Verfassung, die rechtlich gebilligten Eigentumsformen, die Wirtschaftsordnung und die Familienstruktur einen Teil der grundlegenden Struktur." (Rawls 1992, S. 45). Bei der Begründung seiner Gerechtigkeitsprinzipien verfährt Rawls methodologisch im Sinne der klassischen Vertragstheorien, in welche Erkenntnisse moderner Entscheidungstheorien einfließen. Dabei setzt Rawls ein normatives Leitprinzip, nämlich das der Unparteilichkeit, voraus. Auf der Unparteilichkeit basiert die "rationale Klugheitswahl" (rational prudential choice), aus der sich unter idealen Wahlbedingungen die Gerechtigkeitsprinzipien ableiten sollen (vgl. Höffe 1987, S. 48): Hinter einem fiktiven "Schleier der Unwissenheit" (veil of ignorance), der den Individuen die Kenntnis ihrer eigenen gesellschaftlich-historischen und persönlichen Situation verwehrt und ihnen damit die strategische Ausnützung natürlicher Ungleichheiten oder gesellschaftlicher Kontingenzen unmöglich macht, vereinbaren diese die grundlegenden Institutionen ihres gesellschaftlichen Zusammenlebens. Dabei werden sie einstimmig die folgenden beiden Gerechtigkeitsprinzipien wählen: "1. Jede Person hat das gleiche Recht auf die vollkommen ausreichende Ausübung von gleichen Grundfreiheiten, die mit einer gleichartigen Freiheitsausübung aller kompatibel ist. 2. Die sozialen und wirtschaftlichen Ungleichheiten müssen zwei Bedingungen erfüllen. Erstens müssen sie mit Pflichten und Ämtern verbunden sein, die allen in equitativer Chancengleichheit offenstehen; und zweitens müssen sie den maximalen Nutzen der am wenigsten erfolgreichen Mitglieder der Gesellschaft fördern." (Rawls 1975, S. 33). Das zweite Prinzip der Ungleichheiten ist dem ersten untergeordnet. Dies besagt, daß soziale Ungleichheiten einzig und allein dann akzeptabel sind, wenn zuerst sichergestellt wird, daß sie nicht in Konflikt mit den grundlegenden und für alle Personen mit gleicher Gültigkeit bestehenden Freiheiten stehen; zweitens daß sie nicht die Chancengleichheit der am schlechtesten Gestellten angreift und drittens, daß sie dafür Sorge trägt, daß sich die Funktionstüchtigkeit der Gesellschaft als Ganzes und die Situation der am schlechtesten Gestellten verbessert. Die Konzeption von Rawls geht aus einer Kombination von prozeduraler Gerechtigkeit (equitative Austauschgesetze auf der Grundlage von Angebot und Nachfrage) und Anpassungen und Korrekturen, die sich am Ideal einer strukturellen Gerechtigkeit orientieren, hervor (Rawls 1992, S. 73 und 55). 62

Erstere betrachtet politische ex-ante-Interventionen, die die Chancengleichheit als Bedingung für das reibungslose Funktionieren der Märkte sichern. Spezielle Erziehungs- und Ausbildungsprogramme sind notwendig, um die Chancengleichheit herzustellen, zum Beispiel auf den Arbeitsmärkten. Darin würden viele Neoliberale mit Rawls übereinstimmen. Was sie jedoch nicht akzeptieren könnten, wären ex-post-Eingriffe, die sich am Gerechtigkeitsprinzip der Ungleichheit orientieren, das heißt am Ideal struktureller Gerechtigkeit. Rawls zufolge sind diese Eingriffe notwendig, um die kumulativen Ergebnisse der individuellen Transaktionen auf dem Markt zu korrigieren. Die formalen Regeln des Marktes, die "unsichtbare Hand", garantieren nicht, daß die individuellen, prozedural-equitativen und korrekten Transaktionen nicht auf lange Sicht die Chancengleichheit aushöhlen. Obwohl sie sich unter den Bedingungen von Chancengleichheit abspielen, können die Marktprozesse aufgrund zum Beispiel der Konzentration von wirtschaftlicher Macht, exzessiven Individualismus, Schicksalsschlägen etc. Ungerechtigkeiten und soziale Härten generieren. Diese sozialen Härten und Ungerechtigkeiten machen ex-post-Korrekturen und Kompensationen der Ergebnisse des freien Spiels des Marktes notwendig. Der Markt mit seiner prozeduralen Gerechtigkeit sorgt für die Gültigkeit von sozialer Gerechtigkeit in einem funktional und temporal eingeschränkten Rahmen. Deshalb werden nachgestellte politische Eingriffe gebraucht, die sich am Ideal der strukturellen und nicht nur prozeduralen Gerechtigkeit orientieren, um die Ungleichheiten zu korrigieren, die sich als Folge der Anwendung prozeduraler Gerechtigkeitsregeln akkumuliert haben. Diese politischen, von den staatlichen Institutionen vorzunehmenden Eingriffe müssen innerhalb der Grenzen des öffentlich-institutionellen Systems (Vermögens- und Einkommenssteuern, Wirtschafts- und Fiskalpolitiken, System allgemeingültiger Gesetze und Rechte) erfolgen, sie dürfen jedoch nicht in die Sphären der privaten Transaktionen und fallspezifischen Verteilung vordringen. Es ist insgesamt diese Orientierung der staatlichen Korrekturen am Ideal struktureller Gerechtigkeit, das heißt am gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang und damit auch an der gesellschaftlichen Verteilung von Wohlstandschancen und Wohlstand, durch welche sich die Gerechtigkeitstheorie von Rawls fundamental von neoliberalen Ansätzen unterscheidet. Während letztere auf der einen Seite im Sinne des Utilitarismus einseitig auf makroökonomische Maximierung des Wohlstands setzen und andererseits - und vollständig losgelöst davon - Sozialpolitik als Armutsbekämpfung aus einer rein humanitären, also nicht gesellschaftlichen, das heißt auf gesellschaftliche Strukturen gerichteten Perspektive betreiben, hat Rawls gerade das innere gesellschaftliche Gefilge im Blick. Für ihn besitzen die Interessen und Freiheiten der individuellen Person, die nicht auf ein kollektives Subjekt übertragbar sind, oberste Priorität. Entspre-

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chend zählt die Verteilung der Güter und der Wohlfahrt ebenso wie ihre Summe. Weiterhin unterstreicht Rawls die soziale Verantwortung des Staates, der sich dieser nicht entziehen kann. Sollte ein Staat dies doch tun, so wird ihm die legitime Existenzgrundlage aberkannt, so effizient er auch unter anderen Aspekten sein mag. Ziviler Ungehorsam und andere Formen des Widerstands sind in einem solchen Falle legitim. Diese Orientierung am gesellschaftlichen Strukturzusammenhang ist es, welche die Theorie von Rawls zur Grundlage eines Ansatzes werden läßt, der an Wachstum und sozialem Ausgleich gleichermaßen orientiert ist, wie das bei dem neuen CEPAL-Konzept der Fall ist. Gegen seine marxistischen Kritiker (und - so könnte man ergänzen - auch gegen den am egalitären Gerechtigkeitsideal orientierten traditionellen CEPAL-Ansatz), die gegen Rawls eine grundlegende wirtschaftliche Gleichheit einfordern, fuhrt Rawls andererseits ins Feld, daß die Verteilung der materiellen Güter nicht absolut sein könne und lediglich die Funktion habe, die Freiheiten zu garantieren, nicht jedoch, über ihnen zu stehen. Eine egalitäre Verteilungsgerechtigkeit hätte nämlich zur Voraussetzung, daß entweder in einer Gesellschaft keine unterschiedlichen individuellen und kulturell differenzierten Bedürfnisse bestünden, das heißt daß es sich um eine vollkommen homogene Gesellschaft handeln müsse, oder aber daß die materiellen wirtschaftliche Güter (insbesondere die Produktionsmittel) allen anderen, die Freiheit eingeschlossen, übergeordnet sind und deshalb nur durch die egalitäre Verteilung der ersteren der freie Genuß und die freie Ausschöpfung der anderen Güter garantiert würden. Im Falle einer differenzierten Gesellschaft jedoch, in der unterschiedliche partikulare Begriffe des Guten und deshalb vollkommen verschiedene Bedürfnisse und Prioritäten bestehen - zum Beispiel weist die moralische Krise des Kapitalismus darauf hin, daß von immer größeren Bevölkerungsgruppen die materiellen Güter nicht mehr als das oberste Ziel gesellschaftlichen Lebens anerkannt werden -, würde die Einführung einer wirtschaftlichen Garantie für die Ausübung und Realisierung der politischen und kulturell-individuellen Freiheiten zu sozialen Aufspaltungen und permanenten Konflikten führen. In Abgrenzung zum Neoliberalismus auf der einen Seite, zu egalitären materialistischen Vorstellungen auf der anderen Seite - seien diese nun marxistischer oder lateinamerikanisch-populistischer Prägung - entwickelt somit Rawls einen Begriff von Gerechtigkeit, der nicht nur das Prinzip des demokratischen Rechtsstaats begründet, sondern auch die zunehmende Differenzierung und Pluralisierung moderner Gesellschaften, ihre wachsende soziale und kulturelle Heterogenität reflektiert. In Abgrenzung zu kommunitaristischen Ansätzen - den spheres of justice von Michael Walzer oder dem Konzept der "lokalen Gerechtigkeit" von Jon

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Elster - besteht Rawls dabei auf einem einzigen Gerechtigkeitsprinzip, das sich zwar aus einem partikularen Kontext speist, nämlich den kulturellen demokratischen Traditionen des Westens, welches jedoch durchaus die Chance der Universalisierung habe. Das Problem, das die Kommunitaristen beschäftigt, ob die (westliche) Tradition der Toleranz und Freiheit, die den modernen Verfassungsstaat trägt, nicht mit der Pluralisierung der Kulturen und Lebensformen und deren zunehmender Individualisierung langsam als verbindendverbindliche Orientierung zerstört werde, teilt er daher nicht. 4. Schlußfolgerungen f ü r Lateinamerika Die von Rawls vorgenommene Begründung des sozialen Rechtsstaats stellt insgesamt eine theoretische Legitimierung dar für den von der CEPAL vollzogenen Bruch mit der strukturalistischen, an Nation-Building und Mittelschichtförderung, das heißt am Ideal einer homogenen Gesellschaft orientierten Konzeption von Gerechtigkeit und Sozialpolitik in Lateinamerika, welche den kollektivistischen Begriffen von Wohlfahrt, wie sie einerseits der Militarismus, andererseits der Marxismus repräsentieren, nahe gestanden hatte. Im Gegensatz zu den solidarisch-kollektivistischen Strömungen, welche traditionell in Lateinamerika sozialpolitische Eingriffe populistischer Couleur legitimierten (und wie sie neuerdings von den Kommunitaristen vorgestellt werden) betont Rawls die Freiheit des Individuums. Im Namen dieser Freiheit, die Gleichheit voraussetzt - wobei hier der Unterschied zwischen der gleichen Behandlung aller Individuen und der Behandlung aller Individuen als Gleiche zum Tragen kommt (vgl. Preuß 1990, S. 120): nur um die zweite Art von Gleichheit geht es hier! - weist Rawls jedoch auch die neoliberalen Positionen eines Friedman oder Nozick zurück. Es ist diese Positionsbestimmung zwischen solidarischem Kollektivismus und neoliberalem Militarismus bzw. die Abgrenzung gegen beide, welche dem Ansatz der CEPAL grundsätzlich - von den bereits erwähnten Inkonsistenzen und inneren Brüchen abgesehen - zugrunde liegt: Die Entwicklung zum modernen sozialen Rechtsstaat bedeutet gleichzeitig den Prozeß der Abtrennung des politischen Systems von den Banden, die es an traditionelle Konzeptionen der Moralität und an ursprüngliche Formen der Gemeinschaft fesselten. Im Zuge dieses Prozesses vollzieht sich die Trennung zwischen einer Ethik der Gerechtigkeit und einer Ethik des Guten. Dies bedeutet auf der einen Seite die Formalisierung und Universalisierung der Legitimationsgrundlagen des Staates, auf der anderen Seite die Pluralisierung der Moralvorstellungen und ihre Partikularisierung. Die wachsenden Differenzierungen in der Gesellschaft - sowohl in ökonomischer, als auch in kultureller Hinsicht - und das daraus erwachsende Konfliktpotential machen einen

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Rahmen der Verteilungsgerechtigkeit erforderlich, welcher die Legitimationsgrundlage des Staates stärkt bzw. stabilisiert und gesellschaftliche Kohäsion sichert, ohne damit den Grad an Freiheit für den Einzelnen einzuschränken. Diesen vielfältigen Prozessen und den daraus resultierenden Erfordernissen sucht die CEPAL mit ihrem neuen Modell zu entsprechen. Dabei macht die spezifische Situation, in der sich Lateinamerika aktuell befindet, einen solchen, gegenüber neoliberalen und kollektivistischen Positionen differenzierteren Ansatz, dringend erforderlich: 1. Die materiellen Verteilungsverhältnisse sind nach wie vor das Hauptproblem Lateinamerikas. Den diversen Modernisierungspolitiken und ISI-Strategien ist es nicht gelungen, die Armut zu beseitigen und eine soziale Integration der lateinamerikanischen Gesellschaften zu erreichen. Im Gegenteil haben sie die Heterogenität der sozialen und wirtschaftlichen Strukturen und die Marginalisierung wachsender Bevölkerungsgruppen noch verstärkt. Mit dem Ausbruch der Krise in den siebziger Jahren, in deren Gefolge die meist von Diktaturen abgesicherten Anpassungsprozesse zur massiven Pauperisierung geführt haben, erlebte Lateinamerika einen neuen Tiefpunkt der sozialen Heterogenisierung und Verelendung. Die von den Diktaturen hinterlassene "soziale Schuld" (deuda social) steht daher im Mittelpunkt der Probleme, mit denen die neuen demokratischen Regimes konfrontiert sind. 2. Als Ergebnis der Erfahrungen mit den Militärdiktaturen hat sich jedoch auch die Wertschätzung der politischen Demokratie und der mit ihr verbundenen individuellen politischen Freiheiten, das heißt Rechtssicherheit sowie Gewissens-, Meinungs- und Organisationsfreiheit, außerordentlich erhöht und zu einer gewissen Relativierung der Fragen materieller Verteilungsverhältnisse geführt. Deren Verbesserung wird nicht mehr unbedingt und um jeden Preis eingeklagt, sondern soll an den Rahmen politischer Demokratie gebunden bleiben. 3. Eine weitere Relativierung ergibt sich - zumindest in einigen Ländern wie Argentinien und Chile - aus einer völlig neuen Wertschätzung von makroökonomischer Stabilität (nach den traumatischen Erfahrungen mit den Hyperinflationen der achtziger Jahre). Auch der Effizienz der materiellen Produktion sowie der öffentlichen Verwaltung wird - zumindest von Teilen der Bevölkerung - eine ganz neue Bedeutung beigemessen, für deren Realisierung auch zumindest vorübergehend - materielle Nachteile in Kauf genommen werden. Während so der materielle Handlungsspielraum der demokratischen Regierungen Lateinamerikas für die Bekämpfung der Armut und für die Durchsetzung einer verbesserten Verteilungspolitik aufgrund binnenwirtschaftlicher Stagnation und außenwirtschaftlicher Verschuldung nach wie vor äußerst begrenzt ist, weiten sich ihre Spielräume grundsätzlich dadurch aus, daß eine direkte und unmittelbar wirksame Verteilungspolitik durch die genannten ande-

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ren Faktoren in ihrer Bedeutung - vorübergehend - etwas relativiert wird und damit ein Teil des Druckes von den Regierungen genommen ist, sehr schnell und damit im Zweifelsfalle auf Kosten einer langfristigen Strukturanpassung und wirtschaftlichen Transformation kompensierend eingreifen zu müssen. Die große Gefahr, die jedoch in diesem Kalkül liegt - und hier müssen die jüngsten Hungeraufstände in Argentinien und Mexiko als warnendes Signal verstanden werden - ist die, daß es zur einseitigen Präferierung einer technokratischen Strukturanpassungspolitik fuhrt und der soziale Aspekt damit erneut auf die lange Bank geschoben wird. Das CEPAL-Konzept liefert hier die theoretische und strategische Möglichkeit einer Gegensteuerung, wobei sie Erfahrungen der westlichen Sozialstaaten, deren Theoretiker Rawls ist, als starkes Argument ins Feld führen kann. Ein Problem, das sich hier zeigt, ist jedoch die Tatsache, daß sich die Verbindungen der CEPAL einseitig auf die Regierungsebene reduzieren und daß es bislang an Erfahrungen mit einem intermediären Sektor zwischen Markt und Staat mangelt. Diese institutionelle Einordnung der CEPAL reflektiert sich auch in ihren Analysen: Die Möglichkeiten einer gesellschaftlichen Steuerung werden hier auf traditionelle Weise einseitig dem (Zentral-)Staat zugeschrieben. Der wachsenden Pluralisierung und Komplexität auch der lateinamerikanischen Gesellschaften ist diese Sicht kaum noch adäquat. Hier käme es darauf an, eine neue Steuerungslogik, die an den gesellschaftlichen Differenzierungsund Vernetzungsprozessen anzusetzen hätte, konzeptionell zu entwickeln. Dies würde auch die Weiterentwicklung des - ebenfalls staatsorientierten - Modells von Rawls in eine entsprechende Richtung implizieren: in Richtung auf eine Konzeption, welche die gesellschaftlichen Entwicklungen sowohl in den Industrieländern, als auch in Lateinamerika, die allgemein mit der Globalisierung der Weltgesellschaft und der Transformation fordistischer in postfordistische Regulationsweisen verbunden sind, reflektiert.

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A III. Die Bedeutung politischer Demokratie im Rahmen des CEPAL-Konzepts einer Transformación productiva con equidad 1. Das Demokratiekonzept der CEPAL und seine Kompatibilität mit competitividad und equidad Im Unterschied zu dem gegenwärtig in Lateinamerika (wie auch international) dominanten Denken, das Demokratie ausschließlich formal-institutionell, im Sinne eines pluralistischen Repräsentativsystems als politisches Komplement zu einer liberalen Marktwirtschaft versteht und den Prozeß der Demokratisierung auf die Etablierung der entsprechenden Institutionen sowie auf Deregulierung und Privatisierung reduziert, vertritt die CEPAL ein sehr viel weiter gefaßtes Konzept von Demokratie und Demokratisierung: Demokratie wird in einem dreifachen Sinne verstanden: 1. als Ziel von Entwicklung im Sinne gesellschaftlicher und personaler Selbstbestimmung (und damit als Wert an sich); 2. als institutionelles Arrangement zur konsensualen Einleitung von Entwicklungsprozessen durch a.) die Freisetzung der von den autoritären Regimes strangulierten kreativen Potentiale in der Gesellschaft; b.) durch Institutionen der Repräsentation unterschiedlicher Interessen, die gebündelt, aufeinander abgestimmt bzw. miteinander kompatibilisiert und in einen grundlegenden gesellschaftlichen Konsens überführt werden; 3. als soziale Demokratie im Sinne eines Prozesses zunehmender Gerechtigkeit (equidad) (CEPAL 1985). 68

Demokratie in diesem Sinne umfaßt drei Ebenen institutioneller Reglements (vgl. insbesondere CEPAL 1992c, S. 239ff.): 1. die mit dem Repräsentativsystem verbundenen parlamentarischen Institutionen und politischen Parteien; 2. Institutionen sozialer Konzertation, in denen sich die verschiedenen Interessengruppen, vor allem Unternehmerverbände, Gewerkschaften und Staat gegenüberstehen; 3. Institutionen zur Kontrolle wirtschaftlicher und politischer Macht, die vor allem durch eine Demokratisierung öffentlicher und privater Unternehmen sowie durch die Dezentralisierung des politisch-administrativen Apparates zu entwickeln sind. Der hier angesprochene Demokratiebegriff knüpft an die seit den dreißiger Jahren in Lateinamerika bestehende Tradition eines substantiellen sozialen und partizipativen Verständnisses von Demokratie an, ohne jedoch dessen populistische und korporatistische Aspekte mit zu übernehmen. Gegen diese Elemente richtet sich vielmehr die Kritik der CEPAL, da sie sowohl für die autoritären Entwicklungen der Vergangenheit, als auch für die Ineffizienz der bisherigen Wirtschaftspolitik und wirtschaftlichen Entwicklung im Rahmen der ISI verantwortlich gemacht werden. Demgegenüber betont die CEPAL die Bedeutung der formalen und vor allem institutionellen Aspekte des Repräsentativsystems, das heißt die Notwendigkeit einer institutionellen Artikulierung der sozialen Akteure, ihre Transformation in politische Akteure und die Institutionalisierung ihrer Interaktion. Insofern liegt hier der Versuch einer Integration von liberalem und sozialem Demokratiemodell vor, ohne daß dies allerdings explizit gemacht und die historischen Wurzeln des verwendeten Konzepts und seine theoretischen Prämissen offengelegt würden. Die Kompatibilität einer so verstandenen Demokratie mit equidad braucht nicht eigens begründet zu werden, da Demokratie, soziale Kohäsion, sozialer Ausgleich und Partizipation in ihrem Zusammenwirken die grundlegenden Elemente einer modernen bürgerlichen Gesellschaft ausmachen (1992b, S. 17). Demokratie und demokratische Repräsentation möglichst aller Bevölkerungsgruppen ist Voraussetzung für sozialen Ausgleich, wie umgekehrt sozialer Ausgleich die Legitimität des demokratischen Regimes erhöht und damit zu seiner Stabilisierung und Vertiefung beiträgt. Anders verhält es sich mit der Kompatibilität von Demokratie und Wettbewerbsfähigkeit. Die CEPAL erkennt grundsätzlich die Problematik dieses Verhältnisses an. Als die beiden zentralen Herausforderungen, mit denen die Demokratie in Lateinamerika aktuell konfrontiert ist, werden genannt (1992b, S. 24ff.): 1. die wachsende Kluft zwischen den Erwartungen breiter Bevölkerungsgruppen, insbesondere der Jugend, und der Realität, die sich durch eng 69

gesteckte bzw. nicht vorhandene Verteilungsspielräume auszeichnet; daraus resultiert die Gefahr der zunehmenden Desintegration der Gesellschaft; 2. die Imperative, die von der neuen Weltmarktintegration ausgehen: durch diese sind die Spielräume für Entwicklungsalternativen sehr eng begrenzt. Dies bedeutet, daß a.) die technischen Problemlösungskapazitäten in Staat und Gesellschaft erhöht werden müssen, was jedoch gleichzeitig die Gefahr einer weiteren Entfernung zwischen professioneller Politik und den Bedürfhissen der Bevölkerung in sich birgt, mit der Folge einer starken Begrenzung von Partizipationsmöglichkeiten. Damit ist weiterhin die Gefahr eines Rückfalls in konfrontative politische Auseinandersetzungen bis hin zur neuerlichen Installierung autoritärer oder populistischer Regime verbunden. b.) Weiterhin bedeutet es die Gefahr einer ungleichgewichtigen institutionellen Innovation, die sich ohne demokratische Gegensteuerung auf die unmittelbar mit der Weltmarktintegration konfrontierten Unternehmen und Sektoren konzentriert, mit der Folge wachsender sozialer Ungleichgewichte. Solchen Entwicklungen ist nur über konsequente Demokratisierung entgegenzusteuern. Die Möglichkeit dafür, und damit auch die grundsätzliche Möglichkeit (keinesfalls Zwangsläufigkeit) einer Kompatibilität von Demokratie und Wettbewerbsfähigkeit, sieht die CEPAL darin gegeben, daß sich die Demokratien in Lateinamerika gegenwärtig auf einen breiten Konsens stützen können. Dieser ist zunächst vor allem ein antidiktatorialer Konsens, der aufgrund einer weitgehenden Entideologisierung der politischen und wirtschaftspolitischen Auseinandersetzungen möglich wurde (vgl. CEPAL 1990d, S. 58 sowie CEPAL 1992c, S. 242). Gegenwärtig bezieht sich dieser Konsens in erster Linie auf kurzfristige Ziele einer Stabilisierungspolitik, während hinsichtlich einer langfristigen Transformationsstrategie, die den Kriterien des sozialen Ausgleichs zu gehorchen hat, ein breiter gesellschaftlicher Konsens noch nicht besteht (vgl. CEPAL 1992c, S. 242). Es handelt sich also bisher um einen rein negativen Konsens - gegen die Diktatur und gegen die Inflation -, nicht um einen positiven und langfristigen Entwicklungskonsens. Ein solcher Konsens soll jedoch mit Hilfe der von der CEPAL vorgeschlagenen Transformationsstrategie möglich sein, und zwar aufgrund der hohen sozialen Legitimität, die deren zentrale Elemente genießen: 1. Fundamental ist die Herstellung systemischer Wettbewerbsfähigkeit auf der Grundlage der Einführung und Verbreitung moderner Technologien. Denn der effiziente wettbewerbsorientierte Einsatz dieser Technologien erfordert den Aufbau komplexer moderner Innovationssysteme. Dazu gehören zum einen die grundlegende Reform und Neustrukturierung des gesamten Bildungssystems, zum anderen soziale Innovationen, die mit der Reorganisierung der Unternehmen und der Einführung neuer Managementkonzepte auch eine vollständig neue Form der Arbeitsbeziehungen umfassen: 70

a.) Die vor allem von Japan ausgehende und sich international immer mehr durchsetzende Erkenntnis, daß die Produktivität der Arbeitskraft sehr weitgehend von ihrem intelligenten Einsatz und ihrer Arbeitsmotivation abhängt und die effiziente Verwendung moderner Technologien durch diese Faktoren sehr stark bedingt ist, legt die Notwendigkeit einer Reform der Arbeitsbeziehungen nahe mit dem Ziel, eine stärkere Identifikation der Produzenten mit den Zielen ihres Unternehmens zu erreichen. Voraussetzung dafür ist, daß die Arbeiter nicht mehr als Gegner oder bloße Produktionsfaktoren betrachtet werden, sondern als echte Mitarbeiter, was verschiedene Formen der Partizipation einschließt. Dazu können gehören: die Beteiligung an Fortbildungsmaßnahmen, an Sicherheits- und Hygienemaßnahmen, an sozialen Leistungen sowie die Teilnahme an Qualitäts- und Produktivitätszirkeln. Im Zentrum dessen, was die CEPAL an Beteiligungsmöglichkeiten diskutiert, steht jedoch die Partizipation an Produktivitätsfortschritten in Form von partizipativen Löhnen (CEPAL 1992c, S. 152). Außer der materiellen Beteiligung an den Früchten des Fortschritts ist damit der Vorteil erhöhter Arbeitsplatzsicherheit verbunden (CEPAL 1992c, S. 157). Darüberhinaus jedoch kann auf diese Weise ein Klima zunehmender Kooperation zwischen Kapital und Arbeit entstehen. "Partizipative Löhne dienen gleichzeitig der wirtschaftlichen Transformation (indem sie zu Produktivitätssteigerungen beitragen), einem sozialen Ausgleich (indem sie die Beschäftigungssicherheit erhöhen) und der Demokratisierung (indem sie die soziale Kohäsion stärken)." (CEPAL 1992c, S. 158). Auf gesamtgesellschaftlicher Ebene bedeutet Partizipation vor allem soziale Konzertierung auf der Grundlage gleichberechtigter Kooperation zwischen den verschiedenen sozialen Akteuren und damit auch eine Bestätigung der demokratischen Institutionen. b.) Die Reform des Bildungssystems hat einer doppelten Aufgabe gerecht zu werden: zum einen die notwendigen technischen Qualifikationen bereitzustellen, ohne die technologische Innovationen sinnvoll nicht vorzunehmen sind mit den genannten demokratisierenden Konsequenzen für die Arbeitsbeziehungen. Zum anderen hat sie dazu zu führen, daß der Bildungssektor seinem eigentlichen "Bildungs"-Auftrag im Sinne einer Vermittlung verbindend-verbindlicher Werte und ethischer Normen als Voraussetzung für die Bildung staatsbürgerlichen Bewußtseins und staatsbürgerlicher Verantwortung gerecht wird. Die Entstehung einer in diesem Sinne modernen bürgerlichen Gesellschaft ist die Voraussetzung für langfristige Entwicklung wie umgekehrt Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit die Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit der bürgerlichen Gesellschaft sind. Entwicklung und Demokratie sind somit in der gegenwärtigen Phase gesellschaftlicher Entwicklung in Lateinamerika eng miteinander verbunden (vgl. CEPAL 1992b, S. 126). "Ein Wachstumsprozeß mit sozialem Ausgleich und unter Erhaltung der natürlichen Grundlagen und Umweltbedingungen ist kein automatischer Pro71

zeß, sondern ein kultureller Akt, welcher das individuelle, wie auch das kollektive Umdenken der an ihm beteiligten Subjekte impliziert. Die Bildung von Staatsbürgern mit sozialem Verantwortungsbewußtsein erfordert die solidarische und aktive Beteiligung an einer gemeinsamen Organisation mit einem gemeinschaftlichen Projekt. Ethisches Verhalten ist daher nicht nur eine Bedingung für wirtschaftliches Wachstum, sondern Ethik vermittelt diesem Wachstum überhaupt erst einen Sinn, das heißt läßt es dem ganzen Menschen und allen Menschen zugute kommen. In dieser Hinsicht kann Bildung einen entscheidenden Beitrag zur Entwicklung leisten." (CEPAL 1992b, S. 126). 2. Eine Kompatibilisierung von Demokratie und sozialer Gerechtigkeit mit Wettbewerbsfähigkeit über den Aufbau nationaler Innovationssysteme hält die CEPAL keinesfalls in einem ausschließlich oder auch nur primär marktgesteuerten Prozeß für möglich. Entscheidende Bedeutung mißt sie vielmehr politischer Regulierung bei. Im Gegensatz zum Neoliberalismus wird hier somit der Staat nicht auf seine ordnungspolitischen Funktionen reduziert, sondern nach wie vor als starker Entwicklungsstaat konzipiert, der jedoch im Unterschied zu früher selektiv zu intervenieren hat im Sinne einer möglichst effizienten Reorientierung der produktiven Basis der Gesellschaft. Dies setzt jedoch eine grundlegende Restrukturierung des Staates selbst voraus. Deren entscheidende Elemente sind: a.) die Stabilisierung und Ausweitung der staatlichen Finanzierungsgrundlage, vor allem mit Hilfe einer an Kriterien sozialen Ausgleichs orientierten Steuerreform (CEPAL 1992c, S. 87ff.) auf der Grundlage eines pacto fiscal (CEPAL 1992c, S. 95); b.) sowie die Reorganisation des staatlichen Institutionengefiiges. Beides soll die staatliche Steuerungsfähigkeit im Sinne wachsender Funktionalität für den mit sozialem Ausgleich verbundenen weltmarktintegrierten Transformationsprozeß erhöhen. Diese Funktionalität ist jedoch nicht automatisch gegeben und folgt schon gar nicht vorgegebenen Konzepten. So kann auch die Privatisierung öffentlicher Unternehmen keinesfalls als ein allgemein gültiges Rezept angesehen werden (CEPAL 1990d, S. 160). In diesem Prozeß werden vielmehr zwangsläufig unterschiedliche soziale Gruppen und Sektoren in unterschiedlichem Maße begünstigt oder benachteiligt. Eine effiziente Restrukturierungspolitik kann daher nur das Resultat der möglichst breiten Konzertierung zwischen den verschiedenen repräsentativen Kräften sein (CEPAL 1990d, S. 154). Nur die Einbeziehung auch der bisher vom politischen Prozeß ausgeschlossenen Gruppen kann verhindern, daß Effizienz im Sinne einer Förderung selektiver Weltmarktintegration auf Kosten der sozialen Ausgleichs geht (CEPAL 1990d, S. 156). Voraussetzung ist eine weitgehende Institutionalisierung der Interaktion zwischen Staat und privaten Akteuren, eine möglichst breite Organisation und 72

Repräsentation der letzteren, was eine weitgehende Dezentralisierung des politisch-administrativen Apparates zur Voraussetzung hat. Je weiter die Demokratisierung in dieser Hinsicht geht, desto besser ist mit ihrer Hilfe das kreative Potential der Gesellschaft zu mobilisieren und desto mehr trägt sie auch zur sozialen Integration und Kohäsion bei (CEPAL 1992c, S. 239ff.). 2. Zur Kritik des Konzepts der CEPAL von Demokratie und Demokratisierung im Lichte der internationalen Debatte. Grundsätzlich ist die Definition von Demokratie im Rahmen des CEPAL-Konzepts sehr skizzenhaft und angedeutet. Im Gegensatz zu den Konzepten von "Wettbewerbsfähigkeit" und "sozialem Ausgleich", die breit abgehandelt werden, ist dem Demokratiekonzept nicht einmal ein eigenständiger Teil gewidmet; es wird vielmehr immer nur am Rande erwähnt. Von daher sind mit ihm viele offene Probleme und ungeklärte Fragen verbunden. Das gesamte Modell der CEPAL, das sich als Leitbild für gesamtgesellschaftliche Entwicklung versteht, unterstellt umstandslos eine grundsätzliche Steuerungsfähigkeit komplexer moderner Gesellschaften in eine bestimmte politisch gewollte und demokratisch entschiedene Richtung, wobei dem Staat nach wie vor eine zentrale Rolle zukommt. Die Prämissen dafür sind: 1. Eine breite politische Repräsentation nichtpolitischer Interessen ist grundsätzlich möglich bzw. umgekehrt: die Eigendynamik politischer Institutionen und die Autonomie des politischen Akteurssystems ist nicht so groß, daß ein bedeutender Teil der sozialen und ökonomischen Interessen von ihnen gar nicht wahrgenommen und verarbeitet werden kann. Jegliche systemtheoretisch inspirierte Selbstbeschränkung des politischen Systems im Sinne von Selbstreferenz wird hier somit verworfen bzw. als Problem gar nicht erst in Betracht gezogen. Daraus folgt, daß Politik sich diesen außerökonomischen Interessen gegenüber zu legitimieren hat bzw. umgekehrt: daß Legitimation nicht bzw. nicht primär im selbstrefentiellen Sinne einer "Legitimation durch Verfahren" (Luhman) zu erfolgen hat. 2. Politische Repräsentation kann grundsätzlich unabhängig von den jeweils konkreten Verhältnissen sozialer Macht in diesem sehr breit gefaßten partizipativ-demokratischen Sinne verstanden werden; sie geht - zumindest potentialiter - über ein elitendemokratisches Repräsentativmodell weit hinaus. Damit ist es möglich, institutionelle Kanäle so aufzubauen, daß sich darüber die Vielfalt der repräsentierten Interessen zu einer konsistenten langfristigen Entwicklungsstrategie bündelt. Dies wiederum setzt zweierlei voraus: Zum einen, daß sozialökonomische und politische Machtverhältnisse einer solchen Entwicklung nicht grundsätzlich im Wege stehen - ein Thema, zu dem die 73

CEPAL im übrigen kein Wort verliert. Zum anderen (und im Zusammenhang damit), daß es einen normenbasierten gesellschaftlichen Grundkonsens über die wesentlichen Kriterien einer solchen Entwicklungsstrategie gibt bzw. daß dieser auch unter extrem heterogenen sozialen Bedingungen möglich ist. 3. Eine in diesem Sinne demokratisch entschiedene und kontrollierte politische Intervention in Marktprozesse ist möglich, ohne daß dies mit Effizienzverlusten für das ökonomische System verbunden wäre. Denn der Aufbau moderner nationaler Innovationssysteme ist aufgrund der mit ihnen verbundenen Dezentralisierungstendenzen und Kooperationserfordernisse auf den verschiedensten Ebenen für demokratische Partizipation förderlich bzw. setzt diese voraus. 4. Die innergesellschaftlichen Dezentralisierungs- und Horizontalisierungstendenzen sowie die mit den neuen internationalen Wettbewerbsstrategien verbundenen Globalisierungstendenzen unterlaufen nicht prinzipiell die zentralen politischen Regulierungs- und Steuerungskompetenzen. Mit diesen Prämissen bezieht die CEPAL theoretische Positionen, die in einschlägigen internationalen Debatten nicht nur höchst kontrovers sind, sondern die auch unter sich zum Teil unstimmig sind und zumindest erhebliche Unklarheiten hinterlassen. Für die Demokratieproblematik besonders relevant sind dabei die folgenden Fragen: 1. die Frage nach der Möglichkeit demokratischer politischer Steuerung; 2. die Frage nach dem realen Demokratisierungspotential der modernen Innovationssysteme; 3. die Frage nach den normativen Grundlagen für einen entwicklungspolitischen Grundkonsens. Zur demokratischen politischen Steuerung gesellschaftlicher Entwicklung Wenn die CEPAL die Möglichkeit einer auf breiter politischer Partizipation beruhenden demokratisch kontrollierten politischen Steuerung gesellschaftlicher Entwicklung postuliert, so stützt sie diesen aller bisherigen Erfahrung in Lateinamerika widersprechenden Optimismus auf die fundamentalen Strukturveränderungen, die international die Transformation vom Fordismus zum Postfordismus mit sich gebracht haben und die ihren Niederschlag auch in Lateinamerika finden. Diese Veränderungen können ganz allgemein als Übergang von der Massenproduktion zur flexiblen Spezialisierung mit den entsprechend veränderten Anforderungen an die nationalen Innovationssysteme beschrieben werden. Dazu gehören vor allem Tendenzen zur Dezentralisierung und zur horizontalen Vernetzung, was die Bedeutung von nichthierarchischer Kooperation und von Partizipation entscheidend erhöht.

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Dieses hier von der CEPAL unterstellte Ableitungsverhältnis zwischen postfordistischer Struktur und demokratischer Regulierungsmöglichkeit ist erstens zirkulär: denn der Aufbau postfordistischer Innovationssysteme muß ja unter real gegebenen, das heißt weitgehend (noch) undemokratischen Verhältnissen stattfinden und soll diese erst möglich machen. Andererseits jedoch setzt die Steuerung im Sinne einer Kompatibilisierung von Marktwirtschaft mit sozialer Gerechtigkeit eine weitgehende Demokratisierung bereits voraus. Die CEPAL läßt hier die Frage nach den potentiellen Trägern einer Entwicklungsstrategie in ihrem Sinne unbeantwortet. Zweitens wird das unterstellte Abhängigkeitsverhältnis selbst für vergleichsweise demokratischere Industrieländer grundsätzlich angezweifelt: Zum einen ist das Demokratisierungspotential moderner Innovationssysteme höchst strittig - vgl. dazu weiter unten unter Punkt 2. Zum anderen wird die politische Steuerungsmöglichkeit postfordistischer Gesellschaften sehr grundsätzlich angezweifelt, nachdem die Globalsteuerung offensichtlich an ihre Grenzen gestoßen war und zentral- sowie nationalstaatliche Interventionskapazitäten immer weiter demontiert werden. Denn postfordistische Strukturen implizieren die fortschreitende Differenzierung der Gesellschaft und verstärken damit den Eigensinn von Subsystemen, die sich auf diese Weise politischer Intervention immer mehr entziehen. Insofern sollten die Erkenntnisse der modernen Systemtheorie durchaus in Rechnung gestellt werden, wenn sie auch sicherlich nicht verabsolutiert werden dürfen. Demgegenüber ist zum Beispiel der PolicyAnsatz in der neueren politischen Theorie, indem er eine Integration von System- und Handlungstheorie versucht, auf planmäßige Überschreitung der engen Grenzen des politischen Subsystems und auf die Erforschung von Handlungskorridoren und Nischen der Autonomie angelegt, (vgl. unter anderen von Beyme, Hartwich/Wever 1991 sowie auch Marin/Mayntz 1991 und Abromeit/Jürgens 1992). Im Rahmen des Regulationsansatzes wird diese Frage grundsätzlicher behandelt und in Verbindung mit einer sozial gehaltvollen Machttheorie gebracht: In Auseinandersetzung mit dem strukturalistischen Ansatz Althussers und in Anknüpfung an Kosik und Labriola werden hier die gesellschaftlichen Akteure als Subjekte wieder eingeführt, die im Rahmen vorgegebener (historisch gewachsener) Strukturen schöpferisch handeln und damit auf die Strukturen zurückwirken, diese verändern und weiterentwickeln. Steuerung ergibt sich hier aus der Interaktion der Akteure im Rahmen der Hegemonialstruktur eines in sich differenzierten und dezentralisierten gesellschaftlichen Gesamtzusammenhangs (vgl. Lipietz 1992, S. 39ff.). Ein Problem, das überdies von der CEPAL nicht in Rechnung gestellt wird, betrifft die Konsequenzen, welche die Globalisierungstendenzen in der internationalen Produktion für nationalstaatliche Regulierungsmöglichkeiten haben. Hier ginge es darum, die sich aus den in Kapitel 1 diskutierten Ansätzen zur

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Wettbewerbsfähigkeit ergebenden Erkenntnisse für die Frage der Steuerung fruchtbar zu machen. Grundsätzlich ist das synergetische Zusammenwirken der relativ autonom funktionierenden gesellschaftlichen Subsysteme Marktwirtschaft und politisches Repräsentativsystem, welches den eigentlichen Strukturgewinn moderner Gesellschaften im Sinne hoher Effizienz ausmacht, für postfordistische Gesellschaften selbst im Falle der Industrieländer bisher noch völlig unzureichend erforscht. Eine Einbeziehung der Spezifik der lateinamerikanischen Bedingungen, insbesondere hinsichtlich der Differenzierung und Enthomogenisierung von sowieso schon extrem heterogenen und desintegrierten sozialen, ökonomischen und politisch-kulturellen Strukturen verkompliziert diese Frage noch weiter. Der Komplexität dieses Problems wird die CEPAL in keiner Weise gerecht. Ihre Argumentation ist auf der einen Seite ökonomistisch, insofern sie unterstellt, daß das politische Akteurssystem das ökonomische System nur unter Anpassung an die globale ökonomische Handlungslogik wirklich beeinflussen kann - was jedoch gleichzeitig bedeutet: unter weitgehender Aufgabe seiner Handlungsautonomie und seiner autonomen Gestaltungskraft. Auf der anderen Seite jedoch wird der reale Spielraum für die Gestaltungskraft politischer Regulierung abhängig vom Ausmaß demokratischer Partizipation gesehen. Dabei bleibt vollständig offen, wie das Verhältnis zwischen den Institutionen des politischen Repräsentativsystems, den Institutionen gesellschaftlicher Konzertation und der staatlichen Exekutivbürokratie aussehen soll bzw. kann: Wie verläuft der Prozeß tatsächlicher Einflußnahme auf die staatliche Politik im Sinne einer Bündelung und Filterung von Interessen unter den Bedingungen nach wie vor bestehender oligarchischer Macht- und Herrschaftsverhältnisse? Wie kristallisiert sich aus diesem Prozeß eine Steuerungsfähigkeit des Staates heraus bzw. welche anderen Steuerungszentren gibt es und wie wirken diese zusammen? Für die Demokratie-Debatte relevant ist auch, daß die CEPAL keine begriffliche Unterscheidung von Staat und Regime vornimmt. Entsprechend wird auch nicht die Frage thematisiert, in welcher Weise und unter welchen Bedingungen unterschiedliche Regimeformen die Konstitution eines steuerungsfähigen Staates real begünstigen oder behindern können. Dies ist umso gravierender, als in der traditionellen entwicklungspolitischen Diskussion ein starker steuerungsfähiger Staat nur in autoritärer Form denkbar gewesen war (vgl. vor allem Huntington und O'Donnell). Eine konsequente Desartikulation von steuerungsfähigem Staat und Diktatur wäre hier von großer Bedeutung. Die CEPAL beschränkt sich demgegenüber lediglich auf die Desartikulation von Korporatismus und Demokratie, insofern sie den traditionellen Korporatismus als institutionelles Arrangement kritisiert, welches die Steuerungsfähigkeit des Staates blockiert hatte. Sie weist jedoch nicht positiv nach, daß bzw.

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wie und unter welchen Bedingungen gerade ein demokratisches System geeignet ist, diese Blockaden aufzuheben und die staatliche Steuerungsfähigkeit wieder herzustellen. Jedenfalls sind die Argumente, die die CEPAL für die Demokratie (und gegen den Korporatismus) anführt, nahezu dieselben, die Huntington für die Diktatur (und gegen den Prätorianismus) gebrauchte: Daß nur vermittels autonomer Institutionen die Konstitution und Repräsentation öffentlicher Interessen möglich sei. Wenn sie dann zum Beispiel die chilenische Steuerreform von 1977 als Modell für die effiziente Durchführung einer staatlichen Finanzreform anführt (1992a, S. 96f.), so könnte dies auch die Schlußfolgerung zulassen, daß autoritäre Bedingungen eigentlich doch günstiger sind. Jedenfalls bleibt die CEPAL hier den umgekehrten Nachweis schuldig. Auch das Verhältnis von technokratisch-bürokratischem Apparat auf der einen Seite und politischen Institutionen auf der anderen bleibt unklar - ein Faktor, der jedoch zum Beispiel für die Erklärung der Unterschiede zwischen Argentinien und Chile von Bedeutung ist: Während demokratische Institutionen wie Parlament und Parteien in Chile traditionell relativ stark waren und damit auch den starken Staat einer wirksamen Kontrolle unterwerfen konnten (vgl. zum Beispiel Valenzuela 1989), war in Argentinien gerade das Gegenteil der Fall, was die weitgehende Indienstnahme des Staates durch Partikularinteressen und die daraus resultierende hohe politische Instabilität in der Geschichte dieses Landes erklärt (vgl. unter anderen Waisman 1989, Schvarzer 1987). Diese Unterschiede innerhalb der lateinamerikanischen Region wie auch historische Erfahrungen aus Europa zeigen, daß auch in frühen Phasen marktwirtschaftlicher und demokratischer Entwicklung ein starker Staat durchaus kompatibel sein kann mit Demokratie, daß dies aber bestimmte gesellschaftliche Voraussetzungen auf dem Gebiet zivilgesellschaftlicher und politischer Institutionalisierung hat, die in verschiedenen Ländern sehr unterschiedlich gegeben waren bzw. sind (vgl. zu allen diesen Fragen vor allem die Artikel in Diamond/Linz/Lipset 1989). Touraine (1986, S. 120), der im übrigen das Denken der CEPAL in diesem Bereich deutlich inspiriert hat, nennt außer dem Vorhandensein eines Gleichheitsprinzips drei weitere grundlegende Bedingungen für Demokratie und ihre Kompatibilität mit einem starken Staat: 1. die Existenz eines anerkannten politischen Raumes, in dem sich die Privatpersonen unabhängig von ihrer sozialen Zugehörigkeit als Staatsbürger konstituieren; 2. die Trennung der zivilen Gesellschaft, das heißt des Raumes für Pluralität und divergierende Interessen, vom Staat, der per definitionem einheitlich ist; 3. die Existenz anerkannter Interessenorganisationen in dem Sinne, daß die repräsentativen Institutionen den zu repräsentierenden Interessen entsprechen.

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Das politische System hat in diesem Zusammenhang die Funktion einer Bündelung und Filterung der sozialen Interessen in den Staat und damit der Kompatibilisierung ihrer Pluralität mit der staatlichen Einheit. Dies bedeutet die institutionelle Entflechtung der im traditionellen System unmittelbar miteinander verflochtenen (bzw. miteinander identifizierten) Elemente und Ebenen und die Herstellung ihrer wechselseitigen Autonomie: die gleichzeitige Konstitution eines etatistischeren Staates, von exklusiv sozialen Akteuren und eines repräsentativeren politischen Systems (Touraine 1986, S. 130). In diesem Zusammenhang ist auch die gegenwärtig in Lateinamerika geführte Verfassungsdebatte interessant, die jedoch im Rahmen des CEPALKonzeptes keine Erwähnung findet: diese dreht sich vor allem um die Möglichkeiten und die Bedeutung einer Parlamentarisierung der am US-System orientierten präsidialen Verfassungssysteme sowie der Einführung stärkerer Kontrollinstanzen im Sinne effizienterer checks and balances (vgl. dazu unter anderen die Beiträge in Diamond/Linz/Lipset 1989). Nicht thematisiert wird weiterhin die Bedeutung autonomer, mit technokratischem Eigeninteresse ausgestatteter Staatsbürokratien und ihrer institutionellen Voraussetzungen wie Berufsbeamtentum, entsprechende Qualifizierungseinrichtungen und Karriereleitern. Die Bedeutung dieses Faktors wird ebenfalls augenfällig bei Betrachtung der Unterschiede zwischen Argentinien und Chile, wobei das letztgenannte Land traditionell über einen solchen Apparat verfügte und der Staat nicht zuletzt darum immer auch effizienter intervenieren konnte. Unerwähnt bleibt auch das Militär als Machtfaktor und als eine weitgehend autonome Institution, die sowohl für die wirtschaftliche, als auch für die politische Stabilisierung von erheblicher Bedeutung ist - ein Faktor übrigens, der in der gesamten aktuell in Lateinamerika geführten Demokratisierungsdebatte ziemlich unterbelichtet ist (Ausnahmen: Diamond/Linz/Lipset 1989 sowie vor allem Varas 1989), nachdem er in der vorhergegangenen Transitionsdebatte eher im Mittelpunkt gestanden hatte (unter anderem bei O'Donnell/Schmitter/ Whitehead 1986). Zum Demokratisierungspotential moderner Innovationssysteme Zu diesem zentralen Pfeiler, auf den die CEPAL ihre Demokratisierungshoffnung stützt, gibt es international eine breite und höchst kontroverse Diskussion, die von der CEPAL in dieser Kontroversität nicht angesprochen wird. Daraus resultiert der Eindruck, daß hier doch eine weitgehend automatische Folgebeziehung angenommen wird, die problematisch ist. Die internationale Debatte entfaltet sich in dem Spannungsfeld dreier extremer Positionen:

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Auf der einen Seite besteht ein technik-deterministisches Verständnis des Zusammenhangs von neuen Technologien und institutionellem Gefuge in dem Sinne, daß das japanische Modell des "Toyotismus", das heißt des Zusammenspiels von flexibler Automationstechnik mit den Organisationsformen der lern production, insbesondere der partizipativen, konsensorientierten Arbeitsbeziehungen und Managementkonzepte, internationale best practices repräsentiere, so daß jedes Land, welches internationale Wettbewerbsfähigkeit erreichen will, mit den Technologien auch die dazugehörigen Organisationsformen einführen muß. Diese Position wird insbesondere vom MIT vertreten (vgl. vor allem Womack/Jones/Roos 1992). Die zweite Position argumentiert mit dem erreichten Entwicklungsstand gesellschaftlicher Evolution, auf dem die Perfektionierung funktional-technokratischer Systemintegration an ihre Grenzen gestoßen sei, weil sie die kommunikative Dimension von Rationalisierung völlig außerachtgelassen habe. Dadurch habe sie traditionelle sozialintegrative Grundlagen von Unternehmenskultur verbraucht und einen kulturellen Bedarf an modernen Formen der Sinnstiftung und Sinnvermittlung entstehen lassen, die nur kommunikativ hergestellt und gepflegt werden können (vgl. Ulrich 1987, insbesondere S. 434ff.). Die neuen Technologien hätten dies Problem insofern ins Bewußtsein gebracht, als die volle Ausschöpfung ihrer Effizienzpotentiale nur mit Hilfe moderner kommunikationsorientierter Produktionskonzepte möglich sei. Autonome Persönlichkeit, Kommunikation, Sinngebung und ganzheitliche Tätigkeit werden hier explizit als Produktivkräfte verstanden. Diesem Verständnis werde von modernen, konsensorientierten Managementkonzepten Rechnung getragen, wenngleich bei diesen bislang auch der strategische Gesichtspunkt im Vordergrund stünde, so daß die Ökonomie des Dialogs nur dort funktioniere, wo die Machtverhältnisse dies zuließen (Ulrich 1987, S. 441). Trotzdem wird - entsprechend der kommunikationstheoretischen Prämisse - aus dem grundsätzlichen gegenseitigen Aufeinander-Verwiesensein von System- und Sozialintegration die "historische Unausweichlichkeit einer Moralisierung der Ökonomie auf dem Niveau einer postkonventionellen Kommunikationsstruktur" (Ulrich 1987, S. 441) abgeleitet, die nicht nur die unternehmensinterne Organisation betreffe, sondern immer mehr die gesamte Gesellschaft erfasse. Gegenüber diesen beiden optimistischen Sichtweisen vereinigt die dritte Position alle die Autoren, die auch von der grundsätzlichen Bedeutung des gesellschaftlichen Umfeldes ausgehen, dabei jedoch sehr viel konkreter und empirischer gerade die jeweils unterschiedliche Bedeutung spezifischer Gesellschaftsstrukturen für die Möglichkeiten und Formen des Einsatzes der neuen Technologien hervorheben und deren Konsequenzen für die Gesellschaft, insbesondere im Hinblick auf Demokratisierung, sehr viel skeptischer beurteilen.

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Gegen den vom MIT unterstellten (und sich auch bei der CEPAL andeutenden) quasi automatischen Zusammenhang von technologischer und sozialer Innovation betonen zum Beispiel Kern/Schumann (1990, S. 48) die grundsätzliche Gefahr eines cultural lag, das heißt des Zurückbleibens der Fertigungsorganisation hinter den Umwälzungen der Fertigungstechnologie. Jürgens/Malsch/Dohse (1989) und Scherrer (1989) weisen in diesem Zusammenhang darauf hin, daß die technikorientierte Umstrukturierungsstrategie, die in den achtziger Jahren in den USA (vor allem in der Automobilindustrie und im Werkzeugmaschinenbau) durchgeführt worden war, nicht im gleichen Maße soziale Innovationen einschließlich der dazugehörigen Institutionen mit sich gebracht habe - mit der Folge relativ geringer Produktivitätszuwächse. Die Einführung moderner Technologie bedeutet somit keinesfalls automatisch den Aufbau moderner Innovationssysteme im Sinne der Herstellung systemischer Wettbewerbsfähigkeit. Der Vergleich zwischen US-amerikanischen, bundesdeutschen und japanischen Umstrukturierungen macht weiterhin deutlich, daß die Durchführung entsprechender sozialer Innovationen nicht in erster Linie mit der Technik verkoppelt ist, sondern ihre primären Voraussetzungen im jeweiligen gesellschaftlichen Umfeld - bezüglich der Interaktionsmuster zwischen Staat und Unternehmen, der Struktur der Kapazitäten von Forschung und Entwicklung sowie der industriellen Beziehungen - hat, die nicht überall gegeben und auch nicht einfach aus dem Boden zu stampfen sind (vgl. dazu auch Dörr/Hildebrandt/Seltz 1991, S. 21). Die Untersuchungen von Kern/Schumann (1990) ergeben außerdem, daß die mögliche Verkoppelung von technologischer und sozialer Innovation erhebliche branchenspezifische Unterschiede aufweist und daß zum Beispiel für den Fall der BRD das soziale Innovationspotential in den industriellen Kernbranchen Automobil, Werkzeugmaschinenbau und Chemie sehr groß, in der Nahrungsmittelbranche aber trotz hohen Automationsgrades sehr gering ist (Kern/ Schumann 1990, S. 300ff.). Vor allem aber macht die Japan-Rezeption deutlich, daß die den modernen Technologien angepaßten Formen von Unternehmensorganisation und Arbeitsbeziehungen und die damit verbundenen Partizipationsmöglichkeiten der Produktionsarbeiter in Japan selbst durchaus nicht im Sinne einer innerbetrieblichen Demokratisierung wirken. Ihre Einbettung in ein patriarchalisch-hierarchisches Gesellschaftssystem impliziert vielmehr eine patriarchalische Funktionsweise auch der Produktionsorganisation. Das heißt: Es geht weder um eine Ausweitung personaler Selbstbestimmungsrechte, noch um Partizipation im Sinne "dialogischer Willensbildung". Die erhöhten Partizipationsmöglichkeiten werden vielmehr im Austausch gegen die Rundum-Nutzung der ganzen Person erzielt, was gleichzeitig auch bedeutet, daß außerhalb der Arbeitswelt gelegene Möglichkeiten der Selbstbestimmung praktisch auf Null reduziert

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sind - mit der Folge gesundheitsgefährdender Streßbelastungen (vgl. dazu Jürgens/Malsch/Dohse 1989, Jürgens 1992 sowie Mahnkopf 1988). Das japanische Modell bestätigt damit, was Piore und Säbel allgemein für die modernen Formen flexibler Spezialisierung postulieren: daß ihre Einführung die Grenzen zwischen ökonomischer Organisation und Gesellschaft fließend werden läßt und "daß der Einsatz moderner Technologie vom Wiedererstarken von Beziehungsformen und Loyalitäten abhängig ist, die in der Regel der vorindustriellen Vergangenheit zugeschrieben werden." (Piore/Sabel 1985, S. 305). Die Einführung dieser Technologien in einen patriarchalischen gesellschaftlichen Kontext, wie er in weiten Bereichen Lateinamerikas noch existiert, könnte daher betriebsintern dessen Struktur reproduzieren und damit auch außerbetrieblich eher zu deren Zementierung beitragen, das heißt im Zweifelsfalle keine weitergehenden Demokratisierungsperspektiven eröffnen. Gegen eine solche Perspektive gesamtgesellschaftlicher Demokratisierung sprechen auch die Auswirkungen, die die Einführung der neuen Technologien auf die Beschäftigungssituation und den Arbeitsmarkt haben. So mag es zwar zutreffen, daß partizipative Löhne zur Stabilisierung von Arbeitsverhältnissen beitragen. Darüberhinaus könnten auch am japanischen Modell orientierte Formen der Unternehmensorganisation, sofern sie auf die Erzielung einer stärkeren Arbeitsmotivation und Identifikation mit dem Unternehmen gerichtet sind, zu langfristigen Beschäftigungsgarantien führen (vgl. dazu Womack/ Jones/Roos 1992). Die Einführung moderner Technologien bedeutet aber vor allem auch, daß unqualifizierte Arbeitsplätze massenhaft wegrationalisiert werden - mit der Konsequenz struktureller Arbeitslosigkeit. Weiterhin ist eine zunehmende Segmentierung der Arbeitsmärkte bis hin zu einer Dualisierung in Kern- und Randbelegschaften zu erwarten. Aufgrund der immer spezifischeren Bedürfnisse einzelner Sektoren, Regionen oder Unternehmen werden zunehmend bisherige makropolitische Regulierungsformen durch dezentrale Formen, darunter verstärkt auch mikropolitische Formen auf Betriebsebene, ersetzt. So findet zum Beispiel ein Machttransfer von den zentralen Gewerkschaften zur betrieblichen Interessenvertretung statt, weil die Partikularisierung der Interessenlagen der Beschäftigten die sowieso schon angeschlagene Macht der Gewerkschaften weiter aushebelt, indem sie deren Strategien der Vereinheitlichung die Grundlage entzieht. Dies hat zur Konsequenz, daß die soziale Schließung betriebsinterner Arbeitsmärkte unwidersprochen einhergehen kann mit der Externalisierung von Nachteilen und Anpassungslasten zuungunsten der externen Arbeitsmärkte, (vgl. Keller 1989, Hirsch/Roth 1986, Kern/Schumann 1990). Arbeitslosigkeit und Segmentierung der Arbeitsmärkte haben unweigerlich soziale Enthomogenisierungsprozesse mit der Gefahr gesellschaftlicher Des81

integration und Zerstörung sozialer Kohäsion zur Folge. Damit wird einer Stabilisierung der Demokratie gerade die Grundlage entzogen. Dies gilt selbst für die Industrieländer. Noch mehr wird es für Lateinamerika gelten, wo die Beschäftigungsstrukturen sowieso extrem heterogen sind und eine hohe strukturelle Arbeitslosigkeit besteht. Eine Lösung der sozialen Problematik mit Hilfe der neuen Technologien ist somit nicht in Sicht und ein diesbezüglicher Optimismus der CEPAL ist durch nichts begründet. Andererseits gibt es jedoch offensichtlich zur Einführung der neuen Technologien keine Alternative. Ein Verzicht darauf würde ja Verzicht auf internationale Wettbewerbsfähigkeit, würde weitere Stagnation, wenn nicht gar Zusammenbruch bedeuten und damit die angedeutete Problemlage noch um ein Vielfaches verschärfen. Ein Zurück zu traditionellen Konzepten kann es unter aktuellen Weltmarktbedingungen nicht geben. Eine langfristige Perspektive hinsichtlich sozialen Ausgleichs ist daher weder über technologischen Determinismus, noch über (marktvermittelten) evolutionären Selbstlauf, sondern wenn überhaupt - nur über politische Regulierung möglich. Diese Tatsache wird von der CEPAL - zumindest in diesem Zusammenhang - nicht ausreichend problematisiert. Völlig offen und von der CEPAL an keiner Stelle angesprochen bleibt allerdings, ob die gesellschaftlichen Bedingungen für die Durchführung sozialer Innovationen, wie sie der effiziente Einsatz der modernen Technologien erfordern würde, in Lateinamerika bzw. in einzelnen lateinamerikanischen Ländern oder Regionen überhaupt gegeben sind. Während zum Beispiel Womack/ Jones/Roos (1992) für die Automobilindustrie postulieren, daß die Einführung des japanischen Modells der lern production überall auf der Welt und unter allen Bedingungen möglich ist, behaupten Piore und Säbel (1985), daß eine Produktion der flexiblen Spezialisierung nur auf der Grundlage kommunitärer gesellschaftlicher Strukturen denkbar ist. Diese letzte These wird unterstützt durch Auslagerungsprozesse von Produktionsstätten der internationalen Automobilindustrie aus Regionen mit konfliktiven und durch institutionelle Rigiditäten gekennzeichneten Arbeitsbeziehungen in solche, die sich durch höhere Anpassungsbereitschaft der lokalen Arbeitskraft auszeichnen (vgl. Jürgens 1991 und Jürgens/Naschold 1992). Beispielhaft ist hier die US-amerikanische Auslagerungsstrategie nach Mexiko. Ähnliche Prozesse wurden zum Beispiel auch für die brasilianische Maschinenbauindustrie nachgewiesen (Meyer-Stamer 1992). Es ist somit höchst fraglich, ob in einzelnen Ländern oder einzelnen Regionen die in die institutionalisierten Arbeitsbeziehungen eingebauten Rigiditäten im Sinne eines traditionellen, konfliktiven Interessenvertretungsmodells nicht so groß sind, daß die von der CEPAL geforderten sozialen Innovationen gar nicht - oder zumindest auf absehbare Zeit nicht - durchführbar sind. Kann zum Beispiel eine kooperative Einbindung der argentinischen Gewerkschaften, die bislang keinerlei diesbezügliche Disposition zu erkennen 82

gegeben haben, überhaupt gelingen, bzw. welche Ausweichstrategien im Sinne geographischer Verlagerung im Land selbst oder im regionalen Kontext gibt es in dieser Hinsicht?

Zur normativen Grundlage eines entwicklungspolitischen Konsenses Wenn die CEPAL die Möglichkeit eines normenbasierten gesellschaftlichen Konsenses als Voraussetzung für gesellschaftliche Steuerung, die an dem Leitbild der CEPAL für Entwicklung orientiert ist, unterstellt, so steht dies im eklatanten Widerspruch zu dem, was real in den meisten lateinamerikanischen Ländern zu beobachten ist: nämlich der Verlust traditioneller Werte und Zerfall sozialer Kohäsion, breite Entsolidarisierungsprozesse und massive gesellschaftliche Desintegration bis hin zu anomischen Zuständen und Bürgerkrieg. Wenn die CEPAL von der Notwendigkeit eines gesellschaftlichen Umdenkens im Sinne eines "kulturellen Aktes" spricht, so trägt sie dieser Problematik zwar Rechnung; sie äußert sich jedoch nicht zu der Frage, woher denn die neue Ethik, welche das Bildungssystem zu vermitteln hat, kommen soll und wie postkonventionelle Werte und Normen sich überhaupt herausbilden können. Der Hinweis auf den antidiktatorischen Konsens und auf die Entideologisierung der gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen ist nicht ausreichend, da mit ihm eine neue Ethik ebenso wenig erklärt werden kann wie ein langfristiger Entwicklungskonsens. Die große Bedeutung, die die CEPAL dem Konsens, der Konzertation und der Kooperation in den verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen bemißt, weist darauf hin, daß hier diskursethisch argumentiert wird - allerdings nicht im Sinne von Habermas (1981), der eine Demokratisierung der systemischen Bereiche von Staat und Gesellschaft aufgrund der (unterstellten) damit verbundenen Effizienzverluste für sinnlos hält und eine demokratische Steuerung der Gesellschaft vielmehr indirekt durch die Macht der in der lebensweltlich organisierten Zivilgesellschaft geführten Diskurse, die auf die systemischen Bereiche im "Zustand der Belagerung" einwirken, für möglich hält. Wie bereits gesagt, hält die CEPAL eine direkte Steuerung gesellschaftlicher Entwicklung über die Demokratisierung von Staat und Wirtschaft für möglich. Eher indirekt und im Rekurs auf den spezifischen lateinamerikanischen Diskussionskontext, in dem das CEPAL-Modell entwickelt wurde, läßt sich schließen, daß ihre Argumentation inspiriert ist von dem aktuell in der linken lateinamerikanischen Politologie dominanten "Neokontraktualismus" (Portantiero 1988, Flisfish 1987, Lechner 1988 und andere). Die hier vertretene Vorstellung von einer verbindend-verbindlichen sozialen Ordnung als kontingentes Ergebnis gesellschaftlicher Auseinandersetzungen unterstellt, daß Konflikt und 83

Kooperation keine sich gegenseitig ausschließenden Konzepte sind, daß vielmehr der pacto democrätico den grundlegenden Konsens über eine Wertordnung ausdrückt, welche das Feld konstituiert, auf dem political bargaining zwischen den plural-konfliktiven sozialen Akteuren stattfindet. Die Voraussetzung dafür, daß sich eine partizipative Demokratie in einer konfliktivpluralistischen Gesellschaft durchsetzen kann, ist die gegenseitige Anerkennung der Akteure als Gleiche, ihre Selbstbegrenzung sowie ihre Bereitschaft zur Konfliktaustragung auf einer "symbolischen Bühne", auf der die Regeln verständigungsorientierter Kommunikation herrschen. Dieses Plädoyer für die Ablösung des discurso de la guerra im Sinne Carl Schmitts durch einen discurso de la politica (vgl. Portantiero 1988, S. 82) geht wie Habermas von der Vermutung aus, daß vernünftige Ergebnisse aufgrund der formalen Regeln dialogischer Verständigung möglich bzw. zu erwarten sind, weil Verständigung ein reziproker Vorgang ist. Im Unterschied zu Habermas halten die Neokontraktualisten - und mit ihnen die CEPAL - aber auch eine Reorganisation grundsätzlich medial integrierter Systeme vermittels verständigungsorientierter Kommunikation für möglich, ohne daß damit Effizienzverluste verbunden wären. Der systematische, konstitutive Stellenwert von Machtbeziehungen, die in den sozioökonomischen Strukturen verankert und in die medial integrierten Systeme Wirtschaft und Staat eingeschrieben sind (Poulantzas), geht in diesem Diskurs (ebenso wie bei Habermas) verloren. Dies schlägt sich in aller Deutlichkeit auch bei der CEPAL nieder. Die entscheidende Frage, wie weit nach wie vor bestehende oligarchische Machtverhältnisse die Möglichkeiten für verständigungsorientierten Dialog strukturell limitieren bzw. blockieren, bleibt auch hier offen. Portantiero schreibt: "Demokratie als Ziel ist unabhängig von der ihr zugrunde liegenden sozialökonomischen Ordnung und läßt sich von dieser nicht ableiten... Der Übergang von einem autoritären und ungerechten System zu einer demokratischen und gerechten Gesellschaft erweist sich letztendlich als ein Problem, dessen Lösung vom Willen der Akteure abhängt. Jede Gesellschaft ist ein künstliches Produkt, keine natürliche Ordnung. Als solche ist sie nicht reduzierbar auf die Determinanten, die fälschlicherweise aus vorgeblichen Gesetzen der Geschichte abgeleitet werden." (Portantiero 1988, S. 86, 89f.). Aus der Ablehnung jeglichen substantialistischen Determinismus fällt die Argumentation hier in einen offenen Voluntarismus. Wenn es jedoch auch keinen Determinismus, und schon gar keinen unikausalen gibt, so gibt es doch jedenfalls "Determinanten", welche die Spielräume für den "Willen der Akteure" offensichtlich erheblich vorstrukturieren. Zu diesen Determinanten gehören in erster Linie soziale Machtverhältnisse. Wenn daher auch kein automatischer Zusammenhang zwischen Demokratie und einer 84

bestimmten sozialökonomischen Ordnung besteht, so ist doch dieses Verhältnis keinesfalls beliebig: Demokratie als hegemoniale Ordnung (im Sinne Gramscis) hängt ja gerade davon ab, wieweit es gelingt, die verschiedenartigen Konflikte in den unterschiedlichen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Bereichen zu einem hegemonialen Projekt zu artikulieren, das heißt reale Antagonismen diskursiv zu überwinden. Dies ist abhängig von den Ergebnissen der Konfliktaustragung, die ihrerseits abhängig von den Machtverhältnissen sind. Es ist daher realistisch anzunehmen, daß discurso de la guerra und discurso de la polttica sich nicht ausschließen, sondern neben- und miteinander vorkommen und im Zusammenspiel mit medialen Integrationsformen das jeweilige politische und gesellschaftliche System prägen. Eine Verbindung von Diskurs-Ethik und sozioökonomisch fundierter Machttheorie ist meines Erachtens nur im Rahmen eines Hegemonie-Konzeptes auf der Linie Gramscis möglich. Dieses Hegemonie-Konzept impliziert die Herstellung der strukturellen Einheit der Gesellschaft durch Dominanz in einem doppelten Sinne: Zum einen, indem die herrschenden Klassen ihre Interessen mit denen der Beherrschten abstimmen in einer Weise, daß die Interessen der herrschenden Gruppen nur innerhalb bestimmter Grenzen überwiegen, aber nicht in einem exkluierenden, engen ökonomisch-korporativen Sinne; zum anderen, indem innerhalb des Machtblocks der herrschenden Klassen eine dieser Klassen oder Fraktionen die Vorherrschaft über die anderen besitzt (vgl. Lipietz 1992, S. 27). Dieses Hegemonie-Konzept enthält neben dem grundlegenden Dominanzverhältnis immer auch eine partizipative bzw. inkluierende Komponente; insofern weist Hegemonie eine enge Affinität zur Demokratie auf bzw. muß Demokratie unter Herrschaftsbedingungen als hegemoniale Ordnung aufgefaßt werden. Dieses gramscianische Konzept wäre jedoch in dem Sinne weiterzuentwickeln, daß es die spezifischen Bedingungen postfordistischer Gesellschaften, das heißt ihren hohen Differenzierungsgrad und die wachsende Autonomie pluraler Subsysteme reflektierte. Im Unterschied zum Mainstream des sogenannten network-Ansatzes (vgl. hierzu Marin/Mayntz 1991) scheint mir grundsätzlich die Vorstellung von Hegemonie mit dem Konzept einer ausdifferenzierten pluralistischen und immer mehr auf horizontalen Vernetzungen beruhenden Gesellschaft durchaus vereinbar, da Dezentraliserung und Horizontalisierung strukturierende und konstitutive Hierarchien nicht nur nicht ausschließen, diese vielmehr auch voraussetzen - und mit ihnen grundlegende Herrschaftsverhältnisse. Von hier aus könnte dann auch die Frage nach der politischen Steuerbarkeit gesellschaftlicher Entwicklung eher theoretisch konsistent beantwortet werden. Es ließe sich weiterhin die Frage ableiten, ob das CEPAL-Modell geeignet ist, die Funktion eines hegemonialen Projekts zu übernehmen - eines Projekts, auf das sich ein auf seiner sozialökonomischen und politischen Machtstellung beruhendes hegemoniales Akteursbündnis als Herrschaftsinstrument im Sinne 85

politisch-moralischer Führung bei dem Prozeß gesellschaftlicher Integration und politisch gewollter Steuerung der gesellschaftlichen Entwicklung stützen kann. Wenn die C E P A L beansprucht, mit Hilfe ihres Modells einen langfristigen Entwicklungskonsens herstellen zu können, dann muß dies im Sinne eines hegemonialen Projekts interpretiert werden. 3. Ausblick: Das Leitbild der C E P A L von Entwicklung ein hegemoniales Projekt? Angesichts des Mangels an alternativen Konzepten - der Neoliberalismus als einzige real vorhandene Alternative kommt aufgrund seiner Ablehnung von eigenständigen gesellschaftspolitischen Konzepten hier nicht in Betracht - kann eine politische Steuerung gesellschaftlicher Entwicklung, welche im echten Sinne eine "Zivilisierung der Evolution" (Wilke) bedeutet, sich gegenwärtig überhaupt nur an den Zielvorstellungen der C E P A L orientieren. Die Realisierbarkeit dieser Vorstellungen hängt jedoch unter anderem auch davon ab, wieweit es gelingt, das CEPAL-Modell zum hegemonialen Projekt zu machen. Dies setzt wiederum voraus, daß es zu einem hegemonialen Bündnis kommt, das sich in seiner Entwicklungstrategie an diesem Modell orientiert. Die Frage, wieweit Gesellschaften fähig sind, sich aus sich selbst heraus und ohne Rekurs auf transzendentale Begründungen zu institutionalisieren, steht nicht zufallig im Zentrum der Demokratisierungsdebatte in Lateinamerika, zumal das Problem sich hier mit besonderer Schärfe zeigt: Das Vorherrschen traditioneller Vorstellungen von Gesellschaft als organische, hierarchisch strukturierte Gemeinschaften, die auf vorgegebenen und nicht hinterfragbaren Gemeinwohl Vorstellungen beruhen, blockiert die Ausbreitung von Vorstellungen von einer gesellschaftlich produzierbaren Ordnung. Egalitär-demokratische Konzepte und realistische Konzepte von Staatsräson haben sich diesen Vorstellungen eher assimiliert (vgl. Touraine 1986), als daß sie einen Dualismus (Koexistenz) zu ihnen bildeten (so zum Beispiel Lechner 1988, S. 131). Aber wie auch immer: Dies hat es den im Zuge der Modernisierung von Desintegrationsprozessen bedrohten Gesellschaften ermöglicht, einen Rest an Identität zu bewahren, erschwert jedoch die Etablierung weltlicher Konzepte von Politik und Demokratie (Lechner 1988, S. 131). Entscheidend ist jetzt, daß die Diktaturen der siebziger und achtziger Jahre die Assimilationsfähigkeit zwischen traditionellen und modernen Formen an ihre Grenzen gebracht haben, indem sie die substantialistischen Begründungsformen ähnlich ad absurdum gefuhrt haben, wie dies für die europäischen totalitären Systeme der Fall war: wo Identität (im Sinne Carl Schmitts) nur noch in tödlicher Konfrontation mit dem anderen erlebt werden kann, schlägt sie potentiell auch destruktiv gegen die eigene Identität zurück. Nicht nur die 86

CEPAL, sondern auch die gesamte von der Linken geführte Demokratisierungsdebatte in Lateinamerika betont die zentrale Bedeutung dieses Zusammenhangs (unter anderen O'Donnell 1986, Flisfish/Lechner/Moulian 1985, Lechner 1988, Flisfish 1987, Portantiero 1988). Die Nachkriegsgeschichte der BRD zeigt beispielhaft, daß die Erfahrung mit der Diktatur dann zu einem konsolidierenden Moment für pluralistisch-demokratische Strukturen werden kann, wenn sie zentraler Bestandteil eines hegemonialen Diskurses wird - eines Diskurses, der im Falle der BRD zumindest für die ersten Jahre weitgehend außengesteuert war. Die Geschichte der BRD zeigt aber auch, daß die Transformation einer kollektiven Erfahrung in ein die Gesellschaft rekonstituierendes Moment in Form eines hegemonialen Projekts erfolgen kann, wenn diese Erfahrung mit anderen, auch ökonomischen Entwicklungen artikuliert ist. Die expansiven ökonomischen Bedingungen der Wirtschaftswundersituation erleichterten zum Beispiel die Ersetzung des traditionell von der Arbeiterbewegung verfolgten und aus dem Klassenantagonismus abgeleiteten Prinzips der Gleichheit (igualdad) durch das pluralistischen, das heißt nicht-antagonistischen Konzeptionen entspringende und daher für ein hegemoniales Projekt geeignetere Prinzip der "Chancengleichheit" (equidad). Vergleichbare Voraussetzungen sind aktuell in Lateinamerika nicht im entferntesten gegeben und die Bedingungen für Hegemonie nicht eben günstig: Zum einen ist angesichts extremer sozialer Polarisierungen bei nicht oder nur marginal vorhandenen Verteilungsspielräumen eine hegemoniale Einbindung, die geeignet wäre, den antidiktatorischen und kurzfristigen stabilisierungspolitischen Konsens in einen positiven und langfristigen Entwicklungskonsens zu überführen, eher unwahrscheinlich. Zum zweiten ist in der politischen Kultur Lateinamerikas die republikanische Idee traditionell getrennt von der demokratischen bzw. befindet sich sogar in einem antagonistischen Verhältnis zu ihr: Während erstere politisch exklusiv war und sozial auf dem Prinzip der Chancengleichheit gegründet war, war letztere politisch inklusiv-populistisch, auf dem Prinzip der igualdad gegründet und antirepublikanisch. Das CEPAL-Modell selbst enthält jedoch andererseits - im Unterschied zum Neoliberalismus - Elemente, die es für ein hegemoniales Projekt geeignet erscheinen lassen: Dies sind gerade alle die Punkte, in denen die CEPAL die Kompatibilität von Wettbewerbsorientierung einerseits, sozialem Ausgleich und Demokratie andererseits nachzuweisen versucht und damit die nicht-antagonistischen, konsensfähigen Aspekte einer weltmarktintegrierten Entwicklung betont. Zum ersten Mal in der entwicklungstheoretischen Debatte um Lateinamerika wird ja hier ein integratives Konzept angeboten, das Gerechtigkeit und Demokratie nicht erst als Ergebnis eines langfristigen trickle down wirtschaftlichen Wachstums verwirklichen will, sondern gleichzeitig mit Wachstum und Marktwirtschaft.

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Wesentlich für diesen Diskurs ist erstens die Desartikulation von Demokratie und substantiell verstandener igualdad (Gleichheit) sowie die Reartikulation von Demokratie mit dem liberalen Prinzip der equidad (Ausgleich, Chancengleichheit). Im Zusammenhang damit ist auch die Desartikulation von Demokratie mit Populismus/Korporatismus und ihre Reartikulation mit Pluralismus zu sehen; weiterhin wird die Desartikulation von starkem Staat und Diktatur einerseits, von Demokratie und schwachem Staat andererseits, sowie die Reartikulation von Demokratie und starkem Staat versucht - wobei, wie oben gezeigt worden war, letzteres zunächst einmal nicht ganz überzeugend gelungen ist. Zweitens gehört dazu die Betonung der zivilisatorischen Bedeutung aller derjenigen sozialen Innovationen, die die CEPAL im Gefolge der Einführung moderner Technologien für weitgehend zwangsläufig erachtet. Insgesamt spitzt sich damit die Frage nach der Realisierbarkeit des Modells der C E P A L auf die weitergehende Frage zu, ob die Bildung eines hegemonialen Bündnisses, das als Träger einer entsprechenden Entwicklungsstrategie infrage käme, absehbar oder wahrscheinlich ist. Die Frage ist konzeptimmanent nicht zu beantworten; die Antwort wird vielmehr von den sozialen und politischen Auseinandersetzungen in jedem einzelnen Land gegeben werden.

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Barbara Töpper

A IV. Resümee aus der Betrachtung des CEPAL-Konzepts Das CEPAL-Konzept Tranformaciön Productiva con Equidad stellt vor allem deshalb eine entwicklungsstrategische und -theoretische Neuorientierung dar, als es erstmals die Möglichkeit einer Kompatibilisierung von weltmarktorientiertem Wachstum mit sozialem Ausgleich (equidad) und politischer Demokratie postuliert und theoretisch zu begründen versucht und daraus ein integriertes Modell ableitet. Dabei ist "Kompatibilität" nicht gleichzusetzen etwa mit funktionaler Bezogenheit oder zwangsläufigem Aufeinanderverwiesensein. Im Unterschied zu dem traditionelleren strukturalistischen Ansatz der CEPAL, der gerade die funktionale Bezogenheit von Wachstum, verbesserter Verteilungsgerechtigkeit und Demokratie postuliert hatte in dem Sinne, daß Binnenmarktausweitung mit ihren Verteilungseffekten als Voraussetzung für langfristiges Wachstum gesehen wurde (wobei Wachstum binnenorientiert konzipiert war, während Demokratie implizit mit sozialer Demokratie, das heißt Verteilungsgerechtigkeit, gleichgesetzt wurde) sieht das neue CEPAL-Konzept solche Interdependenzen gerade nicht mehr gegeben. Wachstum hat nur noch in weltmarktintegrierter Form Chancen, das heißt, seine Dynamik ist aufgrund seiner Bezogenheit auf den Referenzrahmen Weltmarkt wesentlich außenorientiert, wobei die Fähigkeit der einzelnen Länder, diese Dynamik für sich zu nutzen sehr unterschiedlich ausgeprägt ist. Sozialer Ausgleich ist aus dieser Perspektive eher eine Modalität, in der Wachstumsprozesse ablaufen sollten, ohne daß ein notwendiger Zusammenhang zwischen beiden bestünde. Als eigenständiges Entwicklungsziel jedoch ist sozialer Ausgleich ein normativer Anspruch, dem Wachstum und wachstumsorientierte Politiken auch genügen sollen. Die Möglichkeit dafür ist allerdings im Unterschied zu früheren Phasen weltmarktintegrierten bzw. exportorientierten Wachstums nach Meinung der CEPAL gegeben, weil Wettbewerbsvorteile immer weniger nur auf den Faktorkosten, und das heißt hier: auf nie89

drigen Arbeitslöhnen, beruhen, sondern in zunehmendem Maße auch von der Herausbildung moderner Innovationssysteme mit den entsprechenden Anforderungen an die Qualität der Arbeitsplätze und Qualifikation der Arbeitskraft abhängen. Hierin sieht die CEPAL reale Tendenzen zu einem sozialen Ausgleich. Auch das Verhältnis von wirtschaftlicher Transformation und Demokratie wird jetzt als ein äußeres konzipiert: Demokratie wird primär verstanden als autonomer politischer Raum, in dem pluralistische Interessenrepräsentanz zur Grundlage staatlicher Regulierung wird, die in grundsätzlich (welt)marktgesteuerte Wirtschaftsprozesse modifizierend und lenkend eingreift. Damit ist Demokratie weder Voraussetzung, noch Folge von Wachstum, sondern ein Faktor zur Bestimmung der Modalitäten, in denen sich Wachstum und mit ihm die wirtschaftliche Transformation - vollzieht. Vor allem wird Demokratie als eigenständiges Entwicklungsziel verstanden. Die Möglichkeit eines Wachstums unter demokratischen Bedingungen, die vom herrschenden Diskurs der sechziger und siebziger Jahre geradezu ausgeschlossen wurde (Huntington, O'Donnell etc.), wird ebenfalls mit dem Charakter moderner, weltmarktintegrierter Innovationssysteme, das heißt der mit ihnen verbundenen Tendenz zu horizontaler Interaktion und Vernetzung sowie zu Partizipation, vor allem aber mit der Erfahrung der Diktaturen, die Demokratie erst als Selbstwert erlebbar gemacht haben, begründet. Auch hier wird jedoch kein zwingender Zusammenhang behauptet. Anders ist es mit dem Verhältnis von Demokratie und sozialem Ausgleich. Beide werden zwar nicht mehr gleichgesetzt, aber doch in einem engen, sich gegenseitig bedingenden Wechselverhältnis gesehen. Insgesamt ist diese Sichtweise von Kompatibilitäten anstelle von funktionalen Bezogenheiten im CEPAL-Konzept nicht stringent durchgehalten. Immer wieder kommen im Zuge der Argumentation ein grundlegender Funktionalismus und ein technikdeterministisches Verständnis zum Ausdruck, welche im Widerspruch zu der eigentlichen Novität des Ansatzes stehen. Daraus ergibt sich dann leicht ein überzogener Optimismus bezüglich der Entwicklungsmöglichkeiten im allgemeinen, aber auch in bezug auf die staatliche Steuerungskapazität im besonderen. Damit werden Illusionen geweckt, die sich als gefährlich, weil zu gesellschaftlicher Frustration führend, erweisen könnten. Dieser bei der CEPAL festzustellende überzogene Optimismus resultiert vor allem aus der Tatsache, daß die theoretischen Konzepte und empirischen Erfahrungen, auf die die CEPAL ihr neues Entwicklungskonzept fundamental stützt, in sehr selektiver Weise ausgewertet werden, indem nur positive Tendenzen zur Kenntnis genommen werden, während alles Negative, im Widerspruch dazu Stehende systematisch ausgeblendet wird:

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1. Nachholende technologische Entwicklung oder kumulative Unterentwicklung? Die CEPAL unterstellt die Möglichkeit nachholender Entwicklung auf der Grundlage technologischer Entwicklung. Angesichts der immensen technologischen Lücke, die zwischen den Industrie- und den Entwicklungsländern klafft, kann dies nur im Sinne einer ebenfalls nachholenden Technologie-Entwicklung verstanden werden. Die CEPAL geht damit offensichtlich davon aus, daß die technologische Lücke durch Aufholprozesse - zumindest annäherungsweise zu schließen ist. Dies setzt voraus, daß alle Länder auf einem Kontinuum angesiedelt sind, jeweils entsprechend ihrem Abstand von der TechnologieFront. Eine solche Sicht hebt das alte Zentrum-Peripherie-Paradigma und die mit ihm implizierte qualitative Unterscheidung in den Strukturen und dynamischen Entwicklungsmöglichkeiten zwischen Industrie- und Entwicklungsländern auf, indem sie diese zu einem quantitativen Unterschied macht. Diese Sicht wird einerseits von den neuen Wettbewerbstheorien, wie sie in Kapitel A 1 dargestellt wurden, nahegelegt: So sprechen zum Beispiel auch Dosi/Pawitt/Soete (1990) von einem solchen, die jeweilige technologische Kompetenz reflektierenden Kontinuum, auf welchem jedes Land seine Position hat. Diese Position drückt damit jeweils die absolute (bzw. "strukturelle") Wettbewerbsfähigkeit bzw. absolute Wettbewerbsnachteile der Länder aus. Ein Aufsteigen auf dem Kontinuum ist grundsätzlich möglich, weil Wettbewerbsvorteile man-made sind, das heißt durch entsprechende innovationsorientierte Praktiken der relevanten Akteure aufgebaut werden können. Daß diese Möglichkeit real jedoch höchst begrenzt und im Zweifelsfalle eher nicht gegeben ist, wird zum einen von der historischen Erfahrung nahegelegt, nach der die internationale Hierarchie in den Wettbewerbspositionen der Länder eine außerordentlich hohe Stabilität aufweist und es nur in einigen wenigen Ausnahmefällen (Japan, Südkorea) zu einem Aufsteigen gekommen ist. Zum anderen läßt sich die äußerste Begrenztheit der Möglichkeiten für aufholende technologische Entwicklung jedoch auch analytisch aus den Wettbewerbskonzepten selbst schließen: Die Asymmetrien in der Verteilung der Innovationskapazitäten zwischen den Ländern werden durch jede Innovation aufgrund der dadurch wachsenden technologischen Lücke verstärkt und befestigen damit auf der einen Seite den absoluten Wettbewerbs vorteil des betreffenden Landes, auf der anderen den absoluten Wettbewerbsnachteil aller übrigen Länder. Ein Ausgleich kann mit Hilfe von Diffusionsprozessen erfolgen, insofern als darüber die technologische Lücke reduziert wird. Die jeweilige Wettbewerbsposition der Länder hängt somit von dem Verhältnis zwischen beiden Prozessen ab (Dosi/Pawitt/ Soete 1990, S. 185). 91

Nun sind die Möglichkeiten für Innovationen - in Abhängigkeit von dem technologischen Entwicklungspotential der verschiedenen Wirtschaftssektoren sehr unterschiedlich, so daß die sektorale Spezialisierung der einzelnen Länder im Rahmen der Weltarbeitsteilung für deren potentielle Innovationskapazität von außerordentlicher Bedeutung ist: "Aus einer dynamischen TechnologiePerspektive macht es einen Unterschied, ob eine Region oder ein Land auf die Produktion von Pilzen oder die von Silikon-Chips spezialisiert ist." (Dosi/Pawitt/Soete 1990, S. 2). Aus der spezifischen Spezialisierungsstruktur der Entwicklungsländer resultiert mit dem begrenzten technologischen Entwicklungspotential auch eine im Vergleich zu den Industrieländern begrenzte technologische Lernmöglichkeit und -kapazität, damit auch begrenzte Wissensakkumulation, so daß absolute Wettbewerbsnachteile potenziert werden, während sich auf der anderen Seite bei den Industrieländern entsprechende absolute Vorteile dynamisch verstärken. Die daraus resultierende Vertiefung der internationalen Asymmetrien potenziert sich weiter durch folgende Faktoren: Erstens ist für eine dynamische, innovationsorientierte Praxis der Akteure von fundamentaler Bedeutung deren Weltsicht, ob diese zum Beispiel risikofreudig und eher an langfristigem Wachstum oder sehr risikoscheu und ausschließlich an kurzfristigen Profiten orientiert sind. Auch hier sind sich selbst verstärkende Prozesse in die eine oder andere Richtung zu erwarten: Ein innovationsorientierter Kontext wird eine entsprechende Weltsicht der Akteure und ein entsprechendes Klima verstärken, was seinerseits positiv auf den Innovationsprozeß zurückwirkt. Umgekehrt wird ein wenig innovationsgeprägtes Klima in einer Wirtschaft, die primär auf die Ausnutzung komparativer Kostenvorteile gerichtet ist und deren Akteure traditionell an der kurzfristigen und leichten Realisierung von Renten orientiert sind, dazu tendieren, die tradierten Spezialisierungsstrukturen zu befestigen, ohne innovative Impulse auf diese auszusenden. Zweitens wirkt die Schaffung dynamischer Externalitäten durch den Einsatz moderner Technologien in der Form nichtmarktförmiger Interaktionen und technologischer Komplementaritäten, welche sich in (Länder-, Region- oder Unternehmens-) spezifischen Qualifikationen und Organisationsformen niederschlagen und welche zum integralen Bestandteil moderner Innovationsprozesse geworden sind, lediglich in einem dynamischen, innovationsorientierten Kontext als incentive, während sie sonst eher als constraint (zum Beispiel im Sinne von Eintrittsschranken) wirkt. Der kumulativen Entwicklung auf der einen Seite entspricht somit Stagnation auf der anderen (Dosi/Pawitt/Soete 1990, S. 241f.). Drittens sind die wirtschaftlichen Signale, mit denen die Akteure konfrontiert sind und auf die sie reagieren müssen, in Abhängigkeit von den Asymmetrien in der technologischen Kompetenz (als Folge des kumulativen, idiosyn92

kratischen und nur teilweise transferierbaren Charakters von technologischem Fortschritt) und der daraus resultierenden wirtschaftlichen Performance sehr unterschiedlich. Aus ihnen resultiert eine sehr unterschiedliche Perzeption zum Beispiel der mit Technologien verbundenen Entwicklungsmöglichkeiten, die gerade bei komplexeren Technologien nur seitens der fortgeschritteneren Unternehmen und Länder als incentive wahrgenommen werden können, während sie sonst eher als negatives Signal und Eintrittsschranke gewertet werden (Dosi/Pawitt/ Soete 1990, S. 246). Viertens ist vom Stand der Technologie-Entwicklung, der technologischen Kapazität und Netzwerkbildung die Breite des Suchprozesses abhängig, in der eine Gesellschaft mögliche technologische Entwicklungen für die Zukunft mit den immer darin implizierten Irrwegen und Unsicherheiten erproben kann. So weisen Dosi/Pawitt/Soete (1990, S. 247f.) darauf hin, daß ein Großteil des wirtschaftlichen Erfolges der Industrieländer auf ihre Fähigkeit zurückzuführen ist, redundante Ressourcen zu produzieren und eine Vielzahl technologischer trajectories zu erforschen, was auch zu einem Überschuß an technologischen und organisatorischen Versuchen führte, die später wirtschaftlich nicht realisiert wurden. Umgekehrt ist der wirtschaftliche Mißerfolg der realsozialistischen Planwirtschaften zu einem großen Teil darauf zurückzuführen, daß sie eine solche Kapazität nicht hatten bzw. sich nicht leisten konnten oder wollten, was sich schließlich in allokativer Ineffizienz und technologischem Rückstand niederschlug. Hier stellt sich natürlich die Frage, wie es mit einer entsprechenden Fähigkeit der Entwicklungsländer bzw. Lateinamerikas bestellt ist: Angesichts massiver interner wie externer finanzieller Engpässe sowie angesichts der weitgehenden Binnenmarktrezession etc. muß deren diesbezügliches Potential wohl eher negativ beurteilt werden. Auch in dieser Hinsicht ist also ein weiteres Zurückfallen hinter die absoluten Vorteile der Industrieländer eher wahrscheinlich. Fünftens besteht gerade im Falle der Entwicklungsländer - wie Lateinamerikas im besonderen - bezüglich des technologischen Suchprozesses eine viel größere Offenheit, damit aber auch Ungewißheit und Risikoträchtigkeit als dies in den Industrieländern der Fall ist. Während hier nämlich die Suchprozesse in den relativ geordneten Bahnen der trajectories stattfinden, die ihnen trotz aller Redundanz doch ein vergleichsweise hohes Maß an Effizienz und Erfolgssicherheit garantieren, sind solche trajectories in Lateinamerika durch die Krise der importsubstituierenden Industrialisierung (ISI) und die darauf folgende neoliberale Destruktions- und Deindustrialisierungspolitik zum großen Teil einfach unterbrochen worden. Technologie-Entwicklung muß hier in vielen Bereichen bei Null anfangen, während gleichzeitig der Erfolgsdruck erheblich ist. In einer Situation knapper Ressourcen und geringen akkumulierten technologischen Wissens resultiert daraus eine objektive Überforderung

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der Akteure, die von diesen im Zweifelsfalle als negative Entwicklungsschranke perzipiert wird. Während somit der Paradigmenwechsel der Dritten Technologischen Revolution in einigen Industrieländern zu erneuten dynamischen Entwicklungsmöglichkeiten und zu einem weiteren Vorsprung auf dem Weltmarkt geführt hat, weil die im Rahmen der traditionellen Produktionstechniken akkumulierten technologischen Kompetenzen auch die Integration und effiziente Nutzung der elektronischen Technologien ermöglicht hat, sind solche mit den traditionellen Produktionstechologien verbundenen Kompetenzen in Lateinamerika in weiten Bereichen vernichtet worden; die Kontinuität eines Prozesses, dessen Erfolg wesentlich auf Kumulation beruht, ist abgebrochen, und die betreffenden Länder sind weiter zurückgeworfen worden. Wie bereits erwähnt, messen die Wettbewerbskonzepte zum Beispiel von Dosi et al. technologischen Diffusionsprozessen zwischen den Ländern eine die beschriebenen Asymmetrien ausgleichende Wirkung bei. Die Möglichkeiten für Technologietransfers sind jedoch grundsätzlich durch deren nur partielle Übertragbarkeit begrenzt. Faktoren, die solche Diffusionsprozesse andererseits fördern, sind Unterschiede im Kostenniveau (insbesondere in den Lohnkosten), Spezifika der lokalen Märkte (insbesondere Marktnähe, Formen staatlicher Intervention, tarifäre und nichttarifäre Hindernisse, Transportkosten etc.) sowie die in den betreffenden Ländern unternommenen autonomen Anstrengungen bei der techologischen Akkumulation (Dosi/Pawitt/Soete 1990, S. 130). Da diese Faktoren stark komplementär wirken und da aufgrund der in den meisten Ländern Lateinamerikas andauernden Binnenmarktrezession die Märkte für Investoren zumindest zur Zeit nicht sonderlich interessant sind, da weiterhin aufgrund finanzieller Engpässe die Möglichkeiten zum Aufbau eigenständiger technologischer Entwicklungskapazität gering sind, dürften auch die incetitives für Technologietransfers insgesamt gering ausfallen - sei es nun via Direktinvestitionen oder via Lizenzen. Dosi/Pawitt/Soete (1990) nennen vor diesem Hintergrund die Mindestbedingung für das Aufsteigen eines Landes auf dem internationalen Kontinuum: wenn nämlich die Gesellschaft bzw. ihre relevanten Akteure bereit sind, Ungleichgewichte in den Bedingungen (kosteninduzierter) allokativer Effizienz in Kauf zu nehmen zugunsten innovationsorientierter, langfristig angelegter und - unter den aktuellen Bedingungen - mit einem außerordentlich großen Risiko behafteter Wachstumsstrategien. In einem Land, in dem die Spezialisierungsstruktur so ist, daß die technologische Lücke am größten ist in den Sektoren mit den dynamischsten Technologien, wird die allokative Effizienz notwendig in Konflikt geraten mit der innovativen Effizienz (Dosi/Pawitt/Soete 1990, S. 250). Wie dieser Konflikt von der Gesellschaft letztlich entschieden wird, ist wesentlich abhängig von den materiellen Spielräumen, über die Unternehmen wie öffentliche Institutionen für die Realisierung einer Innova94

tionsstrategie verfügen: Dieser ist in Lateinamerika gering. Es ist weiterhin aber auch von der Perzeption der Akteure abhängig und wie diese selbst ihre Erfolgsaussichten beurteilen: Auch in dieser Hinsicht steht Lateianmerika vor dem Hintergrund einer langen Tradition rentenorientierter und auf kurzfristige kosteninduzierte Anpassungen spezialisierter Praktiken schlecht da. Auf alle diese strukturellen Gefahrenfaktoren weist die CEPAL nicht hin; der Realitätsgehalt der von ihr entworfenen Entwicklungsperspektive wird dadurch fraglich. Grundsätzlich weisen jedoch die genannten Faktoren auf die Bedeutung der Akteure und ihrer Beschaffenheit hin. Es stellt sich somit zentral die Frage, wie die Akteure die ihnen verbliebenen Spielräume nutzen. 2. Postfordistische Vergesellschaftungsmodi oder gesellschaftlicher Zerfall? Unterentwicklung hat jedoch nicht nur eine technologisch-wirtschaftliche, sondern vor allem auch eine gesellschaftliche Dimension. Die Frage ist, wie es in dieser Hinsicht um Lateinamerika steht. Die postfordistischen Produktionstechnologien bedürfen zur vollen Entfaltung ihres Effizienz-Potentials neuer Formen der Produktionsorganisation, die mit ihren Netzwerken einen neuen Modus der Vergesellschaftung konstituieren: Neben die medial vermittelten Formen systemischer Integration (Märkte und Hierarchien) treten zunehmend Formen horizontaler und reziproker Interaktion in den systemischen Bereichen von Wirtschaft und Staat, so daß die Grenzen zwischen System- und Sozialintegration immer fließender werden. Verständigungsorientierte Kommunikation gewinnt für den Systemzusammenhang und damit für gesellschaftliche Kohäsion zunehmend an Bedeutung. Damit verändern sich auch die Regulationsformen der gesellschaftlichen Produktion: Hier gewinnen Verhandlungssysteme immer größere Bedeutung. Gesellschaftliche Steuerung erfolgt damit immer weniger im Sinne zentraler Staatsintervention, sondern auf dezentrale und immer indirektere Weise. Damit wächst auch der Grad an Unsicherheit über die Perspektiven gesellschaftlicher Entwicklung, die immer weniger planbar oder prognostizierbar wird. Mit den Dezentralisierungstendenzen und der Herausbildung von Verhandlungssystemen wird der Staat als Legitimationsinstanz entlastet: Die Adresse für Forderungen aus der Gesellschaft wird zum einen diffuser, weil dezentraler; zum anderen wird zunehmend die Verantwortung für die gesellschaftliche Entwicklung auf die Gesellschaft selbst zurückgeworfen. Dies könnte bedeuten, daß politische Demokratie, die unter fordistischem Vorzeichen nur unter der Bedingung hohen Wirtschaftswachstums, weitgehender Vollbeschäftigung und ansehnlicher Verteilungsspielräume (welche den Sozialstaat ermöglichten) mit kapitalistischen Strukturen zu kompatiblisieren war, dies unter postfordisti-

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schem Vorzeichen auch unter den Bedingungen eines geringeren Wachstums bzw. großer Arbeitslosigkeit und gesellschaftlicher Heterogenität ist. Die wachsende Bedeutung verständigungsorientierter Kommunikation und Interaktion ist jedoch nicht gleichbedeutend mit einer Vertiefung der Demokratie, denn verständigungsorientiertes Verhalten ersetzt nicht Hierarchien, sondern tritt zu diesen hinzu und verbindet sich mit ihnen. Verständigung heißt somit durchaus nicht die wechselseitige Akzeptanz als Gleiche (bezüglich konkreter gesellschaftlicher Interessenpositionen); sie bedeutet vielmehr auch die aufgeklärte Anerkennung eines Machtgefälles. Dies setzt jedoch andererseits ein Minimum an Homogenität (allein schon in der Perzeptionsfähigkeit) zwischen den Verhandlungspartnern voraus (vgl. dazu unter anderen Benz/Scharpf/Zintl 1992). Mit der wachsenden Bedeutung von Verhandlungssystemen, horizontaler Kooperation etc. ist gesellschaftliche Kohäsion aber auch zunehmend abhängig von der Dichte der Netzwerke bzw. der Dichte der Interaktion zwischen Netzwerken, Agglomerationen usw.. Tendenzen zur Heterogenisierung der Produktionsstrukturen und Arbeitsmärkte sowie vor allem der wirtschaftlichen Exklusion wachsender Bevölkerungsgruppen im Zuge wachsender Arbeitslosigkeit wirken in eine entgegengesetzte Richtung, das heißt, sie haben eine desintegrierende und zersetzende Wirkung. Das jeweilige Verhältnis zwischen beiden einander entgegenwirkenden Tendenzen ist grundsätzlich abhängig von kumulativen historischen Entwicklungen der unter 1. beschriebenen Art: Hat die Entwicklung der Technologien und Produktionsorganisation die Herausbildung von Netzwerken gefördert? Und hat sie dies in einer gleichgewichtigen, die gesamte Volkswirtschaft umfassenden Weise getan oder lediglich mit regionalen Schwerpunkten und Wohlstandsinseln? Von der Antwort auf diese Fragen ist wiederum die Bedeutung einer Gesellschaft als Standort im Rahmen fortschreitender Globalisierungsprozesse abhängig: Handelt es sich um einen bevozugten Standort, wird die Netzwerkbildung und damit der gesellschaftliche Homogenisierungs- und Integrationsprozeß verstärkt, was seinerseits zur weiteren Attraktivität des Standortes beiträgt. Umgekehrt wird ein weniger bevorzugter und nur sehr partiell genutzter Standort kumulative Zersetzungserscheinungen aufweisen, welche ihn für die Zukunft als Standort noch unattraktiver machen. In den lateinamerikanischen Gesellschaften, die aufgrund ihrer Position in der internationalen Hierarchie und ihrer Spezialisierungsmuster bereits stark desintegriert sind, könnten die Globalisierungsprozesse die gesellschaftliche Kohäsion weiter erodieren und die Heterogenität der Wirtschafts- und Sozialstrukturen verstärken, nachdem neoliberale Deregulierungspolitiken die gewachsenen Verflechtungs- und Interaktionsstrukturen der ISI weitgehend zerschlagen und damit zumindest einen Teil der potentiellen Grundlage für die Herausbildung von Netzwerken zerstört haben. Auch auf gesellschaftlicher

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Ebene läßt sich somit ein Fortschreiten der Strukturen von Unterentwicklung feststellen. 3. Politische Steuerung durch ein hegemoniales Projekt? Die CEPAL sieht durchaus die Gefahr eines solchen gesellschaftlichen Zerfalls oder zumindest einer ungleichgewichtigen, Heterogenität verstärkenden Entwicklung (CEPAL 1992b, S. 24ff.). Ein Gegensteuern ist jedoch ihrer Meinung nach möglich, und zwar mit Hilfe demokratisch kontrollierter politischer Intervention. Die Bedingungen für Demokratie, wie sie die CEPAL sieht, sind jedoch in Lateinamerika weitgehend nicht gegeben und nur über einen langfristigen Entwicklungsprozeß herstellbar, der aber für seine Realisierung - wie gesehen Demokratie bereits voraussetzt: Erstens gibt es in Lateinamerika kaum steuerungsfähige und gleichzeitig mit demokratischen Kontrollkompetenzen ausgestattete Akteure: Der Staat besitzt in den meisten Fällen weder die nötige Autonomie, noch ist er mit ausreichenden und effizienten Steuerungsressourcen ausgestattet. Intermediäre oder dezentralisierte Institutionen verfügen entweder auch nicht über ausreichende Autonomie und Ressourcen, oder sie sind erst im Aufbau begriffen. Netzwerke, welche die Interaktion unterschiedlicher Akteure organisieren könnten, gibt es allerhöchstens in ersten Ansätzen; dasselbe gilt für Verhandlungssysteme, die sich allenfalls ansatzweise im Bereich sozialer Konzertierung gebildet haben (Chile), wo sie aber in den meisten Fällen nach wie vor von hierarchischen Entscheidungsmustern einseitig überlagert werden (Argentinien). Die Steuerungskapazität, welche die demokratischen Regime aufweisen, wird daher wahrscheinlich eher begrenzt sein, was sich sichtlich schon in Enttäuschung, einem allgemeinen desencanto mit der Demokratie ausdrückt und damit auch perspektivisch die Möglichkeiten einer demokratisch kontrollierten politischen Gegensteuerung gegen die Tendenzen zur Unterentwicklung gering hält. Zweitens gibt es in den lateinamerikanischen Gesellschaften (noch) keinen grundlegenden Konsens bezüglich der künftigen Entwicklungsrichtung. Dieser wäre jedoch auf längere Sicht Voraussetzung für eine demokratisch kontrollierte politische Steuerung, da sich nur so die nötige staatliche Autonomie konstituieren kann; andernfalls drohte eine Effizienz staatlicher Regulierung an der gegenseitigen Blockierung antagonistischer Kräfte zu scheitern. Voraussetzung für die Herausbildung eines solchen gesellschaftlichen Grundkonsenses ist jedoch ein Minimum an sozialer Homogenität. Dieses ist offensichtlich in Lateinamerika kaum gegeben.

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Das für einen gesellschaftlichen Konsens (ebenso wie für das Funktionieren von Verhandlungssystemen) notwendige Minimum an sozialer Homogenität hat sicherlich immer eine reale materielle Grundlage, die nicht unterschritten werden kann. Daneben hat dieses Minimum aber auch eine kulturelle Komponente. An dieser Stelle gewinnen die Diskurse der gesellschaftlichen Akteure an Bedeutung. Es ist daher (bestenfalls) vorstellbar, daß das strategische Minimum an sozialer Homogenität partiell auch im Rahmen eines hegemonialen Projekts herstellbar ist, welches die relevanten, das heißt handlungs- und artikulationsfähigen gesellschaftlichen Akteure auf integrative Weise verbindet, indem es zum Beispiel Innovationsorientierung sowie den Aufbau von Verhandlungssystemen und Netzwerken zentral propagiert. Ein solches Projekt könnte unter den Bedingungen hoher realer sozioökonomischer Heterogenität die Grundlage für verständigungsorientierte Interaktion bilden, wenn es unter grundsätzlicher Anerkennung real bestehender Machtgefälle einen gesellschaftlichen Konsens über grundlegende Fragen und Prinzipien der Entwicklungsperspektive ermöglicht und damit auch den Rahmen für konkrete Verteilungskämpfe abgibt. Die Durchsetzung eines solchen hegemonialen Projekts als kulturell bzw. diskursiv vermittelte Form gesellschaftlicher Steuerung wäre somit wesentliche Komponente eines neuen postfordistischen Regulationsmodus. 4. Die CEPAL im Kontext des lateinamerikanischen Entwicklungsdiskurses Das Denken in Kompatibilitäten und der damit verbundene integrative Ansatz unterscheidet das CEPAL-Konzept von orthodoxen Konzepten, zum Beispiel dem der Weltbank. Die Polarisierung zwischen Neoliberalismus und Strukturalismus, wie sie in den siebziger Jahren bestanden hatte, ist allerdings zunächst einmal abgebaut worden, indem sich beide Positionen in vielen Einzelpunkten aufeinander zu bewegt haben. So kann wohl davon ausgegangen werden, daß weder bezüglich des Ziels der Herstellung von Wettbewerbsfähigkeit bzw. der Notwendigkeit weltmarktintegrierten Wachstums, noch in bezug auf die Notwendigkeit einer prioritären Armutsbekämpfung, noch in bezug auf die Herstellung von Chancengleichheit und den damit verbundenen Abbau von Privilegien, die Effektivierung des Staatsapparates und die Begrenzung von Machtpositionen, noch im Hinblick auf die Notwendigkeit von Investitionen in Humankapital oder die Wünschbarkeit von politischer Demokratie grundlegende Unterschiede zwischen CEPAL und Weltbank bestünden. Diese liegen vielmehr zum einen in der Begründung, zum anderen - und im Zusammenhang damit - in der eher separierenden oder integrierenden Sicht der verschiedenen Faktoren. 98

Während zum Beispiel für die Weltbank Sozialpolitik subsidiäre Armutsbekämpfung ist, wobei Armut grundsätzlich als Residualproblem aufgefaßt wird, das aufgrund eines nur unvollständig funktionierenden Marktes entsteht, hat die CEPAL ein sehr viel breiteres Konzept: So enthält zum einen Armutsbekämpfung bei der CEPAL eine breite gesellschaftspolitische Dimension, insofern nämlich der Markt selbst neue Disparitäten und Armut systematisch schafft, die grundsätzlich politischer Regulierung bzw. Gegensteuerung bedürfen. Zum anderen werden auch Chancengleichheit, Abbau von Privilegien und Machtbegrenzung bei der CEPAL unter der Perspektive von sozialem Ausgleich behandelt, während sie für die Weltbank primär der Durchsetzung des Marktmechanismus dienen. Ähnlich dienen für die Weltbank Investitionen in Humankapital primär einer wettbewerbsorientierten Standort- und Wachstumspolitik, während sie bei der CEPAL eher gleichberechtigt unter den Zielen Wachstum und sozialem Ausgleich gesehen werden. Entscheidend ist aber vor allem die integrierende Sicht bei der CEPAL. Das heißt, sozialer Ausgleich umfaßt zum Beispiel nicht nur Armutsbekämpfung, Herstellung von Chancengleichheit etc., sondern soll gleichzeitig als orientierendes Kriterium für Wirtschaftspolitik bzw. gesellschaftliches Handeln im allgemeinen dienen. Daraus ergibt sich die gegenüber der Weltbank vergleichsweise größere Bedeutung bzw. positivere Bewertung staatlicher Interventionen. Wie bereits betont, ist die Beziehung zwischen den verschiedenen Dimensionen (Wachstum, sozialer Ausgleich und Demokratie) keine zwangsläufige, von realen Prozessen vorgegebene, sondern eine lediglich diskursiv hergestellte Beziehung, die bei der CEPAL allerdings nicht immer eindeutig ist. Diese Beziehung ist andererseits insofern auch nicht kontingent, als die Realität (globale Restrukturierungsprozesse, Herausbildung neuartiger Innovationssysteme etc.) einer diskursiven Verbindung zumindest nicht im Wege steht. Aus der Tatsache jedoch, daß die Kompatibilität zwischen Wachstum, Verteilung und Demokratie keinesfalls zwangsläufig gegeben ist und zunächst nur diskursiv hergestellt wird, ergibt sich die Notwendigkeit, diese Kompatibilität in der politischen Realität mit Hilfe politischer Regulierung auch tatsächlich zu konstruieren - ein Aspekt, der das CEPAL-Konzept sehr grundsätzlich vom Weltbank-Ansatz unterscheidet, der prinzipiell den Markt zuständig macht und politische Regulierung lediglich für Residualprobleme vorsieht, das heißt: für Bereiche, in denen der Markt anerkannterweise (noch) versagt. Reale, effektive Steuerungsmöglichkeiten von Entwicklungsprozessen in die von der CEPAL vorgezeichnete Richtung ergeben sich somit im Sinne einer "Macht des Diskurses" bzw. insofern es gelingt, das CEPAL-Konzept zum hegemonialen Projekt werden zu lassen, indem es die Bildung hegemonialer Bündnisse ermöglicht. Aufgrund seines integrativen, mit Kompatibilitäten arbeitenden Charakters weist das Konzept, im Unterschied zu dem eher sepa-

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rierenden, wenn nicht exkluierenden Charakter orthodoxer Konzepte durchaus eine für hegemoniale Projekte geeignete Struktur auf, die als Grundlage für demokratische Konsensbildung und darüber Herstellung gesellschaftlicher Kohäsion dienen kann. Ob seine Durchsetzung zum hegemonialen Diskurs gelingt, ist abhängig von den gesellschaftlichen Machtverhältnissen, die zwar einerseits sehr stark von der Weltmarktdynamik bestimmt sind, an denen die "Macht der Diskurse" allerdings andererseits auch entscheidend partizipieren kann bzw. die sie über die Ermöglichung von Bündnissen, Pakten, Konzertationen etc. auch mit gestalten kann. Für einen einigermaßen sozialverträglichen Transformationsprozeß bedeutet dies, daß gerade der integrierende Charakter des Konzepts noch stärker in den Mittelpunkt des Diskurses zu stellen ist und nicht - wie dies im Zuge der Argumentation immer wieder passiert - Einzelteile relativ losgelöst aus dem Kontext herausgegriffen werden. Dazu ist auch die ganze Komplexität der sich vollziehenden oder andeutenden Umstrukturierungsprozesse, vor allem auch die mit ihnen verbundenen Gefahren eines verstärkten Abgleitens in die Strukturen der Unterentwicklung, stärker in das Konzept einzubeziehen. Das Konzept soll mögliche Wege zeigen, aber es sollte nicht unterstellen, diese wären ohne größere Anstrengungen, das heißt ohne den konzertierten Einsatz und ein grundlegendes Umdenken in der gesamten Gesellschaft zu begehen. Wenn die Wettbewerbskonzepte eins deutlich machen, dann ist es dies: Es geht um nationale, strukturelle Wettbewerbsfähigkeit, die die gesellschaftliche Produktionsstruktur als ganze betrifft. Individuelle, gegen das gesellschaftliche Interaktionsgeflecht gerichtete Profitstrategien werden die Strukturen von Unterentwicklung eher verstärken. Aber auch der kombinierte Einsatz der gesamten Gesellschaft und ihres Kreativitätspotentials gewährleistet nicht, daß gegen übermächtige Weltmarktstrukturen - und da es dabei immer auch um die absoluten Wettbewerbspositionen anderer Länder geht, ist der nachholende Aufbau von Wettbewerbspositionen immer mit einer solchen g^engerichteten Perspektive verbunden - nachholende Entwicklung realisiert werden kann. Eine grundlegende Bewertung des CEPAL-Konzepts ist darüber hinaus auch davon abhängig, wieweit es der CEPAL (noch) gelingt, den Aspekt der sustainability und ökologischen Verträglichkeit von Wachstum konstitutiv in ihren Ansatz zu integrieren und hegemoniefahig zu machen. Bisher wurden ökologische Aspekte von Entwicklung lediglich in separaten Dokumenten erörtert. Gleichzeitig legen die im Dokument von 1990 (CEPAL 1990d) genannten Erfolgsbeispiele für wettbewerbsfähige Wachstumsindustrien, bei denen die Produktion von Rüstungsgütern, von Autos, von (extrem mit Chemikalien behandelten) Exportblumen und von Grundbedarfsgütern ungewertet als gleichermaßen akzeptabel nebeneinandergestellt werden, nahe, daß der stoffliche Aspekt von Wachstum für die CEPAL zweitrangig ist. In dieser Frage muß der lateinamerikanische Diskurs entschieden vorangetrieben werden.

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B. Studien über Argentinien, Chile und Uruguay

Jorge Schvarzer, Ricardo Sidicaro und Barbara Töpper1

B I. Argentinien Einleitung Als im Dezember 1983 die demokratisch gewählte Regierung des Präsidenten Alfonsin in Argentinien ihre Amtsgeschäfte antrat, übernahm sie von der vorangegangenen Militärdiktatur das Erbe einer Gesellschaft, welche sich auf dem Höhepunkt einer langanhaltenden politischen, sozialen und wirtschaftlichen Krise befand. Die bereits in die dreißiger Jahre zurückreichende wirtschaftliche Strukturkrise, die sich an zyklischen Zahlungsbilanzengpässen manifestiert, wird seit Mitte der sechziger Jahre durch die Erschöpfung der vom Staat hoch protektionierten und subventionierten ISI verstärkt und seit Mitte der siebziger Jahre überlagert von einer akuten Krise, die ausgeht von internationalen Restrukturierungsprozessen. Diese fuhren in Argentinien zur Verstärkung der stagnativen und rezessiven Tendenzen und zum Ausbruch der Schuldenkrise. Vor dem Hintergrund der Internationalisierung der Finanzmärkte und bei gleichzeitigem Verlust der traditionellen Exportmärkte hatte die Renten- und Spekulationsorientierung der Oligarchie, ihre traditionell geringe Investitionsneigung und Risikobereitschaft mit der Militärdiktatur und der Wirtschaftspolitik Martinez de Hoz ihre politische Form gefunden (Schvarzer 1986, Azpiazü/Basualdo/Khavizze 1986). Ohne Strukturreformen und mit Hilfe einer einseitigen Liberalisierungspolitik wurden von der sogenannten patria financiera ungeheure Gewinne abgeschöpft und ins Ausland transferiert, was bei wirtschaftlicher Stagnation eine Umverteilung der Einkommen der Bevölkerung voraussetzte und daher auf der Gegenseite mit breiten Verarmungsprozessen einher ging. Das augenfälligste Ergebnis dieser Ausplünde1 Der Abschnitt 1 dieses Kapitels ist die Zusammenfassung einer Arbeit von Ricardo Sidicaro, die Abschnitte 2.2 und 2.3 beruhen auf zwei Arbeiten von Jorge Schvarzer; für Einleitung, Abschnitt 2.1, Schlußfolgerungen, Übersetzung und Zusammenfassung zeichnet Barbara Töpper verantwortlich.

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rungspolitik war eine enorme Auslandsverschuldung, die 1983 bei 45 Milliarden US-Dollar lag; mindestens die Hälfte davon war durch Auslandsguthaben von Argentiniern gedeckt. Die mit der Importliberalisierung verbundene DeIndustrialisierung schrieb das Land auf die - angesichts des Agrarprotektionismus der Industrieländer - längst obsolet gewordene Position eines traditionellen Agrarlandes in der internationalen Arbeitsteilung fest, dessen herrschende Klasse - in der "modernen" Variante einer Finanzaristokratie - die reinste Inkarnation einer Kompradorenbourgeosie ist. Die Ausplünderung der Bevölkerung war nur mit Hilfe militärischer Repression abzusichern. So war eines der erklärten Ziele der Diktatur die politische Entmachtung der traditionell starken peronistischen Gewerkschaften gewesen, um auf diese Weise die Rahmenbedingungen für eine Politik des Lohndrucks und der Umverteilung zu schaffen. Im Ergebnis verfielen die Reallöhne; in der Industrie lagen sie zum Beispiel 1983 um mindestens 20 Prozent unter dem Niveau von 1974 (vgl. Azpiazü/Basualdo/Khavizze 1986). Die Lohnquote ging von durchschnittlich 46 Prozent (1970-74) auf 32 Prozent (1976-80) zurück (vgl. Schvarzer 1986). Zwischen 1975 und 1982 verloren schätzungsweise 400.000 Industriearbeiter ihren Arbeitsplatz (Schvarzer 1983). Die Veränderung der Einkommensverteilung wird aus Tabelle 1 deutlich:

Tabelle 1: Verteilung der Pro-Kopf-Einkommen 1974-89 September des Jahres 1974 1976 1978 1981 1985 1988 1989

untere

Einkommen mittlere

hohe

12,4 12,0 10,4 10,1 10,4 8,7 7,3

60,7 61,1 57,5 56,4 58,3 57,5 51,1

27,0 26,9 32,1 33,5 31,3 33,8 41,7

Insgesamt

100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0

Untere Einkommen: 30 Prozent der Haushalte Mittlere Einkommen: 60 Prozent der Haushalte Hohe Einkommen: 10 Prozent der Haushalte. Quelle: Luis A. Beccaria, 1991.

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Die Gewerkschaften, desorganisiert und ohnmächtig, hatten dieser Entwicklung weitgehend tatenlos zusehen müssen, wenn Teile ihrer Führungen nicht sogar mit den Militärs kollaboriert hatten. Das während der Diktatur auffällige Nebeneinander von militärisch-staatlicher Intervention und Wirtschaftsliberalismus hatte zur vollständigen Desorganisation und Verzerrung des Staatsapparates geführt. So war mit der Privatisierungspolitik, die programmatisch ganz im Zeichen des Liberalismus stand, der Abbau des exzessiv aufgeblähten Staatsapparates intendiert. Bei den zwischen 1976 und 1981 privatisierten Unternehmen handelte es sich jedoch in der Mehrzahl um kleine und unbedeutende Betriebe, die meist den Provinzregierungen gehörten (zum Beispiel Kinos, Hotels usw.), deren Verkauf absolut nichts an den Dimensionen des öffentlichen Sektors änderte. Von größerer Bedeutung waren die sogenannten "peripheren Privatisierungen", das heißt Teilprivatisierungen bei den großen öffentlichen Dienstleistungs- und Energieunternehmen (Gas, Erdöl, Eisenbahn, Telefon usw.), aus denen bestimmte Produktionsschritte im Zulieferer- und Instandhaltungsbereich ausgegliedert und in Form von Subkontrakten an private Konzessionäre übertragen wurden. Auf diese Weise entstand ein "staatlich-privater Komplex" (Schvarzer 1986, S. 337), durch den die von den öffentlichen Unternehmen ausgeübten Regulierungsfunktionen in völlig neue Richtungen gelenkt wurden. Dem (liberaler Ideologie gehorchenden) Abbau staatlicher Interventionen und entsprechenden Schrumpfungen im Staatsapparat stand somit seine völlig unkontrollierte Ausweitung und Indienstnahme durch Partikularinteressen gegenüber, so daß im Endeffekt ein völlig unorganisches, strukturloses, unkoordiniertes und fragmentiertes Gebilde übrig blieb, mit dem eine effiziente Politik - welcher Art auch immer - nicht mehr möglich war. Insgesamt konnte mit der Privatisierungspolitik der Staatsanteil nicht nur nicht reduziert werden; dieser dehnte sich vielmehr weiter aus. So stieg zum Beispiel der Anteil der Staatsausgaben am Bruttoinlandsprodukt von 36 Prozent (1972-75) auf 41 Prozent (1976-79) und weiter auf 47 Prozent (1980-83) (World Bank 1985). Damit wurde eine Tendenz auf die Spitze getrieben, die sich bereits seit den dreißiger Jahren in der argentinischen Geschichte bemerkbar gemacht hatte und die einen Teil der besonderen Entwicklungsproblematik des Landes ausmacht: Der immer nur begrenzte und regelmäßig durch liberale Intermezzi unterbrochene bzw. zurückgenommene Aufbau eines handlungsfähigen Staatsapparates, dessen restringierte Regulierungsfähigkeit immer wieder durch strukturell hohe Inflationsraten erodiert, wenn nicht substituiert wurde. Die dahinter stehenden Verteilungskämpfe verweisen auf das für die argentinische Geschichte seit der Weltwirtschaftskrise ungelöste Hegemonieproblem und die damit verbundene Unfähigkeit, einen dauerhaften gesellschaftlichen Konsens hinsichtlich verteilungspolitischer Fragen zu erzielen.

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Die vollständige Diskreditierung der Militärdiktatur - bedingt durch das Scheitern ihrer Wirtschaftspolitik und insbesondere den verlorenen MalvinenKrieg - hinterließen Ende 1983 auf der Regierungsebene ein Machtvakuum, welches die konstitutionelle Regierung besetzen konnte. Die Radikale Partei (UCR) unter der Führung von Raül Alfonsin hatte die Wahlen gegen die Peronisten, die traditionelle Partei der sozialen Gerechtigkeit, gewonnen, weil letztere aufgrund ihrer Rolle bei der Verursachung des Militärputsches von 1976 und ihrer zwielichtigen Haltung gegenüber den Militärs sowie aufgrund interner Flügelkämpfe als regierungsfähige Alternative zunächst ausschied. Demgegenüber gelang der UCR während des Wahlkampfs eine breite Mobilisierung um die Menschenrechtsbewegung herum, die große Sektoren der Mittelschichten, aber auch Teile der Gewerkschaften umfaßte. Die Regierung Alfonsin verfügte daher zunächst über einen relativ großen Handlungsspielraum, der allerdings weitgehend aus der Schwäche der politischen Gegner und nicht so sehr aus eigener Stärke resultierte. Dies machte sich sehr schnell daran deutlich, daß eine aktive Bündnispolitik zur Verbreiterung der eigenen politischen Basis nicht gelang: die expansive Wirtschaftspolitik des ersten Wirtschaftsministers Grinspun, mit der unter anderem auch die Einlösung der deuda social intendiert war, wurde von den Unternehmern mit Kapitalflucht und Preiserhöhungen beantwortet, in deren Ergebnis die Jahresinflation für 1984 bei 680 Prozent lag. Auf der anderen Seite trieb der Versuch der Regierung, den Einfluß der Peronisten innerhalb der Gewerkschaften zurückzudrängen, diese zunehmend auf Konfrontationskurs. Mit dem Plan Austral vom Juni 1985 gelang dann vorübergehend die Herstellung eines gewissen Konsenses in Bezug auf wirtschaftliche Stabilität und die Festschreibung der gegebenen Verteilungsverhältnisse. Dieser war jedoch zu fragil, als daß auf seiner Grundlage Strukturreformen hätten vorgenommen werden können: Der Plan Austral kombinierte als heterodoxer Stabilisierungsplan das Einfrieren der Preise, Tarife und Löhne mit einer strengen Austeritätspolitik. Dabei war das primäre Ziel der Preispolitik nicht lediglich die kurzfristige Dämpfung der Inflationsraten, sondern vor allem auch, der Eigendynamik und Beharrungstendenz der Inflation in einer an Indexierung gewöhnten Gesellschaft grundsätzlich beizukommen: durch die Fixierung der Preise sollten die Koordinaten für das wirtschaftliche Handeln der Akteure grundlegend geändert und diese zu entsprechenden Veränderungen ihrer Handlungslogik - insbesondere im Hinblick auf den Zeithorizont - bewegt werden. Diese Ziele konnten jedoch nur vorübergehend erreicht werden: Zum einen resultierten Ungleichgewichte in den relativen Preisen, welche letztlich die Verteilungsverhältnisse ausdrücken, in erneuten Inflationsspiralen von dem Augenblick an, in dem die administrativen Maßnahmen gelockert wurden. Es zeigte sich, daß der Verteilungskampf nur vorübergehend hatte beigelegt werden können und angesichts des Fehlens einer längerfristigen Wachstumsper-

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spektive sofort wieder aufflammte (Töpper/Ossoni 1988). Zum anderen wurde damit deutlich, daß es mit dem Plan Austrat nicht gelungen war, die strukturellen Ursachen der argentinischen Inflation zu beseitigen: die extreme Präferenz für kurzfristige und flexible Entscheidungen, für finanzielle Anlagen bzw. Abschöpfung aus Subventionen und Inflationsgewinnen (vgl. unter anderen Frenkel 1987, Heymann 1986). Dem lagen die Strukturen einer stagnierenden, nach wie vor am Subventionstropf hängenden und von monetären Transaktionen dominierten Wirtschaft zugrunde. Die Destabilisierung des politischen Klimas durch mehrere, zwischen 1987 und 1989 aufeinander folgende Militärrevolten, über die die Beendigung der Politik einer strafrechtlichen Verfolgung der unter der Diktatur begangenen Menschenrechtsverbrechen erzwungen wurde, verstärkte die immer passivere und abwartende Haltung der Regierung, welche das labile demokratische Gleichgewicht nicht durch verteilungspolitisch kontroverse Eingriffe gefährden wollte. Die vollständige politische Immobilität und Handlungsunfähigkeit, in die sich die Regierung damit hinein manövriert hatte, machten es vollends unmöglich, daß sie ihre stabilisierungspolitischen Bemühungen auf Dauer durchsetzen konnte. Die wieder ansteigenden Inflationsraten führten bereits im September 1987 bei den Parlaments- und Gouverneurswahlen zu einer erdrutschartigen Niederlage der Regierungspartei UCR und zu dem Wahlsieg der peronisrischen Opposition. Dieser wurde bei den Präsidentschaftswahlen im Mai 1989 bestätigt, als der peronistische Kandidat Carlos Saül Menem mit großer Mehrheit gewann (46,5 Prozent gegenüber 31,9 Prozent des Kandidaten der UCR). Angesichts der Hyperinflation, die das Land unregierbar machte (die Jahresinflationsrate lag 1989 bei fast 5.000 Prozent), mußte Alfonsfn im Juli vorzeitig zurücktreten und sein Amt an Menem übergeben.

1. Der Bruch unter Menem: wirtschaftliche Liberalisierung und Verfall der equidad Mit der Amtsübergabe von Alfonsin an Menem übergab erstmals in der argentinischen Geschichte ein aus freien Wahlen hervorgegangener Präsident seinem ebenfalls aus freien Wahlen hervorgegangenen, einer Oppositionspartei angehörenden Nachfolger das höchste Staatsamt. Dies wird als klares Zeichen einer demokratischen Konsolidierung gewertet. Der Regierungswechsel erfolgte jedoch in einer Situation des wirtschaftlichen Chaos und der sozialen Unruhen. Für Menem wurde dieser Krisenkontext zur zentralen argumentativen Figur seines Diskurses: während der ersten vier Jahre seiner Amtszeit rechtfertigte er praktisch jede Maßnahme und jedes Vorhaben mit dem, was er "discurso de la urgencia econömica" nannte.

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Die "Antielite" Von den insgesamt 47 Kabinettsmitgliedern der Regierung Menems (8 Minister und 39 Staatssekretäre) hatten 7 bereits hohe Ämter unter der Militärdiktatur bekleidet. Dazu gehören Domingo Cavallo, seit 1991 als Wirtschaftsminister für die Stabilisierungspolitik verantwortlich, und Roberto Dromi, Minister für öffentliche Arbeiten, der für die Privatisierungspolitik zuständig ist und in diesem Amt mehrfach des Mangels an Unparteilichkeit angeklagt wurde. Der Regierung gehörten nur drei Gewerkschafter an, darunter Jorge Triaca als Arbeitsminister, einer der Gewerkschafter, die am meisten sowohl mit der Diktatur, als auch mit der Regierung Alfonsin kollaboriert hatten. Nach seinem Rücktritt wurde er zum Direktor eines der staatlichen und zu privatisierenden Unternehmens ernannt, von welcher Position er jedoch ebenfalls wegen Korruptionsvorwürfen wieder zurücktreten mußte. Von den acht Ministern kamen nur zwei aus Buenos Aires, während sechs aus den wenig entwickelten Provinzen des Interior stammten. Insgesamt kann die Gruppe, die das politische Umfeld Menems bildet, als "Antielite" im Sinne William Kornhausers verstanden werden (vgl. Kornhauser 1959). Damit ist eine Gruppe von Politikern gemeint, die von der etablierten politischen Elite nicht anerkannt wird und die sich als positive Identitätsmerkmale gerade solche Elemente zurechnet, derentwegen sie von der Elite abqualifiziert wird. Das damit verbundene Brechen von Tabus und die gemeinsame Feindbildorientierung konstituieren die Einheit der Antielite, insbesondere dann, wenn sie keine klare und konsistente Ideologie anzubieten hat. Dieser Bruch mit anerkannten Werten und Verhaltensmaßregeln machen die Antielite attraktiv für die desorganisierten Massen, welche sich über sie eine schnelle und quasi magische Verbesserung ihrer Situation versprechen. Andererseits ermöglicht die Identitätsgewinnung durch bloße Negativabgrenzung von der etablierten Elite eine hohe Autonomie und große Flexibilität in den Orientierungen, womit sie sich letztendlich auf keinem Gebiet eindeutig festlegt. Die menemistische Antielite ist aus dem Prozeß der peronistischen Renovación zwischen 1987 und 1989 hervorgegangen. Nach der Wahlniederlage gegen Alfonsfn von 1983 hatte in der Peronistischen Partei ein Prozeß der Selbstkritik und Reflexion eingesetzt, der dazu führte, daß die Partei sich einen seriöseren und demokratischeren, weniger populistischen Anstrich zu geben versuchte, um auf diesem Wege auch das Wählerpotential zurückzugewinnen, das 1983 zur UCR übergelaufen, aber von dieser inzwischen auch enttäuscht war. Exponent dieses moderneren und demokratischeren Peronismus war Antonio Cafiero, Gouverneur der Provinz Buenos Aires, der sich innerhalb der Partei um die Präsidentschaftskandidatur fiir die Wahlen von 1989 bewarb.

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Die peronistische Renovación erzeugte jedoch auch einen Prozeß negativer Selektion, indem die renovadores über verschiedene formelle und informelle Mechanismen alle diejenigen zu marginalisieren begannen, die mit der neuen Strategie nicht übereinstimmten, was diese zum Zusammenschluß provozierte. Dazu gehörten die Repräsentanten des traditionellen Peronismus und alle diejenigen Strömungen, die gegen eine parteiinterne Demokratisierung eintraten, ohne daß damit eindeutige Positionen oder eine klare Abgrenzung gegenüber anderen Gruppierungen verbunden gewesen wären. Im Zentrum dieser breiten und heterogenen Bewegung stand die menemistische Antielite, die ihr Profil aus der doppelten Abgrenzung gegenüber der peronistischen Renovación und gegenüber dem Alfonsinismo gewann. Die menemistische Antielite formierte ihre Mitglieder mehrheitlich aus den kulturell und wirtschaftlich weniger entwickelten Provinzen des Landes. Menem selbst war von 1973-76 und seit 1983 Gouverneur der Provinz La Rioja gewesen, in der es praktisch keine Industrie und deshalb auch kaum gewerkschaftliche Organisationen gibt. Letztere beschränkten sich auf den öffentlichen Sektor, in dem sie jedoch, aufgrund der klientelistischen Praktiken bei den Ämterbesetzungen, sehr spezifische Funktionen wahrnahmen: der Peronismus unterhielt in solchen Provinzen wie La Rioja enge Kontakte zu den großen lokalen Wirtschaftsinteressen. Aus solchen Verbindungen gingen ganze Clans mit einem Caudillo an der Spitze hervor. Diese politischen Bedingungen, in denen das formelle Institutionalisierungsniveau gering ist und in denen es praktisch keine Kontrolle der Gesellschaft über ihre politische Führung gibt, bringen völlig andere politische Persönlichkeiten hervor, als dies in den entwickelteren Provinzen oder in der Hauptstadt Buenos Aires der Fall ist. Während in den moderneren Landesteilen der Peronismus von der Komplexität des städtischen Lebens und den bürokratischen Formalismen geprägt ist und sich daher in institutionelleren Bahnen bewegt, dominieren in den traditionellen Bereichen der Gesellschaft persönliche Gefolgschaften und entsprechende hierarchisch orientierte Denkstrukturen. Zu diesen Gruppen kamen als zweite Säule der menemistischen Antielite auch peronistische Politiker aus den zentralen Landesteilen hinzu, die von den Renovadores um Cafiero marginalisiert worden waren, weil sie wenig geeignet erschienen, den neuen demokratischen Stil zu repräsentieren. Menem wurde zum Führer dieser heterogenen Bewegung, die den traditionellen peronistischen Stil beibehielt: sie wendete sich hauptsächlich an die ärmeren Bevölkerungsschichten, denen sie ein größeres Maß an sozialer Gerechtigkeit versprach, während sie gleichzeitig nationalistische Themen reaktivierte. Die Breite seiner Themen ermöglichte es Menem dabei, ein entsprechend breites Bündnis innerhalb der Partei zu mobilisieren, welches ihm zunächst den Sieg über Cafiero und dann die Präsidentschaft verschaffte.

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Das Liberalisierungsprojekt Menems Bis 1989 war der Peronimus die politische Kraft, in welcher die Arbeiter und die ärmeren Bevölkerungsschichten ihre Interessenvertretung sahen und von der sie sich eine Verbesserung ihrer sozialen und materiellen Situation erhofften. Im öffentlichen Bewußtsein war der Peronismus die Partei der sozialen Gerechtigkeit. Die erste Peronistische Regierung hatte in der zweiten Hälfte der vierziger und ersten Hälfte der fünfziger Jahre substantielle soziale Verbesserungen gebracht. Nach dem Putsch von 1955, mit dem Perón abgesetzt und die Peronisten in die Opposition gedrängt wurden, hatte sich der egalitäre Diskurs der Bewegung noch verstärkt. Die enge Verbindung zwischen politischem Peronismus und der Gewerkschaftsbewegung war ein entscheidendes Element für die Unregierbarkeit des Landes, die sich in dem permanenten Wechsel zwischen Militär- und zivilen Regierungen ausdrückte. Als die Peronisten 1973 zum zweiten Mal an die Regierung kamen, gerieten sie jedoch in wachsenden Widerspruch zu ihrer eigenen Basis. Diese Erfahrung wurde dann allerdings durch den Militärputsch von 1976 abrupt unterbrochen. Unter Alfonsfn definierte sich der Peronismus erneut als die Partei, die am konsequentesten für sozialen Ausgleich eintrat und aus dieser Perspektive eine heftige Opposition gegen die Regierung und ihre als liberal kritisierte Politik ausübte. Dabei waren die Beziehungen zu den Gewerkschaften weiterhin sehr eng. Die liberale und antistaatliche Wirtschaftspolitik, welche die Regierung Menem nach ihrem Amtsantritt im Juli 1989 einschlug, bedeutete gegenüber dieser peronistischen Tradition eine Kehrtwendung um 180 Grad. Dennoch drangen Äußerungen der Mißbilligung in den Reihen der Peronisten kaum an die Öffentlichkeit. Lediglich acht von insgesamt 112 Deputierten, welche die peronistische Fraktion im Parlament bildeten, äußerten offen ihren Dissens mit Menems Politik. Es zeigte sich, daß es innerhalb der peronistischen Bewegung kein alternatives Projekt gab. Die traditionelle Identität der Bewegung hatte sich in etwas Nebelhaftes aufgelöst, von dem nur noch bestimmte Rituale übrig geblieben waren. Menem disqualifizierte denn auch seine internen Kritiker als "Nostalgiker von 45", das heißt des Jahres, in dem sich die peronistische Bewegung konstituierte. Die Attraktion, die von den Positionen und Privilegien der Macht ausging, dämpfte die internen Spannungen. Am meisten jedoch wurde interner Protest dadurch paralysiert, daß von der peronistischen Basis keinerlei negative Reaktionen ausgingen. Dies war umso bemerkenswerter, als Menem nicht im geringsten mit seinen Plänen, mit dem traditionellen Peronismus zu brechen, hinter dem Berg hielt. So ernannte er in hohe Führungspositionen Persönlichkeiten, die äußerst unpopulär waren: den Kandidaten der rechtsliberalen UCD, Alvaro Alsogaray, der bereits unter einer früheren 109

Militärregierung als Wirtschaftsminister für liberale Stabilisierungspolitik verantwortlich gezeichnet hatte, machte er zu seinem persönlichen Berater; Wirtschaftsminister wurde ein Repräsentant des argentinischen Multis Bunge & Born. Um keinerlei Mißverständnisse hinsichtlich seiner politischen Pläne aufkommen zu lassen, betonte er darüber hinaus immer wieder, daß mit der aus den Zeiten Peróns stammenden argentinischen Dekadenz ein Ende gemacht, das heißt vor allem der Interventionsstaat abgebaut und die einstmals von Perón verstaatlichten Unternehmen, die als Symbol einer wiedergewonnenen nationalen Souveränität galten, reprivatisiert werden müßten. Der Diskurs auf der Ebene der mittleren peronistischen Funktionäre war durch eine Verbindung zwischen vagen Hinweisen auf die alte Identität und der praktisch bedingungslosen Übernahme der von Menem vertretenen Vorhaben geprägt. Daraus ergab sich keine konsistente neue Ideologie. Bei den ersten nationalen Wahlen im September 1991 wurde jedoch die Regierung weitgehend bestätigt; Anzeichen für eine Protestwahl gab es nicht. Menem und seine Regierungsmannschaft gründeten ihren Diskurs auf der urgencia económica, der wirtschaftlichen Notsituation. Aus dieser Perspektive waren alle Probleme, die Argentinien hatte, wirtschaftlich begründet, und zu ihrer Lösung waren ausschließlich liberale Maßnahmen geeignet. Der Politik und den politischen Parteien wurde ein Eigenwert abgesprochen. Die Argumentation, daß angesichts einer Krise, die den Bruch mit der Tradition und die Suche nach völlig neuen Optionen erforderte, lediglich eine Alternative bestand, eine Möglichkeit der Krisenüberwindung, nämlich die Liberalisierung, war zwar logisch nicht konsistent, einte aber in dieser Situation Regierung und Opposition. Auf dieser Grundlage war somit ein Konsens zwischen Elite und Antielite möglich. Nach der Erfahrung mit der Hyperinflation wurden alle übrigen Problemlagen dem Wirtschaftlichen untergeordnet. Themen von größter gesellschaftlicher Relevanz, wie die Bildungsreform, die Krise des Gesundheitssystems, der Zerfall regionaler Kohärenz oder die Außenpolitik verloren ihr eigenständiges Gewicht und wurden nur noch unter der Perspektive einer Lösung für die wirtschaftliche Problematik diskutiert. Der discurso de la urgencia económica hatte somit vor allem die Funktion einer äußersten Simplifizierung der komplexen gesellschaftlichen Problemkonstellation. Bei der Analyse des Scheiterns von Alfonsin waren auch die Radikalen zu dem Ergebnis gekommen, daß von ihnen entscheidende Fehler in der Wirtschaftspolitik gemacht worden waren. Entsprechend hatte Eduardo Angeloz, der Präsidentschaftskandidat der UCR von 1989, ein rein liberales Programm vertreten. Daher fiel es den Radikalen nach dem Amtsantritt Menems schwer, ein oppositionelles Profil zu entwickeln. Nicht einmal in Fragen der Korruption oder des offenen Verfassungsbruchs durch Mißachtung judikativer und legislativer Kompetenzen durch die Regierung erfolgte von Seiten der UCR eine entschlossene Oppositionspolitik - dies, obwohl gerade die Verteidigung

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der institutionellen rechtsstaatlichen Ordnung und Integrität der öffentlichen Institutionen traditionell zu den zentralen Elementen radikaler Programmatik zählten. Nach der Niederschlagung der letzten Militärrevolte im Dezember 1990 ging auch von dieser Seite keine Gefährdung des demokratischen Systems mehr aus, die einen solchen bedingungslosen Zusammenschluß der zivilen Kräfte hätte erklären können. Die Folge war, daß sich innerhalb der gesamten politischen Klasse so etwas wie ein ¿sprit de corps entwickelte, der das Niveau politischer Auseinandersetzung auf ein Minimum herabschraubte. Dieser Mangel an oppositionellen Manifestationen, ebenso wie die Tatsache, daß die Regierung mit Hilfe von Dekreten sehr weitgehend am Kongreß vorbei regierte, führten dazu, daß das Parlament einen erheblichen Prestigeverlust erlitt - was angesichts des traditionell sowieso geringen Ansehens, welches das Parlament in Argentinien, nicht zuletzt aufgrund der korporativen Tendenzen des Peronismus, genoß, besonders schwer wiegt. Die Krise der Korporationen Aber auch die Korporationen machten unter Menem einen erheblichen Funktionsverlust durch: Die von ihnen ausgehenden Forderungen an den Staat zur Lösung sektoraler Probleme hatten in einer sehr weitgehend über den Staat regulierten Wirtschaft traditionell die politische Dynamik bestimmt (vgl. u.a. Sidicaro 1985). Mit dem Abbau der Staatsinterventionismus im Zuge der Liberalisierungspolitik verfiel jedoch auch ihre daraus resultierende bargaining power. Im Falle der Unternehmerverbände wurde dies wettgemacht durch den politischen Erfolg, den die Implementierung der Liberalisierungspolitik bedeutete. Für die Gewerkschaften jedoch bedeutete es einen entscheidenden Verlust an Interventionsmacht und damit Einbuße ihrer gesellschaftlichen Machtposition. Mit Menem endet eine Epoche in der argentinischen Geschichte, die durch den Konflikt und die Konfrontation zwischen dem Peronismus und dem liberalen Unternehmertum geprägt ist. Dieser Konflikt war als offener Verteilungskampf über den Staat ausgetragen worden und hatte seinen Ausdruck in dem permanenten Wechsel zwischen expansiver und Stabilisierungspolitik gefunden. Der neue Peronismus unter Menem überläßt die Verteilung dem Markt und der Produktivitätsentwicklung und macht damit auch die traditionellen Diskurse sowohl der Unternehmer, als auch der Gewerkschaften gegenstandslos. Die Rücknahme des Staatsinterventionismus, die Einführung des freien Spiels der Marktkräfte, die Privatisierung der öffentlichen Unternehmen, die wirtschaftliche Außenöffnung und die Suche nach neuen externen Märkten entzogen de facto den alten Strategien jegliche Grundlage. 111

Mit dem Liberalismus Menems werden jedoch neue Fraktionierungen innerhalb des Unternehmertums sichtbar, die bis dahin durch deren ideologischen Liberalismus und die gemeinsame Frontstellung gegen die Gewerkschaften und den Peronismus überdeckt waren: es zeigte sich jetzt, daß die Liberalisierungen nicht alle Unternehmer gleichmäßig begünstigten, sondern daß einige auch empfindlich geschädigt wurden. Daraus resultierten Fraktionierungen innerhalb und zwischen den Unternehmerverbänden, die die Formulierung einer einheitlichen Position nicht mehr zuließen. Die Verbände verloren auch an Bedeutung als Gesprächspartner für die Regierung. Im gleichen Maße nahm jedoch der direkte Einfluß einzelner großer Wirtschaftsgruppen auf den Staat zu. Vor allem die Gewerkschaften waren plötzlich vor eine völlig neue Situation gestellt, die ihre gesamte bisher verfolgte Strategie obsolet werden ließ. Zunächst schwankten ihre Führungen zwischen Kritik und Unterstützung der Regierung. 1990 spaltete sich die Confederación General de Trabajo (CGT), der bis dahin einzige Dachverband: Unter der Führung des alten Vorsitzenden Saúl Ubaldini formierten sich die antiliberalen Gewerkschaften zu einem oppositionellen Bündnis, während die offizielle CGT die Regierung unterstützte. Beide Gruppen waren jedoch nicht in der Lage, eine effiziente Strategie der Interessenvertretung zu entwickeln. 1992 mußten sie offen anerkennen, daß weder der Oppositionskurs, noch die Unterstützungspolitik zu zufriedenstellenden Ergebnissen geführt hatte; in der Konsequenz vereinigten sie sich erneut. Außerhalb dieser neuen CGT verblieb lediglich eine kleine Gruppe von Gewerkschaften, welche die Bildung einer politischen Oppositionsbewegung anstrebte, die den traditionellen korporativistischen Stil überwinden und dem Beispiel Lulas in Brasilien folgen wollte. Folgen für die equidad Die Regierung Menem trat ihr Amt in einem Kontext an, der durch den Verfall der Verteilungsverhältnisse geprägt war (vgl. Tabelle 1). Mit der Regierungsübernahme der Peronisten verband sich die Hoffnung, daß diese Entwicklung sich umkehren würde. Diese Hoffnung wurde enttäuscht: Die Kaufkraft der Löhne stagnierte praktisch während der ersten vier Regierungsjahre Menems auf einem Niveau, das im Durchschnitt um 25 Prozent unter dem der Jahre 1984 bis 1988 lag. Die offene Arbeitslosigkeit lag 1989-93 bei 14 bis 15 Prozent, was für argentinische Verhältnisse ungewöhnlich hoch ist (vgl. Proyecto Gobierno Argentino/PNUD/OIT 1993). Gleichzeitig stieg der Anteil des sogenannten cuentapropismo, das heißt der im informellen Sektor auf eigene Faust Arbeitenden, auf 25 Prozent der ökonomisch aktiven Bevölkerung an; zwei

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Drittel davon gehören nach offiziellen Definitionen in die Kategorie derjenigen, deren Grundbedürfnisse nicht oder nicht ausreichend befriedigt sind. Der Verfall der equidad zeigt sich auch an der Entwicklung des Sozialhaushaltes: Wie sich aus Tabelle 2 ergibt, wurden in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Wohnungsbau und Sozialhilfe einschneidende Kürzungen vorgenommen: Tabelle 2: Entwicklung des Sozialhaushaltes (nationale, Provinz- und kommunale Ebene) 1984-88 und 1990-92 als Prozent-Anteil am Bruttoinlandsprodukt

Bildung Gesundheit Wohnungsbau Sozialhilfe

1984-88 5,11 5,93 0,98 1,06

1990-92 4,71 5,68 0,84 0,83

Quelle: Isuani 1992 Diese Entwicklung ist weitgehend das Resultat der Liberalisierungspolitik: der Staat wird von der Zuständigkeit in sozialen Bereichen immer mehr entlastet; dem Abbau des Staatsinterventionismus fallen damit auch einschlägige sozialpolitische Einrichtungen zum Opfer. Insbesondere die Privatisierungspolitik hatte den massiven Verlust von Arbeitsplätzen zur Folge. Teilweise waren Entlassungen Voraussetzung für die Privatisierung, teilweise wurden sie von den neuen Eigentümern vorgenommen. In einigen Fällen, in denen eine ganze Region von einem öffentlichen Unternehmen abhängig war, führte dies zu Multiplikatoreffekten, die den Zusammenbruch ganzer Strukturen implizierten. Überdies waren mit der Privatisierung der öffentlichen Dienstleistungsunternehmen (insbesondere im Transport-, Kommunikations- und Energiesektor) in der Regel auch beträchtliche Tariferhöhungen verbunden, die zum allgemeinen Anstieg der Lebenshaltungskosten beitrugen. Weiterhin hatte die Importliberalisierung zunehmende De-Industrialisierungsprozesse und damit wachsende Arbeitslosigkeit zur Folge. (Aus Tabelle 3 wird der wachsende Anteil von Importgütern am Gesamtkonsum deutlich.) Hier zeigte es sich, daß aufgrund der Schwächung der Unternehmerverbände ein wirksamer Widerstand auch von dieser Seite nicht praktiziert wurde ebenso wenig wie von Seiten der Gewerkschaften. Auf der anderen Seite gingen auch Großunternehmen immer mehr dazu über, einen Teil ihrer eigenen Produktion durch Importe zu substituieren. 113

Tabelle 3: Anteil der Importe am Volumen des Gesamtkonsums 1990-92 Branche

1990

1992

Stahl (Walzbleche) Petrochemie Papier Traktoren Reifen Kühlmotorkompressoren

8,1 17,1 4,7 2,1 2,1 35,7

27,4 25,4 23,8 13,1 13,1 64,1

Quelle: Cámaras empresarias Die Außenöffnung war zwischen 1990 und 1992 ausschließlich auf die Importe beschränkt: Während die Exporterlöse in dieser Zeit bei etwa 12.000 Millionen US-Dollar stagnierten, wuchsen die Importe um das Dreieinhalbfache. In der Konsequenz verwandelte sich der positive Handelsbilanzsaldo von 1990 über 8.275 Millionen US-Dollar im Jahre 1992 in einen Negativsaldo von 2.872 Millionen US-Dollar. Da die Außenöffnung nicht als Stimulans für die Exporte wirkte, konnte der durch die Importausweitung bedingte Verlust an Arbeitsplätzen somit auch nicht durch die Entstehung neuer Beschäftigungsmöglichkeiten im Exportsektor kompensiert werden. Mit der Übernahme liberaler Programmatik durch die Peronisten gaben diese ihre traditionelle Funktion, die soziale Interessen der Bevölkerung zu repräsentieren, auf; letztere blieben damit ohne Repräsentation auf der politischen Bühne, obwohl die alten Loyalitäten der Basis gegenüber der Parteiführung weitgehend aufrechterhalten wurden. Das Ergebnis war die vollständige Desartikulation der entsprechenden Interessen und daraus resultierend die Immobilität der betroffenen sozialen Gruppen, die somit über keinerlei Mittel mehr verfügten, den Verfall ihrer Lebensbedingungen aufzuhalten. Dies erklärt, warum den Effekten der Liberalisierungspolitik mit ihren katastrophalen Folgen für die Verteilungsgerechtigkeit kein wirksamer Widerstand entgegengesetzt wurde. 2.

Strukturanpassungspolitik

Der stabilisierungspolitische Durchbruch mit dem Plan Cavallo? In den ersten beiden Jahren ihrer Amtszeit blieben die stabilisierungspolitischen Bemühungen der Regierung Menem ohne Erfolg: Gegen Jahresende 1989 explodierten die Inflationsraten erneut und mündeten in eine zweite Phase 114

der Hyperinflation, die bis März 1990 anhielt. In dieser Zeit kam es zu beträchtlichen sozialen Unruhen, die sich jedoch nicht in einer gezielten oppositionellen Strategie, sondern in kriminellen Aktivitäten wie Überfällen und Plünderungen von Supermärkten niederschlugen. Diese provozierten repressive Maßnahmen seitens der Regierung, unter anderem auch - was eigentlich gesetzwidrig ist - den Einsatz des Militärs gegen entsprechende Verstöße gegen die innere Sicherheit. Aber auch danach gelang es zunächst nicht, die Inflation wirksam einzudämmen. Erst mit dem Amtsantritt Domingo Cavallos als neuer Wirtschaftsminister im Februar 1991 und der Verabschiedung seines Stabilisierungsplans trat eine grundlegende Wende ein. Gegenüber der bisher verfolgten Wirtschaftspolitik umfaßte der "Plan Cavallo" verschiedene Neuerungen: Zunächst war bemerkenswert, daß er nach einer geordneten parlamentarischen Prozedur als Gesetz verabschiedet wurde - im Unterschied zum Beispiel zum "Plan Austral" Alfonsins, der als Dekret und in Form einer Überraschungsaktion eingeführt worden war. Dies sollte den Plan von vornherein mit dem notwendigen Konsens versehen. Inhaltlich sah der Plan die volle Konvertibilität der Landeswährung in USDollar vor. Die Zentralbank wurde damit gesetzlich verpflichtet, die gesamte lokale Geldmenge durch frei verfügbare Gold- und Devisenreserven zu einem Kurs von 10.000 Australes pro US-Dollar zu decken. Künftige Abwertungen durften nur noch auf gesetzlicher Grundlage, das heißt mit Zustimmung des Parlaments vorgenommen werden. Die Zentralbank durfte nur noch Australes emittieren, wenn dies durch eine entsprechende Zunahme ihrer Reserven gedeckt war. Damit sollte der unkontrollierten Emission zur Deckung von Haushaltslücken als einer Quelle der Inflation ein Riegel vorgeschoben werden. Die Zentralbankreserven dürfen weder verpfändet, noch zur Bedienung der Schulden verwendet werden, weil nur so die Umtauschgarantie einzuhalten war. Der Plan Cavallo sah weiterhin die Möglichkeit vor, Verträge direkt in ausländischer Währung abzuschließen, das heißt auch Kredite in Dollar aufzunehmen. Damit sollte vor allem argentinischem Fluchtkapital die Rückkehr ins Land erleichtert werden. Darüber hinaus verbot der Plan jegliche Indexierung. Für Januar 1992 sah er eine erneute Währungsumstellung vor, bei der der Peso wieder eingeführt und im Verhältnis 1:10.000 zum Austral (das heißt 1:1 zum US-Dollar) bewertet wurde. Voraussetzung für das Funktionieren des Plans war, daß die Inflation mindestens auf das internationale Niveau gesenkt werden konnte, weil nur so Wechselkursverzerrungen im Sinne einer Überbewertung des Austral mit den entsprechenden Folgen für eine Einschränkung der Exportmöglichkeiten und Ausweitung der Importe und damit einer Gefährdung der Devisendeckung des Geldumlaufs zu vermeiden war. Eine weitere Voraussetzung war somit auch, 115

daß der Staatshaushalt nicht nur ausgeglichen sein, sondern darüberhinaus soweit Einnahmeüberschüsse aufweisen mußte, daß daraus ohne zusätzliche Geldemission die fälligen Zinszahlungen an die ausländischen Gläubiger zu leisten waren. Um seinem Stabilisierungsplan das größtmögliche Maß an Konsens zu sichern, trat Cavallo in Verhandlungen mit verschiedenen Branchenverbänden und Einzelunternehmen ein, die der Preisliberalisierung kritisch gegenüber standen und denen er als Ausgleich dafür gewisse Steuererleichterungen zusagte. Das Indexierungsverbot, die sektoralen Absprachen sowie eine bereits im Februar eingeleitete Zollreform, durch welche die Zölle allgemein gesenkt und einige Spezialzölle abgeschafft wurden, waren neben der Sanierung des Haushalts die wichtigsten Maßnahmen zur Beseitigung der Inflation. Der Rückgang der Zolleinnahmen sowie die Abschaffung der Exportsteuern standen dabei zunächst im Widerspruch zum Ziel der Haushaltssanierung. Die Regierung hoffte jedoch, durch eine allgemeine Belebung der Wirtschaft als Folge der Stabilisierung sowie durch eine verbesserte Steueradministration die Staatseinnahmen in ausreichendem Maße anheben zu können. Darüber hinaus sollten durch die Forcierung der Privatisierungspolitik zusätzliche Staatseinnahmen geschaffen bzw. über die damit verfolgte Kapitalisierung eines Teils der Auslandsschuld die Belastung des Haushalts durch Zinszahlungen vermindert werden. Die Stabilisierung und Konsolidierung sollte überdies den Weg frei machen für ein Abkommen mit dem IWF als Voraussetzung fiir eine langfristige Regelung des Schuldenproblems. Der unmittelbare Stabilisierungserfolg des Plan Cavallo war eindrucksvoll: die Inflationsrate für Konsumentenpreise konnte auf 5,5 Prozent im April, 2,8 Prozent im Mai, 3,1 Prozent im Juni, 2,6 Prozent im Juli, 1,3 Prozent im August, 1,8 Prozent im September, 1,4 Prozent im Oktober, 0,4 Prozent im November und 0,6 Prozent im Dezember gedrückt werden, die Rate für Großhandelspreise lag in allen diesen Monaten noch darunter und war teilweise sogar negativ (Daten von INDEC). Eine derartige Geldwertstabilität hatte es in Argentinien seit 1974 nicht mehr gegeben. Unmittelbare Folge waren die Remonetarisierung und eine generelle Reaktivierung der Wirtschaft, vor allem eine beträchtliche Kaufkraftsteigerung und Angebotsausweitung von Konsumentenkrediten. Dies hatte vor allem ein Nachfragewachstum fiir dauerhafte Konsumgüter zur Folge. Angesichts der Importliberalisierungen sowie der tendenziellen und steigenden Überbewertung des Austral aufgrund der Restinflation, die nach wie vor über dem internationalen Niveau lag, führte dies gleichzeitig zu einem erheblichen Importwachstum, was angesichts der zum Teil ebenfalls wechselkursbedingten prekären Situation

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des Exportsektors eine Gefährdung der Devisenreserven und damit des gesamten Konvertibilitätsgesetzes bedeutete. Im Bereich der Nahrungsmittel und Dienstleistungen, die keinem vergleichbaren internationalen Konkurrenzdruck ausgesetzt sind, verursachte die gestiegene Nachfrage beträchtliche Preiserhöhungen, was angesichts des Indexierungsverbots der Löhne beträchtliche Reallohnverluste zur Folge hatte: Im November 1991 lagen die Reallöhne in der Industrie um sieben Prozent unter dem Niveau vor Verabschiedung des Plans Cavallo und um 13 Prozent unter dem Niveau von November 1990 (Daten von INDEC, CEPAL und FIEL). Die gesamtwirtschaftliche Reaktivierung ermöglichte die Ausweitung der staatlichen Steuereinkünfte, durch welche zwar die verschiedenen Einnahmeausfälle, die dem Kampf gegen die Inflation geschuldet waren, kompensiert werden konnte, die zur vollen Deckung des Konvertibilitätsplans jedoch nicht ausreichend waren. Neben seinen sehr zweifelhaften Verteilungseffekten wies der Plan Cavallo im Ergebnis somit eben die zwei kritischen Aspekte auf, deren Nicht-Auftreten oben als Voraussetzung für sein Funktionieren genannt worden war: erstens eine reale Überbewertung des Austral mit dem unmittelbar wachstumshemmenden Effekt einer Beeinträchtigung des Exportsektors und zweitens einen immer noch erheblichen Mangel an Haushaltsstabilität. Der unmittelbare Stabilisierungs- und Reaktivierungserfolg des Plan Cavallo festigte jedoch das Ansehen der Regierung Menem und ermöglichte eine beträchtliche Ausweitung ihrer Handlungsspielräume. Dies schlug sich unmittelbar in den Gouverneurs- und Parlamentsteilwahlen nieder, die für September und Oktober anstanden und aus denen die Regierung als unangefochtener Sieger hervorgehen konnte. Die immensen sozialen Kosten, die auch die Stabilisierung ä la Cavallo nach sich zog, spielten dabei angesichts des breiten Konsenses bezüglich der Notwendigkeit wirtschaftlicher Stabilität allenfalls eine untergeordnete Rolle. Selbst die Tatsache, daß sich vor den Wahlen die drei wichtigsten Gewerkschaftsführer, Luis Barrionuevo, Lorenzo Miguel und Saül Ubaldini, die bisher sehr unterschiedliche Linien verfochten hatten, zu einer gemeinsamen kritischen Allianz gegenüber der Regierung zusammengefunden hatten, konnte an diesem Ergebnis nichts wesentliches ändern: Ubaldini, der in der Provinz Buenos Aires für den Gouverneursposten kandidiert hatte, erhielt gerade ein Prozent der Stimmen. Mit dem Wahlergebnis konnte dem vorher oftmals erhobenen Vorwurf der Illegitimität der Regierung Menem, der auf dem Widerspruch zwischen seiner Politik und den vorher gegebenen Wahlversprechen gründete, zunächst weitgehend der Boden entzogen werden. Dies wurde allgemein auch als positives Signal für zunehmende politische Stabilität und Konfliktminderung sowie dafür

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gewertet, daß die Regierung sich für die Fortsetzung ihres Transformationskurses kurzfristig auf einen breiteren gesellschaftlichen Konsens stützen kann. Dieser Konsens bezieht - was ein historisches Novum in Argentinien ist primär auch die Wechselkurspolitik ein, die spätestens seit den fünfziger Jahren der bevorzugte Gegenstand der Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Kapitalfraktionen (export- vs. binnenmarktorientierte Fraktionen, Agrarier vs. Industrielle) gewesen war. Der die Exporteure und insbesondere die Agrarier benachteiligende Wechselkurs im Rahmen des Plan Cavallo wurde von diesen vor allem aufgrund der ihnen konzedierten Steuererleichterungen akzeptiert. Gleichzeitig jedoch wurde der Konsens auch dadurch ermöglicht, daß die Regierung - im Rahmen eines Abkommens mit dem Industriellenverband UIA, dessen neue Führung primär die binnenmarktorientierten Fraktionen repräsentiert - Modifikationen in der Arbeitsgesetzgebung zusagte, die auf eine Verbilligung der Arbeitskosten hinzielen. Grundlegend für den bisherigen Stabilisierungserfolg des Plan Cavallo ist somit, daß unter der Regierung Menem die Herstellung eines Konsenses innerhalb der herrschenden Klassen gelang, während gleichzeitig die Gewerkschaften - vor allem unter dem Eindruck zweier Hyperinflationen - zu weitgehendem Stillhalten bereit waren. Voraussetzung für dieses Ergebnis war jedoch, daß es eine peronistische Regierung ist, die für die Stabilisierungspolitik verantwortlich zeichnet, während noch Alfonsin vor allem auch am peronistischen Widerstand gescheitert war. Umgekehrt war es Menem vor allem über seine Privatisierungspolitik gelungen, die Vorbehalte der Oligarchie gegen eine peronistische Regierung auszuräumen und eine breite Akzeptanz für seine Politik zu erlangen. Obwohl also insgesamt das Vertrauen in die argentinische Wirtschaft im Gefolge des Plan Cavallo sehr stark gewachsen ist, was sich nicht zuletzt darin ausdrückt, daß offensichtlich inzwischen ein beträchtlicher Teil des Fluchtkapitals nach Argentinien zurückgekehrt ist, ist nach wie vor der cortoplazismo vorherrschend, das heißt Gewinnerwartungen und eine damit einhergehende Risikobereitschaft, die sich auf wenige Monate erstrecken. Entsprechend boomt zunächst vor allem der Bausektor, während langfristig wirksame produktive Investitionen bisher ausblieben. Das einströmende Kapital diente bisher weitgehend nur der Übernahme vorhandener Anlagen, wenn es nicht gar in unproduktive bzw. spekulative Bereiche floß. Die wirtschaftliche Stabilisierung kann jedoch nur dann von Dauer sein, wenn sie in nicht allzu ferner Zukunft in eine zweite Phase wirtschaftlicher Transformation mündet, die auf produktiven Investitionen basiert und bei der es um eine grundlegende Restrukturierung des produktiven Apparates gehen müßte, welche mit Umstrukturierungsprozessen, die auf dem Weltmarkt im Gange sind, vereinbar ist. Dies hat jedoch zur Voraussetzung, daß der Staat imstande ist, entsprechende neue Regulierungsfunktionen effizient wahrzu118

nehmen. Davon kann zur Zeit noch keine Rede sein. Die Reform des Staatsapparates beschränkt sich vielmehr ausschließlich auf seine Demontage: auf die kriterienlose Abstoßung der öffentlichen Unternehmen, mit denen sich der Staat auch möglicher künftig stabiler Einnahmequellen zum Beispiel im Erdölund Erdgassektor begibt, sowie auf die Schließung regulierender Institutionen und die ebenfalls kriterienlosen Massenentlassungen, die zum großen Teil den Verlust gerade des qualifiziertesten Personals bedeuten. Ansätze für eine gezielte Restrukturierung sind bisher nicht sichtbar, und einschlägige Konzepte sind auch bei den sozialen und politischen Handlungsträgern nicht vorhanden; in diesem Bereich findet nicht einmal eine ernstzunehmende Diskussion statt. Dies muß letztlich als Ausdruck dafür gewertet werden, daß der die Politik Cavallos tragende Konsens bisher lediglich ein konjunkturell (durch die Inflationserfahrung) bedingter ist und sich noch nicht so weit hat konsolidieren können, daß damit die Grundlage für den Aufbau eines effizienten Apparates als Voraussetzung für eine langfristige Entwicklungsstrategie gegeben wäre. Argentinien ist noch nicht endgültig aus dem circulus viciosus der Instabilität ausgebrochen; die strukturellen Ursachen der Inflation sind nicht beseitigt. Von der erfolgreichen Durchführung nicht nur des ökonomischen Transformationsprozesses, sondern auch eines institutionellen Neuaufbaus wird jedoch letztlich auch die politische Stabilität des Landes abhängen. Ob damit dann allerdings auch eine Lösung der sozialen Verteilungsproblematik in den Bereich des Möglicheren rückt, ist angesichts der Machtverhältnisse, wie sie sich unter Menem immer deutlicher herauskristallisieren, höchst zweifelhaft. Diese sind durch die Formierung einer breiten Allianz fast aller Bourgeoisiefraktionen gegen die Lohnarbeiter und Teile der Mittelschichten sowie deren Gewerkschaften gekennzeichnet - eine Allianz, die den bisherigen Stabilisierungserfolg des Plan Cavallo überhaupt erst möglich gemacht hat. Es deutet sich hier (bestenfalls) eine Lösung des jahrzehntealten Hegemonieproblems in einem breite Bevölkerungsgruppen exkluierenden und marginalisierenden Sinne an. Wenn die politische Situation daher in Argentinien gegenwärtig einigermaßen stabil erscheint, so ist das primär darauf zurückzuführen, daß sich die gravierenden sozialen Kosten der Stabilisierung erst mittelfristig offen zeigen werden, während gegenwärtig noch ein antihyperinflationärer Konsens für Ruhe sorgt - von sozialen Unruhen wie den in Santiago del Estero zu Ende des Jahres 1993 einmal abgesehen. Da dieser Konsens jedoch ausschließlich negativ begründet ist und keinerlei substantiell-positive Implikationen im Sinne einer langfristigen Entwicklungsstrategie enthält, ist die Stabilität in keiner Weise gesichert. Auch der plötzliche Legalismus, wie ihn der Plan Cavallo repräsentiert, täuscht. Da relevante politische und ökonomische Entscheidungen nach wie vor per Dekret getroffen werden (beispielhaft ist das Decreto de Desregulaciön vom November 1991, mit dessen Hilfe die meisten Märkte 119

dereguliert und die entsprechenden politischen Institutionen abgeschafft wurden) und der Konsens innerhalb der herrschenden Klasse weitgehend an den verfassungsmäßigen Institutionen vorbei hergestellt wird, kann von einer wirklichen Aufwertung der parlamentarischen Institutionen keine Rede sein. Allenfalls kann insofern eine gewisse Konsolidierung konstatiert werden, als die wiederholte Abhaltung von Wahlen eine Gewöhnung an die damit verbundenen demokratischen Spielregeln mit sich gebracht hat. Weder in wirtschaftlicher, noch in politischer Hinsicht zeichnet sich somit bisher eine eindeutige Tendenz ab; vorherrschend sind nach wie vor kurzfristiges und individuelles muddling-through, einhergehend mit breiten Entsolidarisierungstendenzen, ohne daß die geringsten Anzeichen für eine neue Grundlage gesellschaftlicher Solidarität und Integration zu sehen wären. Die Privatisierung der öffentlichen Unternehmen 1989 wurde in Argentinien ein Privatisierungsprogramm in Angriff genommen, welches an Umfang und Tempo seiner Durchsetzung vergleichbare Programme in den meisten anderen Ländern der Region übertraf. Innerhalb von drei Jahren entledigte sich die argentinische Regierung der Mehrzahl der seit Jahrzehnten vom Staat kontrollierten öffentlichen Unternehmen im produktiven und Dienstleistungs- bzw. auch im extraktiven Bereich (Erdöl), und die wenigen Unternehmen, die 1993 noch übrig geblieben waren, befanden sich zu dieser Zeit auch bereits im Prozeß der Privatisierung oder definitiven Schließung. Damit veränderte sich die Eigentumsstruktur der argentinischen Wirtschaft ebenso grundlegend wie ihr Funktionsmodus; die Effekte dieser Veränderung machten sich unmittelbar auch im sozialen und im politischen Bereich bemerkbar. Die quantitativen Indikatoren können die Tiefe der damit bewirkten Transformation nur andeutungsweise demonstrieren: Es wurden Aktiva im Werte von weit über 10 Milliarden Dollar transferiert; der Umsatz der neu gebildeten Unternehmen wird jährlich etwa 12 Milliarden US-Dollar betragen; 250.000 Beschäftigte wurden vom öffentlichen in den privaten Sektor versetzt, und hinzu kamen 90.000 Beschäftigte, die im Zuge der Privatisierungen entlassen wurden. Die Radikalität dieser Privatisierungspolitik ist noch erstaunlicher vor dem Hintergrund der politischen Tradition Argentiniens, in der der Konsens bezüglich der öffentlichen Unternehmen eine besondere Rolle gespielt hatte. Dieser Konsens hatte sich weit bis in die achtziger Jahre hinein erhalten. So war zum Zeitpunkt der Redemokratisierung 1983 die öffentliche Meinung, und mit ihr die beiden großen Parteien, weitgehend davon überzeugt, daß die offensichtlichen Mängel in der Performance der Unternehmen auf eine falsche Politik unter der Militärdiktatur zurückzuführen seien und daß es reiche, die Unter120

nehmen unter einer neuen Leitung zu restrukturieren und in eine neue Wirtschaftspolitik zu integrieren. Es zeigte sich jedoch bald, daß die Unternehmen den Restrukturierungsbemühungen massiven Widerstand entgegensetzten und daß dies offensichtlich darauf zurückzuführen war, daß um die einzelnen Unternehmen herum enge Interessenverflechtungen entstanden waren. Die allgemeinen politischen Rahmenbedingungen, vor allem die begrenzten Handlungsspielräume der Regierung, die mangelnde Handlungskapazität des administrativen Apparates, der Mangel an konsistenten Projekten, die Verschuldungssituation usw. waren nicht geeignet, der Regierung ein konsequentes Gegensteuern zu ermöglichen. Dies führte zu einer Reorientierung der Politik Mitte der achtziger Jahre, als die Regierung Möglichkeiten einer Assoziierung mit privaten Kapitalanteilseignern - zunächst im Erdölsektor - zu sondieren begann. 1987 kündigte die Regierung Alfonsin die Teilprivatisierung der Lufitfahrtgesellschaft Aerolineas Argentinas sowie der Telefongesellschaft ENTEL an: 40 Prozent der Aktien sollten jeweils an private Interessenten verkauft werden, die damit auch die Unternehmensleitung übernehmen sollten. Der Staat wollte die Kontrolle nicht ganz aus der Hand geben und sich über die Mehrheitsbeteiligung eine strategische Rolle, das heißt vor allem das Mitspracherecht bei Grundsatzentscheidungen erhalten. Der radikale Politikwechsel mit dem Amtsantritt Menems ist dann weitgehend in der Verschuldungssituation begründet: Die Privatisierung wurde als eine Form der Schuldentilgung gesehen. In Anbetracht des enormen Umfangs der öffentlichen Unternehmen sollte auf diesem Wege eine beträchtliche Verminderung der Schuldenlast erreicht werden. Die Radikalität des Politikwechsels ist jedoch mit der Interessenallianz zwischen Gläubigern und lokalen Gruppen allein nicht ausreichend erklärt. Von entscheidender Bedeutung war weiterhin die Hyperinflation zur Zeit des Regierungswechsels, durch welche die Regierung Menem über historisch einmalige Handlungsspielräume verfügte, da mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit der Wiederherstellung wirtschaftlicher Stabilität praktisch jede Maßnahme gerechtfertigt war. Die Gesellschaft war durch die Hyperinflation paralysiert und zu einem grundlegenden Bruch in der Politik bereit. Daß dieser Bruch von einer traditionell etatistischen Partei vollzogen wurde, war nur ein weiterer Beweis für die Notwendigkeit des Bruchs. Die öffentlichen Unternehmen wurden dabei als eine wesentliche Inflationsursache identifiziert und eine schnellstmögliche Privatisierung als einzig gegebener Ausweg aus der Krise angeboten. Der Positionswechsel bei der Regierungspartei ging dabei einher mit dem Wandel der politischen und sozialen Allianzen. Die Zusammensetzung der Regierungsmannschaft Menems ist Ausdruck davon. Die Privatisierungen sollten den Staat von unnötigem Ballast befreien, der für einen großen Teil der Staatsverschuldung sowie für die mangelnde Qualität 121

und die überhöhten Kosten im Bereich der öffentlichen Dienste verantwortlich gemacht und als entscheidender inflationstreibender Faktor betrachtet wurde. Weiterhin sollten die Schuldenlast reduziert und die Unterstützung der Gläubiger gewonnen werden. Es sollte überdies ein eindeutiges Signal für den Bruch, sowohl für die ausländischen Partnerländer, als auch für die lokalen Akteure gegeben werden. Nicht die gesamte Regierung und auch nicht die gesamte Regierungspartei partizipierten an diesem Konsens. Aber die Situation ermöglichte eine hohe Konzentration der Entscheidungsmacht bei der Exekutive, so daß dieser Politik kein großer Widerstand entgegengesetzt wurde. Dies war schließlich ausschlaggebend für die Radikalität, mit der die Privatisierungen durchgeführt wurden. Die hohe Machtkonzentration drückte sich jedoch nicht in einer Homogenität des Privatisierungsprozesses aus. Im Gegenteil: die Kriterien für die Auswahl möglicher Käufer und die Bedingungen der Übernahme (ob ausländisches Kapital und Gläubigerbanken als Teilhaber akzeptiert wurden, ob eine Mindestgröße in den wirtschaftlichen Aktivitäten des Käufers festgelegt werden sollte, ob öffentliche Unternehmen aus anderen Ländern zugelassen werden sollten, ob ein Verkaufspreis festgelegt werden sollte und in welcher Höhe usw.) variierten von Fall zu Fall. Im November 1990 wurde zunächst die Privatisierung der Telefongesellschaft ENTEL und der Luftfahrtgesellschaft Aerolíneas Argentinas weitgehend abgeschlossen. ENTEL wurde in zwei Gesellschaften aufgeteilt, eine für die nördliche und eine für die südliche Landeshälfte, wobei die Grenze mitten durch die Hauptstadt Buenos Aires ging. Diese beiden Gesellschaften wurden von zwei internationalen Firmenkonsortien übernommen, nachdem die Regierung ihnen weit überproportionale Tariferhöhungen zugestanden hatte. Aerolíneas wurde von einer Gruppe übernommen, an der die - staatliche - spanische Luftfahrtgesellschaft Iberia mehrheitlich beteiligt war - und dies, obwohl die Ausschreibungsbedingungen vorsahen, daß eine Aktienbeteiligung von 30 Prozent nicht überschritten werden sollte. Die Nichterfüllung von Vertragsbedingungen, die Verzögerung der Verhandlungen und die damit verbundenen undurchsichtigen Transaktionen und Korruptionsskandale sorgten in der Öffentlichkeit für beträchtliche Aufregung. Um eine Wiederholung dieser negativen Erfahrungen zu vermeiden, mußten nach dem Amtsantritt Cavallos als Wirtschaftsminister die Ausschreibungsbedingungen in Gesetzesform vom Parlament verabschiedet werden. Auf diese Weise sollte der Privatisierungsprozeß transparenter gestaltet und die Festlegung überhöhter Tarife vermieden werden. Bei dieser Entscheidung spielte auch die massive Intervention der Unternehmer im Falle der Privatisierung der Gas- und Elektrizitätsunternehmen eine wichtige Rolle, die eine mögliche spätere Explosion ihrer Produktionskosten zu vermeiden trachteten. Dies änderte jedoch nichts Grundsätzliches am Verlauf der Privatisierungen: 122

In allen Fällen war die Zahl der möglichen Käufer sehr gering und die konkreten Bedingungen wurden jeweils im Zuge der Verhandlungen modifiziert bzw. dann direkt zwischen der Regierung und dem Käufer ausgehandelt. Dies erleichterte die Beibehaltung oder Neu-Entstehung von Monopolunternehmen, was umso gravierender ist, als die einschlägigen staatlichen Regulierungsinstanzen, die im Zuge der Privatisierungen gegründet worden waren, praktisch nicht funktionieren. So gibt es keine Möglichkeit, zu verhindern, daß die privatisierten Unternehmen, die im Bereich öffentlicher Dienstleistungen operieren (Eisenbahnen, Telefon, Elektrizität, Häfen usw), ausschließlich ihren (kurzfristigen) Privatinteressen folgen, während das langfristige gesellschaftliche Interesse über keinen Anwalt verfügt. Hier macht sich besonders verhängnisvoll die Tatsache bemerkbar, daß der Staat schwach ist und weder über funktionsfähige Kontrollorgane, noch über qualifizierte Funktionäre verfugt, so daß der Korruption Tor und Tür geöffnet ist. Die Übernahmeverträge sahen zwar in einigen Fällen Investitionen vor und legten einen Terminplan dafür fest, zum Beispiel für die Installation neuer Telefonleitungen im Falle von ENTEL oder für den Kauf neuer Flugzeuge im Falle von Aerolineas Argentinas. Als die neuen Eigentümer von Aerolineas sich dann jedoch weigerten, diesen Verpflichtungen nachzukommen, zeigte sich deutlich, daß der Staat nicht imstande war, die Einhaltung der Verträge durchzusetzen. Die Tatsache, daß ausländische Teilhaber ein besonderes Gewicht haben, läßt überdies künftige Gewinnabflüsse ins Ausland mit den entsprechenden Konsequenzen für die Zahlungsbilanz befurchten. Überdies entfallt mit den Privatisierungen das traditionelle Erfordernis des compre nacional, das heißt der Verpflichtung für die öffentlichen Unternehmen, ihre Vorleistungen so weit als möglich bei nationalen Produzenten zu kaufen, und die neu gebildeten Unternehmen beziehen einen wachsenden Anteil ihres Bedarfs aus dem Ausland. Dies ist in vielen Fällen nicht mit der größeren Wettbewerbsfähigkeit der importierten Produkte zu erklären, sondern aus den Verbindungen zwischen den neuen Anteilseignern und den ausländischen Lieferanten. Besonders evident ist dies im Telefonsektor, wo die nationalen Zulieferer immer mehr verdrängt werden durch Importe von Unternehmen, die mit einigen der neuen Anteilseignern liiert sind. Die Entwicklung in strategischen Bereichen der Infrastruktur des Landes wird somit zunhemend von ausländischen Akteuren außerhalb der Landesgrenzen entschieden. Der Mangel an Transparenz hinsichtlich der Eigentumsverhältnisse macht weiterhin den unkontrollierten Kauf und Verkauf von Aktienpaketen möglich, welche zu grundlegenden Verhaltensänderungen des Unternehmens führen können. Die Möglichkeit, daß die ehemals öffentlichen Unternehmen damit zu Bestandteilen großer, diversifizierter Finanzgruppen mit völlig undurchsichtigen Eigentumsstrukturen und Verflechtungen werden können, legt schließlich

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die Frage auch nach der politischen Macht dieser Gruppen nahe und wirft damit das Problem der Regierbarkeit auf. Überdies ist - wie bereits erwähnt - der argentinische Kontext auch nach dem Plan Cavallo durch den cortoplazismo charakterisiert, und dies bestimmt auch das Verhalten der Dienstleistungsunternehmen maßgeblich. Insgesamt hat der Privatisierungsprozeß somit das Staatseigentum in entscheidenden Wirtschaftsbereichen abgeschafft, ohne damit gleichzeitig einen funktionierenden Markt und Wettbewerbsbedingungen einzuführen. Der Wechsel in den Eigentumsverhältnissen war nicht von einem entsprechenden Wechsel der Spielregeln begleitet. Eine Änderung dieser Spielregeln kann nur durch einen starken (nicht ausgedehnten) Staat, das heißt mit Hilfe funktionierender Regulierungs- und Kontrollorgane durchgesetzt werden. Davon ist Argentinien weit entfernt. 3. Die Papier- und Zelluloseindustrie und die Automobilindustrie in Argentinien Die Strukturanpassungspolitik der Regierung Menem bedeutete den definitiven Bruch mit den Resten des alten Protektions- und Subventionssystems für die Industrie. Zur Anhebung der realen Zinssätze, der Aufhebung der Verpflichtung für die öffentlichen Unternehmen, bei nationalen Unternehmen zu kaufen sowie der Beseitigung des gesamten vorherigen Fördersystems kamen jetzt die Senkung der Zollsätze und die Aufhebung der Bestimmungen, welche konkurrierende Importe begrenzten, sowie die tendenzielle Überbewertung des Peso hinzu; die nationale argentinische Produktion war damit sehr weitgehend der direkten Weltmarktkonkurrenz ausgesetzt. Die Erwartung, die mit dieser Politik verbunden war, ging davon aus, daß die nationalen Unternehmen, um dieser neuen Situation standhalten zu können, technologische Innovationen und Produktivitätssteigerungen durchführen würden. Was jedoch nicht in Rechnung gestellt worden war, war die Tatsache, daß die Unternehmer nicht nur auf externe Signale reagieren, sondern auch ihre in der Vergangenheit gemachten Erfahrungen eine Rolle spielen. Diese Erfahrungen waren nicht sonderlich hoffnungsvoll: die Dauer der Stagnation, die Stopand-Go-Zyklen der Wirtschaftsentwicklung und der permanente Wechsel der Spielregeln beherrschen nach wie vor das Bewußtsein der Unternehmer und lassen sie dazu tendieren, bevorzugt solche Strategien einzuschlagen, die mit dem geringsten Risiko verbunden sind. Auf der anderen Seite erfordert die Außenöffnung sofortige Reaktionen und ist mit einer abwartenden Haltung, die davon ausgeht, daß die entsprechenden Spielregeln in absehbarer Zeit zurückgenommen werden, nicht vereinbar. Entsprechend besteht die Gefahr, daß die gesamte Stabilisierungs- und Öffnungspolitik durch dieses Verhalten konter124

kariert wird. Die beiden folgenden Fallstudien über die Papier- und Zelluloseindustrie und die Automobilindustrie enthalten einige Indizien hierfür. Entwicklung und Perspektiven der Papier- und Zelluloseindustrie Das Panorama in den sechziger und siebziger Jahren Gegen Ende der sechziger Jahre wies die Papier- und Zellulosebranche in Argentinien eine jährliche Produktionskapazität von 580.000 Tonnen auf, die sich auf insgesamt 40 Betriebe verteilte. 30 Prozent davon wurde von dem größten Unternehmen, Celulosa Argentina, abgedeckt, welches das einzige voll integrierte Unternehmen, allerdings mit verschiedenen, technologisch sehr unterschiedlich ausgestatteten Betrieben war. Weitere 50 Prozent der Produktionskapazität lagen bei fünf Großunternehmen, während der Rest auf kleinere Betriebe mit einfachen Produktionsprozessen entfiel. In den sechziger Jahren kamen zwei weitere Projekte von Bedeutung hinzu: Das eine wurde von Ledesma, einer der größten Zuckerfabriken des Landes unternommen, welches 1962 in der Provinz Jujuy eine Papierfabrik auf der Basis von Zuckerrohr errichtete mit einer jährlichen Kapazität von 36.000 Tonnen. Diese Initiative war so erfolgreich, daß in den siebziger Jahren die Ausweitung der Produktion um das Dreifache geplant wurde (bis zu jährlich 100.000 Tonnen), was jedoch nicht realisiert werden konnte. Die zweite Initiative ging von der Provinzregierung in Misiones aus, die 1961 Papel Misionero gründete, ein gemischtes Unternehmen mit staatlichen, Provinz- und privaten Beteiligungen, welches auf der Grundlage lokaler Holzbestände Industriepapier produzieren sollte. Die Produktion mit einer jährlichen Kapazität von 36.000 Tonnen, konnte erst im Jahr 1975 aufgenommen werden - mit Hilfe von Lieferantenkrediten und dank der Förderpolitik der damaligen peronistischen Regierung. Ende der siebziger Jahre war Argentinien - ausgenommen die Produktion von Zeitungspapier - Selbstversorger auf dem Papiersektor geworden. Auf dem Zellulosesektor dagegen mußte immer noch die Hälfte des Bedarfs importiert werden. Hier wird auch gegenwärtig noch ein entscheidender Engpaß gesehen - neben dem Mangel an Wäldern, welche den Rohstoff liefern könnten. Dieses letztere Problem wurde partiell mit Hilfe des Recycling von gebrauchtem Papier gelöst. Die Ausweitung der Produktionskapazität erfolgte bis Mitte der siebziger Jahre mit massiver staatlicher Unterstützung (Kredite, Subventionen); der dann durchgeführte abrupte Politikwechsel konfrontierte die Branche mit erheblichen Problemen, welche durch die allgemeine wirtschaftliche Stagnation, in deren Kontext auch die Nachfrageentwicklung für

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Papier weit hinter den ursprünglichen Projektionen zurückblieb, verschärft wurden. Die wichtigste Fördermaßnahme für die Papierbranche war die Protektion des nationalen Marktes, die weitgehend auf quasi natürliche Weise, nämlich aufgrund des Devisenmangels zustande kam. Hinzu kamen seit Ende der vierziger Jahre Entwicklungskredite des Banco Nacional de Desarrollo. Zu Beginn der sechziger Jahre übernahm der Staat eine noch aktivere Rolle, indem er zum Beispiel selbst Projekte vorschlug und wirtschaftliche Vergünstigungen für Investoren gewährte. Dies motivierte insbesondere Celulosa Argentina zu Beginn der siebziger Jahre - im Rahmen des Plan Trienal de Desarrollo von 1973 - zur Ausweitung seiner Produktionskapazität und zur Durchfuhrung zweier großer Investitionsprojekte in der Provinz Misiones. Das erste Projekt, "Celulosa Puerto Piray" (CPP), sah eine integrierte Zellulose- und Papierfabrik vor mit einer Produktionskapazität von 170.000 Tonnen Zellulose und 136.000 Tonnen Papier, die im ausschließlichen Besitz von Celulosa war. Die staatlichen Kredite und Subventionen deckten dabei 80 bis 90 Prozent der Gesamtinvestition ab. Das Projekt wurde 1976 bewilligt; 1980 begann der Bau zu stagnieren und hat seither keine erkennbaren Fortschritte gemacht. Die ursprünglich projektierte Höhe der Investition von 500 Millionen US-Dollar war aufgrund der Finanzierungskosten für die bereits getätigten Investitionen und die allgemeinen Kostenerhöhungen bereits 1986 auf 800 Millionen US-Dollar angestiegen. Damit war das Projekt unrealisierbar geworden und mußte umdefiniert werden, was jedoch bisher - in der Hoffnung auf positivere Marktentwicklungen - noch nicht geschehen ist. Das zweite Projekt, "Alto Paraná" (APSA), war eine Aktiengesellschaft, die ausschließlich Zellulose produzieren (mit einer Kapazität von 170.000 Tonnen) und damit einen Teil der Marktlücke in diesem Bereich schließen sollte. Zur Deckung seiner Rohstoffversorgung wurde mit staatlicher Hilfe in Misiones aufgeforstet. Wie im Falle von CPP war das Projekt durch öffentliche Mittel abgesichert, wodurch der Anteil, der von den Aktionären aufzubringen war, unter zehn Prozent der gesamten Investitionssumme lag. Celulosa hielt die Hälfte der Aktien, während die andere Hälfte unter einigen Papierfabrikanten, die zu den zukünftigen Abnehmern der Produktion gehörten, in unterschiedlichen Proportionen aufgeteilt wurde. Das Projekt wurde 1976 genehmigt und nahm 1982 die Produktion auf, nachdem zwischenzeitlich verschiedene technologische Verbesserungen die Ausweitung der Kapazität auf 220.000 Tonnen ermöglicht hatten, die seither vollständig ausgelastet ist. APSA kann als Erfolgsfall gelten, da das Unternehmen effizient und rentabel produziert und im Falle von Nachfragerückgängen auf dem Binnenmarkt den entsprechenden Überschuß seiner Produktion exportiert. Sein Hauptproblem besteht in den hohen Transportkosten, die durch die unzureichende Entwicklung der Infrastruktur entstehen - in diesem Falle vor allem dadurch, daß der Río Paraná, an 126

dessen Oberlauf das Werk liegt und der über Tausend Kilometer weiter südlich bei Buenos Aires mündet, nicht schiffbar ist, so daß der Transport über die Eisenbahn oder eine Kombination von LKW und Frachtschiffen getätigt werden muß. Im Laufe der Zeit hat sich die Eigentümerstruktur der Aktiengesellschaft geändert: 1990 hielt Celulosa 45,6 Prozent und Massuh, eins der Großunternehmen der Branche, weitere 44,6 Prozent, so daß diese beiden die Unternehmensstrategie bestimmen. Umstrukturierungen in den achtziger Jahren Aufgrund der wirtschaftlichen Stagnation seit Mitte der siebziger Jahre blieb die Nachfrageentwicklung in der Papierbranche weit hinter den Erwartungen, die zu Beginn der siebziger Jahre bestanden hatten und die einige bedeutende Investitionsprojekte motiviert hatten, zurück. Der Plan Trienal von 1973 hatte für 1977 eine Gesamtnachfrage von 1.100.000 Tonnen Papier vorhergesagt. Tatsächlich lag die Nachfrage 1979 bei 900.000 Tonnen und ging von da an noch weiter zurück: auf 800.000 Tonnen Mitte der achtziger Jahre und 650.000 Tonnen 1990. Die Industrie begann, ihre Überschüsse zu exportieren - bis zu zehn Prozent der Produktion Ende der achtziger Jahre. Gleichzeitig wurde jedoch zunehmend auch Papier importiert - zu niedrigeren Preisen und guter Qualität. Auch die Zellulosefabriken begannen ihre Überschüsse auf den Weltmarkt zu exportieren. Argentinien hatte in den achtziger Jahren auf diesem Sektor einige komparative Vorteile aufzuweisen, die vor allem in der verbesserten Rohstoffversorgung lagen - durch die Aufforstung von schnell wachsenden Sorten, wodurch die Produktionskosten erheblich gesenkt werden konnten und in dem entwickelten Know how und qualifizierten Technikern auf diesem Sektor. Hinzu kommen einige konsolidierte Unternehmen, welche die für den Export notwendige Größenordnung aufweisen. Die zunehmende Weltmarktorientierung der Branche bringt es mit sich, daß gegenwärtig eine gewisse Restrukturierung zugunsten der Zelluloseproduktion stattfindet, weil Exporte hier leichter zu tätigen sind, während im Falle des Papiers der Zugang zu vielen Märkten aufgrund von Protektionismus erschwert ist. Das zeitliche Zusammenfallen von großen Investitionsprojekten mit der Krise des Binnenmarktes führte zu einer radikalen Veränderung der Produktionsstruktur und der Unternehmensorganisation in der Papierbranche. Die Änderungen in den Aktivitäten von Celulosa, das unaufhörliche Wachstum von Massuh und das Verschwinden zahlreicher anderer Unternehmen waren hier die auffälligsten Entwicklungen. Am deutlichsten sind die Veränderungen bei Celulosa. Seine expansive Entwicklung zu Beginn der siebziger Jahre wurde abrupt durch die Krise des 127

Binnenmarktes unterbrochen. Ende der siebziger Jahre hatte das Unternehmen einen großen Teil seiner traditionellen Position verloren: Sein Anteil am Angebot von Papier sank von 35 Prozent auf 14 Prozent und konnte bis Anfang der achtziger Jahre nur wieder auf 25 Prozent erhöht werden. Sein Umsatzvolumen sank von 200.000 Tonnen (1978-79) auf 135.000 Tonnen (1980-81). Der unerwartete Anstieg der Zinsraten und die Wechsel in der Wirtschaftspolitik stellten das Unternehmen vor existentielle Probleme. Vor allem war es mit enormen finanziellen Problemen konfrontiert. In dieser Situation setzte Celulosa einige seiner Großprojekte fort, schloß aber gleichzeitig verschiedene kleinere Betriebe und liquidierte deren obsolete Technologie. 1987 nahm Celulosa Gespräche mit der US-amerikanischen Bank Citicorp auf mit dem Ergebnis, daß die Citicorp einen Restrukturierungsplan fiir Celulosa entwickeln sollte. Über die Kapitalisierung eines Teils der argentinischen Außenverschuldung, das heißt die Umwandlung von Außenständen an den argentinischen Staat in Aktien von Celulosa, wurde die Bank zum Anteilseigner bei diesem Unternehmen. Seit August 1990 hält sie die Mehrheitsanteile, was sie dazu nutzte, die Unternehmensführung teilweise auszuwechseln, das Kapital aufzustocken, um die dringendsten finanziellen Probleme zu lösen und eine energische Restrukturierung einzuleiten. Mit dieser Transaktion wurde Citicorp auch zum indirekten Eigentümer von CPP und zum Aktionär von APSA. Der langsame Abstieg von Celulosa ging einher mit der beständigen Expansion von Massuh. Diese Unternehmensgruppe hatte sich den Wechsel in der Finanzpolitik am Ende der siebziger Jahre zunutze gemacht. Ihre Expansionsstrategie verband produktive Investitionen mit dem Kauf anderer Betriebe in mittleren Städten. Auf diesem Wege gelang es ihr, ihre Produktion von 28.000 Tonnen Papier im Jahr 1978 auf 85.000 Tonnen 1980 und 100.000 Tonnen 1989 auszuweiten. Als Ergebnis eines vertikalen Integrationsprozesses lag 1989 überdies der Output an Zellulose bei 60.000 Tonnen. Die Diversifizierung der Produktion erfolgte weiterhin in Bereichen wie Karton, Spezialpapiere und Verpackungsmaterial, wo sie die Stellung des traditionellen Branchenfiihrers, Celulosa, infragestellte. Auch Papel Misionero und Ledesma expandierten kräftig in den achtziger Jahren - mit Hilfe von neuen Investitionen und technologischen Innovationen. Gleichzeitig verschwanden verschiedene ältere Unternehmen vom Markt. Einige davon wurden von anderen Unternehmen übernommen, die übrigen mußten vollständig schließen. Insgesamt wird somit die Branche gegenwärtig von einer kleinen Gruppe von Großunternehmen beherrscht, die über moderne Ausrüstung verfügen und dynamische, am Weltmarkt orientierte Aktivitäten entfalten. Die Schließung obsoleter Betriebe und die Errichtung neuer, moderner Kapazitäten sowie die Erzielung von economies ofscale haben das Effizienz128

niveau der gesamten Branche angehoben und zu ihrer Konsolidierung beigetragen. Aktuelle Situation und weitere Perspektiven Diese relativ gesicherte Situation der Branche drückt sich auch in der Zahl der Investitionsprojekte aus, die nach Angaben der Asociación de Fabricantes de Celulosa y Papel (AFCP) bis in das Jahr 2015 hinein geplant sind. Von einer insgesamt projektierten Investitionssumme von 7 Milliarden US-Dollar sind 20 Prozent für die Aufforstung und die übrigen 80 Prozent für Industrieanlagen bestimmt. Die im Auftrag der Citicorp erstellten Studien zur Evaluierung von CPP bestätigen diese optimistischen Prognosen. Die argentinische Produktion von Papier und Zellulose weist danach ähnliche komparative Vorteile auf wie die Chiles und Brasiliens und damit sehr viel günstigere Bedingungen als in vielen anderen Ländern, die auf diesem Sektor eine lange Tradition haben. Das schnelle Anwachsen der Waldbestände hat dabei erheblich zur Reduzierung der Kosten für Holz beigetragen und den Weg frei gemacht für Spezialisierungen bei Zellulose und einigen Papiersorten. 1990 exportierte die Branche fiir 130 Millionen US-Dollar. Die Exporte wuchsen trotz der relativen Benachteiligung durch den Wechselkurs. Dies änderte sich jedoch mit dem Konvertibilitätsplan von 1991 und der Öffnung der argentinischen Wirtschaft zu einem Zeitpunkt, als auf dem Weltmarkt die Preise für Zellulose fielen. Aufgrund der wiedergewonnenen Stabilität weitete sich die Binnennachfrage zwar zwischen 1990 und 1992 um 50 Prozent bis zu dem historischen Höhepunkt von 1,3 Millionen Tonnen aus. Das Produktionswachstum lag jedoch nur bei 20 Prozent. Dies ist darauf zurückzuführen, daß das Wachstum des Konsums einherging mit dem Sinken der Exporte: 1990-92 um über die Hälfte auf 60 Millionen US-Dollar. Gleichzeitig ermöglichten es die Zollsenkungen und der Wechselkurs, daß massiv Importe ins Land strömten: insbesondere die brasilianischen Unternehmen nutzten - angesichts eigener Rezession - die Wechselkursdifferenz, um den argentinischen Markt zu erobern. 1992 wurde ca 20 Prozent des argentinischen Konsums durch Importe abgedeckt - gegenüber 3-5 Prozent in den Vorjahren. Diese neue Situation führte zur Suspendierung fast aller Investitionsprojekte und leitete erneute Restrukturierungen ein, die jedoch keinen expansiven Zielen dienten, sondern lediglich der Kostenreduzierung. Die Entwicklung von Celulosa in den letzten Jahren kann als repräsentativ für die gesamte Branche angesehen werden. Das Unternehmen war von der Citibank einer tiefgreifenden Restrukturierung unterzogen worden. Die neue Unternehmensleitung reduzierte das Angebot von 80 auf 45 Produkte, um auf diesem Wege, durch den spezialisierten Einsatz von Maschinen und die Ein129

fuhrung von Mindestlosgrößen, die operative Effizienz zu verbessern. Gleichzeitig wurde der Anteil recyclierten Papiers am gesamten Rohstoffverbrauch von 27 Prozent auf 43 Prozent erhöht, womit die Kosten erheblich gesenkt werden konnten. Dies war vor allem durch das hohe Niveau der Arbeitslosigkeit möglich geworden, wodurch das Sammeln und Verkaufen von Altpapier für zahlreiche Menschen zum einträglichen Geschäft geworden war. Ein weiterer Schritt zur Kostenreduzierung war der Personalabbau von 4.600 Beschäftigten (1990) auf 3.200 (1992). Insgesamt und trotz der Beteiligung der Citibank gelang es Celulosa jedoch nicht, ihre finanzielle Krisensituation zu überwinden. Ein erster Versuch, neue Aktien über die Börse abzusetzen, scheiterte 1990 im Kontext der allgemeinen Rezession. Die Citibank kapitalisierte einen Teil ihrer Außenstände bei Celulosa, bis sie ein Aktienpaket von 40 Prozent hielt. Für 1992 war eine neue Aktienausschreibung geplant; diese kam jedoch zu spät, um noch die Euphorie, die nach der Implementierung des Plan Cavallo ausgebrochen war, nutzen zu können und wurde daher suspendiert. Einige Kritiker führen dies darauf zurück, daß die Mehrheitsaktionäre von Celulosa die Börsenhausse zum Verkauf eines Teils ihrer Aktien zu überhöhten Preisen genutzt hatten, wodurch ihnen beträchtliche Gewinne zugeflossen waren, die jedoch für das Unternehmen keinerlei Nutzen brachten. Um die Kontrolle über das Unternehmen zu behalten, kauften sie später die Aktien zu einem niedrigen Preis zurück. Der Druck, der auf dem Börsenmarkt - trotz allgemeiner Depression - im September 1992 auf den Aktien von Celulosa lag, wird von diesen Kritikern als Ausdruck eines Kampfes um die Kontrolle von Celulosa interpretiert - eines Kampfes, der zwischen den alten Hauptaktionären und neuen, unbekannten Aktionären ausgetragen wurde. Die breite Diskussion, die diese Praktiken in der Presse entfachten (zum Beispiel in Pagina/12 vom 2. und 5. September 1992 sowie in Cronista Comercial vom 7. September 1992), lösten eine Untersuchung der Comisión Nacional de Valores aus. Ende 1992 kündigte Celulosa den Verkauf ihrer Aktien in verschiedenen Tochtergesellschaften an, die für sie nicht von "strategischer Bedeutung" waren. Auf diese Weise sollten Mittel zur Lösung der finanziellen Probleme mobilisiert werden. Dies bedeutete jedoch auch die Kontraktion ihrer Aktivitäten und die Aufgabe der integrierten Produktion. Gleichzeitig übertrug Citibank seine Aktien von Celulosa auf eine Finanzfiliale, welche als Kontrollorgan verschiedener Industrieprojekte, die von Citibank kontrolliert werden, fungiert. Diese Filiale ihrerseits transferierte einen Teil ihrer Aktien an andere Teilhaber, so daß Celulosa inzwischen nicht mehr nur von Citibank, sondern auch von anderen Anteilshaltern kontrolliert wird. Alle diese Transaktionen sind aufgrund ihrer Komplexität und des Mangels an Transparenz schwer nachzuvollziehen. Sie rufen jedoch den Eindruck hervor, daß die Eigentümer von Celulosa ihren Rückzug aus dem Unternehmen eingeleitet haben, was 130

wiederum darauf hinweist, daß sie die Zukunft des Unternehmens nicht mehr besonders optimistisch einschätzen. Die Stagnation von CPP ist eine weitere Konsequenz dieser Situation. Die Leitung von Celulosa hatte 1992 einen Vertrag mit dem finnischen Unternehmen Kymmene abgeschlossen, mit welchem eine neue Gesellschaft, bestehend aus Celulosa, Citibank und Kymmene gebildet wurde, die CPP betreiben sollte. Kymmene brachte 30 Millionen US-Dollar als Kapitalanteil ein und übernahm die Projektleitung. Obwohl die Beteiligung eines renommierten Unternehmens der Branche die Zukunftschancen des Projekts beträchtlich verbessert, ist dieses doch 1993 immer noch nicht aus dem Projektstadium herausgekommen und wird allerfrühestens 1995 zu arbeiten beginnen. Anders verlief die Entwicklung von APSA. Dieses Unternehmen erreichte ein hohes Niveau an Wettbewerbsfähigkeit und konnte damit seine Marktposition, nicht nur auf dem Binnenmarkt, sondern auch auf dem Weltmarkt, stabilisieren. Der Verkauf der Mehrheitsbeteiligungen von Celulosa und Massuh stellte jedoch die Rentabilität des Unternehmens grundsätzlich infrage. Der Verkauf der Anteile an APSA durch Massuh ist mit dessen prekärer finanzieller Situation begründet. Um diese Probleme zu lösen, verkaufte Massuh 1990 29 Prozent seiner Anteile an die Manufacturer Hannovers Bank und 1991 weitere 6 Prozent an die Continental Bank als Schuldenkapitalisierung. 1992 unterzeichnete es einen Assoziationsvertrag mit der Union Camp Corporation (UCC) zur gemeinsamen Betreibung einer Kartonfabrik, zu der die UCC mit Kapital und Know how beitragen sollte. Damit waren die finanziellen Probleme von Massuh jedoch nicht gelöst. Die dringend benötigte Refinanzierung seiner Schulden wurde von den Gläubigern verweigert, und auch die assoziierten Banken waren nicht bereit, neues Kapital beizubringen. Der Verkauf der APSA-Aktien konnte einen Teil der finanziellen Restriktionen lösen - aber zu dem Preis einer geringeren Integration mit diesem Zulieferer von Zellulose. Überdies ist nicht klar, ob nicht auch die Kontrolle über Massuh in absehbarer Zukunft in andere Hände übergeht. Die Situation für die mittleren Unternehmen der Branche sieht nicht besser aus, und einige von ihnen, die solide Marktpositionen innezuhaben schienen, mußten in den letzten beiden Jahren schließen. Die Perspektive für die weitere Entwicklung der Branche hat sich damit seit Ende der achtziger Jahre radikal geändert. Einerseits haben die zunehmende vertikale und horizontale Integration, im Zusammenspiel mit der Gründung neuer Betriebe, die mit modernster Technologie arbeiten, es ermöglicht, ein adäquates Niveau von economies ofscale zu erreichen. Die Schließung obsoleter Betriebe und die Aussonderung veralteter Ausrüstung trug erheblich dazu bei, die Produktivität der Branche zu steigern. Die Spezialisierung auf einige Zweige der Papierproduktion und das wachsende Gewicht der Zelluloseproduktion hat überdies die Produktionsstruktur der Branche erheblich verändert. 131

Gleichzeitig hat sich die Eigentümerstruktur der Branche grundlegend geändert. Hervorstechend ist das Einströmen internationalen Finanzkapitals in eine traditionell von nationalem Kapital beherrschte Branche. Die wachsende Weltmarktorientierung der Produktion wird dabei ermöglicht auf der Grundlage einer verbesserten Wettbewerbsposition. Die aktuelle Konjunktur führte jedoch erst einmal zur Suspendierung weiterer Investitionsprojekte, was für die nächste Zukunft keine größeren Wachstumschancen verspricht. Grundsätzlich ist die Branche gegenwärtig mit zwei Strukturproblemen konfrontiert, die auch ihre weitere Zukunft bestimmen werden: Das erste ist der Mangel an Rohstoffen, der sich aus der Paralysierung von Aufforstungsprojekten in den vergangenen zehn Jahren ergibt. Die produzierenden Unternehmen verbrauchen die vorhandenen Ressourcen, ohne daß in ausreichendem Maße neue Wälder angepflanzt würden - was auf die Rücknahme der entsprechenden staatlichen Fördermaßnahmen und Subventionen zurückzuführen ist. Die Versorgung mit billigen Rohstoffen gehört zu den wichtigsten komparativen Vorteilen der argentinischen Papier- und Zelluloseindustrie. Wenn diese nicht mehr gesichert ist, wird sich dies auch auf die Wettbewerbsposition der Branche auswirken. Der Rückstand bei der Aufforstung in Argentinien kontrastiert mit der Dynamik, die dieser Wirtschaftsbereich in den Nachbarländern Chile und Brasilien aufweist. Diese beiden Produzentenländer verfügen über ähnliche komparative Vorteile wie Argentinien, und ihre weitere Expansion wird den fiir Argentinien verfügbaren Markt künftig begrenzen. Das gleichzeitige Auftreten aller drei Anbieter könnte überdies zum Überangebot von Papier und Zellulose auf dem Weltmarkt mit dem entsprechenden Druck auf die Preise führen. Bereits zu Beginn der neunziger Jahre sind die internationalen Preise so weit gesunken, daß sie für die europäischen Produzentenländer (Frankreich, Schweden und Finnland) unter ihren Produktionskosten und für Chile, Argentinien und die Vereinigten Staaten nur leicht darüber lagen. Die argentinische Papier- und Zelluloseproduktion ist zum zweiten durch die hohen Transportkosten beeinträchtigt, die sich aus der großen Distanz zwischen den Forsten und Produktionsstandorten in Misiones und dem Verschiffungshafen Buenos Aires ergeben und die ein Drittel der gesamten Produktionskosten betragen - im Unterschied zu Chile, wo sie nur 15 Prozent ausmachen. Eine gesicherte Wachstumsperspektive ist somit für die Branche Papier und Zellulose nicht in Sicht; diese hängt weitgehend davon ab, ob für die Eliminierung der staatlichen Subventionspolitik ein Ersatz gefunden wird und ob die Außenöffnung in irgendeiner Form kompensiert werden kann. Entscheidend ist also vor allem, welche weitere Richtung die Wirtschaftspolitik einschlägt. Von Bedeutung ist weiterhin, wie sich die Privatisierungen bzw. die privatisierten Unternehmen im Dienstleistungsbereich weiter entwickeln und welche Bedeu132

tung dies (insbesondere über die Tarifgestaltung) für die Kostenstruktur der Branche hat. Gegenüber Fragen der Beschäftigung und der Arbeitsbeziehungen stehen diese Probleme absolut im Vordergrund. Die Rationalisierungsprozesse, denen massenhaft Arbeitsplätze zum Opfer gefallen sind, haben auch die Handlungsfähigkeit der Gewerkschaft der Papierarbeiter sehr stark unterminiert. Die Einführung kapitalintensiver und arbeitssparender Technologien wird auch im Falle einer erneuten Wachstumsphase künftig an dieser Situation nichts grundlegendes ändern. Die aktuelle Situation in der Papier- und Zellulosebranche ist somit durch Stagnation und Verfall der equidad charakterisiert. Umstrukturierungen in der argentinischen Automobilindustrie Die Entwicklung der Branche bis zum Ende der achtziger Jahre Mitte der sechziger Jahre war die Autoindustrie die wichtigste Industriebranche Argentiniens. Sie trug mit 10 Prozent zur gesamten industriellen Wertschöpfung bei; ihr Anteil an der Gesamtnachfrage, die von ihr ausgehenden Impulse für die Investitionstätigkeit, ihre Nachfrage nach qualifizierten Arbeitskräften und ihre Verbindungen mit anderen Wirtschaftssektoren (andere Industriebranchen oder der Handels- und Finanzsektor) wiesen ihr eine strategische Bedeutung für die gesamtgesellschaftliche Entwicklung zu. Die grundlegendsten Probleme, mit denen die Branche in dieser Zeit konfrontiert war, waren das hohe Preisniveau ihrer Produkte, die geringe Effizienz der Produktion als Folge eines Mangels an economies of scale in weiten Bereichen der Branche, ihr hoher Devisenbedarf und ihre Abhängigkeit von den Investitionsentscheidungen der Muttergesellschaften im Ausland sowie die geringe Entwicklungsdynamik, nachdem erst einmal ein bestimmtes Produktionsniveau erreicht war. Ein Niederlassungsverbot fiir neue Produzenten und Bestimmungen über die Erhöhung des lokalen Produktionsanteils sowie Exportförderung waren die wichtigsten Maßnahmen, welche der Staat in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre zur zumindest partiellen Lösung dieser Probleme ergriff. Die Produktion expandierte bis auf jährlich 300.000 Einheiten in den Jahren 1973 und 1974; dieser Rhythmus konnte jedoch nicht aufrechterhalten werden, und mit dem Ausbruch der Wirtschaftskrise im Jahr 1975 ging auch der Absatz zurück bis auf 200.000 Einheiten in der Zeit von 1976-78. Von zyklischen Schwankungen abgesehen stagnierte der Markt seither. Die Exportförderung erbrachte nur geringfügige Ergebnisse: 1970 lagen die Exporte der Automobilbranche bei 30 Millionen US-Dollar und stiegen bis 1974 auf 120 Millionen, waren von da an aber wieder rückläufig. Seit 1975 wurden die staatlichen Fördermaßnahmen 133

zurückgenommen. Eine Aufrechterhaltung der Exportdynamik - zur Kompensation der Binnenmarktenge - hätte jetzt eine aktive Vermarktungsstrategie seitens der Unternehmen erforderlich gemacht. Eine solche wurde jedoch weder von den Montageunternehmen (aufgrund ihrer Abhängigkeit von den Muttergesellschaften), noch von den Zulieferern (aufgrund mangelnder Größe und Leistungsfähigkeit) unternommen. Der argentinische Markt ist klein - im Verhältnis zum Beispiel zum brasilianischen Markt, wo jährlich bereits etwa eine Million Einheiten produziert wird - und daher für die Multinationalen Unternehmen nur von geringer Bedeutung. Im Durchschnitt übersteigt der in Argentinien realisierte Absatz nicht ein Prozent der gesamten auf dem Weltmarkt realisierten Produktion dieser Unternehmen. Am extremsten war diese Situation für General Motors, dessen jährliche Produktion in Argentinien geringer war als der tägliche Absatz auf dem US-amerikanischen Markt. Entsprechend gering ist das Interesse der Muttergesellschaft am argentinischen Markt. Anders war die Situation zunächst bei Fiat, welches seit den fünfziger Jahre seine Auslandsaktivitäten auf Argentinien konzentriert hatte. Der relative Rückstand des Landes gegenüber Brasilien motivierte dann jedoch in den siebziger Jahren eine Umorientierung, in deren Gefolge Brasilien zum größten Produktionszentrum von Fiat außerhalb Italiens wurde. Im Rahmen der seit 1976 betriebenen Öffnungspolitik unter der Militärregierung wurden einige der Importrestriktionen für Automobile beseitigt, die Zölle wurden gesenkt und der lokale Mindestgehalt der Produktion wurde herabgesetzt. Im Ergebnis wurden 1980 und 1981 jährlich 40.000 Einheiten importiert, das waren 20 Prozent der gesamten lokalen Produktion. Auf die argentinischen Unternehmen wirkte sich dies zunächst nicht unmittelbar aus, weil eine expansive Konjunktur mit Höhepunkt im Jahre 1980 einen stabilen Absatz garantierte und weil überdies ein Teil der Importe durch die Filialen selbst von ihren Muttergesellschaften getätigt wurde. Dies änderte sich mit dem Ausbruch einer erneuten Krise, die die Nachfrage im Jahre 1982 auf 100.000 Einheiten schrumpfen ließ. Verschiedene Unternehmen zogen sich jetzt vom argentinischen Markt zurück: zunächst General Motors, gefolgt von Chrysler, Citroen, Peugeot und der staatlichen IAME in Córdoba. Lediglich drei Montageunternehmen blieben damit im Land, die bis zum Ende der achtziger Jahre zusammen nicht mehr als 150.000 Einheiten jährlich produzierten. Renault, der älteste Industriebetrieb mit einer nominellen Produktionskapazität von 60.000 Einheiten und einer Produktion, die in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre zwischen 24.000 und 40.000 Einheiten schwankte, hatte bereits Ende der siebziger Jahre mit Rationalisierungsmaßnahmen begonnen. In deren Gefolge wurde der Beschäftigungsstand von 12.000 Mitarbeitern im Jahre 1975 auf 8.000 zu Beginn der achtziger Jahre und auf weniger als 5.000 198990 reduziert. Neue Maschinen und Prozesse wurden eingeführt, die Zahl der

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angebotenen Modelle wurde reduziert, Teile wurden zwecks Kostenminimierung importiert und gleichzeitig wurde die Produktion bestimmter Ersatzteile forciert. Die Exporte, die Ende der siebziger Jahre bei 10 Millionen US-Dollar gelegen hatten, stiegen seit 1986 und lagen Ende der achtziger Jahre bei 50 Millionen US-Dollar, womit sie etwa 20 Prozent des gesamten Umsatzes erreichten; nach 1990 waren sie jedoch wieder rückläufig. Die Exporte gingen hauptsächlich an die französische Muttergesellschaft bzw. an andere Filialen; nach Brasilien gab es keine Exporte, weil dort keine Renault-Tochter existierte. 1990 verkaufte Renault zwei seiner Filialunternehmen im Zuliefererbereich, eine Eisengießerei und einen Metallverarbeitungsbetrieb, sowie mehrere kleinere Betriebe in verschiedenen Branchen. Auf diese Weise verbesserte es seine finanzielle Situation, während es gleichzeitig eine Spezialisierungsstrategie auf die Produktion und Montage von Teilen und Komponenten einleitete. Fiat verfügte 1980 über sieben Betriebe mit 14.000 Beschäftigten und einer Produktionskapazität von 60.000 Einheiten. Zusätzlich übernahm es den Betrieb von Peugeot, welches ihm seine Lizenzen und Marken überließ. Wenig später wurde die Mehrheit der Aktien an eine lokale Gruppe verkauft, während Fiat die technische Direktion sowie die Vergabe von Lizenzen und Marken beibehielt. Das neue Unternehmen nannte sich Sevel. Es unternahm ein Restrukturierungsprogramm, welches vor allem die Schließung von Betrieben und Anstrengungen zur Verbesserung der Produktionseffizienz umfaßte. Mit Hilfe von Investitionen über jährlich 30 Millionen US-Dollar wuchs die Produktivität jährlich um 15 Prozent. 1988 kontrollierte das Unternehmen nur noch drei Betriebe und beschäftigte 6.000 Mitarbeiter. 1989 leitete Sevel einen Plan zur Expansion und Verbesserung seines Motorenwerkes ein mit dem Ziel, an die Muttergesellschaft in Italien zu exportieren. Der Plan sah Exporte von 90 Millionen US-Dollar jährlich vor. Fiat unternahm ebenfalls Schritte zur Integration seiner Aktivitäten in Argentinien und Brasilien, was sich allerdings als kompliziert erwies, weil es in beiden Fällen mit unterschiedlichen Assoziationspartnern zusammenarbeitet (im Falle Brasilien mit dem Staat Minas Gerais) und daher sehr heterogene Interessen miteinander in Einklang zu bringen sind. Das dritte große Automobilunternehmen in Argentinien ist Ford, welches bereits seit Anfang des Jahrhunderts auf dem argentinischen Markt tätig ist und welches Mitte der sechziger Jahre hier einen Montagebetrieb mit einer jährlichen Kapazität von 65.000 Einheiten und 9.000 Beschäftigten errichtete. Seit der Krise der achtziger Jahre reduzierte Ford seinen Personalbestand auf 5.000 Mitarbeiter. 1986 fusionierten Ford und Volkswagen ihre Aktivitäten in Argentinien und Brasilien und gründeten das neue Gemeinschaftsunternehmen Autolatina. Dieses verfugt über eine Produktionskapazität von fast einer Million Einheiten, die auf verschiedene Betriebe in beiden Ländern verteilt ist, 135

welche seither einem tiefgreifenden Prozeß der Restrukturierung und/oder Schließung ausgesetzt sind. Die neue Strategie sieht die Montage einiger Modelle von VW, die bisher nahezu ausschließlich in Brasilien produziert werden, auch in Argentinien vor sowie die fortgesetzte Produktion der bisherigen Ford-Modelle und den Export von Teilen nach Brasilien. In diesem Zusammenhang nahm Autolatina Ende der achtziger Jahre eine Investition von 200 Millionen US-Dollar vor zur Errichtung eines neuen Produktionsbetriebs für jährlich 300.000 Getriebe. Insgesamt war gegen Ende der achtziger Jahre der argentinische Markt etwa zu gleichen Teilen zwischen den drei Montageunternehmen aufgeteilt, deren Produktion durch gleiche Technik und durch ähnliche Beziehungen zu den Zulieferern charakterisiert war. Die Außenöffnung und die Integration mit Brasilien riefen eine starke Spezialisierung auf Teile und Komponenten hervor mit dem Ziel eines verstärkten Kompensationshandels, welcher die lokale Montage erleichtern sollte. Der Importgehalt jeder produzierten Einheit wurde dabei beträchtlich erhöht. Diese Umstrukturierungen hatten einen rapiden Verlust an Arbeitsplätzen in den Montageunternehmen zur Folge. Die Beschäftigung ging in diesem Bereich von 35.000 im Jahr 1975 auf 20.000 im Jahr 1989 zurück. Dieser Beschäftigungsrückgang ist jedoch nicht nur auf die Rationalisierungsmaßnahmen zurückzufuhren, sondern hängt auch mit dem Produktionseinbruch am Ende der achtziger Jahre sowie mit den wachsenden Importen, sowohl von Endprodukten, als auch von Teilen und Komponenten, zusammen. In Abhängigkeit von den Umstrukturierungen im Endmontagebereich hat auch der Zuliefererbereich (Teile, Komponenten und Ersatzteile) seit Mitte der siebziger Jahre tiefgreifende Veränderungen erfahren. In den sechziger Jahren ging die Produktion dieses Sektors zu über 90 Prozent in die Endmontage ein, woraus sich eine starke Abhängigkeit ergab: die Montageunternehmen diktierten die technischen Normen einschließlich der Nutzung bestimmter Lizenzen, sie bestimmten das Produktionsvolumen und die Zahlungsmodi. Aufgrund dieser Abhängigkeit fiel es den Montageunternehmen leicht, sich im Zuge ihrer Integrationspolitik einzelne spezialisierte Betriebe einzuverleiben. Die Zulieferer konnten aufgrund ihrer schwachen Position diesen Tendenzen keinen wirksamen Widerstand entgegensetzen. Diese Situation änderte sich jedoch mit der Zeit und vor allem mit dem Anwachsen des Automobilbestands. Von etwa 1,5 Millionen im Jahre 1970 erhöhte sich dieser auf über 4 Millionen 1990. Damit wuchs auch die Nachfrage nach Ersatzteilen und lenkte die Produktion auf diesen Markt um, wo die Möglichkeit, bei der Gestaltung der Verkaufsbedingungen und der Qualitätsnormen mitzuwirken, sehr viel größer war. Die Nachfrage nach Ersatzteilen wirkte auf die Zulieferer wie ein "Kissen", welches die zyklischen Effekte, die von den Montageunternehmen ausgingen, abfederten. Je nach Produkt, Produktionsumfang und Marktstrategie deckt die Nachfrage

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nach Ersatzteilen zwischen 30 und 80 Prozent der Produktion im Zuliefererbereich ab. Trotzdem ist es auch in diesem Bereich zu beträchtlichen Beschäftigungseinbrüchen gekommen, die zum Teil mit Produktivitätssteigerungen, zum Teil aber auch mit Bestriebsschließungen zusammenhängen: Während bis in die achtziger Jahre hinein ca. 50.000 Personen bei den etwa 1500 Betrieben im Zuliefererbereich beschäftigt waren, waren es am Ende der achtziger Jahre nur noch 15.000. Außenöffnung und Umstrukturierungen am Ende der achtziger Jahre Ende der achtziger Jahre war die Automobilindustrie mit einer schweren Krise konfrontiert, die das Überleben der gesamten Branche infragestellte und grundlegende Restrukturierungsmaßnahmen herausforderte. Die Hyperinflationen der Jahre 1989 und 1990 ließen die Nachfrage und die Produktion weitgehend zusammenbrechen: 1990 wurden nur noch 94.000 Einheiten abgesetzt. Im September 1990 ließ ein Mitglied der Firmenleitung von Sevel verlauten, daß ein Verbleiben der Montageunternehmen im Land einen Markt von mindestens 150.000 Einheiten voraussetzen würde; ein Markt von weniger als 100.000 Einheiten lasse dem Unternehmen keine Möglichkeit des Überlebens. Die Montageunternehmen begannen, sich definitiv aus dem argentinischen Markt zurückzuziehen. Seit 1989 begannen sie, Personal zu entlassen, um die Kosten zu reduzieren und die Aktivitäten zu flexibilisieren. Dies forderte zwar heftige Konflikte mit den Gewerkschaften heraus, die jedoch insgesamt weniger hart ausfielen, als dies eigentlich aufgrund der argentinischen Tradition zu erwarten gewesen wäre - was auf den bereits vorher erfolgten Beschäftigungsrückgang und die allgemeine Rezession zurückzuführen ist, wodurch die Kampfkraft der Gewerkschaften erheblich geschwächt war. Aufgrund der tendenziellen Überbewertung des Wechselkurses waren auch die Exportmöglichkeiten begrenzt. Auf dem Höhepunkt der Krise, 1990, erklärte der Staatssekretär für Industrie die Öffnungspolitik zum zentralen Element der Regierungsstrategie. Im Februar wurde ein Komitee gebildet, in welchem die Differenzen, die zwischen den Montageunternehmen bestanden, deutlich zum Ausdruck kamen: Autolatina und Sevel forderten die Öffnung mit Hilfe der Integration mit Brasilien, während Renault für die volle Öffnung zum Weltmarkt votierte. Mit dem Beitritt Argentiniens zum Mercosur war diese Frage erst einmal im Sinne der beiden ersteren Unternehmen entschieden. Eine von einer internationalen Consulting (Booz, Allen und Hamilton) durchgeführte Untersuchung kam überdies zu dem Ergebnis, daß das Preisniveau der argentinischen Automobile direkt vom Anteil der nationalen Wertschöpfung abhängig sei und proportional zu diesem ansteige. Entsprechend wurde die Empfehlung ausgesprochen, den nationalen Anteil auf 60 Prozent zu

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senken, die Zahl der produzierten Modelle zu reduzieren und die Produktion auf bestimmte Teile und Komponenten zu spezialisieren. Der Verband der Montageunternehmen, ADEFA, forderte einen Importanteil im Zuliefererbereich von 32 Prozent. Die Regierung verweigerte dies. Im April 1990 kam ein Abkommen zustande, welches eine Ausweitung des Importanteils von 20 Prozent (1990) auf 24 Prozent (1994) vorsah, wobei die Unternehmen verpflichtet wurden, in derselben Größenordnung Exporte zu tätigen und bis 1994 einen Devisenüberschuß zu erwirtschaften. Weiterhin wurden den Unternehmen Importquoten zugestanden, in deren Rahmen sie zu Vorzugszöllen Kraftfahrzeuge importieren konnten - ebenfalls unter der Bedingung kompensierender Exporte. Diese Quote wurde zunächst auf 3 Prozent, dann auf 4,5 Prozent der lokalen Produktion festgelegt und sollte bis 1993-94 auf 6 Prozent erhöht werden; hinzu kamen 10.000 Einheiten, die aus Brasilien zu importieren waren. Die Marktkrise, mit der die Unternehmen konfrontiert waren, verminderte die staatliche Verhandlungsmacht beträchtlich. Der Nachfragerückgang unterminierte alle Anstrengungen, die vorhandenen Produktionskapazitäten zu halten und zwang die gesamte Aufmerksamkeit auf die Verkaufspreise (die mit Hilfe importierter Teile reduziert werden sollten) sowie auf die Konsequenzen für die Zahlungsbilanz (die mit Hilfe kompensierender Exporte ausgeglichen werden sollte). Dies führte langfristig zur Restrukturierung der Branche und zur Erhöhung ihrer Effizienz. Anfang 1991 leitete die Regierung Verhandlungen mit den Unternehmen ein, um eine grundsätzlichere Lösung für die Krise zu finden. Der Wirtschaftsminister schlug die Senkung der Umsatzsteuern auf Autos vor sowie Einkommensverzichte aller beteiligten Akteure, um so die Verkaufspreise zu senken und den Umsatz entsprechend auszuweiten. Im März kam ein Abkommen zustande, welches die Reduzierung der Verkaufspreise um 33 Prozent implizierte - über die Senkung der Umsatzsteuern, über geringere Gewinnmargen seitens der Konzessionäre und Preissenkungen bei den Zulieferern sowie über die Zusage begrenzter Lohnforderungen seitens der Gewerkschaften, was bei letzteren mit der Hoffnung auf eine Ausweitung der Beschäftigung verbunden war. Die Preise sollten für ein Jahr eingefroren werden, und danach sollten die Bedingungen neu ausgehandelt werden. Die Hoffnung war, auf diese Weise den Umsatz auf 130.000 Einheiten auszuweiten und darüber auch die Produktionskosten senken zu können. Als Schritt zur Außenöffnung wurde überdies eine Importquote von 4.000 Einheiten beschlossen. Die Verabschiedung des Konvertibilitätsplan im Verlaufe der Verhandlungen und sein schneller Stabilisierungserfolg führten dann jedoch zu einer abrupten Ausweitung der Nachfrage, welche sämtliche Erwartungen übertraf. Bereits im April waren die Lager geleert, und die Produktion konnte mit der Nachfrage nicht Schritt halten. Entsprechend verlängerten sich die Lieferfri-

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sten bzw. im Falle sofortiger Lieferung wurden seitens der Konzessionäre Aufpreise verlangt, die für die nächsten zwei Jahre auf 3.000 US-Dollar geschätzt werden. Der Nachfrageüberhang machte sich auch auf dem Gebrauchtwagenmarkt bemerkbar, welcher in das Abkommen mit der Regierung nicht eingeschlossen war und keiner Regulierung unterlag. Die Konsequenz war, daß Gebrauchtwagen, die bereits zwei Jahre alt waren, zu Preisen angeboten wurden, die über denen fabrikneuer Wagen lagen. Während somit die Produktion 1991 auf 120.000 Einheiten stieg, lag sie 1992 - nachdem das Abkommen um ein weiteres Jahr verlängert worden war bereits bei 220.000 Einheiten. Zusätzlich wurden 70.000 Einheiten importiert. Der Pessimismus von 1990 war 1992 in Euphorie umgeschlagen. Die Unternehmen und die Regierung schätzten für 1995 den Markt auf 500.000 Einheiten. Die Regierung setzte jetzt die Drohung, zusätzliche Importe zu autorisieren, dazu ein, die Unternehmen zur Ausweitung ihrer Produktionskapazitäten zu zwingen. Mit der Produktion von 220.000 Einheiten im Jahr 1992 waren jedoch die vorhandenen Produktionskapazitäten bis an ihre Grenzen ausgelastet, während die Unternehmen gleichzeitig nicht ihrer Verpflichtung nach kompensierenden Exporten nachkommen konnten. Entsprechend entstand im Automobilsektor ein beträchtliches Handelsbilanzdefizit, das für 1992 bei über einer Milliarde US-Dollar lag. Die Aufmerksamkeit der Regierung war 1993 vor allem darauf gerichtet, die Unternehmen zur Einhaltung ihrer diesbezüglichen Verpflichtungen zu zwingen. Entsprechend wurden auch Verhandlungen mit Brasilien geführt, da die dort ansässigen Tochtergesellschaften für einen großen Teil der Importüberschüsse verantwortlich waren.

Alte und neue Akteure in der Automobilbranche Die wichtigsten Akteure im Automobilsektor sind neben den Montageunternehmen und dem Staat die Zulieferer, die Gewerkschaften und die Importeure. Die entscheidenden Gewerkschaften sind SM ATA, die Automobilarbeitergewerkschaft, und UOM, die Metallarbeitergewerkschaft. Beide waren aktiv am Rekonversionsprozeß beteiligt und haben dabei eindeutig für den Erhalt der lokalen Produktion votiert. Während in den sechziger und siebziger Jahren vor allem Löhne und verbesserte Sozialleistungen im Mittelpunkt ihrer Forderungen standen, verschob sich das Zentrum ihres Interesses im Laufe der achtziger Jahre auf die Beschäftigungssicherung. Der enorme Verlust an Arbeitsplätzen konnte von der Expansion der letzten Jahre nicht annähernd aufgefangen werden - vielmehr sind in dieser Zeit primär die Arbeitszeiten ausgedehnt worden, ohne daß gleichzeitig die Zahl der Arbeitsplätze in nennenswerten Ausmaß erhöht worden wäre. Obwohl in den achtziger Jahren die Kaufkraft

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der Löhne rapide verfallen ist, hat die Arbeitsplatzerhaltung doch eindeutig Priorität vor Forderungen nach Lohnausgleich. S M A T A und UOM haben daher der Öffhungspolitik entschiedenen Widerstand entgegengesetzt, um den Bestand an Arbeitsplätzen zu erhalten. Die Beschäftigten in den Montageunternehmen stellen jedoch nur einen kleinen Teil der insgesamt in der Automobilbranche Beschäftigten dar. Der Hauptteil befindet sich in kleinen Betrieben wie Reparaturwerkstätten, Serviceeinrichtungen etc. Ihre Aktivitäten sind in erster Linie mit dem Bestand an Fahrzeugen und nicht so sehr mit der Neuproduktion von Autos verbunden, das heißt diese Arbeitsplätze sind vergleichsweise stabil und nicht so stark von konjunkturbedingten Nachfrageschwankungen oder Importanteilen abhängig. Die Zuliefererindustrie ist in drei große Fraktionen gespalten: Die Großunternehmen, die direkt mit den Montageunternehmen verbunden sind, und die ihre Exporte im Rahmen von deren Aktivitäten durchführen; die mittleren Unternehmen, die sich ihrerseits aufspalten in eine Gruppe, die auf nationale Marktentwicklung setzt und eine andere, die vor allem an der Integration mit Brasilien interessiert ist. Soweit diese Unternehmen vom Import bestimmter Teile abhängig sind, sind sie mit dem Problem konfrontiert, entsprechende Anteile exportieren zu müssen; schließlich die Unternehmen, die Reparaturund Wartungsarbeiten durchführen und die sich aus den umfassenden branchenspezifischen Abkommen immer mehr zurückziehen. Diese Spaltung beeinträchtigt erheblich die Verhandlungsmacht des Sektors. Die Gruppe der Importeure setzt sich aus Repräsentanten derjenigen internationalen Automobilkonzerne zusammen, die in Argentinien selbst nicht produzieren. Angeregt durch die Importliberalisierungen 1979-81, hatten sie sich in dem Verband CIDOA zusammengeschlossen. Sie vertreiben Luxusmarken (wie Mercedes Benz) sowie vor allem japanische Fahrzeuge. Die Mitglieder von CIDOA unterhalten ein umfangreiches Netz von Handelsvertretungen sowie Reparatur- und Wartungsbetrieben. Von ihnen geht der größte Druck in Richtung Außenöffnung aus, wobei sie vor allem die Konsumenten der entsprechenden Fahrzeugtypen, wie auch die offizielle Politik hinter sich wissen. 1984-89 lag der Import von Automobilen unter 1000 Einheiten pro Jahr; die versuchsweise Öffnung von 1989 änderte an dieser Situation nichts: 1989 wurden 400 Einheiten importiert und 1990 850 Einheiten. Auch die Abkommen von Ende 1990 brachten noch nicht die entscheidende Wende: Der Import unterlag weitgehend der Kontrolle der Montageunternehmen, die im Rahmen ihrer Quote von 3 bzw. 4,5 Prozent der Vorjahresproduktion zu Vorzugszöllen importieren konnten. Obwohl aufgrund des überbewerteten Wechselkurses die lokale Produktion vergleichsweise teurer war, konnten dadurch kaum Fahrzeuge zu Wettbewerbsbedingungen importiert werden. Entsprechend protestierte CIDOA gegen diese Maßnahmen.

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Mit der Nachfrageausweitung von 1991 änderten sich sowohl die offizielle Politik, als auch die Importaussichten: Die Regierung schlug eine Strategie langsamer Öffnung ein, über welche die Marktkontrolle der Montageunternehmen reduziert wurde. Die Abkommen vom Oktober 1992 führten eine komplizierte Verteilungsregelung zwischen den beteiligten Akteuren ein. Die Montageunternehmen erhielten die Möglichkeit, Fahrzeuge aus Brasilien zu einem Zollsatz von lediglich 2 Prozent zu importieren - mit der Auflage, ihre Handelsbilanz auszugleichen. Die Importeure erhielten eine eigene Quote, und gleichzeitig wurde die Möglichkeit für die Konsumenten eingeführt, Fahrzeuge direkt aus dem Ausland zu beziehen. Auf diese Weise sollte ein bestimmter Grad von Wettbewerb zwischen den Unternehmen, den Importeuren und den Konsumenten eingeführt werden, welcher die lokale Marktentwicklung stimulieren sollte. Insgesamt gingen diese Maßnahmen jedoch nicht weit genug, um eine wirkliche Handlungsfreiheit für die Akteure zu konstituieren: Die für 1992 für die Montage-Unternehmen vorgesehene Importquote lag bei 25.000 Einheiten aus Brasilien und 30.000 Einheiten aus anderen Ländern. Die übrigen Akteure erhielten lediglich eine Quote von 16.000 Einheiten, von denen 12.800 für die Importeure und 3.200 für die Konsumenten vorgesehen waren. Entsprechend wurde diese Regelung in der Öffentlichkeit massiv von CIDOA angegriffen, welche die vollständige Importliberalisierung forderte. Die öffentliche Antwort auf diese Kritik kam von SMATA und anderen betroffenen Gewerkschaften, während sich die Unternehmen im Hintergrund hielten und abseits von der Öffentlichkeit mit den involvierten Regierungsfunktionären die weiteren Schritte vorbereiteten. Die Einheiten in der Quote der Konsumenten wurden durch Versteigerung verteilt, und zwar nach Höchstgebot für den Zollsatz. Dies brachte beträchtliche Gewinne für den Fiskus. Den 3.200 Einheiten für 1992 standen jedoch 10.000 Gebote gegenüber, weshalb die Quote noch im Laufe des Jahres ausgeweitet wurde und insgesamt 30.000 Einheiten durch die Importeure bzw. Konsumenten direkt importiert wurden - was zehn Prozent des gesamten Umsatzes auf dem lokalen Markt entsprach. Diese Entwicklung hatte zur Folge, daß neue Unternehmen ihr Interesse bekundeten, sich auf dem argentinischen Markt zu etablieren - so zum Beispiel Mazda und General Motors - und sich weitere Importeure niederließen. Damit wurde ein Klima größeren Wettbewerbs zwischen einer größeren Zahl von Modellen und Akteuren eingeführt. Die mit dem Konvertibilitätsplan gewonnene Preis- und Währungsstabilität erleichterte überdies das Funktionieren des Marktes und machten diesen transparenter und vorhersehbarer.

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Restrukturierung der Montageunternehmen Das Handeln der Montageunternehmen war durch verschiedene Faktoren bedingt: Die Krise des Binnenmarktes (1989-90), die Unsicherheit bezüglich der Zukunft und die Abkommen mit Brasilien. Von entscheidender Bedeutung im Hintergrund war jedoch die globale Strategie der internationalen Konzerne, von der die der argentinischen Töchter lediglich eine abgeleitete Variable ist. Die Kontraktion der Binnenmarktnachfrage zwischen 1988 und 1990 im Zusammenwirken mit der Hyperinflation hatte Renault an den Rand des Zusammenbruchs geführt. Die Integrationsabkommen mit Brasilien stellten dieses Unternehmen vor besondere Probleme, da es dort über keinen Counterpart verfügte, mit dessen Hilfe es einen ausgeglichenen Austausch hätte etablieren können, wie es den Erfordernissen der Abkommen entsprach. Ende 1990 scheint das Unternehmen daher seinen Rückzug aus dem argentinischen Markt eingeleitet zu haben. 1991 beauftragte es eine Consulting mit der Suche nach einem Counterpart und unternahm gleichzeitig erste Schritte zu einer Kooperation mit der brasilianischen Tochter von General Motors. Trotz der Erholung der Konjunktur und trotz eines wachsenden Umsatzes konnte das Unternehmen 1991 und 1992 seine finanziellen Probleme nicht lösen. Im März 1992 kündigte es daher ein internes Transformationsprogramm an, welches den Verkauf von Aktiva und Tochterbetrieben vorsah sowie ein langfristiges Investitionsprogramm und Abkommen mit anderen Unternehmen. Gleichzeitig kündigte es auch die Trennung von seiner Produktionsbetrieb für Karosserieteile an, welcher unabhängig operiert hatte und einer der Pfeiler für die technische Verbindung zum Stammhaus in Frankreich und damit auch die Grundlage für die Exportbeziehungen auf den europäischen Markt gewesen war. Damit deutete sich ein strategischer Wandel weg von Frankreich und hin nach Brasilien sowie eine Umstrukturierung der Produktion in Richtung auf Montage an. Die Kompatibilität zwischen diesen Projekten und der langfristigen Strategie des französischen Stammhauses waren unklar. Renault war dabei, sich auf der Suche nach höherer Effizienz mit dem LKW-Unternehmen von Volvo zu assoziieren und ging davon aus, daß die argentinische Tochter sich mit der brasilianischen Volvo-Tochter in einem Handelsabkommen zusammenschließen würde. Dies geschah jedoch nicht. Wenig später wurde bekannt, daß Renault im Zuge der brasilianischen Öffnungspolitik einige Modelle seiner französischen Produktion auf den brasilianischen Markt zu bringen gedachte - was im offenen Widerspruch zum Interesse der argentinischen Filiale stand, welche am bilateralen Austausch orientiert sein mußte. Die Operationen der argentinischen Tochter wurden vollständig geheim gehalten. Dies provozierte den Widerspruch der Comisión Nacional de Valores 142

(CNV), oberste Kontrollinstanz über alle Börsenaktivitäten. Da Renault an der argentinischen Börse eingetragen war, wäre es zur Offenlegung seiner Transaktionen verpflichtet gewesen. Dies verweigerte es jedoch. Die Aufmerksamkeit der CNV richtete sich auf Renault im Zuge einer Börsenhausse, die Mitte 1991 eingesetzt hatte und ihren Höhepunkt zu Beginn des folgenden Jahres erreichte. Zu den größten Nutznießern dieser Entwicklung gehörte auch Renault, dessen Aktien zwischen Januar und Mai 1992 einen Preisanstieg von 9 auf 73 Pesos verzeichnen konnten - was weniger auf die wirtschaftliche Lage des Unternehmens, als vielmehr auf die Aussichten für die Marktentwicklung zurückzuführen war. Die Hausse endete abrupt Mitte 1992 und zur selben Zeit fielen auch die Preise von Renault wieder. Zur selben Zeit wechselte auch das Mehrheitsaktienpaket von Renault seinen Besitzer: Das Stammhaus verkaufte seinen Anteil von 72 Prozent an eine neue Gesellschaft, die zu diesem Zweck gegründet worden war: die COFAL {Compañía Financiera para América Latina). Diese wiederum verkaufte einen Teil der Aktien weiter an andere Gesellschafter. Das französische Stammhaus sicherte sich jedoch in dem Kaufvertrag das Recht zu, jederzeit seinen Aktienanteil wieder ausdehnen und das Mehrheitspaket zurückerwerben zu können. Das neue Unternehmen COFAL hat drei Gesellschafter: Der wichtigste ist M. Antelo, Besitzer verschiedener Betriebe im Zuliefererbereich, der bereits einige Betriebe von Renault gekauft hatte. Der zweite ist R. Kasinsky, ein brasilianischer Unternehmer aus derselben Branche, über den sich Möglichkeiten der Integration mit Brasilien eröffnen. Der dritte Gesellschafter ist ein Börsenagent, der seit den sechziger Jahren die Börsengeschäfte von Renault geführt und der bereits einige Monate zuvor eine Tochtergesellschaft von Renault gekauft hatte. Diese drei hatten bereits vor dem Kauf über intensive Kontakte zu Renault verfügt, und die Übernahme des Unternehmens durch sie schien das Ergebnis eines Kompromisses zu sein, weil sich andere Industriellengruppen nicht interessiert gezeigt hatten. Dies sowie die Heimlichkeiten über den Verkaufspreis und die vertraglich zugesicherte Rückkaufsmöglichkeit durch Renault ließen Zweifel an der realen Veränderung der Besitzverhältnisse aufkommen. Ende August 1992 genehmigte die französische Regierung das Abkommen, worauf die Unternehmensleitung ausgewechselt und Antelo zum neuen Präsidenten eingesetzt wurde. Die neue Unternehmensstrategie sah eine Flexibilisierung der Produktion und die Spezialisierung auf Teile vor und stellte die Autonomie des neuen Unternehmens, das sich jetzt CIADEA nannte, im finanziellen und kommerziellen Bereich her. CIADEA verkaufte verschiedene Betriebe und Filialen und setzte im übrigen die bereits 1990 eingeleitete Anpassungspolitik fort. Die Produktion wurde bis zur vollen Auslastung der Kapazitäten in Córdoba ausgedehnt. Renault Brasil wurde gegründet mit dem Ziel, Wirt-

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schaftsfahrzeuge in Brasilien anzubieten. Gleichzeitig kaufte CIADEA die chilenische Renault-Niederlassung. Ende 1992 wies CIADEA eine außerordentliche Gewinnsituation auf (80,3 Millionen US-Dollar gegenüber Verlusten von 76,3 Millionen im Vorjahr), welche jedoch - auch angesichts expansiver Marktentwicklungen - nicht für neue Investitionen genutzt wurde; ein beträchtlicher Teil der Gewinne (30 Millionen US-Dollar) wurde vielmehr als Dividenden an die Aktionäre ausgeschüttet. Eine ähnliche Tendenz ist bei Sevel/Fiat festzustellen. Die Marktexpansion seit 1991 machte es diesem Unternehmen nicht möglich, in der Endmontage mit der Nachfrage Schritt zu halten. Die Produktionskapazität des Montagewerks war Anfang 1993 voll ausgeschöpft. Der Nachfrageüberhang auf dem lokalen Markt sowie die Unfähigkeit, Exportverträge einzuhalten, führten dazu, daß das alte Peugeot-Werk wieder eröffnet wurde, was erhebliche Investitionen erforderte, jedoch immer noch nicht zur Deckung der Nachfrage führte. Gleichzeitig verfolgte Sevel mit der Ausweitung des Motorenwerks CORMEC in Córdoba, wo es sich erneut mit Fiat assoziierte, eine sowohl am Binnenmarkt, als auch am Export (insbesondere nach Brasilien und Italien) orientierte Spezialisierungsstrategie. Der Motorenexport ermöglichte economies of scale sowie Devisengewinne, welche ihrerseits den Import bestimmter Teile und Komponenten für die Endmontage ermöglichten. Mitte 1992 ließ Sevel sich an der Börse registrieren. Mit dem Verkauf von 80 Millionen Aktien zu jeweils zwei Pesos machte es in der Hausse-Situation einen fetten Gewinn, der zur Hälfte an die Aktionäre ausgeschüttet wurde. Dies erregte Spekulationen bezüglich eines möglichen Eigentümerwechsels bzw. spekulativer Transaktionen, die, ähnlich wie im Falle Renaults, die Intervention der CNV hervorriefen. Jedenfalls zeigt es gleichfalls, daß kurzfristige Gewinnmöglichkeiten Priorität vor langfristigen Kapitalanlagen besitzen. Anders sieht die Lage bei Autolatina aus. Die frühe Fusion von Ford und Volkswagen hat diesem Unternehmen zu Beginn der neunziger Jahre einen beträchtlichen Vorsprung eingebracht. Die Rezession von 1989/90 konnte es dank der Integration gut überstehen. Autolatina ist der größte Produzent Brasiliens und verfügt über einen ausgedehnten und flexiblen Produktionsapparat. Die argentinischen Betriebe exportieren nach Brasilien Getriebe und andere Teile für einen Wert, der 1992 bei 100 Millionen US-Dollar lag. Im selben Umfang exportieren sie Fahrzeuge, und zwar solche Modelle, die in Brasilien nicht gebaut werden. Im Gegenzug importieren sie Teile, deren Wert 1992 bei 175 Millionen US-Dollar lag, sowie fertige Fahrzeuge. Für 1994 ist die Ausweitung der Teile-Importe auf 290 Millionen US-Dollar geplant, welche durch eigene Teile-Exporte gedeckt werden sollen. Auch der Handel mit Fahrzeugen soll ausgeweitet werden.

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Insgesamt kann die argentinische Autmobilindustrie noch nicht als eine ausgereifte und stabile Branche angesehen werden, obwohl sie bereits über 30 Jahre alt. Der beständige Wechsel der Spielregeln, sei es aufgrund von Politikwechseln, sei es aufgrund von Nachfrageschwankungen, haben zu einer grundlegenden Verunsicherung bezüglich mittelfristiger Perspektiven geführt. Diese Situation hat sich in den achtziger und beginnenden neunziger Jahren noch verschärft, so daß es gegenwärtig schwer fällt, Prognosen hinsichtlich künftiger Entwicklungen abzugeben. Eine Schlußfolgerung, die aus der Analyse des Restrukturierungsprozesses jedoch gezogen werden kann, ist die, daß die Bedeutung des Binnenmarktes langsam abnimmt und daß sich die Unternehmen trotz der aktuellen Nachfrageexpansion doch - im Rahmen der Globalstrategien ihrer Muttergesellschaften offensichtlich immer stärker an externen Märkten orientieren. Die bisher verfolgte Strategie einer maximalen nationalen Integration der Produktion wird dabei aufgegeben zugunsten wachsender internationaler Integration im Rahmen des multinationalen Konzerns. Dies erhöht auf der einen Seite die produktive Effizienz, auf der anderen Seite jedoch reduziert es den nationalen Gehalt der Produktion - eine Tendenz, die deutlich ist, deren soziale Kosten jedoch bisher nicht abzuschätzen sind. Die Tendenz geht dahin, die wachsenden Importe durch entsprechende Exporte zu kompensieren - was jedoch im Falle Argentiniens bisher nicht realisiert werden konnte, so daß sich hier ein beträchtliches sektorales Handelsbilanzdefizit ergibt, das für 1992 auf eine Milliarde USDollar geschätzt wird. Die Regierung drängt zwar in verstärktem Maße auf die Einhaltung der entsprechenden Verpflichtungen, aber die Investitionspläne der Unternehmen lassen eine Erreichung dieses Ziel kurzfristig nicht wahrscheinlich sein. Die Rekonversionsprogramme der Montageunternehmen basieren auf einer speziellen Protektion, die diese Unternehmen genießen und die auf der Möglichkeit des Imports von Fahrzeugen zu einem Vorzugszollsatz beruhen. Die Tatsache, daß die Dividendenausschüttung gegenüber langfristiger Kapitalanlage offensichtlich den Vorrang genießt, läßt diese Art der Protektion und ihre Effekte jedoch in einem zweifelhaften Licht erscheinen. Überdies zeigt der Wechsel in den Eigentumsverhältnissen, der mit den Rekonversionsprogrammen einhergeht, daß das Vertrauen in die Zukunft des argentinischen Marktes bei den Muttergesellschaften nicht besonders groß ist. Die Restrukturierung hat überdies in dem Maße zu einer wachsenden Interessendivergenz zwischen Montageunternehmen und Zulieferern geführt, in dem ein wachsender Teil der Zulieferer sich auf den Reparatur- und Wartungsmarkt orientiert und sich damit von der Entwicklung der Montageunternehmen unabhängig gemacht hat. Auf der anderen Seite hat der technologische Wandel in der Branche zum Einsatz neuer (elektronischer anstelle von mechanischer) Ausrüstungen sowie zur Reduzierung des Stahlkonsums und zur Ver-

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wendung neuer Materialien geführt. Entsprechend sind auf dem Zulieferermarkt neue Produzenten aufgetaucht, andere sind verschwunden, so daß auch in dieser Hinsicht eine beträchtliche Umstrukturierung zu verzeichnen ist. Dies wirkt sich auch auf die Beschäftigungssituation aus, denn insbesondere die Montageunternehmen fragen immer weniger, dafür aber immer qualifiziertere Arbeitskräfte nach. Gleichzeitig sind die Reallöhne gesunken und werden auch in absehbarer Zeit nicht auf ihr ursprüngliches Niveau angehoben werden, zumal ADEFA die Lohnstabilität als entscheidenden Faktor für die Preisstabilität bei Fahrzeugen bezeichnet. Die geschrumpfte Handlungsfähigkeit der Gewerkschaften (aufgrund allgemeiner Arbeitslosigkeit sowie aufgrund des quantitativ rückläufigen Gewichts der Montageunternehmen in der Automobilbranche) läßt auch aus dieser Richtung keine Gegensteuerung erwarten. Das Auftauchen der Importeure als eines neuen Akteurs in der Branche bedeutet eine weitere Verminderung der bargaining power der Gewerkschaften und bedeutet gleichzeitig eine grundlegende Modifizierung der gesamten Akteurskonstellation in der Branche. Davon wiederum hängt die weitere Entwicklung der Branche und ihr Einfluß auf die gesamte Wirtschaftsentwicklung ab. Schlußfolgerungen Die Entwicklung Argentiniens seit 1989 läßt den Schluß zu, daß die Regierung Menem einen weit radikaleren Bruch mit der gesamten ISI und der mit ihr verbundenen gesellschaftlichen und politischen Konfliktmuster praktiziert hat, als dies die Militärdiktatur einerseits, die erste demokratische Regierung unter Alfonsin andererseits vermocht haben. Dieser Bruch war jetzt möglich zum einen, weil zu der traumatischen Erfahrung mit der Diktatur eine ebenfalls traumatische Erfahrung mit zwei aufeinanderfolgenden Hyperinflationen hinzu kam, welche dazu führte, daß die wirtschaftliche Stabilisierung unter demokratischen Rahmenbedingungen in der Bevölkerung hohe Priorität genoß; zum anderen aber wurde die Stabilisierung jetzt von den Peronisten, den traditionellen Opponenten gegen orthodox-liberale Stabilisierungs-, Privatisierungsund Öffnungspolitiken selbst durchgeführt. Dies war Ausdruck der Tatsache, daß es in der Gesellschaft praktisch keine Alternative gab; es bedeutete auch, daß diese Politik sich auf einen breiten Konsens stützen konnte und daß eine ernsthafte Opposition nicht zu erwarten war. Es zeigte sich aber auch, daß die Liberalisierungen - bei gleichzeitigem Fehlen eines Staatsapparates, der über ein Minimum an Autonomie und effektiver Regulierungskapazität verfügte - auf der Grundlage einer hohen Machtkonzentration bei der Exekutive möglich wurden, was einerseits zur Marginalisierung der parlamentarischen Institutionen führte und wodurch andererseits 146

die Korruption völlig neue Dimensionen annahm. Von der Privatisierungs- und Außenöffnungspolitik profitierten so in erster Linie einige wenige wirtschaftliche Monopol- und Oligopolgruppen, meist in enger Liaison mit ausländischen Kapitalgruppen, wobei gegenwärtig jedoch noch völlig offen ist, in welche Richtung die weitere Entwicklung geht. Mit der Stabilisierungs- und Liberalisierungspolitik ist es bisher nicht gelungen, einige der fundamentalen Strukturprobleme der argentinischen Wirtschaft, insbesondere den cortoplacismo und die damit einhergehende Vernachlässigung langfristiger produktiver Investitionen, zu lösen. Vielmehr hatte die Außenöffnung bei gleichzeitiger Eliminierung der staatlichen Subventionen selbst solche Industrieunternehmen, die in den achtziger Jahren massive Modernisierungs- und Rationalisierungsanstrengungen unternommen hatten und international wettbewerbsfähig waren, in die finanzielle Krise manövriert, was angesichts einer völlig ungewissen Marktentwicklung die Präferenz für kurzfristige Anlagen - zumindest vorerst - nur noch verstärkt hat. Was in Argentinien somit in den letzten vier Jahren beobachtet werden konnte, war der relativ konsequente, jedoch längst nicht vollständige Bruch mit den traditionellen, von der ISI geprägten Strukturen, ohne daß damit jedoch schon deutlich wäre, ob auf dieser Grundlage ein neues Entwicklungsmodell entstehen kann und welche Konturen dies etwa haben wird. Deutlich ist allerdings, daß die sozialen Kosten des Bruches und der mit ihm verbundenen Destruktionen sehr einseitig zu Lasten der Arbeitsbevölkerung gehen und daß es damit wohl nicht sehr wahrscheinlich ist, daß ein etwaiges neues Entwicklungsmodell an den historischen Erfahrungen einer vergleichsweise equitativen Gesellschaft anknüpfen kann: in dieser Hinsicht scheint eine Kontinuität endgültig unterbrochen und ein gesellschaftliches Wissen entwertet zu sein.

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Ligia Garcia, Eugenio Rivera und Juan Enrique Vega 1

B II. Chile Einleitung: Die Bilanz der ersten demokratischen Regierung Den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in Chile im Dezember 1993, bei denen unter anderem auch der Nachfolger für den von 1990 bis 1994 amtierenden ersten demokratischen Präsidenten Patricio Aylwin gewählt wird, kommt eine symbolische Bedeutung zu: sie dokumentieren den Erfolg der chilenischen Demokratie, die sich während ihrer ersten vier Jahre im Schatten des Diktators hat bewähren müssen. Die erste demokratische Regierung nach fast 17 Jahren der Diktatur hat darüberhinaus noch weitere Erfolge aufzuweisen und kann in der öffentlichen Meinung mit einer insgesamt positiven Bilanz aufwarten: Die Regierungskoalition bildete zum ersten Mal nach langer Zeit wieder eine Mehrheitsregierung, die im Rahmen des institutionellen Wandels eine stabile Position aufrechterhalten konnte und keine nennenswerten Prestigeverluste in der öffentlichen Meinung hinnehmen mußte. Bei einer Meinungsumfrage im Dezember 1992 erklärten sich 60 Prozent der Befragten zu Parteigängern der Regierung und lediglich 20 Prozent zu ihren Gegnern. Hierin unterscheidet sich Chile von zahlreichen anderen Ländern Lateinamerikas, wo die demokratischen Übergangsregierungen am Ende ihrer Amtsperiode - meist inmitten wirtschaftlichen Chaos - zum Teil erhebliche Prestigeverluste hinnehmen mußten. Nach zwei Jahren der Amtsführung resümierte der Minister im Präsidentschaftsamt, Edgardo Boeninger, einer der Architekten der Demokratisierung, die Erfolge der Regierung in den folgenden Punkten: - Wiedereingliederung in die internationale Völkergemeinschaft; 1 Die Kürzung und Übersetzung dieses Teils des Forschungsberichts hat Barbara Töpper vorgenommen.

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- Herstellung eines Klimas der Versöhnung und allgemein akzeptierte Form des Umgangs mit den Menschenrechtsproblemen; - Normalisierung der zivil-militärischen Beziehungen und Beschränkung der militärischen Institutionen auf ihre professionelle Rolle; - spektakuläre wirtschaftliche Erfolge bezüglich Wachstum, Stabilität, Beschäftigung, Exporten, Investitionen und Konsolidierung eines Klimas des wirtschaftlichen Vertrauens; - Klima des Fortschritts und des inneren Friedens sowie soziale Beziehungen, die durch Kooperation und nicht, wie in der Geschichte, durch Konfrontation geprägt sind. Insgesamt ist auch die Verständigungsfähigkeit zwischen Unternehmern und Arbeitern sowie zwischen diesen und der Regierung gewachsen. - Funktionieren des Rechtsstaates mit voller Geltung der Menschenrechte und der öffentlichen Freiheiten im Kontext der Herausbildung eines politischen Systems, das kompetitiv und nicht konfrontativ ist und eine hohe Verständigungskapazität zwischen Regierung und Opposition aufweist. Neben dieser Erfolgsbilanz sind jedoch auch einige gravierende Probleme noch ungelöst geblieben. Dies gilt vor allem für das Überleben einiger enclaves autoritarios, autoritärer Enklaven, die für das Schicksal fortgesetzter Demokratisierung von entscheidender Bedeutung sind. Zum einen sind Zweifel hinsichtlich des demokratischen Bewußtseins bei den Angehörigen der Streitkräfte, vor allem innerhalb des Heeres, angebracht. Insbesondere an ihrer Selbsteinschätzung des Militärs als unabhängige Macht, die als Garant der nationalen Sicherheit auftritt, sowie an dem grundlegenden Mißtrauen gegenüber den zivilen Gewalten hat sich bisher nichts Entscheidendes geändert. Dazu kommt eine Reihe institutioneller Vorkehrungen, die es den politischen Autoritären unmöglich machen, die volle zivile Gewalt auszuüben. Dazu gehören die Nichtabsetzbarkeit der Oberkommandierenden der Streitkräfte, die Zusammensetzung und die Funktionszuschreibungen des Nationalen Sicherheitsrats, die Kompetenzbeschränkungen für die zivile Gewalt, den Haushalt für die Streitkräfte festzulegen (der nicht unter dem Niveau fiir 1989 liegen darf) und die immer noch exzessiven Kompetenzen der Militärgerichtsbarkeit. Hinzu kommen Hindernisse, die aus einigen rechtlichen Hinterlassenschaften der Diktatur resultieren: So begünstigt das Wahlsystem die zweitstärkste Kraft und erschwert damit das Zustandekommen parlamentarischer Mehrheiten. Überdies sind nach wie vor ca. 18 Prozent der Senats-Angehörigen von Pinochet designiert und vertreten als solche die Interessen derjenigen Institutionen, die der Militärregierung nahestehen. Damit konnte bisher jede Initiative zur Beseitigung der enclaves autoritarios blockiert werden. Weitere Hindernisse, die einer fortgesetzten Demokratisierung vorerst im Wege stehen, sind die beschränkten strafrechtlichen Kompetenzen der Depu149

tiertenkammer im Zusammenhang mit den Menschenrechtsverletzungen unter der Diktatur, die grundlegenden Schwierigkeiten bei der Reform der richterlichen Gewalt, die Existenz eines Amnestiegesetzes, welches Straffreiheit für die meisten der unter der Diktatur begangenen Menschenrechtsverletzungen garantiert, sowie die beschränkten legislativen Kompetenzen des Parlaments, das lediglich kolegislative Funktionen neben der Exekutive hat - was letztlich autoritären Vorstellungen von der politischen Macht förderlich ist. Die größten Erfolge der demokratischen Regierung liegen demgegenüber auf wirtschaftspolitischem Gebiet. Die Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts lag für 1992 bei 10,4 Prozent, und für 1993 wird eine Rate von 6 Prozent erwartet. Damit liegt der jährliche Durchschnitt für die Zeit nach der Demokratisierung über 6 Prozent. Die Inflation konnte für 1992 auf eine Rate von 12,7 Prozent und für 1993 auf schätzungsweise 11 Prozent gedrückt werden. Die Investitionsrate lag für 1992 bei ca. 22 Prozent - die höchste in der chilenischen Geschichte überhaupt. Die Arbeitslosenrate lag bei 4 Prozent und erreichte damit das niedrigste Niveau der letzten 20 Jahre. Die Beschäftigung wuchs in einem Rhythmus von vier bis fünf Prozent gegenüber einer arbeitsfähigen Bevölkerung, deren Wachstum bei knapp zwei Prozent lag. Die Kaufkraft wuchs im Jahr 1993 um 4,5 Prozent, die realen Durchschnittslöhne stiegen um 11,7 Prozent und die realen Mindestlöhne um 21,6 Prozent. Die Diskussion über die Gründe für diese Erfolge ist keineswegs abgeschlossen. Die Rechte führt sie darauf zurück, daß die Regierung der Concertaciön die Politik der Militärregierung weitgehend fortgesetzt hat und jetzt vor allem die Früchte der Modernisierungsanstrengungen unter Pinochet ernten konnte. Diese Sicht wird im Prinzip - wenn natürlich auch mit anderer Stoßrichtung - von der oppositionellen Linken geteilt: es habe keine Veränderungen am neoliberalen Projekt gegeben und damit seien auch dessen hohe soziale Kosten fortgeschrieben worden. Dem erwidert die Regierung, daß sie eine grundsätzlich neue Strategie eingeleitet habe, welche auf ein Wachstum mit sozialem Ausgleich im Rahmen demokratischer Verhältnisse hinauslaufe. Diese Versöhnung zwischen Wachstum, Verteilung und Demokratie bedeute nicht nur für Chile, sondern auch für die Entwicklungsländer im allgemeinen ein Novum. Dabei wird auf den strategischen Stellenwert der wirtschaftspolitischen Ziele verwiesen und auf die enge Interrelation von Wirtschaftswachstum und sozialem Ausgleich, von Stabilisierung und Ausweitung der Beschäftigung. Auch wenn man sich dieser letzteren Interpretation anschließt, so ist doch allenfalls ein Anfang getan. Was ansteht, ist die Fortsetzung des demokratischen Institutionalisierungsprozesses, die Fortsetzung der wirtschaftlichen Modernisierung in Richtung auf eine zweite Phase der Exportorientierung mit einem größeren Gehalt an nationaler Wertschöpfung, die Überwindung der Armut und eine Verbesserung der Lebensqualität und der sozialen Verhältnisse 150

sowie auch der Umwelt, die Konsolidierung einer staatsbürgerlichen politischen Kultur und die Mobilisierung des kreativen Potentials der Gesellschaft sowie die Modernisierung und Effizienzsteigerung des öffentlichen Sektors. Ein Grundsatzproblem des bisherigen demokratischen Übergangs ist überdies das Übergewicht an Präsenz des Präsidenten im Transformationsprozeß, während die politischen Parteien und sozialen Akteure allenfalls eine untergeordnete Rolle spielten. Die chilenische Demokratisierung bietet das Bild eines Prozesses, bei der die institutionelle Reorganisation als Elitenprozeß stattfindet, während die zivile Gesellschaft primär die Rolle eines Zuschauers innehat. 1. Politische und wirtschaftliche Transformationen unter der Militärdiktatur Das Projekt Pinochets Als die Streitkräfte sich im September 1973 an die Macht putschten, befand sich Chile in einer Situation vollständiger Unregierbarkeit, in der sich Exekutive und Legislative gegenseitig blockierten, in der die politischen Gruppierungen ihre ideologische Polarisierung auf die äußerste Spitze getrieben hatten und zu einer Verständigung nicht mehr in der Lage waren, in der die Legitimität der Regierung und mit ihr des demokratischen Systems grundlegend in Frage gestellt war, in der wirtschaftliches und soziales Chaos herrschten. Sowohl die (Jnidad Populär, als auch ihre Gegner verfügten über eine erhebliche Mobilisierungskapazität in der Bevölkerung, und beide Lager standen sich in unversöhnlicher Feindschaft gegenüber. Das politische System verfügte über keine institutionellen Mechanismen, mit deren Hilfe in dieser Situation eine Lösung der Konflikte noch hätte erreicht werden können. Dieser Kontext erklärt zum einen die hohe Legitimität, die der Putsch bei großen Teilen der Bevölkerung genoß; sie erklärt zum anderen die extreme Repression, derer sich die Diktatur von Anfang an bediente. Das Projekt der Militärs ging von der Diagnose aus, daß die Krise im politischen System selbst begründet sei, welches populistische und korporatistische Tendenzen gefördert habe. Daher müßten die Funktionsweise dieses Systems völlig neu definiert und der staatlichen Autorität effektive Handlungsspielräume eröffnet werden. Zentral dabei war das Konzept der "nationalen Einheit", die vorgegeben sei, das heißt nicht im politischen Prozeß aushandelbar und herstellbar, sondern ein gegebenes Faktum sei; die Ziele der Nation seien daher transzendent in dem Sinne, daß sie keiner Legitimierung durch eine Mehrheitsentscheidung bedürften, vielmehr durch die oberste Autorität der Exekutive definiert würden. Die Dauer des Regimes sei daher auch nicht for151

mal-prozedural zu bestimmen, sondern abhängig von der Realisierung dieser Ziele. Nach dem Putsch wurde sehr schnell deutlich, daß die Militärs eine solche grundlegende Veränderung herbeiführen und keineswegs nur die Ordnung wiederherstellen und dann die Regierungsmacht an die traditionellen Parteien zurückgeben wollten. Die linken Parteien und zum Teil auch die Christdemokraten sahen sich vielmehr einer dauerhaften harten Repression ausgesetzt, während die rechten Parteien sich schlicht und ergreifend selbst auflösten und mehrheitlich dem Projekt der Streitkräfte unterwarfen. Es sollte aber nicht allein die Repression sein, welche das traditionelle Parteiensystem obsolet machte. Vielmehr sollten wirtschaftlicher Aufschwung und wachsende Konsummöglichkeiten die traditionellen ideologischen und parteipolitischen Zugehörigkeiten überflüssig machen. In dieser Position wurden die Militärs von einer Gruppe junger neoliberaler Technokraten, den sogenannten Chicago Boys unterstützt, welche das traditionelle Parteiensystem und die überkommenen Formen des Staatsinterventionismus lediglich als Zeichen von Unterentwicklung interpretierten, welche mit fortschreitender Modernisierung verschwinden würden. Grundlage des bisherigen krisenträchtigen politischen Systems sei ja die von der Importsubstituierenden Industrialisierung bedingte geschlossene Wirtschaftsstruktur und die mit dieser einhergehende dominante Rolle des Staates sowie seiner protektionistischen Praktiken gewesen. Mit Hilfe einer wirtschaftlichen Liberalisierungsstrategie sollten jetzt der Raum für den Markt und für private Initiative eröffnet und das Funktionieren einer kapitalistischen Wirtschaft ermöglicht werden. Zusammen mit dieser Gruppe von technokratischen Ökonomen bildete das Heer (nicht etwa die Streitkräfte insgesamt) das eigentliche Machtzentrum der Diktatur Pinochets. Beide Gruppen waren eng miteinander verbunden und wiesen eine hohe Affinität auf, was zum Teil daraus zu erklären ist, daß beide in konservativen nordamerikanischen Einrichtungen ihre Ausbildung erhalten hatten: die einen in der Universität von Chicago, die anderen in den Militärakademien der USA. Beide entwickelten Doktrinen, die - sich gegenseitig ergänzend - sich als totale und ausschließliche, oberste Wahrheiten verstanden, welche nur wenigen, auserwählten Persönlichkeiten zugänglich seien. Letztere hätten denn auch die Verpflichtung, als Hüter dieser Wahrheiten aufzutreten und für ihre Realisierung zu sorgen. Zentraler Bestandteil der von der Diktatur durchgeführten Reform des politischen Systems war die Verfassungsreform, die weitgehend von Pinochet selbst - unter Mitarbeit einer Comisión de Estudios de la Nueva Constitución sowie des Staatsrats - entworfen wurde und die am 11. September 1980 durch ein Plebiszit, bei dem 67,6 Prozent für und 30,17 Prozent gegen den Regierungsentwurf stimmten, verabschiedet wurde.

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Eine wesentliche institutionelle Neuerung, die mit dieser Reform verbunden war, war die Einführung eines Nationalen Sicherheitsrats, der zu gleichen Teilen aus zivilen Mitgliedern und aus Angehörigen der Streitkräfte zusammengesetzt war und der die Streitkräfte bei der Verwirklichung der Ziele der nationalen Einheit unterstützen sollte. Weiterhin wurde das Präsidentialsystem gestärkt; die Verbreitung totalitärer Ideologien wurde verboten; das politische Organisationsrecht wurde neu geregelt mit dem Ziel, eine Monopolstellung der Parteien im Bereich der politischen Beteiligung zu verhindern; die Kompetenzen eines künftigen Parlaments wurden neu geregelt. Ebenfalls im Jahr 1980 wurde das unter Mitwirkung der Chicago Boys entwickelte Reformprojekt der "sieben Modernisierungen" verabschiedet, welches ein umfassendes wirtschaftliches und soziales Modernisierungsprojekt darstellt: 1. Der Plan Laboral begrenzte das Streikrecht auf 59 Tage und autorisierte die Unternehmer zur Einstellung von Streikbrechern für die Dauer des Streiks; weiterhin beseitigte es die Möglichkeit von branchenspezifischen Kollektivverhandlungen und begrenzte grundsätzlich die Handlungsmöglichkeiten der Gewerkschaften. 2. Das Sozialversicherungssystem wurde privatisiert und von einem Solidarsystem auf ein System individueller Vorsorge und Kapitalisierung umgestellt. 3. Die Primär- und Sekundarschulbildung wurde dezentralisiert und dem Verantwortungsbereich der Gemeinden unterstellt, welche sie auch privaten Trägern übertragen konnten. Die technische und Berufsbildung sowie die Universitätsbildung wurde privatisiert. Im Falle der Universitäten wurden die staatlichen Zuschüsse drastisch reduziert und ein System der Eigen-Finanzierung eingeführt. 4. Das Gesundheitssystem wurde weitgehend privatisiert, bei Konzentration der staatlichen Mittel auf die Ärmsten; die freie Arztwahl wurde eingeführt und die Gründung privater Krankenversicherungen initiiert. 5. Die Reform der Gerichtsbarkeit, welche auf Reorganisation der Ressourcen durch Abschaffung der Arbeitsgerichte und Arbeitsrichter zielte, erwies sich als wenig erfolgreich und mußte zurückgenommen werden. 6. Die Agrarpolitik eliminierte das Gesetz, welches Enteignungen ermöglicht hatte und führte dazu, daß zahlreiche Ländereien an ihre früheren Besitzer zurückgegeben wurden. Gleichzeitig setzte die Liberalisierung des Sektors und seine Exportorientierung ein. Dies ermöglichte es, daß sich neue und wettbewerbsfähige Unternehmen in diesem Sektor konstituierten, welche später zu den Trägern des Exportwachstums wurden. 7. Mit der Verwaltungsreform und Regionalisierungspolitik wurde das Land in Regionen (unter der Verwaltung eines Intendanten), Provinzen (unter Verwaltung des Gouverneurs) und Gemeinden (unter Verwaltung des Bürgermei153

sters) eingeteilt. Dies bedeutete jedoch keinesfalls eine Dezentralisierung der Macht oder gar erhöhte Partizipationsmöglichkeiten. Denn alle Intendanten, Gouverneure und Bürgermeister (zivile oder Militärs) wurden direkt von Pinochet ernannt. Ihnen waren Consejos de Desarrollo Regional oder Consejos de Desarrollo Comunal beigegeben, welche korporative Repräsentativorgane darstellten ohne echte Partizipationsmöglichkeiten und mit nur geringer Entscheidungsbefugnis. Insgesamt zielten die "sieben Modernisierungen" auf die Reduktion des Staates und seiner Kompetenzbereiche und Einflußsphären. Vor allem wurden gerade diejenigen Aktivitäten und Funktionen privatisiert, die in besonderem Maße eine Quelle sozialen Drucks auf den Staat gewesen waren. Gleichzeitig zielten die Reformen auf die Desartikulation der sozialen Organisationen, von denen dieser Druck ausgegangen war. Wirtschaftspolitik und wirtschaftliche Entwicklung Die Reformpolitik der "sieben Modernisierungen" wurde in einer Situation durchgeführt, in der die wirtschaftliche Schockpolitik der Chicago Boys bereits deutliche Ergebnisse zeigte: die Hyperinflation war unter Kontrolle gebracht, das Haushaltsdefizit beträchtlich reduziert und das Bruttoinlandsprodukt wies nach dem Einbruch von 1975 erneute positive Wachstumsraten auf. Das sogenannte "chilenische Wirtschaftswunder" dauerte bis 1981. Im Mai 1981 zeigten sich die ersten Vorboten einer Krise, die 1982/83 mit aller Wucht ausbrach und völlig neue Dimensionen erreichte: Das Bruttoinlandsprodukt schrumpfte in den Jahren 1982/83, die Arbeitslosigkeit erreichte nie gekannte Ausmaße; sie lag 1984 bei 30 Prozent, während die Reallöhne im Durchschnitt um 19 Prozent unter dem Niveau von 1981 lagen. Die Sozialausgaben gingen beträchtlich zurück. Der Finanzkollaps des Jahres 1982 bedeutete für den Fiskus Verluste, die auf neun Milliarden USDollar geschätzt werden. Die wirtschaftspolitischen Konzepte samt der dafür verantwortlichen Minister wechselten einander in kürzesten Abständen ab, während die sozialen Verhältnisse von Tag zu Tag weiter verfielen. Im Februar 1985 übernahm Hernán Büchi das Amt des Wirtschaftsministers mit einer neuen wirtschaftspolitischen Strategie, mit deren Hilfe es gelang, die Krise zu überwinden. Das Programm sah ein kräftiges Anwachsen der Exporte und beträchtliche Reduktionen der öffentlichen Ausgaben vor, um auf diese Weise sowohl den Schuldendienst leisten, als auch die Investitionsrate erhöhen zu können. Die erste Phase seiner Amtszeit von 1985-87 zeichnete sich durch eine entschiedene Restriktionspolitik aus. Die drastische Abwertung des Peso in den Jahren 1985 und 1986 führte zu einem rasanten Anwachsen der Inflationsraten, 154

was bei eingefrorenen Nominallöhnen zum weiteren Verfall der Reallöhne führte, die 1985 um 25 Prozent unter dem Niveau von 1981 lagen und 1986 und 1987 um weitere 1,8 Prozent bzw. 0,6 Prozent sanken. Die Sozialausgaben pro Kopf der Bevölkerung gingen zwischen 1981 und 1984 um reale 9,6 Prozent und 1985 um weitere 4,26 Prozent zurück. Wie aus Tabelle 1 hervorgeht, setzte sich dieser Verfall auch in den folgenden beiden Jahren noch fort: Tabelle 1: Index der öffentlichen Sozialausgaben 1985-92 (Veränderungen in %; 1985 = 100)

Gesundheit Wohnungsbau Sozialversicherung Bildung andere Insgesamt

1985

1986

1987

1988

1989

1990

1991

100 100 100 100 100 100

94,3 101,2 111,4 100,0 79,3 100,2

95,4 119,7 108,5 93,2 64,4 95,1

108,5 181,2 118,9 93,1 53,1 100,8

92,9 119,5 106,0 89,8 41,9 88,5

99,4 142,0 121,9 87,6 41,1 95,8

124,0 169,6 131,7 96,1 50,1 106,9

1992 (Plan) 149,2 190,0 136,2 103,7 54,0 114,3

Quelle: Ministerio de Hacienda (Oktober 1991) Tabelle 2: Entwicklung der Handelsbilanz 1981-92 Jahr 1981 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992

Exporte US-$ Mio. 3836 3706 3831 3651 3804 4191 5224 7052 8080 8310 8929 9986

Veränderung in % -3,39 3,37 -4,70 4,19 10,17 24,65 34,99 14,58 2,85 7,45 11,83

Importe US-$ Mio. 6513 3643 2845 3288 2955 3099 3994 4833 6502 7037 7354 9236

Veränderung in % -44,07 -21,91 15,57 -10,13 4,87 28,88 21,01 34,53 8,23 4,50 25,59

Saldo US-$ Mio. -2677 63 986 363 849 1092 1230 2219 1578 1273 1575 749

Quelle: Banco Central

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Der fortgesetzte Verfall der Sozialausgaben in einer Situation, die seit 1984 wieder bescheidene und seit 1985 kräftige Wachstumsraten (1985-87 insgesamt 13,6 Prozent) aufwies, deutet auf die Radikalität der von Büchi betriebenen Politik hin. Das spektakulärste Ergebnis dieser Politik war jedoch das rasante Anwachsen der Exporte (vgl. Tabelle 2). Der Erfolg der Exportforderungspolitik ist unbestritten, wenn auch die Expansion im Jahre 1987 entscheidend durch das kräftige Anziehen der Kupferpreise um durchschnittlich etwa 30 Prozent mitbedingt war. Die folgende Tabelle 3 zeigt jedoch, daß auch die übrigen Exporte erhebliche Wachstumsraten zu verzeichnen hatten: Tabelle 3: Index der Exportentwicklung in Millionen US-Dollar (1986= 100)

Bergbauprodukte Landwirtschaftliche und Meeresprodukte davon: Obst Industrieprodukte davon: Fischmehl davon: Zellulose Kupfer nicht Kupfer insgesamt

1986 100,0

1987 124,2

1988 183,6

1989 213,4

1990 219,0

1991 209,6

100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0

116,5 110,9 129,2 115,2 137,3 127,2 122,8 124,6

136,2 121,9 161,0 145,7 160,6 194,4 149,4 168,3

145,7 113,4 185,1 161,3 166,3 228,9 166,8 192,8

143,2 147,0 194,1 120,6 163,2 216,0 185,5 198,3

178,6 198,1 234,8 147,6 158,0 205,9 218,2 213,1

Quelle: Banco Central Mit Hilfe dieser Expansion der Exporte konnte die Belastung durch die externe Verschuldung erheblich reduziert werden. Im Vorfeld des Plebiszits vom Oktober 1989, mit dessen Hilfe Pinochet seine Amtszeit über das Jahr 1990 hinaus zu verlängern suchte, wurde die strenge Austeritätspolitik aufgegeben und seit Januar 1988 eine expansive Wirtschaftspolitik durchgeführt. Diese bestand aus verschiedenen Maßnahmen zur Reduktion der Steuerbelastung, einer allgemeinen Ausweitung der öffentlichen Ausgaben sowie der Anhebung der Löhne. Unmittelbare Folgen waren einerseits erhebliche wirtschaftliche Wachstumsraten, andererseits ein beträchtliches Anwachsen der Inflation sowie ein Wachstum der Importe, welches das der Exporte wieder überstieg (vgl. Tabelle 2). Insgesamt bedeutete die Politik Büchis eine Kurskorrektur an dem ursprünglichen monetaristischen Modell der Regierungs Pinochets: Während 156

dieses die Regulation der makroökonomischen Schlüsselvariablen dem Markt überlassen hatte, übernahm dies nun wieder der Staat. So übernahm der Staat die Kontrolle über den Finanzmarkt, indem er das Verhältnis von Kapitalmasse und Kreditvolumen, die Bestimmung der Kreditlinien sowie die Kreditvergabe an mit den Banken liierte Unternehmen seiner Regulation unterwarf. Über die Festlegung der Zinssätze für die Staatspapiere regulierte er das monetäre Angebot. Weiterhin wurde der Währungskurs staatlich festgelegt und zusammen mit einem Subventionssystem gezielt als Exportförderungsinstrument eingesetzt. Neben den Exportsubventionen wurde die Landwirtschaft auch über Stützungspreise für Getreide gefördert. Im Hinblick auf die Arbeitsmarktpolitik unterschied sich das Modell Büchi nicht von seinem Vorgänger. Mit Hilfe offener Repression gegenüber den Gewerkschaften wurde der Arbeitsmarkt "reguliert" - mit der Folge eines beträchtlichen Drucks auf die Löhne. Die staatliche Kontrolle über Löhne und Zinssätze trug zur allgemeinen Verminderung der Produktionskosten bei, was entscheidend fiir das relativ hohe Maß an wirtschaftlicher Stabilität war, welches erzielt werden konnte. Zu letzterem trug weiterhin die (bis 1987/88) strenge Austeritätspolitik bei, die vor allem aufgrund massiver Kürzungen bei den Sozialausgaben das öffentliche Defizit gering halten konnte - trotz beträchtlicher Subventionen und Steuererleichterungen für die Unternehmen. Die Wiederaufnahme der Privatisierungspolitik seit 1985 - nachdem der Finanzkollaps von 1982 zunächst zu einer erneuten Verstaatlichung der Wirtschaft geführt hatte - bedeutete einen beträchtlichen Ressourcentransfer vom öffentlichen in den privaten Sektor. Mit Ausnahme der staatlichen Kupfergesellschaft CODELCO und der nationalen Erdölgesellschaft wurden praktisch sämtliche öffentlichen Unternehmen privatisiert, einschließlich Wasser- und Elektrizitätsversorgung, Telefon und Gesundheitsversorgung. Die Staatsanteile wurden zu Schleuderpreisen verkauft, sodaß sich für private Anleger beträchtliche Gewinnmöglichkeiten ergaben. Dies ermöglichte die langsame Zunahme der Investitionstätigkeit. Das Modell Büchi ist insgesamt ein Exportmodell, welches grundsätzlich inkompatibel ist mit Zielen sozialen Ausgleichs. Oberstes Ziel dieses Modells war, makroökonomische Stabilität mit der Exportförderung kompatibel zu machen. Dies erfolgte über die künstliche Unterbewertung des Peso, welche zusammen mit der Rücknahme der Steuerbelastung den Exporteuren gute Wettbewerbspositionen ermöglichte, während andererseits der von der Währungspolitik ausgehende Inflationsdruck durch die Lohndämpfungspolitik und die Kürzungen des Sozialhaushalts kompensiert wurde. Entsprechend war die Exportstruktur durch einen hohen Anteil von nicht oder nur gering verarbeiteten Produkten auf der Grundlage nichtqualifizierter Arbeitskraft charakterisiert.

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Trotz der erheblichen Diversifizierung der Exporte (vgl. Tabelle 4) und der gewachsenen Exportorientierung der Industrie, die nach der schweren Krise der siebziger Jahre und der Stagnationsphase in der ersten Hälfte der achtziger Jahre erneutes Wachstum aufwies, konnte die Abhängigkeit des Exportsektors von einer begrenzten Anzahl natürlicher Ressourcen nicht überwunden werden. Die Exportwirtschaft war nur unzureichend mit dem übrigen produktiven Sektor verflochten. Seine wichtigsten Bereiche zählten absolut nicht zu den dynamischen Sektoren des Weltmarkts und wiesen hier nur noch geringe Expansionsmöglichkeiten auf. Tabelle 4: Exportstruktur 1986-91 (Anteil in %)

Bergbauprodukte Landwirtschaftliche und Meeresprodukte davon: Obst Industrieprodukte davon: Fischmehl davon: Zellulose

1986 50,0

1987 49,8

1988 54,6

1989 55,3

1990 55,2

1991 49,2

16,3 11,4 33,7 7,5 4,6

15,2 10,2 34,9 6,9 5,1

13,2 8,3 32,2 6,5 4,4

12,3 6,7 32,3 6,3 4,0

11,8 8,5 33,0 4,6 3,8

13,7 10,6 37,1 5,2 3,4

Quelle: Berechnungen nach Daten des Banco Central Transformation der Akteure Es waren die ersten zehn Jahre der Diktatur, in denen die strukturellen Grundlagen für das neue Regime gelegt wurden: mit der Repression, mit der beschriebenen Reformpolitik sowie mit den wirtschaftlichen Liberalisierungen. Die damit implizierte Transformation des politischen, sozialen und wirtschaftlichen Systems bedeutete auch eine tiefgreifende Transformation des gesamten Akteurssystems. Die linken Parteien und die Gewerkschaften erfuhren eine schwere Niederlage und verloren jegliche Initiativkraft. Sie beschränkten sich auf Positionen der Defensive und des Widerstands; dies änderte sich erst mit den Protestwellen des Jahres 1983. Aber auch die konservativen Parteien und die Unternehmer spielten zunächst lediglich eine untergeordnete und eher passive Rolle, während der eigentliche Protagonismus beim Heer und bei den neoliberalen Ökonomen lag.

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Die Unternehmer Die Mehrzahl der Unternehmerverbände, insbesondere die ältesten wie die Sociedad Nacional de Agricultura (S.N.A.), die Sociedad de Fomento Fabril (SOFOFA) und die Sociedad Nacional de Minería (SONAMI) waren immer "politische" Akteure in dem Sinne gewesen, daß sie beträchtlichen Einfluß auf die einschlägigen politischen Entscheidungen in ihrem Land nahmen. Sie waren es jedoch nur im partikularistisch-korporatistischen Sinne, und in diesem Sinne bestimmten sie weitgehend auch die Politik der konservativen Parteien. In den Jahren der Unidad Popular konstituierte die Gesamtheit der Unternehmerverbände sich in einem direkteren Sinne als politischer Akteur, der unübersehbar in Erscheinung trat. In dieser Zeit gelang es, traditionelle Gegensätze, zum Beispiel zwischen Groß- und Kleinunternehmern, zu überwinden und eine gemeinsame Position der Reaktion gegenüber der sozialistischen Bedrohung, welche für sie die UP darstellte, zu finden. Diese Position war jedoch ausschließlich defensiver Art, was sich sehr schnell nach dem Putsch zeigte: als die Unternehmer nämlich keinerlei positives Projekt für eine gesellschaftliche Neugestaltung aufzuweisen hatten. Die Identifikation der Verbände mit dem politischen Diskurs der Militärdiktatur war groß und nahezu ausschließlich. Trotz vorhandener Differenzen bezüglich der Wirtschaftspolitik waren sich die Unternehmer der Tatsache bewußt, daß das neue Regime ihre Reproduktion als Klasse garantierte, weshalb sie es fast bedingungslos unterstützten. Auch als seit Mitte der siebziger Jahre die Befürchtungen bezüglich der Folgen, welche die radikale neoliberale Anpassung für die produktive Struktur haben mußte, wuchsen, wurden die wirtschaftspolitischen Differenzen doch dem Bedürfnis nach politischer Stabilität und Ordnung untergeordnet. Die Widersprüche zwischen einer transnationalen monetären Logik und einem an nationaler produktiver Entwicklung orientierten Konzept blieben zunächst weitgehend von einer gemeinsamen Ideologie des Kapitalismus und des freien Unternehmertums verdeckt; die vorhandenen Differenzen kamen nur punktuell, in segmentierter Form zur Sprache, ohne daß der Versuch einer kollektiven Auseinandersetzung mit der Regierung gemacht wurde. Bis 1981 herrschte ein triumphalistisches Klima, welches durch das milagro chileno hervorgerufen und durch das positive Ergebnis des Plebiszits für die neue Verfassung verstärkt wurde. In dieses Klima platzten dann seit Mai 1981 die ersten Vorboten der Wirtschaftskrise von 1982/83. Im Kontext dieser Krise meldete sich Ende 1984, kurz vor dem Amtsantritt Büchis, die Confederación de la Producción y el Comercio mit einem wirtschaftspolitischen Konzept zur Krisenbekämpfung zu Wort. Mit Hilfe der unter 159

Büchi vollzogenen Wende in der Wirtschaftspolitik, insbesondere durch die Lohn- und Zinskontrollen, die Privatisierungen sowie vor allem die Exportforderungsmaßnahmen erhielten die Unternehmer dann jedoch erneut hohe Gewinnmöglichkeiten, welche sie wiederum in volle Übereinstimmung mit der Diktatur brachten. Wenn auch bis 1989 eine beträchtliche Modernisierung des produktiven Sektors in Chile zu verzeichnen war, so ist diese doch nur zu einem geringen Grad auf technologische Innovationen zurückzuführen - die hohe Protektion, welche die Währungspolitik gewährte, wirkte hier eher destimulierend -, sondern vor allem auf die autoritäre Rationalisierung der Unternehmensorganisation - mit der entsprechend geringen Bewertung des Faktors Arbeit. Dies zeigte sich an dem fast vollständigen Nichtvorhandensein kollektiver Verhandlungen über die Arbeitsbedingungen, an einem sehr niedrigen Lohnniveau, an der Zunahme von Subkontrakt-Beziehungen, das heißt von prekären, vertraglich und versicherungsmäßig völlig ungesicherten Arbeitsbeziehungen. Die politische und wirtschaftliche Exklusion der Arbeiter, die von der Politik auf der Makro-Ebene praktiziert wurde, wiederholte sich auf der Ebene der Einzelunternehmen. Effizienzkriterium war ausschließlich die Rentabilität des Unternehmens, unabhängig davon, wie sie erreicht wurde. Diese Bedingungen waren in einem demokratischen Kontext nicht aufrechtzuerhalten. Die Gewerkschaften Die Diktatur bedeutete für die Gewerkschaftsbewegung eine schwere Niederlage und eine lange Zeit härtester Repression. Die Mehrheit der Gewerkschaften war in dieser Zeit durch eine gemeinsame Position der Opposition gegen den politischen Autoritarismus und gegen das neoliberale Wirtschaftsmodell verbunden. Die Jahre bis etwa 1979 müssen als eine Übergangsfrist gesehen werden, in der es lediglich um die Zerschlagung der Opposition ging, während zwischen 1979 und 1981 - insbesondere auf der Grundlage des Plan Laboral - von der Regierung ein Prozeß der Institutionalisierung eingeleitet wurde, der die grundlegende Restrukturierung der Arbeitsbedingungen implizierte. Mit dem Plan Laboral sowie mit der Reform der Sozialversicherung von 1980 und der Arbeitsrechtsreform von 1981 wurde ein komplexes Gesetzeswerk geschaffen, welches die individuellen und kollektiven Arbeitsbeziehungen und gewerkschaftlichen Organisationsformen sowie sozialen Versicherungssysteme von Grund auf neu regelte. Dem lagen folgende Prinzipien zugrunde: - Tarifverträge, die nur noch auf Unternehmensebene abzuschließen sind, müssen an die Produktivitätsentwicklung angebunden sein;

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- damit sind solche Verträge kein Mechanismus der Einkommensverteilung mehr, sondern ein Mittel der Rationalisierung und der Übertragung von Verantwortung; - die Tarife müssen überdies vom individuellen Qualifikationsniveau des einzelnen Arbeiters abhängig gemacht werden; - die Gewerkschaften sind Instrumente technischer und sozialer, nicht jedoch politischer Partizipation; - die Gewerkschaftsbildung ist freiwillig und nicht obligatorisch; - zwischen Arbeitern und Unternehmern besteht Interessenharmonie. Die Arbeiter werden in diesem Kontext als reine Produktionsfaktoren gesehen und nicht als Akteure sozialer Bewegungen, die allgemeinere Interessen vertreten. Mit der politischen Exklusion werden die Grundlagen der historischen Erfahrung der chilenischen Arbeiterbewegung, welche sich immer als politischer Akteur verstanden hatte, grundlegend infrage gestellt. Aber auch die Beschränkung ihrer Aktivitäten auf das Unternehmen läßt eine weitergehende Partizipation an umfassenderen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Prozessen nicht zu. Die Gewerkschaften reagierten auf diese Maßnahmen weitgehend defensiv. Insbesondere nach dem Verfassungsplebiszit von 1980, bei dem sie mehrheitlich gegen den Regierungsentwurf eingetreten waren, setzte eine lange Phase der Unbeweglichkeit ein. Erst mit dem Ausbruch der Wirtschaftskrise kam es wieder zu größeren öffentlichen Manifestationen, welche seit Mai 1983 - im Gefolge von Streiks, Studentendemonstrationen usw. - in die Nationalen Protesttage mündeten. Diese wurden initiiert von den Gewerkschaften und vereinten die verschiedensten sozialen Gruppierungen im Protest gegen die Krise. In diesem Kontext gelang mit der Gründung des Comando Nacional de Trabajadores (CNT) am 21. Mai 1983, welches sich aus der Kupfergewerkschaft sowie aus den vier Dachverbänden CNS, UDT, FUD und CEPCH zusammensetzte, ein wichtiger Schritt in Richtung auf die Gewerkschaftseinheit. Ziel des CNT war, über die Protesttage die Parteien zu aktivieren und die Regierung zu destabilisieren. Im folgenden Jahr 1984 zeigte sich jedoch, daß die Gewerkschaften die Proteste zwar zu initiieren, nicht jedoch zu führen vermochten. Der Mangel an einer einheitlichen sozialen Führung hatte zur Folge, daß sich die Mobilisierungskraft der Protesttage langsam erschöpfte. Gleichzeitig gewannen die Parteien stärkeren Einfluß auf die Bewegungen. Mit Büchi begann die Regierung überdies langsam eine neue Politik der Dialog-Suche mit der Opposition, um den von der Verfassung vorgesehenen Übergang zu demokratischeren Verhältnissen einzuleiten. Die Parteien entwickelten in dieser Situation verschiedene Projekte für Pakte und Allianzen, um zu einem Konsens zu finden. Ein erster Schritt in diese Richtung war im August 1985 die "Nationale Übereinkunft", welche trotz erheblicher Divergenzen bezüglich der Haltung zur Verfassung und der Exklusivität oder Inklu161

sivität der zu schließenden Bündnisse sowie bezüglich der Frage, ob die richtige Taktik gegenüber der Regierung eher Druck durch Mobilisierungen oder eher Verhandlungen zu implizieren habe, demonstrierte, daß die Opposition zur Entwicklung einer politischen Alternative in der Lage war. Angesichts dieser Situation gewannen die Parteien an Protagonismus innerhalb der Opposition. Im Rahmen der Vorbereitungen für die Wahlen {Ley de Inscripciones y de Registros Electorales von 1986 und Ley de Partidos Políticos von 1987), mit denen die Opposition zur Akzeptanz der von der Verfassung vorgeschriebenen Agenda gezwungen werden sollte, wurde den Gewerkschaften deutlich, daß sie, um ihre Mobilisierungsfähigkeit aufrechterhalten zu können, innere Restrukturierungen vorzunehmen hatten. Für eine verbesserte soziale Repräsentativität war es notwendig, sektoralen und Basis-Problemen größere Beachtung zu schenken und für die anstehenden aktuellen Probleme spezifischere Lösungsstrategien zu entwickeln. Angesichts dieser Aufgaben konstituierte sich im August 1988 der neue zentrale Dachverband CUT (Central Unitaria de Trabajadores). Die Parteien In wenigen Ländern haben die politischen Parteien über einen so langen Zeitraum hinweg eine so prominente Rolle gespielt wie in Chile. Bis zum Putsch von 1973 gehörten sie zu den wichtigsten gesellschaftlichen Institutionen und galten als Synonym für die chilenische Demokratie. Die Entwicklung der chilenischen Parteien ist eng mit der des Staates verbunden. Ihre Struktur hat über Generationen hinweg wahre Subkulturen um die grundlegenden gesellschaftlichen (sozioökonomischen und weltlich-religiösen) Formationen und Konflikte hervorgebracht. Diese Subkulturen, im Rahmen einer klar definierten Institutionalität, erklären zum Teil die hohe Stabilität des Wahlverhaltens. Der Zusammenbruch dieses Systems bedeutete den Bruch mit einem bewährten Grundkonsens; die Diktatur drückte die tiefgreifende Krise des Institutionensystems aus. Trotzdem gelang es ihr nicht, das Parteiensystem zu zerstören. Die Diktatur machte grundsätzlich das Parteiensystem für alle Fehlentwicklungen in Chile verantwortlich. Entsprechend wurden noch im September 1973, unmittelbar nach dem Putsch, die meisten Parteien sowie grundsätzlich alle parteipolitischen Aktivitäten verboten. Die rechten Parteien lösten sich selbst auf. Obwohl einzelne ihrer Angehörigen in der Regierung vertreten waren, zog diese es doch grundsätzlich vor, "apolitische" Technokraten zu berufen.

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Während der ersten zehn Jahre der Diktatur blieben die Parteien jedoch ein kultureller Faktor, der nicht ignoriert werden konnte, wenn er auch keine unmittelbaren Einflußmöglichkeiten auf die Regierungstätigkeit hatte. Das Land teilte sich in Parteigänger und Gegner der Diktatur. Innerhalb der Parteien, insbesondere bei den Linken und den Christdemokraten, fanden weitgehende Reflexionsprozesse statt, wobei die Intellektuellen eine führende Rolle gewannen. Dadurch wurden tiefgreifende innere Transformationsprozesse eingeleitet, wenn auch das traditionelle Schema von Linker, Rechter und Zentrum grundsätzlich erhalten blieb. Mit den Protesten des Jahres 1983 erschienen die Parteien erneut auf der politischen Bühne. Die Erneuerung der Sozialistischen Partei und die Aufgabe der Politik des eigenen Weges durch die Christdemokraten ermöglichten es, eine gemeinsame Strategie gegen die Diktatur zu entwickeln, die im Plebiszit von 1988 und in der Konstitution der Concertación de Partidos por la Democracia gipfelte. Entwicklung der rechten Parteien Unter der Regierung Freis hatten sich die beiden traditionellen Rechtsparteien, die Konservativen und die Liberalen, zur Nationalen Partei vereinigt. Nach dem Putsch löste sich diese Partei selbst auf und trat damit die politische Repräsentation der von ihr vertretenen sozialen Gruppen und ihre politische Eigenständigkeit an die Diktatur ab. In ihrer Mehrheit übernahm sie den neoliberalen Diskurs und akzeptierte den militärischen Autoritarismus einschließlich der von den Militärs propagierten Idee der Notwendigkeit einer Neugründung der chilenischen Gesellschaft, weil die Demokratie in allgemeine Dekadenz gemündet sei. Damit erwies sich ihr früheres Verhältnis zur Demokratie als ausschließlich instrumenten. Mit der Krise von 1981 gab die Rechte ihre bedingungslose Unterordnung unter die Diktatur auf. Sie hatte ihre Macht unter der Bedingung delegiert, daß die Diktatur wirtschaftliche und politische Stabilität sicherte. Da dies nicht mehr gewährleistet schien, begannen sich die politischen Eliten der Rechten erneut parteipolitisch zu organisieren. 1983 - zum Teil auch als Antwort auf die Organisation der anderen gesellschaftlichen Kräfte - bildeten sich zahlreiche Gruppen, die unterschiedliche Strategien und Programme verfolgten. Drei grundsätzliche Tendenzen lassen sich unterscheiden: Die stärkste Kraft mit dem größten Einfluß auf die Regierung waren die Neoliberalen, repräsentiert von der Unión Democrática Independiente und dem Movimiento de Unidad Nacional. Die zweite Richtung repräsentierte die Tradition der chilenischen Rechten vor dem Putsch; dazu gehörten die Derecha Republicana und der Partido Nacional. Diese Parteien hielten eine größere Distanz zur Regierung, 163

wobei insbesondere der Partido Nacional im Vorfeld des Plebiszits auf immer offeneren Oppositionskurs zu Pinochet ging und immer stärker für die Redemokratisierung eintrat. Die dritte Gruppe waren die Nationalisten, welche sich der Regierung gegenüber loyal verhielten, jedoch nicht über einen mit den Neoliberalen vergleichbaren Einfluß auf diese verfügten. Insgesamt ist bei den rechten Parteien eine neuer Stil zu beobachten, der von relativ jungen Politikern geprägt wird und der sich durch ein kulturalistisches Politikverständnis auszeichnet. Dabei wird der Bildung neuer Gemeinschaft große Bedeutung beigemessen, während das Verhältnis zur Demokratie ein rein instrumentelles ist. Die Utopie ist die einer freien Gesellschaft, die sich über den Markt selbst reguliert, deren Konstituierung jedoch jedes politische Mittel rechtfertigt. 1987 - im Vorfeld des Plebiszits über die Verlängerung der Amtszeit Pinochets - gab es Bestrebungen, die Rechten in der Bewegung der Renovación Nacional zu einem Zweckbündnis zu vereinigen, was jedoch an der mangelnden Bereitschaft zu Zugeständnissen scheiterte. Die Diktatur endete so mit einer in sich zutiefst gespaltenen und unter sich zerstrittenen Rechten. Die Erneuerung der sozialistischen Partei Die Niederlage der Unidad Popular und der repressive Charakter der Militärdiktatur, welche sich bald nicht lediglich als Übergangserscheinung entpuppte, sondern eine beträchtliche Stabilität aufwies, waren die entscheidenden Auslöser dafür, daß innerhalb der Linken eine tiefgreifende Diskussion über die Frage der Demokratie einsetzte. Aus diesem Prozeß, einem langsamen, aber grundlegenden kulturellen Wandel, ging ein neuer demokratischer Sozialismus hervor, der einen völlig neuen Begriff von Menschenrechten und eine ganz neue Wertschätzung der Demokratie aufwies, der dem Leninismus eine Absage erteilte und neue Politikformen entwickelte. Entscheidendes Ereignis auf diesem Weg war die Spaltung der Sozialistischen Partei im Jahre 1979 in einen Flügel, der für die Fortsetzung der sozialistisch-kommunistischen Perspektive votierte und einen anderen, der auf eine Neuformulierung der Tradition des demokratischen Sozialismus aus war. Die Spaltung verschärfte sich und gewann zunehmend an Profil dadurch, daß nach dem Verfassungs-Plebiszit von 1980 die KP ihre Strategie vollständig änderte. Die bis dahin verfolgte, ursprünglich im Rahmen der Dritten Internationale entwickelte Bündnispolitik der KP, die auf die Errichtung einer bürgerlichen Demokratie als Voraussetzung für eine sozialistische Revolution und auf die Möglichkeit eines friedlichen Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus orientiert war, wurde aufgegeben, weil man zu der Überzeugung gelangt war, daß mit dem Plebiszit sämtliche gewaltlosen Alternativen versperrt seien. 164

Damit bildeten sich innerhalb der Linken zwei grundsätzliche Strategien einer Konfrontation mit der Diktatur heraus, die mit dem Plebiszit von 1988 kulminierten: Eine, die die Notwendigkeit der Herstellung neuer politischer und kultureller Konsense betonte, welche den friedlichen Wechsel von der Diktatur zur Demokratie ermöglichen sollten; die andere, welche es für notwendig hielt, alle Kampfformen zu benutzen und miteinander zu kombinieren, wobei die Bedeutung des bewaffneten Kampfes hervorgehoben wurde. Der erneuerte Sozialismus basierte auf einer kritischen marxistischen Position in der Tradition Gramscis, welche Politik als einen rationalen Prozeß der Konsenssuche versteht. Demokratie ist dabei ein Wert an sich und wird als sozialer Prozeß verstanden, der im Sozialismus kulminiert. Entsprechend wird auch Bündnispolitik nicht mehr in erster Linie unter taktischen, sondern unter konstruktiven Gesichtspunkten gesehen, das heißt, sie dient dazu, das gesellschaftliche Netz zu reorganisieren. Damit einher geht die Trennung von sozialen Akteuren und politischen Parteien bzw. die Herstellung ihrer wechselseitigen Autonomie, wobei die sozialen Akteure durch korporatistische und kurzfristige Interessenorientierung charakterisiert sind, während die Aufgabe der politischen Parteien exklusiv im parlamentarischen Bereich politischer Meinungsbildung liegt. Zusammen mit den Christdemokraten und der Radikalen Partei bildeten die Reformsozialisten 1983 die Alianza Democrática, über welche sie die historische Spaltung des Landes in drei sich gegenseitig blockierende Machtblöcke zu überwinden trachteten. Im Rahmen dieser Alianza Democrática konstituierten sich die Reformsozialisten als eigenständige Partei, während der von Clodomiro Almeyda geführte traditionelle Flügel zunächst seine Bündnispolitik mit der KP fortsetzte. Im Vorfeld des Plebiszits von 1988 war der PS an der Concertación de Partidos Democráticos por el NO beteiligt, zu der auch die Gruppe um Almeyda stieß. In dieser Situation bildeten die Reformsozialisten den Partido por la Democracia als eine nicht ideologisch festgelegte Sammlungspartei und als ein Zweckbündnis, in der jedoch die Sozialisten das entscheidende Gewicht hatten. Neuorientierung der Christdemokraten Die Christdemokraten, die seit ihrer Gründung in den fünfziger Jahren bis zu ihrem Wahlsieg von 1964 in kürzester Zeit etwa ein Drittel des Wählerpotentials hatten mobilisieren können, zogen aus dieser Erfolgsgeschichte die Konsequenz, daß sie aus eigener Kraft und ohne längerfristige Bündnisse mit anderen Parteien einzugehen, zur Regierungsbildung in der Lage waren. Dies führte zur Formel des "eigenständigen Weges" zwischen Linken und Rechten und zur Ablehnung von Koalitionsregierungen. Die Opposition der Rechtspar-

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teien gegen die Agrarreform, die Radikalisierung der Linken auch in Abgrenzung zur Christdemokratie und der rapide Verfall der Radikalen Partei als des traditionellen politischen Zentrums machten damit zwar die Christdemokraten im programmatischen Sinne zur neuen Zentrumspartei; sie wurde dies jedoch nicht in dem Sinne von Kompromißfahigkeit. Unter der Regierung Allendes verstärkte die ablehnende Haltung der Sozialisten gegenüber Bündnissen außerhalb der Unidad Popular diese Position. Gleichzeitig führte die Radikalisierung der politischen Auseinandersetzungen dazu, daß die Christdemokratie (DC) die politische Initiative immer mehr an die Rechte verlor, die zum Führer der Opposition gegen Allende wurde. Die drei traditionellen Kräftegruppierungen verstrickten sich in eine tödliche Auseinandersetzung von zwei antagonistischen Polen aus: die Unidad Popular auf der einen Seite und die Confederación Democrática, in der sich die Rechten und die Christdemokraten zusammenfanden, auf der anderen. Die DC war so eine entscheidende Kraft beim Zustandekommen des Putsches. Die Mehrheitsposition innerhalb der Partei begrüßte den Umsturz und machte die Regierung Allende dafür verantwortlich. Die DC bekam jedoch sehr schnell die Folgen der Diktatur zu spüren. Dennoch lehnte sie weiterhin jegliches Zusammengehen mit den Linken ab und hielt an der Inkompatibilität des christdemokratischen Projekts mit marxistisch-leninistischen Prinzipien fest. Das Plebiszit von 1980 bedeutete dann insofern einen entscheidenden Wendepunkt, als die Oppositionsparteien gemeinsam gegen die Verfassung von Pinochet stimmten. Damit setzte ein Diskussionsprozeß ein, bei dem die Notwendigkeit demokratischer Übereinkünfte und konsensorientierter Praktiken immer stärker betont wurde. Ergebnis dieses Umdenkens war die Unterzeichnung des Manifiesto Democrático im März 1983 sowie die Bildung der Alianza Democrática im August 1983 - zusammen mit Angehörigen der Radikalen und Sozialistischen Partei sowie der demokratischen Rechten. Manifest und Allianz entwickelten ein Dringlichkeitsprogramm, welches sich auf einen breiten Konsens stützen und dazu dienen sollte, die produktiven Kapazitäten des Landes zu entwickeln, um darüber das Beschäftigungsproblem zu lösen und soziale Mißstände zu beseitigen. Die Demokratie sei nur über die Herausbildung eines neuen solidarischen Gemeinschaftsgefühls der Nation und auf der Grundlage gegenseitigen Respekts, über die Beseitigung jeglichen Sektierertums und bei grundsätzlicher Ablehnung von Gewalt zu erreichen. Die Unfähigkeit zu Kompromissen und Bündnissen wurde jetzt als eine entscheidende Ursache für den Zusammenbruch des demokratischen Systems im Jahre 1973 erkannt. Diese neue Strategie der Christdemokraten, breite Bündnisse, insbesondere mit den Sozialisten, einzugehen, um auf diesem Wege die Diktatur zu stürzen und die Redemokratisierung zu ermöglichen, hatte ihren ersten großen Erfolg 166

mit dem Plebiszit von 19S8 und kulminierte in der Bildung der Regierung der Concertaciön und der Wahl Patricio Aylwins zum Präsidenten. Die alternative, von der KP verfolgte Strategie einer gewaltsamen Beseitigung der Diktatur war damit in die Minderheitenposition gedrängt. 2. Sozialer Ausgleich, Demokratie und Wettbewerbsfähigkeit: Die Herausforderung für die demokratische Regierung Der demokratische Übergang Der Triumph der Opposition beim Plebiszit von 1988 stellte für die Spitzen der Militärregierung, Pinochet eingeschlossen, eine Überraschung dar. Diese hatten einen langsamen Übergang geplant, bei dem sich der Diktator nur schrittweise zurückzog, während die neuen Institutionen zu arbeiten begannen. Das Wahrscheinlichste schien zu sein, daß die Demokratie mit dem Ableben Pinochets kommen würde. Demgegenüber sah sich die Regierung jetzt gezwungen, innerhalb einer kurzen Frist Wahlen vorzubereiten und durchzuführen. Gleichzeitig mußte sie mit der Opposition über die Modalitäten des Übergangs zur Demokratie verhandeln und eine Übereinkunft darüber erzielen, wie die verfassungsmäßigen Institutionen diesem Übergang anzupassen waren. So wurde zwischen der Militärregierung, den rechten Parteien und der Opposition ein Abkommen über eine erste größere Reform der Verfassung von 1980 abgeschlossen. Im Wahlkampf formierten sich weitgehend dieselben Kräftegruppierungen wie aus Anlaß des Plebiszits von 1988. Die Concertaciön de Partidos por la Democracia vereinte insgesamt 17 Organisationen, von denen die wichtigsten die Christdemokraten, der Partido por la Democracia, die beiden Sozialistischen Parteien und die Radikale Partei waren. Dieses Bündnis mit seinem Präsidentschaftskandidaten Patricio Aylwin erreichte 54 Prozent der abgegebenen Stimmen. Auf der anderen Seite standen die Rechtsparteien, insbesondere bestehend aus der der Regierung Pinochet gegenüber relativ kritischen Renovación Nacional (RN) und der Pinochet nahen Unión Democrática Independiente (UDI). Letztere setzte ihren Kandidaten Hernán Büchi durch, der 28 Prozent der Stimmen erhielt. Ein dritter Kandidat, Francisco Javier Errázuriz, der aus dem rechten Unternehmertum kam und sich selbst in einer mittleren Position zwischen den beiden anderen Alternativen sah, bekam 15 Prozent der Stimmen. Bei den Parlamentswahlen erhielt die Concertaciön 22 Senatorensitze, während auf die Rechten 16 entfielen; zu diesen kamen jedoch weitere 8 designierte Senatoren hinzu, sodaß die Regierungsparteien insgesamt in der Minderheitsposition waren. In der Deputiertenkammer erhielten die Concertaciön 167

72 Sitze und die Rechten 48. Damit fehlten den Regierungsparteien 8 Sitze für eine Zwei-Drittel-Mehrheit, die notwendig war, um Verfassungsreformen oder vom Senat abgelehnte Gesetzesprojekte durchsetzen zu können. Die grundlegende Aufgabe, die für die Regierung der Concertaciön anstand, war die Herbeiführung und Konsolidierung eines neuen demokratischen Konsenses, nachdem in den vergangenen 30 Jahren drei Projekte einer Neubegründung der Gesellschaft - angesichts der Erschöpfung des Importsubstitutionsmodells - zum Teil mit verheerenden sozialen Folgen gescheitert waren: Die "Revolution in Freiheit" der Christdemokraten, der "Chilenische Weg zum Sozialismus" der Unidad Populär und die kapitalistische Neugründung von Pinochet. Alle drei Projekte waren exklusiv im Interesse eines Drittels der Bevölkerung und gegen den Rest der Gesellschaft gerichtet. Entsprechend ging es der Regierung der Concertaciön jetzt darum, ein integratives Projekt zu entwickeln, welches die gleichzeitige Ausweitung politischer und sozialer Staatsbürgerrechte implizierte. Voraussetzung dafür war, daß die Demokratisierung gekoppelt war an einen Prozeß dynamischen wirtschaftlichen Wachstums, welches den wirtschaftlichen Akteuren Stabilitätsgarantien leisten und darüber die Regierbarkeit des Landes sichern konnte. Das Schreckgespenst einer im wirtschaftlichen und politischen Chaos versinkenden Demokratie, mit dem die Rechtsparteien ihren Wahlkampf geführt hatten, galt es zu widerlegen. Es galt zu beweisen, daß es möglich ist, Wachstum und wirtschaftliche Effizienz mit fortschreitender Demokratisierung und zunehmender sozialer Gerechtigkeit zu verbinden.

Das institutionelle Modell der Regierung der Concertaciön Seit Amtsübernahme der Regierung der Concertaciön im Jahre 1990 definierte diese ihre politische Strategie als eine der Vertiefung und Vervollständigung der demokratischen Institutionen. Diese Strategie verband die nationale Tradition, demokratische Entwicklung als unabdingbares Element der politischen und institutionellen Kultur des Landes zu verstehen, mit dem neuen Konzept einer auf Konsens beruhenden Rekonstruktion des politischen Systems, welches die Stabilität und Regierbarkeit des Landes sichern sollte; das institutionelle Modell der Concertaciön verband somit Elemente der Kontinuität mit solchen des Wandels. Die chilenische Verfassungstradition ist durch eine hohe Kontinuität des liberalen und demokratischen Rechtsstaats charakterisiert, bei der der Liberalismus früh eine Einheit mit dem demokratischen Prinzip eingegangen ist: Der Liberalismus hat sich in Chile seit dem vergangenen Jahrhundert grundsätzlich als Antiautoritarismus und als Prinzip der Volkssouveränität, das heißt als Prozeß fortschreitender Demokratisierung verstanden. Das Prinzip der Volkssou168

veränität war dabei seinerseits durch liberale Prinzipien der Gewaltentrennung und der verfassungsstaatlichen Garantie individueller Freiheitsrechte sowie durch das politische Repräsentativsystem begrenzt. Das allgemeine und gleiche Wahlrecht, das Mehrheitsprinzip und ein pluralistisches Parteiensystem sind zentrale Elemente dieses Systems. Trotz des hohen Verfassungskonservatismus hat das System so doch eine erhebliche, konsensbasierte Adaptationskapazität an fortschreitende Demokratisierungsforderungen bewiesen. Materielle Grundlage dieses Konsenses war seit den dreißiger Jahren das Importsubstitutionsmodell. Mit dessen Erschöpfung setzte seit der zweiten Hälfte der sechziger Jahre eine Radikalisierung bei den gesellschaftlichen und politischen Gruppierungen ein, welche zur Spaltung der Gesellschaft und zur Aufkündigung des Konsenses führte; der sukzessive Reformismus wurde damit unterbrochen . Die Verfassung von 1980 bedeutete den radikalen Bruch mit der bisherigen Verfassungstradition. Die Regierung der Concertaciön ist mit dieser neu geschaffenen Verfassungsrealität konfrontiert. Aufgrund der realen Machtverhältnisse, welche sich in den parlamentarischen Mehrheitsverhältnissen und der sich daraus ergebenden Veto-Kapazität der rechten Parteien ausdrückt, ist es ihr nicht möglich, eine grundsätzliche Verfassungsdebatte anzustrengen. Sie hat vielmehr lediglich die Möglichkeit, ausgehend von der Verfassung Pinochets, diese schrittweise zu reformieren und darüber zunächst vor allem die enclaves autoritarios zu überwinden. Dies ist - aufgrund des von der Verfassung vorgesehenen Quorums - überdies nur möglich über die Herstellung eines Konsenses mit der politischen Rechten. Letzteres bedeutet, daß das Demokratiemodell, auf das die Verfassungsreform der Concertaciön hin orientiert ist, im Unterschied zur älteren chilenischen Verfassungstradition keine Mehrheitsdemokratie ist, sondern ein Konsensualmodell. Im Prozeß des Übergangs vom autoritären zum demokratischen Regime könne ein Konsensualmodell eher für Stabilität sorgen als ein Mehrheitsmodell: Durch den Minderheitenschutz sei es eher geeignet, die gesellschaftlichen Polarisierungen zu überwinden und auch die antidemokratischen Gruppierungen in das demokratische System einzubinden (vgl. Flisfish 1990). Es habe sich gerade in der chilenischen Geschichte erwiesen, daß das Mehrheitsprinzip zur Herrschaft der numerischen Mehrheit über die Minderheit geführt habe, wodurch es schwierig geworden sei, Legitimität und Stabilität miteinander in Einklang zu bringen. Vielmehr hätten situationsbedingte Veränderungen der Wahlergebnisse und der daraus resultierenden Mehrheitsverhältnisse zu drastischen Politikwechseln geführt - mit der Konsequenz, daß der Grundkonsens für das parlamentarisch-demokratische System zerbröckelte. Demgegenüber sei die Kompatibilisierung des allgemeinen Wahlrechts als des Grundprinzips, über das sich die Legitimität politischer Herrschaft konstituiere, mit dem Konsensprinzip in der politischen Praxis die wirksamste Methode, um das politische System zu stabilisieren. Damit verlangsame sich 169

zwar der Prozeß politischer Entscheidungsfindung; die Respektierung und Einbindung der politischen Minderheiten sei jedoch gewährleistet und darüber sei die sukzessive Anpassung der politischen Institutionen an demokratische Prinzipien möglich. Das politisch-institutionelle Modell der Concertaciön sucht überdies, die Konsensdemokratie und das pluralistische Parteiensystem mit dem Präsidialregime zu verbinden. Dies wird dann für möglich erachtet, wenn sich die Wählerstimmen mehrheitlich bei den gemäßigten Parteien der Mitte konzentrieren. Die Politik der Regierung müsse dabei auf die Erhöhung der Toleranzund Kompromißfähigkeit der Parteien orientiert sein, vor allem, indem sie diese Prinzipien selbst praktiziert. Das Entwicklungsmodell der Regierung der Concertaciön Zum Zeitpunkt der Redemokratisierung wies die chilenische Wirtschaft zwar hohe Wachstumsraten auf, aber die Dominanz der Rohstoffsektoren in der Exportwirtschaft und ihre geringe Verflechtung mit dem Rest der Wirtschaft machten die baldige Erschöpfung dieses Exportmodells wahrscheinlich, zumal die chilenischen Exportprodukte auf dem US-Markt bereits erheblichen Restriktionen ausgesetzt waren. Gleichzeitig war die wirtschaftliche Stabilität durch die rapide Ausweitung des Konsums der höheren Einkommensempfänger (aufgrund kontinuierlicher Steuererleichterungen) bedroht, während auf der anderen Seite das Elend bei den Armen wuchs und die Gewerkschaften nicht länger bereit waren, die einseitige Belastung der Arbeiter bei der Bezahlung der sozialen Kosten für die Anpassung hinzunehmen. Der Übergang zur Demokratie selbst brachte eigene politische Ungewißheiten mit sich: Es bestand die Notwendigkeit, die Streitkräfte ziviler politischer Kontrolle zu unterstellen, während gleichzeitig Pinochet das Oberkommando des Heeres beibehielt; über die Lösung der Konflikte im Zusammenhang mit den Menschenrechtsverletzungen unter der Diktatur bestand völlige Unklarheit; zwischen den Parteien der neuen Regierung und denen der neuen Opposition herrschte ein Klima äußersten Mißtrauens; das Verhältnis zwischen Unternehmern und Arbeitern war durch ein erhebliches Konfliktpotential charakterisiert; die Marktwirtschaft entbehrte bei der Mehrheit der Bevölkerung jeglicher Legitimitätsgrundlage. Damit bestand insgesamt eine Konfliktkonfiguration, die durchaus nicht geeignet schien, der neuen Regierung wirtschaftspolitische Handlungsspielräume zu eröffnen. Die langjährige Unterdrückung sozialer Forderungen und die Strangulierung der Grundbedürfnisbefriedigung ließen eine Erwartungsexplosion befürchten, welche die demokratische Regierung zu populistischen Praktiken und damit zur Wiedereröffnung des inflationären Zyklus verführen könnte. Die Erinnerung

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an die katastrophalen Folgen der Wirtschaftspolitik der Unidad Populär, bei der die Sozialistische Partei, jetzt erneut an der Regierung beteiligt, federführend war, war noch lebendig. Hinzu kamen die Erfahrungen anderer Länder, insbesondere auch Argentiniens, die im Prozeß der Demokratisierung vorangeschritten waren und die sich jetzt zwischen Stagnation und Hyperinflation befanden. In diesem Kontext gab es die Befürchtung, daß viele Unternehmenssektoren, verschreckt durch diese Perspektiven, zu inflationärem und spekulativem Verhalten übergehen und damit den Prozeß produktiven Wachstums bremsen könnten. Angesichts dieser Situation trat das Wirtschaftskabinett der Concertaciön für einen verbindlichen und eindeutigen Verzicht auf jeglichen Populismus ein. Das Problem war jedoch, diese Stabilitätsorientierung mit der Einlösung der "sozialen Schuld" zu verbinden, welche die Parteien der Concertaciön im Wahlkampf versprochen hatten. Es ging darum, die politische Demokratie mit den Zielen wirtschaftlicher Stabilität und Wachstums einerseits, mit sozialer Gerechtigkeit andererseits in Einklang zu bringen. Dies war nur auf der Grundlage von Konsensen bezüglich wirtschaftspolitischer Maßnahmen in einem Klima gegenseitiger Verständigung und mit Hilfe des permanenten Dialogs möglich. Als ersten Schritt in diese Richtung gelang es, einen grundsätzlichen Konsens darüber herbeizuführen, daß die makroökonomische Stabilität Priorität behalten und die Öffnungspolitik fortgesetzt werden müsse, um darüber die fortgesetzte Modernisierung der Ökonomie zu erreichen. Auch hinsichtlich der Notwendigkeit einer Verbesserung der Grundbedürfhissituation wurde grundsätzliche Einigkeit erzielt. Die Schwierigkeiten bei der Kompatibilisierung dieser Ziele waren jedoch immens. Die Auswertung der Wirtschaftspolitik Büchis hatte die entscheidende Bedeutung der Exportförderungspolitik deutlich gemacht, die über die großzügige Subventionierung der Exportwirtschaft durch die gesamte Gesellschaft, vermittels der Währungs- und Privatisierungspolitik, ermöglicht worden war. Als entscheidend hatte sich weiterhin die wirtschaftliche Stabilität erwiesen, die durch die Kürzung der Sozialausgaben und Senkung der Löhne erreicht worden war. Damit schien die Lösung der sozialen Probleme nur auf Kosten der für den wirtschaftlichen Erfolg zentralen Elemente möglich zu sein. Weiterhin erforderte es die Aufrechterhaltung des Wirtschaftswachstums, daß als dessen Grundlage wirtschaftliche Stabilität beibehalten wurde. Gleichzeitig erschien ein sozialer Ausgleich, Grundbedingung einer demokratischen Konsolidierung, abhängig von einer Wachstums- und produktivitätsorientierten Industrialisierungspolitik, die auf einen erhöhten Verarbeitungsgrad der Exportproduktion gerichtet ist, sowie von der grundsätzlichen Bereitschaft zur sozialen Konzertation im Bereich kollektiver Tarifverhandlungen, die die Anbindung der Löhne an das Produktivitätswachstum erlaubt. 171

Entscheidend für die hieraus resultierende Strategie war, daß sie zwei voneinander unabhängige Logiken verfolgte: Eine Wachstunisstrategie neben einer Verteilungsstrategie (vgl. Muiioz 1991). Daraus ergaben sich bereits auf der konzeptionellen Ebene grundsätzliche Probleme: War es überhaupt möglich, eine Strategie sozialer Konzertierung zu entwickeln, wenn dies auf der Grundlage eines Wachstumsmodells erfolgte, welches weitgehend auf dem Ressourcentransfer von den Lohneinkommen und dem öffentlichen Sektor in den Exportsektor funktionierte? Die Arbeiter hatten bereits derartige Opfer gebracht, daß es unmöglich war, die Hoffnungen auf einen Ausgleich weiterhin auf die Zukunft zu verschieben und auf dieser Grundlage die Konzertierung zu erreichen. Diese war vielmehr nur möglich, wenn das Wachstumsmodell Gewinne für alle Beteiligten abwarf. Das bedeutete, daß eine bloße Fortsetzung des bisherigen rohstoffbasierten Exportmodells auch aus dieser Perspektive nicht in Frage kam. Entscheidend für die Kompatibilisierung von Wachstum, sozialem Ausgleich und politischer Demokratie war somit, ob es gelang, das Exportmodell in eine zweite Phase seiner Entwicklung zu überführen und über einen wachsenden nationalen Wertschöpfungs- und Verarbeitungsgrad der Produktion durch die Einfuhrung technologischer Innovationen und die zunehmende Verflechtung zwischen den verschiedenen Wirtschaftssektoren die vorhandenen, statischen komparativen Vorteile langsam zu dynamischen Wettbewerbsvorteilen auszubauen und darüber langfristig ein sich selbst tragendes Wachstum zu erreichen. 3. Die Politik der Regierung der Concertaciön: Kompatibilisierung von Wachstum, sozialem Ausgleich und Demokratie? Der Prozeß institutioneller Demokratisierung: Probleme der Konsensdemokratie Nach dem Plebiszit von 1988 basierten die Verhandlungen zwischen der Regierung Pinochet und der Concertaciön über den Übergang zur Demokratie auf der grundsätzlichen Akzeptanz der Verfassung von 1980. Der demokratische Übergang selbst machte jedoch einige Verfassungsreformen notwendig. Während sich innerhalb der Regierung einige Gruppen, die der UDI nahestanden, jeglichen Reformen gegenüber versperrten, waren der RN nahestehende Gruppen eher zu einer Verständigung mit der Concertaciön bereit. Die Concertaciön bildete daraufhin mit RN eine Verfassungskommission, die Reformvorschläge ausarbeiten sollte. Diese Vorschläge betrafen unter anderem die Zusammensetzung des Senats, vor allem die Aufstockung seiner Mitgliederzahl, eine proportionalere Repräsentation der Regionen und Abschaffung der designierten Senatoren; die Herabsetzung des für Verfassungsreformen not172

wendigen Quorums auf die absolute Mehrheit; die Herabsetzung der Amtszeit für die Oberkommandierenden der Streitkräfte mit der Möglichkeit einer erneuten Designation; sowie die Reorganisation des Nationalen Sicherheitsrats mit dem Ziel einer gleichen Zahl ziviler und militärischer Mitglieder. Bei der folgenden Aushandlung der Reformen zwischen der Regierung Pinochet, Renovación Nacional und der Concertación konnte die Mehrzahl dieser Vorschläge jedoch nicht durchgesetzt werden. Die Verfassungsreform von 1989 stellte lediglich ein paktiertes Minimalprogramm dar, welches die Einleitung des demokratischen Übergangs ermöglichte, indem es Sicherheiten für alle beteiligten Gruppen gewährte. Trotzdem wurden einige wichtige Ergebnisse erzielt, wie die Bestätigung der Menschenrechte, die Beendigung des Exils, die Stärkung der Informationsfreiheit, die Aufstockung der Anzahl der zu wählenden Senatoren, eine gewisse prozedurale Flexibilisierung für Verfassungsänderungen und die Einführung von Schutzmaßnahmen der Bürger gegenüber administrativen übergriffen. Alle diese Reformen, so unzureichend sie auch insgesamt waren, trugen doch dazu bei, daß der demokratische Übergang friedlich vonstatten ging. Das Regierungsprogramm der Concertación sah dann bezüglich der Verfassungsreform folgende Punkte vor: - Parlamentsreform mit dem Ziel einer proportionaleren Repräsentation in beiden Kammern, unter anderem durch Abschaffung der designierten Senatoren und Erhöhung der Abgeordnetenzahl; - Garantie eines breiten politischen Pluralismus und Verbot antidemokratischer Aktivitäten mit dem Ziel eines reformierten Parteiengesetzes, welches auf den Prinzipien der Assoziationsfreiheit und der inneren Demokratie beruht; - Veränderung in Zusammensetzung und Funktion des Nationalen Sicherheitsrats; dieser soll zu seinen Mitgliedern auch den Präsidenten des Deputiertenhauses zählen und die Funktion eines beratenden Gremiums für den Staatspräsidenten annehmen; - Abschaffung des Verbots einer Personalunion zwischen Verbands- und Parteifunktion; - Ein- und Absetzbarkeit der Oberkommandierenden der Streit- und Ordnungskräfte durch den Staatspräsidenten; - Demokratisierung der Kommunen und Regionalregierungen; - Dezentralisierung der öffentlichen Verwaltung; - Aufwertung der Kompetenzen des Kongresses und dadurch Schaffung eines Kräftegleichgewichts zwischen den Gewalten; - Bestätigung des Prinzips der Verteidigung gegenüber Menschenrechtsverletzungen; diese können kein Gegenstand einer Amnestie sein; - Reform und Modernisierung der Justizverwaltung; veränderte Zusammensetzung des Verfassungsgerichts und des Tribunal Calificador de Elecciones-, 173

Die Erfolgsbilanz bei der Umsetzung dieses Programms ist äußerst mager. Außer der administrativen Dezentralisierung und der Demokratisierung auf kommunaler und regionaler Ebene scheiterten sämtliche Reformbestrebungen daran, daß die notwendigen Mehrheiten nicht zustande kamen. Das Prinzip der Konsensdemokratie verpflichtete - im Zusammenwirken mit Restriktionen, die sich aus der aktuellen Zusammensetzung des Parlaments ergaben - die Regierung zu permanenten Verhandlungen mit der Opposition, um einen Konsens über jeden Punkt des Reformprogramms zu erzielen. Während RN zunächst eine Politik verfolgte, die auf Übereinkommen mit der Regierung der Concertaciön zielte und eine Zukunftsperspektive zu entwickeln trachtete, welche sie von der autoritären Vergangenheit unabhängig machte, verfolgte die UDI eine strikte Politik der Verteidigung der autoritären Institutionen, in denen die militärische Präsenz gewahrt bleiben sollte. Die Beziehungen zwischen beiden Rechts-Parteien waren während der gesamten Zeit nach der Redemokratisierung äußerst konfliktreich und gespannt. In diesem Kontext verzichtete die Regierung auf ein dauerhaftes Abkommen mit RN, obwohl mit dieser Partei die Verständigung prinzipiell einfacher zu sein schien; vielmehr sicherte sie sich - die Konflikte zwischen beiden Parteien nutzend - bei einigen Gesetzesinitiativen auch die Unterstützung der UDI. So riefen die verschiedenen Reformprojekte jeweils sehr unterschiedliche Verhandlungskonstellationen hervor: Während im Falle der Verfassungsreform hauptsächlich mit den Parteien und Parlamentsfraktionen verhandelt wurde, war die Steuerreform fast ausschließlich Ergebnis eines Verhandlungsprozesses der Regierung mit RN, wobei die übrigen sozialen Akteure und insbesondere auch die Regierungsparteien und UDI vollständig außen vor blieben. Die Arbeitsreform wurde zunächst zwischen Unternehmerverbänden und Gewerkschaften, dann im Parlament und schließlich zwischen der Regierung und den Gewerkschaften ausgehandelt, damit letztere Ergebnisse akzeptierten, die weit hinter ihren Erwartungen zurückblieben. Die Kommunal- und Regionalreform war ein komplizierter Prozeß, bei dem sich politische, ideologische und regionale Interessen vermischten. Insgesamt verfolgte die Regierung bei ihrer gesamten Reformpolitik eine "Salami-Taktik", das heißt, sie suchte für jedes einzelne ihrer Elemente (unterschiedlich konstellierte) parlamentarische Mehrheiten zu gewinnen. Diese Taktik war in vielen Fällen erfolgreich in Bereichen der Wirtschafts-, Arbeits- und Sozialpolitik; sie scheiterte jedoch weitgehend bei den eher strukturellen politischen Themen, weil hier die Rechten an ihren Privilegien als Grundlage ihrer politischen Machtstellung festhielten. Die einzigen Erfolge, die sie auf dem Gebiet der Verfassungsreform erringen konnten, betrafen die administrative Dezentralisierung und Regionalisierung. Die Verfassungsreform über die Regionen und Kommunen wurde im November 1991 verabschiedet. Damit wurde der Weg frei für eine neue 174

Kommunalgesetzgebung, welche ihrerseits die Kommunal wählen vom Juni 1992 vorbereitete. Entsprechend der Verfassung von 1980 wurden bisher die Bürgermeister von der Militärregierung designiert. Das neue Gesetz schrieb dagegen die direkte Wahl der Gemeinderäte vor, die ihrerseits dann die Bürgermeister wählten. Dieses Gesetz stellte somit einen wichtigen Demokratisierungsschritt dar. Es wurde begleitet von der Verlagerung zahlreicher administrativer Aufgaben, die die lokale Entwicklung betreffen, von der zentralen auf die kommunale Ebene. Der wichtigste Schritt auf dem Wege der staatlichen Dezentralisierung wurde mit dem Gesetz über Regierung und Administration der Regionen vom September 1992 getan. Es sah die progressive Verlagerung von Kompetenzen und entsprechend auch finanzieller Ressourcen auf die regionale Ebene vor. Weiterhin zielte es auf die Modernisierung und Effizienzsteigerung der Staatsaktivitäten über klare Kompetenzverteilungen auf die verschiedenen Ebenen. Die oberste Entscheidungsbefugnis über relevante Fragen regionaler Entwicklung wurde dem Regionalrat zugewiesen. Gleichzeitig wurde ein Nationaler Regionalentwicklungsfonds gegründet, welcher ein Programm öffentlicher Investitionen in die soziale und wirtschaftliche Infrastruktur der Regionen zu entwickeln hat. Über diesen Fonds wird ein beträchtlicher Teil der gesamten öffentlichen Investitionen abgewickelt, wobei jeder Region eine bestimmte Quote zugeteilt wird. Die Wahlen zu den Regionalräten fanden im April 1993 statt und leiteten die Bildung der Regionalregierungen ein. Eine konsequente Demokratisierung der Regionen, entsprechend der auf kommunaler Ebene, scheiterte jedoch. Zunächst einmal vollständig gescheitert ist die Justizreform, welcher nach der Regional- und Kommunalreform oberste Priorität im Regierungsprogramm zukam. Die Justiz gehört zu den Institutionen, die in der chilenischen Öffentlichkeit das geringste Vertrauen genießen; entsprechend einer Meinungsumfrage halten 80 Prozent der Bevölkerung eine Justizreform für unbedingt erforderlich (vgl. Instituto para el Nuevo Chile, zitiert in Bitácora Legislativa Nr. 6). Dabei ging es zunächst vor allem darum, daß die Justiz selbst sich während der Diktatur kompromittiert hatte, während gleichzeitig von ihr eine Regelung des Problems der Menschenrechtsverletzungen unter der Diktatur erwartet wurde. Darüber hinaus aber stand eine grundsätzliche Modernisierung und Effizienzsteigerung des Justizapparates und seine Anpassung an ein verändertes gesellschaftliches Umfeld an. Die Regierung wandte sich zunächst dem Problem der Menschenrechtsverletzungen zu. Zu diesem Zecke setzte sie eine Comisión de Verdad y Reconciliación ein, welche Licht in die gesamte Problematik bringen und eine Dokumentation zu den konkreten Fällen erstellen sollte. Diese diente später als Grundlage für konkrete moralische und materielle Wiedergutmachung an den

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Opfern. Eine strafrechtliche Verfolgung der Täter, wie sie von der Öffentlichkeit gefordert wurde, unterblieb jedoch. Eine der wichtigsten Schlußfolgerungen, zu denen die Comisión in ihrem Bericht kam, betraf die Mitverantwortung der Justiz, welche sich zum Komplizen der Diktatur gemacht und ihre unabhängige Position gegenüber der Exekutive nicht genutzt habe (vgl. Informe 1991). Der Oberste Gerichtshof reagierte hierauf defensiv und mit massiver Ablehnung. Dem schlössen sich bedeutende Sektoren der Rechten, insbesondere auch die UDI, an. Das Verhältnis zwischen Justiz und Regierung war fortan gespannt und durch zum Teil hefige Konflikte bestimmt. Unter anderem strengte das Parlament eine Verfassungsbeschwerde gegen drei Richter des Obersten Gerichtshofs an, von denen es schließlich einen seines Amtes enthob - eine Maßnahme, die ohne Vorbild in der chilenischen Geschichte war. Die Frage der Justizreform wurde so zu einer äußerst sensiblen Materie, obwohl auch weite Teile der Rechten die Notwendigkeit einer Anpassung an die demokratischen Institutionen erkannten. Das Reformprojekt, das die Regierung seit April 1991 verfolgte, zielte auf Wiederherstellung der Unabhängigkeit und Integrität sowie Effizienz der Judikative und auf einen verbesserten Schutz des Individuums gegenüber staatlichen übergriffen. Unter anderem sollte das System der Ernennung der Richter des Obersten Gerichtshofs geändert, die Institution eines Defensor del Pueblo gegründet und eine prozedurale Modernisierung des gesamten Apparates durchgeführt werden. Die entschiedenste Opposition gegen dieses Projekt kam von der UDI, welche grundsätzlich gegen jegliche Gesetzesinitiative auf diesem Gebiet votierte. Vollständige Ablehnung erfuhr das Projekt weiterhin durch den Obersten Gerichtshof. Die Regierung sucht seither zu einer Übereinkunft mit Renovación Nacional zu kommen, was aber schon zu beträchtlichen Modifikationen und Abschwächungen am ursprünglichen Entwurf geführt hat. Ein weiteres Element der Verfassungsreform war die Anerkennung der indianischen Bevölkerung als gleichberechtigte Bevölkerungsgruppe, deren kulturelle Eigenheiten unter Schutz gestellt und für die Formen der Partizipation auf allen Ebenen des gesellschaftlichen Lebens entwickelt werden sollten. Dieses Reformprojekt wurde mit gewissen Modifikationen von der Deputiertenkammer angenommen, blieb dann aber im Senat stecken. Im Juni 1992 brachte die Regierung den Entwurf für eine Wahlrechtsreform ein, mit der die designierten Senatoren beseitigt, die Anzahl der Abgeordneten in beiden Kammern erhöht und die Wahlbezirke neu festgelegt werden sollten, um auf diese Weise eine proportionaleres Wahlsystem zu erreichen. Die Möglichkeit der Bildung von Sub-Pakten innerhalb von Wahlbündnissen sowie die Möglichkeit einer Erhöhung der Zahl der Kandidaten sollte zur inneren Demokratisierung der Parteien beitragen. Dieses Projekt wurde bereits in der Deputiertenkammer blockiert. Dasselbe galt für ein Paket verschiedener Verfas176

sungsänderungen (Gleichstellung von Mann und Frau, Parlaments- und Parteireform, Zusammensetzung des Verfassungsgerichts sowie Ernennung und Entlassung der Oberkommandierenden der Streitkräfte durch den Staatspräsidenten), dessen Entwurf ebenfalls im Juni 1992 von der Regierung vorgelegt worden war. Nach drei Regierungsjahren war es somit der Concertación nicht gelungen, die enclaves autoritarios zu beseitigen. Auf diesem Gebiet haben sich mit besonderer Schärfe die Restriktionen gezeigt, welche das Modell der Konsensdemokratie mit sich bringt. Damit ist ein Konflikt angedeutet, der grundlegend für das Modell der Concertación ist: Auf der einen Seite wird die Konsensdemokratie als Grundlage für Regierbarkeit angesehen, weil nur so eine destabilisierende Zuspitzung vorhandenen Konfliktpotentials zu vermeiden sei. Auf der anderen Seite jedoch blockiert die Konsensdemokratie gerade den Prozeß der Demokratisierung und konserviert die autoritären Strukturen. Dies birgt die Gefahr in sich, daß nach wie vor eine Minderheit, zumindest über ihre Veto-Macht, das Sagen hat und damit den von der Regierung angestrebten Konzertierungsprozeß selbst blockiert. Die Lehren, die aus den vergangenen 20 Jahren gezogen worden waren, hatten zu der Erkenntnis gefiihrt, daß der Zusammenbruch von 1973 hätte vermieden werden können, wenn das System über flexiblere konstitutionelle Mechanismen verfügt hätte und wenn das rigide Präsidialsystem nicht unter den Bedingungen des politischen Pluralismus nahezu zwangsläufig zu Minderheitenregierungen geführt hätte, was in die gravierenden Probleme der Instabilität und Unregierbarkeit gemündet habe. Die Verfassung von 1980 habe den präsidialen Charakter des Systems nur verstärkt. Vor diesem Hintergrund entstand bei den Parteien der Concertación und einigen Teilen der Rechten ein Konsens darüber, daß das aktuelle politische Regime in Richtung auf ein verbessertes Kräftegleichgewicht zwischen Legislative und Exekutive, das heißt in Richtung auf ein gemischtes, semipräsidentielles bzw. semiparlamentarisches Systems geändert werden müsse, wenn es zur Bildung regierungsfähiger Mehrheiten und damit zur Aufrechterhaltung der politischen und demokratischen Stabilität in der Lage sein sollte. Zur Vorbereitung entsprechender Reformen war bereits im Mai 1990 eine Comisión Especial de Estudio del Régimen Político von der Deputiertenkammer eingesetzt worden, die bisher einige Prinzipien und Vorschläge erarbeitet hat. Insgesamt jedoch ist die Diskussion zu dieser Frage, auch in der Öffentlichkeit, noch nicht sehr weit fortgeschritten.

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Reform der Arbeitsbeziehungen Die autoritäre Modernisierung Chiles unter Pinochet erforderte immense soziale Kosten und vertiefte die Dualisierung des Landes. Ausgehend von dieser Erkenntnis zielte die Regierung der Concertación auf eine radikale Umkehr in dieser Politik des politischen und sozialen Ausschlusses. Um jedoch eine Korrektur der Ungleichgewichte in den Arbeitsbeziehungen zu erreichen, mußte sie auf die möglichst weitgehende Verständigung zwischen Unternehmern und Arbeitern hinarbeiten und einen Grundkonsens über die Institutionen und Mechanismen erzielen, mit deren Hilfe die Beziehungen zwischen beiden Gruppen zu regulieren waren. Beide Gruppen sollten - neben dem Staat und den Parteien - für die Stabilisierung der Demokratie zuständig gemacht werden, was voraussetzte, daß sie jeweils über starke autonome und partizipative Interessenorganisationen verfügten, die sich gegenseitig anerkannten und gesprächsbereit waren. Dies wiederum setzte voraus, daß die Ungleichgewichte in der Machtverteilung zwischen beiden Parteien korrigiert würden (vgl. Bases Programáticas Económico-Sociales, 1989). Entsprechend mußte die Arbeitsgesetzgebung dahin gehend geändert werden, daß sie den schwächeren Partner unter einen besonderen Schutz stellte. Partizipation und soziale Konzertation erschienen als die geeigneten Instrumente zur Durchsetzung einer solchen Politik. Ohne damit den grundlegenden sozialen Konflikt zu leugnen, sollte doch die Verständigung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern gegenüber einer Linie der Konfrontation Vorrang haben. Zwischen April 1990 und April 1992 gelang es, zwischen beiden Seiten drei Rahmenabkommen abzuschließen, welche die Prinzipien der sozialen Konzertation festlegten und darüber für ein Klima des sozialen Friedens sorgten: Obwohl die Zahl der gewerkschaftlich organisierten Arbeiter (von 9 Prozent der Arbeitskräfte im Jahr 1984 auf 15 Prozent im Juni 1992) ebenso wie die Zahl der an den Kollektivverhandlungen beteiligten Arbeiter zunahm, war doch die Konfliktintensität in den Arbeitsbeziehungen seit 1990 sehr gering (vgl. Bitácora 59). 1990 und 1991 konnten drei Gesetze verabschiedet werden, welche die Beschäftigungsstabilität, die gewerkschaftlichen Dachverbände sowie die Einzelgewerkschaften und die Kollektivverhandlungen betrafen. Ein weiteres Gesetz betraf die Gestaltung individueller Arbeitsverträge. Dieses Gesetzeswerk bedeutete in seinem Zusammenhang die radikale Veränderung der autoritären Arbeitsgesetzgebung. Mit ihm sollte vor allem eine breite gesellschaftliche Legitimität der Arbeitsgesetzgebung wiederhergestellt werden. Entsprechend wurden die Reformgesetze der Concertación nicht nur nach einer ausführlichen parlamentarischen Beratung, sondern auch nach intensiven Gesprächen zwischen Unternehmern und Arbeitern sowie zwischen der Regierung 178

und den Gewerkschaften verabschiedet. Sie sollen die gewerkschaftliche Organisation erleichtern, die Möglichkeiten von Kollektiv Verhandlungen erweitern und für größere Stabilität in der Beschäftigung und bei den Lohneinkommen sorgen. Weiterhin sollen mit ihrer Hilfe die Arbeitsbeziehungen den Bedingungen einer modernen, wettbewerbsfähigen Marktwirtschaft angepaßt werden, das heißt, sie sollen ein hohes Maß an Flexibilität sichern und einen neuen kooperativen Stil in die Arbeitsbeziehungen einführen. Damit soll auch der Tatsache Rechnung getragen werden, daß kooperative Arbeitsbeziehungen und ein Klima der Verständigung zunehmend als Wettbewerbsfaktoren angesehen werden. Dieses setzt stabile Beschäftigungsverhältnisse und ein adäquates Lohnniveau voraus.

Die Entwicklung des Wirtschsflsmodells Die Wirtschaftspolitik der Regierung der Concertaciön: Stabilisierung und Wachstum Der Amtsantritt der Regierung der Concertaciön zu Beginn des Jahres 1990 erfolgte in einer Situation, in der die wirtschaftliche Stabilität, insbesondere durch hohe Importe, bedroht schien. Vor allem von Seiten der Unternehmer wurde eine rasche Anpassung gefordert. Die Regierung vollzog diese, indem sie die Zinssätze beträchtlich anhob, womit die Nachfrage gebremst und das Wirtschaftswachtum gedämpft werden sollte. Von dieser Maßnahme war insbesondere der Bausektor betroffen, nicht jedoch die großen Investitionsprojekte, so daß die Investitionsrate die 20 Prozent überstieg. Insgesamt sollte aber auf diesem Wege nicht nur die Inflation gedämpft werden, sondern auch eine Restrukturierung der Gesamtnachfrage zu Lasten der höheren Einkommensempfanger erfolgen. Dies gelang nur insofern, als die Nachfrage des privaten Sektors gebremst wurde; eine Ausweitung der Sozialausgaben erfolgte erst mit Hilfe der Steuerreform, welche eine Gewinnsteuer von 10 Prozent sowie eine erhöhte Progression bei der Einkommenssteuer einführte und die Umsatzsteuer von 16 Prozent auf 18 Prozent erhöhte. Im Gefolge dieser Maßnahmen sanken die wirtschaftlichen Wachstumsraten vorübergehend. Die sukzessive Absenkung der Zinssätze durch die Zentralbank führte dann jedoch dazu, daß ab Dezember 1990 die Produktion erneut positive Wachstumsraten verzeichnen konnte. Die Inflationsraten gingen seit November zurück und sind seither weitgehend unter Kontrolle. Das entscheidende Ergebnis dieses ersten Jahres der Wirtschaftspolitik unter demokratischem Vorzeichen war damit die Tatsache, daß die negativen Wirtschaftserwartungen, die mit der Demokratisierung verbunden waren, widerlegt

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werden konnten und daß ein grundsätzlicher Konsens bezüglich der Grundlinien des Entwicklungsmodells erzielt werden konnte. Tabelle 5: Entwicklung des realen Wechselkurses (1986=100) Zeitpunkt

Index

Veränderung in % pro Monat pro 12 Monate 10,1 — 4,3 6,6 — -2,3 — 3,8 — -5,6

1986 (Durchschnitt) 1987 1988 1989 1990 1991

100,00 104,34 111,20 108,62 112,73 106,43

Januar Februar März April Mai Juni Juli August September Oktober November Dezember

114,29 115,32 111,71 107,82 104,36 102,55 102,48 103,01 104,44 102,25 103,86 105,07

-0,8 0,9 -3,1 -3,5 -3,2 -1,7 -0,1 0,5 1,4 -2,1 1,6 1,2

-1,4 1,2 -3,5 -3,6 -7 -6,4 -5,9 -7,9 -6,2 -8,1 -9,8 -8,8

Januar Februar März April Mai Juni Juli August

103,83 98,00 96,40 94,50 94,57 97,57 99,53 101,02

-1,2 -5,6 -1,6 -2,0 0,1 3,2 2,0 1,5

-9,2 -15,0 -13,7 -12,4 -9,4 -4,9 -2,9 -1,9

1991

1992

Quelle: Informe Económico y Financiero Das grundlegende Problem, mit dem die Regierung auch in den folgenden beiden Jahren konfrontiert war, bestand darin, daß die Solvenzsituation, in der sich Chile befand, und die relativ hohe Bewertung, die der Peso international 180

genoß, zum einen hohe kurzfristige Kapitalzuflüsse motivierte und damit die innere monetäre Stabilität gefährdete. Gleichzeitig lag das internationale Zinsniveau weit unter dem nationalen - eine Situation, an der auch die sukzessiven Zinssenkungen durch die Zentralbank nichts Grundsätzliches änderten, so daß auch aus diesem Grund externe Kapitalzuflüsse stimuliert wurden. Tabelle 6: Entwicklung der Inflationsraten (Index der Konsumentenpreise (April 1989=100) Zeitpunkt

Index pro Monat

1987 (Durchschnitt) 1988 1989 1990 1991

78,41 89,92 105,23 132,63 161,52

Prozent Veränderung pro 12 Monate ~

— —



14,7 17,0 26,0 21,8

1991 Januar Februar März April Mai Juni Juli August September Oktober November Dezember

1992 Januar Februar März April Mai Juni Juli August September

148,93 149,12 150,85 153,63 157,46 160,36 163,26 165,24 167,40 172,24 173,83 175,97

0,4 0,1 1,2 1,8 2,5 1,8 1,8 1,2 1,3 2,9 0,9 1,2

24,8 24,5 23,0 23,1 24,3 23,8 24,0 23,0 18,8 17,8 17,8 18,7

177,91 176,79 178,03 180,37 182,30 183,55 185,60 188,25 192,63

1,1 -0,6 0,7 1,3 1,1 0,7 1,1 1,4 2,3

19,5 18,6 18,0 17,4 15,8 14,5 13,7 13,9 15,1

Quelle: Instituto Nacional de Estadísticas

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Zum anderen beraubte der hohe Wechselkurs den Exportsektor seiner bisherigen Subventionierungen. Eine Politik der Abwertungen hätte dies ausgleichen können, aber andererseits noch gravierendere Stabilitätsprobleme mit sich gebracht. Diese Situation verschärfte sich, als vor den Wahlen in den USA die Regierung Bush die Zinsraten beträchtlich senkte. Chile traf dies in einer Situation erneuten Wirtschaftswachstums, in der die Möglichkeit von Zinssenkungen begrenzt war. Der Zustrom externer Kapitale führte zu einer weiteren Aufwertung des Peso und erschwerte damit die Situation des Exportsektors um ein weiteres. Die Wechselkurspolitk war jedoch entscheidend für die wirtschaftliche Stabilisierung. Der Wechselkurs wurde nicht mehr als das bevorzugte Instrument der Exportförderung benutzt. Auf diese Weise ließ der Inflationsdruck nach, der durch Devisenkäufe seitens der Zentralbank entstand. Diese Wende hatte eine positive Wirkung auf die Inflationserwartung der Wirtschaftsakteure (vgl. Tabellen 5 und 6). Weitere Faktoren, die zur Stabilisierung beitrugen, waren die Anhebung der öffentlichen Sparrate sowie ein Abkommen mit den Gewerkschaften, welches die Anhebung der Löhne um 15 Prozent unter der Inflationsrate des Vorjahres vorsah. Ein weiteres Abkommen zwischen der CUT, der Confederación de la Producción y el Comercio und der Regierung machte die Festlegung der Mindestlöhne nicht mehr von der Inflationsrate des Vorjahres, sondern von der voraussichtlichen zukünftigen abhängig. Auch dies war ein positives Signal für die wirtschaftlichen Akteure. Tabelle 7: Entwicklung des BIP nach Wirtschaftssektoren (Wachstum in %) Sektor Land- und Forstwirtschaft Fischerei Bergbau Industrie Elektrizität, Gas, Wasser Baugewerbe Handel Transport, Kommunikation Andere Bruttoinlandsprodukt Quelle: Banco Central

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1987 4,5 -8,0 0 5,5 3,8 10,6 7,5 10,1 5,8 5,7

1988 5,7 2,6 4,2 8,7 9,3 6,1 9,8 11,5 5,8 7,4

1989 3,1 22,1 8,4 10,0 4,7 12,7 14,0 14,4 8,8 10,0

1990 4,8 -10,3 -0,7 0,1 3,0 2,5 2,5 10,4 1,9 2,1

1991 1,2 8,3 4,8 5,5 7,8 4,7 8,6 11,9 5,1 6,0

1992 3,1 9,0 1,1 12,2 9,8 14,1 14,3 14,2 9,5 10,4

Im Jahr 1992 wies Chile mit 10,4 Prozent die höchste Wachstumsrate der letzten 27 Jahre auf. Die durchschnittliche jährliche Wachstumsrate in den drei ersten Jahren demokratischer Regierung lag bei 6,1 Prozent. Dieses hohe Wachstum war insgesamt jedoch nicht von einem Anwachsen der Inflation begleitet. Die Inflation fiel vielmehr beträchtlich zwischen Dezember 1990, wo sie bei 27,3 Prozent für die letzten 12 Monate gelegen hatte, auf 18,7 Prozent im selben Zeitraum 1991 und auf 12,7 Prozent für 1992. Tabelle 7 gibt Aufschluß über die Wachstumsdynamik der verschiedenen Wirtschaftssektoren. Drei Sektoren weisen im Jahr 1992 ein Wachstum auf, das die 14 Prozent übersteigt: Der Bausektor mit 14,1 Prozent; der Handel mit 14,3 Prozent, worin sich das hohe Wachstum der Importe niederschlägt; und der Sektor Transport und Kommunikation mit 14,2 Prozent, der neben dem auch schon in den Vorjahren zu verzeichnenden hohen Wachstum im Kommunikationssektor vor allem die Ausdehnung im Luft- und Seeverkehr durch die Einrichtung neuer internationaler Routen sowie die Ausdehnung des Außenhandels reflektiert. Auch das Industriewachstum, wenngleich es hinter diesen Ziffern zurückbleibt, ist beträchtlich. Nur geringe Dynamik zeigen dagegen die Sektoren Land- und Forstwirtschaft, sowie Bergbau, deren Wachstumsraten weit hinter dem Durchschnitt zurückbleiben. Bei einer Betrachtung der Sektoren über den gesamten Zeitraum 1987-92 hinweg ergibt sich, daß die Landwirtschaft - ausgenommen das Jahr 1990 dauerhaft Wachstumsraten aufweist, die hinter dem gesamtwirtschaftlichen Wachstum zurückbleiben. Dies bedeutet, daß der Sektor seinen Anteil an der Volkswirtschaft kontinuierlich reduziert. Wenn gleichzeitig in Betracht gezogen wird, daß einige dynamische neue Subsektoren, wie zum Beispiel der Obst- und Gemüseanbau in den letzten Jahren ein beträchtliches Wachstum zeigten, so ergibt sich hier mit aller Deutlichkeit die Strukturkrise der traditionellen Landwirtschaft, die ihrerseits wiederum auf die Notwendigkeit einer grundlegenden Restrukturierung hinweist. Ebenfalls stagniert der Bergbau. Die hohe Dynamik des Transport- und Kommunikationsssektors dagegen reflektiert eine fortgeschrittene wirtschaftliche Modernisierung und Integration in die Weltwirtschaft. Die Entwicklung der Industrie zeigt ebenfalls eine hohe Dynamik, was angesichts der Öffnung auf ein hohes Maß an internationaler Wettbewerbsfähigkeit schließen läßt. Auffallig ist vor allem die hohe Investitionsrate, die 1992 eine Wachstumsrate von 23 Prozent erreichte - das beste Ergebnis in den vergangenen 30 Jahren. Das Land erreichte bereits im vierten Jahr eine Brutto-Kapitalbildung, die nahe bei 20 Prozent lag. Dies eröffnet günstige Perspektiven für weitere Wachstumsprozesse in der Zukunft. Der private Konsum wuchs um 10,1 Prozent, während der öffentliche nur um 4,8 Prozent stieg und damit hinter dem Wachstum des BIP zurückblieb. 183

Dies bedeutet eine öffentliche Sparrate von 5,6 Prozent des BIP und ein Wachstum derselben gegenüber dem Vorjahr von 56,9 Prozent. Die Exporte wuchsen 1992 um 12,3 Prozent - dies obwohl gleichzeitig der Wechselkurs um 8 Prozent sank. Hieraus läßt sich ein gewisser Reifungsgrad des Exportsektors ablesen, durch welchen dieser unabhängiger von Wechselkursschwankungen wird und sich in zunehmendem Maße auf eine wachsende Produktivität, auf die Diversifizierung der Märkte und eine aktivere Vermarktungspolitik stützen kann. Das Verhältnis der Auslandsschuld zu den Exporten hat sich seit 1989 günstig entwickelt: es ist von 201 Prozent auf 182 Prozent gesunken. Dabei ist die öffentliche Auslandsverschuldung zwischen dem 31. Dezember 1991 und dem 31. Dezember 1992 von 10,55 auf 9,60 Milliarden US-Dollar zurückgegangen, während sich die private Verschuldung jedoch erheblich ausgeweitet hat, so daß die gesamte Auslandsverschuldung im genannten Zeitraum 1992 von 16.416 auf 18.204 Mio US-Dollar angestiegen ist. Wachstum und sozialer Ausgleich Das Pro-Kopf-Einkommen wuchs 1992 um 8,6 Prozent. Die Arbeitslosigkeit sank in Santiago auf 4,5 Prozent und auf 4,4 Prozent im gesamten Land. Gleichzeitig sind die Löhne um durchschnittlich 4,5 Prozent angestiegen. In diesem Kontext war das traditionelle Problem einer Kompatibilisierung von Konsum und Investitionen für die Regierung der Concertaciön nicht unlösbar: Die hohe Wachstumsdynamik der letzten acht Jahre hatte ausreichende Ressourcen mobilisiert, um die Konsumausgaben und die Investitionen gleichzeitig auszuweiten. Überdies stellten die guten Wachstumschancen einen Anreiz für ausländisches Kapital dar, in verstärktem Maße in Chile zu investieren. Die günstige Situation im Bereich der Auslandsverschuldung machte überdies externe Kreditaufnahmen möglich. Beim Amtsantritt der Regierung bestand ein Konsens darüber, daß auf dem Gebiet der Sozialpolitik beträchtliche Anstrengungen vonnöten sind. Auch bei den Unternehmern bestand die Bereitschaft, einen Beitrag zum sozialen Ausgleich zu leisten. Damit waren die Voraussetzungen gegeben, die es möglich machten, daß über die Reform der Arbeitsgesetzgebung und über die Ausweitung des Sozialhaushalts entscheidende Schritte zur Verbesserung der sozialen Situation vorgenommen werden konnten. Aus Tabelle 1 wird deutlich, welch beträchtliche Ausweitung der Sozialhaushalt - insbesondere in den Bereichen Gesundheit und Wohnungsbau - seit 1990 erfuhr. In den beiden Jahren 1990/91 wuchsen die Sozialausgaben um reale 21,5 Prozent. Sie wuchsen aber nicht nur in absoluten Zahlen, sondern auch als Anteil des BIP von 9,9 Prozent (1989) auf 10,7 Prozent (1990) und 184

11,7 Prozent (1991). Gleichzeitig verstärkte sich die Fokalisierung, das heißt die Konzentration des Sozialhaushaltes auf die ärmsten Bevölkerungsschichten. Eine Untersuchung, die vom Planungsministerium nach zwei Jahren demokratischer Regierung durchgeführt wurde, kam zu dem Ergebnis, daß, während die Wirtschaft 1990-91 um 7,4 Prozent wuchs, der Konsum der ärmsten 40 Prozent der Bevölkerung um 9,4 Prozent wuchs (vgl. MIDEPLAN 1992). Im Unterschied dazu weiteten die reichsten 20 Prozent der Bevölkerung ihren Konsum nur um 3 Prozent aus. Von verteilungspolitischer Bedeutung waren weiterhin die Dämpfung der Inflation sowie die Steuerreform - letztere nicht nur in dem Sinne, daß sie die Sozialpolitik mit stabilen Ressourcen versorgte, sondern auch aufgrund der mit ihr erzielten erhöhten Progression: ca. 66 Prozent der mit ihrer Hilfe erzielten Steuereinnahmen kamen 1991 aus direkten Steuern, mit denen lediglich höhere Einkommensempfänger belastet werden, während vorher indirekte Steuerformen, insbesondere die Mehrwertsteuer, vorherrschend waren. Insgesamt konnte der Anteil der Armutsbevölkerung von 45 Prozent (1985) auf 40,1 Prozent (1990) und weiter auf 33,4 Prozent (1992) gesenkt werden. Auch die Entwicklung der Reallöhne trug zu einer Verbesserung der Einkommenssituation bei den unteren Einkommensempfängern bei, wenn sie allerdings auch nicht im Sinne einer Umverteilung wirkte: So wuchsen die durchschnittlichen Reallöhne 1990 um 1,8 Prozent, 1991 um 4,9 Prozent und 1992 um 4,5 Prozent, womit sie jedoch hinter dem Produktivitätswachstum zurückblieben. Die von den Gewerkschaften erkämpften Lohnerhöhungen und die Steuerreform wirkten im Sinne einer Einengung der finanziellen Spielräume der Unternehmen und drohten, zu Lasten des Investitionswachstums zu gehen. Auf der Grundlage der gegebenen Qualifikationsstruktur der Arbeitskräfte und des Standes der Technologieentwicklung waren die Grenzen für die Kompatibilisierung von Wachstum und sozialem Ausgleich erreicht. Angesichts dessen nahm die Bedeutung von Politiken, die einen sozialen Ausgleich über Produktivitätssteigerungen und eine erhöhte Qualifizierung der Arbeitskraft anzielen, zu. Die Regierung leitete zu diesem Zweck zunächst ein umfängliches Programm zur Reform der Primarschulbildung ein; später kamen Pläne zur Umstrukturierung des Sekundär- und Berufsbildungsbereichs dazu. Ebenfalls im Anfangsstadium befinden sich Programme zur Modernisierung der kleinen und mittleren Industrie. Hier sind vor allem die Aktivitäten der staatlichen Institutionen CORFO und SERCOTEC von Interesse: Während CORFO die Hinzuziehung von Beratern subventioniert - ein Programm, das allerdings bisher nur unzureichend in Anspruch genommen wurde -, forderte SERCOTEC die Zusammenarbeit von geographisch nahe beieinander liegenden Unternehmen, wovon offensichtlich interessante innovative Impulse ausgehen. Abgesehen von solchen Einzelinitiativen befindet sich aber die Politik einer 185

gezielten Kompatibilisierung von Produktivitätsentwicklung und sozialem Ausgleich in allerersten Anfängen. Die Modernisierung des Produktionsapparates Trotz der Diversifizierung im Exportsektor war es Chile bisher nicht gelungen, die Abhängigkeit von einigen wenigen Primärprodukten zu durchbrechen. Dazu gehörten vor allem der Bergbau, der Obstanbau, Fischerei und die Produktion von Fischmehl sowie die Forstwirtschaft einschließlich der Produktion von Papier und Zellulose. Alle diese Produkte wiesen nur einen geringen Verarbeitungs- und Wertschöpftingsgrad auf. Die Arbeitsintensität in diesen Bereichen war gering. Der Exportsektor war kaum mit dem Rest der Wirtschaft verflochten. Die Märkte, die sich Chile für seine Produkte erobert hatte, gehörten zu den weniger dynamischen der Weltwirtschaft, so daß eine Fortsetzung der Wachstumsdynamik auf dieser Grundlage nicht möglich war. Unter demokratischen Bedingungen war es ebenfalls nicht möglich, die prekären Arbeitsbedingungen aufrechtzuerhalten, auf denen der Exportsektor in weiten Bereichen bisher beruht hatte. Innerhalb einzelner Sektoren zeichnen sich allerdings Bereiche mit entstehender Wettbewerbsfähigkeit ab, die partielle Modernisierungsprozesse und einen höheren Wertschöpfungsgrad aufweisen. Die Arbeitsintensität ist hier groß. Dieser Sektor ist sowohl auf den Binnenmarkt, als auch auf den Weltmarkt orientiert (vgl. Leiva 1990). Entsprechend strebt die Regierung der Concertaciön die Überführung des Exportmodells in eine zweite Phase an, die durch technologische Innovation, durch einen erhöhten Verarbeitungsgrad der Exportprodukte und eine größere Integration der produktiven Sektoren, vor allem durch größere Verflechtung zwischen dem rohstoffintensiven und dem arbeitsintensiven Sektor, charakterisiert sein muß; dieses Modell müsse die falschen Alternativen zwischen Binnen- und Weltmarkt bzw. zwischen Landwirtschaft und Industrie vermeiden und an einer Diversifizierung der Märkte und Produkte orientiert sein. Die bereits modernisierten Unternehmen, meist nationale oder ausländische Großunternehmen, sollen durch Kooperationsbeziehungen mit kleinen und mittleren Unternehmen, zum Beispiel im Zuliefererbereich, auch Modernisierungsimpulse zu diesen aussenden. Bezüglich der Auslandsverschuldung sollen - in Abstimmung mit den Gläubigern - Maßnahmen für einen Netto-Ressourcentransfer in das Land ergriffen werden. Die Reform der Arbeitsgesetzgebung und der permanente Versuch, sowohl mit den Arbeitern, als auch mit den Unternehmern zu grundlegenden Übereinkünften zu kommen, um sich so deren soziale und politische Unterstützung zu

186

sichern, waren die ersten Schritte der Regierung in diese Richtung und sollten einen Kontext schaffen, in dem einzelne Maßnahmen dann greifen könnten. Zu solchen Maßnahmen gehörte vor allem die Schaffung neuer Instrumente für die produktive Modernisierung. Von Bedeutung ist hier vor allem der Fondo Nacional de Desarrollo Tecnológico (FONTEC), der drei Finanzierungslinien vorsieht: (a) Aus einer Kombination von Kredit und Subvention sollen die Funktionskosten für technologische Forschungs-, Entwicklungs- und Anpassungsprojekte finanziert werden; (b) die Infrastruktur für Forschung und Entwicklung in einzelnen oder mehreren Unternehmen im Zusammenhang soll unterstützt werden; (c) produktive Investitionen, die sich aus technologischen Innovationen ergeben, sollen unterstützt werden. Ein weiteres Instrument ist der Fondo de Fomento (FONDEF); seine Ressourcen können in Ausschreibungs- und Bewerbungsverfahren gewonnen und für folgende Zwecke aufgewendet werden: Forschungs- und Entwicklungsprojekte, die in relativ kurzer Zeit im produktiven Prozeß einsetzbar sind; Infrastrukturprojekte für Forschung und Entwicklung; Dienstleistungsprojekte für wissenschaftliche und technologische Forschung; Institutionalisierungsprojekte für den Technologietransfer. Weitere Instrumente dienen der Fortbildung von Arbeitern und Unternehmern. Ein wichtiges Instrument im Bereich der Exportförderung ist der Fondo de Garantía, mit dessen Hilfe nichttraditionelle Exporteure bei der Lancierung neuer Produkte bzw. der Eroberung neuer Märkte unterstützt werden sollen. Das Centro de Promoción de Inversiones (CPI) der CORFO unterstützt nationale Unternehmen, insbesondere der kleinen und mittleren Industrie, bei der Durchführung von Investitionsprojekten, indem es nach Möglichkeiten einer zwischenbetrieblichen Zusammenarbeit mit anderen nationalen oder ausländischen Unternehmen sucht, weil man sich insbesondere von der Bildung von joint ventores Modernisierungsimpulse erhofft. Daneben gibt es eine Reihe von Instrumenten zur Förderung der kleinen und mittleren Industrie, insbesondere verschiedene Kreditlinien und Programme technischer Hilfe. Auch auf regionaler Ebene sind Modernisierungsanstrengungen zu verzeichnen. So sollen zeitgleich mit der Bildung der Regionalregierungen regionale Entwicklungsgesellschaften gegründet werden. In ihnen sollen private Unternehmen und öffentliche Institutionen eng zusammenarbeiten mit dem Ziel einer Bildung von Netzwerken aus Unternehmergruppen, Universitäten und Technologiezentren, um sektorspezifische Programme der Managementschulung zum Zweck der Qualitätsverbesserung der Produkte und der Produktivitätssteigerung durchzuführen. Insgesamt sind diese staatlichen Initiativen zur Stimulierung der produktiven Modernisierung relativ isoliert nebeneinander stehende Maßnahmen, die völlig unzureichend sind. Ein umfangreiches und in sich konsistentes Modernisierungsprogramm würde vor allem die Modernisierung des Staatsapparates 187

selbst voraussetzen - ein Projekt, dessen Notwendigkeit von der Regierung erkannt ist, dessen Realisierung jedoch politische Konflikte provozieren würde, die eine Gefährdung der politischen und wirtschaftlichen Stabilität bedeuten könnten. Angesichts der Tatsache, daß die Stabilität oberste Priorität im bisherigen Regierungsprogramm genießt, mußte somit die Modernisierung des Staates vorerst vertagt werden. Trotzdem ist eine gewisse Wende zu verzeichnen, durch welche sich der Übergang in eine zweite Phase des Exportmodells ankündigen könnte: diese ist vor allem darin zu sehen, daß die Regierung auf die Wechselkurspolitik als Instrument der Exportförderung weitgehend verzichtet hat, womit sie die Exporteure zu erhöhten Eigenanstrengungen bei der Erzielung von Produktivitätssteigerungen und Wettbewerbsfähigkeit zwingt.

4. Die Entwicklung des chilenischen Obstsektors Agrarpolitik in Chile Im Rahmen der Importsubstitutionspolitik, welche die Industrieproduktion zu Lasten der Landwirtschaft begünstigte, stagnierte die chilenische Landwirtschaft über Jahre hinweg: zwischen den vierziger Jahren und 1965 lagen die jährlichen Wachstumsraten der landwirtschaftlichen Produktion bei 1,8 Prozent, während der Konsum um durchschnittlich 2,5 Prozent zunahm. Dies bedeutete, daß immer mehr Agrarprodukte importiert werden mußten, während die entsprechenden Exporte abnahmen: 1965 waren landwirtschaftliche Produkte nur noch zu 3 Prozent an den Gesamtexporten beteiligt. Dieser Mangel an Dynamik war einer der Hauptgründe für die Agrarreformen zwischen 1966 und 1973, von denen Güter mit über zehn Hektar bewässerten Landes betroffen waren. Im Ergebnis veränderte sich die Eigentumsstruktur grundlegend, ebenso wie das System finanzieller und technischer Hilfen. Die Militärdiktatur hob dann das Agrarreformgesetz wieder auf und beseitigte die Möglichkeit von Enteignungen. Mit Hilfe verschiedener Gesetze entstand ein freier Grundstücksmarkt. Dies sowie die Abwertung der Währung und die Liberalisierung des Finanzmarktes, welche durch überhöhte Zinsraten zum Bankrott zahlreicher überschuldeter bäuerlicher Unternehmen führte, hatte die Fraktionierung und Rekonzentration des Bodenbesitzes zur Folge. Dies führte jedoch nur sehr partiell zur Wiederherstellung der alten Eigentumsverhältnisse: Gegen 1979 waren von den fast 900.000 Hektar, die enteignet worden waren, nur 28 Prozent an ihre ursprünglichen Eigentümer zurückgegangen; 56 Prozent dagegen waren parzelliert und an neue Eigentümer übergegangen (vgl. Muñoz/Ortega 1987). Das Ergebnis war eine neue Besitzstruktur, bei der mittlere und kleine Unternehmen dominierten, während

188

die großen Latifundien praktisch verschwunden waren. Im Obstsektor verfügten gegen Ende der achtziger Jahre 64 Prozent der Unternehmen über weniger als zehn Hektar, was 17 Prozent der gesamten im Obstsektor genutzten Fläche entsprach. Die Unternehmen mit 10 bis 100 Hektar repräsentierten 35 Prozent der Unternehmen und waren zu 68,7 Prozent an der Gesamtfläche beteiligt. Demgegenüber waren Großunternehmen, die über mehr als 100 Hektar verfügten, nur zu 1,3 Prozent an der Gesamtzahl der Unternehmen beteiligt und kontrollierten 14,5 Prozent der Gesamtfläche. Tabelle 8: Wachstumsraten in der Landwirtschaft 1980-90 Jahr

Landwirtschaftliches Produkt 1980 3,8 1981 5,3 1982 -2,3 1983 -1,0 1984 7,1 1985 5,6 1986 8,7 1987 3,4 1988 5,6 4,4 1989 1990 a) 3,0 n.v. = nicht verfügbar a) vorläufig

Bebaute Fläche b) -1,1 -12,8 -12,5 -7,8 20,7 3,0 4,8 6,5 -7,4 -2,6 -2,2

Agrarische Exporte 32,6 9,7 3,8 -8,8 36,3 22,9 32,5 9,1 12,5 2,9 n.v.

Nahrungsmittelproduktion n.v. n.v. -1,9 -5,8 6,1 1,0 7,6 2,6 6,9 n.v. n.v.

b) mit traditionellen Produkten bebaute Fläche Quelle: CEPAL Angesichts der Krise von 1982 begann der Staat erneut aktiv in die Landwirtschaft zu intervenieren, indem er verschiedene Programme des Technologietransfers initiierte und neue langfristige Kreditlinien schuf. Im Ergebnis wuchs die landwirtschaftliche Produktion im Jahre 1984 um 7,1 Prozent, die bebaute Fläche dehnte sich um 20,7 Prozent aus, und die Exporte wuchsen um 36,3 Prozent, während die Importe um 10 Prozent zurückgingen. Diese Entwicklung konnte in den folgenden Jahren weitgehend aufrechterhalten werden, so daß sich für den Zeitraum 1984-90 durchschnittliche jährliche Wachstumsraten der Produktion von 5,4 Prozent, der Exporte um 19,4 Prozent und der Nahrungsmittelproduktion um 4,8 Prozent ergaben (vgl. Tabelle 8). Dieser Erfolg ist primär auf die technologische Modernisierung der Landwirtschaft zuriick189

zuführen, die sich vor allem in einem höheren Mechanisierungsgrad und dem wachsenden Gebrauch von Düngemitteln (1984-88 jährlich im Durchschnitt 23 Prozent) reflektiert (vgl. CEPAL 1989). Das Wachstum der Agrarexporte ist vor allem auf die Entwicklung im Obstsektor zurückzuführen, der in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre ungefähr 80 Prozent der gesamten Agrarexporte auf sich vereinigte. Die Rolle des Staates bei der Entwicklung des Obstsektors In den achtziger Jahren hat sich der Obstsektor zu einem der dynamischsten Sektoren der chilenischen Wirtschaft entwickelt. 1980-90 weist er durchschnittlich jährliche Wachstumsraten von 11,5 Prozent auf - im Vergleich zu 4 Prozent, die die Landwirtschaft insgesamt hat. Sein Anteil an den Gesamtexporten ist von 3,6 Prozent (1980) auf 8,9 Prozent (1990) gestiegen (Banco Central de Chile, 1990). Dieser Exportboom ist zum einen auf die Existenz verschiedener komparativer Vorteile in der Produktion zurückzuführen: klimatische Bedingungen und Bodenbeschaffenheit; Jahreszeiten, die denen der Hauptmärkte in der nördlichen Hemisphäre entgegengesetzt sind; die Geographie des Landes, die es ermöglicht, in verschiedenen Zonen des Landes in unterschiedlichen Monaten zu ernten; die Nähe der Produktionsgebiete zu den Verschiffungshäfen; schließlich die geographische Abgelegenheit des Landes, welche die Einführung von Schädlingen und Krankheiten erschwert. Daneben aber hat auch der Staat eine beträchtliche Rolle bei der Entwicklung des Sektors gespielt. 1963 entwickelte die Confederación de Fomento de la Producción (CORFO) ein Entwicklungsprogramm für den Obstsektor, wobei sie Kredite für Investitionen in Nußbaum-, Mandel- und Weintraubenplantagen für die Exportproduktion gewährte und Marktstudien finanzierte. Der Nationale Entwicklungsplan für den Obstsektor von 1966 sah darüber hinaus auch technische Hilfen und staatliche Beteiligungen vor. Neue Kreditlinien für Infrastrukturentwicklung und Kommerzialisierung wurden eingeführt. 30 Prozent des Exportwertes waren von der Steuer abschreibbar. Weiterhin war die Errichtung von Lager-, Verpackungs- und Kühlhäusern vorgesehen. Neben der CORFO waren das Instituto de Desarrollo Agropecuario (INDAP), der Servicio Agrícola y Ganadero (SAG) und der Banco del Estado mit der Umsetzung der staatlichen Fördermaßnahmen betraut. Im Ergebnis dieser Maßnahmen entstanden verschiedene Agrarkomplexe wie Aconcagua, Curicó und Colchagua (vgl. Figueroa 1990). Unter der Militärdiktatur wirkte die allgemeine Liberalisierungspolitik sowie die Politik der Abwertungen und Exportsubventionierungen im Zusammenhang mit der Arbeitspolitik dahin, daß die Arbeitskosten sich reduzierten, während 190

gleichzeitig die Gewinne pro Exporteinheit beträchtlich stiegen - was die Agrarexporte kräftig stimulierte. Die Steuerbefreiungen für Kapitalgüter- und Vorproduktimporte, die in die Exportproduktion eingehen, förderte seit 1987/88 die Einführung moderner Technologie in Verpackung, Konservierung und Transport. Der Staat wurde in seiner Rolle als wichtigster Finanzier der Exportproduktion durch nationale und ausländische Banken, durch internationale Organisationen und durch die Exporteure selbst abgelöst. Die Besteuerung der finanziellen Transaktionen wurde erheblich reduziert. 1987 wurde überdies ein Fondo de Garantía para Exportadores no Tradicionales gegründet, der die Teilgarantie der an die nichttraditionellen Exporteure gewährten Kredite übernehmen sollte; weiterhin eröffnete die Zentralbank eine Refinanzierungslinie für Kreditgeber an den Exportsektor. Trotz hoher Einstiegsinvestitionen und trotz des (mit über fünf Jahren) relativ langen Reifungsgrads der Plantagen führten die hohen Gewinnmöglichkeiten in diesem Sektor dazu, daß zahlreiche Investoren auftraten - viele von ihnen mit einschlägigen Fachkenntnissen wie zum Beispiel Agraringenieure. Nach Schätzungen der Fundación Chile lag die durchschnittliche Gewinnspanne fiir Weintrauben bei 39 Prozent, für Kirschen bei 27 Prozent und für Äpfel bei 21 Prozent (vgl. Cruz 1988). Die Entwicklung des Obstsektors Der Exportboom im Obstsektor in den letzten Jahren hat zur rasanten Ausdehnung der Anbauflächen geführt; zwischen 1974 und 1990 ist hier ein Wachstum von 159 Prozent festzustellen, womit 1990 die gesamte für den Obstanbau genutzte Fläche bei 169.685 Hektar lag. Die größte Ausdehnung wiesen die Anbauflächen für Weintrauben aus, die 1974 zu 6,5 Prozent an der gesamten für den Obstanbau genutzten Fläche beteiligt waren und 1990 zu 28 Prozent. Die wichtigsten Anbauregionen liegen im Zentrum des Landes, aber auch in den nördlichen Landesteilen konnten mit Hilfe neuer Bewässerungstechnologien in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte erzielt werden. An zweiter Stelle folgt die Produktion von Äpfeln mit 13,6 Prozent der Anbaufläche, gefolgt von Birnen, Kiwis und Pflaumen. Die Kiwi, deren Produktion erst 1986 eingeführt wurde, war 1990 immerhin schon zu 7,2 Prozent an der Anbaufläche des Sektors beteiligt. In den Zentralregionen des Landes ist die Obstproduktion wie auch die Infrastruktur (Verpackung, Kühlhäuser, Transport etc.) konzentriert.

191

Tabelle 9: Zusammensetzung der Obstexporte 1974 und 1990 1974 Produkt Weintrauben Äpfel Birnen Pflaumen Pfirsiche Nektarinen Kiwi Andere Insgesamt

US-$ Mio. FOB 5.8 5.5

1990

1.0

Anteil in % 29,9 28,3 5,1

1.1

5,7

5.8 19.4

100,0

0.2

1,0

29,9

US-$ Mio. FOB 379.3 131.3 45.3 39.8 22.6 32.5 27.7 69.0 747.5

Anteil in % 50,7 17,6 6,1 5,3 3,0 4,3 3,7 9,2 100,0

Quelle: Banco Central de Chile 1974-90 wuchs die Obstproduktion insgesamt von 540.450 auf 2.200.000 Tonnen. Für den gesamten Sektor läßt sich in diesem Zeitraum ein durchschnittliches Anwachsen der Produktivität um 57,3 Prozent feststellen. Dies ist vor allem auf die Ausdehnung der bewässerten Anbauflächen, auf die Einfuhrung neuer Sorten, den wachsenden Gebrauch von Düngemitteln und die Einführung neuer Technologien bei Bepflanzung, Pflege und Ernte zurückzuführen. Die Zusammensetzung der Produktion hat im genannten Zeitraum erhebliche Veränderungen durchgemacht: während die Reihenfolge der Produkte bezüglich ihres Anteils an der Gesamtproduktion 1974 noch die folgende war: Äpfel - Pfirsiche - Zitronen - Weintrauben - Orangen, hatte sich diese Rangfolge bis 1990 folgendermaßen geändert: Äpfel - Weintrauben - Birnen Pflaumen - Pfirsiche. Dies ist unter anderem Ausdruck einer erheblichen Diversifizierung der Produktion, welche auch bei den Exporten ihren Niederschlag findet. Chile hat sich in den letzten zehn Jahren neben Argentinien, Australien, Neuseeland und Südafrika zu einem der wichtigsten Obstexporteure entwickelt, und Obst ist das viertwichtigste Exportprodukt des Landes (vgl. Tabelle 4). Auf der Ebene einzelner Produkte waren Weintrauben nach Kupfer und Fischmehl der drittwichtigste Devisenbringer des Landes (vgl. Velis 1991 und Tabelle 9). Da sich die internationalen Preise im untersuchten Zeitraum nicht in nennenswertem Maße verändert haben, ist das Wachstum der Exporterlöse auf die Ausdehnung des Exportvolumens zurückzuführen.

192

Mit der Diversifizierung der Produkte ging auch die Diversifizierung der Märkte einher - siehe Tabelle 10. Insgesamt ist jedoch die Diversifizierung von Produkten und Märkten noch unzureichend. So konzentrierten sich 1990 noch 70 Prozent der Obstexporte auf Äpfel und Weintrauben. Andererseits wächst die Bedeutung chilenischen Obstes auf den Märkten der OECD-Länder: Während 1979 nur 1,64 Prozent der Obstiniporte in die OECD aus Chile kamen, war dieser Anteil 1989 schon auf 5,19 Prozent gestiegen. Chilenische Obstimporte werden in diesen Ländern zunehmenden Restriktionen unterworfen: Besonders spektakulär war der Fall vergifteter Weintrauben, die 1989 in den USA gefunden wurden und die nicht nur beträchtliche Gewinneinbußen bei den chilenische Exporteuren zur Folge hatten, sondern auch das politische Klima zwischen Chile und den USA erheblich beeinträchtigten. Aber auch seitens der EG werden zunehmend Restriktionen verhängt: So quotierte die EG 1993 die chilenischen Apfelimporte auf 203.000 Tonnen, was gegenüber 1992 einen Rückgang um 14 Prozent bedeutete. Tabelle 10: Märkte für die wichtigsten Obstsorten 1982 - 1986 -1990/91 Markt Weintrauben USA Europa Andere Äpfel USA Europa Andere Birnen USA Europa Andere Kiwi USA Europa Andere

1982

1986

100,0

100,0

78,0 7,8 14,2 100,0

79.2 11,9 8,9 100,0 10,1 52,5 37,4

6,8

52,2 41,0 100,0 26,4 40,4 33,2

1990/91

100,0 59,6 32,6 7,8

100,0 6,6 62,4 31,0

100,0

100,0

25.8 58.9 15.3 n.v. n.v. n.v. n.v.

23,2 63,8 13,0

100,0 7,0 87,8 5,2

Quelle: 1982 und 1986: CEPAL 1992e; 1990/91: Velis 1991.

193

Entsprechend sucht die Regierung der Concertaciön, die weitere Diversifizierung der Märkte zu forcieren, und unterstützt die Exporteure vor allem bei der Erschließung des asiatischen Raumes. Auf der anderen Seite beruht der Wettbewerbsvorteil, den Chile gegenüber Anbietern wie Südafrika und Neuseeland vorzuweisen hat, vor allem auf den niedrigen Produktionskosten, während die beiden anderen Länder sich auf hochqualifizierte Produkte, deren Herstellung großer Investitionen und des Einsatzes von Spitzentechnologien bedarf, spezialisiert haben, womit sie die entsprechenden Marktsegmente bedienen. Die Verbesserung der chilenischen Wettbewerbssituation gegenüber diesen beiden Anbietern würde es somit erforderlich machen, daß Chile die Qualität seiner Produkte verbessert und gleichzeitig die niedrigen Kosten beibehält. Dies setzt technologische Innovationen in der gesamten Produktions- und Vermarktungskette voraus (vgl. Vargas 1992). Aktion und Interaktion der Akteure Produzenten und Exporteure Bei der Kommerzialisierung des chilenischen Obstes ist die enge Kooperation von Produzenten und Händlern gefordert. Das Verhältnis zwischen beiden Gruppen ist jedoch in Chile nicht nur durch Kooperation, sondern auch durch Konflikt gekennzeichnet. Auf der einen Seite stimulieren die Händler Lernprozesse bei den Produzenten hinsichtlich der Erfordernisse der internationalen Märkte. Auf der anderen Seite ist ihr Verhältnis durch erhebliche Asymmetrien in der jeweiligen Verhandlungsmacht gekennzeichnet, die durch den hohen Konzentrationsgrad des Handels bei wenigen Unternehmen auf der einen Seite und die Dispersion der Produktion bei vielen kleinen Einheiten auf der anderen Seite bedingt ist. Der Export chilenischen Obstes wurde 1987 zu 56 Prozent von sechs Unternehmen, davon drei ausländischen, getätigt. Das größte Exportunternehmen, ein nationales (David del Curto S.A.), konzentrierte allein 15,5 Prozent der Obstexporte auf sich, gefolgt von drei ausländischen (der nordamerikanischen Standard Trading Co. S.A., der arabischen United Trading Co. S.A. und der italienischen Unifrutti Traders Ltda.), die zusammen 28 Prozent der Exporte auf sich vereinigten. Der Konzentrationsprozeß in diesem Bereich verschärfte sich im Jahr 1992 durch die Vereinigung von fünf der bisher größten sowie einem mittleren Unternehmen zu einer neuen Gesellschaft (PENTA), die damit fast die Hälfte der gesamten chilenischen Obstexporte tätigt. Entscheidende Hindernisse für die Neugründung von Unternehmen im Exportsektor sind die Beziehungen zu den Abnehmern und der Zugang zu 194

Transportmöglichkeiten. In beiden Hinsichten besitzen die ausländischen Unternehmen entscheidende Vorteile, da sie zum einen über eigene Schiffe für den Transport verfugen oder diese exklusiv chartern und da sie weiterhin enge Beziehungen zu den Abnehmern haben bzw. mit diesen unmittelbar verflochten sind. Demgegenüber war der Zugang zu auswärtigen Märkte für nationale Unternehmen äußerst schwierig. Nur wenigen Unternehmen ist es gelungen, über eigene Vertretungen, in engem Kontakt mit dem Endabnehmer, in der Regel Supermarkt-Ketten, auf den amerikanischen oder europäischen Markt zu gelangen. Diese Supermarkt-Ketten gewinnen vor allem bei der Eroberung des deutschen Marktes eine zunehmende Bedeutung. Die Verträge zwischen Produzenten und Exporteuren umfassen nicht nur die Produzentenpreise, sondern auch technische (Empfehlung von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln, regelmäßige Kontrollen der Plantagen etc.) und finanzielle Hilfen, welche die Exporteure den Produzenten leisten. Auf der anderen Seite haben die Produzenten angesichts der Monopolstellung der Exporteure praktisch keinerlei Einfluß auf die Kommerzialisierungsstrategie. Wettbewerbsstrategien Die technologischen Innovationen im Obstsektor zielten auf die Erhöhung der Produktivität sowie auf die Verbesserung der nach der Ernte anfallenden Prozesse. Es handelte sich im wesentlichen um die Einführung schnell reifender und solcher Sorten, für die auf dem Weltmarkt eine große Nachfrage bestand; weiterhin um die Einführung neuer Bewässerungstechniken und Techniken der Plantagenhaltung, erhöhten Gebrauch von Düngemitteln und Pestiziden, verbesserte Pflanzenschutzkontrollen, Standardisierung der Verpackung usw. Die Einfuhrung dieser Innovationen war deshalb besonders erfolgreich, weil sie mit Hilfe einer Gruppe hochqualifizierter Techniker durchgeführt wurden, über die Chile aufgrund seines engen Kontaktes zu den wichtigsten einschlägigen Forschungszentren der Welt, insbesondere in Kalifornien, verfügte. Unter anderem ist es Chile dadurch in relativ kurzer Zeit gelungen, seine Produktion von Weintrauben weitgehend auf kernlose Sorten umzustellen, als die Weltmarktnachfrage sich entsprechend geändert hatte (vgl. CIREN-CORFO 1988). Eine ähnliche Geschwindigkeit bei der Anpassung der Produktion an Nachfrageänderungen läßt sich auch bei der Apfelproduktion beobachten, wo in den letzten Jahren neue Sorten eingeführt wurden (vgl. Figueroa 1989). Für die Qualitätserhaltung nach der Ernte ist vor allem die Kühllagerung von Bedeutung. Es gibt schätzungsweise gegenwärtig ca. 350 Kühlhäuser in Chile (Fundación Chile).

195

Die Obstproduzenten, welche die höchste Wettbewerbsfähigkeit aufweisen, sind diejenigen Unternehmen, die die gesamte Kette von den Baumschulen bis zur Verpackung und Kühlung der Früchte integriert haben. Diese Unternehmen weisen auch die höchste Qualität ihrer Produkte auf. Während die meisten Unternehmen über Verpackungsanlagen und ein großer Teil von ihnen auch über Baumschulen verfugt, sind nur die großen Unternehmen auch im Besitz von Einrichtungen zur Kühllagerung. Hier bestehen economies ofscale, durch welche die großen Unternehmen gegenüber den kleinen und mittleren in einem klaren Vorteil sind. Ein wichtiger Wettbewerbsfaktor in der Obstproduktion ist die Einhaltung von Normen der Hauptabnehmerländer, welche sich auf den Gebrauch bestimmter Chemikalien (Düngemittel, Pestizide), auf Obergrenzen für Kontaminierung, auf Verpackungsmaterialien usw. beziehen. Alle beteiligten Akteure, die Unternehmer selbst, die Unternehmerverbände, die Exporteure sowie auch staatliche Institutionen wie SAG suchen diese Bestimmungen genau einzuhalten. Wo jedoch vergleichbare Kontrollen auf den Konsumentenmärkten nicht zu erwarten sind, wie in Chile selbst, ist eine entsprechende Sorgfalt nicht festzustellen - zum Beispiel bezüglich der Schädigung der involvierten Arbeitskräfte durch toxische Pestizide oder der Kontamination der Umwelt. Ein weiterer Wettbewerbsfaktor ist der Zugang zu Technologien. Die Diffusion von Technologien erfolgt weitgehend über die Vermittlung von Agraringenieuren. Während die kleinen Unternehmen hier zunächst im Nachteil waren, konnte später diese Lücke durch die technische Hilfe, welche durch die Exportunternehmen gewährt wird, weitgehend ausgeglichen werden. Auch das Qualifikationsniveau der Arbeitskräfte ist ein bedeutender Faktor für Wettbewerbsfähigkeit. Obwohl dies allgemein erkannt wird und obwohl die Unternehmer den Mangel an Qualifikation ihrer Arbeitskräfte beklagen, werden doch nur wenige Unternehmen aktiv, um dieses Defizit auszugleichen. Im wesentlichen sind es die großen Unternehmen, die hier eigene Anstrengungen unternehmen - was mit dem höheren technologischen Niveau zusammenhängt. Ebenso ist es fast schon Allgemeingut, daß gute Löhne zur Motivation der Arbeitskräfte und damit zu Produktivitätssteigerungen beitragen; umgesetzt wird diese Erkenntnis allerdings auch wieder nur von den Großunternehmen. Daraus läßt sich der Schluß ziehen, daß sich allenfalls die großen Unternehmen auf dem Weg zu einer zweiten Phase des Exportmodells befinden, während die kleineren der ersten Phase noch vollständig verhaftet sind. Ähnliches gilt für die Kooperation zwischen Unternehmen, zum Beispiel durch gemeinsame Investitionen in technologische Forschungseinrichtungen, Qualifizierung auf allen Ebenen sowie vor allem die Öffnung neuer Märkte und die Kommerzialisierung der Produktion. Gerade für die kleineren Unternehmen wäre dies ein wichtiger Schritt zur Erlangung einer besseren Wett-

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bewerbsposition auch gegenüber den Exporteuren. De facto sind es jedoch gerade wieder die großen Unternehmen, die solche Kooperationen vornehmen. Auch die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und sektorspezifischen Institutionen ist defizitär. Als effizient wird von seiten der Unternehmen hauptsächlich die Unterstützung bezeichnet, die einige private Institutionen im Bereich technischer Hilfe leisten, insbesondere die Exportunternehmen und die Fundación Chile. Demgegenüber werden die öffentlichen Institutionen - mit Ausnahme allerdings von SAG, welche Qualitätskontrollen und Pflanzenschutzmaßnahmen durchführt - allgemein als ineffizient angesehen. Grundsätzlich befürworten die Unternehmer staatliche Aktivitäten wie Infrastrukturentwicklung, technische Hilfen und Exportförderung. Demgegenüber lehnen sie inzwischen fast einhellig eine direkte Subventionierung über Agrarkredite ab, was als Indikator für einen gewissen Reifegrad der Agrarunternehmer in diesem Sektor gewertet werden kann. Allerdings muß einschränkend hinzugefugt werden, daß wiederum nur die großen Unternehmen auch jegliche staatliche Protektion nach außen ablehnen, was Ausdruck ihrer größeren Wettbewerbsfähigkeit ist. Unternehmer und Arbeiter Als Ergebnis der Umstrukturierung der Eigentumsverhältnisse in der Landwirtschaft sind Pachtverhältnisse fast vollständig durch Lohnarbeitsverhältnisse ersetzt worden. Dabei nimmt die Zahl der dauerhaft beschäftigten Arbeiter kontinuierlich ab, während Zeitarbeitsverhältnisse - in Abhängigkeit von Ernteperioden - entsprechend zunehmen. Es lassen sich insgesamt drei Kategorien von Zeitarbeitern unterscheiden: - Die dauerhaften Zeitarbeiter, die das ganze Jahr über arbeiten - sei es in ein und derselben Unternehmung mit verschiedenen Verträgen, sei es in verschiedenen Unternehmen. Dies ist Folge der zunehmenden Diversifizierung der Produktion, wodurch die jahreszeitlich bedingten Phasen abgemildert werden (vgl. León 1991). In der Regel handelt es sich um unqualifizierte und nichtspezialisierte Arbeitskräfte. Obwohl diese Arbeiter also das ganze Jahr über arbeiten, kommen sie doch nicht in den Genuß der Sozialversicherungen. - Die Sechs-Monate-Arbeiter, in zunehmendem Maße Frauen, die auf diese Weise ein zusätzliches Familieneinkommen zu erwirtschaften trachten. - Die Saisonarbeiter, in ihrer Mehrzahl Studenten, die in den Semesterferien sich ihr Studium verdienen. Von Zeitarbeitsverhältnissen sind nicht nur die Arbeiter, sondern auch das Personal auf den anderen Ebenen betroffen - vgl. Tabelle 11. In den Großunternehmen ist der Anteil dauerhaft Beschäftigter vergleichsweise geringer als in den kleineren Unternehmen, das heißt, ab einer bestimmten Größe 197

scheint das feste Personal economies ofscale hervorzubringen. Andererseits ist der Anteil des festen Personalbestands in den mittleren Unternehmen größer als in den kleinen, was offensichtlich mit der größeren Technisierung der ersteren zu tun hat. Dies bedeutet, daß der gewerkschaftliche Organisationsgrad in den mittleren Unternehmen am höchsten ist und daß damit auch die Möglichkeit, stabile Arbeitsverhältnisse zu erkämpfen, dort am ehesten gegeben ist. Demgegenüber gibt es in den Großbetrieben praktisch keine Kollektivverhandlungen - vgl. Tabelle 12. Dies muß als ein Indiz dafür gewertet werden, daß auf dem Gebiet der Arbeitsbeziehungen der Modernisierungsprozeß weit hinter dem technologischen Prozeß zurückgeblieben ist, daß somit in den Großbetrieben sich das Problem einer inkongruenten Modernisierung mit besonderer Schärfe zeigt.

Tabelle 11: Dauerhafte und Zeitarbeitsverhältnisse im Obstsektor Anteil nach Unternehmensgröße in % dauerhaft

zeitweise

insgesamt

Agraringenieure

Beschäftigte

77,3

22,7

100,0

kleine mittlere große

50,0 91,3 77,8

50,0 8,7 22,2

100,0 100,0 100,0

65,9

34,1

100,0

kleine mittlere große

66,7 78,6 55,6

33,3 21,4 44,4

15,0

85,0

100,0 100,0 100,0

100,0

7,5 44,4 55,0

92,5 55,6 45,0

100,0 100,0 100,0

19,4

80,6

100,0

19,5 23,9 15,7

80,5 76,1 84,3

100,0 100,0 100,0

Techniker

private Berater kleine mittlere große

Arbeiter kleine mittlere große

Quelle: Daten aufgrund einer Befragung in Zusammenarbeit mit CIEPLAN und der Universität von Kalifornien Traditionell sind die Arbeitsbedingungen für Zeitarbeiter höchst prekär. Dies hat sich in den letzten Jahren geringfügig geändert. Obgleich die Arbeitszeit nach wie vor täglich 12 Stunden oder mehr beträgt, können doch bei den Arbeitsbedingungen (Transportbedingungen, Verpflegung, sanitäre Einrichtun198

gen, Kinderbetreuung etc.) und auch im Lohnniveau gewisse Verbesserungen registriert werden. Auch die Kooperation zwischen den Arbeitern, den Unternehmern und dem öffentlichen Sektor scheint zugenommen zu haben - eine für soziale Konzertation unabdingbare Voraussetzung. Die Lohnerhöhungen sind vor allem auf den Abbau der offenen Arbeitslosigkeit zurückzufuhren, welcher sich in manchen Bereichen der Obstproduktion bereits als signifikanter Mangel an Arbeitskräften bemerkbar macht. Da dies jedoch noch nicht mit einer merklichen Verbesserung des Qualifikationsniveaus und der Arbeitsbeziehungen einhergeht, ist es problematisch, diese Situation bereits als eine definitive Verbesserung der sozialen Situation im Sinne von mehr equidad zu werten. Ein kürzlich verabschiedetes Gesetz, welches auch Zeitarbeitern die gewerkschaftliche Organisation und Kollektivverhandlungen zugesteht, könnte hier eine grundsätzlichere Neuorientierung einleiten. Tabelle 12: Methoden der Lohnaushandlung (Anteil nach Unternehmensgröße in %) Methode Festlegung durch Unternehmer mit dem Einzelarbeiter Kollektivverhandlungen: Gewerkschaft informelle Arbeitergruppen Insgesamt

kleine 17,4 34,8 ~

47,8 100,0

mittlere 22,2 27,8 16,7 33,3 100,0

große 33,3 66,7 — -

100,0

Quelle: Daten aufgrund von Befragung in Zusammenarbeit mit CIEPLAN und der Universität von Kalifornien Die Weinproduktion: Auf dem Weg zur zweiten Phase? Eine Überproduktionskrise von Wein zu Beginn der achtziger Jahre war Auslöser zum einen für die Reduzierung der Anbauflächen, zum anderen und vor allem aber für den Anbau besserer Sorten und eine generelle Verbesserung der Qualität, wodurch chilenischer Wein international konkurrenzfähig wurde. Diese Entwicklung wurde von verschiedenen Institutionen unterstützt, darunter der Comisión Nacional de Vino, in der öffentlicher und privater Sektor bei der Beseitigung von Engpässen kooperieren, sowie ProChile, welche im Bereich des internationalen Marketing tätig ist. Hinzu kamen gesetzliche Bestimmungen und Auflagen zur Sortenreinheit.

199

Die klimatischen Bedingungen und die Bodenbeschaffenheit in Chile sind für den Weinanbau außerordentlich günstig. Hinzu kommen als Wettbewerbsfaktoren die Verfügbarkeit relativ billigen Landes und billiger Arbeitskräfte sowie eine lange Tradition in der Weinproduktion. Die heftige Konkurrenz zwischen den großen ausländischen (darunter Chateau Lafitte-Rothschild aus Frankreich, Franciscan Vineyard aus den USA und Miguel Torres aus Spanien) und nationalen Weinproduzenten hat seit Ende der siebziger Jahre einen Innovationsprozeß eingeleitet, welcher die gesamte Infrastruktur einbezog - insbesondere durch die Einführung neuer Technologien wie den Gebrauch nichtoxydierender Edelstahlfässer, neue Methoden der Abfüllung, neue Bewässerungsmethoden, Einführung intensiverer Kontrollmechanismen über Reifungsgrad und Verfälschungen sowie Ausweitung des Netzes technischer und finanzieller Hilfen. Im Bereich der technischen Hilfe spielen die Universitäten eine besondere Rolle durch die Ausbildung von einschlägig qualifizierten Agraringenieuren. Der Einsatz der Edelstahlfässer ermöglicht erhebliche Qualitätsverbesserungen der Produktion und erhöht damit ihre Wettbewerbsfähigkeit, unter anderem durch Verbesserung der Hygiene, durch effizientere Qualitätskontrollen und durch geringeren Einsatz von Chemikalien. Überdies ist damit ein neuer Produktionszweig entstanden bzw. die Produktionskette hat sich entsprechend ausgedehnt, da die Edelstahlfässer im Land selbst produziert und auch bereits exportiert werden. Der Exportanteil der Weinproduktion ist von 5,1 Prozent im Jahre 1987 auf 19,8 Prozent im Jahr 1991 gestiegen. Der Anteil des Weines an den Gesamtexporten ist damit von 0,3 Prozent (1985) auf 0,9 Prozent (1991) gewachsen. Traditionell exportierte Chile seine Weine hauptsächlich auf den lateinamerikanischen Markt. Seit Anfang der achtziger Jahre konnte es jedoch seine Märkte erheblich diversifizieren und auch auf den US-amerikanischen und europäischen Markt exportieren - Ausdruck für die hohe Wettbewerbsfähigkeit des chilenischen Weines (vgl. Tabelle 13). Tabelle 13: Märkte für die chilenischen Weinexporte 1980-1991 (Anteile in %) Markt Lateinamerika Nordamerika Europa Asien Insgesamt

1980 87,9 10,6 1,2 0,3 100,0

1985 69,0 27,6 3,0 0,4 100,0

Quelle: Revista del Campo, 24. Februar 1992

200

1989 42,0 39,0 15,0 4,0 100,0

1991 30,0 35,6 28,4 6,0 100,0

Die Weinproduktion ist ein kleines Beispiel dafür, wie der Übergang in eine zweite Phase des Exportmodells, die sich durch einen erhöhten Grad an nationaler Wertschöpfung und die Einführung technologischen Fortschritts auszeichnet, aussehen könnte. Aus diesem Beispiel lassen sich allerdings noch keinerlei verallgemeinernde Schlußfolgerungen für das Ganze der chilenischen Wirtschaft ziehen - für einen solchen Schluß scheint es insgesamt noch zu früh zu sein. 5. Schlußfolgerungen: Demokratie, sozialer Ausgleich und Wachstum in der chilenischen Erfahrung Auch hinsichtlich der grundsätzlichen Verwirklichung einer Kompatibilität von Wirtschaftswachstum mit sozialem Ausgleich und politischer Demokratie sind endgültige Schlußfolgerungen und gesicherte Prognosen nicht möglich. Im Hinblick auf die Form der Demokratie, die sich in Chile herausbildet, läßt sich feststellen, daß die Begrenzungen, die durch den paktierten Übergang zur Demokratie bedingt waren, zu einer wachsenden politischen Apathie in der Bevölkerung und zu Prozessen elitärer und bürokratischer Verkrustung bei den Parteien und im gesamten politischen Leben geführt hat. Damit wird eine Entwicklung verstärkt, die sowieso mit der Professionalisierung von Politik in modernen Systemen verbunden ist. Indem aber die Konsensdemokratie auf diese Weise die staatbürgerliche Gleichheit in gesteigertem Maße begrenzt, läßt sie auch die Verwirklichung der auf equidad orientierten Ziele zweifelhaft werden. Andererseits hätte die direkte Attackierung der enclaves autoritarios durch die Regierung der Concertaciön, welche aufgrund von deren hoher Legitmitätsgrundlage vielleicht möglich und erfolgreich gewesen wäre, doch zur Verunsicherung entscheidender wirtschaftlicher Akteure geführt und damit das Klima wirtschaftlicher Stabilität aufs Spiel gesetzt, welches als grundlegend für die gesellschaftliche Transformation anzusehen ist. Das Beispiel Alfonsins in Argentinien hat bei dieser Abwägung eine bedeutende Rolle gespielt. Die Regierung der Concertaciön hat deshalb eine Strategie des Gradualismus gewählt, welche zwar perspektivisch ein mehrheitsdemokratisches System anstrebt, dieses jedoch erst auf einem stabilen konsensdemokratischen Fundament meint, errichten zu können. Die politische Dezentralisierung und Regionalisierung bedeutet einen Weg der demokratischen Konsolidierung, der ursprünglich von der Regierung gar nicht intendiert war, der sich jedoch dann als gangbar erwies, weil einerseits die Rechten glaubten, über relativ autonome Regionalregierungen Machtpositionen erhalten zu können, die sie auf zentraler Ebene hatten abgeben müssen, und weil andererseits auf regionaler Ebene dynamische Wirtschaftsstrukturen 201

entstanden waren, die nach autonomer Interessenvertretung und Repräsentanz strebten. Es stellt sich jedoch weiterhin die Frage, wie es möglich sein soll, die sozialen Rechte der Gruppen, die im Rahmen der Konsensdemokratie politisch weitgehend ausgeschlossen sind, auszuweiten, ohne damit den Prozeß demokratischer Konsolidierung und wirtschaftlicher Stabilität zu gefährden. Der Regierung der Concertaciön gelang es jedenfalls erst einmal, eine grundlegende soziale Übereinkunft zwischen Unternehmern und Gewerkschaften herbeizuführen: die Gewerkschaften, die mit dem Amtsantritt der Regierung Aylwin über eine vergleichsweise große Verhandlungsmacht verfugten, wenn sie sich auch grundsätzlich in einer schwierigen Situation befanden, stimmten einer Legitimierung der offenen Wirtschaft zu - im Tausch gegen substantielle Verbesserungen der sozialen und wirtschaftlichen Lage der Arbeiter. Die Unternehmer, die angesichts des Wirtschaftswachstums hohe Gewinne realisieren konnten, waren bereit, redistributiven Maßnahmen und der Schaffung der legalen Grundlagen für ein ausgeglicheneres Verhältnis zu den Gewerkschaften zuzustimmen - im Tausch gegen die Legitimierung ihres Wirtschaftsmodells. Auf dieser Grundlage gelang es, die Sozialausgaben beträchtlich auszuweiten und die Löhne anzuheben. Das Armutsproblem allerdings konnte auf diesem Wege bisher nicht auch nur annähernd gelöst werden. Insgesamt jedoch zeigt der chilenische Fall, daß die demokratische Legitimierung der offenen Wirtschaft von den Unternehmern als Voraussetzung für das Überleben des Modells angesehen wird. Die Tatsache überdies, daß trotz der Befreiung der gewerkschaftlichen Aktivitäten aus der Strangulierung, denen sie unter der Diktatur ausgesetzt waren, und trotz der allgemeinen Stärkung der Gewerkschaften Streikaktivitäten und Arbeitskämpfe zurückgegangen sind, könnte ein Indiz dafür sein, daß die Arbeiter stärker als früher sich mit dem Schicksal ihres Unternehmens identifizieren und zunehmend bereit sind, die Lohnentwicklung an das Wachstum der Produktivität anzubinden. Dies gilt natürlich nicht für die weiten Wirtschaftsbereiche, die - wie der Obstsektor durch prekäre Arbeitsverhältnisse gekennzeichnet sind. Trotzdem könnten - im besten Falle - die genannten Veränderungen die Voraussetzung für die Entstehung eines circulus virtuosus darstellen zwischen politischer und sozialer Teilhabe auf der einen Seite, Wirtschaftswachstum auf der anderen. Dies setzt allerdings seinerseits voraus, daß die bisher allenfalls in ersten Anfängen feststellbaren Modernisierungsprozesse im Bildungs- und Ausbildungsbereich, im Gesundheitssystem und im Bereich technologischer Innovationen sowie bei der kleinen und mittleren Industrie, durch die gleichzeitig die Produktivität gesteigert, die Wettbewerbsfähigkeit verbessert und ein erhöhtes Maß an equidad errreicht werden kann, forciert werden. An dieser Stelle ist die staatliche Intervention gefordert. Die vom Staat bisher durchgeführten diesbezüglichen Maßnahmen sind lediglich punktueller Art und noch wenig konsistent; ein 202

umfassendes und integriertes Konzept konnte noch nicht entwickelt, geschweige denn umgesetzt werden. Hier zeigt sich, daß das entscheidende Hindernis bei der Überfuhrung des Exportmodells in seine zweite Phase, die Wachstum, Verteilung und Demokratie miteinander kompatibilisieren könnte, neben dem begrenzten Demokratiemodell vor allem in dem Mangel an Konsens bezüglich der Rolle des Staates liegt. Ein solcher Konsens aber ist Voraussetzung für die Modernisierung und Effizienzsteigerung des Staates, wodurch dieser überhaupt erst in die Lage versetzt wird, die ihm gestellten Aufgaben wahrzunehmen.

203

Michèle Snoeck, Judith Sutz und Andrea Vigorito1

B III. Uruguay Einleitung In Uruguay erfolgte die Redemokratisierung - mit den Wahlen vom November 1984 und der Amtsübernahme der Regierung Sanguinetti im März 1985 - in einer Situation, die durch eine schwere wirtschaftliche Rezession gekennzeichnet war. Diese war ihrerseits nur aktueller Ausdruck einer seit Ende der fünfziger Jahre andauernden Strukturkrise, die sich in einer langanhaltenden wirtschaftlichen Stagnation manifestierte. Ende der fünfziger Jahre hatte die importsubstituierende Industrialisierung (ISI) aufgrund ihrer einseitigen Ausrichtung an einem höchst begrenzten Binnenmarkt und ihrer starken Importabhängigkeit, für die die Landwirtschaft die Devisen zu liefern hatte, ihre Grenzen erreicht: Der Verfall der Weltmarktpreise für die traditionellen uruguayischen Exportgüter (Leder, Fleisch, Wolle) ließ die zugrunde liegenden Strukturprobleme deutlich werden und machte die Fortsetzung des bisherigen Entwicklungsweges langfristig unmöglich. Damit war aber auch das gesamte Gesellschaftsmodell infrage gestellt, welches sich durch eine im lateinamerikanischen Kontext vergleichsweise egalitäre Verteilungsstruktur, ein entwickeltes sozialstaatliches Netz und eine stabile Parteiendemokratie auszeichnete ermöglicht durch dynamische Wachstumsraten des Prokopfeinkommens auf der Grundlage hoher Rentengewinne aus einer Viehwirtschaft, die äußerst günstige natürliche Bedingungen aufwies. Mit dem Einsetzen der Stagnationsphase begannen die Grundlagen dieses Modells zu erodieren, und es setzten Verteilungskämpfe ein, die in den politischen Polarisierungen zu Beginn der siebziger Jahre mündeten. Gleichzeitig zeigten sich sämtliche relevanten sozialen Akteure - die Unternehmer, die Gewerkschaften und der Staat -

1 Die Kürzung, Bearbeitung und Übersetzung dieses Teils des Forschungsberichts hat Barbara Töpper vorgenommen.

204

außerstande, eine Restrukturierung der Wirtschaft durchzusetzen, welche erneute Wachstumsprozesse ermöglicht hätte. Die politische Konfliktkonstellation zu Beginn der siebziger Jahre wurde durch den Militärputsch von 1973 zunächst einmal aufgebrochen. Die Militärs waren mit einem neoliberalen Programm der Außenöffnung angetreten, um auf diesem Weg eine Modernisierung der Wirtschaft zu erzwingen. Die Öffnung erfolgte dann jedoch nur in kleinen, sehr zögerlichen Schritten: Einer ersten Phase der Exportförderung (1973-78), über welche vorübergehend wieder höhere Wachstumsraten erzielt wurden (ohne daß dies jedoch zu einer grundsätzlichen Umstrukturierung gefuhrt hätte), folgte eine zweite Phase (1978-82), in der über systematische Überbewertung der Währung und Importliberalisierungen die nationale Produktion einem Konkurrenzdruck ausgesetzt war, der in erneute Stagnation führte. Die Verschuldung machte ab 1982 die Drosselung der Importe erforderlich, was zu einem weiteren Rückgang der Investitionstätigkeit führte (vgl. Eßer et al. 1983 sowie Messner 1990). Insgesamt hat somit die Militärdiktatur in Uruguay keinen nennenswerten Beitrag zur Aufbrechung der grundlegenden Entwicklungsblockaden geleistet. Die demokratische Regierung Sanguinetti war damit bei ihrer Amtsübernahme mit einer Situation konfrontiert, die durch folgende Indikatoren gekennzeichnet war: Das Bruttoinlandsprodukt war zwischen 1981 und 1985 um 17 Prozent geschrumpft; 1981-84 waren die Reallöhne um 30 Prozent gesunken; die registrierte Arbeitslosigkeit betrug 1984 in Montevideo 14 Prozent. Zwischen 1970 und 1980 hatten etwa zehn Prozent der Bevölkerung das Land verlassen. Die Auslandsverschuldung lag bei 4,9 Milliarden US-Dollar, und der Schuldendienst hatte 45 Prozent der Exporte erreicht. 1984 befand sich ein Viertel der uruguayischen Haushalte unterhalb der Armutsgrenze, und 1988 wurde fast die Hälfte aller Kinder (45 Prozent) unter Armutsbedingungen geboren. Die Wirtschaftsstruktur hatte sich in den letzten 15 Jahren zugunsten des Industriesektors verschoben. Die Außenhandelsstruktur wies einen erhöhten Anteil nichttraditioneller Exporte und neuer Elemente wie z.B. des Tourismus auf. Der Anteil des Staates an der Wirtschaft hatte sich beträchtlich ausgeweitet; im Sektor Banken und Versicherungen beispielsweise verdoppelte er sich zwischen 1982 und 1985 von 41 Prozent auf 82 Prozent. 1985 beschäftigte der Staat 245.693 Personen, das entsprach einem Anteil von etwa 21 Prozent der ökonomisch aktiven Bevölkerung. 39 Prozent davon waren dem Verteidigungsund dem Innenministerium unterstellt.

205

1. Die Entwicklung nach der Diktatur Die demokratische Restauration: Uruguay zwischen 1985 und 1989 Eine günstige externe Konjunktur und die Ausschöpfung vorhandener brachliegender Kapazitäten ermöglichten zunächst ein kräftiges Wachstum des Bruttoinlandsprodukts, verbunden mit einem Anstieg der Beschäftigung und der Arbeitslöhne. Da dies jedoch nicht von einem entsprechenden Anwachsen der Investitionen begleitet war - in den achtziger Jahren lag die jährliche Investitionsrate etwa bei zehn Prozent -, war diese Entwicklung bereits nach zwei Jahren erschöpft. Insgesamt war die Politik der Regierung Sanguinetti in diesen ersten beiden Jahren der wiederhergestellten Demokratie durch bloßes Krisenmanagement und im übrigen die weitgehende Fortsetzung der von der Diktatur betriebenen Politik gekennzeichnet. So wurde vor allem die Außenöffnung weiter betrieben, ohne daß dies mit bedeutenden Anpassungsmaßnahmen verbunden gewesen wäre: Weder wurde der Staatsanteil in nennenswertem Umfang reduziert, noch wurden wirksame Maßnahmen zur Erhöhung der Effizienz im öffentlichen Sektor ergriffen, noch gab es beträchtliche Einkommensverschiebungen zwischen den Wirtschaftssektoren. Das mit diesem continuismo verbundene Maß an Stabilität ermöglichte es einerseits, in Uruguay das makroökonomische Gleichgewicht aufrechtzuerhalten und inflationäre Prozesse wie in den beiden Nachbarländern Argentinien und Brasilien zu vermeiden. Andererseits jedoch konnte die Krise auf diese Weise nicht prinzipiell bewältigt werden: Das Niveau der Privatinvestitionen stagnierte, die Verschlechterung der Lebensbedingungen konnte nicht entscheidend gebremst werden, die Arbeitslosigkeit blieb weiterhin hoch und das Wachstum des informellen Sektors sowie die Emigration setzten sich fort. Der Diskurs der ersten demokratischen Regierung war kein neoliberaler; dem Staat wurde vielmehr nach wie vor eine bedeutende Funktion beigemessen. Die Regierung folgte aber auch keinem Modernisierungskonzept. Ihre Initiativen bezüglich Bildungsreform oder Technologiepolitik bzw. Forschung und Entwicklung im allgemeinen waren spärlich; es gingen von ihr keine innovationsorientierten Impulse aus. Dies war umso gravierender in einer Situation, in der die Forschungslandschaft durch die Interventionen der Universität sowie die massive Emigration von Spezialisten stark ausgetrocknet war. Grundsätzlich zeichnete sich diese Regierung somit durch weitgehende Konzeptionslosigkeit aus - auch und gerade was die Herstellung von wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit anbelangt. Die Redemokratisierung erfolgte in Uruguay unter Vorzeichen, die als wenig innovationsorientiert bezeichnet werden müssen. Viele Akteure, vor allem diejenigen, die von der Diktatur hart 206

betroffen waren, kehrten in ihre alten Positionen zurück - mit denselben Parolen und Praktiken, wie vor der Diktatur. Andere paßten sich - zumal angesichts des weitgehenden Fortbestehens vieler Spielregeln - den neuen Gegebenheiten des Rechtsstaates an, ohne daß dies für sie mit tiefgreifenden Umbrüchen verbunden gewesen wäre. Die Regierungspartei Partido Colorado widmete sich dem "Krisenmanagement", während sich die andere konservative Partei Partido Nacional weitgehend von den Regierungsgeschäften fernhielt, ohne dabei nennenswerte Alternativen zu entwickeln. Die Linke gruppierte sich mehrheitlich um die "Breite Front" (Frente Amplio), wobei sie nach wie vor dieselben Programme verfocht - Nationalisierung des Finanz- und Außenhandelssektors, keine Schuldenzahlung etc. wie 1971. Allerdings zeigte es sich, daß die programmatische Einheit auf Dauer nicht aufrechtzuerhalten war, was dazu führte, daß sich 1989 - nach heftigen Auseinandersetzungen in der Öffentlichkeit - die sozialdemokratischen und christdemokratischen Richtungen abspalteten. In den sozialen Bewegungen, allen voran in der Studentenbewegung, gewannen parteipolitische Orientierungen sehr schnell die Oberhand und unterstützten den Prozeß der Restauration des traditionellen Parteiensystems. Aber auch auf vielen anderen Gebieten erfolgte die bloße Restauration der Verhältnisse von vor 1973. Exemplarisch ist hier der Fall der Universidad de la República, wo, von der Ausnahme eines Dekans abgesehen, der Rektor und sämtliche Dekane, die 1973 gewählt worden waren, ihre Ämter wieder übernahmen. Gruppen, die während der Diktatur kaum Opposition demonstriert hatten dies gilt vor allem für die Unternehmerverbände - , zeigten auch jetzt nur geringe Präsenz. Dies ist zum Teil auf die weitgehende Kontinuität in der Wirtschaftspolitik zurückzuführen, zum Teil aber auch auf die günstige Konjunktur, welche ihnen die Ausweitung der Beschäftigung und die Erhöhung der Löhne problemlos ermöglichten. Angesichts dieses continuismo stellt sich - insbesondere im Vergleich mit Chile - hier die Frage, wieweit und in welcher Hinsicht Uruguay sich überhaupt gegenüber 1973 verändert hatte. Zweifelsohne hatten sich die Wirtschafts-, die Bevölkerungs- und die Einkommensstruktur geändert. Die Akteure jedoch waren weitgehend dieselben geblieben. Vor allem war - im Unterschied zu Chile - keine neue Unternehmerschicht entstanden, kein dynamisches Unternehmertum; ebenso keine neue, effizienzorientierte Staatsbürokratie. Aber auch für die gesamte Gesellschaft gilt, daß kaum Einstellungs- und Mentalitätsveränderungen zu beobachten sind. Die Diktatur hat gerade auf diesem Gebiet - im Unterschied zur chilenischen oder auch brasilianischen und ähnlich wie die argentinische - ihr Destruktionswerk nicht vollendet. 207

Impulse aus der Zivilgesellschaft Auch seitens der Zivilgesellschaft gab es nur wenige Initiativen, die eine innovationsorientierte Alternative zum Regierungsprogramm hätten darstellen können. Zwei dieser Initiativen auf gänzlich verschiedenen Gebieten, die jedoch beide ein hohes Niveau an sozialer Innovationsfähigkeit signalisieren, sollen im folgenden kurz dargestellt werden: Mikrosoziale Initiativen: der Fall PEDECIBA Das Programa de Desarrollo de las Ciencias Básicas (PEDECIBA - Programm zur Entwicklung der Grundlagenforschung) wurde angesichts der bevorstehenden demokratischen Öffnung von uruguayischen Grundlagenforschern gegründet, die auf diese Weise eine Organisationsform als Wissenschaftsgemeinschaft finden sowie die Rückkehr der exilierten Wissenschaftler unterstützen wollten. Beim Wiederaufbau einer Forschungs-Infrastruktur erhielt PEDECIBA von der Regierung praktisch keine Unterstützung; finanzielle Hilfe kam in erster Linie vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen UNDP. PEDECIBA ist in verschiedener Hinsicht als institutionelle Innovation zu sehen, die gleichzeitig modern und demokratisch ist: Sie legt strenge wissenschaftliche Maßstäbe für die Auswahl der Mitarbeiter in ihren Programmen zugrunde; die Repräsentanten der Organisation werden für jede Disziplin von den jeweiligen Wissenschaftlern selbst gewählt; ebenso werden die zu verfolgenden Forschungslinien gemeinschaftlich festgelegt. Auf diese Weise können die Administrationskosten niedrig gehalten und die knappen Mittel effizient für Forschungszwecke eingesetzt werden. Ferner genießt die Postgraduierten-Ausbildung einen hohen Stellenwert. Makrosoziale Initiativen: Das Referendum gegen das Amnestie-Gesetz der Militärs Im Unterschied zu Chile und Argentinien, wo die Frage einer strafrechtlichen Verfolgung von Menschenrechtsverletzungen unter der Militärdiktatur jeweils - wenn auch mit unterschiedlichem Ergebnis - von der Regierung entschieden wurde, wurde in Uruguay diese Entscheidung - nach zwei Jahren intensiver öffentlicher Diskussion und Bewegung - mit Hilfe einer Volksbefragung herbeigeführt.

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Wenn sich hierin an sich schon eine Besonderheit des uruguayischen Weges zeigt, so weist darüber hinaus die Bewegung gegen das Amnestie-Gesetz einige zusätzliche bemerkenswerte Elemente auf, die auf ein hohes Niveau an demokratischem Bewußtsein und Verantwortung gegenüber der Gemeinschaft schließen lassen. Zu nennen sind hier vor allem der pluralistische Charakter der Initiative, an der das gesamte Spektrum der Parteien partizipierte; die stillschweigende Übereinkunft zwischen den Parteien, das Referendum nicht für parteipolitische Zwecke auszuschlachten, sondern ihm den Charakter einen Volksbewegung zu belassen; die herausragende Bedeutung, die einzelne, bis dahin in der Öffentlichkeit wenig bekannte Persönlichkeiten gewannen; sowie die Form, in der sich die Nationale Kommission für das Referendum selbst auflöste - elf Tage, nachdem ihre Initiative in der Volksbefragung abgelehnt worden war (landesweit hatten lediglich 40 Prozent für die Annullierung des Amnestie-Gesetzes gestimmt; in Montevideo waren es allerdings 60 Prozent). Diese neuen Elemente in der politischen Kultur Uruguays verbanden sich mit Aspekten einer Tradition, die vielleicht mit dem Referendum ihre letzte große nationale Manifestation auf diese Weise erfuhr: die Fähigkeit zu einer kollektiven Antwort auf ethische Fragen, die Mobilisierungsfähigkeit, wobei ein gutes Maß an Originalität in der Diskursführung festzustellen ist, sowie der wirksame Appell an die Solidarität. Angesichts des fortschreitenden Zerfalls von Gemeinschaft und Solidarität, der auch in der uruguayischen Gesellschaft auf den verschiedensten Ebenen zu beobachten ist, stellt sich die Frage, ob es sich bei dem Referendum um den "Schwanengesang" dieser alten uruguayischen politischen Kultur handelte. Eine Antwort auf diese Frage ist in der gegenwärtigen Situation nicht möglich. Die genannten Zerfallserscheinungen sind ebenso real wie das Vorhandensein einer an vielen kleinen Initiativen beobachtbaren latenten Fähigkeit zur Innovation wie zur Solidarität. Argentinien, Brasilien, Uruguay: Abkommen und Integration Der Mangel an dynamischen, zukunftsorientierten Akteuren und der grundsätzliche Immobilismus in der uruguayischen Gesellschaft machen sich besonders gravierend auf einem Gebiet bemerkbar, das für die Herausbildung einer wettbewerbsfähigen, an langfristigen Entwicklungsprozessen orientierten Wirtschaft von entscheidender Bedeutung ist: bei der regionalen Integration mit Argentinien, Brasilien und Paraguay im Rahmen des gemeinsamen Marktes MERCOSUR. Im Unterschied zu Argentinien und Brasilien, wo das Thema Integration ganz oben auf der politischen Tagesordnung stand und auch in der Öffentlichkeit intensiv diskutiert wurde, wurde ihm in Uruguay nach der Demokratisierung nicht annähernd die nötige Aufmerksamkeit geschenkt -

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dies, obwohl der MERCOSUR nach seinem definitiven Inkrafttreten die vollständige Befreiung des Handels zwischen seinen Mitgliedstaaten von Zöllen und anderen Hemmnissen (bis Ende 1993 für Argentinien und Brasilien, bis Ende 1994 für Uruguay und Paraguay) bedeutet. Dem MERCOSUR, der mit dem Abkommen von Asunción 1990 begründet wurde, waren im Jahre 1975 bilaterale Abkommen mit Argentinien (CAUCE) und Brasilien (PEC), die 1985 noch einmal neu ausgehandelt worden waren, voraus gegangen. Die Bedeutung dieser Abkommen ergibt sich aus der Tatsache, daß die Exporte Uruguays in diese beiden Länder Ende der achtziger Jahre etwa ein Drittel der uruguayischen Gesamtexporte ausmachten. Der größte Teil dieser Exporte wurde im Rahmen von CAUCE (1990: 84,7 Prozent der Exporte nach Argentinien) und PEC (1990: 74,2 Prozent der Exporte nach Brasilien) getätigt. Der Effekt beider Abkommen wurde im allgemeinen in Uruguay positiv als Mittel einer Exportsteigerung gewertet, sowohl von Seiten der Exporteure, als auch von Seiten der Wissenschaft (vgl. zum Beispiel Magariños 1991). Es gab allerdings auch Stimmen, unter anderem im Wirtschaftsministerium, die hierin eine Fehllenkung des Handels sahen, wodurch Inefflzienz und Mangel an Wettbewerbsfähigkeit lediglich verdeckt würden (so der Unterstaatssekretär für Wirtschaft im August 1992). Die Integrationsabkommen zwischen Argentinien und Brasilien, die seit 1985 ausgehandelt wurden und die de facto eine Aushöhlung von CAUCE und PEC bedeuteten, wurden in Uruguay nicht ausreichend zur Kenntnis genommen - eine gründliche Analyse dieser Abkommen hätte vielleicht zu dem Ergebnis geführt, daß der MERCOSUR - zumindest in der vorliegenden Form - für Uruguay nicht unbedingt von Vorteil ist. Im Unterschied zu diesen bilateralen Abkommen, insbesondere zu den zwölf Protokollen, die Argentinien und Brasilien 1985 unterzeichnet hatten und die einige sehr konkrete Maßnahmen zur Herstellung von Wettbewerbsfähigkeit vorsehen (Aufbau eines argentinisch-brasilianischen Zentrums für Bio-Technologien, Bildung eines Investitionsfonds zur Finanzierung der Integration etc.), ist das Abkommen von Asunción sehr allgemein gehalten. Eine Konkretisierung, die im Interesse Uruguays wäre, müßte vor allem der unterschiedlichen Größe der Mitgliedstaaten und den komparativen Nachteilen der kleinen Staaten Rechnung tragen. Dies hätte eine aktive Teilnahme und Interessenvertretung der uruguayischen Repräsentanten bei den Verhandlungen, welche der endgültigen Ratifizierung des Abkommens im Jahre 1994 vorangehen, vorausgesetzt.

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1989: Die Wende zum Neoliberalismus Das Jahr 1989 leitete eine gewisse Wende in der Entwicklung Uruguays nach der Demokratisierung ein, ohne daß jedoch damit ein grundlegender Durchbruch zu neuen Ufern erreicht worden wäre. Die Wahlen vom November gewann auf nationaler Ebene der Partido Nacional und in ihm die neoliberale Strömung unter Luis Alberto Lacalle; in Montevideo gewann die Frente Amplio. Dieses Ergebnis bestätigt Erfahrungen, wie sie auch Alfonsin in Argentinien und Sarney in Brasilien machen mußten, daß nämlich die jeweils ersten demokratisch gewählten Regierungen nach der Periode der Diktatur meist mit hohen Erwartungen konfrontiert waren, die sie angesichts mangelnder materieller Spielräume nicht befriedigen konnten, was sich dann in einem negativen Wahlergebnis für sie auswirkte. Aus diesem Ergebnis kann allerdings nicht geschlossen werden, daß die uruguayische Bevölkerung programmatisch für den Neoliberalismus gestimmt hätte. Das Wahlergebnis in Montevideo weist vielmehr darauf hin, daß gerade dort, wo am ehesten programmatisch gewählt wird und das Wahlverhalten am wenigsten, wie vor allem in der Provinz, von traditionellen und persönlichen Affinitäten geprägt ist, gerade gegen neoliberale Positionen gestimmt wurde. Die Regierung Lacalle trat ihre Amtsgeschäfte im März 1990 an. Ihr Programm sah vor allem eine Fortsetzung der Öffnungspolitik vor. Dazu gehörten neben allgemeinen Zollsenkungen eine möglichst weitgehende Entstaatlichung durch Privatisierung von Staatsunternehmen und generelle Schrumpfung des administrativen Staatsapparates sowie die Freisetzung der Marktkräfte durch Beseitigung von Verzerrungen, die mit inflationären Prozessen einhergingen und als deren Hauptursache das Haushaltsdefizit identifiziert wurde. Dies bedeutete vor allem die drastische Senkung der Staatsausgaben. Weiterhin sollten die Löhne, sowohl im öffentlichen, als auch im privaten Sektor eingefroren werden. Von dem ungehinderten Wirken des Marktes erhoffte man sich automatisch eine erhöhte Wettbewerbsfähigkeit und darüber gesamtwirtschaftliches Wachstum. Als dessen Ergebnis sollte sich langfristig dann auch das Problem der sogenannten deuda social - der "sozialen Schuld" - von selbst lösen. Abgesehen von dem Verzicht auf eine aktive Sozialpolitik war dieses Programm politisch kaum zu realisieren bzw. konnte nur mit teils erheblichen Abstrichen durchgesetzt werden. So mußte zum Beispiel die Landwirtschaft von der Mehrwertsteuer befreit werden, weil der Landwirtschaftsminister mit Rücktritt drohte; im öffentlichen Sektor mußten leichte Lohnerhöhungen zugestanden werden, weil sonst die Gefahr bestanden hätte, daß die fragile parlamentarische Mehrheit, auf die sich die Regierung stützen mußte, auseinander211

bricht. Eine radikale Reform des Staatsapparates im Sinne von Effizienzsteigerung und erhöhter Transparenz scheiterte daran, daß der politische Klientelismus nach wie vor eine entscheidende Basis der traditionellen Parteien konstituiert. Fortschritte in Richtung auf die doppelte Zielsetzung einer Reduzierung des Staatsapparates bei gleichzeitiger Effizienzsteigerung waren überhaupt nur über freiwillige Kündigungen mit Hilfe von massiven ökonomischen Anreizen zu erreichen, was zur Folge hatte, daß gerade die jüngeren und qualifiziertesten Angestellten, für die die besten alternativen Beschäftigungsmöglichkeiten bestanden, gingen. 2. Die wirtschaftliche Transformation in Uruguay: Neue Entwicklungen? Mitte der siebziger Jahre setzte in Uruguay eine Wende in der Wirtschaftspolitik ein, deren Ziel, die Außenöffnung, mit Hilfe von Importerleichterungen und Exportförderungsmaßnahmen erreicht werden sollte. Insbesondere die Zollreform von 1978, die einen Einheitszoll von 35 Prozent einführte, bewirkte einen drastischen Abbau des Protektionsniveaus. Mit Hilfe der Exportförderungsmaßnahmen, in deren Genuß alle nichttraditionellen Exporte kamen (das heißt alle außer den traditionellen Exportprodukten wie Fleisch, ungewaschene Wolle und Rohleder; die nichttraditionellen Exporte umfassen vor allem Textile, Bekleidung, Papier, Plastik, chemische Produkte, aber auch Reis, Fisch und andere Rohprodukte), konnte bis 1980 eine beträchtliche Ausweitung der Exporte erzielt werden. Dieser Wachstumsprozeß wurde zu Beginn der achtziger Jahre durch eine Krise unterbrochen, in deren Gefolge das Bruttoinlandsprodukt zwischen 1981 und 1984 um 16 Prozent sank. Insgesamt jedoch hatte ein Transformationsprozeß in Richtung auf eine offenere Wirtschaft mit einer Exportstruktur eingesetzt, die einen gewachsenen Verarbeitungsgrad aufwies: Zwischen 1981 und 1987 war der Anteil reiner Primärgüter an den Gesamtexporten von 53 auf 35.5 Prozent zurückgegangen, während die Produkte mit einem leichten Verarbeitungsgrad ihren Anteil von 13,3 auf 18,9 Prozent ausweiten konnten; der Anteil von Produkten mit einem mittleren Verarbeitungsgrad (gewaschene und gekämmte Wolle - sogenannte Tops -, Garne, gegerbtes Leder etc.) stieg von 19.6 auf 26 Prozent (vgl. Sarächaga/Vera 1989). Für die neunziger Jahre hat sich das neoliberale Öffnungsprogramm der Regierung Lacalle die Forcierung dieses Prozesses auf die Fahnen geschrieben. Insgesamt jedoch wurde die Außenöffnung bisher lediglich eingeleitet, und eine sich selbst tragende Entwicklung ist noch nicht in Sicht - dies belegen die extrem niedrigen Investitionsraten, das erratische Wachstum des Bruttoinlandsprodukts sowie die hohe Abhängigkeit der Exporte von den Konjunkturen in Argentinien und Brasilien. 212

Wie bereits angedeutet, zeichnet sich jedoch die aktuelle Transformationspolitik der Regierung durch Inkohärenz und Inkonsequenz aus: Die Rentenreform, die durch ein Plebiszit, welches gleichzeitig mit den Wahlen vom November 1989 durchgeführt wurde, entschieden worden war, und die die Anbindung der Renten an das Lohnniveau vorsah, bedeutete eine erheblich Belastung des Staatshaushaltes. Angesichts des hohen Anteils der Rentner an der Wahlbevölkerung wäre es jedoch einem politischen Selbstmord für jede Gruppierung gleichgekommen, die sich dieser Reform widersetzt hätte. So ist denn offensichtlich auch der Wahlsieg der Nationalpartei darauf zurückzuführen, daß sie die Inkohärenz der Unterstützung der Reform zu ihrem neoliberalen Grundsatzprogramm in Kauf nahm, während der Gegenkandidat des Partido Colorado, Jorge Batlle, entschieden gegen die Reform auftrat. Der Lohnstop im öffentlichen Sektor als Mittel der Reduzierung der Staatsausgaben, konnte angesichts militant vertretener Lohnforderungen in verschiedenen Sektoren kaum durchgehalten werden: Von besonderer Bedeutung war hier vor allem ein Streik der Polizei im November 1992, der vom Militär solidarisch unterstützt wurde, so daß die vollständige Lahmlegung aller Polizeiaktivitäten gelang. Die Regierung mußte hier sehr schnell klein beigeben und beträchtliche Lohnerhöhungen zugestehen. Dies zog vergleichbare Forderungen der Lehrer und Universitätsangestellten sowie der Beschäftigten im Gesundheitsministeriums nach sich. Bezüglich der regionalen Integration im Rahmen des MERCOSUR, der die Senkung der Einfuhrzölle zwischen den vier Mitgliedstaaten bis 1995 auf Null vorsieht, hat es immer wieder Proteste seitens verschiedener Sektoren gegeben. Sowohl innerhalb der politischen Klasse, als auch unter Unternehmern und Gewerkschaften ist man sich der Tatsache bewußt, daß die uruguayische Wirtschaft gegenüber der brasilianischen und argentinischen höchst empfindlich ist. Demgegenüber trifft jedoch die Regierung kaum Vorkehrungen gegen die mit dem MERCOSUR für Uruguay verbundenen Gefahren; sie handelt in diesem Falle ganz in Übereinstimmung mit der neoliberalen Grundphilosophie, daß eine vollständige Integration in den Weltmarkt anstehe. Der größte Gegensatz zwischen Regierung und Gesellschaft bildete sich jedoch um das Thema der Privatisierungen heraus, was im Endeffekt nicht nur zu einer inkohärenten Regierungspolitik führte, sondern vielmehr das gesamte Regierungsprojekt zum Scheitern verurteilte. Das Privatisierungsgesetz {Ley de Empresas Públicas), das Ende 1991 vom Parlament verabschiedet worden war, war zum einen mit der grundsätzlichen Entstaatlichungsphilosophie begründet, zum anderen aber auch mit der unmittelbaren Notwendigkeit, finanzielle Ressourcen zur Deckung internationaler Verbindlichkeiten zu mobilisieren. Dieses Gesetz rief in Uruguay einen heftigen Widerstand hervor, der die Durchführung eines Plebiszits zu dieser Frage erzwang. Am 13. Dezember 1992 spra213

chen sich 70 Prozent der Bevölkerung gegen das Privatisierungsgesetz aus und brachten es damit zu Fall. Dieses Ereignis macht deutlich, daß in Uruguay eine wirtschaftliche Transformation unter demokratischem Vorzeichen nicht als ein lediglich "von oben", das heißt von der Regierung dekretiertes bzw. Elitenprojekt durchzuführen ist, sondern daß hier eine aktive Zivilgesellschaft darüber wacht, daß ihre Interessen auch mit in Betracht gezogen werden - eine Zivilgesellschaft, die überdies über die notwendige Mobilisierungsfahigkeit verfügt, aktiv in die politischen Entscheidungsprozesse einzugreifen. Der wirtschaftliche Transformationsprozeß ist daher im Rahmen demokratischer Legalität nur als ein konsensualer Prozeß denkbar. Das Problem, das sich hier allerdings zeigt, ist die Tatsache, daß sich die Handlungskapazität der uruguayischen Zivilgesellschaft weitgehend auf ihr Widerstandspotential reduziert, während eine Fähigkeit zur Entwicklung vorwärts gerichteter Alternativen auf einem vergleichbar hohen konsensualen Niveau nicht besteht. Angesichts dieser Situation eine Zukunftsperspektive oder auch nur Tendenzen zu prognostizieren, fällt schwer. Uruguay erlebt seit 1991 einen positiven externen Schock, der sich aus dem Fall der Erdölpreise, der Abwertung des Dollars und der Senkung des Zinsniveaus ergibt, wodurch das Gewicht des externen Schuldendienstes sich beträchtlich vermindert hat. Trotz der ansonsten bescheidenen Bilanz ihrer Tätigkeit hat überdies die Regierung doch einige Erfolge aufzuweisen, wie zum Beispiel die Verminderung des Haushaltsdefizits und die allmähliche Dämpfung der Inflation. Die Reaktivierung der argentinischen Wirtschaft hat weiterhin durch die Belebung des Tourismus und des Bausektors in den Jahren 1991 und 1992 zum Aufschwung in Uruguay beigetragen. Hier zeigt sich jedoch die hohe Abhängigkeit der urugayischen Wirtschaft von der seiner unmittelbaren Nachbarn: die große Ungewißheit bezüglich der weiteren argentinischen Entwicklung macht auch für Uruguay jede Vorhersage unmöglich. Jedenfalls gibt es keine Anzeichen dafür, daß die günstige Konjunktur für langfristige Entwicklungen genutzt würde. In eine gegenteilige Richtung weist vielmehr die Tatsache, daß die Konjunktur unter Ausnutzung der sinkenden Zollschranken zu einem massiven Anwachsen der Importe von dauerhaften Konsumgütern geführt hat. Wenn gleichzeitig weiterhin wissenschaftliche und technologische Entwicklungen sowie die Einführung der Organisationsformen der Produktion vernachlässigt werden, so bedeutet dies letztlich, Modernität zu importieren, ohne sie assimilieren zu können, was schwerwiegende Konsequenzen für die langfristige Entwicklung haben muß. Der Mangel an Komplementarität zwischen der importierten Technologie und der Entwicklung eigener technologischer Kapazitäten wird die allgemeine Ineffizienz nur steigern. Ein Sektor, an dem dies exemplarisch beobachtet 214

werden kann, ist die Textilindustrie: Der Einführung modernster Technologie steht hier deren vollständige Unterauslastung aufgrund des Mangels an qualifiziertem Personal, das in der Lage wäre, diese Technologie zu bedienen, gegenüber. Ähnliches trifft zum Beispiel auch für die datenverarbeitenden Zentren der öffentlichen Administration zu. In dem Maße, in dem dieses Problem nicht im Rahmen der Öffhungspolitiken zur Kenntnis genommen und gelöst wird, wird ein grundlegender Aspekt von Unterentwicklung nicht beseitigt werden können. 3. Die Entwicklung des öffentlichen Sektors Die gescheiterten Privatisierungen Erste Maßnahmen einer Reform des Staatsapparates Mit der Erschöpfung des ISI-Modells wurde auch die Rolle des Interventionsund Protektionsstaates grundsätzlich infrage gestellt. Die Militärdiktatur (197385) leitete die neoliberal inspirierte Reform des Staatsapparates insofern ein, als sie in einigen öffentlichen Institutionen die Beschäftigtenzahl reduzierte und indem sie den öffentlichen Transport in Montevideo privatisierte. Die Regierung Sanguinetti (1985-89) hatte dann zwar explizit die "Modernisierung des Staates" auf ihre Fahnen geschrieben, trieb diese jedoch auch nicht viel konsequenter voran. Konkrete Maßnahmen waren hier unter anderem ein Beschäftigungsstop in der zentralstaatlichen Administration und in verschiedenen anderen öffentlichen Institutionen sowie eine Funktionsbegrenzung der staatlichen Eisenbahngesellschaft. Im Vergleich zu Chile und Argentinien verlief der Prozeß der Staatsreform bisher nicht nur sehr viel langsamer, sondern wurde - zum Beispiel im Falle der Privatisierungen - vollständig blockiert. Die Gründe hierfür liegen zum einen in der uruguayischen Verfassung, die grundsätzlich einen Institutionenwandel sehr schwer macht. Im Unterschied zu Argentinien und Chile aber konnten in Uruguay vor allem die Gewerkschaften und andere Gruppen, die gegen die Privatisierungen waren, ein hohes Maß an Legitimität und Handlungsfähigkeit bewahren. Hinzu kam, daß nicht nur die linken Parteien, sondern auch einige Sektoren innerhalb der traditionellen Parteien gegen die Privatisierungen votierten, wenn allerdings auch die Mehrheitsposition in den beiden traditionellen Parteien jeweils für die Privatisierungen eintrat. Selbst die Unternehmerverbände nahmen zu dieser Frage keine eindeutige Position ein. Im Unterschied zu den beiden anderen Ländern gab es somit in Uruguay noch nicht einmal innerhalb der Elite einen Konsens bezüglich der Privatisierungen.

215

Das Privatisierungsgesetz Unter der Administration Sanguinetti hatte das Thema der Privatisierungen keinen zentralen Stellenwert gehabt. Dies änderte sich mit dem Regierungswechsel von 1990. Schon 1991 legte die Regierung Lacalle einen Gesetzentwurf vor, der allgemeine Bestimmungen für den gesamten öffentlichen Sektor sowie besondere Bestimmungen für fünf öffentliche Unternehmen vorsah: Die Telefongesellschaft ANTEL, die Luftfahrtgesellschaft PLUNA, die FischereiIndustrie ILPE, die Hafenverwaltung und die Elektrizitätsgesellschaft. Die Regierung begründete ihre Initiative damit, daß der Staat ineffizient und überdimensioniert sei und seine Interventionen das Wirken der Marktkräfte behinderten. Die Gegner des Projekts hielten dem entgegen, daß die Ineffizienz des Staates vor allem auf seine Politisierung und Ausnutzung für klientelistische Praktiken zurückzuführen sei, während eine bloße Privatisierung noch keinerlei Gewähr für eine effizientere Ressourcenverwendung biete. Im Mittelpunkt der öffentlichen Auseinandersetzungen stand der Fall ANTEL. Der Gesetzesentwurf zielte hier auf die Beseitigung des Monopols dieser Gesellschaft, indem es auch Privaten die Bereitstellung von Dienstleistungen im Telefon-Bereich erlaubte und ANTEL autorisierte, sich mit Privatkapital zu assoziieren und eine Aktiengesellschaft zu bilden, wobei die Tarife weiterhin von der Exekutive festgelegt werden sollten. Die offizielle Begründung hierfür war, daß ANTEL in Lateinamerika als Avantgarde-Unternehmen auf seinem Sektor anzusehen sei, weil es mit Hilfe modernster importierter Technologie arbeite. Um diese Position aufrechterhalten zu können, bedürfe es eines kräftigen Kapitalzustroms, der nur über die partielle, aber mehrheitliche Privatisierung zu erreichen sei. Dem wurde von der Opposition entgegengehalten, daß die Gewinnsituation des Unternehmens - unter der Bedingung, daß ihm die Reinvestition dieser Gewinne gestattet und es nicht gezwungen würde, diese an den Zentralhaushalt abzuführen - durchaus die Aufrechterhaltung des technologischen Niveaus erlaube. Überdies sei das hohe technologische Niveau durchaus nicht nur über Importe, sondern zu weiten Teilen auch durch eigene nationale Entwicklungen erreicht worden. Eine Privatisierung von 51 Prozent, die lediglich über einen ausländischen Käufer möglich sei, würde somit auch die Gefahr bedeuten, daß eigenständige Entwicklungsprozesse abgebrochen und damit vorhandene Wissenskapazitäten zerstört würden. Im übrigen sei gerade ANTEL eines der wenigen effizient arbeitenden Unternehmen, so daß die allgemeine Argumentation der Regierung in diesem Falle überhaupt nicht greife. In dem Augenblick, als das Gesetz zur parlamentarischen Beratung vorgelegt wurde, bestand in einigen politischen Sektoren ein gewisser Konsens bezüglich der Notwendigkeit von Privatisierungen bei den öffentlichen Dienst216

leistungen. So ging die neoliberale Fraktion innerhalb des Partido Colorado um Jorge Batlle mit der Regierung darin konform, daß Privatisierungen durchzuführen seien, kritisierte jedoch die Orientierung des Regierungsprojekts am argentinischen Modell der Bildung gemischter Unternehmen. Bei den Abstimmungen im Parlament enthielt sich diese Fraktion der Stimme im Falle der Bestimmungen zu ANTEL, während der Partido Colorado sonst für das Projekt stimmte. Auch die zunächst oppositionelle Strömung innerhalb des Partido Nacional, Movimiento Nacional, unterstützte das Projekt grundsätzlich, was schließlich für die Verabschiedung im Parlament entscheidend war. Die beiden linken Parteien, Frente Amplio und Nuevo Espacio - 1989 von der Frente Amplio abgespalten - votierten gegen die Privatisierungen. Am Tag, der der Verabschiedung des Gesetzes folgte, wurden die Privatisierungen mit der Ankündigung der Ausschreibungen bei den ersten Unternehmen eingeleitet. Die Opposition gab jedoch nicht auf. Nach intensiven Diskussionen, die insbesondere im Bereich der Gewerkschaften geführt wurden, initiierte sie die Sammlung von Unterschriften, die notwendig waren, um ein Referendum einleiten zu können. Am 1. Oktober 1992 hatten sich 30 Prozent der wahlberechtigten Bevölkerung für die Durchführung des Referendums ausgesprochen. Damit intensivierte sich die Debatte um die Privatisierungen, an der praktisch die gesamte Gesellschaft beteiligt war und die sich immer mehr auch zu einer Debatte um die gesamte Regierungspolitik ausweitete. Zu der ursprünglichen Opposition, die sich um die von den Gewerkschaften gegründete "Kommission für Verteidigung des Nationalen Vermögens und Staatsreform" - Comisión de Defensa del Patrimonio Nacional y Reforma del Estado - formiert hatte, gesellten sich weitere Gruppen hinzu, darunter auch die Neoliberalen um Batlle. Die Unternehmerverbände hielten sich in dieser Debatte weitgehend zurück. Am 13.Dezember 1992 wurde das Plebiszit durchgeführt. 70 Prozent der Wahlbevölkerung sprachen sich gegen das Privatisierungsgesetz aus. Dies wurde allgemein auch als eine Ablehnung der gesamten Regierungspolitik gewertet. Damit war jedoch auch sehr grundsätzlich der gesamte Reformprozeß - zumindest vorerst - blockiert. Die Debatten der folgenden Zeit konzentrierten sich vor allem auf Möglichkeiten einer partiellen und "nationalen" Privatisierung, ohne daß sich bereits alternative Konzepte und eine gangbare Perspektive abzeichneten. Sozialpolitik: Elemente zu ihrer Evaluierung Im lateinamerikanischen Kontext hatte Uruguay immer eine ausgeglichenere Verteilungsstruktur aufgewiesen, als dies in anderen Ländern der Fall war 217

dank der aktiven Verteilungspolitiken in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts. Aber auch noch in den achtziger Jahren, nach zwei Dekaden der wirtschaftlichen Stagnation und des Verfalls der Löhne, wiesen Argentinien und Uruguay die ausgeglichenste Einkommensverteilung der Region auf (vgl. zum Beispiel Fajnzylber 1989). Dahinter verbarg sich aber auch für Uruguay eine erhebliche Verschlechterung der Lebensbedingungen. In den siebziger Jahren erfolgte eine starke Einkommenskonzentration, die später nicht wieder rückgängig gemacht wurde. Diese Einkommenskonzentration war Konsequenz einer gezielten Distributionspolitik im Rahmen der von der Militärdiktatur verfolgten Entwicklungsstrategie, welche auf diesem Wege die Sparrate und das Investitionsvolumen erhöhen und darüber Wachstumprozesse einleiten wollte (vgl. Melgar/Cancela 1983). Aus Tabelle 1 ergibt sich der starke Verfall der Löhne in den achtziger Jahren und das Anwachsen der Arbeitslosigkeit in der ersten Hälfte der achtziger Jahre. Tabelle 1: Entwicklung der Reallöhne und der Arbeitslosigkeit 1982-90 Jahr

1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988 1989 1990

Reallöhne jährliche Veränderung in % öffentlicher privater Sektor Sektor -0.1 -0.7 -21.6 -19.7 -12.7 -5.0 14.1 14.9 4.8 8.0 0.5 7.9 0.5 2.2 -3.6 1.9 -9.2 -6.0

städtische Arbeitslosigkeit in % 11.9 15.5 14.0 13.1 10.7 9.3 9.1 8.6 9.3

Quelle: Borsani et al. 1993 und DGEC: Boletfn Mensual Trotz der Verbesserung der Löhne in den ersten Jahren der demokratischen Regierung waren 1989 in Uruguay 22 Prozent der Haushalte und in Montevideo 14 Prozent der Haushalte nicht in der Lage, ihre Grundbedürfhisse zu befriedigen (vgl. DGEC/CEPAL 1990). Demgegenüber konnten im Gesundheits- und Bildungsbereich einige Fortschritte erzielt werden, was weitgehend auf die staatliche Sozialpolitik zurückzuführen ist. 218

Die Entwicklung des Sozialhaushaltes Der Anteil des Sozialhaushalts am Bruttoinlandsprodukt ist in Uruguay traditionell relativ hoch; 1957 lag er bei 13 Prozent (bei einem Anteil des Gesamthaushalts von 23 Prozent). Trotz des langsamen demographischen und wirtschaftlichen Wachstums nach 1955 weitete er sich bis 1972 auf 14 Prozent aus, was primär auf den wachsenden Anteil der Ruheständler (Renten und Pensionen) zurückzuführen ist, die aus dem Sozialhaushalt finanziert werden müssen (vgl. Davrieux 1991, dem die Daten zu diesem Abschnitt entnommen sind). Der Sozialhaushalt in Uruguay ist im Unterschied zu anderen Ländern durch den hohen Anteil der Renten und ein relativ geringes Gewicht von Bildungsund Gesundheitsausgaben charakterisiert. Unter der Militärdiktatur ging der Sozialhaushalt auf 13,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (1984) zurück, was vor allem durch das Sinken des Durchschnittsniveaus von Löhnen und Renten im Gefolge der Rezession von 1982 zu erklären ist. Insgesamt jedoch war er in dieser Periode in der Lage, die negativen Einkommenseffekte des Entwicklungsmodells bis zu einem gewissen Grad aufzufangen. Mit der Redemokratisierung wurden Forderungen nach einem Ausgleich für die Einkommensverluste aus dem Lohn- und Rentenverfall laut. Zwischen 1984 und 1989 wuchs der Sozialhaushalt jährlich um 7 Prozent und lag 1989 bei 18 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die größten Zuwächse verzeichneten im genannten Zeitraum mit 64 Prozent der Bildungs- und mit 75 Prozent der Gesundheitshaushalt. Aus Tabelle 2 ergibt sich die Struktur des Sozialhaushaltes insgesamt: Tabelle 2: Zusammensetzung des Sozialhaushalts 1989 Sektor

Bildung Gesundheit Sozialversicherung Wohnungsbau Wasser und Kanalisation Ernährung Insgesamt

Betrag in US-$ Mio.

Struktur in %

211 286 946 44 20 16 1.523

13.9 18.8 62.1 2.9 1.3 1.1 100.0

Anteil am Bruttoinlandsprodukt in % 2.5 3.4 11.3 0.5 0.2 0.2 18.1

Quelle: Davrieux (1991) 219

Insgesamt wurde der Sozialhaushalt von der ersten demokratischen Regierung gezielt im Sinne einer Distributionspolitik eingesetzt. Der Verteilungseffekt, der mit ihm erzielt wurde, wird daran deutlich, daß bei einem Vergleich der Einkommen ohne und mit Transfers sich der Gini-Index um 28 Prozent reduziert. Die seit 1990 amtierende neoliberale Regierung nahm dann im Rahmen ihrer allgemeinen Austeritätspolitik auch beträchtliche Kürzungen am Sozialhaushalt vor. Überdies legte sie - in Übereinstimmung mit den neuen FokalisierungsAnsätzen, wie sie aktuell von internationalen Organisationen wie der Weltbank verfochten werden - ein Konzept zur vollständigen Neustrukturierung der Sozialpolitik im Rahmen der grundsätzlichen Neudefinition der Rolle des Staates vor. Im Unterschied zu dem bisher verfolgten universellen Ansatz soll künftig die Sozialpolitik primär den von den Anpassungsprozessen am härtesten Betroffenen zugute kommen; sie soll sich auf die Armutsbekämpfung konzentrieren und ihre Schwerpunkte in den Bereichen Bildung, Gesundheit und Ernährung finden. Zu diesem Zwecke wurden zwei Organisationen gebildet, die direkt dem Präsidenten unterstehen: Das Programa de Inversión Social (PRIS) und der Fondo Social de Emergencia (FISE). Während PRIS die Aufgabe zugewiesen ist, das gesamte staatliche Sozialprogramm auszuwerten und neu zu konzipieren, ist FISE für die schnelle Lösung akuter Probleme und Notsituationen zuständig. Beide Institutionen arbeiten mit Hilfe ausländischer Finanzierung und müssen sich, da sie über keine eigene Struktur verfügen, der Mitarbeit von Funktionären aus anderen staatlichen Bereichen bedienen. Ein weiteres Charakteristikum des neuen Ansatzes ist der Versuch einer Dezentralisierung der Sozialprogramme, wobei private Organisationen stärker als bisher partizipieren sollen. Alles dies ist bisher jedoch lediglich auf der Ebene des Programmatischen entwickelt worden; mit der Implementation ist noch nicht begonnen worden. Die Situation in den Sektoren Bildung, Gesundheit und Sozialversicherung Uruguay hat traditionellerweise ein hoch entwickeltes und vergleichsweise egalitäres staatliches Bildungssystem aufzuweisen gehabt. Unter der Diktatur war dann jedoch der Bildungssektor mit am stärksten von den allgemeinen Haushaltskürzungen betroffen. Während der achtziger Jahre wies er praktisch kein Wachstum auf. Eine Untersuchung der CEPAL (CEPAL 1990a) weist die wachsende Differenzierung des Bildungsangebots entsprechend der sozialen Zugehörigkeit, sowohl auf Primar-, als auch auf Sekundarschulniveau, nach. Das Bildungssystem befindet sich in einem Prozeß fortschreitender Segmentation. Damit 220

erodiert einer der wichtigsten in der uruguayischen Gesellschaft vorhandenen Mechanismen der Herstellung von Chancengleichheit. Eine ähnliche Situation läßt sich auch im Gesundheitssektor feststellen. Die Haushaltskürzungen haben hier zu einer entschiedenen Verschlechterung in der Versorgungssituation gerade der ärmeren Bevölkerungsgruppen geführt, wobei ca. 20 Prozent der Bevölkerung überhaupt keinerlei Versorgungsleistungen empfangen. Ein Indikator hierfür ist die Kindersterblichkeit, die mit 20 Promille in Uruguay insgesamt vergleichsweise gering ist. Während die Sterblichkeitsrate jedoch in den besseren Einkommenszonen von Montevideo bei 4 Promille liegt, beträgt sie in den ärmeren Vierteln 70 Promille (vgl. GRECMU 1991). Auf dem Gebiet der Sozialversicherung weist Uruguay eine lange Tradition auf und war führend in Lateinamerika. Aber auch hier sind - schon längerfristig - eindeutige Verfallserscheinungen zu beobachten, die verschiedene Ursachen haben: Zunächst einmal wurden in den sechziger Jahren Defizite in den Rentenkassen auf Mängel in der Ressourcenverwaltung zurückgeführt. Bis Mitte der siebziger Jahre versuchte man, diese Defizite durch Beitragserhöhungen auszugleichen. Angesichts der unübersehbaren Verschiebung des Verhältnisses von aktiver und passiver Arbeitsbevölkerung aufgrund einer veränderten Altersstruktur sowie der allgemeinen wirtschaftlichen Stagnation sah man von da an dem Verfall der Renten weitgehend tatenlos zu, so daß sich zwischen 1962 und 1989 die Kaufkraft der durchschnittlichen Renten um 75 Prozent verminderte. Gegenwärtig trägt überdies eine erhöhte Besteuerung der Unternehmen zur Beitragshinterziehung und damit zur Verminderung der verfügbaren Ressourcen bei. 1990 votierte die Bevölkerung in einem Referendum für die Anbindung der Renten an die Lohnentwicklung. Damit erhöhten sich sprunghaft die Defizite des Banco de Previsión Social (BPS), der zuständigen Rentenkasse, deren Zahlungen zu 90 Prozent durch die Renten bestimmt sind. Dies hat erhebliche makroökonomische Konsequenzen, da der Staat zur Deckung dieser Defizite einspringen muß: 82 Prozent des öffentlichen Haushaltsdefizits resultierten 1990 aus Transferzahlungen der Zentralregierung an den BPS; das entsprach einem Anteil von 2 Prozent am Bruttoinlandsprodukt. Auf der Suche nach einer Lösung für dieses Problem wurde auch die Möglichkeit einer Privatisierung der Sozialversicherung nach dem chilenischen Modell diskutiert, zumal hier die Privatisierung einen außerordentlich positiven Effekt für den Kapitalmarkt gehabt hat: 40 Prozent der Sparmasse des Landes kommt in Chile aus den Rentenfonds. Da sich jedoch die uruguayische Bevölkerungsstruktur vollständig von der chilenischen unterscheidet und daher kaum ein Privatunternehmen für ein solches System zu interessieren wäre, wurde diese Lösung für nicht gangbar erachtet.

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Tabelle 3: Demographische Indikatoren der Sozialversicherung Vergleich Chile - Uruguay Indikator Aktive/passive Bevölkerung Wachstumsrate der passiven Bevölkerung Wachstumsrate der aktiven Bevölkerung Prozent der Bevölkerung über 65 Jahre Versicherte passive Bevölkerung/Gesamtbevölkerung Lebenserwartung

Chile 2.0 0.6 3.3 5.8 10.6 68.0

Uruguay 1.15 2.3 0.6 11.2 23.2 72.0

Quelle: CIEDLA und Uthoff/Szalchman. Grundsätzlich stehen einer Transformation des Sozialversicherungssystems in Uruguay beträchtliche politische Hindernisse entgehen; dazu gehört insbesondere das bedeutende Gewicht, das die passive Bevölkerung als Wählerpotential besitzt. Perspektiven Nachdem bisher die Erosion der traditionellen Funktion der Sozialpolitik in Uruguay, als verteilungspolitisches Instrument zu wirken, von der Seite der Ressourcennutzung her betrachtet wurde, soll an dieser Stelle noch kurz auf die verteilungspolitische Bedeutung der Einnahmenseite verwiesen werden: Da das Steueraufkommen weitgehend der Mehrwertsteuer entstammt und da es in Uruguay keine persönliche Einkommenssteuer gibt, weist das Steuersystem keinerlei Progression und damit keine Effekte einer Umverteilung auf. Der kürzlich unternommene Versuch der Stadt Montevideo, eine progressive Immobilien-Steuer einzuführen, scheiterte im Parlament. Die Debatten über eine neue Staatskonzeption bei gleichzeitigem Ressourcenmangel weisen für die Zukunft eindeutig in die Richtung der neuen "Fokalisierungskonzepte". Diese konzentrieren sich auf Probleme konjunktureller Art, die mit der Außenöffnung entstehen, die aber durch langfristige Wachstumprozesse für überwindbar angesehen werden. Angesichts der sich immer mehr verschärfenden Probleme im Bereich der Grundbedürfnisbefriedigung und angesichts der Tatsache, daß immer weitere Bevölkerungskreise von diesen Problemen erfaßt werden, ist eine solche Lösung allerdings wenig wahrscheinlich.

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4. Soziale Akteure in Uruguay Uruguay weist im 20. Jahrhundert im Unterschied zu vielen anderen lateinamerikanischen Ländern, darunter vor allem auch Argentinien und Brasilien, einige Spezifika im Profil seiner Akteure auf, die vor allem das Verhältnis zwischen sozialen Akteuren und Staat betreffen: So konnten die Gewerkschaften immer eine weitgehende Unabhängigkeit gegenüber dem Staat aufrechterhalten, während sich die Unternehmer ihrerseits des Staates kaum als Instrument zur Durchsetzung ihrer Interessen bedienten. Eine ausgeprägt liberale politische Kultur und die Konstitution starker Parteien, die als Mittler zwischen dem Staat und der zivilen Gesellschaft fungierten, verhinderten die Entwicklung korporativer Strukturen. Dies war Ausdruck der Unmöglichkeit, seitens der sozialen Akteure eindeutige und stabile soziale Herrschaftsverhältnisse zu errichten - unter anderem aufgrund der starken Fragmentierung der Wirtschaftsstruktur und dadurch bedingt auch der herrschenden Gruppen. Eine stark fragmentierte, schwache zivile Gesellschaft hatte zum Pendant die starke politische Orientierung kollektiver Identitäten und die Zentrierung der Gesellschaft auf die Parteien (vgl. dazu Caetano 1992). Mit dem Einsetzen der Krise Ende der fünfziger Jahren veränderte sich dies grundlegend: Die Politik als Bezugspunkt für die kollektive Aktion verlor an Bedeutung, und damit mußten auch die Parteien zunehmende Verluste in ihrer identitätsstiftenden Kapazität hinnehmen. Der Staat gewann dadurch ein erhebliches Maß an Autonomie gegenüber der Gesellschaft. Die Parteien folgten einander weiterhin in der Regierung, aber mit nur geringer Gestaltungsmacht. Unabhängig von den jeweiligen Wahlergebnissen gewann die Politik vielmehr eine gewisse Kontinuität, was sie zur ausschließlichen Sache des Staates werden ließ - dies aber nicht als Ergebnis eines Konsenses, sonders mangels durchsetzungsfähiger Alternativen. Wie in anderen lateinamerikanischen Ländern auch führte der Zwang zur Anpassung zur weitgehenden Annäherung der programmatischen Positionen der Parteien, die sich immer mehr zu ca/cA-aW-Parteien verwandelten. Diese fungierten weitgehend nur noch als Wahlmaschinen, nicht aber als Regierungsinstrumente. Wie überall in Lateinamerika ließ der äußere Anpassungsdruck innere Gestaltungsspielräume immer mehr schrumpfen. Die Gewerkschaften: Kontinuität und Wandel Die uruguayischen Gewerkschaften waren traditionell durch einen Dualismus bzw. ein "gespaltenes Bewußtsein" gekennzeichnet, was darin bestand, daß zum einen, auf dem Gebiet direkter Gewerkschaftsarbeit, der parteipolitische 223

Einfluß der Linken (zunächst der Anarchisten, später der Kommunistischen Partei) vorherrschend war, während das allgemeine politische Wahlverhalten der Gewerkschaftsmitglieder durch die traditionellen Orientierungen auf die konservativen Parteien bestimmt war. Auf diese Weise konnten sich korporativistische Strukturen, die auf eine direkte Machtbeteiligung der Gewerkschaften und reformistische Aktion setzten, nicht durchsetzen. In den vierziger Jahren hatten sich die Consejos de Salarios ("Lohnräte") konstituiert, welche die erste Form von Kollektivverhandlungen der uruguayischen Arbeiter darstellten. Über sie bildeten sich Industrie- bzw. Branchengewerkschaften heraus. Diese schlössen sich 1966 mehrheitlich zum Dachverband der Convención Nacional de Trabajadores zusammen - eine Besonderheit im lateinamerikanischen Kontext. Trotz der starken Repression, der die Gewerkschaftsbewegung unter der Diktatur ausgesetzt war, bildete sie eine der zentralen Achsen, um die herum sich in den achtziger Jahren sozialer Konsens formierte. Nach der Redemokratisierung konstituierte sich auch der Dachverband neu als Plenario Intersindical de Trabajadores-Convención Nacional de Trabajadores (PIT-CNT), dem sich 78 Organisationen anschlössen - einige als Einheitsgewerkschaft wie zum Beispiel die Baugewerkschaft, andere mit einer Föderativ-Struktur wie zum Beispiel die Gewerkschaft der Bankangestellten. Der gewerkschaftliche Organisationsgrad ist in den achtziger Jahren mit 25 bis 33 Prozent (nach unterschiedlichen Berechnungen) vergleichsweise hoch - gegenüber zum Beispiel 17 Prozent in Brasilien und 11,3 Prozent in Chile (vgl. González-Raga 1992, S. 6ff.). Dies hat sich in den letzten Jahren rapide geändert. Der Rückgang des gewerkschaftlichen Organisationsgrades ist unbestritten. Lediglich über sein Ausmaß gibt es unterschiedliche Schätzungen. So gibt der Dachverband selbst einen Rückgang seiner Mitglieder von 238.000 im Jahre 1985 auf 227.000 für 1990 an. Eine andere Untersuchung schätzt den Rückgang des Organisationsgrades in Unternehmen, die eine Gewerkschaft haben, von 43 Prozent (1985) auf 34 Prozent (1990) der dort beschäftigten Arbeitskräfte. Die Gründe für diese Entwicklung sind vielfältiger Art: Neben der Verlagerung von Industriebetrieben aus den traditionellen Zentren gewerkschaftlicher Aktivität (vgl. dazu González/Raga 1992, S. 16) ist hier zum einen der Lohnverfall zu nennen, der dazu zwingt, mehrere Arbeitsverhältnisse gleichzeitig einzugehen, wodurch der individuelle Spielraum für aktive Interessenvertretung sich immer mehr beschränkt. Das plötzliche Verschwinden der Kommunistischen Partei von der politischen Bühne hat überdies dazu geführt, daß zahlreiche hauptamtliche Funktionäre, die von der Partei bezahlt worden waren, nun nicht mehr tätig werden können, so daß viele Aufgaben, die einer Gewerkschaft obliegen, unerledigt bleiben.

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Hinzu kommt weiterhin ein grundsätzliches Schwinden traditioneller Zugehörigkeiten, was sich in allen gesellschaftlichen Bereichen, insbesondere auch bei den Parteien und beim Parlament, bemerkbar macht und was bei den Gewerkschaften dazu führt, daß gerade die jüngeren Arbeiter der Gewerkschaft den Rücken zukehren. Dies geht einher mit einem allgemeinen ImageVerlust der Gewerkschaften bei der Bevölkerung, welcher im Zusammenhang mit einem grundlegenden desencanto, das heißt einer grundsätzlichen Unzufriedenheit mit der Demokratie und ihren Ergebnissen gesehen werden muß. Andererseits jedoch ist auch der traditionelle Dualismus im gewerkschaftlichen Bewußtsein im Schwinden, und die Gewerkschaften haben sich viel eindeutiger als je zuvor als Rekrutierungsinstrumente für die linken Parteien erwiesen. Dies hat eine Umfrage in Montevideo vom März 1985 erbracht (vgl. dazu González/Raga 1992, S. 21); dies zeigt aber auch der Wahlsieg der Frente Amplio von 1989 in Montevideo sowie das Ergebnis des Plebiszits gegen die Privatisierungen von 1992. Das Hauptproblem, mit dem die Gewerkschaften in Uruguay aktuell konfrontiert sind, ist das Beschäftigungsproblem - aufgrund der großen Unsicherheit für das Überleben der Unternehmen und Branchen, die mit der Außenöffhung verbunden ist. So stellt der MERCOSUR zum Beispiel die Fortexistenz ganzer Branchen - wie zum Beispiel die Zuckerproduktion infrage. Die Beschäftigungssicherung ist zunächst einmal aus rein korporativem Eigeninteresse Thema Nummer eins für die Gewerkschaften, weil mit der allgemeinen Schrumpfung der Beschäftigung auch ihre Mitgliederbasis immer mehr erodiert. Mit der Beschäftigungssicherung verbunden ist die Frage der Produktivität. Bisher hatten sich die Gewerkschaften immer geweigert, auf der Grundlage differenzierter Arbeitsplätze eine Anbindung der Löhne an die je individuelle Arbeitsproduktivität zu akzeptieren, weil sie dies für unsolidarisch ansahen. Die Einsicht in die Zusammenhänge von Wettbewerbsfähigkeit, Produktivität, Arbeitsplatzsicherheit und Lohnniveau hat hier jedoch einen Prozeß des Umdenkens eingeleitet. Dasselbe gilt für die wachsende Einsicht in die Notwendigkeit des technologischen Wandels. So hat vor drei Jahren der Dachverband die Comisión de Nuevas Tecnologías gegründet, in der Spezialisten der verschiedensten Fachrichtungen die Gewerkschaften in Fragen der Technologie-Entwicklung beraten sollen. Mit ähnlicher Zielsetzung wurde weiterhin ein Abkommen zwischen dem PIT-CNT und der Universidad de la República abgeschlossen. Insgesamt jedoch hinkt die Kapazität der Gewerkschaften, Antworten auf die neuen Problemlagen zu finden, weit hinter der Verschärfung dieser Probleme hinterher. Die Einführung von Technologieabkommen in die Tarifverträge hat seit ihrer erstmaligen Anwendung im Textilsektor keine Fortschritte gemacht. Noch ist die traditionelle antitechnologische Haltung unter den Gewerkschaften 225

vorherrschend. Es wird sich erst noch erweisen müssen, ob die Gewerkschaften den mit dem MERCOSUR verbundenen Herausforderungen gewachsen sind. Erste Schritte in Richtung auf eine Koordination mit den Gewerkschaften der Nachbarländer sind jedenfalls bereits unternommen worden. Die Unternehmer: Ein ungewisses Feld Die Unternehmer Uruguays zeichnen sich traditionell durch einen Mangel an Fähigkeit zur kollektiven Interessenvertretung aus. Auffällig war vielmehr immer das Nebeneinander zahlreicher partikularer Organisationen, die zu einer Bündelung der Interessen nicht in der Lage waren. Entsprechend entstanden auch keine Mehrheitsverhältnisse, die in politische Initiativen hätten münden können (vgl. Caetano 1992, S. 25f.). Die Militärdiktatur begünstigte durch ihre Öffhungspolitik, die mit Exportförderung, Lohndruck und Repression der Gewerkschaften verbunden war, die Unternehmer, so daß die Militärregierung von diesen als ihre stillschweigende Interessenvertretung akzeptiert wurde. Dies änderte sich jedoch schlagartig mit der Krise von 1982/83; die Unternehmerverbände gingen jetzt zu einer antidiktatorischen Offensive über und reaktivierten ihre Kontakte zu den traditionellen Parteien. Nach der Demokratisierung wurden grundlegende Unklarheiten und Widersprüche im Verhalten der Unternehmerverbände sichtbar. So forderten sie auf der einen Seite staatliche Unterstützungen zur Abfederung der Krise; auf der anderen Seite jedoch traten sie für die Entstaatlichung ein. Auch im Verhältnis zu den Gewerkschaften zeigte sich immer deutlicher die Inkompatibilität eines am alten ISI-Modell orientierten Verhandlungssystems mit den Erfordernissen einer offenen Wirtschaft. Das gewachsene Problembewußtsein hinsichtlich der Notwendigkeit des technologischen Wandels zeigte sich jedoch andererseits an Initiativen der Industriekammer, einer Dachorganisation von verschiedenen Sektorverbänden: Diese gründete, fast zeitgleich mit der Comisión de Nuevas Tecnologías des PIT-CNT, eine Comisión de Ciencia y Tecnología mit ähnlicher Aufgabenstellung. Weiterhin wurde eine Abteilung fiir Wirtschaftsforschung gegründet; mit verschiedenen wirtschaftlichen Beratungsfirmen wurden Verträge geschlossen. Eine stärkere öffentliche Präsenz und eine eindeutigere Position als kollektiver Akteur zeigte die Unternehmerschaft erst mit der Gründung des MERCOSUR. Die Aussicht auf die mit dem MERCOSUR verbundene stärkere Außenöffnung führte dabei allerdings nicht zu einer tiefgreifenden Restrukturierung bei den Einzelunternehmen - weder auf der organisatorischen Ebene, noch bezüglich der Qualifizierung der Arbeitskraft, noch hinsichtlich produkti226

ver Investitionen. Sie rief jedoch eine Polarisierung innerhalb der Industriekammer hervor, die erstmals überhaupt von der Öffentlichkeit wahrgenommen wurde. Bei den letzten Wahlen in der Kammer zählte nicht der Integrationsprozeß selbst, der ja bereits beschlossene Sache war, sondern zum einen der Grad an Gegnerschaft gegenüber der konkreten Form, in der die Regierung den Zeitplan für die Öffnung verhandelte, sowie zum anderen der Grad an direkter Unterstützung, den die Regierung den Unternehmern gewährte. Gewinner der Wahl war die "Protestfraktion". Der neu gewählte Präsident der Kammer richtete denn auch eine ungewöhnlich harte Kritik gegen die Regierung: "Wir haben zwar einen Industrieminister, aber wir haben kein Industrieministerium von nennenswertem Gewicht, denn dieses kann offensichtlich keinen Schritt tun, der nicht vom Wirtschaftsministerium abhinge, welches alle Entscheidungen monopolisiert." (Erklärung des Präsidenten der Cámara de Industria, César Rodríguez, zitiert nach Búsqueda vom 10. Juni 1992). Die Unternehmer forderten angesichts der sich vertiefenden Außenöffnung seit Anfang 1993 einen Ausgleich für die gesunkene Wettbewerbsfähigkeit der uruguayischen Produktion - zum einen gegenüber Importgütern auf dem nationalen Markt aufgrund der Zollsenkungen, zum anderen für die Exportprodukte aufgrund des Hinterherhinkens der Abwertungsrate hinter der Inflationsrate. Gegenüber der neoliberalen Orthodoxie äußerte Rodríguez: "Wir finden uns nicht damit ab, daß die Wirtschaftstheorie unserer Realität nicht angepaßt ist. Das Risiko, das heute besteht, ist nicht nur, daß nicht investiert wird, sondern auch, daß produktive Sektoren zerstört werden, daß Kommerzialisierungskanäle und Märkte verloren gehen, die wir später nicht dadurch wieder zurückbekommen, daß wir Marketing-Kurse mit Hilfe von BID-Krediten machen, die hinterher auch wieder bezahlt werden müssen." (Búsqueda vom 10. Juni 1992). Mit anderen Worten: Es geht aus der Sicht der Unternehmer nicht um die Herausbildung einer modernen Unternehmenskultur, sondern um sehr konkrete Unterstützungmaßnahmen, in erster Linie um finanzielle Transfers. Dieser Diskurs wird begleitet von der beständigen Forderung nach einem Abbau des Staates mit Hilfe von Privatisierungen und nach Begrenzung des Staatshaushaltes. Es zeigt sich daran wieder einmal, daß der Akzent auf kurzfristigen sektoralen Forderungen liegt, während grundsätzliche Alternativen nicht entwickelt werden.

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Tabelle 4: Ergebnisse einer Befragung unter großen und mittleren Industrieunternehmen bezüglich des MERCOSUR Frage

1. Beteiligung des Staates an den sozialen Kosten und Konflikten, die durch die Integration entstehen - mehr als bisher - wie bisher - weniger als bisher 2. Kann der Zeitplan des MERCOSUR eingehalten werden? - j a , sicher - vielleicht - möglicherweise nicht - sicher nicht 3. Was sollte für die Unternehmerverbände Priorität haben? - Einfluß auf den Staat - Externe Unterstützung - Interne Unterstützung 4. Dringendste Maßnahmen, die vom Staat zur Unterstützung der Unternehmen ergriffen werden sollten - Steuerbefreiung von Brennstoffen - Steuersenkung - verbesserte Kreditlinien - Refinanzierung der Schulden - Restrukturierung des Systems sozialer Sicherheit - klarere Regelungen für die Gewerkschaften 5. Vom MERCOSUR erwartete Auswirkungen für das Wirtschaftswachstum - positiv - neutral - negativ

Antworten in % der Gesamtzahl der Befragten

64,0 16,7 14,7 14,7 30,0 33,3 18,7 24,0 32,0 38,7

14,7 31,3 24,7 7,3 11,3 0,7

29,3 15,3 46,7

Quelle: Bruera 1992 und Pineiro 1992. In einem Punkt haben die Unternehmer allerdings Recht bei Ihrer Kritik an der Regierung in Sachen Integrationspolitik: nämlich im Hinblick auf deren Informationspolitik. Eine Umfrage unter großen und mittleren Industrieunternehmen hat ergeben, daß kaum zwei Prozent der befragten Unternehmer Informationen, die die Integration betreffen, über offizielle Kanäle aus dem Regie228

rungsapparat erhalten. 40 Prozent gaben an, die Informationen der Presse zu entnehmen, und 22 Prozent erhielten sie über persönliche Kontakte. Die Unternehmerverbände arbeiten hinsichtlich der Informationsbeschaffung sehr effizient für die Unternehmer, die innerhalb der Verbände besonders einflußreich sind - 60 Prozent dieser Unternehmer erhielten ihre Informationen auf diesem Wege -, während die weniger Einflußreichen nur zu 15 Prozent ihre Informationsbedürfnisse über die Verbände beziehen (vgl. hierzu Bruera 1992 und Pineiro 1992). Insgesamt erfolgt somit die Informationsbeschaffung und damit ein zentraler Aspekt der Entscheidungsfindung auf weitgehend informellen Wegen. Hinzu kommt aber noch ein Weiteres: Viele Unternehmer wissen gar nicht, wo sie überhaupt Informationen her bekommen können. Sofern sie es wissen, wissen sie (zu 63 Prozent der Befragten) aber nicht, wie sie ihre Informationsquelle zu bewerten haben und wie zuverlässig diese ist. In der Tabelle 4 werden die wichstigsten, den MERCOSUR betreffenden Ergebnisse der erwähnten Befragung zusammengefaßt. Auch auf dem Unternehmensssektor zeigt sich somit mit aller Deutlichkeit, daß eines der grundlegenden Entwicklungsprobleme Uruguays darin besteht, daß das Land nur wenige Akteure aufweist, die zur Entwicklung langfristiger, zukunftsorientierter Strategien in der Lage sind. Die Art und Weise, wie sowohl staatliche, als auch private Unternehmen in Uruguay funktionieren hierarchisch strukturiert, rigiden Kontrollmechanismen unterworfen, nach tayloristischen Prinzipien organisiert - verhindert, daß sich dort Kreativität, Initiative, Innovation entwickeln können. Die Unternehmen bieten weder ihren Arbeitern, noch der Gesellschaft irgendeine Identifikationsmöglichkeit (vgl. zum Beispiel de Mattos 1992, S. 12). Sie stellen in ihrer großen Mehrheit keinen Ausgangs und Bezugspunkt für eine gesellschaftliche Reorientierung in Richtung auf technologische und soziale Innovation dar. Allerdings bestätigen auch hier Ausnahmen die Regel, und es gibt gewisse Anzeichen dafür, daß in der uruguayischen Gesellschaft und Kultur ein gewisser Wandlungsprozeß eingesetzt hat. So kann vor allem bei den Massenmedien eine neue und bisher unbekannte Wertschätzung für Themen der Innovation und innovationsorientierter Unternehmen festgestellt werden. In den Sektoren Software, Elektronik, Biotechnologie, Kühltechnik und Energie sind in den letzten Jahren einige moderne, innovationsorientierte Unternehmen aufgetaucht, die international durchaus wettbewerbsfähig sind.

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5. Die Situation in einem ausgewählten Wirtschaftssektor: Die Textil- und Bekleidungsindustrie Die Entwicklung der uruguayischen Wirtschaft war aufgrund der komparativen Vorteile, die das Land bei der Beschaffenheit seiner Böden und hinsichtlich seiner klimatischen Verhältnisse aufweist, immer eng mit der Landwirtschaft verbunden. Leder, Fleisch und ungewaschene Wolle waren die ersten Exportprodukte, die vor allem nach Europa gingen. Auch während der ISI-Phase repräsentierten die Sektoren, die landwirtschaftliche Produkte verarbeiteten, den größten Teil der nationalen Produktion. Diese Tendenz hielt an, als seit Mitte der siebziger Jahre die Förderung nichttraditioneller Exporte einsetzte. 1988 waren die Industrien, die agrarische Rohstoffe verarbeiten, an der gesamten Industrieproduktion zu 65 Prozent und an den Exporten des Landes zu 61 Prozent beteiligt. Im Rahmen dieser Industrien ist die Textil- und Bekleidungsindustrie von besonderem Interesse: Zum einen hat sie einen bedeutenden Anteil an der Gesamtindustrie: sie repräsentiert 15 Prozent der industriellen Brutto-Produktion, 12,9 Prozent der Wertschöpfung, 30,2 Prozent des Umsatzes und 16,2 Prozent der Beschäftigung (mit 31.700 Beschäftigten) sowie 30 Prozent der industriellen Exporte. Zum zweiten umfaßt der Sektor die gesamte Kette von der Primärproduktion bis zu den letzten Fertigungsphasen der Bekleidungsindustrie und eignet sich daher besonders für die Untersuchung der Frage, wie der Wertschöpfungsgrad erhöht werden kann, ohne daß damit vorhandene komparative Vorteile verloren gehen. Drittens weist diese Kette die unterschiedlichsten Niveaus an Wettbewerbsfähigkeit auf - von Produkten, die auf den anspruchsvollsten internationalen Märkten bestehen wie zum Beispiel gewaschene und gekämmte Wolle (Tops) über Artikel, die nur auf regionaler Ebene wettbewerbsfähig sind, bis hin zu Produkten, die ausschließlich für den inneren Markt hergestellt werden. Die Phasen der Kette Textil-Bekleidung Den größten Anteil an der Textilindustrie hat die Wollproduktion. Die Vorgänge des Waschens und Kämmens der Wolle sind zu 48,2 Prozent an der Bruttoproduktion und zu 32,3 Prozent an der Wertschöpfung der Branche beteiligt, der entsprechende Anteil der Spinnereien und Webereien von Wolle liegt bei 14,2 Prozent bzw. 17,5 Prozent. Baumwolle wird importiert; der Anteil von Baumwollspinnereien und Baumwollwebereien an Bruttoproduktion und Wertschöpfung der Branche liegt bei 23,3 Prozent bzw. 33,3 Prozent. 230

Die Struktur des gesamten Sektors ergibt sich aus der Tabelle 5. Das Angebot von Rohwolle ist aktuell begrenzt durch den extensiven Charakter der Weidewirtschaft, bei der Schaf- und Rinderhaltung miteinander koexistieren. Bisher hat hier noch kein nennenswerter technologischer Wandel stattgefunden. Mehr als die Hälfte der Wollproduktion ist von hoher und 10-20 Prozent von geringer Qualität. International steht Uruguay an siebter Stelle der Wollproduktion und an fünfter Stelle als Exporteur von ungewaschener Wolle, das heißt, das Land repräsentiert ca. drei Prozent der internationalen Produktion. Bei den spezifischen Wollsorten, die Uruguay anzubieten hat, repräsentiert es jedoch 20 Prozent der Weltproduktion. Aus dieser Position resultiert eine gewisse Verhandlungsmacht, die das Land bisher nicht genutzt hat. Während der achtziger Jahre sind die Märkte für ungewaschene Wolle drastisch geschrumpft; entsprechend ist das Exportvolumen Uruguays in diesem Bereich um die Hälfte gesunken. Seit Anfang der neunziger Jahre wird dies auch von einem Verfall der Preise begleitet. Hauptabnehmer für ungewaschene Wolle sind die Nachfolgestaaten der Sowjetunion, für gewaschene Wolle sind es Deutschland und Italien. Tabelle 5: Zusammensetzung der Textil- und Bekleidungsindustrie 1988 (Anteile in %) Bruttoproduktion BruttowertSchöpfung

Beschäftigung

Textilindustrie Woll-Wäschereien/Kämmereien Woll-Spinnereien/W ebereien Spinnereien/W ebereien, Baumwolle/Synthetiks Spinnerei/Weberei, Hartfasern Strick- und Wirkwaren Wand- und Bodenteppiche/Schnüre Andere Textilien Textilindustrie insgesamt Textilindustrie insgesamt

Bekleidungsindustrie

48,2 14,2

32,3 17,5

15,0 29,7

23,3 0,1 7.7 0,7 5.8

33,3 0,3 9,1 0,8 6,7

32,2 0,2 14,9 0,8 7,2

100,0

100,0

(US-$ Mio.) 618,7 203,1 158,9 61,3

100,0 (Personen) 19.194 12.475

Quelle: DGEC, Censo Industrial de 1988

231

Nach Daten für 1987/88 wird der größte Teil der Wolle von geringerer Qualität gewaschen exportiert. Über die Hälfte der feinen Wolle und 25 Prozent der mittleren Qualität wird ungewaschen exportiert. Der Rest wird zu Tops (das heißt gewaschener und gekämmter Wolle) verarbeitet. Seit Mitte der achtziger Jahre entwickelten die Wäschereien und Kämmereien einige Dynamik - mit Wachstumsraten von neun Prozent jährlich. Im Gefolge dieser Entwicklung, deren Impulse vom Handel ausgingen, wurde Uruguay zum zweitgrößten Exporteur von Tops. Zwischen 1981 und 1991 wuchsen die uruguayischen Wollexporte insgesamt um durchschnittlich jährlich 1,6 Prozent von 307 auf 360 Millionen US-Dollar. Mit der Dynamisierung des Sektors ging ein Prozeß der Konzentration und vertikalen Integration einher, der durch die hohen Investitionsvolumina bedingt war, welche die technologische Modernisierung erforderte. Auch die Exporte konzentrieren sich auf wenige Unternehmen: Fünf Unternehmen tätigen 43 Prozent der Exporte und 20 Unternehmen die restlichen 57 Prozent. Trotzdem ist der Zweig durch beträchtliche technologische Heterogenität gekennzeichnet, die daraus resultiert, daß nur die größeren Unternehmen die modernsten Anlagen einsetzen konnten. Die Verarbeitungskapazität der Tops produzierenden Unternehmen könnte die gesamte nationale Rohproduktion abdecken. Da jedoch nach wie vor bedeutende Märkte für ungewaschene Wolle existieren, reicht die nationale Rohproduktion für die Auslastung der Kapazitäten nicht aus und muß zeitweilig durch zusätzliche Importe ergänzt werden. Insgesamt handelt es sich bei der Tops-Produktion somit um einen Zweig, der nicht nur auf natürlichen Ressourcen beruhende komparative Vorteile, sondern auch ein dynamisches Unternehmertum aufweist, in dem allerdings die Modernisierung schon zu einem beträchtlichen Verlust von Arbeitskräften geführt hat. Wichtigster Abnehmer für uruguayische Tops ist China. Lediglich neun Prozent des Umfangs der uruguayischen Wollproduktion wird über den Kämmvorgang hinaus im Land selbst weiter verarbeitet. Ursprünglich waren Spinnereien und Webereien im Kontext der ISI gegründet worden. Mit dem Einsetzen der Exportförderung Mitte der siebziger Jahre konnte die Produktion dann auch Exportmärkte erobern: 1988 wurden 44 Prozent der Umsätze exportiert, wobei vor allem Stoffe von Bedeutung waren. Der Zweig setzt sich aus 30 - mehrheitlich nationalen - Unternehmen zusammen und ist durch einen hohen Konzentrationsgrad charakterisiert. Die Mehrheit der Unternehmen weist einen hohen Grad an vertikaler Integration bis hin zur Primärverarbeitung der Rohstoffe auf, was im Gegensatz zu international zu beobachtenden Tendenzen steht. Die meisten Betriebe wurden bereits vor mehr als 15 Jahren gegründet. Wie im Falle der Tops ist die Produktion stark saisonabhängig, da die Masse der Exporte in die nördliche

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Hemisphäre geht. Die Folge sind lange Phasen unausgelasteter Kapazitäten, was die Produktionskosten erheblich in die Höhe treibt. Im Gegensatz zum Wollsektor, der eindeutig auch außerhalb der Region wettbewerbsfähig ist, ist die Wettbewerbssituation der Baumwollspinnereien und -Webereien deutlich schlechter als in den anderen MERCOSUR-Ländern Argentinien und Brasilien und befindet sich auf einem ähnlichen Niveau wie in Paraguay. Die Preise auf dem Binnenmarkt werden auf zwischen 3 und 18 Prozent höher geschätzt als auf dem argentinischen und brasilianischen Markt (vgl. Cámara de Industrias 1991). Im Kontext des MERCOSUR weist Uruguay die höchsten Löhne bei gleichzeitig der geringsten Arbeitsproduktivität auf. Die Kapazitäten sind in keinem der insgesamt 36 Unternehmen bis zu 70 Prozent ausgelastet; die Technologie ist veraltet. Das Überleben des Zweiges ist lediglich durch die hohe Protektion, die er genossen hat, erklärlich - eine Situation, die sich mit dem MERCOSUR radikal ändern wird. Durch einen Mangel an Wettbewerbsfähigkeit zeichnet sich auch die Strickund Wirkwarenindustrie aus. Dies ist Folge der hohen Produktionskosten, die ihrerseits durch ein hohes Lohnkostenniveau bei geringer Technikintensität bedingt sind. Dabei ist die Heterogenität der Produktionsbedingungen in diesem Zweig, wo neben der Fabrikproduktion ein breiter Sektor heimindustrieller bzw. handwerklicher Produktion besteht, erheblich. In den achtziger Jahren war ein begrenzter Modernisierungsprozeß durchgeführt worden, als dessen Ergebnis der Anteil der maschinell gefertigten Waren am Produktionswert von 46 Prozent (1986) auf 60 Prozent (1990) gestiegen ist. Dies war Folge einer gewachsenen Nachfrage insbesondere seitens der Vereinigten Staaten, wodurch die Senkung des Lohnkostenanteils zwecks Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit vor allem gegenüber der Produktion aus anderen Dritt-WeltLändern, insbesondere China, stimuliert wurde. Im Laufe der achtziger Jahre verdoppelte sich das Exportvolumen, begünstigt weiterhin durch ein Anwachsen der internationalen Preise. Die Einbeziehung des Zweiges in die bilateralen Handelsabkommen mit Argentinien, Brasilien und Mexiko ermöglichten eine Diversifizierung der Exportmärkte, was auch dazu beitrug, die Saisonabhängigkeit der Produktion zu vermindern. Zu Beginn der neunziger Jahre schrumpften jedoch die Exportvolumina wieder erheblich, worin sich der grundlegende Mangel an Wettbewerbsfähigkeit dieser uruguayischen Industriebranche reflektiert. Ähnlich ist die Situation in der Konfektionsindustrie. Dieser Zweig entstand im Rahmen der ISI und produzierte zunächst - mit einer Vielzahl kleiner Betriebe - ausschließlich für den Binnenmarkt. Die Stagnation der inneren Nachfrage setzte damit dem Wachstum dieser Sparte enge Grenzen. Die Exportförderungsmaßnahmen der siebziger Jahren ermöglichten dann zunehmende Exporte, bis 1989 der Exportanteil der Produktion bei über 50 Prozent lag. Insgesamt jedoch bedient Uruguay auf dem Weltmarkt ein Marktsegment 233

von Produkten geringer Qualität, wobei sein Anteil gerade am Markt für Wollbekleidung in den letzten Jahren wieder zurückgegangen ist. Wiederum zeigt sich hier die geringe Wettbewerbsfähigkeit der uruguayischen Produktion. Diese ist vor allem auf die geringe Anpassungsfähigkeit an sich verändernde Märkte (vgl. Snoeck/ Vigorito 1993), auf eine niedrige Arbeitsproduktivität, die bei 40-70 Prozent des internationalen Durchschnitts liegt (vgl. Irigoyen 1989), sowie auf einen hohen Lohnkostenanteil zurückzufuhren. Die Beschäftigungsintensität dieser Sparte ist hoch: Während ihr Anteil an der Produktion des gesamten Textil- und Bekleidungssektors nur bei 20 Prozent liegt, ist sie an der Beschäftigung zu 40 Prozent beteiligt. Allerdings liegt das Lohnniveau in der Konfektionsbranche um 20 Prozent unter dem nationalen Durchschnitt (Zahlen für 1987 - vgl. Caristo/Terra 1991), was damit zusammenhängt, daß hier hauptsächlich Frauen beschäftigt sind (vgl. CEPAL 1992d, S. 131). Angesichts dieser prekären Wettbewerbssituation haben regionale Märkte an Bedeutung gewonnen, wobei vor allem Argentinien und Chile zu nennen sind (vgl. CEPAL 1992d). Trotzdem sind die USA nach wie vor der größte Abnehmer. Tabelle 6: Entwicklung der Exportstruktur der Woll- und wolleverarbeitenden Industrie 1982-91 (in %) Produkt ungewaschene Wolle gewaschene Wolle gekämmte Wolle (Tops) Abfälle Garne Gewebe Bekleidung Decken Teppiche Insgesamt

1982 43,1 5,6 29,5 1,4 1,5 7,6 10,7 0,4 0,2 100,0

1985 22,4 7,2 40,4 2,5 0,3 8,6 16,9 1,7 0,0 100,0

1988 22,2 6,7 44,9 2,2 6,7 6,6 10,2 0,5 0,0 100,0

1991 10,6 7,3 50,0 1,7 0,2 14,1 15,6 0,5 0,0 100,0

Quelle: Banco de la República Oriental del Uruguay (BROU) Insgesamt hat Uruguay offensichtlich von der seit Mitte der achtziger Jahre durch Mode und ökologische Erwägungen bedingten internationalen Tendenz zur wieder verstärkten Nutzung von Naturfasern profitiert. Für die Exportentwicklung des Landes von Bedeutung sind dabei vor allem der Rohstoff bzw. rohstoffnahe Bereich sowie die Bekleidungsindustrie, weil hier komparative 234

Vorteile in Form von Rohstoffvorkommen und Arbeitskräften bestehen, während die besseren Automatisierungsmöglichkeiten im Bereich der Vorprodukte herstellenden Textilindustrie (Spinnereien und Webereien) die Wettbewerbsvorteile der Industrieländer voll zum Tragen kommen lassen. Diese Situation ist aus der Tabelle 6 zur Exportstruktur im Bereiche der Woll- und Wolle verarbeitenden Industrie Uruguays abzulesen: Dabei haben sich die protektionistischen Maßnahmen der Industrieländer, vor allem im Rahmen des Multi-Faser-Abkommens, nicht einschränkend für Uruguay ausgewirkt. Dieses wird vielmehr für Uruguay eher positiv eingeschätzt, da es dem Land Marktnischen erhält, die bei freiem Welthandel unter Umständen von wettbewerbsfähigeren Konkurrenten besetzt würden, welche aber aktuell durch das Quotierungssystem behindert werden. Wenn jedoch gerade im Falle der Konfektionsindustrie international nach wie vor das Lohnniveaus als Wettbewerbsfaktor von entscheidender Bedeutung ist, so ist gerade hier für Uruguay im Verhältnis zu anderen Dritt-Welt-Ländern (vor allem Brasilien und China) ein entscheidender komparativer Nachteil zu sehen. Dies ist umso gravierender, als es weder durch ein entsprechendes Produktivitätsniveau, noch durch die Fähigkeit, sich flexibel an differenzierte Märkte mit hohen Qualitätsanforderungen anzupassen, kompensiert wird. Dieses würde beträchtliche Investitionen in Anlagen und die Qualifizierung der Beschäftigten voraussetzen - eine Entwicklung, für die es bisher in Uruguay keinerlei Anzeichen gibt. Die Akteure im Sektor Textil-Bekleidung Der Staat Eine gezielte Industrieförderungspolitik und damit auch staatliche Förderung der Textil- und Bekleidungsindustrie wurde in Uruguay zunächst nach dem Zweiten Weltkrieg, im Kontext der ISI und später seit den sechziger und insbesondere seit Mitte der siebziger Jahre - angesichts des Verfalls der Rohstoffpreise und der Erdölkrise sowie der wachsenden Konkurrenz synthetischer Fasern auf den internationalen Märkten - im Rahmen der Exportförderungspolitik entwickelt. Die wichtigsten Förderinstrumente waren Steuerrückerstattungen für getätigte Exporte, Währungsabwertungen, vorübergehende Exportverbote für Rohwolle, Finanzierung und Vorfinanzierung der Exporte sowie in bestimmten Fällen die Steuerbefreiung von Kapitalgüterimporten für die Exportproduktion. Zwischen 1974 und 1982 wurden im Rahmen des Industrieförderungsgesetzes von 1974 insgesamt 49 Investitionsprojekte der Textil- und Bekleidungsindustrie gefördert, was in den entsprechenden Betrieben die Modernisierung des zu Beginn der siebziger Jahre vollständig veralteten 235

Maschinenparks ermöglichte. Hiervon profitierte seit Ende der siebziger Jahre vor allem die Tops-Industrie. Zu diesen finanziellen Fördermaßnahmen kamen technische Hilfe durch einige staatliche Institutionen hinzu, wie zum Beispiel das Laboratorio Tecnológico del Uruguay (LATU), welches Forschungsleistungen über die Qualität der Wolle liefert und seine Einrichtungen auch interessierten Unternehmen zur Verfügung stellt, sowie ein Qualifizierungsprogramm durchführt. Untersuchungen zur Situation der Textilindustrie liefert das Centro Nacional de Tecnología y Productividad Industrial des Industrieministeriums. Die Außenhandelsabteilung des Außenministeriums leistet Hilfestellung bei der Vermarktung etc. Seit den achtziger Jahren wurden die finanziellen Hilfen langsam reduziert oder eliminiert. Die bilateralen Handelsabkommen mit Argentinien und Brasilien, CAUCE und PEC, ermöglichten zwar zunächst eine Ausweitung der Exporte in die Region. Dies wird aus folgender Tabelle deutlich: Tabelle 7: Anteil der über CAUCE und PEC kanalisierten Exporte an den Gesamtexporten in % Sektor Gesamtindustrie Textil- und Bekleidungsindustrie Textil Bekleidung

28,8 15,9 13,0 32,3

Quelle: DGEC: Censo Industrial 1988. Insgesamt jedoch ist die Branche Textil und Bekleidung, ebenso wie die meisten übrigen Branchen, angesichts ihrer prekären Wettbewerbssituation kaum in der Lage, den Herausforderungen der Außenöffnung und der regionalen Integration im Rahmen des MERCOSUR zu begegnen. Trotzdem hat die Regierung bisher keinerlei Initiativen zur Entwicklung einer globalen oder sektoralen Konversionsstrategie ergriffen. Wie in den anderen Mitgliedstaaten des MERCOSUR auch überläßt sie die konkrete Ausgestaltung des Gemeinsamen Marktes auf Sektorebene den dort jeweils tätigen Unternehmern. Diese mangelnde Unterstützung der Unternehmer und der Verzicht auf die Entwicklung eigener Strategien hat dazu geführt, daß Uruguay bei den verschiedenen Verhandlungen zum MERCOSUR keine effiziente Präsenz bewiesen hat und entsprechend auch nicht ausreichend in der Lage war, seine Interessen wirksam zu vertreten. So hat das Land lediglich an einem der insgesamt fünf sektoralen Abkommen, die Ende 1992 geschlossen wurden, partizipiert. Ein 236

Abkommen für den Textil- und Bekleidungssektor kam im August 1992 nicht zustande, weil eine Einigung über die Restriktivität der Herkunftsbestimmungen nicht erzielt werden konnte. Eine strenge Auslegung würde hier ein kleines Land wie Uruguay stark benachteiligen - insbesondere aufgrund seiner Abhängigkeit von importierten Rohstoffen im Baumwollverarbeitungsbereich und der zeitweiligen Notwendigkeit von Importen ungewaschener Wolle -, während die großen Länder eher in der Lage sind, einen hohen nationalen Gehalt ihrer Produktion zu erzielen. In solchen Bereichen Einigung zu erzielen, stellt eine eindeutige Überforderung der Unternehmer bzw. ihrer Verbände dar. Dies wäre die Aufgabe komplexer Verhandlungssysteme, in denen die Regierungen eine aktive Rolle zu übernehmen hätten. Angesichts der mangelnden Wettbewerbsfähigkeit der Textilindustrie wird ein Großteil der Unternehmen - von Unternehmerseite wird dieser Teil auf ein Drittel geschätzt - die Öffnung im Rahmen des MERCOSUR nicht überstehen. Dies wiederum wird zu einem erheblichen Anwachsen der Arbeitslosigkeit fuhren. Die staatliche Abstinenz bei der Restrukturierung der Industrie kann somit verheerende Konseqenzen haben. Eine kleine Ausnahme im Bereich der Textilindustrie bildet das Centro de Desarrollo Textil (CEDETEX), ein Zusammenschluß von neun privaten Unternehmen, welches mit staatlicher Unterstützung und italienischer Ausrüstung technische Dienstleistungen liefert, was allerdings von der Industrie bisher kaum genutzt wurde. Eine andere kleine Ausnahme ist die von der Regierung gebildete Comisión Sectorial del MERCOSUR, die mit Hilfe externer Finanzierung (BID, EG) technische Hilfe vor allem für die kleine und mittlere Industrie leistet. Die Unternehmer Wenn auch die Unternehmer mehrheitlich nicht der Meinung sind, daß Uruguay dem Prozeß der regionalen Integration fern bleiben sollte, so drücken sich doch die unterschiedlichen Niveaus in der Entwicklung und Wettbewerbsfähigkeit der verschiedenen Sparten innerhalb der Textil- und Bekleidungsbranche in sehr unterschiedlichen Perzeptionen hinsichtlich der Außenöffhung und ihrer Folgen aus. Die Unternehmer der Tops-Industrie, welche den modernsten Zweig darstellt und international voll wettbewerbsfähig ist, stehen der doppelten Herausforderung der Außenöffnung und regionalen Integration grundsätzlich positiv gegenüber. Wenn die Sparte auch noch einen gewissen Heterogenitätsgrad aufweist, so hat sie doch grundsätzlich von den Industrie- und Exportforderungspolitiken profitiert und diese zur Modernisierung und Technisierung ihrer 237

Einheiten genutzt. Ein hohes Rentabilitätsniveau aufgrund hoher Produktivität und Qualität der Produktion sowie aufgrund traditioneller komparativer Vorteile im Rohstoffbereich wie auch einer aktiven Vermarktungspolitik machen die Unternehmen weitgehend unabhängig von staatlicher Protektion. Überdies bedeutet der MERCOSUR für sie einen verbesserten Zugang zu zusätzlichen Rohstoffen. Weiterhin sind die Aussichten für die Ausdehnung ihrer externen Märkte positiv, da zum Beispiel die Produktion von Tops in den Industrieländern, insbesondere in Europa, aus ökologischen Erwägungen zunehmend aufgegeben wird, was unter Umständen sogar dazu fuhren könnte, daß Importe von Tops keinen Quotierungen mehr unterworfen werden. Überdies weist der chinesische Markt erhebliche Wachstumspotentiale auf. Angesichts dieser Situation suchen die Produzenten von Tops ihre Wettbewerbsbedingungen nicht mehr so sehr über die Senkung des Lohnkostenanteils zu verbessern, sondern primär über die Qualifizierung ihres Personals, über Gehälter, welche hoch qualifizierte Techniker langfristig dem Unternehmen sichern, über die Verbesserung ihrer Qualitätsstandards, fortgesetzte technologische Erneuerung, sowie über Verbesserungen in der Organisationsstruktur und der Vermarktungspolitik. Völlig anders sieht es beim Rest der Textil- und Bekleidungsbranche aus, und entsprechend unterscheidet sich auch ihre Position hinsichtlich des anstehenden Wandels. Die internationale Rezession hat hier bei fast allen Zweigen zu erheblichen Einbrüchen geführt. In der Baumwolle verarbeitenden Industrie liegen die Produktionskosten über dem Niveau der Nachbarländer. Die durchschnittlichen Stundenlöhne in Uruguay übersteigen die in Brasilien gezahlten um 30 Prozent, die argentinischen um 4 Prozent. Bei Berücksichtigung der Sozialleistungen schmilzt zwar die Differenz zu Argentinien, aber die zu Brasilien wächst auf 50 Prozent. Im Vergleich zu den Industrieländern sind die durchschnittlichen Kosten pro Beschäftigten jedoch mit 2,50 US-Dollar niedrig, gemessen an 9,71 US-Dollar in den Vereinigten Staaten, 13,17 in Deutschland, 13,42 in Belgien und 13,98 US-Dollar in Japan; auch das Niveau in Korea liegt mit 2,87 US-Dollar über dem Uruguays. Dieser scheinbare komparative Vorteil auf den internationalen Märkten wird jedoch durch das niedrige Produktivitätsniveau weitgehend wieder ausgeglichen. Im Verhältnis zu seinen Nachbarn befindet sich Uruguay auch hinsichtlich der Kosten für Energie und Rohstoffe im Nachteil. Da Argentinien und Brasilien Produzenten von Baumwolle sind, können sie diese auch zu sehr viel günstigeren Bedingungen beziehen. Diese Benachteiligung wird allerdings mit dem MERCOSUR verschwinden. Der einzige Vorteil, den Uruguay gegenwärtig gegenüber Brasilien hat, ist seine größere wirtschaftliche Stabilität, während in Brasilien hohe Zins- und 238

Inflationsraten sowie eine hohe Besteuerung zu Verteuerung der Produktionskosten beitragen. Andererseits soll das gegenwärtig noch bestehende Referenzpreis-System (Anti-Dumping) für die wichtigsten Produkte des Garn und Gewebe produzierenden Sektors, die auf der Ausnahmeliste der ALADI für Uruguay stehen und auf die der Maximalzollsatz von 20 Prozent erhoben wird, abgeschafft werden. Angesichts dieser Situation sind die relativ bedeutenden Investitionen, die in den letzten Jahren in dieser Sparte vorgenommen wurden, die sich jedoch nur auf einige wenige große, den Markt führende Unternehmen konzentrieren, nicht ausreichend. Etwas weniger kritisch ist die Situation bei den Wollgarnen und -geweben. Aber auch hier ist das Rentabilitätsniveau nicht so, daß der Sektor einfach auf öffentliche Subventionierung verzichten könnte - zumal die relative Überbewertung der Währung zu einer allgemeinen Verschlechterung der Wettbewerbsposition beiträgt. Dasselbe gilt auch für den Sektor Wirkwaren, obwohl hier in den letzten Jahren relativ beträchtlich Investitionen zur Maschinisierung und damit Ersetzung der handwerklichen Produktion getätigt worden sind. Die Konfektionsindustrie hat aufgrund ihrer geringen Produktivität beträchtliche Marktanteile in den Vereinigten Staaten verloren - zum einen an neue Anbieter aus Costa Rica und Kolumbien, welche in den USA produzierte Stoffe verarbeiten und daher von den immerhin bei 21 Prozent liegenden Zöllen befreit werden, zum anderen an zahlreiche Familienunternehmen auf dem US-Markt selbst, die meist von koreanischen Immigranten betrieben werden und zu sehr geringen Kosten produzieren. Angesichts dieser Situation müßte Uruguay seine komparativen Vorteile aus der Produktdifferenzierung ziehen. Tatsächlich jedoch ist zu beobachten, daß die Investitionen, die die Unternehmer in den achtziger Jahren getätigt haben, weitgehend dem Ersatz vorhandener Ausrüstung dienten, während der Einführung neuer Technologien und Produktionsmethoden bzw. der Qualifizierung von Personal kaum Beachtung geschenkt wurde. Auch der Mangel an Interesse, das die Unternehmer dem CEDETEX (siehe oben) entgegenbringen, weist darauf hin, daß die Unternehmer bisher nicht zur Kenntnis genommen haben, daß ein Wandel ansteht und welche Richtung dieser gehen muß. Für die Textilindustrie läßt sich insgesamt feststellen, daß hier in den achtziger Jahren zwar relativ beträchtliche Investitionen vorgenommen worden sind und daß darüber zum Teil auch hoch moderne Technologien eingeführt wurden, daß dieser Prozeß aber nicht mit einer entsprechenden Qualifizierungsund Personalpolitik verbunden war. So überstieg in einigen der modernsten Unternehmen der Anteil der Arbeiter an der Gesamtbeschäftigung die 85 Prozent, während die Gruppe der Techniker sowie mittleren und oberen Führungskräfte kaum zehn Prozent ausmachte. Das Professionalisierungsniveau ist 239

minimal. Die Modernisierung beschränkte sich auf den Import von Technologien, die weder den lokalen Gegebenheiten angepaßt, noch in einen umfassenden Prozeß der Unternehmensreorganisation integriert waren und die in extremen Fällen kaum bedient werden konnten. Es handelt sich hier somit um einen klaren Fall "inkongruenter Modernisierung". Für den gesamten Textil- und Bekleidungssektor gilt, daß es ihm an ausreichend qualifiziertem Personal mangelt. Diese Situation erschwert nicht nur die Einfügung neuer Ausrüstungen und Produktionsmethoden, sondern macht es grundsätzlich schwer, überhaupt Möglichkeiten für technologischen Wandel zu identifizieren. Es mangelt vollständig an einer innovationsorientierten Unternehmenskultur. Es mangelt aber auch an einem entsprechenden Problembewußtsein: Bei einer Umfrage unter 50 kleinen und mittleren Unternehmen der Branche maßen nur acht Prozent der Befragten einer Verbesserung der Qualifizierungssysteme für ihre Arbeitskraft im Angesicht des MERCOSUR überhaupt einige Bedeutung bei (Proyecto Comisión Sectorial del MERCOSUR (COMISEQ/ENEA). Die Branche weist somit weder die nötige Wettbewerbsposition auf, um der Außenöffnung und regionalen Integration erfolgreich begegnen zu können, noch ist in ihr eine Strategie sichtbar, wie dies zu erreichen ist. Die Unternehmer empfinden zwar große Beunruhigung, zeigen aber wenig Initiative. Die Mehrzahl der Unternehmen kann auf staatlichen Schutz nicht verzichten. Dies heißt nicht unbedingt, daß die Branche als ganze bei vollzogener Öffnung zusammenbricht oder ihre Weltmarktpräsenz auch nur erheblich schrumpft; vielmehr ist eine sektorale Umstrukturierung wahrscheinlich, die zugunsten der wettbewerbsfähigen Unternehmen läuft und mit der drastischen Reduktion der Zahl der Unternehmen verbunden sein wird - mit den entsprechenden sozialen Folgen. Die Gewerkschaften Die Textilgewerkschaften gehören zu den traditionsreichsten uruguayischen Gewerkschaften. In den dreißiger Jahren entstanden die ersten Betriebsorganisationen, die sich nach der Verabschiedung des "Lohnrätegesetzes" (Ley de Consejos de Salarios) von 1943 zu Branchengewerkschaften vereinigten. In der Convención Nacional de Trabajadores, mit der 1966 die Gewerkschaftseinheit hergestellt war, spielte die Textilgewerkschaft COT (Congreso Obrero Textil) eine bedeutende Rolle. Sie war die erste Gewerkschaft, die Schutzklauseln für die Beschäftigung angesichts des technologischen Wandels in die Tarifverträge aufnahm. Diese spielten jedoch zunächst keine große Rolle, da es zu einem tiefgreifenden technologischen Wandel nicht kam. Später jedoch, in echten Konfliktfällen, zeigte sich, daß die Klauseln nicht praktikabel

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waren. Beispielsweise mußte 1988 ein Streik, den die Gewerkschaft in einem multinationalen Unternehmen angesichts der drohenden rationalisierungsbedingten Gefährdung von zahlreichen Arbeitsplätzen durchführte, nach über zwei Monaten weitgehend erfolglos beendet werden. Insgesamt jedoch ist die Textilgewerkschaft COT auch nach der Demokratisierung eine der führenden uruguayischen Gewerkschaften. Sie scheint auch eine der dynamischeren Gewerkschaften mit einer vergleichsweise großen Transformationsfahigkeit zu sein. Real jedoch steckt diese Transformation höchstens in allerersten Anfängen. Zu beobachten ist eine gewisse Entwicklung in Richtung auf größere Gesprächs- und Verhandlungsbereitschaft - im Kontext einer Gewerkschaftsbewegung, die sich traditionell durch konfrontative Strategien auszeichnet. Dies hat jedoch bisher noch keinen nennenswerten materiellen Niederschlag gefunden: Eine Anbindung der Löhne an die Produktivitätsentwicklung findet bisher nicht statt; Qualitätszirkeln und der verantwortlicheren Einbindung der Arbeiter in die Organisation der Produktionsprozesse wurden bisher heftiger Widerstand entgegengesetzt. Allgemein sind es jedoch die älteren Arbeiter und die Beschäftigten der am meisten rückständigen Betriebe, die hier den größten Widerstand leisten, während die jüngeren Arbeiter und die Beschäftigten in den dynamischeren Betrieben eher Kooperationsbereitschaft zeigen. Ausdruck einer tiefgreifenden Transformation der gewerkschaftlichen Orientierung ist jedoch die Tatsache, daß inzwischen die Arbeitsplatzsicherung vor dem Lohnniveau höchste Priorität genießt, was zu einer gewissen Annäherung zwischen Unternehmern und Arbeitern und zu einer größeren DialogBereitschaft geführt hat. Der MERCOSUR könnte zu einer Nivellierung der Lohnniveaus zwischen den Mitgliedsländern führen, was die uruguayischen Arbeiter, insbesondere die weniger qualifizierten, erheblich benachteiligen würde. Weiterhin könnte er Migrationsbewegungen hervorrufen, die für Uruguay gerade den Verlust der qualifizierteren Arbeitskräfte bedeuten würden. Beide Faktoren sowie die zunehmende Ersetzung der Branchen- durch Betriebsgewerkschaften führen zur weiteren strukturellen und organisatorischen Schwächung der Gewerkschaftsbewegung insgesamt. 6. Ausblick: Möglichkeiten für die Konstruktion der Kompatibilität von Außenöffnung, sozialem Ausgleich und Demokratie Die leitende Fragestellung der Fallstudie über Uruguay - wie auch die des gesamten Projekts - bezieht sich auf die sozialen Akteure, die politischen Parteien, den Staat und andere zentrale Institutionen: Zielen diese in ihrem

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Handeln und ihrer Interaktion auf die Herstellung von nationaler Wettbewerbsfähigkeit im Verbund mit sozialem Ausgleich und innerer Demokratie? Aus allem bisher Gesagten ist deutlich geworden, daß es sich nicht darum handeln kann, diese Frage auf der Ebene von umfassenden Sozialverträgen oder konsensbasierten nationalen Projekten zu beantworten. Uruguay befindet sich vielmehr in einer Phase seines Transformationsprozesses, in der die Loyalitäten und Zugehörigkeiten vieler Akteure schwer erschüttert sind, woraus sich vielfältige und differenzierte Strategien ergeben. In dieser Situation wird die Hypothese vertreten, daß es nicht eine einzige, optimale, durch irgendeine immanente Logik bestimmte Form gibt, die Transformationsprozesse, die durch die Außenöfftiung induziert wurden, durchzufuhren. Es gibt dominante Formen, in denen diese Prozesse ablaufen; und die Hypothese ist, daß es möglich ist, diesen Formen gegenüber Alternativen zu entwerfen. Damit wird nicht die Notwendigkeit einer stärker und aktiver in den Weltmarkt integrierten Transformation durch Vertiefung der Außenöffnung geleugnet; es wird aber behauptet, daß Wege denkbar sind, diesen Prozeß im Einklang mit sozialem Ausgleich und einer Stärkung der Demokratie durchzuführen. Normativer Leitgedanke für die Konstruktion der Kompatiblität von Wettbewerbsfähigkeit, sozialem Ausgleich und Demokratie ist das Konzept der solidaridad eficiente, welches zum Orientierungspunkt für die Analyse sowohl der Bedingungen, die Uruguay aktuell für die Transformation aufweist, als auch der Interaktionsmuster seiner Akteure wird. Von hier aus ist es dann nur noch ein kleiner Schritt zum normativ-prospektiven Feld der Empfehlungen. Der Leitgedanke der solidaridad eficiente ist dreifach begründet: Zum einen müssen Effizienz und Solidarität gleichzeitig auftreten, wenn Wettbewerbsfähigkeit und sozialer Ausgleich miteinander kompatibel sein sollen. Denn die Außenöffnung geht notgedrungen zu Lasten bestimmter Gruppen und Aktivitäten. Der Begriff der "Solidarität" bezeichnet in diesem Kontext in Abgrenzung zur equidad, die ein mögliches tendenzielles Szenario beschreibt - einen konkreten Akt, dessen Ausführung vom Willen und den Entscheidungen bestimmter Akteure abhängt. Dazu können in der aktuellen Situation verbesserte Ausbildungsbedingungen und darüber eine verbesserte Beschäftigungssituation, die Förderung von Produktionskooperativen usw. gehören. Zu Beginn der Öffhungspolitik in den achtziger Jahren entbehrte eine solche Politik der Korrektive der Legitimität. Die sozialen Folgen und politischen Risiken, die damit verbunden waren, haben zwar zu einem Umdenken geführt. Nach wie vor besteht jedoch das Problem, daß einige Bereiche der Sozialpolitik zwar von einer neuen Art der Solidarität inspiriert sind, daß diese jedoch nach wie vor ihre Spielräume jeweils hart gegenüber der Wirtschaftspolitik erkämpfen muß und daß sie überdies nur für die nachträgliche Korrektur sozialer Schäden legitimiert ist. Eine offensive Politik, in der Effizienzori242

entierung und Solidarität unmittelbar miteinander artikuliert sind, findet demgegenüber noch keine Legitimitätsgrundlage. Die Einheit von Solidarität und Effizienz ist aber auch deshalb notwendig, weil eine ineffiziente Solidarität sich sehr schnell in sich selbst erschöpft und damit die Kompatibilisierung von Wettbewerbsfähigkeit und sozialem Ausgleich von der anderen Seite untergräbt. Obsolete Unternehmen und Ämter, überflüssige Beschäftigte beizubehalten hilft genauso wenig, wie ein von der Gewinnsituation vollständig abstrahierendes Prinzip der Lohngleichheit, weil es Effizienzsteigerungen blockiert. Solche Art von Solidarität ist gruppenegoistisch und steht oftmals genug im Widerspruch zum allgemeinen Interesse. Dies bedeutet zum zweiten, daß es keine privilegierten Bereiche in der Gesellschaft für die Konstruktion der Kompatiblität von Wettbewerbsfähigkeit, sozialem Ausgleich und Demokratie gibt, sondern daß dies eine Notwendigkeit für die gesamte Gesellschaft ist. Ein Beispiel hierfür bildet die Situation der öffentlichen Universitäten, wo 60 Prozent der wissenschaftlichen Forschung in Uruguay durchgeführt wird. Gleichzeitig sollen sie einen demokratischen Zugang zur höheren Bildung gewährleisten. Dies ist auf die Dauer nicht aufrechtzuerhalten, weil die Massenuniversität einen effizienten Forschungsbetrieb behindert, während der Anteil von Studenten, die aus den Unterschichten stammen, sowieso denkbar gering ist. Es findet also eine reale Elitisierung statt, während gleichzeitig die zunehmende Orientierung auf Wettbewerbsfähigkeit die Nachfrage nach qualifizierten Forschern in der Gesellschaft erhöht und damit Potential aus der Universität abzieht. Eine Orientierung am Konzept der solidaridad eficiente müßte somit den Zufluß öffentlicher Mittel in den Universitätsbereich drastisch reduzieren und diese Mittel in den Primar- und Sekundarschulbereich umlenken, während die Kosten der Universitätsausbildung durch die Erhebung von (einkommensabhängigen) Gebühren weitgehend privatisiert würden. Zum dritten ist die Einheit von Effizienz und Solidarität auch deshalb gefordert, weil moderne Innovationsprozesse, mit deren Hilfe Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit angezielt werden, aufgrund ihres interaktiven Charakters ohne ein gewisses Maß an Solidarität gar nicht mehr auskommen. Dabei gibt es auch hier keine privilegierten Räume, in denen Innovation stattfindet. Für nationale Wettbewerbsfähigkeit ist vielmehr entscheidend, daß nicht nur die Produzenten, sondern auch die Konsumenten, daß nicht nur die Endverarbeiter, sondern auch die Zulieferer, daß nicht nur die private Wirtschaft, sondern auch der Staat, daß somit also sämtliche gesellschaftlichen Institutionen und Akteure sich im Sinne von Effizienzsteigerung modernisieren, das heißt entsprechende Innovationsprozesse durchführen, wobei wechselseitige Verständigung und Konsensorientierung von entscheidender Bedeutung sind. Die Diffusion von Innovation ist somit notwendigerweise auf ein Mindestmaß an Solidarität angewiesen. 243

In Uruguay scheint das soziale Netz durch die Anpassungspolitiken und die Diktatur weniger zerstört zu sein, als dies in anderen Ländern der Region der Fall ist. Solidarität ist dadurch noch eher als Realität präsent und kann als signifikanter Bestandteil der politischen Kultur angesehen werden. Eindrucksvollster Ausdruck dieser Tatsache ist das Plebiszit gegen das Amnestiegesetz der Militärs. Insofern kann eine solidarische Inspiration der Transformation hier am ehesten für wahrscheinlich gehalten werden. Bezüglich der Effizienz ist die Situation komplizierter. Der öffentliche Sektor und die Privatwirtschaft zeichnen sich durch weitgehende Ineffizienz aus. Trotzdem hat sich in der letzten Zeit ein Bewußtsein dafür entwickelt, daß erhöhte Effizienz und die Erlangung von Wettbewerbsfähigkeit zur conditio sine qua non für weitere Entwicklung geworden sind. Die Forderung nach Effizienz wird in zunehmendem Maße in der Öffentlichkeit laut. Überdies hat sich bereits ein kleiner, hoch innovativer Unternehmenssektor herausgebildet, der technologische Lösungen für die Probleme andrer Wirtschaftssektoren anbietet. Insgesamt jedoch, da Innovation letztlich ein systemischer Prozeß ist, der gerade nicht mit dem langfristigen Bestehen von isolierten Fortschrittsinseln kompatibel ist, ist die Demokratisierung des Zugangs zum technologischen Fortschritt gefordert - was noch immense Anstrengungen notwendig macht und die große Herausforderung fiir die Zukunft bleibt. In Uruguay ist ein zukunftsweisendes Projekt, welches Konsens konstituieren könnte, nicht in Sicht. Der "restaurative" Charakter der Redemokratisierung hat den Blick für die Zukunft zunächst einmal verstellt. Der seither eingetretene Verlust an integrativer Kraft seitens der traditionellen Akteure (insbesondere der neoliberalen Regierung, aber auch der konservativen wie linken Parteien sowie der Gewerkschaften) hat die Differenzierung und Individualisierung in der Gesellschaft vertieft und gleichzeitig den rein defensiven Charakter der gesellschaftlichen Institutionen noch verstärkt. Der Mangel an Bewußtsein bei den relevanten Akteuren Uruguays über die Notwendigkeit des Aufbaus von Fähigkeiten und Potentialen auf allen Ebenen für die Entstehung einer kreativen und innovativen Gesellschaft läßt eine positive Prognose über die weitere Entwicklung des Landes vorerst nicht zu.

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Barbara Töpper

B IV. Schlußfolgerungen Angesichts der tiefgreifenden Strukturkrise, von der Lateinamerika seit den siebziger Jahre geschüttelt wird, und angesichts der sich daraus immer deutlicher ergebenden Notwendigkeit einer grundlegenden Transformation der sozioökonomischen Strukturen, gehen wir von der Hypothese aus, daß eine Integration der lateinamerikanischen Ökonomien in den Weltmarkt in viel weitergehendem Maße, als dies bisher der Fall war, unvermeidbar ist unvermeidbar, weil die real vonstatten gehenden Globalisierungsprozesse eine solche Entwicklung erzwingen und die lateinamerikanischen Gesellschaften über keinerlei Möglichkeit verfugen, sich diesen Prozessen gegenüber zu verschließen. Erfolg oder Mißerfolg jeglicher Transformationsstrategie hängt somit von der Fähigkeit der nationalen Gesellschaften ab, sich den Strukturen des Weltmarktes und den global verlaufenden Restrukturierungsprozessen anzupassen. Wenn aber schon Weltmarktintegration unvermeidlich ist, dann - so ist die normative Vorstellung dabei - sollte es möglichst eine aktive sein. Das heißt, im Rahmen der WeltmarktOrientierung jeglicher Transformation sollten die immer vorhandenen Spielräume genutzt und die verheerenden wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen der früheren Phasen passiver Weltmarktintegration vermieden werden; dies bedeutet, daß von vornherein auf eine international wettbewerbsfähige Gesamtökonomie gesetzt werden sollte, in der das Ziel der Wettbewerbsfähigkeit nicht von den anderen Entwicklungszielen des sozialen Ausgleichs und der Demokratie abgekoppelt, sondern vielmehr mit diesen in möglichst weitgehende Übereinstimmung gebracht wird. Daraus ergibt sich die leitende Fragestellung des Projektes: Ist unter den gegenwärtigen Bedingungen der Weltwirtschaft und angesichts des radikalen technologisch-organisatorischen Umbruchs in der internationalen Produktion eine Kompatibilisierung von aktiver Weltmarktintegration, sozialem Ausgleich und politischer Demokratie möglich? Die CEPAL, deren neues entwicklungspolitisches Konzept als einziges in der entwicklungspolitischen Debatte von eben dieser Fragestellung ausgeht,

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nennt einige Ansatzpunkte für die Kompatibilisierung von Wettbewerbsfähigkeit, sozialem Ausgleich und Demokratie. Diese sind im wesentlichen aus den international zu beobachtenden Tendenzen einer technologisch-organisatorischen Umstrukturierung der Produktion abgeleitet und werden als Zielvorstellung für erfolgreiche Transformationsprozesse formuliert. Die CEPAL rezipiert hier internationale Debatten zum Thema sowie real vonstatten gehende Prozesse in den Industrie- und einigen ostasiatischen Schwellenländern, bei denen es jedoch (real und konzeptionell) gerade an einer konstitutiven Verknüpfung der drei Dimensionen Wettbewerbsfähigkeit, sozialer Ausgleich und Demokratie mangelt. Die konkrete Analyse unserer drei Untersuchungsländer zeigt überdies, daß diese von den relativ ideal gezeichneten Zielvorstellungen bei der CEPAL weit entfernt sind und daß eine Kompatibilisierung - so sie denn überhaupt möglich ist - einen viel komplizierteren und voraussetzungsvolleren Prozeß darstellt, als dies das CEPAL-Konzept suggerieren mag. Grundsätzlich hat sich ergeben, daß die Bedingungen für eine Kompatibilisierung in den drei Ländern grundverschieden sind. Ein Vergleich ist hier nur bedingt und in sehr groben Linien möglich und hat die jeweiligen historischen und strukturell gegebenen Voraussetzungen in Betracht zu ziehen. Daraus ergeben sich sehr unterschiedliche Formen und Verlaufsmuster möglicher Transformationsprozesse. Ein allgemein gültiges Modell für erfolgreiche Transformation in Lateinamerika läßt sich jedenfalls nicht gewinnen. Es ging uns daher zentral um die Frage, wie es um die - nicht nur in den Strukturen, sondern vor allem auch in der spezifischen Beschaffenheit der Akteure und ihrer Interaktion begründeten - Kapazität jeder Gesellschaft bestellt ist, ihre Probleme kreativ, effizient und solidarisch zu lösen: Wo und in welchem Maße lassen sich in einer Situation, in der die Weltmarktöffnung zunächst zur Verstärkung sozialer Disparitäten und zu neuen Formen struktureller Heterogenität geführt hat, Ansätze finden, die eine Kompatibilisierung von Wettbewerbsfähigkeit, sozialem Ausgleich und Demokratie möglich erscheinen lassen? Bzw.: Wo werden solche Tendenzen eher blockiert? Die Ergebnisse hierzu fallen für die drei Länderfallstudien sehr unterschiedlich aus, und ebenso unterschiedlich ist entsprechend auch die Darstellung der drei Studien hinsichtlich ihrer Schwerpunktsetzungen und Perspektiven. So befinden sich die drei Untersuchungsländer in ganz verschiedenen Stadien einer Transformation, wobei sie von sehr unterschiedlichen Strukturen auszugehen haben. Während zum Beispiel die relativ weit fortgeschrittene Entwicklung in Chile einen Rückblick gestattet, der ex post die Zusammenhänge der verschiedenen Dimensionen und Entwicklungsebenen des Transformationsprozesses deutlich macht und daher eine integrative Sicht ermöglicht, und während umgekehrt Uruguay eine grundlegende Transformation noch gar nicht eingeleitet hat, so daß auch hier eine integrative Problemdarstellung

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nahelag, ist Argentinien mitten im Umbruch begriffen, und eine klare Perspektive ist nicht in Sicht, so daß hier eher partielle Untersuchungen und Darstellungen angemessen schienen. Gemeinsam ist jedoch allen drei Ländern, daß sie mit einer tiefgreifenden Umbruchsituation konfrontiert sind, die daraus resultiert, daß eine Fortsetzung des alten Entwicklungsmodells der importsubstituierenden Industrialisierung (ISI) unter aktuellen Weltmarktbedingungen nicht möglich ist. In dieser Hinsicht gleichen die drei Cono-Sur-Länder grundsätzlich den übrigen lateinamerikanischen Gesellschaften. 1. Das alte Modell Was den Cono Sur vom Rest Lateinamerikas jedoch wiederum abhebt, ist die Tatsache, daß hier gerade in den Dimensionen des sozialen Ausgleichs und der Demokratie andere Ausgangsbedingungen vorliegen: Insbesondere Uruguay hat sich traditionell durch ein hoch entwickeltes System sozialer Sicherheit ausgezeichnet; die Einkommensverteilung vor allem in Argentinien und Uruguay war für lateinamerikanische Verhältnisse ausgesprochen egalitär und glich über einen langen Zeitraum hinweg durchaus dem in einigen Industrieländern erreichten Niveau. Uruguay und Chile sind durch eine lange Tradition demokratischer Stabilität und Kontinuität charakterisiert. Im Unterschied zum übrigen Lateinamerika gibt es somit in diesen drei Ländern eher die historische Erfahrung einer Kompatibilität von Wirtschaftswachstum, sozialem Ausgleich und Demokratie. Das Wachstumsmodell, das dem zugrunde lag, war im Falle Argentiniens und Uruguays die florierende extensive Pampa-Wirtschaft, die ihre Dynamik vom Weltmarkt empfing, die jedoch unter der Regie der nationalen Oligarchie betrieben wurde. Diese rief, auf der Grundlage hoher Rentengewinne und durch diese ermöglichter relativ breit gestreuter Einkommen, eine ISI hervor, die ihrerseits zur Entwicklung des Binnenmarktes und zur Entstehung breit gestreuter Einkommen beitrug (vgl. dazu unter anderem Säbato 1980, Säbato/ Schvarzer 1983, Waisman 1988 sowie Cardoso/Faletto 1969). In Chile stellte die lange Zeit vom ausländischen Kapital getragene Kupferwirtschaft eine weniger durch spontane Marktprozesse gesteuerte, weil nicht mit vergleichbar hohen Rentengewinnen verbundene Basis für die spätere Binnenmarktentwicklung dar, was gezieltere und kontinuierlichere Staatsinterventionen zum Aufbau der ISI erforderte - mit der Konsequenz, daß sich in Chile ein sehr viel stärkerer, autonomerer und bürokratisch konsolidierter Staat herausbilden konnte als insbesondere in Argentinien. Da dieser Staat seine Ressourcen sehr weitgehend dem Auslandskapital abtrotzen mußte, repräsentierte er gleichzeitig in viel weitergehendem Maße auch die Nation, was ebenfalls Konsequenzen für seine relativ hohe Autonomie hatte. Der Rah247

men der demokratischen Institutionen ermöglichte weiterhin die Durchführung von Strukturreformen (insbesondere Agrarreform), die zumindest in einer ersten Phase an einer Kompatibilisierung von Wachstum und Verteilung orientiert waren (vgl. dazu ebenfalls Cardoso/Faletto 1969 sowie Valenzuela 1988). In allen drei Ländern ist dieses Modell definitiv an seine Grenzen gestoßen, was jeweils die tiefe Krise ausgelöst hat: Weder die Pampawirtschaft, noch die monostrukturelle Kupferexportwirtschaft können angesichts der Strukturveränderungen auf dem Weltmarkt ihre tragende Bedeutung für die Volkswirtschaften beibehalten. Die Ineffizienz der ISI-Produktion hat gleichzeitig keine Alternative hervorgebracht, die eine Weltmarktintegration auf dieser Grundlage ermöglichen könnte. 2. Der Bruch und seine Perzeption Die Erkenntnis der Notwendigkeit eines grundlegenden Umbruchs ist allerdings in den drei Ländern in sehr unterschiedlichem Maße herangereift, und entsprechend unterschiedlich ist auch die Tiefe des praktizierten Bruchs. Während Chile diesen Bruch, der vor allem von der Diktatur betrieben worden war, bereits weitgehend hinter sich hat und sich auf dem Weg zur zweiten Phase des neuen Export-Modells befindet - einem Modell, das in den Köpfen der relevanten Akteure bereits klare Konturen hat, ohne daß damit schon Aussagen über seine dauerhafte Realisierbarkeit getroffen wären -, befindet sich Argentinien gegenwärtig offensichtlich in der Phase des radikalen Umbruchs, das heißt, in einer Situation, in der es wesentlich um die Destruktion des Alten geht. Während dabei über die Notwendigkeit des Bruchs sich in der Elite ein Konsens herausgebildet hat, ist aber noch überhaupt nicht erkennbar, wohin die Entwicklung zukünftig gehen kann; dazu existieren auch noch keinerlei konsistente und tragfähige Vorstellungen bei den Akteuren. In beiden Fällen Chile wie Argentinien - waren jedoch die traditionellen Eliten selbst nicht in der Lage, den Bruch zu praktizieren; dieser wurde vielmehr im ersten Fall von der Militärdiktatur, im zweiten von der menemistischen Antielite vollzogen. Uruguay hingegen hat, trotz der von der Militärdiktatur eingeleiteten Außenorientierung, den Bruch in seinen ganzen Dimensionen noch gar nicht eingeleitet, und die Notwendigkeit dafür wird offensichtlich von der Mehrheit der Akteure auch noch gar nicht in all ihrer Tragweite erkannt; hier überwiegt vielmehr noch der Glaube, daß eine Rückkehr zu den alten Verhältnissen in vieler Hinsicht möglich und wünschenswert ist. Hieraus ergeben sich einige interessante Schlußfolgerungen bezüglich des Verhältnisses von Entwicklung bzw. wirtschaftlicher Transformation, Staat und politischem Regime:

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Wirtschaftliche Transformation, Staat und politisches Regime In Chile war es eine starke Diktatur, gestützt auf einen starken Staat, die die alten ISI-Strukturen zerschlagen hatte - über die physische Liquidierung bzw. politische Marginalisierung der linken Opposition bei gleichzeitiger Neutralisierung der konservativen Oligarchie und der Mittelschichten und unter Durchsetzung der Außenöffnung gegen die ISI-Unternehmer. Die Härte der Diktatur und die Radikalität ihres Destruktionswerkes erklärt sich aus dem weit fortgeschrittenen Prozeß gesellschaftlicher Strukturreform und Umverteilung unter der Regierung Allendes, die die privatkapitalistischen Grundlagen der Produktion zu verlassen drohte, während sich gleichzeitig die politischen Repräsentanten dieser Gesellschaft gegenseitig blockierten und paralysierten, der Staat somit weitgehend handlungsunfähig geworden war. Die von der Diktatur wiederhergestellte Autonomie und Handlungsfähigkeit des Staates ermöglichte es dann aber noch unter der Diktatur, auf den Trümmern des alten Modells, aber auch - und dies ist von nicht zu unterschätzender Bedeutung - in Anknüpfung an die bereits unter der christdemokratischen Regierung Frei durchgeführten Strukturreformen (Agrarreform) die Grundlagen für ein neues exportorientiertes Modell zu legen. Dieses ist in seiner ersten Phase wesentlich rohstoffbasiert. Das demokratische Regime konnte an dieses Modell anknüpfen und es fortsetzen bzw. in eine zweite Phase der Exportorientierung mit erhöhtem Verarbeitungsgrad der Produktion überfuhren. Die von der demokratischen Regierung Aylwin praktizierte Politik der continuación konnte sich auf einen breiten Konsens in der Gesellschaft und insbesondere innerhalb der Elite stützen, einen Konsens, der die Effizienz der Politik garantierte und der im Rahmen des neuen demokratischen Regimes institutionell abgesichert war. Dieser Konsens schloß eine eindeutige Prioritätensetzung zugunsten wirtschaftlicher Stabilität, im Zweifelsfalle auch zu Lasten von Wachstum, ein - eine Prioritätensetzung, in die die Erfahrung mit dem ciclo populista in den Nachbarländern, vor allem auch in Argentinien, eingegangen ist. Für die staatliche Handlungsfähigkeit von Bedeutung war unter anderem auch, daß die Privatisierungspolitik in Chile, selbst in ihrer liberalsten Phase, selektiver verfahren ist als in Argentinien und - zumindest vorerst - die Kupferproduktion nicht angetastet, diese vielmehr als stabile staatliche Einkommensgrundlage erhalten hat. In Argentinien unter Menem wurden demgegenüber mit der Privatisierung der Erdöl- und Erdgasunternehmen auch wichtige staatliche Einkommensquellen veräußert. In Argentinien mußte sich die Diktatur daher auf einen ungleich viel weniger autonomen und fragmentierteren Staat als in Chile stützen. Sie konnte auch an 249

keinerlei vorher durchgeführte gesellschaftliche Strukturreformen anknüpfen. Entsprechend betrieb sie die Destruktion des ISI-Modells halbherzig und inkonsequent, und eine Reaktivierung erwies sich später als ungleich viel schwieriger. So konnte sich die erste demokratische Regierung Alfonsin, ähnlich wie die erste demokratische Regierung in Uruguay unter Sanguinetti, zunächst in der Illusion wiegen, eine Rückkehr zu den alten Strukturen von vor 1976 sei zumindest partiell möglich - zum Beispiel im Hinblick auf die Möglichkeit nachfrageorientierter, "keynesianischer" Umverteilung oder im Hinblick auf die weitgehende Beibehaltung der Staatsunternehmen. Das wirtschaftspolitische Scheitern der ersten demokratischen Regierungen in Argentinien und Uruguay ist in erster Linie darauf zurückzuführen, daß sie einem hohen, aus dem alten populistischen Modell herrührenden sozialen Erwartungsdruck bezüglich der Einlösung der "sozialen Schuld" ausgesetzt waren, der die Hyperinflationen mit ausgelöst hat. Umgekehrt kann der weitgehende Erfolg der Regierung Aylwin darauf zurückgeführt werden, daß dieser Druck in einem vergleichbaren Ausmaß in Chile nicht bestand, weil die Diktatur mit dem ISI-Modell auch die entsprechenden Erwartungshaltungen der Akteure ausgemerzt hatte und wirtschaftliche Stabilität daher vergleichsweise leichter aufrechtzuerhalten war. Im übrigen stellt die argentinische Inflationsgeschichte, in der staatliche Regulierung seit den fünfziger Jahren in zunehmendem Maße durch die Inflation erodiert bzw. substituiert wurde, im Vergleich zu Chile und Uruguay jedenfalls ein Spezifikum dar, welches der Konstitution eines handlungsfähigen und autonomen Staates im Wege stand. In Argentinien ließen erst die Hyperinflationen der Jahre 1989 und 1990 und das damit verbundene soziale und politische Chaos bei den Akteuren, insbesondere dann bei der zweiten Regierung unter demokratischem Vorzeichen, der Regierung Menem, die Erkenntnis heranreifen, daß eine Rückkehr nicht möglich ist und daß die bereits vonstatten gegangenen Strukturumwälzungen irreversibel waren. Daraus resultierte eine Liberalisierungs- und Öffnungspolitik mit einseitig destruktiven Konsequenzen, die vor allem auch die Destruktion von Institutionen staatlicher Steuerung betraf - von Institutionen allerdings, die aufgrund ihrer Orientierung am alten Modell eher blockierend für die Restrukturierung wirkten. Angesichts des allgemeinen Mangels an tragfähigen, zukunftsorientierten Konzepten bei den Akteuren ist dies jedoch verheerend, denn die Formulierung und Umsetzung eines langfristigen Transformationskonzepts bedürfen jedenfalls eines starken Staates und starker öffentlicher Institutionen - zumindest im Hinblick auf die Aufstellung und Durchsetzung klarer und verbindlicher Regeln des Wirtschaftslebens. Sie bedürfen aber - gerade unter Bedingungen wie in Argentinien, wo der Staat als Akteur niemals von vergleichbarer Stärke war wie in Chile und daher den Akteuren der Zivilgesellschaft eine vergleichsweise größere Bedeutung als Träger möglicher Transformationsprozesse zukommt - vor allem auch eines Konsenses

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innerhalb der Elite, welcher die ungefähren Konturen der künftigen Entwicklung betrifft. Ein solcher Konsens ist nicht vorhanden, und es gibt nicht nur keine Konzepte, sondern auch keine Institutionen, welche die Herstellung eines solchen Konsenses in absehbarer Zeit wahrscheinlich machen. Die gegenwärtige Konzentration der politischen Entscheidungsmacht bei der Regierung Menem, welche in ihren Dimensionen sogar noch die der Militärdiktatur übertrifft, kann sich auf keinen funktionsfähigen Apparat stützen. Durch sie ist daher zwar das Destruktionswerk zu vollziehen, nicht aber ein konstruktiver Neuaufbau und auch nicht die positive Einleitung der Transformation. Die entwicklungspolitisch relevante Schlußfolgerung, die hieraus gezogen werden kann, ist die, daß weder eine Diktatur, noch eine Demokratie per se besonders geeignet oder ungeeignet für die Durchsetzung von tiefgreifenden wirtschaftlichen und sozialen Transformationsprozessen ist, sondern daß dies jeweils von den konkreten historischpolitischen, wie auch sozialen und kulturellen Bedingungen, wozu auch die Perzeption der relevanten Akteure gehört, abhängig ist. Conditio sine qua non für eine erfolgreiche Transformation ist jedoch offensichtlich in jedem Falle ein starker, das heißt autonomer und effizienter Staat, über den sich Regierbarkeit konstituiert - dies umso mehr unter Bedingungen, in denen die Zivilgesellschaft selbst keine starken, das heißt institutionell verankerten und gesellschaftlich legitimierten, weil an gesamtgesellschaftlichen Prioritäten orientierten Akteure hervorbringt. Wirtschaftliche Transformation und Demokratie Hier taucht allerdings eine weitergehende Frage auf: Welcher Typ von Demokratie ist mit einem starken Transformationsstaat vereinbar? Für die Beantwortung dieser Frage lassen sich insbesondere aus dem Vergleich Chile Uruguay einige vorläufige Schlußfolgerungen ableiten: Nachdem in Chile die Diktatur ihr Destruktionswerk auf der Grundlage eines bloß passiven Konsenses der konservativen Kräfte vollzogen hatte, der lediglich negativ, das heißt vor allem antisozialistisch motiviert war, aber bis zur Krise Anfang der achtziger Jahre keinerlei positive Implikationen für eine Transformationsstrategie enthielt, konnte erst mit Büchi ein Elitenkonsens für das Exportmodell als Voraussetzung für die Reaktivierung hergestellt werden. Nach der Demokratisierung hat das Zusammenwirken eines effizienten Staates und einer höchst restringierten, durch das Fortbestehen von enclaves autoritarios charakterisierten Konsensdemokratie dazu geführt, daß in der Zivilgesellschaft eine weitgehende Demobilisierung eingesetzt hat, welche die verschiedenen Gruppen der Zivilgesellschaft zum bloß passiven Zuschauer eines elitendemokratischen Regierungsprozesses werden ließ. Die Aufrechterhaltung 251

des Konsenses, insbesondere auch mit den konservativen Kräften, wird von der Regierung für so bedeutsam eingestuft, daß für diesen Konsens und für die durch ihn gewährleistete politische Stabilität auf eine schnelle Vertiefung des demokratischen Prozesses zunächst einmal verzichtet wurde. Dieser hohe Stellenwert, der dem Konsens, der Kooperation und der Konzertation in Chile beigemessen wird, ist aus der traumatischen Erfahrung der destruktiven Folgen eines sich antagonistisch perzipierenden und damit selbst blockierenden politischen Systems vor 1973 zu erklären. Von einiger Bedeutung ist jedoch auch die argentinische Erfahrung, wo die strafrechtliche Verfolgung von Menschenrechtsverletzungen unter der Diktatur von der Regierung Alfonsins zunächst sehr viel konsequenter betrieben wurde, später jedoch zu politischen Instabilitäten führte und schließlich zurückgenommen werden mußte, was mit zu den erheblichen Prestigeverlusten Alfonsins beigetragen hat. Die Elitendemokratie bedeutet jedoch, daß die viel gerühmte Effizienz des chilenischen Modells bisher auf die Elite begrenzt blieb und genau an deren Grenzen auch ihre eigenen Grenzen finden könnte: Das chilenische Modell ist noch davon entfernt, im Sinne der CEPAL das kreative Potential der gesamten Gesellschaft mobilisieren zu können. Der Übergang in eine zweite Phase der Exportorientierung ist noch keineswegs gesichert, die langfristigen Auswirkungen auf sozialen Ausgleich sind eher zweifelhaft, und die Konsolidierung der Demokratie ist aufgrund des Fortbestehens der enclaves autoritarios noch nicht abgeschlossen. Umgekehrt gibt es in Uruguay eine lebendige Zivilgesellschaft mit eigenem Selbstbewußtsein und hoher Mobilisierungskapazität, die, wie das Referendum zum Amnestiegesetz gezeigt hat, in der Lage ist, auch von unten, auf basisdemokratische Weise einen gesellschaftlichen Konsens zur Militär- und Menschenrechtspolitik herbeizufuhren. Wie das Referendum zu den Privatisierungen gezeigt hat, ergibt sich daraus jedoch nicht nur die Grundlage für eine gelebte und damit fest verankerte Demokratie, sondern auch die Gefahr, daß notwendige Umstrukturierungsprozesse unterbleiben oder zumindest so hinausgezögert werden, daß eine effiziente Transformationspolitik ausgeschlossen ist: Die Negativerfahrung mit dem Verlauf der argentinischen Privatisierungen hat sehr stark zu dieser Ablehnung von Privatisierungen überhaupt beigetragen. Insofern das Referendum zunächst jeglicher Form von Privatisierungen die Legitimation entzogen hat, ist damit ein möglicher Transformationspfad zumindest vorübergehend blockiert.

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Demokratie und sozialer Ausgleich Wenn daraus der Schluß zu ziehen ist, daß auch unter demokratischen Verhältnissen ein Elitenmodell für die Durchsetzung einer so tiefgreifenden Transformationsstrategie, wie sie für Lateinamerika ansteht, - zumindest in den ersten Phasen des Umbruchs und der Einleitung der Restrukturierung nicht nur geeigneter, sondern womöglich auch unabdingbar ist, so hat dies nicht nur Konsequenzen für die Kompatibilität von Weltmarktintegration und Demokratie, sondern im Zweifelsfalle auch für die von Weltmarktintegration und sozialem Ausgleich. Denn der Transformationsprozeß, in welcher konkreten Gestalt er sich auch immer vollzieht, wird jedenfalls mit hohen sozialen Kosten verbunden sein, die es zu verteilen gilt. Darüber gibt es notwendigerweise politische Auseinandersetzungen; das heißt, ein Konsens ist eher über die Notwendigkeit einer Transformation überhaupt erzielbar - und nur unter dieser Bedingung ist die Transformation mit Demokratie kompatibel -, er ist jedoch nur schwer über die Lastenverteilung herstellbar. Insofern wird der Bruch immer nur im Rahmen eines Elitenmodells von Demokratie durchsetzbar sein. Hier ist der argentinische Fall besonders auffällig: Die Regierung Menem, die sich zwar nicht auf einen entwicklungsstrategischen, wohl aber - im Unterschied zur Regierung Alfonsfn - auf einen relativ breiten stabilisierungspolitischen Konsens stützen kann, hat auf der Grundlage dieses Konsenses eine weitgehende Demobilisierung und Atomisierung der Gewerkschaftsbewegungen bewirkt und damit auch eine drastische Verschlechterung der sozialen Verhältnisse in Kauf genommen. Die Übernahme der Regierung durch Menem bedeutet somit auch die Kooptation der peronistischen "Antielite" und damit ihre Einbindung in den stabilisierungspolitischen Elitenkonsens, wodurch die Gewerkschaften und alle übrigen sozialen Gruppen, welche eine "soziale Schuld" einzuklagen hätten, ohne jegliche politische Repräsentation bleiben. In sozialpsychologischer Hinsicht bedeutet die Regierungsübernahme durch die menemistische "Antielite" und die von ihr praktizierte Anpassungspolitik auch den Bruch mit der historischen Erfahrung, daß sozialer Ausgleich möglich ist und daß der Verfechter einer entsprechenden Politik die peronistische Bewegung ist. Diese historische Erfahrung wird nicht im Sinne einer eficiencia solidaria genutzt, sondern verdrängt, um den Weg frei zu machen für eine eficiencia sin solidaridad, wie sie aus Chile vor allem während der Diktatur bekannt ist. Die Gewerkschaften, wie die Zivilgesellschaft insgesamt, sind damit handlungsunfähig geworden. Außerdem werden in Argentinien, im Unterschied zum Chile nach der Demokratisierung, auch die Parteien und die parlamentarischen Institutionen de facto lahmgelegt, bzw. es wird an ihnen vorbei regiert, 253

ohne daß von dieser Seite entscheidender Widerstand käme. Dies ist möglich in einer politischen Kultur, die sich - ganz im Gegensatz zu Chile oder Uruguay - traditionell durch eine geringe Wertschätzung der parlamentarischen Institutionen auszeichnet. In der Konsequenz hat sich das elitedemokratische System Argentiniens gegenwärtig bereits weitgehend in ein de facto Regime transformiert. Phasen der Transformation und sozialer Ausgleich Der entscheidende Unterschied zwischen Argentinien, Chile und Uruguay ergibt sich jedoch in diesem Zusammenhang aus der unterschiedlichen Phase des Transformationsprozesses, in der sich diese Länder jeweils befinden. Während eben Argentinien und Uruguay noch ohne klare Zukunftsperspektive sind, ist diese - zumindest mittelfristig - für Chile durchaus gegeben: Die Konsequenz des dort sich vollziehenden Wachstumsprozesses ist unter anderem die Ausweitung der Beschäftigungsmöglichkeiten, wodurch sich nicht nur direkt eine Verbesserung der sozialen Verhältnisse ergibt, sondern auch indirekt, indem sich die Verhandlungsmacht der Arbeitskraft - mag diese sich auch allgemein noch unter höchst prekären Bedingungen befinden - verstärkt und sich damit ihre Fähigkeit, Forderungen zu artikulieren und durchzusetzen, erhöht. Insofern kann in Chile eine Verbesserung der equidad im Sinne eines trickle down, zumindest in einigen Wirtschaftssektoren, bereits beobachtet und auch für die nähere Zukunft erwartet werden - solange jedenfalls das Modell gut funktioniert. In diesem Sinne ist eine Kompatibilisierung von weltmarktorientiertem Wachstum und sozialem Ausgleich möglich, weniger jedoch als Folge der Einführung technologisch-organisatorischer Innovationen bei den Produktionsverhältnissen; die hat bisher weder in Chile, noch in einem der anderen beiden Länder in nennenswertem Maße stattgefunden. Die Sozialpolitik der Regierung Aylwin oder auch die von ihr durchgeführte Steuerreform haben bisher hinsichtlich einer Verbesserung der Verteilungsverhältnisse lediglich bescheidene Erfolge erbracht. Für eine Forcierung dieser Bemühungen bedarf es vermutlich nicht nur eines Elitenkonsenses, sondern eines Konsenses in der Gesamtgesellschaft. Dies wiederum hätte auch die Reaktivierung der Zivilgesellschaft zur Voraussetzung. Umgekehrt läßt sich jedoch die Hypothese aufstellen, daß eine solche Reaktivierung der Zivilgesellschaft dazu beitragen könnte, die Autonomie der Regierung grundsätzlich zu erhöhen, das heißt, sie unabhängiger von den konservativen Kräften werden zu lassen und sie darüber erst mit der Handlungskapazität auszustatten, die nötig ist, eine zweite Phase der Exportentwicklung einleiten zu können, die unweigerlich zum Konflikt mit einigen der die erste Phase tragenden Gruppen führen muß.

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Eine solche Entwicklung ist bisher nicht in Sicht. Das weitgehende Scheitern der Regierung Aylwin bezüglich ihrer Pläne für eine Verfassungsreform und die bisher kaum begonnene Modernisierung des Staates belegen vielmehr, daß ein grundlegender Konsens bezüglich der Rolle des Staates noch nicht existiert - ein Konsens, der Implikationen nicht nur für eine zweite Phase des Exportmodells hätte, sondern auch für die Kompatibilisierung von Wettbewerbsfähigkeit und sozialem Ausgleich. In Argentinien sind demgegenüber - zumindest gegenwärtig - praktisch keinerlei Voraussetzungen für eine Kompatibilisierung von wirtschaftlicher Transformation und sozialem Ausgleich gegeben: Während die Verteilungsverhältnisse zunehmend verfallen, ist ein echtes Wirtschaftswachstum, das jenseits spekulativer Bewegungen auf der Grundlage produktiver Investitionen stattzufinden hätte, nicht in Sicht. Wie die Sektorstudien zeigen, haben in der Wirtschaft im allgemeinen, in der Industrie im besonderen zwar Umstrukturierungen in Richtung auf Spezialisierung und Rationalisierung stattgefunden, die eine zunehmende Weltmarktorientierung der Produktion ermöglichen. Daraus ergeben sich jedoch bisher weder langfristige Wachstumsperspektiven für die Gesamtgesellschaft, noch Ansätze für eine Verbesserung der equidad. Die Rationalisierungsmaßnahmen waren im Gegenteil mit Massenentlassungen verbunden, ohne daß sich gleichzeitig die Qualität und Stabilität der verbliebenen Arbeitsplätze entscheidend verbessert hätte. Die Investitionspolitik ist dabei nicht auf Ausweitung der produktiven Kapazitäten orientiert, sondern verhält sich angesichts einer unklaren internen Makro-Entwicklung und rezessiver Prozesse auf dem Weltmarkt abwartend bis rückläufig. Die traditionelle Rentenorientierung der argentinischen Wirtschaft macht sich unter den aktuellen Bedingungen in den verschiedensten spekulativen Formen bemerkbar. Die demokratischen Institutionen beziehen in diesem Kontext ihre relative Stabilität zunächst aus der weitgehenden Diskreditierung der Militärdiktatur (das galt vor allem für die Zeit Alfonsens) bzw. unter Menem aus der Kapazität seiner Regierung, das gesellschaftliche Protestpotential gegen die sozialen Lasten der Anpassung zu neutralisieren und damit den stabilisierungspolitischen Konsens (an den parlamentarischen Institutionen vorbei) zu befestigen was aus der Tatsache resultiert, daß es sich um eine peronistische Regierung handelt. Indem die Globalisierungsprozesse die Abhängigkeit der argentinischen Wirtschaft von extern gefällten und primär auf externe Dynamiken bezogenen Investitionsentscheidungen verstärken und damit die Fähigkeit zu einer an nationalen Prioritäten orientierten Entwicklungsdynamik und Steuerungskapazität immer mehr erodiert, verschlechtern sich auch die Ausgangsbedingungen für aktive Weltmarktintegration, das heißt für die mögliche Kompatibilisierung von weltmarktorientiertem Wachstum und sozialem Ausgleich. Verstärkt werden demgegenüber Prozesse sozialer Anomisierung, "Mafiotisierung" und des 255

Zerfalls sozialer Kohäsion insgesamt, Prozesse, die grundsätzlich durch die Abwesenheit eines effizienten, Regeln setzenden und garantierenden Staates bedingt sind. Dadurch wird die Korruption zum allgemeinen sozialen Faktor. Eine effektive Liberalisierung ist unter diesen Bedingungen nicht möglich. Uruguay weist im Unterschied dazu ein hohes Maß an sozialer Kohäsion auf. Das Verteilungsniveau hat sich seit Einsetzen der Demokratisierung einigermaßen stabilisieren können. Eine vergleichsweise tiefgreifende und von der Gesamtgesellschaft getragene Demokratisierung ist das Komplement dazu. Beides - Demokratie und sozialer Ausgleich - sind jedoch nicht mit einem entscheidenden Durchbruch zu weltmarktorientierten Wachstumsprozessen verbunden. Trotz einiger wirtschaftlicher Umstrukturierungen (Protektionsabbau und Exportförderung, also zunehmende Außenöffnung) sind diese bisher ausgeblieben. Modernisierungen auf Unternehmensebene blieben partiell, das heißt, die Einführung moderner Technologie war nicht mit entsprechenden organisatorischen und sozialen Innovationen verbunden. Dies hängt offensichtlich auch damit zusammen, daß die wichtigsten Akteure immer noch dieselben wie vor der Diktatur sind. An den sozialen und politischen Interaktionsstrukturen hat sich somit nichts Grundlegendes geändert - im Unterschied zu Chile (und partiell auch Argentinien), wo das Auftauchen neuer Akteure zu völlig neuen Interaktionsparametern geführt hat. Offensichtlich hängt dies damit zusammen, daß weder ein Bewußtsein über die Notwendigkeit von Transformationen, noch ernsthafte Ansätze dazu existieren. Es dominiert nach wie vor eine solidaridad ineficiente, über die eine Transformation nicht möglich sein wird. Bereits im Rahmen des MERCOSUR hat sich für Uruguay empfindlich bemerkbar gemacht, was zu erwarten ist, wenn das Land der Konkurrenz übermächtiger Nachbarn ausgesetzt ist. Das kleine Uruguay hat es hier bisher nicht vermocht, seine spezifischen Interessen wirkungsvoll und selbstbewußt zu vertreten - was wiederum als Konsequenz eines Mangels an innovativen und selbstbewußten Akteuren zu verstehen ist. Trotzdem sind einige Ansätze zu Veränderungen im Bereich der sozialen Akteure festzustellen, die erwarten lassen, daß weltmarktorientierte Transformationen, wenn sie sich durchsetzen, ihren Effizienzgewinn mit einem Verlust an Solidarität werden erkaufen müssen, das heißt zumindest vorübergehend ähnlich negative Konsequenzen für den sozialen Ausgleich haben werden, wie dies in Chile der Fall war und in Argentinien der Fall ist: Neben dem Auftauchen vereinzelter moderner Unternehmen sind dies vor allem eine wachsende gewerkschaftliche Desorganisierung und ein zunehmender desencanto mit der Demokratie. Beides kann zum Verlust sozialer und politischer Repräsentation der Arbeiter und der Bevölkerungsmehrheit führen - mit der Folge eines Verfalls der Verteilungsverhältnisse und der Solidarität. Insgesamt weist jedenfalls alles darauf hin, daß der entscheidende Umbruch in Uruguay noch bevorsteht 256

und es ist vollständig offen, in welche Richtung die Entwicklung dann gehen wird. 3. Transformation und Akteure Der Vergleich aller drei Länder lehrt, daß der Transformationsprozeß nirgendwo ein Automatismus ist, der sich als abhängige Variable internationaler Entwicklungen naturwüchsig ergibt. Der Weltmarkt setzt zwar in jedem Falle den Referenzrahmen für erfolgreiche Transformation. Das heißt, seine Dynamiken und die im globalen Wirtschaftsprozeß sich herausbildenden Kräfteverhältnisse und Aktionsparameter konstituieren die entscheidenden Spielregeln, denen jeder Transformationsprozeß zu gehorchen hat und denen sich in der gegenwärtigen Weltgesellschaft kein Land mehr auch nur noch partiell zu entziehen vermag. Aber jeder Transformationsprozeß ist auch ein von sozialen Akteuren getragener Prozeß, dessen Richtung und Tempo immer auch vom Willen dieser Akteure und ihrer Perzeption, die allerdings von strukturellen Faktoren mit bestimmt und begrenzt wird, abhängt. Innerhalb dieser Strukturen, externen wie internen, bestehen jedoch offensichtlich Spielräume, innerhalb derer die Akteure Entscheidungen treffen können und welche umgekehrt durch ihr Handeln und ihre Interaktion veränderbar sind. Ob und wieweit daher weltmarktintegratives Wachstum mit sozialem Ausgleich und Demokratie kompatibel ist, ist innerhalb eines durch Strukturanalyse bestimmbaren Rahmens von diesem Handeln der Akteure und ihrer Interaktion abhängig, die ihrerseits nicht durch Strukturanalyse zu erschließen, sondern in die Zukunft hin offen sind. Von Bedeutung ist jedoch, daß in Chile das gegenwärtige Entwicklungsmodell von Akteuren getragen wird, die sich im Zuge des Bruchs entweder neu konstituiert oder transformiert haben, während in Argentinien und insbesondere Uruguay die mit dem alten Modell verbundenen Akteure nach wie vor vorherrschend sind. Von der Perzeption und dem Willen der Akteure hängt noch ein Weiteres ab: ob es in Zukunft gelingt, auch die ökologischen Aspekte von Entwicklung in das entwicklungsstrategische Kalkül einzubeziehen und durch das praktische Handeln der Akteure wirksam werden zu lassen. Dies ist von entscheidender Bedeutung nicht nur für den mittelfristigen Erfolg nationaler Transformationsprozesse, sondern für das langfristige Überleben der Weltgesellschaft insgesamt. In der internationalen Debatte über Entwicklung ist dieser Aspekt immer noch - trotz UNCED 1992 usw. - weitgehend unterbelichtet. Auch für das CEPAL-Konzept wird er bisher nicht konstitutiv, wenn sich die CEPAL auch in separaten Dokumenten durchaus mit der Problematik befaßt. Auch in dem 257

vorliegenden Projekt spiegelt sich dies wider - dies muß in aller Selbstkritik angemerkt werden. Hieraus ergeben sich für weitere Entwicklungsforschung entscheidende Desiderata. Insgesamt jedoch sollte dieses Projekt dazu beitragen, die Diskussion über die Kompatibilität von Wettbewerbsfähigkeit, sozialem Ausgleich und Demokratie und damit die Entwicklung integrierterer Entwicklungskonzepte voranzutreiben. Daß dies dringend erforderlich ist, hat die eingangs dargestellte Diskussion zu den drei Dimensionen gezeigt. Die CEPAL, deren Begründungszusammenhänge grundsätzlich noch als außerordentlich lückenhaft und defizitär bezeichnet werden mußten, kann gleichwohl als Vorreiter in einer internationalen Debatte gesehen werden, welche die Problematik in ihrem Zusammenhang noch kaum zur Kenntnis bzw. in ihrer Bedeutung nicht ernst genug nimmt. Wir hoffen, daß uns hier eine gewisse Problematisierung gelungen ist. Wenn nämlich der Wille und die Perzeption der Akteure wesentliche entwicklungsstrategische Faktoren sind, dann hat die internationale Entwicklungsdebatte hier ihre entscheidende und wichtige Funktion: ein entsprechendes Problembewußtsein bei den Akteuren hinsichtlich der Kompatibilität von Wettbewerbsfähigkeit, sozialem Ausgleich und Demokratie entwickeln zu helfen und darüber reale Transformationsprozesse in eine einigermaßen sozial verträgliche Richtung zu steuern. Wie sowohl die Länderanalysen, als auch die Darstellung der internationalen Debatte zum Thema zeigen, ist ein Diskurs wie der der CEPAL, der eben die Möglichkeit für eine solche Kompatibilisierung zum Ausgangspunkt aller Überlegungen nimmt, noch weit davon entfernt, ein hegemonialer zu sein - sowohl in den einzelnen lateinamerikanischen Ländern, als auch auf internationaler Ebene.

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Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Forschungsprojekts:

LIGIA GARCIA arbeitet als Wirtschaftswissenschaftlerin in Santiago de Chile. THOMAS HURTIENNE arbeitet als Soziologe und Ökonom am Lateinamerika-hstitut (LAI) der Freien Universität Berlin. LEOPOLDO MARMORA arbeitete zuletzt als Politologe an der Forschungsstele der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST) in Heidelberg. DIRK MESSNER arbeitet als Politologe am Deutschen Institut für Entwicklungäänder (DIE) in Berlin. URS MÜLLER-PLANTENBERG arbeitet als Soziologe am Lateinamerika-Institut (LAI) der Freien Universität Berlin. EUGENIO RIVERA arbeitet als Soziologe am Planungsministerium (MIDEPLAN) h Santiago de Chile. JORGE SCHVARZER arbeitet als Wirtschaftswissenschaftler am Centro de Investiga:iones Sociales sobre el Estado y la Administración (CISEA) in Buenos Aires. RICARDO SIDICARO arbeitet als Soziologe am Centro de Investigaciones Sociales sobre el Estado y la Administración (CISEA) in Buenos Aires. MICHELE SNOECK arbeitet als Wirtschaftswissenschaftlerin am Centro de Informaáones y Estudios del Uruguay (CIESU) in Montevideo. JUDITH SUTZ arbeitet als Elektro-Ingenieurin am Centro de Informaciones y Estudios del Uruguay (CIESU) in Montevideo. BARBARA TÖPPER arbeitet als Politologin am Lateinamerika-Institut (LAI) der Freien Universität Berlin. JUAN ENRIQUE VEGA arbeitet als Soziologe bei der Corporación Tiempo 2000 in Santiago de Chile. ANDREA VIGORITO arbeitet als Wirtschaftswissenschaftlerin am Centro de Informaciones y Estudios del Uruguay (CIESU) in Montevideo.

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Veröffentlichungen des Instituts für Iberoamerika-Kunde, Hamburg Petra Bendel (Hrsg.) Zentralamerika: Frieden-Demokratie-Entwicklung Politische und wirtschaftliche Persektiven in den 90er Jahren 1993, 388 S. (Schriftenreihe Band 37) ISBN 3-89354-237-X DM56,- öS 437,- sFr56,Bert Hoffmann (Hrsg.) Wirtschaftsreformen In Kuba. Konturen einer Debatte 1994, 219 S. (Schriftenreihe Band 38) ISBN 3-89354-238-8 DM32,- öS 250,- sFr32,Barbara Töpper und Urs Müller-Plantenberg (Hrsg.) Transformation im südlichen Lateinamerika. Chancen und Risiken einer aktiven Weltmarktintegration in Argentinien, Chile und Uruguay 1994, 278 S. (Schriftenreihe Band 39) ISBN 3-89354-239-6 DM48,- ÖS 375,- sFr48,in Vorbereitung:

Dirk Kloss Umweltschutz und Schuldentausch. Neue Wege der Umweltschutzfinanzierung am Beispiel lateinamerikanischer Tropenwälder 1994, ca. 240 S. (Schriftenreihe Band 40) ISBN 3-89354-240-X DM 44, - öS 344, - sFr 44, *

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LATEINAMERIKA JAHRBUCH Hrsg. von Albrecht von Gleich, Wolfgang Grenz, Heinrich-W. Krumwiede, Detlef Nolte und Hartmut Sangmeister Erscheint seit 1992, jeweils ca. 320 Seiten ISSN 0943-0318 DM35,- öS 274,- sFr35,(im Abonnement DM 28, - öS 218, - sFr 28, - ) Deutschsprachige Lateinamerika-Forschung. Institutionen, Wissenschaftler und Experten in Deutschland, Österreich und der Schweiz Hrsg. von Wolfgang Grenz unter Mitarbeit von Brigitte Farenholtz, Ulrike Moritz und Monika Ohrt 1993, XXI + 712S. ISBN 3-89354-054-7 DM68,- öS 530,- sFr68,-

Vervuert Verlag, Wielandstr. 40, 60318 Frankfurt/M. Tel.: 0 69 / 597 46 17 Fax: 0 69 / 597 87 43

Bert Hoffmann (Hrsg.)

Wirtschaftsreformen in Kuba Konturen einer Debatte Schriftenreihe des Instituts für Iberoamerika-Kunde, Hamburg Band 38 Frankfurt 1994, 219 Seiten, ISBN 3-89354-238-8, DM 3 2 , Ohne Frage: Kuba durchlebt die schwerste Krise seit der Revolution von 1959. Der wirtschaftliche Niedergang der sozialistischen Karibikinsel hat in den vergangenen vier, fünf Jahren dramatische Ausmaße erreicht - und die Regierung von Fidel Castro zur Abkehr von einstigen Prinzipien gezwungen. Spätestens seit der Legalisierung des US-Dollars steht die Debatte um die Reform der Ökonomie Kubas offen auf der Tagesordnung. Das jetzt vom Institut für Iberoamerika-Kunde herausgegebene Buch vereint gleichermaßen Beiträge aus kubanischer Sicht und von auswärtigen Wissenschaftlern. Die unterschiedlichen Perspektiven ergeben eine facettenreiche und substantielle Diskussion des wirtschaftlichen Reformprozesses in Kuba. Dokumente, Gedichte, Liedertexte sowie eine spanische Zusammenfassung runden den Band ab. Inhalt: Julio Carranza Vald£s: Die Krise - eine Bestandsaufnahme / Anonym: Das Sonnet vom Nahrungsmittelplan / Fidel Castro: "Einige dieser Maßnahmen sind uns zuwider" / Cambio Cubano: "Erklärung vom 19. August" / Carmelo Mesa-Lago: Ist Kuba auf dem Weg zur Marktwirtschaft? / Meinungsumfrage: "...dann haben wir damit gar nichts gelöst." / Bert Hoffmann: Das Ende der Halbherzigkeit? - Ein Nachtrag zu der Entwicklung bis Mai 1994 / Robert Lessmann: Stand und Perspektiven ausländischer Joint-ventures in Kuba / Pedro Luis Ferrer. 100prozentig kubanisch / Gillian Gunn: Die sozialen Folgen steigender Auslandsinvestionen / Carlos Varela: Jeder beklaut jeden / Pedro Monreal / Manuel Rüa del Llano: Kubas Transition - Öffnung und Reform der kubanischen Wirtschaft / Pedro Luis Ferrer: Es gibt viele Leute, die fliehen.

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Vervuert Verlag Wielandstr. 40 60318 Frankfurt/M. Tel.: 0 69 / 597 46 17 Fax: 0 69 / 597 87 43