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German Pages 415 Year 2009
Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 279
Zweiteilung der Belegschaft Chancen und Risiken einer Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit
Von Peter Breschendorf
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
PETER BRESCHENDORF
Zweiteilung der Belegschaft
Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 279
Zweiteilung der Belegschaft Chancen und Risiken einer Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit
Von
Peter Breschendorf
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Die Juristische Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München hat diese Arbeit im Jahre 2008 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten # 2009 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0227 ISBN 978-3-428-13009-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2008 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München als Dissertation angenommen. Die Arbeit wurde im Mai 2008 fertiggestellt und berücksichtigt die bis dahin erschienene Literatur und Rechtsprechung. Besonderer Dank gilt meinem akademischen Lehrer Prof. Dr. Volker Rieble, der das Thema anregte und dessen Rat und Unterstützung mir stets eine große Hilfe bei der Erstellung der Arbeit gewesen sind. Herrn Prof. Dr. Abbo Junker gebührt mein Dank für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Ganz besonders danke ich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Zentrums für Arbeitsbeziehungen und Arbeitsrecht, die mich während meiner Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am ZAAR in vielerlei Hinsicht umfangreich unterstützt haben. Großen Dank schulde ich schließlich Frau Patricia Pichal für ihren unermüdlichen Einsatz beim Korrekturlesen und nicht zuletzt meinen Eltern, Marianne und Detlef Breschendorf, die mich während meiner gesamten Ausbildung in jeder erdenklichen Form großzügig unterstützt und gefördert haben. München, im Mai 2009
Peter Breschendorf
Inhaltsübersicht § 1 Programmierte tarifrechtliche Zweiteilung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Zweiteilung in organisierte und nichtorganisierte Arbeitnehmer. . . . . . . B. Begrenzte Tarifgeltung nur für organisierte Arbeitnehmer. . . . . . . . . . . . I. Gesetzlicher Ausgangspunkt: §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 Satz 1 TVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Immanente Grenzen aus der Legitimation der Tarifmacht . . . . . . . III. Kein Mandat der Tarifvertragsparteien für Außenseiter. . . . . . . . . . C. Eng begrenzte Ausnahmen vom mitgliedschaftlichen Legitimationsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Allgemeinverbindlicherklärung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Arbeitnehmer-Entsendegesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Tariftreueverpflichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Betriebs- und Betriebsverfassungsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Überwindung der programmierten Zweiteilung in der Praxis . . . . . . . . . I. Tarifgeltung durch arbeitsvertragliche Bezugnahme . . . . . . . . . . . . . II. Grenzen der Gleichstellung durch Bezugnahmeklauseln . . . . . . . . . III. Anpassungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Bezugnahme bei beiderseitiger Tarifbindung als Lösung? . . . . . . . E. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 2 Belegschaftsteilung im gewerkschaftlichen Organisationsinteresse. . . . . A. Organisationspolitisches Interesse der Gewerkschaften . . . . . . . . . . . . . . . B. Tarifvertragliche Differenzierung zwischen organisierten und nichtorganisierten Arbeitnehmern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begriffsbestimmung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Tarifvertragliche Gestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Differenzierungsklauseln in der Tarifpraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Rechtswirksamkeit tarifvertraglicher Differenzierungsklauseln . . . . . . . . I. Vorab: Grundrechtsbindung der Tarifvertragsparteien . . . . . . . . . . . II. Verfassungsrechtliche Schranken für Differenzierungsklauseln . . . III. Einfachrechtliche Grenzen der Tarifmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Keine weiteren betriebsverfassungsrechtlichen Schranken . . . . . . . V. Keine weiteren Schranken aus dem AGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Verknüpfung mit Tarifabweichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Zulässigkeit von Bestandsschutzvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . D. Sonstige Schutzmöglichkeiten für tarifliche Leistungen . . . . . . . . . . . . . . I. Kein urheberrechtlicher Schutz für tarifliche Regelwerke . . . . . . . .
23 23 24 24 26 33 34 35 37 39 40 43 43 47 53 58 60 61 61 62 62 68 74 80 80 91 123 138 140 141 144 148 148
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Inhaltsübersicht II. Keine staatliche Schutzpflicht aus Art. 9 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . 149 III. Solidaritätsbeiträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 E. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151
§ 3 Innerbetrieblicher Kollektiv- und Systemwettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Pluralität arbeitsrechtlicher Regelungssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Schwächen des einheitlichen kollektiven Ansatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Flexibilisierungsbedarf der Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Akzeptanz auf Arbeitnehmerseite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Tarifliche Realität und die Positionen der Tarifparteien . . . . . . . . . . C. Schwächen betriebseinheitlicher Flexibilisierungsmodelle . . . . . . . . . . . . I. Tarifvertragliche Öffnungsklauseln. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Firmentarifverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Tarifausstieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Betriebliche Bündnisse für Arbeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Flexibilisierungschancen durch Zweiteilung der Belegschaft . . . . . . . . . . I. Tariföffnung durch abweichende Tarifbindung (Tarifwettbewerb) II. Tariföffnung durch fehlende Tarifbindung (Außenseiterwettbewerb) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Erhalt der verbandstariflichen Vorteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Standardisierung und sozialer Frieden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
153 153 154 154 156 157 162 162 163 165 167 169 170 171 174 175
§ 4 Tarifpluralität als Grundlage der Belegschaftsteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Belegschaftsteilung in Organisierte und anders Organisierte . . . . . . . . . . B. Koalitionspluralität und Koalitionswettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Tarifpluralität und Tarifwettbewerb als Folge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. „Echte“ Tarifkonkurrenz im Arbeitsverhältnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. „Bloße“ Tarifpluralität im Betrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Rechtsprechung des BAG zur Tarifpluralität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Konsequenzen der Tarifeinheit im Betrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zugelassene Ausnahmen vom Prinzip der Tarifeinheit . . . . . . . . . . . IV. Abschied von der Tarifeinheit im Betrieb? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Kritik und Plädoyer für die Tarifpluralität im Betrieb . . . . . . . . . . . . . . . . I. Fehlende Rechtsgrundlage für den Grundsatz der Tarifeinheit . . . . II. Verletzung der Koalitionsfreiheit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Keine Rechtfertigung aus „Praktikabilitätserwägungen“ . . . . . . . . . . F. Folgen einer zugelassenen Tarifpluralität im Betrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Folgen für die Tarifanwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Insbesondere: Gewillkürte Tarifpluralität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . G. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
177 177 177 179 179 181 181 182 182 184 186 187 188 189 192 198 198 203 207
§ 5 Die Betriebsverfassung als Grundlage der Belegschaftsteilung. . . . . . . . . 208 A. Begrenzte Regelungskompetenz der Betriebsparteien zwischen Tarifund Privatautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209
Inhaltsübersicht
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I. Normsetzung durch Betriebsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Formlose Regelungsabrede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Umdeutung unwirksamer Betriebsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zwischenergebnis: Umfang der Regelungskompetenz . . . . . . . . . . . B. Zulässigkeit der betrieblichen Belegschaftsteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Zulässige Beschränkung des persönlichen Anwendungsbereichs einer betrieblichen Regelung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Grundsätze von Recht und Billigkeit nach § 75 Abs. 1 BetrVG . . III. Kein Verstoß gegen die Fürsorgepflicht des Betriebsrats. . . . . . . . . IV. Kein Verstoß gegen das AGG. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Koalitionsrechtlicher Unterlassungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. § 23 Abs. 3 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Quasi-negatorischer Unterlassungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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§ 6 Belegschaftsteilung auf Grundlage des Arbeitsvertrags . . . . . . . . . . . . . . . A. Privatautonomie und Selbstverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verfassungsgarantie der Arbeitsvertragsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Kein generelles Funktionsdefizit des Arbeitsvertrags . . . . . . . . . . . . B. Vorrangige Tarifgeltung für Nichtorganisierte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Allgemeinverbindlichkeit und AEntG. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Keine Betriebsnormen über Entgelt und Arbeitszeit . . . . . . . . . . . . . III. Außenseiterklauseln. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Bindung der Arbeitsvertragsparteien an tarifdispositives Gesetzesrecht D. Grenzen der Arbeitsvertragsgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verfassungsrechtlicher Diskriminierungsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Tariflohn qua Gleichbehandlungspflicht?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Gleichbehandlung außerhalb der zwingenden Tarifgeltung. . . . . . . IV. Gleichbehandlung innerhalb der Gruppe der Außenseiter . . . . . . . . V. Maßregelverbot des § 612a BGB. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Arbeitsvertragliche Inhaltskontrolle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Mitbestimmung des Betriebsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Betriebsrat als Mitgestalter der Verteilungsgerechtigkeit . . . . . II. Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Mitbestimmung nach § 99 Abs. 1 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Keine tarifliche Erweiterung der Mitbestimmungsrechte . . . . . . . . . F. Kein gewerkschaftlicher Gesamtunterlassungsanspruch aus § 1004 BGB i. V. m. Art. 9 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . G. Auf Tariffreie beschränkte Bündnisse für Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Grundsätzliche Zulässigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Folgen für die Sozialauswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . H. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
257 258 259 260 262 262 263 264 265 266 266 274 281 287 290 293 308 308 309 317 325
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§ 7 Faktische Tarifbindung des Arbeitgebers durch Begrenzung seiner Informationsmöglichkeiten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Informationsinteresse des Arbeitgebers an der Gewerkschaftszugehörigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Einschränkung durch schutzwürdige Belange der Arbeitnehmer . . . . . . . C. Konkrete Interessenabwägung in Hinblick auf die Frage nach der Gewerkschaftszugehörigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Frageverbot im Anbahnungsverhältnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Fragerecht nach der Einstellung bei berechtigter Differenzierung nach der Tarifgebundenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Vorgaben des Datenschutzes und betriebliche Mitbestimmung . . . . D. Auskunftsanspruch und Mitteilungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Auskunftsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Meldepflicht des Arbeitnehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Rechtsfolgen unterbliebener, verweigerter oder falscher Auskunft . . . . . I. Verlust tariflicher Rechte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Anfechtbarkeit tarifwidriger Vereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Schadensrechtliche Kompensation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Kündigung wegen Falsch- oder Fehlauskunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 8 Umsetzung der Belegschaftsteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Belegschaftsteilung auf kollektiver Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Tarifplurale Arbeitsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Betriebsvereinbarung als Grundlage der Belegschaftsteilung. . . . . . B. Belegschaftsteilung auf arbeitsvertraglicher Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . I. Systemeinführung bei Neueinstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Einzelvertragliche Ablösung bisheriger Regelungen im bestehenden Arbeitsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Gesamtergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390
Inhaltsverzeichnis § 1 Programmierte tarifrechtliche Zweiteilung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Zweiteilung in organisierte und nichtorganisierte Arbeitnehmer. . . . . . . B. Begrenzte Tarifgeltung nur für organisierte Arbeitnehmer. . . . . . . . . . . . I. Gesetzlicher Ausgangspunkt: §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 Satz 1 TVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Immanente Grenzen aus der Legitimation der Tarifmacht . . . . . . . 1. Staatlich delegierte Rechtsetzungsmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Originär eigene Verbandsautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Lehre von der mitgliedschaftlichen Legitimation. . . . . . . . . . . . . 4. Stellungnahme. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Keine staatlich delegierte Rechtsetzungsmacht . . . . . . . . . . . b) Keine originäre Kollektivautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Deshalb: Mitgliedschaftlich mandatierte Rechtsetzungsmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Kein Mandat der Tarifvertragsparteien für Außenseiter. . . . . . . . . . C. Eng begrenzte Ausnahmen vom mitgliedschaftlichen Legitimationsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Allgemeinverbindlicherklärung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Arbeitnehmer-Entsendegesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Tariftreueverpflichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Betriebs- und Betriebsverfassungsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Überwindung der programmierten Zweiteilung in der Praxis . . . . . . . . . I. Tarifgeltung durch arbeitsvertragliche Bezugnahme . . . . . . . . . . . . . 1. Empirischer Befund. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zulässigkeit der Bezugnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gleichstellung als propagiertes Ziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Grenzen der Gleichstellung durch Bezugnahmeklauseln . . . . . . . . . 1. Individualvertraglicher Geltungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Individualvertragliche Schranken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Auslegung der Bezugnahmeklausel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unklarheitenregel des § 305c BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Bestandsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Keine ausnahmslose Gleichstellung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Anpassungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Irrtumsanfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Störung der Geschäftsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
23 23 24 24 26 26 27 28 29 29 30 31 33 34 35 37 39 40 43 43 43 45 46 47 47 48 49 50 51 52 53 54 55
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Inhaltsverzeichnis 3. Änderungskündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Vertragsrechtliche Entdynamisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Bezugnahme bei beiderseitiger Tarifbindung als Lösung? . . . . . . . . E. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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§ 2 Belegschaftsteilung im gewerkschaftlichen Organisationsinteresse . . . . . A. Organisationspolitisches Interesse der Gewerkschaften . . . . . . . . . . . . . . . B. Tarifvertragliche Differenzierung zwischen organisierten und nichtorganisierten Arbeitnehmern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Deklaratorische Empfehlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einfache Differenzierungsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Qualifizierte Differenzierungsklauseln. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Organisations- und Absperrklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Tarifausschlußklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Abstands- oder Spannensicherungsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . d) Vorrang- und Vorbehaltsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Tarifboni und Sondervorteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Tarifvertragliche Gestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Inhalts-, Abschluß- und Beendigungsnormen. . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schuldrechtliche Tarifregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Organisatorische Geltungsbereichsbeschränkungen . . . . . . . . . . . a) Grundsätzlich zulässige Gestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unmittelbare tarifrechtliche Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Bezugnahme auf den Tarifvertrag und AGB-Kontrolle . . . . 4. Tarifnormen über gemeinsame Einrichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Betriebsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Differenzierungsklauseln in der Tarifpraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Historische Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grundsatzentscheidung des Großen Senats vom 29.11.1967 . . . 3. Weitere Rechtsprechung des BAG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Divergierende Instanzrechtsprechung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Renaissance der Differenzierungsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Rechtswirksamkeit tarifvertraglicher Differenzierungsklauseln . . . . . . . . I. Vorab: Grundrechtsbindung der Tarifvertragsparteien . . . . . . . . . . . . 1. Unmittelbare Grundrechtsbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Mittelbare Grundrechtsbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Wandel im Verständnis der Tarifautonomie. . . . . . . . . . . . . . . b) Schutzpflichtlehre als richtiger Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kontrollmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Grundsatz: Untermaß- nicht Übermaßverbot. . . . . . . . . . (2) Sonderfall Gleichheitssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II.
(3) Verstärkter Kontrollmaßstab bei mittelbarer Außenseiterwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Ausnahme bei Tarifanwendung kraft Bezugnahmeklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Kontrollmaßstab bei Differenzierungsklauseln. . . . . . . . Verfassungsrechtliche Schranken für Differenzierungsklauseln . . . 1. Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG . . . . . a) Schutzumfang des Art. 3 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtfertigung der Ungleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Beurteilungsspielraum der Tarifvertragsparteien . . . . . . (2) Rechtfertigung durch Eigeninteressen der Koalitionen? (3) Gesetzliche Begrenzung der Tarifgeltung . . . . . . . . . . . . c) Folgerungen für die Zulässigkeit von Differenzierungsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Gleicher Maßstab für normative oder schuldrechtliche Tarifregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Zulässigkeit von einfachen Differenzierungsklauseln. . (3) Zulässigkeit von organisatorischen Geltungsbereichsbeschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Unzulässigkeit von qualifizierten Differenzierungsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Unzulässigkeit von Stichtagsregelungen . . . . . . . . . . . . . 2. Verletzung der negativen Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verankerung der negativen Koalitionsfreiheit im Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Schutz der negativen Koalitionsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Bestimmung der Eingriffsschwelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Keine Rechtfertigung aus organisationspolitischen Gründen e) Folgerungen für die Zulässigkeit von Differenzierungsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Zulässigkeit von einfachen Differenzierungsklauseln und organisatorischen Geltungsbereichsbeschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Stichtagsregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Unzulässigkeit von qualifizierten Differenzierungsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verletzung der positiven Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG) a) Schutz der anders koalierten Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . b) Folgerungen für die Zulässigkeit von Differenzierungsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Zulässigkeit von einfachen Differenzierungsklauseln. . (2) Unzulässigkeit von qualifizierten Differenzierungsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis 4. Verletzung der Vertragsfreiheit der tariffreien Arbeitsvertragsparteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Schutz der Vertragsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Eingriff in die Vertragsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Keine Rechtfertigung aus organisationspolitischen Gründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Folgerungen für die Zulässigkeit von Differenzierungsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Zulässigkeit von einfachen Differenzierungsklauseln . . (2) Keine exklusive Tarifdispositivität staatlichen Arbeitnehmerschutzrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Unzulässigkeit von qualifizierten Differenzierungsklauseln. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Einfachrechtliche Grenzen der Tarifmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grenze der normativen Gestaltungsmacht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Keine erweiterte Tarifmacht für schuldrechtliche Tarifabsprachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kartellverbot des Günstigkeitsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Unzumutbarkeit für den Arbeitgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Grundsatz der Gegnerunabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Eignung zur Allgemeinverbindlicherklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Wirkung der Allgemeinverbindlicherklärung. . . . . . . . . . . . . . (1) Deklaratorische Anknüpfung an die Tarifgebundenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Organisatorische Geltungsbereichsbeschränkungen . . . . (3) Differenzierungsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unzulässige Allgemeinverbindlicherklärung bei Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit . . . . . . . . . . . . c) Eignung zur Allgemeinverbindlicherklärung als Schranke der tariflichen Gestaltungsbefugnis? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Keine weiteren betriebsverfassungsrechtlichen Schranken . . . . . . . . V. Keine weiteren Schranken aus dem AGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Verknüpfung mit Tarifabweichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zustimmung zu Tarifabweichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wiederinkraftsetzen des bisherigen Tarifvertrags . . . . . . . . . . . . . VII. Zulässigkeit von Bestandsschutzvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Sonstige Schutzmöglichkeiten für tarifliche Leistungen. . . . . . . . . . . . . . . I. Kein urheberrechtlicher Schutz für tarifliche Regelwerke . . . . . . . . II. Keine staatliche Schutzpflicht aus Art. 9 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . III. Solidaritätsbeiträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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§ 3 Innerbetrieblicher Kollektiv- und Systemwettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 A. Pluralität arbeitsrechtlicher Regelungssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153
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B. Schwächen des einheitlichen kollektiven Ansatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Flexibilisierungsbedarf der Unternehmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Akzeptanz auf Arbeitnehmerseite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Tarifliche Realität und die Positionen der Tarifparteien . . . . . . . . . 1. Krise des Flächentarifvertrags. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Mangelnde Anpassungsbereitschaft der Gewerkschaften . . . . . . 3. Interessengebundenheit der Arbeitgeberverbände . . . . . . . . . . . . C. Schwächen betriebseinheitlicher Flexibilisierungsmodelle . . . . . . . . . . . . I. Tarifvertragliche Öffnungsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Firmentarifverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Tarifausstieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verbandsflucht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wechsel in die OT-Mitgliedschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Betriebliche Bündnisse für Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Flexibilisierungschancen durch Zweiteilung der Belegschaft. . . . . . . . . . I. Tariföffnung durch abweichende Tarifbindung (Tarifwettbewerb) II. Tariföffnung durch fehlende Tarifbindung (Außenseiterwettbewerb) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Betriebliche Regelungsebene. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Arbeitsvertragliche Regelungsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Systembildung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Erhalt der verbandstariflichen Vorteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Standardisierung und sozialer Frieden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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§ 4 Tarifpluralität als Grundlage der Belegschaftsteilung . . . . . . . . . . . . . . . . A. Belegschaftsteilung in Organisierte und anders Organisierte . . . . . . . . . . B. Koalitionspluralität und Koalitionswettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Tarifpluralität und Tarifwettbewerb als Folge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. „Echte“ Tarifkonkurrenz im Arbeitsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. „Bloße“ Tarifpluralität im Betrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Rechtsprechung des BAG zur Tarifpluralität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Konsequenzen der Tarifeinheit im Betrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Keine Chance für Minderheitsgewerkschaften . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kein Tarifschutz für anders Organisierte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verdrängung von Flächentarifverträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zugelassene Ausnahmen vom Prinzip der Tarifeinheit . . . . . . . . . . IV. Abschied von der Tarifeinheit im Betrieb? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Kritik und Plädoyer für die Tarifpluralität im Betrieb. . . . . . . . . . . . . . . . I. Fehlende Rechtsgrundlage für den Grundsatz der Tarifeinheit. . . . II. Verletzung der Koalitionsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Individuelle Koalitionsfreiheit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kollektive Koalitionsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis III. Keine Rechtfertigung aus „Praktikabilitätserwägungen“ . . . . . . . . . . 1. Abgrenzung von Inhalts- und Betriebsnormen. . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gestörter Gesamtkompromiß des verdrängten Tarifvertrags? . . 3. Funktionsfähigkeit des Tarifvertragssystems . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gewerkschaftswechsel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zersplitterung der Tariflandschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Fragerecht nach der Koalitionszugehörigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Folgen einer zugelassenen Tarifpluralität im Betrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Folgen für die Tarifanwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Differenzierte Anwendung tarifvertraglicher Inhaltsnormen . . . 2. Aufzulösende Tarifkonkurrenz bei Betriebs- und Betriebsverfassungsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Arbeitsvertragliche Bezugnahme bei Tarifpluralität . . . . . . . . . . . 4. Durch Allgemeinverbindlichkeit verursachte Tarifpluralität. . . . II. Insbesondere: Gewillkürte Tarifpluralität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Auf Initiative der Arbeitgeberseite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Auf Initiative der Gewerkschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundsätzliche Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Streikweise Durchsetzung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . G. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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§ 5 Die Betriebsverfassung als Grundlage der Belegschaftsteilung. . . . . . . . . A. Begrenzte Regelungskompetenz der Betriebsparteien zwischen Tarif- und Privatautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Normsetzung durch Betriebsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Reichweite des Tarifvorbehalts nach § 77 Abs. 3 BetrVG. . . . . a) Tarifliche oder tarifübliche Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Tarifgebundenheit des Arbeitgebers. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Tarifgebundenheit auf Arbeitnehmerseite. . . . . . . . . . . . . . . . . d) Tarifvertragliche Geltungsbereichsbeschränkungen . . . . . . . . 2. Tariföffnung durch Öffnungsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Tarifautonome Rücknahme der Sperrwirkung . . . . . . . . . . . . . b) Abweichende Betriebsvereinbarungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ergänzende Betriebsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Umfang der Regelungskompetenz innerhalb der Tariföffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Grundlagen der betrieblichen Rechtsetzung. . . . . . . . . . . (a) Zweck der Betriebsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Legitimation der betrieblichen Rechtsetzung . . . . . . (2) Folgerungen für den Umfang der betrieblichen Regelungskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Keine erweiterte Zuständigkeit der Einigungsstelle für Außenseiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3. „Tariföffnung“ im Bereich der erzwingbaren Mitbestimmung a) Vorrangtheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Voraussetzungen des Tarifvorrangs nach § 87 Abs. 1 BetrVG. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Bestehen einer tariflichen Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Anwendbarkeit der tariflichen Regelung . . . . . . . . . . . . . (3) Kein Tarifvorrang bei fehlender Tarifbindung im Arbeitsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Regelungskompetenz im Rahmen des § 87 Abs. 1 BetrVG (1) Mitbestimmung in bezug auf das Arbeitsentgelt . . . . . . (2) Mitbestimmung in bezug auf die Arbeitszeit . . . . . . . . . 4. Teilmitbestimmte Betriebsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Formlose Regelungsabrede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Keine Regelungssperre gemäß § 77 Abs. 3 BetrVG . . . . . . . . . . 2. Notwendige Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 BetrVG. . . . . . . 3. Umfang der Regelungskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Umdeutung unwirksamer Betriebsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zwischenergebnis: Umfang der Regelungskompetenz . . . . . . . . . . . B. Zulässigkeit der betrieblichen Belegschaftsteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Zulässige Beschränkung des persönlichen Anwendungsbereichs einer betrieblichen Regelung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Grundsätze von Recht und Billigkeit nach § 75 Abs. 1 BetrVG . . 1. Benachteiligungsverbot wegen gewerkschaftlicher Betätigung und Einstellung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zulässige Differenzierung nach der Tarifgebundenheit . . . . . . . a) Grundsatz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Notwendige Differenzierung im Rahmen der erzwingbaren Mitbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Notwendige Differenzierung bei Tarifpluralität . . . . . . . . . . . d) Zulässige Differenzierung im Rahmen von Öffnungsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Beschränkung auf tarifgebundene Arbeitsverhältnisse . (2) Beschränkung auf nicht tarifgebundene Arbeitsverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Erweiterter Regelungsbereich bei Regelungsabreden . . . . . . f) Besonderheiten im Bereich des Günstigkeitsprinzips . . . . . . III. Kein Verstoß gegen die Fürsorgepflicht des Betriebsrats. . . . . . . . . IV. Kein Verstoß gegen das AGG. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Koalitionsrechtlicher Unterlassungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. § 23 Abs. 3 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Quasi-negatorischer Unterlassungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schutzgut: Koalitionsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Tarifbindung der Arbeitnehmer als Voraussetzung . . . . . . . . . . . D. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
225 226 228 228 229 229 232 232 233 234 236 236 237 238 239 240 241 241 242 243 243 243 245 246 247 247 248 248 249 250 251 251 251 252 252 253 255
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§ 6 Belegschaftsteilung auf Grundlage des Arbeitsvertrags. . . . . . . . . . . . . . . . A. Privatautonomie und Selbstverantwortung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verfassungsgarantie der Arbeitsvertragsfreiheit. . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Kein generelles Funktionsdefizit des Arbeitsvertrags . . . . . . . . . . . . B. Vorrangige Tarifgeltung für Nichtorganisierte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Allgemeinverbindlichkeit und AEntG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Keine Betriebsnormen über Entgelt und Arbeitszeit . . . . . . . . . . . . . III. Außenseiterklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Bindung der Arbeitsvertragsparteien an tarifdispositives Gesetzesrecht D. Grenzen der Arbeitsvertragsgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verfassungsrechtlicher Diskriminierungsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schutz der organisierten Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Schutz vor unmittelbarer Benachteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kein Schutz vor Andersbehandlung der Außenseiter . . . . . . c) Zweiteilung nur bei Tarifbindung des Arbeitgebers . . . . . . . d) Keine gezielte Besserstellung der Nichtorganisierten . . . . . . e) Besserstellung durch Wahlrecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schutz der nichtorganisierten Arbeitnehmer. . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kein Schutz vor Andersbehandlung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Keine Differenzierung zwischen nicht- und anders Organisierten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Tariflohn qua Gleichbehandlungspflicht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Arbeitsrechtlicher Gleichbehandlungsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . a) Anwendbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Sachliche Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung. . . . . . . d) Zulässige Differenzierung nach der Tarifgebundenheit. . . . . 2. Gleichbehandlung qua tariflicher Kampfgemeinschaft? . . . . . . . 3. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Keine Gleichbehandlungspflicht aus dem AGG . . . . . . . . . . . . . . III. Gleichbehandlung außerhalb der zwingenden Tarifgeltung . . . . . . . 1. Grundsatz: Gleichbehandlungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Im Bereich des Günstigkeitsprinzips nach § 4 Abs. 3 TVG . . . a) Maßstab der Günstigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Keine Günstigkeit durch Wahlrecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Keine Günstigkeit von betrieblichen Bündnissen für Arbeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Im Bereich tariflicher Öffnungsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Im Nachwirkungszeitraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Gleichbehandlung innerhalb der Gruppe der Außenseiter . . . . . . . . 1. Grundsatz: Gleichbehandlungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zulässigkeit von Stichtagsregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
257 258 259 260 262 262 263 264 265 266 266 266 266 267 268 269 270 272 272 272 274 274 275 275 276 277 277 279 280 281 281 281 282 283 284 284 285 286 287 287 288
Inhaltsverzeichnis 3. Zulässige Differenzierung nach der vertraglichen Umsetzbarkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Maßregelverbot des § 612a BGB. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Arbeitsvertragliche Inhaltskontrolle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grenze der Sittenwidrigkeit, § 138 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Mißverhältnis von Leistung und Gegenleistung. . . . . . . . . . . b) Mißverhältnis von Chance und Risiko bei erfolgsabhängigen Vergütungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtsfolge: Unwirksamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Inhaltskontrolle am Maßstab der §§ 307 ff. BGB . . . . . . . . . . . . a) Abschließender Kontrollmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Allgemeine Arbeitsbedingungen als Kontrollgegenstand. . . c) Angemessenheitskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Kontrollfreiheit von Hauptleistungsabreden . . . . . . . . . . (a) Grundsatz: § 307 Abs. 3 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Bedeutung von Tarifverträgen im Rahmen des § 307 Abs. 3 BGB. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Kontrolle von Nebenabreden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Arbeitszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Arbeitsentgelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Flexibilität als Besonderheit des Arbeitsrechts . . . . . . . E. Mitbestimmung des Betriebsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Betriebsrat als Mitgestalter der Verteilungsgerechtigkeit . . . . . II. Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kein Tarifvorrang in tariffreien Arbeitsverhältnissen . . . . . . . . . 2. Gegenstände der Mitbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Tarifunabhängige Entgeltgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Tarifunabhängige Arbeitszeitgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtsfolgen mangelnder Betriebsratsbeteiligung . . . . . . . . . . . . a) Betriebsverfassungsrechtliche Unwirksamkeit . . . . . . . . . . . . b) Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Anwendung bisheriger Vergütungsstrukturen . . . . . . . . . . . . . d) Anspruchsbegründung ohne Anspruchsgrundlage? . . . . . . . . III. Mitbestimmung nach § 99 Abs. 1 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Eingruppierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Umgruppierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zustimmungsverweigerungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) § 99 Abs. 2 Nr. 3 BetrVG. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) § 99 Abs. 2 Nr. 4 BetrVG. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Rechtsfolgen betriebsverfassungswidriger Maßnahmen . . . . . . .
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289 290 293 294 294 297 298 298 298 299 301 301 301 302 304 305 306 307 308 308 309 309 310 310 312 313 313 314 315 316 317 318 319 320 321 321 323 323 324
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Inhaltsverzeichnis IV. Keine tarifliche Erweiterung der Mitbestimmungsrechte . . . . . . . . . F. Kein gewerkschaftlicher Gesamtunterlassungsanspruch aus § 1004 BGB i. V. m. Art. 9 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . G. Auf Tariffreie beschränkte Bündnisse für Arbeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Grundsätzliche Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Folgen für die Sozialauswahl. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . H. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
§ 7 Faktische Tarifbindung des Arbeitgebers durch Begrenzung seiner Informationsmöglichkeiten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Informationsinteresse des Arbeitgebers an der Gewerkschaftszugehörigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Einschränkung durch schutzwürdige Belange der Arbeitnehmer . . . . . . . C. Konkrete Interessenabwägung in Hinblick auf die Frage nach der Gewerkschaftszugehörigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Frageverbot im Anbahnungsverhältnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundsatz: Überwiegende Arbeitnehmerbelange. . . . . . . . . . . . . . 2. Ausnahmen bei tarifvertraglichen Einstellungsregelungen . . . . . 3. Exkurs: Fragerecht des Arbeitnehmers nach der Tarifbindung des Arbeitgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Fragerecht nach der Einstellung bei berechtigter Differenzierung nach der Tarifgebundenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ablehnende Rechtsprechung und Literaturstimmen . . . . . . . . . . . 2. Stellungnahme und Plädoyer für ein Fragerecht nach der Einstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Keine Übertragbarkeit der Schutzerwägungen vor der Einstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kein Differenzierungsverbot aus Art. 9 Abs. 3 GG. . . . . . . . c) Fragerecht als Konsequenz der Gestaltungsfreiheit . . . . . . . . d) Wahrung des Arbeitnehmerschutzes im Arbeitsverhältnis . . 3. Einschränkung des Fragerechts bei einheitlicher Tarifanwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Vorgaben des Datenschutzes und betriebliche Mitbestimmung . . . . D. Auskunftsanspruch und Mitteilungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Auskunftsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Meldepflicht des Arbeitnehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Rechtsfolgen unterbliebener, verweigerter oder falscher Auskunft . . . . . I. Verlust tariflicher Rechte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Anfechtbarkeit tarifwidriger Vereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Schadensrechtliche Kompensation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Kündigung wegen Falsch- oder Fehlauskunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
325 326 326 327 327 330 331 331 334 335 335 335 337 338 339 340 341 342 342 343 346 347 348 349 349 350 352 352 353 355 357 358
§ 8 Umsetzung der Belegschaftsteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 A. Belegschaftsteilung auf kollektiver Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360
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Tarifplurale Arbeitsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Betriebsvereinbarung als Grundlage der Belegschaftsteilung . . . . . 1. Begrenzter Regelungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ablösungsprinzip gegenüber bestehenden Betriebsvereinbarungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Günstigkeitsprinzip gegenüber einzelvertraglichen Regelungen B. Belegschaftsteilung auf arbeitsvertraglicher Grundlage. . . . . . . . . . . . . . . I. Systemeinführung bei Neueinstellungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Einzelvertragliche Ablösung bisheriger Regelungen im bestehenden Arbeitsverhältnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einvernehmlicher Änderungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Stillschweigende Annahme durch Weiterarbeit. . . . . . . . . . . . . . . 3. Betriebsbedingte Änderungskündigung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Abgrenzung zu anderen Lösungsinstrumenten . . . . . . . . . . . . b) Rechtsnatur der Änderungskündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Soziale Rechtfertigung der Änderungskündigung . . . . . . . . . (1) Dringende betriebliche Erfordernisse . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Änderung des Arbeitsentgelts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Änderung vertraglicher Nebenabreden. . . . . . . . . . . . . . . (4) Änderung der Arbeitszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Änderungskündigung und Gleichbehandlungsgrundsatz . . . (1) Sachgerechte Gruppenbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Keine Kündigungsrechtfertigung aus Gleichbehandlungserwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Beteiligung des Betriebsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Besonderheiten bei Massenänderungskündigung . . . . . . . . . . C. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
360 362 362
I. II.
362 363 365 365 365 366 367 368 368 369 370 370 372 374 375 376 376 377 378 380 381
Gesamtergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390
§ 1 Programmierte tarifrechtliche Zweiteilung A. Zweiteilung in organisierte und nichtorganisierte Arbeitnehmer Belegschaft meint die Gemeinschaft der Arbeitnehmer, die dem Arbeitgeber im Arbeitsverhältnis gegenübersteht. Es handelt sich vorgeblich um eine Einheit, deren Spaltung als anrüchig bezeichnet wird1. „Ein Betrieb, eine Belegschaft, ein Tarif!“ ist ein oft gehörter Slogan, auf den sich Gewerkschaften wie auch Arbeitgeber berufen. Im Tarifrecht indes findet diese Einheitsbeschwörung keine Stütze. Tarifrechtlich betrachtet hat der tarifgebundene Arbeitgeber zwei Teilbelegschaften: die organisierten und die nichtorganisierten Arbeitnehmer. Grundlage für diese Zweiteilung ist nicht ein spaltender Eingriff des Arbeitgebers, sondern die im Koalitionsgrundrecht verbürgte Freiheit der Arbeitnehmer, einer Gewerkschaft anzugehören und ihre Individualinteressen kollektiv wahrzunehmen. Die Arbeitnehmer haben so grundsätzlich das Wahlrecht zwischen tariflichen Arbeitsbedingungen und solchen, die an den Status als Nichtorganisierter anknüpfen. Der Unterschied zwischen organisierten und nichtorganisierten Arbeitnehmern wird bislang zwar nur selten als Anknüpfungspunkt für eine differenzierte Ausgestaltung der Arbeitsbedingungen genommen. Tatsächlich zeigt aber der Blick auf das Koalitions- und Tarifrecht, daß eine Differenzierung zwischen Organisierten und Nichtorganisierten prima facie möglich, ja geradezu programmiert ist. Der nichtorganisierte Arbeitnehmer spielt in der Praxis des Arbeitsrechts bisher nur eine Nebenrolle. Nicht gesehen wird vor allem, daß die negative Koalitionsentscheidung der Arbeitnehmer für den tarifgebundenen Arbeitgeber eine „Tariföffnung durch fehlende Tarifbindung2“ bedeutet und also eine Alternative zum Tarifsystem bietet. Interessant wird das insbesondere dort, wo der Durchsetzungsmacht der Tarifvertragsparteien ein höherer Stellenwert zukommt als den Individualinteressen. Nicht nur die Burda-Entscheidung3 wirft insofern die Frage auf, ob und inwieweit eine unterschied1
Dieterich, in: FS Wissmann, S. 114, 129. Zu dem damit angelegten Systemwettbewerb ausführlich unten § 3, S. 153 ff. 3 BAG vom 20.4.1999 – 1 ABR 72/98 – AP Nr. 89 zu Art. 9 GG = EzA Art. 9 GG Nr. 65 = NZA 1999, 887. 2
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§ 1 Programmierte tarifrechtliche Zweiteilung
liche Behandlung von tarifgebundenen und nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern möglich ist. Auf der Grundlage des geltenden Rechts4 soll die bestehende Zweiteilung in Organisierte und Nichtorganisierte zum Ausgangspunkt genommen werden, daran anknüpfende Differenzierungsmöglichkeiten und die Grenzen selbiger zu untersuchen.
B. Begrenzte Tarifgeltung nur für organisierte Arbeitnehmer I. Gesetzlicher Ausgangspunkt: §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 Satz 1 TVG Tarifrechtlich ergibt sich die Zweiteilung in organisierte und nichtorganisierte Arbeitnehmer aus den §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 Satz 1 TVG, die die Teilhabe an kollektiv ausgehandelten Arbeitsbedingungen den Mitgliedern der tarifschließenden Institutionen vorbehalten. Das Tarifrecht nimmt so die verfassungsrechtliche Weichenstellung auf, indem es seinerseits an die Koalitionsentscheidung des Einzelnen anknüpft und den Personenkreis, für den die Tarifvertragsparteien mit gesetzesgleicher Wirkung Regelungen treffen können, auf die beiderseits tarifgebundenen Arbeitsvertragsparteien begrenzt5. Voraussetzung ist dementsprechend, daß der Arbeitgeber entweder selbst als Tarifvertragspartei oder über die Vollmitgliedschaft6 in einem Arbeitgeberverband tarifgebunden ist und auf der anderen Seite der einzelne Arbeitnehmer Mitglied in der vertragschließenden Gewerkschaft ist. Daraus wiederum ergibt sich in tarifgebundenen Unternehmen die Zweiteilung in nor4 De lege Ferenda wird zuweilen eine Vereinfachung des Tarifvertragsrechts dadurch gefordert, daß alle Belegschaftsmitglieder bei Tarifgebundenheit des Arbeitgebers unter die Geltung des Tarifvertrags gestellt werden, dazu Wiedemann, RdA 2007, 65, 70. Zu einer gesetzlichen Verankerung des Grundsatzes der Tarifeinheit im Betrieb, der mit gleicher Zielrichtung Tarifpluralitäten auflösen soll, Hromadka, NZA 2008, 384, 389 f. 5 Daß das keineswegs zwingend ist, zeigt der Blick in eine Reihe ausländischer Arbeitsrechtsordnungen, in denen die Wirkung der Tarifverträge nicht von der beiderseitigen Tarifbindung, sondern allein von der Tarifbindung des Arbeitgebers abhängt. Prominentes Beispiel ist etwa der Code du travail (Art. L 135-2), der die Tarifgebundenheit auf alle im tarifunterworfenen Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer erstreckt. Einen rechtsvergleichenden Überblick bietet Gamillscheg, Kollektives ArbeitsR, Bd. I, S. 716. 6 Die OT-Mitgliedschaft in einem Arbeitgeberverband führt nicht zu einer Tarifbindung des Arbeitgebers: BAG vom 18.7.2006 – 1 ABR 36/05 – AP Nr. 19 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit = EzA § 2 TVG Tarifzuständigkeit Nr. 10 = NZA 2006, 1225 mit zustimmender Anm. jetzt auch Buchner.
B. Begrenzte Tarifgeltung nur für organisierte Arbeitnehmer
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mativ tarifgebundene und tariffreie Arbeitsverhältnisse. Nur bei kongruenter, beiderseitiger Tarifbindung gelten die Tarifnormen. Anders- oder Nichtorganisierte sind nach der Grundregel des § 3 Abs. 1 TVG nicht in den Kreis der Normadressaten einbezogen. Die normative Wirkung des Tarifvertrags sichert die Teilhabe am Tarifinhalt und gewährleistet, daß abweichende Vereinbarungen zu Lasten der Arbeitnehmer nicht möglich sind, stattet den Tarifvertrag also mit Kartellwirkung aus. Die bei beiderseitiger Tarifbindung angeordnete zwingende Wirkung ist deswegen auch zur Verfassungsgarantie des Art. 9 Abs. 3 GG zu rechnen. Sie ist unverzichtbare Vorbedingung der Tarifautonomie7. Das ergibt sich aus der verfassungsrechtlichen Gewährleistung eines geschützten Tarifvertragssystems8. Dafür ist es unerläßlich, daß die Vereinbarungen der Tarifvertragsparteien im Rechtsverkehr geschützt sind, was durch die zwingende Wirkung des Tarifvertrags sichergestellt wird. Ebenso wie § 77 Abs. 3 BetrVG den Tarifvertrag gegenüber betrieblichen Zugriffen schützt9, muß die zwingende Wirkung vertraglichen Abweichungen entgegen stehen. Denn nur eine kollektive Regelung, die sich effektiv gegen abweichende Vereinbarungen durchsetzt, kann ihre Aufgaben im Sinne des verfassungsrechtlichen Schutzkonzepts erfüllen10. In einem funktionierenden Tarifsystem ist es unerläßlich, daß den Koalitionen Mittel zur Verfügung stehen, die gewährleisten, daß Ziele und Interessen gegenüber dem sozialen Gegenspieler wirksam durchgesetzt werden können. Von einer wirksamen Durchsetzung kann indes keine Rede sein, wenn der Arbeitnehmer letztlich auf seine individuelle Verhandlungsposition gegenüber dem Arbeitgeber verwiesen bliebe. Dem abzuhelfen dient gerade die Tarifautonomie. Sie ermöglicht es, durch gebündelte Verhandlungsmacht Vereinbarungen zu treffen, die dem einzelnen verschlossen blieben. Festzuhalten bleibt also: die durch den einzelnen betätigte individuelle Koalitionsfreiheit, die es durch Bildung von Gegenmacht ermöglicht, Einzelinteressen kollektiv wahrzunehmen, fordert eine effektive Um- und Durchsetzungskraft. Der Gesetzgeber des Tarifvertragsgesetzes hat das auf der Ebene des einfachen Rechts aufgenommen und – entsprechend der verfassungsrechtlichen Vorgaben – die unmittelbare und zwingende Wirkung des Tarifvertrags für beiderseits tarifgebundene Arbeitsverhältnisse angeordnet. Daraus folgt einerseits die unabdingbare Teilhabe der sich grundrechtlich im individuellen Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG Entfalten7
Dagegen in jüngerer Zeit Rieble, ZfA 2004, 1, 39 ff. Etwa Franzen, in: ErfK, § 1 TVG Rn. 5. 9 Eingehend zum Tarifvorrang des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG unten § 5 A. I. 1., S. 209 ff. 10 Dieterich, in: ErfK, Art. 9 GG Rn. 59. 8
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den und andererseits ebenso die Begrenzung der Tarifmacht auf eben diesen Personenkreis. II. Immanente Grenzen aus der Legitimation der Tarifmacht Die auf die Mitglieder der tarifschließenden Institutionen begrenzte Tarifmacht ergibt sich zwingend außerdem aus dem Gedanken der Legitimation. Die gesetzlich angeordnete Normwirkung bietet demgegenüber lediglich die Rechtsfolge, konstituiert aber noch nicht die Normsetzungsbefugnis11. Das ist vielmehr eine Frage der Legitimation, die sich für jeden Normgeber stellt. Nur wenn die Normsetzung ausreichend legitimiert ist, können Rechte und Pflichten für die Normunterworfenen begründet werden. Für die Begründung der tariflichen Rechtsetzungsmacht werden drei legitimatorische Ansätze diskutiert: die staatlich verliehene, die originär verbandliche oder die privatautonom mandatierte Macht. Aus der Entscheidung, welcher Ansatz für den Ursprung der Tarifmacht der richtige ist, ergeben sich schließlich die Grenzen der Regelungsmacht. 1. Staatlich delegierte Rechtsetzungsmacht Nach der – lange Zeit vor allem von der Rechtsprechung12 vertretenen – Delegationstheorie nehmen die Koalitionen eine, auf staatlicher Delegation beruhende, Autonomie wahr. Die Tarifmacht leite sich danach von der Normsetzungsmacht des Gesetzgebers ab, womit die Tarifvertragsparteien an der demokratischen Legitimation teilhaben. Die Delegationstheorie beruht auf der Annahme, der Gesetzgeber habe den Tarifvertragsparteien eine Aufgabe übertragen, für deren Wahrnehmung er weiterhin zuständig und trotz Erteilung der Ermächtigung befugt sei, von deren Erledigung er aber Abstand genommen habe13. Sie basiert auf dem 11
Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1194; Wiedemann/Wiedemann, TVG, § 1 Rn. 42. 12 BAG vom 15.1.1955 – AZR 305/54 – BAGE 1, 258 = AP Nr. 4 zu Art. 3 GG; BAG vom 23.3.1957 – 1 AZR 326/56 – BAGE 4, 240 = AP Nr. 16 zu Art. 3 GG; BAG vom 10.6.1980 – 1 AZR 822/79 – AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf = EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 37; ebenso Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, Bd. II/1, S. 346 ff.; Adomeit, Rechtsquellenfragen im Arbeitsrecht, S. 136 ff.; Hinz, Tarifhoheit und Verfassungsrecht, S. 134 ff.; Nikisch, Arbeitsrecht II, S. 68; Jacobs, Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz, S. 106; Scheuner, Die Rolle der Sozialpartner in Staat und Gesellschaft, S. 22 ff. 13 BAG vom 23.3.1957 – 1 AZR 326/56 – BAGE 4, 240 = AP Nr. 16 zu Art. 3 GG.
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Verständnis, durch die tarifvertragliche Ordnung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen werde delegierte Staatsgewalt und damit eine öffentliche Aufgabe wahrgenommen. Die Normsetzungsbefugnis sei den Koalitionen also konstitutiv durch das Tarifvertragsgesetz übertragen14. Legitimationsgrundlage ist dann konsequent allein die staatliche Verleihung. Dem Verbandsbeitritt kommt daneben keine eigenständige Bedeutung zu. Dieser ist lediglich Voraussetzung für die beschränkte Rechtsetzungsgewalt, nicht jedoch der Geltungsgrund der Tarifmacht15. 2. Originär eigene Verbandsautonomie Daneben steht ein – auch als „Integrationstheorie“ bezeichneter – Ansatz, der die Rechtsetzungsbefugnis der Tarifvertragsparteien unmittelbar aus Art. 9 Abs. 3 GG ableitet16. Danach komme den Koalitionen eine genuin eigene verbandliche Autonomie zu, gewissermaßen als Konnexinstitut der Koalitionsfreiheit. Die Grundlage liege in Art. 9 Abs. 3 GG, der eine von den Verbandsmitgliedern unabhängige Autonomie begründe17. Im Vordergrund steht, daß es sich bei der Rechtsetzung um eine autonome und nicht um eine vom Staat delegierte Aufgabe der Tarifvertragsparteien handele. E. Molitor und Herschel meinen sogar, daß es einer besonderen gesetzlichen Ermächtigung gar nicht bedurft hätte, um die tariflichen Normen als objektives Recht anzuerkennen18. Die Tarifautonomie selbst soll so weit reichen, daß bei Allgemeinverbindlicherklärung des Tarifvertrags auch die Außenseiter erfaßt würden19. 14 BAG vom 15.1.1955 – AZR 305/54 – BAGE 1, 258 = AP Nr. 4 zu Art. 3 GG; BAG vom 23.3.1957 – 1 AZR 326/56 – BAGE 4, 240 = AP Nr. 16 zu Art. 3 GG; BAG vom 10.6.1980 – 1 AZR 822/79 – AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf = EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 37. 15 Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, Bd. II/1, S. 430. 16 Galperin, in: FS Molitor, S. 143, 153 ff.; Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 102 ff.; Schnorr, JR 1966, 327, 330; Gamillscheg, Kollektives ArbeitsR, Bd. I, S. 558. 17 Galperin, in: FS Molitor, S. 143, 157; Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 102 f.; Waltermann, ZfA 2000, 53, 69 ff.; Söllner, NZA 1996, 897, 902. 18 Molitor, AR-Blattei: Tarifvertrag I B, Anm. zu Entsch. 1; Herschel, in: FS Bogs, S. 125, 130 f. 19 Ähnlich Nipperdey/Heußner, in: Staatsbürger und Staatsgewalt, Jubiläumsschrift zum 100jährigen Bestehen der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit, Bd. I, S. 211, 223: Den Tarifvertragsparteien sei eine umfassende Zuständigkeit zum Erlaß von Rechtsnormen erteilt; durch die Allgemeinverbindlicherklärung stimme der Staat lediglich „der Ausübung einer bereits vorhandenen autonomen Rechtsetzungsbefugnis der Verbände gegenüber den Außenseitern zu“.
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In jüngerer Zeit beharrt insbesondere Waltermann darauf, daß die rechtliche Grundlage der Tarifautonomie nicht in dem Mandat der Mitglieder, sondern in der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des Art. 9 Abs. 3 GG liege. Die Koalitionen seien auch nicht an die Marschroute der Mitglieder nach Maßgabe von Beitritt und Satzung gebunden, sie seien vielmehr von Verfassungs wegen als Autonomiebegabte zur Selbstregelung des Aufgabenbereichs der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zuständig20. 3. Lehre von der mitgliedschaftlichen Legitimation Eine gewichtige Meinung im Schrifttum21, der sich in jüngerer Zeit auch Senate des BAG22 angeschlossen haben, geht demgegenüber davon aus, daß die Rechtsetzungsmacht der Koalitionen weder vom Staat übertragen, noch aus einer Verbandsautonomie abzuleiten sei. Die Tarifautonomie sei kein Instrument korporatistischer Fremdbestimmung, sondern ein Mittel der Selbstbestimmung des Individuums. Ihr Zweck sei es nicht, den Arbeitnehmer einer gleichsam übermächtigen Herrschaft der Gewerkschaften auszuliefern23. Nach den Worten von Löwisch bezweckt die Tarifautonomie den Schutz der Selbstbestimmung durch Fremdbestimmung24. Im Vordergrund der Lehre von der mitgliedschaftlichen Legitimation steht der rechtsgeschäftliche Charakter des Tarifvertrags, der seinen Geltungsgrund in der Privatautonomie findet. Die Tarifautonomie wird deshalb als kollektiv ausgeübte Privatautonomie25, der Tarifvertrag als Ausdruck gebündelter Selbstbestimmung26 bezeichnet. 20
Waltermann, ZfA 2000, 53, 69 ff.; ders., in: FS 50 Jahre BAG, S. 913, 919. Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille, S. 163 ff.; ders., in: FS Konzen, S. 791, 791 ff.; Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1194 ff.; ders., ZfA 2000, 5, 5 ff.; Picker, ZfA 1998, 573, 673 ff., 679; ders., RdA 2001, 259, 283; ders., NZA 2002, 761, 768; A. Wiedemann, Die Bindung der Tarifnormen an die Grundrechte, S. 75 ff.; Dieterich, in: FS Wiedemann, S. 229, 246; Schliemann, in: FS Hanau, S. 577, 587. 22 BAG vom 25.2.1998 – 7 AZR 641/96 – AP Nr. 11 zu § 1 TVG Tarifverträge: Luftfahrt = EzA § 620 BGB Altersgrenze Nr. 9 = NZA 1998, 715; BAG vom 11.3.1998 – 7 AZR 700/96 – AP Nr. 12 zu § 1 TVG Tarifverträge: Luftfahrt = EzA § 620 BGB Altersgrenze Nr. 8 = NZA 1998, 716; BAG vom 31.7.2002 – 7 AZR 140/01 – AP Nr. 14 zu § 1 TVG Tarifverträge: Luftfahrt = EzA Art. 9 GG Nr. 78 = NZA 2002, 1155; BAG vom 28.6.2001 – 6 AZR 114/00 – AP Nr. 24 zu § 611 BGB Arbeitszeit = EzA § 4 TVG Beschäftigungssicherung Nr. 7 = NZA 2002, 331; BAG vom 4.4.2000 – 3 AZR 729/98 – AP Nr. 2 zu § 1 TVG Gleichbehandlung = EzA § 1 BetrAVG Gleichbehandlung Nr. 19 = NZA 2002, 917. 23 Rieble, ZfA 2000, 5, 23. 24 Löwisch, ZfA 1996, 293, 293. 25 Grundlegend Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille, S. 127 ff.; ders., in: Münchener Handbuch ArbeitsR, Bd. 3, § 240 Rn. 24; Rieble, Arbeitsmarkt und 21
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Legitimationsgrundlage ist danach die mitgliedschaftliche Unterwerfung durch den Beitritt zur Koalition; daraus leite sich die Rechtsetzungsbefugnis der Tarifparteien ab27. Mit dem Beitritt zur Koalition nehmen die Arbeitnehmer ihr Grundrecht aus Art. 9 Abs. 3 GG wahr. Der Tarifvertrag ist somit Ergebnis privatautonomer Rechtsgestaltung. Sein Rechtsgrund liege allein im Mandat der Mitglieder28. Deshalb können Tarifnormen nach diesem Ansatz grundsätzlich auch nur für diejenigen Personen Geltung beanspruchen, die selbst die rechtliche Grundlage für die Tarifgeltung gesetzt haben, und zwar als Mitglieder der tarifschließenden Verbände oder als Tarifschließende. 4. Stellungnahme a) Keine staatlich delegierte Rechtsetzungsmacht Der Delegationstheorie wäre zu folgen, wenn es sich bei der Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen originär um eine Aufgabe des Staates handeln würde. Dies indessen ist nur richtig, wenn der Staat – wie es die Delegationstheorie annimmt – seine eigene Zuständigkeit zur Erledigung der Aufgabe, die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu ordnen, ganz oder zum Teil auf die Tarifvertragsparteien übertragen hätte. Das aber wäre unvereinbar mit Art. 9 Abs. 3 GG29. Die Verfassung weist diese Aufgabe ausdrücklich den Koalitionen zu30. Damit fehlt der Delegationsthese die Grundlage. Die Aufgabe, die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu regeln, kann der Staat nicht delegiert haben, weil die Koalitionen für diese Aufgabe gemäß Art. 9 Abs. 3 GG bereits zuständig sind. Die Gestaltung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ist in erster Linie eine private Aufgabe; die Tarifautonomie selbst ist staatsferne Autonomie und keine aus dem hoheitlichen Aufgabenfeld abgeleitete. Nicht anders als die Privatautonomie dient sie der Gestaltung der Arbeitsbedingungen; ihr RegeWettbewerb, Rn. 1194 ff.; in neuerer Zeit Bayreuther, Tarifautonomie als kollektiv ausgeübte Privatautonomie, passim; Singer, ZfA 1995, 611, 620. 26 Dieterich, in: FS Schaub, S. 117, 121; Schliemann, in: FS Hanau, S. 577, 599. 27 BAG vom 25.2.1998 – 7 AZR 641/96 – AP Nr. 11 zu § 1 TVG Tarifverträge: Luftfahrt = EzA § 620 BGB Altersgrenze Nr. 9 = NZA 1998, 715; BAG vom 31.7.2002 – 7 AZR 140/01 – AP Nr. 14 zu § 1 TVG Tarifverträge: Luftfahrt = EzA Art. 9 GG Nr. 78 = NZA 2002, 1155; BAG vom 4.4.2000 – 3 AZR 729/98 – AP Nr. 2 zu § 1 TVG Gleichbehandlung = EzA § 1 BetrAVG Gleichbehandlung Nr. 19 = NZA 2002, 917. 28 Deswegen ist auch von der „mandatarischen Theorie“ die Rede. 29 Ausführlich setzt sich F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 159 ff., mit der Delegationstheorie auseinander. 30 Waltermann, in: FS Söllner, S. 1251, 1257 f.; ders., ZfA 2000, 53, 65.
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lungsobjekt ist der Arbeitsvertrag. Um dessen Inhalt zu gestalten, bündeln die sich im Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG entfaltenden Arbeitnehmer ihre Gestaltungsmacht. Die dem einzelnen durch Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistete individuelle Gestaltungsfreiheit wird kollektiv ausgeübt. Sie wird dadurch aber nicht zu einer Fremdbestimmung „von oben“, die aus der Hand des Staates empfangen werden müßte. Schon die geschichtliche Entwicklung spricht gegen eine vom Staat delegierte Autonomie der Koalitionen31. Als privatnütziges Grundrecht wirkt die Koalitionsfreiheit freiheitswahrend gegen den Staat. In ihren Anfängen wurde die Koalitionsfreiheit gegen den Staat erkämpft, was zunächst dazu führte, daß sich Gewerkschaften möglichst staatsfern als nicht rechtsfähige Vereine organisierten32. Der Staat erkennt lediglich an, was er als „gewachsenes Phänomen“ vorfindet, nämlich den von einzelnen initiierten und durch die gemeinsamen Interessen konstituierten Mitgliederverband. b) Keine originäre Kollektivautonomie Der Inkonsistenz der Delegationstheorie versucht die Integrationstheorie mit der These abzuhelfen, den Koalitionen stünde eine genuin eigene verbandliche Autonomie zu. Aber auch diesem Ansatz fehlt die Schlüssigkeit. Eine eigene Autonomie läßt sich weder aus dem Verbandscharakter noch aus Art. 9 Abs. 3 GG ableiten. Mit einer eigenen Autonomie würde zwischen staatlicher Rechtsetzung und privatautonomer Gestaltung eine eigenständige Rechtsetzungsmacht etabliert, die den Tarifvertragsparteien unter Anerkennung der staatlichen Subsidiarität bei der Gestaltung von Arbeitsverhältnissen eine originäre Regelungsbefugnis einräumen würde. Daß es eine solche, gleichsam „dritte Gewalt“ zwischen Staat und Individuum nicht geben kann, hat insbesondere Picker ausführlich belegt33. In einer, auf Individualfreiheit und Rechtsstaatlichkeit verpflichteten Ordnung als allein systemgemäße Anerkennung originärer Legitimation, kann es von Rechts wegen keine Trias von Trägern originärer, gleichsam dazwischentretender Autonomie geben. Dadurch würde das zwischen individueller Selbst- und staatlicher Fremdbestimmung bestehende Konzept der Freiheitssicherung erschüttert. Denn die Zwischenschaltung einer eigenen Kollektivautonomie würde sowohl die demokratisch legitimierte Hoheitsgewalt des Staates als auch die als Grundwert vorgegebene Autonomie des einzelnen verkürzen. 31
Picker, in: FS 50 Jahre BAG, S. 795, 815. BVerfG vom 26.6.1991 – 1 BvR 779/85 – BVerfGE 84, 212, 224 = AP Nr. 117 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 33 Picker, in: FS 50 Jahre BAG, S. 795, 809 ff.; ders., NZA 2002, 761, 762 ff. 32
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Darin liegt nicht der Zweck der Koalitionsgewährleistung. Selbige ist nicht darauf gerichtet, das selbstbestimmte Individuum durch übergeordnete Verbandsinteressen in seiner Freiheit zu beschränken. Der Zusammenschluß in einer Koalition dient der Bündelung von Einzelinteressen zur Überwindung der eigenen Unterlegenheit und nicht der Schaffung einer, mit eigenen Interessen ausgestatteten, Institution. Das ist lediglich Mittel zum Zweck, nicht aber das Ziel der Freiheitsentfaltung. Die Koalitionen sind dem einzelnen zu dienen bestimmt und deswegen dem Willen der Mitglieder verpflichtet. Eine Anreicherung der originär privatautonomen Regelungsmacht durch eigene Autonomie ist letztlich ebensowenig gegenüber dem Staat erforderlich. Die größtmögliche Freiheit entfaltet sich auf der Grundlage der Privatautonomie der Mitglieder. Die Annahme einer eigenen Verbandsautonomie führte zu einer Loslösung der Tarifautonomie von der als funktionsunfähig angesehenen Vertragsfreiheit34. Die Integrationstheorie übersieht, daß Art. 9 Abs. 3 GG nicht Element einer korporativen Selbstverwaltungsordnung ist, sondern trotz der Zweckgarantie für eine kollektive Ordnung ein Grundrecht ist, das der Einzelpersönlichkeit zugewiesen ist. Deshalb ist Art. 9 Abs. 3 GG auch kein Doppelgrundrecht35. Die Freiheit der Koalition leitet sich ausschließlich aus der Koalitionsfreiheit der Mitglieder ab36. Der kollektive Freiheitsschutz wird lediglich über Art. 19 Abs. 3 GG vermittelt. c) Deshalb: Mitgliedschaftlich mandatierte Rechtsetzungsmacht Daß es weder eine originär eigene noch eine derivative staatliche Ausstattung der Koalitionen mit einer eigenen Autonomie geben kann, belegt im Umkehrschluß die Lehre von der mitgliedschaftlichen Legitimation37. Der entscheidende Ansatzpunkt ist, daß die Tarifnormsetzung selbst privatautonom erklärbar ist. Sie geht zurück auf den rechtsgeschäftlichen Beitritt der Mitglieder. Damit fehlt der Annahme, Tarifnormen seien nur auf einer staatlich delegierten oder originär verbindlichen Autonomie denkbar, die 34
Richardi, in: FS Konzen, S. 791, 798. So aber die h. M., BVerfG vom 18.11.1954 – 1 BvR 629/52 – BVerfGE 4, 96, 101 f. = AP Nr. 1 zu Art. 9 GG = RdA 1955, 39; BVerfG vom 14.4.1964 – 2 BvR 69/62 – BVerfGE 17, 319, 333 = AP Nr. 1 zu Art. 81 PersVG Bayern; BVerfG vom 30.11.1965 – BvR 54/62 – BVerfGE 19, 303, 312 ff. = AP Nr. 7 zu Art. 9 GG = SAE 1966, 157; BAG (GS) vom 29.11.1967 – GS 1/67 – BAGE 20, 175, 210 = AP Nr. 13 zu Art. 9 GG = EzA Art. 9 GG Nr. 3; Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 88; Säcker, Grundprobleme der kollektiven Koalitionsfreiheit, S. 26. 36 Darauf hat insbesondere Scholz, Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, S. 135 f. hingewiesen. 37 Oben § 1 B. II. 3., S. 28. 35
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zwingende Notwendigkeit38. Nimmt man dazu die aus der freiheitlich konzipierten Ordnung folgende Konsequenz, daß es zwischen Staat und Individuum keine „dritte“ Autonomie geben kann39, ernst und begreift die Koalitionsfreiheit als privatnütziges Freiheitsrecht, steht fest, daß sie sich legitimatorisch nicht auf den Staat stützen kann. Als Legitimationsquelle verbleibt dann nur die Privatautonomie der Mitglieder. Liegt der legitimatorische Kern der Verbandstätigkeit im privatautonomen Koalitionsbeitritt begründet, ist die logische Folge der legitimationstheoretischen Identität von Tarifautonomie und Privatautonomie auch die Identität der Gestaltungsbefugnisse40. Die Koalitionsbetätigungsfreiheit reicht dann nicht weiter als die Privatautonomie der Arbeitnehmer, in deren Dienst sie steht. Die Gewerkschaften sind um der Arbeitnehmer willen da, nicht umgekehrt. Die kollektive Privatautonomie im Sinne von Art. 9 Abs. 3 GG besitzt ausweislich der Schutzrichtung des Grundrechtsverhältnisses zur individuellen Privatautonomie Sicherungscharakter. Sie hat die Aufgabe, der individuellen Vertragsfreiheit zur Grundrechtseffektivität zu verhelfen, wo es ihr an Effektivität fehlt41. Die freiwillige Mitgliedschaft ist nicht bloß die Grundlage der Tarifgeltung, sondern auch immanente Grenze der Koalitionsbetätigung. Weil der Tarifvertrag unabhängig vom Willen der Regelungsunterworfenen nicht gelten kann, ist die Beschränkung der Tarifgeltung auf die beiderseits Tarifgebundenen systemimmanent impliziert42. Die personelle und sachliche Begrenzung folgt also nicht erst aus den Vorgaben des TVG, sie ist bereits durch die Tarifautonomie vorgegeben. Das allein erklärt, warum die Tarifnormwirkung überhaupt auf Organisierte begrenzt ist. Hätte der Staat seine Allzuständigkeit übertragen oder stünde den Koalitionen selbst eine solche Allzuständigkeit zu, müßte diese konsequent für alle Arbeitnehmer wahrgenommen werden. Nach richtigem Verständnis sind Tarifnormen im Ergebnis Rechtsnormen, die sich von formellen Gesetzen durch ihre privatautonome Legitimationsgrundlage und deswegen personell begrenzte Wirksamkeit unterscheiden. Entscheidend ist, daß die tarifliche Rechtsetzungsmacht vom Willen der Tarifgebundenen abhängt und den Tarifvertragsparteien kein davon losgelöstes Normsetzungsrecht verliehen ist, geschweige denn, sie als eigenständige Ordnungsmächte mit originärer Regelungsgewalt anerkannt sind. 38 39 40 41 42
Rieble, ZfA 2000, 5, 19. Soeben oben § 1 B. II. 2., S. 27. Picker, in: FS 50 Jahre BAG, S. 795, 823. Heinze, NZA 1997, 1, 7. Rieble, ZfA 2000, 5, 19.
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III. Kein Mandat der Tarifvertragsparteien für Außenseiter Für das Verhältnis zu Außenseitern folgt daraus, daß den Tarifvertragsparteien kein Regelungsmandat für Nichtmitglieder zusteht. Liegt der Ursprung der Tarifautonomie in der verfassungsrechtlichen Möglichkeit der Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen nach dem Grundsatz kollektiver Selbstbestimmung begründet, ergibt sich daraus zwingend auch die personelle Reichweite der kollektiven Regelungsmacht. Art. 9 Abs. 3 GG läßt die Rechtsetzung der Tarifvertragsparteien nur gegenüber ihren Mitgliedern zu43. Allenfalls ein staatlicher Geltungsbefehl kann die personelle Reichweite erweitern und Außenseiter in die tarifliche Rechtsetzung einbeziehen44. Die Gewerkschaft selbst hat aber kein Recht, nichtorganisierte Arbeitnehmer zu vertreten45. Trotz allem ist es zwar möglich, daß Außenseiter mittelbar von Tarifnormen betroffen werden46. Unvereinbar mit dem freiheitlichen Charakter des Koalitionsverfahrens wäre es aber, wenn die durch die Koalitionsgarantie erzeugte Kartellwirkung gegenüber Außenseitern rechtlich verfestigt wäre. Das Fehlen der normativen Wirkung sichert gerade die Freiheit des Außenseiters, „sein Glück selbst zu versuchen“47. Der einzelne, der sich keiner Koalition anschließen, sondern selbst entscheiden will, entfaltet sich seinerseits im Schutzbereich der negativen Koalitionsfreiheit48, die es gewährleistet, vom Regelungszugriff der Tarifvertragsparteien grundsätzlich unbehelligt zu bleiben49. Ihren deutlichsten Ausdruck und Schutz erfährt die Koalitionsfreiheit schließlich dadurch, daß nur die Mitglieder tariflich gebunden sind, die Nicht-Koalitionsangehörigen aber frei sind im Aushandeln ihrer 43 So auch die zentrale Feststellung des BVerfG vom 14.6.1983 – 2 BvR 488/80 – BVerfGE 64, 208, 215 = AP Nr. 21 zu § 9 BergmannsVersorgScheinG NRW; bereits BVerfG vom 24.5.1977 – 2 BvL 11/74 – BVerfGE 44, 322, 437 = AP Nr. 15 zu § 5 TVG = EzA § 5 TVG Nr. 5. 44 Zu den engen Ausnahmen vom Grundsatz der beiderseitigen Tarifgebundenheit unten § 1 C., S. 34 ff. 45 Eindringlich Picker, NZA 2002, 761, 769. 46 Zu den Grenzen der mittelbaren Belastungswirkung des Tarifvertrags gegenüber Außenseitern im Hinblick auf tarifvertragliche Differenzierungsklauseln unten § 2, S. 61 ff. 47 Grundl. Zöllner, RdA 1962, 453, 453 ff.; ders., Rechtsnatur der Tarifnormen nach deutschem Recht, S. 22 ff.; Löwisch, RdA 1975, 51, 56; Wagenitz, Die personellen Grenzen der Tarifmacht, S. 44 f.; Richardi, in: Münchener Handbuch ArbeitsR, Bd. 3, § 241 Rn. 18; Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille, S. 215. 48 Zum verfassungsrechtlichen Schutz der negativen Koalitionsfreiheit § 2 C. II. 2. a), S. 102 ff. 49 BVerfG vom 24.7.1977 – 2 BvL 11/74 – BVerfGE 44, 322, 347 f. = AP Nr. 15 zu § 5 TVG; BVerfG vom 14.6.1983 – 2 BvR 488/80 – BVerfGE 64, 208, 215 = AP Nr. 21 zu § 9 BergmannsVersorgScheinG NRW.
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Arbeitsbedingungen50. Das garantierte Recht auf privatautonome Individualität erschöpft sich nicht in bloßem Schutz vor Belastungen51. Festzuhalten bleibt: Mangels Legitimation haben die Tarifvertragsparteien keinen unmittelbaren Regelungszugriff auf Außenseiterarbeitsverhältnisse. Die Kartellwirkung des Tarifvertrags ist auf die tarifgebundenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer beschränkt und läßt dem Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt Raum, soweit es um die Nichtorganisierten geht. Nur für die erstgenannten gilt der Tarifvertrag, für die tariffreien Arbeitnehmer ergeben sich die Rechte und Pflichten grundsätzlich aus dem Arbeitsvertrag52.
C. Eng begrenzte Ausnahmen vom mitgliedschaftlichen Legitimationsmodell Der gesetzliche Regelfall der beiderseitigen Tarifbindung und der mitgliedschaftlichen Legitimation wird nur in eng begrenzen Ausnahmefällen durchbrochen. Ausnahmsweise finden Tarifnormen auf Außenseiter-Arbeitsverhältnisse Anwendung, wenn die Tarifgebundenheit durch einen staatlichen Rechtsetzungsakt, etwa durch Allgemeinverbindlicherklärung oder nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz durch Rechtsverordnung erweitert ist. Weil dabei aber die Legitimation der autonomen Rechtsetzung durch die Koalitionen beseitigt ist, muß bei der Einbeziehung von Außenseitern die fehlende mitgliedschaftliche Legitimation durch eine hoheitliche Geltungsanordnung ersetzt sein53. Die Verantwortlichkeit für die Tarifgeltung liegt dann allein beim Staat und nicht mehr bei den Tarifvertragsparteien. Zwingend erforderlich ist es deshalb, daß der Staat die Regelungsverantwortung übernimmt, wenn er den Tarifinhalt mit seinem Geltungsbefehl versieht54. Dazu muß er den gegenständlichen Tarifinhalt zur Kenntnis nehmen, womit sich jede automatisch-dynamische Tariferstreckung verbietet. Jede Geltungserstreckung tariflicher Regelungen muß zudem grundrechtlich gerechtfertigt sein. Die bloße Ersetzung der legitimatorischen Grundlage reicht nicht aus. Rechtlich sind jeder Tarifnormerstreckung durch die grundrechtlichen Schutzgehalte der Vertrags- und der negativen Koalitionsfreiheit enge Grenzen vorgegeben55. 50
So pointiert Kissel, in: FS Hanau, S. 547, 549. Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1154. 52 Ausführlich zur tarifunabhängigen Arbeitsvertragsgestaltung mit den Außenseitern unten § 6, S. 257 ff. 53 BVerfG vom 14.6.1983 – 2 BvR 488/80 – BVerfGE 64, 208 = AP Nr. 21 zu § 9 BergmannsVersorgScheinG NRW. 54 Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rn. 11. 51
C. Eng begrenzte Ausnahmen vom mitgliedschaftlichen Legitimationsmodell
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I. Allgemeinverbindlicherklärung Das klassische Mittel der staatlichen Tariferstreckung ist die Allgemeinverbindlicherklärung nach § 5 TVG56. Sie erlaubt es dem Staat, die personelle Geltung des Tarifvertrags über den Kreis der Mitglieder hinaus auf Außenseiter zu erweitern. Die Allgemeinverbindlicherklärung ist ein Gestaltungsmittel zur Schaffung von Mindestarbeitsbedingungen. Sie dient allein dem Schutz der Außenseiter57. Dem Staat kommt hier subsidiär die Aufgabe zu, für annehmbare Arbeitsbedingungen zu sorgen58. Da die Koalitionen diese Aufgabe nicht erfüllen können, obliegt es dem Staat, regelnd einzugreifen. Die Allgemeinverbindlicherklärung bleibt freilich die Ausnahme59. Sie kommt vor allem bei branchenweiten gemeinsamen Einrichtungen vor, die ohne Allgemeinverbindlichkeit nicht funktionieren würden, wie etwa die Urlaubskassen im Baugewerbe60. Weder dem Tarifvertrag noch der Allgemeinverbindlicherklärung kommt aber eine Ordnungsfunktion zu61. Zweck ist lediglich, in tariffreien Arbeitsverhältnissen Mindestarbeitsbedingungen zu etablieren. Daß dadurch einheitliche Arbeitsbedingungen geschaffen werden, ist ein Nebeneffekt, nicht aber Ziel der staatlichen Intervention. Entscheidend ist das richtige Verständnis des öffentlichen Interesses in § 5 Abs. 1 TVG. Dieses richtet sich auf den Schutz der Außenseiter und nicht auf die Unterbindung von „Schmutzkonkurrenz“ oder „Lohndrückerei“62. Nicht zur Zweckbestimmung der Allgemeinverbindlicherklärung ge55 Buchner, RdA 1990, 1, 2: „jede übergreifende Wirkung bedarf einer behutsamen Lösung“. 56 Rechtsvergleichend Rebhahn, RdA 2002, 214, 215 ff.; grundsätzliche Kritik an der Allgemeinverbindlicherklärung übte die Monopolkommission im 10. Hauptgutachten (1994), S. 949 f. 57 BAG vom 24.1.1979 – 4 AZR 377/77 – AP Nr. 16 zu § 5 TVG = EzA § 5 TVG Nr. 6; BAG vom 28.3.1990 – 4 AZR 536/89 – AP Nr. 25 zu § 5 TVG = EzA § 5 TVG Nr. 10 = NZA 1990, 781; Staudinger/Richardi, BGB, Vorbem. zu §§ 611 ff. Rn. 765; Franzen, in: ErfK, § 5 TVG Rn. 2. 58 Löwisch/Rieble, in: Münchener Handbuch ArbeitsR, Bd. 3, § 268 Rn. 1. 59 Von den am 1.1.2008 als gültig in das Tarifregister eingetragenen 69.600 Tarifverträgen waren 454 allgemeinverbindlich (234 Ursprungs- und 220 Änderungsbzw. Ergänzungstarifverträge), darunter 176, die (auch) in den neuen Bundesländern gelten. Quelle: http://www.bmas.de/coremedia/generator/3188/property=pdf/arbeits recht_verzeichnis_allgemeinverbindlicher_tarifvertraege_01_01_2008.pdf (abgerufen am 4.2.2008). 60 Vgl. Rieble, RdA 2004, 78, 82. 61 So aber Andelewski, Staatliche Mindestarbeitsbedingungen, S. 82. 62 Reuter, RdA 1991, 193, 203; Löwisch/Rieble, in: Münchener Handbuch ArbeitsR, Bd. 3, § 268 Rn. 5.
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§ 1 Programmierte tarifrechtliche Zweiteilung
hört es, den Außenseiterwettbewerb auszuschalten63. Die Zulassung des Außenseiterwettbewerbs ist vielmehr eine Voraussetzung dafür, daß die Tarifautonomie nicht unter Staatskontrolle steht. Durch die zwangsweise Ausdehnung der Kartellwirkung des Tarifvertrags wird der Außenseiterwettbewerb zwar faktisch unterbunden. Dies dient aber nicht dem Ziel der Geltungserstreckung und kann sie auch nicht rechtfertigen64. Die zuständige Behörde darf dies als Zweck nicht verfolgen, sondern hat sich an der arbeitnehmerschützenden Zielsetzung zu orientieren65. Durch die Allgemeinverbindlicherklärung wird der Tarifvertrag Bestandteil der staatlichen Rechtsordnung und kann sich als Rechtsnorm durchsetzen. Die Allgemeinverbindlicherklärung ist ein Akt der Rechtsetzung66. Den Tarifvertragsparteien kommt insofern keine erweiterte Autonomie zu. Die Geltung für Nichtmitglieder kann nicht damit begründet werden, daß der Staat der Ausübung einer vorhandenen autonomen Rechtsetzungsbefugnis der Verbände gegenüber den Außenseitern zustimme67. Der Geltungsgrund beruht allein auf dem besonderen staatlichen Akt der Normerstrekkung auf Personen, die der Rechtsetzungsmacht der Tarifparteien nicht unterworfen sind. Die anfangs erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken haben sich angesichts einer in mehreren grundlegenden Entscheidungen des BVerfG entwickelten Legitimationsdogmatik erledigt68. Ein Verstoß gegen die positive Koalitionsfreiheit ist mit der Allgemeinverbindlicherklärung nicht verbunden: Der Beitritt zu anderen als den tarifvertragsschließenden Koalitionen wird nicht behindert; diese können auch in der gleichen Angelegenheit Tarifverträge mit ihren Mitgliedern abschließen. Deren Anwendbarkeit darf sich aber entgegen der herrschenden Meinung69 nicht nach den Grundsätzen 63 So aber BVerwG vom 3.11.1988 – 7 C 115/86 – BVerwGE 80, 355 = AP Nr. 23 zu § 5 TVG = EzA § 5 TVG Nr. 9; Zachert, NZA 2003, 132, 133. 64 So erachtet auch das BAG den Einbezug wettbewerblicher Gesichtspunkte in die Entscheidung zu Recht als unzulässig: BAG vom 24.1.1979 – 4 AZR 377/77 – AP Nr. 16 zu § 5 TVG = EzA § 5 TVG Nr. 6; ebenso Löwisch/Rieble, TVG, § 5 Rn. 7; Buchner, ZfA 2004, 229, 235. 65 Franzen, in: ErfK, § 5 TVG Rn. 2. 66 BAG vom 3.2.1965 – AZR 385/63 – AP Nr. 12 zu § 5 TVG; BVerwG vom 6.6.1958 – VII CB 187.57 – BVerwGE 7, 82, 85 ff. = AP Nr. 6 zu § 5 TVG; Löwisch/Rieble, in: Münchener Handbuch ArbeitsR, Bd. 3, § 268 Rn. 49; Staudinger/Richardi, BGB, Vorbem. zu §§ 611 ff. Rn. 765. 67 Vgl. noch Nipperdey/Heußner, in: Staatsbürger und Staatsgewalt, Jubiläumsschrift zum 100jährigen Bestehen der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit, Bd. I, S. 211, 223. 68 BVerfG vom 24.5.1977 – 2 BvL 11/74 – BVerfGE 44, 322 = AP Nr. 15 zu § 5 TVG = EzA § 5 TVG Nr. 5; BVerfG vom 15.7.1980 – 1 BvR 24/74, 1 BvR 439/79 – BVerfGE 55, 7 = AP Nr. 17 zu § 5 TVG.
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der Tarifkonkurrenz richten. Vielmehr muß sich der nach § 3 Abs. 1 TVG geltende Tarifvertrag wegen der stärkeren – weil mitgliedschaftlichen – Legitimation durchsetzen70. Die Kollisionsregel muß lauten: Vorrang des mitgliedschaftlich legitimierten Tarifvertrags71. Nur dann liegt kein Verstoß gegen die positive Koalitionsfreiheit vor. Auch ein Verstoß gegen die negative Koalitionsfreiheit unter dem Aspekt des Eintrittsdrucks ist mit der Allgemeinverbindlicherklärung nicht verbunden. Dem einzelnen Arbeitnehmer verschafft sie Tarifgeltung, ohne daß er hierfür Beiträge zahlen muß72. Von der Normerstreckung nachteilig betroffen ist allenfalls der Arbeitgeber, weil Mindestarbeitsbedingungen die Personalkosten erhöhen und so mittelbar die Marktchancen verschlechtern73. Es stellt sich für den nicht tarifgebundenen Arbeitgeber zwar die Frage, ob es sich empfiehlt, dem zuständigen Arbeitgeberverband beizutreten, um neben den tarifvertraglichen Pflichten auch die mitgliedschaftlichen Rechte zu erwerben74. Der Beitrittsdruck ist aber als gering einzustufen, zumal nur selten ganze Tarifwerke für allgemeinverbindlich erklärt sind und ein Koalitionsbeitritt eine deutlich weitere Tarifbindung nach sich zöge. Im übrigen ist die Erstreckung der Tarifgeltung – soweit sie zum Schutz der Außenseiter-Arbeitnehmer geboten ist – gerechtfertigt. II. Arbeitnehmer-Entsendegesetz Der Allgemeinverbindlicherklärung vergleichbar ist die Verbindlichkeitsanordnung nach § 1 Abs. 3a AEntG. Danach können bestimmte Tarifbedingungen auf Arbeitnehmer ausländischer Unternehmen erstreckt werden, wenn der Leistungsort im Inland liegt. Die Erstreckung auf nichtorganisierte deutsche Arbeitgeber und Arbeitnehmer ist aber ein nicht unerwünschter Nebeneffekt. § 1 Abs. 3a AEntG bietet sogar erleichterte Möglichkeiten der Tariferstreckung, weil die staatliche Anordnung ohne Allgemeinverbindlicherklärung auskommt75. Diese Möglichkeit wurde gerade deshalb ins Gesetz aufgenommen, weil man nicht auf das in § 5 Abs. 1 Satz 1 TVG vorgesehene Einvernehmen der Arbeitgeber angewiesen sein 69
Für die h. M. nur Wiedemann/Wiedemann, TVG, § 5 Rn. 146. Wie hier Löwisch/Rieble, TVG, § 4 Rn. 146; Jacobs, Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz, S. 291; Müller, NZA 1989, 449, 452; Reuter, JuS 1992, 105, 109. 71 Pointiert Franzen, in: ErfK, § 3 TVG Rn. 69. 72 Löwisch/Rieble, in: Münchener Handbuch ArbeitsR, Bd. 3, § 245 Rn. 40. 73 Löwisch/Rieble, TVG, § 5 Rn. 104. 74 Staudinger/Richardi, BGB, Vorbem. zu §§ 611 ff. Rn. 774; Wiedemann, Anm. zu BVerfG vom 15.7.1980 – 1 BvR 24/74, 1 BvR 439/79 – AP Nr. 17 zu § 5 TVG. 75 Büdenbender, RdA 2000, 193, 197 f.; Kreiling, NZA 2001, 1118, 1118 ff.; Richardi, ZfA 2003, 655, 670. 70
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wollte76. Dies erscheint nicht ganz unbedenklich, insbesondere vor dem Hintergrund, daß das BVerfG die Verfassungsmäßigkeit der Tariferstreckung durch Allgemeinverbindlicherklärung gerade mit den materiell-rechtlichen und verfahrensmäßigen Sicherungen des § 5 TVG begründet hat77. Rechtstechnisch werden durch die Rechtsverordnungsermächtigung Tarifnormen in staatliches Recht verwandelt. Es geht also nicht um eine Außenseiterbindung an erstreckte Tarifnormen, sondern um die Unterwerfung unter staatliche Normen. Hier liegt der maßgebende Unterschied zur Allgemeinverbindlicherklärung. Das BVerfG sieht die auf § 1 Abs. 3a AEntG beruhende Außenseiterbindung mit der Verfassung im Einklang78. Gebilligt wird dies deswegen, weil die staatliche Mitwirkung im Rahmen der Verordnungsgebung eine hinreichende demokratische Legitimationsgrundlage biete79. Sieht man mit dem BVerfG in dem Unterschied einer anderen Rechtsform keinen weiteren Eingriff in Grundrechte der Normbetroffenen, müssen jedenfalls die gleichen Erwägungen wie für die Allgemeinverbindlicherklärung gelten. Nur bei Zugrundelegung der gleichen Maßstäbe läßt sich die Vereinbarkeit mit der Verfassung konstatieren. Im übrigen gilt, was für die Allgemeinverbindlicherklärung ausgeführt wurde: zur Wahrung der positiven Koalitionsfreiheit muß sich ein mitgliedschaftlich legitimierter Tarifvertrag durchsetzen80. Denn auch die Rechtsverordnung nach § 1 Abs. 3a AEntG dient dem Schutz vor unbilligen Arbeitsbedingungen, dessen es nicht bedarf, wenn ein Tarifvertrag bereits Mindestarbeitsbedingungen schafft. Maßgebend muß der Schutz der Arbeitnehmer sein und nicht die Ausschaltung des Außenseiter- oder Koalitionswettbewerbs. Unterbunden wird zwar die Freiheit der Außenseiter, zu günstigeren Arbeitsbedingungen zu arbeiten, nicht abgeschnitten werden darf 76
Da sich die Arbeitgeberseite dem kondominalen Rechtsetzungsverfahren zwischen Staat und Tarifvertragsparteien verweigerte, hat der Gesetzgeber dem Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit durch eine Rechtsverordnungsermächtigung die Befugnis eingeräumt, die Geltung der Tarifnormen auf nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu erstrecken. 77 BVerfG vom 24.5.1977 – 2 BvL 11/74 – BVerfGE 44, 322 = AP Nr. 15 zu § 5 TVG = EzA § 5 TVG Nr. 5. 78 BVerfG vom 18.7.2000 – 1 BvR 948/00 – AP Nr. 4 zu § 1 AEntG = EzA Art. 9 GG Nr. 69 = SAE 2000, 265 mit krit. Anm. Scholz. 79 Ablehnend dagegen Scholz, in: FS Vogel, S. 373, 373 ff. 80 Wie hier Franzen, in: ErfK, § 3 TVG Rn. 69. Zum selben Ergebnis gelangt Ossenbühl/Cornils, Tarifautonomie und staatliche Gesetzgebung – Verfassungsmäßigkeit von § 1 Abs. 3a AEntG, Rechtsgutachten erstattet dem BMAS, veröffentlicht im Forschungsbericht 280, S. 64 f., der anders koalierte Arbeitnehmer aber vom Wortlaut nicht erfaßt sieht; dagegen Richardi, ZfA 2003, 655, 670.
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aber die Möglichkeit einer Beschäftigung zu anderen tariflichen Arbeitsbedingungen. Eine auf Tarifmonopolisierung angelegte Intervention ist hier genauso unzulässig, wie auch die Allgemeinverbindlicherklärung diesen Zweck nicht verfolgen darf. III. Tariftreueverpflichtungen Ebenfalls ohne Rücksicht auf die Tarifgebundenheit sichern Landesgesetzgeber bei der Vergabe öffentlicher Aufträge die Tariftreue von Unternehmen mit sogenannten Tariftreueverpflichtungen81. Im Kern geht es hier um die Verpflichtung, bei der Vergabe öffentlicher Aufträge in bestimmten Bereichen eine schriftliche Verpflichtung dahingehend zu verlangen, daß der Auftragnehmer bei der Ausführung der Leistung die einschlägigen Tarifbedingungen anwendet (Tariftreueerklärungen)82. Bei Nichteinhaltung der Tariftreuepflicht sind als Sanktion regelmäßig Vertragsstrafen, fristlose Kündigung oder der Ausschluß von der öffentlichen Auftragsvergabe vorgesehen. Auf Märkten mit einer starken Nachfragemacht öffentlicher Auftraggeber führt das zu einem faktischen, wenn auch nicht rechtlichen Zwang, die einschlägigen Tarifverträge anzuwenden. Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hielt eine Tariftreueregelung deshalb für verfassungswidrig, unter anderem wegen eines Verstoßes gegen die negative Koalitionsfreiheit83. Diese Bedenken lassen sich nicht leichtfertig von der Hand weisen. Vordergründig wird das Problem der Tariferstreckung auf Außenseiter, das bei der Allgemeinverbindlicherklärung und der Rechtsverordnungsermächtigung nach § 1 Abs. 3a AEntG einen staatlichen Rechtsetzungsakt erfordert, zwar umgangen, wenn man mit gleicher Zielsetzung die Anwendung von Tarifverträgen rechtstatsächlich erzwingt. Aufgrund des faktischen Zwanges entsteht aber bezogen auf die individuelle Vertragsfreiheit der Außenseiter eine vergleichbare Eingriffslage84. Ebenso betroffen ist die positive Koalitionsfreiheit anders Koalierter im Hinblick auf deren Tarifverträge. 81 Regelungen über Tariftreueerklärungen finden sich in Bayern vom 28.6.2002 (GVBl. S. 364), Berlin vom 9.7.1999 (GVBl. S. 369), Hamburg vom 17.12.2002 (GVBl. S. 594), Niedersachsen vom 2.9.2002 (GVBl. S. 370), Nordrhein-Westfalen vom 17.12.2002 (GVBl. 2003 S. 8), Schleswig-Holstein vom 7.3.2003 (GVBl. S. 136), Saarland vom 23.8.2000 (ABl. S. 1846) und Sachsen-Anhalt vom 29.6.2001 (GVBl. S. 234). 82 Vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1 TariftG NRW. 83 BGH vom 18.1.2000 – KVR 23/98 – AP Nr. 1 zu § 20 GBW = EzA Art. 9 GG Nr. 67 = NZA 2000, 327. 84 Löwisch/Rieble, TVG, § 5 Rn. 178; Löwisch, DB 2001, 1090, 1091; Scholz, RdA 2001, 193, 198.
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Gleichwohl teilt das BVerfG diese Bedenken nicht und hat Tariftreueklauseln für verfassungsgemäß erklärt85. Eine Verletzung der negativen Koalitionsfreiheit hält das Gericht für nicht begründet. Das Recht der Unternehmer, sich nicht in einem Arbeitgeberverband zu organisieren, werde durch die Vergabeklauseln nicht eingeschränkt. Ebenso liege kein faktischer Beitrittszwang vor. Die auferlegte Tariftreuepflicht beeinflusse zwar die Verträge mit Geschäftspartnern und Arbeitnehmern und betreffe damit einen wichtigen Punkt der durch Art. 12 Abs. 1 GG gewährleisteten Berufsfreiheit. Diesen Eingriff sieht das BVerfG aber als gerechtfertigt an. Auch wenn es sich insoweit zweifellos um einen unliebsamen Fremdkörper im Tarifsystem handelt, ist damit noch keine grundlegende Systemverschiebung verbunden. Dem ohnehin nur partiellen Eingriff im Bereich des Vergaberechts, der dadurch abgemildert ist, daß die Tariflohnzahlung auf einer freiwilligen Unternehmerentscheidung beruht und auf einen bestimmten Auftrag beschränkt ist, stellen sich rechtfertigende Gründe des Gesetzgebers an die Seite. Maßgeblich ist der Schutz der Arbeitnehmer. Trotz berechtigter Kritik86 an der Entscheidung des BVerfG sollte am Ende die Einsicht stehen, daß es sich letztendlich um eine ordnungspolitische Entscheidung handelt, die im Gewaltenteilungssystem dem Gesetzgeber und nicht den Gerichten zugewiesen ist. Dieser Rolle wird das BVerfG gerecht, wenn es die grundrechtlichen Tatbestände eher eng zieht und so der Gefahr einer Konturenlosigkeit der Schutzbereiche und nicht zuletzt des Verfalls in die Beliebigkeit bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung vorbeugt. Der Ball wird damit von den Richtern in Karlsruhe zurückgespielt. Das Mehr an Rechtssicherheit für den Gesetzgeber nimmt die politisch Handelnden aber gleichzeitig in die Verantwortung, politische Konflikte selbst sachgerecht zu lösen87. Auch die eingeforderte ökonomische Folgenabschätzung88 sollte dort zum Handwerkszeug gehören. IV. Betriebs- und Betriebsverfassungsnormen Durchbrochen wird der Grundsatz der mitgliedschaftlichen Legitimation schließlich durch die Bestimmungen der §§ 3 Abs. 2, 4 Abs. 1 Satz 2 TVG. Für die Geltung von Tarifvertragsnormen über betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen reicht danach die Tarifgebundenheit des 85 BVerfG vom 11.7.2006 – 1 BvL 4/00 – AP Nr. 129 zu Art. 9 GG = NJW 2007, 51 = NZA 2007, 42. 86 Etwa Rieble, NZA 2007, 1, 1 ff. 87 So auch das Fazit von Preis/Ulber, NJW 2007, 465, 471. 88 Rieble, NZA 2007, 1, 3 ff.
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Arbeitgebers aus, ohne daß es darauf ankäme, daß alle Arbeitnehmer tarifgebunden sind89. Auch hier unterliegen Außenseiter der Tarifwirkung, obgleich sie sich gegen den Tarifvertrag entschieden haben. Wie zuvor kann die tarifvertragliche Zuständigkeit der Koalitionen mit Wirkung für alle Arbeitnehmer nicht auf Art. 9 Abs. 3 GG beruhen, sondern allein auf einer besonderen gesetzlichen Ermächtigung. Sie nehmen insofern eine gegenständlich durch § 3 Abs. 2 TVG und das Betriebsverfassungsrecht begrenzte Zuständigkeit wahr90. Bei betrieblichen und betriebsverfassungsrechtlichen Normen stellt sich das Bild aber anders dar. Bei der Allgemeinverbindlicherklärung hat es das BVerfG als noch ausreichend demokratisch legitimiert angesehen, wenn der Gesetzgeber bereits vorhandene Tarifvertragsnormen für die Zeit ihrer Geltung in seinen Willen aufnimmt91. Auch nach § 1 Abs. 3a AEntG kann der Bundesminister die Verbindlichkeit für Außenseiter nur für Rechtsnormen eines vorhandenen Tarifvertrags anordnen92. Das trifft für die Gestaltungsermächtigung des § 3 Abs. 2 TVG nicht zu, weil sie sich auf zukünftige Tarifvertragsabschlüsse bezieht. Den Nichtorganisierten droht damit eine unbegrenzte Unterwerfung unter fremde Normen. Da der Gesetzgeber seine Normsetzungsbefugnis aber nicht in beliebigem Umfang außerstaatlichen Stellen überlassen darf – vor allem, wenn die Ermächtigung zu Eingriffen in den Grundrechtsbereich berechtigt – bedarf es einer gegenständlichen Begrenzung, die den grundrechtlichen Anforderungen genügt. Die vorgeschlagene Begrenzung auf organisierte Arbeitnehmer bei gleichzeitiger Verpflichtung des Arbeitgebers, die Regelung den Nichtorganisierten gegenüber schuldrechtlich umzusetzen93, hilft da nicht weiter, weil der Schutz vor privaten Normgebern nicht nur die unmittelbare, sondern ebenso die mittelbare Betroffenheit erfaßt94. 89 BAG vom 21.1.1987 – 4 AZR 486/86 – AP Nr. 46 zu Art. 9 GG m. Anm. Scholz; BAG vom 27.4.1988 – 7 AZR 593/87 – AP Nr. 4 zu § 1 BeschFG 1985 = EzA § 1 BeschFG Nr. 4 = NZA 1988, 771; BAG vom 18.12.1997 – 2 AZR 709/96 – AP Nr. 46 zu § 2 KSchG 1969 = EzA § 2 KSchG Nr. 28 = NZA 1998, 304; Schmidt-Eriksen, Tarifvertragliche Betriebsnormen, S. 110 ff.; Wiedemann/Oetker, TVG, § 3 Rn. 163 ff. 90 Biedenkopf, Gutachten zum 46. Deutschen Juristentag, Bd. I Teil 1, S. 97, 114. 91 BVerfG vom 24.5.1977 – 2 BvL 11/74 – BVerfGE 44, 322, Leitsatz Nr. 3 = AP Nr. 15 zu § 5 TVG = EzA § 5 TVG Nr. 5. 92 Vgl. oben § 1 C. II., S. 37. 93 Vgl. Buchner, Tarifvertragsgesetz und Koalitionsfreiheit, S. 69 ff.; Lieb, RdA 1967, 441, 443; Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille, S. 236; Zöllner, RdA 1962, 453, 456. 94 BVerfGE 33, 125, 160; BVerfG vom 14.6.1983 – 2 BvR 488/80 – BVerfGE 64, 208, 214 = AP Nr. 21 zu § 9 BergmannsVersorgScheinG NRW.
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Entscheidend ist das richtige Normverständnis des § 3 Abs. 2 TVG. Insbesondere die Rechtsprechung hat sich in jüngerer Zeit darauf festgelegt, daß alle Sachfragen geregelt werden können, bei denen eine einheitliche Regelung unerläßlich ist95. Dem Ausgangspunkt dieser Rechtsprechung ist ohne weiteres zuzustimmen. Denn der Grund für die gesetzliche Regelung ist darin zu sehen, daß bestimmte Regelungen aus praktischen oder rechtlichen Gründen nur einheitlich im Betrieb gelten können96. Von vornherein einleuchtend ist, daß deren Anwendung nicht von der Koalitionsmitgliedschaft abhängig gemacht werden kann. Deswegen muß die Geltungserstreckung von Nichtorganisierten ebenso hingenommen werden, wie auch anders Organisierte die Unterstellung unter einen fremden Tarifvertrag akzeptieren müssen97. Es geht nicht in erster Linie um eine Erweiterung der Normsetzungsbefugnis, sondern um die sachgerechte Regelung betrieblicher und betriebsverfassungsrechtlicher Fragen98. Keinesfalls dienen Betriebsnormen aber dazu, Vorund Nachteile zwischen den Belegschaftsmitgliedern auszugleichen und dafür eine Art Risikogemeinschaft herzustellen. Die Regelungsmacht im Rahmen des § 3 Abs. 2 TVG ist zwar nicht demselben Legitimationsbedürfnis unterworfen wie der Inhalt des Arbeitsverhältnisses, weil sie den Arbeitnehmer als Teil der Belegschaft betrifft99. Dennoch kann nicht auf eine privatautonome Legitimationsbasis verzichtet werden, da es sich um tariflich gesetztes Recht handelt. Sie findet sich zum einen in der Tarifbindung des Arbeitgebers. Weil dies aber nicht ausreicht, ist es erforderlich, daß zumindest ein Arbeitnehmer der Belegschaft Mitglied der tarifschließenden Gewerkschaft ist100. Erst dadurch wird dem Er95 Grundlegend BAG vom 26.4.1990 – 1 ABR 84/87 – AP Nr. 57 zu Art. 9 GG = EzA § 4 TVG Druckindustrie Nr. 20 = NZA 1990, 850; nachfolgend BAG vom 7.11.1995 – AZR 676/94 – AP Nr. 1 zu § 3 TVG Betriebsnormen = EzA § 1 TVG Betriebsnorm Nr. 1 = NZA 1996, 1214; BAG vom 17.6.1997 – 1 ABR 3/97 – AP Nr. 2 zu § 3 TVG Betriebsnormen = EzA § 99 BetrVG 1972 Einstellung Nr. 4 = NZA 1998, 213; BAG vom 17.6.1999 – 2 AZR 456/98 – AP Nr. 103 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung = EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 103 = NZA 1999, 1157. 96 Schon Herschel erläuterte die Einführung betrieblicher Normen damit, „daß betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen regelmäßig nur einheitlich für alle betroffenen Arbeitnehmer und daher ohne Berücksichtigung der Organisationszugehörigkeit der Arbeitnehmer geregelt werden können“, ZfA 1973, 183, 191. 97 Zu diesem Problem bei zugelassener Tarifpluralität im Betrieb unten § 4 F. I. 2., S. 199. 98 Wiedemann/Oetker, TVG, § 3 Rn. 178; Scholz, in: FS G. Müller, S. 509, 535. 99 Löwisch, Anm. zu BAG vom 18.8.1987 – 1 ABR 30/86 – SAE 1988, 97, 104. 100 Ebenso Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rn. 103; Franzen, in: ErfK, § 3 TVG Rn. 17; a. A. Gamillscheg, Kollektives ArbeitsR, Bd. I, S. 717 f.; Kempen/Zachert, TVG, § 3 Rn. 87.
D. Überwindung der programmierten Zweiteilung in der Praxis
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fordernis der beidseitigen Legitimation genügt, und nur so entsteht ein Bedürfnis für die Tarifgeltung. Die Gewerkschaft hat kein Recht, ausschließlich Außenseiter an ihren Tarifvertrag zu binden101. Daß andererseits schon ein organisierter Arbeitnehmer die Tarifbindung auslöst, ist verhältnismäßig, wenn die Rechtsordnung dafür sorgt, daß Betriebsnormen keine erheblichen Nachteile für Nichtorganisierte mit sich bringen können102.
D. Überwindung der programmierten Zweiteilung in der Praxis I. Tarifgeltung durch arbeitsvertragliche Bezugnahme Wenn die Tarifgeltung nicht ausnahmsweise durch einen staatlichen Geltungsbefehl erweitert ist, finden Tarifnormen in nicht beiderseitig tarifgebundenen Arbeitsverhältnissen nur Anwendung, wenn im Arbeitsvertrag darauf Bezug genommen wird. Das allerdings entspricht in der Praxis nicht der Ausnahme, sondern dem Regelfall. In tarifgebundenen Unternehmen gehört es zur eingespielten Übung, ohne Rücksicht auf die Tarifbindung der Arbeitnehmer arbeitsvertraglich Verweisungsklauseln zu vereinbaren. In der betrieblichen Praxis wird die tarifrechtlich programmierte Zweiteilung in Organisierte und Nichtorganisierte also überwiegend nicht als Möglichkeit wahrgenommen, Arbeitsbedingungen eigenständig zu regeln, sondern vielmehr als zu überwindende Belegschaftsteilung angesehen. Dadurch erfährt die koalitionsneutrale Einheitsbetrachtung der Belegschaft zumindest de facto eine gewisse Stütze. 1. Empirischer Befund Deutlich wird der große Einfluß von Tarifverträgen, wenn man sich zunächst die Zahlen anschaut: Ausgehend von einer Flächendeckung103 aller in Deutschland geltenden Verbands- und Firmentarifverträge von rund 90% waren nach Erhebungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit104 aus dem Jahr 2005 in Westdeutschland 101
Franzen, in: ErfK, § 3 TVG Rn. 17. Löwisch/Rieble, in: Münchener Handbuch ArbeitsR, Bd. 3, § 267 Rn. 36. 103 BMAS, Tarifvertragliche Arbeitsbedingungen im Jahr 2004, S. 9, http://www. bmas.de/coremedia/generator/1926/property=pdf/tarifvertragliche_arbeitsbedingun gen_2004.pdf (zuletzt abgerufen am 4.2.2008). 104 Vgl. Kohaut/Schnabel, Tarifliche Öffnungsklauseln: Verbreitung, Inanspruchnahme und Bedeutung, S. 4 ff. mit Verweis auf das IAB-Betriebspanel 2005. 102
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zwar nur 67% und in Ostdeutschland 53% der Arbeitnehmer bei einem tarifgebundenen Arbeitgeber beschäftigt105. Von den nicht tarifgebundenen Betrieben orientierte sich aber knapp die Hälfte an Tarifverträgen, wobei als Orientierung nicht die strikte Einhaltung aller tarifvertraglichen Regelungen zu verstehen ist. Insgesamt waren damit für die Arbeitsverhältnisse von etwa 80% der unselbständig Beschäftigten Tarifverträge vollständig oder teilweise maßgebend106. Betrachtet man statt der Beschäftigten aber die Betriebe, ergibt sich ein deutlich geringerer Geltungsbereich. Hier waren lediglich 41% der westdeutschen und nur 23% der ostdeutschen Betriebe durch Branchen- oder Flächentarifverträge gebunden107. Nicht formal tarifgebundene Betriebe orientierten sich zu etwa 37% ganz oder teilweise an bestehenden Tarifverträgen. Bei betrieblicher Betrachtung ergibt sich somit ein faktischer Geltungsgrad von 63% für Westdeutschland und 51% für Ostdeutschland. Daß die Tarifgeltung für die Beschäftigten höher ausfällt als für die Betriebe, deutet darauf hin, daß die Tarifbindung positiv mit der Betriebsgröße korreliert, Tarifverträge ihre Domäne also vor allem in größeren Betrieben haben. Der hohe faktische Geltungsgrad von Tarifverträgen überrascht vor allem deswegen, weil der Netto-Organisationsgrad der Beschäftigten, also der Gewerkschaftsangehörigen, die nicht arbeitslos sind oder sich bereits im Ruhestand befinden, in Westdeutschland nur 21,2% und in Ostdeutschland lediglich 17,8% beträgt108. Bundesweit ist damit gerade ein Fünftel aller abhängig Beschäftigten im Besitz eines Gewerkschaftsausweises. Dies kommt von Gewerkschaftsseite freilich kaum zur Sprache. Worüber die Gewerkschaften Auskunft geben, ist der Brutto-Organisationsgrad109, der alle Ge105
Seit Mitte der 1990er Jahre hat vor allem die Bindungskraft von Flächentarifverträgen spürbar abgenommen. Waren in Westdeutschland im Jahr 1995 noch 72% der Beschäftigten bei einem an einem Flächentarifvertrag gebundenen Arbeitgeber tätig, waren es im Jahr 2005 nur noch 59%: Ein Rückgang von 13%. In Ostdeutschland ging die Flächentarifbindung bezogen auf die Beschäftigten von 56% im Jahr 1996 um 14 Prozentpunkte im Jahr 2005 zurück (was einem Rückgang von rund einem Viertel entspricht). Vgl. Kohaut/Schnabel, Tarifliche Öffnungsklauseln: Verbreitung, Inanspruchnahme und Bedeutung, S. 4. 106 Nach einer Untersuchung von Preis, Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, S. 62, lag der Gestaltungseinfluß tariflicher Arbeitsbedingungen in den Jahren 1988 und 1989 bei 90%. 107 Kohaut/Schnabel, Tarifliche Öffnungsklauseln: Verbreitung, Inanspruchnahme und Bedeutung, S. 3, mit Verweis auf das IAB-Betriebspanel 2005. 108 Biebeler/Lesch, Mitgliederstruktur der Gewerkschaften in Deutschland, in: IW-Trends, 33. Jahrgang, Heft 4/2006, S. 4 ff. 109 Vgl. Müller-Jentsch/Ittermann, Industrielle Beziehungen: Daten, Zeitreihen, Trends 1950–1999, S. 123 ff.
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werkschaftsmitglieder inklusive Studenten, Rentner und Arbeitslose ins Verhältnis zu den abhängig Beschäftigten setzt. Auch dieser lag am Jahresende 2005 bei nur 26%. Anders gewendet werden rund 80% aller Beschäftigten mangels Mitgliedschaft in der tarifschließenden Gewerkschaft nicht unmittelbar von der Bindungswirkung der geltenden Tarifverträge erfaßt. Den immensen gestaltenden Einfluß erhalten Tarifverträge erst durch die arbeitsvertragliche Vereinbarung von Bezugnahmeklauseln. Auch vor diesem Hintergrund verblüfft die These von einer Gleichschaltungswirkung der deutschen Tarifvertragspraxis110. Dennoch ist sie zutreffend. Die Dominanz tarifvertraglicher Arbeitsbedingungen liegt letztlich darin begründet, daß der Tarifvertrag in tarifgebundenen Arbeitsverhältnissen nicht abdingbar ist. Selbst bei nur einem Gewerkschaftsmitglied in der Belegschaft ließe sich eine Gleichstellung nur nach Maßgabe des Tarifvertrags erreichen. Ob eine Gleichstellung bei niedrigem Organisationsgrad sinnvoll ist, ist eine andere Frage, der in diesem Zusammenhang nicht weiter nachzugehen ist111. Bei dem derzeitigen Organisationsgrad von rund 20% halten tarifgebundene Unternehmen bisher jedenfalls überwiegend an der Gleichstellungspraxis fest. Die Entwicklungstendenz der letzten Jahre zeigt aber, daß sich der allgemein niedrige Organisationsgrad weiter reduzieren wird112. In der gewerkschaftlichen Planung werden Mitgliederverluste von drei Prozent pro Jahr antizipiert113. Ob sich dadurch eine Kehrtwende in der Bezugnahmepraxis einstellen wird, bleibt abzuwarten. 2. Zulässigkeit der Bezugnahme Gegen die arbeitsvertragliche Bezugnahme auf Tarifverträge bestehen keine grundsätzlichen Bedenken. Sie entspricht dem Grundsatz der Ver110
Möschel, BB 2003, 1951, 1951. Zur Systemteilung unten § 3 D, S. 169 ff. 112 Die Organisationsgrade weisen ebenso rückläufige Tendenz auf wie die Tarifbindung. Seit der Wiedervereinigung ist der Organisationsgrad von gut 36% auf zuletzt knapp 20% gesunken. Die Zahl der DGB-Gewerkschaftsmitglieder hat sich seit Beginn der neunziger Jahre bis Ende 2005 von 11,9 auf 6,8 Millionen verringert. Vgl. die Angaben bei Niedenhoff/Larmann, Gewerkschaften in Deutschland, IWDossier, Nr. 32; eine ähnliche Entwicklung zeigt auch ein internationaler Vergleich mit anderen Ländern. Ausführlich Lesch, Gewerkschaftlicher Organisationsgrad im internationalen Vergleich, in: IW-Trends, Heft 2/2004, S. 1 ff. 113 Etwa Frerichs/Pohl/Fichter/Gerster/Zeuner, Zukunft der Gewerkschaften, URL: http://www.boeckler.de/pdf/p_arbp_044.pdf, abgerufen am 9.5.2007: „Im Blick auf die Mitgliederentwicklung ‚tickt die Zeitbombe‘ “. 111
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tragsfreiheit114. Aus der gesetzlichen Begrenzung der normativen Tarifwirkung auf beiderseits tarifgebundene Arbeitsvertragsparteien folgt kein Verbot, Außenseiter nach den gleichen Maßstäben zu behandeln. Es war nicht die Intention des Gesetzgebers, die Weitergabe tariflicher Leistungen exklusiv auf die Mitglieder der tarifschließenden Verbände zu begrenzen115. Das TVG limitiert zwar die zwingende Wirkung der Tarifverträge auf tarifgebundene Arbeitsvertragsparteien, ein darüber hinaus gehender Schutz tariflicher Leistungen ist im TVG aber nicht angelegt116. Bestätigt wird die Zulässigkeit der Bezugnahme durch die gesetzlichen Zulassungsnormen und § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB, der ausdrücklich eine Transformation von Tarifnormen in das Einzelarbeitsverhältnis anordnet. 3. Gleichstellung als propagiertes Ziel Die Verweisung auf den einschlägigen Tarifvertrag ist das weitverbreitete Mittel, um zu einer einheitlichen Geltung tariflicher Arbeitsbedingungen zu gelangen117. Abgesehen von den nicht tarifgebundenen Arbeitgebern, die sich durch das Anhängen an tarifliche Arbeitsbedingungen Rechtssicherheit und einen Effizienzgewinn versprechen, weil es sich erübrigt, eigene Arbeitsbedingungen auszuhandeln, sind es vor allem tarifgebundene Arbeitgeber, die über Bezugnahmeklauseln die tarifrechtlich programmierte Zweiteilung in organisierte und nichtorganisierte Arbeitnehmer überwinden wollen118. Daneben spielen weitere Gesichtspunkte eine Rolle119: Unternehmen erwarten von der Verweisungspraxis einen Kostenvorteil durch einen begrenzten Verwaltungsaufwand, was bei EDV-gestützter Personalverwaltung freilich kaum ins Gewicht fällt120. Die ebenfalls genannte verbandspolitische Taktik, keinen Anreiz für einen verstärkten Gewerkschaftsbeitritt zu schaffen, ist zwar im Kern richtig, aber nur dann einschlägig, wenn Alternativ114 Nur Kempen/Zachert/Stein, TVG, § 3 Rn. 157; Wiedemann/Wiedemann, TVG, Einleitung Rn. 236. 115 Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, Tarifvertragsgesetz und Arbeitskampfrecht, § 3 Rn. 111. 116 Zur tarifvertraglichen Begrenzung der Bezugnahmefreiheit durch Differenzierungsklauseln § 2 B., S. 62 ff. 117 Allg. dazu Preis, Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, S. 391 ff. 118 Nur Wiedemann/Oetker, TVG, § 3 Rn. 265; Franzen, in: ErfK, § 3 TVG Rn. 29. 119 Siehe etwa die Darstellung bei Eich, NZA 2006, 1014, 1019 f. 120 Auf die Frage der notwendigen Erfassung der Gewerkschaftszugehörigkeit ausführlich unten § 7, S. 331 ff.
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konzepte zur Bezugnahme zu schlechteren Arbeitsbedingungen führen121. Auch die Notwendigkeit einer Ausarbeitung allgemeiner Arbeitsbedingungen für den nichtorganisierten Teil der Belegschaft stellt keinen so erheblichen Aufwand dar122. Zentrales Argument für die arbeitsvertragliche Verweisung bleibt die Gleichstellung123. Das muß die Bezugnahmeklausel dann aber auch leisten können. Außenseiter muß sie so stellen, als wären sie Mitglied der Gewerkschaft. Wenn eine Eins-zu-Eins-Gleichstellung nicht gelingt, wird jede Abweichung zum Problem. Dann muß die Frage nach der Verweisung auf den Tarifvertrag neu gestellt werden. In die Erwägung einzubeziehen sind dann die Grenzen, an die eine Gleichstellung stößt. Nur wenn diese überschaubar und gleichsam kontrollierbar sind, kann man eine Bezugnahme empfehlen. II. Grenzen der Gleichstellung durch Bezugnahmeklauseln 1. Individualvertraglicher Geltungsgrund Der herrschenden Meinung entspricht es, daß die Verweisung auf Tarifbedingungen keine normative Wirkung begründet124. Das gilt auch für die gesetzlich gestattete Bezugnahme, wie sie etwa in § 622 Abs. 4 Satz 2 BGB oder § 13 Abs. 1 Satz 2 BUrlG vorgesehen ist. Die von v. HoyningenHuene125 begründete Gegenauffassung, wonach der Gesetzgeber in diesen Fällen die normative Geltung des Tarifvertrags bestimmt habe, führt zu der nicht einleuchtenden Unterscheidung zwischen Bezugnahmevereinbarungen, die zufällig eine gesetzliche Zulassungsnorm ausnutzen, und solchen, durch die das nicht geschieht126. Der Charakter der Bezugnahme kann davon nicht abhängen. Die Bezugnahme führt stets dazu, daß die tariflichen Bestimmungen individualrechtlich als Inhalt des Arbeitsvertrages Geltung erlangen127. Die Be121 Zur rechtlichen Bewertung einer Anders- und Schlechterbehandlung von Außenseitern, § 6 D. I. 2. b), S. 272 f. 122 Ebenso kritisch Kempen/Zachert/Stein, TVG, § 3 Rn. 144. 123 Thüsing/Lambrich, RdA 2002, 193, 200 messen der Gleichstellung demgegenüber nur eine untergeordnete Bedeutung zu, was zwar andere Erwägungen in den Blick rückt, in dieser Diktion aber unzutreffend ist. Wie hier Willemsen/Klab/ Henssler, Arbeitsrecht Kommenatr, § 3 TVG Rn. 16. 124 Thüsing/Lambrich, RdA 2002, 193, 194 m. w. Nachw. 125 v. Hoyningen-Huene, RdA 1974, 138, 142 ff. 126 Wiedemann/Oetker, TVG, § 3 Rn. 284. 127 Vgl. nunmehr BAG vom 23.3.2005 – AZR 203/04 – AP Nr. 29 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz = EzA § 4 TVG Tarifkonkurrenz Nr. 18 = NZA 2005, 1003; Willemsen/Kalb/Henssler, Arbeitsrecht Kommentar, § 3 TVG Rn. 27; Kempen/
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zugnahme ist als inhaltliche Übernahme einer fremden Regelung zu verstehen. Die Qualität der Rechtswirkung folgt aus der bezugnehmenden Regelung selbst128. Allein der vertragliche Geltungseinbezug vermag die Verweisung auf ansonsten nicht einschlägige Tarifverträge zu erklären, wie es bei unwirksamen oder branchenfremden Tarifverträgen der Fall ist129. Hier könnte eine normative Unterwerfung von vornherein nicht wirken. Ausnahmslos gleichgestellt sind Nichtorganisierte bei bloß schuldrechtlicher Wirkung der Bezugnahme folglich nicht. Wird der Tarifvertrag lediglich zum schuldrechtlichen Inhalt des Arbeitsvertrages, kann die Bezugnahme nur arbeitsvertragliche Rechte schaffen. Weder gilt die Unabdingbarkeit tariflicher Rechte, noch sind die entstandenen Forderungen unverzichtbar130. Letzteres folgt schon daraus, daß sich die Unverzichtbarkeit akzessorisch zur Unabdingbarkeit verhält131. Im übrigen ist es wegen § 137 BGB unzulässig, einen Anspruch vertraglich unverzichtbar zu gestalten. Verzicht und Erlaß von Rechten aus arbeitsvertraglicher Bezugnahme stehen ebenso im Belieben des einzelnen Arbeitnehmers wie auch vertragliche Ausschlußfristen greifen können132. 2. Individualvertragliche Schranken Die rechtlichen Schranken und Kontrollinstrumente sind infolgedessen nicht die des Tarifvertragsrechts, sondern die des Vertragsrechts. Die arbeitsvertragliche Bezugnahme unterliegt der vollen Vertragskontrolle; seit Zachert/Stein, TVG, § 3 Rn. 153; Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rn. 243; Preis, Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, S. 401; Thüsing/Lambrich, RdA 2002, 193, 194; Wiedemann/Oetker, TVG, § 3 Rn. 285. 128 BAG vom 7.12.1977 – 4 AZR 474/76 – AP Nr. 8 zu § 4 TVG Nachwirkung = SAE 1979, 54 m. Anm. Mayer-Maly; Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rn. 241, 243; Franzen, in: ErfK, § 3 TVG Rn. 32, Wiedemann/Oetker, TVG, § 3 Rn. 285; Willemsen/Klab/Henssler, Arbeitsrecht Kommentar, § 3 TVG Rn. 27; Kempen/ Zachert, TVG, § 3 Rn. 68; Annuß, ZfA 2005, 405, 409; Gaul, ZTR 1993, 355, 356 f.; Thüsing/Lambrich, RdA 2002, 193, 194; a. A. Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, § 208 Rn. 17, der eine unmittelbare Geltung bejaht. 129 Vgl. etwa BAG vom 20.11.2001 – 1 AZR 12/01 – EzA § 77 BetrVG 1972 Nr. 79 = NZA 2002, 872. 130 Anders ist das, wenn in einer Betriebsvereinbarung auf den Tarifvertrag verwiesen wird. Unabdingbarkeit und Verzichtsschutz folgen dann aber allein aus § 77 Abs. 4 BetrVG. 131 Unrichtig daher Gamillscheg, Kollektives ArbeitsR, Bd. I, S. 735; Däubler/ Lorenz, TVG, § 3 Rn. 250; wie hier Kempen/Zachert/Stein, TVG, § 3 Rn. 157, § 4 Rn. 6. 132 BAG vom 5.11.1963 – 5 AZR 136/63 – AP Nr. 1 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; BAG vom 31.5.1990 – 8 AZR 132/89 – AP Nr. 13 zu § 13 BUrlG Unabdingbarkeit = EzA § 13 BUrlG Nr. 49.
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dem Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes133 insbesondere der AGB-Kontrolle. Auch auf der Rechtsfolgenseite läßt sich dadurch eine Eins-zu-Eins-Gleichstellung häufig nicht realisieren. a) Auslegung der Bezugnahmeklausel Schon die Vertragsauslegung gibt Grenzen vor. Ist die Gleichstellung von organisierten und nichtorganisierten Arbeitnehmern mit der Bezugnahme beabsichtigt, muß sich der Gleichstellungszweck im Text des Arbeitsvertrages niederschlagen134. Dies vor allem deswegen, weil mittels Verweisung jedes Geltungsdefizit der Tarifgeltung überwunden werden kann135. Soll die Bezugnahme nur die Gleichstellung von Nichtorganisierten mit Organisierten herbeiführen, muß das der Verweisungsklausel zu entnehmen sein. Problematisch ist dies, wenn es zu Änderungen bei der Tarifanwendung kommt. Als Verweisungsobjekte in Betracht kommen können dann verschiedene Tarifverträge oder unterschiedliche Fassungen derselben. Praktisch wird das, wenn sich der Arbeitgeber durch Verbandsaustritt oder den Wechsel in eine OT-Mitgliedschaft der Geltung künftiger Tarifentwicklungen entziehen will oder einzelne Betriebsteile an ein nicht tarifgebundenes Unternehmen ausgegliedert werden. Durch Auslegung ist in diesen Fällen zu ermitteln, welche Tarifregelung (noch) von der Bezugnahmeklausel erfaßt wird136. Dem Gleichstellungszweck dient umfassend die dynamische Verweisung, die auch für künftige Änderungen offen ist. Die sogenannte kleine dynamische Verweisung betrifft die reine Zeitkomponente. Die große dynamische Verweisung erfaßt dazu weitere Veränderungen wie Verbandsaustritt, Verbandswechsel, Betriebsübergänge oder das Herauswachsen aus dem Geltungsbereich des Tarifvertrags137. Entscheidend ist, daß nachträgliche Änderungen des in Bezug genommenen Tarifwerks von der Verweisungsklausel umfaßt werden. Andernfalls nimmt der nur arbeitsvertraglich bezugnehmende Teil der Belegschaft nicht an tariflichen Änderungen teil: es kommt dann zur Anwendung verschiedener Tarifwerke in der Beleg133
Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26.11.2001, BGBl. I, S. 3138 ff. 134 Thüsing/Lambrich, RdA 2002, 193, 198; Wiedemann/Oetker, TVG, § 3 Rn. 266, 308 ff.; Wiedemann, RdA 2007, 65, 66. 135 Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rn. 223. 136 Zur Auslegung von Bezugnahmeklauseln Annuß, ZfA 2005, 405, 415 ff.; Wiedemann/Oetker, TVG, § 3 Rn. 308 ff. 137 Zur Terminologie Hromadka/Maschmann/Wallner, Der Tarifwechsel, S. 75 ff.; Hanau/Kania, in: FS Schaub, S. 239 f.
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schaft138. Schon durch die Fassung der Bezugnahmeklausel kann folglich die Gleichstellung Nichtorganisierter gefährdet sein. b) Unklarheitenregel des § 305c BGB Der in Bezug genommene Tarifinhalt hat zwar am Kontrollprivileg des Tarifvertrags teil und unterliegt keiner weitergehenden Kontrolle als der Tarifvertrag selbst139. Wäre das anders, wären nichtorganisierte Arbeitnehmer von vornherein besser gestellt als normativ tarifgebundene Gewerkschaftsmitglieder. Nicht von der Inhaltskontrolle ausgenommen ist aber die Bezugnahmeklausel. Diese unterliegt insbesondere der AGB-Kontrolle. Die §§ 307 ff. BGB sind ohne weiteres anwendbar, da Bezugnahmevereinbarungen regelmäßig vorformuliert und vom Arbeitgeber vorgegeben sind140. Insbesondere Mehrdeutigkeiten bei formularmäßig gefaßten Regelungen gehen dann zu Lasten desjenigen, der sie hervorgerufen hat. Diese sogenannte Unklarheitenregelung ist allgemeiner Ausdruck des § 242 BGB. Sie war bereits anerkannt, bevor das AGB-Gesetz in Kraft getreten ist141. Schon das römische Recht kannte einen entsprechenden Auslegungsgrundsatz: ambiguitas contra stipulatorem. Seine gesetzliche Ausprägung hat er im Zuge der Schuldrechtsreform nun in § 305c Abs. 2 BGB gefunden. Wie jetzt auch von der Rechtsprechung anerkannt ist, führt die Anwendung der Unklarheitenregelung für die Auslegung von arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklauseln dazu, daß Unklarheiten nicht zu Lasten des Arbeitnehmers gehen können142. Das Gericht nimmt – entgegen seiner früheren Rechtsprechung, nach der im Zweifel von einer Gleichstellungsabrede auszugehen war – eine Gleichstellung nur noch an, wenn sich diese Rechtsfolge der Be138 Dieses Problem wird derzeit insbesondere bei der Ablösung des BAT durch den TVöD im öffentlichen Dienst virulent. Dazu einerseits Hümmerich/Mäßen, NZA 2005, 961, 965 f.; und andererseits Fieberg, NZA 2005, 1226, 1226 ff.; Werthebach, NZA 2005, 1224, 1224 ff. 139 Das setzt allerdings voraus, daß der – insbesondere nach seinem räumlichen, fachlichen und persönlichen Geltungsbereich – einschlägige Tarifvertrag global in Bezug genommen wird. Dazu Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rn. 264; a. A. aber Annuß, ZfA 2005, 405, 436 ff. Nicht erforderlich ist dagegen, daß auch der organisatorische Geltungsbereich einschlägig ist, vgl. Klebeck, SAE 2007, 271, 283 und unten § 2 B. II. 3., S. 69 f. 140 Nur Franzen, in: ErfK, § 3 TVG Rn. 30. 141 Etwa BAG vom 16.10.1991 – 5 AZR 35/91 – AP Nr. 1 zu § 19 BErzGG = EzA § 19 BErzGG Nr. 1 = NZA 1992, 793. 142 BAG vom 14.12.2005 – AZR 536/04 – AP Nr. 39 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag = EzA § 3 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 32 = NZA 2006, 607.
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zugnahmeklausel zweifelsfrei entnehmen läßt143. Diese, von Teilen der Literatur schon früher geforderte, Einschränkung der Bezugnahmereichweite wird überwiegend als Folge allgemeiner Auslegungsgrundsätze gesehen, die sich bei Bezugnahmeklauseln nicht ausblenden lassen144. Die Rechtsprechung will die Unklarheitenregel aus Gründen des Vertrauensschutzes allerdings nur anwenden, wenn der Arbeitsvertrag nach dem 31.12.2001 geschlossen wurde145. Für Arbeitsverträge, die vor diesem Stichtag begründet wurden, soll es bei der früheren Rechtsprechung bleiben146. Praktische Konsequenz der Anwendung der Unklarheitenregel ist, daß Auslegungszweifel bei dynamischen Verweisungen zu Lasten des Arbeitgebers gehen und nicht mehr auf die tarifrechtliche Lage bei unterstellter Tarifgebundenheit verwiesen wird147. Das führt dazu, daß der bisher in Bezug genommene Tarifvertrag für den nichtorganisierten Teil der Belegschaft weiter anzuwenden ist, während der organisierte Teil normativ an einen anderen oder an gar keinen Tarifvertrag gebunden ist148. c) Bestandsschutz Selbst wenn die Bezugnahmeklausel in ihrer Reichweite grundsätzlich an künftigen Änderungen teilnimmt und auch keine Mehrdeutigkeit in der Auslegung gegeben ist, die nach § 305c Abs. 2 BGB aufzulösen wäre, kann es dennoch aus Gründen des Bestandsschutzes zu einer von der normativen Tarifgeltung abweichenden Tarifanwendung kommen149. Denn bei Ver143 So jetzt BAG vom 18.4.2007 – 4 AZR 652/05 – AP Nr. 53 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag = NZA 2007, 965. 144 Annuß, ZfA 2005, 405, 426 f.; Thüsing/Lambrich, RdA 2002, 193, 201 f. 145 BAG vom 14.12.2005 – AZR 536/04 – AP Nr. 39 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag = EzA § 3 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 32 = NZA 2006, 607. 146 Dazu BAG vom 26.9.2001 – 4 AZR 544/00 – AP Nr. 21 zu § 1 TVG = EzA § 3 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 19 = NZA 2002, 634; BAG vom 16.10.2002 – 4 AZR 467/01 – AP Nr. 22 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag = EzA § 3 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 22 = NZA 2003, 390; BAG vom 27.11.2002 – 4 AZR 661/01 – AP Nr. 28 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag = NZA 2003, 1296. 147 Der Rechtsprechungsänderung zustimmend: Brecht-Heitzmann/Lewek, ZTR 2007, 127, 128; Buschmann, ArbuR 2006, 204 f.; Thüsing, NZA 2006, 473 f.; Sittard/Ulbrich, ZTR 2006, 458, 460; ablehnend hingegen: Giesen, NZA 2006, 625, 627; Löwisch/Feldmann, Anm. zu BAG vom 14.12.2005 – AZR 536/04 – EzA § 3 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 32 unter III; Meinel/Herms, DB 2006, 1429, 1430. 148 Etwa Bauer/Haußmann, DB 2005, 2815, 2815; Giesen, NZA 2006, 625, 628; Hümmerich/Mäßen, NZA 2005, 961, 965 f.; Klebeck, NZA 2006, 15, 17 ff. 149 Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rn. 268.
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schlechterungen des in Bezug genommenen Tarifwerkes sind die Grundsätze des Bestandsschutzes zu beachten. Werden etwa Arbeitszeit oder Entgelt massiv beschnitten, ist zu prüfen, ob die Verschlechterung mit den geschützten Interessen der bezugnehmenden Arbeitsvertragsparteien vereinbar ist. Kontrollgegenstand ist hier nicht die Verweisungsklausel, sondern der künftige Tarifinhalt150. Deswegen hat diese Grenze auch nichts mit dem Transparenzgebot zu tun. Sie geht zurück auf den Gedanken, daß Tarifentwicklungen, die schlechterdings nicht vorhersehbar waren, von den Vertragsparteien nicht in ihren Regelungswillen aufgenommen werden konnten151. In der Sache bleibt diese Korrektur zwar auf extreme Ausnahmefälle beschränkt. Einer generellen Besserstellung von nichtorganisierten Arbeitnehmern ist nicht zuzustimmen152. Dennoch sind Fälle denkbar, in denen Gewerkschaftsmitgliedern in der Konsequenz höhere Opfer abverlangt werden können, als der Arbeitgeber arbeitsvertraglich von den Nichtorganisierten zu fordern berechtigt ist153. 3. Keine ausnahmslose Gleichstellung Die aus dem unterschiedlichen Geltungsgrund resultierenden Abweichungen zwischen normativer und schuldrechtlicher Tarifgeltung machen deutlich, daß eine ausnahmslose Gleichstellung Organisierter und Nichtorganisierter nicht immer gelingen kann. Grundsätzlich läßt sich auch nichts dagegen einwenden, daß tariffreie Arbeitnehmer anders und zuweilen auch besser als normativ tarifgebundene Arbeitnehmer stehen. Dies folgt systemkonform aus den, auf die Bezugnahmeklausel anzuwendenden, vertragsrechtlichen Schranken. Die normative Tarifanwendung wird dadurch von vornherein nicht beeinträchtigt. Kort bezeichnet es als „Selbstverständlichkeit, daß ein nichtorganisierter Arbeitnehmer mit einem tarifgebundenen Arbeitgeber in seinem Arbeitsvertrag bes150
Ebenso differenziert Wiedemann/Oetker, TVG, § 3 Rn. 306. BVerfG vom 23.4.1986 – 2 BvR 487/80 – BVerfGE 73, 261, 272 f. = NJW 1987, 827; vgl. auch Ehmann/Lambrich, Anm. zu BAG vom 17.11.2000 – 1 AZR 175/00 – AP Nr. 14 zu § 77 BetrVG 1972 Tarifvorbehalt. 152 Zurückhaltend auch BAG vom 27.2.2002 – 9 AZR 543/00 – AP Nr. 162 zu § 4 TVG Ausschlußfristen = EzA § 138 BGB Nr. 30; offengelassen von BAG vom 30.5.2006 – 3 AZR 273/05 – NZA 2007, 472. 153 Wie hier Preis, Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, S. 402; Däubler/Lorenz, TVG, § 3 Rn. 219; Kempen/Zachert/Stein, TVG, § 3 Rn. 166; Löwisch, NZA 1985, 170, 171; Thüsing/Lambrich, NZA 2002, 1361, 1365 f.; ablehnend dagegen Gamillscheg, Kollektives ArbeitsR, Bd. I, S. 737; Wiedemann/Oetker, TVG, § 3 Rn. 307. 151
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sere Arbeitsbedingungen vereinbaren kann als sie der Tarifvertrag (. . .) vorsieht“154. Man wird einer gezielten Besserstellung zwar aufgrund der positiven Koalitionsfreiheit der Organisierten Grenzen ziehen müssen155. Die hier in Rede stehende Besserstellung ergibt sich aber aus vertragsimmanenten Schutzmechanismen, deren Anwendung nicht aus Gründen formaler Gleichmacherei beiseite geschoben werden kann. Im Ergebnis ist eine Besserstellung, die nicht gezielt herbeigeführt wird und sich aus der Anwendung gesetzlicher Vorschriften ergibt, hinzunehmen. Daß es in der Folge im Arbeitsverhältnis dazu kommen kann, daß Außenseiter besser stehen als Organisierte, folgt aus dem unterschiedlichen Geltungsgrund der Arbeitsbedingungen156. Im übrigen führt die von der Rechtsprechung angewandte Stichtagsregelung zu einer Differenzierung zwischen Arbeitsverträgen, die vor und solchen, die nach dem 1.1.2002 abgeschlossen wurden157. Ob der Vertrauensschutz eine solche Differenzierung deckt, ist fragwürdig. Immerhin wird dieser höher bewertet als der Verbraucherschutz. Die Praxis muß sich aber darauf einstellen, daß es nach dem vom BAG eingeschlagenen Weg innerhalb eines Betriebes trotz gleicher Klausel(!) auch unterschiedliche Arbeitsbedingungen in der Gruppe der nichtorganisierten Arbeitnehmer gibt158. III. Anpassungsmöglichkeiten Aufgrund dieser Diskrepanzen richtet sich der Blick vor allem auf die zur Verfügung stehenden vertragsrechtlichen Anpassungsmöglichkeiten. Immerhin lassen sich Bezugnahmeklauseln theoretisch so formulieren, daß sich die Rechtsfolgen von normativer und schuldrechtlicher Tarifgeltung entsprechen159. Selbst die beste Formulierung hilft aber nur, wenn sich bisher abweichende Klauseln für die Zukunft angleichen lassen. Damit gelangt man in den nächsten Problemkreis: jede uneinheitliche Änderung führt zu einer weiteren Aufspaltung in der Gruppe der nichtorgani154
Kort, Anm. zu BAG vom 23.3.2005 – AZR 203/04 – SAE 2006, 247, 250. Ausführlich dazu unten § 6 D. I. 1., S. 266 ff. 156 Vgl. auch Bepler, in: FS 25 Jahre Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht im DAV, S. 793, 796. 157 So jetzt BAG vom 18.4.2007 – 4 AZR 652/05 – AP Nr. 53 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag = NZA 2007, 965. 158 Zutreffend deshalb die Kritik von Brecht-Heitzmann/Lewek, ZTR 2007, 127, 127 ff.; vgl. auch Annuß, ZfA 2005, 405, 429 sowie Giesen, NZA 2006, 625, 628 f.; Löwisch/Feldmann, Anm. zu BAG vom 14.12.2005 – AZR 536/04 – EzA § 3 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 32 unter IV. 159 Siehe etwa die Formulierungsvorschläge bei Giesen, NZA 2006, 625, 629 ff.; Klebeck, NZA 2006, 15, 20 ff.; Sittard/Ulbrich, ZTR 2006, 458, 463 ff. 155
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sierten Arbeitnehmer. Die praktische Umsetzung ist in diesem Bereich überaus schwierig, insbesondere weil die Rechtsprechung eine einseitige Umstellung nur in Ausnahmefällen zuläßt. Neueingestellte Arbeitnehmer werden zwar durchgehend neue Bezugnahmeklauseln in ihren Arbeitsverträgen vereinbaren. Selbst das wird aber zum Problem, wenn keine einheitliche Änderung aller im Betrieb verwendeten Bezugnahmeklauseln möglich ist. 1. Irrtumsanfechtung Ob der Arbeitgeber sich durch Anfechtung einseitig von den unerwünschten Folgen von Bezugnahmeklauseln lösen kann, ist umstritten160. Bayreuther schlägt vor, dem Arbeitgeber ein Anfechtungsrecht nach § 119 Abs. 1 BGB zuzugestehen, weil dieser sich über eine unmittelbare Rechtsfolge seiner Willenserklärung irre161. Dem ist aber entgegenzuhalten, daß es sich bei der Gleichstellung von Organisierten und Nichtorganisierten lediglich um das Motiv der Bezugnahme handelt, und der Irrtum somit nur ein Motivirrtum ist, der im Rahmen des § 119 Abs. 1 BGB als unbeachtlich gilt162. Ein beachtlicher Inhaltsirrtum kann zwar vorliegen, wenn das Rechtsgeschäft nicht die erstrebten, sondern davon wesentlich abweichende Rechtsfolgen erzeugt163. Man spricht insofern von einem beachtlichen Rechtsfolgenirrtum164. Ein solcher ist beim Gleichstellungszweck der Bezugnahme aber nicht gegeben. Der Arbeitgeber erstrebt primär die Inbezugnahme des Tarifvertrags, um dessen Arbeitsbedingungen zum Inhalt des Arbeitsvertrags zu machen. Erst in der Folge soll dies zu einer Gleichstellung der Arbeitnehmer führen. Wird diese Wirkung nicht oder nicht vollumfänglich erreicht, tritt lediglich eine Nebenwirkung der abgegebenen Willenserklärung nicht wie erwünscht ein. Wenn aber ein rechtsirrtumsfrei erklärtes und gewolltes Rechtsgeschäft außer der mit seiner Vornahme erstrebten Rechtswirkung (der Geltungsverschaffung für den Tarifvertrag) noch andere, nicht erkannte und nicht gewollte Rechtswirkungen hervorbringt, liegt kein nach § 119 Abs. 1 BGB beachtlicher Inhaltsirrtum vor165. 160 In Betracht kommt eine ex nunc wirkende Teilanfechtung: Kramer, in: Münchener Kommentar zum BGB, § 119 Rn. 24 f. 161 Bayreuther, DB 2007, 166, 167. 162 Ebenso Giesen, NZA 2006, 625, 631; vgl. schon Herschel, BB 1963, 1220, 1222. 163 Grundl. RG vom 3.6.1916 – V 70/16 – RGZ 88, 278, 284; Palandt/Heinrichs, BGB, § 119 Rn. 15 m. w. Nachw. 164 Dazu Kramer, in: Münchener Kommentar zum BGB, § 119 Rn. 82 ff.; Staudinger/Singer, BGB, § 119 Rn. 67; Medicus, Bürgerliches Recht, Rn. 133; Köhler, BGB AT, S. 72 f. 165 Nur Staudinger/Singer, BGB, § 119 Rn. 67.
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Es erscheint auch fraglich, ob sich der Arbeitgeber im konkreten Fall überhaupt Gedanken über den zukünftigen Inhalt des Tarifs gemacht hat. Regelmäßig wird das nicht der Fall sein: immerhin hätte er zukünftige Entwicklungen ja in die Klausel aufnehmen können. Wer sich aber bei der Erklärung der Bezugnahme keine konkreten Gedanken über den Inhalt der Erklärung macht, kann auch keine vom Erklärungsinhalt abweichende Vorstellungen gehabt haben, und damit naturgemäß nicht irren166. Selbst wenn man einen Irrtum über unmittelbare Rechtsfolgen der Willenserklärung anerkennen wollte, wäre die Anfechtungsfrist des § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB regelmäßig abgelaufen167. Der Arbeitgeber müßte ab Kenntnis des Irrtums beim ersten Anspruchsteller gegenüber allen betreffenden Arbeitnehmern die Anfechtung erklärt haben. 2. Störung der Geschäftsgrundlage Zu denken ist des weiteren an eine Störung der Geschäftsgrundlage im Sinne von § 313 Abs. 1, 2 BGB. Grundsätzlich kann auch eine Änderung der Rechtsprechung eine Störung der Geschäftsgrundlage darstellen168. Thüsing und Lambrich schlagen deshalb vor, das Problem der dauernden dynamischen Teilhabe am bisher in Bezug genommenen Tarifvertrag seitens der Nichtorganisierten über die Grundsätze der Störung der Geschäftsgrundlage zu lösen169. Dem steht aber entgegen, daß dieses Rechtsinstitut der Störung der Geschäftsgrundlage nur subsidiär anwendbar ist und von vertragsimmanenten Lösungsinstrumenten verdrängt wird170. Da im Arbeitsrecht die Möglichkeit der Änderungskündigung anerkannt ist, hat diese Vorrang vor jeder Vertragsanpassung wegen Störung der Geschäftsgrundlage171. Das setzt auch nicht voraus, daß eine Änderungskündigung tatsächlich durchgeht, es genügt schon die Möglichkeit. Andernfalls würden dieselben Rechtsfolgen unter erleichterten Voraussetzungen erreicht werden, was wegen der Sperrwirkung des Kündigungstatbestandes nicht zulässig ist.
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Säcker, Gruppenautonomie, S. 190; Seibert, NZA 1985, 730, 731. Sittard/Ulbrich, ZTR 2006, 458, 463; a. A. Bayreuther, DB 2007, 166, 167. 168 BGH vom 2.5.1972 – VI ZR 47/71 – BGHZ 58, 356, 362 f. = NJW 1972, 1577; Jauernig/Stadler, § 313 Rn. 19; Palandt/Grüneberg, BGB, § 313 Rn. 34. 169 Thüsing/Lambrich, RdA 2002, 193, 205 ff. 170 Looschelders, Schuldrecht AT, Rn. 773; Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht, Rn. 406; Roth, in: Münchener Kommentar zum BGB, § 313 Rn. 143. 171 Ebenso Bayreuther, DB 2007, 166, 167; Giesen, NZA 2006, 625, 631; Möller, NZA 2006, 579, 583. 167
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3. Änderungskündigung Es bleibt die Möglichkeit einer Änderungskündigung. Dafür muß sich der Arbeitgeber aber – jedenfalls im Anwendungsbereich des KSchG – auf eine soziale Rechtfertigung stützen können. Hierfür reicht das Interesse an einer Vereinheitlichung der Arbeitsbedingungen allerdings nicht aus172. Änderungskündigungen zur Herstellung von Lohngleichheit werden generell für unzulässig gehalten173. Der angestrebte Erfolg der Entdynamisierung führt gewöhnlich zu einer Verkürzung des bisher vertraglich vereinbarten Leistungsniveaus. Abgesehen von seltenen Tariflohnsenkungen führt die Teilhabe an der Tarifentwicklung in der Regel zu einer Leistungssteigerung. Bezugspunkt ist auch nicht der konkrete Saldo zum Zeitpunkt der Änderungskündigung, der ja erhalten bliebe, sondern der vertragsrechtliche status quo, inklusive der Chance auf künftige Verbesserungen der tariflichen Arbeitsbedingungen174. Änderungskündigungen aber, die zur Kürzung des bisher zugesagten Leistungsniveaus führen, sind nach ständiger Rechtsprechung nicht ohne weiteres sozial gerechtfertigt175. Sie werden nur zugelassen, wenn nicht mehr auffangbare Verluste entstehen, die absehbar zu einer Reduzierung der Belegschaft oder zu einer Schließung des Betriebs führen176. Dies wird allein durch eine fortgesetzte Teilhabe der Nichtorganisierten an bisher geltenden Tarifinhalten kaum jemals erfüllt sein. In Betrieben, in denen das Kündigungsschutzgesetz Anwendung findet, ist deshalb auch die Änderungskündigung kein praktikabler Weg, der zu einer Vereinheitlichung der Arbeitsbedingungen führt177. 172
Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rn. 315; Wiedemann/Oetker, TVG, § 3 Rn. 313. BAG vom 16.5.2002 – 2 AZR 292/01 – AP Nr. 69 zu § 2 KSchG 1969 = EzA § 2 KSchG Nr. 46 = NZA 2003, 147; BAG vom 25.10.2001 – 2 AZR 216/00 – EzA § 626 BGB Änderungskündigung Nr. 2 = NZA 2002, 1000; für den spiegelbildlichen Fall des „Hineinkündigens“ einer Bezugnahmeklausel BAG vom 12.1.2006 – 2 AZR 126/05 – AP Nr. 82 zu § 2 KSchG 1969 = EzA § 2 KSchG Nr. 56 = NZA 2006, 587. 174 Bayreuther, DB 2007, 166, 167; großzügiger Giesen, NZA 2006, 625, 632. 175 BAG vom 16.5.2002 – 2 AZR 292/01 – AP Nr. 69 zu § 2 KSchG 1969 = EzA § 2 KSchG Nr. 46 = NZA 2003, 147; BAG vom 20.1.2000 – 2 ABR 40/99 – AP Nr. 109 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung = EzA § 15 KSchG nF Nr. 49 = NZA 2000, 592; BAG vom 20.8.1998 – 2 AZR 84/98 – AP Nr. 50 zu § 2 KSchG 1969 = EzA § 2 KSchG Nr. 31 = NZA 1999, 255. 176 BAG vom 16.5.2002 – 2 AZR 292/01 – AP Nr. 69 zu § 2 KSchG 1969 = EzA § 2 KSchG Nr. 46 = NZA 2003, 147; BAG vom 11.10.1989 – 2 AZR 61/89 – AP Nr. 47 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung = EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 64 = NZA 1990, 607; BAG vom 20.3.1986 – 2 AZR 294/85 – AP Nr. 14 zu § 2 KSchG 1969 = EzA § 2 KSchG Nr. 6 = NZA 1986, 824. 173
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4. Vertragsrechtliche Entdynamisierung In der Literatur wird darüber hinaus ein vertragliches Entdynamisierungsrecht gefordert. Danach müsse bei Änderung wesentlicher Umstände im Wege ergänzender Vertragsauslegung die Möglichkeit bestehen, die Dynamik einer Bezugnahmeklausel zu begrenzen178. Diese Überlegung geht zurück auf das Problem der dauernden dynamischen Tarifbindung beim nichtorganisierten Arbeitgeber. Eine Gleichstellung ist hier nicht erforderlich, weil der Tarifvertrag ohnehin nur durch vertragliche Bezugnahme zum Inhalt der Arbeitsverhältnisse wird. Hier kommt es nur auf die Auslegung der Bezugnahmeklausel an, die in allen Arbeitsverhältnissen zur Tarifanwendung führt. Das teilweise auch als Quasi-Austrittsrecht des tarifungebundenen Arbeitgebers konstruierte Entdynamisierungsrecht179 fußt darauf, daß die Bezugnahme das fehlende Tarifrecht ersetzen soll, bei dem der Arbeitgeber aber das Recht hat, sich unliebsamen Tarifentwicklungen durch Austritt nach Maßgabe der §§ 3 Abs. 3, 4 Abs. 5 TVG zu entziehen, und die Arbeitnehmer regelmäßig nicht davon ausgehen können, daß ihnen eine weitere Tarifgeltung als die gesetzliche gewährt werden soll. Eben dieses Austrittsrecht ist es, das durch die Abkehr von der Gleichstellungsabrede nun auch beim organisierten Arbeitgeber leerzulaufen droht. Unabhängig davon, ob auch dem nicht tarifgebundenen Arbeitgeber eine solches Recht zuzugestehen ist180, fordert es beim tarifgebundenen Arbeitgeber Art. 9 Abs. 3 GG. Wegen der negativen Koalitionsfreiheit müssen ursprünglich tarifgebundene Arbeitgeber mit einem Verbandsaustritt nach Ablauf der Nachbindung die Dynamik beenden können. Der tarifgebundene Arbeitgeber hat sich dieses Rechtes nicht vertraglich begeben. Vielmehr durfte er mit Blick auf die langjährige Rechtsprechung des BAG davon ausgehen, daß die Bezugnahmedynamik im Einklang mit der gesetzlichen Tarifgeltung enden würde. Wenn auch alles für die Anerkennung eines Entdynamisierungsrechts spricht, dürfte es aber letztlich mit der neuen Rechtsprechung des BAG zur Auslegung von Bezugnahmeklauseln nicht zu vereinbaren sein. Will das BAG Bezugnahmeklauseln dynamisch weiter gelten lassen, wenn sich daraus kein Gleichstellungszweck entnehmen läßt, ist nicht anzunehmen, daß 177 Ebenso Klebeck, NZA 2006, 15, 21; Hümmerich/Mäßen, NZA 2005, 961, 966; Möller, NZA 2006, 579, 583; Sittard/Ulbrich, ZTR 2006, 458, 463; a. A. Giesen, NZA 2006, 625, 632; Bayreuther, DB 2007, 166, 167 f. 178 Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rn. 315 ff.; Franzen, in: ErfK, § 3 TVG Rn. 43. 179 So Reichel, NZA 2003, 832, 833; ders., Die arbeitsvertragliche Bezugnahme auf den Tarifvertrag, S. 86 ff. 180 Dafür Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rn. 316; Franzen, in: ErfK, § 3 TVG Rn. 43; dagegen Thüsing, NZA 2003, 1184, 1186.
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in die Klausel ein Entdynamisierungsrecht hineingelesen werden könnte, was im Ergebnis nichts anderes wäre als die Gleichstellungsabrede181. IV. Bezugnahme bei beiderseitiger Tarifbindung als Lösung? Da die zivilrechtlichen Vertragslösungsinstrumente einer Gleichstellung aus Sicht der schuldrechtlich Tarifgebundenen nicht herbeiführen können, bleibt nur noch der Weg, eine Anpassung im Hinblick auf die normative Tarifgeltung vorzunehmen. Und in der Tat stünden die vertraglichen Schranken einer Gleichstellung dann nicht im Weg, wenn durch die Vereinbarung von Bezugnahmeklauseln mit organisierten Arbeitnehmern dieselben Schranken zu identischen Rechtsfolgen führen würden. Zu fragen ist deshalb, welche Funktion der Bezugnahmeklausel in normativ tarifgebundenen Arbeitsverhältnissen zukommt. Beschränkte die Bezugnahmeklausel ihre Wirkung nicht auf die, in der Sekunde des Arbeitsvertragsschlusses, nichtorganisierten Arbeitnehmer, sondern schriebe sie die Tarifanwendung gleichsam auch für die organisierten Arbeitnehmer fest, könnte dadurch der Gleichstellungszweck erreicht werden. Nach einer in der Literatur vertretenen Ansicht müsse die Bezugnahmeklausel so verstanden werden, daß sie stets die Mitgliedschaft beider Seiten ersetze, also den jeweils einschlägigen Tarifvertrag unabhängig von jedweder mitgliedschaftlichen Legitimation zur Geltung bringe182. Auf Hanau geht dabei der Ansatz zurück, daß tarifgebundenen Arbeitnehmern im Wege des Günstigkeitsprinzips nur die besseren Arbeitsbedingungen des in Bezug genommenen Tarifvertrags gewährt werden sollen183. Auch das BAG nimmt eine konstitutive Wirkung und nicht nur einen Hinweis auf den ohnehin kraft Gesetzes geltenden Tarifvertrag an184. Im Ergebnis bestehen danach zwei Geltungsgründe nebeneinander. Nach der aufgegebenen Auslegungsregel der Gleichstellungsabrede bliebe die Unterscheidung zwischen deklaratorischer und konstitutiver Wirkung der Bezugnahmeabrede in tarifgebunden Arbeitsverhältnissen allerdings noch ohne 181 Wiedemann/Oetker, TVG, § 3 Rn. 313: „Für ein . . . Recht des Arbeitgebers zur Entdynamisierung dürften regelmäßig die notwendigen tatsächlichen Anhaltspunkte fehlen.“ 182 Annuß, ZfA 2005, 405, 430; Thüsing/Lambrich, RdA 2002, 193, 201 f. m. w. Nachw. 183 Hanau, NZA 2005, 489, 491. 184 BAG vom 19.3.2003 – 4 AZR 331/02 – AP Nr. 33 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag = EzA § 3 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 27 = NZA 2003, 1207; BAG vom 15.3.1991 – 2 AZR 582/90 – AP Nr. 28 zu § 2 KSchG 1969 = EzA § 2 KSchG Nr. 16 = NZA 1992, 120.
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praktische Auswirkung. Die konstitutive Wirkung gründete gleichsam auf dem Verständnis der Bezugnahmeklausel als Gleichstellungsabrede185. Andererseits wird vertreten, daß der Verweisungsklausel gegenüber den organisierten Arbeitnehmern nur deklaratorische Bedeutung zukommen könne, die Vertragsbestimmung also nur klar stelle, was kraft Tarifgebundenheit ohnehin gilt186. Nach diesem Ansatz würde die Tarifdynamik in normativ tarifgebundenen Arbeitsverhältnissen anders als bei Außenseitern mit der Tarifbindung enden. Eine Gleichstellung durch einheitliche Bezugnahmevereinbarung mit den Organisierten wäre nicht möglich. Wenn auch dem Gleichstellungszweck damit nicht gedient wird, darf eines nicht übersehen werden: bliebe es bei der konstitutiven Wirkung der Bezugnahme, stünden tarifgebundene Arbeitnehmer anders als sie nach Tarifrecht stehen würden. Das wiederum läßt sich mit dem geltenden Tarifvertragsrecht nicht in Einklang bringen. Der normativ geltende Tarifvertrag muß sich kraft seiner zwingenden Wirkung durchsetzen187. Dagegen läßt sich nicht das Argument anführen, daß es für den einzelnen Arbeitnehmer nicht erkennbar sei, ob der Arbeitgeber tarifgebunden ist. Die der Bezugnahme als Leitbild zugrunde liegende Tarifgeltung ist von vornherein mit der Unsicherheit verbunden, ob der Vertragspartner tarifgebunden ist. Ein Vertrauen darauf, daß mit der Bezugnahme die Gleichstellung erreicht werden soll, läßt sich unter Geltung der neuen Rechtsprechung nicht mehr begründen188, da dies einen Anhalt in der Klausel erforderte. Läßt sich die Klausel nicht als Gleichstellungsabrede auslegen, kann ihr in tarifgebundenen Arbeitsverhältnissen keine konstitutive Wirkung beigemessen werden189. Letzten Endes darf die Bezugnahme in tarifgebundenen Arbeitsverhältnissen zu keiner Perpetuierung der Tarifgeltung führen, die sich abkoppelt von der mitgliedschaftlichen Tarifgeltung. Das hätte zur Folge, daß die zwingende und unmittelbare Geltung des Tarifvertrags in nicht zu rechtfertigender Weise verdrängt würde. Nicht nur der durch den Austritt vermittelte Mandatsentzug und die Abkehr vom kollektiven Regelungssystem würden unmöglich gemacht. Auch der Zuwendung zu einer anderen Koalition stünde die Bezugnahmeklausel auf Dauer im Wege. Das Legitimationsmo185 BAG vom 21.8.2002 – 4 AZR 263/01 – AP Nr. 21 zu § 157 BGB = EzA § 3 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 21 = NZA 2003, 442; BAG vom 26.9.2001 – 4 AZR 544/00 – AP Nr. 21 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag = EzA § 3 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 19 = NZA 2002, 634. 186 Bauer/Haußmann, DB 2003, 610, 611; Möller, NZA 2006, 579, 582. 187 Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rn. 282. 188 So noch Seitz/Werner, NZA 2000, 1257, 1260. 189 Vgl. Giesen, NZA 2006, 625, 628, der vorschlägt, die Klausel als „Gleichstellungsvereinbarung“ im Sinne einer Gleichstellung mit dem gesetzlich geltenden Tarifrecht auszulegen.
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dell des Tarifrechts würde faktisch beseitigt190. Jeglicher Ausrichtung der Tarifpolitik am Mitgliederwillen stünde kein Anpassungsdruck mehr gegenüber, könnten sich die Mitglieder der einmal begründeten Tarifgeltung nicht mehr entziehen.
E. Ergebnis Der tarifgebundene Arbeitgeber hat zwei Teilbelegschaften: die organisierten und die nichtorganisierten Arbeitnehmer. Abgesehen von eng begrenzten Ausnahmen, die nur auf einer staatlichen Geltungserstreckung beruhen können, gelten tarifliche Arbeitsbedingungen nur für die organisierten Arbeitnehmer. Die tarifrechtliche Zweiteilung wird in der Praxis zwar überspielt, weil dem Tarifvertrag in tariffreien Arbeitsverhältnissen schuldrechtlich zur Geltung verholfen wird. Das führt aber nicht immer zu einer Einszu-Eins-Gleichstellung: nicht nur im Geltungsgrund, sondern auch hinsichtlich der Rechtsfolgen lassen sich Unterschiede zwischen normativer und schuldrechtlicher Tarifgeltung nicht gänzlich überwinden. Unsauber formulierte Bezugnahmeklauseln, die Anwendung der Unklarheitenregelung und nicht zuletzt die stumpfen vertragsrechtlichen Beendigungsinstrumente führen dazu, daß trotz des verfolgten Gleichstellungszwecks mehrere Teilbelegschaften bestehen können. Die Bezugnahmepraxis kann sogar ihrerseits zu einer Aufspaltung der Arbeitsbedingungen unter den nichtorganisierten Arbeitnehmern führen, was die Rechtsprechung in Kauf nimmt, wie die vom Vierten Senat angewandte Stichtagsregelung zeigt. Die jüngeren Entwicklungen im Recht der arbeitsvertraglichen Bezugnahme haben die Handhabe dieses Instituts teils erheblich erschwert und geben Anlaß zu einer Neubewertung, ob sich zukünftig eine Bezugnahme noch lohnt. Das Hauptargument dafür ist die Gleichstellung von nichtorganisierten Arbeitnehmern. Erweist sich die Erwartung, „die Bezugnahme führe zu einheitlichen Arbeitsbedingungen im Betrieb unabhängig von der Tarifgebundenheit“191, aber als Fehlschluß, sollte über alternative Regelungsmodelle zur überkommenen Gleichstellungspraxis nachgedacht werden192.
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Klebeck, NZA 2006, 15, 19; Löwisch/Feldmann, Anm. zu BAG vom 14.12.2005 – AZR 536/04 – EzA § 3 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 32 unter III. 191 Etwa Willemsen/Kalb/Henssler, Arbeitsrecht Kommentar, § 3 TVG Rn. 16. 192 Ausführlich § 3 D., S. 169 ff.; zur tarifunabhängigen Arbeitsvertragsgestaltung mit Außenseitern § 6, S. 257 ff.
§ 2 Belegschaftsteilung im gewerkschaftlichen Organisationsinteresse Ein Interesse an der tarifrechtlich programmierten Belegschaftsteilung haben die Gewerkschaften: Nur, wenn von den Vorteilen des Tarifvertrags lediglich diejenigen partizipieren, die sich zusammengeschlossen haben, ist eine Koalitionsmitgliedschaft hinreichend interessant. Deshalb versuchen Gewerkschaften, die Zweiteilung der Belegschaft in organisierte und nichtorganisierte Arbeitnehmer zumindest teilweise zu sichern, wozu vor allem tarifvertragliche Differenzierungsklauseln dienen sollen.
A. Organisationspolitisches Interesse der Gewerkschaften Sinkende Mitgliederzahlen und der niedrige Organisationsgrad in den Betrieben stellen Mächtigkeit, Verhandlungsstärke und Kampfkraft in zunehmendem Maß in Frage. Obwohl die tariflichen Erfolge unmittelbar und zwingend nur den Mitgliedern zustehen, profitieren mittelbar rund 80% der Arbeitnehmer über schuldrechtliche Verweisungsklauseln von den ausgehandelten Tarifverträgen1. Der Außenseiter kommt kostenlos ebenso in den Genuß tariflicher Leistungen wie organisierte Arbeitnehmer und wird dadurch zum organisationspolitischen Problem2. Die Verbandsmitgliedschaft läßt sich kaum mehr schmackhaft machen3. Bei den wirtschaftlich kalkulierenden Arbeitnehmern wiegt der Mitgliedsbeitrag die Vorteile der Mitgliedschaft häufig nicht auf4. Da liegt es nahe, die Tarifpolitik in den Dienst der organisationspolitischen Bemühungen zu nehmen und den eigentlichen Vorteil – den Anspruch auf tarifvertragliche Leistungen – zumindest teilweise auf organisierte Arbeitnehmer zu beschränken, um dadurch einen Anreiz für die Mit1
Vgl. oben § 1 D. I. 1., S. 43. Seitenzahl/Zachert/Pütz, Vorteilsregelungen für Gewerkschaftsmitglieder, S. 84. 3 Leventis, Tarifliche Differenzierungsklauseln, S. 15; Zachert, in: Bispinck (Hrsg.), Tarifpolitik der Zukunft, S. 194; Biedenkopf, Gutachten zum 46. Deutschen Juristentag Bd. I, S. 116. 4 Da die DGB-Gewerkschaften ein Prozent des Bruttolohns als Gewerkschaftsbeitrag verlangen, handelt es sich um durchaus relevante finanzielle Dimensionen. Vgl. Wendeling-Schröder, in: FS Wissmann, S. 174, 177. 2
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§ 2 Belegschaftsteilung im gewerkschaftlichen Organisationsinteresse
gliedschaft zu setzen5. Mit derartigen Vorteilsregelungen verbinden die Gewerkschaften mehrere Ziele: zum einen soll das „Schmarotzertum“ sanktioniert werden6. Gewerkschaftsmitglieder könnten von den Nichtorganisierten billigerweise einen Ausgleich verlangen, da sie Früchte genießen, zu deren Errungenschaft sie nicht beigetragen haben7. Zum anderen wird ein gesellschaftlicher Erziehungseffekt erwartet, wenn Nichtorganisierten vor Augen geführt werde, daß nur die Mitgliedschaft zur Vollberechtigung hinsichtlich tariflicher Leistungen führe8. Im Vordergrund steht freilich der Werbeeffekt9: Gewerkschaften, denen die Vereinbarung von Sondervorteilen für ihre Mitglieder gelungen ist, berichten von Mitgliederzuwächsen um mehr als 40%10. Schon früh wurde darauf hingewiesen, „daß ohne eine solche Differenzierung und die von ihr erwartete werbende Wirkung die Koalitionen nicht imstande sein werden, diejenige Handlungs- und Leistungsfähigkeit zu erlangen, deren sie für die Bewältigung ihrer Aufgaben bedürfen“11.
B. Tarifvertragliche Differenzierung zwischen organisierten und nichtorganisierten Arbeitnehmern I. Begriffsbestimmung Die Inpflichtnahme des Tarifvertrags mit dem Ziel der Vereinbarung von Sondervorteilen für Verbandsangehörige erfolgt stets aufgrund einer Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit. Im folgenden werden derartige Regelungen deshalb mit dem Oberbegriff Differenzierungsklausel bezeichnet12. 5
Wendeling-Schröder, in: FS Richardi, S. 801, 805 f. Kempen/Zachert, TVG, § 3 Rn. 239. 7 Georgi, Zulässigkeit von Differenzierungs- und Tarifausschlußklauseln, S. 2. 8 Seitenzahl/Zachert/Pütz, Vorteilsregelungen für Gewerkschaftsmitglieder, S. 82. 9 Zöllner, Tarifvertragliche Differenzierungsklauseln, S. 17 f.; Gamillscheg, Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit, S. 7 ff.; Zachert, in: Bispinck (Hrsg.), Tarifpolitik der Zukunft, S. 194. 10 Vgl. Seitenzahl/Zachert/Pütz, Vorteilsregelungen für Gewerkschaftsmitglieder, S. 83. 11 Krüger, Verhandlungen des 46. Deutschen Juristentages, Bd. I, Teil 1, S. 87. 12 Die Terminologie in der Literatur und Rechtsprechung ist nicht einheitlich. Vgl. Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 31; Däubler, BB 2002, 1643, 1643; siehe auch Wiedemann/Wiedemann, TVG, Einl. Rn. 273, der den Begriff der Organisationsklausel als Oberbegriff verwendet. 6
B. Tarifvertragliche Differenzierung zwischen Arbeitnehmern
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1. Deklaratorische Empfehlung Abzugrenzen sind Differenzierungsklauseln von der bloß deklaratorischen Empfehlung an das normative Geltungserfordernis des Tarifvertrags. Dadurch wird lediglich die im TVG angelegte Unterscheidung zwischen organisierten und nichtorganisierten Arbeitnehmern bekräftigt13. Da es sich insofern um eine Belehrung über den ohnehin bestehenden Rechtszustand handelt, liegt darin keine unzulässige Rechtsgestaltung. Ob die Tarifparteien einer Regelung deklaratorischen Charakter beigemessen haben, ist durch Auslegung zu ermitteln. Ein entscheidendes Indiz ist der Bezugspunkt der Regelung. Soll das gesamte Tarifwerk nur für Gewerkschaftsmitglieder gelten, spricht das regelmäßig für einen deklaratorischen Hinweis, da pauschal auf die bestehende Gesetzeslage verwiesen wird14. Soll die Geltung im Hinblick auf eine bestimmte Leistung auf Verbandsmitglieder begrenzt sein, spricht das eher für eine konstitutive Wirkung15. Daneben gibt die gewählte Regelungstechnik Aufschluß über die Rechtswirkung. Wird bei Annahme einer konstitutiven Wirkung offenkundig die Tarifmacht überschritten, werden entsprechende Klauseln allgemein als deklaratorisch angesehen16. Da im normativen Teil eines Tarifvertrags grundsätzlich nur Arbeitsverhältnisse von verbandsangehörigen Arbeitnehmern gestaltet werden können17, sind Bestimmungen, die normativ Einfluß auf Außenseiterarbeitsverhältnisse nehmen, als nicht obligatorisch anzusehen. 2. Einfache Differenzierungsklauseln Kommt der tariflichen Regelung konstitutive Wirkung zu, handelt es sich um eine Differenzierungsklausel. Als einfache Differenzierungsklauseln werden dabei Regelungen bezeichnet, die eine bestimmte tarifvertragliche Leistung tatbestandlich an die Gewerkschaftsmitgliedschaft knüpfen18. Hier gibt es zwei Spielarten: zum einen die generelle Anknüpfung an irgendeine 13 Gamillscheg, Kollektives ArbeitsR, Bd. I, S. 355; Däubler, BB 2002, 1643, 1643; Zachert, DB 1995, 322, 322. 14 Vgl. BAG vom 23.3.2005 – AZR 203/04 AP Nr. 29 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz = EzA § 4 TVG Tarifkonkurrenz Nr. 18 = NZA 2005, 1003. 15 Vgl. BAG vom 9.5.2007 – 4 AZR 275/06 – ArbuR 2007, 210 = ArbeitsRB 2007, 161. 16 Zöllner, Tarifvertragliche Differenzierungsklauseln, S. 16. 17 Dazu oben § 1 B. III., S. 33 ff. 18 Zur Begriffsbestimmung Zöllner, Tarifvertragliche Differenzierungsklauseln, S. 15; Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille, S. 204; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 32.
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§ 2 Belegschaftsteilung im gewerkschaftlichen Organisationsinteresse
Gewerkschaftszugehörigkeit (allgemeine Differenzierungsklausel) und andererseits die Anknüpfung an die Mitgliedschaft in der tarifschließenden Gewerkschaft (beschränkte Differenzierungsklausel)19. Einfache Differenzierungsklauseln müssen nicht pauschal an den Status der Verbandszugehörigkeit anknüpfen, sie können auch einzelne, damit verbundene Merkmale aufgreifen. So ist es möglich, daß eine bestimmte tarifliche Leistung, etwa eine Sonderbeilhilfe, gestaffelt nach der Dauer der Gewerkschaftsmitgliedschaft gewährt wird20. Hierher gehören ferner besondere tarifliche Leistungen für gewerkschaftliche Vertrauensleute oder Mitglieder von Tarifvertragskommissionen21. Charakteristisch für einfache Differenzierungsklauseln ist, daß sie die konkrete Vorteilsregelung zwar positiv auf Verbandsangehörige beschränken, einer einzelvertraglichen Geltungserstreckung auf Außenseiter aber nicht im Weg stehen. Ist die Sonderleistung nur an den Status der Mitgliedschaft gekoppelt, reicht die einfache Bezugnahme aus. Sind spezielle, mit der Mitgliedschaft verbundene, Merkmale Anspruchsvoraussetzung, bedarf es einer entsprechenden arbeitsvertraglichen Vereinbarung. 3. Qualifizierte Differenzierungsklauseln Qualifizierte Differenzierungsklauseln sind Klauseln, mittels derer tarifliche Leistungen exklusiv auf organisierte Arbeitnehmer begrenzt und Außenseiter von der Vorteilsregelung ausgeschlossen werden22. Durch sie werden Vorteile ausbedungen, die für Außenseiter nicht erreichbar sind. Dies kann auf unterschiedliche Weise erfolgen: in der Praxis wird entweder die normative Wirkung des Tarifvertrags genutzt oder es wird versucht, die Exklusivität der Vorteilsregelung durch eine schuldrechtliche Verpflichtung des Arbeitgebers bzw. des tarifschließenden Arbeitgeberverbandes sicherzustellen. Im Gegensatz zu einfachen Differenzierungsklauseln schreiben qualifizierte die Ungleichbehandlung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit ver19 Gamillscheg, Kollektives ArbeitsR, Bd. I, S. 360; Wiedemann/Wiedemann, TVG, Einleitung Rn. 275. 20 Vgl. den Tarifvertrag über besondere Alters- und Invalidenbeihilfen im Baugewerbe vom 10.8.1962, abgedruckt bei Bötticher, Die gemeinsamen Einrichtungen der Tarifvertragsparteien, S. 174 ff. 21 Dazu Franzen, in: ErfK, § 1 TVG Rn. 66; Löwisch/Rieble, TVG, § 1 Rn. 852 f.; Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 9 Rn. 234; Seitenzahl/Zachert/Pütz, Vorteilsregelungen für Gewerkschaftsmitglieder, S. 56 ff. 22 Zöllner, Tarifvertragliche Differenzierungsklauseln, S. 15; Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille, S. 204; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 32; Zachert, DB 1995, 322, 323.
B. Tarifvertragliche Differenzierung zwischen Arbeitnehmern
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bindlich fest. Nicht entscheidend ist dabei die rechtliche Natur der Verbindlichkeit: diese kann normativer, schuldrechtlicher oder auch faktischer Natur sein. Entscheidend ist allein, daß zu der positiven Leistungsbegrenzung auf Verbandsangehörige der negative Ausschluß der Außenseiter von dieser Leistung tritt. Ziel ist es, eine durch Einzelvertrag herbeigeführte Gleichstellung von Außenseitern zu verhindern. a) Organisations- und Absperrklauseln Bereits bei der Begründung des Arbeitsverhältnisses sind Regelungen denkbar, die dem Arbeitgeber vorschreiben, nur organisierte Arbeitnehmer bzw. nur die der tarifschließenden Gewerkschaft angehörenden Arbeitnehmer einzustellen (Closed Shop)23. Derartige Klauseln stammen aus der englischen Rechtstradition und spielen, nachdem sie in der Weimarer Zeit teils für zulässig gehalten wurden, heute keine Rolle mehr24. In der umgekehrten Abrede, wonach eine Einstellung unter der Voraussetzung des Gewerkschaftsaustritts stattfinden sollte, sah das BAG wiederholt einen Verstoß gegen Art. 9 Abs. 3 GG25. Gleiches muß für Klauseln, welche die Begründung des Arbeitsverhältnisses von der Gewerkschaftsmitgliedschaft abhängig machen, gelten. Neben der Verletzung der negativen Koalitionsfreiheit der Nicht- und anders Organisierten, würde auch in nicht zu rechtfertigende Weise in die Berufsfreiheit der Außenseiter eingegriffen26. Deshalb entspricht es ganz herrschender Meinung, daß Organisationsund Absperrklauseln nach geltendem Tarif- und Verfassungsrecht unzulässig sind27.
23 Zur Begrifflichkeit Gamillscheg, Kollektives ArbeitsR, Bd. I, S. 388; Hueck, Tarifausschlußklausel, S. 14. 24 Franzen, RdA 2006, 1, 4; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1210; aus der älteren Literatur Sinzheimer, Arbeitsrecht und Rechtsoziologie I, S. 176 ff. 25 BAG vom 2.6.1987 – 1 AZR 651/85 – AP Nr. 49 zu Art. 9 GG = EzA Art. 9 GG Nr. 43 = NZA 1988, 64; BAG vom 28.3.2000 – 1 ABR 16/99 – AP Nr. 27 zu § 99 BetrVG 1972 Einstellung = EzA § 99 BetrVG 1972 Einstellung Nr. 6 = NZA 2000, 1294. 26 Darüber hinaus steht auch Art. 11 EMRK einer „Closed Shop“-Regelung entgegen. Dazu EuGHMR vom 13.8.1981 – EuGRZ 1981, 559; EuGHMR vom 11.1.2006 – 52562/99 – RIW 2006, 378 mit Besprechung von Schmidt-Westphal/ Urban; ferner Scholz, AöR 106 (1981), 79, 79 ff. 27 Aus der jüngeren Literatur Franzen, RdA 2006, 1, 4 ff.; Dieterich, in: ErfK, Art. 9 GG, Rn. 33; grundlegend Gamillscheg, Kollektives ArbeitsR, Bd. I, S. 374 ff.; Löwisch/Rieble, TVG, § 1 Rn. 226; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1211, bereits Biedenkopf, Grenzen der Tarifmacht, S. 95, 100.
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b) Tarifausschlußklauseln Nicht so weit gehen Tarifausschlußklauseln. Sie untersagen dem Arbeitgeber nur, die Vergünstigungen des Tarifvertrags auch nichtorganisierten Arbeitnehmern zu gewähren28. Vereinbarungen in einem Firmentarifvertrag verpflichten den tarifgebundenen Arbeitgeber direkt, Außenseitern den Sondervorteil vorzuenthalten. Bei Verbandstarifverträgen besteht eine entsprechende Verpflichtung des Arbeitgeberverbandes, in dieser Richtung auf sein Mitglied einzuwirken29. Neben der unmittelbaren Verpflichtung, bestimmte tarifliche Leistungen Außenseitern nicht zu gewähren, tritt häufig, daß entsprechende Zusatzleistungen bei der Berechnung von Zuschlägen oder Zulagen nicht zu berücksichtigen sind. Die Schlechterstellung der Außenseiter erstreckt sich dann ebenso auf die Gewährung von Zusatz- und Sonderleistungen30. c) Abstands- oder Spannensicherungsklauseln Abstands- oder Spannensicherungsklauseln hindern den Arbeitgeber zwar nicht, die vorbehaltene Leistung an Außenseiter auszuschütten, bestimmen jedoch, daß Gewerkschaftsmitglieder in diesem Fall zusätzlich einen Anspruch auf die an Außenseiter gewährte Leistungen erhalten31. Dadurch entsteht eine unendliche Spirale nach oben, die stets dafür sorgt, daß die Spanne erhalten bleibt. Eine Gleichbehandlung von organisierten und nichtorganisierten Arbeitnehmern ist so ausgeschlossen. d) Vorrang- und Vorbehaltsklauseln Darüber hinaus gibt es Klauseln, die in tatsächlicher Hinsicht aufgrund des Leistungsbezugs oder der Leistungsverteilung eine Bevorzugung von Gewerkschaftsmitgliedern bedingen. Vorrangklauseln sind dabei Klauseln, die eine tarifliche Leistung an einen bestimmten Leistungsrahmen knüpfen, der ausschließlich organisierten Arbeitnehmern zugute kommen soll. Zur 28 BAG (GS) vom 29.11.1967 – GS 1/67 – AP Nr. 13 zu Art. 9 GG = EzA Art. 9 GG Nr. 3; jüngst LAG Köln vom 8.12.2005 – Sa 235/05 – LAGE § 4 TVG Nr. 6. 29 Hueck, Tarifausschlußklausel, S. 13; Zöllner, Tarifvertragliche Differenzierungsklauseln, S. 16; Gamillscheg, Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit, S. 9. 30 Vgl. BAG vom 9.5.2007 – 4 AZR 275/06 – ArbuR 2007, 210 = ArbeitsRB 2007, 161. 31 Hueck, Tarifausschlußklausel, S. 17; Zöllner, Tarifvertragliche Differenzierungsklauseln, S. 17; Gamillscheg, Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit, S. 74.
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Schlechterstellung von Außenseitern kommt es, wenn der Arbeitgeber in Ansehung dieses Leistungsrahmens durch die festgeschriebene Bevorzugung faktisch gehindert ist, nichtorganisierte Arbeitnehmer gleich zu behandeln32. Eine Besserstellung von Gewerkschaftsmitgliedern wird zudem mit Klauseln erreicht, durch die eine an sich Außenseitern zugängliche Leistung durch die Einschaltung eines Gewerkschaftsorgans aufgewertet wird (Vorbehaltsklausel). Zentrales Beispiel ist die an die Zustimmung der Gewerkschaft gekoppelte ordentliche Unkündbarkeit. Zwar scheint hier eine Gleichstellung nicht ausgeschlossen – auch arbeitsvertraglich läßt sich ein Kündigungsausschluß vereinbaren. Die Bevorzugung von Gewerkschaftsmitgliedern ergibt sich aber einerseits daraus, daß die Arbeitsvertragsparteien die Gewerkschaft nicht verpflichten können, denn darin läge ein unzulässiger Vertrag zu Lasten Dritter. Andererseits wäre eine Besserstellung der Organisierten selbst dann festgelegt, wenn die vorbehaltene Zustimmung für Außenseiterarbeitsverhältnisse erforderlich wäre. Es liegt auf der Hand, daß unter einem derartigen Zustimmungsvorbehalt stehende Kündigungen vornehmlich für Nichtorganisierte freigegeben würden33. Diese faktische Besserstellung macht die Regelung zur qualifizierten Differenzierungsklausel34. 4. Tarifboni und Sondervorteile Die in jüngerer Zeit in Mode gekommenen „Tarifboni“ und „Sondervorteile“ für Gewerkschaftsmitglieder35 sind keiner gesonderten Kategorie zuzuordnen. Auch hier kommt es auf die tarifvertragliche Umsetzung an. Sind die Verbandszugehörigkeit oder mit dieser verbundene Merkmale anspruchsbegründend, handelt es sich um einfache Differenzierungsklauseln. Wird die Klausel zudem durch Tarifausschluß- oder Spannenklauseln abgesichert, handelt es sich um qualifizierte Differenzierungsklauseln.
32 Vgl. BAG vom 21.1.1987 – 4 AZR 547/86 – AP Nr. 47 zu Art. 9 GG = EzA Art. 9 GG Nr. 42 = NZA 1987, 233; BAG vom 21.1.1987 – 4 AZR 486/86 – AP Nr. 46 zu Art. 9 GG. 33 Ebenso Franzen, RdA 2006, 1, 5. 34 Dieterich, in: ErfK, Art. 9 GG Rn. 34; Gamillscheg, NZA 2005, 146, 150. 35 Im einzelnen dazu Bispinck, Tarifpolitischer Jahresbericht 2004, WSI Mitteilungen 2/2005, S. 65 f.
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II. Tarifvertragliche Gestaltung 1. Inhalts-, Abschluß- und Beendigungsnormen Das zentrale Gestaltungsmittel von Tarifverträgen ist die Festsetzung von Inhalts-, Abschluß- und Beendigungsnormen gemäß § 1 Abs. 1 TVG. Selbigen kommt allerdings nur in beiderseits tarifgebundenen Arbeitsverhältnissen unmittelbare und zwingende Wirkung zu36. Deshalb kann Adressat nicht der Außenseiter-Arbeitnehmer selbst sein, obzwar sich auch in jüngerer Zeit wieder Gestaltungen finden, die nichtorganisierte Arbeitnehmer zu verpflichten suchen, ausbezahlte Sondervorteile zurückzuzahlen37. Regelungstechnisch lassen sich in tarifvertraglichen Inhaltsnormen beschränkte, einfache Differenzierungsklauselen38 vereinbaren, die die Zugehörigkeit in der tarifschließenden Gewerkschaft zur Anspruchsvoraussetzung erheben. Ein Zugriff auf Arbeitsverhältnisse nicht- oder anders organisierter Arbeitnehmer ist damit nicht verbunden. Der normativen Gestaltung zugänglich sind auch beschränkte Abstandsoder Spannenklauseln39. Dadurch soll verbandsangehörigen Arbeitnehmern ein Anspruch in Höhe des Ausgleichsbetrags, den der Arbeitgeber Außenseitern gewährt, gesichert werden40. 2. Schuldrechtliche Tarifregelungen Der am häufigsten gewählte Weg für tarifliche Vorteilsregelungen sind schuldrechtliche Tarifabsprachen. Selbige bietet sich deswegen besonders an, weil sie keinen unmittelbaren Zugriff auf Außenseiterarbeitsverhältnisse nehmen. Verpflichtet werden der einzelne Arbeitgeber oder der Arbeitgeberverband. Verbandstarifverträge können den einzelnen Arbeitgeber zwar nicht direkt in die Pflicht nehmen. Auch steht der Gewerkschaft kein Unterlassungsanspruch gegen den Arbeitgeber zu41. Der verbandsangehörige Arbeitgeber ist gleichwohl der Einwirkung des Verbandes ausgesetzt42. 36
Ausführlich oben § 1 B. III., S. 33 ff. Vgl. BAG vom 9.5.2007 – 4 AZR 275/06 – ArbuR 2007, 210 = ArbeitsRB 2007, 161. 38 Zum Begriff oben § 2 B. I. 2., S. 63. 39 Zum Begriff oben § 2 B. I. 3. c), S. 66. 40 Zu den tarifrechtlichen Grenzen unten § 2 C. III. 1., S. 123 f. 41 LAG Hessen vom 2.12.2004 – 9 Sa 881/04 – ArbeitsRB 2005, 110 rechtskräftig nach Rücknahme der Revision: BAG vom 26.4.2006 – 4 AZR 18/05. 42 Zur Leistungsklage gegen den Arbeitgeberverband auf Einwirkung gegenüber dem Arbeitgeber, grundlegend BAG vom 29.4.1992 – 4 AZR 432/91 – AP Nr. 3 zu 37
B. Tarifvertragliche Differenzierung zwischen Arbeitnehmern
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Hierher gehören allgemeine Differenzierungsklauseln und die Tarifausschlußklausel, die den Arbeitgeber verpflichtet, Außenseitern tarifliche Leistungen vorzuenthalten. Abstands- und Spannenklauseln sind im Wege schuldrechtlicher Vereinbarung zwar ebenso möglich, regelmäßig sollen sie aber direkt am Arbeitsverhältnis der organisierten Arbeitnehmer anknüpfen und einen unmittelbaren Anspruch gegen den Arbeitgeber begründen. Dafür bieten sich eher normativ wirkende Inhaltsnormen an. 3. Organisatorische Geltungsbereichsbeschränkungen a) Grundsätzlich zulässige Gestaltung Denkbar ist auch, daß die Tarifvertragsparteien die Verbandszugehörigkeit nicht als Tatbestandsmerkmal festschreiben, sondern diese zum Geltungsbereichsmerkmal erheben43. Mit dem Geltungsbereich wird festgelegt, für wen der Tarifvertrag räumlich, fachlich und persönlich gilt. Darüber entscheiden die Tarifvertragsparteien grundsätzlich autonom und selbstredend gemeinsam. Dies gehört zu den Befugnissen der Koalitionen und ist Teil der grundrechtlichen Gewährleistung aus Art. 9 Abs. 3 GG44. Auch die persönliche Beschränkung des Geltungsbereichs auf die Mitglieder der Tarifvertragsparteien muß den Koalitionen deshalb grundsätzlich zustehen45. Möglich ist eine Beschränkung des organisatorischen Geltungsbereichs gleichermaßen im Hinblick auf die Tarifbindung des Arbeitgebers wie auch hinsichtlich der Koalitionszugehörigkeit der einzelnen Arbeitnehmer. Relevant für die hier zu behandelnde Belegschaftsteilung ist allerdings nur die letztgenannte Gestaltung46. Die Geltungsbeschränkung auf Arbeitgeberseite betrifft stets die Belegschaft als Ganzes: ohne Tarifbindung des Arbeitgebers kann der Tarifvertrag normativ ohnehin nicht zur Geltung gelangen.
§ 1 TVG Durchführungspflicht = EzA § 1 TVG Durchführungspflicht Nr. 2 = NZA 1992, 846; bestätigt BAG vom 25.1.2006 – 4 AZR 552/04 – AP Nr. 6 zu § 1 TVG Durchführungspflicht = NZA 2006, 1008. 43 Löwisch/Rieble, TVG, § 4 Rn. 66, 99 ff.; ausführlich Klebeck, SAE 2007, 271, 272 ff. 44 BAG vom 24.4.1985 – AZR 457/83 – AP Nr. 4 zu § 3 BAT = EzA Art. 9 GG Nr. 39 = NZA 1985, 602; Däubler/Deinert, TVG, § 4 Rn. 190 ff.; Franzen, in: ErfK, § 4 TVG Rn. 17. 45 BAG vom 22.3.2005 – ABR 64/03 – AP Nr. 26 zu § 4 TVG Geltungsbereich = EzA § 77 BetrVG 2001 Nr. 10 = NZA 2006, 383; BAG vom 24.2.1999 – 4 AZR 62/98 – AP Nr. 17 zu § 3 TVG Verbandszugehörigkeit = EzA § 3 TVG Nr. 16 = NZA 1999, 995. 46 Ein Beispiel ist der von der IG-Metall abgeschlossene Manteltarif-Südwest, vgl. die Angaben bei Löwisch/Rieble, TVG, § 4 Rn. 99.
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b) Unmittelbare tarifrechtliche Folgen Tarifrechtlich scheinen auf den ersten Blick keine weiteren Folgen damit verbunden, daß ein Tarifvertrag geltungsbereichbezogen noch einmal das nachzeichnet, was nach §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG gilt. Zumeist stellen solche Geltungsbeschränkungen nur klar, daß ein tariflicher Anspruch lediglich bei beiderseitiger Tarifbindung entsteht47. Ist die Regelung allerdings konstitutiv, liegt darin nichts anderes als eine einfache Differenzierungsklausel, denn der Anwendungsbereich der tariflichen Regelung wird wie bei der tatbestandlichen Anknüpfung an die Mitgliedschaft in der tarifschließenden Gewerkschaft auf die normativ tarifgebundenen Arbeitnehmer begrenzt. Wird ein Tarifvertrag auf diese Weise auf die Gewerkschaftsmitglieder beschränkt, können sich gleichwohl mittelbar Folgen dahingehend ergeben, daß die dem Schutz der ausgeübten und aktualisierten Tarifautonomie dienenden Privilegien, namentlich das Sperrprivileg des § 77 Abs. 3 BetrVG, in Frage gestellt sind. So geht die herrschende Meinung davon aus, daß die Tarifvertragsparteien durch eine Beschränkung des organisatorischen Geltungsbereichs auch ihre Sperrprivilegien einbüßen. Außerhalb eines tariflichen Geltungsbereichs könne der Tarifvorbehalt des § 77 Abs. 3 BetrVG nicht gelten, weil die Tarifparteien selbst auf ihr Regelungsprivileg verzichtet hätten48. Dieser Betrachtung kann im Hinblick auf den räumlichen, fachlichen und persönlichen Geltungsbereich auch ohne weiteres zugestimmt werden, denn dessen Einschlägigkeit ist unbestritten als Tatbestandsvoraussetzung des § 77 Abs. 3 BetrVG anerkannt49. Im Hinblick auf eine organisatorische Geltungsbeschränkung auf die tarifgebundenen Arbeitnehmer liegt es indessen anders: die Tarifbindung auf Arbeitnehmerseite soll für die Reichweite der Regelungssperre nach herrschender Meinung gerade keine Rolle spielen50. Im Ergebnis ist es mit dem Regelungszweck des § 77 47 So lag der Fall des BAG vom 23.3.2005 – AZR 203/04 – AP Nr. 29 zu § 4 Tarifkonkurrenz = EzA § 4 TVG Tarifkonkurrenz Nr. 18 = NZA 2005, 1003; kritisch zur Annahme einer bloß deklaratorischen Bedeutung mit Verweis auf den ernst zu nehmenden Regelungswillen der Tarifvertragsparteien Klebeck, SAE 2007, 271, 283 f.; mahnend auch Kania, in: ErfK, § 77 BetrVG Rn. 40. 48 So die h. M., etwa Buchner, DB 1997, 573, 577; Kania, BB 2001, 1091, 1092; Löwisch/Rieble, TVG, § 4 Rn. 106; eingehend jüngst auch Klebeck, SAE 2007, 271, 273, 280 f. 49 BAG vom 9.12.1997 – 1 AZR 319/97 – AP Nr. 11 zu § 77 BetrVG 1972 Tarifvorbehalt = EzA § 77 BetrVG 1972 Nr. 61 = NZA 1998, 661; BAG vom 27.1.1987 – 1 ABR 66/85 – AP Nr. 42 zu § 99 BetrVG 1972 = EzA § 99 BetrVG 1972 Nr. 55 = NZA 1987, 489; Richardi/Richardi, BetrVG, § 77 Rn. 270. 50 BAG vom 24.1.1996 – 1 AZR 597/95 – AP Nr. 8 zu § 77 BetrVG 1972 Tarifvorbehalt = EzA § 77 BetrVG 1972 Nr. 55 = NZA 1996, 948; BAG vom 21.1.2003
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Abs. 3 BetrVG daher nicht vereinbar, die Sperrwirkung bei organisatorisch auf tarifgebundene Arbeitnehmer beschränkten Tarifverträgen entfallen zu lassen. Darauf ist in § 5, der der betrieblichen Gestaltungsebene vorbehaltenen ist, vertieft einzugehen51. c) Bezugnahme auf den Tarifvertrag und AGB-Kontrolle Einer besonderen Betrachtung bedarf schließlich die Tariferstreckung auf Außenseiter mittels arbeitsvertraglicher Verweisung. Im Grundsatz gilt: organisatorische Geltungsbereichsbeschränkungen hindern die arbeitsvertragliche Bezugnahme nicht. Insofern gilt nichts anderes als bei einfachen Differenzierungsklauseln. Arbeitsvertraglich kann ein nicht einschlägiger Geltungsbereich ohne weiteres überwunden werden52. Das gilt auch für zeitlich qualifizierte Beschränkungen, wenn also die Mitgliedschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt oder eine gewisse Dauer derselben zur Geltungsvoraussetzung erhoben wird53. Die arbeitsvertragliche Bezugnahme behindert das grundsätzlich nicht. Die vertragliche Erstreckung eines geltungsbereichsfremden Tarifvertrags ist nach überwiegender Meinung privilegiert, weil die Bezugnahme nur solche Tarifregelungen zur Geltung bringt, die einer AGB-Kontrolle standhalten54. Eine sachfremde Benachteiligung der organisierten Arbeitnehmer kann darin nicht gesehen werden, denn die Tarifvertragsparteien haben es selbst zu verantworten, wenn sie den Geltungsbereich ihres Tarifvertrag begrenzen. Davor brauchen ihre Mitglieder nicht geschützt zu werden. Die Vertragskontrolle folgt auch nicht aus einem gezielten Akt der Besserstellung, sondern aus dem schuldrechtlichen Geltungsgrund des „fremden“ Tarifvertrags. Daß dies grundsätzlich hinzunehmen ist, wurde bereits aufgezeigt55. Aus grundrechtlicher Sicht erweisen sich bewußte Ausschlußregelungen zudem als ein, die Schutzpflichtfunktion auslösendes Moment56. Vertragsrechtlich vollzieht sich dieser Schutz über die Regeln der AGB– 1 ABR 9/02 – AP Nr. 1 zu § 21a BetrVG 1972 = EzA § 77 BetrVG 2001 Nr. 3 = NZA 2003, 1097; Kempen/Zachert/Wendeling-Schröder, TVG, Grundlagen Rn. 335; Richardi/Richardi, BetrVG, § 77 Rn. 261; v. Hoyningen-Huene/MeierKrenz, NZA 1987, 793, 795. 51 § 5 A. I. 1. d), S. 213 ff. 52 Franzen, in: ErfK, § 4 TVG Rn. 16; Löwisch/Rieble, TVG, § 4 Rn. 104. 53 Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rn. 9. 54 Bayreuther, RdA 2003, 81, 90; Henssler, RdA 2002, 129, 136; Klebeck, SAE 2007, 271, 275 f.; Löwisch/Rieble, TVG, § 4 Rn. 104; Richardi, NZA 2002, 1057, 1062. 55 Oben § 1 D. II. 3., S. 52 f. 56 Dazu unten § 2 C. I. 2. c) (5), S. 90.
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Kontrolle. Schließlich können sich die Tarifvertragsparteien ihrerseits nicht auf das Verbot einer mittelbaren Tarifzensur berufen, wenn sie ihre Regelung bewußt einer Inhaltskontrolle in geltungsbereichsfremden Arbeitsverhältnissen aussetzen. Das aus Art. 9 Abs. 3 GG abzuleitende Verbot einer Tarifzensur vermittelt grundsätzlich keinen Schutz der Tarifvertragsparteien „vor sich selbst“57. In der Folge entsteht eine Zweiteilung der Belegschaft in organisierte Arbeitnehmer, für die der Tarifvertrag „ungekürzt“ gilt, und Außenseiter, in deren Arbeitsverhältnis bestimmte Belastungen aufgrund der AGB-Kontrolle nicht durchschlagen (können). Dies ist aber von den Tarifvertragsparteien selbst zu verantworten und hinzunehmen. Eine Zweiteilung scheint sich auch im Hinblick auf Tarifverträge zu ergeben, welche von tarifdispositivem Gesetzesrecht abweichen. Da es für den auch mittels arbeitsvertraglicher Verweisung grundsätzlich zulässigen Dispens von tarifdispositivem Gesetzesrecht grundsätzlich erforderlich ist, daß auf einen, seinem Geltungsbereich nach einschlägigen, Tarifvertrag verwiesen wird, scheint es, als könnten die Tarifvertragsparteien Außenseiter durch Herausnahme aus dem Geltungsbereich am „Anhängen“ an solche Tarifverträge hindern. Diese vermeintliche Folge erscheint im Hinblick auf die Vertragsfreiheit der Außenseiter aber problematisch. Denn dort, wo der Gesetzgeber die Bezugnahme ausdrücklich erlaubt, gehört es zum zulässigen Rahmen der Arbeitsvertragsgestaltung auch der nicht tarifgebundenen Arbeitsvertragsparteien, entsprechende Tarifverträge über die Bezugnahme zu „nutzen“. Dieser Konflikt zwischen tarifvertraglicher Gestaltungsbefugnis und gesetzlich gestatteter Bezugnahmefreiheit ist letztlich zugunsten der Vertragsfreiheit aufzulösen, so daß es im Hinblick auf das tarifdispositive Gesetzesrecht nicht zu einer, von den Tarifvertragsparteien gesteuerten, Zweiteilung der Belegschaft in Organisierte und Nichtorganisierte kommen kann58. 4. Tarifnormen über gemeinsame Einrichtungen Eine nach der Gewerkschaftszugehörigkeit differenzierende Leistungserbringung läßt sich schließlich über gemeinsame Einrichtungen verwirklichen. Das hat den Vorteil, daß der Arbeitgeber nicht in die Leistungsverteilung involviert wird. Entscheidend ist, welcher Form der tariflichen Gestaltung Normen über gemeinsame Einrichtungen zuzuordnen sind, das sie sich hinsichtlich des Geltungsgrundes und ihrer Wirkung keiner gesonderten 57 58
So insbesondere Klebeck, SAE 2007, 271, 276 m. w. Nachw. Ausführlich dazu unten § 2 C. II. 4. d) (2), S. 120 f.
B. Tarifvertragliche Differenzierung zwischen Arbeitnehmern
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Kategorie von Tarifnormen bedienen. Differenzierungsklauseln können insofern nur den Individualnormen zugeordnet werden. Damit stehen Ansprüche gegen die gemeinsame Einrichtung nur den Organisierten zu. Über die arbeitsvertragliche Bezugnahme läßt sich kein Anspruch begründen. Die Bezugnahme scheitert, weil vertraglich keine Verpflichtung eines am Vertragsschluß nicht beteiligten Dritten erreicht werden kann59. Allerdings kann die Bezugnahmeklausel einen Anspruch gegen den Arbeitgeber verschaffen, der ihn verpflichtet, vergleichbare Leistungen zu gewähren60. Durch die Zwischenschaltung einer gemeinsamen Einrichtung werden die rechtlichen Möglichkeiten und Grenzen tariflicher Normierung auch nicht verschoben oder verändert. Deshalb kann die Frage nach der Zulässigkeit von Differenzierungsklauseln hier nicht anders beantwortet werden als für allgemeine, tarifvertragliche Inhaltnormen61. Insofern gilt das zuvor Gesagte: wird der Leistungsanspruch lediglich auf organisierte Arbeitnehmer begrenzt, handelt es sich um eine einfache Differenzierungsklausel. Wird dem Arbeitgeber darüber hinaus verboten, gleiche und ähnliche Leistungen Außenseitern zu gewähren, liegt darin eine qualifizierte Differenzierungsklausel. 5. Betriebsnormen Betriebsnormen können gemäß § 3 Abs. 2 TVG nur als betriebseinheitliche Vorschriften erlassen werden62. Die damit verbundene Außenseiterwirkung basiert gerade darauf, daß es für bestimmte Gegenstände einer betriebseinheitlichen Regelung bedarf63. Das schließt jede Sonderregelung nach der Koalitionsmitgliedschaft aus64. Betriebsnormen stehen überdies deshalb nicht zur Verfügung, weil mit Differenzierungsklauseln nicht das betriebliche Rechtsverhältnis, sondern das Individualrechtsverhältnis gestaltet wird65. Eine Ungleichbehandlung von Außenseitern kann auch deswegen nicht in den Dienst einer Betriebsnorm gestellt werden. Insgesamt ist den Tarifvertragsparteien die Tarifmacht für betriebliche und betriebsverfas59 Bauer/Arnold, NZA 2005, 1209, 1212; Löwisch/Rieble, TVG, § 1 Rn. 159; Rieble, in: GS Heinze, S. 687, 696. 60 Dazu Löwisch/Rieble, TVG, § 1 Rn. 159. 61 Bauer/Arnold, NZA 2005, 1209, 1212; Bötticher, Gemeinsame Einrichtungen der Tarifvertragsparteien, S. 107; Wiedemann/Oetker, TVG, § 1 Rn. 810. 62 Dazu bereits oben § 1 C. IV., S. 40. 63 BAG vom 21.1.1987 – 4 AZR 486/86 – AP Nr. 46 zu Art. 9 GG = NZA 1987, 357. 64 Giesen, NZA 2004, 1317, 1319; Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille, S. 355. 65 Löwisch/Rieble, Münchener Handbuch ArbeitsR Bd. 3, § 261 Rn. 8.
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sungsrechtliche Fragen – wenn man so will – nur unter der Bedingung eingeräumt, daß sie von ihr ohne Rücksicht auf die Organisationszugehörigkeit der Arbeitnehmer Gebrauch machen. III. Differenzierungsklauseln in der Tarifpraxis 1. Historische Entwicklung Die Beschränkung tariflicher Leistungen auf verbandsangehörige Arbeitnehmer gehörte immer schon zu den gewerkschaftlichen Organisationsbestrebungen. Zu einem großflächigen Abschluß tariflicher Differenzierungsklauseln kam es in der deutschen Tarifpraxis allerdings nie. Erste Vorstöße gab es bereits Ende des 19. Jahrhunderts. Eine verstärkte wissenschaftliche Auseinandersetzung setzte aber erst mit dem Ausbau der Tarifverträge nach 1918 ein66. Eine herrschende Meinung für oder gegen die Zulässigkeit von Differenzierungsklauseln hatte sich gleichwohl weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur herausgebildet67. Während deutsche Gewerkschaften in der Weimarer Zeit das Recht für sich in Anspruch nahmen, ein Einstellungsverbot für Außenseiter zu erzwingen68, hielt dies das Reichsgericht für sittenwidrig. Zur Begründung führte es an, daß Organisationsklauseln die wirtschaftliche Existenz des Arbeitnehmers vernichten, er zumindest zu einem Berufswechsel gezwungen sein würde69. Nach 1945 rückten Differenzierungsklauseln verstärkt in das Interesse der Arbeitnehmerverbände, die aber anders als noch zur Weimarer Zeit nicht mehr auf Organisations- und Absperrklauseln setzten. Im Vordergrund der Diskussion standen und stehen bis heute Tarifausschluß- und Spannenklauseln70. Nach einigen gescheiterten Versuchen71 kam es in den frühen 1960er Jahren mehrfach zu Abschlüssen im Baugewerbe72, der Miederindu66
Vgl. Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, Bd. II/1, S. 122. Vgl. Gamillscheg, Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit, S. 9. 68 Vgl. Sinzheimer, Arbeitsrecht und Rechtsoziologie I, S. 176 ff. 69 RGZ 104, 327; vgl. auch Würdigung der Rechtsprechung des RG und des RAG zur Frage der Sittenwidrigkeit des Koalitionszwangs bei Födisch, RdA 1955, 88, 90 ff. 70 Nachweise bei Gamillscheg, Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit, S. 11 ff.; aus der jüngeren Literatur Wendeling-Schröder, in: FS Richardi, S. 801, 807. 71 Siehe etwa den am Widerstand der Arbeitgeberseite gescheiteren Entwurf eines Tarifvertrags der IG Bau-Steine-Erden vom 32.11.1961, nach dem organisierte Arbeitnehmer ein zusätzliches Urlaubsgeld in Höhe von 80 DM erhalten sollten. 72 Tarifvertrag über besondere Alters- und Invalidenbeihilfen im Baugewerbe vom 10.8.1962, abgedruckt bei Bötticher, Die gemeinsamen Einrichtungen der Tarifvertragsparteien, S. 174 ff. 67
B. Tarifvertragliche Differenzierung zwischen Arbeitnehmern
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strie73 und der Textil- und Lederindustrie74. Gegenständlich wurden zusätzliche Alters- und Invalidenbeihilfen, eine zusätzliche Erholungsbeihilfe sowie ein zusätzliches Urlaubsgeld exklusiv für organisierte Arbeitnehmer vereinbart. Einstweiliger Höhepunkt war der Vorstoß der Gewerkschaft Textil-Bekleidung (GTB), Bezirksverwaltung Nord, die in mehreren Fällen ein zusätzliches Urlaubsgeld in Höhe von 60 DM für ihre Mitglieder vereinbart hatte75. Der Tarifvertrag enthielt eine einfache Differenzierungsklausel, die zusätzlich mit einer Spannenklausel abgesichert war76. Nachdem der Arbeitgeberverband zunächst den Abschluß des Tarifvertrags abgelehnt hatte, kam es zu mehreren Firmentarifabschlüssen77. Bei Arbeitgebern, die sich weigerten, versuchte die GTB den Tarifabschluß durch Streik zu erzwingen. Mit der Zulässigkeit dieser Arbeitskämpfe hatten sich alsbald die Arbeitsgerichte zu befassen, die diese Frage anhand der Zulässigkeit tariflicher Differenzierungsklauseln als tariflich regelbares Ziel zu entscheiden hatten. Das ArbG Düsseldorf wie auch das LAG Düsseldorf gaben den Anträgen der Kläger statt und erkannten auf die Rechtswidrigkeit des Arbeitskampfes, da Differenzierungsklauseln unzulässig seien78. 2. Grundsatzentscheidung des Großen Senats vom 29.11.1967 Schließlich gelangte der Rechtsstreit vor das BAG, wo es der zuständige Erste Senat für erforderlich hielt, den Großen Senat anzurufen79. Wie schon die Vorinstanzen kam auch der Große Senat des BAG in einer sehr 73 Vereinbarung über die Errichtung eines Vereins und einer Stiftung für die gewerblichen Arbeitnehmer der Miederindustrie zwischen der Arbeitsgemeinschaft der Miederindustrie e. V. Frankfurt und der Gewerkschaft Textil-Bekleidung, Düsseldorf, vom 21.12.1964. Abgedruckt bei Bötticher, Die gemeinsamen Einrichtungen der Tarifvertragsparteien, S. 202 ff. 74 Tarifvertrag zwischen dem Verband der Saarländischen Textil- und Lederindustrie e. V. und der Gewerkschaft Textil-Bekleidung, Bezirksleitung Frankfurt vom 14.9.1963. Abgedruckt bei Bötticher, Die gemeinsamen Einrichtungen der Tarifvertragsparteien, S. 210 ff. 75 Vgl. Biedenkopf, Gutachten zum 46. Deutschen Juristentag Bd. I, S. 117 ff. 76 Der Vorschlag der Gewerkschaft Textil – Bekleidung zu einem Tarifvertrag über Urlaubsgeld ist abgedruckt bei Gamillscheg, Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit, S. 114 ff. 77 Vgl. die Angaben bei Gamillscheg, Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit, S. 14. 78 Die Entscheidungen des ArbG Düsseldorf vom 9.6.1965 und des LAG Düsseldorf vom 1.9.1965 sind abgedruckt bei Gamillscheg, Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit, S. 116 ff. und S. 129 ff. 79 BAG, Vorlagebeschluß vom 21.2.1967 – 1 AZR 495/65 – AP Nr. 12 Art. 9 GG.
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§ 2 Belegschaftsteilung im gewerkschaftlichen Organisationsinteresse
ausführlich begründeten Entscheidung zu dem Ergebnis, daß tarifvertragliche Differenzierungsklauseln weder mit der Verfassung noch mit dem Tarifvertragsrecht zu vereinbaren seien, und erklärte, daß durch Tarifvertrag nicht zwischen bei der tarifschließenden Gewerkschaft organisierten und nicht- oder anders organisierten Arbeitnehmern differenziert werden dürfe80. Der Große Senat wertete Differenzierungsklauseln als Verstoß gegen die negative Koalitionsfreiheit der nichtorganisierten und als Verstoß gegen die positive Koalitionsfreiheit der anders organisierten Arbeitnehmer. Die Koalitionsfreiheit sei verletzt, weil ein sozial inadäquater Druck ausgeübt werde, der tarifschließenden Gewerkschaft beizutreten. Das sei insbesondere gegeben, weil das Gerechtigkeitsgefühl verletzt werde. Darüber hinaus kam der Große Senat zu dem Ergebnis, daß Differenzierungsklauseln nicht von der Tarifmacht gedeckt seien. Im Ergebnis enthielten sie eine unzulässige Beitragserhebung und überschritten im Verhältnis zum Arbeitgeber die Grenzen des Zumutbaren, weil dieser in die Pflicht des sozialen Gegenspielers genommen würde. Eine auf den Beschluß des BAG eingelegte Verfassungsbeschwerde, in der die GTB die Verletzung ihres Grundrechts aus Art. 9 Abs. 3 GG rügte, verwarf das BVerfG81. Da mit dem Beschluß des Großen Senats lediglich eine abstrakte Rechtsfrage geklärt wurde und der Senat keine Rechtsnorm auf den konkreten Sachverhalt angewandt hatte, war die Beschwerde mangels gegenwärtigen und unmittelbaren Betroffenseins als unzulässig zurückzuweisen. Auch zu einer Sachentscheidung des Ersten Senats des BAG, die zur Statthaftigkeit einer erneuten Verfassungsbeschwerde hätte führen können, kam es nicht mehr, da die Parteien des Rechtsstreits für erledigt erklärten. 3. Weitere Rechtsprechung des BAG Sein Diktum zur Unzulässigkeit von Differenzierungsklauseln hat das BAG im Anschluß in ständiger Rechtsprechung wiederholt. Die erste ausdrückliche Bestätigung findet sich in einem Urteil vom 21.3.1978, in dem es auch um die Differenzierung bei einem tariflichen Urlaubsgeld und die Absicherung durch eine Spannenklausel ging82. 80 BAG (GS) vom 29.11.1967 – GS 1/67 – AP Nr. 13 zu Art. 9 GG = EzA Art. 9 GG Nr. 3. 81 BVerfG vom 4.5.1971 – 1 BvR 761/67 – BVerfGE 31, 55 = NJW 1971, 1212. 82 BAG vom 21.3.1978 – 1 AZR 11/76 – AP Nr. 62 zu Art. 9 GG Arbeitskampf = EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 25.
B. Tarifvertragliche Differenzierung zwischen Arbeitnehmern
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In drei weiteren Entscheidungen bestätigte der Vierte Senat die Grundsatzentscheidung des Großen Senats83. Diesen lagen zwar keine ausdrücklichen Differenzierungsklauseln zugrunde. Zu dem Ergebnis, daß eine auf organisierte Arbeitnehmer beschränkte Anspruchsberechtigung hinsichtlich tariflicher Leistungen auch im Wege der Tarifauslegung nicht zulässig sei, gelangte der Senat aber mit der Begründung, daß die Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit verfassungs- und tarifrechtlich unzulässig sei. Unter Berufung auf die vorangegangene Entscheidung des Großen Senats bestätigte der Senat, daß durch eine Bevorzugung organisierter Arbeitnehmer ein sozial inadäquater Druck auf nichtorganisierte Arbeitnehmer ausgeübt werde. Auch in der jüngeren Rechtsprechung ist das BAG von dieser Linie nicht ausdrücklich abgerückt, obgleich es zwischenzeitlich an Stimmen, die die Grundsatzentscheidung des Großen Senats in Frage stellen, nicht fehlt84. In zwei Entscheidungen, vom 18.9.200185 und vom 30.9.200386, bestätigte das Gericht seine Auslegung, daß bei der Altersteilzeit nicht nach der Gewerkschaftszugehörigkeit differenziert werden dürfe. Einen scheinbaren Wendepunkt markiert allerdings eine Entscheidung des Vierten Senats vom 9.5.2007, wenn auch eine ausdrückliche Abkehr damit noch nicht verbunden ist87. Für den konkreten Fall folgte der Senat dem Verdikt des Großen Senats und befand eine Differenzierungsklausel, die allerdings nicht nur allgemein auf die Gewerkschaftsmitgliedschaft abstellte, sondern zusätzlich nach einer Stichtagsregelung differenzierte, wegen eines Verstoßes gegen die Koalitionsfreiheit für unwirksam. In der Sache mußte sich der Senat allerdings nicht erneut mit der grundsätzlichen Zulässigkeit von Differenzierungsklauseln auseinandersetzen. Die in Streit stehende Tarifausschlußklausel war bereits deshalb unwirksam, weil sie hinsichtlich der Gewerkschaftsmitgliedschaft auf einen bestimmten Stichtag abstellte und damit auch Beschäftigte von der Leistung ausschloß, die nach dem Stichtag in die Gewerkschaft eingetreten oder aus ihr ausgetreten waren. Offen ließ 83 BAG vom 21.1.1987 – 4 AZR 547/86 – AP Rn. 47 zu Art. 9 GG = EzA Art. 9 GG Nr. 42; BAG vom 21.1.1987 – 4 AZR 486/86 – AP Nr. 46 zu Art. 9 GG; BAG vom 3.6.1987 – 4 AZR 573/86 – nicht amtl. veröffentlicht; BAG vom 30.8.1994 – 1 AZN 273/94 – nicht veröffentlicht. 84 Vgl. Däubler, BB 2002, 1643, 1643 ff.; Gamillscheg, NZA 2005, 146, 146 ff.; Kempen, FA 2005, 14, 14 ff. 85 BAG vom 18.9.2001 – 9 AZR 397/00 – AP Nr. 3 zu § 3 ATG = EzA § 4 TVG Altersteilzeit Nr. 3 = NZA 2002, 1161. 86 BAG vom 30.9.2003 – 9 AZR 590/02 – AP Nr. 17 zu § 1 TVG Tarifverträge: Chemie = EzA § 4 TVG Altersteilzeit Nr. 8. 87 BAG vom 9.5.2007 – 4 AZR 275/06 – ArbuR 2007, 210 = ArbeitsRB 2007, 161.
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§ 2 Belegschaftsteilung im gewerkschaftlichen Organisationsinteresse
der Senat allerdings ausdrücklich, ob der Auffassung des Großen Senats von der grundsätzlichen Unzulässigkeit von Differenzierungsklauseln und ihrer Begründung weiterhin uneingeschränkt zu folgen ist. 4. Divergierende Instanzrechtsprechung Offen gegen die Rechtsprechung des Großen Senats zur Unzulässigkeit von Differenzierungsklauseln stellten sich bisher das LAG Hamm und das LAG Düsseldorf. Das LAG Hamm88 erachtete eine Tarifvereinbarung, in der die Tarifpartner bestimmt hatten, daß eine zusätzliche Erholungsbeihilfe nur an tarifgebundene Arbeitnehmer durch einen als gemeinsame Einrichtung gegründeten Urlaubskassenverein geleistet werden sollte, als rechtsgültig. Das LAG meinte, die negative Koalitionsfreiheit eines nichtorganisierten Arbeitnehmers werde durch eine Differenzierungsklausel, die nur zu einer geringfügigen Besserstellung der organisierten Arbeitnehmer führe, nicht berührt. Die daraufhin beim BAG eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde89 führte zu keiner Sachentscheidung, da die Parteien den Rechtsstreit durch Vergleich beendeten90. Das BAG stellte dennoch klar, daß das LAG Hamm von den Ausführungen des Großen Senats abweiche und machte nochmals deutlich, daß die tarifvertragliche Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit generell unzulässig sei91. Bereits 20 Jahre zuvor hatte das LAG Düsseldorf92 eine abweichende Rechtsauffassung vertreten und gemeint, daß gemäßigte Vorteilsregelungen prinzipiell zulässig wären. Auch hier kam es allerdings in der daraufhin eingelegten Revision zu keiner Sachentscheidung des BAG betreffs der Zulässigkeit von Differenzierungsklauseln93. Bestätigt wurde die Rechtsprechung des Großen Senats dagegen durch das LAG Köln94 am 8.12.2005 und durch das LAG Hamm95 am 28.2.2006: 88
LAG Hamm vom 11.1.1994 – 11 Sa 979/93 – LAGE § 4 TVG Nr. 4. BAG vom 30.8.1994 – 1 AZN 273/94 – nicht veröffentlicht. 90 Erledigung des Rechtsstreits durch BAG vom 15.2.1995 – AZR 841/94 – nicht veröffentlicht. 91 BAG vom 30.8.1994 – 1 AZN 273/94 – nicht veröffentlicht. 92 LAG Düsseldorf vom 29.1.1975 – 8 Sa 482/73 – EzA Art. 9 GG Nr. 20 = LAGE Art. 9 GG Nr. 2. 93 BAG vom 11.6.1975 – 5 AZR 206/74 – EzA § 3 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 1. 94 LAG Köln vom 8.12.2005 – 10 Sa 235/05 – LAGE § 4 TVG Nr. 6 = ZTR 2006, 332. 95 LAG Hamm vom 28.2.2006 – 19 Sa 1774/05 – EzA-SD 2006, Nr. 10, 16. 89
B. Tarifvertragliche Differenzierung zwischen Arbeitnehmern
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die Kammern ließen keinen Zweifel daran, daß die Grundsatzentscheidung des Großen Senats nach wie vor uneingeschränkt zutreffend und die Rechtslage dadurch abschließend beschrieben sei. 5. Renaissance der Differenzierungsklausel Ganz beendet wurde die Diskussion um die Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierungsklauseln nie. Der Grund dafür wird darin gesehen, daß es dem Großen Senat seinerzeit nicht gelungen ist, eine abschließende Lösung zu präsentieren96. Befürworter von Differenzierungsklauseln sehen nach wie vor Interpretationsspielräume97. Einige fühlen sich an den Beschluß des Großen Senats überhaupt nicht mehr gebunden98. Demgegenüber argumentieren andere auf der Linie der BAG-Rechtsprechung99. In jüngerer Zeit stehen tarifliche Differenzierungsklauseln wieder verstärkt im Blickpunkt des arbeitsrechtlichen Interesses, ausgelöst von erneuten Vorstößen der Gewerkschaften, die abermals versuchen, Vorteilsregelungen tarifvertraglich zu etablieren. Erste Ansätze aus dem Jahr 1995 gehen auf die Gewerkschaft ÖTV und deren Überlegung zurück, für Gewerkschaftsmitglieder im Bereich der Nebenleistungen Vorteile zu vereinbaren100. Vor dem Hintergrund der zurückliegenden Kontroverse verwundert es nicht, daß diese Äußerungen auf eine außerordentliche Resonanz gestoßen sind101. Danach ist es um den fragwürdigen Vorschlag relativ schnell wieder ruhig geworden, bis die IG-Metall im Bezirk Nordrhein-Westfalen im Jahr 2004 erneut die Forderung nach tariflichen Sondervorteilen für Gewerkschaftsmitglieder aufstellte102. Pressemeldungen zufolge seien in mehreren Haustarifverträgen Differenzierungsklauseln vereinbart worden103. Die aus96
Etwa Franzen, RdA 2006, 1, 4; Bauer/Arnold, NZA 2005, 1209, 1211. Zuletzt Wendeling-Schröder, in: FS Richardi, S. 801, 808 f.; Gamillscheg, NZA 2005, 146, 146 ff. 98 Kempen, FA 2005, 14, 16. 99 Zuletzt Bauer/Arnold, NZA 2005, 1209, 1209 ff.; Giesen, NZA 2004, 1317, 1317 ff. 100 Vgl. Zachert, DB 1995, 322, 322 ff.; ders., in: Bispinck (Hrsg.), Tarifpolitik der Zukunft, S. 194 ff. 101 Etwa „Allerliebst“, FAZ vom 3.1.1995; „Auf dem Trittbrett“, FAZ vom 3.1.1995; „Es gibt keine einfache Lösung des Trittbrettfahrer-Dilemmas“, FAZ vom 4.1.1995. 102 Siehe Bispinck, Tarifpolitischer Jahresbericht 2004, WSI Mitteilungen 2/2005, S. 65 f. 103 „Metallarbeitgeber lehnen Tarifbonus ab“, FAZ vom 2.11.2004; „Tarifboni für Gewerkschaftsmitglieder rechtlich zulässig?“, FAZ vom 17.11.2004. 97
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§ 2 Belegschaftsteilung im gewerkschaftlichen Organisationsinteresse
bedungenen Vorteile reichten von einem zusätzlichen Urlaubsgeld über Zuschüsse zur betrieblichen Altersvorsorge bis hin zu Tankgutscheinen. Tarifpartner seien vornehmlich kleinere bis mittlere Unternehmen, die sich in einer wirtschaftlichen Notlage befinden und für eine Absenkung des Flächentarifniveaus schnell bereit sind, besonderen Zugeständnissen für Gewerkschaftsmitglieder zuzustimmen. Ausgleichszahlungen an Außenseiter werden nach der neuen Taktik teilweise mit der Kündigung des Tarifvertrags beantwortet. In anderen Fällen wird von vornherein die Wiederinkraftsetzung des bisherigen Tarifvertrags im Falle des Abweichens vereinbart. Der IG-Metall-Bezirk Nordrhein-Westfalen ist nicht der einzige Fall, in dem erneut versucht wurde, das Thema „Besserstellung von Gewerkschaftsmitgliedern“ tariffähig zu machen. Auch die IG BCE hat angekündigt, daß sie das Thema auf der tarifpolitischen Agenda habe104. Schließlich denkt auch ver.di über die Forderung eines zusätzlichen Weihnachtsgeldes für Gewerkschaftsmitglieder nach105. Das Thema Differenzierungsklauseln ist nach wie vor aktuell. Auch die jüngsten Andeutungen des Vierten Senats106 fordern zu einem erneuten Nachdenken über die rechtliche Zulässigkeit auf.
C. Rechtswirksamkeit tarifvertraglicher Differenzierungsklauseln Die Diskussion um die rechtliche Zulässigkeit von tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln wird auf der verfassungsrechtlichen und auf der tarifrechtlichen Ebene geführt. Den Schwerpunkt bildet die grundrechtliche Argumentation, die auch hier vorangestellt werden soll, obschon bereits das Tarifrecht wesentliche Grenzen vorgibt107. I. Vorab: Grundrechtsbindung der Tarifvertragsparteien Bevor sich aber der verfassungsrechtlichen Prüfung108 zugewandt werden kann, muß geklärt werden, inwieweit Tarifverträge einer Grundrechtsbindung unterliegen und welcher Prüfungsmaßstab gilt. Diese in letzter Zeit 104 So die Pressemeldung der IG BCE, unter www.igbce.de (zuletzt abgerufen am 7.9.2007); siehe auch „Streiten für Gewerkschafter-Extras“, Die Welt vom 24.5. 2005. 105 Vgl. Kempen, FA 2005, 14, 14. 106 BAG vom 9.5.2007 – 4 AZR 275/06 – ArbuR 2007, 210 = ArbeitsRB 2007, 161. 107 Zu den einfachrechtlichen Grenzen unten § 2 C. III., S. 123 ff. 108 Dazu § 2 C. II., S. 91 ff.
C. Rechtswirksamkeit tarifvertraglicher Differenzierungsklauseln
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kontrovers diskutierte Frage109 interessiert vorliegend unter dem Aspekt der Außenseiterwirkung von Tarifverträgen. 1. Unmittelbare Grundrechtsbindung Eine Sonderstellung kommt der Koalitionsfreiheit zu, für die in Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG die unmittelbare Drittwirkung angeordnet ist110. Die Koalitionsfreiheit richtet sich somit direkt auch gegen Private111. Insofern muß die tarifvertragliche Rechtsetzung in gleicher Weise gerechtfertigt werden wie staatliche Regelungen112. 2. Mittelbare Grundrechtsbindung Abgesehen von der Sonderstellung des Art. 9 Abs. 3 GG ist keine unmittelbare Drittwirkung vorgesehen. Grundrechtsgebunden ist nach Art. 1 Abs. 3 GG unmittelbar nur der Staat. Die Grundrechte sind in erster Linie Abwehrrechte gegen den Staat113. a) Wandel im Verständnis der Tarifautonomie Trotz allem wurde jahrzehntelang eine unmittelbare Bindung der Tarifvertragsparteien an die Grundrechte angenommen. Dies wurde damit begründet, daß die Normsetzungsbefugnis vom Staat delegiert, also staatlichen Ursprungs sei114. Daraus wurde abgeleitet, daß Tarifverträge Gesetze im 109 Boemke, in: FS 50 Jahre BAG, S. 613, 613 ff.; Dieterich, in: FS Schaub, S. 117, 121 ff.; Fastrich, in: FS Richardi, S. 127, 127 ff.; Franzen, RdA 2005, 241, 243 ff.; Däubler/Schiek, TVG, Einl. Rn. 168 ff.; Schliemann, in: FS Hanau, S. 577, 577 ff.; Wiedemann/Wiedemann, TVG, Einl. Rn. 182. 110 Dazu Bauer, in: Dreier, GG, Art. 9 Rn. 88; Höfling, in: Sachs, GG, Art. 9 Rn. 124; Kemper, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 9 Rn. 278; Löwer, in: von Münch/Kunig, GG, Art. 9 Rn. 85; Gamillscheg, Kollektives ArbeitsR, Bd. I, S. 314; Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, Bd. II/1, S. 78. 111 Nur Löwisch/Rieble, in: Münchener Handbuch ArbeitsR, Bd. 3, § 243 Rn. 81. 112 Abweichend von der herrschenden Meinung stuft Ipsen, Staatsrecht II, Rn. 668, Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG als „zivilrechtliche Spezialvorschrift mit Verfassungsrang“ ein. Ebenso Sachs, Verfassungsrecht II, A 5, Rn. 43, nach dem es sich „trotz des Standorts in der Verfassung der materiellen Qualität nach um Zivilrecht“ handelt. 113 Die früher vertretene Theorie der unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte wird heute nicht mehr vertreten. Vgl. Canaris, AcP 184 (1984), 201, 202 ff.; Oldiges, in: FS Friauf, S. 281, 282. 114 Grundlegend BAG vom 15.1.1955 – 1 AZR 305/54 – AP Nr. 4 zu Art. 3 GG = NJW 1955, 684; BAG vom 23.3.1957 – 1 AZR 203/56 – AP Nr. 17 zu Art. 3 GG.
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§ 2 Belegschaftsteilung im gewerkschaftlichen Organisationsinteresse
materiellen Sinne seien und deswegen der in Art. 1 Abs. 3 GG angeordneten Grundrechtsbindung unterlägen. Mittlerweile hat sich im Verständnis der Tarifautonomie aber ein tiefgreifender Wandel vollzogen. Die Normsetzungsbefugnis der Tarifvertragsparteien läßt sich nach richtigem Verständnis nicht als ein vom Staat übertragenes Privilegium begreifen oder aus der Rechtsnormqualität der Tarifverträge ableiten. Sie ist vielmehr auf die kollektiv ausgeübte Privatautonomie der Mitglieder zurückzuführen115. Dieser Dogmenwechsel führt notwendig zu Unstimmigkeiten im Grundrechtsverständnis: begründet sich die tarifvertragliche Rechtsetzung privatautonom, fehlt für die unmittelbare Grundrechtsbindung der Bezug zur staatlichen Rechtsetzung. Selbiger läßt sich auch nicht über die Annahme eines staatlichen Geltungsbefehls herstellen, schon weil dem Staat keine Aufsichtsrechte vorbehalten sind116. Es wäre letztlich nichts anderes als eine Staatsaufsicht, wollte man die Tarifvertragsparteien zur Beachtung der nach Art. 1 Abs. 3 GG den Staat bindenden Grundrechte verpflichten, was wiederum mit der Freiheitsgewährleistung des Art. 9 Abs. 3 GG nicht zu vereinbaren wäre. Damit stellt sich die grundsätzliche Frage, ob und wie beim Erlaß von Tarifvertragsnormen die Grundrechte zu beachten sind. Das BVerfG hat dies bisher nicht entschieden117. Es hat sogar ausdrücklich offen gelassen, ob überhaupt eine Bindung besteht118. Das BAG ist im Hinblick auf den Wandel im Tarifverständnis zwischenzeitlich von seiner bisherigen Rechtsprechung, in der es noch von der unmittelbaren Grundrechtsbindung ausgegangen war, abgerückt. Aus den Judikaten der einzelnen Senate ergibt sich allerdings noch kein einheitliches Bild. Den Wendepunkt markiert eine Entscheidung des Siebten Senats aus dem Jahr 1998, in der der Senat in Abweichung zur bisherigen Rechtsprechung erstmals die Schutzpflichtfunktion der Grundrechte119 heranzog und eine unmittelbare Bindung der Tarifparteien an Art. 12 Abs. 1 GG ablehnte120. 115
Ausführlich dazu bereits oben § 1 B. II. 4., S. 29 ff. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 1 Abs. 3 Rn. 255. 117 Offen gelassen von BVerfG vom 30.5.1990 – 1 BvL 2/83 – BVerfGE 82, 126 = AP Nr. 28 zu § 622 BGB = EzA § 622 nF BGB Nr. 27; BVerfG vom 22.2.1994 – 1 BvL 21/85, 1 BvL 4/92 – BVerfGE 90, 46 = EzA Art. 3 GG Nr. 42 = NZA 1994, 661. 118 Zuletzt BVerfG vom 25.11.2004 – 1 BvR 2459/04 – AP Nr. 25 zu § 620 BGB Altersgrenzen = EuGRZ 2004, 803. 119 Grundegend Canaris, AcP 184 (1984), 201, 243 f. 120 BAG vom 25.2.1998 – 7 AZR 641/96 – AP Nr. 106 zu Art. 12 GG – EzA Art. 12 Nr. 39 = NZA 1998, 715. 116
C. Rechtswirksamkeit tarifvertraglicher Differenzierungsklauseln
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Der Senat machte sich das Verständnis von der kollektiven Privatautonomie zu eigen, und stellte darauf ab, daß der Tarifvertrag durch den privatautonomen Verbandsbeitritt der Mitglieder legitimiert ist121. Dem hat sich nun auch der Vierte Senat, nachdem er die Frage nach der Grundrechtsbindung der Tarifparteien längere Zeit offen gelassen hatte, angeschlossen122. Der Dritte Senat hatte zunächst an der unmittelbaren Grundrechtsbindung zumindest für den Gleichheitssatz festgehalten123, zuletzt die Frage aber dahinstehen lassen, da sich die Prüfungsmaßstäbe insofern nicht unterschieden124. In bezug auf die Freiheitsrechte hat er sich der Position des Siebten Senats angeschlossen125. Deutlich Stellung bezogen für eine mittelbare Grundrechtsbindung hat auch der Sechste Senat126. Nachdem auch er die Frage zunächst offen gelassen hatte127, bestätigt er nunmehr in ständiger Rechtsprechung, daß die Tarifparteien keine Grundrechtsadressaten im Sinne von Art. 1 Abs. 3 GG seien und ihre Grundrechtsbindung mittelbar aus der Schutzfunktion folge128. Gleichwohl meint der Sechste Senat – wie zuvor schon der Dritte – allerdings ohne die grundsätzliche Frage offen zu lassen, daß bei der mittelbaren Grundrechtsbindung keine anderen Prüfungsmaßstäbe gälten129. Ähnlich sieht es im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG auch der Fünfte Senat, der sich nun ebenfalls zur Schutzpflichtlehre bekennt130. Nicht ab121 Fortgeführt in BAG vom 31.7.2002 – 7 AZR 140/01 – AP Nr. 14 zu § 1 TVG Tarifverträge: Luftfahrt = EzA Art. 9 GG Nr. 78 = NZA 2002, 1155; BAG vom 25.8.2004 – 7 AZR 39/04 – EzA § 4 TVG Luftfahrt Nr. 10 = NZA 2005, 240. 122 BAG vom 7.6.2006 – 4 AZR 316/05 – AP Nr. 15 zu § 611 BGB Hausmeister = EzA Art. 11 GG Nr. 1 = NZA 2007, 343. 123 BAG vom 4.4.2000 – 3 AZR 729/98 – AP Nr. 286 zu Art. 3 GG = EzA § 1 BetrAVG Gleichbehandlung Nr. 19 = NZA 2002, 917. 124 BAG vom 12.10.2004 – 3 AZR 571/03 – AP Nr. 2 zu § 3g BAT = EzA Art. 3 GG Nr. 102 = NZA 2005, 1127. 125 BAG vom 24.4.2001 – 3 AZR 329/00 – AP Nr. 243 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau. 126 BAG vom 27.5.2004 – 6 AZR 129/03 – AP Nr. 5 zu § 1 TVG Gleichbehandlung = EzA Art. 9 GG Nr. 80 = NZA 2004, 1399; BAG vom 21.4.2005 – 6 AZR 440/04 – nicht veröffentlicht. 127 BAG vom 28.6.2001 – 6 AZR 114/00 – AP Nr. 24 zu § 611 BGB Arbeitszeit = EzA § 4 TVG Beschäftigungssicherung Nr. 7 = NZA 2002, 331. 128 BAG vom 24.6.2004 – 6 AZR 389/03 – AP Nr. 10 zu § 34 BAT; BAG vom 26.12.2004 – 6 AZR 652/03 – nicht veröffentlicht [juris]; BAG vom 21.4.2005 – 6 AZR 440/04 – nicht veröffentlicht [juris]. 129 Vgl. BAG vom 27.4.2006 – 6 AZR 680/05 – nicht veröffentlicht [juris]. 130 BAG vom 7.12.2005 – 5 AZR 228/05 – AP Nr. 34 zu § 1 TVG Tarifverträge: Lufthansa = EzA § 4 EntgeltfortzG Nr. 13 = NZA 2006, 880.
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§ 2 Belegschaftsteilung im gewerkschaftlichen Organisationsinteresse
schließend festgelegt hat sich der Neunte Senat, der die Frage bei Gleichheitsverstößen zuletzt offen gelassen hat131. b) Schutzpflichtlehre als richtiger Ansatz Ebenso folgt ein beachtlicher Teil des Schrifttums der Schutzpflichtlehre und leitet die mittelbare Grundrechtsbindung des Tarifvertrags aus der Schutzpflichtfunktion der Grundrechte ab132. Gleichwohl ist das Bild auch hier nicht einheitlich. Einige Autoren halten weiter an der unmittelbaren Grundrechtsbindung fest, wobei sie sich auf den Normcharakter133 des Tarifvertrags oder die Normsetzungsbefugnis134 der Tarifparteien stützen. Andere wollen die unmittelbare Grundrechtsbindung ohne Rückgriff auf den Normcharakter aus der Funktion der Grundrechte ableiten135. Teilweise wird der Tarifvertrag zwar formal als kollektive Selbstbestimmung gesehen, über eine funktionale Betrachtung wird aber eine Fremdbestimmungsordnung angenommen, die trotz des formalen Charakters zur unmittelbaren Grundrechtsbindung führen soll136. Überzeugen können diese Ansätze nicht, weil sie mit dem Charakter des Tarifvertrags als kollektiv ausgeübte Privatautonomie nicht in Einklang stehen. Weder formal noch funktional läßt sich der Tarifvertrag als reine Fremdbestimmungsordnung einstufen. Folgt man der privatautonomen Konzeption, kann eine Grundrechtsbindung nur aus der Horizontalwirkung der Grundrechte abgeleitet werden. Für eine – dem Staat-Bürger-Verhältnis vorbehaltene – unmittelbare Grundrechtswirkung fehlt die Grundlage. Entscheidend ist auch nicht der Normcharakter, sondern allein die ausgeübte Privatautonomie, die sich mit der in Art. 1 Abs. 3 GG geforderten 131 BAG vom 20.1.2004 – 9 AZR 291/02 – AP Nr. 1 zu § 112 LPVG RheinlandPfalz und BAG vom 16.3.2004 – 9 AZR 267/03 – AP Nr. 8 zu § 1 TVG Altersteilzeit. 132 Bayreuther, Tarifautonomie als kollektiv ausgeübte Privatautonomie, S. 236 ff.; Dieterich, in: FS Schaub, S. 117, 121; Richardi, in: Münchener Handbuch ArbeitsR, Bd. 1, § 40 Rn. 28; Schliemann, in: FS Hanau, S. 577, 582; Wiedemann/Wiedemann, TVG, Einl. Rn. 196; Giesen, Tarifvertragliche Rechtsgestaltung für den Betrieb, S. 252 ff.; Singer, ZfA 1995, 611, 618; Fastrich, in: FS Richardi, S. 127, 128. 133 Käppler, NZA 1991, 745, 749; Löwisch, RdA 2000, 312, 313; Waltermann, in: FS Söllner, S. 1251, 1266. 134 Hartmann, Gleichbehandlung und Tarifautonomie, S. 62 ff. 135 Dieser Ansatz geht zurück auf Gamillscheg, Kollektives ArbeitsR, Bd. I, S. 669. 136 Däubler/Hensche, TVG, Einl. Rn. 124c.
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Ausübung staatlicher Gewalt nicht gleichsetzen läßt137. Der Tarifvertrag läßt sich nur mit dem Konzept der grundrechtsbezogenen staatlichen Schutzpflichten erfassen138. Wie beim Individualvertrag gelten die Grundrechte nicht unmittelbar, sie kommen aber mittelbar zur Geltung139. c) Kontrollmaßstab Unsicherheiten bestehen, was den Prüfungsmaßstab anbelangt. Denn: ist nicht mehr die Abwehrfunktion, sondern die Schutzpflichtfunktion die Quelle des grundrechtlichen Einschlags, liegt es nahe, daß auch die Schutzintensität eine andere ist. (1) Grundsatz: Untermaß- nicht Übermaßverbot Zum Teil wird gefordert, daß der an den Tarifvertrag anzulegende Kontrollmaßstab jedenfalls identisch mit dem sein müsse, der für staatliche Grundrechtseingriffe gelte140. Im Ergebnis würde sich nach diesem Ansatz an der Rechtsprechung zur unmittelbaren Grundrechtsbindung nichts ändern141. Gegen die Annahme, der Tarifvertrag müsse der gleichen Kontrollintensität wie die staatliche Gesetzgebung unterliegen, ist aber einzuwenden, daß die Grundrechtsgeltung einen unterschiedlichen Ursprung hat. Zudem muß bei der tariflichen Normsetzung der verfassungsrechtliche Hintergrund in Rechnung gestellt werden. Die Tarifnormen sind selbst in Ausübung des Grundrechts der Tarifautonomie entstanden142. Damit läßt sich eine strenge 137 Fastrich, in: FS Richardi, S. 127, 128; Wiedemann/Wiedemann, TVG, Einl. Rn. 184. 138 Auch das BVerfG bejaht die Anwendbarkeit der Schutzpflichten im Arbeitsrecht. Etwa BVerfG vom 10.1.1995 – 1 BvF 1/90, 1 BvR 342/90, 1 BvR 348/90 – BVerfGE 92, 26 = AP Nr. 76 zu Art. 9 GG. 139 Belling, ZfA 1999, 547, 572 ff.; Canaris, AcP 184 (1984), 201, 243 ff.; Dieterich, in: FS Schaub, S. 117, 121; Giesen, Tarifvertragliche Rechtsgestaltung für den Betrieb, S. 246; Rieble, ZfA 2000, 5, 25; Schliemann, in: FS Hanau, S. 577, 582 ff.; Singer, ZfA 1995, 611, 618. 140 Löwisch/Rieble, in: Münchener Handbuch ArbeitsR, Bd. 3, § 259 Rn. 23; Rieble, ZfA 2000, 5, 25; Söllner, NZA 1996, 897, 901; Wiedemann/Wiedemann, TVG, Einl. Rn. 197. 141 Insbesondere Söllner, NZA 1996, 897, 901 ff. sieht im Ergebnis keinen Unterschied der Bindungsintensität bei unmittelbarer und unmittelbarer Grundrechtsbindung. Ähnlich Gamillscheg, AuR 2001, 226, 227 f.; Schwarze, ZTR 1996, 1, 7; Boemke, in: FS 50 Jahre BAG, S. 613, 613 ff. 142 Dieterich, in: FS Wiedemann, S. 225, 234; Söllner, NZA 1996, 897, 902. Daß die Tarifvertragsparteien nach Art. 9 Abs. 3 GG auch Grundrechtsberechtigte sind,
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Verhältnismäßigkeitsprüfung mit Überprüfung der Zweck-Mittel-Relation, wie sie der Gesetzgeber hinzunehmen hätte, nicht vereinbaren143. Die Funktion des Tarifvertrags als kollektiv-privatautonome Rechtsetzung käme nicht zur Geltung, wenn der strenge, für den Staat verbindliche Grundrechtsmaßstab angelegt würde. Die Grundrechtsbindung der Tarifvertragsparteien muß lockerer sein, will man nicht den Unterschied zwischen Grundrechtseingriff und Schutzpflicht verwischen144. Nur im Verhältnis zum unmittelbar gebundenen Grundrechtsadressaten entfalten die Grundrechte als Abwehrrechte ihre volle Wirkung, nur in diesem Verhältnis besteht eine einseitige Rechtfertigungslast von Grundrechtseingriffen und kommt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als Eingriffsschwelle zum Tragen. Geht es hingegen um die Durchsetzung grundrechtlicher Wertungen zwischen nicht unmittelbar Grundrechtsgebundenen, sind beiderseitige Interessen gegeneinander abzuwägen. Es gilt – wie auch sonst bei grundrechtsbezogenen Schutzpflichten – das Untermaßnicht das Übermaßverbot. Widerstreitende Interessen sind im Wege praktischer Konkordanz in einen angemessenen Ausgleich zu bringen. Während der Eingriff durch das Übermaßverbot begrenzt ist, darf der Schutz zugunsten des anderen nicht uneffektiv bleiben145. (2) Sonderfall Gleichheitssatz Dem Gleichheitssatz kommt allerdings eine Sonderstellung zu, die zu einem speziellen Kontrollbedürfnis führt. Dies rührt daher, daß es im Bereich des Arbeits- und Wirtschaftslebens zu Ungleichbehandlungen kommt, denen die Betroffenen praktisch nicht ausweichen können und deren Wirkungen sie ebenso belasten können wie Gleichheitsverstöße des Staates146. Die Frage, welche Bedeutung dem allgemeinen Gleichheitssatz innerhalb der Schutzpflichtlehre zukommt, wird jedoch nicht einheitlich beantwortet147. hindert die Annahme einer gleichzeitigen grundrechtlichen Pflichtenstellung allerdings nicht. So aber Scholz, Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, S. 370 ff. Mit zutreffender Kritik dazu Hartmann, Gleichbehandlung und Tarifautonomie, S. 53 ff. 143 Dieterich, in: FS Schaub, S. 117, 121 ff.; Schliemann, in: FS Hanau, S. 577, 587. 144 BAG vom 30.8.2000 – 4 AZR 563/99 – AP Nr. 25 zu § 4 TVG Geltungsbereich = EzA Art. 9 GG Nr. 74 = NZA 2001, 613; Schliemann, ZTR 2000, 198, 202; Däubler/Schiek, TVG, Einl. Rn. 171; Dieterich, in: FS Schaub, S. 117, 124; ders., in: ErfK, Einl. GG Rn. 22. 145 Grundlegend Canaris, AcP 184 (1984), 201, 228; so auch BVerfG vom 28.5.1993 – 2 BvF 2/90 – BVerfGE 88, 203 = NJW 1993, 1751. 146 Heun, in: Dreier, GG, Art. 3 Rn. 66.
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Insbesondere die einzelnen Senate des BAG gelangen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Gegen jedes nur halbwegs effektive Schutzkonzept stellt sich der Vierte Senat. Gestützt auf die Urteile vom 30.8.2000148 und vom 29.8.2001149 geht er davon aus, daß den Tarifvertragsparteien wegen der Besonderheiten der tarifvertraglichen Einigung sowie der mangelnden Klarheit des anzuwendenden Prüfungsmaßstabs durch Art. 3 Abs. 1 GG bis zur Grenze der Willkür keine Schranken gezogen seien. Das Gleichbehandlungsgebot wird so auf eine grobe Willkürkontrolle reduziert150. Dem folgt die Mehrzahl der BAG-Senate zu Recht nicht: so halten der Fünfte, Sechste und Siebte Senat einen strengen Prüfungsmaßstab für erforderlich, der sich von der unmittelbaren Grundrechtsbindung kaum unterscheidet151. Dem folgt auch der Dritte Senat, der sogar offen läßt, ob die Grundrechte unmittelbar oder mittelbar zur Geltung kommen152. Im Ergebnis ist einem strengen Prüfungsmaßstab zuzustimmen, wenn sich auch aus der Schutzpflichtfunktion der Grundrechte lediglich eine mittelbare Bindung an das Gleichheitsgebot ergeben kann. Gleichheitsgrundrechte unterscheiden sich zwar in ihrer Normstruktur und den Rechtsfolgen, nicht aber im Umfang ihres Geltungsanspruchs von den Freiheitsgrundrechten. Der prinzipielle Gegensatz von Grundrechtsadressaten und Grundrechtsträgern kennzeichnet alle Grundrechte gleichermaßen153. Zwischen verfassungsrechtlichen Freiheitsrechten und Gleichheitsgeboten bestehen aber Unterschiede, was bei der Bindung an die Gleichbehandlungsgebote ein strengeres Kontrollbedürfnis zur Folge hat154. Der Unter147 Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 211, will den allgemeinen Gleichheitssatz auf Tarifverträge überhaupt nicht anwenden, weil dieser allein „staatsgerichtet“ sei. 148 BAG vom 30.8.2000 – 4 AZR 563/99 – AP Nr. 25 zu § 4 TVG Geltungsbereich = EzA Art. 9 GG Nr. 74 = NZA 2001, 613. 149 BAG vom 29.1.2001 – 4 AZR 352/00 – AP Nr. 291 zu Art. 3 GG = EzA Art. 3 GG Nr. 93 = NZA 2002, 863. 150 Löwisch/Rieble, TVG, § 1 Rn. 222. 151 BAG vom 7.12.2005 – 5 AZR 228/05 – AP Nr. 34 zu § 1 TVG Tarifverträge: Lufthansa = EzA § 4 EntgeltfortzG Nr. 13 = NZA 2006, 880; BAG vom 27.5.2004 – 6 AZR 129/03 – AP Nr. 5 zu § 1 TVG Gleichbehandlung = EzA Art. 9 GG Nr. 80 = NZA 2004, 1399; BAG vom 25.8.2004 – 7 AZR 39/04 – EzA § 4 TVG Luftfahrt Nr. 10 = NZA 2005, 240; BAG vom 31.7.2002 – 7 AZR 140/01 – AP Nr. 14 zu § 1 TVG Tarifverträge: Luftfahrt = EzA Art. 9 GG Nr. 78 = NZA 2002, 1155. 152 BAG vom 12.10.2004 – 3 AZR 571/03 – AP Nr. 2 zu § 3g BAT = EzA Art. 3 GG Nr. 102 = NZA 2005, 1127. 153 Dieterich, Anm. zu BAG vom 4.4.2000 – 3 AZR 729/98 – RdA 2001, 112, 115. 154 Dieterich, in: ErfK, Einl. GG Rn. 45.
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schied zwischen Abwehr- und Schutzfunktion ist bei den Gleichheitsrechten deutlich geringer als bei den Freiheitsrechten. Das folgt aus der grundrechtlichen Normstruktur: Gleichheitsgebote verbürgen keine den Freiheitsrechten entsprechende Gewährleistung. Sie statuieren vielmehr ein allgemeines Rechtsprinzip, das darauf abzielt, eine Gleichbehandlung vergleichbarer Sachverhalte sicherzustellen. Hierbei geht es nicht allein um Individualrechtspositionen, sondern um formale Gerechtigkeit als Merkmal der rechtsstaatlichen Ordnung155. Mit Wiedemann156 kann auf den Gedanken der Normsetzungsakzessorietät zurückgegriffen werden: an den Gleichheitsgrundsatz ist jeder Normsetzer gebunden157. Dazu bedarf es keines Rückgriffs auf die Delegation. Die Bindung an den Gleichheitssatz ist nicht von derjenigen abgeleitet, der der staatliche Gesetzgeber unterliegt. Sie ist der Regelung typischer Sachverhalte durch Normen immanent158. Ist aber die Notwendigkeit staatlichen Eingreifens im Wege der Schutzpflichtfunktion zu bejahen159, kann für die Frage des Wie nichts anderes gelten als bei der Abwehr staatlicher Ungleichbehandlungen. Der inhaltliche Prüfungsmaßstab kann sich insofern an den von der Verfassungsgerichtsbarkeit gegebenen Ausformungen orientieren. (3) Verstärkter Kontrollmaßstab bei mittelbarer Außenseiterwirkung Im Hinblick auf nicht normativ tarifgebundene Arbeitsverhältnisses, die mittelbar von der tariflichen Rechtsetzung betroffen sind, ist entscheidend, daß sich diese nicht auf eine legitimatorische Grundlage stützen kann. Die Rechtsetzung ist weder mitgliedschaftlich noch staatlich legitimiert. Die mittelbare Einflußnahme ist ausschließlich fremdbestimmt. Außenseiter haben keinerlei Einfluß auf die tarifliche Rechtsetzung. Auch die Option, der Rechtsetzung durch Austritt zu entkommen, besteht nicht. Das könnte auf den ersten Blick dazu verleiten, hier eine unmittelbare Bindung an die Grundrechte anzunehmen, fehlt es doch an sämtlichen Faktoren, welche zur (bloß) mittelbaren Bindung an die Grundrechte der Ver155 P. Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, § 124 Rn. 46 ff., 150 ff. 156 Wiedemann, RdA 2005, 193, 195; ders., in: Wiedemann, TVG, Einl. Rn. 204. 157 Auch die Vereinigungsfreiheit garantiert den Verbandsmitgliedern nach Art. 9 Abs. 1 GG im mitgliedschaftlichen Rechtsverhältnis Gleichbehandlung; vgl. § 53a AktG. 158 Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 82; Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille, S. 347 ff. 159 Für den Tarifvertrag bezeichnete G. Hueck, Grundsatz, S. 59, dies als Selbstverständlichkeit.
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bandsmitglieder führen. Dennoch kann eine unmittelbare Grundrechtsbindung, die allein aus Art. 1 Abs. 3 GG abzuleiten wäre, nicht in Betracht kommen. Die dafür erforderlichen Voraussetzungen staatlich delegierter oder hoheitlich angeordneter Rechtsetzung sind nicht gegeben. Der Grundrechtseinschlag kann auch gegenüber Außenseitern nur aus der Schutzpflichtfunktion abgeleitet werden160. Obwohl es an der Legitimation gegenüber Außenseitern fehlt, beruht der Geltungsgrund des Tarifvertrags ausschließlich auf der Verbandsautonomie, legitimiert durch die Verbandsmitglieder. Im Privatrechtsverhältnis können Grundrechte aber ausschließlich über staatliche Schutzpflichten zur Geltung gelangen. Das gilt unabhängig davon, ob der konkret Grundrechtsbetroffene die fremdbestimmte Normsetzung durch privatautonomen Willensakt legitimiert hat oder nicht. Legitimationsdefizite auszugleichen ist gerade die Aufgabe der Schutzpflichtlehre. Aufgrund der ausschließlichen Fremdbestimmung von Außenseitern, die mittelbar vom Regelungsbereich eines Tarifvertrags betroffen sind, muß jedoch ein strenger Kontrollmaßstab angelegt werden. Denn die, maßgeblich den Unterschied zwischen Abwehr- und Schutzfunktion bestimmenden, Umstände, die bei Verbandsmitgliedern zu einem gegenüber dem Gesetzgeber abgeschwächten Kontrollmaßstab führen, liegen bei Außenseitern nicht vor. Weder sind diese an der Willensbildung des Verbands beteiligt, noch liegt von ihrer Seite eine verbandliche „Belastungseinwilligung“ vor. Im Bereich des Außenseiterschutzes müssen die Tarifvertragsparteien einen ebenso strengen Kontrollmaßstab gegen sich gelten lassen, wie er bei hoheitlicher Rechtsetzung gelten würde. Daraus ergibt sich im Grundsatz ein differenzierter Grundrechtsschutz, denn der strenge Kontrollmaßstab kann nur bei Außenseitern Anwendung finden. Verbandsmitglieder sind auf einen abgeschwächten Schutz verwiesen, da sie die tarifliche Normsetzung durch ihre Mitgliedschaft legitimieren. (4) Ausnahme bei Tarifanwendung kraft Bezugnahmeklausel Der Gegensatz zwischen Organisierten und Nichtorganisierten verschiebt sich, wenn letztere die Tarifanwendung arbeitsvertraglich kraft Bezugnahmeklausel vereinbaren161. Aus der individualvertraglichen Vereinbarung ergibt sich dann die Legitimation zur fremdbestimmten Normsetzung, die sich von der mitgliedschaftlichen Legitimation im wesentlichen nicht unterscheidet. Das führt dementsprechend zum gleichen grundrechtlichen Kon160 161
A. Wiedemann, Die Bindung der Tarifnormen an Grundrechte, S. 250. Allgemein zur Bezugnahme auf Tarifverträge oben § 1 D., S. 43 ff.
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trollmaßstab162. Außenseiter können sich nicht auf einen stärkeren Grundrechtsschutz als Organisierte berufen, wenn sie die tarifliche Normsetzung arbeitsvertraglich legitimieren. Diese Grundsätze gelten jedenfalls, soweit der ansonsten einschlägige Tarifvertrag in Bezug genommen wird, mit der Bezugnahmeklausel also lediglich das Geltungsdefizit der Gewerkschaftszugehörigkeit ersetzt wird163. Es wäre in der Tat nicht einzusehen, daß die grundsätzliche Billigung der Tarifergebnisse – auf der einen Seite durch Mitgliedschaft, auf der anderen Seite qua Verweisungsklausel im Arbeitsvertrag – zu Unterschieden hinsichtlich der Grundrechtsbindung führen sollte. (5) Kontrollmaßstab bei Differenzierungsklauseln Die arbeitsvertragliche Bezugnahme kann indessen nicht als Legitimation für Differenzierungsklauseln herangezogen werden. Handelt es sich um tarifvertragliche Regelungen, die einer Gleichstellung durch arbeitsvertragliche Bezugnahme nicht zugänglich sind, fehlt es an der durch Bezugnahme herbeiführbaren Rechtsfolge. Die arbeitsvertragliche Legitimation kann nur soweit reichen, wie diese Möglichkeit offen steht. Nur diese Wirkung wird mit der arbeitsvertraglichen Verweisung legitimiert. Fehlt es insoweit an der vertraglichen Legitimation, bleibt es bei der strengen Grundrechtsgeltung, die allein ausreichenden Schutz gewährleistet164. Ein ähnlicher Gedanke liegt dem beschränkten Kontrollprivileg der AGB-Kontrolle zugrunde: wird auf einen tariflich nicht zugänglichen Tarifinhalt verwiesen, löst das ebenso die volle AGB-Kontrolle aus165. Hinzu tritt bei Differenzierungsklauseln die hohe Intransparenz der Regelung, die sich aus der mittelbaren Regelungstechnik ergibt166. Auch diesem Umstand ist durch einen strengen Kontrollmaßstab Rechnung zu tragen. Schließlich kommt dem Gesichtspunkt des Repräsentationsdefizits, der schon allgemein die strukturelle Unterlegenheit kennzeichnet, eine besondere Bedeutung zu. Neben die absente Interessenwahrnehmung gegenüber Außenseitern tritt ein offener Interessengegensatz: nicht nur, daß Außensei162
So auch BAG vom 7.6.2006 – 4 AZR 316/05 – AP Nr. 15 zu § 611 BGB Hausmeister = EzA Art. 11 GG Nr. 1 = NZA 2007, 343; BAG vom 25.6.2003 – 4 AZR 405/02 – AP Nr. 1 zu § 1 TVG Beschäftigungssicherung = EzA Art. 3 GG Nr. 99 = NZA 2004, 215. 163 Nur Däubler/Schiek, TVG, Einl. Rn. 235; sowie Schliemann, FS Hanau, S. 577, 588. 164 s. § 2 C. I. 2. c) (3), S. 88 f. 165 Vgl. § 1 D. II., S. 48 ff.; speziell zu organisatorischen Geltungsbereichsbeschränkungen § 2 B. II. 3. c), S. 71 f. 166 Zur tarifvertraglichen Gestaltung von Differenzierungsklauseln § 2 B. II, S. 68.
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terinteressen unberücksichtigt blieben – was für sich schon den Schutz vor Fremdbestimmung auf den Plan riefe – mehr noch: Außenseiter werden gezielt schlechter gestellt. Dies führt dazu, daß der anzulegende grundrechtliche Kontrollmaßstab entsprechend streng ausfallen muß167. Es ist kein relevanter Anhalt gegeben, aufgrund dessen eine Reduktion des Grundrechtsschutzes gegenüber Außenseitern in Betracht käme. Absurd wäre die Vorstellung, dies aus Gleichbehandlungsgesichtspunkten herzuleiten, wollen Differenzierungsklauseln die Gleichstellung doch gerade verhindern. II. Verfassungsrechtliche Schranken für Differenzierungsklauseln 1. Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG Die Tarifvertragsparteien sind in besonderer Form an den Gleichheitssatz gebunden168. Der Prüfungsmaßstab ist mit dem des Gesetzgebers vergleichbar. Insofern kann auf die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zurückgegriffen werden169. a) Schutzumfang des Art. 3 Abs. 1 GG Der allgemeine Gleichheitssatz zielt darauf ab, eine Gleichbehandlung von Personen in vergleichbaren Sachverhalten sicherzustellen170. Dies ist Ausdruck eines allgemeinen Gerechtigkeitsgedankens und ein fundamentales Rechtsprinzip171. Auch die privatautonom begründete Normsetzung ist uneingeschränkt diesem Prinzip verpflichtet172. Maßgeblicher Bezugspunkt ist die Frage, ob eine Personengruppe gegenüber einer anderen ohne hinreichenden sachlichen Grund unterschiedlich behandelt wird. 167
Ebenso Giesen, Tarifvertragliche Rechtsgestaltung für den Betrieb, S. 262. Dazu oben § 2 C. I. 2. c) (2), S. 86 ff. 169 Dieterich, in: ErfK, Einl. GG Rn. 57, 58; Giesen, Tarifvertragliche Rechtsgestaltung für den Betrieb, S. 267; Willemsen/Kalb/Henssler, Arbeitsrecht Kommentar, Einl. TVG Rn. 16; Hromadka/Maschmann, Arbeitsrecht Bd. 2, § 13 Rn. 164 f.; Wiedemann, RdA 2005, 193, 195; gegen jegliche Wirkung des allgemeinen Gleichheitssatzes im Privatrechtsverhältnis wendet sich Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 211. 170 Dieterich, in: ErfK, Art. 3 GG Rn. 35; Wiedemann/Wiedemann, TVG, Einleitung Rn. 203. 171 BVerfG vom 31.5.1988 – 1 BvL 22/85 – BVerfGE 78, 232 = NJW 1988, 3258. 172 Dazu soeben § 2 C. I. 2. c) (2), S. 86 f. 168
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Allerdings gilt dies bei der Normsetzung nur innerhalb des dieser Normsetzung zugänglichen Bereichs. Auch der private Normgeber kann grundsätzlich nicht auf Gleichbehandlung nicht beteiligter Dritter verpflichtet werden. Dies folgt daraus, daß die Anforderungen an eine gleichheitsgerechte Behandlung ein hinreichendes Maß an folgerichtiger Wertung verlangen, was nur innerhalb eines Ordnungsrahmens geschehen kann, der von ein und demselben Regelgeber gesetzt wird. Bei Tarifverträgen gilt das jedoch nicht uneingeschränkt, weil der Tarifinhalt auch von nicht tarifgebundenen Parteien des Einzelarbeitsverhältnisses in zulässiger Weise in Bezug genommen werden kann. Daraus folgt mittelbar eine Erweiterung des Gleichheitssatzes173. Die im Rahmen des Art. 3 Abs. 1 GG relevante Vergleichsgruppe bilden alle – wenn auch nur mittelbar – von der Tarifnormsetzung betroffenen Arbeitnehmer174. Liegt der Grund für die strenge Bindung privater Normgeber an den Gleichheitssatz gerade darin, die von der Normsetzung Betroffenen vor einer willkürlichen Ungleichbehandlung zu schützen, muß sich die Gleichbehandlung entsprechend auch auf alle Betroffenen erstrecken175. Der von Art. 3 Abs. 1 GG vermittelte Schutz wäre letztlich ohne Wert, wenn der Regelungsgeber zwar nicht den Regelungsbereich, aber den Bereich, innerhalb dessen er gleichbehandelt, selbst aussuchen könnte. Nehmen nicht tarifgebundene Arbeitnehmer den Tarifinhalt arbeitsvertraglich in Bezug, erstreckt sich der Schutz des allgemeinen Gleichheitssatzes auch auf sie. Damit sind tarifliche Differenzierungsklauseln am allgemeinen Gleichheitssatz zu messen. b) Rechtfertigung der Ungleichbehandlung Allein aus der Ungleichbehandlung vergleichbarer Fallgruppen folgt noch keine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes. Ein Grundrechtsverstoß liegt erst vor, wenn die Ungleichbehandlung nicht in ausreichendem Maß gerechtfertigt ist. Für eine Rechtfertigung im Rahmen des Art. 3 Abs. 1 GG wendet das BVerfG unterschiedliche Maßstäbe an, je nachdem, ob sich die 173 BAG vom 25.4.1995 – 3 AZR 446/94 – AP Nr. 25 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung = EzA § 1 BetrAVG Gleichbehandlung Nr. 8 = NZA 1996, 84; BAG vom 17.10.1995 – 3 AZR 882/94 – AP Nr. 132 zu § 222 BGB Gleichbehandlung = EzA Art. 3 GG Nr. 49 = NZA 1996, 656. 174 Nur Wiedemann/Wiedemann, TVG, Einl. Rn. 216. 175 Hier reicht der Hinweis, daß die normative Gestaltungsmacht auf die organisierten Arbeitnehmer beschränkt ist, nicht aus, da Differenzierungsklauseln unbestreitbar mittelbare Auswirkungen auf Außenseiterarbeitsverhältnisse haben. Wenig überzeugend daher Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 212.
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Ungleichbehandlung auf Personengruppen oder auf Sachverhalte bezieht176. Da es sich bei der Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit stets um eine Ungleichbehandlung von Personengruppen handelt, ist der Gleichheitssatz verletzt, wenn zwischen den Vergleichsgruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie diese Ungleichbehandlung rechtfertigen können177. Dies geht über eine bloße Willkürkontrolle hinaus. Es ist erforderlich, daß ein sachlicher Grund die Ungleichbehandlung deckt178. (1) Beurteilungsspielraum der Tarifvertragsparteien Trotz Bindung an den allgemeinen Gleichheitssatz, ist dem Schutz der Tarifautonomie dadurch Rechnung zu tragen, daß den Tarifvertragsparteien bei der Abgrenzung der Vergleichsgruppen ein Beurteilungsspielraum eingeräumt wird179. Insofern kommt ihnen bezüglich der tatsächlichen Gegebenheiten eine Einschätzungsprärogative zu. Es besteht keine Pflicht, die zweckmäßigste und vernünftigste Lösung zu wählen, es genügt, wenn für die getroffene Regelung ein sachlich vertretbarer Grund besteht180. Das „Ob“ des Tarifabschlusses wird durch den allgemeinen Gleichheitssatz nicht diktiert. Weiter reicht die Gestaltungsfreiheit indessen nicht. Wie insbesondere Zöllner für die Fragen der Beschäftigungspolitik und Arbeitszeit nachgewiesen hat, sind Verteilungsfragen von der tarifvertraglichen Richtigkeitsgewähr nicht erfaßt, da auf einer Seite lediglich das Gesamtergebnis und nicht die konkrete Verteilung maßgeblich ist181. Auch bei der Bestimmung des persönlichen Geltungsbereichs ist der Tarifautonomie vor Art. 3 Abs. 1 GG kein Vorrang eingeräumt182. Andernfalls blieben die Interessen nicht und 176
Etwa BVerfG vom 30.5.1990 – 1 BvL 2/83 – BVerfGE 82, 126, 146 = AP Nr. 28 zu § 622 BGB = EzA § 622 nF BGB Nr. 27. 177 BVerfG vom 11.1.1995 – 1 BvR 892/88 – BVerfGE 92, 53, 68 f. = AP Nr. 209 zu Art. 3 GG = EzA Art. 3 GG Nr. 44; BVerfG vom 7.10.1980 – 1 BvL 50/79, 1 BvL 89/79, 1 BvR 240/79 – BVerfGE 55, 72, 88 = NJW 1981, 271. 178 Vgl. Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille, S. 350, der auf den verbandsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz zurückgreift. Dagegen Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 83. 179 Franzen, RdA 2005, 241, 243; Löwisch/Rieble, TVG, § 1 Rn. 259 ff.; Schlachter, Jahrbuch des Arbeitsrechts 2002, Bd. 40, 2003, S. 51, 61; Wiedemann/ Wiedemann, TVG, Einleitung Rn. 218. 180 BAG vom 27.5.2004 – 6 AZR 129/03 – AP Nr. 5 zu § 1 TVG Gleichbehandlung = EzA Art. 9 GG Nr. 80 = NZA 2004, 1399. 181 Zöllner, DB 1989, 2121, 2122. 182 Anders der Vierte Senat des BAG vom 30.8.2000 – 4 AZR 563/99 – AP Nr. 25 zu § 4 TVG Geltungsbereich = EzA Art. 9 GG Nr. 74 = NZA 2001, 613.
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minder repräsentierter Arbeitnehmergruppen stets und dauerhaft unberücksichtigt183. (2) Rechtfertigung durch Eigeninteressen der Koalitionen? Nicht geklärt ist, ob für Grundrechtseinschränkungen Eigeninteressen der Koalitionen zu berücksichtigen sind. Das scheint auf den ersten Blick nahe zu liegen, wird doch die Tarifautonomie aus der Koalitionsfreiheit abgeleitet, in deren Rahmen die Verfolgung von Maßnahmen, die dem Erhalt und der Sicherung einer Koalition dienen, anerkannt ist184. Daraus könnte folgen, daß jene Interessen als legitimes Ziel anzuerkennen sind und Grundrechtseineingriffe hinzunehmen wären, die aus koalitionspolitischen Motiven vorgenommen werden185. Gegen eine Übertragung auf die Rechtsetzungsbefugnis spricht aber, daß sich auch nicht tariffähige Koalitionen auf Art. 9 Abs. 3 GG berufen können186. Ein Rückschluß auf die Rechtsetzungsbefugnis ist somit nicht zwingend187. Dagegen spricht auch, daß den Tarifvertragsparteien keine über die Interessen ihrer Mitglieder hinausgehende Autonomie und keine über den durch Art. 9 Abs. 3 GG zugewiesenen Regelungsbereich hinausgehende Funktion zusteht188. Die durch den Zusammenschluß in einer Koalition gebildete Verhandlungsmacht kann nur zur Gestaltung der Arbeitsverhältnisse der Mitglieder eingesetzt werden. Auf diese Weise können lediglich individuelle Interessen gemeinschaftlich verfolgt werden189. Aus der treuhänderischen Stellung der Tarifparteien folgt, daß ein über die Mitgliederinteressen hinausgehendes Eigeninteresse bei der tarifvertraglichen Rechtsetzung nicht anzuerkennen ist. So kann der Arbeitgeber tarifvertraglich nicht verpflichtet werden, den Gewerkschaftsbeitrag einzuziehen, weil darin ein unzulässiger Eingriff in die Lohnverwendung läge, der ebenso nicht durch reine Koali183
Zutreffend Franzen, RdA 2005, 241, 245; ders., in: ErfK, § 4 TVG Rn. 17; Löwisch/Rieble, TVG, § 4 Rn. 64. 184 BAG vom 29.2.2006 – 1 AZR 460/04 – AP Nr. 127 zu Art. 9 GG = EzA Art. 9 GG Nr. 87 = NZA 2006, 798; BVerfG vom 14.11.1995 – 1 BvR 601/92 – BVerfGE 93, 352 = AP Nr. 80 zu Art. 9 GG = EzA Art. 9 GG Nr. 60; zum Ganzen auch Höfling, in: Sachs, GG, Art. 9 Rn. 64. 185 Gamillscheg, Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit, S. 49 f.; Krüger, Verhandlungen des 46. Deutschen Juristentages, Bd. I, Teil 1, S. 91. 186 BAG vom 19.9.2006 – 1 ABR 53/05 – AP Nr. 2 zu § 2 BetrVG 1972 = NZA 2007, 518. 187 So auch Wiedemann/Wiedemann, TVG, Einl. Rn. 427. 188 Zur sachlichen Reichweite der Tarifautonomie oben § 1 B. II., S. 26 ff.; s. auch Picker, NZA 2002, 761, 768 f. 189 Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille, S. 345.
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tionsinteressen gerechtfertigt werden kann190. Das gilt im Verhältnis zu den Mitgliedern, wie auch gegenüber Außenseitern. Man könnte zwar annehmen, daß die Verfolgung koalitionsspezifischer Interessen zugleich eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Mitglieder mit sich bringt. Aber selbst das hilft nicht weiter. Die Verfolgung koalitionspolitischer Ziele läßt sich per se nicht mit dem Koalitionszweck rechtfertigen. Die den Tarifvertragsparteien zugewiesene und verfassungsrechtlich geschützte Funktion erstreckt ihren Schutz nur insoweit auf die Koalitionen, als die Ausübung ihrer Zuständigkeit in Frage steht. Ein besonderer Schutz der Tarifparteien ist damit nicht verbunden. Auf den Schutz der Koalitionsfreiheit kann sich insbesondere nicht gestützt werden, wenn es um die Beschränkung der freiwilligen Verbandszugehörigkeit geht191. Differenzierungsklauseln werden im übrigen nicht im Interesse der einzelnen Mitglieder, sondern allein aus organisationspolitischen Gründen vereinbart192. Es geht dabei allein um den Schutz der Organisation selbst vor einer Bedrohung ihrer Effektivität durch die Außenseiter. Zutreffend hat ebenso der Große Senat des BAG in seiner Entscheidung 1967 betont, daß die Tarifvertragsparteien insoweit „außerhalb ihrer Rechtsmacht“ handeln193, was nichts anderes bedeutet, als daß sie sich für die damit verbundenen Grundrechtseinschränkungen nicht auf die Koalitionsfreiheit berufen können. (3) Gesetzliche Begrenzung der Tarifgeltung Ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung nach der Verbandszugehörigkeit ist nur durch die gesetzlich begrenzte normative Tarifgeltung selbst vorgegeben. Allerdings führt das nicht dazu, daß jedwede Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit zulässig wäre – als wenn die Schlechterstellung von Außenseitern gesetzlich angeordnet wäre. Eine Rechtfertigung kommt nur im Rahmen des Gesetzes in Betracht. Gleichwohl entspricht es einer verbreiteten Ansicht, daß jede Ungleichbehandlung von organisierten und nicht- oder anders organisierten Arbeitnehmern durch die auf die Mitglieder der Tarifvertragsparteien begrenzte 190
Bauer/Arnold, NZA 2005, 1209, 1212; Löwisch/Rieble, TVG, § 1 Rn. 163. Franzen, RdA 2005, 241, 245, Giesen, Tarifvertragliche Rechtsgestaltung für den Betrieb, S. 267; Reuter, in: Münchener Kommentar zum BGB, Vorbem. Rn. 102; s. bereits Biedenkopf, Grenzen der Tarifmacht, S. 105. 192 Dazu oben § 2 A., S. 61 f. 193 BAG (GS) vom 29.11.1967 – GS 1/67 – AP Nr. 13 zu Art. 9 GG = EzA Art. 9 GG Nr. 3; in bezug auf Stichtagsregelungen nunmehr bestätigt durch BAG vom 9.5.2007 – 4 AZR 275/06 – ArbuR 2007, 210 = ArbeitsRB 2007, 161. 191
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Tarifgeltung sachlich gerechtfertigt sei194. Eine sachfremde Ungleichbehandlung liege nicht vor, da die Differenzierung zwischen tarifgebundenen und nichtorganisierten Arbeitnehmern auf der gesetzgeberischen Entscheidung bezüglich der Ausgestaltung des Tarifvertragsrechts beruhe195. Das überzeugt indessen nicht. Die gesetzliche Regel des § 3 Abs. 1 TVG besagt nur, daß Außenseiter nicht normativ von der tariflichen Normsetzung erreicht werden. Insofern müssen sie es hinnehmen, daß Ansprüche aus nicht allgemeinverbindlichen Tarifverträgen nur tarifgebundenen Arbeitnehmern unmittelbar und zwingend zustehen. Das Gesetz beschränkt nur die normative Wirkung, überläßt es aber der Vertragsfreiheit, den Inhalt von Kollektivvereinbarungen zu übernehmen. Eine generelle Schlechterstellung von nichtorganisierten Arbeitnehmern ist gesetzlich nicht intendiert196. Vielmehr verbleibt den nicht tarifgebundenen Arbeitsvertragsparteien die Chance, die Vorteile geltender und zukünftiger Tarifwerke arbeitsvertraglich zu vereinbaren197. Die begrenzte Normwirkung kann folglich nur herangezogen werden, wenn es den Arbeitsvertragsparteien überlassen bleibt, den Kollektivinhalt vertraglich zu übernehmen. Dadurch wird nicht die fehlende Tarifbindung ersetzt. Der Gleichbehandlungsgrundsatz bewahrt nur die rechtliche Möglichkeit, den Tarifvertrag in Bezug zu nehmen. Nicht im Widerspruch dazu stehen die Entscheidungen des BAG zu den Belastungsquoten beim Vorruhestand, bei denen das Gericht eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes verneint hat198. Die diesen Judikaten zugrunde liegenden Tarifverträge sahen vor, daß der Arbeitgeber nur bis zu einer bestimmten Quote, bezogen auf die Gesamtbelegschaft, verpflichtet war, mit Arbeitnehmern Vereinbarungen über den Vorruhestand zu treffen. Zu klären war die Frage, ob nichtorganisierte Arbeitnehmer bei der Ausfüllung dieses Leistungsrahmens mitzurechnen waren. Jedenfalls blieb es den nicht- und anders organisierten Arbeitnehmern unbenommen, mit dem Arbeitgeber eine Vorruhestandsregelung zu treffen. Auf diese Möglichkeit 194
Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 329; Däubler/Schiek, TVG, Einl. Rn. 299; Gamillscheg, Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit, S. 47 ff.; Kempen/Zachert, TVG, Grundl. Rn. 162; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 211 f. 195 Gamillscheg, Kollektives ArbeitsR, Bd. I, S. 358 f.; Däubler/Hensche, TVG, § 1 Rn. 880. 196 Zur Zulässigkeit der arbeitsvertraglichen Bezugnahme auf Tarifverträge oben § 1 D. I. 2., S. 45. 197 Wiedemann/Wiedemann, TVG, Einleitung Rn. 229 f., 290, ders., RdA 2007, 65, 67. 198 BAG vom 21.1.1987 – 4 AZR 547/86 – AP Nr. 47 zu Art. 9 GG = EzA Art. 9 GG Nr. 42 = NZA 1987, 233; BAG vom 21.1.1987 – 4 AZR 486/86 – AP Nr. 46 zu Art. 9 GG.
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wurde in den betreffenden Tarifverträgen sogar hingewiesen. Insofern kollidierte diese Regelung – gleich zu welchem Ergebnis man im übrigen gelangt – nicht mit dem Gleichheitssatz, da die Chance der Außenseiter, eine entsprechende Regelung zu treffen, nicht negiert wurde. c) Folgerungen für die Zulässigkeit von Differenzierungsklauseln (1) Gleicher Maßstab für normative oder schuldrechtliche Tarifregelungen Die Grundrechtskontrolle anhand des Art. 3 Abs. 1 GG erstreckt sich nach überwiegender Meinung auf den normativen Teil des Tarifvertrags, was insbesondere Abstands- und Spannensicherungsklauseln betrifft. Die gleichen grundrechtlichen Schranken müssen aber auch für den schuldrechtlichen Teil gelten199. Der Grundrechtsschutz wäre drastisch relativiert, wenn der Arbeitgeber tarifvertraglich verpflichtet werden könnte, eine normativ an grundrechtlichen Schranken scheiternde Regelung durchzusetzen, obgleich die Grundrechte ebenso vor mittelbarer Betroffenheit schützen200. Die rechtlichen Anforderungen richten sich hier wie sonst nicht nach der formalen Konstruktion, sondern nach der materiellen Wirkung. Da sich die Wirkungen schuldrechtlicher Regelungen praktisch nicht wesentlich von denen einer normativen Regelung unterscheiden, kann für sie nichts anderes gelten201. (2) Zulässigkeit von einfachen Differenzierungsklauseln Da Art. 3 Abs. 1 GG lediglich einer über die gesetzliche Begrenzung der Tarifgeltung hinaus gehenden Schlechterstellung von Außenseitern im Weg steht, ergeben sich daraus keine Schranken für einfache Differenzierungsklauseln. Beschränkte einfache Differenzierungsklauseln, die es Außenseitern nicht verbieten, den Tarifinhalt arbeitsvertraglich zu übernehmen, sind deshalb ohne weiteres mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Das gilt auch für allgemeine einfache Differenzierungsklauseln, die sich zwar nicht bloß an der Gesetzeslage orientieren, weil sie auch anders organi199
Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 85; A. Hueck, Tarifausschlußklausel, S. 55. 200 So deutlich schon das BVerfG vom 9.5.1972 – 1 BvR 518/62, 1 BvR 308/64 – BVerfGE 33, 125, 160: „Schutzwürdige Interessen von Nichtmitgliedern (Berufsanwärtern) berühren“; BVerfG vom 14.6.1983 – 2 BvR 488/80 – BVerfGE 64, 208, 214 = AP Nr. 21 zu § 9 BergmannsVersorgScheinG NRW. 201 Giesen, Tarifvertragliche Rechtsgestaltung für den Betrieb, S. 265; Löwisch/ Rieble, TVG, § 3 Rn. 278.
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sierten Arbeitnehmern tarifliche Leistungen zugestehen. Darin liegt aber kein Gleichheitsverstoß, da die vertragsschließenden Tarifvertragsparteien auf anders Organisierte keinen Regelungszugriff haben. Sie öffnen ihren Tarifvertrag lediglich tatbestandlich. Diese tatbestandliche „Besserstellung“ ist rechtlich aber nicht relevant, da weder gegenüber anders Organisierten noch gegenüber Nichtorganisierten unmittelbare Rechtsfolgen erzeugt werden. (3) Zulässigkeit von organisatorischen Geltungsbereichsbeschränkungen Auch die organisatorische Geltungsbereichsbeschränkung befreit nicht von der Beachtung allgemein gültiger rechtlicher Schranken. Der Geltungsbereich gehört zum Inhalt eines Tarifvertrags. Für die Betroffenen ist es kein Unterschied, ob eine Bestimmung sie sachwidrig benachteiligt oder ob der ganze Tarifvertrag nicht gilt202. Zwischen organisatorischen Geltungsbestimmungen und abweichenden inhaltlichen Regelungen bestehen nur graduelle Unterschiede, häufig ist es nur eine Frage der Formulierung, ob der Ausschluß vor die Klammer gezogen oder inhaltlich festgeschrieben ist. Nicht gefolgt werden kann daher dem Vierten Senat, der für die Vereinbarung des persönlichen Geltungsbereichs zu dem Schluß kommt, daß die Tarifvertragsparteien bis zur Grenze der Willkür nicht an Art. 3 Abs. 1 GG gebunden sind203. Entgegen der Ansicht des Senats, läßt die Schutzpflichtfunktion der Grundrechte nach Inhalt und Gegenstand keine Beschränkungen der daraus folgenden Anforderungen entsprechend der Art der koalitionsspezifischen Betätigung zu204. Unabhängig davon, ob materielle Arbeitsbedingungen in einem Tarifvertrag geregelt werden oder die Entscheidung getroffen wird, bestimmte Arbeitnehmergruppen nicht in den Geltungsbereich eines Tarifvertrags einzubeziehen, müssen die gleichen Prüfungsmaßstäbe angelegt werden205. 202 Vgl. BAG vom 19.8.1989 – 3 AZR 370/88 – AP Nr. 6 zu § 2 BeschFG 1985 = EzA § 2 BeschFG 1985 Nr. 3 = NZA 1990, 37. 203 BAG vom 30.8.2000 – 4 AZR 563/99 – AP Nr. 25 zu § 4 TVG Geltungsbereich = EzA Art. 9 GG Nr. 74 = NZA 2001, 613; BAG vom 29.8.2001 – 4 AZR 352/00 – AP Nr. 291 zu Art. 3 GG = EzA Art. 3 GG Nr. 93 = NZA 2002, 863; offen gelassen von BAG vom 5.10.1999 – 4 AZR 668/98 – AP Nr. 70 zu § 1 TVG Tarifverträge: Einzelhandel = EzA § 4 TVG Einzelhandel Nr. 40 = NZA 2000, 1302. 204 So zu Recht der Sechste Senat des BAG vom 27.5.2004 – 6 AZR 129/03 – AP Nr. 5 zu § 1 TVG Gleichbehandlung = EzA Art. 3 GG Nr. 101 = NZA 2004, 1399. 205 Mit kritischer und ablehnender Anmerkung auch Sachs, Anm. zu BAG vom 29.8.2001 – 4 AZR 352/00 – RdA 2002, 306, 309 ff.
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Überzeugen kann auch nicht der Einwand, daß es sich insoweit um eine Nicht-Regelung handele, mit der kein eigenständiges Regelungsziel verfolgt würde206. Denn wenn die benachteiligte Gruppe nicht vergessen wurde, also eine bewußte Lücke vorliegt, verfolgt auch die Nichtregelung ein Ziel, das auf seine Sachgerechtigkeit hin überprüfbar ist207. Eine Geltungsbereichsbestimmung verstößt deshalb ebenso gegen Art. 3 Abs. 1 GG, wenn bei typisierender Betrachtung der jeweiligen Gruppen keine sachbezogenen Gruppenunterschiede vorhanden sind, die einen Nichteinbezug rechtfertigen. Damit folgt die Prüfung an Art. 3 Abs. 1 GG den gleichen Regeln wie bei materiellen Tarifinhalten. Die Beschränkung des persönlichen Geltungsbereichs auf organisierte Arbeitnehmer hat im Ergebnis aber die gleiche Wirkung wie die einfache Differenzierungsklausel: über die gesetzliche Regelung hinaus, wonach Tarifnormen unmittelbar und zwingend nur für Organisierte gelten, wird keine unmittelbare Rechtswirkung erzielt208. Die arbeitsvertragliche Bezugnahme bleibt ungehindert möglich, für diese ist nicht Voraussetzung, daß der in Bezug genommene Tarifvertrag nach seinem Geltungsbereich einschlägig ist209. Damit gelten die Ausführungen zu den einfachen Differenzierungsklauseln entsprechend: ein Gleichbehandlungsverstoß liegt nicht vor. Die Ungleichbehandlung von Organisierten und Nichtoder anders Organisierten ist sachlich durch die tarifliche Stellung der Organisierten gerechtfertigt, soweit und solange die arbeitsvertragliche Bezugnahme für Außenseiter ungehindert möglich bleibt210. (4) Unzulässigkeit von qualifizierten Differenzierungsklauseln Nicht mehr sachlich gerechtfertigt sind qualifizierte Differenzierungsklauseln. Die zwingende Schlechterstellung von Außenseitern, sei es durch normativ wirkende Abstands- und Spannensicherungsklauseln oder durch schuldrechtliche Tarifausschlußklauseln, läßt sich durch die gesetzliche 206
BAG vom 30.8.2000 – 4 AZR 563/99 – AP Nr. 25 zu § 4 TVG Geltungsbereich = EzA Art. 9 GG Nr. 74 = NZA 2001, 613; BAG vom 29.8.2001 – 4 AZR 352/00 – AP Nr. 291 zu Art. 3 GG = EzA Art. 3 GG Nr. 93 = NZA 2002, 863. 207 Ebenso Franzen, RdA 2005, 241, 245; Wiedemann, RdA 2005, 193, 196. 208 Mittelbar wird bei der Bezugnahme auf einen geltungsbereichsfremden Tarifvertrag allerdings eine Zweiteilung der Belegschaft dadurch ausgelöst, daß der fremde Tarifvertrag nur nach Maßgabe der AGB-Kontrolle zur Geltung gebracht werden kann, wohingegen er bei Organisierten ohne diesen „Filter“ greift. Dazu oben § 1 D. II. 2f., S. 48 ff. 209 Nur Löwisch/Rieble, TVG, § 4 Rn. 99 ff. Dazu, daß mittels Bezugnahme auch von tarifdispositivem Gesetzesrecht abgewichen werden kann, unten § 2 C. II. 4. d) (2), S. 120. 210 s. soeben zu einfachen Differenzierungsklauseln § 2 C. II. 1. c), S. 97.
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Begrenzung der normativen Wirkung von Tarifverträgen nicht rechtfertigen, denn das Gesetz beläßt den nicht tarifgebundenen Arbeitsvertragsparteien die Möglichkeit, den Tarifinhalt ganz oder teilweise vertraglich zu übernehmen. Diese Chance auf Gleichstellung darf der Tarifvertrag nicht beschränken. Jede zwingende Schlechterstellung ist mit Art. 3 Abs. 1 GG nicht vereinbar. Das Unwirksamkeitsverdikt trifft deshalb auch Vorbehaltsklauseln, die tarifliche Vergünstigungen, etwa beim Kündigungsschutz, an die Zustimmung der Gewerkschaft knüpfen211. Das führt ebenso zwingend zu einer Schlechterbehandlung von Außenseitern. Eine arbeitsvertragliche Gleichstellung ist nicht möglich. Darin liegt auch hier ein nicht gerechtfertigter Gleichbehandlungsverstoß auf der Ebene des Tarifvertrags. Anders verhält es sich nur bei tarifvertraglichen Vorrangklauseln, die die arbeitsvertragliche Bezugnahme nur faktisch erschweren212. Da es im Rahmen des allgemeinen Gleichheitssatzes um die zwingende Schlechterstellung der Außenseiter geht, müssen Vorrangregelungen, die eine gleichgelagerte vertragliche Vereinbarung nicht verhindern, als zulässig angesehen werden. Die bloße Erschwernis, kann noch keinen im Rahmen des Art. 3 Abs. 1 GG relevanten Gleichheitsverstoß begründen. Solange die Leistung vertraglich erreichbar bleibt – wenn auch unter zusätzlichen Voraussetzungen – liegt kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG vor213. (5) Unzulässigkeit von Stichtagsregelungen Ein Sonderproblem entsteht, wenn die tarifvertragliche Differenzierung nicht pauschal an die Gewerkschaftszugehörigkeit anknüpft, sondern diese zeitlich qualifiziert. So kommt es vor, daß tarifliche Leistungen nicht allen gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmern zustehen sollen, sondern nur solchen, die eine bestimmte Dauer der Gewerkschaftszugehörigkeit aufweisen oder zu einem bestimmten Stichtag Mitglied in der Gewerkschaft waren214. Solche Regelungen sind nach dem soeben Ausgeführten jedenfalls dann unzulässig, wenn sie die arbeitsvertragliche Bezugnahme der nichtorganisierten Arbeitsvertragsparteien zwingend ausschließen. Allein die Not211
Zum Begriff oben § 2 B. I. 3. d), S. 66. Zum Begriff oben § 2 B. I. 3. d), S. 66. 213 Vgl. etwa BAG vom 20.4.1999 – 3 AZR 352/97 – AP Nr. 28 zu § 1 TVG Tarifverträge: Rundfunk = EzA § 4 TVG Rundfunk Nr. 19 = NZA 1999, 1339: für tarifliche Freistellungs- und Entgeltfortzahlungsansprüche bei Teilnahme an Zusammenkünften gewerkschaftlicher Art, die ebenso Außenseitern zustehen müssen. 214 So etwa der Tarifvertrag über besondere Alters- und Invalidenbeihilfen im Baugewerbe vom 10.8.1962–30.10.1964 i. d. F. vom 9.9.1965, abgedruckt bei Gamillscheg, Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit, S. 111 ff. 212
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wendigkeit, die Verweisungsklausel entsprechend der Dauer der Gewerkschaftszugehörigkeit zu qualifizieren, führt allerdings noch nicht zu einem Gleichheitsverstoß. Die Tarifvertragsparteien sind nicht verpflichtet, ihre Regelungen für Globalverweisungen zugänglich zu halten. Der Gleichheitssatz verbietet den zwingenden Ausschluß, nicht aber jede faktische Erschwernis der vertraglichen Bezugnahme215. Einfachen Differenzierungsklauseln können jedoch Schranken erwachsen, wenn sie innerhalb der Gruppe der organisierten Arbeitnehmer zu einer nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung führen. Der unzulässige Eingriff in die Rechte der Mitglieder folgt daraus, daß „richtig“ Koalierten ohne sachlichen Grund kein Leistungszugang gewährt wird. An sich ist es zwar nicht ausgeschlossen, daß bestimmte Leistungen an zusätzliche Merkmale geknüpft werden und es so zu einer gestaffelten Leistungsgewährung kommt. Die Konkurrenz zwischen tariflicher und individueller Regelung der Arbeitsbedingungen setzt geradezu die mögliche (tatbestandliche) Besserstellung der Gewerkschaftsmitglieder voraus. So läßt sich gegen Sondervorteile für gewerkschaftliche Vertrauensleute nichts einwenden216. Diese knüpfen an besondere tätigkeitsbezogene Merkmale an, deren Erreichen ebenso anderen Mitgliedern offen steht. Nicht in Verbindung dürfen solche Differenzierungen aber mit dem Organisationsstatus als solchem stehen, was insbesondere bei der Verknüpfung mit der Dauer der Organisationszugehörigkeit und bei auf Stichtage abstellenden Regelungen der Fall ist. Auf die gesetzliche Trennung in Organisierte und Außenseiter kann sich diesbezüglich nicht berufen werden, da diese keine zeitliche Differenzierung vorsieht. Grundsätzlich kann ein sachlicher Grund zwar in der Zeit liegen217. Stichtagsregelungen sind nicht per se unzulässig218. Soweit sie aber mit dem Koalitionsstatus verknüpft sind, läßt sich ein sachlicher Grund nicht finden. Augenscheinlich wird das bei Regelungen, die nach dem Stichtag aus der Gewerkschaft ausgetretene Arbeitnehmer erfassen. Hier ist kein sachlicher Grund dafür ersichtlich, warum Nichtorganisierte zwischenzeitlich eingetretenen Mitgliedern vorzu215
So auch A. Hueck, Tarifausschlußklausel, S. 61. Ebenso Franzen, in: ErfK, § 1 TVG, Rn. 66; Löwisch/Rieble, TVG, § 1 Rn. 852 f.; dagegen v. Hoyningen-Huene, in: Münchener Handbuch ArbeitsR, Bd. 3, § 302, Rn. 32. 217 BAG von 18.10.2000 – 10 AZR 643/99 – AP Nr. 24 zu § 11 BAT-O = EzBAT §§ 22, 23 BAT M Nr. 76; BAG vom 25.6.2003 – 4 AZR 405/02 – AP Nr. 1 zu § 1 TVG Beschäftigungssicherung = EzA Art. 3 GG Nr. 99 = NZA 2004, 215; BAG vom 6.11.2003 – 6 AZR 505/02 – EzBAT § 44 BAT Nr. 7 = NZA 2004, 679; BAG vom 28.7.2004 – 10 AZR 19/04 – AP Nr. 257 zu § 611 BGB Gratifikation = EzA § 242 BGB 2002 Betriebliche Übung Nr. 2 = NZA 2004, 1152. 218 Nur Dieterich, in: ErfK, Art. 3 GG Rn. 48. 216
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ziehen sein sollten219. Aber auch gegenüber den zum jeweiligen Stichtag aktiven Mitgliedern wird der Tarifschutz der später eintretenden Mitglieder in unzulässiger Weise verkürzt. Eine solche „Abschottung“ gegenüber beitrittswilligen Nichtorganisierten wird man als sachwidrige Ungleichbehandlung ansehen müssen220. Nichts anderes gilt, wenn der Tarifvertrag die Gewährung tariflicher Leistungen von der Dauer der Gewerkschaftszugehörigkeit abhängig macht. Wertungsmäßig besteht kein Unterschied zu Stichtagsregelungen. Auch derartige Tarifregelungen führen zu einer sachwidrigen Ungleichbehandlung innerhalb der Gruppe der organisierten Arbeitnehmer221. Insofern hilft die häufig gezogene Parallele zur Dauer der Betriebszugehörigkeit nicht weiter: diese hat ihre Grundlage in der Betriebstreue des Arbeitnehmers, an der der Arbeitgeber ein Interesse hat. Im Ergebnis sind Differenzierungen in der Zeit, die an die Verbandszugehörigkeit anknüpfen, somit grundsätzlich unzulässig222. 2. Verletzung der negativen Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG) Die Diskussion um die Zulässigkeit von tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln wird vornehmlich auf dem Feld der negativen Koalitionsfreiheit der Außenseiter ausgetragen. Nach wie vor ist die individuelle Koalitionsfreiheit der Haupteinwand gegen die Zulässigkeit von tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln223. a) Verankerung der negativen Koalitionsfreiheit im Grundgesetz Nach überwiegender Meinung224 ist vom verfassungsrechtlichen Schutz der negativen Koalitionsfreiheit auszugehen – das Recht des einzelnen, 219 Vgl. BAG vom 9.5.2007 – 4 AZR 275/06 – ArbuR 2007, 210 = ArbeitsRB 2007, 161. 220 Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rn. 9. 221 Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille, S. 352 ff. 222 Dazu jetzt auch BAG vom 9.5.2007 – 4 AZR 275/06 – ArbuR 2007, 210 = ArbeitsRB 2007, 161. 223 Zuletzt BAG vom 9.5.2007 – 4 AZR 275/06 – ArbuR 2007, 210 = ArbeitsRB 2007, 161. 224 BVerfG vom 1.3.1979 – 1 BvR 532/77 – BVerfGE 50, 290, 367 = AP Nr. 1 zu § 1 MitbestG; BVerfG vom 14.6.1983 – 2 BvR 488/80 – BVerfGE 64, 208, 213 = AP Nr. 21 zu § 9 BergmannsVersorgScheinG NRW; BVerfG vom 11.7.2006 – 1 BvL 4/00 – AP Nr. 129 zu Art. 9 GG = NZA 2007, 42; BAG vom 18.9.2001 – 9 AZR 397/00 – AP Nr. 3 zu § 3 ATG = EzA § 4 TVG Altersteilzeit Nr. 3 = NZA 2002, 1161; BAG vom 21.1.1987 – 4 AZR 547/86 – AP Nr. 47 zu Art. 9 GG
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einer Koalition fernzubleiben, also grundrechtlich geschützt225. Die Frage allerdings, wo der Schutz der negativen Koalitionsfreiheit im Grundgesetz verankert ist, wird nicht einhellig beantwortet. Bereits an dieser Stelle wird versucht, die Weiche für oder gegen die Zulässigkeit von Differenzierungsklauseln zu stellen. Tatsächlich ergeben sich Unterschiede je nach Verankerung des Grundrechtsschutzes: diejenigen, die die negative Koalitionsfreiheit in Art. 2 Abs. 1 GG verortet sehen226, lassen das Gewährleistungselement nicht an der unmittelbaren Drittwirkung teilhaben. Zudem sind die Schrankenvorbehalte unterschiedlich ausgestaltet, immerhin erfolgt ein Eingriff in Art. 2 Abs. 1 GG mit einfachem Gesetzesvorbehalt. Dieser ergebnisorientierte Ansatz verstellt indessen den Blick auf die verfassungsrechtlichen Wertungen. Nicht das gewünschte Ergebnis, sondern die Verfassung selbst liefert die Vorgaben für den Schutz der negativen Koalitionsfreiheit. Im Ausgangspunkt steht die Erkenntnis, daß die Nichtausübung einer grundrechtlichen Freiheit der Gebrauch der Freiheit selbst ist, die negative Freiheit gleichsam das Korrelat zur positiven Freiheit darstellt227. Die in Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Freiheit zur Koalition bedingt damit ebenso die Freiheit von der Koalition. Anders gewendet: die umfassend gewährleistete positive Koalitionsfreiheit kann nicht ohne die freiheitsrechtliche Kehrseite einer komplett geschützten negativen Koalitionsfreiheit bestehen228. Liegt doch der Wert des Freiheitsrechts gerade in der freien selbstverantwortlichen Inanspruchnahme und Aktualisierung, von dem nicht viel übrig bliebe, wenn der einzelne nicht auch in gleicher Form vor jeder Form des Beitrittszwangs geschützt wäre. Dementsprechend ordnet das BVerfG die negative Koalitionsfreiheit seit dem Mitbestimmungsurteil dem Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG zu229. Auch in den jüngeren Entscheidungen geht das Gericht ohne weiteres da= EzA Art. 9 GG Nr. 42; Höfling, in: Sachs, GG, Art. 9 Rn. 65; Scholz, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. VI, § 151 Rn. 82 ff.; Löwisch/Rieble, TVG, § 1 Rn. 226 f. 225 Abweichende Auffassungen vertreten Kempen/Zachert, TVG, § 3 Rn. 166; Ipsen, Staatsrecht II, Rn. 663 ff. 226 Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 93; Gamillscheg, Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit, S. 53; Georgi, Zulässigkeit von Differenzierungs- und Tarifausschlußklauseln, S. 17 ff.; Leventis, Tarifliche Differenzierungsklauseln, S. 48 f.; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 57. 227 Wiedemann/Wiedemann, TVG, Einleitung Rn. 278; s. bereits A. Hueck, Tarifausschlußklausel, S. 33 f.; Zöllner, Tarifvertragliche Differenzierungsklauseln, S. 25. 228 Nur Scholz, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. VI, § 151 Rn. 82. 229 BVerfG vom 1.3.1979 – 1 BvR 532/77 – BVerfGE 50, 290, 369 f. = AP Nr. 1 zu § 1 MitbestG; demgegenüber noch BVerfG vom 24.5.1977 – 2 BvL 11/74 – BVerfGE 44, 322, 352 = AP Nr. 15 zu § 5 TVG.
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von aus, daß der Schutz der negativen Koalitionsfreiheit in Art. 9 Abs. 3 GG verankert ist230. In der Judikatur des BAG hat des Große Senat am 29.11.1967 erstmals ausführlich zu dieser Frage Stellung genommen und die negative Koalitionsfreiheit ebenfalls dem Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG zugeordnet231. Desgleichen kommt auch die überwiegende Meinung im Schrifttum zu dem Ergebnis, daß die negative Koalitionsfreiheit vom Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG erfaßt ist232. Gegenteiliges wird heute kaum noch vertreten233. Wenn dagegen vorgebracht wird, daß die negative Koalitionsfreiheit entweder überhaupt nicht234 oder jedenfalls mit geringerem Schutzanspruch als die positive Koalitionsfreiheit geschützt werde235, überzeugt das nicht. Verkannt wird dabei vor allem der genannte freiheitsrechtliche Sinnzusammenhang zwischen positiver und negativer Freiheit. Deshalb läßt sich die negative Koalitionsfreiheit nicht von der Gewährleistung des Art. 9 Abs. 3 GG isolieren und statt dessen dem freiheitsrechtlichen Auffangtatbestand der allgemeinen Handlungsfreiheit zuordnen. Die negative Koalitionsfreiheit ist eben kein Raum privater Selbstherrlichkeit oder zweckloser legitimer Willkür236. Ebenso läßt sich die positive Koalitionsfreiheit nicht in eine Art Mitwirkungspflicht umdeuten237. Wenngleich es richtig ist, daß ihr Schutzzweck zunächst in der positiven Gewährleistung besteht, wäre selbiger gleichwohl unvollkommen, wenn nicht auch die Möglichkeit umfaßt wäre, keinen Gebrauch von der Freiheit zu machen. 230
s. die Nachweise in Fn. 224, S. 102. BAG (GS) vom 29.11.1967 – GS 1/67 – AP Nr. 13 zu Art. 9 GG = EzA Art. 9 GG Nr. 3; seither ständige Rspr. etwa BAG vom 21.1.1987 – 4 AZR 547/86 – AP Rn. 47 zu Art. 9 GG = EzA Art. 9 GG Nr. 42; BAG vom 21.1.1987 – 4 AZR 486/86 – AP Nr. 46 zu Art. 9 GG; BAG vom 18.9.2001 – 9 AZR 397/00 – AP Nr. 3 zu § 3 ATG = EzA § 4 TVG Altersteilzeit Nr. 3 = NZA 2002, 1161. 232 Bauer, in: Dreier, GG, Art. 9 Rn. 81; Dieterich, in: ErfK, Art. 9 GG Rn. 32; Höfling, in: Sachs, GG, Art. 9 Rn. 65; Höfling/Burkiczak, RdA 2004, 263, 263 ff.; A. Hueck, Tarifausschlußklausel, S. 30 ff.; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 9 Rn. 36; Löwisch/Rieble, TVG, § 1 Rn. 226 f.; Wiedemann/Wiedemann, TVG, Einleitung Rn. 278; Zöllner, Tarifvertragliche Differenzierungsklauseln, S. 25 f. 233 Aus jüngerer Zeit insbesondere Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 57 ff.; Söllner/Waltermann, ArbeitsR, § 9 IV; Kittner/Schiek, in: AK-GG, Art. 9 Rn. 108. 234 Etwa Kempen/Zachert, TVG, § 3 Rn. 166. 235 Däubler, ArbeitsR I, Rn. 138 ff.; Gamillscheg, Kollektives ArbeitsR, Bd. I, S. 382 ff.; Zachert, AR-Blattei SD 1650.1 Rn. 64, 57; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 110; Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 93 ff.; Gamillscheg, Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit, S. 53 ff. 236 So allerdings Säcker, Grundprobleme der kollektiven Koalitionsfreiheit, S. 24. 237 So in der Tat Krüger, Verhandlungen des 46. Deutschen Juristentages, Bd. I, Teil 1, S. 80. 231
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Positive Koalitionsfreiheit bedeutet im übrigen nicht, daß die negative Koalitionsfreiheit zurückzutreten hätte, um Organisations- und Funktionsinteressen einer kraft positiver Koalitionsfreiheit gebildeten Koalition den Vorrang vor den freiheitlichen Interessen derjenigen zu geben, die sich nicht koalitionsmäßig betätigen. Gerade weil die durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistete positive Freiheit jeden Koalitionszwang ausschließt, muß die negative Koalitionsfreiheit ihrerseits mit gleichem Rang gewährleistet sein. Soll das übergeordnete Prinzip Freiheit als solches gewahrt bleiben, darf es zwischen den beiden Freiheitsgewährleistungen keinen Rangunterschied geben238. b) Schutz der negativen Koalitionsfreiheit Weil sich der Schutz der negativen Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG ableitet, hat sie teil an der unmittelbaren Drittwirkung. Jede Form zwei- oder mehrseitiger Vereinbarungen, wie auch einseitige Handlungen, die die negative Koalitionsfreiheit einzuschränken oder zu behindern suchen, gleich ob rechtlicher oder faktischer Natur, sind unwirksam239. Der Grundrechtsschutz umfaßt das Recht, einer Koalition fernzubleiben oder aus ihr auszutreten240. Dadurch sind Außenseiter vor jedem Organisationszwang und vor einem erheblichen Koalitionsdruck geschützt241. Das bedeutet gleichwohl noch nicht, daß jede Differenzierung zwischen organisierten und nichtorganisierten Arbeitnehmern sogleich ein Grundrechtseingriff wäre. Das Grundrecht schützt zunächst nur davor, daß ein Zwang oder Druck auf die Nichtorganisierten ausgeübt wird, einer Organisation beizutreten. Vor allem von der Rechtsprechung wird der Schutz der negativen Koalitionsfreiheit auf das Fernbleiberecht beschränkt, was den Außenseiter nur vor dem Zwang zum Koalitionsbeitritt bewahrt242. Eine gewichtige Meinung im Schrifttum erstreckt den Schutzbereich der negativen Koalitionsfreiheit darüber hinaus auf den Schutz des Außenseiters 238
Nur Scholz, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. VI, § 151 Rn. 83. Nur Höfling, in: Sachs, GG, Art. 9 Rn. 124; Wiedemann/Wiedemann, TVG, Einleitung Rn. 278; sowie zuletzt BAG vom 19.9.2006 – 1 ABR 2/06 – AP Nr. 22 zu § 3 TVG Verbandszugehörigkeit = EzA Art. 9 GG Nr. 88 = NZA 2007, 277. 240 BVerfG vom 15.7.1980 – 1 BvR 24/74, 1 BvR 439/79 – BVerfGE 55, 7, 22 = AP Nr. 17 zu § 5 TVG; BVerfG vom 14.6.1983 – 2 BvR 488/80 – BVerfGE 64, 208, 213 = AP Nr. 21 zu § 9 BergmannsVersorgScheinG NRW; BVerfG vom 11.7.2006 – 1 BvL 4/00 – AP Nr. 129 zu Art. 9 GG = NZA 2007, 42; BAG vom 10.12.2002 – 1 AZR 96/02 – AP Nr. 162 zu Art. 9 GG Arbeitskampf = EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 134 = NZA 2003, 734. 241 Scholz, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. VI, § 151 Rn. 85. 242 Vgl. Schubert, RdA 2001, 199, 200. 239
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vor der Normsetzung der Tarifvertragsparteien243. Weil die Koalitionszugehörigkeit wesentlich durch die normative Wirkung des Tarifvertrags geprägt sei, müsse die negative Koalitionsfreiheit spiegelbildlich auch das Recht gewährleisten, nicht von einem Tarifvertrag erfaßt zu werden244. Schließlich träten die Arbeitnehmer gerade wegen der Geltung der Tarifverträge in die Gewerkschaften ein. Allein der Schutz des Fernbleiberechts griffe da zu kurz. Dagegen läßt sich nicht einwenden, daß das Recht, Tarifnormen zu setzen, gegenständlich den Koalitionen selbst zugeordnet sei245. Wenn man die Tarifautonomie richtig als Bündelung von Individualgrundrechten begreift, läßt sich das kollektiv Gewährleistete nur auf die Einzelrechte der Mitglieder zurückführen. Wenn auch gewichtige Gründe dafür sprechen, die negative Koalitionsfreiheit auf den Schutz der Außenseiter vor der Normsetzung durch Tarifvertrag zu erstrecken, wird selbiger von der Rechtsprechung, insbesondere des Bundesverfassungsgerichts, nicht gewährt246. Für die Diskussion um die Zulässigkeit von Differenzierungsklauseln bedarf es einer solchen Schutzerstreckung indessen nicht. Virulent wird diese Frage etwa bei der hoheitlichen Tarifnormerstreckung auf Außenseiter247. Bei Differenzierungsklauseln geht es demgegenüber nicht um die unmittelbare Unterstellung von Außenseitern unter den Tarifvertrag, sondern um den Ausschluß von tariflichen Leistungen, die allein über die Mitgliedschaft in der Arbeitnehmerkoalition zugänglich sein sollen. Da der Beitritt nicht mit Zwang verbunden sein darf, stellt sich die Frage, ob die negative Koalitionsfreiheit in ihrer Ausgestaltung als Fernbleiberecht verletzt ist, wenn tarifliche Leistungen exklusiv auf Gewerkschaftszugehörigkeit begrenzt sind. Grundsätzlich schützt die negative Koalitionsfreiheit davor, daß Zwang oder Druck ausgeübt wird, einer Koalition beizutreten248. Ein von einer Regelung oder Maßnahme ausgehender 243
Bauer/Arnold, NZA 2005, 1209, 1211; Reuter, in: FS Wiedemann, S. 449, 478; Schleusener, ZTR 1998, 100, 101; Schüren, RdA 1988, 138, 139; Zöllner, RdA 1962, 453, 458; dagegen Däubler/Lorenz, TVG, § 3 Rn. 63; Dieterich, in: ErfK, Art. 9 GG Rn. 35; Gamillscheg, Kollektives ArbeitsR, Bd. I, S. 376; Löwisch/Rieble, in: Münchener Handbuch ArbeitsR, Bd. 3, § 244 Rn. 5. 244 Nur Reuter, in: FS Wiedemann, S. 449, 478; Schleusener, ZTR 1998, 100, 101; ausf. zu den dogmatischen Grundlagen Schubert, RdA 2001, 199, 201; kritisch Gamillscheg, Kollektives ArbeitsR, Bd. I, S. 381 ff. 245 So Däubler/Lorenz, TVG, § 3 Rn. 63. 246 Zuletzt BVerfG vom 11.7.2006 – 1 BvL 4/00 – AP Nr. 129 zu Art. 9 GG = NZA 2007, 42. 247 Dazu BVerfG vom 15.7.1980 – 1 BvR 24/74, 1 BvR 439/79 – BVerfGE 55, 7, 22 = AP Nr. 17 zu § 5 TVG m. Anm. Wiedemann; BVerfG vom 18.7.2000 – 1 BvR 948/00 – AP Nr. 4 zu § 1 AEntG = EzA Art. 9 GG Nr. 69 = SAE 2000, 266 m. Anm. Scholz.
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bloßer Anreiz zum Beitritt erfüllt diese Voraussetzung allerdings noch nicht249. Nicht jeder Anreiz, einer Koalition beizutreten, stellt schon einen unzulässigen Eingriff in die negative Koalitionsfreiheit dar. Unstreitig darf die Gewerkschaft auch mit Anreizen für die Mitgliedschaft werben. Die schlichte Werbung mit innerverbandlichen Vorteilen oder die attraktive Gestaltung der Mitgliedschaft sind ohne weiteres zulässig250. c) Bestimmung der Eingriffsschwelle Entscheidend ist damit die Bestimmung der Eingriffsschwelle. Allein die Tatsache, daß organisierte Arbeitnehmer anders behandelt werden als nichtorganisierte, bedeutet für sich noch keine Verletzung der negativen Koalitionsfreiheit. Dies ist Folge der Wahrnehmung der positiven Gewährleistung aus Art. 9 Abs. 3 GG: die Vorteile des Tarifvertrags stehen nur den koalierten Arbeitnehmern zu. Voraussetzung für eine Beeinträchtigung der negativen Koalitionsfreiheit ist es, daß von der Maßnahme ein Zwang oder Druck auf die Nichtorganisierten ausgeht, der tarifschließenden Gewerkschaft beizutreten251. Nicht entscheidend ist, ob der Druck faktischer oder rechtlicher Natur ist, unmittelbar oder bloß mittelbar erfolgt. Umstritten ist aber, wie die Schwelle des zulässigen Drucks zu bestimmen ist. Befürworter von Differenzierungsklauseln halten selbige solange für zulässig, wie sie nicht einen quantitativ erheblichen Beitrittsdruck auf Außenseiter ausüben. Die Gegner von Differenzierungsklauseln meinen dagegen, die negative Koalitionsfreiheit verbiete jede Benachteiligung der Nichtorganisierten. Der Große Senat des BAG hat zur Bestimmung des relevanten Drucks die Formel der Sozialadäquanz herangezogen. Er unterscheidet nicht danach, ob für den Außenseiter unter dem Strich ein Minus an Vermögen übrig bleibt, sondern danach, ob der Druck auf den Außenseiter sozialadäquat ist. Weiter argumentierte der Senat, die unterschiedliche Ausschüttung von Lohnbestandteilen sei für den Außenseiter undurchsichtig und müsse deshalb bei ihm zwangsläufig das Gerechtigkeitsempfinden verletzen252. 248 Zuletzt BVerfG vom 11.7.2006 – 1 BvL 4/00 – AP Nr. 129 zu Art. 9 GG = NZA 2007, 42. 249 BVErfG vom 20.7.1971 – 1 BvR 13/69 – BVerfGE 31, 297, 302 = AP Nr. 34 zu § 11 ArbGG 1953. 250 A. Hueck, Tarifausschlußklausel, S. 39; Zöllner, Tarifvertragliche Differenzierungsklauseln, S. 28. 251 BVErfG vom 20.7.1971 – 1 BvR 13/69 – BVerfGE 31, 297, 302 = AP Nr. 34 zu § 11 ArbGG 1953. 252 BAG (GS) vom 29.11.1967 – GS 1/67 – AP Nr. 13 zu Art. 9 GG = EzA Art. 9 GG Nr. 3.
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Dagegen haben sich das LAG Düsseldorf253 und das LAG Hamm254 gewandt, die nicht auf die Sozialadäquanz, sondern auf das konkrete Maß der Beeinträchtigung abstellten. Dem folgt auch ein Teil des Schrifttums, der ebenfalls eine quantitative Betrachtung vornimmt. Dabei wird je nach Intensität des ausgeübten Entscheidungsdrucks differenziert. So sieht Gamillscheg solange keinen unzulässigen Zwang, als der tarifliche Vorteil die Höhe des Mitgliedsbeitrags nicht übersteigt255. Däubler sieht eine Verletzung des Fernbleiberechts erst bei einer Leistung, die den Gewerkschaftsbeitrag um mehr als das Doppelte übersteigt256. Teilweise wird überhaupt kein Grund für eine Begrenzung gesehen und die vorenthaltene Leistung der Höhe nach unbeschränkt zugelassen257. Diese Ansätze überzeugen indessen nicht. Auf die Höhe des jeweiligen Vorteils kann es im Rahmen eines Eingriffs in die negative Koalitionsfreiheit nicht ankommen. Eine freiwillige Organisation darf ihre Mitglieder nicht dadurch werben, daß die Betroffenen zwischen dem Beitritt einerseits und wirtschaftlichen Nachteilen andererseits wählen müssen258. Unabhängig von der Höhe des jeweiligen Vorteils liegt in jeder Benachteiligung eine rechtswidrige Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit. Systematisch ergibt sich das daraus, daß Art. 9 Abs. 3 GG in seiner positiven Ausprägung jede Benachteiligung wegen der Gewerkschaftszugehörigkeit und nicht nur die schwerwiegende, die sich als Zwang zum Austritt darstellt, verbietet. Da Art. 9 Abs. 3 GG die negative Koalitionsfreiheit genauso wie die positive schützt, muß umgekehrt jede Benachteilung wegen fehlender Gewerkschaftszugehörigkeit unzulässig sein259. Die Gleichrangigkeit beider Grundrechte gewährleistet die freie Entscheidung darüber, ob der einzelne die Regelung seiner Arbeitsbedingungen kollektiv oder individuell erreichen will. Diese Freiheit bedingt zwar nicht, daß die gleichen Arbeitsbedingungen bestehen müßten. Die Entscheidung darüber, welchen Regeln er sich unterwirft, muß aber frei sein. Insofern geht es allein um die Entschließungsfreiheit. Das wird verkannt, wenn angeführt wird, daß der Arbeitgeber 253 LAG Düsseldorf vom 29.1.1975 – 8 Sa 482/73 – EzA Art. 9 GG Nr. 20 = LAGE Art. 9 GG Nr. 2. 254 LAG Hamm vom 11.1.1994 – 11 Sa 979/93 – LAGE § 4 TVG Nr. 4. 255 Gamillscheg, Kollektives ArbeitsR, Bd. I, S. 359; ebenso Kempen/Zachert, TVG, Grundl. Rn. 169. 256 Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1183; ders., BB 2002, 1643, 1647. 257 Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, Tarifvertragsgesetz und Arbeitskampfrecht, § 3 Rn. 111. 258 Wiedemann/Wiedemann, TVG, Einleitung Rn. 289. 259 A. Hueck, Tarifausschlußklausel, S. 38 f.; Bauer/Arnold, NZA 2005, 1209, 1211; Reuter, in: Münchener Kommentar zum BGB, Vorbemerkung Rn. 101; Zöllner, Tarifvertragliche Differenzierungsklauseln, S. 27 f.
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Außenseiter auch untertariflich bezahlen darf260. Denn dadurch wird die Entschließungsfreiheit der Außenseiter nicht beeinträchtigt. Es steht ihnen frei, auf individuellem Weg oder durch Beitritt zur Koalition andere Arbeitsbedingungen zu erreichen. Es ist ein erheblicher Unterschied, ob der Arbeitgeber zur Differenzierung nur berechtigt ist oder ob er dazu verpflichtet wird. Der im Einklang mit der Tarifgeltung differenzierende Arbeitgeber handelt nur in Übereinstimmung mit der gesetzlichen Regelung261. Darüber hinaus ist auch er nicht berechtigt, etwa bei der Einstellung den Verzicht auf den Gewerkschaftsbeitritt zu verlangen262. Insofern geht der Vergleich mit den frei kontrahierenden Arbeitsvertragsparteien fehl. Vielmehr ergibt sich aus dem Inhalt der grundrechtlichen Gewährleistung, wonach der einzelne frei wählen kann, ob er sich zur Wahrnehmung seiner Interessen eines Verbandes bedient oder nicht, stets ein Verstoß gegen die negative Koalitionsfreiheit, wenn es ihm verwehrt ist, aus eigener Kraft Gleiches oder Besseres zu erreichen263. Denn aus der zwingenden Ungleichbehandlung, die zu einer Begünstigung des einen und zu einer Belastung des anderen führt, entsteht für den Belasteten ein Druck, sein Grundrecht so auszuüben, daß er an der Vergünstigung teilhat. Auf die Quantifizierung des konkreten Vorteils kann es insofern nicht ankommen, entscheidend ist lediglich, daß der Vorteil nur über den Beitritt zur Koalition erreichbar ist. Allein dadurch ist der im Rahmen der negativen Koalitionsfreiheit zulässige Druck überschritten264. d) Keine Rechtfertigung aus organisationspolitischen Gründen Fraglich ist, ob ein Eingriff in die negative Koalitionsfreiheit gerechtfertigt sein kann265. Grundsätzlich ist, da die negative Koalitionsfreiheit dem Nichtigkeitsregime des Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG unterliegt, eine eingreifende Vereinbarung nichtig266. Eine Rechtfertigung kommt allenfalls durch kollidierendes Verfassungsrecht in Betracht267. 260
In jüngerer Zeit etwa Franzen, RdA 2006, 1, 4. Zöllner, Tarifvertragliche Differenzierungsklauseln, S. 28. 262 Dazu unten § 6 D. I. 2., S. 272. 263 Löwisch/Rieble, in: Münchener Handbuch ArbeitsR, Bd. 3, § 244 Rn. 11. 264 Wie hier A. Hueck, Tarifausschlußklausel, S. 38; Höfling/Burkiczak, RdA 2004, 263, 267; Kissel, NZA 1995, 1, 2; Scholz, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. VI, § 151 Rn. 85; Wiedemann/Wiedemann, TVG, Einleitung Rn. 289; Zöllner, Tarifvertragliche Differenzierungsklauseln, S. 11. 265 Angedeutet bei Dieterich, in: ErfK, Art. 9 GG Rn. 34; Wiedemann/Wiedemann, TVG, Einleitung Rn. 289. 266 Nur BAG vom 19.9.2006 – 1 ABR 2/06 – AP Nr. 22 zu § 3 TVG Verbandszugehörigkeit = EzA Art. 9 GG Nr. 88 = NZA 2007, 277. 261
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Denkbar wäre, daß sich die kollektive Koalitionsfreiheit, deren Schutz nach richtigem Verständnis über Art. 19 Abs. 3 GG vermittelt wird268, gegen die individuelle Freiheit der Außenseiter stellt269. Zu klären ist dann, ob sich die Koalitionen auf eine eigene Grundrechtsposition stützen können, aus der sich aus den gebündelten Interessen der Mitglieder ein geschütztes Interesse an Differenzierungsklauseln ableiten läßt. Bereits bei der Prüfung am Maßstab des allgemeinen Gleichheitssatzes wurde indessen herausgearbeitet, daß Differenzierungsklauseln nicht durch ein Eigeninteresse der Koalitionen zur Förderung ihrer Existenz- und Funktionsfähigkeit gerechtfertigt werden können270. Im Rahmen des Art. 9 Abs. 3 GG kann nichts anderes gelten. Das auf die Privatautonomie der Mitglieder gegründete Tarifvertragssystem läßt für die Verfolgung von organisationspolitischen Interessen gegenüber Außenseitern keinen Raum271. Ausgangspunkt ist wiederum der Gewährleistungsgehalt des Art. 9 Abs. 3 GG. Die Koalitionsfreiheit schützt die Gewerkschaft nicht um ihrer selbst, sondern um ihrer Funktion willen: der Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ihrer Mitglieder. Der verfassungsrechtliche Schutz ist funktionsgebunden und stellt sich gegen die Beeinträchtigung des Koalitionszwecks. Dieser wiederum wird durch die Vertragsgestaltung mit Außenseitern in keiner Weise berührt. Die Gewerkschaft ist durch die Existenz von Außenseitern an der Erfüllung ihrer Schutzfunktion nicht gehindert. Aus Art. 9 Abs. 3 GG folgt überdies kein Schutz vor einem Wettbewerb um die Gunst der Nichtorganisierten. Somit kann sich zur Rechtfertigung einer Außenseiterdiskriminierung nicht auf den Schutz der Koalitionsfreiheit berufen werden272. Nichts anderes meint das BVerfG, wenn es anführt, daß aus der Bestandsgarantie des Art. 9 Abs. 3 GG nicht das Recht folge, an einer Erstreckung von Tarifnormen auf Außenseiter beteiligt zu werden273. Das BVerfG geht ebenso davon aus, daß die Koalitionsfreiheit nicht vor einer Erstreckung von Tarifnormen auf Außenseiter 267 Höfling, in: Sachs, GG, Art. 9 Rn. 128; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 756. 268 Dazu Scholz, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. VI, § 151 Rn. 74 m. w. Nachw. 269 Ablehnend Reuter, in: Münchener Kommentar zum BGB, Vorbemerkung Rn. 102. 270 Dazu § 2 C. II. 1. b) (2), S. 94 f. 271 Zur sachlichen und personellen Reichweite der Tarifautonomie Picker, NZA 2002, 761, 768 f. 272 Biedenkopf, Gutachten zum 46. Deutschen Juristentag, Bd. I, Teil 1, S. 97, 113; ebenso Giesen, NZA 2004, 1317, 1318 f. 273 Vgl. BVerfG vom 11.7.2006 – 1 BvL 4/00 – AP Nr. 129 zu Art. 9 GG = NZA 2007, 42.
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schützt, selbst wenn dadurch die Anreize für eine Koalitionsmitgliedschaft gemindert werden. Wenn Differenzierungsklauseln bereits keiner den Tarifparteien überantworteten Zielverwirklichung dienen, scheidet zudem jede Verhältnismäßigkeit aus. Auch im Rahmen der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung kann es daher auf die Höhe des wirtschaftlichen Vorteils unabhängig von der Berechnung nicht ankommen274. Die Tarifvertragsparteien überschreiten mit der Vereinbarung von Differenzierungsklauseln den durch Art. 9 Abs. 3 GG zweckbestimmten Regelungsbereich und können sich daher nicht auf eine kollidierende Grundrechtsposition berufen275. Ebenso fehlt geht die Berufung auf die Tarifgebundenheit. Sobald dem Außenseiter die Möglichkeit genommen wird, im Einzelvertrag die Anwendung der tariflichen Bestimmung zu vereinbaren oder seine Arbeitsbedingungen dem Tarifvertrag nachzugestalten, liegt darin eine Beschränkung, die durch die Bestimmungen über die Tarifgebundenheit nicht mehr gedeckt ist276. e) Folgerungen für die Zulässigkeit von Differenzierungsklauseln (1) Zulässigkeit von einfachen Differenzierungsklauseln und organisatorischen Geltungsbereichsbeschränkungen Von einfachen Differenzierungsklauseln geht kein, für die negative Koalitionsfreiheit der Außenseiter erheblicher, Beitrittsdruck aus. Die Möglichkeit der arbeitsvertraglichen Bezugnahme wird in keiner Weise beeinträchtigt, es kommt weder rechtlich noch faktisch zu einem zwingenden Leistungsausschluß. Ebenso wie die tatbestandliche Anknüpfung an die Gewerkschaftsmitgliedschaft sind auch organisatorische Geltungsbereichsbeschränkungen277 zulässig. Sie werden von der arbeitsvertraglichen Bezugnahme ohne weiteres überspielt. Allein die Tatsache, daß tarifliche Leistungen normativ nur den organisierten Arbeitnehmern zugute kommen, reicht für eine Verletzung der negativen Koalitionsfreiheit nicht aus. Das ist die Folge der Grundrechtsentfaltung nach Art. 9 Abs. 3 GG und löst keinen inadäquaten Beitrittsdruck auf Außenseiter aus. 274 Entgegen Däubler, BB 2002, 1643, 1645 f., Dieterich, in: ErfK, Art. 9 GG Rn. 34; wie hier Bauer/Arnold, NZA 2005, 1209, 1212; Löwisch/Rieble, TVG, § 1 Rn. 819 f. 275 Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille, S. 208. 276 Vgl. bereits oben § 2 C. II. 1. b) (3), S. 95 f. 277 Zum Begriff oben § 2 B. II. 3., S. 69 ff.
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(2) Stichtagsregelungen Desgleichen liegt im Anknüpfen an die Dauer der Gewerkschaftszugehörigkeit kein Verstoß gegen die negative Koalitionsfreiheit278. Ebenso wie es möglich ist, tarifliche Leistungen an bestimmte, mit der Verbandszugehörigkeit verbundene, Merkmale zur Anspruchsvoraussetzung zu erheben, steht die negative Koalitionsfreiheit einer zeitlichen Qualifizierung nicht im Weg. Von der Notwendigkeit einer entsprechenden Gestaltung der arbeitsvertraglichen Abrede geht kein erheblicher Beitrittsdruck aus. Solange eine Gleichstellung möglich ist, bleibt die negative Koalitionsfreiheit unberührt. Problematisch sind indessen Regelungen, die auf einen in der Zukunft liegenden Stichtag abstellen, weil sich Koalitionsmitglieder dadurch gehindert sehen könnten, aus der Koalition auszutreten. Das Austrittrecht ist von der negativen Koalitionsfreiheit ohne weiteres umfaßt279. Obwohl es einfache Differenzierungsklauseln nicht verbieten, arbeitsvertraglich entsprechende Leistungen zu vereinbaren, ist das durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Austrittsrecht der zunächst gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer verletzt, wenn der Gewerkschaftsaustritt mit einem nachträglichen Wegfall der, dem Arbeitnehmer zunächst tariflich eingeräumten, Leistungen „bestraft“ wird280. (3) Unzulässigkeit von qualifizierten Differenzierungsklauseln Qualifizierte Differenzierungsklauseln verletzen dagegen unabhängig von der tarifvertraglichen Gestaltung die negative Koalitionsfreiheit der nichtorganisierten Arbeitnehmer. Auch schuldrechtliche Abreden sind in gleicher Weise wie normativ wirkende Tarifklauseln von der unmittelbaren Drittwirkung des Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG erfaßt281. Das folgt schon aus dem Wortlaut: alle privaten „Abreden“, die das Koalitionsrecht „einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig“. Selbst bloße Empfehlungen und entsprechende Absichten müssen Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG wahren282. 278 A. Hueck, Tarifausschlußklausel, S. 61; Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rn. 9; ebenso Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 169. 279 Etwa BAG vom 10.12.2002 – 1 AZR 96/02 – AP Nr. 162 zu Art. 9 GG Arbeitskampf = EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 134 = NZA 2003, 734. 280 Ebenso BAG vom 9.5.2007 – 4 AZR 275/06 – ArbuR 2007, 210 = ArbeitsRB 2007, 161. 281 Zuletzt BAG vom 19.9.2006 – 1 ABR 2/06 – AP Nr. 22 zu § 3 TVG Verbandszugehörigkeit = EzA Art. 9 GG Nr. 88 = NZA 2007, 277. 282 Löwisch/Rieble, TVG, § 1 Rn. 440; Scholz, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. VI, § 151 Rn. 79.
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Deshalb sind Tarifausschlußklauseln sowie Abstands- und Spannensicherungsklauseln genau so unzulässig wie Vorbehaltsklauseln, weil selbige zwingend den Ausschluß nicht koalierter Arbeitnehmer von einer bestimmten tariflichen Leistung bewirken. Die zwingende Begrenzung der Bezugnahmefreiheit bewirkt insbesondere unabhängig von der Höhe des konkreten wirtschaftlichen Vorteils eine Verletzung der negativen Koalitionsfreiheit283. In all diesen Fällen liegt eine rechtswidrige Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit der Außenseiter und damit ein Verstoß gegen Art. 9 Abs. 3 GG284. Darüber hinaus ist jede faktisch erhebliche Erschwernis der arbeitsvertraglichen Bezugnahme unzulässig. Anders als im Rahmen von Art. 3 Abs. 1 GG, der nur der zwingenden Schlechterstellung von Außenseitern Grenzen vorgibt, ist im Rahmen der negativen Koalitionsfreiheit schon die faktische Erschwernis der arbeitsvertraglichen Gleichstellung verboten. Das wirkt sich insbesondere bei Vorrangklauseln aus, die einen bestehenden Leistungsrahmen ausschließlich Gewerkschaftsmitgliedern vorbehalten285. Die negative Koalitionsfreiheit schützt somit nicht nur vor jedem rechtlich zwingenden Hindernis, sondern bewahrt bereits vor einem faktischen Zugangshemmnis. 3. Verletzung der positiven Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG) Sind von der Differenzierungsklausel neben nicht koalierten Arbeitnehmern auch Arbeitnehmer betroffen, die in einer anderen Gewerkschaft organisiert sind, wie es namentlich bei beschränkten Differenzierungsklauseln der Fall ist, ist neben der negativen ebenso die positive Koalitionsfreiheit der anders Organisierten berührt.
283 A. Hueck, Tarifausschlußklausel, S. 38; Höfling/Burkiczak, RdA 2004, 263, 267; Kissel, NZA 1995, 1, 2; Müller-Glöge, in: Münchener Kommentar zum BGB, § 611 Rn. 316; Reuter, in: Münchener Kommentar zum BGB, Vorbemerkung Rn. 101; Scholz, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. VI, § 151 Rn. 85; Zöllner, Tarifvertragliche Differenzierungsklauseln, S. 11; i. E. auch Bauer/Arnold, NZA 2005, 1209, 1211. 284 Wiedemann/Wiedemann, TVG, Einleitung Rn. 289: Der im Rahmen der negativen Koalitionsfreiheit ebenso auf die Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit abstellt. Ebenso Reuter, in: Münchener Kommentar zum BGB, Vorbemerkung Rn. 101. 285 BAG vom 21.1.1987 – 4 AZR 547/86 – AP Nr. 47 zu Art. 9 GG = EzA Art. 9 GG Nr. 42 = NZA 1987, 233; BAG vom 21.1.1987 – 4 AZR 486/86 – AP Nr. 46 zu Art. 9 GG.
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§ 2 Belegschaftsteilung im gewerkschaftlichen Organisationsinteresse
a) Schutz der anders koalierten Arbeitnehmer Die positive Koalitionsfreiheit ist durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützt und gewährleistet das Recht, einer Koalition beizutreten, in ihr zu verbleiben, unter bestehenden Koalitionen mitgliedschaftlich auswählen zu können sowie von der einen in eine andere Koalition überzutreten286. Da die positive Koalitionsfreiheit teilhat an der unmittelbaren Drittwirkung (Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG), ist jede Vereinbarung oder Maßnahme, die geeignet ist, das Koalitionsrecht einzuschränken oder auch nur zu behindern, unzulässig. Die individuelle Gewährleistung läßt sich insbesondere nicht mit dem Verweis auf den Gewerkschaftspluralismus beiseite schieben287. Dadurch würde den Gewerkschaften das Recht zugestanden, organisationspolitische Interessen im Wettbewerb der Koalitionen auf dem Rücken der Mitglieder anderer Koalitionen auszutragen. Richtig ist zwar, daß das Verbandsrecht keine Sphäre ohne Wettbewerb ist. Jeder Koalition kommt das Recht zu, im Wettbewerb mit anderen Koalitionen die Interessen der eigenen Mitglieder zu verfolgen und damit verbunden für die eigene Attraktivität zu werben288. Keine Koalition ist aber befugt, in einer, die berechtigten Belange von Mitgliedern anderer Koalitionen beeinträchtigenden, Weise für sich zu werben. Nicht gerechtfertigt ist deshalb die Inpflichtnahme anders Koalierter für die eigenen organisationspolitischen Ziele. Freilich: der Umstand allein, auf Leistungen verzichten zu müssen, die sich aus Tarifverträgen einer anderen Koalition ergeben, führt nicht zu einer Verletzung der positiven Koalitionsfreiheit. Dieser Satz läßt sich indes nicht verabsolutieren. Der zwingende Ausschluß von einer bestimmten Leistung gerät in Konflikt mit der positiven Koalitionsfreiheit, wenn dadurch verhindert wird, daß anders organisierte Arbeitnehmer ebenfalls in den Genuß dieser Leistung gelangen können. Solange das BAG den Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb aufrecht erhält, gelingt diese Leistungserstreckung nur über die arbeitsvertragliche Bezugnahme – jede Behinderung dieser Möglichkeit führt zu einer Verletzung der positiven Koalitionsfreiheit der anders Organisierten. Erst wenn eine Tarifpluralität im Betrieb zugelassen wird289, gelten die Tarifnormen der eigenen Gewerkschaft normativ. Die Gewährung der gleichen Lei286 BVerfG vom 18.12.1974 – 1 BvR 430/65 – BVerfGE 38, 281, 303 = NJW 1975, 1265; BVerfG vom 27.3.1979 – 2 BvR 1011/78 – BVerfG 51, 77, 87 f. = NJW 1979, 1875; BVerfG vom 14.6.1983 – 2 BvR 488/80 – BVerfGE 64, 208, 213 = NJW 1984, 1225. 287 So aber Gamillscheg, Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit, S. 67 ff. 288 Vgl. zum Koalitionspluralismus unten § 4 B., S. 177. 289 Zum verfassungswidrigen Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb unten § 4, S. 177 ff.
C. Rechtswirksamkeit tarifvertraglicher Differenzierungsklauseln
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stungen im eigenen Tarifvertrag kann dann regelmäßig weder durch die tarifliche Gestaltung konkurrierender Gewerkschaften noch durch den Arbeitgeber gehindert werden. Unter dem Dogma der Tarifeinheit aber bleiben anders koalierte Arbeitnehmer auf die arbeitsvertragliche Gestaltung verwiesen. Jeder zwingende Ausschluß von tariflichen Leistungen führt deswegen zu einer Verletzung der positiven Koalitionsfreiheit, weil anders Koalierte in ihrer freien Wahl der Gewerkschaft behindert werden. Sie können einer anderen Gewerkschaft nur bei Inkaufnahme von Nachteilen angehören290. b) Folgerungen für die Zulässigkeit von Differenzierungsklauseln (1) Zulässigkeit von einfachen Differenzierungsklauseln Keine Schranke aus der positiven Koalitionsfreiheit anders koalierter Arbeitnehmer erwächst wiederum einfachen Differenzierungsklauseln291. Unabhängig davon, ob die tarifvertragliche Leistung auf die der tarifschließenden Gewerkschaft angehörenden Mitglieder begrenzt oder über diesen Kreis auf anders Organisierte erweitert ist, fehlt es bei der einfachen Differenzierungsklausel an einem rechtlich zwingenden Leistungsausschluß. Die tatbestandliche Begrenzung der Anspruchsberechtigung wie auch der gänzliche Ausschluß vom organisatorischen Geltungsbereich eines Tarifvertrags führen nicht zu einer Einschränkung der Bezugnahmefreiheit. Auch anders organisierten Arbeitnehmern steht es frei, mittels Bezugnahme in den Genuß der tariflichen Leistungen zu gelangen. Ein Zwang oder Druck, aus der eigenen Koalition auszutreten, um durch Beitritt zur tarifschließenden Koalition eine Leistungsberechtigung herbeizuführen, besteht nicht, da gleiches arbeitsvertraglich erreicht werden kann. (2) Unzulässigkeit von qualifizierten Differenzierungsklauseln Werden anders organisierten Arbeitnehmern Vorteile aus einem Tarifvertrag durch beschränkte, qualifizierte Differenzierungsklauseln vorenthalten, liegt in der Differenzierung eine Verletzung der positiven Koalitionsfreiheit292. Der Zugang zu der entsprechenden tariflichen Leistung läßt sich 290
A. Hueck, Tarifausschlußklausel, S. 38. So schon die Folgerung in Ansehung der negativen Koalitionsfreiheit der nichtorganisierten Arbeitnehmer, s. § 2 C. II. 2. e) (1), S. 97 f. 292 Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 89 f.; Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, Bd. II/1, S. 122; Löwisch/Rieble, TVG, § 1 Rn. 161; Wiedemann/Wiedemann, TVG, Einleitung Rn. 276; ebenso Däubler/Hensche, TVG, § 1 Rn. 877. 291
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§ 2 Belegschaftsteilung im gewerkschaftlichen Organisationsinteresse
– solange die Rechtsprechung den Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb aufrecht erhält – nur über den Beitritt zur tarifschließenden Koalition erreichen. Vor diesem Beitrittsdruck schützt die positive Koalitionsfreiheit. Sie ist unabhängig davon verletzt, ob der Druck rechtlicher oder faktischer Natur ist. 4. Verletzung der Vertragsfreiheit der tariffreien Arbeitsvertragsparteien Eine weitere wichtige Grundrechtsschranke errichtet die Vertragsfreiheit. Der Tarifvertrag ist zwar nur mittelbar an die Grundrechte gebunden, im Hinblick auf tariffreie Arbeitnehmer ergibt sich gleichwohl ein strenger Kontrollmaßstab, der dem Interessenwiderspruch zwischen den Tarifparteien und tariflichen Außenseitern Rechnung trägt293. a) Schutz der Vertragsfreiheit Grundlage der Vertragsfreiheit ist die Privatautonomie. Sie gewährleistet die freie Gestaltung der Rechtsverhältnisse durch den einzelnen nach seinem Willen und damit die Selbstbestimmung im Rechtsverkehr294. Durch die Freiheit, einen Vertrag zu schließen, ihn inhaltlich zu gestalten und auch wieder aufzulösen, verwirklicht und konkretisiert die Vertragsfreiheit die Privatautonomie, das Grundprinzip der Privatrechtsordnung295. Die Vertragsfreiheit ist verfassungsrechtlich geschützt und grundsätzlich Teil der durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleisteten allgemeinen Handlungsfreiheit296. Im Bereich der beruflichen Betätigung fragt sich allerdings, ob sich die Vertragsfreiheit nicht aus dem speziellen Berufsgrundrecht des Art. 12 Abs. 1 GG ableitet297. In Rechtsprechung und Lehre wird die Vertragsfreiheit der Arbeitsvertragsparteien verschiedentlich nur dem Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG 293
Zum Kontrollmaßstab der Grundrechtsbindung oben § 2 C. I. 2. c) (5), S. 90 f. 294 St. Rspr.: etwa BVerfG vom 12.11.1958 – 2 BvL 4/56 – BVerfGE 8, 274, 328 = NJW 1959, 475; BVerfG vom 13.5.1986 – 1 BvR 1542/84 – BVerfGE 72, 155, 170 = NJW 1986, 1859; zuletzt BVerfG vom 26.7.2005 – 1 BvR 80/95 – BVerfGE 114, 73, 91 = NJW 2005, 2376. 295 Zur Privatautonomie im Arbeitsrecht Boemke, JuS 1993, 532, 532 ff.; Papier, RdA 1989, 137, 137 ff., sowie bereits Zöllner, AcP 176 (1976), 221, 221 ff. 296 BVerfG vom 19.10.1983 – 2 BvR 298/81 – BVerfGE 65, 196, 210 = NJW 1984, 476; BVerfG vom 14.1.1987 – 1 BvR 1052/79 – BVerfGE 74, 129, 151 = NJW 1987, 1689. 297 So Badura, in: FS Herschel, S. 21, 33; Höfling/Burkiczak, NJW 2005, 469, 471; Scholz, ZfA 1981, 265, 275.
C. Rechtswirksamkeit tarifvertraglicher Differenzierungsklauseln
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zugeordnet298. Auch die Rechtsprechung des BVerfG hierzu ist nicht einheitlich. Obgleich das Gericht die Subsidiarität des Art. 2 Abs. 1 GG im Verhältnis zu Art. 12 Abs. 1 GG in abstracto anerkennt299, hat es den Vorrang des Art. 12 Abs. 1 GG in zahlreichen Entscheidungen nicht beachtet300. Im Mitbestimmungsurteil blieb die Frage offen, da sich die angegriffenen Vorschriften innerhalb des grundrechtlich geschützten Raumes beider Gewährleistungen hielten301. In seiner jüngeren Judikatur ordnet das Gericht die Arbeitsvertragsfreiheit gleichwohl dem Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG zu302. Letztlich spricht mehr dafür, die Vertragsfreiheit im Bereich des Individualarbeitsvertragsrechts der Gewährleistung des Art. 12 Abs. 1 GG zuzuordnen. Denn die Regelung der eigenen beruflichen Verhältnisse läßt sich nicht sinnvoll von der Freiheit der Begründung und Beendigung des Arbeitsverhältnisses trennen. Auch der Berufsfreiheit geht es schließlich darum, den einzelnen in die Lage zu versetzen, selbständig und eigenverantwortlich seine Interessen zu verfolgen und seine Rechtsbeziehung zu gestalten303. Die Vertragsfreiheit ist damit im speziellen Bereich des Individualarbeitsvertragsrechts dem Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG zuzuordnen. b) Eingriff in die Vertragsfreiheit Die Gewährleistung des Art. 12 Abs. 1 GG umfaßt die Freiheit der vertraglichen Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses und die Selbstbestimmung der Arbeitsbedingungen304. Der Grundrechtsschutz erstreckt sich auf beide Arbeitsvertragsparteien. Dies gilt auch, wenn eine einseitige Gestaltung in Rede steht, wie es beim Weisungsrecht der Fall ist. Die Rechtsstellung des Gestaltungsunterworfenen wird hier nicht ausgeblendet: Gestaltungsrecht und Unterwerfung sind vielmehr notwendige „Widerlager“305. 298 Etwa Ehmann/Schmidt, NZA 1995, 193, 195; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, § 32 Rn. 21. 299 Betont in BVerfG vom 6.10.1987 – 1 BvR 1086/82, 1 BvR 1468/82, 1 BvR 1623/82, 1 BvR 1086, 1468, 1623/82 – BVerfGE 77, 84, 118 = NZA 1989, 28. 300 Etwa BVerfG vom 19.10.1983 – 2 BvR 298/81 – BVerfGE 65, 196 ff. = AP Nr. 2 zu § 1 BetrAVG Unterstützungskassen; BVerfG vom 19.5.1992 – BVerfGE 86, 122, 130 = NJW 1992, 2409. 301 BVerfG vom 1.3.1979 – 1 BvR 532/77 – BVerfGE 50, 290, 362 = AP Nr. 1 zu § 1 MitbestG = EzA § 7 MitbestG Nr. 1. 302 BVerfG vom 11.7.2006 – 1 BvL 4/00 – AP Nr. 129 zu Art. 9 GG = NJW 2007, 51 = NZA 2007, 42; s. auch BVerfG vom 23.11.2006 – 1 BvR 1909/06 – NZA 2007, 85 = NJW 2007, 286. 303 Klebeck, Gleichstellung der Leiharbeitnehmer als Verfassungsverstoß, S. 158. 304 Zuletzt BVerfG vom 11.7.2006 – 1 BvL 4/00 – AP Nr. 129 zu Art. 9 GG = NJW 2007, 51 = NZA 2007, 42. 305 Bötticher, Gestaltungsrecht und Unterwerfung im Privatrecht, S. 1.
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Da es die Vertragsfreiheit gewährleistet, die Arbeitsbedingungen im Rahmen der Gesetze frei auszuhandeln, stellt jede zwingende Beschränkung einen Eingriff dar. Zwar gibt es keinen Anspruch auf einen Vertrag mit einem bestimmten Inhalt306. Die tariffreien Arbeitsvertragsparteien haben aber einen Anspruch darauf, daß ihre privatautonomen Vertragsgestaltungschancen nicht gezielt beeinträchtigt werden307. Jede Abmachung, die die Verwirklichung dieser geschützten Chance vereitelt, verletzt die Arbeitsvertragsfreiheit der Außenseiter. Dies gilt insbesondere unabhängig von der konkreten Höhe einer entsprechenden Vorteilsregelung. Jede Verkürzung der inhaltlichen Gestaltungsfreiheit führt zu einem Eingriff in die Vertragsfreiheit der Außenseiter. Der dagegen erhobene Einwand, daß der Arbeitgeber rechtlich nicht gehindert sei, Außenseiter anders oder schlechter zu behandeln, überzeugt nicht308. Was die Arbeitsvertragsparteien aufgrund ihrer Privatautonomie in zulässiger Weise vereinbaren dürfen, darf die Gewerkschaft deshalb nicht in organisationspolitischer Willensrichtung tariflich fordern, geschweige denn, in rechtlich verbindlicher Weise festschreiben. Der entscheidende und vielfach überspielte Punkt liegt gerade in dem Unterschied zwischen autonomer Freiheit und fremdbestimmter Verpflichtung. Die selbstbestimmte Gestaltungsfreiheit steht unter dem Schutz der Privatautonomie, die ihrerseits wiederum jede dagegen stehende Forderung abwehrt. Der Umstand, daß eine vertragliche Gestaltung von einem Freiheitsrecht gedeckt ist, führt somit nicht dazu, daß sich eine Vertragspartei dazu gegenüber einem Dritten verpflichten kann. Auf diesem Satz beruht letztlich das gesamte Kartellrecht. Die anerkannte Kartellwirkung des Tarifvertrags beschränkt sich indessen auf die Mitglieder der Tarifvertragsparteien. Deswegen darf der Tarifvertrag dem Außenseiter die Chance, Verträge mit bestimmtem Inhalt abzuschließen nicht nehmen. Die individuelle Vertragsfreiheit sichert den Anspruch, daß andere keine Verträge schließen, die den Zweck haben, ihm diese Chance zu nehmen. Nichts anderes gilt im Ergebnis für begrenzte Effektivklauseln. Diese sind auch unzulässig, weil damit versucht wird, die einzelvertraglich vereinbarten Lohnbestandteile der Verfügung der Arbeitsvertragsparteien zu entziehen309. Darin liegt ebenso ein unzulässiger Eingriff in die Vertragsbezie306
Insoweit zutreffend Gamillscheg, NZA 2005, 146, 147. In jüngerer Zeit Franzen, RdA 2006, 1, 6; Giesen, NZA 2004, 1317, 1319; Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1693; ebenso schon Biedenkopf, Gutachten zum 46. Deutschen Juristentag, S. 97, 133. 308 So etwa Gamillscheg, NZA 2005, 146, 147. 309 Für die h. M. nur BAG vom 16.6.2004 – 4 AZR 408/03 – AP Nr. 24 zu § 4 TVG Effektivklausel = EzA § 4 TVG Effektivklausel Nr. 3 = NZA 2005, 1420; Franzen, in: ErfK, § 1 TVG Rn. 46 m. w. Nachw. 307
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hung der Arbeitsvertragsparteien, weil in den diesen Parteien zugeordneten Gestaltungsbereich eingegriffen wird. Zu trennen von der Vereitelung rechtlich geschützter Chancen ist freilich die bloße Störung rechtlich ungeschützter Aussichten. Einen Anspruch auf einen bestimmten Vertragsinhalt gibt es freilich nicht. Auch daß Nichtorganisierte deshalb individualvertraglich schlechtere Arbeitsbedingungen aushandeln, weil der Arbeitgeber durch die tariflichen Arbeitsbedingungen überbeansprucht ist, folgt allein daraus, daß das Tarifvertragssystem mit dem individualvertraglichen Regelungsmechanismus konkurriert310. Wenn organisierte Arbeitnehmer bessere Arbeitsbedingungen haben, liegt das in ihrem Markterfolg311 begründet und ist nicht zu beanstanden. Die rechtliche Absicherung dieses Markterfolges aber und die daraus resultierende gezielte Beeinträchtigung der rechtlich geschützten Chancen der Außenseiter verletzt die Vertragsfreiheit. c) Keine Rechtfertigung aus organisationspolitischen Gründen Auch im Rahmen der Vertragsfreiheit kommt eine Rechtfertigung durch organisationspolitische Interessen der Gewerkschaften nicht in Betracht, da Differenzierungsklauseln im Rahmen der funktionsgebundenen tarifvertraglichen Rechtsetzung keiner durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Zweckverwirklichung dienen312. Die tarifvertragliche Verpflichtung, den Außenseitern nicht die gleichen materiellen Arbeitsbedingungen zu gewähren wie die im Tarifvertrag vorgesehenen, beschränkt die Vertragsfreiheit der beteiligten Arbeitgeber und der Außenseiter-Arbeitnehmer, ohne einem koalitionsspezifischen Schutzzweck zu dienen und ist daher nicht gerechtfertigt313. d) Folgerungen für die Zulässigkeit von Differenzierungsklauseln Die Vertragsfreiheit der nicht tarifgebundenen Arbeitsvertragsparteien ist somit ein weiteres entscheidendes Argument gegen verbindliche Differenzierungsklauseln314.
310
Löwisch/Rieble, TVG, § 1 Rn. 233. Dazu Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1690. 312 Dazu bereits oben § 2 C. II. 1. b) (2), S. 94 f. und § 2 C. II. 2. d), S. 109 f. 313 A. Hueck, Tarifausschlußklausel, S. 42 f.; Biedenkopf, Gutachten zum 46. Deutschen Juristentag, S. 97, 134; Giesen, NZA 2004, 1317, 1318 f.; Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille, S. 208. 314 Ebenso Franzen, RdA 2006, 1, 6: „Auf einen Eingriff in die negative Koalitionsfreiheit kommt es nicht an.“ 311
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(1) Zulässigkeit von einfachen Differenzierungsklauseln Solange den nicht der Tarifgeltung unterliegenden Arbeitsvertragsparteien die Übernahme der tariflichen Regelung durch Bezugnahme oder die Vereinbarung einer entsprechenden Regelung nicht verwehrt wird, ist die individuelle Vertragsfreiheit allerdings nicht betroffen315. So liegt es bei einfachen Differenzierungsklauseln316 und bei organisatorischen Geltungsbereichsbeschränkungen317. Beide stehen der arbeitsvertraglichen Gestaltungsfreiheit im tariffreien Arbeitsverhältnis nicht entgegen. Beides ist deshalb im Lichte der Arbeitsvertragsfreiheit zulässig. Keine Rolle spielt es, ob die Koalitionszugehörigkeit durch weitere Merkmale, etwa die Dauer der Mitgliedschaft, qualifiziert ist. Aus der Vertragsfreiheit erwächst kein Anspruch, von Dritten gestaltete Regelungen mehr oder weniger einfach übernehmen zu können. Verfassungsrechtlich geschützt ist nur, daß die eigene Gestaltungsfreiheit nicht gezielt beeinträchtigt wird. (2) Keine exklusive Tarifdispositivität staatlichen Arbeitnehmerschutzrechts Besonderheiten ergeben sich im Rahmen des tarifdispositiven Gesetzesrechts. Nach dem bisher Herausgearbeiteten sind organisatorische Geltungsbereichsbeschränkungen zulässig, weil mit ihnen keine Beschränkung der Bezugnahmefreiheit der Außenseiter einher geht. Im Hinblick auf Tarifverträge, die tarifdispositives Gesetzesrecht nutzen, könnte das auf den ersten Blick anders zu beurteilen sein, weil eine Bezugnahme hier nach allgemeinen Regeln die Einschlägigkeit des Geltungsbereichs verlangt318. Bei organisatorischer Beschränkung auf die organisierten Arbeitnehmer bestünde infolgedessen keine Möglichkeit für Außenseiter, von tarifdispositivem Recht abzuweichen. Dem könnte man nun zustimmen und sagen, daß der Gesetzgeber es eben nur den Tarifvertragsparteien gestattet hat, von den ansonsten zwingenden Normen abzuweichen. Dann läge darin auch keine Beschränkung der arbeitsvertraglichen Gestaltungsfreiheit, weil diese sich stets in den Grenzen zwingenden staatlichen Rechts zu bewegen hat. Allerdings hat der Gesetzgeber mit der Schaffung tarifdispositiven Gesetzesrechts keine Koalitionsentscheidung dahingehend getroffen, daß er nur für organisierte 315
So auch Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 206 f. Zur Terminologie oben § 2 B. I. 2., S. 63. 317 Zur Terminologie oben § 2 B. II. 3., S. 69. 318 Klebeck, SAE 2007, 271, 274 m. Nachweisen zu den einzelnen tarifdispositiven Normen. 316
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Arbeitnehmer eine Unterschreitung seiner Normen zulassen wollte. Die gewählte Regelungstechnik dient vielmehr lediglich dazu, eine Abweichung nur dann zuzulassen, wenn der Regelung eine entsprechende Richtigkeitsgewähr zur Seite steht, wie das bei Tarifverträgen regelmäßig angenommen wird. Deshalb erlaubt der Gesetzgeber auch nahezu stets, daß sich Nichtorganisierte mittels Bezugnahme an dem gewährten Dispens beteiligen319. Diese Möglichkeit darf dann aber als Teil der arbeitsvertraglichen Gestaltungsfreiheit nicht von den Tarifvertragsparteien beschränkt oder vereitelt werden. Denn dadurch griffen sie in die Vertragsfreiheit der Außenseiter ein320. Im Ergebnis bedeutet das, daß die Bezugnahme trotz eines organisatorischen Geltungsbereichs möglich bleiben muß. Nur unter dieser Prämisse lassen sich organisatorische Geltungsbereichsbeschränkungen als zulässig bewerten. In bezug auf die Tarifautonomie ist das im übrigen die mildere Lösung, weil sie den Tarifvertragsparteien die tarifautonome Gestaltung ihres Geltungsbereichs beläßt – wenn auch unter der Einschränkung, daß sich eine organisatorische Beschränkung nicht auf die Übernahme von tarifdispositiven Gesetzesrecht auswirkt321. Im Hinblick auf die Abweichung von tarifdispositivem Gesetzesrecht entsteht in der Folge keine tarifliche Zweiteilung der Belegschaft. Dem Arbeitgeber bleibt es unbenommen, trotz tariflicher Beschränkung Abweichungen von tarifdispositiven gesetzlichen Normen für die gesamte Belegschaft zu nutzen. Organisatorische Geltungsbereichsbeschränkungen werden insofern überspielt, was sich konsequent auch auf die AGB-Kontrolle auswirken muß. Die ansonsten gerechtfertigte Inhaltskontrolle anhand der §§ 307 ff. BGB bei der Verweisung auf geltungsbereichsfremde Tarifverträge322 ist bei Abweichungen vom tarifdispositiven Gesetzesrecht ebenfalls zurückzunehmen323. Hier erscheint eine Inhaltskontrolle auch deswegen nicht erforderlich, weil der Gesetzgeber durch die Schaffung der Verweisungsmöglichkeit im übrigen von einer ausgewogenen Regelung im Tarifvertrag ausgeht.
319
Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rn. 235. So vor allem auch Klebeck, SAE 2007, 271, 282. 321 Ebenso Klebeck, SAE 2007, 271, 273 ff.; Löwisch/Rieble, TVG, § 4 Rn. 105. 322 Vgl. oben § 1 D. II. 2., S. 48 f. 323 So insbesondere auch Klebeck, SAE 2007, 271, 283; ebenso Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rn. 267, die darauf hinweise, daß den Tarifvertragsparteien von der Tarifdispositivität praktisch keinen Gebrauch mehr machen könnten, wenn die Nichtorganisierten in diesem Bereich gezielt besser gestellt wären. 320
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(3) Unzulässigkeit von qualifizierten Differenzierungsklauseln Die Vertragsgestaltungsfreiheit der tariffreien Arbeitsvertragsparteien wird demgegenüber stets durch qualifizierte Differenzierungsklauseln324 verletzt. Denn darin liegt eine zwingende Beeinträchtigung der rechtlich geschützten Vertragschance der Außenseiter. Normativ wirkende Spannenklauseln hindern die Arbeitsvertragsparteien, durch die fortwährende tarifliche Sicherung des Differenzanspruchs, gleiche Arbeitsbedingungen zu vereinbaren. Der Einfluß folgt aus dem Umstand, daß sich die Leistungsgewährung an Nichtorganisierte immer zusätzlich für die organisierten Arbeitnehmer auswirkt325. Schuldrechtliche Spannen- und Tarifausschlußklauseln verbieten dem Arbeitgeber, Außenseitern die gleichen Arbeitsbedingungen zu gewähren und beeinflussen die Vertragsgestaltung in tatsächlicher Hinsicht. Schuldrechtlich sind die Tarifvertragsparteien verpflichtet, die Schlechterstellung zu gewährleisten. Bei Verbandstarifverträgen wird das durch die Durchführungs- und Einwirkungspflicht der Arbeitgeberverbände sichergestellt326. Ist der Arbeitgeber Tarifvertragspartei, sieht er sich dem Unterlassungsanspruch aus dem Tarifvertrag ausgesetzt, was eine stärkere Verpflichtung auslöst als die normative Anordnung im Arbeitsverhältnis, da er der Gewerkschaft gegenübersteht327. Da nicht- und anders Organisierte aufgrund ihrer Vertragsfreiheit einen Anspruch darauf haben, daß andere keine Vereinbarungen treffen, die ihre individuellen Vertragsgestaltungschancen gezielt beeinträchtigen, sind qualifizierte Differenzierungsklauseln unabhängig von der konkreten tarifvertraglichen Gestaltung und unabhängig von der Höhe der Schlechterstellung wegen Verstoßes gegen die Vertragsfreiheit der Außenseiter unzulässig328. Der nicht quantitativ, sondern qualitativ zu wertende Schutz der Vertragsfreiheit steht jedweder zwingenden Ungleichbehandlung entgegen.
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Zur Terminologie oben § 2 B. I. 3, S. 64 ff. Dies verkennt Biedenkopf, Gutachten zum 46. Deutschen Juristentag, S. 97, 131 ff., der an diesem Punkt zwar Tarifausschlußklauseln für unwirksam hält, dagegen aber Spannensicherungsklauseln zulassen will. Mit zutreffender Kritik bereits Bötticher, RdA 1966, 401, 406. 326 Dazu Willemsen/Kalb/Henssler, Arbeitsrecht Kommentar, § 1 TVG Rn. 69 ff. 327 Giesen, NZA 2004, 1317, 1319. 328 Aus jüngerer Zeit Franzen, RdA 2006, 1, 5 f.; ders., RdA 2001, 1, 9 f.; Giesen, NZA 2004, 1317, 1319; Löwisch/Rieble, TVG, § 1 Rn. 820; Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1687 ff. 325
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III. Einfachrechtliche Grenzen der Tarifmacht Auch wenn man die verfassungsrechtlichen Grenzen weiter zieht329, stoßen tarifliche Differenzierungsklauseln jedenfalls an die einfachrechtlichen Grenzen des Tarifrechts. 1. Grenze der normativen Gestaltungsmacht Die erste Begrenzung für die normative Gestaltungsbefugnis der Tarifvertragsparteien ist immanent durch den Kreis der eigenen Mitglieder vorgegeben. Ein über das Mandat der Mitglieder hinausgehender Autonomiebereich besteht nicht330. Weder aus einer staatlich übertragenen Rechtsetzungsmacht331 noch aus Art. 9 Abs. 3 GG332 folgt eine Autonomieerweiterung. Folgt man dem Modell der kollektiven Privatautonomie333 und erkennt keine Tarifmacht an, die nicht von der Ermächtigung der Mitglieder abhängt, verbietet sich schon deshalb jede Erstreckung von Tarifnormen auf Außenseiter. Von vornherein unzulässig sind deshalb tarifliche Rückzahlungsklauseln, die für sich in Anspruch nehmen, für Außenseiter verbindlich zu sein, indem sie vorschreiben, daß für Nichtorganisierte nicht nur bestimmte tarifliche Leistungen entfallen, sondern daß gleichwohl gewährte Leistungen zurückzahlen sind334. Jede sich an Nichtorganisierte wendende Regelung überschreitet die Normsetzungsbefugnis der Tarifvertragsparteien. Desgleichen stoßen normative Abstands- und Spannensicherungsklauseln, deren Ziel darin besteht, einen Leistungsausgleich mit Außenseiter-Arbeitnehmern zu verhindern335, an die Grenzen der normativen Gestaltungsmacht. Vordergründig verschaffen sie den Organisierten zwar einen zusätzlichen Leistungsanspruch. Aber darum geht es gar nicht: Ziel der Vereinbarung ist es, einen Abstand zwischen Organisierten und Nichtorganisierten zu schaffen, der den Gewerkschaften im eigenen Organisationsinteresse dienlich ist. Die Kehrseite der Spannenklausel ist immer die Verhinderung des Leistungsaufschlusses der Außenseiter, unabhängig von der erreichten Stufe der Spirale. Nur dem äußeren Schein nach ist eine Norm für tarifbe329 Aus jüngerer Zeit etwa Däubler, BB 2002, 1643, 1647 f.; Gamillscheg, NZA 2005, 146, 149 f.; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 57 ff. 330 Vgl. oben § 1 B. III., S. 33. 331 Zur Ablehnung der Delegationstheorie oben § 1 B. II. 4.a), S. 29. 332 Zur Ablehnung der Integrationstheorie oben § 1 B. II. 4.b), S. 30. 333 Ausführlich dazu oben § 1 B. II. 3., S. 28 f. 334 So die Klausel im Fall des LAG Köln vom 8.12.2005 – 10 Sa 235/05 – LAGE § 4 TVG Nr. 6. 335 Zur Terminologie oben § 2 B. I. 3. c), S. 66.
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teiligte Arbeitnehmer gewollt, in Wahrheit soll eine Ausschlußwirkung gegenüber Außenseitern erzielt werden. Dagegen wird zwar argumentiert, allein der materielle Vorteil für die Gewerkschaftsmitglieder sei maßgeblich336. Aber auch von diesem Blickwinkel läßt sich die Kehrseite solcher Klauseln nicht ausblenden. Es geht um die Sicherung eines Sondervorteils, der sich nur erreichen läßt, wenn die Schlechterstellung der Außenseiter gewährleistet ist. Ginge es ausschließlich um materielle Leistungen an die Mitglieder, bedürfte es einer zusätzlichen Absicherung nicht. Auch daran wird deutlich, daß das normative Abstandsgebot mit dem originären Leistungsanspruch der Gewerkschaftsmitglieder nichts zu tun hat, sondern allein koalitionspolitischen Zwecken zu dienen bestimmt ist. Die mit Abstands- und Spannenklauseln bezweckte Überwirkung auf Außenseiter ist es, die derartige Klauseln an den Grenzen der normativ auf die Mitglieder begrenzten Gestaltungsmacht der Tarifvertragsparteien scheitern läßt. Unabhängig von verfassungsrechtlichen Wertungen sind daher normativ wirkende, qualifizierte Differenzierungsklauseln, die zwingend eine Schlechterstellung von Außenseitern begründen, bereits wegen Überschreitens der Tarifmacht unwirksam. Das gilt unabhängig von der Höhe des ausbedungenen Sondervorteils, so daß es insbesondere auf die Kontroverse im Hinblick auf die Eingriffsschwelle bei der Koalitionsfreiheit337 nicht ankommt. 2. Keine erweiterte Tarifmacht für schuldrechtliche Tarifabsprachen Die positivrechtlichen Schranken der tarifvertraglichen Regelungsgewalt beziehen sich auch auf schuldrechtliche Absprachen. Andernfalls könnten die Schranken der Tarifmacht dadurch umgangen werden, daß eine schuldrechtlich wirkende Abrede vereinbart wird, die zwar nicht normativ, aber erzwingbar Außenseiter-Arbeitsverhältnisse gestaltet338. Der Verzicht auf Privilegierung verschafft nicht mehr Gestaltungsmacht339. Es gibt zwar kein allgemeines Harmoniepostulat, wonach a priori schuldrechtlich nicht vereinbart werden dürfte, was normativ nicht bestimmt wer336
Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 219 f. Oben § 2 C. II. 2. c), S. 107. 338 Bauer/Arnold, NZA 2005, 1209, 1211; Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 20 f.; ders., Gutachten zum 46. Deutschen Juristentag, S. 97, 125 ff.; Bötticher, Die gemeinsamen Einrichtungen der Tarifvertragsparteien, S. 151 f.; Giesen, NZA 2004, 1317, 1319. 339 Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille, S. 209. 337
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den kann340. Allein aus dem Umstand, daß eine Regelung normativ nicht getroffen werden kann, folgt noch nicht, daß sie nicht Gegenstand einer schuldrechtlichen Absprache sein darf. Aus der Tatsache hingegen, daß eine Regelung normativ nicht getroffen werden darf, folgt aber, daß eine schuldrechtliche Regelung an den gleichen rechtlichen Grenzen scheitern muß341. Insbesondere müssen sich schuldrechtliche Tarifvereinbarungen innerhalb der personellen Grenzen der Tarifmacht halten. Die verfassungsrechtlich geschützte Regelungsgewalt ist insgesamt auf die kollektivvertragliche Gestaltung von Arbeitsverhältnissen beschränkt, an denen Koalierte beteiligt sind. Liegt die Rechtfertigung tarifautonomer Gestaltungsmacht in der im Verbandsbeitritt liegenden Unterwerfungserklärung der Mitglieder begründet, ergeben sich daraus auch die immanenten Schranken für die tarifvertragliche Gestaltungsbefugnis. Auch eine schuldrechtlich begründete Einwirkung auf Außenseiterarbeitsverhältnisse liegt außerhalb der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen des Art. 9 Abs. 3 GG und kann deshalb nicht wirksam begründet werden. Dagegen verfängt der Einwand von Gamillscheg342 nicht, wonach, was normativ nicht erreichbar ist, schuldrechtlich ergänzt werden müßte. Soweit es um die Regelungstechnik geht, kann dem noch zugestimmt werden. Durch die schuldrechtliche Gestaltung lösen sich aber weder übergeordnete rechtliche Grundsätze auf noch erweitert sich die Tarifautonomie. Die positivrechtlichen Schranken der tarifvertraglichen Regelungsgewalt enthalten materielle Kriterien für den Inhalt und Umfang der Tarifautonomie an sich, aus der sich ebenso die schuldrechtliche Regelungsbefugnis ableitet. Eine Ausweitung der Gestaltungsbefugnis für schuldrechtliche Tarifvereinbarungen führte nicht zuletzt dazu, daß die Tarifvertragsparteien eigene schuldrechtliche Durchsetzungsstrategien entwickeln müßten343. Damit geriete nicht zuletzt der intendierte Durchsetzungs- und Befriedungseffekt der normativen Tarifwirkung in den Hintergrund. Im Ergebnis trifft das Verdikt der Unwirksamkeit jeglicher zwingender Schlechterstellung von tariflichen Außenseitern auch schuldrechtliche Tarifabsprachen. Qualifizierte Differenzierungsklauseln sind – selbst wenn sie nur schuldrechtlich vereinbart sind – wegen Überschreitung der Grenzen der personellen Tarifmacht unwirksam.
340 341 342 343
Zutreffend Zöllner, Tarifvertragliche Differenzierungsklauseln, S. 41. Wiedemann/Wiedemann, TVG, § 1 Rn. 961. Gamillscheg, Kollektives ArbeitsR, Bd. I, S. 362. Vgl. Giesen, NZA 2004, 1317, 1320.
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3. Kartellverbot des Günstigkeitsprinzips Sachlich zieht zudem das Günstigkeitsprinzip des § 4 Abs. 3 TVG der tariflichen Regelungsbefugnis Grenzen. Die Tarifmacht ist danach stets auf die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen begrenzt344. Weder normativ noch schuldrechtlich kann ein Tarifvertrag vorsehen, daß seine Bedingungen nicht oder nur unter bestimmten Voraussetzung überschritten werden dürfen345. Als unabdingbares Kartellverbot erlaubt es das Günstigkeitsprinzip immer, vom Tarifvertrag nach oben abzuweichen. Jeder zwingenden Schlechterstellung im Tarifvertrag ist infolgedessen bereits gemäß § 4 Abs. 3 TVG der Boden entzogen. Auch auf negative Inhaltsnormen ist das Günstigkeitsprinzip ohne weiteres anwendbar346. Der Günstigkeitsvergleich ist jeweils zwischen der untersagten arbeitsvertraglichen Regelung und der tarifvertraglichen Situation vorzunehmen347. Die Anwendbarkeit auf tarifliche Differenzierungsklauseln wird zwar bestritten, weil sie Außenseiter betreffen, die nicht der unmittelbaren Tarifgeltung unterliegen348. Wenn aber die Tarifparteien schon nicht in der Lage sind, für die eigenen Mitglieder Höchstarbeitsbedingungen festzulegen, muß eine Bestimmung, die selbiges Ziel erzwingbar gegenüber Personen durchsetzen will, für die keine Legitimation besteht, erst recht als eine Überschreitung der Regelungsbefugnis angesehen werden349. Für Differenzierungsklauseln bedeutet das, daß die zwingende Schlechterstellung von Arbeitnehmern, die entweder überhaupt keiner oder einer anderen als der tarifschließenden Gewerkschaft angehören, gegen das Günstigkeitsprinzip verstößt und daher auch aus diesem Grund nicht Inhalt einer tariflichen Regelung sein kann350. Unzulässig sind qualifizierte Dif344 Im Hinblick auf Differenzierungsklauseln Biedenkopf, Gutachten zum 46. Deutschen Juristentag, S. 97, 135 f.; Giesen, NZA 2004, 1317, 1319; Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille, S. 365 ff.; Zöllner, Tarifvertragliche Differenzierungsklauseln, S. 42 f.; offen gelassen von BAG (GS) vom 29.11.1967 – GS 1/67 – AP Nr. 13 zu Art. 9 GG = EzA Art. 9 GG Nr. 3 (Teil III unter IV 5). 345 Zur Geltung des Günstigkeitsprinzips für schuldrechtliche Absprachen in Tarifverträgen Löwisch/Rieble, TVG, § 1 Rn. 432; allgemein zum Günstigkeitsprinzip Wiedemann/Wiedemann, TVG, § 4 Rn. 381 ff.; Zöllner, Tarifvertragliche Differenzierungsklauseln, S. 42 f. 346 Löwisch/Rieble, TVG, § 4 Rn. 272 f.; Wiedemann/Wiedemann, TVG, § 4 Rn. 409. 347 Joost, ZfA 1984, 173, 189. 348 So aber Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 232 ff. 349 Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille, S. 211; Zöllner, Tarifvertragliche Differenzierungsklauseln, S. 42 f. 350 So zu Recht auch LAG Köln vom 8.12.2005 – 10 Sa 235/05 – LAGE § 4 TVG Nr. 6.
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ferenzierungsklauseln; gleich welcher Gestaltung und gleich in welcher Höhe sie eine zwingende Schlechterstellung von Außenseitern begründen. Einfache Differenzierungsklauseln, die es Außenseiter freistellen, was sie arbeitsvertraglich vereinbaren, sind hingegen vom Günstigkeitsprinzip nicht berührt. 4. Unzumutbarkeit für den Arbeitgeber Differenzierungsklauseln richten sich an den Arbeitgeber, so daß ihre Zulässigkeit auch danach beurteilt werden muß, was für diesen noch tragbar ist351. Zu fragen ist, ob Sonderleistungen für Gewerkschaftszugehörige, zu denen der Arbeitgeber verpflichtet wird, als eine, nicht zu den Aufgaben des Tarifvertrags gehörige, Prämiierung von Mitgliedern des Sozialpartners und damit als unzumutbar zu werten ist352. Gegen die Begrenzung tariflicher Abmachungen durch den allgemeinen Gesichtspunkt der Unzumutbarkeit spricht zunächst freilich der pauschale Charakter. Ohne greifbaren Inhalt dieser Schranke bestünde in der Tat die Gefahr einer Tarifzensur353. Nur geht es im Zusammenhang mit Differenzierungsklauseln nicht um eine pauschale Inhaltskontrolle von Tarifverträgen, sondern darum, ob es dem Arbeitgeber zumutbar ist, den sozialen Gegenspieler, nämlich die Gewerkschaft bei ihren organisationspolitischen Bestrebungen aktiv zu unterstützen. Dadurch erhält das Kriterium der Zumutbarkeit einen konkreten Inhalt, der es nicht der Wertung des einzelnen Richter überläßt, wann die relevante Schwelle überschritten ist. Für das Kriterium der Zumutbarkeit gilt insofern nichts anderes als für andere spezielle Ausprägungen des § 242 BGB. Zu einer Inpflichtnahme des Arbeitgebers kommt es, wenn er rechtlich oder faktisch dazu gezwungen ist, die Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit umzusetzen. Insofern hat Bötticher Recht, wenn er ausführt, daß es darum geht, ob sich der Arbeitgeber überhaupt gefallen lassen muß, seine Lohnzahlungspflicht nach der Gewerkschaftszugehörigkeit bemessen zu lassen354 – freilich mit der Einschränkung, daß hier lediglich die zwingende Schlechterstellung von Außenseitern relevant ist. Denn diese verlangen von ihm ein rechtswidriges Verhalten gegenüber den Nichtorganisierten, welches allein dem Zweck dient, der Gewerkschaft Mitglieder in die Arme zu treiben. 351
Loritz, Tarifautonomie und Gestaltungsfreiheit des Arbeitgebers, S. 119 ff. Insofern fungiert die Unzumutbarkeit als Schranke der Tarifmacht im Verhältnis der Koalitionen zueinander. So auch BAG (GS) vom 29.11.1967 – GS 1/67 – AP Nr. 13 zu Art. 9 GG (Teil IV unter VII 4). 353 Vgl. Däubler, BB 2002, 1643, 1648; Löwisch/Rieble, TVG, § 1 Rn. 852. 354 Bötticher, Die gemeinsamen Einrichtungen der Tarifvertragsparteien, S. 121. 352
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Dagegen wird vorgebracht, es würde zu Unrecht unterstellt, daß der Arbeitgeber den sozialen Gegenspieler stärken solle. Das sei mit der Differenzierungsklausel nicht intendiert. Es ginge nur um die Tatsache, daß es der Arbeitgeber hinnehmen müsse, daß der Tarifvertrag die Attraktivität der Gewerkschaft erhöhen kann355. Teilweise wird aber auch offen argumentiert, daß die Sozialpartner füreinander Verantwortung trügen und „einander notfalls zur Erlangung der für Dasein und Leistung erforderlichen Voraussetzungen behilflich“ sein müßten356. Deswegen könne die Hilfe für den sozialen Gegenspieler nicht als unzumutbar bezeichnet werden357. Diese Ansätze gehen indessen zu Unrecht davon aus, daß die Koalitionen öffentliche Aufgaben erfüllen und insofern zusammen wirken würden. Daß den Koalitionen keine öffentliche Funktion zukommt und sie bei der tariflichen Rechtsetzung keine, über das mitgliedschaftliche Mandat hinausgehende, Rechtsetzungsmacht haben, wurde bereits dargelegt358. Überdies verfolgen die Koalitionen keine gleichgerichteten Interessen. Jede Koalition ist letztlich darauf verwiesen, ihre Macht aus eigener Kraft zu entwickeln. Eine Pflicht zur wechselseitigen Förderung verträgt sich damit nicht. Daher ist es unzulässig, die Arbeitgeberseite in den Dienst zu nehmen, der Gewerkschaft Mitglieder zuzutreiben359. Zu denken ist schließlich an den umgekehrten Fall, daß organisierten Arbeitnehmern abgesonnen würde, bei Mitgliedern des Arbeitgeberverbandes zum Beispiel unbezahlte Überstunden zu leisten, um den Arbeitgeberverband zu stärken360. Dies stieße bei den Mitgliedern der Gewerkschaft nicht minder auf Ablehnung. Im Ergebnis ist es daher zutreffend, wenn der Große Senat auf die Unzumutbarkeit tariflicher Differenzierungsklauseln abstellt, weil der Arbeitgeber nicht qua Tarifvertrag zur Förderung organisationspolitischer Ziele der Gewerkschaft verpflichtet werden darf. Qualifizierte Differenzierungsklauseln sind auch aus diesem Grunde unwirksam.
355 Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, Tarifvertragsgesetz und Arbeitskampfrecht, § 3 Rn. 111. 356 So Krüger, Verhandlungen des 46. Deutschen Juristentages, Bd. I, Teil 1, S. 92. 357 Krüger, ebenda. 358 Siehe § 2 C. II. 1. b) (2), S. 94 f. 359 Bötticher, RdA 1966, 401, 402 f.; Löwisch/Rieble, TVG, § 2 Rn. 18. 360 Bsp. nach Bötticher, Die gemeinsamen Einrichtungen der Tarifvertragsparteien, S. 122.
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5. Grundsatz der Gegnerunabhängigkeit Ferner begegnen Differenzierungsklauseln unter dem Aspekt der Gegnerunabhängigkeit361 Bedenken. In diesem Zusammenhang geht es weniger um den konkreten Inhalt der Tarifnorm, sondern allgemein um die Unabhängigkeit der Tarifvertragsparteien voneinander, die Funktionsvoraussetzung für die Ausübung der Tarifmacht ist362. Der Grundsatz der Gegnerunabhängigkeit bestimmt, daß die Koalitionen vom jeweiligen sozialen Gegenspieler unabhängig sein müssen363. Arbeitnehmer- und Arbeitgebervereinigungen sind deswegen verfassungsrechtlich privilegiert und mit der Fähigkeit ausgestattet, Tarifverträge abzuschließen, weil ihr Zweck allein darin besteht, die Interessen ihrer Mitglieder kollektiv wahrzunehmen. Dieser Zweck ist nicht mehr gewährleistet, wenn zwischen den Koalitionen Abhängigkeiten oder Verflechtungen bestehen364. Freilich darf dieses Erfordernis nicht verabsolutiert und jede Hilfestellung der Gegenseite gleich als schädliche Abhängigkeit gewertet werden365. Erst, wenn die eigenständige Interessenwahrnehmung einer Tarifvertragspartei gefährdet wird, ist die Gegnerunabhängigkeit beeinträchtigt. So stellen finanzielle Leistungen, die vom Arbeitgeber an die Gewerkschaft fließen, deren Unabhängigkeit erst Frage, wenn befürchtet werden muß, daß durch eine Androhung der Zahlungseinstellung die Willensbildung der Gewerkschaft beeinflußbar wird366. Das wird man bei Leistungen des Arbeitgebers an die Gewerkschaft allerdings nur in Ausnahmefällen annehmen können, etwa dann, wenn sich eine Gewerkschaft im wesentlichen nicht aus den 361 Zum Grundsatz der Gegnerunabhängigkeit BAG vom 14.12.2004 – 1 ABR 51/03 – AP Nr. 1 zu § 2 TVG Tariffähigkeit = EzA § 2 TVG Nr. 27 = NZA 2005, 697; BAG vom 20.4.1999 – 3 AZR 352/97 – AP Nr. 28 zu § 1 TVG Tarifverträge: Rundfunk = EzA § 4 TVG Rundfunk Nr. 19 = NZA 1999, 1339; BAG vom 17.2.1998 – 1 AZR 364/97 – AP Nr. 87 zu Art. 9 GG = EzA Art. 9 GG Nr. 63 = NZA 1998, 754. 362 Henssler/Willemsen/Kalb/Hergenröder, Arbeitsrecht Kommentar, Art. 9 GG Rn. 41. 363 BVerfG vom 20.10.1981 – 1 BvR 404/78 – BVerfGE 58, 233, 247 = AP Nr. 31 zu § 2 TVG = EzA § 2 TVG Nr. 13; BVerfG vom 1.3.1979 – 1 BvR 532/ 77, 533/77, 419/78, 1BvL 21/78 – BVerfGE 50, 290, 373 = AP Nr. 1 zu § 1 MitbestG = EzA § 7 MitbestG Nr. 1. 364 BAG vom 20.4.1999 – 3 AZR 352/97 – AP Nr. 28 zu § 1 TVG Tarifverträge: Rundfunk = EzA § 4 TVG Rundfunk Nr. 19 = NZA 1999, 1339; BAG vom 17.2.1998 – 1 AZR 364/97 – AP Nr. 87 zu Art. 9 GG = EzA Art. 9 GG Nr. 63 = NZA 1998, 754; Scholz, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. VI, § 151 Rn. 64. 365 Ebenso bereits Zöllner, Tarifvertragliche Differenzierungsklauseln, S. 34; zu weit gehend dagegen Bulla, BB 1975, 889, 891; Kraft, ZfA 1976, 243, 261. 366 Däubler/Hensche, TVG, § 1 Rn. 884; Löwisch/Rieble, TVG, § 2 Rn. 16.
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von ihren Mitgliedern aufgebrachten Beiträgen, sondern aus Zuwendungen der Arbeitgeber finanziert367. Die Funktionsvoraussetzung der Gegnerunabhängigkeit bezieht sich indes nicht nur auf direkte Finanzierungen, sondern erfaßt auch organisatorische Verflechtungen. An der erforderlichen Unabhängigkeit fehlt es nach der Rechtsprechung des BAG, wenn die Abhängigkeit vom sozialen Gegenspieler in der Struktur der Arbeitnehmervereinigung selbst angelegt und verstetigt ist368. Hierzu muß man letztlich aber auch Ausgleichsleistungen für Mitgliederbeiträge rechnen. Die Gegnerunabhängigkeit ist dementsprechend gefährdet, wenn sich eine Gewerkschaft nicht aus den Beiträgen ihrer Mitglieder, sondern aus Leistungen des Arbeitgebers finanziert369. Unter diesem Gesichtspunkt begegnen Differenzierungsklauseln Bedenken, weil sie dazu dienen, einen Lastenausgleich für die Aufwendung des Mitgliedsbeitrags zu schaffen370. Hat die Zuwendung an die Organisierten den Zweck, den Gewerkschaftsbeitrag ganz oder teilweise zu ersetzen, bedeutet das, daß mittelbar der Arbeitgeber die Mitgliedsbeiträge aufbringt. Faßt man die Abschaffung der Differenzierungsklausel ins Auge, ist die Gefahr nicht von der Hand zu weisen, daß die Gewerkschaft um deren Erhaltung Willen zu Zugeständnissen bereit sein wird, die den anvertrauten Mitgliederinteressen auf Verbesserung der Arbeitsbedingungen widersprechen können. In dieser Konstellation wird die Gewerkschaft regelmäßig ein Interesse daran haben, die „vergünstigte“ Mitgliedschaft und damit ihren Mitgliederbestand zu erhalten, was sie zu Zugeständnissen in anderen Bereichen zwingt371. Das zeigt sich in jüngerer Zeit auch daran, daß Differenzierungsklauseln je mit dem Abschluß von (verschlechternden) Firmentarifverträgen verknüpft waren372. Daß hier ein Richtigkeitsvertrauen im Sinne eines wechselseitigen Einwirkens der Tarifparteien zum Richtigen hin nicht mehr gewährleistet ist, ist offenkundig. Insofern widerspricht es auch der erforderlichen Gegnerunabhängigkeit, wenn tarifvertragliche Regelungen zur Förderung verbandspolitischer Interessen der Koalitionen eingesetzt werden. Da für den Verlust der Koalitionsfähigkeit schon die potentielle Abhängigkeit genügt, dürfen Sozialpartner 367
Dazu Franzen, RdA 2006, 1, 7; Gamillscheg, NZA 2005, 146, 150. BAG vom 14.12.2004 – 1 ABR 51/03 – AP Nr. 1 zu § 2 TVG Tariffähigkeit = EzA § 2 TVG Nr. 27 = NZA 2005, 697. 369 BAG vom 14.12.2004 – 1 ABR 51/03 – AP Nr. 1 zu § 2 TVG Tariffähigkeit = EzA § 2 TVG Nr. 27 = NZA 2005, 697. 370 Zur Motivation des Lastenausgleichs Däubler, BB 2002, 1643, 1646; Gamillscheg, Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit, S. 11 f. 371 Zöllner, Tarifvertragliche Differenzierungsklauseln, S. 34. 372 Zur rechtlichen Bewertung unten § 2 C. VI., S. 141 f. 368
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prinzipiell nicht unter Zwang in den Dienst der gegnerischen Koalition genommen werden, schon gar nicht, um mittelbar die Mitgliedsbeiträge aufzubringen. Auch wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Gegnerunabhängigkeit sind qualifizierte Differenzierungsklauseln somit unwirksam. Das schließt zwar nicht per se aus, daß der Arbeitgeber finanzielle Leistungen an die Gewerkschaft erbringt. Jedenfalls müssen diese aber freiwillig sein, dürfen nicht in einem Tarifvertrag vereinbart werden und müssen sich in einer Größenordnung halten, die die Unabhängigkeit und damit die Tariffähigkeit der Gewerkschaft nicht in Frage stellen. Solche Leistungen können im Zusammenhang mit Tarifvertragsverhandlungen versprochen werden, sie dürfen aber nicht Bestandteil des Tarifvertrags werden373. 6. Eignung zur Allgemeinverbindlicherklärung Als problematisch erweisen sich Differenzierungsklauseln sowie organisatorische Geltungsbereichsbeschränkungen zudem im Hinblick auf die Allgemeinverbindlicherklärung nach § 5 TVG. Dabei ist zunächst zu klären, wie sich eine Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit der Arbeitnehmer im Fall der Allgemeinverbindlicherklärung auswirkt (a). Bleibt die Differenzierung erhalten und würde sie hoheitlich angeordnet, stellt sich die Folgefrage, ob der Staat daran mitwirken darf (b). Darf er das nicht und ist eine Allgemeinverbindlicherklärung deswegen nicht möglich, ist zu klären, ob den Tarifvertragsparteien aufgegeben ist, nur solche Regelungen zu treffen, die sich für eine Allgemeinverbindlicherklärung eignen oder ob ihnen die Gestaltungsmacht zukommt, diese gleichsam zu verhindern (dazu c)374. a) Wirkung der Allgemeinverbindlicherklärung Wird ein Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt, gilt er auch im nicht tarifgebundenen Arbeitsverhältnis. Die Allgemeinverbindlicherklärung ersetzt das Geltungsdefizit der Mitgliedschaft sowohl auf Arbeitgeber- als auch auf Arbeitnehmerseite375.
373
Ebenso Wiedemann, RdA 2007, 65, 67; vgl. auch Franzen, RdA 2006, 1, 7. Dagegen jüngst Bepler, in: FS 25 Jahre Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht im DAV, S. 791, 793. 375 Ausführlich dazu oben § 1 C. I., S. 35 ff. 374
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(1) Deklaratorische Anknüpfung an die Tarifgebundenheit Knüpft der Tarifvertrag nur deklaratorisch an die Gewerkschaftszugehörigkeit an – wollten die Tarifvertragsparteien also lediglich wiederholen, was gesetzlich ohnehin gilt, nämlich daß der Tarifvertrag nur für organisierte Arbeitnehmer Ansprüche begründet – geht davon keinerlei rechtliche Folgewirkung aus376. Der Allgemeinverbindlicherklärung steht eine solche Klausel nicht entgegen. Sie führt dazu, daß der Begriff „Gewerkschaftsmitglied“ durch „Arbeitnehmer“ ersetzt wird377. Ein Eingriff in die Tarifautonomie liegt darin nicht, da der Klausel keine Rechtsverbindlichkeit zukommt. (2) Organisatorische Geltungsbereichsbeschränkungen Anders als die arbeitsvertragliche Bezugnahme, vermag die Allgemeinverbindlicherklärung durch den Staat andere Geltungsdefizite des Tarifvertrags aber nicht zu ersetzen. Nach dem Wortlaut des § 5 Abs. 4 TVG ist die staatliche Tariferstreckung insbesondere an den Geltungsbereich des Tarifvertrags gebunden378. Dazu zählt auch der organisatorische Geltungsbereich, den die Tarifvertragsparteien festgelegt haben379. Umstritten ist deshalb, ob ein Tarifvertrag mit personell auf die organisierten Arbeitnehmer beschränktem Geltungsbereich für allgemeinverbindlich erklärt werden kann. Zur Klärung dieser Frage bedarf es der vorgelagerten Prüfung, inwieweit sich die organisatorische Geltungsbeschränkung im Falle der Allgemeinverbindlicherklärung durchsetzt. Auch wenn das der Wortlaut des § 5 Abs. 4 TVG nahe legt, ist es nicht von vornherein ausgeschlossen, daß die Allgemeinverbindlicherklärung Regelungen mit dem erklärten Ziel, eine Erstreckung auf Außenseiter zu verhindern, nicht umsetzt. Ausgeschlossen ist es, daß die zuständige Behörde den beschränkten organisatorischen Geltungsbereich von der Allgemeinverbindlicherklärung einfach ausnimmt. Grundsätzlich ist es zwar möglich, einzelne Teile von der Allgemeinverbindlicherklärung herauszunehmen380. Das gilt aber nur, soweit der Sinn und Zweck der tariflichen Regelung erhalten bleibt. Wenn 376
Vgl. oben § 2 B. I. 1., S. 63. Ebenso Dorndorf, ArbuR 1988, 1, 6. 378 BAG vom 18.7.2006 – 1 ABR 36/05 – AP Nr. 19 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit = EzA § 2 TVG Tarifzuständigkeit Nr. 10 = NZA 2006, 1225; Klebeck, SAE 2007, 271, 272 f.; Löwisch/Rieble, TVG, § 4 Rn. 103. 379 BAG vom 18.7.2006 – 1 ABR 36/05 – AP Nr. 19 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit = EzA § 2 TVG Tarifzuständigkeit Nr. 10 = NZA 2006, 1225. 380 Löwisch/Rieble, TVG, § 5 Rn. 25. 377
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anspruchsbegründende Tatbestandsmerkmale entgegen dem Willen der Tarifvertragsparteien ausgeblendet werden, ist das nicht mehr der Fall381. Eine Beschränkung könnte aber aus der Funktion der Allgemeinverbindlicherklärung abzuleiten sein. Nahelegen könnte das eine Überlegung des Vierten Senats des BAG: ausgehend vom Sinn und Zweck, der darin bestehe, die Beschäftigung von Außenseitern zu untertariflichen Bedingungen zu verhindern, schließt der Senat, daß die Allgemeinverbindlicherklärung auf die Gleichstellung der nichtorganisierten mit den organisierten Arbeitnehmern abziele, der es im Ergebnis widerspreche, wenn es zu einer unterschiedlichen Tarifanwendung bei Organisierten und Außenseitern komme382. Nimmt man das ernst, könnte es nahe liegen, insofern den Geltungsbefehl der Allgemeinverbindlicherklärung anzupassen und den Tarifvertrag im Sinne des Gleichstellungsgedankens einheitlich anzuwenden. Immerhin besteht die sozialpolitische Funktion der Allgemeinverbindlicherklärung darin, Außenseiter an tariflichen Arbeitsbedingungen teilhaben zu lassen383. Methodisch handelte es sich um eine teleologische Reduktion, die mit der sozialen Schutzfunktion der Allgemeinverbindlicherklärung begründet werden kann384. Auf diesem Weg scheint es also möglich, daß die Allgemeinverbindlicherklärung eine Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit nicht umsetzt und den Tarifvertrag einheitlich auch für Außenseiter zur Geltung bringt. Im Ergebnis bedeutet das aber nichts anderes, als den Tarifvertragsparteien das ihnen mit der Tarifautonomie gegebene Recht der Bestimmung des tarifvertraglichen Geltungsbereichs385 zu beschneiden. Ein so weit gehender Eingriff in die Tarifautonomie ist nicht gerechtfertigt. Der Gedanke, daß die Allgemeinverbindlicherklärung dafür geschaffen wurde, Außenseiter am Tariferfolg zu beteiligen, hilft hier nicht weiter. Der Staat kann sich durch Erweiterung des tarifvertraglichen Geltungsbereichs nicht in Konkurrenz zur tariflichen Regelung setzen. Auch daß es insoweit nicht um die Erweiterung des Anwendungsbereichs des Tarifvertrags im eigentlichen Sinne 381 Klebeck, SAE 2007, 271, 277; ebenso Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 240; siehe auch Zöllner, Tarifvertragliche Differenzierungsklauseln, S. 47. 382 BAG vom 23.3.2005 – 4 AZR 203/04 – AP Nr. 29 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz = EzA § 4 TVG Tarifkonkurrenz Nr. 18 = NZA 2005, 1003. 383 BVerfG vom 24.5.1977 – 2 BvL 11/74 – BVerfGE 44, 322, 323 ff. = AP Nr. 15 zu § 5 TVG = EzA § 5 TVG Nr. 5; BAG vom 24.1.1979 – 4 AZR 377/77 – AP Nr. 16 zu § 5 TVG = EzA § 5 TVG Nr. 6. 384 Dazu BAG vom 24.1.1979 – 4 AZR 377/77 – AP Nr. 16 zu § 5 TVG = EzA § 5 TVG Nr. 6; Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rn. 5. 385 Etwa BAG vom 24.4.1985 – 4 AZR 457/83 – AP Nr. 4 zu § 3 BAT = EzA Art. 9 GG Nr. 39 = NZA 1985, 602.
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ginge, sondern um den Vollzug eines Gesetzesbefehls, ist nicht überzeugend386. Anders als in der Entscheidung des Vierten Senats387, geht es hier sehr wohl um eine Erweiterung des tarifvertraglichen Anwendungsbereichs und nicht nur um eine teleologische Reduktion des Geltungsbefehls des § 5 TVG. Von hoheitlicher Hand kann der Inhalt des Tarifvertrags grundsätzlich nicht verändert werden. Dazu gehört auch der Geltungsbereich, den die Tarifparteien geschützt durch Art. 9 Abs. 3 GG autonom festlegen388. Deshalb ist es ausgeschlossen, daß sich der staatliche Geltungsbefehl gemäß § 5 Abs. 4 TVG über organisatorische Beschränkungen hinwegsetzt und Tarifverträge dessen ungeachtet für Außenseiter zur Geltung bringt389. Die Allgemeinverbindlicherklärung vermag es nicht, den Anwendungsbereich des Tarifvertrags über das Merkmal der Tarifgebundenheit hinaus in irgendeiner Form zu erweitern. Der organisatorische Geltungsbereich gibt insofern die Außengrenze der staatlichen Geltungserstreckung vor. (3) Differenzierungsklauseln Die gleichen Fragen stellen sich bei tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln. Überwiegend wird hier ebenso davon ausgegangen, daß Außenseiter von der Gewerkschaftszugehörigkeit abhängige Rechte im Fall einer Allgemeinverbindlicherklärung nicht erwerben390. Auch hier kann sich die Allgemeinverbindlicherklärung weder über die tarifvertraglich festgelegte Differenzierung hinwegsetzen, noch kann die zuständige Behörde die differenzierende Klausel ausblenden. Abzulehnen sind gleichfalls Überlegungen, die Wirkung allgemeinverbindlicher Tarifverträge aus Gründen der Gleichstellung teleologisch anzupassen391. Dies griffe inhaltlich in die tarifvertragliche Gestaltungshoheit ein und verschaffte dem Staat einen Geltungsanspruch, der von dem der Tarifvertragsparteien abwiche und sich gleichsam in Konkurrenz zu diesem stellte392. Es bleibt – wie schon im Fall der organisatorischen Geltungsbeschränkungen – bei der tarifvertraglichen Gestaltung. Außenseiter erwürben im 386
Vgl. aber Bayreuther, BB 2007, 325, 326. BAG vom 23.3.2005 – 4 AZR 203/04 – AP Nr. 29 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz = EzA § 4 TVG Tarifkonkurrenz Nr. 18 = NZA 2005, 1003. 388 Däubler/Deinert, TVG, § 4 Rn. 190 ff.; Löwisch/Rieble, TVG, § 4 Rn. 61. 389 Ebenso Klebeck, SAE 2007, 271, 272 f.; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 240 f.; Löwisch/Rieble, TVG, § 4 Rn. 103. 390 Dorndorf, ArbuR 1988, 1, 6; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 240. 391 Dazu soeben oben § 2 C. III. 6. a) (2), S. 132 f. 392 Waas, Anm. zu BAG vom 23.3.2005 – 4 AZR 203/04 – AP Nr. 29 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz. 387
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Fall der Allgemeinverbindlicherklärung nicht die von der Gewerkschaftszugehörigkeit abhängigen Rechte. Hier würden sich auch einfache Differenzierungsklauseln leistungsdifferenzierend auswirken. b) Unzulässige Allgemeinverbindlicherklärung bei Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit Steht fest, daß tarifvertragliche Beschränkungen auf Gewerkschaftsmitglieder von der Allgemeinverbindlicherklärung nicht überspielt werden, stellt sich die Folgefrage, ob der Staat an der Differenzierung mitwirken, sie also hoheitlich anordnen darf. Im Ausgangspunkt steht die unmittelbare Verpflichtung des Staates auf den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Dieser verbietet jede Ungleichbehandlung aufgrund der Gewerkschaftszugehörigkeit durch staatliche Rechtsetzung393. Dazu zählt die Geltungserstrekkung eines Tarifvertrags nach § 5 Abs. 4 TVG394. Ihr kann es nur darum gehen, die Außenseiter auf das tarifliche Niveau zu heben, nicht aber darum, eine Ungleichbehandlung und damit organisationspolitische Ziele der Gewerkschaften395 durchzusetzen. Dagegen wendet sich Gamillscheg396, der zwar zugesteht, daß die Allgemeinverbindlicherklärung dem Gebot der Gleichbehandlung untersteht. Selbiges sieht er aber nicht verletzt, da § 3 Abs. 1 TVG ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung sei397. Diese Sichtweise verkennt im vorliegenden Zusammenhang vor allem, daß die mitgliedschaftsanknüpfende Tarifgeltung durch die Geltungserstreckung nach § 5 Abs. 4 TVG verdrängt wird. Ein sachlicher Grund für eine Ungleichbehandlung durch die Allgemeinverbindlicherklärung kann sich damit nicht mehr aus den allgemeinen Vorschriften über die mitgliedschaftsbezogene Tarifgeltung ergeben. Ist die Ungleichbehandlung sachlich nicht gerechtfertigt, bleibt es dabei, daß der Staat an einer Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit nicht mitwirken darf. Deshalb verbietet sich eine Allgemeinverbindlicher393 BVerfG vom 15.1.1969 – 1 BvR 723/65 – BVerfGE 25, 101, 106 ff. = AP Nr. 4 zu § 34a EStG. 394 BAG vom 5.12.1958 – 1 AZR 89/57 – AP Nr. 1 zu § 4 TVG Ausgleichskasse = NJW 1959, 595; BAG vom 3.2.1965 – 4 AZR 385/63 – AP Nr. 12 zu § 5 TVG = NJW 1965, 1624. 395 Dazu oben § 2 A., S. 61. 396 Gamillscheg, Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit, S. 50 f.; ders., Kollektives ArbeitsR, Bd. I, S. 363. 397 Dagegen bereits oben § 2 C. II. 1. b) (3), S. 95. Vgl. auch Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 248, der den Staat in überhaupt keiner grundrechtlichen Verantwortung sieht, weil er ihm den differenzierenden Tarifinhalt nicht zurechnet. Dagegen nur Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille, S. 174 f.
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klärung von Tarifverträgen mit organisatorisch beschränktem Geltungsbereich genau so, wie die hoheitliche Geltungserstreckung von Differenzierungsklauseln, unabhängig davon, ob es sich um einfache oder qualifizierte Differenzierungsklauseln handelt. Der Staat griffe in unzulässiger Weise in die Grundrechtspositionen der Außenseiter ein, wenn er unterschiedliche Mindestarbeitsbedingungen für Organisierte und Nichtorganisierte festsetzen würde398. Nichts anderes gilt, wenn der Leistungsbezug von der Dauer der Gewerkschaftszugehörigkeit abhängt399. Ist die Festsetzung, von nach der Gewerkschaftszugehörigkeit differenzierten, staatlichen Mindestarbeitsbedingungen im allgemeinen ausgeschlossen, gilt das erst recht für zeitlich oder anderweitig qualifizierte Regelungen400. An der Honorierung der langjährigen Gewerkschaftszugehörigkeit darf der Staat nicht mitwirken. c) Eignung zur Allgemeinverbindlicherklärung als Schranke der tariflichen Gestaltungsbefugnis? Nun stellt sich die Frage, ob eine mitgliedschaftsbezogene Gestaltung von Tarifverträgen deswegen unzulässig ist, weil sie die Möglichkeit zur Allgemeinverbindlicherklärung nach § 5 TVG verhindert. Auf Bötticher geht der Ansatz zurück, daß es den Tarifvertragsparteien obliege, ihre Normen so auszugestalten, daß sie einer Allgemeinverbindlicherklärung zugänglich sind401. Die grundsätzliche Unverzichtbarkeit des Antragsrechts zur Allgemeinverbindlicherklärung dürfe nicht durch Normen eines Tarifvertrags umgangen werden, die sich einer Erstreckung auf Außenseiter entziehen402. Auch der Vierte Senat des BAG scheint der These zugeneigt, wenn er ausführt, daß § 5 TVG gegenüber den Normen des Tarifvertrags höherrangiges Recht sei und die Tarifvertragsparteien keine Regelung treffen dürften, die im Ergebnis die Geltungserstreckung auf Außenseiter ausschließen403. Andernfalls hätten es die Tarifvertragsparteien in der Hand, die Er398
Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille, S. 356. Dagegen Gamillscheg, Kollektives ArbeitsR, Bd. I, S. 364. 400 A. Hueck, Tarifausschlußklausel, S. 62. 401 Bötticher, Gemeinsame Einrichtungen, S. 111 ff. 402 In diese Richtung auch Mayer-Maly, BB 1965, 829, 832; vgl. auch Zöllner, Tarifvertragliche Differenzierungsklauseln, S. 49 ff., der zwar nicht der These Böttichers folgt, aber davon ausgeht, daß sich die Tarifvertragsparteien „so zu verhalten haben, als ob sie Recht für alle setzen würden“. 403 BAG vom 23.3.2005 – 4 AZR 203/04 – AP Nr. 29 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz = EzA § 4 TVG Tarifkonkurrenz Nr. 18. Ausführlich zu dieser Entscheidung 399
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streckung des Tarifvertrags durch Allgemeinverbindlicherklärung auf nichtorganisierte Arbeitnehmer ganz oder teilweise zu verhindern404. Dieser Ansatz sieht sich indessen erheblichen Zweifeln ausgesetzt. Die Antwort auf die Frage, ob die Tarifvertragsparteien verpflichtet sind, ihre Normsetzung für eine Allgemeinverbindlicherklärung nach § 5 Abs. 4 TVG „offen zu halten“, hängt entscheidend von der Funktion der Allgemeinverbindlicherklärung im Tarifvertragssystem ab. Erhöbe man die Allgemeinverbindlichkeit zum zentralen Element der autonomen Rechtsetzung durch die Koalitionen, spräche in der Tat alles dafür, daß die Eignung zur Allgemeinverbindlichkeit eine Grenze der Tarifmacht konstituiert. Dagegen spricht, daß § 5 Abs. 4 TVG nur eine Ausnahme im ansonsten rein mitgliedschaftlich orientierten Tarifvertragssystem darstellt405. Schon weil den Tarifvertragsparteien keine Tarifmacht gegenüber Außenseitern zukommt, läßt sich der Allgemeinverbindlicherklärung keine allgemeine Schranke der Regelungsmacht entnehmen. Ihr Ziel ist es auch nicht, gleiche Arbeitsbedingungen zu schaffen406. Um die Gleichstellung Organisierter und Nichtorganisierter kann es bei § 5 TVG nicht gehen. Alles andere ließe sich mit dem privatautonomen Mitgliedschaftsmodell des geltenden Tarifrechts nicht in Einklang bringen. Deshalb kann es für die Wirksamkeit eines Tarifvertrags keine Rolle spielen, ob er für allgemeinverbindlich erklärt werden kann407. Insofern muß man die Konsequenz ziehen, daß die Eignung zur Allgemeinverbindlicherklärung keine Grenze der Tarifmacht ist. Andernfalls erhöbe man die Sonderbestimmungen über die Allgemeinverbindlicherklärung zugunsten von Außenseitern durch staatlichen Hoheitsakt über tragende Strukturprinzipien des Tarifsystems: das Prinzip der mitgliedschaftlichen Legitimation verlöre seinen prägenden Charakter. Die Folge wäre außerdem, daß die tarifvertragliche Rechtsetzung mit der Verpflichtung auf die Fähigkeit zur Allgemeinverbindlichkeit mittelbar an die Grundrechtsschranken, denen die hoheitliche Rechtsetzung unterliegt, gebunden wäre. Die tarifvertragKlebeck, SAE 2007, 271, 271 ff. Entscheidungserheblich war das in dieser Entscheidung gleichwohl nicht, weil das BAG die betreffende Regelung als deklaratorischen Hinweis wertete. In der Entscheidung des Großen Senats vom 29.11.1967 – GS 1/ 67 – AP Nr. 13 zu Art. 9 GG wurde auf diese Frage nicht eingegangen. 404 So insbesondere auch Bepler, in: FS 25 Jahre Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht im DAV, S. 791, 793. 405 Dazu oben § 1 C. I., S. 35. 406 So Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, Bd. II/1, S. 169; Nikisch, RdA 1967, 87, 89; zu Recht ablehnend Klebeck, SAE 2007, 271, 278; Wonneberger, Die Funktion der Allgemeinverbindlicherklärung, S. 81. 407 So auch Klebeck, SAE 2007, 271, 279; s. schon Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille, S. 175 f.
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liche Regelungsgewalt wäre auf das reduziert, was der Staat seinen Bürgern auferlegen darf. Das kann nicht richtig sein. Die mitgliedschaftlich legitimierte tarifvertragliche Rechtsetzung läßt sich nach mittlerweile anerkannten Grundsätzen einer unmittelbaren Grundrechtsbindung nicht unterwerfen408. Anders als die Bezugnahmefreiheit, die der Tarifvertrag weder faktisch noch rechtlich zwingend beschränken darf, gibt es im Tarifvertragsrecht somit keinen Grundsatz, wonach die Allgemeinverbindlicherklärung eines Tarifvertrags stets möglich bleiben muß. Weder gibt es einen Anspruch auf Teilhabe an allgemeinverbindlichen Tarifinhalten – bei massiven Absinken des Lohngefälles kann der Staat seine Schutzpflicht auch auf andere Weise erfüllen, etwa durch die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen nach dem gleichnamigen Gesetz409 – noch gehört die Möglichkeit zur Allgemeinverbindlicherklärung zu den, das Tarifsystem konstituierenden, Grundsätzen. Sie bleibt eine Ausnahme, für die sich die jeweiligen Tarifverträge im Speziellen eignen müssen. Trotz Verhinderung einer Allgemeinverbindlicherklärung bleiben einfache mitgliedschaftsanknüpfende Differenzierungsklauseln und organisatorische Geltungsbereichsbeschränkungen mithin zulässig. Die Möglichkeit zur hoheitlichen Geltungserstreckung gehört nicht zu den inhaltlichen Gestaltungsschranken der Tarifvertragsparteien. Eine Zweiteilung der Belegschaft hat das nicht zur Folge, weil die arbeitsvertragliche Bezugnahme wie dargestellt nicht behindert wird. Einzig die normative Tariferstreckung auf Außenseiter wird verhindert, womit lediglich die tarifrechtlich angelegte Zweiteilung im Hinblick auf den Geltungsgrund des Tarifvertrags erhalten bleibt. IV. Keine weiteren betriebsverfassungsrechtlichen Schranken Neben den aufgezeigten verfassungsrechtlichen und tarifrechtlichen Regelungsschranken ist fraglich, ob überdies betriebsverfassungsrechtliche Schranken eine Rolle spielen. Zu denken ist vor allem an § 75 Abs. 1 BetrVG, der die Benachteiligung wegen der gewerkschaftlichen Betätigung oder Einstellung auf betrieblicher Ebene verbietet410. Unmittelbare Regelungsadressaten sind allerdings nicht die Tarif-, sondern die Betriebsparteien in ihrer Eigenschaft als Betriebsverfassungsor408
Ausführlich dazu oben § 2 C. I., S. 80 ff. Gesetz über die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen vom 11.1.1952, BGBl. I, S. 17. 410 Dazu Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, § 75 Rn. 48 ff. 409
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gane. Weitgehend Einigung besteht ferner darüber, daß der Arbeitgeber aufgrund des § 75 Abs. 1 BetrVG nicht gehalten ist, tarifliche Arbeitsbedingungen auf Nichtorganisierte zu erstrecken411. Gleichwohl sieht Richardi in § 75 Abs. 1 BetrVG eine Regelungsschranke für den Tarifvertrag, der es deshalb nicht verbieten dürfe, organisierte und nichtorganisierte Arbeitnehmer gleich zu behandeln412. Zwingend ist dieser Schluß allerdings nicht: immerhin sieht der Wortlaut der Vorschrift eine Erstreckung auf die Tarifvertragsparteien nicht vor. Allenfalls in Betracht käme also eine entsprechende Anwendung. So wird vertreten, daß § 75 Abs. 1 BetrVG zumindest dann anwendbar sein müsse, wenn sich Tarifbestimmungen auf der betrieblichen Ebene auswirken413. Dies sei insbesondere der Fall, wenn Tarifverträge betriebsverfassungsrechtliche Regelungsbereiche betreffen. Praktisch wird das in jüngerer Zeit bei Sozialplantarifverträgen414. Eine Sperre zu Lasten der tarifautonomen Gestaltung bedürfte aber zumindest einer gesetzgeberischen Entscheidung, welche den geltenden Regelungen nicht hinreichend klar entnommen werden kann. Gegen die Anwendbarkeit spricht zudem die Wesensverschiedenheit von Betriebsverfassung und Tarifvertragswesen415. Die Betriebsverfassung ist eine staatliche Zwangskorporation, die sich nicht auf eine unmittelbare individuelle Legitimation berufen kann. Die Tarifvertragsparteien hingegen sind durch Beitritt legitimierte Interessenvertreter, ausgestattet mit der Institutsgarantie des Art. 9 Abs. 3 GG. Auch deswegen lassen sich Regelungsschranken nicht einfach übertragen. Das gilt nicht nur für das Gleichbehandlungsgebot des § 75 Abs. 1 BetrVG, folgerichtig strahlen auch andere betriebsverfassungsrechtliche Regelungsschranken nicht auf die tarifvertragliche Rechtsetzung aus. Das führt etwa dazu, daß Tarifverträge, wenn sie zur Folgenregelung von Betriebsänderungen zulässig sind, grundsätzlich Gegenstand von Kampfmaßnahmen sein können. Der Umstand, daß dieser Regelungsbereich ebenso den Betriebspartnern offen steht, führt nicht dazu, daß der Gebrauch des Streik411 BAG vom 21.1.1987 – 4 AZR 547/86 – AP Nr. 47 zu Art. 9 GG = EzA Art. 9 GG Nr. 42 = NZA 1987, 233; Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, § 75 Rn. 51; Galperin/Löwisch, BetrVG, § 75 Rn. 20; GK-BetrVG/Kreutz, § 75 Rn. 56; Richardi/Richardi, BetrVG, § 75 Rn. 31. 412 Richardi/Richardi, BetrVG, § 75 Rn. 32. 413 Kraft, ZfA 1976, 243, 265; Wlotzke, RdA 1976, 80, 85; Bulla, BB 1975, 889, 892. 414 Zur Zulässigkeit von Sozialplantarifverträgen BAG vom 24.4.2007 – 1 AZR 252/06 – AP Nr. 2 zu § 1 TVG Sozialplan = NZA 2007, 987 = BB 2007, 2235. 415 Dazu Giesen, Tarifvertragliche Rechtsgestaltung für den Betrieb, S. 458 ff.
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rechts zweckwidrig wäre416. Das betriebsverfassungsrechtliche Arbeitskampfverbot steht der Erstreikbarkeit tariflicher Forderungen selbst dann nicht entgegen, wenn parallel Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen geführt werden417. Es ist grundsätzlich davon auszugehen, daß betriebsverfassungsrechtliche Regelungsschranken nur der Rechtsetzung der Betriebsparteien Grenzen vorgeben, nicht aber auf die Regelungsbefugnis der Tarifparteien ausstrahlen. Daran ändert sich auch dann nichts, wenn die Tarifvertragsparteien in zulässiger Weise Regelungsbereiche aufnehmen, die ebenso den Betriebsparteien offen stehen. Betriebsverfassungsrechtliche Regelungsschranken können die tarifvertragliche Rechtsetzungsmacht nicht einschränken. V. Keine weiteren Schranken aus dem AGG Neue Fragen für die Zulässigkeit von Differenzierungsklauseln wirft scheinbar das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz418 auf419. Die Koalitionszugehörigkeit selbst gehört allerdings nicht zu den durch das AGG geschützten Merkmalen420. Ebenso scheidet die „Weltanschauung“ aus421. Weltanschauung ist nicht jede Weltsicht säkularer Art. Sie muß sich am gleichen umfassenden Anspruch wie die religiöse Überzeugung messen lassen, und sie muß auf die grundlegenden Fragen des Woher und Wohin menschlicher Existenz antworten. Weltanschauung ist also das Analogon zur Religion, wenn auch mit säkularen Wurzeln422. Sind lediglich Teilaspekte des Lebens berührt, ist das Merkmal Weltanschauung nicht erfüllt. So liegt es bei der Zugehörigkeit zu Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften: eine Weltanschauung wird dadurch nicht begründet. Ihnen kommt nicht der Charakter einer weltanschaulichen Vereinigung zu, ihr Wirkbe416
So aber Reichold, BB 2004, 2814, 2817 f. Henssler, in: FS Richardi, S. 553, 566; Kühling/Bertelsmann, NZA 2005, 1017, 1020; Franzen, ZfA 2005, 315, 341; Rolfs/Clemens, NZA 2004, 410, 415; Fischinger, Arbeitskämpfe bei Standortverlagerung, S. 148 f. 418 Gesetz zur Umsetzung europäischer Richtlinien zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung vom 14.6.2006, BGBl. 2006, Teil I, Nr. 39, S. 1897 ff. 419 In diese Richtung Rieble/Zedler, ZfA 2006, 273, 299 f.; Wisskirchen/Bissels, NZA 2007, 169, 172. 420 Nur in Portugal wurde das Merkmal der Gewerkschaftsmitgliedschaft im Wege einer überschießenden Richtlinienumsetzung mit aufgenommen: dazu Thüsing, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, Rn. 31. 421 Dagegen Wisskirchen/Bissels, NZA 2007, 169, 172; wie hier Bauer/Göpfert/ Krieger, AGG, § 1 Rn. 57. 422 Bauer/Göpfert/Krieger, AGG, § 1 Rn. 30; Adomeit/Mohr, AGG, § 1 Rn. 78; Thüsing, in: Münchener Kommentar zum BGB, § 1 AGG Rn. 70. 417
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reich ist auf die Gestaltung der Arbeitsbedingungen ihrer Mitglieder begrenzt. Denkbar wäre allenfalls, das Merkmal „Alter“ im Hinblick auf eine mittelbare Altersdiskriminierung. Voraussetzung dafür wäre, daß faktisch mehr ältere Arbeitnehmer von einer, nach der Gewerkschaftszugehörigkeit differenzierenden, Regelung erfaßt wären als jüngere. Und in der Tat weisen die Mitgliederstrukturen der Gewerkschaften deutlich mehr Mitglieder mit höherem Lebensalter aus423. Daraus ergibt sich aber keine mittelbare Altersdiskriminierung. Die eigenen Mitglieder zu vertreten, ist gerade der Zweck der Gewerkschaften, denen es nicht vorgegeben ist, auf eine ausgewogene Alterstruktur zu achten. Zudem steht es Arbeitnehmern aller Altersklassen offen, Mitglied zu werden und in den Genuß tariflicher Leistungen zu gelangen424. Ansonsten müßte ebenso der Umstand herangezogen werden, daß die gewerkschaftlichen Mitgliederstrukturen mehr männliche Arbeitnehmer ausweisen als weibliche425. Daraus eine mittelbare Frauendiskriminierung zu konstruieren, ist ebenso verfehlt. Allein die Überrepräsentation einer Gruppe führt – solange es den Minderrepräsentierten offen steht, Mitglied zu werden – nicht zu einer unzulässigen Diskriminierung. Die durch den Nichtbeitritt ausgelöste Ungleichbehandlung beruht auf der im Tarifvertragssystem angelegten Zweiteilung in organisierte und nichtorganisierte Arbeitnehmer. Sie hat nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts oder des Alters zu tun. Auch das Mißverhältnis von Beschäftigten- und Mitgliederstruktur ist ein Organisationsproblem der Gewerkschaften; es ist aber kein Diskriminierungsproblem. VI. Verknüpfung mit Tarifabweichungen Differenzierungsklauseln ist in jüngerer Zeit auch dadurch geprägt, daß Sondervorteile für Gewerkschaftsmitglieder an die Zustimmung zu Tarifabweichungen geknüpft wurden426. Denkbar ist, daß die Gewerkschaft den 423 Ausführlich dazu Wolf (Hrsg.), Alter und gewerkschaftliche Politik. Auf dem Weg zur Rentnergesellschaft?, passim. Die IG Metall hat beispielsweise 580.000 Rentner als Mitglieder (ca. 22%), bei Jüngeren ist sie dagegen unterrepräsentiert – der Anteil von Mitgliedern unter 25 sinkt seit Jahren, zuletzt auf unter 7%. Bei den ver.di-Mitgliedern sind 16,7% über 60 und nur 5% unter 28 Jahre alt. 424 Zur Aufnahmeverpflichtung mächtiger Koalitionen BGH vom 1.10.1984 – II ZR 292/83 – NJW 1985, 1214 = DB 1985, 701. 425 Müller-Jentsch, Soziologie der industriellen Beziehungen, S. 128 ff., spricht treffend von einer „geschlechtsspezifischen Organisationslücke“. 426 Dieterich, in: ErfK, Art. 9 GG Rn. 34.
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Abschluß eines Firmentarifvertrags von der Vereinbarung einer Differenzierungsklausel oder auch von einer Sonderzahlung an die Gewerkschaft abhängig macht427. Ebenso kommt es vor, daß entsprechende gewerkschaftliche Forderungen an die Zustimmung zu einem Beschäftigungsbündnis geknüpft werden428. Überdies kann der Erhalt einer Tarifabweichung durch eine Widerinkraftsetzungsvereinbarung von der Gewährleistung der Ungleichbehandlung abhängig gemacht werden. Als Ansatzpunkt dient jeweils die von einzelnen Arbeitgebern erstrebte Abweichung von einem Flächentarifvertrag. Derartige Bestrebungen sind auf die Erkenntnis zurückzuführen, daß gegen zwingende qualifizierte Differenzierungsklauseln nach wie vor erhebliche verfassungs- und tarifrechtliche Bedenken bestehen. Das veranlaßt die Gewerkschaften, eine Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit in neue Formen zu kleiden, die letztlich aber nur äußerlich jene Bedenken zu vermeiden suchen, obgleich sie inhaltlich auf dasselbe Ziel gerichtet sind429. Für die rechtliche Bewertung sind zwei Dinge auseinander zu halten: zum einen die Verweigerung der Zustimmung zu Tarifabweichungen, wenn der Arbeitgeber nicht bereit ist, einfache Differenzierungsklauseln oder Sonderzahlungen zu akzeptieren (1). Zum anderen die Widerinkraftsetzung des bisherigen Tarifvertrags, wenn der Arbeitgeber einen Ausgleich zugunsten der nichtorganisierten Arbeitnehmer vornimmt, wozu er bei einfachen Differenzierungsklauseln rechtlich ohne weiteres in der Lage ist (2). 1. Zustimmung zu Tarifabweichungen In der in Aussicht gestellten Zustimmungsverweigerung könnte eine widerrechtliche Drohung im Sinne des § 123 Abs. 1 Alt. 2 BGB zu sehen sein. Die Drohung kann ohne weiteres auch in einem Unterlassen bestehen430. Da ein Abweichen vom Flächentarifvertrag stets die Zustimmung der Gewerkschaft erfordert, stellt sie dem Arbeitgeber mit der Ablehnung der erstrebten Absenkung die Realisierung eines Übels in Aussicht. Allerdings stellen sich Probleme bei der Widerrechtlichkeit431. Bezogen auf das 427
Vgl. Gamillscheg, NZA 2005, 146, 150. Vgl. Franzen, RdA 2006, 1, 8. 429 Der Vorgang ist letztlich kein anderer als bei der Einführung der Tarifausschlußklauseln. Auch sie trat als Ersatz an die Stelle der ursprünglichen Forderung eines Solidaritätsbeitrags, die sich aufgrund der gegen sie geltend gemachten Bedenken ebenfalls nicht durchsetzen konnte. Vgl. A. Hueck, Tarifausschlußklausel, S. 58. 430 Staudinger/Singer/von Finckenstein, BGB, § 123 Rn. 62. 431 Dazu Kramer, in: Münchener Kommentar zum BGB, § 123 Rn. 47 ff.; Staudinger/Singer/von Finckenstein, BGB, § 123 Rn. 67; Soergel/Hefermehl, BGB, § 123 Rn. 44 ff. 428
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Mittel kann selbige schwerlich angenommen werden. Denn es steht im Belieben der Gewerkschaft, ob und in welchem Umfang sie eine Zustimmung zur Tarifabweichung erteilt. Dies ist Bestandteil der Tarifautonomie. Ebenso erweist sich der erstrebte Zweck nicht als widerrechtlich, wenn nur einfache Differenzierungsklauseln oder Unternehmenszahlungen gefordert werden, die die Gegnerunabhängigkeit unberührt lassen432. Die Widerrechtlichkeit der Drohung kann sich folglich nur aus der Verknüpfung von Mittel und Zweck ergeben433. Dies könnte vorliegend darin zu sehen sein, daß bewußt eine wirtschaftliche Zwangslage des Arbeitgebers ausgenutzt wird. Ist der Arbeitgeber aus wirtschaftlichen Gründen auf die Absenkung des Flächentarifniveaus angewiesen, ist er schnell bereit, auch unliebsamen Differenzierungsklauseln zuzustimmen, die das kleinere Übel darstellen. Gegen die Widerrechtlichkeit spricht aber, daß der Arbeitgeber keinen Anspruch darauf hat, vom Flächentarifvertrag abweichende Regelungen zu erhalten, und ihm für eine Absenkung des Flächentarifniveaus noch andere Mittel zur Verfügung stehen. Neben dem Verbandsaustritt oder dem Wechsel in eine OT-Mitgliedschaft434 kann er zu einer Belegschaftsteilung greifen, nach der er mit den Nichtorganisierten arbeitsvertraglich grundsätzlich andere Arbeitsbedingungen vereinbart435. Infolgedessen wird man in der Verknüpfung der Zustimmungserteilung zu Tarifabweichungen mit der Bereitschaft des Arbeitgebers, einfache Differenzierungsklauseln oder Sonderzahlungen an die Gewerkschaft zu akzeptieren, keine widerrechtliche Drohung im Sinne des § 123 Abs. 1 Alt. 2 BGB sehen können. 2. Wiederinkraftsetzen des bisherigen Tarifvertrags Fraglich ist, ob gleiches auch gilt, wenn zusätzlich vereinbart ist, daß für den Fall, daß der Arbeitgeber die Differenzierung nicht einhält, der vormals geltende Tarifvertrag wieder in Kraft treten soll436. Denn solche Vereinba432
Zum Grundsatz der Gegnerunabhängigkeit oben § 2 C. III. 5., S. 129 ff. Kramer, in: Münchener Kommentar zum BGB, § 123 Rn. 48; Soergel/Hefermehl, BGB, § 123 Rn. 48 f.; Staudinger/Singer/von Finckenstein, BGB, § 123 Rn. 70 ff. 434 Zur Zulässigkeit BAG vom 18.7.2006 – 1 ABR 36/05 – AP Nr. 19 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit = EzA § 2 TVG Tarifzuständigkeit Nr. 10 = NZA 2006, 1225. 435 Ausführlich zur Belegschaftsteilung auf arbeitsvertraglicher Grundlage § 3 D. II., S. 171 f. und § 6, S. 257 ff. 436 Vgl. BAG vom 9.5.2007 – 4 AZR 275/06 – ArbuR 2007, 210 = ArbeitsRB 2007, 161. 433
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rungen führen faktisch dazu, daß der Arbeitgeber die Ungleichbehandlung notgedrungen durchführt. Letztlich laufen derartige Konstruktionen auf das gleiche hinaus, was mit qualifizierten Differenzierungsklauseln erstrebt wird, nämlich die Absicherung der einfachen Differenzierungsklausel. Der erzeugte Zwang dient dazu, Nichtorganisierte verbindlich schlechter zu stellen und ihnen die Chance auf gleiche Arbeitsbedingungen zu nehmen. Rechtlich ist in der Vereinbarung, den bisherigen Tarifvertrag wieder in Kraft zu setzen, eine auflösende Bedingung nach § 158 Abs. 2 BGB zu sehen. Unabhängig davon, ob ein Tarifabschluß überhaupt auflösend bedingt werden kann437, ist diese Bedingung jedenfalls aufgrund der gegen qualifizierte Differenzierungsklauseln sprechenden rechtlichen Schranken unwirksam438. Der Arbeitgeber entscheidet nicht frei darüber, ob er den Nichtorganisierten die gleichen Leistungen gewährt – er hat faktisch unter dem Joch drohender höherer Arbeitskosten keine andere Wahl, als die Außenseiter schlechter zu stellen. Dies verletzt in gleicher Weise wie qualifizierte Differenzierungsklauseln die Koalitions- und Vertragsfreiheit der Außenseiter und ist aus diesen Gründen unwirksam. Da die Gewerkschaft bei der Verfolgung rein organisationspolitischer Motive im übrigen gegenüber Grundrechten Dritter nicht schutzwürdig ist, gilt die vereinbarte Tarifabweichung unbedingt fort und ist nicht etwa als Ganzes nichtig439. VII. Zulässigkeit von Bestandsschutzvereinbarungen Die Diskussion um Differenzierungsklauseln hat sich in jüngerer Zeit ferner an Vereinbarungen entzündet, in denen ein Sonderkündigungsschutz für Gewerkschaftsmitglieder vorgesehen war440. Inhaltlich fragt sich, ob zulässige einfache Differenzierungsklauseln doch an Grenzen stoßen, wenn sie Bestandsschutzvereinbarungen enthalten. Verbreitet wird die Meinung vertreten, daß ein Arbeitsplatzschutz nur für Gewerkschaftsmitglieder jedenfalls zu weit ginge441. Auch Befürworter von Differenzierungsklauseln lehnen den besonderen Arbeitsplatzschutz als Gegenstand jeglicher Differenzierung zwischen Organisierten und Außenseitern ab442. Bei der Erhaltung des Arbeitsplatzes dürften Gewerkschaftsmit437
Zur Bedingungsfeindlichkeit Staudinger/Westermann, BGB, § 158 Rn. 27 ff. Ausführlich oben § 2 C. II., S. 91 ff. 439 Vgl. Staudinger/Westermann, BGB, § 158 Rn. 46. 440 Vgl. Franzen, RdA 2006, 1, 5; Gamillscheg, NZA 2005, 146, 150. 441 Dieterich, in: ErfK, Art. 9 GG Rn. 34; Wiedemann/Wiedemann, TVG, Einleitung Rn. 286. 442 Etwa Gamillscheg, NZA 2005, 146, 150. 438
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glieder weder bevorzugt noch benachteiligt werden. Eine stichhaltige Begründung sucht man allerdings vergebens, einerseits bezieht man sich auf den starken psychischen Druck zum Beitritt zur Gewerkschaft443, andererseits wird ein Bezug zu den unzulässigen Organisations- und Absperrklauseln hergestellt444. Gegen diese Ansicht streiten indessen Systematik und Schutzgewährleistung der, gegen die Differenzierungsklauseln aufgerichteten, Schranken. Diese knüpfen allein an die tarifvertragliche Regelungstechnik an und scheitern demzufolge an der Tarifmacht, dem Gleichbehandlungsgrundsatz und der Koalitions- und Vertragsfreiheit der Außenseiter. Solange es selbigen aber nicht verwehrt ist, entsprechende Regelungen arbeitsvertraglich zu vereinbaren, sind Differenzierungen im Tatbestand oder im Geltungsbereich eines Tarifvertrags nicht zu beanstanden. Auf den konkreten Inhalt der tarifvertraglichen Leistung kam es insoweit nicht an. Richtig ist zwar, daß auf die nicht und anders organisierten Arbeitnehmer keinerlei Druck ausgeübt werden darf, einer Gewerkschaft bei- oder aus ihr auszutreten445. Ein solcher Druck ergibt sich allerdings aus der konkreten Regelungstechnik, gleich ob er rechtlicher oder faktischer Natur ist. Allein aus dem Inhalt der Regelung folgt kein stärkerer Druck zum Koalitionsbeitritt. Einer Ungleichbehandlung im Kündigungsschutz steht auch Art. 3 Abs. 1 GG nicht im Weg. Das bestätigt das BAG, wenn es ausführt, daß eine tarifliche Regelung zur Beschäftigungssicherung, die einer abgegrenzten Gruppe von Beschäftigten Verschlechterungen der tariflichen Arbeitsbedingungen zumutet, nicht gegen den Gleichheitssatz verstößt446. Den Tarifvertragsparteien ist es nicht verwehrt – etwa in einem Firmentarifvertrag zur Beschäftigungssicherung – eine Arbeitnehmergruppe stärker als andere durch Verschlechterung tariflicher Ansprüche zu belasten und diese Gruppe gleichzeitig durch eine festgelegte Beschäftigungssicherung besonders zu begünstigen. Auch die Berufung auf das Urteil des LAG Köln vom 29.7.2004447 führt zu keinem anderen Ergebnis448. In dieser Entscheidung ging es um einen Interessenausgleich, bei dem der Betriebsrat die Streichung von Gewerkschaftsmitgliedern von einer Namensliste zur wesentlichen Voraussetzung 443
Gamillscheg, NZA 2005, 146, 150. Wiedemann/Wiedemann, TVG, Einleitung Rn. 286. 445 Dazu oben § 2 C. II. 2., S. 102 ff. 446 BAG vom 25.6.2003 – 4 AZR 405/02 – AP Nr. 1 zu § 1 TVG Beschäftigungssicherung = EzA Art. 3 GG Nr. 99 = NZA 2004, 215. 447 LAG Köln vom 29.7.2004 – 5 Sa 63/04 – LAGE § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 45a. 448 So aber Gamillscheg, NZA 2005, 146, 150. 444
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§ 2 Belegschaftsteilung im gewerkschaftlichen Organisationsinteresse
gemacht hatte. Der Betriebsrat ist im Gegensatz zur Gewerkschaft449 aber auf das Differenzierungsverbot des § 75 Abs. 1 BetrVG verpflichtet. Im entschiedenen Fall waren die Arbeitsbedingungen der organisierten und der nichtorganisierten Arbeitnehmer einheitlich auf den Tarifvertrag bezogen, so daß sich eine Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit aus diesem Grunde verbot450. Insofern kann dem LAG ohne weiteres zugestimmt werden. Daraus läßt sich aber kein allgemeiner Rechtsgrundsatz dergestalt ableiten, daß der Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen inhaltlich nicht Bestandteil einer Systemregelung – hier des Tarifvertrags – sein kann451. Der Tarifvertrag kann freilich nicht zwingend ausschließen, daß Außenseiter in den Genuß einer Unkündbarkeit gelangen können. Das ergibt sich allerdings bereits aus der Unzulässigkeit von qualifizierten Differenzierungsklauseln und nicht aus dem Inhalt der Regelung. Einfache Differenzierungsklauseln können genauso Bestandsschutzvereinbarungen zum Gegenstand haben wie auch der Arbeitgeber berechtigt ist, den Tarifvertrag nicht auf Außenseiter zu erstrecken und Beschäftigungssicherungszusagen auf individualvertraglichem Weg zu vereinbaren452. Alles andere müßte – konsequent zu Ende gedacht – dazu führen, daß der Tarifvertrag überhaupt keine Regelung zum Bestandsschutz treffen dürfte, da er die Außenseiter normativ nicht erreicht. Aus Bestandsschutzvereinbarungen läßt sich auch keine Betriebsnorm konstruieren, weil Beschäftigungssicherungszusagen inhaltlich nicht notwendig betriebseinheitlich gelten müssen453. Bestandsschutzvereinbarungen sind Inhaltsnormen, die die Beendigung des Arbeitsverhältnisses regeln. Das für Betriebsnormen unerläßliche Begriffsmerkmal eines tatsächlichen oder rechtlichen Zwangs zur einheitlichen Geltung ist insofern nicht gegeben454. Nichts anderes gilt für Tarifsozialpläne: den organisierten Arbeitnehmern kann ohne weiteres eine individuelle Entschädigung für den Verlust ihres Arbeitsplatzes zugesprochen werden455. Solange Außenseiter nicht zwingend von gleichen oder vergleichbaren Ansprüchen ausgeschlossen sind, ist die Ungleichbehandlung systemimmanent und hinzunehmen. 449
Dazu soeben oben § 2 C. IV, S. 138 ff. LAG Köln vom 29.7.2004 – 5 Sa 63/04 – LAGE § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 45a. 451 So auch Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille, S. 262. 452 Ausführlich unten § 6 G., S. 326 ff. 453 Vgl. dazu oben § 1 C. IV., S. 40; zurückhaltend BAG vom 1.8.2001 – 4 AZR 388/99 – AP Nr. 5 zu § 3 TVG Betriebsnormen = EzA § 1 TVG Betriebsnorm Nr. 2. 454 Däubler/Hensche, TVG, § 1 Rn. 533; Kittner/Däubler/Zwanziger, KSchR, § 2 KSchG Rn. 86; a. A. Löwisch/Rieble, in: Münchener Handbuch ArbeitsR, Bd. 3, § 260 Rn. 49; dies., TVG, § 1 Rn. 878. 455 Fischinger, NZA 2007, 310, 312; Löwisch/Rieble, TVG, § 1 Rn. 123. 450
C. Rechtswirksamkeit tarifvertraglicher Differenzierungsklauseln
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Schließlich greift der kündigungsrechtliche Einwand nicht durch, nach dem die Reihenfolge betriebsbedingter Kündigungen in § 1 Abs. 3 KSchG zwingend vorgeschrieben ist und deshalb sozial weniger Schutzbedürftige nicht aus der Sozialauswahl ausgenommen werden dürften456. Die herrschende Meinung457 wie auch die Rechtsprechung458 nehmen Arbeitnehmer mit besonderem Kündigungsschutz aus der Sozialauswahl aus, ohne einen Unterschied zwischen gesetzlichem, tarifvertraglichem oder individualvertraglichem Sonderkündigungsschutz zu machen. Erkennt man das an459, ist kein Grund dafür ersichtlich, warum der tarifvertragliche Sonderkündigungsschutz davon ausgenommen sein sollte. Auf die allgemein gegen vertragliche Bestandsschutzvereinbarungen vorgebrachten Bedenken kommt es insofern nicht an460. Im Ergebnis kann daher aus der inhaltlichen Gestaltung keine zusätzliche Regelungsschranke für Differenzierungsklauseln abgeleitet werden. Zulässige einfache Differenzierungsklauseln können ebenso Bestandsschutzvereinbarungen zum Gegenstand haben wie auch Tarifverträge mit beschränktem organisatorischen Geltungsbereich entsprechende Regelungen treffen können. Unzulässig sind lediglich qualifizierte Differenzierungsklauseln, welche die Vereinbarungen des Sonderkündigungsschutzes – sei es durch Bezugnahme oder durch individualvertragliche Vereinbarung – ausschließen. Es bleibt somit bei den dargestellten verfassungs- und tarifrechtlichen Schranken für die tarifvertragliche Vereinbarung von Differenzierungsklauseln. Aus dem Inhalt der jeweiligen Regelung folgt keine weitere Einschränkung der Gestaltungsbefugnis.
456
Franzen, RdA 2006, 1, 5. Etzel, in: Gemeinschaftskommentar zum Kündigungsschutzgesetz, § 1 KSchG Rn. 666; Kiel, in: Ascheid/Preis/Schmidt, § 626 BGB Rn. 318i; Stahlhacke/Vossen/ Preis, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, Rn. 1074; Däubler/ Zwanziger/Kittner, KSchR, § 1 KSchG Rn. 445a. 458 LAG Niedersachsen vom 11.6.2001 – 5 Sa 1932/00 – EzBAT § 53 BAT Betriebsbedingte Kündigung Nr. 42; LAG Brandenburg vom 29.10.1998 – 3 Sa 229/ 98 – NZA-RR 1999, 360. 459 Für die Anerkennung tarifvertraglicher Unkündbarkeitsvereinbarungen Kiel, in: Ascheid/Preis/Schmidt, § 1 KSchG Rn. 815 ff.; Hanau/Thüsing, in: Tarifautonomie im Wandel, S. 7, 20; Müller-Glöge, in: ErfK, § 622 BGB Rn. 106; Preis, NZA 1997, 1256, 1259; Stahlhacke/Vossen/Preis, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, Rn. 790 ff. 460 Zur Zulässigkeit und den Rechtsfolgen des Sonderkündigungsschutzes vgl. auch unten § 6 G., S. 326 ff. 457
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§ 2 Belegschaftsteilung im gewerkschaftlichen Organisationsinteresse
D. Sonstige Schutzmöglichkeiten für tarifliche Leistungen Nach den dargestellten Grundsätzen verbleibt den Tarifvertragsparteien für den Schutz der ausgehandelten tariflichen Leistungen nur die Möglichkeit, diese Vorteile mit einfachen mitgliedschaftsanknüpfenden Differenzierungsklauseln zu verbinden. Organisationspolitisch ist das aber wenig effektiv, da Außenseiter nicht gehindert werden, den Tarifvertrag vertraglich in Bezug zu nehmen. Insofern fragt sich, ob Tarifverträge anderweitig vor dem Zugriff Dritter abgesichert werden können, um dem Interesse der Koalitionen Rechnung zu tragen, ihre Leistungen auf die Mitglieder zu begrenzen461. I. Kein urheberrechtlicher Schutz für tarifliche Regelwerke Aus dem Bereich der gesetzlichen Vorschriften kommt das Urheberrecht in Betracht, dessen Anwendungsbereich sich unter bestimmten Voraussetzungen auch auf Musterverträge erstreckt462. Weitere gesetzliche Vorschriften sind nicht ersichtlich463. Urheberschutz genießen etwa allgemeine Geschäftsbedingungen, und zwar selbst dann, wenn sie zu ihrer Wirksamkeit der staatlichen Genehmigung bedürfen, wie beispielsweise die Bedingungen von Banken und Versicherungen464. Daraus könnte zu schließen sein, daß auch Tarifverträge diesem Schutzgedanken unterfallen. Insbesondere könnte der privatautonome Geltungsgrund der Tarifautonomie ein solches Ergebnis stützen465. Andererseits werden auch allgemeine Geschäftsbedingungen zu absolut schutzunfähigen Werken im Sinne des § 5 Abs. 1 UrhG, wenn sie aufgrund gesetzlicher Ermächtigung oder durch Rechtsverordnung für allgemeinverbindlich erklärt werden466. Gemäß § 5 Abs. 1 UrhG greift der Urheberschutz nicht für Gesetze, Verordnungen, amtliche Erlasse und Bekanntmachungen sowie Entscheidungen und amtlich verfaßte Leitsätze. Nach ganz überwiegender Meinung fallen darunter auch Tarifverträge467, die trotz ihres privatautonomen Geltungsgrundes Rechtsnormen aufstellen. Das 461 Zum organisationspolitischen Interesse der Gewerkschaften ausführlich oben § 2 A., S. 61. 462 Ahlberg, in: Möhring/Nicolini, UrhG, § 5 Rn. 12; Thüsing/Lambrich, NZA 2002, 1361, 1362. 463 Franzen, RdA 2006, 1, 10; Nömeier, Bezugnahme auf Tarifinhalte, S. 66; J. C. Otto, Arbeitsvertragliche Bezugnahmeklauseln und Änderungen der Tarifgeltung, S. 34. 464 Ahlberg, in: Möhring/Nicolini, UrhG, § 5 Rn. 12. 465 In diese Richtung Franzen, RdA 2006, 1, 10. 466 Ahlberg, in: Möhring/Nicolini, UrhG, § 5 Rn. 12.
D. Sonstige Schutzmöglichkeiten für tarifliche Leistungen
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Urheberrecht unterscheidet nicht zwischen Rechtsnormen im formellen und im materiellen Sinne. Entscheidend ist allein der allgemeine Charakter, der sich bei Tarifverträgen noch durch die Möglichkeit zur Allgemeinverbindlicherklärung verstärkt. Tarifverträgen kommt aber ebenso ohne Allgemeinverbindlichkeit potentiell – wenn auch nicht rechtlich – eine allgemeine Bedeutung zu468. Tarifverträge dem Schutz des Urheberrechts zu unterstellen, ließe diese historisch gewachsene Stellung der Koalitionen unbeachtet. Gegen einen Urheberschutz spricht schließlich die Arbeitsvertragsfreiheit, die es den Außenseitern garantiert, die gleichen Arbeitsbedingungen zu vereinbaren469. Auch damit vertrüge sich ein „Urheberrecht“ der Tarifvertragsparteien nicht. Insofern läßt sich aus dem gesetzlichen Urheberrecht kein weiterer Schutz für Tarifverträge ableiten. II. Keine staatliche Schutzpflicht aus Art. 9 Abs. 3 GG Denkbar wäre überdies, dem Staat eine Schutzpflicht aus Art. 9 Abs. 3 GG zum Schutz tariflicher Regelwerke aufzuerlegen470. Anknüpfungspunkt müßte insofern die von Art. 9 Abs. 3 GG erfaßte Bestandsgarantie der Koalitionen sein. Dieser Schutz ist allerdings negativ darauf gerichtet, daß Eingriffe in bestehende Koalitionen verboten sind. Eine positive Verpflichtung zu bestandsfördernden Maßnahmen besteht hingegen nicht471. Insbesondere das BVerfG hat das klar gesagt: „Der Organisationsgrad einer Koalition, die Fähigkeit zur Anwerbung und Mobilisierung von Mitgliedern und ähnliche Faktoren fallen nicht in die Verantwortung des Staates“472. Art. 9 Abs. 3 GG liegt zudem das Leitbild des Koalitionspluralismus zugrunde: ob sich eine Koalition im Arbeitsleben bilden und behaupten kann, wird durch den Wettbewerb bestimmt473. 467 BAG vom 11.11.1968 – 1 AZR 16/68 – AP Nr. 14 zu Art. 9 GG = NJW 1969, 861; Ahlberg, in: Möhring/Nicolini, UrhG, § 5 Rn. 11; Willemsen/Kalb/ Henssler, Arbeitsrecht Kommentar, § 3 TVG Rn. 18; Löwisch/Rieble, TVG, § 1 Rn. 19; Wadtke/Bullinger/Marquardt, Urheberrecht, § 5 Rn. 9. 468 Franzen, RdA 2006, 1, 10, spricht von einer faktischen „Gesamtrepräsentation“; Hanau, JuS 1969, 213, 213, hat dies plakativ als „Gemeingebrauch am Tarifvertrag“ bezeichnet. 469 Ausführlich oben § 2 C. II. 4., S. 116 ff. 470 Zur Schutzpflicht des Staates zur Stützung der Tarifautonomie Kempen, in: FS Gitter, S. 427, 431 ff. 471 So bereits Zöllner, Tarifvertragliche Differenzierungsklauseln, S. 22; zur Staatshilfe für die Gewerkschaften Rieble, ZfA 2005, 245, 246 ff., insb. 267 f.: „Kein Grundrecht auf Erfolg“. 472 BVerfG vom 4.7.1995 – 1 BvF 2/86 – BVerfGE 92, 365 = AP Nr. 4 zu § 116 AFG = EzA § 116 AFG Nr. 5.
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§ 2 Belegschaftsteilung im gewerkschaftlichen Organisationsinteresse
Selbst wenn die Bildung einer tariffähigen Koalition wegen eines zu geringen Organisationsgrades gänzlich scheitern würde oder eine Koalition deswegen nicht in der Lage wäre, die Arbeitsbedingungen wirksam zu regeln, läge die Regelungszuständigkeit nicht brach. Hier griffe die subsidiäre Zuständigkeit des Gesetzgebers wieder ein, wie das in dem Gesetz über die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen474 zum Ausdruck kommt475. Die subsidiäre Regelungszuständigkeit lebt auf, wenn die Koalitionen die ihnen übertragenen Aufgaben im Einzelfall nicht erfüllen können und die soziale Schutzbedürftigkeit der Arbeitnehmer ein Eingreifen erforderlich macht. Die Arbeitnehmer sind demzufolge bei Handlungsunfähigkeit der Koalitionen nicht schutzlos gestellt. Insofern besteht eine Schutzpflicht des Staates zugunsten der betroffenen Arbeitnehmer, keinesfalls aber zur Erhaltung der dahinterstehenden Koalitionen. III. Solidaritätsbeiträge Eine Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit ist noch dergestalt denkbar, daß den Außenseitern finanzielle Leistungen zugunsten der Koalition mit der Begründung abverlangt werden, daß sie mittelbar Nutznießer gewerkschaftlicher Tariferfolge seien476. Auch hier kann im Grundsatz nichts anderes gelten: jedenfalls sind Regelungen in einem Tarifvertrag, die Außenseitern ohne gesetzliche Grundlage einen Beitrag auferlegen, aus den aufgezeigten Gründen als unzulässig anzusehen477. In Betracht kommt allenfalls ein Solidaritätsbeitrag, der vom Staat zugunsten der Koalitionen eingefordert wird478, obschon eine diesbezügliche staatliche Verpflichtung nicht besteht479. 473
BVerfG vom 6.5.1964 – 1 BvR 79/62 – AP Nr. 15 zu § 2 TVG = NJW 1964, 1267; BVerfG vom 15.7.1980 – 1 BvR 24/74, 1 BvR 439/79 – AP Nr. 17 zu § 5 TVG = NJW 1981, 215. 474 Gesetz über die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen vom 11.1.1952, BGBl. I, S. 17 ff. 475 Zum Subsidiaritätsgrundsatz Richardi, in: Münchener Handbuch ArbeitsR, Bd. 3, § 240 Rn. 49. 476 Die rechtspolitische Diskussion um Solidaritätsbeiträge wurde vor allem in den 1960er Jahren kontrovers geführt. Dazu Heußner, RdA 1960, 295, 295; A. Hueck, RdA 1961, 141, 141 ff. 477 Höfling, in: Sachs, GG, Art. 9 Rn. 125; Scholz, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. VI, § 151 Rn. 85. 478 BAG (GS) vom 29.11.1967 – GS 1/67 – AP Nr. 13 zu Art. 9 GG = EzA Art. 9 GG Nr. 3; grundsätzlich befürwortend auch Franzen, RdA 2006, 1, 11; Rieble, ZfA 2005, 245, 271. 479 Dazu soeben oben § 2 D. II., S. 149.
E. Ergebnis
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Zu beachten ist, daß einer Bemessung der Höhe nach enge Grenzen gezogen sind, die sich zum einen aus der negativen Koalitionsfreiheit der Außenseiter480 ergeben. Zum anderen muß die Unabhängigkeit der Koalitionen vom Staat gewahrt bleiben. Beides muß zu einer Höchstbemessung unterhalb des Mitgliedsbeitrags führen481. Eine Beteiligung der Außenseiter kann nur an den Kosten zur Generierung der Tarifverträge in Betracht kommen, da die Tarifvertragsparteien noch andere Leistungen an ihre Mitglieder erbringen. Auf den Punkt gebracht geht es um einen Aufwendungsersatz und nicht um ein Abschöpfen von Vorteilen. Deswegen kommt ein Solidarbeitrag nur in Betracht, wenn Nichtorganisierte tatsächlich an einer tariflichen Regelung partizipieren.
E. Ergebnis Für die im Dienste koalitionspolitischer Bemühungen stehende tarifvertragliche Differenzierung zwischen Organisierten und Außenseitern läßt sich das umfassende Verdikt des Großen Senats von 1967 nicht aufrecht erhalten. In Abkehr dazu gilt vielmehr: Einfache mitgliedschaftsanknüpfende Differenzierungsklauseln, die das Anhängen von Außenseitern an den Tarifvertrag weder rechtlich noch faktisch in irgendeiner Form behindern, sind sowohl verfassungs- als auch tarifrechtlich zulässig. Nichts anderes gilt für organisatorische Geltungsbereichsbestimmungen. Werden ausdrücklich nur organisierte Arbeitnehmer von einem tariflichen Geltungsbereich erfaßt, hat dies grundsätzlich die gleichen Folgen, wie sie von einfachen Differenzierungsklauseln ausgehen. Rechtliche Auswirkungen haben derartige Gestaltungen nur für den Fall der Allgemeinverbindlicherklärung des Tarifvertrags, die bei jeder Differenzierung zwischen Organisierten und Außenseitern ausgeschlossen ist. Da die Fähigkeit zur Allgemeinverbindlicherklärung aber nicht zu den tariflichen Gestaltungsvoraussetzungen gehört, hindert das die Tarifvertragsparteien nicht an der Vereinbarung einfacher Differenzierungsklauseln oder entsprechender organisatorischer Geltungsbereichsbeschränkungen. Unzulässig sind einfache Differenzierungsklauseln allerdings, wenn sie zu einer Ungleichbehandlung unter den organisierten Arbeitnehmern führen, wie das insbesondere bei Stichtagsregelungen der Fall ist. Derartige Differenzierungen sind – anders als Sonderleistungen für gewerkschaftliche Vertrauensleute – sachlich nicht gerechtfertigt. 480
Zu den Grenzen der negativen Koalitionsfreiheit oben § 2 C. II. 2., S. 102 ff. Franzen, RdA 2006, 1, 11; Löwisch/Rieble, in: Münchener Handbuch ArbeitsR, Bd. 3, § 245 Rn. 53, 54. 481
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§ 2 Belegschaftsteilung im gewerkschaftlichen Organisationsinteresse
Qualifizierte Differenzierungsklauseln sind dagegen stets unzulässig, weil sie eine Ungleichbehandlung zu Lasten der Außenseiter zwingend vorschreiben. Das gilt unabhängig von der tariflichen Regelungstechnik und der konkreten Höhe des ausbedungenen Vorteils. Der Tarifvertrag darf die rechtlich geschützte Möglichkeit einer arbeitsvertraglichen Inbezugnahme oder die Vereinbarung vergleichbarer Leistungen durch die nicht normativ tarifgebundenen Arbeitsvertragsparteien nicht beschränken. Dem beklagten „Schwarzfahrerproblem“ läßt sich von Seiten der Gewerkschaften nur durch Bereitstellung zusätzlicher privater Güter begegnen: Beispiele sind Rechtsberatung, Information oder Unterstützungsfonds, die ausschließlich den Mitgliedern zur Verfügung stehen und damit selektive Anreize zum Verbandsbeitritt bieten. Zulässig sind auch Unternehmenszahlungen an die Gewerkschaft, die sich der Höhe nach unterhalb des Mitgliederbeitrags bewegen und vom Arbeitgeber freiwillig erbracht werden. Sie können aber nicht Inhalt eines Tarifvertrags sein.
§ 3 Innerbetrieblicher Kollektivund Systemwettbewerb A. Pluralität arbeitsrechtlicher Regelungssysteme Die kollektive auf der einen und die individuelle Festlegung der Arbeitsbedingungen auf der anderen Seite sind voneinander grundsätzlich unabhängige und eigenständige Modelle für die Ordnung der Arbeitsbeziehungen. Kartellrechtlich betrachtet stehen sie im Wettbewerb, dem innerbetrieblichen Systemwettbewerb1. Dieser Wettbewerb wird freilich ausgeschaltet, wenn die Kartellwirkung der kollektiven Ordnung durch individualvertragliche Bezugnahme auf Außenseiterarbeitsverhältnisse erstreckt wird, wie das in deutschen Unternehmen zur weit verbreiteten Übung geworden ist2. Zwingend ist das allerdings keineswegs. Es besteht ebenso die Möglichkeit, den im Tarifsystem angelegten Systemwettbewerb zu nutzen und die Kartellmacht der Koalitionen auf den Kreis der mitgliedschaftlich Tarifgebundenen begrenzt zu halten. Vom Ausgangspunkt der Pluralität der arbeitsrechtlichen Regelungssysteme ist die fehlende oder eine andere mitgliedschaftliche Tarifbindung auf Arbeitnehmerseite keine „Einbahnstraße“, die zur Gleichstellung nach Maßgabe eines dominierenden Kollektivsystems führen müßte. Vielmehr schafft sie für den Arbeitgeber eine „Tariföffnung“, innerhalb der er sich mit den Mitteln des Tarif- oder des Individualarbeitsrechts anderweitig betätigen kann. Je nach Koalitionsentscheidung der einzelnen Arbeitnehmer kann er auch die Chancen des Tarif-3 oder des Außenseiterwettbewerbs4 nutzen.
1 Dazu insbesondere Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1532 ff.; ders., RdA 1999, 151, 155. 2 Zur Überwindung der tarifrechtlich programmierten Zweiteilung oben § 1 D., S. 43 ff. 3 Zur Systementscheidung § 3 D. I., S. 170; zur rechtlichen Gestaltung § 4, S. 177 ff. 4 Zur Systementscheidung § 3 D. II., S. 171 ff.; zur rechtlichen Gestaltung § 6, S. 257 ff.
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§ 3 Innerbetrieblicher Kollektiv- und Systemwettbewerb
B. Schwächen des einheitlichen kollektiven Ansatzes Das zentrale Ordnungssystem der Arbeitsbeziehungen befindet sich seit geraumer Zeit nicht nur ideologisch in der Krise5. Der kollektive Ansatz steht vor allem aus ökonomischer Sicht zunehmend in Frage. Es wird bezweifelt, ob er eine bessere Problemlösungskapazität aufweist als ein dezentraler, stärker individualistischer Ansatz6. Besonders unter Beschuß steht das deutsche System der Flächentarifverträge. Vorgeworfen werden ihm seine übergroße Starrheit, Überregulierung und die mangelnde Flexibilität seiner Regelungen, die wenig Spielraum lassen, sich veränderten wirtschaftlichen Verhältnissen anzupassen. Das geltende Tarifwesen sei nicht in der Lage, auf wachsende Bedürfnisse im globalen Wettbewerb zu reagieren und der Spielbreite unterschiedlicher Unternehmen innerhalb eines Tarifgebietes gerecht zu werden7. Der Vorwurf mangelnder Flexibilität wirkt freilich ein wenig paradox, hat der Gesetzgeber den Tarifparteien doch gerade deswegen Tarifmacht verliehen, weil er Tarifverträge im Grundsatz für flexibler gehalten hat8. I. Flexibilisierungsbedarf der Unternehmen Die Forderungen nach flexiblen Arbeitsbedingungen und Arbeitszeitregelungen, wettbewerbsfähigen Personal- und Arbeitskosten und mehr Differenzierungsmöglichkeiten drücken sich in den Schlagworten „Flexibilisierung“, „Dezentralisierung“ und „Deregulierung“ aus. Deregulierung und Dezentralisierung richten sich dabei auf alternative Regelungsinstrumente, wobei „Flexibilisierung“ die systemimmanente Neuausrichtung vor allem der Tarifpolitik im Auge hat. Ziel ist neben der Verbesserung der Anpassungsfähigkeit auch die Kostenreduzierung in Krisensituationen9. 5 Vgl. die Beiträge von Buchner, NZA 1995, 761, 761 f.; Konzen, NZA 1995, 913, 913 ff.; Heinze, NZA 1997, 1, 1 ff.; ders., DB 1996, 729, 729 ff.; Hromadka, NZA 1998, 1, 8 ff.; Löwisch, RdA 1999, 69, 75 ff.; Rieble, RdA 1996, 151, 151 ff.; sowie den Sammelband des Instituts der Wirtschaft Köln (Hrsg.), Der Flächentarifvertrag in der Kritik, und Zohlnhöfer (Hrsg.), Die Tarifautonomie auf dem Prüfstand. 6 Insbesondere Picker, in: Walter-Raymond-Stiftung (Hrsg.), Tarifautonomie – Informationsgesellschaft – globale Wirtschaft, S. 113, 146 ff. 7 s. dazu die Empfehlungen von Dieterich/Hanau/Henssler/Oetker/Wank/Wiedemann, RdA 2004, 65, 65 ff.; zum Arbeitsrecht im wirtschaftlichen Wandel Löwisch, RdA 1999, 69, 69 ff. 8 Hromadka, NZA 1998, 1, 8; Zöllner, NJW 1990, 1, 3. 9 Exemplarisch die Deutsche Telekom, die für 50.000 Mitarbeiter eine stufenweise Senkung der Gehälter um neun Prozent und eine Verlängerung der Wochenar-
B. Schwächen des einheitlichen kollektiven Ansatzes
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Flexibilität der Arbeitsbedingungen ist zur wichtigsten Standortforderung geworden. Weil Deutschland im Standortwettbewerb durch das hohe Arbeitskostenniveau10 unterliegt, kommt es darauf an, Arbeitsbedingungen ausreichend flexibel zu gestalten, um den Unternehmen wenigstens den Vorteil der Anpassungsfähigkeit zu verschaffen11. Der hohe Flexibilisierungsbedarf ist auf verschiedene Ursachen zurückzuführen: neben dem Wandel der Wirtschaft, dem hohen Grad der Technisierung, der fortschreitenden Arbeitsteilung und der Veränderung der Organisationsformen sind es vor allem die offenen Märkte, die neue Herausforderungen stellen12. Güter- und Dienstleistungen sehen sich heute dem globalen Wettbewerb ausgesetzt, der zur Konkurrenzfähigkeit zwingt. Ob diese erreicht wird, hängt wesentlich von der Fähigkeit ab, auf die wirtschaftlichen Herausforderungen angemessen reagieren zu können. Die Fähigkeit zu ökonomisch richtigem Verhalten – sogar das Überleben – sind untrennbar mit der Möglichkeit der rechtzeitigen Anpassung der Arbeitsbedingungen verknüpft13. Entscheidend kommt es vor allem darauf an, Arbeitszeit und entgelt in flexiblen Regelungssystemen zu verankern14. Bei der Flexibilisierung der Arbeitszeit steht die Entkoppelung der Betriebs- und Öffnungszeiten von den individuellen Arbeitszeiten im Vordergrund. Anlage- und Personalkapazitäten müssen, angepaßt an Schwankungen im Produktionsprozeß und der Marktnachfrage, genutzt werden können15. Der Gesetzgeber gibt im ArbZG zwar einen weiten Rahmen vor und erkennt die Arbeitszeit als Standortfakbeitszeit von 34 auf 38 Stunden verlangt und im Gegenzug bereit ist, bis 2011 auf Kündigungen zu verzichten. s. FAZ vom 11.5.2007, S. 1: „Streik bei der Telekom“. 10 Das Arbeitskostenniveau in der Privatwirtschaft lag im 4. Quartal 2006 auf Rang sechs in der Europäischen Union. Im verarbeitenden Gewerbe, welches besonders im internationalen Wettbewerb steht, lagen die Kosten für eine geleistete Arbeitsstunde mit 32,00 Euro deutlich über dem europäischen Durchschnitt von 17,36 Euro. Deutschland hatte damit die vierthöchsten Arbeitskosten. Quelle: Berechnungen von Destatis auf Basis von Eurostat, http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/ Sites/destatis/Internet/DE/Navigation/Statistiken/VerdiensteArbeitskosten/Arbeits kosten/Arbeitskosten.psml (zuletzt abgerufen am 23.7.2007). 11 Rieble, NZA Sonderbeil. 3/2000, 34, 34. 12 Allg. zum Flexibilisierungsbedarf Gentz, in: FS Schaub, S. 205, 205 ff.; Federlin, in: FS 50 Jahre BAG, S. 645, 645 ff.; Kittner, in: FS Schaub, S. 389, 390 ff. 13 Nur Zöllner, NZA 1997, 121, 121. 14 Rieble, NZA Sonderbeil. 3/2000, 34, 34; siehe auch BAG vom 7.12.2005 – 5 AZR 535/04 – AP Nr. 4 zu § 12 TzBfG = EzA § 12 TzBfG Nr. 2 = NZA 2006, 423. 15 Buchner, RdA 1998, 265, 268; Federlin, in: FS 50 Jahre BAG, S. 645, 646; Heinze, NZA 1997, 681, 681 ff.; Schliemann, in: Lehmann (Hrsg.), Krise des Flächentarifvertrags?, S. 34, 36.
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§ 3 Innerbetrieblicher Kollektiv- und Systemwettbewerb
tor an (§ 13 Abs. 5 ArbZG). Für den tarifgebundenen Arbeitgeber ist der gesetzliche Rahmen jedoch kaum nutzbar: der Tarifvertrag gestattet zumeist nur 35 Stunden, und die Tarifvertragsparteien leisten massiven Widerstand gegen eine dauerhafte Verlängerung der Arbeitszeit16. Auch kurzfristige Arbeitszeitverlängerungen scheitern zumeist an kollektiven Hindernissen. Wegen § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG läßt sich eine Verlängerung der Arbeitszeit in der betrieblichen Praxis häufig nur über die Zustimmung zu Koppelungsgeschäften erreichen17. Der zweite Hauptschuldinhalt, der auf dem Flexibilisierungsprüfstand steht, ist das Arbeitsentgelt18. Die Entgeltflexibilisierung rückt in letzter Zeit immer mehr in den Vordergrund. In den meisten Fällen geht es weniger um Einschnitte beim Grundgehalt, sondern vor allem um die Abkoppelung des Entgelts von der reinen Arbeitswertigkeit hin zu am Arbeitsergebnis oder am Unternehmenserfolg orientierten Entgeltformen. II. Akzeptanz auf Arbeitnehmerseite Flexible Arbeitszeit- und Entgeltgestaltungen sind gleichermaßen für die Arbeitnehmer attraktiv. Gerade hinsichtlich der Arbeitszeit sind sie darauf verwiesen, daß ihnen Spielräume eröffnet werden und auf ihre Flexibilisierungswünsche geachtet wird. Daß hier ebenfalls Flexibilisierungsbedürfnisse bestehen und Arbeitnehmer dazu bereit sind, länger zu arbeiten, zeigt eine Studie der Financial Times19. Individuelle Arbeitszeiten tragen darüber hinaus zu einer besseren Vereinbarkeit der Erwerbstätigkeit mit der Kindererziehung, Fortbildung und Freizeit bei. Die reine Arbeitszeitflexibilisierung und eine Verlängerung der Arbeitszeit finden vor allem dann breite Akzeptanz in den Belegschaften, wenn damit keine Reallohnkürzungen verbunden sind. 16 Exemplarisch wiederum der Streik bei der Deutschen Telekom, die die Arbeitszeit auf 38 Stunden erhöhen und Langzeitarbeitskonten einrichten will, dazu FAZ vom 27.4.2007, S. 13: „Telekom droht ein flächendeckender Streik“. 17 Zu Koppelungsgeschäften Rieble/Klumpp/Gistel, Rechtsmißbrauch in der Betriebsverfassung, Rn. 76 ff. 18 Mit Blick auf den Arbeitsvertrag als Regelungsinstrument Rieble, NZA Sonderbeil. 3/2000, 34, 34. 19 Laut der Studie von Financial Times und Harris Poll äußerten 70% der befragten Arbeitnehmer in fünf Ländern (Großbritannien, Frankreich, Italien, Spanien und Deutschland) ihre prinzipielle Bereitschaft längere Arbeitszeiten zu akzeptieren. In Frankreich, wo eine 35-Stunden-Woche vorgeschrieben ist, war die Bereitschaft mit 75% besonders hoch. Siehe dazu: http://www.euractiv.com/de/innovation/euro paer-bereit-langer-arbeiten-bezahlung-stimmt/article-157148 (zuletzt abgerufen am 5.2.2008).
B. Schwächen des einheitlichen kollektiven Ansatzes
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Selbst längere Betriebszeiten durch Wechselschichten mit Samstags- und sogar Sonntagsarbeit können Vorteile bringen: durch die bessere Nutzung der Produktionsmittel und die dadurch erreichte höhere Wertschöpfung eröffnen sich Spielräume auch für Lohnerhöhungen. Es ist keineswegs so, daß nur die Unternehmer Vorteile hätten; die höhere Wertschöpfung kommt vielmehr zum Großteil dem Faktor Arbeit zugute20. Desgleichen wird eine Reduktion der Löhne zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und der Sicherung von Arbeitsplätzen akzeptiert: insbesondere, wenn dies über eine Verlängerung der Arbeitszeit oder eine bloße Kürzung von Sonderzahlungen erfolgt21. Arbeitnehmer haben schließlich ebenso ein erhebliches Interesse an der Sicherung des Unternehmens und am Erhalt ihrer Arbeitsplätze, weil sie damit auch ihre wirtschaftliche Grundlage sichern22. Im Fall Burda stimmten über 90% der Arbeitnehmer einer Abweichung vom bisherigen Tarifniveau durch längere Arbeitszeiten bei gleichem Arbeitsentgelt und im Gegenzug für eine Beschäftigungsgarantie zu23. Die gleiche Interessenlage besteht vielfach bei den Betriebsräten, denen die eigene Belegschaft wichtiger ist als die Interessen der Gewerkschaften. So emanzipieren sich auf Arbeitnehmerseite zunehmend Interessengemeinschaften, deren Bedürfnisse sich im einheitlichen Flächentarifvertrag nicht durchsetzen lassen, die vielmehr ein individuelles Interesse vor allem am Erhalt ihrer Arbeitsplätze haben. Die Sicherung des Arbeitsplatzes hat in letzter Zeit gegenüber der Lohnhöhe deutlich an Wert gewonnen24. III. Tarifliche Realität und die Positionen der Tarifparteien 1. Krise des Flächentarifvertrags Der Flächentarifvertrag ist im Regelfall durch Betriebsferne, repräsentativen Charakter und einen hohen Grad an Verrechtlichung gekennzeichnet. Zudem enthält er nur wenige Gestaltungsmöglichkeiten, um Innovationskräfte zu fördern. Seit Anfang der 1990er Jahre steht die Institution des Flä20
Adomeit, NZA 1988, 308, 308. Buchner, RdA 1999, 265, 268. 22 Belling/Hartmann, NZA 1998, 57, 62 f. 23 BAG vom 20.4.1999 – 1 ABR 72/98 – AP Nr. 89 zu Art. 9 GG = EzA Art. 9 GG Nr. 65 = NZA 1999, 887. 24 Adomeit, Regelung von Arbeitsbedingungen und ökonomische Notwendigkeiten, Eine Untersuchung zu aktuellen Fragen des deutschen Tarifrechts, S. 36. 21
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chentarifvertrags deshalb im Kreuzfeuer der Kritik25. Die Flächentarife werden in der Liste der Standortgefahren geführt oder als Wurzel der Krise auf dem Arbeitsmarkt ausgemacht. Das Tarifrecht steht vor der Herausforderung, sich in Zeiten einer sich verändernden Wirtschaft anzupassen und die für seinen Erhalt notwendige Flexibilität nachzuweisen. Der maßgebliche Durchbruch in diese Richtung ist jedoch bisher nicht gelungen26. Die Bindungskraft von Branchen- und Flächentarifverträgen geht deshalb kontinuierlich zurück27. In Frage steht insbesondere die Kartellfunktion des Tarifvertrags, die die Preiskonkurrenz auf dem Arbeitsmarkt durch die Standardisierung von Löhnen und Arbeitsbedingungen eindämmen soll – vor allem, weil ein Großteil der Wettbewerber im globalen Wettbewerb gar nicht erfaßt wird28. Flächentarifverträge gelten bestenfalls im nationalen Maßstab. Hier wirken sie als Wettbewerbsnachteil, da ausländische Wettbewerber den nationalen Markt ebenso erreichen, die Arbeitskosten aber häufig geringer sind. Das bringt nicht nur Wettbewerbsvorteile für die ausländischen Konkurrenten, sondern lockt auch deutsche Arbeitgeber, Standorte ins Ausland zu verlegen29. Inhaltlich führt die Tarifentwicklung zu einer immer weiteren Verkürzung der Arbeitszeit30. Daß das an den Belangen der Unternehmen, vor allem der kleineren und mittelständischen, vorbeigeht, zeigt sich daran, daß die von der Gewerkschaft durchgesetzte zweite Stufe der Arbeitszeitverkürzung vielfach mit dem Austritt aus dem Tarifverband beantwortet wurde. Die Verkürzung der Arbeitszeit – regelmäßig unter vollem Lohnausgleich – hat denselben Effekt wie die überzogene Lohnpolitik. Beides erhöht die Produktionskosten. Die Gewerkschaft versteht sie als beschäftigungspolitisches Mittel; als ob die Arbeit als fixe Größe ohne Rücksicht auf ihre Kosten feststehe31. 25
Dazu Löwisch, RdA 1999, 69, 75 ff.; Molitor, in: FS Schaub, S. 487, 487 ff.; Rieble, RdA 1996, 151, 151 ff.; siehe auch Franzen, RdA 2001, 1, 1 ff., der eine tarifsystemimmanente Betrachtung vornimmt. 26 Nur Buchner, RdA 2007, 125, 126. 27 Nach den Angaben des IAB-Betriebspanels 2005 sind noch 41% der westdeutschen und 23% der ostdeutschen Betriebe durch Branchen- oder Flächentarifvertrag gebunden. Dazu oben § 1 D. I. 1., S. 43 ff., m. w. Nachw. 28 Vgl. nur Gentz, in: FS Schaub, S. 205, 208 f., und Zöllner, NZA 1997, 121, 121. 29 Zur Nutzung von Standortvorteilen im Ausland Federlin, in: FS 50 Jahre BAG, S. 645, 645 f. 30 Die Verkürzung auf unter 40 Stunden wurde etappenweise vorgenommen und hat in der Metall- und Elektroindustrie sowie in der Druckindustrie zur 35-StundenWoche geführt. Der Trend wurde in anderen Wirtschaftszweigen, wie im Einzelhandel, der 1996 die Arbeitszeit auf 37,5 Stunden reduziert hat, weitergeführt. 31 Konzen, NZA 1995, 913, 917.
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Unflexibel zeigt sich der Flächentarifvertrag auch im Hinblick auf die Lohnstruktur. Ergebnis- und erfolgsabhängige Bestandteile sind genauso die Ausnahme wie die Differenzierung nach Qualifikationen. Regelmäßig werden die Tarifverdienste aller Qualifikationsgruppen in einem Wirtschaftszweig um den gleichen Prozentsatz angehoben. Eine hinreichende Lohnflexibilität und Lohnspreizung gerade im unteren Bereich wäre aber geboten, insbesondere, um gering qualifizierten Personen mit niedriger Arbeitsplatzproduktivität Beschäftigungsmöglichkeiten zu eröffnen. Allerdings ist der Tarifvertrag nicht als solcher ungeeignet, flexible und auf die Interessenlage der einzelnen Unternehmen angepaßte Lösungen bereit zu stellen. Vielmehr sind es die Interessen der Sozialpartner, die einer Flexibilisierung und Deregulierung der tariflichen Arbeitsbedingungen im Wege stehen32. Trotz bestehender Vorzüge fehlt es auch modernen Tarifabschlüssen an ausreichender Flexibilität und Betriebsnähe. Nicht in Abrede gestellt werden kann zwar, daß angesichts der drückenden Probleme am Arbeitsmarkt von den Sozialpartnern Maßnahmen in die richtige Richtung ergriffen werden. Diese beschränken sich jedoch auf die unbedingt notwendigen Reaktionen auf die zunehmende Verbandsflucht und die nachlassende Bindungskraft der Tarifverträge. 2. Mangelnde Anpassungsbereitschaft der Gewerkschaften Insbesondere die Gewerkschaften haben kein Interesse an einer „Durchlöcherung“ des Flächentarifvertrags. Denn dies führte zu einer weiteren Schwächung33 und zu einem Rückgang ihrer Kampfkraft. Propagiertes Credo ist: „Ein Betrieb, eine Gewerkschaft!“34 So ist es nicht nur die ablehnende Haltung gegenüber branchen- oder unternehmensabweichenden Regelungen, sondern auch die Ablehnung individueller Tarife, die einer Flexibilisierung des Tarifvertragssystems entgegen steht. Gewerkschaftliche Macht ist Organisationsmacht. Sie beruht auf den Mitgliedern und den Mobilisierungspotenzialen. Der Erhalt der Machtbasis liegt deshalb im bestandsorientierten Interesse der Gewerkschaften. Diese Interessen verwirklicht optimal allein der einheitliche Flächentarifvertrag, da sich so die größtmögliche Zahl von Mitgliedern vereinen läßt und eine 32
Heinze, in: Lehmann (Hrsg.), Krise des Flächentarifvertrags?, S. 64, 68; Junker, NZA 1997, 1305, 1318. 33 Zur Erosion der deutschen Gewerkschaften Rieble, ZfA 2005, 245, 245 f.; vgl. auch Wendeling-Schröder, in: FS Wissmann, S. 174, 176 f. 34 So etwa Nr. 2 a) der Anlage I zu § 15 der DGB Satzung („Richtlinien für die Abgrenzung von Organisationsbereichen vom 8.3.2000“).
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größere Durchsetzungsmacht erreicht wird. Jede Aufspaltung schwächt die Kampfkraft – ein Problem gerade in Zeiten sinkender Mitgliederzahlen35. Ein weiteres Problem besteht darin, daß die Gewerkschaften durch ihre Lohnpolitik in den 1970er und 80er Jahren deutlich über das Ziel hinaus geschossen sind. Heute fällt es da um so schwerer, moderaten Lohnabschlüssen zuzustimmen, weil sich Reallohnminderungen unmittelbar auf den Mitgliederbestand auswirken. Lohnabschlüsse unterhalb der Reallohngrenze sind regelmäßig mit Gewerkschaftsaustritten zu bezahlen36. An die Grenzen gewerkschaftlicher Lohnpolitik stößt auch eine größere Lohndifferenzierung. Die Ablehnung von Leistungslohnsystemen wird – ziemlich fragwürdig – mit einem Schutz vor Überforderung und einer steigenden Arbeitsbelastung gerechtfertigt. Im Vordergrund stehen freilich die auf den Selbsterhalt gerichteten organisationspolitischen Interessen. Dieser Verbandsegoismus führt aber nur vordergründig zu einem Machterhalt, weil er letztlich die Arbeitgeber dazu treibt, sich der Tarifbindung zu entziehen. So hat der von der IG Metall in NRW propagierte Weg der Sonderregelungen für Gewerkschaftsmitglieder37 dazu geführt, daß Arbeitgeber es vielfach abgelehnt haben, sich zur Geisel machtpolitischer Interessen der Gewerkschaften machen zu lassen, und lieber den Weg der direkten Verständigung über einzelvertragliche Regelungen gegangen sind. Insgesamt läßt sich feststellen, daß das Vertrauen der Arbeitsvertragsparteien in den Tarifvertrag weiter schwindet, wenn die Sicherung der Tarifstandards über die Interessen der Unternehmen und Betriebe gestellt werden38. 3. Interessengebundenheit der Arbeitgeberverbände Nicht anders als bei den Gewerkschaften erstreckt sich die allgemeine Krise des Tarifvertragssystems auf die Arbeitgeberverbände39. Auch hier ist ein zunehmender Mitgliederverlust zu verzeichnen, dessen Hauptursache in dem Bestreben besteht, sich den als überhöht und zu unflexibel empfundenen Flächentarifen zu entziehen40. Gegen eine Flexibilisierung richtet sich 35
Dazu oben § 1 D. I. 1., S. 43 ff. Konzen, NZA 1995, 913, 916 f. 37 Dazu oben § 2 B. III. 5., S. 79 f. 38 Ehmann, in: Krise des Flächentarifvertrags?, S. 17, 24: „. . . ist also die Zeit gekommen, die reif dafür geworden ist, daß die Arbeitsbedingungen wieder Gegenstand freier Übereinkunft“ sein können. 39 Dazu Däubler, NZA 1996, 225, 225. 40 Ein namhaftes Beispiel ist die IBM Deutschland GmbH, die mit ihrem Ausstieg aus dem Arbeitgeberverband 1992 eindeutig demonstrierte, welche Einschrän36
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hier insbesondere die auf die Gesamtheit der Mitglieder bezogene Interessengebundenheit. Wie der vieldiskutierte Fall „Holzmann“41 und eine Reihe gleichgelagerter Fälle gezeigt haben, ist der Verband auf die Interessen all seiner Mitglieder – und zwar in gebündelter Form – verpflichtet. Er kann seine Tarifpolitik nicht an Einzelinteressen ausrichten. Mitglieder, die in Konkurrenz stehen, haben ein Interesse daran, daß für alle der gleiche Tarif gilt und einzelne Unternehmen keine Wettbewerbsvorteile erhalten. Damit wird auch die Verbandsdisziplin im Arbeitgeberlager zum Hemmnis für die Zustimmung zu einem Tarifdispens für einzelne notleidende Verbandsmitglieder. Die wirtschaftliche Konkurrenz der Verbandsmitglieder verhindert letztlich den solidarischen Einsatz für das schwächste Glied der Kette. Von entscheidendem Gewicht ist die unterschiedliche Leistungsfähigkeit der Verbandsmitglieder: Was für ein kapitalintensives Unternehmen unschwer verkraftbar ist, muß es nicht für ein personalintensives sein; wer vorwiegend für den deutschen Markt produziert, muß sich keine Sorgen um Währungsparitäten machen; wer als Hauptproduzent die logistische Kette beherrscht, steht anders da als ein Zulieferer, dessen wirtschaftlicher Spielraum gegen Null gehen kann. Insgesamt profitieren große Konzerne stärker von den Vorteilen überbetrieblicher Regulierung. Nicht nur die verbandstarifliche Friedenspflicht wirkt sich hier stärker aus, da Arbeitskämpfe hauptsächlich in Großunternehmen ausgetragen werden. Auch die Leistungsfähigkeit großer Unternehmen wird in Tarifverhandlungen häufig nicht ausgeschöpft. Hochproduktive Konzerne profitieren dann deutlich mehr von den für sie moderaten Lohnabschlüssen42. Bei kleineren Unternehmen führt angesichts des hohen Konkurrenz- und Kostendrucks nicht selten bereits die Sicherung des Reallohns an die Belastungsgrenze43. Für sie verwandeln sich tarifliche Mindestlöhne faktisch zu Höchstlöhnen, wodurch ihre Existenz nicht mehr nur durch das normale Insolvenzrisiko eines Marktes bedroht wird, sondern zunehmend gleichermaßen durch die Pauschalierungen des Flächentarifvertrags44.
kungen der Flächentarifvertrag der Metallindustrie für sie darstellte. In der DAG fand man 1994 einen Partner für einen Haustarif, der ein leistungs- und ertragsabhängiges Lohnsystem einführte, ohne die Lohnkosten in entsprechendem Umfang erhöhen zu müssen. 41 Zu den Einzelheiten und rechtlichen Problemen Rieble, NZA 2000, 225, 225 ff. 42 Lessner, RdA 2005, 285, 286. 43 Dazu Konzen, NZA 1995, 913, 917. 44 Zum Scheitern des Holzmann-Sanierungstarifvertrags aufgrund des Widerstands der Zentralverbände der Bauindustrie: Handelsblatt vom 6.12.1999, Nr. 236, S. 6 und Handelsblatt vom 27.1.2000, Nr. 19, S. 6.
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C. Schwächen betriebseinheitlicher Flexibilisierungsmodelle Deshalb gehen viele Unternehmen dazu über, sei es aus reiner Strategie oder – was häufiger vorkommt – getrieben von einer drohenden Existenzvernichtung, Wege zu suchen, der Flächentarifbindung zu entkommen. Im Vordergrund standen bisher neben sozialpartnerschaftlichen Lösungen, wie der Vereinbarung von tariflichen Öffnungsklauseln (dazu I) und dem Auflockern der Verbandstarifbindung durch den Abschluß von Firmentarifverträgen (dazu II), auch Modelle wie die Tarifflucht des Arbeitgebers (dazu III) und die Vereinbarung betrieblicher Bündnisse für Arbeit (dazu IV). Die bisher diskutierten, auf die gesamte Belegschaft bezogenen Flexibilisierungsinstrumente bieten allerdings kaum umfassende Lösungen oder sind zumindest häufig nicht sofort einsetzbar, wie der nachfolgende Überblick zeigt. I. Tarifvertragliche Öffnungsklauseln Zu den tarifsystemimmanenten Flexibilisierungsinstrumenten gehört zunächst die tarifvertragliche Öffnungsklausel, § 77 Abs. 3 Satz 2 BetrVG. Es handelt sich dabei um eine von den Tarifvertragsparteien selbst zuzulassende Öffnung des Tarifvertrags, die zugunsten der Betriebsparteien oder im Hinblick auf eine einheitsarbeitsvertragliche Regelung erfolgen kann45. Die Tarifvertragsparteien nehmen ihren Regelungsanspruch insoweit zurück. Sie verzichten auf die zwingende Wirkung ihrer Tarifbedingungen und geben in einem von ihnen selbst gezogenen Rahmen Abweichungen frei. Grundsätzlich steht damit ein beachtliches Flexibilisierungsinstrument zur Verfügung. Inhaltlich wird die Tariföffnung aber regelmäßig an eine desolate betriebswirtschaftliche Situation des Unternehmens gebunden; häufig geht es um die Abwendung einer konkret drohenden Insolvenz. Wenn sich die Öffnung aber nur innerhalb enger Grenzen bewegt, steht sie von vornherein nur als Nothilfeinstrument zur Verfügung46. Die Funktion eines umfassenden Flexibilisierungsinstruments kommt ihr daher nicht zu47. 45
Allgemein dazu Löwisch/Rieble, TVG, § 4 Rn. 202 ff. Zu Recht mahnt Gentz, in: FS Schaub, S. 205, 214, an, daß Tariföffnungen von den Voraussetzungen und dem Ausmaß her nicht so eng definiert sein sollten, daß davon praktisch kein Gebrauch gemacht werden kann. Kritisch auch Möschel, BB 2003, 1951, 1952. 47 Bei einer repräsentativen Befragung im Rahmen des IAB-Betriebspanels 2005 gaben nur 13 Prozent der befragten Betriebe mit Tarifbindung an, daß für sie Öff46
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Zudem besteht die Gefahr, daß die in Teilen gewonnene betriebliche Flexibilität mit einem höheren überbetrieblichen Tariflohnniveau bezahlt werden muß. Auf diese Weise wird die größere Bewegungsfreiheit einzelner mit einem höheren Gesamtlohnniveau erkauft. Das wäre kein Problem, wenn sich die Tarifabschlüsse an den schwächsten Betrieben orientieren würden, ihnen also der Charakter echter Mindestbedingungen zukäme. Das allerdings ist nicht der Fall, die Tarifabschlüsse orientieren sich an den leistungsfähigen Betrieben – man spricht auch von der Orientierung der Abschlüsse am „guten Durchschnitt“. Durch die Rückkoppelung von Öffnungsklauseln an das Gesamtniveau der Tarifverträge verschiebt sich das Problem also bestenfalls, löst es aber nicht. Das zentrale Problem tariflicher Öffnungsklauseln liegt jedoch darin, daß die Tarifkartelle mit der Tariföffnung Marktmacht verlieren. Wenn sie selbst ihren Regelungsanspruch zurücknehmen, verkleinert sich ihr Machtbereich. Dies überfordert vor allem die Gewerkschaften. Eine Dezentralisierung der Regelungskompetenz, so wird befürchtet, könnte das Potential von Tarifverhandlungen schwächen, auf der Betriebsebene Verfahrenspraktiken zu beeinflussen. Die spannungsreiche Interaktion zwischen betrieblicher und überbetrieblicher Ebene wird dabei häufig als „Nullsummenspiel“ gesehen: eine Verhandlungsebene verliert, was die andere gewinnt. Die Bereitschaft der Gewerkschaften, Tarifverträge auf diese Weise umfassend für eine flexible Gestaltung hinsichtlich der Arbeitszeit und des Entgeltes zu öffnen, ist deswegen gering48. II. Firmentarifverträge Steht die Öffnungsklausel als umfassendes Flexibilisierungsinstrument nicht zur Verfügung, stellt sich die Frage, ob der Abschluß von Firmentarifverträgen einen Ausweg bieten kann49. Rechtstechnisch ist das ohne weiteres möglich: im Verhältnis zum Flächentarifvertrag besteht Tarifkonkurrenz mit der Folge, daß der Firmentarifvertrag den Verbandstarifvertrag verdrängt50. Rechtlichen Bedenken ist das BAG wiederholt entgegen getreten: unerheblich sei insbesondere, ob der Manteltarifvertrag eine Öffnungsklausel für Firmentarifverträge enthalte. Auch Vertrauensschutzgesichtspunkte nungsklauseln im Tarifvertrag bestehen. Rund die Hälfte dieser Betriebe hatte davon Gebrauch gemacht. 48 Zum Ganzen auch Möschel, BB 2003, 1951, 1952. 49 Für firmenbezogene Verbandstarifverträge Matthes, in: FS Schaub, S. 477, 484, der allerdings dem Arbeitgeber die Tariffähigkeit aberkennt, wenn er einem Verband beitritt. Dagegen Schaub, NZA 1998, 617, 617. 50 Nur Löwisch/Rieble, TVG, § 4 Rn. 154, 209.
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stünden der Wirksamkeit von Firmentarifverträgen grundsätzlich nicht entgegen51. Grundsätzlich können Firmentarifverträge individualisierte Arbeitsbedingungen regeln und moderne Arbeitszeit- und Entgeltsysteme installieren. Gewerkschaften lassen sich den Abschluß aber regelmäßig „abkaufen“52. Deutlich machen das die Beispiele tariflicher Bonusforderungen, die häufig als Gegenleistung verlangt werden53. Die Tarifpolitik richtet sich insoweit danach aus, daß für einen Flächentarifdispens jedenfalls anderweitige organisationskraftstützende Vereinbarungen verlangt werden54. Wenn trotz allem die Gewerkschaften in letzter Zeit vereinzelt dazu bereit waren, Abweichungen zuzulassen, was ein gewisses Maß an Flexibilität gebracht hat, dürfte die Entwicklung jedenfalls nun wieder gegenläufig sein: wie die IGMetall nach der „BenQ-Pleite“ angekündigt hat, sollen Zugeständnisse in Zukunft wieder restriktiver gehandhabt werden55. Etwa sollen härtere Ausstiegsanforderungen gestellt werden. Gleichermaßen verhindert die Verbandsdisziplin im Arbeitgeberlager eine umfassende Öffnung, da ein Tarifdispens für notleidende Unternehmen von Arbeitgebern ohne Notlage als Wettbewerbsverzerrung empfunden wird56. Eine massenhafte Verbreitung steht im übrigen aufgrund der Verhandlungskosten nicht im Interesse der Verbände57. Alles in allem läßt sich festhalten, daß der theoretisch möglichen Flexibilisierung durch Haus- und Firmentarifverträge nur ein enger Spielraum verbleibt58. Inhaltlich handelt es sich immer um rein defensive Regelungen zur Krisenbewältigung59. Eine perspektivisch angelegte Konzeption, die Schwerpunkte des tariflichen Regelungsniveaus vom Flächen- auf den Fir51 Zuletzt BAG vom 23.3.2005 – 4 AZR 203/04 – AP Nr. 29 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz = EzA § 4 TVG Tarifkonkurrenz Nr. 18 = NZA 2005, 1003. 52 Nicht repräsentativ ist der Firmentarifvertrag bei der Volkswagen AG, in dem 20% über dem Flächentarifniveau liegende Löhne zugesagt wurden. Dies ist im Vergleich zur Konzernmutter Audi AG kaum nachvollziehbar und letztlich nur mit dem überdurchschnittlichen Organisationsgrad bei Volkswagen zu erklären. 53 Zu diesem Beispiel Gamillscheg, NZA 2005, 146, 150. 54 Zum klassischen Fall der Differenzierungsklausel oben § 2 B., S. 62 ff. 55 Direkt, Infodienst der IG-Metall vom 11.10.2006, S. 1. 56 Rechtliche Zweifel haben insbesondere Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille, S. 353, und ihm folgend Buchner, DB 2001, Beil. 9 zu Heft 48, S. 1, 1 ff., weil eine solche Differenzierung schwerlich den Prämissen des Verbandsbeitrittes eines Arbeitgebers entspricht, der von seinem Verband die gleichmäßige Wahrnehmung der Mitgliederinteressen erwarte. 57 Dazu Stein, RdA 2000, 129, 130; vgl. auch Schaub, NZA 1998, 617, 618. 58 Dieterich, RdA 2002, 1, 6, spricht von „Notausgängen“ bei unvorhergesehenen Problemlagen. 59 So auch die Einschätzung von Zachert, NZA Sonderbeil. 24/2000, S. 17, 19.
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mentarifvertrag zu verlagern, existiert nicht60. Die entscheidende tarifliche Gestaltungsebene bleibt der Flächentarifvertrag. III. Tarifausstieg Um Personalkosten zu senken oder jedenfalls flexibler auf wirtschaftliche Schwankungen reagieren zu können, hat sich ein zunehmender Trend hin zur Lösung vom Flächentarifvertrag entwickelt. Selbst der Ausstieg aus Haustarifverträgen ist ein zu beobachtendes Phänomen61. Das als „ganz große Öffnungsklausel“ bezeichnete Abstreifen der Tarifbindung gibt es in zwei Spielarten: denkbar ist der Austritt aus dem Arbeitgeberverband oder der bloße Wechsel in eine vorgehaltene OT-Mitgliedschaft bei gleichzeitigem Verbleib im Verband. Beides ist grundsätzlich zulässig: der Arbeitgeber entfaltet sich im Rahmen seiner negativen Koalitionsfreiheit, die es gewährleistet, die Regelung der Arbeitsbedingungen auch außerhalb von Koalitionen suchen zu können62. 1. Verbandsflucht Der Arbeitgeber kann grundsätzlich nicht am Austritt aus dem Arbeitgeberverband gehindert werden63. Von der Tarifbindung kann er sich aber nicht sogleich lösen, weil diese nach § 3 Abs. 3 TVG bestehen bleibt, bis der Tarifvertrag endet64 oder geändert wird65. Insoweit bleibt das Verbot, zuungunsten der Arbeitnehmer vom geltenden Tarifvertrag abzuweichen, 60 Zur Geschichte der insbesondere in den 60er Jahren mit anderer Zielsetzung von den Gewerkschaften verfolgten betriebsnahen Tarifpolitik Wieland, Recht der Firmentarifverträge, 1998, S. 7 ff.; zusammenfassend aus der Sicht der 70er Jahre v. Hoyningen-Huene, ZfA 1980, 453, 455 ff. 61 Caspers, in: FS Löwisch, S. 45 f.; Löwisch, RdA 1999, 69, 69 ff. 62 Löwisch, in: FS 25 Jahre Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht im DAV, S. 941, 949; Rieble, in: Bitburger Gespräche, Jahrbuch 1998, S. 109, 110. 63 Bei Gewerkschaften hat der BGH die Höchstaustrittsfrist mit Blick auf die negative Koalitionsfreiheit auf sechs Monate beschränkt, BGH vom 22.9.1980 – II ZR 34/80 – AP Nr. 33 zu Art. 9 GG = NJW 1981, 340. Für Arbeitgeberverbände fehlen Entscheidungen, hier kann aber nichts anderes gelten, Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rn. 46. Offen gelassen von BAG vom 1.12.2004 – 4 AZR 55/04 – AP Nr. 12 zu § 3 TVG Verbandsaustritt = EzA § 3 TVG Verbandsaustritt Nr. 1 = NZA 2005, 645. 64 Der maßgebliche Zeitpunkt, an dem der Tarifvertrag endet, wird in der Praxis häufig – und für den Arbeitgeber unkalkulierbar – dadurch hinausgeschoben, daß die Verhandlungen über einen Neuabschluß ohne vorherige Kündigung des Tarifvertrags durchgeführt werden. 65 BAG vom 27.9.2001 – 2 AZR 236/00 – AP Nr. 40 zu § 4 TVG Nachwirkung = EzA § 2 KSchG Nr. 44 = NZA 2002, 750.
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erst einmal bestehen. Die zeitlich unbefristete Tariffortgeltung birgt Probleme, weil verschiedene Tarifverträge mit eigenen Laufzeiten unterschiedlich lange anzuwenden sind. Dies führt dazu, daß der Arbeitgeber an Mantel- und Rahmentarifverträge gebunden bleibt, während er von – regelmäßig nicht länger als auf zwei Jahre befristeten – Entgelttarifverträgen bereits frei ist. Die Laufzeit von Manteltarifverträgen kann dagegen bis zu 10 Jahre betragen. Daß das einen effektiven Systemwechsel erheblich erschwert, wird zu Recht moniert66. Es entspricht aber der geltenden Rechtslage. Als sofort einsetzbares Flexibilisierungsinstrument steht die Verbandsflucht damit nicht zur Verfügung67. Vorteile kann sie allenfalls langfristig bringen. Mit dem Ende der Tarifgebundenheit endet für den ausgetretenen Arbeitgeber außerdem die verbandstarifvertragliche Friedenspflicht; ab diesem Zeitpunkt trägt er das volle Arbeitskampfrisiko68. Gewerkschaften verlangen von ausgetretenen Arbeitgebern in der Regel einen Anerkenntnistarifvertrag69. Verweigert sich der Arbeitgeber – was naheliegt, war doch das Ziel des Austritts, die Tarifbindung loszuwerden – steht der Gewerkschaft das Streikrecht zu. Schon die Androhung eines Streiks, der allein das eigene Unternehmen trifft, kann zum Nachgeben zwingen70. Gibt der Arbeitgeber nach und schließt einen Haustarifvertrag, der auf den Verbandstarifvertrag verweist, schützt ihn selbst das nicht vor einem Arbeitskampf. Auch wenn ein solcher Tarifvertrag besteht, kann der Arbeitgeber nach der Rechtsprechung in einen Verbandsarbeitskampf einbezogen werden71. Schutz genießt er nur insoweit, als daß er nicht mit weitergehenden Forderungen, als den auf der Verbandsebene gestellten, überzogen werden kann72.
66 Dazu Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1554 ff., der die Befristung der Tariffortgeltung nach § 3 Abs. 3 TVG auf ein Jahr vorschlägt. Ähnlich auch Konzen, NZA 1995, 913, 920. Zu Manteltarifverträgen mit stufenweiser Verkürzung der Arbeitszeit Bauer, in: FS Schaub, S. 19, 29 f. 67 Ebenso Wank, NZW 1996, 2273, 2279, vgl. auch Krauss, DB 1996, 528, 529; zu den Problemen, wenn lediglich einzelne Tarifbestimmungen geändert werden Kast/Stuhlmann, BB 2000, 614, 617. 68 Bauer, in: FS Schaub, S. 29, 23; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 304; Schleusener, BB 1999, 684, 684 ff.; für das Ende der Friedenspflicht bereits ab dem Zeitpunkt des Austritts LAG Hamm vom 31.1.1991 – 16 Sa 119/91 – EzA § 1 TVG Friedenspflicht Nr. 8 = LAGE § 1 TVG Friedenspflicht Nr. 7. 69 Kleinebrink, DB 2007, 518, 518. 70 Möschel, BB 2005, 490, 492; ders., BB 2003, 1951, 1952. 71 BAG vom 18.2.2003 – 1 AZR 142/02 – AP Nr. 163 zu Art. 9 GG Arbeitskampf = EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 135 = NZA 2003, 866. 72 BAG vom 18.2.2003 – 1 AZR 142/02 – AP Nr. 163 zu Art. 9 GG Arbeitskampf = EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 135 = NZA 2003, 866.
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2. Wechsel in die OT-Mitgliedschaft Der Wechsel in eine OT-Mitgliedschaft entbindet ebenfalls nicht von den aufgezeigten Folgen. Die privatautonome Erklärung der Tarifautonomie73 führt zwar mittlerweile zum richtigen Verständnis des § 3 Abs. 1 TVG, wonach Mitglieder der Tarifvertragsparteien nur solche sind, die in Tarifangelegenheiten durch den Verband repräsentiert werden wollen74. OT-Mitglieder, die sich nicht der Verbandstarifmacht unterwerfen, sind deshalb nicht gemäß § 3 Abs. 1 TVG an die Verbandstarifverträge gebunden75. Die OT-Mitgliedschaft ist dennoch kein sofort einsetzbares Flexibilisierungsinstrument. Hinsichtlich der auch hier zunächst fortgeltenden Tarifregelungen bringt der Wechsel keine Vorteile, da ebenso die Nachbindung des § 3 Abs. 3 TVG greift76. Auch am Arbeitskampfrisiko ändert sich nichts. Zwar haben OT-Mitglieder das Recht, daß ihnen der Verband beratend zur Seite steht. Auf finanzielle Unterstützung, wie sie Vollmitglieder bei einer Flächentarifvertragsauseinandersetzung erhalten würden, können sie aber nur hoffen, wenn die Streikforderungen über den Verbandstarifvertrag hinausgehen und präjudizierend auf verbandstarifliche Regelungen wirken können77. Im Regelfall gehen die Streikforderungen aber nicht über den Verbandstarifvertrag hinaus, so daß OT-Mitglieder grundsätzlich das volle Arbeitskampfrisiko tragen. IV. Betriebliche Bündnisse für Arbeit Wie sich gezeigt hat, steht der Tarifvertrag als Gestaltungsinstrument für eine umfassende Flexibilisierung der Arbeitsbedingungen nicht oder nur bedingt zur Verfügung. Die Abkehr vom Tarifsystem bietet desgleichen keine sofortige Lösung und ist mit der unkalkulierbaren Fortgeltung des Tarifvertrags und dem Arbeitskampfrisiko belastet. Deshalb richtet sich der Blick zunehmend auf die betriebliche Ebene. Das erscheint naheliegend, ist sie doch die nächst niedrigere Regelungsebene, die zudem sämtliche Arbeitnehmer in ihren Regelungsbereich auf73
Ausführlich oben § 1 B. II. 4. c), S. 31 f. BAG vom 18.7.2006 – 1 ABR 36/05 – AP Nr. 19 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit = EzA § 2 TVG Tarifzuständigkeit Nr. 10 = NZA 2006, 1225; vgl. auch BAG vom 23.2.2005 – 4 AZR 186/04 – AP Nr. 42 zu § 4 TVG Nachwirkung = EzA § 3 TVG Verbandsaustritt Nr. 2; mit Bespr. Wilhelm/Dannhorn, NZA 2006, 466, 466 ff. 75 Seit jeher Wiedemann/Wiedemann, TVG, § 3 Rn. 137; jetzt auch Buchner, NZA 2006, 1377, 1380. 76 Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rn. 86. 77 Dazu Buchner, NZA 1995, 761, 767. 74
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nimmt. Eine Regelung qua Betriebsvereinbarung bietet außerdem den Vorteil, daß sie unmittelbar und zwingend auf die Arbeitsverhältnisse einwirkt, ohne daß eine einzelvertragliche Umsetzung erforderlich wäre. Das erhebliche Bedürfnis der Praxis an sogenannten „Bündnissen für Arbeit“ zeigt eine bereits 1999/2000 durchgeführte Umfrage des WSI, in der 30% der befragten Unternehmen angaben, entsprechende Vereinbarungen geschlossen zu haben78. Dieser Anteil dürfte inzwischen noch gestiegen sein79. Inhaltlich wird zumeist ein erweiterter Bestandsschutz gegen Lohnverzicht oder die Verlängerung der Arbeitszeit vorgesehen. Darauf gerichtete Betriebsvereinbarungen scheitern allerdings an der Regelungssperre des § 77 Abs. 3 BetrVG80. Daran ändert auch die diese Vorschrift ignorierende Praxis nichts81. Selbst der Regelungsabrede ist im betriebseinheitlichen Kontext kein weiterer Regelungsspielraum eröffnet. Nach der Rechtsprechung des BAG steht der tarifschließenden Gewerkschaft sogar ein deliktischer Unterlassungsanspruch gegen den Arbeitgeber zu, wenn dieser in Umsetzung einer Regelungsabrede durch eine betriebliche Einheitsregelung inhaltlich gegen den Tarifvertrag verstößt82. Das soll nach der zitierten Rechtsprechung ebenso nicht tarifgebundene Arbeitnehmer betreffen, wenn der Arbeitgeber nach seiner Zielvorgabe die gesamte Belegschaft erfassen wollte83. Das BAG versagt solchen betrieblichen Bündnissen die Günstigkeit im Sinne des § 4 Abs. 3 TVG mit dem Hinweis, es fehle an einer gesetzlichen Grundlage, um spezielle betriebliche Interessenlagen in das Prüfungsprogramm des Günstigkeitsvergleichs aufzunehmen84. Selbst wenn der Günstigkeitsvergleich an sich „neutral“ ausfällt, was insbesondere moderne Arbeitszeitgestaltungen betrifft, scheitert die Regelung, wenn nach dem vom BAG vorgenommenen Sachgruppenvergleich keine Vergleichbarkeit vorliegt. Nach dieser Interpretation ist eine Besserstellung nur dann anzunehmen, wenn der Lohn höher oder die Arbeitszeit kürzer ausfallen als im 78
Vgl. die Angaben bei Brecht/Höland/Reim, AuR 2002, 127, 127. Vgl. Dieterich, RdA 2002, 1, 6; Kort, in: FS 50 Jahre BAG, S. 753, 755. 80 Buchner, DB 1997, 573, 573 ff. 81 Nach Angaben von Gentz, Vorstandsmitglied der Daimler AG, gebe es kaum noch Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie, die nicht bewußt gegen Tarifverträge verstießen und entsprechende Vereinbarungen mit den Betriebsräten geschlossen hätte, in: FS Schaub, S. 205, 206. 82 BAG vom 20.4.1999 – 1 ABR 72/98 – AP Nr. 89 zu Art. 9 GG = EzA Art. 9 GG Nr. 65 = NZA 1999, 887. 83 Darauf ist ausführlich unten unter § 5 C., S. 251 ff., zurückzukommen. 84 BAG vom 20.4.1999 – 1 ABR 72/98 – AP Nr. 89 zu Art. 9 GG = EzA Art. 9 GG Nr. 65 = NZA 1999, 887. 79
D. Flexibilisierungschancen durch Zweiteilung der Belegschaft
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Tarifvertrag vereinbart. Das Interesse der Arbeitnehmer an einer Beschäftigungssicherung bleibt ausgeklammert. Auch wenn das in der arbeitsrechtlichen Literatur zu Recht kritisiert wird85, ist die Rechtsprechung des BAG für die Praxis maßgebend. Trotz des hohen praktischen Bedürfnisses kann rechtssicher auf betrieblicher Ebene weder eine betriebseinheitliche Absenkung der Arbeitskosten noch eine Flexibilisierung der Arbeitsbedingungen vorgenommen werden. Die Zustimmung von Belegschaft und Betriebsrat hilft da nicht weiter, da die Gewerkschaft jedenfalls einen eigenen Unterlassungsanspruch hat.
D. Flexibilisierungschancen durch Zweiteilung der Belegschaft Da das Tarifsystem und die betriebliche Regelungsebene keine hinreichenden Flexibilisierungsmöglichkeiten bieten, zumindest einer betriebseinheitlichen und gleichsam organisierte und nichtorganisierte Arbeitnehmer erfassenden Lösung enge Grenzen gezogen sind, richtet sich der Blick weg von dem tradierten kollektiven Einheitsdenken auf den Tarif- und Außenseiterwettbewerb86. Wenn dadurch individualisierte und am konkreten Bedarf ausgerichtete Arbeitsbedingungen zumindest für einen Teil der Belegschaft – immerhin stellen die Außenseiter den weit überwiegenden Teil87 – erreicht werden können, ist kein zwingender Grund ersichtlich, den Flächentarifvertrag auf die gesamte Belegschaft zu erstrecken. Alternativen sind die Individualautonomie der nicht- und die kollektive Privatautonomie der anders organisierten Arbeitnehmer. Voraussetzung ist, daß sich die Arbeitgeber nicht länger hinter Vorbehalten verschanzen, die nur als Relikte einer überholten Verbindung marxistischer Problemdiagnosen mit genossenschaftsideologischen Therapieideen verständlich sind88. Das praktizierte System der Lohnfindung befindet sich auch bereits im Umbruch: war es in Westdeutschland bis Anfang der 1990er Jahre noch selbstverständlich, daß Löhne und Arbeitsbedingungen 85 Zur Kritik an der Rechtsprechung des BAG Löwisch/Rieble, TVG, § 4 Rn. 326 ff.; Rieble, ZfA 2004, 1, 50 ff. 86 Darauf weisen mit unterschiedlicher Akzentsetzung in der aktuellen Flexibilisierungsdebatte insbesondere hin Kast/Stuhlmann, BB 2000, 614, 617; Junker, NZA 1997, 1305, 1314 f.; Möschel, BB 2003, 1951, 1952 f., Picker, in: Walter-Raymond-Stiftung (Hrsg.), Tarifautonomie – Informationsgesellschaft – globale Wirtschaft, S. 113, 146 ff.; Reuter, RdA 1991, 193, 202 f.; mit Blick auf den Tarifwettbewerb Franzen, RdA 2001, 1, 1 ff. 87 Dazu oben § 1 D. I. 1., S. 43 ff. 88 So pointiert Reuter, RdA 1991, 193, 202.
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§ 3 Innerbetrieblicher Kollektiv- und Systemwettbewerb
brancheneinheitlich geregelt und daß alle Beschäftigten einem Flächentarifvertrag unterstellt waren, ist die Situation in West- und Ostdeutschland heute schon durch eine größere Differenzierung und Dezentralisierung gekennzeichnet. I. Tariföffnung durch abweichende Tarifbindung (Tarifwettbewerb) Zum einen bietet der in der Koalitionsfreiheit angelegte Tarifwettbewerb die Möglichkeit, mit den anders koalierten Arbeitnehmern als zu starr empfundene Flächentarifbindungen aufzuweichen. Insbesondere die christlichen Gewerkschaften bieten häufig flexiblere Tarifbedingungen an als die Flächentarifverträge der DGB-Gewerkschaften. Die Rechtsprechung scheint zwar bisher noch beherrscht von der Vorstellung, daß nur einheitliche Tarifbedingungen Gerechtigkeit schaffen würden, weswegen der Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb erfunden wurde89. Die dahinterstehende Fiktion einer verbandsrechtlichen oder gar organisationsrechtlichen Einheit der Belegschaft gibt es so aber nicht, weshalb die Rechtsprechung des BAG auch überwiegend auf Kritik stößt und der Grundsatz der Tarifeinheit über kurz oder lang der verfassungskonformen Zulassung einer Tarifpluralität im Betrieb weichen muß, die nach dem Grundgedanken der Koalitionsfreiheit jedem Koalitionsangehörigen das Recht zugesteht, die Anwendung „seines“, für ihn kraft Gesetzes verbindlichen Tarifvertrags, zu verlangen90. Daß sich die Tariflandschaft insofern bereits in einem strukturellen Wandel befindet, belegen die Entscheidungen des BAG zur Tariffähigkeit der Gewerkschaften UFO91 und CGM92. Auch die in den letzten Jahren durch verschiedene Berufsgruppen- und Spartengewerkschaften geführten Arbeitskämpfe – etwa von den Gewerkschaften GdF93, GdL94 und Marburger 89
BAG vom 14.6.1989 – 4 AZR 200/89 – AP Nr. 16 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz = EzA § 4 TVG Tarifkonkurrenz Nr. 4; BAG vom 5.9.1990 – 4 AZR 59/90 – AP Nr. 19 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz = EzA § 4 TVG Tarifkonkurrenz Nr. 5 = NZA 1991, 202; dem Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb zustimmend Buchner, in: FS 50 Jahre BAG, S. 631, 631 ff.; Meyer, NZA 2006, 1387, 1387 ff.; Säcker/ Oetker, ZfA 1993, 1, 1 ff. 90 Ausführlich zur rechtlichen Bewertung von Tarifeinheit und Tarifpluralität unten § 4, S. 177 ff. 91 BAG vom 14.12.2004 – 1 ABR 51/03 – AP Nr. 1 zu § 2 TVG Tariffähigkeit = EzA § 2 TVG Nr. 27 = NZA 2005, 697. 92 BAG vom 28.3.2006 – 1 ABR 58/04 – AP Nr. 4 zu § 2 TVG Tariffähigkeit = EzA § 2 TVG Nr. 28 = NZA 2006, 1112. 93 LAG Hessen vom 22.7.2004 – 9 SaGa 593/04 – AP Nr. 168 zu Art. 9 GG Arbeitskampf = NZA-RR 2005, 262; LAG Rheinland-Pfalz vom 22.6.2004 – 11 Sa 2096/03 – AP Nr. 169 zu Art. 9 GG Arbeitskampf.
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Bund95 – zeigen, daß das Thema Gewerkschaftskonkurrenz und Tarifpluralität in der Praxis zunehmend an Bedeutung gewinnt96. II. Tariföffnung durch fehlende Tarifbindung (Außenseiterwettbewerb) Ein weit größeres Flexibilisierungspotential bietet der Außenseiterwettbewerb. Ausgangspunkt ist der mit der Tarifbindung des Arbeitgebers korrespondierende Gegenpol: die Tarifbindung der Arbeitnehmer. Zu einer Tarifanwendung auf nicht- oder anders koalierter Arbeitnehmer ist der Arbeitgeber rechtlich nicht verpflichtet. Ihm steht es vielmehr frei, tarifliche oder davon abweichende individuelle Arbeitsbedingungen zu vereinbaren97. Die Zweiteilung der Belegschaft ist im Tarifrecht klar angelegt98. Der Außenseiterwettbewerb99 – die von den Tarifkartellen unabhängige Gestaltung der Arbeitsbedingungen – wird jedoch kaum gesehen, das Flexibilisierungspotenzial der Belegschaften gleichsam nicht genutzt. Die Einsicht, daß die Außenseiterkonkurrenz nicht – wie die tradierte Genossenschaftsideologie suggeriert – ein Fremdkörper im Tarifvertragssystem ist, harrt im deutschen Arbeitsrecht vielfach noch der Anerkennung. Schuld daran trägt aber nicht das Tarifvertragssystem, sondern der einzelne Arbeitgeber. Wer weiterhin „blind“ Bezugnahmeklauseln vereinbart – weil das schon immer so war – darf sich nicht über mangelnde Flexibilität beklagen. Die Rechtsordnung kann Freiheit nur schaffen, ihre Aufgabe ist es nicht, den Akteuren aufzugeben, wie sie sich innerhalb bestehender Freiräume „richtig“ oder „zweckmäßig“ verhalten100. Wenn Wiedemann dem nichtorganisierten Arbeitnehmer im deutschen Arbeitsrecht nur eine Nebenrolle zugesteht, richtet sich sein Blick freilich auf 94 LAG Hessen vom 2.5.2003 – 9 SaGa 636/03 – NZA 2003, 679; ArbG Düsseldorf vom 1.8.2007 – 11 Ga 74/07 – nicht veröffentlicht [juris]; ArbG Nürnberg vom 1.8.2007 – nicht veröffentlicht [juris]; ArbG Chemnitz vom 5.10.2007 – 7 Ga 26/07 – nicht veröffentlicht [juris]. 95 LAG Köln vom 12.12.2005 – 2 Ta 457/05 – AP Nr. 171 zu Art. 9 GG Arbeitskampf = NZA 2006, 62; ArbG Kiel vom 30.6.2006 – 1 Ga 11b/06 – ArbuR 2006, 373 = ZTR 2006, 488. 96 Im einzelnen dazu unten § 4, S. 177 ff. 97 Zu den rechtlichen Grenzen ausführlich unten § 6, S. 257 ff. 98 Dazu oben § 1, S. 23 ff. 99 Möschel, BB 2003, 1951, 1952 f.; Picker, in: Walter-Raymond-Stiftung (Hrsg.), Tarifautonomie – Informationsgesellschaft – globale Wirtschaft, S. 113, 146 ff.; Reuter, RdA 1991, 193, 202 f.; ders., ZfA 1995, 1, 1; Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1548; ders., in: GS Heinze, S. 687, 693 ff. 100 Rieble, in: Bitburger Gespräche: Jahrbuch 1998, S. 109, 110.
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das Tarifrecht, wenn er ausführt, daß Nichtorganisierte im Rahmen der Betriebsnormen und der betriebsverfassungsrechtlichen Vorschriften als „Mitläufer“ und bei der Allgemeinverbindlicherklärung als „Destinatäre“ eingestuft werden101. Unter diesem Blickwinkel kann das auch gar nicht anders sein, hat sich der Außenseiter doch gerade gegen das Tarifsystem entschieden. Die Rolle des Außenseiters ist aber nicht vom Blickwinkel des Tarifrechts zu bestimmen, sondern auf Grundlage seiner, durch Art. 12 Abs. 1 GG garantierten, Arbeitsvertragsautonomie102. Diese verdient Schutz, auch und vor allem vor der Bevormundung durch die Tarifvertragsparteien. Die Zuweisung einer Nebenrolle steht zudem nicht im Einklang mit den Mitgliederzahlen der Gewerkschaften: die Belegschaften bestehen heute zu rund 80% aus nichtorganisierten Arbeitnehmern103. Schon deshalb liegt es nahe, Außenseiter nicht in den Schatten der Verbände zu stellen und ihren Regelungsanspruch auf die globale Verweisung auf Tarifverträge zu reduzieren. Gerade der Außenseiter bietet sich an, das „Tarifkartell“ zu verlassen und abweichende, am individuellen Bedarf des Betriebs ausgerichtete Arbeitsbedingungen zu vereinbaren. „Außenseiter“ ist der nichtorganisierte Arbeitnehmer nur im Tarifvertragssystem, nicht aber in bezug auf die Gestaltung seiner Arbeitsbedingungen. 1. Betriebliche Regelungsebene In Abkehr vom tariflichen Lohnfindungssystem folgt in der Normenhierarchie die betriebliche Ebene, auf der Arbeitsbedingungen einheitlich gestaltet werden können. Der Vorteil besteht immerhin darin, daß der betrieblichen Mitbestimmung bereits genügt ist und daß die Arbeitsbedingungen unmittelbar ohne die Notwendigkeit einer einzelvertraglichen Umsetzung Anwendung finden, wenn die Regelung qua Betriebsvereinbarung erfolgt. Eine kollektive Regelung durch Betriebsvereinbarung führte außerdem dazu, daß die Betriebsparteien Herren ihrer Regelung blieben und diese jederzeit ändern könnten, ohne daß es einer Änderung der Arbeitsverträge bedürfte104. Gegen eine betriebliche Regelung bestehen gleichwohl Bedenken, weil die Betriebspartner nicht für eine umfassend Regelfindung legitimiert sind. Die Betriebsverfassung ist eine gesetzlich geschaffene Zwangskorporation105; die Regelungsmacht muß dementsprechend begrenzt sein106. Zu be101 102 103 104 105 106
Wiedemann, RdA 2007, 65, 65. Ausführlich § 6 A., S. 258 ff. Vgl. oben § 1 D. I. 1., S. 43 f. Statt aller Richardi/Richardi, BetrVG, § 77 Rn. 174. Richardi, NZA 1999, 617, 621. Ausführlich zur betrieblichen Regelungsbefugnis unter § 5 A., S. 209 ff.
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denken ist zudem, daß der korporationsideologisch gerechtfertigte Kollektivismus im wesentlichen unverändert bliebe, wenn man zur Flexibilisierung eine Entmachtung der Gewerkschaften durch die Betriebsräte forderte107. 2. Arbeitsvertragliche Regelungsebene Im Vordergrund muß daher die arbeitsvertragliche Gestaltung stehen108. Nimmt man die Individualautonomie und die Entscheidung der nicht koalierten Arbeitnehmer, sich nicht der Kartellmacht der Tarifvertragsparteien zu unterwerfen, ernst, bietet sich der Weg zur Vereinbarung flexibler Arbeitsbedingungen durch Arbeitsvertragsgestaltung mit den Außenseitern geradezu an. Sie sind der „geborene Partner“ für eine flexible Gestaltung des Lohnes sowie aller anderen materiellen Vertragskonditionen109. Einen Hinweis darauf, insbesondere auf einen Ausweg für betriebliche Bündnisse für Arbeit, hat das BAG vor allem im viel diskutierten Burda-Beschluß gegeben110. Gleichwohl wird die Möglichkeit, mit Außenseitern andere Arbeitsbedingungen zu vereinbaren, von Arbeitgebern häufig falsch bewertet. Wenig sinnvoll ist es freilich, ihnen deutlich schlechtere Arbeitsbedingungen anzubieten als die vom Tarifvertrag vorgesehenen, weil dies die Gefahr eines verstärkten Gewerkschaftsbeitritts nach sich zöge111. Der Außenseiterwettbewerb bietet aber umfassende Möglichkeiten für eine flexible Gestaltung der Arbeitsbedingungen112. Der Vorteil des Arbeitsvertrags liegt darin, daß er unabhängig von Kollektivmächten vereinbart werden kann. Daß dennoch kein freies Spiel der Kräfte stattfindet, wird noch zu zeigen sein113. Entscheidend ist aber, daß sich die in Ausgleich zu bringenden Interessen auf die Parteien des Arbeitsvertrags konzentrieren und Organisationsegoismus und kollektive Machteinflüsse außen vor bleiben. 107
Richardi, ZfA 2003, 655, 685 ff. Ehmann, in: Krise des Flächentarifvertrags?, S. 17, 24. 109 Hanau, RdA 1998, 65, 70; Junker, NZA 1997, 1305, 1314; Möschel, BB 2005, 490, 493; Picker, in: Walter-Raymond-Stiftung (Hrsg.), Tarifautonomie – Informationsgesellschaft – globale Wirtschaft, S. 113, 146 ff.; vgl. auch ArbG Marburg vom 7.8.1996 – 1 BV 6/96 – NZA 1996, 1331 = BB 1996, 2198. 110 BAG vom 20.4.1999 – 1 ABR 72/98 – AP Nr. 89 zu Art. 9 GG = EzA Art. 9 GG Nr. 65 = NZA 1999, 887. 111 Möschel, BB 2003, 1951, 1952, weist allerdings darauf hin, daß dies wenig realistisch ist, da sich die schon recht niedrigen Organisationsgrade auf wenige Branchen und zudem eher auf Großbetriebe konzentrieren. 112 Rieble, NZA Sonderbeil. 3/2000, 34, 36 ff. 113 Ausführlich zur Arbeitsvertragsgestaltung mit tariflichen Außenseitern unten § 6, S. 257 ff. 108
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§ 3 Innerbetrieblicher Kollektiv- und Systemwettbewerb
3. Systembildung Entscheidet sich der Arbeitgeber für eine Zweiteilung der Belegschaft, erfordert das die Errichtung eines eigenständigen Arbeitszeit- und Entgeltsystems, das ab einem bestimmten Stichtag auf alle tariffreien Arbeitnehmer Anwendung findet. Auf die praktische Umsetzung114 und die rechtlichen Schranken115 der auf arbeitsvertraglicher Grundlage basierenden Belegschaftsteilung ist ausführlich zurückzukommen. Denkbar ist außerdem, daß ein Arbeitszeit- und Entgeltsystem zunächst nur für neu eingestellte Arbeitnehmer eingeführt wird, wobei nicht tarifgebundene Arbeitnehmer freiwillig unter Änderung ihrer Arbeitsverträge beitreten können. Neben einer vom bestehenden Tarifsystem völlig losgelösten Vergütungsordnung kommen schließlich Mischsysteme in Betracht. So besteht die Möglichkeit, nur von einzelnen Regelungen des Tarifvertrags abzuweichen, etwa bei gleichem Lohn individualvertraglich statt der 35- eine 38- oder 40-Stunden-Woche zu vereinbaren. Zudem kann darüber nachgedacht werden, ob für den Fall, daß der Tarifvertrag eine Verteilung der Arbeitszeit vorsieht, nur diese ausgeschlossen wird, um dem Unternehmen mehr Flexibilität einzuräumen. III. Erhalt der verbandstariflichen Vorteile Ein Wechsel von der einheitlichen Tarifanwendung zu einer dezentralen Entgeltfindung für die tariffreien Arbeitnehmer bei Verbleib im Arbeitgeberverband und Aufrechterhaltung der Tarifbindung gegenüber den organisierten Arbeitnehmern bietet neben dem Flexibilisierungsgewinn weitere Vorzüge: neben den Vorteilen der Verbandsmitgliedschaft bleibt insbesondere die verbandstarifliche Friedenspflicht erhalten. Die Gewerkschaft kann ein verbandsangehöriges Unternehmen während eines laufenden Verbandstarifvertrags nicht in einen Arbeitskampf zwingen. Die Rechtsprechung läßt zwar auch Arbeitskämpfe um Haustarifverträge zu116. Die verbandstarifliche Friedenspflicht schützt aber vor einem Streik, der auf den Abschluß eines auf dieselbe Regelungsmaterie gerichteten Haustarifvertrags gerichtet ist. Vor allem üblicherweise tariflich geregelte Gegenstände wie Arbeitsentgelt und Arbeitszeit sind während des Laufs des 114
Zur Umsetzbarkeit der Systementscheidung § 8 B., S. 365 ff. Zur Belegschaftsteilung auf arbeitsvertraglicher Grundlage § 6, S. 257 ff. 116 BAG vom 10.12.2002 – 1 AZR 96/02 – AP Nr. 162 zu Art. 9 GG Arbeitskampf = EzA Art. 9 Arbeitskampf Nr. 134 = NZA 2003, 734. Dagegen wendet sich Reuter, NZA 2001, 1097, 1104 f., der den verbandsangehörigen Arbeitgeber als nicht tariffähig ansieht. 115
D. Flexibilisierungschancen durch Zweiteilung der Belegschaft
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Verbandstarifvertrags nicht haustariflich erzwingbar117. Erst wenn der Arbeitgeber aus dem Verband austritt oder in eine OT-Mitgliedschaft wechselt, kann ein Firmentarifvertrag erzwungen werden118. IV. Standardisierung und sozialer Frieden Von den Verbänden wird häufig vorgetragen, daß der Flächentarifvertrag (und dessen einheitliche Anwendung) vor allem Vorteile eines Standardisierungsgewinns böten119. Dem ist allerdings entgegenzuhalten, daß dieser Vorteil in Zeiten der EDV-gestützten Lohnbuchhaltung und Personalwirtschaft kaum noch entscheidend ins Gewicht fällt120. Daß andererseits die Schaffung eines eigenständigen Lohnfindungssystems Aufwand bedeutet, kann nicht in Abrede gestellt werden. Dieser Aufwand ist aber nicht so gewichtig, daß er den Arbeitgeber zur einheitlichen Tarifanwendung zwingen würde. Im übrigen führen auch differenzierte Arbeitszeiten und übertarifliche Lohnbestandteile zu der Notwendigkeit, differenzierte Verdienstabrechnungen zu erstellen121. Unterschiedliche Arbeitsbedingungen und Arbeitszeiten für Teilzeitbeschäftigte, Auszubildende oder werdende Mütter lösen auch keine Forderungen nach einer Vereinheitlichung aus. Letztlich steht der Wunsch nach Standardisierung im Widerspruch zur geforderten Flexibilisierung. Individuell ausgerichtete Arbeitsbedingungen sind das Gegenteil von standardisierten und am überschlagenen Bedarf einer ganzen Branche orientierten Arbeitsbedingungen, wie sie der Flächentarifvertrag vorgibt. Wer flexible Arbeitsbedingungen will, kann nicht gleichzeitig die Annehmlichkeiten der Standardisierung und Vereinheitlichung einfordern. Vielmehr gilt: wer sich Vorteile aus dem innerbetrieblichen Systemwettbewerb verspricht, muß den damit verbundenen Aufwand tragen. Es bleibt der Einwand, der Arbeitgeber würde durch die unterschiedliche Bezahlung Unfrieden in der Belegschaft stiften122. Auch dies erscheint in117 Lobinger, RdA 2006, 12, 14; Löwisch, in: FS 25 Jahre Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht im DAV, S. 941, 947 f.; zur Zulässigkeit der kampfweisen Durchsetzung von Sozialplantarifforderungen: BAG vom 24.4.2007 – 1 AZR 252/06 – AP Nr. 2 zu § 1 TVG Sozialplan = NZA 2007, 987 = BB 2007, 2235. 118 s. bereits oben § 3 C. III., S. 165 f. 119 Vgl. Eich, NZA 2006, 1014, 1019 f. 120 Etwa Bayreuther, BB 2005, 2633, 2640; Thüsing/von Medem, ZIP 2007, 510, 515. 121 So auch LAG Brandenburg vom 17.3.1995 – 5 Sa 671/94 – LAGE Nr. 3 zu § 4 TVG Nachwirkung. 122 Etwa Schaub, BB 1996, 1058, 1058.
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§ 3 Innerbetrieblicher Kollektiv- und Systemwettbewerb
dessen wenig plausibel, wenn die gewerkschaftsangehörigen Arbeitnehmer nur eine kleine, im Einzelfall verschwindend kleine Minderheit darstellen123. Ebenso ist das Verständnis von Gewerkschaften als einziges Disziplinierungsinstrument zur Gewährleistung des sozialen Friedens nicht belegt. Es spricht sogar mehr für die gegenteilige Annahme, daß es die Organisation ist, welche eine Unfriedlichkeit von Gewicht und Dauer erst ermöglicht124.
123 124
Möschel, BB 2003, 1951, 1952. Möschel, BB 2005, 490, 491.
§ 4 Tarifpluralität als Grundlage der Belegschaftsteilung A. Belegschaftsteilung in Organisierte und anders Organisierte Die auf die jeweiligen Mitglieder der tarifschließenden Verbände begrenzte Tarifmacht schafft nach den Grundsätzen des Koalitions- und Tarifrechts prima facie die Möglichkeit eines innerbetrieblichen Tarifwettbewerbs1. So ergibt sich aus der gesetzlichen Konzeption der §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 Satz 1 TVG eine Belegschaftsteilung nicht nur in Organisierte und Nichtorganisierte, sondern darüber hinaus in organisierte und anders organisierte Arbeitnehmer. Hier geht es mithin nicht um die bloße Geltung des Gestaltungsmittels Tarifvertrag auf der einen und die Nichtgeltung auf der anderen Seite, sondern um die konkurrierende Geltung mehrerer Tarifverträge in einem Betrieb. Ist der Arbeitgeber Verbandsmitglied, kann entweder sein Verband einen unternehmensbezogenen Verbandstarifvertrag mit einer weiteren Gewerkschaft schließen, der Arbeitgeber in einen weiteren Arbeitgeberverband eintreten, der seinerseits mit einer anderen Gewerkschaft kontrahiert, oder der Arbeitgeber schließt einen Haustarifvertrag ab. Die Initiative muß nicht vom Arbeitgeber ausgehen, auch den anders organisierten Arbeitnehmern und ihren Koalitionen steht es frei, sich im Wege ihrer Koalitionsbetätigung auf abweichende Tarifforderungen zu berufen. Dies wird in jüngerer Zeit vor allem von Belegschaftsteilen genutzt, die sich mit ihren Interessen von den Einheitsgewerkschaften nicht ausreichend vertreten fühlen, und denen aufgrund von Schlüsselpositionen im Unternehmen genug eigene Durchsetzungsmacht zukommt.
B. Koalitionspluralität und Koalitionswettbewerb Ausgangspunkt für die rechtliche Bewertung der Zulässigkeit des innerbetrieblichen Tarifwettbewerbs ist das Verfassungsgut der Koalitionsfreiheit. Sie schützt neben der freien Koalitionsbildung die daraus erwachsenden Koalitionen selbst in ihrem Bestand, in ihrer organisatorischen Ausgestal1 Zum innerbetrieblichen Kollektiv- und Systemwettbewerb bereits oben § 3, S. 153 ff.
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§ 4 Tarifpluralität als Grundlage der Belegschaftsteilung
tung und in ihrer koalitionsspezifischen Betätigung2. Aus der Freiheit zur Koalitionsbildung und -betätigung selbst folgt das Prinzip der Koalitionspluralität und des Koalitionswettbewerbs. Geschützt ist nicht nur der Antagonismus und der Wettbewerb der sozialen Gegenspieler, sondern gleichsam der Wettbewerb zwischen den jeweiligen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden3. Der Entfaltung dieses Koalitionswettbewerbs versuchte die Rechtsprechung indessen stets Einhalt zu gebieten: schon auf der Ebene der Tariffähigkeit4. Extrem hohe Anforderungen an die soziale Mächtigkeit5 und die Überbetrieblichkeit6, die hier gefordert wurden, etablierten beträchtliche Marktzugangshürden für konkurrierende Regelungsanbieter. Auf diese Weise ist es gerade den DGB-Gewerkschaften eine Zeitlang erfolgreich gelungen, sich mißliebige Gewerkschaftskonkurrenz vom Hals zu halten7. Eine derartige Marktabschottung konnte freilich nicht von Dauer sein, weil damit jeder auch nur halbwegs effektive Koalitionspluralismus verhindert wurde8. Zwischenzeitlich kommt die Rechtsprechung nicht mehr umhin, zunehmend Konkurrenzorganisationen anzuerkennen. Als Meilenstein auf diesem Weg gilt der CGM-Beschluß, in dem das BAG zur Einsicht gelangt ist, daß die Probleme, die Tarifkonkurrenzen zweifelsohne auslösen, nicht durch überhöhte Anforderungen an die Tariffähigkeit zu lösen sind9. Die 2 BVerfG vom 26.6.1991 – 1 BvR 779/85 – AP Nr. 117 zu Art. 9 GG Arbeitskampf = EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 97; BVerfG vom 4.7.1995 – 1 BvF 2/86 – AP Nr. 4 zu § 116 AFG = EzA § 116 AFG Nr. 5. 3 Dazu Scholz, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. VI, § 151 Rn. 67; Jacobs, Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz, S. 416 f.; Kraft, RdA 1992, 161, 168 f.; Konzen, RdA 1978, 146, 153 f. 4 Siehe die Rechtsprechungsübersicht bei Wiedemann/Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 383. 5 BAG vom 15.3.1977 – 1 ABR 16/75 – AP Nr. 24 zu Art. 9 GG mit abl. Anm. Wiedemann = EzA § 2 TVG Nr. 12; BAG vom 14.3.1978 – 1 ABR 2/76 – AP Nr. 30 zu § 2 TVG = DB 1978, 1279; BAG vom 25.11.1986 – 1 ABR 22/85 – AP Nr. 36 zu § 2 TVG = EzA § 2 TVG Nr. 17 = NZA 1987, 492; BAG vom 16.1.1990 – 1 ABR 93/88 – AP Nr. 38 zu § 2 TVG = EzA § 2 TVG Nr. 19 = NZA 1990, 626. 6 Für die vollständige Aufgabe dieses Kriteriums Löwisch/Rieble, TVG, § 2 Rn. 52. 7 Vgl. BAG vom 25.11.1986 – 1 ABR 22/85 – AP Nr. 36 zu § 2 TVG = EzA § 2 TVG Nr. 17 = NZA 1987, 492; BAG vom 16.1.1990 – 1 ABR 93/88 – AP Nr. 38 zu § 2 TVG = EzA § 2 TVG Nr. 19 = NZA 1990, 626; BAG vom 16.1.1990 – 1 ABR 10/89 – AP Nr. 39 zu § 2 TVG = EzA § 2 TVG Nr. 18 = NZA 1990, 623. 8 Zur Kritik Franzen, RdA 2001, 1, 6 f.; Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1856 f. 9 BAG vom 28.3.2006 – 1 ABR 58/04 – AP Nr. 4 zu § 2 TVG Tariffähigkeit = EzA § 2 TVG Nr. 28 = NZA 2006, 1112 (unter B. III. 3. b) bb) (1) (a) der Gründe).
C. Tarifpluralität und Tarifwettbewerb als Folge
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jahrelangen Versuche der IG Metall, die CGM im Wege einer „Konkurrentenklage“ zu beseitigen, sind damit endgültig gescheitert10. Das ist ohne weiteres als Gewinn für den Wettbewerb der tariflichen Regelungsanbieter zu begrüßen und nährt die Hoffnung, daß sich das BAG nunmehr auch im Hinblick auf die Tarifpluralität im Grundsatz zum Prinzip des freien Wettbewerbs bekennen wird.
C. Tarifpluralität und Tarifwettbewerb als Folge Die unweigerliche Folge des Koalitionswettbewerbs ist ein Nebeneinander mehrerer Tarifverträge. Wenn mehrer tarifliche Regelwerke auf normative Anwendung harren, kommt es zu Überschneidungen bei der Tarifanwendung. Dies kann sich entweder auf ein konkretes Arbeitsverhältnis oder auf unterschiedliche Arbeitsverhältnisse – wenn auch innerhalb desselben Betriebs – beziehen. Terminologisch wird zwischen Tarifkonkurrenz im Arbeitsverhältnis und Tarifpluralität im Betrieb unterschieden11. I. „Echte“ Tarifkonkurrenz im Arbeitsverhältnis „Echte“ Tarifkonkurrenz liegt vor, wenn zwei oder mehr Tarifverträge, die die gleiche Materie regeln, auf ein konkretes Arbeitsverhältnis einwirken12. Das Arbeitsverhältnis muß dabei in den räumlichen, sachlichen, persönlichen und zeitlichen Geltungsbereich dieser Tarifverträge fallen und beide Arbeitsvertragsparteien müssen tarifgebunden sein. Die Folge ist eine auf das konkrete Arbeitsverhältnis bezogene Tarifkollision. Handelt es sich um Tarifverträge derselben Gewerkschaft, ergibt häufig allerdings schon die Auslegung, daß nur ein Tarifvertrag anwendbar ist 10 Die Gewerkschaftseigenschaft der CGM wurde erstmals im Jahr 1972 rechtskräftig festgestellt durch das ArbG Stuttgart vom 4.2.1972 – EzA zu Art. 9 GG Nr. 9. Mit Beschluß vom 6.6.2000 – 1 ABR 21/99 – AP Nr. 9 zu § 97 ArbGG 1979 hob das BAG die Entscheidung wieder auf. Nach dem das ArbG Stuttgart am 12.9.2003 – 15 BVerfGG 250/96 – NZA-RR 2004, 540 die Gewerkschaftseigenschaft der CGM verneint und das LAG Baden-Württemberg am 1.10.2004 – 4 TaBV 1/04 – NZA-RR 2005, 85 diese bejaht hatte, wurde sie vom BAG am 28.3.2006 – 1 ABR 58/04 – AP Nr. 4 zu § 2 TVG Tariffähigkeit endlich festgestellt. 11 Dazu m. w. Nachw. Jacobs, Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz, S. 95 ff. 12 BAG vom 14.6.1989 – 4 AZR 200/89 – AP Nr. 16 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz = EzA § 4 TVG Tarifkonkurrenz Nr. 4; BAG vom 22.9.1993 – 10 AZR 207/ 92 – AP Nr. 21 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz = EzA § 4 TVG Tarifkonkurrenz Nr. 8 = NZA 1994, 667; Däubler/Zwanziger, TVG, § 4 Rn. 923; Kempen/Zachert/ Wendeling-Schröder, TVG, § 4 Rn. 150; Löwisch/Rieble, TVG, § 4 TVG Rn. 115; Kraft, RdA 1992, 161, 163.
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§ 4 Tarifpluralität als Grundlage der Belegschaftsteilung
– so liegt es in der Regel bei den zahlreichen Tarifverträgen im Baugewerbe. Ergibt die Auslegung dagegen, daß an sich mehrere Tarifverträge einschlägig sind, kann sich nur einer durchsetzen. Rechtsprechung und Schrifttum gehen insoweit einhellig vom Prinzip der Tarifeinheit im Arbeitsverhältnis aus13. Hilfsweise Auslegungsregel ist das Spezialitätsprinzip. Entscheidend ist, welcher Tarifvertrag nach seinem Geltungsbereich am nächsten steht14. Handelt es sich um Tarifverträge verschiedener Gewerkschaften, soll derselbe Grundsatz gelten, diesmal nicht als Auslegungs-, sondern als Normenkollisionsregel15. Übersehen wird dabei allerdings, daß das Spezialitätsprinzip als Normenkollisionsregel nur tauglich ist, wenn es sich um Rechtsnormen desselben Normgebers handelt16. Vorzugswürdig ist deshalb eine am Normzweck orientierte Wertung, bei der die Besonderheiten der einzelnen Fallgruppen besser berücksichtigt werden können17. Im Ergebnis bleibt es freilich bei der Tarifeinheit im Arbeitsverhältnis, wenn auch die Normenkollision unterschiedlich gelöst wird. In ein und demselben Arbeitsverhältnis können niemals zwei oder mehr Tarifverträge gleichzeitig zur Anwendung kommen. Dasselbe Rechtsverhältnis kann nicht unterschiedlichen tariflichen Normbefehlen unterstehen. Abzulehnen ist insbesondere auch eine Lösung über das Günstigkeitsprinzip, wodurch dem Arbeitnehmer eine Art „Rosinenpicken“ gestattet würde18. Bei einem Aufeinandertreffen ranggleicher Regelungen kann das Günstigkeitsprinzip grundsätzlich keine sachgerechte Lösung bieten19. Bei mehreren auf ein Arbeitsverhältnis anwendba13 BAG vom 29.3.1957 – 1 AZR 208/55 – BAGE 4, 37, 40; AP Nr. 4 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz; BAG vom 24.9.1975 – 4 AZR 471/74 – AP Nr. 11 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz = EzA § 4 TVG Tarifkonkurrenz Nr. 1; BAG vom 20.3.1991 – 4 AZR 455/90 – AP Nr. 20 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz = EzA § 4 TVG Tarifkonkurrenz Nr. 7 = NZA 1991, 736; BAG vom 4.12.2002 – 10 AZR 113/02 – AP Nr. 28 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz = EzA § 4 TVG Tarifkonkurrenz Nr. 17 = NZA 2003, 632; BAG vom 23.3.2005 – 4 AZR 203/04 – AP Nr. 29 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz = EzA § 4 TVG Tarifkonkurrenz Nr. 18 = NZA 2005, 1003; Däubler/Zwanziger, TVG, § 4 Rn. 925 ff.; Löwisch/Rieble, TVG, § 4 Rn. 140; Wiedemann/Wank, TVG, § 4 Rn. 279; Buchner, in: FS 50 Jahre BAG, S. 631, 632; Jacobs, Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz, S. 242 ff.; Konzen, RdA 1978, 151, 154; Kraft, RdA 1992, 161, 164. 14 Etwa BAG vom 22.9.1993 – 10 AZR 207/92 – AP Nr. 21 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz = EzA § 4 TVG Tarifkonkurrenz Nr. 8 = NZA 1994, 667. 15 BAG vom 20.3.1991 – 4 AZR 455/90 – AP Nr. 20 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz = EzA § 4 TVG Tarifkonkurrenz Nr. 7 = NZA 1991, 736. 16 Löwisch/Rieble, TVG, § 4 Rn. 142. 17 Dazu Jacobs, in: Jacobs/Krause/Oetker, Tarifvertragsrecht, S. 470 ff. 18 Das Günstigkeitsprinzip als Normenkollisionsregel für die Auflösung echter Tarifkonkurrenzen im Arbeitsverhältnis wird nur vereinzelt vertreten: etwa Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1493 f.
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ren Tarifverträgen ist somit stets einem der Vorzug zu geben, der die Konkurrenzregelungen verdrängt. Darüber besteht in Rechtsprechung und Lehre noch weitgehend Einigkeit. II. „Bloße“ Tarifpluralität im Betrieb Ein Fall der bloßen Tarifpluralität im Betrieb liegt vor, wenn nicht mehrere Tarifverträge gleichzeitig auf ein einzelnes Arbeitsverhältnis einwirken, sondern zwei oder mehr Tarifverträge nebeneinander für verschiedene Arbeitsverhältnisse auf normative Geltung harren. Anknüpfungspunkt für die Kollisionslage ist nicht das einzelne Arbeitsverhältnis, sondern der Betrieb. Während der Arbeitgeber an mehrere Tarifverträge gebunden ist, findet für die Arbeitnehmer je nach Tarifbindung nur einer Anwendung. Voraussetzung ist, daß für mindestens ein Arbeitsverhältnis die Vorschriften eines Tarifwerks normativ gelten, während auf mindestens ein anderes Arbeitsverhältnis die Normen eines anderen Tarifvertrags unmittelbar und zwingend einwirken20. Praktisch wird das regelmäßig bei Abschluß eines Haustarifvertrags mit einer Konkurrenzgewerkschaft. Für die Arbeitnehmer kommt es dadurch zu keiner Normenkollision im Arbeitsverhältnis, während der Arbeitgeber an mehrere Tarifverträge gebunden ist.
D. Rechtsprechung des BAG zur Tarifpluralität Auch wenn es bei Tarifvertragsschluß konkurrierender Verbände nach den §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 Satz 1 TVG zur normativen Geltung mehrerer Tarifverträge kommen müßte, bedeutet das noch nicht, daß die erstrebten Tarifregelungen tatsächlich zur Anwendung gelangen. Vielmehr läßt das BAG einen auf Gewerkschaftspluralismus fußenden Tarifwettbewerb im Betrieb entgegen der tarifrechtlichen Grundregel bisher nicht zu.
19 Gegen die Anwendung des Günstigkeitsprinzips auch Bayreuther, Tarifautonomie als kollektiv ausgeübte Privatautonomie, S. 357 f.; Band, Tarifkonkurrenz, S. 165 ff.; Gamillscheg, Kollektives ArbeitsR, Bd. I, S. 755; Löwisch/Rieble, in: FS Schaub, S. 457, 464 f.; Waas, Tarifkonkurrenz und Tarifpluralität, S. 135 ff.; Wiedemann/Wank, TVG, § 4 Rn. 291. 20 BAG vom 20.3.1991 – 4 AZR 455/90 – AP Nr. 20 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz = EzA § 4 TVG Tarifkonkurrenz Nr. 7 = NZA 1991, 736; BAG vom 26.1.1994 – 10 AZR 611/92 – AP Nr. 22 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz = EzA § 4 TVG Tarifkonkurrenz Nr. 9 = NZA 1994, 1038; Däubler/Zwanziger, TVG, § 4 Rn. 940; Löwisch/Rieble, TVG, § 4 Rn. 125; Wiedemann/Wank, TVG, § 4 Rn. 280; Kraft, RdA 1992, 161, 164.
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I. Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb Das BAG löst die Tarifpluralität im Betrieb bisher wie die Fälle einer Tarifkonkurrenz im Arbeitsverhältnis nach dem Spezialitätsgrundsatz auf21. In ständiger Rechtsprechung wendet es auch hier den Grundsatz der Tarifeinheit an, obgleich bezogen auf den Betrieb keine regelungsbedürftige Normenkollision vorliegen kann. Obzwar der Arbeitgeber an mehrere Tarifverträge gebunden ist, löst das BAG die auf Gewerkschaftspluralismus fußende Tarifpluralität auf, so daß jeweils nur ein Tarifvertrag im Betrieb zur Anwendung kommt. Ein Nebeneinander zweier oder mehrerer Tarifverträge sei nicht möglich. Es setzt sich der Tarifvertrag durch, der dem Betrieb räumlich, fachlich und persönlich am nächsten steht und, so das BAG, deshalb den Erfordernissen und Eigenarten des Betriebs am ehesten gerecht würde22. Verbandstarifverträge werden stets von Haustarifverträgen verdrängt23, selbst, wenn der Verbandstarif allgemeinverbindlich ist24. Die Gewerkschaftszugehörigkeit der Arbeitnehmer spielt keine Rolle. Zur Begründung heißt es: Der Grundsatz der Tarifeinheit habe zwar im Tarifvertragsgesetz keinen Niederschlag gefunden, folge aber aus den übergeordneten Prinzipien der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit; die Anwendung mehrerer Tarifverträge in einem Betrieb führe zu praktischen, kaum lösbaren Schwierigkeiten25. II. Konsequenzen der Tarifeinheit im Betrieb 1. Keine Chance für Minderheitsgewerkschaften Der von der Rechtsprechung propagierte Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb führt zu weitreichenden Konsequenzen. Allen voran schränkt er Be21
BAG vom 20.3.1991 – 4 AZR 455/90 – AP Nr. 20 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz = EzA § 4 TVG Tarifkonkurrenz Nr. 7 = NZA 1991, 736; BAG vom 26.1.1994 – 10 AZR 611/92 – AP Nr. 22 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz = EzA § 4 TVG Tarifkonkurrenz Nr. 9 = NZA 1994, 1038; BAG vom 4.12.2002 – 10 AZR 113/02 – AP Nr. 28 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz = EzA § 4 TVG Tarifkonkurrenz Nr. 17 = NZA 2003, 632; BAG vom 14.12.2004 – 1 ABR 51/03 – AP Nr. 1 zu § 2 Tariffähigkeit = EzA § 2 TVG Nr. 27 = NZA 2005, 697. 22 St. Rspr., nur BAG vom 23.3.2005 – 4 AZR 203/04 – AP Nr. 29 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz = EzA § 4 TVG Tarifkonkurrenz Nr. 18 = NZA 2005, 1003. 23 BAG vom 24.1.2001 – 4 AZR 655/99 – AP Nr. 173 zu § 1 TVG Tarifverträge: Metallindustrie = EzA § 4 TVG Tarifkonkurrenz Nr. 14 = NZA 2001, 788. 24 Grundlegend BAG vom 20.3.1991 – 4 AZR 455/90 – AP Nr. 20 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz = EzA § 4 TVG Tarifkonkurrenz Nr. 7 = NZA 1991, 736. 25 Der BAG-Rechtsprechung stimmen zu Buchner, in: FS 50 Jahre BAG, S. 631, 637; Meyer, DB 2006, 1271, 1271 ff.; Säcker/Oetker, ZfA 1993, 1, 1 ff.
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tätigungsmöglichkeiten weniger etablierter Gewerkschaften stark ein und unterbindet den Wettbewerb der tariflichen Regelungsanbieter26. Die Tarifeinheit wirft Minderheitsgewerkschaften letztlich auf den Status einer nicht tariffähigen Vereinigung zurück27. Ihr Tarifvertrag kommt auch nicht deswegen zur Anwendung, weil er im Wortsinne „spezieller“ wäre. Nicht der Tarifvertrag mit dem engsten persönlichen Geltungsbereich setzt sich durch, es kommt vielmehr darauf an, welcher Tarifvertrag die meisten Arbeitnehmer erfaßt, und zwar schon, um zu verhindern, daß die Mehrheit der Arbeitnehmer ohne Tarifschutz bleibt28. Deshalb sind die UFO-Tarifverträge für das Kabinenpersonal weniger speziell als ver.di-Tarifverträge, die sich an alle in der Luftfahrt tätigen Arbeitnehmer richten. Trotz Anerkennung der Gewerkschaftseigenschaft, mit der sich zwischenzeitlich die CGM29 und die UFO30 rühmen dürfen, liegt darin also kaum ein Zugewinn an Koalitionsfreiheit, wenn die von ihnen abgeschlossenen Tarifverträge nicht zur Anwendung gelangen. Insofern handelt es sich bei dem Kriterium der sozialen Mächtigkeit31 und dem Grundsatz der Tarifeinheit um austauschbare Marktbeschränkungen, die gleichermaßen einen Wettbewerb der tariflichen Regelungsanbieter verhindern. 2. Kein Tarifschutz für anders Organisierte Im Ergebnis bleiben Tarifverträge der anders organisierten Arbeitnehmer, die sich nicht durchsetzen, gänzlich unbeachtet. Für sie entsteht ein tariffreier Raum32. Tarifschutz könnten sie nur durch den Beitritt zur konkurrierenden Gewerkschaft erlangen. Der frei gewählte Tarifschutz bleibt ihnen aber verwehrt. Das heißt: Trotz tariflicher Mehrfachbindung des Arbeitgebers können anders organisierte Arbeitnehmer nicht unter den verschiedenen gewerkschaftlichen Regelungsanbietern auswählen. Wird ein sich nach den Regeln der Tarifeinheit durchsetzender Tarifvertrag zeitlich nach einem bislang im Betrieb anzuwendenden Tarifvertrag abgeschlossen, verlieren anders koalierte Arbeitnehmer sogar nachträglich ihren Tarifschutz. Augenscheinlich wird gerade hier der Widerspruch zu der vom BAG mit dem Tarifeinheitsprinzip postulierten Rechtssicherheit und 26
Franzen, ZfA 2007, 191, 203. Bayreuther, BB 2005, 2633, 2640. 28 Bayreuther, BB 2005, 2633, 2639. 29 BAG vom 28.3.2006 – 1 ABR 58/04 – AP Nr. 4 zu § 2 TVG Tariffähigkeit = EzA § 2 TVG Nr. 28 = NZA 2006, 1112. 30 BAG vom 14.12.2004 – 1 ABR 51/03 – AP Nr. 1 zu § 2 TVG Tariffähigkeit = EzA § 2 TVG Nr. 27 = NZA 2005, 697. 31 Vgl. oben § 4 B., S. 177 f. 32 Franzen, RdA 2001, 1, 8; Lindemann/Simon, BB 2006, 1852, 1853 f. 27
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Rechtsklarheit. Damit läßt es sich schwerlich vereinbaren, daß auf beiderseitiger Mitgliedschaft beruhende Tarifbindungen nachträglich und allein durch die Entscheidung des Arbeitgebers verdrängt werden können. 3. Verdrängung von Flächentarifverträgen Durch den Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb wird schließlich auch die Möglichkeit eröffnet, die Geltung eines Flächentarifvertrags zu sperren, indem ein Haustarifvertrag oder ein unternehmensbezogener Verbandstarifvertrag abgeschlossen wird, denen dann die Eigenschaft zukommt, spezieller zu sein als der Flächentarifvertrag33. Dagegen wird man kaum einwenden können, daß darin eine zweckwidrige oder gar mißbräuchliche Verwendung der Institute des Haus- oder des unternehmensbezogenen Verbandstarifvertrags läge34. Der betreffenden Gewerkschaft kommt klar das Recht zu, für ihre Mitglieder entsprechende Tarifverträge abzuschließen. Die Verdrängung des Flächentarifvertrags läßt sich ihr auch nicht zurechnen. Dem Flächentarif für anders organisierte Arbeitnehmer zur Geltung verhelfen kann nur die Zulassung des Tarifpluralismus. III. Zugelassene Ausnahmen vom Prinzip der Tarifeinheit In letzter Linie konsequent hält auch die Rechtsprechung die Tarifeinheit nicht durch. Im Laufe der Zeit ist es zu immer mehr Konstellationen gekommen, in denen das BAG keine auflösungsbedürftige Tarifpluralität mehr annimmt. Fast scheint es, als würde sich das BAG ganz vorsichtig von den skizzierten Grundsätzen abwenden35. Zum einen geht es um die Luftfahrtbrache, in der für das Kabinen- und das Cockpitpersonal unterschiedliche Tarifverträge gelten. Hier akzeptiert das BAG im Ergebnis unterschiedliche Arbeitszeiten für verschieden organisierte Arbeitnehmer36. Außerdem soll die Tarifeinheit nicht im Verhältnis von Arbeitnehmern und Angestellten gelten. Hier hat es das BAG akzeptiert, daß im Ergebnis für Angestellte ein anderer Tarifvertrag anzuwenden 33 BAG vom 4.4.2001 – 4 AZR 237/00 – AP Nr. 26 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz = EzA § 3 TVG Nr. 22 = NZA 2001, 1085; BAG vom 20.3.1991 – 4 AZR 455/90 – AP Nr. 20 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz = EzA § 4 TVG Tarifkonkurrenz Nr. 7 = NZA 1991, 736. 34 Löwisch, in: FS 25 Jahre Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht im DAV, S. 941, 943. 35 So Franzen, RdA 2001, 1, 8 und Kempen/Zachert/Wendeling-Schröder, TVG, § 4 Rn. 153. 36 BAG vom 11.2.2004 – 4 AZR 94/03 – NZA 2005, 655.
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ist37. Ähnliches gilt für nach § 1 Abs. 3 AEntG allgemeinverbindliche Tarifverträge: diese sollen nicht von Firmentarifverträgen verdrängt werden38. Auch ein gemäß § 4 Abs. 5 TVG nachwirkender Tarifvertrag tritt nach Ansicht des BAG nicht in eine nach dem Grundsatz der Tarifeinheit aufzulösenden Tarifkonkurrenz zu einem regulär geltenden Tarifvertrag39. Ernüchternd wirkt hier freilich der Umstand, daß bei Anwendung des Grundsatzes der Tarifeinheit eine kleinere, nicht repräsentative Gewerkschaft profitiert hätte. Im Ergebnis wurde ein nachwirkender IG-Metall-Tarifvertrag nicht von einem Tarifvertrag der Christlichen Metallgewerkschaft verdrängt40. Gegen den Grundsatz der Tarifeinheit hat sich das BAG schließlich bei, im Rahmen eines Betriebsübergangs gemäß § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB fortgeltenden, Tarifverträgen entschieden41. Deren Ablösung setzt die beiderseitige Tarifgebundenheit an den im Erwerberbetrieb geltenden Tarifvertrag voraus. Ist das – wie regelmäßig – nicht der Fall, gelten beide Tarifverträge, wenn auch auf verschiedener dogmatischer Grundlage. Nach dem Grundsatz der Tarifeinheit müßte die Tarifpluralität aufgelöst werden. Auch wenn all diese Ausnahmen je für sich einzeln erklärt werden könnten, wird unabhängig von diesem dogmatischen Ansatz eines deutlich: die aufzulösende Tarifpluralität hat sich mittlerweile vom Regelfall zum Sonderfall entwickelt42. Damit fehlt dem Grundsatz aber die notwendige Einheitlichkeit und es kommt zu Wertungswidersprüchen. Warum sollte etwa ein nach § 4 Abs. 5 TVG nachwirkender Tarifvertrag im Wege der Tarifpluralität angewendet, ein nach § 3 Abs. 3 TVG fortgeltender Tarifvertrag dagegen verdrängt werden43. Die Nachwirkung wäre stärker als die echte Tarifbindung. 37 BAG vom 26.1.1994 – 10 AZR 611/92 – AP Nr. 22 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz = EzA § 4 TVG Tarifkonkurrenz Nr. 9 = NZA 1994, 1038. 38 Dazu BAG vom 18.10.2006 – 10 AZR 576/05 – AP Nr. 287 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau = EzA § 4 TVG Bauindustrie Nr. 128; s. auch den Anfragebeschluß des Neunten Senats BAG vom 9.9.2003 – 9 AZR 478/02 – nicht veröffentlicht [juris]; sowie den Beschluß BAG vom 13.5.2004 – 10 AS 6/04 – IBR 2004, 462, in dem sich der Senat der Auffassung des Neunten Senats anschließt. 39 BAG vom 28.5.1997 – 4 AZR 546/95 – AP Nr. 26 zu § 4 TVG Nachwirkung = EzA § 4 TVG Nachwirkung Nr. 23 = NZA 1998, 40. 40 BAG vom 28.5.1997 – 4 AZR 546/95 – AP Nr. 26 zu § 4 TVG Nachwirkung = EzA § 4 TVG Nachwirkung Nr, 23 = NZA 1998, 40; BAG vom 28.5.1997 – 4 AZR 545/95 – AP Nr. 27 zu § 4 TVG Nachwirkung = AR-Blattei ES 1550.12 Nr. 3b. 41 BAG vom 21.2.2001 – 4 AZR 18/00 – AP Nr. 20 zu § 4 TVG = EzA § 613a BGB Nr. 195 = NZA 2001, 1318. 42 So die Einschätzung von Thüsing/von Medem, ZIP 2007, 510, 510 f.
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IV. Abschied von der Tarifeinheit im Betrieb? Nicht zuletzt aufgrund dieser Wertungswidersprüche wird der Abschied des BAG vom Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb erwartet44. Praktisch aufgegeben sieht die Tarifeinheitsrechtsprechung selbst der ehemalige Vorsitzende des Vierten Senats Günther Schaub, der daran noch maßgeblich beteiligt war45. Eine Gelegenheit zur endgültigen Verabschiedung bot sich am 21.3.2007, auf den mehrere Verfahren (4 ABR 19/06 u. a.) über Rechtsbeschwerden gegen Entscheidungen des LAG Baden-Württemberg, das die Tarifpluralität noch aufgelöst hatte, terminiert waren. Vielfach wurde erwartet, daß der Vierte Senat grundlegend zur Tarifeinheit Stellung nehmen würde. Dazu kam es gleichwohl nicht, weil die Klägerin die, den Entscheidungen zugrunde liegenden, Zustimmungsersetzungsanträge zu Umgruppierungen in ein konkurrierendes tarifliches Vergütungssystem zurückgenommen hat und die Verfahren daraufhin erledigt wurden. Die Aufgabe der Tarifeinheitsrechtsprechung wird vor allem in Zusammenhang mit den Entscheidungen des BAG und des LAG Baden-Württemberg in Sachen UFO und CGM gesehen. Wenn sich die bislang restriktive Rechtsprechung zur Tariffähigkeit in Richtung einer verstärkten Anerkennung von Konkurrenzgewerkschaften bewegt, spricht viel dafür, daß sich das auch auf die notwendige Folge der Tarifpluralität auswirken könnte. Öffnen die Gerichte den Kreis der tariffähigen Gewerkschaften, ebnen sie damit den Weg für einen potentiellen Koalitionswettbewerb. Dafür sprechen auch Ausführungen des BAG in der UFO-Entscheidung, wonach der Grundstein für die Lehre der Tarifeinheit „noch unter Berufung auf die vom BVerfG mittlerweile nicht mehr vertretene Kernbereichstheorie“ gelegt wurde46. Das läßt vermuten, daß sich beim BAG hinsichtlich der Koalitionsfreiheit nunmehr eine andere Bewertung durchgesetzt hat47. 43 Zu diesem Wertungswiderspruch Bauer/Meinel, NZA 2000, 181, 183; Willemsen/Kalb/Henssler, Arbeitsrecht Kommentar, § 4 TVG Rn. 46. 44 Bayreuther, BB 2005, 2633, 2639; Hanau, in: Münchener Handbuch ArbeitsR, Bd. 1, § 62 Rn. 33; Rieble, BB 2003, 1227, 1228; Lindemann/Simon, BB 2006, 1852, 1852 ff.; Thüsing/von Medem, ZIP 2007, 510 ff. 45 Schaub, in: ErfK, 1. Aufl., § 4 TVG Rn. 103. Zur Entwicklung des Tarifrechts in der Rechtsprechung des Vierten Senats unter Günter Schaub: Etzel, in: FS Schaub, S. 173, 173 ff. 46 BAG vom 14.12.2004 – 1 ABR 51/03 – AP Nr. 1 zu § 2 TVG Tariffähigkeit = EzA § 2 TVG Nr. 27 = NZA 2005, 697 (unter B. III. 2. h) der Gründe). 47 Etwa BAG vom 14.6.1989 – – 4 AZR 200/89 – AP Nr. 16 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz = EzA § 4 TVG Tarifkonkurrenz Nr. 4; BAG vom 20.3.1991 – 4 AZR 455/90 – AP Nr. 20 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz = EzA § 4 TVG Tarifkonkurrenz Nr. 7 = NZA 1991, 736.
E. Kritik und Plädoyer für die Tarifpluralität im Betrieb
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Hinzu kommt die Aufgabe der tradierten Bezugnahmerechtsprechung48. Mit der Auslegungsregel der Gleichstellungsabrede wurde ebenso das Ziel einer möglichst einheitlichen Tarifanwendung verfolgt. Wenn auch auf arbeitsvertraglicher Grundlage sollte der jeweils normativ im Betrieb einschlägige Tarifvertrag zur Geltung gebracht werden. Trotz Nachvollziehbarkeit dieser Zielsetzung beugt sich das BAG nunmehr vertragsrechtlichen Grundsätzen mit der Folge, daß arbeitsvertraglich auf einen Tarifvertrag verwiesen sein kann, der normativ im Betrieb keine Anwendung findet49. Auf der gleichen Linie läge die Verabschiedung der auf den Betrieb bezogenen Tarifeinheit.
E. Kritik und Plädoyer für die Tarifpluralität im Betrieb Während das Bild in der Instanzrechtsprechung nicht ganz einheitlich ist, die meisten Instanzgerichte aber dem Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb folgen50, stößt er in der Literatur seit langem auf fast allgemeine Ablehnung51. Die Kritik richtet sich im wesentlichen darauf, daß es für das Postulat der Tarifeinheit keine Rechtsgrundlage gibt (I) und darin ein Eingriff in die Koalitionsfreiheit liegt (II). Einer genauen Betrachtung bedürfen schließlich die angeführten „Praktikabilitätserwägungen“, die in der Lage sein sollen, die gesetzlich angeordnete Tarifgeltung in Frage zu stellen (III). 48 Dazu die Ankündigung der Rechtsprechungsänderung BAG vom 14.12.2005 – 4 AZR 536/04 – AP Nr. 39 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag = EzA § 3 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 32 = NZA 2006, 607, sowie BAG vom 18.4.2007 – 4 AZR 652/05 – AP Nr. 53 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag = EzA § 3 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 35 = NZA 2007, 965. 49 Dazu oben § 1 D. II. 2. b), S. 50. 50 Abweichend LAG Niedersachsen vom 14.6.1989 – 14 Sa 1783/89 – LAGE Nr. 1 zu § 4 TVG Tarifpluralität; LAG Niedersachsen vom 12.11.1999 – 3 Sa 780/ 99 – LAGE Nr. 3 zu § 4 TVG Tarifpluralität; LAG Bremen vom 28.8.1990 – 1 Sa 67/90 – LAGE Nr. 2 zu § 4 TVG Tarifpluralität; LAG Brandenburg vom 17.3.1995 – 5 Sa 671/94 – LAGE Nr. 3 zu § 4 TVG Nachwirkung. 51 Aus der jüngeren Literatur Band, Tarifkonkurrrenz, Tarifpluralität und der Grundsatz der Tarifeinheit, S. 119 ff.; Bayreuther, BB 2005, 2633, 2640; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1502 ff.; ders., Anm. zu AP Nr. 169 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Franzen, in: ErfK, § 4 TVG Rn. 71 f.; ders., RdA 2001, 1, 7 f.; Jacobs, Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz, S. 351 ff.; Kempen/Zachert/Wendeling-Schröder, TVG, § 4 Rn. 156 ff.; Konzen, RdA 1978, 146, 146 ff.; Kraft, RdA 1992, 161, 161 ff.; Löwisch/Rieble, TVG, § 4 Rn. 132 ff.; Rieble, BB 2003, 1227, 1227 ff.; Thüsing/von Medem, ZIP 2007, 510, 510 ff.; Waas, Tarifkonkurrenz und Tarifpluralität, S. 123 ff.; Wiedemann/Wank, TVG, § 4 Rn. 278. Die Tarifeinheit im Betrieb verteidigen Buchner, in: FS 50 Jahre BAG, S. 631, 631 ff.; ders., ZfA 2004, 229, 246 ff.; Hromadka, in: GS Heinze, S. 383, 383 ff.; Meyer, DB 2006, 1271, 1271 ff.; ders., NZA 2006, 1387, 1387 ff.; Säcker/Oetker, ZfA 1993, 1, 1 ff.
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I. Fehlende Rechtsgrundlage für den Grundsatz der Tarifeinheit Im Ausgangspunkt der rechtlichen Bewertung steht die Erkenntnis, daß es für den Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb keine Rechtsgrundlage gibt. Nach den §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG werden beiderseits tarifgebundene Arbeitsverhältnisse durch den von der jeweiligen Gewerkschaft abgeschlossenen Tarifvertrag gestaltet, unabhängig davon, ob der Arbeitgeber an mehrere Tarifverträge gebunden ist. Daß für gleiche Regelungsbereiche unterschiedliche Tarifverträge bestehen können, ist Folge der gesetzlichen Konzeption52. Entscheidend für die Tarifgeltung ist die im Einzelarbeitsverhältnis bestehende Tarifbindung. Selbst § 3 Abs. 2 TVG, der für Betriebsnormen vom Grundsatz der beiderseitigen Tarifbindung eine Ausnahme macht, belegt im Umkehrschluß die Maßgeblichkeit der beiderseitigen Tarifbindung für alle anderen Normen53. Untermauert wird der gesetzliche Grundsatz durch die Entwicklungsgeschichte. Ihr liegt die Vorstellung zugrunde, daß – wie in der Weimarer Zeit – mehrere, miteinander im Wettbewerb stehende, Gewerkschaften Tarife aushandeln und der Staat die Tariferfolge nicht den Mitgliedern der anderen Gewerkschaft zuschanzen darf54. Das ist letztlich Ausdruck der Neutralität des Staates und gleichsam der Wunsch, nicht in den Streit um die Arbeitsbedingungen hineingezogen zu werden. Es besteht keine Regelungslücke55. Der Entstehungsgeschichte des Gesetzes läßt sich eine solche gerade nicht entnehmen56. Weder lassen sich derartige Schlüsse aus den parlamentarischen Beratungen ableiten, noch findet sich eine Grundlage in der im Vorfeld geführten Diskussion. Das Fehlen einer Regelung zur Tarifkonkurrenz läßt sich nicht dahin verstehen, daß die Rechtsfolgen der Tarifpluralität bewußt ungeregelt gelassen wurden57. 52 Däubler/Zwanziger, TVG, § 4 Rn. 943; Jacobs, Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz, S. 468 ff.; Hanau/Kania, Anm. zu BAG vom 20.3.1991 – 4 AZR 455/90 – AP Nr. 20 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz. 53 Zum Ausnahmecharakter vom legitimatorischen Grundmodell oben § 1 C. IV., S. 40 f. 54 Gamillscheg, Kollektives ArbeitsR, Bd. I, S. 715. 55 Däubler/Zwanziger, TVG, § 4 Rn. 946; Kempen/Zachert/Wendeling-Schröder, TVG, § 4 Rn. 158; Wiedemann/Wank, TVG, § 4 Rn. 287; Band, Tarifkonkurrenz, Tarifpluralität und der Grundsatz der Tarifeinheit, S. 95; Fenn, in: FS Kissel, S. 213, 213 ff.; Jacobs, Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz, S. 378; Kraft, RdA 1992, 161, 166; Reuter, JuS 1992, 105, 107; Wiedemann/Arnold, ZTR 1994, 443, 446. 56 So aber Säcker/Oetker, ZfA 1993, 1, 8 f. 57 Herschel, ZfA 1973, 129, 146; Däubler/Zwanziger, TVG, § 4 Rn. 945 f.; Kempen/Zachert/Wendeling-Schröder, TVG, § 4 Rn. 159.
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Liegt demnach keine Regelungslücke vor, kommt nur noch eine gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung in Betracht. Voraussetzung dafür wäre jedenfalls, daß ein richterrechtlicher Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb mit der Rechtsordnung vereinbar ist. Dagegen bestehen indessen erhebliche Bedenken, die im folgenden aufgezeigt werden. II. Verletzung der Koalitionsfreiheit Die Verdrängung eines an sich geltenden Tarifvertrags berührt einerseits die kollektive Koalitionsfreiheit der Verbände, deren Tarifvertrag nicht zur Anwendung gelangen kann, und andererseits die individuelle Koalitionsfreiheit der tarifgebundenen Arbeitsvertragsparteien, denen ihrerseits eine Berufung auf ihren Tarifvertrag versagt bleibt. 1. Individuelle Koalitionsfreiheit Das Individualgrundrecht des Art. 9 Abs. 3 GG umfaßt die Freiheit, sich zu Koalitionen zusammen zu schließen, einer bestehenden Koalition beizutreten, in ihr zu verbleiben sowie die Befugnis, sich in koalitionszweckrealisierender Weise zu betätigen58. Der Koalitionszweck besteht in der unmittelbaren und zwingenden Festlegung von Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen durch Tarifvertrag. Das entspricht in Exekution der Koalitionsfreiheit dem Gegenmachtprinzip, welches Verhandlungsschwächen durch kollektive Interessenwahrnehmung ausgleichen soll. Die Funktion der Koalitionsfreiheit verbürgt damit den verfassungsrechtlichen Schutz, den Ertrag der eigenen Mitgliedschaft nutzen zu können. Jedes Koalitionsmitglied hat einen aus Art. 9 Abs. 3 GG folgenden Anspruch auf die Früchte seiner Koalitionsbetätigung und das Recht, die Anwendung seines, für ihn kraft Gesetzes verbindlichen, Tarifvertrags zu verlangen59. Der Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb indessen entzieht den Koalitionsmitgliedern, deren Tarifvertrag von einem konkurrierenden Tarifvertrag verdrängt wird, den Ertrag ihrer Verbandsmitgliedschaft und wirft sie fak58 BVerfG vom 4.7.1995 – 1 BvF 2/86 – BVerfGE 92, 365, 393 = AP Nr. 143 zu Art. 9 GG Arbeitskampf = EzA Art. 9 GG Nr. 58 = NZA 1995, 754; Höfling, in: Sachs, GG, Art. 9 Rn. 66 ff.; Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 9 Abs. 3 Rn. 169; Löwisch/Rieble, in: Münchener Handbuch ArbeitsR, Bd. 3, § 244 Rn. 2. 59 Band, Tarifkonkurrenz, Tarifkonkurrenz und der Grundsatz der Tarifeinheit, S. 125; Bayreuther, Tarifautonomie als kollektiv ausgeübte Privatautonomie, S. 386; Hanau/Kania, Anm. zu BAG vom 20.3.1991 – 4 AZR 455/90 – AP Nr. 20 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz; Jacobs, Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz, S. 413; Thüsing/ von Medem, ZIP 2007, 510, 511; Kempen/Zachert/Wendeling-Schröder, TVG, § 4 Rn. 167.
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§ 4 Tarifpluralität als Grundlage der Belegschaftsteilung
tisch auf den Status von tariflichen Außenseitern zurück60. Für sie gilt weder der verdrängte noch können sie sich auf den obsiegenden Tarifvertrag berufen. Um Tarifschutzes zu erlangen, bleibt ihnen nur die Möglichkeit, die Koalition zu wechseln und der Gewerkschaft beizutreten, die den durchsetzungsstärkeren Tarifvertrag abgeschlossen hat. Dazu werden Mitglieder von Konkurrenzorganisationen von der Rechtsprechung sogar ausdrücklich ermuntert61. Weder der ersatzlose Entzug des Tarifschutzes noch der Hinweis auf die Möglichkeit zum Wechsel in die für den Betrieb maßgebende Koalition stehen mit der Koalitionsfreiheit in Einklang. In erster Linie gewährleistet Art. 9 Abs. 3 GG die freie Entscheidung darüber, welcher Koalition sich der einzelne anschließen will62. Es gibt zwar keinen Anspruch auf einen bestimmten Tarifvertrag. Verfassungsrechtlichen Schutz genießt aber die Entscheidung, einer bestehenden Koalition beizutreten und den selbst gewählten Tarifschutz dieser Koalitionsbetätigung in Anspruch nehmen zu können. Gerade unter dem Aspekt der Koalitionsfreiheit als privatnütziges Freiheitsgrundrecht ist es nicht eingängig, warum den Mitgliedern einer Minderheitskoalition die Geltung ihres Tarifvertrags versagt werden können soll63. Das privatautonome, individualnützige Tarifrecht muß vielmehr dazu führen, daß jeder Arbeitnehmer ein Recht auf Geltung seines Tarifvertrags hat, den seine Gewerkschaft ausgehandelt hat. Jede negative Ordnungsentscheidung, die es anderen Arbeitnehmern verwehrt, selbstbestimmt die eigene Interessenwahrnehmung kollektiv durchzusetzen, ist funktionswidrig64. 2. Kollektive Koalitionsfreiheit Zudem schützt Art. 9 Abs. 3 GG die Koalitionen in ihrem Bestand, ihrer organisatorischen Ausgestaltung und ihrer koalitionsspezifischen Betätigung. Dazu gehört nach einhelliger Meinung der Abschluß von Tarifverträgen65. Die Koalitionen haben das Recht, die Arbeitsbedingungen ihrer Mitglieder durch Tarifverträge zu gestalten und dadurch am Wettbewerb der ta60
Franzen, ZfA 2007, 191, 202 f. BAG vom 14.6.1989 – 4 AZR 200/89 – AP Nr. 16 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz = EzA § 4 TVG Tarifkonkurrenz Nr. 4; BAG vom 20.3.1991 – 4 AZR 455/90 – AP Nr. 20 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz = EzA § 4 TVG Tarifkonkurrenz Nr. 7 = NZA 1991, 736. 62 Löwisch/Rieble, in: Münchener Handbuch ArbeitsR, Bd. 3, § 245 Rn. 11. 63 Diesen Aspekt betont insbesondere Bayreuther, BB 2005, 2633, 2640. 64 Ebenso Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1801. 65 BVerfG vom 26.6.1991 – 1 BvR 779/85 – BVerfGE 84, 212, 284 = AP Nr. 117 zu Art. 9 GG Arbeitskampf = EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 97; Höfling, in: Sachs, GG, Art. 9 Rn. 66 ff.; Kemper, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 61
E. Kritik und Plädoyer für die Tarifpluralität im Betrieb
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riflichen Regelungsanbieter teilzunehmen66. Nur dadurch läßt sich der Koalitionszweck effektiv verfolgen. Verfassungsrechtlich geschützt ist nicht nur der rein technische Abschluß eines Tarifvertrags, gewährleistet ist ebenso die effektive tarifliche Rechtsetzung für die Mitglieder. Dies umfaßt notwendig die unmittelbare und zwingende Gestaltungskraft von Tarifverträgen. Die Betätigungsgarantie wäre nicht viel wert, bliebe der Koalition die effektive Gestaltung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen verwehrt. Vom Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG erfaßt ist folglich allgemein die Rechtsgestaltung mittels Tarifvertrag inklusive der Normwirkung im Hinblick auf die Arbeitsverhältnisse der Mitglieder67. Der Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb indessen versagt dem Tarifvertrag der unterliegenden Gewerkschaft die normative Wirkung. Darin liegt ein unmittelbarer Eingriff in die kollektive Betätigungsfreiheit68. Die Gewerkschaft, deren Tarifwerk sich nicht durchsetzen kann, wird vom Tarifgeschehen praktisch ausgeschlossen69. Selbst einst zur Geltung gelangte Tarifverträge können ersatzlos verdrängt werden. Sowohl die Geltungssperre als auch der nachträgliche Entzug der Früchte der Koalitionsbetätigung stehen nicht im Einklang mit Art. 9 Abs. 3 GG. Besonderes Gewicht bekommt die Verkürzung der Koalitionsbetätigungsfreiheit im Hinblick auf Spartengewerkschaften, deren Tarifverträge von solchen, die den Betrieb als Ganzes erfassen, stets verdrängt werden70. Ihnen wird damit praktisch jegliche eigenständige Tarifpolitik verwehrt. Weniger Beachtung findet, daß neben der Koalitionsfreiheit der vertragsschließenden Gewerkschaft auch die Koalitionsfreiheit des Arbeitgeberverbandes verletzt wird. Der Entzug eines abgeschlossenen Tarifvertrags, der mitgliedschaftlich legitimiert im Betrieb Anwendung fände, bedeutet hier aber ebenso einen ungerechtfertigen Eingriff in die durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Koalitionsbetätigungsfreiheit71. Art. 9 Abs. 3 Rn. 124; Stern, Staatsrecht, Bd. IV/1, S. 2048; Wiedemann/Wiedemann, TVG, Einleitung Rn. 75, 84 ff. 66 Zum dem aus der Koalitionsfreiheit abgeleiteten Durchsetzungsanspruch der Gewerkschaften s. BAG vom 9.4.1999 – 1 ABR 72/98 – AP Nr. 89 zu Art. 9 GG = EzA Art. 9 GG Nr. 65 = NZA 1999, 887. 67 Band, Tarifkonkurrenz, Tarifpluralität und der Grundsatz der Tarifeinheit, S. 139; Jacobs, Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz, S. 419 f.; Waas, Tarifkonkurrenz und Tarifpluralität, S. 134. 68 Kempen/Zachert, TVG, § 3 Rn. 137; Löwisch/Rieble, TVG, § 4 Rn. 132 ff. 69 Bayreuther, Tarifautonomie als kollektiv ausgeübte Privatautonomie, S. 388, Rieble, BB 2003, 1227, 1228; Reuter, JuS 1992, 105, 108, Wiedemann/Wank, TVG, § 4 Rn. 287. 70 So insbesondere Buchner, BB 2003, 2121, 2121; ders., ZfA 2004, 229, 248 f. 71 So auch Band, Tarifkonkurrenz, Tarifpluralität und der Grundsatz der Tarifeinheit, S. 141 f.; Jacobs, Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz, S. 456.
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Die Koalitionsfreiheit ist schließlich die verfassungsrechtliche Grundlage des Koalitionspluralismus und des Koalitionswettbewerbs72. Auch wenn damit keine staatliche Förderpflicht oder eine Existenzgarantie zugunsten einzelner Koalitionen verbunden sein kann73, ist der Koalitionswettbewerb systemimmanent in der Koalitionsfreiheit angelegt und dadurch verfassungsrechtlich abgesichert. Das ergibt sich unmittelbar aus dem Recht der Koalitionen und ihrer Mitglieder auf Geltung ihrer Tarifverträge und ist letztlich Voraussetzung für die Staatsfreiheit des Koalitionssystems. Die Möglichkeit eines effektiven Verbandswechsels und die Freiheit der Koalitionsentscheidung fordern gleichsam einen effektiven Systemwettbewerb74. Durch den Grundsatz der Tarifeinheit wird dieser Wettbewerb ausgeschlossen. Nicht mehr erfolgreiche Werbung und das Vertrauen der betroffenen Arbeitnehmer entscheiden darüber, ob sich eine Koalition durchsetzen kann, sondern die Gerichte sind es, die über die Durchsetzungskraft am Markt der kollektiven Arbeitsbedingungen und darüber befinden, ob sich eine Koalition im Arbeitsleben behaupten kann. Die wettbewerbsverzerrende Wirkung setzt sich noch fort: nicht nur der Verlust des Tarifschutzes, sondern der Verlust von Mitgliedern ist die Folge für unterliegende Koalitionen, da Arbeitnehmer zur Erlangung des Tarifschutzes nur der Wechsel der Koalition verbleibt. Dadurch verzerrt sich nicht nur der aktuelle Koalitionswettbewerb, sondern auch der potentielle. Der Fokus des Wettbewerbs verlagert sich auf das Ringen um den Tarifschutz. Ein Streiten um marktadäquate und an den Interessen der Mitglieder ausgerichtete Arbeitsbedingungen erübrigt sich. Daß das nicht von der Idee der Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG gedeckt sein kann, liegt auf der Hand. III. Keine Rechtfertigung aus „Praktikabilitätserwägungen“ Verfechter der Tarifeinheit im Betrieb rechtfertigen diesen Grundsatz mit praktischen Unzuträglichkeiten, die die Rechtsklarheit und die Rechtssicherheit beeinträchtigen würden75. Daß derartige Erwägungen den Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb stützen und eine dahingehende Rechtsfortbil72 Scholz, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. VI, § 151 Rn. 67; Jacobs, Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz, S. 416 f.; Kraft, RdA 1992, 161, 168 f.; Konzen, RdA 1978, 146, 153 f. 73 Dazu Säcker/Oetker, ZfA 1993, 1, 12. 74 Dazu bereits oben § 3 D. I., S. 170 f. und § 4 B., S. 177 f. 75 BAG vom 5.9.1990 – 4 AZR 59/90 – AP Nr. 19 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz = EzA § 4 TVG Tarifkonkurrenz Nr. 5 = NZA 1991, 202; BAG vom 20.3.1991 – 4 AZR 455/90 – AP Nr. 20 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz = EzA § 4 TVG Tarifkonkurrenz Nr. 7 = NZA 1991, 736; Buchner, ZfA 2004, 229, 242 ff.; ders., in:
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dung rechtfertigen können, ist zwar nicht von vornherein ausgeschlossen. Das erforderte aber praktische Probleme, die auf andere Weise nicht gelöst werden könnten. Ein Eingriff in die vorbehaltlos gewährleistete Koalitionsfreiheit wäre nur gerechtfertigt, wenn er mit Verfassungsrang ausgestatteten Rechtsgütern diente und verhältnismäßig wäre. Bloße praktische Schwierigkeiten können eine gesetzesübersteigende richterliche Rechtsfortbildung nicht rechtfertigen76. 1. Abgrenzung von Inhalts- und Betriebsnormen Ein oft vorgetragenes Argument für das Postulat der Tarifeinheit im Betrieb ist die schwierige Abgrenzung von tarifvertraglichen Inhaltsnormen und Betriebsnormen77. Richtig ist dabei sicherlich die Erkenntnis, daß betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Normen nur betriebseinheitlich gelten können und eine Tarifpluralität insofern nicht in Betracht kommen kann78. Deshalb muß sich zumindest in diesem Bereich ein Tarifwerk durchsetzen. Nicht anders als koalitionsfreie Arbeitnehmer, die die Tarifgeltung nach § 3 Abs. 2 TVG in Kauf nehmen müssen79, sind dann auch anders koalierte einem nicht mitgliedschaftlich legitimierten Tarifvertrag zu unterstellen. Das Problem liegt indessen nicht in der tariflichen Geltungserstreckung auf Außenseiter, sondern in der Abgrenzung zwischen Inhalts- und Betriebsnormen. Praktische Schwierigkeiten sind hier freilich nicht von der Hand zuweisen, vor allem weil eine eindeutige Begriffsbestimmung bis heute nicht geglückt ist. Es handelt sich aber nicht um ein Sonderproblem der Tarifpluralität. Angesprochen sind vielmehr die Probleme, die § 3 Abs. 2 TVG im Allgemeinen als Ausnahme zur tarifrechtlichen Unterscheidung zwischen Organisierten und Außenseitern aufwirft. Gezeigt hat sich das bei den Arbeitszeittarifen der Metallindustrie in den 1980er Jahren80 und in jüngerer Zeit bei den ERA-Tarifverträgen. Eine Abgrenzung im Einzelfall ist hier unumgänglich, weil die Geltungserstreckung auf Außenseiter FS 50 Jahre BAG, S. 230, 230 ff.; Meyer, NZA 2006, 1387, 1389 ff.; Säcker/ Oetker, ZfA 1993, 1, 12. 76 Hanau/Kania, Anm. zu BAG vom 20.3.1991 – 4 AZR 455/90 – AP Nr. 20 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz; Kraft, RdA 1992, 161, 162; Wiedemann/Wank, TVG, § 4 Rn. 287. 77 Vor allem BAG vom 20.3.1991 – 4 AZR 455/90 – AP Nr. 20 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz = EzA § 4 TVG Tarifkonkurrenz Nr. 7 = NZA 1991, 736. 78 Es handelt sich insoweit um einen Fall der „betriebsweiten“ Tarifkonkurrenz, s. Däubler/Zwanziger, TVG, § 4 Rn. 924; Löwisch/Rieble, TVG, § 4 Rn. 271. 79 Vgl. dazu oben § 1 C. IV., S. 40 ff. 80 Dazu Löwisch, DB 1984, 2457, 2457 ff.
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eine klare Zuordnung zu den Tatbestandsvoraussetzungen des § 3 Abs. 2 TVG erfordert. Für den Grundsatz der Tarifeinheit kann daraus jedenfalls keine Rechtfertigung abgeleitet werden81. Weder tarifliche Außenseiter noch anders Organisierte dürfen wegen Abgrenzungsschwierigkeiten „im Zweifel“ einer fremden Tarifmacht unterstellt werden, die von ihnen nicht legitimiert wird. Letztlich liegt darin ein weiterer Grund, die Rechtsprechung des BVerfG ernst zu nehmen und betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Tarifnormen auf das, für eine betriebseinheitliche Geltung notwendige, Maß zu reduzieren82. So lassen sich auch Abgrenzungsschwierigkeiten in den Griff bekommen. Sie führen jedenfalls nicht dazu, daß eine Tarifpluralität im Betrieb nicht möglich wäre83. Es kann nicht angehen, daß Unsicherheiten bei der Anwendung einer Ausnahmeregelung dazu führen sollen, daß das mitgliedschaftlich legitimierte Grundmodell des Tarifvertragsrechts in Frage steht. 2. Gestörter Gesamtkompromiß des verdrängten Tarifvertrags? Kommt es bei Tarifpluralität zu einer differenzierten Anwendung nur hinsichtlich der Inhaltsnormen und sind die betrieblichen und betriebsverfassungsrechtlichen Normen eines Tarifvertrags dagegen einheitlich anzuwenden, führt das teilweise in Arbeitsverhältnissen zu einer Geltung mehrerer Tarifverträge. Nur diejenigen Arbeitnehmer, die dem Tarifvertrag unterliegen, dessen Betriebs- und Betriebsverfassungsnormen sich durchsetzen, partizipieren einheitlich von ihrem Tarifvertrag. Hier stellt sich die Frage, ob darin eine Störung des, in der Gesamtheit des teilweise verdrängten Tarifvertrags liegenden, Kompromisses der Tarifpartner liegen kann84. Aber auch dieser Einwand rechtfertigt nicht die gänzliche Verdrängung des konkurrierenden Tarifvertrags. Da Betriebs- und Betriebsverfassungsnormen nach § 3 Abs. 2 TVG ohnehin einen erweiterten Geltungsbereich haben, kann nicht angenommen werden, daß insofern Zugeständnisse zu Lasten von Inhaltsnormen erkauft wurden. Teilweise wird eine derartige Interessenverknüpfung ohnehin für unzulässig gehalten85. Eine andere Frage ist, ob der Interessenausgleich eines Tarifvertrag durch die Anwendung fremder Normen gestört werden kann. Gleichwohl kann 81
Wie hier Kempen/Zachert/Wendeling-Schröder, TVG, § 4 Rn. 160. Dazu schon oben § 1. C. IV., S. 40 ff. 83 Bayreuther, Tarifautonomie als kollektiv ausgeübte Privatautonomie, S. 395 ff.; Thüsing/von Medem, ZIP 2007, 510, 512. 84 Meyer, NZA 2006, 1387, 1391. 85 Waas, Tarifkonkurrenz und Tarifpluralität, S. 119. 82
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von einer derart engen Verknüpfung von Inhalts- und Betriebsnormen nicht ausgegangen werden86. Bei einer Teilnichtigkeit von Tarifverträgen kommt es schließlich ebensowenig zu einer Unanwendbarkeit des wirksamen Teils aufgrund eines gestörten Gesamtkompromisses87. 3. Funktionsfähigkeit des Tarifvertragssystems Selbst die Funktionsfähigkeit des Tarifvertragssystems als Ganzes wird in Gefahr gesehen88. Dies soll dadurch eintreten – so die Befürchtung –, daß Arbeitnehmer sich verstärkt veranlaßt sehen könnten, durch häufigen Gewerkschaftswechsel den besseren Tarifvertrag auf sich zu beziehen. Zusätzlich komme es zu einer Zersplitterung der Tariflandschaft, wenn mehrere Tarifverträge in einem Betrieb gelten würden89. a) Gewerkschaftswechsel Daß indessen Arbeitnehmer durch Beitritt zu einer konkurrierenden Gewerkschaft die Vorteile eines anderen Tarifvertrags auf sich beziehen können, ist immanente Folge des Tarifsystems, dem das Leitbild des Koalitionspluralismus zugrunde liegt. In der geforderten Freiheit des Eintritts und des Austritts ist es gerade angelegt, daß sich die konkrete Tarifbindung nicht aus taktischen Erwägungen des Arbeitgebers oder der Verbände, sondern allein aus der Entscheidung des einzelnen für eine Mitgliedschaft ergibt. Das kann natürlich zur Folge haben, daß der Arbeitgeber zunächst einen Tarifvertrag mit der einen Gewerkschaft abschließt und sich Arbeitnehmer durch einen späteren Tarifabschluß mit einer anderen Gewerkschaft veranlaßt sehen, nun dieser Gewerkschaft beizutreten, um in den Genuß von günstigeren Arbeitsbedingungen zu gelangen. Hier obliegt es dem Arbeitgeber, nur Tarifabschlüsse zu akzeptieren, die er unter Einrechnung der Wechselmöglichkeit der Arbeitnehmer wirtschaftlich tragen kann90. Er muß von vornherein mit einkalkulieren, daß es bei nachfolgend besseren Tarifabschlüssen zu einem Wechsel von Arbeitneh86
Thüsing/von Medem, ZIP 2007, 510, 514. Dies hat insbesondere Waas, Tarifkonkurrenz und Tarifpluralität, S. 120 ff., überzeugend nachgewiesen. 88 Buchner, BB 2003, 2121, 2121; ders., ZfA 2004, 229, 242 ff. 89 Meyer, DB 2006, 1271, 1272. 90 Thüsing/von Medem, ZIP 2007, 510, 514; zu den arbeitskampfrechtlichen Folgen unten § 4 F. II. 2. b), S. 205. 87
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mern kommen kann. Diese Kalkulation ist nach der bisher überwiegenden Gleichstellungspraxis schon gang und gäbe. Hier akzeptiert der Arbeitgeber schließlich auch nur Tarifabschlüsse, die er auf die gesamte Belegschaft erstrecken kann. Selbst wenn der Arbeitgeber der Gleichstellungspraxis nicht folgt und eine Zweiteilung der Belegschaft durch Arbeitsvertragsgestaltung mit den tariffreien Arbeitnehmern vornimmt91, kann er nicht verhindern, daß bisher nicht koalierte Arbeitnehmer eine normative Tarifgeltung für sich herbeiführen92. Das Problem wird zudem durch das Tarifrecht deutlich entschärft. Denn auch der Arbeitnehmer unterliegt der Nachbindung des § 3 Abs. 3 TVG, womit er sich der Bindung an den ursprünglichen Tarifvertrag nicht einfach entziehen kann. In der Folge entsteht eine Tarifkonkurrenz im Arbeitsverhältnis, die nach dem Prioritätsprinzip zugunsten der ursprünglichen Tarifbindung aufzulösen ist93. Insofern kann es während der Laufzeit eines Tarifvertrags nicht zu dem befürchtetem „Gewerkschafts-Hopping“ kommen. Um Mitglieder zu halten und andererseits bessere Arbeitsbedingungen zu vermeiden, werden die Tarifparteien im übrigen davon absehen, einen Tarifvertrag frühzeitig zu kündigen, weil dadurch der Weg für einen Tarifwechsel frei würde. Wenn zudem die Laufzeiten konkurrierender Tarifverträge aufeinander abgestimmt werden, entschärft sich das Wechselproblem nochmals. Letztlich ist aber der Wechsel von der einen in eine andere Gewerkschaft nichts anderes als eine Grundrechtsentfaltung im Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG. Das darf man nicht vergessen. Daraus läßt sich kein Argument für eine von der Rechtsordnung „erzwungene“ Tarifeinheit im Betrieb ableiten. b) Zersplitterung der Tariflandschaft Ein weiteres, gegen die Tarifpluralität im Betrieb angeführtes, Argument ist die Zersplitterung der Tariflandschaft94. Es bestünde die Gefahr, daß Tarifabschlüsse blockiert und häufige Streiks die Wirtschaft lähmen würden95. Eine getrennte Durchsetzung von Tarifverträgen ist wiederum immanente Folge des Tarifvertragssystems. Der Wettbewerb bestimmt, ob sich eine Gewerkschaft durchsetzen kann oder nicht96. Daß dies zu den befürchteten 91
Dazu ausführlich unten § 6, S. 257 ff. Löwisch/Rieble, TVG, § Rn. 5 f.: „Optionsrecht der Nichtorganisierten“. 93 Thüsing/von Medem, ZIP 2007, 510, 514; Waas, Tarifkonkurrenz und Tarifpluralität, S. 99 ff. 94 Siehe nur Meyer, DB 2006, 1271, 1272. 95 Dazu auch Bayreuther, BB 2005, 2633, 2640 ff. 92
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Lähmungs- und Blockadeerscheinungen führen wird, ist keineswegs ausgemacht. Bei getrenntem Vorgehen verlieren die Gewerkschaften erheblich an Schlagkraft. Aufgrund dieser Schwächung liegt es nahe, daß einzelne Gewerkschaften kaum bessere Tarifabschlüsse erreichen werden, als das bei einheitlichem Vorgehen der Fall wäre. Letztlich hat es schließlich auch die Arbeitgeberseite in der Hand, Tarifabschlüsse zu koordinieren. Das eröffnet sogar die Möglichkeit, die Schwächung der Arbeitnehmerseite für eigene Zwecke zu nutzen. Soweit sich der Einwand gegen die Zersplitterung der Gewerkschaften richtet, geht es um etwas anders, nämlich um ein Bestandserhaltungsproblem. Diesbezüglich steht es dem Staat indessen nicht zu, den etablierten Gewerkschaften Organisationshilfe zu gewähren, indem sie konkurrierende Verbände faktisch an der Koalitionsbetätigung hindern. Daß der Staat Gewerkschaften auch auf andere Weise „Schützenhilfe“ gibt, ist bekannt97, die Verdrängung konkurrierender Tarifverträge durch das Postulat der Tarifeinheit im Betrieb können derartige Zielsetzungen aber keinesfalls rechtfertigen. Ebensowenig können Gruppeninteressen der Mehrheit der Belegschaft es verhindern, daß minder repräsentierte Belegschaftsteile ihre Interessen tariflich durchsetzen. In diese Richtung argumentiert Buchner98, der sich vor allem gegen Spartengewerkschaften richtet, deren Tarifabschlüsse zu Lasten anderer Gruppen gehen. Dieser Ansatz steht nicht im Einklang mit der privatautonomen Funktion der Tarifautonomie. Die Tarifautonomie hat den Zweck, den individuellen Interessen der Mitglieder durch Bildung von Gegenmacht zur Durchsetzung zu verhelfen. Nicht zu ihren legitimen Zielen kann es daher gehören, Gruppeninteressen zu wahren. Es ist kein zulässiges Ziel des Tarifvertragsrechts, Beschäftigungsgruppen an der tariflichen Realisierung ihrer Interessen zu hindern, indem sie in eine Koalition gedrängt werden, in der sich ihr individueller Marktwert relativiert, ja sogar bewußt als Druckmittel zugunsten anderer Gruppen geopfert wird99. Dies hätte zur Folge, daß einer Berufsgruppe, deren Interessen von der Branchengewerkschaft vernachlässigt werden, überhaupt kein geeignetes Druckmittel mehr zur Verfügung stünde, eigenen Bestrebungen zur Geltung zu verhelfen.
96 BVerfG vom 6.5.1964 – 1 BvR 79/62 – BVerfGE 18, 18, 33 = AP Nr. 15 zu § 2 TVG = NJW 1964, 1267; BVerfG vom 15.7.1980 – 1 BvR 24/74, 1 BvR 439/ 79 – AP Nr. 17 zu § 5 TVG = NJW 1981, 215. 97 Zur Staatshilfe für Gewerkschaften Rieble, ZfA 2005, 245, 246 ff. 98 Buchner, BB 2003, 2121, 2125. 99 So insbesondere Thüsing/von Medem, ZIP 2007, 510, 515.
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4. Fragerecht nach der Koalitionszugehörigkeit Es liegt auf der Hand, daß eine Tarifpluralität notwendig die Kenntnis des Arbeitgebers von der Tarifgebundenheit der Arbeitnehmer voraussetzt. Insofern gehen das BAG und die ihm folgende Literatur davon aus, daß, weil der Arbeitgeber nach der Gewerkschaftszugehörigkeit nicht fragen dürfe, eine Tarifpluralität im Betrieb nicht durchführbar sei100. Mit dieser Argumentation wird das Pferd indes von hinten aufgezäumt. Nicht, weil die Frage nach der Tarifgebundenheit unzulässig ist, kann die Tarifpluralität nicht zugelassen werden, vielmehr muß die notwendige Frage nach der Tarifgebundenheit gerade deshalb – zumindest nach der Einstellung – zugelassen werden, weil die Rechtsordnung ihrerseits die Tarifpluralität im Betrieb fordert und die Beteiligten ein berechtigtes Interesse an der Geltung ihres Tarifvertrags haben101. Das ergibt sich im übrigen ganz allgemein daraus, daß der Informationsanspruch des Arbeitgebers der Wahrnehmung seiner Rechte und Pflichten nachfolgt und nicht umgekehrt102.
F. Folgen einer zugelassenen Tarifpluralität im Betrieb Da sich der Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb nicht mit unüberwindbaren praktischen Unzuträglichkeiten rechtfertigen läßt, führt kein Weg daran vorbei, die von der Koalitionsfreiheit geforderte Tarifpluralität im Betrieb zuzulassen. Nicht ausgeblendet werden dürfen dabei freilich die bestehenden Schwierigkeiten, die eine Tarifpluralität zweifelsohne mit sich bringt. Auch diese lassen sich aber sachgerecht lösen. I. Folgen für die Tarifanwendung 1. Differenzierte Anwendung tarifvertraglicher Inhaltsnormen Keine Probleme bereitet die Tarifpluralität bei der Anwendung tariflicher Inhaltsnormen. Je nach Gewerkschaftszugehörigkeit gelten unterschiedliche Tarifverträge. Die normative Wirkung tarifvertraglicher Individualnormen 100
BAG vom 5.9.1990 – 4 AZR 59/90 – AP Nr. 19 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz = EzA § 4 TVG Tarifkonkurrenz Nr. 5 = NZA 1991, 202; Wallisch, in: FS Löwisch, S. 427, 439; Michel/Möller/Peter, AuR 2008, 37, 38 ff. 101 Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rn. 146; Reichold, RdA 2002, 321, 327, offen in diese Richtung auch Bepler, in: FS 25 Jahre Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht im DAV, S. 791, 800 f. 102 Ausführlich zum Fragerecht des Arbeitgebers nach der Gewerkschaftszugehörigkeit unten § 7, S. 331 ff.
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in den einzelnen Arbeitsverhältnissen entspricht der beiderseitigen Tarifbindung der Arbeitsvertragsparteien. Der Arbeitnehmer kann bei mehrfacher Tarifbindung des Arbeitgebers unter den verschiedenen gewerkschaftlichen Regelungsanbietern auswählen. Gleich für welche Gewerkschaft er sich mit seinem Beitritt entscheidet, profitiert er von der unmittelbaren und zwingenden Wirkung der von seiner Gewerkschaft abgeschlossenen Tarifverträge. 2. Aufzulösende Tarifkonkurrenz bei Betriebsund Betriebsverfassungsnormen Bei betrieblichen und betriebsverfassungsrechtlichen Tarifnormen ist eine isolierte Vertretung betriebsbezogener Arbeitnehmerinteressen durch die wechselseitige Verflochtenheit im Betrieb dagegen weitgehend ausgeschlossen. Auch bei Tarifpluralität ist es daher einleuchtend, daß hinsichtlich betrieblicher und betriebsverfassungsrechtlicher Fragen nur ein Tarifvertrag gelten kann. Zudem bedingt insoweit schon die Tarifbindung des Arbeitgebers die Verbindlichkeit der tariflichen Vorschriften103. Das gilt nicht nur für anders koalierte, sondern ebenso für tariffreie Arbeitnehmer104. Im Ergebnis führt kein Weg daran vorbei, daß sich insofern ein Tarifvertrag durchsetzen muß. Genau genommen handelt es sich um einen Fall der Tarifkonkurrenz. Auf ein und dasselbe Arbeitsverhältnis wirken unterschiedliche Tarifverträge ein: der eine kraft mitgliedschaftlicher Legitimation und der andere kraft staatlicher Anordnung gemäß § 3 Abs. 2 TVG. Die Normenkollision ist betriebseinheitlich dahin aufzulösen, daß sich ein Tarifvertrag durchsetzen muß. Dadurch erfährt der Grundsatz, daß der mitgliedschaftlich legitimierte Tarifvertrag stets einem kraft gesetzlicher Anordnung verbindlichen Tarifvertrag vorgeht, freilich eine Durchbrechung. Das ist aber der, auf Betriebs- und Betriebsverfassungsnormen bezogenen, Sonderkonstellation geschuldet. Nahe läge eine Auflösung nach dem Spezialitätsprinzip105. Insofern griffen die Regeln, die auch sonst bei Tarifkonkurrenz heranzuziehen sind. Zwingend ist das gleichwohl nicht, denn die hier vorliegende Fallkonstellation beansprucht nicht, den gleichen Regeln zu folgen, die bei der Kollision 103
Vgl. dazu oben § 1 C. IV., S. 40 f. Dazu unten § 6 B., S. 262 ff. 105 So BAG vom 14.6.1989 – 4 AZR 200/89 – AP Nr. 16 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz = EzA § 4 TVG Tarifkonkurrenz Nr. 4; ebenso Giesen, Tarifvertragliche Rechtsgestaltung für den Betrieb, S. 537 ff.; Lindemann/Simon, BB 2006, 1852, 1857; einschränkend auch Wiedemann/Wank, TVG, § 4 Rn. 299g. 104
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verschiedener mitgliedschaftlich legitimierter Tarifwerke gelten. Hier geht es gerade um die Geltungserstreckung fremder Tarifnormen. Im Ausgangspunkt steht die Tarifgebundenheit des Arbeitgebers, die bereits nach dem Wortlaut des § 3 Abs. 2 TVG für eine Tarifgeltung ausreicht. Dies könnte dafür sprechen, der Gewerkschaft den Vorzug zu geben, die „näher zur Sache ist“106. Allerdings würde mit dem Kriterium der Sachnähe die mitgliedschaftliche Legitimationsbasis im Betrieb ausgeblendet und der Weg eröffnet, daß eine unbedeutende Gewerkschaft der organisierten Mehrheit ihren Willen aufzwingt. Letztlich käme die Entscheidung, welche Gewerkschaft sachnäher ist, dem Richter zu, der sich über das Mehrheitsvotum in der Belegschaft hinwegsetzen könnte. Zudem muß das Spezialitätsprinzip nicht notwendig zu einer Lösung führen: man denke nur an den Fall zweier Firmentarifverträge. Deshalb kann nicht die inhaltliche Sachnähe über den Geltungsanspruch entscheiden, es muß vielmehr gefragt werden, welche Gewerkschaft im Betrieb die größere Organisationsbasis hat107. Nach dem Mehrheitsprinzip setzt sich der Tarifvertrag durch, an den die meisten Arbeitnehmer mitgliedschaftlich gebunden sind. Daß die Zahl dieser Arbeitnehmer nicht notwendig mit der Mehrheit in der Belegschaft übereinstimmen muß108, schadet nicht. Zum einen kann nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern schon von der Konzeption des § 3 Abs. 2 TVG her keine Relevanz zukommen, zum anderen richten sich auf Gleichstellung ausgerichtete Bezugnahmeklauseln am gleichen Prinzip aus, so daß bei beabsichtigter Gleichstellung von nichtorganisierten Arbeitnehmern die Mehrheit dem Tarifvertrag unterfällt, der sich nach § 3 Abs. 2 TVG durchsetzt109. 3. Arbeitsvertragliche Bezugnahme bei Tarifpluralität Ein Sonderproblem stellt sich bei der weithin üblichen arbeitsvertraglichen Bezugnahme auf Tarifverträge. Hier fragt sich, welcher Tarifvertrag bei Tarifpluralität im Betrieb für die nicht normativ tarifgebundenen Arbeitnehmer zur Geltung kommen soll. Grundsätzlich muß durch Auslegung der Bezugnahmeklausel ermittelt werden, welcher Tarifvertrag auf das jeweilige Arbeitsverhältnis anzuwen106 So etwa Nikisch, Arbeitsrecht II, S. 487; Gamillscheg, Kollektives ArbeitsR, Bd. I, S. 755. 107 So auch Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rn. 106; Bayreuther, NZA 2007, 184, 188. 108 Zu diesem Einwand Biedenkopf, Grenzen der Tarifmacht, S. 92. 109 Dazu sogleich unten § 4 F. I. 3., S. 200 f.
F. Folgen einer zugelassenen Tarifpluralität im Betrieb
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den ist110. Ist die Verweisung als statische oder kleine dynamische Bezugnahmeklauseln formuliert, gilt der konkret bezeichnete Tarifvertrag, eine weitere Auslegung ist nicht möglich111. Bei Tarifpluralität kommen dann gegebenenfalls unterschiedliche Tarifverträge zu Anwendung. Handelt es sich um eine große dynamische Bezugnahmeklausel, muß ermittelt werden, ob ursprünglich die Gleichstellung der nichtorganisierten Arbeitnehmer beabsichtigt war. Nach der Rechtsprechung ist dies jedenfalls anzunehmen, wenn sie vor dem 1.1.2002 vereinbart wurde112. In diesen Fällen wird die weitestgehende Gleichstellung erreicht, wenn die gleichen Kollisionsregeln herangezogen werden, die im Rahmen des § 3 Abs. 2 TVG gelten. Zielt die arbeitsvertragliche Verweisung also auf den „im Betrieb einschlägigen“ Tarifvertrag, ist der Tarifvertrag in Bezug genommen, der nach dem Mehrheitsprinzip gilt. Insofern gilt schuldrechtlich der Tarifvertrag, der mit seinen Betriebsnormen gemäß § 3 Abs. 2 TVG auch normativ Geltung beansprucht. Die Regeln der Tarifkonkurrenz sind heranzuziehen, wenn der Arbeitgeber an mehrere Tarifverträge gebunden ist, die von derselben Gewerkschaft abgeschlossen wurden. Es gilt dann der Tarifvertrag, der sich bei Mitgliedschaft des Arbeitnehmers durchsetzen würde113. Die Bezugnahme kann dann auch auf einen Firmentarifvertrag verweisen114. Handelt es sich dagegen um Tarifverträge verschiedener Gewerkschaften und ist der Klausel kein Gleichstellungszweck zu entnehmen, muß ermittelt werden, ob der Arbeitgeber einen anderen Zweck mit der arbeitsvertraglichen Verweisung verbunden hat und dies im Text der Klauseln zum Ausdruck kommt. Dabei gibt es keinen Vorrang einer bestimmten Auslegung: es kommt auf die konkreten betrieblichen Umstände an115. Soweit die Auslegung nicht zu einem klaren Ergebnis führt, ist § 305c Abs. 2 BGB anzuwenden, der dann dem günstigeren Tarifvertrag zur Geltung verhilft116. Gerade mit Blick auf eine Tarifpluralität ist unbedingt zu empfehlen, Bezugnahmeklauseln eindeutig zu formulieren. Es kann ohne weiteres das 110
Dazu Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rn. 303. So auch Lindemann/Simon, BB 2006, 1852, 1856. 112 BAG vom 14.12.2005 – 4 AZR 536/04 – AP Nr. 39 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag = EzA § 3 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 32 = NZA 2006, 607. 113 So auch Franzen, in: ErfK, § 4 TVG Rn. 73. 114 BAG vom 23.3.2005 – 4 AZR 203/04 – AP Nr. 29 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz = EzA § 4 TVG Tarifkonkurrenz Nr. 18 = NZA 2005, 1003. 115 Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rn. 305. 116 Vgl. Franzen, in: ErfK, § 4 TVG Rn. 73. 111
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Spezialitätsprinzip oder das Mehrheitsprinzip als Kollisionsregel festgeschrieben werden117. Über die Bezugnahmeklausel bietet sich außerdem die Möglichkeit, arbeitsvertraglich auf den Tarifvertrag zu verweisen, der den Interessen des Unternehmens am besten gerecht wird. 4. Durch Allgemeinverbindlichkeit verursachte Tarifpluralität Die dargestellten Grundsätze beanspruchen ebenso Gültigkeit, wenn ein Tarifvertrag kraft staatlicher Anordnung durch Allgemeinverbindlicherklärung auf Geltung drängt. Hierbei handelt es sich zwar nicht um einen Fall der gewillkürten Tarifpluralität, das ändert aber nichts an der gleichgelagerten Kollisionslage. Auch wenn in einem Betrieb ein mitgliedschaftlich legitimierter und ein allgemeinverbindlicher Tarifvertrag anzuwenden sind, besteht kein zwingender Grund dafür, Tarifeinheit herzustellen. Einerseits ist es nicht gerechtfertigt, in beiderseits autonom tarifgebundenen Arbeitsverhältnissen den privatautonom legitimierten Tarifvertrag zu verdrängen. Diesem kommt nach richtiger Auffassung grundsätzlich Vorrang vor einem allgemeinverbindlichen Tarifvertrag zu118. Der nach § 3 Abs. 1 TVG geltende Tarifvertrag muß sich wegen seiner stärkeren Legitimation gegenüber einem allgemeinverbindlichen durchsetzten119. Selbst wenn das Tarifniveau des allgemeinverbindlichen Tarifvertrags durch einen mitgliedschaftlich legitimierten Tarifvertrag unterschritten würde, ist das aufgrund der Tarifautonomie hinzunehmen120. Der staatliche Geltungsbefehl kann sich nicht gegenüber der privatautonomen Tarifgeltung durchsetzen. Die Allgemeinverbindlicherklärung darf deshalb jedenfalls nicht die bereits bestehenden tariflichen Regelungen organisierter Arbeitnehmer verdrängen, wenn sie auch an sich in den Geltungsbereich des für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrags fallen121. Andererseits widerspräche es dem Schutzzweck der Allgemeinverbindlicherklärung, der darauf gerichtet ist, in nicht tarifgebundenen Arbeitsverhältnissen einen Mindeststandard zu schaffen122, wenn man den nichtorganisierten Arbeitnehmern den gesetzlich vorgesehenen Mindestschutz durch 117
Siehe dazu den Formulierungsvorschlag von Giesen, NZA 2006, 625, 630. Vgl. bereits oben § 1 C. I., S. 35 ff. 119 Löwisch/Rieble, TVG, § 4 Rn. 146; Jacobs, Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz, S. 291; Reuter, JuS 1992, 105, 109; dagegen für die h. M. Däubler/Zwanziger, TVG, § 4 Rn. 926; Wiedemann/Wiedemann, TVG, § 5 Rn. 146. 120 Thüsing/von Medem, ZIP 2007, 510, 516. 121 So bereits Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 91 f. 122 Dazu oben § 1 C. I, S. 35 ff. 118
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Tarifvertragsschluß nehmen würde123. Die Folge der Tarifeinheit wäre nämlich, daß der allgemeinverbindliche Tarifvertrag auch mit Wirkung für Nichtorganisierte verdrängt würde. Die insofern nicht legitimierten Tarifvertragsparteien können über den staatlichen Mindestschutz nicht disponieren. Eine sachgerechte Lösung besteht allein darin, in tarifautonom gebundenen Arbeitsverhältnissen den mitgliedschaftlich legitimierten und in Außenseiter-Arbeitsverhältnissen den allgemeinverbindlichem Tarifvertrag anzuwenden. Im Betrieb entsteht Tarifpluralität. II. Insbesondere: Gewillkürte Tarifpluralität 1. Auf Initiative der Arbeitgeberseite Gewillkürte Tarifpluralität entsteht, wenn der Arbeitgeber kraft Koalitionsmitgliedschaft oder eigenen Vertragsschlusses an mehrere Tarifverträge gebunden ist. Auf diesem Weg herbeigeführte Tarifpluralität beruht auf einer privatautonomen Entscheidung des Arbeitgebers – dagegen läßt sich nichts einwenden. Eine sachgerechte Lösung ergibt sich vor allem hinsichtlich nachfolgender Firmentarifverträge, die verbandstarifgebundene Arbeitgeber mit einer anderen Gewerkschaft abschließen. Bei Tarifpluralität gilt dieser Tarifvertrag nur für Arbeitnehmer, die der konkurrierenden Gewerkschaft angehören, im übrigen bleibt es bei der Verbandstarifbindung. Nach dem Grundsatz der Tarifeinheit hingegen müßte man dem Firmentarif Vorrang einräumen, was dem Arbeitgeber faktisch die Flucht aus der Verbandstarifbindung erlauben würde. Für den Arbeitgeber bietet sich die Möglichkeit, mit tariflichen Regelungsanbietern abzuschließen, deren Angebot für den Betrieb am besten kompatibel ist. Vor allem die christlichen Gewerkschaften bieten vielfach attraktivere Konditionen als die etablierten DGB-Gewerkschaften. Darin kann kein schädlicher Unterbietungswettbewerb gesehen werden. Im Wettbewerb der tariflichen Regelungsanbieter richten sich Tarifabschlüsse am Markt und an der Durchsetzungskraft der Tarifvertragsparteien und nicht an Ordnungsvorstellungen von etablierten Machtkartellen aus. Für Monopolisten würde sich andernfalls eine Rückkoppelung zu den Interessen der eigenen Mitglieder erübrigen.
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Fenn, in: FS Kissel, S. 213, 235 ff.; Hanau/Kania, Anm. zu BAG vom 20.3.1991 – 4 AZR 455/90 – AP Nr. 20 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz; Löwisch/ Rieble, TVG, § 4 Rn. 136; Wiedemann/Wank, TVG, § 4 Rn. 287.
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2. Auf Initiative der Gewerkschaften a) Grundsätzliche Zulässigkeit Tarifpluralität im Betrieb eröffnet freilich die Chance für Minderheiten mit hoher Kampfkraft, die sich in Sparten- und Berufsgruppengewerkschaften organisieren, gezielt ihre Interessen durchzusetzen. Praktisch wird das insbesondere bei Funktionseliten, wie die Arbeitskämpfe der GdF124, der GdL125 und des Marburger Bundes126 in der Vergangenheit anschaulich demonstriert haben. Aber auch wenn die Initiative zum Tarifabschluß von einer Minderheitsgewerkschaft ausgeht und der Vertragsschluß unter dem Druck eines Arbeitskampfes zustande kommt, ändert sich nichts an der autonomen Entscheidung des Arbeitgebers127. Der Arbeitskampf ist ein legitimes Mitteln zur Durchsetzung der Tarifautonomie und dient gerade der Herstellung von Verhandlungsparität zwischen den Tarifvertragsparteien. In diesen Interessengegensatz darf die Rechtsordnung nicht einseitig steuernd eingreifen, wie es durch das Postulat der Tarifeinheit im Betrieb geschieht. Hat der Arbeitgeber ein Interesse an einer einheitlichen Tarifanwendung, muß er das selbst durchsetzen. Staatshilfe kann er für die Abwehr unliebsamer Streikforderungen nicht beanspruchen. In einem auf privatautonome Interessenwahrnehmung ausgerichteten Tarifsystem gleichfalls unberücksichtigt bleiben muß das gegensätzliche Interesse von Einheitsgewerkschaften, deren Kampf- und Durchsetzungskraft gemindert wird, wenn Schlüsselkräfte aus ihren Reihen ausscheren und ihre Interessen in eigenen Tarifverträgen durchsetzen. Jede Koalition ist auf das Potential der eigenen Mitglieder verwiesen128. 124 LAG Hessen vom 22.7.2004 – 9 SaGa 593/04 – AP Nr. 126 zu Art. 9 GG = NZA-RR 2005, 262; LAG Rheinland-Pfalz vom 22.6.2004 – 11 Sa 2096/03 – AP Nr. 169 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 125 LAG Hessen vom 2.5.2003 – 9 SaGa 636/03 – NZA 2003, 679; ArbG Düsseldorf vom 1.8.2007 – 11 Ga 74/07 – nicht veröffentlicht [juris]; ArbG Nürnberg vom 1.8.2007 – nicht veröffentlicht [juris]; ArbG Chemnitz vom 5.10.2007 – 7 Ga 26/07 – nicht veröffentlicht [juris]; siehe auch Buchner, BB 2007, 2520, 2520 ff.; Hunold, NZA 2007, 1037, 1037 ff.; Reichold, NZA 2007, 1262, 1262 ff.; Rieble, BB 2003, 1227, 1227 ff. 126 LAG Köln vom 12.12.2005 – 2 Ta 457/05 – AP Nr. 171 zu Art. 9 GG Arbeitskampf = NZA 2006, 62; ArbG Kiel vom 30.6.2006 – 1 Ga 11b/06 – ArbuR 2006, 373 = ZTR 2006, 488. 127 Bayreuther, NZA 2007, 184, 188. 128 BVerfG vom 6.5.1964 – 1 BvR 79/62 – BVerfGE 18, 18, 33 = AP Nr. 15 zu § 2 TVG = NJW 1964, 1267 und BVerfG vom 15.7.1980 – 1 BvR 24/74, 1 BvR 439/79 – AP Nr. 17 zu § 5 TVG = NJW 1981, 215.
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Im Gesamtgefüge ist für die Arbeitgeberseite schließlich auch keine exorbitante Steigerung von Tarifabschlüssen zu befürchten. Es ist vielmehr zu erwarten, daß der Wettbewerb zu einem marktgerechten Interessenausgleich führen wird, was gleichwohl eine deutlich stärkere Lohnspreizung nach sich ziehen wird, wie das von Ökonomen schon lange gefordert wird. Stehen Leistungsträger nicht mehr für Solidaritätsopfer zugunsten der unteren Lohngruppen zur Verfügung, hat das zwangsläufig zur Folge, daß sich das Lohngefälle stärker leistungsorientiert ausrichten wird. b) Streikweise Durchsetzung Die Zulassung des auf Gewerkschaftspluralismus beruhenden Tarifpluralismus muß allerdings dazu führen, daß das Streikrecht im Arbeitgeberinteresse begrenzt oder besser: die Frage der Kampfparität neu gestellt werden muß129. Der Gewerkschafts- und Tarifwettbewerbs führt zu einer Veränderung der Arbeitskampfsituation des Arbeitgebers, weil er mehreren potentiellen Tarifpartnern gegenüber steht. Zur Abwehr konkurrierender Streikforderungen kann er sich nicht auf die Friedenspflicht eines, mit einer anderen Gewerkschaft abgeschlossenen, Tarifvertrags berufen130. Die schuldrechtliche Friedenspflicht besteht nur zwischen den vertragsschließenden Parteien. Befürchtet wird, daß der Konkurrenzkampf um Mitglieder in der Praxis zu einer verstärkten Arbeitskampfbereitschaft verleiten könnte, was zu einem „Aufschaukeln“ um die effektivste Arbeitskampfstrategie führen kann131. Hier muß schon genau hingeschaut werden, ob ein Arbeitskampf noch um tariflich regelbare Ziele geführt wird oder ob es sich um einen verbandsinternen Selbstzweck der miteinander konkurrierenden Gewerkschaften handelt. Im letzteren Fall wäre ein Arbeitskampf unzulässig. Das Recht, zulässige Tarifforderungen kampfweise durchzusetzen, läßt sich aber nicht von vornherein aufgrund von Zweckmäßigkeitserwägungen verkürzen132. Der Arbeitskampf ist Teil der koalitionsrechtlichen Gewährleistung des Art. 9 Abs. 3 GG133. Jeder Gewerkschaft steht grundsätzlich das Recht zu, ihre Tarifforderungen kampfweise durchzusetzen. Mit Blick 129
Für „Korrekturen im Arbeitskampfrecht“ auch Bayreuther, BB 2005, 2633,
2637. 130 Anders bei Streikforderungen, die auf Tarifkonkurrenz gerichtet sind: dazu BAG vom 10.12.2002 – 1 AZR 96/02 – AP Nr. 162 zu Art. 9 GG Arbeitskampf = EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 134 = NZA 2003, 734. 131 Hromadka, in: GS Heinze, S. 383, 383 ff.; Meyer, DB 2006, 1271, 1272. 132 Rieble, BB 2003, 1227, 1227. 133 BVerfG vom 26.6.1991 – 1 BvR 779/85 – BVerfGE 84, 212, 224 = AP Nr. 117 zu Art. 9 GG Arbeitskampf = EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 97; Buch-
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auf die Arbeitskampfparität muß dennoch gefragt werden, ob ein Arbeitskampf in einer multilateralen Verhandlungssituation zumindest solange in seiner Intensität zu beschränken ist, wie die Arbeitgeberseite mit einer Gewerkschaft verhandelt bzw. dieser Verhandlungen anbietet. Das Gebot der Arbeitskampfparität steht dem, gegen einen einzelnen verbandsangehörigen Arbeitgeber geführten, Streik zwar nicht grundsätzlich entgegen134. Das auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beruhende und auf die Herstellung und Bewahrung eines tatsächlichen Verhandlungs- und Kampfgleichgewichts abzielende Prinzip der Kampfparität135 fordert aber, daß eine gleichgewichtige Regelung der Arbeitsbedingungen gewährleistet ist. Insofern kann diesem Prinzip durchaus eine Einschränkung der Kampfintensität bei multilateraler Kampfsituation des Arbeitgebers entnommen werden. Unverhältnismäßig wäre es, könnten konkurrierende Gewerkschaften durch gezielte Streikmaßnahmen den Betrieb des Arbeitgebers mehr oder weniger nach Belieben lahm legen136. Deshalb muß berücksichtigt werden, wie stark ein Arbeitgeber durch Aktivitäten mehrerer Gewerkschaften belastet wird137. Eine Beschränkung der Arbeitskampfintensität im Hinblick auf die Kampfparität scheint auch für das BAG ein gangbarer Weg zu sein, wenn es ausführt, daß „einer unzumutbaren Belastung durch Kampfmaßnahmen konkurrierender Gewerkschaften durch entsprechende Anpassung der arbeitskampfrechtlichen Grundsätze zu begegnen“ sei138. Jedenfalls ist das Interesse des Arbeitgebers, nicht permanent mit Streikdrohungen von verschiedenen, in seinem Unternehmen vertretenen Gewerkschaften, konfrontiert zu sein, rechtlich anzuerkennen139. Tarifpluralität funktioniert nur, wenn der Arbeitgeber in arbeitskampfrechtlicher Hinsicht nicht in eine Situation „struktureller Unterlegenheit“ gegenüber dem entfachten Tarifwettbewerb gerät. Im Hinblick auf den Grundsatz der Arbeitskampfparität muß deshalb im Einzelfall entschieden werden, ob die konkrete Kampfsituation, der sich der ner, in: FS 50 Jahre BAG, S. 631, 640 f.; Höfling, in: Sachs, GG, Art. 9 Rn. 94 ff.; Höfling/Engels, NJW 2007, 3102, 3103. 134 BAG vom 10.12.2002 – 1 AZR 96/02 – AP Nr. 162 zu Art. 9 GG Arbeitskampf = EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 134 = NZA 2003, 734. 135 BAG (GS) vom 21.4.1971 – GS 1/68 – AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf = EzA Art. 9 GG Nr. 6; BAG vom 10.6.1980 – 1 AZR 822/79 – AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf = EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 37. 136 So insbesondere Bayreuther, BB 2005, 2633, 2641. 137 So auch Jacobs, in: Jacobs/Krause/Oetker, Tarifvertragsrecht, S. 478. 138 BAG vom 25.9.1996 – 1 ABR 4/96 – AP Nr. 10 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit = EzA § 2 TVG Tarifzuständigkeit Nr. 5 = NZA 1997, 613. 139 So auch Franzen, in: ErfK, § 4 TVG Rn. 72.
G. Ergebnis
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Arbeitgeber ausgesetzt sieht, noch als verhältnismäßig zu werten ist. Dabei dürfen Arbeitskampfmaßnahmen nicht außer Verhältnis zum erstrebten Ziel stehen. Wird von der grundsätzlich bestehenden Befugnis zum Führen von Arbeitskämpfen objektiv zweckwidrig oder rücksichtslos Gebrauch gemacht, stellt sich der Arbeitskampf unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmißbrauchs als unzulässige Rechtsausübung und somit als unzulässig dar140.
G. Ergebnis Vom Grundsatz der Tarifeinheit ist Abschied zu nehmen. Für organisierte Arbeitnehmer kann ohne weiteres jeweils der Tarifvertrag zur Anwendung kommen, den sie mitgliedschaftlich legitimieren. Die Behandlung mehrerer Tarifverträge im Betrieb kann dem im TVG vorgezeigten Weg folgen. Einzig bei Betriebs- und Betriebsverfassungsnormen kann sich nur ein Tarifvertrag im Wege der Tarifkonkurrenz durchsetzen. Das trägt dem verfassungsrechtlich garantierten Koalitionspluralismus und der vom BAG geforderten Tarifklarheit angemessen Rechnung. Für eine Tarifeinheit im Betrieb fehlt schon die Rechtsgrundlage. Auch der Arbeitgeber braucht hier keine gerichtliche Hilfe, da er frei in der Auswahl seiner kollektivvertraglichen Bindungen ist. Für eine gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung, wie sie der Grundsatz der Tarifeinheit darstellt, fehlen zwingende Gründe, die es rechtfertigen, anders organisierte Arbeitnehmer um die Früchte ihrer Koalitionsbetätigung zu bringen. Der Eingriff in die Koalitionsfreiheit läßt sich nicht auf bloße Praktikabilitätserwägungen stützen. Die sich aus einer Tarifpluralität ergebenden Folgeprobleme lassen sich systemadäquat lösen. Insbesondere die notwendige Abgrenzung zwischen Betriebs- und Individualnormen muß genauso in anderen Bereichen geleistet werden. Auch die Funktionsfähigkeit des Tarifsystems als Ganzes ist nicht in Gefahr: die befürchteten Schreckensszenarien erweisen sich vielmehr als tarifsystemimmanente Folgen eines privatnützigen, auf mitgliedschaftlicher Legitimation beruhenden, Tarifsystems. Der hier eingreifende Staat stellt sich in Widerspruch zu den elementaren Grundentscheidungen, wie sie im Koalitionsgrundrecht des Art. 9 Abs. 3 GG und der Privatautonomie niedergelegt sind.
140 Zum Aspekt des Rechtsmißbrauchs Otto, in: Münchener Handbuch ArbeitsR, Bd. 3, § 285 Rn. 124.
§ 5 Die Betriebsverfassung als Grundlage der Belegschaftsteilung Zu den Rechtsquellen für das einzelne Arbeitsverhältnis zählt neben dem Tarifvertrag und dem Arbeitsvertrag die betriebliche Regelungsebene. Bezogen auf die zweigeteilte Belegschaft in organisierte Arbeitnehmer, deren Arbeitsbedingungen sich zwingend aus dem Tarifvertrag ergeben, und nichtorganisierte Arbeitnehmer, deren Arbeitsbedingungen sich nach dem Arbeitsvertrag richten1, stellt sich die Frage, ob und in welchem Umfang die Betriebsparteien in der Lage sind, die tariffreien Arbeitsverhältnisse zu gestalten. Anknüpfungspunkt ist der nichtorganisierte Arbeitnehmer, der, da er von der Tarifmacht der Verbände nicht erreicht wird, grundsätzlich frei darin ist, abweichende Arbeitsbedingungen zu vereinbaren2. Dem Arbeitgeber verschafft das ein erhebliches Flexibilisierungspotential, denn die fehlende Tarifbindung bedeutet immer eine Tariföffnung und somit die Möglichkeit für eine Zweiteilung der Belegschaft. Daß eine tarifabweichende Gestaltung der Arbeitsbedingungen für Außenseiter auch auf der betrieblichen Regelungsebene möglich ist, lehrt der Burda-Beschluß3: nach der insoweit zutreffenden Rechtsprechung des BAG sind betriebliche Bündnisse für Arbeit von vornherein auf die tariffreien Arbeitnehmer zu beschränken4. Aber nicht nur Bündnisse für Arbeit erzeugen ein Regelungsbedürfnis, ganz allgemein stellt sich die Frage, inwieweit auf der betrieblichen Regelungsebene die Gestaltungsspielräume der nicht tarifgebundenen Arbeitsvertragsparteien genutzt werden können. Dabei ergeben sich im wesentlichen folgende Problemfelder: einerseits ist die Regelungskompetenz der Betriebsparteien im Geltungsbereich eines Tarifvertrags durch den Tarifvorbehalt des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG erheblich eingeschränkt – wenngleich es auch hier beachtliche Ausnahmen gibt. Andererseits kommt den Betriebsparteien von Haus aus keine eigene 1 Zu den Grundlagen der Belegschaftsteilung oben § 1, S. 23 ff. und § 3, S. 153 ff. 2 Zu den Flexibilisierungschancen einer Zweiteilung der Belegschaft oben § 3 D., S. 169 ff. 3 BAG vom 20.4.1999 – 1 ABR 72/98 – AP Nr. 89 zu Art. 9 GG = EzA Art. 9 GG Nr. 65 = NZA 1999, 887. 4 Dazu etwa Kast/Stuhlmann, BB 2000, 614, 617 ff.; Federlin, in: FS 50 Jahre BAG, S. 645, 649.
A. Begrenzte Regelungskompetenz der Betriebsparteien
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Autonomie zu, wodurch die gegenständliche Reichweite ihrer Regelung grundsätzlich begrenzt sein muß (A.). Soweit schließlich für die Betriebsparteien ein Regelungsbereich eröffnet ist, ist in einem weiteren Schritt zu klären, ob die betriebsverfassungsrechtlichen Akteure ihre Regelung auf tariffreie Arbeitnehmer beschränken können, repräsentieren sie doch eigentlich die gesamte Belegschaft (B.). Randfragen ergeben sich ferner dahingehend, ob den Tarifvertragsparteien über die im BetrVG formulierten Regelungsschranken ein Unterlassungsanspruch hinsichtlich solcher Regelungen zukommen kann, die sich nur an Tarifaußenseiter richten (C.).
A. Begrenzte Regelungskompetenz der Betriebsparteien zwischen Tarif- und Privatautonomie Zunächst muß die Regelungskompetenz der Betriebsparteien im Gefüge zwischen Tarifautonomie auf der einen und der Privatautonomie der Arbeitsvertragsparteien auf der anderen Seite eingeordnet und abgegrenzt werden. Dabei ist zwischen der mit normativer Wirkung ausgestatteten Betriebsvereinbarung und formlosen Regelungsabreden zu unterscheiden. Diese beiden Regelungsinstrumente sind hinsichtlich des Umfangs und der Reichweite der Regelungskompetenz eigenen Regeln unterworfen. I. Normsetzung durch Betriebsvereinbarung 1. Reichweite des Tarifvorbehalts nach § 77 Abs. 3 BetrVG Die Betriebsvereinbarung hat zwar den Vorteil, daß sie nicht erst mit allen tariffreien Arbeitnehmern verhandelt und in den Arbeitsverhältnissen vertraglich umgesetzt werden muß, weil sie unmittelbare und zwingende Gestaltungskraft hat. Andererseits ist der Regelungsbereich der Betriebsvereinbarung aber durch den in § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG normierten Tarifvorbehalt beträchtlich eingeschränkt. Obwohl den Betriebsparteien prinzipiell die Möglichkeit eröffnet ist, in den Grenzen der „Betriebsautonomie“5 Arbeitsbedingungen durch Betriebsvereinbarung zu regeln, ist ihnen die Zuständigkeit hierfür weitgehend entzogen, wenn die Tarifvertragsparteien von ihrer Regelungskompetenz Gebrauch gemacht haben oder dies üblicherweise tun. Dagegen ist im Grundsatz nichts einzuwenden: die Vorrangkompetenz zugunsten der Tarifvertragsparteien erhält und stärkt die verfassungsrechtlich 5 Zum Umfang der Regelungskompetenz der Betriebsparteien unten § 5 A. I. 2. d), S. 219 ff.
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§ 5 Die Betriebsverfassung als Grundlage der Belegschaftsteilung
garantierte Tarifautonomie in ihrer Funktionsfähigkeit und schützt sie vor konkurrierenden Gestaltungen im Rahmen der betriebsverfassungsrechtlichen Mitbestimmungsordnung6. Den Betriebsparteien ist es deshalb zu Recht untersagt, in Betriebsvereinbarungen normative Ersatz- und Konkurrenzregelungen zu schaffen, die geeignet wären, die Tarifautonomie auszuhöhlen. In den Worten des BAG ist zum Schutz der ausgeübten und aktualisierten Tarifautonomie jede Normsetzung durch die Betriebsparteien ausgeschlossen, die inhaltlich zu derjenigen der Tarifvertragsparteien in Konkurrenz treten würde7. Sie sollen weder abweichende noch ergänzende Betriebsvereinbarungen mit normativer Wirkung abschließen können8. Die Betriebsvereinbarung soll zudem nicht als Ersatztarifvertrag für Außenseiter wirken und die Tarifregelungen unterlaufen können9. Unzulässig sind daher Betriebsvereinbarungen, die einen für den Betrieb geltenden Tarifvertrag mit der Folge der indirekten Erstreckung auf Außenseiter übernehmen10. a) Tarifliche oder tarifübliche Regelung Schon das Bestehen einer tariflichen oder eine übliche tarifliche Regelung schließt eine weitere normative Ordnung auf der Betriebsebene aus. Von § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG erfaßt sind sämtliche materielle und formelle Arbeitsbedingungen. Darüber besteht im Ergebnis weitgehend Einigkeit11. 6
BAG vom 22.3.2005 – 1 ABR 64/03 – AP Nr. 26 zu § 4 TVG Geltungsbereich m. Anm. Wiese = EzA § 77 BetrVG 2001 Nr. 10 = RdA 2006, 312 m. Anm. Waas; BAG vom 21.1.2003 – 1 ABR 9/02 – AP Nr. 1 zu § 21a BetrVG 1972 = EzA § 77 BetrVG 2001 Nr. 3 = NZA 2003, 1097; BAG vom 29.10.2002 – 1 AZR 573/01 – AP Nr. 18 zu § 77 BetrVG 1972 Tarifvorbehalt = EzA § 77 BetrVG 1972 Nr. 72 = NZA 2003, 393; BAG vom 24.2.1987 – 1 ABR 18/85 – AP Nr. 21 zu § 77 BetrVG 1972 = EzA § 87 BetrVG 1972 Nr. 10 = NZA 1987, 639; BAG vom 27.1.1987 – 1 ABR 66/85 – AP Nr. 42 zu § 99 BetrVG 1972 = EzA § 99 BetrVG 1972 Nr. 55 = NZA 1987, 489; Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmeier, BetrVG, § 77 Rn. 67; Henssler/Willemsen/Kalb/Gaul, Arbeitsrecht Kommentar, § 77 BetrVG Rn. 48; Hess/Schlochauer/Glock/Worzalla, BetrVG, § 77 Rn. 127; GKBetrVG/Kreutz, § 77 Rn. 78; Richardi/Richardi, BetrVG, § 77 Rn. 244. 7 Siehe die Nachweise in Fn. 6, S. 210. 8 BAG vom 20.11.2001 – 1 AZR 12/01 – EzA § 77 BetrVG 1972 Nr. 70 = NZA 2002, 872. 9 v. Hoyningen-Huene/Meier-Krenz, NZA 1987, 793, 794; v. Hoyningen-Huene, DB 1994, 2026, 2026. 10 v. Hoyningen-Huene, Betriebsverfassungsrecht, S. 229. 11 BAG vom 09.04.1991 – 1 AZR 406/90 – AP Nr. 1 zu § 77 BetrVG 1972 Tarifvorbehalt = EzA § 77 BetrVG 1972 Nr. 39 = NZA 1991, 734; v. HoyningenHuene, Betriebsverfassungsrecht, S. 231; v. Hoyningen-Huene/Meier-Krenz, NZA 1987, 793, 794; Kreutz, in: GK-BetrVG, § 77 Rn. 83 ff.; Lambrich, Tarif- und Betriebsautonomie, S. 279 ff.
A. Begrenzte Regelungskompetenz der Betriebsparteien
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Gleichermaßen kann das Günstigkeitsprinzip im Verhältnis von Betriebsvereinbarung und Tarifvertrag keine Anwendung finden12. b) Tarifgebundenheit des Arbeitgebers Umstritten ist dagegen, ob es auf die Tarifgebundenheit der Arbeitsvertragsparteien ankommt. Nach herrschender Meinung sperrt der Tarifvorbehalt des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG den Abschluß einer Betriebsvereinbarung unabhängig von der Tarifgebundenheit des Arbeitgebers13. Für das Eingreifen des Tarifvorbehalts genügt es, daß der Betrieb im Geltungsbereich eines gegebenenfalls bloß üblichen Tarifvertrags liegt14. Geht man vom Normzweck des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG aus, der die ausgeübte und aktualisierte Tarifautonomie sichern soll, indem er den Tarifvertragsparteien grundsätzlich den Vorrang zur kollektiven Regelung von Arbeitsbedingungen einräumt, muß sichergestellt sein, daß diese Befugnis nicht dadurch ausgehöhlt wird, daß Arbeitgeber und Betriebsrat ergänzende oder abweichende Regelungen vereinbaren, die sich in Konkurrenz zur tariflichen Regelung stellen würden. Insoweit ist es einleuchtend, daß die Sperrwirkung nicht davon abhängen kann, ob der Arbeitgeber tarifgebunden ist. Soll es vorrangig Aufgabe der Tarifpartner sein, Arbeitsbedingungen kollektivrechtlich zu regeln, wäre die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie auch dann gefährdet, wenn die nicht tarifgebundenen Arbeitgeber kollektivrechtliche Regelungen in Form von Betriebsvereinbarungen erreichen könnten. Zur kollektiven Regelung der Arbeitsbedingungen soll sich der Arbeitgeber der Tarifautonomie bedienen. Dem entspricht es, daß für das Eingreifen der Tarifsperre eine tarifübliche Regelung wegen der jedenfalls einmal ausgeübten Normsetzung genügt. Deshalb geht die überwiegende Auffassung zu Recht davon aus, daß die Sperrwirkung des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG ebenso Betriebe nicht tarifgebundener Arbeitgeber erfaßt. Bei § 77 12
Für die ganz h. M. nur Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmeier, BetrVG, § 77 Rn. 97, a. A. Ehmann/Lambrich, NZA 1996, 346, 346 ff. 13 Zuletzt, BAG vom 22.3.2005 – 1 ABR 64/03 – AP Nr. 26 zu § 4 TVG Geltungsbereich m. Anm. Wiese = EzA § 77 BetrVG 2001 Nr. 10 = RdA 2006, 312 m. Anm. Waas; BAG vom 21.1.2003 – 1 ABR 9/02 – AP Nr. 1 zu § 21a BetrVG 1972 = EzA § 77 BetrVG 2001 Nr. 3 = NZA 2003, 1097; Kania, in: ErfK, § 77 BetrVG Rn. 40; v. Hoyningen-Huene/Meier-Krenz, NZA 1987, 793, 795; Waltermann, Rechtsetzung durch Betriebsvereinbarung zwischen Privatautonomie und Tarifautonomie, S. 284. 14 Mit Argumenten pro und contra GK-BetrVG/Kreutz, § 77 Rn. 99 f.; ausführlich und zusammenfassend dagegen Ehmann, in: FS Zöllner, S. 715, 715 ff. sowie Richardi, in: FS Schaub, S. 639, 644 ff.
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§ 5 Die Betriebsverfassung als Grundlage der Belegschaftsteilung
Abs. 3 Satz 1 handelt es sich um eine Zuständigkeitsabgrenzung und nicht um eine Kollisionsnorm. c) Tarifgebundenheit auf Arbeitnehmerseite Die herrschende Meinung geht ebenso davon aus, daß es auf die Tarifgebundenheit aller, einer Vielzahl oder mindestens eines Arbeitnehmers des betreffenden Betriebs als Voraussetzung für das Eingreifen der Sperrwirkung nicht ankommt15. Die Sperrwirkung gilt danach auch unabhängig von der Gewerkschaftszugehörigkeit16. Dafür spricht der Wortlaut des § 77 Abs. 3 BetrVG, nach dessen Fassung es im Gegensatz zu § 4 Abs. 1 TVG, der die tarifvertragsrechtliche Unabdingbarkeitsanordnung an die Geltung des Tarifvertrags knüpft, lediglich darum geht, daß der betreffende Gegenstand tariflich geregelt ist oder üblicherweise tariflich geregelt wird. Auf die konkrete Anwendbarkeit im einzelnen Arbeitsverhältnis wird insofern nicht abgestellt. Bestätigt wird das durch den Zweck des § 77 Abs. 3 BetrVG, der ausweislich der Gesetzesbegründung auch darin besteht, betriebliche Vereinbarungen auszuschließen, die darauf gerichtet sind, den Inhalt tariflicher Bestimmungen auf nichtorganisierte Arbeitnehmer zu erstrecken17. Der Tarifvorbehalt soll auch und gerade im Hinblick auf tariffreie Arbeitsverhältnisse Geltung erlangen18. Im Gegensatz zu § 87 Abs. 1 BetrVG Einleitungshalbsatz handelt es sich nicht um eine individualrechtsbezogene Rechtsanwendungsregel, sondern um eine gegenstandsbezogene Zuständigkeitsregel. Die Vorschrift soll umfassend einer Kollision zwischen Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung durch Kompetenzentzug für die Betriebsparteien vorbeugen19. Der Ge15 BAG vom 24.1.1996 – 1 AZR 597/95 – AP Nr. 8 zu § 77 BetrVG 1972 Tarifvorbehalt = EzA § 77 BetrVG 1972 Nr. 55 = NZA 1996, 948; BAG vom 20.11.2001 – 1 AZR 12/01 – EzA § 77 BetrVG 1972 Nr. 70 = NZA 2002, 872; BAG vom 21.1.2003 – 1 ABR 9/02 – AP Nr. 1 zu § 21a BetrVG 1972 = EzA § 77 BetrVG 2001 Nr. 3 = NZA 2003, 1097; Kempen/Zachert/WendelingSchröder, TVG, Grundlagen Rn. 335; Richardi/Richardi, BetrVG, § 77 Rn. 261; v. Hoyningen-Huene/Meier-Krenz, NZA 1987, 793, 795; Waltermann, Rechtsetzung durch Betriebsvereinbarung zwischen Privatautonomie und Tarifautonomie, S. 284. 16 Dagegen Wiese, Anm. zu BAG vom 22.3.2005 – 1 ABR 64/03 – AP Nr. 26 zu § 4 TVG Geltungsbereich; ebenso GK-BetrVG/Kreutz, § 77 Rn. 99; Hablitzel, NZA 2001, 467, 471. 17 BT-Durcks., VI/1786, S. 47. 18 Dazu Lambrich, Tarif- und Betriebsautonomie, S. 389. 19 Lambrich, Tarif- und Betriebsautonomie, S. 390; bereits Gast, Tarifautonomie und die Normsetzung durch Betriebsvereinbarung, S. 17 f.
A. Begrenzte Regelungskompetenz der Betriebsparteien
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setzgeber hat das mit der Neufassung des § 77 Abs. 3 BetrVG deutlich herausgestellt20. Nicht von der Hand zu weisen ist freilich, daß die Sperrwirkung zu Lasten der nicht tarifgebundenen Arbeitsverhältnisse geht, für die die Möglichkeit einer normativen Regelung auf Betriebsebene abgeschnitten ist. Obzwar sie nicht der Tarifmacht unterstellt sind, wirkt sich diese unmittelbar auf sie aus, weil den Betriebsparteien die Möglichkeit genommen ist, im Bereich eines Tarifvertrags eine entsprechende Regelung zu treffen. Gleichwohl konnte der Gesetzgeber aber die betriebliche Regelungsbefugnis zum Schutz der Tarifautonomie nach dem Modell des § 77 Abs. 3 BetrVG in verfassungskonformer Weise begrenzen. Der Staat ist zwar verpflichtet, die Regelung von Arbeitsbedingungen durch Tarifvertrag zu ermöglichen21, eine Verpflichtung, Entsprechendes für die Betriebsvereinbarung sicherzustellen, besteht aber nicht22. Die auch gegenüber Außenseitern wirkende Sicherung der ausgeübten und aktualisierten Tarifautonomie ist systemgerecht. Bei einer Beteiligung am Tarifvertragssystem ist es dem Arbeitgeber folgerichtig verwehrt, sich einer anderen Form der Gruppenautonomie zu bedienen. Im übrigen wird dadurch eine außertarifliche Regelung mit den tariffreien Arbeitnehmern nicht ausgeschlossen. Das richtige Instrumentarium hierfür ist nur nicht die Betriebsvereinbarung, sondern der Arbeitsvertrag. Damit sichert § 77 Abs. 3 BetrVG mittelbar zudem die Vertragsfreiheit, die die primäre Ordnungsentscheidung des geltenden Rechts für die Gestaltung des Arbeitslebens darstellt23. d) Tarifvertragliche Geltungsbereichsbeschränkungen Der von § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG bezweckte Schutz der Tarifautonomie ist nicht erforderlich, wenn die Tarifparteien von ihrer Regelungskompetenz keinen Gebrauch machen. Das gilt grundsätzlich außerhalb des Geltungsbereichs eines Tarifvertrags. Es kann auch nicht mehr davon gesprochen werden, daß „Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden“, wenn für den räumlichen, betrieblichen und fachlichen Geltungsbereich eines Betriebs kein Tarifvertrag abgeschlossen ist. Die Sperrwirkung nach § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG reicht grundsätzlich also nur soweit wie der Gel20
So insbesondere Kreutz, Grenzen der Betriebsautonomie, S. 212. BVerfG vom 18.11.1954 – 1 BvR 629/52 – BVerfGE 4, 96 = AP Nr. 1 zu Art. 9 GG = JZ 1955, 203. 22 Buchner, RdA 1990, 1, 4. 23 Zum Arbeitsvertrag als Grundlage der Belegschaftsteilung unten § 6, S. 257 ff. 21
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§ 5 Die Betriebsverfassung als Grundlage der Belegschaftsteilung
tungsbereich des Tarifvertrags24. Begrenzen die Tarifvertragsparteien den Geltungsbereich, liegt darin ein Verzicht auf das Regelungsprivileg im Hinblick auf die ausgenommenen „Außenseitern“. Von vornherein einleuchtend ist der Verlust des Sperrprivilegs, wenn die Tarifvertragsparteien von der ihnen zustehenden Normsetzungsbefugnis keinen Gebrauch machen, indem sie den tarifvertraglichen Geltungsbereich in räumlicher, in betrieblich-branchenmäßiger oder in fachlicher Hinsicht beschränkten. Eine Berufung auf das Sperrprivileg scheidet aus, da überhaupt keine Regelungsabsicht besteht und insofern eben auch nicht von einer tarifüblichen Regelung gesprochen werden kann. Das gilt grundsätzlich ebenso für den persönlichen Geltungsbereich. So ist anerkannt, daß die Sperrwirkung nicht für außertarifliche Angestellte greift, die die Tarifvertragsparteien ausdrücklich ausnehmen, weil ihre Position in der Unternehmenshierarchie individualisierte Arbeitsbedingungen erfordert25. Die Gestaltung durch Betriebsvereinbarung bleibt möglich, weil die Tarifvertragsparteien ihre Regelungsmacht nicht wahrnehmen. Fraglich ist, ob diese Grundsätze auch für die Beschränkung des organisatorischen Geltungsbereichs gelten. Insofern besteht ein Unterschied zum persönlichen Geltungsbereich, der allgemein an, in der Person der Arbeitnehmer liegende, Umstände anknüpft. Der organisatorische Geltungsbereich bezieht sich allein auf die Koalitionszugehörigkeit. Gleichwohl wird aber angenommen, daß Tarifverträge, die die Erstreckung auf Nichtorganisierte erschweren, ihre Sperrprivilegien aus dem BetrVG einbüßen26. Jedoch ist die Tarifgebundenheit auf Arbeitnehmerseite und damit die Gewerkschaftsmitgliedschaft keine Voraussetzung für die Sperrwirkung des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG.27. Der Tarifvorbehalt sichert so auch, daß ein Tarifvertrag nicht qua Betriebsvereinbarung auf Außenseiter erstreckt werden kann28. Andernfalls entstünde eine betriebliche Konkurrenzordnung, die 24 BAG vom 9.12.1997 – 1 AZR 319/97 – AP Nr. 11 zu § 77 BetrVG 1972 Tarifvorbehalt = EzA § 77 BetrVG 1972 Nr. 61 = NZA 1998, 661; BAG vom 27.1.1987 – 1 ABR 66/85 – AP Nr. 42 zu § 99 BetrVG 1972 = EzA § 99 BetrVG 1972 Nr. 55 = NZA 1987, 489; Richardi/Richardi, BetrVG, § 77 Rn. 270. 25 BAG vom 22.2.1978 – 1 ABR 48/77 – AP Nr. 3 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung = EzA § 87 BetrVG 1972 Lohn- und Arbeitsentgelt Nr. 11 = NJW 1981, 75. 26 Buchner, DB 1997, 573, 577; Kania, BB 2001, 1091, 1092; Klebeck, SAE 2007, 271, 273, Löwisch/Rieble, TVG, § 4 Rn. 106. 27 Vgl. oben § 5 A. I. 1. c), S. 212. 28 v. Hoyningen-Huene, Betriebsverfassungsrecht, S. 229, ders., DB 1994, 2026, 2027; Richardi/Richardi, BetrVG, § 77 Rn. 290; schon zu § 59 BetrVG 1952: Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 281 f.; Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille, S. 274 f.
A. Begrenzte Regelungskompetenz der Betriebsparteien
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§ 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG gerade verhindern will. Die Überwirkung auf Außenseiter ist hier systemkonform, da den Tarifvertragsparteien für die kollektive Gestaltung von Arbeitsbedingungen gesetzlich eine Monopolstellung zugewiesen ist, die es verhindert, daß der persönliche Anwendungsbereich von Tarifverträgen anders als durch Allgemeinverbindlicherklärung ausgedehnt wird29. Ließe man die Sperrwirkung bei organisatorischen Geltungsbereichsbeschränkungen gegenüber Außenseitern entfallen, führte das die Notwendigkeit der Tarifgebundenheit im Rahmen des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG ein. Dem widerspricht auch, daß schon die bloße Tarifüblichkeit jede kollektive Konkurrenzordnung durch Betriebsvereinbarung ausschließen soll. Die Tarifvertragsparteien können im übrigen keine eigene Regelungsmacht zurücknehmen, weil ihnen eine solche gegenüber nichtorganisierten Arbeitnehmern gar nicht zusteht30. Es geht also nicht darum, daß die Tarifparteien im Rahmen ihrer Tarifautonomie bestimmen würden, inwieweit sie von ihrer Regelungsmacht Gebrauch machen. Die Sperrwirkung, die § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG gegenüber Nichtorganisierten entfaltet, läßt sich deshalb nicht tarifautonom zurücknehmen. Daran ändert auch die Entscheidung des BAG vom 22.3.200531 nichts, in der es um einen auf tarifgebundene Arbeitgeber beschränkten Geltungsbereich ging. Das BAG hat zwar bestätigt, daß sich die Reichweite des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG grundsätzlich auch nach dem Geltungsbereich im Hinblick auf die Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband richtet. Im Gegensatz zu einem, auf die Organisationszugehörigkeit der Arbeitnehmer abstellenden, Geltungsbereich kann es zu einer Konkurrenzsituation von Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung aber nicht kommen, wenn sich die Geltungsbeschränkung auf die Mitgliedschaft des Arbeitgebers im Arbeitgeberverband bezieht, da ein Tarifvertrag dann im Betrieb gar nicht zur Anwendung gelangen kann. Ist es der Zweck des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG, eine Normenkonkurrenz zu verhindern, ist dies solange berechtigt, wie eine tatsächliche oder jedenfalls mögliche Normenkollision besteht. Dazu kommt es bei fehlender Tarifbindung des Arbeitgebers nicht. Hier besteht kein Anlaß, die Tarifvertragsparteien vor einer Konkurrenz zu schützen. Anders ist das hinsichtlich der Tarifbindung der Arbeitnehmer: hier kann es zu einer Konkurrenzsituation zwischen dem im Betrieb geltenden Tarifvertrag und entsprechen29
So ausdrücklich die Gesetzesbegründung BT-Drucks. IV/1786, S. 47. Ausführlich dazu oben § 1 B. III., S. 33. 31 BAG vom 22.3.2005 – 1 ABR 64/03 – AP Nr. 26 zu § 4 TVG Geltungsbereich m. Anm. Wiese = EzA § 77 BetrVG 2001 Nr. 10 = RdA 2006, 312 m. Anm. Waas. 30
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§ 5 Die Betriebsverfassung als Grundlage der Belegschaftsteilung
den auf tariffreie Arbeitnehmer beschränkten Betriebsvereinbarungen kommen. Dies will § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG nach der geltenden Fassung verhindern. Es ist zwar richtig, wenn darauf verwiesen wird, daß die Tarifvertragsparteien keines „Schutzes vor sich selbst“ bedürfen32. Das allein reicht aber nicht aus, die, nach der gesetzgeberischen Intention nicht auf die Tarifbindung der einzelnen Arbeitnehmer abstellende, Regelung des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG außer Kraft zu setzen. Dem Gesetzgeber ging es um eine generelle Zuständigkeitsabgrenzung, die ein Konkurrenzverhältnis von tariflichen und betrieblichen Regelungen verhindern soll. Genau dazu käme es, würde man die Sperrwirkung für Außenseiter zurücktreten lassen. Insofern läßt sich keine Parallele zur tariflichen Öffnungsklauseln nach § 77 Abs. 3 Satz 2 BetrVG ziehen33. Dadurch kann eine Konkurrenz zwischen Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung nicht entstehen, weil die Tarifvertragsparteien insoweit auf eine eigene Regelung verzichtet haben. Bei einem, organisatorisch auf die tarifgebundenen Arbeitnehmer begrenzten, Geltungsbereich hingegen gibt es eine tarifliche Regelung, zu der sich jede weitere betriebliche Regelung in Konkurrenz setzen würde. Nach dem Sinn und Zweck des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG führen organisatorische Geltungsbereichsbeschränkungen in einem Tarifvertrag folglich nicht dazu, daß ein betrieblicher Regelungsbereich für nichtorganisierte Arbeitnehmer eröffnet wäre. Eine Belegschaftsteilung ist im Rahmen von Geltungsbereichsbeschränkungen somit nicht möglich.
2. Tariföffnung durch Öffnungsklauseln a) Tarifautonome Rücknahme der Sperrwirkung Die betriebliche Normsetzung kommt zum Zuge, wenn der Tarifvertrag den Abschluß einer Betriebsvereinbarung ausdrücklich gemäß § 77 Abs. 3 Satz 2 BetrVG zuläßt. In diesem Fall tritt die Tarifautonomie und mit ihr das Sperrprivileg des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG zurück34. Öffnungsklauseln sind Zulassungsnormen35. Das gilt für tarifgebundene und tariffreie Arbeitnehmer gleichermaßen. Daß die Reichweite der Regelungskompe32
Klebeck, SAE 2007, 271, 281. So aber Klebeck, SAE 2007, 271, 280. 34 Zur betriebsnahen Tarifpolitik Kempen/Zachert/Wendeling-Schröder, TVG, § 4 Rn. 394. 35 Zur Funktion der Tariföffnungsklausel v. Hoyningen-Huene/Meier-Krenz, ZfA 1988, 293, 302. 33
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tenz insofern für Außenseiter durch Tarifvertrag bestimmt wird, ist der klare Ausgangspunkt des § 77 Abs. 3 BetrVG und dementsprechend hinzunehmen36. b) Abweichende Betriebsvereinbarungen Obwohl die Tarifvertragsparteien nach dem Wortlaut des § 77 Abs. 3 Satz 2 BetrVG nur ergänzende Betriebsvereinbarungen zulassen können, entspricht es der herrschenden Meinung, daß sie darüber hinaus auch vom Tarifvertrag abweichende Regelungen gestatten dürfen37. Da die Tarifvertragsparteien von einer Sachregelung ebenso ganz absehen dürfen, können sie das auch durch eine ausdrückliche Regelung tun38. Trotz der tariflichen Reichweitenbestimmung entscheiden die Betriebsparteien in eigenem Ermessen. Ob und in welchem Umfang sie von ihrer Regelungskompetenz Gebrauch machen, kann von den Tarifvertragsparteien nicht diktiert werden. Selbige können lediglich ihren Regelungsanspruch zurück nehmen und damit das Feld für eine normative, betriebliche Regelung freigeben. Dadurch delegieren sie keine Tarifmacht: die Betriebsparteien nehmen ausschließlich ihre eigene Regelungskompetenz war39. Nur so bleibt der gebotene Schutz der negativen Koalitionsfreiheit der nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer gewährleistet. Sie werden zwar in verfassungskonformer Weise negativ von der Sperrwirkung des Tarifvorbehalts betroffen, wenn ihnen eine Regelung ihrer Arbeitsbedingungen durch Betriebsvereinbarung verwehrt bleibt. Sie können andererseits aber nicht positiv der Regelungsmacht der Tarifvertragsparteien unterstellt werden, indem diese eine Regelung auf betrieblicher Ebene gleichsam anordnen40. Steht es den Betriebspartnern im Rahmen des eröffneten Regelungsbereichs frei, wie sie von ihrer Kompetenz Gebrauch machen, können sie auch entscheiden, für welche Arbeitnehmer beziehungsweise Arbeitnehmergruppen sie eine Regelung erlassen. Das eröffnet die Möglichkeiten, den Anwendungsbereich der Regelung auf tarifgebundene oder entsprechend auf nicht tarifgebundene Arbeitnehmer zu begrenzen. Inwiefern der gewill36
Buchner, RdA 1990, 1, 4. Beuthien, BB 1983, 1992, 1992 ff.; v. Hoyningen-Huene/Meier-Krenz, ZfA 1988, 293, 302; Lieb, NZA 1994, 289, 290; Richardi/Richardi, BetrVG, § 77 Rn. 301, Walker, ZfA 1996, 353, 360; Waltermann, RdA 1996, 129, 135 f.; C. Fischer, Die tarifwidrigen Betriebsvereinbarungen, S. 209 m. w. Nachw. 38 Zu den sich aus der Tarifautonomie ergebenden Schranken: Rieble, RdA 1996, 151, 156 ff.; Säcker/Oetker, RdA 1992, 16, 25 ff.; Wank, NJW 1996, 2273, 2280. 39 Löwisch/Rieble, in: Münchener Handbuch ArbeitsR, Bd. 3, § 261 Rn. 29. 40 v. Hoyningen-Huene, DB 1994, 2026, 2032. 37
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§ 5 Die Betriebsverfassung als Grundlage der Belegschaftsteilung
kürten betrieblichen Belegschaftsteilung Schranken, insbesondere durch § 75 BetrVG, vorgegeben sind, wird sogleich im Zusammenhang zu zeigen sein, hier geht es zunächst um den grundsätzlich eröffneten Regelungsbereich für die Betriebsparteien41. c) Ergänzende Betriebsvereinbarungen Öffnungsklauseln zugunsten abweichender Betriebsvereinbarungen kommen in der Praxis eher selten vor, begeben sich die Tarifvertragsparteien doch in diesem Bereich umfassend ihrer Regelungskompetenz42. Häufiger sind deshalb ergänzende Betriebsvereinbarungen. Hierher gehören diejenigen Regelungen, die die Ausführung und Anwendung des Tarifvertrags selbst näher ausgestalten. Dadurch bleiben die Tarifvertragsparteien Herr der Regelungsmaterie, da sie nur partielle Ergänzungen zulassen. Für nichtorganisierte Arbeitnehmer bedarf es insofern der Übernahme der tariflichen Regelung, die es zu ergänzen gilt. Das ist grundsätzlich zulässig43. Ein Eingriff in die negative Koalitionsfreiheit liegt darin nicht, weil die übernommene Regelung nicht kraft Tarifvertrags, sondern allein aufgrund der Betriebsvereinbarung gilt44. Für die Reichweite der betrieblichen Regelungskompetenz bedeutet das, daß die Tarifvertragsparteien einen Regelungsbereich sowohl hinsichtlich der ergänzenden Regelungsmaterie als auch bezüglich der zu ergänzenden Tarifregelung freigeben. Soweit eine tarifliche Regelung in nicht tarifgebundene Arbeitsverhältnisse zu übernehmen ist, tritt diesbezüglich ebenso die Sperrwirkung des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG zurück. Die Betriebsparteien können die tarifliche Regelung für Außenseiter übernehmen und diese entsprechend ergänzen, sie können von der Übernahme aber ebenso absehen und eine Ergänzung auf die tarifgebundenen Arbeitnehmer beschränken. Gerade weil keine Pflicht zur Übernahme der tariflichen Regelung besteht, ist eine derartige Begrenzung möglich45. Für tarifliche Außenseiter eröffnet das wiederum grundsätzlich die Möglichkeit, den von der Sperrwirkung des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG ausgenommenen 41
Zu den Grenzen der betrieblichen Belegschaftsteilung ausführlich unten § 5 B., S. 241 ff. 42 Zu den organisationspolitischen Aspekten von Öffnungsklauseln oben § 3 C. I., S. 162 f. 43 v. Hoyningen-Huene, DB 1994, 2026, 2030; Kissel, in: FS Hanau, S. 547, 556. 44 BAG vom 18.8.1987 – 1 ABR 30/86 – AP Nr. 23 zu § 77 BetrVG 1972 = NZA 1987, 779. 45 Ebenso Buchner, RdA 1990, 1, 4; Walker, ZfA 1996, 353, 366; Wank, NJW 1996, 2273, 2281.
A. Begrenzte Regelungskompetenz der Betriebsparteien
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Regelungsbereich differenziert auszugestalten. Die Grenzen der gewillkürten betrieblichen Belegschaftsteilung werden ausführlich im Zusammenhang dargestellt46. d) Umfang der Regelungskompetenz innerhalb der Tariföffnung Die grundsätzliche Kompetenzeröffnung sagt noch nichts über den sachlichen Umfang der Regelungsmacht aus. Durch die Tariföffnung entfällt zwar die Sperrwirkung des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG. Daraus läßt sich aber nicht ableiten, daß die Betriebspartner befugt seien, den gesamten Inhalt des Arbeitsverhältnisses normativ zu gestalten. Der sachliche Umfang der betrieblichen Regelungskompetenz bestimmt sich nach den Vorgaben des BetrVG, weil die Betriebsparteien aufgrund ihrer eigenen Regelungskompetenz tätig werden47. Ob sie die, in den Bereich einer Tariföffnung fallenden Arbeitsbedingungen letztlich regeln dürfen, hängt von ihrem eigenen Zugangsrecht ab. (1) Grundlagen der betrieblichen Rechtsetzung Die Reichweite der betriebsverfassungsrechtlichen Regelungskompetenz bestimmt sich maßgebend aus dem Zweck und der Legitimation der Betriebsverfassung. Diese Grundlagen der betrieblichen Rechtsetzung sind deshalb zunächst zu erörtern. (a) Zweck der Betriebsverfassung Über den Zweck der Betriebsverfassung ist man sich heute weitgehend einig: in erster Linie sollen die Arbeitnehmer vor der Übermacht des Arbeitgebers geschützt werden. Diese Schutzfunktion erfüllt die Betriebsverfassung dadurch, daß der Handlungsrahmen des Arbeitgebers durch Beteiligungsrechte des Betriebsrats eingegrenzt wird48. Die schwache Stellung des einzelnen Arbeitnehmers findet so einen Ausgleich bei der Ausübung des 46
Zu den Grenzen der betrieblichen Belegschaftsteilung ausführlich unten § 5 B., S. 241 ff. 47 v. Hoyningen-Huene, Anm. zu BAG vom 18.8.1987 – 1 ABR 30/86 – AP Nr. 23 zu § 77 BetrVG 1972; Löwisch/Rieble, in: Münchener Handbuch ArbeitsR, Bd. 3, § 261 Rn. 29. 48 GK-BetrVG/Wiese, Einleitung Rn. 76; Kreutz, Grenzen der Betriebsautonomie, S. 154 ff.; Lambrich, Tarif- und Betriebsautonomie, S. 128 ff.; Franzen, NZA Sonderbeil. 3/2006, 107, 107.
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§ 5 Die Betriebsverfassung als Grundlage der Belegschaftsteilung
arbeitgeberseitigen Weisungsrechts49. Daneben steht die Ausgleichsfunktion, innerhalb derer der Betriebrat die Interessen der Arbeitnehmer aufzunehmen und mit dem Arbeitgeber zu verhandeln hat50. Exemplarisch dafür ist die Verhandlung über den Sozialplan und Interessenausgleich bei Betriebsänderungen nach Maßgabe der §§ 111 ff. BetrVG. Schließlich tritt noch die Teilhabefunktion hinzu, mittels derer die Arbeitnehmer Teilhabe an den Entscheidungen des Arbeitgebers erlangen sollen51. Aus der Funktionsbeschreibung läßt sich nun der Funktionsrahmen der Betriebsverfassung bestimmen: er ist zurückzuführen auf die Eingliederung der Arbeitnehmer in eine fremde, vom Arbeitgeber geschaffene Organisation, die es dementsprechend erfordert, Einzelinteressen bei kollektiven Maßnahmen in einen angemessenen Ausgleich zu bringen. Sowohl die Beschränkung der betrieblichen Leitungsmacht als auch die über den bloßen Schutz der Arbeitnehmer hinausgehenden Ausgleichs- und Teilhaberechte dienen in diesem Sinne der Ergänzung der vertraglich begründeten Rechtspositionen. Schon daraus folgt, daß die Regelungsmacht der Betriebsparteien funktionsbezogen auf die gesetzlichen Zuständigkeiten begrenzt sein muß. Es handelt sich demzufolge um keine den Arbeitsvertrag ersetzende Regelungsmacht. Sie schafft vielmehr in Ergänzung dazu lediglich den notwendigen Ausgleich innerhalb der kollektiven Ordnung. (b) Legitimation der betrieblichen Rechtsetzung Weil die Betriebsvereinbarung den Arbeitsvertrag dennoch effektiv gestaltet und in Rechtspositionen eingreift, muß sie sich nach allgemeinen Grundsätzen auf eine ausreichende Legitimationsbasis stützen können. Aus selbiger leiten sich wiederum die Grenzen für die betriebliche Regelungsmacht ab. Nicht erforderlich ist gleichwohl eine genuin demokratische Legitimation, da es sich bei der betrieblichen Regelsetzung um private und nicht um hoheitliche Rechtsetzung handelt52. Insbesondere die Wesentlich49 Wlotzke/Preis, BetrVG, § 1 Rn. 4; mit Kritik an der Ungleichgewichtsthese vor allem Kreutz, Grenzen der Betriebsautonomie, S. 165 ff.; GK-BetrVG/Wiese, Einleitung Rn. 70; grundlegend Zöllner, AcP 176 (1976), 221, 230 ff. 50 Dazu Richardi/Richardi, BetrVG, § 87 Rn. 8; GK-BetrVG/Wiese, Einleitung Rn. 86. 51 Franzen, NZA Sonderbeil. 3/2006, 107, 107; GK-BetrVG/Wiese, Einleitung Rn. 78. 52 Eine demokratische Legitimation verlangt demgegenüber Waltermann, Rechtsetzung durch Betriebsvereinbarung zwischen Privatautonomie und Tarifautonomie, S. 144 ff.; ders., NZA 1996, 357, 357 ff.; ders., RdA 2007, 257, 262 ff.; dagegen ausführlich Hänlein, RdA 2003, 26, 29.
A. Begrenzte Regelungskompetenz der Betriebsparteien
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keitstheorie und die Lehre vom Gesetzesvorbehalt beanspruchen bei der rechtlichen Ordnung von Rechtsverhältnissen unter Privatpersonen hier keine Gültigkeit53. Im Betriebsverfassungsrecht fehlt es gleichwohl an einer umfassenden Unterwerfung unter die Regelungsmacht der Betriebsparteien. Von einer durch Beitritt legitimierten Rechtsetzung kann keine Rede sein54. Auch verbandlich läßt sich die Betriebsverfassung nicht erklären. Entgegen Reuter55 mutiert das Arbeitsverhältnis nicht zu einer Verbandsbeziehung. Es bleibt ein Austauschverhältnis auf der Basis des Arbeitsvertrags. Darin findet die die betriebliche Rechtsetzung deshalb auch die entscheidende Legitimationsgrundlage56. Soweit es um die Begrenzung der betrieblichen Leitungsmacht des Arbeitgebers geht, ist die betriebliche Rechtsetzung rein arbeitsvertraglich legitimiert. Der Betriebsrat fungiert als Vertragshelfer, der die Interessen der Belegschaft gebündelt zur Geltung bringt57. Belastungen sind systemkonform: was der Arbeitgeber selbst regeln könnte, kann er auch zusammen mit dem Betriebsrat regeln. Dennoch kann nicht allein auf den Arbeitsvertrag als Legitimationsbasis abgestellt werden, weil es auch Beteiligungsrechte gibt, die in ihrer Auswirkung nicht darauf beschränkt sind, das arbeitgeberseitige Weisungsrecht zu konkretisieren. Entsprechend der Funktionen der Betriebsverfassung ist insofern eine erweiterte Legitimationsbasis erforderlich, die die privatautonome Legitimation durch den Arbeitsvertrag stützt und ergänzt. Im Rahmen der Ausgleichsfunktion der Betriebsverfassung ist es deshalb zutreffend, auf den Gedanken der Repräsentation zurückzugreifen, wenngleich sich auch hieraus keine umfassende Regelungsautonomie ableiten läßt58. Insgesamt bleibt der Regelungsrahmen der Betriebsparteien auf die funktionalen Zuständigkeiten begrenzt, die das BetrVG abschließend vorgibt. Außerhalb 53 In jüngerer Zeit vor allem Franzen, NZA Sonderbeil. 3/2006, 107, 108; für die herrschende Meinung im übrigen GK-BetrVG/Wiese, Einleitung Rn. 87 ff., Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille, S. 297, 316 f.; F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 212 ff.; zur Ablehnung der Wesentlichkeitstheorie und der Lehre vom Gesetzesvorbehalt in Rechtsverhältnissen unter Privaten auch BVerfG vom 26.6.1991 – 1 BvR 779/85 – BVerfGE 84, 212, 216 = AP Nr. 117 zu Art. 9 GG Arbeitskampf = EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 97. 54 So aber Lambrich, Tarif- und Betriebsautonomie, S. 238; Ehmann/Lambrich, NZA 1996, 346, 349. 55 Reuter, RdA 1991, 193, 193 ff. 56 Dazu vor allem Reichold, Betriebsverfassung als Sozialprivatrecht, S. 542 ff.; Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1418 ff. 57 Reichold, Betriebsverfassung als Sozialprivatrecht, S. 499, 549; Franzen, NZA Sonderbeil. 3/2006, 107, 108. 58 Dazu Franzen, NZA Sonderbeil. 3/2006, 107, 108; Hänlein, RdA 2003, 26, 30 ff., kritisch dagegen Waltermann, RdA 2007, 257, 265.
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§ 5 Die Betriebsverfassung als Grundlage der Belegschaftsteilung
dessen ist eine Regelsetzung unzulässig. Auf eine eigene Autonomie können sich die Betriebsparteien nicht berufen. Die Betriebsverfassung ist ein gesetzlicher Zwangsverband59. Die Regelungsmacht bleibt abhängig von der Privatautonomie der Normunterworfenen. Diese läßt sich nur innerhalb der im BetrVG eigens zugewiesenen Ermächtigungen einschränken. (2) Folgerungen für den Umfang der betrieblichen Regelungskompetenz Aus der Legitimation und der gesetzlich zugewiesenen Funktion der Betriebsverfassung ergibt sich mithin, daß die Betriebsparteien nur im Rahmen ihrer im BetrVG festgelegten Zuständigkeiten Betriebsvereinbarungen abschließen können, wobei es für die normative Regelung von Arbeitsbedingungen einer Ermächtigungsgrundlage bedarf60. Eine solche ergibt sich noch nicht aus § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG. Dem Tarifvorbehalt kann nicht im Umkehrschluß eine Gesetzesgrundlage für den Inhalt der Regelungskompetenz entnommen werden61. § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG verfolgt lediglich den Zweck einer Zuständigkeitsabgrenzung62. Darin liegt keine Kompetenzbegründung zugunsten der Betriebsparteien63. Daß auch der Gesetzgeber nicht davon ausgegangen ist, daß sich daraus eine Allkompetenz für die Betriebsparteien ergibt, zeigt sich insbesondere an § 88 und § 102 Abs. 6 BetrVG, die ausdrücklich eine Zuständigkeit zum Abschluß freiwilliger Betriebsvereinbarungen einräumen. Dessen hätte es nicht bedurft, wenn eine Allzuständigkeit bereits aus § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG folgen würde. Entgegen der herrschenden Meinung ergibt sich des weiteren auch aus § 88 BetrVG keine allumfassende Regelungsbefugnis64. Systematisch folgt 59 Belling, Die Haftung des Betriebsrats und seiner Mitglieder für Pflichtverletzungen, S. 54, 161; Beuthien, ZfA 1983, 141, 164; Heinze, ZfA 1988, 53, 62; Kreutz, Grenzen der Betriebsautonomie, S. 57 ff.; Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille, S. 316; Rieble, RdA 1996, 151, 152; Walker, ZfA 1996, 353, 357; Waltermann, Rechtsetzung durch Betriebsvereinbarung zwischen Privatautonomie und Tarifautonomie, S. 148 ff.; Wank, NJW 1996, 2273, 2274. 60 Bayreuther, Tarifautonomie als kollektiv ausgeübte Privatautonomie, S. 533; Lambrich, Tarif- und Betriebsautonomie, S. 355; Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille, S. 314. 61 So aber Kreutz, Grenzen der Betriebsautonomie, S. 222; Matthes, in: Münchener Handbuch ArbeitsR, Bd. 3, § 327 Rn. 50 ff. 62 BT-Drucks. I/1546, S. 55. 63 Lambrich, Tarif- und Betriebsautonomie, S. 358 f. 64 Für die h. M. BAG (GS) vom 7.11.1989 – GS 3/85 – AP Nr. 46 zu § 77 BetrVG 1972 = EzA § 77 BetrVG 1972 Nr. 34 = NZA 1990, 816; bereits BAG vom 19.5.1987 – 6 ABR 25/75 – AP Nr. 1 zu § 88 BetrVG 1972 = EzA § 77
A. Begrenzte Regelungskompetenz der Betriebsparteien
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schon aus der Stellung des § 88 BetrVG, daß sich die hieraus folgende Regelungskompetenz allenfalls auf soziale, nicht hingegen auf personelle oder wirtschaftliche Angelegenheiten erstrecken kann65. Aber selbst im Bereich der sozialen Angelegenheiten besteht keine umfassende Regelungskompetenz. Die Betriebsparteien nehmen nur eine funktionale Zuständigkeit wahr, die sich – wenn sie durch Betriebsvereinbarung ausgeübt wird – auf eine hinreichende Legitimationsgrundlage stützen muß, welche im wesentlichen der Arbeitsvertrag liefert66. Eine Regelungsbefugnis, die den Arbeitsvertrag ersetzt, besteht nicht67. Das synallagmatische Austauschverhältnis betreffende Fragen sind daher kein tauglicher Gegenstand einer Betriebsvereinbarung. Die Betriebsparteien verfügen weder über die Mittel noch die Legitimation, kollektivierte Privatautonomie auszuüben. Gegenstände, die der Arbeitgeber alleine regeln könnte, können ohne weiteres durch Vereinbarung mit dem Betriebsrat geregelt werden. Gleiches gilt für begünstigende Regelungen, hinsichtlich derer auch ohne ausdrückliche Zustimmung vom Einvernehmen der Arbeitnehmer auszugehen ist. Eingriffsachverhalte bedürfen hingegen stets einer ausdrücklichen Eingriffsermächtigung. Selbige kann sich etwa aus dem Katalog des § 87 Abs. 1 BetrVG ergeben, wenngleich den Betriebsparteien auch in diesem Rahmen die essentialia des Arbeitsvertrags entzogen sind68. Der Kernbereich des arbeitsvertraglichen Leistungsversprechens, insbesondere der Umfang der Arbeitszeit und die geschuldete Vergütung, bleiben den Betriebsparteien grundsätzlich verschlossen. Beschäftigungssicherungszusagen fallen in den Bereich der durch freiwillige Betriebsvereinbarung regelbaren sozialen Angelegenheiten. Lassen die Tarifvertragsparteien insoweit eine Regelung zu, kann der Ausschluß von betriebsbedingten Kündigungen in einer Betriebsvereinbarung vereinbart werden. Hierbei handelt es sich zwar um eine Beendigungsnorm, bezüglich derer aufgrund ihres begünstigenden Charakters gleichwohl das EinverBetrVG 1972 Nr. 6 = SAE 1980, 30; BAG (GS) vom 16.3.1956 – GS 1/55 – AP Nr. 1 zu § 57 BetrVG = SAE 1956, 156; Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, § 88 Rn. 45; Kania, in: ErfK, § 77 BetrVG Rn. 36; Linsenmaier, RdA 2008, 1, 4 ff.; GK-BetrVG/Kreuz, § 77 Rn. 83. 65 Hess/Schlochauer/Glock/Worzalla, BetrVG, § 88 Rn. 3; Richardi/Richardi, BetrVG, § 88 Rn. 3; GK-BetrVG/Wiese, § 88 Rn. 10; Löwisch, DB 2005, 554, 555; ähnlich Schliemann, in: FS Hanau, S. 577, 599; a. A. Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, § 88 Rn. 4. 66 Dazu soeben oben § 5 A. I. 2. d) (1) (b), S. 220 f. 67 Bayreuther, Tarifautonomie als kollektiv ausgeübte Privatautonomie, S. 535 ff.; Kreutz, Grenzen der Betriebsautonomie, S. 79 ff.; Lambrich, Tarif- und Betriebsautonomie, S. 357 f.; Wank, NZW 1996, 2271, 2280. 68 Zum Regelungsumfang im Rahmen des § 87 Abs. 1 BetrVG unten § 5 A. I. 3. c), S. 232 ff.
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§ 5 Die Betriebsverfassung als Grundlage der Belegschaftsteilung
ständnis der Arbeitnehmer unterstellt werden kann. Demgegenüber können die Betriebsparteien durch eine freiwillige Betriebsvereinbarung aber nicht das Arbeitsentgelt oder die Arbeitszeit auf Dauer verändern. Daß selbiges im Gegenzug für eine Beschäftigungssicherung vorgenommen werden soll, ändert daran nichts69. e) Keine erweiterte Zuständigkeit der Einigungsstelle für Außenseiter Desgleichen sind die Betriebsparteien hinsichtlich der Erzwingbarkeit einer Regelung auf die Vorgaben des BetrVG verwiesen. Das erscheint zunächst banal, ist aber alles andere als unumstritten. Im Kern geht es um die Frage, ob die Tarifvertragsparteien eine betriebliche Regelung gegenüber Außenseiter erzwingen können, indem sie den Bereich der erzwingbaren Mitbestimmung im Rahmen einer Tariföffnung erweitern70. Für die Wirksamkeit einer Betriebsvereinbarung steht dabei im Ausgangspunkt, daß die Regelung – auch wenn sie in der Übernahme tariflicher Vorgaben besteht71 – dem Regelungsermessen der Betriebsparteien überlassen bleiben muß. Die Betriebsparteien können insbesondere nicht verpflichtet werden, Tarifnormen für nicht tarifgebundene Arbeitsverhältnisse in eine betriebliche Regelung zu übernehmen. Der Sache nach würde das nichts anderes bedeuten als ein mittelbares Ausgreifen tariflicher Regelungen auf Außenseiter. Auch tarifliche Öffnungsklauseln verschaffen den Tarifvertragsparteien indessen kein Eintrittsrecht in nicht tarifgebundene Arbeitsverhältnisse72. Der Arbeitsvertragsinhalt darf dann aber auch nicht über die Einführung neuer Mitbestimmungsrechte von den Tarifvertragsparteien diktiert werden. Eine solche mittelbare Verpflichtung zur Übernahme der tariflichen Regelung entstünde indessen, wenn der Tarifvertrag die Anrufung der betrieblichen Einigungsstelle oder einer tariflichen Schlichtungsstelle vorsieht. Der Spruch der Einigungs- oder Schlichtungsstelle könnte letztlich nur auf Grundlage der tariflichen Regelung selbst ergehen. Dadurch würden die Betriebsparteien zu Erfüllungsgehilfen der Tarifparteien73. Richtigerweise 69
Ebenso Löwisch, DB 2005, 554, 556. So das BAG vom 18.8.1987 – 1 ABR 30/86 – AP Nr. 23 zu § 77 BetrVG 1972 = EzA § 77 BetrVG 1972 Nr. 18 = NZA 1987, 779; BAG vom 10.2.1988 – 1 ABR 70/86 – AP Nr. 53 zu § 99 BetrVG 1972 = EzA § 1 TVG Nr. 34 = NZA 1988, 699; zustimmend Däubler, Däubler/Kittner/Klebe, BetrVG, Einl. Rn. 79 ff. 71 So bei ergänzenden Betriebsvereinbarungen, vgl. oben § 5 A. I. 2. c), S. 218. 72 Wie hier Löwisch/Rieble, in: Münchener Handbuch ArbeitsR, Bd. 3, § 261 Rn. 29 ff. 73 Richardi/Richardi, BetrVG, Einleitung Rn. 47. 70
A. Begrenzte Regelungskompetenz der Betriebsparteien
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kann man das nicht als zulässig ansehen74. Eine Betriebsvereinbarung darf für Außenseiter nicht aufgrund tarifvertraglicher Verpflichtung erlassen werden. Nur wenn die betriebliche Regelung ausschließlich im Regelungsermessen der Betriebsparteien steht, kann sie wirksam sein. Dogmatisch läßt sich nicht begründen, weshalb der Betriebsrat Arbeitsbedingungen für tarifliche Außenseiter allein aufgrund tariflich gewährter Mitbestimmungsrechte gestalten können soll. Inhaltliche Regelungen, die als Betriebsnormen nicht zulässig sind, dürfen auch über den Umweg der erweiterten Mitbestimmung keinen Eingang in tariffreie Arbeitsverhältnisse finden. Jedenfalls ist gegenüber nichtorganisierten Arbeitnehmern die betriebliche Rechtsetzung aufgrund tariflich erweiterter Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats daher unzulässig. 3. „Tariföffnung“ im Bereich der erzwingbaren Mitbestimmung Nachdem den Betriebsparteien in tarifgebundenen Betrieben eine Regelungskompetenz im wesentlichen nur zukommt, wenn die Tarifvertragsparteien ihnen eine solche betriebseinheitlich – das heißt für organisierte und nichtorganisierte Arbeitnehmer gleichermaßen – zugestehen, könnte sich speziell für nicht tarifgebundene Arbeitsverhältnisse ein weiterer Regelungsspielraum im Hinblick auf diejenigen Angelegenheiten ergeben, die nach § 87 Abs. 1 BetrVG der zwingenden Mitbestimmung unterliegen. Anders als § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG geht es § 87 Abs. 1 Einleitungshalbsatz BetrVG nicht um den Vorrang der Tarifautonomie, sondern um den Schutz durch betriebliche Mitbestimmung. Während § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG allgemein Regelungen durch Betriebsvereinbarung im Auge hat, bezieht sich der Einleitungshalbsatz des § 87 Abs. 1 BetrVG nur auf das Mitbestimmungsrecht. Insoweit besteht ein Unterschied zwischen beiden Normen. Da sich der Tarifvorbehalt des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG gegenständlich nur auf Betriebsvereinbarungen, nicht aber auf die Mitbestimmung bezieht, entfaltet er für das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats keine Sperrwirkung75. Diesbezüglich ergibt sich die Sperrwirkung nur aus § 87 74 Wie hier Buchner, AR-Blattei, SD 1550.4 Tarifvertrag unter A. III. 2b) aa); v. Hoyningen-Huene, Betriebsverfassungsrecht, S. 22; ders., NZA 1985, 9, 11; Löwisch/Rieble, in: Münchener Handbuch ArbeitsR, Bd. 3, § 261 Rn. 31; Richardi, in: Münchener Handbuch ArbeitsR, Bd. 3, § 241 Rn. 63; Walker, ZfA 1996, 353, 367. 75 So die allgemeine Ansicht: BAG vom 21.1.2003 – 1 ABR 9/02 – AP Nr. 1 zu § 21a BetrVG 1972 = EzA § 77 BetrVG 2001 Nr. 3 = NZA 2003, 1097; BAG vom 20.4.1999 – 1 ABR 72/98 – AP Nr. 89 zu Art. 9 GG = EzA Art. 9 GG Nr. 65 = NZA 1999, 887; Jahnke, Tarifautonomie und Mitbestimmung, S. 150, Kreutz, Grenzen der Betriebsautonomie, S. 220 f.; GK-BetrVG/Kreutz, § 77 Rn. 133; Moll, Der Tarifvorrang im Betriebsverfassungsgesetz, S. 53 ff.; GK-BetrVG/Wiese, § 87 Rn. 53.
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§ 5 Die Betriebsverfassung als Grundlage der Belegschaftsteilung
Abs. 1 Eingangshalbsatz BetrVG, der anders als § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG eine bestehende tarifliche Regelung voraussetzt. Insoweit stellt sich die Frage, ob § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG mit seiner Sperrwirkung gleichwohl eine Regelung der Mitbestimmung durch Betriebsvereinbarung erfaßt76 oder ob § 87 Abs. 1 Einleitungshalbsatz BetrVG vorgeht und die Ausübung des Mitbestimmungsrechts durch Betriebsvereinbarung zuläßt. Wenn letzteres zutrifft, träte im Anwendungsbereich des § 87 Abs. 1 BetrVG die Sperrwirkung des § 77 Abs. 3 BetrVG zurück, wodurch eine betriebliche Regelung durch Betriebsvereinbarung möglich würde, wenn der engere Sperrtatbestand des § 87 Abs. 1 BetrVG nicht eingreift. a) Vorrangtheorie Das BAG hat sich in dem Grundsatzbeschluß vom 24.1.198777 entgegen der bis dahin vorherrschenden Zwei-Schranken-Theorie78 der Vorrangtheorie79 angeschlossen, nach der § 87 Abs. 1 BetrVG die Anwendung des Tarifvorbehalts nach § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG im Rahmen der notwendigen Mitbestimmung ausschließt80. In den mitbestimmungspflichtigen Angele76 So die Vertreter der Zwei-Schranken-Theorie: Jahnke, Tarifautonomie und Mitbestimmung, S. 167 ff.; Kreutz, Grenzen der Betriebsautonomie, S. 220 f.; GKBetrVG/Kreutz, § 77 Rn. 139 ff.; Lieb, NZA 1994, 337, 341 f.; Otto, NZA 1992, 97, 103; Walker, ZfA 1996, 353, 357 f.; Waltermann, Rechtsetzung durch Betriebsvereinbarung zwischen Privatautonomie und Tarifautonomie, S. 285 ff.; Wiese, in: FS 25 Jahre BAG, S. 661, 664; GK-BetrVG/Wiese, § 87 Rn. 48 ff.; Hess/Schlochauer/ Glock/Worzalla, BetrVG, § 77 Rn. 136, § 87 Rn. 62. 77 BAG vom 24.1.1987 – 1 ABR 18/85 – AP Nr. 21 zu § 77 BetrVG 1972 = EzA § 87 BetrVG 1972 Nr. 10 = NZA 1987, 639. 78 Vgl. die in Fn. 76, S. 226 genannten Autoren. 79 Birk, Anm. zu BAG vom 14.11.1974 – 1 ABR 65/73 – EzA § 87 BetrVG 1972 Initiativrecht Nr. 2; Berg, in: Däubler/Kittner/Klebe, BetrVG, § 77 Rn. 66; Ehmann/Schmidt, NZA 1995, 193, 196 f.; Gast, Tarifautonomie und die Normsetzung durch Betriebsvereinbarung, S. 39 ff.; Heinze, NZA 1989, 41, 41 ff., v. Hoyningen-Huene, DB 1994, 2026, 2029; v. Hoyningen-Huene/Meier-Krenz, NZA 1987, 793, 797; Kempen/Zachert, TVG, Grundl. Rn. 279; Klebe, in: Däubler/Kittner/Klebe, BetrVG, § 87 Rn. 32; Lambrich, Tarif- und Betriebsautonomie, S. 198 ff.; Löwisch/Kaiser, BetrVG, § 77 Rn. 61; Reuter, SAE 1976, 15, 17 f., ders., RdA 1994, 152, 166; Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1494; Säcker, ZfA 1972 (Sonderheft), 41, 65 ff. 80 BAG (GS) vom 3.12.1991 – GS 2/90 – AP Nr. 51 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung = EzA § 87 BetrVG 1972 Betriebliche Lohngestaltung Nr. 30 = NZA 1992, 749; BAG vom 29.10.2002 – 1 AZR 573/01 – AP Nr. 18 zu § 77 BetrVG 1972 Tarifvorbehalt = EzA § 77 BetrVG 1972 Nr. 72 = NZA 2003, 393; BAG vom 27.11.2002 – 4 AZR 660/01 – AP Nr. 34 zu § 87 BetrVG 1972 Tarifvorrang = EzA § 77 BetrVG 2001 Nr. 2.
A. Begrenzte Regelungskompetenz der Betriebsparteien
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genheiten des § 87 Abs. 1 BetrVG wäre danach trotz § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG eine kollektive Regelung durch Betriebsvereinbarung möglich. Im Ausgangspunkt steht die Erkenntnis, daß § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG nicht die Mitbestimmung selbst ausschließt. Selbige soll nach dem Zweck des § 87 Abs. 1 BetrVG nur entfallen, wenn den Arbeitnehmerinteressen durch eine tatsächlich eingreifende tarifliche oder gesetzliche Regelung ausreichend Rechnung getragen ist. Nur dann ist eine Teilhabe der Arbeitnehmer durch Mitbestimmung des Betriebsrats entbehrlich81. Das für die Ausübung der Mitbestimmung geeignete Regelungsinstrument ist die Betriebsvereinbarung, weil sie einen zwingenden und unabdingbaren Schutz gewährleistet82. Auch wenn Regelungsabreden nicht der Sperrwirkung des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG unterliegen83, wäre dem Schutz des § 87 Abs. 1 BetrVG nicht hinreichend Rechnung getragen, ließe man die Mitbestimmung nur durch eine Regelungsabrede zu. Für die Mitbestimmung muß vielmehr gewährleistet sein, daß sie die Betriebsparteien durch Betriebsvereinbarung ausüben können84. Die Fragen, ob einerseits Mitbestimmungsrechte bestehen und ob diese andererseits durch Betriebsvereinbarung ausgeübt werden können, lassen sich nicht voneinander trennen. Desgleichen fordert der verfassungsrechtliche Schutz der Koalitionen keine derartige Einschränkung der Mitbestimmung, da es den Tarifvertragsparteien unbenommen bleibt, die Sperrwirkung des § 87 Abs. 1 BetrVG jederzeit durch Abschluß eines Tarifvertrags herbeizuführen. Die Norm des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG enthält zwar eine verdeckte Regelungslücke, weil der Gesetzestext grundsätzlich auch den Fall erfaßt, daß der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 BetrVG hat. Im Wege der teleologischen Reduktion ist es aber sachgerecht, diesen Fall auszunehmen, weil andernfalls bereits bei bloßer Tarifüblichkeit das geeignete Instrument wegfiele. Im Ergebnis zutreffend sieht es so auch das BAG85. Dadurch ist sichergestellt, daß ein Tarifvertrag, der im Betrieb keine Anwendung findet, eine mitbestimmte Regelung nicht ausschließen kann. Gleichwohl ist es nicht zutreffend, daß die Bestimmung über den Tarifvorrang im Eingangshalbsatz des § 87 Abs. 1 BetrVG – wie es das BAG 81
v. Hoyningen-Huene/Meier-Krenz, NZA 1987, 793, 796. Dazu v. Hoyningen-Huene/Meier-Krenz, NZA 1987, 793, 798. 83 Dazu unten § 5 A. II. 1, S. 236. 84 Richardi/Richardi, BetrVG, § 77 Rn. 250. 85 Grundlegend BAG vom 24.2.1987 – 1 ABR 18/85 – AP Nr. 21 zu § 77 BetrVG 1972 = EzA § 87 BetrVG 1972 Nr. 10 = NZA 1987, 639; BAG (GS) vom 3.12.1991 – GS 2/90 – AP Nr. 51 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung = EzA § 87 BetrVG 1972 Betriebliche Lohngestaltung Nr. 30 = NZA 1992, 749. 82
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§ 5 Die Betriebsverfassung als Grundlage der Belegschaftsteilung
meint – eine lex specialis zum Tarifvorbehalt des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG wäre. Denn durch § 87 Abs. 1 BetrVG ist auch im Rahmen der Vorrangtheorie nur die Mitbestimmung, nicht aber die Zulässigkeit einer Betriebsvereinbarung ausgeschlossen. Wird die Mitbestimmung durch den Tarifvorrang verdrängt, muß auf die Zulässigkeit einer Betriebsvereinbarung dennoch § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG Anwendung finden. Greift der Tarifvorrang ein, entfällt schließlich der Grund für die Nichtanwendung des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG. Eine teleologische Reduktion ist deshalb nur geboten, soweit es darum geht, die erzwingbare Mitbestimmung durch Betriebsvereinbarung zu ermöglichen86. Ist das aber durch einen konkret anwendbaren Tarifvertrag ausgeschlossen, gibt es keinen Grund, die Materie dennoch für eine freiwillige betriebliche Einigung zugänglich zu halten. Im Teilergebnis läßt sich in Übereinstimmung mit dem BAG festhalten, daß eine kollektive Regelung durch Betriebsvereinbarung jedenfalls immer dann zulässig ist, wenn ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 BetrVG besteht und selbiges nicht aufgrund des Tarifvorrangs verdrängt wird. Entscheidend kommt es für die Zweiteilung der Belegschaft in der Folge auf die Voraussetzung des Tarifvorrangs an. b) Voraussetzungen des Tarifvorrangs nach § 87 Abs. 1 BetrVG (1) Bestehen einer tariflichen Regelung Für die im Katalog des § 87 Abs. 1 BetrVG aufgezählten Angelegenheiten steht dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht zu, wenn eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht. Der Vorrang des Tarifvertrags basiert – wie der Ausschluß bei gesetzlichen Regelungen – auf der Überlegung, daß dann ein weiterer Schutz der Arbeitnehmer nicht erforderlich ist87. Voraussetzung ist mithin, daß eine tarifliche Regelung den mit der Mitbestimmung verfolgten Arbeitnehmerschutz übernimmt. Anders als nach § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG genügt die bloße Tarifüblichkeit dafür nicht. Erforderlich ist, daß eine konkrete tarifliche Regelung im Betrieb mit unmittelbarer und zwingender Wirkung gilt88. Zudem müs86
Richardi/Richardi, BetrVG, § 77 Rn. 251; Matthes, in: Münchener Handbuch ArbeitsR, Bd. 3, § 327 Rn. 72. 87 Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, § 87 Rn. 38; Kania, in: ErfK, § 87 BetrVG Rn. 14; Richardi/Richardi, BetrVG, § 87 Rn. 143; v. Hoyningen-Huene/Meier-Krenz, NZA 1987, 793, 796. 88 BAG (GS) vom 3.12.1991 – GS 2/90 – AP Nr. 51 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung = EzA § 87 BetrVG 1972 Betriebliche Lohngestaltung Nr. 30 = NZA 1992, 749; Hess/Schlochauer/Glock/Worzalla, BetrVG, § 87 Rn. 53; Kania,
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sen die Tarifvertragsparteien eine inhaltlich ausreichende Regelung getroffen haben. Verbleibt ein Regelungsspielraum, ist eine betriebliche Regelung durch Betriebsvereinbarung nicht ausgeschlossen89. (2) Anwendbarkeit der tariflichen Regelung Im Rahmen des § 87 Abs. 1 BetrVG ist anerkannt, daß der Tarifvorrang – im Gegensatz zum Tarifvorbehalt des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG – nicht unabhängig von der Tarifbindung des Arbeitgebers eingreifen kann90. Jedenfalls muß der Arbeitgeber die persönlichen Voraussetzungen der Tarifgebundenheit erfüllen. Das leuchtet ein, denn eine, mangels Tarifbindung des Arbeitgebers, im Betrieb nicht anwendbare tarifliche Regelung kann den gebotenen Arbeitnehmerschutz von vornherein nicht übernehmen. (3) Kein Tarifvorrang bei fehlender Tarifbindung im Arbeitsverhältnis Vor diesem Hintergrund wäre es konsequent, auch die Tarifbindung der Arbeitnehmer zu fordern. Die überwiegende Meinung hält die Tarifgebundenheit des Arbeitgebers indes für ausreichend91. Der Arbeitnehmer könne schließlich durch Beitritt zur tarifschließenden Gewerkschaft jederzeit den Schutz der tariflichen Regelung erlangen92. in: ErfK, § 87 BetrVG Rn. 15; Richardi/Richardi, BetrVG, § 87 Rn. 151; GKBetrVG/Wiese, § 87 Rn. 58. 89 BAG vom 17.11.1998 – 1 ABR 12/98 – AP Nr. 79 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit = EzA § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit Nr. 59 = NZA 1999, 662; BAG (GS) vom 3.12.1991 – GS 2/90 – AP Nr. 51 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung = EzA § 87 BetrVG 1972 Betriebliche Lohngestaltung Nr. 30 = NZA 1992, 749. 90 So die ganz h. M.: BAG vom 24.2.1987 – 1 ABR 18/85 – AP Nr. 21 zu § 77 BetrVG 1972 = EzA § 87 BetrVG 1972 Nr. 10 = NZA 1987, 639; Kania, in: ErfK, § 87 BetrVG Rn. 15; GK-BetrVG/Wiese, § 87 Rn. 67; v. Hoyningen-Huene/MeierKrenz, NZA 1987, 793, 796. 91 BAG vom 24.2.1987 – 1 ABR 18/85 – AP Nr. 21 zu § 77 BetrVG 1972 = EzA § 87 BetrVG 1972 Nr. 10 = NZA 1987, 639; BAG vom 24.11.1987 – 1 ABR 12/86 – AP Nr. 6 zu § 87 BetrVG 1972 Akkord = EzA § 87 BetrVG 1972 Leistungslohn Nr. 15 = NZA 1988, 320; Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, § 87 Rn. 42; Hess/Schlochauer/Glock/Worzalla, BetrVG, § 87 Rn. 55; v. Hoyningen-Huene/Meier-Krenz, NZA 1987, 793, 796 f.; Kania, in: ErfK, § 87 BetrVG Rn. 15; Kempen/Zachert/Wendeling-Schröder, TVG, Grundl. Rn. 348; Matthes, in: Münchener Handbuch ArbeitsR, Bd. 3, § 332 Rn. 16; Richardi/ Richardi, BetrVG, § 87 Rn. 155; Säcker, ZfA 1972 (Sonderheft), 41, 68. 92 BAG vom 24.2.1987 – 1 ABR 18/85 – AP Nr. 21 zu § 77 BetrVG 1972 = EzA § 87 BetrVG 1972 Nr. 10 = NZA 1987, 639; Hess/Schlochauer/Glock/Worzalla, BetrVG, § 87 Rn. 55.
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§ 5 Die Betriebsverfassung als Grundlage der Belegschaftsteilung
Unproblematisch ist das, soweit sich die Tarifgeltung auf nichtorganisierte Arbeitnehmer erstreckt, wie das bei allgemeinverbindlichen Tarifverträgen und Betriebsnormen der Fall ist. Insoweit kommt es auf die Koalitionszugehörigkeit der einzelnen Arbeitnehmer in der Tat nicht an. Eines besonderen Schutzes der Nichtorganisierten bedarf es nicht, da der Tarifvertrag einen ausreichenden Schutz vermittelt. Angelegenheiten des § 87 Abs. 1 BetrVG können indessen ebenso durch Inhaltsnormen in nicht allgemeinverbindlichen Tarifverträgen festgelegt sein. Gerade im Hinblick auf § 3 Abs. 2 TVG gibt es keine Regel, wonach die Gegenstände des § 87 Abs. 1 BetrVG notwendig betriebseinheitlich und also aufgrund von Betriebsnormen gelten müßten93. Das betrifft insbesondere Arbeitszeitfragen und Entlohnungsgrundsätze. Ließe man diesbezüglich den Tarifvorrang schon aufgrund der Tarifbindung des Arbeitgebers eingreifen, blieben die nicht tarifgebunden Arbeitnehmer ohne Schutz94. Das ist mit der Intention des Tarifvorrangs des § 87 Abs. 1 BetrVG und dem Schutzzweck des Mitbestimmungsrechts indessen nicht vereinbar. Die betriebliche Mitbestimmung kann nur entfallen, wenn den Arbeitnehmerinteressen anderweitig Rechnung getragen wird. § 87 Abs. 1 BetrVG soll einen lückenlosen Schutz durch gesetzliche, tarifliche oder betriebliche Regelung gewährleisten. Nur, soweit ein Tarifvertrag diesen Schutz übernimmt, ist es selbstverständlich, daß die betriebliche Mitbestimmung zurückzutreten hat. Eine Mitbestimmung scheidet hier konsequenterweise auch aus, da dem Arbeitgeber, der die tarifliche Regelung vollziehen muß, gar kein Entscheidungsspielraum verbleibt. Ist das aber – wie in tariffreien Arbeitsverhältnissen – nicht der Fall, ist kein Grund ersichtlich, die betriebliche Mitbestimmung entfallen zu lassen. Dagegen wird vorgebracht, daß ein Eingreifen von Mitbestimmungsrechten in tariffreien Arbeitsverhältnissen dazu führen würde, daß im Betrieb eine mitbestimmte und eine tarifliche Regelung nebeneinander gelten würden, dies aber zu praktisch kaum lösbaren Schwierigkeiten führte95. Indes führt die Versagung des Arbeitnehmerschutzes durch erzwingbare Mitbestimmung nicht dazu, daß im Betrieb nur die tarifvertragliche Regelung gelten könnte. Die Ansicht der herrschenden Meinung hat vielmehr zur Folge, daß der Arbeitgeber individualrechtlich eine Zweiteilung der Belegschaft ohne Mitbestimmung des Betriebsrats vornehmen kann – eine Schutzverkürzung, die nicht gerechtfertigt ist. Weder ist damit dem Schutz der Tarifautonomie gedient96, noch läßt sich der gesetzlich intendierte Arbeitneh93
Für eine Qualifizierung aller Angelegenheiten des § 87 Abs. 1 BetrVG als Betriebsnormen aber Heinze, NZA 1989, 41, 41 ff. 94 So die ganz h. M., siehe dazu die Nachweise in Fn. 91, S. 229. 95 So insbesondere Richardi/Richardi, BetrVG, § 87 Rn. 155.
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merschutz auf andere Weise verwirklichen. Der Hinweis jedenfalls, Außenseiter könnten den verdrängten Schutz durch einen Gewerkschaftsbeitritt erlangen, ist mit der negativen Koalitionsfreiheit nicht vereinbar97. Deshalb ist entgegen der herrschenden Meinung zu verlangen, daß sich die Sperrwirkung des § 87 Abs. 1 Einleitungshalbsatz BetrVG nach der konkreten Tarifgebundenheit im Arbeitsverhältnis und also nach der Koalitionszugehörigkeit der einzelnen Arbeitnehmer richtet98. Das führt freilich dazu, daß im Betrieb eine mitbestimmte und eine tarifliche Regelung nebeneinander gelten. Daß es im Betrieb mehrere voneinander unabhängige Vergütungssysteme geben kann, hat das BAG in anderen Bereichen bereits anerkannt99. Auch bei AT-Angestellten hat der Betriebsrat eine, auf diese beschränkte, Regelung zu treffen100. Schließlich kommt es bei Tarifpluralität101 zu unterschiedlichen Regelungssystemen, die ebenso nebeneinander bestehen. Stets ist der Betriebsrat berufen, unterschiedliche Entgeltsysteme mitbestimmend zu begleiten. Erstreckt der Arbeitgeber den Tarifvertrag allerdings einheitlich auf nichtorganisierte Arbeitnehmer, kann der Tarifvertrag den Tarifvorrang auch hinsichtlich der bezugnehmenden Arbeitsverhältnisse auslösen und somit das Mitbestimmungsrecht sperren. In diesen Fällen ergibt sich ein ausreichender Schutz durch den in Bezug genommenen Tarifvertrag. Eines zusätzlichen Mitbestimmungsvorbehalts bedarf es daneben nicht mehr102. Nicht entscheidend kommt es darauf an, auf welchen – insbesondere bei 96 So Richardi/Richardi, BetrVG, § 87 Rn. 155; dagegen Jahnke, Tarifautonomie und Mitbestimmung, S. 150. 97 Löwisch/Kaiser, BetrVG, § 87 Rn. 39; v. Hoyningen-Huene, DB 1994, 2026, 2030. 98 Wie hier Gast, Tarifautonomie und die Normsetzung durch Betriebsvereinbarung, S. 26 ff.; ders., BB 1987, 1249, 1252; v. Hoyningen-Huene, DB 1994, 2026, 2029 f.; Ischner, Vereinheitlichung standortunterschiedlicher tarifvertraglicher Arbeitsbedingungen durch Haustarifvertrag, S. 37; Löwisch/Kaiser, BetrVG, § 87 Rn. 39; Rieble, in: FS Konzen, S. 809, 823; ders., Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1495; GK-BetrVG/Wiese, § 87 Rn. 68; Wiese, in: FS 25 Jahre BAG, S. 661, 670 ff.; ders., Anm. zu BAG vom 24.21987 – 1 ABR 18/85 – SAE 1989, 6, 10 ff. 99 BAG vom 18.11.2003 – 1 AZR 604/02 – AP Nr. 15 zu § 77 BetrVG 1972 Nachwirkung = EzA § 77 BetrVG 2001 Nr. 9 = NZA 2004, 803; BAG vom 20.8.1991 – 1 ABR 85/90 – AP Nr. 2 zu § 77 BetrVG 1972 Tarifvorbehalt = EzA § 77 BetrVG 1972 Nr. 41 = NZA 1992, 317. 100 BAG vom 22.1.1980 – 1 ABR 48/77 – AP Nr. 3 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung = EzA § 87 BetrVG 1972 Lohn- und Arbeitsentgelt Nr. 11; BAG vom 19.9.1995 – 1 ABR 20/95 – AP Nr. 81 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung = EzA § 87 BetrVG 1972 Betriebliche Lohngestaltung Nr. 53 = NZA 1996, 484. 101 Dazu oben § 4 F., S. 198 ff. 102 Vgl. Richardi/Richardi, BetrVG, § 87 Rn. 156, der fordert, daß der Tarifvertrag für den Betrieb repräsentativ sein muß, was dann gegeben sei, wenn „durch Be-
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Tarifpluralität – ansonsten einschlägigen Tarifvertrag verwiesen wird oder ob der entsprechende Tarifvertrag die Mehrheit der Arbeitnehmer des Betriebs erfaßt. c) Regelungskompetenz im Rahmen des § 87 Abs. 1 BetrVG Entscheidet sich der Arbeitgeber für eine tarifabweichende Gestaltung in tariffreien Arbeitsverhältnissen, kann er im Anwendungsbereich des § 87 Abs. 1 BetrVG mithin auf eine Regelung durch Betriebsvereinbarung zurückgreifen. Der abschließende Katalog des § 87 Abs. 1 BetrVG eröffnet den Betriebspartnern allerdings keine umfassende Regelungskompetenz und kein Zugriffsrecht auf das arbeitsvertragliche Synallagma. Auf die verbreitet angenommene „umfassende“ Regelungsbefugnis der Betriebsparteien, ausgeweitet vor allem durch freiwillige Betriebsvereinbarungen im Rahmen des § 88 BetrVG, kommt es hier – anders als im Bereich von tariflichen Öffnungsklauseln103 – nicht an. Insoweit greift die von der Tarifbindung der Arbeitnehmer unabhängige Regelungssperre des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG104. Im vorliegenden Zusammenhang geht es ausschließlich um die, auf tariffreie Arbeitnehmer beschränkte, „Tariföffnung“ im Rahmen der erzwingbaren Mitbestimmung, die entsprechend auf die, der Mitbestimmung unterliegenden, Gegenstände begrenzt sein muß. Eine umfassende Zweiteilung der Belegschaft kann mit dem Gestaltungsmittel der Betriebsvereinbarung deshalb nicht gelingen. Gleichwohl können wesentliche Fragen der Lohn- und Arbeitszeitgestaltung auf der betrieblichen Ebene festgelegt werden. (1) Mitbestimmung in bezug auf das Arbeitsentgelt Nicht erfaßt von § 87 Abs. 1 BetrVG ist die Höhe des Arbeitsentgelts. Das Mitbestimmungsrecht kann folglich nicht dazu dienen, isoliert von der arbeitsvertraglichen Lohnfindung eine Erhöhung oder Herabsetzung herbeizuführen. Die lohnpolitische Entscheidung über die Lohnhöhe unterfällt unbestritten nicht der Mitbestimmung105. zugnahme auf den Tarifvertrag im wesentlichen alle in Betracht kommenden Arbeitnehmer tarifgemäß behandelt“ werden. 103 Dazu oben § 5 A. I. 2. d), S. 219 ff. 104 Dazu oben § 5 A. I. 1., S. 209 ff. 105 Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, § 87 Rn. 441; Hess/ Schlochauer/Glock/Worzalla, BetrVG, § 87 Rn. 474; Kania, in: ErfK, § 87 BetrVG Rn. 103; Hanau, RdA 1973, 281, 282; Löwisch, DB 1973, 1746, 1747 f.; Richardi/ Richardi, BetrVG, § 87 Rn. 768; GK-BetrVG/Wiese, § 87 Rn. 808.
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Gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 10 unterliegen der Mitbestimmung aber Fragen der betrieblichen Lohngestaltung, wozu alle Regelungen gehören, die sich auf die Lohn- und Gehaltsbemessung beziehen106. Insbesondere das BAG bezieht die Mitbestimmung über die betriebliche Lohngestaltung auf die Festlegung aller materiellen Kriterien, die für die Lohnfindung von Bedeutung sind. Soweit es an einer tariflichen Festlegung über die Höhe und die Bemessung des Arbeitsentgelts fehlt, sei es Aufgabe der Betriebsparteien, eine allgemeine Vergütungsordnung aufzustellen107. Gleichwohl kann sich das dem Betriebsrat mit § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG überantwortete Mitbestimmungsrecht nur auf die Verteilung und die nähere Ausgestaltung des Entgelts innerhalb der mitbestimmungsfreien Vorgaben der Arbeitsvertragsparteien beziehen108. Eine Ausweitung der Mitbestimmung, die in gewisser Form an die Peripherie des Arbeitsvertrags stößt, erfährt die Entgeltmitbestimmung zudem durch § 87 Abs. 1 Nr. 11 BetrVG, der bei leistungsbezogenen Entgeltsystemen die Festsetzung der Entgeltsätze und der Geldfaktoren erfaßt. Selbst das räumt dem Betriebsrat jedoch keine Mitbestimmung über die Entgelthöhe ein. Selbige wird auch bei Leistungslöhnen nicht durch den technischen Geldfaktor, sondern durch den materiellen Richtsatz bestimmt109. (2) Mitbestimmung in bezug auf die Arbeitszeit In bezug auf die Arbeitszeitgestaltung bestehen umfangreiche Mitbestimmungsrechte, vor allem, was die Lage der Arbeitszeit betrifft. Nach herrschender Meinung unterfällt die Dauer der Arbeitszeit demgegenüber nicht der Mitbestimmung110. § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG erfaßt lediglich den Be106
Vgl. BT-Drucks. VI/1786, S. 49. BAG vom 14.12.1993 – 1 ABR 31/93 – AP Nr. 65 zu § 87 BetrVG 1972 = EzA § 87 BetrVG 1972 Betriebliche Lohngestaltung Nr. 43 = NZA 1994, 809. 108 Vgl. zu übertariflichen Leistungen des Arbeitgebers BAG vom 17.12.1985 – 1 ABR 6/84 – AP Nr. 5 zu § 87 BetrVG 1972 Tarifvorrang = EzA § 87 BetrVG 1972 Betriebliche Lohngestaltung Nr. 11 = NZA 1986, 364. 109 Richtig vor allem Richardi/Richardi, BetrVG, § 87 Rn. 904 ff.; zu weit gehend dagegen BAG vom 29.3.1977 – 1 ABR 123/74 – AP Nr. 1 zu § 87 BetrVG 1972 Provision = EzA § 87 BetrVG 1972 Leistungslohn Nr. 2 mit abl. Anm. Löwisch = NJW 1977, 1654; BAG vom 22.1.1980 – 1 ABR 48/77 – AP Nr. 3 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung = EzA § 87 BetrVG 1972 Lohn- und Arbeitsentgelt Nr. 11 = NJW 1981, 75; BAG 13.9.1983 – 1 ABR 32/81 – AP Nr. 3 zu § 87 BetrVG 1972 Prämie = EzA § 87 BetrVG 1972 Leistungslohn Nr. 8; BAG vom 16.12.1986 – 1 ABR 26/85 – AP Nr. 8 zu § 87 BetrVG 1972 Prämie = EzA § 87 BetrVG 1972 Leistungslohn Nr. 14 = NZA 1987, 568. 110 Vgl. nur BAG vom 27.1.1998 – 1 ABR 35/97 – AP Nr. 14 zu § 87 BetrVG 1972 Sozialeinrichtung = EzA § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit Nr. 58 = NZA 1998, 835; Richardi/Richardi, BetrVG, § 87 Rn. 262; dens., NZA 2000, 617, 619. 107
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ginn und das Ende, mit anderen Worten die Nutzung der durch den Arbeitsvertrag vorgegebenen Arbeitszeit, nicht aber den Umfang selbst111. Damit bleibt die Erhöhung oder die Absenkung der Arbeitszeit mitbestimmungsfrei. Zivilrechtlich ergibt sich das auch daraus, daß die Veränderung vertraglicher Leistungspflichten nur mit Zustimmung des Schuldners oder eines von ihm legitimierten Dritten erfolgen kann112. Die Betriebspartner können keine Verpflichtung zur Arbeitsleistung begründen, die über die vertraglich geschuldete hinausgeht oder hinter ihr zurückbleibt. Die Arbeitszeit als Maßstab für den Umfang der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung kann nur der Arbeitsvertrag selbst vorgeben113. Lediglich bei vorübergehender Verlängerung oder Verkürzung der betriebsüblichen Arbeitszeit steht dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG zu, das aber nach zutreffender Auffassung nur eingreift, wenn der Arbeitgeber auch einseitig zur Anordnung von Überstunden oder Kurzarbeit berechtigt wäre114. 4. Teilmitbestimmte Betriebsvereinbarungen Folgt man mit dem BAG der hier vertretenen Vorrangtheorie, entsteht ein Folgeproblem, wenn die Betriebsvereinbarung sowohl mitbestimmungspflichtige als auch mitbestimmungsfreie Gegenstände regelt. In der Praxis ist das häufig der Fall, da nicht sorgsam nach dem jeweiligen Regelungsgegenständen unterschieden wird, sondern bestimmte Regelungsmaterien oftmals als Gesamtlösung vereinbart werden. Unterfällt nicht der gesamte Regelungsbereich einer Betriebsvereinbarung der erzwingbaren Mitbestimmung, sondern ist ein Teil mitbestimmungsfrei, muß differenziert werden: eine Regelungsbefugnis kommt den Betriebsparteien für nicht tarifgebundene Arbeitsverhältnisse bei ansonsten bestehender oder zumindest üblicher tariflicher Regelung nur hinsichtlich des mitbestimmungspflichtigen Teils zu. Für den mitbestimmungsfreien Teil greift hingegen die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG. Richtigerweise kann die Mitbestimmungspflicht hinsichtlich nur eines Teils der Regelungen nicht dazu führen, daß die Sperrwirkung auch für den 111
Bayreuther, Tarifautonomie als kollektiv ausgeübte Privatautonomie, S. 543. Insbesondere Franzen, NZA Sonderbeil. 3/2006, 107, 110, Lobinger, Anm. zu BAG vom 3.6.2003 – 1 AZR 349/02 – AP Nr. 19 zu § 77 BetrVG 1972 Tarifvorbehalt. 113 Richardi/Richardi, BetrVG, § 87 Rn. 261. 114 Franzen, NZA Sonderbeil. 3/2006, S. 107, 110. 112
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mitbestimmungsfreien Teil aufgehoben wäre115. Das stünde im Widerspruch zu dem mit der Vorrangtheorie verfolgten Schutzzweck. Hinsichtlich des mitbestimmungsfreien Teils muß die Regelung wegen Verstoßes gegen § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG unwirksam bleiben116. Bezüglich des nicht an § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG scheiternden mitbestimmungspflichtigen Teils stellt sich sodann die Frage, ob sich die Teilunwirksamkeit der Betriebsvereinbarung darauf auswirkt. Nicht richtig kann es sein, eine Regelung, die in ihrer Gesamtheit nicht der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 BetrVG unterfällt, insgesamt dem Nichtigkeitsregime zu unterwerfen117. Die Teilunwirksamkeit kann die Unwirksamkeit der übrigen Regelungen vielmehr nur dann zur Folge haben, wenn diese ohne die unwirksamen Teile keine sinnvolle, in sich geschlossene Regelung mehr darstellen118. Das ist dem Normcharakter der Betriebsvereinbarung geschuldet, der es ebenso wie bei Tarifverträgen und Gesetzen gebietet, im Interesse der Kontinuität und Rechtsbeständigkeit der gesetzten Ordnung diese insoweit aufrecht zu erhalten, wie sie ohne den unwirksamen Teil ihre Ordnungsfunktion noch entfalten kann. Hromadka hat nachgewiesen, daß bei nahezu allen in § 87 Abs. 1 BetrVG aufgeführten Sozialangelegenheiten einschließlich der Fragen der Ordnung des Betriebs eine eigenständige und in sich geschlossene Regelung möglich ist119. Insoweit erstreckt sich auch die Teilunwirksamkeit einer Betriebsvereinbarung regelmäßig nicht auf die von § 87 Abs. 1 BetrVG umfaßten Regelungsgegenstände. Damit bleiben etwa nach § 87 Abs. 1 BetrVG regelbare Entlohnungsgrundsätze – wie ein vollständiges Vergütungssystem – unabhängig von ansonsten unwirksamen Teilen einer Betriebsvereinbarung wirksam.
115 Zutreffend BAG vom 22.3.2005 – 1 ABR 64/03 – AP Nr. 26 zu § 4 TVG Geltungsbereich m. Anm. Wiese = EzA § 77 BetrVG 2001 Nr. 10 = NZA 2006, 383. 116 Unklar BAG vom 6.12.1995 – 10 AZR 123/95 – AP Nr. 186 zu § 611 BGB Gratifikation = EzA § 242 BGB Gleichbehandlung Nr. 68 = NZA 1996, 531; dazu und zu weiteren Entscheidungen in ähnlicher Richtung Hromadka, in: FS Schaub, S. 337, 339 f. 117 So aber LAG Baden-Württemberg vom 30.12.2003 – 14 TaBV 2/03 – nicht veröffentlicht [juris]; vgl. auch Thüsing, ZTR, 1996, 146, 147. 118 So zu Recht BAG vom 22.3.2005 – 1 ABR 64/03 – AP Nr. 26 zu § 4 TVG Geltungsbereich = EzA § 77 BetrVG 2001 Nr. 10 = NZA 2006, 383; ebenso BAG vom 21.1.2003 – 1 ABR 9/02 – AP Nr. 1 zu § 21a BetrVG 1972 = EzA § 77 BetrVG 2001 Nr. 3 = NZA 2003, 1097. 119 Hromadka, in: FS Schaub, S. 337, 342 f.
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II. Formlose Regelungsabrede Auf der betrieblichen Ebene steht zudem das Instrument der Regelungsabrede zur Verfügung. Diese unterliegt hinsichtlich ihrer Wirkung und in Ansehung des Umfangs der Regelungskompetenz eigenen Regeln und ist mit der Betriebsvereinbarung nicht vergleichbar. Regelungsabreden, die nur formlos zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat vereinbart werden, haben im Gegensatz zu Betriebsvereinbarungen keine normative Wirkung, so daß sie sich auf Arbeitnehmer als Dritte erst auswirken, wenn sie zum Inhalt des Arbeitsvertrags werden. Anders als die Betriebsvereinbarung, die gemäß § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG zwingend und unmittelbar Rechte und Pflichten begründet, genügt die Regelungsabrede lediglich der Mitbestimmungspflicht. Eingriffe in Arbeitsverträge und die Vertragsfreiheit sind dagegen nicht möglich120. Dementsprechend erlangt die Regelungsabrede erst dadurch Wirkung im Einzelarbeitsverhältnis, daß der Arbeitgeber die mit dem Betriebsrat vereinbarte Regelung mit individualrechtlichen Mitteln umsetzt, sei es, daß er von seinem Direktionsrecht Gebrauch macht, sei es, daß er mit den Arbeitnehmern entsprechende vertragliche Vereinbarungen – notfalls auch über eine Änderungskündigung – trifft121. 1. Keine Regelungssperre gemäß § 77 Abs. 3 BetrVG Trotz der grundlegenden Unterschiede zur Betriebsvereinbarung ist es umstritten, ob der Tarifvorbehalt des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG auf Regelungsabreden anzuwenden ist. Dies wird teilweise mit dem Hinweis darauf vertreten, daß sich die Regelungsabrede ebenso als kollektive Ordnung in Konkurrenz zur Tarifautonomie stellen würde122. Dagegen spricht allerdings schon der Wortlaut des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG, weshalb auch die herrschende Meinung davon ausgeht, daß die Regelungssperre für andere betriebliche Regelungsinstrumente als die Betriebsvereinbarung nicht analog gilt123. Bestätigt wird das vom Normzweck, der darin besteht, die 120 Anschaulich BAG vom 14.2.1991 – 2 AZR 415/90 – AP Nr. 4 zu § 615 BGB Kurzarbeit = EzA § 87 BetrVG 1972 Kurzarbeit Nr. 1 = NZA 1991, 607; allgemein dazu GK-BetrVG/Kreutz, § 77 Rn. 8 ff. 121 Nur Matthes, in: Münchener Handbuch ArbeitsR, Bd. 3, § 328 Rn. 98. 122 Etwa Annuß, RdA 2000, 287, 291; Matthes, in: Münchener Handbuch ArbeitsR, Bd. 3, § 328 Rn. 99; Richardi/Richardi, BetrVG, § 77 Rn. 293. 123 BAG vom 20.4.1999 – 1 ABR 72/98 – AP Nr. 89 zu Art. 9 GG = EzA Art. 9 GG Nr. 65 = NZA 1999, 887; bestätigt von BAG vom 21.1.2003 – 1 ABR 9/02 – AP Nr. 1 zu § 21a BetrVG 1972 = EzA § 77 BetrVG 2001 Nr. 3 = NZA 2003, 1097; Adomeit, Regelungsabrede, S. 77; Bayreuther, Tarifautonomie als kollektiv ausgeübte Privatautonomie, S. 522 ff.; Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, § 77 Rn. 102; Heinze, NZA 1995, 5, 6; Jahnke, Tarifautonomie und
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Normsetzungsprärogative der Tarifvertragsparteien zu sichern und Vereinbarungen zu unterbinden, die die gleiche Wirkungsweise wie der Tarifvertrag haben124. Klar sehen muß man, daß der Arbeitgeber die materiellen Arbeitsbedingungen ohne Betriebsrat festlegen kann. Vertragliche Einheitsregelungen betrifft die Regelungssperre keinesfalls125. Vor der individualvertraglichen Konkurrenz kann die Tarifautonomie nicht geschützt sein, sie ist ihrerseits Ausübung von Privatautonomie. Stimmt aber der Arbeitgeber die ihm ohnehin mögliche Regelung „informell“ mit dem Betriebsrat ab, entsteht dadurch keine größere Gefährdungslage für die Tarifvertragsparteien. In Konkurrenz zur Tarifautonomie setzt sich die betrieblich abgestimmte Regelung solange nicht, wie sie aufgrund ihrer Wirkung hinter dieser zurückbleibt. Erst eine Regelung durch Betriebsvereinbarung, die wie der Tarifvertrag unmittelbar und zwingend wirkt, kann sich auf betrieblicher Ebene in Konkurrenz zum Tarifvertrag stellen126. Es ist daher zutreffend, den Tarifvorbehalt nur auf Betriebsvereinbarungen anzuwenden, nicht aber auf die Regelungsabrede127. Entgegen Richardi128 und gerade weil § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG die Tarifautonomie vor einer konkurrierenden Normsetzungskompetenz auf betrieblicher Ebene schützen soll, kann man die Sperrwirkung auf die normative Gestaltung durch Betriebsvereinbarung beschränken. Regelungsabreden unterliegen somit ebenso wenig wie die, in Vollzug derselben vorgenommenen, individualrechtlichen Akte der Regelungssperre des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG. 2. Notwendige Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 BetrVG Der Anwendungsbereich des § 87 Abs. 1 BetrVG ist grundsätzlich für Regelungsabreden eröffnet, da der Tarifvorrang nicht nach der Form der Mitbestimmungsausübung unterscheidet. Gleichwohl bleibt die Mitbestimmung in tariffreien Arbeitsverhältnissen erhalten; es gelten die für die BeMitbestimmung, S. 150; Kania, in: ErfK, § 77 BetrVG Rn. 56; GK-BetrVG/Kreutz, § 77 Rn. 135; Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1490; Waltermann, Rechtsetzung durch Betriebsvereinbarung zwischen Privatautonomie und Tarifautonomie, S. 269; Zöllner, ZfA 1988, 265, 281. 124 So richtig insbesondere GK-BetrVG/Kreutz, § 77 Rn. 135. 125 Ebenso auch Richardi/Richardi, BetrVG, § 77 Rn. 295. 126 So schon Jahnke, Tarifautonomie und Mitbestimmung, S. 150. 127 So insbesondere auch das BAG vom 20.4.1999 – 1 ABR 72/98 – AP Nr. 89 zu Art. 9 GG = EzA Art. 9 GG Nr. 65 = NZA 1999, 887; sowie BAG vom 21.1.2003 – 1 ABR 9/02 – AP Nr. 1 zu § 21a BetrVG 1972 = EzA § 77 BetrVG 2001 Nr. 3 = NZA 2003, 1097 128 Richardi/Richardi, BetrVG, § 77 Rn. 293.
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triebsvereinbarung herausgearbeiteten Grundsätze. Danach ist die Ausübung des Mitbestimmungsrechts im Rahmen des § 87 Abs. 1 BetrVG nur bei bestehender Tarifbindung im jeweiligen Arbeitsverhältnis gesperrt129. 3. Umfang der Regelungskompetenz Da weder § 77 Abs. 3 noch § 87 Abs. 1 Eingangshalbsatz BetrVG eine Sperrwirkung zu Lasten der Regelungsabrede entfalten, steht den Betriebsparteien grundsätzlich ein weiter Regelungsbereich zu, den sie mit einer Regelungsabrede abdecken können. Eine Begrenzung fordern weder die Tarifautonomie noch die Individualautonomie, da mit der Regelungsabrede mangels Normwirkung keine Rechtspositionen verkürzt werden. Dennoch ist die Frage berechtigt, welche Gegenstände geregelt werden dürfen130. Erforderlich ist zunächst, daß die Materie in den funktionalen Zuständigkeitsbereich des Betriebsrats fällt131. Im Rahmen dieser Zuständigkeit verbleibt aber ein weiter Bereich, in dem eine Regelungsabrede möglich ist. Eine Regelung ist erst einmal für alle Angelegenheiten zulässig, die der Betriebsvereinbarung offen stehen. Darüber hinaus können zudem solche Angelegenheiten geregelt werden, die aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen gerade nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein können132. Freilich liefert die Aufnahme eines Arbeitsverhältnisses keine Ermächtigung, die Inhalte des Arbeitsvertrags später einseitig zu ändern. Insbesondere unterwirft sich der einzelne Betriebsangehörige nicht dem Diktat einer Zwangskorporation durch Unternehmensleitung und Betriebsrat. Mit der Regelungsabrede ist ein solcher Eingriff nicht verbunden. Die Betriebsparteien arbeiten lediglich eine Art Vertragsmuster aus, das erst wirksam wird, wenn der einzelne Arbeitnehmer individuell zustimmt, beziehungsweise der Arbeitgeber eine Umsetzung einseitig vornehmen kann133. Die Regelung wird erst verbindlich, wenn sie privatautonom durch den Arbeitnehmer legitimiert ist. Da folglich kein individuelles Schutzbedürfnis besteht, aufgrund dessen die Regelungsabrede an ein besonderes Legitimationserfordernis gebunden wäre, ist der Regelungsbereich auch nicht auf die gesetzlich normierten Mitbestimmungstatbestände beschränkt. Vereinbarungen sind über den nach 129
Siehe oben § 5 A. I. 3. b) (3), S. 229 f. Herrmann, NZA Sonderbeil. 3/2000, 14, 21. 131 Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, § 77 Rn. 120; GKBetrVG/Kreutz, § 77 Rn. 14; Heinze, NZA 1994, 580, 584. 132 Kania, in: ErfK, § 77 BetrVG Rn. 136. 133 Bayreuther, Tarifautonomie als kollektiv ausgeübte Privatautonomie, S. 724. 130
A. Begrenzte Regelungskompetenz der Betriebsparteien
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§ 88 BetrVG und anderen Ermächtigungsnormen durch Betriebsvereinbarung regelbaren Bereich hinaus zulässig. Die Betriebsparteien sind lediglich an ihren funktionalen Zuständigkeitsbereich gebunden. Insbesondere sind betriebliche Bündnisse für Arbeit ein tauglicher Regelungsgegenstand134. Die Vereinbarung einer Beschäftigungssicherung ist ebenso zulässig wie die Erhöhung der Arbeitszeit oder die Reduzierung des Arbeitsentgelts. III. Umdeutung unwirksamer Betriebsvereinbarungen Da für die Betriebsvereinbarung engere Regelungsschranken bestehen als für die Regelungsabrede, stellt sich die Frage nach einer Umdeutung gemäß § 140 BGB. Dabei geht es nicht um die Umdeutung einer Kollektiv- in eine Individualvereinbarung mit Parteiwechsel135, sondern um die Umdeutung einer Vereinbarung der gleichen Parteien, von einer normativ wirkenden in eine schuldrechtlich verpflichtende Regelung136. Voraussetzung einer Umdeutung nach § 140 BGB ist, daß das Ersatzgeschäft in seinen rechtlichen Wirkungen nicht weiter reicht als das nichtige Rechtsgeschäft137. Ein Zurückbleiben hinter den Rechtsfolgen des ursprünglichen Geschäfts ist dagegen unproblematisch. Da die Regelungsabrede lediglich schuldrechtlich zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber wirkt, aber keine normative Wirkung entfaltet, bleibt sie in ihren Rechtsfolgen hinter der Betriebsvereinbarung zurück. Damit ist in der Regelungsabrede ein kongruentes Ersatz-Rechtsgeschäft zur Betriebsvereinbarung zu sehen138. Weiter muß die Umdeutung dem Parteiwillen entsprechen. Entscheidend ist, ob die Betriebsparteien bei Kenntnis der Nichtigkeit auch eine Vereinbarung mittels Regelungsabrede getroffen hätten. Dabei geht es nicht um die Frage, ob die Parteien lieber eine Regelung mit normativer Wirkung gewollt haben139. Im Rahmen des § 140 BGB geht es allein um die Frage, ob 134 ArbG Marburg vom 7.8.1996 – 1 BV 6/96 – NZA 1996, 1331 = BB 1996, 2198; Kania, in: ErfK, § 77 BetrVG Rn. 137. 135 Dazu BAG vom 23.8.1989 – 5 AZR 391/88 – AP Nr. 42 zu § 77 BetrVG 1972 = EzA § 140 BGB Nr. 16 = NZA 1990, 69; BAG vom 5.3.1997 – 4 AZR 532/95 – AP Nr. 10 zu § 77 BetrVG 1972 Tarifvorbehalt = EzA § 77 BetrVG 1972 Nr. 58 = NZA 1997, 951. 136 Das Problem der Umdeutung stellt sich nur dann nicht, wenn man die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG auch auf die Regelungsabrede erstreckt. So konsequent Richardi/Richardi, BetrVG, § 77 Rn. 311. 137 BGH vom 14.5.1956 – II ZR 229/54 – BGHZ 20, 363, 371 = WM 1956, 857; Palandt/Heinrichs, BGB, § 140 Rn. 6; Soergel/Hefermehl, BGB, § 140 Rn. 5. 138 Belling/Hartmann, NZA 1998, 673, 679. 139 Vgl. aber BAG vom 20.11.2001 – 1 AZR 12/01 – EzA § 77 BetrVG 1972 Nr. 70 = NZA 2002, 872; zustimmend GK-BetrVG/Kreutz, § 77 Abs. 126.
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§ 5 Die Betriebsverfassung als Grundlage der Belegschaftsteilung
die Parteien zumindest eine Regelungsabrede geschlossen hätten, wenn sie die Nichtigkeit der favorisierten Gestaltung erkannt hätten. Regelungsabrede und Betriebsvereinbarung sind auf dieselben wirtschaftlichen Ziele gerichtet, u. a. soll damit dem Erfordernis der betrieblichen Mitbestimmung Rechnung getragen werden. Deshalb kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, daß die Betriebsparteien auch eine Regelungsabrede getroffen hätten140. In der Praxis wird das sogar vorgezogen, wenn die rechtlichen Grenzen der Regelungsbefugnis unsicher sind. Eine an § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG scheiternde Betriebsvereinbarung läßt sich demnach gemäß § 140 BGB regelmäßig in eine formlose Betriebsabsprache umdeuten. Dies gilt ohne weiteres jedoch nur dann, wenn die Regelungsabrede in gleichem Umfang wie die Betriebsvereinbarung individualrechtlich umgesetzt werden kann; also dann, wenn die Tarifsperre aufgrund bloßer Tarifüblichkeit eingreift. Greift der Tarifvorbehalt aber wegen eines im Betrieb geltenden Tarifvertrags, an den der Arbeitgeber im Verhältnis zu organisierten Arbeitnehmern gebunden ist, kommt eine individualvertragliche Umsetzung nur in tariffreien Arbeitsverhältnissen in Betracht. Gleichwohl bleibt eine Umdeutung möglich; das Zurückbleiben des Ersatzgeschäfts schadet nicht. Es muß aber ermittelt werden, ob die Betriebsparteien auch eine, nur in nicht tarifgebundenen Arbeitsverhältnissen umsetzbare, Vereinbarung getroffen hätten. Insbesondere bei niedrigem Organisationsgrad und Regelungen, die in wirtschaftlichen Krisenzeiten auf die Reduzierung des Tarifniveaus gerichtet sind, ist es nicht ausgeschlossen, daß die Betriebsparteien – auch ohne ausdrückliche Begrenzung – eine auf die nichtorganisierten Arbeitnehmer beschränkte Regelung getroffen hätten. Immerhin wird durch die Regelungsabrede der notwendigen Mitbestimmung durch den Betriebsrat genügt, die Wirksamkeitsvoraussetzung für die individualvertragliche Gestaltung ist. IV. Zwischenergebnis: Umfang der Regelungskompetenz Grundsätzlich verfügen die Betriebsparteien nicht über die gleiche umfassende Regelungskompetenz wie die Tarifvertragsparteien oder die Parteien des Arbeitsvertrags. Die Tarif- und der Arbeitsvertragsebene auf der einen und die der Betriebsebene auf der anderen Seite sind nicht austauschbar. Betriebsvereinbarungen sind schon aufgrund der Regelungssperre des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG, der nicht nach der konkreten Tarifgebundenheit im Arbeitsverhältnis unterscheidet, weitgehend ausgeschlossen. Ausnahmen be140
Ebenso Belling/Hartmann, NZA 1998, 673, 679; Kania, in: ErfK, § 77 BetrVG Rn. 30; a. A. Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, § 77 Rn. 104.
B. Zulässigkeit der betrieblichen Belegschaftsteilung
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stehen nur im Rahmen von tarifvertraglichen Öffnungsklauseln und im Anwendungsbereich des § 87 Abs. 1 BetrVG, dessen Sperrwirkung aufgrund der unterschiedlichen Schutzrichtung nicht eingreift, wenn auf Arbeitnehmerseite keine Tarifbindung besteht. Trotzdem kommt den Betriebsparteien in diesem Rahmen keine umfassende Regelungskompetenz zu. Entgegen der Rechtsprechung sind Regelungen, die das arbeitsvertragliche Synallagma betreffen, einer betrieblichen Regelung nicht zugänglich. Insbesondere die Höhe des Arbeitsentgelts und die Dauer der Arbeitszeit sind der vertraglichen Gestaltung vorbehalten141. Nur durch formlose Vereinbarung mittels Regelungsabrede können die Betriebsparteien sämtliche Gegenstände des Arbeitsvertrags aufgreifen. Der Regelungsabrede kommt allerdings keine unmittelbare Gestaltungskraft zu, womit es stets einer vertraglichen Grundlage bedarf. Für eine tarifabweichende Gestaltung der tariffreien Arbeitsverhältnisse kann die Regelungskompetenz der Betriebsparteien alles in allem lediglich in Ergänzung oder zur Vorbereitung einer arbeitsvertraglichen Regelung herangezogen werden.
B. Zulässigkeit der betrieblichen Belegschaftsteilung Ist die Regelungskompetenz der Betriebsparteien eröffnet, stellt sich nun die Folgefrage, ob sie diese Kompetenz begrenzt auf die nicht tarifgebundenen Arbeitsverhältnisse wahrnehmen können. Dies ist im folgenden zu klären, wobei schon an dieser Stelle darauf hinzuweisen ist, daß die betriebliche Regelungsbefugnis – wie gezeigt – für nicht dem Tarifvertrag unterstehende Arbeitsverhältnisse deutlich weiter geht als bei tarifgebundenen Arbeitsverhältnissen. Das gilt insbesondere im Rahmen des auf Tarifgebundene begrenzten Tarifvorrangs des § 87 Abs. 1 BetrVG und in bezug auf Regelungsabreden, deren einzelvertragliche Umsetzung in tarifgebundenen Arbeitsverhältnissen an der vorrangigen Tarifgeltung scheitert. Zu klären ist, ob übergeordnete Rechtsgrundsätze oder Diskriminierungsverbote einer nach der Tarifgebundenheit differenzierten Kompetenzwahrnehmung durch die Betriebsparteien entgegenstehen. I. Zulässige Beschränkung des persönlichen Anwendungsbereichs einer betrieblichen Regelung Grundsätzlich ist die Betriebsverfassung auf die Gesamtheit der Belegschaft ausgerichtet. Der Betriebsrat ist Repräsentant aller Arbeitnehmer ei141 Zum Arbeitsvertrag als Grundlage der Belegschaftsteilung ausführlich unten § 6, S. 257 ff.
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§ 5 Die Betriebsverfassung als Grundlage der Belegschaftsteilung
nes Betriebs und die Betriebsparteien nehmen ihre Regelungskompetenz für alle Arbeitnehmer wahr. Deshalb sollen konkret-individuelle Regelungen einer betrieblichen Gestaltung nicht zugänglich sein und auch nicht der Mitbestimmung unterliegen142. Gleichwohl ist man sich darin einig, daß eine betriebliche Regelung nicht stets und notwendig die gesamte Belegschaft erfassen muß, sondern genauso gruppenbezogene Sachverhalte geregelt werden können, wobei die Zahl der betroffenen Arbeitnehmer nicht maßgeblich ist143. Es ist also nicht von vornherein ausgeschlossen, daß eine betriebliche Regelung nur einen Teil der Belegschaft erfaßt. Auch bei AT-Angestellten, die nicht unter den Geltungsbereich eines Tarifvertrags fallen, ist es anerkannt, daß eine auf sie beschränkte betriebliche Regelung zulässig ist144. Im Hinblick auf die Tarifbindung gilt prinzipiell nichts anderes. Daß gerade das Betriebsverfassungsrecht dieser unterschiedlichen arbeitsrechtlichen Ausgangslage Rechnung trägt, zeigt sich bereits an § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. Wenn der Betriebsrat über die Durchführung der Tarifverträge zu wachen hat, wirkt er damit notwendigerweise nur im Interesse der Tarifgebundenen. Denn zur Überwachung kann er nur dort ermächtigt sein, wo der Tarifvertrag eingreift. Umgekehrt trägt der Betriebsrat ebenso gegenüber tariffreien Arbeitnehmern eine Regelungsverantwortung, die sich in den nicht von einem Tarifvertrag erfaßten Bereichen aktualisieren muß. Die Betriebsverfassung steht nicht einseitig im Dienst des Tarifvertrags. II. Grundsätze von Recht und Billigkeit nach § 75 Abs. 1 BetrVG Die wichtigste Schranke für die betriebsverfassungsrechtliche Regelungsmacht ergibt sich aus § 75 Abs. 1 BetrVG. Die Vorschrift verpflichtet Arbeitgeber und Betriebsrat, gemeinsam darüber zu wachen, daß alle im Betrieb tätigen Personen nach den Grundsätzen von Recht und Billigkeit behandelt werden. Zusammen mit der Verpflichtung zur vertrauensvollen Zusammenarbeit nach § 2 Abs. 1 BetrVG wird dieses Gebot auch als 142
Hess/Schlochauer/Glock/Worzalla, BetrVG, § 77 Rn. 19; Richardi/Richardi, BetrVG, § 77 Rn. 95. 143 Etwa BAG vom 28.9.1994 – 1 AZR 870/93 – AP Nr. 68 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung = EzA § 87 BetrVG 1972 Betriebliche Lohngestaltung Nr. 44 = NZA 1995, 277. 144 BAG vom 22.1.1980 – 1 ABR 48/77 – AP Nr. 3 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung = EzA § 87 BetrVG 1972 Lohn- und Arbeitsentgelt Nr. 11; Fitting/Engels/ Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, § 87 Rn. 44; Hess/Schlochauer/Glock/ Worzalla; BetrVG, § 87 Rn. 57; Klebe, in: Däubler/Kittner/Klebe, BetrVG, § 87 Rn. 40; Richardi/Richardi, BetrVG, § 87 Rn. 160; GK-BetrVG/Wiese, § 87 Rn. 76.
B. Zulässigkeit der betrieblichen Belegschaftsteilung
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Magna Charta der Betriebsverfassung bezeichnet145. Einig ist man sich, daß der Gestaltungsmacht der Betriebsparteien im Interesse der regelungsunterworfenen Arbeitnehmer über zwingendes staatliches Recht hinaus noch engere Grenzen gezogen sind146. Gleichwohl gebietet § 75 Abs. 1 BetrVG nicht schlechthin die Beachtung von Billigkeit, sondern setzt die Grundsätze von Recht und Billigkeit seinerseits voraus147. 1. Benachteiligungsverbot wegen gewerkschaftlicher Betätigung und Einstellung Zu beachten ist insbesondere die Pflicht zur Gleichbehandlung. Sie wird in § 75 Abs. 1 BetrVG dadurch besonders konkretisiert, daß jede Benachteiligung wegen der genannten Unterscheidungsmerkmale zu unterbleiben hat. Dazu gehört, daß jede Benachteiligung wegen der gewerkschaftlichen Betätigung oder Einstellung unterbleibt. Insofern wird wiederholt, was sich für die Koalitionsfreiheit bereits aus Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG ergibt. Für die Betriebsverfassung spielt es indes keine Rolle, ob von Art. 9 Abs. 3 GG die negative Koalitionsfreiheit gewährleistet ist148, da § 75 Abs. 1 BetrVG neben der Benachteiligung wegen der gewerkschaftlichen Betätigung auch die wegen der gewerkschaftlichen Einstellung verbietet, was die Ablehnung einer Gewerkschaft mit einschließt149. Unzulässig ist jede Benachteiligung, die unmittelbar an die Eigenschaft der Koalitionszugehörigkeit der Arbeitnehmer anknüpft. Das Differenzierungskriterium der Koalitionszugehörigkeit kann für sich alleine demnach nie eine unterschiedliche Behandlung der betriebsangehörigen Arbeitnehmer rechtfertigen. 2. Zulässige Differenzierung nach der Tarifgebundenheit a) Grundsatz Das Differenzierungsverbot im Hinblick auf die gewerkschaftliche Betätigung und Einstellung darf nicht dahin verstanden werden, daß schlechthin 145
Richardi/Richardi, BetrVG, § 77 Rn. 1. Statt aller GK-BetrVG/Kreutz, § 77 Rn. 290 ff.; zur Rspr. des BAG grundlegend BAG vom 30.1.1970 – 3 AZR 44/68 – AP Nr. 142 zu § 242 BGB Ruhegehalt = NJW 1970, 1620. 147 GK-BetrVG/Kreutz, § 77 Rn. 304 f. mit zahlr. Nachw. 148 Dazu oben § 2 C. II. 2. a), S. 102 ff. 149 Ebenso Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, § 75 Rn. 48; GK-BetrVG/Kreutz, § 75 Rn. 46; Hess/Schlochauer/Glock/Worzalla, BetrVG, § 75 Rn. 10; Richardi/Richardi, BetrVG, § 75 Rn. 22; a. A. Berg, in: Däubler/Kittner/ Klebe, BetrVG, § 75 Rn. 17. 146
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§ 5 Die Betriebsverfassung als Grundlage der Belegschaftsteilung
jede Unterscheidung zwischen organisierten und nichtorganisierten Belegschaftsangehörigen aufgehoben wäre. Das in § 75 Abs. 1 BetrVG niedergelegte Verbot bedeutet insbesondere nicht, daß Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen für gewerkschaftlich organisierte und nichtorganisierte Arbeitnehmer gleich sein müßten. Eine Allgemeinverbindlichkeit des Tarifvertrags auf betrieblicher Ebene soll gerade nicht herbeigeführt werden150. Von der Ungleichbehandlung wegen der gewerkschaftlichen Betätigung oder Einstellung zu unterscheiden, ist die Ungleichbehandlung aufgrund der Tarifgebundenheit. Diese ist zwar gesetzliche Folge der Koalitionszugehörigkeit, gehört aber nicht zu den Diskriminierungsmerkmalen des § 75 Abs. 1 BetrVG. Die Vorschrift des § 75 Abs. 1 BetrVG schützt vor der Benachteiligung wegen der gewerkschaftlichen Betätigung und Einstellung, sie verbietet dagegen nicht die Ungleichbehandlung aufgrund der Tarifgebundenheit151. Ergibt sich die Differenzierung aus der zwingenden Geltung des Tarifvertrags für beiderseits Tarifgebundene, ist sie vielmehr sachlich gerechtfertigt. Deshalb ist es nicht zutreffend, wenn pauschal behauptet wird, daß § 75 Abs. 1 BetrVG jede unterschiedliche Behandlung von organisierten und nichtorganisierten Arbeitnehmern verbieten würde152. Es läßt sich insbesondere nicht behaupten, daß die Betriebsparteien ihre kollektive Regelung stets auf alle Arbeitnehmer des Betriebs erstrecken müßten153. § 75 Abs. 1 BetrVG normiert lediglich ein Diskriminierungsverbot, das es verbietet, Arbeitnehmer aufgrund ihrer Koalitionszugehörigkeit oder wegen fehlender Koalitionszugehörigkeit zu benachteiligen. Das bedeutet nicht, daß organisierte und nichtorganisierte Arbeitnehmer eines Betriebs in oder sogar durch betriebliche Regelungen gleichzustellen wären. Dafür fehlte den Betriebsparteien ohnehin die Regelungsmacht. Ihnen kommt im grundsätzlich autonomen Regelungssystem der Arbeitsbedingungen nur eine ergänzende Funktion zu154, die auf der kollektiv ausgeübten oder individuell verfolgten Privatautonomie der Arbeitsvertragsparteien beruht. Die Akzessorietät der betrieblichen Regelungsbefugnis hat zur Folge, daß unterschiedliche Arbeitsbedingungen – je nach Regelungssystem – auszuge150 Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, § 75 Rn. 51; GKBetrVG/Kreutz, § 75 Rn. 56; Richardi/Richardi, BetrVG, § 75 Rn. 31. 151 Offen gelassen von BAG vom 28.3.2000 – 1 ABR 16/99 – AP Nr. 27 zu § 99 BetrVG 1972 Einstellung = EzA § 99 BetrVG 1972 Einstellung Nr. 6 = NZA 2000, 1294. 152 Vgl. Bayreuther, Tarifautonomie als kollektiv ausgeübte Privatautonomie, S. 500 f.; Franzen, RdA 2006, 1, 9; v. Hoyningen-Huene, NZA 1985, 9, 11; dens., in: Münchener Handbuch ArbeitsR, Bd. 3, § 297 Rn. 106. 153 So Brecht, Die Umsetzung von Tarifverträgen auf Betriebsebene, S. 258. 154 Vgl. oben § 5 A. IV., S. 240.
B. Zulässigkeit der betrieblichen Belegschaftsteilung
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stalten sein können. Nur wenn der Arbeitgeber seine Arbeitnehmer mittels Bezugnahme unabhängig von deren Koalitionszugehörigkeit einheitlich nach einem Tarifvertrag behandelt, reduziert sich der Unterschied auf den Geltungsgrund der Arbeitsbedingungen. Eine daran anknüpfende Ungleichbehandlung wäre mit den Vorgaben des § 75 Abs. 1 BetrVG nicht vereinbar, weil sie sich auf das Merkmal der Koalitionszugehörigkeit beschränkte. Behandelt der Arbeitgeber seine Arbeitnehmer aber nicht einheitlich nach den tariflichen Vorgaben, ergeben sich die Arbeitsbedingungen der nichtorganisierten Arbeitnehmer vielmehr aus einem arbeitsvertraglichen Entlohnungssystem, reduziert sich der Unterschied zwischen Organisierten und Nichtorganisierten nicht mehr auf die Art des Geltungsgrundes ansonsten einheitlicher Arbeitsbedingungen. Der Unterschied liegt dann vielmehr in der Tarifgebundenheit. Eine betriebliche Regelung, die daran anknüpft, kollidiert nicht mit § 75 Abs. 1 BetrVG. Der Grund für die unterschiedliche Behandlung liegt nicht in der Koalitionszugehörigkeit, sondern schlicht darin, daß ein Tarifvertrag gilt oder nicht. Soweit sich der Unterschied zwischen Organisierten und Nichtorganisierten aus der konkreten Tarifgebundenheit und damit aus dem Tarifvertragsgesetz selbst ergibt, können die Betriebsparteien daran auch unterschiedliche Regelungen knüpfen, insbesondere den persönlichen Geltungsbereich einer Regelung entsprechend bestimmen155. In einer auf die Tarifgebundenheit gerichteten Differenzierung liegt keine sachfremde Schlechterstellung im Sinne von § 75 Abs. 1 BetrVG156. Die Betriebsparteien handeln lediglich nach den gesetzlichen Vorgaben des TVG157. b) Notwendige Differenzierung im Rahmen der erzwingbaren Mitbestimmung Augenscheinlich wird die notwendig zulässige unterschiedliche Behandlung von tarifgebundenen und tariffreien Arbeitnehmern im Bereich des § 87 Abs. 1 BetrVG. Da erzwingbare Mitbestimmungsrechte bei Tarifbindung des Arbeitgebers nur hinsichtlich der nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer bestehen158, ergibt sich bereits daraus die Begrenzung des persönlichen Anwendungsbereichs einer in Erfüllung dieser Mitbestimmung erlassenen 155 Buchner, RdA 1990, 1, 4; Fischer, Die tarifwidrigen Betriebsvereinbarungen, S. 139 ff. 156 So insbesondere auch Gamillscheg, Kollektives ArbeitsR, Bd. I, S. 715; ebenso GK-BetrVG/Kreutz, § 75 Rn. 56; Kast/Stuhlmann, BB 2000, 614, 617; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 212; siehe auch Fritsch, BB 1992, 701, 705. 157 Zur tarifrechtlich angelegten Zweiteilung der Belegschaft oben § 1, S. 23 ff. 158 Oben § 5 A. I. 3. b) (3), S. 229 f.
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§ 5 Die Betriebsverfassung als Grundlage der Belegschaftsteilung
betrieblichen Regelung159. In tarifgebundenen Arbeitsverhältnissen ist die Mitbestimmung durch den Tarifvorrang gesperrt. Die Sperrwirkung greift nur nicht bezüglich der tariffreien Arbeitsverhältnisse. Im Hinblick darauf ist der Betriebsrat berufen, seine Mitbestimmungsrechte wahrzunehmen. Die Vorschrift des § 75 Abs. 1 BetrVG steht dem nicht entgegen. Es geht nicht um eine (unzulässige) Differenzierung wegen der gewerkschaftlichen Einstellung oder Betätigung, sondern um die notwendige, gesetzlich vorgegebene, Differenzierung aufgrund der Tarifgebundenheit160. c) Notwendige Differenzierung bei Tarifpluralität Daß eine differenzierte Geltung von betrieblichen Regelungen zulässig sein muß, zeigt sich auch, wenn mehrere Tarifverträge in einem Betrieb zur Anwendung gelangen. Läßt man entgegen der noch vom BAG verfolgten Linie eine Tarifpluralität im Betrieb zu161, führt das dazu, daß verschiedene Tarifverträge mit unterschiedlichen Öffnungsklauseln anzuwenden sein können. Absurd wäre es anzunehmen, daß jede ergänzende Betriebsvereinbarung für alle Arbeitnehmer der Belegschaft gelten müßte. Vielmehr bedarf es der Beschränkung des Anwendungsbereichs der jeweiligen Betriebsvereinbarung auf die, dem betreffenden Tarifvertrag unterfallenden, Arbeitsverhältnisse. Nicht anders als im gemeinsamen Betrieb, wo derartige Gemengelagen auch auftreten und sachgerecht gelöst werden162, sind die Rechte des Betriebsrats jeweils akzessorisch zur Vertragsgrundlage auszuüben und je nach Konstellation differenziert umzusetzen163. Daran wird deutlich, daß es je nach Gestaltung der Hauptschuldinhalte auch ein unterschiedliches Bedürfnis für eine Ausgestaltung auf der betrieblicher Regelungsebene geben kann. Die Rücksichtnahme auf unterschiedliche Individualschuldinhalte muß sich in differenzierten Mitbestimmungsregelungen niederschlagen. Das Bedürfnis nach einer ausgestaltenden betrieblichen Regelung folgt allein aus den Hauptschuldinhalten und nicht aus einer fremden Öffnungsklausel eines nicht legitimierten Tarifvertrags.
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Mit Bezug auf die Unterscheidung nach der Tarifbindung der Arbeitnehmer im Rahmen des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG bereits Nikisch, Arbeitsrecht III, S. 295 f.; G. Hueck, in: FS Molitor, S. 203, 219 f. 160 Nicht zutreffend daher v. Hoyningen-Huene/Meier-Krenz, NZA 1987, 793, 796. 161 Ausführlich dazu oben § 4, S. 177 ff. 162 BAG vom 19.11.1992 – 10 AZR 290/91 – AP Nr. 145 zu § 611 BGB Gratifikation = EzA § 242 BGB Gleichbehandlung Nr. 54 = NZA 1993, 405. 163 Ebenso Reichold, RdA 2007, 321, 327.
B. Zulässigkeit der betrieblichen Belegschaftsteilung
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d) Zulässige Differenzierung im Rahmen von Öffnungsklauseln Im Rahmen tariflicher Öffnungsklauseln hängt die Reichweite der betrieblichen Regelungsbefugnis von dem, durch die Tarifvertragsparteien eröffneten, Regelungsbereich ab. Die zu Lasten der Betriebsvereinbarung bestehende Regelungssperre wird im Hinblick auf die Arbeitsverhältnisse der nichtorganisierten Arbeitnehmer nur durchbrochen, wenn der Tarifvertrag ergänzende oder abweichende Regelungen zuläßt. Trotz der einheitlichen tariflichen Reichweitenvorgabe liegt es aber allein im Ermessen der Betriebsparteien, ob und wie sie von ihrer Regelungskompetenz Gebrauch machen164. Das schließt die Möglichkeit eine betriebliche Zweiteilung der Belegschaft mit ein. (1) Beschränkung auf tarifgebundene Arbeitsverhältnisse Gelten für organisierte und nichtorganisierte Arbeitnehmer nicht die gleichen Arbeitsbedingungen, werden vielmehr nur die Gewerkschaftsmitglieder nach Tarif, die Tariffreien hingegen nach einem arbeitsvertraglichen Vergütungssystem bezahlt, liegt darin ein sachlicher Grund für eine jeweils unterschiedliche betriebliche Ausgestaltung. Entgegen verbreiteter Meinung, wonach eine entsprechende Beschränkung des persönlichen Geltungsbereichs in jedem Fall unzulässig sei165, ist ein Verstoß gegen § 75 Abs. 1 BetrVG nicht gegeben166. Die Betriebsparteien differenzieren nicht ohne sachlichen Grund zwischen Organisierten und Nichtorganisierten. Sie vollziehen lediglich das nach, was der Tarifvertrag selbst vorgibt: die normativen Geltungsbereiche von Tarifvertrag und betrieblicher Ausgestaltung entsprechen einander. Ein Grund dafür, daß der den Betriebsparteien tariflich vorgegebene Regelungsbereich inhaltlich nicht auf denselben Geltungsbereich, den die zu ergänzenden Tarifverträge haben, beschränkbar sein sollte, ist nicht ersichtlich. Im übrigen ist es nur sinnvoll, tarifliche Vorgaben zu ergänzen, wo solche – sei es auch auf arbeitsvertraglicher Grundlage – gelten. Im Rahmen von tariflichen Öffnungsklauseln müssen betriebliche Regelungen deshalb in zulässiger Weise auf tarifgebundene Arbeitsverhältnisse beschränkt werden können167. 164
Oben § 5 A. I. 2., S. 216 ff. v. Hoyningen-Huene, in: Münchener Handbuch ArbeitsR, Bd. 3, § 297 Rn. 106; ders., Anm. zu BAG vom 18.8.1987 – 1 ABR 30/86 – AP Nr. 23 zu § 77 BetrVG 1972 unter 3. c); ders., NZA 1985, 9, 11; ebenso Brecht, Die Umsetzung von Tarifverträgen auf Betriebsebene, S. 258; Löwisch, DB 1984, 2457, 2458. 166 Wie hier Buchner, RdA 1990, 1, 4; Walker, ZfA 1996, 353, 366. 167 Buchner, RdA 1990, 1, 4; Canaris, AuR 1966, 129, 134 (dort Fn. 33), 136 (dort Fn. 57); Walker, ZfA 1996, 353, 366; ebenso Gamillscheg, Kollektives ArbeitsR, Bd. I, S. 715. 165
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§ 5 Die Betriebsverfassung als Grundlage der Belegschaftsteilung
(2) Beschränkung auf nicht tarifgebundene Arbeitsverhältnisse Wenn es zulässig ist, eine betriebliche Regelung auf die tarifgebundenen Arbeitsverhältnisse zu beschränken, muß es umgekehrt ebenso zulässig sein, eine gesonderte Regelung für tariffreie Arbeitsverhältnisse zu treffen. Genauso wie sich aus der Tariföffnung ein Regelungsauftrag zur Ausgestaltung der tariflichen Regelung im Hinblick auf die tarifgebundenen Arbeitsverhältnisse ergibt, entsteht in gleichem Umfang eine Regelungsbefugnis im Hinblick auf die tariffreien Arbeitsverhältnisse168. Wird der Tarifvertrag in einem Betrieb nicht einheitlich angewendet, können die Betriebsparteien ihre Regelungsbefugnis deshalb in tariffreien Arbeitsverhältnissen abweichend wahrnehmen169. Insbesondere unterscheidet sich das konkrete Regelungsbedürfnis im Hinblick auf tarifgebundene und nicht tarifgebundene Arbeitsverhältnisse. Nur aufgrund der Tariföffnung entsteht kein gleichgelagertes Regelungsbedürfnis. Ein solches kann sich nur aus den unterschiedlichen Arbeitsbedingungen ergeben. Darin kann keine unzulässige Diskriminierung im Sinne des § 75 Abs. 1 BetrVG gesehen werden. e) Erweiterter Regelungsbereich bei Regelungsabreden Im Vergleich zur Betriebsvereinbarung kommt der Regelungsabrede, die mangels Normwirkung nicht an die Tarifsperre des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG gebunden ist, ein erheblich weiterer Regelungsbereich zu. Tarifgebundene Arbeitsverhältnisse profitieren davon allerdings nur, soweit kein aktueller Tarifvertrag besteht, die Sachmaterie vielmehr nur üblicherweise tariflich geregelt ist. Ihr Hauptanwendungsfeld hat die Regelungsabrede deshalb im Hinblick auf tariffreie Arbeitsverhältnisse, für die sie mangels entgegenstehender Tarifbindung sämtliche Arbeitsbedingungen regeln kann170. Im Hinblick auf die tarifgebundenen Arbeitsverhältnisse ist die ausgeübte und aktualisierte Tarifautonomie demgegenüber nicht nur durch den Tarifvorbehalt des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG geschützt. Bezogen auf die Regelungsabrede ergibt sich der gleiche Schutz aus der Unabdingbarkeit des Tarifvertrags gemäß § 4 Abs. 1 TVG. Die Tarifbindung begründet in diesem Sinne mittelbar einen Vorrang des Tarifvertrags vor der Regelungsabrede. Das BAG gesteht den Tarifvertragsparteien zudem einen Unterlassungsanspruch gegen betriebliche Regelungen zu, die darauf gerichtet sind, vom Tarifvertrag abweichende Vereinbarungen zu treffen171. 168 169 170
Dazu oben § 5 A. I. 2. c), S. 218 f. Vgl. Buchner, RdA 1990, 1, 11. Dazu oben § 5 A. II. 3, S. 238.
B. Zulässigkeit der betrieblichen Belegschaftsteilung
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Aus der begrenzten Regelungsschranke ergibt sich wiederum der auf tariffreie Arbeitnehmer beschränkbare personelle Anwendungsbereich einer betrieblichen Regelung. Eine unzulässige Differenzierung liegt darin nicht. Der sachliche Grund für die Ungleichbehandlung ergibt sich hier ebenso aus der Tarifgeltung auf der einen und der Nichtgeltung des Tarifvertrags auf der anderen Seite172. Organisierte werden nicht wegen ihrer gewerkschaftlichen Einstellung unterschiedlich behandelt, wenn eine aufgrund der unabdingbaren Tarifgeltung nur in tariffreien Arbeitsverhältnissen umsetzbare Regelungsabrede in ihrem personellen Anwendungsbereich begrenzt wird. Die Betriebsparteien tragen damit lediglich der Tatsache Rechnung, daß der Arbeitgeber in tarifgebundenen Arbeitsverhältnissen gar keine abweichende Regelung umsetzen kann – auch nicht mit Zustimmung der Arbeitnehmer. Dies reiht sich ein in die zuvor dargestellten Grundsätze. Sperrt der unmittelbar geltende Tarifvertrag eine abweichende Regelung auf der betrieblichen Ebene, ist eine, in ihrem Anwendungsbereich auf die Nichtorganisierten und aus diesem Grund nicht der Tarifgeltung unterliegenden Arbeitnehmer, beschränkte Gestaltung zulässig. Andernfalls könnten die Tarifvertragsparteien ihre Gestaltungsmacht auf nichtorganisierte Arbeitnehmer erstrecken, indem sie zwar keinen unmittelbaren Geltungsanspruch erheben, gleichsam aber mittelbar jede andere Regelung ausschließen. Ein derartiges Gestaltungsmonopol besteht nur gegenüber der Betriebsvereinbarung aufgrund der in § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG normierten Voraussetzungen. Gegenüber Regelungsabreden reduziert sich der Schutz der Tarifautonomie auf die unabdingbare Tarifgeltung und ist damit abhängig von der aktuellen Tarifgebundenheit im Arbeitsverhältnis. f) Besonderheiten im Bereich des Günstigkeitsprinzips Aus § 4 Abs. 3 TVG folgt, daß ein Tarifvertrag solchen Regelungen nicht entgegensteht, die günstiger sind. Ausgenommen vom Günstigkeitsprivileg sind allerdings Betriebsvereinbarungen; normativen Gestaltungen auf Betriebsebene versagt § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG generell die Wirksamkeit, selbst wenn sie günstiger sind. Das Günstigkeitsprinzip findet demgegenüber uneingeschränkt Anwendung, wenn die Betriebsparteien lediglich eine Regelungsabrede treffen. Ist selbige günstiger als der Tarifvertrag, steht er einer abweichenden Vereinbarung insofern nicht entgegen. Im übertarif171 BAG vom 20.4.1999 – 1 ABR 72/98 – AP Nr. 89 zu Art. 9 GG = EzA Art. 9 GG Nr. 65 = NZA 1999, 887. 172 So schon Jahnke, Tarifautonomie und Mitbestimmung, S. 151; vgl. auch Fischer, Die tarifwidrigen Betriebsvereinbarungen, S. 142.
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§ 5 Die Betriebsverfassung als Grundlage der Belegschaftsteilung
lichen Bereich entfaltet die Tarifgebundenheit – bezogen auf die Regelungsabrede – mithin keine Sperrwirkung. Das wirkt sich unmittelbar zwar nur auf tarifgebundene Arbeitnehmer aus. Bezogen auf die Vertragsgestaltung mit nicht tarifgebunden Arbeitnehmern ist das Günstigkeitsprinzip gleichwohl von Belang: als Reflex gibt es hier Gestaltungsschranken vor, weil der Gleichbehandlungsgrundsatz eine sachgrundlose Ungleichbehandlung verbietet, wenn auch Tarifunterworfene zum möglichen Kreis der Regelungsadressaten zählen – wie das im Rahmen der Günstigkeit der Fall ist. Da allerdings nur formlose Regelungsabreden betroffen sind, die sich rechtlich erst auswirken, wenn sie arbeitsvertraglich umgesetzt werden, bezieht sich die Reflexwirkung im wesentlichen auf die Arbeitsvertragsgestaltung. Das Günstigkeitsprinzip in Verbindung mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz als Gestaltungsschranke für tariffreie Arbeitsverhältnisse wird dementsprechend dort besprochen, wo es seine Hauptrolle spielt, also beim Arbeitsvertrag als Grundlage der Belegschaftsteilung173. III. Kein Verstoß gegen die Fürsorgepflicht des Betriebsrats Teilweise wird angenommen, daß ein Betriebsrat, der sich für eine Beteiligung an einem vom Tarifvertrag abweichenden betrieblichen Bündnis für Arbeit einsetzt und den Arbeitnehmern empfiehlt, dieses Bündnis einzelvertraglich umzusetzen, gegen die gesetzliche Fürsorgepflicht gegenüber den Arbeitnehmern verstößt174. Der Verstoß liege darin, daß der Betriebsrat daran mitwirke, die Entscheidung über die teilweise Abschaffung der Tarifverträge im Betrieb auf den einzelnen Arbeitnehmer zu verlagern. Ein Verstoß ist gleichwohl ausgeschlossen, wenn der Arbeitgeber tarifabweichende Vereinbarungen nur mit tariffreien Arbeitnehmern trifft und sich das Einverständnis des Betriebsrates nur darauf bezieht. Eine anders verstandene Fürsorgepflicht, die eine Art Ausgewogenheitskontrolle umfassen würde175, widerspräche dem Zweck der Betriebsratsbeteiligung. So kann es nicht sein, daß unter dem Gesichtspunkt des Arbeitnehmerschutzes ausgerechnet die Beteiligung des Betriebsrats zur Unwirksamkeit eines Vertrags führen sollte, den der Arbeitgeber auch allein wirksam abschließen könnte176.
173
Unten § 6 D. III. 2., S. 282 ff. Vgl. ArbG Marburg vom 7.8.19976 – 1 BV 6/96 – NZA 1996, 1331 = BB 1996, 2198. 175 In diese Richtung aber ArbG Marburg vom 7.8.1996 – 1 BV 6/96 – NZA 1996, 1331 = BB 1996, 2198. 176 Junker, NZA 1997, 1305, 1314; vgl. auch Kort, NJW 1997, 1476, 1481. 174
C. Koalitionsrechtlicher Unterlassungsanspruch
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IV. Kein Verstoß gegen das AGG Über die betriebsverfassungsrechtlichen Regelungsschranken hinaus ergeben sich keine weiteren Grenzen für eine betriebliche Belegschaftsteilung; insbesondere nicht aus dem AGG. Der Anwendungsbereich des AGG ist zwar nicht auf die individualarbeitsrechtliche Ebene beschränkt, sondern schließt kollektivrechtliche Vereinbarungen ebenso ein (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG). Zudem ist das AGG als Bestandteil der Arbeitsrechtsordnung im Rahmen des § 75 Abs. 1 BetrVG zu berücksichtigen177. Gleichwohl erwachsen der Ungleichbehandlung von organisierten und nicht- oder anders organisierten Arbeitnehmern daraus auf betrieblicher Ebene keine zusätzlichen Schranken, weil die Koalitionszugehörigkeit weder unmittelbar noch mittelbar von den Diskriminierungsmerkmalen des AGG erfaßt wird178. Selbst wenn man das anders sehen wollte179, wäre die unterschiedliche Behandlung von organisierten und nichtorganisierten Arbeitnehmern auf betrieblicher Ebene jedenfalls durch die begrenzte zwingende Wirkung des Tarifvertrags objektiv sachlich gerechtfertigt.
C. Koalitionsrechtlicher Unterlassungsanspruch Kommt eine vom Tarifvertrag abweichende betriebliche Gestaltung für die tariffreien Arbeitsverhältnisse in Betracht, weil ein Regelungsbereich eröffnet und innerhalb dessen eine Zweiteilung der Belegschaft möglich ist, stellt sich ferner die Frage, ob und inwieweit derartige Praktiken als Eingriff in die Koalitionsfreiheit zu werten und daher mit einem koalitionsrechtlichen Unterlassungsanspruch bewehrt sein können. I. § 23 Abs. 3 BetrVG Soweit es um die zu Lasten der Betriebsparteien eingreifende Regelungssperre des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG geht, kann ein Verstoß als Pflichtverletzung im Sinne des § 23 Abs. 3 BetrVG zu werten sein180. Dies gilt unabhän177
Nur Thüsing, in: Münchener Kommentar zum BGB, § 1 AGG Rn. 23. Dazu bereits oben § 2 C. V., S. 140; keinen Zusammenhang mit einem in § 1 AGG genannten Benachteiligungsgrund sehen auch Bauer/Göpfert/Krieger, AGG, § 1 Rn. 57; Schleusener/Suckow/Voigt, AGG, § 1 Rn. 46. 179 In diese Richtung Wisskirchen/Bissels, NZA 2007, 169, 172, die die Koalitionszugehörigkeit dem Diskriminierungsmerkmal der Weltanschauung zuordnen. 180 BAG vom 20.8.1991 – 1 ABR 85/90 – AP Nr. 2 zu § 77 BetrVG 1972 Tarifvorbehalt = EzA § 77 BetrVG 1972 Nr. 41 = NZA 1992, 317; vgl. auch BAG vom 22.6.1993 – 1 ABR 62/92 – AP Nr. 22 zu § 23 BetrVG 1972 = EzA § 23 BetrVG 178
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§ 5 Die Betriebsverfassung als Grundlage der Belegschaftsteilung
gig von der Tarifgebundenheit der einzelnen Arbeitnehmer, da der Tarifvorbehalt dessen ungeachtet gilt181. Die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG steht indessen ausschließlich normativ wirkenden Betriebsvereinbarungen entgegen. Gegenüber Regelungsabreden kann ein Vorwurf pflichtwidrigen Handelns im Sinne des § 23 Abs. 1 und 3 BetrVG, der sich auf das Sperrprivileg des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG stützt, nicht erhoben werden182. II. Quasi-negatorischer Unterlassungsanspruch Deswegen richten sich die Bemühungen – insbesondere der Rechtsprechung – darauf, eine Pflichtverletzung auf anderer Grundlage herzuleiten. In Betracht kommt ein quasi-negatorischer Unterlassungsanspruch analog § 1004 BGB, der an die verfassungsrechtliche Gewährleistung des Koalitionsgrundrechts anknüpft. 1. Schutzgut: Koalitionsfreiheit Einen solchen Unterlassungsanspruch auf koalitionsrechtlicher Grundlage hat das BAG den Gewerkschaften in seinem Burda-Beschluß zuerkannt183. Daß die Koalitionsfreiheit Schutzgut im Sinne von § 823 BGB ist und daher grundsätzlich mit einem quasi-negatorischen Unterlassungsanspruch bewehrt sein kann, war allerdings nichts Neues, sondern schon vorher in der Rechtsprechung anerkannt184. Weil die Tarifparteien aus Art. 9 Abs. 3 GG das Recht haben, die Arbeitsverhältnisse ihrer Mitglieder mit normativer Wirkung zu regeln, müssen sie einer Beeinträchtigung ihrer Rechtsetzungstätigkeit auch mit einem Abwehranspruch aus § 1004 BGB analog begegnen können. Daß die Wirkung der abgeschlossenen Tarifverträge auf ihre Mitglieder durchschlägt und nicht durch abweichende Absprachen beeinträchtigt wird, ist vom Koalitionsschutz umfaßt. Insofern ist es zutreffend, daß die Gewerkschaften aus eigenem Recht verlangen können, daß ihre Mitglieder unter die Wirkung des Tarifvertrags gelangen185. 1972 Nr. 35 = NZA 1994, 184; Annuß, RdA 2000, 287, 290 f.; kritisch Lieb, in: FS Kraft, S. 343, 349 f. 181 Oben § 5 A. I. 1. c), S. 212. 182 Oben § 5 A. II. 1, S. 236 f. 183 BAG vom 20.4.1999 – 1 ABR 72/98 – AP Nr. 89 zu Art. 9 GG = EzA Art. 9 GG Nr. 65 = NZA 1999, 887. 184 BAG vom 26.4.1988 – 1 AZR 399/86 – AP Nr. 101 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 101 = EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 74 = NZA 1988, 775; BGH 6.10.1964 – VI ZR 176/63 –BGHZ 42, 210, 220 = AP Nr. 6 zu § 54 BGB = RdA 1965, 40; vgl. auch Konzen, in: FS Kissel, S. 571, 571 ff. 185 Buchner, NZA 1999, 897, 899 f.
C. Koalitionsrechtlicher Unterlassungsanspruch
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In diesem Sinne ist die Tariftreue in den Stand eines absoluten Rechts erhoben, was der Gewerkschaft einen quasi-negatorischen Durchgriffsanspruch gegen tarifbrüchige Arbeitgeber verschafft186. Der Unterlassungsanspruch richtet sich gegen den einzelnen tarifgebundenen Arbeitgeber, wenn er durch eine Betriebsvereinbarung, Regelungsabrede oder einzelvertragliche Einheitsregelung versucht, für die Arbeitnehmer günstigere Tarifnormen zu verdrängen. Notwendig ist eine Regelung mit kollektivem Charakter, die einheitlich wirken und an die Stelle der Tarifnorm treten soll187. 2. Tarifbindung der Arbeitnehmer als Voraussetzung Im Gegensatz zu dem auf § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG gestützten Unterlassungsanspruch gegen tarifwidrige Betriebsvereinbarungen, kann sich ein Unterlassungsanspruch gegen die individualvertragliche Umsetzung einer Regelungsabrede auf Grundlage des § 1004 BGB analog ausschließlich auf die Mitglieder der tarifschließenden Gewerkschaft beziehen188. Nur diesbezüglich kann sich die Gewerkschaft auf Tarifautonomie berufen. Im Hinblick auf die nichtorganisierten Arbeitnehmer kann sie deswegen keinen Unterlassungsanspruch geltend machen189. Insofern muß sie sogar die einzelnen Namen ihrer Mitglieder preisgeben, weil einem Unterlassungsantrag andernfalls mangels hinreichender Bestimmtheit gemäß § 253 ZPO der Erfolg zu versagen wäre190. Damit ist es im Grundsatz ausgeschlossen, daß einer betrieblichen Zweiteilung der Belegschaft, die sich darauf beschränkt, die Arbeitsverhältnisse der nicht dem Tarifvertrag unterfallenden Arbeitsverhältnisse zu gestalten, ein auf die Verletzung der Tarifautonomie gestützter Unterlassungsanspruch entgegen gehalten wird191. Der gewerkschaftliche Einfluß auf die Vertragsgestaltung mit Außenseitern ist kein anderer als bei tariflichen Differenzierungsklauseln: auch hier ist den Tarifparteien eine Einwirkung 186
Rieble, NZA 2000, 225, 228; ders., ZTR 1999, 483, 483 ff. BAG vom 20.4.1999 – 1 ABR 72/98 – AP Nr. 89 zu Art. 9 GG = EzA Art. 9 GG Nr. 65 = NZA 1999, 887. 188 So im Grundsatz auch BAG vom 20.4.1999 – 1 ABR 72/98 – AP Nr. 89 zu Art. 9 GG = EzA Art. 9 GG Nr. 65 = NZA 1999, 887 und BAG vom 9.3.2003 – 4 AZR 271/02 – AP Nr. 41 zu § 253 ZPO = EzA § 253 ZPO 2002 Nr. 1 = NZA 2003, 1221. 189 LAG Nürnberg vom 21.9.2005 – 9 TaBV 47/04 – NZA-RR 2006, 204 = ZTR 2006, 226 = BB 2006, 1640. 190 So jetzt BAG vom 9.3.2003 – 4 AZR 271/02 – AP Nr. 41 zu § 253 ZPO = EzA § 253 ZPO 2002 Nr. 1 = NZA 2003, 1221; vgl. schon Rieble, ZTR 1999, 483, 486; Löwisch, BB 1999, 2080, 2080. 191 Bauer, NZA 1999, 957, 959 f.; Buchner, NZA 1999, 897, 900. 187
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§ 5 Die Betriebsverfassung als Grundlage der Belegschaftsteilung
auf nicht- oder anders organisierte und deshalb tariffreie Arbeitnehmer verwehrt192. Nach der Ansicht des BAG sei jedoch eine Ausnahme zu machen, wenn der Arbeitgeber „nach seiner Zielvorgabe entsprechende Vereinbarungen keinesfalls allein mit den Tarifaußenseitern treffen wollte, sondern nur zu einer Regelung bereit war, die sich unabhängig von der Tarifbindung auf die gesamte Belegschaft oder auf bestimmte Teile derselben erstreckt“193. In diesem Fall soll die „Tarifwidrigkeit“ der Einheitsregelung nicht von der konkreten Tarifgebundenheit im Arbeitsverhältnis abhängig sein. Dem ist entgegen zu halten, daß ein auf das Koalitionsgrundrecht gestützter Unterlassungsanspruch schon von seinem Gegenstand her nicht weiter reichen kann als die Tarifautonomie selbst. Mit einem, die Koalitionsfreiheit schützenden, Unterlassungsanspruch können nur Angriffe auf den Geltungsanspruch des Tarifvertrags abgewehrt werden, was eine immanente Begrenzung auf den Bereich der unmittelbaren und zwingenden Tarifgeltung zur Folge haben muß194. Die normative Wirkung des Tarifvertrags und also auch die Koalitionsfreiheit sind nicht berührt, wenn ein Arbeitgeber mit nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern tarifabweichende Vereinbarungen trifft. An der Zulässigkeit solcher Vereinbarungen ändert sich selbst dann nichts, wenn die Betriebsparteien in ihrer Regelung keine Differenzierung zwischen Organisierten und Nichtorganisierten vorgesehen haben. Gerade die Regelungsabrede steht von vornherein unter dem Vorbehalt der einzelvertraglichen Umsetzbarkeit. Auch wenn selbige aufgrund vorrangiger Tarifgeltung in beiderseits tarifgebundenen Arbeitsverhältnissen versagt bleibt, hat das keinen Einfluß auf die tariffreien Arbeitsverhältnisse. Daran ändert der Gedanke des § 139 BGB nichts195. Der Arbeitgeber schließt mit jedem Arbeitnehmer ein eigenes Rechtsgeschäft ab, daß für sich jeweils wirksam oder unwirksam ist. Darüber hinaus besteht keine rechtliche Verknüpfung zwischen Änderungsverträgen mit tariffreien Arbeitnehmern und solchen, die tarifgebundene Arbeitnehmer betreffen. Ebensowenig läßt sich eine Gesamtnichtigkeit aus Sinn und Zweck des § 139 BGB herleiten: § 139 BGB trägt den Interessen der Vertragsparteien, nicht aber denen der Gewerkschaft Rechnung. Es müßte somit den Interessen von Betriebsrat und Arbeitgeber entsprechen, daß die Nichtumsetzbarkeit in 192
Ausführlich oben § 2 C. II., S. 91 ff. BAG vom 20.4.1999 – 1 ABR 72/98 – AP Nr. 89 zu Art. 9 GG = EzA Art. 9 GG Nr. 65 = NZA 1999, 887. 194 Ebenso Bauer/Haußmann, NZA Sonderbeil. 3/2000, S. 42, 46; Buchner, NZA 1999, 897, 900; Löwisch, BB 1999, 2080, 2081. 195 So aber Kocher, NZA 2005, 140, 145; Schmidt, RdA 2004, 152, 157. 193
D. Ergebnis
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tarifgebundenen Arbeitsverhältnissen die Nichtigkeit in den tariffreien Arbeitsverhältnissen zur Folge hat. Davon kann im Zweifel indessen nicht ausgegangen werden, wenn die Regelung von vornherein in Kenntnis der Tarifbindung und aufgrund der gewählten Regelungstechnik unter dem Vorbehalt der einzelvertraglichen Umsetzbarkeit geschlossen wurde196. Zudem umfaßt das Koalitionsgrundrecht gleichermaßen die negative Koalitionsfreiheit197. Der Schutz der nichtorganisierten Arbeitnehmer würde in unzulässiger Weise verkürzt, gestünde man der Gewerkschaft einen Unterlassungsanspruch zu, der die zulässige Vertragsgestaltung im Außenseiter-Arbeitsverhältnis sanktioniert.
D. Ergebnis Entscheidet sich der Arbeitgeber für eine Zweiteilung der Belegschaft, kann er zur Ausgestaltung der tariffreien Arbeitsverhältnisse auch auf die betriebliche Regelungsebene zurückgreifen. Die Betriebsverfassung ist allerdings kein geeignetes Instrument für eine umfassende Regelfindung. Die arbeitsrechtlichen Regelungsebenen – Vertragsebene und Betriebsebene – sind nicht austauschbar. Durch Betriebsvereinbarung kann dem Gegenstand nach deutlich weniger gestaltet werden als durch den Arbeitsvertrag. Der Regelungsabrede fehlt es an einer entsprechenden Durchsetzungskraft. Die betriebliche Gestaltungsebene kann daher allenfalls in Ergänzung zu einem arbeitsvertraglichen Lohnfindungssystem herangezogen werden. Regelungsspielräume ergeben sich für die Betriebsvereinbarung, die ihren Gestaltungseinfluß im wesentlichen aufgrund der Tarifsperre des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG, der nicht auf die Tarifgebundenheit abstellt, einbüßt, nur im Bereich der erzwingbaren Mitbestimmung und im Rahmen von tariflichen Öffnungsklauseln. Entgegen der herrschenden Meinung, in deren Konsequenz der Arbeitgeber eine Belegschaftsteilung mitbestimmungsfrei vollziehen könnte, ist es nicht zutreffend, den Tarifvorrang des § 87 Abs. 1 Eingangshalbsatz BetrVG in tariffreien Arbeitsverhältnissen eingreifen zu lassen, weil der Schutz der Betriebsverfassung auf diese Weise ohne entsprechende Kompensation verdrängt wird. Der Vorrangtheorie folgend ist der Betriebsvereinbarung insofern trotz § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG ein Regelungsbereich eröffnet. Eine Gestaltung der vertraglichen Hauptschuldinhalte qua Betriebsvereinbarung ist gleichwohl nicht möglich. Darauf gerichtete Gestaltungen lassen sich nur durch Regelungsabrede vorbereiten, müssen aber im Einzelarbeitsverhältnis umgesetzt werden. 196 197
So auch Annuß, RdA 2000, 287, 295; Sutschet, ZfA 2007, 207, 220. Ausführlich oben § 2 C. II. 2, S. 102 ff.
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§ 5 Die Betriebsverfassung als Grundlage der Belegschaftsteilung
Den Betriebsparteien steht die Regelungsbefugnis zwar grundsätzlich mit Wirkung für und gegen alle Arbeitsnehmer eines Betriebs zu, doch müssen sie davon nicht notwendig in diesem Umfang Gebrauch machen. Gemäß § 75 Abs. 1 BetrVG sind die Betriebsparteien zwar an den Gleichbehandlungsgrundsatz gebunden, dürfen also ohne sachlich rechtfertigenden Grund nicht zwischen Organisierten und Nichtorganisierten differenzieren. Dies steht einer Zweiteilung der Belegschaft aber nicht grundsätzlich entgegen. Wenn die Ungleichbehandlung an die normative Geltung des Tarifvertrags anknüpft, liegt darin ein Sachgrund, der eine differenzierte Regelung rechtfertigt. Daß sich die Zweiteilung des Tarifrechts auf der betrieblichen Ebene fortsetzt, unterstreicht die Funktion der Betriebsverfassung, die sich akzessorisch nicht nur zu einem Tarifvertrag verhält, sondern vielmehr genauso mehrere Tarifverträge, wie auch ein tarifliches und ein arbeitsvertragliches Lohnfindungssystem nebeneinander begleiten kann. Der Bezug zu mehreren unterschiedlichen Systemen tut der Funktionsfähigkeit der Betriebsverfassung keinen Abbruch. Gerade bei Systempluralität sollte die integrative Funktion der Betriebsverfassung von den Betriebsparteien genutzt werden.
§ 6 Belegschaftsteilung auf Grundlage des Arbeitsvertrags Die bisherigen Ausführungen machen deutlich, daß eine Zweiteilung der Belegschaft auf den Arbeitsvertrag als wesentliches Gestaltungsinstrument zielt. Hier hat sie ihr Hauptanwendungsfeld1. Weil nichtorganisierte Arbeitnehmer nicht von der Tarifmacht der Verbände erreicht werden, eröffnet sich die Möglichkeit für eine differenzierte Gestaltung – die Alternative zum Tarifvertrag ist der Individualarbeitsvertrag2. Die Schwächen der Betriebsverfassung bestehen hier nicht. Den Arbeitsvertragsparteien kommt aufgrund ihrer Privatautonomie eine umfassende Regelungsbefugnis für sämtliche Arbeitsbedingungen zu. Der Arbeitsvertrag ist originär privatautonom legitimiert – auch, wenn er betriebliche Vorgaben einer Regelungsabrede umsetzt3. Die abweichende Arbeitsvertragsgestaltung mit den nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern bietet insbesondere – in der Deregulierungsdebatte allerdings wenig beachtet4 – ein sofort einsetzbares Instrument5. Im Gegensatz zu tradierten Lösungsansätzen wie der Tarifausstieg oder die OT-Mitgliedschaft unterliegt eine bisherige arbeitsvertragliche Bezugnahme weder der Nachbindung noch einer Nachwirkung. Der Außenseiterwettbewerb darf nicht als Fremdkörper im Lohnfindungssystem gesehen werden. Es ist kein zwingender Grund dafür vorgetragen, der es rechtfertigt, den Außenseiterarbeitsvertrag zum bloßen Zitierrahmen für kollektive Quellen verkommen zu lassen6. Es spricht mehr dafür, den Arbeitnehmer als Verhandlungspartner und mündigen Verwerter seines Hu1
Vgl. bereits oben § 3 D. II., S. 171 ff. § 3 D. II. 2., S. 173 f. 3 Siehe oben § 5 A. II. 3., S. 238 f. 4 Siehe aber Kast/Stuhlmann, BB 2000, 614, 617 ff.; Junker, NZA 1997, 1305, 1314 f.; Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rn. 435 f.; Picker, in: Walter-Raymond-Stiftung (Hrsg.), Tarifautonomie – Informationsgesellschaft – globale Wirtschaft, S. 113, 146 ff.; Rieble, in: GS Heinze, S. 687, 695; Reuter, RdA 1991, 193, 202: „Wirklicher Schutz der Individualautonomie vor der Bevormundung durch die Tarifparteien kann sich nur über den Schutz des Außenseiters vollziehen“. 5 Siehe oben § 3 D., S. 169 ff. 6 Insbesondere Picker, in: Walter-Raymond-Stiftung (Hrsg.), Tarifautonomie – Informationsgesellschaft – globale Wirtschaft, S. 113, 146 ff. 2
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§ 6 Belegschaftsteilung auf Grundlage des Arbeitsvertrags
mankapitals ernst zu nehmen und auf Alternativlösungen zu setzen – wenn der Tarifvertrag mangels beiderseitiger Tarifbindung nicht greift. Es geht auch nicht um eine gezielte Besser- oder Schlechterstellung, sondern darum, durch schlichte Andersbehandlung einen Zugewinn an Flexibilität in Abweichung zu einem als zu starr empfundenen Tarifvertrag zu erreichen. Der fortwährenden tariflichen Arbeitszeitverkürzung läßt sich ohne weiteres dadurch begegnen, daß mit Tariffreien statt der 35- eine 40-Stunden-Woche vereinbart wird. Genau so können Zeitlohnsysteme durch leistungsorientierte Vergütungssysteme abgelöst werden. Wem der Tarifvertrag zu unflexibel ist, kann auf den Arbeitsvertrag der nichtorganisierten Arbeitnehmer als Alternative setzen. Rieble hat das als „großes Wahlrecht“ umschrieben, sich für eine Tarifbindung oder für den Status als Nichtorganisierter zu entscheiden7.
A. Privatautonomie und Selbstverantwortung Inhaltlich sind die nicht tarifgebundenen Arbeitsvertragsparteien grundsätzlich frei, konkret an ihrem Bedarf ausgerichtete Arbeitsbedingungen zu vereinbaren. Im gesamten Privat- wie auch im Arbeitsrecht ist es der Privatautonomie der Vertragsparteien überlassen, zu vereinbaren, was zwischen ihnen maßgeblich sein soll8. Nach allgemeiner Definition soll die Privatautonomie die Möglichkeit gewähren, ihre rechtlichen Beziehungen und die sie betreffenden Rechtsverhältnisse innerhalb der gesetzlichen Grenzen rechtsgeschäftlich zu gestalten9. Die Prinzipien der Selbstverantwortung und der Selbstbestimmung beanspruchen Gültigkeit auch für den Arbeitsvertrag, wenngleich er dort Einschränkungen zu unterwerfen ist, wo die Vertragsgerechtigkeit nicht gewährleistet ist. Wie sonst setzt die Anerkennung der Privatautonomie als selbstregulierendes Prinzip voraus, daß ein annähernd ausgewogenes Kräfteverhältnis der Vertragspartner besteht10. Dies rechtfertigt aber nicht, den Arbeitsvertrag unter einen Generalverdacht der strukturellen Unausgewogenheit zu stellen und dem Arbeitnehmer die Fähigkeit zur selbstverantwort7
Rieble, in: GS Heinze, S. 687, 695. Zur Privatautonomie im Arbeitsrecht Boemke, JuS 1993, 532, 532 ff.; Junker, NZA 1997, 1305, 1305 ff.; Papier, RdA 1989, 137, 137 ff., sowie bereits Zöllner, AcP 176 (1976), 221, 221 ff. 9 BVerfG vom 12.11.1958 – 2 BvL 4/56 – BVerfGE 8, 274, 328 = NJW 1959, 475; BVerfG vom 13.5.1986 – 1 BvR 1542/84 – BVerfGE 72, 155, 170 = NJW 1986, 1859; zuletzt BVerfG vom 26.7.2005 – 1 BvR 80/95 – BVerfGE 114, 73, 91 = NJW 2005, 2376. 10 BVerfG vom 19.10.1993 – 1 BvR 567/89 – BVerfGE 89, 214 = EzA Art. 2 GG Nr. 8. 8
A. Privatautonomie und Selbstverantwortung
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lichen Interessenwahrnehmung abzusprechen11. Im Grundsatz muß auch für den Arbeitsvertrag gelten, daß durch die freie Vereinbarung ein gerechtes Ergebnis erzielt wird. I. Verfassungsgarantie der Arbeitsvertragsfreiheit Mit der Schaffung des Grundgesetzes von 1949 wurde die Vertragsfreiheit verfassungsrechtlich verankert. Sie ist grundsätzlich vom Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit umfaßt12. Im speziellen Bereich des Individualarbeitsvertragsrechts ist die Selbstbestimmung und Selbstverantwortung der Vertragspartner gleichwohl dem Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG zugeordnet und hat teil an dessen Garantiefunktion13. Hier geht es um die berufliche Betätigung, in deren Bereich auch die vertragliche Entfaltung vom spezielleren Berufsgrundrecht des Art. 12 Abs. 1 GG geschützt ist14. Die Arbeitsvertragsfreiheit gewährleistet, Arbeitsbedingungen im Rahmen der Gesetze frei auszuhandeln und gibt den Vertragspartnern das Recht, selbstbestimmt zu entscheiden, wie sie ihre gegenläufigen Interessen in Ausgleich bringen und ihre Rechtsbeziehung gestalten wollen15. Garantiert ist eine Vertragsgestaltung unabhängig vom Staat und insbesondere unabhängig von den Verbänden. Auch das BAG hat schon früh betont, daß die Auffassung: „Kollektivrecht oder Verbandsrecht geht vor Vertragsrecht oder Verbandstreue geht vor Vertragstreue“ nicht zutreffend ist16. Die negative Koalitionsfreiheit bezieht sich dagegen nur auf den Status als Mitglied. Die Entscheidung, von seiner Koalitionsfreiheit negativen Gebrauch zu machen, ist zwar zugleich eine Entscheidung für die individuelle Interessenverfolgung. Dieses Recht auf Individualität wird von Art. 9 11
Darauf ist sogleich zurückzukommen unter § 6 A. II., S. 260 f. BVerfG vom 19.10.1983 – 2 BvR 298/81 – BVerfGE 65, 196, 210 = NJW 1984, 476; BVerfG vom 14.1.1987 – 1 BvR 1052/79 – BVerfGE 74, 129, 151 = NJW 1987, 1689. 13 Dazu schon oben § 2 C. II. 4. a), S. 116 f. 14 BVerfG vom 11.7.2006 – 1 BvL 4/00 – AP Nr. 129 zu Art. 9 GG = NJW 2007, 51 = NZA 2007, 42; BVerfG vom 6.10.1987 – 1 BvR 1086/82 – BVerfGE 77, 84, 118 = NZA 1989, 28; Badura, in: FS Herschel, S. 21, 33; Buchner, in: Münchener Handbuch ArbeitsR, Bd. 1, § 39 Rn. 11; Dieterich, RdA 1995, 129, 134; Höfling/Burkiczak, NJW 2005, 469, 471; Papier, RdA 1989, 137, 138; Scholz, ZfA 1981, 265, 275; Schubert, RdA 2001, 199, 206. 15 BVerfG vom 7.2.1990 – 1 BvR 26/84 – BVerfGE 81, 242, 254 = AP Nr. 65 zu Art. 12 GG = NJW 1990, 1469; zuletzt BVerfG vom 11.7.2006 – 1 BvL 4/00 – AP Nr. 129 zu Art. 9 GG = NJW 2007, 51 = NZA 2007, 42. 16 BAG (GS) vom 28.1.1955 – GS 1/54 – AP Nr. 1 zu Art. 9 GG = BB 1955, 605; vgl. auch Kissel, in: FS Hanau, S. 547, 560. 12
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§ 6 Belegschaftsteilung auf Grundlage des Arbeitsvertrags
Abs. 3 GG aber nicht eigens geschützt; die individuelle Berufsfreiheit erfährt ihren Schutz speziell durch Art. 12 GG17. Die Koalitionsfreiheit gewährleistet gleichwohl den Systemwettbewerb18 und flankiert auf diese Weise die Arbeitsvertragsfreiheit. Deswegen muß ein effektiver Übergang von der tariflichen zur individuellen Regelfindung gesichert sein. Der mit der Koalitionsfreiheit gesicherte Ausschluß jeglichen Zwangs, einer oder einer bestimmten Koalition beizutreten, setzt seinerseits voraus, daß den, sich gegen den Betritt entscheidenden, Arbeitnehmern eine Alternative zur Verfügung stehen muß, ihre Arbeitsbedingungen zu regeln. In Abkehr vom Tarifsystem kann das nur die Arbeitsvertragsgestaltung sein19. II. Kein generelles Funktionsdefizit des Arbeitsvertrags Zu den umstrittenen Fragen des Privatrechts gehört es, inwieweit der Staat befugt, ja sogar verpflichtet ist, die Betreffenden vor eigenen schädigenden Handlungen zu bewahren20. Dieser Gedanke hat schon bei der Schaffung des BGB grundsätzliche Anerkennung erfahren, wie etwa die Regelungen der Geschäftsfähigkeit, in denen der Gesetzgeber den Schutz des Geisteskranken verankert hat, zeigen21. Abgesehen von den wenigen Ausnahmen muß der Staat aber Selbstbestimmung ermöglichen und die autonome Vertragsgestaltung grundsätzlich der Verantwortung des einzelnen überlassen. Bezogen auf den Arbeitsvertrag findet sich das Argument, daß es eine Vertragsgerechtigkeit gar nicht geben könne, die individualvertragliche Ebene vielmehr beherrscht sei von einem strukturellen Ungleichgewicht der Vertragsparteien, die einzig und allein durch eine tarifliche Regelung der Arbeitsbedingungen ausgeglichen werden könnte22. Das führt so weit, daß den Arbeitnehmern jede Vertragsfähigkeit abgesprochen wird, weil sie zu schwach und zu dumm seien. Dieser auf Heinz Potthoff zurückgehende Gedanke wird – teils in abgeschwächter Form – heute vielfach noch vertreten23. 17
Löwisch/Rieble, in: Münchener Handbuch ArbeitsR, Bd. 3, § 244 Rn. 4. Zum Systemwettbewerb oben § 3, S. 153 ff. 19 Dazu, daß die Betriebsverfassung kein geeignetes Instrument für eine umfassende Regelungsfindung ist, oben § 5 D., 255 ff. 20 Vgl. zu Schutzpflichtfunktion der Grundrechte oben § 2 C. I. 2. b), S. 84 ff. 21 Im Rahmen verfassungskonformer Auslegung laden aber auch spezielle Schutzvorschriften nicht zu einem Übermaß des Schutzes ein, vgl. dazu Canaris, JZ 1987, 993, 993 ff. 22 Etwa Wendeling-Schröder, in: FS Wissmann, S. 174, 175 f.; Dieterich, RdA 1995, 129, 135; Gamillscheg, Die Grundrechte im Arbeitsrecht, S. 29 f. 23 Dazu mit Nachweisen Rieble, ZfA 2004, 1, 41. 18
A. Privatautonomie und Selbstverantwortung
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Unbestreitbar ist, daß die Privatautonomie ihrerseits ein hinreichendes Maß an Entscheidungsfreiheit voraussetzt. Das gilt auch und gerade für das Arbeitsrecht. Das rechtfertigt aber nicht, die Privatautonomie unter einen Grundverdacht der Fehlfunktion zu stellen24. Nur wenn der Vertragsmechanismus nicht funktioniert, mag die Rechtsordnung die Durchsetzung verweigern – ja sie muß es, um sich nicht zu ihren eigenen Werten in Widerspruch zu setzen25. Wenn er aber funktioniert, darf der Staat in den Konsens der Vertragsparteien nicht eingreifen. Staatliche Kontrolle darf Korrekturen nur in Randbereichen besorgen. Sie darf indes nicht zur Regel erhoben werden. Einschränkungen sind nur legitim, soweit die durch die Vertragsfreiheit üblicherweise gegebene Richtigkeitsgewähr nicht besteht26. Dies zeigt sich an der eingeschränkten Gestaltungsfreiheit im Bereich Allgemeiner Geschäftsbedingungen und an zahlreichen weiteren gesetzlichen, tarifvertraglichen und betriebsverfassungsrechtlichen Durchbrechungen, denen die individuelle Vertragsfreiheit ausgesetzt ist. Dennoch gilt das Regel-AusnahmeVerhältnis. Auch das BAG betont, daß im Arbeitsverhältnis in der Regel kein Grund für die generelle Annahme einer gestörten Vertragsparität und einer unfreien Willensausübung besteht27. Korrekturen dienen nicht dazu, die Selbstbestimmung gänzlich zu verweigern. Umgekehrt soll vielmehr die Vertragsfreiheit und selbstverantwortliches Handeln dadurch gerade ermöglicht werden28. Dem Arbeitsvertrag stets ein Funktionsdefizit zu unterstellen und dem Arbeitnehmer nie zutrauen zu wollen, selber zu entscheiden, ob er statt des Schutzes durch den Tarifvertrag andere Ansprüche auf arbeitsvertraglicher Grundlage vorziehen will, ist folglich falsch. Insbesondere im Hinblick auf die Zweiteilung der Belegschaft läßt sich ein Funktionsdefizit des Arbeitsvertrags nicht begründen. Der im Betrieb des tarifgebundenen Arbeitgebers anwendbare Tarifvertrag bietet immer auch die Möglichkeit für die bislang Nichtorganisierten, die Wirkung des Tarifvertrags durch Beitritt zur tarifschließenden Gewerkschaft auf sich zu beziehen. So wie der freie Bei- und Austritt und der Außenseiterwettbewerb eine Richtigkeitsgewähr für den Tarifvertrag begründen, bietet die Möglichkeit, sich dem Tarifvertrag zu unterwerfen, gleichsam eine Richtigkeitsgewähr für den Arbeitsvertrag. Auch das spricht gegen eine generelle Funktionsstörung. 24
Junker, NZA 1997, 1305, 1308 f.; Zöllner, AcP 196 (1996), 1, 2. Thüsing, RdA 2005, 257, 270. 26 BVerfG vom 7.2.1990 – 1 BvR 26/84 – BVerfGE 81, 242, 255 = AP Nr. 65 zu Art. 12 GG = NJW 1990, 1469; BVerfG vom 19.10.1993 – 1 BvR 567, 1044/89 – BVerfGE 89, 214, 229 = AP Nr. 35 zu Art. 2 GG = NJW 1994, 36. 27 Etwa BAG vom 18.8.2005 – 8 AZR 523/04 – AP Nr. 31 zu § 620 BGB Aufhebungsvertrag = EzA § 613a BGB 2002 Nr. 40 = NZA 2006, 145. 28 Dazu Thüsing, in: FS Wiedemann, S. 339, 563 f. 25
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Selbstbestimmung bedeutet außerdem nicht die absolute Freiheit, alles nach eigenen Vorstellungen regeln zu können29. In einer Vertragsbeziehung ist immer der Konsens mit dem Vertragspartner erforderlich, der nie Ausdruck alleiniger Selbstverantwortung sein kann. Der Interessengegensatz von Arbeitgeber und Arbeitnehmer hebelt diesen Grundsatz nicht aus. Daß vielmehr gerade überhöhte Schutzpostulate dazu geeignet sein können, die Selbstbestimmung des Arbeitnehmers auszuschließen, zeigt besonders der unabdingbare Schutz des Tarifvertrags mit der Folge der Arbeitsplatzgefährdung30. Sicherlich kann die Rechtsordnung nicht jeder Abrede unter Berufung auf den Grundsatz pacta sunt servanda Gültigkeit verleihen. Genauso falsch ist es, dem Arbeitnehmer eine generelle Unmündigkeit zu attestieren. Der Arbeitsvertrag bietet grundsätzlich einen angemessenen Rahmen für die Gestaltung interessengerechter Arbeitsbedingungen.
B. Vorrangige Tarifgeltung für Nichtorganisierte Der umfassenden Regelungsmacht der Arbeitsvertragsparteien sind Grenzen nur durch zwingende gesetzliche Vorgaben und, soweit sich ein Tarifvertrag ausnahmsweise auf Außenseiter erstreckt, durch die vorrangige Tarifgeltung gesetzt. I. Allgemeinverbindlichkeit und AEntG Wirkt ein Tarifvertrag unmittelbar und zwingend auf das Arbeitsverhältnis ein, läßt sich das nicht einzelvertraglich beiseite schieben. Praktisch wird das in Arbeitsverhältnissen der Nichtorganisierten im Falle der Allgemeinverbindlicherklärung oder einer Rechtsverordnung nach § 1 Abs. 3a AEntG31. Ganze Tarifwerke sind allerdings selten für allgemeinverbindlich erklärt: hier besteht die Möglichkeit für eine Belegschaftsteilung bezüglich derjenigen Arbeitsbedingungen, die nicht allgemeinverbindlich gelten. Die arbeitsvertragliche Regelung trifft bei vorrangiger Tarifgeltung nicht das Verdikt der Unwirksamkeit. Sie ist nur partiell nicht anwendbar. Fällt die Tarifgeltung weg, lebt die arbeitsvertragliche Regelung wieder auf. So29
Zutreffend schon Zöllner, AcP 176 (1976), 221, 235; ebenso v. HoyningenHuene, Die Billigkeit im Arbeitsrecht, S. 138. 30 Das signifikanteste Beispiel aus der Rechtsprechung ist der Burda-Beschluß: BAG vom 20.4.1999 – 1 ABR 72/98 – AP Nr. 89 zu Art. 9 GG = EzA Art. 9 GG Nr. 65 = NZA 1999, 887. 31 Zur staatlichen Geltungserstreckung auf Außenseiter oben § 1 C., S. 34 ff.
B. Vorrangige Tarifgeltung für Nichtorganisierte
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weit dem Tarifvertrag ein Vorrang zukommt, gilt zudem das Günstigkeitsprinzip, wonach sich Arbeitnehmer jederzeit auf günstigere Arbeitsbedingungen aus dem Arbeitsvertrag berufen können32. II. Keine Betriebsnormen über Entgelt und Arbeitszeit Bei der Festlegung von Entgelt- und Arbeitszeitstrukturen kann eine Außenseiterwirkung hingegen nicht über Betriebsnormen erreicht werden. Denn um Betriebsnormen kann es sich nur handeln, wenn sie Gegenstände betreffen, die aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nur einheitlich gelten können33. Aus tatsächlichen Gründen muß eine Regelung betriebseinheitlich gelten, wenn ihre praktische Umsetzung sich nicht auf organisierte Arbeitnehmer beschränken läßt, sondern von vornherein auf die betriebliche Arbeitsorganisation abzielt. Das gilt für Torkontrollen oder technische Überwachungseinrichtungen, eine Kleiderordnung oder Rauchverbote sowie für Sozialeinrichtungen, die ihrer Widmung nach der ganzen Belegschaft dienen, wie die Werkskantine oder ein Werkskindergarten. All das kann freilich sinnvollerweise nicht auf die Gewerkschaftsmitglieder beschränkt sein. Eine Tarifregelung wird hier durch den vom Individuum gelösten Bezug zur betrieblichen Arbeitsorganisation zur Betriebsnorm. Bei Arbeitszeit- und Entlohnungsgrundsätzen gibt es einen solchen Bezug nicht. Eine sachlogisch zwingende Einheitlichkeit läßt sich diesbezüglich nicht begründen. Insbesondere Vergütungssysteme verlangen nach keiner betriebseinheitlichen Geltung. Der Zugriff von Betriebsnormen auf Außenseiter steht allenfalls in Randbereichen offen34. Dieser Randbereich ist jedenfalls verlassen, wenn es um die Hauptleistungspflichten des Arbeitsvertrags geht, insbesondere um die Dauer der Arbeitszeit und das Entgelt. Desgleichen ist die Lage der Arbeitszeit einer differenzierten Regelung für Organisierte und Nichtorganisierte zugänglich. Ebenso können Kurz- und Mehrarbeit und die gewöhnliche Dauer der Arbeitszeit verschieden geregelt sein35. So kann der Einzelhandelsunternehmer ohne weiteres die Ladenöffnung über das tariflich festgelegte Ende der täglichen Arbeitszeit hinaus mit tariffreiem Personal organisieren. Keine Einschränkungen ergeben sich aus der betrieblichen Mitbestimmung. Daß für Arbeitsbedingungen ein Mitbestimmungsrecht besteht, führt nicht zur notwendig betriebseinheitlichen Geltung36. Anderes hieße, Arbeit32 33 34 35
Vgl. Richardi, ZfA 2003, 655, 685 ff. Vgl. oben § 1 C. IV., S. 40 ff. Caspers, in: FS Löwisch, S. 45, 52; Löwisch, DB 1984, 2457, 2458. Löwisch/Rieble, TVG, § 1 Rn. 129; Reuter, DZWir 1995, 353, 354.
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nehmer dort, wo der Gesetzgeber ein Schutzbedürfnis anerkennt, einer Fremdbestimmungsordnung zu unterwerfen. Demgegenüber will Wiedemann Tarifvertragsnormen für soziale Angelegenheiten stets auf Nichtorganisierte erstrecken37. Weil der Gesetzgeber die Nichtorganisierten nicht des sozialen Schutzes berauben wollte, müßten Tarifnormen, soweit sie die Mitbestimmung des Betriebsrats verdrängen, die gesamte Belegschaft erfassen38. Eine solche betriebsverfassungsrechtliche Allgemeinverbindlichkeit kann jedoch nicht überzeugen. Nicht nur, daß die Schranken, die der Gesetzgeber in § 3 Abs. 2 TVG für eine Tariferstreckung auf Außenseiter festgelegt hat, umgangen würden, auch aus verfassungsrechtlichen Gründen kann dem nicht gefolgt werden. Die für eine Normerstreckung erforderliche Legitimation wird nicht durch die Zugehörigkeit zur Betriebsbelegschaft ersetzt. Die sachgerechte Lösung besteht vielmehr darin, den Tarifvorrang in § 87 Abs. 1 Einleitungshalbsatz BetrVG auf tarifgebundene Arbeitnehmer zu begrenzen, weil – wovon auch Wiedemann ausgeht – dem Schutzauftrag der betrieblichen Mitbestimmung sonst nicht ausreichend Rechnung getragen wird39. Die Schutzfunktion rechtfertigt es, das Mitbestimmungsrecht eingreifen zu lassen, wenn der privatautonom legitimierte Tarifvertrag keinen Schutz bietet. Demgegenüber ist es nicht gerechtfertigt, die Außenseiter deswegen unter den Tarifvertrag zu zwingen. III. Außenseiterklauseln Kein Fall vorrangiger Tarifgeltung sind Außenseiterklauseln, durch die sich die Tarifvertragsparteien verpflichten, Nichtorganisierten die gleichen Rechte einzuräumen wie sie der Tarifvertrag vorgibt. Daraus folgt mangels Tarifmacht keine Unterstellung der Außenseiter unter den Tarifvertrag, sondern lediglich ein Anspruch auf Gewährung tariflicher Leistungen. Das ist zulässig: zum einen bleibt es den nichtorganisierten Arbeitnehmern unbenommen, individualvertraglich eine weitere Verbesserung ihrer Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu erreichen40. Andererseits können sie das ihnen zugewandte Recht nach § 333 BGB zurückweisen und andere Arbeitsbedingungen vereinbaren. So bleibt die Möglichkeit, einer einstellungshemmenden Kartellwirkung des Tarifvertrags zu entgehen. Rechtlich beschränken 36
Löwisch/Rieble, TVG, § 1 Rn. 126. Wiedemann/Wiedemann, TVG, Einl. Rn. 233. 38 Wiedemann, ebenda. 39 Ausführlich dazu oben § 5 A. I. 3. b) (3), S. 229 ff. 40 Löwisch/Rieble, in: Münchener Handbuch ArbeitsR, Bd. 3, § 245 Rn. 79; Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille, S. 202 f.; Wiedemann/Wiedemann, TVG, § 1 Rn. 861. 37
C. Bindung der Arbeitsvertragsparteien an tarifdispositives Gesetzesrecht 265
Außenseiterklauseln die Gestaltungsfreiheit der nicht tarifgebundenen Arbeitsvertragsparteien nicht. Eine Zweiteilung der Belegschaft bleibt deshalb ohne weiteres möglich.
C. Bindung der Arbeitsvertragsparteien an tarifdispositives Gesetzesrecht Zu den gesetzlichen Grenzen der Arbeitsvertraggestaltung gehört das tarifdispositive Gesetzesrecht. Eine Abweichung davon erlaubt der Gesetzgeber nur durch Tarifvertrag oder qua arbeitsvertraglicher Bezugnahme auf einen Tarifvertrag41. Daß die Bezugnahme in der Regel miterfaßt ist, findet seine Begründung darin, daß auch bei bloß vertraglicher Übernahme der tariflichen Regelung der Zweck erreicht wird, den der Gesetzgeber mit der Disponibilität sonst zwingenden Gesetzesrechts verfolgt. Gleichwohl kann von tarifdispositivem Gesetzesrecht nur durch „Anhängen“ an einen Tarifvertrag abgewichen werden. Dies könnte es für den tarifgebundenen Arbeitgeber nahelegen, den Tarifvertrag deshalb auf Außenseiter zu erstrecken, weil er den Vorteil des tarifdispositiven Gesetzesrechts sonst nicht nutzen kann. Zu fragen ist, ob dadurch die negative Koalitionsfreiheit der Nichtorganisierten tangiert ist. Hinzu kommt, daß die Arbeitsvertragsparteien auch nicht selbst die Initiative ergreifen können. Sie bleiben stets darauf verwiesen, daß ein Tarifvertrag das dispositive Gesetz abbedingt42. Mittelbar gestalten so die Tarifvertragsparteien die Arbeitsverhältnisse der Außenseiter. Zwar erfolgt das aufgrund privatautonomer Selbstbindung. Die negative Koalitionsfreiheit ist aber berührt, wenn die Tariferstreckung geradezu beabsichtigt ist43. Allerdings vermeidet der Gesetzgeber es lediglich, selbst eine detaillierte Regelung zu treffen, indem er auf den Sachverstand der Tarifvertragsparteien zurückgreift. Da ist es sachgerecht, einen Zugang zu dispositivem Gesetzesrecht nicht zu gestatten, wenn die Richtigkeitsgewähr des Tarifvertrags fehlt. Auch geht es um Normen, die dem Schutz des einzelnen Arbeitnehmers dienen. Die negative Koalitionsfreiheit des Arbeitgebers bleibt dadurch geschützt, daß ein Abweichen durch arbeitsvertragliche Bezugnahme gestattet ist, der Arbeitgeber also nicht in den Arbeitgeberverband gedrängt wird. Ein Wettbewerbsvorteil für die Tarifgebundenen wird dadurch nicht geschaffen. 41
Vgl. § 622 Abs. 4 Satz 2 BGB, § 6 Abs. 2 Satz 1 BeschFG, § 4 Abs. 4 Satz 2 EFZG, § 13 Abs. 1 Satz 2 BUrlG. 42 Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1769. 43 Schubert, RdA 2001, 199, 207.
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D. Grenzen der Arbeitsvertragsgestaltung Weiteren Korrekturen ist die Privatautonomie vor allem durch den verfassungsrechtlich verankerten Diskriminierungsschutz und den Gleichbehandlungsgrundsatz ausgesetzt. Besondere Bedeutung kommt ferner der arbeitsvertraglichen Inhaltskontrolle gemäß der §§ 307 ff. BGB zu – obgleich der Arbeitsvertrag durch den Einbezug in die AGB-Kontrolle geradezu eine Renaissance erfahren hat und insbesondere der Arbeitnehmer als Normadressat des allgemeinen Schuldrechts wiederentdeckt wurde44. Die skizzierten rechtlichen Schranken erlangen im Hinblick auf die tariffreien Arbeitsvertragsparteien besondere Bedeutung bezüglich einer möglichen Überwirkung des Tarifvertrags. I. Verfassungsrechtlicher Diskriminierungsschutz Verfassungsrechtliche Grenzen ergeben sich vor allem aus Grundrechten Dritter45. Bei der an die Tarifgebundenheit anknüpfenden Zweiteilung der Belegschaft kommt vor allem dem Spannungsverhältnis zum Grundrecht der Koalitionsfreiheit ein besonderes Gewicht zu. Die noch immer nicht zur Ruhe gekommene Diskussion um die Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierungsklauseln46 belegt das anschaulich47. 1. Schutz der organisierten Arbeitnehmer a) Schutz vor unmittelbarer Benachteiligung Die individuelle Koalitionsfreiheit verbürgt das Recht jedes einzelnen, nicht wegen oder aufgrund seiner Koalitionszugehörigkeit benachteiligt zu werden48. Die Gewerkschaftsmitgliedschaft oder deren Fehlen darf deswegen nicht zum Anknüpfungspunkt für eine Benachteiligung gemacht werden. Durch den drittschützenden Charakter der Koalitionsfreiheit gilt das Differenzierungsverbot auch im Arbeitsverhältnis unmittelbar (Art. 9 Abs. 3 44
Zu dieser Einschätzung etwa Reichold, in: FS 50 Jahre BAG, S. 153, 165. Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Rn. 103; Jarass/Pieroth, GG, Art. 2 Rn. 4. 46 Ausführlich dazu oben § 2, S. 61 ff. 47 Etwa Bauer/Arnold, NZA 2005, 1209, 1209 ff.; Franzen, RdA 2006, 1, 1 ff.; Giesen, NZA 2004, 1317, 1317 ff. einerseits und Däubler, BB 2002, 1643, 1643 ff., Gamillscheg, NZA 2005, 146, 146 ff. andererseits. 48 Dieterich, in: ErfK, Art. 9 GG Rn. 30; Höfling/Burkiczak, RdA 2004, 263, 266 f.; Löwisch/Rieble, in: Münchener Handbuch ArbeitsR, Bd. 3, § 245 Rn. 67 ff.; Thüsing, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, Rn. 865 ff. 45
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Satz 2 GG). Jede Vereinbarung oder Maßnahme, die geeignet ist, das Koalitionsrecht einzuschränken oder zu behindern, ist unzulässig49. Die Gewerkschaftszugehörigkeit des Arbeitnehmers darf deswegen weder die Auswahlentscheidung des Arbeitgebers beeinflussen noch sind Vereinbarungen zulässig, die vorsehen, daß Arbeitnehmer nicht in eine Gewerkschaft eintreten oder eine Mitgliedschaft kündigen50. Rechtlich wäre das nichts anderes als der umgekehrte Fall von tariflichen Absperr- oder Organisationsklauseln51. Unzulässig sind deshalb von vornherein sämtliche Abreden, die sich unmittelbar gegen die Koalitionszugehörigkeit richten und die zu einer Benachteiligung von organisierten Arbeitnehmern führen. Indes: Mit der bloßen Andersbehandlung von tariffreien Arbeitnehmern ist ein unmittelbarer Zugriff auf die Arbeitsverhältnisse der organisierten Arbeitnehmer nicht verbunden. b) Kein Schutz vor Andersbehandlung der Außenseiter Das Diskriminierungsverbot aus Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG erfaßt auch Abreden mit Dritten, die nur mittelbar zu einer Benachteiligung von Gewerkschaftsmitgliedern führen können. Das betrifft insbesondere die Arbeitsvertragsgestaltung mit Tarifaußenseitern. Gleichwohl darf nicht schon deshalb auf eine unzulässige Diskriminierung geschlossen werden, weil organisierte Arbeitnehmer aufgrund ihrer Tarifgebundenheit anders behandelt werden als Nichtmitglieder52. Die Andersbehandlung von nichtorganisierten und deswegen nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern ist im Tarifsystem selbst angelegt. Sie ist die immanente Folge der mitgliedschaftlich legitimierten Tarifgebundenheit53. Nichtorganisierte haben weder einen Anspruch auf tarifliche Arbeitsbedingungen, noch läßt sich eine Gleichstellungspflicht aus der Koalitionsfreiheit ableiten54. Die noch zur Geltung der Tarifvertragsordnung vertretene Auffassung, daß der Arbeitgeber zum Schutz der organisierten Arbeitnehmer verpflichtet 49
Nur Scholz, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. VI, § 151 Rn. 79. BAG vom 2.6.1987 – 1 AZR 651/85 – AP Nr. 49 zu Art. 9 GG = EzA Art. 9 GG Nr. 43 = NZA 1988, 64; BAG vom 28.3.2000 – 1 ABR 16/99 – AP Nr. 27 zu § 99 BetrVG 1972 Einstellung = EzA § 99 BetrVG 1972 Einstellung Nr. 6 = NZA 2000, 1294; Buchner, in: Münchener Handbuch, ArbeitsR, Bd. 1, § 39 Rn. 78. 51 Dazu oben § 2 B. I. 3. a), S. 65. 52 Zur zulässigen Differenzierung aufgrund der Tarifgebundenheit schon oben § 5 B. II. 2., S. 243 ff. 53 Siehe oben § 1 B., S. 24. 54 BAG vom 20.7.1960 – 4 AZR 199/59 – AP Nr. 7 zu § 4 TVG = AR-Blattei ES 1550.3 Nr. 3 = SAE 1960, 146; Däubler/Zwanziger, TVG, § 4 Rn. 1058; Thüsing, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, Rn. 870. 50
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sei, den Außenseitern tarifliche Lohn- und Arbeitsbedingungen zu gewähren, um der Gefahr eines Verdrängungswettbewerbs zu begegnen55, läßt sich unter Geltung des TVG nicht mehr begründen56. Auch aus der kollektiven Gewährleistung der Koalitionsfreiheit ergibt sich nichts anderes: so hat das BAG im Burda-Beschluß, in dem es die gewerkschaftliche Betätigung unter den Schutz des Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG gestellt hat, keinen Verstoß darin gesehen, daß der Arbeitgeber mit Nichtgewerkschaftsmitgliedern vom Tarifvertrag abweichende Vereinbarungen getroffen hat57. Einen Schutz vor dem Wettbewerb um die Gunst der Nichtorganisierten gewährt die Koalitionsfreiheit nicht. Das gilt sowohl im Hinblick auf den Außenseiterwettbewerb als auch für den Tarifwettbewerb. In der Andersbehandlung von Außenseitern liegt im übrigen keine gegen die Gewerkschaftsmitgliedschaft gerichtete Vergütungspolitik58. Es handelt sich schlicht um die Wahrnehmung der, den tariffreien Arbeitsvertragsparteien zukommenden, Privatautonomie. Die Außenseiter entfalten sich ihrerseits im Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG. Der Schutzgehalt des Art. 9 Abs. 3 GG bleibt davon unberührt. Der auf dem Tarifrecht beruhenden Andersbehandlung von Außenseitern dient als Anknüpfungspunkt außerdem das Merkmal der Tarifgebundenheit. Die Koalitionszugehörigkeit steht als Geltungsvoraussetzung lediglich dahinter. Sie ist nicht das unmittelbare Differenzierungskriterium. Knüpft die Differenzierung lediglich an die Tarifgebundenheit an, ist eine Andersbehandlung im Hinblick auf die mitgliedschaftlich begrenzte Tarifautonomie und die dadurch tarifrechtlich bewirkte Zweiteilung sachlich gerechtfertigt. Dem steht die Koalitionsfreiheit der Organisierten nicht entgegen59. c) Zweiteilung nur bei Tarifbindung des Arbeitgebers Eine an die Tarifgebundenheit anknüpfende Andersbehandlung von organisierten und nichtorganisierten Arbeitnehmern kommt gleichwohl nur in Betracht, wenn der Arbeitgeber tarifgebunden ist. Denn nur dann hat die Unterscheidung nach der Tarifgebundenheit rechtliche Relevanz: die Orga55
A. Hueck, Recht des Tarifvertrags, S. 147 f.; Potthoff, Tarifbruch durch Verbandsmitglieder, Sp. 193, 198. 56 Dazu Thüsing/Lambrich, RdA 2002, 193, 195. 57 BAG vom 20.4.1999 – 1 ABR 72/98 – AP Nr. 89 zu Art. 9 GG = EzA Art. 9 GG Nr. 65 = NZA 1999, 887. 58 Ebenso Thüsing, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, Rn. 875. 59 So auch Däubler/Winter, TVG, § 1 Rn. 362; Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rn. 435 f.; Picker, in: Walter-Raymond-Stiftung (Hrsg.), Tarifautonomie – Informationsgesellschaft – globale Wirtschaft, S. 113 ff., 146 ff.; Rieble, in: GS Heinze, S. 687, 695; ders., in: FS Konzen, S. 809, 818; Thüsing, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, Rn. 870, 875.
D. Grenzen der Arbeitsvertragsgestaltung
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nisierten können sich auf die Geltung ihres Tarifvertrags berufen, während den Nichtorganisierten ein solcher Anspruch nicht zusteht. Ist der Arbeitgeber hingegen nicht tarifgebunden, sind unterschiedliche Arbeitsbedingungen zwischen organisierten und nichtorganisierten Arbeitnehmern nicht gerechtfertigt. Eine Tarifgebundenheit, nach der differenziert werden könnte, gibt es nicht. Die Koalitionszugehörigkeit der organisierten Arbeitnehmer wirkt sich rechtlich nicht auf deren Arbeitsbedingungen aus, weil es nicht zu einer normativen Tarifgeltung kommt, wenn trotz Gewerkschaftszugehörigkeit der notwendige Gegenpol auf Arbeitgeberseite fehlt. Selbst wenn ein Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt ist, schafft er Ansprüche für alle Arbeitnehmer, unabhängig von der Gewerkschaftszugehörigkeit. Nicht ausgeschlossen ist es hingegen, daß der Arbeitgeber einzelne Arbeitnehmergruppen schuldrechtlich nach Tarif bezahlt, andere dagegen nicht. Das muß aber durch einen nicht in der Koalitionszugehörigkeit liegenden Sachgrund gerechtfertigt sein. Ist das der Fall, kann sich der Arbeitgeber darauf beschränken, nur mit bestimmten Arbeitnehmern eine Vergütung in Anlehnung an den Tarifvertrag zu vereinbaren60. Er darf nur nicht willkürlich, etwa nach der Koalitionszugehörigkeit, differenzieren. d) Keine gezielte Besserstellung der Nichtorganisierten Daß eine Differenzierung zwischen normativ tarifgebundenen und tariffreien Arbeitnehmern grundsätzlich gerechtfertigt ist, gilt nicht schrankenlos. Trotz grundsätzlicher Zulässigkeit unterschiedlicher Arbeitsbedingungen bietet die positive Koalitionsfreiheit den organisierten Arbeitnehmern Schutz vor einer gezielten Schlechterstellung. Der Arbeitgeber darf die Nichtorganisierten nicht für ihre fehlende Koalitionszugehörigkeit belohnen61. Darin läge eine mittelbare Benachteiligung der organisierten Arbeitnehmer. Diese könnten sich sogar zum Austritt aus der Gewerkschaft gedrängt sehen, um in den Genuß besserer Arbeitsbedingungen zu gelangen. Dem steht Art. 9 Abs. 3 GG entgegen, der jedweden Druck zum Austritt aus einer Koalition verbietet. 60 BAG vom 19.8.1992 – 5 AZR 513/91 – AP Nr. 102 zu § 242 BGB Gleichbehandlung = EzA § 242 BGB Gleichbehandlung Nr. 52 = NZA 1993, 171; BAG vom 20.11.1996 – 5 AZR 401/95 – AP Nr. 133 zu § 242 BGB Gleichbehandlung = EzA § 612 BGB Nr. 19 = NZA 1997, 724; Preis, in: ErfK, § 611 BGB Rn. 738; Thüsing, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, Rn. 901. 61 Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rn. 435 f.; Rieble, in: GS Heinze, S. 687, 695; ders., in: FS Konzen, S. 809, 818; Thüsing, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, Rn. 873; s. auch Bauer/Arnold, NZA 2005, 1209, 1213.
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Wie die Gewerkschaft den Arbeitgeber nicht zum Organisationshelfer verpflichten darf, ist der Arbeitgeber verpflichtet, den Bestand der Koalitionen und die Koalitionsentscheidung der organisierten Arbeitnehmer zu respektieren. Damit verbietet sich jede gezielte und generelle Besserstellung von Außenseitern, da dies mittelbar einen Druck auf Organisierte veranlaßt, die Koalition zu verlassen. Das ergibt sich auch aus der Rechtsprechung des BAG zur Unzulässigkeit von Differenzierungsklauseln: der Große Senat hat klar gesagt, daß Organisierte es ebensowenig hinzunehmen brauchen, daß der Arbeitgeber Nichtorganisierte generell besser behandelt, wie auch Außenseiter es nicht hinnehmen müssen, daß Organisierte generell besser gestellt werden62. Wie der Tarifvertrag inhaltlich keine Prämie für die Gewerkschaftszugehörigkeit vorsehen darf, hat auch der Arbeitgeber die fehlende Gewerkschaftszugehörigkeit nicht zu prämiieren. Darin läge ebenso ein Verstoß gegen die Bestandsgarantie der Koalitionen. In seiner Entscheidung zur Unzulässigkeit selektiver Aussperrungen hat das BAG zwar anerkannt, daß eine Schlechterstellung im Einzelfall durch sachliche Gründe gerechtfertigt sein kann. Allerdings können „als sachlich gerechtfertigt nur solche Gründe anerkannt werden, die von jeder koalitionspolitischen Tendenz frei sind63“. e) Besserstellung durch Wahlrecht? Ist eine gezielte Besserstellung der Nichtorganisierten aufgrund der individuellen Koalitionsfreiheit der Organisierten und der Bestandsgarantie der Koalitionen grundsätzlich ausgeschlossen, fragt sich, ob eine derartige Besserstellung schon darin gesehen werden kann, daß der Arbeitgeber veränderte Arbeitsbedingungen nur den Nichtorganisierten anbietet. Die Besserstellung läge dann nicht in den geänderten Arbeitsbedingungen selbst, sondern darin, daß nur den Nichtorganisierten ein Wahlrecht zukäme. Teilweise wird ein solches Wahlrecht im Rahmen des § 4 Abs. 3 TVG bei günstigkeitsneutralen Abweichungen von einem Tarifvertrag als günstiger angesehen64. Indes geht es hier nicht darum, eine an sich gleichwertige Regelung in Richtung Günstigkeit aufzuladen, sondern um die Frage, ob dieses Wahlrecht eine Besserstellung der Nichtorganisierten und deswegen spiegelbildlich eine mit Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG kollidierende Schlechter62
BAG (GS) vom 29.11.1967 – GS 1/67 – AP Nr. 13 zu Art. 9 GG = EzA Art. 9 GG Nr. 3. 63 BAG vom 10.6.1980 – 1 AZR 331/79 – AP Nr. 66 zu Art. 9 GG Arbeitskampf = EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 38 = NJW 1980, 1653. 64 Dazu Buchner, DB 1990, 1715, 1720; Löwisch, BB 1991, 59, 62; Wiedemann/ Wank, TVG, § 4 Rn. 492 ff.
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stellung der organisierten Arbeitnehmer bedeutet. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun65. Auch die Maßstäbe sind grundverschieden66. Andernfalls dürften die Arbeitsbedingungen von tariffreien Arbeitnehmern nie das Maß des Tarifvertrags erreichen, weil sie jeweils um ein Wahlrecht zu reduzieren wären. Daß den organisierten Arbeitnehmern ein Wahlrecht zwischen dem Tarifvertrag und schlechteren oder günstigkeitsneutralen Arbeitsbedingungen nur über den Austritt aus der Gewerkschaft zukommen kann, liegt in der unmittelbaren und zwingenden Wirkung des Tarifvertrags begründet. Der objektive Maßstab des individuellen Günstigkeitsprinzips verhindert, daß der einzelne Arbeitnehmer Abweichungen „nach unten“ zustimmen kann. Das stellt Gewerkschaftsmitglieder nicht schlechter, sondern findet seine Rechtfertigung in der Schutzfunktion der unabdingbaren Tarifgeltung. Wer sich dem Kollektivvertrag unterstellt, tut dies gerade um dessen Schutzes Willen. Die Arbeitsvertragsautonomie gewährleistet den tariffreien Arbeitsvertragsparteien demgegenüber die volle Gestaltungsfreiheit. Wer selbige will, kann sich andererseits nicht auf den Schutz des Tarifvertrags berufen. Das ist unmittelbar in der Koalitionsfreiheit angelegt: die Arbeitnehmer haben durch ihre freie Entscheidung für oder gegen einen Gewerkschaftsbeitritt stets ein Wahlrecht zwischen den Tarifbedingungen auf der einen und davon abweichenden Arbeitsvertragsbedingungen auf der anderen Seite67. Das eine ist nicht schlechter oder besser als das andere. Wer sich für eine kollektive Interessenwahrnehmung entscheidet, wählt den Weg, daß er über den Mindeststandard des Kollektivvertrags nicht als Individuum disponieren kann, es unter faktischen Druck aber auch nicht muß. Wer andererseits auf sein individuelles Verhandlungsgeschick vertraut, kann sich auf den tariflichen Schutz nicht berufen. Das ist die Kehrseite der Wahlfreiheit; eine Besserstellung der Nichtorganisierten liegt darin nicht. Thüsing68 hat zudem darauf hingewiesen, daß es dem Arbeitgeber bis zur Grenze der gezielten Besserstellung ohne weiteres möglich ist, entweder die tariflichen oder andere Arbeitsbedingungen zu vereinbaren. Wenn dies aber nach der Wahl des Arbeitgebers zulässig ist, muß es auch zulässig sein, daß der Arbeitnehmer auswählt. Der Maßstab der Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG ist hier wie dort derselbe.
65 Siehe aber zur Gleichbehandlungspflicht im Günstigkeitsbereich unten § 6 D. III. 2. b), S. 284 f. 66 Ebenso Thüsing, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, Rn. 878. 67 Rieble, in: GS Heinze, S. 687, 699. 68 Thüsing, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, Rn. 879.
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2. Schutz der nichtorganisierten Arbeitnehmer Das Diskriminierungsverbot des Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG gilt nicht nur zum Schutz der organisierten Arbeitnehmer vor einer gezielten Schlechterbehandlung, ebenso können sich die nichtorganisierten ihrerseits auf die negative Koalitionsfreiheit berufen. a) Grundsatz Die negative Koalitionsfreiheit gewährleistet, nicht durch Zwang oder Druck zum Gewerkschaftsbeitritt bewegt zu werden. Unzulässig sind daher tarifliche Differenzierungsklauseln, die den Arbeitgeber verpflichten, Außenseiter schlechter zu stellen69. Unzulässig sind außerdem Vereinbarungen, die Außenseitern einen Ausgleichsbeitrag zugunsten einer Gewerkschaft abverlangen70. All diese Fälle begründen einen unzulässigen Beitrittsdruck, der mit der negativen Koalitionsfreiheit nicht vereinbar ist. Eine Pflicht zur Schlechterbehandlung von tariflichen Außenseitern kann es folglich nicht geben. Das sagt allerdings nichts darüber aus, was die tariffreien Arbeitsvertragsparteien auf Grundlage ihrer Privatautonomie vereinbaren dürfen. Nur darauf gerichteten Verpflichtungen von Seiten Dritter versagt die Rechtsordnung die Wirksamkeit. b) Kein Schutz vor Andersbehandlung Die Koalitionsfreiheit schützt Außenseiter zwar vor Regelungen, die sie gegenüber den organisierten Arbeitnehmern diskriminieren. So sind selektive Einstellungsentscheidungen genauso unzulässig, wie das in der umgekehrten Konstellation der Fall ist71. Auch darf der Arbeitgeber selbst keine an die Gewerkschaftszugehörigkeit anknüpfenden Vorteilsregelungen gewähren. Das ginge über den bloßen, im TVG angelegten, Normenvollzug hinaus und beträfe die Inhaltsgestaltung des Arbeitsverhältnisses72. Gleichwohl müssen es Außenseiter hinnehmen, daß Rechte aus einem Tarifvertrag nur Arbeitnehmern der tarifschließenden Gewerkschaft zuste69
Ausführlich zu tariflichen Differenzierungsklauseln oben § 2 C. II. 2, S. 102 ff. Höfling/Burkiczak, RdA 2004, 263, 266 f.; Scholz, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. VI, § 151 Rn. 85. 71 Vgl. BAG vom 2.6.1987 – 1 AZR 651/85 – AP Nr. 49 zu Art. 9 GG = EzA Art. 9 GG Nr. 43 = NZA 1988, 64; BAG vom 28.3.2000 – 1 ABR 16/99 – AP Nr. 27 zu § 99 BetrVG 1972 Einstellung = EzA § 99 BetrVG 1972 Einstellung Nr. 6 = NZA 2000, 1294. 72 Franzen, RdA 2006, 1, 9. 70
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hen. Das ist der Vorteil der kollektiven Interessenwahrnehmung und Folge der ausgeübten Koalitionsfreiheit73. Die negative Koalitionsfreiheit schützt zwar die rechtliche Chance, gleiche Arbeitsbedingungen wie die des Tarifvertrags zu vereinbaren. Es gibt aber keinen Anspruch der nichtorganisierten Arbeitnehmer, entsprechend des Tarifvertrags gleichbehandelt zu werden. Wie die positive Koalitionsfreiheit die Organisierten nicht vor einer Andersbehandlung der Nichtorganisierten schützt, bietet die negative Koalitionsfreiheit den nicht Koalierten keinen Schutz vor einer Andersbehandlung durch den Arbeitgeber74. Selbst die zur Geltung der Tarifvertragsordnung vertretene Meinung, daß der tarifgebundene Arbeitgeber dazu verpflichtet sei, Außenseitern tarifliche Lohn- und Arbeitsbedingungen zu gewähren, wurde nicht mit der negativen Koalitionsfreiheit, sondern mit der Befürchtung begründet, der Arbeitgeber könnte die Organisierten entlassen75. Keinesfalls aber kann die negative Koalitionsfreiheit davor schützen, daß im tariffreien Arbeitsverhältnis andere Arbeitsbedingungen gelten als die des Tarifvertrags. Ein Fernbleiberecht, das gleichsam die Teilhabe gewährt, kann es nicht geben. Ebensowenig verstößt es gegen Art. 9 Abs. 3 GG, wenn der Arbeitgeber den Tariffreien einen niedrigeren Lohn zahlt. Dem Arbeitgeber steht es grundsätzlich frei, andere und auch niedrigere Lohnvereinbarungen zu treffen76. Es gelten allein die Regeln des Vertragsrechts. Lediglich faktisch spricht einiges dafür, Außenseiter nicht gezielt schlechter zu behandeln, weil dadurch die Gefahr entsteht, daß sie in die Arme der Gewerkschaft getrieben werden. Bei der Zweiteilung der Belegschaft geht es letztlich aber nicht um die gezielte Besser- oder Schlechterstellung von Außenseitern, sondern schlicht um die Andersbehandlung. Die Vereinbarung etwa einer längeren Arbeitszeit kann nicht als Besser- oder Schlechterstellung gewertet werden. Auch leistungsorientierte Vergütungsformen verfolgen nicht das Ziel einer Schlechterstellung. Im Kern geht es allein um den Zugewinn an Flexibilität und die Anpassung an individuelle Bedürfnisse des Betriebs77.
73
Franzen, RdA 2006, 1, 9; Löwisch/Rieble, TVG, § 1 Rn. 227. Thüsing, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, Rn. 870. 75 Dazu Thüsing/Lambrich, RdA 2002, 193, 195. 76 Franzen, RdA 2006, 1, 9; GK-BetrVG/Kreutz, § 75 Rn. 56; Richardi/Richardi, BetrVG, § 75 Rn. 31; Gamillscheg, Kollektives ArbeitsR, Bd. I, S. 714; Lieb, NZA 1994, 289, 290. 77 Vgl. oben § 3 D., S. 169 ff. 74
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c) Keine Differenzierung zwischen nicht- und anders Organisierten Solange die Rechtsprechung den Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb aufrechterhält und anders organisierten Arbeitnehmern den normativen Anspruch auf ihren Tarifvertrag versagt78, bleiben auch sie auf den Arbeitsvertrag verwiesen. Ein normativer Anspruch auf tarifliche Leistungen besteht bei Tarifeinheit im Betrieb nicht. Der Arbeitgeber ist überdies nicht verpflichtet, den bei Tarifpluralität zum Zuge kommenden Tarifvertrag vertraglich zur Geltung zu bringen. Es obliegt allein der privatautonomen Gestaltung der Arbeitsvertragsparteien, ob auf einen Tarifvertrag verwiesen wird. Gewährt der Arbeitgeber anders organisierten Arbeitnehmern aber tarifliche Arbeitsbedingungen, muß er selbige ebenso den nichtorganisierten zukommen lassen. Eine Differenzierung zwischen Nicht- und anders Koalierten ließe sich weder auf die Koalitionszugehörigkeit noch auf den Normvollzug des TVG stützen. Die anders organisierten Arbeitnehmer fallen nach dem Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb auf den Status der Nichtorganisierten zurück79; ein Sachgrund für eine Ungleichbehandlung besteht nicht. Der Arbeitgeber darf anders koalierte Arbeitnehmer desgleichen nicht prämiieren, weil sie für ihre Organisation Beiträge bezahlen, wie das Däubler80 meint. Darin läge ebenso eine unzulässige Diskriminierung zu Lasten der Nichtorganisierten. Wie auch sonst ist es nicht legitim, unterschiedliche Arbeitsbedingungen allein an das Merkmal der Gewerkschaftszugehörigkeit zu knüpfen. Gewährt der Arbeitgeber Tarifbedingungen nicht nur den Organisierten, sondern ebenso den anders Organisierten, verstößt er gegen die negative Koalitionsfreiheit, wenn er Nichtorganisierte davon ausnimmt81. Es ist kein sachlicher Grund dafür gegeben, anders koalierten Arbeitnehmern, die sich nicht auf die normative Tarifgeltung ihres Tarifvertrags berufen können, Leistungen zu gewähren, die nicht auch an Nichtorganisierte erbracht werden. II. Tariflohn qua Gleichbehandlungspflicht? Neben der Koalitionsfreiheit erfährt die aus dem Berufsgrundrecht folgende Privatautonomie weitere Einschränkungen durch den Gleichbehand78 79 80 81
Ausführlich dazu oben § 4, S. 177 ff. Vgl. oben § 4 D. II. 2., S. 183. Däubler, BB 2002, 1643, 1647. Vgl. Zöllner, Tarifvertragliche Differenzierungsklauseln, S. 29.
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lungsgrundsatz82. Dieser gebietet dem Arbeitgeber, seine Arbeitnehmer oder Gruppen von Arbeitnehmern gleich zu behandeln, wenn sie sich in gleicher oder vergleichbarer Lage befinden und eine Ungleichbehandlung nicht von einem sachlichen Grund gedeckt ist83. Die Frage ist, ob zwischen organisierten und also tarifgebundenen Arbeitnehmern und Außenseitern ein Sachgrund für eine Ungleichbehandlung gegeben ist. Widrigenfalls könnten nichtorganisierte Arbeitnehmer aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz einen Tariflohnanspruch ableiten84. Historisch betrachtet ist die Forderung, Organisierte und Nichtorganisierte durch Gewährung der tarifvertraglichen Lohn- und Arbeitsbedingungen gleich zu behandeln, jedenfalls so alt wie die Tarifautonomie selbst85. 1. Arbeitsrechtlicher Gleichbehandlungsgrundsatz a) Anwendbarkeit Vorrang vor jeder Gleichbehandlungspflicht genießt der Grundsatz der Vertragsfreiheit, wenn die Vertragsbedingungen frei ausgehandelt sind86. Individuelle Regelungen sind nicht am Gleichbehandlungsgrundsatz zu messen. Dieser kann nicht dazu dienen, die Ergebnisse individueller Verhandlungen zu korrigieren und ein unzureichendes Verhandlungsgeschick oder eine individuelle Besserstellung auszugleichen87. Die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes setzt voraus, daß der Arbeitgeber eine allgemeingültige, das heißt kollektive Regelung trifft. Erst Regelungen, die sich nicht in einer einzelfall- und personenbezogenen Vereinbarung erschöpfen, unterfallen dem Gleichbehandlungsgebot. Der Arbeit82 Grundlegend G. Hueck, Der Grundsatz der Gleichbehandlung im Privatrecht, S. 232 ff. 83 Ständige Rechtsprechung: BAG vom 3.4.1957 – 4 AZR 644/54 – AP Nr. 4 zu § 242 BGB Gleichbehandlung = SAE 1959, 181; BAG vom 17.11.1998 – 1 AZR 147/98 – AP Nr. 162 zu § 242 BGB Gleichbehandlung = EzA § 242 BGB Gleichbehandlung Nr. 79 = NZA 1999, 606; BAG vom 25.10.2001 – 6 AZR 560/00 – EzBAT § 40 BAT Nr. 20 = NZA 2002, 872. 84 So vertreten insbesondere von Wiedemann, RdA 1969, 321, 323, 323 ff. 85 Zur rechtsgeschichtlichen Betrachtung Thüsing, ZTR 1997, 433, 433 f. 86 BAG vom 19.8.1992 – 5 AZR 513/91 – AP Nr. 102 zu § 242 BGB Gleichbehandlung = EzA § 242 BGB Gleichbehandlung Nr. 52 m. Anm. Steinmeyer = NZA 1993, 171; BAG vom 17.2.1998 – 3 AZR 783/96 – BAGE 88, 23, 27; BAG vom 13.2.2002 – 5 AZR 713/00 – AP Nr. 184 zu § 242 BGB Gleichbehandlung. 87 BAG vom 25.5.2004 – 3 AZR 15/03 – AP Nr. 5 zu § 1b BetrAVG = EzA § 1b BetrAVG Gleichbehandlung Nr. 1; BAG vom 28.2.1962 – 4 AZR 352/60 – AP Nr. 31 zu § 242 BGB Gleichbehandlung = RdA 1962, 208.
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geber muß also nach einem bestimmten generalisierenden Prinzip handeln und dazu bestimmte Voraussetzungen oder Zwecke festlegen88. Führt er infolgedessen ein arbeitsvertragliches Vergütungssystem ein, wonach er die nichtorganisierten Arbeitnehmer abweichend von der Tarifanwendung behandeln will, ist er an den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz gebunden. Dabei geht es stets um eine abstrakte Regelung durch allgemeine Arbeitsbedingungen. Der Gleichbehandlungsgrundsatz gilt ohne weiteres auch im Bereich der Vergütung89. Selbst der Vollzug eines Tarifvertrags befreit nicht von der Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes. Daß ein Anspruch auf tarifliche Leistungen beiderseitige Tarifgebundenheit voraussetzt, führt noch nicht zu einem grundsätzlichen Anwendungsausschluß90. Ob in der Tarifgebundenheit demgegenüber ein zulässiges Differenzierungskriterium liegt, entscheidet sich nicht auf der Ebene der Anwendbarkeit des Gleichheitssatzes, sondern auf der Ebene der sachlichen Rechtfertigung91. b) Inhalt Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz richtet sich gegen jede willkürliche, sachfremde Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer gegenüber anderen, die sich in einer vergleichbaren Lage befinden. Er verbietet nicht nur die willkürliche Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer innerhalb einer Gruppe, sondern auch die sachfremde Gruppenbildung92. Die Rechtsprechung erkennt den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz seit einer Entscheidung des RAG93 zum Ruhegeldanspruch ohne individualvertragliche Grundlage in ständiger Rechtsprechung an94. Auch in der Literatur ist er weitestgehend anerkannt, obzwar über seine Herleitung keine einhellige Auffassung besteht95. Überwiegend wird der Grund der Gleichbe88 BAG vom 13.2.2002 – 5 AZR 713/00 – AP Nr. 184 zu § 242 BGB Gleichbehandlung = EzA § 242 BGB Gleichbehandlung Nr. 87 = NZA 2003, 215; BAG vom 25.10.2001 – 6 AZR 560/00 – EzBAT § 40 BAT Nr. 20 = NZA 2002, 872. 89 BAG vom 1.12.2004 – 5 AZR 664/03 – AP Nr. 38 zu § 242 BGB Auskunftspflicht = EzA § 242 BGB 2002 Gleichbehandlung Nr. 5 = NZA 2005, 289. 90 Richtig Thüsing, ZTR 1997, 433, 435 f. 91 Vgl. BAG vom 25.4.1995 – 3 AZR 446/94 – AP Nr. 25 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung = EzA § 1 BetrAVG Gleichbehandlung Nr. 8 = NZA 1996, 84. 92 Vgl. die in Fn. 83, S. 275 genannten Nachweise. 93 RAG vom 19.1.1938 – 153/37 – ARS 33, 172 ff.; dazu G. Hueck, Der Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung im Privatrecht, S. 60; Wiedemann, Die Gleichbehandlungsgebote im Arbeitsrecht, S. 9. 94 s. dazu Fn. 83, S. 275. 95 Vgl. Richardi, in: Münchener Handbuch ArbeitsR, Bd. 1, § 14 Rn. 7 f.
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handlungspflicht aber im Vollzug einer selbst gesetzten Ordnung gesehen, der einheitlich zu erfolgen hat96. c) Sachliche Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung Der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz verbietet nicht jede Ungleichbehandlung schlechthin, vielmehr verwehrt er es dem Arbeitgeber nur, einzelne Arbeitnehmer oder Gruppen von Arbeitnehmern ohne sachlichen Grund schlechter zu stellen. Es bleibt mithin unbenommen, eine Differenzierung auf sachlicher Grundlage vorzunehmen97. Sachfremd ist eine Differenzierung, wenn es für sie keine billigenswerten Gründe gibt und die Regelung nach einer am Gleichheitsgedanken orientierten Betrachtungsweise als willkürlich angesehen werden muß. Billigenswerte Gründe sind solche, die auf vernünftigen, einleuchtenden Erwägungen beruhen und gegen keine verfassungsrechtlichen oder sonstigen übergeordneten Wertentscheidungen verstoßen98. Nicht von vornherein ausgeschlossen sind Differenzierungen, die auf den in Art. 3 GG, § 75 BetrVG, § 67 BPersVG genannten Kriterien beruhen99. Auch hier muß genau gefragt werden, ob ein Sachgrund eine Ungleichbehandlung rechtfertigen kann100. Im übrigen ist der Arbeitgeber grundsätzlich befugt, gesetzliche Differenzierungen nachzuvollziehen101. d) Zulässige Differenzierung nach der Tarifgebundenheit In der Differenzierung zwischen organisierten und also tarifgebundenen und nichtorganisierten und deswegen nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern 96 Grundlegend, Bötticher, RdA 1953, 161; Löwisch, in: FS G. Müller, S. 301, 303; Richardi, in: Münchener Handbuch ArbeitsR, Bd. 1, § 14 Rn. 7 f. 97 BAG vom 28.5.1996 – 3 AZR 752/95 – AP Nr. 143 zu § 1 TVG Tarifverträge: Metallindustrie = EzA Art. 3 GG Nr. 55 = NZA 1997, 101; BAG vom 19.4.1995 – 10 AZR 344/94 – AP Nr. 124 zu § 242 BGB Gleichbehandlung = EzA § 242 BGB Gleichbehandlung Nr. 63 = NZA 1995, 985; BAG vom 19.4.1995 – 10 AZR 136/94 – AP Nr. 172 zu § 611 BGB Gratifikation = EzA § 611 BGB Gratifikation, Prämie Nr. 123 = NZA 1996, 133. 98 BAG vom 18.11.2003 – 3 AZR 655/02 – NZA 2004, 1296; BAG vom 21.3.2002 – 6 AZR 144/01 – EzA § 242 BGB Gleichbehandlung Nr. 88 = NZA 2002, 1304; BAG vom 18.9.2001 – 3 AZR 656/00 – AP Nr. 179 zu § 242 BGB Gleichbehandlung = EzA § 1 BetrAVG Gleichbehandlung Nr. 22 = NZA 2002, 148; Thüsing, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, Rn. 909. 99 Zu eng daher Preis, in: ErfK, § 611 BGB Rn. 732; Staudinger/Richardi, BGB, § 611 Rn. 355. 100 So zu Recht Thüsing, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, Rn. 910. 101 Dazu Konzen, in: FS G. Müller, S. 245, 250 ff.
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liegt zwar grundsätzlich eine am Gleichbehandlungsgrundsatz zu messende Ungleichbehandlung. Die Rechtsprechung und der ganz herrschende Teil des Schrifttums gehen gleichwohl davon aus, daß der Arbeitgeber nicht gehindert ist, organisierte und nichtorganisierte Arbeitnehmer unterschiedlich zu behandeln102. In den Worten des BAG ist „der tarifgebundene Arbeitgeber nicht verpflichtet, aufgrund des Gleichbehandlungsgrundsatzes seinen nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern das zu gewähren, was er aufgrund eines Tarifvertrags den tarifgebundenen Arbeitnehmern zu gewähren verpflichtet ist“103. Im Jahr 1979 hatte der Fünfte Senat104 in einer Entscheidung, in der über einen Abfindungsanspruch einer leitenden Angestellten auf Grundlage eines Sozialplans zu entscheiden war, zwar noch beiläufig bemerkt, daß er es bei ähnlicher Problematik im Tarifrecht nicht ohne nähere Prüfung für gerechtfertigt hält, organisierte und nichtorganisierte Arbeitnehmer ungleich zu behandeln. Diesen Standpunkt hat der Senat aber bereits mit einer Entscheidung aus dem Jahr 1985 wieder aufgegeben105. Mittlerweile entspricht es gefestigter Rechtsprechung, daß ein nicht tarifgebundener Arbeitnehmer nicht unter Berufung auf den Gleichbehandlungsgrundsatz fordern kann, wie tarifgebundene Arbeitnehmer behandelt zu werden106. Der Arbeitgeber, der verschiedene Regelungen anwendet, ist nicht verpflichtet, diese über ihren Geltungsbereich zu erweitern und eine insgesamt „gerechte“ Ordnung zu schaffen107. 102 BAG vom 20.7.1960 – 4 AZR 199/59 – AP Nr. 7 zu § 4 TVG = SAE 1960, 146; BAG vom 30.9.1998 – 4 AZR 547/97 – AP Nr. 159 zu § 242 BGB Gleichbehandlung = EzA § 242 BGB Betriebliche Übung Nr. 42 = NZA 1999, 490; Annuß, ZfA 2005, 405, 409 f.; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 329; Franzen, RdA 2006, 1, 9; Kast/Stuhlmann, BB 2000, 614, 617; Konzen, in: FS G. Müller, S. 245, 257 ff.; Wiedemann/Oetker, TVG, § 3 Rn. 283 ff.; Preis, in: ErfK, § 611 BGB Rn. 738; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, § 206 Rn. 41; ders., BB 1996, 1058, 1058; Thüsing, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, Rn. 901; Däubler/Zwanziger, TVG, § 4 Rn. 1058; a. A. aber Wiedemann, RdA 1969, 321, 323. 103 BAG vom 20.7.1960 – 4 AZR 199/59 – AP Nr. 7 zu § 4 TVG = SAE 1960, 146. 104 BAG vom 31.1.1979 – 5 AZR 454/77 – AP Nr. 8 zu § 112 BetrVG 1972 = DB 1979, 1039. 105 BAG vom 16.7.1985 – 1 AZR 206/81 – AP Nr. 32 zu § 112 BetrVG 1972 = NZA 1985, 713 = EzA § 112 BetrVG 1972 Nr. 38 m. Anm. Mayer-Maly = SAE 1986, 79 m. Anm. Hromadka. 106 BAG vom 21.1.1987 – 4 AZR 547/86 – AP Nr. 47 zu Art. 9 GG = NZA 1987, 487; BAG vom 2.12.1997 – 10 AZR 563/96 – AP Nr. 149 zu § 242 BGB Gleichbehandlung = EzA § 242 BGB Gleichbehandlung Nr. 73 = NZA 1998, 438; BAG vom 30.9.1998 – 4 AZR 547/97 – AP Nr. 159 zu § 242 BGB Gleichbehandlung = EzA § 242 BGB Betriebliche Übung Nr. 42 = NZA 1999, 490. 107 BAG vom 15.6.2004 – 3 AZR 414/03 – NZA 2004, 1407 = ZTR 2005, 95.
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Der angeführte Differenzierungsklauselbeschluß, aus dem die – seinerzeit auch vom Fünften Senat108 herausgestellte – Passage zitiert wird, „die Gleichbehandlung werde als ein Ausdruck sozialer Gerechtigkeit empfunden“, besagt nichts Gegenteiliges109. Die Textstelle befaßt sich allein mit der Unzumutbarkeit der tariflichen Differenzierung und attestiert dem Arbeitgeber gleichsam, daß eine Ungleichbehandlung auf der Ebene des Arbeitsvertrags legitim ist. Ihr geht es allein um die unterschiedliche Behandlung nach der Tarifgebundenheit. Im Gegensatz zur Koalitionszugehörigkeit liegt darin ein Sachgrund, der eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigt110. Sie beruht auf der tarifrechtlich programmierten Zweiteilung111.Weil es sich insofern um einen Normvollzug handelt, ist der Unterschied von Tarifgebundenen und Nichttarifgebundenen so wesentlich, daß die Andersbehandlung nicht als willkürlich verworfen werden kann112. 2. Gleichbehandlung qua tariflicher Kampfgemeinschaft? Entgegen der von Thüsing vertretenen Ansicht läßt sich auch aus dem Gedanken der Kampfgemeinschaft keine Gleichbehandlungspflicht ableiten113. Die Kampfbeteiligten unter den nichtorganisierten Arbeitnehmern haben keinen Anspruch auf Teilhabe am Tariferfolg. Dessen Ausbleiben ist nur Konsequenz der eigenen Entscheidung, nur mitzukämpfen und nicht Vollmitglied der Gewerkschaft zu werden114. Allein die Streikteilnahme kann nicht an dem, auf freiwilligem Koalitionsbeitritt basierendem, Tarifsystem vorbei zu einem Tariflohnanspruch qua Gleichbehandlungspflicht führen. In einem Gleichbehandlungsanspruch, der die Streikteilnahme von Außenseitern kompensierte, läge nicht nur die Abkehr vom mitgliedschaftlichen Tarifsystem, sondern zudem eine Bestandsgefährdung der Koalitionen, weil diese um ihre Mitgliederbeiträge gebracht würden. Der Arbeitnehmer bräuchte sich nicht mehr für eine Gewerkschaft entscheiden, sondern 108 BAG vom 31.1.1979 – 5 AZR 454/77 – AP Nr. 8 zu § 112 BetrVG 1972 = DB 1979, 1039, 1042. 109 Vgl. Wiedemann, RdA 1969, 321, 323. 110 Vgl. schon oben zu § 75 Abs. 1 BetrVG § 5 B. II. 2. a), S. 243 ff. 111 Ausführlich dazu oben § 1, S. 23 ff. 112 Franzen, RdA 2006, 1, 9; Konzen, in: FS G. Müller, S. 245, 259; Wiedemann/Oetker, TVG, § 3 Rn. 283 ff.; Preis, in: ErfK, § 611 BGB Rn. 738; Schaub, BB 1996, 1058, 1058; Däubler/Zwanziger, TVG, § 4 Rn. 1058; insbesondere auch Thüsing, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, Rn. 870. 113 Thüsing, ZTR 1997, 433, 436 ff., ders., Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 112 ff. 114 Annuß, ZfA 2005, 405, 410; Löwisch/Rieble, TVG, § 1 Rn. 227.
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könnte allein durch Kampfteilnahme den gleichen Anspruch wie Gewerkschaftsmitglieder erreichen. An einen Sanierungstarifvertrag wäre er dagegen nicht gebunden. Selbst bereits getätigte Abschlüsse stünden stets unter dem Vorbehalt einer nachfolgenden Kampfteilnahme am Arbeitskampf einer anderen Gewerkschaft. All das ist mit dem geltenden Tarifsystem nicht in Einklang zu bringen. Einer Gleichbehandlungspflicht wegen Arbeitskampfteilnahme kann somit nicht gefolgt werden. 3. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit? Es gibt auch keinen Rechtssatz: „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“. Weder läßt sich ein solcher aus Art. 3 Abs. 1 GG noch aus den Art. 20 ff. der Charta der Grundrechte der Europäischen Union folgern115. Vorgegeben ist nur die Entgeltgleichheit von Männern und Frauen. Selbst die Gleichstellung in einem hinzuerworbenen Betrieb mit den Arbeitnehmern im Stammhaus des Erwerbers und umgekehrt ist nicht anerkannt116. Der Satz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ hat lediglich Programmcharakter. Er wird dort herangezogen, wo es organisationspolitisch ins Konzept paßt. Insbesondere Gewerkschaften berufen sich darauf. Daß sich gerade die IG Metall in jüngerer Zeit bezogen auf Beschäftigungssicherungstarifverträge zunehmend von diesem Grundsatz verabschiedet, hängt damit zusammen, daß sie ihren angestammten Leuten nicht in die Tasche greifen will und sich deshalb auf einen begrenzten Besitzstandsschutz einläßt. Rechtliche Wirkungen kommen dem Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ jedenfalls nicht zu. Faktisch bildet er gleichwohl eine Grenze für die gewerkschaftliche Lohnpolitik. Insbesondere im Entgeltbereich sind Gewerkschaften bei Tarifabschlüssen nicht bereit, eine Differenzierung zwischen Großunternehmen und solchen des Mittelstandes vorzunehmen. Letztlich trägt das zu einer weiteren Erosion des Flächentarifvertrags bei: wenn kleinere und mittelständische Unternehmen die Last, die ihnen der Branchentarifvertrag auferlegt, anders als die „Branchenriesen“ nicht mehr stemmen können, suchen sie nach Alternativlösungen – im Abkehr vom Tarifsystem117. Eine sinnvolle Lösung bietet hier gerade eine Zweiteilung der Belegschaft.
115
BAG vom 21.6.2000 – 5 AZR 806/98 – AP Nr. 60 zu § 612 BGB = EzA § 242 BGB Gleichbehandlung Nr. 83 = NZA 2000, 1050; Wiedemann/Wiedemann, TVG, Einleitung Rn. 208; Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 190 ff. 116 BAG vom 31.8.2005 – 5 AZR 517/04 – AP Nr. 288 zu § 613a BGB = EzA § 613a BGB 2002 Nr. 39 = NZA 2006, 265. 117 Vgl. oben § 3 B. III., S. 157 ff.
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4. Keine Gleichbehandlungspflicht aus dem AGG Das AGG118 hat zwar den Grundsatz der Entgeltgleichheit, der nach § 612 Abs. 3 BGB a. F. nur im Hinblick auf das Geschlecht bestand, auf alle in § 1 AGG genannten Merkmale erstreckt. Insofern stellt § 7 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Nr. 2 und § 8 Abs. 2 AGG die Grundlage für Ansprüche auf gleiches Entgelt für gleiche oder gleichwertige Arbeit dar, wonach jeder Arbeitnehmer verlangen kann, daß ein in § 1 AGG genanntes Merkmal keinen Unterschied in der Entgeltbemessung begründet119. Das AGG enthält jedoch keine Regelung des allgemeinen Gleichheitssatzes, sondern einen besonderen Diskriminierungsschutz, für den ein in § 1 AGG genanntes Merkmal betroffen sein muß. Zu diesen Diskriminierungsmerkmalen zählt nicht die Koalitionszugehörigkeit120. Auch mittelbar läßt sich kein Diskriminierungsschutz, der sich gegen die Ungleichbehandlung von Tarifgebundenen und Tariffreien stellen würde, herleiten121. Selbst wenn man das anders sieht122, gelangt man zu keinem anderen Ergebnis, weil die Andersbehandlung von Außenseitern auf individualvertraglicher Ebene durch die begrenzte zwingende Wirkung des Tarifvertrags jedenfalls gerechtfertigt ist. III. Gleichbehandlung außerhalb der zwingenden Tarifgeltung 1. Grundsatz: Gleichbehandlungspflicht Nach den dargestellten Grundsätzen darf der Arbeitgeber die Tariffreien nicht gezielt besser stellen als die organisierten Arbeitnehmer, er darf sie aber anders und ebenso schlechter behandeln. Aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz ergibt sich grundsätzlich keine Pflicht zur Gleichstellung von Organisierten und Nichtorganisierten. Uneingeschränkt gilt das allerdings nur, soweit ein Tarifvertrag tatsächlich gilt. Dort wo der Tarifvertrag nicht unmittelbar und zwingend eingreift, 118
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, als Art. 1 des Gesetzes zur Umsetzung europäischer Richtlinien zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung vom 14.8.2006, BGBl. I, S. 1897 ff. 119 Richardi, NZA 2006, 881, 886. 120 So zutreffend auch Bauer/Göpfert/Krieger, AGG, § 1 Rn. 57; Schleusener/ Suckow/Voigt, AGG, § 1 Rn. 46. 121 Dazu bereits oben § 2 C. V., S. 140. 122 So aber in der Tat Wisskirchen/Bissels, NZA 2007, 169, 172, die die Koalitionszugehörigkeit dem Diskriminierungsmerkmal der Weltanschauung zuordnen; dageben wie hier Bauer/Göpfert/Krieger, AGG, § 1 Rn. 87; Schleusener/Suckow/ Voigt, AGG, § 1 Rn. 46.
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wie das namentlich trotz beiderseitiger Tarifgebundenheit bei günstigeren Abreden und im Bereich tariflicher Öffnungsklauseln der Fall ist, kann die Tarifgebundenheit nicht ohne weiteres als sachlicher Grund für eine unterschiedliche Behandlung herangezogen werden123. Grundsätzlich ist der Arbeitgeber im außer- und übertariflichen Bereich zur Gleichbehandlung verpflichtet124. Läßt der Tarifvertrag abweichende oder zusätzliche Leistungen zu, steht er dem Einbezug von Organisierten in eine vertragliche Regelung nicht entgegen. Gleichwohl läßt sich eine Andersbehandlung von Organisierten und Nichtorganisierten außerhalb der zwingenden Tarifwirkung – wenn auch nicht aufgrund der gesetzlich angeordneten Tarifgeltung – sachlich rechtfertigen. Gleichbehandlung heißt nicht Gleichmacherei: auch das Willkürverbot erlaubt Differenzierungen, insbesondere solche, die auf Vertragsvereinbarungen beruhen; nicht nur objektiv meßbare, sondern gerade im außertariflichen Bereich desgleichen solche, die sich nur subjektiv bewerten lassen125. 2. Im Bereich des Günstigkeitsprinzips nach § 4 Abs. 3 TVG Das nach § 4 Abs. 3 TVG zwingend festgelegte Günstigkeitsprinzip begrenzt den Anwendungsvorrang des Tarifvertrags. Trotz Erfüllung der Geltungsvoraussetzungen einer Tarifnorm sind andere Abmachungen zulässig, wenn sie eine Abweichung zugunsten der Arbeitnehmer enthalten. Dadurch bleibt der Arbeitsvertrag für die organisierten Arbeitnehmer als selbständiger Gestaltungsfaktor für den Inhalt des Arbeitsverhältnisses gesichert. Im übertariflichen Bereich besteht für sie ebenso Arbeitsvertragsfreiheit126. Der Tarifvertrag darf grundsätzlich keine Höchstarbeitsbedingungen festlegen. Insofern entfällt im übertariflichen Bereich der Sachgrund für eine Differenzierung, da die Tarifbindung andere Abmachungen nur sperrt, wenn sie das Tarifniveau unterschreiten oder neutral vom Tarifvertrag abweichen. Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz fordert hier die Gleichbehandlung von Organisierten und Nichtorganisierten – eine Ungleichbehandlung wäre willkürlich und damit unzulässig. Bietet der Arbeitgeber den Tariffreien mithin Arbeitsbedingungen über dem Tarifniveau an, dürfen organisierte Arbeitnehmer davon nicht ausge123
Vgl. Thüsing, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, Rn. 870. Bopp, Betrieb ohne Tarifvertrag, S. 117; Kania, in: Küttner (Hrsg.), Personalbuch 2007, Rn. 23; Thüsing, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, Rn. 870. 125 Insbesondere Konzen, in: FS G. Müller, S. 245, 251. 126 Richardi, ZfA 2003, 655, 686. 124
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schlossen werden127. Keine Rolle spielt es, ob der Tarifvertrag ansonsten einheitlich zur Anwendung kommt. Auch bei einer Zweiteilung der Belegschaft müssen organisierte Arbeitnehmer an einer arbeitsvertraglichen Gestaltung beteiligt werden, wenn selbige gemäß § 4 Abs. 3 TVG günstiger und deswegen trotz normativer Tarifgeltung zulässig ist. Im Ergebnis deckt sich das mit den Vorgaben der Koalitionsfreiheit: Organisierte dürfen nicht durch eine gezielte Prämiierung der Nichtorganisierten schlechter gestellt werden128. Freilich gibt der Tarifvertrag dadurch für Außenseiter keine Höchstarbeitsbedingungen vor, er markiert gleichwohl die Grenze, ab der der Arbeitgeber verpflichtet ist, tarifgebundene Arbeitnehmer in gleicher Form in eine Regelung einzubeziehen. a) Maßstab der Günstigkeit Entscheidend kommt es mithin auf den Maßstab der Günstigkeit an. Nur, wenn die arbeitsvertraglichen Regelungen wirklich günstiger sind, greift die Gleichbehandlungspflicht. Andernfalls gilt der Tarifvertrag für Organisierte unmittelbar und zwingend. Als Maßstab kann dabei richtigerweise nur eine Gesamtschau aller Arbeitsbedingungen in Betracht kommen129. Anders als bei der Bestimmung der individuellen Günstigkeit im Rahmen des § 4 Abs. 3 TVG, bei der es darum geht, ob eine arbeitsvertragliche Zusage trotz Geltung eines Tarifvertrags zur Anwendung gelangt, kann im Rahmen des Gleichbehandlungsgrundsatzes nicht auf einen separaten Sachgruppenvergleich abgestellt werden. Vielmehr kann erst die Günstigkeit aller Arbeitsbedingungen dazu führen, daß tarifgebundene Arbeitnehmer an einer Regelung zu beteiligen sind. Insofern sind die tariflichen Arbeitsbedingungen mit den arbeitsvertraglichen in einer Gesamtschau aller Arbeitsbedingungen zu vergleichen. Anderes führte dazu, daß die tarifgebundenen Arbeitnehmer allein an den Vergünstigungen einer entsprechenden Regelung zu beteiligen wären, die Nachteile jedoch nicht mit zu tragen hätten. Das fordert weder der Gleichbehandlungsgrundsatz noch die Koalitionsfreiheit, zumal nicht die Gleichstellung, sondern eine Meistbegünstigung der Organisierten die Folge wäre. Der entscheidende Unterschied zum individuellen Günstigkeitsvergleich liegt darin, daß sich organisierte Arbeitnehmer nicht auf einen Vertragsanspruch berufen können, wenn der Arbeitgeber nur den Außenseitern geän127 Gamillscheg, Kollektives ArbeitsR, Bd. I, S. 197 ff.; Rieble, in: GS Heinze, S. 687, 698. 128 Dazu oben § 6 D. I. 1. d), S. 269 ff. 129 So auch Thüsing, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, Rn. 883; s. auch Oetker, EWiR 2007, 297, 298.
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derte Arbeitsbedingungen anbietet. Es geht also nicht darum, vom Tarifvertrag abweichenden Arbeitsbedingungen zur Geltung zu verhelfen und so die Arbeitsvertragsfreiheit der Organisierten zu sichern. Es geht allein um die Frage, ob die den Nichtorganisierten angebotenen Arbeitsbedingungen in ihrer Gesamtheit so ausgestaltet sind, daß sie die Koalitionsfreiheit der Organisierten oder den Gleichbehandlungsgrundsatz verletzen. Dieses Urteil kann sich dementsprechend nur auf eine Gesamtbetrachtung aller Arbeitsbedingungen beziehen. Mittelbar bestätigt das auch der Burda-Beschluß130. Die insofern wesentliche Erkenntnis ergibt sich daraus, daß bei teilweise günstigeren und teilweise ungünstigeren Vereinbarungen kein Gesamturteil über die Günstigkeitswertung abgegeben werden kann, weil sich das BAG außerstande sieht, „Äpfel und Birnen“ zu vergleichen. Das bedeutet für den Fall der zweigeteilten Belegschaft, daß allein aufgrund einzelner günstigerer Vereinbarungen ebenso kein Urteil über die Günstigkeit an sich getroffen werden kann. b) Keine Günstigkeit durch Wahlrecht Die Beurteilung verschiebt sich nicht durch ein Wahlrecht, nachdem die Nichtorganisierten sich zwischen den bisherigen tariflichen und abweichenden arbeitsvertraglichen Arbeitsbedingungen entscheiden können131. Selbst wenn der Günstigkeitsvergleich neutral ausfällt, die arbeitsvertraglichen und die tariflichen Arbeitsbedingungen also gleichwertig sind, müssen tarifgebundene Arbeitnehmer nicht berücksichtigt werden. Solange die Rechtsprechung ein solches Wahlrecht bei an sich günstigkeitsneutralen Regelungen nicht als günstiger im Rahmen des § 4 Abs. 3 TVG anerkennt, bleibt es bei der aufgezeigten Beurteilung der Günstigkeit anhand einer Gesamtbetrachtung der Arbeitsbedingungen. Ein etwaiges Wahlrecht ist somit nicht einzurechnen132. c) Keine Günstigkeit von betrieblichen Bündnissen für Arbeit Für Beschäftigungsbündnisse ergibt sich damit folgendes: weil die Rechtsprechung des BAG Bündnissen für Arbeit die Günstigkeit versagt133, kön130 BAG vom 20.4.1999 – 1 ABR 72/98 – AP Nr. 89 zu Art. 9 GG = EzA Art. 9 GG Nr. 65 = NZA 1999, 887. 131 Vgl. dazu schon oben § 6 D. I. 1. e), S. 270 f. 132 Ebenso Rieble, in: GS Heinze, S. 687, 699; Thüsing, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, Rn. 879. 133 BAG vom 20.4.1999 – 1 ABR 72/98 – AP Nr. 89 zu Art. 9 GG = EzA Art. 9 GG Nr. 65 = NZA 1999, 887.
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nen diese von vornherein nicht auf organisierte Arbeitnehmer erstreckt werden. Sie dürfen es nicht, weil es sich um eine unzulässige Tarifabweichung handelt. Eine Berufung allein auf die Beschäftigungssicherung scheitert, weil der Arbeitgeber selbige nur im Gegenzug für eine Lohnabsenkung gewähren will und ein „Rosinenpicken“ unzulässig ist. Folglich sind Beschäftigungsbündnisse auf die tariffreien Arbeitnehmer zu beschränken. Mangels Günstigkeit der Gesamtregelung liegt darin keine Verletzung der Koalitionsfreiheit134. Die Ungleichbehandlung verstößt auch nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, sie ist dem System der Tarifautonomie und dem der Tarifbindung vielmehr immanent135. 3. Im Bereich tariflicher Öffnungsklauseln So wie das Günstigkeitsprinzip den Tarifvertrag nach „oben“ öffnet, können die Tarifparteien durch Öffnungsklauseln einen Bereich freigeben, innerhalb dessen sie eine Öffnung nach „unten“ gestatten. Öffnungsklauseln beziehen sich zumeist auf ein bestimmtes Regelungsinstrument. Die häufigste Form ist die Zuweisung einer Regelungsmaterie an die Betriebsparteien136. Voraussetzung für eine Gleichbehandlungspflicht des Arbeitgebers ist deshalb zunächst, daß er eine Tariföffnung überhaupt nutzen kann. Soweit tarifliche Öffnungsklauseln abweichende Individualvereinbarungen zulassen – die ebenso durch eine Regelungsabrede vorbereitet sein können – entfällt die Tarifsperre. Grundsätzlich greift dann der Gleichbehandlungsgrundsatz, der die willkürliche Ungleichbehandlung von Tarifgebundenen und Nichttarifgebundenen untersagt137. Das bedeutet aber nicht, daß im Bereich tariflicher Öffnungsklauseln nur Regelungen zulässig wären, die organisierte und nichtorganisierte Arbeitnehmer in gleicher Weise erfassen138. Wohl entfällt für eine Ungleichbehandlung der Sachgrund der Tarifgebundenheit. Eine Differenzierung kann jedoch auf, damit in einem Sachzusammenhang stehende, sachliche Unterschiede gestützt werden. Hat sich der Arbeitgeber für eine Zweiteilung der Belegschaft entschieden, ergeben sich die maßgeblichen Unterschiede zwischen Organisierten und Nichtorgani134
Vgl. oben § 6 D. I. 1. d), S. 269. BAG vom 20.4.1999 – 1 ABR 72/98 – AP Nr. 89 zu Art. 9 GG = EzA Art. 9 GG Nr. 65 = NZA 1999, 887; Bauer, NZA 1999, 957, 959; Kast/Freihube, BB 2003, 2569, 2571; Kort, NJW 1997, 1476, 1481. 136 Dazu oben § 5 B. II. 2. d), S. 247 ff. 137 Zu den Voraussetzungen des Gleichbehandlungsgrundsatzes oben § 6 D. II. 1., S. 275 ff. 138 Zum analogen Problem bei betrieblicher Regelung durch Betriebsvereinbarung oben § 5 B. II. 2. d), S. 247 f. 135
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sierten daraus, daß einerseits der Tarifvertrag und andererseits der Arbeitsvertrag je unterschiedliche Arbeitsbedingungen vorgeben. Entscheidend ist, ob sich aus dem Regelungszusammenhang mit den übrigen Arbeitsbedingungen ein unterschiedliches Regelungsbedürfnis ergibt. Nur weil der Tarifvertrag eine Regelung zu seinen Lasten gestattet, bedeutet das nicht, daß ein entsprechendes Regelungsbedürfnis im Hinblick auf ein davon losgelöstes arbeitsvertragliches Regelungssystem bestehen muß139. Darf der Arbeitgeber auf, nach der Tarifgebundenheit gebildete, Arbeitnehmergruppen unterschiedliche Vergütungssysteme anwenden, spricht nichts dagegen, selbige unterschiedlich ausgestalten. Das Abstellen auf unterschiedliche Regelungssysteme ist sachlich gerechtfertigt. Bis zu den Grenzen einer gezielten Besser- oder Schlechterstellung ist es ohne weiteres möglich, tarifliche Öffnungsklauseln nur im Hinblick auf organisierte Arbeitnehmer umzusetzen. Dabei darf das Tarifniveau in Gänze freilich nicht unter das des arbeitsvertraglichen Vergütungssystems sinken. Diese Schranke ergibt sich aus der Koalitionsfreiheit der organisierten Arbeitnehmer140. Außerhalb dieser Grenze besteht aber keine Notwendigkeit, Außenseiter an einer, eine tarifliche Öffnungsklausel ausfüllenden Regelung zu beteiligen. 4. Im Nachwirkungszeitraum Ähnliche Fragen stellen sich, wenn ein im Betrieb geltender Tarifvertrag endet und gemäß § 4 Abs. 5 TVG in die Nachwirkungsphase wechselt. In dieser Phase sind die vormals geltenden Tarifbedingungen arbeitsvertraglich ablösbar, womit die Frage zu beantworten ist, ob, bis dahin dem Tarifvertrag unterstehende, organisierte Arbeitnehmer dann mit den Nichtorganisierten gleichzustellen sind. Grundsätzlich besteht die Arbeitsvertragsfreiheit für tarifgebundene und tariffreie Arbeitnehmer in gleicher Weise, wenn ein Tarifvertrag nur noch nachwirkt. Das könnte dazu verleiten, jedwede Differenzierung zwischen vormals Tarifgebundenen und Außenseitern im Nachwirkungszeitraum eines Tarifvertrags dem Verdikt der Willkürlichkeit zu unterstellen141. Der Gleichbehandlungsgrundsatz ist ohne weiteres anwendbar. Die Frage ist, ob eine Ungleichbehandlung sachlich gerechtfertigt ist. Dies wird man im Nachwirkungszeitraum nicht von vornherein ausschließen können. Trotz Fehlens der zwingenden Tarifgeltung ist anerkannt, daß der Arbeitgeber zumindest nicht gehindert ist, neu eingestellte Arbeitnehmer von einem bisher einheitlichen Tarifsystem auszunehmen und ein eigenständiges arbeitsver139 140 141
Vgl. bereits oben § 5 B. II. 2. d), S. 247 ff. Vgl. § 6 D. I. 1. d), S. 269 f. Rieble, in: GS Heinze, S. 687, 697.
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tragliches Vergütungssystem einzuführen142. Die Entscheidung, die tariflichen Arbeitsbedingungen nicht (mehr) anzuwenden, bildet insofern den Sachgrund für die Ungleichbehandlung143. Obwohl der Arbeitgeber im Nachwirkungszeitraum nicht gehindert ist, eine Tarifnorm bei bisher Tarifgebundenen zu ersetzen, ist damit ein Sachgrund gegeben, den Tarifvertrag nicht einheitlich nachwirken zu lassen. Überträgt man das auf die zweigeteilte Belegschaft, muß die Entscheidung, den Tarifvertrag weiter nur auf die Tarifgebundenen anzuwenden, auch hier als Sachgrund anerkannt werden. Die Rechtfertigung liegt in der Entscheidung für die Belegschaftsteilung. Weder können Nichtorganisierte eine Behandlung nach Maßgabe des nachwirkenden Tarifvertrags verlangen, noch können sich davon erfaßte Arbeitnehmer auf Gleichbehandlung mit den individualvertraglich vergüteten Arbeitnehmern berufen. Hinzu kommt, daß der Eintritt in die Nachwirkungsphase vor allem davon abhängt, ob der Tarifvertrag vor den Verhandlungen über einen Neuabschluß gekündigt wird. Dies wiederum hängt maßgeblich mit arbeitskampftaktischen Erwägungen der Gewerkschaft zusammen, da erst mit der Kündigung die Friedenspflicht eines Tarifvertrags endet. Der Hauptzweck des § 4 Abs. 5 TVG besteht darin, die Zeit bis zum Neuabschluß eines Tarifvertrags zu überbrücken. Der Zeitpunkt, ab dem die unabdingbare Tarifgeltung in die Nachwirkung wechselt, ist für den Arbeitgeber zumeist höchst ungewiß. An diesen Zeitpunkt eine Gleichstellungspflicht zu knüpfen, die sich mit Inkrafttreten eines neuen Tarifvertrags wieder erledigt hätte, wäre dem Arbeitgeber schlicht nicht zumutbar. IV. Gleichbehandlung innerhalb der Gruppe der Außenseiter 1. Grundsatz: Gleichbehandlungspflicht Werden Arbeitsbedingungen für die Gruppe der nichtorganisierten Arbeitnehmer einheitlich festgelegt – was dem Regelfall entspricht – gilt auch hier der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz. Der Arbeitgeber ist zwar nicht verpflichtet, die Tarifgeltung auf Nichtorganisierte zu erstrecken, er muß aber vergleichbare Arbeitnehmer gleich behandeln, wenn er generelle Regeln aufstellt144. Gewährt er Außenseitern Tarifvorteile, verpflichtet 142 BAG vom 2.3.2004 – 1 AZR 271/03 – AP Nr. 31 zu § 3 TVG = EzA § 87 BetrVG 2001 Betriebliche Lohngestaltung Nr. 4 = NZA 2004, 852. 143 Caspers, in: FS Löwisch, S. 45, 49 f.; Reichold, Anm. zu BAG – 1 AZR 271/ 03 – AP Nr. 31 zu § 3 TVG. 144 Wiedemann/Wiedemann, TVG, Einleitung Rn. 235.
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ihn der Gleichbehandlungsgrundsatz konsequent und diskriminierungsfrei zu verfahren; es besteht ein Anspruch auf gleichberechtigte Teilhabe145. Nichts anderes gilt bei der Anwendung außertariflicher Vergütungssysteme. Arbeitnehmer dürfen hier ebenso nicht willkürlich von einer Leistung ausgeschlossen werden. 2. Zulässigkeit von Stichtagsregelungen Gleichbehandlung bedeutet indessen nicht, daß der Arbeitgeber verpflichtet wäre, alle tariffreien Arbeitnehmer stets nach den gleichen Maßstäben zu vergüten. Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz verbietet zwar nicht nur die willkürliche Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer, sondern ebenso eine sachfremde Gruppenbildung146. Entspricht die Gruppenbildung aber sachlichen Kriterien – was ohne weiteres auch innerhalb der Gruppe der Außenseiter denkbar ist –, ist eine Differenzierung zulässig. Es ist dem Arbeitgeber nicht verwehrt, im selben Betrieb mehrere, von einem Tarifvertrag und voneinander unabhängige, Vergütungssysteme anzuwenden147. Sachgerechte Gruppenbildung bedeutet, daß die sich aus der Differenzierung ergebenden Rechtsfolgen nicht willkürlich sein dürfen, sondern aus den Sachverhaltsunterschieden gerechtfertigt sein müssen. Ein Sachgrund kann ebenso ein Stichtag sein, ab dem neueingestellte Arbeitnehmer zu geänderten Arbeitsbedingungen beschäftigt werden sollen. Aus Gleichbehandlungsgründen ist der Arbeitgeber nicht verpflichtet, einmal vereinbarte Vertragsinhalte auch künftigen Einstellungen zugrunde zu legen148. Zwar rechtfertigt das Bestreben des Arbeitgebers, seine Kostenlast zu begrenzen, nicht jede zeitliche Differenzierung. Bei der Wahl des Stichtags besteht aber ein Ermessensspielraum. Ungeachtet von damit verbundenen Härten sind Stichtagsregelungen schon gerechtfertigt, wenn sich der Stichtag am gegebenen 145 BAG vom 25.4.1995 – 3 AZR 446/94 – AP Nr. 25 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung = EzA § 1 BetrAVG Gleichbehandlung Nr. 8 = NZA 1996, 84. 146 BAG vom 14.2.2007 – 10 AZR 181/06 – AP Nr. 264 zu § 611 BGB Gratifikation = EzA § 611 BGB 2002 Gratifikation, Prämie Nr. 20 = NZA 2007, 558; BAG vom 27.5.2004 – 6 AZR 129/03 – AP Nr. 5 zu § 1 TVG Gleichbehandlung = EzA Art. 3 GG Nr. 101 = NZA 2004, 1399. 147 BAG vom 18.11.2003 – 1 AZR 604/02 – AP Nr. 15 zu § 77 BetrVG 1972 Nachwirkung = EzA § 77 BetrVG 2001 Nr. 9 = NZA 2004, 557. 148 BAG vom 18.11.2003 – 1 AZR 604/02 – AP Nr. 15 zu § 77 BetrVG 1972 Nachwirkung = EzA § 77 BetrVG 2001 Nr. 9 = NZA 2004, 557; BAG vom 11.6.2002 – 1 AZR 390/01 – AP Nr. 113 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung = EzA § 87 BetrVG 1972 Betriebliche Lohngestaltung Nr. 76 = NZA 2003, 570; BAG vom 25.10.2001 – 6 AZR 560/00 – EzBAT § 40 BAT Nr. 20 = NZA 2002, 872.
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Sachverhalt orientiert und deswegen vertretbar ist149. Die Entscheidung des Arbeitgebers, ab einem Stichtag allgemein andere Vergütungsabreden zu treffen, ist in der Regel nicht zu beanstanden, sie trägt, vom selbst gesetzten Stichtag an, den Sachgrund für eine Ungleichbehandlung in sich150. 3. Zulässige Differenzierung nach der vertraglichen Umsetzbarkeit Desgleichen kommen Differenzierungen in Betracht, die sich nach der Umsetzbarkeit von geänderten Vertragsbedingungen richten. So ist es möglich, daß der Arbeitgeber ein geändertes Arbeitszeit- und Vergütungssystem nur für Neueingestellte und für solche Arbeitnehmer einführt, die einer entsprechenden Vertragsänderung zustimmen151. Der Sachgrund für die Ungleichbehandlung ergibt sich hier aus der Leistungsgewährung selbst, die sich maßgeblich auch nach den Voraussetzungen einer vertraglichen Umsetzbarkeit richtet. Insbesondere Hauptleistungspflichten kann der Arbeitgeber in der Regel nicht einseitig abändern. Da eine Änderungskündigung nicht ohne weiteres in Betracht kommt152, bleibt er im Regelfall auf das Einvernehmen mit den einzelnen Arbeitnehmern angewiesen. Eine an dieses Einvernehmen oder an den Erfolg einer Änderungskündigung anknüpfende Ungleichbehandlung kann nicht als willkürlich angesehen werden. Es ist vielmehr sachgerecht, zwischen Arbeitnehmern, die geänderte Arbeitsbedingungen akzeptieren und solchen, die am bisherigen Arbeitsvertrag festhalten, zu differenzieren. Voraussetzung ist freilich, daß der Arbeitgeber die geänderten Arbeitsbedingungen allen (tariffreien) Arbeitnehmern angeboten hat153.
149 BAG vom 18.7.2004 – 10 AZR 19/04 – AP Nr. 257 zu § 611 BGB Gratifikation = EzA § 242 BGB 2002 Betriebliche Übung Nr. 2 = NZA 2004, 3652; BAG vom 25.10.2001 – 6 AZR 560/00 – EzBAT § 40 BAT Nr. 20 = NZA 2002, 872; BAG vom 18.10.2000 – 10 AZR 643/99 – AP Nr. 24 zu § 11 BAT-O = EzBAT §§ 22, 23 BAG M Nr. 76 = NZA-RR 2001, 388. 150 BAG vom 11.6.2002 – 1 AZR 390/01 – AP Nr. 113 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung = EzA § 87 BetrVG 1972 Betriebliche Lohngestaltung Nr. 76 = NZA 2003, 570. 151 LAG Köln vom 13.9.2006 – 3 Sa 475/06 – LAGE § 242 BGB 2002 Gleichbehandlung Nr. 3 = BB 2007, 559 = NZA-RR 2007, 182. 152 Zur Umsetzbarkeit der Belegschaftsteilung mittels Änderungskündigung unten § 8 B. II. 3, S. 368 ff. 153 Vgl. LAG Köln vom 13.9.2006 – 3 Sa 475/06 – LAGE § 242 BGB 2002 Gleichbehandlung Nr. 3 = BB 2007, 559 = NZA-RR 2007, 182.
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V. Maßregelverbot des § 612a BGB Ein weiteres Instrument, das der Arbeitsvertragsfreiheit Zügel anlegt, ist das Maßregelverbot des § 612a BGB. Es handelt sich dabei um einen Sonderfall der Sittenwidrigkeit im Sinne des § 138 BGB154, der dem Arbeitgeber untersagt, eine zulässige Rechtsausübung der Arbeitnehmer zu sanktionieren. Nach der allgemeinen Formulierung des § 612a BGB ist jede Vereinbarung oder Maßnahme untersagt, die zu einer Benachteiligung führt, weil Arbeitnehmer in zulässiger Weise ihre Rechte ausüben. Nachdem die Bedeutung des Maßregelverbots lange Zeit eher als gering einzustufen war155, liegen mittlerweile mehrere maßgebliche Entscheidungen des BAG aus den Jahren 2000 und 2002 vor, die § 612a BGB recht klare Konturen verliehen haben156. In diesen Entscheidungen wurde das Maßregelverbot allerdings sehr weit gefaßt, was für die zweigeteilte Belegschaft zu Fehlschlüssen verleiten kann157. Im Kern geht es um die Frage, ob die Herausnahme tarifgebundener Arbeitnehmer aus vertraglichen Leistungszusagen zulässig ist. § 612a BGB verdient insofern vor allem deshalb besondere Beachtung, weil er einen Leistungsanspruch vermittelt. Das kann bei der Gewährung ergänzender Leistungen oder bei der Zuweisung von Mehrarbeit schnell dazu führen, daß den ausgeschlossenen Arbeitnehmern ein beachtlicher Ausgleichsanspruch zusteht. So hat der Zehnte Senat einem tarifgebundenen Arbeitnehmer, der sich einer vertraglichen Verlängerung der Arbeitszeit ohne Lohnausgleich verweigert hatte, einen Anspruch auf eine freiwillige Erfolgsbeteiligung zugesprochen, der nach dem Ansinnen des Arbeitgebers nur noch denjenigen Arbeitnehmern zustehen sollte, die der Arbeitszeitverlängerung zugestimmt hatten158. Ähnlich urteilte der Zweite Senat: dieser gestand einem tarifgebundenen Arbeitnehmer, der eine Vertragsänderung ablehnte, in der die tarifliche Zahlung von Mehrarbeitszuschlägen abbedungen wurde, einen An154 BAG vom 2.4.1987 – 2 AZR 277/86 – AP Nr. 1 zu § 612a BGB = EzA § 612a BGB Nr. 1 = NZA 1988, 18; BAG vom 22.5.2003 – 2 AZR 426/02 – AP Nr. 18 zu § 1 KSchG 1969 Wartezeit = EzA § 242 BGB 2002 Kündigung Nr. 2 = NZA 2004, 399; Preis, in: ErfK, § 612a BGB Rn. 2; Staudinger/Richardi, BGB, § 612a Rn. 3. 155 So der Befund von Thüsing, NZA 1994, 728, 728. 156 BAG vom 23.2.2000 – 10 AZR 1/99 – AP Nr. 80 zu §§ 22, 23 BAT Lehrer = EzBAT §§ 22, 23 BAT M Nr. 70 = NZA 2001, 680, BAG vom 12.6.2002 – 10 AZR 340/01 – AP Nr. 8 zu § 612a BGB = EzA § 612a BGB Nr. 2 = NZA 2002, 1389; BAG vom 7.11.2002 – 2 AZR 742/00 – AP Nr. 100 zu § 615 BGB = EzA § 612a BGB 2002, Nr. 1 = NZA 2003, 742. 157 Vgl. Rieble, in: GS Heinze, S. 687, 700 f. 158 BAG vom 12.6.2002 – 10 AZR 340/01 – AP Nr. 8 zu § 612a BGB = EzA § 612a BGB Nr. 2 = NZA 2002, 1389.
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spruch darauf zu, trotz fälliger Mehrarbeitszuschläge die gleiche Anzahl an Überstunden zugewiesen zu bekommen, wie diejenigen, die auf Zuschläge verzichtet hatten159. Den gewünschten Effekt erzielen geänderte Arbeitsbedingungen aber regelmäßig nur, wenn die an sich nichtbeteiligten Arbeitnehmer, die etwa weiter eine geringere Wochenstundenzahl arbeiten oder nach dem ursprünglichen Entlohnungssystem vergütet werden, außen vor bleiben und nicht aufgrund des Maßregelverbots (nur) an den für sie vorteilhaften Regelungen zu beteiligen sind. Konkret geht es darum, ob Arbeitnehmer, deren (tarifliche) Arbeitsbedingungen nicht veränderbar sind, einen Anspruch auf einzelne Bestandteile eines eigenständigen Entlohnungssystems haben können. Das Maßregelverbot bestimmt zunächst, daß Arbeitnehmer, die in zulässiger Weise ihre Rechte wahrnehmen, nicht benachteiligt werden dürfen, indem sie von einer Vergünstigung ausgenommen werden. Deshalb ist es richtig, wenn das BAG sagt, daß Arbeitnehmer, die sich einer (tarifwidrigen) Arbeitszeitverlängerung ohne Lohnausgleich versagen, nicht aus dem Adressatenkreis einer bereits bestehenden Regelung, die allen anderen Arbeitnehmern zugute kommt, herausgenommen werden dürfen160. Genauso richtig ist aber auch, daß der Arbeitgeber eine bisher bestehende freiwillige Leistung ganz abschaffen kann und eine ähnliche Leistung in Zukunft nur noch im Rahmen eines bestimmten Arbeitszeit- und Entlohnungssystems gewähren darf161. Arbeitnehmer, die aufgrund ihrer Tarifbindung oder aus anderen Gründen an diesem Vergütungssystem nicht teilnehmen (können), haben dann auch keinen Anspruch auf Einzelleistungen aus diesem System. Entscheidend ist, daß sich die entsprechende Vergünstigung nicht aus einem allgemeinen, alle Arbeitnehmer erfassenden Leistungsrahmen ergibt, sondern Bestandteil eines separaten, in sich geschlossenen Leistungssystems ist, das sich nur auf einen Teil der Belegschaft bezieht. In diesem Fall kommt es nicht zu einer verbotenen Maßregelung, weil die einzelnen Vergünstigungen immer Bestandteil eines Gesamtsystems sind, auf die sich „Außenseiter“ nicht einzeln berufen können. Auch bei der Zuweisung von Überstunden darf der Arbeitgeber zwar nicht verlangen, daß tarifgebundene Arbeitnehmer hierfür auf tarifliche Vergütungsansprüche verzichten162. Wohl aber darf der Arbeitgeber Mehrarbeit, 159 BAG vom 7.11.2002 – 2 AZR 742/00 – AP Nr. 100 zu § 615 BGB = EzA § 612a BGB 2002, Nr. 1 = NZA 2003, 742. 160 BAG vom 12.6.2002 – 10 AZR 340/01 – AP Nr. 8 zu § 612a BGB = EzA § 612a BGB Nr. 2 = NZA 2002, 1389. 161 Rieble, in: GS Heinze, S. 687, 701. 162 BAG vom 7.11.2002 – 2 AZR 742/00 – AP Nr. 100 zu § 615 BGB = EzA § 612a BGB 2002, Nr. 1 = NZA 2003, 742.
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die über das tarifliche Wochenarbeitszeitvolumen hinausgeht, gezielt nur den tariffreien Arbeitnehmern anbieten, bei denen keine Zuschläge anfallen163. Der Arbeitgeber ist nicht gehindert, unterschiedliche Arbeitszeitund Vergütungssysteme anzuwenden. Darin liegt keine unzulässige Maßregel zu Lasten der tarifgebundenen Arbeitnehmer. Ein Anspruch auf Zuweisung des Wochenstundenvolumens aus einem außertariflichen Vergütungssystem, welches dann nach Maßgabe des Tarifvertrags zu vergüten wäre, besteht nicht. Im Ergebnis stünden Tarifgebundene nicht nur besser als die außertariflich vergüteten Arbeitnehmer, sondern zudem besser als sie nach Maßgabe des Tarifvertrags gestanden hätten. Ein „Rosinenpicken“ fordert auch das Maßregelverbot des § 612a BGB nicht. Insofern sagt die Entscheidung des Zweiten Senats164 nur, daß diejenigen tarifgebundenen Arbeitnehmern, welche sich einer (freilich unzulässigen) vertraglichen Absenkung des Tarifniveaus versagen, im Grundsatz Gleichbehandlung mit denjenigen tarifgebundenen Arbeitnehmer verlangen können, die einer solchen Vertragsgestaltung zugestimmt haben – ohne gleichwohl dabei ihre tariflichen Rechte zu verlieren165. Letztlich können auch die der Vertragsänderung zustimmenden tarifgebundenen Arbeitnehmer nach wie vor ihre unabdingbaren tarifvertraglichen Rechte geltend machen. Vermeiden läßt sich dieser Gleichstellungsreflex, wenn sich der jeweilige Leistungsanspruch aus einem gänzlich neuen System ergibt, an dem von vornherein nur tariffreie Arbeitnehmer teilnehmen. Eine entsprechende Vertragsgestaltung darf tarifgebundenen Arbeitnehmern gar nicht erst angeboten werden. Eine Abweichung zu Lasten des Tarifvertrags wäre ohnehin nicht wirksam. Nur wenn bestehende Regelungen, die zunächst auch die Tarifgebundenen erfassen, modifiziert werden oder neu eingeführte Regelungen für die gesamte Belegschaft offen sind, kann darin eine verbotene Maßregel nach § 612a BGB zu sehen sein. Nur dann liegt in der Herausnahme der sich auf den Tarifvertrag berufenden Arbeitnehmer eine unzulässige Benachteiligung, die darauf fußt, daß sich die Arbeitnehmer in zulässiger Weise auf ihre (tariflichen) Rechte berufen166. Vergütet der Arbeitgeber seine tariffreien Arbeitnehmer von vornherein nach einem eigenständigen Regelungssystem, kann tarifgebundenen Arbeit163
Rieble, in: GS Heinze, S. 687, 701. BAG vom 7.11.2002 – 2 AZR 742/00 – AP Nr. 100 zu § 615 BGB = EzA § 612a BGB 2002, Nr. 1 = NZA 2003, 742. 165 Vgl. Franzen, Anm. zu BAG vom 7.11.2002 – 2 AZR 742/00 – RdA 2003, 372, 375. 166 So lagen die Fälle des BAG vom 12.6.2002 – 10 AZR 340/01 – AP Nr. 8 zu § 612a BGB = EzA § 612a BGB Nr. 2 = NZA 2002, 1389 und vom BAG vom 7.11.2002 – 2 AZR 742/00 – AP Nr. 100 zu § 615 BGB = EzA § 612a BGB 2002, Nr. 1 = NZA 2003, 742. 164
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nehmern daraus kein Teilhabeanspruch erwachsen. Entscheidend ist, daß sich entsprechende Vereinbarungen ausschließlich auf den Kreis der tariffreien Arbeitnehmer beschränken. Insofern bietet die Zweiteilung der Belegschaft auch hier die einzig adäquate Lösung, mit der sich geänderte Arbeitsbedingungen umsetzen lassen. Eine Richtung, die bereits der BurdaBeschluß klar vorgegeben hat167. Undifferenzierten Einheitslösungen, die mehr oder weniger deutlich die Aufforderung zum Tarifbruch einschließen, tritt die Rechtsprechung indessen zu Recht entgegen. Wer die Tarifbedingungen in seinem Betrieb abschaffen will, muß sich konsequent zu einer Zweiteilung der Belegschaft bekennen. VI. Arbeitsvertragliche Inhaltskontrolle Von der Rechtsordnung privilegiert sind nur Tarifverträge, weil ihnen nach überwiegender Ansicht eine Richtigkeitsgewähr zukommt. Deshalb sind sie lediglich einer Rechtskontrolle unterworfen, wohingegen eine Inhaltskontrolle im Sinne einer Angemessenheits- oder gar einer Zweckmäßigkeitskontrolle nicht stattfindet168. Konsequent schließt auch § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB die Anwendung der §§ 305 ff. BGB auf Tarifverträge aus, die andernfalls eine Tarifzensur zur Folge hätten, die mit Art. 9 Abs. 3 GG nicht vereinbar wäre169. Auf der Arbeitsvertragsebene setzt sich das Privileg der Kontrollfreiheit nur fort, wenn der Tarifvertrag auf schuldrechtlicher Basis Geltung erlangt: soweit auf den einschlägigen Tarifvertrag verwiesen wird, unterliegen die tariflichen Arbeitsbedingungen dann keiner weiteren Kontrolle als der Tarifvertrag selbst. Ergeben sich die Arbeitsbedingungen indes nicht aus einem Tarifvertrag, eröffnet das für die Vertragsparteien zwar weitreichende Flexibilisierungsmöglichkeiten, umgekehrt sind die Konditionen aber an den allgemeinen Regeln der Vertragskontrolle zu messen. Dadurch wird dem allgemeinen Gedanken der Vertragsgerechtigkeit Rechnung getragen170. Im Ergebnis ist die Kontrolldichte des Arbeitsvertrags daher deutlich höher als die des Tarifvertrags, obschon die Vereinbarungsbefugnis der Tarifvertragsparteien die der Arbeitsvertragsparteien im Rahmen des tarifdispositiven Gesetzesrechts übersteigt. 167 BAG vom 20.4.1999 – 1 ABR 72/98 – AP Nr. 89 zu Art. 9 GG = EzA Art. 9 GG Nr. 65 = NZA 1999, 887. 168 Aus der Rspr. etwa BAG vom 29.8.2001 – 4 AZR 352/00 – AP Nr. 291 zu Art. 3 GG = EzA Art. 3 GG Nr. 93 = NZA 2002, 863; aus der Literatur statt vieler nur Dieterich, in: ErfK, Art. 9 GG Rn. 88 m. w. Nachw. 169 Allgemeine Meinung: nur Löwisch/Rieble, TVG, Grundlagen Rn. 49 mit Hinweis auf die Rspr. des BVerfG. 170 Zu Sinn und Zweck der Vertragskontrolle Zöllner, NZA Sonderbeil. 3/2006, 99, 101 ff.
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1. Grenze der Sittenwidrigkeit, § 138 BGB Die äußerste Grenze für eine zulässige Vertragsgestaltung mit den nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern ergibt sich aus § 138 BGB: danach sind vertragliche Regelungen am Maßstab der Sittenordnung zu messen171. Das Sittengebot findet zwar im Arbeitsrecht erheblich seltener Anwendung als im allgemeinen Zivilrecht, wo es eine zentrale Rolle als Instrument der Freiheitswahrung spielt172. Eine gewisse Aufmerksamkeit gebührt ihm aber, weil insbesondere die Rechtsprechung zuweilen dazu neigt, über § 138 BGB gegen nicht willkommene Vertragsgestaltungen des Arbeitgebers vorzugehen173. Als Grundsatz gilt: wenn kein Tarifvertrag Anwendung findet, sind abweichende Gestaltungen, insbesondere ein untertarifliches Arbeitsentgelt, aufgrund der Vertragsfreiheit ohne weiteres zulässig. Die Höhe der Vergütung darf jedoch nicht in einem auffälligen Mißverhältnis zum Inhalt und zum Umfang der Arbeitsleistung im Sinne des § 138 Abs. 2 BGB stehen oder ansonsten nach § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig sein174. Betroffen vom Wuchertatbestand des § 138 Abs. 2 BGB sind vornehmlich Entgeltregelungen. Eine Anwendung des Wuchermaßstabs auf Arbeitszeitvereinbarungen kommt in Ausnahmefällen allenfalls im Hinblick auf die Dauer der Arbeitszeit in Betracht; bei einer Flexibilisierung der Arbeitszeitlage bleibt der Lohnanspruch ohnehin bestehen. a) Mißverhältnis von Leistung und Gegenleistung Für die Feststellung wucherischer Entgeltbedingungen wird als Ausgangspunkt zum Teil auf den Tariflohn zurückgegriffen und dementsprechend ein auffälliges Mißverhältnis von Leistung und Gegenleistung bei Unterschrei171 Zum in der Diskussion um die gesetzliche Einführung vom Mindestlöhnen gemachten Vorschlag, die Rechtsprechung zur Sittenwidrigkeit von Arbeitslöhnen zu kodifizieren: Bayreuther, NJW 2007, 2022, 2022 ff. 172 Vgl. etwa die Rechtsprechung des BGH zur sittenwidrigen Überforderung von Bürgen: BGH vom 14.10.2003 – XI ZR 121/02 – BGHZ 156, 302 = NJW 2004, 161; BGH vom 28.5.2002 – XI ZR 199/01 – NJW 2002, 2634 = ZIP 2002, 1395; eine Zusammenstellung der Rechtsprechungsentwicklung findet sich in der Entscheidung des BGH vom 14.11.2000 – XI ZR 248/99 – BGHZ 146, 37 = NJW 2001, 815. 173 Rieble/Gutzeit, in: Jahrbuch des Arbeitsrechts 1999, 41, 47. 174 BAG vom 11.6.2002 – 1 AZR 390/01 – AP Nr. 113 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung = EzA § 87 BetrVG 1972 Betriebliche Lohngestaltung Nr. 76 = NZA 2003, 570; BAG vom 24.3.2004 – 5 AZR 303/03 – AP Nr. 59 zu § 138 BGB = EzA § 138 BGB 2002 Nr. 2 = NZA 2004, 971; LAG Berlin vom 20.2.1998 – 6 Sa 145/97 –LAGE § 138 BGB Nr. 11 = NZA-RR 1998, 392; Hessisches LAG vom 28.10.1999 – 5 Sa 169/99 – NZA-RR 2000, 521 = NJW 2000, 3372.
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tungen um mehr als ein Drittel angenommen175. Folgt man dem, garantiert das Lohnwucherverbot einen Mindestlohn von zwei Dritteln des tariflichen Arbeitsentgelts. Insbesondere der BGH hat in einem Fall der strafrechtlichen Beurteilung des Lohnwuchers ein auffälliges Mißverhältnis bei einem Lohn, der zwei Drittel des Tariflohns betrug, noch gebilligt176. Die Beurteilung anhand des Tariflohns erscheint allerdings bedenklich, nicht zuletzt, weil die Tariflöhne in nicht wenigen Branchen zu hoch sind. Ökonomischer Vernunft entspräche es vielfach, sie deutlich zu unterschreiten177. Vor diesem Hintergrund kann eine Unterschreitung des Tarifniveaus um ein Drittel nicht als wucherische Ausbeutung qualifiziert werden. Wenn sich Spartengewerkschaften in Tarifauseinandersetzungen etwa mit Lohnforderungen von mehr als 30% durchsetzen178, verwiese das sämtliche Löhne der Branche an den Rand der Sittenwidrigkeit. Besondere Probleme entstünden zudem bei konkurrierenden Tarifverträgen mit unterschiedlichen Vergütungssätzen. Der maßgebliche Ansatzpunkt kann daher nicht der Tariflohn, sondern muß das üblicherweise in einem Wirtschaftszweig gezahlte Entgelt sein. Dieses entspricht nur dann dem Tarifentgelt, wenn üblicherweise der Tariflohn gewährt wird, wenn sich also ein Tarifvertrag tatsächlich durchgesetzt hat oder für allgemeinverbindlich erklärt ist. Angesichts der stetig zurückgehenden Tarifbindungsdichte179 ist das nicht ohne weiteres gegeben. Für eine ausreichende Durchsetzung eines Tarifvertrags in einem Wirtschaftsgebiet ist es zudem erforderlich, daß die nichtorganisierten Arbeitnehmer überwiegend kraft Bezugnahme nach den tariflichen Maßstäben bezahlt werden. Entspricht der Tariflohn nicht der verkehrsüblichen Vergütung, ist vom allgemeinen Lohnniveau auszugehen180. Nicht abgestellt werden kann dagegen auf einen bestimmten Abstand zum Sozialhilfesatz, da sich das Verhält175 Däubler, NZA 2001, 1329, 1335; Peter, ArbuR 1999, 289, 293; Reinecke, NZA Sonderbeil. 3/2000, 23, 32; LAG Berlin vom 20.2.1998 – 6 Sa 145/97 – LAGE zu § 138 BGB Nr. 11 = NZA-RR 1998, 392. 176 BGH vom 22.4.1997 – 1 StR 701/96 – AP Nr. 52 zu § 138 BGB = NZA 1997, 1167 = JZ 1998, 627 m. Anm. Bernsmann. 177 Zöllner, NZA Sonderbeil. 3/2006, 99, 100. 178 Zum Tarifkonflikt bei der Deutschen Bahn AG jüngst Höfling/Engels, NJW 2007, 3102, 3102 ff. 179 Dazu oben § 1 D. I. 1., S. 43 f. 180 BAG vom 24.3.2004 – 5 AZR 303/03 – AP Nr. 59 zu § 138 BGB = EzA § 138 BGB 2002 Nr. 2 = NZA 2004, 971; BAG vom 23.5.2001 – 5 AZR 527/99 – EzA § 138 BGB Nr. 29 = ArbuR 2001, 509; BAG vom 21.6.2000 – 5 AZR 806/98 – AP Nr. 60 zu § 612 BGB = EzA § 242 BGB Gleichbehandlung Nr. 83; Bepler, in: FS Richardi, S. 189, 192; Müller-Glöge, in: Münchener Kommentar zum BGB, § 611 Rn. 811.
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nis des Entgelts zur erbrachten Arbeitsleistung allein nach dem objektiven Wert der Arbeitsleistung richtet. Ebensowenig kann aus den Pfändungsfreigrenzen auf ein Mißverhältnis zwischen arbeitsvertraglicher Leistung und dafür geschuldetem Entgelt geschlossen werden181. Der Maßstab ist demnach die verkehrsübliche Vergütung in einem Wirtschaftszweig. Offen ist, inwieweit eine Unterschreitung mit dem Lohnwucherverbot vereinbar ist. Das BAG hat sich in den wenigen Entscheidungen, in denen es sich damit auseinanderzusetzen hatte, bislang eher vorsichtig vorangetastet; ein fester Richtwert hat sich noch nicht herausgebildet182. In der Literatur werden Werte von 50% bis 80% diskutiert183. Grundsätzlich wird man von einem auffälligen Mißverhältnis von Leistung und Gegenleistung ausgehen können, wenn die vereinbarte Entgelthöhe das übliche Entgelt um mehr als ein Drittel unterschreitet184. In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BAG ist eine Unterschreitung von 30% noch unschädlich185. Aus den Entscheidungsgründen eines Urteils vom 23.05.2001 läßt sich darauf schließen, daß die Vereinbarung von 61% der üblichen Vergütung als sittenwidrig beurteilt worden wäre186. Allein das Verhältnis von Entgelthöhe und dem Wert der geleisteten Arbeit führt allerdings noch nicht zwingend zur Sittenwidrigkeit. Wie auch das BAG in einer neueren Entscheidung nachdrücklich betont hat, kommt es zusätzlich auf die Begleitumstände des Vertragsschlusses an187. Maßgeb181 Dafür aber Bispinck/Schäfer, in: Schulten/Bispinck/Schäfer, Mindestlöhne in Europa, S. 268, 293; dagegen zu Recht Boudon, in: Münchener Anwaltshdb. ArbeitsR, § 17 Rn. 29. 182 Offen gelassen zuletzt von BAG vom 24.3.2004 – 5 AZR 303/03 – AP Nr. 59 zu § 138 BGB = EzA § 138 BGB 2002 Nr. 2 = NZA 2004, 971; verneint bei 73% von BAG vom 11.1.1973 – 5 AZR 322/72 – AP Nr. 30 zu § 138 BGB = EzA § 138 BGB Nr. 10; verneint bei 70% von BAG vom 4.2.1981 – 4 AZR 967/ 78 – AP Nr. 45 zu § 242 BGB Gleichbehandlung und von BAG vom 23.5.2001 – 5 AZR 527/99 – EzA § 138 BGB Nr. 29. 183 Bepler, in: FS Richardi, S. 189, 192; Däubler, NZA 2001, 1329, 1335; Hanau, EWiR 2002, 419, 420; Lackies, in: Däubler, TVG, § 5 Anh. 1 Rn. 47 f.; Reinecke, NZA Sonderbeil. 3/2000, 23, 32. 184 Ebenso Boudon, in: Münchener Anwaltshdb. ArbeitsR, § 17 Rn. 29; MüllerGlöge, in: Münchener Kommentar zum BGB, § 611 Rn. 812. 185 Vgl. die Nachweise in Fn. 182, S. 296. 186 BAG vom 23.5.2001 – 5 AZR 527/99 – EzA § 138 BGB Nr. 29 = ArbuR 2001, 509. 187 BAG vom 26.4.2006 – 5 AZR 549/05 – AP Nr. 63 zu § 138 BGB = EzA § 612 BGB 2002 Nr. 7 = NZA 2006, 1354; auch der BGH stellt in der viel zitierten Lohnwucherentscheidung vom 22.4.1997 – 1 StR 701/96 – AP Nr. 52 zu § 138 BGB = EzA § 302a StGB Nr. 1 = NZA 1997, 1176 auf die Umstände des Einzelfalls ab.
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lich ist, daß das Geschäft nach Inhalt, Zweck, Beweggrund und Gesamtcharakter nicht mehr den guten Sitten entspricht. Deshalb ist etwa bei Unternehmen in wirtschaftlichen Krisensituationen, in denen Arbeitnehmer einen Sanierungsbeitrag leisten wollen, an entsprechende Abmachungen ein geringerer Maßstab anzulegen als bei Vereinbarungen, die allein der Gewinnoptimierung dienen. b) Mißverhältnis von Chance und Risiko bei erfolgsabhängigen Vergütungsformen Nicht ohne weiteres übertragbar sind die dargestellten Grundsätze, wenn sich das Arbeitsentgelt nicht aus einem vereinbarten Fixum, sondern abhängig von der individuellen Leistung des Arbeitnehmers oder vom Erfolg des Unternehmens ergibt. Wollte man hier die gleichen Maßstäbe anlegen, hieße das für leistungs- und erfolgsabhängige Vergütungsformen, daß nicht mehr als ein Drittel des Arbeitsentgelts variabel gestaltet sein dürfte. Hier geht es aber um das Verhältnis von Chance und Risiko. In die Bewertung darf dementsprechend nicht einseitig nur das abstrakte Risiko einer „NullRunde“ einfließen, sondern es muß umgekehrt auch die Chance auf ein höheres Entgelt eingerechnet werden. Entscheidend für die Beurteilung anhand des Sittenwidrigkeitsmaßstabs ist, ob die Vergütungschancen den Verlustrisiken entsprechen188. So bewertet das BAG eine Verlustbeteiligung zu Recht als nichtig, wenn dafür kein angemessener Ausgleich gezahlt wird189. Die ausschließliche Belastung des Arbeitnehmers würde das Betriebs- und Wirtschaftsrisiko in unzulässiger Weise auf ihn abwälzen. Dem Verlustrisiko muß deshalb stets eine entsprechende Chance auf Erfolgsbeteiligung gegenüberstehen. Maßgeblich kommt es darauf an, inwiefern der Erfolg, an den die Vergütung gekoppelt ist, vom Arbeitnehmer selbst beeinflußbar ist. Entzieht sich der Erfolg der individuellen Steuerung durch den einzelnen Arbeitnehmer, weil er sich am Abteilungs- oder Unternehmenserfolg ausrichtet, ist ein strengerer Maßstab anzulegen. Dennoch ist es nicht gerechtfertigt, in Anlehnung an die Grundsätze beim Festlohn ein garantiertes Fixum von zwei Dritteln der üblichen Vergütung zu fordern. Denn der Arbeitnehmer hat – obzwar er das Risiko trägt, trotz individueller Höchstleistung eine „Null-Runde“ einzufahren – durch die Erfolgsbeteiligung auch besondere Entgeltchancen. Infolgedessen wird man bei gänzlicher Abkoppelung vom individuellen Leistungserfolg ein garantiertes Fixum von höchstens der Hälfte des durchschnittlich gezahlten 188
Rieble/Gutzeit, in: Jahrbuch des Arbeitsrechts 1999, 41, 48 f. BAG vom 10.10.1990 – 5 AZR 404/89 – AP Nr. 47 zu § 138 BGB = EzA § 138 BGB Nr. 24 = NJW 1991, 860. 189
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Lohnes fordern können190. Unterhalb dieser Grenze käme man wieder in den Bereich einer sittenwidrigen Überwälzung von Unternehmerrisiken. c) Rechtsfolge: Unwirksamkeit Die Rechtsfolge eines Verstoßes gegen § 138 BGB ist die Nichtigkeit. Entgegen der Grundregel des § 139 BGB bezieht sich diese aber regelmäßig nur auf die, dem Nichtigkeitsverdikt selbst unterfallende, Vergütungsvereinbarung. Ganz allgemein hält man § 139 BGB bei Verstößen gegen arbeitnehmerschützende Vorschriften für unanwendbar191. An die Stelle der nichtigen Vergütungsregel tritt dann ein Anspruch auf angemessene Vergütung nach § 612 Abs. 2 BGB192. Die angemessene Vergütung wiederum entspricht derjenigen, die für die Beurteilung des Vergleichsmaßstabs heranzuziehen ist, also der im Wirtschafszweig üblichen Vergütung. Auf die in Tarifverträgen festgelegte Vergütung kann nur dann zurückgegriffen werden, wenn sich entsprechende Entgelttarifverträge in einem Wirtschaftszweig tatsächlich durchgesetzt haben. Besondere Anhaltspunkte sind insbesondere dafür erforderlich, daß üblicherweise auch bei nichtorganisierten Arbeitnehmern der tarifliche Maßstab angelegt wird193. 2. Inhaltskontrolle am Maßstab der §§ 307 ff. BGB Das rechtlich problematischere Feld bei der tarifunabhängigen Arbeitsvertragsgestaltung betrifft die Inhaltskontrolle am Maßstab der §§ 307 ff. BGB. Den Parteien des Arbeitsvertrags gesteht der Gesetzgeber seit Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes194 und dem Wegfall der Bereichsausnahme keine Kontrollfreiheit mehr zu. Aufgrund des Einbezugs in die gesetzliche Regelung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen unterliegt der Arbeitsvertrag daher einer weitreichenden Inhaltskontrolle. a) Abschließender Kontrollmaßstab Für die Inhaltskontrolle von Arbeitsverträgen gelten die Maßstäbe der §§ 307 ff. BGB seit Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes 190 Vgl. Hanau, in: Münchener Handbuch ArbeitsR, Bd. 1, § 63 Rn. 6, der „die Hälfte des Marktlohnes“ fordert. 191 Nur Preis, in: ErfK, § 611 BGB Rn. 417. 192 Müller-Glöge, in: Münchener Kommentar zum BGB, § 611 Rn. 807. 193 Staudinger/Richardi, BGB, § 612 Rn. 46. 194 Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26.11.2001, BGBl. I, S. 3138.
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abschließend. Die zuvor durchgeführte Inhaltskontrolle stützte sich zumeist auf die Grundlage der §§ 315, 242 BGB, wobei der Schutzgedanke zugunsten der Arbeitnehmer in die Billigkeitserwägungen einfloß, teilweise wurden auch die Rechtsgedanken des AGBG herangezogen195. Nach der treffenden Einschätzung von Reichold196 hatte die Rechtsprechung aus einem bunten Strauß von Argumenten einerseits verfassungsrechtlicher andererseits arbeitsvertragsspezifischer Provenienz sowie aus allgemeinen Sachlichkeits- und Billigkeitsargumenten je nach Einzelfall „die schönste Blume herausgepickt“. Unerheblich war insbesondere, ob es sich um vorformulierte oder ausgehandelte Klauseln handelte, so daß sämtliche Arbeitsverträge einer Inhaltskontrolle unterworfen waren197. Nunmehr findet eine umfängliche Inhaltskontrolle nur noch bei vorformulierten Arbeitsbedingungen statt, wobei sich der Kontrollmaßstab abschließend aus den §§ 307 ff. BGB ergibt. Die bisherige Angemessenheitskontrolle anhand von unterschiedlichen Maßstäben ist vollständig durch die AGB-Normen ersetzt worden198. Diese enthalten nun eine abschließende Konkretisierung des Gebotes von Treu und Glauben. Demgegenüber findet bei individuell ausgehandelten Vertragsbedingungen keine allgemeine, nicht auf die Besonderheiten des Falles bezogene Angemessenheitskontrolle mehr statt, weil diese dem Anwendungsbereich der §§ 305 ff. BGB nicht unterfallen199. b) Allgemeine Arbeitsbedingungen als Kontrollgegenstand Lehrbuchmäßig beginnt die Inhaltskontrolle mit der Prüfung, ob zwischen den Vertragsparteien ein strukturelles Ungleichgewicht besteht, welches die Inhaltskontrolle rechtfertigt. Selbiges wird bei der Kontrolle Allgemeiner Arbeitsbedingungen allerdings vom Gesetz unterstellt. Die §§ 307 ff. BGB 195
BAG vom 16.3.1994 – 5 AZR 339/92 – AP Nr. 18 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe = EzA § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe Nr. 10 = NZA 1994, 937; BAG vom 18.8.1998 – 1 AZR 589/97 – NZA 1999, 659. 196 Reichold, RdA 2002, 321, 331. 197 BAG vom 24.11.1993 – 5 AZR 153/93 – AP Nr. 11 zu § 611 BGB Mehrarbeitsvergütung = EzA § 611 BGB Mehrarbeit Nr. 1 = NZA 1994, 759; BAG vom 16.3.1994 – 5 AZR 339/92 – AP Nr. 18 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe = EzA § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe Nr. 10 = NZA 1994, 937; BAG vom 26.10.1994 – 5 AZR 390/92 – AP Nr. 19 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe = EzA BGB § 611 Aus- und Weiterbildungskosten Nr. 48 = NZA 1995, 305. 198 BAG vom 25.5.2005 – 5 AZR 572/04 – AP Nr. 1 zu § 310 BGB EzA § 307 BGB 2002 Nr. 3 = NZA 2005, 1111. 199 BAG vom 25.5.2005 – 5 AZR 572/04 – AP Nr. 1 zu § 310 BGB = EzA § 307 BGB 2002 Nr. 3 = NZA 2005, 1111; kritisch Zöllner, NZA Sonderbeil. 3/ 2006, 99, 101.
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sind demnach ohne weiteres einschlägig, wenn Arbeitsbedingungen nicht individuell, sondern für eine Mehrzahl von Arbeitnehmern durch vom Arbeitgeber vorformulierte Erklärungen geregelt werden. Bei eigenständigen Arbeitszeit- und Entgeltsystemen entspricht das dem Regelfall: die vertragliche Umsetzung erfolgt stets aufgrund allgemeiner Arbeitsbedingungen. Eine Inhaltskontrolle von Arbeitsverträgen anhand der §§ 307 ff. BGB findet nur dann nicht statt, wenn die Vertragsbedingungen frei ausgehandelt sind. Praktische Relevanz kommt dieser Ausnahme allerdings kaum zu, denn an den Begriff „ausgehandelter Vertrag“ werden hohe Anforderungen gestellt200. Ein „Aushandeln“ nach § 305 Abs. 1 Satz 3 BGB liegt nur vor, wenn die Vertragsbedingungen deutlich und ernsthaft zur Disposition des Arbeitnehmers gestellt werden. Das bedeutet mehr als verhandeln201. Ein „Aushandeln“ kann zwar ebenso vorliegen, wenn Angebotsalternativen mit unterschiedlichen Konditionen zur Wahl gestellt werden202. Die Wahl zwischen einer Verweisung auf den Tarifvertrag und der Vereinbarung abweichender Arbeitsbedingungen erfüllt das Kriterium von Angebotsalternativen indessen noch nicht. Nach der vorwiegend zu ergänzungsfähigen Vertragsformularen entwickelten Rechtsprechung des BGH ist es dazu erforderlich, daß Ergänzungen vorgenommen werden können und diese nicht lediglich unselbständiger Art sind, sondern den Gehalt der Regelung mit beeinflussen203. Ein Aushandeln im Rahmen einer Auswahl zwischen unterschiedlichen Alternativen liegt demzufolge nur vor, wenn der Arbeitnehmer innerhalb der angebotenen Alternativen eine echte Vertragsgestaltungsfreiheit in Anspruch nehmen könnte. Da der Arbeitnehmer im übrigen als Verbraucher im Sinne des § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB gilt, genügt die einmalige Verwendung entsprechender Vertragsbedingungen aus204. 200 BAG vom 27.7.2005 – 7 AZR 486/04 – AP Nr. 6 zu § 307 BGB = EzA § 307 BGB 2002 Nr. 5 = NZA 2006, 40; BGH vom 3.11.1999 – VIII ZR 269/98 – NJW 2000, 1110 = WM 2000, 629; BGH vom 18.5.1995 – X ZR 114/93 – WM 1995, 1455; BGH vom 25.6.1992 – VII ZR 128/91 – NJW 1992, 2759 = WM 1992, 1995; BGH vom 10.10.1991 – VII ZR 289/90 – NJW 1992, 1107 = WM 1992, 401; BGH vom 27.3.1991 – IV ZR 90/90 – NJW 1991, 1678 = WM 1991, 1177. 201 Preis, in: ErfK, §§ 305–310 BGB Rn. 27. 202 BGH vom 6.12.2002 – V ZR 220/02 – NJW 2003, 1313 = ZIP 2003, 407 = WM 2003, 445; v. Westphalen, NJW 2003, 1635, 1635; Preis, in: ErfK, §§ 305–310 BGB Rn. 27. 203 Vgl. dazu BGH 7.2.1996 – IV ZR 16/95 – NJW 1996, 1208 = ZIP 1996, 506 = WM 1996, 483; BGH vom 13.11.1997 – X ZR 135/95 – NJW 1998, 1066 = ZIP 1998, 336 = WM 1998, 562. 204 BAG vom 25.5.2005 – 5 AZR 572/04 – AP Nr. 1 zu § 310 BGB = NJW 2005, 3305 = ZIP 2005, 1699 m. Bespr. von Benecke/Pils, ZIP 2005, 1956, 1956 ff.
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c) Angemessenheitskontrolle (1) Kontrollfreiheit von Hauptleistungsabreden (a) Grundsatz: § 307 Abs. 3 BGB Ganz allgemein im Rahmen der AGB-Kontrolle ist anerkannt, daß Hauptleistungsabreden keiner Angemessenheitskontrolle unterworfen sind. Diese Schranke ergibt sich aus § 307 Abs. 3 BGB: die §§ 307 Abs. 1, 2, 308, 309 BGB gelten nur für Bestimmungen, die von Rechtsvorschriften abweichende oder ergänzende Regelungen enthalten. Deshalb unterliegen Klauseln, die lediglich den Gesetzeswortlaut wiederholen, insbesondere aber Leistungsbeschreibungen und Entgeltregelungen, nicht der Angemessenheitskontrolle. In einer Marktwirtschaft sollen nicht Gesetzgeber und Richter über Leistung und Gegenleistung befinden, sondern die Vertragspartner und damit der Markt205. Wo der Wettbewerb seine Domäne hat, also bei Preisen und anderen Hauptleistungen, ist für eine Inhaltskontrolle kein Raum. „Der gerechte Preis“ soll über den Markt ermittelt werden. Marktstörungen werden in Ausnahmefällen über staatliche Mindestarbeitsbedingungen ausgeglichen oder hilfsweise über den Lohnwuchertatbestand korrigiert206. Auch das BAG hat diese Grundsätze zu Recht immer wieder bekräftigt207. Die Kontrollfreiheit gilt für sämtliche Klauseln, die den Umfang der Vertragsleistung festlegen. Im Arbeitsverhältnis sind das vor allem die Arbeitsleistung, die Entgeltregelung und im zeitbestimmten Arbeitsvertrag die Arbeitszeit208. Einer inhaltlichen Überprüfung entzogen ist damit der gesamte Bereich der Leistungsbezeichnungen, ohne deren Vorliegen mangels Bestimmtheit des wesentlichen Vertragsinhalts ein wirksamer Vertrag nicht angenommen werden kann209. Der einzig legitime Kontrollansatz, um die Relation von Leistung und Gegenleistung zu überprüfen, ist § 138 BGB210. 205 Bayreuther, RdA 2003, 81, 87 f.; Gotthardt, ZIP 2002, 277, 282; Hromadka/ Schmitt-Rolfes, NJW 2007, 1777, 1777; Preis, in: ErfK, §§ 305–310 BGB Rn. 38; ders., in: FS Richardi, S. 333, 354 f. 206 Preis, NZA Sonderbeil. 3/2006, 115, 117. 207 BAG vom 31.8.2005 – 5 AZR 545/04 – AP Nr. 8 zu § 6 ArbZG = EzA ArbZG § 6 Nr. 6 = NZA 2006, 324. 208 BAG vom 14.3.2007 – 5 AZR 630/06 – AP Nr. 45 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag = EzA § 307 BGB 2002 Nr. 18 = DB 2007, 1645; BAG vom 31.8.2005 – 5 AZR 545/04 – AP Nr. 8 zu § 6 ArbZG = EzA § 6 ArbZG Nr. 6 = NZA 2006, 324. 209 BAG vom 27.7.2005 – 7 AZR 486/04 – AP Nr. 6 zu § 307 BGB = EzA § 307 BGB 2002 Nr. 5 = NZA 2006, 40. 210 Dazu oben § 6 D. VI. 1., S. 294 ff.
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§ 6 Belegschaftsteilung auf Grundlage des Arbeitsvertrags
(b) Bedeutung von Tarifverträgen im Rahmen des § 307 Abs. 3 BGB Trotz dieser Grundsätze wird seit Inkrafttreten der Schuldrechtsreform zum Teil die Auffassung vertreten, daß aufgrund der Gleichstellung von Tarifverträgen mit Rechtsvorschriften im Sinne von § 307 Abs. 3 BGB insbesondere Arbeitsentgelte einer Angemessenheitskontrolle am Maßstab des Tarifvertrags unterworfen seien. Zwar gäbe es für Hauptleistungspflichten regelmäßig keine gesetzlichen Vorgaben, da aber Tarifverträge gemäß § 310 Abs. 4 Satz 3 BGB Rechtsvorschriften gleichgestellt sind, sei eine Abweichung davon auf Angemessenheit überprüfbar. Ausgelöst wurde die Diskussion vor allem von Däubler, der die These aufgestellt hat, eine Unterschreitung des Tariflohns um 20% sei unangemessen im Sinne des § 307 Abs. 1 BGB und eine entsprechende Vertragsklausel sei daher unwirksam211. Das hat im Schrifttum eine Auseinandersetzung darüber entfacht, ob nicht doch zumindest eine indirekte Verpflichtung bestehen könnte, Formulararbeitsverträge mit nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern in Anlehnung an tarifvertragliche Vorgaben zu gestalten. Im Ausgangspunkt steht die Regelung des § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB, der die Inhaltskontrolle für Vertragsabreden vorschreibt, die von Rechtsvorschriften abweichen. Die Grundfrage ist, ob die in § 310 Abs. 4 Satz 3 BGB genannten Kollektivregelungen, insbesondere Tarifverträge, wegen der Gleichstellung mit Rechtsvorschriften Maßstab für die Inhaltskontrolle sein können. Zumindest der Wortlaut des § 310 Abs. 4 Satz 3 BGB scheint die Annahme zu tragen, daß dadurch der Kontrollbereich erweitert und nunmehr auch der Tarifvertrag als Kontrollmaßstab genommen werden kann. Nur: hat der Gesetzgeber das wirklich so gemeint? Zweifel ergeben sich hier in mehrfacher Hinsicht. Fragwürdig ist die Bindung der nicht tarifunterworfenen Arbeitsvertragsparteien an die Normen eines Tarifvertrags schon aus verfassungsrechtlicher Sicht. Wer durch seine Entscheidung, nicht Mitglied einer tarifschließenden Koalition zu sein, bewußt eine Tarifbindung vermeidet, entfaltet sich im Schutzbereich der negativen Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG. Eine Erstreckung tariflicher Individualnormen auf Außenseiter ist deswegen nur in eng begrenzten Ausnahmefällen und mit ausreichender staatlich-demokratischer Legitimation zulässig212. Unzulässig sind vor allem Blankettverweisungen, die nichts anderes bedeu211 So Däubler, NZA 2001, 1329, 1334 f.; ebenso Lakies, NZA-RR 2002, 337, 344; von Westphalen, in: Henssler/von Westphalen (Hrsg.), Praxis der Schuldrechtsreform, § 310 Rn. 10, 13; in diese Richtung auch Reinecke, DB 2002, 583, 585. 212 Zu den begrenzten Ausnahmen der Tariferstreckung auf Außenseiter oben § 1 C., S. 34 ff.
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ten würden als eine Generalermächtigung an die Tarifparteien, Außenseiter in ihren Regelungsbereich einzubeziehen. Genau das wäre aber die Folge, wenn Tarifverträge allgemein zum Maßstab dafür gemacht würden, was die Parteien des Arbeitsvertrags auf individualrechtlicher Ebene wirksam vereinbaren können. Die Ausrichtung der AGB-Kontrolle am Maßstab eines Tarifvertrags käme einer weichen Allgemeinverbindlicherklärung gleich213. Ein solch schrankenloses Mandat ist mit der Vertragsfreiheit214 der tariffreien Arbeitsvertragsparteien nicht vereinbar. Letztlich rechtfertigt auch der mit der Inhaltskontrolle intendierte Interessenschutz eine derartige Bindung an fremdbestimmte Normen nicht215. Ein Blick in die Gesetzesmaterialien bestätigt diesen Befund. Der Gegenäußerung der Bundesregierung216, die den Gesetzesvorschlag enthält, ist zu entnehmen, daß eine Erweiterung des AGB-rechtlichen Kontrollmaßstabs auf die in § 310 Abs. 4 Satz 3 BGB genannten Kollektivnormen gerade nicht beabsichtigt war. Ausschließen wollte der Gesetzgeber nur, daß eine Inhaltskontrolle auf Kollektivnormen stattfindet, wenn Arbeitsvertragsparteien darauf verweisen – obwohl das in der Gesetzesfassung nicht klar zum Ausdruck kommt. Auch verweist § 310 Abs. 4 Satz 3 BGB nur auf § 307 Abs. 3 BGB und steht in keinem Zusammenhang zu der Generalklausel des § 307 Abs. 1 BGB. Mithin hat der Gesetzgeber das Gesagte so nicht gemeint und das Gemeinte so nicht gesagt217. Dies rechtfertigt es, die Verweisung des § 310 Abs. 4 Satz 3 BGB teleologisch dahingehend auszulegen, daß lediglich sichergestellt sein soll, daß Kollektivverträge bei Bezugnahme durch die Arbeitsvertragsparteien keiner Inhaltskontrolle unterliegen, nicht aber umgekehrt, diese selbst zum Maßstab der Inhaltskontrolle werden218. Im übrigen besteht zwischen Rechtsvorschriften und Tarifverträgen ein entscheidender Unterschied: bei fehlender Tarifbindung gilt der Tarifvertrag für die Arbeitsvertragsparteien gerade nicht. Es gibt damit kein Maß, von dem abgewichen werden könnte. Abweichen kann man nur von etwas, was an sich gilt. Ergo: Gleichstellung hin oder her – im Unterschied zu Geset213
Löwisch/Rieble, TVG, § 1 Rn. 168. Darauf abstellend insbesondere Thüsing, in: FS Wiedemann, S. 559, 577 f. 215 Henssler, RdA 2002, 129, 136; Lingemann, NZA 2002, 181, 189; Joost, in: FS Ulmer, S. 1199, 1207 f. 216 BT-Drucks. 14/6857, S. 54. 217 Insbesondere Joost, in: FS Ulmer, S. 1199, 1207 f. 218 Gotthardt, ZIP 2002, 277, 282; Henssler, RdA 2002, 129, 136; Lingemann, NZA 2002, 181, 189; Preis, in: ErfK, §§ 305–310 BGB Rn. 38a; Richardi, in: FS Konzen, S. 791, 806; ders., NZA 2002, 1057, 1061 f.; Thüsing/Lambrich, RdA 2002, 193, 196. 214
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zen, die allgemein gelten, können tariffreie Arbeitsvertragsparteien nicht im Sinne des § 307 Abs. 3 BGB von Tarifverträgen abweichen219. Im Ergebnis ergibt sich aus der arbeitsvertraglichen Inhaltskontrolle weder unmittelbar noch mittelbar eine Verpflichtung, nichtorganisierte Arbeitnehmer zu tariflichen Bedingungen zu beschäftigen oder deren Arbeitsbedingungen an einem Tarifvertrag auszurichten. Normative Richtlinienfunktion kommt Tarifverträgen nur innerhalb ihres Geltungsbereichs zu; dort schalten sie den Wettbewerb aus. Außerhalb gelten die Prinzipien des freien Marktes, darauf haben Tarifverträge auch mittelbar keinen Einfluß. (2) Kontrolle von Nebenabreden Der richterlichen Angemessenheitskontrolle zugänglich sind demgegenüber Nebenabreden, selbst wenn sie in einem Bezug zu Hauptleistungspflichten stehen. Ausgenommen sind nur unmittelbar preis- und leistungsbestimmende Klauseln220. Klauseln hingegen, die Art und Umfang des Leistungsversprechens lediglich einschränken oder verändern, beziehungsweise auch ausgestalten oder modifizieren, sind kontrollfähig221. Das betrifft in erster Linie Leistungsbestimmungsrechte und Befristungen222. Des weiteren kontrollfähig sind Widerrufs- und Anrechnungsvorbehalte und ein Änderungsvorbehalt bei der Arbeitszeit. Kurzum: ein Großteil der Flexibilisierungsvereinbarungen unterliegt der Angemessenheitskontrolle am Maßstab des § 307 Abs. 1, 2 BGB. Das gesetzliche Leitbild ist der zu festen Konditionen abgeschlossene Vertrag. Gerade der Zweiteilung der Belegschaft geht es dagegen vornehmlich um den Zugewinn einer gegenüber dem Tarifkorsett erhöhten Flexibilität bei den Arbeitsbedingungen, sei es im Hinblick auf Entlohnungsgrundsätze oder bei der Ausgestaltung der Arbeitszeit223. 219 Siehe auch Joost, in: FS Ulmer, S. 1199, 1207 f.; Reuter, in: FS 50 Jahre BAG, S. 177, 194. 220 BGH vom 6.7.2000 – VII ZR 73/00 – NJW 2000, 3348 = WM 2000, 2307 = ZIP 2000, 1730; BGH vom 23.6.1999 – IV ZR 136/98 – AP Nr. 13 zu § 1 BetrAVG Teilzeit = NZA 1999, 1164 = NJW 1999, 3558; BGH vom 24.3.1999 – IV ZR 90/98 – NJW 1999, 2279 = DB 1999, 1382 = ArbuR 1999, 283. 221 BGH vom 12.12.2000 – XI ZR 138/00 – NJW 2001, 751 = BB 2001, 326 = DB 2001, 477; BGH vom 22.11.2000 – IV ZR 235/99 – NJW 2001, 1132 = ArbuR 2001, 79 = EWiR 2001, 293; BGH vom 23.6.1999 – IV ZR 136/98 – AP Nr. 13 zu § 1 BetrAVG Teilzeit = = NZA 1999, 1164 = NJW 1999, 3558; BGH vom 12.3.1987 – VII ZR 37/86 – NJW 1987, 1931 = BB 1987, 1131 = ZIP 1987, 640. 222 BAG vom 27.7.2005 – 7 AZR 443/04 – AP Nr. 27 zu § 620 BGB Altersgrenze = EzA § 620 BGB 2002 Altersgrenze Nr. 6 = NZA 2006, 40. 223 Dazu oben § 3 D., S. 169 ff.
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(a) Arbeitszeit Bezüglich der vertraglichen Festlegung der Arbeitszeit kommen als Regelungsparameter in Betracht: die Dauer und die Lage der Arbeitszeit. Grundsätzlich unterliegt die Vereinbarung der Arbeitszeit als Hauptleistungspflicht zwar nicht der Inhaltskontrolle: deshalb ist die Dauer der geschuldeten Arbeitszeit als Leistungsbeschreibung eindeutig kontrollfrei224. So konnte nach der Kündigung der Arbeitszeitvorschriften des BAT im öffentlichen Dienst ohne weiteres wirksam auf die Arbeitszeit vergleichbarer Beamter verwiesen werden225. Im Hinblick auf die nichtorganisierten Arbeitnehmer eröffnet sich im Rahmen der gesetzlichen Grenzen grundsätzlich ein weiter Gestaltungsspielraum226. Möglich sind wöchentliche Arbeitszeiten bis zu 48 Stunden an sechs Tagen. Bei einem Ausgleich innerhalb von sechs Monaten sind bei Bedarf 60 Arbeitsstunden pro Woche erlaubt. Die tägliche Höchstarbeit kann bis zu zehn Stunden betragen. Es besteht insbesondere die Möglichkeit der Einführung periodischer Arbeitszeiten mit Führung von Arbeitszeitkonten, was einen wesentlichen Gesichtspunkt zur Standortsicherung gerade kleinerer und mittlerer Betriebe darstellt227. Vereinbarungen über die Lage der Arbeitszeit und allgemeine Flexibilisierungsgestaltungen sind allerdings nicht kontrollfrei. Etwa unterliegen Widerrufsvorbehalte228, Befristungen229 oder die Vereinbarung von „Arbeit auf Abruf230“ der Inhaltskontrolle. Hier ist nicht die Vereinbarung über die Arbeitszeit selbst und damit der Umfang der zu erbringenden Arbeitsleistung Gegenstand der Inhaltskontrolle, sondern deren Konditionierung. Das gleiche gilt für Vereinbarungen, die die Verpflichtung zu Mehrarbeit oder Kurzarbeit vorsehen. Ein besonderes Kontrollbedürfnis besteht, wenn es zu einer Verschiebung von Leistung und Gegenleistung kommt. Ausdrücklich 224
Preis, in: FS Richardi, S. 339, 353; ders., NZA Sonderbeil. 3/2006, 115, 120. BAG vom 14.3.2007 – 5 AZR 630/06 – AP Nr. 45 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag = EzA § 307 BGB 2002 Nr. 18 = DB 2007, 1645. 226 Zur Arbeitszeitflexibilisierung Bauer/Günther, DB 2006, 950, 950 ff.; Hanau, NZA Sonderbeil. 1/2006, S. 34, 34 ff.; Löwisch, RdA 1984, 197, 198 ff.; Wisskirchen/Bissels, NZA Sonderbeil. 1/2006, S. 24, 24 ff. 227 Zu den Möglichkeiten, ein neues Arbeitszeitmodell durch Änderungskündigung umzusetzen § 8 B. II. 3. c) (4), S. 375 f. 228 Grundlegend BAG vom 12.1.2005 – 5 AZR 364/04 – AP Nr. 1 zu § 308 BGB = EzA § 308 BGB 2002 Nr. 1 = NZA 2005, 465; fortgeführt in BAG vom 11.10.2006 – 5 AZR 721/05 – AP Nr. 6 zu § 308 BGB = EzA § 308 BGB 2002 Nr. 6 = NZA 2007, 87. 229 BAG vom 27.7.2005 – 7 AZR 486/04 – AP Nr. 6 zu § 307 BGB = EzA § 307 BGB 2002 Nr. 5 = NZA 2006, 40. 230 Dazu BAG vom 7.12.2005 – 5 AZR 535/04 – AP Nr. 4 zu § 12 TzBfG = NZA 2006, 423. 225
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erkennt das BAG aber an, daß der Arbeitgeber ein berechtigtes Interesse an einer Flexibilität der Arbeitsbedingungen hat. Den Weg für eine flexible Vertragsgestaltung ebnete der Fünfte Senat vor allem mit seiner Entscheidung zur Abrufarbeit231, in der er mit der im Schrifttum vorherrschenden Meinung aufräumte, nach der dem Arbeitgeber nicht das Recht zustehen dürfe, die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit einseitig festzulegen232. Eine Vereinbarung zur Lage der Arbeitszeit ist allerdings nur in Ausnahmefällen unangemessen. Einen Verstoß gegen § 307 Abs. 1 BGB wird man etwa in einer Klausel sehen können, nach der der Arbeitgeber den Arbeitnehmer beliebig in die Tag-, Nacht-, und Wechselschicht einteilen kann233. Regelmäßig ist es ohne weiteres möglich, einzelvertraglich flexible Arbeitszeitmodelle zu gestalten, die desgleichen in einer Arbeitsordnung geregelt sein können, auf die dann im Arbeitsvertrag verwiesen wird. (b) Arbeitsentgelt Entgeltabreden sind nicht kontrollfähig, soweit sie Art und Umfang der Vergütung unmittelbar regeln. Hier bietet eine Zweiteilung der Belegschaft weitreichende Möglichkeiten, etwa im Hinblick auf eine leistungs- und erfolgsorientierte Vergütung234. Ohne weiteres lassen sich das Urlaubs- und Weihnachtsgeld durch eine erfolgsabhängige Jahreszahlung ablösen und das Entgelt im übrigen stärker an Leistung und Erfolg koppeln. Der Gestaltung von Schichtarbeit stehen keine starren Tarifregeln im Weg, sie wird insbesondere nicht von Schichtzuschlägen verteuert. Auch Staffelungen etwa nach Fehlzeiten sind möglich. Insgesamt können alle, einer Regelung zugänglichen, Bedingungen in dem regelmäßig weiteren Rahmen, den die gesetzlichen Grenzen bieten, unter Zuschnitt auf die individuellen betrieblichen Bedürfnisse gestaltet werden. Klauseln hingegen, deren Regelungsgehalt sich nur mittelbar auf den Preis auswirkt, die etwa die Entstehungsvoraussetzungen für den Vergütungsanspruch regeln, sind als Preisnebenabreden im Rahmen der § 307 ff. BGB kontrollfähig235. Das gleiche gilt für die Leistung begleitende Klauseln, wie Nebenabreden zur Entgeltabrede und die Hauptleistungsabreden 231
BAG vom 7.12.2005 – 5 AZR 535/04 – AP Nr. 4 zu § 12 TzBfG = NZA 2006, 423. 232 Vgl. etwa Annuß/Thüsing/Jacobs, TzBfG, 2. Aufl., § 12 Rn. 24. 233 Wisskirchen/Bissels, NZA Sonderbeil. 1/2006, 24, 30. 234 Zur Entgeltflexibilisierung Hanau/Hromadka, NZA 2005, 73, 73 ff.; Loritz, RdA 1998, 257, 259 ff.; Reinecke, NZA 2005, 953, 953 ff.; Rieble/Gutzeit, in: Jahrbuch des Arbeitsrechts 1999, 41, 47. 235 Preis, in: FS Richardi, S. 339, 354 f.; ders., NZA Sonderbeil. 3/2006, 115, 118 m. w. Nachw.
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einschränkende, verändernde oder ausgestaltende Klauseln236. Kontrollfähige und -bedürftige Nebenabreden stellen vor allem einseitige Dispositionsvorbehalte zugunsten des Arbeitgebers dar, die unmittelbare Auswirkungen auf das Austauschverhältnis haben, etwa Überstundenanordnungen, Widerrufsvorbehalte, Teilkündigungsklauseln oder Befristungsabreden. Sowohl für Leistungsbestimmungsrechte als auch für Befristungen genügt gleichwohl ein sachlicher Grund. In der Rechtsprechung hat sich insofern ein veränderungsfester Kern des Arbeitsvertrags von etwa 75% herausgebildet, der einseitigen Dispositionen des Arbeitgebers entzogen ist237. In bezug auf leistungs- und erfolgsabhängige Vergütungsformen gilt die 25-ProzentGrenze, die das BAG für den Widerrufsvorbehalt aufgestellt hat, allerdings nicht. Denn hierbei können Arbeitnehmer von vornherein nicht darauf vertrauen, daß sie eine Leistung in einer bestimmten Höhe erhalten. Dennoch müssen Arbeitnehmer bei erfolgs- und leistungsabhängiger Vergütung ein Entgelt erhalten, dessen Höhe dann unangemessen ist, wenn Chance und Risiko in einem groben Mißverhältnis zueinander stehen238. (3) Flexibilität als Besonderheit des Arbeitsrechts Das Bedürfnis nach flexiblen Arbeitsbedingungen kann zwar nicht a priori zu einem reduzierten Prüfungsmaßstab der Inhaltskontrolle führen. Bei der Arbeitsvertragsgestaltung kommt dem berechtigten Bedürfnis nach Flexibilität gleichwohl ein besonderer Stellenwert zu, der im Rahmen des § 310 Abs. 4 BGB Berücksichtigung findet. Nach § 310 Abs. 4 BGB sind bei der Anwendung des AGB-Rechts auf Arbeitsverträge die im Arbeitsrecht geltenden Besonderheiten angemessen zu berücksichtigen. Dazu muß das Bedürfnis an einer flexiblen Gestaltung der Arbeitsbedingungen gezählt werden. Auch das BAG mißt ihm eine besondere Bedeutung bei239. Wenngleich sich mancher Arbeitsrechtler damit noch schwer tun mag, gibt es durchaus Besonderheiten des Arbeitsrechts, die dem Arbeitgeber zugute kommen. Abgesehen davon dient die flexible Gestaltung der Arbeitsbedingungen ebenso den Interessen der Arbeitnehmer240. 236 BAG vom 27.7.2005 – 7 AZR 443/04 – AP Nr. 27 zu § 620 BGB Altersgrenze = EzA § 620 BGB 2002 Altersgrenze Nr. 6 = NZA 2006, 40. 237 BAG vom 12.1.2005 – 5 AZR 364/04 – AP Nr. 1 zu § 308 BGB = EzA § 308 BGB 2002 Nr. 1 = NZA 2005, 465. 238 Siehe oben § 6 D. VI. 1. b), S. 297 f., ebenso Hanau, in: FS Konzen, S. 257, 262 f.; Singer, RdA 2006, 362, 373; dagegen Hromadka/Schmitt-Rolfes, NJW 2007, 1777, 1781, die ein Entgelt fordern, das über der Sittenwidrigkeitsgrenze liegt. 239 Etwa BAG vom 7.12.2005 – 5 AZR 535/04 – AP Nr. 4 zu § 12 TzBfG = NZA 2006, 423. 240 Vgl. Hanau/Hromadka, NZA 2005, 73, 77.
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§ 6 Belegschaftsteilung auf Grundlage des Arbeitsvertrags
E. Mitbestimmung des Betriebsrats Wie die vertragliche Inhaltskontrolle sollen auch die Rechtsregeln der Betriebsverfassung Vertragsschwächen ausgleichen. Anders als die nachgelagerte Ergebniskontrolle handelt es sich bei der betrieblichen Mitbestimmung aber um vertragsergänzende und präventiv wirkende Kontrollinstrumente, die in ihrem vertragsakzessorischen Kern dazu dienen, die Sozialverträglichkeit betrieblicher Arbeitsbedingungen herzustellen, indem sie das Leistungs- und Integritätsinteresse der Arbeitnehmer durch Teilhabe des Betriebsrats sichern241. Insofern kann von einer das Weisungsrecht des Arbeitgebers austarierenden innerbetrieblichen Angemessenheitskontrolle gesprochen werden242. I. Der Betriebsrat als Mitgestalter der Verteilungsgerechtigkeit Bei der Schaffung einer tarifunabhängigen Arbeitszeit- und Entgeltordnung kommt dem Betriebsrat die Rolle eines Mitgestalters zu. Das macht sich die Praxis nicht immer klar: häufig wähnen sich Arbeitgeber bei der Lohngestaltung außerhalb des Tarifvertrags auf der sicheren Seite. Dieser Schein trügt: den weitreichenden Einfluß, der den Betriebsräten zukommt, zeigt das BAG immer wieder deutlich auf243. Im Grunde unterliegt das gesamte Entgeltsystem der Mitbestimmung durch den Betriebsrat. Wenn sich der Arbeitgeber für eine eigenständige Vertragsgestaltung mit den tariffreien Arbeitnehmern entscheidet, ist er zwar frei vom Regelungseinfluß der Gewerkschaften, er ist aber in weiten Teilen auf den Konsens mit dem Betriebsrat verwiesen. Für außertarifliche Regelungssysteme übernimmt der Betriebsrat eine Mitverantwortung, die sich der tariflichen Mitbestimmung durchaus annähert. Gleichwohl ist der Betriebsrat über § 2 Abs. 1 BetrVG auf das Wohl des Betriebs und auf eine vertrauensvolle Zusammenarbeit verpflichtet, was die betriebliche Situation wiederum entschärft. Eine ordnungsgemäße Beteiligung des Betriebsrats ist vor allem dann entscheidend, wenn der Arbeitgeber erstmals zur Zweiteilung der Belegschaft greift. Nach der Rechtsprechung hat der Arbeitgeber bestehende Strukturen weiter anzuwenden, bis der Betriebsrat einer Änderung zuge241
Zum Zweck der Betriebsverfassung oben § 5 A. I. 2. d) (1) (a), S. 219 ff. Reichold, in: FS 50 Jahre BAG, S. 153, 171 f. 243 BAG vom 28.2.2006 – 1 ABR 4/05 – AP Nr. 127 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung = EzA § 87 BetrVG 2001 Betriebliche Lohngestaltung Nr. 9 = NZA 2006, 1426. 242
E. Mitbestimmung des Betriebsrats
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stimmt hat244. Eine Einschränkung der Gestaltungsautonomie ergibt sich hier vor allem aus der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung. II. Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 BetrVG Zum Kernbereich der betrieblichen Mitbestimmung gehört der Katalog des § 87 Abs. 1 BetrVG, der die Beteiligung des Betriebsrats in sozialen Angelegenheiten regelt. Daraus ergeben sich insbesondere die Mitbestimmungsbefugnisse für die betriebliche Entgelt- und Arbeitszeitgestaltung. Unerheblich für die Mitbestimmung ist es, ob die Angelegenheit durch Weisungsrecht oder einverständlich durch Vertrag geregelt wird245. 1. Kein Tarifvorrang in tariffreien Arbeitsverhältnissen Der in § 87 Abs. 1 Einleitungshalbsatz BetrVG normierte Tarifvorrang erstreckt sich nach hier vertretener Meinung nicht auf tariffreie Arbeitsverhältnisse – für die abweichende Vertragsgestaltung mit nichtorganisierten Arbeitnehmern wird die betriebliche Mitbestimmung infolgedessen nicht durch einen Tarifvertrag gesperrt246. Eine Sperrwirkung aufgrund einer vorrangigen tariflichen Regelung kann sich insofern nur entfalten, wenn ein Tarifvertrag ausnahmsweise für allgemeinverbindlich erklärt ist oder es sich um Betriebsnormen im Sinne des § 3 Abs. 2 TVG handelt, in dessen Anwendungsbereich die Tarifbindung des Arbeitgebers ausreicht. Insoweit ist die Regelungsmaterie einer abweichenden vertraglichen Gestaltung aber ohnehin entzogen, weil die Tarifnorm dann zwingend gilt und somit jeder anderweitigen Vereinbarung vorgeht247. Folgt man dagegen der herrschenden Meinung248 und der Rechtsprechung249, wäre die Mitbestimmung für tarifunabhängige Entgelt- und Ar244
Dazu sogleich § 6 E. II. 3. c), S. 315 f. BAG vom 8.6.1982 – 1 ABR 56/80 – AP Nr. 7 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit = EzA § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit Nr. 12 = SAE 1983, 144; BAG vom 21.12.1982 – 1 ABR 14/81 – AP Nr. 9 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit = EzA § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit Nr. 16 = NJW 1983, 1135. 246 Ausführlich dazu oben § 5 A. I. 3. b) (3), S. 229 ff. 247 Dazu, insbesondere zur Reichweite von Betriebsnormen oben § 6 B., S. 262 ff. 248 Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, § 87 Rn. 42; v. Hoyningen-Huene/Meier-Krenz, NZA 1987, 793, 796 f.; Kempen/Zachert/WendelingSchröder, TVG, Grundl. Rn. 348; Richardi/Richardi, BetrVG, § 87 Rn. 155; Hess/ Schlochauer/Glock/Worzalla, BetrVG, § 87 Rn. 55. 249 BAG vom 24.2.1987 – 1 ABR 18/85 – AP Nr. 21 zu § 77 BetrVG 1972 = EzA § 87 BetrVG 1972 Nr. 10 = NZA 1987, 639; BAG vom 24.11.1987 – 1 ABR 245
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§ 6 Belegschaftsteilung auf Grundlage des Arbeitsvertrags
beitszeitsysteme mit Blick auf § 87 Abs. 1 Einleistungshalbsatz BetrVG zu verweigern. Der Arbeitgeber wäre nicht auf den Konsens mit dem Betriebsrat angewiesen. Bei der Zweiteilung der Belegschaft zeigt sich die harsche Konsequenz dieser Auffassung: der Arbeitgeber würde nicht etwa an der Belegschaftsteilung gehindert, vielmehr wäre er mitbestimmungsrechtlich frei darin, ein Vergütungssystem einzuführen – ohne daß der Betriebsrat Einfluß nehmen könnte und ohne daß die Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung Schutz böte. Diese Schutzverkürzung gegenüber nichtorganisierten Arbeitnehmern ist nicht gerechtfertigt250. Für sie entfaltet der Tarifvertrag keine Schutzfunktion, weswegen für den Tarifvorrang des § 87 Abs. 1 Einleitungshalbsatz BetrVG nicht die Tarifgebundenheit nur des Arbeitgebers ausreichen kann, sondern die konkrete Tarifgeltung im Arbeitsverhältnis erforderlich ist251. Richtig ist es deshalb, dem Betriebsrat trotz bestehender tariflicher Regelung die Mitgestaltungsverantwortung für außertarifliche Regelungssysteme zu belassen. Das leistet einer Regelungsvielfalt keinen Vorschub. Es wird nur sichergestellt, daß der Arbeitsvertrag der Kontrollverantwortung des Betriebsrats unterliegt. 2. Gegenstände der Mitbestimmung Obzwar den Betriebsparteien im Bereich der Arbeitszeit- und Entgeltgestaltung keine umfassende Regelungskompetenz zukommt252, weist das BetrVG dem Betriebsrat eine Reihe von Mitbestimmungsrechten zu. Bezogen auf die Einführung eines Arbeitszeit- und Entgeltsystems, läßt sich selbiges nur mit Zustimmung des Betriebsrats realisieren. a) Tarifunabhängige Entgeltgestaltung Hinsichtlich der Lohngestaltung sind grundlegende System- und Widmungsentscheidungen und die Höhe des Arbeitsentgelts mitbestimmungsfrei253. Dem Arbeitgeber obliegt es allein zu bestimmen, welches Entgelt12/86 – AP Nr. 6 zu § 87 BetrVG 1972 Akkord = EzA § 87 BetrVG 1972 Leistungslohn Nr. 15 = NZA 1988, 320. 250 Wie hier GK-BetrVG/Wiese, § 87 Rn. 68; Löwisch/Kaiser, BetrVG, § 87 Rn. 39; Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1495, ders., in: FS Konzen, S. 809, 823. 251 Ausführlich oben § 5 A. I. 3. b) (3), S. 229 ff. 252 Siehe oben § 5 A. I. 3. c), S. 232 ff. 253 BAG (GS) vom 3.12.1991 – GS 2/90 – AP Nr. 51 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung = EzA § 87 BetrVG 1972 Betriebliche Lohngestaltung Nr. 30 =
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volumen er zur Verfügung stellt. Auch bei kompletten Entgeltsystemen kann der Arbeitgeber die wesentlichen Bedingungen der Leistungsgewährung selbst bestimmen. Er hat eine Vorstrukturierungsbefugnis254. Deshalb unterliegt die reine Absenkung der Vergütung nicht der Mitbestimmung. Senkt der Arbeitgeber also bisherige Vergütungssätze, die sich aus Vorschriften eines in Bezug genommenen Tarifvertrags ergeben haben, für tariffreie Arbeitnehmer lediglich ab, muß er den Betriebsrat hierbei nicht beteiligen. Keine Rolle spielt es, ob die Vergütung erstmals unter das Tarifniveau sinkt255. Soweit die Verteilung des reduzierten Gesamtvolumens weiter auf einem bereits bestehenden Vergütungssystem beruht und dessen Struktur nicht in Frage stellt, ist die Änderung mitbestimmungsfrei256. Die Aufstellung von neuen Entlohnungsgrundsätzen und die Einführung von neuen Entlohnungsmethoden unterliegen dagegen der notwendigen Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG. Insbesondere die Ablösung einer bisherigen arbeitsvertraglichen Verweisung auf einen Tarifvertrag durch ein eigenständiges Entlohnungssystem unterliegt der Mitbestimmung257. Für das Beteiligungsrecht kommt es nicht darauf an, auf welcher Grundlage die Anwendung der bisherigen Entlohnungsgrundsätze erfolgte258. Durch den Hinweis auf die Anwendung in § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG wird zudem klargestellt, daß der Betriebsrat nicht nur über die Auswahl einer Entlohnungsmethode, sondern auch über deren praktische Durchführung mitzubestimmen hat259. Mit Ausnahme der Entgelthöhe ist der Betriebsrat NZA 1992, 749; BAG vom 13.3.2001 – 1 ABR 7/00 – EzA BetrVG 1972 § 87 Betriebliche Lohngestaltung Nr. 72 = NZA 2002, 111 = ZTR 2002, 94; BAG vom 11.6.2002 – 1 AZR 390/01 – AP Nr. 113 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung = EzA § 87 BetrVG 1972 Betriebliche Lohngestaltung Nr. 76 = NZA 2003, 570. 254 Dazu Schüren, RdA 1996, 14, 18 ff. 255 BAG vom 2.3.2004 – 1 AZR 271/03 – AP Nr. 31 zu § 3 TVG = EzA § 87 BetrVG 2001 Betriebliche Lohngestaltung Nr. 4 = NZA 2004, 852. 256 BAG vom 28.2.2006 – 1 ABR 4/05 – AP Nr. 127 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung = EzA § 87 BetrVG 2001 Betriebliche Lohngestaltung Nr. 9 = NZA 2006, 2823. 257 BAG vom 31.1.1984 – 1 AZR 174/81 – AP Nr. 15 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung = EzA § 87 BetrVG 1972 Betriebliche Lohngestaltung Nr. 8 = NZA 1984, 167. 258 BAG vom 28.2.2006 – 1 ABR 4/05 – AP Nr. 127 zu § 87 BetrVG 1972 = EzA § 87 BetrVG 2001 Betriebliche Lohngestaltung = NZA 2006, 190. 259 Hess/Schlochauer/Glock/Worzalla, BetrVG, § 87 Rn. 504; GK-BetrVG/Wiese, § 87 Rn. 937; Richardi/Richardi, BetrVG, § 87 Rn. 764; Moll, Mitbestimmung beim Entgelt, S. 144 f.
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§ 6 Belegschaftsteilung auf Grundlage des Arbeitsvertrags
damit bei der kompletten Ausgestaltung der Entlohnung zu beteiligen. Der Zweck besteht darin, das Lohngefüge angemessen und durchsichtig zu gestalten und die Verteilungsgerechtigkeit zu wahren260. Es kommt nicht darauf an, ob der Betriebsrat seine Beteiligung eingefordert hat. Der Arbeitgeber muß in Angelegenheiten des § 87 Abs. 1 BetrVG von sich aus die Zustimmung einholen261. Nur wenn bereits unterschiedliche Vergütungssysteme bestehen, ist die weitere Entwicklung dieser Systeme im Verhältnis zueinander nicht mehr Gegenstand der Überprüfung am Maßstab der innerbetrieblichen Entgeltgerechtigkeit262. b) Tarifunabhängige Arbeitszeitgestaltung Hinsichtlich der Arbeitszeitgestaltung ist die Dauer der Arbeitszeit mitbestimmungsfrei263. Wie bei der vertraglichen Inhaltskontrolle unterliegt sie als Hauptleistungsabrede auch nicht der betrieblichen Mitbestimmung. Das gilt unabhängig davon, welches Arbeitszeitmodell der Regelung zugrunde liegt, insbesondere für variable Arbeitszeiten, die auf einen größeren als den wöchentlichen Bezugsrahmen abstellen264. Desgleichen ist die Erhöhung oder Absenkung der Arbeitszeit grundsätzlich mitbestimmungsfrei. Weder ergibt sich ein Mitbestimmungsrecht über die Dauer der Arbeitszeit aus § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG, noch besteht ein solches nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG, wenn es sich nicht um eine vorübergehende Verlängerung der Arbeitszeit handelt. Der Arbeitgeber kann daher mitbestimmungsfrei mit seinen tariffreien Arbeitnehmern eine 42-Stunden-Woche vereinbaren, während Tarifgebundene weiter 35 Stunden arbeiten. Geht es um eine bloß vorübergehende Verkürzung oder Verlängerung der Arbeitszeit, besteht ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG. Da die Zweiteilung der Belegschaft aber eine auf Dauer angelegte Gestaltung ist, kommt § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG in bezug auf die Systembildung keine Bedeutung zu. Im weiteren Vollzug der Systementscheidung freilich ist der Betriebsrat bei vorübergehenden Veränderungen der Arbeitszeit, also bei der Anordnung von Kurzarbeit und Mehrarbeit, zu beteiligen. 260
Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, § 87 Rn. 423 ff.; GK-BetrVG/Wiese, § 87 Rn. 897 ff. 261 Nur GK-BetrVG/Wiese, § 87 Rn. 95, 98, 100 m. w. Nachw. 262 BAG vom 18.11.2003 – 1 AZR 604/02 – AP Nr. 15 zu § 77 BetrVG 1972 Nachwirkung = EzA § 77 BetrVG 2001 Nr. 9 = NZA 2004, 803. 263 BAG vom 30.10.2001 – 1 ABR 8/01 – AP Nr. 26 zu § 99 BetrVG 1972 Eingruppierung = EzA § 87 BetrVG 1972 Betriebliche Lohngestaltung Nr. 75 = NZA 2002, 919. 264 GK-BetrVG/Wiese, § 87 Rn. 275.
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Mitzubestimmen nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG hat der Betriebsrat schließlich über die Lage der Arbeitszeit, also über die Festlegung von Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit einschließlich der Pausen sowie über die Verteilung auf die einzelnen Wochentage. Gibt der Arbeitsvertrag eine Gesamtarbeitszeit vor, ist die Verteilung mitbestimmungspflichtig. Ebenso mitbestimmungspflichtig ist das Recht des Arbeitgebers, innerhalb eines durch den Arbeitsvertrag gesetzten Rahmens die zeitliche Lage der Arbeit festzusetzen und diese Festsetzung zu ändern265. Bei flexibler Arbeitszeitgestaltung unterliegen dagegen nur die Rahmenbedingungen der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG, wie etwa Bandbreiten, die den frühestmöglichen Anfangs- und den spätestmöglichen Beendigungszeitpunkt bestimmen. Die konkrete Bedienung flexibler Arbeitszeitmodelle ist dagegen nicht mehr mitbestimmungspflichtig. 3. Rechtsfolgen mangelnder Betriebsratsbeteiligung Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats soll die Gestaltungsmacht des Arbeitgebers beschränken. Allerdings regelt § 87 BetrVG nicht, welche Rechtsfolgen eintreten, wenn der Arbeitgeber die Mitbestimmung des Betriebsrats mißachtet oder übergeht und statt dessen einseitige Maßnahmen oder Vereinbarungen mit den Arbeitnehmern trifft. Im Fokus stehen hier zwei verschiedene Rechtsbeziehungen: einerseits das betriebsverfassungsrechtliche Rechtsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat und andererseits die Individualrechtsbeziehungen zu den einzelnen Arbeitnehmern. a) Betriebsverfassungsrechtliche Unwirksamkeit Ein unter Mißachtung der betrieblichen Mitbestimmung eingeführtes Arbeitszeit- oder Vergütungssystem ist von vornherein betriebsverfassungswidrig und damit rechtswidrig. Der Betriebsrat kann im Wege des Beschlußverfahrens das Bestehen seines Mitbestimmungsrechts feststellen lassen. Daneben besteht nach überwiegenden Meinung die Möglichkeit, vom Arbeitgeber das Unterlassen von nach § 87 Abs. 1 BetrVG mitbestimmungspflichtigen Maßnahmen zu verlangen266. Dadurch verfügt der Be265
BAG vom 13.10.1987 – 1 ABR 69/86 – nicht veröffentlicht [juris]. BAG vom 3.5.1994 – 1 ABR 24/93 – AP Nr. 23 zu § 23 BetrVG 1972 = EzA § 23 BetrVG 1972 Nr. 36 = NZA 1995, 40; seither ständige Rechtsprechung: BAG vom 6.12.1994 – 1 ABR 30/94 – AP Nr. 24 zu § 23 BetrVG 1972 = EzA § 23 BetrVG 1972 Nr. 37 = NZA 1995, 488; BAG vom 13.3.2001 – 1 ABR 7/00 – EzA § 87 BetrVG 1972 Betriebliche Lohngestaltung Nr. 72 = NZA 2002, 111; GKBetrVG/Oetker, § 23 Rn. 140; GK-BetrVG/Wiese, § 87 Rn. 1075; Richardi/Thü266
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triebsrat über eine „scharfe Waffe“, mit der er seine Mitbestimmung erzwingen kann267. b) Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung Die Mißachtung von Mitbestimmungsrechten wirkt sich darüber hinaus auf die individualvertraglichen Rechtsbeziehungen aus. Soweit Beteiligungsrechte bestehen, führt deren Mißachtung nach der von der Rechtsprechung des Großen Senats und seitdem ständig vertretenen Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung dazu, daß mitbestimmungspflichtige Maßnahmen, solange der Betriebsrat nicht die Zustimmung erteilt hat, nicht nur betriebsverfassungsrechtlich unzulässig, sondern auch auf individualvertraglicher Ebene unwirksam sind268. Praktisch bedeutsam ist das gleichermaßen bei der Lohn- wie bei der Arbeitszeitgestaltung. Der Arbeitgeber kann Vergütungsordnungen und Arbeitszeitsysteme nicht ohne Beteiligung des Betriebsrats ändern. Daß die ordnungsgemäße Beteiligung des Betriebsrats Wirksamkeitsvoraussetzung für individualrechtliche Maßnahmen ist, gilt allerdings nicht ausnahmslos, sondern erfährt Einschränkungen durch den Arbeitnehmerschutzgedanken269. Grundsätzlich greift die Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung infolgedessen nur bei Maßnahmen, die sich zu Lasten der Arbeitnehmer auswirken270. Insofern begrenzt die Theorie der Wirksamkeitssing, BetrVG, § 23 Rn. 81; Raab, ZfA 1997, 183, 220; Lobinger, ZfA 2004, 101, 134; ablehnend dagegen Hess/Worzalla/Glock/Schlochauer, BetrVG, § 23 Rn. 81a; Stege/Weinspach/Schiefer, BetrVG, § 87 Rn. 3a; Walker, in: Schwab/Weth, ArbGG, § 85 Rn. 106. 267 Bei Vorliegen der Voraussetzung des § 23 Abs. 3 BetrVG kann der Betriebsrat auch einen darauf gestützten Unterlassungsanspruch geltend machen. Dazu nur Kania, in: ErfK, Einl. vor § 74 BetrVG Rn. 15. 268 BAG (GS) vom 16.9.1986 – GS 1/82 – AP Nr. 17 zu § 77 BetrVG 1972 = EzA § 77 BetrVG 1972 Nr. 17 = SAE 1987, 175 mit Anm. Löwisch; BAG vom 11.6.2002 – 1 AZR 390/01 – AP Nr. 113 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung = EzA § 87 BetrVG 1972 Betriebliche Lohngestaltung Nr. 76 = NZA 2003, 570; BAG vom 2.3.2004 – 1 AZR 271/03 – AP Nr. 31 zu § 3 TVG = EzA § 87 BetrVG 2001 Betriebliche Lohngestaltung Nr. 4 = NZA 2004, 852; Kania, in: ErfK Einl. vor § 74 BetrVG Rn. 19; GK-BetrVG/Wiese, § 87 Rn. 960; dagegen Richardi/ Richardi, BetrVG, § 87 Rn. 118 ff.; Schlüter, DB 1972, 92, 92 ff., 139 ff. 269 Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, § 87 Rn. 599; v. Hoyningen-Huene, Betriebsverfassungsrecht, S. 270 f.; kritisch Wiese, Anm. zu BAG vom 11.6.2002 – 1 AZR 390/01 – AP Nr. 113 zu § 87 BetrVG 1972. 270 BAG vom 11.6.2002 – 1 AZR 390/01 – EzA § 87 BetrVG Betriebliche Lohngestaltung Nr. 76 = AP Nr. 113 zu § 87 BetrVG 1972 = NZA 2003, 570; BAG vom 18.9.2002 – 1 AZR 668/01 – AP Nr. 99 zu § 615 BGB = EzA § 87 BetrVG 2001 Nr. 1 = BB 2003, 740; BAG vom 2.3.2004 – 1 AZR 271/03 – AP Nr. 31 zu
E. Mitbestimmung des Betriebsrats
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voraussetzung nicht generell die vertragliche Gestaltungsmacht des Arbeitgebers. Für die Einführung eines außertariflichen Vergütungssystems bedeutet das folgendes: wenn die neue Vergütungsordnung nicht zu einer Entgeltkürzung oder anderen Nachteilen führt, wirkt sich die betriebsverfassungsrechtliche Unwirksamkeit nicht auf das Individualrechtsverhältnis aus. Neu getroffene Vergütungsabreden gelten im Verhältnis zu den Arbeitnehmern nur dann nicht, soweit sie zu deren Nachteil auf einer nicht mitbestimmten Vergütungsordnung beruhen. Ob eine Regelung nachteilig für den einzelnen Arbeitnehmer ist, bestimmt sich auf Grundlage einer Gesamtbetrachtung der geänderten Arbeitsbedingungen und nicht auf der Basis eines Einzelvergleichs. Damit spielt auch für das Eingreifen der, aus der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung resultierenden, Unwirksamkeitsfolge die Grenze der „Günstigkeit“ eine entscheidende Rolle271. Soweit die bisherige Regelung günstiger ist, bleibt sie für das Arbeitsverhältnis maßgebend, bis der Betriebsrat einer Änderung zugestimmt hat. Ist die neue Regelung aber günstiger272 oder günstigkeitsneutral, steht die Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung einer Anwendung nicht entgegen. Die schwierigen Fragen der Günstigkeitsbeurteilung von Beschäftigungssicherungszusagen, Lohnverzicht und Arbeitszeitveränderungen mit oder ohne (teilweisen) Lohnausgleich stellen sich hier aber nicht, da dies nicht der erzwingbaren Mitbestimmung durch den Betriebsrat unterliegt. c) Anwendung bisheriger Vergütungsstrukturen Die Unwirksamkeit mitbestimmungswidriger Änderungen von Arbeitszeit- und Entgeltsystemen hat zur Folge, daß bisher im Betrieb geltende Strukturen weiter anzuwenden sind273. Insbesondere die Verletzung der Mitbestimmungsrechte aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG führt dazu, daß die Ver§ 3 TVG = EzA § 87 BetrVG 2001 Betriebliche Lohngestaltung Nr. 4 = NZA 2004, 852; Caspers, in: FS Löwisch, S. 45, 54; Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/ Linsenmaier, BetrVG, § 87 Rn. 599; Kania, in: ErfK Einl. vor § 74 BetrVG Rn. 22; dagegen GK-BetrVG/Wiese, § 87 Rn. 126. 271 Vgl. zur Grenze der Gleichbehandlungspflicht mit Tarifgebundenen oben § 6 D. III. 2. a), S. 283 ff. 272 Hier sind allerdings die Grenzen, die sich aus der positiven Koalitionsfreiheit der organisierten Arbeitnehmer ergeben, zu beachten. Siehe dazu oben § 6 D. I. 1. d), S. 269 ff. 273 BAG vom 2.3.2004 – 1 AZR 271/03 – AP Nr. 122 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung = EzA § 87 BetrVG 2001 Betriebliche Lohngestaltung Nr. 4 = NZA 2004, 852; BAG vom 11.6.2002 – 1 AZR 390/01 – AP Nr. 113 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung = EzA § 87 BetrVG 1972 Betriebliche Lohngestal-
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§ 6 Belegschaftsteilung auf Grundlage des Arbeitsvertrags
gütungsordnung mit der vor der Änderung bestehenden Struktur weiter gilt, bis der Betriebsrat einer Änderung zugestimmt hat. Hier besteht nur die Möglichkeit, sich ohne Beteiligung des Betriebsrats auf mitbestimmungsfreie Maßnahmen und Vereinbarungen zu beschränken. So kann ein verändertes Arbeitszeit- und Entgeltvolumen ohne Beteiligung des Betriebsrats wirksam durchgesetzt werden, wenn die bisherigen Verteilungsgrundsätze weiter angewendet werden274. d) Anspruchsbegründung ohne Anspruchsgrundlage? Die Verletzung von Mitbestimmungsrechten kann zwar zur Unwirksamkeit von einseitigen Maßnahmen und Vereinbarungen führen, so daß die Arbeitnehmer auf zuvor bestehende Ansprüche zurückgreifen können. Sie kann hingegen vorher nicht bestehende Ansprüche nicht begründen275. Die fehlerhafte Beteiligung des Betriebsrats kann dem Arbeitnehmer grundsätzlich nicht zu einer eigenen Anspruchsgrundlage verhelfen. Nach Ansicht des BAG soll es dennoch möglich sein, daß neueingestellten Arbeitnehmern ein Anspruch auf eine höhere Vergütung als die vertraglich vereinbarte zustehen kann276. Wird ein nicht ordnungsgemäß mitbestimmtes Vergütungssystem im Zuge von Neueinstellungen eingeführt, stellt sich die grundsätzliche Frage, auf welches Niveau diese Arbeitnehmer aufgrund der Mißachtung der Mitbestimmung „zurückfallen“. Können sie Ansprüche aus bisher bestehenden Vergütungssystemen ableiten oder bleiben sie letztlich doch auf die vertragliche Abrede verwiesen? Das BAG geht davon aus, daß die Verletzung der Mitbestimmung in diesen Fällen zu einer Anspruchsberechtigung hinsichtlich der im Betrieb geltenden Vergütungsordnung führt277. Das hat weitreichende Folgen, vor allem wenn der Arbeitgeber nach bisher einheitlicher Tarifanwendung Neueingestellten keine Behandlung mehr tung Nr. 76 = NZA 2003, 570; Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, § 87 Rn. 604; GK-BetrVG/Wiese, BetrVG, § 87 Rn. 960. 274 Vgl. zum Arbeitsentgelt oben § 6 E. II. 2. a), S. 310 f. und zur Arbeitszeit oben § 6 E. II. 2. b), S. 312. 275 Grundlegend BAG vom 20.8.1991 – 1 AZR 326/90 – AP Nr. 50 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung = EzA § 87 BetrVG 1972 Betriebliche Lohngestaltung Nr. 29 = NZA 1992, 225; so auch BAG vom 11.6.2002 – 1 AZR 390/01 – AP Nr. 113 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung = EzA § 87 BetrVG 1972 Betriebliche Lohngestaltung Nr. 76 = NZA 2003, 570; GK-BetrVG/Wiese, § 87 Rn. 128. 276 BAG vom 11.6.2002 – 1 AZR 390/01 – EzA § 87 BetrVG Betriebliche Lohngestaltung Nr. 76 = AP Nr. 113 zu § 87 BetrVG 1972 = NZA 2003, 570. 277 BAG vom 11.6.2002 – 1 AZR 390/01 – EzA § 87 BetrVG Betriebliche Lohngestaltung Nr. 76 = AP Nr. 113 zu § 87 BetrVG 1972 = NZA 2003, 570.
E. Mitbestimmung des Betriebsrats
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nach einem Tarifvertrag gewähren will. Aus der Rechtsprechung ergibt sich die Konsequenz, daß der Arbeitgeber gegenüber neueingestellten, nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern auf einen Tarifvertrag verpflichtet wird278. Dies sogar dann, wenn dieser lediglich noch nachwirkt – wobei das BAG freilich entgegen der hier vertretenen Meinung wegen § 87 Abs. 1 BetrVG nur in diesem Fall überhaupt eine Mitbestimmungspflicht annimmt. Unabhängig davon fällt es schwer, dem Ansatz des BAG zu folgen. Denn im Ergebnis wird ein Anspruch ohne Anspruchsgrundlage konstruiert. Insbesondere ist die rechtliche Qualität jener Vergütungsordnung nicht zu erkennen, die imstande sein soll, abweichende arbeitsvertragliche Vereinbarungen außer Kraft zu setzen. Im Ergebnis kann es bei Neueinstellungen trotz mitbestimmungswidriger Vergütungsstruktur nur bei der arbeitsvertraglichen Vereinbarung bleiben. Die Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung kann keine Ansprüche erzeugen, für die es sonst keine Anspruchsgrundlage gibt. Auch ein Rückgriff auf die betrieblich übliche „Ersatzordnung“ im Sinne des § 612 Abs. 2 BGB hilft nicht weiter, obwohl man das auf den ersten Blick in Analogie zu den Fällen nichtiger Lohnvereinbarungen zunächst erwägen könnte279. Denn es fehlt den neueingestellten Arbeitnehmern an dem erforderlichen status quo ante280. Auch diesbezüglich kann die erwünschte Unwirksamkeitsfolge in Ermangelung einer tragfähigen Grundlage nicht aus der bloßen Mißachtung der Mitbestimmung konstruiert werden. Stoßen neueingestellte nichtorganisierte Arbeitnehmer bei Zweiteilung der Belegschaft allerdings auf ein außertarifliches Vergütungssystem, sind sie in dieses einzugruppieren. Ein darauf gerichteter Vergütungsanspruch ergibt sich insoweit aus dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz. Lediglich wenn hinsichtlich der neu begründeten Arbeitsverhältnisse ein kollektiv ungeregelter Zustand vorliegt, stellt sich die Frage, ob diese von einem abgelösten tariflichen Vergütungssystem partizipieren können. III. Mitbestimmung nach § 99 Abs. 1 BetrVG Neben die Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten tritt in Betrieben mit mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern die in personellen Angelegenheiten gemäß § 99 BetrVG. Davon erfaßt sind vier abschließend aufge278 279
Kritisch deshalb Stein, SAE 2005, 169, 170. So insbesondere Stein, SAE 2005, 169, 170; ähnlich Thüsing, EWiR 2003, 95,
96. 280 Reichold, Anm. zu BAG vom 2.3.2004 – 1 AZR 271/03 – AP Nr. 31 zu § 3 TVG; ebenso Caspers, in: FS Löwisch, S. 45, 51 ff.
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§ 6 Belegschaftsteilung auf Grundlage des Arbeitsvertrags
zählte Einzelmaßnahmen: die Einstellung, die Eingruppierung, die Umgruppierung und die Versetzung. Für die Zweiteilung der Belegschaft von Bedeutung sind die Ein- und Umgruppierung sowie die Einstellung; letztere auch, weil die Rechtsprechung bestimmte Arbeitszeitregelungen nicht nur der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 BetrVG unterwirft, sondern darin ebenso eine zustimmungsbedürftige Einstellung im Sinne des § 99 Abs. 1 BetrVG liegen kann. 1. Einstellung Die Einstellungsmitbestimmung nach § 99 BetrVG betrifft in erster Linie den Fall der Begründung neuer Arbeitsverhältnisse. Davon zu unterscheiden ist die Eingruppierung in ein betriebliches Vergütungssystem. Die Einstellung neuer Arbeitnehmer bedarf unabhängig von der Eingruppierung der Zustimmung des Betriebsrats281. Darüber hinaus soll nach der Rechtsprechung des BAG in einer nicht nur unerheblichen Erhöhung der Arbeitszeit schon beschäftigter Arbeitnehmer eine neuerliche mitbestimmungspflichtige Einstellung liegen282. Zumindest soll das dann gelten, wenn die Arbeitszeiterhöhung länger als einen Monat dauert und der Arbeitgeber den mittels der Arbeitszeiterhöhung zu besetzenden Arbeitsplatz vorher ausgeschrieben hat. Kritik verdient diese Rechtsprechung nicht nur aufgrund der vagen Vorgaben, ab welchem Maß der Arbeitszeiterhöhung denn nun eine neuerliche Einstellung vorliegen soll. Vor allem wird dadurch der Wortlaut des § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG überdehnt283. Arbeitgeber, die zur Zweiteilung der Belegschaft greifen und nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern etwa statt bisher 35 Stunden arbeitsvertraglich 40 oder mehr Stunden Wochenarbeitszeit anbieten, sollten es jedenfalls vermeiden, entsprechende Arbeitsplätze vorher auszuschreiben oder vorsorglich die Zustimmung des Betriebsrats einholen. Einer Beteiligung des Betriebsrats bedarf es zudem, wenn zwar keine Ausschreibung erfolgt ist, der Betriebsrat diese aber nach § 93 BetrVG zu Recht verlangt hat. Auch nach Ansicht der Rechtsprechung kann dagegen die Absenkung des bisher vereinbarten Arbeitszeitvolumens Mitbestimmungsrechte nicht auslö281 Zu den Einzelheiten Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, § 99 Rn. 30 ff.; GK-BetrVG/Kraft/Raab, § 99 Rn. 22 ff.; siehe auch Bepler, NZA Sonderbeilage 1/2006, S. 45, 45 ff. 282 BAG vom 25.1.2005 – 1 ABR 59/03 – AP Nr. 114 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit = EzA § 99 BetrVG 2001 Einstellung Nr. 3 = NZA 2005, 945. 283 Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, § 99 Rn. 40; Hunold, NZA 2005, 910, 911 f.
E. Mitbestimmung des Betriebsrats
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sen284. Darin liegt weder eine Einstellung noch eine Versetzung. Dieser Fall dürfte für die Zweiteilung der Belegschaft aufgrund des anhaltenden Trends stetiger tariflicher Arbeitszeitverkürzung allerdings kaum praktisch werden. Unternehmen, die dies betriebswirtschaftlich oder produktionstechnisch nicht mehr nachvollziehen können, bietet sich gerade die Möglichkeit, den tariflichen Trend arbeitsvertraglich zu stoppen oder umzukehren. 2. Eingruppierung Bei Neueinstellungen trifft den Arbeitgeber die Pflicht zur Eingruppierung und dementsprechend zur Beteiligung des Betriebsrates nach § 99 Abs. 1 BetrVG. Eingruppierung meint die Zuordnung eines Arbeitnehmers zu einer bestimmten Vergütungsgruppe einer einschlägigen Vergütungsordnung. Voraussetzung ist, daß eine anwendbare Vergütungsordnung besteht und das Arbeitsverhältnis dieser Vergütungsordnung unterfällt. Besteht keine Vergütungsordnung, entfällt die Eingruppierung285. Unerheblich ist es, ob sich die maßgeblichen Lohn- und Gehaltsgruppenmerkmale aus einem Tarifvertrag, einer Betriebsvereinbarung oder aus einer auf arbeitsvertraglicher Grundlage erlassenen Ordnung ergeben286. Eine Vergütungsordnung kann insbesondere auch aufgrund einzelvertraglicher Vereinbarungen allgemein zur Anwendung kommen287. Existiert neben einer tariflichen eine außertarifliche Vergütungsordnung, bezieht sich das Mitbestimmungsrecht bei der Eingruppierung tariffreier Arbeitnehmer auf dieses Vergütungssystem288. Die Eingruppierung in ein tarifliches Vergütungssystem kann der Betriebsrat nur verlangen, wenn der Arbeitsvertrag eine Bezugnahmeklausel enthält. Dem Betriebsrat steht außerdem kein Unterlas284
BAG vom 25.1.2005 – 1 ABR 59/03 – AP Nr. 114 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit = EzA § 99 BetrVG 2001 Einstellung Nr. 3 = NZA 2005, 945. 285 BAG vom 23.9.2003 – 1 ABR 35/02 – AP Nr. 28 zu § 99 BetrVG 1972 Eingruppierung = EzA § 99 BetrVG 2001 Nr. 3 = NZA 2004, 800; Fitting/Engels/ Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, § 99 Rn. 75. 286 BAG vom 26.10.2004 – 1 ABR 37/03 – AP Nr. 29 zu § 99 BetrVG 1972 Eingruppierung = EzA § 99 BetrVG 2001 Umgruppierung Nr. 2 = NZA 2005, 367; BAG vom 23.11.1993 – 1 ABR 34/93 – AP Nr. 111 zu § 99 BetrVG 1972 = EzA § 99 BetrVG 1972 Nr. 119 = NZA 1994, 461; BAG vom 28.1.1986 – 1 ABR 8/84 – AP Nr. 32 zu § 99 BetrVG 1972 = EzA § 99 BetrVG 1972 Nr. 47 = NZA 1986, 536. 287 BAG vom 18.11.2003 – 1 AZR 604/02 – AP Nr. 15 zu § 77 BetrVG 1972 Nachwirkung = EzA § 77 BetrVG 2001 Nr. 9 = NZA 2004, 803. 288 BAG vom 28.1.1986 – 1 ABR 8/84 – AP Nr. 32 zu § 99 BetrVG 1972 = EzA § 99 BetrVG 1972 Nr. 47 = NZA 1986, 536; Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, § 99 Rn. 75; Richardi/Thüsing, BetrVG, § 99 Rn. 70; GK-BetrVG/Kraft/Raab, § 99 Rn. 41.
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§ 6 Belegschaftsteilung auf Grundlage des Arbeitsvertrags
sungsanspruch zu, wenn der Arbeitgeber mit tariffreien Arbeitnehmern abweichende Vereinbarungen trifft289. Greift der Arbeitgeber bei neueingestellten Arbeitnehmer zur Belegschaftsteilung, sind diese nur einzugruppieren, wenn bereits eine betriebliche Vergütungsordnung besteht. Ist das nicht der Fall, entfällt die Pflicht zur Eingruppierung. Eine Mitbestimmungswidrigkeit kann sich dann nur daraus ergeben, daß im Zuge der Neueinstellungen ein Vergütungssystem einführt wird, ohne daß der Betriebsrat hieran beteiligt wird. Keinesfalls erwächst Neueingestellten aber ein Anspruch aus einem tariflichen Vergütungssystem, wenn sich dafür aus dem Arbeitsvertrag kein Geltungsgrund ergibt290. 3. Umgruppierung Von zentraler Bedeutung für den Wechsel von einem tariflichen in ein arbeitsvertragliches Vergütungssystem ist die Umgruppierungsmitbestimmung nach § 99 Abs. 1 BetrVG. Dagegen betreffen Einstellung und Eingruppierung im wesentlichen Neueinstellungen – sieht man einmal von der Rechtsprechung zur Arbeitszeiterhöhung ab291. Umgruppierung meint jede Änderung der Einreihung in ein Lohn- und Gehaltsgruppensystem, unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer ein höheres, eine niedrigeres oder weiterhin das gleiche Arbeitsentgelt erzielt292. Keine Rolle spielt es für den Mitbestimmungstatbestand, weshalb die Umgruppierung erfolgt. Eine Umgruppierung liegt ebenso bei der Ausgruppierung aus einer bisher maßgeblichen Vergütungsordnung verbunden mit der Neueingruppierung in ein neues Vergütungssystem vor, selbst wenn sich für den Arbeitnehmer bei gleichbleibender Tätigkeit nur die Vergütungsordnung ändert293. Der Umgruppierung bedarf es folglich, wenn eine bisher einheitlich im Betrieb angewandte tarifliche Vergütungsordnung im Hinblick auf 289
LAG Nürnberg vom 21.9.2005 – 9 TaBV 47/04 – NZA-RR 2006, 204 = BB 2006, 1640. 290 Vgl. oben § 6 E. II. 3. d), S. 316 f. 291 Dazu BAG vom 25.1.2005 – 1 ABR 59/03 – AP Nr. 114 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit = EzA § 99 BetrVG 2001 Einstellung Nr. 3 = NZA 2005, 945. 292 BAG vom 26.10.2004 – 1 ABR 37/03 – AP Nr. 29 zu § 99 BetrVG 1972 Eingruppierung = EzA § 99 BetrVG 2001 Umgruppierung Nr. 2 = NZA 2005, 367; Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, § 99 Rn. 86; GK-BetrVG/ Kraft/Raab, § 99 Rn. 50; Richardi/Thüsing, BetrVG, § 99 Rn. 82. 293 BAG vom 26.10.2004 – 1 ABR 37/03 – AP Nr. 29 zu § 99 BetrVG 1972 Eingruppierung = EzA § 99 BetrVG 2001 Umgruppierung Nr. 2 = NZA 2005, 367; BAG vom 10.12.2002 – 1 ABR 27/01 – AP Nr. 42 zu § 95 BetrVG 1972 = EzA § 99 BetrVG 2001 Umgruppierung Nr. 1 = ZTR 2003, 584; BAG vom 27.7.1993
E. Mitbestimmung des Betriebsrats
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die tariffreien Arbeitnehmer durch eine außertarifliche abgelöst werden soll. Diesbezüglich ist der Betriebsrat nicht nur bei der Aufstellung der neuen Vergütungsordnung nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG zu beteiligen294, darüber hinaus ist seine Zustimmung für die Umgruppierung der einzelnen Arbeitnehmer nach § 99 Abs. 1 BetrVG erforderlich. Ohne Belang für das Mitbestimmungsrecht aus § 99 Abs. 1 BetrVG ist es, ob die Umgruppierung einseitig durch den Arbeitgeber vorgenommen oder ob sie nur im Wege einer Vertragsänderung oder einer Änderungskündigung umgesetzt werden kann295. Im letztgenannten Fall ist gleichwohl zusätzlich § 102 Abs. 1 BetrVG zu beachten296. 4. Zustimmungsverweigerungsgründe Die nach § 99 Abs. 1 BetrVG erforderliche Zustimmung kann der Betriebsrat nur nach den in § 99 Abs. 2 BetrVG abschließend aufgezählten Gründen verweigern. a) § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG Bei der differenzierten Beurteilung von tarifgebundenen und tariffreien Arbeitnehmern stützen sich Betriebsräte vornehmlich auf § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG und berufen sich auf einen Gesetzesverstoß oder einen Verstoß gegen den Tarifvertrag. Bei fehlender beiderseitiger Tarifbindung geht die Berufung auf einen Tarifverstroß allerdings von vornherein fehl, wenn nicht ausnahmsweise Betriebsnormen in Rede stehen297. Das Feld des Gesetzesverstoßes ist zwar weiter, allerdings kann der Betriebsrat seine Zustimmung nur verweigern, wenn die personelle Maßnahme selbst gegen ein Gesetz verstößt. Geht es um eine Einstellung, muß sie als solche untersagt sein. Es genügt noch nicht, daß einzelne Vertragsbedingungen rechtswidrig sind. Das BAG stellt in einer Reihe von Entscheidungen deutlich heraus, daß das Mitbestimmungsrecht bei der Einstellung kein Instrument für eine umfassende Vertragsinhaltskontrolle ist298. – 1 ABR 11/93 – AP Nr. 110 zu § 99 BetrVG 1972 = EzA § 99 BetrVG 1972 Nr. 116 = NZA 1994, 952. 294 Dazu oben § 6 E. II. 2, S. 310 ff. 295 GK-BetrVG/Kraft/Raab, BetrVG, § 99 Rn. 53. 296 Vgl. dazu unten § 8 B. II. 3. e), S. 378. 297 Zum begrenzten Regelungsbereich von Betriebsnormen oben § 6 B. II., S. 263. 298 Etwa BAG vom 14.12.2004 – 1 ABR 54/03 – AP Nr. 121 zu § 99 BetrVG 1972 = EzA § 99 BetrVG 2001 Einstellung Nr. 1 = NZA 2005, 424; BAG vom
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§ 6 Belegschaftsteilung auf Grundlage des Arbeitsvertrags
Jedenfalls verstößt das Auswahlkriterium Gewerkschaftszugehörigkeit im Sinne von § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG gegen Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG, der schon bei der Einstellung von Arbeitnehmern jede Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit verbietet299. Auch der Betriebsrat kann seine Zustimmung zu einer Einstellung nicht davon abhängig machen, daß etwa ein Arbeitnehmer einer Gewerkschaft beitritt300. Die Zustimmung darf aber nicht deshalb verweigern werden, weil eine untertarifliche Bezahlung vorgesehen ist. Um einer Gesetzesverletzung zu begegnen, ist es nicht erforderlich, daß die Einstellung unterbleibt. Der Verweis auf eine Gesetzesverletzung hülfe bei nichtorganisierten Arbeitnehmern zwar auch materiell nicht weiter, nach zutreffender Rechtsprechung des BAG ist dem Betriebsrat dieser Einwand aber von vornherein abgeschnitten, weil sie sich jedenfalls nicht auf die Einstellung als solche bezöge301. Bei tariffreien Arbeitnehmern kann der Betriebsrat die Zustimmungsverweigerung auch im Rahmen der Ein- und Umgruppierung nicht darauf stützen, daß diese zu untertariflichen Arbeitsbedingungen beschäftigt werden302, auch dann nicht, wenn Neueingestellte zu schlechteren Arbeitsbedingungen als die bislang im Betrieb tätigen Arbeitnehmer beschäftigt werden, weil insoweit kein Bezug zur Eingruppierung besteht303. Die Einoder Umgruppierung in eine mitbestimmungswidrig geschaffene Vergütungsordnung berechtigt den Betriebsrat hingegen, nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG die Zustimmung zu verweigern304. Zum mitbestimmungspflichtigen Eingruppierungsvorgang gehört die Frage, ob der Arbeitgeber die zutreffende Vergütungsordnung anwendet.
28.3.2000 – 1 ABR 16/99 – AP Nr. 27 zu § 99 BetrVG 1972 Einstellung = EzA § 99 BetrVG 1972 Einstellung Nr. 6 = NZA 2000, 1294; BAG vom 9.7.1996 – 1 ABR 55/95 – AP Nr. 9 zu § 99 BetrVG 1972 Einstellung = EzA § 99 BetrVG 1972 Einstellung Nr. 1 = NZA 1997, 447. 299 BAG vom 28.3.2000 – 1 ABR 16/99 – AP Nr. 27 zu § 99 BetrVG 1972 Einstellung = EzA § 99 BetrVG 1972 Einstellung Nr. 6 = NZA 2000, 1294. 300 BAG vom 2.6.1987 – 1 AZR 651/85 – AP Nr. 49 zu Art. 9 GG = EzA Art. 9 GG Nr. 43 = NZA 1988, 64; Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, § 75 Rn. 49; GK-BetrVG/Kreutz, § 75 Rn. 54. 301 BAG vom 28.3.2000 – 1 ABR 16/99 – AP Nr. 27 zu § 99 BetrVG 1972 Einstellung = EzA § 99 BetrVG 1972 Einstellung Nr. 6 = NZA 2000, 1294. 302 BAG vom 9.7.1996 – 1 ABR 55/95 – AP Nr. 9 zu § 99 BetrVG 1972 Einstellung = EzA § 99 BetrVG 1972 Einstellung Nr. 1 = NZA 1997, 447. 303 BAG vom 27.6.2000 – 1 ABR 29/99 – ZTR 2001, 188. 304 BAG vom 27.6.2000 – 1 ABR 36/99 – AP Nr. 23 zu § 99 BetrVG 1972 Eingruppierung = EzA § 99 BetrVG 1972 Eingruppierung Nr. 3 = NZA 2001, 626; BAG vom 12.8.1997 – 1 ABR 13/97 – AP Nr. 14 zu § 99 BetrVG 1972 Eingruppierung = EzA § 99 BetrVG 1972 Umgruppierung Nr. 1 = NZA 1998, 378.
E. Mitbestimmung des Betriebsrats
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b) § 99 Abs. 2 Nr. 3 BetrVG Nach § 99 Abs. 2 Nr. 3 BetrVG kann der Betriebsrat seine Zustimmung verweigern, wenn die begründete Besorgnis besteht, daß infolge der personellen Maßnahme schon im Betrieb beschäftigte Arbeitnehmer gekündigt werden oder sonstige Nachteile erleiden, ohne daß das aus betrieblichen oder persönlichen Gründen gerechtfertigt wäre. Zur Annahme eines hier zu berücksichtigenden Nachteils reicht allerdings nicht die Befürchtung aus, der Arbeitgeber könnte im Hinblick auf die Andersbehandlung tariffreier Arbeitnehmer versuchen, tarifgebundene Arbeitnehmer zu einer Anpassung der Arbeitsbedingungen zu bewegen oder diese gar kündigen. Das gilt genauso für neueingestellte Arbeitnehmer, die zu geänderten Arbeitsbedingungen beschäftigt werden305. Generell begründet die Eingruppierung oder die Einstellung von Arbeitnehmern zu vergleichsweise anderen und auch schlechteren Arbeitsbedingungen kein Zustimmungsverweigerungsrecht nach § 99 Abs. 2 Nr. 3 BetrVG. Erforderlich für eine berechtigte Zustimmungsverweigerung ist immer, daß die genannten Nachteile „infolge“ der personellen Maßnahme eintreten. Es ist aber nicht erkennbar, daß eine personelle Einzelmaßnahme, die den betroffenen Arbeitnehmer im Vergleich zu anderen Beschäftigten anders oder schlechter stellt, Nachteile für andere Beschäftigte besorgen ließe306. c) § 99 Abs. 2 Nr. 4 BetrVG Der Wahrung der Interessen des betroffenen Arbeitnehmers dient allein § 99 Abs. 2 Nr. 4 BetrVG. Danach kann der Betriebsrat seine Zustimmung verweigern, wenn der Arbeitnehmer selbst durch eine personelle Maßnahme benachteiligt wird. Die Rechtsprechung geht insofern allerdings davon aus, daß dieser Zustimmungsverweigerungsgrund generell nur bei Versetzungen in Betracht kommt307. Unabhängig davon kann dem Betriebsrat dann kein Zustimmungsverweigerungsrecht zukommen, wenn die personelle Maßnahme dem Wunsch der betreffenden Arbeitnehmer entspricht308. Infolgedessen können Ein- und 305 BAG vom 28.3.2000 – 1 ABR 16/99 – AP Nr. 27 zu § 99 BetrVG 1972 Einstellung = EzA § 99 BetrVG 1972 Einstellung Nr. 6 = NZA 2000, 1294. 306 Richardi/Thüsing, BetrVG, § 99 Rn. 209, spricht Ein- und Umgruppierungen jede nachteilige Wirkung auf anderer Arbeitnehmer ab. Ebenso Fitting/Engels/ Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, § 99 Rn. 196. 307 BAG vom 26.1.1988 – 1 AZR 531/86 – AP Nr. 50 zu § 99 BetrVG 1972 = EzA § 99 BetrVG 1972 Nr. 58 = NZA 1988, 476.
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§ 6 Belegschaftsteilung auf Grundlage des Arbeitsvertrags
Umgruppierungen in ein außertarifliches Vergütungssystem, welches auf einer arbeitsvertraglichen Gestaltung beruht, nie ein Recht zur Zustimmungsverweigerung für den Betriebsrat begründen. Auch hier gilt, daß die Zustimmungsverweigerung kein Instrument für eine Vertragsinhaltskontrolle ist309. Eine Andersbehandlung kann der Betriebsrat nur beanstanden, wenn sie auf einer unzutreffenden Eingruppierung beruht. Ansonsten greift weder § 99 Abs. 2 Nr. 1 noch Nr. 4, wenn es um die Beurteilung der Arbeitsbedingungen geht. 5. Rechtsfolgen betriebsverfassungswidriger Maßnahmen Nach § 101 BetrVG kann der Betriebsrat beim Arbeitsgericht die Aufhebung einer personellen Einzelmaßnahme verlangen, wenn der Arbeitgeber diese ohne Zustimmung des Betriebsrats oder ohne Ersetzung der Zustimmung durch das Arbeitsgericht durchgeführt hat. Gegebenenfalls kann der Arbeitgeber dazu durch Zwangsgeld angehalten werden. Daneben kommt bei groben Verstößen gegen das Mitbestimmungsrecht ein Unterlassungsanspruch gemäß § 23 Abs. 3 BetrVG in Betracht310. Anders als im Rahmen des § 87 Abs. 1 BetrVG steht dem Betriebsrat hier aber kein allgemeiner Unterlassungsanspruch zur Durchsetzung seiner Beteiligungsrechte zu. Unbeschadet der speziellen Regelung des § 23 Abs. 3 BetrVG sind die kollektiven Rechtsfolgen nicht ordnungsgemäßer Betriebsratsbeteiligung abschließend in § 101 BetrVG geregelt311. Grundlage für die Auswirkungen der fehlenden Mitbestimmung auf das einzelne Arbeitsverhältnis ist das Prinzip der Trennung zwischen personeller Einzelmaßnahme und zugrundeliegender Arbeitsvertragsgestaltung. Hier muß zudem zwischen den einzelnen personellen Maßnahmen unterschieden werden: bei der Einstellung handelt es sich um einen Gestaltungsakt des Arbeitgebers, während die Ein- und Umgruppierung lediglich Beurteilungsakte sind, die keine nach außen wirksamen Maßnahmen darstellen. 308 BAG vom 20.9.1990 – 1 ABR 37/90 – AP Nr. 84 zu § 99 BetrVG 1972 = EzA § 99 BetrVG Nr. 95 = NZA 1991, 195; Kania, in: ErfK, § 99 BetrVG Rn. 32; GK-BetrVG/Kraft/Raab, BetrVG, § 99 Rn. 143; Matthes, in: Münchener Handbuch ArbeitsR, Bd. 3, § 352 Rn. 82; a. A. Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, § 99 Rn. 202; Kittner, in: Däubler/Kittner/Klebe, BetrVG, § 99 Rn. 194. 309 Siehe bereits zu § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG: § 6 E. III. 4. a), S. 321. Im übrigen Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, § 99 Rn. 201; Kania, in: ErfK, § 99 BetrVG Rn. 33; Kittner, in: Däubler/Kittner/Klebe, BetrVG, § 99 Rn. 193; Richardi/Thüsing, BetrVG, § 99 Rn. 228. 310 BAG vom 17.3.1987 – 1 ABR 65/85 – AP Nr. 7 zu § 23 BetrVG 1972 = EzA § 23 BetrVG 1972 Nr. 16 = NZA 1987, 786. 311 Kania, in: ErfK, Einl. vor § 74 BetrVG Rn. 32 m. w. Nachw.
E. Mitbestimmung des Betriebsrats
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Mitbestimmungswidrige Einstellungen berühren die Rechtswirksamkeit des Arbeitsvertrags zunächst nicht312. Erst wenn der Betriebsrat erfolgreich nach § 101 BetrVG vorgegangen ist, wird die Beschäftigung rechtlich unmöglich, was in der Folge einen betriebsbedingten Kündigungsgrund entstehen läßt. Keine individualrechtliche Auswirkung hat dagegen die Verletzung der Mitbestimmung bei Ein- und Umgruppierungen. Maßgeblich kann hier allein die objektive Richtigkeit sein, nicht hingegen die Einhaltung des Verfahrens313. Bei Entgeltsystemen, die einer außertariflichen Arbeitsvertragsgestaltung zugrunde gelegt werden, beschränkt sich das Verfahren zudem auf die Feststellung, welcher Gruppe der Arbeitnehmer zuzuordnen ist. Für das Arbeitsentgelt ist indes allein die arbeitsvertragliche Abrede maßgebend. IV. Keine tarifliche Erweiterung der Mitbestimmungsrechte Nicht zulässig ist es, die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats gegenüber nichtorganisierten Arbeitnehmern darüber hinaus tariflich zu erweitern314. Über eine derartige Erweiterung der betrieblichen Mitbestimmungsrechte würde eine unzulässige Außenseiterwirkung geschaffen315. Die Mitbestimmung kann durch einen Tarifvertrag weder eingeschränkt noch erweitert werden316. Auch mittelbar können die Tarifvertragsparteien das Mitbestimmungsrecht gegenüber Tarifaußenseitern nicht verstärken, indem sie etwa besondere Bestimmungen für personelle Einzelmaßnahmen treffen.
312
BAG vom 2.7.1980 – 5 AZR 56/79 – AP Nr. 5 zu § 101 BetrVG 1972 = SAE 1982, 149; BAG vom 28.2.1992 – 1 ABR 73/91 – AP Nr. 98 zu § 99 BetrVG 1972 = EzA § 99 BetrVG 1972 Nr. 106 = NZA 1992, 1141; BAG vom 5.4.2001 – 2 AZR 580/99 – AP Nr. 32 zu § 99 BetrVG 1972 Einstellung = NZA 2001, 893; Galperin/Löwisch, BetrVG, § 99 Rn. 11; GK-BetrVG/Kraft/Raab, § 99 Rn. 125; Richardi/Thüsing, BetrVG, § 99 Rn. 293; a. A. Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/ Linsenmaier, BetrVG, § 99 Rn. 227. 313 BAG vom 3.5.1994 – 1 ABR 58/93 – AP Nr. 2 zu § 99 BetrVG 1972 Eingruppierung = EzA § 99 BetrVG 1972 Nr. 122 = NZA 1995, 484. 314 So aber BAG vom 18.8.1987 – 1 ABR 30/86 – AP Nr. 23 zu § 77 BetrVG 1972 = EzA § 77 BetrVG 1972 Nr. 18 = NZA 1987, 779; dagegen schon oben § 5 A. I. 2. e), S. 224 f. 315 Löwisch/Rieble, in: Münchener Handbuch ArbeitsR, Bd. 3, § 261 Rn. 31; Richardi, in: Münchener Handbuch ArbeitsR, Bd. 3, § 241 Rn. 61. 316 Richardi/Thüsing, BetrVG, § 99 Rn. 7.
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§ 6 Belegschaftsteilung auf Grundlage des Arbeitsvertrags
F. Kein gewerkschaftlicher Gesamtunterlassungsanspruch aus § 1004 BGB i. V. m. Art. 9 Abs. 3 GG Gegen die Arbeitsvertragsgestaltung mit tariffreien Arbeitnehmern steht den Koalitionen kein auf § 1004 BGB i. V. m. Art. 9 Abs. 3 GG gestützter quasi-negatorischer Gesamtunterlassungsanspruch zu317. Zwar hat das BAG im Burda-Beschluß einen Unterlassungsanspruch gegen tarifwidrige Abmachungen auf koalitionsrechtlicher Grundlage anerkannt, mittels dessen die Gewerkschaften aus eigenem Recht verlangen und durchsetzen können, daß ihre Mitglieder unter die Wirkung ihrer Tarifnormen gelangen318. Dieser dient aber ausschließlich der Einhaltung der Tariftreue und verschafft nur im Hinblick auf die Gewerkschaftsmitglieder einen Durchgriffsanspruch gegen tarifbrüchige Arbeitgeber. Bei der Gestaltung von Außenseiterarbeitsverhältnissen kann ein koalitionsrechtlicher Unterlassungsanspruch deswegen keine Rolle spielen319. Soweit das BAG angedeutet hat, daß eine Ausnahme zu machen sei, wenn der Arbeitgeber „entsprechende Vereinbarungen keinesfalls allein mit den Tarifaußenseitern treffen wollte“320, bezieht sich das jedenfalls nicht auf die Arbeitsvertragsgestaltung – um die es hier geht – sondern allenfalls auf eine zugrunde liegende Regelungsabrede321.
G. Auf Tariffreie beschränkte Bündnisse für Arbeit Ist der gewerkschaftliche Unterlassungsanspruch grundsätzlich auf die gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer beschränkt, weist das auch einen Ausweg zur Rettung betrieblicher Bündnisse für Arbeit. Der Arbeitsvertragsgestaltung mit den tariffreien Arbeitnehmern können Gewerkschaften aus eigenem Recht nichts entgegensetzen. Bei Bündnissen für Arbeit stellt sich aber ein kündigungsrechtliches Sonderproblem: derartige Bündnisse haben regelmäßig den Ausschluß der or317
Ausführlich dazu oben § 5 C. II. 2., S. 253 f. BAG vom 20.4.1999 – 1 ABR 72/98 – AP Nr. 89 zu Art. 9 GG = EzA Art. 9 GG Nr. 65 = NZA 1999, 887. 319 Vgl. nur LAG Nürnberg vom 21.9.2005 – 9 TaBV 47/04 – NZA-RR 2006, 204 = BB 2006, 1640 = ZTR 2006, 226; siehe auch Bauer/Haußmann, NZA Sonderbeil. 3/2000, S. 42, 46. 320 BAG vom 20.4.1999 – 1 ABR 72/98 – AP Nr. 89 zu Art. 9 GG = EzA Art. 9 GG Nr. 65 = NZA 1999, 887. 321 Dazu, daß auch dann ein Einbezug tariffreier Arbeitnehmer in einen Unterlassungsanspruch der Gewerkschaft schon aus Gründen der begrenzten Reichweite der Tarifmacht abzulehnen ist: oben § 5 C. II. 2., S. 253 ff. 318
G. Auf Tariffreie beschränkte Bündnisse für Arbeit
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dentlichen betriebsbedingten Kündigung im Gegenzug für eine Reduzierung des Entgelts oder eine Erhöhung der Arbeitszeit zum Inhalt322. Hier stellt sich die Frage, ob eine, auf die tariffreien Arbeitnehmer beschränkte, Beschäftigungsgarantie kündigungsrechtlich zulässig ist. I. Grundsätzliche Zulässigkeit Die überwiegende Meinung sieht den Ausschluß der ordentlichen Kündigung als von der Privatautonomie gedeckt und daher als zulässig an323. Keine Rolle spielt es, ob sich die Vereinbarung aus einem Tarifvertrag, einer Betriebsvereinbarung324 oder aus dem Arbeitsvertrag ergibt. Auch das BAG stellt derartige Vereinbarungen nicht in Frage325. II. Folgen für die Sozialauswahl Bei einem beschränkten Sonderkündigungsschutz konzentriert sich die Folgenbewertung auf die Sozialauswahl bei betriebsbedingten Kündigungen, die nach § 1 Abs. 3 KSchG grundsätzlich alle vergleichbaren Arbeitnehmer eines Betriebs umfaßt. Nach der Rechtsprechung326 und der überwiegenden Ansicht im Schrifttum327 bleiben Arbeitnehmer mit Sonderkündigungsschutz bei der Sozialauswahl aber außen vor. Da ihnen gegenüber die ordentliche Kündigung 322 Vgl. die Fälle „Burda“: BAG vom 20.4.1999 – 1 ABR 72/98 – AP Nr. 89 zu Art. 9 GG und „Viessmann“: ArbG Marburg vom 7.8.1996 – 1 BV 6/96 – NZA 1996, 1331 = BB 1996, 2198. 323 Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, § 626 BGB Rn. 318a, § 1 KSchG Rn. 788; Hanau/Thüsing, in: Tarifautonomie im Wandel, S. 7, 20; Kiel, NZA Sonderbeilage 1/2005, S. 18; Kittner/Däubler/Zwanziger, KSchR, Einleitung Rn. 365; Preis/Hamacher, in: FS 50 Jahre der Arbeitsgerichtsbarkeit in Rheinland-Pfalz, S. 245, 247; Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, Rn. 790 ff.; dagegen aber v. Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 1 Rn. 457; Oetker, in: FS Wiese, S. 333, 340. 324 Kritisch Rieble, NZA 2003, 1243, 1244, mit dem Verweis auf § 77 Abs. 3 BetrVG und den Tarifvorrang. 325 BAG vom 30.9.2004 – 8 AZR 462/03 – AP Nr. 275 zu § 613a BGB = EzA § 613a BGB 2002 Nr. 28 = NZA 2005, 775; BAG vom 17.9.1998 – 2 AZR 419/97 – AP Nr. 148 zu § 626 BGB = EzA § 626 BGB Unkündbarkeit = NZA 1999, 850; BAG vom 5.2.1998 – 2 AZR 227/97 – AP Nr. 143 zu § 626 BGB = EzA § 626 BGB Unkündbarkeit Nr. 2 = NZA 1999, 850. 326 LAG Niedersachsen vom 11.6.2001 – 5 Sa 1932/00 – EzBAT § 53 BAT Betriebsbedingte Kündigung Nr. 42; LAG Brandenburg vom 29.10.1998 – 3 Sa 229/ 98 – NZA-RR 1999, 360. 327 Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, § 1 KSchG Rn. 695; KR/Etzel, § 1 KSchG Rn. 666; Däubler/Zwanziger/Kittner, KSchR, § 1 KSchG Rn. 445a; Stahl-
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§ 6 Belegschaftsteilung auf Grundlage des Arbeitsvertrags
ausgeschlossen ist, scheiden sie aus dem auswahlrelevanten Personenkreis – trotz im übrigen bestehender Vergleichbarkeit – aus. Fraglich ist, ob es zulässig ist, nur die tariffreien Arbeitnehmer auszunehmen. Darin könnte man einen Verstoß gegen § 1 Abs. 3 KSchG und eine Benachteiligung der Organisierten sehen, die nach Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG nichtig wäre328. Einen Verstoß gegen zwingende Vorschriften des Kündigungsschutzgesetzes lehnt die herrschende Meinung indes zu Recht ab329. Die Zusage einer Arbeitsplatzgarantie regelt schon nicht die Sozialauswahl, sondern das Kündigungsrecht des Arbeitgebers. Lediglich mittelbar wird die Sozialauswahl tangiert. Eingeschränkt wird nur der Kreis der auswahlrelevanten Personen und nicht die Auswahl selbst. Es handelt sich also nur um eine Vorstufe zur Sozialauswahl. Ebenso wie § 1 Abs. 3 KSchG keinen Schutz davor bietet, daß der Arbeitgeber durch organisatorische oder personelle Maßnahmen den Kreis der vergleichbaren Arbeitnehmer verändert, ist auch der vertragliche Ausschluß der ordentlichen Kündigung als bloßer Rechtsreflex unbeachtlich. Kündigungsrechtlich gibt es keinen Anspruch auf Aufrechterhaltung eines bestimmten Auswahlkreises. Schließlich entspricht es dem Prinzip der Vertragsfreiheit, daß die Parteien des Einzelarbeitsvertrags – nicht anders als die Tarifvertragsparteien – Vereinbarungen treffen können, durch die dem Arbeitnehmer ein, über den gesetzlichen Mindeststandard hinausgehender, Kündigungsschutz gewährt wird. Dies gilt zumal im Rahmen von Bündnissen für Arbeit, bei denen die Arbeitnehmer eine „Gegenleistung“ für den besonderen Bestandsschutz erbringen. Das Vertragsprinzip würde erheblich entwertet, wenn die Arbeitnehmer den besonderen Schutz in der Sozialauswahl wieder einbüßen würden. Auch der Einwand, es handelte sich um einen unzulässigen Vertrag zu Lasten Dritter, greift nicht durch330. Ein unzulässiger Vertrag zu Lasten Dritter liegt nur vor, wenn unmittelbar eine Rechtspflicht nichtbeteiligter hacke/Preis/Vossen, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, Rn. 1074; a. A. v. Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 1 Rn. 456. 328 Bedenken äußert etwa Wiedemann, RdA 2007, 65, 67. 329 BAG vom 2.6.2005 – 2 AZR 480/04 – AP Nr. 75 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl = EzA § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 63 = NZA 2006, 207; LAG Brandenburg vom 29.10.1998 – 3 Sa 229/98 – NZA-RR 1999, 360 = ZTR 1999, 232; Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, § 1 KSchG Rn. 693; KR/Etzel, § 1 KSchG Rn. 666; Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, Rn. 1074; Zwanziger, DB 2000, 2166, 2167 mit ablehnender Besprechung von ArbG Cottbus vom 17.5.2000 – 6 Ca 38/00 – AP Nr. 48 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl = EzA § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 44. 330 Etwa v. Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 1 Rn. 459; Künzl, ZTR 1996, 385, 389.
G. Auf Tariffreie beschränkte Bündnisse für Arbeit
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Dritter entstehen soll. Bloß reflektorische Drittwirkungen in einem Vertrag mit „Lastwirkung für Dritte“ fallen nicht darunter331. Im Fall des besonderen Kündigungsschutzes werden nicht einbezogene Arbeitnehmer nicht unmittelbar betroffen; für sie wird keine Rechtspflicht begründet. Sie sind nur mittelbar dadurch berührt, daß sich der Auswahlkreis bei einer betriebsbedingten Kündigung verkleinert. Die Wirkung des besonderen Kündigungsschutzes stellt sich im Falle einer betriebsbedingten Kündigung daher als unbeachtlicher Rechtsreflex dar332. Schließlich ist die Annahme, Arbeitnehmer, die in ein betriebliches Bündnis für Arbeit einbezogen sind, stünden in diskriminierungsrechtlicher Hinsicht besser, nicht begründet. Das ergibt sich mittelbar wiederum aus dem Burda-Beschluß333: wenn das BAG sich außerstande sieht, „Äpfel und Birnen“ miteinander zu vergleichen und Beschäftigungssicherungszusagen weder als günstiger noch als ungünstiger einstuft, kann in der Vereinbarung einer Arbeitsplatzgarantie im Gegenzug für Zugeständnisse beim Entgelt oder der Arbeitszeit grundsätzlich auch keine Besserstellung liegen. Es geht indessen nicht um einen exklusiven Vorteil nur für die tariffreien Arbeitnehmer. Den Tarifvertragsparteien steht es ebenso frei, für ihre Mitglieder besondere Arbeitsplatzgarantien auszuhandeln. Hier zeigt sich das gleichberechtigte Nebeneinander der verschiedenen Regelungssysteme, die sich im Systemwettbewerb behaupten müssen334. Nicht zuletzt deswegen kann im Falle eines beiderseitigen Ausschlusses der ordentlichen Kündigung auch kein Bestandsschutz vorrangig sein. Soweit innerhalb der Gruppe der ordentlich Unkündbaren eine Sozialauswahl vorzunehmen ist335, findet diese einheitlich, ohne Rücksicht auf den Ursprung des Bestandsschutzes statt.
331 Soergel/Hadding, § 328 Rn. 118; Gernhuber, Handbuch des Schuldrechts: Das Schuldverhältnis, § 23 I 1, S. 553; Gottwald, in: Münchener Kommentar zum BGB, § 328 Rn. 178, der von einer Lastwirkung gegenüber Dritten spricht, ebenso Martens, AcP 177 (1977), S. 113, 164 ff. 332 Ebenso Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, § 1 KSchG Rn. 798; Bitter/ Kiel, in: FS Schwerdtner, S. 13, 27; KR/Etzel, § 1 KSchG Rn. 666; Kania/Kramer, RdA 1995, 287, 288, die darauf hinweisen, daß zudem der Umstand, daß das Kündigungsschutzgesetz und damit § 1 Abs. 3 KSchG nicht auf alle Arbeitsverträge Anwendung findet, gegen die Annahme einer generellen Unwirksamkeit spricht. 333 BAG vom 20.4.1999 – 1 ABR 72/98 – AP Nr. 89 zu Art. 9 GG = EzA Art. 9 GG Nr. 65 = NZA 1999, 887. 334 Zum Wettbewerb der Regelungssysteme § 3, S. 153 ff. 335 BAG vom 5.2.1998 – 2 AZR 227/97 – AP Nr. 143 zu § 626 BGB = EzA § 626 BGB Unkündbarkeit Nr. 2.
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§ 6 Belegschaftsteilung auf Grundlage des Arbeitsvertrags
H. Ergebnis Von den drei arbeitsrechtlichen Regelungsinstrumenten ist der Arbeitsvertrag zwar das schwächste, weil die Rechtsordnung ihm am wenigsten Vertragsgerechtigkeit zutraut. Der Arbeitsvertrag hat aber den Vorteil, daß er weithin autonom gestaltet werden kann. Für eine Zweiteilung der Belegschaft ist der Arbeitsvertrag das entscheidende Gestaltungsinstrument, mit dem eine umfassende Regelfindung für die tariffreien Arbeitnehmer möglich ist. In Abweichung zum Tarifvertrag steht vor allem die Andersbehandlung der Außenseiter im Vordergrund: etwa längere und flexiblere Arbeitszeiten oder ein leistungsorientiertes Entgeltsystem. Der Tarifvertrag nimmt auf die Arbeitsvertragsgestaltung tariflicher Außenseiter grundsätzlich keinen unmittelbaren Einfluß. Vermittelt über den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz und das Günstigkeitsprinzip gibt er gleichwohl eine Obergrenze vor, ab der tarifgebundene Arbeitnehmer an einer Regelung zu beteiligen sind. Im außerund übertariflichen Bereich ist die sonst durch die Tarifgebundenheit gerechtfertigte Andersbehandlung nichtorganisierter Arbeitnehmer nur bei Vorliegen eines zusätzlichen sachlichen Grundes gerechtfertigt. Einer generellen und gezielten Besserstellung tariffreier Arbeitnehmer setzt zudem der koalitionsgrundrechtliche Diskriminierungsschutz aus Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG Grenzen. Wie tarifvertraglich die Koalitionszugehörigkeit nicht belohnt werden darf, darf auch der Arbeitgeber die fehlende Gewerkschaftsmitgliedschaft nicht honorieren. Die Beurteilung einer Besserstellung richtet sich nach einer Gesamtschau aller Arbeitsbedingungen und nicht nach einzelnen Sachgruppen, wobei ebenso Chancen und Risiken erfolgsabhängiger Vergütungsregelungen einzurechnen sind. Gestaltungsgrenzen nach unten ziehen das Sittengebot des § 138 BGB und die Inhaltskontrolle am Maßstab der §§ 307 ff. BGB. Beide Maßstäbe sind aber objektiv und nicht von vornherein nach Maßgabe eines Tarifvertrags zu bestimmen. Die Gleichstellung des Tarifvertrags mit Rechtsnormen im Rahmen des § 310 Abs. 4 Satz 3 BGB hat diesbezüglich keinen Paradigmenwechsel bewirkt. Außerhalb dieser Grenzen sind die nicht tarifgebundenen Vertragspartner des Arbeitsvertrags frei in ihrer Gestaltung. Es ist ihnen auch unbenommen, einen vertraglichen Ausschluß der ordentlichen Kündigung zu vereinbaren. Damit ist in bezug auf tarifliche Außenseiter insbesondere ein Ausweg zur Rettung betrieblicher Bündnisse für Arbeit eröffnet.
§ 7 Faktische Tarifbindung des Arbeitgebers durch Begrenzung seiner Informationsmöglichkeiten? Nachdem die Möglichkeiten für eine Belegschaftsteilung aufgezeigt sind, richtet sich der Blick nun auf die praktische Umsetzung. Diesbezüglich stellt sich die Frage, wie der Arbeitgeber, der zwischen tarifgebundenen und tariffreien Arbeitnehmern differenzieren will, Kenntnis davon erlangen kann, ob und welche Arbeitnehmer wie gewerkschaftlich organisiert und also tarifgebunden sind. Ohne diese Information bleibt ihm jede Differenzierung verwehrt. Die Kenntnis vom Organisationsstatus im einzelnen Arbeitsverhältnis ist notwendige Voraussetzung für die an die Tarifgebundenheit anknüpfende Belegschaftsteilung. Dürfte der Arbeitgeber nicht in Erfahrung bringen, wer seiner Arbeitnehmer tarifgebunden ist, verwiese ihn das auf die Bezugnahme als zwingende Gestaltung im Außenseiterarbeitsverhältnis, was einer faktischen Allgemeinverbindlichkeit aufgrund begrenzter Informationsmöglichkeiten gleichkäme.
A. Informationsinteresse des Arbeitgebers an der Gewerkschaftszugehörigkeit Wie jedes andere Vertragsverhältnis bringt auch das Arbeitsverhältnis bestimmte Informationsinteressen der Vertragspartner mit sich1. Bezogen auf die Belegschaftsteilung richtet sich das Hauptinteresse auf die Tarifbindung des Vertragspartners. Daran knüpft das Gesetz bei eigener Tarifbindung den Anspruch auf tarifliche Arbeitsbedingungen. Der Arbeitgeber ist demnach für die Erfüllung seiner Pflicht aus § 4 Abs. 1 TVG darauf angewiesen, zu erfahren, welche Arbeitnehmer Mitglied in einer Gewerkschaft sind, die Tarifpartner eines einschlägigen Tarifvertrags ist. Das Informationsinteresse folgt insofern aus dem Gesetz selbst2. Dementsprechend ist es darauf begrenzt, daß der Arbeitgeber selbst tarifgebunden ist und somit die Tarifbindung im einzelnen Arbeitsverhältnis von 1 Allg. dazu Buchner, in: Münchener Handbuch ArbeitsR, Bd. 1, § 41 Rn. 9 ff.; Kaehler, ZfA 2006, 519, 520 ff. 2 Auf die Erfüllung tarifvertraglicher Pflichten stellt auch Wank, in: ErfK, § 28 BDSG Rn. 7 ab.
332
§ 7 Faktische Tarifbindung des Arbeitgebers
der Koalitionszugehörigkeit des Arbeitnehmers abhängt. Der tariffreie Arbeitgeber hingegen kann kein berechtigtes Interesse geltend machen, zu erfahren, wer seiner Arbeitnehmer gewerkschaftlich organisiert ist. Mangels beiderseitiger Tarifbedingung fehlen für eine Tarifgeltung von vornherein die Voraussetzungen. Das gleiche gilt im Hinblick auf die überfällige Zulassung der Tarifpluralität im Betrieb3: kommt es zu einer parallelen Anwendung, jedenfalls der Individualnormen konkurrierender Tarifverträge, ist der Arbeitgeber zur Durchführung des Arbeitsverhältnisses ebenso darauf angewiesen, zu erfahren, wer in welcher Gewerkschaft organisiert ist4. Hier drängt neben der gesetzlichen Tarifnormgeltung die Koalitionsfreiheit des Arbeitgebers5 darauf, von der konkreten Koalitionszugehörigkeit der einzelnen Arbeitnehmer Kenntnis zu erlangen. Der von Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistete Tarifwettbewerb6 wäre für den Arbeitgeber andernfalls schlicht nicht nutzbar, wenn er den Koalitionsstatus seiner Vertragspartner nicht in Erfahrung bringen könnte7. Aber nicht nur in Hinblick auf die Gewährung tariflicher Arbeitsbedingungen hat der Arbeitgeber einen teils verfassungsrechtlich fundierten Informationsanspruch im Hinblick auf die Gewerkschaftszugehörigkeit seiner Arbeitnehmer. Bezogen auf eine beabsichtigte und von Rechts wegen zulässige Andersbehandlung der nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer ist er ebenso darauf angewiesen, zu erfahren, ob ein Tarifvertrag gilt8. Entscheidet sich der Arbeitgeber für das System der Belegschaftsteilung, folgt daraus notwendig ein berechtigtes Interesse an der Kenntnis der Tarifgebundenheit der einzelnen Arbeitnehmer, um die Gestaltungsmöglichkeiten des innerbetrieblichen Systemwettbewerbs9 nutzen zu können. Nur wer weiß, ob und welche Arbeitnehmer tarifgebunden sind, kann Alternativlösungen für die Tariffreien anbieten. Das mag den etablierten Koalitionen nicht ins Konzept passen – wie sie recht widersinnig auch die Tarifpluralität über ein Frageverbot zurückdrän3 Zur Zulässigkeit der Tarifpluralität im Betrieb und der überfälligen Verabschiedung des verfassungswidrigen Grundsatzes einer Tarifeinheit im Betrieb oben § 4 E., S. 187 ff. 4 Bayreuther, Tarifautonomie als kollektiv ausgeübte Privatautonomie, S. 392; Reichold, RdA 2007, 321, 327; Rieble, in: GS Heinze, S. 687, 694; Thüsing/von Medem, ZIP 2007, 510, 512. 5 Dazu oben § 4 E. II. 1., S. 189 f. 6 Zur verfassungsrechtlichen Gewährleistung des Tarifwettbewerbs oben § 4 B., S. 177 ff. 7 Siehe schon oben § 4 E. III. 4., S. 198. 8 Insbesondere Rieble, in: GS Heinze, S. 687, 693 ff. 9 Zum innerbetrieblichen Systemwettbewerb oben § 3 A., S. 153.
A. Informationsinteresse des Arbeitgebers an der Gewerkschaftszugehörigkeit 333
gen wollen10, ist aber unmittelbar Ausfluß der durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten arbeitsvertraglichen Gestaltungsfreiheit11. Weder der unerwünschten Tarif- noch der Außenseiterkonkurrenz kann mit einer Beschränkung berechtigter Informationsinteressen begegnet werden. Diese Argumentation stellt die verfassungsrechtlichen Wertungen und das gesamte Tarifsystem, das die beiderseitige Tarifgebundenheit zur Voraussetzung für die Geltung eines Tarifvertrags erhebt, auf den Kopf. Weil sich das TVG gegen eine Außenseiterbindung entschieden hat, eine Differenzierung zwischen Tarifgebundenen und Außenseitern also unmittelbar im Gesetz angelegt ist, kann daraus beim Fragerecht keine gegenteilige Wertung gezogen werden. Deutlich wird daran nur, daß es der zuweilen überspannten Diskussion um das Fragerecht nicht immer um die Interessen der Arbeitnehmer, sondern nicht selten um Organisationsinteressen der Verbände geht. Im Teilergebnis richtet sich das berechtigte Informationsinteresse des Arbeitgebers bezogen auf die Koalitionszugehörigkeit der Arbeitnehmer an zweierlei aus: zum einen ist er tarifrechtlich verpflichtet, den organisierten Arbeitnehmern die tariflichen Arbeitsbedingungen zu gewähren, und muß deswegen wissen, wem gegenüber diese – bei Tarifpluralität welche – rechtliche Pflicht besteht. Andererseits muß er wissen, wem gegenüber keine tarifliche Bindung besteht, wenn er tariffreie Arbeitnehmer anders behandeln will. In beiden Fällen verlangt die Rechtsanwendung die Feststellung der Tarifgebundenheit. Sie ist notwendiges Hilfsmittel zur korrekten Abwicklung des Arbeitsvertrags. Deswegen muß der Arbeitgeber nach der Gewerkschaftszugehörigkeit fragen dürfen. In der Diktion des BAG verfolgt der Arbeitgeber dem Grunde nach berechtigte, billigenswerte und schutzwürdige Interessen zur Durchführung des Arbeitsvertrags12. Da sich der Informationsanspruch als Konsequenz aus der Halbseitigkeit der Tarifgebundenheit ableitet, ergeben sich daraus gleichsam die Grenzen: der Arbeitgeber muß selbst tarifgebunden sein, die Informationserhebung darf sich nur auf die Mitgliedschaft in einer mit ihm oder seinem Verband kontrahierenden Gewerkschaft beziehen, und der Arbeitgeber muß beabsichtigen, seinen Arbeitnehmern nach dem Kriterium der Tarifgebundenheit differenzierte Arbeitsbedingungen13 zu gewähren. 10
Vgl. Thüsing/von Medem, ZIP 2007, 510, 512. Dazu § 6 A. I., S. 259 ff. 12 BAG vom 16.12.2004 – 2 AZR 148/04 – AP Nr. 64 zu § 123 BGB = EzA § 123 BGB 2002 Nr. 5 = NZA 2006, 624; BAG vom 6.2.2003 – 2 AZR 621/01 – AP Nr. 21 zu § 611a BGB = EzA § 123 BGB 2002 Nr. 2 = NZA 2003, 848; BAG vom 18.l0.2000 – 2 AZR 380/99 – AP Nr. 59 zu § 123 BGB = EzA § 123 BGB Nr. 56 = NZA 2001, 315. 13 Zur Zulässigkeit auf der betrieblichen Ebene § 5 B., S. 241 ff. und durch den Arbeitsvertrag § 6 D., S. 266 ff. 11
334
§ 7 Faktische Tarifbindung des Arbeitgebers
B. Einschränkung durch schutzwürdige Belange der Arbeitnehmer Trotz eines dem Grunde nach bestehenden Informationsanspruchs sind dem Fragerecht nach der Gewerkschaftszugehörigkeit Grenzen durch schutzwürdige Belange der Arbeitnehmer gesetzt. Zweifellos ist die Gewerkschaftszugehörigkeit des Arbeitnehmers ein sensibles Gut. Weil das Gesetz daran die Folge der zwingenden Tarifgeltung knüpft und dem Arbeitgeber dadurch seine Gestaltungsfreiheit nimmt, muß der Arbeitnehmer vor einer unbegrenzten Preisgabe dieser Information geschützt werden. Ein effektiver Schutz ist vor allem deswegen geboten, weil Art. 9 Abs. 3 GG jede auch nur mittelbare Benachteiligung wegen oder aufgrund der Koalitionszugehörigkeit verbietet. Die Einschränkung der Informationsfreiheit des Arbeitgebers ergibt sich unmittelbar aus dem verfassungsrechtlichen Diskriminierungsverbot – eines Rückgriffs auf den allgemeinen Persönlichkeitsschutz oder das fehlende objektive Interesse an der Auskunft bedarf es nicht14. Damit würde auch das eigentliche Anliegen, das mit der Beschränkung des Informationsanspruchs verfolgt wird, nicht zutreffend erfaßt15. Für den Schutz vor Benachteiligung aufgrund der Gewerkschaftszugehörigkeit kann es erforderlich sein, dem Arbeitgeber bereits den Zugang zu dieser Information zu verwehren, wenn nur dadurch dem Diskriminierungsverbot hinreichend Rechnung getragen werden kann16. Eine Diskriminierung ist dann von vornherein ausgeschlossen, weil der Arbeitgeber die entsprechenden Daten gar nicht zur Verfügung hat. Dennoch läßt sich aus Art. 9 Abs. 3 GG kein absolutes Informationserhebungsverbot ableiten, das die Arbeitgeberfrage nach der Gewerkschaftszugehörigkeit pauschal verbieten würde17. Vielmehr muß im Einzelfall eine konkrete Interessenabwägung zwischen den geschützten Arbeitnehmerbelangen und dem ebenso schutzwürdigen Informationsanspruch des Arbeitgebers getroffen werden. Weder dem Informations- noch dem Geheimhaltungsinteresse gebührt von vornherein der Vorrang. 14 Anders Boemke, NZA 2004, 142, 143 f., der den Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG über die fehlende rechtliche Relevanz herleitet. Wie hier dagegen Buchner, in: Münchener Handbuch ArbeitsR, Bd. 1, § 41 Rn. 12. 15 Pointiert Buchner, in: Münchener Handbuch ArbeitsR, Bd. 1, § 41 Rn. 17 m. weiteren Nachw. 16 Das gilt insbesondere für das arbeitsrechtliche Anbahnungsverhältnis: sogleich unten § 7 C. I, S. 335 ff. 17 Buchner, in: Münchener Handbuch ArbeitsR, Bd. 1, § 41 Rn. 18; Dieterich, in: ErfK, Art. 2 GG Rn. 97; Thüsing, in: Münchener Kommentar zum BGB, § 11 AGG Rn. 25; Preis, in: ErfK, § 611 BGB Rn. 349; Rieble, in: GS Heinze, S. 687, 693 ff.; für eine generelle Zulässigkeit Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, § 26 Rn. 17.
C. Konkrete Interessenabwägung
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C. Konkrete Interessenabwägung in Hinblick auf die Frage nach der Gewerkschaftszugehörigkeit Für die rechtliche Bewertung der Frage nach der Gewerkschaftszugehörigkeit ist zu berücksichtigen, ob und wie der Diskriminierungsschutz aus Art. 9 Abs. 3 GG anderweitig zur Geltung kommt und ein Eingriff in die Informationsfreiheit des Arbeitgebers deswegen nicht mehr gerechtfertigt ist. Das wiederum hängt maßgeblich von der Phase des Vertragsverhältnisses ab, in dem die Information erhoben werden soll: während es im arbeitsvertraglichen Anbahnungsverhältnis primär um die zu treffende Einstellungsentscheidung geht, spielen nach Vertragsschluß Fragen der konkreten Gestaltung ihre Hauptrolle. Dieser Unterschied führt zu einer differenzierten Abwägung des Informationsinteresses mit den berechtigten Geheimhaltungsinteressen der Arbeitnehmer. I. Frageverbot im Anbahnungsverhältnis 1. Grundsatz: Überwiegende Arbeitnehmerbelange Im arbeitsrechtlichen Anbahnungsverhältnis geht es primär um die Einstellungsentscheidung des Arbeitgebers. Sie ist für den Arbeitnehmer von herausragender existentieller Bedeutung. Zwar folgt aus der allgemeinen bürgerlich-rechtlichen Entscheidungsfreiheit über den Vertragsschluß auch das grundsätzliche Recht des Arbeitgebers, schon vor Abschluß des Arbeitsvertrags, wesentliche Informationen über seinen Vertragspartner einzuholen18. Gleichwohl erfährt es Einschränkungen durch Art. 9 Abs. 3 GG, was zu einer Abwägung der widerstreitenden Grundrechtspositionen führt. Die besondere Situation des arbeitsvertraglichen Anbahnungsverhältnisses ist dadurch geprägt, daß es dem Arbeitgeber zwar verboten ist, seine Einstellungsentscheidung auf die (fehlende) Gewerkschaftszugehörigkeit des Bewerbers zu stützen, der abgelehnte Bewerber aber darauf verwiesen ist, die Diskriminierung nachzuweisen, also darzulegen, daß der Koalitionsstatus bestimmend für die Entscheidung des Arbeitgebers war. Aus Art. 9 Abs. 3 GG folgt zwar nur ein Diskriminierungsschutz und kein primäres Informationserhebungsverbot19. Ein nur nachsorgender Schutz erscheint im arbeitsvertraglichen Anbahnungsverhältnis aber als zu schwach, weil ein abgelehnter Bewerber regelmäßig nicht in der Lage ist nachzuweisen, daß der Arbeitgeber sich bei seiner negativen Entscheidung über die Einstellung 18 19
Buchner, in: Münchener Handbuch ArbeitsR, Bd. 1, § 41 Rn. 9. Zutreffend klar differenziert bei Kaehler, ZfA 2006, 519, 533.
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§ 7 Faktische Tarifbindung des Arbeitgebers
auf den Koalitionsstatus gestützt hat20. Angesichts dessen und im Hinblick darauf, daß es im Anbahnungsverhältnis maßgeblich nur um die Einstellung an sich geht, ist es eine interessengerechte Lösung, mit der herrschenden Meinung im Anbahnungsverhältnis die Frage nach der Gewerkschaftszugehörigkeit für unzulässig zu erklären21. In dieser speziellen Situation ist ein ausreichender Diskriminierungsschutz in der Tat nur gewährleistet, wenn dem Arbeitgeber der auf die Gewerkschaftszugehörigkeit gerichtete Informationsanspruch versagt wird. Man könnte zwar der Meinung sein, daß der Arbeitgeber bei der Einstellung ein Interesse daran verfolgen kann, möglichst nur tariffreie Arbeitnehmer zu beschäftigen22. Ein solches Interesse ist aber in mehrfacher Hinsicht nicht schutzwürdig. Zum einen steht es – wenn auch bei der Einstellung noch nicht organisierten – Arbeitnehmern frei, während des Arbeitsverhältnisses jederzeit einer mit dem Arbeitgeber kontrahierenden Gewerkschaft beizutreten und einen Tariflohnanspruch zu begründen. Der Organisationsstatus vor der Einstellung bleibt also eine Momentaufnahme. Weiter verbietet Art. 9 Abs. 3 GG jede Benachteiligung wegen der Gewerkschaftszugehörigkeit, weswegen eine daran anknüpfende Einstellungsentscheidung per se unzulässig ist. Entgegen Reuter darf der seinerseits tarifgebundene Arbeitgeber eine Einstellung nicht davon abhängig machen, daß ein Arbeitnehmer nicht gewerkschaftlich organisiert ist, weil die Gewerkschaftszugehörigkeit „für die Einstellung zu untertariflichen Arbeitsbedingungen von negativer Bedeutung“ sei23. Geht es um die Tarifbindung, ist es auch der Arbeitgeber selbst, der die maßgebliche Bedingung dafür setzt. Wer die Vorbedingung für die beiderseitige Tarifgebundenheit selbst herbeiführt, kann sich nicht im Anschluß treuwidrig darauf berufen, nur tariffreie Arbeitnehmer einstellen zu wollen24. Auch der nicht tarifgebundene Arbeitgeber hat keinen berechtigten Anspruch auf Kenntnis davon, ob und welche Arbeitnehmer gewerkschaftlich organisiert sind, weil sich daran für ihn keine rechtliche Folgen knüpfen. Weder kann ein Anspruch auf einen Tarifvertrag entstehen, noch 20
Buchner, in: Münchener Handbuch ArbeitsR, Bd. 1, § 41 Rn. 12. BAG vom 28.3.2000 – 1 ABR 16/99 – AP Nr. 27 zu § 99 BetrVG 1972 Einstellung = EzA § 99 BetrVG 1972 Einstellung Nr. 6 = NZA 2000, 1294; Buchner, in: Münchener Handbuch ArbeitsR, Bd. 1, § 41 Rn. 18; Dieterich, in: ErfK, Art. 2 GG Rn. 97; Ehrich, DB 2000, 421, 426; Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rn. 139; Preis, in: ErfK, § 611 BGB Rn. 278; Rieble, in: GS Heinze, S. 687, 690 f.; Thüsing, in: Münchener Kommentar zum BGB, § 11 AGG Rn. 25; für eine generelle Zulässigkeit Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, § 26 Rn. 17. 22 So insbesondere Reuter, RdA 1991, 193, 203. 23 Reuter, RdA 1991, 193, 203. 24 Rieble, in: GS Heinze, S. 687, 690 f. 21
C. Konkrete Interessenabwägung
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ist der nicht tarifgebundene Arbeitgeber zu einer Differenzierung zwischen organisierten und nichtorganisierten Arbeitnehmern berechtigt25. Zu Recht geht deshalb die überwiegende Meinung davon aus, daß der Arbeitgeber im arbeitsrechtlichen Anbahnungsverhältnis nicht nach der Gewerkschaftszugehörigkeit des Arbeitnehmers fragen darf26. Als Vorbedingung für die Einstellung ist sie per se unzulässig, weil die Nichteinstellung aufgrund der Gewerkschaftszugehörigkeit eine verbotene Maßnahme im Sinne des Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG wäre. Im übrigen ist die Information ohne rechtliche Relevanz: tarifrechtliche Folgen knüpfen sich an den Koalitionsstatus im Arbeitsverhältnis und nicht an einen solchen vor Vertragsschluß27. Der Arbeitgeber hat somit weder einen vorvertraglichen Auskunftsanspruch noch ein entsprechendes Fragerecht im Anbahnungsverhältnis. Bewerber sind nicht gezwungen, vor der Einstellung ihre Gewerkschaftszugehörigkeit zu offenbaren. Die Frage ist rechtswidrig und darf mit der Notwehrlüge beantwortet werden28. 2. Ausnahmen bei tarifvertraglichen Einstellungsregelungen Dieser Grundsatz erfährt Einschränkungen, wenn ausnahmsweise schon die Einstellung von Rechts wegen von der Tarifgebundenheit, ergo von der Koalitionszugehörigkeit in einer tarifschließenden Koalition, abhängt. Praktisch wird das, wenn ein Tarifvertrag Vorgaben für die Einstellung macht, etwa durch entsprechende Befristungsverbote29. In diesem Fall ist es ausnahmsweise schon bei der Einstellung relevant, ob ein Arbeitnehmer zu diesem Zeitpunkt entsprechend tarifgebunden ist oder nicht. Dafür muß der Arbeitgeber wissen, ob eine Tarifbindung besteht. Danach darf er auch fragen. Freilich wieder unter der Voraussetzung, daß der Arbeitgeber selbst tarifgebunden ist und hinsichtlich der Arbeitsbedingungen zwischen tarifgebundenen und tariffreien Arbeitnehmern unterscheidet, also keine Gleichstellung mittels Bezugnahme beabsichtigt. 25
Dazu oben § 6 D. I. 1. c), S. 268. Vgl. die Nachweise in Fn. 21, S. 336. 27 Rieble, in: GS Heinze, S. 687, 691 mit Verweis auf BAG vom 28.3.2000 – 1 ABR 16/99 – AP Nr. 27 zu § 99 BetrVG 1972 Einstellung = EzA § 99 BetrVG 1972 Einstellung Nr. 6 = NZA 2000, 1294, das die Frage nach der Beschäftigung zu untertariflichen Arbeitsbedingungen von der Einstellungsmitbestimmung des Betriebsrats abgekoppelt hat. Vgl. dazu auch oben § 6 E. III. 4. a), S. 321. 28 Zu den Folgen der unzulässigen Frage C. S. Hergenröder, AR-Blattei SD 715, Rn. 18 ff. 29 Rieble, in: GS Heinze, S. 687, 690. 26
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§ 7 Faktische Tarifbindung des Arbeitgebers
Wenn die Wirksamkeit des Arbeitsvertrages dementsprechend von einer bereits bei Vertragsschluß bestehenden Tarifgeltung abhängig ist, ist die Frage aber nur bezogen auf dieses Wirksamkeitshindernis berechtigt. Es darf deswegen nur gefragt werden, ob der einzustellende Arbeitnehmer in derjenigen Gewerkschaft organisiert ist, mit der ein entsprechender Tarifvertrag besteht. An der Kenntnis einer anderweitigen Gewerkschaftsmitgliedschaft besteht dagegen bei der Einstellung kein berechtigtes Interesse. 3. Exkurs: Fragerecht des Arbeitnehmers nach der Tarifbindung des Arbeitgebers Daß das Frageverbot im arbeitsrechtlichen Anbahnungsverhältnis nicht einer pauschalen Wertentscheidung des Art. 9 Abs. 3 GG zu entnehmen ist, sondern das Ergebnis einer Abwägung zwischen geschützten Belangen beider Arbeitsvertragsparteien ist, zeigt sich deutlich an der umgekehrten Konstellation, wenn es um die Arbeitnehmerfrage nach der Tarifgebundenheit des Arbeitgebers geht. Auch hier stehen sich der verfassungsrechtliche Benachteiligungsschutz aus Art. 9 Abs. 3 GG – diesmal auf der Arbeitgeberseite – und das Informationsbegehren des Arbeitnehmers gegenüber. Gleichwohl läßt sich die oben gefundene Abwägung nicht einfach übertragen. Vielmehr muß für den konkreten Fall gefragt werden, ob ein überwiegendes Interesse an der Geheimhaltung oder aber an der Offenbarung der Information besteht. Im Grundsatz kann sich zwar der Arbeitgeber ebenfalls auf den Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG berufen, der ihn vor einer Benachteiligung im Hinblick auf seinen Koalitionsstatus oder dessen Fehlen schützt30. Entgegen Boemke31 vermittelt die Koalitionsfreiheit aber keinen allgemeinen Differenzierungsschutz – das wäre mit dem auf die beiderseitige Tarifgebundenheit abstellenden Tarifrecht nicht vereinbar. Vielmehr geht es allein um einen Diskriminierungsschutz, also den Schutz vor Benachteiligung32. Eine solche Benachteilung muß klar zu besorgen sein. Das indes ist im Verhältnis des Arbeitgebers zu einzelnen Arbeitnehmern, die ihre Auswahlentscheidung von der Tarifbindung des Arbeitgebers abhängig machen, nicht gegeben. Anders als dem Arbeitnehmer ist es dem Arbeitgeber ohne weiteres möglich, mit einem anderen Vertragspartner zu kontrahieren. Das verdrängt den Diskriminierungsschutz des Art. 9 Abs. 3 GG zwar nicht gänzlich, führt aber dazu, daß mangels konkreter Benachteiligung regelmäßig 30 31 32
Boemke, NZA 2004, 142, 144. Boemke, NZA 2004, 142, 144 f. Rieble, in: GS Heinze, S. 687, 691 f.
C. Konkrete Interessenabwägung
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kein überwiegendes Interesse an einer Geheimhaltung des Koalitionsstatus besteht. Insofern hat der Vierte Senat recht, wenn er dem Arbeitnehmer schon im Einstellungsgespräch ein Fragerecht im Hinblick auf die Tarifgebundenheit des Arbeitgebers zugesteht33. Der Arbeitgeber wird entgegen Boemke34 nicht seiner Rechte beraubt, er bedarf keines Schutzes, weil keine Benachteiligung für ihn entsteht. In ein überwiegendes Schutzbedürfnis umschlagen könnte die Situation erst, wenn der Arbeitgeber kollektiv gemieden würde – etwa als Folge von Boykottaufrufen der Gewerkschaft. Erst in dieser – in der derzeitigen Arbeitsmarktsituation kaum vorstellbaren – Situation würde ein vergleichbares Schutzbedürfnis entstehen, das auch dem Arbeitgeber ein Recht auf Geheimhaltung seines Koalitionsstatus geben würde35. Abgesehen von diesem theoretischen Fall darf der Arbeitnehmer bei der Einstellung nach der Tarifbindung des Arbeitgebers fragen und der Arbeitgeber muß die Frage wahrheitsgemäß beantworten36. II. Fragerecht nach der Einstellung bei berechtigter Differenzierung nach der Tarifgebundenheit Nach der Einstellung verschieben sich die Interessengegensätze zwischen dem Informationsbedürfnis des Arbeitgebers und den Geheimhaltungsinteressen des Arbeitnehmers37. Das grundsätzlich im arbeitsrechtlichen Anbahnungsverhältnis gerechtfertigte Frageverbot nach der Gewerkschaftszugehörigkeit38 läßt sich hier nicht einfach übertragen. Der Einstellungsschutz ist verbraucht. Der Arbeitnehmer kann sich auf den Arbeitsvertrag berufen. Das muß sich notwendig auf die Interessenabwägung auswirken.
33 BAG vom 19.3.2003 – 4 AZR 331/02 – AP Nr. 33 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag = EzA § 3 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 27 = NZA 2003, 1207; zustimmend Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rn. 154. 34 Boemke, NZA 2004, 142, 144 f. 35 Zu denken ist auch an die Leiharbeitsbranche, in der es Arbeitnehmern darauf ankommen kann, bei nicht tarifgebundenen Verleihunternehmen von den günstigen Arbeitsbedingungen des Entleihers zu partizipieren. 36 Zu vertretende Falschauskünfte sind auch hier mit Schadensersatzansprüchen bewehrt, Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rn. 154. 37 So ausdrücklich BAG vom 7.9.1995 – 8 AZR 828/93 – AP Nr. 24 zu § 242 BGB Auskunftspflicht = EzA § 242 BGB Auskunftspflicht Nr. 4 = NZA 1996, 637 unter II. 2. b. der Gründe. 38 Soeben oben § 7 C. I. 1., S. 335 ff.
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§ 7 Faktische Tarifbindung des Arbeitgebers
1. Ablehnende Rechtsprechung und Literaturstimmen Dennoch geht die Rechtsprechung bislang von einem generellen Verbot aus, im Arbeitsverhältnis nach der Gewerkschaftszugehörigkeit zu fragen39. Insbesondere den Grundsatz der Tarifeinheit40 hat das BAG wiederholt durch das Postulat der verbotenen Frage nach der Gewerkschaftszugehörigkeit gerechtfertigt41. Bisher wurde das Fragerecht nach der Gewerkschaftszugehörigkeit allerdings weniger bezogen auf die individuelle Tarifgeltung im Arbeitsverhältnis relevant. Zu klaren Aussagen hat sich das BAG in ganz anderen Zusammenhängen veranlaßt gesehen: so hat der Siebte Senat das Frageverbot in einer Entscheidung ausgesprochen, in der es um den Nachweis des gewerkschaftlichen Vertretenseins im Betrieb ging42. Hier hatte der Senat die Frage zu klären, ob eine Gewerkschaft den erforderlichen Nachweis führen kann, ohne die Namen ihrer, im Betrieb des Arbeitgebers beschäftigten, Mitglieder zu nennen (sogenanntes Geheimverfahren). Der Siebte Senat hat das seinerzeit bejaht43. Dagegen haben sich aber schon der Erste Senat in der Burda-Entscheidung44 und der Vierte Senat45 in der gleichen Konstellation auf ein solches Geheimverfahren nicht mehr eingelassen und zu Recht den „offenen“ Nachweis der Tarifgebundenheit durch namentliche Benennung der Mitglieder gefordert46. Auch in diesem Zusammenhang geht es im weiteren Sinne zwar letztlich um das Problem des materiell-rechtlichen Verhältnisses der normativen Tarifwirkung zum Recht auf Nichtdiskriminierung wegen der Gewerkschaftsmitgliedschaft. Diese Fälle liegen aber anders, weil es hier 39 BAG vom 28.3.2000 – 1 ABR 16/99 – AP Nr. 27 zu § 99 BetrVG 1972 Einstellung = EzA § 99 BetrVG 1972 Einstellung Nr. 6 = NZA 2000, 1294; ArbG Düsseldorf vom 1.8.2007 – 11 Ga 74/07 – nicht veröffentlicht [juris]; s. auch Bepler, in: FS 25 Jahre Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht im DAV, S. 791, 800 f. 40 Dazu oben § 4 D., S. 181 ff. 41 BAG vom 14.6.1989 – 4 AZR 200/89 – AP Nr. 16 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz = EzA § 4 TVG Tarifkonkurrenz Nr. 4; BAG vom 5.9.1990 – 4 AZR 59/90 – AP Nr. 19 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz = EzA § 4 TVG Tarifkonkurrenz Nr. 5 = NZA 1991, 202. 42 BAG vom 25.3.1992 – 7 ABR 65/90 – AP Nr. 4 zu § 2 BetrVG 1972 = EzA § 2 BetrVG 1972 Nr. 14 = NZA 1993, 134. 43 Zur Kritik an dem vom BAG zugelassenen Geheimverfahren: Prütting/Weth, NJW 1993, 576, 577. 44 BAG vom 20.4.1999 – 1 ABR 72/98 – AP Nr. 89 zu Art. 9 GG = EzA Art. 9 GG Nr. 65 = NZA 1999, 887. 45 BAG vom 19.3.2003 – 4 AZR 271/02 – AP Nr. 41 zu § 253 ZPO = EzA § 253 ZPO 2002 Nr. 1 = NZA 2003, 1221. 46 Dazu Rieble, in: GS Heinze, S. 687, 688 f.
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um die Gewerkschaft geht, die eine Tarifbruchunterlassungsklage im Prozeß begründen muß. Daß sich das BAG zu einer Zulässigkeit der Frage nach der Gewerkschaftszugehörigkeit durchgerungen hätte, läßt sich schon deswegen nicht behaupten, weil der Vierte Senat in einer Entscheidung vom gleichen Tag das Postulat des Frageverbots erneut bekräftigt hat, als es um den umgekehrten Informationsanspruch des Arbeitnehmers ging, der vom Arbeitgeber wissen will, ob dieser tarifgebunden ist47. Immerhin hat aber der (neue) Vorsitzende des Tarifsenats mittlerweile angedeutet, daß man darüber nachdenken könne, die Frage nach der Gewerkschaftszugehörigkeit nach Abschluß des Arbeitsvertrags in Analogie zu der Frage nach der Schwerbehinderteneigenschaft zuzulassen48. Das nährt die Hoffnung nach einer Kehrtwende der Rechtsprechung, die sich im Zuge der Anerkennung der Tarifpluralität vollziehen könnte49. Ein Teil der Literatur folgt dem Postulat des Frageverbots auch während des laufenden Arbeitsverhältnisses und beruft sich im wesentlichen auf das Diskriminierungsverbot aus Art. 9 Abs. 3 GG50. In dem Frageverbot wird teils ganz offen eines der zentralen Argumente gegen jede Form der Belegschaftsteilung gesehen51. 2. Stellungnahme und Plädoyer für ein Fragerecht nach der Einstellung Einhelligkeit besteht allerdings schon lange nicht mehr: nach und nach tendiert die Mehrheit jedenfalls in den letzten Jahren dahin, nach der Einstellung die Frage nach der Gewerkschaftszugehörigkeit dann zuzulassen, wenn im Betrieb unterschiedliche Regelungen für organisierte und nichtorganisierte Beschäftigte gelten52. 47 BAG vom 19.3.2003 – 4 AZR 331/02 – AP Nr. 33 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag = EzA § 3 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 27 = NZA 2003, 1207. 48 Bepler, in: FS 25 Jahre Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht im DAV, S. 791, 800 f. 49 Zur erwarteten Rechtsprechungsänderung oben § 4 D. IV., S. 186. 50 Wallisch, in: FS Löwisch, S. 427, 439; Däubler/Kittner/Klebe, BetrVG, § 94 Rn. 20; Kempen/Zachert, TVG, § 4 Rn. 162; Michel/Möller/Peter, AuR 2008, 36, 37 ff. 51 Kempen/Zachert, TVG, § 4 Rn. 162. 52 Buchner, in: Münchener Handbuch ArbeitsR, Bd. 1, § 41 Rn. 18; Ehrich, DB 2000, 421, 426; Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, § 94, Rn. 17; C. S. Hergenröder, AR-Blattei SD 715 Rn. 164; Kast/Stuhlmann, BB 2000, 614, 619 f.; GK-BetrVG/Kraft/Raab, § 94 Rn. 38; Galperin/Löwisch, BetrVG, § 94
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a) Keine Übertragbarkeit der Schutzerwägungen vor der Einstellung Demgegenüber scheinen die Rechtsprechung und undifferenzierte Stellungnahmen in der Literatur53 den Fehlschluß zu ziehen, daß ein Frageverbot oder ein Fragerecht nur einheitlich bestehen könne, sich ein Frageverbot im Anbahnungsverhältnis also auch nach Vertragsschluß fortsetzen müsse. Verkannt wird dabei vor allem der Grund, der vor der Einstellung ein überwiegendes Geheimhaltungsinteresse der Arbeitnehmer rechtfertigt: dieser fußt auf den erheblichen Beweisschwierigkeiten, denen sich ein Bewerber gegenüber sieht, wenn er das Motiv für eine negative Einstellungsentscheidung des Arbeitgebers nachweisen soll54. Hinzu tritt das überragende Interesse des Bewerbers an der Einstellung, gegenüber dem die Gestaltungsinteressen des Arbeitgebers vernachlässigt werden können, weil diese erst nach Vertragsschluß ihre Hauptrolle spielen. Diese Erwägungen aus dem Anbahnungsverhältnis gelten nach Vertragsschluß nicht mehr. Vielmehr drängt sogar das Frageverbot vor der Einstellung seinerseits darauf, das Informationsdefizit des Arbeitgebers jedenfalls nach Vertragsschluß auszugleichen – Arbeitnehmerinteressen gebührt dann kein absoluter Vorrang mehr. b) Kein Differenzierungsverbot aus Art. 9 Abs. 3 GG Ein zweiter Fehlschluß, der scheinbar immer noch verbreitet ist, betrifft das Verständnis von Art. 9 Abs. 3 GG. Zum Teil wird behauptet, aus Art. 9 Abs. 3 GG folge ein Differenzierungsverbot, welches „abschließend und unmittelbar jede Unterscheidung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit verbiete“55. Richtig ist indessen nur, daß aus Art. 9 Abs. 3 GG ein Diskriminierungsverbot56 folgt, dem freilich beim Umgang mit der Information über die Koalitionszugehörigkeit Rechnung getragen werden muß. Falsch ist es aber, daß dem Koalitionsgrundrecht auch ein Differenzierungsverbot zu entnehmen sei. In dem auf beiderseitige Tarifgebundenheit abstellenden Tarifrecht selbst ist die Differenzierung zwischen Tarifgebundenen und Tariffreien unmittelbar angelegt57. Im nicht tarifgebundenen Arbeitsverhältnis Rn. 12; Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rn. 140; Rieble, in: GS Heinze, S. 687, 693 ff.; Richardi/Thüsing, BetrVG, § 94 BetrVG Rn. 24; Thüsing, in: Münchener Kommentar zum BGB, § 11 AGG Rn. 25. 53 Etwa Michel/Möller/Peter, AuR 2008, 36, 37 ff. 54 Buchner, in: Münchener Handbuch ArbeitsR, Bd. 1, § 41 Rn. 12. 55 So insbesondere Kaehler, ZfA 2006, 519, 533 f.; ebenso Boemke, NZA 2004, 142, 144. 56 Eingehend § 6 D. I., S. 266 ff. 57 Ausführlich oben § 1 A., S. 23 ff.
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besteht ein Recht auf den freien Arbeitsvertrag, und anders organisierte Arbeitsvertragsparteien haben ein Recht auf ihren Tarifvertrag. Das Fragerecht nach der Gewerkschaftszugehörigkeit kann also nicht aufgrund eines (nicht bestehenden) Differenzierungsverbots ausgeschlossen sein. Genau betrachtet geht es im übrigen nicht primär um die Frage nach der Gewerkschaftszugehörigkeit, sondern um die notwendige Kenntnis von der Tarifgebundenheit. Das wird deutlich daran, daß eine Tarifbindung auch entsteht, wenn eine Seite ihrem Verband erst beitritt, wenn die andere bereits ausgetreten ist. Der Austritt befreit nämlich nach § 3 Abs. 3 TVG nicht von einer Bindung an bestehende Tarifverträge. Durch Eintritt in den tarifschließenden Verband kann ebenso im Nachbindungszeitraum noch die beiderseitige Tarifbindung hergestellt werden58. c) Fragerecht als Konsequenz der Gestaltungsfreiheit Positiv folgt das Fragerecht nach der Einstellung daraus, daß der Arbeitgeber die Information über die Gewerkschaftszugehörigkeit für die Durchführung des Arbeitsverhältnisses benötigt59. Will er in zulässiger Weise zwischen tarifgebundenen Arbeitnehmern und Außenseitern differenzieren, folgt aus dieser Gestaltungsfreiheit als Annex unmittelbar ein Informationsanspruch60. Die Option des tarifgebundenen Arbeitgebers, sich mit den Mitteln des Tarifrechts61 oder der Arbeitsvertragsautonomie62 außerhalb der etablierten Koalitionen zu betätigen, wäre anders schlicht nicht nutzbar. Der Gegenschluß, wonach die Belegschaftsteilung allein wegen eines Frageverbots nach der Gewerkschaftszugehörigkeit unzulässig sei63, ist nicht statthaft. Das Dogma eines generellen Frageverbots, daß sich gleichsam über die Wert- und Systementscheidungen des Tarif- und Verfassungsrechts stellte, gibt es nicht. Es geht nicht an, den tarifgebundenen Arbeitgeber – weil er nicht wissen soll, wer in der Gewerkschaft ist – auf eine faktische Allgemeinverbindlichkeit kraft Bezugnahme zu verweisen. So sieht das in der Tat Gamillscheg, der die einheitliche Bezugnahme als unver58 BAG vom 14.8.2007 – 9 AZR 587/06 – AP Nr. 41 zu § 611 BGB Ausbildungsverhältnis = DB 2007, 2777; BAG vom 4.8.1993 – 4 AZR 499/92 – AP Nr. 15 zu § 3 TVG = EzA § 3 TVG Nr. 7 = NZA 1994, 34. 59 Zu den berechtigten Informationsinteressen des Arbeitgebers bereits oben § 7 A., S. 331. 60 Rieble, in: GS Heinze, S. 687, 693 f.; Thüsing, in: Münchener Kommentar zum BGB, § 11 AGG Rn. 25. 61 Zur Belegschaftsteilung auf Grundlage der Tarifpluralität oben § 4, S. 177 ff. 62 Zum Arbeitsvertrag als Grundlage der Belegschaftsteilung oben § 6, S. 257 ff. 63 So etwa Kempen/Zachert, TVG, § 4 Rn. 162.
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zichtbares Hilfsmittel dafür betrachtet, daß sich die normative Tarifgeltung in der betrieblichen Praxis auswirken kann64. Weil Gewerkschaftsmitglieder als „Mimosen des Arbeitsrechts“ nicht nach ihrer mitgliedschaftlichen Tarifbindung gefragt werden dürften, solle dem tariflichen Durchsetzungsanspruch dadurch Geltung verschafft werden, daß sich der Arbeitgeber gegenüber Außenseiter auf den Tarifvertrag verpflichtet – ein Geltungsanspruch, der sich auch gegenüber anders organisierten Arbeitnehmern durchsetzen soll. Die Inkonsequenz dieser Argumentation zeigt sich bereits an der gleichzeitig aufgestellten Forderung nach tariflichen Differenzierungsklauseln65. Einfache mitgliedschaftsanknüpfende Differenzierungsklauseln setzen ihrerseits die Zulässigkeit der Frage nach der Gewerkschaftszugehörigkeit voraus. Trotz der ansonsten statthaften Gestaltung66 läßt sich die (freiwillige) Differenzierung nur dann betrieblich umsetzen, wenn der Arbeitgeber Kenntnis von der Koalitionszugehörigkeit der Arbeitnehmer hat. Daß andererseits ein Ausweichen auf die einheitliche Bezugnahme an Grenzen stößt, zeigt ein Blick in die Leiharbeitsbranche, wenn es um die nachträgliche Anwendung von, im Vergleich zum Entleihunternehmen, schlechteren tariflichen Arbeitsbedingungen aufgrund eines vom Verleihunternehmen abgeschlossenen Tarifvertrags geht. Hier scheitert die nachträgliche Implementierung einer arbeitsvertraglichen Bezugnahme regelmäßig am vertraglichen Änderungskündigungsschutz67. Tarifgebundene Leiharbeitnehmer indes sind vor verschlechternden Tarifarbeitsbedingungen nicht geschützt und können sich nicht auf die Erhaltung von günstigeren Arbeitsbedingungen des Entleihunternehmens berufen. Das Verbot der Arbeitgeberfrage kann den Arbeitnehmer nur vor nachteiligen Maßnahmen und Entscheidungen aufgrund seiner Gewerkschaftszugehörigkeit schützen. Ein Schutz vor „nachteiligen“ Tariffolgen kann dagegen nicht beansprucht werden. Würde sich das Frageverbot – wie von seinen Verfechtern angenommen – gegenüber den dogmatischen Grundentscheidungen des geltenden Arbeitsrechts durchsetzen, müßte man sogar ein „Hineinkündigen“ von Bezugnahmeklauseln im Außenseiterarbeitsverhältnis zulassen, um ein Informationsinteresse des Arbeitgebers an der Tarifbindung zu vermeiden. Soweit geht selbst die Rechtsprechung nicht68. 64 Gamillscheg, Ausgewählte Schriften zu Arbeitsrecht und Rechtsvergleichung, S. 371. 65 Gamillscheg, Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit, passim; ders., NZA 2005, 146, 146 ff. 66 Dazu oben § 2 C., S. 80 ff. 67 BAG vom 12.1.2006 – 2 AZR 126/05 – AP Nr. 82 zu § 2 KSchG 1969 = EzA § 2 KSchG Nr. 56 = NZA 2006, 587.
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Vielmehr zeigt sich, daß dem Arbeitgeber ein Fragerecht nach der Gewerkschaftszugehörigkeit zustehen muß. Weil der Arbeitgeber schon gegenüber tarifgebundenen Arbeitnehmern die Möglichkeit haben muß, den beiderseits mitgliedschaftlich legitimierten Tarifvertrag richtig anzuwenden, ist es spätestens nach der Einstellung unumgänglich. Der Tarifgeltung bliebe die Durchsetzung versagt, wenn man das Geheimhaltungsinteresse stärker schützen würde als den aus Art. 9 Abs. 3 GG folgenden Geltungsanspruch. In bezug auf die tariflichen Außenseiter wären sämtliche Handlungs- und Gestaltungsoptionen nicht mehr als bloße Theorie, würde man dem Arbeitgeber die Information über die Gewerkschaftszugehörigkeit versagen. Das zeigt sich nicht nur an der tarifabweichenden Arbeitsvertragsgestaltung69. Eine nicht zu rechtfertigende Außenseiterbindung an Normen des Tarifrechts beträfe etwa auch den nachträglichen Verzichtsschutz. Zwar unterliegen arbeitsvertragliche Lohnansprüche unstreitig nicht § 4 Abs. 4 TVG. Wollen Arbeitnehmer aber etwa im Gegenzug zu Beschäftigungssicherungszusagen eine Kürzung ihres Gehalts hinnehmen oder Teile ihrer Entgeltansprüche dem Arbeitgeber als Darlehen zur Verfügung stellen, ist das ohne Fragerecht nicht durchführbar, weil der Arbeitgeber nicht weiß, mit wem er Vergleichsverhandlungen führen kann70. Nicht anders verhält es sich im Hinblick auf betriebliche Bündnisse für Arbeit. Der Weg, den das BAG über die Beschränkung auf tariffreie Arbeitsverhältnisse gewiesen hat71, bedarf für seine praktische Umsetzung der notwendigen Information über die Tarifbindung im Arbeitsverhältnis72. Deshalb muß der Arbeitgeber während des Laufs des Arbeitsverhältnisses fragen dürfen, wer der zwingenden Tarifgeltung unterliegt und wer nicht. Ob dem Arbeitgeber darüber hinaus auch, wenn er nicht nach der Tarifbindung differenziert, bei Tarifbruchunterlassungsklagen aus Gründen der prozessualen Waffengleichheit ein Informationsanspruch zuzugestehen ist73, erscheint zweifelhaft, da die Zulassung des Fragerechts nach der dargestellten Dogmatik auf der berechtigten und durchgeführten Differenzierung basiert. Für die Praxis dürfte diese Frage indessen keine Relevanz haben, weil das 68 BAG vom 12.1.2006 – 2 AZR 126/05 – AP Nr. 82 zu § 2 KSchG 1969 = EzA § 2 KSchG Nr. 56 = NZA 2006, 587. 69 Ausführlich oben § 6, S. 257 ff. 70 Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rn. 143; Rieble, in: GS Heinze, S. 687, 700. 71 BAG vom 20.4.1999 – 1 ABR 72/98 – AP Nr. 89 zu Art. 9 GG = EzA Art. 9 GG Nr. 65 = NZA 1999, 887. 72 Zur zulässigen Differenzierung zwischen tarifgebundenen und tariffreien Arbeitnehmern oben § 5 B., S. 241 ff. 73 So vorgeschlagen von Rieble, in: GS Heinze, S. 687, 700.
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BAG gegenüber einem planmäßig angelegten Tarifbruch ohnehin ein globales Unterlassungsbegehren der Gewerkschaften anerkennt74. Nach alledem ist es nicht vertretbar, dem Geheimhaltungsinteresse der Arbeitnehmer bezüglich der Gewerkschaftsmitgliedschaft auch nach der Einstellung den Vorrang zu geben75. Vielmehr muß die Frage nach erfolgter Einstellung bei bestehender Tarifbindung des Arbeitgebers zulässig sein, wenn er organisierten und nichtorganisierten Arbeitnehmern unterschiedliche Arbeitsbedingungen gewähren oder anderweitig differenzieren will76. Die Durchführung des Arbeitsverhältnisses hängt dann maßgeblich von der Kenntnis des Koalitionsstatus und also von der Gewerkschaftszugehörigkeit ab. d) Wahrung des Arbeitnehmerschutzes im Arbeitsverhältnis Die Zulassung des Fragerechts wird auch nicht auf Kosten des Arbeitnehmerschutzes „erkauft“. Im Arbeitsverhältnis besteht freilich ein umfassendes Verbot jeglicher Benachteilung wegen der Gewerkschaftszugehörigkeit. Zur Effektuierung des Diskriminierungsschutzes bedarf es im laufenden Arbeitsverhältnis aber keiner Beschränkung des arbeitgeberseitigen Informationsanspruchs. Der Arbeitnehmer ist ausreichend durch die unmittelbare Drittwirkung des Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG77, § 75 BetrVG78 und das Maßregelverbot des § 612a BGB79 geschützt80. Zweifellos wäre ein Frageverbot noch effektiver, weil jede Ungleichbehandlung von vornherein unmöglich wäre. Eine sachgerechte Interessenabwägung im laufenden Arbeitsverhältnis muß aber die Konsequenz aus dem Schutz der arbeitsvertraglichen und gegebenenfalls tariflichen Gestaltungsfreiheit der Außenseiter ziehen und verhindert damit ein solches Verbot. Im Ergebnis besteht praktische Konkordanz: 74 BAG vom 20.4.1999 – 1 ABR 72/98 – AP Nr. 89 zu Art. 9 GG = EzA Art. 9 GG Nr. 65 = NZA 1999, 887; zur Kritik an dieser Rechtsprechung oben § 5 C. II., S. 251 ff. 75 So Wallisch, in: FS Löwisch, S. 427, 439; Däubler/Kittner/Klebe, BetrVG, § 94 Rn. 20; Kempen/Zachert, TVG, § 4 Rn. 162; Michel/Möller/Peter, AuR 2008, 36, 37 ff. 76 Wie hier Buchner, in: Münchener Handbuch ArbeitsR, Bd. 1, § 41 Rn. 18; Ehrich, DB 2000, 421, 426; Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, § 94, Rn. 17; C. S. Hergenröder, AR-Blattei SD 715 Rn. 164; GKBetrVG/Kraft/Raab, § 94 Rn. 38; Galperin/Löwisch, BetrVG, § 94 Rn. 12; Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rn. 140; Rieble, in: GS Heinze, S. 687, 693 ff.; Richardi/Thüsing, BetrVG, § 94 BetrVG Rn. 24. 77 Zur Reichweite oben § 6 D. I. 1., S. 266 ff. 78 Dazu oben § 5 B. II., S. 242 ff. 79 Dazu oben § 6 D. V., S. 290 f. 80 Hanau/Kania, Anm. zu BAG vom 20.03.1991 – 4 AZR 455/90 – AP Nr. 20 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz.
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keine der widerstreitenden Interessen wird gänzlich verdrängt, weil auch dem Arbeitnehmerschutz auf andere Weise angemessen Rechnung getragen wird. Ein überwiegendes Geheimhaltungsinteresse läßt sich nach der Einstellung vor diesem Hintergrund nicht mehr rechtfertigen. 3. Einschränkung des Fragerechts bei einheitlicher Tarifanwendung Weil sich das Fragerecht nach der Gewerkschaftszugehörigkeit aus der gesetzlich angelegten und tarif- oder individualrechtlich zulässigen Zweiteilung in organisierte und nichtorganisierte Arbeitnehmer ergibt, sind dem Informationsbegehren dort immanente Grenzen gezogen, wo Außenseiter dem Tarifvertrag unterstellt sind. In diesen Fällen kann sich der Arbeitgeber nicht auf einen Informationsanspruch berufen, weil in zulässiger Weise gar kein Gestaltungsspielraum für eine Differenzierung eröffnet ist. Namentlich betrifft das die Fälle der gesetzlichen beziehungsweise staatlichen Tariferstreckung im Wege der Allgemeinverbindlicherklärung nach § 5 TVG und die individualvertragliche Gleichstellung durch den Arbeitgeber mittels Bezugnahmeklausel81. Ist ein Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt, gilt er nach der Grundregel des § 5 Abs. 4 TVG auch für die nichtorganisierten Arbeitnehmer und verhindert so die Zweiteilung der Belegschaft. Ein Informationsbedürfnis im Hinblick auf die konkrete mitgliedschaftlich legitimierte Tarifgeltung kann dann nur noch entstehen, wenn der Arbeitgeber zusätzlich an einen im Betrieb anwendbaren Tarifvertrag mit einer anderen Gewerkschaft – etwa einen Sanierungstarifvertrag – gebunden ist, weil dieser sich in der Tarifkonkurrenz kraft stärkerer autonomer Bindung durchsetzt82. Im Hinblick auf die Mitgliedschaft in dieser Gewerkschaft hat der Arbeitgeber ein Fragerecht83. Unzulässig ist die Frage nach der Gewerkschaftszugehörigkeit, wenn der Arbeitgeber selbst eine „betriebliche Allgemeinverbindlichkeit“ herbeiführt, indem er den nichtorganisierten Arbeitnehmern über eine Verweisungsklau81
Zur individualrechtlichen Gleichstellungspraxis und deren Grenzen oben § 1 D., S. 43 ff.; Rieble, in: GS Heinze, S. 687, 696 verweist darüber hinaus auf Betriebsnormen im Sinne des § 3 Abs. 2 TVG. Dabei geht es allerdings nie um die gesamte Gestaltung des Arbeitsvertragsinhalts: eine Beschränkung des Fragerechts käme allenfalls dann in Betracht, wenn der Arbeitgeber beschränkt auf eine in Betriebsnormen geregelte Materie eine (unzulässige) Zweiteilung der Belegschaft anstreben würde. 82 Zur durch Allgemeinverbindlichkeit verursachten Tarifpluralität oben § 4 F. I. 4., S. 202 f. 83 Rieble, in: GS Heinze, S. 687, 696.
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sel im Arbeitsvertrag die tariflichen Arbeitsbedingungen gewährt. Wer selbst eine Gleichstellung will, kann sich nicht gleichzeitig auf eine Differenzierung berufen und vergibt sich damit auch des Fragerechts nach der Gewerkschaftszugehörigkeit84. Arbeitgeber, die die tarifrechtliche Zweiteilung individualvertraglich überspielen und den Unterschied zwischen Organisierten und Nichtorganisierten nicht nutzen wollen, haben letztlich kein praktisches Bedürfnis, zu erfahren, welche Arbeitnehmer in der Gewerkschaft sind. Gleichwohl bleiben arbeitsvertragliche Ansprüche, wenn sie sich über eine Bezugnahme aus einem Tarifvertrag ergeben, stets disponibel. Der Arbeitgeber kann sich jederzeit nachträglich für eine Zweiteilung der Belegschaft entscheiden85. Ohne weiteres kann er etwa seine nichtorganisierten Arbeitnehmer gegen einen entsprechenden Lohnausgleich länger arbeiten lassen als es der Tarifvertrag vorgibt. Auch in diesem Fall bleibt die Frage nach der Gewerkschaftszugehörigkeit zulässig86. Nicht anders als sonst korrespondiert das Fragerecht mit der zulässigen und durchgeführten Belegschaftsteilung und ist gleichsam die notwendige Konsequenz daraus. III. Vorgaben des Datenschutzes und betriebliche Mitbestimmung Das Fragerecht an sich unterliegt tatbestandlich nicht dem Datenschutz, da sich dieser ausweislich der Anwendungsbestimmung des § 1 BDSG nur auf die Speicherung, Übermittlung, Veränderung und Löschung von personenbezogenen Daten bezieht. Das Blatt wendet sich, wenn entsprechende Daten – zu denen nach § 3 Abs. 9 BDSG auch Angaben über die Gewerkschaftszugehörigkeit zählen – in der Personalbuchhaltung erfaßt oder über einen Personalfragebogen erhoben werden87. In diesem Fall erfahren die Regeln des Fragerechts eine Ergänzung durch die Regelungen des Datenschutzes. Das bedeutet zunächst für die Erhebung, die weitere Verarbeitung oder Nutzung der Angaben über die Gewerkschaftszugehörigkeit, daß sich die Einwilligung des Arbeitnehmers ausdrücklich darauf beziehen muß (§ 4 a Abs. 3 BDSG). Des weiteren stellt § 28 Abs. 6 bis 9 BDSG für das Erheben, Verarbeiten und Nutzen dieser Daten strenge Zulässigkeitserfordernisse auf88. Daraus folgt jedoch kein 84
Ebenso Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rn. 141. Rieble, in: GS Heinze, S. 687, 697 ff. 86 Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rn. 142. 87 Buchner, in: Münchener Handbuch ArbeitsR, Bd. 1, § 41 Rn. 29 ff.; C. S. Hergenröder, AR-Blattei SD 715 Rn. 79 ff. 88 Thüsing, in: Münchener Kommentar zum BGB, § 11 AGG Rn. 15. 85
D. Auskunftsanspruch und Mitteilungspflichten
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Verbot der Datenerhebung und keine Einschränkung des auf die Gewerkschaftszugehörigkeit bezogenen Fragerechts. Aufschluß gibt hier vor allem Art. 8 Abs. 2 lit. b der Datenschutz-Richtlinie, auf dem die Fassung des § 28 Abs. 6 Nr. 3 BDSG basiert: um den Rechten und Pflichten des für die Verarbeitung Verantwortlichen Rechnung zu tragen, ist die Verarbeitung sensitiver Daten gestattet89. Darunter fällt auch die Information über die Gewerkschaftszugehörigkeit nach Vertragsschluß, da sich aus dem Tarifvertrag bei beiderseitiger Tarifbindung unmittelbar gegenseitige Rechten und Pflichten ergeben90. Des weiteren unterliegt die Datenerhebung mittels Personalfragebogen der betrieblichen Mitbestimmung nach § 94 Abs. 1 BetrVG. Der Betriebsrat hat nicht nur bei der Einführung und Gestaltung von Einstellungsfragebögen, sondern auch bei der Datenerhebung mittels Fragebogen für schon im Betrieb tätige Personen mitzubestimmen91. Führt der Arbeitgeber Personalfragebögen ein, um auf diesem Weg an die Information über die Gewerkschaftszugehörigkeit zu gelangen, ist zwar die Initiativentscheidung mitbestimmungsfrei, mitbestimmungspflichtig sind aber der Inhalt und die näher Ausgestaltung der Fragestellung. Das macht es notwendig, die Informationserhebung über die Gewerkschaftszugehörigkeit möglichst frühzeitig mit dem Betriebsrat abzustimmen. In der Praxis läßt sich das mit der notwendigen Mitbestimmung des Betriebsrats in bezug auf außertarifliche Entgelt- und Arbeitszeitsysteme92 kombinieren.
D. Auskunftsanspruch und Mitteilungspflichten I. Auskunftsanspruch Flankiert wird das Fragerecht nach der Gewerkschaftszugehörigkeit – wie jedes andere berechtigte Fragerecht – von einem Auskunftsanspruch. Der Auskunftsanspruch ist das notwendige Korrelat zum berechtigten Fragerecht, weil das Datum der Tarifgebundenheit des Arbeitnehmers anders nicht zu ermitteln ist und der Arbeitnehmer unschwer Auskunft geben kann93. Die 89
Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24.10.1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr, zuletzt geändert durch Anh. II Nr. 18 ÄndVO (EG) 1882/2003 vom 29.9.2003 (ABl. Nr. L 284 S. 1). 90 Ausführlich Thüsing/Lambrich, BB 2002, 1146, 1152 f. 91 Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, § 94 Rn. 6. 92 Vgl. dazu oben § 6 E., S. 308 ff. 93 Buchner, in: Münchener Handbuch ArbeitsR, Bd. 1, § 41 Rn. 174 dort Fn. 247; Reichold, RdA 2007, 321, 327; Rieble, in: GS Heinze, S. 687, 702.
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Offenbarungspflicht ergibt sich als Nebenpflicht aus den §§ 241 Abs. 2, 242 BGB94. Wenn die Gewerkschaftszugehörigkeit für die Durchführung des Arbeitsverhältnisses von Bedeutung ist, hat der Arbeitgeber einen Anspruch auf Auskunft. Dieser besteht während des gesamten Arbeitsverhältnisses – im Hinblick auf den jederzeit möglichen Gewerkschaftsaus- vor allem aber -eintritt des Arbeitnehmers. Er ist als vertragliche Nebenpflicht selbständig klagbar und läßt sich im Wege der Zwangsvollstreckung über § 888 Abs. 1 ZPO vollstrecken95. II. Meldepflicht des Arbeitnehmers Darüber hinaus fragt sich, ob der Arbeitnehmer verpflichtet ist, einen koalitionsrechtlichen Statuswechsel von sich aus anzuzeigen. Eine selbständige Pflicht, dem Arbeitgeber Auskunft über den Ein- oder Austritt aus einer Gewerkschaft zu geben, wird man dem Arbeitnehmer allerdings nicht auferlegen können96. Nur ausnahmsweise könnte aus Treu und Glauben einmal eine unaufgeforderte Meldepflicht folgen, wenn der Arbeitnehmer weiß, daß eine vertragliche Abrede mit dem Tarifvertrag nicht vereinbar ist. Zu denken ist aber an eine vereinbarte Meldepflicht. Die Frage ist, ob der Arbeitgeber den Arbeitnehmer vertraglich verpflichten kann, ihn über Statusänderungen bezüglich der Gewerkschaftsmitgliedschaft zu informieren. Diesbezüglich ergeben sich die Grenzen der arbeitsvertraglichen Gestaltungsfreiheit aus den §§ 307 ff. BGB, insbesondere aus der Generalklausel des § 307 Abs. 1 BGB. Eine unangemessene Benachteiligung in diesem Sinne wird man nicht schon deswegen annehmen können, weil es um das sensible Datum der Gewerkschaftszugehörigkeit an sich geht. Insofern ergibt sich die Zulässigkeit aus dem vorstehend Gesagten97: soweit dem Arbeitgeber ein Fragerecht zusteht, kann eine darauf bezogene Meldepflicht nicht schlechterdings unzulässig sein. Bei der Ausgestaltung der Meldepflicht müssen allerdings die allgemeinen Grundsätze beachtet werden, die für die arbeitsvertragliche Klauselkontrolle gelten. Daraus ergeben sich zwei Schranken: zum einen darf die Meldepflicht nicht einseitig nur den Arbeitnehmer treffen, und zum anderen muß sie bedarfsbezogen ausgestaltet sein98. 94 BAG vom 18.6.1996 – 6 AZR 314/95 – AP Nr. 25 zu § 242 BGB Auskunftspflicht = EzA § 242 BGB Auskunftspflicht Nr. 5 = NZA 1997, 41; BAG vom 7.9.1995 – 8 AZR 828/93 – AP Nr. 24 zu § 242 BGB Auskunftspflicht = EzA § 242 BGB Auskunftspflicht Nr. 4 = NZA 1996, 637. 95 Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rn. 148. 96 Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rn. 152; Rieble, in: GS: Heinze, S. 687, 702. 97 Soeben oben § 7 C. II. 2., S. 341 ff.
D. Auskunftsanspruch und Mitteilungspflichten
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Zweiseitigkeit der Meldepflicht bedeutet, daß sich der Arbeitgeber in gleicher Weise verpflichtet, dem Arbeitnehmer unaufgefordert Auskunft über seine Tarifgebundenheit zu geben. Das beiderseitige Bindungserfordernis hat das BAG im Rahmen seiner Rechtsprechung zu arbeitsvertraglichen Ausschlußfristen entwickelt99. Die Grundsätze lassen sich auf das Fragerecht übertragen: auch hier ist von einer Unangemessenheit auszugehen, wenn der Arbeitgeber durch einseitige Vertragsgestaltung mißbräuchlich nur eigene Interessen durchzusetzen versucht, ohne von vornherein die Belange der Arbeitnehmer hinreichend zu berücksichtigen100. Gerade Arbeitnehmer haben bei Tarifbindung des Arbeitgebers ein Optionsrecht, durch Gewerkschaftsbeitritt den Tariflohnanspruch zu begründen oder auf den Arbeitsvertrag als Quelle für ihre Arbeitsbedingungen zu setzen. Mangels Schutzwürdigkeit des Arbeitgebers dürfen Arbeitnehmer sogar bereits vor Vertragsschluß nach der arbeitgeberseitigen Tarifbindung fragen101. Die zweite Schranke, auf die bei der Ausgestaltung einer Meldepflicht zu achten ist, betrifft die konkret bedarfsorientierte Formulierung. Die Klausel muß so formuliert sein, daß eine Meldepflicht nur begründet wird, wenn der Arbeitgeber ein berechtigtes, von einem Auskunftsanspruch flankiertes, Informationsinteresse hat102. Eine davon losgelöste globale Meldepflicht kann es nicht geben, weswegen eine unbeschränkte Meldepflicht nach § 307 Abs. 1 BGB unangemessen und somit nichtig wäre. Eine Begrenzung auf die zulässigen Fallgruppen der berechtigten Arbeitgeberfrage nach der Gewerkschaftszugehörigkeit läßt sich am besten dadurch erreichen, daß die Meldepflicht zusammen mit der tarifabweichenden Regelung vereinbart wird. So kann der Arbeitgeber den Arbeitnehmer im Rahmen eines konkreten Vertragsangebots, welches sich auf ein außertarifliches Arbeitszeit- oder Vergütungssystem bezieht, verpflichten, einen nachfolgenden Gewerkschaftsbeitritt anzuzeigen, weil die Regelung dann unwirksam wird. Gleiches gilt bei partiellen Abweichungen vom Tarifvertrag – die bloße Erhöhung der tariflichen Arbeitszeit etwa oder betriebliche Bündnisse für Arbeit. Wichtig ist, daß sich ein nachfolgender Statuswechsel tatsächlich auf die Vereinbarung auswirkt, was bei einem Beendigungsver98
Rieble, in: GS Heinze, S. 687, 703. BAG vom 2.3.2004 – 1 AZR 271/03 – AP Nr. 31 zu § 3 TVG = EzA § 87 BetrVG 2001 Betriebliche Lohngestaltung Nr. 4 = NZA 2004, 852; BAG vom 31.8.2005 – 5 AZR 545/04 – AP Nr. 8 zu § 6 ArbZG = EzA § 6 ArbZG Nr. 6 = NZA 2006, 324. 100 Vgl. auch BGH vom 3.11.1999 – VIII ZR 269/98 – NJW 2000, 1110 = BB 2000, 323 = ZIP 2000, 314. 101 Dazu oben § 7 C. I. 3., S. 338. 102 C. S. Hergenröder, AR-Blattei SD 60 Rn. 57; Rieble, in: GS Heinze, S. 687, 703. 99
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gleich beispielsweise nicht der Fall ist, weil diesbezüglich auf den punktuellen Stand der Mitgliedschaft zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses abzustellen ist103. In solchen Fällen muß der Arbeitnehmer vor der Vereinbarung nach seiner Gewerkschaftszugehörigkeit befragt werden, wobei der Arbeitnehmer wiederum wahrheitsgemäß Auskunft geben muß.
E. Rechtsfolgen unterbliebener, verweigerter oder falscher Auskunft Daß dem Arbeitgeber nach Vertragsschluß ein Fragerecht nach der Gewerkschaftszugehörigkeit zusteht, welches den Arbeitnehmer verpflichtet, wahrheitsgemäß zu antworten und bei vereinbarter Meldepflicht selbständig Auskunft zu geben, führt zu der Frage, welche Rechtsfolgen es auslöst, wenn der Arbeitnehmer dem nicht nachkommt. Hinsichtlich der Unkenntnis über die Gewerkschaftszugehörigkeit ist zu differenzieren: zum einen fragt sich, ob sich der Arbeitnehmer unbeschadet auf diejenigen Rechte berufen kann, die ihm zustehen würden, wenn sein Koalitionsstatus zutreffend zugrunde gelegt worden wäre. Das betrifft insbesondere nicht gewährte tarifliche Ansprüche. Auf der anderen Seite stellen sich Fragen hinsichtlich des rechtlichen Schicksals von tarifwidrigen Vereinbarungen. Schließlich ist zu klären, ob schadensrechtliche und kündigungsrechtliche Sanktionen drohen können, wenn der Arbeitnehmer schuldhaft an einem nicht seinem Koalitionsstatus entsprechenden Vergütungssystem teilnimmt. I. Verlust tariflicher Rechte Offenbart der Arbeitnehmer eine bestehende Gewerkschaftsmitgliedschaft nicht und gewährt der Arbeitgeber ihm deswegen nicht die ihm zustehenden tariflichen Arbeitsbedingungen, ändert das zunächst nichts an der zwingenden und unabdingbaren Tarifgeltung. Weder kann der Arbeitnehmer wegen § 4 Abs. 4 TVG selbst (konkludent) darauf verzichten, noch unterliegen tarifliche Rechte der Verwirkung. Praktisch wird das in zwei Fällen: entweder legt der Arbeitgeber den Arbeitsbedingungen ein außertarifliches Vergütungssystem zugrunde oder er wendet bei Tarifpluralität den falschen Tarifvertrag an. In beiden Fällen können Nachforderungen in Betracht kommen, wenn sich im nachhinein herausstellt, daß der Arbeitnehmer bei Zugrundelegung des nicht angewandten Tarifvertrags einen besseren Schnitt gemacht hätte. 103
Rieble, in: GS Heinze, S. 687, 703.
E. Rechtsfolgen unterbliebener, verweigerter oder falscher Auskunft
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Helfen können hier zunächst die regelmäßig vereinbarten tariflichen Ausschlußfristen. Nach Ablauf der meist drei- oder sechsmonatigen Fristen besteht Rechtssicherheit, weil der Arbeitnehmer Rechte aus einem (anderen) Tarifvertrag nicht mehr durchsetzen kann. Der Arbeitgeber kann sich nach ständiger Rechtsprechung des BAG und herrschender Meinung selbst dann auf tarifliche Ausschlußfristen berufen, wenn er den Tarifvertrag entgegen § 8 TVG nicht im Betrieb ausgelegt hat104. Soweit keine tariflichen Ausschlußfristen eingreifen – was in der Praxis die Ausnahme ist – muß auf allgemeine Rechtsinstitute zurückgegriffen werden. Bepler hat diesbezüglich vorgeschlagen, trotz § 4 Abs. 4 TVG das Institut der Verwirkung anzuwenden105. Soweit es in tarifpluralen Betrieben lediglich um die Frage geht, welcher Tarifvertrag der richtige ist, mag man dem folgen, weil der Arbeitnehmer in jedem Fall das Schutzniveau eines Tarifvertrags im Rechtssinne behält. Insofern könnte § 4 Abs. 4 TVG teleologisch reduziert werden. Bis die tatsächliche Lage klargestellt ist, könnten dann tarifliche Ansprüche aus einem anderen Tarifvertrag verweigert werden. Geht es hingegen um die fälschliche Anwendung eines außertariflichen Vergütungssystems stößt man an die Wortlautgrenze des § 4 Abs. 4 TVG, der keinen Spielraum läßt. Hier bleibt nur der Einwand des venire contra factum proprium. Dessen Voraussetzungen wären auch erfüllt: ein Arbeitnehmer, der die zulässige Frage nach der Gewerkschaftszugehörigkeit bewußt falsch beantwortet oder eine vereinbarte Meldung über einen Statuswechsel unterläßt, um sich die Vorteile eines aus seiner Sicht günstigeren außertariflichen Vergütungssystems zu sichern, setzt sich mit der späteren Forderung von tariflichen Rechten in Widerspruch zu seinem vorangegangenen Verhalten und sieht sich deshalb dem Vorwurf der unzulässigen Rechtsausübung ausgesetzt. II. Anfechtbarkeit tarifwidriger Vereinbarungen Weiter löst die wahrheitswidrige Angabe des Arbeitnehmers, nicht Gewerkschaftsmitglied zu sein und deswegen keiner Tarifbindung zu unterliegen, regelmäßig den Arglisteinwand aus, was dem Arbeitgeber ein Anfech104 BAG vom 5.11.1963 – AP Nr. 1 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag = DB 1964, 155 = SAE 1964, 81; BAG vom 23.1.2002 – 4 AZR 56/01 – AP Nr. 163 zu § 4 TVG Ausschlußfristen = EzA § 4 TVG Ausschlußfristen Nr. 151 = NZA 2002, 800; Franzen, in: ErfK, § 8 TVG Rn. 4; Löwisch/Rieble, TVG, § 8 Rn. 15; kritisch Krause, RdA 2004, 106, 119. 105 Bepler, in: FS 25 Jahre Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht im DAV, S. 793, 801 f.
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tungsrecht nach § 123 Abs. 1 BGB verschafft. Im bestehenden Arbeitsverhältnis sind die Falschbeantwortung einer Frage und die Verletzung einer Offenbarungspflicht allerdings unmaßgeblich für dessen Begründung. Die Auflösung des Arbeitsverhältnisses scheidet somit als Rechtsfolge aus. Weil die Frage nach der Gewerkschaftszugehörigkeit grundsätzlich erst nach Vertragsschluß zulässig ist und deshalb auch erst dann wahrheitsgemäß beantwortet werden muß, kann sich die Arglistanfechtung nach § 123 Abs. 1 BGB lediglich auf die, aufgrund der Angabe über den Koalitionsstatus getroffene, inhaltliche Abrede beziehen. Läßt sich der Arbeitgeber auf eine tarifwidrige Vereinbarung ein, ist diese regelmäßig wegen arglistiger Täuschung über die fehlende Tarifgebundenheit anfechtbar106. Man könnte zwar meinen, daß die Vereinbarung wegen Verstoßes gegen den Tarifvertrag bedeutungslos sei. Mit Blick auf die Burda-Entscheidung107 des BAG sollten tarifwidrige Vereinbarungen aber in jedem Fall vermieden, notfalls auch nachträglich über die Anfechtung korrigiert werden. Hinzu tritt, daß dem tarifgebundenen Arbeitnehmer die tarifvertraglichen Arbeitsbedingungen unmittelbar und zwingend und zusätzlich die günstigeren arbeitsvertraglichen Vereinbarungen zustehen108. Solange der Arbeitgeber die vertragliche Vereinbarung nicht im Wege der Anfechtung beseitigt hat, kann sich der Arbeitnehmer auf günstigere Abreden aus dem Arbeitsvertrag berufen. Diese Kumulierung arbeitsvertraglicher Zusagen und tariflicher Arbeitsbedingungen läßt sich nachträglich nur über die Anfechtung der Vertragsabrede korrigieren. Vermeiden läßt sich dieses Problem durch eine vorsorgende Vertragsgestaltung, durch die schon bei der Zusage der vertraglichen Bedingungen sichergestellt wird, daß tarifliche Leistungen auf die arbeitsvertraglichen Ansprüche angerechnet werden. Dies läßt sich mit einer entsprechenden Klausel im Arbeitsvertrag regeln. Dabei sollte der Fall einer bereits bestehenden Mitgliedschaft als auch der des nachfolgenden Beitritts in eine Gewerkschaft aufgenommen werden109. Die Anfechtung beseitigt die tarifwidrige Vereinbarung – wie auch sonst im Arbeitsverhältnis – ex nunc. Bis zur Anfechtungserklärung bleibt sie wirksam, schon um zu verhindern, daß das Arbeitsverhältnis inhaltsleer 106
C. S. Hergenröder, AR-Blattei SD 60 Rn. 57. BAG vom 20.4.1999 – 1 ABR 72/98 – AP Nr. 89 zu Art. 9 GG = EzA Art. 9 GG Nr. 65 = NZA 1999, 887. 108 Zur Anwendung des Günstigkeitsprinzips Wiedemann/Wiedemann, TVG, § 4 Rn. 381 ff. 109 Löwisch, in: FS 25 Jahre Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht im DAV, S. 941, 949. 107
E. Rechtsfolgen unterbliebener, verweigerter oder falscher Auskunft
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würde, weil zurückliegenden Tarifansprüchen der Einwand des Rechtsmißbrauchs entgegensteht und sie deswegen nicht durchsetzbar sind. Im übrigen erkennt das BAG der Anfechtung bei einem in Vollzug gesetzten Arbeitsverhältnis grundsätzlich nur eine Wirkung ex nunc zu, weil es – wenn es einmal durchgeführt ist – nicht mehr befriedigend rückabgewickelt werden kann110. III. Schadensrechtliche Kompensation Neben die Anfechtung und den Rechtsverlust treten bei schuldhafter Falschauskunft oder Verletzung der Meldepflicht Schadensersatzansprüche des Arbeitgebers, sofern infolge der fehlenden oder falschen Statusinformation ein Schaden entstanden ist111. Diese richten sich nach den Regeln des allgemeinen Zivilrechts: informiert der Arbeitnehmer bewußt falsch oder verletzt er seine Offenbarungspflicht, begeht er eine Pflichtverletzung, die nach § 280 Abs. 1 BGB einen Schadensersatzanspruch begründet. Nach § 249 BGB ist der Arbeitgeber so zu stellen, wie er stünde, hätte der Arbeitnehmer seinen Koalitionsstatus rechtzeitig und richtig offenbart112. Je nach individuellem Leistungsvergleich kann der Arbeitgeber die Differenz als Schaden geltend machen, der sich zu den, bei zutreffender Einordnung, ergebenen Arbeitsbedingungen errechnet. Hat ein Arbeitnehmer bei fälschlicher Zugrundelegung tariflicher Arbeitsbedingungen mehr erlöst als ihm zugestanden hätte, wäre er zutreffend in ein außertarifliches Vergütungssystem eingruppiert worden, kann der Arbeitgeber den Mehrerlös als Schaden geltend machen113. Alternativ kann er den Betrag über § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB kondizieren, weil mangels 110 St. Rspr., vgl. nur BAG vom 16.9.1982 – 2 AZR 228/80 – AP Nr. 24 zu § 123 BGB = EzA § 123 BGB Nr. 22 = NJW 1984, 446; mit Einschränkung, wenn das Arbeitsverhältnis aus irgendeinem Grund „außer Funktion gesetzt wurde“: BAG vom 3.12.1998 – 2 AZR 754/97 – AP Nr. 49 zu § 123 BGB = EzA § 123 BGB Nr. 51 = NZA 1999, 584. 111 C. H. Hergenröder, AR-Blattei SD 715 Rn. 165; Rieble, in: GS Heinze, S. 687, 704 ff.; vgl. auch BAG vom 18.1.2000 – 9 AZR 932/98 – AP Nr. 1 zu § 5 MuSchG 1968 = EzA § 615 BGB Nr. 98 = NZA 2000, 1157. 112 Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rn. 150. 113 Relevant wird das nur, wenn der Arbeitnehmer von vornherein fälschlich behauptet, gewerkschaftlich organisiert zu sein. Ein späterer Gewerkschaftsaustritt führt dagegen wegen § 3 Abs. 3 TVG nicht zum Verlust tariflicher Ansprüche aus einem bisher geltenden Tarifvertrag. Vgl. BAG vom 4.4.2001 – 4 AZR 237/00 – AP Nr. 26 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz = EzA § 3 TVG Nr. 22 = NZA 2001, 1085; Däubler/Lorenz, TVG, § 3 Rn. 80; a. A. Jacobs, Anm. zu BAG a. a. O., AP Nr. 26 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz.
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je bestandener beiderseitiger Tarifbindung der Rechtsgrund für tarifliche Leistungen fehlt. Wegen der verschärfter Haftung nach § 819 Abs. 1 BGB greift auch nicht die Entreicherungseinrede des § 818 Abs. 3 BGB114. Gleiches gilt für den umgekehrten Fall, daß ein tarifgebundener Arbeitnehmer seine Gewerkschaftsmitgliedschaft verschweigt und beispielsweise aufgrund eines leistungsorientierten Vergütungssystems ausnahmsweise besser steht, als er nach dem Tarifvertrag stünde, der ihm nur einen Festlohn garantiert. Auch hier läßt sich der Mehrerlös als Schaden über §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB kompensieren oder über den Bereicherungsausgleich nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB zurückfordern. Eine besondere Bedeutung kommt Mischtatbeständen zu, bei denen der Arbeitnehmer zunächst nach einem außertariflichen Entlohnungssystem behandelt wird und sich die geleistete Arbeit später nach tariflichen Maßstäben vergolden lassen will. Praktisch wird das, wenn sich tarifgebundene Arbeitnehmer „tarifzuschlagsfreie“ Mehrarbeit zuweisen lassen und sich später auf einen tariflichen Überstundenzuschlag berufen115. Soweit nicht tarifliche Ausschlußfristen eingreifen und der Geltendmachung tariflicher Rechte nicht schon der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegen steht116, ist eine schadensrechtliche Kompensation möglich. Wenn der Arbeitgeber von vornherein nur bereit war, tariffreien Arbeitnehmern über eine tarifabweichende Arbeitszeitverlängerung „zuschlagsfreie Mehrarbeit“ anzubieten, entsteht ein Schaden in Höhe der tariflichen Überstundenzuschläge, den der Arbeitgeber über §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB herausverlangen kann. Eine schadensrechtliche Umgehung der zwingenden Wirkung des Tarifvertrags liegt darin nicht: zum einen hatte der Arbeitnehmer tariflich nie einen Anspruch auf Zuweisung von Mehrarbeit. Zum anderen liegt das schädigende Ereignis nicht in der Tarifgeltung selbst, sondern in der pflichtwidrigen Falschauskunft über den Koalitionsstatus. An dieser vorgelagerten und damit vorrangigen Pflichtverletzung knüpft die Schadensersatzpflicht an117. Schon aus formalen Gründen wird die Tarifgeltung daher von der Schadensersatzhaftung nicht berührt. Im übrigen ist der Schadensersatzanspruch stets auf das negative Interesse begrenzt, weil er andernfalls auf ein Interesse des Arbeitgebers an der fehlenden Tarifgebundenheit des Arbeitnehmers hinausliefe. Der Arbeitge114 Vorsorgend und für Fälle, in denen dem Arbeitnehmer keine Kenntnis vom Fehlen des Rechtsgrundes vorgeworfen werden kann, läßt sich § 818 Abs. 3 BGB vertraglich abbedingen: s. Bieder, DB 2006, 1318, 1318 ff. 115 Beispiel nach Rieble, in: GS Heinze, S. 687, 706. 116 Dazu oben § 7 E. I., S. 352. 117 Rieble, in: GS Heinze, S. 687, 707.
E. Rechtsfolgen unterbliebener, verweigerter oder falscher Auskunft
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ber kann nach § 249 BGB nicht verlangen, so gestellt zu werden, als wäre die falsche Angabe der fehlenden Tarifgebundenheit richtig118. Er kann nur den Schaden kompensieren, der sich aus der tarifwidrigen Abrede ergibt, die er bei Kenntnis von der Tarifgebundenheit nicht getroffen hätte. IV. Kündigung wegen Falsch- oder Fehlauskunft Schließlich ist an ein – eventuell sogar außerordentliches – Kündigungsrecht des Arbeitgebers zu denken, wenn der Arbeitnehmer in zurechenbarer Weise seine Auskunftspflicht verletzt hat. Das Recht zur Kündigung besteht unabhängig von einer eventuell daneben gegebenen Anfechtbarkeit119. Dementsprechend müssen die Voraussetzungen für eine Kündigung unabhängig davon gegeben sein. Insbesondere ein Anfechtungsgrund nach § 123 Abs. 1 BGB liefert als solcher noch keinen Kündigungsgrund120. Bei der Kündigung können nur solche, die Durchführung des Arbeitsverhältnisses selbst berührenden, Umstände berücksichtigt werden. Die Berechtigung zur Kündigung richtet sich allein nach den zu den Kündigungstatbeständen entwickelten Grundsätzen. Im Hinblick auf die Gewerkschaftszugehörigkeit – oder besser die Tarifgebundenheit – ist zu beachten, daß diese bei Tarifbindung des Arbeitgebers im Lauf des Arbeitsverhältnisses jederzeit in absolut zulässiger Weise durch den einzelnen Arbeitnehmer herbeigeführt werden kann. Infolgedessen kann durch die bestehende oder die fehlende Gewerkschaftszugehörigkeit keinesfalls ein irgendwie gearteter Qualifikationsverlust eintreten, der zu einer personenbedingten Kündigung berechtigen würden. Ein unmittelbar an den Koalitionsstatus des Arbeitnehmers anknüpfendes Kündigungsrecht kann es wegen Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG nicht geben. Der Beitritt zur Gewerkschaft muß aufgrund der positiven Koalitionsfreiheit grundsätzlich frei sein. Entgegen Reuter121 kann die Tarifbindung auch nicht die persönliche Tauglichkeit eines Arbeitnehmers aufheben und deswegen eine personenbedingte Arbeitgeberkündigung rechtfertigen. Das Vertrauen auf den Status eines als Außenseiterarbeitsverhältnis abgeschlossenen Arbeitsverhältnisses ist nicht schutzwürdig, ist es doch der Arbeitgeber selbst, der die beiderseitige Tarifgebundenheit mitzuverantworten hat. Genausowenig ist die betriebswirtschaftliche Kalkulation eines tarifgebundenen Arbeitgebers schutzwürdig, die auf dem Erhalt des Außenseiterstatus basiert. Schließt ein 118
Rieble, in: GS Heinze, S. 687, 706. Buchner, in: Münchener Handbuch ArbeitsR, Bd. 1, § 41 Rn. 185. 120 Buchner, in: Münchener Handbuch ArbeitsR, Bd. 1, § 41 Rn. 186; Picker, ZfA 1981, 1, 35. 121 Reuter, in: FS Schaub, S. 605, 620. 119
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zunächst nichtorganisierter Arbeitnehmer zu untertariflichen Arbeitsbedingungen ab und tritt nachträglich der Gewerkschaft bei, kann das eine betriebsbedingte Kündigung – „wegen entstandener Unrentabilität des Arbeitsplatzes“122 – nicht rechtfertigen. Das Optionsrecht des bei einem seinerseits tarifgebundenen Arbeitgeber beschäftigten Arbeitnehmers, jederzeit einer Gewerkschaft beitreten zu können, ist mit Art. 9 Abs. 3 GG verfassungsrechtlich verbürgt – jede dagegen gerichtete Maßnahme ist nichtig. Zu denken ist aber an eine verhaltensbedingte Kündigung, die nicht an den Koalitionsstatus des Arbeitnehmers, sondern allein an die Verletzung der Auskunftspflicht anknüpft. Da eine solche Kündigung mit dem Koalitionsstatus nichts zu tun hat, ist sie dem Grunde nach jedenfalls als ordentliche verhaltensbedingte Kündigung zulässig123. Bei Verletzung vertraglicher Nebenpflichten hängt die Eignung als verhaltensbedingter Grund nicht davon ab, ob konkrete Störungen des Betriebsablaufs vorliegen. Entscheidend ist allein, ob die Interessen des Vertragspartners beeinträchtigt sind oder ob die Pflichtverletzung für die Abwicklung des Arbeitsverhältnisses belanglos ist124. Der (schuldhafte) Verstoß gegen die Auskunftspflicht stellt regelmäßig eine Störung des Arbeitsverhältnisses im Leistungsbereich dar. Zwar ist nur eine vertragliche Nebenpflicht verletzt, auch hierdurch ist jedoch das Arbeitsverhältnis bereits unmittelbar gestört und damit ein zur Rechtfertigung der Kündigung geeigneter Grund gegeben125. Aufgrund des durch die Täuschung bedingten unheilbaren Vertrauensverlustes erscheint sogar eine fristlose Kündigung als gerechtfertigt126.
F. Ergebnis Der Arbeitgeber ist nicht aufgrund einer Begrenzung seiner Informationsmöglichkeiten auf die einheitliche Anwendung von Bezugnahmeklauseln verwiesen. Eine derartige faktische Allgemeinverbindlichkeit ist mit der im 122
So in der Tat Reuter, RdA 1991, 193, 203. Zur Kündigung wegen falscher Auskunft oder unterlassener Mitteilung BAG vom 16.8.1991 – 2 AZR 604/90 – AP Nr. 27 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung = EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 41 = NZA 1993, 17; C.S. Hergenröder, AR-Blattei SD 715 Rn. 165; Löwisch/Spinner, KSchG, § 1 Rn. 177. 124 BAG vom 16.8.1991 – 2 AZR 604/90 – AP Nr. 27 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung = EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 41 = NZA 1993, 17. 125 BAG vom 31.8.1989 – 2 AZR 13/89 – AP Nr. 23 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung = EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 27 = NZA 1990, 433. 126 Ebenso Rieble, in: GS Heinze, S. 687, 707. 123
F. Ergebnis
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Tarifsystem angelegten Zweiteilung in organisierte und nichtorganisierte Arbeitnehmer nicht vereinbar. Beabsichtigt der seinerseits tarifgebundene Arbeitgeber nach der Tarifgebundenheit differenzierte Arbeitsbedingungen zu gewähren, darf er nach Begründung des Arbeitsverhältnisses nach der Gewerkschaftszugehörigkeit der Arbeitnehmer fragen. Der Arbeitgeber hat ein berechtigtes, billigenswertes und schutzwürdiges Informationsinteresse, weil die Durchführung des Arbeitsverhältnisses von dieser Information abhängt. Anders ließe sich die Tarifgebundenheit, an die das Tarifrecht die Tarifgeltung knüpft, nicht ermitteln. Mit dem Fragerecht korrespondiert eine Offenbahrungspflicht. Der Arbeitnehmer muß wahrheitsgemäß antworten. Verletzt er seine Auskunftspflicht oder eine vereinbarte Meldepflicht, verliert er regelmäßig seine tariflichen Ansprüche. Tarifwidrige Vereinbarungen sind mit der Wirkung ex nunc anfechtbar. Der Arbeitnehmer schuldet zudem Schadensersatz und setzt einen verhaltensbedingten Kündigungsgrund, der den Arbeitgeber zu einer außerordentlichen Kündigung berechtigen kann. Unzulässig ist die Frage nach der Gewerkschaftszugehörigkeit nur im arbeitsvertraglichen Anbahnungsverhältnis, weil insoweit die geschützten Belange des Arbeitnehmers an der Geheimhaltung dieser Information überwiegen, wenn nicht ausnahmsweise schon die Wirksamkeit des Vertragsschlusses von der Tarifgeltung abhängt.
§ 8 Umsetzung der Belegschaftsteilung Die abschließende Betrachtung gilt dem Vollzug der Belegschaftsteilung. Die Zulässigkeit von, nach der Tarifgebundenheit differenzierten, Arbeitsbedingungen ist dafür nur Voraussetzung, sagt aber noch nichts über die gegebenenfalls erforderliche Umsetzung. Eines zusätzlichen rechtsgeschäftlichen Umsetzungsaktes bedarf es nur nicht, wenn die Belegschaftsteilung aufgrund des gesetzlichen Normvollzugs erfolgt, wie es bei kollektiven Gestaltungsinstrumenten gegeben ist. Ist das aber nicht der Fall – wie beim Arbeitsvertrag – ist zu klären, welche Umsetzungsinstrumente für die Ablösung bisheriger Arbeitsbedingungen zur Verfügung stehen. Greift der Arbeitgeber erstmals zur Zweiteilung der Belegschaft, verfügen Außenseiterarbeitsverträge im Regelfall über Bezugnahmeklauseln, die zwar disponibel sind, gleichwohl aber teil haben am Vertragsinhaltsschutz und somit nach allgemeinen Regeln abgelöst werden müssen.
A. Belegschaftsteilung auf kollektiver Grundlage Unproblematisch ist der Vollzug der Belegschaftsteilung auf kollektiver Grundlage. Durch die gesetzliche Normwirkung der §§ 3 Abs. 3 TVG, 77 Abs. 4 BetrVG wirken tarifliche Arbeitsbedingungen und solche aus einer Betriebsvereinbarung unmittelbar und zwingend und gestalten somit das Arbeitsverhältnis aus sich heraus. I. Tarifplurale Arbeitsbedingungen Dementsprechend vollzieht sich die Geltung tarifpluraler Arbeitsbedingungen bei Zulassung der Tarifpluralität im Betrieb ipso iure1. Eines arbeitsvertraglichen Gestaltungsaktes bedarf es nicht. Der bei tariflicher Mehrfachbindung des Arbeitgebers jeweils beiderseits mitgliedschaftlich legitimierte Tarifvertrag gilt nach der Grundregel der §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG ab dem Gewerkschaftsbeitritt des Arbeitnehmers unmittelbar und zwingend. Für die beiderseitige Tarifbindung reicht es sogar aus, wenn ein Tarifvertrag nach Verbandsaustritt des Arbeitgebers lediglich noch gemäß 1 Zur überfälligen Verabschiedung des Grundsatzes der Tarifeinheit im Betrieb oben § 4, S. 177 ff.
A. Belegschaftsteilung auf kollektiver Grundlage
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§ 3 Abs. 3 TVG nachwirkt oder der Arbeitgeber erst nach Gewerkschaftsaustritt des Arbeitnehmers – der ebenso an § 3 Abs. 3 TVG gebunden ist – dem tarifschließenden Arbeitgeberverband beitritt2. Tarifplurale Arbeitsbedingungen entstehen folglich immer dann, wenn der Arbeitgeber und mindestens ein Arbeitnehmer des Betriebs während der Laufzeit von mindestens zwei unterschiedlichen Tarifverträgen – nicht notwendig gleichzeitig – Mitglied des tarifschließenden Verbands sind oder waren. Soweit normativ tarifgebundene Arbeitnehmer zusätzlich mit einer arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel ausgestattet sind, können sie daraus keine weiteren Rechte herleiten, die eigens abgelöst werden müßten. Zwar gilt im Verhältnis des Tarifvertrags zum Arbeitsvertrag grundsätzlich das Günstigkeitsprinzip nach § 4 Abs. 3 TVG. Gleichwohl setzt sich die mitgliedschaftlich legitimierte Tarifgeltung gegenüber der schwächeren schuldrechtlichen Verweisungsklausel durch3. Praktisch wird das Problem, wenn bisher nicht tarifgebundene Arbeitnehmer die normative Tarifgeltung durch Beitritt zu einer tarifschließenden Gewerkschaft auf sich beziehen oder wenn die Rechtsprechung anders organisierten Arbeitnehmern nach Aufgabe des Grundsatzes der Tarifeinheit im Betrieb4 die normative Geltung ihres Tarifvertrags zugesteht, nachdem sie bis dahin auf die Bezugnahme verwiesen waren. Regelmäßig wird es sich um eine dynamische Verweisung handeln, die den Tarifvertrag zur Geltung bringt, der auch bei normativer Tarifbindung zur Anwendung käme. Dann ist die Rechtsfolge eindeutig, daß sich die schuldrechtliche Bezugnahme nicht gegenüber der normativen Tarifbindung durchsetzen kann5. Gleiches muß aber auch gelten, wenn bei Tarifpluralität ausnahmsweise ein anderer Tarifvertrag Verweisungsobjekt im tariffreien Arbeitsverhältnis war als die später herbeigeführte oder erstmals zugelassene, normative Tarifgeltung. Hier wird man die Verweisungsklausel so auslegen können, daß jedenfalls bei nachträglich herbeigeführter Tarifbindung auf den Tarifvertrag verwiesen werden sollte, der später normativ zur Anwendung gelangt. Andernfalls könnten sich zunächst nicht tarifgebundene Arbeitnehmer bei Tarifpluralität durch geschickte Wahl der Gewerkschaft die „Rosinen“ des nach allgemeiner Vertragsauslegung6 ermittelten Tarifvertrags sichern, obwohl sie im übrigen an einen anderen Tarifvertrag gebunden sind. 2 BAG vom 14.8.2007 – 9 AZR 587/06 – AP Nr. 41 zu § 611 BGB Ausbildungsverhältnis = DB 2007, 2777; BAG vom 4.8.1993 – 4 AZR 499/92 – AP Nr. 15 zu § 3 TVG = EzA § 3 TVG Nr. 7 = NZA 1994, 34. 3 Oben § 1 D. IV., S. 58 f. 4 Zur erwarteten Aufgabe des Grundsatzes der Tarifeinheit im Betrieb oben § 4 D. IV., S. 186 f. 5 Oben § 1 D. IV., S. 58 f. 6 Dazu oben § 4 F. I. 3., S. 200.
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§ 8 Umsetzung der Belegschaftsteilung
II. Betriebsvereinbarung als Grundlage der Belegschaftsteilung Normative Wirkung kommt auch Betriebsvereinbarungen zu (§ 77 Abs. 4 BetrVG). Soweit die Belegschaftsteilung durch Betriebsvereinbarung zulässig ist7, ist ein gesonderter Umsetzungsakt – im Gegensatz zur Regelungsabrede – nicht erforderlich. 1. Begrenzter Regelungsbereich Der Regelungsbereich der Betriebsvereinbarung ist allerdings begrenzt. Den Betriebsparteien kommt nach hier vertretener Auffassung keine Regelungskompetenz über das Entgelt und die Arbeitszeit zu8. Die essentialia negotii des Arbeitsverhältnisses sind allein dem Tarif- und dem Arbeitsvertrag überantwortet. Die zweite wesentliche Einschränkung erfährt die betriebliche Regelungskompetenz durch den in § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG normierten Tarifvorrang, der unabhängig von der Koalitionszugehörigkeit der Arbeitnehmer eingreift9. Eine Ausnahme gilt für tariffreie Arbeitnehmer zwar hinsichtlich derjenigen Gegenstände, die nach § 87 Abs. 1 BetrVG der zwingenden Mitbestimmung durch den Betriebsrat unterliegen10. Lohnhöhe, Wochenarbeitszeit und Urlaubsdauer fallen allerdings nicht darunter, während demgegenüber etwa die Lage der Arbeitszeit – beispielsweise die Einbeziehung des Samstags – mit dem Betriebsrat verhandelt werden kann. Aufgrund des nur beschränkten Regelungsbereichs, der den Betriebsparteien im Betrieb des tarifgebundenen Arbeitgebers für die Gestaltung tariffreier Arbeitsverhältnisse zur Verfügung steht, stellen sich auch Ablösungsfragen nur in diesem Rahmen. 2. Ablösungsprinzip gegenüber bestehenden Betriebsvereinbarungen Ablösende Kraft kommt der Betriebsvereinbarung als Nachfolgeregelung zu einer bereits bestehenden Betriebsvereinbarung zu. Zwischen den inso7
Zu den Voraussetzungen und Grenzen oben § 5, S. 208 ff. Auführlich zur Regelungskompetenz der Betriebsparteien oben § 5 A. I. 2. d), S. 219 ff. 9 Ausführlich dazu oben § 5 A. I. 1., S. 209 ff. 10 Dazu und zur Rspr. des BAG, die den Tarifvorrang des § 87 Abs. 1 Eingangshalbsatz BetrVG bei Tarifbindung des Arbeitgeber auch gegenüber tariffreien Arbeitnehmern eingreifen läßt, oben § 5 A. I. 3, S. 225 ff. 8
A. Belegschaftsteilung auf kollektiver Grundlage
363
fern gleichrangigen Regelungen gilt nicht das Günstigkeits-, sondern das Ablösungsprinzip (lex posterior derogat legi priori)11. Die jüngere Norm ersetzt die ältere mit Wirkung für die Zukunft. Das erlaubt es, den betrieblichen Regelbestand jederzeit umzugestalten und zu modifizieren. Bei einer Zweiteilung der Belegschaft in tarifgebundene und tariffreie Arbeitnehmer kann das ohne weiteres bezogen auf die jeweilige Gruppe erfolgen12. Auch die Verschlechterung bisheriger Ansprüche ist in der Regel möglich. Auf das Günstigkeitsprinzip können sich Arbeitnehmer nicht berufen. Nur eingeschränkt unterliegen ablösende, für die Arbeitnehmer ungünstigere Betriebsvereinbarungen insoweit einer Rechtskontrolle, als sie insbesondere bei Eingriffen in bereits erworbene Besitzstände die Grenzen von Recht und Billigkeit beachten müssen13. Einen erweiterten Vertrauensschutz gewährt die Rechtsprechung vor allem bei der Ablösung und Änderung von kollektiven Versorgungszusagen14. Der Schutz richtet sich hauptsächlich auf bereits erdiente Anwartschaften, die nur aus triftigem Grund geschmälert werden können, wohingegen etwa für Eingriffe in Zuwachsraten sachliche Gründe ausreichen. 3. Günstigkeitsprinzip gegenüber einzelvertraglichen Regelungen Gegenüber einzelvertraglichen Abreden kommt der Betriebsvereinbarung keine Ablösekraft nach dem Grundsatz lex posterior derogat legi priori zu. Das Ablösungsprinzip gilt nur für ranggleiche, nicht aber für rangverschiedene Gestaltungsfaktoren. Für das Verhältnis zum Arbeitsvertrag ist das 11 St. Rspr., BAG vom 28.6.2005 – 1 AZR 213/04 – AP Nr. 25 zu § 77 BetrVG 1972 Betriebsvereinbarung = EzA § 77 BetrVG 2001 Nr. 12 = DPL 2006, 52 ff. mit Bespr. Breschendorf; BAG vom 5.10.2000 – 1 AZR 48/00 – AP Nr. 141 zu § 112 BetrVG 1972 = EzA § 112 BetrVG 1972 Nr. 107 = NZA 2001, 849; BAG vom 22.5.1990 – 3 AZR 128/89 – AP Nr. 3 zu § 1 BetrAVG Betriebsvereinbarung = EzA § 1 BetrAVG Ablösung Nr. 2 = NZA 1990, 813; Kania, in: ErfK, § 77 BetrVG Rn. 64; Richardi/Richardi, BetrVG, § 77 Rn. 174. 12 Ausführlich zur betrieblichen Belegschaftsteilung oben § 5 B., S. 241 ff. 13 Zur sog. Billigkeitskontrolle BAG vom 19.4.2005 – 3 AZR 468/04 – AP Nr. 9 zu § 1 BetrAVG Betriebsvereinbarung = EzA § 1 BetrAVG Ablösung Nr. 43 = NZA-RR 2005, 598; BAG vom 13.5.1997 – 1 AZR 75/97 – AP Nr. 65 zu § 77 BetrVG 1972 = EzA § 77 BetrVG 1972 Ruhestand Nr. 1 = NZA 1998, 160; zur Kritik daran GK-BetrVG/Kreutz, § 77 Rn. 300 ff.; v. Hoyningen-Huene, Die Billigkeit im Arbeitsrecht, S. 161 ff. 14 BAG vom 28.3.2000 – 1 AZR 366/99 – AP Nr. 83 zu § 77 BetrVG 1972 = EzA § 77 BetrVG 1972 Ablösung Nr. 1 = NZA 2001, 49; BAG vom 18.4.1989 – 3 AZR 299/87 – AP Nr. 23 zu § 1 BetrAVG Unterstützungskassen = EzA § 1 BetrAVG Unterstützungskasse Nr. 7 = NZA 1989, 845.
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§ 8 Umsetzung der Belegschaftsteilung
Günstigkeitsprinzip die Kollisionsregel15. Weil der Gesetzgeber die Betriebsvereinbarung in § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG nur mit einseitig zwingender Wirkung ausgestaltet hat, darf nach allgemeiner Meinung stets zugunsten des Arbeitsnehmers davon abgewichen werden16. Das Günstigkeitsprinzip sichert einerseits den Bestand der Betriebsvereinbarung gegenüber individualvertraglichen Eingriffen und andererseits den Individualvertrag vor Eingriffen durch Betriebsvereinbarung. Infolgedessen können bestehende einzelvertragliche Regelungen – wozu bei Außenseitern insbesondere die Bezugnahme auf den Tarifvertrag zählt – grundsätzlich nicht durch Betriebsvereinbarung abgelöst werden. Daran scheitert die Umsetzung der Belegschaftsteilung mit dem Gestaltungsinstrument der Betriebsvereinbarung. Hierzu gibt es nur zwei Ausnahmen: die erste ist das sogenannte kollektive Günstigkeitsprinzip, welches allerdings auf betriebliche Sozialleistungen begrenzt ist. Die zweite bringt ausnahmsweise das Ablösungsprinzip zur Anwendung, wenn die einzelvertragliche Regelung unter dem Vorbehalt einer ablösenden Betriebsvereinbarung steht, also „betriebsvereinbarungsoffen“ gestaltet ist17. In letzterem Fall gelten dieselben Grundsätze wie bei einem Widerrufsvorbehalt des Arbeitgebers18. Die bisherige Bezugnahme auf einen Tarifvertrag kann schon deswegen nicht darunter fallen. Damit bleiben für die Ablösung bisheriger Vergütungsstrukturen, die sich bei den tariffreien Arbeitnehmern arbeitsvertraglich aus einer Bezugnahme auf den Tarifvertrag oder einem eigenständigen Vergütungssystem ergeben, nur die Instrumentarien des Individualarbeitsrechts. Durch Betriebsvereinbarung kann allenfalls in Randbereichen eine Ausgestaltung erfolgen, eine umfassende Regelfindung ist dagegen nicht möglich.
15 BAG (GS) vom 16.9.1986 – GS 1/82 – AP Nr. 17 zu § 77 BetrVG 1972 = EzA § 77 BetrVG 1972 Nr. 17 = NZA 1987, 168; BAG (GS) vom 7.11.1989 – GS 3/85 – AP Nr. 46 zu § 77 BetrVG 1972 = EzA § 77 BetrVG 1972 Nr. 34 = NZA 1990, 816; BAG vom 21.9.1989 – 1 AZR 454/88 – AP Nr. 43 zu § 77 BetrVG 1972 = EzA § 77 BetrVG 1972 Nr. 33 = NZA 1990, 351. 16 Belling, Das Günstigkeitsprinzip im Arbeitsrecht, S. 107 ff.; Hess/Schlochauer/ Glock/Worzalla, BetrVG, § 77 Rn. 89; Kania, in: ErfK, § 77 BetrVG Rn. 68; GKBetrVG/Kreutz, § 77 Rn. 243 ff.; Löwisch/Kaiser, BetrVG, § 77 Rn. 76. 17 BAG (GS) vom 16.9.1986 – GS 1/82 – AP Nr. 17 zu § 77 BetrVG 1972 = EzA § 77 BetrVG 1972 Nr. 17 = NZA 1987, 168; BAG vom 7.6.2003 – 3 ABR 43/02 – AP Nr. 44 zu § 1 BetrAVG Ablösung = EzA § 1 BetrAVG Ablösung Nr. 40 = NZA 2004, 1110; Kania, in: ErfK, § 77 BetrVG Rn. 70 ff., 79. 18 Richardi/Richardi, BetrVG, § 77 Rn. 177.
B. Belegschaftsteilung auf arbeitsvertraglicher Grundlage
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B. Belegschaftsteilung auf arbeitsvertraglicher Grundlage Umfassend und konsistent läßt sich die Zweiteilung der Belegschaft in tarifgebundene und tariffreie Arbeitnehmer nur mit den Mitteln des Individualarbeitsrechts umsetzen. Auch die vorausgehende Abstimmung mit dem Betriebsrat durch Regelungsabrede bedarf stets der vertraglichen Umsetzung im Einzelarbeitsverhältnis. I. Systemeinführung bei Neueinstellungen In neu begründeten Arbeitsverhältnissen hat der Arbeitgeber die volle Gestaltungsfreiheit. Aus Gleichbehandlungsgesichtspunkten können sich erstmals oder erneut eingestellte Arbeitnehmer nicht auf bisher im Betrieb angewandte Vergütungsstrukturen berufen19. Im Verhältnis zu schon im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmern ist eine Ungleichbehandlung sachlich gerechtfertigt, wenn sich der Arbeitgeber entscheidet, allgemein andere Vergütungsabreden zu treffen als vorher20. Der Sachgrund folgt unmittelbar aus der unternehmerischen Entscheidung des selbst gesetzten Stichtags. Deshalb ist es ohne weiteres zulässig, das System der Belegschaftsteilung zunächst für neu eingestellte Arbeitnehmer einzuführen. In Anbetracht der Ablöselast, die der Arbeitgeber in bestehenden Arbeitsverhältnissen trägt, bietet sich dieser Weg sogar an. II. Einzelvertragliche Ablösung bisheriger Regelungen im bestehenden Arbeitsverhältnis Entscheidet sich der Arbeitgeber für das System der Belegschaftsteilung, nachdem er bisher eine Gleichstellungspraxis verfolgt hat, stößt er in den tariffreien Arbeitsverträgen auf Bezugnahmeklauseln. Selbst wenn eine ausdrückliche Verweisung auf den Tarifvertrag im Einzelfall fehlt, kann sich ein Tariflohnanspruch aus einer entstandenen betrieblichen Übung ergeben21. Will der Arbeitgeber für die tariffreien Arbeitnehmer nun ein eigen19 Allgemein dazu oben § 6 D. IV. 2., S. 288 f. Zu den Problemen bei Mißachtung von betrieblichen Mitbestimmungsrechten oben § 6 E. II. 3. d), S. 316 f. 20 BAG vom 11.6.2002 – 1 AZR 390/01 – AP Nr. 113 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung = EzA § 87 BetrVG 1972 Betriebliche Lohngestaltung Nr. 76 = NZA 2003, 570; BAG vom 2.3.2004 – 1 AZR 271/03 – AP Nr. 31 zu § 3 TVG = EzA § 87 BetrVG 2001 Betriebliche Lohngestaltung Nr. 4 = NZA 2004, 852. 21 BAG vom 19.1.1999 – 1 AZR 606/98 – AP Nr. 9 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag = EzA § 3 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 10 = NZA 1999, 879.
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§ 8 Umsetzung der Belegschaftsteilung
ständiges Entlohnungssystem einführen, das sich nicht mehr an den Tarifvertrag anlehnt, muß er die bisher begründeten Ansprüche ablösen. Gleiches gilt für die Überführung von, auf einen Tarifvertrag bezugnehmenden, Arbeitsverhältnissen in ein zunächst mit Neueingestellten begründetes außertarifliches Vergütungssystem. 1. Einvernehmlicher Änderungsvertrag Allen voran kommt der Änderungsvertrag in Betracht. Die einvernehmliche Vertragsänderung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ersetzt dann die bisherige Bezugnahme auf den Tarifvertrag durch eine arbeitsvertragliche Vergütungsordnung. Ohne weiteres ist eine vertragliche Änderung auch zu Lasten der Arbeitnehmer möglich22. Insbesondere können die Arbeitnehmer zeitweise auf Teile ihrer Entgeltansprüche verzichten und im Gegenzug eine Beschäftigungssicherungszusage erhalten23. Dem zu erwartenden Einwand, daß Arbeitnehmer kaum dazu bereit sein werden, einer Schmälerung ihrer bisherigen Ansprüche zuzustimmen, ist zweierlei entgegen zu halten: zum einen geht es der Zweiteilung der Belegschaft von vornherein nicht um eine pauschale Verschlechterung der Arbeitsbedingungen24. Dies schon deshalb nicht, weil der Effekt durch einen verstärkten Gewerkschaftsbeitritt verpuffen würde. Es geht um am konkreten Bedarf ausgerichtete Arbeitsbedingungen – wie etwa die 40-StundenWoche statt tariflich vorgegebener 35 Stunden – und den Zugewinn an Flexibilität. Zum zweiten – und das ist ebenso wesentlich – zeigen der zunehmend praktizierte Tarifbruch25, vor allem in ostdeutschen Betrieben, und Fälle wie Viessmann, daß Arbeitnehmer durchaus auch zu einer einvernehmlichen Absenkung ihrer bisherigen Arbeitsbedingungen bereit sind, vor allem wenn sie dadurch ihren Arbeitsplatz sichern können. Im Fall Viessmann stimmten 94%, im Fall Burda sogar 98%26 der Belegschaften den umgesetzten Beschäftigungsbündnissen zu. Insofern kann kaum davon gesprochen werden, daß Belegschaften und Betriebsräte stets rigoros den erreichten Tarifstandard verteidigen würden. Europäische Studien bestätigen 22 Zu den Grenzen der zulässigen Vertragsgestaltung oben § 6 D., S. 266 ff.; insbesondere zur arbeitsvertraglichen Inhaltskontrolle § 6 D. VI., S. 293 ff. 23 Zur Zulässigkeit von auf tariffreie Arbeitnehmer begrenzten Beschäftigungsbündnissen oben § 6 G., S. 326 ff. 24 Vgl. allgemein dazu oben § 3 D. II., S. 171 ff. 25 Siehe nur Gentz, in: FS Schaub, S. 205, 206. 26 BAG vom 20.4.1999 – 1 ABR 72/98 – AP Nr. 89 zu Art. 9 GG = EzA Art. 9 GG Nr. 65 = NZA 1999, 887.
B. Belegschaftsteilung auf arbeitsvertraglicher Grundlage
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auch, daß Arbeitnehmer im allgemeinen bereit sind, länger zu arbeiten, wenn sie dafür einen Lohnausgleich erhalten27. Der einvernehmliche Änderungsvertrag ist daher für die Umsetzung der Belegschaftsteilung durchaus ein geeignetes Regelungsinstrument. Soweit nicht alle tariffreien Arbeitnehmer den geänderten Vertragsbedingungen zustimmen, bleibt die Möglichkeit, ein selbständiges Regelungssystem nur für die neueingestellten Arbeitnehmer und diejenigen, die sich Vorteile daraus versprechen und deshalb einen Änderungsvertrag unterzeichnen, einzuführen28. Insbesondere bei der Einführung von individuell leistungsorientierten Vergütungssystemen steht zu erwarten, daß weniger qualifizierte Beschäftigte eher an den bisherigen tariflichen Vergütungsstrukturen festhalten werden. 2. Stillschweigende Annahme durch Weiterarbeit Neben dem ausdrücklichen Änderungsvertrag kommt eine stillschweigende Vertragsänderung in Betracht, die sich konkludent aus widerspruchsloser Weiterarbeit der Arbeitnehmer ergeben kann, wenn der Arbeitgeber vorher eine Gesamtzusage gemacht hat. Nach der Rechtsprechung des BAG kann die widerspruchslose Fortsetzung der Tätigkeit durch den Arbeitnehmer nach einem Änderungsangebot des Arbeitgebers in der Regel dann gemäß §§ 133, 157 BGB als Annahme der Vertragsänderung angesehen werden, wenn dieses sich unmittelbar im Arbeitsverhältnis auswirkt29. Das betrifft insbesondere die Änderung der Vergütung und der Arbeitszeit. Zwar sei die Situation eine andere, wenn dem Arbeitnehmer etwa eine Änderung der Ruhegeldordnung vorgeschlagen werde, die für ihn nicht sofort und unmittelbar praktisch werde30. Es genügt aber, wenn das Änderungsangebot des Arbeitgebers zumindest auch Gegenstände betrifft, die sich unmittelbar auswirken31. Das BAG begründet dies damit, daß sonst komplexe Vertragsänderungen im Wege konkludenter 27
Nach einer Studie von Financial Times und Harris Poll: http://www.euractiv. com/de/innovation/europaer-bereit-langer-arbeiten-bezahlung-stimmt/article-157148, zuletzt abgerufen am 15.4.2008. 28 Darin liegt kein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot, § 6 D. IV. 3., S. 289. 29 BAG vom 1.8.2001 – 4 AZR 129/00 – AP Nr. 20 zu § 157 BGB = EzA § 315 BGB Nr. 50 = NZA 2003, 924. 30 BAG vom 22.12.1970 – 3 AZR 52/70 – AP Nr. 2 zu § 305 BGB Billigkeitskontrolle = EzA § 315 BGB Nr. 4 = BB 1971, 523. 31 BAG vom 1.8.2001 – 4 AZR 129/00 – AP Nr. 20 zu § 157 BGB = EzA § 315 BGB Nr. 50 = NZA 2003, 924.
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§ 8 Umsetzung der Belegschaftsteilung
Vereinbarung ausgeschlossen wären, wofür es keinen einleuchtenden Grund gäbe32. Ein vereinbartes Schriftformerfordernis steht der konkludenten Vertragsänderung nicht entgegen. Auch wenn sich die Schriftform aus einem in Bezug genommen Tarifvertrag ergibt, ist es möglich, den schuldrechtlich vereinbarten Formzwang jederzeit formlos aufzuheben. Eine konkludente Aufhebung ist anzunehmen, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Abweichung übereinstimmend gewollt haben, was wiederum indiziert wird, wenn sie sich nach den veränderten Vertragsbedingungen richten33. Daß die Vertragsparteien an das Schriftformerfordernis gedacht haben, ist nicht erforderlich34. 3. Betriebsbedingte Änderungskündigung Ist eine einvernehmliche Vertragsumstellung nicht möglich, können Arbeitsbedingungen – insbesondere Verweisungsklauseln auf einen Tarifvertrag – lediglich über einseitige Lösungsinstrumente des Individualarbeitsrechts geändert werden. In tariffreien Arbeitsverhältnissen kommt dafür regelmäßig nur die Änderungskündigung in Betracht. a) Abgrenzung zu anderen Lösungsinstrumenten Da die Ablösung der Gleichstellungspraxis stets das gesamte Gefüge der Arbeitsbedingungen betrifft, kann sie als Ganzes nicht über einseitige Leistungsbestimmungsrechte, wie das Direktionsrecht, oder einen vereinbarten Widerrufsvorbehalt erfolgen. Jene Gestaltungsinstrumente – soweit sie im Einzelfall überhaupt Vertragsgegenstand sind – können nur auf einen Randbereich Zugriff nehmen. Die Rechtsprechung geht insoweit von einem veränderungsfesten Kern des Arbeitsverhältnisses von etwa 75% aus35. Nicht zurückgegriffen werden kann außerdem auf das allgemeine Rechtsinstitut der Störung der Geschäftsgrundlage, weil dieses durch den im 32 BAG vom 1.8.2001 – 4 AZR 129/00 – AP Nr. 20 zu § 157 BGB = EzA § 315 BGB Nr. 50 = NZA 2003, 924. 33 BAG vom 10.1.1989 – 3 AZR 460/87 – AP Nr. 57 zu § 74 HGB = EzA § 74 HGB Nr. 51 = NZA 1989, 797. 34 BAG vom 16.8.1983 – 3 AZR 34/81 – AP Nr. 2 zu § 1 BetrAVG Hinterbliebenenversorgung = EzA § 1 BetrAVG Hinterbliebenenversorgung Nr. 1 = NJW 1984, 1712. 35 BAG vom 12.1.2005 – 5 AZR 364/04 – AP Nr. 1 zu § 308 BGB = EzA § 308 BGB 2002 Nr. 1 = NZA 2005, 465; zur insoweit möglichen Vertragsflexibilisierung oben § 6 D. VI. 2. c) (2), S. 304 ff.
B. Belegschaftsteilung auf arbeitsvertraglicher Grundlage
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Arbeitsrecht anerkannten spezielleren Rechtsbehelf der Änderungskündigung verdrängt wird36. Ein Rückgriff auf § 313 BGB kommt selbst dann nicht in Frage, wenn die Änderungskündigung eine Vertragsänderung nicht herbeiführen kann. Eine Anpassung an eine veränderte Geschäftsgrundlage kann ausschließlich über die Änderungskündigung erfolgen, die sich ihrerseits an den speziellen kündigungsrechtlichen Vorschriften messen lassen muß37. b) Rechtsnatur der Änderungskündigung Rechtstechnisch ist die Änderungskündigung ein zweiseitiges Rechtsgeschäft. Sie setzt sich zusammen aus – erstens – einer Beendigungskündigung zur umfassenden Beendigung des Arbeitsverhältnisses und – zweites – einem gleichzeitigen Angebot zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu veränderten Vertragsbedingungen38. Das Kündigungselement ist unerläßliche Voraussetzung für eine Änderungskündigung. Der Wille zur Vertragsauflösung muß dabei klar zum Ausdruck kommen, wozu die bloße Ankündigung des Arbeitgebers, er werde den Lohn um fünf Prozent senken oder die Arbeitszeit von 35 Stunden auf 40 heraufsetzen, nicht ausreicht. Gleichwohl steht die Weiterführung und nicht die Beendigung als Ziel der Änderungskündigung im Vordergrund. Der Arbeitnehmer kann das Vertragsangebot vorbehaltlos – dann kommt der Vertrag zu den geänderten Arbeitsbedingungen zustande – oder unter dem Vorbehalt der sozialen Rechtfertigung gemäß § 2 KSchG annehmen39. In beiden Fällen bleibt das Arbeitsverhältnis erhalten. Lehnt der Arbeitnehmer die Änderung der Arbeitsbedingungen vorbehaltlos ab, wird das Arbeitsverhältnis – bei Wirksamkeit der Änderungskündigung – beendet oder – bei Unwirksamkeit der Änderungskündigung – unverändert fortgesetzt.
36 Looschelders, Schuldrecht AT, Rn. 773; Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht, Rn. 406; Roth, in: Münchener Kommentar zum BGB, § 313 Rn. 143. 37 Das schließt allerdings nicht aus, daß dabei auf den Rechtsgedanken des § 313 BGB zurückgegriffen werden kann. Vgl. Reichold, RdA 2002, 321, 332 f.; Rieble, NZA Sonderbeil. 3/2000, 34, 37. 38 BAG vom 21.4.2005 – 2 AZR 244/04 – AP Nr. 80 zu § 2 KSchG 1969 = EzA § 2 KSchG Nr. 52 = NZA 2005, 1294; Löwisch, NZA 1988, 633, 634; KR/ Rost, § 2 KSchG Rn. 8; v. Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 2 Rn. 3; Oetker, in: ErfK, § 2 KSchG Rn. 6. 39 Zu den Reaktionsmöglichkeiten des Arbeitnehmers im einzelnen Kittner/Däubler/Zwanziger, KSchR, § 2 Rn. 123 ff.; v. Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 2 Rn. 91 ff.
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§ 8 Umsetzung der Belegschaftsteilung
c) Soziale Rechtfertigung der Änderungskündigung Die Wirksamkeit der Änderungskündigung richtet sich im Anwendungsbereich des KSchG gemäß § 2 KSchG nach den Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Sätze 1 bis 3 KSchG. Die Änderungskündigung muß wie jede andere ordentliche Kündigung sozial gerechtfertigt sein, mit der Besonderheit, daß die Rechtfertigung der angebotenen Vertragsänderung und nicht die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu prüfen ist40. Werden mehrere Vertragsänderungen mit einer Änderungskündigung verfolgt, ist sie schon sozial ungerechtfertigt, wenn nur eine Änderung sozialwidrig ist41. Nicht in Betracht kommt, daß das Gericht die Änderung für teilweise begründet erklärt. Streitgegenstand des Kündigungsschutzprozesses ist die Änderung der Arbeitsbedingungen durch die Kündigung: diese wiederum kann nur ganz oder gar nicht begründet sein. Für eine im Rahmen einer Belegschaftsteilung in tarifgebundene und tariffreie Arbeitsverhältnisse ausgesprochene Änderungskündigung kommt von vornherein lediglich eine Rechtfertigung aus betriebsbedingten Gründen in Betracht, da der Koalitionsstatus oder dessen Änderung im Lauf des Arbeitsverhältnisses wegen Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG kein personen- oder verhaltensbedingter Kündigungsanlaß sein kann42. In betrieblicher Hinsicht eröffnet sich dagegen aufgrund des Status der Außenseiter die Möglichkeit, die Arbeitsbedingungen an geänderte Umstände anzupassen, wenn dies aus dringenden betrieblichen Gründen im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG veranlaßt ist. (1) Dringende betriebliche Erfordernisse Nach der eingängigen Formel des BAG ist eine Änderungskündigung aus betriebsbedingtem Anlaß sozial gerechtfertigt, wenn die Änderung der bisherigen Arbeitsbedingungen durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG bedingt ist und sich der Arbeitgeber bei einem an sich anerkennenswerten Anlaß darauf beschränkt hat, nur solche Änderungen vorzuschlagen, die der Arbeitnehmer billigerweise hinnehmen muß43. 40 Oetker, in: ErfK, § 2 KSchG Rn. 39; v. Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 2 Rn. 125 ff. 41 BAG vom 23.6.2005 – 2 AZR 642/04 – AP Nr. 81 zu § 2 KSchG 1969 = EzA § 2 KSchG Nr. 54 = NZA 2006, 92; Kittner/Däubler/Zwanziger, KSchR, § 2 KSchG Rn. 141. 42 Dazu bereits oben § 7 E. IV., S. 357. 43 St. Rspr., BAG vom 29.3.2007 – 2 AZR 31/06 – EzA § 2 KSchG Nr. 66 = NZA 2007, 855 = DB 2007, 1762; BAG vom 21.9.2006 – 2 AZR 120/06 – AP
B. Belegschaftsteilung auf arbeitsvertraglicher Grundlage
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Die zweistufige Prüfung ergibt sich aus der Berücksichtigung des Änderungsangebots, für welches es überhaupt erst einmal einen anerkannten betrieblichen Anlaß geben muß. Erst wenn das der Fall ist, folgt in einem zweiten Schritt die Prüfung, ob die Änderungen für den Arbeitnehmer annehmbar sind. In jüngerer Rechtsprechung hat das BAG die zweite Stufe dahin konkretisiert, daß eine am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierte Prüfung vorzunehmen ist44. Danach müssen die Änderungen geeignet und erforderlich sein, um den Inhalt des Arbeitsvertrags den geänderten Beschäftigungsmöglichkeiten anzupassen. Ausgangspunkt ist die bisherige vertragliche Regelung: davon dürfen sich die angebotenen Änderungen nicht weiter entfernen als zur Erreichung des angestrebten Zieles erforderlich ist. Für die erste Stufe – das Vorliegen dringender betrieblicher Erfordernisse – bedarf es regelmäßig eines organisatorischen Konzepts, aus dem sich das Bedürfnis nach einer Änderung der Arbeitsbedingungen ergibt, mithin eine konzeptionelle Unternehmerentscheidung. Auch bei der betriebsbedingten Änderungskündigung unterliegt die Unternehmerentscheidung nur einer Rechts- und Mißbrauchskontrolle45. Die Organisationsentscheidung selbst ist keiner inhaltlichen Überprüfung zugänglich. So ist die Entscheidung, tariffreie Arbeitsnehmer künftig auf Grundlage eines eigenständigen Vergütungssystems statt bisher 35 nunmehr 40 Stunden pro Woche arbeiten zu lassen, Samstagsarbeit einzuführen oder bestimmte Lohnbestandteile entfallen zu lassen, grundsätzlich als konzeptionelle Unternehmerentscheidung anzuerkennen. Bei der betriebsbedingten Änderungskündigung führt die Unternehmerentscheidung zu einer Veränderung der Arbeitsbedingungen bei Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses. Hinzu kommen muß aber die vom Gesetz in § 1 Abs. 2 KSchG geforderte Dringlichkeit der betrieblichen Erfordernisse, die eine Änderungskündigung unter Abwägung der Interessen des Arbeitgebers an der erstrebten Änderung und der Interessen der Arbeitnehmer an der Aufrechterhaltung ihrer bisherigen Arbeitsbedingungen als billigenswert und angemessen erNr. 86 zu § 2 KSchG 1969 = EzA § 2 KSchG Nr. 61 = NZA 2007, 435; BAG vom 23.6.2005 – 2 AZR 642/04 – AP Nr. 81 zu § 2 KSchG 1969 = EzA § 2 KSchG Nr. 54 = NZA 2006, 92; für die außerordentliche Änderungskündigung eines unkündbaren Arbeitnehmers BAG vom 2.3.2006 – 2 AZR 64/05 – AP Nr. 84 zu § 2 KSchG 1969 = EzA § 2 KSchG Nr. 58 = NZA 2006, 985. 44 BAG vom 29.3.2007 – 2 AZR 31/06 – EzA § 2 KSchG Nr. 66 = NZA 2007, 855 = DB 2007, 1762; BAG vom 21.9.2006 – 2 AZR 120/06 – AP Nr. 86 zu § 2 KSchG 1969 = EzA § 2 KSchG Nr. 61 = NZA 2007, 435. 45 BAG vom 23.6.2005 – 2 AZR 642/04 – AP Nr. 81 zu § 2 KSchG 1969 = EzA § 2 KSchG Nr. 54 = NZA 2006, 92; BAG vom 23.6.2005 – 2 AZR 642/04 – AP Nr. 81 zu § 2 KSchG 1969 = EzA § 2 KSchG Nr. 54 = NZA 2006, 92; Kittner/ Däubler/Zwanziger, KSchR, § 2 KSchG Rn. 153.
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§ 8 Umsetzung der Belegschaftsteilung
scheinen läßt46. Der bloße Wunsch des Arbeitgebers, das Arbeitsverhältnis künftig nach geänderten Bedingungen durchzuführen, reicht dafür ersichtlich nicht aus. Auch ein etwaiges Vereinheitlichungsbestreben47 oder ein bloß wirtschaftlich vernünftiger Zwang, Personalkosten zu sparen, ist nicht ausreichend. Die Rechtsprechung stellt insofern allerdings ganz unterschiedliche Anforderungen an die Dringlichkeit der betrieblichen Erfordernisse, je nachdem, was mit der Änderungskündigung erreicht werden soll. Änderungskündigungen zur Anpassung vertraglicher Nebenabreden oder zur Anpassung der Arbeitszeit unterliegen nicht den gleichen strengen Maßstäben wie eine Änderungskündigung zur Entgeltabsenkung. (2) Änderung des Arbeitsentgelts Eine betriebsbedingte Änderungskündigung zur Absenkung des Entgelts ist nach der Dogmatik des Kündigungsschutzgesetzes zwar grundsätzlich möglich. Nach der Rechtsprechung des BAG kann von dieser Möglichkeit jedoch nur in Ausnahmefällen Gebrauch gemacht werden. Eine betriebsbedingte Änderungskündigung, durch die die Vergütung der Beschäftigten herabgesetzt werden soll, wird nur dann als zulässig angesehen, wenn andernfalls Arbeitsplätze geopfert werden müßten oder gar die Stilllegung des Betriebs droht48. Das BAG fordert in ständiger Rechtsprechung, daß jede Personalkostensenkung die Stillegung des Betriebes oder die Reduzierung der Belegschaft verhindern können muß, wobei sämtliche andere Maßnahmen vorrangig sind. Ausgangspunkt dieser Rechtsprechung ist, daß eine Entgeltkürzung nachhaltig und einseitig in das arbeitsvertraglich vereinbarte Synallagma von Leistung und Gegenleistung eingreift. Nach dem im Arbeitsvertragsrecht anerkannten Grundsatz pacta sunt servanda sind geschlossene Verträge grundsätzlich einzuhalten. Bloßer Geldmangel kann den Arbeitgeber daher 46
BAG vom 23.6.2005 – 2 AZR 642/04 – AP Nr. 81 zu § 2 KSchG 1969 = EzA § 2 KSchG Nr. 54 = NZA 2006, 92; Oetker, in: ErfK, § 2 KSchG Rn. 48. 47 Zur Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes unten § 8 B. II. 3. d), S. 376 ff. 48 BAG vom 12.1.2006 – 2 AZR 126/05 – AP Nr. 82 zu § 2 KSchG 1969 = EzA § 2 KSchG Nr. 56 = NZA 2006, 587; BAG vom 16.5.2002 – 2 AZR 292/01 – AP Nr. 69 zu § 2 KSchG 1969 = EzA § 2 KSchG Nr. 46 = NZA 2003, 147; BAG vom 27.9.2001 – 2 AZR 236/00 – AP Nr. 40 zu § 4 TVG Nachwirkung = EzA § 2 KSchG Nr. 44 = NZA 2002, 750; BAG vom 20.8.1998 – 2 AZR 84/98 – AP Nr. 50 zu § 2 KSchG 1969 = EzA § 2 KSchG Nr. 31; BAG vom 12.11.1998 – 2 AZR 91/98 – AP Nr. 51 zu § 2 KSchG 1969 = EzA § 2 KSchG Nr. 33 = NZA 1999, 471.
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nicht entlasten, zumal er das Wirtschaftsrisiko trägt49. Von vornherein ausgeschlossen sind damit Änderungskündigungen mit dem Ziel der Entgeltminderung, wenn der Betrieb wirtschaftlich nicht gefährdet ist und der Arbeitgeber nur die Rentabilität erhöhen will. Auch die bloße Änderung der Lohnstruktur kann eine Änderungskündigung ohne wirtschaftliche Notlage nicht rechtfertigten50. Eine Abweichung von diesem Grundsatz läßt das BAG nur zu, wenn durch die Änderungskündigung nachweislich eine, aus wirtschaftlichen Gründen sonst erforderlich werdende, Beendigungskündigung vermieden wird51. Infolgedessen verspricht eine betriebsbedingte Änderungskündigung nur Aussicht auf Erfolg, wenn alle anderen Sanierungsmaßnahmen ausgeschöpft sind und das Unternehmen eigentlich schon insolvenzreif ist. Praktisch ist die betriebsbedingte Änderungskündigung zur Entgeltabsenkung damit weitgehend aussichtslos52. Auch für die Durchsetzung einer Belegschaftsteilung ist sie kein taugliches Instrument. Selbst wenn die Anforderungen vorliegen, die die Rechtsprechung an eine Entgeltkürzung stellt, führte das nicht zu einer Zweiteilung, sondern zur Auflösung der tarifgebundenen Arbeitsverhältnisse, während bei gleicher Sachlage eine Beendigungskündigung gegenüber tariffreien Arbeitnehmern von der Änderungskündigung als milderes Mittel verdrängt wird53. Das ist die Konsequenz der unabdingbaren Tarifgeltung, die auf Kosten des Bestandsschutzes nur das Tariflohnniveau garantieren kann54. Weil die Rechtsprechung für eine Entgeltabsenkung die 49 BAG vom 12.1.2006 – 2 AZR 126/05 – AP Nr. 82 zu § 2 KSchG 1969 = EzA § 2 KSchG Nr. 56 = NZA 2006, 587; BAG vom 16.5.2002 – 2 AZR 292/01 – AP Nr. 69 zu § 2 KSchG 1969 = EzA § 2 KSchG Nr. 46 = NZA 2003, 147. 50 LAG Berlin vom 21.8.1998 – 2 Sa 18/98 – LAGE § 2 KSchG Nr. 34 = ArbuR 1999, 239. 51 Hromadka, NZA 1996, 1, 10; Kittner/Däubler/Zwanziger, KSchR, § 2 KSchG Rn. 165; Künzl, in: Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, § 2 KSchG Rn. 259; Oetker, in: ErfK, § 2 KSchG Rn. 60; KR/Rost, § 2 KSchG Rn. 7a, b; v. HoyningenHuene/Linck, KSchG, § 2 Rn. 148. 52 Kritisch daher Rieble, NZA Sonderbeil. 3/2000, S. 34, 37 f.; Stoffels, ZfA 2002, 401, 415 ff. 53 Zum Vorrang der Änderungskündigung vor der Beendigungskündigung BAG vom 21.4.2005 – 2 AZR 244/04 – AP Nr. 80 zu § 2 KSchG 1969 = EzA § 2 KSchG Nr. 52 = NZA 2005, 1294; zust. v. Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 2 Rn. 77 ff. 54 Zur Unwirksamkeit tarifwidriger Änderungskündigungen BAG vom 10.2.1999 – 2 AZR 422/98 – AP Nr. 52 zu § 2 KSchG 1969 = EzA § 2 KSchG Nr. 34 = NZA 1999, 657; Künzl, in: Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, § 2 KSchG Rn. 251; Löwisch/Spinner, KSchG, § 2 Rn. 14 f.; Kittner/Däubler/Zwanziger, KSchR, § 2 KSchG Rn. 166; v. Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 2 Rn. 122 f.; abweichend Rieble, Anm. zu BAG vom 10.2.1999 – 2 AZR 422/98 – RdA 2000,
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gleichen Anforderungen stellt, die auch für die Beendigungskündigung gelten55, bedeutet das für den Arbeitgeber: tarifgebundene Arbeitsverhältnisses sind aufzulösen, während tariffreien Arbeitnehmern vorrangig eine Entgeltkürzung anzubieten ist, die den Bestand ihres Arbeitsplatzes retten kann. (3) Änderung vertraglicher Nebenabreden Deutlich weniger strenge Anforderungen gelten für die Änderung von vertraglichen Nebenabreden. Ein dringendes betriebliches Erfordernis zur Änderung kann hier schon vorliegen, wenn die Vertragspartner eine Nebenabrede vereinbart haben, die an Umstände anknüpft, die erkennbar nicht während der gesamten Dauer des Arbeitsverhältnisses gleich bleiben müssen56. Unter solchen Nebenabreden versteht das BAG die kostenlose Beförderung zum Betriebssitz57, Fahrtkosten- und Mietzuschüsse58 oder Überstundenpauschalen59. Da derartige Vereinbarungen in einem Dauerschuldverhältnis stets auf veränderlichen Umständen beruhen, können sie schon bei Unwirtschaftlichkeit abgebaut werden, ohne daß konkret Arbeitsplätze gefährdet sein müßten60. Diese im Vergleich zur reinen Entgeltabsenkung gelockerte Rechtsprechung bringt eine Erleichterung für den Arbeitgeber, den Kern des vertraglichen Leistungsversprechens – insbesondere echte Vergütungsbestandteile – berührt das jedoch nicht61. Auch den Systemwechsel von einem tariflich orientierten Bezugnahmesystem hin zu einem eigenständigen Regelungssystem bringt es nicht weiter: vertragliche Nebenabreden basieren zudem 40 ff., der von einer bloßen Sozialwidrigkeit der Kündigung ausgeht; ebenso Oetker, in: ErfK, § 2 KSchG Rn. 56. 55 Hromadka, NZA 1996, 1, 8; Kittner, NZA 1997, 968, 970; v. HoyningenHuene/Linck, KSchG, § 2 Rn. 132. 56 BAG vom 27.3.2003 – 2 AZR 74/02 – AP Nr. 72 zu § 2 KSchG 1969 = EzA § 2 KSchG Nr. 48 = NZA 2003, 1029; BAG vom 23.11.2000 – 2 AZR 547/99 – AP Nr. 64 zu § 2 KSchG 1969 = EzA § 2 KSchG Nr. 40 = NZA 2001, 492. 57 BAG vom 27.3.2003 – 2 AZR 74/02 – AP Nr. 72 zu § 2 KSchG 1969 = EzA § 2 KSchG Nr. 48 = NZA 2003, 1029. 58 BAG vom 28.4.1982 – 7 AZR 1139/79 – AP Nr. 3 zu § 2 KSchG 1969 = EzA § 2 KSchG Nr. 4 = NJW 1982, 2687. 59 BAG vom 23.11.2000 – 2 AZR 547/99 – AP Nr. 64 zu § 2 KSchG 1969 = EzA § 2 KSchG Nr. 40 = NZA 2001, 492. 60 v. Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 2 Rn. 159; kritisch dagegen Berkowsky, NZA 2003, 1130, 1132; Künzl, in: Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, § 2 KSchG Rn. 266a; Reiserer/Powietzka, BB 2006, 1109, 1111. 61 Zum Abbau übertariflicher Zulagen BAG vom 16.5.2002 – 2 AZR 292/01 – AP Nr. 69 zu § 2 KSchG 1969 = EzA § 2 KSchG Nr. 46 = NZA 2003, 147.
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ohnehin auf dem Arbeitsvertrag, so daß ein Abbau betriebseinheitlich gegenüber den normativ tarifgebundenen Arbeitnehmern möglich ist62. (4) Änderung der Arbeitszeit Erstaunlicherweise stellt die Rechtsprechung auch bei der Änderung der Arbeitszeit deutlich geringere Anforderungen an eine Änderungskündigung als im Hinblick auf das Arbeitsentgelt. Änderungskündigungen zur Arbeitszeitanpassung werden schon zugelassen, wenn die betriebliche Arbeitszeit durch eine unternehmerische Entscheidung neu gestaltet wird, und dadurch das Bedürfnis zur Weiterbeschäftigung eines oder mehrerer Arbeitnehmer zu der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit entfällt63. Die unternehmerische Entscheidung selbst wird in diesen Fällen nicht auf ihre Zweckmäßigkeit, sondern nur darauf überprüft, ob sie willkürlich oder offenbar unsachlich ist64. Liegt der Änderung eine betriebliche Umorganisation zugrunde, ist das BAG außerordentlich großzügig, selbst wenn die darauf gestützte Änderungskündigung eine erhebliche Verminderung des Arbeitsentgelts mit sich bringt. So hat es eine mit der Änderungskündigung beabsichtigte Herabsetzung der Arbeitszeit von 40 auf 20 Stunden pro Woche mit der Begründung gebilligt, die Umorganisation beruhe auf einer nur sehr beschränkt nachprüfbaren unternehmerischen Entscheidung65. Ebenso kann die Erhöhung der Arbeitszeit durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt sein66. Desgleichen ist die Einführung von Samstagsarbeit eine hinzunehmende unternehmerische Entscheidung, die einen billigenswerten Anlaß zur Änderung der vertraglichen Arbeitsbedingungen darstellen kann. Der Arbeitgeber ist in der Regel frei darin zu entscheiden, wie er die Kapazitäten und Arbeitszeiten auf seine Produktion verteilt67. 62 Zur Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes unten § 8 B. II. 3. d) (1), S. 376. 63 BAG vom 22.4.2004 – 2 AZR 385/03 – AP Nr. 74 zu § 2 KSchG 1969 = EzA § 2 KSchG Nr. 50 = NZA 2004, 1158; BAG vom 24.4.1997 – 2 AZR 352/96 – AP Nr. 42 zu § 2 KSchG 1969 = EzA § 2 KSchG Nr. 26 = NZA 1997, 1047; BAG vom 19.5.1993 – 2 AZR 584/92 – AP Nr. 31 zu § 2 KSchG 1969 = EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 73 = NZA 1993, 1075. 64 BAG vom 22.4.2004 – 2 AZR 385/03 – AP Nr. 74 zu § 2 KSchG 1969 = EzA § 2 KSchG Nr. 50 = NZA 2004, 1158; v. Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 2 Rn. 143. 65 BAG vom 22.4.2004 – 2 AZR 385/03 – AP Nr. 74 zu § 2 KSchG 1969 = EzA § 2 KSchG Nr. 50 = NZA 2004, 1158. 66 LAG Rheinland-Pfalz NZA 1989, 273; Künzl, in: Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, § 2 KSchG Rn. 253. 67 Oetker, in: ErfK, § 2 KSchG Rn. 57; v. Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 2 Rn. 144.
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In tariffreien Arbeitsverhältnissen ist er nicht an zwingende tarifliche Vorgaben gebunden, auch wenn bisher auf einen Tarifvertrag verwiesen wurde. Die vormalige Bezugnahme hindert die Änderungskündigung nicht. Nur in normativ tarifgebundenen Arbeitsverhältnissen bleibt eine Anpassung der Arbeitszeit regelmäßig versagt, da sich entsprechende Vorgaben zwingend aus dem Tarifvertrag ergeben68. Hinsichtlich der von der Rechtsprechung großzügig zugelassenen Änderungskündigung zur Anpassung der Lage und insbesondere der Dauer der Arbeitszeit ist eine Zweiteilung der Belegschaft insofern ohne weiteres möglich. Die Organisationsentscheidung des Arbeitgebers, die tariffreien Arbeitnehmer statt der tariflichen 35 Stunden künftig 40 Stunden arbeiten zu lassen und den Samstag als Werktag einzuführen, ist dementsprechend mit Hilfe einer betriebsbedingten Änderungskündigung umsetzbar. Auf gleiche Weise lassen sich flexible Arbeitszeitmodelle vertraglich implementieren. Zu beachten ist, daß das Änderungsangebot selbst einer AGB-Kontrolle standhalten muß69. Basiert die Vertragsänderung auf einer Anpassung der Arbeitszeit, ist auch das Schicksal des Entgeltanspruchs geklärt: die hohen Anforderungen, die für die separate Entgeltanpassung gelten, sind insofern nicht zu beachten. Die Arbeitszeitänderung führt zu einer proportionalen Anpassung des Arbeitsentgelts – nach oben oder nach unten70. d) Änderungskündigung und Gleichbehandlungsgrundsatz (1) Sachgerechte Gruppenbildung Bei der Anwendung des Gestaltungsinstruments der Änderungskündigung ist der Gleichbehandlungsgrundsatz zu beachten71. Danach ist der Arbeitgeber verpflichtet, vergleichbare Arbeitnehmer gleich zu behandeln. Differenzierungen darf er nicht willkürlich, sondern nur aus sachlichen Gründen 68 BAG vom 10.2.1999 – 2 AZR 422/98 – AP Nr. 52 zu § 2 KSchG 1969 = EzA § 2 KSchG Nr. 34 = NZA 1999, 657; BAG vom 18.12.1997 – 2 AZR 709/96 – AP Nr. 46 zu § 2 KSchG 1969 = EzA § 2 KSchG Nr. 28 = NZA 1998, 304; Kittner/Däubler/Zwanziger, KSchR, § 2 KSchG Rn. 158. 69 Zu den Möglichkeiten einer flexiblen Arbeitszeitgestaltung oben § 6 D. VI. 2. c) (2) (a), S. 305 f.; vgl. auch LAG Brandenburg vom 24.10.1996 – 3 Sa 393/96 – LAGE § 2 KSchG Nr. 22 = NZA-RR 1997, 127. 70 BAG vom 22.4.2004 – 2 AZR 385/03 – AP Nr. 74 zu § 2 KSchG 1969 = EzA § 2 KSchG Nr. 50 = NZA 2004, 1158; Kittner/Däubler/Zwanziger, KSchR, § 2 KSchG Rn. 156a. 71 BAG vom 3.7.2003 – 2 AZR 617/02 – AP Nr. 73 zu § 2 KSchG 1969 = EzA § 2 KSchG Nr. 49 = SAE 2004, 160; BAG vom 12.11.1998 – 2 AZR 91/98 – AP Nr. 51 zu § 2 KSchG 1969 = EzA § 2 KSchG Nr. 33 = NZA 1999, 471.
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vornehmen72. Ausgeschlossen ist nicht nur die sachgrundlose Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer innerhalb einer Gruppe, sondern vor allem eine sachfremde Gruppenbildung. Das bedeutet für eine zu ändernde Entgeltstruktur, die über eine unwirtschaftlich arbeitende Abteilung hinaus gilt, daß auch Arbeitnehmer einzubeziehen sind, die nicht in dieser Abteilung tätig sind73. Eine sachfremde Differenzierung ist aber nur gegeben, wenn es für eine unterschiedliche Behandlung keine billigenswerten Gründe gibt. Hinsichtlich der Differenzierung nach der Tarifgebundenheit ergibt sich der Sachgrund aus der zwingenden Tarifgeltung74: tarifwidrige Änderungskündigungen sind von vornherein unwirksam75. Darüber hilft selbst die Wirksamkeitsfiktion der §§ 4, 7 KSchG nicht hinweg. Gilt der Tarifvertrag dagegen lediglich auf schuldrechtlicher Grundlage, insbesondere infolge arbeitsvertraglicher Bezugnahme, ist eine Änderungskündigung jederzeit möglich76. Damit verstößt der Arbeitgeber, der Änderungskündigungen nur gegenüber den tariffreien Arbeitnehmern ausspricht und damit eine Zweiteilung der Belegschaft herbeiführt, nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Er vollzieht lediglich das nach, was die gesetzlich zwingende Tarifgeltung vorgibt. Gegenüber organisierten und deswegen tarifgebundenen Arbeitnehmern kann er im Hinblick auf tariflich begründete Rechtspositionen nur zu einer Beendigungskündigung greifen – die erforderlichen Voraussetzungen sind gegeben, wenn er andererseits gegenüber tariffreien Arbeitnehmern auf die Änderungskündigung zur Entgeltabsenkung zurückgreifen kann77. (2) Keine Kündigungsrechtfertigung aus Gleichbehandlungserwägungen Andererseits kann eine Änderungskündigung nicht durch den Gleichbehandlungsgrundsatz gerechtfertigt werden. Hat die Mehrheit der in einem 72
Allgemein zum Gleichbehandlungsgrundsatz oben § 6 D. II. 1., S. 275 ff. BAG vom 20.8.1998 – 2 AZR 84/98 – AP Nr. 50 zu § 2 KSchG 1969 = EzA § 2 KSchG Nr. 31 = NZA 1999, 255; Hromadka, NZA 1992, 234, 256; Stoffels, ZfA 2002, 401, 417. 74 Zur zulässigen Differenzierung nach der Tarifgebundenheit oben § 6 D. II. 1. d), S. 277 f. 75 BAG vom 10.2.1999 – 2 AZR 422/98 – AP Nr. 52 zu § 2 KSchG 1969 = EzA § 2 KSchG Nr. 34 = NZA 1999, 657; Kittner/Däubler/Zwanziger, KSchR, § 2 KSchG Rn. 158. 76 BAG vom 27.9.2001 – 2 AZR 236/00 – AP Nr. 40 zu § 4 TVG Nachwirkung = EzA § 2 KSchG Nr. 44 = NZA 2002, 750; Künzl, in: Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, § 2 KSchG Rn. 265. 77 Vgl. oben § 8 B. II. 3. c) (2), S. 372 f. 73
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Betrieb beschäftigten tariffreien Arbeitnehmer einem Änderungsangebot zugestimmt, kann sich der Arbeitgeber gegenüber den Abweichlern, die auf den bisherigen Bestand ihres Arbeitsvertrags beharren, nicht auf den Gleichbehandlungsgrundsatz berufen. Eine darauf gestützte Änderungskündigung ist nicht durch dringende betriebliche Erfordernisse veranlaßt78. In ständiger Rechtsprechung verwehrt das BAG dem Arbeitgeber zu Recht, sich zur Anpassung von Arbeitsbedingungen auf den Gleichbehandlungsgrundsatz zu berufen79. Dies folgt schon daraus, daß beim Abschluß eines Arbeitsvertrages der Grundsatz der Vertragsfreiheit Vorrang vor dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz hat80. Der Gleichbehandlungsgrundsatz kann überdies nur zur Begründung von Rechten, nicht aber zu deren Einschränkung dienen. Deshalb ist auch die erstrebte Anpassung des Entgelts an ein betriebliches Entgeltsystem nicht ausreichend, um eine Änderungskündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne von § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG zu rechtfertigen81. Da hilft es dem Arbeitgeber ebensowenig, daß er sich für die Regelung auf eine Einigung mit dem Betriebsrat berufen kann82. e) Beteiligung des Betriebsrats Aus kündigungsrechtlicher Sicht ist bei jeder Änderungskündigung das Anhörungsrecht des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG zu beachten. Die ordnungsgemäße Anhörung ist gesetzliche Wirksamkeitsvoraussetzung für die Kündigung. Dem Betriebsrat sind die Kündigungsgründe und das Änderungsangebot mitzuteilen. Ferner ist der Arbeitgeber verpflichtet, darüber zu informieren, daß bei einer Ablehnung des Änderungsangebots eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses beabsichtigt ist83. 78 BAG vom 20.1.2000 – 2 ABR 40/99 – AP Nr. 40 zu § 103 BetrVG 1972 = EzA § 15 KSchG nF Nr. 49 = NZA 2000, 592. 79 BAG vom 12.1.2006 – 2 AZR 126/05 – AP Nr. 82 zu § 2 KSchG 1969 = EzA § 2 KSchG Nr. 56 = NZA 2006, 587; BAG vom 16.5.2002 – 2 AZR 292/01 – AP Nr. 69 zu § 2 KSchG 1969 = EzA § 2 KSchG Nr. 46 = NZA 2003, 147; BAG vom 1.7.1999 – 2 AZR 826/98 – AP Nr. 53 zu § 2 KSchG 1969 = EzA § 2 KSchG Nr. 35 = NZA 1999, 1336; BAG vom 28.4.1982 – 7 AZR 1139/79 – AP Nr. 3 zu § 2 KSchG 1969 = EzA § 2 KSchG Nr. 4 = NJW 1982, 2687; Stoffels, ZfA 2002, 401, 420; v. Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 2 Rn. 170. 80 BAG vom 4.5.1962 – 1 AZR 250/61 – AP Nr. 32 zu § 242 BGB Gleichbehandlung = DB 1962, 841 = NJW 1962, 1459. 81 Kittner/Däubler/Zwanziger, KSchR, § 2 KSchG Rn. 180; v. Hoyningen-Huene/ Linck, KSchG, § 2 Rn. 170; vgl. auch LAG Nürnberg vom 26.7.2005 – 6 Sa 26/05 – LAGE § 2 KSchG Nr. 52 = ArbuR 2005, 383. 82 BAG vom 20.1.2000 – 2 ABR 40/99 – AP Nr. 40 zu § 103 BetrVG 1972 = EzA § 15 KSchG nF Nr. 49 = NZA 2000, 592.
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Neben die Anhörung zur Kündigung treten die Beteiligungsrechte nach § 99 BetrVG und die Mitbestimmungsrechte aus § 87 Abs. 1 BetrVG. Sind mit der Änderungskündigung personelle Einzelmaßnahmen verbunden – bei Einführung eines eigenständigen Arbeitszeit- und Vergütungssystems für tariffreie Arbeitnehmer ist das regelmäßig die Umgruppierung – hat der Betriebsrat in Betrieben mit mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern zusätzlich gemäß § 99 BetrVG mitzuwirken84. Gleiches gilt, wenn die mit der Änderungskündigung verfolgte Änderung der Arbeitsbedingungen der Mitbestimmung des Betriebsrats gemäß § 87 Abs. 1 BetrVG unterliegt85, wie bei einer Änderung der Lage der Arbeitszeit, der betrieblichen Lohngestaltung oder der Einführung von Schichtarbeit86. In diesen Fällen kumulieren sich mehrere Beteiligungsrechte des Betriebsrats. Mangels entgegenstehender Anhaltspunkte muß man davon ausgehen, daß die mit unterschiedlicher Zielsetzung an unterschiedliche Tatbestände anknüpfenden Regelungen nebeneinander anzuwenden sind, was gleichwohl nicht ausschließt, daß die Verfahren einheitlich durchgeführt werden87. Problematisch ist diese Kumulation, wenn die ordnungsgemäße Betriebsratsbeteiligung je für sich zur Wirksamkeitsvoraussetzung für die Kündigung beziehungsweise für die durchzusetzende Arbeitsvertragsänderung erhoben ist. Geregelt ist das ausdrücklich nur in § 102 Abs. 1 Satz 2 KSchG für die Anhörung zur Kündigung. Demgegenüber ist das Ein- und Umgruppierungsverfahren nach § 99 BetrVG keine Wirksamkeitsvoraussetzung, weil der Arbeitgeber nicht gestaltend tätig wird, sondern sich die Eingruppierung automatisch aus der Vergütungsordnung ergibt88. Insofern haben Fehler im Mitbestimmungsverfahren nach § 99 BetrVG keinen Einfluß auf die Wirksamkeit einer, mit einer Ein- und Umgruppierung einhergehenden, Änderungskündigung89. Anders verhält es sich bei den Mitbestimmungsangelegenheiten des § 87 Abs. 1 BetrVG, da insofern eine unterbliebene oder fehlerhafte Mitbestim83
BAG vom 27.9.2001 – 2 AZR 236/00 – AP Nr. 40 zu § 4 TVG Nachwirkung = EzA § 2 KSchG Nr. 44 = NZA 2002, 750; BAG vom 30.11.1989 – 2 AZR 197/ 89 – AP Nr. 53 zu § 102 BetrVG 1972 = EzA § 102 BetrVG 1972 Nr. 77 = NZA 1990, 529; Kittner/Däubler/Zwanziger, KSchR, § 2 KSchG Rn. 158. 84 Zur Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 99 Abs. 1 BetrVG oben § 6 E. III., S. 317 ff. 85 Der Tarifvorbehalt des § 87 Abs. 1 BetrVG greift bei Außenseitern nicht: s. oben § 5 A. I. 3. b) (3), S. 229 ff. 86 Zur Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 BetrVG oben § 6 E. II., S. 309 ff. 87 Hergenröder, in: Münchener Kommentar zum BGB, § 2 KSchG Rn. 101; v. Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 2 Rn. 184; Löwisch, NZA 1988, 633, 639. 88 BAG vom 14.1.2004 – 4 AZR 10/30 – NZA 2004, 1183 = ZTR 2004, 643. 89 Künzl, in: Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, § 2 KSchG Rn. 163.
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mung nach der von der herrschenden Meinung vertretenen Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung90 zur Unwirksamkeit der einzelvertraglichen Regelung führt91. Hinsichtlich solcher, mit einer Änderungskündigung geänderten, Arbeitsbedingungen wird diese Konsequenz von der Rechtsprechung jedoch nicht gezogen. Vielmehr greift der Zweite Senat des BAG auf die zu § 99 BetrVG entwickelten Grundsätze zurück und läßt die Unwirksamkeitsfolge nicht auf die Kündigung durchschlagen92. Lediglich die Durchsetzung der geänderten Vertragsbedingungen bleibt dem Arbeitgeber versagt, bis das Mitbestimmungsverfahren ordnungsgemäß durchgeführt ist93. Die Änderungskündigung bleibt aber von der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung im Rahmen des § 87 Abs. 1 BetrVG unberührt. Nimmt der Arbeitnehmer die geänderten Arbeitsbedingungen nicht zumindest unter Vorbehalt an, ist eine Beendigungskündigung ausgesprochen. f) Besonderheiten bei Massenänderungskündigung Bezogen auf die Zweiteilung der Belegschaft besteht ein Bedürfnis, die einer Änderungskündigung zugänglichen Arbeitsbedingungen mit Wirkung für alle tariffreien Arbeitnehmer zu ändern. Kündigt der Arbeitgeber mehreren Arbeitnehmern zu diesem Zweck, so handelt es sich um eine sogenannte Gruppen- oder Massenänderungskündigung94. Da diese auf eine Änderung materieller Arbeitsbedingungen mit Kollektivcharakter abzielt, trägt sie auch Wesensmerkmale einer Arbeitskampfmaßnahme. Fraglich ist deshalb, ob es sich bei der Massenänderungskündigung um eine reine individualrechtliche Maßnahme oder eine Kampfmaßnahme im Sinne des § 25 KSchG handelt. Entgegen der vom Reichsarbeitsgericht ver90
BAG (GS) vom 16.9.1986 – GS 1/82 – AP Nr. 17 zu § 77 BetrVG 1972 = EzA § 77 BetrVG 1972 Nr. 17 = SAE 1987, 175 mit Anm. Löwisch; BAG vom 11.6.2002 – 1 AZR 390/01 – AP Nr. 113 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung = EzA § 87 BetrVG 1972 Betriebliche Lohngestaltung Nr. 76 = NZA 2003, 570. 91 Allgemein zur Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung oben § 6 E. II. 3. b), S. 314 f. 92 BAG vom 17.6.1998 – 2 AZR 336/97 – AP Nr. 49 zu § 2 KSchG 1969 = EzA § 2 KSchG Nr. 30 = NZA 1998, 1225; anders noch BAG vom 31.4.1984 – 1 AZR 174/81 – AP Nr. 15 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung = EzA § 87 BetrVG 1972 Betriebliche Lohngestaltung Nr. 8 = NZA 1984, 167. 93 Der Rechtsprechung des Zweiten Senats zustimmend Künzl, in: Ascheid/Preis/ Schmidt, Kündigungsrecht, § 2 KSchG Rn. 171, Henssler, Anm. zu BAG vom 17.6.1998 – 2 AZR 336/97 – SAE 200, 238 ff.; ablehnend Kittner/Däubler/Zwanziger, KSchR, § 2 KSchG Rn. 189a; v. Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 2 Rn. 205. 94 Zum Begriff Berkowsky, in: Münchener Handbuch ArbeitsR, Bd. 2, § 145 Rn. 128 ff.
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tretenen Auffassung, welches die kollektive Änderungskündigung noch als Angriffsaussperrung95 wertet, sprechen sich heute aber Rechtsprechung und der überwiegende Teil der Literatur gegen die Gleichstellung von Massenänderungskündigung und Kampfmaßnahme aus96. Insbesondere nach der Neufassung des § 2 KSchG 1969 dürfte eine Deutung als Arbeitskampf ausscheiden, weil die betroffenen Arbeitnehmer weiterarbeiten können, ohne ihren sozialen Besitzstand zu verlieren97. Gerade im Außenseiterarbeitsverhältnis überwiegt zudem der individualrechtliche Charakter der Maßnahme, bedenkt man insbesondere, daß für eine Anpassung von Arbeitsvertragsbedingungen regelmäßig nur das Gestaltungsinstrument der Änderungskündigung zur Verfügung steht98. Infolgedessen ist auch bei der kollektiven Änderung von Arbeitsbedingungen durch Massenänderungskündigung, jedenfalls gegenüber tariflichen Außenseitern, von einer gebündelten Ausübung von Einzelkündigungen auszugehen, auf die jeweils ohne weitere Besonderheiten allein die Vorschrift des § 2 KSchG Anwendung findet.
C. Ergebnis Für die Umsetzung der Belegschaftsteilung kommen je nach Regelungsebene unterschiedliche Gestaltungsinstrumente in Betracht. Unproblematisch ist der Vollzug auf kollektiver Grundlage: durch die gesetzliche Normwirkung der §§ 3 Abs. 3 TVG, 77 Abs. 4 BetrVG wirken tarifliche Arbeitsbedingungen und solche, die sich aus einer Betriebsvereinbarung ergeben, unmittelbar und zwingend. Einer zusätzlichen einzelvertraglichen Umsetzung bedarf es dann nicht mehr. Dementsprechend vollzieht sich die Belegschaftsteilung auf tarifpluraler Grundlage ipso iure. Mittels Betriebsvereinbarung lassen sich in der Regel aber nur bisherige Betriebsvereinbarungen ablösen. 95 RAG vom 20.8.1928 – RAG 44/28 – ARS 4, 66, RAG vom 24.10.1928 – RAG 27/28 – ARS 4, 323. 96 BAG vom 1.2.1957 – 1 AZR 521/54 – AP Nr. 4 zu § 56 BetrVG = BB 1957, 327; BAG vom 14.10.1960 – 1 AZR 255/58 – AP Nr. 25 zu § 123 GewO = DB 1961, 208; Hergenröder, in: Münchener Kommentar zum BGB; § 15 KSchG Rn. 14; Otto, in: Münchener Handbuch ArbeitsR, Bd. 3, § 286 Rn. 124; Wiedemann/Wiedemann, TVG, § 4 Rn. 431; Zöllner, RdA 1969, 250, 254 ff.; v. Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 15 Rn. 15; Kissel, Arbeitskampfrecht, § 62 Rn. 22 ff. m. w. Nachw. 97 Wiedemann/Wiedemann, TVG, § 4 Rn. 431. 98 Vgl. Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, Bd. II/1, S. 1021 f. und Säcker, DB 1967, 1086, 1089 ff., die die Massenänderungskündigung nur bei Außenseitern bzw. fehlender Organisation anerkennen.
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Demgegenüber lassen sich auf dem Arbeitsvertrag beruhende Arbeitsbedingungen – abgesehen von wenigen Ausnahmen – lediglich mit den Mitteln des Individualarbeitsrechts ändern. Soweit eine einvernehmliche Vertragsänderung nicht möglich ist, bleibt nur der Weg über die Änderungskündigung, die auch als Kollektivmaßnahme allein am Maßstab des § 2 KSchG zu messen ist. Nach den von der Rechtsprechung dazu entwickelten strengen Anforderungen ist eine Änderung des Arbeitsentgelts allerdings nur möglich, wenn das Unternehmen kurz vor der Insolvenz steht. Demgegenüber lassen sich die Arbeitszeit und vertragliche Nebenabreden ohne weiteres mit einer Änderungskündigung anpassen, wenn dem eine konzeptionelle Unternehmerentscheidung zugrunde liegt, die ihrerseits inhaltlich von den Arbeitsgerichten nicht überprüft wird. Daß das Konzept der umfassenden Belegschaftsteilung – unter Einschluß auch der Entgeltbestandteile – nicht einseitig durch Änderungskündigung durchsetzbar ist, sondern regelmäßig einer einvernehmlichen Vertragsänderung bedarf, ist indes die klare Konsequenz des Vertragsprinzips, auf dem die Zweiteilung der Belegschaft selbst basiert.
Gesamtergebnis 1. Der tarifgebundene Arbeitgeber hat zwei Teilbelegschaften: die organisierten und die nichtorganisierten Arbeitnehmer. Abgesehen von eng begrenzten Ausnahmen, die nur auf staatlicher Geltungserstreckung beruhen können, gelten tarifliche Arbeitsbedingungen gemäß §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG nur für organisierte Arbeitnehmer. Die Grundlage der Tarifgeltung ist die freiwillige Mitgliedschaft, die gleichfalls die Grenzen der Koalitionsbetätigung vorgibt. Tarifautonomie ist kollektiv ausgeübte Privatautonomie, womit eine Beschränkung der Tarifgeltung auf die beiderseits Tarifgebundenen bereits systemimmanent impliziert ist. 2. Die tariflich programmierte Belegschaftsteilung versucht die Praxis zwar mittels schuldrechtlicher Verweisungsklauseln zu überwinden. Das führt allerdings nicht stets zu einer Eins-zu-Eins-Gleichstellung: nicht nur bezüglich des Geltungsgrundes, sondern auch hinsichtlich der Rechtsfolgen bleiben Unterschiede zwischen normativer und schuldrechtlicher Tarifgeltung bestehen. Unsauber formulierte Bezugnahmeklauseln, die Anwendung der Unklarheitenregelung und stumpfe vertragsrechtliche Beendigungsinstrumente führen dazu, daß trotz eines verfolgten Gleichstellungszwecks mehrere Teilbelegschaften in einem Betrieb bestehen können. In der Folge kann das auch dazu führen, daß Außenseiter besser gestellt sind, was gleichwohl systemkonform aus dem unterschiedlichen Geltungsgrund und den auf die Bezugnahmeklausel anzuwendenden vertragsrechtlichen Schranken folgt und daher grundsätzlich nicht zu beanstanden ist. 3. Die jüngeren Entwicklungen im Recht der arbeitsvertraglichen Bezugnahme haben die Handhabe dieses Instituts teils erheblich erschwert und geben Anlaß zur Neubewertung, ob sich die Bezugnahme zukünftig noch lohnt. Erweist sich die Erwartung einheitlicher Arbeitsbedingungen als Fehlschluß, sollte über alternative Regelungsmodelle zur Gleichstellungspraxis nachgedacht werden. 4. Eine zwingende, über den Normvollzug der im TVG angelegten Belegschaftsteilung hinausgehende, tarifvertragliche Festschreibung der Differenzierung zwischen organisierten und nichtorganisierten Arbeitnehmern ist nicht zulässig. Jede rechtlich oder faktisch verbindliche, tarifvertraglich vorgegebene Schlechterstellung von Außenseitern erweist sich als Eingriff in die Inhaltsgestaltung des Arbeitsverhältnisses und ist wegen Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, die Koalitions-
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freiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG und die Arbeitsvertragsfreiheit unzulässig. Für die verfassungsrechtlichen Wertungen kommt es auf die konkrete Höhe des jeweils ausbedungenen Sondervorteils nicht an. 5. In Exekution der verfassungsrechtlichen Vorgaben ergibt sich die Unzulässigkeit jeglicher zwingender tarifvertraglicher Schlechterstellung von Außenseitern bereits aus dem einfachgesetzlichen Tarifrecht, insbesondere aus den Grenzen der Tarifmacht. Unvereinbar sind qualifizierte Differenzierungsklauseln mit dem Kartellverbot des Günstigkeitsprinzips und dem koalitionsrechtlichen Grundsatz der Gegnerunabhängigkeit. Ferner erweisen sie sich als unzumutbar für den Arbeitgeber, weil er zur Förderung organisationspolitischer Ziele nicht in den Dienst des sozialen Gegenspielers genommen werden darf. 6. Die koalitionspolitisch motivierte Außenseiterdiskriminierung kann nicht unter dem Deckmantel der Koalitionsfreiheit gerechtfertigt werden. Auf den von Art. 9 Abs. 3 GG vermittelten Schutz können sich Gewerkschaften nur berufen, soweit die Ausübung ihrer verfassungsrechtlich zugewiesenen Funktion in Frage steht. In dieser werden sie durch die Arbeitsvertragsgestaltung der Außenseiter nicht betroffen. Vor allem kann sich für eine Beschränkung der Freiwilligkeit des Verbandsbeitritts nicht auf den Schutz der Koalitionsfreiheit berufen werden. Ebenso fehl geht der Hinweis auf die Tarifgebundenheit. Sobald dem Außenseiter die Möglichkeit genommen wird, arbeitsvertraglich auf den Tarifvertrag zu verweisen oder seine Arbeitsbedingungen entsprechend nachzugestalten, ist diese Beschränkung durch die Bestimmungen über die Tarifgebundenheit nicht mehr gedeckt. 7. Demgegenüber erweisen sich einfache mitgliedschaftsanknüpfende Differenzierungsklauseln wie auch organisatorische Geltungsbereichsbeschränkungen entgegen dem umfassenden Verdikt des Großen Senats des BAG vom 29.11.1967 als rechtlich unbedenklich. Weil damit die Bezugnahmefreiheit der nicht tarifgebundenen Arbeitsvertragsparteien in keiner Weise tangiert wird, liegt weder eine Grundrechtsverletzung noch ein Verstoß gegen zwingendes Tarifvertragsrecht vor. Rechtliche Folgen lösen derartige Gestaltungen nur im Hinblick auf die Möglichkeit zur Allgemeinverbindlicherklärung aus. Da jene aber nicht zu den zwingenden Voraussetzungen für die tarifvertragliche Rechtsetzung gehört, kann damit nicht die Unzulässigkeit einfacher Differenzierungsklauseln begründet werden. 8. Die kollektive auf der einen und die individuelle Ordnung der Arbeitsbeziehungen auf der anderen Seite sind dennoch von einander unabhängige Regelungssysteme. Sie stehen in einem innerbetrieblichen Systemwettbewerb. Dieser kann durch individualvertragliche Bezugnahme im Außenseiterarbeitsverhältnis ausgeschaltet werden. Gleichwohl besteht für den Arbeitgeber ebenso die Möglichkeit, den Wettbewerb der Regelungssysteme
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zu nutzen, indem er die Kartellmacht der Koalitionen auf den Kreis der mitgliedschaftlich Tarifgebundenen begrenzt hält. 9. Einerseits bieten abweichende Tarifbindungen auf Arbeitnehmerseite die Chance für einen innerbetrieblichen Tarifwettbewerb. Selbiger drängt als Folge des – in der Koalitionsfreiheit ebenso angelegten – Koalitionswettbewerbs auf Zulassung, der sich die Rechtsprechung bisher zu Unrecht versagt. Insbesondere gibt es die hinter dem bislang verfochtenen Postulat der Tarifeinheit im Betrieb stehende Fiktion einer organisationsrechtlichen Einheit der Belegschaft nicht, weshalb dieser Grundsatz über kurz oder lang der verfassungskonformen Zulassung einer Tarifpluralität im Betrieb weichen muß. Nach dem Grundgedanken der Koalitionsfreiheit muß jedem Koalitionsangehörigen das Recht zustehen, die Anwendung seines, für ihn kraft Gesetzes verbindlichen Tarifvertrags, zu verlangen. 10. Die vom BAG überbewerteten praktischen Schwierigkeiten einer zugelassenen Tarifpluralität im Betrieb lassen sich sachgerecht lösen. Die Behandlung mehrerer Tarifverträge im Betrieb kann ohne weiteres dem im TVG vorgezeigten Weg folgen. Einzig im Hinblick auf Betriebs- und Betriebsverfassungsnormen besteht eine aufzulösende, echte Tarifkonkurrenz, bei der sich nur ein Tarifvertrag nach dem Mehrheitsprinzip durchsetzen kann. Demgegenüber erweist sich die notwendige Abgrenzung zwischen Betriebs- und Individualnormen als Aufgabe, die mit Blick auf § 3 Abs. 2 TVG ebenso für tarifliche Außenseiter gelöst werden muß. 11. Neben dem Tarifwettbewerb bieten die nichtorganisierten Arbeitnehmer des tarifgebundenen Arbeitgebers die Möglichkeit, mit ihnen vom Tarifvertrag abweichende Regelungen zu treffen. Wenn dadurch individualisierte, am konkreten Bedarf des Betriebs ausgerichtete Arbeitsbedingungen erreicht werden können, ist kein zwingender Grund dafür ersichtlich, den Außenseiterarbeitsvertrag als bloßen Zitierrahmen für kollektive Regelungsquellen verkommen zu lassen und weiterhin „blind“ Bezugnahmeklauseln mit tariffreien Arbeitnehmern zu vereinbaren. 12. Für den Außenseiterwettbewerb stellt allerdings die betriebliche Regelungsebene kein Instrument für eine umfassende Regelfindung zur Verfügung. Die arbeitsrechtlichen Regelungsebenen – Vertragsebene und Betriebsebene – sind nicht austauschbar. Die betriebliche Gestaltungsebene kann allenfalls in Ergänzung zu einem arbeitsvertraglichen Lohnfindungssystem herangezogen werden. 13. Regelungsspielräume ergeben sich für die Betriebsvereinbarung nur im Bereich der erzwingbaren Mitbestimmung und im Rahmen von tariflichen Öffnungsklauseln. Entgegen der herrschenden Meinung, in deren Konsequenz der Arbeitgeber eine Zweiteilung der Belegschaft mitbestim-
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mungsfrei vollziehen könnte, ist es nicht sachgerecht, den Tarifvorrang des § 87 Abs. 1 BetrVG bei bestehender tariflicher Regelung auch in tariffreien Arbeitsverhältnissen eingreifen zu lassen, weil der Schutz der Betriebsverfassung auf diese Weise ohne entsprechende Kompensation verdrängt würde. Der Vorrangtheorie folgend ist der Betriebsvereinbarung vielmehr ungeachtet des § 77 Abs. 3 BetrVG ein Regelungsbereich eröffnet. 14. Trotz eröffneter Regelungskompetenz bleibt die Gestaltung der vertraglichen Hauptschuldinhalte gleichwohl dem Arbeitsvertrag vorbehalten. Eine selbigen ersetzende Regelungsbefugnis kommt den Betriebsparteien nicht zu. Das synallagmatische Austauschverhältnis betreffende Fragen sind kein tauglicher Gegenstand einer Betriebsvereinbarung. Die Betriebsparteien verfügen weder über die Mittel noch die Legitimation, kollektivierte Privatautonomie auszuüben. 15. In dem, den Betriebsparteien zugänglichen, Regelungsbereich ist eine differenzierte Regelfindung für tarifgebundene Arbeitnehmer auf der einen und für Außenseiter auf der anderen Seite ohne weiteres rechtlich zulässig. Gemäß § 75 Abs. 1 BetrVG sind die Betriebsparteien zwar an den Gleichbehandlungsgrundsatz gebunden, dürfen also ohne sachlich rechtfertigenden Grund nicht differenzieren. Dies steht einer Differenzierung nach der Tarifgebundenheit aber nicht entgegen. Wenn die Ungleichbehandlung an die normative Geltung des Tarifvertrags anknüpft, liegt darin ein Sachgrund, der die Regelung rechtfertigt. 16. Konsistent umsetzen läßt sich eine Zweiteilung der Belegschaft nur auf der Grundlage des Arbeitsvertrags. Weil nichtorganisierte Arbeitnehmer grundsätzlich nicht von der Tarifmacht der Verbände erreicht werden, eröffnet das stets die Möglichkeit für eine tarifabweichende Gestaltung. Eine Alternative zum Tarifvertrag ist der Außenseiterwettbewerb auf Basis des Individualarbeitsvertrags. 17. Verfassungsrechtlich ist dem einzelnen Arbeitnehmer mit dem Grundrecht des Art. 12 Abs. 1 GG die Freiheit garantiert, seine Arbeitsbedingungen unabhängig vom Staat und unabhängig von den Verbänden selbstbestimmt zu regeln. Dieser Schutz umfaßt die freie Entscheidung darüber, ob er statt des Schutzes durch den Tarifvertrag andere Ansprüche auf arbeitsvertraglicher Grundlage vorziehen will. 18. Die Arbeitsvertragsautonomie der tariflichen Außenseiter leidet nicht an einem strukturellen Funktionsdefizit. Nur wenn der Vertragsmechanismus im Einzelfall nicht funktioniert, mag die Rechtsordnung die Durchsetzung verweigern. Wenn er aber funktioniert, darf der Staat in den Konsens der Vertragsparteien nicht eingreifen. Staatliche Kontrolle kann Korrekturen nur in Randbereichen besorgen. Sie darf aber nicht zur Regel erhoben wer-
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den. Das gilt uneingeschränkt auch für den Arbeitsvertrag. Kann der Arbeitnehmer im tarifgebundenen Betrieb zudem jederzeit durch Betritt zur Gewerkschaft den Schutz des Kollektivvertrags auf sich beziehen, besteht sogar eine Richtigkeitsgewähr für den Arbeitsvertrag. 19. Ohne weiteres zulässig ist die schlichte Andersbehandlung der tariffreien Arbeitnehmer auf Grundlage des Arbeitsvertrags, etwa in Form längerer und flexiblerer Arbeitszeiten oder eines leistungsorientierten Entgeltsystems. Der Tarifvertrag hat auf die Arbeitsvertragsgestaltung grundsätzlich keinen unmittelbaren Einfluß. 20. Vermittelt über den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz und das tarifrechtliche Günstigkeitsprinzip gibt der Tarifvertrag allerdings die Grenze vor, ab der tarifgebundene Arbeitnehmer an einer vertraglichen Regelung zu beteiligen sind. Im außer- und übertariflichen Bereich ist die grundsätzlich durch die Tarifgebundenheit gerechtfertigte Andersbehandlung nichtorganisierter Arbeitnehmer nur bei Vorliegen eines zusätzlichen sachlichen Grundes zulässig. Einer generellen und gezielten Besserstellung von tariffreien Arbeitnehmern setzt überdies der grundrechtliche Diskriminierungsschutz des Art. 9 Abs. 3 GG Grenzen. Wie auch tarifvertraglich die Koalitionszugehörigkeit nicht belohnt werden darf, darf der Arbeitgeber die fehlende Gewerkschaftsmitgliedschaft nicht honorieren. Die Beurteilung einer Besserstellung richtet sich nach einer Gesamtschau aller Arbeitsbedingungen und nicht nach einzelnen Sachgruppen, wobei ebenso Chancen und Risiken erfolgsabhängiger Vergütungsregelungen zu berücksichtigen sind. 21. Gestaltungsgrenzen nach unten ziehen das Sittengebot des § 138 BGB und die Inhaltskontrolle am Maßstab der §§ 307 ff. BGB. Beide Maßstäbe sind aber objektiv und nicht von vornherein nach Maßgabe des Tarifvertrags zu bestimmen. Die Gleichstellung des Tarifvertrags mit Rechtsnormen im Rahmen des § 310 Abs. 4 Satz 3 BGB hat daran nichts geändert. Außerhalb dieser Schranken sind die tariffreien Arbeitsvertragsparteien grundsätzlich frei in ihrer Gestaltung. Es ist ihnen insbesondere unbenommen, einen vertraglichen Ausschluß der ordentlichen Arbeitgeberkündigung zu vereinbaren. Damit eröffnet sich in bezug auf tarifliche Außenseiter ein Ausweg zur Rettung betrieblicher Bündnisse für Arbeit. 22. Keinen Einfluß auf die unterschiedliche Behandlung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit, genauer: nach der Tarifgebundenheit, hat im übrigen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, weil weder unmittelbar noch mittelbar ein dem § 1 AGG unterfallendes, besonders geschütztes Merkmal betroffen ist. 23. Für die tarifunabhängige Arbeitsvertragsgestaltung kommt dem Betriebsrat die Rolle eines Mitgestalters der innerbetrieblichen Verteilungsge-
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rechtigkeit zu. Es ist nicht gerechtfertigt, im Rahmen der Angelegenheiten des § 87 Abs. 1 BetrVG einen Mitbestimmungsausschluß bereits dann anzunehmen, wenn der Arbeitgeber tarifgebunden ist. Zu fordern ist vielmehr die konkrete Tarifbindung im Arbeitsverhältnis, da nichtorganisierte Arbeitnehmer andernfalls ersatzlos um den Schutz der betrieblichen Mitbestimmung gebracht werden. Es ist geradezu geboten, den Betriebsrat in seinem originären Zuständigkeitsbereich – der Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten – an der Arbeitsvertragsgestaltung zu beteiligen. 24. Der Arbeitgeber ist nicht aufgrund einer Begrenzung seiner Informationsmöglichkeiten auf die Bezugnahme auf den Tarifvertrag verwiesen. Eine derartige faktische Allgemeinverbindlichkeit ist mit der Koalitionsfreiheit und dem diese exekutierenden Tarifsystem nicht vereinbar. Beabsichtigt der seinerseits tarifgebundene Arbeitgeber, nach der Tarifgebundenheit differenzierte Arbeitsbedingungen zu gewähren, darf er nach Begründung des Arbeitsverhältnisses nach der Gewerkschaftszugehörigkeit der Arbeitnehmer fragen. Der Arbeitgeber hat ein berechtigtes, billigenswertes und schutzwürdiges Informationsinteresse, weil die Durchführung des Arbeitsverhältnisses unmittelbar von dieser Information abhängt. Unzulässig ist die Frage nach der Gewerkschaftszugehörigkeit nur im arbeitsvertraglichen Anbahnungsverhältnis, weil insoweit die geschützten Belange des Arbeitnehmers an der Geheimhaltung überwiegen, wenn nicht ausnahmsweise schon die Wirksamkeit des Vertragsschlusses von der Tarifgeltung abhängt. 25. Der Arbeitnehmer muß wahrheitsgemäß auf die Frage nach der Gewerkschaftszugehörigkeit antworten. Verletzt er seine Offenbarungspflicht, verliert er seine tariflichen Ansprüche. Tarifwidrige Vereinbarungen sind mit der Wirkung ex nunc anfechtbar. Der Arbeitnehmer schuldet zudem Schadensersatz und setzt sich dem Risiko einer verhaltensbedingten, ggf. sogar außerordentlichen Kündigung aus. 26. Für die Umsetzung der Belegschaftsteilung steht der einvernehmliche Änderungsvertrag im Vordergrund. Daß Arbeitnehmer durchaus auch zu einer Absenkung ihrer bisherigen Arbeitsbedingungen bereit sind, vor allem wenn sie dadurch ihren Arbeitsplatz sichern können, haben Fälle wie Viessmann und der in deutschen Unternehmen zunehmend praktizierte Tarifbruch anschaulich gezeigt. 27. Wenn eine einvernehmliche Vertragsänderung nicht möglich ist, bleibt nur der Weg über die Änderungskündigung. Nach den von der Rechtsprechung entwickelten strengen Anforderungen ist eine Änderung des Arbeitsentgelts im Wege der Änderungskündigung allerdings nur möglich, wenn das Unternehmen kurz vor der Insolvenz steht. Demgegenüber lassen sich die Arbeitszeit und bloße vertragliche Nebenabreden deutlich leichter mit einer Änderungskündigung anpassen.
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28. Wer auf eine Zweiteilung der Belegschaft und somit auf die privatautonome Selbstbestimmung der Arbeitsvertragsparteien setzt, muß gleichsam anerkennen, daß es hier keine einseitigen oder an Gruppeninteressen orientierten Lösungen geben kann. Daß sich das Konzept einer umfassenden Belegschaftsteilung ebensowenig konsistent einseitig durch Änderungskündigung durchsetzen läßt, ist gleichfalls klare Konsequenz aus dem Vertragsprinzip und daher hinzunehmen.
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