Probleme und Chancen einer Koordinierung der Finanzpolitik in der EG [1 ed.] 9783428473496, 9783428073498


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Probleme und Chancen einer Koordinierung der Finanzpolitik in der EG [1 ed.]
 9783428473496, 9783428073498

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SCHRIFfENREIHE DES IFO-INSTITUTS FÜR WIRTSCHAFTSFORSCHUNG Nr.130

IFO-INSTITUT FÜR WIRTSCHAFTSFORSCHUNG

Probleme und Chancen einer Koordinierung der Finanzpolitik in der EG Von

Anneliese Herrmann, Willi Leibfritz, Peter Birch Sörensen und Manfred Wegner

DUNCKER & HUMBLOT I BERLIN

MÜNCHEN

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Probleme und Chancen einer Koordinierung der Finanzpolitik in der EG I IFO-Institut für Wirtschaftsforschung. Von Anneliese Herrmann ... - Berlin; München: Duncker und Humblot, 1992 (Schriftenreihe des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung; Nr. 130) ISBN 3-428-07349-5 NE: Herrmann, Anneliese; Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung (München) : Schriftenreihe des Ifo-Instituts ...

Alle Rechte vorbehalten © 1992 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Germany ISSN 0445-0736 ISBN 3-428-07349-5

Vorwort Die Frage nach der Notwendigkeit und den Chancen einer internationalen Koordinierung der Finanzpolitik ist vielschichtig und in Theorie und Politik umstritten. Sie hat im Zusammenhang mit der geplanten Einführung der Währungsunion zwischen den EG-Mitgliedsländern neue Aktualität erlangt. ln der angestrebten Währungsunion verlieren die Mitgliedsländer zwei wichtige wirtschaftspolitische Instrumente, nämlich die Geldpolitik und die Wechselkurspolitik. Um so notwendiger ist die Konsistenz zwischen den nationalen Finanzpolitiken und der auf Gemeinschaftsebene durchgeführten Geldpolitik, sollen inflationsverstärkende und damit den Bestand der Währungsunion gefährdende Budgetpolitiken in den einzelnen Ländern vermieden werden. Budgetdisziplin wird sich aus verschiedenen Gründen nicht von selbst einstellen. So spitzt sich das Problem der Koordinierung der Finanzpolitik auf die Frage zu, welche Formen der Abstimmung der Budgetpolitik zur Herstellung von Budgetdisziplin am besten geeignet ist. Die vorliegende Untersuchung, die mit Mitteln der Fritz-Thyssen-Stiftung gefördert wurde, richtet ihr Augenmerk insbesondere auf diese Fragestellung. Sie enthält außerdem eine Auseinandersetzung mit der Frage der Notwendigkeit der Harmonisierung der Steuern in der Europäischen Gemeinschaft. München, im Januar 1992 Prof. Dr. Karl Heinrich Oppenländer Präsident des ifo-lnstituts für Wirtschaftsforschung München

Inhaltsverzeichnis Einleitung ... . ...................... . .......................................... . .. . Tell1: Kodordinierung der Finanzpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. .

5

1.

lntemationale Politikkoordinierung: Stand der theoretischen Diskussion

5

1.1

Formen der Politikkoordinierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

5

1.2

Theoretische Begründungen der Politikkoordinierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11

1.2.1

Der .Instrument-target-approach" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11

1.2.2

Der spieltheoretische Ansatz

13

1.2.3

Theorie des Marktversagens

22

1.3

Kritik der theoretischen Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23

1.4

Bewertung der Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. .

26

2.

Wirkungen von Politikkoordinierung - Empirische Untersuchungen . .

30

3.

Finanzpolitik in einer Währungsunion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

35

3. 1

Theoretische Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

35

3.1.1

Effizienz der Finanzpolitik in einer Währungsunion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

35

3.1.2

Stärkung oder Schwächung der Budgetdisziplin in einer Währungsunion? ...... ...... .. .. ..................... .. .... . ....... ... . ......... . ... . .

36

3.1.3

Notwendigkeit der Koordinierung der Finanzpolitik in einer Währungsunion?................ ..... .. .................... .. ................... .. ....

39

3.1.4

Verlust von Seigniorage in einer Währungsunion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

41

3.2

Aspekte einer künftigen finanzpolitischen Koordinierung in der EG . . . .

41

3.3

Institutionelle und politische Barrieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

45

3.4

Indikatoren zur Beurteilung der Haushaltsdisziplin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

47

3.4.1

Zur Aussagekraft einzelner Indikatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

47

3.4.2

Suche nach einer Kompromißlösung .... .. . .... .. .. . ...... .. ... .........

50

VII

4.

Unterschiede in der Budgetdisziplin zwischen den EG-Ländern . . . . . . .

54

5. 5.1 5.2 5.3

Koordinierung der Finanzpolitik in ausgewählten föderalistischen Staaten . .. . .. ... .. . .. . .. ... .. . .. ... ... .. . . .. .. .... .. . .. ... ... ... .. . .. ... . .. Vereinigte Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bundesrepublik Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

61 61 67 71

5.4

Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

73

Tell 2: Notwendigkelten und Möglichkelten einer Steuerkoordlnierung und einer Steuerharmonlslerung zwischen den EG-Ländern . . . . . . . . . . . .

76

6.

Koordinierung der indirekten Steuern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

78

6.1 6.2

Zur Notwendigkeit einer Harmonisierung .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. System der indirekten Steuern bei Wegfall der Grenzkontrollen .. .. .. .

78 81

6.3

Argumente für und gegen eine stärkere Steuerharmonisierung . . . . . . . .

83

6.4

Neuere Reform-Vorschläge der EG-Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

85

7. 7.1 7.2

Koordinierung der Besteuerung der Kapitaleinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . Ziel der Kapitalexportneutralität .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. Hindernisse für die Kapitalexportneutralität bei Portfolioinvestitionen . .

87 87 88

7.3 7.4 7.5 7.6

Hindernisse für die Kapitalexportneutralität bei den Direktinvestitionen. .. Verrechnungspreise und Einheitsbesteuerung . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . Zur Doppelbesteuerung der Dividenden .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . Stand der Harmonisierung der Körperschaftsteuern .. .. .. .. .. .... .. .. ..

89 90 92 93

8.

Zur Harmonisierung der Steuern auf Arbeitseinkommen . . . . . . . . . . . . . . .

95

9.

Zusammenfassung und Schlußfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

97

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

107

Einleitung Die Entwicklung des europäischen Integrationsprozesses in Richtung Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) ist als Folge der Binnenmarktinitiative und nach dem Treffen des Europäischen Rates in Madrid im Juni 1989 beschleunigt worden. Trotzdem gibt es noch viele Schwierigkeiten zu überwinden. Eines der ungelösten Probleme sowohl in der praktischen Politik als auch im Verständnis der gesamtwirtschaftlichen und strukturellen Wirkungen ist die Frage, ob und inwieweit die Finanz-. Budget- und Steuerpolitik der EGMitgliedsländer miteinander koordiniert werden muß. Im Gegensatz zur gemeinsamen Grundorientierung über die Ziele, den Einsatz und die Koordinierung der monetären Politik innerhalb der Europäischen Gemeinschaft gibt es im finanzpolitischen Bereich zwischen den Mitgliedsländern unterschiedliche Ansichten, und zwar nicht nur über den Zweck einer Finanzpolitik auf EG-Ebene, sondern auch über die Notwendigkeit einer Angleichung des fiskal- und steuerpolitischen Instrumentariums. Damit verbunden ist, daß sich in den achtziger Jahren die Trends der nationalen Finanzund Budgetpolitiken zwar angenähert haben, die Entwicklung der öffentlichen Haushalte aber immer noch sehr unterschiedlich ist. Die bisherige Entwicklung hat gezeigt, daß sich - die Verhaltensweisen der staatlichen Haushalte nur sehr langsam und unter (schmerzlichen) Opfern verändern lassen und daß sich - die budgetpolitischen Divergenzen innerhalb der EG (bei gleichzeitiger geld- und währungspolitischer Angleichung) ohne weitere Anstrengungen vorerst nur wenig verkleinern dürften. Wie schwierig sich das staatliche Ausgaben- und Finanzgebaren beeinflussen läßt, ist eine der schmerzlichen Erfahrungen aus den ersten konkreten Koordinierungsbemühungen der EG, die in den frühen siebziger Jahren auf die Budgetpolitik ausgerichtet waren. Sie fanden ihren instrumentellen Niederschlag in der Konvergenz-Entscheidung von 1974, in der eine Reihe von prozeduralen Vereinbarungen (Informations- und Konsultationsverfahren, Festle-

gung von wirtschaftspolitischen Leitlinien, regelmäßige Ausarbeitung von Wirtschaftsberichten für den Rat) festgeschrieben wurden, um die Konvergenz der wirtschaftlichen Entwicklung und der Wirtschaftspolitik in der EG zu stärken. Die Finanzpolitik sollte durch die jährliche Festlegung von quantitativen Richtlinien über den Umfang und die Finanzierung nationaler Haushaltsdefizite und über den Anstieg der staatlichen Ausgaben und Einnahmen in den Mitgliedstaaten koordiniert werden. Die Ergebnisse dieser Anstrengungen zur Koordinierung der Budgetpolitik in den siebziger Jahren waren relativ unbefriedigend. Für den Mißerfolg gab es viele Gründe: die geringe Verbindlichkeit der Richtlinien, die Auswirkungen der Ölpreisschocks und die divergierenden Reaktionen der Mitgliedstaaten, die Schwierigkeiten einer Einflußnahme auf die parlamentarischen Entscheidungen im Budget- und Steuerbereich, der Paradigmenwechsel in der Wirtschaftspolitik mit seiner Bevorzugung der monetären Steuerung anstelle keynesianischer Fiskalpolitik, etc. Nun wurde im Delors-Bericht (1989) erneut die Festlegung eines mittelfristigen Rahmens und die Entwicklung bindender Regeln für die Finanz- und Budgetpolitik und eine wirksame Koordinierung zwischen Budget- und Geldpolitik gefordert. Die Forderung nach einer Koordinierung der Haushaltspolitik im Sinne der Nachfragepolitik stößt auf viele Bedenken: Rückfall in die sich als unwirksam erwiesene keynesianische Nachfragesteuerung (fine-tuning), gescheiterte Versuche bei der internationalen Abstimmung (Lokomotiven-Ansatz), Gefahr interventionistischer Eingriffe einer Ex-ante-Koordinierung bei unzureichenden Kenntnissen über die Transmissionskanäle und Wirkungen, fehlende politische Einbindung und parlamentarische Kontrolle budgetpolitischer Entscheidungen auf EG-Ebene. Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft hält zum Beispiel in seinem Gutachten zur "Europäischen Währungsordnung" (Januar 1989) und in seinem Brief an den Bundeswirtschaftsminister (Juni 1989) eine "verbindliche - von Mehrheitsentscheidungen getragene - Ex-ante-Koordination der Haushaltspolitik mit der gemeinschaftlichen Geldpolitik im vorgeschlagenen Ausmaß für sachlich weder nötig noch wünschenswert". Die notwendige Konvergenz der Wirtschaftspolitik würde über die Anpassungszwänge durch die Marktkräfte (informelle Koordination) zustandekommen. Die Struktur- und Regionalpolitik müsse im internatio-

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nalen Wettbewerb und nicht über innergemeinschaftliche Transfermechanismen betrieben werden. Eine Koordinierung der Finanzpolitik muß sich jedoch nicht notwendigerweise auf das kurzfristige Nachfragemanagement (fine-tuning) beziehen. Seit einiger Zeit wird eine wichtige Aufgabe der Finanzpolitik in der Beeinflussung .der Angebotsseite (Leistungsanreize, Veränderung der Steuersysteme) gesehen. Es hat sich gezeigt, daß angebotspolitisch motivierte finanzpolitische Maßnahmen, wie zum Beispiel die Raagansehen Steuerreformen von 1981 und 1986, erhebliche Rückwirkungen auf andere Länder hatten. ln der vorliegenden Studie wird die Rolle der Finanzpolitik in der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion insbesondere unter zwei Aspekten untersucht: - als Budgetpolitik, die als makroökonomisches Instrumentarium die gemeinsame Geldpolitik ergänzt und auf diese Weise zu einer zunehmenden Konvergenz der wirtschaftlichen Entwicklung in der EG und zu mehr Wachstum und Preisstabilität beitragen soll; - als strukturelle, mehr angebotsseitig orientierte Reformpolitik, die sich mit der Annäherung verschiedener Rahmenbedingungen in der EG, insbesondere der Steuersysteme, befaßt. Aufgabe und Ziel der Untersuchung ist es, die Notwendigkeit einer Koordinierung der Finanzpolitik und der Steuersysteme in der EG zu untersuchen und ihre Chancen und Grenzen aufzuzeigen. Oie Studie ist wie folgt strukturiert: Teil 1 behandelt die Koordinierung der Finanzpolitik. Dabei wird der Stand der theoretischen Diskussion im Bereich der internationalen Politikkoordinierung dargestellt und auf die wichtigsten theoretischen Begründungen für Politikkoordinierung sowie auf die Kritik an diesen Ansätzen eingegangen. Es folgt eine Bewertung der theoretischen Diskussion. ln Kapitel 2 wird ein Überblick über empirische Untersuchungen zu den Wirkungen von Politikkoordinierung gegeben. ln Kapitel 3 werden die besonderen Bedingungen und Aufgaben der Finanzpolitik in einer Währungsunion diskutiert und zur Notwendigkeit der Festlegung von verbindlichen Obergrenzen für Budgetdefizite und der

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Koordinierung finanzpolitischer Maßnahmen Stellung genommen. Außerdem wird die aktuelle Diskussion über Formen einer abgestimmten Haushaltspolitik in der EG und deren institutionelle und politische Barrieren behandelt. Kapitel 4 untersucht, wie unterschiedlich die Budgetdisziplin zwischen den EGLändern gegenwärtig noch ist. ln Kapitel 5 wird der Frage nachgegangen, ob die Art der Koordinierung der Finanzpolitik in ausgewählten föderalistischen Staaten, insbesondere die Regelungen über die staatliche Kreditaufnahme, als Modell für die EG dienen könnten. ln Teil 2 des Gutachtens werden die Notwendigkeiten und die Möglichkeiten einer Koordinierung und Harmonisierung der Steuerpolitik in der EG untersucht. Die Harmonisierung der indirekten Steuern wird in Kapitel 6, die Koordinierung der Steuern auf Kapitaleinkommen in Kapitel 7 und die der Arbeitseinkommen in Kapitel 8 diskutiert. ln Kapitel 9 werden die Ergebnisse der Studie zusammengefaßt.

Teil 1 : Koordlnlerung der Finanzpolitik 1.

Internationale Polltlkkoordlnlerung: Stand der theoretischen Diskussion

1.1

Formen der Politikkoordinierung

Die Reaktionen auf den wirtschaftspolitischen Autonomieverlust von nationalen Staaten und die zunehmende Interdependenz der Weltwirtschaft können verschiedener Art sein. Cooper {1985) charakterisiert sie wie folgt: Erstens: Weltwirtschaftliche Desintegration durch Errichtung von Barrieren gegenüber den internationalen Bewegungen von Gütern, Diensten und Kapital. Auch der Übergang zu flexiblen Wechselkursen wird als Schritt zu weniger Abhängigkeit gewertet. Zweitens: internationale Koordinierung der nationalen Politiken, und drittens: Suche nach und Anwendung von neuen wirtschaftspolitischen Instrumenten, zum Beispiel der lndustriepolitik. Die stärkste Resonanz in Wissenschaft und politischer Praxis fand die Politikkoordinierung. Nach der quasi-automatischen Koordinierung der Geldpolitiken durch die Goldwährung und während der Bretton-Woods-Ära bis Anfang der siebziger Jahre wurden im Anschluß daran zunehmend Anstrengungen zu einer Politikkoordinierung bei ad hoc auftretenden Problemen unternommen. ln der EG kam es Anfang der sechziger Jahre zu ersten Koordinierungsbemühungen (Wagner, 1988). Als Orientierungsrahmen für eine konsistente Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten wurden mittelfristige Wirtschaftsprogramme ausgearbeitet, die jedoch nicht als verbindlich angesehen wurden und daher ohne Wirkung blieben. Ein zweiter Anlauf wurde 1974 mit dem Erlaß der sogenannten Konvergenzrichtlinie untt:~rnommen. Drei Gremien waren in den Koordinierungsprozeß eingebunden: Der Rat der Wirtschafts- und Finanzminister, der Ausschuß für Wirtschaftspolitik und die Gruppe zur Koordinierung der kurzfristigen Wirtschafts- und Finanzpolitik. Während der Ministerrat unter anderem Richtlinien über die Höhe der Haushaltsdefizite zu erstellen hatte, kam dem Ausschuß und der Koordinierungsgruppe mehr beratende Funktion zu. Da die Beratungsergebnisse nicht bindend waren, blieben die Koordinierungserfolge entsprechend gering.

5

Seit 1975 findet jährlich das Gipfeltreffen der Präsidenten bzw. Ministerpräsidenten der sieben größten westlichen Industrienationen sowie des Präsidenten der Europäischen Gemeinschaft statt. Auslöser für die Einberufung des ersten Gipfeltreffens im Jahre 1975 waren die durch die erste Ölpreiskrise 1973/74 entstandenen Probleme. Auf den Treffen der nächsten beiden Jahre, insbesondere im Jahre 1977 in London, wurden Maßnahmen zur Überwindung der deflationären Entwicklung in der Weltwirtschaft diskutiert; Verpflichtungen wurden jedoch nicht eingegangen. Erst auf dem Bonner Gipfel im Jahre 1978 wurden konkrete Entscheidungen getroffen. Sie sind das berühmte Beispiel für eine diskretionäre internationale Politikkoordinierung (zur Kritik der Bonner Beschlüsse siehe unter anderem: Currie, Holthaus, Hughes Hallett, 1989). Die beteiligten Regierungen entschlossen sich zu wirtschaftspolitischen Maßnahmen, die in jedem Land sicherlich anders ausgefallen wären, hätte es die Abstimmung auf dem ßonner Gipfeltreffen nicht gegeben (Putnam und Henning, 1986). Die Bundesrepublik Deutschland und Japan verpflichteten sich zu wachstumssteigernden Maßnahmen, Japan darüber hinaus zu einer Eindämmung seines Exportwachstums. Die USA sicherten eine Freigabe der Ölpreise zu. Bemerkenswert ist nicht nur, daß sich die Teilnehmer des Bonner Gipfels zu diesem wirtschaftspolitischen "Paket" durchringen konnten, sondern auch, daß die versprochenen Maßnahmen tatsächlich durchgeführt wurden. Auf den nachfolgenden Gipfeltreffen der achtziger Jahre ist es zu so konkreten Beschlüssen über ein abgestimmtes Maßnahmenpaket nicht mehr gekommen. Gleichwohl war der Meinungsaustausch intensiv. Man bestärkte sich gegenseitig in der Überzeugung, daß der vom zweiten Ölpreisschub ausgehende Inflationsimpuls durch eine restriktive Geld- und Finanzpolitik zurückzudrängen sei. Die Folge war allerdings eine konvergente, anstatt einer koordinierten Politik. Die meisten europäischen Länder reduzierten - neben einer restriktiven Geldpolitik - ihre Haushaltsdefizite. Die sich gegenseitig verstärkenden Wechselwirkungen zwischen den Volkswirtschaften blieben bei diesen Entscheidungen offenbar außer Betracht. Auch als sich Mitte der achtziger Jahre schließlich ein immenses internationales Ungleichgewicht in den Außenwirtschaftsbeziehungen zwischen den USA einerseits und Europa und Japan andererseits herausgebildet hatte und viele Beobachter für ein konzertiertes wirtschaftspolitisches Vorgehen der großen Industrieländer plädierten, konnte

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man sich auf dem zweiten Bonner Gipfel im Jahre 1985 zu einem abgestimmten Maßnahmenpaket nicht entschließen, nicht zuletzt wohl, weil die Maßnahmen des 1978er Gipfels nicht unumstritten waren. Im Gegenteil, das Communique enthielt allein die Bestätigung der nationalen Politiken. Aus dem geringen Beitrag der jährlichen Gipfeltreffen zu einem abgestimmten wirtschaftspolitischen Vorgehen kann sicherlich nicht geschlossen werden, daß sie völlig überflüssig gewesen wären. Zweifellos schärfen sie das Bewußtsein für die internationalen Zusammenhänge und können so bewirken, daß die nationalen wirtschaftspolitischen Entscheidungen nicht fallen ohne Einbeziehung der wirtschaftspolitischen Willensbildung im Ausland und der Wechselwirkungen der getroffenen Maßnahmen auf beide Volkswirtschaften (Artis und Ostry, 1986). Außerdem gibt es noch andere Bereiche als die Konjunkturpolitik, für die eine gemeinsame Haltung von Vorteil sein kann (Welthandels- oder Weltwährungssystem). Der Koordinierungsbegriff, auch wie er in der Wissenschaft verwendet wird, umfaßt ein weites Spektrum von Formen und Bereichen der internationalen Zusammenarbeit. Er reicht vom unverbindlichen Austausch von Informationen bis hin zum konkreten gemeinsamen wirtschaftspolitischen Vorgehen. Nach Cooper (1987) und Currie, Holtham, Hughes Hallett (1989) lassen sich die vielfältigen Formen internationaler Zusammenarbeit in folgender Weise gruppieren: a) Austausch von Informationen über die aktuelle Situation der eigenen Volkswirtschaften, über Ziele und geplante wirtschaftspolitische Maßnahmen; b) Absprachen (agreements) über wirtschaftspolitische Ziele oder Zielsurrogate, um zu verhindern, daß in einem Land Ziele verfolgt werden, die mit denen anderer Länder kollidieren; c) Koordinierung wirtschaftspolitischer Maßnahmen zur Erreichung gemeinsamer wirtschaftspolitischer Ziele.

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Zu al: Durch Austausch von Informationen verfügen die beteiligten Länder über den gleichen Wissensstand und können so Nachteile vermeiden, die ohne ausreichende Kenntnis der Absichten und Pläne der anderen Regierungen entstehen würden. Im eigenen wirtschaftspolitischen Maßnahmenpaket können die angekündigten Aktivitäten der Partnerländer berücksichtigt werden. Zu dieser Form von "Abstimmung" der Wirtschaftspolitik gehört die Arbeit der vielen Komittees des IMF und der OECD. Auch die meisten Weltwirtschaftsgipfel beschränken sich mehr oder weniger auf einen lnformationsaustausch. Zu bl: Werden bestimmte Zielvariable von allen· oder vielen· Ländern angesteuert, wie zum Beispiel der Wechselkurs oder die Leistungsbilanz, so können Absprachen verhindern, daß inkompatible Ziele verfolgt werden, die den Erfolg der wirtschaftspolitischen Strategie zunichte machen. Streben beispielsweise alle Länder eine Verbesserung der Leistungsbilanz an, wie dies nach den beiden Ölpreisschocks der Fall war, so kann die Weltwirtschft in eine Depresson geraten. Es muß zumindest ein Land geben, das eine "benign neglect"-Haltung gegenüber der Leistungsbilanz einnimmt. Ebenso unmöglich können alle Länder gleichzeitig eine Aufwertung oder eine Abwertung ihrer Währung herbeizuführen versuchen. Ein international abgestimmtes Vorgehen ist hier unbedingt erforderlich. Unterschiedliche Rangfolgen der gesamtwirtschaftlichen Ziele Wachstum, Vollbeschäftigung, niedrige Inflationsrate und Leistungsbilanzausgleich kann die Realisierung der Ziele in den einzelnen Ländern erheblich erschweren und große außenwirtschaftliche Ungleichgewichte entstehen lassen, die ihrerseits wirtschaftspolitische Maßnahmen mit binnenwirtschaftlich unerwünschten Folgen auslösen können. Die unterschiedlichen Prioritäten für die Inflationsraten in Frankreich und der Bundesrepublik Deutschland bis in die Anfänge der achtziger Jahre hinein haben vor allem in den siebziger Jahren immer wieder zu großen Störungen des außenwirtschaftliehen Gleichgewichts geführt (Frankreich mußte mehrmals die Europäische Währungsschlage verlassen). Einige Ziele, wie der Wechselkurs oder der Staatshaushalt, können auch als sogenannte Zwischenziele oder Instrumente fungieren, mit denen die gesamtwirtschaftlichen "Hauptziele" Wachstum, Vollbeschäftigung, Preisstabilität und

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Leistungsbilanzausgleich erreicht werden sollen. So wurde in der ersten Hälfte der achtziger Jahre der Abbau der Staatsdefizite in der EG mit der Absicht verfolgt, die Wachstumsbedingungen zu verbessern. Wie sich zeigte, hat die mangelnde Koordinierung dieser Politik zu einer erheblichen Verlangsamung des Wachstums in der EG geführt. Der Wechselkurs beeinflußt die preisliche Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft auf den Weltmärkten. Auf- und Abwertungen können daher Einfluß auf Wachstum, Beschäftigung und Preise nehmen. Die starken Schwankungen der Wechselkurse nach der Abkehr vom Bratton Woods System wurden insbesondere seit Beginn der achtziger Jahre zunehmend als störend für Außenhandel und Wachstum empfunden. Wechselkursstabilisierung wurde daher ebenfalls Ziel und Instrument zugleich, um weltwirtschaftliche Ungleichgewichte abzubauen bzw. zu vermeiden.

Tabelle 1 Zielhierarchien Wachstum

Hauptziele:

Vollbeschäftigung Preisstabilität Zahlungsbilanzausgleich

Zwischenziele:

Geldmenge

bzw.

Wechselkurs

wirtschafts-

Staatsdefizit

politische Instrumente

Staatsüberschuß

9

Zu cl: Diese Form von Koordinierung ist es in der Regel, wenn in der theoretischen und empirischen Literatur die Wirkungen, Chancen und Probleme von Politikkoordinierung erörtert werden. Sie kann alle Ziele und wirtschaftspolitischen Instrumente abdecken, sich aber auch darauf beschränken, nur einzelne Ziele und Instrumente abzustimmen. So ist ein häufiger Vorschlag, nur die Geldpolitik zu koordinieren und die Finanzpolitik, deren internationale Abstimmung mit weit größeren Problemen verbunden ist, für binnenwirtschaftliche Ziele einzusetzen. Daß auch in diesem Fall nicht unabhängig von den Aktivitäten der Partnerländer agiert werden kann, soll die Koordinierung auf monetärem Gebiet effizient sein, wird dabei häufig außer Acht gelassen. Eine andere Form von teilweiser Koordinierung kann in Vereinbarungen über die Zuordnung einzelner wirtschaftspolitischer Instrumente zu einzelnen Zielen (policy assignment) bestehen: zum Beispiel die Finanzpolitik zur Ansteuerung binnenwirtschaftlicher Ziele und die Geldpolitik für die Kontrolle externer Ziele (Williamson/Miller, 1987). Ob eine solche internationale Abstimmung wirtschaftspolitischer Maßnahmen und ihrer Zuordnung ad hoc immer wieder neu entschieden werden (diskretionäre Politik), oder ob das wirtschaftspolitische Handeln an bestimmte Regeln gebunden werden soll, ist nicht einfach und wohl auch prinzipiell nicht zu entscheiden. Die Schwierigkeiten einer diskretionären internationalen Politikkoordinierung sind in der Realität offenkundig. Sie zeigen sich nicht zuletzt darin, daß es bisher nur in wenigen Fällen (Banner Gipfeltreffen 1978) zu einem abgestimmten Vorgehen der Wirtschaftspolitik gekommen ist. Im neoklassischen Theoriegebäude wird die Kompetenz und Vertrauenswürdigkeit von Regierungen grundsätzlich angezweifelt und voll auf die Funktions- und Selbstregulierungsfähigkeit des Marktes gesetzt. Eine regelgebundene internationa:e Politikkoordinierung würde bedeuten, daß bei Abweichung volkswirtschaftlicher Aggregate von den angestrebten Zielen quasi automatisch nach zuvor festgelegten Verhaltensregeln wirtschaftspolitisch agiert werden soll. Ein Problem wird darin bestehen, nationale Regierungen auf einen solchen Handlungsautomatismus zu verpflichten. Es wird immer schwierig sein, sich darauf zu einigen, wann Zielüber- und -unterschreitungen vorliegen und Handlungsbedarf auftritt. Gleichwohl kann es schon nützlich sein, wenn Regelwerke vorhanden sind, die Handlungs- und Koordinierungs-

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bedarf überhaupt anzeigen. Diesen Zweck sollte wohl das Indikatorensystem erfüllen, das auf dem Tokio-Gipfel im Jahre 1986 verabschiedet worden ist. Auch die von Williamson (1987) und Williamson und Miller (1987) ausgearbeiteten Regelsysteme sind ein Versuch, Möglichkeiten koordinierten wirtschaftspolitischen Vorgehans aufzuzeigen. Auch wenn es nicht gelingt, solche regelgebundenen Handlungsweisen automatisch auszulösen, so kann doch die Beratung darüber viel dazu beitragen, daß die wirtschaftspolitischen Entscheidungen nicht kontraproduktiv sind (Cooper, 1985). Stand anfänglich die kurzfristig, keynesianisch-nachfrageorientierte Koordinierungspolitik im Vordergrund der Erörterungen, so entstand inzwischen auch eine Diskussion um angebotsseitig und längerfristig ausgerichtete internationale Abstimmungen der Politik, insbesondere auf dem Gebiet der Steuerreformen (Helliwell, 1987; Tanzi, 1988; Tanzi und Bovenberg, 1988). 1.2

Theoretische Begründungen der Politikkoordinierung

1.2.1 Der "Instrument-target-approach" Oie Probleme interdependenter Volkswirtschaften und die Impulsübertragungen autonomer wirtschaftspolitischer Maßnahmen sind in den modelltheoretischen Ansätzen von Meade (1951), Tinbergen (1952), Fleming (1962) und Mundeil (1968) analysiert worden. ln Bezug auf den policy-mix der Geld- und Fiskalpolitik kamen die traditionellen Fleming-Mundeii-Ansätze für offene Volkswirtschaften zu einem entgegengesetzten Ergebnis, je nachdem, ob flexible oder fixe Wechselkurse bestehen: - Bei fixen Wechselkursen würde die Fiskalpolitik (Ausweitung der Staatsausgaben) besonders wirksam, die Geldpolitik dagegen unwirksam sein, weil die Ausweitung der inländischen Geldmenge zu einem Sinken der heimischen Zinsen führt und ein darauffolgender Kapitalabfluß die heimische Geldmenge vermindern würde; - bei flexiblen Wechselkursen würde sich die Wirkung des policy-mix umkehren, da eine expansive Fiskalpolitik die Zinsen erhöht und sich daher eine Aufwertung und Verschlechterung der Handelsbilanz ergeben würde.

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Eine expansiv und isoliert angelegte Fiskalpolitik würde für die Gemeinschaft mit ihrem Mischsystem (weitgehend stabile Wechselkurse innerhalb der EG und flexible Kurse nach außen) wenig wirksam sein und sich nur bei einem koordinierten Vorgehen als effizient erweisen. Die Geldpolitik würde aber in beiden Regimefällen wirksam die Preisniveaustabilität sicherstellen können. Ein makroökonometrisches Mehrländermodell läßt sich in Matriztorm darstellen:

Y = AX + CZ, wobei die wirtschaftspolitischen Ziele (Preisstabilität, Leistungsbilanzgleichgewicht etc.) als Vektor Y, die heimischen Instrumentvariablen als Vektor X und die exogenen Variablen als Vektor Z auftreten und A und C die Koeffizientenmatrizen der reduzierten Form sind. Damit können wirtschaftspolitische Fragen nach dem policy-mix beantwortet werden, um zum Beispiel eine bestimmte Konstellation von Zielen zu erreichen (Wachstum, Preisstabilität, Leistungsbilanzgleichgewicht). Bei Vorliegen internationaler oder europäischer Mahrländermodelle ist es möglich, die Folgen einer unkocrdinierten und koordinierten Politik einander gegenüberzustellen. Eine der Bedingungen für das Erreichen der Zielvariablen ist, daß mindestens ebenso viele unabhängige Instrumentenvariablen verfügbar sind wie Ziele. Beim Verfolgen einer optimalen und konsistenten (koordinierten) Wirtschaftspolitik tauchen viele Probleme auf: Wie unabhängig sind tatsächlich die wirtschaftspolitischen Instrumente (zum Beispiel die Geld- und die Wechselkurspolitik) oder die Ziele (zum Beispiel Arbeitslosigkeit und Inflation) voneinander, wie stabil sind die "instrument-target"-Beziehungen (zum Beispiel bei einem Regimewechsel wie dem Übergang zu flexiblen Wechselkursen oder durch Einführung einer Geldmengensteuerung usw.), und wie müssen die Zuordnungsprobleme für die wirtschaftspolitischen Instrumente bei dezentraler Entscheidung und voneinander unabhängigen Entscheidungsträgern gelöst werden? Man kann theoretisch zeigen, daß sich unter bestimmten Bedingungen durch Koordinierung (lnformationsaustausch, Zuordnung und lnstrumenteneinsatz) eine optimale Zielverwirklichung in allen Ländern, d.h. eine größere Effizienz der Wirtschaftspolitik erreichen läßt (Cooper, 1985).

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Aber bereits bei interdependenten Zielen (wie zum Beispiel bei Vorliegen einer Phillips-Kurve) muß der ''fixed target approach" aufgegeben werden und stattdessen eine Wohlfahrtsfunktion im Hinblick auf die Instrumente optimiert werden. Ähnliches gilt, wenn die Zahl der Ziele die der Instrumente übersteigt. Der "instrument target approach" geht dann über in einen spieltheoretischen Ansatz. 1.2.2 Der spieltheoretische Ansatz Eine Rechtfertigung für internationale Politikkoordinierung angesichts der Interdependenz der Volkswirtschaften und der spillever Effekte wirtschaftspolitischer Maßnahmen liefert die Spieltheorie. Die traditionellen Modelle sind nicht komplex genug, um die Wechselbeziehungen zwischen Staat und Privatwirtschaft zu erfassen. ln ihnen wird das Verhalten des Privatsektors als unabhängig von der jeweiligen Politik betrachtet. Dies gilt auch für die Modelle für offene Volkswirtschaften, die in der Regel von einem sogenannten kleinen Land ausgehen. Dagegen vermögen die spieltheoretischen Ansätze die Wechselbeziehungen zwischen Politik und Wirtschaft einerseits und den verschiedenen wirtschaftspolitischen Entscheidungsträgern im ln- und Ausland andererseits zu modellieren. Die Annahme des sogenannen kleinen Landes wird aufgegeben. Gegenstand der Analyse sind Staaten, deren Wirtschaftspolitik sich auf andere Länder auswirkt, so daß die für die jeweils nationale Politik Verantwortlichen die gegenseitigen Effekte nicht außer Acht lassen können. Die Ableitung des Ergebnisses, daß eine internationale Koordination der Wirtschaftspolitiken für die Länder vorteilhafter ist als ein Verzicht auf Abstimmung, kann mit einem Grundmodell gezeigt werden, das von folgenden Annahmen ausgeht (vgl. Buiter und Marston, 1985; Reszat, 1986): - Gegenstand der Betrachtung sind zwei Länder mit symmetrischen Wirt• Schaftsstrukturen und symmetrischen wirtschaftspolitischen Präferenzen. - Jedes Land verfolgt zwei Ziele. - Die Ziele sind nicht unabhängig voneinander. Es besteht eine Art Austauschbeziehung zwischen ihnen.

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- Jedes Land verfügt nur über ein Instrument, d.h. nicht für jedes Ziel steht ein Instrument zur Verfügung. - Es herrscht vollständige Information: Alle für die Entscheidungen relevanten wirtschaftlichen Zusammenhänge, die Politikwirkungen sowie die wirtschaftspolitischen Präferenzen des jeweils anderen Landes sind bekannt. - Eine eindeutige Zuordnung eines Instruments zu einem Ziel ist nicht möglich, da es weniger Instrumente als Ziele gibt, also ein Mangel an wirtschaftspoiitischen Instrumenten besteht. - Es wird ein Optimierungsansatz gewählt, der zwischen mehreren denkbaren Kombinationen von Zielkonstellationen abwägt und den für adäquat gehaltenen Instrumenteneinsatz festlegt. - Das Ergebnis des Optimierungsverfahrens wird von den Verhaltensweisen des Auslands abhängen. Unter den getroffenen Annahmen ist die Annäherung an ein Ziel nur auf Kosten des anderen Zieles möglich (Abbildung 1). Würden beispielsweise ein bestimmtes Volkseinkommen und eine niedrige Inflationsrate angestrebt, so kann davon ausgegangen werden, daß eine Erhöhung des Volkseinkommens zu einer Erhöhung der Inflationsrate führt, d.h. das Ziel der Preisstabilität wird verfehlt. A1A 1 beschreibt alle maximal erreichbaren Kombinationen von Zielen des Inlands bei gegebenem Instrumenteneinsatz des Auslands. Welche Zielkombination (Punkt B, C oder D) erreicht werden kann, hängt von der wirtschaftspolitischen Strategie des Auslands ab. Hat diese expansive Rückwirkungen auf das Inland, so kann ein höheres Nutzenniveau erzielt werden (Punkt C anstatt Punkt 0). Umgekehrt ist die Situation bei negativer Transmission der ausländischen Politikwirkungen in das Inland. ln diesem Fall kann nur eine Zielkombination erreicht werden, die auf der Kurve A3A3 liegt.

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Abbildung 1

Idealkombination zweler Ziele einer Volkswirtschaft

~------------~L---~--~-------21

AJ

Quelle: Reszat (1986).

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Al

A2

Will das Inland seine ideale Zielkombination wieder erreichen, muß es seinen Instrumenteneinsatz verändern. Von der Art und Weise, wie die wirtschaftspolitischen Maßnahmen des Auslands die Ziele des Inlands beeinflussen, wird der Instrumenteneinsatz des Inlands variieren müssen. Die Spieltheorie kann nun unter den oben aufgeführten Annahmen, insbesondere der der vollständigen Information über alle relevanten wirtschaftlichen Zusammenhänge, zeigen, daß (a) bei der gegebenen internationalen Interdependenz der Märkte und der Wirtschaftspolitik für keine Volkswirtschaft eine optimale Zielkombination zu verwirklichen ist, und daß (b) kooperatives Verhalten immer bessere Ergebnisse für beide Volkswirtschatten bringt bzw. daß die Nutzenverluste geringer sind als bei nichtkooperativer Politik. Dabei wird davon ausgegangen, daß die beiden Länder wie ein Entscheidungsträger handeln und nach einem gemeinsamen Optimum bzw. nach einer Minimierung der Summe ihrer gewichteten Verlustfunktion suchen. (Die Verteilung der Nutzenverluste auf die beteiligten Länder wird von dem Gewicht bestimmt, mit dem die Verlustfunktionen in das gemeinsame Optimierungskalkül eingehen. Letztlich kommt darin die Verhandlungsmacht der einzelnen Länder zum Ausdruck.) ln Abbildung 2 (nicht-kooperatives Verhalten) wird dies verdeutlicht. Hier sind für die Länder 1 und 2 jeweils eine (R1 und f\) von vielen Reaktionsmöglichkeiten auf Strategieänderungen des Auslands in Abhängigkeit der beiden Instrumente 11 und 12 darstellt. Beide Länder verfügen über volle Information übereinander, sie handeln jedoch ohne gegenseitige Abstimmung. Die günstigste Situation für jedes Land, in der die Nutzenverluste minimiert sind, liegt jeweils im Zentrum der beiden lndifferenzkurven. Angenommen wird, daß beide Länder eine kontraktive Wirkung ihrer Politik auf die eigene Volkswirtschaft erzielen wollen, die Transmission der Politikeffekte ins Ausland jedoch in umgekehrter Richtung verläuft, d.h. es kommt zu - unerwünschten - expansiven Effekten auf die andere Volkswirtschaft. Negative Übertragungen von Politikwirkungen werden insbesondere für die Geldpolitik abgeleitet. Eine expansive Geldpolitik löst über Zinssenkungen und zunehmende Inflationserwartungen einen Abwertungsdruck auf die eigene Währung aus, der zu einer Dämpfung der Exporte des anderen Landes und damit der dortigen Gesamtnachfrage führen kann. Umgekehrt kann eine Inflationsbekämpfung im Inland die inflationären Tendenzen im Ausland durch eine Abwertung dieser Wäh-

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Abbildung 2

Nicht-kooperatives Verhalten

Quelle: Reszat (1986).

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rung verstärken. Auch über eine expansive Fiskalpolitik können negative Impulse auf das Ausland übertragen werden, wenn die Zinssteigerungen im Inland sich über die internationalen Kapitalbewegungen auch im Ausland durchsetzen und dort zu einer Nachfragedämpfung führen. ln einer solchen Situation favorisiert jedes Land eine möglichst expansive Politik des Partnerlandes bei zugleich nur schwachem Einsatz seines eigenen Instrumentariums. Keines der beiden Länder kann ein Optimum seiner Politik realisieren, da es im Widerspruch zum Optimierungskalkül des anderen Landes steht. Das Land 2 würde entsprechend seiner Reaktionskurve einen deutlich geringeren Instrumenteneinsatz bzw. eine erheblich weniger expansive Politik realisieren als im Optimum des Landes 1 vorgesehen ist. Es ist für Land 1 also ineffizient, auf der Optimalstrategie zu beharren, zumalesnicht erwarten kann, daß Land 2 unter Hinnahme eines suboptimalen Ergebnisses für sich selbst die optimale Strategie des Landes 1 stützen würde. Die gleichen Überlegungen stellt Land 2 an. Beiden Ländern bleibt schließlich keine andere Wahl, als die Ziei-/Mittelkombination zu wählen, die auch für das andere Land eine optimale Strategie darstellt. Dies ist nur im Schnittpunkt N der beiden Reaktionskurven der Fall (Nash-Gieichgewicht). Von beiden Ländern wird also eine deutliche Abweichung von Ihrem ursprünglichen Optimierungskalkül akzeptiert. Aber nur in diesem Punkt ist ihre eigene Politik bei einer gegebenen Ziei-/Mittelkombination des anderen Landes noch optimal. Ein günstigeres Ergebnis, das näher an die ursprünglichen Optimalvorstellungen der beiden Länder herankommt, kann durch Kooperation erreicht werden (vgl. Abbildung 3). Dabei wird schon als bessere Lösung als im Nash-Gieichgewicht angesehen, wenn zumindest eines der beiden Länder sich besser stellen könnte und das andere nicht schlechter abschneidet als im NashGieichgewicht. ln Abbildung 3 wird die Menge aller Pareta-effizientaren Instrumentenkombinationen im Vergleich zum Nash-Gieichgewicht durch die durchbrochenen Indifferenzkurven der beiden Länder eingegrenzt. Paretaoptimal sind alle Tangentialpunkte der lndifferenzkurven, die auf einer (gedachten) Linie zwischen den Idealkombinationen des Instrumenteneinsatzes der Länder 1 und 2 liegen. Die Abweichungen von seiner ursprünglichen ldealkombination, die das einzelne Land hinnehmen muß, hängt von seiner Verhandlungsmacht ab. Diese schlägt sich in dem Gewicht nieder, mit dem seine Verlust-

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Abbildung 3

Kooperatives Verhalten

.,.....-

,.,.., .......

--,I--

/_" -" /

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I

""' /

/

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I

I

I

I

I 1

Quelle: Reszat (1986).

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funktion in den gemeinsamen Optimierungsüberlegungen Berücksichtigung findet. Bei gleich starker Position wären die Verluste gleich hoch. Die Einigung würde im Punkt P stattfinden. Ein Problem ist, ob sich Pareto-optimale Lösungen durchsetzen lassen, da wegen der unterschiedlichen Machtverteilung einzelne Länder immer ein Interesse haben können, sich nicht an die Abmachungen zu halten und Alleingänge zu riskieren. Die Aussichten für erfolgreiches kooperatives Vorgehen verbessern sich erheblich, wenn die Annahme einer nur einmaligen wirtschaftspolitischen Aktion der beiden Akteure, wie im beschriebenen Grundmodell (statische Analyse), aufgegeben wird und an deren Stelle die dynamische Betrachtungsweise tritt (Miliar und Salmon, 1985; Oudiz und Sachs, 1985). Die Akteure können Erfahrungen sammeln und sind in der Lage, politische Maßnahmen zu korrigieren oder bei Nichteinhalten von Absprachen Sanktionen anzudrohen. Der zu minimierende Nutzenverlust besteht in der dynamischen Betrachtungsweise aus der Summe aller Zielabweichungen in der gegenwärtigen und in allen zukünftigen Perioden. Die zentrale Aufgabe und zugleich Schwierigkeit besteht in der Notwendigkeit, im Ausgangszeitpunkt eine für die gesamte Planperiode gültige wirtschaftspolitische Strategie festzulegen. Zwei Verhaltensmöglichkeiten stehen den Akteuren nach dem spieltheoretischen Ansatz zur Verfügung: Erstens wird im voraus festgelegt, welche Politik in den einzelnen Phasen verfolgt werden soll. Auf eine veränderte wirtschaftliche Situation wird also nicht reagiert. Diese Lösung wird als Open-Loop bezeichnet. Zweitens können sich die Länder auf eine Regel einigen, die festlegt, wie das wirtschaftspolitische Instrumentarium bei verändertem wirtschaftlichen Umfeld von Periode zu Periode reagieren soll (sogenannte Closed-Loop-Politik). Welche der beiden Strategien sich als optimal herausstellt, hängt davon ab, ob die Akteure genau voraussehen können, wie die Anpassungsprozesse in der Wirtschaft von Periode zu Periode ablaufen oder ob davon auszugehen ist, daß immer wieder neue wirtschaftliche Konstellationen auftreten, auf die die Politik dann reagieren muß.

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Die Bedingungen für die erste Strategie dürften in der Realität so gut wie nicht gegeben sein, so daß Politikrevisionen unumgänglich werden. Unverhofft auftretende externe Schocks, wie die beiden Ölpreisschübe, sind hierfür deutliche Beispiele. Für die Politik entsteht daraus ein neues Problem, nämlich das der zeitlichen Konsistenz. Wenn der Instrumenteneinsatz in der zweiten und in den folgenden Perioden geändert werden muß, weil sich der ursprüngliche Ansatz in dem neuen wirtschaftlichen Umfeld nicht mehr als optimal erweist, dann muß rückwirkend auch die Politik der Ausgangsperiode als suboptimal gewertet werden, da sie nur unter der Annahme einer von Anfang an für alle zukünftigen Perioden festgelegte Politik eine optimale Strategie war. Die ursprüngliche Politik erweist sich dann als zeitlich nicht konsistent, d.h. sie entspricht nicht den Anforderungen an die Wirtschaftspolitiker, sich permanent optimal zu verhalten. Eng verknüpft mit dem Problem der zeitlichen Inkonsistenz ist das der Glaubwürdigkeit der Politik. Daraus entsteht ein Dilemma für die wirtschaftspolitischen Entscheidungsträger. Häufige Revisionen einer einmal festgelegten Politik untergraben deren Glaubwürdigkeit. Eine Unterlassung von ökonomisch gerechtfertigten Politikrevisionen kann aber die Effizienz der Politik vermindern. Daraus wird der Schluß gezogen, daß sich letztlich nur die suboptimale Nash-Lösung verwirklichen läßt, die sich einstellt, wenn man nicht sicher sein kann, welche Strategie das andere Land letztendlich verfolgen wird. Dennoch werden die Chancen für Kooperation und für eine Umgehung des "Gefangenen"-Dilemmas1 für groß angesehen (Reszat, 1990). ln der Realität ln diesem sehr populären spieltheoretischen Problem sind zwei Gefangene eines gemeinsamen Verbrechens verdächtig, ohne daß jedoch Beweise gegen sie vorliegen. Ihnen wird die Wahlmöglichkeit gegeben, zu gestehen oder zu schweigen, und zwar unter folgenden Bedingungen: Gesteht einer, nicht aber der andere, so wird der Gestehende freigelassen und der andere zu einer schweren Haftstrafe verurteih. Legen beide ein Geständnis ab, so werden auch beide verurteilt, allerdings in diesem Fall nur zu gemäßigten Strafen. Sollten dagegen beide nicht gestehen, so werden sie beide freigelassen. Das Problem, vor dem die Gefangenen stehen, ist, daß sie sich nicht absprechen, d.h. nicht kooperieren können und daher nicht wissen, was der jeweils andere tun wird. Das Ergebnis dieses Spiels ist, daß sie beide gestehen, weil sie sich nicht darauf verlassen wollen, daß der jeweils andere nichts sagt, obwohl sich jeder von ihnen besser stellen würde, wenn belde schwiegen (vgl. Reszat, 1986).

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gibt es zwischen den Ländern bereits so viele Informationskanäle und Formen der Kommunikation, daß ein Nash-Gieichgewicht gar nicht mehr erreichbar ist. Man denke an die zahlreichen Gremien des IMF, der OECD und der EG, die Treffen der Notenbankchefs der G5 bzw. G7, aber auch an die regelmäßigen informellen bilateralen Zusammenkünfte von Regierungschefs, wie beispiels weise derjenigen Frankreichs und der Bundesrepublik Deutschland. Dies sind wichtige institutionelle Voraussetzungen für Abstimmungen wirtschaftspolitischer Ziele und gemeinsames Handeln in wirtschaftspolitischen Teilbereichen wie zum Beispiel in der internationalen Währungspolitik zur Stützung des Dollars (Piaza im Herbst 1985, Louvre im Frühjahr 1987). Die denkbar effizienteste Form der Kooperationen (im Sinne der Spieltheorie) dürfte aus vielerlei Gründen freilich nur schwer zu erreichen sein. 1.2.3 Theorie des Marktversagens Ein anderer Ausgangspunkt für die Begründung der Notwendigkeit von Politikkoordinierung ist die Theorie des Marktversagens (Musgrave, 1969). Die Analyse der Bedingungen für eine optimale Allokation der Produktionsfaktoren hat ergeben, daß der Preismechanismus unter bestimmten Bedingungen teilweise oder vollständig versagt. Eine Ursache hierfür kann die Existenz von Monopolen und Externalltäten sein. ln Fällen schwerwiegenden Marktversagens ist die öffentliche Hand aufgerufen, die Ergebnisse des Mark1es zu korrigieren oder die Bedingungen für ein reibungsloseras Funktionieren des Marktes zu verbessern. Eine weitere Ursache für Marktversagen kann das sogenannte free-rider-Problem sein, nämlich die Möglichkeit, von etwas zu profitieren, ohne dafür zu bezahlen. Dies kann zur Folge haben, daß bestimmte Güter, die von allgemeinem Interesse sind, vom Markt nicht oder nicht in ausreichendem Maße produziert werden. Diese Güter (sogenannte public goods) sollte deshalb der Staat zur Verfügung stellen. Der Begriff "public goods" findet mittlerweise nicht mehr nur auf die traditionellen Bereiche der Tätigkeiten der öffentlichen Hand Anwendung (Bildung, soziale Absicherung, militärische Sicherheit), sondern auch auf wirtschaftspolitische Ziele (Cooper, 1985; Cohen und Wyplosz, 1989). So kann internationale Stabilität ebenso als ein öffentliches Gut angesehen werden wie die Stabilisierung des Angebots oder der Nachfrage nach Rohöl, außenwirtschaftliches Gleichgewicht und die Stabilisierung der Wechselkurse. Internationale Zusammenarbeit ist geboten,

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weil auch hier nicht auszuschließen ist, daß einzelne Länder die free-rider-Rolle übernehmen, also auf eigene wirtschaftspolitische Maßnahmen verzichten wollen, um von den Maßnahmen der anderen Länder zu profitieren. Versuchen alle Länder, diese Rolle zu spielen, so besteht Gefahr, daß die Ziele nicht erreicht werden (Cooper, 1985). Nur unter der Bedingung, daß alle Märkte vom Wettbewerb gesteuert werden, alle Preise vollkommen flexibel sind, alle Wirtschaftssubjekte rational handeln und alle Anpassungskosten verschwindend gering sind, besteht für die Politik kein Handlungsbedarf. Die mangelnde bzw. unterschiedliche Anpassungsfähigkeit der Märkte jedoch führt zu Schwankungen der volkswirtschaftlichen Aggregate, die als schädlich für die Volkswirtschaft einzustufen sind. So ist ein Grund für heftige Schwankungen und längeranhaltende Abweichungen der Wechselkurse von den Fundamentalfaktoren die im Vergleich zu den Zinsen langsamere Anpassung der Güterpreise. Beim plötzlich Auftreten von Schocks können daraus erhebliche volkswirtschaftliche Probleme entstehen (unter anderen: Dornbusch, 1976; Steinherr, 1984; Willett, 1984). Im Rahmen dieses Argumentationsmusters kann eine internationale Koordinierung der Wirtschaftspolitiken zwar nicht alle negativen Folgen der Unvollkommenheiten des Marktmechanismus ausgleichen, sie kann sie jedoch erheblich verringern. 1.3

Kritik der theoretischen Ansätze

Die Kernaussage des spieltheoretischen Ansatzes besteht darin, daß die Beteiligten sich in die Situation des Nash-Gieichgewichts hineinmanövrieren, wenn sie nicht miteinander kooperieren. Gemessen an dieser Situation bringt jede Form von Abstimmung der Wirtschaftspolitik eine Wohlfahrtssteigerung für die Volkswirtschaften. Ein Teil der Kritik an der Spieltheorie setzt an der Aussage an, daß die Länder bei Nicht-Kooperation unweigerlich in der äußerst ungünstigen Nash- Situation landen. Wichtige Annahmen hierfür sind das Festhalten an einmal festgelegten Zielen und die Knappheit an wirtschaftspolitischen Instrumenten. ln der Realität ist schwer vorstellbar, daß bei Veränderung der weltwirtschaftliehen Rahmenbedingungen die Regierungen ihre Ziele nicht korrigieren (Scheide und Sinn, 1987). Diese Erfahrung wurde beispielsweise bei den Ölpreisschocks

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gemacht, als die Regierungen darauf verzichteten, durch eine überzogen restriktive Geldpolitik das ursprünglich festgesetzte Preisziel trotz des starken Inflationsimpulses aus dem Ausland zu erreichen. Ein weiterer Kritikpunkt ist die Annahme der Knappheit wirtschaftspolitischer Instrumente, d.h. daß weniger Instrumente als Ziele zur Verfügung stehen (Scheide und Sinn, 1987; Vaubel, 1985). Dies sei nur dann der Fall, wenn über die nationalen Ziele Preisstabilität und hoher Beschäftigungsgrad hinaus weitere Ziele verfolgt würden, wie Leistungsbilanzausgleich und/oder ein bestimmter Wechselkurs. Dies sei jedoch überflüssig. Die Leistungsbilanz sei nur ein Resultat der internationalen Handelsbeziehungen und ein Indikator dafür, ob in einem Land die Ersparnisse die Investitionen übersteigen oder umgekehrt. Veränderungen des Wechselkurses sind Ergebnis der Marktkräfte und müssen nicht korrigiert werden, wenn die Geldpolitik ein Geldmengenziel angibt (Vaubel, 1983). Ragoff (1985) kritisiert am spieltheoretischen Ansatz, daß das Konfliktpotential zwischen Regierung und gesellschaftlichen Gruppen im eigenen Land unberücksichtigt bleibt. Es können Fälle eintreten, in denen Koordinierung ein schlechteres Ergebnis für die Volkswirtschaft bringt als ein Verzicht auf Koordinierung. Hier wird das Glaubwürdigkeitsproblem der Politik berührt. Die Ankündigung der Zentralbank, überzogene Lohnforderungen nicht zu tolerieren, kann bei internationaler Abstimmung der Politik weniger glaubwürdig erscheinen und deshalb zu einem ungünstigeren volkswirtschaftlichen Ergebnis führen als bei nationalem Alleingang. Dies hängt mit den unterschiedlichen Rückwirkungen auf den Wechselkurs zusammen: ln letzterem Fall würde das Land bei einem Abweichen von der angekündigten Politik mit einer Abwertung der Währung rechnen müssen, im Falle der Abstimmung mit anderen Ländern müßte eine Abwertung nicht zwingend einkalkuliert werden. Vermutlich wäre der Zweck der Koordinierung die Verhinderung der Abwertung. Ein weiteres Argument gegen die Aussagen der Spieltheorie stützt sich auf den Public-Choice-Ansatz (Vaubel, 1985, 1987). Danach verfolgen die Regierungen nicht die Interessen der Bürger und gesellschaftlichen Gruppen, sondern lediglich wahltaktische Ziele. Sie handeln nur im Eigeninteresse. Koordinierung diene nur dem Aufbau eines Kartells von bereits Etablierten, die nur

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an ihrer Wiederwahl interessiert seien. Die Schlußfolgerung für Vaubel ist, daß die Politik der Regierungen dem internationalen Wettbewerb ausgesetzt werden soll und daß den Marktkräften die Aufgabe zufällt, die besten Politiken herauszufinden. Vaubel (1985) kritisiert den Ansatz der Theorie des Marktversagens als Rechtfertigung der Notwendigkeit der internationalen Politikkoordinierung. Um seine Position darzulegen, greift er auf einen alten Vorschlag von Viner, Tullock und anderen zurück, Externalitäten des technischen (technological) und des Geldbereichs (pecuniary) zu unterscheiden.1 "Technische" Externalitäten bestehen bei Interdependenz der Produktions- und/oder Nutzungsfunktionen der einzelnen Produzenten bzw. Konsumenten. Externalitäten des Geldbereichs liegen vor, wenn Gewinn- oder Einkommensfunktionen verschiedener Wirtschaftssubjekte durch den Preismechanismus miteinander verbunden sind. Wenn finanzielle (pecuniary) Externalitäten lediglich das Ergebnis des Marktes sind, der laut Wohlfahrtstheorie ein Pareto-Optimum herzustellen in der Lage ist, wäre es - so Vaubel - paradox, sie als ein Zeichen von Marktversagen zu interpretieren. Korrekturen durch Politikkoordinierung sind daher nicht erforderlich. Bezüglich der technischen Externalitäten in Form einer langsameren Anpassung der Güterpreise und Löhne an Schocks im Vergleich zu Zinsen und Wechselkursen unterstellt Vaubel, daß sich die Wirtschaftssubjekte in diesem Fall rational verhalten. Besteht Unsicherheit über die Dauer der Störung, so wären rasche Preis- und Lohnanpassungen zu kostspielig. Vielmehr ist es dann effizient abzuwarten, ob sich die Veränderung der Marktbedingungen als von Dauer herausstellt. Effizienzmindernde, Parato-relevante Externalitäten können dann nicht entstehen. Nur wenn die Regierungen bessere Informationen über die Dauer ökonomischer Schocks hätten, wäre ein Eingreifen bzw. eine wirtschaftspolitische Koordinierung sinnvoll. Aufgabe der Wirtschaftspolitik sollte es sein, Schocks erst nicht entstehen zu lassen.

Nach Meade (1973) entspricht dies den Unterscheidungen nach •real income• und "distributional" Externalitäten.

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Eine zentrale Annahme des spieltheoretischen Ansatzes ist die der vollständigen Information der Akteure. Diese beinhaltet das Wissen von den tatsächlichen Politikwirkungen und der internationalen Transmissionskanäle ebenso wie die Kenntnis der wirtschaftspolitischen und politischen Präferenzen der ausländischen Regierungen. Diese Sicherheit ist in der Realität jedoch nicht gegeben. Bisher gibt es keine eindeutigen Aussagen über die Wirkungen wirtschaftspolitischer Maßnahmen. Insbesondere die internationalen Transmissionen können je nach Modell oder wirtschaftspolitischer Maßnahme gleich- oder entgegengerichtet sein. Simulationen wirtschaftspolitischer Maßnahmen mit den zehn bekanntesten Modellen der Welt machen dies deutlich (Frankel und Rockett, 1986, 1988). Frankel und Rockett konnten auch zeigen, daß bei Kooperation schlechtere Ergebnisse erzielt werden als bei Verzicht auf Kooperation, wenn die Länder unterschiedliche Modelle benutzen, d.h. unterschiedliche Vorstellungen von den tatsächlichen Wirkungszusammenhängen haben. Verluste bei Kooperationen entstehen auch dann, wenn die Akteure zwar übereinstimmende Modellvorstellungen haben, ihren Aktionen jedoch ein Modell zugrundeliegt, das die tatsächlichen Zusammenhänge nicht richtig widerspiegelt. Hat nur einer der potentiellen Kooperationspartner die richtigen Kenntnisse von den Wirkungszusammenhängen, so ist es für ihn günstiger, auf Kooperation zu verzichten. Zu ähnlichen Ergebnissen, bei im Detail etwas divergierender Fragestellung, kommen Holtharn und Hallett (1987). Die Diskussion zu diesem Punkt ist in vollem Gange. Nach Ghosh und Masson (1988) vermindert die Unsicherheit über das richtige Modell die Gewinne aus der Politikkoordinierung nicht, sondern erhöht sie sogar. Reszat (1990) kritisiert am spieltheoretischen Ansatz, daß der Prozeß selbst, der zur wirtschaftspolitischen Kooperation führt, nicht behandelt wird. Darin steckt aber das eigentliche Problem für die Politik. 1.4

Bewertung der Diskussion

Die Kritik an den spieltheoretischen Annahmen ist teilweise sicherlich berechtigt. Die Erfahrung hat gezeigt, daß Regierungen nicht unumstößlich an einem einmal festgelegten Ziel festhalten, wenn sich das politische und/oder weltwirtschaftliche Umfeld geändert hat. Bei Zieländerungen stellt sich zweifellos das Problem der zeitlichen Inkonsistenz und der Glaubwürdigkeit.

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Die Annahme einer jederzeit vollkommenen Information über ökonomische Wirkungszusammenhänge und Präferenzen der ausländischen Regierungen ist in der Realität ebenfalls nicht gegeben. Im Gegenteil, die Vielzahl der vorhandenen Modelle mit unterschiedlichen Parametern zeigt die Schwäche dieser Annahme, so daß das Problem der Modellunsicherheit ohne Zweifel ernst zu nehmen ist. Die Frage ist jedoch, ob daraus gefolgert werden kann, daß internationale Politikkoordinierung deshalb in jedem Fall schlechtere Ergebnisse bringt als ein Verzicht auf Politikabstimmung. "Unsicherheit" gilt für ökonomische und wirtschaftspolitische Fragen ganz generell. Dies kann und darf die wirtschaftspolitisch Verantwortlichen aber nicht davon abhalten, in den Wirtschaftsablauf korrigierend einzugreifen bzw. ihn zu steuern, wenn die Mängel des Marktes dies erfordern. Immerhin verschaffen die Modelle über die wirtschaftlichen Wirkungszusammenhänge und internationalen Transmissionskanäle einen Eindruck von den Größenordnungen der Wirkungen wirtschaftspolitischer Maßnahmen. Es gibt eine annähernde Übereinstimmung unter den Ökonomen über den mittelfristigen Einfluß restriktiver Geld- und Fiskalpolitik auf Inflation und Wachstum (Oudiz, 1988). ln manchen Situationen könnte dieses Wissen ausreichen, um darüber zu entscheiden, ob eine internationale Politikkooperation nützlich sein könnte und wie sie aussehen sollte. Die weiteren Kritikpunkte werden allesamt aus der neoklassischen Sicht vorgebracht, die auf die Kräfte des Wettbewerbs setzt und daraus zwingend ableitet, daß das freie Spiel der Marktkräfte optimale Ergebnisse für die Volkswirtschaften bringt. Die Zurückweisung der spieltheoretischen Annahme der Knappheit der wirtschaftspolitischen Instrumente im Hinblick auf die zu verfolgenden Ziele wird unter anderem dam~t begründet, daß bei "richtiger" Wirtschaftspolitik der Wechselkurs ein Ergebnis der Marktkräfte sei, das als Pareto-optimal einzustufen sei und daher kein Ziel für die Wirtschaftspolitik sein müsse. Die Erfahrungen mit dem Dollarkurs haben jedoch gezeigt, daß die lags in den Anpassungen der Güterpreise und löhne einerseits sowie Zinsen und Wechselkursen andererseits zu längerfristigen Verwerfungen in den Volkswirtschaften führen können, die sich auf deren Wohlfahrt mit Sicherheit negativ auswirken, so daß die Stabilität des Wechselkurses ohne internationale Kooperation unter Umständen nicht gewährleistet ist. ln der geplanten Wirtschafts- und Währungsunion der EG mit unverrückbar festen Wechselkursen

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am Ende der Übergangszeit wird die Geldpolitik noch mehr als bisher in den Dienst der Wechselkurspolitik gestellt werden müssen (Portes, 1989). Unter Umständen kann keine Zinspolitik betrieben werden, die den binnenwirtschaftlichen Erfordernissen entspräche. Hinzu kommt, daß die Finanzpolitik wegen ihrer Anbindung an demokratische Entscheidungsprozesse der Parlamente alles andere als ein flexibles wirtschaftspolitisches Instrument ist (Oudiz, 1988). Angesichts dieser Ziele-Instrumente-Konstellation ist schwer vorstellbar, wie ohne eine internationale Koordinierung der Politiken wenigstens eine Annäherung an die Grundziele Vollbeschäftigung, stetiges Wachstum und Preisstabilität erreicht werden soll. Nach der Assignment-Theorie kann eine dezentrale, also nationale Entscheidungstindung der Wirtschaftspolitik nur dann effizient sein und stabile Lösungen gewährleisten, wenn die Anzahl der Ziele der Anzahl der Instrumente entspricht und die Instrumente denjenigen Zielen zugeordnet werden, für die sie komparative Vorteile haben (Tinbergen, Meade, Mundell). Das gegen Politikkoordinierung vorgebrachte Public-Choice-Argument kann einen gewissen Realitätsgehalt für sich in Anspruch nehmen. Die häufigen Wahltermine in den Demokratien der marktwirtschaftlich organisierten Volkswirtschaften führen sicherlich dazu, daß eine Vielzahl von Politikern zuerst an ihre Wiederwahl und erst in zweiter Linie an die Interessen der Bürger bzw. gesellschaftlichen Gruppen denkt (Vaubel, 1985). Vaubel plädiert dafür, daß sich die Regierungen einem Wettbewerb der Systeme unterwerfen und die Marktkräfte über die beste Politik, das beste System und die beste Regierung entscheiden sollen. Die Erwartung, die Marktmechanismen könnten diese Arbeit leisten, indem die Wirkungen inadäquater Maßnahmen entsprechend nachteilige Ergebnisse bringen, setzt in einem Maße auf die Funktionsfähigkeit der Marktkräfte, die in der Realität nicht gegeben ist. Deshalb können auch die Argumente gegen die Theorie des Marktversagens und für eine Koordinierung allein durch die Marktkräfte nicht voll überzeugen. Die Fehlentwicklungen des Marktes sind zu offensichtlich. Weder kann das Vorhandensein ungleichmäßiger politischer und ökonomischer Machtverteilung, noch die Existenz von Monopolen und externer Effekte wirtschaftlicher Aktivitäten (unter anderem spillever Effekte) geleugnet werden. Die Forderung nach umfassender Deregulierung der Volkswirtschaften zur Herstellung von

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Bedingungen für ein besseres Funktionieren des Marktmechanismus stößt an Grenzen.

2.

Wirkungen von Polltlkkoordlnlerung - Empirische Untersuchungen

ln empirischen Untersuchungen konnten überwiegend Vorteile aus der internationalen Koordinierung der Wirtschaftspolitik ermittelt werden. Eine der wenigen - Ausnahmen sind die Ergebnisse von Franke! und Rockett (1986, 1988). Im allgemeinen sind die erzielten Wohlfahrtsgewinne jedoch niedrig, sie sind ungleich verteilt und variieren je nach Modellansatz und Anzahl der an der Koordinierung beteiligten Länder bzw. Regionen. Den ersten Versuch einer Quantifizierung der Ergebnisse einer internationalen Politikkoordinierung haben Oudiz und Sachs (1984) unternommen. Die Autoren benutzten zwei Modelle, das der Japanase Economic Planning Agency (EPA) und das des Federal Reserve Board. Untersucht wurde die Politikkoordinierung zwischen den USA, der Bundesrepublik Deutschland und Japan. Es wurde angenommen, daß die Wirtschaftspolitik (Geld- und Fiskalpolitik) eine Nutzenfunktion mit einem Zeithorizont von drei Jahren zu maximieren versucht. Zwei Gleichgewichtszustände wurden verglichen: Einer, in dem die Akteure die Wirtschaftspolitik des Auslands als gegeben hinnehmen, also nicht koordinieren (das sogenannte Nash-Gieichgewicht), und einer, der erreicht wird, wenn die wirtschaftspolitischen Maßnahmen in Verhandlungen abgestimmt worden sind (sogenanntes kooperatives Gleichgewicht). Gefragt wurde nach dem Zuwachs an Wohlfahrt, gemessen in Einheiten des Bruttosozialprodukts, der durch Kooperation erzielt werden kann. Als Gewinn aus Kooperation wollen die Autoren nur eine Situation gelten lassen, in der alle Beteiligten von der Zusammenarbeit profitieren, nicht nur einige. Die mit dem MCM-Modell des Federal Reserve Board ermittelten Gewinne liegen bei 0,2 und 0,3 % für die USA und die Bundesrepublik Deutschland und bei knapp 1 % für Japan. Das EPA-Modell erbrachte niedrigere Ergebnisse, für die USA und die Bundesrepublik waren sie praktisch Null. Politikreaktionen von außerhalb dieser Dreiergruppe waren nicht unterstellt. Mit einem reaktiven wirtschaftspolitischen Verhalten von Seiten dritter Länder kann jedoch gerechnet werden, wodurch die Gewinne aus der Politikkoordination steigen. Oudiz und Sachs folgern dies aus den Ergebnissen von Simulationen, in denen sie die Bundesrepublik Deutschland um die übrigen EG-Länder erweitert haben: Die Gewinne aus der Politikkoordination steigen dabei deutlich an: Für Japan auf

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knapp 3 % des BSP, für die USA und Europa auf immerhin gut ein halbes Prozent. Bemerkenswert an den Ergebnissen ist nicht nur die Wohlfahrtsvermehrung für alle drei Regionen, sondern auch die ungleiche Verteilung der Gewinne. Die Untersuchungen von Hughes Hallet (1986, 1987a) und Hughes Hallett, Holtharn und Hutsen (1989) kommen ebenfalls zu einer Ungleichverteilung der Gewinne aus Politikkoordinierung. 1 Dies könnte eine Erklärung für das geringe Interesse der großen Länder an einer Politikkoordinierung sein bzw. für die geringe Bereitschaft, einmal eingegangene Absprachen einzuhalten. Ein anderer Schwerpunkt der empirischen Forschung beschäftigt sich mit der Modellunsicherheit, also der Bedeutung der unterschiedlichen Vorstellungen über die ökonomischen Wirkungszusammenhänge für die Ergebnisse internationaler Politikkoordinierung (Frankel und Rockett, 1986, 1988; Ghosh und Massen, 1988). Die Annahme, daß die Akteure das "wahre" Modell kennen und sich darüber einig sind, daß dieses Modell die wirtschaftlichen Zusammenhänge richtig widerspiegelt, ist ein wichtiger Baustein der Spieltheorie. ln der Realität trifft diese Annahme jedoch keineswegs zu. Simulationen der Wirkungen einer wirtschaftspolitischen Maßnahme mit den zwölf bekanntesten Modellen der Welt (Bryant und andere, 1988) brachten sehr unterschiedliche Ergebnisse. Ausgehend von diesem Faktum untersuchten Frankel und Rokkett (1986, 1988) die Vorteile einer Koordinierung der Wirtschaftspolitik zwischen den USA und Europa (Rest-OECD). Die Zielvariablen sind das Einkommen, die Leistungsbilanz und die Inflationsrate. Als Instrumente werden die Geldmenge und die Staatsausgaben eingesetzt. Die Akteure besitzen unterschiedliche Vorstellungen von den internationalen Wirkungszusammenhängen und halten ihr eigenes Modell jeweils für das "richtige". ln Kenntnis der Multiplikatoren ihres Modells können sie sich aber auf ein koordiniertes Vorgehen beim Einsatz ihrer wirtschaftspolitischen Instrumente einigen. Die Tests wurden für zwei wirtschaftspolitische Handlungspakete durchgeführt: Zum einen für ein gemeinsames Vorgehen nur im Bereich der Geldpolitik, zum anderen für einen policy mix von Geld- und Finanzpolitik, d.h. von Geldmengensteuerung und Änderung der Staatsausgaben. Es zeigt sich, daß sowohl die USA 1 Zitiert nach: Currie, Holtham, Hughes Hallen (1989), S. 19 f.

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als auch Europa in nur wenig mehr als der Hälfte der möglichen Fälle Gewinne aus der Koordinierung ihrer Geldpolitiken ziehen: die USA in 546, Europa in 539 von 1.000 möglichen Situationen. Die Ergebnisse verbessern sich nicht, wenn Geldpolitik und Finanzpolitik gemeinsam als Steuerungsinstrumente eingesetzt werden. Im Gegenteil: Koordinierungserfolge treten noch weniger häufig auf: Für die USA in 494 und für Europa sogar nur in 477 Fällen. Frankel und Rockett schlußfolgern aus diesen Ergebnissen, daß bei mangelnder Übereinstimmung über das richtige Modell Politikkoordinierung sowohl positive als auch negative Ergebnisse bringen kann. Ein Verzicht auf Koordinierung kann für ein Land unter Umständen sogar vorteilhafter sein. Zu gegenteiligen Ergebnissen kommen Ghosh und Massen (1988}. Ihre Kritik an Frankel und Rockett setzt an deren Annahme an, daß die wirtschaftspolitischen Akteure die weltweit vorhandene Unsicherheit über die wahren Wirkungszusammenhänge ignorieren und sich so verhalten, als gelte diese Modellunsicherheit trotz der Vielfalt der vorhandenen Modelle für das eigene Land nicht. Ghosh und Massen untersuchen den - der Realität wohl näheren Fall, daß den Regierungen die Unsicherheit über die ökonomischen Wirkungsabläufe bewußt ist und daß sie dies in ihr Optimierungskalkül einbeziehen. Die Autoren können theoretisch ableiten, daß die Attraktivität von Politikkoordinierung, also die Vor- und Nachteile, von der Quelle der Unsicherheit abhängen. Bei Unsicherheit über die Transmissionswirkungen von Maßnahmen des Auslands auf die inländische Wirtschaft führt internationale Koordinierung in jedem Fall zu besseren Ergebnissen als nationale Alleingänge. Bezieht sich dagegen die Unsicherheit auf die Wirkungen eigener Maßnahmen auf die inländische Wirtschaft, sind die Vorteile der Politikkoordination nicht eindeutig. Die empirischen Schätzungen stützen sich auf ein makroökonomisches Zwei-Regionen-Modell mit etwa 30 Gleichungen für jede Region (USA und übrige Welt}. Der Unsicherheitsaspekt wird über die Parameter von neun Variablen in das Modell eingeführt, darunter die Zinselastizität der Geldnachfrage, die Preiselastizitäten der Import- und Exportgleichungen, der Verlauf der Phillips-Kurve, der Crewding out-Effektvon Staatsausgaben. Als Zielvariable jeder Region wurden das Bruttosozialprodukt, die Inflationsrate und der Leistungsbilanzausgleich angenommen. Die Simulationen führen zu dem Ergebnis, daß nur in zwei von neun getesteten Fällen von Modellunsicherheit

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Politikkoordinierung zu Nachteilen für die Volkswirtschaften führt, nämlich im Falle der Unsicherheit über die Elastizität der US-Importe in Bezug auf den realen Wechselkurs sowie der Rückwirkung des BSP-Wachstums auf die Investitionen der USA. ln diesen Bereichen ist die Unsicherheit der Wirkung wirtschaftspolitischer Maßnahmen auf die heimische Wirtschaft meist höher als die über die internationalen Transmissionswirkungen. Damit finden Ghosh und Massen das Ergebnis ihrer theoretischen Ableitung bestätigt: Bei Unsicherheit über die internationalen Rückwirkungen in- oder ausländischer wirtschaftspolitischer Maßnahmen bringt Politikkoordinierung Vorteile. Bei hoher Unsicherheit über die binnenwirtschaftlichen Wirkungen der eigenen Maßnahmen kann eine internationale Abstimmung auch Nachteile bringen. Theoretisch ist das Ergebnis nicht eindeutig. Mit dem Problem der Modellunsicherheit haben sich auch Holtharn und Hughes Hallett (1987) auseinandergesetzt Sie stellten eine nur geringe Robustheit der Gewinne aus Politikkoordinierung gegenüber Modellvariationen fest. Die Gewinne zeigen sich jedoch als stabiler und auch größer, wenn die Wechselkurse in die Zielfunktionen mit aufgenommen werden. Zu unterscheiden von Modellunsicherheit ist der Mangel an Information bzw. das Vorhandensein von Informationsirrtümern im Hinblick auf die künftige Entwicklung wichtiger ökonomischer Variablen, die die wirtschaftspolitisch Verantwortlichen selbst nicht beeinflussen können. Für diesen Fall kann Hughes Hallett (1987b) zeigen, daß eine internationale Kooperation der Wirtschaftspolitik eine Verbesserung der volkswirtschaftlichen Ergebnisse bringen kann, vorausgesetzt, daß die Akteureangesichts der Irrtümer zu Politikrevisionen bereit sind. Kein eindeutiges Ergebnis konnten Frenkel, Goldstein und Massen (1989) erzielen, die die Vor- und Nachteile der Koordinierung oder Nichtkoordinierung regelgebundener Politiken untersuchten. Sie testeten sechs Politikregeln (Geldmengenziel, nominales Bruttosozialprodukt, mehr oder weniger feste nominale oder reale Wechselkurse, Wechselkurszielzonen, zwei Formen von policy mixzur Stabilisierung der Wechselkurse) im Hinblick auf ihre Fähigkeit, auf Schocks zu reagieren und die Verluste für die Volkswirtschaft zu minimieren. Dabei werden Geldmenge und nominales Sozialprodukt als Zielgröße von

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einer unkeordinierten Geldpolitik gesteuert, während die übrigen im Rahmen einer international abgestimmten Geldpolitik bzw. einem Mix aus Geld- und Fiskalpolitik erreicht werden. Die getesteten Schocks sind jeweils ein Nachfrage- und Angebotsschock in den USA, eine Verschiebung der Nachfrage hin zu US-Gütern und eine Veränderung von Wertpapierpräferenzen zu Ungunsten der USA. Wie die Simulationen mit verschiedenen Schocks ergaben, kann keiner Politikregel vor einer anderen der Vorzug gegeben werden. Eine regelgebundene Koordinierung kann bei einem Schock gute Ergebnisse bringen, bei einem anderen nicht. Ein interessantes Ergebnis ist jedoch, daß eine regelgebundene Koordinierung, die auf einem Mix aus Geld- und Fiskalpolitik basiert (i.e. der Williamson/Millersche "blue print"-Vorschlag), die Folgen eines Schocks in der überwiegenden Zahl der Fälle besser zu meistern in der Lage war als eine Politikregel, die sich nur auf die Geldpolitik stützt. Die Geldpolitik allein kann dagegen wenig zur Stabilisierung der Volkswirtschaft beitragen. Die Autoren warnen allerdings vor einer Überinterpretation der Ergebnisse, da die Aussagekraft durch die Eigenheiten des Modells eingeschränkt ist. Im Rahmen dieser Untersuchung können nicht alle empirischen Studien zur Politikkoordinierung im einzelnen erläutert werden. Auch in den hier nicht erwähnten Studien 1 überwiegen jedoch die Vorteile aus einer internationalen Abstimmung der Wirtschaftspolitik, wenngleich mit allen am Anfang dieses Kapitels erwähnten Einschränkungen, die ihrerseits zumindest teilweise auf Modellspezifikationsprobleme zurückgeführt werden können. Bryant (1987) vermutet allerdings, daß die bisher ermittelten potentiellen Gewinne aus Politikkoordinierung einen Bias nach unten haben. Nicht unterschätzen dürfe man die Vorteile, die allein aus informellen Absprachen resultieren, also ohne daß es zur eigentlichen Koordinierung wirtschaftspolitischer Maßnahmen kommt.

1 FOr einen Überblick vgl. hierzu: Currie, Holtham, Hughes Hallett (1989), S. 12 ff.

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3.

Finanzpolitik ln einer Währungsunion

3.1

Theoretische Überlegungen

3.1.1 Effizienz der Finanzpolitik in einer Währungsunion Eine Reihe der Kritikpunkte, die gegen die theoretische Ableitung der wohlfahrtssteigernden Wirkungen von Politikkoordinierung vorgebracht wurden, wurden innerhalb eines Denkansatzes vorgebracht, der flexible Wechselkurse einschließt. ln diesem Gutachten soll speziell die Frage der Notwendigkeit der Koordinierung der Wirtschaftspolitik in einem Fixkurssystem, nämlich im Rahmen des Europäischen Währungssystems, diskutiert werden. Der Delors-Ausschuß hat die Koordinierung der Fiskalpolitik als wichtige Voraussetzung für ein Gelingen des währungspolitischen Zusammenschlusses mit unveränderbar festen Wechselkursen betont. ln der traditionellen, lange Zeit unbestrittenen Lehrbuchversion des MundeiiFieming-Modells wird der Finanzpolitik gerade in einem Fixkurssystem nationale Autonomie und höchste Effizienz bescheinigt, da ihre Wirkungen durch externe Einflüsse nicht konterkariert werden. Unterstellt ist dabei eine hohe Mobilität und Zinsreagibilität des Kapitals. Durch Kapitalzuflüsse werden die durch die Ausweitung des Staatsdefizits bedingten Zinserhöhungen rückgängig gemacht. Ist dagegen die Zinsreagibilität gering, beispielsweise infolge mangelnder Substituierbarkeit in- und ausländischer Finanztitel, und ist der internationale Kapitalverkehr beschränkt, so bleibt ein Teil der Zinserhöhungen bestehen, und es können Crowding-out-Effekte im privaten Sektor zum Tragen kommen. Im neoklassischen Denkmuster, das seit den siebziger Jahren wieder ein stärkeres Gewicht in der Einschätzung der Wirkung von Staatsdefiziten erlangte, wird die Erhöhung von Produktion und Beschäftigung in der Gesamtwirtschaft bei einer Ausweitung der staatlichen Aktivität grundsätzlich in Frage gestellt, da die Gefahr einer Behinderung des privaten Sektors besteht (unter anderen Fels und Fröhlich, 1987). Umgekehrt werden von einem Rückgang des Staatsanteils belebende Effekte für die Gesamtwirtschaft erwartet.

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ln der Theorie der rationalen Erwartungen ist die Wirkung staatlicher Aktivitäten gleich Null. Die Zusammenhänge zwischen Finanzpolitik, Zinsen, Kapitalbewegungen und Wechselkursen werden zunehmend von den Erwartungen der Marktteilnehmer bezüglich der Glaubwürdigkeit der angekündigten wirtschaftspolitischen Maßnahmen bestimmt. Kann eine Regierung beispielsweise nicht glaubhaft machen, daß sie eine Erhöhung der Staatsausgaben mit Anleihen finanzieren wird, mit der Folge steigender Zinsen, und wird von der Finanzwelt eher mit einer Finanzierung durch Geldmengenausweitung gerechnet, so wird es nicht zu Kapitalimporten, sondern zu Kapitalabflüssen kommen (Sachs und Wyplosz, 1984). Der Zinsanstieg verstärkt sich eher noch. Eine autonome und wirksame Erhöhung des Budgetdefizits ist dann auch im Fixkurssystem nicht mehr möglich (Wyplosz, 1988). Die Effizienz der Finanzpolitik ist dann nur noch am Rande eine Frage des Wechselkurssystems; sie ist eher eine der Glaubwürdigkeit der wirtschaftspolitischen Akteure und der Erwartungen der Marktteilnehmer. Zugleich ist eine eindeutige Aussage über Richtung und Umfang der Übertragung finanzpolitischer Impulse in das Ausland nicht mehr möglich. Eine expansive Finanzpolitik in einem Land kann den Output in einem anderen Land erhöhen oder negativ beeinflussen. Entscheidend ist die Größe der Einkommenseffekte im Vergleich zu den Zins- und Preiseffekten. 3.1.2 Stärkung oder Schwächung der Budgetdisziplin in ejner Währungsunion? Mit der für die Europäische Gemeinschaft angestrebten Währungsunion verlieren die Mitgliedsländer zwei wichtige wirtschaftspolitische Instrumente, nämlich die Geld- und die Wechselkurspolitik. Außerdem entstehen Probleme aus dem Verlust von seigniorage. ln einer Währungsunion fehlt der Anpassungsmechanismus über den Wechselkurs. Inflationsdifferenzen schlagen sich voll in Veränderungen des realen Wechselkurses nieder. Die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank reagiert nicht auf Schocks in den einzelnen Mitgliedsländern, sondern in erster Linie auf Entwicklungen, die die Gesamt-EG berühren, wie zum Beispiel auf Veränderungen der gemeinsamen Leistungsbilanz

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oder des gemeinsamen Wechselkurses gegenüber Drittländern. Für länderspezifische Probleme werden daher auf nationaler Ebene die Anforderungen an die Finanzpolitik wieder zunehmen (Lamfalussy, 1989; EG-Kommission, 1990b). Um so notwendiger wird eine längerfristige Konsistenz zwischen der auf Gemeinschaftsebene durchgeführten Geldpolitik und den nationalen Finanzpolitiken sein. Übermäßig hohe Budgetdefizite in einem oder mehreren Mitgliedsländern, die letztlich zu Zahlungsunfähigkeit oder Monetisierung der Staatsschuld führen müßten, würden die Geldwertstabilität in der Gemeinschaft gefährden. Finanzpolitische Disziplin ist daher eine Grundvoraussetzung für den Erfolg einer Währungsunion. Eine zentrale Frage ist somit, ob die Einführung der Währungsunion die finanzpolitische Disziplin schwächt oder ob sie sie vielleicht sogar stärkt. Im bisherigen EWS-Mechanismus bestanden die Grenzen für eine zu expansive Fiskalpolitik im Druck auf die Währungsreserven und in der Gefahr einer Abwertung der heimischen Währung. Dieser Disziplinierungsfaktor fällt in einer Währungsunion mit unverrückbar festen Wechselkursen weg und könnte bei den nationalen Regierungen die Bereitschaft erhöhen, eine expansive Heushaltspolitik zu fahren (Melitz, 1989; Bovenberg, Kremers, Massen, 1990). Diese Haltung wird dadurch begünstigt, daß die Zinsen in dem sich verschuldenden Land weniger steigen als im Falle eines weniger engen Währungsverbunds. Wegen der hohen Integration der Kapitalmärkte nach Abschaffung aller Kapitalverkehrskontrollen werden die Schuldtitel der einzelnen Regierungen als Substitute angesehen, Sparkapital wird aus anderen Ländern abgezogen, und die Zinssteigerung wird sich auf alle Länder der Wirtschafts- und Währungsunion verteilen. Der disziplinierende Einfluß deutlich steigender Zinsen ist erheblich geringer. Zugleich kann es in Mitgliedsländern mit höherer Haushaltsdisziplin ungerechtfertigterweise zu einer Minderung produktiver Investitionen kommen. Gegner von bindenden Budgetregeln verweisen darauf, daß Staatsdefizite nicht isoliert beurteilt werden können (EG-Kommission, 1990b). Haushaltsdefizite spiegeln auch Unterschiede im Sparverhalten, im Entwicklungsstadium und allgemein in den Präferenzen der einzelnen Länder wider. Mit Defizitobergrenzen, die dem nicht Rechnung tragen, wäre den weniger entwickelten Mitgliedsländern die Möglichkeit genommen, Ersparnisse aus den anderen

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Ländern anzuziehen. Dies sei aber notwendig, um die Entwicklungsunterschiede zwischen den Ländern zu verringern. Wie relevant dieses Argument ist, hängt allerdings davon ab, wie die Defizitgrenzen konkret gezogen werden, ob also bei der Zielformulierung den nationalen Besonderheiten und Erfordernissen Rechnung getragen wird. Gegen die Festlegung von Defizitobergrenzen wird auch argumentiert, daß bei exogenen Schocks, wie zum Beispiel drastischen Ölpreiserhöhungen, der wirtschaftspolitische Handlungsspielraum der einzelnen Länder nicht zu stark eingeschränkt sein sollte. Andere untersuchten den Zusammenhang zwischen der Höhe der Staatsdefizite und dem Erreichen gesamtwirtschaftlicher Ziele und fanden keine oder nur eine geringe Wirkung des Staatsdefizits, und folgerten, daß die Bedeutung der Staatsdefizite in der wirtschaftspolitischen Diskussion überschätzt wird. Eine andere Gruppe von Wissenschaftlern sieht die Gefahr einer nachlassenden Budgetdisziplin nicht (Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesminister für Wirtschaft, 1989, a und b; Scheide und Trapp, 1990). Im Gegenteil erwartet sie sogar eine Zunahme der Haushaltsdisziplin nach Einführung der Währungsunion. Zwei Voraussetzungen müssen allerdings erfüllt sein: Eine Finanzierung der Staatsdefizite durch die Zentralbank sowie automatische finanzielle Unterstützungen ·der Gemeinschaft bei Zahlungsunfähigkeit wird es nicht geben. Dann ist es nicht mehr möglich, den Realwert der Staatsschuld durch eine Erhöhung der Inflationsrate zu drücken. Auch die Befürchtung zu geringer Zinssteigerungen wegen der Verteilung der Zinserhöhung auf alle Mitgliedsländer der Währungsunion ist in dieser Argumentationslinie unbegründet. Mit steigender Verschuldung nimmt nämlich das Bonitätsrisiko zu. das sich in der Regel in einem Malus bei den Zinsen niederschlägt. Ohne einen Risikoaufschlag auf den Zinssatz wird es für das finanzpolitisch expandierende Land schwierig sein, Kapital aus anderen Mitgliedsländern abzuziehen. Schließlich führt die ständig wachsende wirtschaftliche Integration in einer Wirtschafts- und Währungsunion dazu, daß der inländische Multiplikator für die Finanzpolitik immer kleiner wird, d.h. der Anreiz, die Finanzpolitik zur Konjunkturstimulierung einzusetzen. nimmt ab.

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Diese Argumentationslinie unterstellt eine hohe Zinselastizität der öffentlichen Kreditnachfrage, die in der Realität nicht gegeben ist. Auch ist nicht gewährleistet, daß die Zentralbank in bestimmten Situationen unter dem Druck nationaler Regierungen den geldpolitischen Kurs nicht doch lockern wird. Ebenso wenig kann finanzieller Beistand von Seiten der Partnerländer bzw. der Gemeinschaft für alle Zeiten völlig ausgeschlossen werden, da Zahlungsunfähigkeit einzelner Staaten die Gemeinschaft als Ganzes berühren würde und finanzielle Hilfen in solchen Fällen geradezu geboten sein können. Außerdem hat sich die Gemeinschaft bereits entschieden, Regionalpolitik zu betreiben und ein System von Transferzahlungen aus Solidaritätsgründen zu organisieren. Es kann also nicht davon ausgegangen werden, daß sich die Märkte so verhalten, als wäre finanzielle Hilfe zwischen den Mitgliedsländern künftig völlig auszuschließen. 3.1.3 Notwendigkeit der Koordinierung der Finanzpolitik in einer Währungsunion? Wenn die Finanzpolitik in einer Währungsunion als Schockabsorber in den einzelnen Mitgliedsländern wieder einen größere Rolle zu spielen hat, so stellt sich die Frage, ob eine Abstimmung der nationalen Finanzpolitiken erforderlich ist. Spill-ovar-Effekte ergeben sich nicht nur durch die weiter zunehmende Integration der Güter- und Kapitalmärkte infolge der Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion, sondern auch durch nationale finanzpolitische Maßnahmen, die den Zinssatz berühren: Wegen der hohen Kapitalmobilität und dem hohen Substitutionsgrad zwischen den Schuldtiteln in den einzelnen Mitgliedsländern ändern sich die Zinssätze EG-weit. Ebenso wird der gemeinsame Wechselkurs gegenüber Drittländern durch nationale finanzpolitische Alleingänge beeinflußt. Unerwünschte Veränderungen dieser Schlüsselgrößen und ihre Rückwirkungen auf die nationalen Volkswirtschaften können sicher in Grenzen gehalten werden, wenn die finanzpolitischen Maßnahmen koordiniert werden. Nicht übersehen werden kann, daß eine internationale Koordinierung der Finanzpolitik erheblich größere Probleme aufwirft als die Abstimmung der Geldpolitik. Ein zentraler Unterschied besteht in den langwierigen demokratischen Prozessen, denen finanzpolitische Entscheidungen in der Regel ausgesetzt

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sind. Im allgemeinen werden sie einmal jährlich gefällt und unter Umständen auch für mehrere Jahre im voraus festgelegt (wie zum Beispiel die stufenweise Verwirklichung der Steuerreform in der Bundesrepublik Deutschland in den achtziger Jahren mit einer zeitlichen Verteilung der Wachstumsimpulse, die im Hinblick auf das Ziel eines stetigen Wachstums und der Wirtschaftspolitik in anderen Ländern suboptimal sein kann). Hinzu kommt die starke Politisierung finanzpolitischer Maßnahmen und ihre Bedeutung für den Ausgang von Wahlen. Geldpolitik wird in der Regel autonom von den Zentralbanken oder zumindest außerhalb demokratischer Prozesse gemacht, was nicht heißt, daß nicht auch sie den allgemein-verbindlichen wirtschaftspolitischen Zielen verpflichtet wäre. Für den Erfolg der internationalen Abstimmung von Wirtschaftspolitik spielt der zeitliche Rhythmus, in dem wirtschaftspolitische Maßnahmen getroffen werden, eine große Rolle. Die Chancen für eine erfolgreiche Kooperation sind um so größer, je häufiger sich die wirtschaftspolitischen Entscheidungsträger treffen. Dies wiederum steht in engem Zusammenhang mit der zeitlichen Flexibilität des Instrumentariums, die bei der Geldpolitik fraglos höher ist als bei der Finanzpolitik. Eine Hauptschwierigkeit für finanzpolitisch abgestimmtes Vorgehen dürfte in der Unsicherheit über Richtung und Größenordnungen der Spill- over-Effekte liegen. Der Aussagewert empirischer Untersuchungen hängt von den Annahmen - zum Beispiel über die Geldpolitik - und der Struktur der Modelle ab. Ein zentrales Problem liegt in der Unbestimmtheit der Wechselkurswirkungen finanzpolitischer Maßnahmen. Angesichts dieser Unsicherheiten ist es sicher nicht angezeigt, eine "von Tag zu Tag"-Koordinierung bzw. ein fine-tuning der nationalen Finanzpolitiken anzustreben. Auf eine tendenzielle Abstimmung wird man jedoch nicht verzichten können (EG-Kommission 1990b). Dies gilt insbesondere für wirtschaftspolitische Reaktionen auf Veränderungen des gemeinsamen Wechselkurses und der gemeinsamen Leistungsbilanz gegenüber Drittländern. Bei einer extremen Verschlechterung der außenwirtschaftliehen Position wird die Leistungsbilanz sicherlich eine Zielvariable sein, die korrigiert werden muß. Die Geldpolitik reicht zur Korrektur dann aber nicht aus, da ihre Wirkung nicht eindeutig ist: Eine nachfragedämpfende Geldpolitik verbessert zwar tendenziell die Handelsbilanz, führt aber unter Umständen zugleich zu einer Aufwertung des gemeinsamen Außenkurses. ln diesem Fall

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müssen sich Finanzpolitik und Geldpolitik zu einem effektiven policy mix ergänzen. Wegen des free-rider-Problems ist nicht zu erwarten, daß ein Land finanzpolitisch im Alleingang handelt. Unter diesem Aspekt ist ein koordiniertes Vorgehen aller Länder geboten. 3.1.4 Verlust von Seigniorage in einer Währungsunion Seigniorage sind die staatlichen Einnahmen aus dem Geldschöpfungsprozeß. Die Errichtung der europäischen Währungsunion, die mit der Übertragung der geldpolitischen Kompetenzen auf das Europäische Zentralbanksystem verbunden ist, bedeutet die Trennung von Geld- und Finanzpolitik in den Mitgliedsländern. Die Möglichkeit der Beschaffung von Einnahmen aus seigniorage fällt weg. Dies wirft beträchtliche budgetpolitische Probleme auf für Länder mit einem hohen seigniorage-Anteil an den Einnahmen.1 Da sie sich in die budgetpolitische Disziplin einer Währungsunion einzufügen haben, bedeutet dies für sie Erhöhung von Steuern oder Ausgabenkürzungen. Steuererhöhungen sind jedoch weder populär noch inflationsneutraL So stellt sich die Frage, ob im Wegfall der inflationstreibenden Einnahmen aus seigniorage unter Wohlfahrtsgesichtspunkten ein Vorteil gesehen werden kann. Um dies zu beurteilen, müßte es eine unter sozialen Gesichtspunkten optimale Inflationsrate geben, an der sich der Staat orientieren kann (EG-Kommission, 1990b). ln einer Währungsunion mit zentralisierter Geldpolitik und einem Zwang zur Konvergenz der Inflationsrate heißt die Alternative für die einzelnen Mitgliedsländer allerdings nicht Aufrechterhaltung von seigniorage oder Steuererhöhungen. Die Frage ist, ob es neben Steuererhöhungen noch andere Wege zum Ausgleich der Ausfälle von Einnahmen aus seigniorage gibt. Hier öffnet sich - zumindest für eine Übergangszeit - möglicherweise ein weiteres Aufgabenfeld für eine koordinierte Finanzpolitik in der EG. 3.2

Aspekte einer künftigen finanzpolitischen Koordinierung in der EG

Im Deiars-Bericht (1989) wird die Koordinierung der makroökonomischen Politik zur Sicherung eines angemessenen Wachstums, eines hohen BeschäfSeigniorage macht 1o % der gesamten Staatseinnahmen in Portugal und Griechenland und 9 bzw. 6 % in Spanien und Italien aus.

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tigungsgrades, des außenwirtschaftliehen Gleichgewichts und stabiler Preise für unabdingbar gehalten. Für die Finanzpolitik wird die Entwicklung bindender Regeln gefordert: - Festsetzung von Obergrenzen für die Haushaltsdefizite der einzelnen Mitgliedsländer auf EG-Ebene, wobei die jeweilige Situation des einzelnen Landes zu berücksichtigen wäre; - keine Finanzierung der Haushaltsdefizite durch Zentralbankkredite (aber Zulassung von Offenmarktgeschäften für Staatspapiere); - Begrenzung der Kreditaufnahme in außergemeinschaftlichen Währungen; - Festlegung des mittelfristigen finanzpolitischen Gesamtkurses einschließlich des Umfangs und der Finanzierung des globalen Haushaltssaldos (nationale Haushaltspositionen sowie Haushaltspositionen der Gemeinschaft). Außerdem müßten angemessene Konsultationsverfahren eine wirksame Koordinierung zwischen Haushalts- und Geldpolitik ermöglichen. Zur Umsetzung dieser "Koordinierung von Politiken, für die weiterhin die nationalen Behörden zuständig sind", hält der Delors-Ausschuß eine "neue Institution nicht unbedingt für erforderlich; doch könnte eine Revision und möglicherweise eine gewisse Umstrukturierung der bestehenden Gemeinschaftsgremien, mit angemessener Kompetenzübertragung, notwendig sein" (Delors-Bericht, 1989, S. 24). Die Hauptkritikpunkte am Deiars-Bericht richten sich insbesondere auf die Empfehlung einer verbindlichen ex-ante-Koordinierung der Finanzpolitik und gegen die - freilich nicht ausdrücklich geforderte - Übertragung von nationalen haushaltspolitischen Kompetenzen auf supranationale Koordinierungsgremien (Wissenschaftlicher Beirat beim BMWi, 1989 a und b; Genser, 1988). Es wird auf die verfassungspolitischen Aspekte einer institutionell zentralisierten europäischen Haushaltspolitik verwiesen. Solange die Europäische Gemeinschaft keine politische Union, sondern eine Wirtschafts- und Währungsunion von politisch unabhängigen Nationalstaaten ist, darf die makroökonomische

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Politik nicht der demokratischen Kontrolle entzogen werden. Die Zuständigkeit einer supranationalen Koordinierungsinstitution für die Haushaltspolitik könnte von den nationalen Regierungen leicht als ein Mittel benutzt werden, sich aus der Verantwortung für bestimmte finanzpolitische Maßnahmen zu stehlen. Außerdem kann, so wird argumentiert, darauf vertraut werden, daß die für die Stabilität einer Währungsunion erforderliche Konvergenz der wirtschaftlichen Entwicklung in den EG-Mitgliedsländern durch den Wettbewerb der nationalen Wirtschaftspolitiken und durch die Marktkräfte herbeigeführt und auch gewährleistet werden kann. Die EG-Kommission rückt von den Forderungen des Delors-Ausschusses ebenfalls zumindest teilweise ab (EG-Kommission, 1990a). Die Gemeinschaft sollte keine einheitlichen Regeln für den Umfang von Haushaltsdefiziten in den Gemeinschaftsländern festlegen, sondern vielmehr ein verbindliches Verfahren zur Überwachung der nationalen Haushaltspolitiken anstreben. Die Höhe der Haushaltsdefizite sollte von den einzelnen Ländern selbst bestimmt werden, um nationale Besonderheiten und unterschiedliche wirtschaftliche Ausgangspositionen berücksichtigen zu können. Die Leitlinien für die Haushaltspolitik sollten in die nationalen Gesetzgebungen aufgenommen werden. Es versteht sich von selbst, daß diese den Prinzipien einer geordneten Haushaltspolitik entsprechen müßten. Beibehalten wird die Ablehnung der Finanzierung öffentlicher Defizite durch Zentralbankkredite. Außerdem sollte es keine automatische Verpflichtung für die Gemeinschaft geben, einem Mitgliedsland in haushaltspolitischen Schwierigkeiten zu Hilfe zu kommen. Dies schließt Soforthilfen, die allerdings an Bedingungen geknüpft sind, nicht aus. Um die Vereinbarkeil der national festgelegten Haushaltspolitik mit den erklärten wirtschaftspolitischen Zielen der Gemeinschaft, insbesondere dem der Konvergenz der wirtschaftlichen Entwicklung, sicherzustellen, schlug die EGKommission die Ausarbeitung verbindlicher Überwachungsregeln vor (EGKommission, 1990a). Die Mitgliedsländer sollten die geplanten, gesetzlich zu verankernden Haushaltsleitlinien zunächst der Gemeinschaft vorlegen. Sie würden in den EG-Gremien diskutiert und - sofern sie den Prinzipien der Beschränkung nationaler Haushaltsdefizite entsprechen - auch gebilligt. Ob Sanktionen bei extremer Abweichung von den Gemeinschaftszielen möglich sein sollen, wird offen gelassen.

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Ein institutioneller Rahmen für die Überwachung der nationalen Haushaltspolitiken durch die Gemeinschaft wurde in der neuen Konvergenzrichtlinie der EG (Entscheidung des Rates vom 12. März 1990) niedergelegt. Die Durchführung der "multilateralen" Überwachung soll beim Rat der Finanz- und Wirtschaftsminister liegen. Als Leitlinien gelten "die Grundsätze der Preisstabilität, eines gesunden öffentlichen Finanz- und Währungsgebarens, gesunder Zahlungsbilanzen und offener, wettbewerbsfähiger Märkte". Die multilaterale Überwachung umfaßt alle Aspekte der Wirtschaftspolitik sowohl in kurz- als auch in längerfristiger Perspektive. Sie erfolgt mindestens zweimal jährlich auf der Grundlage von Berichten und Untersuchungen der wirtschaftlichen Lage, die von der Kommission erstellt werden. Besonderes Gewicht ist auf die Überwachung der Finanzpolitik gelegt. Möglichst vor der Aufstellung der nationalen Haushaltspläne erfolgt eine Untersuchung der Haushaltspolitiken der einzelnen Mitgliedsländer. Im Vordergrund stehen dabei Umfang und Finanzierung der Budgetdefizite sowie deren mittelfristige Ausrichtung. Übermäßig hohe Defizite sollen vermindert und eine monetäre Finanzierung vermieden werden. Der Rat kann wirtschaftspolitische Anregungen und - auf Vorschlag der Kommission - auch Empfehlungen geben. Die multilaterale Überwachung soll zunehmend zu kompatiblen Wirtschaftspolitiken führen. Der Rat tritt zu ad-hoc-Konsultationen zusammen, wenn bestimmte Entwicklungen in einzelnen Mitgliedsstaaten die Stabilität und den wirtschaftlichen Zusammenhalt in der Gemeinschaft insgesamt gefährden. An den Sitzungen des Rates zur multilateralen Überwachung nehmen die Präsidenten des Währungsausschusses und des Ausschusses für Wirtschaftspolitik teil. Um die Kompatibilität zwischen Geld- und anderen Wirtschaftspolitiken zu gewährleisten, wird auch der Vorsitzende des Ausschusses der Präsidenten der Zentralbanken der Mitgliedstaaten zu den Sitzungen eingeladen. Ob die neue Richtlinie ein geeigneter institutioneller Rahmen für eine wirksame Abstimmung der Wirtschaftspolitik zwischen den Mitgliedsländern und zur Vermeidung exzessiver Haushaltsdefizite darstellt, muß bezweifelt werden. Der nicht verbindliche Charakter der ersten Konvergenzrichtlinie aus dem Jahre 1974 wurde beibehalten. Den Mitgliedsländern steht es frei, die Anregungen oder Empfehlungen des Ministerrates aufzunehmen und in entsprechende wirtschaftspolitische Maßnahmen umzusetzen. Ein Zwang kann nicht ausgeübt

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werden. Von Sanktionen, etwa der Streichung oder Kürzung von Zuschüssen aus den Strukturfonds, wurde abgesehen. Die Diskussion um die Notwendigkeit der Festlegung von Regeln für die nationalen Budgetdefizite durch die Gemeinschaft wird auf der Tagesordnung bleiben. Hauptanlaß für Besorgnisse sind die hohen Budgetdefizite Griechenlands, Italiens und Portugals. Möglicherweise werden sie nicht rasch genug und in ausreichendem Umfang vermindert und gefährden auf diese Weise den Prozeß der wirtschaftlichen Konvergenz und nicht zuletzt die Einführung der Währungsunion. Ein hartnäckiger Verfechter gemeinschaftlich festgelegter, bindender Budgetregeln ist die Bundesrepublik Deutschland, unterstützt vom Währungsausschuß. Auch die Niederlande befürworten obligatorische Budgetregeln. Eine ablehnende Haltung nehmen Großbritannien und Portugal ein. Die Hochdefizit-Länder Griechenland und Italien sprechen sich ebenfalls gegen verbindliche Haushaltsobergrenzen aus, doch wäre einer Minderheit in den Ministerien dieser Länder ein gewisser Druck aus Brüssel, der sie in ihrem Kampf gegen niedrigere Budgetdefizite unterstützen könnte, nicht unwillkommen. Der Entwurf eines neuen EG-Vertrages, der den seit Dezember 1990 tagenden Regierungskonferenzen als Verhandlungsgrundlage dient, enthält den Begriff "Obergrenzen" für Budgetdefizite nicht mehr. Es wird nur noch der Grundsatz festgelegt, daß "übermäßige" Haushaltsdefizite zu vermeiden sind. Dieser Begriff könnte kompromißfähiger sein, nicht zuletzt weil er interpretationsfähiger ist, und mehrere Meßlatten denkbar sind. ln der Diskussion sind: die Entwicklung und Höhe der Verschuldungsquote, die sog. goldene Regel (die Höhe des Budgetdefizits soll den Umfang der öffentlichen Investitionen nicht übersteigen) sowie der Durchschnitt der Haushaltsdefizite aller EG-Länder (EG-Kommission, 1990d). 3.3

Institutionelle und politische Barrieren

Es ist schwierig vorauszusagen, welchen Ausgang diese Kontroverse nehmen wird und ob bindende Regeln für Defizitobergrenzen in den neu auszuhandelnden EG-Vertrag aufgenommen werden. Trotz zunehmender weltwirtschaftlicher und europäischer Verflechtung sind die budget-und steuerpolitischen

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Entscheidungen von nationalen Regierungen und Parlamenten noch immer fast ausschließlich von der Innenpolitik des jeweiligen Landes bestimmt und komplizierten internen Verteilungskompromissen und politischen Wahlzyklen unterworfen. "Budget policy is an inherent part of internal national policy bargaining and is not easily changed even when there is the political will and mutual trust" (Wagner, 1989). Die Finanzverfassungen der EG-Länder spiegeln große, historisch bedingte Unterschiede der politischen Entscheidungsprozesse und -ebenen wider (Leibfritz u.a., 1989). Die Entscheidungen über den Staatshaushalt des Gesamtstaates finden je nach Land auf verschiedenen Ebenen statt. ln Ländern wie Frankreich und Großbritannien ist die Verantwortung relativ zentralistisch, in Ländern wie der Bundesrepublik Deutschland (und neuerdings Belgien) dagegen föderativ geregelt. So werden zum Beispiel der Großteil der staatlichen Investitionsentscheidungen in der Bundesrepublik Deutschland relativ autonom auf der Ebene der Länder und Städte und Gemeinden getroffen, und gleichzeitig gibt es einen beträchtlichen (horizontalen und vertikalen) Finanzausgleich zwischen den Bundesländern und zwischen Ländern und Gemeinden. Eine sehr zentralistische Ausrichtung auf der Steuer- und Ausgabenseite wird in Großbritannien sichtbar, wo der Schatzminister das Budget in einem wenig transparenten Verfahren bestimmt. Trotz mehrfacher Versuche der EG-Kommission ist es zum Beispiel nicht gelungen, Großbritannien zu einer Angleichung des Finanzjahres auf das Kalenderjahr wie in den übrigen EG-Ländern zu bewegen, um damit die Koordinierungsaufgaben zu erleichtern. Die großen Unterschiede in der Finanzverfassung zwischen den EG-Staaten erschweren nicht nur die Aufgaben der Steuerharmonisierung, sondern auch die Koordinierung der nationalen Budgets. Hinzu kommen politische und verfassungsrechtliche Faktoren, wie die Stabilität und Dauer von Regierungen bzw. Koalitionen, welche über die Fähigkeit der Politikkontrolle und von Budget- und Steuerreformen mitbestimmen. Je kurzlebiger Koalitionsregierungen (Belgien, Italien, Schweden und Dänemark) sind, desto schwieriger sind die Bemühungen zum Abbau von Budgetdefiziten (Sachs und Roubini, 1989). Verfassungsreformen (wie im Falle Frankreichs) sind oft die Voraussetzung für erfolgreiche Finanzreformen.

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3.4

Indikatoren zur Beurteilung der Haushaltsdisziplin

3.4.1 Zur Aussagekraft einzelner Indikatoren Nach dem Vorschlag der EG-Kommission soll eine Haushaltsregel in den EGVertrag aufgenommen werden mit dem Wortlaut: "Überhöhte Haushaltsdefizite sind zu vermeiden". Damit sind Kriterien und Indikatoren zu entwickeln, nach denen eine Beurteilung der Haushaltsdefizite als "überhöht" oder "nicht überhöht" möglich ist. Nach Auffassung der EG-Kommission ist ein Staatsdefizit dann als überhöht oder exzessiv anzusehen, wenn es zu einer weiteren Erhöhung der Staatsschuldenquote (Staatsschuld im Verhältnis zum Bruttosozialprodukt bzw. Bruttoinlandsprodukt) führt. 1 Nach dieser Auffassung sind sowohl die Entwicklung der Staatsschuldenquote wie auch das Niveau dieser Quote wichtige Kriterien zur Beurteilung der Haushaltsdisziplin. Geht die Staatsschuldenquote gegen 100 % oder darüber hinaus, wird nach Auffassung der EG-Kommission die Budgetbelastung durch den Schuldendienst übermäßig hoch. Vorsicht ist nach Meinung der Kommission schon dann geboten, wenn die Staatsschuldenquote eines Landes deutlich über dem EGDurchschnitt liegt. Die sogenannte Goldene Finanzierungsregel des Staates, wie sie auch in der Bundesrepublik in Art. 115 GG gilt, daß nämlich die staatliche Neuverschuldung im allgemeinen nicht höher sein darf als die staatlichen Investitionen, wird von der EG-Kommission ebenfalls als ein möglicher Indikator zur Beurteilung der Haushaltsdisziplin angesehen. Unter der Annahme, daß die mit Krediten finanzierten staatlichen Infrastrukturinvestitionen das gesamtwirtschaftliche Wachstum steigern, wird letztlich über höhere Steuereinnahmen der Kapitalertrag zur Bezahlung der staatlichen Zinsausgaben erwirtschaftet. Bei Einhaltung dieser Regel wird also die private Ersparnis nicht zur Finanzierung laufender Staatsausgaben eingesetzt und längerfristig steigt dann auch die Staatsschuldenquote nicht an. "ln a context of low or zero Inflation, both indicators - the trend and Ievei of public indebtedness and the golden rule are bound to produce fairly similar outcomes in terms of the ratio of public

1

Vgl. European Economy Nr. 46, Dec. 1990, S. 167.

47

debt/GDP over the long term".1 Eine Schwierigkeit bei der Anwendung der goldenen Regel besteht darin, daß die Abgrenzung der öffentlichen Investitionen umstritten ist (vgl. Kap. 5.2 über Budgetregeln in der Bundesrepublik Deutschland). Mit der Forderung, in der EG-Währungsunion überhöhte Staatsdefizite zu vermeiden, hat also die Diskussion um die Aussagekraft der verschiedenen Fiskalindikatoren neuen Auftrieb erhalten. ln den siebziger Jahren wurden die Fiskalindikatoren insbesondere mit dem Ziel entwickelt, die Nachfrage- und Konjunkturwirkungen der jeweiligen Finanzpolitik zu beurteilen. Zu diesem Zweck wurde das Staatsdefizit in mehrfacher Weise bereinigt. Das um die zyklischen Schwankungen bereinigte Defizit (CAB: Cyclically Adjusted Budget Balance) bzw. seine Veränderungen sollte dabei die Nachfragewirkungen der diskretionären finanzpolitischen Maßnahmen messen. Der deutsche Sachverständigenrat entwickelte das Konzept des konjunkturneutralen Haushalts. Das dabei quantifizierte strukturelle Defizit dient allerdings auch zur Bestimmung des staatlichen Konsolidierungsbedarfs. Gegen das Staatsdefizit und auch gegen das zyklisch bereinigte Staatsdefizit wurde eingewendet, daß es in manchen Situationen irreführend sei. So würde eine Erhöhung der Inflationsrate (bzw. der lnflationserwartungen) und eine entsprechende Erhöhung des nominalen Zinssatzes über höhere Zinsausgaben das Budgetdefizit erhöhen und fälschlicherweise einen expansiven Kurs der Finanzpolitik anzeigen. Um dies zu verhindern, wurde der Budgetindikator auch noch um die Zinszahlungen bereinigt (Mackenzie, 1987). Das Staatsdefizit unter Ausschluß der Zinszahlungen wird als "primäres Defizit" (primary balance) bezeichnet. Die "neue Generation" der Fiskalindikatoren dient nun nicht mehr dazu, Nachfragewirkungen zu messen, sondern hat den Zweck, herauszufinden, ob die Finanzpolitik den Grundsätzen einer soliden Haushaltsführung entspricht, auch wenn dies nicht ausschließt, daß sich ein Fiskalindikator aufgrund seiner Konstruktion auch auf die erstere Fragestellung anwenden läßt. ln der Diskussion sind neuerdings vor allem Fiskalindikatoren, die anzeigen, ob und inwieweit bei der aktuellen oder der mittelfristig angelegten Finanz- und Steuerpolitik die Staatsschuldenquote weiter ansteigt oder sich stabilisiert. ln diesem 1

Vgl. European Economy, a.a.O.

48

Zusammenhang werden insbesondere zwei Fiskalindikatoren berechnet: die zinsbereinigte Budgetlücke (primary gap) und die mittelfristige Steuerlücke (medium-term tax gap). Der erste Indikator bezeichnet die Differenz zwischen dem tatsächlichen und dem zur Stabilisierung der Staatsschuldenquote notwendigen zinsbereinigten Finanzierungssaldo. Entsteht hier eine Lücke, so sind Konsolidierungsmaßnahmen notwendig, wenn eine längerfristige Erhöhung der Staatsschuldenquote verhindert werden soll. Der zweite Indikator bezeichnet die Differenz zwischen der tatsächlichen und der zur Stabilisierung der Staatsschuldenquote notwendigen volkswirtschaftlichen Steuerquote, unter der Annahme, daß die um die Zinsausgaben bereinigte Staatsausgabenquote konstant bleibt. Um die Staatsschuldenquote nicht ansteigen zu lassen, muß der um Zinsausgaben gekürzte Staatshaushalt dann einen Überschuß aufweisen, falls der Zinssatz für Staatsschulden höher ist als die mittelfristige jährliche Zuwachsrate des nominalen Bruttosozialprodukts. Dies bedeutet, daß bei der Berechnung dieser Indikatoren auch Annahmen über die Entwicklung der Gesamtwirtschaft und des Kapitalmarktes zu machen sind. Je höher der Kapitalmarktzins im Vergleich zum Sozialproduktwachstum ist, um so höher muß der zinsbereinigte Budgetüberschuß sein, wenn die Staatsschuldenquote nicht weiter ansteigen soll. Ein internationaler Vergleich der Entwicklung der Staatsschuldenquote und dieser beiden Fiskalindikatoren zeigt allerdings für die achtziger Jahre, daß der Zusammenhang keinesfalls eindeutig ist. Während die Fiskalindikatoren in vielen Fällen keinen weiteren Konsolidierungsbedarf anzeigten, stieg die Staatsschuldenquote weiter an, so in Kanada, den USA und auch in der Bundesrepublik Deutschland. 1 Die Diskussion der verschiedenen Indikatoren zur Beurteilung der Haushaltsdisziplin zeigt, daß es einen einzelnen Indikator nicht gibt, der einerseits wissenschaftlich abgesichert ist und andererseits den praktischen Anforderungen der Finanzpolitik und der Finanzverwaltung entspricht, also vor allem einfach zu berechnen und allgemein verständlich ist. Hinzu kommt, daß derartige Fiskalindikatoren die gesamtwirtschaftlichen Interdependenzen, wie z.B. das Der Korrelationskoeffizient zwischen der (Netto-)Schuldenquote und dem Indikator 'mittelfristige Steuerlücke' weist im Zeitraum 1980-1989 teils positive, teils negative Vorzeichen auf: Kanada 0,3, USA -0,5, Japan -0,2, Frankreich 0,4, Bundesrepublik Deutschland • 0,5, Italien 0,2, Großbritannien 0, 7. Vgl. J. Horne, lndicators of Fiscal Sustainability, IMF Working Papers WP/91/5, January 1991.

49

gesamtwirtschaftliche Sparaufkommen im Verhältnis zum gesamtwirtschaftlichen Kapitalbedarf, nicht oder nur unzureichend berücksichtigen. Zeigt z.B. der Indikator Konsolidierungsbedarf an und werden infolgedessen die öffentlichen Investitionsausgaben gekürzt, dann könnte dies das Wirtschaftswachstum schmälern und zu einer Budgetlücke in der Zukunft führen. 1 Die hier diskutierten Fiskalindikatoren sind also nicht unbedingt der oben genannten "Goldenen Finanzierungsregel" überlegen, obwohl auch - wie oben erwähnt diese Regel bei der Abgrenzung des steuerlichen Investitionsbegriffs Probleme bereitet. 3.4.2 Suche nach einer Kompromißlösung Das Problem, einerseits in der EG-Währungsunion alle Mitgliedsländer zur Haushaltsdisziplin verpflichten zu wollen, andererseits aber dafür keinen eindeutigen und allgemein akzeptierten Indikator zu haben, schafft ein Dilemma. Ein Ausweg könnte sein, daß bei der Beurteilung der Haushaltsdisziplin nicht ein einzelner Indikator, sondern ein Indikatorbündel herangezogen wird. Nach der EG-internen Diskussion könnte ein solches Indikatorbündel die Staatsschuldenquote, die Defizitquote und die "goldene Finanzierungsregel" (Nettokreditaufnahme nicht höher als staatliche lnvestitionsausgaben) umfassen. Für die ersten beiden Indikatoren müßten dann Höchstgrenzen vorgeschrieben werden, also z.B. 60 % für die Staatsschuldenquote und 3 bis 4 % für die Defizitquote. Haushaltsdisziplin wäre in einem Mitgliedsland dann erreicht, wenn alle diese drei Kriterien erfüllt wären. Das Problem ist allerdings, daß die Höhe der Staatsschuldenquoten nicht zuletzt aus historischen Gründen und aufgrund divergierender Abgrenzungen der Staatssektoren (Einbeziehung oder Auslagerung öffentlicher Unternehmen, unterschiedliche Art der sozialen Sicherungssysteme usw.) sehr unterschiedlich ist. Eine Staatsschuldenquote, die höher ist als 60% haben derzeit (Stand 1991) Belgien (129,3), Griechenland (86,5),1rland (113,1),1talien (101,0), die Niederlande (84,6) und Portugal (64,7). Eine Defizitquote über 3,5 %, und zwar beim Staatssektor insgesamt in der Abgrenzung der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, haben derzeit (Stand 1991) die Bundesrepublik Deutschland (4,5), Belgien (5,9), Griechenland (16,7), Italien (9,5), die Niederlande (4,5) und Portugal (5,6). 1 Vgl.

J. Home, a.a.O.

50

Würde man also die genannten Kriterien als notwendige Bedingungen für einen Eintritt in die EG-Währungsunion nehmen, dann dürften bei der derzeitigen Haushaltslage strenggenommen von den EG-Ländern nur Frankreich, Großbritannien, Dänemark und Luxemburg eine Währungsunion bilden. Damit wäre sogar die Bundesrepublik Deutschland (wegen der Verfehlung des Ziels Defizitquote) ausgeschlossen.1 Stellt man dagegen die Lage der öffentlichen Haushalte in den gesamtwirtschaftlichen Zusammenhang unter Einbeziehung der Erreichung des Ziels der Preisstabilität, dann könnten bei den gegenwärtigen Bedingungen am ehesten die Länder Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, die Niederlande, Belgien, Dänemark, Luxemburg und Irland eine Währungsunion bilden (vgl. Abbildung 4). Ein Zusammenhang zwischen den hier diskutierten finanzpolitischen Indikatoren einerseits und der gesamtwirtschaftlichen Stabilität läßt sich zwar nicht grundsätzlich leugnen. Er ist offenbar aber nicht so eng, daß er mit entsprechenden quantitativen Vorgaben auf alle einzelnen EG-Länder gleichermaßen angewendet werden kann. So gibt es Länder, wie z.B. die Niederlande und Belgien, die zwar relativ hohe Staatsschuldenquoten und auch teilweise noch hohe Defizitquoten haben oder die Bundesrepublik Deutschland mit einem derzeit durch die deutsche Einheit bedingten hohen Staatsdefizit Dennoch gehen von diesen Ländern hinsichtlich der Preisstabilität eher stabilisierende Wirkungen auf die Gemeinschaft aus, während in anderen Ländern mit teilweise günstigeren Fiskalindikatoren, wie z.B. Großbritannien, die Inflationsmentalität größer ist. Allerdings gibt es auch Länder. wie vor allem Italien, Griechenland und Portugal, die sehr ungünstige Fiskalindikatoren und gleichzeitig eine hohe Inflationsmentalität aufweisen. Es gilt daher ein Verfahren zu finden, das vor allem in den letzteren Ländern die Haushaltsdisziplin erhöht, bevor sie der EG-Währungsunion beitreten, ohne daß den übrigen mehr stabilitätsorientierten Ländern unnötig hohe Hürden für den Eintritt in die Währungsunion vorgeschrieben werden. Ein derartiges Verfahren könnte so aussehen, daß alle Mitgliedsländer, welche der Währungsunion beitreten wollen, von sich aus bestimmen Die quantitativen Angaben stammen aus Schätzungen der OECD, der EG und des lfolnstituts (far die Bundesrepublik).

51

Abb.4

Staatsdefizite und Inflationsraten in der EG (1991)

Defizitquote

~

18

r ----- -------------- - - - - - - - - - - - - - - - - - - CIRL.J___ _

14 -·······------ - · · - · · - - - - - - -- - - - - - - - - - - - - - - - - 12 r---- -- - -- ···----·-···-------··-·······-···- - - - - - - - - - -···- ·· -· ·-··-··I

10 . .... -----········----------- - - - o- - ·------·····--------------- -- - - - - ----- - ----- -- ·-·-····· ·· ·········-·

8 ......... ..........- -- - ·····---------- ---- - - - - ---- - -- -···---·--······------------- -- ----- --- ------- ---------------·- - ··- ·····----8

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4

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2

4

8

8

10

12

14

18 18 20 Prelaanatleg ~

Staatsschulden und Inflationsraten in der EG (1991) ~

Schuldenquote

120

1- - -- -

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------------ -- -

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80 - -------------·--- ---·---·······-- - - -·---- - - ---·- ------ -----·---·-··Obergrenze

80~

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0

2

8

10

8

12

14

18 18 20 Prelaanatleg ~

Quellen: EG-Kommiaaion, OECD, Berechnungen dea lfo Institute.

52

1. welche Fiskalindikatoren einschl. goldene Finanzierungsregel sie zur Erreichung und Sicherung der Haushaltsdisziplin in Zukunft heranziehen wollen. Sie müssen auch bereit sein, die entsprechenden Obergrenzen in ihren Verfassungen festzuschreiben, 2. welche finanzpolitischen Konsolidierungsmaßnahmen sie bis zu Beginn der Währungsunion durchführen wollen; falls diese Obergrenzen gegenwärtig verletzt sind. Die Gesamtheit der EG-Mitgliedsländer könnte dann Fall für Fall entscheiden, ob die unter Punkt 1 genannten Fiskalindikatoren in dem entsprechenden Partnerland als ausreichend für eine Mitgliedschaft in der Währungsunion angesehen werden. Vor Beginn der Währungsunion würde dann auch ersichtlich, ob es in den Ländern, wo es derzeit, gemessen an diesen Obergrenzen, noch einen Konsolidierungsbedarf gibt, gelungen ist, die Haushaltsdisziplin herzustellen. Nur unter dieser Bedingung sollte die Mitgliedschaft möglich sein. Im Unterschied zu den EG-einheitlichen Fiskalindikatoren und ihren Obergrenzen könnten bei diesem flexibleren Verfahren die Besonderheiten und die strukturellen Unterschiede zwischen den Ländern und auch die Eigenverantwortlichkeit besser berücksichtigt werden, ohne daß das eigentliche Ziel der Haushaltsdisziplin vernachlässigt wird. Dieses besteht, wie oben erwähnt, vor allem darin, zu verhindern, daß sich die EG durch die Währungsunion wegen einer zu laxen Finanzpolitik in einigen Ländern und einem davon indirekt ausgehenden Oruck auf die Geldpolitik zu einer Inflationsgemeinschaft entwickelt.

4.

Unterschiede ln der Budgetdisziplin zwischen den EG-Ländern

ln den achtziger Jahren hatte in vielen EG-Ländern das Ziel der Konsolidierung des Staatshaushalts eine hohe Priorität. Tabelle 2 zeigt die Entwicklung der gesamten Staatsdefizite in % des Bruttosozialprodukts (Gebietskörperschaften und Sozialversicherung) in den OECD-Ländern im vergangenen Jahrzehnt. Die EG-Länder Griechenland, Italien, Belgien und - bis zum Jahr 1987 • auch Irland gehörten innerhalb der OECD-Ländergruppe zumeist zu den Ländern mit den höchsten Staatsdefiziten. Insbesondere Italien und Griechenland folgten in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre dem allgemeinen Trend der Budgetkonsolidierung nicht, und Griechenland erhöhte das Staatsdefizit von dem schon erreichten hohen Niveau sogar noch mehr. ln anderen Ländern, die ursprünglich ebenfalls hohe Defizite hatten, war der Konsolidierungskurs erfolgreicher. So wurden in Irland und Spanien und insbesondere in Dänemark nach anfänglich hohen Defiziten später teilweise Haushaltsüberschüsse erwirtschaftet. Abbildung 5 zeigt die (mit den Sozialproduktsanteilen gewogene) durchschnittliche Staatsdefizitquote in den EG-Ländern sowie die Spanne der Defizitquoten zwischen den Ländern. Im vergangenen Jahrzehnt betrug diese Spanne durchschnittlich 13, mindestens aber 9,5 Prozentpunkte; ihr Maximum erreichte sie 1989 mit beinahe 20 Prozentpunkten. Diese starke Diskrepanz zwischen den Staatsdefiziten der EG-Länder geht vor allem auf Griechenland und Italien zurück. Ohne diese beiden Hoch-Defizitländer hätte die Spanne zwischen den Defizitquoten im letzten Jahr "nur" 8 Prozentpunkte betragen. Abbildung 6 zeigt die Spanne zwischen den Defizitquoten der (alten) Bundesländer der Bundesrepublik Deutschland. Im Durchschnitt des vergangenen Jahrzehnts betrug hier die Spanne mit 3 bis 4 Prozentpunkten nur etwa ein Viertel der entsprechenden Spanne bei den EG-Ländern. ln einer Studie kam die EG-Kommission 1 im vergangenen Jahr zum Ergebnis, daß die öffentliche Verschuldung in fünf EG-Ländern unter Kontrolle ist, nämlich in der Bundesrepublik Deutschland (dies war noch vor der deutschen EG-Kommission, Public Finance and Fiscal Policy in the Community, European Economy, No. 42, Nov. 1989.

54

3,6

2,4

2,6

• 11,2 9,1

4 2

4,8

3 0

.

.

~:~:~&hgltt der europ61sehen

~~~~&hgltt der oben genannten

7,0

3,3

4,0

4,5

4,2

6,9

-

5,0

4,8

4,2

4 3

- 4,8

.

.

. .

-

3 5

4,5

2,9

5,5

7,5

6,3

.

.

. .

-

3 2

1,3

3 3

.

5,9 6,1

- 4,1

. . . . 4,4

3,9

7,9

10,4

6,0

6,4

4,8

.

• 11,6

• 12,7

- 11,8

0,8

3,4

8,8

3,7

3,0

3,2

• 14,0

.

-

.

.

5,5

2,4

• 10,1

0,1

2,0

8,7

2,5

3,3

3,2

. .

• 10,2

-

.

-

2,7 6,8

8,1

4,1

9,3

2,6

4,0

3,4

-

2,7

• 11,7

. 1,9

1,2

1,1

1,3

-

.

-

2 3

3,5

4,2

3,2

4,8

.

.

-

.

1 6

3,1

3,4

3,1

3,1

5,0

2,8 6,5

• 17,8

.

.

.

. .

• 14,5 • 21,6

1 2

2,2

5,3

2,1

1,0

5,1

2,7 9,2

-

-

0,4

6,5

2,7

1,2

1,1

3,4

• 12,0

-

.

.

.

1,4

6,8

3,1

0,7

1,5

2,6

1,2

.

-

.

.

1,4

0,2

2,7

• 10,2

-

2,0

1989

0,3

7,2

4,3

1,1

2,2

4,4

1,8

• 10,9

.

2,0

1988

2,5

.

-

-

-

• 11,1

-

2,4

3,4

0,7 2,1 - 0,9 - 1,3 - 1,8 - 2,1

1987

1986

- 12,0

.

. .

3,9 6,5

2,9

• 12,5

.

0,8

- 1,1

-

3,3

1985

0,4

7,2

-

-

.

-

.

2,8

• 11,6

.

2,1

- 1,9

-

2,8

1984

1,7

-

.

• 11,4

-

.

-

.

.

3,1

2,5

3,7

• 10,7

.

3,8

1983

1,2

.

-

.

-

0 9

2,5

4,6

2,0

1,2

5,1

• 17,2

- 1,1

2,5

0,5

6,1

1,1

2,3

0,8

-

3,0

-

0,7

• 10,2

.

3,1

- 0,8

1,3

19902 3,3

1,4

0

6,0

0,3

2,2

0,6

2,7

0,3

9,9

1,0

0,8

.

.

.

0 7

2,5

3,2

1,4

0,5

5,0

0,1

• 16,5

. .

-

.

.

.

. .

.

- 0,9

19902

.Q!!!.!.!.!.;. OECD

1 Staatliehe Finanzierungssalden ln der Abgrenzung der Volkswlrt~thaftllthen Ges!lltrethnung mit Ausnat.. der Vereinigten Staaten, Großbritannien, Austrollen und Grlee~nland, wo die Daten haushaltsllliBig abgegrenzt slnd.-5 Sehitzungen.- Ohne die Kosten der Einheit, Sehltzung 1990 und 1991 noeh fiir altes Bundesgebiet.- BSP/BIP Gewlthte und llec:hselkurse des Jahres 1987.- Soweit ln der Tabelle erfaßt •

-

- 5,1

5,3

Schweden

5,6

4,4

-

3,9

4,7

5,5

. .

Spanien

Norwegen

-

- 13,3

Niederlande

- 7,6 - 14,1 - 7,1

• 10,9

0,6

Irland

1,2

Gri eehen land

Finnland

-

6,9

-

3,4

- 13,1

Dlne111rk

1,8

Belgien

1,1

4,1

-

5,9

-

.

.

1,2

2,9

.

-

1,5

. .

Österreith

Austral ien

~~~=~·hn I tt der oben genannten

Kanada

GroBbri tanni en

• 11,3

2,8

• 11,6

.

Italien

1,9

.

- 3,3

-

3,6

1982

Fronkreith

3,8

1,1

1981

- 3,7

-

Gesellte staatlithe Finanzierungssalden der OECO-Linder

Übersthuß (+) oder Defizit (-) in % des Bruttosozialprodukts/Bruttoinlandsprodukts1

Bundesrepub1i k Oeutsth land3

Japan

Vereinigte Staaten

Land

Tabelle 2

g

79

80

.

81

82

83

~----,--·-

84

Quellen: OECD, EUROSTAT, ifo Institut.

X

-

~-

86

87

88

0

ooh

5%

10%

15%

20%

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- - -,---- t-

·*

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·-----------··-·· --- - ·--~ --- -- - H··- - --

Niedrigster Wert

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a)

~~----x____

Durchschnittswert

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Höchster Wert

a) Mit den Bruttoinlandsprodukten gewogen.

-5%

5%

1 Oo/o

15%

20%

in % des Bruttoinlandsprodukts

Staatsdefizite in den EG-Ländern (11

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a: c:

g:

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c.n ...,

81

82

·------·T -

83

84

-

Quellen: BMF Finanzberichte, ifo Institut.

80

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85

86

87

88

*.·· .··*

89

2%

3%

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*

4%

0% f

79

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*

--·---,------., 5%

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Durchsehn i ttswert

*··· ... *· . . ·*····· ... .*

Höchster Wert

· ----·· - - - - - - - - - - -···---·-· - ·---·

in % des Bruttoinlandsprodukts

1%

2%

3%-

4%

5%

Haushaltsdefizite in den (alten) Bundesländern der Bundesrepublik Deutschland C7)

CO

::J

~

2:

a: c:

Vereinigung), Großbritannien, Frankreich, Dänemark und Irland. ln drei weiteren Ländern, nämlich in Belgien, Spanien und Portugal, könnte sie bei Fortsetzung ihrer restriktiven Haushaltspolitik bis zum Jahr 1993 unter Kontrolle gebracht werden. Demgegenüber seien in Griechenland, Italien und in den Niederlanden noch weit größere Anstrengungen als bisher er1orderlich. Auch ein Jahr später kritisierte die EG-Kommission, daß die Staatsdefizite in Italien und Griechenland viel zu hoch und diese Finanzpolitik wegen der mittelfristigen Schuldenbelastung nicht durchzuhalten sei. Als weniger kritisch, aber durch zusätzliche Konsolidierungsmaßnahmen weiter verbesserungsfähig, wurde die Lage in Belgien, Irland, den Niederlanden und Portugal eingestuft. Für die Bundesrepublik wurde auf das Haushaltsrisiko durch die Wiedervereinigung hingewiesen. 1 Die OECD2 kommt zu einer ähnlichen Beurteilung. Dabei wird die Finanzpolitik als unsolide bezeichnet, wenn die Staatsverschuldung schneller ansteigt als das Sozialprodukt, die Staatsschuldenquote also ständig zunimmt. Dies ist dann der Fall, wenn der nominale Zinssatz höher ist als die Zuwachsrate des Sozialprodukts in laufenden Preisen und wenn gleichzeitig der um die Zinsausgaben bereinigte staatliche Finanzierungssaldo ein Defizit oder nur einen geringen Überschuß aufweist. Die Tabellen 2 und 3 zeigen, daß nach dieser Methode insbesondere die drei Länder Italien, Griechenland und die Niederlande finanzpolitischen Konsolidierungsbedar1 haben. Die Berechnungen für die Bundesrepublik Deutschland in Tabelle 2 berücksichtigen allerdings die Haushaltsbelastungen durch die deutsche Vereinigung noch nicht. Würde das gesamte Staatsdefizit (Gebietskörperschaften und Sozialversicherung in der Abgrenzung der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung) in den kommenden Jahren bei etwa 3 bis 3 1/2 % des Bruttoinlandsprodukts liegen - dies ist die Prognose der Wirtschaftsforschungsinstitute für das Jahr 1991 -dann wären dies rund 2 Prozentpunkte mehr als in den vergangenen fünf Jahren. Das Staatsdefizit (als Anteil am Bruttoinlands- bzw. Bruttosozialprodukt) wäre dann in der Bundesrepublik zwar noch deutlich

Vgl. European Economy, No. 46, Dec. 1990.

2 OECD, Economic Outlook, June 1990.

58

U1 CO

3,8

6,4

79,0 122,6 57,2 29,3

Irland

Niederlande

Spanien

+ 1,6

+ 1,7 + 1,0

- 1,0 + 0,8

+ 0,2

- 0,7 + 2,7

+ 5,1

5,8 +

+ 5,8

- 3,0 + 7,8

1,5 + 1,9

+

+ 0,4

- 0,6

+ 4,9

+ 4,5

- 5,9

- 0,2

- 0,4 + 0,3

+ 3,9

- 5,8

+

+ 1,5

2,1

nigte~

Saldos

Veränderung des berei-

+ 3,5

+

+ 3,5

+ 1,0

+ 0,7

- 1,4

+ 0,4

bereinigter Finanzierungssaldo4

+ 0,8

Zyklisch bereinigt

Zur Stabilisierung der Schuldenquote notwendig

Quelle: OECD, Econ011ic Outlook June 1990.

1 Staatsschuld (netto) in% des BSP/BIP. - z In Prozentpunkten. - 3 In %des BSP/BIP. - 4 Berechnet durch Multiplikation der Spalten 1 und 2. - 5 Differenz zwischen den Spalten 5 und 4. - 6 Ohne Berücksichtigung der Belastungen durch die deutsche Einheit.

3,4

2,9

4,1

2,4

23,1

Dänemark

Griechenland

2,4

+ 4,2

+

3,2

Belgien

4,5

32,9 122,4

Großbritannien

- 1,1

+ 1,0

3,7

3,7

+ 1,4

Tatsächlich

94,3

25,4

Frankreich

2,0

Differenz zwisehen Zinssatz und Wirtsch)ftswachs tu

Italien

21,9

Staatsschuldenquote1

Um Zahlungen bereini~ter Finanzierungssaldo

Durchschnitt der Jahre 1990/91

OECD-Indikatoren für finanzpolitische Solidität der EG-Länder

Bundesrepublik Deutschland6

Land

Tabelle 3

geringer als in den Hoch-Defizitländern (Griechenland rund 17 %, Italien rund 10%, Niederlande rund 5 %). Der Indikator für die haushaltspolitische Solidität ist aus heutiger Sicht für die Bundesrepublik ungünstiger als in Tabelle 3 ausgewiesen. Dies gibt einen deutlichen Hinweis, daß die Bundesrepublik nach der gegenwärtigen Ausnahmesituation mittelfristig wieder zu geringeren Staatsdefiziten kommen muß. Ansonsten würde die Staatsschuldenquote laufend steigen mit der Folge, daß eine zunehmende Belastung mit Zinsausgaben den finanzpolitischen Handlungsspielraum immer mehr einengt.

5.

Koordlnlerung der Finanzpolitik in ausgewählten föderalistischen Staaten

Bei der Frage, ob und wie stark bei einer EG-Währungsunion die finanzpolitische Autonomie der einzelnen Mitgliedsländer beschnitten werden soll, wird immer wieder - wenn auch mit unterschiedlichen Schlußfolgerungen - auf die Situation in Ländern mit stark föderalistischer Staatsstruktur verwiesen. Dazu zählen vor allem die Bundesrepublik Deutschland und die Vereinigten Staaten, aber auch kleinere Länder wie die Schweiz und Österreich. Im folgenden wird untersucht, ob und in welcher Art die Finanzpolitik in diesen Ländern koordiniert wird und insbesondere ob es Begrenzungen bei der Staatsverschuldung der Einzelstaaten und Gemeinden gibt. 5.1

Vereinigte Staaten

Der historische Rückblick zeigt, daß in den Vereinigten Staaten die Koordinierung der Finanzpolitik zwischen den verschiedenen Ebenen nahezu keine Rolle spielt. Eine lange Tradition hat hingegen die Begrenzung öffentlicher Schulden. 1 Als erster Einzelstaat nahm Rhode lsland im Jahr 1842 eine Schuldenbegrenzung in seine Verfassung auf. Im Zeitraum 1820 bis 1837, in dem das Wirtschaftswachstum sehr stark war, wurden viele große öffentliche Infrastrukturprojekte durchgeführt (Eisenbahnen, Kanäle usw.). Die öffentlichen Anleihen waren dabei ein wichtiges Finanzierungsinstrument Die Staaten investierten das damit aufgebrachte Kapital in Aktien der privaten Gesellschaften, welche diese Infrastrukturprojekte bereitstellten. Mit Hilfe der Gewinnausschüttungen dieser Gesellschaften wollten die Staaten dann Zinsen und Tilgungen für die öffentlichen Anleihen leisten. Während des wirtschaftlichen Einbruchs, der im Jahr 1837 begann, brach dieses Finanzierungsmodell aber zusammen, da die Gesellschaften keine Gewinne mehr erwirtschaften und somit die Staaten ihren Schuldendienst nicht mehr leisten konnten. Viele Vgl. zum folgenden: J.R. Aronson, J.L. Hilley, Financing State and Local Governments, Studies of Government Finance, The Brookings Institution, Washington 1986; M.H. Grunhol, A Fundamental Flow of Debt Limitations for State and Local Governments, in: Journal of Accounting and Public Policy Vol. 3, Nr. 4, 1984; J.N. Danziger, P. Smith Ring, Fiscal Limitations: A Selective Review of Recent Research, in: Public Administration Review, Vol. 42, Jan./Febr. 1982, Nr. 1.

61

Einzelstaaten führten daraufhin in den Folgejahren Schuldenbegrenzungen ein. Viele Städte und Gemeinden folgten ihnen. Es werden derzeit vor allem zwei Arten der Schuldenbegrenzungen eingesetzt. Nach der ersten Art dürfen die Regierungen zwar Kredite aufnehmen, aber nur für bestimmte Projekte, die darüber hinaus noch vom Wählervotum abhängig sind. Nach der zweiten Art dürfen Kredite nur in bestimmten außergewöhnlichen Situationen (z.B. bei Landesverteidigung oder bei Haushaltsnotlagen) und innerhalb bestimmter Grenzen (z.B. als Prozentsatz des steuerlich veranlagten Grundvermögens) augenommen werden. Die Regelungen in den 50 Einzelstaaten sind in Tabelle 4 dargestellt. Es zeigt sich, daß es zumeist sehr enge Begrenzungen für die staatliche Kreditfinanzierung gibt. Die Wirksamkeit der Verschuldungsgrenzen ist allerdings umstritten. So gibt es eine Reihe von Umgehungsmöglichkeiten. Der Staat kann z.B. anstelle des Kaufs eines Investitionsprojekts und der damit notwendigen Kreditaufnahme die Nutzung des Projekts durch Leasing sicherstellen oder sogar öffentliche Einrichtungen verkaufen und sie zurückleasen. ln diesen Fällen entstehen zwar für den Staat ebenfalls Verpflichtungen, die auch den zukünftigen Handlungsspielraum einschränken. Diese werden aber in der offiziellen Schuldenstatistik nicht erfaßt. Zu der Frage, wie im Rahmen der staatlichen Schuldenbegrenzungen der Begriff "Schuld" zu definieren ist, gibt es in den Vereinigten Staaten keine einheitliche Rechtsprechung. Als unzeitgemäß und problematisch kritisiert wird auch die häufige Verknüpfung der Verschuldungsgrenzen mit den Werten des veranlagten Grundvermögens. Schließlich wird auch bemängelt, daß Einzelstaaten mit engen Verschuldungsgrenzen ihre Finanzierungsprobleme dadurch lösen, daß sie Aufgaben auf die lokale Ebene verlagern, was allerdings nur dann möglich ist, wenn dort nicht ähnliche Begrenzungen bestehen. Tabelle 5 zeigt, daß in den Vereinigten Staaten der weitaus größte Teil der Staatsschuld auf die Bundesebene und ein weitaus geringerer Teil auf die einzelstaatliche und die lokale Ebene entfällt. Auch wurde der Anstieg der staatlichen Schuldenquote in den achtziger Jahren zum überwiegenden Teil durch den Bundeshaushalt verursacht. Falls es in den vergangenen Jahren

62

Tabelle 4

REGELUNGEN ZUR BEGREIIZUIIG DER STAAlSVERSCHULDUNG IN DEN

--

MERIKANISCHEH EINZELSTAATEN, STA!Il 1986

lillmi..UMm! Aloboma Aluko Arlaona Arkansaa

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(F\alnoten a. folv. Seiten!

63

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X(39) X(U) X(ll) X X X(40) X(2S) X(ll) X(IB) (42)

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Fußnoten zu Tabelle 4

2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28

29

Gouverneur kann bis zu 300 000 Dollar Kreditaufnahme erlauben. Spezielle Anleihenbegebung durch verfassungsmäßige Ergänzung erlaubt. Zwei Drittel Parlamentsmehrheit erforderlich. Einfache Parlamentsmehrheit erforderlich. Für Zinszahlung und Tilgungen muß Vorsorge getroffen sein. Gilt nur in besonderen Fällen bei Staatsgebäuden. Bei Autobahnbau. Schuldenstand darf das 4,5-fache der gesamten Steuereinnahmen des vorangegangenen Fiskaljahres nicht überschreiten. 75% Parlamentsmehrheit erforderlich. Tilgungsverpflichtungen dürfen 50 % der gesamten staatlichen Steuereinnahmen der beiden vorangegangenen Fiskaljahre nicht überschreiten. Schuldendienst darf 1o % der gesamten Steuereinnahmen des der Schuldenaufnahme vorangegangenen Fiskaljahres nicht überschreiten. Erlaubt bei einfacher Parlamentsmehrheit, falls Schuldendienst in keinem Jahr 18,5% der gesamten Steuereinnahmen (Dreijahresdurchschnitt) nicht überschreitet. Erfordert 60 %ige Parlamentsmehrheit. Bis maximal15 % der Beträge zur DefizitabdeckunQ bei außergewöhnlichen Mindereinnahmen. Rückzahlung nach einem Jahr. Oder 60 %ige Parlamentsmehrheit. Bei diesem Zweck keine Obergrenze. Zeitweilige Darlehen dürften 10 % der allgemeinen und Straßenbauausgaben oder 1 % des gesamten Staatsvermögens nicht überschreiten. Schuldenfinanzierung für besondere Anlässe (z.B. für staatliche Darlehen). Für Darlehen im Vorgriff auf erwartete Einnahmen. Kurzfristige Kassenkredite innerhalb eines Jahres in HOhe von 15 % der ungebundenen Einnahmen des Vorjahres, Kredite für Schuldarlehensprogramm und für Verkehrsbereich. Anleihenfinanzierung darf das 1,5-fache der Gesamteinnahmen in einem der vier vorangegangenen Jahre nicht übersteigen. Bis maximal 1 % des steuerlich veranlagten Vermögenswertes im Vo~ahr. Bis maximal 1 % der gesamten Staatsausgaben. Bis maximal zwei Drittel des Betrages, um den die Staatsschuld im vorangegangenen Zweijahreszeitraum abgenommen hat. Kredite zur Erneuerung und zum Erwerb von Wald bis maximal 3/16 von 1 % des nach dem Wert besteuerten Grundvermögens im Staate. Kredite für staatliche Wälder bis maximal 3/16 von 1 % des nach dem Wert besteuerten Grundvermögens im Staate. Erweiterungen möglich und bei Bau und Erneuerung von Straßen. Volksabstimmung nicht erforderlich bei Krediten für Investitionen, falls Netto-Staatsschuld das 1,75-fache der Steuereinnahmen im vorangegagenen Dreijahresdurchschnitt nicht übersteigt. Volksabstimmung nicht erforderlich bei Krediten für •normale Zwecke des Staates•. Volksabstimmung erfordert zwei Drittel Parlamentsmehrheit. Begrenzung bei außergewöhnlichen Defiziten in Abhängigkeit der Steuereinnahmen des Vorjahres. Begrenzung bei Staatskrediten für Investitionen in Abhängigkeit der Steuereinnahmen der drei vorangegangenen Jahre bei einfacher Parlamentsmehrhelot und Volksabstimmung Ober das Projekt. Schuldenstand darf nicht so hoch werden, daß der Schuldendienst 9 % der Staatseinnahmen im Durchschnitt der vorangegangenen drei Jahre überschreitet.

64

Fußnoten zu Tabelle 4 30 Volksentscheid erforderlich, falls Kreditaufnahme die HOhe der laufenden Steuereinnahmen Oberschreitet 31 Für Staatsschuld bis 1.3.1959 als Verfassung wirksam wurde. 32 Einfache Parlamentsmehrheit kann Kreditfinanzierung bei Naturkatastrophen genehmigen. 33 Vorausfinanzierung erwarteter Steuereinnahmen in HOhe des im Durchschnitt des vorangegangenen Zweijahreszeitraums möglich. 34 Kreditfinanzierung für Autobahnbau und Wasserversorgung und ähnliche Zwecke möglich. 35 Staatskredite müssen innerhalb von 15 Jahren getilgt sein. 36 Kredtifinanzierung mit zwei Drittel Parlamentsmehrheit möglich. Nicht notwendig bei kurzfristigen Krediten, finanzierung der Schuldarlehen und für Darlehen im Verkehrsbereich. 37 Volksentscheid nicht nOtig für Refinanzierungen, falls Schuldendienst verringert wird. 38 Bei über 200 000 Dollar. 39 Bis 1 % des steuerlich veranlagten Grundvermögens des vorangegangenen Jahres. 40 Die staatliche lndustriefinanzierungsbehOrde kann bis zu 90 Millionen Dollar Kredite für Darlehensgewährung aufnehmen. 41 Bis maximal 5% der Staatseinnahmen des Vorjahres. 42 Überschreitung möglich bei außergewOhnlichen Ausgaben mit zwei drittel Parlamentsentscheid. Quelle: Advisory Commission on lntergovemmental Relations, Significant Features of Fiscal Federalism, 1987 Edition

65

~

50,6 6,9 42,5

Bund Staaten Gemeinden 66,8 5,8 27,4

66,6 44,4 3,9 18,3

60,5 40,4 3,5 16,6

1939

348,8 284,7 16,9 47,2

Mrd. Dollar

1959

500,7 367,1 39,6 94,0

1969

71,5 58,4 3,5 9,7

53,0 38,9 4,2 10,0

92,4 1,5 6,2

81,6 4,8 13,5

73,3 7,9 18,8

in % der gesamten Staatsschuld

106,0 97,9 1,5 6,5

in % des Bruttosozialprodukts

273,7 252,8 4,8 16,9

1949

Quelle: Advisory Commission on Intergovernmental Relations

32,3 16,3 2,2 13,7

33,4 16,9 2,3 14,2

1929

1980

73,1 9,8 17,1

47,5 34,7 4,6 8,1

1 249,9 914,3 122,0 213,6

Entwicklung der Staatsverschuldung in den Vereinigten Staaten

Gesamte Staatsschuld Bund Staaten Gemeinden

Gesamte Staatsschuld Bund Staaten Gemeinden

Tabelle 5

75,7 9,0 15,3

56,8 43,0 5,1 8,7

2 081,7 1 576,7 186,4 318,7

1984

'

I

bei den Einzelstaaten nicht zu massiven Verlagerungen staatlicher Finanzierungsformen auf Leasing oder ähnliche Instrumente gekommen ist, kann zumindest aus globaler Sicht den staatlichen Schuldenbegrenzungen eine Wirksamkeit nicht abgesprochen werden. 5.2

Bundesrepublik Deutschland

ln der Europäischen Gemeinschaft ist die Bundesrepublik Deutschland das Land mit den am stärksten ausgeprägten föderalistischen Strukturen. Über Haushalts- und Finanzmaßnahmen wird auf drei staatlichen Ebenen entschieden: im Bundestag, in den Länderparlamenten und in den Gemeinderäten. Die deutschen Erfahrungen mit der finanzpolitischen Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen regionalen Körperschaften können möglicherweise Aufschluß über Formen, Umfang und Notwendigkeit einer Koordinierung der Finanzpolitik auf EG-Ebene geben. Im Zusammenhang mit der Diskussion um bindende Regeln für die Haushaltsdefizite der EG-Länder interessiert vor allem, wie in der Bundesrepublik die Kreditaufnahme des Bundes, der Länder und der Gemeinden geregelt ist. Allgemeine Leitlinien für die Haushaltsführung der öffentlichen Hände in der Bundesrepublik Deutschland sind in Artikel 109 des Grundgesetzes niedergelegt. Danach haben Bund und Länder "bei ihrer Haushaltswirtschaft den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Rechnung zu tragen". Artikel 109 besagt weiter, daß mit Zustimmung des Bundesrates Gesetze erlassen werden können, die für Bund und Länder gemeinsam geltende Grundsätze für das Haushaltsrecht, für eine konjunkturgerechte Haushaltswirtschaft und für eine mehrjährige Finanzplanung aufstellen. Außerdem können durch Bundesgesetze "zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Vorschriften über Höchstbeträge, Bedingungen und Zeitfolge der Aufnahme von Krediten durch Gebietskörperschaften und Zweckverbände" erlassen werden. Im Geiste dieser Prinzipien ist das "Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft" (StWG) entstanden. Nach den Bestimmungen der §§ 19 und 20 StWG kann zur "Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts" die Kreditbeschaffung des Bundes, der Länder und der Gemeinden für eine bestimmte Zeit beschränkt werden.

67

Während in Artikel 109 des Grundgesetzes die Haushaltsprinzipien allgemein formuliert sind, bezieht sich Artikel 115 GG speziell auf die Kreditaufnahme. Danach dürfen "die Einnahmen aus Krediten die Summe der im Haushaltsplan veranschlagten Ausgaben für Investitionen nicht überschreiten; Ausnahmen sind nur zulässig zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts". Die Kreditfinanzierung des Bundeshaushalts ist also an die Höhe der veranschlagten Investitionsausgaben des gleichen Haushaltsjahres gebunden. Bei Störungen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts kann von dieser Regel abgewichen werden. Grundsätze speziell für die Kreditaufnahme finden sich auch in den Länderverfassungen. Einige Länder haben die Bestimmungen des Artikels 115 GG übernommen und binden den Umfang der Kreditaufnahme an die Höhe der Investitionen. Es sind dies: Baden-Württemberg, Niedersachsen, NordrheinWestfalen, Ahainland-Pfalz und Saarland. ln drei Ländern, nämlich Hamburg, Hessen und Schleswig-Holstein, können Kredite zur Finanzierung von "Ausgaben für werbende Zwecke" aufgenommen werden. ln Berlin sind Kreditaufnahmen auf Ausgaben für "Anlagen von bleibendem Wert" beschränkt. Bremen und Bayern haben in ihren Verfassungen keinerlei Kreditbindungsregeln niedergelegt. ln Bayern enthält jedoch die Haushaltsordnung eine dem Artikel 115 GG analoge Bestimmung. Die Richtlinien für Kreditaufnahme auf Gemeindeebene sind in den Gemeindeordnungen der Länder niedergelegt, die nach 1974 vereinheitlicht wurden (Smekal, 1987). Durch Bundesverordnung kann nur im Rahmen des Stabilitätsgesetzes (die sogenannte Schuldendeckelverordnung des § 19 StWG) eine Begrenzung der Kreditaufnahme der Gemeinden verfügt werden. Die Kreditaufnahme ist den Gemeinden grundsätzlich nur erlaubt, wenn eine andere Finanzierung nicht möglich ist oder wirtschaftlich unzweckmäßig wäre. Die "wirtschaftliche Zweckmäßigkeit" ist weit interpretierbar. Direkte Kreditbeschränkungen sind zwar nicht vorgesehen, indirekt bestehen sie jedoch durch die Gemeindeaufsicht, die offenbar sehr wirksam die Kreditaufnahme kontrolliert. Die aufsichtsbehördliche Genehmigung bezieht sich auf den Gesamtbetrag der vorgesehenen Kreditaufnahme. Die Verwendung der Kredite ist an Investitionen, lnvestitionsfördermaßnahmen und Umschuldungen gebunden. Kriterium für die Zulässigkeit der Kreditaufnahme ist die finanzielle Leistungs-

68

fähigkeit der Gemeinden, die an den Nachweis der zukünftigen jährlichen Schuldendienstleistungsfähigkeit gekoppelt ist (Smekal, 1987). Häufig sind die Gemeinden zu prozyklischem Verhalten gezwungen, wenn zum Beispiel konjunkturbedingte Einnahmenausfälle auftreten und dadurch eine Anpassung der Ausgaben nach unten erforderlich ist. Im Zusammenhang mit der Neuordnung der finanzpolitischen Zusammenarbeit zwischen den EG-Ländern nach der Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion ist insbesondere die Regelung des Artikels 115 GG interessant. Hierbei handelt es sich um eine bindende Haushaltsregel, wie sie in anderen föderativ strukturierten Staaten, wie etwa in der Schweiz oder Österreich, nicht zu finden sind. Mit der Verankerung einer solchen Regel im Grundgesetz allein ist aber eine Haushaltsdisziplin nicht gewährleistet. Wichtig ist, ob die Regelung so formuliert ist, daß Umgehungen mehr oder weniger ausgeschlossen sind. Die Bedeutung von Artikel 115 GG ist nicht nur durch die Ausnahmeregelung für Störungen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts relativiert. Hinzu kommt die inhaltliche Unschärfe der Begriffe "öffentliche Investitionen" und "gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht". Zieht man als Kriterium für Investitionen ihre Zukunftswirksamkeit heran, so bestehen die Schwierigkeiten der Abgrenzung für die öffentliche Hand darin, daß der größte Teil der öffentlichen Investitionen zukunftswirksam ist (Wissenschaftlicher Beirat beim BMF, 1980). So stellt sich die Frage, ob Ausgaben für das Humankapital oder finanzielle Hilfen für Privatinvestitionen in den Begriff der öffentlichen Investitionen einbezogen werden sollen oder ob er auf die Sachausgaben beschränkt werden soll. Der Wissenschaftliche Beirat beim BMF (1980) plädierte für eine enge Fassung des Investitionsbegriffs und somit eine Berücksichtigung nur der Sachinvestitionen (ohne die Ausgaben für die Beschaffung von Anlagen und langlebigen Gütern im Verteidigungsbereich). Die Frage der Finanzierung der deutschen Einheit hat die Dehnbarkeit des Begriffs "öffentliche Investitionen" wieder erhellt. Können die Ausgaben für die deutsche Einheit als öffentliche Investitionen im Sinne des Artikels 115 GG definiert und damit mit Krediten finanziert werden, weil sie zweifellos als "zukunftswirksam" einzustufen sind (Krause-Junk, 1990)? Nicht weniger interpretationsfähig ist der Begriff des "gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts". Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers (§ 1 StWG) ist ein

69

gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht vorhanden, wenn gleichzeitig Stabilität des Preisniveaus, hoher Beschäftigungsstand, außenwirtschaftliches Gleichgewicht und angemessenes Wirtschaftswachstum gegeben sind. Eine wirtschaftspolitische Orientierung am gesamtwirtschaftlichen Gleichgewicht kann eine ganze Palette unterschiedlicher Haushaltspolitiken zulassen. Politik und Politikberatung werden unterschiedliche Rezepte anbieten, je nachdem, welches Modell über die wirtschaftlichen Wirkungszusammenhänge als relevant angesehen wird (Krause-Junk, 1980). Wann ist bei einer Störung des Gleichgewichts ein Überschießen der Kreditaufnahme über die Investitionsausgaben gerechtfertigt? Es ist offensichtlich, daß Artikel 115 GG eine am gesamtwirtschaftlichen Gleichgewicht orientierte Finanzpolitik, wie es Artikel 109 GG fordert, nicht garantieren kann. Berücksichtigt man ferner, daß sich die Volkswirtschaften permanent in einer Ungleichgewichtssituation befinden und das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht so gut wie nie zu erreichen ist, so wird argumentiert, daß Artikel 115 GG mehr oder weniger immer außer Kraft gesetzt werden kann. Er wäre dann letztlich niemals anwendbar (Wenzel, 1990). Diese Argumentation verkennt allerdings, daß in der Realität im allgemeinen nur Rezessionsphasen als Ungleichgewichte angesehen werden, die eine im Vergleich zu den Investitionen höhere staatliche Kreditaufnahme rechtfertigen. ln der Diskussion um Artikel 115 GG wird auch die ökonomische Rationalität dieser Regel in Frage gestellt (Wenzel, 1990). Es könne nämlich sein, daß für einen konsummaximalen Wachstumspfad die private Ersparnis einer Volkswirtschaft zu hoch ist und sich daraus die Notwendigkeit von Budgetdefiziten, also einer negativen staatlichen Ersparnis, ergeben kann, die auf Dauer die Ausgaben für öffentliche Investitionen überschreiten. Artikel 115 GG dürfte aber trotz aller Einwände, die gegen ihn vorgebracht werden können, nicht überflüssig sein. Er ist eine Leitlinie, die immerhin bewirkt, daß eine hohe staatliche Kreditaufnahme einer besonderen Begründung bedarf und damit eine Bremse für ein ungezügeltes Wachstum der Staatsausgaben vorhanden ist.

70

5.3

Schweiz

ln der Schweiz ist das föderalistische Prinzip sehr stark ausgeprägt. Neben dem Zentralstaat gibt es 26 Kantone und 3000 Gemeinden mit ausgeprägter Eigenständigkeit. Angesichts der Verschiedenartigkeit der Sprachen und auch der Kultur wird häufig die Frage gestellt, ob nicht gerade der Schweizer Föderalismus ein Modell für die Europäische Gemeinschaft sein könnte. Um dies zu überprüfen, wird im folgenden die Rolle der Finanzpolitik im Rahmen der gesamten Makropolitik und die Koordinierung der Finanzpolitik zwischen den verschiedenen Entscheidungsträgern näher untersucht. Aufgabenverteilung im Bereich der Makropolitik Im Bereich der Makropolitik wird der Geldpolitik die größte Bedeutung beigemessen. Die Schweizer Nationalbank ist unabhängig von der Regierung. Vor wichtigen Entscheidungen müssen sich Nationalbank und Regierung gegenseitig informieren. Die Aufgabe der Geldpolitik ist es, für Preisstabilität zu sorgen. Zu diesem Zweck verfolgt sie das Ziel eines stetigen mittelfristigen Geldmengenwachstums, wobei die derzeitige jährliche Erhöhung der monetären Basis mit 1 % im internationalen Vergleich äußerst gering ist. ln Krisenzeiten sind Abweichungen vom mittelfristigen Geldmengenziel allerdings erlaubt. Bei Rezessionen und/oder im Falle einer vermuteten Überbewertung der Währung wird ein höheres Geldmengenziel gesetzt. Bei vermuteter Unterbewertung gilt das Umgekehrte. Gegenwärtig wird diskutiert, ob zur Erhöhung der Glaubwürdigkeit diese Leitlinien der Geldpolitik in einem besonderen Gesetz fixiert werden sollen. Die Aufgabe der Finanzpolitik ist es, mittelfristig für einen Ausgleich des Staatshaushalts zu sorgen. Es wird darauf vertraut, daß die sogenannten automatischen Stabilisatoren des öffentlichen Finanzsystems (z.B. Arbeitslosenversicherung) größere konjunkturelle Schwankungen verhindern. Eine antizyklische Finanzpolitik im Sinne eines fine tuning wird also abgelehnt. ln schweren Rezessionen sind allerdings auch antizyklische finanzpolitische Maßnahmen erlaubt. Dabei sollen die Staatsausgaben dort erhöht werden, wo sie besonders beschäftigungsintensiv sind. Um das Budgetdefizit möglichst

71

gering zu halten, sollen aber eventuell gleichzeitig in anderen weniger beschäftigungsrelevanten Bereichen Ausgaben eingeschränkt werden. Bei einem mittelfristig ausgeglichenen Staatshaushalt bleibt die Staatsverschuldung gering. Dies erhöht das Vertrauen in die Geldpolitik, weil eine Monetisierung der Staatsschuld und damit eine schuldenbedingte lnflationierung nicht zu befürchten ist. Die Inflationserwartungen bleiben also vergleichsweise gering und damit auch die Zinssätze, was andererseits auch wieder den Budgetausgleich erleichtert. Koordinierung der Finanzpolitik Da in der Schweiz die Finanzpolitik mehr mittelfristig orientiert ist und überdies mit dem mittelfristigen Budgetausgleich ein klares Ziel vorgegeben ist, muß naturgemäß zwischen den verschiedenen öffentlichen Haushalten weniger koordiniert werden als dies bei einer antizyklischen Finanzpolitik im Sinne eines fine tuning der Fall wäre. Eine gewisse Koordinierung wird dennoch als notwendig angesehen. Die Grundlage für eine Koordinierung der Finanzpolitik wird seit 1978 in Artikel 31 quinquies. paragraph 3, gelegt. Dort heißt es, daß Bund, Kantone und Gemeinden bei ihrer Haushaltsaufstellung den gesamtwirtschaftlichen Erfordernissen Rechnung tragen sollen. Dies entspricht dem Artikel 109 des deutschen Grundgesetzes. Die Schweizer Bundesregierung kann nach diesem Verfassungsartikel zeitlich befristete Steuerzuschläge oder Vergünstigungen beschließen. Es können in Boomphasen befristete Kassenreserven gebildet und in Rezessionsphasen Beschäftigungsprogramme beschlossen werden. Auch hier sind Ähnlichkeiten mit dem Stabilitäts- und Wachstumsgesetz in der Bundesrepublik Deutschland unverkennbar. Nach dem Finanzgesetz hat die Bundesregierung auch einen mittelfristigen Finanzplan aufzustellen, sie ist ferner bevollmächtigt, die Finanzplanung zwischen den verschiedenen staatlichen Ebenen zu koordinieren und kann zu diesem Zweck auf die Zuweisungen an Kantone und Gemeinden variieren. Obergrenzen für jährliche Budgetdefizite gibt es nach der Verfassung für keine Haushaltsebene. Auf jeder Ebene muß aber die Kreditaufnahme naturgemäß vom jeweiligen Parlament genehmigt werden (Finanzgesetz Art. 2). Nach dem Nationalbankgesetz unterliegt die Aufnahme öffentlicher Anleihen auch

72

der Kontrolle durch die Emissionskommission. Die finanzpolitische Koordinierung hat sich in der Praxis als schwierig erwiesen. Selbst in Rezessionsphasen wie 1975 und 1982 gelang es nicht, alle Ebenen auf einen gemeinsamen antizyklischen Kurs zu bringen. Zur Rezessionsbekämpfung wurden daher spezielle Beschäftigungsprogramme auf Bundesebene eingesetzt. Diese sollen neben dem gesamtwirtschaftlichen Beschäftigungsziel auch soweit möglich den regionalen Unterschieden Rechnung tragen. Die Bemühungen um eine Koordinierung der Finanzpolitik wurden schon zu Beginn der siebziger Jahre aufgenommen. Zunächst wurden Empfehlungen zur Haushaltsgestaltung gegeben, dann Richtlinien, die etwas mehr verpflichtend waren. Diese enthielten Vorgaben zur Begrenzung der Staatsausgaben oder der Budgetsalden (z.B. auf das Vorjahresniveau). ln den meisten Jahren diente diese Art der Koordinierung dazu, Konjunkturüberhitzungen zu verhindern, hatte also einen restriktiven Charakter. Das Instrument der Richtlinien wurde aber in den achtziger Jahren kaum noch eingesetzt. Zum einen wegen der erheblichen Prognoseunsicherheiten, welche die eindeutige Festlegung des finanzpolitischen Kurses erschwerten. Zum anderen waren - mit Ausnahme der Rezession 1982 - die konjunkturellen Schwankungen weniger ausgeprägt. Im Jahr 1990 wurde der Informationsaustausch zwischen den Haushaltsebenen wieder aufgenommen. Es ist beabsichtigt, die gesetzliche Grundlage für die finanzpolitische Koordinierung zu verbessern. Zu diesem Zweck soll auf der Grundlage des Verfassungsartikels 31 quinqies ein neues Gesetz geschaffen werden, das die Voraussetzungen für eine in kurz- und mittelfristiger Sicht adäquate Finanzpolitik aller Ebenen verbessert. Zu diesem Zweck wurde eine Expertenkommission eingesetzt. Nach dem bisherigen Stand der Diskussion dürfte die Art der Koordinierung über den Charakter von Empfehlungen nicht hinausgehen. 5.4

Österreich

Ähnlich wie in der Bundesrepublik Deutschland (Artikel1 09 GG) sind in Österreich Bund, Länder und Gemeinden verpflichtet, bei ihrer Haushaltsführung die Sicherstellung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts anzustreben (Artikel13, Absatz 2 der Bundesverfassung). Eine verfassungsmäßige Begrenzung der öffentlichen Kreditaufnahme existiert jedoch nicht. Auch in Haus-

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haltsgasatzen des Bundes oder der Länder gibt es keine Verschuldungsobergrenzen analog dem Artikel115 GG der Bundesrepublik Deutschland. Gleichwohl unterliegt auf Bundesebene die Aufnahme von finanzschulden einer strengen Gesetzmäßigkeitskontrolle. Jede Kreditoperation bedarf einer gesetzlichen Ermächtigung. Die jährliche Kreditaufnahme des Bundes wird zu Beginn des Haushaltsjahres im Bundesfinanzgesetz festgelegt, wobei die Obergrenze sich nach der Höhe des zu diesem Zeitpunkt veranschlagten Überschusses der Ausgaben über die Einnahmen bemißt. Überschreitungen dieser Grenzen bedürfen der Zustimmung des Parlaments (Novelle zum Bundesfinanzgesetz oder Budgetüberschreitungsgesetz). Ausnahmen sind möglich, wenn aus konjunkturellen Gründen die tatsächlichen Einnahmen hinter den erwarteten zurückbleiben. ln diesem Fall können bis zu 3 % der Einnahmen durch zusätzliche Kreditaufnahme gedeckt werden. Für Länder und Gemeinden gelten solche Ausnahmeregelungen nicht. Die Kreditaufnahmen des Bundes müssen vom Präsidenten des Rechnungshofes gegengezeichnet werden, um die Gesetzmäßigkeit der Schuldenaufnahme zu gewährleisten. Die Länder sind hinsichtlich der Neuverschuldung grundsätzlich autonom. Allerdings ist die Bundesregierung nach Artikel 98, Absatz 2 des· Österreichischen Bundesverfassungsgesetzes ermächtigt, gegen die Gesetzesbeschlüsse der Landtage, die den Haushalt betreffen, Einspruch zu erheben, wenn Bundesinteressen gefährdet sind. Außerdem bedarf jede Ausgabe von Schuldverschreibungen der Bewilligung des Finanzministers. Kreditaufnahmen im Ausland bedürfen zusätzlich der Genehmigung durch die Nationalbank. Die Länder versuchen, diesen Bestimmungen auszuweichen. Die meisten Länder verabschieden ihre Haushalte anstatt mit Gesetz nur mit Landtagsbeschlüssen, die nicht der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs unterliegen, gegen die der Bund dann auch keinen Einspruch erheben kann. Die Kontrolle der Anleiheaufnahmen am Kapitalmarkt umgehen die Länder dadurch, daß sie die Kapitalmarktverschuldung so gering wie möglich halten (Smekal, 1987). Dies kann man jedoch als erwünschte Wirkung der Kontrollbestimmungen werten.

74

Für die Gemeinden gibt es ebenfalls keine ausdrücklichen Verschuldungsbeschränkungen, jedoch ist jede Kreditaufnahme an die Genehmigung einer übergeordneten Behörde gebunden. Die Zustimmung der Kreditaufnahme wird, ähnlich wie in der Bundesrepublik Deutschland, an die Schuldendieostleistungsfähigkeit der Gemeinden geknüpft.

Teil 2: Notwendigkelten und Möglichkelten einer Steuerkoordlnlerung und einer Steuerharmonlslerung zwischen den EG-Ländern Die internationale Steuerharmonisierung läßt sich definieren als volle oder teilweise Angleichung der effektiven Steuersätze zwischen den Ländern. Im Extremfall kommt es zu einer völligen Angleichung der Steuerbemessungsgrundlagen und der Steuersätze. Eine derartige Steuerharmonisierung darf nach herrschender Meinung aber kein Selbstzweck sein. Vielmehr muß es darum gehen, steuerliche Verzerrungen der internationalen Ressourcenallokation und der Ungleichbehandlung der Steuerzahler zu vermeiden. Würden tatsächlich alle Steuern zwischen den EG-Ländern vollständig harmonisiert, dann hätten die einzelnen Länder keine Freiheit mehr, den Umfang ihres öffentlichen Sektors zu bestimmen. Nationale Unterschiede in den Präferenzen für öffentliche versus private Güter und Dienstleistungen und für bestimmte Einkommensverteilungen könnten nicht mehr zum Ausdruck kommen, was zu einem Wohlfahrtsverlust für die gesamte Europäische Gemeinschaft führen würde. Aus diesem Grund wird der internationalen Koordinierung der Besteuerung im allgemeinen der Vorzug vor einer vollständigen Harmonisierung eingeräumt. Steuerkoordinierung wird hier definiert als eine Annäherung der steuerlichen Vorschriften, die internationale Auswirkungen haben, wobei jedem Land soviel Freiheit wie möglich belassen wird, eine eigene Steuerpolitik zu verfolgen. Dabei sollen die Ressourcenallokation international nicht verzerrt und die Steuersubjekte bei ihren internationalen Geschäften nicht diskriminiert werden. Diese begriffliche Fassung der Steuerkoordinierung dürfte am ehesten dem Subsidiaritätsprinzip entsprechen, das auch von der Deiars-Kommission als Grundlage der zukünftigen EG-Wirtschafts- und Währungsunion gefordert wird. Nach dem Subsidiaritätsprinzip darf nämlich keine staatliche Aufgabe auf eine höhere Ebene, also auch nicht auf die EG-Ebene, verlagert werden, sofern sie von der niedrigeren, in diesem Fall der nationalen Ebene, genausogut oder noch besser ausgeführt werden kann. Die Steuerharmonisierung ist ein Spezialfall der Steuerkoordinierung, da es Umstände geben kann, bei denen Verzerrungen und Diskriminierungen nur bei einer vollständigen Harmonisierung verhindert werden können.

76

Im folgenden werden Bereiche identifiziert, in denen eine vollständige Steuerharmonisierung für die Verwirklichung des Gemeinsamen Marktes notwendig erscheint und solche, in denen eine losere Form der Koordinierung genügt, aber auch solche, in denen die steuerpolitische Autonomie der Mitgliedstaaten nicht beschnitten werden muß.

6.

Koordlnlerung der Indirekten Steuern

6.1

Zur Notwendigkeit einer Harmonisierung

Im allgemeinen gilt, daß die steuerlichen Verzerrungen zwischen den Ländern umso schwerer wiegen, je höher die Mobilität der Steuerbemessungsgrundlage zwischen den Ländern ist. Da Kapital der mobilste Produktionsfaktor ist, wurde von wissenschaftlicher Seite die Notwendigkeit einer internationalen Koordinierung der Kapitalbesteuerung am stärksten betont. 1 Im Gegensatz dazu wird die Harmonisierung der indirekten Steuern in der EG gegenwärtig als besonders dringlich angesehen. Die Tabellen 6 und 7 zeigen die Mehrwertsteuersätze und die Verbrauchsteuersätze in den EG-Ländern. Demnach haben alle EG-Länder mit Ausnahme Dänemarks zumindest zwei Mehrwertsteuersätze: einen Normalsatz und einen ermäßigten Satz für lebensnotwendige Güter und Leistungen wie Nahrungsmittel, medizinische Versorgung usw. ln einigen Ländern gibt es auch höhere Sätze auf sogenannte Luxusartikel. ln der Vergangenheit wurde die Steuerbemessungsgrundlage der Mehrwertsteuer weitgehend harmonisiert. Bei den Steuersätzen gibt es dagegen noch beträchtliche Unterschiede. Sehr unterschiedlich sind auch die Sätze bei den Verbrauchsteuern. Derart große Unterschiede zwischen den Sätzen der indirekten Steuern würden enorme steuerliche Verzerrungen des internationalen Handels verursachen, wenn nicht das Bestimmungslandprinzip angewendet würde. Nach diesem Prinzip werden die Güter und Dienstleistungen in dem Land des Verbrauchs nach den dort geltenden steuerlichen Vorschriften besteuert. Durch den sogenannten Grenzausgleich wird sichergestellt, daß steuerfrei exportiert wird und daß dann im Importland die Besteuerung genauso durchgeführt wird wie bei den dort hergestellten Gütern und Leistungen. Innerhalb eines jeden Ländermarktes gibt es daher keine steuerlichen Verzerrungen zwischen den heimischen und den importierten Produkten. Der internationale Handel wird alsotrotzder unterschiedlichen Steuersätze zwischen den Ländern nicht verzerrt. Diese Aussage ist allerdings etwas zu modifizieren, was die praktische 1

Vgl. Giovannini (1989), Tanzi und Bovenberg (1989) oder Sörensen (1990.b).

78

«i

18 15 23

3 und 8 0 1, 7 und 10

Griechenland

Großbritannien

12

6

Ursprünglicher KoBRissionsvorschlag

14 - 20

33

18

8

Portugal

Spanien 4~ 9

30

18,5

6

Luxeilburg

Niederlande

-

-

-

19 12

Italien

4 und 9

38

-

36

3 und 6

Irland

18,6

5,5

25

-

14

7 22

25 und 33

19

1 und 6

-

Luxussteuersatz

Normalsatz

Ennäßigter Satz

Mehrwertsteuersätze (in %) in der EG (Stand Mai 1990)

Frankreich

Dänemark

Bundesrepublik Deutschland

Belgien

Tabelle 6

0

01)

4,51 0,56 8,53 10,45

Frankreich

Griechenland

Großbritannien

Irland

0,45 0,20 0,28 0,39

68 67 34 34

0,05 0,02 0,86 1,06

0,76 0,03 0,08 0,61 1,12

1

5,59

Angestrebter Satz 0,19

0,09

0,17

0,19

0,09

0,17

0,43

0,30

0,39

Summe der wertmäßigen Verbrauchsteuer und des MWSt-Anteils in % des Einzelhandelspreises .

4,47

5,08

Mindestsatz

Vorschlag 1989

Vorschlag 1987

Kommissionsvorschläge

0,34

n.a. 54

0,34 45

52-54

0,33 53 0,02

0,04

0

1,12 2,22

69 0,05

0,08

0

Portugal

0,35 0,42

35 0,53

Spanien

0,23 64

0,04

0,20

5,56

0,05

0,14

3,57

Luxemburg

Niederlande 0,36

69

0,05

0,21

0

2,65

1,39

0

0,03

0,60

0,32 0,34 Juli 1990

39

1,54

1,60

0,32

66 44

Benzin (verbleit) (ECU pro 1)

0,09

0,07

0

1,16

Italien

13,28

Dänemark

(%) 1

Zigaretten wert11ä8ig (ECU pro 20)

0,61

0,11

0,34

5,96 5,04

Belgien

Bier (ECU pro 1)

Wein (ECU pro 1)

Verbrauchsteuersätze in den EG-Ländern {Stand 1990} Alkohol (ECU pro 1)

Bundesrepublik Deutschland

Tabelle 7

Durchführung des Bestimmungslandprinzips betrifft. Die Grenzkontrollen sollen bewirken, daß die Waren, für welche die Exporterstattungen gewährt werden, tatsächlich auch das Land verlassen und daß alle Importe im Einfuhrland auch besteuert werden. Der damit verbundene Verwaltungsaufwand und die Wartezeiten an den Grenzen wirken in gewisser Weise handelshemmend, in dem sie die Kosten des internationalen Handels erhöhen und die ursprünglichen komparativen Kostenunterschiede verringern. Aus diesem Grund sollen mit dem Binnenmarkt 1993 die Grenzkontrollen beseitigt werden. Dies ist der Hintergrund für die Vorschläge der EG-Kommission zur Harmonisierung bzw. Annäherung der indirekten Steuern. 6.2

System der indirekten Steuern bei Wegfall der Grenzkontrollen

Eine Möglichkeit, bei den indirekten Steuern ohne Grenzkontrollen auszukommen, wäre der Übergang vom Bestimmungslandprinzip zum Ursprungslandprinzip. Nach diesem Prinzip werden die Güter und Leistungen mit den Steuern des Herstellerlandes belastet, d.h. importierte Güter und Leistungen tragen die Steuern des Exportlandes und importierte Güter und Leistungen dieselben Steuern wie die im Inland verkauften Güter und Leistungen. Bei einem derartigen System ist kein Grenzausgleich mehr nötig und damit sind auch Grenzkontrollen überflüssig. Bei festen Wechselkursen hätte das Ursprungslandprinzip aber einen Wettbewerbsnachteil für Unternehmen in Ländern mit vergleichsweise hohen Steuersätzen zur Folge, falls nicht zwei Bedingungen erfüllt wären: Zum einen dürfte es innerhalb des Landes nur einen einheitlichen indirekten Steuersatz auf alle Güter und Dienstleistungen geben und zum anderen müßten alle Preise vollkommen flexibel sein. ln diesem Fall würde ein höherer indirekter Steuersatz in einem Land ausgeglichen durch eine proportionale Senkung der Erzeugerpreise und der Faktorpreise, welche die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Landes wieder herstellten. Da diese Annahmen aber in der Realität nicht gegeben sind, führt der Übergang zum Ursprungslandprinzip nur dann zu keinen Handels- und Wettbewerbsverzerrungen, wenn die indirekten Steuern vollkommen harmonisiert werden.

81

Da die EG-Länder bisher nicht gewillt sind, eine vollkommene Harmonisierung der indirekten Steuern durchzuführen, hat die EG-Kommission nach anderen Wegen gesucht, ein indirektes Steuersystem ohne Grenzkontrollen und ohne steuerliche Verzerrungen zu schaffen. Nach dem Vorschlag der EG-Kommission im Jahr 1987 sollten im innergemeinschaftlichen Handel die Exporte mit dem Mehrwertsteuersatz des Exportlandes belastet werden, die Importe also nicht mehr mit dem Steuersatz des lmportlandes. Die Importeure sollten aber die Möglichkeit haben, bei ihren Verkäufen von der dabei anfallenden Mehrwertsteuer die im Ausland auf ihre Importe bezahlte Mehrwertsteuer abzuziehen. Dieses Verfahren würde gewährleisten, daß die Mehrwertsteuer des Exportlandes nicht an die Verbraucher im Importland weitergegeben wird und daß die im importierten Gut enthaltene Wertschöpfung letztlich nur mit der Mehrwertsteuer des Importlandes belastet wird. Bei diesem Vorschlag würden also die relativen Verbraucherpreise und damit auch der Handel zwischen den EG-Ländern steuerlich nicht beeinflußt. Beeinflußt würde aber die Verteilung der Mehrwertsteuereinnahmen zwischen den EG-Ländern. Länder mit vergleichsweise hohen Steuersätzen und Handelsbilanzüberschüssen hätten höhere Einnahmen, da die Mehreinnahmen durch die Exporte nicht durch die Mindereinnahmen durch den Steuerabzug bei den Importen ausgeglichen würden. Um eine derartige EinnahmeumverteilunQ zwischen den Ländern zu vermeiden, wurde gleichzeitig vorgeschlagen, daß jedes Land die Differenz zwischen den Steuern auf seine Exporte und den Steuererstattungen auf seine Importe mit den EG-Partnerländern berechnet. Ein positiver Saldo müßte dann an eine Clearing-Stelle abgeführt und ein negativer von dieser erstattet werden. Auf diese Weise wäre auch die Aufkommensneutralität im Vergleich zum derartigen System weitgehend hergestellt. Da nach diesem Vorschlag die kleineren nicht registrierten Importeure keinen Erstattungsanspruch auf die im Ausland bezahlte Mehrwertsteuer haben, würde die Clearing-Stelle sogar einen kleinen Einnahmeüberschuß erwirtschaften. Bei den speziellen Verbrauchsteuern schlug die EG-Kommission vor, die Grenzkontrollen abzuschaffen und stattdessen ein System von steuerfreien Lagerstallen zu schaffen. Die spezielle Verbrauchsteuer würde demnach nur fällig, falls die Ware die Lagarsteile verläßt und zum Einzelhandel geht. Falls die Ware versiegelt in die Lagerstalle eines anderen EG-Landes transportiert

82

wird, fällt keine Verbrauchsteuer an. Geht sie von dort zum Einzelhandel, wird sie verbrauchsteuerpflichtig mit der Steuer des Verbrauchslandes. Jedes Land erhält demnach die Verbrauchsteuer entsprechend dem Verbrauch in dem Land. 6.3

Argumente für und gegen eine stärkere Steuerharmonisierung

Wie oben dargestellt, gibt es beim Kommissionsvorschlag keinen Anreiz für Unternehmen, Ihre Waren vor allem aus Ländern mit niedrigen Mehrwertsteuersätzen zu beziehen, da sie die auf den Importen liegende Mehrwertsteuer bei der Berechnung der Gesamtsteuerlast ihrer Verkäufe wieder absetzen können. Dies gilt allerdings nur für die registrierten Firmen. Bei nicht der Mehrwertsteuer unterliegenden Firmen und bei Direktkäufen der Verbraucher bestehen aber durchaus Anreize in Niedrigsteuerländern einzukaufen. Um hier die steuerlichen Verzerrungen in Grenzen zu halten, hat die EG-Kommission ursprünglich vorgeschlagen, beim Normalsatz nur Sätze innerhalb einer Bandbreite von 14 bis 20 % zuzulassen und beim ermäßigten Satz von 4 bis 9 %. Für die speziellen Verbrauchsteuern schlug die EG-Kommission im Jahr 1987 noch eine vollständige Harmonisierung der Steuersätze vor. Dieser radikale Harmonisierungsvorschlag wurde vermutlich aus folgenden drei Gründen gemacht: Zum einen vergrößern unterschiedliche Verbrauchsteuersätze die Differenzen zwischen den Endverkaufspreisen in den Ländern, weil die Mehrwertsteuer auf die Preise einschließlich der Verbrauchsteuern berechnet wird. Zum anderen entstehen bei unterschiedlichen Verbrauchsteuersätzen Anreize zum Steuerbetrug, indem Waren aus steuerfreien Lagerstellen in Niedrigsteuerländern direkt an Verbraucher in Hochsteuerländern verkauft werden. Zum dritten wollte die EG-Kommission wohl verhindern, daß einzelne Länder versuchen, die speziellen Verbrauchsteuern für protektionistische Zwecke einzusetzen. So dürfte es kein Zufall sein, daß Wein produzierende Länder im Süden Europas Wein weniger hoch besteuern als Bier, während in einigen nördlichen Ländern mit mehr Bierproduktion dies umgekehrt ist (vgl. Tabelle 7). Auffallend ist auch, daß einige südliche Länder, die Tabakprodukte in vergleichsweise niedriger Qualität erzeugen, diese vor allem mit einer Tabaksteuer in Form einer Wertsteuer belegen, während nördliche Länder mit qualitativ höheren und damit teuren Tabakerzeugnissen mehr auf eine Mengenbesteuerung zurückgreifen. Tatsächlich wurde nachgewiesen, daß die Steuerharmoni-

83

sierung Wohlfahrtsgewinne für die Gemeinschaft bringt, falls die einzelnen Länder die Besteuerung zu protektionistischen Zwecken einsetzen. 1 Dabei wurden allerdings eventuelle Wohlfahrtsverluste einer Steuerharmonisierung außer acht gelassen, die dadurch entstehen, daß die einzelnen Länder bei der Harmonisierung von ihrem gewünschten Niveau der öffentlichen Ausgaben abweichen müssen. Die von der EG-Kommission im Jahre 1987 gemachten Vorschläge zur Mehrwertsteuer wurden bisher von den EG-Ländern nicht akzeptiert. Der Haupteinwand waren die Probleme der praktischen Umsetzung. Im neuen System wären die Importe aus EG-Partnerländern zunächst mit der im Exportland erhobenen Mehrwertsteuer belastet und die Importländer müßten diese auf der Rechnung ausgewiesene Steuer zum Vorsteuerabzug zulassen. Sie würden diese Steuer über das Clearingsystem wieder erhalten. Damit bestünde aber bei den nationalen Steuerverwaltungen wenig Anreiz, über entsprechende Kontrollen sicherzustellen, daß die Exporteure die auf der Rechnung ausgewiesene Steuer tatsächlich abgeführt haben. Der Steuerbetrug wäre wesentlich leichter als im gegenwärtigen System. Der oben erwähnte EinnahmeüberschuB der Clearingstelle würde sich daher unter Einbeziehung dieser Steuerverwaltungsprobleme in ein Defizit verwandeln, das von der Gemeinschaft zu tragen wäre. Aus diesen Gründen und wegen der Befürchtung, daß dieses neue System zu einer riesigen Bürokratie führen könnte, wurde inzwischen von einigen Ländern vorgeschlagen, bei Abschaffung der Grenzkontrollen das in den Beneluxländern bestehende System des Zahlungsaufschubs für die von den Steuerpflichtigen bei der Einfuhr geschuldete Steuer (Deferred Payment Schema DPS) einzuführen. Hier sind die Exporte wie bisher von der Mehrwertsteuer befreit und die Importe werden mit Mehrwertsteuer belastet. Die Besteuerung der Importe wird aber nicht mehr an der Grenze durchgeführt, sondern beim Importeur. Wenn der Importeur die Ware weiter veräußert, muß auf den gesamten Umsatz die Mehrwertsteuer bezahlt werden, ohne daß - wie bisher die Möglichkeit eines Vorsteuerabzugs für die Einfuhrumsatzsteuer besteht, 1 Vgl. Keen, M., 1989, 'Pareto-improving indirect tax harmonization•, European Economic

Review, vol. 33: 1-12.

84

denn diese Steuer ist ja dann noch nicht entrichtet worden. Grenzkontrollen sind bei diesem System nicht mehr notwendig. Die Steuerfreistellung der Exporte wird hieraufgrundvon Nachweisen wie Ladedokumente, Zahlungen aus dem Ausland usw. gewährt. ln diesem System können in der Gemeinschaft also die Grenzkontrollen beim gewerblichen Warenverkehr abgeschafft werden und gleichzeitig - da die Exporte steuerfrei sind und wie bisher das Verbrauchslandprinzip gilt - unterschiedliche Mehrwertsteuersätze bestehen bleiben. Eine Annäherung der Steuersätze ist hier nur noch notwendig, um die Direktkäufe der privaten Haushalte in Niedrigsteuerländern zu beschränken. Auch bei den speziellen Verbrauchsteuern können unterschiedliche Steuersätze bestehen bleiben. Um sicherzustellen, daß das jeweilige Land, in dem die Ware verbraucht wird, auch die entsprechende Verbrauchsteuer erhält, die Waren also nach Verlassen der nationalen Lagerstallen also nicht auf direktem oder indirektem Wege in den Handel in anderen Ländern fließen, sind entsprechende Kennzeichnungen (wie Banderolen bei Zigaretten etc.) notwendig. Bei derartigen Absieherungen brauchen die Länder aber ihre Steuersätze nicht notwendigerweise zu harmonisieren. 6.4

Neuare Reform-Vorschläge der EG-Kommission

Wegen der Skepsis der Länder gegen das System der Clearingstellen hat die EG-Kommission vorgeschlagen, zumindest in den Jahren 1993 bis Ende 1996 die Mehrwertsteuer im EG-Binnenhandel nach einer Variante des DPS-Systems zu konstruieren. Auch wurde der ursprüngliche Vorschlag der vollkommenen Harmonisierung der Verbrauchsteuersätze für die nahe Zukunft aufgegeben. Vielmehr wurde vorgeschlagen, ab dem Jahr 1993 die in der Gemeinschaft vorhandenen niedrigsten Steuersätze als Mindestsätze anzuerkennen und anschließend nur noch Steueränderungen zu akzeptieren, die zu einer Annäherung der Steuersätze an die gesetzten Zielgrößen führen. Diese liegen jetzt um 10 % höher als die früheren Zielgrößen. Die Erhöhung erfolgte, um den gesundheits- und umweltpolitischen Bedenken gegen zu niedrige Sätze bei bestimmten Verbrauchsteuern (Tabaksteuer, Mineralölsteuer) Rechnung zu tragen. Es ist vorgesehen, die Mindestsätze und die Zielgrößen alle zwei Jahre gemeinschaftlich zu überprüfen. Auch ist bei qualifizierter Mehrheit eine Indexierung möglich.

85

Befürwortet wird aber nach wie vor eine völlige Liberalisierung der Direktkäufe durch private Haushalte bis Ende 1992. Dahinter steht auch die Erwartung, daß der dann stärkere Wettbewerb um Direktkäufe die Länder mit überdurchschnittlich hohen Steuersätzen zu Senkungen veranlaßt und damit über die Marktkräfte eine Steuerharmonisierung zu erreichen, welche offenbar auf politischen Wege nicht möglich ist.

7.

Koordinierung der Besteuerung der Kapitaleinkommen

Angesichts der hohen Kapitalmobilität in Europascheint eine bessere Koordinierung bei den Steuern auf Kapitaleinkünfte zumindest so dringlich zu sein wie bei den indirekten Steuern. Im folgenden wird untersucht, wie die nationalen Steuersysteme so verändert werden können, daß eine effiziente Kapitalallokation, eine den Verteilungsgesichtspunkten entsprechende Besteuerung der natürlichen Personen und eine "angemessene" Verteilung der Steuerbemessungsgrundlage innerhalb der EG erreicht werden kann. Vor diesem Hintergrund werden dann auch einige wichtige Initiativen der EG-Kommission zur Koordinierung der Kapitalbesteuerung beurteilt. 7.1

Ziel der Kapitalexportneutralität

Aus Sicht der Europäischen Gemeinschaft ist das Effizienzziel dann erreicht, wenn das Wohlstandsniveau der Gemeinschaft insgesamt durch eine Umverteilung des Kapitalbestandes innerhalb des EG-Raumes nicht weiter erhöht werden kann, d.h. das Grenzprodukt des Kapitals in allen EG-Ländern gleich hoch ist. 1 Dieser Zustand ist nach der Theorie dann erreicht, wenn die Unternehmen wettbewerbsfähig sind, das Kapital völlig mobil ist und die Investoren überall mit dem gleichen effektiven Steuersatz belegt werden, und zwar sowohl bei inländischen wie bei ausländischen Investitionen. Die Gleichheit der effektiven Steuersätze kann erreicht werden, wenn die Wohnsitzländer die Investoren nach dem gesamten im Inland und Ausland erzielten Einkommen besteuern - wobei die Ermittlung der steuerpflichtigen Einkommen überall gleich ist - und gleichzeitig eine volle Anrechnung der im Ausland bezahlten Steuern auf die Einkommensteuerschuld im Inland gewährt wird. ln diesem Fall erhalten die Investoren bei überall gleichem Kapitalertrag vor Steuern auf ihre in- und ausländischen Kapitaleinsätze auch die gleichen Nettoerträge. Die Kapitalmobilität bewirkt dann einen Ausgleich der Kapitalerträge vor Steuern zwischen den Ländern. Ein derartiges Steuersystem erfüllt das Neutralitätskriterium im Hinblick auf die Kapitalexporte, weil es keine An1

Vgl. SOrensen, P.B., 1990.a, 'Tax harmonization in the European Community: Problems and prospects', BankofFinland Discussion Papers, no. 3, 1990.

87

reize erhält, Kapital zwischen den Ländern zu verlagern. Zusätzlich ist das Kriterium der horizontalen Gleichheit erfüllt, weil inländische und ausländische Kapitaleinkünfte gleich behandelt werden. Steuerzahler mit gleichen Kapitaleinkünften werden dann gleich hoch belastet, gleichgültig aus welchen Gründen die Einkünfte stammen. 7.2

Hindernisse für die Kapitalexportneutralität bei Portfolioinvestitionen

Wird bei der Besteuerung der Zinseinkünfte das Wohnsitzlandprinzip angewendet, wobei das gesamte inländische und ausländische Zinseinkommen besteuert wird, dann gleichen sich bei festen Wechselkursen und vollkommener Kapitalmobilität die Bruttozinssätze zwischen den EG-Ländern aus. Falls das Fremdkapital als Finanzierungsquelle der zuletzt eingesetzten Sachkapitaleinheit dient, die Fremdkapitalzinsen steuerlich abzugsfähig sind und die Abschreibungen den ökonomischen Abschreibungen entsprechen, dann gleichen sich nach der Theorie der marginale Bruttoertrag des Sachkapitals und der Bruttozinssatz aus. Bei gleichen Zinssätzen in der Gemeinschaft wäre demnach auch das marginale Sachkapitalprodukt überall gleich. Für eine effiziente Kapitalallokation in der EG sind demnach zwei Voraussetzungen nötig: Die steuerpflichtigen Gewinne sollten überall möglichst den tatsächlichen (ökonomischen) Gewinnen entsprechen und das Wohnsitzland der Einkommensteuer sollte auch überall gelten. Falls also bei der Kapitaleinkommensbesteuerung die Steuerbemessungsgrundlage harmonisiert, ist es nicht nötig, die Steuersätze zu harmonisieren. Im Lichte dieser Erkenntnis erarbeitete die EG-Kommission im Jahr 1988 einen Entwurf zur Harmonisierung der steuerlichen Gewinnermittlungsvorschriften in der Gemeinschaft, der darauf abzielte, möglichst auch die steuerpflichtigen Gewinne an die tatsächlichen Gewinne anzunähern. Um das Neutralitätskriterium beim Kapitalexport zu erfüllen, müssen aber- wie oben erwähnt - die Mitgliedsländer das Wohnsitzland bei der Besteuerung der Zinserträge anwenden. Nach dem Steuerrecht tun sie das im Prinzip. ln der Praxis bleiben aber Zinseinkommen häufig steuerfrei. Nur Dänemark, Frankreich, die Niederlande und Großbritannien verlangen von den Kreditinstituten

88

eine Meldepflicht der Zinseinkommen ihrer inländischen Kunden an die Finanzämter, während die Zinseinkünfte der Ausländer auch dort nicht gemeldet werden. Die Steuerhinterziehung der Zinseinkünfte dürfte in der EG also erheblich sein und sie dürfte mit steigender Kapitalmobilität weiter zunehmen. Falls es überall eine Quellensteuer auf Kapitalerträge in gleicher Höhe geben würde, könnte dem Effizienzziel bei der Kapitalallokation besser entsprochen werden als derzeit. Aber die entsprechenden Steuersätze sind innerhalb der EG sehr ungleich und der Vorschlag der EG-Kommission, einen einheitlichen Quellensteuersatz von 15 % einzuführen, wurde abgelehnt. Auch die andere Möglichkeit, das Effizienzziel über eine Meldepflicht der Banken an die Finanzämter zu erreichen, hat wenig Realisierungschancen, da dies das in vielen Ländern als unverzichtbar geltende Bankgeheimnis verletzen würde. 7.3

Hindernisse für die Kapitalexportneutralität bei den Direktinvestitionen

Bei den gegenwärtigen internationalen Kapitalströmen haben die Direktinvestitionen einen weit geringeren Umfang als die Portfolioinvestitionen. Mit zunehmender Bedeutung der multinationalen Unternehmen dürften sie in Zukunft aber weiter ansteigen. Um bei den Direktinvestitionen eine Kapitalexportneutralität zu erreichen, müssen die multinationalen Unternehmen nach ihrem Welteinkommen besteuert werden, wobei das Wohnsitzland der Muttergesellschaft für die im Ausland von den Tochtergesellschaften bezahlten Steuern eine volle Anrechnung geben muß. ln der Realität ist dieses Erfordernis bei weitem nicht erfüllt. Einige EG-Länder lassen die Gewinne von ausländischen Tochtergesellschaften steuerfrei. Die meisten erreichen mit Hilfe von Doppelbesteuerungsabkommen, daß es zu keiner Doppelbesteuerung ausländischer Einkünfte kommt, doch gewähren sie keine Steuerrückerstattung, falls die im Ausland bezahlte Steuer höher ist als die vom ausländischen Fiskus auf diese Einkommen erhobene Steuer. ln diesem Fall muß also letztlich die höhere Steuer des Auslandes bezahlt werden. Schließlich wird in den Wohnsitzländern die Steuer auf Auslandseinkommen im allgemeinen erst dann fällig, wenn diese ins Inland transferiert werden. Solange sie also im Ausland reinvestiert werden, fallen sie nur unter die dortige Einkommensteuer.

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Um also die Steuersysteme hinsichtlich der Kapitalexporte neutral zu machen, müßten alle EG-Länder im Rahmen der Doppelbesteuerungsabkommen eine volle Anrechnung gewähren und zwar auch dann, wenn dies zu Steuererstatlungen im Wohnsitzland führt. Darüber hinaus müßten die Auslandseinkommen schon im Zeitpunkt ihres Entstehans und nicht erst bei ihrer Repatriierung im Wohnsitzland steuerlich berücksichtigt werden. Die multinationalen Unternehmen würden dann also auch bei ihren Auslandseinkünften mit dem Steuersatz des Sitzlandes besteuert, gleichgültig ob diese Einkommen im Ausland reinvestiert oder ins Sitzland transferiert werden. Falls die Steuersysteme so umgestellt würden, wären sie hinsichtlich der Direktinvestitionen neutral, trotz bestehender Unterschiede in den effektiven Gewinnsteuersätzen. Allerdings würde auch dann ein Druck bestehen, die Steuersätze anzunähern. Ansonsten bestünden bei den multinationalen Unternehmen Anreize, ihren Sitz in Länder mit niedrigen Steuersätzen zu verlagern. Dies würde nicht nur zu Einnahmeverlusten in den Hochsteuerländern, sondern auch in den Niedrigsteuerländern führen, denn letztere müßten den Unternehmen die Anrechnung der höheren Auslandssteuern voll gewähren und evtl. auch Erstattungen leisten. Es liegt daher auch bei derart umgestalteten Steuersystemen im Interesse aller Länder, die effektiven Gewinnsteuersätze anzunähern. 7.4

Verrechnungspreise und Einheitsbesteuerung

Ob die EG-Länder zu einer Harmonisierung der effektiven Gewinnsteuersätze kommen oder nicht, eine Lösung der länderweisen Verteilung der Steuerbemessungsgrundlage der multinationalen Unternehmen müssen sie finden. Gegenwärtig beziehen sich die nationalen Steuergesetze auf die in den einzelnen Ländern jeweils tätigen Unternehmensteile der multinationalen Unternehmen. Die dort ausgewiesenen Gewinne müssen dem "Armlängenprinzip" (arm's length principle) entsprechen. Dieses besagt, daß bei Lieferungen und Leistungen zwischen einzelnen Unternehmensteilen die Verrechnungspreise (transfer pricing) auf dem freien Markt in der gleichen Höhe wie die entsprechenden Preise angesetzt werden müssen. Die Schwierigkeit besteht allerdings darin, daß häufig solche Marktpreise für die spezifischen Güter und Leistungen schwer zu finden sind. Darüber hinaus lassen sich die Kosten der

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Zentrale, wie z.B. Verwaltungskosten, nicht immer nach objektiven Kriterien den einzelnen Unternehmensteilen zurechnen. Aus diesen Gründen bestehen bei den multinationalen Unternehmen Anreize, mit Hilfe entsprechender Verrechnungspreise Gewinne in Länder mit niedrigerer Steuerbelastung zu verlagern. ln Reaktion darauf machen die nationalen Steuerverwaltungen manchmal Zuschläge zu den von den Unternehmen berichteten Gewinnen. Dies führt allerdings dann zu einer Doppelbesteuerung, wenn es bei den anderen Ländern keine entsprechende Korrektur gibt. Um Doppelbesteuerungen zu vermeiden, haben die EG-Länder jüngst gegenseitige Informationen und Vereinbarungen bei derartigen Korrekturmaßnahmen der Steuerverwaltungen beschlossen. Trotzdem besteht das Grundproblem, daß sich häufig die Verrechnungspreise von den Steuerverwaltungen nicht objektiv ermitteln lassen, weiter. Es wäre daher zu überlegen, ob die EG-Länder das "Armlängenprinzip" nicht aufgeben und stattdessen das System der "Einheitsbesteuerung" (unitary taxation) einführen sollten, wie es auch bei den lokalen Gewinnsteuersystemen in den föderalistischen Staaten wie den USA und Kanada, aber auch bei der Gewerbesteuer in der Bundesrepublik Deutschland besteht. Nach diesem System würden die Gesamtgewinne der multinationalen Unternehmen nach einem gewissen Zerlegungsschlüssel auf die einzelnen EG-Länder aufgeteilt. Als Zerlegungsschlüssel könnten Faktoreinsätze wie Beschäftigung, Lohnsumme, Kapitalbestände oder auch Umsätze bzw. Kombinationen aus verschiedenen Schlüsseln dienen. Die Manipulationsmöglichkeit mit den Verrechnungspreisen entfällt dann wie auch die Notwendigkeit, objektive Indikatoren für Verrechnungspreise zu finden. Allerdings kann es auch bei diesem System steuerliche Verzerrungen geben. Wird z.B. ausschließlich die Beschäftigung als Zerlegungsschlüssel gewählt, dann kann ein multinationales Unternehmen seine Gewinnsteuer dadurch senken, daß es die Beschäftigung in das Land mit niedrigerem Gewinnsteuersatz verlagert. Der Zerlegungsschlüssel wird dann im Hochsteuerland wie eine versteckte Lohnsteuer und im Niedrigsteuerland wie eine versteckte Lohnsubvention. Auch dies spricht dafür, die Gewinnsteuersätze zwischen den EGLändern anzunähern.

91

7.5

Zur Doppelbesteuerung der Dividenden

Es wird allgemein angenommen, daß unterschiedliche Grade der Anrechnung der Körperschaftsteuer bei den Dividendenbeziehern zwischen den EG-Ländern die Kapitalallokation in der Gemeinschaft verzerren. Die EG-Kommission schlug daher im Jahr 1975 vor, daß alle Mitgliedsländer ein Teilanrechnungsverfahren einführen sollten mit einer Anrechnung zwischen 45 und 55 % der Körperschaftsteuer auf Dividenden bei der persönlichen Einkommensteuer. Die Anrechnung sollte dabei allen Dividendenbeziehern in den EG-Ländern möglich sein und nicht nur den Inländern. Diese Vorschläge wurden von den Mitgliedsländern nie angenommen. Mit diesem sehr weitgehenden Harmonisierungsvorschlag hat die EG-Kommission den Weg zu mehr Neutralität der Kapitalexporte bei Aktien eher noch erschwert. Tatsächlich erfordert die Kapitalexportneutralität keine gleichen oder ähnlichen Anrechnungssätze der Körperschaftsteuer auf Dividenden, sofern die Anrechnung aus ausländischen Anteilseignern gewährt wird. Unterschiede in den Anrechnungssätzen führen dann zu unterschiedlichen relativen Preisen (Aktienkurse) der in den verschiedenen Ländern emittierten Aktien. Gewährt Land A eine höhere Anrechnung als Land B, dann ist das Aktienkursniveau ceteris paribus in Land A höher als in Land B. Falls nun Land A die Anrechnung auch den ausländischen Aktienbesitzern gewährt, dann werden diese trotz der höheren Einstiegskurse auch in Land A investieren. Es läßt sich zeigen, daßtrotzunterschiedlicher Anrechnungssätze keine steuerlichen Verzerrungen der Kapitalallokation auftreten, falls die Länder bei Inländern und Ausländern dieselbe Anrechnung gewähren. 1 Schon im Jahr 1969 schlug die EG-Kommission zur Beseitigung von Doppelbesteuerungen vor, daß die Länder die Dividenden, die von inländischen Tochtergesellschaften zu Muttergesellschaften in einem anderen EG-Land fließen, keine Kapitalertragsteuer als Quellensteuer legen sollten. Im Jahr 1990 stimmten die Mitgliedsländer schließlich diesem Vorschlag zu. Vgl. Sörensen, P.B., 1990.b, •coordination of capital income taxes in Europe: What are the issues?• Werking Paper, May 1990, Institute of Economics, University of Copenhagen.

92

Tatsächlich hat bei der vollen Anrechnung der Kapitalertragsteuer im Rahmen der Doppelbesteuerungsabkommen der Wegfall der Kapitalertragsteuer keinen Einfluß auf die internationale Kapitalallokation, weil das Sitzland der Muttergesellschaft die im Ausland bezahlte Kapitalertragsteuer voll berücksichtigt. Beeinflußt wird jedoch die Steuerverteilung zwischen den Ländern. ln der Praxis gibt es aber Beschränkungen bei der Anrechnung der Kapitalertragsteuer und einige Länder gewähren nicht Anrechnungen, sondern Freibeträge. Bei diesen Gegebenheiten können die Kapitalertragsteuern Direktinvestitionen hemmen und die internationale Kapitalallokation verzerren. Dies ist aber nicht notwendigerweise der Fall. Wird die Kapitalertragsteuer fällig, gleichgültig, ob der Gewinn sofort zur Muttergesellschaft überwiesen oder ob er erst später transferiert wird, dann treten keine Verzerrungen bei einbehaltenen Gewinnen auf. Die Kapitalertragsteuer erhöht dann die Kosten für ausländische Investitionen nur in dem Fall neuer Aktienemissionen der Tochtergesellschaft an die Muttergesells9haft. Kapitalertragsteuern verzerren also nur dann die internationale Kapitalallokation, wenn neue Tochterfirmen gegründet werden oder wenn die einbehaltenen Gewinne der Tochterfirmen nicht ausreichen, ihren Eigenkapitalbedarf zu decken. Aus diesen Überlegungen folgt, daß die generelle Kritik an den Kapitalertragsteuern überzogen erscheint. Die Kapitalertragsteuern sollten auch im Zusammenhang mit den Körperschaftsteuersätzen gesehen werden. Falls ein hoher Steuersatz bei der Kapitalertragsteuer lediglich dazu dient, einen besonders niedrigen Körperschaftsteuersatz teilweise auszugleichen, dürften dennoch Anreize für die Ansiedlung ausländischer Firmen vorhanden sein. 7.6

Stand der Harmonisierung der Körperschaftsteuern

Bis zum Jahr 1990 haben die EG-Länder als Teil des Programms des Gemeinsamen Marktes drei Richtlinien über die Harmonisierung der Körperschaftsteuer angenommen. Die erste Richtlinie behandelt die Besteuerung der Dividenden von Tochtergesellschaften in einem EG-Land an Muttergesellschaften in einem anderen Land. Demnach sollen die Länder keine Kapitalertragsteuer als Quellensteuer auf solche Dividenden erheben und die Sitzländer der Muttergesellschaften sollen durch Anrechnungen oder Freibeträge Doppelbe-

93

Steuerungen bei diesen Dividenden vermeiden. Die zweite Richtlinie befaßt sich mit den Ausgleichsmaßnahmen für den Fall, daß die Mitgliedsländer sich über die länderweise Aufteilung der Steuerbemessungsgrundlage von multinationalen Unternehmen nicht einigen können. Die dritte Richtlinie bezieht sich auf die Fälligkeit der Kapitalgewinnsteuern (bis zur Realisierung der Kapitalgewinne) auf Vermögenstransfers im Fall von Zusammenschlüssen von Unternehmen aus unterschiedlichen EG-Ländern. Nach Annahme dieser Richtlinien durch den Ministerrat hat die EG-Kommission angekündigt, daß sie auf absehbare Zeit keine weiteren Vorschläge zur Koordinierung der Körperschaftsteuersysteme machen will. Dies bedeutet, daß die EG-Kommission ihren Vorschlag vom Jahr 1975 zur teilweisen Harmonisierung der Körperschaftsteuersätze und zur teilweisen Harmonisierung der Körperschaftsteuersysteme bezüglich der Anrechnung und ihren Vorschlag vom Jahr 1988 zur Harmonisierung der Gewinnermittlungsvorschriften zunächst zurückgezogen hat. Unsere Ausführungen zu den Bedingungen für eine effiziente Kapitalallokation haben aber gezeigt, daß die jetzt vorgesehenen Maßnahmen zur Koordinierung keinesfalls ausreichen. Es wird zwar eingewendet, daß die Besteuerung der Kapitaleinkünfte auch innerhalb der einzelnen Länder zu großen Unterschieden zwischen den effektiven Steuersätzen bei unterschiedlichen Investitionsarten führt. 1 Wenn die Länder also steuerliche Verzerrungen innerhalb ihrer Grenzen zulassen, warum sollen sie bei zwischenstaatlichen Kapitalströmen nicht auch gewisse steuerliche Verzerrungen akzeptieren? Demgegenüber wird hier die Auffassung vertreten, daß die EG-Länder anstreben sollten, sowohl die steuerlichen Verzerrungen der Kapitalallokation innerhalb wie auch zwischen den Ländern zu beseitigen.

Vgl. Vanheukelen, M., 1990, 'The assignment of corporate tax competences in the European Community'. Paper presented at the 46th congress of the Internationalinstitute of Public Finance, Brussels, August 1990.

94

8.

Zur Harmonlslerung der Steuern auf Arbeitseinkommen

Die persönliche Einkommensteuer, die Sozialversicherungsbeiträge und die indirekten Steuern zusammengenommen treiben einen Keil zwischen die Bruttolohnkosten der Arbeitsgeber und die netto und real verfügbaren Einkommen der Arbeitnehmer. Die Durchschnittsbelastung mit direkten Steuern auf Arbeitseinkommen unterscheidet sich zwischen den EG-Ländern erheblich. Diese Unterschiede werden durch die Unterschiede bei den indirekten Steuern nicht in systematischer Weise ausgeglichen.1 Um herauszufinden, ob die Arbeitnehmer wegen der Unterschiede in der Steuerbelastung zwischen den EG-Ländern wandern und es dadurch zu einer suboptimalen räumlichen Allokation des Produktionsfaktors Arbeit kommt, muß die Seite der Staatsausgaben mit einbezogen werden. Abgesehen von den relativ wenigen Pendlern an der Grenze leben die meisten Arbeitnehmer in dem Land, in dem sie arbeiten. Da die Einkommensbesteuerung im Wohnsitzland erfolgt, dürfte eine relativ hohe Steuerbelastung durch entsprechend höhere öffentliche Dienstleistungen und Transferleistungen tendenziell ausgeglichen werden. Wenn also die Unterschiede zwischen den Steuerbelastungen der Länder in etwa die Unterschiede in den Leistungen mit öffentlichen Gütern und Diensten widerspiegeln, wird von den Steuerbelastungsunterschieden kein Anreiz zur Wanderung bei den Arbeitnehmern ausgehen, da sie lediglich der unterschiedlichen Präferenz für öffentliche Güter und Leistungen Rechnung tragen. Jedoch dürfte ein Wanderungsanreiz dann vorhanden sein, falls große Unterschiede im Progressionsgrad der Einkommensteuer bestehen. ln einem Land mit stark progressiver Einkommensteuer, also hohem Einkommensteuerspitzensatz, haben höhere Einkommensbezieher Anreize auszuwandern, während Ausländer mit niedrigem Einkommen Anreize haben einzuwandern. Bei hoher Mobilität der Arbeitskräfte ist dieses Land früher oder später aus Budgetgründen gezwungen, den Progressionsgrad seiner Einkommensteuer abzumildern. Auf diese Weise bewirken die Marktkräfte eine Harmonisierung der Steuern, aber erst nachdem Ressourcen durch steuerbedingte Wanderungsbewegungen vergeudet worden sind. 1

Vgl. McKee, M., J. Visser und P. Saunders, 1986, 'Marginal tax rates on the use of labour and capital in OECD countries•, OECD Economic Studies, no.7.

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Der marktmäßige Harmonisierungsdruck bewirkt, daß die Länder, die eine stärkere Präferenz für Einkommensumverteilungen über das Steuersystem, also ursprünglich einen relativ hohen Progressionsgrad haben, gezwungen werden, sich an die Länder anzupassen, die wenig Umverteilung über das Steuersystem betreiben. Die Anpassungslasten fallen also einseitig auf die erstere Ländergruppe. Ein derartiges Wanderungsszenario dürfte für die Mehrheit der Arbeitnehmer allerdings unrealistisch sein, weil es immer noch viele kulturelle und psychologische Mobilitätshemmnisse gibt und es auch andere Einflüsse gibt, die dem entgegenlaufen. Für bestimmte Berufsgruppen mit hohem Einkommen (Manager, Unternehmer, Künstler, Spitzensportler) sind die Mobilitätsbarrieren aber geringer. Nachdem die nationalen Diplome innerhalb der EG anerkannt sind und auch der Studentenaustausch weiter ansteigt, dürfte für viele gut ausgebildete Berufsgruppen die Mobilität ansteigen. Auch wenn also die Harmonisierung der Steuern auf Arbeitseinkommen gegenwärtig nicht sehr dringlich ist und so viel nationale Souveränität wie möglich erhalten bleiben sollte, dürfte in nicht allzu ferner Zukunft doch eine gewisse Harmonisierung notwendig werden. Es wurde vorgeschlagen, den Harmonisierungsdruck dadurch abzumildern, daß die Einkommensteuer nicht mehr nach dem Wohnsitzland 1 , sondern nach der Staatsbürgerschaft erho" ben werden sollte. ln diesem Fall würde ein Däne, der nach Großbritannien geht um dort zu arbeiten, nach wie vor nach der höheren dänischen Einkommensteuer veranlagt, solange wie er die dänische Staatsbürgerschaft behält. Da die Menschen ihre Staatsbürgerschaft nicht so gerne aufgeben wie ihren Wohnsitz, könnte dadurch der Anreiz sinken, wegen höherer Steuern das Land zu verlassen. Um auch die Ausländer an der Finanzierung der staatlichen Leistungen im Wohnsitzland zu beteiligen, könnte in diesem Fall Großbritannien den Dänen mit einer Quellensteuer belegen, welche dieser bei seiner Steuerveranlagung gegenüber der dänischen Steuer wieder anrechnen kann. Er würde also nach wie vor letztlich die gleiche Steuer zahlen wie er sie bei diesem Einkommen in Dänemark auch hätte zahlen müssen.

Vgl. Sinn, H.-W., 1990, 'Tax harmonization and tax competition in Europe•, European Economic Review, vol. 34: 489-504.

96

9.

Zusammenfassung und Schlußfolgerungen

Die Probleme und Chancen einer Koordinierung der Finanzpolitik in der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion wurden unter zwei Aspekten untersucht: - für die Finanzpolitik als Budgetpolitik, die als makroökonomisches Instrumentarium die gemeinsame Geldpolitik ergänzen und auf diese Weise zu einer zunehmenden Konvergenz der wirtschaftlichen Entwicklung in der Europäischen Gemeinschaft und zu einem angemessenen Wachstum und zu Preisstabilität beitragen soll; - für die Finanzpolitik als strukturelle, mehr angebotsseitig orientierte Reformpolitik, die sich mit der Annäherung verschiedener Rahmenbedingungen in der EG, insbesondere der Steuersysteme, befaßt. Internationale Koordinierung der Wirtschaftspolitik umfaßt ein weites Spektrum von Formen und Bereichen internationaler Zusammenarbeit. Sie reicht vom bloßen Informationsaustausch zur aktuellen Wirtschaftslage, über Absprachen über die Rangfolge wirtschaftspolitischer Ziele, Vereinbarungen über Regeln und gesetzliche Normen bis zur gegenseitigen Abstimmung von Maßnahmen zur Überwindung von Wirtschaftskrisen. Streng genommen sollte der Begriff Koordinierung nur für die letzteren beiden Sachverhalte verwendet werden, also für die Koordinierung von Regeln und Normen sowie der wirtschaftspolitischen Maßnahmen. Für die ersteren beiden Formen der internationalen Zusammenarbeit ist der Begriff Kooperation besser geeignet. ln der politischen Diskussion jedoch steht der Begriff Koordinierung für alle Typen der Zusammenarbeit zwischen Regierungen. Internationale Steuerharmonisierung kann definiert werden als volle oder teilweise Angleichung der effektiven Steuersätze verschiedener Länder. Ob eine internationale Koordinierung wirtschaftspolitischer Maßnahmen erforderlich und wünschenswert ist, ist in der Theorie umstritten. Eine Rechtfertigung für internationale Politikkoordinierung liefern die Spieltheorie und die Theorie des Marktversagens. Beide Ansätze werden auch von manchen deutschen Wissenschaftlern kritisiert. Wichtige Voraussetzungen der Spieltheorie,

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nämlich vollkommene Information über die zukünftige Wirtschaftsentwicklung und über die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen der Wirtschaftspolitik seien nicht gegeben. Den Kräften des Wettbewerbs sei der Vorzug zu geben und dem Funktionieren des Marktmechanismus mehr zu vertrauen als der Politikkoordinierung. Die vorgebrachten Kritikpunkte sind teilweise berechtigt, sie reichen unseres Erachtens jedoch nicht aus, um die Notwendigkeit von Politikkoordinierung grundsätzlich zurückzuweisen. Insbesondere die Grenzen des freien Spiels der Marktkräfte zur Lösung bestimmter Ungleichgewichtssituationen können nicht geleugnet werden, auch wenn die Rahmenbedingungen für das Funktionieren des Marktmechanismus sicherlich verbesserungsfähig sind. Von wenigen Ausnahmen abgesehen bestätigen auch die empirischen Untersuchungen, daß Politikkoordinierung Vorteile bringen kann, wenngleich die ermittelten Wohlfahrtsgewinne teilweise niedrig und ungleich verteilt sind und je nach Modellansatz und Anzahl der an der Koordinierung beteiligten Länder bzw. Regionen variieren. Im Zusammenhang mit der geplanten Errichtung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion mit ihrem liberalisierten Kapitalverkehr, dem Wegfall der Zollgrenzen und einer gemeinsamen Geldpolitik hat sich in der EG die Diskussion in Theorie und Politik auf die Frage zugespitzt, ob es einer Koordinierung speziell der Budget- und Steuerpolitik zwischen den Mitgliedsländern bedarf. Dabei ist die entscheidende Frage, wie sich die Budgetdisziplin infolge der Einführung der Europäischen Währungsunion verändern wird. Finanzpolitische Disziplin ist eine Grundvoraussetzung für den Erfolg einer Währungsunion, denn übermäßig hohe Budgetdefizite in einem oder mehreren Mitgliedsländern können die Geldwertstabilität in der Gemeinschaft insgesamt gefährden. Einige Ökonomen sehen die Gefahr nachlassender Haushaltsdisziplin in einer Währungsunion nicht. Sie erwarten sogar eine Verbesserung, wenn eine Finanzierung der Staatsdefizite durch die Europäische Zentralbank in der Europäischen Währungsunion untersagt ist. Ferner soll es auch keine finanziellen Unterstützungen durch die Gemeinschaft bei Zahlungsunfähigkeit geben (nonbail out clause). Bei diesen Gegebenheiten wäre es auch nicht mehr möglich, den Realwert der Staatsschuld durch eine Erhöhung der Inflationsrate zu drücken. Andere Ökonomen verweisen auf den Einnahmeverlust des Staates

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aus Notenbankgewinnen (seigniorage), wenn die geldpolitischen Kompetenzen auf das Europäische Zentralbanksystem übergegangen sind. Auch dies könnte die Mitgliedsländer der Währungsunion zu größerer Budgetdisziplin veranlassen. Die Erfahrungen innerhalb und außerhalb der Europäischen Gemeinschaft zeigen, wie schwierig es ist, auf die Haushaltspolitik der nationalen Regierungen Einfluß zu nehmen. Viele Versuche, die Budgetpolitik der EG-Länder zu koordinieren, insbesondere mittels der Konvergenzrichtlinie aus dem Jahre 1974, blieben letztlich erfolglos. Obwohl die Budgetpolitik der EG-Länder während der achtziger Jahre tendenziell gleichgerichtet war, ist es in einigen Ländern, insbesondere in Italien und in Griechenland, nicht gelungen, dem allgemeinen Trend zum Defizitabbau zu folgen. Eine schwierige und kostspielige Koordinierung der Finanzpolitik wäre überflüssig, wenn darauf vertraut werden könnte, daß mit der Einführung der Europäischen Währungsunion und eines politisch unabhängigen Europäischen Zentralbanksystems eine größere Haushaltsdisziplin tatsächlich gewährleistet wäre. Indessen darf das Risiko nicht unterschätzt werden, daß ein Verzicht auf Koordinierung der Finanzpolitik die Europäische Währungsunion gefährden könnte. Dies aus folgenden Gründen: - Zwar ist es richtig, daß Haushaltsdefizite nur inflationär wirken können, wenn damit eine Ausweitung der Geldmenge verbunden ist. Aber selbst wenn in der Europäischen Währungsunion eine direkte monetäre Finanzierung der Staatsdefizite ausgeschlossen ist, so könnte es auf Druck einiger Regierungen letztlich doch zu einer Lockerung der Geldpolitik kommen mit unerwünschten Folgen für das Preisniveau. - Es besteht zwar ein Konsens, daß es im Europäischen Währungssystem keine automatische finanzielle Hilfeleistung für Länder geben soll, die durch zu hohe Haushaltsdefizite in Schwierigkeiten geraten sind (non-bail out clause) Dennoch mag es Situationen geben, in denen die negativen Rückwirkungen einer Finanzkrise bei einem EG-Partner so groß sind, daß Hilfeleistungen nicht verweigert werden können.

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- Mit dem Übergang zur Währungsunion und insbesondere mit der Einführung einer gemeinsamen Währung in der Schlußphase verliert die Zahlungsbilanz für die einzelnen Länder an Bedeutung. Verschlechterungen der Leistungsbilanz haben keinen disziplinierenden Effekt mehr auf die Finanzpolitik. Die zunehmende Integration der Finanzmärkte und der größere Markt für Regierungstitel ermöglicht die Finanzierung von Haushaltsdefiziten ohne stark steigende Zinsen, weil sich der Zinsanstieg auf die ganze Gemeinschaft verteilt. Die Kosten der Verschuldung sind entsprechend geringer. Damit entsteht ein "free rider"-Problem, d.h. es werden Vorteile erzielt, die zum Teil von anderen mitbezahlt werden: ln anderen Mitgliedsländern steigen trotz Haushaltsdisziplin die Zinsen, mit der möglichen Folge einer Verdrängung produktiver Investitionen (crowding out-Problem). Wenn aus diesen Gründen die Notwendigkeit einer Koordinierung der Budgetpolitik bejaht werden muß, so stellt sich die Frage, welche Formen der Abstimmung hierfür am besten geeignet sind. Eine auf EG-Ebene zentralisierte Budget-Politik ist weder wünschenswert noch ist sie durchführbar, solange die Europäische Gemeinschaft keine politische Union ist und aus politisch souveränen Staaten besteht. Die Finanzpolitik muß unter parlamentarischer Kontrolle bleiben und soweit wie möglich die Belange der einzelnen Länder berücksichtigen. Zur Diskussion stand einige Zeit die Festlegung von verbindlichen Obergrenzen für Haushaltsdefizite in einem revidierten EG-Vertrag. Dies wurde für politisch nicht durchsetzbar gehalten, da die nationalen Besonderheiten der Mitgliedsländer zu wenig Berücksichtigung hätten finden können. Der Entwurf eines neuen EG-Vertrags enthält den Begriff "Obergrenzen" nicht mehr. Es ist beabsichtigt, nur noch den Grundsatz der Vermeidung "exzessiver Haushaltsdefizite" festzulegen. Aber auch dies macht die Entwicklung von Kriterien und Indikatoren erforderlich, nach denen eine Beurteilung der Heushaltsdefizite als "überhöht" möglich ist. Hierfür ist eine Reihe von Meßlatten denkbar. Die Diskussion konzentriert sich dabei derzeit auf drei Indikatoren: die Höhe der Defizitquote (Staatsdefizit in % des Bruttoinlands- bzw. -Sozialprodukts), die Höhe der Schuldenquote (Staatsschuld in% des Bruttoinlandsbzw. -Sozialprodukts) und die sogenannte "goldene Finanzierungsregel", wonach die Höhe des Budgetdefizits den Umfang der öffentlichen Investitionen nicht übersteigen soll (vgl. Artikel 115 Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland). Den Überlegungen, die "goldene Regel" als Kriterium einzufüh-

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ren, liegt die Vorstellung zugrunde, daß Kreditaufnahmen durch die öffentliche Hand gerechtfertigt sind, wenn die damit finanzierten Ausgaben zur Erhöhung und Verbesserung der staatlichen Infrastruktur beitragen. Ein Problem bei der Aufnahme der "goldenen Regel" in einen neuen EG-Vertrag besteht allerdings darin, daß die Abgrenzung der öffentlichen Investitionen nicht eindeutig ist. Aber auch die Aussagefähigkeit und damit Kriterientauglichkeit der Defizitquote und Schuldenquote sind umstritten. Es gibt also keinen einzelnen Indikator, dessen Aussagekraft hinsichtlich der gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen der Finanzpolitik und des staatlichen Konsolidierungsbedarfs wissenschaftlich völlig abgesichert ist. Notwendig wäre hier ein geeignetes gesamtwirtschaftliches Modell, das die kurz- und längerfristigen Wirkungen der Finanzpolitik voll erfaßt. Das Problem, einerseits in der EG-Währungsunion alle Mitgliedsländer zur Haushaltsdisziplin verpflichten zu wollen, andererseits aber dafür keinen eindeutigen und allgemein akzeptierten Indikator zu haben, schafft also ein Dilemma. Ein Ausweg könnte sein, daß bei der Beurteilung der. Haushaltsdisziplin nicht ein einzelner Indikator, sondern ein Indikatorbündel herangezogen wird. Nach der EG-internen Diskussion könnte ein solches Indikatorbündel die Staatsschuldenquote, die Defizitquote und die "goldene Finanzierungsregel" (Nettokreditaufnahme nicht höher als staatliche lnvestitionsausgaben) umfassen. Für die ersten beiden Indikatoren müßten dann allgemeine. d .h. nicht länderspezifische, Höchstgrenzen vorgeschrieben werden, also z.B. 60 % für die Staatsschuldenquote und 3 bis 4 % für die Defizitquote. Haushaltsdisziplin wäre in einem Mitgliedsland dann erreicht, wenn alle diese drei Kriterien erfüllt wären. Das Problem ist allerdings, daß die Höhe der Staatsschuldenquoten nicht zuletzt aus historischen Gründen und aufgrund divergierender Abgrenzungen der Staatssektoren (Einbeziehung oder Auslagerung öffentlicher Unternehmen, unterschiedliche Art der sozialen Sicherungssysteme usw.) sehr unterschiedlich ist. Eine Staatsschuldenquote, die höher ist als 60 % haben derzeit (Stand 1991) Belgien ( 129,3). Griechenland (86,5), Irland (113,1), Italien (101,0), die Niederlande (84,6) und Portugal (64,7). Eine Defizitquote über 3,5 %, und zwar beim Staatssektor insgesamt in der Abgrenzung der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, haben derzeit (Stand 1991) die Bundesrepublik Deutschland (4,5). Belgien (5,9), Griechenland (16,7). Italien (9,5), die Niederlande (4,5) und Portugal (5,6).

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Würde man also die genannten Kriterien als notwendige Bedingungen für einen Eintritt in die EG-Währungsunion heranziehen, dann dürften bei der derzeitigen Haushaltslage strenggenommen von den EG-Ländern nur Frankreich, Großbritannien, Dänemark und Luxemburg eine Währungsunion bilden. Damit wäre sogar die Bundesrepublik Deutschland (wegen der Verfehlung des Ziels Defizitquote) ausgeschlossen. 1 Stellt man dagegen die Lage der öffentlichen Haushalte in den gesamtwirtschaftlichen Zusammenhang unter Einbeziehung der Erreichung des Ziels der Preisstabilität, dann könnten bei den gegenwärtigen Bedingungen am ehesten die Länder Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, die Niederlande, Belgien, Dänemark, Luxemburg und Irland eine Währungsunion bilden. Ein Zusammenhang zwischen den hier diskutierten finanzpolitischen Indikatoren einerseits und der gesamtwirtschaftlichen Stabilität andererseits läßt sich zwar nicht grundsätzlich leugnen. Er ist offenbar aber nicht so eng, daß er mit entsprechenden quantitativen Vorgaben auf alle einzelnen EG-Länder gleichermaßen angewendet werden kann. So gibt es Länder, wie z.B. die Niederlande und Belgien, die zwar relativ hohe Staatsschuldenquoten und auch teilweise noch hohe Defizitquoten haben, oder die Bundesrepublik Deutschland mit einem derzeit durch die deutsche Einheit bedingten hohen Staatsdefizit. Dennoch gehen von diesen Ländern hinsichtlich der Preisstabilität eher stabilisierende Wirkungen auf die Gemeinschaft aus2 , während in anderen Ländern mit teilweise günstigeren Fiskalindikatoren, wie z.B. Großbritannien, die Inflationsmentalität größer ist. Allerdings gibt es auch Länder, wie vor allem Italien, Griechenland und Portugal, die sehr ungünstige Fiskalindikatoren und gleichzeitig eine hohe Inflationsmentalität aufweisen. Es gilt daher ein Verfahren zu finden, das vor allem in den letzteren Ländern die Haushaltsdisziplin erhöht, bevor sie der EG-Währungsunion beitreten, ohne daß den übrigen mehr stabilitätsorientierten Ländern unnötig hohe Hürden für den Eintritt in die Währungsunion vorgeschrieben werden.

1

Die quantitativen Angaben stammen aus Schätzungen der OECD, der EG und des lfolnstituts (fOr die Bundesrepublik Deutschland). 2 Die derzeitige Beschleunigung des Preisanstiegs in der Bundesrepublik Deutschland ist zumindest teilweise durch die Erhöhung der Verbrauchsteuern bedingt.

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Ein derartiges Verfahren könnte so aussehen, daß alle Mitgliedsländer, welche der Währungsunion beitreten wollen, von sich aus bestimmen 1. welche Fiskalindikatoren einschl. goldene Finanzierungsregel sie zur Erreichung und Sicherung der Haushaltsdisziplin in Zukunft heranziehen wollen. Sie müssen auch bereit sein, die entsprechenden Obergrenzen gesetzlich festzuschreiben, 2. welche finanzpolitischen Konsolidierungsmaßnahmen sie bis zum Eintritt in die Währungsunion durchführen wollen, falls diese Obergrenzen gegenwärtig verletzt sind. Die Gesamtheit der EG-Mitgliedsländer könnte dann Fall für Fall entscheiden, ob die unter Punkt 1 genannten Fiskalindikatoren in dem entsprechenden Partnerland als ausreichend für eine Mitgliedschaft in der Währungsunion angesehen werden. Vor Beginn der Währungsunion würde dann auch ersichtlich, ob es in den Ländern, wo es derzeit, gemessen an diesen Obergrenzen, noch einen Konsolidierungsbedarf gibt, gelungen ist, die Haushaltsdisziplin herzustellen. Nur unter dieser Bedingung sollte die Mitgliedschaft möglich sein. Im Unterschied zu den EG-einheitlichen Fiskalindikatoren und Obergrenzen könnten bei diesem flexibleren Verfahren die Besonderheiten und die strukturellen Unterschiede zwischen den Ländern und auch die Eigenverantwortlichkeit besser berücksichtigt werden, ohne daß das eigentliche Ziel der Haushaltsdisziplin vernachlässigt wird. Dieses besteht, wie oben erwähnt, vor allem darin, zu verhindern, daß sich die EG durch die Währungsunion wegen einer zu laxen Finanzpolitik in einigen Ländern und einem davon indirekt ausgehenden Druck auf die Geldpolitik zu einer Inflationsgemeinschaft entwickelt. Eine wichtige Funktion wird dem Überwachungsverfahren durch die Gemeinschaft zukommen. Die zweite Koordinierungsrichtlinie vom März 1990 ist hierfür eine nützliche Grundlage, ihre Effizienz muß jedoch zweifellos noch erhöht werden. Ernsthaft zu erwägen ist, ob bei Verletzung der aufgestellten Haushaltsregeln auf Sanktionen seitens der Gemeinschaft zurückgegriffen werden soll. Zu denken ist an Kürzungen der Zahlungen aus den Strukturfonds oder an eine Änderung des Verteilungsschlüssels der Gewinne der EG-Zentralbank. Auch wenn nicht darauf vertraut werden kann, daß die Androhung von

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Sanktionen ein stabilitätsgerechtes Haushaltsgehehren gewährleistet, so wird dadurch doch der Druck auf die Budgetdisziplin erhöht. Die Disziplinierung der öffentlichen Haushalte in der Währungsunion ist nicht nur bei den nationalen Haushalten, sondern auch beim EG-Haushalt selbst notwendig. Nach Einführung der europäischen Währungsunion wird es nämlich für einzelne Länder keine Möglichkeit mehr geben, durch Veränderungen von Wechselkursen die preisliche Wettbewerbsfähigkeit zu wahren. Dies mag sich disziplinierend auf die Lohnpolitik auswirken, weil man nicht mehr darauf setzen kann, daß Beschäftigungsverluste durch Wechselkursänderungen abgefangen werden. Würde aber die EG den Ländern vermehrt Mittel zur Verfügung stellen, z.B. über eine Aufstockung des Regionalfonds, dann könnte dies zur Folge haben, daß in einzelnen Regionen die Lohndisziplin, aber auch die staatliche Ausgabendisziplin untergraben werden. Anders als im DeiarsBericht gefordert, ist daher keine Aufstockung des Regionalfonds angezeigt. Im Gegenteil, die Schaffung der europäischen Währungsunion würde es zwingend erfordern, den Ausgaberahmen der Gemeinschaft verbindlich zu begrenzen.1 Die Notwendigkeit der Harmonisierung der Steuern in der Europäischen Gemeinschaft wurde für die wichtigsten Steuerarten untersucht. Bei den indirekten Steuern, die im Rahmen der EG-Integration 1993 im Vordergrund stehen, ergibt sich diese Notwendigkeit nur deshalb, weil die Grenzkontrollen abgeschafft werden. Ansonsten wäre bei Geltung des Bestimmungslandprinzips eine Harmonisierung nicht dringlich. Zur Verbesserung der Kapitalallokation ist dagegen eine Harmonisierung der Besteuerung der Kapitaleinkommen angezeigt. Die Gleichheit der effektiven Steuersätze kann dabei erreicht werden, wenn die Wohnsitzländer die Investoren nach dem gesamten im Inland und Ausland erzielten Einkommen besteuern - wobei die Ermittlung der steuerpflichtigen Einkommen überall gleich ist und gleichzeitig eine volle Anrechnung der im Ausland bezahlten Steuern auf die Einkommensteuerschuld im Inland gewährt wird. ln diesem Fall erhalten 1

Vgl. Die Lage der Weltwirtschaft und der Deutschen Wirtschaft im Herbst 1991, Gutachten der Arbeitsgemeinschaft deutscherwirtschaftswissenschaftlicher Forschungsinstitute, in: ifo Wirtschaftskonjunktur Oktober 1991.

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die Investoren bei überall gleichem Kapitalertrag vor Steuern auf ihre in- und ausländischen Kapitaleinsätze auch die gleichen Nettoerträge. Die Kapitalmobilität bewirkt dann einen Ausgleich der Kapitalerträge vor Steuern zwischen den Ländern. Ein derartiges Steuersystem erfüllt das Neutralitätskriterium im Hinblick auf die Kapitalexporte, weil es keine Anreize erhält, Kapital zwischen den Ländern zu verlagern. Zusätzlich ist das Kriterium der horizontalen Gleichheit erfüllt, weil inländische und ausländische Kapitaleinkünfte gleich behandelt werden. Steuerzahler mit gleichen Kapitaleinkünften werden dann gleich hoch belastet, gleichgültig aus welchen Gründen die Einkünfte stammen. Für eine effiziente Kapitalallokation in der EG sind zwei Voraussetzungen nötig: Die steuerpflichtigen Gewinne sollten überall möglichst den tatsächlichen (ökonomischen) Gewinnen entsprechen und das Wohnsitzland der Einkommensteuer sollte auch überall gelten. Falls also bei der Kapitaleinkommensbesteuerung die Steuerbemessungsgrundlage harmonisiert wird, ist es nicht nötig, die Steuersätze zu harmonisieren. Um das Neutralitätskriterium beim Kapitalexport zu erfüllen, müssen aber - wie oben erwähnt - die Mitgliedsländer das Wohnsitzland bei der Besteuerung der Zinserträge anwenden. Im Steuerrecht der Mitgliedsländer ist dieses Prinzip grundsätzlich verankert. ln der Praxis bleiben aber Zinseinkommen häufig steuerfrei. Nur Dänemark, Frankreich, die Niederlande und Großbritannien verlangen bisher von den Kreditinstituten eine Meldepflicht der Zinseinkommen ihrer inländischen Kunden an die Finanzämter, während die Zinseinkünfte der Ausländer auch dort nicht gemeldet werden. Die Steuerhinterziehung der Zinseinkünfte dürfte in der EG also erheblich sein und sie dürfte mit steigender Kapitalmobilität weiter zunehmen. ln der Bundesrepublik hat das Bundesverfassungsgericht die Bundesregierung vor kurzem aufgefordert, geeignete Maßnahmen gegen die Steuerhinterziehung der Zinseinkünfte zu treffen. Falls es überall eine Quellensteuer auf Kapitalerträge in gleicher Höhe geben würde, könnte dem Effizienzziel bei der Kapitalallokation besser entsprochen werden als derzeit. Aber die entsprechenden Steuersätze sind innerhalb der EG sehr ungleich und der Vorschlag der EG-Kommission, einen einheitlichen

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Quellensteuersatz von 15 % einzuführen, wurde, nicht zuletzt auch aus der - wie die Erfahrung in der Bundesrepublik gezeigt hat - nicht unberechtigten Sorge vor Kapitalflucht, abgelehnt. Auch die andere Möglichkeit, das Effizienzziel über eine Meldepflicht der Banken an die Finanzämter zu erreichen, hat gegenwärtig wenig Realisierungschancen, weil damit das in vielen Ländern als unverzichtbar geltende Bankgeheimnis verletzt würde. Um Kapitalexportneutralität bei den Direktinvestitionen zu erreichen, müssen die multinationalen Unternehmen nach ihrem Welteinkommen besteuert werden, wobei das Wohnsitzland der Muttergesellschaft für die im Ausland von den Tochtergesellschaften bezahlten Steuern eine volle Anrechnung geben muß. ln der Realität ist dieses Erfordernis bei weitem nicht erfüllt. Falls die Steuersysteme so umgestellt würden, wären sie hinsichtlich der Direktinvestitionen neutral, trotz bestehender Unterschiede in den effektiven Gewinnsteuersätzen. Allerdings würde auch dann ein Druck bestehen, die Steuersätze anzunähern. Ansonsten bestünden bei den multinationalen Unternehmen Anreize, ihren Sitz in Länder mit niedrigen Steuersätzen zu verlagern. Dies würde nicht nur zu Einnahmeverlusten in den Hochsteuerländern, sondern auch in den Niedrigsteuerländern führen, denn letztere müßten den Unternehmen die Anrechnung der höheren Auslandssteuern voll gewähren und evtl. auch Erstattungen leisten. Es liegt daher auch bei derart umgestalteten Steuersystemen im Interesse aller Länder, die effektiven Gewinnsteuersätze anzunähern. Auch wenn die Harmonisierung der Steuern auf Arbeitseinkommen gegenwärtig nicht sehr dringlich ist und so viel nationale Souveränität wie möglich erhalten bleiben sollte, dürfte in nicht allzu ferner Zukunft doch eine gewisse Harmonisierung notwendig werden. Die "Ökosteuern" dürften in Zukunft eine größere Bedeutung in den Steuersystemen der EG-Länder erhalten. Soweit dies praktikabel ist, sollten sie die externen Umweltkosten beim Verursscher oder beim Verbraucher möglichst internalisieren. Da die Umweltschäden häufig länderübergreifend sind und einseitige steuerliche Maßnahmen einzelner Länder deren internationale Wett-

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bewerbsfähigkeit mindern können, ist hier eine internationale Koordinierung dringlich. Insgesamt zeigt sich also, daß die Frage nach der Notwendigkeit und den Chancen einer Koordinierung der Finanzpolitik in der zukünftigen Europäischen Währungsunion sehr vielschichtig ist. Die immer stärker werdenden Verflechtungen und Abhängigkeiten der europäischen Volkswirtschaften führen zwangsläufig zu einer Einschränkung der nationalen Autonomie der Wirtschaftspolitik. Daraus ergibt sich ein Druck in Richtung wirtschaftspolitischer Abstimmung auf Gemeinschaftsebene. Letztlich wird sich das Dilemma zwischen nationaler Souveränität und gemeinschaftlicher Rücksichtnahme aber erst auflösen, wenn die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion in einer politischen Union aufgeht.

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