Markt – Republik – Tugend: Probleme gesellschaftlicher Modernisierung im britischen politischen Denken 1670–1790 9783050073057, 9783050030142


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German Pages 459 [460] Year 1996

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Table of contents :
Abkürzungen
Einleitung
Teil 1: Übersicht
Kapitel 1 : Das Problemfeld
Kapitel 2: Die Diskursstruktur
Teil 2: Einzelanalysen
Kapitel 3: England
1. William Temple und das Vorbild der Niederlande
2. John Locke und die Geldwirtschaft
3. Charles Davenant und die „modern Whigs“
4. John Toland: „Real Whig“
5. Cato und der „Bubble“
Exkurs: Montesquieu und der „Commerce“
Kapitel 4: Schottland
Die schottische Perspektive. Die Aufklärungsbewegung
1. Andrew Fletcher und die „Union'“
2. Francis Hutcheson
3. David Hume
4. Henry Home-Lord Kames
5. James Steuart
6. Adam Smith
7. Adam Ferguson
Teil 3: Schluss
Kapitel 5 : Resümee
Kapitel 6: Ausblick
Anhang
Literaturverzeichnis
A. Manuskripte
B. Literatur bis 1815
C. Literatur nach 1815
D. Bildbände
Personenregister
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Markt – Republik – Tugend: Probleme gesellschaftlicher Modernisierung im britischen politischen Denken 1670–1790
 9783050073057, 9783050030142

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Raimund Ottow Markt - Republik - Tugend

Politische Ideen Herausgegeben von Herfried Münkler

Band 5

Die politische Ideengeschichte hat seit dem Ende der Systemkonkurrenz zwischen Ost und West, der Transformation der Gesellschaften Mittel- und Osteuropas, aber auch mit der seit dem Wegfall des klassischen Gegenbildes dringender gewordenen Fragen nach Werten und Zielen der westlichen Demokratien, nach der Möglichkeit von Gemeinwohlorientierungen usw. neue Bedeutung gewonnen. Gibt es in dem zunehmend differenzierten und segmentierten Fach Politikwissenschaft einen Bereich, in dem die verschiedenen Fragestellungen und Ansätze zusammengeführt werden, so ist dies die Geschichte der politischen Ideen sowie die politische Theorie. Insbesondere die politische Ideengeschichte erweist sich dabei als das Laboratorium, in dem gegenwärtige politische Konstellationen gleichsam experimentell an den Theoriegebäuden vergangener Zeiten überprüft, durchdacht und intellektuell bearbeitet werden können. Eine so verstandene politische Ideengeschichte ist gegenwartsbezogen, auch wenn sie sich den aktuellen politischen Problemen nur mittelbar zuzuwenden scheint. Diese Reihe soll ein Ort für die Publikation solcher Studien sein. Sie wird herausragende Texte zur politischen Ideengeschichte und zur politischen Theorie veröffentlichen.

Raimund Ottow

Markt-RepublikTugend Probleme gesellschaftlicher Modernisierung im britischen politischen Denken 1670-1790

Akademie Verlag

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Ottow, Raimund: Markt - Republik - Tugend : Probleme gesellschaftlicher Modernisierung im britischen politischen Denken ; 1670 - 1790 / Raimund Ottow. - Berlin : Akad. Verl., 1996 (Politische Ideen ; Bd. 5) Zugl.: Hamburg, Univ., Diss., 1995 ISBN 3-05-003014-3 NE: GT

© Akademie Verlag GmbH, Berlin 1996 Der Akademie Verlag ist ein Unternehmen der VCH-Verlagsgruppe. Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem Papier. Das eingesetzte Papier entspricht der amerikanischen Norm ANSI Z. 39.48 -1984 bzw. der europäischen Norm ISO TC 46. Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. All rights reserved (including those of translation into other languages). No part of this book may be reproduced in any form - by photoprinting, microfilm, or any other means - nor transmitted or translated into a machine language without written permission from the publishers. Druck und Bindung: DH „Thomas Müntzer", Bad Langensalza Einbandgestaltung: Günter Schorcht, Berlin Printed in the Federal Republic of Germany

Inhalt

Abkürzungen

7

Einleitung

9

Teil 1: Übersicht

13

Kapitel 1: Das Problemfeld Bürgerliche Zivilisation · Dialektik der Kommodifizierung · Themenwechsel · Das moderne Handlungssystem · Alte und neue Ethik · Anerkennung, Prestige, Konkurrenz · Markt und Ethik · After Virtue • Recht, Moral, Ethik · „Negative Freiheit" · Politik und Sozialstruktur · Tugend und Institutionen · Politische Steuerung · Öffentlichkeit, Parteien · „Court" und „Country" · „Country"-Themen · Resümee

13

Kapitel 2: Die Diskursstruktur Der naturrechtliche Bruch · Bürgerhumanismus • Die Rhetorik der „Interests" · Politeness und Civil Society · Soziologische Imagination · Anfange der Demokratie

87

Teil 2: Einzelanalysen

105

Kapitel 3: England 1. William Temple und das Vorbild der Niederlande 2. John Locke und die Geldwirtschaft Eigentum, Geld, bürgerliche Gesellschaft · Politische Institutionen · Resümee 3. Charles Davenant und die „modern Whigs" 4. John Toland: „Real Whig" 5. Cato und der „Bubble"

105 105 110

Exkurs: Montesquieu und der „Commerce"

144

Kapitel 4: Schottland Die schottische Perspektive · Die Aufklärungsbewegung 1. Andrew Fletcher und die „Union" 2. Francis Hutcheson Wissenschaftstheorie • Moralphilosophie · Gesellschaftstheorie · Ökonomie · Politik · Schluss

147

122 127 132

156 159

3. David Hume Konventionen und Zivilisation · Mensch und Geschichte · Kultur ·

189

Commerce • Parteiung • Ancient Constitution und Feudalismus · Ab-

solutismus und Miliz • John Miliar über den Absolutistischen Moment • Delegitimation • Patronage • Staatsschuld: Selbstdestruktion • Imperialismus und „Radikalismus" · Politische Utopie und Föderation · Schluss 4. Henry Home-Lord Kames Moralphilosophie · Evolutionstheorie · Verdichtete Sozialität · Recht und Moral · Individuum, Freihandel, Public Spirit • Herrschaft und Regierung • Zyklen der Degeneration · Resümee · Intellektueller Klimawechsel: Ossian 5. James Steuart Politische Ökonomie • Herrschaft · Take-Off und Commercial Society • Der Statesman • Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik · Krisenzyklen · Schluß 6. Adam Smith Das Wissenschaftssystem · Entwicklung moralischer Kompetenz • Defekte der Moralität · Klugheit, Gerechtigkeit, Beneficence, Public Spirit · Jurisprudence

und Legislator

258

292

320

· Die Entwicklung der Com-

mercial Society • Selbstorganisation, Systemdenken, Herrschaft · Soziale Klassen und kollektive Akteure · Arbeitsteilung · Miliz und Standing Army · Schluß

7. Adam Ferguson Sozialität und Dynamik des Menschen · Soziale Differenzierung · Rechtes, Gutes, Politik · Herrschaft • Miliz · Schluß

389

Teil 3: Schluss

415

Kapitel 5: Resümee

415

Kapitel 6: Ausblick

423

Anhang

431

Literaturverzeichnis A. Manuskripte 431 B.Literatur bis 1815 431 C. Literatur nach 1815 438 D. Bildbände 455

431

Personenregister

456

Abkürzungsverzeichnis

AES AGP AJPS AJS AöR APSR ARS ARSP AS ASchr. ASR AW BH BJECS BJPS BJS CJPS CS CW DZP EC EJ ES FNSB GG GG-Lexikon HB HEI HJ ΗΡΕ HPT HZ USE JB JBNPÖ JEI JHBS

Archives Europeennes de Sociologie Archiv für Geschichte der Philosophie American Journal of Political Science American Journal of Sociology Archiv des öffentlichen Rechts American Political Science Review Annual Review of Sociology Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Acta Sociologica Ausgewählte Schriften American Sociological Review Ausgewählte Werke Beiheft British Journal for Eighteenth Century Studies British Journal of Political Science British Journal of Sociology Canadian Journal of Political Science Current Sociology Collected Works Deutsche Zeitschrift für Philosophie The Eighteenth Century The Economic Journal Economy and Society Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen Geschichte und Gesellschaft Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, hg. v. 0 . Brunner et al., Stg., 1972 ff. Handbuch, Handbook History of European Ideas Historical Journal History of Political Economy History of Political Thought Historische Zeitschrift International Journal of Social Economics Jahrbuch Jahrbuch für Neue Politische Ökonomie Journal of Economic Issues Journal of the History of the Behavioral Sciences

JHI JHP JITE JMH JP KZSS LJ MEW NLR NPL PP PS PSc PSt PT PVS RP RSE Scott. JPΕ SECC SEJ SH SH SR SVEC TMS WN

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Journal of the History of Ideas Journal of the History of Philosophy Journal of Institutional and Theoretical Economics Journal of Modern History The Journal of Politics Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie Adam Smith: Lectures on Jurisprudence, Glasgow-Edition, Bd. V, hg. v. R. L. Meek et al., Indianapolis, 1982. Marx-Engels-Werke New Left Review Neue Politische Literatur Past and Present Politics and Society Political Science Political Studies Political Theory Politische Vierteljahresschrift The Review of Politics Review of Social Economy Scottish Journal of Political Economy Studies in Eighteeenth Century Culture Southern Economic Journal Sonderheft Social History Social Research Studies on Voltaire and the Eighteenth Century Adam Smith: The Theory of Moral Sentiments, Glasgow-Edition, Bd. I, hg. v. D. D. Raphael/A. L. MacFie, Indianapolis, 1982. Adam Smith: An Inquiry into the Nature and the Causes of the Wealth of Nations, Glasgow-Edition, Bd. Π, hg. v. R. H. Campbell/A. S. Skinner, 2 Bde., Indianapolis, 1981. The William and Mary Quarterly The Western Political Quarterly Zeitschrift fur Politik Zeitschrift für Historische Forschung Zeitschrift für Philosophische Forschung Zeitschrift fur Wirtschafts- und Sozialwissenschaften

„Wir müssen

erklären,

daß sich staatsbürgerliche miteinander

verflechten",

wie es im Prinzip Moral

und

möglich

ist,

Eigeninteresse

Jürgen Habermas'

Einleitung Der B e g r i f f der sogenannten „bürgerlichen Gesellschaft" 2 beinhaltet das Ideal der A u s g e w o g e n h e i t relativ z u r ü c k g e n o m m e n e r Politik und e i n e m w e i t e n R a u m ungestörter Privatheit, verbunden durch den Bereich öffentlichen Lebens, der w e n i g geregelt, aber in spontaner Interaktion der bürgerlichen Subjekte vielfaltig gestaltet ist und in seiner relativen Formlosigkeit g l e i c h w o h l den G e s e l l s c h a f t s p r o z e ß zentriert. D i e s e s M o d e l l ist abgegrenzt g e g e n feudalen „Militarismus", g e g e n den Ständestaat und adlige Privilegierung s o w i e g e g e n A b s o l u t i s m e n . Es bildet im bürgerlichen D e n k e n den R a h m e n für den fortschreitenden Prozeß der M o d e r n e 3 seit der Aufklärungsperiode und erscheint als Voraussetzung der Erschließung der (technischen) S e g n u n g e n der M o d e r n e für den g e s e l l schaftlichen N u t z e n . D a s Vertrauen in d i e s e s G e s e l l s c h a f t s m o d e l l ist verloren gegangen, j e d e n f a l l s der O p t i m i s m u s , e s stelle sich v o n selbst her und stabilisiere sich automatisch. D i e moderne D i s k u s s i o n über die „civil society", die „Zivilgesellschaft" oder auch „Bürgergesellschaft", schließt - schon terminologisch - nicht bruchlos an D i s k u s s i o n e n über die „bürgerliche Gesellschaft" an 4 ; sie ist an der Transformation der e h e m a l i g e n

Zur Zitierweise: Ich gebe die Quelle bei erster Nennung vollständig an, dann in Kurzform; gelegentlich fuge ich in () das Jahr der Erstpublikation an. Zeitschriften sind kursiv gesetzt; die Band- und Jahrgangszählung folgt dem Jahr. [] Klammem stammen von mir. Hervorhebungen in Zitaten sind, soweit nicht anders gesagt, aus dem Original übernommen. 1 Volkssouveränität als Verfahren, Merkur, 1989: 43, S.475. 2 M. Riedel: Gesellschaft, bürgerliche, in: GG-Lexikon, Bd. II, Stg., 1975, S. 719-800; ders.: Gesellschaft, Gemeinschaft, ibid., S. 801-62; U. Haltern: Bürgerliche Gesellschaft. Sozialtheoretische und sozialhistorische Aspekte, Darmstadt, 1985; ders.: Die Gesellschaft der Bürger, Literaturbericht, GG, 1993: 19, S. 100-34; Z. Batscha/J. Garber (Hg.): Von der ständischen zur bürgerlichen Gesellschaft. Politisch-soziale Theorien im Deutschland der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, F£m., 1981; G. W. F. Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts, oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse, Ffm., 1976, §182, Zus., S. 339; eine andere Position nimmt W.H.Riehl ein: Die bürgerliche Gesellschaft (1851), hg. v. P. Steinbach, Fftn. /Berlin/Wien, 1976. 3 Über den Gegensatz von „Tradition" und „Modernität" siehe bes. R. Bendix: Nation-Building and Citizenship. Studies of our changing social order (1964), Berkeley etc., 2. ed., 1977, Teil 3 (1969). 4 Siehe J. Keane: Democracy and Civil Society. On the Predicaments of European Socialism, the Prospects for Democracy, and the Problem of Controlling Social and Political Power, London/NY, 1988; R. Schmalz-Bruns: „Civil Society" - neue Perspektiven der Demokratisierung?, FNSB, 1989: 2, S. 20-34; ders.: Civil Society - ein postmodernes Kunstprodukt? Eine Antwort auf Volker Heins, PVS, 1992: 33, S. 243-55; ders.: Die Konturen eines „neuen Liberalismus". Zur Debatte um Liberalismus, Kommunitarismus und Civil Society, ibid., S. 662-72; V. Heins: Ambivalenzen der Zivilgesellschaft, ibid., S. 235-42; A. Demirovic: Zivilgesellschaft, Öffentlichkeit, Demokratie, Argument, 1991: 33, S. 41-55; Pat Devine: Economy, state and civil society, ES, 1991: 20, S. 205-16; R. Bendix: Staat, Legitimierung, „Zivilgesellschaft", Berliner Journal für Soziologie, 1991: 1, S. 3-11; F. Nullmeier: Zivilgesellschaftlicher Liberalismus - Schattenseiten eines Trends politischer Theorieentwicklung, FNSB, 1991: 4, H3, S. 13-26; A. Honneth: Konzeptionen der „civil society", Merkur, 1992: 46, S. 61-6; Ralf Dahrendorf: Moralität, Institutionen und die Bürgergesellschaft, ibid., S. 557-68. Auf der Linken schließt die Diskussion über die ,Zivilgesellschaft" besonders an die Wiederentdeckung Antonio

10

Einleitung

„Ein-Parteien-Regime" des Ostens orientiert, oder - im Westen - an der Problematik der Revitalisierung der öffentlichen Sphäre unter dem Druck der spätkapitalistischen globalen Ökonomie einerseits sowie den imperial ausgreifenden Bürokratisierungsprozessen andererseits. Durch bestimmte zentrale Motive hindurch existiert jedoch eine Kontinuität des Denkens über die „bürgerliche Gesellschaft", die sich vor allem an der Frage nach den Bedingungen bürgerlicher Freiheit festmacht. Eine „normative theory of civil society and the state" könnte daher „profit from critical dialogues with early modern political thought", wie John Keane meint 5 . In diesem Text geht es um eine frühe Phase der Diskussion über die „bürgerliche Gesellschaft", die in der Aufklärungsperiode als theoretisches Konzept zu einem klassischen gesellschaftlichen Leitbild entwickelt wird. Dabei ist die Vorstellung, die Idee bürgerlicher Gesellschaft sei, sagen wir, im siebzehnten Jahrhundert geboren worden, habe sich im Laufe des achtzehnten bis frühen neunzehnten Jahrhunderts zur Reife entwickelt Locke bis Hegel, die klassische Phase - und sei dann mit Tocqueville 6 , John Stuart Mill 7 und Marx in die Kritik geraten, zwar in langfristiger ideengeschichtlicher Analyse nicht falsch 8 , sie läßt aber übersehen, daß bereits zur Zeit der Herausbildung des Konzeptes Zweifel und Skepsis gegenüber der „bürgerlichen Gesellschaft" bestanden, und zwar auch und gerade bei solchen Autoren, die entscheidende Beiträge zu ihrer Theorie geliefert haben 9 . Ein zentrales Problem dabei ist der neuzeitlich-moderne Bruch mit antiken Denktraditionen über die „Politik", ihren Inhalt und ihre Reichweite im Beziehungsgefüge von Markt, Staat, Gesellschaft und Individuum, denn mit der dominanten Marktvergesellschaftung eines westeuropäischen Raumes in der frühen Neuzeit wurden die Bedingungen der Politik grundlegend geändert. Dabei wird der antike Politikbegriff aufgesprengt und der tradierte Bürgerbegriff zerlegt in den Wirtschaftsbürger, den „Bourgeois", einerseits und den politischen Staatsbürger, den „Citoyen", andererseits. Dieses Begriffspaar drückt ein Spannungsverhältnis zwischen den Vergesellschaftungs-

5 6 7

8

9

Gramscis an, siehe N. Bobbio: Gramsci and the Concept of Civil Society, in: J. Keane (Hg.): Civil Society and the State. New European Perspectives, London/NY, 1988, S. 73-99; K.Priester: Die Bedeutung von Gramscis „erweitertem" Staatsbegriff, in: Eurokommunismus und marxistische Theorie der Politik, hg. v. Arbeitskreis Westeuropäische Arbeiterbewegung, Argument-Sonderband 44, Berlin, 1979, S. 30-44; M. Jäger: Von der Staatsableitung zur Theorie der Parteien - ein Terrainwechsel im Geiste Antonio Gramscis, ibid., S. 45-64; Sabine Kebir: Gramscis Begriff der „bürgerlichen Gesellschaft". Entstehungsgeschichte und Aktualität, PVS, 1985: 26, S. 183-204. J. Keane: Introduction, in: ders. (Hg.): Civil Society and the State, S. 28; s. a. ders.: Despotism and Democracy, ibid., S. 35-71. A. de Tocqueville: Über die Demokratie in Amerika (1835/40), München, 2. Aufl., 1984; J. P. Mayer: Alexis de Tocqueville, Analytiker des Massenzeitalters, (1939), München, 3. Aufl., 1972. J. S. Mill: Principles of Political Econonmy, with some of their Applications to Social Philosophy (1848), Books IV and V, hg. v. D. Winch, Harmondsworth, 1985; ders.: Über Freiheit (1859), Ffin., 1969; ders.: On Socialism (1879), introd. L. S. Feuer, Buffalo, 1987. Als Übersichten über die Geschichte des politischen Denkens lege ich zugrunde: G. H. Sabine: A History of political Theory, NY, 3. ed., 1966; Η. Fenske et al.: Geschichte der politischen Ideen. Von Homer bis zur Gegenwart, Ffin., 1987; I. Fetscher/H. Münkler (Hg.): Pipers HB der politischen Ideen, Bd. III: Neuzeit: Von den Konfessionskriegen bis zur Aufklärung, München/Zürich, 1985; H. J. Lieber (Hg.): Politische Theorien von der Antike bis zur Gegenwart, Bonn, 1991. Möglich, daß Udo Bermbach die kritischen Potentiale der schottischen Aufklärung unterschätzt: Politische Institutionen und gesellschaftlicher Wandel. Zum Institutionenverständnis im politischen Denken der Neuzeit, in: ders.: Demokratietheorie und politische Institutionen, Opladen, 1991, S. 193-211, Schluß.

Einleitung

11

formen10 „Markt"11 und „Republik"12 aus, das sich für die Individuen als Konflikt normativer Leitbildern darstellt und in Umformungen des „Tugend"-Begriffs mündet, die tendenziell „privatisiert" wird13. Parallel dazu spaltet sich der Begriff „Freiheit" in eine „negative" zivile Freiheit und eine „positive" politische Freiheit. Und es setzt sich die Erkenntnis durch, die „kommerzielle Gesellschaft" begründe eine neue Etappe der abendländischen Zivilisation14. Dieser Prozeß soll hier im Rahmen eines Abschnittes der britischen politischen Ideengeschichte anhand der erkenntnisleitenden Fragen untersucht werden: Wie wandeln sich die ethischen Strukturen unter dem Druck der Marktvergesellschaftung? Ist die Entwicklung der Marktvergesellschaftung und der „kommerziellen Kultur" mit bestimmten politischen Formen verknüpft? Wie wurde die politische Steuerung der neuen Ökonomie gedacht? Welche Rolle spielt die Kultur bei der Vermittlung von Politik und Ökonomie? Welche politischen Konsequenzen wurden aus der Dynamisierung der sozialen Verhältnisse gezogen? Und genereller interessiert mich, wie intellektuelle Traditionen unter dem Druck gesellschaftlicher Modernisierung transformiert werden. Ich widme diese Arbeit dem Andenken an Margarete Ottow, geb. Fritze, 1916-1993, und ich danke besonders meinem Lehrer Professor Dr. Udo Bermbach, Hamburg, der mich jahrelang freundschaftlich unterstützt und mir viele Anregungen gegeben hat, sowie Professor Dr. Günter Trautmann, Hamburg. Außerdem danke ich dem „Deutschen Historischen Institut", London, fur ein ZweiMonats-Stipendium 1991 und meiner Familie, Barbara für Logistik, Anneliese für weniger Fehler, Peter für Computerhilfe und ihm, Wolfgang sowie Wilfried für Druckhilfe.

10 Zum Begriff: G. Simmel: Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung, hg. v. O. Rammstedt, Gesamtausgabe, Bd. 11, Ffin., 1992, bes. S. 18f. 11 A.Marshall: Principles of Economics. An introductory volume, Basingstoke/London, 8. ed., 1986, App. A: The Growth of Free Industry and Enterprise; M. Weber: Wirtschaftsgeschichte. Abriß der universalen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Berlin, 3. Aufl., 1958; ders.: Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie, Tübingen, Studienausgabe, 5. Aufl., 1985, 1. Teil, Kap. II; W. Röpke: Die Lehre von der Wirtschaft, Bern/Stg., 12. Aufl., 1979. 12 Siehe zu diesem Begriff W. Euchner: Art.: Staatsformen, in: Handlexikon zur Politikwissenschaft, hg. v. W. W. Mickel/D. Zitzlaff, München, 1983; J. Isensee: Art.: Republik, in: Staatslexikon, hg. v. d. Görres-Gesellschaft, 7. Aufl., Bd. IV, Fbg. etc., 1988, Sp. 882-85; W. Mager: Art.: Republik/Gemeinwohl, in: GG-Lexikon, Bd. V, Stg., 1984, S. 549-651. 13 Siehe die einschlägige Untersuchung von Sh. Burtt: Virtue transformed. Political Argument in England, 1688-1740, Cambridge, 1992. 14 N. Elias: Über den Prozeß der Zivilisation (1939), Ffin., Bd. I, 14. Aufl., 1989, Bd. II, 13. Aufl., 1988; J. Starobinski: Das Wort Zivilisation, in: ders.: Das Rettende in der Gefahr. Kunstgriffe der Aufklärung (1989), Ffin., 1992, S. 9-64; J. Fisch: Art.: Zivilisation, Kultur, in: GG-Lexikon, Bd. VII, Stg., 1992, S. 679-774.

Teil 1: Übersicht Kapitel 1: Das Problemfeld Bürgerliche Zivilisation Die moderne bürgerliche Gesellschaft entsteht als neuer Gesellschaftstypus mit der Durchsetzung der Marktwirtschaft1 und dem modernen Staat in der europäischen Neuzeit, jedoch nicht überall gleichzeitig 2 . Nach Anfängen in den italienischen Stadtrepubliken3 dehnte sich die bürgerliche Zivilisation nach Mittel- und Westeuropa aus, in den Worten Otto Brunners: „In Europa ist der ältere Handel und Kaufmannstyp vom 11. bis 13. Jahrhundert von einem jüngeren abgelöst worden. Hier entsteht ein europäisches Fernhandelssystem, das sein Zentrum in einer von Mittel- und Oberitalien über die Rhein- und Rhonelandschaften bis in die Niederlande reichenden Zone intensivster gewerblicher Entwicklung hat... Hier entstehen die einander ablösenden zentralen Märkte und Messeplätze, ... hier liegen die großen Exportgewerbestädte... [Diese] weiten sich früh zu Exportgewerbelandschaften, und diese greifen schließlich von der Kernzone in andere Teile Europas aus... Dieser Prozeß bedeutet das Durchdringen einer Verstädterung, die Ausbildung eines wenn auch verschieden dichten Netzes von größeren, mittleren und kleinen Städten. Hier entsteht ein Geflecht von Marktbeziehungen.. ."4. Im 15. Jahrhundert, so Werner Sombart, habe Florenz „von Bürgerlichkeit formlich [gejtrieft"5, Peter Burke hat jedoch darauf hingewiesen, daß sich das Kaufmannspatriziat in Florenz im späten 15. Jahrhundert zu einer Adelsklasse verfestigte, und „ähnliche Ab1 Eine neoliberale Textsammlung zur Marktwirtschaft ist: W. Stützel et al. (Hg.): Grundtexte zur Sozialen Marktwirtschaft. Zeugnisse aus zweihundert Jahren ordnungspolitischer Diskussion, Ludwig-ErhardStiftung, Stg. /NY, 1981. 2 L. Kotier. Zur Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft (1948), Darmstadt/Neuwied, 7. Aufl., 1979. Hegel: Rechtsphilosophie, § 182. Siehe zur Sozialgeschichte der Neuzeit: L. Bauer/H. Matis: Geburt der Neuzeit. Vom Feudalsystem zur Marktgesellschaft, München, 1988; M. Weber: Wirtschaftsgeschichte; W. Sombart: Der Bourgeois. Zur Geistesgeschichte des modernen Wirtschaftsmenschen (1913), Reinbek, 1988; B. vom Brocke (Hg.): Sombarts „Moderner Kapitalismus". Materialien zur Kritik und Rezeption, München, 1987; Μ. H. Dobb: Studies in the Development of Capitalism (1946), London/Henley, 2. ed., 1981; Ρ. Μ. Sweezy et al.: Der Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus (1950-78), Ffin., 1984; I. Wallerstein: The Modem World System, San Diego/NY etc., 3 Bde., 1974, 1980, 1989; ders.: Der historische Kapitalismus (1983), Berlin, 1984; verschiedene Beiträge in J. Baechler et al. (Hg.): Europe and the Rise of Capitalism, Oxford, 1988. 3 A. Smith: WN, Bd. I, S. 406; F. List: Das nationale System der politischen Ökonomie, hg. v. Α. Sommer, Basel/Tübingen, 1959, 1. Buch; P. Burke: Die Renaissance in Italien. Sozialgeschichte einer Kultur zwischen Tradition und Erfindung (1972), München, 1988. 4 Stadt und Bürgertum in der europäischen Geschichte, in: ders.: Neue Wege der Sozialgeschichte, Vorträge und Aufsätze, Göttingen, 1956, S. 89f.; s. a. H. van Werveke: The rise of the towns (1940), in: Μ. Μ. Postan et al. (Hg.): The Cambridge Economic History of Europe, Bd. Ill: Economic Organization and Policies in the Middle Ages, Cambridge, 1963; Henri Pirenne: Städte, Märkte, Kaufleute im Mittelalter (1898), in: H. Stoob (Hg.): Altständisches Bürgertum, Bd. II, Dannstadt, 1978; Wallerstein: Modem World System, Bd. I. 5 W. Sombart: Der Bourgeois, S. 328; siehe als Überblick S. Bortone: Florenz. Führer durch die Kunstund Kulturgeschichte (1985), München/Zürich, 1986.

14

Kapitel 1: Das Problemfeld

schottungstendenzen haben die Historiker auch in anderen Städten festgestellt"6, ein Prozeß, der mit der Verschiebung des Zentrums der europäischen Ökonomie vom Mittelmeer an den Atlantik zusammenhängt7. Im 17. Jahrhundert bildete die Föderativrepublik der „Vereinigten Provinzen der Niederlande" die Avantgarde der bürgerlichen Zivilisation. Die niederländische war, wie die oberitalienische, eine um Handelsstädte8 gruppierte Kultur, eine bürgerlich geprägte Territorialherrschaft, die im Konzert der europäischen Mächte eine wichtige Rolle spielte und somit die Herrschaft des monarchischen Prinzips wirksam in Frage stellte9. Eine zweite Republik war die ebenfalls föderativ strukturierte Schweiz, aber im ganzen war der traditionell als politische Form für städtische Siedlungen verstandene Republikanismus10 gegenüber den monarchisch organisierten Flächenstaaten in der Defensive, bevor mit den Anfangen der Demokratie die inklusive Tendenz der modernen Politik die bürgerschaftliche Basis verbreiterte und in Nordamerika am Ende des 18. Jahrhunderts der Beweis für die Funktionsfähigkeit von Territorialrepubliken geführt wurde". Auch die englische Commonwealth-Republik als Ergebnis der „Great Rebellion"12 blieb eine Episode, allerdings mit starkem ideengeschichtlichen Nachhall. Die Interpretationen der englischen Revolution der Mitte des 17. Jahrhunderts sind nicht einheitlich im Urteil über ihren sozialen Charakter13. Getragen wurde sie von einem Bündnis von Kräften, die keineswegs durchgehend als bürgerlich oder modernistisch angesprochen 6 Die Renaissance in Italien, S. 292. 7 Siehe I. Wallerstein: The Modem World System; Montesquieu schreibt in seinem De L 'Esprit des Lois: „Par la decouverte du cap de Bonne-Esperance, et Celles qu'on fit quelques temps apres, l'Italie ne fut plus au centre du monde commercant; eile fut, ä ainsi dire, dans un coin de l'univers, et eile y est encore", Paris, 1979, Bd. II, Buch 21, Kap. 21, S. 65. 8 I. Wallerstein: The Modern World-System, Bd. II, S. 45 : „In 1622 60% of the population of the United Provinces were townsfolk; and of these, 3/4 were in towns with over 10. 000 people"; Peter Burke: Republics of merchants in Early Modern Europe, in: Jean Baechler et al. (Hg.): Europe and the Rise of Capitalism, S. 220-33. 9 Siehe als Übersicht F. Venturi: Utopia and Reform in the Enlightenment, Cambridge, 1971, Kap. 1; eine breit angelegte Untersuchung der Geschichte der Volkssouveränität bietet: R. Bendix: Könige oder Volk. Machtausübung und Herrschaftsmandat (1978), 2 Bde., Flin., 1980. 10 Siehe den Beitrag von Heinz Schilling: Gab es im späten Mittelalter und zu Beginn der Neuzeit in Deutschland einen städtischen „Republikanismus"? Zur politischen Kultur des alteuropäischen Stadtbürgertums, in: H. G. Koenigsberger (Hg.): Republiken und Republikanismus im Europa der Frühen Neuzeit, S. 101-43. 11 Siehe ibid. den Schlußbeitrag des Herausgebers, S. 285-302. 12 So die Bezeichnung durch den zeitgenössischen Royalisten und Historiker Lord Clarendon. Siehe zum Revolutionsbegriff K. Griewank: Der neuzeitliche Revolutionsbegriff. Entstehung und Entwicklung (1955), hg. v. I. Horn-Staiger, Ffin., 2. Aufl., 1969; I. Geiss/R. Tamchina (Hg.): Revolution - ein historischer Längsschnitt, München, 1974; zur politischen Soziologie Englands in der frühen Neuzeit siehe: R. Bendix: Könige oder Volk, Bd. I, Kap. 6, Bd. II, Kap. 9. 13 Siehe zur englischen Revolution T. Hobbes: Behemoth, oder Das Lange Parlament (1682), hg. v. H. Münkler, Ffin., 1991; C. Hill: Puritanism and Revolution (1940-58), Harmondsworth, 1986; ders.: Reformation to Industrial Revolution, Harmondsworth, 1980; M.Freund: Die große Revolution in England (1951), München, 1979; R. Stadelmann: Geschichte der englischen Revolution, Wiesbaden, 1954; H. Dietz: Die große englische Revolution. Wechselwirkung ihrer religiösen und politischen Dynamik, Laupheim, 1956; P. Laslett: The world we have lost (1965), London, 2. ed., 1973, Kap. 8; R. C. Richardson: The debate on the English Revolution, London, 1977; R. Ashton: Reformation and Revolution. 1558-1660, London, 1985; H.C.Schröder: Die Revolutionen Englands im 17. Jahrhundert, Ffin., 1986; Ε. Hellmuth: Die englische Revolution in revisionistischer Perspektive, GG, 1989: 15, S. 441-54.

Bürgerliche

Zivilisation

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werden können14, und auch die Londoner City, das in den internationalen Handel eingebundene kommerzielle Zentrum Englands, stand nicht durchweg auf Seiten der Republik; dafür war die Interessenverflechtung mit dem Hof zu groß. Die Monarchie andererseits hatte an der Modernisierung des Regimes gearbeitet und kann daher nicht ohne weiteres als die reaktionäre Partei in dem Konflikt identifiziert werden15. Das Dilemma des Cromwellschen Protektorats lag dann in der Verengung seiner sozialen Machtbasis nach dem Niederringen der monarchischen Kräfte und dem Bruch mit den Levellern16; sie zeigte sich an der Unfähigkeit des Interregnums, sich eine repräsentative Form zu geben, die ihm die nötige Legitimität verschafft hätte17. Auf wichtigen Gebieten klärte es jedoch den Boden für eine fortschreitende Verbürgerlichung der englischen Gesellschaft18, ein Prozeß, der sich nach der Restauration beschleunigte19. Diese Post-Restaurationsgesellschaft war oberflächlich rearistokratisiert, aber keine eigentliche Adelsgesellschaft mehr, was der Commonwealth-Veteran Henry Neville in den 1680ger Jahren dahin aussprach, daß „whenever either a merchant, lawyer, tradesman, grazier, farmer, or any other gets such an estate, as that he or his son can live upon his lands without exercising of any other calling, he becomes a gentleman. I do not say, but that we have men very nobly descended amongst these; but they have no pre-eminence, or distinction, by the laws or government"20.

14 R. Bendix: Könige oder Volk, Bd. II, S. 540f., geht von einem Bündnis hauptsächlich dreier Gruppen aus: der Puritaner, der Juristen des Common Law und der eher konservativen Country-Gentry des Parlaments. 15 Siehe L. Stone: Ursachen der englischen Revolution. 1529-1642 (1972), Ffin. etc., 1983.; B. Weisbrod: Der englische „Sonderweg" in der neueren Geschichte, GG, 1990: 16, S. 233-52, hier S. 241; D. Sayer: Α notable administration: English state formation and the rise of capitalism, AJS, 1991/92: 97, S. 1389f.. 16 A. S. P. Woodhouse (Hg.): Puritanism and Liberty. Being the Army Debates (1647-9), from the Clarke-Manuscripts (1938), London/Melbourne, 3. ed., 1986; W. Haller/G. Davies (Hg.): The Leveller Tracts. 1647-1653, repr., Gloucester/Mass., 1964; D . M . W o l f e (Hg.): Leveller manifestoes of the puritan revolution (1944), repr., NY, 1967; Sabine: A History of Political Theory, Kap. 24; W. Haller: Commentary, in: ders. (Hg.): Tracts on Liberty in the Puritan Revolution, 1638-47, Bd. I, NY, 1965; H. C. Schröder: Die Levellers und das Problem der Republik in der Englischen Revolution, GG, 1984: 10, S. 461-97. 17 Siehe C.Hill: God's Englishman. Oliver Cromwell and the English Revolution (1970), Harmondsworth, 1983; M. Freund: Oliver Cromwell, Lübeck, 1933. William Temple schildert um 1680 das Ende des Protektorats auf Grund fehlender Legitimität: An Essay upon the Original and Nature of Government, repr., Los Angeles, 1964, S. 92f. 18 Siehe als Überblick C. Hill: Reformation to Industrial Revolution. Das herausragende Stück Wirtschaftsgesetzgebung des Protektorats sind die Navigationsgesetze, auszugsweise in: J. Thirsk/J. P. Cooper (Hg.): Seventeenth-Century Economic Documents, Oxford, 1972, dazu E. F. Heckscher: Mercantilism, 2 Bde., NY/London, 1983, pass. ; vgl. auch versch. Dokumente in: Α. E. Bland et al. (Hg.): English economic history. Select documents, London, 1914, Teil 3. 19 G. L. Cherry: Early English Liberalism: Its emergence through parliamentary action, 1660-1702, Ν. Y., 1962, S. 54. Über diese Periode stellte auch David Hume in seiner History of England summarisch fest: „The commerce and riches of England did never, during any period, encrease so fast as from the restoration to the revolution". The History of England, from the Invasion of Julius Caesar to the Revolution in 1688, Indianapolis, 1983, Bd. VI, S. 537; s. a. 20 Plato redivivus: or, a dialogue concerning government (1681), in: C. Robbins (Hg.): Two English republican tracts, Cambridge, 1969, S. 138. Siehe auch: A. Sidney: Discourses concerning Government, hg. v. T. G. West, Indianapolis, 1990, Kap. 3, Abschn. 37.

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Kapitel 1: Das Problemfeld Und Daniel Defoe reimte 1701: „ Wealth, howsoever got, in England makes Lords of mechanicks, gentlemen of rakes. Antiquity and birth are needless here; 'tis impudence and money makes a peer"2\

In einem Text aus den zwanziger Jahren des 18. Jahrhunderts beschrieb er die Unzufriedenheit des Adels mit der entstandenen sozialen Mobilität, „when they may certainly see every day prosperous circumstances advance those mechanicks, as they will have them called, into the arms and into the rank of the gentry, and declining fortunes reduce the best families to a level with the mechanick. The rising tradesman swells into the gentry, and the declining gentry sinks into trade" 22 . „The tradesmen, the shopkeeping, trading and labouring part of the people have more real movable wealth among them, than all the gentry and nobility in the whole kingdom, not reckoning the real estates in lands, tenements, &c. of which they posses a surprizing share also" 2 . Die Verbürgerlichung der englischen Gesellschaft, die Vermischung von Adel und hohem Bürgertum 24 , setzte sich im Laufe des Jahrhunderts fort 25 , doch blieben die englische und schottische Gesellschaft des 18. Jahrhunderts bei Vordringen von Industrie und Gewerbe stark agrarisch geprägt26 - gegen Mitte des Jahrhunderts waren in England etwa die Hälfte der Arbeitskräfte in der Landwirtschaft beschäftigt 27 , die im Vergleich zum Kontinent großflächig strukturiert war 28 , mit dem Vordringen des Typus des kapitalistischen „farmer" gegenüber den älteren Typen des „yeoman" und „freeholder" 29 . Dialektik der Kommodifizierung Daniel Defoe beschrieb in dem soeben zitierten Plan of the English Commerce auch eindrucksvoll den Prozeß der Kommodifizierung, der Verwandlung von Symbolen der traditionalen Gesellschaft, an deren Besitz Prestige und hoher sozialer Status geknüpft sind, in Waren: „Honour is become a merchandize, nobility grows cheap, and dignities come

21 D. Defoe: The true-born Englishman, in: Selected Writings, hg. v. J. T. Boulton, Cambridge, 1975, S. 66. 22 D. Defoe: A Plan of the English Commerce (1728), Oxford, 1927, repr., London, 1974, S. 9. 23 Ibid., S. 56. 24 Siehe James Steuart: An Inquiry into the Principles of Political Oeconomy (1767), hg. v. A. S. Skinner, Chicago, 1966, Bd. I, S. 214; s. a. D. Sayer: A notable administration, AJS, 1991/92, S. 1385. 25 Siehe über die Verbürgerlichung des englischen Adels Friedrich List 1841, Das Nationale System der Politischen Ökonomie, S. 85. 26 C. Hill: Reformation to Industrial Revolution; D. S. Landes: Der entfesselte Prometheus. Technologischer Wandel und industrielle Entwicklung in Westeuropa von 1750 bis zur Gegenwart, München, 1983; E. J. Hobsbawm: Industry and Empire. From 1750 to the Present Day, Harmondsworth, 1985; I. H. Whyte: Proto-industrialisation in Scotland, in: P. Hudson (Hg.): Regions and Industries. A perspective on the industrial revolution in Britain, Cambridge, 1989, Kap. 9, S. 228-51; T. C. Smout: Where had the Scottish Economy got to by the third quarter of the eighteenth century?, in: I. Hont/M. Ignatieff (Hg.): Wealth and Virtue. The Shaping of Political Economy in the Scottish Enlightenment, Cambridge, 1983, S. 45-72; s.a. I. Wallerstein: Modern World System, Bd. III, Kap. 1. Siehe zur englischen Geschichte im 18. Jahrhundert überhaupt J. H. Plumb: England in the Eighteenth Century, Harmondsworth, 1986. 27 J. Brewer: The Sinews of Power. War, money and the English state, 1688-1783, London, 1989, S. 181. 28 Bemerkt von James Steuart: Principles, Bd. II, S. 727, S. 733. 29 Siehe P. Langford: Public Life and the Propertied Englishman. 1689-1798, Oxford, 1991, S. 271-87.

Dialektik der Kommodifizierung

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to market upon easy terms" 30 . Das Geld heiße zu Recht „God of this world; for in thy presence and absence consists all the heaven or hell of human affairs; for thee, what will not mankind do, what hazards will they run, what villanies perform? For thee, kings tyrannize, subjects are oppressed, nations ruined, fathers murthered, children abandoned, friends betrayed"31. Diese Rhetorik der Anklage moralischer Korruption durch die Geldwirtschaft und den Reichtum findet sich später beim jungen Marx32, aber auch schon in Luthers Antiwucherschriften33, und sie geht in Frühformen bis auf die Antike zurück. Nach Georg Elwert kann dennoch die Klage über die Korruption der Tugend durch Käuflichkeit als kulturelles Reaktionsmuster auf das Vordringen der Moderne34 angesehen werden, denn sie gewinnt in dem Maße an Eindringlichkeit, in dem die Warenform seit der Neuzeit zum dominanten Vergesellschaftungsmodus wird. Der thematische Kern dieser Rhetorik ist die Verunsicherung tradierter sozialer Prozesse durch unregulierte Käuflichkeit, und sie mündet in die Mobilisierung der gesellschaftlichen Ressource Moral zur Zähmung und Eindämmung des Kommodifizierungsprozesses. Der Gebrauch des Geldes wird dabei selektiv in bestimmten gesellschaftlichen Interaktionszusammenhängen legitimiert, in anderen dagegen geächtet und eventuell durch eine sogenannte „Moralökonomie" ersetzt35, die durch die Zuweisung von „Ehre" und „Schande" soziale Prozesse moralisch reguliert. „Ehre und Schande setzen ...eine virtuelle - Kommunikationsgemeinschaft als Projektionsfläche für ihre Wertungen voraus"36, stellt Elwert fest. Indem die moralische Reaktion auf die Kommodifizierung die Etablierung klarer Grenzen zwischen Marktbereich und Nichtmarktbereich erzwingt und den Marktbereich funktionell begrenzt, trägt sie paradoxerweise zur Erzeugung jener fur die Expansion des Marktes notwendigen sozialen Einbettung bei37. Die Kommodifizierung ist also kein uniformer Prozeß, sondern verbunden mit gesellschaftlichen Lernprozessen, die Gewöhnung, selektive Differenzierung und Zurückdämmung beinhalten. Dabei wird die Pauschalität des Vorwurfes der Moralauflösung gegen das Geld in eine differenziertere Position überfuhrt und seine Überlegenheit als Steuerungsform in bestimmten Bereichen realisiert, in anderen negiert. Und wenn insofern die Käuflichkeit

30 L. c.,S. 54. 31 D. Defoe: Α Review (1707), in: ders.: Selected Writings, S. 123; siehe über Defoes Tätigkeit als Journalist: W. L. Payne: Mr. Review. Daniel Defoe as author of The Review, NY, 1947. 32 Siehe Marx: Ökonomisch-philosophischen Manuskripte aus dem Jahre 1844, in: MEW, Erg. Bd., 1. Teil, Berlin, 4. Aufl., 1977. Marx und Engels waren zu dieser Zeit durch Thomas Carlyle beeinflußt, siehe: Selected Writings, Harmondsworth, 1986; dazu J. Mendilow: Carlyle's Political Philosophy: Towards a Theory of Catch-All Extremism, Government and Opposition, 1983: 18, S. 68-87. 33 Siehe G. Fabiunke: Martin Luther als Nationalökonom, mit Anhang: Μ. Luther: Vermahnung an die Pfarrherren, wider den Wucher zu predigen (1540), Berlin, 1963. 34 G. Elwert: Märkte, Käuflichkeit und Moralökonomie, in: B. Lutz (Hg.): Soziologie und gesellschaftliche Entwicklung. Verhandlungen des 22. Deutschen Soziologentages 1984, Ffm. /NY, 1985, S. 50919. 35 Der Begriff der „moral economy" stammt aus sozialgeschichtlichen Untersuchungen des englischen Historikers Edward P. Thompson: Die „moralische Ökonomie" der englischen Unterschichten im 18. Jahrhundert, in: ders.: Plebeische Kultur und moralische Ökonomie. Aufsätze zur englischen Sozialgeschichte des 18. und 19. Jahrhunderts, hg. v. D. Groh, Firn. /Berlin/Wien, 1980, S. 66-130; s.a. G. Elwert: Ausdehnung der Käuflichkeit und Einbettung der Wirtschaft. Markt und Moralökonomie, KZSS, 1987, SH 28, S. 300-21. 36 Elwert: Märkte, Käuflichkeit und Moralökonomie, S. 516. 37 Ibid., S. 518.

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Kapitel 1: Das Problemfeld

die Tendenz hat, sich in alle gesellschaftlichen Zusammenhänge hinein zu ergießen38, wird ihr durch die gesellschaftliche Reaktion eine Struktur aufgezwungen 39 . Besonders käufliche Herrschaft provozierte historisch Klagen über Korruption, etwa wenn Plutarch den Untergang der römischen Republik mit Bestechung und Käuflichkeit der Wähler und Amtsinhaber in Zusammenhang bringt40, oder im Falle der Simonie der mittelalterlichen Kirchenfuhrer41. Die Anklage der Korruption des englischen Parlaments durch die monarchische Patronage „was at the heart of the Whig ideology that emerged during the 1670s", denn „Mercenary behavior threatened the foundations of the polity"42. Im 18. Jahrhundert wurden Offiziersstellen, lukrative Pfarreien und auch Parlamentssitze gehandelt43. Charles Davenant beklagte zu Beginn des Jahrhunderts den Verlust von Gemeinsinn, denn jeder denke nur an sich, „cheating, raking, and plundering what he can, and in a more profligrate degree than ever yet was known. ... this self-interest runs through all our actions, and mixes in all our councils; and, if truly examined, is the very rise and spring of all our present mischiefs"44. Es gebe sogar „known brokers, who have tried to stock-job elections upon the exchange; and... for many boroughs there was a stated price". Zwar hat es seit vielen Jahren Versuche gegeben, diese oder jene Wählerschaft zu kaufen, „but the cry was never so universal as at this time; it comes now from the east, west, north and south"45. Und auch im späten 18. Jahrhundert waren nach Paul Langford die Sitze im Unterhaus „subject to market economics" 46 , was natürlich die Funktionsfähigkeit politischer Repräsentativinstitutionen in Frage stellte. Themenwechsel Das moderne ökonomische Denken in England beginnt nach 1660 und kann mit den Namen William Petty47, John Locke 48 , Dudley North49 und Nicholas Barbon50 verbunden

38 Siehe H. Braverman: Die Arbeit im modernen Produktionsprozeß, Ffin. /NY,, 2. Aufl., 1985, Kap. 13. 39 Vgl. M.Walzer: Spheres of Justice, A Defence of Pluralism and Equality, Oxford, 1989, bes. Kap. 4. 40 Plutarch: Von großen Griechen und Römern. Fünf Doppelbiographien, München, 1991, Gaius Marcius (Coriolan), Abschn. 14, S. 401. 41 Siehe etwa Dante Alighieri: Die göttliche Komödie (ca. 1320), 2 Bde., Ffin., 3. Aufl., 1980, sowie Luthers Schriften gegen das Papsttum, ζ. B.: Von dem Papsttum zu Rom, wider den hochberühmten Romanisten zu Leipzig (1520), in: ders.: ASchr., hg. v. K. Bornkamm/G. Ebeling, Ffin., 1982, Bd. III. 42 A. C. Houston: Algernon Sidney and the Republican Heritage in England and America, Princeton, 1991, S. 205. 43 P. Langford: Public Life and the Propertied Englishman, Kap. 1. 44 Ch. Davenant: An Essay upon the Balance of Power, in: The political and commercial Works of Charles Davenant, London, 1771, Bd. III, S. 301f. 45 Ibid., S. 326. Siehe auch J. Trenchard/T. Gordon: Cato's Letters; or Essays on liberty, civil and religious, and other important Subjects, 3. ed., London, 4 Vols., 1733, repr. NY, 2 Bde., 1969, Bd. II, No. 70 v. 17. 3. 1722, Original, Bd. III, S. 17: „There are a sort of men who proul about the country to buy boroughs; creatures, who accost you for your votes with the spirit and design, and in the manner of jockeys; and treating you like cattle, would purchase you for less or more, just as they think they can sell you again". Siehe auch die Abb. Nr. 5, Nr. 9, Nr. 38 und Nr. 90 über die Wahl 1741 in Paul Langford: Walpole and the Robinocracy, The English Satirical Print 1600-1832 Series, Cambridge, 1986; Abb. Nr. 248 in: F. Antal: Hogarth und seine Stellung in der europäischen Kunst, Dresden, 1966. 46 P. Langford: A Polite and Commercial people. England. 1727-1783, Oxford, 1990, S. 597. 47 Siehe die Sammlung seiner Schriften zur politischen Ökonomie und Statistik (1662-1695), hg. v. W. Görlich, Berlin, 1986.

Themenwechsel

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werden51. Meiner Ansicht nach ist es sinnvoll, von moderner ökonomischer Literatur zu sprechen, wenn mindestens zwei Kriterien erfüllt sind, nämlich erstens: Bemüht sich der Autor, die ökonomischen Phänomene analytisch-wertneutral aufzufassen, oder dominiert das normative Element die Analyse? Erst in der Moderne setzt sich die Idee durch, daß Tauschgleichheit und -gerechtigkeit darin bestehen, daß gleiche Werte getauscht werden, oder daß die Tatsache des Tausches Wertgleichheit und Tauschgerechtigkeit impliziert, weil beim Tausch gewöhnlich beide Seiten gewinnen. Dabei wird von den Personen der Tauschpartner, ihrer Bedürfhislage und sozialen Stellung abstrahiert52 und die „kommutative" verdrängt die „distributive Gerechtigkeit". In der Volkskultur jedoch war eine an überlieferten Gebrauchswertnormen orientierte „Moralökonomie" im 18. Jahrhundert noch lebendig53. Das zweite Kriterium fragt: Hat der Autor eine Idee vom Gesamtzusammenhang der ökonomischen Phänomene, oder stellt er sie als isolierte Erscheinungen dar? Die Idee von der Existenz eines ökonomischen Systems reift natürlich über einen längeren Zeitraum, aber man kann doch Stadien ihrer Entwicklung feststellen, und die Tatsache, daß das moderne ökonomische Denken in England in der Zeit der Restauration beginnt und in den neunziger Jahren in einem ersten Gipfelpunkt kulminiert, zeigt die historische Durchsetzung der Marktvergesellschaftung54 in England55 an, wo sich gegen Ende des

48 Siehe J. Locke: Some Considerations of the Consequences of the Lowering of Interest, and the Raising the Value of Money (1691), in: The Works of John Locke, Bd. V, London, 1823, repr., Aalen, 1963; Further Considerations concerning raising the Value of Money (1695), ibid. 49 Sir D. North: Discourses upon Trade (1691), in: A Reprint of economic tracts, hg. v. J. H. Hollander, Bd. I, Baltimore, 1907, repr., 1934. 50 N. Barbon: A Discourse of Trade (1690), ibid. 51 Siehe Τ. W. Hutchison: Before Adam Smith. The Emergence of Political Economy, 1662-1776. Oxford, 1988, Teil 1 und 2; J. O.Appleby: Economic thought and ideology in seventeenth century England, Princeton, 1978; dies.: Political and Economic Liberalism in Seventeenth Century England, in: Liberalism and Republicanism in the Historical Imagination, Cambridge(Mass.)/London, 1993, S. 34-57; F. Blaich: Die Epoche des Merkantilismus, Wiesbaden, 1973; Ε. F. Heckscher: Mercantilism, 2 Bde. Ich benutze sonst zur Geschichte der ökonomischen Ideen: Edgar Salin: Geschichte der politischen Ökonomie, Tübingen/Zürich, 5. Aufl., 1967; J. A. Schumpeter: Geschichte der ökonomischen Analyse (1955), 2 Bde., Göttingen, 1965; G. Stavenhagen: Geschichte der Wirtschaftstheorie, Göttingen, 4. Aufl., 1969; William J. Barber: A History of Economic Thought (1967), Harmondsworth, 1985; W. Hofinann (Hg., Bearbeiter): Wert- und Preislehre, Sozialökonomische Studientexte, Bd. I, Berlin, 3. Aufl., 1979; ders. (Hg., Bearbeiter): Einkommenstheorie. Vom Merkantilismus bis zur Gegenwart, Sozialökonomische Studientexte, Bd. II, Berlin, 2. Aufl., 1971; ders. (Hg., Bearbeiter): Theorie der Wirtschaftsentwicklung. Vom Merkantilismus bis zur Gegenwart, Berlin, 3. Aufl., 1979; Klassiker des ökonomischen Denkens, hg. v. J. Starbatty, l . B d . , München, 1989; populär: R. L. Heilbroner: The Worldly Philosophers. The Lives, Times, and Ideas of the great economic Thinkers, Harmondsworth, 5. ed., 1983; biografisch: Η. C. Recktenwald (Hg.): Geschichte der politischen Ökonomie. Eine Einfuhrung in Lebensbildern, Stg., 1971. 52 In diesem Sinne erklärt N. Luhmann den modernen Vertragsbegriff: Rechtssoziologie, Reinbek, 1972, Bd. II, S. 327. 53 Siehe Ε. P. Thompson: Die „moralische Ökonomie" der englischen Unterschichten im 18. Jahrhundert, in: ders.: Plebeische Kultur und moralische Ökonomie. 54 Als Begriff bei Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft, 1. Halbbd., 2. Teil, Kap. 6. 55 K. Marx: Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie, 1. Bd., MEW, Bd. 23, Berlin, 13. Aufl., 1979, 24. Kap.; K. Polanyi: The Great Transformation. Politische und ökonomische Ursprünge von Gesellschaften und Wirtschaftssystemen (1944), Ffm., 1978; D. Sayer: Α notable administration, AJS, 1991/92: 97, S. 1382-1415.

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Kapitel 1: Das Problemfeld

17. Jahrhunderts nationale Märkte für elementare Produkt- und Warengruppen bildeten56. Zwischen 1690 und 1720 gelangten wirtschaftliche Themen, verbunden mit dem Begriff „Commerce", in den Vordergrund der öffentlichen Diskussion, die um diese Zeit durch die Entwicklung des Zeitungswesens eine wesentliche Belebung erfahrt und allererst eine Öffentlichkeit im Rahmen des Konzeptes bürgerlicher Gesellschaft begründet57. Da ist zum einen das Thema der Währungsreform, an dem Locke arbeitete58, dann die Auseinandersetzung um die Gründung der „Bank of England", die Diskussion über die starke Ausweitung der Staatsschulden zur Kriegsfinanzierung59, und um 1720 die Diskussion über die Ursachen und Konsequenzen des sogenannten „South-Sea-Bubble", der ersten bedeutenden Spekulationskrise der englischen Geschichte60, zeitgleich mit der Lawschen Spekulationskrise in Frankreich61. Diese Vorgänge öffneten den Zeitgenossen die Augen über das sozialdynamische Potential einer aus den überkommenen Beschränkungen befreiten neuen Ökonomie. „It was not the market, but the stock market", schrieb John Pocock, „which precipitated an English awareness, about 1700, that political relations were on the verge of becoming capitalist relations"62. Damit vollzieht sich eine signifikante thematische Verschiebung der gesellschaftlichen Diskurse. Während seit Henry VIE und Elisabeth I die Frage der Kirchenorganisation ein Zentralthema war, trat mit der Zuspitzung des Konflikts zwischen Krone und Parlament im 17. Jahrhundert eine genuin politische Diskussion in den Vordergrund, in der auf neuartig freie Art über die Vor- und Nachteile verschiedener Staatsformen theoretisiert werden konnte63. Schriften von Thomas Hobbes und James Harrington64 sind hier als paradig56 Vgl. J. O. Appleby: Economic thought, S. 84f., S. 199; C. Hill: Reformation to Industrial Revolution, S. 152. 57 J. A. W. Gunn: Public Spirit to Public Opinion, in: ders.: Beyond Liberty and Property. The Process of Self-Recognition in Eighteenth-Century Political Thought, Kingston/Montreal, 1983, S. 260-315; J. Habermas: Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft (1962), Darmstadt/Neuwied, 15.Aufl., 1984, s.a. sein Vorwort zur Neuauflage 1990, Ffm., Neuausgabe der 17. Aufl. 58 Siehe J. Appleby: Locke, Liberalism, and the Natural Law of Money, in: Liberalism and Republicanism, S. 58-89. 59 Μ. L. Recker: Wilhelm III und die französische Herausforderung, ZHF, 1991: 18, BH11, S. 73-88. Siehe zur Ideengeschichte der Staatsverschuldung die Neuausgabe der Textsammlung von K. Diehl/P. Mombert (Hg.): Das Staatsschuldenproblem, Ausgewählte Lesestücke zum Studium der politischen Ökonomie, mit Einf. v. R. Hickel, Ffm. /Berlin/Wien, 1980. 60 Siehe die Abbildungen 1-4 in: P. Langford: Walpole and the Robinocracy. 61 Siehe über John Law die Dogmengeschichten von Schumpeter und Stavenhagen, zeitgenössisch die Hinweise von Montesquieu in den Perserbriefen, Ffin., 1988, Nrn. 132, 135 und 138; F. Antal: Hogarth, Abb. 44. 62 J. G. A. Pocock: The Mobility of Property and the rise of eighteenth century Sociology, in: ders.: Virtue, Commerce and History. Essays on Political Thought and History, chiefly in the Eighteenth Century, Cambridge, 1985, S. 110. 63 Eine Auswahl politischer Texte bietet D. Wootton (Hg.): Divine Right and Democracy. An Anthology of Political Writing in Stuart England, Harmondsworth, 1986. 64 J. Harrington: Oceana (1656), hg. v. H. Klenner/K. U. Szudra, Leipzig, 1991; ders.: Politische Schriften, hg. v. J. Gebhardt, München, 1973; ders.: The Art of Lawgiving in Three Books (1659), in: D. Wootton (Hg.): Divine Right and Democracy; ein zeitgenössisches Zeugnis in: Aubrey's Brief Lives, hg. v. O. L. Dick, London, 1992, S. 124ff.; C. Hill: James Harrington and the People, in: ders.: Puritanism and Revolution, S. 289-302; C. B. Macpherson: Die politische Theorie des Besitzindividualismus (1962), Ffin., 2. Aufl., 1980, Teil 4; J. Cotton: The Harringtonian „Party" (16561660) and Harrington's Political Thought, HPT, 1980: 1, S. 51-67; Η. Dippel: Tugend und Interesse

Themenwechsel

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matisch anzusehen, insofern sie nicht nur verschiedene Denkstile, sondern auch verschiedene sozialtheoretische Diskurse repräsentieren, denn während Hobbes in den Zusammenhang eines Diskurses modernen Naturrechts gehört65, mit dem Sozialvertrag66 als zentralem Paradigma67, so Harrington in den Zusammenhang der Kontinuität republikanischen Denkens 68 , das von der Antike herkommend69 durch die italienische Renaissance an die Neuzeit vermittelt70 und oft namentlich mit Machiavelli in Verbindung gebracht wurde, der in die gegensätzlichen Rollen sowohl eines Repräsentanten republikanischer Tugend als auch des Stammvaters eines amoralischen Politikstils, des „Machiavellismus", geriet71. Diese Diskurse verlängerten sich in das 18. Jahrhundert

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bei Harrington, GG, 1984: 10, S. 534-45; M. Goldie: The civil religion of James Harrington, in: A. Pagden (Hg.): The Languages of Political Theory in early-modern Europe, Cambridge, 1987; Jonathan Scott: The rapture of motion: James Harrington's republicanism, in: N. Phillipson/Q. Skinner (Hg.): Political Discourse in Early Modem Britain, Cambridge, 1993, S. 139-63. O. Kimminich: Die Entstehung des neuzeitlichen Völkerrechts, in: Fetscher/Münkler (Hg.): Pipers HB der politischen Ideen, Bd. III, Kap. II, S. 73flf.; R. Tuck: Natural Rights Theories. Their Origin and Development, Cambridge, 1979; ders.: The „modern" theory of natural law, in: A. Pagden (Hg.): The Languages of Political Theory, S. 99-119; V. Fiorillo: Von Grotius zu Pufendorf. Wissenschaftliche Revolution und theoretische Grundlagen des Rechts, ARSP, 1989: 75, S. 218-38. Karl Graf Ballestrem: Vertragstheoretische Ansätze in der politischen Philosophie, ZfP, 30. Jg., 1983, S. 1-17; zur Ideengeschichte: G. H. Sabine: A History of Political Theory, S. 429ff., S. 531ff.; Fetscher/Münkler (Hg.): Pipers HB der politischen Ideen, Bd. III, Kap. VIII; R. Saage: Das Vertragsdenken und die politischen Utopien der Aufklärung, Leviathan, 26. Jg., 1988, S. 376-94; zur modernen Vertragstheorie: P. Koller: Die neuen Vertragstheorien, in: K. Graf Ballestrem/H. Ottmann (Hg.): Politische Philosophie des 20. Jahrhunderts, München/Wien, 1990, S. 281-306; ein wichtiger moderner Vertragstheoretiker ist John Rawls: Eine Theorie der Gerechtigkeit (1971), Ffm., 1979; siehe weiter: H. Ottmann: Politik und Vertrag. Eine Kritik der modernen Vertragstheorien, ZfP, 1986: 33, S. 22-32; R. H. Bates: Contra contractarianism: some reflections on the new institutionalism, PS, 1988: 16, S. 387-99; R. Hardin: Review-article: Constitutional political economy - agreement on rules, BJPS, 1988: 18, S. 513-30. Siehe zum wissenschaftstheoretischen Paradigma-Begriff Τ. S. Kuhn: Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen (1962), Ffm., 2. Aufl., 1976. J. G. A. Pocock: Transformations in British Political Thought, PSc, 1988: 40: 1, S. 167: „To an extraordinary and puzzling extent, the juristic mode of discourse is absent from Harrington's texts; the theory of property he puts forward has nothing to do with the appropriation of rights in a state of nature or their transfer to a sovereign, everything to do with the affirmation of armed virtue in a civic republic and the redistribution of propertied independence"; H. Dippel: Tugend und Interesse bei Harrington, GG, 1984, kritisiert allerdings Pococks „civic humanist"-Interpretation Harringtons als einseitig, und Jonathan Scott: The rapture of motion, in: Phillipson/Skinner (Hg.): Political Discourse, zeigt Gemeinsamkeiten zwischen Hobbes und Harrington unterhalb der Ebene der Rhetorik auf, die Harrington von anderen zeitgenössischen Republikanern trennen. W. Nippel: Bürgerideal und Oligarchie. „Klassischer Republikanismus" aus althistorischer Sicht, in: H. G. Koenigsberger (Hg.): Republiken und Republikanismus im Europa der Frühen Neuzeit, S. 1-18. H. Baron: The Crisis of the early Italian Renaissance. Civic Humanism and Republican Liberty in an Age of Classicism and Tyranny, 2 Bde., Princeton, 1955. Siehe über klassischen Republikanismus und Machiavellismus: Sabine: History, Kap. 17; J. Plamenatz: Man and Society. A critical examination of some important social and political theories from Machiavelli to Marx, London, 1963, Bd. I, Kap. 1; Ε. Schmitt: Machiavelli, in: Η. Maier et al. (Hg.): Klassiker des politischen Denkens, Bd. I, München, 2. Aufl., 1968; I. Berlin: Die Originalität Machiavellis, in: ders.: Wider das Geläufige. Aufsätze zur Ideengeschichte, hg. v. H. Hardy, Ffin., 1982, S. 93-157; A. Parel (Hg.): The Political Calculus. Essays on Machiavelli's Philosophy, University of Toronto, 1972; J. G. A. Pocock: The Machiavellian Moment. Florentine Political Thought and the Atlantic Republican Tradition, Princeton, 1975; L. Althusser: Die Einsamkeit Machiavellis (1977), in: ders.: Machiavelli, Montesquieu, Rousseau. Zur politischen Philosophie der Neuzeit, Schriften, hg. v.

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Kapitel 1: Das Problemfeld

hinein72. War während der Restaurationszeit die gesellschaftlich-politische Auseinandersetzung bei wachsender politischer Instabilität relativ unterdrückt, so belebte sie sich nach der „Glorious Revolution"73: John Locke veröffentlichte seine großen Schriften, und Texte von Harrington, Algernon Sidney74 und John Milton75 wurden von John Toland herausgegeben, der damit eine „Commonwealth"-Tmdition über die Restaurationszeit hinweg publizistisch fortsetzte76. Das moderne Handlungssystem Parallel zur Durchsetzung des Marktes findet am Beginn der Neuzeit ein Prozeß der Zentralisation politischer Gewalt statt, der zur Herausbildung des modernen, souveränen P. Schöttler/F. O. Wolf, Bd. II, Berlin, 1987; Q. Skinner: Foundations of Modem Political Thought, Cambridge, 1994, Bd. I, Teil 2; ders.: Machiavelli zur Einfuhrung (1981), Hamburg, 1988; Η. Münkler: Machiavelli. Die Begründung des politischen Denkens der Neuzeit aus der Krise der Republik Florenz, Ffin., 1985; ders.: Staatsraison und politische Klugheitslehre, in: Fetscher/ders. (Hg.): Pipers HB der politischen Ideen, Bd. III, Kap. I; M. Hulliung: Citizen Machiavelli, Princeton, 1983; G. Bock et al. (Hg.): Machiavelli and Republicanism, Cambridge, 1990; für England: Z. S. Fink: The Classical Republicans. An essay in the recovery of a pattern of thought in seventeenth century England, Evanston, 1945; F. Raab: The English Face of Machiavelli. A changing Interpretation. 15001700, London/Toronto, 1964; B. Worden: Classical Republicanism and the Puritan Revolution, in: History and Imagination. Essays in honour of H. R. Trevor-Roper, hg. v. H. Lloyd-Jones et al., London, 1981, S. 182-200. Siehe fur Machiavelli als Repräsentant einer amoralischen Politikform etwa James Steuart: Principles, Bd. I, S. 293f. ; A. Smith: TMS, S. 217, deutsche Ausgabe: Theorie der ethischen Gefühle, hg. v. W. Eckstein, Hamburg, 1985. 72 Siehe C. Robbins: The Eighteenth century Commonwealthman. Studies in the Transmission, Development and Circumstance of English Liberal Thought from the Restoration of Charles II until the War with the Thirteen Colonies, Cambridge/Mass., 1959; F. Venturi: Utopia and Reform, bes. Kap. 2; Pocock: The Machiavellian Moment, Kap. 13 u. 14; kritisch dazu: J. R. Goodale: J. G. A. Pocock's Neo Harringtonians: A Reconsideration, HPT, 1980: 1, S. 237-59, und Pococks Antwort, ibid., S. 541 ff.; die Tragfähigkeit des „civic humanist"-Diskurses in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts untersucht: Μ. M. Goldsmith: Liberty, luxury and the pursuit of happiness, in: A. Pagden (Hg.): The Languages of Political Theory, S. 225-51; siehe als Überblick über das britische politische Denken im 18. Jahrhundert H.T.Dickinson: Liberty and Property. Political Ideology in Eighteenth-Century Britain, London, 1977. 73 David Hume: History of England, Bd. VI, S. 540, datiert den Beginn der Pressefreiheit auf 1694. Siehe für die Revolution: G. Burnet: History of his own Time, abr., London, 1991; Τ. B. Macaulay: The History of England, hg. v. H. Trevor-Roper, Harmondsworth, 1983; J. R. Jones: Country and Court. England 1658-1714, London, 2. imp., 1980, Kap. 12; Η. C. Schröder: Die Revolutionen Englands. 74 Discourses concerning Government. Teile dieser Schrift waren nach der Maxime: scribere est agere, als Zeugnis in dem Hochverratsprozeß gegen Sidney verwandt worden, siehe G. Burnet: History, S. 205; W. Blackstone: Commentaries on the Laws of England, 4 Bde., repr., Chicago/London, 1979, Bd. IV, S. 80f. Als „Märtyrer der Freiheit" wurde Sidney im 18. Jahrhundert immer wieder evoziert; allerdings litt seine Reputation, als historische Indizien nahelegten, er habe französisches Geld angenommen. Siehe zu Sidney: A. C. Houston: Algernon Sidney and the Republican Heritage, ein gutes Buch, das aber nicht hält, was der Titel verspricht. 75 J. Milton und der Ursprung des neuzeitlichen Liberalismus. Studienausgabe der politischen Hauptschriften John Miltons in der Zeit der englischen Revolution, hg. v. E. W. Tieisch, Hildesheim, 1980; siehe Τ. B. Macaulay: Milton (1825), in: ders.: Critical and Historical Essays, Bd. I, London/NY, 1966; B. Worden: Milton's republicanism and the tyranny of heaven, in: G. Bock et al. (Hg.): Machiavelli and Republicanism, S. 225-45. 76 J. G. A. Pocock: Authority and Property. The question of liberal origins, in: ders.: Virtue, Commerce, and History, S. 51-72, hier S. 67. Siehe zur englischen Commonwealth-Tradition des 16. Jahrhunderts Q. Skinner: Foundations, Bd. I, S. 22Iff.

Das moderne Handlungssystem

23

Staates führt77, der die Kompetenz der Letztentscheidung auf einem bestimmten Territorium auf sich konzentriert78, wobei die politische Form an sich nicht ausschlaggebend ist. Parallel zur Herausbildung nationaler Souveränität im Gegensatz zur übernationalen katholischen Kirchenorganisation nach außen sowie ständischen Mächten nach innen, findet ideengeschichtlich ein Abstraktionsprozeß politischer Herrschaft durch die Trennung zwischen politisch organisiertem Herrschaftsgebilde und Person sowie Dynastie des Herrschers statt, sie wird entpersonalisiert79. Dieser Prozeß wird in Frankreich durch den Absolutismus Louis' XIV verlangsamt80, im 17. Jahrhundert in England jedoch vorangetrieben. Für die kapitalistische Dynamik Europas ist dabei nach John Hall die Durchsetzung eines pluralen, kompetetiven Staatensystems bedeutsam, wobei die Staaten „organisch" mit der Gesellschaft verbunden sind, mit der sie produktiv interagieren und sich dadurch als „starke" Staaten erweisen 81 . Die politische Zentralisierung Englands wurde durch die Insellage, durch den historischen Vorgang des „Norman conquest" im 11. Jahrhundert und durch die konfliktreiche Beziehung zum Kontinent begünstigt 82 . Speziell die Normannenherrschaft führte zu einer politisch zentralisierten und relativ einheitlichen Feudalstruktur, die sich durch das nominelle Gesamtobereigentum der Krone auszeichnete 83 , die in ein System ungewöhnlich weitgehender Konsensbeschaffung eingebettet war84, das die Idee des „Government by Consent" zu einer Fundamentalidee der politischen Kultur machte und langfristig zur Stärkung der Parlamentsrechte führte. Und die frühe Bildung eines Zentralstaates mit Gewaltmonopol 85 und innerer Zollfreiheit wurde so durch eine frühe nationale Identi-

77 Siehe zum folgenden bes. R. Bendix: Nation-Building and Citizenship. 78 Μ. Weber: Wirtschaft und Gesellschaft, 1. Teil: Kap. 3, 2. Teil, Kap. 9; N. Elias: Prozeß der Zivilisation, Bd. II; G. H. Sabine: History of Political Theory, Teil 3; R. Bendix: Nation-Building and Citizenship, S. 22; U. Scheuner: Staat, in: ders.: Staatstheorie und Staatsrecht, GS, hg. v. J. Listl/W. Rüther, Berlin, 1978, S. 19-44; ders.: Das Wesen des Staates und der Begriff des Politischen in der neueren Staatslehre, ibid., S. 45ff.; versch. Beiträge in Ch. Tilly (Hg.): The Formation of National States in Western Europe, Princeton, 1975; P.Anderson: Die Entstehung des absolutistischen Staates (1974), Fftn., 1979; H. Gerstenberger: Vom Ursprung bürgerlicher Staaten, Prokla, 1982: 12, Nr. 47, S. 11943; G. M. Thomas/J. W. Meyer: The Expansion of the State, ARS, 1984: 10, S. 461-82; D. Chirot: The Rise of the West, ASR, 1985: 50, S. 181-95; L. Bauer/H. Matis: Geburt der Neuzeit, 2. Teil. 79 Eine Fallstudie bietet H. C. Mansfield Jr.: On the Impersonality of the Modern State: A Comment on Machiavelli's Use of „Stato", APSR, 1983: 77, S. 849-57. 80 Siehe P. Anderson: Die Entstehung des absolutistischen Staates, Teil I, Kap. 4; E. Hinrichs: Ancien Regime und Revolution. Studien zur Verfassungsgeschichte Frankreichs zwischen 1589 und 1789, Fftn., 1989. 81 J. A. Hall: States and Societies: the Miracle in Comparative Perspective, in: J. Baechler et al. (Hg.): Europe and the Rise of Capitalism, S. 20-38. Hall definiert einen Staat als „stark" „in so far as it has the capacity to penetrate and organize social life", S. 21. 82 Siehe R. Bendix: Könige oder Volk, Bd. I, Teil 1, Kap. 6, hier S. 286ff. 83 A. Macfarlane: The Cradle of Capitalism: The Case of England, in: J. Baechler et al. (Hg.): Europe and the Rise of Capitalism; R. Bendix: Könige oder Volk, Bd. I, S. 279ff.; J. G. A. Pocock: Ancient Constitution and the Feudal Law. Α Study of English historical Thought in the Seventeenth Century (1957). A Reissue with a Retrospect (1986), Cambridge etc., 1990, S. 215 u. pass. 84 Bendix: Könige oder Volk, Bd. I, S. 284. 85 Macfarlane: The Cradle of Capitalism, a. a. Ο . ; R. Lachmann: Elite Conflict and State Formation in sixteenth and seventeenth-century England and France, ASR, 1989: 54, S. 141-62, hier S. 151.

24

Kapitel

1: Das

Problemfeld

tätsbildung in elisabethanischer Zeit begleitet, die in der R ü c k s c h a u z u e i n e m „ g o l d e n e n Zeitalter" verklärt wurde 8 6 . D i e Z u s a m m e n f a s s u n g der politischen G e w a l t erzeugt i m A k t ihrer Konstituierung ihren b e g r i f f l i c h e n G e g e n s a t z und die ältere Unterscheidung v o n „öffentlich" versus „privat" wird überlagert durch j e n e v o n Staat und Gesellschaft 8 7 ; die ältere Unterscheid u n g lebt in der Teilung der Gesellschaft fort 8 8 : Öffentlich

-

Privat

wird zu: Staat

-

Gesellschaft

\

/ Öffentlich

\ Privat - Intim

Mit dieser A u s d i f f e r e n z i e r u n g und U m w ä l z u n g v o n Handlungsbereichen 8 9 wird der Staat als spezifischer Rest der ö f f e n t l i c h e n Sphäre an den Rand d e s G e s e l l s c h a f t s p r o z e s s e s gerückt - ein V o r g a n g , den ich als Dezentrierung der Politik b e z e i c h n e 9 0 -, w o b e i die Politik

86 C. Hill: Reformation to Industrial Revolution, Teil 2, Kap. 1; R. Bendix: Könige oder Volk, Bd. II, S. 380. Aspekte des Shakespeareschen Königszyklus können in diesem Zusammenhang interpretiert werden, siehe bes. den Schluß von: Heinrich VIII, Sämtliche Werke, Wiesbaden, o. J; s. a. Henry Home-Lord Kames: Sketches of the History of Man (1774), 2. ed., Edinburgh, 1778, repr., Hildesheim, 1968, Bd. II, S. 317; kritisch David Hume: History of England, Bd. IV, Appendix; W. Blackstone: Commentaries, Bd. IV, S. 426. 87 E. W. Böckenförde: Die verfassungstheoretische Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, bezieht sich auf Hegel, siehe etwa den Zusatz zu § 182 der Rechtsphilosophie. Lange vor Hegel hat Hobbes Konsequenzen der politischen Zentralisation analysiert, wie Günther Nonnenmacher sieht: Die Ordnung der Gesellschaft. Mangel und Herrschaft in der politischen Philosophie der Neuzeit: Hobbes, Locke, Adam Smith, Rousseau, Weinheim, 1989, S. 51: „... Politisierung der Macht heißt fur Hobbes: Konzentration beim Souverän, Errichtung eines für die Untertanen unzugänglichen Machtmonopols. Das impliziert eine Depolitisierung der Gesellschaft: Der Preis von Hobbes' spezifischer „Civilisierung" ist die Auflösung der Res Publica. Was im Begriff der Bürgerschaft zusammengedacht war, zerfallt in die Dichotomien von Staat und Gesellschaft, Obrigkeit und Untertan, Herrschaft und Gehorsam. Das politische Handeln der Hobbesschen „Bürger" erschöpft sich im Abschluß des Gesellschafts- und HerTschaftsvertrags... ". S. a. W. G. Runciman: Sozialwissenschaft und politische Theorie, Ffm., 1967, Kap. 2; N. Rubinstein: The history of the word politicus in early-modern Europe, in: A. Pagden (Hg.): The Languages of Political Theory, S. 41-56. Eine interessante Diskussion der Trennung von Staat und Gesellschaft mit Blick auf die heutige „post-marxistische" Diskussionslage findet sich bei John Keane: Remembering the Dead. Civil Society and the State from Hobbes to Marx and Beyond, in: ders.: Democracy and Civil Society, S. 31-68. 88 Sie wird dabei jedoch unschärfer, wie man etwa bei B. Peters sehen kann: Die Integration moderner Gesellschaften, Fftn., 1993, S. 174ff. 89 Klassische Beiträge zur „modernen" Differenzierung der Gesellschaft sind: H. Spencer: The Evolution of Society. Selections from Herbert Spencer's „Principles of Sociology", hg. v. R. L. Carneiro, Chicago/London, 1974; G. Simmel: Über sociale Differenzierung (1890), in: Gesamtausgabe, Bd. II, hg. v. H. J. Dahme, Ffrn., 1989; E. Dürkheim: Über die Teilung der sozialen Arbeit (1893), Ffrn., 1977. 90 Vgl. Chr. Meier: Die Entstehung des Politischen bei den Griechen, Ffrn., 1983, S. 17: „Insofern bildet das Politische nicht nur einen in verschiedenen Hinsichten wichtigen Bereich, sondern das zentrale Lebenselement der griechischen, besonders der athenischen Gesellschaft", mit der Feststellung von Paul Langford: „Given a choice between defining the public domain as that which had to do with the operations of government and Parliament, and that which had to do with the functions of property in an organized, collective sense, there was a growing tendency to prefer the latter", Public Life and the Propertied Englishman, S. 212.

Das moderne

25

Handlungssystem

zur Zuständigkeit einer kleinen Gruppe berufsmäßiger „Politiker" wird 9 1 , die an d e m spez i f i s c h e n Prestige partizipieren, das die legitimen Teilhaber der ö f f e n t l i c h e n Gewalt als Repräsentanten des a l l g e m e i n e n Interesses ausweist. A m anderen E n d e des Spektrums erscheint

eine

durchaus

neuartige

Autonomie

des

Individuums 9 2 ,

eine

durch

die

A b g r e n z u n g z u m S o z i a l e n gestiftete neue Qualität v o n Privatheit, die historisch v o n der Trennung v o n Haushalt und Betrieb ausgeht 9 3 . D i e Individuen w e r d e n i m Laufe d i e s e s P r o z e s s e s z u g l e i c h m ä ß i g e n Untertanen, die der g l e i c h e n Zentralgewalt unterworfen und dadurch

abstrakt

miteinander

verbunden

sind 9 4 .

Die

Varietät

der

Einbindung

in

quasi-politische Korporationsformen wird beseitigt 9 5 ; s o w e i t e s V e r e i n i g u n g e n gibt, verlieren sie generell ihren direkt politischen Charakter und büßen damit an Verbindlichkeit ein. Allerdings gibt es in neuerer Zeit eine G e g e n b e w e g u n g , die politische K o m p e t e n z e n v o m Staat in die G e s e l l s c h a f t zurückverlagern w i l l und sich gedanklich auf vorbürgerlic h e Organisationsformen bezieht: Neokorporatismus 9 6 . D a s lateinische Christentum stiftete den normativen R a h m e n der europäischen Entw i c k l u n g 9 7 ; e s befreite durch seine universalistische Orientierung das D e n k e n aus den Beschränkungen der antiken „Polis" 9 8 , wurde aber in der N e u z e i t durch den Z u s a m m e n bruch d e s Erdzentrismus selbst erschüttert, und mit der Entdeckung fremder Kulturen in e i n e m ersten S c h u b i m Kontext der K r e u z z ü g e und dann mit der Entdeckung der S e e w e g e nach Indien und A m e r i k a mußte die historisch-geografische Relativität der abendländisch-christlichen Kultur anerkannt werden 9 9 , Teil der v o n Paul Hazard s o genannten

91 Siehe im Zusammenhang Hegels: S. Avineri: Hegels Theorie des modernen Staates, S. 68. 92 M. Gauchet: Tocqueville, Amerika und wir. Über die Entstehung der demokratischen Gesellschaften, in: U. Rödel (Hg.): Autonome Gesellschaft und libertäre Demokratie, Ffm., 1990, S. 187: „Täuschen wir uns also nicht: Gerade im Spiegel des Staates konnte sich das Individuum in seiner Unabhängigkeit und Selbstgenügsamkeit wiedererkennen, indem es sich von seiner zwanghaften Einschreibung in die wirklichen gesellschaftlichen Gruppierungen löste"; siehe auch generell über die Dialektik von sozialer Differenzierung und Individualisierung: Georg Simmel: Über sociale Differenzierung. 93 O. Brunner: Das „ganze Haus" und die alteuropäische „Ökonomik", in: ders.: Neue Wege der Sozialgeschichte, S. 33-61; J. Burckhardt: Das Haus, der Staat und die Ökonomie, in: G. Göhler et al. (Hg.): Die Rationalität politischer Institutionen. Interdisziplinäre Perspektiven, Baden-Baden, 1990; für England: P. Laslett: The world we have lost. 94 Junius-Briefe (Ausw., 1769-72), hg. v. Α. Ν . Nünning, Hamburg, 1989, S. 208 (März 1770): „Wie wir uns durch Rang oder Reichtum unterscheiden mögen, in den Rechten der Freiheit sind wir alle gleich"; dagegen S. 233 (Nov. 1770): „Unter einem willkürlichen Regiment werden alle Stände und Unterschiede unter einander gemischt. Die Ehre eines Edelmanns wird nicht mehr geachtet, als der Ruf eines Bauern, denn in verschiedener Livree sind sie gleiche Sclaven". 95 In diesem Sinne interpretiert George Sabine Hobbes: History of Political Theory, S. 475. 96 Siehe U. v. Alemann (Hg.): Neokorporatismus, Ffm. /NY, 1981; eine Falldiskussion bei J. Esser et al.: Krisenregulierung. Zur politischen Durchsetzung ökonomischer Zwänge, Ffm., 1983. 97 M. Mann: European Development: Approaching a Historical Explanation, in: J. Baechler et al. (Hg.): Europe and the Rise of Capitalism, S. 6-19. 98 Siehe Τ. Parsons: The Structure of Social Action (1937), 2 Bde., NY/London, 1968, Bd. I, S. 53ff.; G. Briefs: Person and ethos: person and individual in european thought (1960), RSE, 1984: 42, S. 22834; John Hall betont in vergleichender Perspektive den gemeinsamen Universalismus von Christentum und Islam im Gegensatz zum Hinduismus, States and Societies, in: J. Baechler et al. (Hg.): Europe and the Rise of Capitalism, S. 28. 99 Β. Nelson: Zivilisatorische Komplexe und interzivilisatorische Begegnungen (1973), in: ders.: Der Ursprung der Moderne. Vergleichende Studien zum Zivilisationsprozeß, Ffm., 1986, S. 58-93; ders.: Wissenschaften und Zivilisationen, Osten und Westen, Joseph Needham und Max Weber, ibid., S. 757; Jürgen Osterhamniel: Distanzerfahrung. Darstellungsweisen des Fremden im 18. Jahrhundert, ZHF,

26

Kapitel 1: Das Problemfeld

„Krise des europäischen Geistes"100. Die Entstehung des modernen Weltsystems101 positionierte das europäische Individuum in einen transkulturellen Zusammenhang, der nur durch interkulturelles Verständnisses gedanklich zu bewältigen war. Aufmerksamkeit zogen im 17. und 18. Jahrhundert vor allem drei fremde Kulturkreise auf sich: die als unzivilisiert, eventuell barbarisch, dabei aber naturnäher angesehenen indianischen Kulturen Amerikas102, später auch der Südsee103, das als alte, gleichwohl geschlossene, statische Kulturgesellschaft angesehene China104 und die Kultur des arabisch-islamischen Raums, oft unter dem Obertitel des Orient zusammengefaßt105. Die indianischen Kulturen versorgten die Europäer mit einer lebendigeren Vorstellung vom sogenannten „Naturzustand", der dem Nachdenken über die moderne Zivilisation und Politik als gedankliche Folie diente, China interessierte vor allem als historische Illustration der Stagnation einer alten Hochkultur, und der Orient lieferte das politiktheoretisch bedeutsame Bild der sogenannten „orientalischen Despotie", die als personale Willkürherrschaft auf den verschiedenen hierarchischen Ebenen der Herrschaft aufgefaßt war, die ihre prekäre Stabilität aus der ebenso prekären Loyalität von Repressionsapparaten bezog106. Demgegenüber erschien Europa als Kontinent der Freiheit.

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106

1989: 16, BH 7, S. 9-42; siehe zum folgenden auch den zweiten und dritten Aufsatz in W. Nippel: Griechen, Barbaren und „Wilde". Alte Geschichte und Sozialanthropologie, Füll., 1990, sowie W. Kraus: Zur Anthropologie des 18. Jahrhunderts. Die Frühgeschichte der Menschheit im Blickpunkt der Aufklärung (1978), hg. v. H.Kortum/Chr.Gorisch, Ffm./Berlin, 1987. Die Krise des europäischen Geistes. 1680-1715 (1935), Hamburg, 1939; siehe dazu M. C. Jacob: The crisis of the European mind: Hazard revisited, in: Politics and Culture in Early Modern Europe. Essays in Honour of H. G. Koenigsberger, hg. v. Ph. Mack/M. C. Jacob, Cambridge, 1987, S. 25171. Wallerstein: The Modern World System, 3 Bde.; ders.: Der historische Kapitalismus. Siehe etwa Voltaires Erzählung „Das Naturkind" (L'Ingenu), in: ders.: Erzählungen, hg. v. M. Fontius, Berlin, 1981; zum sozialwissenschaftlichen Zusammenhang R. L. Meek: Social Science and the Ignoble Savage, Cambridge etc., 1976. Siehe etwa Denis Diderots: Nachtrag zu Bougainvilles Reise, in: ders.: Das erzählerische Werk, Bd. IV, hg. v. M. Fontius, Berlin, 1979, sowie das Bild von William Hodges: Rückkehr nach Tahiti, 1775, in: J. Starobinski: Die Erfindung der Freiheit, S. 169; R. R. Wuthenow: Inselglück. Reise und Utopie in der Literatur XVIII. Jahrhunderts, in: W. Voßkamp (Hg.): Utopieforschung. Interdisziplinäre Studien zur neuzeitlichen Utopie, 3 Bde., Ffin., 1985, Bd. II, S. 320-35. Von Oliver Goldsmith als verfremdender Hintergrund gebraucht ftir seinen: The Citizen of the World, CW, hg. v. A. Friedman, Bd. II, Oxford, 1966; s. a. Montesquieus: Esprit des Lois, pass.; Voltaire: Essai sur les Moeurs, 2 Bde., Paris, 1990, Bd. I, S. 66ff. u. Kap. 1; A. Ferguson: An Essay on the History of Civil Society, hg. v. D. Forbes, Edinburgh, pbk. ed., 1978, S. 111. Das Orientbild ist etwa geprägt durch die Rezeption der „Geschichten aus Tausend und einer Nacht" zu Beginn des 18. Jahrhundert; siehe weiter Montesquieus paradigmatische Perserbriefe; Voltaire: Zadig, oder Das Schicksal. Eine orientalische Geschichte, in: ders.: Erzählungen; S. Johnson: The History of Rasselas, Prince of Abissinia, Oxford/NY, 1988; W. Kraus: Zur Anthropologie des 18. Jahrhunderts, Exkurs II: Die Türken im Urteil der Franzosen des 18. Jahrhunderts; Ausstellungskatalog: Europa und der Orient. 800-1900 (Ausstellung Berlin 1989), hg. v. G. Sievernich/H. Budde, Gütersloh/München, 1989, dort bes. K. U. Syndram: Der erfundene Orient in der europäischen Literatur vom 18. bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts, S. 324-41. Siehe J. Starobinski: Exil, Satire und Tyrannis: die Persischen Briefe, in: ders.: Das Rettende in der Gefahr. Kunstgriffe der Aufklärung, Ffm., 1992, bes. S. 116f„ S. 124. Alexander Hamilton beklagte die polemische Gleichsetzung des amerikanischen Präsidenten mit einem asiatischen Despoten, J. Madison/A. Hamilton/J. Jay: The Federalist Papers (1788), hg. v. I. Kramnick, Harmondsworth, 1987, Nr. LXVII, S. 389: „The images of Asiatic despotism and voluptuousness have scarcely been wanting to crown the exaggerated scene. We have been almost taught to tremble at the terrific visages

Alte und neue

27

Ethik

Alte und n e u e Ethik Ein ideengeschichtlich zentraler Bruch i m Ü b e r g a n g v o n der traditionalen Gesellschaft zur M o d e r n e - und in d i e s e m Z u s a m m e n h a n g kann die frühe N e u z e i t bis zur Spätaufklärung als Ü b e r g a n g s z e i t a n g e s e h e n werden 1 0 7 - liegt in der U m w ä l z u n g der ethischen Orientierung 1 0 8 . D i e antike Idee d e s Ethos

meinte ein Ideal d e s „guten Lebens", nach d e m

der Vollbürger s e i n H a n d e l n als Pater familias

und Oikos-Vorsteher

i m verbindlichen

Kontext der p o l i t i s c h e n V e r g e m e i n s c h a f t u n g der P o l i s orientieren solle 1 0 9 . Vereinfachend forderte es e i n e B a l a n c e der Erfüllung der Pflichten g e g e n sich selbst, die Familie und das H a u s ( O i k o s ) , die privaten Pflichten, auf der einen Seite und den ö f f e n t l i c h e n Pflichten d e m G e m e i n w e s e n gegenüber auf der anderen; z u letzteren gehörte besonders auch die A u s ü b u n g öffentlicher Ämter. In d i e s e m Verhältnis verleihen die ö f f e n t l i c h e n Pflichten d e m Leben Sinn und Würde, während das Philosophieren, die P f l e g e der Künste und W i s s e n s c h a f t e n als besonders wertvolle Privatbeschäftigungen galten, j e d o c h nicht über das Prestige der Politik verfügten und als primäre Orientierung nur für eine Elite attraktiv waren 1 1 0 . Im r ö m i s c h e n Ethos war die Erfüllung der Pflichten d e m Vaterland gegenüber stärker akzentuiert 1 1 1 , geprägt durch militärische Tugenden; i m 18. Jahrhundert übte insbesondere Cicero starken E i n f l u ß aus 1 1 2 . Im R a h m e n einer A b w ä g u n g ethischer Verpflichtun-

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of murdering janizaries, and to blush at the unveiled mysteries of a future seraglio". NB die sexuelle Komponente in diesem Bild. Von Seiten der „Anti-Federalists" erhebt den Vorwurf des Despotismus die „Minority of the Convention of Pennsylvania", in: The Anti-Federalist. An Abridgement, by Μ. Dry, of The Complete Anti-Federalist, hg. v. H. J. Storing, Chicago/London, 1985, S. 219: „Miserable is the lot of that people whose every concern depends on the will and pleasure of their rulers. Our soldiers will become Janissaries, and our officers of government Bashaws; in short, the system of despotism will soon be compleated". Über die negative Tradition des Orient-Bildes im 19. Jahrhundert in England siehe J. W. Burrow: Whigs and Liberals. Continuity and Change in English Political Thought. The Carlyle Lectures 1985, Oxford, 1988, Vorlesungen 4 und 5; im Marxismus G. Sofri: Über asiatische Produktionsweise. Zur Geschichte einer strittigen Kategorie der Kritik der politischen Ökonomie, Ffm., 1972; R. Bahro: Die Alternative. Zur Kritik des real existierenden Sozialismus, Köln/Ffin., 1977. R. Kosselleck verwendet den Begriff der „Sattelzeit": Kritik und Krise. Eine Studie zur Pathogenese der bürgerlichen Welt (1959), Ffm., 1973. Ich bin hier beeinflußt durch A. Maclntyre: After Virtue. Α Study in Moral Theory (1981), London, 2. ed., 1985; Rezension: W. K. Frankena: Maclntyre and modern morality, Ethics, 1982/83: 93, S. 579-87; s.a. B. Barber: The Conquest of Politics. Liberal Philosophy in Democratic Times, Princeton, 1988, Kap. 7; Κ. Günther: Politische Gemeinschaft als gemeinsames Projekt. Alasdair Maclntyres Rehabilitierung des Aristotelismus, PVS, 1988: 29, S. 297-304; weiterhin: A. Maclntyre: Whose Justice? Which Rationality?, London, 1988; Rezension: B. Barry: The light that failed?, Ethics, 1989/90: 100, S. 160-8. Siehe über das politische Leben und Denken der Antike N. D. Fustel de Coulanges: Der antike Staat. Kult, Recht und Institutionen Griechenlands und Roms (1864), München, 1988; Μ. I. Finley: Antike und moderne Demokratie (1973), hg. v. E. Pack, Stg., 1987; ders.: Das politische Leben in der antiken Welt (1983), München, 1986; J. K. Davies: Das klassische Griechenland und die Demokratie (1978), München, 4. Aufl., 1991; Chr. Meier: Die Entstehung des Politischen bei den Griechen; der Abschnitt von K. Rosen in: H. Fenske et al.: Geschichte der politischen Ideen. Siehe Maclntyres Interpretation von Aristoteles, Whose Justice? Which Rationality?, S. 143; s.a. R. Mulgan: Aristotle and the value of political participation, PT, 1990: 18, S. 195-215. Siehe bes. Cicero: De Oratore. Über den Redner, Stg., 2. Aufl., 1986, 3. Buch, Abschn. 56ff., S. 481 ff. ; W. Nicgorski: Nationalism and Transnationalism in Cicero, HEI, 1993: 16, S. 785-91. A. Pagden: Introduction, in: ders. (Hg.): The Languages of Political Theory, S. 6.

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Kapitel 1: Das Problemfeld

gen erklärte er die Gerechtigkeit zur „Herrin und Königin aller Tugenden" 113 , die für alle Menschen gelten müsse. Aber wie steht es, wenn etwa die Ehrenpflicht gegenüber dem Vater mit dem Wohl des Gemeinwesens kollidiert? Das Gemeinwesen, antwortet Cicero, „muß das teuerste sein" 114 , und er formuliert den Grundsatz von „Abstufungen unter den pflichtgemäßen Leistungen, aus denen, was jeweils das bessere ist, eingesehen werden kann, so daß die erstrangigen den unsterblichen Göttern, die zweiten dem Vaterland, die dritten den Eltern, die folgenden in Abstufungen den übrigen geschuldet werden" 115 . Aber man soll auch sich selbst nicht vergessen, denn „Wir brauchen... nicht eigene Vorteile beiseite und anderen zukommen zu lassen, wenn wir ihrer selbst bedürfen, sondern es hat ein jeder seinem eigenen Nutzen, soweit das ohne Unrecht gegen den Mitmenschen geschieht, zu dienen" 116 . Praktisch vollzieht sich die ethische Bindung an die übergeordneten Gemeinschaften vermittels der engeren, beginnend mit Ehe und Familie 117 , die die Basis des Gemeinwesens ist, denn „Blutsverbindung... vereint die Menschen durch Wohlwollen und Liebe". „Geliebt sind die Eltern, geliebt auch die Kinder, Verwandten und Vertrauten", stellt Cicero fest, um anzuschließen, „aber alle Liebesbande zu allen umschlingt die eine Vaterstadt. Und welcher gutgesinnte Mann wollte zögern, in den Tod zu gehen, wenn er ihr damit nützen wird?" 118 - ein spezifisch „heroisch" zu nennender Aspekt Ciceronischer Ethik, der besonders in seiner Diskussion des vorbildlichen Verhaltens des Konsuls Regulus am Schluß der Officiis deutlich wird 119 . Einer normativen Hierarchie ethischer Verpflichtungen, die von außen nach innen absteigt, steht somit eine Theorie moralischer Bindung gegenüber, die sich von innen nach außen aufbauen. Für Cicero gibt es daher keinen Gegensatz zwischen emotionalen Bindungen im Nahbreich und der darauf ruhenden politischen Bindung. Für Cicero haben die politischen Pflichten auch Vorrang vor kontemplativen, theoretischen Tätigkeiten 120 , und speziell die verantwortliche politische, staatsmännische Tätigkeit gilt ihm als höchste Form menschlicher Praxis, die den Menschen den Göttern näher bringt als jede andere Tätigkeit121 - besonders in den entscheidenden Akten der Gesetzgebung und Institutionenbegründung sowie in Krisensituationen 122 . In diesem Sinne strich er seine Rolle als pater patriae in der Abwehr der „Catilinischen Verschwörung" heraus123, und ähnlich mag sich Lord Bolingbroke in der Abwehr der politischen Korruption durch das Regime Robert Walpoles gesehen haben, wenn er rhetorisch fragte, „To what higher station, to what greater glory can any mortal aspire, than to be, during 113 114 115 116 117 118 119

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Μ. T. Cicero: De Officiis/Vom pflichtgemäßen Handeln, Stg., 1987, 3. Buch, 28. Abschn., S. 245. Ibid., 3. Buch, 95. Abschn., S. 303. Ibid., 1. Buch, 160. Abschn., S. 141. Ibid., 3. Buch, 42. Abschn., S. 257, vgl. 3. Buch, 22. Abschn., S. 241. Ibid., 1. Buch, 53. -57. Abschn., S. 51f. Ibid., 1. Buch, 57. Abschn., S. 53. S.a. M.T.Cicero: Gespräche in Tuskulum, München, 1984, l.Buch, 89. Abschn., S. 91, sowie 1. Buch, Abschn. 100-2, S. lOlff.; F. Hutcheson: A Short Introduction to Moral Philosophy, CW, Bd. IV, repr., Hildesheim, 1969, S. 11; siehe fur Aspekte ästhetischen Heroismus während der Zeit der französischen Revolution: Α. I. Hartig: Die erhabene Republik. Zur Pathosgeschichte der Revolution, Merkur, 1989: 43, S. 799-814. Cicero: De Officiis, 1. Buch, 153. -155. Abschn., S. 133ff. Μ. T. Cicero: De Re Publica. Vom Gemeinwesen, 1. Buch, 12. Abschn., Stg., 1979, S. 101. Μ. T. Cicero: Über die Rechtlichkeit, 3. Buch, Abschn. 30f., Stg., 1989, S. 100. Siehe seine Reden gegen Catilina, in: ders.: Briefe und Reden, München, 1960.

Alte und neue Ethik

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the whole course of his life, the support of good, the controul [sic] of bad government, and the guardian of public liberty?" 124 . Aber nicht das Engagement hervorragender Einzelner bewahrt die Freiheit, weiß Cicero, sondern „in der Erhaltung der Freiheit der Bürger [ist] niemand Privatmann" 125 . Alle Bürger sind aufgefordert zu situationsadäquatem politischem Handeln, das besonders in Krisensituationen vital wird. Die politische Kompetenz der Bürger wirkt als sichernde und kontrollierende Basis für die Tätigkeit der politischen und militärischen Führer. Und die moralphilosophische Grundlage dieses Modells ist die Idee der balancierten Persönlichkeitsbildung der Bürger selbst, ihrer „Tugend", in der das Glück des Gemeinwesens ruht, denn „nichts... ist ohne Tugend und Vollkommenheit lobenswert; das glückliche Leben wird also durch die Tugend bewirkt" 126 , wobei die Institutionen eine wichtige komplementäre Rolle spielen127. Für die eigentliche Stoa mit ihrer Weitabgewandtheit war das Problem der ethischen Vereinbarung privater und öffentlicher Pflichten weniger zentral, sie war jedoch eine Minderheitenethik. In der Jenseitsorientierung des Christentums tritt die klerikale Elitenethik der vita contemplativa in den Vordergrund, und daneben existierte im feudalistischen Mittelalter eine militärisch geprägte weltliche Ethik der Ehre 128 . Wie stellt sich das Problem der Ethik in der frühen Neuzeit? 129 Die posttraditionale Ethik ist ihrer Tendenz nach säkular, diesseitsbezogen 130 , aber noch Hobbes hielt an der Notwendigkeit einer minimalen Anrufung der Religion als konsensualem Fundament politischer Vergesellschaftung fest131 und auch in der schottischen Aufklärung gibt es ein deistisch-naturreligiöses Element; in dieser Frage sind die französischen Aufklärer radikaler. Weiterhin ist die posttraditionale Ethik in dem Sinne unpolitisch, als sie die antike Orientierung auf die Polis bzw. die res publica überwindet, dabei jedoch durchaus auf den öffentlichen Raum orientiert bleibt, der sich inhaltlich aber weniger durch die Verwirklichung gemeinsamer Zwecke auszeichnet, als daß er den formalen Raum stiftet, in dem sich private Zwecke entfalten. Damit findet eine charakteristische Umwertung des

124 Lord Bolingbroke: Α Letter on the Spirit of Patriotism, in: Works, hg. v. D. Mallet (1754), repr., Hildesheim, 1968, Bd. III, S. 13; vgl. zu Bolingbroke die interessante und differenzierte Interpretation von Sh. Burtt: Virtue transformed, Kap. 5. 125 Cicero: Re Publica, 2. Buch, 46. Abschn., S. 213. 126 Cicero: Tuskulum, 5. Buch, 48. Abschn., S. 399. 127 Cicero: Rechtlichkeit, 3. Buch, 12. Abschn., S. 89, 3. Buch, 28. Abschn., S. 98f. 128 G. Duby: Die drei Ordnungen. Das Weltbild des Feudalismus (1978), Ffm., 1986; ein spätes, idealisiert-romantisiertes Zeugnis dieser Ethik ist Ariost: Der rasende Roland (1516-32), 2 Bde., München, 1980. Siehe zum Feudalismus: O. Brunner: Feudalismus, feudal, in: GG-Lexikon, Bd. II, S. 337-50; Beiträge von G. Dhoquois und P. Vilar, in: L. Kuchenbuch/B. Michael (Hg.): Feudalismus, Ffin./Berlin/Wien, 1977; M. Bloch: Die Feudalgesellschaft, Ffin./Berlin/Wien, 1982; J. Baechler: The Origins of Modernity: Caste and Feudality (Europe, India and Japan), in: ders. et al. (Hg.): Europe and the Rise of Capitalism, S. 39-65. 129 Ein klassischer Text dazu ist Hannah Arendts: Vita Activa, oder Vom tätigen Leben (1958), München, 3. Aufl., 1983. 130 Ch. Taylor: Foucault über Freiheit und Wahrheit, in: Negative Freiheit? Zur Kritik des neuzeitlichen Individualismus (1985), Ffin., 1988, S. 194; D. Zaret: Religion and the Rise of liberal-democratic Ideology in seventeenth-century England, ASR, 1989: 54, S. 163-79. 131 Siehe A. E. Taylor: The ethical doctrine of Hobbes (1938), in: K. C. Brown (Hg.): Hobbes studies, Oxford, 1965, S. 35-56; J. Plamenatz: Mr. Warrender's Hobbes (1957), ibid., S. 73-88; M. Oakeshott: Hobbes on Civil Association, Berkeley/L. Α., 1975.

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Kapitel 1: Das Problemfeld

Öffentlichen statt, das durch das Private okkupiert wird. Die dualistische Zwischenstellung der Öffentlichkeit in der Moderne, die einerseits genuine Öffentlichkeit ist, andererseits aber vom Staat abgetrennt und dem Privaten überwiesen ist, erklärt sich aus der oben bezeichneten Umwälzung der Handlungsbereiche. Indem die Politik im Staat zusammengefaßt und an den Rand der Gesellschaft gerückt ist, indem die politischen Funktionen professionalisiert, im Sinne Max Webers zum Tätigkeitsfeld eines spezialistischen Verwaltungsstabes werden, wird die Masse der Bürger ihrer aktiven politischen Kompetenz entkleidet, wird die moderne Öffentlichkeit entpolitisiert, und dem modernen Ethos verbleibt nurmehr eine privatistische Öffentlichkeit als Betätigungsfeld, auf dem der Bürger sich auszeichnen und Anerkennung erringen kann. Aber was tritt an die Stelle der Politik? Der Markt, der zur tragenden Institution der öffentlichen Sphäre im Gesellschaftssystem der frühen Moderne wird 132 und den Staat als Repräsentanten des Allgemeinen mit der Masse der auf neuartige Weise autonomen Individuen verbindet. Die auf den Markt zentrierte Handlungsorientierung bezeichne ich als „kommerzielle Orientierung" oder „kommerzielles Ethos", die vorherrschende Form moderner Ethik. Den Gegensatz politischer und kommerzieller Orientierung unterstrich Daniel Defoe mit der Ermahnung, „he that will be a tradesman should confine himself within his own sphere", denn „when tradesmen turn statesmen, they should either shut up their shops, or hire somebody else to look after them. .. .the tradesman's proper business is in his shop or warehouse, and among his own class or rank of people; .. .as for state news and politics, it is none of his business" 133 . Diese Passage hat sicher einen ständischen Unterton, insofern die Politik als traditionelles Tätigkeitsfeld der Aristokratie behauptet wird, aber auch abgesehen davon „there remained an assumption that the mere occupation of a business, however necessary, and however compatible with Christian living, placed its practitioners at a considerable disadvantage when virtuous statesmen were called for" 134 . Behauptet wird der sich ausschließende Charakter der politischen Orientierung am Staatsinteresse einerseits und dem Gewinnmachen im Handel andererseits, denn während das eine einen freien Blick auf „das Ganze" des Staatswesens erfordert, beschränkt das andere den Blick auf naheliegende Umstände und Vorteile, vergleichsweise „niedrige" Gegenstände. So unterscheidet etwa Adam Ferguson gegen Ende des 18. Jahrhunderts zwischen den privaten Tugenden des Selbstinteresses und den höheren Herrschaftstugenden 135 , und in der republikanischen Rhetorik wird das Vordringen kommerzialistischer Orientierung überhaupt als Verlust republikanischen Gemeinsinns thematisch, der letzten Endes zur Degeneration sozialer Werte und zum Niedergang des Gemeinwesens fuhren müsse. Diese traditionelle 136 Vorstellung eines Korruptionszyklus, der von der tugendhaften Republik zum reichen Staat, und über den Umschlag des Reichtums in Luxus und 132 A. Gorz: Kritik der ökonomischen Vernunft. Sinnfragen am Ende der Arbeitsgesellschaft, Berlin, 1989, stellt fest, daß es „bis zur Entstehung des Kapitalismus [... ] keine öffentliche ökonomische Sphäre [gab]", S. 218. 133 The Complete English Tradesman (1726), Gloucester, 1987, S. 31f.; siehe Abb. 6, 11, 12 und 55, in: John Brewer: The Common People and Politics. 1750-1790s, The English Satirical Print. 1600-1832, Cambridge, 1986. 134 P. Langford: Public Life and the Propertied Englishman, S. 479ff., hier S. 481. 135 Principles of Moral and Political Science (1792), repr., 2 Bde., Hildesheim/NY, 1975, Bd. I, S. 244. 136 Siehe etwa Machiavelli: Discorsi. Gedanken über Politik und Staatsfuhrung, Stg., 2. Aufl., 1977, 1. Buch, 2. Kap.; ders.: Geschichte von Florenz, Zürich, 3. Aufl., 1993, 5. Buch, Anfang; Q. Skinner: Foundations, Bd. I, S. 187.

Anerkennung, Prestige, Konkurrenz

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Verschwendung letzten Endes zum Niedergang des Staates führt, welcher sich eventuell kathartisch erneuert 137 , ist in den Diskussionen des 18. Jahrhunderts über die Folgen der kommerziellen Gesellschaft als gedanklicher Hintergrund stets gegenwärtig, oft verbunden mit der ebenso traditionellen Idee eines Zyklus der Staatsformen 138 , der dann als Abfolge von der tugendhaften Republik über die reiche Monarchie zur korrupten Despotie gedacht ist, welche in Anarchie mündet 139 . „A flourishing commerce begets opulence", schrieb gewohnt apodiktisch Lord Kames, „and opulence, inflaming our appetite for pleasure, is commonly vented on luxury and on every sensual gratification: selfishness rears its head; becomes fashionable; and infecting all ranks, extinguishes the amor patriae and every spark of public spirit"140. Dieser im 18. Jahrhundert zum clichi geronnenen Auffassung nach führt die Kommerzialisierung der Gesellschaft einerseits zu einer dynamischen Gesellschaftsentwicklung, die neuen Schichten des Volkes ungeahnte Aufstiegschancen bietet, andererseits jedoch zur Unterminierung des Gemeinsinns, zur Entpolitisierung des öffentlichen Lebens und zur Erosion soziokultureller Kohäsion 141 . Daraus ergab sich die Fragestellung, wie dieser Zyklus zu durchbrechen sei, wie also die Vorzüge einer großräumigen kommerziellen Vergesellschaftung gegen ihre korrumpierenden Folgen abzuschirmen seien. Eine Antwort des republikanischen Denkens war das Konzept der „gemischten Verfassung" 142 , innerhalb derer die Vor- und Nachteile der einfachen Regierungsformen sich wechselseitig balancieren sollten, und es gab die Idee der moralisch-kulturellen Katharsis, der Renovatio, der Rückkehr zu den Anfangen und den „reinen" Grundsätzen. In der Moderne wird die Problematik des politisch-moralischen Zyklus durch die tiefgreifende Verdrängimg einer wesentlich politischen Handlungsorientierung durch eine kommerzielle verschärft, entsprechend der Verschiebung des sozialen Prestiges von der Politik auf den Handel. Anerkennung, Prestige, Konkurrenz Das Streben nach sozialer Anerkennung ist als Grundzug abendländischer Kultur identifizierbar 143 . In den Dialogen Über das Hauswesen Leon Battista Albertis aus dem 137 Spinoza etwa behandelt diese Vorstellung als fixen Topos, siehe: Abhandlung vom Staate, Sämtliche Werke, hg. v. C. Gebhardt, Bd. V, Hamburg, 5. Aufl., 1977, 10. Kap., § 4. 138 Aristoteles: Politik, hg. v. O. Gigon, München, 4. Aufl., 1981, 5. Buch; Polybios: Historien (Auswahl), Stg., 1983. 139 In den soziologischen Schriften Vilfredo Paretos und anderer über die Zirkulation der Eliten lebt diese Zyklentheorie im 20. Jahrhundert fort, siehe seine ASchr., hg. v. C. Mongardini, Ffin./Berlin/Wien, 1976; T. Parsons: The Structure of Social Action, Bd. I, Kap. V-VII, bes. S. 278ff.; H. St. Hughes: Consciousness and Society. The Reorientation of European Social Thought. 1890-1930 (1958), rev. ed., NY, 1977, Kap. 7; F. Jonas: Geschichte der Soziologie, Bd. II, Reinbek, 1976, S. 109ff. 140 Henry Home-Lord Kames: Elements of Criticism, Edinburgh/London, 3 Bde., 1762, repr., Hildesheim/NY, 1970, Bd. I, S. III. 141 Soame Jenyns schreibt kurz und bündig: „Trade and wealth are the strength and the pursuit of every wise nation, yet these must certainly produce Luxury, which no less certainly must produce their destruction", A Free Inquiry into the Nature and Origin of Evil, 2. ed., 1757, repr., NY/London, 1976, S. 141. 142 Siehe W.Nippel: Bürgerideal und Oligarchie, in: H. G. Koenigsberger (Hg.): Republiken und Republikanismus. 143 Siehe zum folgenden: M. Walzer: Spheres of Justice, Kap. 11; A. Honneth an: Integrität und Mißachtung. Grundsätze einer Moral der Anerkennung, Merkur, 1990: 44, S. 1043-54; ders.: Kampf um

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Kapitel 1: Das Problemfeld

15. Jahrhundert finden wir Erörterungen über ein richtiges Gleichgewicht des Engagements in privaten und öffentlichen Angelegenheiten. Einer der Gesprächsteilnehmer lehnt das Streben nach öffentlichen Ämtern ab, weil es von den Privatangelegenheiten abziehe und weil man darüber die häusliche Ruhe und den Seelenfrieden verliere. Ein anderer hält ihm entgegen, „die Lebensregel, hier allein in privater Ehrbarkeit zu leben, so trefflich und eines edlen Herzens würdig sie an sich ist, wird doch darum von Herzen, die nach Ruhm verlangen, nicht durchweg zu befolgen sein. Nicht inmitten privater Muße, sondern in öffentlichen Erprobungen bildet sich der Ruf; auf öffentlichen Plätzen erwächst der Ruhm.. ."144. Das Streben nach Ruhm ist legitim, selbst wenn es als Schwäche erscheint. Damit kann sich der andere einverstanden erklären, der aber die Basierung öffentlichen Ehrgeizes auf ein geordnetes Privatleben verlangt, denn „um andere zu regieren, [dürft ihr] niemals aufhören..., euch selbst zu regieren, und um die Staatsgeschäfte zu führen, nicht eure privaten außer acht lassen... Ihr werdet für eure häuslichen Angelegenheiten Sorge und Aufmerksamkeit haben, soweit es im Notfall sein muß, und euch den öffentlichen Angelegenheiten nicht so weit widmen, als Ehrgeiz und Anmaßung euch verlocken möchten, sondern nur soweit eure Tüchtigkeit und die Gunst eurer Mitbürger euch dazu Gelegenheit bieten"145. Damit ist eine Balance von Privatleben, als Grundlage, und öffentlichem Leben, als Exzellenz, beschrieben, die beide zu einem erfüllten Leben gehören. Thomas Hobbes hat das Streben nach sozialer Anerkennung mit besonderer Aufmerksamkeit analysiert, dessen bedrohliche Seite er eindringlich wahrnahm. „... da wir aus freiem Willen uns verbinden", schrieb er, „so fragt man bei jeder Verbindung nach dem Gegenstand dieses Willens, d.h. nach dem, was jedem der sich Verbindenden dabei als gut erscheint. Alles aber, was als gut gilt, ist angenehm und bezieht sich entweder auf die Sinnesorgane oder auf den Geist. Alle Lust des Geistes ist aber entweder die Ehre (oder die gute Meinung von sich selbst) oder etwas, was sich letzten Endes auf die Ehre bezieht; alles andere ist sinnlicher Natur... und kann vollständig unter dem Namen des Vorteils befaßt werden. Somit wird jede Verbindung nur des Vorteils oder des Ruhmes wegen, d.h. aus Liebe zu sich selbst und nicht zu den Genossen eingegangen. Eine Verbindung aber, die des Ruhmes wegen entstanden ist, kann weder groß noch dauernd sein. Denn mit dem Ruhm ist es wie mit der Ehre; wenn alle Menschen sie haben, so hat keiner sie, da ihr Wesen in der Vergleichung und dem Vorzuge vor anderen liegt"146. Anerkennung. Zur moralischen Grammatik sozialer Konflikte (1992), Ffin., 1994; s. a. Chr. Menke: ,Anerkennung im Kampfe", zu Hegels Jenaer Theorie der Ausdifferenzierung modemer Gesellschaften, ARSP, 1991: 77, S. 493-507. 144 L. B. Alberti: Vom Hauswesen (Deila Famiglia), München, 1986., S. 236. 145 Ibid., S. 238. 146 T. Hobbes: Vom Menschen. Vom Bürger (Elemente der Philosophie II/III), hg. v. G. Gawlick, Hamburg, 2. Aufl., 1977: Vom Bürger, 1. Kap., 2. Abschn., S. 76ff.; Frieder Wolf weist daraufhin, daß dieser Gedanke in der späteren Fassung der politischen Theorie Hobbes' zurückgenommen ist: Die neue Wissenschaft des Thomas Hobbes. Zu den Grundlagen der politischen Philosophie der Neuzeit, Stg. /Bad Cannstatt, 1969, S. 66; Leo Strauß hat in einer älteren Interpretation Hobbes' die Auffassung vertreten, ihm sei das Problem zentral, den anthropologischen Stolz der Menschen, also die Selbstüberschätzung im Verhältnis zu den Mitmenschen, soweit zu brechen, daß die Staatsbegründung als freier Akt Gleicher, nämlich gleich schwacher und sterblicher Menschen, statt haben kann: Hobbes' politische Wissenschaft (1936), Neuwied, 1965; siehe i. ü. zu Hobbes: F. Tönnies: Thomas Hobbes. Leben und Lehre, Stg., 3. Aufl., 1925; M. Oakeshott: Hobbes on Civil Association; G. Nonnenmacher: Die Ordnung der Gesellschaft, Teil B; I.Hampsher-Monk: A History

Anerkennung, Prestige,

Konkurrenz

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Hobbes demnach exklusiv als „Besitzindividualist" zu interpretieren 147 , bezogen auf Eigentumsaspekte der Sozialkonkurrenz, ist einseitig, denn zu seiner Theorie gehört integral das spezifisch Geistige am Menschen, das gleichzeitig das spezifisch Gesellschaftliche ist, denn das Streben nach Ehre bezieht den Menschen auf Gesellschaft, macht ihn von anderen und von sozialinteraktiven Wertungsprozessen abhängig - ein dialektisches, Gesellschaft konstituierendes Moment, da Gesellschaft gesucht wird, um sich über andere zu erheben, woraus gesellschaftliche Ordnung resultiert 148 . Adam Smith bezeichnete später das Streben nach Anerkennung und die Status- und Prestigekonkurrenz als wichtigste soziale Handlungsmotive. Woher kommt die „emulation which runs through all the different ranks of men", fragte er, und „what are the advantages which we propose by that great purpose of human life which we call bettering our condition? To be observed, to be attended to, to be taken notice of with sympathy, complacency, and approbation, are all the advantages which we can propose to derive from it. It is the vanity, not the ease, or the pleasure, which interests us. But vanity is always founded upon the belief of our being the object of attention and approbation" 149 . „With the greater part of rich people", so Smith an anderer Stelle, „the chief enjoyment of riches consists in the parade of riches, which in their eyes is never so compleat as when they appear to possess those decisive marks of opulence which nobody can possess but themselves" 150 . Motivierend fur die „kommerzielle Ethik" ist demnach im Grunde weniger das rationale egozentrische Kalkül des Wunsches nach materieller Besserstellung, als vielmehr die bürgerliche Status- und Prestigekonkurrenz, die im Ergebnis allerdings zu gesellschaftlicher Wohlfahrtsmehrung fuhren soll. Ähnlich beschreibt Adam Ferguson die „general disposition to excel, next to interest", als „the most ordinary, and even more than interest, a powerful motive to action, and an occasion of the greatest exertions incident to human nature" 151 . Das Eigentum an sich hat keine korrumpierende Wirkung, aber im Kontext der bürgerlichen Prestigekonkurrenz, die als anthropologische Konstante verstanden wird, erzeugt es die heftigsten antisozialen, gar kriminellen Leidenschaften 152 . Hobbes verzahnt das Streben nach „Vorteil" und das Streben nach „Ehre" im Begriff der „Macht" 153 , die er als allgemeines Medium der Behauptung in der Sozialkonkurrenz

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of Modern Political Thought. Major Political Thinkers from Hobbes to Marx, Oxford/Cambr.(Mass), 1993, Kap.I. Maßgeblich durch C. Β. MacPherson: Hobbes' Bourgeois Man, in: K. C. Brown (Hg.): Hobbes Studies, Oxford, 1965; ders.: Die politische Theorie des Besitzindividualismus. Τ. Parsons: Aktor, Situation und normative Muster (1939), hg. v. H.Wenzel, Ffin., 1986, S. 168: „Deshalb muß jedes stabile soziale System einen auf gemeinsamen Standards beruhenden Maßstab fur die relative Bewertung von Individuen haben. Dies ist sein „Maßstab sozialer Schichtung". Soziale Schichtung ist in gewissem Sinn eine der grundlegendsten Arten der „Strukturalisierung" der Beziehungen von Individuen in sozialen Systemen". TMS, S. 50. Siehe auch J. G. Fichtes: Reden an die deutsche Nation (1808), Leipzig, 1925, 10. Rede, S. 171 ff. WN, Bd. I, S. 190. Ferguson: Principles, Bd. I, S. 125, Bd. II, S. 51: „In the competitions of vanity, riches are more an object of ostentation than of enjoyment or use... ". A. Ferguson: History of Civil Society, S. 160, Teil II, Abschn. VI, S. 253; ders.: Institutes of Moral philosophy. For the Use of Students in the College of Edinburgh, 2. ed., 1773, repr., NY/London, 1978, S. 90. Moderne Beiträge zum „Macht'-Begriff sind: Α. Giddens: „Power" in the writings of Talcott Parsons. Remarks on the Theory of Power, in: ders.: Studies in Social and Political Theory (1977), London

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Kapitel 1: Das Problemfeld

betrachtet154; Vorteilnahme dient dem Erwerb von Ehre, und umgekehrt155. Daraus ergibt sich schon, daß Hobbes eigentümlich den Superioritätsaspekt des Ehrstrebens betont und verkennt, daß die Anerkennung durch Unterworfene wenig gilt, weil sie von Servilität nicht sicher unterscheidbar ist156. Wir benötigen die Anerkennung durch Gleiche, wenn wir die Einsamkeit verlassen und zu gesellschaftlichen Wesen werden wollen 157 , während Hobbes das Ehrstreben als Verdrängungskonkurrenz im Rahmen eines Nullsummenspiels diskutiert158 und soziale Anerkennung mit der Anerkennung von Superiorität gleichsetzt 159 , was Montesquieu zu dem Kommentar veranlaßte: „Le desire que Hobbes donne d'abord aux hommes de se subjuguer les uns les autres, n'est pas raisonable"160. Samuel Pufendorf unterschied zwischen „einfacher" und „gesteigerter Ehre", wobei sich die erste auf eine allgemeine gegenseitige Anerkennung als vollberechtigte soziale Akteure bezieht, während die zweite eine Prestigehierarchie ausdrückt161. Aber auch nach Smith inhäriert dem Bedürfiiis nach Anerkennung die latente „love to domineer", die, wenn sie nicht auf Widerstand trifft, aktualisiert wird. Aus diesem Grunde glaubte er nicht an eine vollständige Abschaffung der Sklaverei162. Rousseau wies die Anthropologisierung des Machtstrebens zurück, das er mit dem Zivilisationsprozess wachsen sah; wesentlich aus diesem Grunde lehnte er die moderne Gesellschaft ab163.

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etc., 1980, S. 333-49; A. Honneth: Kritik der Macht. Reflexionsstufen einer kritischen Gesellschaftstheorie (1983), Ffin., 1989. Leviathan, oder Stoff, Form und Gewalt eines kirchlichen und bürgerlichen Staates (1651), hg. v. I. Fetscher, Ffin., 1984, Teil I, 10. Kap. Vgl. I. Kant: Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, hg. v. W. Becker, Stg., 1983, S. 217: Von der Neigung zum Vermögen, Einfluß überhaupt auf andere Menschen zu haben, wo er schreibt: „Dieses Vermögen enthält gleichsam eine dreifache Macht in sich: Ehre, Gewalt und Geld; durch die, wenn man im Besitz derselben ist, man jedem Menschen, wenn nicht durch einen dieser Einflüsse, doch durch den anderen beikommen und ihn zu seinen Absichten brauchen kann". Dazu David Hume im Zusammenhang mit „Freundschaft": „But tho' the Great have more Facility in acquiring Friendships, they cannot be so certain of the Sincerity of them, as Men of lower Rank; since the Favours, they bestow, may acquire them Flattery, instead of Good-will and Kindness", Of the Middle Station of Life, in: Essays - Moral, Political and Literary (1741-77), hg. v. E. F. Miller, Indianapolis, 1987 (deutsche Ausgabe hg. v. Udo Bermbach, 2 Bde., Hamburg, 1988) S. 547; über diese Frage reflektierte bereits Xenophon in seinem Dialog Hiero, englisch in: L. Strauss: On Tyranny, NY etc., 1991. Alexandre Kojeve diskutiert Aspekte dieses Problems im Zusammenhang des „Herr-Knecht-Verhältnisses" in: Hegel. Eine Vergegenwärtigung seines Denkens. Kommentar zur Phänomenologie des Geistes (1947), hg. v. I. Fetscher, Ffm., 1975; Axel Honneth schließt an den jungen Hegel an: Kampf um Anerkennung, ignoriert jedoch die Vorgeschichte. Siehe etwa den berühmten Vergleich des „life of man to a race", von dem angenommen werden muß, „to have no other goal, nor other garland, but being foremost", T. Hobbes: The Elements of Law, Natural & Politic, hg. v. F. Tönnies, Cambridge, 1928, S. 36f. (Teil I, Kap. IX, Abschn. 21). Siehe dazu bes. F. Ο. Wolf: Die neue Wissenschaft des Thomas Hobbes, pass. Siehe M. Oakeshott: Die Sittlichkeit im Werk Thomas Hobbes', in: ders.: Rationalismus in der Politik, Neuwied/Berlin, 1966, S. 262ff. Montesquieu: Esprit des Lois, Bd. I, S. 126 (Buch 1, Kap. 2). Über die Pflicht des Menschen und des Bürgers nach dem Gesetz der Natur, hg. v. K. Luig, Ffin., Leipzig, 1994, 2. Buch, Kap. 14. WN, Bd. I, S. 387f.; J. Salter: Adam Smith on Feudalism, Commerce and Slavery, HPT, 1992: 13, S. 219-41. Siehe I. Fetscher: Rousseaus politische Philosophie. Zur Geschichte des demokratischen Freiheitsbegriffs, Ffin., 5. Aufl., 1988, S. 46ff. George Herbert Mead argumentierte, die Bestimmung sozialer Identität hänge von der Wahrnehmung der eigenen Differenz im Verhältnis zur sozialen Umwelt ab,

Anerkennung, Prestige, Konkurrenz

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Welche Richtung und Form die Prestigekonkurrenz annimmt, hängt von den gesellschaftlichen Bedingungen und Leitwerten ab, nach Talcot Parsons „von den Maßstäben, nach denen Anerkennung gewährt wird, von den Handlungen, mit denen sich Lust verknüpft, und von den Prestige- und Statussymbolen, die allgemein anerkannt werden"164. Da Hobbes eine Differenzierung ökonomischer, soziologischer, kultureller und politischer Bearbeitung der anthropologischen Knappheitssituation ermangelt165, kann er die Verschiebung der Prestigekonkurrenz von der Politik auf die Ökonomie in der Moderne nicht thematisieren, die Adam Ferguson konstatiert: „Where wealth is conceived as honourable, poverty as shameful, the very desire of excellence, or ambition itself, will take the direction of avarice"166. Diese Verschiebung impliziert eine Entschärfung der Machtkonkurrenz, weil der im Machtkampf latente Umschlag in Gewalt in der ökonomischen Konkurrenz in den prinzipiell friedlichen Formen der Reichtumsdifferenzierung gehalten wird. Dabei ist wichtig, daß der Reichtumsprozess kein Nullsummenspiel ist: alle können gewinnen, auch wenn nicht alle gleichmäßig gewinnen. Und negativen Wirkungen der Reichtumsdifferenzierung, wie dem „Luxus", kann durch politische Steuerung der Prestigekonkurrenz begegnet werden, wie James Steuart glaubte; der international konkurrierende Handelsstaat solle „inspire his own people with a spirit of emulation in the exercise of frugality, temperance, oeconomy, and an application to labour and ingenuity. If this spirit of emulation be not kept up, another will take place; for emulation is inseparable from the nature of man; and if the citizens cannot be made to vie with one another, in the practice of moderation, the wealth they must acquire, will soon make them vie with strangers, in luxury and dissipation"167. Ebenso glaubte Ferguson an die Entschärfung der sozialen Konkurrenz durch die Entwicklung kultureller Leitwerte, die die Prestigekonkurrenz auf Ziele begrenzen, „in which the success of one is consistent with that of another"168. „The reputation of virtue, like celebrity in any other way, may engage men in competition and rivalship", und „Desire... placed chiefly in those things which... any one may possess in the highest degree, without detriment to another; or rather, which, being in possession of one, prove an aid to others in the attainment of like blessings"169, wäre moralphilosophisch neutral. Aber sind solche kulturellen Muster politisch zu erzeugen? Zunächst: welche ethischen Strukturen produziert der Markt?

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die als mindestens punktuelle Überlegenheit imaginiert werde, da besondere Fähigkeiten auf verhältnismäßig trivialen Gebieten ausreichend für die Erzeugung sozialen Selbstbewußtseins seien (siehe: Geist, Identität und Gesellschaft aus der Sicht des Sozialbehaviorismus (1934), hg. v. Ch. W. Morris, Ffm., 1973, S. 248fF.), und er weist auf die evolutionäre Transformation globaler Überlegenheiten als Differenzierungsmodus in funktionale Differenzierungen hin (ibid., S. 332f.), siehe dazu: A. Honneth: Der Kampf um Annerkennung, 11,4, S. 114ff. Relevant ist hier auch die Unterscheidung zwischen „self-esteem" und „self-respect", von M. Walzer: Spheres of Justice, Kap. 11. T. Parsons: Die Motivierung des wirtschaftlichen Handelns (1940), in: ders.: Beiträge zur soziologischen Theorie, hg. v. D. Rüschemeyer, Neuwied, 2. Aufl., 1968, S. 151. G. Nonnenmacher: Die Ordnung der Gesellschaft, S. 28ff.; nach F. O. Wolf: Die neue Wissenschaft, S. 128f., ebnet Hobbes die aristotelische Unterscheidung von ökonomischer (Herr - Knecht) und politischer Herrschaft (Regierender - Untertan) begrifflich ein. Principles, Bd. I, S. 127. Principles of Political Oeconomy, Bd. I, S. 231 f. Principles, Bd. I, S. 182. Ibid., Bd. II, S. 76.

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Kapitel 1: Das Problemfeld

Markt und Ethik Die Institution des Marktes170 ermöglicht die Integration großer Gebiete in geregelte und wiederkehrende Austauschbeziehungen171. Während „prä-kommerzielle" ökonomische Beziehungen relativ statisch waren, verschafft der Markt den Wirtschaftssubjekten erheblich erweiterte Wahlmöglichkeiten, durch die eine spezifische Dynamik entsteht, die in einem gegebenen institutionellen Rahmen stattfindet, der von Zeit zu Zeit den Entwicklungen des ökonomischen Gesamtprozesses angepaßt werden muß, wobei zunächst die Transport- und Kommunikationsmittel die wichtigste technologische Variable sind. Das Funktionieren des Marktes setzt die ökonomische Handlungsfreiheit der Wirtschaftssubjekte ebenso voraus wie die Einhaltung gewisser Regeln der Fairness, an der primär die Gemeinschaft der Wirtschaftenden selbst interessiert ist, für die letzten Endes aber der Staat eintritt172. Welche ethischen Strukturen generiert der Markt, und inwieweit kann das Streben nach Ehre, nach Prestige, im Rahmen des Marktes befriedigt werden? Das Ideal des Marktes ist die vollkommene Konkurrenz, die Preisunabhängigkeit einschließt, welche gegeben ist, „wenn... die Marktteilnehmer keinen Einfluß auf den Preis ausüben, den Preis somit als Datum ansehen und dieser... eine von ihrem Verhalten unabhängige Größe ist"173. Der Preis ist nicht unabhängig vom Verhalten der Marktteilnehmer im ganzen174, aber nicht von einzelnen Marktteilnehmern zu beeinflussen. Der Markt ist eine anonyme Vergesellschaftung, d.h. die Individuen bilden einen gesellschaftlichen Zusammenhang, der interdependent, aber nicht gerichtet ist; seine Entwicklung ist nicht durch eine Vorgabe bestimmt, sondern offen für die Anpassungsbewegungen der Einzelnen und ergibt sich nur als ungeplante, nicht vorausgesehene und voraussehbare Resultante175. Es gibt keine durch sinntransportierende Kommunikation realisierte Verständigung der Beteiligten auf eine durch Handeln zu realisierende Entwicklungsrichtung des 170 W. M. Dugger: Instituted Process and enabling Myth: The two faces of the Market, JEI, 1989: 23, S. 607-15; Ch. McCarthy: Rules of market and the basis of their legitimacy, ARSP, 1988: 74, BH 34, S. 121-29. 171 Adam Smith vertrat bekanntlich, Grad und Tiefe der Arbeitsteilung hingen von der Ausdehnung des Marktes ab, WN, Bd. I, Buch I, Kap. III, eine nach Gerard Radnitzky (An economic theory of the rise of civilization and its policy implications: Hayek's account generalized, Ordo, 1987: 38, S. 47-89) auch für Hayek fundamentale Auffassung. 172 Μ. Weber: Wirtschaftsgeschichte, S. If.: ,Allerdings steht und muß hinter jeder Wirtschaft nach historischer Erfahrung Zwangsanwendung stehen - heute staatliche, in früheren Epochen oft ständische... "; T. Parsons: Structure of Social Action, Bd. I, S. lOOf., S. 236: „For an economic process to take place within a society there must be some mechanism by which a relatively stable settlement of the power relationships between individuals and groups is attained. It is only within such a relatively stable framework of control or order that what is generally referred to as an economic system can grow up", s. a. die Diskussion über Dürkheim, ibid., S. 308ff., S. 334, S. 338; J. Habermas: Replik auf Einwände, in: ders.: Vorstudien und Ergänzungen zur Theorie des kommunikativen Handelns, Ffm., 3. Aufl., 1989, beschreibt das Verhältnis des ,Jcapitalistische[n] Wirtschaftssystem[s] und eine[r] im Weberschen Sinne rationalisierten Staatsverwaltung" als eines „füreinander komplementäre[r] Umwelten... Freilich müssen das ökonomische und das administrative Handlungssystem auf dem Wege einer Institutionalisierung des Geld- und Machtmediums in der Lebenswelt verankert sein", S. 564f. 173 G. Stavenhagen: Geschichte der Wirtschaftstheorie, S. 339, s. a. S. 341f. 174 W. Röpke: Die Lehre von der Wirtschaft, S. 23. 175 Bernhard Peters spricht in diesem Zusammenhang von „parametrischer Anpassung", Die Integration moderner Gesellschaften, S. 292f.

Markt und Ethik

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Prozesses 176 . Natürlich gibt es auch sinntransportierende Kommunikation, etwa zwischen zwei Geschäftspartnern 177 , aber diese Vorgänge können, gemessen an einem großen dezentralen Marktprozeß, als partikular und verschwindend betrachtet werden. Daneben gibt es eine indirekte, anonyme Form der Informationsverteilung, deren wichtigster Fall die Aufzeichnung der Preisentwicklung ist, die einfach mechanisch nachvollzogen wird 178 ; auf dieser Ebene einseitiger Information findet kein Argumentieren und keine Einigung statt. Unter Kommunikationsgesichtspunkten stellt der Markt daher ein System der Verschränkung partikularer dialogischer Kommunikation mit allgemeiner einseitiger Informationsverteilung dar. Die Geschäftspartner stehen sich als intentionale Gegner gegenüber: jeder verfolgt nur seinen eigenen Vorteil, und jeder erwartet vom anderen nichts anderes, wobei jeder seinen Vorteil auf Kosten des anderen zu realisieren sucht. Aber diese Gegnerschaft ruht auf einer gewissen Interessenkongruenz, ohne die das Geschäft nicht zustande kommen würde; es erscheint innerhalb einer gewissen Bandbreite beiden Seiten unter gegebenen Bedingungen als vorteilhaft und erweist sich daher als positive-sum-game, was schon Adam Smith wußte und was nicht zu realisieren er den Merkantilisten vorwarf 179 . Also sind die Geschäftspartner gleichzeitig aufeinander angewiesene Partner, und Gegner. Im Rahmen der reinen Theorie des Marktes gibt es keinen Grund, daß ihre soziale Beziehung über das jeweilige Geschäft hinausreicht, da beide Seiten jedesmal neu in ihren Vertragsentscheidungen frei sind 180 . Die sozialen Beziehungen haben die Funktion, den Wertprozeß an einem bestimmten Punkt weiter zu befördern, der selbst prinzipiell endlos ist. Es genügt an dieser Stelle, auf die Marxschen Analysen des Unterschiedes einer gebrauchswertorientierten und einer tauschwertorientierten Ökonomie und der Verselbständigung des Kapitalprozesses hinzuweisen 181 , die eine Umkehrung der traditionellen

176 Siehe Habermas' Unterscheidung von „Systemintegration" und „Sozialintegration"·. Theorie des kommunikativen Handelns, 2 Bde., Ffin., 3. Aufl., 1985, Bd. II, S. 226, S. 230, S. 255f., S. 273, S. 278, S. 335. Ein Vergleich dieser Stellen zeigt gewisse Schwankungen der Position: während Habermas einerseits die Unabhängigkeit und Normfreiheit der „systemischen Subsysteme" betont, so andererseits ihre Angewiesenheit auf die Lebenswelt und Normenbegründung; siehe i. ü. seine Diskussion des Parsonsschen Konzepts des Geldes als gesellschaftliches Steuerungsmedium, ibid., S. 395fF.; kritisch zur mangelnden theoretischen Verschränkung von System und Lebenswelt bei Habermas: A. Honneth: Kritik der Macht, Kap. 7-9. 177 Adam Smith hielt die Sprachfahigkeit des Menschen für das entscheidende Faktum, das ihn spezifisch zum Tauschhandel befähigt und vom Tier unterscheidet, WN, Bd. I, S. 25f.; LJ(A), S. 347ff.; TMS, S. 336. 178 Siehe dazu den auch ideengeschichtlich wichtigen Aufsatz von Hayek: Die Verwertung des Wissens in der Gesellschaft (1946), in: ders.: Individualismus und wirtschaftliche Ordnung, Erlenbach-Zürich, 1952, bes. S. 115. 179 LJ(A) S. 390, LJ(B), S. 511; WN, Bd. I, S. 488f. ; vgl. die „merkantilistische" Position bei James Steuart: Principles of Political Oeconomy, Bd. I, S. 312. 180 Κ. Heinemann: Geld und Vertrauen, JB fur Sozialwissenschaft, 1990: 41, S. 275-88, S. 277: „Der Markt ist nicht auf Bekanntengruppen beschränkt; er ermöglicht den Tausch zwischen nicht bekannten Partnern. Diese Marktpartner kommen unter spezifisch isolierten Gesichtspunkten, also nur zum Zwecke des Tausches zusammen; der Kontakt endet in dem Moment, in dem der Kontrakt erfüllt ist". 181 Siehe K. Marx: Ökonomisch-philosophische Manuskripte; ders.: Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, Berlin, 2. Aufl., 1974; ders.: Zur Kritik der politischen Ökonomie. Erstes Heft, Berlin, 9. Aufl., 1974; ders.: Resultate des unmittelbaren Produktionsprozesses, Ffin., 1969; ders.: Das Kapital, 3 Bde., MEW, Bde. 23-25, l.Bd., Berlin, 13. Aufl., 1979, 2. Bd., 9. Aufl., 1981, 3. Bd.,

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Kapitel 1: Das Problemfeld

Relation der Ökonomie zum Ganzen des gesellschaftlichen Prozesses zur Folge hat 182 . Im voll entwickelten Kapitalismus dreht sich der Gesellschaftsprozeß um die Ökonomie, während das Ökonomische im antiken Denken nur einen minderen Aspekt der Sicherung der notwendigen und angemessenen Lebensbedingungen darstellte. Im 18. Jahrhundert war diese Inversion noch nicht abgeschlossen und stellte ein gedankliches Problem dar. Nur unter der Bedingung der Dominanz einer Ethik bornierten Selbst- oder Eigeninteresses entfaltet der Markt seine spezifische Rationalität 183 , die in England von Autoren des 17. Jahrhunderts registriert wurde 184 . Ideengeschichtlich finden wir im 17. Jahrhundert sowohl in England 185 als auch in Frankreich 186 theoretische Begründungen einer Ethik borniert privater Interessenwahrung, die mit Ernüchterung über das Versagen älterer normativer Ansätze einhergeht und betont analytisch-deskriptiv und als skeptische Anthropologie vorgetragen wird, was, Crawford MacPherson folgend, mit der Realentwicklung der Konkurrenzgesellschaft in Verbindung gebracht werden kann 187 . Die grundlegende Form der Anerkennung in der Marktgesellschaft ist demnach die wechselseitige Anerkennung als Teilnehmer am Marktprozeß, als potentieller Geschäftspartner, und ihr Kriterium sind nicht persönliche Qualitäten, sondern transferierbare Ressourcen, die für andere potentiell nutzbar sind 188 . Das ist das Fundament für Phänomene, die im Begriff der „Entfremdung" zusammengefaßt wurden 189 . Idealtypisch involviert der Markt die Beteiligten im Ergebnis in drei Arten von sozialen Beziehungen: Erstens sind sie gefordert, die institutionellen Arrangements, die dem Marktprozeß zugrundeliegen, festzulegen. Hier ist i.a. Argumentation und Einigung gefordert 190 . Im Hintergrund dieses Einigungsprozesses steht der Staat, der die Fundamente der Marktordnung und ihre Wahrung garantiert. Im Vorfeld des staatlichen Zwangsrechts finden jedoch auch weniger fundamentale, weniger dauerhafte und ad /zoc-Einigungen auf Regeln statt, die autonom durch die Wirtschaftsgemeinschaft qua kollektive Sanktionen geschützt werden. „By laws", schrieb Steuart, „the execution of formal contracts may be enforced", jedoch „manners, alone, can introduce that entire confidence which is

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11. Aufl., 1983; Ε. Mandel: Entstehung und Entwicklung der ökonomischen Lehre von Karl Marx, 1843-1863 (1968), Ffin. /Köln, 2. Aufl., 1975. Hier sind Analysen Karl Polanyis weiterhin wichtig: The Great Transformation; ders.: Ökonomie und Gesellschaft (1933-64), Ffin., 1979. M. Godelier: Rationalität und Irrationalität in der Ökonomie (1966), Ffin., 1972; C. Rolshausen: Rationalität und Herrschaft. Zum Verhältnis von Marktsoziologie und Entscheidungslogik, Ffin., 1972. J. O. Appleby: Economic Thought and Ideology in Seventeenth Century England, bes. S. 62, S. 93, S. 247. Einflußreich ist bes. Hobbes, siehe zur Reaktion darauf S. I. Mintz: The Hunting of Leviathan, Cambridge, 1962, und als Übersicht M. L. Myers: The Soul of Modern Economic Man. Ideas of Selfinterest Thomas Hobbes to Adam Smith, Chicago, 1983. Siehe bes. den Due F. de Larochefoucauld: Spiegel des Herzens. Seine sämtlichen Maximen (1665), hg. v. W. Kraus, Zürich, 1988. C . B . MacPherson: Die Theorie des Besitzindividualismus. K. Heinemann: Geld und Vertrauen, JBfiir Sozialwiss., 1990: 41, S. 280: „Markt und Geld schaffen eine Kultur, in der das persönliche, das individuelle, das besondere des Einzelnen ausgeklammert bleiben". Siehe bes. Marx: Ökonomisch-philosophische Manuskripte. Auf die Frage, ob dieser Vorgang evolutionär oder kontraktualistisch vorzustellen ist, braucht hier nicht eingegangen zu werden, siehe dazu V. Vanberg: Markt und Organisation, Tübingen, 1982.

„After

Virtue"

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requisite to form the spirit of a trading nation... For this reason we see, that in certain nations, the legislator wisely excludes the ordinary courts of justice from extending their rigid jurisdiction over mercantile engagements: they leave to the prudence and good faith of men versed in commerce, to solve the difficulties which result from such transactions; because they are to be interpreted more according to the constant fluctuations of manners, than to the more permanent institutions of positive law"' 91 . Daraus erhellt die Notwendigkeit einer gewissen Autonomie kommerzieller Vertrauens- und Regelbildung, die nur sekundär durch den Staat zu schützen ist. Zweitens begegnen sich die einzelnen Marktteilnehmer als Geschäftspartner in der beschriebenen Konstellation intentionaler Gegnerschaft und Partnerschaft, Vorgänge, die vom Standpunkt des Gesamtprozesses aus gesehen partikular und verschwindend sind, welcher aus der Summe dieser Transaktionen resultiert, ungeplant und ungerichtet. Drittens partizipieren die Marktteilnehmer an dem Informationsprozeß, der ein Aspekt des Preissystems ist. Nur in der ersten Rolle, die eigentlich dem Markt vorausliegt, kann sich soziales Prestige bilden, das stets auf irgendeine Art von „Öffentlichkeit" als „Bühne" angewiesen ist. „After Virtue" Geht man über die reine Theorie des Marktes hinaus 192 , wird schnell klar, daß der Markt als sozialer Prozeß stets in einen größeren sozialen Zusammenhang eingebettet ist193, eine Tatsache, die immer wieder gegen die Tendenz der Verselbständigung der ökonomischen Theorie behauptet worden ist. In diesem Zusammenhang ist auf die klassische Politische Ökonomie und den Marxismus, auf die historische Nationalökonomie 194 , auf den Institutionalismus und Neoinstitutionalimus 195 und auf die Wirtschaftssoziologie 196 hinzuweisen, aber schon bei Ferguson finden wir entsprechende Hinweise 197 . Wenn auch der Markt zur zentralen Institution des sozialen Raumes wird, worin sich die Ausweitung der ursprünglich privaten ökonomischen Tätigkeit ausdrückt, schließt das Soziale doch 191 Steuart: Principles, Bd. II, S. 440; cf. Luhmann: Rechtssoziologie, Bd. II, S. 256ff.; M. Granovetter: Economic Action and Social Structure: The Problem of Embeddedness, AJS, 1985/6: 91, S. 481-510; Ch. McCarthy: Rules of market and the basis of their legitimacy, ARSP, 1988; B. L. Benson: The spontaneous Evolution of commercial law, SEJ, 1988/89: 55, S. 644-61; M. Steele: Commercial law and economic evolution in England during the enlightenment, SVEC, 1989: 263, S. 37-42. 192 F. A. Hayek: Der Sinn des Wettbewerbs, in: ders.: Individualismus und wirtschaftliche Ordnung, S. 128; Μ. Granovetter: Economic Action and Social Structure, AJS, 1985/6. 193 Siehe dazu klassisch Karl Polanyi: Ökonomie und Gesellschaft, Teil II. 194 Siehe für England: St. Collini et al: That Noble Science of Politics. Α study in nineteenth-century intellectual history, Cambridge, 1987, Kap. 6-8; fur Deutschland: Stavenhagen: Geschichte der Wirtschaftstheorie, Abschn. V und VI; s. a. Schumpeter: Geschichte der ökonomischen Analyse, Bd. II, Kap. 4. 195 Siehe R. L. Heilbroner: The Wordly Philosophers, Kap. 8; E. Boettcher: Der Neue Institutionalismus als Teil der Lehre von der Neuen Politischen Ökonomie, JBNPÖ, 1983: 2, S. 1-15; Don Kanel: Institutional Economics: Perspectives on Economy and Society, JEI, 1985: 19, S. 815-28; O.E.Williamson: Reflections on the New Institutional Economics, JITE, 1985: 141, S. 187-95; D. C. North: The Ν. I. E., JITE, 1986: 142, S. 230-7. 196 K. Heinemann (Hg.): Soziologie wirtschaftlichen Handelns, KZSS, SH 28, 1987; R. Swedberg: Economic Sociology: Past and present, CS, 1987: 35, No. 1; A. Martinelli/N. J. Smelser: Economic sociology: historical threads and analytic issues, ibid, 1990: 38, No. 2/3, S. 1-49; B. Biervert et al. (Hg.): Sozialphilosophische Grundlagen ökonomischen Handelns, Ffm., 1990. 197 Siehe etwa: Principles, Bd. II, Teil II, Kap. III, Abschn. X.

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Kapitel l: Das Problemfeld

eine viel größere Varietät sozialer Beziehungen und Handlungsformen ein, unter denen die Bildung und Formung sozialen Prestiges herausragt, das sich jenseits des Marktes im Bereich einer im Gegensatz zur Antike entpolitisierten Öffentlichkeit entfaltet. Dieser Prozeß ist einerseits vom Markt abgelöst, wird jedoch durch die Marktprozesse gespeist, die die Ressourcen für die Prestigekonkurrenz bereitstellen. Klarste Erscheinungsform dieser ökonomischen Prestigekonkurrenz ist die von Thorstein Vehlen konzeptualisierte „conspicious consumption" 198 , die Veblen richtig als ursprünglich vormodernes Phänomen betrachtete 199 , das dazu diente, Status- und Rangunterschiede sichtbar zu machen, so wie die spätmittelalterlich-frühneuzeitlichen Kleiderordnungen als Versuch interpretiert werden können, die auflösende Wirkung der ökonomischen Dynamik auf die statisch gedachte Sozialstratifikation qua äußerlicher Regulation stillzustellen. In der Moderne bildet der demonstrative Konsum den ökonomischen Erfolg direkt auf die soziale Öffentlichkeit ab, und mit der Aufgabe der Idee statischer Sozialstratifikation erlangt sozialer Aufstiegswille Legitimität, der konsumistisch antezipiert wird: man will öffentlich einen höheren sozialen Status okkupieren, als man wirklich besitzt, und dadurch wird die Korrespondenz zwischen dem tatsächlichen ökonomischen Status und den demonstrativen Konsummustern gelockert. Daher strukturiert sich die Gesellschaft im ganzen in Richtung einer durch Öffentlichkeit vermittelten Prestigekonkurrenz um 200 , die Soame Jenyns effektvoll ironisierte. „Had the many wise philosophers of antiquity", schrieb er, „who have so often and so justly compared the life of man to a race, lived in the present times, they would have seen the propriety of that simile greatly augmented: for if we observe the behaviour of the polite part of this nation (that is, of all the nation) we shall see that their whole lives are one continued race; in which every one is endeavouring to distance all behind him, and to overtake, or pass by, all who are before him: every one is flying from his inferiors, in pursuit of his superiors, who fly from him with equal alacrity... Every tradesman is a merchant, every merchant is a gentleman, and every gentleman one of the nobles. We are a nation of gentry, populus generosorum: we have no such thing as common people amongst us... The nobility, who can aim no higher, plunge themselves into debt and dependance, to preserve their rank; and are even there quickly overtaken by their unmerciful pursuers. The same foolish vanity, that thus prompts us to imitate our superiors, induces us also to be, or to pretend to be, their inseparable companions; or, as the phrase is, to keep the best company; by which is always to be understood, such company as are much above us in rank or fortune, and consequently despise and avoid us, in the same manner as we ourselves do our inferiors. By this ridiculous affectation are all the pleasures of social life, and all the advantages of friendly converse utterly destroyed" 201 . In dieser Prestigekonkurrenz, die Paul Langford

198 Τ. Β. Vehlen: Theorie der feinen Leute. Eine ökonomische Untersuchung der Institutionen (1899), München, 1981. 199 So Plutarch im Zusammenhang von Anti-Luxus-Gesetzen: „Denn fur Wegnahme des Reichtums sehen es die meisten an, wenn man sie hindert, ihn zu zeigen, und zeigen könne man ihn nur mit dem Überflüssigen, nicht mit dem Notwendigen", Von großen Griechen und Römern, S. 273. 200 P. Langford: A Polite and Commercial People, S. 595-602. 201 Essays published in a weekly paper, called The World, Nr. 125, in: [Soame Jenyns:] Miscellaneous Pieces in Verse and Prose, London, 3. ed., 1770, S. 181ff. Die Metapher des Wettrennens für die Sozialkonkurrenz findet sich prominent schon bei Hobbes, in: The Elements of Law, Natural and Politic, Kap. IX, Section 21, S. 36f. ; s. a. [Henry Home-Lord Kames:] Introduction to the art of

„After Virtue"

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als „sozialen Krieg" beschreibt, spielt das Eigentum die entscheidende Rolle. „Short of having an unequal share of property", schreibt er, „it was vital to appear to have it. Eighteenth-century England was an endlessly snobbish society; ... nothing distinguished it more than the unceasing struggle of all ranks to emulate those above them. In theory the most powerful weapon in the social war was politeness, a code of manners, not a register of possessions. But the practice was very different. However much moralists insisted on virtue, whether in a Christian or a secular version, as the basis of the code, its dependence on the possession of wealth was all too obvious... Some would have urged the superior effect of breeding, which did not always go with property. But this was not very convincing. Contempt for the bourgeois gentleman who did not grasp the difference between the trappings of gentility which he had purchased, and its true spirit, of which he knew nothing, was the standard tactic of an aristocratic elite in retreat... In practical terms it is better evidence of the threat represented by bourgeois values than of successfull resistance to them... The acquisition of wealth was the route to social acceptance and political power at all levels of society"202. Das seinerzeit modische Bath erscheint zum Beispiel in Tobias Smolletts um 1770 entstandenem Briefroman The Expedition of Humphry Clinker als eine Bühne der „conspicious consumption", die, in dem rhetorischen Ausbruch einer der adligen Romanfiguren, durch eine Invasion wohlhabender, aber vulgärer Leute heimgesucht wird. „Every upstart of fortune", heißt es, „harnessed in the trappings of the mode, presents himself at Bath, as in the very focus of observation Clerks and factors from the East Indies, loaded with the spoil of plundered provinces; planters, negro-drivers, and hucksters, from our American plantations, enriched they know not how; agents, commissaries, and contractors, who have fattened, in two successive wars, on the blood of the nation; usurers, brokers, and jobbers of every kind; men of low birth, and no breeding, have found themselves suddenly translated into a state of affluence, unknown to former ages; and no wonder that their brains should be intoxicated with pride, vanity, and presumption. Knowing no other criterion of greatness, but the ostentation of wealth, they discharge their affluence without taste or conduct... ; and all of them hurry to Bath... where a very inconsiderable proportion of genteel people are lost in a mob of impudent plebeians, who... seem to enjoy nothing so much as an opportunity of insulting their betters"203. Bildete idealiter in der Antike der Oikos die Ressourcenbasis der öffentlichen Tätigkeit der Bürger, indem er sie von Erwerbstätigkeit freistellte, so resultierte das Prestige jedoch aus tugendhaftem öffentlichem Handeln. Mit seiner Umlegung von der Politik auf den Reichtumserwerb okkupiert dagegen in der Moderne die vormals ethisch niedrig bewertete private Ökonomie den öffentlichen Raum. Und die Basierung der sozialen Bewertung von Personen auf intersubjektive Gleichgültigkeit stiftende Marktprozesse fuhrt zur Zerstörung jener antiken Idee der Tugend204, wie sie von Aristoteles, Cicero und noch in der italienischen Renaissance verstanden wurde: als Verpflichtung auf die res

thinking, Edinburgh, 1761, S. 132; I. Kramnick: Republicanism and Bourgeois Radicalism. Political Ideology in late Eighteenth-Century England and America, Ithaca/London, 1990, S. 1 Iff. 202 P. Langford: Public Life and the Propertied Englishman, S. 9. 203 Harmondsworth, 1985, S. 65f. 204 Anregend war hier A. Maclntyre: After Virtue; ders.: The privatization of the good. An inaugural lecture, RP, 1990: 52, S. 344-361, und die anschließende Diskussion.

Kapitel 1: Das Problemfeld

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publica105, durch die soziale Anerkennung an das Handeln für „öffentliche", gemeinsame, „politische" Zwecke geknüpft war. Die Logik des Marktes diskriminiert dagegen gerade diese Handlungsart, und damit verliert das Prestige seine Bindung an die Idee der „Tugend", die selbst marginalisiert wird. Denn im System modernen Prestiges werden zwar die persönlichen Qualitäten eines geschickten Geschäftsmannes anerkannt, die sich in seinem Erfolg, Reichtum und Konsum ausdrücken, aber man hält ihn deshalb kaum fur tugendhaft206, denn die herrschende Prämisse über öffentliches Handeln, das in der Moderne wesentlich auf Ökonomie verweist, besagt, daß es durch Selbstinteresse motiviert ist, während Momente der Selbstlosigkeit, ohne die wahrscheinlich keine Gesellschaft funktionieren würde, systematisch marginalisiert und in Randbereiche des Sozial? Π 7

ΛΛΟ

systems abgedrängt erscheinen, in die Familie , in die Intimität , und mit Begriffen von „Liebe" und „Freundschaft" bezeichnet werden, die selbst einen merkwürdig nostalgischen Klang annehmen. Die Plazierung der Tugend wurde im Ergebnis vom Öffentlichen in das Private verlagert. Fraglich erscheint jedoch, wie vital diese moderne Tugend im Angesicht des Vordringens der Warenform bleiben kann. Allan Silver hat die These formuliert, erst die kommerzielle Gesellschaft ermögliche freie und universelle freundschaftliche Beziehungen, indem sie das Individuum aus der Zwangsintegration in emotionale Gemeinschaften Familie, Sippe, Siedlungsgemeinschaft, Polis - freisetzt, die auf einer strikten Unterscheidung von Freund und Feind und der Differenzierung einer Binnenmoral von einer 205 Q. Skinner: The republican ideal of political liberty, in: G. Bock et al. (Hg.): Machiavelli and republicanism, S. 293-309, hier S. 303. 206 Smith unterscheidet in der TMS, S. 212ff., instruktiv eine einfache, bürgerliche, zivile Klugheit von einer höheren, politischen oder gar heroischen. 207 Erich Fromm bemerkte 1937 als „einen der entschiedensten psychischen Züge der bürgerlichen Gesellschaft... die Tatsache der relativen Beschränktheit der gefühlsmäßigen Expansion auf die Familie, welche nur die andere Seite der Tatsache der Gestörtheit der positiven Gefuhlsbeziehungen zum „Fremden" ist", Die Determiniertheit der psychischen Struktur durch die Gesellschaft, in: ders.: Die Gesellschaft als Gegenstand der Psychoanalyse. Frühe Schriften zur analytischen Sozialpsychologie, hg. v. R. Funk, Ffm., 1993, S. 159-218, hier S. 171. Die Realitätshaltigkeit des verbreiteten Ideals der emotional intakten Familie, kann natürlich bezweifelt werden, siehe etwa U. Beck: Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne, Ffm., 1986, Kap. IV; S. Bowles/H. Gintis: Democracy and Capitalism. Property, Community, and the Contradictions of Modern Social Thought (1986), London, 1987, S. 108; A. Wolfe: Whose Keeper? Social Science and Moral Obligation, Berkeley etc., 1989, bes. Kap. 2. Ohne das Thema vertiefen zuwollen, scheint mir jedenfalls deutlich, daß sich Familien generell über andere kulturelle Muster stabilisieren als strikte Interessengesichtspunkte, unabhängig davon, wie weit der Familienbegriff gefaßt wird. 208 Charakteristisch ist die protestantisch-sentimentalische Prosa von Samuel Richardson, der den Begriff der Tugend auf die weibliche Keuschheit und auf Werte wie den Gehorsam gegenüber den Eltern reduziert, siehe ders.: Pamela, or Virtue Rewarded (1740), hg. v. P. Sabor, Harmondsworth, 1984; welch ein Unterschied zur kriegerischen Tugend der Römer (siehe etwa Plutarch: Von großen Griechen und Römern, S. 388: Gaius Marcius, 1. Abschn.) oder zur Virtü der italienischen Renaissance, die die (männliche) Bezwingung des Schicksals, der weiblich-kapriziösen Fortuna, feiert, siehe T. Flanagan: The Concept of Fortuna in Machiavelli, S. 127-56, und J. Plamenatz: In Search of Machiavellian Virtü, S. 157-78, in: A. Parell (Hg.): Political Calculus; Q. Skinner: Foundations, Bd. I, S. 88ff., S. 167. Siehe zum Sentimentalismus des 18. Jahrhunderts, dessen Vorläufer Richardson ist, P. Langford: A Polite and Commercial People, Kap. 10, bes. S. 463f., sowie, im schottischen Kontext, John Dwyer: Clio and Ethics: Practical Morality in enlightened Scotland, EC, 1989: 30, S. 45-72; ders.: The Imperative of Sociability: Moral Culture in the Late Scottish Enlightenment, BJECS, 1990: 13, S. 169-84.

„After

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Virtue"

Außenmoral beruhten, auf die die k o m m e r z i e l l e G e s e l l s c h a f t grundsätzlich verzichten könne, w i e bereits schottische Autoren des 18. Jahrhunderts g e s e h e n hätten 2 0 9 . Ich halte diese T h e s e grundsätzlich für richtig, die Frage bleibt aber, w e l c h e s das vorherrschende Resultat der E n t w i c k l u n g der k o m m e r z i e l l e n Gesellschaft ist: die Indifferenz auf B a s i s der Warenform, die, w i e g e z e i g t , eine latente Gegnerschaft beinhaltet, oder die Emanzipation z u freien persönlichen B e z i e h u n g e n . D i e R o l l e der traditionellen Kardinaltugend der „Prudentia", der Klugheit, erscheint in der neuen Ethik sehr gesteigert, da die Rationalität, im Sinne der kühl planenden Ermittlung und Festlegung geeigneter Mittel für bestimmte Z w e c k e , die „instrumentelle Vernunft" der Frankfurter Schule 2 1 0 , zur paradigmatischen D e n k f o r m der M o d e r n e wird 2 1 1 . D i e s e rationalistische Aufklärung 2 1 2 schlägt in d e m M a ß e in Irrationalität u m , in d e m der gesteigerten Rationalität auf der E b e n e der Einzelakteure keine adäquate übergreifende Gesamtrationalität z u w ä c h s t 2 1 3 . D i e A u s e i n a n d e r e n t w i c k l u n g gesteigerter

Einzelratio-

nalität und defekter Gesamtrationalität,

Ineinander-

oder genauer: der ungeregelten

schachtelung extremer Partikularrationalität und defizitärer Rationalität der Vernetzung, fuhrt zur Ü b e r d e c k u n g der Frage nach sinnvoll-vernünftigen Z i e l s e t z u n g e n d e s G e samtprozesses, die schließlich verdrängt und als theoretisch-praktische M ö g l i c h k e i t negiert wird, w o b e i auch das B e w u ß t s e i n d i e s e s D e f i z i t s marginalisiert wird. N i c h t nur, daß d e m G e s a m t p r o z e ß keine Vernunft inhäriert, sogar der Gedanke daran wird verketzert. I d e o l o g i s c h führt das zur Verselbständigung der Mittel v o n Z w e c k e n und sodann zur

209 A. Silver: Friendship in Commercial Society, AJS, 1989/90: 95, S. 1474-1504; ders.: Friendship and trust as moral ideals: an historical approach, AES, 1989: 30, S. 274-97; verwandte Fragen behandeln F. Μ. Bamard/R. Vernon: Recovering politics for socialism: two responses to the language of community, CJPS, 1983: 16, S. 717-37; s. a. A. Wolfe: Whose Keeper?, S. 27ff.; mein Aufsatz über: „Freundschaft" in der bürgerlichen Gesellschaft, Prokla, 1992: 22, Nr. 87, S. 310-22. 210 Der zentrale Text ist von M. Horkheimer: Zur Kritik der instrumentellen Vernunft. Aus den Vorträgen und Aufzeichnungen seit Kriegsende (1947-67), hg. v. A. Schmidt, Ffin., 1985. Habermas unterscheidet zwischen instrumentellem und strategischem Handeln, siehe ζ. B. das Schaubild, Vorstudien und Ergänzungen zur Theorie des kommunikativen Handelns, S. 405, und S. 540ff., wobei der erste Begriff sich auf Naturbearbeitung bezieht und von „sozialem Handeln" abgegrenzt ist, wovon „strategisches Handeln" einen Untertypus bildet. Der hier zugrundegelegte Begriff „instrumenteller Vernunft" ist weiter und schließt jedenfalls „strategisches Handeln" im Habermasschen Sinne ein. 211 Das ist besonders durch Max Weber entwickelt worden, siehe bes.: Wirtschaft und Gesellschaft, sowie die einflußreiche Interpretation von W. Schluchter: Rationalismus der Weltbeherrschung. Studien zu Max Weber, Fftn., 1980; marxistisch inspiriert argumentieren: F. Borkenau: Der Übergang vom feudalen zum bürgerlichen Weltbild, Paris, 1934, mit Anhang: H. Grossmann: Die gesellschaftlichen Grundlagen der mechanistischen Philosophie und die Manufaktur, Zeitschrift für Sozialforschung, 1935, repr. (Junius-Drucke), o. O., o. J . ; ein neuerer Beitrag stammt von A. Gorz: Kritik der ökonomischen Vernunft. 212 Siehe zum Begriff ,Aufklärung" P. Pütz (Hg.): Erforschung der deutschen Aufklärung, Königstein/Ts., 1980, Teil 1 und 2; N. Hampson: The enlightenment. An Evaluation of its Assumptions, Attitudes and Values (1968), Harmondsworth, 1984; H. Stuke: Aufklärung, in: GG-Lexikon, Bd. I, S. 243-342; P. Kondylis: Die Aufklärung im Rahmen des neuzeitlichen Rationalismus (1981), München, 1986. 213 H. Marcuse: Der eindimensionale Mensch. Studien zur Ideologie der fortgeschrittenen Industriegesellschaft (1964), Neuwied/Berlin, 1978, S. 204; M. Godelier: Rationalität und Irrationalität in der Ökonomie; B. Biervert/J. Wieland: Gegenstandsbereich und Rationalitätsform der Ökonomie und der Ökonomik, in: B. Biervert et al. (Hg.): Sozialphilosophische Grundlagen ökonomischen Handelns, S. 7-32; Beiträge von R. Turner, J. Elster und M. Levi, in: AES, 1991: 32, S. 84-149.

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Kapitel 1: Das Problemfeld

Umwidmung der Mittel in Zwecke, eine fundamentale Verkehrung, von der eine kritische, nicht bloß affirmative Theorie der Moderne auszugehen hat 214 . Dieser Prozeß hatte im 18. Jahrhundert eingesetzt 215 . Er bedeutete für die Prudentia als praktisch-konkrete Vernunft der vorausschauenden Abwägung handlungsrelevanter Wirkungsfaktoren eine bedeutsame intellektuelle und anschauliche Verarmung und Abstraktion. Gemeinsam ist der alten und neuen Ethik dagegen das Moment der Willenskraft und Standhaftigkeit. Generell jedoch reißt die neue Ethik prämodern vereinigt gedachte ethische Momente auseinander. Somit ergibt sich folgendes Schema divergenter ethischer Logiken im Gesellschaftssystem der frühen Moderne: 1. Die Logik des Marktes; Kriterium: persönliche Gleichgültigkeit; bedeutende Steigerung der Einzelrationalität; 2. Die Konkurrenz um das Sozialprestige, die als Nullsummenspiel unter Bedingungen wachsender sozialer Mobilität besonders scharf wird; 3. Der Bereich der in Randbereiche abgedrängten Selbstlosigkeit, die, eigentümlich unpolitisch und verschämt, aus dem öffentlichen Raum verdrängt ist. Recht, Moral, Ethik An die Stelle des vormodernen Tugendbegriffs und der verblassenden verbindlichen Ethik eines „guten Lebens", das seine Erfüllung, getragen durch einen gesellschaftlichen Wertekonsens, in gemeinwohlorientiertem öffentlichem Handeln findet, tritt die Aufspaltung dieses sittlichen Komplexes in Recht, Moral und eigentliche Ethik, die sich wesentlich durch den Grad der Verbindlichkeit unterscheiden, die sie beanspruchen: Recht als verbindliche Beschreibung gesellschaftlicher Handlungsgrenzen, Moral als Spielraum der Abschattierung moralischer Interaktionsbeziehungen, und Ethik als individueller Lebensentwurf, der keiner transsubjektiven Rechtfertigung bedarf und daher als Privatangelegenheit aus dem gesellschaftlichen Diskurs tendenziell herausfallt. Diese Differenzierung verläuft über mehrere historisch-ideengeschichtliche Etappen, beginnend mit der Trennung von Religion und Säkularität, die sich im Protestantismus etwa in Luthers „Zwei-Reiche-Lehre" ausdrückt 216 , im Zeitalter der Religionskriege im Programm der französischen „politiques" fortgeführt wird 217 , in die Forderung nach Tole-

214 Siehe bes. M. Horkheimer/T. W. Adorno: Dialektik der Aufklärung (1947), Ffin., 1986; dazu: W. van Reijen/G. Schmid Noerr (Hg.): Vierzig Jahre Flaschenpost: „Dialektik der Aufklärung" 1947 bis 1987, Ffin., 1987; G. Anders: Die Antiquiertheit des Menschen (1956/80), München, Bd. I, 7. Aufl., 1987, Bd. II, 4. Aufl., 1987; St. Breuer: Die Gesellschaft des Verschwindens. Von der Selbstzerstörung der technischen Zivilisation, HH, 2. Aufl., 1993. 215 Siehe A. Maclntyre: After Virtue. 216 Siehe M. Luther: Von weltlicher Obrigkeit, wieweit man ihr Gehorsam schuldig sei, in: ASchr., hg. v. K. Bornkamm/G. Ebeling, Ffim., 1982, Bd. IV, dort eingeführt S. 42f.; siehe zu Luther Q. Skinner: Foundations, Bd. II, Teil 1, Kap. 1, dort auch über Melanchthons Begriff „adiaphora", S. 68f. 217 Zu denen Jean Bodin: Über den Staat (1583), Stg., 1976, und Michel de Montaigne: Essais, zu rechnen sind; s. H. Denzen Bodin, in: H. Maier et al. (Hg.): Klassiker des politischen Denkens, Bd. I; die Abschnitte über Bodin und die „politiques" in den Ideengeschichten von Sabine, Kap. 20, Fenske et al., S. 296ff., Fetscher/Münkler (Hg.): Pipers HB, Bd. III, Kap. III: U. Bermbach: Widerstandsrecht, Souveränität, Kirche und Staat: Frankreich und Spanien im 16. Jahrhundert, S. 129ff., und bei H.J.Lieber (Hg.): Politische Theorien, A.Schwan, S. 168ff.; E. Hinrichs: Das Fürstenbild Jean Bodins und die Krise der französischen Renaissancemonarchie, in: ders.: Ancien Regime und Revolution; Q. Skinner: Foundations, Bd. II, S. 244ff.

Recht, Moral, Ethik

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ranz einmündet 218 und sich im 18. Jahrhundert in England auf der Grundlage der weithin unangefochtenen Dominanz der anglikanischen Staatskirche beruhigt 219 . Die Differenzierung zwischen Recht und Moral schließt säkular an diese Problematik an. In Anfängen weiter zurück datierbar, dann jedoch stets kontextuell religiös überwölbt 220 , setzt sie eigentlich mit dem modernen Naturrecht des 17. Jahrhunderts ein221. Bei Grotius finden wir sowohl die säkulare Fundierung der Moral ausgedrückt 222 als auch die Unterscheidung von perfekten und imperfekten Rechten 223 , die unpräzise auf die Trennung von Recht und Moral hinweist. Grotius' Diskussion fehlt hier Trennschärfe, weil er nicht deutlich zwischen Staat und Gesellschaft unterscheidet 224 . Bei Hobbes finden wir die Distinktion von Rat und Befehl 225 , und er definiert dann die bürgerlichen Gesetze als „die Regeln, die der Staat jedem Untertanen durch Wort, Schrift oder andere ausreichende Willenszeichen befahl, um danach Recht und Unrecht, das heißt das Regelwidrige und das der Regel entsprechende, zu unterscheiden" 226 . Wo dagegen „der Souverän keine Regel vorgeschrieben hat, [besitzt] der Untertan die Freiheit, nach eigenem Ermessen zu handeln oder es zu unterlassen" 227 . Und da es „auf der ganzen Welt keinen Staat [gibt], der genügend Vorschriften zur Regelung aller menschlichen Handlungen und Äußerungen erlassen hat, da dies unmöglich ist", so folgt notwendig, „daß die Menschen in allen vom Gesetz nicht geregelten Gebieten die Freiheit besitzen, das zu tun, was sie auf Grund ihrer eigenen Vernunft für das Vorteilhafteste halten" 228 . Das können immer noch „Sünden" sein, die aber keine Verbrechen und daher dem Staat gleichgültig sind 229 . Hobbes betont also die Grenze zwischen dem Bereich staatlichen Zwanges und der bürgerlichen Freiheit. Diese erscheint als individuelle Freiheit, da sich

218 Beiträge zu dieser Diskussion in England im 17. Jahrhundert in: D. Wootton (Hg.): Divine Right and Democracy, Kap. 4; J. Locke: A Letter concerning Toleration (1689), Buffalo, 1990. 219 Langford: A Polite and Commercial People, Kap. 6; s. jedoch J.Priestley: Essay on the First Principles of Government, Political Writings, hg. v. P.N.Miller, Cambridge, 1993, Abschn. V folgende. 220 Luther etwa unterscheidet drei moralische Sanktionsinstanzen, „eine nichtöffentliche und brüderliche, die evangelische öffentliche vor der Gemeinde und die von weltlicher Obrigkeit geschieht", Vom ehelichen Leben, ASchr., Bd. III, S. 183. 221 G. Lübbe-Wolff: Historische Funktionen der Unterscheidung von Recht und Moral, ARSP, BH 23, 1985: 71, S. 43-50; theoretische Aspekte bei Luhmann: Rechtssoziologie, Bd. II, S. 222ff. 222 Siehe die bekannte Stelle der Vorrede in: De Jure Belli ac Pacis, Drei Bücher vom Recht des Krieges und des Friedens, Tübingen, 1950, 11. Abschn., S. 33. 223 Ibid., 1. Buch, 1. Kap., Abschn. IV. 224 K. Haakonssen: Hugo Grotius and the History of Political Thought, PT, 1985: 13, S. 239-65, rückt den Beitrag von Grotius zum Konzept der negativen Freiheit in einen ideengeschichtlichen Zusammenhang über Pufendorf und Thomasius zur schottischen Aufklärung. 225 Leviathan, Kap. 25. 226 Ibid., Kap. 26, S. 203. 227 Ibid., Kap. 21, S. 170. 228 Ibid., S. 165. 229 Hobbes: Dialog zwischen einem Philosophen und einem Juristen über das englische Recht (1681), hg. v. B. Willms, Weinheim, 1992, S. 79: „Alle Verbrechen sind in der Tat Sünden, aber nicht alle Sünden sind Verbrechen". Im politischen Bereich bestimmt ausschließlich der Leviathan, was eine „Sünde" ist; ähnlich Spinoza: Abhandlung vom Staate, in: ders.: Abhandlung über die Verbesserung des Verstandes. Abhandlung vom Staate, 2. Kap., Par. 18, S. 67.

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Kapitel 1: Das Problemfeld

Hobbes für die Strukturierung sozialer Interaktion wenig interessiert230. Entscheidend ist ihm, daß der Leviathan jederzeit und ungehemmt in den Bereich bürgerlicher Freiheit übergreifen kann. Aus der Betonung der besonderen Verbindlichkeit der Gesetze, durch ihre Verknüpfung mit staatlichem Zwang, folgt die analytische Abtrennung eines sekundären Regelungsbereichs sozietärer Normen, Regeln, die ihre Verbindlichkeit anders denn staatlich gewinnen231, die aber wegen der Begrenztheit staatlicher Regulierung notwendig sind. Die Frage der Korrespondenz zwischen dem staatlich geschützten Recht und vor-staatlichen sozialen Nonnen wird aber erst bei Locke thematisch, dem ideengeschichtlich im Kontext des Kampfes gegen den Absolutismus der Stuarts die gesellschaftliche Begrenzung des Staates zum Problem wird232. Er geht von stehenden, allgemeinen Gesetzen aus, die einen voraussehbaren, verläßlichen Rahmen für bürgerliche Freiheit stiften, legt eine entwickelte gesellschaftliche Arbeitsteilung zugrunde, aus der heraus sich sekundäre soziale Kreise bilden, und geht von der ursprünglichen Gemeinschaftsbildungsfahigkeit des Menschen aus, die durch das politische System als relativ spätem Produkt sozialer Differenzierung nur sekundär gestützt wird. Dadurch erhält in seiner Theorie die sozietäre Normenbildung im Prozeß sozialer Interaktion systematische Bedeutung, die er als „law of opion or reputation" vom „civil law" abhebt233. Etwa gleichzeitig und möglicherweise von Locke beeinflußt234, entwickelte Christian Thomasius eine Moralphilosophie, die ausgehend von der Trennung von Religion und Politik235 auf die Trennung von Recht und Moral ausmündet236. Genauer unterscheidet er iustum, decorum und honestum, das Gerechte im Sinne des Rechtsminimums, das mora230 Im De Cive charakterisiert er den Staat als „Rechtsperson", englisch: „civil person", weist aber darauf hin (5. Kap., 10. Abschn.), nicht jedes Rechtssubjekt sei umgekehrt auch ein Staat, denn es gebe Zusammenschlüsse von Individuen unterhalb der Ebene des Staates, „... Zünfte der Kaufleute und viele andere Vereine" (engl.: „... companies of merchants, and many other convents"), die er also zuläßt, aber eindeutig dem Staat unterstellt, Vom Menschen. Vom Bürger, S. 129, engl, in: D. Wootton (Hg.): Divine Right and Democracy, S. 463. 231 Charakteristisch ist Hobbes' Entgegensetzung von „right" und „law"; während normative Naturrechtler die Gesetze idealiter auf das Recht basieren, definiert Hobbes das Recht durch die Abwesenheit von Gesetzen: Elements of Law, Teil II, Kap. X, und im: Dialog zwischen einem Philosophen und einem Juristen über das englische Recht, erklärt der „Philosoph", „daß die Regel für das sittlich Gute im Sinne von „honestum" und seines Gegenteils auf die Ehre verweist, daß das Recht sich jedoch ausschließlich auf Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit bezieht", S. 66. 232 Siehe bes. R. Ashcraft: Revolutionary Politics & Locke's Two Treatises of Government, Princeton, 1986. 233 Siehe J. Locke: An Essay concerning Human Understanding, abr., hg. v. A. D. Woozley, Glasgow, 1981, Buch II, Kap. XXVIII, Abschn. 7, lOff, S. 223ff. 234 Siehe Ε. Bloch: Christian Thomasius, ein deutscher Gelehrter ohne Misere, in: Naturrecht und menschliche Würde (1961), Werkausgabe, Bd. VI, Ffin., 1985, Anhang, hier S. 326. 235 F. M. Barnard: Fraternity and Citizenship. Two ethics of mutuality in Christian Thomasius, RP, 1988: 50, S. 582-602, hier S. 582: „Thomasius... sought to distinguish the ordering principle of political life from that of religious life. In effect, however, Thomasius put forward a distinct ethic for each, an essentially „intrinsic" ethic for the religious community, and an essentially „instrumental" ethic for the political society; the former being characterized by mutuality born of disinterested love, the latter by mutuality derived from prudential considerations of reciprocity. And whereas, in the religious community, unity is viewed as inherently consensual, as the realm of a single truth, it is seen as inherently plural in political society, as typically the realm of multiple truths". 236 H. Maier: Die ältere deutsche Staats- und Verwaltungslehre, München, 2. Aufl., 1986, S. 286; P. Stein: Legal Evolution. The History of an Idea, Cambridge, 1980, S. 51.

Recht, Moral, Ethik

Al

lisch Angemessene, das das soziale Miteinander zivil und angenehm macht und daher auch sozial sanktioniert werden sollte, und die ethisch-religiöse Selbstverpflichtung, die Privatsache, Gewissenssache ist 237 . Samuel Pufendorf 238 und später Francis Hutcheson 239 knüpften an Grotius,, Unterscheidung „vollständiger" von „unvollständigen" Rechten (bzw. Pflichten) an, die unbedingte naturrechtliche Ansprüche (bzw. Pflichten) der Individuen, welche nötigenfalls staatlich durchsetzbar sind, von lediglich moralisch begründbaren Ansprüchen Privater gegeneinander trennt, welche weder erzwingbar noch universalisierbar sind, da ihre Durchsetzung das politische Gemeinwesen eventuell überfordert240. Montesquieu stellte fest, „les choses indifferentes par leur nature" fielen nicht in den Zuständigkeitsbereich des Gesetzes 241 , denn die Gesetze „reglent plus les actions du citoyen", während „les moeurs reglent plus les actions de l'homme" 242 . Bei der im schottischen Kontext von Lord Kames und John Miliar 243 explizit formulierten Trennung von Recht und Moral als Basis der „natural jurisprudence" handelt es sich letztlich um eine Strategie der Entlastung des Staatshandelns von moralisch motivierten Ansprüchen, die über jenes Minimum von Gerechtigkeit hinausgehen, das ein Funktionieren der (bürgerlichen) Gesellschaft ermöglicht 244 . Korrespondiert daher „Recht" modo grosso mit „Gesellschaft", so „Moral" mit „Gemeinschaft" 245 . Die „Gerechtigkeit" wird damit im Kanon der Kardinaltugenden zur alles überragenden Basistugend, die die übrigen Tugenden marginalisiert, wie etwa bei Hume zu sehen ist 246 , während in Hutchesons Schriften noch ein Konzept ethischer Gesellschaftskonstitution durch „Benevolence" dominiert247.

237 E. Bloch: Naturrecht, S. 333ff.; s. a. die Beiträge von F. M. Barnard, Κ. Luig und R. Lieberwirth in: W. Schneiders (Hg): Christian Thomasius. 1655-1728, Hamburg, 1989. Barnard diskutiert decorum ein Begriff, der von Cicero in die moralphilosophische Diskussion eingeführt wurde: De officiis, 1. Buch, Abschn. 93ff., S. 83ff. - als Modell zivilisierten Lebens. 238 Über die Pflicht des Menschen und des Bürgers, eingeführt l.Buch, Kap. 9, §4. Vgl. J. B. Schneewind: The Misfortunes ofVirtue, Ethics, 1990/91: 101, S. 42-63, hier S. 49. 239 F. Hutcheson: Eine Untersuchung über den Ursprung unserer Ideen von Schönheit und Tugend. Über moralisch Gutes und Schlechtes (1725), hg. v. W. Leidhold, Hamburg, 1986, S. 140ff. 240 Siehe für Hutcheson: R. F. Teichgraeber III: „Free Trade" and Moral Philosophy. Rethinking the Sources of Adam Smith's Wealth of Nations, Durham, 1986, S. 50ff. Siehe fur Thomas Reids Position Μ. T. Dalgarno: Reid's Natural Jurisprudence - The Language of Rights and Duties, in: V. Hope (Hg.): Philosophers of the Scottish Enlightenment, Edinburgh, 1984, bes. S. 29. 241 Esprit des Lois, Bd. I, Buch 19, Kap. 14. 242 Ibid., Kap. 16. 243 Siehe als Kurzübersicht: L. Stephen: Art.: Miliar, John, im: Dictionary of National Biography, Bd. 13, repr., Oxf., 1949f. 244 Siehe etwa Henry Home-Lord Kames: Essays on the Principles of Morality and Natural Religion, 1751, repr., NY/London, 1976, S. 133. 245 Siehe fur die Unterscheidung von Gemeinschaft und Gesellschaft F. Tönnies: Gemeinschaft und Gesellschaft. Grundbegriffe der reinen Soziologie, Darmstadt, 8. Aufl., 1979; T. Parsons: The Structure of Social Action, Bd. II, Teil 3, Kap. XVII, S. 686ff., hier bes. S. 691; R. Nisbet: The Social Philosophers. Community and Conflict in Western Thought, rev. ed., NY, 1983; Μ. Riedel: Gesellschaft, Gemeinschaft, in: GG-Lexikon, Bd. II, S. 801-62. 246 Siehe L. Bagolini: On Hume's theory of justice in the „Treatise" and „Original Contract", ARSP, 1977: 63, S. 557-65; K. Haakonssen: The Science of a Legislator. The Natural Jurisprudence of David Hume and Adam Smith (1981), Cambridge, 1989, Kap. 2; A. Baier: Hume's account of social artifice - its origins and originality, Ethics, 1987/88: 98, S. 757-78; V. M. Hope: Virtue by Consensus. The Moral Philosophy of Hutcheson, Hume, and Adam Smith, Oxford, 1989, S. 52;

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Kapitel 1: Das Problemfeld

Dabei schafft die Trennung von Recht und Moral Folgeprobleme durch die Verletzung des moralischen Rechtsempfindens, wenn die Rechtsprechung nach allgemeinen Gesetzen urteilt, die nicht immer paßgenau auf den zu entscheidenden Fällen sitzen. Dieses Problem wurde sekundär durch einen eignen Rechtsbereich reguliert: das „Equity"-Recht, das gegenüber „Statute-Law" und „Common-Law" eine Korrekturfunktion nach Maßgabe des Einzelfalles gestattete248. Allerdings entsteht hier wieder das Problem der Ausschaltung richterlicher Willkür durch Regelbindung249. Jedenfalls drängt sich der Verdacht auf, Recht und Politik könnten sich nicht wirklich des Problems der Moral entledigen250, sondern es nur als „Restproblem" ausdifferenzieren. Negative Freiheit Im politischen Denken251 finden wir eine mit dem beschriebenen Prozeß korrespondierende Trennung des Freiheitsbegriffs in eine negative, zivile, passive Freiheit (von) einerseits und eine positive, aktive, politische Freiheit (zu) andererseits. Die Struktur des fur die Moderne zentralen Konzeptes „negativer Freiheit", das Isaiah Berlin für die moderne Diskussion aufgenommen hat252, wurde nach John Gunn durch die „rational dissenter" Joseph Priestley und Richard Price unter dem Einfluß Montesquieus in den englischen politischen Diskurs eingeführt253. Der relevante Text ist hier Priestleys Essay

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250 251 252

J. B. Schneewind: The Misfortunes of Virtue, Ethics, 1990/91: 101, S. 51; S. Freeman: Property as an institutional convention in Hume's account of justice, AGP, 1991: 73, S. 20-49. J. G. Heineccius unterscheidet eine „Liebe im Rahmen der Gerechtigkeit" von jener anderen „Liebe der Menschlichkeit und des Wohltuns", Grundlagen des Natur- und Völkerrechts, hg. v. Ch. Bergfeld, Ffin. /Leipzig, 1994, Buch 1, Kap. 3, § 82-4. Siehe Henry Home-Lord Kames: Principles of Equity. Corrected and enlarged in a second edition, Edinburgh, 1767, Preliminary Discourse, being an Investigation of the Moral Laws of Society; W. Blackstone: Commentaries, Bd. I, S. 61 f., S. 91f. Eine ältere Diskussion bietet Hobbes: Dialog zwischen einem Philosophen und einem Juristen über das englische Recht, 1681, in dem Hobbes als Kritiker Sir Edward Cokes auftritt, lange Zeit die maßgebende Autorität für das Common Law. Siehe D. Lieberman: The Province of Legislation determined. Legal theory in eighteenth century Britain, Cambridge, 1989. Nach Reinhard Bendix handelt es sich um ein der „rule of law" inhärentes Spannungsverhältnis, Nation-Building and Citizenship, S. 135. B. Peters: Die Integration moderner Gesellschaften, S. 141 f. Siehe grundlegend zur englischen politischen Ideengeschichte im 18. Jahrhundert Η. T. Dickinson: Liberty and Property; J. A. W. Gunn: Beyond Liberty and Property. I. Berlin: Two concepts of liberty, in: ders.: Four Essays on Liberty, Oxford/NY, 1988, S. 118-72; s. a. F. Neumann: Zum Begriff der politischen Freiheit (1953), in: ders.: Demokratischer und autoritärer Staat. Beiträge zur Soziologie der Politik, Ffin., 1967; R. Aron: Über die Freiheiten (1965), Stg., 1984; kritisch: W. Hennis: Politik und praktische Philosophie. Eine Studie zur Rekonstruktion der politischen Wissenschaft, Neuwied/Berlin, 1963, der von der „Ablösung der Tugend durch die Freiheit" (S. 66) und wissenschaftsgeschichtlich von der ,Ablösung einer finalen durch eine rein kausale Orientierung" (S. 74) spricht; weiterhin C. B. MacPherson: Demokratietheorie. Beiträge zu ihrer Erneuerung, München, 1973, Teil V: Berlins Teilung der Freiheit; Ch. Taylor: Der Irrtum der negativen Freiheit, in: ders.: Negative Freiheit?; Quentin Skinner behandelt die Frage mit Bezug auf die italienische Renaissance in seinem Aufsatz: The idea of negative liberty: philosophical and historical perspectives, in: R. Rorty et al. (Hg.): Philosophy in History. Essays on the historiography of philosophy, Cambridge, 1984, 193-221, in dem Folgeaufsatz: The republican ideal of political liberty, in: G. Bock et al. (Hg.): Machiavelli and republicanism, sowie in: The Paradoxes of Political Liberty, in: D. Miller (Hg ): Liberty, Oxford, 1991, S. 183-205.

253 John Gunn: A Measure of Liberty, in: ders.: Beyond Liberty and Property, S. 229-59, hier S. 238ff., S. 258f.

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on the First Principles of Government (1768), wo Priestley definiert, „if I be asked what I mean by liberty, I should choose, for the sake of greater clearness, to divide it into two kinds, political and civil·, and the importance of having clear ideas on this subject will be my apology for the innovation. POLITICAL LIBERTY, I would say, consists in the power, which the members of the state reserve to themselves, of arriving at the public offices, or, at least, of having votes in the nomination of those who fill them·, and I would choose to call CIVIL LIBERTY that power over their own actions, which the members of the state reserve to themselves, and which their officers must not infringe "254. Inhaltlich besteht das Konzept aus drei Momenten: Erstens wird der im Staat zusammengefaßten Politik die Aufgabe zugewiesen, das Individuum sichernde Begrenzungen des Sozialprozesses zur Verfügung zu stellen - in der Formulierung William Blackstones: „The impartial administration of justice, which secures both our persons and properties, is the great end of civil society"255. Der Staat wird tendenziell auf eine neutrale Schiedsrichterfunktion als minimal state reduziert, dessen Rolle sich auf einige wenige überschaubare und leicht einzusehende, also für den „common sense" evidente 256 Regeln beschränkt, ein Ideal, das ich als „liberale Utopie" bezeichne. Adam Smith bietet dazu in meinem Untersuchungsfeld eine klassische Formulierung, die aber letztlich doch über das Programm des minimal state hinausweist, wenn er schreibt: „According to the system of natural liberty, the sovereign has only three duties to attend to; three duties of great importance, indeed, but plain and intelligible to common understandings: first, the duty of protecting the society from the violence and invasion of other independent societies; secondly, the duty of protecting, as far as possible, every member of the society from the injustice or oppression of every other member of it, or the duty of establishing an exact administration of justice; and, thirdly, the duty of erecting and maintaining certain publick works and certain publick institutions, which it can never be for the interest of any individual, or small number of individuals, to erect and maintain..." 257 . Und Priestley

254 J. Priestley: Political Writings, S. 12, s. a. die Einführung von P. N. Miller, ibid., S. XXIVf. Noch bei Blackstone sind die Begriffe „zivile" und „politische Freiheit" identisch, aber deutlich durch die Idee negativer Freiheit bestimmt, Commentaries, Bd. I, S. 6, S. 121ff. In der amerikanischen Verfassungsdiskussion Ende der 1780ger Jahre erläuterte der „Anti-Federalist" Agrippa von Massachusetts (James Winthrop?) den Unterschied und Zusammenhang ziviler und politischer Freiheit: „... power... when this principle is pushed beyond the degree necessary for rendering justice between man and man, it debases the character of individuals, and renders them less secure in their persons and property. Civil liberty consists in the consciousness of that security, and is best guarded by political liberty, which is the share that every citizen has in the government", The Anti-Federalist, hg. v. H. J. Storing, S. 243. In Deutschland scheint die hier diskutierte begriffliche Trennung erst nach der französischen Revolution stattgefunden zu haben, siehe GG-Lexikon, Bd. II, Art.: Freiheit, S. 480. 255 Commentaries, Bd. III, S. 379. 256 Siehe fur die Radikalen des 18. Jahrhunderts: I. Kramnick: Republicanism and Bourgeois Radicalism, S. 88ff.; bei J. G. Heineccius lesen wir, das Prinzip des Naturrechts müsse „einleuchtend sein ..., und zwar so, daß es nicht nur von einem Gelehrten, sondern auch von jedem einfachen Mann, der ja genauso wie jener dem Naturrecht zum Gehorsam verpflichtet ist, klar begriffen werden kann... ", Grundlagen des Natur- und Völkerrechts, Kap. 3, § 68, S. 63; und in Kants Reflexionen zur Anthropologie findet sich, die „negative Gesetzgebung" suche „nicht gleichsam Kinder passiv zu erhalten (...), sondern (...) besorgt nur ihre Freiheit unter einfachen und aus der natürlichen Vernunft geschöpften Gesetzen", Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, S. 353f. 257 WN, Bd. II, S. 687f. ; siehe dazu: A. S. Skinner: Adam Smith and the Role of the State, Glasgow, 1974; H. G. Nutzinger: Das System der natürlichen Freiheit bei Adam Smith und seine ethischen

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Kapitel 1: Das Problemfeld

verbindet die „Minimalisierung" der Politik mit der Überholung der traditionellen Staatsformenlehre, wenn er schreibt: „If the power of the government be very extensive, and the subjects of it have, consequently, little power over their own actions, that government is tyrannical, and oppressive; whether, with respect to its form, it be a monarchy, an aristocracy, or even a republic" 258 . Innerhalb der staatlich bezeichneten Grenzen sollen zweitens die Individuen die von ihnen selbst gesetzten Zwecke frei verwirklichen können. Es gibt weder vom Staat noch von der Gesellschaft her eine wirksame Determination dieser Zwecksetzung 259 ; dies ist der Kern der negativen Freiheit260. Hobbes spricht diese Konzeption der Sache nach bereits deutlich aus, wenn er schreibt: „Mit der Souveränität ist die gesamte Zuständigkeit zum Erlaß der Regeln verbunden, aus denen jeder entnehmen kann, welche Güter er genießen und welche Handlungen er vornehmen darf, ohne von einem seiner Mituntertanen belästigt zu werden. Und dies ist es, was man Eigentum nennt..." 261 . Ebenso definiert Montesquieu Freiheit als das Recht „de faire tout ce que les lois permettent" 262 . Die negative Freiheit ist Bedingung der Steigerung der Einzelrationalität. Aus dem Konzept ergibt sich, daß der Sozialprozeß im ganzen auf spezifische Weise zwecklos und sinnlos wird; es gibt nur noch partikularen Sinn, d.h. das Streben von Individuen, vielleicht Gruppen, nach bestimmten Zielen, und es gibt ein staatliches Korsett für den ansonsten richtungslosen Gesamtprozeß, und die Kriterien der Staatstätigkeit sollen im Konzept der „negativen Freiheit" selbst nur negativ sein, sollen auf die Sicherung des Maximums individueller Freiheit zielen. Dieses Konzept wird jedoch praktisch transzendiert, wenn jenseits des staatlichen Handlungsrahmens Kollisionen sozialer Praktiken und Interessen stattfinden, die Regelungs- und Konsensbedarf erzeugen, der eventuell durch die freie Einigung der Beteiligten zu befriedigen ist, die sich gelingend in einer stablisierten Matrix sozialen Verhaltens niederschlagen, zum Gewohnheitsrecht werden und allmählich in den Bereich staatlich geschützten Rechts eingehen kann. Derartige Vorgänge beweisen, daß zwischen dem staatlich geschützten Recht und den spezifisch gesellschaftlichen

258 259 260 261 262

Grundlagen, Ökonomie und Gesellschaft, JB 9, Ffin. /NY, 1991, S. 79-100. Für eine deutsche Kritik aus dem 19. Jahrhundert siehe F. List: Das nationale System der politischen Ökonomie (1841), Kap. 31. Überhaupt sei zwischen der Form und „the extent of power" einer Regierung zu unterscheiden, Essay on the First Principles of Government, in: Political Writings, S. 28. Wilhelm Hennis kritisierte in seinem Buch über: Politik und praktische Philosophie, den Verlust des politischen Telos im modernen Staatsbegriff, bes. Kap. IV und V. Siehe GG-Lexikon, Bd. II, Art.: Freiheit, S. 472. Leviathan, S. 140. Siehe dagegen Richard Hooker: Of the Laws of Ecclesiastical Polity, Cambridge, 1989, S. 13If., auch in: D. Wootton (Hg.): Divine Right and Democracy, S. 220. Montesquieu: Esprit, Bd. I, Buch 11, Kap. 3 . ; J. Ν. Shklar: Montesquieu, Oxford/NY, 1987, S. 86f. Rousseau geht dagegen charakteristisch über die „negative Freiheit" hinaus: „Die Freiheit besteht weniger darin, seinem Willen zu folgen, als vielmehr darin, dem anderer nicht unterworfen zu sein. Sie besteht außerdem darin, den Willen anderer nicht dem unsrigen zu unterwerfen", Briefe vom Berge, 8. Brief, in: Schriften, hg. v. H.Ritter, Ffin./Berlin/Wien, 1981, Bd. II, S. 188; ders.: Considerations sur le Gouvernement de Pologne, Paris, 1990, S. 230: „Quiconque veut etre libre ne doit pas vouloir etre conquerant"; bereits in einem frühen Brief an Voltaire schrieb er: „Ich liebe die Freiheit: ich verabscheue Herrschaft und Knechtschaft gleichermaßen und will sie niemandem auferlegen", J.J.Rousseau: Korrespondenzen. Eine Auswahl, hg. v. W.Schröder, Leipzig, 1992, S. 80, Brief v. 30. 1. 1750.

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Konfliktregulierungen keine absolute Trennung existiert, sondern Übergangsbereiche, die die Trennung von staatlichem Zwang und sozialer Freiheit in Frage stellen. Drittens gehört zum Konzept der „negativen Freiheit" die Idee der „Herrschaft des Gesetzes" als allgemein gültige Gesetzgebung. Die Idee der „Herrschaft des Gesetzes" reicht bis in die Antike zurück, gewinnt jedoch im Zusammenhang der normativen Zurückweisung von Partikular- und Maßnahmegesetzen in der Neuzeit größere Bedeutung 263 . Die moderne Ethik ist also negativ oder auch eine Nicht-Ethik. Gleichwohl erzeugen die Institutionen der modernen Gesellschaft individuelle ethische Orientierungen, indem sie die Individuen in bestimmte Sozialprozesse und Handlungsbereiche einbinden, wobei in erster Linie auf Marktkonkurrenz und Prestigekonkurrenz zu verweisen ist. Die sozialen Aspekte der Ethik sind jedoch extrem ausgedünnt, während die institutionellen Zwänge der anonymen Vergesellschaftung ungehemmt auf die Handlungsantriebe der Individuen durchschlagen. Dieser Druck kann als äußerer Druck erlebt werden, der passiv erlitten wird, oder als Entfaltungschance, aktivierend. Jedenfalls muß sich das moderne Individuum im ganzen diesem Zwang unterwerfen und das eigene Ethos daraufhin entwerfen. Es muß nach Reichtum streben, wenn es Ansehen erwerben will, weil hoher sozialer Status und Prestige in der modernisierenden Gesellschaft an Reichtum geknüpft sind. „We live in societies, where men must be rich, in order to be great", stellte schon Adam Ferguson fest 264 . Reichtum kann in Statuskonsum umgesetzt werden, aber auch ohne dies wird die Eigentumsqualifikation zum entscheidenden Zugangskriterium zur Statushierarchie und zu Herrschaftspositionen 265 , und das Weltverhältnis gestaltet sich nach dem Bild des „Besitzens" um266. Damit gewinnen kaufmännische, generell kommerzielle Tätigkeiten an Prestige267. Das Konzept „negativer Freiheit" schließt gewisse Spannungen und utopische Momente ein, ist aber tragendes Element des modernen Diskurses. Ideengeschichtlich marginalisiert die „negative Freiheit" den partizipatorisch-politisch verstandenen Freiheitsbegriff, der seines organischen Zusammenhangs mit der sozialen Lebenswelt beraubt und zur Gegenwart hin auf den abstrakten Wahlakt („One man/woman - one vote") verdünnt wird, während die substantielle politische Tätigkeit unter Ausdifferenzierung in die pauschal legitimierte Allkompetenz einer dünnen Schicht von Berufspolitikern eingeht, der ein verzweigtes System professioneller Verwaltungsapparate mit großem Eigengewicht 263 Siehe F. L. Neumann: Die Herrschaft des Gesetzes. Eine Untersuchung zum Verhältnis von politischer Theorie und Rechtssystem in der Konkurrenzgesellschaft (1936), Ffm., 1980; J. P. Day: Civil Liberty and the Rule of Law, PSc, 1983: 31, S. 194-204; St. Diamond: The rule of law vs. the order of custom, SR, 1984: 51, S. 387-418 (zuerst 1971); V. Aubert: From „Rechtsstaat" and the „Rule of law" to the „Welfare" or „Regulatory state", Zeitschrift für Rechtssoziologie, 1985: 6, S. 274-90; Ν. MacCormick: Spontaneous order and rule of law: some problems, JB des öffentlichen Rechts der Gegenwart, 1986: 35, S. 1-13. 264 History of Civil Society, S. 161f. 265 Leitthema von Paul Langfords: Public Life and the Propertied Englishman. 266 Siehe Κ. Marx: Ökonomisch-philosophische Manuskripte, etwa S. 540, S. 549f. Wer die sozialen Konsumstandards nicht erreicht, fällt aus der gesellschaftlichen Anerkennung heraus, so daß jenseits der physischen Lebenssicherung soziale Existenzminima bestehen, deren Nichterreichung eine Art „sozialen Todes" zur Folge hat; M. Walzer: Spheres of Justice, S. 105f., spricht hier von „status starvation". 267 Daniel Defoe: The Complete English Tradesman, Kap. 22; Μ. Postlethwayt: The Universal Dictionary of Trade and Commerce, 4th. ed., 1774, repr., NY, 1971, Dedication und der Artikel: Commerce; D. Hume: History of England, Bd. VI, S. 148; Blackstone: Commentaries, Bd. I, S. 253.

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Kapitel 1: Das Problemfeld

zuarbeitet268. Dieser Prozeß der Verarmung bürgerschaftlicher politischer Tätigkeit entschlüsselt sich ideengeschichtlich vor allem an der Diskussion um die Idee der Repräsentation269, die sich mit Forderungen demokratischer Inklusion kreuzt. Die Aufspaltung des Freiheitsbegriffs in eine soziale, negative Freiheit und eine politische, aktive Freiheit, bezeichnet, wie mir scheint, den Beginn der eigentlich liberalen Diskurslage270. Politik und Sozialstruktur Welche politischen Konsequenzen hat der doppelte moderne Prozeß der Absonderung des Staates als Set spezieller Institutionen des Politischen einerseits und der Entpolitisierung der Ethik andererseits? Er führt zu einer Entfremdung der Masse der Bürger von der Politik, die spezifisch neuzeitlich ist271 und die Basis bildet für die in dieser Zeit eingeführte Unterscheidung von Bourgeois und Citoyen212. Als zentrales politisches Problem der Neuzeit erscheint daher die Rückbindung der politischen Prozesse an das Soziale. Und je effektiver das politische System und seine Steuerung wird273, desto fordernder wird die Notwendigkeit der sozialen Legitimierung des Politischen, das, wenn sie gelingt, als sinnhafter Bestandteil übergreifender gesellschaftlichen Sinngebung oder Selbststeuerung erscheint274. Das Nichtgeiingen dieser legitimatorischen Rückbindung wurde bei 268 Siehe P. Bachrach: Die Theorie demokratischer Elitenherrschaft. Eine kritische Analyse, Ffin., 1967. 269 Wichtig ist natürlich die Position Jean Jacques Rousseaus im: Gesellschaftsvertrag, in: ders.: Politische Schriften, Bd. I, Paderborn, 1977, 2. Buch, Kap. 1; fur die englische Diskussion wurde die Auseinandersetzung mit den amerikanischen Kolonisten um „virtuelle" und „reale" Repräsentation wichtig, siehe: W. P. Adams: Republikanische Verfassung und bürgerliche Freiheit. Die Verfassungen und politischen Ideen der amerikanischen Revolution, Darmstadt/Neuwied, 1973, Kap. 11; s.a. J. S. Mill: Betrachtungen über die repräsentative Demokratie, hg. v. K. L. Shell, Paderborn, 1971. 270 Siehe zum Liberalismus L. T. Hobhouse: Liberalism (1911), Oxford, 1964; L. Mises: Liberalismus, Jena, 1927; L. Gall (Hg.): Liberalismus, Königstein, 2., erw. Aufl., 1980; C. B. Macpherson: Nachruf auf die liberale Demokratie (1977), Ffin., 1983; F. A. Hayek: Liberalismus (1978), Tübingen, 1979; L. Döhn: Liberalismus, in: F. Neumann (Hg.): HB politischer Theorien und Ideologien, Reinbek, 1984; John Gray: Liberalism, Milton Keynes, 1986; Κ. Haakonssen (Hg.): Traditions of Liberalism. Essays on John Locke, Adam Smith and John Stuart Mill, Centre for independent studies, Australia, 1988; U.Bermbach: Liberalismus, in: Fetscher/Münkler (Hg.): Pipers HB der politischen Ideen, Bd. IV, München/Zürich, 1986, Kap. VI. 271 Siehe M. Stolleis: Untertan - Bürger - Staatsbürger. Bemerkungen zur juristischen Terminologie im späten 18. Jahrhundert, in: ders.: Staat und Staatsräson in der frühen Neuzeit. Studien zur Geschichte des öffentlichen Rechts, Ffin., 1990, S. 303f. 272 Anscheinend von Denis Diderot in die große „Encyclopedie" eingeführt: Art.: Bürger, Staatsbürger, Bewohner (Grammatik), in: ders.: Enzyklopädie. Philosophische und politische Texte aus der „Encyclopedie", sowie Prospekt und Ankündigung der letzten Bände, München, 1969, S. 208f.; R. Koselleck: Sprachwandel und Ereignisgeschichte, Merkur, 1989: 43, S. 664; in Samuel Johnsons Dictionary of the English Language von 1755 (London, 2 Bde., repr., NY, 2 Bde., 1967) findet sich zwar der Artikel „Citizen", nicht jedoch „Bourgeois". Siehe weiterhin: GG-Lexikon, Bd. I, Art.: Bürger, Staatsbürger, Bürgertum, S. 672-725; M. Stolleis: Untertan - Bürger - Staatsbürger, in: ders.: Staat und Staatsräson, S. 299-339. Die Unterscheidung findet sich auch bei Hegel, siehe: Philosophie des Rechts. Die Vorlesung von 1819/20 in einer Nachschrift, hg. v. D. Henrich, Ffin., 1983, S. 107; S. Avineri: Hegels Theorie des modernen Staates, S. 128 und Note 62; kritisch bei Marx: Zur Judenfrage, MEW, Bd. I, Berlin, 12. Aufl., 1978, S. 354f.; A. Rüge: Patriotismus, hg. v. P. Wende, Ffin., 1990, S. 79; sowie Moses Heß: Die letzten Philosophen, in: ders.: Philosophische und sozialistische Schriften, 1837-50. Eine Auswahl, hg. v. W. Mönke, Vaduz/Liechtenstein, 2. Aufl., 1980, S. 383. 273 Neuere Beiträge: N. Luhmann: Politische Steuerung: ein Diskussionsbeitrag, PVS, 1989: 30, S. 4-9; F. W. Scharpf: Politische Steuerung und politische Institutionen, ibid., S. 10-21. 274 Siehe N. Luhmann: Selbstlegitimation des Staates, ARSP, 1981: 67, BH 15, S. 65-83.

Politik und Sozialstruktur

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Zeitgenossen als „absolute", „tyrannische" oder „despotische" Regierung thematisch. Gegenbegriffe dazu bildeten „free government", „civil government", „republic" oder einfach „liberty". Als wesentliches Kriterium bürgerlichen, freiheitlichen politischen Regimes erscheint daher die effektive Kontrolle der Regierung durch die Bürger - bis weit in das 19. Jahrhundert hinein eine Minderheit von Besitzenden, die jedoch beanspruchten, das Volk im ganzen zu repräsentieren 275 . Die Levellers des 17. Jahrhunderts setzten sich für eine Ausweitung und Vereinheitlichung des Wahlrechts ein 276 , und die Radikalen erneuerten seit den 1760ger Jahren diese Tradition politischer Wahlrechtsreformbewegung, die jedoch erst im 19. Jahrhundert im Bündnis mit der jungen Arbeiterbewegung erfolgreich war. Im griechischen Altertum (ich denke dabei in erster Linie an die athenische Demokratie) entstand das Problem der Kontrolle der politischen Gewalt im Prinzip nicht, weil die Bürger der „ Polis" in toto selbst jene oberste politische Gewalt darstellten277 und weil durch Institutionen wie Rotation gewährleistet war, daß stets neu Bürger aus einem überwiegend passiven in ein aktives Verhältnis zur Politik versetzt wurden 278 , so daß jene fundamentale Trennung von Politikern und Privatleuten, wie sie für die Moderne charakteristisch ist und durch Max Weber paradigmatisch ausgedrückt wurde 279 , sich nicht setzen konnte. In der Moderne gilt demgegenüber der Staatsapparat als Repräsentant des allgemeinen Interesses, der der Gesellschaft gegenüber und über ihr steht, ihr Handeln überwachend, während diese eine Masse Privater bildet, die auf private Zwecke konzentriert sind. In dieser Konstellation wird der Staat die Gesellschaft beherrschen, denn die Gesellschaft ist zwar der Masse nach, quantitativ, und d.h. dem Aktionspotential nach dem Staat überlegen, aber diese Potenz kann der elementaren Struktur der modernen bürgerlichen Gesellschaft nach nicht wirksam werden, weil sie an sich zersplittert ist und ungerichtet, z.T. gegeneinander gerichtet, und daher selbstparalysierend wirkt. Die Lösung des Problems bürgerschaftlicher Kontrolle des Staates - die definierende Aufgabe der modernen Republik - muß in der mindestens partiellen Aufhebung der privaten Orientierung der Gesellschaftsmitglieder gesucht werden, wodurch sie in die Lage kommen, sich jedenfalls punktuell und verschwindend herrschaftlich gegenüber dem Staat zu verhalten, insbesondere in Krisensituationen des politischen Systems, wenn die Bedrohung politischer Freiheit virulent wird. Das setzt ein Minimum politischer Selbstorganisation der Gesellschaft voraus, die, abgesehen von einem notwendigen mi-

275 Siehe die Beiträge von K. Kluxen, in: ders. (Hg.): Parlamentarismus (1918-66), Königstein/Ts., 5. Aufl., 1980; F. O'Gorman: The unreformed Electorate of Hanoverian England: The mid-eighteenth Century to the Reform Act of 1832, SH, 1986: 11, S. 33-52, S. 37: „Most authorities agree that the size of the electorate increased from about 200. 000 in 1689 to 250. 000 in 1715, 282. 000 in the late eighteenth century. ... such increases lag far behind levels of population growth... ". Die absolute Zunahme der Wählerschaft entspricht also einem sinkenden Prozentanteil an der Bevölkerung; s. a. J. A. Phillips: Participatory politics in Hanoverian England, Review Essay, SH, 1991: 16, S. 223-30. 276 Siehe bes. A. S. P. Woodhouse (Hg.): Puritanism and Liberty; s. a. R. Ashcraft: Simple Objections and Complex Reality: Theorizing Political Radicalism in Seventeenth-century England, 1992: 40, PSt, S. 99-115. 277 C. Castoriadis: Die griechische Polis und die Schaffung der Demokratie, in: U. Rödel (Hg.): Autonome Gesellschaft und libertäre Demokratie, Ffm., 1990, S. 298-328; Chr. Meier: Die Entstehung des Politischen, S. 40ff. u. pass. 278 In Athen scheint einzig die Position des Feldherm auf Dauer durch dieselbe Person besetzt gewesen zu sein, siehe Sabine: History, S. 7f. 279 M. Weber: Politik als Beruf, in: Gesammelte politische Schriften (1895-1919), hg. v. J. Winckelmann, Tübingen, 4. Aufl., 1980.

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Kapitel 1: Das Problemfeld

nimalen Dispositiv politischer Gemeinwohlorientierung der Bürger280, im wesentlichen zwei Voraussetzungen hat: erstens eine sozial verankerte nicht-staatliche Elite281, die genügend Autorität genießt, um die Gesellschaft gegenüber dem Staat organisieren zu können, die also den strukturellen Nachteil des sozialen Atomismus katalytisch kompensieren kann282, und zweitens ein Niveau sozialer Kommunikation, das es der Gesellschaft gestattet, unabhängige politische Positionen vis-a-vis des Staates zu entwickeln283. Die bürgerliche Gesellschaft ist eine verhältnismäßig ungeregelt stratifizierte Gesellschaft. Ohne ein Minimum sozial akzeptierter Stratifikation, die in wenig formalisierte „organische soziale Autorität" resultiert84, kommt jedoch keine Gesellschaft aus - jedenfalls nach Meinung der Zeitgenossen. Da das bürgerliche Menschenbild auf der Basisannahme abstrakt menschlicher Gleichheit beruht285, geht Stratifikation daher hier aus der Anerkennung sekundärer Qualitäten hervor: Geburtsadel, Eigentum, Bildung, Verdienst idealiter aus dem letztgenannten Faktor, der mit der Person selbst verbunden ist. Das persönliche Verdienst wirkt jedoch mit anderen Faktoren zusammen und bietet kein sicheres Urteilskriterium, und so wird die Sicherung „organischer Sozialhierarchie" zu einem der Grundprobleme der Sozialtheorie der frühen bürgerlichen Gesellschaft, thematisch etwa bei Adam Smith unter dem Stichwort der „Natural Aristocracy", ein Begriff, der traditionale Momente sozialer Herrschaft aufnimmt, darüber hinaus aber auf die gewachsene Dynamik der Bildung sozialer Autorität in der bürgerlichen Gesellschaft verweist286. Im 280 Samuel Bowles und Herbert Gintis vertreten die Auffassung, „a democratic society must foster the proliferation of vital and autonomous self-governing communities standing between the individual and the state", und „because a democratic politics relies on voluntary compromise and empathy, it requires at least a minimal identification of the citizen with public life, and with some notion of collective interest". Jedoch, „Far from fostering such a democratic pluralism, liberal capitalism has produced a political wasteland stretching between the individual and the state... As a result the state came to monopolize politics", Democracy and Capitalism, S. 139f. 281 Siehe Bachrach: Die Theorie demokratischer Elitenherrschaft; Τ. Β. Bottomore: Elites and Society (1964), Harmondsworth, 1982; W. G. Runciman: Sozialwissenschaft und politische Theorie, Kap. 4. 282 Edmund Burke ermahnte den Duke of Richmond zur Übernahme politisch verantwortlicher Führerschaft, denn „God and Nature never made [the people] to think or to act without Guidance and Direction... " jener, „who by their Rank and fortune in the Country, by the goodness of their Characters, and their experience in their affairs are their Natural Leaders", Selected Letters of Edmund Burke, hg. v. H. C. Mansfield Jr., Chicago/London, 1984, S. 188. 283 Siehe Ν. Rose/ P. Miller: Political power beyond the State: problematics of government, BJS, 1992: 43, S. 173-205. 284 Siehe zum Autoritätsbegriff: Η. Marcuse: Studie über Autorität und Familie (1936), in: ders.: Ideen zu einer kritischen Theorie der Gesellschaft, Ffm., 1969, S. 55-156; T. Eschenburg: Über Autorität (1965), Ffm., 1976; H. Rabe: Art.: Autorität, in: GG-Lexikon, Bd. I, S. 382-406; R. Sennett: Autorität (1980), Ffm., 1990. 285 Siehe ζ. B.: Pufendorf: Pflicht des Menschen, 1. Buch, Kap. 7. 286 WN, Bd. II, S. 622: „Upon the power which the greater part of the leading men, the natural aristocracy of every country, have of preserving or defending their repective importance, depends the stability and duration of every system of free government"; den Kontext bilden die nordamerikanischen Kolonien, s. a. ibid., S. 707. Duncan Forbes grenzt diesen Begriff gegen Burke ab: Sceptical Whiggism, Commerce, and Liberty, in: A. S. Skinner/T. Wilson (Hg.): Essays on Adam Smith, Oxford, 1975, 179-201, hier, S. 196. Der Begriff erscheint in der amerikanischen Verfassungsdiskussion: Storing (Hg.): The Anti-Federalist, S. 125 (Brutus), S. 340 (Melancton Smith), s. a. Note 22, S. 358; W. P. Adams: Republikanische Verfassung und bürgerliche Freiheit, S. 176ff., S. 269f.; The Portable Thomas Jefferson, hg. v. M.D.Peterson, Harmondsworth, 1979, Brief v. 28. 10. 1813 an John Adams, S. 533-9, wo Jefferson den meritokratischen Charakter der „natural aristocracy" im Gegensatz zur „artificial aristocracy" von Eigentum und Geburt hervorhebt; s. a. Dugald Stewart: Lectures on

Politik und Sozialstruktur

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allgemeinen übernahmen die Autoren der schottischen Aufklärung das auf James Harrington zurückgehende Theorem „that power follows property", das jedoch differenzierter Auslegung fähig war, bei der auch andere als Eigentumsaspekte in die Bildung sozialer Autorität eingehen 287 . Die soziale Autorität der Natural Aristocracy wirkt auf die Masse des Volkes begrenzend, und ihre Lebensweise orientiert als Vorbild fur soziale Aufsteiger soziales Handeln und Lebensstile. Sie ist Vermittlungsmedium zwischen der atomistischen Sozialstruktur auf der Ebene der Privaten und dem Staat als hochaggregiertem Herrschaftsinstrument nach dem Prinzip sozial durchgreifender einheitlicher Entscheidungsgewalt. Diese soziale Elite soll gegenüber dem Staat unabhängig sein, um die stete Korruptionswirkung der Macht zu begrenzen, und sie soll fähig sein, die Bürgergesellschaft gegen Bedrohungen einerseits durch die Staatsmacht und andererseits durch die außerhalb der eigentlichen „civil society" stehende Volksmasse, die als mobilisierte, aber unorganisierte Masse den Mob bildet, zu organisieren. Auf diese Weise behauptet die „civil society" ihre Suprematie nach beiden Seiten. Dafür ist neben der sozialen Elite ein breiter Korpus schwach organisationsfahiger Besitzbürger nötig, die als soziale Masse das Schwergewicht der „civil society" bilden und deren Loyalitäten darüber entscheiden, wie Staat, soziale Elite und plebejische Strömungen sich entfalten können. Von dieser bürgerlichen Masse wird weniger politische Intitiative verlangt, als daß sie auf Herausforderungen reagiert und zu konkurrierenden Machtansprüchen Stellung nimmt. In der idealisierten Tradition „englischer Freiheit" sind diese Bürger vornehmlich als wirtschaftlich unabhängige „yeomen", „freeholder" und niedere gentry gedacht, während sich mit der Verallgemeinerung gewerblichen Eigentums im 18. Jahrhundert die Sammelbezeichnung „middle ranks" oder „middle classes" einbürgerte, die nicht mehr feudalen „barons" folgen, sondern konkurrierenden Einflußnahmen verschiedener Gruppen einer modernisierenden aristokratischen Plutokratie ausgesetzt sind 288 . Sozialideal der Epoche blieb der „landed gentleman", der einen bestimmten, an Grundeigentum mit passendem Herrensitz gebundenen Lebensstil repräsentierte289, und generell kann eine „Kombination aus Statusattributen, grundbesitzendem Wohlstand und lokaler Autorität... für die politische Vorherrschaft der englischen Aristokratie [als] bezeichnend" betrachtet werden 290 . Den reichen Grundbesitzern fiel das passive Parlamentswahlrecht und damit das Privileg aktiver Teilnahme an der Gesetzgebung zu 291 . Die vom Erbe ausgeschlossenen jüngeren Söhne der Aristokratie wurden in der Kirche, der

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290 291

Political Economy, CW, hg. v. Sir William Hamilton, Edinburgh, 1854, Bd. IX, S. 417f.; noch Thomas Macaulaly spricht 1831 mit großer Selbstverständlichkeit von den „two great branches of the natural aristocracy, the capitalists and the landowners", Hallam's History (1828), in: ders.: Critical and Historical Essays, Bd. I, S. 74. Siehe meinen Aufsatz: Power follows Property, A ES, 1993: 34, S. 277-306, und dort angegebene Literatur. Siehe generell P. Langford: Public Life and the Propertied Englishman. Ibid., S. 67; ders.: Polite and Commercial People, S. 590-600; s. a. R. Bendix: Könige oder Volk, Bd. I, S. 31 Of. Thomas Gainsborough hat dieses Gentleman-Ideal intensiv inszeniert, siehe ζ. B. sein Porträt: Robert Andrews und seine Frau, in: J. Starobinski: Die Erfindung der Freiheit, S. 164. R. Bendix: Könige oder Volk, Bd. I, S. 312. P. Langford: Public Life and the Propertied Englishman, Kap. 5, nennt als maßgebende Eigentumsqualifikation aufgrund des Gesetzes von 1711: ein Grundbesitz im Werte von £600 Rente per annum für county members, und £300 für Repräsentanten der boroughs, S. 289. Zwischen 10 und 15. 000 Personen erfüllten schätzungsweise diese Voraussetzung.

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Kapitel 1: Das Problemfeld

Armee oder als Rechtsanwälte installiert, auch in der City, weniger in der direkten Produktion, die vom aristokratischen Standpunkt aus als minderwertig galt. Umgekehrt war die Verwandlung eines Kaufmannes in einen landed gentleman eine Frage des Reichtums, verbunden mit der Bereitschaft zu kultureller Assimilation an den aristokratischen Lebensstil292. Während in Preußen dem Adel zu dieser Zeit kaufmännische Betätigung untersagt war293, vollzog sich so in England eine allmähliche Symbiose von Adel und Kommerz unter der Prämisse anhaltender Dominanz der „landed gentry" mit dem Ergebnis eines sogenannten „gentlemanly capitalism"294. Blieb so die Logik des Eigentums in bestimmten Sozialbereichen gebrochen, wurden doch auch hier Prestigepositionen im Rahmen klientelistischer Beziehungsnetze vergeben, die letzten Endes auf Vermögen beruhten, und sie hatten vielfach einen Preis. Durch ihre Beziehungsnetze, die in den Staat hineinreichten, etablierten sich die reichen, aristokratischen Whig-Familien als oligarchische Spitze der sozialen Herrschaftsstruktur, die eine eigene Form von Patronage ausübte, mißgünstig Old Corruption genannt295. Edmund Burke betonte den sozialstabilisierenden Wert der Kontinuität aristokratischer Herrschaft296 und selbst der junge Joseph Priestley ging unbefragt davon aus, „that none but persons of considerable fortune should be capable of arriving at the highest offices in the government", nicht nur, weil sie im allgemeinen für eine politisch herausgehobene Position am besten gebildet seien, sondern auch weil „they will necessarily have the most property at stake, and will, therefore, be most interested in the fate of their country" - das traditionelle Argument des „Civic Humanism". Die Mittelklassen brachten jedoch nunmehr eigene politische Repräsentanten hervor, und Priestley fügte charakteristisch hinzu, „Persons who are born to a moderate fortune" seien „generally better educated, have, consequently, more enlarged minds, and are, in all respects, more truly independent, than those who are born to great opulence"297. Die politisch-moralische Integrität einer breiten besitzenden Mittelschicht erschien so als Basis politischer Freiheit. Und während in der tradionellen politischen Rhetorik vor allem die agrarischen Mittelschichten aufgewertet waren, drängten mit fortschreitender Kommerzialisierung die städtisch-gewerblichen Mittelschichten auf Mitsprache bei den res publica und denunzierten die Privilegien der traditionellen aristokratischen Führungsschichten, deren Unproduktivität sie mit protestantischen Idealen eines Lebens in Industry konfrontierten298. Jedoch begründete die Kommerzialisierung Zweifel auch an der politischen Tugend der Mittelklassen.

292 J. Steuart: Principles, Bd. II, S. 470: „... it is ten to one but the industrious and frugal merchant will put on the prodigal gentleman, the moment he gets into a fine country seat, and hears himself called Your Honour". 293 Bendix: Könige oder Volk, Bd. I, S. 244ff. 294 P. J. Cain/A. G. Hopkins: British Imperialism. Innovation and Expansion, 1688-1914, London/NY, 1993, Kap. 1. 295 P. Langford: Public Life and the Propertied Englishman, S. 55If. 296 Siehe etwa den Brief v. 1772 an den Duke of Richmond, Selected Letters, S. 184; siehe zu Burke: C. B. Macpherson: Burke (1980), Oxford, 1990; D. Bromwich: The context of Burke's REFLECTIONS, SR, 1991: 58, S. 313-54; G. Claeys: Republicanism versus commercial society: Paine, Burke and the French revolutionary debate, HEI, 1988: 9, S. 313-24. 297 Essay on the First Principles of Government, in: ders.: Political Writings, S. 15. 298 P. Langford: Public Life and the Propertied Englishman, S. 506f., S. 558; I. Kramnick: Republicanism and Bourgeois Radicalism, Kap. 6, bes. S. 190ff., S. 221.

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Tugend und Institutionen Mit der Wahrnehmung kommerzialistischer Erosion traditioneller politischer Gemeinwohlorientierung beginnt das Nachdenken über Gegenstrategien oder Kompensationen, die helfen, die republikanische politische Form mit der kommerziellen Gesellschaft zu versöhnen. Ein naheliegender Ansatz dazu lag in der Idee der Konservierung tradierter, etwa antik inspirierter politischer Ethik in der Moderne. Dabei muß aus Gründen analytischer Klarheit zwischen den Forderungen politischer Tugend der Regierenden und jener der Regierten unterschieden werden. In den spätmittelalterlich-frühneuzeitlichen „Fürstenspiegeln"299 bildete die Tugend des Fürsten das zentrale Thema, während das ständisch gegliederte Volk als partikulare, politisch „bornierte" Masse erscheint. Mochte demgegenüber der Klerus auch beanspruchen, Sitz der Tugend zu sein, so lag seine Berufung doch jenseits der weltlichen Dinge. Bei Machiavelli und in der absolutistischen Literatur der „Staatsräson"300 wird die Orientierung auf die politisch herausragend handelnde Persönlichkeit beibehalten und das Volk von den arcana imperii ausgeschlossen, der „Fürst" wird jedoch konzeptuell modern entnormativiert und als entpersönlichtes „Machtzentrum" aufgefaßt301. Im 17. und 18. Jahrhundert verbreitete sich dann die Annahme, die Regierenden seien durch Macht, Reichtum, Wohlleben und Schmeichelei korrumpierenden Einflüssen ausgesetzt302. Der Schwerpunkt der Diskussion verschob sich daher im 18. Jahrhundert auf die Folgefrage, wie die stets mögliche Korrumpierung der Machtzentrale einzuhegen sei, und in diesem Zusammenhang wurde der Gedanke der Ersetzung personaler Herrschaft durch die anonyme, institutionell gesicherte „rule of law" entscheidend, die im Ergebnis zur Ablösung einer aristokratisch geprägten Herrschaftsethik durch eine allgemein gültige politisch-institutionelle Klugheitslehre fuhrt303. „Ein Staatswesen, dessen Heil von der Gewissenhaftigkeit eines Menschen abhängt und dessen Geschäfte nur dann gehörig besorgt werden können, wenn die, denen sie obliegen,

299 Siehe etwa Thomas von Aquins: Über die Herrschaft der Fürsten, Stg., 1975; Skinner: Foundations, Bd. I, Kap. 5, sowie S. 213ff. Um einen späten, bereits frühaufklärerischen „Fürstenspiegel" handelt es sich bei Fenelons: Die Abenteuer des Telemach (1699), Stg., 1984. 300 Skinner: Foundations, Bd. I, S. 248ff.; H. Münkler: Staatsraison und politische Klugheitslehre, in: Fetscher/Münkler (Hg.): Pipers HB der politischen Ideen, Bd. III, Kap. I; ders.: Im Namen des Staates. Die Begründung der Staatsraison in der Frühen Neuzeit, Ffm., 1987; M. Stolleis: Staat und Staatsräson in der frühen Neuzeit. 301 Siehe fur Machiavelli: Skinner: Foundations, Bd. I, S. 128ff., S. 180ff.; R. Hariman: Composing Modernity in Machiavelli's „Prince", JHI, 1989: 50, S. 3-29. 302 Siehe Algernon Sidney: Discourses concerning Government, Kap. 2, Abschn. 19, Abschn. 25, und generell: „Men are so subject to vices and passions, that they stand in need of some restraint in every condition; but most especially when they are in power", ibid., Kap. 3, S. 390. 303 In diesem Sinne wird Algernon Sidney von Alan Houston interpretiert: „Though Sidney nowhere acknowledged it, his dedication to the rule of law entailed a dramatic reconfiguration of the concepts of virtue and corruption. Virtue was no longer defined as self-control, but as obeying the law; corruption was no longer defined as licentiousness, but as deviating from the law [... ] there is an essential difference between a character-oriented ethic that emphasizes heroic self-discipline and a behaviororiented ethic that emphasizes obedience to the law. The former is essentially aristocratic and links the virtue of a magistrate to his ability to cultivate and exercise personal characteristics like courage, honesty, and liberality. The latter is essentially egalitarian and links the virtue of a magistrate to his ability to adhere to an externally provided set of rules and commands", Algernon Sidney and the Republican Heritage, S. 157.

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gewissenhaft handeln", schrieb Spinoza, „ein solches Staatswesen kann nicht von Bestand sein. Seine öffentlichen Angelegenheiten müssen vielmehr, damit es bestehen kann, so geordnet sein, daß die mit der Verwaltung Betrauten überhaupt nicht in die Lage kommen können, gewissenlos zu sein oder schlecht zu handeln...". Dann wird die „Sicherheit des Staates... nicht davon berührt, welche Gesinnung die Menschen zur richtigen Verwaltung anhält, sofern nur die Verwaltung richtig ist" 3 0 4 . Aber was wird mit der politischen Tugend - der Orientierung am „public interest" wenn sie ihren Ort nicht mehr bei den Regierenden hat?, denn nach Algernon Sidney „without virtue, in fact, freedom was not possible" 305 . Naheliegend war, das freiheitliche politische System an die Tugend des Volkes zu binden, das die soziokulturelle Basis des politischen Institutionensystems bildet, denn „as no rule can be so exact, to make provision against all contestations; and all disputes about right do naturally end in force when justice is denied ( . . . ) the best constitutions are of no value, if there be not a power to support them" 3 0 6 , und diese Kraft muß in der Gesellschaft liegen. Damit ist die Tugendannahme vom Fürsten zum Volk transponiert, und die Renaissance klassisch-republikanischer Rhetorik in dieser Zeit 307 hat wesentlich mit dieser Verschiebung zu tun. „It is not in mere laws, after all, that we are to look for the securities of justice", schrieb Ferguson, „but in the powers by which those laws have been obtained, and without whose constant support they must fall to disuse", denn „it requires a fabric no less than the whole political constitution of Great Britain, a spirit no less than the refractory and turbulent zeal o f this fortunate people, to secure its effects" 308 . Auf der anderen Seite blieb die Vorstellung einflußreich, die Tugend des Volkes sei abhängig von den Regierenden, vom Vorbild des Hofes 309 , und damit wäre sie keine unabhängige Variable mehr, 304 305 306

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Spinoza: Abhandlung vom Staate, 1. Kap., § 6, S. 58, s. a. die Begründung der „Herrschaft des Gesetzes" in der Monarchie, 7. Kap.,§ 1. Zit. n. Houston: Algernon Sidney and the Republican Heritage, S. 146, s. a. Kap. 4. Sidney: Discourses concerning Government, S. 523f. Q. Skinner faßt die republikanische Position zusammen, in: The Paradoxes of Political Liberty, in: D. Miller (Hg.): Liberty, S. 197: „The central contention... is thus that a self-governing republic is the only type of regime under which a community can hope to attain greatness at the same time as guaranteering its citizens their individual liberty... But if this is so, we very much need to know how this particular form of government can in practice be established and kept in existence... [Die Republikaner] all respond, in effect, with a oneword answer. A self-governing republic can only be kept in being, they reply, if its citizens cultivate that crucial quality which Cicero had described as virtus, which the Italian theorists later rendered as virtu, and which the English republicans translated as civic virtue or public-spiritness". Siehe Μ. Goldie: Absolutismus, Parlamentarismus und Revolution in England, in: Fetscher/Münkler (Hg.): Pipers HB der politischen Ideen, Bd. III, Kap. VII, S. 349. History of Civil Society, S. 166f., Teil III, Abschn. VI. [J. Trenchard/T. Gordon]: A Collection of all the political letters in the London Journal [Cato's Letters] to Dec., 17, inclusive, 1720, 2. ed., London, 1721: 22. 7. 1721, S. 60: „... there being always and everywhere a certain sympathy and analogy between the nature of the government and the nature of the people... Publick men are the patterns of private; and the virtues and vices of the governors become quickly the virtues and vices of the governed"; [dies.:] Cato's Letters, 3. ed., London, 1733,4 Bde., repr., NY, 2 Bde., 1969 (die Originalseitenzählung ist beibehalten, ich gebe daher den Originalband mit an), No. 94 ν. 15. 9. 1722: „There is scarce such a thing under the sun as a corrupt people, where the government is uncorrupt: it is that, and that alone, which makes them so", Original, Bd. Ill, S. 239; s. a. Judith Shklar über: Montesquieu, S. 64f; R. Price: The Evidence for a Future Period of Improvement in the State of Mankind (1787), in: ders.: Political Writings, hg. v. D. O. Thomas, Cambridge, 1991, S. 164; J. A. W. Gunn: „Classical republicanism remained consistent in claiming that it was the government that formed the manners of the people in the first instance". Parliament and the

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die der Korruption der Regierenden Widerstand entgegensetzen könnte. „Corruption fed upon corruption. Like a swirling vortex, the court of an absolute monarch drew the whole nation down with it into the depths", beschreibt Alan Houston die insoweit repräsentative „Country"-Position Sidneys 310 . Im allgemeinen jedoch wurde die schwächere These vertreten, ein tugendhaftes Volk könne der Korruption jedenfalls Widerstand leisten 311 . „Government operates upon the spirit of the people, as well as the spirit of the people operates upon it", so Melancton Smith in der nordamerikanischen Verfassungsdebatte 1788 312 , „and if they are not conformable to each other, the one or the other will prevail". Im Spannungsverhältnis zum Staat kann sich das Volk offensichtlich nur behaupten, wenn es durch ein gewisses Maß von „public spirit" animiert wird, nach John Gunn „one of the characteristically British political concepts of the eighteenth century" 313 . Denn die Tendenz der Moderne zum ethischen Privatismus 314 im Sinne der Gleichgültigkeit gegenüber den res publica erzeugte die Gefahr, daß die Tugend ohne Sitz bleibt und die Widerstandskraft des „body politic" gegenüber den Regierenden entscheidend schwächt 315 . Eine mögliche Antwort wäre die Mobilisierung kultureller Ressourcen zur Abstützung politischer Tugend in einem feindlichen sozialen Umfeld 316 . Der Versuch jedoch, modern ausdifferenzierte Gesellschaft mit antiken ethischen Strukturen zu verbinden, kann nur in engen Grenzen erfolgreich sein. Immerhin ist die Idee nicht abwegig, die Adaptabilität ethischer Traditionsbestände an moderne Gesellschaftsstrukturen zu prüfen 317 . Diese zeitgenössisch etwa durch Lord Bolingbroke repräsentierte Strategie kann summarisch als „Tugendrepublikanismus" bezeichnet werden, der sich durch extensiven Gebrauch klassisch-republikanischer Rhetorik auszeichnet, die mit der Idee gesteigerter Bedeutung moralisch-staatsbürgerlicher Erziehung verknüpft ist 318 . Eine alternative Strategie republikanischer politischer Vergesellschaftung zielte auf die Etablierung von Institutionen 319 , die auf der modernen Ethik des Selbstinteresses

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Caesars: Legal Tyranny in the Political Rhetoric of Eighteenth-Century England, in: ders.: Beyond Liberty and Property, S. 7-42, hier S. 39. Houston: Algernon Sidney and the Republican Heritage, S. 150. Siehe etwa Shaftesbury: Der gesellige Enthusiast. Philosophische Essays (1699-1709), hg. v. Κ. Η. Schwabe, München etc., 1990, S. 249. Storing (Hg.): Anti-Federalist, S. 343. Public Spirit to Public Opinion, in: ders.: Beyond Liberty and Property, S. 270. „Occasionally one finds seventeenth century references to the need for men with „public spirits", and the term was sufficiently familiar to be condemned as demagogic in a sermon of 1686. Still, this language was far more characteristic of the early decades of the eighteenth century. It found a home in the vocabulary of the Country party under William III, thrived when the Whigs moved into opposition in 1710, and burst forth with great vigour in the rhetoric of an ineffectual opposition at the time of the South-Sea scandal. Thereafter it receded from the forefront of political language, returning from time to time to challenge luxury, avarice, placemen, and standing armies", S. 267f. Siehe J. Habermas: Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus, Ffin., 1973, S. 106 u. pass. P. Langford: Public Life and the propertied Englishman, S. 506f. Siehe als Überblick K. Rohe: Politische Kultur und ihre Analyse. Probleme und Perspektiven der politischen Kulturforschung, HZ, 1990: 250, S. 321-46. Siehe Sh. Burtt: Virtue transformed. Siehe Lord Kames: Elements of Criticism, Bd. I, Widmung, S. VI. Siehe zum neuzeitlichen politischen Denken über Institutionen U. Bermbach: Politische Institutionen und gesellschaftlicher Wandel. Zum Institutionenverständnis im politischen Denken der Neuzeit, in: ders.: Demokratietheorie und politische Institutionen; siehe als Übersicht zur modernen Institutionen-

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aufbauen, indem die egoistische Relevanz politischer Prozesse demonstriert wird und dem korporativen Egoismus politischer Organisationsraum gegeben wird. Man kann diesen Ansatz als modernen oder „Institutionenrepublikanismus" bezeichnen, womit nicht behauptet sein soll, in vormodernen Republiken und ihren Theorien hätten Institutionen nicht stattgefunden, jedoch, daß sich erst in der Moderne politische Modelle finden, die von der Prämisse eines verallgemeinerten Egoismus ausgehend - etwa mit dem „homo oecenomicus" oder der individuellen Nutzenmaximierung als Leitbilder individueller Handlungsorientierung - Republiken polittheoretisch zu begründen suchen. Das Gemeinsame und Neuartige daran ist, daß das Moment der Tugend, jedenfalls in Bezug auf die Politik, auf Null gesetzt wird - wie in dem berühmten Postulat David Humes, daß „every man ought to be supposed a knave and to have no other end, in all his actions, than private interest"320 - offensichtlich eine methodische „skeptische Fiktion"321. Generell meint der moderne Republikanismus, die traditionelle Forderung politischer Tugend durch besonders entwickelte institutionelle Arrangements umgehen zu können, die das politische Handeln in Rahmenbedingungen versetzen, unter denen den Beteiligten nahegelegt ist, im Verfolg des Eigeninteresses gleichzeitig das politische Gesamtwohl zu bedienen. „Wäre es mit der menschlichen Natur so beschaffen", schrieb Spinoza, „daß die Menschen das Nützlichste [für die politische Gemeinschaft] auch am meisten begehrten, dann bedürfte es keiner Kunst, Eintracht und Treue zu erhalten. Weil es aber bekanntlich ganz anders mit der menschlichen Natur bestellt ist, deshalb muß die Regierung notwendig so eingerichtet werden, daß alle, Regierende wie Regierte, mögen sie wollen oder nicht, dasjenige tun, was das Gemeinwohl fordert, d.h. daß alle aus freien Stücken oder durch Gewalt oder Notwendigkeit gezwungen nach der Vorschrift der Vernunft leben. Das ist der Fall, wenn die Regierungsangelegenheiten so geordnet sind, daß nichts, was das Gemeinwohl berührt, der Treue irgend eines Menschen rückhaltlos anvertraut wird"322. In

theorie den Literaturbericht von: G. Göhler/R. Schmalz-Bruns: Perspektiven der Theorie politischer Institutionen, PVS, 1988: 29, S. 309-49. 320 D. Hume: Of the Independency of Parliament, Essays, Anfang; s. a. That Politics may be reduced to a Science, Essays, S. 15f. Interessanterweise fuhrt Hume diese Maxime nicht als eigene ein, sondern durch ungenannte „political Writers" „established", und beruft sich in seinen Schlußfolgerungen auf „experience, as well as... the authority of all philosophers and politicians, both antient and modern", S. 43; eine Quelle dürfte Mandeville sein, siehe: Μ. Μ. Goldsmith: Private Vices, Public Benefits. Bernard Mandeville's Social and Political Thought, Cambridge, 1985, S. 95; Alexander Hamilton notierte in einem Papier der 1770ger Jahre die zitierten Zeilen von Hume, und Schloß: „By this [private] interest, we must govern him, and by means of it, make him co-operate to public good, notwithstanding his insatiable avarice and ambition", zit. n.: W. P. Adams: Republikanische Verfassung und bürgerliche Freiheit, S. 233; kritisch zu Humes Maxime: I. Kant: Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, S. 135. 321 R. Schüßler: Der homo oeconomicus als skeptische Fiktion, KZSS, 1988: 40, S. 447-63. Die Idee der „skeptischen Fiktion" gibt es der Sache nach wohl auch schon bei Machiavelli, siehe Q. Skinner: Foundations, Bd. I, S. 186, und H. Münkler: Staatsraison und politische Klugheitslehre, in: Fetscher/Münkler (Hg.): Pipers HB der politischen Ideen, Bd. III, Kap. I, S. 28ff.; Melancton Smith äußerte in der Verfassungsdebatte New Yorks: „Sir, I will not declaim, and say all men are dishonest; but I think that, in forming a constitution, if we presume this, we shall be on the safest side. This extreme is certainly less dangerous than the other. It is wise to multiply checks to a greater degree than the present state of things requires", Storing (Hg.): Anti-Federalist, S. 351; eine Gegenposition argumentiert Alexander Hamilton in den: Federalist Papers, von J. Madison et al., Nr. 76, S. 431. 322 Abhandlung vom Staate, 6. Kap., § 3, S. 91 f.

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diese Richtung argumentierte auch Hume 323 , der jedoch letzten Endes nur für möglich hält, die Forderung politischer Tugend der Regierenden institutionell aufzulösen. „As „tis impossible to change or correct any thing material in our nature", schrieb er im Treatise of Human Nature, „the utmost we can do is to change our circumstances and situation, and render the observance of the laws of justice our nearest interest, and their violation our most remote". Aber, „this being impracticable with respect to all mankind, it can only take place with respect to a few, whom we thus immediately interest in the execution of justice. These are the persons, whom we call civil magistrates, kings and their ministers, our governors and rulers... These persons, then, are not only induc'd to observe those rules in their own conduct, but also to constrain others to a like regularity, and inforce the dictates of equity thro' the whole society" 324 . Es scheint daher, daß Hume keineswegs glaubte, auf die politische Tugend der Gesellschaft selbst verzichten zu können, wenn auch die staatlichen Institutionen für die Einhaltung gewisser moralischer Minimalnormen sorgen. „A man who loves only himself, without regard to friendship and desert", schrieb er in den Essays, „merits the severest blame; and a man, who is only susceptible of friendship, without public spirit, or a regard to the community, is deficient in the most material part of virtue" 325 . Und explizit wendet er sich gegen zeitgenössische Zyniker, die den Wert sozialer Normen pauschal in Frage stellen: „There is a Set of Men lately sprung up amongst us, who endeavour to distinguish themselves by ridiculing every Thing, that has hitherto appear'd sacred and venerable in the Eyes of Mankind. Reason, Sobriety, Honour, Friendship, Marriage, are the perpetual Subjects of their insipid Raillery: And even public Spirit, and a Regard to our Country, are treated as chimerical and romantic. Were the Schemes of these Anti-reformers to take Place, all the Bonds of Society must be broke... And Men shall have so little Regard to any Thing beyond themselves, that at last, a free Constitution of Government must become a Scheme perfectly impracticable among Mankind, and must degenerate into one universal System of Fraud and Corruption" 326 . Ich bin daher nicht überzeugt von Duncan Forbes,, These, Hume sei „wholly untouched by that Machiavellian moralism, or the political pathology concerned with the degree of corruption and lack of public spirit in a state, which was so all-pervasive in eighteenth-century Britain..." 327 . Für die Durchformung der Gesellschaft als Basis des politischen Systems verläßt er sich, so scheint es, auf ein Mix wirksamer

323 That Politics may be reduced to a Science, Essays, S. 16: „So great is the force of laws, and of particular forms of government, and so little dependence have they on the humours and tempers of men, that consequences almost as general and certain may sometimes be deduced from them, as any which the mathematical sciences afford us". In diese Richtung weist auch die Interpretation von W. Hennis: Politik und praktische Philosophie, S. 52, S. 119. Im Anschluß daran, nicht jedoch mit der gleichen kritischen Wertung: W. Jäger: Politische Partei und parlamentarische Opposition, S. 263: „Mehr als Bolingbroke, der die beste Verfassungskonstruktion fur wertlos erachtet, wenn sie nicht vom „public spirit", dem gesunden Moralempfinden des Volkes, unterstützt werde, glaubt Hume an den eigenständigen Wert von „klug kalkulierten Formen und Institutionen". Die Moral ist nicht so sehr Bedingung als vielmehr die Konsequenz einer gut funktionierenden Verfassung". 324 Hg. v. L. A. Selby-Bigge, Oxford, 2. ed., 1992, Buch III, Teil II, Abschn. VII, S. 537. 325 That Politics may be reduced to a Science, S. 26f. 326 Of Moral Prejudices, Essays, S. 538f. 327 Und nochmals: „... Hume has virtually no affinities with the Machiavellian moralists and corruption mongers of his age", Hume's Philosophical Politics (1975), Cambridge, 1985, Kap. 7, S. 224f.

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Kapitel 1: Das Problemfeld

Institutionen, die vor allem das politische Personal begrenzen, sowie moralische und politische Bildung auf Seiten der Bürger, und beide Momente stützen sich gegenseitig 328 . Auch der Republikaner Walter Moyle hielt für eine „certain maxim, that as good laws make good men, so good men defend good laws, and are both a mutual defence to each other"329, woraus erhellt, daß auch umgekehrt tugendrepublikanische Ansätze institutionelle Lösungen zur Einhegung politischer Korruption der Regierenden einschlossen. So hat Jonathan Scott argumentiert, in Harringtons Adaption des Mythus der Republik Venedig, der „Serenissima"330, trete die Bürgertugend hinter die Idee der idealen Balance der republikanischen Institutionen zurück3 und demnach existierte in der republikanischen Tradition selbst ein Spannungsverhältnis zwischen der Betonung der Bürgertugend einerseits und der Betonung idealer institutioneller Balancen andererseits332, Faktoren, die sich entweder wechselseitig stützen oder einen Gegensatz bilden, die sich aber jedenfalls wechselseitig beeinflussen 333 . Der idealtypisch skizzierte Gegensatz zwischen „Tugendrepublikanismus" und „Institutionenrepublikanismus" würde sich dann beim einzelnen Autor als Akzentuierung des Primates in einem Wechselverhältnis darstellen334. Dieser Gegensatz bezeichnet jedenfalls ein grundlegendes Spannungsverhältnis in den politischen Diskursen des 18. Jahrhunderts. Dabei liegt die Analogie des „Institutionenrepublikanismus" mit dem Modell der „unsichtbaren Hand" offen: Wie der Markt ein institutionelles, sozial eingebettetes Arrangement darstellt, das unter der Prämisse partikularen Egoismus eine Maximierung gesamtgesellschaftlicher ökonomischer Parameter bewirken soll 335 , so wäre auch die Politik auf Institutionen gestützt, die dem Bürger lediglich Selbstinteresse abverlangen und doch

328 Im Essay: Of Parties in General, betont er die Bedeutung einer institutionellen Abstützung moralischer Erziehung, S. 55. 329 Walter Moyle: Essay on the Constitution and Government of the Roman State, in: C. Robbins (Hg.): Two English republican tracts, Cambridge, 1969, S. 258. 330 Siehe fiir Venedig und den venezianischen Mythus J. G. A. Pocock: Machiavellian Moment, Kap. IX; Q. Skinner: Foundations, Bd. I, S. 170ff.; A. Riklin: Die venezianische Mischverfassung im Lichte von Gasparo Contarini (1483-1542), ZfP, 1990: 37, S. 264-91; G. Scarabello/P. Morachiello: Venedig. Führer durch die Kunst- und Kulturgeschichte, München, 1988. 331 The rapture of motion: James Harrington's republicanism, in: Ν. Phillipson/Q. Skinner (Hg.): Political Discourse in Early Modem Britain. David Wootton interpretiert gar die Harringtonianer pauschal als Sozialphilosophen des „self-interest": Introduction, in: ders. (Hg.): Divine Right and Democracy, S. 70ff.; s. a. C. B. MacPherson: Besitzindividualismus, Kap. 4. Diese Interpretation scheint mir einseitig. 332 Siehe die Ausführungen Quentin Skinners zur frühen italienischen Renaissance: Foundations, Bd. I, Kap. 2-4, etwa S. 60, S. 64, S. 80f. 333 „Though institutions could be seen as shaping manners (...), the relation between institutions and manners might be reversed. Indeed, many civic writers accepted as a truism that manners were the foundations of civic politics", L. E. Klein: Liberty, Manners, and Politeness in early 18th-Century England, HJ, 1989: 32, S. 583-605, hier S. 590f. 334 In einem Brief von 1790 erklärt Burke etwa, , f o r m s [d. h.: Institutionen, die dem sozialen Handeln Form geben] are not without their value; but they hold a low place indeed in the scale of moral agency. They are but instruments at best", Selected Letters, S. 283. 335 Siehe meinen Aufsatz über: Modelle der unsichtbaren Hand vor Adam Smith, Leviathan, 1991: 19, S. 558-74, und dort angegebene Literatur. In Priestleys: Essay on the First Principles of Government, finden wir ζ. B. die fatalistisch-optimistische Formel, „that things will be so guided by [Gottes] unseen hand, that the good they were intended to answer will be answered, notwithstanding our just opposition... ", in: ders.: Political Writings, S. 87.

Tugend und Institutionen

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die bürgerschaftliche politische Herrschaft sichern sollen336. Aber wie kann die Herrschaft von jemand aussehen, der sich gleichgültig zu dem zu Beherrschenden im ganzen verhält, sich nur für partikulare Facetten interessiert? Die Idee der Politik als subjektloser Prozeß - in Analogie zum Marktprozeß - ist absurd. Wo sie vorgebracht wird, ist sie entweder nicht zu Ende gedacht, oder sie verschleiert die Herrschaft anderer als jener apolitischen Egoisten, wahrscheinlich nämlich jener, die auf diese oder jene Art den politischen Prozeß kontrollieren und ihre eigene politische Suprematie auf der Manipulation der Egoisten begründen. Denn der politische Prozess bedingt größere Kohärenz als die einfache Resultante eines Kräftefeldes bereitstellt337. Dabei ist die Unterscheidung „Egoismus oder Gemeinwohl" auf die der Regierenden und Regierten zu beziehen, denn der Egoismus der Regierenden ist kein Privatismus und kann dem politischen Prozeß Kohärenz in einem Maße verleihen, die durch eine Gesellschaft privatisierender Egoisten nicht zu durchbrechen ist. Das ist die Aporie, in die der radikal durchgeführte „Institutionenrepublikanismus" mündet. Allerdings müssen sich regierende Egoisten und regierte Egoisten nicht unvermittelt gegenüberstehen; denkbar ist eine vermittelnde Ebene „korporativen Egoismus", der bei sozial kleinräumigen Assoziationen beginnt und bis zum nationalen level partikularistischer politischer Selbstorganisation reicht, eine Form, die vielleicht summarisch unter dem Namen „Lobbyismus" zusammengefaßt werden kann und der Humes „Party of Interest" entspricht338. Dabei wird eine bloß partikularistische politische Organisation das Staatshandeln nicht entscheidend beeinflussen können, solange der Staat, als einheitlich handelnder Akteur angenommen, in der überlegenen Situation ist, die partikularistischen Akteure gegeneinander auszumanövrieren. Sobald er dazu nicht mehr in der Lage ist, weil er institutionell und interessenmäßig fragmentiert oder „mafiotisch" korrumpiert ist, versagt er in wesentlichen seiner originären Funktionen - und hier liegt zweifellos eine Gefahr des „Lobbyismus". Adam Smith hat heftig über den komparativ hoch organisationsfahigen 339 Lobbyismus der Kaufleute und Frühindustriellen geklagt 340 und auch Hume erblickte in der korporativ-egoistischen Fragmentierung der Gesellschaft eine moralische Gefahr. „Honour is a great check upon mankind", schrieb er, „But where a considerable body of men act together, this check is, in a great measure, removed; since a man is sure to be approved of by his own party, for what promotes the common [korporativegoistische] interest" 341 . Für Rousseau war die politische Idealsituation jene, in der die hinreichend unterrichteten Bürger „keinerlei Verbindung untereinander hätten", denn

336 Siehe für dieses Denken J. A. Schumpeter: Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie (1942), Bern, 2. Aufl., 1950, 4. Teil. 337 Das ist gegen Ernst Fraenkels Pluralismus einzuwenden, siehe: Reformismus und Pluralismus. Materialien zu einer ungeschriebenen Autobiographie, hg. v. F. Esche/F. Grube, HH, 1973. 338 Siehe: Of Parties in general, Essays. 339 Eine moderne Erörterung des komparativen politischen Einflusses sozialer Makrointeressen stammt von C. Offe: Strukturprobleme des kapitalistischen Staates. Aufsätze zur politischen Soziologie, Ffm., 1972, bes. Text 3. 340 Siehe die bekannte Passage: WN, Bd. I, S. 145. Siehe über Lobbyismus im 18. Jahrhundert J. Brewer: The Sinews of Power, Kap. 8, Bezug auf Adam Smith, S. 248f.; P. Langford: A Polite and Commercial People, S. 709f.; ders.: Public Life and the Propertied Englishman, S. 326. 341 Of the Independency of Parliament, Essays, S. 43.

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Kapitel 1: Das Problemfeld

dann „ergäbe die große Zahl immer den Gemeinwillen, und der Beschluß wäre immer richtig"342. Auf der anderen Seite scheint auch von hier aus ein Weg zur republikanischen Gemeinwohlorientierung zu existieren, denn die Interessenaggregationsleistung großer Verbände, die sich auf das Staatshandeln und auf die Konkurrenz mit anderen Verbänden im nationalen Rahmen richtet, unterscheidet sich nicht fundamental von der Interessenaggregationsleistung des nationalen politischen Systems selbst, das sich im Gegensatz zu anderen nationalen politischen Systemen definiert. Die kulturelle Erzeugung politischer Tugend mittels klassisch-republikanischer Rhetorik und Erziehung erschiene damit formell überflüssig. Die Idee bürgerschaftlicher Selbstorganisation erweist sich derart als ambivalent: Vermittelt sie einerseits zwischen Individuum und Politik, als konzeptuelle Verschmelzung hochaggregierter Interessen, so gefährdet andererseits der stets virulente Korporativegoismus die politische Gemeinwohlorientierung. Die beiden zentralen Bedenken bleiben daher, a) daß der „Institutionenrepublikanismus" den modernen Egoismus, wenn er auch auf die Überschreitung seiner privatistischen Aspekte drängt, ihn doch bestätigt, anstatt ihn aufzuheben343, und b) daß der „Institutionenrepublikanismus" die partikularistische Fragmentierung des Staates riskiert, indem er die korporativ-egoistische Interessenaggregation zum Strukturprinzip macht. Der umgekehrte Einwand gegen den „Tugendrepublikanismus" hebt auf das Illusionäre einer dauerhaft gelingenden gegenkulturellen Stabilisierung vormodern inspirierter ethischer Strukturen ab. Um diesem Dilemma zu entgehen, haben Sozialtheoretiker des 18. Jahrhunderts nach genuinen gemeinwohlorientierenden ethischen Ressourcen der modernen kommerziellen Gesellschaft gesucht. Damit lautet die Problemstellung nicht mehr: politische Tugend und Kultur versus Egoismus-Partikularismus-Privatismus, sondern sie bestünde in der Umgestaltung und Anpassung überlieferter ethischer Strukturen an die Bedingungen der modernen Gesellschaft, in der Schaffung eines neuen Wertesystems, das sowohl die Kommerzialisierung als auch die politische Form der Republik trägt. Nach John Pocock haben „The most sophisticated thinkers of the century - Montesquieu, Hume, Adam Smith, Alexander Hamilton - ... conceded that though patronage and the commercial society on which it rested must destroy virtue, the conditions of human life were such that virtue could never be fully realized, that it was dangerous to pretend otherwise, and that alternative social values must be found. This was perhaps the most fundamental problem in eighteenth century political and moral philosophy"344. Einer der Brückenbegriffe, die in diesem Kontext Egoismus und Gemeinwohlorientierung verbinden, ist das sogenannte

342 Vom Gesellschaftsvertrag, Buch 2, Kap. 3, in: Politische Schriften, Bd. I, S. 88. Michael Walzer stellt hier zu Recht die Frage: „But who would furnish the necessary information? And what if disagreement arose over what information was „adequate"? In fact, politics is unavoidable; and politicians are unavoidable, too", Spheres of Justice, S. 306. 343 Benjamin Barber schreibt über die Idee politischer Steuerung analog zum Marktmodell: „Even where base motives do produce usable public interests, they continue to undermine citizenship by compelling men to think privately rather than publicly and to substitute private for political judgment", Strong Democracy. Participatory Politics for a New Age, Berkeley etc., 1984, S. 172f. 344 J. G. A. Pocock: 1776. The Revolution against Parliament, in: ders.: Virtue, Commerce, and History, S. 78f.

Politische Steuerung

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„aufgeklärte Selbstinteresse"345, das begrifflich den engen Horizont des Privatinteresses mit dem weiten Horizont des wohlinformierten, politisch bewußten und engagierten Bürgers verbindet. Aber dieser Begriff war zunächst nicht mehr als ein terminologischer Behelf für ein nicht gelöstes Problem. Maßgebend - wenn auch problematisch - blieben die Ideen der Gemeinwohlbindung des Staates (wenn auch nicht die der Motivation der Regierenden) und positiver, politischer Bürgerfreiheit als ihre notwendige Basis. Für die erste Idee steht noch bei Adam Smith die - theoretisch abstrahierte - Figur des „Legislator", in der die antike Tradition der ursprungsmythischen Zurückfuhrung der Staatsbegründung auf legendäre „Gesetzgeber" nachklingt346. Davon setzt er den Politiker als Praktiker der Macht ab, jenes „insidious and crafty animal, vulgarly called a statesman or politician"347. Aber nur Rousseau konnte sich dazu versteigen, als veritabler Nachfolger Lykurgs aufzutreten348. Die zweite Idee formulierte Edmund Burke - kein spezifisch republikanischer Autor in einem offenen Brief an seine Wähler in Bristol 1777, denen er die politische Urteilskompetenz zuspricht, „of determining whether publick men look most to their own Interest... or whether they act an uniform, clear, manly part in their station - whether the main drift of their Counsels, for any series of years, be wise or foolish, and whether things go well or ill in their hands. You will therefore not listen to those who tell you, that these matters are above you and ought to be left entirely to those into whose hands the King has put them. The publick interest is more your Business than theirs; and it is from want of spirit, and not from want of ability, that you can become wholly unfit to argue or judge upon it. For in this very thing lies the difference between free men, and those that are not free. In a free Country, every man thinks he has a concern in all publick matters..." 349 . Politische Steuerung Montesquieus Einfluß war im achtzehnten Jahrhundert auch in Großbritannien überragend; betrachten wir daher seine Position350. Lehrreich ist zunächst die bekannte Ge345 P. Kondylis: Die Aufklärung, S. 413ff.; ein im ganzen interessanter Beitrag ist Μ. M. Goldsmith: Liberty, luxury and the pursuit of happiness, in: A. Pagden (Hg.): The Languages of Political Theory. 346 Siehe Coulanges: Der antike Staat, 3. Buch, 5. Kap., u. pass.; H. Wheeler: Constitutionalism, HB of Political Science, hg. ν. F. I. Greenstein/N. W. Polsby, Reading, 8 Bde., Bd. 5, 1975, Kap. 1. 347 WN, Bd. I, S. 468. Siehe D. Winch: Science and the Legislator: Adam Smith and after, EJ, 1983: 93, S. 501-20. 348 Mit seinem: Projet de Constitution pour la Corse (1765) und den: Considerations sur le Gouvernement de Pologne (1771), Paris, 1990; siehe Ch. Kelly: „To persuade without convincing": The language of Rousseau's Legislator, AJPS, 1987: 31, S. 321-35. Sekundär zu Rousseau: Ε. Cassirer et al.: Drei Vorschläge, Rousseau zu lesen, Ffm., 1989; I. Fetscher: Rousseaus politische Philosophie; L. Althusser: Über Jean-Jacques Rousseaus „Gesellschaftsvertrag" (1966), in: ders.: Machiavelli, Montesquieu, Rousseau; J. Starobinski: Rousseau. Eine Welt von Widerständen (1971), München/Wien, 1988; R. Spaemann: Rousseau - Bürger ohne Vaterland. Von der Polis zur Natur, München, 1980; G. Nonnenmacher: Die Ordnung der Gesellschaft, Teil E. 349 Selected Letters, S. 81. 350 Sekundärquellen zu Montesquieu: E. Dürkheim: These von 1892: Montesquieus Beitrag zur Gründung der Soziologie, in: ders.: Frühe Schriften zur Begründung der Sozialwissenschaft, hg. v. L. Heisterberg, Neuwied, 1981; I. Berlin: Montesquieu (1955), in: ders.: Wider das Geläufige, S. 21958; L. Althusser: Montesquieu. Politik und Geschichte (1959), in: ders.: Machiavelli, Montesquieu, Rousseau, S. 31-129; G. H. Sabine: A History of Political Theory, Kap. 27; John Plamenatz: Man and

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Kapitel I: Das Problemfeld

schichte der Troglodyten in den Perserbriefen351, deren erster Argumentationsschritt in der These besteht, daß ein Volk rücksichtsloser Egoisten nicht überlebensfahig ist, und zwar weder in der Anarchie - analog zu Hobbes' Naturzustand - noch politisch organisiert, denn sie werden aus diesem oder jenem Anlaß die ihnen unerträgliche Obrigkeit beseitigen352. Im narrativen Gegensatz eines Neuanfangs sollen sich die Überlebenden jedoch zur politischen Tugend der Gemeinwohlorientierung bekennen. Das Volk benötigt zunächst weder Rechtsprechung noch Administration, als es jedoch „immer größer wurde, hielt es die Zeit fur gekommen, einen Herrscher zu wählen" 353 . Der Auserwählte redet jedoch den Troglodyten ins Gewissen, „Ich sehe wohl: eure Tugend beginnt euch lästig zu werden. Im jetzigen Zustand, ohne Oberhaupt, müßt ihr tugendhaft sein, ob ihr's wollt oder nicht. Ohne sie könntet ihr nicht bestehen, und ihr würdet in das Elend eurer [egoistischen] Vorväter zurückfallen. Aber das Joch scheint euch zu schwer: ihr wollt lieber einem Fürsten Untertan sein und seinen Gesetzen gehorchen, die weniger streng sind als eure Sitten. Ihr wißt, daß ihr dann eurem Ehrgeiz frönen, Reichtümer erwerben und euch lascher Wollust hingeben könnt..." 354 . Die institutionelle Lösung des Ordnungsproblems bringt also moralische Entlastung, indem Selbstzwang in institutionell verselbständigten Fremdzwang verwandelt wird, und sie öffnet Wege sozialer Differenzierung. Gleichzeitig mahnt jedoch die Vergangenheit, daß die Tugend nicht vollständig aufgegeben werden kann. Wie aber findet man die Grenze, jenen optimalen Zustand, der moderne Gesellschaft ermöglicht, ohne Gesellschaft überhaupt zu destabilisieren? Im Esprit des Lois bezeichnet Montesquieu die Tugend bekanntlich als das - sagen wir - treibende Prinzip 355 der Republik, so wie die Ehre das Prinzip der Monarchie und die Furcht das des Despotismus ist. In der aristokratischen Republik nimmt die Tugend die Form der „Mäßigung" an, die jedoch zu einer Auflösungsform der Tugend und der Republik werden kann 356 , während andererseits die Demokratie relativ instabil ist und nur in kleinen bzw. Stadtrepubliken funktionieren kann. Im Avertissement de L 'Auteur reagiert Montesqieu auf Fehlinterpretationen des Tugendbegriffs und ermähnt den Leser: „II faut observer que ce que j'appelle la vertu dans la republique, est l'amour de la patrie, c'est-ä-dire, l'amour de l'egalite... c'est la vertu politique". Genauso sei der „homme de bien" zu verstehen als „l'homme de bien politique,... C'est l'homme qui aime les lois de son pays, et qui agit par l'amour des lois de son pays". Daß sich Montesquieu zu diesen

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Society, Bd. I, Kap. 7; David Lowenthal: Montesquieu, in: History of Political Philosophy, hg. v. L. Strauss/J. Cropsey, Chicago/London, 3. ed., 1987, S. 513-34; J. N. Shklar: Montesquieu; fur den Kontext: I. Fetscher: Politisches Denken im Frankreich des 18. Jahrhunderts vor der Revolution, in: ders. /Münkler (Hg.): Pipers HB der politischen Ideen, Bd. III, Kap. IX. S. a. P. H. Meyer: Politics and morals in the thought of Montesquieu, SVEC, 1967: 56, S. 845-90; A. Riklin: Montesquieus freiheitliches Staatsmodell, PVS, 1989:30, S. 420-42. Siehe, im ganzen wenig überzeugend, D. A. Desserud: Virtue, commerce and moderation in the „Tale of the Troglodytes": Montesquieu's PERSIAN LETTERS, HPT, 1991: 12, S. 605-26. Perserbriefe, 11. Brief. Ibid., 12. und 13. Brief. Ibid., 14. Brief. Montesquieu spricht von „ressort", und erklärt das Prinzip einer Regierung an anderer Stelle als „ce qui le fait agir. ... les passions humaines qui le font mouvoir", Esprit, Bd. I, Buch 3, Kap. 1. Siehe zum folgenden auch D. J. Fletcher: Montesquieu's conception of patriotism, SVEC, 1967: 56, S. 54155. Esprit des Lois, Bd. I, Buch 3, Kap. 1 und 2; David W. Carrithers: Not so virtuous republics: Montesquieu, Venice, and the theory of aristocratic republicanism, JHI, 1991: 52, S. 245-68.

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Erläuterungen veranlaßt sieht, drückt aus, wie selbstverständlich er von einem politischen Charakter der Tugend ausgegangen war, und umgekehrt, wie fern seinem Denken der christlich-passive und der privatistische moderne Tugendbegriff lagen. Im begrifflichen Rahmen Montesquieus von „Tugendrepublikanismus" zu sprechen, wäre ein Pleonasmus, weil er den Begriff der Republik selbst an die Existenz und Verbreitung politischer Tugend knüpft357. In der Republik „le peuple en corps, ou seulement une partie du peuple, a la souveraine puissance"358, und „on a besoin de toute la puissance de l'education"359, wobei das Erziehungsziel ist, „l'amour des lois et de la patrie". „Cet amour, demandant une preference continuelle de l'interet public au sien propre, donne toutes les vertus particulieres: elles ne sont que cette preference"360. Die tragende politisch-kulturelle Erziehungsinstitution ist die Familie, in deren Rahmen die politische Tugend vom Vater auf die Kinder übergeht, weniger als kognitives Wissen, etwa in Gestalt einer Sammlung von Maximen, sondern als kulturelle „Vererbung" (politischer) Leidenschaften („passions"), als ein „sentiment"361, vermittels der Identifikation mit vorbildhafter politischer Praxis und Einübung einer republikanischen Haltung362. Eine korrupte Monarchie kann - etwa durch Auswechselung der Ratgeber - leicht rektifiziert werden, eine korrupte Republik dagegen nur schwer363, weil es jenseits eines korrupten Volkes keine Ressourcen gibt, an denen ein Prozeß moralischer Regeneration ansetzen könnte. Ähnliche Auffassungen vertraten in England Charles Davenant364, Ro357 In den nachgelassenen Aphorismen findet sich der Satz: „In den Republiken muß immer ein bestimmter Gemeingeist herrschen", Vom glücklichen und weisen Leben, Zürich, 1990, S. 109, s. a. S. 151. 358 Esprit, Bd. I, Buch 2, Kap. 1. 359 Ibid., Buch 4, Kap. 5, auch für das folgende. 360 In den nachgelassenen Aphorismen findet sich dies: „Staatsbürgerliche Gesinnung heißt, die Gesetze achten, selbst wenn sie uns gelegentlich Schaden bringen, und mehr auf das allgemeine Beste sehen das sie für uns immer bedeuten - als auf den persönlichen Nachteil, den sie zuweilen mit sich bringen. Staatsbürgerliche Gesinnung heißt, mit Eifer, Freude und Befriedigung das Amt versehen, das jedem im Staat anvertraut ist; denn jeder nimmt an der Regierung teil, sei es in seinem Beruf, in der Familie oder durch die Verwaltung seines Vermögens. Ein guter Staatsbürger denkt immer daran, seinen persönlichen Wohlstand nur auf den Wegen zu erreichen, die auch den öffentlichen Wohlstand fordern", Vom glücklichen und weisen Leben, S. 222. 361 Esprit, Bd. I, Buch 5, Kap. 2. Diese Bewußtseinsinhalte sind nach Judith Shklar „not ideologies (which are complex structures of thought) but common mentalities or shared dispositions", Montesquieu, S. 75; s. a. den Brief von Rousseau an Theodore Tronchin v. 26. 11. 1758, in: ders.: Korrespondenzen, S. 162ff. 362 Edmund Burke schrieb in seiner: A Philosophical Enquiry into the Origin of our Ideas of the Sublime and Beautiful (1757), Oxford, 1990, S. 45: „It is by imitation far more than by precept that we leam every thing; and what we learn thus we acquire not only more effectually, but more pleasantly. This forms our manners, our opinions, our lives". Peter Berger und Thomas Luckmann befassen sich in ihrem Buch über die Gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit, Eine Theorie der Wissenssoziologie, Ffin., 5. Aufl., 1990, mit der Frage der „Übertragung einer symbolischen Sinnwelt von einer Generation zur nächsten", S. 114, und im Zusammenhang der „primären Sozialisation", S. 141 f . ; s. a. B. Peters: Die Integration moderner Gesellschaften, S. 258ff. 363 Esprit, Bd. I, Buch 3, Kap. 3, S. 144. 364 An essay upon the probable methods of making a people gainers in the balance of trade (1699), Works, London, 1771, Bd. II, S. 300: „When corruption has seized upon the representatives of a people, it is like a chronical disease, hardly to be rooted out. When servile compliance and flattery come to predominate, things proceed from bad to worse, till at last the government is quite dissolved. .. Commonwealth or mixed constitutions are safe, till the chief part of the leading men are debauched in principles... A people thoroughly corrupted never returns to right reason".

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Kapitel 1: Das Problemfeld

bert Molesworth365 und Lord Bolingbroke366. Die politische Tugend muß auch, soll sie die republikanische Vergesellschaftung tragen, fest in der politischen Nationalkultur verankert sein, die sich nur verhältnismäßig langsam entwickelt. Dabei existiert ein praktischer Unterschied zwischen dem Verfallsprozeß der Tugend und ihrer Regeneration, denn die Corruptio beschleunigt sich, nachdem der anfangliche Widerstand gebrochen ist, in der Art eines selbstverstärkenden Automatismus. Dieser Auffassung liegt die Hypothese der Antizipation der Korruption zugrunde: Die Beteiligten geben in ihrem Handeln stets mehr von ihrer bisherigen Gemeinwohlorientierung auf, um sich gegen das Risiko der Überschätzung der „Tugendhaftigkeit" anderer zu sichern und sich selbst möglicherweise einen indiviuellen Vorteil zu verschaffen, ohne größere negative soziale Sanktionen befürchten zu müssen. Der Prozeß des Verlustes des Vertrauens in generelles gemeinwohlorientiertes Handeln erfahrt daher, einmal begonnen, eine immanente Beschleunigung367. Umgekehrt liegt eine Verhaltensdisposition nahe, die im Prozeß des Aufbaus von Vertrauen hinter dem Standard gemeinwohlorientierten Handelns anderer zurückbleibt, die ihre Gutwilligkeit erst zweifelsfrei demonstrieren müssen, bevor das durchschnittliche Individuum den avanciert tugendhaften Verhaltensstandard übernimmt; daher ist dieser Prozeß langsam und systematisch von Rückfallen bedroht. Die Gegenthese zur Republik ist im Esprit des Lois die Monarchie, in der „la politique fait faire les grandes choses avec le moins de vertu qu'elle peut; comme dans les plus belles machines, Γ art emploie aussi peu de mouvements, de forces et de roues qu'il est possible... Les lois y tiennent la place de toutes ces vertus [heroiques que nous trouvons dans les anciens], dont on n'a aucun besoin..."368. Das Konstruktionsprinzip der Monarchie bei Montesquieu entspricht also meinem Begriff von „Institutionenrepublikanismus", den Hume im Gegenteil spezifisch der politischen Form der Republik zuordnete369. Allerdings vertritt in Montesquieus Konzept der Monarchie das Streben

365 R. Molesworth: The Principles of a Real Whig (1711), London, 1775, S. 7. 366 Bolingbroke: A letter on the spirit of patriotism, S. 23: „It is difficult, indeed, to bring men, from strong habits of corruption, to prefer honor to profit, and liberty to luxury... ". 367 Hume analysiert im Treatise, warum trotz abstrakter Einsicht in die Regeln der Gerechtigkeit ungerechte Akte begangen werden, und fuhrt dies auf die Kurzsichtigkeit der sozialen Imagination zurück: „The consequences of every breach of equity seem to lie very remote, and are not able to counterballance any immediate advantage, that may be reap'd from it"; und durch einen Imitationsmechanismus verallgemeinert sich ungerechtes Handeln: „Your example both pushes me forward in this way by imitation, and also affords me a new reason for any breach of equity, by shewing me, that I should be the cully of my integrity, if I alone shou'd impose on myself a severe restraint amidst the licentiousness of others", Buch III, Abschn. VII, S. 535. Einen ähnlichen Gedanken diskutiert Gunnar Myrdal unter dem Stichwort des „Prinzips der Kumulation" in: ders.: Das Wertproblem in der Sozialwissenschaft, Bonn-Bad Godesberg, 2. Aufl., 1975, Kap. 9. Über Enttäuschungserfahrungen normierter Verhaltenserwartungen und Vertrauensverlust siehe N. Luhmann: Vertrauen. Ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität, Stg., 3. Aufl., 1989; in seiner Rechtssoziologie, Bd. II, S. 281, stellt er fest: „In sehr komplexen Gesellschaften können soziale Systeme nicht mehr durch Auswertung gemeinsamer konkreter Erfahrungen stabilisiert werden, sondern erzeugen durch ihre Komplexität selbst eine Art von abstraktem Systemvertrauen, das als solches unentbehrlich und gegen punktuelle Widerlegung immunisiert ist". Ist damit die Korruptionsproblematik überholt? 368 Bd. I, Buch 3, Kap. 5, S. 147. 369 That Politics may be reduced to a Science, Essays, S. 15f.: „... a republican and free government would be an obvious absurdity, if the particular checks and controuls, provided by the constitution, had really no influence, and made it not the interest, even of bad men, to act for the public good. Such

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nach Ehre die Stelle bornierten kommerziellen Erwerbsstrebens als Basismotivation370, eine mit der Republik sogar schlecht verträgliche Leidenschaft371, die jedoch inhärent besser geignet ist für die Einfügung in ein politisches Konzept des Gemeinwohls, weil die Ehre direkt auf sozialer Anerkennung beruht und lediglich dafür zu sorgen ist, daß Gemeinwohl und Ehre in der sozialen Normierung fest verknüpft werden. Bei der Transformation bornierten Erwerbsstrebens in politisches Gemeinwohl ist der Zusammenhang vermittelter. Gemeinsam ist beiden Konzepten jedoch, die Institutionen so zuzuschneiden, daß die individuellen Antriebe durch die Politik optimal für das Gemeinwohl zu nutzen sind. Dabei handelt es sich um ein im 18. Jahrhundert weit verbreitetes gesellschaftliches Steuerungsmodell, das bei Bernard Mandeville ebenso wie bei Adam Smith und anderen Sozialtheoretikern dieser Zeit in verschiedenen Varianten nachweisbar ist372. Es nimmt seinen Ausgang von der Entnormativierung der individuellen Lebensführung, die, moralisch entlastet, gesteigerte affektuell-sinnliche Handlungsenergien freisetzen soll, welche jedoch in einem dritten Schritt durch die geschickte Begrenzung ihrer Äußerungsformen in unabhängig von den Intentionen der Individuen sozial nützliche Kanäle geleitet werden. Eine der Metaphern, unter denen dieses moralentlastete manipulative Steuerungsmodell373 geistig repräsentiert wurde, war die gärtnerische Beschneidung unerwünschter Triebe, um ein gewünschtes Wachstum zu erzielen374, aber ideengeschichtlich ging es,

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is the intention of these forms of government, and such is their real effect, where they are wisely constituted... ". Esprit, Bd. I, Buch 3, Kap. 6: „L'Honneur, c'est-ä-dire, le prejuge de chaque personne et de chaque condition, prend la place de la vertu politique... ", S. 149. Ibid., Kap. 7. Siehe meinen Aufsatz über: Modelle der unsichtbaren Hand, Leviathan, 1991; s.a. Vauvenarges: Große Gedanken entspringen dem Herzen. Seine Maximen, hg. v. W. Kraus, Zürich, 1992, S. 39: „Wenn es wahr ist, daß man das Laster nicht entkräften kann, sollte die Weisheit der Regierenden dahin gehen, es in den Dienst des allgemeinen Wohls zu nehmen."; siehe fur das frühe 18. Jahrhundert bes. den Aufsatz von Μ. M. Goldsmith: Liberty, luxury and the pursuit of happiness, in: A. Pagden (Hg.): The Languages of Political Theory; s. a. D. Lange: Hans im Glück oder mit Geld aufklären. Hume und Smith über das Dogma monetärer Steuerung, Leviathan, 1984: 12, S. 216-37. Siehe, im Zusammenhang mit Mandeville: Sh. Burtt: Virtue transformed, Kap. 7; dagegen J. G. Fichte in seinem „System der Sittenlehre", Fichtes Werke, hg. v. I. H. Fichte, Bd. IV, Berlin, 1971, S. 315: „Aller Trieb nach Glückseligkeit gründet sich auf den Naturtrieb. Ich will dieses oder jenes Object darum, weil in meiner Natur ein Trieb ist; ich will dieses oder jenes nicht, darum, weil in meiner Natur eine Abneigung dagegen ist. Bedient man sich nun dieses Triebes, um mich zu gewissen Handlungen zu bringen, so macht man dadurch diese Handlungen zu Bedingungen der Befriedigung dieses Naturtriebes: und es bleibt demnach ganz offenbar die Befriedigung meines Naturtriebes der letzte Zweck meiner Handlungen; und die Handlungen selbst sind nur die Mittel dazu, und werden von mir nur als solche Mittel betrachtet. Darin aber besteht ja eben das Wesen der Unmoralität, dass die Befriedigung des Naturtriebes der letzte Zweck meines Handelns sei; dahingegen das Gesetz fordert, daß ich diesen Trieb einem höheren Antriebe ganz und gar unterordne. Man hat sonach auf diesem Wege mich gar nicht moralisch gemacht, sondern man hat mich vielmehr in meiner Unmoralität erst recht bestärkt; dadurch, daß man sie durch etwas, was man Sittenlehre nennt, und für das höchste und heiligste ausgibt, autorisiert, und durch Übung recht ausbildet. Man vernichtet dadurch alle Hofihung zur Moralität, indem man die Unmoralität selbst an ihre Stelle setzt, jene sonach, und alle Tendenz nach ihr und alle Ahnung derselben, rein austilgt. - Das Verfahren mit dem Menschen ist dann gerade dasselbe, welches wir bei den Tieren anwenden. ... und so gingen wir denn auch bei dem Menschen darauf aus, ihn nur zu dressieren, nicht aber ihn zu cultivieren".

374 Siehe die „The Moral" am Schluß von Bernard Mandevilles: Die Bienenfabel, oder Private Laster, öffentliche Vorteile, m. Einl. v. W. Euchner, Ffrn., 1980.

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Kapitel 1: Das Problemfeld

wie Albert Hirschman gezeigt hat, vor allem um die Umwidmung vernunftwidriger Leidenschaften in positiv gewertete Erwerbsantriebe 375 . Die Leidenschaften werden, in die richtigen Bahnen geleitet, zu „Interessen" neutralisiert, die, insofern sie das Material bilden, aus dem das Gemeinwohl sublim geschaffen wird, auch Legitimität gewinnen; und das primäre Feld, auf dem dieser Umwandlungsprozeß stattfindet, ist die Ökonomie. Selbst Rousseau, im ganzen ein Repräsentant des Tugenddiskurses, akzeptierte die Steuerung der Individuen durch das Selbstinteresse. „On ne peut fait agir les hommes que par leur interet, je le sais", schrieb er, um aber charakteristisch gegen das Geld als Steuerungsmedium einzuwenden, „mais l'interet pecuniaire est le plus mauvais de tous, le plus vil, le plus propre ä la corruption, et meme, je le repete avec confiance et le soutiendrai toujours, le moindre et le plus faible aux yeux de qui connait bien le coeur humain" 376 . Er basiert daher die Republik, wie Montesquieu die Monarchie, auf das Streben nach Ehre, das durch Symbole positiver sozialer Sanktionierung unterstützt werden soll. Das Grundproblem dieses Steuerungsmodells liegt in der Frage nach dem Steuerungszentrum jener Neutralisierung und Transformation der Leidenschaften, das ja diesen selbst mindestens ein Stück weit enthoben sein muß 377 . In der antiken Tradition ist daher der legendäre „weise Gesetzgeber" eventuell ein Fremder, der die Polis nach der Etablierung der tragenden Institutionen des Gemeinwesens verläßt 378 . In den antiabsolutistischen Politikansätzen wurde auf die „Rule of Law" als Basis eines sich selbst begrenzenden und steuernden Institutionensystems abgehoben, dem auch das Steuerungszentrum eingepaßt ist. Aber wer kontrolliert dieses Institutionensystem?, und wenn man sagt, die Institutionen kontrollierten sich selbst gegenseitig: Wer kontrolliert diese Selbstkontrolle und die Steuerungsresultate? Diese Fragestellung mündet also in einen Endlosregreß. Dabei stehen sich Autoren gegenüber, die eine politische Detailsteuerung befürworten, wie die Spätmerkantilisten Mandeville 379 und Steuart, oder die, wie Adam Smith, auf die Etablierung eines durch wenige grundlegende Prinzipien bestimmten „obvious and simple system of natural liberty" abheben, das das politische System entlastet und die Steuerungsaufgabe entscheidend vereinfacht. Smith rechnet außerdem mit der Fähigkeit des Sozialsystems zur Selbstordnung380, die das Steuerungszentrum entlastet, und er

375 A. O. Hirschman: Leidenschaften und Interessen. Politische Begründungen des Kapitalismus vor seinem Sieg (1977), Ffm., 1987. Gegen die Idee der „Überwindung der Leidenschaften" richtet sich auch der Aphorismus Nietzsches: „Überwindung der Affekte? - Nein, wenn es Schwäche und Vernichtung derselben bedeuten soll. Sondern in Dienst nehmen: wozu gehören mag, sie lange zu tyrannisieren... Endlich gibt man ihnen eine vertrauensvolle Freiheit wieder: sie lieben uns wie gute Diener und gehen freiwillig dorthin, wo unser Bestes hin will", Aus dem Nachlaß der Achtzigeijahre, Werke, hg. v. K. Schlechte, in 4 Bdn., n. d. 6. Aufl., Ffm. /Berlin/Wien, Bd. IV, 1972, S. 441. 376 Considerations sur le Gouvernement de Pologne, S. 221. 377 In Fichtes: Reden an die deutsche Nation, 7. Rede, S. 113ff., findet sich eine polemische Reflektion dieses Problems. Seine Lösung liegt in einem kulturellen Programm der Erziehung, das explizit an antike Modelle anschließt, S. 117. 378 Instruktiv hierzu John Rawls' Überlegungen zur „original position", die durch einen „veil of ignorance" charakterisiert ist, Eine Theorie der Gerechtigkeit, Kap. 3; ders.: Die Idee des politischen Liberalismus. Aufsätze 1977-1989, Ffln., 1994, pass. 379 Siehe Μ. M. Goldsmith: Private Vices, Public Benefits, Kap. 3, bes. S. 5Iff., über Mandevilles Merkantilismus, S. 123f.; T. A. Hörne: The social thought of Bernard Mandeville. Virtue and Commerce in Early Eighteenth-Century England, NY, 1978, Kap. 4; L. S. Moss: The Subjectivist Mercantilism of Bernard Mandeville, USE, 1987: 14, S. 167-84. 380 WN, Bd. II, S. 687.

Politische Steuerung

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warnt im Wealth of Nations vor der Hybris des „statesman, who should attempt to direct private people in what manner they ought to employ their capitals", „an authority... which would nowhere be so dangerous as in the hands of a man who had folly and presumption enough to fancy himself fit to exercise it" 381 . Gleich gefahrlich erscheint ihm dessen theoretische Analogie, der „man of system", dessen rationalistische Hybris den gesellschaftlichen Reproduktionsprozeß einem theoretisch perfekten Regime zu unterwerfen trachtet 382 . Ähnlich zeigte sich Adam Ferguson davon überzeugt, die Politik könne in bezug auf die rechtsstaatlich eingebettete Marktwirtschaft „do little more than avoid doing mischief' 383 . Dort, wo der Politik eine gesellschaftliche Detailsteuerung aufgebürdet wird, spreche ich von „Politizismus", der mit großer Wahrscheinlichkeit in eine Überforderung des politischen Systems und die konsequente Frustration der Erwartungen sowie Delegitimierung mündet. Demgegenüber erscheint die Reduktion des politischen Systems auf einen Minimal State als attraktive Alternative. Auch auf dieser Ebene entlasteter Politik stellen sich jedoch die Fragen nach dem Woher? des Institutionensystems, nach seinen Anpassungs- und Selbstkorrekturmechanismen, und nach den Erfolgskontrollen. Als Antwort finden wir in der schottischen Aufklärung und bei Burke 384 Ideen zu einem Institutionenevolutionismus, der von einem idealiter subjektlos gedachten historischen „Trial-and-error"-Prozeß auf der Basis kollektiver gesellschaftlicher Lernprozesse ausgeht385, womit die Frage nach dem Ort der Tugend historisch-evolutionistisch eskamotiert wird. Ideengeschichtlich ist diese Position auf die Einsicht gegründet, die soziale Komplexität lasse bewußte und zielgerichtete gesellschaftliche Selbststeuerung nicht zu, weil bei jedem Eingriff in den historischen Prozeß unbeabsichtigte Nebenfolgen eintreten, die die geplanten Handlungsgewinne zum Teil oder ganz kompensieren 86. So erkannten nach William Blackstone die englischen „Common Law"-Richter die Antiquiertheit des überkommenen Rechts in der modernen kommerziellen Gesellschaft. „Yet they wisely avoided soliciting any great legislative revolution in the old established forms, which might have been productive of consequences more numerous and extensive than the most penetrating genius could foresee", und beschränkten die Anpassung des Rechtssystems auf unmittelbare Bedürfnisse des sozialen Verkehrs, mit einem wenig attraktiven Resultat 387 . Diese Schwierigkeiten hat ein absolutistisches Regime nicht, das ohne Rücksicht auf überlieferte Rechte sozial durchgreifende Neumodellierungen des Institutionensystems „aus einem Guß" in Kraft setzen kann 388 ; aber dafür ist es kein

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WN, Bd. I, S. 456. Siehe TMS, S. 232ff., VI,ii,2,15-18. History of Civil Society, S. 143. Siehe bes.: Reflections on the Revolution in France (1790), Harmondsworth, 1984. Siehe V. Vanberg: Markt und Organisation; ders.: Der individualistische Ansatz zu einer Theorie der Entstehung und Entwicklung von Institutionen, JBNPÖ, 1983: 2, S. 50-69; Maurice Goldsmith zeigt solche Motive im Spätwerk Mandevilles: Private Vices, Public Benefits, S. 64ff., S. 108. 386 Albert Hirschman analysiert dieses Motiv als Grundmotiv konservativen Denkens: Denken gegen die Zukunft. Die Rhetorik der Reaktion (1991), München/Wien, 1992, und verkennt es damit. 387 Commentaries, Bd. III, Buch 3, Kap. 17, S. 268: „We inherit an old Gothic castle, erected in the days of chivalry, but fitted up for a modem inhabitant. The moated ramparts, the embattled towers, and the trophied halls, are magnificent and venerable, but useless. The inferior apartments, now converted into rooms of convenience, are chearfiil and commodious, though their approaches are winding and difficult". 388 Ibid., S. 267.

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Kapitel 1: Das Problemfeld

freies Regime, und die praktische Wirksamkeit eines Systems politischer Zwangsregulation bleibt stets zweifelhaft. An Blackstones Commentaries kann jedenfalls der Einfluß des „Common Law"-Rechts auf die englische politische Kultur abgelesen werden 389 , die einerseits gegen Absolutismen abgegrenzt ist und andererseits gegen Forderungen nach einer geschriebenen Verfassung, die die Souveränität des Parlaments 390 einschränken und seine Selbstbindung in eine Verfassungsbindung verwandeln würde 391 . Der evolutionäre Ansatz weist Überregulierungen zurück und verzichtet auf systematische Geschlossenheit, ohne die Idee prinzipiengestützter pragmatischer Modellierung des Institutionensystems aufzugeben. „Improvement" lautete das positiv konnotierte Schlüsselwort für derart pragmatisch-reformerische Anpassungen, während „Innovation" negativ besetzt war. Dieser Ansatz suchte einen Ausweg aus der Alternative „Institutionen" oder „Kultur" in der Annahme eines evolutionären Wechselverhältnisses. Öffentlichkeit, Parteien Im System der Moderne können drei fundamentale Vergesellschaftungsweisen unterschieden werden: „Tausch", „Organisation" und „Kommunikation", die grob den Bereichen „Markt", „Staat" und „Gesellschaft" zuzuordnen sind und denen soziale Normierungen entsprechen 392 . Der Markt impliziert soziale Beziehungen wechselseitiger Vorteilnahme am anderen, der Staat (im weiteren Sinne: die Bürokratie) impliziert hierarchische Beziehungen, die durch Befehlsstrukturen konstituiert sind, während der Residualbereich des Gesellschaftlichen spontan affektuelle, spielerische, theatralische und generell freie soziale Beziehungen im Grundsatz Gleicher einschließt 393 . Wesentlich für diese letztere Kommunikationsweise ist, daß der andere - nach Kant - nicht nur als Mittel, sondern zugleich als Zweck akzeptiert ist und daß auf allen Seiten die prinzipielle Freiheit besteht, die Kommunikation zu beginnen und zu beenden. Die republikanische Vergesellschaftungsform, das heißt, die gesellschaftliche Basierung republikanischer Institutionen, beruht als soziale Beziehung offensichtlich nicht auf Tausch und nicht auf Organisation und muß daher in der lebensweltlichen Kommunikation verankert sein. Ein herrschaftliches Verhältnis einer Bürgerschaft zum Staat, das zum Wesen der Republik gehört, erfordert ein gewisses Maß autonomer sozialer Handlungsfähigkeit, die selbst eine gewisse gesellschaftliche Selbstorganisation voraussetzt. Grundlage dafür ist die „räsonnierende Öffentlichkeit", die sich im Laufe des 18. Jahrhunderts entwickelt und

389 Vgl. J. Brewer/J. Styles (Hg.): An ungovernable People. The English and their law in the seventeenth and eighteenth centuries, London etc., 1983, Introduction. 390 Zu deren Frühgeschichte siehe Μ. Mendle: Parliamentary sovereignty: a very English absolutism, in: N. Phillipson/Q. Skinner (Hg.): Political Discourse in Early Modern Britain, S. 97-119. 391 Siehe die Forderung der Levellers nach einem sogenannten Agreement of the People: A. S. P. Woodhouse (Hg.): Puritanism and Liberty, S. 342ff.; An Agreement of the Free People of England (1649), sowie: The Legall Fundamental Liberties of the People of England (excerpts), in: W. Haller/G. Davies (Hg.): The Leveller Tracts; D. Wootton (Hg.): Divine Right and Democracy: An Agreement of the People (1647); die Forderung wurde durch spätere republikanische Autoren aufgenommen, siehe A. Sidney: Discourses, S. 391, S. 400f. ; A. C. Houston: Algernon Sidney, Kap. 5. 392 Siehe A. Wolfe: Market, State and Society as Codes of Moral Obligation, AS, 1989: 32, S. 221-36. 393 Analog zu Habermas': Theorie des kommunikativen Handelns. Ich gehe jedoch im Gegensatz zu Habermas' Dichotomie von „System" und „Lebenswelt" von einer Dreiteilung auf wenierg abstraktem Niveau aus.

Öffentlichkeit,

Parteien

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nach John Gunn gegen Ende des Jahrhunderts als zentraler politischer Faktor anerkannt ist394. Der Pseudonyme Pamphletist Junius etwa beschwört um 1770 das Publikum als letzte Instanz des politischen Prozesses, als „nationale Jury" 395 . Damit ist jenseits von Regierung und Parlament ein zusätzlicher Monitor des politischen Prozesses mit Kontrollfunktion installiert, der die seit den 1760ger Jahren stattfindende Lockerung des Verbots der Berichterstattung über Parlamentsverhandlungen zur Voraussetzung hat, so daß „By the late 1770s major parliamentary debates were appearing in virtually every newspaper" 396 . So beginnt das demokratische Aufbrechen der oligarchischen Struktur englischer Politik lange vor den Wahlrechtsreformen des 19. Jahrhunderts. Im Zusammenhang der Untersuchung der Entwicklung einer politischen Öffentlichkeit ist auf schwache Organisationsformen wie Kaffeehäuser und Clubs hingewiesen worden. Und seit den 1760ger Jahren entstand ein differenziertes Netz von Assoziationen von Menschen verschiedener sozialer Schichten, die neben privaten auch soziale Zielsetzungen verfolgten - in der Armenpflege, in der Bildung oder im Krankenwesen - und die auch hoheitliche Funktionen ausfüllten und insoweit durch staatliche Patente legitimiert waren 397 . Sozialgeschichtlich können diese Organisationen mit der Bewegung zur „Reformation of Manners" in Verbindung gebracht werden, die in zwei Wellen - um die Wende zum 18. Jahrhundert und im letzten Drittel des Jahrhunderts - ein Bewußtsein dafür schuf, daß die Dynamik der modernen Gesellschaft neue soziomoralische Probleme erzeugte, auf die weder Kirche noch Staat adäquate Antworten besaßen 398 . Diese Organisationen waren nicht nur paternalistische Institutionen, sondern oft auch „Friendly Societies", die etwa Funktionen einer Sozialversicherung auf Gegenseitigkeit übernahmen. Aufgrund verbreiteter Abneigung gegen politische Parteibildung 399 schlossen viele private Assoziationen politische Ziele und Debatten aus 400 , aber die politische Assoziation fand doch im Laufe des Jahrhunderts im politischen Denken Anerkennung als legitime Form politischer Selbstorganisation der Gesellschaft, wenn das Verhältnis zur politischen Parteibildung auch ambivalent blieb 401 , was sich in der begrifflichen Distinktion zwischen der neutral gewerteten „party" und der pejorativen „faction" ausdrückte. Die ideologische Figur des „Patriotismus" in Gestalt eines „Patriot King", der sich über die Parteien und speziell über die „Court"-Cliquen hinweg mit dem Land verbindet 402 , die Bolingbroke gegen Walpole mobilisierte und die unter Georg ΠΙ vom Hoflager und den „King's Friends" okkupiert wurde, zeigt das verbreitete Bedürfiiis, die Parteispaltung in

394 J. A. W. Gunn: Public Spirit to Public Opinion, in: ders.: Beyond Liberty and Property; s. a. J. Habermas: Strukturwandel der Öffentlichkeit. 395 Junius-Briefe, 15. Brief, S. 140. 396 Langford: A Polite and Commercial People, S. 705. 397 Langford: Public Life and the propertied Englishman, Kap. 4. 398 Siehe Langford: A Polite and Commercial People, Kap. 4; J. Innes: Politics and Morals. The Reformation of Manners Movement in Later Eighteenth-Century England, in: E. Hellmuth (Hg.): The Transformation of Political Culture. England and Germany in the Late Eighteenth Century, Oxford, 1990, S. 57-118; Sh. Burtt: Virtue transformed, Kap. 3. 399 D. Sternberger: Das angebliche Unrecht der Parteiregierung (1962), in: Κ. Kluxen (Hg.): Parlamentarismus, S. 374-90. 400 P. Langford: Public Life and the propertied Englishman, S. 118ff. 401 Ibid., S. 131 ff. 402 Bolingbroke: Α Letter on the Spirit of Patriotism; ders.: The Idea of a Patriot King, Works, hg. v. D. Mallet, 1754, repr., Hildesheim, 1968, Bd. III.

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Kapitel 1: Das Problemfeld

einer ideologisch höheren Einheit zu moderieren. Darauf reagierte Edmund Burke 1770 mit seiner bekannten Verteidigung der politischen Partei in den Thoughts on the Cause of the Present Discontents403. „When bad men combine", schrieb er, „the good must associate", und politische Verbindungen seien „essentially necessary for the foil performance of our public duty", wenngleich „accidentally liabel to degenerate into faction. Commonwealths are made of families, free commonwealths of parties also..." 404 . Politische Parteien seien „a body of men united, for promoting by their joint endeavours the national interest, upon some particular principle in which they are all agreed"405. Davor hatte bereits Hume in seinen Essays eine differenzierte Parteientypologie entwickelt, die besonders den Gegensatz von „Court,, und „Country,, als zeitgemäße Form des Gegensatzes von Freiheit und Autorität, von Zentrum und Peripherie, positiv konnotierte. Und beginnend mit der „Wilkes and Liberty"-Bewegung bildete sich ein Netz von politischen Assoziationen, die dem politischen Prozeß neue gesellschaftliche Gruppen erschlossen406. In einem Aufsatz über die „Selbstlegitimation des Staates" hat Niklas Luhmann den Parteien eine zentrale Rolle beim Übergang einer, wie er sagt, zweistufigen Binnendifferenzierung des politischen Systems zu einer dreistufigen zugewiesen, nämlich „durch Ausdifferenzierung politischer Parteien, also durch Ausdifferenzierung eines im engeren Sinne politischen Bereichs. Damit hat die Unterscheidung von Herrschenden und Beherrschten ihre Bedeutung verloren... An ihre Stelle ist die Differenzierung von Politik, Verwaltung und Publikum getreten. Diese dreistellige Differenzierung ermöglicht den Übergang von linearen zu kreisförmigen Machtkonstellationen"407, die er als charakteristisch für das moderne politische System betrachtet. Ich bezweifele zwar die behauptete Hinfälligkeit der Unterscheidung von Herrschenden und Beherrschten, aber Luhmann hat sicher Recht hinsichtlich der zentralen Bedeutung der Parteien für die Legitimation des modernen politischen Systems408, die als moderne Kompensationsformen der ausgetrockneten politischen Sphäre angesehen werden können, indem sie, im Übergangsfeld von Staat und Gesellschaft angesiedelt, als idealiter freie gesellschaftliche Organisatio403 Nach H. C. Mansfield Jr. ist diese Schrift „the first argument in the history of political philosophy for the respectability, not merely the necessity, of parties in politics", A Sketch of Burke's Life, in: Selected Letters, S. 31; siehe dort auch Kap. 4, bes. die Briefe v. Oktober und November 1769 an Lord Rockingham, S. 171 ff. 404 Burke: Pre-Revolutionary Writings, hg. v. 1. Harris, Cambridge, 1993, S. 184f. 405 Ibid., S. 187. 406 E. Hellmuth: Kommunikation, Radikalismus, Loyalismus und ideologischer Pluralismus. „Populär politics" in England in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, Aufklärung, 1989: 4, S. 79-103. A. a. Stelle zieht Eckart Hellmuth dieses vergleichende Resümee: „... in England the process of political communication was more complex than in Germany; there was a greater variety of political literature; contemporaries were politically more articulate and could express themselves more explicitly; the spectrum of political opinions was wider; the capacity for civic and political self-organization was greater; political and quasi-political societies had penetrated the fabric of English society more deeply, and they recruited their members from a broader social spectrum", Towards a Comparative Study of Political Culture: The Cases of Late Eighteenth-Century England and Germany, in: ders. (Hg.): The Transformation of Political Culture, S. 1-36, hier S. 35. 407 N. Luhmann: Selbstlegitimation des Staates, ARSP, 1981: 67, BH 15, hier S. 72; kritisch Ο. Höffe: Eine entmoralisierte Moral: Zur Ethik der modernen Politik, PVS, 1991: 32, S. 302-16, und die Antwort Luhmanns, ibid., S. 497-500. 408 Siehe zum Begriff der Legitimation: CS, 1987: 35, No. 2: The Sociology of Legitimation; repräsentativ für linke Positionen der 1970ger Jahre: R. Ebbighausen et ail.: Bürgerlicher Staat und politische Legitimation, Ffm., 1976.

„ Court" und „ Country"

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nen in den Staat hineinragen. Sie sind organisatorischer Hintergrund und Kerne des perennierenden öffentlichen politischen Raisonnements und bilden im politischen System der Moderne den Mechanismus der Machtkonkurrenz aus, in dem die gesellschaftliche Kontrolle des Staates institutionalisiert ist: als Opposition 409 . Vormoderne Parteien - man denke etwa an die Guelfen und Ghibellinen in Italien - waren generell dynastische Bürgerkriegsparteien - vide die englischen Rosenkriege - und spalteten das politische Gemeinwesen. Sie waren daher generell negativ konnotiert. Im Maße, in dem die Existenz politischer Parteien positiv gewertet wurde, ist ablesbar, wie sich das politische System in die Moderne hinein transformierte, in dem die politischen Parteien zu einem wesentlichen Stabilitätsfaktor werden. Im 18. Jahrhundert war die Parteienbildung noch ungefestigt 410 ; die Parteien waren auf den Parlamentsbetrieb zentriert, wurden von oligarchischen Gruppen fast ohne bürokratische Abstützung geführt und konzentrierten sich auf den Gegensatz der „Ins" zu den „Outs" in wechselnden Bündnissen, wobei die politische Fraktionsbildung im Parlament durch das große Lager unabhängiger „back-bencher" ausgesprochen instabil blieb 411 . Kontinuität gewann der politische Prozeß, abgesehen von der durchaus noch bedeutsamen königlichen Prärogative, durch die oligarchischen Führungsgruppen. Auch die Zusammenziehung des Verhältnisses von Staat und Gesellschaft auf das Wechselspiel von Regierung und Opposition, die die politische Bedeutung sozialer Autorität partiell überholt, war im 18. Jahrhundert erst in den Anfangen. Im Hintergrund der Parlamentsparteien existierten ideologische Konfliktlinien, die den gesellschaftlichen politischen Diskurs und damit auch die Rhetorik der Parlamentsparteien strukturierten. Diskursdifferenzen und Parlamentsparteien fielen jedoch nur bedingt zusammen. Mindestens ebenso stark wie der Gegensatz der politischen Ideologien von Whigs und Tories prägte der ältere von Court und Country den politischen Diskurs im 18. Jahrhundert, Bezeichnungen weniger fur Parteien im modernen Sinne, als für machtsstrukturelle strategische Orientierungen. Diese diskursive Bedeutung ist in Spezifika der englischen Staatsentwicklung begründet 412 . „Court" und „Country" Der Weg Englands in die Moderne ist paradigmatisch, aber nicht in jeder Hinsicht typisch 413 . Begünstigt durch die Insellage gab es in England bis in das 19. Jahrhundert hinein keine flächendeckend einheitliche Administration 414 , denn über Jahrhunderte wurden Administration und Rechtspflege des Landes außerhalb der Städte, die sich selbst verwalteten, auf Basis der Gliederung in „parishes" und „counties" 415 durch ehrenamtlich tätige, örtlich einflußreiche Grundeigentümer als „Justices of the Peace" oder als Beisit409 Siehe zum Begriff: L. Kramm: Grundzüge einer Theorie der politischen Opposition, ZfP, 1986: 33, S. 33-43; N. Luhmann: Theorie der politischen Opposition, ZfP, 1989: 36, S. 13-26. 410 Siehe den Artikel „Party", in Samuel Johnsons: Dictionary of the English Language, Bd. II. 411 Siehe zur Parlamentstheorie: K. Kluxen (Hg.): Parlamentarismus. 412 Siehe zum folgenden J. R. Jones: Country and Court. 413 Siehe den interessanten Aufsatz von Derek Sayer: Α notable administration: English state formation and the rise of capitalism, AJS, 1991/92: 97, S. 1382-1415. 414 Siehe C. Hill: Reformation to Industrial Revolution, S. 95; Ch. Tilly: Reflections on the History of European State making, in: ders (Hg.): Formation of National States, S. 35, S. 56. 415 Sayer: A notable administration, AJS, 1991/92, S. 1396f.

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Kapitel 1: Das Problemfeld

zer gerichtlicher „Quarter-Sessions" besorgt 416 . Bernd Weisbrod spricht hier - wohl überakzentuiert - von einer „Selbstverwaltungsaristokratie" 417 , die aber im 18. Jahrhundert nicht wesentlich auf Geburtsadel, sondern primär auf verschiedenen Eigentums-, insbesondere Grundeigentumsqualifikationen, beruhte. Cristopher Hill hat die Zerstörung der königlichen Bürokratie in den 1640ger Jahren als „most decisive single event in the whole of British history" bezeichnet 418 , denn damit wurden die Entwicklungschancen des Absolutismus in England nachhaltig gestört. Auf der anderen Seite hat John Brewer in neueren Forschungen 419 nachgewiesen, daß sich gleichwohl in England beginnend mit der Restauration ein „fiscal-military state" entwickelte, der, angetrieben durch die Notwendigkeiten der Kriegführung, eine bedeutende Zentralisierung, Bürokratisierung und administrative Rationalisierung auf den Gebieten der Militär-, insbesondere der Marineorganisation 420 , sowie der Steuern-, Abgaben- und Staatsschuldverwaltung durchführte. Vor allem die fur die Zeitverhältnisse relativ große und effizient zentralgesteuert arbeitende Exzisen-Verwaltung galt als Muster einer exzellenten Finanzbürokratie 421 . Dabei demonstrierte die „Excise-Crisis" in der Spätphase der Regierung Robert Walpoles die anhaltend tiefe Abneigung der Engländer gegen staatlich-bürokratische Kontrollen 422 . Insgesamt wäre es falsch, den englischen Staat dieser Zeit für „schwach" zu halten, auch wenn er wenig autonom und handlungsfähig in bezug auf die sozialstrukturell herrschenden Schichten war 423 . In seinem „Modern World System" schlägt Immanuel Wallerstein das Kriterium vor, ein gegebener Staat sei „strong to the extent that those who govern can make their will prevail against the will of others outside or inside the realm. Using such a criterion", fahrt er fort, „we believe the English state had clearly outstripped the French state by the early eighteenth century". Historisch entscheidend war, daß „it was finally possible to resolve in the Walpolian one-party state the split in the English ruling classes that had begun in the period

416 Ein literarisches Bild gibt Henry Fielding: Die Geschichte des Tom Jones, eines Findlings (1749), München/Zürich, 1986, in der Figur des Squire Allworthy; s. a. Langford: Public Life and the Propertied Englishman, S. 390-7. 417 Β. Weisbrod: Der englische „Sonderweg" in der neueren Geschichte, GG, 1990: 16, S. 233-52, hier S. 246:,.Anders als der preußische Militär- und Beamtenstaat beruhte der englische Staat seit dem 17. Jahrhundert nicht auf einem einseitigen „herrschaftlichen Organisationsprinzip", sondern auf einer „parlamentarischen Selbstverwaltungsaristokratie" "; vgl. Laslett: Verlorene Lebenswelten, Kap. 9; J. H. Plumb: England in the Eighteenth Century, Teil 1, Kap. 4. 418 Reformation, S. 98; s. a. E. Kiser: The Formation of State Policy in Western European Absolutisms: A comparison of England and France, PS, 1986/7: 15, S. 259-96, hier S. 283. 419 The English State and Fiscal Appropriation, 1688-1789, PS, 1988: 16, S. 335-85; ders.: The Sinews of Power; s. a. Cain/Hopkins: British Imperialism, S. 7 Iff. 420 Siehe etwa Samuel Pepys: Tagebuch aus dem London des 17. Jahrhunderts (1660-69), hg. v. Η. Winter, Stg., 1988. 421 Siehe die Bemerkung von David Hume gegenüber Montesquieu im Brief Nr. 65, The Letters of David Hume, hg. v. J. Υ. Τ. Greig, 2 Vols., NY/London, 1983, Bd. I, S. 136. 422 Siehe die Abbildungen Nrn. 22ff. in: P. Langford: Walpole and the Robinocracy. 423 Siehe zur Frage der „Stärke" des Staates: M. Mann: The Autonomous Power of the State, AES, 1984: 25, S. 185-213; P. B. Evans et al. (Hg.): Bringing the State back in, Cambridge/Mass., 1985; P. Mathias: Concepts of Revolution in England and France in the Eighteenth Century, SECC, 1985: 14, S. 29-45; E. Kiser: The Formation of State Policy in Western European Absolutisms, PS, 1986/7; G. A. Almond: The Return of the State, APSR, 1988: 82, S. 853-74, sowie die Kritik von Ε. A. Nordlinger und Th. J. Lowi, S. 875-91; R. Lachmann: Elite Conflict and State Formation, ASR, 1989.

„ Court"

und„Country'

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of the early Stuarts and had continued in a different form in the acute Tory-Whig party struggles of 1689 to 1715"424. Die Gentry war im Verlaufe des 16. und 17. Jahrhunderts durch die relative Entmachtung des Hochadels, der Kirche, der Krone und kleiner Landwirte zur sozialstrukturell herrschenden Klasse aufgestiegen,425 und dies hatte eine relative Homogenität der gesellschaftlichen Führungsschichten erzeugt. Im 18. Jahrhundert geriet die „landed gentry" jedoch unter den Druck kommerzieller Modernisierung und reagierte darauf, indem sie sich als „country", im Gegensatz zum Modemisierungszentrum, zum „court", definierte. Der politische Gegensatz von „court" und „country"426 stammte aus den 1620ger Jahren, aus der beginnenden Auseinandersetzung um den Absolutismus der Stuarts427, er ging seit etwa 1680 in den Gegensatz von Whigs und Tories über428, löste sich jedoch nach der „Glorious Revolution" wieder davon429 und verfestigte sich, als die Whigs unter den ersten Hannoveranern, Georg I und Π, für lange Jahre die Regierung stellten; ihr bekanntester Repräsentant, Robert Walpole, regierte etwa 20 Jahre und prägte das System der „Kabinettsregierung"430. Diese „Court"-Whigs stellten nach Immanuel Wallerstein „a coalition of the larger landlords, the growing bureaucracy, and the merchant classes" dar, „as against a primarily „country party" of minor gentry, who were hostile to taxes, to a standing army, and to a „corrupt government",,431. Jedoch waren nicht alle Whigs Anhänger der Regierung, ebenso wenig, wie alle Anhänger der „Country"-Partei Tories waren432, denn im Gegensatz zu den „Court-Whigs" gab es sogenannte „Country-Whigs", „Real Whigs", „True Whigs" oder auch „Old Whigs", alles Bezeichnungen für eine nicht sehr starke, aber diskursiv einflußreiche politische Oppositionsströmung auf republikanischer Grundlage gegen die oligarchische und modernistische Politik des Zentrums433.

424 Wallerstein: Modern World System, Bd. II, S. 284ff., s. a. S. 113f. Vgl. die abweichende Bewertung von Langford: A Polite and Commercial People, S. 692ff. 425 Siehe schon David Hume: History of England, Bd. V, S. 134. 426 Siehe zum folgenden: Pocock: Machiavellian Moment, Kap. XII; Η. Τ. Dickinson: Liberty and Property, Teil 2. 427 David Hume: History of England, Bd. V, Note J, S. 556, s. a. S. 121; siehe L. Stone: Ursachen der englischen Revolution, S. 135ff.; M. Walzer: The Revolution of the Saints. A Study in the Origins of Radical Politics (1965), NY, 1972, S. 236ff.; R. Bendix: Könige oder Volk, Bd. II, Teil 2, S. 78, S. 95ff.; R. Ashton: Reformation and Revolution, S. 289ff. 428 D. Hume: History of England, Bd. VI, S. 381, konstatiert das erste Erscheinen dieser Parteinamen im Jahr 1680; siehe K. Kluxen: Die geistesgeschichtlichen Grundlagen des englischen Parlamentarismus, in: ders. (Hg.): Parlamentarismus; J. R. Jones: Country and Court, Kap. 9 u. 10, und die exzellente Übersicht John Pococks: The Varieties of Whiggism from Exclusion to Reform. A history of Ideology and Discourse, in: ders.: Virtue, Commerce, and History, S. 215-310. 429 Siehe J. R. Jones: Country and Court, Kap. 13. 430 Thomas Macaulay: Horace Walpole, in: Critical and Historical Essays, Bd. I, S. 346ff. Die Walpolesche Regierungszeit im Spiegel satirischer Grafik zeigt P. Langford: Walpole and the Robinocracy. 431 Modern World System, Bd. II, S. 247; s. a. Langford: A Polite and Commercial People, Kap. 2. 432 Siehe zur Parteienproblematik im 18. Jahrhundert P. D. G. Thomas: Party-Politics in EighteenthCentury Britain: Some Myths and a Touch of Reality, BJECS, 1987: 10, S. 201-10. 433 Siehe Charles Davenant: The true picture of a Modern Whig, in: The political and commercial Works, London, 1771, Bd. IV; R. Molesworth: Principles of a real Whig; C. Robbins: The Eighteenth Century Commonwealthman; M. Goldie: The Roots of True Whiggism, 1688-94, HPT, 1980: 1, S. 195-236; J. G. A. Pocock: The Varieties of Whiggism from Exclusion to Reform, in: ders.: Virtue, Commerce, and History; R. Ashcraft/M. M. Goldsmith: Locke, Revolution Principles, and the Formation of Whig Ideology, HJ, 1983: 26, S. 773-800.

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Kapitel 1: Das Problemfeld

Insoweit der politische Gegensatz von „Court" und „Country" auf der Kritik des Landes an der Zusammenballung sozialer und politischer Macht im Zentrum London beruhte, nahm er Momente des zivilisationsgeschichtlich alten Gegensatzes von Land und Stadt in sich auf 434 . Einhergehend mit der politischen Zentralisierung fand eine zunächst auf den Hof konzentrierte kulturelle Zentralisierung statt, die Teile der höheren Aristokratie für die Dauer der gesellschaftlichen „season" nach London zog, wo sie Stadtsitze unterhielt 435 . Dies war einer der Gründe für das Wachstum Londons von etwa 50. 000 Einwohnern um 1500 auf etwa 200. 000 Einwohner um 1600, auf über 500. 000 Einwohner um 1700 um nach 1800 die Millionengrenze zu überschreiten. In der größten Stadt Europas lebten um 1750 mehr als 10% der Engländer 436 . Aber der englische Sozialhistoriker Peter Laslett betont den Unterschied zu den kontinentaleuropäischen Stadtstaaten: „Our country had no city-states, like Italy: No Florence, no Venice, not even a Frankfurt-am-Main, or a Salzburg. Even London, for all its fantastic size, could not be called a civic site: it was then, as it has sadly continued to be, except in select areas and for a brief period under the Georges, a disorderly sprawl, as much of a haphazard muddle as any English rural village" 437 . London entwickelte sich somit zu einer Megalopolis, „an immense wilderness" (Tobias Smollett) 438 , die die Anonymität modernen großstädtischen Lebens erfahrbar machte. Aber auch außerhalb Londons erlebte England im 18. Jahrhundert eine einmalige Urbanisierungsbewegung, vor allem in den neuen Häfen und Zentren gewerblicher Produktion, wie Manchester, Liverpool, Birmingham, Leeds, Sheffield und Plymouth 439 . Wenn man die Grenze zwischen ländlicher und städtischer Siedlungsweise bei 2. 500 Einwohnern einer Ortschaft ansiedelt, dann wuchs der Anteil der städtischen Bevölkerung im Laufe des Jahrhunderts von unter 20 auf etwa 30% 440 . Und diese Urbanisierungsbewegung rief eine Modernisierungskritik hervor, die am statisch gedachten Leitbild ländlichen Lebens mit seiner überschaubaren Sozialstruktur vom „Squire" bis herab zum „Cottager" festhielt, das eine intakte Sittlichkeit verhieß 441 . „A man of rank and fortune", schrieb Adam Smith im Wealth of Nations, „is by his station the distinguished member of a great society, who attend to every part of his conduct, and who thereby oblige him to attend to every part of it himself... A man of low condition, on the contrary, is far from being a distinguished member of any great society. While he remains in a country village his conduct may be attended to, and he may be obliged to at-

434 Siehe zum sozialtheoretischen Hintergrund P. Saunders: Soziologie der Stadt, Ffm. /NY, 1987. Die Stadt schildert als Ort der Verderbnis etwa Cicero in seiner Rede fiir Sextus Roscius, in: Römisches Recht in einem Band, hg. v. L. Huchthausen, Berlin/Weimar, 4. Aufl., 1991, S. 323. 435 R. Bendix: Könige oder Volk, Bd. I, S. 303ff. 436 Siehe P. Laslett: The world we have lost, S. 55f.; E. A. Wrigley: A simple model of London's importance in changing English society and economy, 1650-1750, in: ders.: People, Cities and Wealth. The Transformation of Traditional Society, Oxford, 1987, S. 133f. Wrigleys Vergleichszahlen für Paris: 1600 - 400. 000; 1700 - 500. 000; 1800 - 550. 000, zeigen das bedeutend schwächere Wachstum von Paris, das während des 18. Jahrhunderts kaum mehr als 3% der französischen Bevölkerung aufnahm. 437 The World we have lost, S. 58f. 438 The Expedition of Humphry Clinker, S. 118, s. a. S. 121. 439 J. Brewer: The Sinews of Power, S. 180f.; P. Langford: A Polite and Commercial People, S. 417ff. 440 P. Langford: Public Life and the propertied Englishman, S. 446. 441 John Clelands: Die Memoiren der Fanny Hill (1749), Ffm., 1990, beginnt mit der Urbanen „Initiation" der vom Lande kommenden unbedarften, aber tugendhaften Heroine. Immerhin kann sich in diesem Roman die Heldin letzten Endes behaupten.

„Court"

und„Country"

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tend to it himself. In this situation, and in this situation only, he may have what is called a character to lose. But as soon as he comes into a great city, he is sunk in obscurity and darkness. His conduct is observed and attended to by nobody, and he is therefore very likely to neglect it himself, and to abandon himself to every sort of low profligacy and vice"442. Und aus dieser soziologischen Anwendung seiner „Spectator"-Theorie zieht Smith den Schluß eventuell wohltätiger Wirkung des vor allem durch den Methodismus443 belebten evangelischen Sektenwesens in den großen Städten, das dazu betragen könnte, die urbane Vereinzelung der Individuen aufzuheben444. Damit ist das Thema der Anonymität der modernen Großstadt geschaffen, die die traditionellen Vergesellschaftungsweisen außer Kraft setzt, die wesentlich auf alltäglicher Interaktion und Beobachtung beruhen und ihre vergesellschaftende Kraft nur entfalten können, wenn die Sozialbeziehungen eine gewisse Intensität und Dauer aufweisen. Im doppelten Gegensatz von Whigs/Tories und Court/Country kreuzen und überlagern sich politisch-programmatische mit soziokulturell fundierten Gegensätzen. Lord Bolingbroke, der langjährige Führer der Tory-Opposition gegen Walpole, erklärte den Gegensatz von Whigs und Tories für überholt, denn „nothing can be more ridiculous than to preserve the nominal division of Whig and Tory parties, which subsisted before the Revolution [1688], when the difference of principles, that could alone make the distinction real, exists no longer"445, und auch andere Autoren sahen den Gegensatz von Whigs und Tories verschwinden446. Bolingbroke war natürlich interessiert, seine Partei von dem Verdacht zu befreien, sie stelle das „Revolution-Settlement" in Frage447, aber gleichzeitig wollte er die Opposition gegen die Regierung bündeln448, und dazu eignete sich die Courtf/y-Rhetorik, in der die Tradition des antiabsolutistischen Freiheitskampfes aufbewahrt war, besser als die wenig zeitgemäße 7ory-Programmatik. Mittels der „Country"-Rhetorik ließ sich unter Umständen ein negatives Antiregierungsbündnis her-

442 WN, Bd. II, S. 795. 443 Siehe J. H. Plumb: England in the Eighteenth Century, Teil 2, Kap. 3; P. Langford: A Polite and Commercial People, Kap. 6; Ε. P. Thompson: The Making of the English Working Class, Kap. 3. 444 Analoge Kritik übte Louis Sebastien Mercier: Mein Bild von Paris (1788), Leipzig, 1979: „Politisch gesehen ist Paris zu groß: ein Wasserkopf, an dem der Staatskörper viel zu schwer zu tragen hat", S. 19; die moralische Gefahr jedoch entstehe daraus, daß „in dieser Riesenstadt sowieso niemand in der Lage wäre, den Lebenswandel dieser oder jener Person lückenlos zu verfolgen. Genügt doch schon ein simpler Quartierwechsel, um selbst den geschicktesten und neugierigsten Schnüffler aus dem Konzept zu bringen", S. 267f. 445 Lord Bolingbroke: Α Dissertation upon Parties, in: The Works of Lord Bolingbroke, in 4 Vols., London, 1844, Bd. II, repr., London, 1967, S. 168. Zur Parteientheorie Bolingbrokes im Kontext siehe W. Jäger: Politische Partei und parlamentarische Opposition; s. a. mit Bezug auf Bolingbroke: S. Landshut: Formen und Funktionen der parlamentarischen Opposition (1955), in: K. Kluxen (Hg.): Parlamentarismus, S. 401-9; zu seiner politischen Position: S. Varey: Hanover, Stuart, and the Patriot King, BJECS, 1983: 6, S. 163-72. Daniel Defoes Haltung zu den Parteien scheint Analogien zur Idee des „Patriot King" aufzuweisen, siehe: M. Schonhom: Defoe, Political Parties, and the Monarch, SECC, 1986: 15, S. 187-97. 446 Siehe etwa Ε. Burke: Thoughts on the cause of the present discontents (1770), in: ders.: Pre-Revolutionary Writings, S. 118; auch der Tory und Jacobite Charles Hornby erklärte, „It is folly now to talk of Whig or Tory. The Struggle is between the Court and Country", zitiert aus einer Schrift von 1723 bei J. A. W. Gunn: Beyond Liberty and Property, S. 147. 447 Siehe zum ideengeschichtlichen „Revolutionsbegriff': P. Mathias: Concepts of revolution in England and France in the eighteenth century, SECC, 1985: 14, S. 29-45. 448 Siehe Langford: A Polite and Commercial People, S. 27.

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Kapitel 1: Das Problemfeld

stellen, das vom konservativen Vxov'mz-Squire über den republikanischen „Old-Whig", der in seinen Revolutionserwartungen enttäuscht war, bis zum frustrierten modernen Whig reichte, der bei der Postenverteilung nicht bedacht worden war; dadurch erhielt diese Rhetorik eine spezifische Funktion als Oppositions-Ideologie449. Auch in den wesentlich durch John Trenchard inspirierten Cato's-Letters aus den 1720ger Jahren wird die Überholtheit des Gegensatzes von „Whigs" und „Tories" behauptet und der Gegensatz von Regierung und Opposition betont. „A Tory under oppression, or out of a place is a Whig", heißt es dort, und „a Whig with power to oppress, is a Tory"450. Auf diese Weise wurde die Furcht der Gentry vor der Machtanmaßung des politischen Zentrums wach gehalten451. Allerdings verstanden sich wesentliche Teile der „landed gentry" stets als Trägerschichten des Staates, als eigentliche politische Nation, so daß eine „Country"-Opposition nie radikal auftreten konnte. Das englische politische Regime inkorporierte somit den Widerspruch einer an Stärke gewinnenden politischen Zentrale, die jedoch administrativ und legitimatorisch auf die Provinz und die Gentry angewiesen war, während umgekehrt diese die Zentrale nur unvollkommen kontrollieren konnte. Zentrum und Peripherie, „Court" und „Country", waren daher aufeinander angewiesene, aber durchaus gegensätzliche Pole eines politischen Regimes, das sich nach außen, in der imperialen Erschließung der Welt, als außerordentlich erfolgreich erwies. Hume hat gerade diesen Gegensatz als politisch produktiv angesehen452, und John Brewer weist gegen die Annahme historischer Folgenlosigkeit der „Country"-Opposition darauf hin, daß ihre Wirksamkeit wesentlich dem sich entfaltenden englischen „fiscal-military state" eine bestimmte Struktur aufgezwungen hat453, die ihn eigentümlich von kontinentalen Staatsformen unterscheidet und als „liberal" ausweist: weitgehende dezentrale Selbstorganisation der Provinz, das Fehlen bedeutender Streitkräfte im Landesinnern, die stückweise Durchsetzung parlamentarischer Kontrollrechte gegenüber der Exekutive und eine zeitgenössisch wohl einzigartige Pressefreiheit. Auch wenn sich daher die „Country"-Rhetorik in erster Linie negativ aus dem Gegensatz

449 Siehe Η. T. Dickinson: Liberty and Property, Kap. 3-5. Nach John Pocock beginnen in dieser Zeit die Kategorien von „Old Whig and Tory... to penetrate one another", The varieties of Whiggism, in: ders.: Virtue, Commerce, and History, S. 232. 450 [J. Trenchard/T. Gordon:] Cato's Letters, repr., NY, Bd. II, No. 96, 29. 9. 1722, Original, Bd. Ill, S. 258, s.a. ibid., No. 69, 10.3.1722, Original, Bd. III, S. 3£f. Voltaire erklärte nach seinem England-Besuch, er sei „mit der festen Vorstellung gekommen, daß ein Whig ein stolzer Republikaner wäre, ein Feind des Königtums, und ein Tory Parteigänger des passiven Gehorsams. Aber ich habe gefunden, daß im Parlament nahezu alle Whigs fur den Hof und alle Tories gegen ihn waren", Philosophische Briefe, 25. Brief, Anhang, in: ders.: Streitschriften, hg. v. M. Fontius, Berlin, 1981, S. 182. 451 Eine literarische Gestaltung des anti-hannoveranischen Country-Ressentiments ist die Figur des Squire Western in Henry Fieldings „Tom Jones". „Country" meint hier übrigens nicht nur das flache Land, das parlamentarisch relativ schwach repäsentiert war: „Only 92 of the 513 English and Welsh MPs were elected for counties, at a time when the most generous estimate of the urban population would not have more than about 30% of English and Welshmen living in towns, and considerably less living in towns with parliamentary seats. This manifestly discriminated against the inhabitants of the countryside", Langford: Public Life and the Propertied Englishman, S. 187. 452 History of England, Bd. V, Note J, S. 556: „... the parties of court and country... which, while they often threaten the total dissolution of the government, are the real causes of its permanent life and vigour". 453 Sinews of Power, S. 155ff.

„ Country "-Themen

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zum politischen Zentralismus bestimmte, so bildete sie doch eine entscheidende diskursive Determinante. „Country"-Themen Die „Glorious Revolution" beseitigte staatsrechtlich zwar die Gefahr des Absolutismus 454 , aber nicht die des politischen Zentralismus durch „Corruption", wie im 18. Jahrhundert gesagt wurde 455 . Damit wurde vor allem auf die Manipulation der Repräsentativorgane, die die Exekutive kontrollieren sollten, durch die Exekutive selbst abgehoben, bewerkstelligt durch die Bindung von politischen Ämtern, staatlichen oder quasi-staatlichen Positionen, Privilegien und Pensionen an Wohlverhalten gegenüber der Regierung 456 . Derart korrupte Beziehungen wiederholten sich im Verhältnis der Abgeordneten und ihrer politischen Patrone zu den Wählern in den Wahlkreisen 457 , womit das im „Trust"-Begriff zusammengefaßte Beauftragungsverhältnis de facto außer Kraft gesetzt wurde und in Gefahr stand, in sein Gegenteil umzuschlagen: die Beauftragten kontrollieren die Auftraggeber 458 . „Patronage" war der zugehörige Begriff für soziale Beziehungen, die Abhängigkeiten auf der Basis ungleicher Reziprozitäten 459 , klientelistische Beziehungen, konstitutierten, in denen sich Korruption und soziale Autorität verschränkten. „Patronage" war derart ambivalent konnotiert, indem sie einerseits als legitime Ausübung sozialer Autorität, jenseits gewisser Grenzen jedoch als Korruption galt460. Wurde die traditionelle Patronage der Aristokratie zunehmend problematisiert, so war die durch die Exekutive qua Verfügung über Staatsressourcen ausgeübte Patronage461 für das „Country„-Lager schlichtweg Anathema. Seine programmatische Antwort zur Bindung des politischen Personals an die Wählerschaften bestand vor allem in den Forderungen kürzerer Parlamentsperioden - „annual" bzw. „triennial Parliaments", anstatt der durch Walpole eingeführten 7-jährigen Wahlperiode einer extensiven Anwendung des Rota-

454 L. G. Schwoerer: The Bill of Rights: Epitome of the Revolution of 1688-89, in: Pocock (Hg.): Three British Revolutions, S. 224-43. 455 „Corruption was the single most important political issue of the eighteenth century", P. Langford: A Polite and Commercial People, S. 716. 456 J. Priestley: The Present State of Liberty in Great Britain and her Colonies (1769), in: ders.: Political Writings, S. 137; ein interessanter Kommentar aus dem vergangenen Jahrhundert über die Funktionsweise des englischen Parlaments im 18. Jahrhundert ist W. Bagehot: The History of the unreformed Parliament, and its Lessons (1860), in: The Works and Life of Walter Bagehot, hg. v. R. Barrington, London, 1915, Bd. III, S. 222-71. 457 Siehe Η. Wellenreuther: Korruption und das Wesen der englischen Verfassung im 18. Jahrhundert, HZ, 1982: Bd. 234, S. 33-62; über Maßnahmen gegen die Korruption berichtet William Blackstone: Commentaries, Bd. I, S. 172ff. 458 Siehe zur modernen Diskussion über Repräsentation und ihre Degenerationsformen: Udo Bermbach: Repräsentation, imperatives Mandat und recall: Zur Frage der Demokratisierung im Parteienstaat, in: ders.: Demokratietheorie und politische Institutionen, S. 74-105. 459 Siehe den 2. bis 4. Aufsatz in: A. W. Gouldner: Reziprozität und Autonomie. Aufsätze, Ffin., 1984; das Konzept der „Reziprozität" ist wesentlich geprägt durch Karl Polanyi, siehe verschiedene Texte in: ders.: Ökonomie und Gesellschaft; weiterhin: V. Vanberg: Markt, Organisation und Reziprozität, in: K. Heinemann (Hg.): Soziologie wirtschaftlichen Handelns, S. 263-79. 460 P. Langford: Public Life and the Propertied Englishman, S. 552: „... corruption was the misuse of patronage, its perversion rather than its underlying principle". 461 R. Middleton: The Duke of Newcastle and the conduct of patronage during the seven-years war, 1757-1762, BJECS, 1989: 12, S. 175-86.

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Kapitel 1: Das Problemfeld

tionsprinzips auf politische Ämter und Positionen und des Ausschlusses von Staatsfunktionären vom Parlament 462 . Die Frage der politischen Korruption wurde besonders durch die seit Ende des 17. Jahrhunderts kriegsbedingt rasch wachsende Staatsverschuldung 463 virulent, die mit der Gründung der Bank of England und der Bildung eines regulären, leistungsfähigen Kapitalmarktes der Exekutive die Möglichkeit verschaffte, die während der Revolutionsperiode erreichte Finanzhoheit der Legislative kreditär zu unterlaufen 464 . Besondere politische Bedeutung erhielt diese Entwicklung durch die Entstehung eines eigenen sozioökonomischen Interessenblocks von Staatsgläubigern, die in ein Verhältnis wechselseitiger Abhängigkeit mit der Regierung gelangten, dadurch unter Umständen unangemessenen, nicht legitimierten und kontrollierten politischen Einfluß gewannen und insofern die traditionelle politische Stellung der „landed gentry" in Frage stellten: das sogenannte „monied interest". Die verbreitete Redeweise vom „monied" im Gegensatz zum „landed interest" drückt einen Aspekt des Gegensatzes von „Court,, und „Country,, aus und zeigt gleichzeitig das Vordringen durch wirtschaftliche Kategorien bestimmter politischer Weltanschauung im 18. Jahrhundert an. Dabei wurde weniger der Warenhandel, als vielmehr der Geld- und Kapitalmarkt kritisiert, der als Gegensatz zu tradierten Lebensformen mit moralisch korrumpierenden Wirkungen in Verbindung gebracht wurde 465 . Auch der durchaus handelsfreundliche Malachy Postlethwayt behauptete in seinem „Universal Dictionary of Trade and Commerce", die Staatsschuld und der Handel mit Staatsschuldtiteln habe „in a great degree, intailed immorality and idleness upon the people", denn er eröffnete „the iniquitous traffic of stock-jobbing, and introduced a spirit of gaming amongst all degrees of men" 466 . Die ungewöhnlich rasche Bereicherung von Finanzleuten verursachte besonderen Skandal467. Die auch für das bürgerliche Denken moralisch unakzeptable Seite dieser Erscheinung besteht in der Abkoppelung von Spekulationsgewinnen von jeglichem Kriterium von „Verdienst", selbst soweit es nicht auf „persönlichen Verdiensten", sondern auf Eigentum beruht. Das arbeitslose Einkommen

462 Siehe z. B.: J. Priestley: The Present State of Liberty, in: ders.: Political Writings, S. 139. 463 Siehe zur Ideengeschichte: K. Diehl/P. Mombert (Hg.): Das Staatsschuldenproblem, Ausgewählte Lesestücke zum Studium der politischen Ökonomie, Einf. v. R. Hickel, Firn. /Berlin/Wien, 1980. 464 Ein maßgeblicher „Country"-Text zu diesem Problemkreis ist: Lord Bolingbroke: Some reflections on the present state of the Nation, principally with regard to her taxes and her debts, and on the causes and consequences of them (1749), in: Works, hg. v. D. Mallet, 1754, repr., Hildesheim, 1968, Bd. III; s. a. Charles Davenant: An Essay upon the propable Methods of making a People Gainers in the Balance of Trade, Works, Bd. II, S. 285ff.; Malachy Postlethwayt: Universal Dictionary of Trade and Commerce, dort der Preliminary Discourse the First; W. Blackstone: Commentaries, Bd. IV, S. 434; s. a. die relevanten Abschnitte in J. Brewer: The Sinews of Power. 465 J. G. A. Pocock: Between Gog and Magog: The Republican Thesis and the Ideologie Americana, JH1, 1987: 48, S. 325-46, hier S. 340: „The critics of Whig Britain feared the „trading interest" less than the „monied interest", the artisan or merchant less than the financial speculator in the availability of capital; when they criticized „commercial society", it was for favoring the growth of the soldier, the stockjobber, the manipulative politician, though commercial society always found republican defenders who believed that these types could be assimilated or eliminated"; vgl. J. Brewer: The Sinews of Power, Kap. 4 und 7. 466 Μ. Postlethwayt: The Universal Dictionary of Trade and Commerce, Bd. II: Article: Monied Interest, or Monied Property. 467 Ibid.: „It is from this scandalous commerce, that numbers of these mere money-men have, in a few years, acquired millions among them".

, Country "-Themen

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auf der unteren Seite der Gesellschaft, der Bettel, und das eigentumslose Einkommen des „Stock-jobber" auf der oberen Seite, soweit auf Kredit spekuliert wird, die Profite aus der Makler-Position resultieren oder jedenfalls in gar keinem Verhältnis zum eingesetzten Kapital stehen, sind dem bürgerlichen Denken gleichermaßen skandalös. Seit den 1760ger Jahren trat als zweiter negativer Typus des Nouveau Riehe neben den „Stock-Jobber" der Nabob, Pejorativbezeichnung jener Engländer, die sich in der Verwaltung der indischen Kolonien bereichert hatten, später generell auf reiche Kolonisten gemünzt468. Die anfangs pauschale Kritik an Erscheinungen des entstehenden Kapitalmarktes schwächte sich im Laufe der Zeit ab und wurde differenzierter mit wachsender Einsicht in die Notwendigkeit eines leistungsfähigen Kapitalmarktes für die „Commercial Society"469. Und der Gegensatz verlor auch durch die zunehmende Einbeziehung der Gentry in den Mechanismus kreditärer Staatsfinanzierung und ihrer Gewinne an Schärfe470, welche in den Staatspapieren eine einfache, sichere, gewinnbringende und zudem noch „patriotische" Anlageform von Ersparnissen hatte. Es blieb jedoch ein Unbehagen an der Kontrolle und Regulierung des Staatskredits durch die Finanzleute in London471 und an der damit verbundenen möglichen unverhältnismäßigen politischen Einflußnahme 472 . Gestützt auf den Londoner Kreditmarkt konnte die Regierung ein (kleines) stehendes Heer unterhalten, das in der Restaurationszeit eingeführt worden war 473 und das die Republikaner als Freiheitsbedrohung denunzierten474. Während der Restaurationszeit war auch ein Milizsystem eingeführt worden, das die Republikaner nach der „Glorious Revolution" als Alternative zum Heer ausbauen wollten, das aber de facto durch Nichtgebrauch aufgegeben wurde. Der Ende des 17. Jahrhunderts über die Frage: Militia versus Standing Army ausgetragene „pamphlet-war" bestimmte für die nächsten hundert Jahre die Konfliktlinien dieser Auseinandersetzung475, in der es um die militärpolitische Absicherung der Suprematie des „Country" durch ein dezentral organisiertes Milizsystem ging476. Noch William Blackstone erklärte in seinen Commentaries on the Laws of England für „extremely dangerous [in a land of liberty] to make a distinct order of the profession of arms. In absolute monarchies this is necessary for the safety of the prince, 468 Η. V. Bowen: „The Pests of Human Society": Stockbrokers, Jobbers and Speculators in Mid-eighteenth-cent Britain, History, 1993: 78, S. 38-53; s. a. T. Smollett: Humphry Clinker, ζ. B. S. 65f.; Τ. B. Macaulay: Lord Clive, in: Critical and Historical Essays, Bd. I, S. 526f„ S. 537ff. 469 P. Langford: A Polite and Commercial People, S. 722. 470 P. Langford: Public Life and the Propertied Englishman, S. 308ff. 471 Charles Davenant erklärte, „that London at this time is no more the pulse of England, than it is the pulse of China; these seventeen millions [Staatsschulden] ... occasion this town to have a distinct interest from the rest of the nation", The true picture of a Modern Whig, Works, Bd. IV, S. 218; s. a. J. Brewer: The Sinews of Power, Kap. 4. 472 P. J. Cain/A. G. Hopkins: British Imperialism, S. 63, u. pass. 473 Hume: History of England, Bd. VI, S. 164. 474 Siehe bes. J. Trenchard/W. Moyle: An Argument, Shewing, that a Standing Army is inconsistent with a Free Government, and absolutely destructive to the Constitution of the English Monarchy (1697), Exeter, 1971; Punkt 6 der Bill of Rights, z.B. in: Ausserdeutsche Verfassungen, hg. v. R. Η. Tenbrock, Paderborn, Bd. I, 1961, S. 19. 475 J. R. Western: The English Militia in the Eighteenth Century. The Story of a Political Issue. 16601802, London/Toronto, 1965, S. 89ff. 476 „Part of the cherished myth of a militia was the integrity associated with the leadership of landed men", P. Langford: Public Life and the Propertied Englishman, S. 302.

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Kapitel 1: Das Problemfeld

and arises from the main principle of their constitution, which is that of governing by fear" 477 ; letzten Endes stand also nicht weniger als die „Freiheit" auf dem Spiel, und daher hatte diese Frage einen hohen ideologisch-symbolischen Stellenwert. 1757 wurde ein Gesetz zur Einfuhrung einer Miliz in England verabschiedet, das nach anfanglichen Schwierigkeiten auch durchgeführt wurde478. Dabei wurde die Alternative: Miliz oder „stehendes Heer", in ein Komplementärverhältnis überfuhrt, indem der Miliz die innere Sicherheit in Krisensituationen als Aufgabe zufiel479. Schottland blieb aus Furcht vor einer neuerlichen jakobitischen Erhebung ausgeklammert,480 und diese Ungleichbehandlung bildete den Hintergrund für Agitationsbewegungen für eine schottische Miliz in den Jahren um 1760 und während der Zeit der amerikanischen Revolution, an denen Mitglieder der schottischen Aufklärung wesentlichen Anteil nahmen481. Mit den Stichworten „Corruption", „Patronage", „Public Credit" und „Standing Army" sind zentrale Themen der „Country„-Kritik mit Erkennungswert im 18. Jahrhunderts bezeichnet. Der ideologische Erfolg dieser Themen führte dazu, daß auch die Regierungen sich ihrer annahmen, wodurch sie von ihrer distinktiven Kraft als Oppositionslosungen verloren. So wurde die „Country"-Losung des „Patriotismus" durch den C/fy-Politiker William Pitt appropriiert482 und wurde mit der Thronbesteigung Georgs ΠΙ 1760 zur Krondoktrin483. Mit dem Auftreten eines politischen Radikalismus, zunächst zentriert um die Person John Wilkes,,484, zerlegten sich die politischen Konfliktlinien dann aus dem doppelten Gegensatz von „Court,, und „Country,, sowie „Whigs" and „Tories" in eine neue Konstellation, in der die Oppositionsrolle des „Country„-Lagers in Frage gestellt war485. Resümee Konstituierend für die Moderne ist der Doppelprozeß der Individualisierung und der „Verstaatlichung", der die Vermittlung zwischen Individuen und Staat, die Rückbindung

477 Commentaries, Bd. I, Buch 1, Kap. 13, S. 395. 478 Western: The English Militia in the Eighteenth Century, S. 150ff. 479 Western: The English Militia, S. 182f.; R. B. Sher: Church and University in the Scottish Enlightenment. The Moderate Literati of Edinburgh, Edinburgh, 1985, Kap. 6, Anfang. 480 A. Carlyle: Anecdotes and Characters of the Times, hg. v. J. Kinsley, London etc., 1973, S. 204; J. R. Western: The English Militia, S. 164; P. Langford: A Polite and Commercial People, S. 334ff. 481 Siehe bes. Adam Ferguson: Reflections previous to the Establishment of a Militia, London, 1756; [Alexander Carlyle]: The Question relating to a Scots Militia considered. In a Letter to the Lords and Gentlemen who have concerted the Form of a Law for that Establishment. By a Freeholder, Edinburgh, 1760; siehe im ganzen J. Robertson: The Scottish Enlightenment and the Militia Issue, Edinburgh, 1985; sowie R. B. Sher: Church and University, S. 213-41. 482 Siehe zu Pitt: J. Η. Plumb: England in the Eighteenth Century, Teil 2, bes. Kap. 5. 483 Siehe J. Brewer: Party Ideology and Popular Politics at the Accession of George III, Cambr., 1976. 484 Siehe J. H. Plumb: England in the Eighteenth Century, Teil 2, Kap. 6 u. 8; J. Brewer: Party Ideology and Popular Politics, Teil 4; ders.: English Radicalism in the Age of George III, in: J. G. A. Pocock (Hg.): Three British Revolutions, S. 323-67; ders.: The Wilkites and the law, 1763-74: A study of radical notions of governance, in: ders./J. Styles (Hg.): An ungovernable People, S. 128-71; P. Langford: A Polite and Commercial People, Kap. 8. 485 Diese Konstellation diskutiert I. Kramnick: Republicanism and Bourgeois Radicalism, Kap. 7, fokussiert auf James Burgh als Übergangsfigur, der das republikanisiche „Country"-Denken der ersten Jahrhunderthälfte mit dem neuen Radikalismus verbindet.

Resümee

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der politischen Gewalt an die Individuen zum politischen Grundproblem der Legitimation macht. Individuen und Staat sind vermittelt durch: a) den Markt, der zur zentralen sozialen Institution wird, der jedoch einen anonymen Vergesellschaftungszusammenhang bildet und eine Ethik generiert, die die Individuen in eine doppelt bornierte Handlungsorientierung einsperrt: die apolitische Orientierung der Ökonomie und das tugendgereinigte Streben nach Anerkennung qua „conspicious consumption". Sekundär erfordert der Markt jedoch die Einigung der Teilnehmer auf mehr oder weniger allgemeine und dauerhafte institutionelle Regelungen unterhalb des levels staatlichen Zwangsrechts. Insofern begünstigt er die Bildung von Kommunikationsgemeinschaften, die unter Umständen politisch relevant werden können; b) die soziale Stratifikation, die, indem sie „organische soziale Autorität" generiert, sowohl den Prozeß der politischen Selbstorganisation der Gesellschaft unterstützt, als auch zur politischen Legitimation beiträgt, wenn nämlich „Natural Aristocracy" und politische Macht sich verschränken. In der Verbindung mit dem kommerziellen Ethos kann diese Verschränkung korrumpierende Wirkungen entfalten und den Gemeinwohlcharakter der Politik zerstören. Die moderne soziale Dynamik löst mit der Stabilität der Sozialstratifikation tendenziell auch deren politische Potenz auf; c) die Öffentlichkeit als jene soziale Sphäre, in der Meinungen und Argumente zirkulieren und sich zu Diskursen und Programmatiken verdichten, deren Gegensätze zueinander primäre, sekundäre, tertiäre usw. politische Frontverläufe generieren. Dieser Prozeß ist im System der Moderne legitimatorisch unverzichtbar und wird politisch sichtbar in: d) Parlament und Parteien als primäre Institutionen politischer Legitimationsbeschaffung. Die Parteien finden erst in der Moderne Anerkennung als regelrechte Bestandteile des politischen Systems, innerhalb dessen sie den Übergangsbereich von Staat und Gesellschaft bilden, auf komplexe Weise mit dem Sozialsystem vermittelt. Viele Engländer glaubten im 18. Jahrhundert an eine in die Vorzeit des „„Norman Conquest"486 zurückreichende Freiheit des „free-born Englishman"487, die ihren Ausdruck im Mythus der sogenannten „Ancient Constitution"488 fand, die durch die „Glorious Revolution" lediglich restituiert worden sei489. Diese „Freiheit" erschien im 18. Jahrhundert durch drei Prozesse bedroht: durch die Erosion der Bereitschaft zu politischem Engagement auf Seiten der Bürger, indem die kommerzielle Orientierung das Ethos der politischen Tugend, die Rolle490 des „Citizen" verdrängt, dagegen wurde der „Public Spirit" beschworen; zweitens durch den Prozeß der Zentralisation des politischen Systems; und drittens schließlich als Bedrohung der Funktionstüchtigkeit der Institutio486 Siehe Ch. Hill: The Norman Yoke, in: ders.: Puritanism and Revolution, S. 58-125. 487 Siehe satirisch: Daniel Defoe: The True-born Englishman. Α Satyr, in: Selected Writings; fur die Persistenz dieser Rhetorik siehe Ε. P. Thompson: Making of the English Working Class, Kap. 4. 488 Siehe zur Vorgeschichte Pocock: The Ancient Constitution and the Feudal Law; W. Klein: The ancient constitution revisited, in: Ν. Phillipson/Q. Skinner (Hg.): Political Discourse, S. 23-44. 489 William Blackstone piaziert diese Wiedergewinnung vor den Hintergrund der Feudalverfassung, Commentaries, Bd. IV, S. 413. 490 Siehe zum Rollenbegriff R. Dahrendorf: Homo sociologicus, in: ders.: Pfade aus Utopia. Arbeiten zur Theorie und Methode der Soziologie (1955-67), München/Zürich, 4. Aufl., 1986, S. 128-94; M. Sader: Rollentheorie, in: HB der Psychologie, in 12 Bänden, hg. v. K. Gottschaidt et al., 7. Bd.: Sozialpsychologie, 1. Halbband: Theorien und Methoden, hg. v. C. F. Graumann, Göttingen etc., 2. Aufl., 1975, Kap. 6, S. 204-31; Lexikon zur Soziologie, hg. v. W. Fuchs et al., Opladen, 2. Aufl., 1988, S. 65Iff.

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Kapitel 1: Das Problemfeld

nen, die die Superiorität des Bürgerwillens gegenüber der Exekutive sichern sollen - in erster Linie das Parlament -, durch die politische Zentrale. Alle drei Probleme bilden einen Begründungszusammenhang: die Macht der Zentrale erzeugt ihre Fähigkeit, die Kontrolle durch das Repräsentativorgan auszuschalten, was nur durchkreuzt werden könnte, wenn die Bürger selbst ihre Repräsentanten kontrollieren, was sie jedoch nicht machen werden, wenn ihre lebensweltliche Orientierung durch den Wirtschaftsprozeß absorbiert ist. Dieser Wirkungszusammenhang kann an seinen zwei Enden außer Kraft gesetzt werden: Entweder man schafft Institutionen, die gewährleisten, daß der Zentrale die Macht entzogen wird, mit der sie die Funktion der Repräsentativorgane unterläuft, oder es gelingt die Begründung einer politischen Kultur, in der die moderne kommerzielle Orientierung der Bürger mit der notwendigen politischen Gemeinwohlorientierung kompatibel wird. Beide Wege schlossen sich schon deshalb nicht aus, weil auch die Wirksamkeit von staatsbegrenzenden Institutionen letzten Endes von der potentiellen Wirksamkeit einer unterstützenden politischen Kultur abhängt, die sich derart als Basismoment der politischen Republik erweist. In der Gentry als selbstbewußter sozialer Trägerschicht des englischen Staates bündelt sich der Gegensatz ökonomisch-privater und politisch-gemeinschaftsbezogener ethischer Orientierungen, da sie einerseits durch (Land-) Eigentum definiert ist und andererseits zu ihrem Selbstverständnis wesentlich auch die Ausübung politischer Herrschaftsfunktionen zählt, eine Kombination, die zusammen erst jenes spezifische kulturelle Muster des „Gentleman" als zivilisatorisches Ideal ergibt.

Kapitel 2: Die Diskursstruktur

Ich habe verschiedentlich von politischen „Diskursen" gesprochen und will hier die Diskursstruktur im Zusammenhang aufzeigen 1 . Was sind „Diskurse"? Einerseits, und in einem allgemeineren, eingebürgerten Sinne bezeichne ich alle möglichen fortlaufenden Diskussionssituationen als „Diskurse". Ich nehme jedoch auch einen spezielleren Disk ursbegriff in Anspruch, der dem ideengeschichtlichen Ansatz von Quentin Skinner und John Pocock folgt 2 . Ein „Diskurs" ist demnach eine andauernde soziale Kommunikation, die mittels einer bestimmte Rhetorik oder Sprache betrieben wird, die den begrifflichen Rahmen für eine bestimmte soziale Weltinterpretation abgibt: der Diskurs. Der Diskurs und die Rhetorik sind durch einen bestimmten Kreis von Problemstellungen und eine Reihe weithin nicht-thematischer Vorannahmen charakterisiert. Ein Diskurs „lebt" dadurch, daß Individuen sich der jeweiligen Rhetorik bedienen und sie damit als möglichen, vitalen Begriffsrahmen für Weltinterpretation konfirmieren. Gleichwohl geht kein Diskurs in den einzelnen Verwendungen auf, sondern stellt ein gedanklich jenseits dieser liegendes, inhärent pluralistisches, lediglich idealtypisch zu rekonstruierendes Begriffssystem dar3. Teilnehmer einer Sprachgemeinschaft können verschiedene Diskurse unterscheiden, die ihnen zum Gebrauch, unter Umständen zur Kombination, offenstehen. Allerdings werden sie nicht beliebig in Zeit und Raum zwischen diesen Diskursen wechseln

1 Siehe als Überblick J. G. A. Pocock: Transformations in British Political Thought, PSc, 1988. 2 Siehe die Aufsätze 2-5 von Quentin Skinner in: James Tully (Hg.): Meaning and context. Quentin Skinner and his Critics, Cambridge/Oxford, 1988, Teil 2, S. 29-118; ders.: Foundations, Bd. I, Preface; J. H. Tully: The pen is a mighty sword: Quentin Skinner's analysis of politics, BJPS, 1983: 13, S. 489509; J. G. A. Pocock: Machiavellian Moment, Teil 1; die ersten beiden Texte in ders.: Virtue, Commerce, and History; ders.: The concept of a language and the metier d'Historien: some considerations on practice, in: A. Pagden (Hg.): The Languages of Political Theory, S. 19-40; siehe kritisch den 4., 11. u. 13. Aufsatz in J. Appleby: Liberalism and Republicanism; weiterhin: I. Hampsher-Monk: Political languages in time - the work of J. G. A. Pocock, BJPS, 1984: 14, S. 89-116; D.Boucher: Language, politics and paradigms: Pocock and the study of political thought, Polity, 1984/5: 17, S. 76176; C. J. Nederman: Quentin Skinner's state: historical method and traditions of discourse, CJPS, 1985: 18, S. 339-52; H. Rosa: Ideengeschichte und Gesellschaftstheorie: Der Beitrag der „Cambridge School" zur Metatheorie, PVS, 1994: 35, S. 197-223; Alasdair Maclntyre spricht in einem verwandten Sinne von „Traditionen", Whose Justice? Which Rationality?, und davor in: After Virtue, Kap. 15; s. a. den Sammelband von D. LaCapra/St. L. Kaplan (Hg.): Geschichte denken. Neubestimmungen und Perspektiven moderner europäischer Geistesgeschichte (1982), Fftn., 1988. 3 Strukturanalog ist die Unterscheidung der strukturalistischen Sprachwissenschaft zwischen langue und parole, siehe: E. Cassirer: Versuch über den Menschen. Einfuhrung in eine Philosophie der Kultur (1944), Ffin., 1990, S. 191; J. G. A. Pocock: The concept of a language and the metier d'historien, in: A. Pagden (Hg.): The Languages of Political Theory, S. 20, s. a. die Einfuhrung von Pagden. Alle „Problematisierung und alles Argumentieren oder Erkennen" sei, schreibt Bernhard Peters, „auf symbolische Voraussetzungen angewiesen, die jeweils nicht thematisiert werden. Das gilt nicht nur fur substantielle Vorannahmen, sondern auch fur Begriffssysteme, in denen sie formuliert werden", Die Integration moderner Gesellschaften, S. 263.

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Kapitel 2: Die Diskursstruktur

können, wenn sie externe (anderen gegenüber) und interne (sich selbst gegenüber) Kohärenz wahren wollen. Es gibt Rhetoriken mit so begrenztem Interpretationsanspruch, daß sie nicht als vollentwickelte Diskurse aufgefaßt werden können. Die verschiedenen Diskurse stehen generell nicht einfach beziehungslos nebeneinander, sondern bilden einen Verweisungszusammenhang, der Konkurrenz, Verdrängung, Überlagerung oder Synthese ausdrückt. Im Hintergrund der in Genesis und Geltung kontextabhängigen Diskursstrukturen finden gesellschaftliche Auseinandersetzungen statt, die im Medium der Prädominanz von Sozialinterpretationen ausgetragen werden. Die Diskursstruktur drückt also sozialideologische Kräfteverhältnisse aus4, und generell sind die Diskurse umkämpftes Terrain, vor allem hinsichtlich der Auf-, Ab- oder Umwertung zentraler Begriffe 5 . Damit ist ausgesagt, daß Diskurse sich entwickeln und soziale Prozesse sensibel anzeigen. Dabei gibt es Spielraum fur Diskursanpassungen innerhalb eines bestimmten Rahmens, der jedoch bei übermäßiger Ausdehnung brüchig wird und zerfallt, wobei die Zerfallsprodukte eventuell zu Baumaterialien neuer Diskurse verarbeitet werden. Der naturrechtliche Bruch Über den Liberalismus, als zentrale politische Philosophie der Neuzeit, wird anhaltend diskutiert6. Grundlegende liberale Ideen sind in Vorformen für die Antike nachweisbar,

4 Louis Althusser hat von einem neomarxistischen Standpunkt aus das Thema des „Klassenkampfes in der Theorie" entwickelt, siehe ders.: Für Marx, Ffm., 1974, dort bes. deutlich das Interview im Anhang, S. 210, und s.a. ders. IE. Balibar: Das Kapital lesen (1968), Reinbek, 2 Bde., 1972; kritisch: Ε. P. Thompson: Das Elend der Theorie. Zur Produktion geschichtlicher Erfahrung (1978), Ffin. /NY, 1980. 5 M. Foucault: Die Ordnung des Diskurses, Ffin., 1991, S. 11: „... der Diskurs... ist nicht bloß das, was die Kämpfe oder die Systeme der Beherrschung in Sprache übersetzt: er ist dasjenige, worum und womit man kämpft; er ist die Macht, der man sich zu bemächtigen sucht"; s. a. M. Poster: Die Zukunft nach Foucault: Archäologie des Wissens und Geistesgeschichte, in: LaCapra/Kaplan (Hg.): Geschichte denken, S. 143-59. Der Foucaultsche Diskursbegriff ist jedoch für meine Zwecke zu unspezifisch, ebenso wie der Habermassche, siehe etwa ders.: Vorlesungen zu einer sprachtheoretischen Grundlegung der Soziologie, in: Vorstudien und Ergänzungen zur Theorie des kommunikativen Handelns, S. 114f.; dazu: U. Tietz: Faktizität, Geltung und Demokratie. Bemerkungen zu Habermas' Diskurstheorie der Wahrheit und der Nonnenbegründung, DZP, 1993: 41, S. 333-42; eine marxistisch inspirierte Variante von Diskurstheorie bieten: S. Bowles/H. Gintis: Democracy and Capitalism, bes. Kap. 6. 6 Neuere Aufsätze sind: K. Homann: Markt, Staat und Freiheit im Liberalismus, JBNPÖ, 1983: 2, S. 32550; L. M. Preston: Freedom and Authority: Beyond the Precepts of Liberalism, APSR, 1983: 77, S. 66674; E. R. Gill: Property and liberal goals, JP, 1983: 45, S. 675-95; A. P. Hamlin: Procedural individualism and outcome liberalism, Scott. JPE, 1983: 30, S. 251-63; S. D. Pollack: Whither Liberalism?, Review-article, Polity, 1984/85: 17, S. 192-200; G. Kirsch: Wie frivol sind Liberale? der Verfassungskonsens zwischen Liberalität und Moral, JBNPÖ, 1985: 4, S. 3-34; D. C. Paris: The „Theoretical Mystique": Neutrality, Plurality, and the Defense of Liberalism, AJPS, 1987: 31, S. 909-39; S. Mulhall: The theoretical Foundations of Liberalism, AES, 1987: 28, S. 269-95; W. A. Galston: Liberal Virtues, APSR, 1988: 82, S. 1277-89; R. Bellamy: Defining Liberalism: Neutralist, Ethical or Political?, ARSP, 1989: 75, BH 36, S. 23-43; St. Guest: Neutrality as the basis for liberalism - a response to Bellamy, ibid., S. 44-50; M. Canovan: On being economical with the Truth: some liberal reflections, PSt, 1990: 38, S. 5-19; R. Grafstein: Missing the Archimedean Point: Liberalism's institutional presuppositions, APSR, 1990: 84; J. . Christman: Liberalism and individual positive freedom, Ethics, 1990/1: 101, S. 34359; W. A. Galston: On liberalism, Review-essay, Polity, 1990/1: 23, S. 319-31; H. Brandt: Forschungsbericht: Zu einigen Liberalismusdeutungen der siebziger und achtziger Jahre, GG, 1991: 17, S. 512-30; M. Moore: Liberalism and the Ideal of the Good Life, RP, 1991: 53, S. 672-90; D. Beetham: Liberal

Der naturrechtliche Bruch

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in einem modernen Kontext jedoch seit dem 17. Jahrhunderts entwickelt worden 7 , gleichwohl hat sich erst nach der Französischen Revolution ein selbstbewußter liberaler Diskurs in Abgrenzung zu reaktionärem und frühsozialistischem Denken verdichtet, mit zunächst weniger scharfer Abgrenzung zu konservativen und demokratischen Ideen, an denen sich das liberale Denken reibt und befruchtet. In den Liberalismus sind Elemente verschiedener vorgängiger Diskurse in mehr oder weniger umgearbeiteter Form eingegangen: des politischen Denkens des Protestantismus, des neuzeitlichen Naturrechts, Elemente des republikanischen Denkens oder sogenannten Civic Humanism sowie des radikalen und frühdemokratisichen Denkens 8 . Da ich die Zeit vor dem Abschluß dieser liberalen Synthese behandele, stellt sich der Erfolg des liberalen Denkens als eine grundlegende Schwierigkeit dar, da er fast unvermeidlich zur Folge hat, die vorliberalen Diskurse reduktionistisch unter dem Gesichtspunkt des selektiven Eingangs in das spätere liberale Denken zu betrachen. Diese Arbeit soll einen Beitrag leisten, diese Reduktion ein Stück weit rückgängig zu machen, denn auch die perennierenden Probleme des Liberalismus sind nur adäquat zu bearbeiten, wenn von einer richtigen Bestimmung der in ihn eingegangenen Materialien ausgegangen wird: das Vorliberale im Liberalismus. Man kann die Auffassung vertreten, das neuzeitliche soziale und politische Denken beginne mit dem Protestantismus 9 , der mit der über Jahrhunderte die Kultur und Identität Westeuropas tragenden supranationalen Makroinstitution „katholischen Kirche" bricht und mit seiner Betonung der Glaubensinnerlichkeit den modernen Subjektivismus anbahnt. Gleichzeitig ist der Protestantismus aber eine rückwärtsgewandte spirituelle Erneuerungsbewegung genuin religiöser Weltauslegung, weithin verbunden mit einer Verstärkung des Offenbarungsglaubens. Diese Bewegung wird zur ausgreifenden Laienbewegung und durchdringt, jedenfalls intentional, stärker als die katholische Lebensform den Alltag. Die Aufhebung einer berufsmäßigen Kaste religiöser Vermittler zwischen Gott und den Laien sowie der Trennung der Sakralsphäre von der Profansphäre ist wohl jenes Moment des Protestantismus, das spezifisch auf die Moderne weist, wie Max

Democracy and the Limits of Democratization, Pst, 1992: 40, Special Issue: Prospects for Democracy, S. 40-53; Β. Parekh: The Cultural Particularity of Liberal Democracy, ibid., S. 160-75. 7 Siehe D. Zaret: Religion and the Rise of liberal-democratic Ideology in seventeenth-century-England, ASR, 1989; G. L. Cheny: Early English Liberalism. 8 Verbindungslinien vom Whig-Denken des 18. Jahrhunderts zum Liberalismus des 19. Jahrhunderts zeigt J. W. Burrow auf: Whigs and Liberais. 9 Siehe zur Politik des Protestantismus, fur Schottland: John Knox: On Rebellion, hg. v. R. A. Mason, Cambridge, 1994; i. ü. V. Η. H. Green: Luther and the reformation (1964), London, 1974; Μ. Walzer: Revolution of the Saints; Q. Skinner: Foundations, Bd. II; Udo Bermbach: Widerstandsrecht, Souveränität, Kirche und Staat: Frankreich und Spanien im 16. Jahrhundert, in: Fetscher/Münkler (Hg.): Pipers HB der politischen Ideen, Bd. III, Kap. III; ders.: Zum Institutionenverständnis in der Zeit der Reformation, in: ders.: Demokratietheorie und politische Institutionen, S. 168-91; R. M. Kingdon: John Calvins contribution to representative government, in: Ph. Mack/M. C. Jacob (Hg.): Politics and Culture in Early Modern Europe, S. 183-98; Ch. Taylor: Sources of the Self. The Making of the Modern Identity, Cambridge/Mass., 1989, Kap. 13; Mark Goldie zeigt protestantische Motive bei James Harrington auf: The civil religion of James Harrington, in: A. Pagden (Hg.): The Languages of Political Theory, S. 197-222. Reflektionen über die Bedeutung der Reformation fur die Moderne in Deutschland finden sich bei W. Dilthey: Auffassung und Analyse des Menschen im 15. und 16. Jahrhundert, in: ders.: Aufsätze zur Philosophie, hg. v. M.Marquardt, Hanau, 1986, und in Helmuth Plessners Klassiker: Die verspätete Nation. Über die politische Verführbarkeit bürgerlichen Geistes (1935), Ffm., 4. Aufl., 1992, Kap. 3-5.

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Kapitel 2: Die Diskursstruktur

Weber paradigmatisch an der Verweltlichung der religiösen Askese gezeigt hat10. In England scheitert der Protestantismus als politisches Programm während des Interregnums11, bleibt aber als Inspirationsquelle des Aufklärungsdeismus12 und als rhetorische Tradition im 18. Jahrhundert wirksam13 und wird durch „dissenting communities" weitergeführt und durch „rational dissenter" wie Priestley und Price in modernes politische Denken umgeformt, das politisch in den Radikalismus mündet14. Der Methodismus allerdings, die avancierte Form des Protestantismus im 18. Jahrhundert, ist politisch nicht eindeutig zuzuordnen, wenn auch eine inklusive Tendenz unverkennbar ist15. Der Durchbruch zum neuzeitlichen politischen Denken kommt mit dem modernen Naturrecht16 und seiner Wende zur minimalistischen Negativität im Bereich der Ethik. Die in der Antike, im christlichen Denken und im Denken der Renaissance existierenden Vorstellungen über das „gute Leben", die das Denken im ganzen orientierten, auch wenn sekundär gesetzt war, daß diese ideale Lebensform für die Masse der Menschen nicht erreichbar sei, bestimmten doch auch den Wert der „minderen" Lebensformen, die durch die Gültigkeit des Ideals zu „defizitären" wurden. Mit dieser Struktur bricht das moderne Naturrecht, indem es an Stelle des „guten Lebens" die Bestimmung der Minimalbedingungen des Lebens in Gesellschaft in den Vordergrund rückt, wobei die Gerechtigkeit zur Basisnorm wird und das Recht an die Stelle der Tugend tritt17. Soziologischer Hintergrund ist natürlich der Prozeß gesellschaftlicher Differenzierung, der zur Abstraktion der konsensualen Grundlagen der Vergesellschaftung zwingt. Zweitens führt das moderne Naturrecht den im Protestantismus angelegten Individualismus auf säkularer Grundlage fort, was ideengeschichtlich eine methodisch neuartige Abstraktion des Denkens über Gesellschaft bedeutet. Das Denken der italienischen Renaissance etwa ist „konkretes Denken", das Individuen stets in sozialen Einbindung denkt, als Mitglied einer Familie, einer Sippe, einer Korporation, eines Stadtviertels, einer Stadt. In der Politik der Stadt spielten daher herausragende Familien eine Rolle und daneben soziologische Gruppen und Aggregate: die Adligen („gentiluomini"), Optimaten („grandi", „ottimati"), die reichen Bürger („popolo grasso"), einfache Leute („popolo minuto") und „plebe", wobei die politischen Institutionen auf die sozioökonomische Struktur reflektierten und je nach der Machtverteilung ein „governo largo" oder - meist -

10 Siehe: Die protestantische Ethik, hg. v. J. Winckelmann, Gütersloh, Bd. I, 7. Aufl., 1984, Bd. II, 4. Aufl., 1982; dazu: P. Rossi: Vom Historismus zur historischen Sozialwissenschaft. Heidelberger Max-Weber-Vorlesungen 1985, Ffin., 1987, S. 93ff. Siehe für eine abweichende sozialgeschichtliche Deutung des Protestantismus im Rahmen der frühen Neuzeit R. H. Tawney: Religion and the rise of capitalism. A historical study (1926), Harmondsworth, 1984. 11 D. Hirst: The failure of godly rule in the English republic, PP, 1991: No. 132, S. 33-66. 12 Siehe Μ. C. Jacob: The crisis of the European mind: Hazard revisited, in: P. Mack/M. C. Jacob (Hg.): Politics and Culture in Early Modern Europe, S. 251-71. 13 Siehe bes. Μ. Μ. Goldsmith: Liberty, luxury and the pursuit of happiness, in: A. Pagden (Hg.): The Languages of Political Theory. 14 Erhellend hierüber: I. Kramnick: Republicanism and Bourgeois Radicalism. 15 Siehe Ε. P. Thompson: The Making of the English Working Class, S. 41 ff. 16 Die Modernität des neuzeitlichen Naturrechts betont Richard Tuck: Natural Rights Theories; ders.: The „modern" theory of natural law, in: A. Pagden (Hg.): The Languages of Political Theory, S. 99-119; s. a. H. Münkler: Naturrecht und Vergesellschaftung, ARSP, 1984: 70, S. 255-66 17 Siehe Η. Reiner: Die Hauptgrundlagen der fundamentalen Normen des Naturrechts, ARSP, 1983: 69, 5. 1-12.

„ Bürgerhumanismus"

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ein „goverao stretto" bildeten18. Das moderne Naturrecht reduziert diese soziale Formenvielfalt theoretisch auf ihre einfachsten Grundelemente: die Individuen19 resp. die Familien20, ein gedankliches Verfahren „sozialen Atomismus" (oder, nach der Sprachregelung der „Kritischen Theorie", sozialtheoretischer „Monadologie"21), das der naturwissenschaftlich-methodischen Reduktion der sinnlichen Vielfalt der natürlichen Welt auf qualitätslos „Dinge", Kraftimpulse, entspricht. Und der Akt abstrahierender Auflösung der sozialen Welt wird dann komplettiert durch ihre konstruktive Neuzusammensetzung, die aber, gedanklich von den überkommenen Strukturen emanzipiert, eine durchaus neue geistige Wirklichkeit ergibt, die, ausgestattet mit normativen Ansprüchen subjektiver, universalisierter Rechte, der gegebenen Sozialität eventuell kritisch gegenübertritt. Die Sprache dieses Diskurses ist juridisch; er modelliert soziale Beziehungen nach dem Vorbild des Vertrages; Verpflichtungen basieren grundsätzlich auf Selbstverpflichtungen22. „Bürgerhumanismus" Im 17. Jahrhundert, von Grotius bis Locke, steigt das moderne Naturrecht zum beherrschenden sozialphilosophischen Paradigma auf, wird jedoch im 18. Jahrhundert relativiert, mit vorgängigen Diskursen synthetisiert und in empirischer Richtung transformiert. Zentrales Motiv der Sozialtheorie des 18. Jahrhunderts ist die Überwindung der Abstraktheit naturrechtlichen Denkens und die Annäherung an gesellschaftliche Realitäten23. Geschlossene theoretische Entwürfe gelten in England als „visionary" oder „speculative", und vor dem Hintergrund dieser antirationalistischen Mentalität wird auch die Vertragstheorie kritisiert und, wo nicht direkt zurückgewiesen, auf den Status einer methodischen Fiktion reduziert sowie generell seiner egalitären Konsequenzen entkleidet24; sie bleibt am lebendigsten in den Reihen der „rational dissenter" und wird durch das Auftreten der radikalen Bewegung belebt, in welcher „Lockean ideas made a dramatic and decisive comeback..." 25 . Josiah Tucker, Geistlicher und politischer Ökonom, identifizierte den Zusammenhang von Locke mit den Radikalen und lieferte um 1780 eine der schärfsten Kritiken der politischen Vertragstheorie26, mit der er zur konservativen Wende der britischen Politik in den 1780ger Jahren überleitet. 18 Siehe Pocock: Machiavellian Moment, Teil 2, pass.; Q. Skinner: Foundations, Bd. I, pass.; P. Burke: Die Renaissance, S. 266, S. 275, S. 280, u. pass. 19 D. Bell: Die kulturellen Widersprüche des Kapitalismus (1976), Ffin. /NY, 1991, S. 25. 20 Kritisch C. Pateman: The Fraternal Social Contract, in: Keane (Hg.): Civil Society and the State, S. 101-28. 21 Siehe ζ. Β. M. Horkheimer: Zur Kritik der instrumentellen Vernunft, Kap. 4, S. 133. 22 Im 17. und noch im 18. Jahrhundert gehen in das Sozialvertragsdenken Momente des puritanischen „Covenant" ein, der eine überaus starke Bindung symbolisiert, da er vor und mit Gott geschlossen wird, siehe M. Walzer: The Revolution of the Saints, S. 166ff.; Q. Skinner: Foundations, Bd. II, S. 235ff. 23 Bernhard Groethuysen spricht vom „differenzierten Denken" des 18. Jahrhunderts: Philosophie der Französischen Revolution (1956), Ffin. /NY, 1989, Kap. II, Titel. 24 Vor der Überbewertung der Vertragstheorie warnt Η. T. Dickinson: Liberty and Property, etwa S. 61 f. 25 I. Kramnick: Republicanism and Bourgeois Radicalism, S. 172, und ff.; s. a. R. Ashcraft: The radical dimensions of Locke's political thought: a dialogic essay on some problems of interpretation, HPT, 1992: 13, S. 703-72. 26 A Treatise concerning Civil Governemnt (1781), repr., NY, 1967; vgl. Pocock: Josiah Tucker on Burke, Locke and Price, A Study in the varieties of eighteenth-century conservatism, in: ders.: Virtue, Commerce, and History, S. 157-91

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Kapitel 2: Die Diskursstruktur

Aus der Ernüchterung über den Rationalismus bot sich ein Rückgriff auf das durch die Renaissance an die Neuzeit vermittelte und umgearbeitete antike republikanische Denken an, das als konkretes Denken Jahrhunderte abendländischer politischer Geschichte und kollektiver Lernprozesse zusammenfaßte27. Als besonders erfolgreiches Beispiel republikanischer Organisation galt die Republik Venedig, die jedoch im 18. Jahrhundert, parallel zu ihrem realpolitischen Niedergang, auch wegen ihrer aristokratischen Erstarrung kritisiert wurde28. Dieses von Hans Baron und John Pocock als „Civic Humanism", als „Bürgerhumanismus" bezeichnete Denken ist charakteristisch Gleichgewichtsdenken, auf zwei Ebenen: einer quasi-soziologischen und einer institutionellen, die jedoch meist eng verknüpft waren. So ist es etwa außerordentlich schwierig, die Bedeutung der Gewaltenteilung bei Montesquieu, der deutlich stärker als Locke „zivilhumanistisch" beeinflußt ist, auf ihren soziologischen oder institutionellen Aspekt zu reduzieren, da Montesquieu auf beiden Ebenen Machtgleichgewichte ins Auge faßt, die Äquivalente füreinander sind und sich wechselseitig stützen. Grundlegend ist das traditionelle Schema der drei Grundformen politischer Herrschaft durch Einen (Monarch) Einige (Aristokratie/Oligarchie) - Alle (Volk), denen im Rahmen der präferierten „gemischten Verfassung" das Königsamt, eine Pairskammer und die Volksversammlung (eventuell durch Repräsentanten) entsprechen. Die „gemischte Verfassung" soll die Vorzüge dieser Institutionen vereinen: Schnelligkeit und Entschiedenheit des Entscheidens und Handelns durch das Königsamt, ideale Beratung durch die Pairskammer, eventuell verstärkt durch erfahrene „eider statesmen", und schließlich a) Repräsentation aller wesentlichen Interessen, und b) Abstimmung über die Beratungsalternativen der Pairs und Personalalternativen für die politischen Spitzenämter durch die Volksversammlung, die ansonsten als zu groß und tumultuarisch vorgestellt wird29. Diese Idee der „gemischten Verfassung", die Blackstone für das 18. Jahrhundert repräsentativ formulierte30, konnte sich in England durchsetzen, seitdem, angestoßen durch Charles I „Answer to the 19 Propositions"31 von 1642, die Krone staatsrechtlich als einer der drei „estates" interpretiert wurde, der mit den Lords und den Commons grundsätzlich auf einer Ebene steht, während vorher die Lords Spiritual als erster Stand galten und der König über den Ständen stand32, ablesbar an Sir John Fortescues Formel vom Dominium Politicum et Regale33. So wird im 18. Jahrhundert am politischen „Zivilhumanismus" angeknüpft, um Zusammenhang und Übergänge soziologischer und politisch-institutioneller Strukturen zu denken. Und während aus der Naturrechtstradition die liberale Idee der Abtrennung der Politik von der

27 „The republican tradition which the eighteenth century inherited and made fruitful sometimes had a classical colouring. More often it was born from a direct experience, and one not so distant in time. It was a root which came to life again after the age of absolutism and the restorations of the sixteenth and seventeenth centuries", F. Venturi: Utopia and Reform in the Enlightenment, S. 18. 28 Siehe ζ. Β. Hume: Essays, S. 24, S. 275; fur Montesquieu: D. W. Carrithers: Not so virtuous republics: Montesquieu, Venice, and the theory of aristocratic republicanism, JH1,1991: 52, S. 245-68. 29 Siehe z.B. A. Sidney: Discourses concerning Government, Kap. 3, Abschn. 37. 30 Siehe: Commentaries, Bd. I, Buch 1, Kap. 2. 31 In D. Wootton (Hg.): Divine Right and Democracy, S. 171ff. 32 Siehe J. A. W. Gunn: The Fourth Estate, in: ders.: Beyond Liberty and Property. 33 Siehe Η. G. Koenigsberger: Dominium Regale or Dominium Politicum et Regale. Monarchies and Parliaments in Early Modern Europe, in: ders.: Politicians and Virtuosi. Essays in Early Modern History, London/Ronceverte, 1986, S. 1-25; s.a. M. Mendle: Parliamentary sovereignty: a very English absolutism, in: N. Phillipson/Q. Skinner (Hg.): Political Discourse, S. 97-119.

Bürgerhumanismus"

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Ökonomie herauswächst, wird im republikanischen Denken ein „Primat der Politik" tradiert, der sich am deutlichsten an dem noch im 18. Jahrhundert propagierten römisch-republikanischen Programm eines sogenannten „Agrargesetzes" zeigt, das die Vermögensdifferenzierung durch die Festlegung von Obergrenzen innerhalb einer gewissen Bandbreite halten und dadurch eine breite sozialstrukturelle Basis ökonomisch unabhängiger Eigentümer für die Republik sichern soll. Während das Naturrecht beansprucht, die Gesellschaftskonstitution ab ovo neu zu denken, setzt der „civic humanism" Gesellschaft voraus und geht von einem historischen Prozeß des Einspielens soziologisch-institutioneller Balancen aus, der eventuell durch negatives Lernen, durch leidvolle Erfahrung, angetrieben wird. Die historisch erreichten Gleichgewichte sollten nicht leichtfertig, aufgrund von „abstract reasoning" und „visionary schemes", in Frage gestellt werden. Dieses Denken ist daher inhärent konservativ und verbindet sich in England mit einer bestimmten Interpretation des „Common Law". Es gibt in diesem Diskurs jedoch auch den Topos des Neubeginns35, entweder als ursprüngliche Gründung, die mythisch tradiert wird, oder als Reaktion auf die Degeneration bzw. „corruptio" des politischen Körpers von einem gesunden in einen pathologischen Zustand, der eine gesteigerte Tugendanstrengung der Bürger erheischt, um zu den ursprünglichen Gründungsprinzipien zurückzukehren: Renovatio36. Der „Civic Humanism" apologesiert daher nicht einfach die spontane soziopolitische Evolution, sondern er bindet den politischen Prozeß an die Kontrollinstanz der gemeinwohlorientierten Urteilskraft der Bürger, die sich in vielfältigen Formen öffentlicher Beteiligung äußert. Besonders Pocock hat die zentrale Position politischer Tugend in der Ethik des „Civic Humanism" betont. Ein Bürger, und d.h. eigentlich: ein vollwertiger Mensch, ist demnach nur jemand, der aktiv am politischen Leben des Gemeinwesens teilnimmt. Und im Zentrum dieser Rhetorik politischen Engagements steht das Konzept des popolo armato, das auf zugespitzte Weise die Idee kollektiver politischer Autonomie ausdrückt. Mit seinem Buch von 1975 über das „Machiavellian Moment", das die Persistenz des Civic Humanism von den italienischen Stadtrepubliken der Renaissance bis in die Gründungsphase der USA hinein zeigte37, hat Pocock die Möglichkeit eröffnet, was vorher als Residuen antiken Denkens, als antikisierendes Ornament, wahrgenommen worden war, 34 Verbunden vor allem mit den Namen der Brüder Tiberius und Caius Gracchus; siehe für die Frühgeschichte: T. Livius: Die Anfänge Roms. Römische Geschichte I-V, München, 1991, 2. Buch, Kap. 414, 3. Buch, Kap. 1; über die Gracchen: A. Heuß: Das Zeitalter der Revolution, in: G. Mann/A. Heuß (Hg.): Propyläen Weltgeschichte. Eine Universalgeschichte, 4. Bd., Berlin/Firn., 1963, S. 185-96; einen Hinweis im Kontext des Frühsozialismus gibt Claude Mosse: Die Ursprünge des Sozialismus im klassischen Altertum, in: Geschichte des Sozialismus, hg. v. J. Droz, Bd. I, Ffin. /Berlin/Wien, 1974, Kap. 2, S. lOlf. 35 Ein klassischer Text über den politischen Neubeginn ist Hannah Arendts: On Revolution (1963), Harmondsworth, 1984; siehe dazu: B. Honig: Declarations of independence: Arendt and Derrida on the problem of founding a republic, APSR, 1991: 85, S. 97-113. 36 Montesquieu: Esprit, Bd. I, Buch 5, Kap. 7, S. 175: „Dans le cours d'un long gouvemement, on va au mal par une pente insensible, et on ne remonte au bien que par un effort". 37 Kritisch dazu I. Kramnick: Republicanism and Bourgeois Radicalism, bes. Kap. 1 und 6, der dem „Civic Humanism" lediglich Bedeutung fur die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts zumißt, während er seit den 176oger Jahren eine Dominanz des von ihm so genannten „bürgerlichen Radikalismus" sieht, der protestantisch und von Locke beeinflußt ist. Ich werde zeigen, daß der „Zivilhumanismus" noch in die Texte der schottischen Aufklärung eingeht und ich teile, darüber hinaus, Pococks Auffassung, daß auch die nordamerikanische Verfassungsdebatte wesentlich zivilhumanistisch geeprägt ist.

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Kapitel 2: Die

Diskursstruktur

als ein eigenständiges politisches Paradigma zu identifizieren, das allerdings im 18. Jahrhundert in Auflösung begriffen war und in neue Synthesen einging. Drei Gründe vor allem sprachen für den Rückgriff auf Elemente des Zivilhumanismus. Erstens bot er die Möglichkeit, über das Naturrecht hinausgehend die komplexe Strukturiertheit und Gewordenheit der Gesellschaft zu thematisieren, zweitens bot er die Möglichkeit einer jenseits des Christentums angesiedelten Annäherung an die Frage der politischen Bindung der Bürger, die als kulturell abgestützte stärker ist als die rationalistische des naturrechtlichen Staatsvertrages, und drittens bot er institutionelle Lösungen für politische Grundfragen an: die Trennung beratender von entscheidenden und ausführenden Organen, die Idee der wechselseitigen Machtbegrenzung verschiedner Organe, das Rotationsprinzip, und anderes. Franco Venturi hat die These vorgetragen, der Republikanismus des 18. Jahrhunderts sei eher als „Lebensform" zu verstehen, als ethisches Modell, denn als politisch-institutionelle Programmatik38. Tatsächlich waren die Stadtrepubliken im 17. und 18. Jahrhundert gegenüber den Territorialmonarchien politisch in der Defensive, und es gehörte zu den gesicherten Grundsätzen des politischen Denkens, daß die politische Form der Republik nur in sehr kleinen Staaten stabil sei. Vor diesem Hintergrund trat der implizite moralphilosophische Gehalt der republikanischen Tradition unter Betonimg der antiken - v.a. römisch-stoischen - Quellen stärker hervor39. Venturis These beschreibt insofern jene Tendenz des 18. Jahrhunderts, die mit dem gesteigerten kulturellen Bedarf des „Tugendrepublikanismus" in Verbindung gebracht werden kann, der im Modus der klassisch-republikanischen Rhetorik lebt. Aber daneben wurde auch mit politisch-institutionellen Elementen der republikanischen Tradition experimentiert, und in der Form der „Repräsentation" glaubte das späte 18. Jahrhundert die Lösung für die Schwierigkeit republikanischer Organisation in Flächenstaaten gefunden zu haben40. Die Adaption der politischen Republik an die Erfordernisse des internationalen modernen Handels und der Machtkonkurrenz der modernen Territorialstaaten bildete einen Grund des Stolzes der amerikanischen Verfassungsväter41. 38 F. Venturi: Utopia and Reform in the Enlightenment, Kap. 3, S. 70f.: „Certainly a republican morale existed when the forms of state organization which had embodied it seemed antique and decaying ruins... It is this ethical aspect of the republican tradition which appealed to the writers of the enlightenment". 39 Als den wichtigsten Initiator dieser Wende im republikanischen Denken sieht Venturi Shaftesbury an; vgl. C. Robbins: Eighteenth century Commonwealthman, Kap. 4. 40 Siehe bes. J. Madison et al.: The Federalist Papers, bes. Nr. XIV (Madison); Α. Ferguson: Principles, Bd. II, S. 468. Noch 1776 zeigte sich Adam Ferguson skeptisch: Remarks on a Pamphlet lately published by Dr. Price, intitled, Observations on the Nature of Civil Liberty, London, 1776, S. 23. 41 Siehe zum politischen Denken in Nordamerika im späten 18. Jahrhundert: W. P. Adams: Republikanische Verfassung und bürgerliche Freiheit; 1. G. A. Pocock: Machiavellian Moment, Kap. XV; ders.: The Politics of Extent and the Problem of Freedom, Colorado Springs, 1988; ders.: Between Gog and Magog: The Republican Thesis and the Ideologia Americana, JHI, 1987; ders.: Introductory paper: Enlightenment and Revolution: The case of English-speaking North America, SVEC, 1989: 263, S. 249-61; H. Vorländer: Auf der Suche nach den moralischen Ressourcen Amerikas. Republikanischer Revisionismus und liberale Tradition der USA, NPL, 1988: 33, S. 226-51; J. C. Lamberti: Montesquieu in America, AES, 1991: 32, S. 197-210; P. Nolte: Ideen und Interessen in der amerikanischen Revolution. Eine Zwischenbilanz der Forschung 1968-1988, GG, 1991: 17, S. 114-40; ders.: Die amerikanische Revolution als Bruch des gesellschaftlichen Bewußtseins. Politischer, ökonomischer und soziokultureller Mentalitätswandel von 1750 bis 1800, ZHF, 1991: 18, S. 425-60; H. G. Koenigsberger: Zusammengesetzte Staaten, Repräsentatiwersammlungen und der Amerikanische

Die Rhetorik der „ Interests "

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Die Rhetorik der „Interests" Aus dem protosoziologischen Denken des „Zivilhumanismus" erwächst die Rhetorik der „Interests", die zu den prägenden ideologischen Komponenten des politischen Denkens im 18. Jahrhundert zählt. Spielten bereits in Aristoteles,, „Politik" Fragen der Vermögensverteilung und ihrer Korrespondenz mit der politischen Macht eine wichtige Rolle 42 , so bezog später der „Civic Humanism" Tatsachen der Soziaistratifikation in die Ausgestaltung institutioneller Überlegungen ein. Die Humanisten dachten etwa über Möglichkeiten der Stabilisierung der Sozialstruktur als Basis der Politik nach, und sie erblickten im Erbadel das ideale Rekrutierungsfeld des politischen Führungspersonals 43 , während Harrington im 17. Jahrhundert an die Tradition des „Agrargesetzes" anknüpfte, um die Vermögensverteilung im ganzen auf einem mittleren, ausgeglichenen Niveau zu halten, die die stabile Basis einer agrarisch fundierten Republik sein sollte. Damit erwies er sich als Anhänger des „Primats der Politik", der dem Grundsatz „power follows property" 44 folgend auf die Selbststabilisierung des politischen Regimes qua politischer Regulation der Eigentumsverhältnisse hinauslief. Diese Tradition wurde im 18. Jahrhundert fruchtbar gemacht. Das Rechnen mit aggregierten sozialen Interessenlagen ist dem zivilhumanistischen Denken im Gegensatz zum Naturrechtsdenken inhärent. Beide Diskurse tragen zur Entstehung der politischen Ökonomie bei, aber auf verschiedenen Gebieten: Während das am Problem der Gerechtigkeit orientierte Naturrecht das Nachdenken über Wert- und Preisprobleme inspirierte 45 , führte der ideengeschichtliche Weg vom „Civic Humanism" zur Soziologie und zur praktischen Politik. Und in der merkantilistischen Literatur 46 spielten weniger abstrakt-normative Wertfragen eine Rolle, als Fragen der Legitimierung kommerzieller Berufszweige und Fragen der Interessenvermittlung zwischen Handel, Manufaktur und Landwirtschaft sowie Fragen des Umbaus älterer ständischer Organisationsformen in Formen der neuen kommerziellen Gesellschaft. Damit gewann die ältere Idee, die Krone müsse sich durch alle relevanten gesellschaftlichen Gruppen beraten lassen - Dominium politicum et regale - eine neue, dynamische Bedeutung, die sich insbesondere an der Intensität zeigt, mit der im 18. Jahrhundert über das „monied interest", in dem sich das Vordringen des Marktes und der „Geldökonomie" reflektiert, und seinen Platz in der Politie diskutiert wurde. Erst mit Beginn des 19. Jahrhunderts emanzipierte sich die politische Ökonomie aus dem interpretativen Rahmen vorgegebener Diskurse und wurde durch Ricardo und seine Generation klassisch formuliert 47 . Pocock geht daher

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Unabhängigkeitskrieg, ZHF, 1991: 18, S. 399-423; J. E. Crowley: Commerce and the Philadelphia Constitution: Neo-Mercantilism in Federalist and Anti-Federalist Political Economy, HPT, 1992: 13, S. 73-97; R. J. Ellis: Radical Lockeanism in American political culture, WPQ, 1992: 45, S. 825-49. Aristoteles: Politik, bes. Buch 4 und 5. Siehe Birger P. Priddat: Die politische Wissenschaft von Reichtum und Menschen, ARSP, 1989: 75, S. 171-95; ders.: Die politische Struktur der aristotelischen Ökonomie, PVS, 1989: 30, S. 395-419. Siehe Q. Skinner: Foundations, Bd. I, S. 236ff. Siehe meinen Aufsatz: „Power follows Property", Α ES, 1993. Siehe J. A. Schumpeter: Geschichte der ökonomischen Analyse, Bd. I, Teil II, Kap. 2. Siehe die a. a. O. angeführten Texte von Heckscher, Blaich und W. Hofmann, sowie Schumpeter: Geschichte der ökonomischen Analyse, Bd. I, Teil 2, Kap. 7; R. Zech: Die Merkantilisten, in: Fetscher/Münkler (Hg.): Pipers HB der politischen Ideen, Bd. III. D. Ricardo: Über die Grundsätze der Politischen Ökonomie und der Besteuerung, hg. v. P. Thal, Berlin, 2. Aufl., 1979; Schumpeter: Geschichte der ökonomischen Analyse, Bd. I, läßt den „klassischen

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Kapitel 2: Die Diskursstruktur

meiner Ansicht nach zu weit, wenn er den „rapidly developing style of political economy" zum „dominant mode of Augustan political thought" erklärt48. Denn wenn auch mit dem beginnenden 18. Jahrhundert erstmals ökonomische Themen in den Vordergrund der politischen Diskussion rückten, wurden diese doch nicht im Rahmen eines Paradigmas der politischen Ökonomie diskutiert, das zu dieser Zeit noch nicht existierte, eine Schwierigkeit, die Pocock mit der Formel überbrückt, „that the first chapter in the history of political economy is also a further chapter in the continuing history of civic humanism". Aber richtig ist, daß insbesondere die Rhetorik der „Interests" ein Brükkenglied zwischen dem soziopolitischen Balance-Denken des „Civic Humanism" und der politischen Ökonomie bildet. Dabei handelt es sich nicht um theoretische Spezialbegriffe, sondern um eine geläufige Sprache, die wesentlich zur Identitätsbildung der Gesellschaft beitrug. In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts stand der Konflikt von „landed interest" und „monied interest" im Zentrum der Aufmerksamkeit, während sich die Rhetorik der „Interests" zum Ende des Jahrhunderts hin verallgemeinerte und damit an Kontur verlor49. Dennoch blieb nach Paul Langford der „play of interests... at the centre of politics, and there was a sense in which parliamentary politics consisted of little else"50. Und noch die amerikanischen Federalists definierten die Einarbeitung korporativer Interessenlagen als eine Hauptaufgabe der Politik, wenn sie feststellten, „A landed interest, a manufacturing interest, a mercantile interest, a moneyed interest, with many lesser interests grow up of necessity in civilized nations, and divide them into different classes, actuated by different sentiments and views. The regulation of these various and interfering interests forms the principal task of modern legislation and involves the spirit of party and faction in the necessary and ordinary operations of government"51. Der entscheidende Unterschied dieser Rhetorik zum sozialistischen Klassendenken des 19. Jahrhunderts liegt darin, daß die Rhetorik der Interests wesentlich sektionale Differenzen bezeichnet, die die Gesellschaft vertikal spalten, während die Klassenanalyse von verallgemeinerten horizontalen Spaltungen ausgeht52. Ist realhistorisch auch deutlich, daß auch die Interests intern horizontal gespalten sind, das „landed interest" etwa in

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Moment" der Nationalökonomie in die 1790ger Jahre fallen und nennt T. R. Malthus': Essay on the Principle of Population (1798), Harmondsworth, 1982, als Auftakt, S. 475. Aber dieser Text ist inhaltlich keinesfalls eine systematische Exposition ökonomischer Theorie. Machiavellian Moment, S. 426, auch das folgende. P. Langford: Public Life and the Propertied Englishman, S. 305ff. P. Langford: A Polite and Commercial People, S. 654f. J. Madison et al.: The Federalist Papers, Nr. X (J. Madison), S. 124. Willi Paul Adams stellt heraus, daß diese Aussage „lediglich eine der öffentlichen Diskussion [Nordamerikas] seit über einem Jahrzehnt zugrunde liegende Einsicht [artikulierte]", Republikanische Verfassung, S. 291. Siehe H. U. Wehler (Hg.): Klassen in der europäischen Sozialgeschichte, Göttingen, 1979; W. G. Roy: Class Conflict and Social Change in Historical Perspective, ARS, 1984: 10, S. 483-506; S. Wallech: „Class versus Rank": The transformation of eighteenth Century English Social Terms and Theories of Production, JH1, 1986: 47, S. 409-31; R. Lachmann: Class formation without class struggle: an elite conflict theory of the transition to capitalism, ASR, 1989: 54, S. 398-413; zur Theorie: Ν. Poulantzas: Politische Macht und gesellschaftliche Klassen (1968), Ffin., 2. Aufl., 1975; A.Giddens: Die Klassenstruktur fortgeschrittener Gesellschaften (1973), Ffin., 1979; J.Elster: Drei Kritiken am Klassenbegriff, Prokla, 1985: 15, Nr. 58, S. 63-83; W. Spohn: Klassentheorie und Sozialgeschichte, Prokla, 1985: 15, Nr. 61, S. 126-38; E. O. Wright: The Comparative Project on Class Structure and Class Consciousness: An Overview, AS, 1989: 32, S. 3-22; M. Teschner: Was ist Klassenanalyse? Über Klassenverhältnis, Ausbeutung und Macht, Leviathan, 1989: 17, S. 1-14.

„ Politeness " und,, Civil Society"

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Grundeigentümer, Farmer/Pächter und Landarbeiter53, so bleibt doch festzustellen, daß die ideologisch prägenden Konfliktlinien im 18. Jahrhundert sektional verliefen54. Der moderne „Pluralismus" ist begrifflich meist auf das Zusammenspiel politischer Parteien verengt55, aber in seiner Ideengeschichte56 und in seinen Vorannahmen57 lebt die Tradition der Vorstellung von Gesellschaft als Zusammenwirken hochaggregierter Interessenaggregationen weiter und neuere Theorien des modernen oder Neo-Korporatismus knüpfen begrifflich offen an vormodernen Traditionen an58. „Politeness" und „Civil Society" Die in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts in Frankreich begonnene Querelle entre les andern et les modernes59 hatte ein Echo in England60. Während die Anhänger der Antike die Auffassung vertraten, die antike Klassik sei unüberholbar und alle moderne Kulturentwicklung im Kern Ausdruck der Degeneration einer alt gewordenen Welt, glaubten die Vertreter der Moderne, daß genuin neue, weiterführende literarische Entwicklungen möglich seien. Damit wird, nach den Anfangen in Mittelalter und Renaissance, das Thema der Möglichkeit des Fortschritts und der europäischen Moderne eröffnet, die hier ihren bis heute anhaltenden Prozeß der Selbstreflektion beginnt61. In England mündet diese Diskussion in den aus der Restaurationszeit stammenden Diskurs der Politeness62, der durch den dritten Earl of Shaftesbury63, Joseph Addison64, Richard 53 P. Langford: Public Life and the Propertied Englishman, S. 326fr., S. 374f. 54 Auf der Suche nach „Klassen" durch diese Ideologie hindurch hat Edward P. Thompson die paradoxe Formel: Die englische Gesellschaft im 18. Jahrhundert: Klassenkampf ohne Klasse? (1978), gefunden, in: ders.: Plebeische Kultur und moralische Ökonomie. 55 So W. Steffani: Pluralistische Demokratie. Studien zur Theorie und Praxis, Opladen, 1980. 56 Siehe etwa E. Fraenkel: Reformismus und Pluralismus. 57 Siehe etwa R. P. Wolff: Jenseits der Toleranz (1965), in: ders. et al.: Kritik der reinen Toleranz, Ffin., 7. Aufl., 1970, S. 7-59; ders.: Das Elend des Liberalismus (1968), Ffin., 1969. 58 U. v. Alemann (Hg.): Neokorporatismus; auch H. Willke: Ironie des Staates. Grundlinien einer Staatstheorie polyzentrischer Gesellschaft, Ffin., 1992, denkt wesentlich „korporatistisch"; eine neue Variante von „Pluralismus" bietet: M. Walzer: Spheres of Justice; siehe zu Walzer: A. Honneth: Universalismus und kulturelle Differenz. Zu Michael Walzers Modell der Gesellschaftskritik, Merkur, 1991: 45, S. 1049-54; H. Buchstein/R. Schmalz-Bruns: Gerechtigkeit als Demokratie - Zur politischen Philosophie von Michael Walzer, PVS, 1992: 33, S. 375-98; J. Cohen: Kommunitarismus und universeller Standpunkt, DZP, 1993: 41, S. 1009-19; B. Rössler: Kommunitaristische Sehnsucht und liberale Rechte. Zu Michael Walzers politischer Theorie der Gesellschaft, ibid., S. 1035-48. 59 Siehe B. Le Bovier de Fontenelle: Exkurs über die Alten und die Modernen (1688), in: ders.: Philosophische Neuigkeiten für Leute von Welt und fur Gelehrte. ASchr., Leipzig, 1991; H. U. Gumbrecht: Artikel: Modern, Modernität, Moderne, in: GG-Lexikon, Bd. IV, Stg., 1978, S. 100; für den Kontext: P. Hazard: Die Krise des europäischen Geistes. 60 Siehe den satirischen Kommentar von J. Swift: Ausfuhrlicher und wahrhaftiger Bericht über die Schlacht zwischen den alten und den modernen Büchern, ausgefochten am vergangenen Freitag in der Königlichen Bibliothek (1704), in: AW, Bd. I, hg. v. A. Schlösser, Ffin., 1982. 61 Ich lege hier keinen sehr spezifischen Begriff der ,,Modeme" zugrunde, der ja in dieser Zeit erst entsteht, s. H. U. Gumbrecht: Modern, Modernität, Moderne, im GG-Lexikon, Bd. IV, S. 101 ff. 62 Siehe Samuel Johnsons Dictionary of the English Language, Vol. II, Artikel: to polish, polish, polishable, polisher, polite, politely, politeness; P. Langford: A Polite and Commercial People, Kap. 3; J. G. A. Pocock: The varieties of Whiggism, in: ders.: Virtue, Commerce, and History, S. 236ff. 63 A. Earl of Shaftesbury: Der gesellige Enthusiast; L. E. Klein: Shaftesbury, politeness and the politics of religion, in: N. Phillipson/Q. Skinner (Hg.): Political Discourse in Early Modern Britain, S. 283-301. 64 Addison's Essays from the Spectator, with explanatory Notes, London etc., o. J.

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Steele und andere geprägt wird. Die Wurzeln der „Politeness" liegen in der höfischen Kultur der Renaissance, die sich in England im Laufe des 17. Jahrhunderts verallgemeinert. Im frühen 18. Jahrhundert hat die „Politeness" ihre Konnotationen mit dem Hof abgestreift, bleibt aber einem Urbanen oder suburbanen 65 Millieu verbunden. Seine bevorzugte literarische Stilform ist der Essay, in dem einem gehobenen lesenden Publikum im ganzen Land eine Varietät von unterhaltenden und belehrenden Materien in leichter Form dargeboten wird 66 . Damit wird eigentlich erst jenes allgemeine lesende Publikum geschaffen, mit dem als Hintergrund und gleichsam „Resonanzboden" der Öffentlichkeit in den sozialen Kommunikationen gerechnet werden kann 67 . „Addison and Steele", schreibt Nicholas Phillipson, „had written for an audience of men and women of rank, property and position in local and national life, who were preoccupied with questions of social role, personal conduct and private happiness in an increasingly complex, commercially orientated society. How was one to achieve virtue and happiness in the turbulent world of courtiers, fops, pedants and speculators? Addison and Steele answered that it was to be found in the private world of family and close friends, not in the public world of affairs. It was only in a sociable but private world that one could hope to avoid the bufferings of fortune and acquire a sense of moral stability and a sense of ego" 68 . Damit wird jedoch nicht dem Rückzug aus dem öffentlichen Leben das Wort geredet, sondern der Abtrennung eines privaten „Schutzraumes", dessen Sicherheit dem Individuum die Fähigkeit zum Handeln im und zur Anpassung an den gesellschaftlichen Verkehr verleihen soll. Es soll die Fähigkeit erwerben, sich in rasch wechselnden, heterogenen sozialen Kontexten sicher zu bewegen, und soll dazu ein Urteilsvermögen über die Angemessenheit von Verhalten und Expressivität ausbilden, das sich besonders in der Begegnung mit Kulturerzeugnissen bewährt - im „guten Geschmack" -, das jedoch in einer stark ausgeprägten und individuell sicher verankerten sozialen Moral wurzelt. Die zeitgenössische Ästhetik neigt zur Parallelisierung von ästhetischem und moralischem Urteil, die gleichermaßen antirationalistisch aufgefaßt werden. Politeness stellt im ganzen daher eine Verbindung von Moral, als Prinzipienorientierung, Takt im Verhalten („propriety" und „good manners") und „gutem Geschmack" („taste") dar. Dieser Diskurs ist modern, insofern er sich auf das Selbstverständnis der modernen, bürgerlichen, aufgeklärten „guten Gesellschaft" bezieht, die sich wesentlich durch kulturelle Normen und Verhaltensstandards definiert und gegenüber der plebs distinguiert69; er vermeidet die Niederungen politischen, gar parteipolitischen, Streits, der inartikuliert bleibt und daher die Einheit der „guten Gesellschaft" nicht gefährdet. Dennoch lassen sich verschiedene Akzentuierungen politischer Orientierung in ihm ausmachen. Shaftes-

65 John Pocock besteht auf dem Unterschied zwischen diesem „leisured urban environment spreading west from the old centres of Westminster and London as the result of the growth of the parliamentary aristocracy and the rentier classes" und dem „ferociously expanding London (...) of Defoe, Hogarth, and Fielding". Ersteres „is the setting in which gentleman and merchant meet to learn politeness... ", The varieties of Whiggism, in: ders.: Virtue, Commerce, and History, S. 237. 66 Siehe Humes Of Essay-Writing, Essays. 67 J. Habermas: Strukturwandel der Öffentlichkeit, S. 76ff. 68 N. Phillipson: Hume as Moralist: a Social Historian's Perspective, in: S. C. Brown (Hg.): Philosophers of the Enlightenment, Brighton, 1979, S. 140-61, hier S. 141. 69 Siehe A. Smith: TMS, S. 54f. Edward Thompson untersucht diesen Gegensatz „von unten": Patrizische Gesellschaft, plebeische Kultur (1974), in: ders.: Plebeische Kultur und moralische Ökonomie, S. 168202.

„ Politeness " und „ Civil Society"

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bury, der eine altgriechisch inspirierte Ästhetik popularisierte, stand politisch mit einer Reihe von „Commonwealthmen" in Verbindung und erscheint als Schlüsselfigur einer Ästhetisierung des Civic Humanism, der sich den Innovationen der Moderne öffnet 70 . Demgegenüber optierten Addison und Steele deutlich für die Modernisierungspolitik der regierenden Whigs. Beide Strömungen treffen sich in der Gegnerschaft gegen gesellschaftliche Rückständigkeit, kulturelle Grobschlächtigkeit und religiösen „enthusiasm", womit sie nicht nur protestantischen Fundamentalismus meinen, sondern auch „High Church"-Tendenzen. Im Laufe des 18. Jahrhunderts setzt sich die Politeness als hegemoniale Norm durch, wird damit unspezifisch und verbindet sich mit dem Begriff der Civil Society zur „civilized society" in der Akzentuierung von Modernität und elaborierten Lebensformen 71 . Die Rede von der „civil society" leitete sich ursprünglich von der lateinischen Bezeichnung für die antiken politischen Gemeinwesen („societas civilis") her und wurde durch die italienische Renaissance erneuert („societa civile" 72 ), wobei sicher der Gegensatz der städtischen Hochkulturen der kulturell fuhrenden Schichten der italienischen Stadtstaaten zur spätfeudalen Kriegerkultur in Europa mitgemeint war. In England transformiert sich die Bedeutung dieses Ausdrucks, indem die „civil society" einerseits - und allgemeiner - eine politisch organisierte Gesellschaft im Gegensatz zum vorpolitischen Naturzustand meint und andererseits die Gesellschaft der Privatleute gegenüber dem Hof, der Politik, dem Staat bezeichnet. In der Verbindung mit politeness nimmt der Begriff auch eine Abgrenzung zu den als kulturlos vorgestellten plebejischen Schichten auf und konvergiert daher mit der „guten Gesellschaft". Civil society, civilized society, polite society und polished society bilden also aneinandergelagerte Bedeutungsvarianten eines Diskurses, in dessen Umkreis auch Begriffe wie „civility", „sociability" und „urbanity" fallen. Ist im Diskurs der Politeness das Sentiment als vorrationale, emotive Bewußtseinsebene ein Zentralbegriff, so verstärkt sich seine Bedeutung und verdichtet sich etwa ab der Jahrhundertmitte zu einem Diskurs der „Sentimentalität" 73 , der polemisch gegen das Konventionelle der Politeness gerichtet ist und eine Natürlichkeit des Empfindens reklamiert, die durchaus subjektiv sein soll, ohne jedoch das Verhalten vorzivilisiert zu regredieren. Er bildet den Hintergrund für den immensen Erfolg Rousseaus und von Goethes „Werther"14 und wird später auch zum Ausgangspunkt für die Romantik als ästhetisches Programm der gesteigerten Subjektivität einer intellektuellen und künstle70 Siehe die Hinweise auf Shaftesbury in C. Robbins: Eighteenth Century Commonwealthman, S. 125ff.: L. E. Klein: Liberty, Manners, and Politeness in early Eighteenth-Century England, HJ, 1989; ders.: Shaftesbury, politeness and the politics of religion, in: N. Phillipson/Q. Skinner (Hg.): Political Discourse in Early Modern Britain. Klein hebt die Verschiebung der Positionen Shaftesburys von den 1690ger Jahren, als er sich stärker an die republikanische Rhetorik anlehnte, zur Regierungszeit von Königin Anne hervor, in der er die „Court"-Whigs unterstützte. 71 Siehe S. Johnson: A Dictionary of the English Language, Bd. I, Artikel: civil, civilisation (nicht in der modernen Bedeutung!), to civilize, civilizer, civilly. 72 Hierzu interessant: Ν. Rubinstein: The history of the word politicus in early-modern Europe, in: A. Pagden (Hg.): The Languages of Political Theory in Early-Modem Europe, S. 41-56; D. Kelley: Civil Science in the Renaissance: The problem of interpretation, ibid., S. 57-78. 73 Siehe fur England: P. Langford: A Polite and Commercial People, Kap. 10. 74 Die Leiden des jungen Werther, Goethes Werke, Hamburger Ausgabe, hg. v. E. Trunz, Bd. VI, München, 11. Aufl., 1982.

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rischen Elite75. Alsbald setzt jedoch eine Gegenreaktion gegen schrankenlos expressive Sentimentalität ein, die sich im fiktiven oder realen Mitleiden verliert und mit „Effeminacy" konnotiert wird76. Soziologische Imagination Wenn auch der Begriff „Soziologie" aus dem 19. Jahrhundert stammt (von Auguste Comte), so ist soziologisches Denken doch älter. Im Überblick der Neuzeit liegt nahe, eine erste, große Phase soziologischer Imagination in die Periode zwischen etwa 1740 und 1780 zu legen77. Sie bildet zeitgenössisch keinen distinkten Diskurs, aber die Bemühungen der avancierten Sozialdenker dieser Zeit, den christlich-naturrechtlichen Normativismus in die Richtung empirisch gesicherter und gehaltvoller Aussagen über Gesellschaft zu überschreiten, sind unübersehbar. Ihr Ehrgeiz lag darin, die Sozialwissenschaft durch die Entdeckung universell gültiger Gesetze der menschlichen Gesellschaft in Analogie zu den physischen Gesetzen der Galileischen und dann der Newtonschen Wissenschaft al pari mit der Naturwissenschaft zu bringen, und sie sahen, daß dieses Programm auf die Auswertung des in wachsendem Umfang angehäuften ethnographischen Materials angewiesen war78, für das sich schon John Locke stark interessierte, der auch die Hypothese formulierte, daß „anfangs... die ganze Welt ein Amerika" war79, aus der in dieser Zeit soziologischer Imagination die sog. „Vier-Stadien-Theorie" entwickelt wird80, die zunächst vor allem die Variabilität von Gesellschaft in Zeit und Raum aufzeigt, nach 75 Siehe die ersten Kapitel in: R. Williams: Culture and Society. 1780-1950 (1958), Harmondsworth, 1985; Η. H. Rudnick: Einleitung, in: ders. (Hg.): Englische Literaturtheorie des 19. Jahrhunderts, Stg., 1979, S. 3-23. 76 Siehe die „Werther"-Parodie Friedrich Nicolais: Freuden des jungen Werthers, in: ders.: „Kritik ist überall, zumal in Deutschland, nötig". Satiren und Schriften zur Literatur, hg. v. W. Albrecht, München, 1987, S. 7-30; R. B. Sher: Church and University in the Scottish Enlightenment, S. 63. 77 Das ist etwa der Ansatz von Friedrich Jonas: Geschichte der Soziologie, Bd. I. Alan Swingewood hat 1970 in einem Artikel über: The Origins of sociology: The case of the Scottish enlightenment, betont, daß in dieser Zeit besonders durch Adam Smith und John Miliar Anfange der Theorie sozialer Stratifikation geliefert wurden, BJS, Vol. 21, S. 164-80, hier S. 170f.; s. a. B. Eriksson: The first formulation of sociology, AES, 1993: 34, S. 251-76, über „... the emergence of the sociological discourse... in the so-called Scottish Historical School of the 1760s to 80s, which included Adam Smith, Adam Ferguson, John Millar, Lord Kames and William Robertson", S. 252. 78 Siehe W. Nippel: Griechen, Barbaren und „Wilde", Kap. 3; R. L. Meek: Social Science and the Ignoble Savage. 79 Zwei Abhandlungen über die Regierung, hg. v. W. Euchner, Ffin., 1977, Zweite Abhandlung, § 49; vgl. H. Lebovics: The Uses of America in Locke's „Second treatise of Government", JHI, 1986: 47, S. 56781; siehe für die Entwicklung dieser Idee durch andere Autoren R. L. Meek: Social Science and the Ignoble Savage, Kap. 2. 80 Siehe Α. Swingewood: Origins of sociology, BJS, 1970; Η. Medick: Naturzustand und Naturgeschichte der bürgerlichen Gesellschaft. Die Ursprünge der bürgerlichen Sozialtheorie als Geschichtsphilosophie und Sozialwissenschaft bei Samuel Pufendorf, John Locke und Adam Smith, Göttingen, 1973; R. L. Meek: Social Science and the ignoble savage; ders.: Smith, Turgot, and the „Four-Stages" Theory, in: ders.: Smith, Marx and after. Ten Essays in the Development of Economic Thought, London, 1977, S. 18-32. Istvan Hont zeigt Verbindungen zu Pufendorf auf: The language of sociability and commerce: Samuel Pufendorf and the theoretical foundations of the „Four-Stages Theory", in: A. Pagden (Hg.): The Languages of Political Theory, S. 253-76. Der wichtigste französische Beitrag stammt von: A. R. J. Turgot: Über die Fortschritte des menschlichen Geistes, hg. v. J. Rohbeck/L. Steinbrügge, Ffin., 1990; daran anschließend: Condorcet: Entwurf einer historischen Darstellung der Fortschritte des menschlichen Geistes, hg. v. W. Alff, Ffm., 1976.

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deren Entwicklungsgesetzen dann gesucht wird, und die in der Orientierung an Stadien sozioökonomischer Organisation auf den Marxismus verweist 81 . Ein zweites, oben angedeutetes, soziologisches Moment liegt in der Frage nach der Gestalt und Rolle der Stände und Schichtungen und ihrer Persistenz im Rahmen des Modells bürgerlicher Gesellschaft - jenseits der abstrakten naturrechtlichen Gleichheit82. Nach Montesquieu beruht die Demokratie auf dem „esprit d'egalite", aber eine der Degenerationsformen der Demokratie ist der „esprit d'egalite extreme", zwei organisierende politische Ideen, die so unterschiedlich seien, wie Himmel und Erde voneinander entfernt sind 83 , denn während der Geist der Gleichheit verlange, daß die Politik auf der Basis staatsbürgerlicher Gleichheit regiert („comme citoyen"), verlangt die Idee extremer Gleichheit die Abschaffung von Über- und Unterordnung überhaupt und eine Gleichheit „comme magistrat, comme senateur, comme juge, comme pere, comme mari, comme maitre". Das aber sei ein gefahrlicher Abweg, der von der Freiheit in die Knechtschaft führt. „Dans Γ etat de nature les hommes naissent bien dans l'egalite: mais ils n'y sauraient rester. La societe la leur fait perdre, et ils ne redeviennent egaux que par les lois"84. Die Gleichheit vor dem Gesetz sei alles, was man erreichen kann. Rousseau und die schottischen Autoren haben hiervon ausgehend gegensätzlich über die Folgerungen diskutiert; während die Schotten die gesellschaftsstabilisierende Funktion sozialer Stratifikation betonten, prangerte Rousseau die korrumpierende Wirkung der sozialen Ungleichheit an, die die Tugend an der Wurzel angreife. Aber die Sozialstratifikation der bürgerlichen Gesellschaft funktioniert nicht nach den statischen Prinzipien durchregulierter ständischer Privilegierung, sondern im Rahmen einer dynamischen Sozialkonkurrenz, die die Sozialstruktur fortlaufend transformiert und neu gruppiert. Zum Ende des 18. Jahrhunderts bürgerte sich die Rede von sozialen „Klassen" anstelle der Begriffe „ranks" und „orders" ein, zunächst aber betont wertneutral-statisch, angelehnt an naturwissenschaftliche Klassifizierungen, während eine Rhetorik des Klassenkampfes sich erst seit der Wende zum 19. Jahrhundert entwickelte 85 . In dem Gegensatz der Civil Society zur unterschiedslosen Masse des Volkes blieb die englische Gesellschaft des 18. Jahrhunderts subjektiv „ancien regime". Anfänge der Demokratie In einer Übersicht der relevanten politischen Diskurse im britischen 18. Jahrhundert kann nicht die von Robert Palmer als „demokratische Revolution" bezeichnete Bewegung übergangen werden 86 , die diesseits und jenseits des Atlantik - eine „atlantic tradition" also - in Schüben etwa ab 1760 einsetzte und deren herausragende Ereignisse die ameri-

81 Siehe bes.: K. Marx/F. Engels: Die deutsche Ideologie, MEW, Bd. 3, Berlin, 6. Aufl., 1981, Kap. 1; K. Marx: Grundrisse; ders.: Zur Kritik der Politischen Ökonomie, Vorwort. 82 Siehe J. G. A. Pocock: The mobility of property and the rise of eighteenth century sociology, in: ders.: Virtue, Commerce, and History, S. 103ff. 83 Ich beziehe mich auf die ersten Kapitel des 8. Buches des „Esprit des Lois". 84 Esprit, Bd. I, S. 245. 85 Siehe S. Wallech: „Class versus Rank", JHI, 1986; P. Langford: A Polite and Commercial People, S. 652ff.; E. P. Thompson: The Making of the English Working Class; für Schottland, unter Berufung auf Thompson: Τ. Clarke/T. Dickson: The Birth of Class?, in: Τ. Μ. Devine/R. Mitchison (Hg.): People and Society in Scotland, Bd. I, 1760-1830, Edinburgh, 1988, S. 292-309. 86 R. R. Palmer: The Age of the Democratic Revolution. A political History of Europe and America, 1760-1800 (1959), 2 Bde., Princeton, 1989.

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kanische und die französische Revolution87 waren. Aber bis zur amerikanischen Verfassungsdebatte hat der Begriff „Demokratie" nur ein Schattendasein gefuhrt88; sie war die direkte Demokratie der Volksversammlung, die im Grunde alle politischen Denker für in der Moderne nicht praktikabel erachteten89. Und nur als Moment der „gemischten Verfassung" konnte sie eine Rolle spielen, indem sie die Breite der Interessen im Volke sichtbar machte und in das politische System transformierte90. Im britischen Kontext ist die Demokratie mit einem spezifisch „radikalen" Diskurs verknüpft, der von den „Levellers" über politisch oppositionelle Dissenter91 bis zu Thomas Paine92 reicht. Das besondere der Reformbewegung, die Ende der 1760ger Jahre mit der Unterstützung fur John Wilkes als Massenbewegung einsetzt93, ist die Rückkehr des Volkes in den Raum politischer Diskurse. Nach dem Abschluß der Mobilisierungsphase kristalliert die radikale Bewegung in einem Netz von politischen Reformgruppen94. Aber wie ist diese Reformbewegung mit den republikanischen Traditionen und der Country-party vermittelt?95. Das ältere Standardwerk von Caroline Robbins über den „Eighteenth Century Commonwealthman" leidet darunter, daß zwischen diesen Strömungen nicht unterschieden wird und ihre Differenzen in dem zeitgenössisch keineswegs präzisen Commonwealth-Begrifi verschwinden. Sie betont verschiedentlich, daß die von

87 Siehe W. Markov: Revolution im Zeugenstand, Frankreich 1789-99, 2 Bde., Leipzig, 1982; Ν. E. Restif de la Bretonne: Revolutionäre Nächte in Paris (1790/94), hg. v. E. Gerhards, München, 1989; Sekundärliteratur: E. Labrousse et al.: Geburt der bürgerlichen Gesellschaft: 1789, hg. v. I. A. Hartig, Ffin., 1979; G. Lefebvre: 1789. Das Jahr der Revolution (1939), München, 1989; G. Rude: The Crowd in the French Revolution (1959), Oxford etc., 1972; F. Furet/D. Richet: Die Französische Revolution (1966), Ffm., 1989; W. Markov/A. Soboul: 1789. Die große Revolution der Franzosen, Köln, 1977; F. Füret: 1789. Vom Ereignis zum Gegenstand der Geschichtswissenschaft (1978), hg. v. D. Groh, Ffm. etc., 1980; M. Vovelle: Die Französische Revolution. Soziale Bewegung und Umbruch der Mentalitäten (1979), Ffin., 1985. 88 Siehe die Begriffsgeschichte von: Chr. Meier et al.: Demokratie, in: GG-Lexikon, Bd. I, Stg., 1972, S. 821-99. 89 Siehe etwa A. C. Houston: Algernon Sidney, S. 197. 90 Ch. Meier et al.: Demokratie, in: GG-Lexikon, Bd. I, S. 839, s. a. S. 841f. 91 I. Kramnick: Republicanism and Bourgeois Radicalism, Kap. 2-4. Richard Price und Joseph Priestley sind sicher die bedeutendsten unter ihnen, siehe: R. Price: Political Writings; S. R. Peterson: The Compatibility of Richard Price's Politics and Ethics, JHI, 1984: 45, S. 537-47; J. Priestley: Political Writings; M. Canovan: The Un-Benthamite Utilitarianism of Joseph Priestley, JHI, 1984: 45, S. 43550. 92 T. Paine: Common sense (1776), Harmondsworth, 1983; ders.: The Rights of Man (1791/92), Harmondsworth, 1984; I. Kramnick: Republicanism and Bourgeois Radicalism, Kap. 5; G. Claeys: Republicanism versus commercial society: Paine, Burke and the French revolutionary debate, HEI, 1988. 93 Siehe die anonymen Junius-Briefe; über die „Wilkes and Liberty"-Bewegung: J. H. Plumb: England in the 18. Century, Teil II, Kap. 6 und 8; J. Brewer: Party Ideology and Popular Politics at the Accession of George III, Teil 4; ders.: English Radicalism in the Age of George III, in: J. G. A. Pocock (Hg.): Three British Revolutions, S. 323-67; ders.: The Wilkites and the law, 1763-74: A study of radical notions of governance, in: ders. /J. Styles (Hg.): An ungovernable People, S. 128-71; ders.: Commercialization and Politics, in: N. McKendrick et al.: The Birth of a Consumer Society. The Commercialization of 18th-century England, London etc., 1983, Teil 2; P. Langford: A Polite and Commercial people, Kap. 8. 94 Siehe über die Bewegungskommunikation: Ε. Hellmuth: Kommunikation, Radikalismus, Loyalismus und ideologischer Pluralismus, Aufklärung, 1989. 95 Wichtig hierzu Isaac Kramnick: Republicanism and Bourgeois Radicalism.

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ihr dargestellten Republikaner keine Demokraten seien96, aber andere Autoren, die sie behandelt, sind Demokraten. Wenn wir das Verhältnis von Harrington zu den Levellers als historischen Vorlauf betrachten, dann haben (klassisch-) republikanisches und plebeisches (-republikanisches) Denken wenig miteinander gemein97. Die Radikalen des 18. Jahrhunderts knüpfen in erster Linie an der protestantisch-naturrechtlichen Rhetorik an, die den Zusammenhang von Consent und Obligation im Rahmen des politischen Sozialvertrages begründet, den sie inhaltlich radikalisieren98. Aber daneben greifen sie auch Momente der klassisch-republikanischen Rhetorik und der an sich konservativ gefärbten „Country"-Rhetorik als machtbegrenzende Oppositionsideologie auf. Priestley spricht etwa in seinem Essay on the First Principles of Government von der „opposition from the country, which is so salutary in this nation, and so essential to the liberties of England..."99; dabei werden die „Country„-Konzepte jedoch ideologisch umgeformt, wie Isaac Kramnick an James Burghs einflußreichen Political Disquisitions gezeigt hat100. Der republikanische Bürgerbegriff wurde so von den Radikalen demokratisch gewendet101. Es bleiben jedoch gewichtige Differenzen, besonders das ausgeprägte Fortschrittsbewußtsein der „rational dissenter"102 gegenüber dem klassisch-republikanischen Kreislaufdenken.

96 Robbins: Eighteenth Century Commonwealthman, S. 107f., S. 127, S. 129, u. pass.; vgl. auch Franco Venturi: Utopia and Reform in the Enlightenment, Kap. 2: English commonwealthmen. 97 Siehe C. Hill: James Harrington and the People, in: ders.: Puritanism and Revolution; H. C. Schröder: Die Levellers und das Problem der Republik, GG, 1984; M. Goldie: Absolutismus, Parlamentarismus und Revolution in England, in: Fetscher/Münkler (Hg.): Pipers HB der politischen Ideen, Bd. III, S. 320. 98 I. Kramnick: Republicanism and Bourgeois Radicalism, S. 4. 99 Political Writings, S. 51. 100 Republicanism and Bourgois Radicalism, S. 235ff. 101 Bibliographisches Indiz fiir den ideengeschichtlichen Zusammenhang von republikanischem und radikalem Denken ist die von mir benutzte Ausgabe von Robert Molesworth': The Principles of a Real Whig; contained in a preface to the famous Hotoman's Franco-Gallia, written by the late LordViscount [Robert] Molesworth [1711]; and now reprinted at the request of the London Association. To which are added, their resolutions, and circular letter, London, 1775. Eine radikale Londoner Gesellschaft publizierte einen „Commonwealth"-Text vom Anfang des Jahrhunderts, der selbst eine monarchomachische Schrift des 16. Jahrhunderts begleitete. Ein ähnliches Indiz ist die von Caroline Robbins zugrundegelegte Neuausgabe von Walter Moyles: Democracy vindicated, durch den Radikalen John Thelwall am Ende des Jahrhunderts, in: C. Robbins (Hg.): Two English republican tracts. 102 Siehe ζ. Β. Priestley: Essay on the First Principles, in: Political Writings, S. 45; R. Price: The Evidence for a Future Period of Improvement in the State of Mankind, in: Political Writings.

Teil 2: Einzelanalysen

Die folgenden Einzelanalysen sind Konkretisierungen der in Teil 1 skizzierten Probleme, gleichzeitig soll eine ideengeschichtliche Dynamik deutlich werden. Die Auswahl der Autoren ist nicht nur an der theoretischen Qualität ihrer Texte orientiert, sondern auch daran, ob sich an ihnen bestimmte Denkweisen und ideengeschichtliche Problematiken aufweisen lassen. Den Schwerpunkt bilden Autoren der schottischen Aufklärung. Generell bin ich bemüht, die Integrität und die Spannungen eines Denkens zu reflektieren. Kapitel 3: England 1. William Temple und das Vorbild der Niederlande Im 17. Jahrhundert blickten Engländer neidvoll auf die rivalisierenden Niederlande, die ihnen als Beispiel erfolgreicher bürgerlich-kommerzieller Entwicklung galten1. Besonders der langfristig niedrige Zinssatz in Holland provozierte die Frage, ob der Reichtum der Holländer die Ursache des niedrigen Zinssatzes sei, oder umgekehrt 2 . Es lag nahe, ihn als Ausdruck der Billigkeit des Geldes zu interpretieren und diese durch die Geldmenge zu erklären. Aber woher kam das Geld, wenn doch der Zinssatz relativ niedrig war? William Temple nannte die Bank von Amsterdam „the Common Treasure of so many Nations" 3 , und offensichtlich besaß Holland spezifische Konkurrenzvorteile, die sich aus seiner Position im internationalen Handel, aber vielleicht auch aus besonderen politischen Bedingungen erklärten. Der englische Politiker Sir William Temple4, zeitweilig Vertreter Englands in den Niederlanden, publizierte 1671 eine einflußreiche Analyse des holländischen soziopolitischen Systems, die „Observations upon the United Provinces of the Netherlands", worin er Zusammenhänge von kommerzieller Gesellschaft und freiheitlicher Politik thematisierte, eingebettet in eine rudimentäre Theorie der Zivilisationsentwicklung 5 , die in die moderne, kommerzielle Gesellschaft einmündet, als deren Anhänger er sich zeigt. Den kommerziellen Erfolg der Holländer erklärt Temple unter anderem mit der offensichtlich erfolgreichen Rekrutierungspolitik des politischen Führungspersonals 6 . Er 1 Siehe J. O. Appleby: Economic thought and ideology in seventeenth century England, Kap. 4. Siehe zur Realgeschichte I. Wallerstein: Modem World System, Bd. II, Kap. 2. 2 Siehe bes. Josiah Child: Brief Observations concerning Trade, and Interest of Money, 1668, in: William Letwin: Sir Josiah Child. Merchant Economist, Boston, 1959. 3 Sir William Temple: Observations upon the United Provinces of the Netherlands, hg. v. Sir George Clark, Oxford, 1972, S. 54, s. a. S. 56. 4 Siehe Τ. Β. Macaulay: Sir William Temple (1838), in: ders.: Critical and Historical Essays, Bd. I. 5 Observations, S. 14f. Einen Hinweis auf Temple in der Vorgeschichte der sog. „Four Stages Theory of History" gibt R. L. Meek: Social Science and the Ignoble Savage, Kap. 1, hier S. 26f. 6 Observations, S. 68f.

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Kapitel 3: England

kritisiert die oligarchische Praxis der obersten beratenden Organe Hollands, die Leiter der Exekutive aus den eigenen Reihen zu wählen 7 , die aber durch die Berücksichtigung der „general opinion of the people" 8 demokratisch moderiert wird. Das Volk übt daher informell starken Einfluß aus9, und Temple glaubt darüber hinaus, daß die öffentliche Meinung gut über die Kandidaten informiert sei, weil sowohl die Debatten in den Senaten als auch das private Verhalten der Senatoren aufmerksam beobachtet werden 10 . Die Stärke dieser Art von Selektion des politischen Personals scheint daher in der Kombination demokratischer und oligarchischer Legitimation zu bestehen, eine populäre und eine durch die politische Klasse. Das Ergebnis ist eine hohe Autorität der politischen Führung, so daß die Bürger vergleichsweise hohe Steuern und harte Gesetze und Vorschriften widerspruchslos hinnehmen, Ausdruck ausgeprägter politischer Loyalität. Eine der Bedingungen politischer Autorität ist, daß die Politiker sich sichtbar nicht auf Kosten der Allgemeinheit bereichern und sich im übrigen den gleichen Gesetzen wie alle anderen Bürger unterwerfen. Ihre Lebensweise unterscheidet sich nicht qualitativ von der anderer Bürger, und sie verzichten auf die ostentative Herausstellung ihrer politischen Position, die typisch ist für Monarchien, in denen sich politische Herrschaft mit dem Prestige einer symbolisch regulierten Ranghierarchie verbindet, die im Monarchen aufgipfelt", zumal wenn er sich, wie James I, auf göttliche Legitimation beruft 12 . In den bürgerlich-egalitären Niederlanden ist die Politik dagegen horizontal ausdifferenziert und prinzipiell auf der gleichen Prestigeebene angesiedelt wie andere Tätigkeiten - etwa der Fernhandel. Die verhältnismäßige Distanz- und Respektlosigkeit der Bürger zur Macht indiziert in Holland die soziale Nivellierung von Herrschenden und Beherrschten, die sich in politische Stärke qua politische Bindung der Bürger umsetzt. Die bürgerliche Republik bezeichnet offensichtlich einen neuen Typus politischer Vergesellschaftung und eine neue Konzeption des politischen Bürgers.

7 Ibid., S. 53f. 8 Ibid., S. 69ff. auch für das folgende. 9 Siehe H. W. Blom: Virtue and Republicanism. Spinozas political philosophy in the context of the Dutch Republic, in: H. G. Koenigsberger (Hg.): Republiken und Republikanismus, S. 205. 10 Τ. Η. Macho: Von der Elite zur Prominenz. Zum Strukturwandel politischer Herrschaft, Merkur, 1993: 47, S. 762-9, weist daraufhin, daß in der Vormoderne der Herrscher das Privileg besitzt, viel zu sehen, jedoch nicht gesehen zu werden, während in der Moderne das Privileg darin bestehe, gesehen zu werden. 11 Berger/Luckmann: Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit, S. 111, betonen die „umfassende Integration aller isolierten institutionellen Prozesse" durch die „symbolische Sinnwelt". Das Gottesgnadenkönigtum erscheint als eine frühneuzeitliche Variante; hier ist der König kein Gott mehr, er partizipiert aber an der Gnade Gottes. Noch im 17. Jahrhundert wurde an die Fähigkeit des Königs geglaubt, die Skrofeln, „the King's disease", durch Handauflegen zu heilen. Die Gottnähe des Königs wurde in England dadurch verstärkt, daß er weltliches und geistliches Oberhaupt in Personalunion war. Ibid., S. 80f.: „... alle Rollen repräsentieren die institutionelle Ordnung. Einige Rollen vergegenwärtigen sie jedoch mehr als die anderen bildlich in ihrer Totalität. Solche Rollen sind für eine Gesellschaft von großer strategischer Bedeutung, da sie nicht nur die eine oder andere Institution, sondern die Integration aller Institutionen zu einer sinnhaften Welt repräsentieren. Dadurch verhelfen sie natürlich auch zur Wahrung der Tradition im Bewußtsein und Verhalten der Mitglieder der Gesellschaft, das heißt, sie stehen in besonderer Beziehung zum gesellschaftlichen Legitimationsapparat. ... Der Monarch... repräsentiert immer [die totale Integration der Gesellschaft]... ". 12 D. Wootton (Hg.): Divine Right and Democracy, Kap. 1.

1. William Temple und das Vorbild der Niederlande

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Nach Temple ist die Staatsform per se nicht entscheidend für den Erfolg des Handels; ein Land kann „thrive under good Princes and legal Monarchies, as well as under Free States"13, jedoch unter „arbitrary and tyrannical power, it must of necessity decay and dissolve, because this empties a country of people, whereas the others fill it; this extinguishes industry, whilst men are in doubt of enjoying themselves what they get, or leaving it to their children". So wie „trade cannot live without mutual trust among private men; so it cannot grow or thrive to any great degree, without a confidence, both of publique and privafe safety, and consequently a trust in the government, from an opinion of its strength, wisdom and justice: which must be grounded either upon the personal virtues and qualities of a prince, or else upon the constitutions and orders of a state". Damit benennt Temple die Bedeutung der „Herrschaft des Gesetzes" für eine erfolgreiche kommerzielle Entwicklung. Der wesentliche Gesichtspunkt ist die Verläßlichkeit und Berechenbarkeit der Rahmenbedingungen privaten, ökonomischen Handelns und das resultierende Sicherheitsgefuhl der Personen, das sich auch auf das Eigentum erstreckt14. Hier liegt ein Grund für den Erfolg der Bank von Amsterdam. Daneben spielt die Religionsfreiheit eine Rolle, die religiös Verfolgte aus anderen Ländern anzieht, und, als Vorform heutiger „multikultureller Gesellschaft", zur Toleranz erzieht und Verhaltensformen offener interkultureller Begegnung stimuliert15. Im Ergebnis vertrauen die Niederländer auf „wisdom and conduct of their state; and of its being established upon foundations that could not be shaken by any common accidents, nor consequently in danger of any great or sudden revolutions; and this is a mighty inducement to industrious people to come and inhabit a country, who seek not only safety under laws from injustice and oppression, but likewise under the strength and good conduct of a state, from the violence of foreign invasions, or of civil commotions" 16 . Daß der Reichtum eines Staates an der Zahl seiner Bürger gemessen werden könne, war ein Gemeinplatz absolutistisch-merkantilistischer Politik 17 . Temple aber fuhrt am Beispiel der Niederlande die weiterführende Idee ein, es komme weniger auf die absolute Zahl der Bewohner an als auf die Bevölkerungsdichte, auf die sozialräumliche Verdichtung18. Er betont damit die soziologischen und kommunikativen Bedingungen produktiver Vergesellschaftung und wertet demgegenüber das machtpolitische Interesse des absolutistischen Staates an einer großen Bevölkerung als Soldatenreservoir ab, womit das Verhältnis von Staat und Bürger umgekehrt ist: anstatt daß die Bürger Material absolutistischer Machtpolitik sind, erscheint der Staat den Zwecken des emanzipierten Bürgertums untergeordnet. 13 Observations, S. 110, auch das folgende. 14 Observations, S. 112. 15 Ibid., S. 114: „I believe the force of commerce, alliances, and acquaintance, spreading so far as they do in small ciricuits (such as the province of Holland) may contribute much to make conversation, and all the offices of common life, so easie, among so different opinions, of which so many several persons are often in every man's eye; and no man checks or takes offence at faces, or customs, or ceremonies he sees every day..."; s.a. H. W. Blom: Virtue and Republicanism, in: H. G. Koenigsberger (Hg.): Republiken und Republikanismus, S. 206ff. 16 Observations, S. 114. 17 Siehe etwa S. Pufendorf: Die Verfassung des deutschen Reiches, (1667), Stg., 1985, S. 108, Kap. 7, § 1, und allgmein: E. F. Heckscher: Mercantilism, Bd. II, S. 44-46; Bauer/Matis: Geburt der Neuzeit, Kap. VII. 18 Observations, S. 111.

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Kapitel 3: England

Temple weiß, daß die Stadt die Geburtsstätte der Republik ist. In seinem „Essay upon the Original and Nature of Government" fuhrt er die frühen Republiken auf das Bestehen von „rieh and populous cities" zurück, die Hafenstädte waren. „And the vein of all rich cities ever inclines to that kind of government", fahrt er fort, „Whether it be that where many grow rich, many grow to power, and are harder to be subjected. Or where men grow to great possessions, they grow more intent upon safety, and therefore desire to be governed by laws and magistrates of their own choice, fearing all armed and arbitrary power: or that the small compass of cities makes the ease and convenience of assemblies and councils. Or that conversation sharpens mens wits, and makes too many reasoners in matters of government"19. Max Weber hat mit seinen Einsichten in die universalhistorische Bedeutung städtischer Siedlungsformen für die Entstehung bürgerlicher Kultur20 in Temple einen Vorläufer. In dem Essay „Of Popular Discontents" spitzt Temple seine Ablehnung der dogmatischen Staatsformenlehre auf die skeptische These zu, es gebe keine perfekte institutionelle Lösung des politischen Ordnungsproblems, denn es gehöre zum Wesen des Menschen, unruhig und unzufrieden zu sein, da jeder meint, Besseres zu verdienen, als er hat. Die soziale Distribution, in jenem weiten Sinne, der auch Status- und Prestigezuweisungen einschließt, kann nie als gerecht plausibel gemacht werden, und aus der üblichen subjektiven Überschätzung eigener Verdienste resultiert das Gefühl ungerechter Behandlung. Die entstehende soziale Dynamik übt steten Druck auf das bestehende Institutionensystem aus. Die Philosophen antworteten darauf mit dem Bemühen, „to improve men's reason, to temper their affections, to allay their passions, to discover the vanity or the mischief of pride and ambition, of riches and of luxury; believing the only way, to make their countries happy and safe, was to make men wise and good, just and reasonable. But as nature will ever be too strong for art, so these excellent men succeeded as little in their design, as lawgivers have done in the frame of any perfect government, and all of them left the world much as they found it, ever unquiet, subject to changes and revolutions, as our minds are to discontents, and our bodies to diseases"21. Institutioneller wie kulturalistischer Perfektionismus sind gleichermaßen ineffektiv, denn die instabile und unberechenbare Natur des Menschen verhindert eine endgültige Lösung des Problems der Politik. Weder können die Institutionen nachhaltig gegen Einbrüche durch die Unbeständigkeit und Unberechenbarkeit der Menschen abgesichert werden, noch kann die Affektstruktur auf Dauer in „sozialverträglichen" Bahnen gehalten werden, da ihrer Conditionierung enge Grenzen gesetzt sind. Temple leugnet daher den Sinn einer Suche nach dem perfekten Regierungssystem22. Wichtiger erscheint ihm, die Arbeit der Exekutive und Verwaltung zu effektivieren, wozu die Selektion sachlich und persönlich geeigneter Verwaltungsleiter primäre Bedingung ist. In der Monarchie sei jedoch der Einfluß der Höflinge kaum auszuschalten, so daß der Monarch nicht in die Lage komme,

19 Essay upon the Original and Nature of Government, S. 51. 20 M. Weber: Wirtschaft und Gesellschaft, 2. Halbbd., Kap. 9, 7. Abschn.; ders.: Wirtschaftsgeschichte, S. 270: „Nur im Okzident findet sich der Begriff des Bürgers (civis romanus, citoyen, bourgeois), weil es auch nur im Okzident die Stadt gibt im spezifischen Sinn des Wortes", u. pass. 21 Of Popular Discontents, in: The Works of William Temple, Bart., 4 Bde., London, 1770, Bd. III, S. 37. 22 Ibid., S. 39.

1. William Temple und das Vorbild der Niederlande

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die Qualitäten und Resultate seiner Minister und Administratoren unparteiisch und zutreffend zu beurteilen 23 . Thomas Macaulay hat die Nüchternheit und Illusionslosigkeit Temples als ein Generationsphänomen der Restaurationsperiode angesehen: „Heat, the natural philosophers tell us, produces rarefaction of the air; and rarefaction of the air produces cold. So zeal makes revolutions; and revolutions make men zealous for nothing. The politicians [der Restaurationsperiode]... are almost always characterised by a peculiar levity, a peculiar inconstancy, an easy, apathic way of looking at the most solemn questions, a willingness to leave the direction of their course to fortune and popular opinion, a notion that one public cause is nearly as good as another, and a firm conviction that it is much better to be the hireling of the worst cause than to be a martyr to the best. This was most strikingly the case with the English statesmen of the generation which followed the Restoration. They had neither the enthusiasm of the Cavalier nor the enthusiasm of the Republican. ... their secret creed seems to have been, that loyalty was one great delusion and patriotism another" 24 . Diese Beschreibung trifft sicher nur auf Sektoren der politischen Ideenwelt der Restaurationsperiode zu, in deren späterer Phase sich der Konflikt zwischen Krone und Parlament entscheidend zuspitzte. Und auch der politische Untergrund, der die Glorious Revolution mit der Great Rebellion verbindet, in dem sich Algernon Sidney und John Locke 25 bewegten, sind dabei ausgeblendet. Sie trifft jedoch die Atmosphäre des Denkens von William Temple, der zu der Einsicht gelangte, die Zukunft Englands in der immer wichtiger werdenden internationalen Handelskonkurrenz hänge weder von der praktizierten Religion ab, noch von der formellen staatsrechtlichen Gestalt Englands als Monarchie oder Republik (die zu dieser Zeit keine realpolitische Option war), sondern von einer Modernisierung des Staates; und dazu verweist er auf das Vorbild der Niederlande mit ihrem System bürgerlicher Gleichheit. Dieses Programm formuliert er als Modernisierungsaufgabe der politischen Elite, nicht als emanzipatorische Bewegung: ohne Pathos. In dieser Erhebung über die ideologischen Konflikte seiner Zeit lag die zukunftsweisende Bedeutung seiner Interpretation der Niederlande, die die Observations zu einem politischen Standardtext der folgenden hundert Jahre machte 26 .

23 24 25 26

Ibid., S. 41. Τ. B. Macaulay: Sir William Temple, in: ders.: Critical and Historical Essays, Bd. I, S. 200f. Siehe für Locke: R. Ashcraft: Revolutionary Politics and Locke's Two Treatises of Government. Siehe ζ. Β. Hume: Of Taxes, Essays, S. 344; Millar: Lectures on government, delivered by Mr. Millar, Prof, of Law in the University of Glasgow, apr. 1771-1772, extended by George Skene, 2 Bde., Mitchell-Library, Glasgow, MS 99, S. 60.

2. John Locke und die Geldwirtschaft John Locke 27 , der Radikale 28 , konnte erst mit der „Glorious Revolution" aus dem Exil nach England zurückkehren und publizierte sodann seine wichtigsten Schriften. Sein Denken ist fest verwurzelt im Naturrecht, geht aber in charakteristischen Punkten darüber hinaus. Am bekanntesten ist sein Beitrag zur Entwicklung einer Eigentumstheorie, die sich als perspektiv- und einflußreich erwies29. Eigentum, Geld, bürgerliche Gesellschaft Locke diskutiert das Eigentum im Gegensatz zu Hobbes nicht als eine Kreation der politischen (d.h. Staats-) Gewalt und weist auch die u.a. von Grotius vertretene Interpretation als eine gesellschaftliche Konvention ab. Stattdessen begründet er das Eigentum als Ausfluß der gottgegeben ursprünglichen Verfügungsgewalt des Menschen über seinen Körper, die er nicht aufgeben kann, weil er sonst gegen das naturrechtliche Fundamentalgebot der Selbsterhaltung verstoßen würde, das nicht hintergehbar ist, so daß Akte, die ihm widersprechen, als nichtig gelten. Dieses Theoriedesign erlaubt Locke, den Hobbesschen Naturzustand des „Kampfes jedes gegen jeden" zu vermeiden und in eine differenziertere Vorstellung von der Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft zu überfuhren, und dadurch entgeht er auch der Hobbesschen Konsequenz der Begründung einer gesellschaftlich nicht mehr kontrollierbaren Staatlichkeit. Es ist bekannt, daß Locke über eine ausgedehnte Kenntnis der ethnographischen Reiseliteratur seiner Zeit verfügte, was ihn zusammen mit historischer Gelehrsamkeit in die Lage versetzte, ein dem Kenntnisstand der Zeit entsprechend approximativ realistisches Bild von langfristigen gesellschaftlichen Zivilisierungsprozessen zu gewinnen. Bereits in den Essays on the Law of Nature von 1664 hatte er die Frage gestellt, ob die Tatsache divergierender moralischer Praktiken bei verschiedenen Völkern als Evidenz gegen die Existenz eines universell gültigen Naturrechts zu interpretieren sei, und hatte klar mit „Nein" geantwortet 30 . Wenn aber ein eindeutig christlich fundiertes Naturrecht so die soziale Praxis transzendiert, formuliert Locke doch die moralische Forderung, dieses Natur-

27 Sekundärliteratur über Locke: J. W. Gough: John Lockes political philosophy (1950), repr., Oxford, 1956; M. Cranston: John Locke. A Biography (1957), Oxford/NY, 1985; L. Strauss: Naturrecht und Geschichte (1953), Ffin., 1977, S. 210-62; C. B. MacPherson: Theorie des Besitzindividualismus, Teil 5; J. Plamenatz: Man and Society, Kap. 6; W. Euchner: Naturrecht und Politik bei John Locke (1969), Ffin., 1979; H. Medick: Naturzustand und Naturgeschichte der bürgerlichen Gesellschaft, Teil 4; K.I.Vaughn: John Locke. Economist and social scientist, London, 1980; J. Dunn: Locke (1984), Oxf. /NY, 1988; G. Nonnenmacher: Die Ordnung der Gesellschaft, Teil C; R. Ashcraft: Locke's Two Treatises of Government, London, 1987. 28 Betont von R. Ashcraft: Locke's Two Treatises; ders.: Revolutionary Politics; ders.: The radical dimensions of Locke's political thought: a dialogic essay on some problems of interpretation, HPT, 1992: 13, S. 703-72; kritisch: D. Wootton: John Locke and Richard Ashcrafts Revolutionary Politics", PSt, 1992: 40, S. 79-98, und Ashcrafts Antwort: Simple Objections and Complex Reality: Theorizing Political Radicalism in Seventeenth-century England, ibid., S. 99-115; s. a. M. Brocker: Wahlrecht und Demokratie in der politischen Philosophie John Lockes, ZfP, 1991: 38, S. 47-63. 29 Siehe R. Brandt: Eigentumstheorien von Grotius bis Kant, Stg., 1974, Kap. 3; James Tully: A Discourse on Property. John Locke and his adversaries, Cambridge, 1980; s. a. J. H. Bogart: Lockean provisos and state of nature theories. Ethics, 1984/85: 95, S. 828-36. 30 J. Locke: Essays on the Law of Nature (1664), hg. v. W. v. Leyden, Oxf., 2. ed., 1958, Abschn. 5: Can the Law of Nature be known from the general consent of men? No.

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recht zu erkennen, wozu der Mensch prinzipiell in der Lage sei, und es zu befolgen. Aus raumzeitlich divergenten praktischen Systemen der Moralität einerseits und der Existenz eines universell-transzendenten Naturrechts andererseits ergibt sich ein theoretisches Spannungsverhältnis, das die Frage nach den historischen Bedingungen ihres Zusammenfallens provoziert, und Lockes Antwort liegt in der Idee einer diesseitigen Heilsgeschichte, die zusammengehalten wird durch den Auftrag Gottes an die Menschen, sich die Erde Untertan zu machen31, sie menschlichen Zwecken zuzuführen, sie zu „vermenschlichen". Methodisch ergibt sich daraus das Programm einer normativ geleiteten Untersuchung historischer Zivilisationsprozesse32. Dabei richtete sich das Erkenntnisinteresse Lockes sicher auf eine adäquate naturrechtliche Interpretation der bürgerlichen Gesellschaft seiner Zeit, die er, von fundamentalen naturrechtlichen Annahmen ausgehend, zu „rekonstruieren" sucht33. Die oft diskutierte Frage nach dem fiktionalen oder aber realistischen Charakter dieser Lockeschen Rekonstruktion läßt sich in den Satz transformieren, das Naturrecht strukturiere die Erforschung der Geschichte, aber im Maße der praktischen Einsicht in die Vernünftigkeit des Naturrechts auch die Geschichte selbst, die insofern einer historischen Auswickelung des göttlich inspirierten Naturrechts entspricht. In der Rekonstruktion laufen daher normative und empirisch-analytische Aspekte zusammen 34 . Diese Naturrechtsgeschichte der Menschheit hebt mit dem genannten Gebot der Selbsterhaltung an. Da die Annahme eines göttlichen Gebotes ohne die Annahme der anthropologischen Ausstattung zu seiner Erfüllung absurd wäre, wird es durch die menschliche Antriebsstruktur, als Hunger, Sexualtrieb, usw., komplettiert. Und weitergehend treibt die „Uneasiness", Lockes Sammelbegriff für das Mangelempfinden35, den Menschen über die statische Befriedigung existenzieller Bedürfhisse hinaus und erzeugt so die eigentliche zivilisatorische Dynamik. Nach der Bibel war die Erde ursprünglich das gemeinsame Arbeitsfeld des Menschengeschlechts. Im Zustand der Unberührtheit ist sie, was man „negatives" oder „abstraktes Gemeineigentum" nennen kann, Eigentum gleichsam im Zustand der Potentialität, noch nicht angeeignetes. Zwischen ihm und dem persönlichen und positiven Eigentum des Menschen an seinem Körper vermittelt die Arbeit, durch die der Mensch die äußere Natur in seine angeeignete Natur verwandelt; die Arbeit schafft positives Privateigentum. Aber, wie weit dieses Eigentum reicht und welche Konsequenzen der Arbeitsprozeß zeitigt, abgesehen davon, daß er dem Menschen gestattet, sich zu reproduzieren, ist eine zivilisationsgeschichtliche Frage. Bei Locke findet sich keine ausgearbeitete Theorie des Ziviliationsprozesses, aber eine rudimentäre Unterscheidung verschiedener Etappen zwischen dem Zustand der Primitivität und der entwickelten bürgerlichen Gesellschaft. 31 Siehe Β. P. Priddat: Das Geld und die Vernunft. Die vollständige Erschließung der Erde durch vernunftgemäßen Gebrauch des Geldes. Über John Lockes Versuch einer naturrechtlich begründeten Ökonomie, Ffin. etc., 1988, S. 31: „In dieser Theologie des menschlichen Handlungsvollzuges eines göttlichen Weltenplanes muß die ganze Erde bewirtschaftet sein, um dem Mandat zu genügen (Englischer Kolonialismus und der Femhandel erfahren ihre biblische Begründung)". Priddat spricht von der Existenz einer oeconomia divina bei Locke, pass. 32 Siehe R. W. Grant: Locke's political anthropology and Lockean individualism, JP, 1988: 50, S. 42-63; J. Waldron: John Locke: Social Contract versus political anthropology, RP, 1989: 51, S. 3-28. 33 Siehe Medick: Naturzustand und Naturgeschichte, Abschn. 4. 5. 34 J. Waldron: John Locke, RP, 1989, S. 17: „The contract story is not intended as a historical description; it is intended rather as a moral tool for historical understanding". 35 Siehe Locke: Essay concerning Human Understanding, Buch 2, Kap. 21, Abschn. 31, 35, 39.

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„In the beginning all the world was America", sagt Locke, d.h. an den existierenden primitiven amerikanischen Indianergesellschaften soll studiert werden können, wie die Anfange der europäischen Gesellschaft ausgesehen haben mögen 36 . Dabei geht er offensichtlich von einer gewissen Formgleichheit in der Abfolge gesellschaftlich-zivilisatorischer Prozesse aus. Die primitive Gesellschaft, die Locke für seine erkenntnisleitende Fragestellung idealtypisch stilisiert, besteht aus Großfamilien oder Familienverbänden, die als in sich weitgehend autark vorgestellt sind37. Sie sind im Innern stark geregelt und unterhalten nach außen hin ursprünglich nur schwache und zerbrechliche Kontakte, sind also jenseits der Familienverbände nur schwach vergesellschaftet. Die Subsistenzbasis dieser Gesellschaften ist zunächst die Aneignung organischer Naturprodukte für Zwecke der unmittelbaren Konsumtion: was die Natur hervorbringt, wird im Maße einesteils der Bedürfnisse und andernteils der Aneignungsmöglichkeiten in Besitz und Gebrauch genommen. Die Idee ist, daß der Mensch sich gleichsam nahtlos in die organischen ökologischen Reproduktionskreisläufe 38 einfädelt und sie dabei allenfalls geringfügig verändert; er ist eigentlich einfacher Teil der Natur. Dies ist das nomadische Sammler- und Jägerstadium. Eine der Bedingungen, die Locke für die naturrechtliche Validität des Privateigentums formuliert, ein Appropriationsmaximum, das für andere genug zur freien Aneignung übrig bleibt, ist in diesem Stadium erfüllt, wie Karen Vaughn feststellt: „The state of nature as Locke has described it so far is one that is characterized by no resource scarcity. Populations are small and the world is large and abundantly supplied. One man's use of resources does not limit the effective amount available for others to use" 39 . Dabei ist zu beachten, daß zwar die natürliche Umgebung des Menschen als unerschöpflich wahrgenommen wird, die Aneignungsmöglichkeiten des Menschen jedoch im Verhältnis dazu außerordentlich begrenzt sind und er sich daher permanent im Zustand des Mangels befindet. Denn das gerade ist die vitale Differenz, die Locke zwischen der primiten Gesellschaft und der modernen Gesellschaft konstatiert: Der „labouring poor" der Moderne ist um ein vielfaches reicher, im Sinne der Güteraustattung, als der Herrscher, der per se reichste Mann der primitiven Gesellschaft 40 , ein später von Adam Smith wiederholtes Argument 41 . Locke zeichnet die primitive Gesellschaft nicht als Schlaraffenland; der normale (von Fällen des Jagdglücks evtl. unterbrochene) Mangel treibt die Gesellschaft zum Übergang in das nächste Stadium, das der Nutzviehhalter und Ackerbauern. Im Stadium der Primitivität gibt es wohl familiale Autorität, aber keine dauerhaft politische. Bei kriegerischen Auseinandersetzungen setzen die Familienoberhäupter einen Kriegs-

36 J. Locke: Zweite Abhandlung, § 49. Siehe H. Lebovics: The Uses of America in Locke's „Second treatise of Government", JHI, 1986; fur eine Darstellung der Entwicklung dieser Idee durch andere Autoren: R. L. Meek: Social Science and the Ignoble Savage, Kap. 2; s. a. W. Nippel: Griechen, Barbaren und „Wilde", Kap. 2 u. 3. 37 Sowohl Tully als auch Ashcraft betonen die fundamentale Bedeutung der familialen Vergesellschaftung in der Theorie Lockes, auch bezogen auf die zivilisierten Stadien der gesellschaftlichen Entwicklung, Tully: A Discourse on Property, S. 133 f. ; R. Ashcraft: Locke's Two Treatises of Government, S. 111. Ich weise auf die herausgehobene Rolle der Familie im Denken Hegels hin. 38 Siehe zum Begriff L. Trepl: Geschichte der Ökologie. Vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Zehn Vorlesungen, Ffin., 1987. 39 K . I . Vaughn: John Locke, S. 91. 40 J. Locke: Zweite Abhandlung, § 41. 41 Siehe ζ. B. WN, Bd. I, Introduction and Plan of the Work, S. 10.

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fuhrer ein, wenn aber die Notwendigkeit gemeinsamer Kriegführung beendet ist, erlischt auch diese politische Funktion wieder, die dadurch bestimmt ist, daß ihre Existenz und Autorität an die Zustimmung der Familienoberhäupter als prinzipiell Gleiche gebunden ist und daß, darüber hinaus, die Familienoberhäupter wesentliche Teile ihrer Autorität behalten. Die politische Funktion ist daher in der primitiven Gesellschaft auf einen engen Bereich beschränkt. Die begriffliche Unterscheidung der familialen Autorität von der politischen Herrschaftsfunktion ist für Lockes argumentative Zwecke zentral, weil er im „First Treatise" die patriarchalische Theorie politischer Herrschaft von Robert Filmer widerlegen will, die beide Formen der Autorität zusammenwirft 42 . Das zentrale Unterscheidungskriterium ist eben das der Zustimmung der Regierten43. Im Generationenzusammenhang ist der Gedanke an die Zustimmung der Nachwachsenden als Bedingung der väterlichen Autorität offenbar absurd - jedenfalls bis zu einem nicht genau fixierbaren Lebensalter, das den Übergang zum Erwachsensein, zur moralisch-politischen Autonomie bezeichnet -, anders bei der Unterwerfung der Eigentümer unter eine politische Autorität. Aus diesem Argumentationszusammenhang ergibt sich die zentrale Bedeutung von „Consent"44 in der Theorie Lockes, sein Grundprinzip legitimer politischer Herrschaft. Im Stadium der Nutztierhaltung und des Ackerbaus ändert sich die ökologische Situation des Menschen, weil er ökologische Kreisläufe selbst kreiert, indem er die Reproduktion bestimmter Spezies seiner Kontrolle unterwirft und die prähuman vorgefundene Vegetation bestimmter Bodenflächen systematisch beeinflußt. Das Ergebnis ist eine enorme Steigerung der Produktivität - und Locke betont den Aspekt produktivitätssteigernder Wirkung intelligenter Eingriffe in die Natur durch menschliche Arbeit wie kaum ein zeitgenössischer Autor. Was verschiedentlich als Frühform der späteren klassischen Arbeitswerttheorie verstanden wurde, seine Aussage, daß die Arbeit 99% des Wertes schafft 45 , ist in Wahrheit eine Aussage über die langfristige Entwicklung der Produktivität menschlicher Arbeit. Was die unberührte Natur „produzierte", sei seitdem durch den praktischen Erfindungsreichtum des Menschen auf das Hundertfache und mehr gesteigert worden46. Im Jäger- und Sammlerstadium gibt es kaum Anreize zur Akkumulation, weil die Naturprodukte in mehr oder weniger schnell verderblicher Form angeeignet werden. Diese Situation wird anders, wenn der Mensch Kontrolle über vollständige biologische

42 R. Filmer: Patriarcha and Other Writings, Cambridge, 1991. Übrigens war auch William Temple Anhänger einer - allerdings raffinierteren - patriarchalischen Theorie der Begründung von Regierungsautorität, siehe seinen Essay upon the Original and Nature of Government. 43 Dieses Moment findet sich vorgedacht bei Richard Hooker, auf den sich Locke gelegentlich beruft, Of the Laws of Ecclesiastical Polity, S. 90. 44 Siehe die dritte Abhandlung in J. W. Gough: John Lockes political Philosophy; J. Dunn: Consent in the political Theory of John Locke, in: ders.: Political Obligation in its historical Context. Essays in political theory, Cambridge, 1980, S. 29-52; John Zvesper: The utility of consent in John Locke's political philosophy, PSt, 1984: 32, S. 55-67. 45 J. Locke: Zweite Abhandlung, § 40. 46 Siehe Κ. I. Vaughn: John Locke, S. 8 6 f f . ; B. P. Priddat: Über ein scholastisches Fundament der „Arbeitswertlehre" bei John Locke: Industria et Diligentia, in: ders.: Antike und mittelalterliche Einflüsse auf die Ökonomie John Lockes. Diskussionsbeiträge und Berichte aus dem Institut fur Politische Wissenschaft, Universität Hamburg, Nr. 15, 1986, S. 1-12; ders.: Produktion und Natur. Die Herausbildung des ökonomischen Produktionsbegriffs vom 17. -19. Jahrhundert, ibid., Nr. 22, 1987.

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Kreisläufe gewonnen hat, die er in einen Wachstumsverlauf hineinmanipulieren kann. Der existenzielle Mangel als Grundsituation ist damit aufhebbar und kehrt nur noch ausnahmsweise wieder. Akkumulation ist nunmehr als Vorratsbildung für schlechte Zeiten prinzipiell sinnvoll, bleibt aber an die natürliche Grenze der auf beiden Seiten wachsenden Balance zwischen Bevölkerung und gesellschaftlichem Reichtum gebunden. Die Balance mit der äußeren Natur des Menschen wird verlassen, sobald der Boden als Akkerboden dauerhaft appropriiert und verändert ist, denn mit der Seßhaftwerdung fallen die in Bearbeitung genommenen Bodenteile nicht mehr in den Zustand des negativ abstrakten Gemeineigentums zurück. Bei steigender Produktivität und wachsender Bevölkerung verkehrt sich so allmählich das Verhältnis zur Natur: während ursprünglich die Natur in verschwenderischer Fülle existierte und der Mensch inmitten dieser Fülle Knappheit litt, so existiert jetzt relative Fülle auf Seiten des Menschen, während die äußere Natur als noch nicht appropriierte allmählich knapper wird47. Damit wird die naturrechtliche Bedingung privater Appropriation, daß genug für andere da sei, zum Problem. Bevor jedoch der Prozeß der Appropriation diese Grenze erreicht hat, findet eine Ausdifferenzierung ökonomischer Institutionen statt, die nach allgemeiner Ansicht im System Lockes eine entscheidende Rolle spielt: die Erfindung und Einführung, durch „consent", des Geldes. Unmittelbar dient das Geld der Überwindung der anderen naturrechtlichen Aneignungsbedingung, nichts zu verschwenden oder ungenutzt verkommen zu lassen48. Hat Gott den Menschen die Erde zur gemeinsamen Nutzung überantwortet, so hat er, als guter hausväterlicher Ökonom, als der er bei Locke erscheint, Adam auch geboten, sparsam und sorgfaltig mit diesem Geschenk umzugehen. Der Mensch darf die Schöpfung nicht zweckentfremden, zum Gegenstand des Spieles machen, denn ihre Bestimmung ist, Lebensraum und Nahrung zu sein. Ohne Geld ist private Akkumulation genau genommen nicht möglich, weil jede Anhäufimg von Gütern über den Bedarf hinaus gegen dieses Gebot verstieße. Nun drängt aber, so verstehe ich Locke, die Differenz von Fleiß und Fähigkeit nach vollzogener Einführung des Privateigentums zum Ausdruck in einer auseinandergehenden Reichtumsentwicklung, die durch das Geld als Akkumulationsmedium ermöglicht wird49. Naturrechtlich ist die Erfindung und Einführung des Geldes ambivalent, denn sie steigert die Verwirklichung von Gerechtigkeit, soweit es gerecht ist, daß der, der mehr oder besser arbeitet, auch mehr bekommt, und andererseits ermöglicht das Geld die - mindestens temporäre - Herauslösung des Menschen aus dem Naturkreislauf der Produktion. So wird es möglich, daß jemand, der, sagen wir, 10 Jahre intensiv gearbeitet und gespart hat, 1 oder 2 Jahre gar nichts tut (jedenfalls nichts verwertbar Produktives). Die Existenz ist natürlich weiterhin jeden Tag vom Zusammenhang mit der Natur abhängig, aber es ist so viel Wert in den gesellschaftlichen Produktionsprozeß eingespeist

47 Die Theorie Lockes diskutiert am Leitgedanken der Knappheit: G. Nonnenmacher: Die Ordnung der Gesellschaft, Teil C. 48 W. Euchner: Naturrecht und Politik, S. 89: „Die durch Einführung des Geldes ermöglichte Akkumulation von Geld und Land bedeutet nichts anderes als eine Entwertung der vom Gesetz der Natur gezogenen Aneignungsschranken". 49 Karen Vaughn schreibt: „While the use of money is a reasonable way of getting around the difficulties of storing wealth, it's consequences are profound. It permits the „more industrious and rational", and therefore the more productive, to accumulate the products of their labor and thus to increase their wealth relative to the less industrious or talented", John Locke, S. 92ff.

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worden, daß ein Anspruch besteht, jenen Wert durch die Gesellschaft in frei gewählten Raten und zu frei gewählten Zeiten erstattet zu bekommen. Der monetarisierte Sozialprozeß wirkt so als Arbeits- und Wertspeicher50 und ermöglicht, daß Vergangenheit und Zukunft des Arbeitsprozesses in die Gegenwart hineingezogen werden. Das Geld stiftet somit eine spezifisch menschliche, sozioökonomische Zeit51. Wichtig ist für Locke, daß nach Einführung des Geldes keine Akkumulationsschranke mehr existiert52, keine naturrechtlich wirksame Schranke der Differenzierung zwischen Arm und Reich. Und der im Geld in abstrakter Form existierende Reichtum wird natürlich auch in konkreten Reichtum umgesetzt, in Luxuswaren, in dauerhafte und weniger dauerhafte Güter, und in Grundbesitz. Damit wird die natürliche Appropriationsschranke des Bodens überschritten und die existierende Tendenz der Verknappung dieser Basisressource künstlich extrem beschleunigt, so daß der Boden vollständig privat appropriiert sein kann, lange bevor das Bevölkerungswachstum eines hypothetischen non-monetären Ziviliationsprozesses an diese Schranke gestoßen wäre53. Dies ist natürlich ein für Sozialisten bedeutsamer Gesichtspunkt der zivilisatorischen Entwicklung. Wenn in einem Land oder gar generell die Appropriation des Bodens, des primären Produktionsmittels zu Lockes Zeit, abgeschlossen ist, dann ist offensichtlich das Naturrechtsgebot, die gleichen Aneignungsmöglichkeiten anderer nicht einzuschränken, verletzt: Wer kein Vermögen hat und nicht emigrieren kann oder will, findet keine sozial unabhängige Existenzmöglichkeit mehr, außer jener, für andere zu arbeiten. Überhaupt für seine Existenz zu arbeiten, ist ein Naturrechtsgebot, das auch fur den mittellosen Pauper gilt. Auf der anderen Seite ist der Vermögensbesitzer naturrechtlich gehalten, niemanden verhungern zu lassen, ein Residuum des ursprünglichen negativen Gemeineigentums der Menschen an der Erde, denn wenn die Existenz bedroht ist, aktualisiert sich der ursprüngliche Anspruch auf die Nutzung der Welt zur Erhaltung des Lebens in Form des unbedingten Anspruchs auf überschüssige Lebensmittel, auch soweit sie in den Händen anderer existieren (der legitime „Mundraub"). Entgegen der traditionellen christlichen Auffassung der „Caritas" als Pflicht der Armenspende54 kann er nun im Sinne Lockes dem Armen statt Spenden Lebensmittel als Lohn für Arbeit geben und entspricht damit, nach Locke, viel mehr der Logik des Naturrechts. Eigentlich also verhilft der Kapitalist - denn um eine embryonale ideologische Form dieses Sozialtypus handelt es sich hier - dem Armen zu einer naturrechtlich richtigen Lebensweise, die gleichzeitig ein 50 Β. P. Priddat: Das Geld und die Vernunft, S. 29: „Der Nicht-Gebrauch ist durch die Geldform nur ein aufgeschobener, jederzeit später wieder zu tätigender Gebrauch. Abusus ist in diesem Sinne nicht mehr möglich". 51 Siehe ibid., S. 99ff. 52 Ibid., S. 25: „... das Geld ist das einzige Gut, das keine natürlichen Grenzen hat". 53 Locke: Zweite Abhandlung, § 36: „Das aber wage ich kühn zu behaupten: dieselbe Regel fur das Eigentum, nämlich daß jeder Mensch so viel haben sollte, wie er nutzen kann, würde auch noch heute, ohne jemanden in Verlegenheit zu bringen, auf der Welt gültig sein, denn es gibt genug Land, das auch für die doppelte Anzahl von Bewohnern noch ausreicht, wenn nicht die Erfindung des Geldes und die stillschweigende Übereinkunft der Menschen, ihm einen Wert beizumessen (durch Zustimmung), die Bildung größerer Besitztümer und das Recht darauf mit sich gebracht hätte". Birger Priddat schreibt: „Die Tendenz zur Ressourcenverknappung an Ackerboden im zweiten Stadium des Naturzustandes der Gesellschaft ist nicht „natürlich", sondern monetär induziert", Das Geld und die Vernunft, S. 36. 54 Siehe G. Vobruba: Arbeiten und Essen. Die Logik im Wandel des Verhältnisses von gesellschaftlicher Arbeit und existentieller Sicherung im Kapitalismus, in: St. Leibfried/F. Tennstedt (Hg.): Politik der Armut und die Spaltung des Sozialstaats, Ffm., 1985, S. 41-63.

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naturrechtlich richtiger Gebrauch seines Vermögens ist, soweit sich bei Locke alles Eigentum aus dem Gebrauch rechtfertigt. Das Geld fuhrt also letztlich zu einer naturrechtlichen Legitimation des Kapitalismus. Man kann verstehen, daß Marx Locke als einen wichtigen Ideologen der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft ansah55. Diese Konstruktion Lockes hat naturrechtlich problematische Aspekte, vor allem die Einschränkung der Aneignungsmöglichkeit anderer und die Möglichkeit, daß der Reiche, indem er andere für sich arbeiten läßt, den Kontakt mit dem Arbeitsprozeß verliert. Der argumentative Weg, auf dem Locke diesen Schwierigkeiten begegnet, geht von dem göttlichen Gebot der optimalen Nutzung der Schöpfung aus. Entsprechend seiner „99%-Arbeitswerttheorie" ist die private Aneignung Bedingung der Entfaltung der Produktivität. Daher gab Gott die Erde „dem Fleißigen und Verständigen zur Nutznießung (und Arbeit sollte seinen Rechtsanspruch bewirken), nicht aber dem Zänkischen und Streitsüchtigen für seine Launen oder Begierden"56. Im Konflikt zwischen dem Naturrechtsgebot der Maximierung der Produktion und dem Gebot der Gleichheit der Appropriationschance entscheidet Locke also zugunsten der Eigentumsrechte der „Fleißigen und Verständigen", weil sie die Bruttoproduktion maximieren. Es kann eingewandt wer55 Siehe etwa K. Marx: Resultate des unmittelbaren Produktionsprozesses, S. 132f. Vgl. zu einer solchen Interpretation auch C. B. MacPherson: Die Theorie des Besitzindividualismus. In James Tullys: A Discourse on Property, wird eine gegenteilige Auffassung, explizit gegen MacPherson, vertreten. Tully behauptet, aus theoriestruktur-immanenten Gründen könne es die soziale Figur des Kapitalisten bei Locke nicht geben, denn „if a man is driven by necessity to work for another, then the relation is based on force and is, ipso facto, a master and vassal arrangement. A person is not allowed to treat another in this way; he must feed him instead"(S. 137). Es ist richtig, daß Locke die soziale Beziehung von „Master and Vassal" strikt ablehnt. Er unterscheidet verschiedene Arten hierarchischer Beziehungen (siehe: Zweite Abhandlung, § 2). Weiterhin unterscheidet er zwischen dem Naturzustand (Fehlen politischer Vergesellschaftung) und dem Kriegszustand, in dem Gewalt an die Stelle des Naturrechts in den sozialen Beziehungen tritt (3. Kap.), und erklärt die Sklaverei zum ,/ortgesetzten Kriegszustand zwischen einem rechtmäßigen Eroberer und einem Gefangenen"(S. 214), also zu einer Gewaltbeziehung. Davon grenzt er im direkt folgenden Satz eine vertragsformige soziale Herr-Knecht-Beziehung ab: „Denn sobald sie [d. h. der Eroberer und der Gefangene] einen Vertrag eingehen und ein Abkommen treffen würden über eine begrenzte Gewalt auf der einen und Gehorsam auf der anderen Seite, hätte der Zustand von Krieg und Sklaverei ein Ende, solange der Vertrag dauert"(S. 214f.). Und zweifellos ist für Locke die Lohnarbeitsbeziehung eine solche vertragsformige Beziehung. Tully scheint nun anzunehmen, daß der Vertrag in diesem Fall nur eine Verdeckung der Gewaltformigkeit ist, wenn nämlich dem Lohnarbeiter nichts anderes übrig bleibt, als seine Arbeitskraft zu verkaufen. Diese Interpretation erscheint jedoch eher als Reproduktion einer späteren sozialistischen Rhetorik, denn als Position Lockes. Es gibt keinen Hinweis, daß Locke die Lohnarbeitsbeziehung, die j a massenhafte Realität seiner Zeit war (siehe den Anhang in MacPherson: Besitzindividualismus), als naturrechtswidrig betrachtet hätte. Im Gegenteil spricht Lockes: Plan zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit, in: ders.: Bürgerliche Gesellschaft und Staatsgewalt. Sozialphilosophische Schriften, hg. v. H. Klemmer, Berlin, 1986, S. 271-88, eine andere Sprache, denn Locke war argumentiert dort, daß die Arbeitsweigerung das primär naturrechtswidrige sei, die daher auch durch Zwang - mindestens in Form der Nahrungsverweigerung - gebrochen werden könne. Birger Priddat schreibt, Locke interpretierend: „Die Armen haben sich pflichtschuldig selber zu versorgen. Nur diejenigen, die zur Selbsterhaltung nicht in der Lage sind, werden als Bedürftige anerkannt. Armut ist kein gesellschaftlicher Rang mehr, sondern selbstverschuldete Not, die durch Arbeit und dadurch erworbenes Eigentum behoben werden kann", Das Geld und die Vernunft, S. 107. Ich stütze meine Kritik an Tully auch auf R. Ashcraft: Locke's Two Treatises, S. 90f., und J. Waldron: Locke, Tully, and the Regulation of Property, PSl, 1984: 32, S. 98-106; vgl. auch P. Kelly: „AH things richly to enjoy". Economics and politics in Locke's Two Treatises of Government, PSt, 1988: 36, S. 273-93; N. J. Mitchell: John Locke and the rise of capitalism, ΗΡΕ, 1986: 18, S. 291-305. 56 J. Locke: Zweite Abhandlung, § 34.

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den, daß Locke ja gar nicht weiß, wer die „Fleißigen und Verständigen" sind und daß die Vermögenslosen als Privateigentümer vielleicht genausoviel oder Besseres leisteten. Aber mit dem Geld wird die Differenzierung zwischen den Eigentümern und den Armen überpersönlich, auf Dauer gestellt und erblich, so daß der Einwand überholt ist57. Seine Auflösung des Normenkonflikts verstößt auch nicht gegen das Gebot der Eigentumsbegründung aus Arbeit, weil Locke gegen die Tradition den Arbeitsbegriff auf die gesamten disponierenden, organisierenden, kalkulierenden usw. Produktionstätigkeiten ausdehnt, alles einschließend, was der Pater Familias als Oite-Vorsteher macht, der bei ihm daher zum „Arbeiter" wird, während die, mit Marx gesprochen, „unmittelbaren Produzenten" auf gleiche Stufe mit dem Vieh gestellt werden 58 . Politische Institutionen Die tragende Idee Lockes über die evolutionäre Begründung der politischen Gewalt ist ihre Verknüpfung mit dem Wachstum des Privateigentums. Im Übergang zur Hirten- und Ackerbaugesellschaft entsteht dauerhaftes Privateigentum, und mit der Einfuhrung des Geldes differenzieren sich die Besitzunterschiede. Damit ist die fundamentale naturrechtliche Gleichheit der Menschen in eine Sozialgestalt wachsender Ungleichheit gekleidet, und das wird zur Ursache für die Schaffung einer separaten politischen Gewalt. Die Aufgabe der politischen Gewalt ist die Aufrechterhaltung der Gerechtigkeit. Das Lockesche Gerechtigkeitskonzept kann durch zwei grundlegende Bestimmungen charakterisiert werden: die Menschen sollen die naturrechtlichen Gebote einhalten, und ihre Rechte müssen gewahrt werden; Gerechtigkeit setzt sich somit aus Rechten und Pflichten zusammen. Zusammengeführt sind diese in der Pflicht zur Selbsterhaltung, aus der sich das Recht auf die dazu nötigen Mittel ergibt. Auf die Seite der Rechte gehört dann vor allem das Eigentum. Im vor-politischen Zustand, vor der Einrichtung einer separaten politischen Gewalt, sind Alle originäre Interpreten des Naturrechts. Jeder verteidigt seine Rechte, aber darüber hinaus ist jeder auch Wächter über die Einhaltung des Naturrechts im Verhältnis Dritter, weil es - so kann Locke wohl interpretiert werden - eine spontane Empfindung dafür gibt, daß die Durchbrechung des Naturrechts an einem Punkt Präzedenz für seine Verletzung an anderen Punkten ist. Wenn und solange dieser non-institutionelle gesellschaftliche Schutz des Naturrechts funktioniert, besteht keine Notwendigkeit für eine separate politische Gewalt. Im Laufe der Zivilisation jedoch, so Lockes zivilisationsgeschichtlich informierter Schluß, wurde ein Punkt erreicht, an dem das nicht mehr der Fall war und eine politische Gewalt, zunächst eine unparteiische Rechtsprechung 59 , institutionalisiert wurde. Locke denkt diesen Institutionalisierungs-

57 Ibid., § 48: „Und wie die verschiedenen Stufen des Fleißes das unterschiedliche Verhältnis ihres Besitzes bedingte, so gab die Erfindung des Geldes ihnen Gelegenheit, den Besitz zu vergrößern und beständig zu machen". 58 Siehe: Zweite Abhandlung, § 28; Β. P. Priddat: Über ein scholastisches Fundament der ,Arbeitswertlehre" bei John Locke, in: ders.: Antike und mittelalterliche Einflüsse auf die Ökonomie John Lockes, S. 3: „Die Arbeit, der das Odium der Mühsal und Last anhaftete, und die als Notwendigkeit ihren Status vordem nicht sehr hoch ansiedeln durfte, gewinnt mit Locke den Rang einer lebensbestimmenden Funktion"; s. a. ibid.: Über die Inversion der Aristotelischen Oecenomia in eine Republik der Arbeiter bei John Locke, S. 16-19; siehe zur Aufwertung der ,.Arbeit" als sozialphilosophischer Zentralbegriff in der Neuzeit Hannah Arendt kritisch in: Vita Activa. 59 R. Ashcraft: Locke's Two Treatises, S. 112.

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prozeß als institutionelle Gestaltwerdung präexistenter Sozialfunktionen, die bis dato über keine eigene institutionelle Gestalt verfügten. Warum dieser Differenzierungsprozeß an einem bestimmten Punkt der zivilisatorischen Entwicklung stattfindet, ist nicht leicht auszumachen, eindeutig ist jedoch, daß fur Locke die wachsenden Vermögensunterschiede der treibende Grund sind, wobei die Verknappung des negativen Gemeineigentums, das privater Aneignung offenliegt, verstärkendes Moment ist. Wahrscheinlich hatte Locke auch eine Idee davon, daß mit wachsender sozialer Arbeitsteilung, Berufsvielfalt, Unterscheidung der Lebensverhältnisse von Stadt und Land, et cetera, die Einheitlichkeit des Urteils in Fragen des Naturrechts in konkreten Kontexten abnimmt, so wie der Unterschied von Arm und Reich in gewisser Hinsicht ja nur ein Spezialfall der Auseinanderentwicklung sozialer Perspektiven ist. Jedenfalls stellt er fest, es komme im Laufe der Akkumulation zunehmend zu Konflikten, die immer schwieriger einvernehmlich zu lösen sind. Das Gegenbild dazu wäre die sozial relativ homogene Versammlung der Familienoberhäupter eines Stammes nomadisierender Hirten, die sich, so wäre die Annahme, relativ leicht auf gemeinsame Standards zur Beurteilung konflikthafter Situationen einigen könnten 60 . Mit der Verwandlung der abstrakt negativen Gütergemeinschaft in Privateigentum und der Reichtumsdifferenzierung wächst der Stoff für Abgrenzungsprobleme und Streitigkeiten über Besitzanteile, und gleichzeitig wird die soziologische Basis der verallgemeinerbaren Urteilsfähigkeit über Fragen der (Eigentums-) Gerechtigkeit erodiert. Daher wird ein Berufsstand sozial ausdifferenziert, der darauf spezialisiert und institutionell in die Lage versetzt ist, Streitfalle unparteiisch zu entscheiden. „Gesetze" sind nun im Grundsatz nichts anderes als für die Dauer bestimmte Kriterien, nach denen bestimmte Gruppen von Konflikten zu beurteilen sind, und Richter sind Spezialisten für die Entscheidung konkreter Streitfalle. Insoweit es beim Erlassen von Gesetzen, wie Locke sie konzipiert, um allgemeine Regeln geht, existiert hier grundsätzlich das Bedenken der Parteilichkeit nicht; die Gesetzgebung könnte daher durch die Gesamtheit der Bürger vollzogen werden 61 . Gleichzeitig ist die Legislative die höchste Gewalt, Ort der Souveränität, und an diesem Punkt wird die Differenz im Theoriedesign von Hobbes und Locke vital. Hobbes konzipiert den Naturzustand als Zustand unbegrenzter und sich wechselseitig ausschließender (Rechts-) Ansprüche, des allgemeinen Rechts jedes auf alles62, und das eben macht den Naturzustand so unerträglich. Im Übergang zur politischen Vergesellschaftung - oder „Verstaatlichung" - erlischt dieser Naturzustand, und das „Recht auf alles" wird zum „Recht auf nichts" - außer dem Recht auf Selbsterhaltung. Lockes Naturrecht ist dagegen wesentlich deontologisch angelegt und beruht auf gesellschaftserhaltenden und -stabilisierenden Pflichten 63 . Sein Begriff von „Gesellschaft" kommt daher theoretisch ohne „Staat" aus, lediglich mit verschwindenden politischen Funktionen ausgestattet, und dadurch schwindet die Dramatik des Übergangs in den staatlichen Zustand, der im Grunde eine bloße institutionelle Ausdifferenzierung und Verselbständigung vorher existenter Sozialfunktionen ist. Und so wie die Mitglieder der Lockeschen Gesellschaft 60 Siehe Locke: Zweite Abhandlung, § § 107, 108, S. 267f. 61 Siehe ibid., § 132. John Rawls' Theoriedesign des „veil of ignorance" beruht auf der Radikalisierung dieses Gedankens. 62 Siehe: Leviathan, 14. Kap., S. 99,15. Kap., S. 110. 63 Vgl. A. Ryan: Locke on Freedom: some second thoughts, in: Κ. Haakonssen (Hg.): Traditions of Liberalism, S. 38f.

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im vor-staatlichen Zustand nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten haben, so behalten sie im staatlichen Zustand mehr als das bloße Existenzrecht. Lockes Prozeß der Verstaatlichung stellt somit lediglich eine Ergänzung zum Naturrecht des Eigentums dar, wobei Eigentum (auch zeitgenössisch) die weite Bedeutung von „life, liberty, and estates" hat. Die theoretische Revolution Lockes liegt vor dem Hintergrund der Hobbesschen Theorie in der Verlegung des Eigentums in den vor-staatlichen Raum und vor dem Hintergrund konsensualer Eigentumstheorien in der Verlegung des Eigentums in den vor-gesellschaftlichen Raum. Die bedeutungsvolle politische Konsequenz wird an der Frage des Widerstandsrechts deutlich, wo Locke die Position einnehmen kann, die Verletzung des Naturrechts durch die politische Gewalt bedeute einen Bruch des Trust- Verhältnisses zwischen den Regierten als Mandanten und den Regierenden als Mandatare, so daß die Zustimmung der Regierten und daher auch ihre politische Gehorsamspflicht als erloschen anzunehmen ist. Denn im Gegensatz zum Modell Hobbes' übertragen die Bürger bei Locke nicht mit der Schaffung einer Legislative ihre gesamte politische Kompetenz auf diese Institution, sondern sie erteilen ihr lediglich einen begrenzten und prinzipiell jederzeit rücknehmbaren Auftrag. Nach James Tully modelliert Locke das Verhältnis der Bürger zur Regierung strukturverwandt dem Gottes zu den Menschen: so wie diese sein Werk sind, und daher seinen Geboten unterworfen, so ist die Regierung das Werk der Bürger und an ihren Auftrag gebunden 64 · Gott vertraut den Menschen die Erde zum freien Gebrauch an, der aber an bestimmte allgemeine Zwecke gebunden ist, und die Bürger vertrauen der Regierung das Regiment zum Wohle des Volkes an. Neben diesem politischen Auftragsverhältnis, das eine asymmetrische Beziehung darstellt, spielt der „Trust"-Begriff auch für den Verkehr der Bürger untereinander, unter Gleichen, eine wichtige Rolle 65 . Locke sieht, daß die institutionelle Ausdifferenzierung immanent die Gefahr der Verselbständigung der Institution mit sich bringt, in dem Maße nämlich, wie das Lebensschicksal, das Interesse und die „Machtchance" bestimmter Menschen sich an sie knüpft 66 . Die Grenzen der Legitimität exekutiven Handelns sind durch die (stehenden, allgemeinen) Gesetze67 gegeben, und die legitimen Grenzen der Gesetzgebung sind wesentlich durch die naturrechtlichen Eigentumsansprüche beschrieben 6 . Und letztlich entbindet keine Institution die Bürger davon, das Naturrecht gegen Überschreitungen zu wahren; insofern bleibt die Gesamtheit der Bürger letzten Endes souverän - ein Schluß, den Hobbes so sehr fürchtete. Das Vertrauen Lockes in die Fähigkeit der Menschen, ihre Beziehungen zueinander nach Maßgabe naturrechtlich als begründet erkannter Regeln im wesentlichen konfliktfrei zu gestalten, ist ungleich größer. Locke unterscheidet drei Regelungsbereiche 69 : a) das grundlegende göttliche Naturrecht, b) das menschliche Gesetz, das idealiter eine den Gegebenheiten angepaßte 64 A Discourse on Property, S. 160. 65 Siehe Locke: Essays on the Laws of Nature, S. 213; J. W. Gough: John Locke's political philosophy, 7. Studie; J. Dunn: Trust in the Politics of John Locke, in: ders.: Rethinking Modem Political Theory, Cambridge, 1985, S. 34-54. 66 Siehe Locke: Zweite Abhandlung, §111. Zum Begriff der „Machtchance": M. Weber: Wirtschaft und Gesellschaft, Kap. I, § 16. 67 Locke: Zweite Abhandlung, § 137. 68 Ibid., §138. 69 J. Locke: Essay concerning Human Understanding, Buch 2, Kap. 28, Abschn. 5-14.

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Konkretisierung des Naturrechts sein soll70, und c) die Sitten, Gewohnheiten und Regeln, nach denen soziale Kreise innerhalb einer übergreifenden Gesellschaft ihre Beziehungen normieren. Dieser letzte Bereich ist den anderen Bereichen theoriehierarchisch untergeordnet, dafür aber konkreter als jene, und er erfaßt spezifisch jene sozialen Beziehungen, in die das bürgerliche Gesetz nicht hineinreicht. Die verhaltensregulierende Kraft dieser konventionellen sozialen Normen sekundärer sozialer Kreise schätzt Locke als außerordentlich hoch ein, entsprechend der Abhängigkeit des (modernen) Menschen von Entgegenkommen und „good-will" seiner „peers". „He who imagines commendation and disgrace not to be strong motives on men to accommodate themselves to the opinions and rules of those with whom they converse", sagt Locke, „seems little skilled in the nature or history of mankind; the greatest part whereof we shall find to govern themselves chiefly, if not solely, by this law of fashion"71. Diese Tatsache begünstigt eine hohe Regelungsdichte, schafft jedoch auch komplexe Konfliktpotentiale zwischen Naturrecht, positivem Recht und sekundären sozialen Normen. Resümee Locke begründet die politischen Institutionen durch Rekurs auf ein zwar skizziertes, aber doch deutlich rekonstruierbares Modell evolutionärer sozioökonomischer Entwicklung. Dabei kann nicht davon gesprochen werden, er identifiziere die „bürgerliche Gesellschaft" als ein besonderes, neues Stadium; indem er jedoch die Einführung des Geldes und die darauf aufruhende Akkumulation als treibende Momente sozioökonomischer und politisch-institutioneller Entwicklung festmacht, denkt er implizite die spezifische politische Problematik bürgerlicher Gesellschaft, in der die Gesamtheit der Eigentümer (v.a. der Grundeigentümer) letzten Endes die Souveränität konstituiert. Daher rührt sein Interesse für die außer- bzw. vor-staatlichen Kommunikationsformen. Die Beziehung der Eigentümer zu den politischen Institutionen ist eine dreifache: Erstens werden sie durch diese von bestimmten Spezialfunktionen gesellschaftlicher Konfliktregulation entlastet, zweitens geben sie damit bestimmte naturrechtliche Kompetenzen auf, die ihnen als Bürgern zustehen und die sie nur bedingungsweise an die politischen Institutionen abtreten, und drittens entsteht damit das Problem der Kontrolle der ausdifferenzierten politischen Institutionen, das durch „Repräsentation" gelöst werden soll, das Locke jedoch nicht systematisch auf die tiefere Ebene zurückverfolgt: die Kontrolle der Repräsentanten durch die Eigentümer. Locke bietet eine abstrakt-naturrechtliche Diskussion des Widerstandsrechts, das er in abstracto bejaht und als letztinstanzliche politische Urteilskompetenz beim Individuum ansiedelt; das naturrechtlich informierte individuelle Bewußtsein ist so die letzte Quelle legitimer Politik. Aber er weiß aus eigener Erfahrung, daß zu einer aussichtsreichen Rebellion andere Bedingungen gegeben sein müssen, als das Naturrecht auf seiner Seite zu haben oder dies zu glauben. Die politischen Institutionen der bürgerlichen Gesellschaft sind daher keineswegs automatisch gegen die Versuchungen und Gefahren politischer Tyrannei gefeit. Im ganzen ist nicht ersichtlich, daß Locke einen systematischen positiven Zusammenhang von politischer Freiheit und bürgerlicher Prosperität annimmt; eher im Gegenteil, 70 R. Ashcraft: Locke's Two Treatises, S. 112. 71 Essay concerning Human Understanding, Buch 2, Kap. 28, Abschn. 13, S. 225; vgl. ders.: Gedanken über Erziehung, Stg., 1990, Abschn. 56ff.; Nonnenmacher: Die Ordnung der Gesellschaft, S. 102ff.

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denn mit der institutionellen Ausdifferenzierung politischer Institutionen im Rahmen bürgerlicher Gesellschaft läuft deren tendenzielle Verselbständigung parallel, die eben jene bürgerliche Freiheit bedroht, die die Institutionen sichern sollen. Das dringlichste politiktheoretische Problem im Anschluß an Locke ist daher die Klärung der Rückbildung der politischen Institutionen an die Eigentümer und deren Kontrollkompetenz, die Ausarbeitung der Bedingungen außerstaatlicher, gesellschaftlicher Handlungsfähigkeit in bezug auf die Politik, die Locke nicht leistete, weil ihm, konzentriert auf das abstrakt naturrechtliche Verhältnis der Individuen als selbständige Eigentümer zur Politik, eine strukturierte Gesellschaftsvorstellung ermangelte72.

72 Siehe zum Verhältnis von Locke zu den Schotten: J. Dunn: From applied theology to social analysis: The break between John Locke and the Scottish Enlightenment, in: Hont/Ignatieff (Hg.): Wealth and Virtue, S. 119-35.

3. Charles Davenant und die „modern Whigs" Charles Davenant (1656-1714) erscheint kaum in Geschichten des politischen Denkens, daftir aber in Darstellungen der frühen politischen Ökonomie73. Schon der Titel seiner heute bekanntesten Schrift weist ihn als (Spät-) Merkantilisten aus: „An Essay upon the propable Methods of making a People Gainers in the Balance of Trade", von 1699. Weniger bekannt ist seine politische Theorie, aber Pocock hat auf seine Kritik der kommerziellen Gesellschaft, oder genauer: bestimmter Auswüchse und Erscheinungsformen der kommerziellen Gesellschaft, aufmerksam gemacht74. Er hat auch recht mit der Behauptung, die Gefahr einer Dominanz der französischen Monarchie im europäischen Staatenmachtkampf sei zentrales Motiv von Davenants politischem Denken75, der Haltung des Oraniers auf dem englischen Königsthron, William ΙΠ, entsprechend. England muß sich demnach für die Erhaltung des europäischen Kräftegleichgewichts einsetzen, um die englische Freiheit zu erhalten. Dabei begreift Davenant den Handel als zentrales modernes Feld interstaatlicher Machtkonkurrenz, denn „all countries thrive or decline by trade"76, und die Politik hat sich auf diesem Feld zu bewähren. Ein Land, sagt Davenant, das für die Vermehrung seiner Einwohner sorgt, das wirtschaftsgeografisch günstig situiert ist und dessen Bewohner „have a genius adapted to trade", wird in der internationalen Handelskonkurrenz Gewinner bleiben, vorausgesetzt „labour and industry of their people be well-managed and carefully directed"77. Die Sicherheit der persönlichen Freiheit und des Eigentums sind dabei wesentlich für den Bevölkerungsreichtum78. Davenant synthetisiert merkantilistische und republikanische Gedankenmotive im Rahmen einer Theorie nationalstaatlicher Machtbalance, die ein Primat der Politik impliziert, an deren effektiver Spitze der Monarch steht. Die gewichtigere Rolle des Handels bedeutet jedoch eine Schwächung der Bindung der Bürger - besonders des Handelssektors - an das politische Gemeinwesen, da die Kaufleute nicht Handel treiben, um nationale Zwecke zu befördern, sondern um private Profite zu erwirtschaften. Die Politik, als Zusammenfassung übergeordneter Interessen des politischen Gemeinwesens, muß darauf mit einer komplexeren Art der Steuerung reagieren, in der die Eigeninteressiertheit der Wirtschaftsakteure unterstellt oder sogar stimuliert wird. „In countries [kommerziell] depraved nothing proceeds well, wherein 73 Siehe ζ. B. Schumpeter: Geschichte, Bd. I, S. 258f. u. pass.; T. W. Hutchison: Before Adam Smith, Kap. 4; Stavenhagen: Geschichte, S. 21 u. pass.; E. F. Heckscher: Mercantilism, Β. II, S. 115 u. pass. 74 Machiavellian Moment, S. 436-46. 75 Ibid., S. 437; s. a. den ersten Teil von John Robertson: Universal monarchy and the liberties of Europe: David Hume's critique of an English Whig doctrine, in: N. Phillipson/Q. Skinner (Hg.): Political Discourse, S. 349-373, hier S. 357ff. Siehe zum historischen Hintergrund: J. R. Jones: Country and Court, die letzten Kap.; A. Wandruszka: Die europäische Statenwelt im 18. Jahrhundert, in: G. Mann/A. Nitschke (Hg.): Propyläen Weltgeschichte. Eine Universalgeschichte, 7. Bd., Berlin/Ffm., 1964, die ersten Abschnitte. 76 An Essay upon the probable Methods of making a People Gainers in the Balance of Trade [im folgenden: Essay upon Balance of Trade], in: The political and commercial Works of Charles Davenant, London, 1771, Bd. II, S. 227; siehe J. Robertson: Universal monarchy and the liberties of Europe: David Hume's critique of an English Whig doctrine, in: N. Phillipson/Q. Skinner (Hg.): Political Discourse, S. 361. 77 Essay upon Balance of Trade, Works, Bd. II, S. 192. 78 Ibid., S. 185.

3. Charles Davenant und die „ modern Whigs"

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particular men do not one way or other find their account, and rather than a public good should not go on at all, without doubt it is better to give private men some interest to set it forward" 79 . Das ökonomische Privatinteresse soll durch geeignete Institutionen und eine kulturelle Einbettung den politischen Zielsetzungen dienstbar gemacht werden. „It is true", schreibt Davenant, „in these matters [Handel und Manufaktur] men are apt to follow what they think their particular profit, but the influence of good laws would go great way towards inclining them more to pursue what is for the general advantage; and indeed the private concerns of men should be always made subservient to the public interest. Nor is force at all needfiill to bring this about, for men, in most of their measures, where the administration is wise and steady, may be induced to pursue the common welfare by directive laws, by examples from the prince and great ones, and by some few not very expensive encouragements"80. Davenant präferiert also eine „politizistische" Antwort auf die Probleme der Auflösung tradierter Bindungen der Bürger an das politische Gemeinwesen durch die moderne Wirtschaftsgesellschaft. Der Handel ist an sich ein Übel, „a pernicious thing"81. Er zieht Wohlstand ins Land, der sich in Luxus umsetzt, fuhrt zu Betrug und Geiz und „extinguishes virtue and simplicity of manners; it depraves a people, and makes way for that corruption which never fails to end in slavery, foreign or domestic". Für die Politik läge daher nahe, den Handel nach dem Vorbild Lykurgs in Sparta aus dem Staat zu verbannen. Aber Davenant weiß, daß der Handel im modernen Europa notwendig ist, um in der Machtkonkurrenz zu bestehen. Für England ist geopolitisch insbesondere eine große Flotte nötig, die „is not to be had naturally but where there is an extended traffic". Die politische Bewertung des Handels erschöpft sich daher nicht in einer abstrakten moralphilosophischen Bewertung seines ethischen Wertes, sondern es sind die konkreten strategischen historischen Faktoren unter dem Primat der Politik zu beurteilen. Wenn sich dabei erweisen sollte, daß der Handel weniger der Sicherheit Englands im internationalen Machtgleichgewicht dient, als er zur Ursache der Zerstörung der nationalen moralischen Kultur wird, so kann es gerechtfertigt und notwendig sein, ihn einzuschränken. Das ist aber nach Davenant nicht der Fall, und das Problem besteht daher darin, die positiven Wirkungen des Handels zu nutzen und gleichzeitig die negativen zu minimieren. Davenant ist erklärter Tory82, der in den späten Jahren der Stuarts Regierungsämter in der Exzisenverwaltung innehatte, was nach der Revolution zu seinem zeitweiligen Ausschluß vom Staatsdienst führte, obwohl er sich loyal erklärte. Vor und nach 1700 gelang ihm wiederholt der Einzug als unabhängiger, aber einflußloser Oppositionsabgeordneter in das Unterhaus. Später, unter Queen Anne, nahm er wieder eine Position in der Wirtschaftsverwaltung ein, diesmal in der Außenhandelsabteilung. Seine wichtigeren Schriften fallen in die Zeit seines Auschlusses vom Staatsdienst, was sicher etwas von ihrer Bitterkeit erklärt. Davenant ist zweifellos konservativ, und er benutzt einen emphatischen Begriff der Monarchie. Das verhindert jedoch nicht, daß er typische Topoi der republikanischen Rhetorik mobilisiert, um die Korruption der postrevolutionären Whigs an der Macht zu geißeln - so zum Beispiel, wenn er zur Rückkehr zu den ursprünglichen

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Ibid., S. 206. Ibid., S. 229. Ibid., S. 275, auch für das folgende. Siehe zur Biographie den Artikel im „Dictionary of National Biography".

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Prinzipien britischer Freiheit im Stile der republikanischen Renovatio auffordert 83 . Diese normativ aus der Vergangenheit gespeiste Position verbindet er indes mit der Anstrengung, die moderne Entwicklung zu begreifen - und er gehört zur Avantgarde der ökonomischen Analytiker seiner Zeit. Die politischen Wirkungen der modernen Ökonomie seien realistisch einzuschätzen, und richtige Schlußfolgerungen im Sinne nationalstaatlicher Ziele seien daraus zu ziehen. Der Gegensatz einer rückwärtsgewandten Normativistik und eines angestrengten analytischen Realismus ist so im Primat einer europäisch orientierten kommerziellen Machtpolitik zusammengebunden, eine Konstellation, die sich auf anderer Ebene wiederholt, wenn Davenant dem Landbesitz sozialstrukturelle Priorität einräumt 84 , gleichzeitig jedoch behauptet, „land and trade rise and fall together" 85 . Davenant erscheint daher als Anhänger eines Kompromisses des Landadels mit der „City", Symbol der modernen Handels- und Wirtschaftsgesellschaft, zu Zwecken nationaler Machtstaatspolitik. Jenseits seiner Befürwortung eines die Individuen moralisch entlastenden „Politizismus" sieht Davenant die Notwendigkeit der Einbettung des politischen Systems in eine Kultur des Gemeinsinns 86 . Wichtiges Kriterium einer derartigen Kultur ist die Separierung der institutionellen- oder Amtsautorität von jenem politischen Einfluß, der über Öffentlichkeit vermittelt ist und durch diejenigen auszuüben ist, die die größte Integrität als gemeinwohlergebene Bürger beweisen87. Damit betont Davenant normativ die in die „Country"-Rhetorik eingehende Unabhängigkeit der „landed gentry" vom Hof und der City. Gleichzeitig äußert er sich jedoch pessimistisch über „the little publick spirit that remained among us", der „in a manner quite extinguished" sei88; seine wortgewaltigen Klagen über die allgemeine Käuflichkeit der Abgeordneten und Wähler habe ich zitiert89. Es entsteht so das Bild einer allgemeinen Korruption, vor deren Hintergrund sich das kritische Engagement des erzwungenen Privatiers Davenant um so verdienstvoller darstellt. Aber Davenant fühlt sich genötigt, seine politische Intervention gegenüber dem konservativen Publikum, das er anzusprechen hofft, explizit zu rechtfertigen: „But some perhaps may say, What has a private man to do with all this? To such may be answered, That in free countries, particular men may be allowed to look into what relates to the common safety: it is true, the pilots, to whom the vessel is trusted, are not to be disturbed on every light occasion; but, if they are apparently running it upon a rock, a private passenger, who is to sink with it, may be permitted to give notice of the danger, for it is no more than self-perservation, which is one of those natural rights whereof (in the original compact of government) we neither did nor could divert ourselves" 90 . Damit ist das Recht 83 Essay upon Balance of Trade, Works, Bd. II, S. 294: „... a mixed government grows young and healthy again, whenever it returns to the principles upon which it was first founded". 84 Essay upon the Balance of Power (1701), Works, Bd. III, S. 328: „... the right strength of this kingdom depends upon the land, which is infinitely superior, and ought much more to be regarded than our concerns in trade, or the new wealth which we think we have acquired in stocks and tallies". 85 Ibid., S. 221, s. a. S. 310. 86 Essay upon Balance of Trade, Abschn. V: That a country cannot encrease in wealth and power but by private men doing their duty to the public, and but by a steady course of honesty and wisdom, in such as are trusted with the administration of affairs. 87 Ibid., S. 344. 88 Essay upon Balance of Power, S. 301. 89 Teil 1, Abschnitt über die „Dialektik der Kommodifizierung". 90 Essay upon Balance of Power, S. 323.

3. Charles Davenant und die „ modern Whigs"

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öffentlicher Kritik reklamiert, solange sie sich am nationalen Interesse orientiert. „Out-of-office" demonstriert Davenant die Handhabung des Appells an das Land gegen die Machenschaften des politischen Zentrums, der zum Propagandastil der „CountryParty" wird. Die polemischste seiner Schriften ist der fiktive Dialog über „The true Picture of a modern Whig" 91 , in der Davenant scharf zwischen den verdienstvollen WhigRepublikanern der Revolutionsperiode und den modernen Whig-Politikern der PostRevolutionsperiode unterscheidet. Letztere seien skrupellose Bereicherungskünstler, erfindungsreich im Entdecken immer neuer Kniffe zur Ausplünderung des „Country" und der allgemeinen Öffentlichkeit - und daher öffentlichkeitsscheu. Als Tory kann sich Davenant nicht zu den Prinzipien der „alten Whigs" bekennen; aber er hebt hervor, diese hätten jedenfalls politische und moralische Prinzipien verfolgt, die an Traditionen britischer Freiheit, der Idee der gemischten Verfassung und der Gemeinwohlorientierung der Politik orientiert waren. Die oligarchische Politik der post-revolutionären Whig-Magnaten dagegen sei prinzipienlos, getrieben nur durch eine rücksichtslose Bereicherungssucht, die das Land gefährdet. „It is the principle of us modern whigs to get what we can, no matter how" 92 , läßt er ihren fiktiven Repräsentanten erklären, und, „If you talk or think of the public good, you will never become a right modern Whig" 93 . „You have been always a Whig out of principle", erklärt der „modern Whig" dem „old Whig", aber „we value none but those who are Whigs out of interest"94. „As for the old Whigs in King Charles's times many of them are dead, some of them are retired, being ashamed to see their party play the knave as soon as ever they got into power... What have we in us that resembles the old Whigs? They hated arbitrary government, we have been all along for a standing army: they desired triennial parliaments, and that trials for treason might be better regulated; and it is notorious that we opposed both those bills. They were for calling corrupt ministers to an account. We have ever countenanced and protected corruption to the utmost of our power. They were frugal for the nation, and careful how they loaded the people with taxes; we have squandered away their money as if there could be no end of England's treasure. The old Whigs would have prevented the immoderate growth of the French empire, we modern Whigs have made a partition-treaty, which unless Providence save us, may end in making the king of France universal monarch"95 - in Davenants Augen die größte Bedrohung englischer Freiheit. Mit dieser Polemik präformiert er den Gegensatz von „Court" und „Country,,, und man kann an ihm studieren, wie ein Tory um 1700 das Bündnis mit republikanischen Whigs sucht, um die an die Macht gelangten Whig-Modernisierer zu bekämpfen. Hier fallen eine Reihe von Stichworten der „Country"-Opposition: „standing army", „triennial parliaments", Ministerverantwortlichkeit und anderes, wie die Kritik der explodierenden Staatsschuld. Sie begünstigt die gegenwärtigen Nutznießer und belastet dafür spätere Generationen und die Gentry, was jedoch den modern whig nach Davenant nicht kümmert: „What care we for posterity; this burthen, as you call it, will chiefly fall upon the

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Works, Bd. IV. Ibid., S. 128. Ibid., S. 130. Ibid., S. 137. Ibid., S. 152.

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landed men, and it is our interest to humble the ancient gentry"96. Bei der Auseinandersetzung um die Staatsschuld geht es nämlich wesentlich um einen Verteilungskampf zwischen der „City" und der „landed Gentry", die die ökonomischen und politischen Folgen des sprunghaften Wachstums der Staatschuld fürchten muß, eine Furcht, die Davenant zu der Verschwörungsvorstellung dramatisiert, die Bereicherung durch den Staatskredit bilde einen geschlossenen, sich selbst verstärkenden und perpetuierenden Zirkel: Die Whig-Oligarchie, im Besitz der politischen Macht, veranlaßt die Ausgabe von Staatsschuldtiteln, die in ihrer Position als Kontrolleure der Kreditgesellschaften aufkauft oder durch Strohmänner aufkaufen läßt, und bereichert sich so aufgrund von Entscheidungen, die sie als politische Führung getroffen hat. Die Kosten in Form überhöhter Zinsen für Staatsschuldtitel wälzt sie auf die steuerzahlende Allgemeinheit ab. Aber nicht genug damit, daß die Whig-Oligarchie sich privat an der Politik bereichert, benutzt sie ihre Kontrolle der Finanzströme auch zur Sicherung ihrer politisch-gesellschaftlichen Position. Wir sind „masters of most of the ready money", läßt Davenant den „modern Whig" aus der Schule plaudern, „having indeed robbed the whole people of it; and when things go not to our minds, we give the word out, that everybody should sell; which immediately sinks the value of stocks, tallies, and all public funds: and though this comes merely by our own contrivance, we will impute it to a discontent in the nation to see our party discountenanced at Court or in St. Stephen's Chapel"97. Die Manipulation der Rentenkurse dient daher nicht nur der Erzielung privaten Profits, sondern auch politisch-taktischen Zwecken. Zusammenfassend lautet die Lehre des „modern Whig", es sei „impossible to grow very rich in a virtuous country, and you see our party has increased in wealth, in proportion to our having corrupted the people in their morals"98. Gegen diesen Korruptionszusammenhang appelliert Davenant an das „Country", das, so der implizite Appell, den Korruptionssumpf der Hauptstadt in der Verschränkung von politischer Macht und „City" trockenlegen sollte. Er nennt institutionelle Sicherungen gegen die Korruption, aber er betont auch die Notwendigkeit moralisch-kultureller Regeneration in der Perspektive der Stärkung der Monarchie im Rahmen der internationalen Machtkonkurrenz, denn „Nothing can more enable us still to maintain our post of holding the balance of Europe, nor contribute so much to our preservation, as for all good Englishmen to lay aside the name of parties, and to join in due obedience to the King"99. Seinem Selbstverständnis nach bildete das „Country"-Lager keine Partei im eigentlichen Sinne, sondern es repräsentierte die Nation.

96 97 98 99

Ibid., S. Ibid., S. Ibid., S. Balance

208. 250. 248. of Power, Works, S. 359.

4. John Toland: „Real Whig" Davenants Vorstellung von einem „Old Whig", der an vorrevolutionären Whig-Prinzipien festhält, entspricht vielleicht Robert Molesworth (1656-1725) 100 , der weniger selbst als Schriftsteller bedeutend ist, denn als Zentrum und Inspirator einer Gruppe oppositioneller, republikanisch beeinflußter Whigs, der der dritte Earl of Shaftesbury, John Toland und Francis Hutcheson angehörten. Doch soll auf Aspekte von Molesworth' kleiner programmatischer Schrift über die Principles of a Real Whig von 1711 hingewiesen sein, die zuerst als Einleitung seiner Ausgabe der „Franco-Gallia" des französischen Monarchomachen Francois Hotman 101 erschien - ein Bezug, der bereits eine Differenz zu Davenant deutlich macht. „Molesworth was preoccupied with civil liberty", schrieb Caroline Robbins 102 , „and hardly mentioned trade except to declare himself against monopolies. However, he believed in government action to foster prosperity and encourage population. Credit should be extended. Public works, buildings and highways, as well as the improvement of waterways, should be undertaken. Public servants and seamen should be well paid. Idlers should be put to work or punished". Das ist wohl eine zutreffende Darstellung, die ergänzt werden sollte durch einen Hinweis auf die liberale Haltung Molesworths in der Frage der Einbürgerung 103 . Bürgerliche und religiöse Freiheit sowie Sicherheit des Eigentums seien in England „firmly established", sagt Molesworth, und dies ziehe Fremde ins Land „that have substance, and a sense of honour and liberty,... which consequently would thoroughly people us with useful and profitable hands in a few years" 104 , wenn nicht die Einbürgerungsbeschränkungen dagegenstünden. Dabei zeige doch die Erfahrung, daß „the consumption of the produce both of land and industry encreases visibly in towns full of people". Die „corporation-towns" dagegen fallen „most throughout England... to visible decay, whilst new villages not incorporated, or more liberal of their privileges, grow up in their stead..." 105 . Bekanntlich siedelte sich die frühe Manufaktur und Industrie häufig außerhalb des quasi-juridischen Einflußbereiches der Zünfte an - auf dem Land -, und diese Entwicklung nimmt Molesworth zum Anlaß, für eine liberale Öffnung der Niederlassungspolitik zu plädieren. An diesen Kommentaren, die in Richtung liberaler Wirtschaftspolitik weisen, kann jedenfalls abgelesen werden, daß die „real whigs" keine einfachen Traditionalisten waren, sondern sich aufmerksam zu den sozioökonomischen Modernisierungsprozessen verhielten. Molesworth ging von einem positiven Zusammenhang freiheitlicher Politik und ökonomischer Prosperität aus. Er bekannte sich als „Commonwealthman" 106 und damit zur englischen republikanischen Tradition, legte aber Wert darauf, nicht in allem mit der republikanischen Tradition identifiziert zu werden. Das gleiche gilt fur John Toland. 100 Siehe C. Robbins: Eighteenth Century Commonwealthman, Kap. 4. 101 Siehe Q. Skinner: Foundations, Bd. II, S. 304£F. u. pass.; U. Bermbach: Widerstandsrecht, Souveränität, Kirche und Staat: Frankreich und Spanien im 16. Jahrhundert, in: Fetscher/Münkler (Hg.): Pipers HB der politischen Ideen, Bd. III, Kap. III. 102 Eighteenth century commonwealthman, S. 113. 103 Eine interessante moderne Diskussion bietet M. Walzer: Spheres of Justice, Kap. 3 104 Molesworth: Principles of a Real Whig, S. 15, auch für das folgende. 105 Ibid., S. 16. 106 Ibid., Schluß.

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Kapitel 3: England

Toland (1670-1722) ist auch nach Auffassung Franco Venturis eine der interessantesten Figuren im Lager des englischen Republikanismus des 18. Jahrhunderts107. Bekannt ist er allerdings heute weniger als politischer Theoretiker, denn als deistischer Aufklärungsphilosoph, der die anhaltende Kontroverse um Deismus, Theismus und Atheismus um 1700 anregte und im 18. Jahrhundert als Arch-Atheist galt108. Toland stand mit Leibniz und anderen prominenten Mitgliedern der europäischen Gelehrtenrepublik in Verbindung, an deren philologisch-philosophischen Forschungen er sich beteiligte. Daneben aber machte er sich früh einen Namen als Publizist der Schriften von James Harrington, John Milton und anderen Repräsentanten des republikanischen Denkens des 17. Jahrhunderts, dessen Wurzeln aus der italienischen Renaissance und dem Puritanismus in der Bezeichnung des „Commonwealthman" verschmelzen. Toland verband zeitgenössisch avancierte republikanische Auffassungen mit der Anerkennung gesellschaftlicher Umwälzungen, insbesondere der Kommerzialisierung der englischen Gesellschaft. Wie sah diese Verbindung aus? Toland widmete die Neuausgabe von Schriften Harringtons den Notablen der Stadt London und wies dabei auf den engen Zusammenhang wirtschaftlicher Prosperität mit politischer Freiheit hin: „Liberty is the true spring of [Londons] prodigous trade and commerce with all the known parts of the universe"109. Und ist nicht auch die Bank von England ein Beweis für den Zusammenhang von Prosperität und Freiheit? „What greater demonstration can the world require concerning the excellency of our national government, or the particular power and freedom of this city, than the Bank of England, which, like the temple of Saturn among the romans, is esteemed so sacred a repository, that even foreigners think their treasure more safely lodged there than with themselves at home; and this not only done by the subjects of absolute princes, where there can be no room for any public credit, but likewise by the inhabitants of those commonwealths where alone such banks were hitherto reputed secure"110 - ein Hinweis auf die zurückgehende Dominanz der Holländer im internationalen Handel. Im gleichen Sinne schrieb er 1720 über die Wirkungen der „Glorious Revolution": „The deliverance at the glorious revolution brought with it the greatest blessings to the nation. The security and liberty which the people then had, made them industrious, and our trade flourished to a greater degree than it had done for many years before, and increased our riches every day. This is the natural effect of liberty"111. Auf der anderen Seite schließt sich Toland in seiner Schrift über „The Art of governing by Partys" (1701) der verbreiteten Ablehnung der politischen Parteien an" , und weitergehend impliziert seine Unterstützung der Republik113, die nicht mit einer Befür107 Utopia and Reform, Kap. 2; s. a. C. Robbins: Commonwealthman, S. 125ff. 108 Siehe für den ideengeschichtlichen Zusammenhang: P. Hazard: Die Krise des europäischen Geistes. 109 Dedication to the Lord Mayor, Aldermen, Sherifs and Common Council of London, in: James Harrington: Works. The Oceana and other works, with an account of his Life by John Toland, London, 1771, repr., Aalen, 1963, S. If. 110 Ibid., S. 2f. 111 Considerations on the present state of the Nation, London, 1720, S. 6. 112 J. Toland: The Art of governing by Partys: particularly, in religion, in politics, in parliament, on the bench, and in the ministry; with the ill effects of partys on the people in general, the king in particular, and all our foren affairs; as well as on our credit and trade, in peace or war, &c., London, 1701. 113 Siehe seine Selbstverteidigung: Vindicius liberius: or, Mister Toland's defence of himself, against the late Lower House of Convocation, and others; wherein (besides his letters to the Prolocutor) certain

4. John Toland: „Real Whig"

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wortung der Demokratie zu verwechseln ist114 und keineswegs verhindert, die Monarchie in ein Modell post-absolutistischer gemischter Verfassung einzubauen, keine Akzeptanz sozialen Pluralismus und erscheint insofern vormodern. Dabei wird ein spezifisch zeitgenössisches Motiv sichtbar, das wir von Davenant kennen, die Anschuldigung der „Modern Whigs" nämlich, nach der „Glorious Revolution" an die Macht gekommen, wesentliche republikanische Grundsätze aufgegeben zu haben. Man erkenne „the instability of human councils", wenn man sieht, wie „some of those surely Whigs grew by degrees the most liant gentlemen imaginable, they could think of no revenue too great for the King nor would suffer his prerogative to be lessened, they were on frivolous pretences for keeping up a standing army to our further peril and charge, they filled all places in their disposal with their own creatures, combined together for their common impunity"115. Vor diesem Hintergrund hat Toland Schwierigkeiten - wie andere Republikaner -, sich unqualifiziert als „Whig" zu bezeichnen. In diese Zeit fallt denn auch die Unterscheidung von „Old/Country/Real-Whigs" versus „Modern/Court-Whigs", an deren Verallgemeinerung zum Gegensatz „Court" - „Country" sich erweist, daß Toland letztlich doch die gesellschaftliche Fundierung jedenfalls dieser Parteispaltung akzeptiert, die daher nicht unterdrückt werden kann, denn „... nothing can possibly abolish [den Gegensatz von „Court" und „Country"] ..., except drying up the spring of their contrary interests"116. Den ideologischen Gegensatz von „Whigs" und „Tories" hält er jedoch fur im wesentlichen überholt, da beide Parteien sich auf dem Boden des „Revolution-Settlement" bewegten117. Fünfzehn Jahre später, in der „State-Anatomy of Great Britain"(1717), geht Tolands Akzeptanz des Parteiwesens, „held within due bounds", so weit, ihm die Bewahrung des Staates vor Stagnation zuzurechnen118, eine Position, die auch Mandeville vertrat119 und die von David Hume weitergeführt wird120. Auch Tolands positive Haltung zur „Glorious Revolution" und später zum Dynastiewechsel zu den Hannoveranern zeigt an, daß er nicht auf dogmatisch republikanischen Positionen des 17. Jahrhunderts verharrt und sich der Modemisierungspolitik der „Court"-Whigs annähert121. Das Verhältnis zur strittigen dynastischen Erbfolge bildete

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passages of the book intituld Christianity not mysterious, are explained, and others corrected: with a lull and clear account of the Author's principles relating to Church and State; and a Justification of the Whigs and Commonwealthmen, against the Misrepresentations of all their Opposers, London, 1702, Abschnitte 28ff. C. Robbins: Commonwealthman, S. 127. The Art of governing by Partys, S. 47. Anglia Libera: or the Limitations and Succession of the Crown of England, London, 1701, S. 51. Ibid., S. 82. The State Anatomy of Great Britain, containing a particular account of its several interests and parties, their bent and genius; and what each of them, with all the rest of Europe, may hope or fear from the Reign and Family of King George, London, 9. ed., ο. J. [1717?], Preface: „... the merit or demerit of party is gone, when once all men profess the same political creed. Every division, however, is not simply pernicious; since Parties in the state are just of the like nature with Heresies in the Church: sometimes they make it better, and sometimes they make it worse; but, held within due bounds, they always keep it from stagnation". Μ. M. Goldsmith: Private Vices, Public Benefits, S. 112. Vgl. W. Jäger: Politische Partei und parlamentarische Opposition, S. 204ff., bes. § 46, und unten im Abschnitt über Hume, im Unterabschnitt über Parteien. Toland: State Anatomy of Great Britain, S. 45: „... generally speaking, the Whigs are the trading people of this country".

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Kapitel 3: England

fur Jahrzehnte eine Spaltungslinie in der „Country"-Opposition, wobei die republikanischen Whigs sich als Hannoveraner zeigten, während Bolingbroke den Verdacht der Konspiration mit den Jakobiten nie ausräumen konnte. Gegen die Verfestigung der Zentralmachtstrukturen und die Entfremdung der politischen Zentrale vom Land propagiert Toland die gewöhnlichen Maßnahmen der Opposition: jährliche Parlamentswahlen, Ämterrotation und ein Gesetz zum Ausschluß von Angehörigen des Staatsdienstes aus dem Parlament, die durch ihre Stellung vom Wohlwollen der Exekutive abhängen122. Darüber hinaus fordert er eine Reform des aktiven Wahlrechts und der Wahlbezirkseinteilung, die die Parlamentswahlen national vereinheitlichen soll123, eine später von den Radikalen aufgegriffene Programmatik. Regime, die auf willkürlicher Machtausübung beruhen, ruinieren das Volk, denn „the want of a security to property hinders all their industry; they are generally dispirited, for slavery destroys their courage; they are purposely kept in ignorance, lest knowledge should make them desirous of liberty; and they are abominably vitious, because sensual pleasures are the only satisfaction they have left, being debarred the freedom of conversation, strangers to the delights of learning, and never imployed on a public account"124. Insbesondere gibt es in despotischen Regimes keine sozialen Aufstiegsmöglichkeiten, „whereas it is one of the noblest effects of free governments, that a man may ascend from the meanest to the highest degree according to his merit; and questionless that must be the best constitution, where this is oftenest done, and with the greatest ease"125. In diesem, auch fur Defoe wichtigen, Motiv drückt sich Tolands positive Haltung zur modernen sozialen Dynamik und zum antiaristokratischen Prinzip der Meritokratie aus. Immerhin hält er daran fest, daß Gesellschaft auf Hierarchien angewiesen ist126. Sein Ideal einer „freien Regierung" beschreibt Toland als Kombination von ziviler Freiheit, Prosperität, kultureller Blüte und Stärke nach außen: „The inhabitants of the country are numerous, industrious, sober, wealthy, and martial; liberty and laws secure them in their possessions, which makes them as vigilant and valiant in defence of the government as to preserve their own lives; the buildings are constantly in repair, excelling in magnificence and architecture; the lands are improved with all manner of culture, for ornament and delight, as well as the profit of the owners; the public roads, walks, bridges, edifices, and the like, are equally stately and commodious; the rivers and harbours are full of ships which import whatever is useful or pretious in any part of the universe, and export the superfluity of native productions to such as need them elsewhere; all orders of men maintain their proper characters, but the stoutness, neat apparel, and good air of the common-people particularely demonstrate their freedom and plenty; the magistrate is reverenced but not feared, injoying honors only short of adoration, and whosoever would destroy his person must first assassinate all the subjects; the government is honored and feared abroad, true to their friends, and terrible but not unjust to their enemies; arts, inventions, and learning are

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Anglia Libera, S. 52. The Art of governing by Partys, Kap. 9. Anglia Libera, S. 9. Ibid., S . l l . Ibid., Abschn. 9, S. 57: „True nobility does not consist in titles, ornaments, or attendance (tho I see no hurt in such distinctions) but in being the leaders of the people in war, as well as their protectors and guides in peace", S. 58: „But in free governments the nobility make a substantial part of the constitution, and are the very soul of the state".

4. John Toland: „Real Whig'

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universally incouraged, and in the most flourishing condition; strangers think themselves as free and safe as at home; contrary sentiments make no difference of esteem or affection" 127 . Dies ist eine inspirierte Formulierung des Ideals bürgerlich-republikanischer Vergesellschaftung, in der die Momente kommerzieller Orientierung und patriotisch-republikanischer Wehrhaftigkeit nach außen und innen komplementär einander zugeordnet sind. Und „Freiheit" ist der zentrale Leitwert, denn „Populousness, commerce, wealth, politeness, power, and reputation is wholly owing to Liberty"128. Im Zusammenhang des „South-Sea-Bubble" Anfang der zwanziger Jahre, als die von Davenant denunzierte Konzentration politischer und finanzieller Entscheidungsmacht in der Metropole London für breitere Kreise thematisch wurde, publizierte Toland Überlegungen zur politischen Einhegung des Geldmarktes129. Dabei geht er von der Beobachtung aus, daß die Masse der Bürger die Zusammenhänge des Geldmarktes nicht durchschaut, wodurch die Geldleute unmäßige Gewinnmöglichkeiten erhalten, ihre Betrügereien erfolgreich verschleiern können und sich gegen strafrechtliche Verfolgung sichern130. Wie Davenant betrachtet auch Toland die strategische Kooperation von Politikern und Geldleuten als eine spezifisch moderne Bedrohung freiheitlicher Politik, weil sie die politische Macht der traditionellen Trägerschicht republikanischer Politik, die ökonomisch unabhängigen Landeigentümer, unterläuft. Sie erfordert daher neue Formen der Kontrolle der Exekutive, die über die im 17. Jahrhundert durchgesetzten anti-absolutistischen Kontrollen hinausgehen. Davenant als auch Toland konzentrierten ihre Kritik auf den „moneyed interest", während sie die Verschmelzung der Gentry mit dem „manufacturing" und „merchandising" oder „trading interest" befürworten, ein soziales Bündnis, das ihnen als Bedingung erfolgreicher merkantilistischer Machtpolitik galt.

127 Ibid., S. 13ff. 128 Ibid., S. 17. 129 Considerations on the present State of the Nation as to publick Credit, Stock, the landed and trading Interest, with a proposal for the speedy lessening the publick Debts, and restoring Credit, in a manner consistent with parliamentary Engagements, London, 1720. 130 Considerations on the present State of the Nation, Preface, S. 5: „I know it is the desire of some who have been acting both a foolish and wicked part, that the people should be kept in the dark, as to their true interests, which the more they understand, the better will they discern how criminal their deluders have been".

5. CATO und der „Bubble" Der „South-Sea-Bubble" bildete auch den Anlaß zur Publikation der sogenannten „Letters of Cato", die zeitgenössisch ein großer Erfolg waren, häufig nachgedruckt und auch in Nordamerika intensiv rezipiert wurden131. Sie sind weniger bedeutend aufgrund theoretischer Systematik und Kohärenz als vielmehr als herausragendes Beispiel republikanischer Propaganda, die auf unmittelbare Beeinflussung der Öffentlichkeit zielt - als moderne Variante antiken Demagogentums. Den Namen Catos, des römischen Säulenheiligen der republikanischen Tradition132, benutzten John Trenchard (1662-1723) und sein langjähriger Mitarbeiter Thomas Gordon (gest. 1750) als Pseudonym; der größere intellektuelle Anteil wird Trenchard zugeschrieben133, der bereits in den 1690ger Jahren in der Kontroverse über die „Standing Army" als Pamphletist zusammen mit Walter Moyle hervorgetreten war134. An der republikanischen Tendenz der „Cato's Letters" ist nicht zu zweifeln135, auch wenn sie eine gewisse Diffusität aufweisen und sich als Gelegenheitsschriften einer gradlinigen, auf wenige Grundmomente reduzierten Interpretation versperren136. Ein Grundproblem ideengeschichtlicher Interpretation besteht in der Überbrückung des historischen Wissens, das wir über die nachfolgende Zeit haben, das die Zeitgenossen nicht hatten, und das daher im rekonstruktiven Aspekt der Interpretation auszuschalten ist. So auch hier: Wir sind mit der Erfahrung schneller Wechselkurs- und Aktienindexbewegungen vertraut. Und wir haben eine gewisse Idee davon, wie diese Prozesse mit Politik verzahnt sind. Zu imaginieren, daß diese Erfahrungen neu sind und daß ihre politische Bedeutung im Dunkeln liegt, ist eine Schwierigkeit beim Verständnis der Cato-Letters, die herausragendes Beispiel einer unmittelbaren, heftigen Reaktion auf die Erfahrung der partiellen Überdeterminierung der Politik durch Ereignisse auf dem Geldund Kapitalmarkt sind. Eine der wichtigsten Folgen des South-Sea-Bubble, jener Spekulationskrise, die dem englischen Publikum erstmals drastisch die Unwägbarkeiten des kapitalistischen Geldmarktes vor Augen führte, war die Umverteilung beträchtlicher Vermögenswerte innerhalb kürzester Zeit; während viele Anleger verloren, wurden wenige reich, deren Erfolg auf verschiedenen Faktoren beruhen mochte: auf Glück, einem richtigen „Instinkt" oder auch auf einem Wissensvorsprung - über die Mechanismen des

131 R. Ashcraft: The radical Dimension in Locke's Political Thought, HPT, 1992, S. 739, nennt die Cato's Letters „the Bible of the eighteenth century Commonwealthmen"; A. C. Houston: Algernon Sidney, S. 231: „According to a recent study, only Trenchard and Gordon's Cato's Letters and Locke's Two Treatises could be found with greater frequency [als Sidneys Discourses] in colonial libraries". Ich habe aus Gründen schwieriger Literaturbeschaffung verschiedene Quellen benutzt. 132 Die zeitgenössische Popularität „Catos" erschließt sich etwa durch Joseph Addisons gleichnamiges Drama von 1713, in: Eighteenth-Century Plays (1713-71), sei. J.Hampden, London/NY, 1946. 133 Bei C. Robbins: Eighteenth Century Commonwealthman, finden sich Mitteilungen über die Autoren und den Kontext der Cato-Letters, S. 115ff. 134 An Argument, Shewing, that a Standing Army is inconsistent with a Free Government, a. a. O . ; s. a. C. Robbins: Commonwealthman, Kap. 4. 135 Ich widerspreche damit R. Hamowy: Cato's Letters, John Locke, and the republican paradigm, HPT, 1990; kongenialer finde ich die Interpretation von Shelley Burtt: Virtue transformed, Kap. 4, deren spezifische These jedoch, Cato behaupte eine Identität von Selbstinteresse der Bürger und Gemeinwohl, mich letztlich nicht überzeugt, zumal Burtt selbst auf die Figur des uninteressierten Patrioten hinweist, als der sich Cato selbst präsentierte. 136 Ich spreche im Text gelegentlich einfach von Cato, wenn ich die Cato 's Letters meine.

5. CA TO und der „ Bubble"

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Geldmarktes im allgemeinen oder auch „Insiderwissen". Auf dieses Wissensgefalle hatte schon Toland zur Deutung der Krisenerfahrung hingewiesen. Brisant ist jener Wissensvorsprung, der sich aus der Konzentration politischer, wirtschaftlicher und finanzieller Entscheidungen in der Metropole und aus den vielfaltigen persönlichen Kontakten zwischen den politischen und finanziellen Eliten ergibt, die eventuell in Spekulationsgeschäften verwertbar sind. Bis heute werden wirkungsvolle Institutionen gesucht, diesen Faktor wirksam unter Kontrolle zu bringen, und das war im frühen 18. Jahrhundert sicher noch viel schwieriger. Am „Bubble" und der Bereicherung der Finanzleute entzündete sich so das Unbehagen an diesem Aspekt der Moderne, wenn sich auch im Laufe der Zeit die Einsicht durchsetzte, eine große, imperial ausgreifende Handelsnation sei auf einen leistungsfähigen Geld- und Kapitalmarkt angewiesen. Eine geläufige Metapher fur die Kennzeichnung der Unsicherheit und Undurchschaubarkeit der Vorgänge auf dem Geldmarkt war der allegorische Bezug auf die unberechenbare Fortuna, auch wurde die Metapher des Luftigen gebraucht, um das gleichsam „Unsolide" spekulativer Wertschwankungen zu charakterisieren137. Cato nennt die Geheimnisse der Finanzspekulation eine Art von „cabalistical learning"138, „as for example: just before any publick misfortune is to make its appearance, those who know of it may sell out; and in the heighth of danger buy again; and when it is over, by taking another opportunity, they may sell a second time. ... and so... till the greatest part of the property of the kingdom be got into the hands of but a few persons, who will then undoubtedly govern all the rest". Damit ist die Furcht Catos, der sich als Repräsentant der „country-gentry" darstellt, gegenüber den unkontrollierbaren Zusammenhängen im Hintergrund der Bewegungen des Geldmarktes auf den Begriff gebracht. Zur Bewerkstelligung erfolgreicher Finanzspekulation war sicher unerläßlich, in der Metropole London präsent zu sein, und der Affekt gegen die Metropole speiste sich wesentlich auch daraus, daß die Gentry denen mißtraute, die ohne politisch-soziale Legitimation Entscheidungen trafen, die den Kapitalmarkt und damit auch Vermögensteile der Gentry sowie den Staatskredit wesentlich beeinflußten. Die Methoden der Spekulanten in Staatspapieren funktioniert Cato zufolge nach diesem Schema: „They got publick money into their hands, and then lent that money to the publick again for great praemiums, and at great interest, and afterwards squandered it away to make room for new projects: They made bargains for themselves, by borrowing in one capacity what they lent in another; and by a right use of their prior intelligence and knowledge of their own intentions, they wholly governed the National Credit, and raised and depressed it at their own pleasure, and as they saw their advantage" 139 . Offensichtlich setzt er voraus, daß zentrale Positionen in der Finanzabteilung der Regierung und bei den großen regierungsnahen Gesellschaften, wie der Bank of England und der South Sea Society, die als Kreditbeschaffer für die Regierung fungierten, von Spekulanten besetzt sind, daß es jedenfalls eine verdeckte Komplizenschaft zwischen Regierungsleuten und Spekulanten zum wechselseitigen privaten Vorteil gibt.

137 Siehe F. Antal: Hogarth, Abb.6 u. 44; Pocock: Machiavellian Moment, S. 452ff. 138 [J. Trenchard/T. Gordon:] Cato's Letters, 3. ed., London, 4 Bde., 1733, repr., NY, 2 Bde., 1969 (im folgenden: Cato's Letters, NY), No. 107, 15. 12. 1722: Of publick credit and stocks, Bd. II, Original: Bd. IV, S. 19. 139 A Collection of all the political letters in the London Journal [Cato's Letters], 2. ed., London, 1721 (im folgenden: Collection of Cato's Letters, 1721), Nr. 25: 11. 3. 1721, S. 42f.

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Kapitel 3: England

Pocock hat die Erfahrung betont, daß der „Kredit", der ursprünglich ein persönliches Vertrauensverhältnis bezeichnete und übertragen auf die Beziehung zwischen Kreditnehmer und Kreditgeber den finanziellen Ruf eines Geschäftsmannes betraf140, auf die Nation im ganzen angewandt gegen allen Schein der Sicherheit starken Schwankungen ausgesetzt war - so als wäre das politische Gemeinwesen, mit dem sich der „freie Engländer" in der republikanischen Ideologie identifizierte, im Spiegel der Wertpapierkurse von stark schwankender Stärke im Vergleich der europäischen Mächte141, Prozesse, die vielen undurchdringlich waren. Die Realität dynamischer ökonomischer Prozesse, auf die Wechselkurse und Rentenmarkt sensibel reagieren, untergräbt die nur scheinbaren sinnlichen und politischen Gewißheiten. Und bei einem systematischen Zurückbleiben sozialer Lernprozesse hinter sozialen Komplexitätssteigerungen, liegt, als historisches Gesetz verallgemeinert, eine personalistische Reduktion sozialer Komplexität nahe, die im Falle der Krise in eine Dämonisierung der „stock-jobber" und ihrer vermuteten Komplizen in der Politik ausmündete. So wurden als Hauptschuldige des „Bubble" die Direktoren der bankrotten „South Sea Society" identifiziert, aber auch die Politik geriet unter starken Druck. Cato verlangte in einem der frühen Briefe, als die Hysterie auf dem Höhepunkt war, gar die Todesstrafe fur die verantwortlichen Krisengewinnler142. Und er rät zur Eile bei der Verfolgung der Schuldigen, da der Zorn des Volkes zu entscheidenden Schritten genutzt werden müsse143, womit er wahrscheinlich nicht nur auf die Absetzung korrupter Politiker zielte, sondern auch auf die institutionelle und politisch-kulturelle Sicherung gegen zukünftige Spekulationskrisen. Kein Wort ist so sehr mißbraucht worden, wie das Wort „Kredit", sagt Cato144, und kein Mißbrauch eines Wortes hat mehr Unheil angerichtet, denn der Handel mit Staatsschuldtiteln, bezeichnet als „Public Credit", „inverted the oecenomy and policy of nations" und „made a great kingdom turn all gamesters"145. Auch die Regierung, anstatt das Volk gegen die Enteignung über den Geldmarkt zu schützen, habe ihre Hauptaufgabe in der Aufrechterhaltung des Staatskredits gesehen und wurde so zum Komplizen der Spekulanten. Darüber hinaus führe die Spekulation, wenn sie sich verallgemeinert, zur Fehlleitung der Liquidität des Landes, sogar der Handel wird finanziell ausgetrocknet, denn „the heads of all its merchants and traders" werden von ihrem „proper business" abgelenkt und durch Finanzspekulationen in Anspruch genommen. Die Spekulation „taints men"s morals, and defaces all the principles of virtue and fair dealing, and introduces combination and fraud in all sorts of traffick. It has changed honest commerce into bubbling; our traders into projectors; industry into tricking; It has set up monstrous members and societies in the body politick, which are grown, I had almost said, too big for the whole kingdom: It has multiplied offices and dependencies in the power of the court... It has overwhelmed the

140 Siehe zur Gefahrdung dieses „Kredits" illustrativ D. Defoe: The Complete English Tradesman, Kap. XV und XXIV. John Brewer weist auf den Prozeß der Rückbeziehung des Wortgebrauchs vom finanziellen auf den persönlichen Bereich hin, Commercialization and Politics, in: N. McKendrick et al.: The Birth of a Consumer Society, S. 214. 141 J. Pocock: The Machiavellian Moment, Kap. XIII, S. 451 ff. 142 A Collection of Cato's Letters, 1721, Nr. 3, S. 13, Nr. 7: 19. 11. 1720, S. 32. 143 Ibid., No. 6: 12. 11. 1720, S. 27ff. 144 Cato's Letters, repr., NY, No. 107, 15. 12. 1722: Of publick credit and stocks, Bd. II, Original: Bd. IV, S. 12. 145 Ibid., No. 107, 15.12. 1722, Bd. II, Original: Bd. IV, S. 17.

5. CATO und der „ Bubble"

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nation with debts and burdens" 146 . Die Diffusität dieser Philippika, in der Staatsschuld, spekulative Degeneration des Handels, parasitäre Aufblähung des Staatsapparates mit konsequenter Stärkung monarchischer Patronage und der Ruin nicht-spekulativer, produktiver Sektoren der Ökonomie miteinander verquickt werden, ist typisch für die „Country"-Kritik. Positiv gewendet erscheint der Abbau der Staatsschuld als dringliches Gebot, um die „britische Freiheit" gegen den neuen Feind, die Spekulation, zu schützen, die nach Cato nur scheinbar unpolitisch, wirklich jedoch im System moderner Politik von höchster politischer Bedeutung sei. Neben die Aufgabe der Niederhaltung absolutistischer Tendenzen der Krone, die mit der „Glorious Revolution" scheinbar gelöst war, tritt die neue Aufgabe der Unschädlichmachung der Spekulation, die politisch als Verbündeter der Krone wirkt. In beiden Fällen verläuft die Konfliktlinie zwischen Zentrum und Peripherie, „Court" und „Country". „Stock-jobbing is the accursed art of preying upon one another, and of cheating and being cheated by consent" 147 , und insoweit sich diese Mentalität verallgemeinert hat, ist der „Bubble" Ausdruck einer moralischen und kulturellen Krise. Cato sieht denn auch eine Degeneration der „sozialen Leidenschaften" der Engländer, die sich vor lauter Gier nach Reichtum selbst ruinieren 148 . Die Lehren des „Bubble" sollten deshalb eine moralisch-kathartische Wirkung entfalten, jenseits der jedoch auch an institutionelle Vorkehrungen zu denken ist, etwa im Rahmen eines Harringtonschen „Agrargesetzes", durch das sich die „Gentry" gegen das Anwachsen des Einflusses der „monied men" schützt. Tatsächlich sei es „melancholy to consider, that power follows property, when we consider at the same time into what vile hands that property is fallen, and by what vile means" 149 . Das „Agrargesetz", das Cato propagiert, sollte Vermögensobergrenzen festlegen, nicht beschränkt, wie noch bei Harrington, auf den Grundbesitz, sondern erweitert auf das bewegliche und Kapitalvermögen 150 . Cato akzeptiert also, daß die Grenze einer vorwiegend agrarischen Ökonomie überschritten ist, und er sieht die wachsende ökonomische Bedeutung von Formen des fixen und zirkulierenden Kapitals neben dem Grundeigentum. „A free people are kept so by no other means, but an equal distribution of property; every Man who has a share of property, having a proportionable share of power; and the first seeds of anarchy, which, for the most part, ends in tyranny, are produced from hence, that some are ungovernably rich, and many more miserably poor; that is, some are masters of all the means of oppression, and others want all the means of self-defence" 151 .

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Ibid., Bd. II, Original. Bd. IV, S. 21. A Collection of Cato's Letters, 1721, Nr. 3, S. 12. Ibid., Nr. 10: 10. 12. 1720, S. 49. Collection of Cato's Letters, 1721, Nr. 1, S. 4. Siehe zum Kontext Pocock: The mobility of property, and the rise of eighteenth century sociology, in: ders.: Virtue, Commerce, and History, S. 103if. 151 A Collection of Cato's Letters, 1721, Nr. 7: 19. 11. 1720, S. 31; ähnlich: „... well knowing that dominion follows property; that where there are wealth and power, there will be always crowds of servile dependents; and that, on the contrary, poverty dejects the mind, and fashions it for slavery, and renders it unequal to any generous undertaking, and incapable of opposing any bold usurpation", ibid., Nr. 22, S. 22; ähnlich: „As liberty can never subsist without equality, nor equality be long preserved without an agrarian law, or something like it; so when men's riches are become immeasurably or surprizingly great, a people who regard their own security, ought to make a strict enquiry how they came by them, and oblige them to take down their own size, for fear of terrifying the community, or mastering it", ibid., 1.7. 1721, S. 42.

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Damit knüpfen Trenchard und Gordon an die alte Idee eines gewissen Maßes bürgerschaftlicher sozialer Gleichheit als Voraussetzung republikanischer Vergesellschaftung an, während das zeitgenössische Naturrecht vom Prinzip unbedingten Eigentumsschutzes ausging und daher keinen Raum ließ für das republikanische sozioökonomische Gleichgewichtsdenken. Bemerkenswert ist eigentlich die Unbefangenheit, mit der Trenchard/Gordon die egalitäre Idee des „Agrargesetzes" anwenden, da sie keineswegs „Gleichmacher" sind: „Some inequality there must be, the danger is that it be not too great: Where there is absolute equality, all reverence and awe, two checks indispensable in society, would be lost; and where inequality is too great, all intercourse and communication is lost" 152 . Die Kunst besteht daher in der Ausarbeitung von Methoden zur Sicherung eines mittleren Maßes von Vermögensdifferenzierung, das einerseits die notwendige soziale Hierarchisierung gewährleistet, die politische Herrschaft sozialstrukturell trägt, das andererseits jedoch die Sprengung der Verfassung durch die Überdehnung der Vermögensdifferenzierung verhindert. Historisch sind zu diesem Zweck, beginnend mit dem altgriechischen „Ostrazismus", verschiedene, auch außergesetzliche oder indirekte Methoden praktiziert worden, je nachdem, welchen sozialen Schwerpunkt das politische Regime aufweist, das sich mit ihrer Hilfe selbst stabilisiert. „Very great riches in private men are always dangerous to states", resümiert Cato, „because they create a greater dependence than can be consistent with the security of any sort of government whatsoever; they place subjects upon too near a level with their sovereigns; make the nobility stand upon too great an inequality in respect of one another; destroy, amongst the commons, that ballance of property and power, which is necessary to a Democracy, or the democratical part of any government, overthrow the poise of it, and indeed alter its nature, though not its name: For this reason, states who have not an Agrarian Law, have used other means of violence or policy to answer the same ends. Princes often, either by extraordinary acts of power, by feigned plots and conspiracies, and sometimes by the help of real ones, have cut off these excrescent members and rivals of their authority, or must have run the Hazard of being cut off by them. Aristocracies put them upon expensive embassies, or load them with honorary and chargeable employments at Home, to drain and exhaust their superfluous and dangerous wealth; and Democracies provide against this evil, by the Division of the estates of particulars after their death amongst their children or relations in equal degree" 153 . Im Vergleich zu diesen irregulären Methoden erscheint ein reguläres Vermögensbegrenzungsgesetz als der bessere, mit der „rule of law" verträgliche Weg. Dabei geht es Cato, bezogen auf England, in erster Linie um das sozialstrukturell konservative Prinzip der Erhaltung der gegliederten sozialen Basis der „gemischten Verfassung", die besonders durch die neue Dynamik des kommerziellen Sektors der Ökonomie gefährdet wird. Denn, so seine rhetorische Frage an die standesbewußte Gentry: „What Briton, blessed with any sense of virtue, or with common sense, what Englishman, animated with a publick spirit, or with any spirit, but must burn with rage and shame, to behold the Nobles and Gentry of a great Kingdom; men of Magnanimity; men of Breeding; men of Understanding and of Letters; to see such men bowing

152 Cato's Letters: or Essays on liberty, civil and religious, and other important subjects, 4 Bde., London, 6. ed., 1755, Bd. II, 2.9. 1721, S. 71; s.a. Cato's Letters, 4 Bde., London, 1724, Preface (ohne Namensangabe, aber offenbar von Τ. Gordon), S. 41: „He [Trenchard] was against all levelling in church and state, and fearful of trying experiments upon the constitution". 153 Cato's Letters, repr., NY, Bd. II, Nr. 91,25. 8. 1722, Original, Bd. III, S. 207.

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down, like Joseph"s sheaves, before the face of a dirty Stock-Jobber, and receiving Laws from men bred behind Counters" 154 , eine Frage, dessen antibürgerlich-aristokratischer Affekt ganz unüberhörbar ist, die „Handelsleute" aus der klassisch-republikanisch anspruchsvollen Sphäre aktiver politischer Gestaltung fernhalten zu wollen, weil ihnen dafür, so die Implikation, die Qualifikationen und Tugenden fehlen, die exklusiv durch die Kultur von Adel und Gentry getragen sind. Inspiriert ist dieser rhetorische Ausbruch sicher durch die Wahrnehmung der tatsächlich historischen Infragestellung des politischen Primats des Adels durch Familien bürgerlicher Herkunft. Die höheren Formen der Kultur sollen dem Adel und der Gentry vorbehalten bleiben, die nicht zuletzt daraus ihren Anspruch auf die politische Leitung der Gesellschaft begründen. Die arbeitende Bevölkerung soll nicht durch ein Übermaß an Bildung von ihrem niedrigen sozialen Status und der harten körperlichen Arbeit entfremdet werden, warnt Cato 155 wie ähnlich etwa zu dieser Zeit auch Bernard Mandeville 156 . Cato weist den politischen Institutionen, auch bei der Formung der politischen Kultur im ganzen, einen hohen Stellenwert zu. „The difference between nation and nation, in point of virtue, sagacity and arms", schreibt er, „arises not from the different genius of the people; which, making very small allowances for the difference of climate, would be the same under the same regulations; but from the different genius of their political constitutions" 157 . Und Ronald Hamowy hat in diesem Zusammenhang argumentiert, die Cato's Letters seien weniger republikanisch als vielmehr durch liberales Denken geprägt, besonders durch die „radikalen Whigs" der „exclusion-crisis", der „Monmouth-rebellion" und der „glorious revolution", also von Locke, Sydney, und anderen 158 . Das Problem dieses Vergleiches liegt darin, daß in dieser politischen Strömung, die ein politisches Bündnis gegen den virtuellen Absolutismus der späten Stuarts und gegen die katholische Kirche darstellte, verschiedene politische Motive und Traditionen zusammenflössen, indem der Naturrechtler Locke, als politischer Gefolgsmann des ersten Earls of Shaftesbury, mit dem ex-Leveller John Wildman, dem Republikaner aus Harringtons Rota, Algernon Sidney, zeitweise mit dem Dissenter William Penn, den James Π durch seine Toleranzpolitik gewann, und mit dem exilierten schottischen Magnaten, dem Earl of Argyll, kooperierte. Diese Heterogenität von Motiven und Traditionen ist nur um den Preis einer außerordentlichen Simplifizierung als einheitlich „liberal" darzustellen, ein Preis, den i^Twg-Historiker bezahlen, die dem Liberalismus des 19. Jahrhunderts mit Gewalt eine einheitliche Vorgeschichte zuschreiben wollen. Die Rhetorik Sydneys, der zweifellos ein wichtiger Einfluß in Cato ist159, ist deutlich republikanisch geprägt, aber auch abgesehen davon: wenn man sich darauf verständigt, der Liberalismus sei als Diskurs wesentlich durch die Betonung von Individualrechten definiert, dann spricht Catos Auffassung der Macht und ihrer Gefahren eher gegen eine liberale Interpretation. „Power is like a fire", schreibt er, „it warms, scorches, or destroys, according as it is

154 A Collection of Cato's Letters, 3. 1. 1721, S. 34. 155 Cato's Letters, repr., NY, Bd. II, No. 133, 15. 6. 1723: Of charity, and charity-schools, Original: Bd. IV, S. 236. 156 B. Mandeville: Eine Abhandlung über Barmherzigkeit, Armenpflege und Armenschulen (1723), in: ders.: Die Bienenfabel, bes. S. 318ff. 157 A Collection of Cato's Letters, 1721, Nr. 17: 21. 1. 1721, S. 63f. 158 Hamowy: Cato's Letters, John Locke, and the republican paradigm, HPT, 1990. 159 Siehe: A Collection of Cato's Letters, 1721, Brief v. 22. 4. 1721.

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watched, provoked, or increased. It is as useful as dangerous. It's only rule is the good of the people; but because it's apt to break its bounds, in all good governments nothing nor as little as may be, ought to be left to chance or the humour of men in authority: All should proceed by fixed and stated rules; and upon any emergency new rules should be made" 150 . Hier findet man den klassisch republikanischen Grundsatz: Salus populi suprema lex esty6{, verbunden mit einer spezifischen Wendung gegen Willkürherrschaft, wenn Cato feststellt, „there is no middle in nature, between judging by fixed and steady rules, and judging according to discretion, which is another word for fancy, avarice, resentment, or ambition, when supported by power, or freed from fear" 162 . Dieses Motiv ist ein Ergebnis der antiabsolutistischen Auseinandersetzungen des 17. Jahrhunderts, und seinen Kern bildet die Idee der immanenten Verführungskraft der Macht, die beantwortet wird durch institutionelle Einhegungen 163 , die am Ideal der „Rule of Law" auf der Basis stehender, allgemeiner Gesetze orientiert sind. „No man ought to be exempt from the ties of laws, and the higher any man is, the more ties he ought to be under. All power ought to be balanced with equal restraints" 164 , so daß die Staatsspitze im Gegensatz zum Absolutismus der Ort maximaler Machtbeschränkung und Kontrolle ist. Das Motiv der „Herrschaft des Gesetzes" hat bei Cato eine spezifisch republikanische, antiabsolutistische Bedeutung, denn die gegen Willkürherrschaft zu sichernden Rechte sind nicht in erster Linie als Individualrechte ausgewiesen, sondern als Rechte der Gemeinschaft der Bürger im Gegensatz zu den Regierenden. Locke dagegen ist an entscheidenden Stellen seiner Theorie naturrechtlich argumentierender Liberaler, in Sonderheit durch die zentrale Stellung des weit ausgelegten individualen Eigentumsrechts 165 . Die respektive Betonung der Sicherung des individuellen Freiheitsraumes einerseits oder die der Begrenzung des Handlungsfeldes der Regierenden im Verhältnis zur Gemeinschaft der Bürger andererseits erscheint mir als näherungsweise brauchbares Unterscheidungskriterium liberalen respektive republikanischen Denkens in diesem ideengeschichtlichen Feld, eine Unterscheidung, die allerdings nicht symmetrisch ist, da das liberale Denken wohl die Machtbegrenzung durch „stehende Gesetze" einschließt, umgekehrt jedoch das republikanische Denken nicht in gleichem Maße das Prinzip individualen Eigentumsrechtes respektiert. Aber das bedeutet nicht, Cato setze die „Gemeinschaft der Bürger" an die Position einer unbegrenzten Souveränität, was vormodernes republikanisches Denken gelegentlich tut, sondern er formuliert die generalisierte Einsicht, „that men and societies have no possible human security but certain and express laws, setting express bounds to the power of their magistrates, ascertaining the measure of power as well as subjection, 160 161 162 163

Ibid., Brief v. 15. 4. 1721, S. 24. Diesen Grundsatz zieht auch Locke im Second Treatise gelegentlich an, siehe etwa § 142, S. 290. Cato's Letters, repr., NY, Bd. II, No. 101, 3. 11. 1722, Original, Bd. III, S. 300f. Cato's Letters, repr., NY, Bd. II, No. 115, 9. 2. 1723: The encroaching nature of power, ever to be watched and checked, Original, Bd. IV, S. 81: „Only the checks put upon magistrates make nations free; and only the want of such checks makes them slaves", S. 82: „We know, by infinite examples and experience, that men possessed of power, rather than part with it, will do anything, even the worst and the blackest, to keep it;... it is the nature of power to be ever encroaching". 164 A Collection of Cato's Letters, 1721, 8. 7. 1721, S. 45. 165 So heißt es im 9. Kapitel des Second Treatise über „Die Ziele der politischen Gesellschaft und der Regierung", § 2: „Das große und hauptsächliche Ziel, weshalb Menschen sich zu einem Staatswesen zusammenschließen und sich unter eine Regierung stellen, ist also die Erhaltung ihres Eigentums", u. öfter.

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and restraining alike the exorbitances of both Prince and People" 166 . Diese Diskussion läuft daher auf die Forderung einer geschriebenen Verfassung hinaus, die die Rechte von Minderheiten und Individuen auch gegen das Volk, gegen die Mehrheit, schützt, wobei Cato unter „Volk" von vornherein „not the idle and indigent rabble" versteht, „under which name the people are often understood and traduced, but all who have property without the privileges of nobility" 167 . „Stehende Gesetze" sollen auch die Rechte und Privilegien von Adel und Gentry gegen bürgerlich-demokratische Aspirationen schützen. Diese Forderung paßt daher, insofern sie im Rahmen des Modells einer sozioökonomisch fundierten „gemischten Verfassung" verbleibt und die spezifische Rolle der Aristokratie gegen „Gleichmacherei" sichert, in den Rahmen eines institutionalistisch ausgelegten „Zivilhumanismus" und beweist wenig für eine „liberale" Interpretation Catos. Seine Neigung zum Institutionenrepublikanismus ruht auf einem pessimistischen Menschenbild auf, etwa wenn er sagt, „the only security we can have that men will be honest, is to make it their interest to be honest" 168 . Gleichzeitig aber bezieht dieser Institutionalismus seine Rechtfertigung aus der kulturellen Wirkung, die die Institutionen als Verhaltensregulationen und durch sie geschaffene Vorbilder haben; sie werden damit fur die politische Kultur im ganzen entscheidend. Außerhalb der „res publica" ist den Individuen die private Lebensgestaltung überlassen, denn nach Catos Einsicht ist „no man so fit as himself to rule himself, in things which purely concern himself' 169 , und „every man has a right and a call to provide for himself, to attend upon his own affairs, and to study his own happiness" 170 . Charakteristisch fügt er jedoch sogleich hinzu, „that this duty of a man to himself be performed subsequently to the general welfare, and consistently with it", so daß die individuelle Freiheit als durchaus abgeleitet erscheint. Cato verzichtet daher nicht auf die republikanische Forderung politischer Tugend auf Seiten der Bürger. In dieser Kernfrage changiert seine Position zwischen der pessimistischen Annahme radikaler Korruption seiner Zeit, die Voraussetzung für die moderne Politik sei, und dem Festhalten an der Perspektive einer regenerierten republikanischen politischen Kultur, die jene Korruption überwindet. Dabei überwiegt das pessimistische Menschenbild, das Cato in dem seit der Antike problematisierten171 anthropologischen Trieb schrankenlosen Begehrens verortet 172 . Die zeitgenössische Korruption Englands bringt dieses ursprüngliche Korruptionspotential zum Vorschein, das jedoch kulturell zähmbar erscheint. Und dabei käme den Regierenden, den Politikern, eine entscheidende Rolle zu, wenn es richtig ist, daß ein Volk grundsätzlich nur im Maße der Korruption seiner Politiker korrumpiert 173 . Hindert diese Ambivalenz anthropologischen Pessimismus und republikanischer Tugendhoffiiung Cato an der Entwicklung einer systematischen politischen Theorie, so läßt sich ihre Dramatisie166 Cato's Letters, repr., NY, Bd. II, No. 72 ν. 7. 4. 1722, Original, Bd. III, S. 45. 167 Zit. n. C. Robbins: Eighteenth Century Commonwealth Man, S. 122. 168 A Collection of Cato's Letters, 1721, 17.6. 1721, S. 31; s.a. Cato's Letters, repr., NY, Bd. II, No. 108, 22. 12. 1722: Inquiry into the source of moral virtues, Original, Bd. IV, S. 30. 169 Cato's Letters, London, 1755, Bd. II, 29. 7. 1721, S. 44. 170 Ibid., 1.7. 1721, S. 40. 171 Siehe ζ. Β. die kleine Kontroverse zwischen S. J. Pack und W. S. Kern: Aristotle and the problem of insatiable desires, ΗΡΕ, 1985: 17, S. 391-94. 172 Cato's Letters, London, 1755, Bd. II, 5. 8. 1721, S. 50. 173 Cato's Letters, repr., NY, Bd. II, No. 94, 15. 9. 1722, Original, Bd. III, S. 239.

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rung wohl aus Zwecken politischer Propaganda erklären: Cato glaubt wohl die Korruption seiner Zeit in Dimensionen analog zur moralischen Krise der römischen Republik im Stadium ihres Untergangs überzeichnen zu müssen, will er angesichts der wirklichen kommerzialistischen Deformation republikanischer Moral einen kathartischen Effekt erzielen. Dieses Motiv liegt meiner Ansicht nach der neoklassischen Rhetorik dieser Zeit überhaupt zugrunde, die an die spät- (Cicero, Sallust) bzw. post-republikanische (Livius, Tacitus) Rhetorik des alten Rom anschließt, dessen Untergang dem historisch informierten 18. Jahrhundert stets gegenwärtig war 174 . In seiner positiven politischen Programmatik knüpft Cato am englischen politischen Institutionensystem und an der zur Formel erstarrten „ancient constitution" an, die David Hume später als Mythos zu entschleiern suchen wird, der den republikanischen Kritikern der bürgerlichen Modernisierung dazu diente, die Gegenwart als Degeneration einer ursprünglich unverdorbenen Vergangenheit erscheinen zu lassen, auf die sie sich beriefen, um die Begründungslast der eigenen Positionen zu vermindern. Nach der Auslegung Catos ragt das im Kern gesunde politische Institutionensystem gleichsam als erratisches Element in einen korrumpierten Gesellschaftszustand hinein. Daher bietet es sich als Hebel zur Überwindung der wesentlich gesellschaftlichen Korruption an. Glücklicherweise ist England (noch) nicht die „Türkei", die Cato für die asiatische Despotie stand, die gekennzeichnet ist durch den unvermittelten Gegensatz isolierter Subjekte und einer monolithischen, hierarchischen Machtstruktur, die in der Willkürherrschaft des Despoten aufgipfelt, der keine unabhängige soziale oder politische Macht gegenübersteht; es gibt nur absolute Macht und absolute Ohnmacht 175 . Mag auch in England das Gelüst der Regierenden auf despotische Herrschaft gerichtet sein, so bilden doch sowohl die soziale Strukturiertheit der englischen Gesellschaft als auch die kulturelle Verankerung der „ancient constitution" einen wirksamen Schutz. Bei Cato finden sich die wichtigsten 7opoi des republikanischen Institutionenprogramms - von der „gemischten Verfassung" 176 bis zur Rotation 177 -, ein Material, das im einzelnen wenig zu meiner Fragestellung beiträgt. Hier ist jedoch Catos allgemeine Stellungnahme zum Verhältnis von Marktökonomie und freiheitlicher Politik zu beleuchten, eine Problematik, die in der Abfolge der Letters an Bedeutung gewinnt. „I appeal to all history and travels", schreibt Cato, „whether countries are not peopled and rich, in proportion to the liberty which they enjoy and allow" 178 . Auch prosperierender Handel und maritime Stärke seien Resultat bürgerlicher Freiheit und ohne sie nicht denkbar 179 . Einer schroffen Ablehnung der Kapitalmarktspekulation steht somit eine grundsätzlich positive Wertung der produktiven Zweige der Ökonomie inklusive des Handels gegenüber, deren Prosperität gedanklich an republikani174 Die bedeutendsten Beiträge dazu sind: Montesquieus: Größe und Niedergang Roms (1734), hg. v. L. Schuckert, Ffm., 1980; Edward Gibbons: The Decline and Fall of the Roman Empire (1776-1788), abr., ed. D. A. Saunders, Harmondsworth, 1985, und Adam Fergusons „History of the Progress and Termination of the Roman Republic" von 1783. 175 Cato's Letters, London, 1755, Bd. II, S. 72: „Power does not glide there [Türkei], as it ought every where, down an even and easy channel, with a gentle and regular descent". 176 Cato's Letters, repr., NY, Bd. II, Nr. 70 v. 17. 3. 1722, Original, Bd. III, S. 12ff. 177 Cato's Letters, London, 1755, Bd. II, 6. 1. 1722, S. 233, 13. 1. 1722, S. 239. 178 Ibid., 27. 1. 1722, S. 261. 179 Cato's Letters, repr., NY, Bd.. I, 3. 2. 1722: Nr. 64: Trade and Naval Power the offspring of Civil Liberty only, and cannot subsist without it, Original, Bd. II, S. 266ff.

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sehe Politik angekoppelt ist, was politisch bedeutet, diese Sektoren für republikanische Politik zu gewinnen, weil sie daran interessiert seien. In bezug auf den Handel muß die Politik zurückhaltend agieren, weil er empfindlich sei, wie eine „flatterhafte Dame", die nur durch Schmeichelei und Lockmitteln gewonnen werden könne 180 , „Her contexture is so nice and delicate that she cannot breathe in a tyrannical air". Aber auch die Künste und Wissenschaften benötigen besondere Freiheitsräume 18 ' und selbst die fundamentale zivilisatorische Tatsache der Arbeitsamkeit (oder Faulheit) der Bewohner eines Landes hängt aufs engste mit ziviler Freiheit zusammen, denn „where there is liberty, there are encouragements to labour, because people labour for themselves; and no one can take from them the acquisitions which they make by their labour: there will be the greatest numbers of people, because they find employment and protection; there will be the greatest stocks, because most is to be got, and safest when it is got" 182 , eine an die Argumentation des „Selbstinteresses" anschließende Begründung, die hier eigentumsrechtlich unterbaut ist und im 18. Jahrhundert zu einem Gemeinplatz wird. Cato sieht auch den innovationsfordernden Charakter wirtschaftlicher und politischer Freiheit, denn „In free countries... New projects are every day invented, new trades searched after, new manufactures set up; and when tradesmen have nothing to fear but from those whom they trust, credit will run high" 183 . Orientiert am Vorbild der Niederlande stellt er die komparative Wertproduktivität von Gewerbe und Manufaktur im Verhältnis zur Landwirtschaft heraus184, was mit seiner generellen merkantilistischen Präferenz für Manufakturproduktion in der internationalen Arbeitsteilung korrespondiert. Gleichzeitig lehnt Cato jedoch die Außenhandelsmonopole der großen Handelsgesellschaften ab, nicht wegen der Wohlfahrtsverluste, wie Adam Smith, sondern weil sie Medien illegitimer Bereicherung des unproduktiven Finanzsektors sind. „The benefits arising by these companies, generally, and almost always, fall to the share of the stock-jobbers, brokers, and those who cabal with them; or else are the rewards of clerks, thimble-Men, and Men of nothing", eine soziale Dynamik, die besonders unerträglich wird, wenn diese nouveaux riches sich in die Politik mischen und als Staatmänner gerieren, denn „It is a strange and unnatural transition from a fishmonger or pedlar to a legislator"185. In dieser Hinsicht kann Holland kein Vorbild sein, wo die „East-India-Company" den Staat regiert186. Den Gegensatz von Whigs und Tories hält Cato für überholt, an seine Stelle sei jener der „Ins" zu den „Outs" getreten 187 . Diejenigen, die nicht an der Macht sind, werden stets für die Freiheit und die „Constitution" eintreten, während die Mächtigen stets zur Unterdrückung der Freiheit tendieren. Dieser generalisierte „Tyrannis"-Verdacht gegen die politische Zentrale bildete ein Zentralstück der „Country"-Ideologie und weist sie als Op-

180 Ibid., Original, Bd. II, S. 267, auch für das folgende. 181 Ibid., Bd. I, Nr. 67 v. 24. 2. 1722: Arts and Sciences the Effects of Civil Liberty only, and ever destroyed or oppressed by Tyranny, Original, Bd. II, S. 303ff.; ibid., Bd. II, No. 71 v. 31. 3. 1722: Polite arts and learning naturally produced in free states, and marred by such as are not free, Original, Bd. III, S. 27ff. 182 Ibid., Bd. I, Original, Bd. II, S. 308. 183 Ibid., S. 309. 184 Ibid., Bd. II, Original, Bd. III, S. 183. 185 Ibid., S. 210, Nr. 91 ν. 25. 8. 1722. 186 Ibid., S. 211. 187 Siehe das Zitat in Kapitel 1, im Abschnitt: „Court" und „Country".

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Positionsideologie aus. In bezug auf die zeitgenössische politische Situation folgt daraus, daß die Tories zur Partei der Freiheit geworden seien, während die modernen Whigs Prinzipien vertreten, die den Argumenten der Tories des 17. Jahrhunderts analog sind 188 . Wenn Trenchard und Gordon trotzdem an ihrem Selbstverständnis als Whigs festhalten als selbststilisierte „independent Whigs" nämlich -, zeigt sich doch, daß sie das Zweckbündnisses mit den Tories gegen die „Court-Whigs" suchten. „We call men opprobriously Tories for practising the best part of Whiggism", schrieben sie, „and honourably christen ourselves Whigs, when we are openly acting the vilest parts of Toryism, such parts as the Tories never attempted to act. No men upon earth have been more servile, crouching, and abandoned creatures of power, than the Whigs sometimes have been; I mean some former Whigs". In der Summe mobilisiert Cato die ständischen Vorurteile der „landed gentry" gegen den sozialen Aufstiegswillen des kommerziellen Sektors, insbesondere wo er in die Politik drängt, die nach Auffassung der Republikaner jene Sphäre des Gemeinwohls jenseits von Bereicherungsinteressen ist, mit der sich die Gentry als staatstragende Schicht identifiziert, denn dem Kommerz wird die politische Kultur abgesprochen, in der sich Partialorientierungen zu staatstragenden sublimieren. Dies impliziert jedoch keine generelle Ablehnung bürgerlicher Modernisierung; Cato sieht recht deutlich die ökonomische und machtpolitische Bedeutung des kommerziellen Sektors, der politisch zu fordern ist, solange eine Trennlinie zur unproduktiven Finanz gezogen bleibt. Nichts fürchteten Trenchard und Gordon mehr als das metropolitane Zusammenspiel von Exekutive und Finanz, das rhetorisch mit dem Odium einer Verschwörung gegen das Gemeinwohl belegt wird. Dem liegt das Empfinden zugrunde, das republikanische Institutionenprogramm drohe gegenüber dieser neuartigen Bedrohung der Freiheit zu versagen. Die publizistische Kampagne Catos veränderte nach John Gunn „style and content of political debate" in England 189 . Erst in diesem Zusammenhang gewannen die Schriften Bernard Mandevilles 190 Bedeutung 191 , der unter Anknüpfung an die pessimistische französische Moralphilosophie des 17. Jahrhunderts einerseits und den englischen Spätmerkantilismus andererseits die provokative These der Unvereinbarkeit überkommener Moralität und moderner Ökonomie vertrat und den „Luxus" rechtfertigte, der auf Basis dynamischer Bedürfhisentwicklung die Arbeitsmotivation und die Nachfrage antreibt, während er Republikanern als Quelle der Korruption galt 192 , die Mandeville in der menschliche Natur selbst verortete, so daß der Versuch, diese abzuschaffen, auf den Versuch hinausliefe, jene ändern zu wollen - ein Unternehmen, das allenfalls in Armut und 188 Siehe: Cato's Letters, repr., NY, Bd. II, Nr. 96 v. 29. 9. 1722: Of Parties in England; how they vary, and interchange characters, just as they are in Power, or out of it, yet still keep their former Names, Original, Bd. III, S. 258ff., auch das folgende. 189 Beyond Liberty and Property, S. 107. 190 Siehe Mandevilles: Die Bienenfabel; maßgebender Sekundärtext ist Μ. Μ. Goldsmith: Private Vices, Public Benefits; s. a. L. Schneider: Mandeville as forerunner of modern sociology (1970), in: The grammar of social relations. The major essays of Louis Schneider, hg. v. J. Weinstein, New Brunswick/London, 1984, S. 31-47; T. A. Home: The social thought of Bernard Mandeville, bes. Kap. 5; Sh. Burtt: Virtue transformed, Kap. 7. 191 Beyond Liberty and Property, S. 106ff. 192 Siehe bes. Μ. Μ. Goldsmith: Liberty, luxury and the pursuit of happiness, in: A. Pagden (Hg.): The Languages of Political Theory, S. 239ff.

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außenpolitischer Ohmacht enden könne. Mandeville kann insofern als Ideologe der modernistischen „Court"-Whigs angesehen werden, aber er war kein Parteischriftsteller 193 und ging in seinen Schriften mit seiner beinahe zynischen Rechtfertigung der „acquisitive society" und des frühen Kapitalismus weit über „polite" Whigs hinaus. Während andere darüber stritten, wie unter modernen Bedingungen das Konzept der „Tugend" auszuformen sei, das auch von den Autoren der „Court-Party" nicht aufgegeben wurde, die es „zivil" umdefinierten, ließ Mandeville das Konzept selbst hinter sich 194 . Seine Schriften wirkten trotz der Verurteilung 1723 durch das Parlament weiter und gewannen im Laufe der Zeit an Einfluß 195 , auch wenn es unpopulär blieb, sich auf seinen stilisierten Amoralismus zu berufen 196 .

193 Siehe Goldsmith: Private Vices, Public Benefits, Kap. 4; Η. T. Dickinson: The Politics of Bernard Mandeville, in: I. Primer (Hg.): Mandeville-studies, The Hague, 1975, S. 80-97, S. 82. 194 Siehe Sh. Burtt: Virtue transformed, bes. Kap. 2 und Kap. 6-8. 195 Siehe J. A. W. Gunn: Beyond Liberty and Property, S. 114. 196 Τ. A. Hörne: Social thought of Bernard Mandeville, Kap. 5; siehe für die differenzierte Auseinandersetzung der schottischen Moralphilosophie mit Mandeville: Μ. M. Goldsmith: Regulating anew the moral and political sentiments of mankind: Bernard Mandeville and the Scottish Enlightenment JHI, 1988: 49, S. 587-606.

Exkurs: Montesquieu und der „Commerce"

Im vierten Teil des Esprit des Lois handelt Montesquieu von den Beziehungen von Recht, Politik und Ökonomie 1 . In Europa, schreibt er, existiert eine Balance zwischen den Völkern des Südens und denen des Nordens, die auf natürlichen Gegebenheiten aufruht, denn während im Süden die Natur fruchtbarer ist, die Menschen mit geringerem Arbeitsaufwand existieren können und gewohnheitsmäßig weniger aktiv sind, ist die Natur im Norden dagegen verhältnismäßig karg, und die Menschen sind „obligees de travailler beaucoup; sans quoi, elles manqueraient de tout, et deviendraient barbares" 2 . Sie haben daher „besoin de la liberte, qui leur procure plus de moyens de satisfaire tous les besoins que la nature leur a donnes". Die Benachteiligung durch die Natur wirkt sich demnach vorteilhaft auf die Ausbildung der habituellen Handlungsenergien aus, die zu ihrer Entfaltung freiheitliche politische Formen benötigen, und so hat Montesquieu - etwas kurz angebunden - etabliert, daß die Völker des Nordens entweder frei oder Barbaren sein müssen. Die Völker des Südens sind dagegen zivilisierter, aber unfrei. Unter den Völkern des Nordens nehmen nun die Engländer, nach Montesquieu, eine Sonderstellung ein, denn während andere Völker „ont fait ceder des interets du commerce ä des interets politiques", haben die Engländer „toujours fait ceder ses interets politiques aux interets de son commerce" 3 , aber nicht im Sinne einer Politik des „laisser-faire", sondern durch politische Regulation und Förderung 4 . Auf einer zurückgenommenen Ebene ist der Gegensatz von Norden und Süden dem zwischen freien Völkern und Despotien nachgebildet. In den letzteren kann es keinen entwickelten Handel geben, der seiner Natur nach mit despotischer Politik kollidiert. Für Montesquieu bilden also Kargheit der Natur, aktive, selbstbestimmte individuelle Lebensführung, freiheitliche Sitten und Politik sowie Freiheit des Handels eine Gleichung, der üppige Natur, träge Lebensweise und politische Despotie, die dem Handel keinen Entwicklungsraum läßt, gegenüberstehen. Dabei nimmt er den Umschlag im Verhältnis von Politik und Ökonomie in England von einem Primat der Politik in ein Führungsverhältnis der Ökonomie deutlich wahr 5 . Allerdings kann ich 1 Siehe zum folgenden auch P. E. Chamley: The Conflict between Montesquieu and Hume. Α Study of the Origins of Adam Smith's Universalism, in: A. S. Skinner/T. Wilson (Hg.): Essays on Adam Smith, S. 274-305; S. Mason: Montesquieu on english constitutionalism revisited: A government of potentiality and paradoxes, SVEC, 1990: 278, S. 105-46. 2 Esprit, Bd. 2, Buch 21, Kap. 3, S. 28f., auch fur das folgende. 3 Esprit, Bd. 2, Buch 20, Kap. 7, S. 14. 4 „[Angleterre] gene le negotiant; mais c'est en faveur du commerce", Esprit, Bd. 2, Buch 20, Kap. 12, S. 17. 5 Etwa zur gleichen Zeit schrieb der Marquis d'Argenson in ähnlichem Sinne über die Engländer: ,Alles beschäftigt sich bei ihnen mit dem Geld, alles geht zum Geld, und alles sieht kaum den Römern ähnlich... Die Gewohnheit, das Geld zu lieben, verdirbt gleichermaßen die Sitten und die Politik Englands", Politische Schriften, München, 1985, S. 61 f. Etwas allgemeiner konstatierte Montesquieu an anderer Stelle die Ofolgende generelle Evolutionshypothese, offenbar bezogen auf Europa: „Jedes

Exkurs: Montesquieu

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nicht sehen, daß Montesqieu diesen Umschlag für einen gesetzmäßigen Vorgang gehalten habe, der auch für andere Nationen zu erwarten sei. Eine derartige Entwicklung hätte er kaum mit ungeteilter Freude gesehen, wenn wir seine Position zur „politischen Tugend" in Betracht ziehen. Roger Boesche ist so weit gegangen, bei Montesquieu eine doppelte Wurzel des Despotismus anzusetzen, deren eine die traditionelle Auffassung orientalischer Herrschaft reproduziert, während die andere auf die Furcht vor den bornierenden Wirkungen des Handels zurückgehen soll 6 . Dieses zweite Modell des Despotismus finde sich „scattered throughout [Montesquieus] writings, never analyzed openly, and replete with ambiguities". Es „reflected Montesquieu's fear that the mores of France, and of Europe in general, were becoming corrupted by the self-interest, luxury, and license that seemed to be the inseperable companions of the new commercial classes". Die Evidenz für eine „Furcht" Montesquieus vor dem Kaufmann als sozialem Typus und der Verallgemeinerung der durch ihn repräsentierten Mentalität ist schwach, deutlich aber ist, daß er sich am Primat der Politik orientierte.

Zeitalter hat seinen besonderen Geist: ein Geist der Unordnung und Unabhängigkeit entstand im Europa der Völkerwanderung; der Geist des Mönchtums durchtränkte die Zeit nach Karl dem Großen; dann herrschte der Geist des Rittertums; der Geist der Eroberung erschien mit den stehenden Heeren; heute herrscht der Geist des Handels", Vom glücklichen und weisen Leben, Zürich, 1990, S. 51. 6 Fearing monarchs and merchants: Montesquieus two theories of despotism, WPQ, 1990: 43, S. 741-61, das folgende auf S. 742.

Kapitel 4: Schottland

In Schottland haben wir eine durchaus andere intellektuelle Situation vor uns1. An zwei historische Wendemarken der schottischen Geschichte im 18. Jahrhundert ist kurz zu erinnern: zum einen an den Vereinigungsvertrag mit England aus dem Jahre 17072, mit dem Schottland seine bis dato bewahrte Selbständigkeit als Königreich verlor, nachdem es bereits seit hundert Jahren in Personalunion mit der englischen Krone regiert worden war, und zum anderen an den jakobitischen Aufstand von 1745/463, der die innere Verwundbarkeit der britischen Insel aufzeigte, durch die vernichtende Niederlage der Jakobiten bei Culloden 1746 aber auch klärte, daß der Jakobitismus keine wirkliche Gefahr mehr darstellte - auch für Schottland nicht, wo die Partei des Stuart-„Pretender" in den Highlands bedeutende, auch militärische, Unterstützung hatte sichern können, wo es bereits 1715, im Anschluß an die krisenhafte Situation der „Hanoverian Succession", zu einem Aufstand der Stuart-Anhänger gekommen war. Im Gesamtprozeß der britischen Geschichte gesehen stellen diese Vorgänge sicher historische „Nachhutgefechte" dar, insbesondere vor dem Hintergrund der kulturellen Rückständigkeit der Highlands, die mit ihren archaischen C/απ-Strukturen, feudalistisch überformt, nicht in das Bild der modernisierenden, prosperierenden und global ausgreifenden britischen Weltmacht des 18. Jahrhunderts passen wollen. Doch stellten diese Rückständigkeit und die noch bestehenden jakobitischen Loyalitäten bis weit in das 18. Jahrhundert hinein zentrale Probleme der schottischen Politik dar, die zunächst durch Stärkung der politischen Zentralgewalt angegangen wurden, aber auch ökonomisch, politisch und kulturell zu bearbeiten waren 4 . Nach Culloden wurden Ländereien führender Jakobiten eingezogen, gingen in

1 Siehe zum folgenden Ν. T. Phillipson/R. Mitchison (Hg.): Scotland in the age of improvement. Essays in scottish history in the eighteenth century, Edinburgh, 1970; Ν. T. Phillipson: The scottish enlightenment, in: R. Porter/M. Teich (Hg.): The enlightenment in national context, Cambridge, 1981, S. 19-40; R. L. Emerson: The enlightenment and social structures, in: P. Fritz/D. Williams (Hg.): City and society in the eighteenth century, Toronto, 1973, S. 99-124; ders.: Science and moral philosophy in the Scottish Enlightenment, in: M. A. Stewart (Hg.): Studies in the Philosophy of the Scottish Enlightenment, Oxford, 1990, S. 11-36; R. H. Campbell/A. S. Skinner (Hg.): The Origins and Nature of the Scottish Enlightenment, Edinburgh, 1982; I. Hont/M. Ignatieff (Hg.): Wealth and Virtue; R. B. Sher: Church and University in the Scottish Enlightenment; D. Daiches: The Scottish Enlightenment, hg. v. The Saltire Society, Edinburgh, 1986; Ch. J. Berry: The nature of wealth and origins of virtue: Recent essays on the Scottish Enlightenment, HEI, 1986: 7, S. 85-99; Knud Haakonssen: Enlightenment philosophy in Scotland and Germany. Recent german scholarship, Außlärung, 1989: 4, S. 109-26; ein literarisches Dokument ist Tobias Smolletts „Humphrey Clinker". 2 Eine knappe Darstellung mit Kommentar bei Blackstone: Commentaries, Bd. I, S. 95ff. 3 Zeitgenössische Zeugnisse der Ereignisse dieser Zeit finden sich in A. Carlyles: Anecdotes and Characters of the Times, literarische Allusionen in H. Fieldings: Tom Jones; eine knappe Sekundärdarstellung ist I. S. Ross: Lord Kames and the Scotland of his Day, Oxford, 1972, Kap. 3. 4 Siehe die Beiträge von Ε. Cregeen und R. Mitchison, in: N.Phillipson/R.Mitchison: Scotland in the age of improvement.

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Kapitel 4: Schottland

den Besitz der Krone über und wurden der Verwaltung durch eine Kommission anvertraut, der unter anderen Lord Kames angehörte5. Die schottische Perspektive Das letzte schottische Parlament debattierte vor 1707 kontrovers über den projektierten Einigungsvertrag6, Auseinandersetzungen, die auch außerhalb des Parlaments Resonanz fanden. Andrew Fletcher (of Saltoun), führender Kritiker der „Union" im Parlament, verwies unter anderem auf das abschreckende Vorbild des durch England kolonialistisch beherrschten Irland7, und auch nach Vollzug der Vereinigung meldeten sich kritische Stimmen, denen die soziale und ökonomische Entwicklung zunächst recht zu geben schien, denn der Kalkül, politische Unabhängigkeit gegen wirtschaftliche Prosperität durch Anbindung an die englische Wirtschaftsentwicklung einzutauschen, ging erst etwa ab den 1740ger Jahren auf, als eine Belebung der schottischen Ökonomie den beginnenden Anschluß an die englische Entwicklung anzeigte8. Abgesehen von Fletcher, der eine ältere Generation repräsentierte, waren die Autoren der schottischen Aufklärungsbewegung Unionsbefurworter. Und sie waren - mit Ausnahme Steuarts, der durch ein langes Exil dafür büßte - antijakobitisch und traten für die Modernisierung und Zivilisierung der „Highlands" ein. Eine im Zusammenhang der „Union" vieldiskutierte Frage war die nach den Folgen der Verlagerung der politischen Entscheidungszentren nach London, denn es wurde befürchtet, der gesamte schottische Hochadel werde nach London übersiedeln und das soziale Leben in Edinburgh, dem traditionellen sozialen, politischen und kulturellen Zentrum Schottlands, werde absterben. Tatsächlich übersiedelte ein Teil des schottischen Hochadels nach Süden, die Gentry jedoch war schon aus Kostengründen an das Land gebunden und wurde via Edinburgh an die politische Machtstruktur des „Empire" angeschlossen. Smith begrüßte sogar, daß die Bevölkerung durch die Union von der „power of an aristocracy which had always before oppressed them" befreit wurde9. Während in den ersten Jahrzehnten des Jahrhunderts die Familie Argyll - schottischer Hochadel, Großgrundeigentümer und „Chief des politisch loyalen Campbell-Clans - die schottische Machtstruktur steuerte, ging diese Funktion später auf Henry Dundas über, der einen für Schottland neuen Typus des Politikers repräsentierte, dessen Macht nicht auf Titeln und Eigentum basierte, sondern auf dem geschickten Austarieren und effektiven Management 5 Eine Zielvorgabe für die Arbeit dieser Kommission war das „civilizing the inhabitants on the [eingezogenen] estates, and those of the other parts of the Highlands and Islands of Scotland, the promoting among them the Protestant religion, and government, industry and manufactures, and the principles of loyalty... ", zit. n. A. F. Tytler: Memoirs of the Life and Writings of the Honourable Henry Home of Kames (1807), Edinburgh, 2. ed., 3 Bde., 1814, Bd. I, S. 284, Note. 6 Siehe bes. Ν. Τ. Phillipson: Scottish public opinion and the union in the age of association, in: ders. /Mitchison (Hg.): Scotland in the Age of Improvement, S. 125-47. 7 Siehe A. Fletcher: Account of a conversation concerning the right regulation of governements for the common good of mankind, in a letter to the Marquis of Montrose, the Earls of Rothes, Roxburg and Haddington, from London the first of December, 1703, in: Selected Political Writings and Speeches, hg. v. D. Daiches, Edinburgh, 1979, S. 121. Vgl. die Texte von J.Swift zur englischen Herrschaft über Irland, in: AW, Bd. 2: Politische Schriften. 8 Siehe T. C. Smout: Where had the Scottish Economy got to by the third quarter of the 18th century?, in: Hont/Ignatieff (Hg.): Wealth and Virtue, S. 45-72. 9 WN, Bd. II, Buch V, Kap. III, S. 944.

Die schottische Perspektive

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politischer Interessen10. Die im Einigungsvertrag verankerte Eigenständigkeit des durch die kontinentale römisch-rechtliche Tradition geprägten schottischen Rechtssystems ermöglichte die Kontinuität des Justizwesens in Edinburgh und somit seine Kontinuität als administratives Zentrum, das eine Idee fortwirkender politischer Identität der schottischen Nation vermitteln konnte. Und in dieser Situation wuchs den schottischen Universitäten, besonders in Glasgow und Edinburgh, die Stellung kultureller Zentren einer Nation zu, die, kulturell gespalten und ihres traditionellen politischen Ausdrucks in Gestalt eines Parlaments beraubt, entschlossen war, nicht zur Kolonie Englands herabzusinken11. Das jedenfalls ist meine Interpretation der komplexen und seit dem bekannten Aufsatz Hugh Trevor-Ropers über die schottische Aufklärung vieldiskutierten Frage nach den wissenssoziologischen Erklärungsgründen12 der phänomenalen progressiven Entwicklung der schottischen Intelligenz zu einem Zentrum der europäischen Hochaufklärung13, mit dem zeitweilig nur Paris konkurrieren konnte, eine Entwicklung, die Hume 1757 in einem Brief mit Stolz konstatierte: „Really it is admirable how many Men of Genius this Country produces at present. Is it not strange that, at a time when we have lost our Princes, our Parliaments, our independent Government, even the Presence of our chief Nobility, are unhappy, in our Accent & Pronunciation, speak a very corrupt Dialect of the Tongue which we make use of; is it not strange, I say, that, in these Circumstances, we shou'd really be the People most distinguish'd for Literature in Europe?"14. Nach der Interpretation Nicholas Phillipsons15 wurden die schottischen Universitäten in die Rolle gedrängt, dem Identifikationsbedürfiiis der schottischen Gesellschaft einen kulturellen Ersatz für die verlorene politische Bühne zu bieten, welcher den Prozeß des „improvement"16 der schottischen Gesellschaft als nachholende Entwicklung diskursiv begründen und begleiten könne. Hier liegt der wichtigste Grund für das erhöhte Interesse der schottischen Intelligenz an einer wissenschaftlich verallgemeinerten und gleichzeitig praktisch verwertbaren politischen Ökonomie17. Sie verstand jedoch, daß ein Prozeß beschleunigter 10 Siehe die Beiträge von E. Cregeen und John M. Simpson, in: Phillipson/Mitchison (Hg.): Scotland in the age of improvement; J. Dwyer/A. Murdoch: Paradigms and Politics: Manners, Morals and the Rise of Henry Dundas, 1770-1784, in: J. Dwyer et al. (Hg.): New Perspectives on the Politics and Culture of Early Modem Scotland, Edinburgh, 1982, S. 210-48. 11 R. G. Cant: The Scottish universities and Scottish society in the eighteenth century, SVEC, 1967: 58, S. 1953-66; ders.: Origins of the enlightenment in Scotland: The universities, in: R. H. Campbell/A. S. Skinner (Hg.): The Origins and Nature of the Scottish Enlightenment, S. 42-64. 12 Siehe zur Wissenssoziologie: V. Meja/N. Stehr (Hg.): Der Streit um die Wissenssoziologie (1924-82), 2 Bde., Ffin., 1982; K.Mannheim: Ideologie und Utopie (1929), Ffin., 6. Aufl., 1978; P. L. Berger/T. Luckmann: Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. 13 H. Trevor-Roper: The Scottish Enlightenment, SVEC, 1967: 58, S. 1635-58; davor: J. Clive/B. Bailyn: England's Cultural Provinces: Scotland and America, WMQ, 3. Series, 1954: 11, S. 200-13; neuere Beiträge in den Bänden: R. H. Campbell/A. S. Skinner (Hg.): Origins and Nature of the Scottish Enlightenment, und I. Hont/M. Ignatieff (Hg.): Wealth and Virtue. 14 Zit. η. E. C. Mossner: The Life of David Hume, Oxford, 2. ed., 1980, S. 370. 15 Towards a definition of the scottish enlightenment, in: P. Fritz/D. Williams (Hg.): City and society in the eighteenth century, S. 125ff.; ders.: Culture and society in the eighteenth century province: The case of Edinburgh and the Scottish enlightenment, in: L. Stone (Hg.): The university in society, Bd. II, Princeton, 1974, S. 409ff. ; ders.: The Scottish Enlightenment, in: R, Porter/M. Teich (Hg.): The enlightenment in national context. 16 P. Langford: A Polite and Commercial People, Kap. 9. 17 Siehe Istvan Hont: The „rich country - poor country" debate in Scottish classical political economy, in: ders. /Ignatieff (Hg.): Wealth and Virtue, S. 271-315: s. a. A. L. MacFie: The Scottish tradition in

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ökonomischer Entwicklung in einem dialektischen Bedingungsverhältnis zu einer allgemeineren kulturellen Entwicklung steht, die insbesondere auch Normen zivilisierten Zusammenlebens und moralischer Kultur einschließt. In ihrem Bemühen allerdings, kulturell an die englische Entwicklung anzuschließen, optierten sie einseitig für das südliche Standard-English und übersahen interessante literarische Entwicklungen im Gälischen und im schottischen Tiefland-Dialekt18. Erst durch die Produktionen James MacPhersons wurde diese Negierung durchbrochen, ja, geradezu in ihr Gegenteil verkehrt, denn im protoromantischen Verhältnis zu den O.M/a«-Dichtungen offenbarte sich die Fremdheit der Aufklärer zur Kultur der Highlands - und ihr Patriotismus19. Neben den Universitäten bildete das Netz von Clubs und Assoziationen jenes Terrain, auf dem sich die Besitzelite mit der administrativen Elite - besonders den Juristen20 - und der intellektuellen Elite treffen, diskutieren und vermischen konnte, ein Prozeß, der einen entscheidenden Hintergrund der schottischen Aufklärung bildet21. Nach Phillipson „by Hume's day, Edinburgh... had become a city of para-parliamentary clubs and societies of patriotically minded men devoted to the regeneration of the manners of a fallen nation and improving the virtue of its citizens"22. Die gesellschaftliche Bedeutung der Universitäten und die Einbettung der Intelligenz in das gesellschaftliche Leben begünstigten die ausgeprägte Orientierung der schottischen Intelligenz auf gesellschaftlich relevante Probleme, die sich in der Aufgabenstellung einer nachholenden gesellschaftlichen Entwicklung bündelten und die, das wußte sie, aus eigener Kraft zu bewältigen waren.

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economic thought (1955), in: ders.: The Individual in Society. Papers on Adam Smith, London, 1967, S. 19ff.; W. L. Taylor: Francis Hutcheson and David Hume as predecessors of Adam Smith, Durham, 1965; Τ. W. Hutchison: Before Adam Smith, Kap. 11, 19 und 20; A. S. Skinner: Political Economy: Adam Smith and his Scottish Predecessors, in: P. Jones/A. S. Skinner (Hg.): Adam Smith Reviewed, Edinburgh, 1992, S. 217-43; ders.: The Shaping of Political Economy in the Enlightenment, in: H. Mizuta/Ch. Sugiyama (Hg.): Adam Smith: International Perspectives, NY, 1993, S. 113-39; S. C. Dow: The Scottish Political Economy Tradition, Scott. JPE, 1987: 34, S. 335-47. Siehe Ε. C. Mossner: The Life of David Hume, Kap. 27, u. S. 375; s. a. R. D. Thornton: Robert Burns and the Scottish Enlightenment, SVEC, 1967: 58, S. 1533-49; Alasdair Maclntyre bezeichnete Hume mit beachtlichen Argumenten als „a thoroughgoing assimilationist" an die englische Kultur: Whose Justice? Which Rationality?, Kap. XV, hier S. 296. Siehe die exzellente Darstellung in R. B. Sher: Church and University, S. 242-61. Siehe über deren Bedeutung J. Clive/B. Bailyn: England's Cultural Provinces, WMQ, 1954, S. 206. J. Clive: The social background of the scottish renaissance, in: Phillipson/Mitchison (Hg.): Age of Improvement, S. 225-44; die wichtigsten Clubs waren: der „Easy-Club", der 1712-15 in Edinburgh bestand, der „Rankenian-Club" von 1716-64 in Edinburgh, die 1752 in Glasgow gegründete „Literary Society", wichtiger noch die 1754-64 in Edinburgh bestehende „Select Society", mit der mehr praktisch orientierten Tochtergesellschaft, der „Edinburgh Society for encouraging Arts, Sciences, Manufactures and Agriculture" sowie der 1762 gegründete „Poker-Club", Edinburgh, der bis 1784 bestand; siehe R. L. Emerson: The social composition of enlightened Scotland: The Select Society of Edinburgh, 1754-64, SVEC, 1973: 114, S. 1754-64. Die „Select Society" war formal streng reguliert und klammerte politische Fragen aus, während der „Poker Club" mehr informal verfuhr und eine schottische Miliz propagierte. Über die Select Society schrieb Hume 1755 in einem Brief an Allan Ramsay, den Maler, der zu den Mitbegründern gehörte: Die „[Select Society] has grown to be a national concern. Young and old, noble and ignoble, witty and dull, laity and clergy, all the world are ambitious of a place amongst us, and on each occasion we are as much solicited by candidates as if we were to choose a Member of Parliament... But what chiefly renders us considerable is a project of engrafting on the society a scheme for the encouragement of arts and sciences and manufactures in Scotland... ", in: Greig (Hg.): Letters of David Hume, Bd. I, Nr. 109, S. 219f.

22 Hume as Moralist: a Social Historian's Perspective, in: S. C. Brown (Hg.): Philosophers of the Enlightenment, S. 140-61, hier S. 144.

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Perspektive

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„Independence, not liberty was the pivotal concept in scottish civic humanist ideology", faßt Phillipson zusammen. „Moral and economic, not political relationships, provided the framework for their conception of citizenship and virtue. But ideas of citizenship and virtue, whether located in ideas of liberty or independence, presupposed modes of civic participation. With the abolition of the Scots parliament, virtuously minded Scots had to look for alternative, non-political modes of participation. Their answer was to create a network of parapolitical clubs and societies devoted to the improvement of the economy, manners and culture of their country. These clubs and societies, suffused with patriotic idealism and Addisonian ideas of moral autonomy, suggest that Scotsmen saw in them a mode of civic participation that was peculiarly appropriate to the ideal of provincial citizenship to which Fletcher's writing and the Act of Union had drawn their attention. By the 1720s the Scots possessed an understanding of citizenship that was distinct from that of the English notwithstanding that it derived from the same ideological source. The idea of virtue upon which it rested had, so to speak, been eased out of the political frame in which it was conventionally accustomed to rest, and relocated in the world of commerce and those interpersonal relationships which depended on trade, manners, and learning"23. Die Reform der schottischen Universitäten, die im 18. Jahrhundert zu den modernsten Europas werden und Oxford und Cambridge in den Schatten stellen, begann Ende des 17. Jahrhunderts24 und zeitweise übernahm das „College" des rasch wachsenden Handels· und Wirtschaftszentrums Glasgow die Führung25. Bei diesen Reformen spielten die traditionellen Beziehungen der schottischen Universitäten zum Kontinent, nach Frankreich und seit dem 17. Jahrhundert zu den Niederlanden26, eine Rolle, vor allem durch die Begünstigung der Rezeption des kontinentalen Naturrechts27. Organisatorischer Kern der 23 N. Phillipson: Virtue, commerce, and the science of man in early eighteenth century Scotland, SVEC, 1980: 191, S. 750-3, hier S. 752. 24 H. Trevor-Roper: The scottish enlightenment, SVEC, 1967, S. 1648; siehe zu den Universitätsreformen auch die Beiträge von Peter Jones: The Scottish professiorate and the polite academy, 1720-46, in: Hont/Ignatieff (Hg.): Wealth and Virtue, S. 89-117, sowie: The Polite Academy and the Presbyterians, 1720-1770, in: J. Dwyer et al. (Hg.): New Perspectives on the Politics and Culture of Early Modern Scotland, S. 156-78. 25 Zur Illustration: Glasgow wuchs im Laufe des Jahrhunderts von ca. 15. 000 auf ca. 80. 000 Einwohner an, und hatte damit Edinburgh überholt, R. G. Cant: The Scottish universities and Scottish society, SVEC, 1967, S. 1957; siehe die zeitgenössischen Erinnerungen von Alexander Carlyle: Anecdotes and Characters, S. 37ff. 26 R. Feenstra: Scottish-Dutch legal Relations in the 17th and 18th Centuries, in: T. C. Smout (Hg.): Scotland and Europe. 1200-1850, Edinburgh, 1986, S. 128-42. Feenstra hebt die Bedeutung von Leyden hervor; schottische Jura-Studenten studierten dort in größerer Anzahl von der Mitte des 17. Jahrhunderts bis etwa 1740, siehe ibid., S. 130, S. 132; etwa 2/5 aller in Edinburgh zwischen 1661 und 1750 zugelassenen Rechtsanwälte studierte in den Niederlanden, S. 133, allerdings meist ohne Abschluß, da die Zulassung in Edinburgh nur von einer Prüfung durch die „Faculty of Advocates", nicht von einem Universitätsdiplom abhing. 27 Siehe zum schottischen Rechtssystem: P. Stein: Law and society in eighteenth century scottish thought, in: Phillipson/Mitchison (Hg.): Scotland in the age of improvement, S. 148-68; ders.: From Pufendorf to Adam Smith: The Natural Law Tradition in Scotland, in: N. Horn (Hg.): Europäisches Rechtsdenken in Geschichte und Gegenwart, Festschrift Η. Coing, Bd. I, München, 1982, S. 667-79; Ν. McCormick: Law and enlightenment, in: R. H. Campbell/A. S. Skinner (Hg.): The origins and nature of the scottish enlightenment, S. 150-66; Duncan Forbes: Natural law and the Scottish enlightenment, ibid., S. 186204; Knud Haakonssen: What might properly be called natural jurisprudence?, ibid., S. 205-25; T. Tsunoda: Adam Smith's Jurisprudence and Scottish legal Tradition: Concerning their Ways of treating the Scottish and English Law, ARSP, 1987: 73, BH 30, S. 177-84.

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Universitätsreformen war die Abschaffung des veralteten „regency-system", in dem ein Universitätslehrer eine Klasse in allen Fächern bis zum Examen unterrichtete, das durch ein System der Spezialisierung ersetzt wurde. Für die Sozialtheorie der Aufklärungsbewegung waren die Lehrstühle für „Moralphilosophie" zentral, die gleichsam den säkularen Teil einer verbindlichen Sozialnormierung zu besorgen hatten und in besonderem Maße mit der schottischen calvinistisch-presbyterianischen „Kirk" verbunden waren28. Diese Kirchenorganisation war die dritte Großinstitution, neben dem Rechtswesen und den Universitäten, die zur kulturellen Kompensation des Verlustes politischer Eigenständigkeit beitragen konnte29. Sie hatte eine im Vergleich zur anglikanischen Kirche demokratische Struktur, mit der jährlich tagenden „General Assembly" als oberstem Organ, und übte entscheidenden Einfluß auf die Universitäten aus. Akademische Erfolge der Aufklärungsbewegung hingen daher von einer parallelen Stärkung der Aufklärungskräfte in der Kirche ab, und tatsächlich wurde die sogenannte „Moderate Party" in der schottischen Kirche30 nach heftigen Auseinandersetzungen in den 1750ger Jahren31, als der orthodoxe Flügel Sanktionen gegen „die drei Homes" verlangte - gegen David Hume wegen Unglauben, gegen Henry Home-Lord Kames wegen Häresie32 und gegen John Home wegen seiner Tätigkeit als Bühnenautor33 -, in den späten fünfziger Jahren mehrheitsfähig, und Repräsentanten der Aufklärungsbewegung wie William Robertson, Adam Ferguson, Hugh Blair und Alexander Carlyle spielten danach eine führende Rolle in der Kirche. Die Liberalisierung der Kirche ging aber nie so weit, den Skeptiker Hume aus der Ächtung zu nehmen - man mußte die Grenzen kennen34. Der Erfolg der „Moderate Divines" wird besonders deutlich am Werdegang William Robertsons, der nicht nur ihr strategisch-taktischer Kopf war, sondern als „Principal" der Edinburgh University für lange Jahre auch die Hochschulpolitik bestimmte35. An seinem Beispiel demonstriert Richard Sher den erfolgreichen Einsatz politischer Patronage durch Aufklärungszirkel36. 28 Das betont A. Maclntyre: Whose Justice? Which Rationality?, Kap. XIII. 29 Siehe J. K. Cameron: The church of Scotland in the age of reason, SVEC, 1967: 58, S. 1939-51; Maclntyre: Whose Justice? Which Rationality?, S. 220; Langford: A Polite and Commercial People, S. 325. 30 Richard Sher weist nach, daß ein wesentliches Gründungsmotiv dieser „moderate party" die Durchsetzung der Patronage-Gesetzgebung war, die im Kern die Rechte der Besitzelite und der zentralen Körperschaften gegen die Autonomieansprüche der Aktiven der Kirchengemeinden stärkte (Church and University, Kap. 2). Zwei Motive scheinen dafür zentral zu sein: erstens das der Wahrung der Kircheneinheit gegen sektiererische Tendenzen, und zweitens das der Angleichung an und Einbindung der kirchlichen Machtstrukturen in die säkularen, also gleichfalls anti-separatistische. 31 Sher: Church and University, Kap. 2; Ross: Lord Kames, Kap. 8. 32 Die Kritik bezog sich auf Henry Homes: Essays on the principles of morality and natural religion, bes. Essay 3: Of Liberty and Necessity; in späteren Auflagen entschärfte er den Text, siehe: A. F. Tytler: Memoirs, Bd. I, S. 202ff.; Mossner: Life of David Hume, S. 353. 33 Provoziert durch die Edinburgher Inszenierung seines Dramas „Douglas", deutsche Ausgabe: Douglas, ein Trauerspiel, in fünf Handlungen. Aus dem Englischen des Herrn Hume, Frankfurt und Leipzig, 1769. 34 Siehe Mossner: Life of David Hume, Kap. 25. 35 Siehe J. K. Cameron: Theological controversy: A factor in the origins of the scottish enlightenment, in: R. H. Campbell/A. S. Skinner (Hg.): The Origins and Nature of the Scottish Enlightenment, S. 116-30; Sher weist darauf hin, daß die „Moderates" nicht nur ihren Kircheneinfluß für Universitätskarrieren nutzten, sondern umgekehrt auch ihre Universitätspositionen für ihren Kircheneinfluß, Church and University, S. 126. 36 R. Sher: Church and University, Kap. 3, S. 112ff., s. a. S. 139f.

Die

Aufklärungsbewegung

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Die Aufklärungsbewegung Von der „schottischen Aufklärungsbewegung" 37 zu sprechen, bereitet mir Unbehagen, weil es die intellektuelle Militanz etwa eines Voltaire38 oder Holbach 39 in Schottland nicht gibt; am nähesten kommt Hume einer solchen Haltung, der durchaus radikal mit der Kirche bricht 40 , der jedoch darüber nicht zu einem militanten Anti-Kleriker wird und der gleichzeitig fuhrende Mitglieder der Moderate Party der schottischen Kirk zu seinen engsten Freunden zählte. Auch umfaßt die „schottische Aufklärungsbewegung", die als „nationale" Bewegung vom Ziel des Anschlusses Schottlands an die Moderne getragen war, über die eigentliche Intelligenz hinaus bedeutende Teile der gesellschaftlichen Eliten. Eine wichtige Tatsache wird von Richard Sher benannt, wenn er schreibt: „The literati of eighteenth-century Scotland were not angry or alienated intellectuals... They were not bureaucratic state officials... They were not high-born dilettantes... Rather, the literati of the Scottish Enlightenment were nearly all what one would now call middle- and upper middle-class professional men. Their outlook was, if not a function of, certainly appropriate to their place as leading members of the liberal professions in a 'provincial' society". „With a few exceptions such as David Hume..., the scottish literati earned their livelihoods in one or more of several professions affiliated with distinctively scottish institutions, notably law, medicine, the universities, and the established church" 41 . Sie waren miteinander bekannt oder befreundet, und bildeten einen direkten, generationsübergreifenden kulturellen Zusammenhang 42 . Doch können in der Topographie dieser intellektuellen Bewegung verschiedene Gruppen bzw. Entwicklungslinien unterschieden werden: erstens die sogenannte „Moral Sense"-Schule, angeregt durch Shaftesbury und begründet durch Francis Hutcheson, zu der David Hume, Henry Home-Lord Kames, Adam Smith und John Miliar gehören, zweitens die im Gegensatz zu Humes Philosophie begründete sogenannte „CommonSense"-Schule, initiiert durch Thomas Reid 43 , drittens, auf einer weniger theoretischen Ebene, die Gruppe der von Richard Sher zusammenfassend die „Moderate Literati" genannten Aufklärer 44 , zu denen er außer Robertson, Ferguson, Blair45 und Alexander

37 Siehe zur Vor- und Frühgeschichte der schottischen Aufklärung A. Maclntyre: Whose Justice? Which Rationality?, Kap. XII und XIII; K. Haakonssen: Moral Philosophy and Natural Law: From the Cambridge Platonists to the Scottish Enlightenment, PSc, 1988: 40: Nr. 1, S. 97-110. 38 Siehe Voltaire: Abbe, Beichtkind, Cartesianer. Philosophisches Wörterbuch (1764), Ffm., 1985. 39 Siehe P. T. d'Holbach: System der Natur, oder Von den Gesetzen der physischen und der moralischen Welt (1770), Ffm., 1978. 40 Siehe bes. seine: The Natural History of Religion (1757), hg. ν. Η. E. Root, Stanford, 1990, sowie die: Dialoge über natürliche Religion (1779), Stg., 1981. 41 R. B. Sher: Church and University, S. lOf.; s. a. Clive/Bailyn: England's Cultural Provinces, WMQ, 1954, S. 203; Β. Eriksson: The first formation of sociology, AES, 1993, S. 272ff. 42 P. Jones: The Scottish Professiorate and the Polite Academy, in: Hont/Ignatieff (Hg.): Wealth and Virtue; siehe Heniy Mackenzies Vergleich mit der Situation der Intellektuellen in London an, Account of the Life of Mr. John Home, in: The Works of John Home, Edinburgh, 1822, Bd. I, S. 23. 43 Deren erkenntnistheoretische Problematik ich ignoriere, siehe immerhin: D. F. Norton/J. C. StewartRobertson: Thomas Reid on Adam Smith's Theory of Morals, JHI, 1980: 41, S. 381-98; W. Trader: Die Common Sense-Philosophie Thomas Reids, DZP, 1989: 37, S. 518-25. 44 Church and University in the Scottish Enlightenment. 45 Siehe J. Finlayson: A short account of the life and character of Dr. Hugh Blair, 13.3. 1801, in: Sermons by Hugh Blair, a new ed., Bury St. Edmunds, 1820, Bd. III, S. 421-32.

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Kapitel 4: Schottland

„Jupiter" Carlyle noch John Home und John Jardine zählt 46 , sowie schließlich einzelne Autoren, die nicht ohne weiteres zuzuordnen sind, wie James Steuart oder Lord Monboddo. Gegen Ende des Jahrhunderts findet eine Umgruppierung statt, die gleichzeitig einen Generationswechsel darstellt; neue Leute, wie Henry MacKenzie, profilieren sich in der Szene von Clubs und Zeitschriften und übernehmen die Führung 47 . War die sogenannte „Moral-Sense"-Schule eine Schule in einem ideengeschichtlich signifikanten Sinne? Joseph Schumpeter hat die französischen Physiokraten als „Schule" interpretiert, „auf Grund ihrer gemeinsamen Lehre und persönlichen Bindungen. Sie traten stets als Gruppe auf, lobten einander, traten für einander ein, und jedes Mitglied trug seinen Teil zur Gruppenwerbung bei" 48 . Über die Ricardianer schrieb er, diese bildeten „eine Schule in unserem Sinne: Es gab einen Meister und eine Lehre, und es bestand ein persönlicher Zusammenhalt; es gab einen Kern, Einflußsphären und Ausläufer" 49 . Hieran anknüpfend bilde ich mir vier Kriterien für eine sozialtheoretische Schule: eine gemeinsame Lehre, d.h. einen identifizierbaren, gewußten, gemeinsamen theoretischen Korpus im Gegensatz zu konkurrierenden theoretischen Ansätzen, zweitens persönliche Bekanntschaft miteinander, drittens eine Struktur mit durchlässigen Rändern, keine Abgeschlossenheit, und viertens das Bestreben der Verbreitung der eigenen Position. Edward Tiryakian zählt in einer Erörterung der Rolle von „Schulen" in der Geschichte der Soziologie auch einen inspirierenden „Gründer", analog also zu Schumpeters „Meister", zu den definierenden Merkmalen einer theoretischen „Schule" 50 . Missionarischen Eifer hatten die Schotten - im Gegensatz zu den Physiokraten - kaum, und es gab auch keinen „Meister" - wie Quesnay. Smith bezeichnete deutlich ablehnend die Physiokraten als Sekte, deren Schriften „all follow implicitly, and without any sensible variation, the doctrine of Mr. Quesnai. There is upon this account little variety in the greater part of their works" 51 . Die schottische Aufklärungsbewegung bildete dagegen eine offene Gruppe sozialtheoretisch tätiger Individuen, die neben einem gemeinsamen Satz orientierender normativer Ideen und einem Grundbestand gemeinsamer sozialtheoretischer Konzepte jeweils originelle Theoreme vertraten und daher ihre Kontroversen hatten. Es scheint, daß für ihren intellektuellen Zusammenhang die gemeinsame soziografische Situation und die intensive Kommunikation in den provinziellen Zentren Edinburgh und Glasgow entscheidend waren. Der soziologisch-ideengeschichtliche Zusammenhang wurde wesentlich durch drei Momente bestimmt: durch die akademische Tradition, durch den gemeinsamen Gegensatz gegen den presbyterianischen Fundamentalismus und durch die verbindende Zielsetzung des zivilisatorischen Improvement Schottlands.

46 R. B. Sher: Curch and University, S. 13f. 47 Siehe J. Dwyer: Virtuous Discourse. Sensibility and Community in late eighteenth-century Scotland, Edinburgh, 1987, Kap. 1 und 2; ders.: The Heavenly City of the Eighteenth Century Moderate Divines, in: ders. et al. (Hg.): New Perspectives on the Politics and Culture of Early Modern Scotland, S. 291318; ders.: Clio and ethics, EC, 1989; ders.: The imperative of sociability, BJECS, 1990. 48 Schumpeter: Geschichte der ökonomischen Analyse, Bd. I, S. 290. 49 Ibid., S. 581. 50 Ε. A. Tiryakian: Die Bedeutung von Schulen für die Entwicklung der Soziologie, in: W. Lepenies (Hg.): Geschichte der Soziologie. Studien zur kognitiven, sozialen und historischen Identität einer Disziplin, 4 Bde., Ffin., 1981, Bd. II, S. 31-68, hier S. 40; s.a. ibid.: J. Szacki: „Schulen" in der Soziologie, S. 16-30. 51 WN, Bd. II, S. 679.

Die

Aufklärungsbewegung

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Richard Teichgraeber ΠΙ hat das Nachdenken über „the meanings of the commercialization of Western society" als die primäre Problematik der schottischen Sozialtheorie des 18. Jahrhunderts bezeichnet 52 , und Gary McDowell sieht in dem „refinement of the idea of commercial republicanism, the synthesis of modern notions of polity and economy" ihren bedeutendsten Beitrag zur Geschichte des politischen Denkens 53 . Ob und in welchem Sinne dies zutrifft, soll anhand von Einzelanalysen geprüft werden.

52 „Free Trade" and Moral Philosophy, S. 11. 53 Commerce, Virtue and Politics: Adam Ferguson's Constitutionalism, RP, 1983: 45, S. 536-52, hier S. 536. Siehe als Übersicht J. Robertson: The Scottish Enlightenment at the limits of the civic tradition, in: Hont/Ignatieff (Hg.): Wealth and Virtue, S. 137-78.

1. Andrew Fletcher und die „Union" Die politischen Traktate Andrew Fletchers (of Saltoun)54 aus der Zeit der Kontroverse um den Vereinigungsvertrag mit England, dem er die Idee einer Staatenföderation entgegenstellte55, wurden breit rezipiert, waren aber zu exzentrisch, als daß er eine breitere Zustimmung hätte finden können. Kurzzeitig Teilnehmer an „Monmouth's Rebellion"56 gehört Fletcher noch zur prärevolutionären Generation republikanischer Whigs, und nach der Rückkehr aus dem Exil stilisierte er sich zum politisch unabhängigen Einzelgänger. Als Mitglied des letzten schottischen Parlaments nahm er Stellung gegen die Vereinnahmung Schottlands durch die neuen Herrscher Englands, und seine politischen Schriften stammen aus dieser Zeit um 1700. Fletcher konstatiert, daß in den verschiedenen Teilen Europas das Milizsystem durch Berufsarmeen ersetzt wird, die sich als schlagkräftiger erweisen, die aber kostspielig sind, so daß die Machtposition der modernen Staaten in Europa wesentlich von einer erfolgreichen Ökonomie abhängt57. Dieser gedankliche Ansatz charakterisiert die Adaption ökonomischer Probleme durch die Republikaner dieser Generation, für die die Ökonomie nie Selbstzweck ist, sondern politischen oder militärpolitischen Erwägungen untergeordnet bleibt. Schottland ist jedoch, so Fletchers Überlegung, ökonomisch zurückgeblieben, und das liegt unter anderem am Mangel politischer Selbständigkeit durch die Personalunion der schottischen Krone mit der Krone Englands seit 1607. Mit der „Union" nun, so seine Befürchtung, werde sich der Trend der Herabsetzung Schottlands zu einer bloßen Provinz des englischen Kernlandes verstärken, ein Motiv, das sicher auch für spätere schottische Autoren Gewicht hat, die aber zu anderen Schlußfolgerungen gelangen. Fletcher geht vom Willen der schottischen Nation aus, Anschluß an die Entwicklung des europäischen Handelssystems zu finden58, und stellt die Frage, wie sich dieser Übergang vom Feudalsystem vollzogen hat. Er analysiert also den „Prozeß der Zivilisation" - um eine Formel Norbert Elias' zu benutzen -, um daraus Schlüsse für eine beschleunigte gesellschaftliche Modernisierung zu gewinnen, die aber an die Vorgabe anti-absolutistischer oder republikanischer politischer Verfassung gebunden sein soll. Der Aufbruch in die Moderne begann, nach Fletcher, in der italienischen Renaissance mit der Nachahmung der antiken Kunst, die dort als Relikt vor Augen stand. Bald begann man mit der Schaffung einer eigenen Kultur und „Italy was presently filled with architects, painters, and sculptors; and a prodigious expense was made in buildings, pictures, and statues. Thus the Italians began to come off from their frugal and military way of living, and addicted themselves to the pursuit of refined and expensive pleasures, as much as the wars of those times would permit. This infection spread itself by degrees into the neighbouring nations"59. Hinzu kam die Auswirkung des Edelmetallreichtums, der 54 Ich benutze: Andrew Fletcher of Saltoun: Selected Political Writings and Speeches, sowie die Originalausgabe des ersten der: Two Discourses concerning the Affairs of Scotland; written in the Year 1698, Edinburgh, 1698, im folgenden: First Discourse. Siehe zu Fletcher C. Robbins: Commonwealthman, S. 179ff. u. pass.; Pocock: Machiavellian Moment, S. 426ff. u. pass. 55 Siehe bes. seinen: An Account of a Conversation concerning the right Regulation of Governements, in: Selected political Writings. 56 Einen Hinweis daraufgibt David Hume: History of England, Bd. VI, S. 459. 57 First Discourse, S. 10. 58 Ibid., S. 12. 59 A discourse of government with relation to militias, 1698, in: Selected political writings, S. 5.

1. Andrew Fletcher und die „ Union"

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sich nach der Entdeckung Amerikas via Spanien in Europa verteilte und „By this means the luxury of Asia and America was added to that of the ancients; and all ages, and all countries concurred, to sink Europe into an abyss of pleasures" 60 . Die Hauptlast der Ausgaben fur den Luxuskonsum trugen die Feudalbarone, die ihren standesgemäß erhöhten Konsum durch Verschuldung finanzierten und als Folge verarmten oder die traditionellen Feudalleistungen in Geldzahlungen umwandelten, wodurch die militärische Wirksamkeit des Feudalsystems zerstört wurde. „Thus the armies... ceased of course, and the sword fell out of the hands of the barons" 61 . Diese Schwächung der großen Feudalherren stärkte gleichzeitig den König, der das militärische Kommando monopolisierte, und auf diese Weise ging die Freiheit verloren, die sich fur Fletcher im Recht des Bürgers zum Waffentragen zusammenfaßt. „I cannot see why arms should be denied to any man who is not a slave, since they are the only true badges of liberty"62. Das damit formulierte „zivilhumanistische" Ideal des popolo armato sucht Fletcher nunmehr mit dem Trend zum Handelssystem, der Korruption durch den Luxus und der Etablierung eines Berufssoldatentums zu vermitteln und entwickelt dazu im „Discourse of Government with relation to Militias" die exzentrische Idee eines systematischen militärischen Trainings der männlichen Jugend, „when like wax they may be moulded into any shape", unter spartanisch anmutenden, und sicher spartanisch inspirierten, Bedingungen. Die Idee ist, zu „dispose them to place their greatest honour in the performance of those [militärische] exercises, and inspire them with the fires of military glory, to which that age is so inclined; which impression being made upon their youth, would last as long as life. Such a camp would be as great a school of virtue as of military discipline. .. and virtue imbibed in younger years would cast a flavour to the utmost periods of life" 63 . Die gesellschaftlich zentrifugale Wirkung der Kommerzialisierung soll auf diese Weise durch gesteigerte erzieherische Anstrengungen aufgefangen werden. Berüchtigt ist weiterhin Fletchers Idee einer spezifisch modernen Art paternalistischer Sklaverei64. Es geht dabei um eine politische Antwort auf Verelendungsprozesse, die unter anderem durch Mißernten am Ende des 17. Jahrhunderts verursacht waren und ein starkes Anwachsen der Zahl der Landstreicher und Bettler zur Folge hatten. In abgewandelter Analogie zur englischen Praxis der Arbeitshäuser schlägt Fletcher nämlich vor, „Every man of a certain estate in this nation, should be obliged to take a proportionable number of those vagabonds, and either employ them in hedging and ditching his grounds, or any other sort of work in town and country" 65 . Er denkt also an Zwangsarbeit, die im Gegensatz zum englischen System dezentralisiert und gleichsam „privatisiert" ist. Ziel ist aber nicht nur die Gewöhnung an regelmäßige, körperliche Arbeit, sondern die gesellschaftlich Entwurzelten sollen dabei auch landwirtschaftlich, handwerklich oder gewerblich ausgebildet werden, und sie sollen eventuell zu kleinen Manufakturen kombiniert werden. Die sozialethische Basis dieses Vorschlages ist die Idee kollektiver Verantwortlichkeit der Gentry, auch fur die zeitbedingt sozial entwurzelten Mitglieder der 60 61 62 63 64

Ibid. Ibid., S. 6. Ibid., S. 19, s. a. S. 83; J. Robertson: The Scottish Enlightenment and the Militia Issue, Kap. 2. Selected political writings, S. 24. Siehe den zweiten der „Two discourses concerning the affairs of Scotland; written in the year 1698", in: Selected political writings. 65 Ibid., S. 56.

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Kapitel 4: Schottland

Gesellschaft, eine Verantwortung, die nicht, wie in England, auf den Staat umgelegt wird. Und Fletcher zögert nicht, jene Grundbesitzer zu kritisieren, die ihre ökonomischen und sozialen Pflichten vernachlässigen, denn „Eigentum verpflichtet" und schließt nicht nur die vom Naturrecht betonte Seite ungehemmter Verfügungsgewalt ein, sondern auch eine soziale Bindung. Um den ökonomischen Prozess zu beleben und die vorhandenen Vermögen für produktive Zwecke zu mobilisieren, schlägt Fletcher außerdem ein Gesetz vor, das die Zinsnahme verbietet und damit droht, jenes Grundeigentum an den Staat übergehen zu lassen, das nicht produktiv genutzt wird. „The whole money, as well as people of this nation", schreibt er über die erhoffte Wirkung, „would be presently employed, either in cultivating lands or in trade and manufactures; that the country would be quickly improved to the greatest height of which the soil is capable, since it would be cultivated by all the rich men of the nation; and that there would still be vast stocks remaining to be employed in trade and manufactures"66. Mögen die Ideen Fletchers nicht praktikabel gewesen sein, sind sie doch durch einen eminent praktischen Sinn getragen, der die drängenden Probleme der Nation aufnimmt und konsequente Lösungen anbietet. Dabei sind sie unzweideutig durch ein Primat der Politik bestimmt, das sich mit einem paternalistischen Modell sozialer Hierarchie verbindet. Von Fletcher gehen ideologisch wichtige Impulse republikanischen Denkens in die schottische Tradition ein, schon auf der Ebene der grundsätzlichen Problemformulierung, wenn er sich der Notwendigkeit der Anpassung der republikanischen Ideologie an die Verschiebung der europäischen Machtkonkurrenz vom Militär auf den Handel stellt. In dieser Perspektive ist jene Nation stark, die ihre Ökonomie politisch erfolgreich organisiert, ohne ihre republikanische Fundierung einzubüßen. Denn dies ist eine reale Gefahr, wie Fletcher nicht nur an Frankreich zeigen kann, sondern auch analytisch klarmacht, insofern die moderne Ökonomie das inhärent dezentrale Feudalsystem zerbricht und die Monarchie die Chance gewinnt, die Macht zu monopolisieren und auf den Trümmern des Feudalsystems die Tyrannis zu errichten.

66 Ibid., S. 62.

2. Francis Hutcheson Man hat vor einiger Zeit in Gershom Carmichael, seit 1694 Professor für Philosophie und erster Inhaber des 1727 eingerichteten Lehrstuhls für Moralphilosophie an der Universität Glasgow bis zu seinem Tode zwei Jahre später, einen Vorläufer und Inspirator der schottischen Moralphilosophie erkannt67, der gleichsam ein akademisch-naturrechtliches Pendant zu Fletcher darstellt. Noch lange nach Carmichaels Tod hat Hutcheson seinen Kommentar zur Ausgabe 1718 von Samuel Pufendorfs „De Officiis Hominis et Civis" hoch gelobt68. Carmichael hat wohl John Locke in das Curriculum eingeführt69, wobei er insbesondere Lockes Begründung des Eigentumsrechts gegen den Konventionalismus Pufendorfs verteidigte70. Francis Hutcheson, Abkömmling einer im 17. Jahrhundert vom schottischen Tiefland nach Irland ausgewanderten Familie, hatte in Glasgow bei Carmichael studiert und folgte ihm 1730 auf dem Lehrstuhl für Moralphilosophie, den er bis zu seinem Tode 1746 innehatte und den 1752 Adam Smith, später Thomas Reid besetzten. Hutcheson ist als „Vater" der schottischen Moralphilosophie bezeichnet worden71. Er war akademischer Lehrer von Adam Smith72 und hat zweifellos auch auf andere schottische Literati starken Einfluß ausgeübt. Es wäre jedoch falsch, Hutcheson ausschließlich als Inspirator der schottischen Moralphilosophie und gefiltert durch die Rezeption späterer Autoren wahrzunehmen; tatsächlich ist er einer der einflußreichsten britischen Autoren des 18. Jahrhunderts73. In der Philosophie hat sein „Moral Sense"-Ansatz Bedeutung, und er 67 Siehe J. Moore/M. Silverthorne: Gershom Carmichael and the natural jurisprudence tradition in eighteenth century Scotland, in: Hont/Ignatieff (Hg.): Wealth and Virtue, S. 73-87; dies.: Natural Sociability and Natural Rights in the Moral Philosophy of Gershom Carmichael, in: V. Hope (Hg.): Philosophers of the Scottish Enlightenment, S. 1-12; Wolfgang Leidhold: Ethik und Politik bei Francis Hutcheson, Freiburg/München, 1985, S. 28ff.; T. W. Hutchison: Before Adam Smith. The emergence of political economy, Kap. 11. 68 Siehe: To the Students in Universities, in: F. Hutcheson: Α Short Introduction to Moral Philosophy. 69 J. Moore: The two Systems of Francis Hutcheson: On the Origins of the Scottish Enlightenment, in: M. A. Stewart (Hg.): Studies in the Philosophy of the Scottish Enlightenment, S. 37-59, hier S. 43f.; W. Leidhold: Einleitung, S. IX, in: F. Hutcheson: Eine Untersuchung über den Ursprung unserer Ideen von Schönheit und Tugend. Über moralisch Gutes und Schlechtes (im folgenden: Untersuchung). 70 Moore/Silverthorne: Natural Sociability and Natural Rights, in: V. Hope (Hg.): Philosophers of the Scottish Enlightenment, S. 8. 71 Τ. D. Campbell: Francis Hutcheson: „Father" of the scottish enlightenment, in: R. H. Campbell/A. S. Skinner (Hg.): The origins and nature of the scottish enlightenment, S. 167-85; s. a. C. Robbins: „When it is that colonies may turn independent": An analysis of the environment and politics of Francis Hutcheson (1694-1746), WMQ, 3. Series, 1954: 11, S. 214-51; dies.: Eighteenth Century Commonwealthman, S. 185ff.; W. L. Taylor: Francis Hutcheson and David Hume as Predecessors of Adam Smith, Kap. I und II; Μ. L. Myers: The Soul of Modern Economic Man, Kap. 6; W. Leidhold: Ethik und Politik bei Francis Hutcheson; ders.: Einleitung, zu: Hutcheson: Untersuchung; N. Waszek: Man's social nature. A topic of the Scottish Enlightenment in its Historical Setting, Ffm. etc., 1986, Kap. 2; R. F. Teichgraeber III: „Free Trade" and Moral Philosophy, Kap. 2; Τ. W. Hutchison: Before Adam Smith, Kap. 11; A. Maclntyre: Whose Justice? Which Rationality?, Kap. XIV; V. Μ. Hope: Virtue by Consensus, Kap. 3. 72 W. L. Taylor: Francis Hutcheson and David Hume, S. 14: „Hutcheson exerted the most powerful and enduring influence upon the cast of Smith's mind. No other man, including his close friend David Hume, did as much to guide the development of his intellectual awakening and mould his ideas as did Francis Hutcheson". Impressionen von Hutcheson als akademischer Lehrer enthalten die Erinnerungen von Alexander Carlyle: Anecdotes and Characters of the Times, S. 25 u. pass. 73 Einen Hinweis gibt C. Robbins: Eighteenth century Commonwealthman, S. 185.

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kann auch als Begründer einer Variante von Utilitarismus gelten74, wobei er die in Benthams Formel vom „felicific calculus" enthaltene Idee der optimierenden Anwendung mathematischer Methoden in der Ethik vorwegnimmt75. Man kann das Werk Hutchesons zwanglos in zwei Hauptperioden einteilen, die durch den Zeitpunkt seiner Berufung auf den Lehrstuhl in Glasgow 1730 getrennt sind76. Die Hauptwerke der ersten Periode, als Hutcheson in Dublin mit dem Kreis um Robert Molesworth verbunden war77, wo er ein privates Lehrinstitut der Dissenter zur Vorbereitung von Studenten auf die Universität betrieb78, sind die „Inquiry into the Original of our Ideas of Beauty and Virtue" von 172 5 79 und der „Essay on the Nature and Conduct of the Passions and Affections" von 172880; hinzu kommen in dieser Periode kleinere Schriften, in denen sich Hutcheson unter anderen mit Mandeville auseinandersetzt, der schon als Gegenstand der Kritik im Untertitel der „Inquiry" genannt wird. In dieser Periode bezieht Hutcheson Position in der zeitgenössischen moralphilosophischen Diskussion. Die Hauptwerke der Glasgower Periode bis zum frühen Tod Hutchesons 1746 sind die „Short Introduction to Moral Philosophy" von 1747 (zuerst lateinisch 1742) sowie das posthume „System of Moral Philosophy" von 175581, die durch systematischen, akademischen Aufbau und Stil gekennzeichnet sind sowie inhaltlich durch das Zurücktreten der spezifischen „Moral Sense"-Thematik zugunsten einer umfassenden Abhandlung der akademischen Moralphilosophie, unter die seinerzeit die Gebiete Ökonomie, Politik und Recht subsumiert waren, die bei Hutcheson in den Rahmen einer wesentlich durch Pufendorf bestimmten Naturrechtssystematik eingefugt sind82. James Moore hat diese späten akademischen Werke, die das wichtigste Material fur die Analyse von Hutchesons Sozialtheorie enthalten, als pädagogische Schriften abgewertet83. Richtiger erscheint mir

74 Siehe Hutcheson: Untersuchung, S. 75 ff.; J. Plamenatz: The English Utilitarians, Oxford, 1949, Kap. 1. Bentham hat Hutcheson als Moral Sense-Philosophen kritisiert, ihn nicht als Utilitaristen rezipiert, siehe: An Introduction to the Principles of Morals and Legislation (1789), hg. v. J. H. Burns/H. L. A. Hart, London/NY, 1982, S. 26; s.a. T. A. Roberts: The concept of benevolence. Aspects of eighteenth century moral philosophy, London/Basingstoke, 1973, Teil 1. 75 Der Titel seiner ersten großen Schrift kündigt an „An Inquiry into the Original of our Ideas of Beauty and Virtue... With an Attempt to introduce a Mathematical Calculation in Subjects of Morality", siehe in Hutcheson: Untersuchung, S. 147ff. und Leidhold, ibid., Einleitung, S. XVII. 76 Eine inhaltliche Interpretation dieser Werkeinteilung ist J. Moore: The two Systems of Francis Hutcheson, in: Μ. A. Stewart (Hg.): Studies in the Philosophy of the Scottish Enlightenment. 77 Siehe Hutcheson: Untersuchung, S. 7, und Leidhold, ibid, Einleitung, S. X. 78 J.Moore: The two Systems of Francis Hutcheson, in: M. A. Stewart (Hg.): Studies in the Philosophy of the Scottish Enlightenment, S. 45. 79 Ich benutze: An Inquiry concerning beauty, order, harmony, design, hg. v. P. Kivy, The Hague, 1973 (im folgenden: Inquiry), sowie: Untersuchung. 80 CW, Bd. II, repr., Hildesheim, 1971 (im folgenden: Essay). 81 Adam Smith und Adam Ferguson finden sich in der Subskriptionsliste, siehe in Hutcheson: Α System of Moral Philosophy (im folgenden: System), Bd. I, CW, Bd. V, repr., Hildesheim, 1969. 82 T. W. Hutchison: Before Adam Smith, S. 193: „Thus the general framework of Hutcheson's and Smith's conception and treatment of moral philosophy, political economy and jurisprudence came from Pufendorf, via Carmichael"; siehe jedoch den Hinweis James Moores auf Hutchesons Kritik an Pufendorf: The two Systems of Francis Hutcheson, in: Μ. A. Stewart (Hg.): Studies in the Philosophy of the Scottish Enlightenment, S. 54. Verbindungen zu dem „Cambridge Piatonist" Richard Cumberland diskutiert Knud Haakonssen: Moral Philosophy and Natural Law, ΡSc, 1988. 83 The two Systems of Francis Hutcheson, in: Μ. A. Stewart (Hg.): Studies in the Philosophy of the Scottish Enlightenment.

2. Francis Hutcheson

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jedoch die Position Knud Haakonssens, der in ihnen den Versuch erblickt, eine Philosophie der Tugend mit einer Begründungstheorie von Individualrechten zu verbinden84. Wissenschaftstheorie Der wissenschaftstheoretische Kontext der Hutchesonschen Sozialtheorie ist für die ganze schottische Moralphilosophie bedeutsam85, insoweit er im Grundsatz den Paradigmenwechsel von den abstrakt mathematisch, „more geometrico", verfahrenden Rationalisten des 17. Jahrhunderts zu einem durch die Newtonsche Wissenschaftsrevolution geprägten Ansatz vollzieht, in dem eine Vielzahl empirisch konstatierbarer und meßbarer Phänomene auf eine gemeinsame Ursache, im Modellbeispiel die Schwerkraft, zurückgeführt werden86. Gelegentlich stellt er auch beide Modelle ergänzend nebeneinander und überträgt sie auf die Gesellschaftstheorie87. Hume nahm später die Idee einer Newtonisch modellierten Wissenschaft vom Menschen auf und entwickelte den Lockeschen Empirismus in Richtung einer Assoziationspsychologie fort88, mit der auch Hutcheson experimentierte89. Es ist aber bekannt, daß Hume diesen Ansatz später zurückgenommen hat90. Hutcheson hat auch den anthropologischen Ansatz in die schottische Moralphilosophie eingebracht; so lautet der einleitende Satz seiner ersten Schrift über den „Ursprung unserer Ideen von Schönheit und Tugend": „There is no part of philosophy of more importance than the just knowledge of human nature and its various powers and dispositions"91. Dieser Ansatz erscheint an sich wenig originell, wenn sich Hobbes 92 , Pufen-

84 K. Haakonssen: Natural Law and Moral realism: The Scottish Synthesis, in: Μ. Α. Stewart (Hg.): Studies in the Philosophy of the Scottish Enlightenment, S. 61-85, hier S. 77. Ich verweise auf diesen Aufsatz fur einen Umriß der Naturrechtslehre Hutchesons. 85 Eine Übersicht gibt: R. L. Emerson: Science and Moral Philosophy in the Scottish Enlightenment, in: Μ. Α. Stewart (Hg.): Studies in the Philosophy of the Scottish Enlightenment, S. 11-36. 86 D. D. Raphael: Adam Smith: Philosophy, Science, and social Science, in: S. C. Brown (Hg.): Philosophers of the Enlightenment, S. 85, S. 88; N. Waszek: The Scottish Enlightenment and Hegel's Account of „Civil Society", S. 38ff. Siehe über die Newtonische Wende und ihre wissenschaftsgeschichtlichweltanschauliche Bedeutung: P. Kondylis: Aufklärung, Teil IV. 87 Siehe Hutcheson: Inquiry, S. 50f. ; Leidhold: Ethik und Politik, S. 122. Für Adam Smith und Newton siehe A. S. Skinner: Α System of Social Science. Papers relating to Adam Smith, Oxford, 1979, S. 9ff. 88 Siehe etwa Hume: Treatise of Human Nature, Buch I, Abschn. IV, S. 12f. ; ein nicht expliziter, aber deutlicher Bezug auf Newton findet sich in: ders.: Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand (1748), Stg., 1982, 1. Abschnitt, S. 28f.; D. Forbes: Hume's Philosophical Politics, S. 8; s.a. P. Kondylis: Aufklärung, S. 226, S. 287f.; N. Waszek: Man's Social Nature, S. 71-83. In der Einleitung zum „Treatise" beruft sich Hume auch auf Bacon, S. XVII, und Kondylis erklärt die Aufwertung Bacons (und gewisser Aspekte der Renaissance-Philosophie überhaupt) im achtzehnten Jahrhundert aus dem Bestreben, den Rationalismus des siebzehnten Jahrhunderts in der Richtung einer Aufwertung der Materie und der Sinnlichkeit zu überwinden, Die Aufklärung, S. 295ff. Die signifikanteste Verankerung des Baconschen Wissenschaftsprogramms im achtzehnten Jahrhundert dürfte J. LeRond d'Alemberts: Einleitung zur „Enzyklopädie" (1751), hg. v. G. Mensching, Ffin., 1989, sein, bes. S. 69ff. Für einen Hinweis auf die wissenschaftstheoretische Differenz von Hutcheson und Hume, siehe J. Moore: The two Systems of Francis Hutcheson, in: Μ. A. Stewart (Hg.): Studies in the Philosophy of the Scottish Enlightenment, S. 58. 89 Siehe etwa: Essay, S. 93ff. 90 D. Forbes: Hume's Philosophical Politics, S. 15; s. a. N. Waszek: Man's Social Nature, S. 82f. 91 F. Hutcheson: Inquiry, S. 23, Preface.

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dorf93 und Spinoza94 auf die Kenntnis der menschlichen Natur als Basis der Sozialtheorie beriefen, und schon Machiavelli begründete die Möglichkeit politischen Wissens aus der Unterstellung transhistorischer Invarianz der menschlichen Natur95. Hume erweitert dann diesen Ansatz durch die Behauptung eines erkenntnistheoretisch fundierten Primates der Humanwissenschaften gegenüber den im 17. Jahrhundert auf moderner Grundlage entwickelten Naturwissenschaften, wenn er schreibt, „'Tis evident that all the sciences have a relation, greater or less, to human nature; and that however wide any of them may seem to run from it, they still return back by one passage or another. Even Mathematics, Natural Philosophy, and Natural religion, are in some measure dependent on the science of MAN; since they lie under the cognizance of men, and are judged of by their powers and faculties"96. Originell an der Anthropologie der schottischen Aufklärer ist die auf den sensualen und psychologischen Ausstattungen und Antrieben, den passions" und „Affections"91, aufbauende nicht-rationale Sozialphilosophie der ,Moral Sentiments". Im neunzehnten Jahrhundert wurde dann der Boden eines anthropologischen Ansatzes als vereinheitlichendes Fundament der Sozialwissenschaften verlassen, etwa in der Polemik Thomas Macaulays gegen James Mills Essay on Government9S, auf die John Stuart Mill in seiner Logic metakritisch reagierte99. Nun zur Moralphilosophie Hutchesons, ohne deren Kenntnis kein zureichender Zugang zu seinem Werk zu finden ist100. Moralphilosophie Es ist oft methodisch sinnvoll, die ideengeschichtliche Analyse mit der Frage nach ihren Abgrenzungen zu beginnen, denn kein Denken entsteht, bildlich gesprochen, im leeren Raum, stets trifft es auf eine bestimmte historisch-intellektuelle Situation, aus der es Motive schöpft, die seine Identität begründen. Wogegen also wendet sich Hutcheson? In 92 93 94 95

Siehe etwa: Elements of Law, erster Satz. Siehe etwa: Über die Pflicht des Menschen und des Bürgers, Kap. 3, § 1, S. 45. Siehe etwa: Abhandlung vom Staate, Kap. 1 ,§ 4, S. 57. „Die Welt war immer, wie jetzt, von Menschen bewohnt, die stets dieselben Leidenschaften hatten. Immer gab und gibt es Diener und Herren...", Wie man das empörte Chianatal behandeln solle, GS, 5 Bde., hg. v. H. Floerke, München, 1925, Bd. II, S. 160; s. a. Q. Skinner: Foundations, Bd. I, S. 169, dieser Gedanke bei anderen Autoren: ibid., S. 220; M. Hulliung: Citizen Machiavelli, S. 172ff. Eine antike Quelle für diese Auffassung bildet Thukydides: „Wer aber klare Erkenntnis des Vergangenen erstrebt und damit auch des Künftigen, das wieder einmal nach der menschlichen Natur so oder ähnlich eintreten wird, der wird mein Werk fur nützlich halten, und das soll mir genügen", Der peloponnesische Krieg, Auswahl, hg. v. H. Vretska, Stg., 1990, 1. Buch, 22. Abschn., 4. Satz, S. 56. 96 D. Hume: Treatise, S. XV, auch die folgenden Seiten; siehe dazu ausführlich: D. Forbes: Hume's Philosophical Politics, Teil 1, Kap. 4: Social experience and the uniformity of human nature, S. 10221.

97 Siehe auch: Ε. Burke: A Philosophical Enquiry, S. 1, Vorwort zur Erstausgabe. 98 Siehe Collini et al.: That Noble Science of Politics, S. 101N, und dort das ganze Kapitel, dagegen aber T. Macaulay: Hallam's History, in: Critical and Historical Essays, Bd. I, S. 55. Der „Essay" von James Mill: Essays on Government, Jurisprudence, Liberty of the Press and Law of Nations (181623), London, 1825, repr., Fairfield, 1986. 99 Siehe J. St. Mill: The Logic of the Moral Sciences, London, 1987 (Separatausgabe des 6. Buches der Logic), bes. Kap. 3. R. Spaemann: Über den Begriff einer Natur des Menschen, in: Das Natürliche und das Vernünftige. Essays zur Anthropologie (1985-87), München/Zürich, 1987, S. 13-39. 100 Siehe zum folgenden J. Darling: The moral teaching of Francis Hutcheson, BJECS, 1989: 12, S. 16574; für den Kontext P. Kondylis: Aufklärung, S. 381ff.: Der paradigmatische Charakter der britischen moralphilosophischen Debatte; interessant auch Ch. Taylor: Sources of the Self, Kap. 15.

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seinen frühen Schriften kritisiert er in erster Linie die Theorien des Egoismus oder einer abstrakt-einseitigen Selbstliebe von Mandeville101 und Hobbes102 sowie den moralphilosophischen Rationalismus103. Der Vorwurf gegen die Egoisten lautet, diese interpretierten alle möglichen menschlichen Handlungen im Raster eines so sehr ausgedehnten Begriffes von „Selbstliebe", daß α priori keine von ihnen diesen Begriff sprengen könne1 . An dieser Kritik drängt sich die Analogie zum modernen Wissenschaftsprogramm des „Rational Choice"-Paradigmas auf, das versucht, komplexe gesellschaftliche Prozesse vom methodischen Ideal des Homo Oecortomicus oder Nutzenmaximierers aus theoretisch zu rekonstruieren, wobei die gewonnenen Ergebnisse, etwa vermittels der Spieltheorie, auf kollektive und „öffentliche" Prozesse übertragen werden105. Über eine Reihe ideengeschichtlicher Vermittlungsschritte hinweg - ich denke an die sogenannten „Philosophical Radicals"106, die theoretische Revolution der ökonomischen Grenznutzentheorie107 und Joseph Schumpeters Konkurrenztheorie der Demokratie108 - , kann diese Position von Hobbes109 bis zur Gegenwart als sozialtheoretische Strömung aufgewiesen werden; und kein Zweifel: ihre Stärke beruht in der Gegenwart auf dem von Kenneth Boulding so genannten methodischen „Imperialismus der Ökonomie", der alternative Paradigmen in den Sozialwissenschaften durch den Homo Oeconomicus verdrängt110. Die Auseinandersetzung Hutchesons in dieser Frage ist daher keineswegs überholt. Am moralphilosophischen Rationalismus kritisiert er, die Frage nach moralischer Erkenntnis mit der Frage nach Wahrheit gleichzusetzen; ihm setzt er sein Konzept des 101 Siehe bes. Hutcheson: Remarks upon the Fable of the Bees, CW, Bd. VII, repr., Hildesheim, 1971, S. 132-69; Μ. M. Goldsmith: Regulating anew the moral and political sentiments of mankind, JH1, 1988. 102 Hutcheson: Reflections upon Laughter (1725), in: ders.: Inquiry, Appendix, S. 103; Leidhold: Ethik und Politik, S. 14; V. Μ. Hope: Virtue by Consensus, S. 23. 103 Siehe bes. Hutcheson: Letters between the late Mr. Gilbert Bumet, and Mr. Hutchinson, concerning the true foundation of virtue or moral goodness (1725), CW, Bd. VII; W. Leidhold: Ethik und Politik, S. 15; A. Maclntyre: Whose Justice? Which Rationality?, S. 267f. 104 Leidhold: Ethik und Politik, S. 41; gegen Mandeville: Hutcheson: Remarks upon the Fable of the Bees, CW, Bd. VII, S. 168. Hutcheson macht, unter Berufung auf Cicero, Epikur als Stammvater dieser Position aus: Essay, CW, Bd. II, S. 13. 105 Siehe R. Abrams: Rationality and collective choice theory, in: The HB of political Behavior, hg. v. S.L.Long, NY/London, 1981, Bd. II, Kap. 4, S. 225-84. Neuere Aufsätze: Κ. D. Opp: Rational choice and sociological man, JBNPÖ, 1984: 3, S. 1-16; T. W. Luke: Reason and rationality in rational choice theory, SR, 1985: 52, S. 65-98; L. Lewin: Utilitarianism and rational choice, Eur. Jour, of Pol. Research, 1988: 16, S. 29-49; Beiträge in: Η. B. Schäfer/K. Wehrt (Hg.): Die Ökonomisierung der Sozialwissenschaften. Sechs Wortmeldungen, Ffm. /NY, 1989; E. Ostrom: Rational choice theory and institutional analysis: toward complementarity, Review Essay, APSR, 1991: 85, S. 237-43; R. H. Turner: The use and misuse of rational models in collective behavior and social psychology, Λ ES, 1991; Η. Esser: „Rational choice", Berliner Jour, für Soziologie, 1991: 1, S. 231-43. 106 Siehe J. S. Mill: The Logic of the Moral Sciences, Kap. 8, Abschn. 3, S. 77ff.; D. Birnbacher: Der Militarismus und die Ökonomie, in: B. Biervert et al. (Hg.): Sozialphilosophische Grundlagen ökonomischen Handelns, S. 65-85. 107 Siehe Schumpeter: Geschichte der ökonomischen Analyse, Bd. II, Kap. 6, Abschn. 3; W. Hofmann: Wert- und Preislehre, 2. Teil, 1. Abschn.; Stavenhagen: Geschichte der Wirtschaftstheorie, Kap. VII; Μ. H. Dobb: Wert- und Verteilungstheorien seit Adam Smith. Eine nationalökonomische Dogmengeschichte (1973), Ffm., 1977, Kap. 7: Die „Jevonssche Revolution". 108 J. A. Schumpeter: Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie (1942), Bern, 2. Aufl., 1950, Kap. 22. 109 S. a. M. L. Myers: The Soul of Modern Economic Man. 110 Κ. E. Boulding: Ökonomie als Wissenschaft (1970), München, 1976, S. 136.

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„Moral Sense" entgegen, ein vom dritten Earl of Shaftesbury übernommener Begriff 1 ", dessen philosophischer Stil den Bruch des 18. Jahrhunderts mit dem Rationalismus anzeigt112. Die Konzentration der Philosophiehistorik auf diesen Begriff erscheint prima facie unangemessen, wenn wir seine Stellung im System der Sinne im ersten Abschnitt des Essay betrachten, denn wir finden dort „A general account of our several senses and desires, selfish or publick", mit folgender Klassifizierung: „In the 1. class are the external senses, universally known. In the 2. the pleasant perceptions arising from regular, harmonious, uniform objects; as also from grandeur and novelty. These we may call, after Mr. Addison, the pleasures of the imagination... 3. The next class of perceptions we may call a publick sense, viz. „our determination to be pleased with the happiness of others, and to be uneasy at their misery." This is found in some degree in all men, and was sometimes called... sensus communis by some of the antients. 4. The fourth class we may call the moral sense, by which „we perceive virtue, or vice in our selves, or others". This is plainly distinct from the former class of perceptions, since many are strongly affected with the fortunes of others, who seldom reflect upon virtue, or vice in themselves, or others, as an object: as we may find in natural affection, compassion, friendship, or even general benevolence to mankind, which connect our happiness or pleasure with that of others, even when we are not reflecting upon our own temper, nor delighted with the perception of our own virtue. 5. The fifth class is a sense of honour, „which makes the approbation, or gratitude of others, for any good actions we have done, the necessary occasion of pleasure; and their dislike, condemnation, or resentment of injuries done by us, the occasion of that uneasy sensation called shame, even when we fear no further evil from them",,113. Hutchesons Systematik der Sinne gliedert sich also in externe und interne114, wobei die letzteren, als zusätzliche Wahrnehmungs- und Erkenntnisquellen, wesentlich die Originalität seiner Moralphilosophie begründen115. Gleichzeitig sieht man, daß der „Moral Sense" nur einer unter mehreren internen Sinnen ist, wenn Hutcheson ihm auch eine Führungsrolle zuschreibt116. Aber bereits die zeitgenössische Rezeption hat sich auf dieses Konzept konzentriert, das schulbildend wurde, und noch am Ende des 18. Jahrhunderts rühmte John Miliar gegenüber Studenten als entscheidendes Verdienst Hutchesons, er habe als erster britischer Philosoph „established this point fully in opposition to Dr. Clarke that Moral approbation is matter of feeling and not understanding and the faculty which thus distinguishes virtue from vice he shews to be internal sense and to this he gave the name of the moral sense..."'17.

111 A.Ferguson: Principles, Bd. II, S. 127; J. Buhl: Nachwort, zu: F. Hutcheson: Erläuterungen zum moralischen Sinn (1728), Stg., 1984, S. 127; V. M. Hope: Virtue by Consensus, S. 20ff.; vgl. für eine andere Quelle des Begriffes: W. Leidhold: Ethik und Politik, S. 68N, S. 173ff. 112 Nach Maclntyre liegt hier ein Bruch mit der antiken Tradition: Whose Justice? Which Rationality?, S. 268ff. Siehe zum folgenden: F. Hutcheson: Erläuterungen zum moralischen Sinn. 113 CW, Bd. II, S. 5f. 114 Vgl.: Inquiry, S. X, Abschn. 7 und 8. 115 Edmund Burke äußert sich 1757 kritisch zur „opinion which many persons entertain, as if the Taste were a separate faculty of the mind, and distinct from the judgement and imagination... ", denn „To multiply principles for every different appearance, is useless, and unphilosophical too in a high degree", A Philosophical Enquiry, S. 25f. Das kann auf Hutcheson zielen. 116 System, Bd. I, S. 61. 117 Vorlesungsmitschrift: Lectures on the institutions of the civil law, by Prof. Millar, Glasgow, George Joseph Bell, Esq., 1794, 2 Bde., Edinburgh University Library, DC. 2. 45/46, Bd. I, S. 13.

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Im Rahmen der Lockeschen Erkenntnistheorie mit ihrer Abweisung „eingeborener Ideen" war die moralische Erkenntnis, d.h. die Bestimmung von gut und böse, wie jede Erkenntnis aus dem Zusammenspiel von Sinneserfahrung und Bewußtsein abzuleiten, wobei das Grundmaterial für die mentale Konstruktion der Wirklichkeit sogenannte „einfache Ideen" sind, nicht mehr reduzierbare phänomenologische Qualitäten als Bewußtseinsinhalte. Und das moralische Urteil gründet Locke letzten Endes auf die Wahrnehmung von Lust und Schmerz" 8 . Die „pleasure-pain"-Empfindung bleibt jedoch au fond subjektiv; von ihr gelangt man nicht ohne weiteres zu verallgemeinerungsfahigen moralischen Urteilen, deren allgemeines Kriterium die Übereinstimmung mit den drei hierarchisch geordneten Regelungsbereichen ist: dem Naturrecht als Gesetz Gottes, dem politischen Recht als Gesetz des politischen Gemeinwesens und den Regeln des gesellschaftlichen Umgangs. Locke muß nachweisen, daß diese Regeln, insbesondere das Naturrecht als höchste Regelungsebene, für den Menschen erkennbar sind, durch die menschliche Vernunft erfaßt werden können, und er müßte diesen Erkenntnisvorgang ausgehend von der subjektiven Lust/Schmerz-Empfindung konstruieren. Das scheint ihm nicht gelungen zu sein 119 , und das konstituierende kritische Argument von Shaftesbury und Hutcheson besagt, daß es von der Sinneserfahrung Lockes keinen Weg zur moralischen Erkenntnis gibt. „Whatever confusion the schoolmen [d.h. die Scholastik] introduced into philosophy", schreibt Hutcheson, „some of their keenest Adversaries seem to threaten it with a worse kind of confusion, by attempting to take away some of the most immediate simple perceptions, and to explain all approbation, condemnation, pleasure and pain, by some intricate relations to the perceptions of the external senses" 120 . Das menschliche Bewußtsein, genauer: seine Denkfähigkeit, „reason", sei nämlich nicht in der Lage, aus dem Material der äußeren Sinne moralische Urteile und Handlungsorientierungen abzuleiten. Dieser Stellungnahme Hutchesons liegt nach der Analyse Wolfgang Leidholds ein bereits bei Hobbes rationalistisch verkürzter, entnormativierter, instrumentalistischer Vernunftbegriff zugrunde 121 , den wir auch bei Hume finden. Die Vernunft erscheint dabei auf das reine Analyse- und Denkvermögen über gegebene sinnliche und mentale Daten im Geiste reduziert, die verglichen werden, deren Beziehungen aufgedeckt werden. Allenfalls hilft „the understanding, or the power of reflecting, comparing, judging" bei der Feststellung „about the means or the subordinate ends: but about the ultimate ends there is no reasoning. We prosecute them by some immediate disposition or determination of soul, which in the order of action is always prior to all reasoning; as no

118 Locke: Essay concerning Human Understanding, Buch II, Kap. 20, § 2: „Things then are good or evil only in reference to pleasure or pain... ", S. 159; eine knappe Darstellung der Erkenntnisformen bei Locke bietet: J. Dunn: Locke, Kap. 3: Knowledge, belief and faith; vgl. auch P. Kondylis: Aufklärung, S. 386ff. 119 Siehe V. M. Hope: Virtue by Consensus, S. 19f. 120 Essay, S. VI, Preface; vgl. Kondylis: Aufklärung, S. 389f. 121 Leidhold: Ethik und Politik, S. 15, S. 65ff. u. gen. Kap. 2: Das Fundament der Tugend. Hutcheson: „Reason being cool and disengaged, is no motive to action, and directs only the impulse received from appetite or inclination, by showing us the means of attaining happiness or avoiding misery", zit. η. V. M. Hope: Virtue by Consensus, S. 77; A. Maclntyre: Whose Justice? Which Rationality?, betont die Differenz zur aristotelischen Philosophie, S. 272, und zusammenfassend: „Phronesis has indeed been displaced, and what Hutcheson refers to by „prudence" is no more than its ghost", S. 276.

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opinion or judgement can move to action, where there is no prior desire of some end"122. Diese Position impliziert eine Art moralphilosophischen Dezisionismus123, dessen nicht-rationale Komponente von Hutcheson bewußt akzentuiert wird. Die ethisch-moralische Entscheidung geht demnach aus unmittelbaren moralischen Wahrnehmungen und normativen Willensakten hervor, wobei die Denktätigkeit eine nur untergeordnete Rolle spielt124. Und weil er keinen Weg von der äußeren Sinneserfahrung zur moralischen Erkenntnis sieht, fühlt sich Hutcheson zur Annahme eines inneren moralischen Sinnes gezwungen, wenn er erklären will, wie Menschen moralische Urteile fallen, denen er eine „sensuale" Fundierung zuschreiben zu müssen meint125. Die Existenz des Moralsinnes, wie auch der übrigen inneren Sinne, hielt Hutcheson nicht für beweisbar, aber für die einzig sinnvolle Hypothese. Es handelt sich dabei um Erkenntnisformen sui generis, bei denen der Verstand, wie auch im Falle äußerer Erkenntnis, unverzichtbare Hilfsdienste leistet, indem er das durch die Sinne gelieferte Material analytisch aufbereitet126; er wird damit aber auch zur Quelle von Irrtümern, denen der „Moral Sense" an sich nicht unterliegt127. Wenn auch die „inneren Sinne" nicht durch Vernunft zu verbessern sind, so schreibt ihnen Hutcheson doch eine Entwicklung durch Erfahrung zu128. Seine antirationalistische Position hält Hutcheson auch in der Diskussion der Rolle des Willens durch129. Ein Sinn kann an sich nur wahrnehmende und beurteilende Funktion haben, im Falle des Moralsinns also diejenige, gut von böse zu unterscheiden und daher bestimmte Handlungen und Handlungsweisen moralisch zu beurteilen und zu bewerten. Dabei geht es übrigens für Hutcheson nicht in erster Linie um die objektive Tatsache der Erzielung guter oder nützlicher Effekte, obwohl dieser Gesichtspunkt das Handeln utilitaristisch orientieren soll, sondern beim moralischen Urteil über das Handeln anderer geht es wesentlich um die Beurteilung der Intention, der Motive, denn man muß in 122 Hutcheson: System, Bd. I, S. 38. 123 Mich erinnert das an Max Weber: Wissenschaft als Beruf, in: ders.: Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, hg. v. J. Winckelmann, Tübingen, 6. Aufl., 1985, S. 582-613, und id.: Politik als Beruf, Gesammelte Politische Schriften, bes. S. 545ff. 124 System, Bd. I, S. 58: „... 'tis pretty plain that reason is only a subservient power to our ultimate determinations either of perception or will. The ultimate end is settled by some sense, and some determination of will... reason can only direct to the means; or compare two ends previously constituted by some other immediate powers". 125 Siehe die Diskussion bei V. Μ. Hope: Virtue by Consensus, S. 23, S. 43ff., und zusammenfassend S. 45: „The arguments are relatively simple: (1) Approval is not knowledge or belief. Like desire, it is an affection. But reason operates only with knowledge or belief, not affection. So reason cannot approve. (2) Reason is not a source of ideas but a means of comparison and verification. Therefore it cannot be the source of our moral ideas, which can only come from a moral sense". 126 Etwas anders beurteilt Alasdair Maclntyre Hutchesons Theorie: „We are motivated only by the affections, and we are rightly motivated only when affected by the moral sense in a way that gives to it its due and chief place among the affections. So far reason is impotent. But where it is a matter of our knowledge of those duties and rights which are secondary and derivative from the primary duties and rights of which the moral sense informs us, reason has an essential place in the moral life", Whose Justice? Which Rationality?, S. 274f. Er nimmt daher ein „two-tiered structure of duties and rights" bei Hutcheson an, S. 275. Ich halte diese interpretative Trennung von Ebenen für überzogen. 127 A. Maclntyre: Whose Justice? Which Rationality?, S. 278f. 128 Ibid., S. 272. 129 Das Problem des Willens wurde von Augustinus in die moralphilosophische Diskussion eingeführt, siehe ibid., Kap. 9.

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Rechnung stellen, daß sich Menschen über die Effekte ihrer Handlungen täuschen. Und jemand, der dumm handelt, handelt deshalb nicht schlecht; wir sind gezwungen, seine Moralität anzuerkennen, wenn wir wahrnehmen, daß seine Absichten gut sind 130 - eine später von Smith gegen Hume akzentuierte Einsicht 131 . Die Folgerungen aus dem moralischen Urteil sind aber damit an sich nicht determiniert; also: ob wir uns über unmoralisches Verhalten empören, weiterhin: ob wir beschließen, praktisch entgegen zu handeln, ist mit dem Akt des Urteilens nicht gesetzt. Der Moralsinn bestimmt nicht die Moralität unseres Handelns 132 , er setzt uns nur zusammen mit der Vernunft in die Lage, zu beurteilen, ob moralisch gehandelt wird, einerlei, ob andere handeln oder ob - im Falle der Selbstbeobachtung - Ego handelt 133 . Zum moralischen Akt gehört auch bei Hutcheson der Wille, denn auch wenn der Übergang vom moralischen Urteilen zum moralischen Handeln in praxi kaum merkbar sein mag, insofern sich beide Vorgänge im Bewußtseinsstrom ohne deutliche Scheidung aneinander anschließen, so ist dieser Unterschied analytisch doch wesentlich, den Hutcheson nicht immer beachtet und zu verkleinern tendiert 134 , indem er den Willen und seine Bildung zum spontanen Annex des Wirkens der Sinne erklärt: „As soon as the mind has got any notion of good or evil by grateful or uneasy sensations of any kind, there naturally arise certain motions of the will, distinct from all sensation; to wit, desires of good, and aversions to evil" 135 . Auf der anderen Seite besteht er darauf, auch die moralische Willensbildung von den rationalen Bewußtseinsprozessen abzukoppeln, und schreibt: „This in general seems true that we cannot properly ascribe any active power to the understanding, about our conduct in life. 'Tis its business only to discover truth; whereas willing, ordering, commanding, purposing, are acts of Will" 136 . Seine Theorie stellt sich also als eine systematische Umgehung der Vernunft im moralischen Prozeß dar, indem die sensuale, die emotive und die volitive Dimension kurzgeschlossen werden. Das von Hutcheson so genannte „selfish-system" Hobbes' und Mandevilles ist Bestandteil einer moralphilosophischen Tradition der Ernüchterung über die natürliche Güte des Menschen 137 , und besonders französische Moralisten des 17. Jahrhunderts decouvrierten die Allgegenwart der „amour propre" im sozialen Handeln 138 . Die anthropologische Problematik im 17. und 18. Jahrhundert geht von der Frage aus: wodurch wird unser Wille bestimmt?, und die Antwort lautete entweder: durch den Verstand (oder die Vernunft), oder: durch die Leidenschaften. Die traditionelle, von Thomas von Aquin vertretene Auffassung war, daß „alle Glieder des Körpers und alle übrigen Kräfte der

130 Essay, S. 37; vgl. Haakonssen: Moral Philosophy and Natural Law, PSc, 1988, S. 109; J. B. Schneewind: Natural law, skepticism, and methods of ethics, JH1, 1991: 52, S. 289-308, S. 299. 131 V. M. Hope: Virtue by Consensus, S. 88f.; s. a. A. Ferguson: Principles, Bd. II, S. 165. 132 W. Leidhold: Ethik und Politik, S. 128ff. 133 Dies betont im Zusammenhang mit Smiths TMS D. D. Raphael: Adam Smith 1790: The man recalled, the philospher revived, in: P. Jones/A. S. Skinner (Hg.): Adam Smith reviewed, S. 93-118. 134 Selbstlose Leidenschaften „naturally arise, without premeditation or previous volition, as soon as that species or occasion occurs which is by nature adapted to raise them", Short Introduction, S. 11. 135 Ibid., S. 7f. 136 Ibid., S. 40. 137 Vgl. Montaigne über Guicciardini: Essais, 2. Buch, Essai Nr. 10, S. 402; s. a. Spinoza: Abhandlung vom Staate, Kap. 1, § 1, 5 u. 6. 138 Siehe repräsentativ: F. de Larochefoucauld: Spiegel des Herzens.

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Seele von der Vernunft geleitet werden" 139 . Demgegenüber ging Spinoza von der Priorität der Leidenschaften gegenüber der Vernunft aus 140 , und für Hume stand vollends fest, daß „reason is, and ought only to be the slave of the passions, and can never pretend to any other office than to serve and obey" 141 . Dort, wo die Vernunft rationalistisch verkürzt ist, bleibt im Grunde kein anderer Weg, als den Willen durch die Affekte bestimmt sein zu lassen, und „Wie bei Hobbes, so führt auch [bei Hutcheson] die Voranstellung des Affekts zur Auffassung, die Vernunft habe rein instrumentellen Charakter, d.h. sie finde nur die Mittel zum Erreichen der Ziele der Instinkte", stellt Panajotis Kondylis fest 142 . Daraus ergab sich die trostlose Perspektive eines durch die Affekte bestimmten, in der Sicht der traditionellen Philosophie unfreien Lebens 143 , und daher wurde versucht, die Vernunft auf einem Umweg doch wieder als Bestimmungsgrund des Willens ins Spiel zu bringen 144 , indem man ihr durch die Idee der Balance der Leidenschaften neuen Spielraum schuf 145 . Der locus classicus dieser Idee ist Spinozas „Ethik", wo wir lesen: „Ein Affekt kann nicht anders gehemmt oder aufgehoben werden, als durch einen anderen, entgegengesetzten und stärkeren Affekt" 146 . Hutchesons Moralphilosophie ist einfacher konstruiert; zwar benutzt auch er die Idee der Balancierung der Leidenschaften, ohne jedoch damit die Vernunft zu rehabilitieren147, sondern im Anschluß an Shaftesbury als Überleitung zur These der „Natürlichkeit der Tugend" 148 . Ausgehend von einem gedachten Naturzustand als „that state, those dispositions and actions..., to which we are inclined by some part of our constitution, antecedently to any volition of our own; or which flow from principles of our nature, not brought upon us by our own art, or that of others... it may appear, ... that a state of good-will, humanity, compassion, mutual aid, propagating and supporting offspring, love of community or country, devotion, love and gratitude to some governing mind, is our natural state, to which we are naturally inclined..." 149 . Die Affektanthropologie wird damit gegen traditionell christliches Denken und gegen Hobbes radikal optimistisch umgedeutet 150 , und es entsteht die Vorstellung, die Leidenschaften würden sich handlungsleitend wechselseitig ausbalancieren, den bornierten Rahmen lediglich „selbstinteressierten" Handelns sprengen und spontan in eine gleichsam moralisch erhöhte Ruhelage einmünden. Diese Theorie setzt einen 139 T. v. Aquin: Über die Herrschaft der Fürsten, S. 48, auch: Baldesar Castiglione: Das Buch vom Hofinann (1528), München, 1986, S. 348. 140 Siehe: Abhandlung vom Staate, S. 57, Kap. 1, § 5, S. 60, Kap. 2, § 5. 141 Hume: Treatise, 2. Buch, Teil III, Abschn. III, S. 415; A. O. Hirschman: Leidenschaften und Interessen, S. 33; Maclntyre: Whose Justice? Which Rationality?, Kap. XVI, bes. S. 304, und, im Zusammenhang der Cicero-Rezeption und Pierre Bayles Dictionnaire, S. 288f. 142 Aufklärung, S. 399. 143 Siehe ibid., S. 408. 144 Ibid., S. 419. 145 Siehe bes. A. O. Hirschman: Leidenschaften und Interessen. 146 B.Spinoza: Ethik (1677), hg. v. H.Seidel, Leipzig, 1982, S. 223, 4. Teil, 7. Lehrsatz; s.a. 37. Lehrsatz, 2. Anm.; vgl. idem: Abhandlung vom Staate, Kap. 1, § 5, S. 58. 147 Allerdings gibt es Passagen, die in diese Richtung weisen, etwa: Essay, S. 181: „Our passions... are by nature balanced against each other. ... we have wisdom sufficient to form ideas of rights, laws, constitutions; so as to preserve large societies in peace and prosperity, and promote a general good amidst all the private interests". 148 W. Leidhold: Ethik und Politik, S. 219, Note. 149 Essay, zit. n. ibid., S. 217. 150 P. Kondylis: Aufklärung, S. 398.

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benevolenten Gott voraus, der die Schöpfung, und speziell die menschliche Affektstruktur, als virtuell balanciertes, sich selbst stabilisierendes System konstruiert hat, das jedoch dem Menschen eine gewisse Freiheit läßt, sein emotives Potential richtig zu dirigieren und die normativ anzustrebende Ruheposition zu erreichen. Der Mensch und Christ wird nicht aus der Pflicht entlassen, aber vom Fluch kalvinistischer Prädestination befreit. Seine Kritik des modernen Selfish System trägt Hutcheson wiederholt eindringlich vor. So spricht er von jenen „Moralisten, die lieber die Selbstliebe in tausend Formen biegen, als ein anderes Prinzip der Billigung statt des Interesses zuzulassen..." 151 , oder er konstatiert, die „old Notions of natural Affections, and kind Instincts, the Sensus communis, the Decorum and Honestum, are amost banish"d out of our Books of Morals; we must never hear of them in any of our Lectures for fear of innate Ideas: all must be Interest and some selfish View" 152 . Hobbes „grand view was to deduce all human actions from Self-love: by some bad fortune he has overlooked every thing which is generous or kind in mankind, and represents men in that light in which a thorough knave or coward beholds them, suspecting all friendship, love, or social affection, of hypocrisy, or selfish design or fear" 153 . Und die Philosophen des Selbstinteresses „have treated our desires or affections, making the most generous, kind and disinterested of them, to proceed from Self-love, by some subtle trains of reasoning, to which honest hearts are often wholly strangers" 154 . Dem hält er entgegen, „few of our passions can be any way deduced from self-love, or desire of private advantage: and how improbable it is, that persons in the heat of action, have any of those subtle reflections, and selfish intentions, which some philosophers invent for them: how great a part of the commotions of our minds arise upon the moral sense, and from publick affections toward the good of others" 155 . Die Emphase dieser Kritik erklärt sich aus der Schwierigkeit Hutchesons, die eigene Position, das eigene Menschenbild zu beweisen, denn wie will man sichere Aussagen über Motivationen machen, wenn die Gegner die gleichen empirischen Handlungsweisen aus einem verdeckten, vielleicht unbewußten, aber rationalisierten Selbstinteresse erklären. Also appelliert Hutcheson an die Introspektion des Lesers156, der von der Aufrichtigkeit seiner Motive überzeugt ist, aber er räumt auch ein, einem „thorough knave or coward" möge die Welt immerhin in jenem Licht erscheinen, in dem die Theoretiker des Egoismus sie darstellen. Dem Guten wird hingegen der Reflektionsaufwand dieser Philosophen, mit dem sie wohlmeinende Handlungen als egoistisch decouvrieren, künstlich und fremd vorkommen, da ihre Tugend direkt aus ihrer Natur fließt 157 . Hutchesons Position schließt also eine Wendung gegen interessierte Verstellung und Reflexivität ein.

151 Untersuchung, S. 22. 152 Dublin weekly journal, Nr. 10, zit. η.: J. Moore: The two Systems of Francis Hutcheson, in: M. A. Stewart (Hg.): Studies in the Philosophy of the Scottish Enlightenment, S. 48. Nota die metakritische Anspielung auf Lockes Kritik der „innate ideas". 153 Reflections upon laughter, in: Inquiry, Appendix, S. 103. 154 Essay, S. VI, Preface. 155 Essay, S. 85. 156 Short Introduction, S. 10f.: „That there is among men some disinterested goodness, without any views to interests of their own, but pursuing ultimately the interests of persons beloved, must be evident to such as examine well their own hearts... ", s. a. S. 36f. Vgl. W. Leidhold: Ethik und Politik, S. 8Iff., der diesen Punkt gründlicher behandelt. 157 Die von Hutcheson in der Short Introduction, S. 12, eingeführten, „reflex or subsequent" genannten Sinne sind hier nicht gemeint. Gegen die anthropologische Hypostasierung eines reflexiven

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Wenn er eine natürliche Güte des Menschen annimmt, so auch - in Übereinstimmung mit zeitgenössischem Naturrecht158 - eine natürliche Selbstliebe. In der Auffassung des Menschen als affektuelles Gravitationszentrum wirken Liebe und Selbstliebe aufeinander wie im Universum Fliehkraft und Schwerkraft159. Ergebnis ist eine spontan egozentrische Strukturierung der Liebe, die vom Ego ausgehend nach außen hin über die Stufen von Familienangehörigen, Freunden, Bekannten, bis hin zur Menschheit und bei Hutcheson sogar bis zur empfindenden Natur reicht, dabei aber stetig an Kraft verliert160. Diese Auffassung zieht sich durch die Schriften auch der späteren schottischen Moralphilosophen und bildet eines ihrer identifizierend gemeinsamen Theoreme. Ein wichtiges Moment dieses Modells ist die virtuelle Überführung des Gegensatzes zwischen Egoismus und Altruismus, der gleichwohl diskussionsbestimmend bleibt, in eine kontinuierliche Skala161. Hutcheson ist Anhänger des auf stoische Quellen zurückgehenden162 Konzeptes der „unsichtbaren Hand"163 oder der „Heterogonie der Zwecke"164, das in der Akzentuierung der „unintended consequences" sozialen Handelns auch bei späteren schottischen Autoren eine wichtige Rolle spielt. Während und indem die partikularen Akteure ausschließlich oder überwiegend partikulare Interessen und Ziele verfolgen, kombinieren sich ihre Handlungen in einem nichtbewußten sozialen Ordnungsprozeß zu Resultaten, die, obgleich nicht angestrebt, in der optimistischen Variante dieses Ansatzes gesellschaftliche Höherentwicklungen induzieren. Auf diese Weise kann gedacht werden, wie gesellschaftlicher Fortschritt auch gegen die Intentionen von herrschsüchtigen, habgierigen und jedenfalls moralisch unzulänglichen Menschen sich vollzieht. Bei Hutcheson ist dieses evolutionäre Potential des Ansatzes nicht erschlossen, sondern bleibt der statischen moralphilosophischen Lehre des Glaubens an eine benevolente Schöpfung verhaftet. Auch in dieser Beziehung schließt er an Shaftesbury an, bei dem wir lesen, die natürlichen Neigungen des Menschen würden ihn „wider seinen Willen verleiten, das Wohl der Ge-

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,Egoismus" polemisierte auch Friedrich Nietzsche: Aus dem Nachlaß der Achtzigerjahre, Werke, Bd. IV, S. 272: „Wie viel Vorteil opfert der Mensch, wie wenig „eigennützig" ist er! Alle seine Affekte und Leidenschaften wollen ihr Recht haben - und wie fern vom klugen Nutzen des Eigennutzes ist der Affekt!". Siehe J. G. Heineccius: Grundlagen des Natur- und Völkerrechts, Kap. 6, § § 139f, 161. Siehe: Untersuchung, S. 100, S. 145; Short Introduction, S. 20; W. Leidhold: Ethik und Politik, S. 122; ders.: Einleitung, in: Hutcheson: Untersuchung, S. L; s. a. die Darstellung bei M. L. Myers: The Soul of Modern Economic Man, Kap. 5. Untersuchung, S. 58; Essay, S. 83f. Henri Bergson, ebenfalls moralphilosophischer Antirationalist, weist in seinem Alterswerk: Die beiden Quellen der Moral und der Religion (1932), Ffm., 1992, die These der kontinuierlichen Erweiterung affektueller Bindung vom Individuum zur Gattung zurück und betont dagegen die Unterscheidung im Prinzip geschlossener und offener Vergesellschaftung, wobei die letztere die Menschheit umfaßt, die daher keinen äußeren Gegensatz mehr hat. Von der geschlossenen zur offenen Gesellschaft existiert demnach ein Hiatus, der nur durch einen Sprung zu überwinden ist, den nur Religion ermöglicht, siehe S. 24ff., und der nur durch geniale Individuen initiiert werden kann, siehe S. 75 und S. 182. H. G. Nutzinger: Das System der natürlichen Freiheit bei Adam Smith, Ökonomie und Gesellschaft, JB 9, 1991, S. 91; unter den Stoikern ist hier wohl in erster Linie Marc Aurel zu nennen: Selbstbetrachtungen, Stg., 1991. Siehe meinen Aufsatz über: Modelle der „unsichtbaren Hand" vor Adam Smith, Leviathan, 1991. Demzufolge „individuelle Aktion überindividuellen Zwecken dient, was dem Betreffenden meistens unbewußt und von seiner persönlichen Moral unabhängig ist", P. Kondylis: Die Aufklärung, S. 433.

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sellschaft zu befördern und dem, was er aus blinder Selbstliebe für seinen Privatvorteil hält, entgegenzuhandeln" 165 . Ähnlich lesen wir in Hutchesons Essay: „Grandeur, beauty, order, harmony, wherever they occur, raise an opinion of a mind, of design, and wisdom" 166 , wenn wir feststellen, „how admirably our affections are contrived for good in the whole. Many of them indeed do not pursue the private good of the agent; nay, many of them, in various cases, seem to tend to his detriment, by concerning him violently in the fortunes of others, in their adversity, as well as their prosperity. But they all aim at good, either private or publick: and by them each particular agent is made, in a great measure, subservient to the good of the whole. Mankind are thus insensibly linked together, and make one great system, by an invisible union. He who voluntarily continues in this Union, and delights in employing his power for his kind, makes himself happy: He who does not continue this Union freely, but affects to break it, makes himself wretched; nor yet can he break the bonds of nature. His publick sense, his love of honour, and the very necessities of his nature, will continue to make him depend upon his system, and engage him to serve it, whether he inclines to it or not. Thus we are formed with a view to a general good end; and may in our own nature discern a universal mind watchful for the whole" 167 . Hier findet sich der wichtige Gedanke der Überdeterminierung des individuellen Willens durch die Konstruktion des Gesamtsystems, gegen dessen immanente Teleologie er sich nicht behaupten kann, ein Grundsatz, der nach Hutcheson inhaltlich in beiden Richtungen gültig ist: das individuelle Handeln, sofern es auf Partikulares zielt, dient gleichzeitig dem Ganzen 168 , und sofern es - moralisch hochstehend - auf das Ganze zielt, fördert es „unbeabsichtigt unser größtes persönliches Wohl" 169 . Damit wird dieser Ansatz allerdings gleichsam konturlos, weil er keine begründete Handlungspräferenz mehr hergibt. Bei späteren schottischen Autoren liegt der Akzent eindeutig auf der optimistischen Legitimierung partikularer Handlungsorientierung, während für Hutcheson die Verheißung individueller Prämierung benevolenten Handelns bedeutungsvoll war, denn die „wichtigste Aufgabe des Moralphilosophen" sei, „uns mit soliden Gründen zu beweisen, daß das universale Wohlwollen das Glück des Wohlwollenden bewirkt" 170 . Das Konzept der „unsichtbaren Hand" ist bei Shaftesbury und Hutcheson eindeutig religiös fundiert. Das Problem besteht allerdings in der Infragestellung der Willensfreiheit, denn wenn jede Handlung unabhängig vom Willen des Handelnden α priori zur göttlichen Bestimmung der Schöpfung beitträgt, ist nicht absehbar, welche Bedeutung praktische Moral haben sollte. Dieses Problem wird dadurch nicht kleiner, daß Hutcheson von einem systematischen Übersteigen der göttlichen Ordnung über menschliche Erkenntnisfähigkeit ausgeht, weshalb der Mensch darauf verwiesen sei, im Ungewissen über die göttlichen Pläne zu handeln 171 . Um so wichtiger scheint es, den natürlichen, ungekünstelten Gefühlsregungen zu folgen, insofern sie Ausdruck unserer Schöpfungsnatur sind.

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Shaftesbury: Untersuchung über die Tugend, in: ders.: Der gesellige Enthusiast, S. 312. Essay, S. 175. Ibid., S. 177f. Siehe V. M. Hope: Virtue by Consensus, S. 29; Myers: The soul of modern economic man, Kap. 6. Hutcheson: Untersuchung, S. 29. Ibid., S. 134. Essay, S. 182: „... nor are the particular evils occurring to our observation, any just objection against the perfect goodness of the universal providence to us, who cannot know how far these evils may be necessarily connected with the means of the greatest possible absolute good", s. a. ibid., S. 186.

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Allerdings sieht Hutcheson doch zwei Bereiche, in denen unsere Ratio und Willenskraft gefordert sind, zum einen in Situationen der Überwältigung durch allzu starke Einzelaffekte, die unter dem Eindruck frischen Erlebens, einer Überreizung der Sinne oder aus anderen Gründen die Balance der Leidenschaften gefährden. Hier soll der Mensch „vigorously exercise the powers we have in keeping this ballance of affections, and checking any passion which grows so violent, as to be inconsistent with the publick good" 172 . Außerdem, und systematisch bedeutsamer, sieht er in der gefühlsmäßigen Asymmetrie der Liebe einen spontanen egozentrischen Bias und leitet daraus die Forderung bewußter Selbsterziehung zur Objektivität und zur „Benevolence" ab. Adam Smiths „Spectator"-Konzept ist später wesentlich darauf angelegt, diesen Bias zu neutralisieren. Hutchesons ethisches Ideal jedenfalls ist „calm, stable, universal good will to all, or the most extensive benevolence" 173 . Er weiß dieses Ideal allgemeiner Liebe in Wirklichkeit unerreichbar 174 , es soll jedoch als Norm handlungsorientierend wirken. Gesellschaftstheorie Bereits in Hutchesons Untersuchung über den Ursprung unserer Ideen von Schönheit und Tugend bildet eine Skizze der naturrechtlichen Begründung von Gesellschaft den Schlußabschnitt. Sie beginnt mit einem Bezug auf die Pufendorfsche Unterscheidung „vollkommener" und „unvollkommener" Rechte 175 , von denen die ersteren „für das Gemeinwohl so notwendig" seien, „daß ihre allgemeine Verletzung das menschliche Leben unerträglich machen würde". Damit präformiert Hutcheson die Unterscheidung staatlichen Zwangsrechts von Moral. Das „Recht auf Eigentum", als vollkommenes Recht, resultiert daraus, daß mit der Zunahme der Bevölkerungsdichte der Lebensunterhalt und die Produkte, die das Leben angenehm machen, durch Arbeit erzeugt und verdient werden müssen. Und wenn man, so Hutcheson, „eine Person um die Früchte ihrer unschädlichen Arbeit bringt, nimmt man dem Fleiß alle Motive aus Selbstliebe oder aufgrund der engeren Bande [von Familie, Freundschaft, usw.], und läßt uns kein anderes Motiv als das allgemeine Wohlwollen" 176 , ein Argument, das in Smiths bekannter Erklärung nachklingt, es sei „not from the benevolence of the butcher, the brewer, or the baker, that we expect our dinner, but from their regard to their own interest" 177 . Das allgemeine Wohlwollen ist demnach nicht stark genug, die notwendige Arbeitsmotivation einer bevölkerungsreichen, progressiv zivilisierenden Gesellschaft zu erzeugen. Selbstliebe und Liebe zum engeren persönlichen Umfeld (Familie, Freunde), muß als starker, zuverlässiger Arbeitsantrieb hinzukommen 178 . „Dies ist der Grund unseres Rechts auf Besitz und Eigentum an den Früchten unserer Arbeit" 179 . Man sieht, daß diese Eigentumsbegründung soziologisch - um nicht zu sagen: utilitaristisch - ist, nicht im eigentli172 Ibid., S. 54. 173 System, Bd. I, S. 69; Leidhold: Ethik und Politik, S. 90ff. 174 Short Introduction, S. 35: „Every one finds in himself the notion of a truly good man, to which no man ever comes up in his conduct". 175 Untersuchung, S. 140ff. 176 Ibid., S. 145. 177 WN, Bd. I, S. 26f. 178 Siehe Μ. L. Myers: The soul of modern economic man, Kap. 6. 179 Untersuchung, S. 145, S. 156; eine Analogstelle \m System findet sich Bd. I, S. 321. Vgl. Τ. A. Hörne: Moral and economic improvement: Francis Hutcheson on property, HPT, 1986: 7, S. 115-30.

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chen Sinne naturrechtlich, denn Hutcheson argumentiert ja nicht mit einem seit je existierenden Individualrecht, wie Locke 180 , sondern mit einer Rechtsbegründung als Erfordernis progressiver gesellschaftlicher Entwicklung. Er verquickt dieses Argument allerdings mit dem Hinweis auf ursprüngliche Gerechtigkeitsmotive, die durch fehlende Eigentumsabgrenzung verletzt würden, die „den Fleißigen zu einer beständigen Beute des Faulen machen und die Selbstliebe dem Fleiß entgegenstellen" würde 181 . Oder, noch deutlicher: „If the goods procured, or improved by the indubious lye in common for the use of all, the worst of men have the generous and industrious for their slaves" 182 . Das Eigentumsrecht ist notwendige Bedingung, die „ industry" über den Level der Subsistenzreproduktion zu erheben, da nur unter der Voraussetzung privater Aneignung ein Motiv zur Überschußproduktion existiert - auch dies ein durch spätere schottische Autoren aufgenommenes und zum Gemeinplatz avanciertes Argument 183 . Dennoch bleibt das Eigentumsrecht nach der Interpretation Hutchesons ein „soziales Recht", in seiner Terminologie ein „adventitious right", das gesellschaftlich und politisch fundiert und gewährleistet ist, ein Ansatz, der im Rahmen der Naturrechtstradition „konventionalistisch" ist und den Hume in seiner Theorie der „artificial virtue" der „Gerechtigkeit" ausbaut 184 . Diese Frage erhält Bedeutung im Rahmen der Auseinandersetzung von Autoren, die, Locke folgend, dem Eigentum anhaltende Priorität gegenüber der Gesellschaft zuschreiben, das daher gesellschaftlich nicht antastbar ist, während andere, wie Hutcheson, der Gesellschaft, zu deren Entwicklung das Institut des „Privateigentums" dienen soll, gewisse Möglichkeiten der Eigentumsregulation einräumen, ein Theoriedesign, das ein Fortwirken republikanischer Klugheitsmotive im Naturrecht gestattet. Im Essay argumentiert Hutcheson auch gegen die im Naturrecht vorherrschende atomistisch-individualistische Perspektive. „The happiness of human life", lesen wir, „cannot be promoted without society and mutual aid, even beyond a family; our publick affections must therefore be strengthened as well as the private, to keep a balance; so must also our desires of virtue and honour" 185 . Hier wird ein soziologischer Aristotelismus mit einer Affektenlehre verschmolzen, die gesellschaftliche Ordnungsprinzipien, wie Gerechtigkeitsempfinden, Sympathie, Ehrgefühl, Respekt für Verdienst, Bindung an das Gemeinwesen, direkt in der menschlichen Natur verortet. Für jeden Typus sozialer Störung gibt es einen Affekt, der darauf reagiert und auf die Beseitigung der Störung wirkt. „Ärger" beispielsweise, oberflächlich betrachtet ein unsozialer oder überflüssiger Affekt, erweist sich nach Hutcheson als notwendige emotionale Antwort auf Verletzun-

180 Den Gegensatz gegen Locke und die englische Theorie der Eigentumsbegründung im 18. Jahrhundert sieht auch A. Maclntyre: Whose Justice? Which Rationality?, S. 265. 181 Untersuchung, S. 145. 182 System, Bd. I, S. 321. 183 Siehe etwa John Miliar: Vom Ursprung des Unterschieds in den Rangordnungen und Ständen der Gesellschaft, m. Einl. v. W. C. Lehmann, Ffin., 1985, S. 262f. 184 Siehe Hume: Treatise, Buch III, Teil II; L. Bagolini: On Hume's theory of justice, ARSP, 1977; Κ. Haakonssen: The Science of a Legislator, Kap. 2, Abschn. 4-6; A. Baier: Hume's account of social artifice, Ethics, 1987/88; S. Freeman: Property as an institutional convention, AGP, 1991. 185 Essay, S. 53, S. 117: „... we have not in our power the modelling of our senses or desires, to form them for a private interest: they are fixed for us by the author of our nature, subservient to the interest of the system; so that each individual is made, previously to his own choice, a member of a great body, and affected with the fortunes of the whole, or at least of many parts of it; nor can he break himself off at pleasure".

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gen von Gerechtigkeit und Ehre und konstituiert das affektuelle Motiv, ihre Verletzung zu rektifizieren186. Analog betrachteten Kames und Smith den Affekt des „resentment", der auf „gerechte Vergeltung" drängt, als notwendige Affektbasis der Gerechtigkeit und der sie schützenden Institutionen. Umgekehrt erzeugen „mutual good offices done designedly between morally good agents... joy and love in the observer toward both, with delight in virtue"187, was erstens die allgemeine Wertschätzung der Tugend stärkt und was zweitens eine Belohnung praktisch tugendhaften Verhaltens darstellt. Die soziale Mitwelt sanktioniert das Verhalten spontan negativ oder positiv, wobei diese Sanktionen wesentlich zur Stabilisierung positiver Verhaltensmuster, d.h. auch zu ihrer Habitualisierung beitragen188. Diese Idee eines starken regulativen Einflusses der interagierenden und beobachtenden sozialen Umwelt auf das Verhalten der Individuen findet sich angedeutet in Lockes „law of fashion", gewinnt jedoch erst in der schottischen Moralphilosophie systematische Bedeutung, wo sie sich im Konzept des imaginierten „Spectator" zusammenfaßt, durch den sich das Individuum im sozialen Kontext selbst beobachtet. Bei Smith spielt später besonders das Problem eine Rolle, wie gedacht werden kann, daß das Individuum sich dem verhaltenssteuernden Einfluß seiner sozialen Umwelt nicht einfach ausliefert, sondern widerstandsfähige moralische Indivdualität ausbildet. Ökonomie In der Glasgower Periode entfaltet Hutcheson seine Sozialtheorie systematisch eingebettet in den akademisch tradierten Naturrechtsrahmen189, und er setzt sich dort auch mit ökonomischen Fragestellungen auseinander, die, jenseits merkantilistischer Anklänge190, auch theoretische und ethische Aspekte einschließen191. Aber schon in den „Remarks upon the Fable of the Bees" reagiert Hutcheson auf die Provokation durch Mandeville, indem er das Verhältniiss von Ethik und Ökonomie durchdenkt192. Mandeville stellte sich die moderne Gesellschaft als dynamisch-progressierend vor, angetrieben durch die subjektiven Begierden und Gelüste und sein moralphilosophisches Paradoxon: Private Vices - Public Benefits, beruht auf der Konfrontation der Asozialität menschlicher Affektstruktur mit dem sozial, ökonomisch und politisch wohltätigen Ergebnis ihres freien Wirkens. Obwohl Hutcheson die menschliche Affektstruktur optimi186 Ibid., S. 53. 187 Essay, S. 82. 188 Siehe Hutcheson: System, Bd. I, Buch I, Kap. V: The sense of honour and shame explained. The universal influence of the moral sense, and that of honour, and their uniformity; vgl. J. Rawls: Eine Theorie der Gerechtigkeit, Abschn. 67: Selbstachtung, gute Eigenschaften und Scham, S. 479ff. 189 Nach der Einleitung der „Short Introduction", S. I, gliedert sich das Naturrecht in: „... 1. the doctrine of Private Rights, or the laws obtaining in natural liberty. 2. Oeconomicks, or the laws and rights of the several members of a family; and 3. Politicks, shewing the various plans of civil government, and the rights of states with respect to each other". Die Politische Ökonomie entsteht als Synthese von Ökonomie und Politik. 190 Siehe etwa: System, Bd. II, S. 318f. 191 Siehe für den Kontext: W. L. Taylor: Francis Hutcheson and David Hume as predecessors of Adam Smith; T. W. Hutchison: Before Adam Smith, Kap. 11: Moral philosophy and political economy in Scotland: Carmichael - Hutcheson - Hume - the young Smith. 192 CW, Bd. VII, siehe zum folgenden auch Τ. A. Home: The Social Thought of Bernard Mandeville, S. 86ff.; Μ. M. Goldsmith: Regulating anew the moral and political sentiments of mankind, JHI, 1988.

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stisch umdeutet, hält er gegen Mandeville an der Notwendigkeit moralphilosophischer Zähmung der Begierden fest 193 , denn unsere Begierden seien so vielfältig und schrankenlos, daß ihre vollständige Befriedigung schlechterdings unmöglich erscheint und die „scarcity" demnach als conditio humana zu betrachten ist. Aber die Begierden lassen sich andererseits auch nicht einfach ausschalten, sondern bedürfen der Bearbeitung. „What then remains in order to publick happiness after the necessary supply of all appetites", schließt Hutcheson, „must be to study, as much as possible, to regulate our desires of every kind, by forming just opinions of the real value of their several objects, so as to have the strength of our desires proportioned to the real value of them, and their real moment to our happiness. Now all men of reflection, from the age of Socrates to that of Addison, have sufficiently proved that the truest, most constant, and lively pleasure, the happiest enjoyment of life consists in kind affections to our fellow creatures, gratitude and love to the deity, submission to his will, and trust in his providence, with a course of suitable actions... The pleasures of this kind are so great and durable, and so much above the power of fortune, so much strengthened by the probable hope of every other valueable pleasure of life, especially the esteem and love of our fellows, or at least the better part of them, that other pleasures seem almost to vanish when separated from them...". Aber der hier und an ähnlichen Stellen betriebene rhetorische Aufwand zeugt von Hutchesons Beweisschwierigkeiten und dem normativen Status seiner Moralphilosophie, die erkennbar erzieherische Zwecke erfüllen soll, nicht nur in bezug auf eine gebildete Elite 194 ; die „foolish conjunction of moral ideas with the finer sort of habitation, dress, equipage, furniture..." soll gebrochen werden, und wir sehen, daß Hutcheson die ethisch wünschenswerte Begrenzung der Bedürfhisse keineswegs für eine leichte Aufgabe hält. Er sieht zwar die Wirksamkeit einer natürlichen Selbstbegrenzung, die aber nicht stark genug ist und daher intensiv erzieherisch unterstützt werden muß. Der Kern seiner Kritik Mandevilles ist auf den Nachweis gerichtet, daß eine im ganzen prosperierende gesellschaftliche Entwicklung ohne die von Mandeville als ursächlich benannten „vices" möglich ist195. Das Bedürfiiis nach Luxuskonsum, für Mandeville treibender Faktor der modernen Reichtumsentwicklung, entspricht für Hutcheson einfach einem Leben über die Verhältnisse, das zum Ruin fuhrt und daher die allgemeine Prosperität beeinträchtigt. Ebenso entspringt der Prestigekonsum einer überhöhten Selbsteinschätzung und stört somit die soziale Ordnung einer moralisch angemessen abgestuften Statushierarchie196. Hutcheson kritisiert also spezifisch den unproduktiven Konsum, den Mandeville als Nachfrageschub aufgefaßt hatte, und bestreitet seinen Nutzen für die ökonomische Entwicklung. Dabei grenzt er sich gegen eine Politik statischer Fixierung der Gesellschaft auf einem niedrigen ökonomischen Niveau ab, wie - der Überlieferung nach - im Sparta Lykurgs, das im 18. Jahrhundert als Paradigma einer im Verhältnis zu Athen primitiven, dafür aber 193 Siehe zum folgenden: Remarks, CW, Bd. VII, S. 135ff. 194 Hutcheson: Eine Untersuchung, S. 23. 195 Μ. M. Goldsmith: Regulating anew the moral and political sentiments of mankind, JHI, 1988, S. 601: ,,From Hutchesons point of view Mandeville perversely attributed actions increasing human welfare as well as actions exhibiting the performance of duty or the exhibition of virtue to the vices of pride and luxury. But for Hutcheson, commercial prosperity, natural law, and civic humanist virtue were all compatible and validated by the moral sense". 196 Remarks, S. 145.

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tugendhaften und kriegerischen Republik galt. Nach Einsicht Hutchesons vollzieht sich die ökonomische und technische Entwicklung, insbesondere der für den „Take-off" notwendigen protoindustriellen Fertigung, der „manufactures", als spontanes Ergebnis sozioökonomischer Evolutionsprozesse197. Sobald die landwirtschaftliche Produktivitätsentwicklung die Möglichkeit der Erzielung von Überschüssen eröffnet, bedarf es lediglich erfindungsreicher Handwerker, die landwirtschaftlich nützliche Produkte entwickeln, um die für die moderne Ökonomie fundamentale Arbeitsteilung zwischen Agrikultur und gewerblicher Produktion zu etablieren198, denn „the husbandman is always ready to purchase their manufactures by the fruits of his labours...". Die Annahme, landwirtschaftliche Überschüsse seien auf Dauer nicht ohne Zwang zu erzielen, ist daher falsch, und deshalb ist auch die statische Idee eines „arcadia, or unactive golden age" falsch, die nicht in die moderne Welt paßt. Tatsächlich stützen und befördern sich die Produktionssteigerungen auf den beiden Seiten dieses Makrotauschverhältnisses199, wenn dem natürlichen Bedürfnis, die eigenen Kräfte anzuwenden, produktiv zu sein, unterstützt durch das Verlangen, die eigene Situation zu verbessern, Raum gegeben wird. Und das Bestreben, „to better our condition", wie Smith später formuliert200, steht als progressive Projektion in einem gewissen Gegensatz zur Lockeschen „uneasiness"201 als ökonomische Antriebsmotivation, die eher an eine stationäre Gesellschaft denken läßt. Schließlich findet sich in Hutchesons Remarks eine klare Aussage über die Produktivitätsvorteile der Arbeitsteilung202, eine Idee, die von William Petty in die englische ökonomische Diskussion eingeführt wurde203 und später von Smith in das Zentrum des Denkens über die Produktivitätsentwicklung gerückt wird204. 197 Siehe zum Paradigma des „Take-off': W. W. Rostow: The stages of economic growth. A non-communist manifesto, Cambridge, 3. ed., 1991, Kap. 2-4. Ich gebrauche diesen Begriff jedoch etwas abweichend: während Rostow die sog. „Industrielle Revolution" thematisiert, geht es mir und den hier diskutierten Autoren um die Etablierung eines nicht-landwirtschaftlichen Sektors. 198 Diese Problematik diskutiert am Beispiel der frühen sowjetischen Wirtschaftspolitik: A. Erlich: Die Industrialisierungsdebatte in der Sowjetunion 1924-28 (1960), Ffin., 1971. 199 James Steuart akzentuiert in seinen Principles of Political Oecortomy, daß unter der Voraussetzung freier Arbeit landwirtschaftliche Überschüsse nur durch das Angebot attraktiver Tauschprodukte aus dem nichtlandwirtschaftlichen Sektor erzielt werden können, Bd. I, Buch I, Kap. V: In what Manner, and according to what Principles, and political Causes, does Agriculture augment Population? 200 Siehe ζ. Β.: WN, Bd. I, S. 540. 201 Η. Medick: Naturzustand und Naturgeschichte, S. 69ff.; W. Euchner: Naturrecht und Politik, S. 95ff. 202 „... by confining their thoughts to a particular subject, the artificers acquire greater knowledge and dexterity in their work", Remarks, S. 142; s. a.: System, Bd. I, S. 288f., wo Hutcheson im Zusammenhang der Erörterung der Vorteile der Vergesellschaftung ausführt: „Nay 'tis well known that the produce of the labours of any given number, 20, f. i., in providing the necessaries or conveniences of life, shall be much greater by assigning to one, a certain sort of work of one kind, in which he will soon acquire skill and dexterity, and to another assigning work of a different kind, than if each one of the twenty were obliged to employ himself, by turns, in all the different sorts of labour requisite for his subsistence, without sufficient dexterity in any. In the former method each procures a great quantity of goods of one kind, and can exchange a part of it for such goods obtained by the labours of others as he shall stand in need of... Thus all are supplied by means of barter with the works of complete artists". 203 W. Petty: Schriften zur politischen Ökonomie und Statistik, S. 234, S. 318; s.a. Schumpeter: Geschichte der ökonomischen Analyse, Bd. I, S. 280; T. Aspromourgos: Political Economy and the Social Division of Labour: The Economics of Sir William Petty, Scott. JPE, 1986: 33, S. 28-45. 204 LJ(A), Vorlesungen v. 29. und 30. 3. 1763; WN, Buch I, Kap. I; S. Rashid: Adam Smith and the Division of Labour, Scott. JPE, 1986.

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Durch die Geldwirtschaft erscheint die Problematik der Begrenzung der Bedürfiiisse auf die Spitze getrieben, denn das Geld ist als Konkretion abstrakten Tauschwertes von bestimmten Gebrauchswertzwecken abgekoppelt und verselbständigt sich im Prozeß der Reichtumsanhäufung als Selbstzweck2 5, den Marx auf den Kapitalprozeß zurückführte 206 . „The desire of wealth" ist für Hutcheson legitim, „as soon as we apprehend the usefulness of wealth to gratify all other desires" 207 , soweit also die Anbindung an konkrete Bedürfnisse präsent bleibt. Die bestimmten Begierden finden ihre gleichsam „natürliche" Grenze an der Beschränktheit des konkreten individuellen Lebensprozesses: man kann nur eine bestimmte Menge Delikatessen verzehren, nur eine bestimmte Menge Luxuskleidung tragen. Nicht so jedoch beim abstrakten „wealth", der als Universalie die Verheißung der Erfüllung aller konkreten Begierden auch in der Zukunft darstellt, von allen konkreten Befriedigungen abgekoppelt, wirklich schrankenlos wird. Die Originalität Hutchesons liegt darin, sich nicht auf das Geld als Medium des Akkumulationsprozesses zu fixieren, wie Locke, sondern im Begriff „Wealth" die Vorstellung abstrakten Reichtums, unabhängig von seinen verschiedenen Formen, unabhängig, ob Warenform und Geldform, einzufangen, der insofern auch die verschiedenen Formen des Kapitalprozesses repräsentiert. Er bereitet damit den Kapitalbegriff vor, den Smith später auf der Grundlage der terminologischen Trennung von Tauschwert und Gebrauchswert ausarbeitet 208 . Der Kontext seiner Analyse bleibt jedoch moralphilosophisch, weil er das Problem der Vereinbarung von Tugend und Schrankenlosigkeit der Bedürfiiis- und Erwerbsantriebe in das Zentrum der Überlegungen rückt 209 . Gegen die reflexive Begierde, die im abstrakten Reichtum den Schlüssel zur Befriedigung konkreter Bedürfnisse sieht, kann nach Hutcheson, schon weil sie spontan entsteht und Vernunftgründen nicht direkt zugänglich ist, nicht grundsätzlich argumentiert werden. Solange daher der abstrakte Reichtum „is desired as the means of something farther, the desire tends to our happiness, proportionably to the good oeconomy of the principal desires to which it is made subservient". Moralphilosophisch entscheidend ist die inhaltliche Beurteilung, ob es sich um produktiven oder unproduktive, notwendigen oder verschwenderischen Konsum handelt; die Verwendung entscheidet über den moralischen Wert des Reichtums, der selbst nur abstrakter Ausdruck möglichen Konsums ist. Analog verhält es sich auch mit sozialer Macht: „As wealth and power are not immediately pleasant, but the means of obtaining pleasures; their importance to happiness must be in proportion to that of the enjoyments

205 Georg Simmel betonte die psychologische Seite daran: „Es ist eine der wirkungsreichsten Eigenschaften des menschlichen Geistes, daß die bloßen an sich gleichgültigen Mittel zu einem Zweck, wenn sie nur lange genug vor dem Bewußtsein gestanden haben oder wenn der damit zu erreichende Zweck in weiter Feme liegt, ihm schließlich selbst zu definitiven Zwecken werden... In dem ganzen Gewebe des menschlichen Zweckhandelns gibt es vielleicht kein Mittelglied, an dem dieser psychologische Zug des Auswachsens des Mittels zum Zweck so rein hervorträte wie am Gelde", Zur Psychologie des Geldes (1889), in: ders.: Aufsätze 1887-1890, hg. v. H.J.Dahme, Gesamtausgabe, hg. v. O. Rammstedt, Bd. 2, Ffin., 1989, S. 51 f . ; s. a. ders.: Philosophie des Geldes. 206 K. Marx: Das Kapital; ders. /F. Engels: Briefe über „Das Kapital", Berlin, 1954. 207 Hutcheson: Essay, S. 11 Of., auch für das folgende. 208 WN, Bd. I, Buch I, Kap. IV, S. 44; vgl. K.Marx: Theorien über den Mehrwert, 1. Teil, MEW, Bd. 26. 1, Berlin, 5. Aufl., 1976, Kap. 3; M. Dobb: Wert- und Verteilungstheorien seit Adam Smith, Kap. 2. 209 Eine zeitgenössische Stellungnahme findet sich bei J. G. Heineccius: Grundlagen des Natur- und Völkerrechts, Kap. 6, § 151.

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to which they are referred by the professor. The virtuous man therefore who refers them to generous and virtuous purposes, has a much nobler enjoyment of them than those who refer them to the pleasures of the imagination, or the elegance of life; and yet this is a finer reference than that to sensuality. Where through confused imaginations they are not directly referred to their natural purposes, but pursued for themselves, avarice and ambition become wretched insatiable cravings, hateful to all mankind; and the possessions become joyless to the person who obtains them"210. Die moralische Gefahr liegt in der Verselbständigung des Werts zum abstrakten Tauschwert, der moralische Defekte zugrunde liegen, die Hutcheson jedoch fur praktisch-moralisch beherrschbar hält: „It is in every man"s power, by a little reflection, to prevent the madness and enthusiasm with which wealth is insatiably pursued, even for itself, without any direct intention of using it"211. Die Ablösung des ökonomischen Handelns von bestimmten Gebrauchswertzwekken und Verselbständigung zum Gewinnstreben erscheint ihm als Verrücktheit. Und interessant ist sein Hinweis auf die analoge Potentialität der Verselbständigung von sozialer Macht als Herrschaftsuniversalie, denn so wie die ökonomische Verselbständigung im abstrakten Tauschwertcharakter des „ Wealth" angelegt ist, so ist auch „power in like manner.. .desired as the means of gratifying other original desires; nor can the desire be avoided by those who apprehend its usefulness"212. Hobbes dachte die „Macht" als ursprüngliche Herrschaftsuniversalie, die Verfugung über ökonomische Ressourcen einschließt, während Hutcheson umgekehrt die ökonomische Verselbständigung als das Original begreift, zu dem das Streben nach Macht das Analogon bildet. Noch in der heutigen Sozialtheorie gelten „Geld" und „Macht" als jene Universalien, an die sich individuelles Handeln und Streben knüpft, durch die es die in der vormodernen Moralphilosophie gedachten ethischen Schranken sprengt213. Es gab bereits in der griechischen Antike eine Diskussion über die „Chrematistik", die im Gegensatz zur gebrauchswertorientierten eigentlichen Oikos- Wirtschaft den Handel und Tausch als selbständiges Geschäft moralisch negativ konnotierte214. Die alten Griechen kapselten jedoch die kaufmännische Tätigkeit gleichsam analytisch ein, indem sie sie begrifflich von der eigentlichen „Oikonomia" abtrennten, und daher fiel es ihnen leicht, die „Chrematistik" als eine zwar notwendige, jedoch dem Leben der Polis äußerliche ethische Perversion zu begreifen, die am besten von Fremden ausgeführt wird. Hutcheson akzeptiert dagegen das Streben nach „Wealth" als ökonomische Handlungsorientierung der modernen Gesellschaft und ihrer Individuen, und sein Problem besteht darin, die Verselbständigungstendenz des Tausch-

210 Hutcheson: System, Bd. I, S. 136. 211 Hutcheson: Essay, S. 110, auch das folgende. 212 In der „Short Introduction", S. 12, finden wir den Gedanken der Verselbständigung abstrakter sozialer Medien in der erweiterter Form, daß „when by the use of our reason we find that many things which of themselves give no pleasure to any sense, yet are the necessary means of obtaining what is immediately pleasant and desirable, all such proper means shall also be desired, on account of their ends. Of this class are, an extensive influence in society, riches, and power", s. a. S. 33. 213 Siehe etwa den Kommentar von Τ. Parsons: The Structure of Social Action, Bd. I, S. 402; kritisch zur Theorie der Steuerungsmedien bei Parsons: J. Habermas: Theorie des kommunikativen Handelns, Bd. II, S. 384-412. 214 Siehe Piaton: Nomoi, Sämtliche Werke, hg. v. W. F. Otto et al., Bd. 6, Hamburg, 1982, 8. Buch, Ziff. 847, 9. Buch, Ziff. 870, 11. Buch, Ziffii. 918-9; Aristoteles: Politik, 1256a-1259a, S. 58ff.; E. Salin: Geschichte der politischen Ökonomie, Anfang, über Chrematistik; B. Schefold: Piaton und Aristoteles, in: J. Starbatty (Hg.): Klassiker des ökonomischen Denkens, Bd. 1, S. 19-55.

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wertes zu begrenzen und mit der geforderten Tugend der Bürger zu vermitteln. Dazu appelliert er an die Vernunft und das Selbstinteresse des Individuums, denn bei näherer Überlegung müsse jedem klar sein, daß abstrakter Wert, der seine Beziehung zu bestimmten Gebrauchswerten abgestreift hat, seinen Zweck verfehlt und seinen Wert für den Menschen verliert. Hutcheson ist kein Akkumulationsethiker. In der Relation von Reichtum und Tugend hat die Tugend Priorität, weil „there is no such certainty in human affairs, that a man can assure himself of the perpetual possession of these objects which gratify any one desire", except that of virtue itself' 215 . Reichtum und Tugend bilden demnach ein Spannungsverhältnis, aber eigentlich keinen Gegensatz, denn „a virtuous conduct is generally the most prudent, even as to outward prosperity"216. Aber Hutchesons Haltung zum Erwerbsstreben schwankt auch, wenn er einerseits die Anhäufung von Reichtum für die Nachkommen mit der rhetorischen Erklärung verurteilt, „How foolish is the conduct of heaping up wealth for posterity"217, und an anderer Stelle die „strong natural affections" der Eltern und ihre „affectionate and ardent wishes for their children" für legitim und notwendig erklärt218. Die Balance von Selbstliebe, Liebe zum persönlichen Umfeld und allgemeiner Menschenliebe, Hutchesons Ideal des Affekthaushalts, erweist sich so im einzelnen als instabil. Bestandteil seiner Gesellschaftsanalyse ist eine globale Einschätzung der moralischen Situation, die sich rhetorisch im Modus des Republikanismus bewegt: „In the present state of mankind which we plainly see is depraved and corrupt, sensuality and mean selfish pursuits are the most universal"219. Grund der moralischen Depravation ist der umsichgreifende Luxus, der „as it lavishes out men"s fortunes, and yet increases their keen desires, making them needy, and craving; it must occasion the strongest temptations to desert their duty to their country, whenever it is inconsistent with pleasure: it must lead the citizens to betray their country, either to a tyrant at home, or a foreign enemy, when they cannot otherways get funds for their luxury. With the luxurious generally every thing is venal", „and then, as lower orders are always imitating the manners of their superiors; the plague of luxury will soon infect the very lowest, and even the mechanicks. Then they cannot subsist without higher prices for their labours; the manufactures must consequently rise in their prices, and cannot be vended abroad, if any more industrious and sober country can afford the like in foreign markets at lower prices"220. Auf diese Art verbindet Hutcheson die in der Auseinandersetzung mit Mandeville erarbeitete ethische Position zum Luxus mit einer Analyse ökonomischer Zusammenhänge. Die Ausbreitung des „Luxus" hat demnach nicht nur moralisch, sondern auch ökonomisch desaströse Konsequenzen. „Luxus" meint dabei ein bestimmtes Lebens- und Konsummodell, das verschwenderisch ist, das Gleichgewicht zwischen Disziplin des Erwerbs und Befriedigung durch Konsum aufhebt und dessen „Sinn" in der doppelten Befriedigung einerseits einer prinzipiell schrankenlosen sinnlichen Genußsucht und andererseits der ebenso schrankenlosen „Aufblähung" des Individuums im sozialen Prestige liegt, abgelöst von seinen „wirklichen", „inneren", persönlichen Qualitäten und realisiert durch Mittel der äußerli215 216 217 218 219 220

Essay, S. 115. Ibid., S. 159. Ibid., S. 193. System, Bd. II, S. 152. Short Introduction, S. 34f. Ibid., S. 321f.

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chen, sozialen, künstlich überhöhten Selbstdarstellung. Das Individuum, das aus seinen inneren, persönlichen Qualitäten keine hinreichende Selbstbestätigung ziehen kann, nutzt geerbten sozialen Rang und eventuell auch selbst erworbenen Reichtum in einer auf Äußerlichkeiten verschobenen soziale Prestigekonkurrenz im Bereich der von Thorstein Veblen so genannten „conspicious consumption" 221 . Diese ethische Problematik macht die Frage des Luxus für das 18. Jahrhundert so zentral, die sich oft mit einer Kritik der Sozialstruktur verbindet. Denn der Adel erscheint als derjenige soziale Sektor, der für den Luxus besonders anfallig ist, weil er erstens traditionell nicht produktiv ist, sondern den durch andere Schichten erwirtschafteten Reichtum konsumiert, der Zusammenhang von Produktion und Konsumtion mithin zugunsten des unproduktiven Konsums, der „Verschwendung", aufgelöst ist, und weil der Adel als Schicht seine traditionelle soziale Superiorität konsumtiv behaupten will, dabei seine relativ stagnierenden Erwerbsquellen erschöpft und so zum Mittel des Kredits greift, der als Konsumtionskredit die protestantische Arbeitsethik in Frage stellt. Als Cliche dieser Konstellation kann der reiche Erbe einer aristokratischen Familie gelten, der in kurzem sein Erbe verschleudert und damit auch das durch seine Vorfahren akkumulierte moralische Kapital verliert. Aber auch die nicht erbberechtigten „younger sons" des Adels sind für den Luxus anfallig, da sie den ansozialisierten Lebensstil finanziell nicht aufrechterhalten können, Schulden machen, Gefahr laufen, deklassiert zu werden und einen ökonomisch und moralisch defekten Gesellschaftssektor bilden, der auch moralisch depravierend auf andere Sektoren einwirkt. Wichtig wäre, ihnen Karrieren in den bürgerlichen Sektoren der Ökonomie zu erschließen, was die sozialnormative Aufwertung nicht-adliger, kaufmännischer, gewerblicher, auch handwerklicher Berufe voraussetzt 222 , ein Vorschlag, der wesentlich auf die Beseitigung sozialer und ideologischer Schranken der Universalisierung bürgerlicher Ökonomie zielt223. Diese Verbindung der Kritik des Luxus mit der Kritik aristokratischen Lebensstils und aristokratischer Werte weist Hutcheson als bürgerlichen Denker aus, während demgegenüber Rousseau später diese Differenzierung überschreitet, die Moderne im ganzen als verdorbenes Zeitalter des Luxus anprangert und einen spezifisch kleinbürgerlich-nostalgischen Ton in seine Ökonomie einfuhrt 224 . Spätere schottische Autoren betonen, an die Analyse Fletchers anknüpfend, die progressive Funktion der Selbstruinierung spätfeudaler Schichten als einen Hebel der Anpassung der Sozialstruktur an die Erfordernisse bürgerlicher Ökonomie, aus der John Miliar die These einer generellen Verflüssigung der Besitzdifferenzen in der bürgerlichen Gesellschaft ableitet, die eine ständische Gerinnung der Gesellschaftsstruktur verhindert: „Gleichzeitig darf man von den üblichen Auswirkungen von Luxus und Lebensverfeinerung auch erwarten, daß häufig alte Geschlechter bettelarm werden und in Dürftigkeit leben müssen. Bei einer in Luxus lebenden Kulturnation wetteifern diejenigen, die in reiche Verhältnisse hineingeboren und in keinem Beruf ausgebildet sind, sich in Eleganz und Raffinement der Lebenskultur

221 222 223 224

Theorie der feinen Leute. Short Introduction, S. 323; s. a. System, Bd. II, S. 319. Siehe: System, Bd. II, S. 248. Einschlägig sind hier vor allem seine Kulturkritiken: Abhandlung über die Wissenschaften und Künste, 1750; Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit, 1755, in: Schriften, hg. v. H. Ritter, Bd. I, Ffin. /Berlin/Wien, 1981, sowie: Emile, oder Über die Erziehung, Paderborn etc., 7. Aufl., 1985; siehe dazu I. Fetscher: Rousseaus politische Philosophie, zur Ökonomie bes. Kap. 4, § 17.

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gegenseitig zu übertrumpfen. Je größer ihre Möglichkeiten und Mittel, sich den Vergnügungen hinzugeben, desto schneller werden sie ihnen hörig und versinken in ein Stadium von Trägheit und Ausschweifung, das sie für jede Form tätigen Lebens unbrauchbar macht. Zwangsläufig werden also die Ausgaben eines Landedelmanns ständig ansteigen, ohne daß zu seinen Einkünften etwa Entsprechendes hinzukäme. Seine Güter werden wegen zunehmender Schuldenlast schließlich veräußert und gelangen so in den Besitz eines sparsamen und fleißigen Kaufmanns, der dank seiner geschäftlichen Erfolge in der Lage ist, sie zu kaufen und der nun seinerseits danach strebt, jene Rangstufe und Bedeutung einzunehmen, die einem der Besitz von Grund und Boden verschafft. Die Nachkommen dieses neuen Eigentümers hingegen nehmen wiederum die Lebensgewohnheiten des Landadels an und sind in einigen Generationen wieder soweit, daß sie ihre Güter vergeuden... Diese Fluktuation von Eigentum, die so typisch ist fur alle Handelsnationen... muß notgedrungen die Autorität jener schwächen, die die gesellschaftlich höhere Rangstufe einnehmen"225. Später hat Werner Sombart den Luxus als eine der Bedingungen des modernen Kapitalismus analysiert226. Hutcheson sieht jedoch auch den negativen, retartierenden und korrumpierenden Einfluß des Luxus auf das bürgerliche Arbeitsethos und die frühbürgerliche Kultur überhaupt. Er lokalisiert gleichsam die durch Max Weber als spätbürgerlich analysierte Entleerung des Arbeitsethos227 in den zeitgenössischen feudalen Traditionsbeständen, wobei frühbürgerliches Arbeitsethos und spätfeudale aristokratische Ethik um gesellschaftliche Vorherrschaft konkurrieren. Denn der Luxus der spätfeudalen Schichten zieht seine Stärke als sozialer Einfluß aus der Stellung der Aristokratie, die in England ja auch einen Prozeß der Selbstmodernisierung durchläuft, als weiterhin sozial fuhrende Klasse, die daher die Vorbilder für die Lebensweise der Gesellschaft im ganzen liefert. Dort, wo sie sich mit politischer Macht verbindet, fuhrt die luxurierende Lebensweise als soziales Leitbild nach Hutcheson zur Korrumpierung des politisch-administrativen Personals, beeinträchtigt das Funktionieren der Institutionen und die gemeinwohlorientierte Steuerungsfahigkeit der Politik228. Hutchesons Haltung zum Luxus ist daher zwiespältig. Keineswegs feiert er die Selbstruinierung der spätfeudalen Schichten, auch wenn seine Bevorzugung einer ausgeglichenen, mittleren Vermögensverteilung bürgerlichen Zuschnitts unverkennbar ist. Entscheidend sind ihm nicht die vordergründig positiven ökonomischen Resultate, sondern die ethischen Werthaltungen, die letzten Endes auch ökonomisch entscheidend sind, denn eine Gesellschaft, die die aristokratischen Werte nicht überwindet, kann keine moderne Ökonomie entwikkeln. Moralphilosophisch sind daher die frühbürgerlichen Werte gegen den spätfeudalen Luxus zu etablieren und zu behaupten. Daneben sieht Hutcheson jedoch auch die Tendenz der Tauschwertverselbständigung kritisch, und seine ethische Kritik hat daher die doppelte Frontstellung gegen spätfeudale Verschwendung und gegen die verselbständigte Akkumulation, beides ethische Perversionen. Seine arbeitsethische Grundposition entspricht einem humanistisch moderierten Puritanismus, der eine Ablehnung arbeitslosen Einkommens einschließt, sei es in Form von Grundrenten oder Kapitalerträgen, sowie die

225 Vom Ursprung des Unterschieds in den Rangordnungen und Ständen, S. 224f., ähnlich in seinem späteren: An historical view of the English government, Bd. II, S. 187ff. 226 W. Sombart: Liebe, Luxus und Kapitalismus. Ober die Entstehung der modernen Welt aus dem Geist der Verschwendung, Berlin, 1986. 227 M. Weber: Die protestantische Ethik. 228 Siehe: System, Bd. II, S. 317.

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Parteinahme für den ökonomisch produktiven Mittelstand, die sich auch bei späteren schottischen Autoren findet. Im agrarisch geprägten Schottland, fordert Hutcheson, solle die mittlere „landed gentry" ihre gesellschaftliche Verantwortung als vor Ort fuhrende Gesellschaftsschicht wahrnehmen229 - womit „Country"-Positionen anklingen. Erörterungen zum Freihandel finden sich im „System of Moral Philosophy", wo Hutcheson die Ökonomie im Gegensatz zum republikanischen Primat der Politik auf Basis der Naturrechtsrezeption als grundlegend selbstregulierte soziale Sphäre begründet, indem er den Begriff des „natural value" einführt, der durch die Marktverhältnisse und nicht politisch reguliert sei230, woran Smith später anknüpft231. Das Freihandelsgebot gelte jedenfalls für eine moderne Handelsnation wie England, deren „strength... depends on trade". Nur in einer „republick of farmers, which some great authors judged most adapted for virtue and happiness" - hier verweist Hutcheson auf Harrington - sei etwa ein Verbot der Zinsnahme überhaupt realisierbar232. Hutcheson weiß also, daß das Gesellschaftsmodell des klassischen Republikanismus durch die moderne ökonomische Entwicklung gesprengt ist. Im Gegensatz jedoch zu Locke233 akzeptiert er Einschränkungen des Eigentumsrechts aus übergeordneten politischen Gründen2 4, schließt Ausländer aus prinzipiellen Gründen vom Grundbesitz aus235 und geht im ganzen über die später von Smith der Politik gezogenen Grenzen deutlich hinaus 36. Politik An Hutchesons politischer Theorie wird deutlich, daß er naturrechtliche und republikanische Motive parallel aufnimmt und zu vereinbaren sucht. So fuhrt er die politische Macht naturrechtlich auf den Sozialvertrag zurück, in dessen Rahmen die Eigentümer, d.h. die Familienvorstände als Repräsentanten der Familien, einen Teil ihrer Rechte im Naturzustand auf die Regierung übertragen237. Diese vertragsformige Begründung versteht er als starke politische Bindung, die die Bürger besonders zur Verteidigung des Landes unter Einsatz des Lebens verpflichtet238. Daneben erweist er sich aber in seiner Regierungslehre als „Civic Humanist" und als Nachfolger Harringtons, wenn er den Grundsatz formuliert, „power wheresoever lodged will never remain stable unless it has large property for its foundation; without this it must be fluctuating, and exposed to frequent seditions. Wealth carries force along with it; which will overturn rights not supported by wealth; or be wrested from the owners by the civil power"239, ein Kausalzusammenhang, der also in beiden Richtungen wirkt: die politische Struktur paßt sich der Ei229 Siehe Hutcheson: Considerations on Patronages. Addressed to the Gentlemen of Scotland, CW, Bd. VII; System, Bd. II, S. 113; s. meinen Aufsatz: Power follows Property, A ES, 1993, S. 293f. 230 System, Bd. II, S. 54, S. 57, S. 73f. 231 WN, Bd. I, Buch I, Kap. VII. 232 System, Bd. II, S. 74. 233 Siehe die emphatische Stelle der Zweiten Abhandlung, § 139, S. 289. 234 System, Bd. I, S. 339, S. 350. 235 Ibid., Bd. II, S. 230. 236 Siehe R. F. Teichgraeber III: „Free Trade" and Moral Philosophy, S. 31 f. 237 System, Bd. II, Buch III, Kap. VIII. 238 Ibid., Kap. XI. 239 Short Introduction, S. 295; ähnlich: System, Bd. II, S. 245f.; siehe meinen Aufsatz: Power follows Property, AES, 1993, S. 294-6.

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gentumsstruktur an, oder umgekehrt. In beiden Fällen ist das Ergebnis die Korrespondenz von Eigentumsstruktur und politischer Struktur, und nur diese Übereinstimmung kann im Rahmen des Harringtonschen Paradigmas die stabile Basis eines politischen Regimes bilden. Daraus läßt sich an sich keine Präferenz für eine bestimmte Regimeform ablesen, verbindet man dieses Theorem jedoch mit Hutchesons Eigentumstheorie und seiner Haltung zum Freihandel, dann ergibt sich eine Präferenz für breit gestreutes Eigentum, dem in der politischen Struktur die Republik, oder weitergehend, die Demokratie entspricht. Diese Norm sucht Hutcheson auch zu begründen240, der als der demokratischste unter „den Schotten" gelten kann, bis auf John Miliar241, der als Zeitgenosse der Französischen Revolution und Anhänger der linken Whigs242 unter Führung Charles James Fox' 243 in einem anderen diskursiven Kontext schreibt und lehrt. Hutcheson geht von dem Grundsatz aus, die Legitimität jeder Regierung beruhe darauf, dem Wohl der Regierten, des Volkes, zu dienen. Dazu müssen aber die Interessen und Anliegen der Regierten - etwa mittels Repräsentativorganen - möglichst vollständig in den politischen Prozeß eingespeist werden, was nur die demokratische Regierungsform gewährleistet, die durch dieses Kriterium zu definieren sei244. Der politische Prozess wird unter dieser Voraussetzung ein Höchstmaß an Zustimmung finden, und die Gründe für Unzufriedenheit und Protest werden minimiert. Nur die Demokratie ist auch in der Lage, die Masse der Bewohner zur Unterstützung des Regimes zu engagieren, was etwa hinsichtlich der Verteidigungsfähigkeit von entscheidender Bedeutung sein kann. Daher erscheint gerechtfertigt, wenn die Demokratie ihre sozialstrukturelle Basis einer ökonomischen Kleineigentümerstruktur durch politische Gesetze gegen ökonomische Konzentrationsprozesse sichert. Hier findet also die Autonomie der Ökonomie eine politisch-systematische Schranke, die überflüssig wird, wenn die Freihandelsökonomie spontan zu einer ausgeglichenen Vermögensstruktur tendiert, was bedingt, daß „the lords can sell their estates, and trade and manufactures flourish among the plebeians; and they have access to the places of greatest profit and power. By these means, without any law, 240 Siehe zum folgenden: System, Bd. II, S. 247f. 241 Siehe J. Millar: Historical View of the English Government, Bd. III, S. 285, positiv über Harrington, S. 287, relativierend, wegen der Größe Englands, S. 326: „If, by a republic, is meant a government in which there is no king, or hereditary chief magistrate, it should seem, that this political system is peculiarly adapted to the two extremes, of a very small and a very great nation. In a very small state, no other form of government can subsist", und, S. 327: „... in a very small state, a democratical government is necessary, because the king would have too little authority; in a very great one, because he would have too much". Diese zweite These ist überraschend und originell, weil die Zeitgenossen davon ausgingen, eine Demokratie könne in einem großen Land schlechterdings nicht funktionieren; s. a.: Lectures on Government, 1787/88, 3 Bde., in the hand of James Millar, given to Duke Hamilton 1792, Glasgow University, MS gen. 289, Bd. II, Nachtrag, S. 34ff., hier S. 40; s. a. ders.: Lectures on Government, Skene, Bd. II, S. 247f.; C. Robbins: Eighteenth Century Commonwealthman, S. 21 I f f . ; siehe jedoch W. C. Lehmann: John Millar of Glasgow. 1735-1801. His Life and Thought and his contributions to sociological analysis, Cambridge, 1960, S. 67. 242 John Craig, der erste Biograph Millars, nennt ihn einen „zealous" Whig, siehe: Account of the Life and Writings of John Millar, Esq., in: J. Millar: The Origin of the Distinction of Ranks..., 4th ed., con·., Edinb., 1806., S. 7, S. 102, S. 115; D. Forbes: „Scientific" Whiggism: Adam Smith and John Millar, Cambridge Journal, 1954: 7, Nr. 11, S. 643-70, spricht davon, daß „[Millars] whiggism, unlike that of Adam Smith, was militant", S. 668. 243 Millar widmete Fox sein: Historical View of the English Government. 244 System, Bd. II, S. 249: „The popular assemblies always desire the good of the whole as it is their own"; s. a. ibid., S. 257.

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wealth may be sufficiently diffused"245. Auf der Grundlage des auch bei späteren Schotten zu findenden Optimismus über die ökonomisch egalisierende Wirkung der Marktökonomie plädiert Hutcheson fur die Durchlässigkeit sozialer Strukturen, für die Aufhebung ständischer Regulierungen und generell für bürgerliche Normen der Anverwandlung von Freihandel und Demokratie. Aber er rekurriert auch auf bereits in der Antike formulierte Einwände gegen die „reine" Demokratie, die wegen der Wankelmütigkeit demokratischer Versammlungen nicht erlaube, einen stetigen politischen Kurs zu verfolgen246. Ideal erscheint daher die „gemischte Regierung", die um so kunstvoller institutionell durchreguliert werden muß, je mehr in der Moderne die ursprüngliche Einfachheit und somit Uniformität der Sitten verloren gegangen ist247. Daraus ergibt sich, daß politische Eigentumsregulierungen einen Spielraum für die Ausdifferenzierung der Eigentumsverhältnisse lassen müssen, der nicht nur der Arbeitsmotivation Raum gibt, sondern auch eine sozioökonomisch strukturierte Gesellschaft als Basis einer „gemischten Verfassung" zuläßt248. Hutcheson sucht also Freihandel und Demokratie unter Bedingungen der Moderne dem Harringtonschen Paradigma „Power follows Property" zu assimilieren. Eine Schwierigkeit besteht hier in der Einfügung der Monarchie in das Regimedesign, da eine Begründung der staatsrechtlichen Kompetenz der Monarchie auf das Patrimonium des Monarchen zu dieser Zeit kaum mehr möglich erscheint. Soll an der traditionellen Dreigliedrigkeit der „gemischten Regierung" festgehalten werden, so kann dies nur funktional begründet werden, und die Monarchie wäre damit schwächer sozial fundiert als die anderen beiden Regimekomponenten. Wenn sie aber auf diese Weise systemfremd durch Klugheitsgesichtspunkte begründet wird, liegt nahe, sie funktionell zu reduzieren. Seit dem 17. Jahrhundert kritisierten Monarchisten, die radikalen Whigs wollten den englischen König auf die Statur eines venezianischen Dogen reduzieren249, und Hutcheson bestätigt diese Kritik, indem er der Erbmonarchie die naturrechtliche Fundierung bestreitet250 und im übrigen für die Bindung aller Regierungsgewalt an eine geschriebene Verfassung plädiert, die ihre Ausübung für das Volk kontrollierbar macht251. An seiner These, die Menschheit habe sich bisher im allgemeinen als „a great deal too tame and tractable" erwiesen, so daß „so many wretched forms of power have always enslaved 9/10th of the nations of the world, where they have the fullest right to make all efforts for a change"252, kann seine republikanische Intention abgelesen werden, die ihn, zusammen mit seiner Ablehnung von Imperialismen für die amerikanische Unabhängigkeitsbewegung attraktiv machte253. Hutcheson schreibt den Bürgern ein weitgehendes Widerstandsrecht zu, das prinzipiell nur durch das Kriterium der Wirksamkeit der bestehenden Regierung für das Wohl des politischen Gemeinwesens im ganzen begrenzt ist, also weiter utilitaristisch - auslegbar ist als jene naturrechtlichen Widerstandsrechtsbegründungen, die den legitimen Widerstand auf die Verletzung von grundlegenden Indivudalrechten

245 246 247 248 249 250 251 252 253

Ibid., S. 259. Ibid., S. 257. Ibid., S. 258. Ibid., S. 259. Siehe Η. T. Dickinson: Liberty and Property, S. 80; J. R. Jones: Country and Court, S. 209. System, Bd. II, S. 302f. Ibid., S. 254. Ibid., S. 280. Caroline Robbins: „When it is that colonies may turn independent", WMQ, 1954.

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beschränken. Auch hier bewegt sich Hutcheson mehr im republikanischen Modus des Prinzips „Salus Populi suprema Lex" als im Modus des Naturrechts. Er verlangt jedoch eine sorgfaltige Abwägung der Folgen von Widerstandsakten und warnt vor dem leichtfertigen Umgang mit Aufstand und Bürgerkrieg254. Daneben sieht er den protestantischen Grundsatz als ethisch bindend an, passiven Ungehorsam zu leisten in Fällen, in denen das Individuum die befohlene Handlung oder die ihr zugrundeliegende Regel als ungerecht erkennt255, und erweist sich so als säkular und humanistisch gewendeter Puritaner, für den eine starke moralische Gewissensbildung ein wichtiges Erziehungsziel ist256. In der Frage der Militärpolitik, die er nicht ausführlich behandelt 257 , ist Hutcheson als Civic Humanist identifizierbar, für den „military arts and virtues" „accomplishments highly becoming all the more honourable citizens" sind. Die Gesellschaftsstruktur soll sich in der Militärorganisation abbilden, und den sozialstrukturell fuhrenden Schichten steht daher auch die Befehlsgewalt im Krieg zu. Die Verteidigung des Landes ist eine Sache der Bürger, und „Warfare...should be no man"s perpetual profession", sondern „all ought to take their turns in such services". Dann ist es „no easy matter for either any ambitious citizen at home, or any foreign invader, to trample upon the rights of an armed people well trained in military service" 258 - das Ideal des „popolo armato". Schluß Es gibt Autoren, die interessant sind, weil sie eine politische Rhetorik typisch darstellen. Hutcheson ist im Gegenteil von Interesse, weil bei ihm verschiedene Diskurse und Rhetoriken zusammenlaufen, die jedoch noch nicht verschmolzen, sondern in Konfrontation begriffen sind, weshalb Probleme der Synthese deutlicher hervortreten als bei späteren Autoren. Auf einer werkgeschichtlichen Basis differenziert James Moore zwischen den originellen Frühschriften und den späteren Lehrschriften, die sich in den Rahmen akademischer praktischer Philosophie einfügen 259 , doch mit dieser zweifelhaften Differenzierung sind keineswegs die inhaltlichen Probleme erfaßt, die in der Konfrontation klassisch-republikanischer Theoreme, vor allem in der Politik, mit dem modernen Naturrecht liegen. Nach meiner Auffassung stellt Hutchesons Sozialtheorie einen originellen Versuch der Synthese naturrechtlicher Basispositionen mit einem Überbau republikanischen Denkens dar 260 , der politisch am linken Rand der Whigs angesiedelt und der „Commonwealth"-Strömung der „Country-Party" zuzuordnen ist. Der klassisch-republikanische 254 System, Bd. II, S. 333. 255 Ibid., S. 343f. Q. Skinner zitiert diesen Grundsatz bei dem frühen englischen Protestanten Tyndale: Foundations, Bd. II, S. 70; s. a. J. G. Heineccius: Grundlagen, Kap. 6, § 168. 256 Nach Maclntyre bildet Hutchesons „moral sense" „a secular counterpart to the appeal to inward feeling so characteristic of the doctrines of Evangelical conversion", Whose Justice? Which Rationality?, S. 278. 257 Vgl. J. Robertson: The Scottish Enlightenment and the Militia Issue, S. 75f. 258 Short Introduction, S. 324; die Korrespondenzstelle im „System", Bd. II, S. 323. 259 Moore: The two Systems of Francis Hutcheson, in: Stewart (Hg.): Studies in the Philosophy of the Scottish Enlightenment, S. 58: „Hutcheson... struggled through the last years of his short life to integrate the argument of the various treatises published in the 1720s, with the exposition of his scholastic textbooks... into a single systematic magnum opus. He never succeeded... ". 260 Teichgraeber III: „Free Trade" and Moral Philosophy, S. 72, schlägt vor, Hutcheson als „highly syncretic thinker" zu betrachten, der,refused to regard civic humanism and natural law jurisprudence as distinct and opposing ideologies"; er verweist jedoch nur summarisch auf „Civic Humanism".

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Primat der Politik wird durch den grundlegend naturrechtlich inspirierten Diskurs der politischen Ökonomie als selbstregulierendes System transzendiert und in einer politischen Klugheitslehre der „gemischten Verfassung" mit starken demokratischen Akzenten aufgehoben, die sowohl republikanische als auch Sozialvertragsbezüge aufweist. Die Basis dieser Verbindung ist Hutchesons originelle „Moral Sense"-Philosophie und Ethik. Indem er an der Idee des „guten Lebens" festhält, die sich gleichwohl aus einer abgestuften ethischen Struktur für verschiedene Lebensbereiche zusammensetzt, kann er die aus ihnen resultierenden Anforderungen an das Individuum integrieren: ökonomisches Selbstinteresse, politisches Bürgerbewußtsein, eingebunden in eine präskriptive universelle Benevolenz, die pragmatisch an anthropologische Konstanten und Eigenlogiken gesellschaftlicher Interaktionsräume zurückgebunden ist. Anstelle eines klassisch-republikanischen Primats der Politik oder eines frühliberalen Primats der Ökonomie ist von einem ethischen Primat zu sprechen, der sich auf spontane Quellen der Benevolenz stützt, die normativ zu einem tugendhaften Charakter auszubilden sind. Moralische Pflicht ist nicht, bestimmten Vorschriften oder Maximen zu folgen, sondern „to have a certain character or virtue, as a consequence of which good acts will be done"261. Hutcheson gilt zu Recht als Begründer der schottischen Moralphilosophie; spätere Autoren mäßigen jedoch den anthropologischen Optimismus, drängen das religiös-erzieherische Moment in den Hintergrund, transformieren den dogmatische Charakter des „Moral Sense"-Ansatzes assoziationspsychologisch in eine empirische „Moral Sentiments"-Analyse und entnormativieren die Gesellschaftstheorie. Hume hatte das Manuskript des zweiten Bandes seines „Treatise" Hutcheson zur Beurteilung übersandt, dessen Reaktion nicht überliefert ist, der jedoch, nach Humes Brief vom 17. 9. 1739 an Hutcheson zu urteilen, ihm einen Mangel an „Warmth in the Cause of Virtue" vorgehalten hatte, worauf Hume erwiderte: „There are different ways of examining the Mind as well as the Body. One may consider it either as an Anatomist or as a Painter; either to discover its most secret Springs & Principles or to describe the Grace & Beauty of its Actions. I imagine it impossible to conjoin these two Views... An Anatomist, however, can give very good Advice to a Painter or Statuary: And in like manner, I am perswaded, that a Metaphysician may be very helpful to a Moralist; tho' I cannot easily conceive these two Characters united in the same Work. Any warm Sentiment of Morals, I am afraid, wou'd have the Air of Declamation amidst abstract Reasonings, & wou'd be esteemed contrary to good Taste"262; und im Treatise kritisierte er die verbreitete Verwechselung von „is" und „ought"263, der sogenannte „naturalistische Fehlschluß". Als er sich 1744 um den Lehrstuhl fur Moralphilosophie in Edinburgh bewarb, sprach sich Hutcheson offenbar gegen seine Berufung aus, was sicher mit dieser Differenz über den Status und die Aufgaben der Moralphilosophie zu tun hatte264, ein früher „Werturteilstreit"265.

261 K. Haakonssen: Moral Philosophy and Natural Law, Ρ Sc, 1988: 40, S. 110, spricht hier von einem „neo-Ciceronian concept" als Basis für eine Vermittlung von „civic humanism" und „natural jursiprudence", das für die schottische Aufklärung im ganzen maßgebend sei. 262 Letters of David Hume, hg. v. Greig, Bd. I, S. 32f. 263 Treatise, Buch III, Teil I, Abschn. I, Ende, S. 469f. 264 „It must be presumed", kommentiert Ian Ross, „that Hutcheson did not believe Hume would take seriously the duty enjoined on the occupant of the Edinburgh chair of reconciling Moral Philosophy with Divinity", Lord Kames, S. 82; s. a. Teichgraeber III: „Free Trade" and Moral Philosophy,

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Was macht Hutcheson für spätere schottische Autoren anschlußfahig? Grundsätzlich die Kombination einer stoisch beeinflußten Moralphilosphie mit Naturrecht und „civic humanism", zweitens der „Sympathy"-Begriff, von dem Hutcheson zunehmend Gebrauch machte 266 , drittens das Motiv individueller Verhaltensregulierung mittels Reflek267

tion auf das Urteil der sozialen Umwelt , das in der Folge zur Ausarbeitung des Konzepts des „impartial spectator" fuhrt 268 , und viertens der „Utilitarismus", der in transformierter Form bei Hume eine Rolle spielt. Auch auf gesellschaftstheoretischem Gebiet, etwa in der Eigentumsbegründung und in der ökonomischen Werttheorie, hat Hutcheson richtungweisend vorgedacht 269 . Die Übereinstimmungen und Differenzen zu späteren Autoren können hier nicht im einzelnen erörtert werden, ich will jedoch abschließend auf Ansätze zur „liberalen Utopie" hinweisen, die sich bei Hutcheson finden, der in der Short Introduction schreibt, „that a small number of simple easy laws might sufficiently protect and regulate the citizens.. ." 2?0 . Der Sinn dieser Idee liegt hier in der Einschränkung politischer Willkür zugunsten der „Herrschaft des Gesetzes", die die Politik berechenbar und gerecht machen soll. Damit wird auch die Vorstellung der Politik als Sphäre der arcana imperii zurückgewiesen; das politische Handeln soll fur die Gesellschaft im ganzen transparent, nachvollziehbar und kontrollierbar sein. Was aber sind die Bedingungen derart projektierter Reduktion der Gesetzgebung? Hutcheson antwortet mit dem Hinweis auf die allgemeine Geltung fundamentaler Naturrechtstheoreme und die institutionelle Bedeutung einer unparteiischen Rechtssprechung, was auf das Problem der Rekrutierung und institutionellen Sicherung der Richter verweist, denn je beschränkter die positive Gesetzgebung ist, desto allgmeiner und daher interpretationsbedürftiger wird sie: „It is plain that right and property are better preserved by a very few simple laws leaving much to the judges, provided there be a good plan for obtaining wise and disinterested judges" 271 . Damit verschiebt sich das Problem der Sicherung der „Herrschaft des Gesetzes" von der Legislative auf eine unabhängige Judikative. „Social reformers longed for a limi-

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S. 83ff.; Sher: Church and University, S. 153f.; Maclntyre: Whose Justice? Which Rationality?, Kap. XIII-XVI. Siehe G. Schmoller: Zur Methodologie der Staats- und Sozialwissenschaften, JB für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich, Leipzig, 1883: 7, S. 239-58; C. Menger: Die Irrtümer des Historismus in der deutschen Nationalökonomie (1884), in: GW, hg. v. F. A. Hayek, Bd. III, 2. Aufl., 1970, S. 1-98; M.Weber: Die „Objektivität" sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis, in: ders.: Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, S. 146-214; ders.: Der Sinn der „Wertfreiheit" der soziologischen und ökonomischen Wissenschaften, ibid., S. 489-540. Siehe etwa: System, Bd. I, S. 47, S. 129. Im „System", Bd. I, S. 133, verknüpft mit „sympathy". In Hutchesons Untersuchung finden sich Hinweise auf das „Urteil eines unbeteiligten Schiedsrichters", S. 141, und auf „vorurteilslose Schiedsrichter", S. 146, die aber dort als gesellschaftliche Institution zu verstehen sind, noch nicht zu moralischen Gedankenfiguren sublimiert. Im System findet sich jedoch diese Passage: „In all these affairs 'tis of great use to examine well the feelings of our own hearts, and to consider how we should like such conduct toward ourselves as we are intending toward others. This prepares the heart for an impartial discernment of what is just and honourable, and what not, by making the selfish passions operate a little on the other side. And thus the moral faculty shall be freed from their byass and their sophistry, and all humane sentiments in favour of the other party shall occur to us. There cannot be a more useful piece of self-discipline in all our dealings with others", Bd. II, S. 15. Hier sind Quellen für Smiths „Spectator"-Theorie.

269 Siehe bes.: W. L. Taylor: Francis Hutcheson and David Hume as Predecessors of Adam Smith. 270 Short Introduction, S. 323f. 271 System, Bd. II, S. 322.

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ted body of uniform, universal law, providing for the governance of the realm on rational principles", stellt Paul Langford fur das 18. Jahrhundert fest, jedoch, „What they got was a great bog of uncoordinated lawmaking, ever expanding but always unplanned. Parliament was often pressed to adopt general legislation based on clear principles: it repeatedly refused to do so"272.

272 P. Langford: Public Life and the Propertied Englishman, S. 156.

3. David Hume Knüpft Hume1 begrifflich am Konzept des ,Moral Sense" an2, so nicht im Sinne eines selbständigen Sinnesorgans, sondern als weitgehend spontanes moralisches Urteilsvermögen. Und während Kames am Begriff des ,Moral Sense" festhält, substituiert Smith später dafür, Humes „Enquiry concerning the principles of Morals" (1751) folgend3, den Begriff der „Moral Sentiments"4. Bereits im Treatise hatte Hume den Begriff der Sympathy" gebraucht, um die spontan assoziative Gefühlsbeziehung zwischen einem originären Gefühlserleben und einer sensual vermittelten Teilnahme und Anteilnahme eines Beobachters zu bezeichnen, und Smith und andere schottische Autoren arbeiten dieses Konzept aus. Sie kritisieren Hume jedoch für die Rolle, die er Utilitätsgesichtspunkten, vor allem in der Enquiry concerning Morals, einräumt5, worin sie ein rationalistisches Moment identifizieren. Dabei unterliegen sie einer Fehleinschätzung des Humeschen sogenannten „Utilitarismus", über den anhaltend gestritten wird6 und über den einige Bemerkungen am Platz sind. Konventionen und Zivilisation Bei der Identifikation von „Utilitarismus" genügt es nicht, daß an zentraler Stelle ein „Nutzen"-Begriff erscheint, obwohl das sicher ein wichtiges Indiz ist, sondern es käme darauf an, zu unterscheiden: wer handelt?, zu wessen Nutzen wird gehandelt?, sowie: geht es um Einzelakte oder Regeln/Maximen/Prinzipien? Im Sinne Hutchesons ist der Einzelne ethisch gefordert, das Glück, den Nutzen aller Menschen und empfindenden Tiere zu maximieren. Das ist eine genuine utilitaristische Ethik. Bentham7, auf der ande-

1 Siehe die Biographien von Ernest Mossner sowie Gerhard Streminger: Sein Leben und sein Werk, Paderborn etc., 2. Aufl., 1994. 2 Treatise of Human Nature, Buch III, Teil I, Abschn. II; siehe zu Humes Moralphilosophie: J. Plamenatz: The English Utilitarians, Kap. 2; Τ. Α. Roberts: The Concept of Benevolence, Kap. 3; D. D. Raphael: Hume's critique of ethical rationalism, in: W. B. Todd (Hg.): Hume and the enlightenment, Edinburgh, 1974, S. 14ff.; K. Haakonssen: The Science of a Legislator, Kap. 2; Ν. Phillipson: Hume as Moralist, in: S. C. Brown (Hg.): Philosophers of the Enlightenment, S. 140-61; N. Waszek: Man's Social Nature, Kap. 3; A. Maclntyre: Whose Justice? Which Rationality?, Kap. XV u. XVI; V. M. Hope: Virtue by Consensus, Kap. 4. 3 Reprint, La Salle, 2. ed., 1966, Appendix, Abschn. I: Concerning Moral Sentiment. 4 Siehe: TMS, S. 158, jedoch S. 165 und die Hg. -Note, S. 164, auch Teil VII, Abschn. III, Kap. III. 5 D. Hume: Enquiry, S. 11, S. 14. Die benevolente Motivation des Akteurs und die nützlichen Folgen des Handelns werden bei Hume zusammengedacht. Die „künstliche Tugend" der Gerechtigkeit beruht jedoch ausschließlich auf Nützlichkeitsüberlegungen. Der Grund ist: die spontan gutgeheißenen natürlichen Tugenden fuhren nicht automatisch zur Gerechtigkeit, die gesellschaftliche Lernprozesse voraussetzt, die zur Einsicht führen, die Gerechtigkeit erhöhe den gesellschaftlichen Nutzen; sie erwwirbt daher eine künstlichen, d. h. kulturell eingewöhnte, Approbationsprämie. In diesen Kontext gehört auch das von Nobert Elias aufgenommene, für den Zivilisationsprozeß zentrale Motiv der historisch-kulturellen Erwerbung von individueller und sozialer Langsicht: Über den Prozeß der Zivilisation. 6 Siehe ζ. B. John Plamenatz in einer älteren Arbeit: The English Utilitarians, Kap. 2; dagegen ζ. B.: S. Freeman: Property as an institutional convention, AGP, 1991, bes. S. 31ff. 7 Siehe: J. Bentham: A Fragment on Government (1776), hg. v. J. H. Burns/H. L. A. Hart, Cambridge, 1990; ders.: An Introduction to the Principles of Morals and Legislation; J. Plamenatz: The English Utilitarians, Kap. 3 und 4; L. J. Hume: Bentham as a Social and Political Theorist, PSc, 1988: 40: Nr. 1, S. 111-27.

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ren Seite, geht von der eingeführten Idee des „pleasure-pain-calculus" aus, und das handelnde Individuum maximiert vor allem seinen eigenen Nutzen. Man kann dies einen „hedonistischen Utilitarismus" nennen, deutlich ist aber, daß diese „Ethik" auf das genaue Gegenteil der Hutchesonschen hinausläuft. Daneben existiert bei Bentham die in Teil 1 diskutierte Idee, institutionelle Arrangements zu entwickeln, die das Individuum veranlassen, in der Maximierung seines Nutzens gleichzeitig das der Allgemeinheit zu befördern, und diese moralische Strategie will er kulturell abstützen 8 . Humes Position weicht davon ab: wenn schon Hutcheson weiß, daß sein ethisch-utilitaristisches Ideal durch die Menschen in praxi nicht zu erfüllen ist, gibt Hume es auf, da er an einer bloß theoretischen ethischen Norm nicht interessiert ist. Er hält an der These einer spontanen, sympathetisch vermittelten und aktualisierten Benevolenz fest, die sich jedoch mehr auf die alltägliche Interaktion und den individuellen sozialen Nahbereich bezieht, aber seine eigentliche Frage lautet9, wie die gesellschaftstabilisierenden Institutionen zustande kommen, die offensichtlich von entscheidendem Nutzen sind, nach der Annahme Humes jedoch nicht als Ergebnis planmäßiger sozialer Konstruktion begriffen werden können 10 . Diese Frage beantwortet er mit einer Theorie darüber, wie das beschränkte soziale Handeln von Menschen in alltäglicher und andauernd reproduzierter Interaktion kollektive Lernprozesse induziert, die im Laufe langer, allmählicher Prozesse der stückweisen Veränderung, Anpassung, Korrektur und Neuveränderung elementare interaktive Muster, die in erster Linie in Kommunikation wurzeln, zu immer komplexeren sozialen Artefakten verdichten und zu Institutionen verselbständigen, die sich von ihren Ursprüngen und originären Zwecken ablösen, zu neuen Zwecken gebraucht werden, umgestaltet werden und so weiter. Entscheidend ist, daß nach diesem, für Humes Sozialtheorie grundlegenden Modell massenhaft reiteriertes, beschränkt rationales Handeln im Laufe langer, und sicher nicht konfliktfreier, Lern- und Anpassungsprozesse hochgradig nützliche Institutionen hervorbringt, die aber, da Ergebnis von Lernprozessen in kontingenten Situationen, selbst zu gewissen Graden kontingent sind, was etwa lokale, regionale und nationale Kulturdifferenzen zu erklären vermag. Zentral ist Humes Begriff der „Convention"", die zunächst nicht mehr als wechselseitige interaktive Erwartungen ausdrückt, die sich, mit Niklas Luhmann zu sprechen, zu „Erwartungen von Erwartungen" stabilisieren12, in die Routine eingehen und im Laufe der Zeit Normen oder Rechtsansprüche erzeugen. „Human conventions in Hume's sense", schreibt Donald Livingston, „are natural processes whereby social rules are hammered out unreflectively over time", und er zitiert Humes Berufung auf „a sense of common interest; which sense each man feels in his own breast, which he marks in his fellows, and which carries him, in concurrence with others, into a general plan or system of actions, which tend to public utility"13. „The whole moral 8 Ch. Taylor über einen Widerspruch von Psychology und Ethik bei Bentham: Sources of the Self, S. 337. 9 Im folgenden haben mich Arbeiten von Udo Bermbach zu Hume angeregt, siehe seine Einführung zu D. Hume: Politische und ökonomische Essays, 2 Bde., hg. v. U. Bermbach, HH, 1988, Bd. I, bes. S. XVIIIff.; ders.: David Hume, in: Fetscher/Münkler (Hg.): Pipers HB der politischen Ideen, Bd. III. 10 Siehe zum folgenden auch den Schluß der Arbeit von D. W. Livingston: Hume's Philosophy of Common Life, Chicago/London, 1985. 11 Siehe Livingston: Hume's Philosophy of Common Life, S. 66ff.; A. Baier: Hume's account of social artifice, Ethics, 1987/88; S. Freeman: Property as an institutional convention, AGP, 1991. 12 N. Luhmann: Rechtssoziologie, Bd. I, S. 33 u. pass. 13 Livingston: Hume's Philosophy, S. 66f., zitiert aus Humes Enquiry concerning Morals.

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world", schließt er, „is viewed by Hume as a system of historically developed conventions, unconsciously contrived to satisfy various human needs" 14 . Eine grundlegende „Konvention" in diesem Sinne ist die Sprache, die andere Konventionen erst ermöglicht, und in gewisser Weise stellt die Zivilisation selbst nichts anderes dar als ein komplexes, sich dynamisch entwickelndes System von „Konventionen". Auf dieser Grundlage entwickelt Hume seine bekannte, zeitgenössisch und bis heute anhaltend diskutierte Unterscheidung „natürlicher" und „künstlicher Tugend" 15 , die auch zur Kritik der politischen Vertragstheorie überleitet16 - möglicherweise sein wichtigster Beitrag zur politischen Theorie -, denn „Konventionen" im Sinne Humes sind rational weniger anspruchsvolle Interaktionsmuster als „Verträge", die bereits eine entsprechende Vertragskultur voraussetzen, die wesentlich aus „Konventionen" besteht. Nach Annette Baier „Hume sees, as others before him did not, that the very concepts of promise and contract are cultural achievements, themselves dependent on cultural invention or artifice" 17 . Humes sogenannter „Utilitarismus" ist also weder eine ethische Forderung im Sinne Hutchesons, noch eine hedonistische Maxime im Sinne Benthams, obwohl diese Momente in sein Handlungsmodell eingehen, und Hume glaubt auch nicht an die Möglichkeit eines so komplexen Vorgangs wie einer Staatsbegründung als Akt kollektiven „Utilitarismus", aber er sieht, daß Menschen sich über pragmatische Verfahren zur Lösung akuter Probleme einigen, die sie ausprobieren und an denen sie, wenn sie sich „utilitaristisch" bewähren, festhalten. Kollektive oder gesamtgesellschaftliche Institutionen bedürfen daher zu ihrer Stabilität des Glaubens vieler Menschen an ihre Nützlichkeit, ohne im allgemeinen das Produkt dieses Glaubens zu sein. Am Grunde seines im Ergebnis nichtrationalistischen „Utilitarismus" finden sich ingeniöse Reflektionen über den Unterschied von Genesis und Geltung sozialer Institutionen. Schon weil seine Sozialtheorie profund interaktionistisch ansetzt, zielt sie, wenn schon, eher auf „Regel-Utilitarismus" denn „Akt-Utilitarismus", aber der „Utilitarismus"-Begriff erscheint hier nur beschränkt brauchbar 18 . Festzuhalten ist immerhin, daß etwa Kames und Smith Hume einen rationalistischen „Utilitarismus" imputierten, der das individuelle moralische Urteil wesentlich auf die Kalkulation der Folgen von Handlungen gründet - und davon setzten sie sich ab 19 . Argumentierte Hume im Treatise of Human Nature auf einem gleichsam ahistorischen Niveau theoretischer Verallgemeinerung, so geht er in den Essays, die für ein breiteres Publikum bestimmt waren und mit denen er sich literarisch im Diskurs der Politeness positionierte 20 , auf zeitnähere Themen ein - aktuelle Politik, Ökonomie, Finanzen und 14 Ibid., S. 70, das folgende auf S. 72. 15 Siehe: Treatise, Buch III, Teil II, Abschn. I. 16 Siehe U.Bermbach: David Hume, in: Fetscher/Münkler (Hg.), a . a . O . ; St. Buckle/D. Castiglione: Hume's Critique of the Contract Theory, HPT, 1991: 12, S. 457-80. 17 A. Baier: Hume's account of social artifice, Ethics, 1987/88, S. 762. 18 Ein neuerer Beitrag ist: J. Habermas: Vom pragmatischen, ethischen und moralischen Gebrauch der praktischen Vernunft, in: ders.: Erläuterungen zur Diskursethik, Ffin., 1991, S. 100-18. 19 Siehe für Smith: TMS, S. 87ff.; s.a. D.D.Raphael: The impartial spectator, in: A. S. Skinner/T. Wilson (Hg.): Essays on Adam Smith, S. 83-99, hier S. 96; siehe für Ferguson: Principles, Bd. II, S. 118ff.; siehe für eine Reaktion von Hume: D. R. Raynor: Hume's Abstract of Adam Smith's THEORY OF MORAL SENTIMENTS, JHP, 1984: 22, S. 51-79. 20 Siehe Ν. Phillipson: Hume as Moralist, in: S. C. Brown (Hg.): Philosophers of the Enlightenment; ders.: Propriety, property and prudence: David Hume and the defence of the Revolution, in: ders. /Q. Skinner (Hg.): Political Discourse in Early Modem Britain, S. 302-20.

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kulturelle Fragen21. Während der von Smith geprägte Begriff der „commercial society"22 für den Prozeß der Verallgemeinerung des Tauschmodus in den sozialen Beziehungen steht und auf die Frage nach den Ursachen des „Wealth of Nations" verweist, d.h. auf die materielle Güterversorgung einer Gesellschaft und die darauf aufbauende Ressourcenstärke des Staates, hebt andererseits der Begriff der „civil" und noch deutlicher der der „civilized society" auf die Frage nach dem kulturell-zivilisatorischen Niveau einer Gesellschaft ab und dies ist der leitende Wert Humes, etwa wenn er 1766 an Horace Walpole schreibt: „For my part, I can scarce acknowledge any other ground of distinction between one age and onother, between one nation and another, than their different progress in learning and the arts"23. Smith bewegte stärker die Frage nach dem „Wealth of Nations" auch soweit er die Lage des einfachen Volkes betrifft24, so wenn er den Lockeschen Gedanken der immensen materiellen Besserstellung auch des modernen Armen, verglichen selbst mit dem Herrscher einer primitiven Gesellschaft, reproduzierte und als entscheidendes Argument für die kommerzielle Gesellschaft anführte 5, in der „a general plenty diffuses itself through all the different ranks of the society" und „opulence... extends itself to the lowest ranks of the people"26. Und wenn Smith auch ebenso wie Locke und Hume die Zentralfunktion der Politik im Eigentumsschutz sieht, so spricht er dies doch gegenüber Studenten in ungewöhnlich ungeschminkter Form aus: „Laws and government may be considered... as a combination of the rich to oppress the poor, and preserve to themselves the inequality of the goods.. ,"27. Die Fragestellungen der „civilized-" und der „commercial society" konvergieren in der Frage nach den Bedingungen der modernen Zivilisation, die, ob nach ihrer materiell-ökonomischen oder nach ihrer kulturellen Seite, als Einheit verstanden wurde, wobei gerade die Problematik des Zusammenwirkens der verschiedenen Seiten des Zivilisationsprozesses interessierte. Der Begriff „Zivilisation" selbst wird zu dieser Zeit in seiner modernen Bedeutung geformt, er ist Fortschritts"21 späteren Historismus, verstanden; man glaubte in der schottischen Aufklärung über Kriterien gesellschaftlichen Fortschritts zu verfügen, auch wenn verschiedene Autoren die 21 Von mir benutzte Ausgabe: Essays - Moral, Political and Literary, hg. v. E. F. Miller, Indianapolis, 1987 (im folgenden: Essays); siehe die Einführung von Udo Bermbach zu der von ihm herausgegebenen deutschen Ausgabe: D. Hume: Politische und ökonomische Essays, Bd. I. 22 Die klassische Stelle ist: WN, Bd. I, S. 37, Buch I, Kap. IV, Anfang, s. a. Bd. II, S. 910; Early Draft of Part of The Wealth of Nations, in: LJ, S. 567, S. 574. 23 Siehe auch die folgenden Sätze, in: Greig (Hg.): The Letters of David Hume (im Folgenden: Letters) Bd. II, Nr. 363, S. 111; s. a. Livingston: Hume's Philosophy of Common Life, S. 268. 24 Siehe G. Streminger: Markt, Motive, moralische Institutionen, AGP, 1992, S. 287; vgl. Η. Chisick: David Hume and the Common People, in: P. Jones (Hg.): The „Science of Man" in the Scottish Enlightenment. Hume, Reid and their Contemporaries, Edinburgh, 1989, S. 5-32. 25 Siehe: WN, Bd. I, Introduction and Plan of the Work, S. 10, Parallelstelle: ibid., Buch I, Kap. I, S. 24. 26 WN, Bd. I, S. 22. 27 LJ(A), S. 208; vgl. WN, Bd. II, Buch V, Kap. I, S. 715. Smith ist hier womöglich durch Rousseaus: Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit, in: Schriften, Bd. 2, beeinflußt, die er in seinem: Α Letter to the Authors of the Edinburgh Review, in: Essays on Philosophical Subjects, Glasgow Edition, Bd. III, hg. v. W. P. D. Wightman, Indianapolis, 1982, kommentierte; siehe R. F. Teichgraeber III: „Free Trade" and Moral Philosophy, S. 146. 28 Überlegungen dazu bei G. Friedmann: Le Progres: Dignite ou Decheance, Liberte ou Servitude, Institut für Sozialforschung (Hg.): Sociologica I, FS Horkheimer, Ffln. /Köln, 2. Aufl., 1974, S. 279-304.

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Akzente anders setzten. An Hume kann studiert werden, wie sich promoderne Motive mit „Country"-Motiven und diskursive Bezüge auf die „Politeness" mit republikanischen verknüpfen 29 . Mensch und Geschichte Hume ist wie Hutcheson der Ansicht, die menschliche Natur bleibe sich im wesentlichen überall und zu allen Zeiten gleich, weshalb die „science of man" ihre sichere Basis in einer adäquaten Erkenntnis der menschlichen Natur finden müsse 30 , über deren Erkennbarkeit er jedoch bedeutend skeptischer ist. Vereinfacht kann man sagen, daß Hutcheson seine Einsichten über die menschliche Natur aus Introspektion und der möglichst unbefangen-vorurteilslosen Beobachtung der sozialen Umwelt gewinnt. Dabei würde immer noch die Introspektion die notwendigen Interpretationsmittel für die Beobachtung liefern, die ja keine direkten Schlüsse auf Motivlagen zuläßt. Das Problem bei diesem Verfahren ist die lediglich subjektive Evidenz. Hume plädiert dagegen in seinem Treatise für eine methodisch systematisch verfahrende empirisch-induktive vergleichende Verhaltensforschung, wenn er schreibt: „There is a general course of nature in human actions, as well as in the operations of the sun and the climate. There are also characters peculiar to different nations and particular persons, as well as common to mankind. The knowledge of these characters is founded on the observation of an uniformity in the actions, that flow from them... " 31 . 1748 veröffentlicht er den interessanten Essay „Of National Characters", der als implizite Auseinandersetzung mit Montesquieus Esprit des Lois gelesen werden kann 32 . Der Verschiedenheit der Nationalcharaktere werden verschiedene Ursachen zugeschrieben, schreibt Hume, „some account for them from moral, others from physical causes". Während er sich selbst mit der ersten Position identifiziert und historischen Zufallen eine entscheidende Rolle zuweist 33 , kann die zweite nur mit Einschränkungen als die Montesquieus angesehen werden, der im Esprit doch differenzierter argumentierte und keine einfache Klimatheorie vertrat, sondern die These, daß die Prägekraft der

29 Siehe hierzu: J. Moore: Hume's political science and the classical republican tradition, CJPS, 1977: 10, S. 809-39; im Kontext: J. Robertson: The Scottish Enlightenment at the limits of the civic tradition, in: Hont/Ignatieff (Hg.): Wealth and Virtue, S. 137-78. Siehe zum politischen Denken Humes überhaupt: Sabine: History of Political Theory, Kap. 29; D. Miller: Philosophy and ideology in Hume's political thought, Oxford, 1981; im Kontext: Pocock: Varieties of Whiggism from Exclusion to Reform, in: ders.: Virtue, Commerce, and History, S. 250ff. 30 Untersuchung über den menschlichen Verstand, 8. Abschn.: Über Freiheit und Notwendigkeit, 1. Teil, S. 109f. ; vgl. die ausgezeichnete Darstellung D. Forbes': Hume's Philosophical Politics, Kap. 4; fur den Kontext: I. Berlin: Der angebliche Relativismus des europäischen Denkens im 18. Jahrhundert, in: ders.: Das krumme Holz der Humanität. Kapitel der Ideengeschichte, hg. v. H. Hardy, Ffin., 1992, S. 97-122, Bezug auf Hume S. 100 u. pass.; siehe generell auch: N. Waszek: Man's Social Nature, Kap. 3. 31 Treatise, S. 403, Buch II, Teil III, Abschn. I, s.a. Introduction, S. XVIIIf.; weiterhin Livingston: Hume's Philosophy of Common Life, S. 217ff. ; Simon Evnine: Hume, Conjectural History, and the Uniformity of Human Nature, JHP, 1993: 31, S. 589-606, ist wenig erhellend. 32 Paul Chamley hat die indiziengestützte Vermutung vorgebracht, Hume habe vor der Fertigstellung die Druckfahnen des einen Monat später erscheinenden Esprit des Lois eingesehen: The Conflict between Montesquieu and Hume, in: A. S. Skinner/T. Wilson (Hg.): Essays on Adam Smith, S. 274-305. 33 Of National Characters, Essays, S. 203; Of the Rise and Progress of the Arts and Sciences, Essays, S. 114; D. Forbes: Hume and the Scottish Enlightenment, in: S. C. Brown (Hg.): Philosophers of the Enlightenment, S. 96.

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geophysischen Faktoren, die am Beginn der zivilisatorischen Entwicklung stark ist, in ihrem Verlauf abnimmt bzw. durch kulturelle Faktoren überlagert wird 34 . Aber Montesquieu hatte die Frage nach den Gründen und Bedingungen wirtschaftlicher Prosperität mit den unterschiedlichen Sozialtypen verschiedener Klimazonen beantwortet35, und man kann daher sagen, seine Theorie bilde eine Verzahnung „physischer" und „moralischer" Faktoren ab36, während Hume diese alternativ diskutiert und eindeutig Partei nimmt für eine „moralische" Theorie der Kulturentwicklung, wobei „moralisch" hier im weiten Verständnis des 18. Jahrhunderts aufzufassen ist. „That the character of a nation will much depend on moral causes, must be evident to the most superficial observer", schreibt Hume. „As to physical causes, I am inclined to doubt altogether of their operation in this particular; nor do I think, that men owe any thing of their temper or genius to the air, food, or climate" 37 . Dagegen betont er die autonom formende Kraft rechtlicher und politischer Institutionen und somit die regulative Kompetenz der Politik. „So great is the force of laws, and of particular forms of government, and so little dependence have they on the humours and tempers of men, that consequences almost as general and certain may sometimes be deduced from them, as any which the mathematical sciences afford us" 38 . Geißelte Montesquieu im Gegenteil die politische Hybris des französischen Absolutismus, und betonte er die historisch-soziologisch-kulturellen Grenzen politischen Handelns, so läßt sich diese Differenz zu wesentlichen Teilen aus den verschiedenen politischen Kontexten erklären. Auch die Grenzen zwischen den Nationen definiert Hume politisch, nicht kulturell, denn es sei wesentlich Aufgabe der Politik, nach innen die vereinheitlichenden Identifikationsmuster bereitzustellen, die den Rahmen hergeben für die Orientierung der Masse des Volkes an den fuhrenden Schichten, die wesentlich führend sind, weil sie politisch aktiv sind. Gleichzeitig seien die Engländer das Volk mit dem am wenigsten ausgeprägten Nationalcharakter, was sich aus der Diversität der Regierungsform als „mixed government", der Verbindung adliger und bürgerlicher Elemente in den Eliten, der Vielfalt religiöser Bekenntnisse und der Existenz heterogener Lebensformen erklärt39. Damit benennt Hume die Ausdifferenzierung kultureller Formen als ein Grundmuster moderner Entwicklung. In den Essays macht Hume den Schritt zur Inkorporierung der Geschichte in die Evidenz über die menschliche Natur 40 . Dabei gibt zunächst die griechisch-römische Antike

34 Siehe: Esprit, Bd. I, Buch XIX, Kap. IV, S. 461; Nachlaß: Vom glücklichen und weisen Leben, S. 114, sowie S. 158, wo Montesquieu resümiert: „Die Natur wirkt immer, aber sie wird von der Kultur überstimmt"; s. a. I. Fetscher: Politisches Denken im Frankreich des 18. Jahrhunderts vor der Revolution, in: ders. /Münkler (Hg.): Pipers HB der politischen Ideen, Bd. 3, Kap. IX, S. 453. 35 Siehe hierzu Hume: Of National Characters, Essays, S. 207f. 36 Vgl. P. Chamley: The Conflict between Montesquieu and Hume, a. a. Ο., S. 277ff. 37 Of National Characters, Essays, S. 200. Siehe aber den Essay „Of Commerce" (1752), Ende, wo Hume in einer an Montesquieu erinnernden Weise Differenzen in der kommerziellen Entwicklung Nord- und Südeuropas diskutiert: Essays, S. 266f. 38 That Politics may be reduced to a Science, Essays, S. 16. 39 Of National Characters, Essays, S. 207; vgl. J. Priestley: Essay on the First Principles of Government, in: ders.: Political Writings, S. 45, über den Vorzug der Varietät der Engländer. 40 Siehe: Of the Study of History, Essays; History of England, Bd. V, S. 545; siehe über Hume als Historiker: D. Forbes: Hume's Philosophical Politics, Teil III; Livingston: Hume's Philosophy of Common Life, Kap. 8; Ν. Capaldi/D. W. Livingston (Hg.): Liberty in Hume's History of England, Dordrecht

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den Hintergrund und Horizont zur Beurteilung des neuzeitlichen Europas ab, während in der History of England die Problematik der Wiederbelebung der Zivilisation aus den Trümmern des römischen Reiches und dem Mittelalter in den Vordergrund tritt, das sich entgegen heutiger Einsichten41 für das 18. Jahrhundert als eine Periode stagnierender Kulturentwicklung darstellte, als „dark middle ages". Humes Interesse an der Geschichte ist ein Interesse an den Bedingungen der Entwicklung höherer Formen der Kultur im Kontext der allgemeinen Zivilisationsentwicklung, „...what more agreeable entertainment to the mind", fragt er rhetorisch, „than to be transported into the remotest ages of the world, and to observe human society, in its infancy, making the first faint essays towards the arts and sciences: To see the policy of government, and the civility of conversation refining by degrees, and every thing which is ornamental to human life advancing towards its perfection. To remark the rise, progress, declension and final extinction of the most flourishing empires: The virtues, which contributed to their greatness, and the vices, which drew on their ruin. In short, to see all human race from the beginning of time, pass, as it were, in review before us"42. Ergebnis solcher imaginativer Zusammenschau der Strebungen der Gattung in der Zeit sollen, so kann angenommen werden, Lernprozesse sein, die vielleicht selbst historischen Fortschritt induzieren43. Inhaltlich zeigt sich Hume als Vertreter der „modernes" in der „querelle" und kombiniert diese Position mit einer Bevorzugung der französischen literarischen Klassik des 17. Jahrhunderts, an der gemessen die englische Literatur seiner Zeit degeneriert sei44. etc., 1990; N. Phillipson: Hume, London, 1989; G. Streminger: David Hume als Historiker, ZPF, 1986: 40, S. 161-80; ders.: David Hume, Kap. 18 u. 21; im Kontext: J. Osterhammel: Nation und Zivilisation in der britischen Historiographie von Hume bis Macaulay, HZ, 1992: 254, S. 281-340; J. A. Vance: Johnson and Hume: Of like historical Minds, SECC, 1986: 15, S. 241-56. 41 Siehe Κ. F. Werner: Political and Social Structures of the West, in: Jean Baechler et al. (Hg.): Europe and the Rise of Capitalism, S. 169-84. 42 Of the Study of History, Essays, S. 565f.; siehe Livingston: Hume's Philosophy of Common Life, S. 233f. 43 Der deutsche Popularphilosoph und Aufklärer Christian Garve, der bedeutend zur deutschen Rezeption der schottischen Aufklärung beigetragen hat, schrieb im gleichen Geiste: „Ehe man untersucht, wie der einzelne Mensch vollkommen werden könne: muß man erst das ganze menschliche Geschlecht in seinen mannichfaltigen Abwechselungen und Stufen der Vollkommenheit übersehen; man muß auf den großen Schauplatz des menschlichen Lebens treten, um die verschiedenen Ordnungen des Menschen, die Glückseligkeit, der sie genießen, die Tugend, die sie ausüben, und die Wege, auf welchen sie dazu gelangt sind, zu kennen. Diese Methode, wenn sie recht befolgt würde, hat einen doppelten Nutzen. Zuerst hat der einzelne Mensch selten Gelegenheit genug, das, was menschliche Vollkommenheit heißt, recht im Ganzen zu sehen und zu empfinden; aber wenn er alle Teile der Erde und alle Jahrhunderte vor sich sieht, dann entsteht vor seinen Augen das Bild, das der Moralist sucht, das Bild eines Menschen, den die Natur zu seiner völligen Reife gebracht hat. Die Vereinigung mannichfaltiger Vollkommenheiten, die er zerstreut unter den Menschen antrifft, gibt seiner Imagination ein Ideal, welches die bloße abstrakte Untersuchung der menschlichen Natur, oder die Beobachtung eines Menschen, ihm nicht würde gezeigt haben", in: Adam Fergusons Grundsätze der Moralphilosophie, dtsch. v. Chr. Garve, Leipzig, 1772, S. 300f., siehe über Garve und die Schotten N. Waszek: The Scottish Enlightenment and Hegels Account of „Civil Society", Dordrecht etc., 1988, Kap. 2; zu Garve: Z. Batscha: Christian Garves politische Philosophie, in: „Despotismus von jeder Art reizt zur Widersetzlichkeit". Die Französische Revolution in der deutschen Popularphilosophie, Ffm., 1989, S. 13-56. 44 Siehe den Essay „Of Simplicity and Refinement in Writing", Ende, u. vgl. die Beurteilung der englischen Literatur um 1600 in der History, Bd. V, S. 149ff. mit der der französischen Literatur, Bd. VI, S. 543, sowie: Letters: an Horace Walpole, Bd. II, Nr. 363, S. 111. Hume hält die englische Literatur um 1600 der französischen für überlegen, jedoch die französische Klassik des 17. Jahrhundert

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Dem liegt eine Theorie zyklischer künstlerischer Entwicklung zugrunde 45 , Beispiel für Humes Fortschrittskonzeption dialektischer Selbstbegrenzimg sozialer Prozesse, die ihnen zyklische Verlaufsformen aufzwingt und mit Einbrüchen und Rückschritten im Total einer durchaus fragilen Zivilisationsentwicklung rechnet. So schreibt er 1750 etwa in einem Brief an James Oswald (of Dunnikier) im Zusammenhang mit Equilibrierungstendenzen des internationalen Handels: „The growth of every thing, both in arts and nature, at last checks itself' 4 6 , oder, im gleichen Zusammenhang, im Essay „Of Money": „There seems to be a happy concurrence of causes in human affairs, which checks the growth of trade and riches, and hinders them from being confined entirely to one people..." 4 7 . Die gleiche These liegt dem Resümee in einem Brief von 1758 an Kames zugrunde, wo es heißt, „... the growth of all bodies, artificial as well as natural, is stopped by internal causes, derived from their enormous size and greatness. Great empires, great cities, great commerce, all of them receive a check, not from accidental events, but necessary principles" 48 . Und im damit anklingenden Zusammenhang der Idee des „military overstretch" 49 antiker Reiche, wo er auf die Dialektik des Umschlags des imperialen Militärapparates in ein freiheitsbedrohendes Söldnerheer hinweist, schließt Hume, „This is the necessary progress of human affairs: Thus human nature checks itself in its airy elevation..." 5 0 . Eine entsprechende Aussage findet sich auch in der History of England, wo es heißt, „there is a point of depression, as well as of exaltation, from which human affairs naturally return in a contrary direction, and beyond which they seldom pass either in their advancement or decline" 51 , oder, in einem anderen Essay, „It is well known, that every government must come to a period, and that death is unavoidable to the political as well as the animal body" 52 . Die Tatsache der Selbstbegrenzung, Selbstaufhebung und Selbstzerstörung sozialer Wachstumsprozesse ist es eigentlich, die die Geschichte in Gang hält und ihr zyklische Verlaufsformen aufzwingt, die etwa im Bild organischer Lebensverläufe gedacht werden können 53 . Auch ein Fortschritt der Gattung kann daher nicht linear gedacht werden und vollzieht sich praktisch eher als Resultat der Abschaffung von Übeln,

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der zeitgenössischen und älteren englischen Literatur für überlegen und konstatiert in beiden Ländern eine Degeneration des literarischen Geschmacks im 18. Jahrhundert. Ein zeitgenössisches Zeugnis für Humes und Smiths Literaturkritik ist A. Carlyle: Anecdotes and Characters of the Times, S. 143f.; s. a. E. C. Mossner: Life of David Hume, S. 376ff. Siehe den Essay „Of the Rise and Progress of the Arts and Sciences", S. 135ff. Letters, Bd. I, Nr. 67, 1. 11. 1750, S. 143. Die entsprechenden Briefe von Oswald finden sich in Ε. Rotwein (Hg.): David Hume. Writings on Economics, Edinburgh etc., 1955. Ahnlich argumentiert James Steuart: Principles of Political Oeconomy, Bd. I, S. 195f.: „Let us now examine what may be the reason why, in a trading and industrious nation, time necessarily destroys the perfect balance between work and demand. We have already pointed out one general cause, to wit, the natural stop which must at last be put to augmentations of every kind". Of Money, Essays, S. 283f. Letters, Bd. I, S. 27If. Zentrales Thema von Paul Kennedys: The Rise and Fall of the Great Powers. Economic Change and Military Conflict from 1500 to 2000 (1988), London, 1990. Of the Balance of Power, Essays, S. 341. History, Bd. II, S. 519. Whether the British Government Inclines more to Absolute Monarchy, or to a Republic, Essays, S. 51. Of the Populousness of Ancient Nations, Essays, Anfang; s. a. den Essay: Idea of a Perfect Commonwealth, Ende; für Bezüge auf tierische und pflanzliche Lebenszyklen: Essays, S. 137 (Arts and Sciences), S. 363 (Public Credit).

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etwa von Machtmonopolen, denn als Ergebnis bewußten sozialen Handelns, und gleicht somit eher einem erratischen Zick-Zack, der sich aus durchaus uneinheitlichen historisch-zivilisatorischen Prozessen ergibt, die auch einbrechen 54 . Hume glaubt daher allenfalls an einen prekären Fortschritt, und auch die Möglichkeiten, aus der Geschichte zu lernen, sind als kulturelle Errungenschaften hochgradig historisch bedingt. Mit Blick auf die Politik erklärt er, die Welt sei noch zu jung, „to fix many general truths in politics, which will remain true to the latest posterity. We have not as yet had experience of three thousand years, so that not only the art of reasoning is still imperfect in this science, as in all others, but we even want sufficient materials upon which we can reason. It is not fully known, what degree of refinement, either in virtue or vice, human nature is susceptible of; nor what may be expected of mankind from any great revolution in their education, customs, or principles" 55 . Verglichen mit fortschrittsoptimistischen Positionen, wie sie in Frankreich durch Turgot56, später Condorcet 57 , und in England durch Price und Priestley repräsentiert werden, ist Hume Skeptiker, der insbesondere die Wirksamkeit des Mechanismus der „unintended consequences" sieht, Resultate des Zusammenwirkens vieler Akteure, die deren Pläne durchkreuzen, vereiteln oder gar konterkarieren58. In dieser sozialtheoretischen Figur, die auch anderen schottischen Autoren geläufig ist, wird gesellschaftliche Komplexität gedacht, die den Rahmen naiver sozialer Handlungstheorien im instrumentalen Modus (Plan - Tat; Mittel - Zweck) sprengt. Bekannt ist Adam Fergusons Satz, „Every step and every movement of the multitude, even in what are termed enlightened ages, are made with equal blindness to the future; and nations stumble upon establishments, which are indeed the result of human action, but not the execution of any human design" 59 . Die Differenz liegt im weiteren darin, ob die nicht-intendierten Resultate gesellschaftlichen Handelns optimistisch positiv bewertet werden und ob an der Spitze dieser Systembewegung noch eine - abstrakte - Gottesidee gedacht ist, wie bei Hutcheson, Smith und anderen, aber nicht bei Hume. Das optimistische Konzept der „unsichtbaren Hand" ist ein Spezialfall des Gesetzes nicht-intendierter Folgen. Jedenfalls wurde davon ausgegangen, daß die Systembewegung für die Menschen nicht (vollständig) verstehbar und berechenbar ist, und das gilt nach Hume auch für politisches Handeln, denn „all political questions are infinitely complicated, and... there scarcely ever occurs, in any deliberation, a choice, which is either purely good, or purely ill. Consequences, mixed and varied, may be foreseen to flow from every measure: And many

54 D. W. Livingston: Hume's Historical Conception of Liberty, in: Capaldi/Livingston (Hg.): Liberty in Hume's History of England, S. 105-53, hier S. 124. 55 Of Civil Liberty, Essays, S. 87f.; s. a. Of some remarkable Customs, Essays, S. 366; vgl. J. Priestley: An Essay on the First Principles of Government, in: ders.: Political Writings, S. 108: „All civil societies, and the whole science of civil government, on which they are founded, are yet in their infancy. Like other arts and sciences, this is gradually improving... ". 56 Turgot: Über die Fortschritte des menschlichen Geistes; s. a. Humes Brief an Turgot v. 16. 6. 1768, Letters, Bd. II, Nr. 417. 57 Condorcet: Entwurf einer historischen Darstellung der Fortschritte des menschlichen Geistes. 58 Siehe Livingston: Hume's Philosophy of Common Life, S. 256f. Albert Hirschman arbeitet heraus, daß die These der Gegenläufigkeit der Folgen zu den Intentionen ein konservativer Grundtopos seit Edmund Burkes Kritik der französischen Revolution ist: Denken gegen die Zukunft, Kap. 2; siehe für eine moderne Diskussion B. Peters: Die Integration moderner Gesellschaften, S. 288ff. 59 History of Civil Society, S. 122, Teil III, Abschn. II. Ferguson beruft sich übrigens an dieser Stelle auf eine französische Quelle.

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consequences, unforeseen, do always in fact, result from every one"60. Und daraus folgert Ferguson, „to receive, with caution, the traditionary histories of ancient legislators, and founders of states", denn „No constitution is formed by concert, no government is copied from a plan"61. Hume und die späteren Schotten weisen daher die politischen Grundmythen der beiden großen politischen Traditionen zurück: den naturrechtlichen Sozialvertrag und den republikanischen Mythus des ursprünglichen, weisen Gesetzgebers. Und unabhängig von seinem Glauben an die Konstanz der Wirkung politischer Institutionen ist für Hume auch das praktische politische Handeln dem Gesetz nichtintendierter Folgen unterworfen, da es sich nicht in einem theoretisch experimentellen Rahmen abspielt, in dem alle Variablen bis auf die zu untersuchende stillgestellt sind, sondern in einem komplexen soziopolitischen Wirkungsfeld. Wenn er daher die „moralischen" Ursachen der Gesellschaftsentwicklung und die Wirksamkeit politischer Institutionen und damit die „Machbarkeit" der Politik betont, so ist er sich gleichzeitig über die Unsicherheit politischen Handelns bewußt, die eine rationale Gesellschaftskonstruktion ausschließt. Die Möglichkeiten einer historischen Kulturwissenschaft beurteilt Hume als noch geringer als die einer historischen Sozialwissenschaft, denn „it may... be observed, that, in civil history, there is found a much greater uniformity than in the history of learning and science, and that the wars, negociations, and politics of one age resemble more those of another, than the taste, wit, and speculative principles"62. Das liegt an der unterschiedlichen Handlungsmotivierung, denn „Interest and ambition, honour and shame, friendship and enmity, gratitude and revenge, are the prime movers in all public transactions; and these passions are of a very stubborn and intractable nature, in comparison of the sentiments and understanding, which are easily varied by education and example". Dort also, wo die rohen, gleichsam kulturell unbearbeiteten Leidenschaften wirken, dort finden wir Konstanz der Erscheinungsformen und ihrer Sequenzen - Humes Kriterium induktiver Kausalität -, während dort, wo die Affekte kulturell in Empfindungen, Auffassungen und soziale Stile umgearbeitet und raffiniert sind, die Formen wesentlich veränderlich und wissenschaftlich daher kaum zu verallgemeinern sind. Das gelte insbesondere fur die Religion in der Geschichte, die, „when it mingles with faction, contains in it something supernatural and unaccountable", so daß „in its operations upon society, effects correspond less to their known causes than is found in any other circumstance of government"63. Die elementaren Leidenschaften können dagegen als stetig wirksam vorausgesetzt werden, und im ganzen sei es „more easy to account for the rise and progress of commerce in any kingdom, than for that of learning", denn „avarice, or the desire of gain, is an universal passion, which operates at all times, in all places, and upon all persons: But curiosity, or the love of knowledge has a very limited influence, and requires youth, leisure, education, genius, and example, to make it govern any person... Chance, therefore, or secret and unknown causes, must have a great influence on the rise and progress of all the refined arts"64. Vom Marxismus aus gesehen, könnte man sagen, Hume

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Of the Protestant Succession, Essays, S. 507. History of Civil Society, S. 123. Of Eloquence, Essays, S. 97f., auch das folgende. History of England, Bd. V, S. 67. Of the Rise and Progress of the Arts and Sciences, Essays, S. 113f.; John Stuart Mill begründet mit dieser Differenz die Möglichkeit der Politischen Ökonomie als selbständige Wissenschaft, The Logic

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entwickele eine Art Basis-Überbau-Theorem auf anthropologisch-affektueller Grundlage, wo Marx später zwischen der „materiellen, naturwissenschaftlich treu zu konstatierenden Umwälzung in den ökonomischen Produktionsbedingungen" einerseits und den .juristischen, politischen, religiösen, künstlerischen oder philosophischen, kurz ideologischen Formen" ihrer gesellschaftlichen Verarbeitung im sogenannten „Überbau" andererseits unterscheidet65. Aus Humes Ansatz folgt nicht nur eine erkenntnistheoretische Differenzierung, sondern auch eine historische Entkoppelung: Ökonomie und Kulturentwicklung sind relativ autonom. Wenn jedoch auch kaum begründet werden kann, warum einzelne kulturelle Spitzenleistungen zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort auftreten, so sind eventuell doch Gründe zu finden, warum bestimmte Nationalkulturen oder Kulturkreise eine Blüte erleben - und die kulturellen Spitzenleistungen beruhen im allgemeinen auf der generellen Empfänglichkeit und Fruchtbarkeit einer Kultur. „The question, therefore, concerning the rise and progress of the arts and sciences, is not altogether a question concerning the taste, genius, and spirit of a few, but concerning those of a whole people; and may, therefore, be accounted for, in some measure, by general causes and principles"66. Wie erklärt Hume also die moderne Zivilisation und Kultur? Kultur Die erste These des wichtigen Essay Of the Rise and Progress of the Arts and Sciences lautet, „that it is impossible for the arts and sciences to arise, at first, among any people unless that people enjoy the blessing of a free government", denn „arbitrary power, in all cases, is somewhat oppressive and debasing". „To expect, therefore, that the arts and sciences should take their first rise in a monarchy, is to expect a contradiction"67, denn die frühen Monarchien werden willkürlich, ohne stehende Gesetze regiert68, und „This barbarous policy debases the people, and for ever prevents all improvements"69. Der Ursprung der Kultur, der Künste, der Wissenschaften und der Bildung liegt daher in den frühen Republiken. Im alten Rom etwa, so Hume, sicherten die Gesetze, neben den „forms of a free government", Leben und Eigentum der Bürger, schützten den einen vor der Unterdrückung durch den anderen und jedermann gegen Gewalt und Tyrannei. „In such a situation the sciences may raise their heads and flourish"70. Der Kausalnexus verläuft von der unzivilisierten Republik über die Etablierung jedenfalls einer gewissen Herrschaft des Gesetzes, zur allgemeinen Sicherheit der Person, zur Entstehung höherer Formen der Kultur und mündet in die Zivilisierung der Republik. Allerdings sind diese Übergänge nicht sicher, jeder ist nur eine Möglichkeit, die erst unter bestimmten

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of the Moral Sciences, S. 88ff.; siehe dazu D. Bimbacher: Der Utilitarismus und die Ökonomie, in: B. Biervert et al. (Hg.): Sozialphilosophische Grundlagen ökonomischen Handelns. Im Vorwort von: Zur Kritik der politischen Ökonomie, S. 15. Siehe zur Marxschen Geschichtstheorie H. Fleischer: Marxismus und Geschichte, Ffin., 6. Aufl., 1977. Arts and Sciences, Essays, S. 114, s. a. S. 115: „... I am persuaded, that in many cases good reasons might be given, why such a nation is more polite and learned, at a particular time, than any of its neighbours". Ibid., S. 115ff., auch fur das folgende. Ibid., S. 116, s.a. S. 119. Ibid., S. 117. Ibid., S. 118, auch das folgende.

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Bedingungen realisiert wird und Zeit erfordert 71 . Das Ende des Prozesses ist daher weniger wahrscheinlich als sein Anfang, eine Feststellung, die für alle höheren Formen der Kultur und Zivilisation gilt. Die zweite These Humes über die Entstehung der höheren Kultur lautet „That nothing is more favourable to the rise of politeness and learning, than a number of neighbouring and independent states, connected together by commerce and policy", wobei der entscheidende Gesichtspunkt die Begrenzung der Macht ist72. Humes Überlegung ist herrschaftssoziologisch: in großen Staaten ist die Kommunikation der Subjekte wesentlich erschwert und verlangsamt, während „in a small government, any act of oppression is immediately known throughout the whole: The murmurs and discontents, proceeding from it, are easily communicated" 73 . Außerdem stellt sich in großen Staaten das Verhältnis der Untertanen zum Fürsten anders dar als in kleinen: indem sie ihn nur von Ferne sehen - aus zugleich räumlicher und sozialer Distanz -, empfinden sie ihre Unterlegenheit und fühlen sich ohnmächtig. In kleinen Staaten sind die Subjekte dagegen „not apt to apprehend..., that the distance is very wide between themselves and their sovereign" 74 . Das zweite Argument zur Begründung dieser These hebt auf die relative Unabhängigkeit höherer Kulturen in politisch unabhängigen Staaten ab, keine der Nationalkulturen kann die benachbarten dominieren, es gibt kulturelle Alternativen, Kritik, Konkurrenz 75 . Gleichzeitig bewertet Hume jedoch rege interkulturelle Kommunikation als positiv, bei der die einzelnen Kulturen voneinander lernen, fremde Errungenschaften aufnehmen und Rückständiges aufgeben, wodurch ein interkultureller Prozeß der Selektion und Neukombination kultureller Formen initiiert wird. Entscheidend ist die freie geistig-kulturelle Konkurrenz, die wahrscheinlich im Rahmen eines großen, gegen die Umwelt abgeschlossenen Reiches nicht stattfindet - vide China 76 . Im antiken Griechenland existierte eine produktive Situation: es gab viele unabhängige Stadtstaaten und, vermittels einer gemeinsamen Sprache, rege ökonomische, politische und kulturelle Kontakte 77 . Das moderne Europa, so sieht es Hume, wiederholt, nach der Zerstörung der römischen und der katholischen Großkulturen dieses Pattern auf größerem Maßstab 78 . „Hence the sciences arose in GREECE; and EUROPE has been hitherto the most constant habitation of them" 79 .

71 Livingston: Hume's Historical Conception of Liberty, in: Capaldi/Livingston (Hg.): Liberty in Hume's History of England, S. 129: „The primacy of republican government for Hume is its causal power to generate some idea of the rule of law, even under barbarous conditions before men have come to selfconsciously understand the nature of law. But republican forms, especially when barbarous, are not sufficient to secure liberty in the fall sense. The rule of law must be settled deeply in the habits, prejudices, and traditions of men, and this process takes time and is the work of countless generations... ". 72 Arts and Sciences, Essays, S. 119. 73 Ibid. 74 Ibid., S. 119f. 75 Ibid., S. 120. 76 Ibid., S. 122. 77 Ähnlich Ferguson: History of Civil Society, Teil I, Abschn. IX u. Teil III, Abschn. I, S. 119ff. 78 Arts and Sciences, Essays, S. 121: „... EUROPE is at present a copy at large, of what GREECE was formerly a pattern in miniature"; siehe J. A. Hall: States and Societies, in: J. Baechler et al. (Hg.): Europe and the Rise of Capitalism. 79 Arts and Sciences, Essays, S. 123.

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Humes dritte These über die Entwicklung der Künste und Wissenschaften besagt, „that though the only proper Nursery of these noble plants be a free state; yet may they be transplanted into any government; and that a republic is most favourable to the growth of the sciences, a civilized monarchy to that of the polite arts" 80 . Der erste Teil dieser These ist eine Weiterführung der ersten. Behauptet wird die Möglichkeit der Ablösung einer historisch-zivilisatorischen Errungenschaft von den Bedingungen ihrer Entstehung, wodurch geschichtliche Entwicklung als dialektischer Wechsel progressiver und stagnierender oder regressiver Entwicklungen auf verschiedenen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens denkbar wird 81 . Verstreute Formulierungen zeigen, daß Hume die Ablösung kultureller Evolutionsergebnisse von ihren Entstehungsbedingungen für ein allgemeines Gesetz hielt, etwa wenn er im Zusammenhang seiner Kritik der politischen Vertragstheorie von einem „principle of human nature" schreibt, „that men are mightily addicted to general rules, and that we often carry our maxims beyond those reasons, which first induc'd us to establish them" 82 . Wenn historische Zivilisationsergebnisse stets an ihre Entstehungsbedingungen gebunden blieben, könnte es etwa die Hochkultur der Antike nur in Sklavenhaltergesellschaften geben. Aber wenn wir auch die relative Autonomie und intergesellschaftliche Transferierbarkeit kultureller Muster akzeptieren, so folgt nicht im Gegenteil, daß jede Kultur in jeder beliebigen gesellschaftlichen Umgebung lebensfähig ist. Aber an dieser Stelle argumentiert Hume, daß Elemente der freiheitlichen Kultur der antiken Republiken in späteren „unfreien" Regimes fortexistiert und gleichsam überlebt haben. In substanziell unfreien Gesellschaften wurde eine Kultur der Freiheit tradiert, als kulturell verselbständigtes Moment und kultureller Nachschein der Freiheit. Republik und Monarchie können als Gegensatz von politischer Freiheit und Unfreiheit gelesen werden, aber beide Formen können an höherer Kultur partizipieren, wenn auch nicht gleichmäßig, denn die Republik begünstigt angewandte Wissenschaften, während in der zivilisierten Monarchie die schönen Künste blühen. Daher spricht Hume in Abgrenzung zur orientalischen Despotie und zur Feudalmonarchie von der „civilized monarchy", ein Begriff, auf dessen Bedeutung Duncan Forbes aufmerksam gemacht hat. Was versteht Hume unter einer „civilized monarchy", für die er exemplarisch auf Frankreich verweist? 83 Weit davon entfernt, die französische Monarchie als absolutistische Bedrohung europäischer Freiheit zu denunzieren, erblickt er in ihr einen perspektivreichen Entwicklungsweg der europäischen, auch der englischen Politik. „In a civilized monarchy, the prince alone is unrestrained in the exercise of his authority, and possesses alone a power, which is not bounded by any thing but custom, example, and the sense of his own interest. Every minister or magistrate, however eminent, must submit to the general laws, which govern the whole society, and must exert the authority delegated to him after the

80 Ibid., S. 124. Im Essay Of Refinement in the Arts, Essays, S. 270f., formuliert Hume die These, praktische Künste, auch Technikentwicklung, einerseits und schöne Künste andererseits bildeten einen sich gegenseitig fordernden Entwicklungszusammenhang; die Unterscheidung ist nur relativ. 81 Siehe auch: Of Civil Liberty, Essays, S. 89ff. 82 Treatise, S. 551, Buch III, Teil II, Abschn. IX. 83 Of Civil Liberty, Essays, S. 90f. Duncan Forbes betont die Modernität der „zivilen Monarchie", Hume and the Scottish Enlightenment, in: S. C.Brown (Hg.): Philosophers of the Enlightenment, S. 105; siehe i. ü. id.: Hume's Philosophical Politics, S. 156ff.; id.: Sceptical Whiggism, Commerce, and Liberty, in: A. S. Skinner/T. Wilson (Hg.): Essays on Adam Smith.

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manner, which is prescribed. The people depend on none but their sovereign, for the security of their property. He is so far removed from them, and is so much exempt from private jealousies or interests, that this dependence is scarcely felt. And thus a species of government arises... which, by a just and prudent administration, may afford tolerable security to the people, and may answer most of the ends of political society... in a civilized monarchy, as well as in a republic, the people have security for the enjoyment of their property"84. Der entscheidende Gesichtspunkt ist, daß moderne Republik und zivile Monarchie Formen von Regimen unter der Herrschaft des Gesetzes darstellen, im Falle der Monarchie lediglich durchbrochen durch die absolute Stellung des Monarchen, die jedoch nach Hume nicht ausschlaggebend ist, wenn gewisse Nebenbedingungen gegeben sind. An diesem Punkt liegt ein Gegensatz Humes zur republikanischen und Whig-Tradition offen, die sich weigerte, zwischen asiatisch-barbarischem und westlich-zivilisiertem Absolutismus eine große Differenz auszumachen85. Sie akzeptierten im allgemeinen nur den Unterschied zwischen einer „limited monarchy" im Rahmen einer gemischten Verfassung und dem Despotismus. Montesquieu, der im Esprit des Lois die Monarchie von der Despotie trennt, hebt damit in erster Linie auf die unverzichtbar

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vermittelnde Rolle des Adels ab und rückt den Absolutismus in die Nähe der Despotie . Hume dagegen kommt es mit seiner Rehabilitation der „civilized monarchy" vor allem auf die Korrektur einer ideologischen Wahrnehmungsverzerrung an. Die zivilisierte Monarchie, so seine Behauptung, ist in der Praxis (fast) so liberal wie die moderne Republik, wenn man die Kriterien Herrschaft des Gesetzes, persönliche Sicherheit und Eigentumsschutz anlegt, und das sind die kennzeichnenden Merkmale eines zivilisierten politischen Regimes87. Auch „as to practical arts, which encrease the commodities and enjoyments of life", fuhrt er an anderer Stelle aus, „it is well known, that men"s happiness consists not so much in an abundance of these, as in the peace and security with which they possess them; and those blessings can only be derived from good government"88 - moderne Republiken und zivile Monarchien gleichermaßen einschließend. Im allgemeinen, räumt er ein, beinhaltet die absolute Monarchie „something repugnant to 84 Arts and Sciences, Essays, S. 125; s. a.: Civil Liberty, Essays, S. 92f. Hier besteht bemerkenswerte Übereinstimmung mit Montesquieu, der ja ebenfalls die Monarchie positiv gegen die Despotie abgrenzte und sie im Esprit des Lois beschrieb als Ausübung der souveränen Gewalt durch den König, jedoch „exerce selon des lois etablies", Bd. I, Buch III, Kap. II, S. 143. 85 Siehe dazu D. Forbes: Hume's Philsophical Politics, S. 142ff. 86 Esprit, Bd. I, Buch II, Kap. IV, S. 139: „Les pouvoirs intermediaires subordonnes et dependants constituent la nature du gouvernement monarchique... Le pouvoir intermediate subordonne le plus naturel, est celui de la noblesse. Elle entre, en quelque fayon, dans l'essence de la monarchie, dont la maxime fondamentale est, point de monarque, point de noblesse; point de noblesse, point de monarque; mais on a un despot". 87 Of Civil Liberty, Essays, S. 94: „But though all kinds of government be improved in modem times, yet monarchical government seems to have made the greatest advances towards perfection. It may now be affirmed of civilized monarchies, what was formerly said in praise of republics alone, that they are a government of Laws, not of Men. They are found susceptible of order, method, and constancy, to a surprizing degree. Property is there secure; industry encouraged; the arts flourish... It must, however, be confessed, that, though monarchical governments have approached nearer to popular ones, in gentleness and stability; they are still inferior"; s. a. D. Forbes: Sceptical Whiggism, Commerce, and Liberty, in: A. S. Skinner/T. Wilson (Hg.): Essays on Adam Smith, S. 184, S. 191; ders.: Hume and the Scottish enlightenment, in: S. C. Brown (Hg.): Philosophers of the Enlightenment, S. 102. 88 Of Parties in General, Essays, S. 54f.

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law. Great wisdom and reflexion can alone reconcile them. But such a degree of wisdom can never be expected, before the greater refinements and improvements of human reason. These refinements require curiosity, security, and law"89. Die Entwicklung der höheren Kultur zeigt daher an, daß ein politisches Regime, auch die Monarchie, sich zivilisiert hat, und somit markiert Hume den entwicklungsgeschichtlich eminenten Unterschied zwischen den unzivilisierten zu den modernen zivilisierten Regimes, die wesentlich Regime unter der Herrschaft des Gesetzes sind90. Zu einem vergleichbaren Resultat gelangte später Steuart, der ein Volk als frei betrachtete, wenn es regiert wird „by general laws, well known, not depending upon the ambulatory will of any man, or any set of men, and established so as not to be changed, but in a regular and uniform way, for reasons which regard the body of the society, and not through favour or prejudice to particular persons, or particular classes". „According to this definition of liberty", schreibt er, sein Argument zuspitzend, „a people may be found to enjoy freedom under the most despotic forms of government", vorausgesetzt nämlich, daß auch hier die Regierenden in dieser oder jener Weise durch Gesetze gebunden sind91. Mit der Bezeichnung der Despotie als „freie Regierung" ist die Idee der Herrschaft des Gesetzes auf ihre paradoxe Spitze getrieben, formalisiert, und Hume rückt an diese Leerstelle die Idee der Zivilisierung, die ihn zu einer Art Konvergenztheorie moderner republikanischer und monarchischer zivilisierter Regime führt 92 , womit der Schwerpunkt der Analyse vom Bereich der politischen Formen in den Bereich soziokultureller Evolution verlegt ist93. Das Nachdenken über die Umwälzung der Gesamtsituation durch die moderne Zivilisation bildet für ihn die gesellschaftstheoretisch zentrale Problematik, die ihn dazu führt, das überkommene Kategoriensystem politischen Denkens zu überschreiten. Wenn man seinen Ansatz weiterdenkt, müßte der Aufwertung der zivilen Monarchie die Abwertung der barbarischen Republik entsprechen und tatsächlich finden wir deutliche Wendungen gegen die Idealisierung der antiken, unzivilisierten Republiken94 durch antikisierende Republikaner. Inhaltlich, wenn auch nicht terminologisch, führt er mit der vergleichenden Analyse der französischen „civilized monarchy" und dem englischen „free government" die Differenzierung „sozialer" von „politischer" Freiheit ein95 und geht damit einen weiteren Schritt über das klassische republikanische Denken hinaus. 89 Arts and Sciences, Essays, S. 118. 90 D. W. Livingston: Hume's Historical Conception of Liberty, in: Capaldi/Livingston (Hg.): Liberty in Hume's History of England, S. 122. 91 Principles of Political Oeconomy, Bd. I, S. 206f. 92 Civil Liberty, Essays, S. 95: ,J am apt to think, that, in monarchical governments there is a source of improvement, and in popular governments a source of degeneracy, which in time will bring these species of civil polity still nearer an equality". 93 Siehe D. Forbes: Hume's science of politics, in: G. P. Morice (Hg.): David Hume. Bicentenary Papers, Edinburgh, 1977, S. 39-50, hier S. 41. 94 Die athenische Demokratie, schreibt Hume, war „such a tumultuous government as we can scarcely form a notion of in the present age of the world", Of some remarkable Customs, Essays, S. 368; Of the Populousness of ancient Nations, S. 383: „... human nature, in general, really enjoys more liberty at present, in the most arbitrary government of EUROPE, than it ever did during the most flourishing period of ancient times", u. ff., S. 406f., S. 416. Auf dem Gebiet der Rhetorik hält Hume die Antiken für überlegen, Of Eloquence, Essays, bes. S. 108. Siehe für eine spätere Kritik des spartanischen Ideals: J. Priestley: Essay on the First Principles of Government, in: ders.: Political Writings, S. 109f. 95 D. Forbes: Sceptical Whiggism, Commerce, and Liberty, in: A. S. Skinner/T. Wilson (Hg.): Essays on Adam Smith, S. 184: „There is implied in this some sort of distinction, which Hume does not make

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Da in der Republik die Volksmeinung ein höheres Gewicht hat, spielen hier die anwendungsbezogenen Wissenschaften eine größere Rolle, während die durch den Hof dominierte Monarchie kulturell auf die „schönen Künste" orientiert ist96. In der Republik sind idealiter alle als Bürger gleich und unabhängig, in der Monarchie dagegen gibt es ein mehrstufiges Abhängigkeitsverhältnis vom Bauern bis zum Monarchen9 , das dazu fuhrt „to beget in every one an inclination to please his superiors, and to form himself upon those models, which are most acceptable to people of condition and education. Politeness of manners, therefore, arises most naturally in monarchies..." 98 . Und zweifellos bevorzugte Hume den Stil der Politeness, präferierte im ganzen die französische Gesellschaftskultur99 und fühlte sich auch während seines mehrjährigen Aufenthaltes in den 1760ger Jahren in den Pariser Salons sehr wohl, während zu dieser Zeit Lord Kames in Edinburgh gegen die Verdorbenheit der vornehmen Pariserinnen moralisierte100. Im Ergebnis kehrte Hume die Bewertung der Republikaner um, die stets im Hof den Herd der Korruption und des Sittenverfalls gesehen hatten101, und kritisierte umgekehrt den vulgären Stil der antiken Republiken102. Zwar räumt er ein, das Leben des berüchtigten Earl of Rochester zeuge von der Sittenverderbnis am Hofe Charles IIm, und konzediert, daß „by the example of Charles Π and the cavaliers, licentiousness and debauchery became prevalent in the nation"104, tut diese Korruption jedoch als Überraffinesse der grundsätzlich wertvollen höfischen „Politeness" ab105.

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verbally, between „civil" and „political" liberty, since it is possible in what Hume calls the „civilized" absolute monarchies, to have the former without the latter, whereas presumably behind vulgar whiggism was the unquestioned assumption that without political liberty civil liberty was so insecure as to be virtually non-existent - hence the talk of „slavery" ". Arts and Sciences, Essays, S. 126. „A subordination of ranks is absolutely necessary to the support of monarchy", Of Civil Liberty, Essays, S. 93. Arts and Sciences, Essays, S. 127. In einer Grafik schreibt der junge James Gillray die höfische Politeness dem typischen Franzosen zu, während der Engländer besser versorgt ist - mit Roastbeef und Ale, J. Brewer: The Common People and Politics, Abb. 109. Hume hatte 1734-7 in Südfrankreich an seinem Treatise gearbeitet. Zu seiner Vorliebe für die französische Politesse und Kultur siehe E. C. Mossner: Life of David Hume, Kap. 30fT. In dem Brief v. 13-15. 6. 1745 an Henry Home äußerte Hume zum erstenmal die Idee, nach Frankreich zu übersiedeln, die er lange nicht völlig aufgab, R. Klibansky/E. C. Mossner (Hg.): New Letters of David Hume, Oxford, 1954 (im folgenden: New Letters), S. 17. Siehe Kames' Brief v. 17. 6. 1764 an Miss Catherine Gordon, in: W. C. Lehmann: Henry Home, Lord Kames, and the Scottish Enlightenment: A study in national character and in the history of ideas, The Hague, 1971, Appendix 1: A Selection from the Letters of Lord Kames, Brief 7, S. 310: „Good government and the happiness of a nation depend not less upon the manners of the women than of the men. In the capital of France, the women of rank abandoning themselves to love and gallantry, lead the way to every corruption: purity of manners and fidelity to a husband, are openly turned to ridicule as old-fashioned virtues". In einer frühen Schrift von Edmund Burke, die vielleicht nicht ganz Ernst gemeint ist, als Gemeinplatz bezeichnet: A Vindication of Natural Society, or a View of the Miseries and Evils arising to Mankind from every Species of Artificial Society (1756), Indianapolis, 1982, S. 88. Arts and Sciences, S. 127ff., siehe jedoch die relativierende Passage S. 130f. Ibid., S. 128; über Rochester als Autor siehe: Hume: History of England, Bd. VI, S. 543f. History of England, Bd. VI, S. 539. Ibid., S. 540: „King Charles being in his whole deportment a model of easy and gentleman-like behavour [sic], improved the politeness of the nation... His courtiers were long distinguishable in England by their obliging and agreeable manners".

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In einem Brief aus Frankreich 1734 bereits hatte Hume einen Vergleich des gesellschaftlichen Umgangs in Frankreich und England angestellt, der zugunsten der Franzosen ausfällt und deutlich macht, was er unter „Politeness" versteht, „...the French have more real Politeness & the English the better Method of expressing it", schreibt er. „By real Politeness I mean Softness of temper, & a sincere Inclination to oblige & be servicable; which is very conscious in this nation, not only among the high but low... not only to Gentlemen but likewise among themselves... By the Expressions of Politeness, I mean these outward Deferences & Ceremonies, which Custom has invented, to supply the Defect of real Politeness or Kindness, that is unavoidable towards Strangers & indifferent Persons even in men of the best Dispositions of the World. These Ceremonies ought to be so contrived, as that, tho they do not deceive, nor pass for sincere, yet still they please by their Appearance, & lead the mind by its own consent & Knowledge, into an agreeable Delusion" 106 . Und im Essay über Arts and Sciences finden wir eine allgemeine Formulierung, die an Hutchesons Theorie der Balancierung des Egoismus anknüpft. „Wherever nature has given the mind a propensity to any vice, or to any passion disagreeable to others", schreibt Hume dort, „refined breeding has taught men to throw the biass [sic] on the opposite side, and to preserve, in all their behaviour, the appearance of sentiments different from those to which they naturally incline. Thus, as we are commonly proud and selfish, and apt to assume the preference above others, a polite man learns to behave with deference towards his companions, and to yield the superiority to them in all the common incidents of society"107. Zivilität zeigt sich demnach an der Neutralisierung des natürlichen Egoismus, bedeutsam jedoch in das äußerliche Verhalten gelegt, indem eine „agreeable Delusion" erzeugt wird; daher Humes Unterscheidung von „real politeness" und den bloß äußerlichen „expressions of politeness". Im Verhältnis zum philosophisch anspruchsvollen ethischen Utilitarismus Hutchesons geht es Hume hier um den Nutzen reibungsvermindernder und angenehmer gesellschaftlicher Umgangsformen, die aber praktisch bedeutsam sind108. Deutlich wird an seiner Position auch die Verdoppelung der Interaktionsebenen in die innere, wirkliche Empfindungslage und das äußerliche soziale Verhalten. Diese Verdoppelung, gleichzeitig eine innere Distanzierung, bildet den Kern der „civility" und „politeness" und ist spezifisch modern 109 . Über den artifiziellen, die wirklichen Affekte verschleiernden Charakter des Sozialverkehrs in der modernen Gesellschaft war die schottische Aufklärung im ganzen mit Hume einig, wenn er auch verschieden kommentiert wurde. Der spezifisch zivile Verhaltensmodus hat seine Gültigkeit insbesondere gegenüber Fremden, die auf diese Weise in die „Civil Society" integriert werden, während im Privatverkehr unverstellt persönliche Gefühle ihren Ausdruck finden sollen. Aber die Grenzen zwischen diesen Verhaltensbereichen sind durchlässig, und die Kunst des zivilisierten Sozialverhaltens besteht darin, Förmlichkeit und

106 Letters, Bd. I, Nr. 4, an Michael Ramsay, 12. 9. 1734, S. 19f. 107 Arts and Sciences, Essays, S. 132. 108 Die Franzosen, sagt Hume, „have, in a great measure, perfected that art, the most useful and agreeable of any, Γ Art de Vivre, the art of society and conversation", Of Civil Liberty, Essays, S. 91. 109 Arts and Sciences, S. 131; dieser Auffassung war auch Kant: Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, S. 44, S. 67 (§ 14): „Die Menschen sind insgesamt, je zivilisierter, desto mehr Schauspieler", womit er die Hoffnung verbindet, daß „dadurch, daß die Menschen diese Rolle spielen, werden zuletzt die Tugenden, deren Schein sie eine geraume Zeit hindurch nur gekünstelt haben, nach und nach wohl wirklich erweckt und gehen in die Gesinnung über".

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Spontaneität der jeweiligen Kommunikationslage angemessen zu mischen. Das Resultat bleibt gleichwohl, daß die Aufrichtigkeit der Kommunikationspartner - weniger im Sinne des Gegensatzes wahr/falsch, als vielmehr im Sinne von vollständig, rückhaltlos/unvollständig - zweifelhaft bleibt, und ein zentrales Motiv der Rousseauschen Kulturkritik ist seine Interpretation der Moderne als eine Kultur der Verstellung 110 . Hume pries die Höflichkeit als unerläßlichen Verhaltenscode ziviler Gesellschaft, liebte selbst aber besonders die ungezwungene Konversation im Freundeskreis 111 . Welche Rolle spielt die ökonomische Entwicklung im Zivilisationsprozeß? 112 „Commerce" „Trade was never esteemed an affair of state till the last century; and there scarcely is any ancient writer on politics, who has made mention of it", stellt Hume fest, und fährt fort, „it has now engaged the chief attention, as well of ministers of state, as of speculative reasoners. The great opulance, grandeur, and military atchievements [sic] of the two maritime powers [gemeint: Niederlande und England] seem first to have instructed mankind in the importance of an extensive commerce" 113 . Der Stellenwert der Ökonomie wird hier vom merkantilistischen Blickwinkel im Rahmen der „balance of power" bewertet, was nicht dazu verleiten sollte, Humes Ökonomie und Politik inhaltlich fur merkantilistisch zu halten 114 . Hume benutzt nicht den von Hutcheson gebrauchten akademischen Begriff der „politischen Ökonomie", der sich später durchsetzt, sondern, in Übereinstimmung mit zeitgenössischer Publizistik, einen erweiterten Begriff von „Commerce", der seine exklusive Konnotation mit „Handel" verliert. Diese Ökonomie unterteilt er analytisch grundlegend, wie Hutcheson, in einen landwirtschaftlichen und einen gewerblichen Sektor115 und geht von der Austauschrelation dieser beiden Sektoren als Basisprozeß aus. Das ist die Konstellation am Beginn eines wirtschaftlichen „take-off', dessen fundamentale Bedingung die Produktion landwirtschaftlicher Überschüsse zur Erhaltung der Gewerbebevölkerung und Lieferung von Rohstoffen für gewerbliche Produktion ist - eine 110 So Jean Starobinskis: Rousseau, siehe bes. die ersten Kapitel sowie S. 372f. u. pass.; siehe dazu L. Trilling: Das Ende der Aufrichtigkeit (1972), Firn., 1989. 111 Siehe Hume: The Epicurean, Essays, S. 142. Alexander Carlyle: Anecdotes and Characters of the Times, S. 138ff. 112 Siehe zum folgenden: C.N.Stockton: Economics and the Mechanism of Historical Progress in Humes History, in: D. W. Livingston/J. T. King (Hg.): Hume. A Re-evaluation, NY, 1976, S. 296320; eine etwas andere Fragestellung behandelt: R. F. Teichgraeber III: „Free Trade" and Moral Philosophy, Kap. III. 113 Of Civil Liberty, Essays, S. 88f. Siehe zum folgenden generell D. Miller: Philosophy and Ideology in Hume's Political Thought, Teil 2, Kap. 6. 114 Siehe zur Übersicht: E.Rotwein: Introduction, in: David Hume: Writings on Economics; Τ. Velk/A. R. Riggs: David Humes practical economics, Hume Studies, 1985: 11, S. 154-65; U. Bermbach: Einleitung, in: Hume: Politische und ökonomische Essays, Bd. I; R. W. McGee: The economic thought of David Hume, Hume Studies, 1989: 15, S. 184-204; W. L. Taylor: Francis Hutcheson and David Hume as Predecessors of Adam Smith, Kap. 3 u. pass.; T. W. Hutchison: Before Adam Smith, Kap. 11; im Kontext: A. S. Skinner: Political Economy: Adam Smith and his Scottish Predecessors, in: P. Jones/A. S. Skinner (Hg.): Adam Smith Reviewed, S. 217-43. 115 Siehe zum folgenden den Essay: Of Commerce, hier S. 256. Ich gebrauche den Begriff „Gewerbe" summarisch fur alle Arten nicht-landwirtschaftlicher Produktionstätigkeit. Die entsprechenden Begriffe Humes und seiner Zeitgenossen variieren: manufacture, industry, arts (mechanical, nicht: liberal).

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Problematik, die Steuart in seinen Principles of Political Oeconomy später ausführlich behandelt. Dabei sind die beiden Seiten dieser Relation nicht gleichwertig, denn alle Menschen benötigen Lebensmittel, nicht unbedingt jedoch gewerbliche Produkte. Der agrikultureile Sektor gilt daher zu Recht als primär, denn von seiner Fähigkeit, Überschüsse zu erzielen, hängt ab, wie groß der gewerbliche Sektor maximal sein kann. Aber landwirtschaftliche Überschüsse können auch anders verwandt werden, etwa appropriiert durch den Staat zur Unterhaltung einer Armee, die Eroberungen macht und insofern räuberisch - zum Reichtum der Gesellschaft beiträgt, oder für Zwecke symbolischer Erhöhung der Herrschaft - in Prachtbauten, Triumphzügen und dergleichen, eine eigentlich verschwenderische Verausgabung. Diese Alternativen bedeuten auch alternative Optionen strategischer politischer Orientierung und Gesellschaftsentwicklung, wobei die Grundentscheidung jene zwischen privater oder staatlicher Aneignung ist. Diese Alternative ist auch für die Landwirtschaft wichtig, weil der Staat die Aneignung landwirtschaftlicher Ressourcen generell ohne Gegenleistung zwangsweise vollziehen wird, während Private den Landwirten eine Gegenleistung bieten müssen, wollen sie Überschüsse erhalten und wollen sie allererst die Landwirte zur Erzeugung von Überschüssen animieren. Indem Hume die Frage so stellt, entsteht prima facie „a kind of opposition between the greatness of the state and the happiness of the subject" 116 , die er aber durch weitere Überlegungen aufzulösen verspricht. In den antiken Republiken wurden landwirtschaftliche Überschüsse in erster Linie zur Unterhaltung von Armeen verwendet, während sie in der Moderne privat appropriiert werden und als Ernährungsbasis eines ausgedehnten kommerziellen Sektors dienen. Aber die Moderne beweist auch, daß im allgemeinen die Entwicklung der Gewerbe und die Macht des Staates Hand in Hand gehen. Dieses Argument geht davon aus, daß die moderne Methode, landwirtschaftliche Überschüsse durch das Angebot attraktiver Gewerbeprodukte anzuregen, der antiken Methode unfreier Arbeit generell überlegen ist. Das Verhältnis zwischen Landwirtschaft und Gewerbe ist daher nicht einseitig zu denken, denn nicht nur ermöglichen Agrarüberschüsse einen Gewerbesektor, sondern umgekehrt reizen die Gewerbe auch die landwirtschaftliche Produktion an, die ohne diesen Anreiz im wesentlichen stationär bliebe. Es handelt sich um ein Verhältnis von „push" und „pull" 117 . Und wenn der „take-off in eine regelmäßige landwirtschaftliche Überschußproduktion übergeleitet ist, die ihre reproduktive Eigendynamik entfaltet, dann stehen im politisch-militärischen Krisenfall sowohl landwirtschaftliche Überschüsse als auch gewerbliches Produktionspotential als auch eine große Bevölkerung zur Bildung von Armeen bereit. In dieser Perspektive erscheint der Gewerbesektor auch militärpolitisch als eine Art sozialer Ressourcenspeicher, der auch, da „every thing in the world is purchased by labour" 118 , ein Speicher potentieller gesellschaftlicher Arbeitskraft ist, „labour... of a kind to which the public may lay claim, without depriving any one of the necessaries of life" 119 , unter der Voraussetzung nämlich, daß die Landwirtschaft die elementare Versor-

116 Ibid., S. 257. 117 Vgl. J. Steuart: Principles of Political Oeconomy, Bd. I, S. 119: „... population... cannot augment without an increase of food on one hand, and of industry on the other, to make the first circulate. These must go hand in hand: the precedence between them is a matter of mere curiosity and speculation". 118 Of Commerce, Essays, S. 261. 119 Ibid., S. 262.

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gung der Bevölkerung eines Landes mit großem Gewerbesektor sicherstellt. „The more labour, therefore, is employed beyond mere necessaries, the more powerful is any state; since the persons engaged in that labour may easily be converted to the public service" 120 , auch zum Militärdienst. Warum diskutiert Hume diese Frage? Offensichtlich, weil er sich von dem in der republikanischen Rhetorik gepflegten Topos eines Gegensatzes zwischen der Marktvergesellschaftung („Commerce") und den Erfordernissen einer wehrhaften Republik absetzen will, dem er die These ihrer Vereinbarkeit entgegensetzt. Die Problemstellung selbst verbindet ihn also mit dem republikanischen Diskurs, wenn er sie auch anders beantwortet. Und daß es sich dabei nicht nur um „Spiegelfechterei" oder eine Scheinauseinandersetzung handelt, kann daraus entnommen werden, daß Hume sich in dieser Frage intensiv mit seinen Freunden aus der schottischen Aufklärungsbewegung auseinandersetzte. So berichtete John Home von einer Diskussion mit Hume und Ferguson auf einer letzten gemeinsamen Reise von London nach Bath, wenige Monate vor Humes Tod: „Nothing occurred worthy the writing down, except Mr. David's [Humes] plan of managing his kingdom, in case Ferguson and I had been princes of the adjacent states. He knew very well, he said (having often disputed the point with us), the great opinion we had of military virtues as essential to every state; that from these sentiments rooted in us, he was certain he would be attacked and interrupted in his projects of cultivating, improving, civilizing mankind by the arts of peace; that he comforted himself with reflecting, that from our want of economy and order in our affairs, we should be continually in want of money; whilst he would have his finances in excellent condition, his magazines well filled, and naval stores in abundance; but that his final stroke of policy, upon which he depended, was to give one of us a large subsidy to fall upon the other, which would infallibly secure to him peace and quiet, and after a long war, would probably terminate in his being master of all the three kingdoms" 121 . Nach der Logik dieser spielerischen Modelldiskussion ist die ökonomische Ressourcenstärke eines Staates entscheidender als „republikanische Tugend". Die Politik soll daher die private Bereicherung begünstigen, weil so der gesamtgesellschaftliche Reichtumsprozeß befördert wird und dem Staat im politisch-militärischen Krisenfall umfangreichere, zu Militärzwecken adaptierbare Ressourcen zur Verfugung stehen. Andere schottische Autoren stellten die Frage, ob sicher sei, daß die Bürger, gewöhnt daran, nur ihre eigene Prosperität und ihren eigenen Vorteil zu suchen, im Krisenfall sich als Republikaner erweisen werden; Humes Argumente waren nicht allen schlüssig. Und wenn Hume die militärische Überlegenheit der modernen Ökonomie im Verhältnis etwa zum spartanischen Kriegerstaat argumentierte, glaubte James Steuart umgekehrt an die theoretische militärische Überlegenheit des spartanischen Systems, nicht aber an seine 120 Ibid., S. 262f. James Steuart prägt später, ausgehend von der gleichen Grundproblematik, den Begriff der „free hands" für die Personen, die durch landwirtschaftliche Überschüsse unterhalten werden, „who may be employed in manufactures, trades, or in any other way, according to the taste of the times or in any other way the state pleases", Principles of Political Oeconomy, Bd. I, Buch I, Kap. VIII, S. 54. Der kursiv gesetzte Halbsatz erscheint nur in der ersten Auflage 1767; wahrscheinlich strich Steuart ihn, um den erhobenen Vorwurf des Etatismus zu entkräften. Er bezeichnet aber, was Steuart machtstaatspolitisch meint. 121 John Home's Journal of the Journey with David Hume to Bath, 1776, in: The Works of John Home, Edinburgh, 1822, Bd. I, S. 181f., auch zit. in: J. Robertson: The Scottish Enlightenment and the Militia Issue, S. 239.

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Praktikabilität im modernen Europa, weil die spartanische Lebensweise wesentlich reduzierter Genüsse und Befriedigungen oberhalb des Subsistenzniveaus politisch in der Moderne nicht durchführbar sei122. Hume gelangt dagegen zu der radikaleren Schlußfolgerung, die republikanische Formel: Luxus oder Macht, sei für die modernen Staaten durch die Formel: Luxus gleich Macht, zu ersetzen. Tatsächlich trennt die Moderne von der Antike nämlich nicht nur ein ausgedehnterer kommerzieller Sektor, sondern eine zivilisatorische Umwälzung, die tief in die Motivstrukturen hinabreicht. Denn während in der Antike, unter primitiveren Bedingungen und im Angesicht steter Kriegsgefahr, „so martial a genius, and such a passion for public good" existierten, „as to make every one willing to undergo the greatest hardships for the sake of the public" 123 , so haben die modernen, zivilisierten Staaten diese Motivlage (die Hume sicher überzeichnet) eingebüßt und sind daher darauf angewiesen, die soziale Arbeit als freie Privatarbeit durch den Anreiz der Gewerbe und durch Luxusproduktion zu intensivieren. Hier müssen die Menschen durch den „spirit of avarice and industry, art and luxury" 124 bewegt werden, eine Argumentation, die Hume in größere Nähe zu Mandeville bringt, als Hutcheson akzeptiert hätte125. Zusammenfassend schreibt Hume über den Zusammenhang von Ökonomie und höherer Zivilisation: „Thus industry, knowledge, and humanity, are linked together by an indissoluble chain, and are found, from experience as well as reason, to be peculiar to the more polished, and what are commonly denominated, the more luxurious ages" 126 . Demnach, scheint es, muß der „Luxus" in Kauf genommen werden, wenn man Zivilisierung und einen ökonomisch und militärisch potenten Staat will. Hutchesons Versuch, den „Luxus" pejorativ zu präzisieren, um das puritanische Arbeitsethos dagegen festzuhalten, findet bei Hume keine Resonanz. „In a nation, where there is no demand for such superfluities", die früheren Zeiten als Luxus gegolten haben, „men sink into indolence, lose all enjoyment of life, and are useless to the public, which cannot maintain or support its fleets and armies, from the industry of such slothful members" 127 . Damit legitimiert Hume den Luxuskonsum als ausgesprochen private Form der Reichtumsverwendung analog zu Mandeville auch durch übergreifende Staatsinteressen: „private vices - public benefits". Allerdings ist damit noch nicht die Wendung liberalen Denkens vollzogen, den gesellschaftlichen Prozeß exklusiv den nicht hinterfragbaren Zwecken der Individuen und ihrem „pursuit of happiness" 128 zu assimilieren, die sich aber vorbereitet, denn Hume polemisiert gegen die Idee, unter modernen Bedingungen, da Bürger und Staat auseinandertreten, repräsentiere der Staat das Gemeinwohl. Wenn die Republikaner die rhetorische Frage aufwarfen, ob nicht die Umorientierung der modernen Ethik auf Privatzwecke und der „Luxus" die militärische Kampfkraft zer122 Steuart: Principles of Political Oeconomy, Bd. I, Buch II, Kap. XIV, fur die militärische Überlegenheit des spartanischen Systems, S. 226f. 123 Hume: Of Commerce, Essays, S. 262f., s.a. S. 259, Popoulessness of Ancient Nations, Essays, S. 404. 124 Ibid., S. 263. 125 Siehe dagegen: Of Refinement in the Arts, Essays, S. 269, S. 280. Dieser Essay hieß zuerst: Of Luxury; die Umbenennung läßt schließen, Hume wollte sich von der verbreiteten oberflächlichen Klage über die Verderblichkeit des Luxus absetzen. 126 Ibid., S. 271. 127 Ibid., S. 272. 128 Wendung aus der amerikanischen Unabhängikeitserklärung, deutsch in: W. P. Adams/A. Meurer Adams (Hg.): Die Amerikanische Revolution in Augenzeugenberichten, München, 1976, S. 262.

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setzten, und auf den Untergang der römischen Republik im Luxus der Kaiserzeit wiesen, verwirft Hume beide Thesen. Der Untergang Roms sei auf den imperialen „overstretch" zurückzufuhren, also auf die Überdehnung gerade jener militärischen Komponente der Antike, die von republikanischen Autoren gepriesen wurde129. Der historische Analogieschluß vom Untergang der römischen Republik auf die Gefahren des „Luxus" für die modernen Republiken sei daher falsch. Adam Smith kombinierte beide Argumentationen, indem er seine Studenten belehrte, „...when arts and luxury have in their naturall progress of things been introduced into the state, and considerable improvements have been made in these, the rich and the better sort of people will no longer ingage [sic] in the service. The lower ranks make up the armies... An army of this sort, serving under a commander for severall years, and being engaged in war for severall years, would become very much dependent upon him", und ist daher als Instrument des Cäsarismus zu gebrauchen. Dies „will be the case in all conquering republicks where ever a mercenary army at the disposall [sic] of the generali [sic] is in use"130. Demnach bringt das Zusammenspiel von Zivilisation, „Luxus" und Imperialismus Gefahrdungen der Freiheit mit sich. Ferguson ging dann von der modernen Trennung des Bürgers vom Soldaten aus und Schloß, daß der Soldat, der den Bürger schützen soll, ihn ebenso leicht auch unterwerfen kann; das sei das Schicksal der römischen Republik gewesen131. Hume sieht die ethische Gefahr der Verselbständigung des abstrakten Reichtums, argumentiert jedoch, nichts könne „restrain or regulate the love of money, but a sense of honour and virtue; which, if it be not nearly equal at all times, will naturally abound most in ages of knowledge and refinement"132, d.h. in der modernen Zivilisation. Die Dynamik des kapitalistischen Prozesses ist hier aufklärerisch unterschätzt, man sieht aber auch, daß in Humes Menschenbild Eigenschaften eingelassen sind, die das Selbstinteresse balancieren sollen133. Gleichzeitig hielt jedoch Hume „the generosity of men" fur „very limited, ...it seldom extends beyond their friends and family, or, at most, beyond their native country"134, eine Einsicht, die Hutchesons Theorie des emotionalen Gravitationsfeldes reproduziert, seine normative Komponente jedoch abschwächt und im realistischen Gegensatz zur spätaufklärerischen Idee eines „Weltbürgertums" steht.

129 Of Refinement in the Arts, Essays, S. 276. Montesquieu: Größe und Niedergang Roms, schreibt: „Als aber das Volk seinen Günstlingen eine furchtbare Machtvollkommenheit nach außen geben konnte, wurde alle Klugheit des Senats nutzlos, und die Republik war verloren... Allein die Ausdehnung der Republik verursachte das Unglück und verwandelte die Unruhen des Volkes in Bürgerkriege", S. 57, S. 59. Hume und Montesquieu stimmen soweit übereinstimmen, aber Montesquieu sagt in einem nachgelassenen Aphorimus auch: „In den Republiken muß immer ein bestimmter Gemeingeist herrschen. Je mehr sich der Luxus breit macht, um so stärker tritt auch der Geist der Eigensucht hervor. Wer mit dem Nötigen zufrieden ist, hat nur noch den Ruhm des Vaterlandes und den eigenen zu wünschen. Eine vom Luxus verdorbene Seele ist, kurz gesagt, den Gesetzen feind, die immer den Bürgern lästig sind", Vom glücklichen und weisen Leben, S. 109. 130 LJ(A), S. 233f. 131 History of Civil Society, S. 231. 132 Of Refinement in the Arts, Essays, S. 276; s. a. den Brief an Horace Walpole v. 20. 11. 1766, Letters, Bd. II, Nr. 363, S. 111. 133 Siehe J. A. Schuler/P. Murray: Educating the Passions: reconsidering David Hume's optimistic Appraisal of Commerce, HEI, 1993: 17, S. 589-97. 134 Treatise, Buch III, Teil III, Abschn. III, S. 602; s. a.: Enquiry concerning the Principles of Morals, bes. Abschn. V, Teil II, und Abschn. II, Teil I.

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„It has become an established opinion, that commerce can never flourish but in a free government", lautet eine Ansicht, mit der sich Hume im Essay über Civil Liberty auseinandersetzt 135 und gegen die er das Beispiel Frankreichs anfuhrt, das keine im britischen Sinne „freie Regierung" hatte und dennoch dem englischen Handel Konkurrenz machte. Gleichwohl sieht Hume „something hurtful to commerce inherent in the very nature of absolute government and inseparable from it", weniger aber der nur scheinbar fehlende Eigentumsschutz, sondern der kulturelle Faktor monarchistischer Werteordnung, denn der Handel erscheine dort als „less honourable ". „A subordination of ranks is absolutely necessary to the support of monarchy. Birth, titles, and place, must be honoured above industry and riches. And while these notions prevail, all the considerable traders will be tempted to throw up their commerce, in order to purchase some of those employments, to which privileges and honours are annexed". Die kulturellen Vorgaben der Statuskonkurrenz lenken daher in der Monarchie den Ehrgeiz in nicht-bürgerliche Richtungen um, und Hume weist auf den Ämterkauf hin, durch den insbesondere ein Teil der Bourgeoisie seinen Übergang in die noblesse de robe bewerkstelligte136. In England blieben die in „landed gentlemen" transformierten Kaufleute in den ökonomischen Prozeß eingebunden, und nicht selten erwiesen sich diese bürgerlichen Parvenüs als die besten landwirtschaftlichen „improver", während demgegenüber die französische noblesse de robe der ökonomischen Logik zu entrinnen suchte und damit die französische Tradition der Staatsrentierexistenz als Aufstiegsideal begründete 137 . Wiederum bewertet Hume weniger die politischen Formen, wie die Republikaner, sondern ihre kulturellen Kontexte, wenn er die Differenz zwischen der deutlich status-stratifizierten höfischen Gesellschaft einerseits und der erwerbsorientierten Handelsrepublik andererseits betont, die sich beide auf dem Boden moderner Zivilisation bewegen und fundamentale zivilisatorische Gemeinsamkeiten aufweisen. Trifft er sich mit Montesquieu in der Einsicht über die Bedeutung der Wertordnungen, so bildet ihm charakteristisch nicht die republikanische Tugend den Gegensatz zur monarchischen „Ehre", sondern der moderne Handelsgeist. Das Volk bleibt in der absoluten Monarchie notwendig arm, glaubt Hume, weil die Hierarchie der Stände es auch ökonomisch beherrscht 138 ; insoweit stimmt er der populä-

135 Essays, S. 92, auch das folgende; s.a. C. Venning: Hume on property, commerce, and empire in the good society: the role of historical necessity, JHI, 1976: 37, S. 79-92. Smith schrieb Hume eine Pionierrolle bei der Analyse des Zusammenhangs von Wohlstand und Freiheit zu: WN, Bd. I, Buch III, Kap. IV, S. 412. 136 Siehe E. Hinrichs: Ancien Regime und Revolution, pass.; P. Anderson: Die Entstehung des absolutistischen Staates, S. 107ff.; I. Wallerstein: Modem World System, Bde. 2 und 3, pass.; R. Bendix: Könige oder Volk, Bd. II, S. 130-50. 137 Karl Marx schreibt in seinem „Achtzehnten Brumaire des Louis Bonaparte" von dem „materiellen Interesse der französischen Bourgeoisie", das „in einem Lande wie Frankreich, wo die Exekutivgewalt über ein Beamtenheer von mehr als einer halben Million von Individuen verfugt, also eine ungeheure Masse von Interessen und Existenzen beständig in der unbedingtesten Abhängigkeit erhält" „gerade auf das innigste mit der Erhaltung jener breiten und vielverzweigten Staatsmaschine verwebt" sei. „Hier bringt sie ihre überschüssige Bevölkerung unter und ergänzt in der Form von Staatsgehalten, was sie nicht in der Form von Profiten, Zinsen, Renten und Honoraren einstecken kann", Berlin, 6. Aufl., 1974, S. 58f. Alexis de Tocqueville betont in seiner wenig später publizierten Analyse über den ,Alten Staat und die Revolution", Reinbek, 1969, die Kontinuität etatistischer Zentralisierungstendenzen über die Revolution hinweg; siehe auch J. P. Mayer: Alexis de Tocqueville, Kap. VI. 138 Siehe für die analoge Position Mandevilles: M. Goldsmith: Private Vices, Public Benefits, S. 83.

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ren Meinung Englands zu 139 . Aber auch in der Republik ist das Volk nicht immer wohlhabend, denn es hängt von gesellschaftlichen Bedingungen und Kräfteverhältnissen ab, ob die „labourers and artizans" einen angemessenen Anteil an der Produktivitätsentwicklung durchsetzen können 140 . Adam Smith entwickelte im „Wealth of Nations" das Theorem, nur in einer Wachstumsökonomie seien die Löhne hoch, sänken sonst aber tendenziell auf das Existenzminimum 141 . Während in der Monarchie die Armen systematisch arm gehalten werden, wird auf der anderen Seite die Aristokratie systematisch privilegiert und die Gesellschaft erscheint durch eine starre Stratifikation gespalten. Aber „a too great disproportion among the citizens weakens any state" 142 , stellt Hume fest, denn abgesehen davon, daß eine breiter gestreute Einkommensverteilung die Wirtschaftsaktivität anregt, kann auch die Steuerlast gleichmäßiger verteilt werden und ist somit besser zu tragen, und die Möglichkeit des Umschlages konzentrierter wirtschaftlicher Macht in politische Macht, der den politischen Prozeß systematisch verzerren würde, ist kleiner. Eine breite Mittelschicht, ein „middling rank of men", ist daher „the best and firmest basis of public liberty"143 und in der relativen ökonomischen Gleichheit sieht Hume einen entscheidenden sozialstrukturellen Vorteil Englands in der internationalen Konkurrenz, auch wenn komparativ hohe Arbeitskostenanteile damit verbundenen sind. Humes Bias für eine starke Mittelschicht 144 richtet sich damit gegen aristokratische Privilegien, aber auch gegen absolutistische Übersteuerung der Subjekte für Zwecke der Kriegführung oder die symbolische Erhöhung des Staates, wie unter Louis XIV. Während im Absolutismus die Gesellschaft als reich gilt, wenn der Staat reich ist, bildet in einer „freien Regierung" die Summe privaten Wohlstandes den gesellschaftlichen Reichtum, der - und das ist ein zentrale These Humes - im Krisenfall in politisch-militärische Stärke umgesetzt werden kann. Nicht jedes „freie Land" prosperiert, aber nur unter „freien Regierungen" kann die Masse der Bürger wohlhabend 145 und damit auch der Staat auf Dauer behauptungsfähig sein - eine ausgeprägt anti-etatistische Position. Soweit zeigt sich Hume deutlich als Anhänger der Moderne, der einen kritischen Dialog mit den Republikanern fuhrt und die auf politische Formen konzentrierte Fragestellung des Gegensatzes von „Freiheit" und „Unfreiheit" als reduktionistisch zurückweist. Entscheidend ist vielmehr der Prozeß der Zivilisation, der in erster Linie auf Rechtssicherheit beruht. Monarchie und Republik partizipieren auf unterschiedliche Weise an der höheren Kultur, ohne daß von vornherein klar wäre, welcher dieser Entwicklungswege den Vorzug verdient, und wenn auch die Republik ökonomisch überlegen erscheint, hält Hume nicht dies für entscheidend, sondern die Unmöglichkeit des ökonomischen Managements moderner Staaten nach dem Bild antiker Tugend, eine Idee, die auf der falschen Alternative von privatem Wohlstand und Stärke des Staates beruht. Hier, wie auch im Zusammenhang des Mythos der „ancient constitution", wendet er sich gegen falsche Idealisierungen der Vergangenheit. „To declaim against present 139 Die Holzschuhe galten als Symbol politischer und ökonomischer Knechtung des Volkes, siehe illustrativ: P. Langford: Walpole and the Robinocracy, Abb. 36 u. pass. 140 Of Commerce, Essays, S. 265f. 141 WN, Bd. I, Buch I, Kap. VIII. 142 Of Commerce, Essays, S. 265. 143 Of Refinement in the Arts, Essays, S. 277. 144 Siehe den Essay: Of the Middle Station of Life. 145 Of Commerce, Essays, S. 265.

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times, and magnify the virtue of remote ancestors", sei zwar „a propensity almost inherent in human nature"146, die gleichwohl aufklärungsbedürftig ist147. Erscheint Hume so als Anhänger der „Court-Party", werden wir sehen, daß ihn wichtige Motive mit der „Country-Party" verbinden. Parteiung Ein charakteristisch moderner Zug des englischen politischen Systems im 18. Jahrhundert war die ausgeprägte Parteibildung, und Hume ist einer der Pioniere moderner Parteitheorie, die aber im Kontext seiner Analyse der neueren englischen Geschichte zu sehen ist. Man kann Hume der Aufklärungsbewegung zurechnen148 aufgrund seiner Gegnerschaft zu Formen der Gedankenkontrolle, sei sie religiös, durch Kirchenorganisationen oder fanatische (Humes Begriff ist „enthusiasm"149) Sekten150, sei sie säkular, durch staatliche Zensur oder ideologische Parteidoktrinen. Eigentlich ist das Moderne daran Humes Ablehnung nicht nur der organisierten Zensur, sondern auch ideologischer Gedankenkontrolle, insbesondere auch jener, die aus dem Konfliktcharakter und der Parteiformigkeit der modernen Politik resultiert. Es gibt bei ihm eine Art „Ideologiekritik", die noch gemeinsames hat mit Francis Bacons Kritik der „Idole"151, und in der Analyse des englischen Bürgerkrieges gewinnt er eine Idee von der Irrationalität des Konfliktes konkurrierender symbolischer Sinnwelten, die, empirisch transzendent, der Argumentation nicht zugänglich sind152. Indem weiterhin die ideologische Verhärtung der Parteifronten153 eine Prämie auf die Reproduktion der Parteidogmen auch wider besseres Wissen ausstellt, korrumpiert sie die Parteianhänger auch moralisch154. Der Fanatismus kann da146 Of Refinement in the Arts, Essays, S. 278; s. a. Of the Populousness of ancient Nations, Ende. 147 Der lange Essay: Of the Populousness of Ancient Nations, hat unter anderem diesen Sinn. 148 Eine an Kants Antwort auf die Frage: Was ist Aufklärung?, gemahnende Stelle findet sich in Humes Vorwort zum: Abstract of a Book lately published, entituled, A Treatise of Human Nature, im Anhang zum Treatise, S. 643f. 149 Siehe den Essay „Of Superstition and Enthusiasm". 150 Vgl. die ähnliche Position Tuckers: Treatise concerning Civil Government, S. 401. Siehe jber die puritanischen Sekten während der englischen Revolution C. Hill: The world turned upside down. Radical Ideas during the English Revolution (1972), Harmondsworth, 1984. 151 Siehe F. Bacon: Das Neue Organon (Novum Organon), hg. v. M. Buhr, Berlin, 2. Aufl., 1982, S. 24f. und Nm. 23 und 38ff. der Aphorismen über die Interpretation der Natur und die Herrschaft des Menschen. 152 Siehe Berger/Luckmann: Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit, S. 114f. 153 Zum Beispiel beklagt er sich im Zusammenhang der Schwierigkeiten einer objektiven historischen Bewertung der Stuart-Könige, „even that party amongst us, which boasts of the highest regard to liberty [die Whigs], has not possessed sufficient liberty of thought in this particular; nor has been able to decide impartially of their own merit, compared with that of their antagonists", History, Bd. VI, S. 532. 154 Siehe: History, Bd. VI, S. 438. Ähnlich Τ. Β. Macaulay: Hallam's History (1828), in: ders.: Critical and Historical Essays, Bd. I, S. 40: „Every day we see men do for their faction what they would rather die than do for themselves", S. 62: „The effect of violent animosities between parties has always been an indifference to the general welfare and honour of the State"; F. Nietzsche: Der Antichrist. Fluch auf das Christentum, Werke, hg. v. K. Schlechta, Bd. III, Ffin. /Berlin/Wien, 6. Aufl., 1984, S. 668: „Nun ist dies Nicht-sehn-wollen, was man sieht, dies Nicht-so-sehn-wollen, wie man es sieht, beinahe die erste Bedingung für alle, die Partei sind, in irgendwelchem Sinne: der Parteimensch wird mit Notwendigkeit Lügner"; ders.: Aus dem Nachlaß der Achtzigerjahre, S. 158: „... der Kämpfende...

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durch definiert werden, daß er gegnerischen Auffassungen die Argumentationsfahigkeit abspricht, die Kommunikation verweigert und daher die sozialen Beziehungen von einem zivilen in ein vorziviles Muster regrediert155. Brisant ist die vorbewußte Vermischung von nicht-empirischen, daher nicht widerlegbaren, Glaubensinhalten mit Interessen, wie, nach Humes Auffassung, im Falle von Cromwells New Model Army·. „Among the generality of men, educated in regular, civilized societies, the sentiments of shame, duty, honour, have considerable authority, and serve to counterbalance and direct the motives, derived from private advantage: But, by the predominancy of enthusiasm among the parliamentary forces, these salutary principles lost their credit, and were regarded as mere human inventions, yea moral institutions, fitter for heathens than for christians. The saint, resigned over to superior guidance, was at full liberty to gratify all his appetites, disguised under the appearance of pious zeal. And, besides the strange corruptions engendered by this spirit, it eluded and loosened all the ties of morality, and gave entire scope, and even sanction, to the selfishness and ambition, which naturally adhere to the human mind" 156 . Ideologien sind in diesem Sinne - ohne daß Hume diese Terminologie gebrauchte verselbständigte Weltdeutungsmuster: das Denken ist nicht mehr an die alltägliche, weithin gemeinsame Lebenserfahrung und -praxis der Menschen zurückgebunden, die im Gegenteil in das Prokrustes-Bett abstrakt-ideologischer Ideen gezwängt wird, die die Gemeinsamkeit der gesellschaftlichen Lebenspraxis sprengen und - möglicherweise scharfe - Konflikte ohne reale Basis provozieren 157 . Ein Bürgerkrieg um die Frage, ob der Leib Christi im Abendmahl gegenwärtig ist oder nicht, ist ein extremes Beispiel, denn derartige Fragen sind generell weder entscheidbar noch für die kollektive Lebenspraxis bedeutungsvoll. Aber auch säkulare Ideologeme, die im zeitgenössischen Gegensatz von Whigs und Tories geronnen sind, belasten die Politik mit weithin irrationalen Konflikten und gefährden den Frieden der Gemeinschaft, denn generell wirft „der Zusammenstoß alternativer symbolischer Sinnwelten.. .automatisch die Machtfrage auf..." (Berger/Luckmann) 158 . Die Kritik des „Enthusiasm" ist zentrales Motiv Humes; mehr noch: sie bestimmt wesentlich sein Selbstverständnis als Autor 159 . Auf der anderen Seite sieht er die Parteiensucht an sich bis zu dem Grade zu glauben, daß er den Mut der „guten Sache" haben kann (als ob er die gute Sache sei); wie als ob die Vernunft, der Geschmack, die Tugend von seinem Gegner bekämpft werde". Dagegen behauptet Edmund Burke eine moralisch zivilisierende Wirkung der Parteipolitik, wenn die Parteifreunde selbst „virtuous men" sind: Brief an Dr. William Markham, 9. 11. 1771, Selected Letters, S. 6If. 155 Of Superstition and Enthusiasm, Essays, S. 77: „... enthusiasm produces the most cruel disorders in human society"; John Pocock zufolge: Gibbon's Decline and Fall and the world view of the Late Enlightenment, in: ders.: Virtue, Commerce, and History, S. 143-56, ist Edward Gibbon: The Decline and Fall of the Roman Empire, in dieser Hinsicht durch Hume beeinflußt. Siehe zur Theorie verzerrter Kommunikation auch Schriften von J. Habermas. 156 History, Bd. V, S. 493f.; ähnlich A. Smith: TMS, S. 177. Diese Idee verallgemeinert B. Nelson: Zivilisatorische Komplexe und interzivilisatorische Begegnungen, in: ders.: Der Ursprung der Moderne, S. 79f. 157 Diese Frage behandelt interessant Livingston: Hume's Philosophy of Common Life, S. 313ff.; s. a. ders.: Hume's Historical Conception of Liberty, in: Capaldi/Livingston (Hg.): Liberty in Hume's History of England. 158 Berger/Luckmann: Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit, S. 116f. 159 Siehe ζ. B. Humes Aussage, angesichts des Konflikts zwischen den „Hannoveranern" (meist Whigs) und „Jacobiten" (meist Tories): Of the Protestant Succession, Essays, S. 507. Hier wie anderswo

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bildung überhaupt als unvermeidliche Folge und Bedingung einer freien Regierung an, die wesentlich deshalb frei ist, weil sie die Artikulation und Organisierung verschiedener Interessen und politischer Programme zuläßt. Darüber hinaus sind die Parteien ein unverzichtbar belebendes Moment der politischen Kultur160. Und Hume räumt ein, daß historisch gerade die Unbeugsamkeit und Opferbereitschaft der Puritaner, die von der anderen Seite aus betrachtet als Fanatismus erscheint, Bedingung der Herausbildung des englischen freien politischen Systems war; Fanatismus erzeugt (in diesem Fall) in einem dialektischen Moment Freiheit161. Hume ist daher - im Gegensatz zu Rousseau162 - expliziter politischer Pluralist. Dabei verhält er sich zu dem doppelten Gegensatz von „Court"/„Country" sowie „Whigs" und „Tories" nicht symmetrisch, denn während er den ersten als legitime und in einer freien Regierung unvermeidbare Darstellung der Spannung von „Freiheit" und „Autorität" akzeptiert163, die etwa dem Gegensatz von Zentralität und Dezentralität entspricht, sind in dem Gegensatz von Whigs und Tories historisch zufallige Streitfragen zu prinzipiellen Ideologemen hypostasiert und dazu verknüpft mit dem dynastischen Gegensatz von Stuarts und Hannoveranern. „Some... seem inclined to think", schreibt Hume, „that the difference [zwischen Whigs und Tories] is now abolished, and that affairs are so far returned to their natural state, that there are at present no other parties among us but court and country..." In Wahrheit bestehe der Gegensatz aber noch und „this may convince us, that some biass [sic] still hangs upon our constitution, some extrinsic weight, which turns it from its natural course, and causes a confusion in our parties"164. Dem Fanatismus setzt Hume die skeptisch begründete Haltung der Moderation entgegen165, die Bestandteil seines Ideals modernen, aufgeklärten, zivilisierten Lebens ist166,

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drückt Hume aber auch Skepsis hinsichtlich der Verallgemeinerungsfahigkeit einer solchen „philosophischen" Haltung aus. Siehe die Essays über Parteien, sowie: Idea of a Perfect Commonwealth, Essays, S. 525: „The chief support of the British government is the opposition of interests; but that, though in the main servicable, breeds endless factions"; History of England, Bd. V, Note J, S. 556: „... the parties of court and country; parties, which..., while they often threaten the total dissolution of the government, are the real causes of its permanent life and vigour"; ibid., S. 95: ,Amidst these disputes [zwischen „Court" und „Country" zur Zeit von James I], the wise and moderate in the nation endeavoured to preserve, as much as possible, an equitable neutrality between the opposite parties; and the more they reflected on the course of public affairs, the greater difficulty they found in fixing just sentiments with regard to them. On the one hand, they regarded the very rise of parties as a happy prognostic of the establishment of liberty; nor could they ever expect to enjoy, in a mixed government, so invaluable a blessing, without suffering that inconvenience, which, in such governments, has ever attended it". J. G. A. Pocock: Hume and the American Revolution: The Dying Thoughts of a North Briton, in: D. F. Norton et al. (Hg.): McGill Hume Studies, San Diego, 1979, S. 325-43, hier S. 338. J. J. Rousseau: Vom Gesellschaftsvertrag, in: ders.: Politische Schriften, Bd. 1, Buch 2, Kap. 3, S. 88. Emst Fraenkel besonders hat Rousseaus Antipluralismus kritisiert, siehe a. a. O. „Thus are there parties of PRINCIPLE involved in the very nature of our constitution, which may properly enough be denominated those of COURT and COUNTRY. ... But however the nation may fluctuate between them, the parties themselves will always subsist, so long as we are governed by a limited monarchy. ... Thus Court and Country, which are the genuine offspring of the BRITISH government, are a kind of mixed parties, and are influenced both by principle and by interest", Of the Parties of Great Britain, Essays, S. 65. Ibid., S. 71f. J. Kulenkampff bezieht sich auf Humes Unterscheidung eines „unsinnigen radikalen Skeptizismus, der behauptet, es gebe keine Erkenntnis, und der mit philosophischen Dogmatismen auf gleichem Fuße steht..., von jener Skepsis..., die keine Doktrin, sondern eine Geisteshaltung ist und zu der

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der er jedoch auch Bedeutung für die Politik beimißt 167 . Dieses Konzept schließt erstens die an sich nicht originelle Aufforderung ein, die Extreme zu vermeiden 168 , zweitens die Aufforderung, das eigene Denken an den Erfahrungen der Lebenspraxis zu orientieren anstatt an Ideologien, und außerdem die Forderung, selbständig zu urteilen, denn die Gefahr der Ideologien geht von ihrer Suggestionskraft auf Massen aus, während einzelne, auch viele einzelne Ideologien weniger schädlich sind. Der Zusammenhang mit der Kritik historischer Mythen liegt offen: Eine Gesellschaft, die ihre eigene historische Bedingtheit nicht oder - schlimmer - falsch versteht, lernt auf pathologische Weise, entfremdet sich und wird instabil, weil die Beziehung zwischen gesellschaftlicher Lebenspraxis und gesellschaftlichem Denken gestört ist. Das ist nach Humes Einsicht in England der Fall, und die Hauptverantwortung dafür fallt auf die Whigs, die das politische Grundverhältnis von „Autorität" und „Freiheit" einseitig zugunsten der letzteren auflösen: „The Whig party, for a course of near seventy years, has, almost without interruption, enjoyed the whole authority of government... But this event, which, in some particulars, has been advantageous to the state, has proved destructive to the truth of history, and has established many gross falsehoods, which it is unaccountable how any civilized nation could have embraced with regard to its domestic occurrences. Compositions the most despicable, both for style and matter, have been extolled, and propagated, and read... And forgetting that a regard to liberty, though a laudable passion, ought commonly to be subordinate to a reverence for established government, the prevailing faction has celebrated only the partizans of the former, who pursued as their object the perfection of civil society, and has extolled them at the expence of their antagonists, who maintained those maxims, that are essential to its very existence" 169 . „Ancient Constitution" und Feudalismus Das britische politische Denken des 18. Jahrhunderts stellte zwei legitimatorische Basisideologien bereit: die weniger gewichtige Theorie des Sozialvertrages und die Theorie der „ancient constitution", die, im 17. Jahrhundert unter dem Einfluß der „Common Law"-Tradition entwickelt, konstitutiv für das „Country"-Denken war 170 , seit dem Anfang des Jahrhunderts aber auch kritisch diskutiert wurde 171 . Für die Positionierung Humes ist bezeichnend, daß er beide Theorien kritisierte. Seine Kritik des Sozialvertrages, implizit Lockes 172 , ist bekannt. Und die History of England kann als breit angelegte

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Hume sich bekennt", D. Hume: Abriß eines neuen Buches, betitelt: Ein Traktat über die menschliche Natur, etc. Brief eines Edelmannes an seinen Freund in Edinburgh, hg. v. J. Kulenkampff, Hamburg, 1980, Einleitung, S. 22; siehe zum Aufklärungsskeptizismus auch Stuart Brown: The „Principle" of Natural Order: Or what the enlightened sceptics did not doubt, in: ders. (Hg.): Philosophers of the Enlightenment, Brighton, 1979, S. 56-76. Hier ist sicher Horaz ein Einfluß, siehe bes. die erste seiner Satiren, Nördlingen, 1985. Siehe bes. die beiden Essays über Parteien. Interessante Ausführungen zur „Moderation" in der Politik finden sich in Briefen Edmund Burkes: Selected Letters, S. 254ff., S. 279. Ζ. B.: History of England, Bd. VI, S. 533f. Ibid. Siehe J. G. A. Pocock: The Ancient Constitution and the Feudal Law. D. Forbes: Hume's Philosophical Politics, Kap. 8, l.Abschn.; Pocock: Josiah Tucker on Burke, Locke and Price, A Study in the varieties of eighteenth-century conservatism, in: ders.: Virtue, Commerce, and History, S. 157-91, hier S. 180f. Of the Original Contract, Essays, Ende.

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Widerlegung der Theorie der „ancient constitution" gelesen werden, der er die Behauptung entgegenstellt, im 17. Jahrhundert habe eine wirkliche Revolution der englischen Verfassung stattgefunden, nicht etwa nur eine Rückkehr zu einer im mythischen Dunkel der Vergangenheit 173 verankerten ursprünglichen englischen Verfassung, wie die Revolutionäre des 17. Jahrhunderts glaubten oder Glauben machen wollten und wie Whigs, Republikaner und „ Country "-Anhänger noch im 18. Jahrhundert vertraten 174 . Dieser politische Mythus setzt sich aus mehreren Komponenten zusammen, erstens der durch die Montesquieu-Rezeption bestärkten, auf Caesar und Tacitus zurückgehenden Vorstellung einer ursprünglichen allgemein-germanischen Stammesdemokratie als Wurzel auch der englischen Freiheitsrechte. Der angelsächsische Held dieser Vorstellung ist Alfred der Große, den auch Hume positiv beurteilt175, nicht ohne den Hinweis, der historische Abstand zwischen den modernen, zivilisierten Nationen Europas und den barbarischen Angelsachsen sei zu groß für die Vorstellung einer konstitutionellen Kontinuität über die Jahrhunderte hinweg. „Above all, a civilized nation, like the English, who have happily established the most perfect and most accurate system of liberty that was ever found compatible with government, ought to be cautious in appealing to the practice of their ancestors, or regarding the maxims of uncultivated ages as certain rules for their present conduct" 176 . Die Anhänger der These der „ancient constitution" gingen entweder von einer Kontinuität der Verfassung seit der angelsächsischen Zeit aus oder von einem historischen Bruch der englischen Freiheitstradition durch die normannische Eroberung, den „Norman Yoke", verstanden als gewaltförmige Fremdherrschaft durch eine herrschende Minderheit, eine besonders bei „radicals" beliebte Variante, die dazu neigten, König und Adel als Abkömmlinge und Nachfolger der normannischen Unterdrücker zu identifizieren, unter deren Herrschaft das englische Volk immer noch seufze und die es abschütteln müsse, um zur alten englischen Freiheit zurückzukehren 177 . Zum Mythus der „ancient constitution" gehörte weiter die Vorstellung, in der Magna Carta seien vorpolitische Grundrechte, „birthrights", aller freien Engländer festgelegt. Hume akzeptiert diesen Teil des Whig-Mythos mit Einschränkungen, indem er auf einen nicht intendierten Prozeß der Verallgemeinerung von Rechten hinweist, die Feudalfursten als Privilegien gegenüber einer temporär schwachen Monarchie durchgesetzt hatten 178 . Drittens gehört zu diesem

173 E. Cassirer: Versuch über den Menschen, S. 340: „Das mythische Denken ist seinem Ursprung und seinem Prinzip nach traditionales Denken. Denn der Mythos kann die gegenwärtige Form des Lebens nur verstehen, erklären und deuten, indem er sie an eine ferne Vergangenheit zurückbindet. Was in dieser mythischen Vergangenheit wurzelt, was es seither immer gegeben hat, was seit unvordenklichen Zeiten existiert, daß [sie] ist gewiß und unzweifelhaft". 174 Siehe Livingston: Hume's Philosophy of Common Life, S. 253ff. und generell das 9. Kap. ; Ε. F. Miller: Hume on Liberty in the Successive English Constitutions, in: Capaldi/Livingston (Hg.): Liberty in Hume's History of England, S. 58, S. 78f. u. pass. Siehe auch den Brief Humes an Catherine Macaulay v. 29. 3. 1764, New Letters, Nr. 40; fur den historiographischen Kontext: R. C. Richardson: The Debate on the English Revolution. Siehe auch die Kritik des Mythos der Ancient Constitution durch Josiah Tucker: A Treatise concerning Civil Government, S. 60f. 175 History of England, Bd. I, Kap. II. 176 Ibid., Bd. II, S. 525. 177 Siehe Ch. Hill: The Norman Yoke, in: ders.: Puritanism and Revolution, S. 58-125; Pocock: Ancient Constitution, kommentiert diese These pass., auch in bezug auf den Aufsatz von Hill. 178 Siehe E. F. Miller: Hume on Liberty, in: Capaldi/Livingston (Hg.): Liberty in Hume's History, S. 68f.; ähnlich die Position Tuckers: Treatise concerning Civil Government, S. 165f., sowie Adam Ferguson: Principles, Bd. I, S. 314.

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Mythus die Perzeption der Tudorherrschaft und insbesondere die Elisabeths I als einer milden und volkstümlichen Herrschaft, die, basierend auf der Zustimmung des Volkes, die traditionellen englischen Freiheiten in vollem Umfange respektiert habe. Dieses Moment diente den Whigs dazu, die Stuarts um so mehr als die Schurken im Revolutionsdrama des 17. Jahrhundert erscheinen zu lassen, die durch Papismus und Absolutismus die englische Freiheit radikal bedroht hätten, weshalb sich das Volk radikal zur Wehr setzen mußte. Immerhin waren die Hinrichtung eines Monarchen und eine de facto Absetzung eines zweiten zu legitimieren, auch wenn sich eine staatsrechtlich moderierende Umdeutung der „Glorious Revolution" als Selbstabdankung durchsetzte und eine Rehabilitation Cromwells nach 1688 allenfalls für eine minoritäre politische Strömung in Frage kam. Durch seine Kritik der „ancient constitution" und besonders durch seine Weigerung, die ideologische Verdammung der Stuarts nachzuvollziehen, setzte sich Hume in Gegensatz zu den Whigs, übernahm aber auf der anderen Seite genug von der ^^-Interpretation der jüngeren englischen Geschichte, um auch den Tories verdächtig zu sein und so zwischen die Parteifronten zu geraten179. Den Mythus der „ancient constitution" hält Hume für eine Rationalisierung im psychologischen Sinne, die das Bedürfnis nach Identität befriedigt, die tief in der Vergangenheit verankert wird, aber auch für politische Zweckideologie, die der Beförderung von Parteiinteressen dient. In jedem Fall gewinnt der Mythus eine gewisse Selbständigkeit als Ideologem, das der rationalen Kritik entzogen wird, weil seine Identitätsfunktion zu wichtig ist, und mit großer Sensibilität nimmt Hume wahr, daß Ideologeme wie dieses, die sich mit Interessenlagen verbinden, die Erkenntnisfähigkeit, auch Selbsterkenntnis, der englischen Gesellschaft systematisch blockieren. Seine kritischen Beiträge zur politischen Theorie erweisen sich so als bewußte Interventionen, die polemisch auf zeitgenössische Irrtümer bezogen sind, sein Denken und seine Texte sind daher hochgradig kontextual strukturiert180. Inhaltlich drückt die Kritik des Mythus der „ancient constitution" Humes Weigerung aus, die spezifischen Errungenschaften moderner Zivilisation durch ihre romantisch-nostalgische Verankerung in der Geschichte zu verleugnen. Sein Bruch mit den Whigs kann daher keinesfalls als Parteinahme für die Tories verstanden werden, weil sein Standpunkt spezifisch modern ist. Und diese Modernität bedingt, weil sie auf rationalisierende und legitimierende Mythen verzichtet, einen erhöhten Bedarf rational durchsichtiger Legitimation: die Moderne soll und muß sich selbst begründen, eine Entzauberung des tradierten Denkens, die gleichzeitig Voraussetzung ist für einen rationalen Umgang mit den negativen Momenten der Moderne; erst wenn so der Glaube an eine gleichsam ewige englische Freiheit aufgegeben ist, wird deutlich, wie neu und prekär die moderne englische Freiheit tatsächlich ist. Humes History ist daher als Aufklärung - der Engländer über sich selbst - intendiert181. Sie wurde trotz oder wegen Humes 179 Siehe: Letters, Bd. I, Nr. 122, an John Clephane, S. 237; instruktiv hierzu: Livingston: Hume's Philosophy of Common Life, S. 263. 180 Die Kontextualität der politischen Theorie Humes betont: R. H. Dees: Hume and the Contexts of Politics, JHP, 1992: 30, S. 219-42. 181 P. Jones: On Reading Hume's History of Liberty, in: Capaldi/Livingston (Hg.): Liberty in Hume's History of England, S. 1-23, stellt eine interessante Analogie zu Humes Moralphilosophie her, S. 20: „In a famous passage, [Hume] states that „the constant habit of surveying ourselves, as it were, in reflection, keeps alive all the sentiments of right and wrong, and begets in noble natures a certain reverence for themselves as well as others, which is the surest guardian of every virtue" (Principles of Morals...). We can now see that the study of history is the social analogue of the personal „survey

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parteiunabhängiger Position zur Standardinterpretation der englischen Geschichte bis weit in das 19. Jahrhundert hinein182 und bildet zusammen mit Werken von William Robertson, dem anderen bedeutenden schottischen Historiker des 18. Jahrhunderts, den Ausgangspunkt einer neuartig wissenschaftlichen britischen Historiographie183. Wollte Hume in der History of England zeigen, wie die moderne englische Gesellschaft sich in einem Prozeß nicht-intendierter Folgen aus der Feudalgesellschaft entwickelt hat184, sprengt er das traditionelle historiographische Modell der chronologischen Narration von „Haupt- und Staatsaktionen" insbesondere in den Abschnitten, in denen die Ereignisgeschichte durch zusammenfassende Darstellungen der Umwälzungen im Gesamt des Zivilisationsprozesses untermauert wird185. Diese Ansätze werden zusammen mit Arbeiten Montesquieus durch eine Reihe schottischer Autoren zu einer sozialtheoretischen Vertiefung der Historiographie genutzt186, die evolutionstheoretisch und universalgeschichtlich erweitert wird187 und an der Erkenntnis dynamischer, langfristiger 188

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Gesellschaftsprozesse ausgerichtet ist . Daran sind Adam Smith , Lord Kames , John Dalrymple191, William Robertson192, Adam Ferguson193, John Miliar194 und

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... in reflection", whereby a nation can review itself with hindsight and, by the same token, learn to contemplate its present in an impartial and disinterested manner". N. Capaldi/D. W. Livingston (Hg.): Liberty in Hume's History of England, Preface. J. Osterhammel: Nation und Zivilisation in der britischen Historiographie von Hume bis Macaulay, HZ, 1992. Siehe D. Forbes: Hume's science of politics, in: G. P. Morice (Hg.): David Hume, S. 41. Als Credo formuliert: History, Bd. V, S. 124, Bd. VI, S. 140. Die wichtigsten dieser Abschnitte sind: Bd. I, Appendix I, Appendix II, Bd. II, S. 518ff., Bd. III, S. 72fT., 135ff., S. 431ff., Bd. IV, Appendix III, Bd. V, Appendix to the Reign of James I, Bd. VI, Kap. LXII, S. 140ff., Kap. LXXI, S. 530-45. A. F. Tytler-Lord Woodhouselee bezeichnet Humes History als,justly termed a Philosophical History", weil Hume „intersperses his narrative with philosophical sentiments, giving enlarged and general views of human nature, in aspects both moral and political", Memoirs of the Life and Writings of the Honourable Henry Home of Kames, Bd. I, S. 388; s. a. J. W. Danford: Hume's History and the Parameters of Economic Development, in: Capaldi/Livingston (Hg.): Liberty in Hume's History of England, S. 155-94; siehe zum theoretischen Hintergrund Η. U. Wehler (Hg.): Geschichte und Soziologie, Königstein/Ts., 2. Aufl., 1984. In einen weiteren ideengeschichtlichen Kontext gerückt bei H. Medick: Naturzustand und Naturgeschichte der bürgerlichen Gesellschaft; siehe zu einem speziellen Aspekt die entsprechenden Kapitel in P. Stein: Legal Evolution; W. Nippel: Griechen, Barbaren und „Wilde", Aufsatz 3; J. Osterhammel: Nation und Zivilisation in der britischen Historiographie, HZ, 1992; zur schottischen Historiographie im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts: J. Dwyer: Clio and Ethics, EC, 1989. J. Osterhammel: Nation und Zivilisation in der britischen Historiographie von Hume bis Macaulay, HZ, 1992, S. 320f.; P. Bowles: The Origin of Property and the Development of Scottish Historical Science, JHI, 1985: 46, S. 197-209. Moderne Beiträge sind J. Habermas: Zur Rekonstruktion des Historischen Materialismus, Ffm., 2. Aufl., 1976; K. Eder: Die Entstehung staatlich organisierter Gesellschaften. Ein Beitrag zu einer Theorie sozialer Evolution, Ffm., 1980; N. Luhmann: Geschichte als Prozeß und die Theorie sozio-kultureller Evolution, in: ders.: Soziologische Aufklärung 3. Soziales System, Gesellschaft, Organisation, Opladen, 1981, S. 178-97. Siehe F. Braudel: Geschichte und Sozialwissenschaften - Die „longue duree" (1958), in: H. U. Wehler (Hg.): Geschichte und Soziologie, S. 189-215. Bes. die „Lectures on Jurisprudence" und der „Wealth of Nations". Bes.: Historical law tracts, 1758; Sketches of the History of Man, 1774; s. a. W. Lehmann: Henry Home, Lord Kames, Kap. XII; I. S. Ross: Lord Kames and the Scotland of his Day, Kap. 11 und 17. An Essay towards a General History of Feudal Property in Great Britain, 1757. Siehe bes. den 1. Band seiner „History of the Reign of the Emperor Charles V" mit dem Titel: A View of the Progress of Society in Europe, from the Subversion of the Roman Empire to the Beginning of

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andere195 beteiligt, die verschiedene Konzepte zur theoretischen Erfassung von Stadien der Sozialevolution entwickeln, orientiert an der leitenden Idee der Messung gesellschaftlichen Fortschritts an der „Zivilisierung", wobei auch nach dem Bedingungsgefuge der verschiedenen Zivilisationstypen und ihren Übergängen gefragt wird. Blicken diese Autoren im allgemeinen auf die Vergangenheit vom Standpunkt der modernen, sich in Westeuropa verallgemeinernden „Civil Society" als Maßstab, so ist Ferguson wohl jener Autor, der einem ethnographischen Relativismus am nächsten kommt, dem die moderne „Civil Society" nicht α limine überlegen gilt196. Humes History of England ist weniger anspruchsvoll, aber auch er sucht am Beispiel der englischen Gesellschaftsgeschichte die zivilisatorischen Umwälzungen im Übergang von einer barbarischen (unzivilisierten) Gesellschaft zu einer feudalen und von dieser zu einer modernen, zivilisierten, kommerziellen Gesellschaft nachzuvollziehen 197 . Drei Besonderheiten der englischen Entwicklung fallen prima facie auf: die Tatsache, daß in England nicht die Germanen römisches Gebiet eroberten, sondern die Römer erobertes Gebiet aufgaben, die spätere Tatsache der Eroberung der relativ rückständigen angelsächsischen Gesellschaften durch die fortgeschritteneren kontinentalen Normannen, die einen voll entwickelten Feudalismus nach England brachten, und die Tatsache, daß England die freieste Gesellschaft unter den europäischen Monarchien und seit dem 18. Jahrhundert auch ökonomisch das erfolgreichste Land war. Vor allem diese letzten Tatsachen waren zu erklären, doch dazu ist auf Humes Analyse des Niedergangs des englischen Feudalsystems einzugehen 198 . Der Begriff des Feudalsystems 199 , auf dem mittelalterlich-neulateinischen juristischen Begriff „feudum" beruhend, war durch den schottischen Juristen Thomas Craig (1538-1608) und, daran anknüpfend, durch den Engländer Henry Spelman (1562-1641) in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts analytisch zu einem Typus sozialer Herrschaft ausgebaut worden, dem bestimmte politische Institu-

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the sixteenth Century, 1769; siehe dazu Edmund Burke: Brief v. 7. 6. 1777 an Robertson, Selected Letters, S. 101-3. Essay on the History of Civil Society, 1767. Observations concerning the distinctions of ranks in society (später u. d. T: The origin of the distinction of ranks), 1771; An Historical View of the English Government from the Settlement of the Saxons in Britain to the Revolution in 1688, 1787/1801; unveröffentlichte Vorlesungen in verschiedenen schottischen Büchereien; siehe die unveröffentlichte Doktorarbeit von Paul Bowles: John Millar's Science of Society, London School of Economics, 1984; ders.: John Millar, the four-stages theory, and women's position in society, ΗΡΕ, 1984: 16, S. 619-38; ders.: John Millar, the legislator and the mode of subsistence, HEI, 1986: 7, S. 237-51. Zu nennen ist auch Gilbert Stuart: A View of Society in Europe, in its Progress from Rudeness to Refinement, 1778, deutsch: Abriß des gesellschaftlichen Zustandes in Europa, in seinem Fortgange von Rohigkeit zu Verfeinerung. Oder Untersuchungen, die Geschichte der Gesetze, der Regierungsform und der Sitten betreffend, Leipzig, 1779. Siehe die Einleitung von Zwi Batscha und Hans Medick zu ihrer deutschen Ausgabe von Fergusons: Essay on the History of Civil Society: Versuch über die Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft, hg. u. eing. v. Z. Batscha/H. Medick, Fftn., 1988, S. 38ff. Norbert Waszek weist auf ein Fragment des jungen Hegel hin, in dem dieser Hume als „historian of modern times" auffaßt, The Scottish Enlightenment and Hegel's Account of „Civil Society", S. 122f. Kames betont besonders die Bedeutung des Studiums des Feudalsystems für das Verständnis des zeitgenössischen Rechts, siehe den Auszug aus dem Vorwort zu den Historical Law Tracts (2. ed., Edinburgh, 1761), in: W. C. Lehmann: Henry Home, Lord Kames, S. 315f. Siehe ideengeschichtlich Otto Brunner: Feudalismus, feudal, in: GG-Lexikon, Bd. II; Pocock: The Ancient Constitution and the Feudal Law, bes. Kap. IV und V.

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tionen korrespondieren, und hatte durch französische antiabsolutistische Autoren wie Henry de Boullainvilliers und Montesquieu in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts als europäischer Epochenbegriff Verbreitung gefunden 200 . Die erste systematische Verwendung des Begriffs „Feudal System" findet sich, soweit ich sehe, in John Dalrymples „An Essay towards a General History of Feudal Property in Great Britain" 1757201. Die 0 ΠΟ

ΛΛ^

Durchsicht von Humes History ergibt die Verwendung von: „Feudal System" , „Feudal Law" 204 , „Feudal Government" 205 , „Feudal Property" 206 , „Feudal Institutions" 207 , „Feudal Parliament" 208 , „Feudal Kingdom" 209 , „Feudal Tenures" 210 , „Feudal Barons" 211 , „Feudal Services" 212 , „Feudal Dependencies" 213 , „Feudal Subordination" 214 , „Feudal Constitution" 215 und „Feudal Ideas" 216 . Im Appendix über „The Feudal and Anglo-Norman Government and Manners" bezieht sich Hume auf Montesquieus „Esprit des Lois" und William Robertsons „History of Scotland" als Quellen 217 , versteht sich also nicht als Pionier der Analyse des Feudalsystems 218 . Deutlich hat er den Übergang von der älteren Fixierung auf das juristische Gefolgschaftsverhältnis zur Idee des Feudalismus als Totalität einer organisierten Gesellschafts- und Herrschaftsform vollzogen. Aus der History geht jedoch nicht hervor, daß Hume den spezifischen Bezug zur europäischen Geschichte universalgeschichtlich sprengt, wie dies später versucht wird 219 . Nach Eugene Miller 220 unterscheidet Hume zwei Phasen des englischen Feudalismus, eine Phase nach der normannischen Eroberung, die wegen der Oktroyierung des konti200 Siehe zu Montesquieu: J. N. Shklar: Montesquieu, S. 115ff. 201 Benutzte Ausgabe, London, 4. ed., 1759. Siehe P. Burke: Scottish historians and the feudal system: the conceptualisation of social change, SVEC, 1980: 191, S. 537-9. Nach den Zitierungen zu urteilen ist Dalrymple stark durch Thomas Craig beeinflußt. Samuel Johnsons Dictionary kennt den Begriff „Feudalismus" als Epochen- oder Herrschaftsbegriff nicht. 202 Die hier zugrundegelegte Ausgabe beruht auf der ersten posthumen Ausgabe von 1778. Hume bezieht sich sowohl auf Craig als auch auf Spelman. 203 Bd. II, S. 331 f. 204 Bd. I, S. 203f., S. 279, S. 437, S. 455ff. u. pass. 205 Bd. I, S. 437, S. 455, S. 460f„ S. 463, S. 469, S. 472, Bd. II, S. 520. 206 Bd. I, S.279, S.461,S. 478. 207 Bd. I, S. 372ff., S. 486. 208 Bd. I, S. 455, S. 466. 209 Bd. I, S. 461, S. 474. 210 Bd. I, S. 459, Bd. II, S. 523. 211 Bd. I, S. 473, Bd. II, S. 332. 212 Bd. I, S. 459. 213 Bd. I, S. 459. 214 Bd. I, S.460. 215 Bd. I, S.462f. 216 Bd. I, S. 468. 217 Bd. I, S. 455, Note m. 218 Der Begriff „Feudalsystem" findet sich etwa zur gleichen Zeit auch in Blackstones Commentaries, ζ. Β. Bd. I (1765), S. 354, S. 398, und bes. Bd. II (1766), Kap. 4. William Robertson behandelt den Begriff „Feudalsystem" Ende der 1760ger Jahre als eine eingeführte Kategorie, A View of the Progress of Society in Europe, Works, Bd. IV, S. 15. 219 Siehe die zusammenfassende Diskussion von Perry Anderson: Die Entstehung des absolutistischen Staates, S. 514ff. 220 E. F. Miller: Hume on Liberty in the Successive English Constitutions, in: Capaldi/Livingston (Hg.): Liberty in Hume's History of England, S. 65 f f , auch fur das folgende.

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nentalen Feudalsystems auf eine relativ rückständige gesellschaftliche Basis, der Einfuhrung in einem Zuge unter der Direktion eines übermächtigen Monarchen und der anhaltenden Spaltung der Gesellschaft in zwei Ethnien einen verhältnismäßig stark zentralisierten Feudalismus mit einer starken Monarchie hervorbringt. Erst mit der Magna Carta und ihrer realpolitischen Anerkennung durch folgende englische Monarchen „normalisiert" sich gleichsam der englische Feudalismus, indem auch in England die großen Feudalherren die monarchische Macht ausbalancieren, ja, sich in der Folge soweit von der Königsmacht emanzipieren, daß in der Zeit Edwards ΠΙ und Richards Π die Einheit des Reiches gefährdet erscheint: „Men openly associated themselves, under the patronage of some great baron... Their chief was more their sovereign than the king himself; and their own band was more connected with them than their country. Hence the perpetual turbulence, disorders, factions, and civil wars of those times... If the king had possessed no arbitrary powers, while all the nobles assumed and exercised them, there must have ensued an absolute anarchy in the state. .. .the whole force of the feudal system [als einheitliches Rechtssystem] was in a manner dissolved" 221 . Das ist die Verfallsform des Feudalismus, die als negative Vorstellung quasi-anarchischer Gesellschaftszustände den Hintergrund fur das Urteil der Schotten über den historischen Wert absolutistischer und später parlamentarischer Regime bildet222. Wie analysiert Hume die Auflösung und Überwindung des Feudalsystems? Hier stoßen wir auf eine historisch-dialektische Leerformel: „There is a point of depression, as well as of exaltation, from which human affairs naturally return in a contrary direction, and beyond which they seldom pass either in their advancement or decline" 223 . Dieser Satz bezieht sich auf die europäische Perspektive des Niedergangs der Zivilisation und Kultur nach dem Zusammenbruch des römischen Reiches bis zur Renaissance, wobei das englische Mittelalter als eine „series of many barbarous ages" 224 erscheint. Hume müßte nun seine Leerformel historisch substantiieren, also zeigen, welche historischen Prozesse den Kulturverfall aufgehalten und die Renaissance begründet haben. An dieser Stelle finden wir den Hinweis auf den historischen Zufall der Entdeckung einer Kopie von Justinians Pandekten in Amalfi um das Jahr 113 0 225 , der dazu geführt habe, daß das römische Recht durch die Kirche, die am Schutz ihrer Besitzungen vor feudalen Übergriffen interessiert war, in ganz Europa verbreitet wurde und zu einem Aufschwung der Jurisprudenz 226 führte, was in England die Spaltung des Rechts in „Canon Law", „Common Law" und „Statute Law" zur Folge hatte. Diese historische Erklärung entspricht Humes Idee der Zurückführung der Zivilisation auf die praktische Durchsetzung eines Rechtssystems. William Robertson behauptete demgegenüber, die Kenntnis des römischen Rechts sei auch im Mittelalter nicht vollständig verloren gegangen 227 , so

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History of England, Bd. II, S. 331. Siehe etwa W. Robertson: A View of the Progress of Society in Europe, S. 16. History of England, Bd. II, S. 519. Ibid., S. 518. Ibid., S. 520. Darauf weist auch Blackstone hin: Commentaries, Bd. 1, S. 17f., S. 81 f. Siehe zum Zufall in Humes Geschichtsschreibung Livingston: Hume's Philosophy of Common Life, S. 227ff. 226 J. W. Danford: Hume on Development: The first Volumes of the „History of England", WPQ, 1989: 42, S. 107-27; H. Coing: Roman Law and the National Legal Systems, in: R. R. Bolgar (Hg.): Classical Influences on Western Thought A. D. 1650-1870, Cambridge, 1977, S. 29-37. 227 View of the Progress of Society in Europe, Note 25, S. 384.

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daß der Fund von Amalfi keine isolierte historische Bedeutung habe, und er nimmt daher eine vorlaufende zivilisatorische Entwicklung an228. Auch Smith und Miliar waren nicht von der entscheidenden historischen Bedeutung der Entdeckung der Pandekten überzeugt 229 , und während sich Robertson vor Humes Einsicht in die historische Dialektik verneigte230, offerierte er gleichzeitig einen alternativen Erklärungsansatz der Renaissance, der in erster Linie auf die Kreuzzüge und auf die dadurch induzierten Kontakte des Westens mit dem Orient abhebt, die die Konsumgewohnheiten und Lebensweise der adligen Oberschichten veränderten und zivilisierten231, so wie Andrew Fletcher auf die Bedeutung der italienischen Renaissance als Katalysator veränderter Lebens- und Konsumgewohnheiten hingewiesen hatte. Die These der Raffinierung adliger Konsumgewohnheiten als Motor der Sprengung des Feudalismus wird ebenso von John Dalrymple in Anschlag gebracht, um den erhöhten Geldbedarf des Adels für den konsumtiven Erwerb exotischer Güter und die historische Umwandlung feudaler Dienst- und Naturalleistungen in vertraglich langfristig fixierte Geldrenten zu erklären232, was im Ergebnis der Umwandlung von feudalen Herrschaftsverhältnissen in Pachtbeziehungen zwischen juristisch Gleichen entsprach, ein Übergang, den Hume immanent zu erklären sucht, ohne Rekurs auf externe Kausalitäten, wenn er schreibt: „In proportion as agriculture improved, and money encreased, it was found, that these services [feudale Herrendienste], though extremely burdensome to the villain, were of little advantage to the master; and that the produce of a large estate could be much more conveniently disposed of by the peasants themselves, who raised it, than by the landlord or his bailiff, who were formerly accustomed to receive it. A commutation was therefore made of rents for services, and of money-rents for those in kind; and as men, in a subsequent age, discovered, that farms were better cultivated where the farmer enjoyed a security in his possession, the practice of granting leases to the peasant began to prevail, which entirely broke the bonds of servitude, already much relaxed from the former practices. After this manner, villenage went gradually into disuse throughout the more civilized parts of Europe: the interest of the master, as well as that of the slave, concurred in this alteration" 233 . Diese eher harmonistische Argumentation beruht auf der Idee überlegener Arbeitsmotivation der Selbstinteressiertheit im Verhältnis zu Formen unfreier Arbeit 234 , die sich bereits bei Hutcheson findet und bei späteren schottischen Autoren zu einem Gemeinplatz wird 235 . Aber Hume rekurriert andernorts auch auf die

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Ibid., S. 78f. A. Smith: LJ(A), S. 98; J. Millar: Historical view of the English government, Bd. II, S. 32 If. View of the Progress of Society, S. 24f. Ibid., S. 26ff.; vgl. Β. Nelson: Zivilisatorische Komplexe und interzivilisatorische Begegnungen, in: ders.: Der Ursprung der Moderne, S. 84ff. Über den Einfluß der orientalischen Kunst siehe R. Ettinghausen: Der Einfluß der angewandten Künste und der Malerei des Islam auf die Künste Europas, in: G. Sievernich/H. Budde (Hg.): Europa und der Orient. History of Feudal Property, S. 36. History of England, Bd. II, S. 523f. Soweit ich sehe stimmen alle Schotten überein, zwischen dem Sklavenstatus und feudaler Leibeigenschaft keinen wesentlichen Unterschied zu machen, siehe J. Salter: Adam Smith on Feudalism, Commerce and Slavery, HPT, 1992: 13, S. 219-41. Siehe das Zitat aus Henry Homes: Essays upon Several Subjects Concerning British Antiquities, bei I. Ross: Lord Kames, S. 52; A. Smith: LJ, S. 185ff„ 453f., 523f., 579f. ; J. Millar: Vom Ursprung des Unterschieds in den Rangordnungen und Ständen der Gesellschaft, S. 262; ders.: Notes on Roman

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veränderten Konsumgewohnheiten der Reichen als Grund für die Auflösung feudaler Gefolgschaften, eine Erklärung, deren tragende Idee die mit der Entwicklung der Künste geschaffene Möglichkeit ist, die aus Prestigegründen zur Notwendigkeit wird, den Reichtum in Luxuswaren umzusetzen, anstatt Scharen untätiger „retainer" zu unterhalten 236 . Dieses Argument, das ich die „Konsumverschiebungsthese" nenne, wird bei Smith zentral, der damit die charakteristisch moderne Umwandlung einseitiger, persönlicher Abhängigkeiten, die die persönliche Initiative ersticken, in marktvermittelte Tauschbeziehungen begründet, die zwischen abstrakt gleichen Partnern stattfinden, die nicht voneinander, sondern nur vom Funktionieren der Märkte überhaupt abhängen: das typische Verhältnis der „commercial society", das gleichzeitig die soziologische Basis der modernen Republik bildet 237 . Absolutismus und Miliz Der abschließende Faktor der Überwindung des Feudalsystems war nach Hume das endgültige Übergewicht der Monarchie gegenüber dem Hochadel 238 , das den Zyklus im Verhältnis Monarchie - Adel schließt. Mit dieser ebenfalls von anderen Schotten geteilten Position stellt sich Hume erneut gegen den Mythus der Kontinuität freiheitlich-demokratischer Institutionen. Die von ihm beschriebene historische Dialektik, die ein bedeutendes Exempel des Gesetzes gegenläufiger Folgen sozialen Handelns darstellt, zeigt, wie die Monarchie zunächst den Hochadel niederringt und dann, als die Vermittlungsfunktion des Adels zwischen Monarchie und Volk entfallen war, die etwa Montesquieu für unverzichtbar für die Monarchie hielt 239 - als „pouvoir intermediaire" und gleichsam sozialer „Schutzwall" -, selbst vom Volk attackiert wird. Diese historische Dynamik mündet zunächst in das kurzlebige Cromwellsche Commonwealth, das Hume als Quasi-Despotie versteht 240 , und ist nach seiner Auffassung noch nicht beendet. Pointiert formuliert, fungierte die Monarchie als Geburtshelferin der Freiheit aus der feudalen Anarchie. Die Gefahr bei diesem Prozeß liegt offensichtlich in der Möglichkeit der Verselbständigung der Monarchie in einen selbstperpetuierenden Absolutismus, darin, daß der zweite Übergang der historisch-dialektischen Bewegung nicht gelingt. Dies war nach John Miliar in Frankreich der Fall241, und auch Hume schreibt: „In most nations, the kings, finding arms to be dropped by the barons, who could no longer endure their former

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Law, 1788/89, R. Ferguson, Glasgow-University: MS Murray 78-82, Bd. Ill: Notes on Jurisprudence - 1789, S. 105. History of England, Bd. III, S. 76f., S. 80, unter Hinweis auf die ökonomischen Folgen der Entdekkung Amerikas: Bd. IV, App. III, S. 384, weiterhin: Bd. V, S. 134. Eine analoge Stelle bei Hume ist: History of England, Bd. IV, App. III, S. 384. Siehe: History of England, Bd. II, S. 525. Esprit des Lois, Bd. I, Buch II, Kap. IV; siehe davor Francis Bacon: Über den Adel, in: Essays, oder praktische und moralische Ratschläge, hg. v. L. L. Schücking, Stg., 1980. Of Public Credit, Essays, S. 358; s. a.: Idea of a perfect Commonwealth, Essays, S. 527. Im Rahmen des Paradigmas des „Kreislaufs der Verfassungen" mündete der Kampf zwischen Monarchie und Volk entweder in eine Anarchie oder eine Despotie, Regimeformen, die jedoch beide instabil sind und in das jeweils andere umschlagen, wobei die Despotie wohl als behauptungsfahiger angesehen wurde. J. Millar: Historical View of the English Government, Bd. III, S. 117ff. ; ders.: Lectures on government, Skene, Bd. I, S. 38, S. 130; ders.: Lectures on government, delivered in The University of Glasgow by John Miller [sic], Esq., 1783 [wahrscheinlich 1785], Alexander Campbell, Glasgow University, MS Gen. 179, S. 69f.

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rude manner of life, established standing armies, and subdued the liberties of their kingdoms"242, um mit charakteristischer Sympathie fur die moderne, zivilisierte Monarchie, verglichen mit der feudalen Anarchie, fortzufahren: „But in all places, the condition of the people, from the depression of the petty tyrants, by whom they had formerly been oppressed, rather than governed, received great improvement, and they acquired, if not entire liberty, at least the most considerable advantages of it"243. Dieses nach mechanischer Analogie formulierte Modell besteht in der Idee des Aufstiegs der Monarchie zu einem (in England nur zeitweiligen) Absolutismus aufgrund der Doppelbewegung der Schwächung des Hochadels und der Stärkung des Volkes, sagen wir: von niederem Adel und Bürgertum, anfänglich besonders gefordert durch die monarchische Gewährung städtischer Selbstverwaltungsrechte und Privilegien244, später durch die allgemeine Belebung von Handel, Produktion und Kultur. Ab einem bestimmten Moment balancieren und neutralisieren sich Adel und „Commons" als gesellschaftliche Machtkomplexe gegenseitig und diesen Moment der Schwächung des Adels ohne Herrschaftsfähigkeit des Volkes nutzten die Monarchien, um sich zum Absolutismus aufzuschwingen, was nach Hume in England die Tudors, Henry VII, vor allem Henry VIE, aber auch noch Elisabeth I gemacht haben: „By all these means the cities encreased; the middle rank of men began to be rich and powerful; the prince, who, in effect, was the same with the law, was implicitly obeyed; and though the farther progress of the same causes begat a new plan of liberty, founded on the privileges of the commons, yet in the interval between the fall of the nobles and the rise of this order, the sovereign took advantage of the present situation, and assumed an authority almost absolute"245. Und mit der Epoche Henrys VE, mit der absoluten Monarchie, die innere Rechtssicherheit durchsetzt, beginnt fur Hume die Moderne246. Ein derartiges Gleichgewichtsmodell der Erklärung des Absolutismus findet sich auch bei Montesquieu und Adam Smith247. Es handelt deutlich nicht nur von politischer oder institutioneller Macht, sondern von gesellschaftlicher Macht, die die Fähigkeit einschließt, sich in politische, militärische usw. Formen zu übersetzen, und folgt daher methodisch Harringtons Maxime „Power follows Property". Der ausschlaggebende Faktor, ob das Gleichgewicht von Adel und Bürgertum dauerhaft in einen Absolutismus umschlägt, ist die Fähigkeit des Monarchen, ein zuverlässiges 242 History of England, Bd. III, S. 80, auch das folgende; Of the Protestant Succession, Essays, S. 505. 243 Ebenso: A. Smith: LJ(A), S. 264, iv,165f. 244 History of England, Bd. II, S. 522f.; J. W. Danford: Hume's History and the Parameters of Economic Development, in: Capaldi/Livingston (Hg.): Liberty in Hume's History, S. 167; W. Robertson: View of the Progress of Society in Europe, S. 36, u. pass.; J. Millar: Historical View of the English Government, Bd. II, Kap. 9, S. 396. 245 Siehe: History of England, Bd. IV, App. III, S. 384; ibid., Bd. V, Note J, S. 557ff. ; vgl. Blackstone: Commentaries, Bd. IV, S. 428. 246 History of England, Bd. III, S. 81f.; Letters, Bd. I, Nr. 132, an Andrew Millar, 20. 5. 1757, S. 249. 247 Montesquieu: Vom glücklichen und weisen Leben, S. 150; A. Smith: LJ(A), S. 262ff; LJ(B), S. 420; s.a. D. Winch: Adam Smith's Politics. An Essay in Historiographie Revision, Cambridge, 1978, S. 95. Die Idee der Verselbständigung des Staates auf der Grundlage sozialer Machtgleichgewichte findet sich später bei Friedrich Engels: Zur Wohnungsfrage, MEW, Bd. 18, Berlin, 7. Aufl., 1981, S. 258, und wurde als sogenannte ,ßonapartismus-These" später von August Thalheimer auf den Faschismus angewandt, ders.: Über den Faschismus, in: R. Kühnl (Hg.): Texte zur Faschismusdiskussion I, Reinbek, 1983. Auf einer allgemeineren Ebene behandelt Georg Steimel die Figur des Tertius gaudens in seiner: Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung, Kap. II, S. 134ff.

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stehendes Heer unter seinem Befehl zu etablieren. Während der Zeit der Tudors „little, but a mercenary force, seems then to have been wanting towards the establishment of a simple monarchy [im Gegensatz zur „limited" oder „mixed monarchy"] in England. The militia, though more favourable to regal authority, than the feudal institutions, was much inferior, in this respect, to disciplined armies; and if it did not preserve liberty to the people, it preserved, at least, the power, if ever the inclination should arise, of recovering it"2 8. Während der Regierungszeit der Tudors fand nun nach Hume eine Auseinanderentwicklung der zum Absolutismus tendierenden Regierungspraxis und ihrer Machtbasis statt, denn wenn sich diese aufgrund einer besonderen Konjunktur und ihrer persönlichen Qualitäten zu einer quasi-absolutistischen Regierungspraxis aufschwingen konnten, die konsensual getragen war, weil es zum herausgehobenen persönlichen Regiment des Monarchen keine Alternative gab, so wurde dieses Regiment doch nicht durch entsprechende Machtmittel gegen eine negative politische Konjunktur gesichert249. Das Versäumnis der Tudors, ein stehendes Heer unter dem Kommando des Monarchen zu schaffen und zum Bestandteil der „Constitution" zu machen, erweist sich daher als fatal, als sich durch die Verbindung von religiöser und „Country"-Opposition unter den frühen Stuarts eine der Krone gegenüberstehende kritische Masse bildet, die in der Lage ist, die königliche Macht in Frage zu stellen - eine Legitimationskrise250. Der tragische Irrtum der Stuarts bestand darin, die quasi-absolutistische Regierungspraxis der Tudors fortzusetzen, obwohl sie nicht über die Machtmittel verfugten, sie im Krisenfall zu behaupten; ja, sie versteiften sich auf die ungeschmälerte monarchische Prärogative, gerade weil sie weder die Machtmittel noch die persönlichen Qualitäten zu ihrer Durchsetzung angesichts wachsender Opposition besaßen251. Die „commons... little dreaded the menaces of a prince", schrieb Hume im Zusammenhang des Konfliktes zwischen James I und dem Parlament 1621, „who was unsupported by military force, and whose gentle temper would, of itself, so soon disarm his severity"252. Und „While James was vaunting his divine vicegerency, and boasting of his high prerogative, he possessed not so much as a single regiment of guards to maintain his extensive claims"253. 1626, als der Konflikt zwischen Charles I und dem Parlament sich zuspitzte, während England sich im Krieg befand und Charles Geld benötigte, „had he possessed any military force, on which he could rely, it is not improbable, that he had at once taken off the mask, and governed without any regard to parliamentary privileges... But his army was new levied, ill paid, and worse disciplined; no-wise superior to the militia, who were much more numerous, and who were in a great measure under the influence of the country-gentlemen"254. Charles" Versuch, ein Kontingent ausländischer Truppen anzuwerben, traf auf den scharfen Widerstand des Parlaments, und Hume kommentiert, „that the king was so far 248 History of England, Bd. V, Note J, S. 558. Siehe für eine ausfuhrrlichere Diskussion John Robertson: Scottish Enlightenment and the Militia Question, Kap. 3. 249 Ibid., Appendix to the Reign of James I, S. 128. 250 Ibid., S. 558f. 251 Ibid., S. 558, S. 128. Im Essay: Of the Protestant Succession, S. 505, benennt Hume auch das Vorbild der kontinentalen Absolutismen als Motiv der Stuarts; ähnlich John Miliar: Ursprung des Unterschieds in den Rangordnungen und Ständen, S. 229. 252 History of England, Bd. V, S. 91. 253 Ibid., S. 140. 254 Ibid., S. 175.

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right, that he had, now at last, fallen on the only effectual method for supporting his prerogative. But at the same time, he should have been sensible, that, till provided with a sufficient military force, all his attempts, in opposition to the rising spirit of the nation, must, in the end, prove wholly fruitless..."255. War also die Entstehung des Absolutismus der Tudors nicht von der Existenz eines stehenden Heeres abhängig, da er konsensual fundiert war256, so hätte sich ein Absolutismus gegen die Volksmeinung nur mit Hilfe eines stehenden Heeres behaupten können. Und dieses stellt auch mit Blick auf die Gegenwart immer die Gefahr einer gewaltsamen Unterdrückung der Freiheit dar257, denn letzten Endes sei das Milizsystem „the only method of securing a people fully, both against domestic oppression and foreign conquest"258, eine Aussage, die Hume durch seine Befürwortung einer Miliz nach Schweizer Vorbild unterstreicht259. Hume war Mitglied des Edinburgher Poker-Club, der 1762 mit dem erklärten Ziel gegründet wurde, die Einrichtung einer schottischen Miliz zu fördern260. Die Ablehnung einer schottischen Miliz durch das britische Parlament sah für die schottischen Patrioten nach einer Herabsetzung ihrer Nation aus - jedenfalls war es eine offensichtliche Ungleichbehandlung261. Es ist daher möglich, daß die Mitgliedschaft im Poker-Club nicht mehr beweist als den „patriotischen" Protest gegen diese Ungleichbehandlung. Außerdem war der Poker-Club, mehr noch als die Select Society, im Grunde ein Rahmen für den gesellschaftlich-geselligen Verkehr der schottischen Eliten, was ein hinreichendes Motiv für die Mitgliedschaft sein konnte, der daher interpretativ keine entscheidende Bedeutung beizumessen ist262. David Raynor hat die gegen die Ablehnung der schottischen Miliz durch das britische Parlament gerichtete anonym Satire „The History of the Proceedings in the Case of Margaret, commonly called Peg, only lawful Sister to John Bull, Esq." 263 von 1760 David Hume zugeschrieben, steht damit aber allein, während im allgemeinen Ferguson als Verfasser gilt264. Immerhin hat Hume seinerzeit verbreitet, er sei der Autor 255 256 257 258 259 260

Ibid., S. 201, S. 232. Ibid., S. 128: „... founded merely on the opinion of the people". S.a. Humes Hinweis auf China in: Rise and Progress of the Arts and Sciences, Essays, S. 122, Note. Of the Protestant Succession, Essays, S. 509; Idea of a Perfect Commonwealth, Essays, S. 525. Idea of a Perfect Comonwealth, Essays, S. 520f. Siehe über die Zusammensetzung Alexander Carlyle: Anecdotes and Characters, S. 213f., S. 215; s. a. die Liste im Anhang zu Kap. 6 von J. Robertsons: The Scottish Enlightenment and the Militia. 261 A. Carlyle schreibt über das Zustandekommen seiner Streitschrift für eine schottische Miliz (Anon.: The Question relating to a Scots Militia considered. In a Letter to the Lords and Gentlemen who have concerted the Form of a Law for that Establishment. By a Freeholder, Edinburgh, 1760): „... I was persuaded by Wm. Johnstone Adv., ... and Adam Ferguson, to write what was called the Militia Pamphlet, ... Robertson was well pleased, tho' he took no great concern about those kind of writings. .. For great and unexpected success it certainly had, for it hit the tone of the country at that time, who being irritated at the line that was drawn between Scotland and England with respect to Militia, were very desirous to have application made for it in the approaching session of Parliament. The parties here were so warm at this time, that it was necessary to conceal the names of authors... ", Anecdotes and Characters, S. 203, s. a. S. 214. 262 J. Robertson unterstützt diese Interpretation: Scottish Enlightenment and the Militia Issue, S. 238. 263 D. R. Raynor (Hg.): Sister Peg. A Pamphlet hitherto unknown by David Hume, Cambridge, 1982, siehe dort die Einfuhrung des Herausgebers. Die Figuren John Bull und Sister Peg erscheinen auch als Motive einer antischottischen satirischen Grafik von 1762, siehe Abb. 107, in: J. Brewer: The Common People. 264 Eine wichtige Quelle für die Zuschreibung des Pamphlets zu Ferguson ist Alexander Carlyle: Anecdotes and Characters, S. 206f. ; s. a. die Rezension von Raynors Sister Peg durch Roger Emerson, Hume

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vielleicht um den Verfasser zu schützen265. Und auch wenn wir ein derartiges Motiv annehmen, setzt dies doch voraus, daß er sich mit der zentralen Botschaft des Pamphlets identifizierte. Gibt es daher auch keinen geschlossenen Text Humes zur Frage der Miliz, liegen doch so eindeutige Aussagen und Indizien vor, die den Schluß gestatten, Hume sei vor dem Hintergrund der jüngeren englischen Geschichte, aber wohl auch aus prinzipiellen Gründen, ein Anhänger des Miliz-Systems gewesen, das er als mit der modernen, kommerziellen Gesellschaft kompatibel betrachtete266, denn der „Handelsstaat" sei in der Lage, im Kriegsfall Ressourcen und Menschen für Militärzwecke zu mobilisieren. „In times of peace and tranquility" werden ökonomische Überschüsse für die „maintenance of manufacturers, and the improvers of liberal arts" angewandt, „But it is easy for the public to convert many of these manufacturers into soldiers..."267. Aber dabei kommt es nicht nur auf die ökonomische Überlegenheit der kommerziellen Gesellschaft an, die an sich nicht die militärische Organisationsform: Miliz oder stehendes Heer, determiniert, sondern als bestimmender Faktor kommt die Frage ins Spiel, wie sich die Motivationsstrukturen von moderner Ökonomie und Miliz zueinander verhalten, ein Problem, das die Federalists in der nordamerikanischen Verfassungsdebatte später so formulierten: „The industrious habits of the people of the present day, absorbed in the pursuits of gain and devoted to the improvements of agriculture and commerce, are incompatible with the condition of a nation of soldiers, which was the true condition of the people of those [antiken] republics"268. Auch Hume ging davon aus, die antike wehrhafte amor patriae269 habe moderner Selbstinteressiertheit Platz gemacht270, aber er scheint nicht das Problem gesehen zu haben, die Modernen seien weniger wehrhaft271, oder wenn doch, so glaubte er, ihr Reichtum sei eine hinreichende Kompensation dafür272, denn indem die moderne Politik das Privatinteresse schützt, bindet sie die Bürger auch politisch an sich273, so daß sie entweder in persona oder mit ihrem Reichtum für den Staat einstehen. Engagement fur das freie politische Gemeinwesen, auch public spirit, würde demnach keinen Widerspruch zur modernen Motivlage bilden, sondern sich im Gegenteil aus ihr ergeben. Auf diese Weise verbindet er die ökonomische Moderne mit einer prinzipiell begründeten Miliz, die einzig einen sicheren Schutz gegen Absolutismus biete und daher einer freien Regierung angemessen sei274. Ferguson setzte sich kritisch von dieser optimistischen Position ab.

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Studies, 1983: 9, S. 74-81; J. Robertson: The Scottish Enlightenment and the Militia Issue, S. 113 und Note 64. Letters, Bd. I, Nr. 182, an Alexander Carlyle, S. 341f. Siehe die maßgebende Diskussion von J. Robertson: The Scottish Enlightenment and the Militia Issue, Kap. 3. Of Commerce, Essays, S. 261. J. Madison et al.: The Federalist Papers, Nr. VIII (A. Hamilton), S. 116. Of Commerce, Essays, S. 259. J. Robertson: Scottish Enlightenment and the Militia Issue, S. 67. Siehe: Of the Balance of Power, Essays, S. 338f. Siehe: Of Money, Essays, S. 282. Of Commerce, Essays, S. 259: „And if there were no more to endear to them that free government under which they live, this alone were sufficient". David Raynor schreibt zusammenfassend, „...it appears that Hume believed that ideally the... position of relying entirely upon a citizen militia is the best policy, just as a republic is ideally the best

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John Millar über den „absolutistischen Moment" John Miliar275 baute den hier dargestellten Ansatz der Absolutismusanalyse dogmatisierend aus, indem er von einer gesamteuropäischen historisch gegenläufigen Doppelbewegung größerer Volksfreiheit einerseits und der Einfuhrung stehender Heere andererseits als Folgen der Kommerzialisierung ausging: „Commerce renders the lower people independent so that they are enabled to crush the power of the sovereign. - It introduces also a standing army by which the monarch may be enabled to crush the rising spirit of Liberty in the People. These cannot both take place - and it must often depend on accident, which of them shall in the end prevail. - In small states the people will most likely prevail.. ."276. Mit der Auffassung, die strenge Form der Republik könne nur in kleinen Staaten etabliert werden, befindet sich Miliar in Übereinstimmung mit seinen Zeitgenossen; damit ist aber nicht die quasi-parlamentarische Regierung Englands erklärt, die einen alternativen politischen Entwicklungsweg jenseits des Absolutismus darstellt. Sie erklärt sich durch das Fehlen eines stehenden Heeres unter monarchischem Kommando, zu dessen Gründen auch Hume die Insellage Englands zählte277, die Möglichkeit, die innere Ordnung mittels Milizen unter dem Kommando des örtlichen Adels aufrechtzuerhalten. Auf dem Kontinent dominierten dagegen stehende Heere, begründet nach Miliar, der hierin Smith folgt, im modernen Prinzip der Arbeitsteilung, das als Grundprinzip der kommerziellen Gesellschaft alle gesellschaftlichen Bereiche durchdringt und auch das Militär affiziert278. Darform of government; yet he also maintained that a republican Britain would be undesirable, and we may perhaps understand him as meaning that it is a „melancholy truth" that a standing army is necessary given the established form of government in Britain, a disputed crown in the 1740s, and the „licentiousness" of the English in the 1770s", Introduction, in: D. Hume: Sister Peg, S. 29. Es gibt, soweit ich sehe, keine Evidenz fiir die Akzeptanz einer „standing army", sondern lediglich eine in den Essay über die Idea of a Perfect Commonwealth in den Ausgaben zwischen 1752 und 1768 eingefügte, später gestrichene, Bemerkung Humes über das schwedische Modell einer Miliz kombiniert mit einem stehenden Heer im Rahmen einer „limited monarchy", „which [nämlich das stehende Heer in Schweden] is less dangerous than the British", Essays, S. 647. J. Robertson: The Scottish Enlightenment and the Militia Issue, hat darauf seine Interpretation aufgebaut, Hume habe die „Balancierung" eines (militärisch notwendigen) stehenden Heeres durch eine (Bürger-) Miliz als die unter gegebenen Bedingungen beste Lösung angesehen. Das ist möglich, beansprucht aber die Textlage, denn die Bemerkung über das schwedische Modell (die durch Hume selbst nach 1768 gestrichen wurde) schließt an den Gedanken an, die britische Limited Monarchy weise unvermeidlich drei „great inconveniencies" auf, wovon die dritte ist, daß „the sword is in the hands of a single person, who will always neglect to discipline the militia, in order to have a pretence for keeping up a standing army", Essays, S. 527, und in dem gestrichenen Absatz heißt es weiter: ,4t is evident, that this is a mortal distemper in the British government, of which it must at last inevitably perish", ibid., S. 647. Möglicherweise durch die nach 1757 stattgefundene Einführung einer Miliz in England motiviert, hat Hume also die Unvermeidlichkeit des Zugrundegehens am stehenden Heer und den Hinweis auf das schwedische ,JBalance"-Modell gestrichen, stehengeblieben ist aber sein Bedenken über die Wirksamkeit einer Miliz im Rahmen der britischen Limited Monarchy, also im Kern der Gedanke der strukturellen Unverträglichkeit von Monarchie und Miliz. 275 Siehe über Miliar als Historiker die Bemerkungen von Pocock: The varieties of Whiggism from Exclusion to Reform, in: ders.: Virtue, Commerce, and History, S. 298ff. 276 John Millar: Lectures on government, Skene, Bd. I, S. 37, s. a. S. 130; ders.: Ursprung des Unterschieds in den Rangordnungen und Ständen, S. 226ff. 277 Hume: Of the Protestant Succession, Essays, S. 505; ebenso: A. Smith: LJ(A), S. 265, LJ(B), S. 421. 278 J. Millar: Lectures on government, Campbell, S. 38f.: „... mercenary standing armys were introduced, a sure symptom of the increasing wealth of the nation, since by it labour is more divided, and since the people who were obliged to go out to war every now and then, which was always the case in

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aus leitet er eine gleichmäßige Abfolge von drei politischen Regimeformen in Europa ab, die sich auf ihrer dritten Stufe aufspaltet: „.. .there are three great areas in the government of these [europäischen] countries..., viz. The period of the feudal aristocracy when the great lords were allodial proprietors - the feudal monarchy, when the king was the only allodial proprietor by all the great lords becoming his vassals - and lastly the commercial government by the introduction of arts and standing armys, which in some countries tended to establish a despotical and in others a democratical form of government"279. Bemerkenswert bleibt, daß Millar keinen absoluten Gegensatz zwischen stehendem Heer und Republik sieht, sondern fur entscheidend hält, ob der Monarch im „Moment des Absolutismus", in dem sich Adel und Bürgertum ausbalancieren, ein stehendes Heer als Machtinstrument zur Verfügung hat, während Hume für die Tudors einen gleichsam konsensualen Absolutismus angenommen hatte, die Miliar hingegen vom Odium des Absolutismusvorwurfs freizusprechen tendiert280, so daß er den „absolutistischen Moment" Englands historisch in das Ende der Regierungszeit Elisabeth I verlegt281. Miliar, der sich offen als Whig bekannte und radikale Sympathien hatte282, beantwortete insofern von einem aufgeklärten Whig-Standpunkt283 Humes Kritik der „ancient constitution", insoweit sie284 Elisabeth I als absolute Herrscherin kennzeichnete, die Kontinuität der Regierungspraxis der Tudors mit den Stuarts behauptete, was bedeutete, die Stuarts zu entlasten und die Parlamentsseite im Bürgerkrieg als Innovateurs hinzustellen285, und die drittens die These implizierte, die Monarchie habe unter den Stuarts ihre Machtbasis eingebüßt - für die Whigs kaum akzeptable historische Interpretationen. Interessant ist immerhin, daß Miliar das Humesche Modell der Absolutismus-Analyse vollinhaltlich reproduzierte, dessen Ausgangsüberlegung im Vordringen der Marktvergesellschaftung und im wachsenden Reichtum und der konsequenten Ausdehnung des sozialen und politischen Einflusses der Commons lag286.

nations not arrived at a great degree of civilization, where now allowed to remain at their different employments which naturally produced wealth in the country". 279 Ibid., S. 39 280 Er protestiert in seinem Historical View of the English Government, gegen Humes Einschätzung der Regierung Henrys VII als absolutistisch, konzediert aber einen bedeutenden Machtzuwachs der Krone in dieser Periode: „Upon the whole, it is a gross error to suppose, that the English government was rendered absolute in the reign of Henry VII. There is, on the contrary, no reason to believe, that any material variation was produced in the former constitution. Although the influence of the crown was increased... ", Bd. II, S. 423; s. a. ders.: Ursprung des Unterschieds in den Rangordnungen und Ständen, S. 208; ders.: Lectures on government, Campbell, S. 179ff. Adam Smith präsentierte dagegen die Auffassung Humes in den „Lectures on Jurisprudence" als Gemeinplatz: „The Tudors are now universally allowed to have been absolute princes", LJ(A), S. 264. 281 Siehe J. Millar: Lectures on government, Campbell, S. 193ff. 282 Siehe D. Forbes: „Scientific" Whiggism: Adam Smith and John Millar, Cambridge Journal, 1954, hier S. 668. 283 J. Craig: Account of the Life and Writings of John Millar, S. 131. 284 Siehe bes. die Zusammenfassung am Ende der: History of England, Bd. VI, S. 530ff. 285 Ibid., Bd. V., S. 297, S. 355f., S. 381f., Bd. VI, S. 531; abweichend: Of the Protestant Succession, Essays, S. 505. 286 Nach James Steuart war Charles I „obliged to submit to the power of a small part of the House of Commons, only from the superior influence of their wealth", aus einem Kommentar Steuarts zu Humes History, zit. n. Steuart: Principles of Political Oeconomy, Bd. I, S. 210, Note 6 des Herausgebers A. S. Skinner, s. a. S. 213, Note 7.

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Delegitimation Eine zum „absolutistischen Moment" analoge Figur bringt Hume in Anschlag, um den Sieg des Parlaments in England zu erklären, diesmal nicht als Konstellation wechselseitiger Neutralisierung von zwei Faktoren, die einem dritten - der Monarchie - die Herrschaft ermöglichen, sondern als negative Konjunktur im Entwicklungszyklus der monarchischen Machtbasis. „The same advantage, we may remark, over the people, which the crown formerly reaped from that interval between the fall of the peers and the rise of the commons", schreibt er, „was now possessed by the people against the crown, during the continuance of a like interval. The sovereign had already lost that independent revenue, by which he could subsist without regular supplies from parliament; and he had not yet acquired the means of influencing those assemblies. The effect of this situation, which commenced with the accession of the house of Stuart, soon rose to a great height, and were more or less propagated throughout all the reigns of that unhappy family"287. Die Transformation des patrimonialen Königtums in ein steuergestütztes ist natürlich ein längerfristiger Prozess, der aber durch die Veräußerung der Kronländereien unter Henry Vm und Elisabeth I eine abschließende Beschleunigung erfuhr288. Fortan ist die Krone auf das Parlament angewiesen, um den Staat über Abgaben zu finanzieren, die zunächst Einzelabgaben für spezifische Zwecke sind oder Steuererhebungen, die durch Erneuerung von Parlamentsbeschlüssen zu legitimieren sind. Die eigentliche Umstellung der Staatsfinanzen auf eine regelmäßige Steuerbasis findet erst seit der Restauration und beschleunigt seit der „Glorious Revolution" statt289. Hume meint das doppelte Fehlen eines (nicht nur symbolischen) stehenden Heeres und einer (hinreichenden) selbständigen Finanzbasis der Krone, wenn er das Fehlen der Machtbasis der Stuarts beschreibt. Dieser Zustand ist lehrreich, weil er die Macht im Zustande der Entkleidung von ihren gewöhnlichen institutionellen Machtressourcen zeigt, zurückgeworfen auf ihre „ideologischen" Legitimationsquellen. Man sieht hier eine der historischen Quellen der Humeschen Theorie der Basierung der Macht auf den Glauben („opinion"290), die im Treatise ihre sozialphilosophische Begründung erfahrt291. Kaum ein Regime hält sich nur durch Gewalt und Furcht an der Macht, denn auch eine auf Gewalt gegründete Herrschaft gewinnt mit der Zeit Legitimität, schon weil das Bewußtsein der Begründung auf Gewalt verloren geht. Hinzu kommt, daß die Individuen erst in der Legitimitätskrise erkennen (können), ob eine gegebene Herrschaft Zustim287 History of England, Bd. V, S. 137, s. a. Bd. VI, S. 233f., S. 289f. 288 Josiah Tucker sah den progressiven Verkauf von Kronland unter Elisabeth I als ursächlich für die Schwierigkeiten der Stuarts: A Treatise concerning Civil Government, S. 66. 289 Dies führt zusammen mit dem traditionellen Parlamentsrecht der Steuerbewilligung zur Notwendigkeit jährlicher Parlamentssitzungen und bildet, zusammen mit der Verlängerung der Wahlperioden und der relativen Schwäche der hannoveranischen Monarchen, die Basis für die Entwicklung der parlamentarischen Regierungsform, siehe: P. Langford: Public Life and the Propertied Englishman, Kap. 3, die Grafik zur Veranschaulichung der Dauer der parlamentarischer Sitzungsperioden, S. 141 f. 290 M. D. George: English Political Caricature, to 1792. A Study of Opinion and Propaganda, Oxford, 1959, reproduziert als Frontispiz eine politische Grafik von 1641, mit dem Titel: The World is ruled & governed by Opinion, ein Indiz fur das Alter dieser Position. Die Originalität Humes liegt in ihrer theoretischen Durchführung. 291 Buch III, Teil II, Abschn. VII-X. S. a. J. Millar: Historical View of the English Government, Bd. III, S. 329.

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mung, Loyalität (erworben) hat oder nicht. Die Theorie der Begründung politischer Macht auf einen Legitimitätsglauben schließt daher auch eine sozialepistemologische Problematik ein, die impliziert, daß die Beteiligten sich - besonders unter Bedingungen restringierter politischer Meinungsäußerung - eventuell über die Existenz politischer Loyalität täuschen und generell unter unsicheren Bedingungen handeln. Die ersten beiden Stuart-Monarchen machten die Erfahrung, daß ihnen die Machtmittel fehlten, sich im Konflikt mit dem Parlament durchzusetzen, gingen aber von der Kontinuität der monarchischen Prärogative aus, die durch die Formen ihrer Ausübung, durch Präzedenz und Konsens, also durch den Legitimitätsglauben, gesichert sei292. Die entscheidende Erosion der Macht im Legitimitätsglauben hatte jedoch bereits stattgefunden, beginnend mit einzelnen Streifragen und ausgeweitet durch die sukzessive Usurpation monarchischer Prärogativrechte durch das Parlament bis zur Infragestellung der Krone, die zu dieser Zeit noch als zusammenfassender Ausdruck der Macht gelten konnte, weit entfernt, zum späteren bloßen „dignified part of the constitution" (Walter Bagehot293) reduziert zu sein. Konnte sich dieser Vorgang den Anhängern der Vertragstheorie als Unterwerfung der Macht unter das Urteil der Vernunft darstellen, so erkennt Hume, dessen politische Philosophie eine durchschlagende Kritik der dogmatischen Naturrechtstheorie ist294, daß der Prozeß der Delegitimition der Macht notwendig in eine Situation virulenten Bürgerkrieges ausläuft, denn es gibt keine „vernünftige" Letztbegründung politischer Autorität, noch zudem eine, die in Krisensituationen pragmatisch zu universalisieren wäre, also mit dem Anspruch allgemeiner Geltung im - krisenhaften praktischen politischen Prozeß behauptet werden könnte295. Tatsächlich beweist schon die Tatsache, daß die bestehende Macht radikal infrage gestellt ist, daß es in der Gesellschaft unvereinbare Positionen zur Begründung der Macht gibt, und in diesem Moment ist die Macht erodiert, denn sie beruht als Macht wesentlich darauf, nicht-befragte Quelle der Legitimität staatlicher Ordnung zu sein. Der Einsatz von Militär als ultima ratio ist in dieser Situation de facto bereits ein Akt des Bürgerkrieges, und die Frage ist nurmehr, ob die etablierte Macht den Bürgerkrieg gewinnt oder verliert. Hobbes möchte, daß die Macht auf sich selbst beruht, indem er den Grundsatz der unbedingten (Ausnahme: Bedrohung von Leib und Leben) Anerkennung der bestehenden Macht propagiert, da es im Interesse jedes Einzelnen liege, daß sie besteht. Er kann jedoch auf die Frage: Warum diese Macht? nicht antworten, denn der Bürger kann im allgemeinen zustimmen, eine Macht sei nötig, und doch mit Gründen gegen die bestehende Macht rebellieren. Die Schotten folgten Hobbes bis zur Annahme eines begrenzten sittlichen Vorrangs des bestehenden politischen Regimes, das den einfachen, aber wichtigen Vorzug hat, zu bestehen, während Alternativen nur theoretisch existieren, nicht erprobt sind und Kosten der Einführung (bis hin zum Bürgerkrieg) verursachen296. Aber Hume sieht auch, daß der

292 History of England, Bd. VI, S. 531. 293 W. Bagehot: The English Constitution, London, 1993, S. 63 u. pass. 294 Siehe bes. Forbes: Hume's Philosophical Politics, Teil I; ders.: Natural Law and the Scottish Enlightenment, in: Campbell/Skinner (Hg.): The Origins and Nature of the Scottish Enlightenment. 295 Vgl. Allan Ramsay (Junior), anon.: Thoughts on the Origin and Nature of Government, London, 1769, S. 24: ,JDo you ask who has a right to judge what acts of power are against nature, and what are not? I answer, nobody. The immediate impulse of every man's feeling stand in the stead of all judgement in such cases... ". Ramsay, der Maler, gehörte den schottischen Aufklärungszirkeln an. 296 Vgl. Smith: LJ(B), S. 435.

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Versuch der Begründung der Macht auf ihren Charakter als reine Macht in eine Aporie ausläuft, da es für keine konkrete Macht eine zwingende Letztbegründung gibt, die tatsächlich im Dunkeln - der Geschichte, des Legitimitätsg/awftenj - verbleibt, und er zieht daraus den Schluß, die Infragestellung der konkreten Macht als solcher sei pragmatisch zu vermeiden, während hingegen der Zweifel an einzelnen Maßnahmen der Macht heilsam sein kann, weil er der Zuspitzung von Konflikten vorbeugt. Hume benutzt die Metapher der Verhüllung der Macht 297 als Regel politischer Klugheit 298 und meint damit, der Anblick der institutionell entkleideten Macht sei schrecklich, denn man sieht die politische Ordnungslosigkeit, den potentiellen Bürgerkrieg. Rituale der Verehrung der Macht, selbstinszeniert und im Gefühlsleben des Volkes verankert, bilden Rituale der Bannung dieses Schreckens, mit denen sich die Gesellschaft versichert, indem sie die Macht schmückt, sie verhüllt und intakt halten zu wollen. Diese Rituale wirken jedoch nur begrenzt, und Hume weiß, daß es letztlich keine Argumente geben mag, die Enthüllung der Macht aufzuhalten, wenn der Legitimitätsglaube schwindet, was auf guten Gründen beruhen mag, die aber stark und im Bereich der Not angesiedelt sein müssen, wenn sie die Rebellion legitimieren sollen. Von dieser Position aus wird jedoch die scheinbar präzise Bestimmung der Vertragstheorie, die politische Gehorsamspflicht ende dort, wo der Staat seinen Auftrag nicht mehr erfüllt, praktisch diffus 299 . Praktisch wird die Erosion des Legitimitätsglaubens nicht die Form gesteigerter Rationalität annehmen, denn die Auflösung einer geregelten Zentralautorität, der die Individuen gewohnheitsmäßig gehorchten, führt nicht automatisch zum Erwerb politischer Urteilskompetenz auf Seiten der Bürger, sondern vor allem zur Übertragung ihrer politischen Folgebereitschaft auf neue Partikularautoritäten, die im allgemeinen weniger gesichert, weniger geregelt und im ganzen unberechenbarer seien werden. Das Ergebnis ist sprunghaft wachsende gesellschaftliche Unsicherheit, die wachsenden Schrecken produziert, der Menschenmengen unter dem Gefühl unbestimmter Bedrohung zu extremen Taten fähig macht, ein Vorgang, den Hume im Zusammenhang des sogenannten „Popish Plot" beschreibt, als eine Serie weitgehend erfundener und in der kollektiven Einbildung ins Ungeheure vergrößerter Anschlägen auf „die englische Freiheit" unter Charles Π zu einer nationalen Paranoia führten, die auch dazu benutzt wurde, die Macht weitergehend zu delegitimieren. Einmal in Gang gebracht, kann dies zu einem sich selbst verstärkenden und perpetuierenden Prozeß werden, wie er aus anderen Revolutionen bekannt ist: Erschütterung des Legitimitätsglaubens, Verbreitung allgemeiner Unsicherheit, Entstehung kollektiver unbestimmter Angstzustände („grand peur" in Frankreich300),

297 Ζ. B.: History of England, Bd. V, S. 93. 298 Of the Protestant Succession, Essays, S. 504: „We, all of us, still retain these prejudices in favour of birth and family; and neither in our serious occupations, nor most careless amusements, can we ever get entirely rid of them... Or should a man be able, by his superior wisdom, to get entirely above such prepossessions, he would soon, by means of the same wisdom, again bring himself down to them, for the sake of society, whose welfare he would perceive to be intimately connected with them. Far from endeavouring to undeceive people in this particular, he would cherish such sentiments of reverence to their princes; as requisite to preserve a due subordination in society". 299 Siehe Livingston: Hume's Historical Conception of Liberty, in: Capaldi/Livingston (Hg.): Liberty in Hume's History of England, S. 119f.; S. S. Wolin: Hume and Conservatism, in: D. W. Livingston/J. T. King (Hg.): Hume. A Re-evaluation, S. 239-56, hier S. 253. 300 G. Lefebvre: Die große Furcht von 1789 (1932), in: Ε. Labrousse et al.: Geburt der bürgerlichen Gesellschaft, S. 88-135; M. Vovelle: Die Französische Revolution, S. 88ff.

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irrationale Fixierung auf vermeintliche Bedrohungen („Popish Plot" in England; „Adelsverschwörungen" in Frankreich; Verschwörungen des „internationalen Kapitals" gegen die „erste sozialistische Republik" der Sowjetunion), irrationale Formen extremer Bedrohungselimination (in England: Terrorurteile gegen angebliche Verschwörer; in Frankreich: Wellen des Terreur seit den „Septemberbrisaden"; in der Sowjetunion: Verfolgungen gegen „Parteifeinde", „Verräter" und „ausländische Spione"301). „In all history", resümiert Hume die Periode des sogenannten „popish plot", „it will be difficult to find such another instance of popular frenzy and bigoted delusion"302. Auf der anderen Seite erklärt er, es gebe „really nothing altogether new in any period of modern history", und weist damit auf antike populistische Praktiken hin, die in Krisensituationen gesteigerte Verführbarkeit der Massen für politische Zwecke zu gebrauchen303. In der Situation des Bürgerkrieges über Naturrecht, Vertragsbruch und Widerstandsrecht philosophieren zu wollen, erscheint ihm jedenfalls als naive Pedanterie, denn der Bürgerkrieg ist ein Zustand mindestens partieller Rechtlosigkeit, und wenn in dieser Situation über Rechtsprinzipien reflektiert wird, werden die Resultate hochgradig situationsabhängig sein und jedenfalls nicht in Zeiten sozialen Friedens abstrakt im voraus fixiert werden können. Und außerhalb der Notsituation ist das - öffentliche - Philosophieren über das Widerstandsrecht nicht angebracht, da die Macht pragmatisch vor dem Zweifel zu schützen ist304, ein antirationalistisches Moment in Humes politischem Denken, das durch die Analyse nicht-gelingender Letztbegründung und die Einsicht in die notwendige Verankerung der praktischen politischen Macht im Glauben selbst rational begründet ist und beansprucht, pragmatisch aufklärerisch zu sein; es wurde von anderen schottischen Autoren geteilt305. Humes Analyse der englischen revolutionären Erfahrung bedeutet eine profunde Entzauberung der politischen Mythologie der Whigs, und wenn er einen positiven Zusammenhang von Marktökonomie, freiheitlicher Politik und Zivilisation annahm und die Resultate der englischen Revolutionsperiode daher guthieß, so liebte er deshalb doch weder die Revolution noch die Revolutionäre. „Patronage" Der Grund fur die anhaltende Unruhe des englischen Staates im 17. Jahrhundert lag nach Humes Einsicht in Widersprüchen seiner „Constitution", die in eine Doppelherrschaft unter Bedingungen unsicherer Kompetenzabgrenzung resultierten. Sie bestand einerseits aus traditionellen Elementen monarchischer Regierung, während andererseits das Parlament im Laufe der Auseinandersetzung genug Kompetenzen errang, um die einheitliche Ausübung monarchischer Prärogative wirksam zu verhindern. Diese beiden Momente waren jedoch nicht einander angepaßt, sondern existierten a\s konkurrierende Souveränitäten im Dunkel staatsrechtlicher Unsicherheit, und ihre Ausübung hing wesentlich von den Konjukturen der aktuellen Machtressourcen (der fluktuierenden Volksmeinung, der

301 Siehe: H. Altrichter (Hg.): Die Sowjetunion. Von der Oktoberrevolution bis zu Stalins Tod, Bd. 1: Staat und Partei, München, 1986, Teil I, Kap. 2. 302 History of England, Bd. VI, S. 348. 303 Ibid., S. 533. 304 Ibid., Bd. V, S. 544; eine ähnliche Stelle ist ibid., Bd. VI, S. 293f. 305 Siehe etwa Ferguson: Principles, Abschn. über „Habits of Thinking", Bd. I, S. 214ff.

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außenpolitischen Konstellation, usw.) ab 306 und resultierte in eine Situation latenten Bürgerkrieges 307 . „The [glorious] revolution alone... happily put an end to all these disputes: By means of it, a more uniform edifice was at last erected: The monstrous inconsistence, so visible between the ancient Gothic parts of the fabric and the recent plans of liberty, was fully corrected: And to their mutual felicity, king and people were finally taught to know their proper boundaries" 308 . Aber „By deciding many important questions in favour of liberty, and still more, by that great precedent of deposing one king, and establishing a new family, it gave such an ascendant to popular principles, as has put the nature of the English constitution beyond all controversy. And it may justly be affirmed, without any danger of exaggeration, that we, in this island, have ever since enjoyed, if not the best system of government, at least the most entire system of liberty, that ever was known amongst mankind" 309 . Damit ist eine Situation unsicherer Doppelherrschaft unter der Prämisse monarchischer Souveränität in eine Situation staatsrechtlich geregelter, aber geteilter Souveränität unter der Prämisse des Primats des demokratischen Teils, des Parlaments, überfuhrt 310 . Insbesondere ist mit der Eroberung des Finanzrechts durch das Parlament311 die Notwendigkeit staatsrechtlicher Verschränkung von Monarchie und Parlament gegeben. Im 17. Jahrhundert wurde das Verhältnis der Organe kaum unter dem Gesichtspunkt funktionaler Gewaltenteilung zwischen Legislative und Exekutive gesehen - die Theorie Lockes ist hier deutlich antezipatorisch 312 -, und auch später dachte man die Legislative, als oberste Gewalt, eher als ein Kompositum der Organe Krone und Parlament, letzteres in zwei selbständige Teile zerfallend: House of Commons und House of Lords, wobei das Gesamt als „King in Parliament" die Souveränität darstellt 313 . Diese Verteilung der Legislativgewalt hatte mit der Weigerung zu tun, die Theorie der Volkssouveränität uneigeschränkt zu akzeptieren, die Lockes Naturrechtsmodell der Politik zugrundeliegt, auch wenn nach den Revolutionen des 17. Jahrhunderts und dem Dynastiewechsel zu den Hannoveranern staatsrechtlich etabliert war, daß das Volk durch seine Repräsentanten ausschlaggebenden Anteil an der Gesetzgebung nimmt. So steht die englische Idee der geteilten Souveränität des 18. Jahrhunderts im Grunde noch in der Tradition der „gemischten Verfassung". Erst die „philosophical radicals" um Jeremy Bentham und James Mill haben später einflußreich gegen diese politische Basisideologie und fur die Versammlung der Souveränität im House of Commons argumentiert 314 .

306 „Hence the inclination mutually to take advantage of each other's necessities... ", History of England, Bd. VI, S. 532. 307 Ibid., S. 530ff. 308 Ibid., S. 475f. 309 Ibid., S. 531. 310 Of the Independency of parliament, Essays, S. 44: „The share of power, allotted by our constitution to the house of commons, is so great, that it absolutely commands all the other parts of the government". 311 Of the Independency of parliament, Essays, S. 44. 312 J. Locke: Zweite Abhandlung, Kap. 11-14. 313 Blackstone: Commentaries, Bd. I, schreibt am Anfang von Kap. 2: Of the Parliament: „With us... in England this supreme power is divided into two branches; the one legislative, to wit, the parliament, consisting of king, lords, and commons; the other executive, consisting of the king alone". 314 Siehe J. Bentham: A Fragment on Government; Bentham's Political Thought, hg. v. B. Parekh, London, 1973; J. Mill: Essays on Government, Jurisprudence, Liberty of the Press and Law of

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Das Modell der geteilten Souveränität konnte nur funktionieren, wenn die tragenden Organe unabhängig waren und sich auf eine selbständige Machtbasis stützen konnten. Gleichzeitig mußten sie mit Mechanismen wechselseitiger Beeinflussung und Integration ausgestattet sein, damit die Teilung der Souveränität nicht in Blockaden ausmündet315. Hume geht nun davon aus, daß die Krone in England mit dem Verlust wesentlicher Teile ihrer Prärogative, dem Verlust der selbständigen Finanzbasis und ohne eigene Militärgewalt über keine der traditionellen Machtressourcen mehr verfügte, um ein Gegengewicht zum Parlament zu bilden, und daher gezwungen war, sich, beginnend in der Zeit des Konflikts mit dem Parlament unter James I316, einen neuen Weg der Beeinflussung der gegenüberstehenden Parlamentsgewalt mit den ihr verbleibenden Mitteln zu suchen: Patronage317. Noch Charles Π war in der unbefriedigenden Situation, zur Ausübung seiner Prärogative auf die Kooperation des Parlaments angewiesen zu sein, ohne über adäquate Mittel seiner Beeinflussung zu verfugen318. In scharfem Gegensatz zur „Country"Ideologie hält Hume die monarchische Patronage, die ihrer Natur nach zur Verflechtung und Integration der Souveränitätsorgane beiträgt, unter den gegebenen Bedingungen für die beste Alternative und im Sinne der Aufrechterhaltung der Balance der englischen Verfassung gar für essentiell319. Sie erfüllt die Doppelfunktion, die Krone mit einer selbständigen Machtbasis auszustatten und ihr gleichzeitig Mittel der integrativen Beeinflussung des Parlaments an die Hand zu geben. Der Irrtum der „Country"-Partei in dieser Frage resultiert daraus, daß sie das Problem nur vom Standpunkt der Repräsentierten aus betrachtet, während eine wissenschaftliche Betrachtung beide Seiten zu sehen hat. Aber Hume sieht auch korrumpierende Wirkungen bestimmter Formen der Patronage und differenziert daher zwischen „pensions and bribes" einerseits, die, „though it be difficult entirely to exclude them, are dangerous expedients for government; and cannot be too carefully guarded against, nor too vehemently decried by every one who has a regard to the virtue and liberty of a nation", und dem Einfluß andererseits, „which the

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Nations; J. Lively/J. Rees (Hg.): Utilitarian Logic and Politics. James Mill's „Essay on Government", Macaulay's critique and the ensuing debate, Oxford, 1978. Die unabhängigen Amerikaner hatten keinen Monarchen und keinen Adel staatsrechtlich zu berücksichtigen und entwickelten daher funktionale Gewaltenteilungsmodelle, siehe: W. P. Adams: Republikanische Verfassung und bürgerliche Freiheit, Kap. 12. Im: Idea of a Perfect Commonwealth, postuliert Hume als Regel eines guten politischen Institutionendesigns, „combination" und „division" von Staatsorganen gleichermaßen zu verhindern, Essays, S. 523f. Wenn auch dort bezogen auf einzelne Organe, nicht auf das Verhältnis von Organen oder Gewalten zueinander, beweist dies doch, daß Hume das Problem der Kombination von Begrenzung und Integration sieht. History of England, Bd. V, S. 93. Ibid., S. 222. Eine ähnliche Einschätzung der historischen Entwicklung vertrat E. Burke: Thoughts on the cause of the present discontents (1770), in: ders.: Pre-Revolutionary Writings, S. 123: „The power of the Crown, almost dead and rotten as Prerogative, has grown up anew, with much more strength, and far less odium, under the name of influence", et seq. History of England, Bd. VI, S. 532: „The crown still possessed considerable power of opposing parliaments; and had not as yet acquired the means of influencing them". Of the Independency of Parliament, Essays, S. 45; siehe Livingston: Hume's Philosophy of Common Life, S. 266; auch Thomas Macaulay, nicht sympathetisch gegenüber Hume, hat 1833 im Kontext der Korruptionsvorwürfe gegen Robert Walpole erklärt, „Walpole governed by corruption, because, in his time, it was impossible to govern otherwise... The Parliament had shaken off the control of the Royal prerogative. It had not yet fallen under the control of public opinion", Horace Walpole, in: Τ. B. Macaulay: Critical and Historical Essays, Bd. I, S. 348f.

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crown acquires from the disposal of places, honours and preferments... This engine of power may become too forcible, but it cannot altogether be abolished, without the total destruction of monarchy, and even of all regular authority" 320 . Wenig Verständnis hat er daher für die „Country"-Gesetzesinitiaitiven gegen „Placemen", die auf der Idee der Unvereinbarkeit von Amt und Parlamentsmandat beruhen, die als Prinzip auch in die nordamerikanische Verfassung einging321. Die politische Geschichte Englands seit der „Glorious Revolution", die Hume in der History of England und in den Essays verstreut kommentiert, beschreibt er im ganzen als ein geregeltes System politischer Freiheit, fur das es kein historisches Vorbild gebe322. Gleichwohl geht er als historischer Dialektiker davon aus, dieses System schließe Widersprüche ein, die es antreiben, verändern 323 und über kurz oder lang - wie alle natürlichen und sozialen Körper - zu einem Ende bringen werden, eine Entwicklung, die verlangsamt oder beschleunigt werden kann, letzten Endes jedoch nicht zu vermeiden ist. Die Aufgabe der politischen Analyse bestehe daher darin, die Entwicklungstendenzen des Systems zu analysieren, zu gewichten, in eine Kausalhierarchie zu bringen und daraus Prognosen über die relative Wahrscheinlichkeit alternativer Entwicklungspfade zu gewinnen. Diese Prognosen können nie genau sein, denn es können im einzelnen geringfugige historische Details oder Zufälle sein, die das Einschwenken der Entwicklung auf den einen oder anderen Entwicklungspfad verursachen und die weder vorhersehbar noch berechenbar sind. Ein solcher Versuch in politischer Prognostik ist Humes Essay Whether the British Government Inclines more to Absolute Monarchy, or to a Republic. Daran fällt sogleich die Fragestellung auf, die impliziert, die englische gemischte Verfassung als instabiles Gleichgewicht aufzufassen, das in die Richtung einer seiner reinen politischen Formen umschlagen wird. Sie wäre demnach nicht mehr als eine temporäre Gleichgewichtslage anhaltenden Konflikts zwischen demokratischen und monarchischen Kräften 324 , ein Konflikt, der als Erscheinungsform des für Humes politisches Denken fundamentalen Spannungsverhältnisses zwischen „Freiheit" und „Autorität" beschreibbar ist325. Diesen Ansatz, die politische Ordnung grundlegend als Spannungsfeld zu analysieren, nahmen in der variierten Terminologie des Gegensatzes von „authority" und „utility" Smith 326 und Miliar 327 auf, sowie, in anderem Kontext, 320 History of England, Bd. VI, S. 366, auch das folgende; S. 307 über die Bestechung von Parlamentariern durch den Hof. 321 Constitution of the United States of America, Artikel 1, Abschn. 6, z. B. in: J. Madison et al.: The Federalist Papers, Anhang. Alexander Hamilton zitiert diese Bestimmung ibid., Nr. LXXVI, S. 431 f . ; s.a. R. Bendix: Nation-Building and Citizenship, S. 141 ff. 322 History of England, Bd. VI, S. 531. 323 Duncan Forbes schreibt zusammenfassend: „... no government hitherto known in the world had managed to function with so little discretionary power as that of modern Britain. There was an element of danger therefore in its very perfection and uniqueness, and moreover the mixed monarchical-republican government of Britain which went along with this unique degree of liberty had certain necessary disadvantages without which it could not function as such: f. e., a system of adversary politics, that is a court and country party whose normal functioning had been disturbed by the Whig-Tory division of parties, which was a historical contingency caused by the disputed succession to the throne; a system of parliamentary dependence, attacked by the opposition as corruption, and so on", Hume and the Scottish Enlightenment, in: S. C. Brown (Hg.): Philosophers of the Enlightenment, S. 103. 324 Of the Parties of Great Britain, Essays, Anfang. 325 Of the Origin of Government, Essays, S. 40f. Pocock: Hume and the American Revolution, S. 337. 326 LJ(A), S. 318f., S. 321f., S. 401f.

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Kant328. Humes Prognose beschränkt sich auf die Feststellung von Entwicklungstendenzen, ohne sich auf eine festzulegen. Sie beruht auf der Annahme, daß keine „extraordinary convulsion" das Staatswesen erschüttert329 (allerdings erwartete Hume „convulsions" als Folge der explodierenden Staatsschuld). Die entscheidende historische Tendenz ist demnach die Konsolidieirung der Monarchie, die bei Verlust bedeutender Teile ihrer Prärogative gleichzeitig ihre Machtressourcen erweitert, so daß „the tide has run long, and with some rapidity, to the side of popular government, and is just beginning to turn towards monarchy"330, wobei die Patronage wesentlicher Bestandteil der konsolidierten monarchischen Macht ist. Sie bezieht ihre Wirksamkeit aus der neuen Finanzbasis des Staates und dem Wachstum des Staatsapparates, denn beide Faktoren begünstigen die Exekutive331. Zusammen mit der parlamentarisch nicht kontrollierten „Zivilliste", dem monarchischen Privatbudget, verfügte die Krone als Spitze der Exekutive nach Humes Schätzung über mehr als den dreißigsten Teil des Volkseinkommens und bildet zusammen mit den noch bedeutenden Prärogativrechten, dem Kommando über ein - wenn auch kleines - stehendes Heer und anderen Faktoren, eine so große Machtkonzentration, daß „there is no one but must despair of being able, without extraordinary efforts, to support our free government much longer under these disadvantages"332. Im Verhältnis zur Staatsquote modemer spätkapitalistischer Gesellschaften333 stellt die von Hume hier angenommene Konzentration volkswirtschaftlicher Ressourcen beim Staat sicher einen „schlanken" Staat dar. Dennoch bildet die Expansion des „fiscal-military state" im Zusammenhang der Kriege des 18. Jahrhunderts und, in weiterer Perspektive, des imperialistischen Programms britischer Seeherrschaft334, zentralen Gegenstand der „country"-Kritik, die vor allem innere, strukturelle Folgen dieser Entwicklungen fürchtete, vor allem die politische Zentralisierung. Im ganzen sei, schreibt Hume, „the power of the crown, by means of its large revenue... rather upon the encrease; though, at the same time I own, that its progress seems very slow, and almost insensible"335. Dabei setzt er voraus, der monarchische Machtaufstieg finde im Rahmen

327 Historical view of the English Government, Bd. IV, Essay 7, S. 286f.; ders. (Pseudon.: Crito): Letters of Crito on the causes, objects, and consequences of the present war, Edinburgh, 2. ed., 1796, S. 3; ders.: Lectures on the Publick Law of Great Britain, unbek. Verfasser, unbekanntes Datum, Glasgow University, MS Gen 203, S. 3; J. Craig faßte Millars Position dahingehend zusammen: „He referred the origin of the Rights of government, partly to the natural deference for abilities, birth, and wealth, which he denominated the principle of authority; partly to obvious and powerful considerations of utility", Account of the Life and Writings of John Millar, S. 50; L. Schneider: Tension in the thought of John Millar, Studies in Burke and his Time, 1971/72: 13, S. 2083-98, hier S. 2096. 328 Siehe I. Kant: Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, S. 342. 329 Whether the British Government inclines more to Absolute Monarchy, or to a Republic, Essays, S. 51, S. 48. 330 Ibid., S. 51. 331 Siehe Abb. 23, in: P. D. G. Thomas: The American Revolution. The English Satirical Print. 16001832, Cambridge, 1986. 332 Whether the British Government inclines..., Essays, S. 50. 333 Siehe F. Rahmeyer: Ökonomische und politische Hemmnisse einer Erhöhung der Staatsquote, Köln, 1975; den Abschnitt über Finanzpolitik in H. Markmann/D. B. Simmert (Hg.): Krise der Wirtschaftspolitik, Köln, 1978; G. M. Thomas/J. W. Meyer: The Expansion of the State, ARS, 1984. 334 J. H. Plumb: England in the Eighteenth Century, Part II, Kap. 5; P. Langford: A Polite and Commercial People, Kap. 8, Kap. 11, Kap. 13. 335 Whether the British Government inclines, Essays, S. 51.

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der Herrschaft des Gesetzes unter modernen, zivilisierten Bedingungen statt, denkt also, mit anderen Worten, an eine starke, aber „civilized monarchy" als Ruhepunkt der turbulenten politischen Entwicklung der jüngeren englischen Geschichte. Bewegt sich Hume so durchaus im Rahmen der „country"-Rhetorik, zieht er doch gegenteilige Schlußfolgerungen. Das ist in der historischen Legitimierung der Patronage angeklungen, zeigt sich aber noch deutlicher in der Bewertung der alternativen politischen Entwicklungswege: Republik oder Monarchie 336 . In England - daß woanders bestehende moderne, zivilisierte Republiken durchaus akzeptable politische Regime sind337, bleibt dabei außer Betracht - kann es nach Humes Einschätzung zur Beseitigung der monarchischen Gewalt und Begründung einer Republik nur unter drei Formen kommen, erstens durch die Usurpation eines wahrscheinlich auf Militärgewalt gestützten Diktators, eine sogleich unter Hinweis auf Cromwells Interregnum verworfene Alternative, zweitens durch die Usurpation der Souveränität durch das „House of Commons", die nach Humes Auffassung in turnusmäßige Bürgerkriegsunruhen anläßlich der turnusmäßigen Auflösung des Parlaments münden würde, da die notwendige Kontinuität der Macht nicht gewährleistet sei, und drittens - am wahrscheinlichsten - durch die Selbstperpetuierung des Parlaments nach dem Vorbild des sogenannten „langen Parlaments" in der ersten Phase der Great Rebellion. In diesem Fall wird eine mehrheitsfahige Parlamentspartei die de facto Herrschaft erringen und die Minderheit ausschalten; und ist so der Teil zum Ganzen geworden, wird das Ganze sich erneut spalten, usw., bis eine bloße Clique die Macht auf sich konzentriert hat. Alle drei diskutierten Verlaufsformen der Initiierung einer englischen Republik sind instabil und münden letztlich in eine Monarchie, so daß sie im Grunde nur mit Gewaltausbrüchen verbundene historische Umwege zu der von Hume anvisierten friedlichen und allmählichen Umwandlung der englischen gemischten Verfassung in eine (zivile) Monarchie darstellen338. Hume läßt keinen Zweifel, daß ihm die „zivile Monarchie" als zweitbeste Lösung gilt, denn „there is no doubt, but a popular government may be imagined more perfect than absolute monarchy, or even than our present constitution" 339 . Diese ideale Republik erscheint jedoch in England unrealistisch, und unter der pragmatischen Maxime, daß „in public deliberations, we seek not the expedient, which is best in itself, but the best of such as are practicable" 340 , avanciert der friedliche Übergang zur „zivilen Monarchie" so zum pragmatischen politischen Ideal. Staatsschuld: Selbstdestruktion Moment des Machtzuwachses der Krone ist die expandierende Staatsschuld, insofern sie den finanziellen Spielraum der Exekutive vergrößert. Ihre strukturelle Bedeutung erstreckt sich jedoch weiter auf sozioökonomische Veränderungen der englischen Gesellschaft und insbesondere wird die Entstehung einer Schicht von Staatsrentiers induziert, 336 Ibid., S. 51 f. 337 Of the Populousness of Ancient Nations, Essays, S. 416; Letters, Bd. II, Nr. 512, an David Hume the Younger, 8. 12. 1775. 338 Letters, Bd. II, Nr. 512, an David Hume the Younger, 8. 12. 1775. 339 Whether the British Government inclines, Essays, S. 52; s. a. Letters, Bd. II, Nr. 512. 340 History of England, Bd. VI, S. 391. „Second best"-Denken findet sich auch in den Federalist Papers von James Madison et al., Nr. XLI (Madison), S. 266, bei Edmund Burke: Selected Letters, S. 263ff., und bei anderen Schotten.

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welche die soziale Basis des „monied interest'' bildet. Humes Position ist in diesem Fall nahe zur „Country"-Position angesiedelt und nimmt sich in seiner im ganzen „modernen" Position merkwürdig antimodern aus. Die in unserem Jahrhundert „keynesianisierte Gesellschaft" und die von der keynesianischen Linken vertretenen Politiken des „deficit-spending"341 können sich jedenfalls nicht auf ihn berufen, eher schon die amerikanischen Republikaner des „Contract for America". Hume nannte es ein „new paradox... that any state, even though it were not pressed by a foreign enemy, could not possibly have embraced a wiser expedient for promoting commerce and riches, than to create funds, and debts, and taxes, without limitation" - „absurd maxims" Walpoles und der „Court-Whigs"342. An Humes Analyse wirkt insbesondere veraltet, daß er öffentliche Finanzen und die Ökonomie eines Privatmannes auf eine Ebene stellt343. Aber er fuhrt nicht nur ökonomische Argumente ins Feld, sondern besonders auch politische und soziologische344. Das grundsätzliche Bedenken ist politisch motiviert: freiheitliche Regime stehen strukturell unter der Versuchung des Mißbrauchs des Staatskredits, weil er einen bequemen Ausweg für die jeweilige politische Führung bietet, finanzielle Probleme in die Zukunft zu verschieben, anstatt sich in der Gegenwart beim Wahlvolk unbeliebt zu machen, durch Diskontierung zukünftiger, und dann notwendig erhöhter, Steuern zur Bedienung des Staatskredits345. Freiheitliche Politik ist notwendig kurzsichtig. Warum? Die anthropologische Kurzsichtigkeit des Menschen bildete bereits in Humes Treatise jenen Defekt, der als historisch wirksame Ursache die politische Gewalt notwendig macht346, die allgemeine Regeln durchsetzt, die unabhängig von den politischen Konjunkturen gelten müssen, soll Gesellschaft dauerhaft stabilisiert werden. Die führenden Politiker sind nun institutionell in einer Position, die ihnen, anders als den Privatleuten, ermöglicht, eine weitere Sicht auf alternative Entwicklungstendenzen und -möglichkeiten der Politik und die wahrscheinlichen Folgen politischen Handelns zu tun, und sie sind zweifellos dazu verpflichtet. Insofern jedoch die protodemokratische Politik Englands, und insbesondere die wachsende Macht der öffentlichen Meinung347, die Politiker an die Volksmeinung bindet, geht dieser Positionsvorteil der politischen Führung tendenziell wieder verloren, so daß die Politik als demokratische ihre strategische Fähigkeit einbüßt348. Die Demo341 Siehe J. M. Keynes: Allgemeine Theorie der Beschäftigving, des Zinses und des Geldes, Berlin, 5.Aufl., 1974; versch. Beiträge in W.Weber (Hg.): Konjunktur- und Beschäftigungstheorie, Köln/Berlin, 2. Aufl., 1969; Ch. Buci-Glucksmann/G. Therborn: Der sozialdemokratische Staat. Die Keynesianisierung der Gesellschaft, HH, 1982; K. G. Zinn: Artikel: Keynesianismus, in: Lexikon des Sozialismus, hg. v. T. Meyer et al., Köln, 1986; P. A. Hall (Hg.): The Political Power of Economic Ideas: Keynesianism across Nations, Princeton, 1989; eine marxistische Kritik ist P. Matticks: Marx und Keynes. Die Grenzen des „gemischten Wirtschaftssystems" (1969), Ffm. /Köln, 2. Aufl., 1974. 342 Of Public Credit, Essays, S. 352. 343 Ibid., S. 351: „... why should the case be so different between the public and an individual, as to make us establish different maxims of conduct for each?" 344 Siehe Istvan Hont: The rhapsody of public debt: David Hume and voluntary state bankruptcy, in: N. Phillipson/Q. Skinner (Hg.): Political Discourse in Early Modem Britain, Kap. 15, S. 321-48. 345 Of Public Credit, Essays, S. 352; s. a. A. Ferguson: History of Civil Society, S. 234. 346 Treatise, Buch III, Abschn. VII. Der Hinweis von Hutcheson, Smith und anderen Schotten auf den inhärent egoistischen Bias des Menschen, ist ein analoges, aber nicht identisches Motiv. 347 Siehe den Essay Of the Liberty of the Press. 348 Versch. Beiträge in W. Hennis u. a. (Hg.): Regierbarkeit. Studien zu ihrer Problematisierung, 2 Bde., Stg., 1977/79, bieten eine moderne Diskussion.

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kratie wirkt sich hier also zwiespältig aus: einerseits erhöht sie die Legitimation der Politik, ihre Fähigkeit, zu führen und die Ressourcenstärke der Gesellschaft zu nutzen; andererseits jedoch wird sie sich, besonders im Wettkampf der politischen Parteien - Merkmal der politischen Moderne -, aus Gründen des Machterwerbs den Massenmeinungen assimilieren. Insoweit Hume nicht dafür plädiert, diese demokratischen Aspekte der englischen Politik aufzuheben, plädiert er doch dafür, ihr den finanziellen Ausweg in die Zukunft zu verbauen. Auch die sozialen Wirkungen der Staatsschuld sind nach Hume überwiegend negativ 349 , denn „national debts cause a mighty confluence of people and riches to the capital, by the great sums levied in the provinces to pay the interest; and perhaps, too, by the advantages in trade..., which they give the merchants in the capital above the rest of the kingdom". Die Ökonomie, insbesondere die Finanzwirtschaft, wird zu einseitig auf die Metropole konzentriert, es entwickeln sich Wettbewerbsverzerrungen und Monopole. Die Hauptstadt London sei als „head undoubtedly too large for the body" 350 , und überhaupt seien „Enormous cities" „destructive to society, beget vice and disorder of all kinds, starve the remoter provinces, and even starve themselves, by the prices to which they raise all provisions" 351 . Unter einer freiheitlichen Regierung, deren innere Repressionskraft gering ist, bilde London so einen Unruheherd 352 , wie bereits in den Revolutionen des 17. Jahrhunderts 353 und so wie später auch das Pariser Volk wesentliche Phasen der französischen Revolution und noch der „Pariser Commune" bestimmte 354 . Nach den „Gordon-Riots" von 1780, die durch Militär unterdrückt wurden, kam es in London zur Einrichtung einer regulären Polizeitruppe 355 . Allerdings glaubt Hume, daß die Londoner City - „half merchants, half stock-holders" 356 - fur Ruhe und Ordnung eintreten wird, um den Staatskredit nicht zu gefährden, der so eine einflußreiche Schicht interessenmäßig mit der Stabilität der Regierung verbindet 357 . Aber die Schicht der Finanzleute hat kaum Verbindungen zum traditionellen sozialen Leben des Landes und kann daher nicht zu den sozialen Stützen der Politik gezählt werden. Das „monied interest" wirkt daher desintegrierend wie ein Fremdkörper, der sich parasitär zur Gesellschaft verhält, so daß die Gleichung von Sozialfunktionen der traditionellen Elite: Privilegierung und Verantwortung 358 , im „monied interest" aufgelöst erscheint, was übrigens eine Bedrohung der 349 350 351 352 353

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Of Public Credit, Essays, S. 354, auch für das folgende. Auch Tucker vetritt eine derartige Position: A Treatise concerning Civil Government, S. 258ff. Of the Populousness of ancient Nations, Essays, S. 401. Of Public Credit, Essays, S. 355. Hume: History of England, Bd. V, S. 387; T. Hobbes: Behemoth, S. 127f., S. 142, S. 148f., betont besonders den politischen Opportunismus der Londoner Kaufleute, die die Politik der Hauptstadt beherrschten, instabil und illoyal machten. W. Markov: Revolution im Zeugenstand; ders. /A. Soboul: 1789. Die große Revolution der Franzosen, Köln, 1977; G. Lefebvre: 1789; Bretonne: Revolutionäre Nächte in Paris; G. Rude: The Crowd in the French Revolution; siehe zur Commune etwa den fiktionalen Zeitzeugenbericht von Jules Valles: Jacques Vingtras, Ffin., 2. Aufl., 1979. P. Langford: A Polite and Commercial People, S. 549ff.; J. R. Forster, in: M. Maurer (Hg.): Ο Britannien, von deiner Freiheit einen Hut voll. Deutsche Reiseberichte des 18. Jahrhunderts, München/Leipzig u. Weimar, 1992, S. 314-30; s. a. Abb. 51ff., in: J. Brewer: The Common People and Politics. Of Public Credit, Essays, S. 353. Ibid., S. 355. Siehe dazu etwa Dugald Stewart: Lectures on Political Economy, CW, Bd. Di, S. 378f.

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Elitenmoral darstellt. Abgesehen davon werden bedeutende Teile der englischen Staatsschuld von Ausländern gehalten, wodurch die politische Kontrolle über die Ökonomie geschwächt wird. Ökonomisch stellt die Staatsschuld, handelbar gemacht, eine neue Art von Geld dar, das in verschiedenen Funktionen nützlich ist und die Wirtschaftstätigkeit im ganzen anregt359. Auf der anderen Seite verschlechtern die zur Kreditbedienung nötigen Steuern Englands internationale Wettberwerbsposition und die Lebenslage der „kleinen Leute", die besonders unter Preiserhöhungen zu leiden haben360. Im Zentrum von Humes ökonomischer Kritik der Staatsschuld steht jedoch die These der Überbesteuerung, und in Extrapolation gegenwärtiger Tendenzen gelangt Hume zur Prognose der Erdrückung der produktiven Sektoren des Landes durch die unproduktiven, während die Masse des Surplus durch die Staatsgläubiger appropriiert wird, „men, who have no connexions with the state, who can enjoy their revenue in any part of the globe in which they chuse to reside, who will naturally bury themselves in the capital or in great cities, and who will sink into the lethargy of a stupid and pampered luxury, without spirit, ambition, or enjoyment. Adieu to all ideas of nobility, gentry, and family. The stocks can be transferred in an instant, and being in such a fluctuating state, will seldom be transmitted during three generations from father to son. Or were they to remain ever so long in one family, they convey no hereditary authority or credit to the possessor; and by this means, the several ranks of men, which form a kind of independent magistracy in a state, instituted by the hand of nature, are entirely lost; and every man in authority derives his influence from the commission alone of the sovereign. No expedient remains for preventing or suppressing insurrections, but mercenary armies..."361. In dieser ganz im Bereich der „Country"-Rhetorik angesiedelten Harangue setzt Hume die Staatsschuld mit desaströsen gesellschaftlichen Folgen in Beziehung: der Anklage der kosmopolitischen Wurzellosigkeit der Finanz, der Konzentration des Reichtums in der Metropole, des Parasitären, Nutzlosen der Rentier-Existenz, der Verflüssigung der sozialstrukturellen Basis der Politik und der Zersetzung tragender Werte der „Gentleman"-Kultur, deren Trägerschicht sich gleichzeitig als Trägerschicht des Staates versteht und dem Staat Stabilität und Kontinuität verleiht - alles zentrale Topoi der „Country"-Opposition362. Betont ist auch die Unverzichtbarkeit der „Natural Aristocracy" als einer zwischen dem Staat und der Masse des Volkes vermittelnden sozialen und politischen Kernschicht, die nach beiden Seiten unabhängig ist, was wesentlich auch ökonomische Unabhängigkeit bedingt. In älteren Varianten dieser „Country"-Position, wie bei Toland und Cato, wird diese Rolle der Aristokratie zugeschrieben und insbesondere mit Landbesitz gekoppelt, während Hume auf breitere, auch bürgerliche Schichten der Gentry abhebt3 3. Aber diese Variationen 359 360 361 362

Ibid., S. 353f. Ibid., S. 355. Ibid., S. 357f. Pocock: The varieties of Whiggism from Exclusion to Reform, in: ders.: Virtue, Commerce, and History, S. 250: „It is signifikant that Hume, in general so unmistakably a defender of the Whig commercial arsitocracy, expressed unmistakably Tory fears of the power of public credit, which by rendering both real and mobile property valueless might destroy the natural aristocracy of land-inheriting families"; s. a. die ausgewogene Position David Millers: Philosophy and Ideology in Hume's Political Thought, Kap. 6, S. 135ff. 363 Für die sozialer Nützlichkeit des Geburtsadels argumentiert Hume jedoch in: Of the Protestant Succession, Essays, S. 504.

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demonstrieren nur die Akzeptanz des herrschaftssoziologischen Modells als solches, und ohne diese gesellschaftspolitischen Implikationen ist Humes Stellungnahme zur Staatsschuld nicht verständlich, die die Grenzen einer immanent ökonomischen Diskussion entschieden sprengt. Stattdessen entwickelt er eine Fundamentalkritik soziologischer und politischer Wirkungen der Moderne in einem ihrer Entwicklungsaspekte. Und kein Zweifel, daß er die Konservierung der Sozialstruktur als Basis politischer Stabilität über mögliche ökonomische Gewinne aus der Staatsschuld stellt. Nach seinem pessimistischen Entwicklungsszenario werden die Staatsgläubiger auch politisch zur einflußreichsten Schicht werden 364 , womit die Möglichkeiten einer durchgreifenden Eliminierung der Staatsschuld auf politischem Wege schwinden. Und das „monied interest", politisch ungebunden, wird sich einer Politik patriotischer Behauptung des Landes in der internationalen „Balance of Power" verweigern, so daß am Ende die fatale Alternative ersteht, daß entweder der politische Zentralismus zur Entmachtung der Rentiers fuhrt, oder daß diese den Staat dem Ausland preisgeben. Und daraus folgt: „...either the nation must destroy public credit, or public credit will destroy the nation" 6S. Unterhalb dieser langfristigen Perspektive hält Hume bereits aktuell den Staatskredit nicht nur Englands für so unsicher, daß die europäischen Machtkämpfe finanzpolitisch gleichsam an einem Abgrund stattfinden 366 . In einer zukünftigen staatspolitischen Krise, ausgelöst z.B. durch eine militärische Niederlage, wird nach seiner Erwartung die Regierung gezwungen sein, die Zahlungen an die Staatsgläubiger auszusetzen, und „The whole fabric, already tottering, falls to the ground, and buries thousands in its ruins. And this, I think, may be called the natural death of public credit: For to this period it tends as naturally as an animal body to its dissolution and destruction" 367 . Was genau in dieser Krise passieren wird, hängt vom Kräfteverhältnis zwischen dem „moneyed" und dem „landed interest" ab, an dessen Überlegenheit aufgrund seiner soliden sozialen Machtbasis Hume glaubte368. Aber er sieht auch eine Tendenz der Verflechtung zwischen Grundbesitzern und Geldleuten, so daß es zu keiner entscheidenden Auseinandersetzung zwischen ihnen kommen mag 369 und damit auch nicht zu einer gründlichen Bereinigung der Staatsschuld. Bricht der Staatskredit also nicht zusammen, wird er sich reproduzierende unvollständige Krisenzyklen beschreiben, wobei das negative Szenario der Alternative von politischer Despotie und internationaler Ohnmacht des Staates dann über mehrere dieser Krisenzyklen hinweg eintritt. Als Kritiker der rapide wachsenden Staatsschuld stand Hume nicht allein370, auch nicht mit seinen pessimistischen Annahmen über einen absehbaren Zusammenbruch 371 , 364 365 366 367

Of Public Credit, Essays, S. 359. Ibid., S. 360f. Ibid., S. 362. Ibid., S. 363. Später interpretiert er die ausgesetzte Kreditbedienung durch Charles II, die nicht zum Zusammenbruch des Staatskredits führte, als „proof, that public credit, instead of being of so delicate a nature, as we are apt to imagine, is, in reality, so hardy and robust, that it is very difficult to destroy it", History of England, Bd. VI, S. 536. 368 Of Public Credit, Essays, S. 364, Note 369 Letters, an William Strahan, 19. 8. 1771, Bd. II, Nr. 458, S. 248. 370 Malachi Postlethwayt schreibt im Preliminary Discourse the First seines Universal Dictionary of Trade and Commerce unter Berufung auf Humes Kritik der Staatsschuld, S. XXXII: J f our public debts and taxes were equitably abolished, we should have no occasion for perpetuated taxes of any kind; and bad princes and worse ministers could never have such immense revenues at their

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originell ist aber sein extrapoliertes Gedankenmodell der wahrscheinlichen langfristigen Selbstdestruktion freiheitlicher Politik372 durch den Staatskredit373, eine in kassandrischen Briefen oft wiederholte Perspektive374. Wenn man seine Kritik der Staatsschuld mit der Diskussion politischer Regimeformen - Republik oder Monarchie - in Beziehung setzt, dann sieht man sein Dilemma: die Republik vermeidet zwar die Verschwendung gesellschaftlicher Ressourcen für Zwecke monarchischer Ostentation, dort jedoch, wo sie protodemokratisch kurzsichtig wird, erzeugt sie durch den Staatskredit eine politisch desintegrierende Klasse von Finanzleuten auf Kosten der Gentry und treibt auf längere Sicht zur Selbstdestruktion. Die Kritik der Staatsschuld repräsentiert Humes klarste Negation der ökonomischen Moderne. Imperialismus und „Radikalismus" Da der Krieg die wichtigste Ursache für das exponentielle Wachstum der Staatsschuld ist375 und daher, nach Malachi Postlethwayt, durch das ,Jrfonied Interest betrieben wird376, folgt aus Humes Kritik der Staatschuld und des ,JAonied Interest' eine pazifistische Orientierung. Imperialismen, so eine der Lehren Humes aus der Geschichte, zerstören sich selbst 377 , weil sie das innere Gleichgewicht eines „Body Politic" aufzehren und sich die Kräfte, die zu Zwecken imperialistischer Expansion mobilisiert werden, in einem fortgeschrittenen Stadium dieser Auszehrung machtpolitisch nach innen wenden 378 .

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command; and therefore could neither have it in their power to destroy the being of parliaments or the public credit; for no revenue being then raised but what should be annually so done, the parliament must annually meet to raise the whole, or the prince would have none wheron ever to rely independent of parliaments". Eine moderne Handelsnation nach dieser Art regieren zu wollen, kann kaum gehen. Siehe ζ. Β. M. D. George: English Political Caricature, Abb. 30: Britannia in Distress, under a Tott'ring Fabrick with a Cumberous Load. Eine moderne Diskussion von gesellschaftlichen Selbstdestruktionstendenzen bietet Stefan Breuer: Die Gesellschaft des Verschwindens. Seine Prognose erforderte lediglich, meinte Hume, „to be in one's senses, free from the influence of popular madness and delusion", Of Public Credit, Essays, S. 365; siehe J. G. A. Pocock: Hume and the American Revolution, S. 341. Letters, Bd. II, an William Strahan, 11. 3. 1771, Nr. 454, S. 237, an dens., 25. 6. 1771, Nr. 456, S. 245. Diesen interpretativen Gesichtspunkt betont I. Hont: The rhapsody of public debt, in: N. Phillipson/Q. Skinner (Hg.): Political Discourse in Early Modern Britain. M. Postlethwayt: Universal Dictionary of Trade and Commerce, Art.: Monied Interest: „The public debt has produced a difference of interests in this country, that we have lately suffered by, and, if not remedied, can have no end. It is the interest of the stockholders to involve the nation in war, because they get by it: it is the interest of the landed men and merchants to submit to many evils, rather than engage in war, since they must bear the chief burden of it". Of the Balance of Power, Essays, S. 340f.; siehe: J. Robertson: Universal monarchy and the liberties of Europe: David Hume's critique of an English Whig doctrine, in: N. Phillipson/Q. Skinner (Hg.): Political Discourse in Early Modern Britain, S. 349-373; vgl. J. J. Rousseau: Considerations sur le Gouvernement de Pologne, S. 231: „La republique romaine fat detruite par ses legions quand l'eloignement de ses conquetes la for^a d'en avoir toujours sur pied", denn damit geht die ursprüngliche Bürgermiliz in ein stehendes Heer über, wobei der entscheidende Gesichtspunkt die Abhängigkeit der Soldaten von ihrem Heerführer ist, der sie zum Instrument seiner politischen Ziele macht, s. a. S. 233f. Parallelen weist Josiah Tuckers Position im Treatise concerning Civil Government auf, derzufolge es ein Vordringen monarchischer Patronage gibt, weil die kriegerische Ausdehnung des britischen Empire unvermeidlich zur Ausdehnung der Exekutive und damit zur Stärkung monarchischer

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Diese These über den Verfall eines Eroberungsstaates bildet eine Variante zum „Zyklus der Korruption" durch den Luxus, zwei Topoi, die oft miteinander kombiniert wurden. Bei Hume tritt die Korruption durch den Luxus in den Hintergrund, an der Kritik des Imperialismus hält er jedoch fest, und darin liegt eine Wurzel auch fiir seine Ablehnung des Krieges gegen die amerikanischen Kolonien, den er realistisch für nicht gewinnbar hielt379, womit er sich nicht nur zu seinem Freund, Drucker, Verleger, Landsmann und seit 1774 „Member of Parliament", William Strahan, in Gegensatz setzte 380 , mit dem er von Edinburgh in seinen späteren Lebensjahren einen politisch interessanten Briefwechsel unterhielt, sondern auch zu den ,JModerate Literati" von Edinburgh, die im allgemeinen und auch in bezug auf den amerikanischen Konflikt bellizistischer gesinnt waren381, auch wenn sie wie Hume theoretische Gegner imperialistischer Politik waren382. Adam Smith argumentierte zur Zeit der Unabhängigkeitserklärung383, der Besitz der Kolonien sei ökonomisch lange nicht so vorteilhaft, wie vielfach angenommen, wesentlich wegen der akkumulierten Staatsschuld, die auf Kriege zurückgehe, die zur Verteidigung der Kolonien gefuhrt worden seien, während diese keinen oder nur einen geringfügigen Beitrag dazu leisteten. Unter Ausschluß der Möglichkeit einer friedlichen Einigung

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Patronage fuhrt, S. 248ff. Tucker hat denn auch, wie Hume, gegen den amerikanischen Krieg Stellung genommen, siehe: J. G. A. Pocock: Josiah Tucker on Burke, Locke, and Price, in: ders.: Virtue, Commerce, and History; Hinweise auf Tucker auch in: idem: The varieties of Whiggism, ibid.; Hinweise auf Tucker im Kontext der Locke-Rezeption des 18. Jahrhunderts finden sich in Richard Ashcrafts: The radical dimensions of Locke's political thought, HPT, 1992, S. 742 u. pass. Zentral ist fur Tucker wie Hume die Parteinahme für die ökonomische Moderne und die Ablehnung antiker Politikmodelle. Siehe: Letters, Bd. II, an William Strahan, Nr. 434, 25. 10. 1769, Nr. 454, 11.3. 1771, Nr. 509, 26. 10. 1775; siehe im ganzen J. G. A. Pocock: Hume and the American Revolution; s. a. zum folgenden D. I. Fagerstrom: Scottish opinion and the American revolution, WMQ, 3. Series, 1954: 11, S. 252-75; ein zeitgenössischer Reformvorschlag der Beziehungen Englands zu den amerikanischen Kolonien stammt von Postlethwayt: The Universal Dictionary of Trade and Commerce: Preliminary discourse the first. Im Kem intendiert Postlethwayt die Zementierung einer ökonomischen Arbeitsteilung zwischen Mutterland und Kolonien, die letztere in die Rolle von Rohstofflieferanten drängt und dem Mutterland das Handelsmonopol sichert. Sein Plan war politisch unrealistisch. Siehe im Dictionary of National Biography: Strahan, William, 1715-85. Strahan war einer der literarischen Nachlaßverwalter Humes. Siehe zu Strahans Haltung zum Krieg gegen die amerikanischen Kolonien bes. seinen Brief Nr. 7 an Hume ν. 30. 10. 1775, in: J. E. Burton (Hg.): Letters of Eminent Persons addressed to David Hume, 1849, repr., Bristol, 1989, S. 100. Siehe: Adam Ferguson: Remarks on a pamphlet lately published by Dr. Price, und die Reproduktion seiner Rede während der Parlamentsdebatte im Oktober 1775, in: W. P. Adams/A. Meurer Adams (Hg.): Die Amerikanische Revolution in Augenzeugenberichten, S. 165ff.; Alexander Carlyle: The Justice and Necessity of the War with our American Colonies examined, Edinburgh, 1777; siehe zur Haltung John Homes zum amerikanischen Krieg den Brief von Hume an ihn ν. 8. 2. 1776, New Letters, Nr. 119; der Bellizismus John Homes wird etwa auch im Epilog seines Dramas Agis deutlich, The Works of John Home, Edinburgh, 1822, Bd. I, S. 285f.; s. a. R. B. Sher: Church and University, S. 208, S. 262-76; siehe weiterhin: Allan Ramsay, Junior [anon. ]: Thoughts on the Origin and Nature of Government, occasioned by The Late Disputes between Great Britain and her American Colonies, written in the Year 1766. Siehe A. Ferguson: History of Civil Society, S. 272; A. Carlyle: The Justice and Necessity of the War with our American Colonies, S. 35. WN, Bd. II, Buch IV, Kap. VII, Teil III, Buch V, Kap. III, S. 944ff.; Correspondence of Adam Smith, Glasgow Edition, Bd. VI, hg. v. E. C. Mossner/I. S. Ross, Indianapolis, 1987, Appendix B; siehe D. Stevens: Adam Smith and the Colonial Disturbances, in: A. S. Skinner/T. Wilson (Hg.): Essays on Adam Smith, S. 202-17; A. S. Skinner: Mercantilist Policy: The American Colonies, in: ders.: A system of social science.

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und Rückkehr zum status quo ante kommt er daher zu der Alternative, entweder die Kolonien durch einen massiven und anhaltenden Militäreinsatz zu unterwerfen, oder sie aufzugeben. Wie die Dinge lägen, sei jedenfalls das englische Imperium in Nordamerika nur eine Einbildung. Und da er die Unterwerfung der Kolonien ebenso wie Hume für unrealistisch und Teilunterwerfung nicht für wünschenswert hielt384, die ökonomisch die notwendigen militärischen Anstrengungen nicht rechtfertigen könne, blieb nur die Alternative der friedlichen Entlassung der Kolonien in die Unabhängigkeit - auch wenn Smith diesen Schluß nicht explizit formulierte. Im übrigen unterstützte er den Anspruch der Amerikaner auf „equal representation" und die Idee voller Gleichberechtigung von Mutterland und Kolonien, was, wie ihm klar war, bei anhaltend schnellem Bevölkerungswachstum der Kolonien auf längere Sicht bedeuten mußte, den Regierungssitz nach Amerika zu verlegen385. John Miliar scheint weitergehend aus prinzipiellen Gründen und wegen der Gefahren einer militärischen Lösung für die innere Freiheit Englands386 für die Unabhängigkeit der Kolonien optiert zu haben. Hier liegt also eine politische Differenz der „Moral Sense"-Strömung mit den „Moderate Literati", die aber nicht offen ausgetragen wurde. Als ein Hauptverantwortlicher der offensiven englischen Kriegspolitk erschien Hume der „great Commoner" William Pitt-Lord Chatham387, der durch Teile der Whig-Oligarchie und die Londoner Politik unterstützt wurde und der daher den negativen politischen Einfluß der Metropole und der Finanzleute verkörperte388. Er glich für Hume dem Typus eines modernen Demagogen, der den Chauvinismus, unter dem Hume als Schotte zu leiden hatte, und die latente Kriegsbereitschaft der englischen, vornehmlich der Londoner Massen389 für seine persönliche Machtkarriere ausbeutete und die Nation im Rahmen eines imperialistischen Programms in kriegerische Abenteuer verwickelte390. 384 Correspondence, Appendix B, S. 384f. 385 WN, Bd. II, Buch IV, Kap. VII, Teil III, S. 625f. Diese Vision könnte von Benjamin Franklin stammen, siehe Pocock: Josiah Tucker on Burke, Locke, and Price, in: ders.: Virtue, Commerce, and History, S. 162. 386 John Craig: Account of the Life and Writings of John Millar, S. 107f.: „[Millar] openly disapproved of the attempt to tax America, as equally unjust and impolitic; and, when the country, by a series of ill digested measures was driven to the declaration of Independence, he explicitly avowed his wishes for a total separation, rather than a conquest... But the subjugation of America would have been the triumph of injustice, and was likely, by increasing the ministerial influence, and putting under the command of the crown a large army accustomed to act against the people, to be as fatal to the liberties of the conquerors, as to those of the conquered. In a town, such as Glasgow, depending wholly at that time, on the American trade, it will easily be believed that those opinions were extremely unpopular... ". 387 Τ. B. Macaulay: William Pitt (1834), sowie: The Earl of Chatham (1844), in: ders.: Critical and Historical Essays, Bd. I; J. H. Plumb: England in the Eighteenth Century, Teil 2; P. Langford: A Polite and Commercial People, Kap. 5, Kap. 8. 388 Vgl. Pocock: The varieties of Whiggism, in: ders.: Vitue, Commerce, and History, S. 253f. 389 Letters, Bd. II, an William Strahan, 11.3.1771, Nr. 454, S. 237: „But all this is nothing in comparison of the continual encrease of our debts, in every idle war, into which, it seems, the Mob of London are to rush every Minister". 390 Eine zurückhaltend formulierte Kritik der kriegerischen englischen Außenpolitik enthält der Essay Of the Balance of Power, Essays, S. 338ff. Siehe über Pitt die Briefe: New Letters, an Robert Clerk, 12. 12. 1761, Nr. 32; Letters, Bd. I, an Baron Mure of Caldwell, 1. 9. 1763, Nr. 212, Bd. II, an William Strahan, 25. 1. 1770, Nr. 436, 21. 1. 1771, Nr. 453, 25. 3. 1771, Nr. 455; s. a. Pocock: Hume and the American Revolution, S. 339.

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Was Hume darüber hinaus unverzeihlich in Pitt fand, war sein Entgegenkommen gegenüber der im Laufe der späten 1760ger Jahre um John Wilkes391 entstandenen radikalen Bewegung, die Hume scharf ablehnte392. Der Schwerpunkt der sozialen Basis dieser Bewegung lag im städtischen Kleinbürgertum, und in der Verwandtschaft der städtischen Milieus und der Überschneidung der sozialen Basen von Pitt und Wilkes lag sicher ein Moment der Affinität, aber die plebejische Komponente der Wilkes-Anhänger führte auch ein neues Element in den englischen politischen Prozeß ein, der damit drohte, aus seinen Bahnen gerissen zu werden. „What troubled Hume was that, in mobilising the common people of London and Middlesex, Wilkes had introduced a force into politics that threatened the stability of government, and indeed the state"393. Die Radikalen, so meine Interpretation Humes, brachen die in England als Resultat der Auseinandersetzungen seit dem Ende des Feudal System erreichte prekäre Balance zwischen „Freiheit" und „Autorität" auf, indem sie das Freiheitsmoment gedanklich isolierten, verabsolutierten und idolisierten. „Licentiousness, or rather frenzy of liberty, has taken possession of us, and is throwing everything into confusion", klagte er im Dzember 1768 in einem Brief nach Frankreich394. Wenn Court und Country in Humes Parteienanalyse die Pole von (zentraler) „Autorität" und (dezentraler) „Freiheit" bildeten, die sich gegenseitig ergänzen und daher als Momente eines notwendigen Spannungsverhältnisses nicht aufhebbar sind, wenn nicht beide Seiten und damit auch die englische Constitution zerstört werden sollen, so existierte dieses Spannungsverhältnis jedoch auch in der Form des ideologischen Gegensatzes von Whigs und Tories auf Basis fehlerhafter Theorien politischer Legitimation, der Vertragstheorie und der Idee der „passive obedience". Dadurch wird das politische Kräftefeld verdoppelt und die politische Situation kompliziert, was nach Hume zeigte, daß „some biass still hangs upon our constitution, some extrinsic weight, which turns it from its natural course, and causes a confusion in our parties"395. Die Ideologeme sind für die Verwirrung verantwortlich, und Hume machte in erster Linie die Whigs für die Verselbständigung des Freiheitsmomentes der englischen „constitution" verantwortlich. Das Aufkommen der radikalen Bewegung erscheint dabei als logische Frucht der jahrzehntelangen, staatlich protegierten Vorherrschaft der Whig-Ideologie, die zur Schwächung der Autorität in der politischen Kultur Englands geführt hat396. Samuel Johnsons Dictionary erklärte „Licentiousness" als „boundless liberty, contempt of just restraint"; sie erschien Hume als die moderne englische Krankheit, deren Symptome die radikale Bewegung einerseits und die schwache Reaktion der Regierung dagegen ande-

391 Siehe Hume über Wilkes: Letters, Bd. II, an Hugh Blair v. 28. 3. 1769, Nr. 427. 392 S. a. Livingston: Hume's Philosophy of Common Life, S. 267ff., S. 323ff. Siehe zur Ablehnung der radikalen Bewegung durch Josiah Tucker: Pocock: Josiah Tucker on Burke, Locke, and Price, in: ders.: Virtue, Commerce, and History, S. 166. Recht deutlich auf Pitt und die Radikalen zielt der Hinweis von Kames auf „men who term themselves Britons, fomenting a dangerous rebellion in our colonies, and sacrificing their native country to a feverish desire of power and opulence", Sketches of the History of Man, Edinburgh, Bd. II, S. 335, Note. 393 H. Chisick: David Hume and the Common People, S. 17. 394 An die Comtesse de Bouffiers, zit. η.: Η. Chisick: David Hume and the Common People, S. 18. Vgl. verwandte Äußerungen bei Thomas Pownall: Principles of Polity, London, 1752, S. 107f. und Josiah Tucker: Treatise concerning Civil Government, S. 290. 395 Of the Parties in Great Britain, Essays, letzter Satz. 396 Siehe Ν. Elias über die freiheitsverbürgende Funktion des staatlichen Gewaltmonopols: Violence and Civilization (zuerst deutsch 1981), in: J. Keane (Hg.): Civil Society and the State, S. 177-98.

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rerseits waren 397 . Die einseitige Auflösung des Spannungsverhältnisses von „Freiheit" und „Autorität" 398 durch die Radikalen konnte nur in Anarchie enden, die, da nicht lange durch die Gesellschaft ertragbar, in Despotie umschlagen mußte 399 , und der gesamte Zyklus historischer Lernprozesse seit der Auflösung des Feudal System, der in ein politisches Regime historisch einmaliger Freiheitsgrade gemündet war, würde annulliert 400 und die Perspektive der dauerhaften Befriedung der englischen Politik im Rahmen einer „limited", „civilized monarchy" wäre verloren. Begreiflich wird daher die Schärfe in Humes Sprache über den Radikalismus - in der Korrespondenz mit Strahan die an zentralen Stellen den Gegensatz von „Barbarei" und „Zivilisation" aufnimmt. Die Freiheitsexzesse der Radikalen beschreibt Hume nämlich als Akte von Barbaren401 und Verrückten 402 . Nur der Zivilisierte, kann e contrario geschlossen werden, versteht die Bedingtheit seiner Freiheit durch Autorität, und Zivilisierung schließt insofern die Internalisierung von Normen friedlichen, gesitteten Zusammenlebens und den Verzicht auf äußere Autorität als Zwangsgewalt ein, die im Selbstzwang verschwindet 403 - entsprechend Montesquieus Troglodyten-¥aiabe\. In England hat eine über Jahrhunderte meliorisierte „Rule of Law" Sicherheits-, Freiheits-, Wohlfahrts- und kulturelle Zivilisierungseffekte hervorgebracht, die jedoch durch die Whig-Ideologie gefährdet werden, die die Einsicht in den Zusammenhang von Freiheit und Autorität zerstört, was auf eine zivilisatorisch regredierte, „barbarische" Gesellschaft hinauslief. War Hume schon früher zu der Auffassung gelangt, der historisch einmalige Grad ziviler Freiheit Englands sei vor allem wegen des damit verbundenen Parteienstreits, der ihr etwas Rohes und Unzivilisiertes verleiht, den schönen Künsten und höheren Kulturformen nicht günstig 404 , was sich insbesondere an dem niedrigen Niveau der zeitgenössischen englischen Literatur zeigte, von der er allenfalls Laurence Sterne gelten ließ405, so sieht er in der radikalen Bewegung und der defensiven Reaktion der Regierung den Beweis, daß diese Kultur sich selbst zerstört406, die ihm nurmehr wenig bedeutet 407 . Zur Zeit der Zuspitzung des Konflikts 397 Siehe: Letters, Bd. II, Nr. 422, an Baron Mure of Caldwell, London, 18. 10. 1768. 398 Siehe hierzu die Erörterung von N. Capaldi: The Preservation of Liberty, in: ders. /Livingston (Hg.): Liberty in Hume's History of England, S. 195-221. 399 Letters, Bd. II, Nr. 434, an William Strahan, v. 25. 10. 1769, S. 210f. 400 Siehe: Letters, Bd. II, Nr. 439, an G. Elliot ν. 21. 2. 1770, S. 216; Livingston: Hume's Historical Conception of Liberty, in: Capaldi/Livingston (Hg.): Liberty in Hume's History of England, S. 117. 401 Die früheste Stelle dieser Art ist wohl: New Letters, an William Robertson, Paris, 1. 12. 1763, S. 76. 402 New Letters, Nr. 99, an William Robertson, London, 27. 11. 1768, S. 186; ibid., Nr. 101, an William Strahan, Edinburgh, 16. 10. 1769, S. 189; Letters, Bd. II, Nr. 433, an Sir Gilbert Elliot, Edinburgh, 16. 10. 1769; Brief Humes an Adam Smith v. 6.2. 1770, in: Correspondence of Adam Smith, S. 156f. 403 Leitidee von Norbert Elias' Zivilisationstheorie: Über den Prozeß der Zivilisation; dazu: R. van Krieken: The organisation of the soul: Elias and Foucault on discipline and the self, AES, 1990: 31, S. 353-71; H. Kuzmics: The Civilizing Process, in: J.Keane (Hg.): Civil Society and the State, S. 149-76; im Anschluß an Elias analysiert defekte Zivilisationsprozesse in Ostdeutschland: W. Engler: Die zivilisatorische Lücke. Versuche über den Staatssozialismus, Ffin., 1992. 404 Pocock: Hume and the American Revolution, S. 332. 405 Letters, Bd. II, Nr. 482, an William Strahan, 30.1.1773; ibid., Nr. 516, an Edward Gibbon, 18. 3. 1776; New Letters, Nr. 110, an Thomas Percy, Edinburgh, 16. 1.1773. Die bekanntesten Werke Sternes sind: Leben und Meinungen von Tristram Shandy, Gentleman (1760-67), Ffin., 1982; Α Sentimental Journey through France and Italy (1768), ed. G. Petrie, Harmondsworth, 1984. 406 Letters, Bd. II, Nr. 363, an Horace Walpole, 20. 11. 1766, S. 111. 407 Letters, Bd. II, Nr. 434, an William Strahan, 25. 10. 1769, S. 209.

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zwischen den Radikalen und der Regierung imaginiert Hume eine Bürgerkriegssituation und erhofft sich scharfes Durchgreifen 408 , denn nur so bestehe die Chance, die „Constitution" und die durch sie verbürgten, fur die zeitgenössische englische Zivilisation vielleicht zu großen 409 Freiheitsräume zu erhalten. Das daraus ableitbare erweiterte Zivilisationsverständnis4'0 geht über die Basisideen der Herrschaft des Gesetzes und der Politeness hinaus und verknüpft die verschiedenen Seiten des Zivilisationsprozesses in der Idee eines evolutionären Prozesses praktisch-theoretischer Selbstaufklärung. Die Bedeutung der Kultur in diesem Zusammenhang, die Humes Selbstverständnis als Schriftsteller bestimmte, liegt in ihrer synthetischen Funktion für diesen Prozess 411 . Die Kultur kann jedoch gleichermaßen Einsichten und Irrtümer transportieren, und daß eine Gesellschaft im ganzen Ideologien anhängt, die ihre Selbsterkenntnis systematisch blockieren, ist ein durchaus neues Phänomen. „Parties from principle, especially abstract speculative principle, are known only to modern times, and are, perhaps, the most extraordinary and unaccountable phaenomenon, that has yet appeared in human affairs", hatte Hume in dem Essay über „Parties in General" geschrieben 412 . Den politischen enthusiasm der Radikalen betrachtete er als politisches Analogon zur religiösen „Superstition" und als Äquivalent zum kollektiven Wahn des „Popish Plot" 413 . Entscheidendes Indiz der politischen Pathologie ist, daß die Radikalen keine wirklichen Beschwerden vorzubringen haben, denn Hume weiß, daß es unter jeder Regierung Mißstände geben kann, die Proteste legitimieren könnten 414 . Dabei ist die „Barbarei", die Hume hier sieht, nicht mit der Unzivilisiertheit früherer Entwicklungsepochen der Menschheit zu parallelisieren, denn es handelt sich um eine kulturelle Regression auf Grundlage der zivilisatorischen Moderne, deren pathologische Merkmale die Vermittlungslosigkeit im ideologischen Parteienstreit und die Fetischisierung einzelner Aspekte der politischen Kultur sind 415 , eine Dialektik der Zivilisation daher. Deutliches Zeichen der Schwäche der Autorität ist der Mißbrauch der zivilen Freiheiten durch die radikale Bewegung zur Delegitimation der Autorität, die Autorität, durch die Freiheitsideologie gefesselt, sich nicht wirkungsvoll zur Wehr zu setzen vermag 416 . Seit der Zeit der frühen Stuarts, schrieb Hume in der History of England1, „the liberty and independence of individuals has been rendered much more foil, intire, and secure; that of the public more uncertain and precarious. And it seems a necessary, though perhaps a melancholy truth, that, in every government, the magistrate must either possess a 408 Ibid., S. 210f. 409 Ibid, sowie Nr. 472, an William Strahan, 3.3. 1772, S. 260f. 410 Siehe Livingston: Hume's Historical Conception of Liberty, in: Capaldi/Livingston (Hg.): Liberty in Hume's History of England, S. 123, S. 128. 411 Siehe dazu Α. Hauser: Kunst und Gesellschaft (1973), München, 1988. 412 Essays, S. 60; Livingston: Hume's Historical Conception of Liberty, in: Capaldi/Livingston (Hg.): Liberty in Hume's History of England, S. 146, S. 144. 413 Letters, Bd. II, Nr. 427, an Hugh Blair, 28. 3. 1769, S. 197. 414 Siehe: Letters, Bd. II, Nr. 417, an A. R. J. Turgot, London, 16. 6. 1768. Ähnlich betrachtete Mandeville den politischen .complaint» als nationale Krankheit der Engländer, siehe Μ. M. Goldsmith: Private Vices, Public Benefits, S. 100. 415 Siehe Livingston: Hume's Historical Conception of Liberty, in: Capaldi/Livingston (Hg.): Liberty in Hume's History of England, S. 147f. 416 Letters, Bd. II, Nr. 456, an William Strahan, 25. 6. 1771, S. 244f. 417 History of England, Bd. V, S. 128f.

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large revenue and a military force, or enjoy some discretionary powers, in order to execute the laws, and support his own authority"418 - eine Formulierung, die wohl auf ein Ausnahmerecht verweist4 9. Da es ein Ausnahmerecht jedoch nicht gibt, sollte die Regierung eine sicher eintretende Provokation durch die Radikalen zum Durchgreifen nutzen . Durch die Verbindung eines Demagogen von der Statur und dem Einfluß Pitts mit dem Radikalismus hielt Hume die Ordnung für in Gefahr, denn in dieser Konstellation verbinden sich mehrere negative Kausalitäten: Die Kriegspolitik des „monied interest im Bündnis mit den städtischen Massen421 (allerdings waren Pitt und die Radikalen Gegner des amerikanischen Krieges422) stärkt die politische Zentrale, läßt die Staatsschuld weiter wachsen, erzeugt sozioökonomische Instabilitäten und löst die sozialen Hierarchien tendenziell auf. Im Verhältnis zur radikalen Bewegung und zum „monied interest" erweist sich Hume so als Vertreter des „Country" mit autoritären Zügen423. Politische Utopie und Föderation Hume wendet sich häufig gegen politischen Utopismus424, soweit eine abstrakt theoretisch gewonnene Idee oder ein Modell politischer Vergesellschaftung im ganzen auf die gesellschaftlich-politische Wirklichkeit übertragen wird, was als gewaltsames Eingreifen in komplexe historische Prozesse kaum erfolgreich sein kann und stets mit erheblichen, möglicherweise überwiegenden, nichtintendierten negativen Folgen verbunden sein wird425. Dem liegt das prinzipielle Argument des sittlichen Vorrangs des Bestehenden zugrunde, das darauf abhebt, die Teilnehmer gesellschaftlicher Interaktionen müßten zu jedem Zeitpunkt eine ganze Reihe historisch eingespielter Konventionen, Regeln und Gebräuche fraglos als gültig unterstellen können, wenn die Interaktion nicht zusammenbrechen soll, und ihre bloße Existenz stelle daher einen entscheidenden gesellschaftlichen 418 In seiner Idea of a Perfect Commonwealth läßt Hume die befristete Diktaturgewalt eines Sonderorgans zu: Essays, S. 521. 419 Siehe H. Boldt: Art.: Ausnahmezustand, in: GG-Lexikon, Bd. I, S. 343-76. 420 Letters, Nr. 435, an William Strahan, 14. 11. 1769, S. 211; s.a. Nr. 436, an idem., 25. 1. 1770; Nr. 441, an idem., 13. 3. 1770, S. 217f.; ibid., Nr. 442, an Gilbert Elliot, Edinburgh, 5. 4. 1770, S. 221. 421 Siehe den BriefNr. 453 an William Strahan v. 21. 1. 1771, Letters, Bd. II, S. 234f. 422 Siehe die Auszüge von Parlamentsreden Pitts vom Januar 1775, in: W. P. Adams/A. Meurer Adams (Hg.): Die Amerikanische Revolution, S. 11 Off., von John Wilkes vom August 1775, ibid., S. 161ff. Der Krieg gegen die nordamerikanischen Kolonien wurde in einer Grafik als eine schottische Verschwörung in der britischen Staatsführung dargestellt, als Werk von Lord Bute, Chief Justice Lord Mansfield sowie Solicitor General Alexander Wedderburn - letzterer ein Freund Humes, siehe P. D. G. Thomas: The American Revolution. The English Satirical Print. 1600-1832, Cambridge, 1986, Abb. 41. 423 Siehe Pocock: Hume and the American Revolution, S. 337. 424 Siehe zum Utopiebegriff E. Bloch: Geist der Utopie. Bearbeitete Neuauflage der zweiten Fassung von 1923, Ffin., 1985; K. Mannheim: Ideologie und Utopie; J. Servier: Der Traum von der großen Harmonie. Eine Geschichte der Utopie (1967), München, 1971; Utopieforschung, hg. v. W. Voßkamp, Bd. I. 425 Siehe ζ. B.: History of England, Bd. VI, S. 391; Rise and Progress of the Arts and Sciences, Essays, S. 124, auch zit. durch A. Hamilton in: J. Madison et al.: The Federalist Papers, Nr. LXXXV, S. 486; s. a. Livingston: Hume's Historical Conception of Liberty, in: Capaldi/Livingston (Hg.): Liberty in Hume's History of England.

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Nutzen dar. „An established government has an infinite advantage, by that very circumstance of its being established; the bulk of mankind being governed by authority, not reason, and never attributing authority to any thing that has not the recommendation of antiquity. To tamper, therefore, in this affair, or try experiments merely upon the credit of supposed argument and philosophy, can never be the part of a wise magistrate, who will bear a reverence to what carries the marks of age; and though he may attempt some improvements for the public good, yet will he adjust his innovations, as much as possible, to the ancient fabric, and preserve entire the chief pillars and supports of the constitution" 426 . Die gesellschaftliche Komplexität ist zu hoch, als daß Gesellschaft zu jedem Zeitpunkt neu durch unmittelbare Interaktion, Kommunikation, Verständigung hergestellt werden könnte, und genausowenig kann sie zu irgendeinem Zeitpunkt als ganzes theoretisch entworfen werden. Sie benötigt zu ihrer laufenden Reproduktion einen hohen Bestand an konsensualen Voraussetzungen und Institutionen, die sich evolutionär verändern. So existieren neben den vollgültigen Konventionen andere, die strittig sind und in der Folge verändert oder durch andere ersetzt werden. Dabei ist die Grenze zwischen dem Vorauszusetzenden und dem Strittigen nicht allgemein anerkannt, nicht präzise, da sie spontanes Ergebnis der Reibungen des gesellschaftlichen Prozesses ist. Die Politik bildet nur einen Teil dieses Prozesses, aber einen insofern herausgehobenen, als sie auf die Herstellung von Verbindlichkeit spezialisiert ist. Aber wenn auch die Politik eine institutionell elaborierte, gleichsam artifizielle Regulierungsform im Verhältnis zu den fundamentalen gesellschaftlichen Konventionen darstellt, in die sie unter Umständen eingreift und die sie formt, so sind doch beide Ebenen der Regulation nach Möglichkeit zur Deckung zu bringen. Und es leuchtet ein, daß die Politik eher dem Gesellschaftsprozeß, dessen Teil sie bildet, zu adaptieren ist, als umgekehrt. „Sovereigns must take mankind as they find them", schreibt Hume, „and cannot pretend to introduce any violent change in their principles and ways of thinking... It is his best policy to comply with the common bent of mankind, and give it all the improvements of which it is susceptible" 427 . Demnach ist von der Eigenlogik gesellschaftlicher Prozesse auszugehen, zu der das politische Handeln als ein Sekundäres hinzutritt, die Politik ist von der Gesellschaft her zu denken, eine bedeutende Einsicht der politischen Soziologie des 18. Jahrhunderts, die auf antike Inspirationen gegründet werden kann, etwa auf die von Solon überlieferte und z.B. von Montesquieu und Smith angezogene Aussage, er habe nicht die denkbar besten Gesetze erlassen, sondern die besten unter denen, die das Volk ertragen könne 428 . Aber Hume schreibt der Politik gegenläufig auch eine begrenzte Innovationsfunktion zu, und durch welche Kriterien soll diese geleitet sein? Sie kann sich minimalistisch auf die Behebung von Reibungen im Gesellschaftsprozeß beschränken. Hume scheint jedoch auch eine langfristig angelegte, strategische Initiative der Politik ins Auge zu fassen, die den Eingriff in komplexe Sozialprozesse nach einem bestimmten Ideal ausrichtet, ihm auf diese Weise Kohärenz verleiht und eine Idee politiktheoretisch geleiteten Fortschritts einschließt, die im Essay über die Idea of a Perfect Commonwealth behandelt ist. „As one form of government must be allowed more perfect than another, independent of the 426 Idea of a perfect Commonwealth, Anfang, Essays, S. 512f. 427 Of Commerce, Essays, S. 260. S. a. Montesquieu: Esprit des Lois, Bd. I, Buch I, Kap. III: „... le gouvernement le plus confonne ä la nature est celui dont la disposition particuliere se rapporte mieux a la disposition du peuple pour lequel il est etabli". 428 Montesquieu: Esprit, Bd. I, Buch XIX, Kap. XXI; Smith: TMS, S. 233.

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manners and humours of particular men", schreibt Hume, „why may we not enquire what is the most perfect of all, though the common botched and inaccurate governments seem to serve the purposes of society, and though it be not so easy to establish a new system of government, as to build a vessel upon a new construction? .. .And who knows, if this controversy were fixed by the universal consent of the wise and learned, but, in some future age, an opportunity might be afforded of reducing the theory to practice, either by a dissolution of some old government, or by the combination of men to form a new one in some distant part of the world? In all cases, it must be advantageous to know what is most perfect in the kind, that we may be able to bring any real constitution or form of government as near it as possible, by such gentle alterations and innovations as may not give too great disturbance to society"429. Daß es eine ideale politische Form gibt, ist zunächst ein Postulat. Sie zu finden, setzt offensichtlich eine gewisse Abstraktion von den gegebenen politischen Formen voraus, auch wenn Materialien davon als gedankliche Bausteine in das Ideal eingehen. Gefordert ist auch, von gesellschaftlichen Konventionen und historischen Zufälligkeiten abzusehen, die mit den gegebenen politischen Formen einen einheitlichen Gesellschaftsprozeß bilden. Auf der anderen Seite grenzt sich Hume gegen „plans of government" ab, die „suppose great reformation in the manners of mankind", wozu er Piatos Politeia und Thomas Morus" Utopia zählt, nicht jedoch James Harringtons Oceana, „the only valuable model of a commonwealth, that has ever yet been offered to the public"430. Einzelheiten von Harringtons Oceana hält Hume jedoch für falsch räsonniert, so das Rotationsprizip und das „Agrargesetz", das in der Moderne nicht durchfuhrbar sei, und er analysiert die starke Stellung des Senats in Harringtons Modell als kontraintentionale Herrschaft der Aristokratie431. Seine eigene Idea of a Perfect Commonwealth zielt auf die republikanische Organisation eines modernen Flächenstaates, der in der europäischen „Balance of Power" behauptungsfähig ist. Ihren Kern bildet die Idee der Kombination der Vorteile der „kleinen Form" der Republik im Rahmen einer Föderation zu einem ausgedehnten Machtstaat mit handlungsfähiger Exekutive432, ein gedanklicher Ansatz, den Hume wahrscheinlich Montesquieu verdankte, der, inspiriert durch die Niederlande433, im Esprit des Lois diese Form der Föderativrepublik als eine „soci0te de societes " bezeichnete434, und später knüpften die Nordamerikaner daran an435. 429 Idea of a perfect Commonwealth, Essays, S. 513f.; Whether the British Government inclines more to Absolute Monarchy, or to a Republic, Essays, S. 52. 430 Idea of aperfect Commonwealth, Essays, S. 514. 431 Ibid., S. 515; Letters, Bd. II, Nr. 512, an David Hume the Younger, 8. 12. 1775. 432 Idea of a Perfect Commonwealth, Essays, S. 525. Ich stimme in der Bewertung dieses Essay nicht mit R. F. Teichgraber III überein, der ihn als „Hume's most systematic account of the form of government he thought appropriate for a commercial society" bezeichnet, Free Trade» and Moral Philosophy, S. 116, weil ich den Stellenwert des Commerce dabei nicht sehe. Hume setzt sicher eine moderne, d. h.: kommerzielle, Gesellschaft voraus, aber das entscheidende gegenüber der zeitgenössischen englischen Gesellschaft ist die republikanische Form auf Basis der Föderation. 433 Esprit, Bd. I, S. 266, erwähnt außer Holland das deutsche Reich und die Schweiz; vgl. Sheila Mason: Montesquieu and the Dutch as a maritime nation, SVEC, 1991: 292, S. 169-86; Idea of a Perfect Commonwealth, Essays, S. 526. 434 Esprit des Lois, Bd. I, Buch 9, Kap. 1-3; David Lowenthal: Montesquieu, S. 519. 435 Siehe: J. Madison et al.: The Federalist Papers, Nr. IX (Hamilton), S. 120f., und Melancton Smith, in: H. Storing (Hg.): The Anti-Federalist, S. 334; s. a. Pocock: The Politics of Extent and the Problem of Freedom.

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Blickt man auf die institutionellen Bestimmungen, fällt an Humes Entwurf zunächst die Anhebung der Zensus-Grenzen zum Wahlrecht auf, und daß Hume einen Großteil der öffentlichen Ämter nicht dotieren will436. Weiter stärkt er den Einfluß des Landes gegen die Städte durch stark abweichende Zensus-Grenzen im Verhältnis von 20:500 Pfund. Die Hauptstadt der Fiktivrepublik zergliedert Hume in 4 Counties und schwächt damit ihr politisches Gewicht437. Jede Gemeinde wählt jährlich - „annual election" war eine alte republikanische und „country"-Forderung - einen County-representative, und die versammelten Grafschaftsvertreter wählen aus ihrer Mitte 10 County-Magistrate sowie einen Senator, der die Grafschaft auf Bundesebene vertritt. Die Grundstruktur ist also eine zweifach gestufte Repräsentation, wobei Hume gelegentlich die Idee des imperativen Mandats anklingen läßt438. Aufgrund der Anhebung des Zensus und der Zweistufigkeit werden die Senatoren nicht von einer „undistinguished rabble, like the English electors, but by men of fortune and education" gewählt439. Der Senat übt die Exekutivgewalt aus, die Grafschaftsversammlungen die Legislativgewalt. Indem Hume die Legislative auf die Grafschaftsebene herunterzieht, erreicht er einen bedeutenden föderativen Effekt, indem er andererseits die Exekutivgewalt in einem einheitlichen Bundesorgan mit maximal 100 Mitgliedern versammelt, das sich selbst mit Handlungsorganen ausstattet, erreicht er die Handlungsfähigkeit der Föderativrepublik. Die Integration dieser Gewalten soll sich über das legislative Initiativrecht des Senates vollziehen, das außerdem auch von den einzelnen Counties ausgeübt werden kann. Die Judikative ist, wie im zeitgenössischen englischen System, in der Spitze nicht formell verselbständigt, sondern liegt beim Senat, und auch auf County-Ebene sollen die Magistrate nach Hume sowohl Exekutiv- als auch Rechtsprechungsfunktionen ausüben440, ein prinzipieller Gegensatz zu Montesquieu, der geschrieben hatte, es gebe keine Freiheit mehr, „si la puissance de juger n'est pas separee de la puissance legislative et de l'executrice" 441 . Eine Minderheit von Counties kann jeden Amtsinhaber auf Bundesebene auf Zeit aus seinen öffentlichen Ämtern entfernen; die Spitzen der Exekutive sitzen daher wenig fest im Sattel, und neben die genannten Organe tritt dann noch ein „Court of Competitors" aus Senatskandidaten, der bedeutende Kontrollrechte sowie ein beschränktes Gesetzesinitiativrecht hat und dem Mangel der relativen Handlungsschwäche der Grafschaftsversammlungen gegenüber dem Senat abhelfen soll - gleichsam eine institutionalisierte Opposition. Die Miliz, in rotierenden Kontingenten einberufen, wird durch Offiziere befehligt, die im unteren Bereich durch die Counties und im oberen durch den Senat ernannt werden. Im Kriegsfall darf kein Offizier zivile Ämter innehaben, wodurch offensichtlich die Subordination der Armee unter die Zivilgewalt sichergestellt werden soll. Ein konzeptioneller Grundsatz Humes besagt, in seinem Modell sei „every county... a kind of republic within itself' 442 , die aber mit den anderen zu einer lebensfähigen Territorialherrschaft integriert werden soll. Diese Zweistufigkeit bietet den Vorteil, die Betei436 437 438 439 440 441

Idea of a Perfect Commonwealth, Essays, S. 522. Ibid., S. 521 f. Of the First Principles of Government, Essays, S. 36. Idea of a Perfect Commonwealth, Essays, S. 523f. Ibid., S. 521. Esprit des Lois, Bd. I, Buch XI, Kap. VI: De la Constitution d'Angleterre, S. 294. Über Montesquieus praktische Tätigkeit als Parlamentspräsident siehe: J. N. Shklar: Montesquieu, Kap. 1. 442 Idea of a Perfect Commonwealth, Essays, S. 520.

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ligung des Volkes an den politischen Prozessen repräsentativ zu filtern, denn nach Hume sind große Volksversammlungen weder geeignet, politische Entscheidungen zu treffen noch die politischen Spitzenämter zu besetzen443. Sachlich erweist er sich daher als Gegner direktdemokratischer Ideen, aber selbst eine zentrale Repräsentatiwersammlung auf nationaler Ebene erscheint ihm als zu groß und zu unberechenbar; ihr hält er die Maxime entgegen: „Divide the people into many separate bodies; and then they may debate with safety..."444. Wie sind aber diese Provinzparlamente zu integrieren? Dazu bindet Hume einerseits die Bundesautorität (den Senat) an die Counties und umgekehrt die Eigengesetzgebungsrechte der Counties an den Bund und die übrigen Grafschaften, so daß Ablösungstendenzen der Counties ausgeschlossen sein sollen. Aber die selbständigen Counties bilden die idealisierte Basis der politischen Vergesellschaftung445. Nach John Robertson reproduziert dieser Entwurf „essential institutional principles of the civic tradition"446, und er transzendiert offensichtlich Realitäten zeitgenössischer britischer Politik. Das Konstruktionsprinzip ist jenes der Balance und Moderation der diversen Kräfte, die ihre Wirkung wechselseitig brechen und begrenzen, so daß anstelle von Partialinteressen sich das öffentliche Interesse durchsetzt. „In a large government, which is modelled with masterly skill, there is compass and room enough to refine the democracy, from the lower people, who may be admitted into the first elections or first concoction of the commonwealth, to the higher magistrates, who direct all the movements. At the same time, the parts are so distant and remote, that it is very difficult, either by intrigue, prejudice, or passion, to hurry them into any measures against the public interest"447. Die Föderation ist daher grundsätzlich nicht nur als Behelf zur Überbrückung des Gegensatzes von republikanischer Form und Großstaatlichkeit zu sehen, sondern ein genuines Stabilisierungsmoment und eine genuine politische Innovation. Bezogen auf England, liegt ihr wichtigster Vorzug in der politischen Eindämmung der das konstitutionelle Gleichgewicht bedrohenden Freiheitsexzesse. Irrtümlich glauben die Radikalen nämlich, die Republik bedeute mehr zivile und politische Freiheit, während nach Hume im Gegenteil die föderative Republik - die in England einzig mögliche Form - den Spielraum der Freiheit enger ziehen und genauer begrenzen würde, indem sie das Schwergewicht der Autorität auf die County-Ebene herabverlagert448. „But it is needless to reason any farther concerning a form of government, which is never likely to have place in Great Britain, and which seems not to be the aim of any party amongst us", schneidet Hume seine Reflektionen zur politischen Utopie ab449, denn grundsätzlich sei es „more difficult to form a republican government in an extensive country than in a city", wenn es auch in einem Flächestaat leichter sein mag, „when once it is formed, of preserving it steady and uniform, without tumult and faction"450. „Let us 443 Ibid., S. 523; Independency of Parliament, ibid., S. 43; That Politics may be reduced to a Science, ibid., S. 16, S. 18. 444 Idea of a Perfect Commonwealth, Essays, S. 523; Of the First Principles of Government, ibid., S. 36. 445 Siehe: Populousness of ancient Nations, Essays, S. 401, zit.b. Ferguson: History, S. 141. 446 The Scottish Enlightenment and the Militia Question, S. 70. 447 Idea of a Perfect Commonwealth, Essays, S. 527f; siehe aber: Letters, Bd. II, Nr. 512, an David Hume the Younger, 8. 12. 1775. 448 Letters, Bd. II, Nr. 512, an David Hume the Younger, 8. 12. 1775. 449 Of the First Principles of Government, Essays, S. 36. 450 Idea of a Perfect Commonwealth, Essays, S. 527.

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cherish and improve our ancient government as much as possible, without encouraging a passion for such dangerous novelties"451. Scheinbar verbindet Hume daher keinen praktischen Zweck mit seiner politischen Utopie, die er doch von 1752 bis zur Auflage letzter Hand in seinen Essays präsentierte. Ihr Sinn liegt in ihrer Funktion als regulatives Modell, in der Orientierung von Denken und Handeln, denn auch wenn ein Übergang zur Republik in England nicht möglich oder zu riskant erscheint, so sind doch Überlegungen und Schritte in dieser Richtung machbar. Unmittelbar schlägt Hume selbst eine Vereinheitlichung des Wahlrechts bei gleichzeitiger Anhebung des Zensus vor, und er fordert die Stärkung des aristokratischen Moments des House of Lords gegen die Commons452, wodurch seine doppelte Frontstellung gegen die Verselbständigung des Zentrums und gegen die Herrschaft des Demos unterstrichen wird. Erscheint prima facie die Utopie als Fremdkörper in Humes politischem Denken, so zeigt sie doch sein Bewußtsein, daß das konkrete Denken sich an Prinzipien orientieren müsse, auf die auch „Realpolitik"453 nicht verzichten kann und die offenzulegen intellektueller Redlichkeit entspricht. Nicht die Imagination eines besseren oder besten politischen Regimes ist das Problem, sondern die Versuchung, es machtpolitisch durchzusetzen, weil es das beste sei, denn das ist allenfalls theoretisch wahr. In diesem theoretisch informierten Pragmatismus Humes liegt ein bedeutsamer Bruch mit Politiken nach abstrakten Prinzipien, seien sie aus dem rationalistischen Naturrecht, dem klassisch republikanischen Denken oder aus dem politischen Denken des Protestantismus gespeist, ein politischer Pragmatismus, der sich im Denken der Schotten tradiert und ein spezifisch verbindendes Moment des schottischen Diskurses bildet, in dem Theorie und Praxis, reflexiv vermittelt, auseinandertreten454. Schluß Hume bezieht sich polemisch präzise auf einflußreiche politische Ideologien seiner Zeit: das dogmatische Naturrecht, dessen Rationalismus er zurückweist, die Vertragstheorie, die er in „Konventionen" auflöst, und den Mythus der „ancient constitution", deren historische Unhaltbarkeit er nachweist. Zentrales Motiv seiner Sozialtheorie ist weiter die These der Veraltung eines politischen Diskurses, dessen Begriffe durch die Herausbildung der „civilized society" überholt werden, die wesentlich durch kommerzielle, selbstinteressierte Motivstrukturen definiert ist, durch die kulturell abgesicherte „rule of law" und durch eine aufgeklärte Kultur. Hume verweigert sich der Zuordnung zu einer politischen Partei, weil er ebenso „Country"-Positionen wie „Court"-Positionen vertritt, und weil er die „Whigs" ebenso kritisiert wie die „Tories". Im ganzen überwiegen aber die „Court" und „Whig"-Anteile, so daß Hume mit Duncan Forbes als „scientific-" oder „sceptical Whig" bezeichnet 451 Of the First Principles of Government, Essays, S. 36. 452 Idea of a Perfect Commonwealth, Essays, S. 526. 453 Siehe fur Deutschland L. A. v. Rochau: Grundsätze der Realpolitik. Angewendet auf die staatlichen Zustände Deutschlands (1853/59/69), hg. u. eing. v. H. U. Wehler, Ffin. /Berlin/Wien, 1972; im gleichen Kontext auch: Hermann Baumgarten: Der deutsche Liberalismus. Eine Selbstkritik (1866), hg. ν. Α. M. Birke, Ffin. /Berlin/Wien, 1974. 454 Siehe M. Oakeshott: Rationalismus in der Politik; interessante ideengeschichtliche Beiträge hat Isaiah Berlin geliefert, etwa: Die Gegenaufklärung, in: ders.: Wider das Geläufige, S. 63-92. Einen neuen Ansatz versucht Michael Walzer zu formulieren: Zweifel und Einmischung. Gesellschaftskritik im 20. Jahrhundert (1988), Ffin., 1991.

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werden kann 455 , der lange damit ringt, sich von Whig-Vorurteilen freizumachen456 und der die Whig-Ideologien für die Freiheitsexzesse der Radikalen seit den späten 1760ger Jahren verantwortlich macht. Positiver bewertet Hume die „Court"-"Country"Distinktion, als notwendiges Spannungsverhältnis politisch handlungsfähiger Zentrale und gesellschaftlicher Kontrolle. Als theoretischer Republikaner 457 tritt er gleichwohl den Radikalen autoritär entgegen und unterstützt unter gegebenen Bedingungen realpolitisch eine durch die „rule of law" gemäßigte „zivile" Monarchie. Wenn man nach einem Gravitationspunkt sucht, in dem sich diese Positionen ausgleichen, gelangt man zum Ideal einer Republik, das a) nicht nostalgisch rückwärtsgewandt ist, sondern modern, und das b) nicht Herrschaft der Massen bedeutet, die Hume in keiner Form wünschte, sondern gesellschaftliche Suprematie des Mittelstandes, der sich aus der Gentry, die im Modernisierungsprozeß ihre führende Stellung behauptet, und produktiven Sektoren von Handel und Manufaktur zusammensetzt. Von hier aus erklären sich auch scheinbar antimoderne Positionen Humes: die Kritik der Metropole, des Staatskredits, des politischen Einflusses des „monied interest" und der protodemokratischen Politik. In der Staatsschuld, die die Privatökonomie durch Überbesteuerung zu erdrücken droht und die Macht der Finanzleute begünstigt, reagieren Freiheit und Kommerz destabilisierend zusammen, zumal im Milieu einer aggressiven Außenpolitik, die durch Ausstattung der Krone mit militärischen Machtmitteln die englische Freiheit auch direkt gefährdet 458 . Die beiden Seiten dieses Wirkungsverhältnisses - Macht der Finanzleute und machtpolitische Zentralisierung - wären politisch einzufangen, wenn die Masse des Mittelstandes sich politisch dazu verhält. Dazu sind Institutionen nötig, aber auch ein gewisses Maß an politischer Orientierung und Aktivität auf Seiten der Bürger. Da es sich um zentrale Interessen des Mittelstandes handelt, scheint Hume kein prinzipielles Motivationsproblem zu sehen, denn grundsätzlich geht er von dem sich selbst stabilisierenden Wirkungszyklus aus: Freiheit, Kommerzialisierung, Wohlstand, politische Bindung, Bewahrung der Freiheit. Und er hält die moderne Form der politischen Bindung, die sich auf das Selbstinteresse bezieht, für einfacher herstellbar und stabiler als die antike Normorientierung der „amor patriae", weil sie auf elementaren „passions" beruht. In der Alternative: rohe antike Tugend versus modernes, zivilisatorisch-kulturell raffiniertes Selbstinteresse, sieht er die Modernen den Alten auch moralisch überlegen 459 . Historisch sieht Hume die Marktvergesellschaftung mit verschiedenen politischen Regimes der „Rule of Law" verbunden: mit der zivilisierten Monarchie in Frankreich wie mit der niederländischen Föderativrepublik. Sie steht daher weniger mit einer bestimmten politischen Regimeform in einem positiven Begründungsverhältnis, als vielmehr mit der 455 Als Konzept zuerst entwickelt in: „Scientific» Whiggism: Adam Smith and John Miliar, Cambridge Journal, 1954; ders.: Hume's Philosophical Politics, Kap. 5; ders.: Sceptical Whiggism, Commerce, and Liberty, in: A. S. Skinner/T. Wilson (Hg.): Essays on Adam Smith. Im Brief an Henry Home v. 9. 2. 1748, Letters, Bd. I, Nr. 62, bezeichnet Hume sich als „Whig, but a very sceptical one", S. I l l ; s. a. ibid., Nr. 172, S. 321; s. a. Nr. 253, an Gilbert Elliot, Paris, 22. 9. 1764. 456 Siehe den Brief an Gilbert Elliot v. 12. 3. 1763, Letters, Bd. I, Nr. 203, S. 379; s. a. den Brief Nr. 439 an idem. v. 21. 2. 1770, ibid., Bd. II. 457 Die Aussage Achim Toepels: Die Staats- und Gesellschaftslehre David Humes, in: G. Schenk/A. Toepel (Hg.): David Hume, Halle, 1976, S. 19: „Den Gedanken einer Republik hat Hume stets von sich gewiesen", ist falsch. 458 Pocock: Hume and the American Revolution, S. 334, sieht diese zerstörerische Dialektik bei Hume. 459 Siehe: New Letters, Nr. 110, an Thomas Percy, 16. 1. 1773.

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allgemeinen Zivilisierung, die sich in verschiedenen politischen Formen entfalten kann. Dabei ist die englische Handelskultur der Zivilität weniger günstig als die höfische der „zivilen Monarchie". Die Zivilisierung, verstanden als kulturell-reflexive Selbstbildung der Gesellschaft, ist in der Moderne notwendige Bedingung gesellschaftlicher Selbststabilisierung. Sie ist jedoch nicht gesichert, denn mit der Theoriehaftigkeit moderner Kultur wächst auch die Gefahr kollektiver ideologischer Pathologien, da sich die gesellschaftlichen Weltbilder potentiell von den alltäglichen sozialen Reproduktionsprozessen abheben. Um so wichtiger, ist zu folgern, wird die Pflege der Kultur nach Gesichtspunkten der Toleranz, Offenheit, Realitätsnähe und Moderatheit - Werte, die Humes Selbstverständnis als Autor bestimmten. „Chief characteristic" der modernen Zivilisation im Verhältnis zu „times of barbarity and ignorance" sei die Humanität, schrieb Hume 460 . Der politische Radikalismus zeigte ihm jedoch die Brüchigkeit der modernen englischen politischen Kultur an, und seine Wertschätzung der französischen Salonkultur weist ihn im Verhältnis dazu als Vertreter des „Ancien Regime" aus461.

460 Of Refinement in the Arts, Essays, S. 274. 461 Siehe die Beiträge von W. A. Speck, J. C. D. Clark und R. Porter, im BJECS, 1992, S. 131-44. Ich neige dazu, auch Humes literarischen Klassizismus hier zu konnotieren, zu dem James Moore schreibt: „It was not only rustic geniuses like Shakespeare which were not comprehended in Hume's conception of art. There was equally no place in his understanding of human nature for that exploration of private or personal experience that became the hallmark of romanticism", Hume's political science and the classical republican tradition, CJPS, 1977, S. 828.

4. Henry Home-Lord Kames Henry Home (1696-1782), seit 1752 Lord Kames1, hat bereits 1728 angefangen zu publizieren (Remarkable Decisions of the Court of Session: 1716-1728), mit weiteren Publikationen 1732 (Essays on Several Subjects of the Law) und 1747 (Essays upon Several Subjects concerning British Antiquities2), aber einen einflußreichen Beitrag zur schottischen Aufklärungsbewegung bilden erst seine Essays on the Principles of Morality and Natural Religion von 17513, und spätere Schriften, von denen in erster Linie die Sketches of the History of Man von 17744 zu nennen sind. Kames hat keine Universität besucht, wurde privat zum Juristen ausgebildet, erhielt 1723 seine Anwaltszulassung, wurde 1752 zum Richter ernannt und stieg 1763 zum Mitglied des obersten schottischen Gerichts auf. Sein Werk ist durch diese professionelle Karriere geprägt, ist im ganzen jedoch von bemerkenswerter thematischer Breite. Dennoch ist er als Autor über Rechtstheorie, der langjährige Rechtspraxis mit einem Hang zur Philosophie und Geschichte verbindet, am interessantesten5. Daneben kann auf zwei andere Aktivitäten hingewiesen werden, auf Kames" Bemühungen um die Förderung intellektueller Talente, die ihn zu einer Art Mentor einer Reihe wichtiger Aufklärer machten6, darunter David Hume, Adam Smith7 und John Miliar, sowie auf sein eindrucksvolles praktisches Engagement als „Improver", das er als Grundeigentümer und Besitzer des Erbes seiner Frau als „Gentleman Farmer"8 und durch seine Teilnahme an Institutionen und Assoziationen der schottischen „Improvement"-Bewegung9 praktizierte. Den Beweis für „public spirit" trat Kames auch mit seiner Biographie an. Moralphilosophie Kames weist erkenntnistheoretisch, eindeutiger als Hume, den Berkeleyschen Solipsismus zurück10 und entwickelt eine einfache Form von Common Sewse-Philosophie, die er auch gegen Humes erkenntnistheoretischen Skeptizismus abgrenzt11. Sie beruht auf der 1 Siehe zu Kames: Alexander Fräser Tytler of Woodhouselee: Memoirs of the Life and Writings of the Honourable Henry Home of Kames; William C. Lehmann: Henry Home, Lord Kames, and the Scottish Enlightenment; I. S. Ross: Lord Kames and the Scotland of his Day; weiterhin D. Liebermann: The legal needs of a commercial society: The Jurisprudence of Lord Kames, in: Hont/Ignatieff (Hg.): Wealth and Virtue, S. 203-34; D. M. Walker: The Scottish Jurists, Edinburgh, 1985, Kap. 14. 2 Dieses Buch war mir nicht zugänglich, siehe Tytler: Memoirs, Bd. I, S. 169ff.; Ross: Kames, Kap. 3. 3 Essays on the Principles of Morality and Natural Religion (im folgenden: Essays); siehe Ross: Kames, Kap. 6 . ; im Verhältnis zu Hume: Ε. C. Mossner: Life of David Hume, Kap. 25. 4 Ich benutze die 2. Aufl., Edinburgh, 1778, repr., Hildesheim, 1968, sowie die Ausgabe: Basel, 1796, jeweils in 4 Bänden (im Folgenden: Sketches, Edinburgh, oder Sketches, Basil). 5 Siehe zum rechtshistorischen Kontext Peter Stein: Law and Society in eighteenth century Scottish thought, in: Ν. Τ. Phillipson/R. Mitchison (Hg.): Scotland in the age of improvement, S. 148-68. 6 Siehe I. S. Ross: Kames, Kap. 5. 7 Von Smith ist überliefert: „We must every one of us acknowledge Kames for our master", Tytler: Memoirs, Bd. I, S. 218; Ross: Kames, S. 97. 8 Titel eines Werkes von Kames von 1776, mit dem Untertitel: Being an Attempt to improve Agriculture, by Subjecting it to the Test of Rational Principles. 9 Siehe Lehmann: Henry Home, Lord Kames, Kap. VI und VII; Ross: Lord Kames, Kap. 16. 10 Siehe G. Berkeley: Eine Abhandlung über die Prinzipien der menschlichen Erkenntnis (1710), hg. v. A. Klemmt, HH, 1979; zur Kritik Kames': Essays, Teil II, Essay 3: Of the authority of our senses. 11 Siehe bes.: Essays, Teil II, Essay 4: Of our idea of power.

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Unterscheidung intuitiven von diskursivem Wissen, welches „requires... not only a plurality of [Gedanken-] steps, but also one or more intuitive propositions to found our reasoning upon" 12 . Moralphilosophisch schließt Kames an die Mora/-Sewe-Philosophie von Hutcheson an 13 und weist den Rationalismus - ausdrücklich auch in bezug auf die Wissenschaft der Moralphilosophie selbst - zurück 14 , denn die Ratio dient nur zur Unterscheidung von „wahr" und „unwahr", nicht zur Unterscheidung von „richtig" und „falsch" 15 . „Good and III", schreibt Kames, „like agreeable and disagreeable, bitter and sweet, hard and soft, are simple qualities, incapable of a definition; and, like these, and all other qualities, are objects of perception, independent of consequences, and independent of reasoning or reflection" 16 . In seinem Menschenbild verwirft Kames die Extreme einer konsequent egoistischen, etwa in der Version der „Pleasure" und „Pain"-Dichotomie 17 , oder einer vollständig benevolenten Ausdeutung und sieht den Menschen als „complex nature, endued with various principles, some selfish some social" 18 . Die moralische Forderung universeller Benevolenz stellt daher eine Überforderung des Menschen dar19, womit Kames Hutchesons Gegensatz zum Egoismus moderiert und in ein nicht-monistisches Menschenbild überfuhrt, in dem verschiedene, gegensätzliche Grundmotive situationsabhängig zur Geltung kommen 20 . Allerdings glaubt er, ähnlich wie Hume, daß jeder Mensch seine Energie im Leben auf bestimmte Ziele konzentriert, die Hume als die „ruling passion" einer Person bezeichnete 21 , während Kames von „Idolen" spricht, an denen sich Personen im Handeln strategisch orientieren, wodurch sie Kohärenz in ihre Lebensgeschichte bringen. Und wenn man weiß, wonach Menschen streben, kann man sie lenken22. Hume hatte den Begriff „Sympathy" als moralisch neutralen assoziativen Mechanismus verstanden, der den Betrachter nolens volens in die Gefuhlslage des Betrachteten involviert, ihn in seine Position versetzt. Das ist bei allen Schotten der grundlegende zivilisierende Vorgang 23 , dem Kames ein Bedürfiiis zuschreibt, auf das er die Attraktion aller

12 Henry Home-Lord Kames: Enquiry into the laws that govern individuals in society, Glasgow University Library: MS Gen. 1035/236 (im folgenden: Enquiry), S. 28. 13 Essays, Teil I, Essay 2: Of the foundation and principles of the law of nature, Kap. 2: Of the moral sense; Henry Home-Lord Kames: Principles of Equity [zuerst 1760] (im Folgenden: Equity), Preliminary Discourse; being an Investigation of the Moral Laws of Society, Kap. 1. Dieser „Preliminary Discourse" wurde der zweiten Auflage hinzugefugt. 14 Essays, S. 349; Equity, S. 2. 15 Sketches, Edinburgh, Bd. IV, S. 187: „Reason is the only touchstone of truth and falsehood: but the moral sense is the only touchstone of right and wrong". 16 Equity, S. 4; eine analoge Passage ist: Enquiry, Kap. 1, S. 1. 17 Essays, Teil I, Essay 1: Of our attachment to objects of distress, S. 14. 18 Equity, S. 3, und davor; s. a. Tytler. Memoirs, S. 184f. 19 Sketches, Edinburgh, Bd. IV, S. 45: „Universal benevolence is indeed not required of man; because to put it in practice, is beyond his utmost abilities". 20 Ross: Lord Kames, S. 266. 21 D. Hume: My Own Life, Essays, wo er die „passion for literature", S. XXXIIf., bzw. die „love of literary fame", S. XL, als seine „ruling passion" bezeichnet. Analog kommentiert er auch die großen Figuren seiner History of England als beherrscht durch jeweils dominante „ruling passions". 22 Art of thinking, S. 58: „AU are idolaters, some of glory, some of interest, some of love: the art is to find out the idol. This is the master-key to the heart, it gives easy entrance, and of consequence absolute possession". 23 Smith definiert den „sympathetischen" Assoziationsvorgang am Beginn der TMS, S. 10f.

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Arten von „Schauspiel" zurückfuhrt - im Theater, aber auch im gesellschaftlichen Leben24. Von dieser Voraussetzung aus muß vor allem der Anblicks von elenden Menschen und die moralische Reaktion darauf interessieren, denn prima facie ist anzunehmen, daß das Elend dem Betrachter unangenehme Gefühle vermittelt, und umgekehrt der Anblick des Glücks angenehme25. Daher liegt die spontane Reaktion nahe, den Elenden zu fliehen oder verächtlich zu behandeln und umgekehrt den Reichen und Glücklichen mit Hochachtung zu behandeln26. Das moralische Urteil rebelliert jedoch gegen diese Spontaneität, und das normative Problem der Moralphilosophie besteht daher im Nachweis der Verwandlung der spontan-assoziativen Reaktion in Mitleid, das zur emotiven Basis tugendhaft-benevolenten Handelns dem Elenden gegenüber wird. Wie ist das Grundmotiv christlicher Ethik mora/-$enie-philosophisch zu fundieren? Hume nimmt eine spontane Ambivalenz der Gefühlslage an, die anstatt Abwehr auch Mitleid gegenüber dem Elenden erzeugt27, er fuhrt darüber hinaus jedoch auch einen bedingt rationalen Moral Sentiment- Prozeß ein, der gesellschaftlich nützliche Handlungsweisen gutheißt, so daß der Impuls mitleidiger Hinwendung zum Elenden die spontane Abwehrreaktion überdeterminiert. In diesen Moral-Sentiment-Prozeü gehen empirische, auf Tatsachen bezogene Überlegungen ein, die sich mit analytischen Bewußtseinsvorgängen verbinden, der grundlegende Impuls des „sozialen Utilitarismus" beruht jedoch nach Hume nicht auf rationalen Bewußtseinsvorgängen, sondern auf spontanemotiven28. Dennoch ist damit in Humes Begriff der Sympathy ein aktives, reflektives Moment jenseits der bloßen Beobachtung und spontanen, direkten Mitempfindung impliziert. Sympathy vereinigt daher als Zentralbegriff die drei Bedeutungsschattierungen von assoziativem sozialem Mechanismus (Einfühlung), moralischem Urteil (rationale Komponente) und Impuls (stärker: Willensbildung) zu moralischem Handeln. Kames sieht ebenfalls die von Hutcheson geerbte Schwierigkeit, aus dem Beobachtungscharakter des Moral Sense das moralische Urteil und die moralische Willensbildung abzuleiten29. Und er folgt Hume soweit, als er einen emotiv vermittelten Übergang von der Beobachtung tugendhaften Handelns über die stark empfundene positive Wertung zum imitierend-benevolenten Handlungsimpuls behauptet. Beide unterscheiden sich von Hutcheson durch die Akzentuierung von Sozialisationsvorgängen, Habitualisierungen, in ihrer Moralphilosophie30, auf die Hume die Unterscheidung ursprünglich-spontaner („natürlicher") und „künstlicher" Tugenden stützt. Bei Kames ergibt sich aus dieser Akzentuierung besonders der Schluß, Moralität sei zu lehren und anzutrainieren31, so daß der spontane Handlungsimpuls durch Einübung verstärkt wird, bis er gleichsam unreflektiert zu kohärentem moralischem Handeln führt32. Er setzt dabei eine anthropologisch verankerte und gegen die Selbstliebe abgewogene33 Disposition zu benevolentem Mitge24 25 26 27 28 29 30 31 32 33

Essays, S. 17ff.; Ross: Lord Kames, S. 260f. So Hume: Enquiry concerning the Principles of Morals, Abschn. VI, Teil II. Ibid., S. 84. Ibid., Note; vgl. Treatise of Human Nature, Buch II, Abschn. VII. Hume: Enquiry, S. 5f. Kames: Equity, S. 19. Siehe Hume: Enquiry, Abschn. III, Schluß, S. 37. Siehe Kames: Elements of Criticism (im Folgenden: Elements), Bd. II, S. 86. Ibid., Bd. I, S. 74f.. Equity, S. 20.

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fühl voraus 34 , die jedoch individuell durch die Einübung der Beurteilung des Verhaltens anderer von innen her und gattungsgeschichtlich durch die Zivilisationsentwicklung gestützt wird. Tugend erscheint daher als etwas wesentlich zu Erlernendes, durch das Individuum im Rahmen einer moralischen Sozialisation und durch die Gattung im Rahmen der Zivilisationsentwicklung 35 . Damit ist die Bedeutung moralisch handelnder Vorbilder unterstrichen, denn es ist wesentlich die Beobachtung tugendhaften Verhaltens, die zuallererst tugendhaftes Verhalten induziert. Die Akzentuierung moralischer Erziehung unterscheidet Kames 36 , der schreibt: „The moral sense is born with us, and so is taste: yet both of them require much cultivation" 37 , womit Kames gleichzeitig die schon durch Hutcheson vorgenommene Parallelisierung von Moral und Ästhetik reproduziert. Um den Moral Sewie-Begriff operationalisierbar zu machen, fächert Kames ihn in ein kombiniertes Konzept der „three great principles, of duty, of voluntary benevolence, and of rewards and punishments" 38 auf. Das erste dieser drei Momente hebt auf die Internalisierung sozial entwickelter und verankerter moralischer Minimalnormen im unmittelbaren Sozialverkehr ab, das zweite auf die soziokulturell verstärkte Begeisterung für die menschliche Tugend, die sich auch auf weitere Kreise richtet, wenngleich sie im Maße der Ausdehnung abstrakt und schwach wird, und das dritte auf die individuelle Reflektion der äußeren Sanktionsgewalt der Gesellschaft, wobei vor allem an das Rechtssystem zu denken ist, das im wesentlichen negativ sanktioniert, wobei aber auch nicht-institutionelle und positive, soziale Sanktionsformen gemeint sind. Diese letzte Instanz wird durch den Glauben an einen gerechten Gott unterstützt, der auch die heimlichen Verbrechen sanktioniert39. Indem er die Bildung und Habitualisierung benevolenter Empfindungen im Laufe der Zivilisationsentwicklung und die Überwindung von Herrschaftsformen annimmt, die auf Furcht beruhen 40 , vertritt Kames eine optimistische Konzeption von der sozialevolutionären Verwandlung von Fremdzwang in Selbstzwang, der sich beim zivilisierten Menschen als Bedürfiiis - nützlich zu sein und Gutes zu tun - darstellt. Wie Smith geht Kames von der inhärenten Befriedigung emotionaler Verbundenheit mit anderen Menschen aus, die durch aktives benevolentes Handeln verstärkt werde, indem der benevolent Handelnde sich an der Betrachtung der eigenen Tugendhaftigkeit erfreut und diese Freude im Anblick des Elenden antezipiert, eine Fähigkeit, die nicht allgemein, jedoch „in every corner, persons are to be met with of such a sympathizing temper, as to chuse to spend their lives with the diseased and distressed" 41 . Evolutionstheorie Kames" zivilisatorischer Optimismus ist nicht als abstrakte geschichtsphilosophische These zu verstehen, sondern im Rahmen der vor allem von Smith entwickleten sogenann-

34 35 36 37 38 39 40 41

Essays, S. 16f., das folgende S. 19f. Vgl. Christian Garve: Anmerkungen, in: A. Ferguson: Grundsätze der Moralphilosophie, S. 345ff. Lehmann: Henry Home, Lord Kames, Kap. IX, S. 132; s. a. ibid.: Kap. XV. Sketches, Basil, Bd. I, S. 147. Equity, S. 19. Sketches, Edinburgh, Bd. IV, S. 200. Sketches, Basil, Bd. I, S. 277. Essays, S. 27f.

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ten „Vier-Stadien-Theorie" menschlicher Zivilisation quasi-materialistisch historisch fundiert, ausgehend von der Epocheneinteilung in vier grundlegende Modi von Produktionsweisen42. Nach dem Essay towards α General History of Feudal Property in Great Britain (1757) seines Schülers John Dalrymple veröffentlichte Kames 1758 in den Historical Law Tracts die zweite explizite Fassung dieser Theorie43. Dalrymple und Kames rücken als Juristen die Rechtsentwicklung in das Zentrum der Darstellung, die auch Smiths „Lectures on Jurisprudence" bestimmt. Sie gehen aber von einem allseitigen Wirkungsverhältnis von Ökonomie, Rechtsentwicklung, Politik und „manners" aus, das Kames vor allem in seinem Alterswerk, den Sketches of the History of Man, entfaltet. In der Kontroverse zwischen Montesquieu und Hume über das Verhältnis natürlicher und kultureller Faktoren bei der Formung von Gesellschaft formuliert Kames einen Naturalismus44, der neben der Varietät äußerer Natur auch eine ursprüngliche Verschiedenheit von Menschentypen annimmt und daher theoretischen Raum für eine primitive Rassenlehre öffiiet45. Im Stadium der Wildheit sind die Menschen in Familien organisiert, in denen die Familienoberhäupter die Autorität innehaben46, während die verhältnismäßig lockere Vergesellschaftung „demokratisch" funktioniert, weil es keine bedeutenden Rangunterschiede gibt47. Die Arbeitsteilung ist unentwickelt, und es gibt in diesem Stadium keine soziale Kooperation auf größerem Maßstab48, so wie es auch keine Anlässe für antisoziale Gefühle gibt49. Die nomadische Viehzucht, die nächste Stufe, geht einher mit der Organisierung in größeren politischen Einheiten50, der Einfuhrung des Privateigentums, das als juristische Figur allmählich gegenüber dem bloßen Besitz 42 Siehe A. S. Skinner: Adam Smith: An economic interpretation of history, in: Skinner/Wilson (Hg.): Essays on Adam Smith, S. 154-78; der 4. und 6. Text in: ders.: A system of social science; R. L. Meek: Social Science and the Ignoble Savage; die Texte 1 u. 2, in: ders.: Smith, Marx and after; Κ. Haakonssen: The Science of a Legislator, Kap. 7 u. 8; G. Nonnenmacher: Die Ordnung der Gesellschaft, Teil D; J. Salter: Adam Smith on Feudalism, Commerce and Slavery, HPT, 1992, verneint, nicht sehr überzeugend, daß Smiths „mode of subsistence" mit der Marxschen „Produktionsweise" vergleichbar sei. Möglicherweise hat Kames gewisse Ideen dieser Theorie antezipiert, siehe die Darstellung seiner Essays upon Several Subjects Concerning British Antiquities, die mir nicht zugänglich waren, in: Ross: Lord Kames, S. 53, S. 205f., S. 209, sowie Lehmann: Henry Home, Lord Kames, S. 258. 43 Siehe Tytler: Memoirs, Bd. I, S. 298ff.; Lehmann: Henry Home, Lord Kames, Kap. XII, 177ff.; Ross: Lord Kames, Kap. 11. John Miliar benannte die Genealogie dieser Theorie in der Reihenfolge der Namen von Montesquieu, Kames und Smith, Notes on Roman Law, 1788/89, R. Ferguson, Glasgow-University, Bd. III, Lecture 6, S. 31; auch Peter Stein weist auf den Einfluß Montesquieus hin: Law and Society in eighteenth century Scottish thought, in: Phillipson/Mitchison (Hg.): Scotland in the age of improvement, S. 157, den Lehmann: Henry Home, Lord Kames, S. 292f., und Ross: Lord Kames, S. 220, relativieren. 44 Siehe: Sketches, Basil, Bd. I, Preliminary Discourse, S. 29. 45 Siehe R. Wokler: Apes and races in the Scottish Enlightenment: Monboddo and Kames on the Nature of Man, in: P. Jones (Hg.): Philosophy and Science in the Scottish Enlightenment, Edinburgh, 1988, S. 145-68, bes. Note 40, S. 166f.; fur eine schwach rassistische Hypothese bei Hume, Essays, S. 208, Note, Variante S. 629f.; dazu: G. Streminger: David Hume, S. 597f.; s. a. Voltaire: Essai sur les Moeurs, Bd. I, Kap. 3, S. 233. 46 Henry Home-Lord Kames [anon. ]: Essais historiques sur Les Loix, Paris, 1766 (im folgenden: Essais); dies ist die gekürzte französische Übersetzung von Kames' Historical Law Tracts, die wohl das wesentliche Material enthält, siehe hier: Essai Premier, S. 129. 47 Sketches, Edinburgh, Bd. II, S. 223. 48 Essais, S. 128; Equity, S. 16. 49 Sketches, Edinburgh, Bd. II, S. 201. 50 Essais, S. 128.

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verselbständigt wird51, der punktuellen Kooperation vieler Menschen und den Anfangen von Tausch und Vertrag52. Die seßhafte Ackerbaugesellschaft, das dritte Stadium, bringt die Fixierung von sozialen Arbeitsteilungen, die Durchsetzung des Familieneigentums gegenüber dem Kollektiveigentum des Stammes53 und seine vollständige juristische Verselbständigung, Entwicklung von Kooperation auf großem Maßstab (etwa während der Ernte) und die Verdichtung der Vergesellschaftung durch die Verallgemeinerung des Tauschprinzips54. Tausch und Arbeitsteilung faßt Kames, wie die anderen Schotten, als sich komplementierende und wechselseitig stabilisierende Praxen auf, die die Individuen durch die Vielfalt der sozialen Abhängigkeiten tiefer in Gesellschaft verstricken. Durch die Seßhaftigkeit verbindet sich das Kollektivbewußtsein mit einem bestimmten Territorium und erzeugt, nach Kames, die Anfange von Nationalbewußtsein55, das durch „regular government, ...husbandry, ...commerce, and ...a common interest" verstärkt wird56; so erscheint der Patriotismus als ein Gipfelpunkt der Kulturentwicklung. Parallel zur Verbreitung des Geldes etablieren sich gesellschaftliche Rangunterschiede, „selfishness, prevailing over social affection, stirred up every man against his neighbour; and men... gave vent to dissocial passions within their own tribe. It became neccessary to strengthen the hands of the sovereign, for repressing passions inflamed by opulence, which tend to dissolution of society"57. Mit dem Übergang zur Geldwirtschaft setzen also Probleme der sozialen Differenzierung ein, die die Etablierung genuin politischer Institutionen begründen. Gleichzeitig beginnt die eigentliche Moralentwicklung durch Verankerung einer Anzahl von „devoirs de societe"58, die ursprüngliche Freiheit des schwach vergesellschafteten Individuums wird gesellschaftlich gezähmt. Der Zivilisationsprozeß wird angetrieben durch die Verdichtung der Sozialität, die die Dialektik gesteigerter sozialer Abhängigkeit bei gleichzeitiger Entstehung antisozialer Affekte in Gang setzt, aus der das Motiv der Sicherung des Privateigentums gegen Übergriffe geboren wird, das dem politischen System zugrundeliegt59. Der Eigentumsschutz erscheint als entscheidender Schritt des Menschen aus dem vorzivilisierten in den zivilisierten Zustand60, indem er die individuelle Antriebsenergie durch die Fixierung auf bestimmte Objekte des Besitzes zuverlässig aktiviert61, und so bringt das Privateigentum den natürlichen Akkumulationstrieb des Menschen ökonomisch zur Wirkung, der nach Kames ursprünglich auf einem Sicherheits- und Vorsorgebedürfiiis beruht62. In der kommerziellen Gesellschaft sprengt die Dimension vertragsfÖrmig vermittelter Kooperation von Fremden auf der Basis einer stets weiter getriebenen Arbeitsteilung jede Vorstellung von kol51 52 53 54 55 56 57 58 59

Ibid., Essai Second: Histoire de la Propriete, S. 177 Equity, S. 16. Essais, S. 185. Ibid., S. 128f. Sketches, Edinburgh, Bd. II, S. 312. Ibid., S. 313. Sketches, Edinburgh, Bd. II, S. 223, s. a. S. 202. Essais, S. 127ff. Ibid., S. 182f.: „Ainsi l'on decouvre une liaison naturelle entre le gouvernement et la propriete. Tout deux, de Γ etat de foiblesse et d'enfance oil on les voit dans leur origine, sont parvenus d'un pas egal et par degre ä ce point de solidite et de perfection oil ils sont aujourd'hui". 60 Sketches, Basil, Bd. I, S. 91. 61 Essais, S. 152. 62 Equity, S. 33.

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lektivem Handeln nach einheitlichem Plan, und umso wichtiger wird die durchgreifende soziale Sanktionierung der Vertragstreue63, die in der kommerziellen Gesellschaft auf einer Stufe mit den elementaren moralischen Pflichten steht64, denn von der Vertragstreue hängt „the progress at least, if not the commencement of every art and manufacture" ab65. John Millars Observations concerning the Distinctions of Ranks von 1771 folgend66, konstatiert auch Kames in den Sketches eine Tendenz der Gleichstellung der Frauen in der modernen Gesellschaft, ohne allerdings die Suprematie des Mannes in Frage zu stellen67. Die Entwicklung des Strafrechts beginnt nach Kames mit der individuellen Empfindung einer Verletzung eigener Rechte durch andere, die „resentment" und den Willen zur Vergeltung erzeugt68, und Kames ist der Überzeugung, das Rechtssystem sei von diesem elementaren Affekt nicht ablösbar, da eine aggressive Empfindung die „gesunde" und angemessene Reaktion auf eine Verkürzung eigenen Rechts durch andere ist. Der Vergeltungsimpuls ist notwendig, um Energien zur Ahndung der Rechtsverletzung zu mobilisieren69, ein Motiv, das sich angedeutet bei Hutcheson findet und durch Smith elaboriert wird70. Um jedoch unkontrollierte Eskalationen der Rache zu vermeiden71, werden Vermittler bemüht, die zunächst über keine Zwangsgewalt verfügen72 und erst durch die antezipierenden Unterwerfungsversprechen der Streitenden unter ihre Entscheidungen zu Richtern werden, was zur Etablierung eines institutionell verselbständigten Rechtssystems fuhrt. Die politische Gewalt hat ihren Ausgangspunkt, nach Kames, in den Notwendigkeiten gemeinsamer Verteidigung gegen äußere Feinde73, die eine zentrale Kommandogewalt erfordert, welche aber mit der Kriegssituation wieder erlischt74. Kames hält deutlicher als ältere evolutionstheoretische Ansätze - Locke, Hume - die Entwicklungsgeschichte des Rechtssystems von der der politischen Gewalt auseinander, trennt die Figur des Richters von der des Häuptlings/Heerführers als Quellen der Autorität, die erst im Laufe der Zeit im Monopol der Exekution von Strafen, im „Recht des Schwerts"75, zusammenfließen, der Frühform des Gewaltmonopols des Staates. Dieser Übergang von der individuellen Vergeltung zum Strafmonopol der politischen Gewalt sei, schreibt Kames, „peut-etre la

63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75

Ibid., S. 15. Ibid., S. 16. Ibid., S. 118. J. Miliar: Vom Ursprung des Unterschieds in den Rangordnungen und Ständen, Kap. 1; P. Bowles: John Millar, the four-stages theory, and women's position in society, ΗΡΕ, 1984. Sketches, Edinburgh, Bd. II, Sketch 6; s. a. die Briefe an Miss Catherine Gordon im Anhang von W. C. Lehmann: Henry Home, Lord Kames, und dort Kap. XV. Essais, 1. Essai, Anfang; Tytler: Memoirs, Bd. I, S. 302. Essais, S. 30; Ross: Lord Kames, S. 207. Siehe seine Diskussion des gerechten „Resentment", TMS, S. 34f., S. 38, und als Ausgangspunkt der Straftheorie, S. 218, Appendix II, S. 389f., S. 393f. Essais, S. 29f. Ibid., S. 43f. Ibid., S. 43, S. 129. Siehe für die analoge Auffassung Humes: Treatise, Buch III, Teil II, Abschn. VIII, S. 539f. Sketches, Edinburgh, Bd. II, S. 221. Eine antike Quelle dieser Auffassung ist C. Julius Caesar: Der Gallische Krieg, mit Bemerkungen Napoleons I, hg. v. K. Bayer, Reinbek, 1965, 6. Buch, S. 129. Essais, S. 9Iff. auch für das folgende.

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plus grande revolution que le gouvernement eprouva jamais". Erst in zivilisierten Gesellschaften wird die spät ausdifferenzierte Legislative zur souveränen Spitze des politischen Systems. Nach Kames beschreibt die Entwicklung der politischen Gewalt im ganzen einen Zyklus: Sie beginnt als schwache Vermittlungsinstanz und temporäre Kommandogewalt; mit der Einführung des Eigentums und des Geldes und der folgenden Etablierung von Rangunterschieden - marxistisch: von Klassengesellschaften 76 - entstehen schwerere gesellschaftliche Konflikte, die eine Stärkung der politischen Gewalt erfordern. Der Zivilisationsprozeß wiederum, indem er im Kontext der Verdichtung der Sozialität Fremdzwang in Selbstzwang verwandelt, reduziert das soziale Konfliktpotential und damit die Notwendigkeit politischer Repression, die in eine milde, aufgeklärte, zurückgenommene politische Selbstüberwachung der Gesellschaft überführt wird. „En un mot", faßt Kames zusammen, „on peut poser pour maxime generale, que dans toute societe, les progres du gouvernement vers la perfection, repondent exactement aux progres de la societe vers l'intimite d'union" 77 . Und „Thus government, after passing through all the intermediate degrees from extreme mildness to extreme severity, returns at last to its original temper of mildness and humanity" 78 - aber auf einer höheren, aufgeklärten, reflexiven Ebene. Die ursprüngliche Unabhängigkeit und Unschuld des „edlen Wilden", wußte auch Rousseau, ist unwiederbringlich. Bei Kames wird sehr deutlich, daß die schottische Evolutionstheorie nicht relativistisch oder historistisch intendiert ist, sondern als genuin teleologische Fortschrittstheorie und Apologie der modernen „civil society". So wenn er anthropologisch einen „vif penchant de l'homme vers Γ appropriation" postuliert 79 und das Feudalsystem als Gewaltsystem und Widerspruch zur „Natur des Menschen", zu seiner „amour de l'independence et de la propriete, la plus durable et la plus industrieuse de toutes les passions humaines" bezeichnet. Mit der Überwindung des Feudalsystems, das jedoch die juristischen Formen noch präge 80 , war demnach die Voraussetzung fur eine beschleunigte Entwicklung einer „natürlichen", d.h. bürgerlichen Ökonomie gegeben. Verdichtete Sozialität Zur gemeinsamen theoretischen Basis der schottischen Aufklärungsbewegung, in Wendung gegen individualistisch-atomistische Aspekte des dogmatischen Naturrechts, gehört die Annahme einer sozialen Natur des Menschen 81 . Diese Position steht sicher in einer antiken, aristotelischen Tradition, aber sie kann auch an der Idee existenzieller Angewiesenheit des Menschen auf Gesellschaft bei Samuel Pufendorf anschließen, der nach der Rekonstruktion Istvan Honts bereits die Fundamente der Theorie kommerzieller Gesellschaft in nuce vorgedacht hat, die von den Schotten ausgearbeitet wird 82 . Auf dieser ide76 77 78 79 80

Siehe die Auseinandersetzung von K. Eder: Die Entstehung staatlich organisierter Gesellschaften. Essais, S. 130. Sketches, Edinburgh, Bd. II, S. 225f. Essais, S. 154, das folgende auf S. 276. Siehe den Teilabdruck des Vorworts zu Kames': Historical Law Tracts (2. ed., Edinburgh, 1761), in: W. C. Lehmann: Henry Home, Lord Kames, S. 315f. 81 Siehe hierzu bes. den ersten Teil von N. Waszeks: Man's Social Nature. 82 Siehe Pufendorf: Pflicht des Menschen, bes. 2. Buch, IKap.; I. Hont: The language of sociability and commerce: Samuel Pufendorf and the theoretical foundations of the ,Jour-Stages Theory", in: A. Pagden (Hg.): Languages of Political Theory, S. 253-76, bes. der Schluß.

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engeschichtlichen Linie, die antikes Denken in einen modernen Theorierahmen integriert, schreibt Kames etwa: „A man is made to purchase the means of life by the help of others, in society. Why? because, from the constitution both of his body and mind, he cannot live comfortably but in society"83. Aus dieser subjektzentrierten Fundierung von Gesellschaft folgt die Bedeutung von Verträgen, die Gesellschaft durch Selbstbindung der Subjekte stabilisieren. Aber die Schotten verstehen Gesellschaft nicht nur als Kompensation von Defekten, als Notgesellschaft, sondern auch als genuines Bedürfiiis; sie sehen die Befriedigungen und Vergnügen, die Gesellschaft gewährt, etwa wenn Kames feststellt, der menschliche „appetite for food, is not more certain, than... an appetite for society"84. Wenn Hutcheson daher das naturrechtliche Sozialvertragsmodell reproduziert, das ja immer einen vorgelagerten Naturzustand in dieser oder jener Form annehmen muß, und Probleme hat, diesen mit republikanischem Denken zu versöhnen, weisen die späteren schottischen Autoren, Hume folgend, das Vertragsmodell α limine zurück. Impliziert aber Humes ethisches Ideal eines unabhängigen, geistig ausgeglichenen Lebens im Kreis von Freunden relative gesellschaftliche Zurückgezogenheit, einen intakten Privatraum, in dem die besseren Formen der Lebenserfüllung sich vollziehen können, betont Kames dagegen die nach außen gewandten, expressiven Aktivitäten. Daher denkt er die Individuen stärker in Gesellschaft involviert und bis in die mentalen Strukturen hinein auch normativ durch Gesellschaft geformt; in diesem Sinne ist er „Kommunitarist". Im Grunde beweist schon die Existenz des Moral Sense, „the very purpose of which is, to regulate our conduct in society", daß „man is by nature a social being"85. „Society teaches mankind self-denial, and improves the moral sense. Disciplined in society, the taste for order and regularity unfolds itself by degrees. The social affections gain the ascent, and the morality of actions gets firm possession of the mind"86. Wenn der Moral Sense einerseits anthropologische Ausstattung ist, so ist er andererseits auch entwicklungsfähig, und seine Hauptfunktion ist die Anpassung individuellen Verhaltens an die Gesellschaft. Dabei betrachtet Kames den interpersonalen Sozialkontakt als entscheidende persönlichkeitsformende Instanz, denn die Individuen werden sich, im Guten wie im Schlechten, an die Normen und Erwartungen der unmittelbaren sozialen Umgebung, an die „signifikanten Anderen" im Sinne des symbolischen Interaktionismus87 assimilieren88, und die Dauerhaftigkeit dieser Sozialkontakte konstituiert starke affektuelle Habitualisierungen, Bindungen oder Abneigungen89. Darüber hinaus beruht der zivilisierende Effekt der modernen Gesellschaft aber auch auf der generellen Erhöhung der Dichte des Sozialverkehrs, die die Individuen in eine parallele Vielfalt von Sozialkontakten einbindet, die im Ergebnis den Zwang zur individuellen Selbstkontrolle bedeutend steigert. Dadurch entwickelt sich ein Verhaltenskodex, der den Umgang mit Fremden durch Standardisierung von Verhaltensmustern erleichtert. Diese zivilisatorischen Standards werden als soziale Normen internalisiert und regulieren somit auch das Verhalten in unbeobachteten 83 84 85 86 87

Essays, S. 40f. Sketches, Edinburgh, Bd. II, S. 173. Equity, S. 9. Essays, S. 331 f. Siehe für diese Verbindung: S. Shott: Society, Self, and Mind in Moral Philosophy: The Scottish Moralists as Precursors of Symbolic Interactionism, JHBS, 1976: 12, S. 39-46. 88 Art of thinking, S. 53; Sketches, Edinburgh, Bd. IV, S. 77. Ebenso A. Smith: TMS, S. 224. 89 Elements, Bd. II, S. 87f.

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Situationen. Kames schreibt insofern dem Moral Sense die weitergehende reflexive Funktion zu, nicht nur der spontanen moralischen Beurteilung gegebener Situationen, sondern der Selbstbeobachtung und Selbstkontrolle nach Vorgabe internalisierter Sozialnormen, Ideen, die in Smiths „Spectator"-Theorie eingehen. Wenn Kames daher dem Moral Sense die Kraft verleiht, „to bind us by a law in our nature to regulate our conduct by the common sense of mankind, even in opposition to what otherwise would be our own sense or private conviction" 90 , dann offenbart sich dieser als Medium der Sozialkontrolle als Selbstkontrolle. Gleichzeitig deutet Kames den Moral Sense in Richtung des durch Joseph Butler in die britische moralphilosophische Diskussion eingebrachten Gewissensbegriffs aus 91 . Das Gewissen wird dabei als Agentur der Gesellschaft im Individuum interpretiert, weniger als Instanz der Behauptung individueller moralischer Urteilskraft gegenüber sozialen Normen - zentrales Problem in Smiths Theory of Moral Sentiments. Der Moral Sense, schreibt Kames, „is admitted by all to be perfect; and, consequently, to be the ultimate and unerring standard of morals; to which all are bound to submit, even in opposition to their own private sense of right and wrong" 92 . Seine Moraltheorie bewegt sich in dem Spannungsverhältnis, die moralischen Normen in einer universalgeschichtlichen analytischen Perspektive von langfristigen sozialen Evolutionsprozessen abhängig zu machen und sie auf der anderen Seite für das Individuum pragmatisch in den Rang reflexiv nicht einholbarer Grundsätze zu erheben, die der Moral Sense, als „voice of God within us", im Gewissen verankert, das selbst nicht-reflexiv ist93. Dadurch entsteht der Eindruck einer gegenüber der Individualvernunft verselbständigten Dynamik der Moralevolution. Der Grund dieser theoretischen Abtrennung liegt in Kames" offensichtlichem Mißtrauen gegenüber den Anmaßungen individueller moralischer Urteilskompetenz. So basiert er die Gültigkeit der Moral Sewse-Theorie nicht in erster Linie auf Introspektion, sondern auf die induktiv-empirische Beweisbarkeit gleichförmiger moralischer Reaktionen, eine Beweisart, die ihn dazu zwingt, die Gültigkeit seiner Moralphilosophie auf die moralisch fortgeschrittenen „nations of polished manners" zu beschränken 94 . Würde er sich genauer mit der Verschiedenheit moralischer Kulturen in verschiedenen modernen Ländern befassen, müßte er die Gültigkeit seines „Beweises" wohl noch weiter einschränken. Er betrachtet jedoch die Diversität moralischer Orientierungen als bloße Abstufung einer gemeinsamen menschlichen, auch moralischen, Natur 95 und behauptet die objektive Überlegenheit moralischer Normen von „men in their more perfect state", denn „to ascertain the rules of morality, we appeal not to the common sense of savages"96, die erst nach langer Disziplinierung durch das Leben in Gesellschaft „rationality" und „delicacy 90 Equity, S. 9. Hervorhebung durch mich. 91 Ibid., S. 7; siehe zu Butler: Τ. A. Roberts: The Concept of Benevolence, Teil 2; R. A. Shiner: Butler's Theory of Moral Judgment, in: S. C. Brown (Hg.): Philosophers of the Enlightenment, S. 199-225; Kames hat mit Butler korrespondiert. 92 Equity, S. 10. 93 Siehe: Essays, Teil I, Essay 2, S. 63. 94 Equity, S. 8f.: „That there is in mankind a common sense of what is right and wrong, and an uniformity of opinion, is a matter of fact, of which the only infallible proof is observation and experience; and to that proof I appeal; entering only one caveat, That... the inquiry be confined to nations of polished manners"; s. a. Elements, Bd. III, S. 367. 95 Elements, Bd. III, S. 357f. 96 Ibid., S. 367, auch das folgende.

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of taste" erwerben. Die moderne Moralität ist demnach nicht nur überlegen, sondern auch uniformer97. Kames glaubte nicht an ein ursprüngliches goldenes Zeitalter, denn „in his original savage state" ist der Mensch „a shy and timorous animal, dreading every extraordinary event, to some invisible malevolent power. Led, at the same time, by mere appetite, he has little idea of regularity and order, of the morality of actions, or of the beauty of nature... As man ripens in society, and is benefited by the good-will of others, his dread of new objects gradually lessens. He begins to perceive regularity and order in the course of nature"98. Wachsende Naturbeherrschung und die parallele Entwicklung sozialer Institutionen, die das Leben in Gesellschaft sicherer machen, verdrängen die ursprünglich allgegenwärtige Furcht. „Nothing tends more effectually to dissipate fear, than consciousness of security in the social state: in solitude, no animal is more timid than man; in society, none more bold"99. In der Weltbildentwicklung tritt der Aberglaube100, der Fetischismus und die „idolatry" zurück101, und eine säkular-kausale optimistische Weltauslegung greift Platz, die Gott nur noch als „letzte Ursache" gelten läßt. Indes humanisiert sich die Religion und dient nicht länger als ideologische Verkleidung von Bosheit und Grausamkeit102. Bei der Durchsetzung religöser Toleranz spielt der Handel eine positive Rolle, da er an der Beseitigung von Kommunikationsschranken interessiert ist103. Die moderne Entwicklung der Kultur, in der der Geist eine zunehmend größere Rolle spielt, fordert die Sensibilität, die Menschen werden empfindlicher auch für mentale Aggressionen104, insbesondere für Vertrauensbruch und Verletzungen der Wahrheit, Fehlverhalten, das den gesellschaftlichen Verkehr gleichsam „vergiftet"105. Mit der Durchsetzung „entgegenkommender" Verhaltensstandards stößt offen egozentrisches Verhalten auf Ablehnung, und das richtig verstandene Selbstinteresse liegt daher in der Kultivierung „höflichen" Verhaltens und Ansehens106. Gleichzeitig erzeugt jedoch die verdichtete Sozialität soziale Konkurrenz, die innerhalb der gleichen Sozialschicht besonders scharf ist107, und die Interessenidentität, die aus der Übereinstimmung der sozialen Lage resultiert, bricht sich an den Mentalitäten der „acquisitive society". Recht und Moral Kames wendet gegen den einseitig rationalistisch ausgelegten „sozialen Utilitarismus" Humes ein, dieses Motiv sei praktisch zu schwach, um triebhaft egoistische Überschrei97 98 99 100 101 102 103 104

Enquiry, S. 6f. Essays, S. 346; zur Rohheit der Sitten der antiken Römer: Sketches, Bd. I, Sketch 5: Manners. Sketches, Edinburgh, Bd. II, S. 177. Als dessen krassen Ausdruck Kames das Zölibat betrachtete, Sketches, Basil, Bd. IV, S. 293. Ibid., S. 2241T. Ibid., S. 234. Siehe ibid., S. 311, Note. Equity, S. 14: „The prohibition of hurting others internally, is perhaps not essential to the formation of societies, because the transgression doth not much alarm plain people: but among people of manners and refined sentiments, the mind is susceptible of more grievous wounds than the body; and therefore without that law a polished society could have no long endurance". 105 Ibid., S. 34. 106 Art of thinking, S. 15f. 107 Ibid., S. 21: „Envy flames highest against one of the same rank and condition".

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tungen der Grenzen der Gerechtigkeit zu restringieren 108 . „Reason, even with experience, seldom weighs much againts passion", schreibt Kames, „and to restrain its impetuosity, nothing less is requisite than the vigorous and commanding principle of duty, directed by the shining light of intuition" 109 . Die Vernunft ordne sich stets den Leidenschaften unter, was Hume bekanntlich zugab" 0 . „That reason which is favourable to our desires, appears always the best", schreibt Kames. „Change of condition begets new passions, and consequently new opinions" 111 . Desgleichen sieht er in der utilitaristischen Forderung rationaler Kalkulation der Handlungsfolgen eine intellektualistische Überforderung der Individuen, die ihre moralische Handlungsfähigkeit schwächt, denn „reason employed in weighing an endless number and variety of circumstances, seldom affords any solid conviction" 112 . Kames' intuitionistische Moralphilosophie ist daher auch durch das Motiv der Kapitulation vor sozialer Komplexität bestimmt. Humes „sozialem Utilitarismus" stellt Kames die fundamentale Unterscheidung von Recht und Moral entgegen, die jene Normen, deren Einhaltung für das Funktionieren von Gesellschaft unerläßlich ist, von denen trennt, die das Zusammenleben in Gesellschaft verbessern oder erleichtern mögen, deren Einhaltung jedoch nicht zwingend ist. Allerdings ist diese Unterscheidung, vom Individuum aus gesehen diejenige zwischen Pflicht und Tugend, nur scheinbar präzise, denn Kames hält auch ein gewisses Maß moralischen Verhaltens oberhalb des levels der Strafbarkeit gesellschaftlich für unverzichtbar 113 . Dabei spielt in den Überlegungen des Richters Kames die ^w/iy-Rechtsprechung eine besondere Rolle als institutionelle Schnittstelle und Vermittlungsbereich zwischen Recht und Moral 114 , indem sie die Durchführung von „Pflichten der Benevolenz" unterstützt, die die Unterscheidung rechtlich zwingender Pflichten und freiwilliger Benevolenz transzendieren 115 . Überhaupt sind die Begriffe von „Recht" und „Moral" nicht symmetrisch, denn der Moralbegriff bildet den Rahmen auch für das Recht, dessen Normen auf moralischen Prinzipien beruhen, genauso wie die Autorität der Rechtsprechung auf der Einbettung in einen moralischen Sozialkonsensus beruht 116 . Parallel zur Trennung von Recht und Moral unterscheidet Kames „primary virtues" von „secondary virtues" 117 , und richtiges (Recht: „just", Moral: „proper") von falschem Handeln (Recht: „unjust", Moral: „improper") 118 . Und dem Moral Sense schreibt er die

108 Essays, Teil I, Essay 2, Kap. 3, S. 57f.: „According to [Hume], there is no more in morality but approving or disapproving of an action, after we discover by reflection that it tends to the good or hurt of society. This would be by far too faint a principle to controul our irregular appetites and passions". 109 Equity, S. 31. 110 Siehe die Stelle: D. Hume: Treatise, Buch 11, Teil 111, Abschn. III, S. 415. 111 Art of thinking, S. 5. 112 Equity, S. 32. 113 Equity, S. 36f.: „Society could not subsist in any tolerable manner, were full scope given to rashness and negligence, and to every action that is not strictly criminal... ". 114 Siehe Ross: Lord Kames, S. 233f. 115 Siehe: Equity, Buch I, Kap. III. 116 Sketches, Edinburgh, Bd. IV, S. 23: „Courts of law could afford no remedy; for without a standard of morals, their decisions would be arbitrary, and of no authority"; s. a. Enquiry, S. 7. 117 Equity, S. 20. 118 Ibid., S. 6f.; zehn Seiten weiter unten in diesem Text bringt Kames eine weitere Differenzierung ins Spiel, die selbstbezüglichem zu fremdbezüglichem Handeln: „The sense of propriety, a branch of the moral sense, regulates our conduct with respect to ourselves; as the sense of justice, another branch of

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Unterscheidungsfähigkeit zwischen objektiv schädlichen Handlungsfolgen, objektiv schädlichen Handlungen und subjektiv verwerflichen Handlungen zu, die wichtig ist für die Ermessung moralischer Schuld. „Actions that produce ill effects" gliedern sich damit „into three kinds, viz. Criminal, Culpable, and Innocent"119. Diese Problematik liegt dem Juristen nahe, der wissen will, welche sozialen Normen Gegenstand rechtlich-staatlicher Erzwingung sein sollen, der aber im Strafprozeß die moralische Strafwürdigkeit von Handlungen mit zu erwägen hat. Auch praktisch ist wichtig, argumentiert Kames, daß die an einem Sozialprozeß Teilnehmenden wissen, welche Normen Verbindlichkeit besitzen und welche ihnen zur Abschattierung der praktisch-moralischen Regulierung ihrer Sozialbeziehungen überlassen sind. Humes „sozialer Utilitarismus" leiste dagegen der reflexiven Aufweichung dieser Grenzziehung und somit der Lockerung der Verbindlichkeit von Rechtsnormen Vorschub120. Der rationalistische Utilitarismus kollidiert nach Kames auch mit der assoziationspsychologischen Begründung der Rechtsentwicklung, ein Ansatz, den Kames eventuell schon in den 1730ger Jahren vertreten hat121, den er exemplarisch am Prinzip des Eigentumsschutzes durchführt. In den konkreten ökonomischen Beziehungen entwickelt der Mensch, so die Vorstellung, eine emotionale Bindung auf assoziativer Basis zu bestimmten Objekten, mit denen er in seiner produktiven Praxis verbunden ist122. Dieser reale, repetitive Vorgang praktischer Aneignung begründet die Eigentumsidee, die dann als Norm im Rechtssystem verankert wird. Damit soll, analog zum Common Law, die Geschichte der Rechtsnorm „Eigentumsschutz" erklärt werden, ohne auf positive Rechtssetzung zurückgreifen zu müssen. Die Frage lautet dann nicht: wer hat das Recht, und zu welchem Zweck, gesetzt?, sondern: woher kommen die sozialen Rechtsideen? Und indem er diese historisch auf Umwälzungen im Gesamt der sozialen Reproduktion zurückführt, eröffnet Kames zusammen mit anderen Schotten eine neue Dimension der Theorie der „Legal Evolution" (Peter Stein). Die juristische Reifikation sozialer Normen wird dabei durchstoßen und reflexiv auf ihre historische Basis zurückbezogen. Kames beantwortet aber nicht die weitere Frage: woher kommen die Umwälzungen im Gesamt der gesellschaftlichen Reproduktion?, die wiederum auf gesellschaftliche Lernprozesse verweist, die etwa nach Art des Humeschen „sozialen Utilitarismus" reguliert sein können. Kames begnügt sich mit dem zirkulären Postulat, die Eigentumsideen entsprächen stets genau dem, was gesellschaftlich nützlich ist123. Und indem er von der seit je existieren-

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the moral sense, regulates our conduct with respect to others". Beide Bestimmungen zusammen sind wenig präzise. Enquiry, S. 3. Essays, S. 58: „... it is of importance to observe, that upon this author's [Humes] system, as well as Hutchison's, the noted terms of duty, obligation, ought and should &c. are perfectly unintelligible". Ich beziehe mich auf Tytlers Kommentar zu Kames' Essays upon several Subjects in Law von 1732, die mir nicht zugänglich waren, siehe Tytler: Memoirs, Bd. I, S. 72ff. Siehe auch Kames' interessante Überlegungen zur religiösen „idolatry", die auf assoziativer Übertragung beruhen soll, in: Sketches, Basil, Bd. IV, S. 245. Essays, Kap. 7, S. 105; Essais, S. 185f.: „Un homme qui s'est donne bien des peines pour preparer un champ ä etre laboure et qui a ameliore ce champ par une culture oü il a employe les secours de 1'art, se forme dans son imagination l'idee d'un rapport intime avec ce champ. II contracte par degres une affection singuliere pour ce morceau de terre, qui, en quelque facon, est l'ouvrage de ses mains"; s. a. Ross: Lord Kames, S. 264f. Sketches, Basil, Bd. I, S. 89.

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den Trennung von Recht und Moral auf jeder Evolutionsstufe von Gesellschaft ausgeht, verschließt er sich die Möglichkeit, diese selbst als spezifisches Ergebnis historischer Evolutionsprozesse zu analysieren. Reziprok proportional entspricht der Verbindlichkeit sozialer Normen ihre gesellschaftliche Sanktionierung. Das rechtliche Verhalten, indem es verbindlich vorgeschrieben der Handlungsfreiheit entzogen ist und daher auch erwartet wird, verschafft keinen besonderen Grad gesellschaftlicher Anerkennung 124 ; der Rechtsbruch dagegen ruft die moralische Empörung der sozialen Umgebung wach, deren Strafwirkung unter Umständen größer sein kann als die Sanktionsdrohung des Justizsystems 125 . Umgekehrt wird das Fehlen spezifisch moralischen Verhaltens kaum negativ sanktioniert, trägt aber als positives Handeln in dem Maße, in dem es das rechtliche übersteigt, gesellschaftliche Anerkennung ein, „the performance being rewarded with a consciousness of self-merit, and with universal praise and admiration, the higest rewards human nature is susceptible of'. In den moralischen Prozeß, der insoweit eine intakte moralische Gemeinschaft voraussetzt, ist ein Antrieb eingebaut, im Verhalten nicht nur das rechtliche Minimum zu realisieren, sondern darüber hinaus zur moralischen Integration der Gesellschaft beizutragen. Die Idee positiver Stimulierung moralischen oder tugendhaften Handelns durch positive soziale Sanktionierung, unterstützt durch Symbole - wie Ehrenzeichen, Titel, symbolische Privilegien, usw. -, ist ein wichtiges Moment allen Tugendrepublikanismus. Kames sucht eine Verbindung der liberalen Idee negativer Freiheit mit tugendrepublikanischer Stimulierung positiven moralischen Handelns; beide Momente sind ihm wichtig, der moralischen Degeneration ein Minimum aufzuzwingen und der moralischen Exzellenz Entfaltungsraum zu geben. Individuum, Freihandel, „Public Spirit" Kames hält am Hutchesonschen Basistheorem konzentrischer Kreise abgeschwächter emotionaler Bindung fest 126 , wertet jedoch die Egozentrik auf, denn nicht nur sei die Idee praktischer Handlungsorientierung durch allgemeine Menschenliebe utopisch 127 , sondern positiv begründe die Egozentrik, daß „every man has more power, knowledge, and opportunity to promote his own good, than that of others. Thus the good of individuals is principally trusted to their own care" 128 . Die Individuen können ihre subjektive Situation am besten beurteilen, denn sie betrachten sie von innen, während alle anderen sie von außen und daher notwendig fragmentarisch betrachten. Sicher benötigen die Individuen Urteile und Ratschläge von anderen, die weniger subjektiv gefärbt sind. Der subjektiven Sichtweise gebührt jedoch der Vorrang und die Letztentscheidung, denn das Individuum muß sich abweichende Urteile, Ratschläge usw. zu eigen machen, oder auch nicht, und auf diese Weise Verantwortung fur sich selbst übernehmen. Und mit wachsender Komplexität gesellschaftlicher Prozesse wächst die Vielfalt individueller Bezüge, die nur noch subjektiv zusammenzuhalten sind. So hat das Individuum im allgemeinen auch einen

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Elements, Kap. 4, S. 69, S. 72. Equity, S. 25, auch für das folgende. Essays, S. 381. Essays, Essay 2, Kap. 5: Of the Principles of Action, S. 82, s. a. S. 90; Sketches, Edinburgh, Bd. II, S. 173f. 128 Essays, S. 89.

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Informationsvorsprung in bezug auf den handlungsrelevanten sozialen Nahbereich, ein beschränktes Feld mehr oder weniger dauerhafter personaler Beziehungen, in dem Verhältnisse der Reziprozität entstehen, die nicht auf Äquivalententausch beruhen und nicht-vertragsformige moralische Verpflichtungen konstituieren 129 . Die Erfüllung dieser moralischen Verpflichtungen im persönlichen Nahbereich ist von jedermann zu verlangen, nicht jedoch die Bedienung moralischer Zielsetzungen, die sich auf größere gesellschaftliche Kreise richten, denn „universal benevolence is a virtue only, not a duty" 130 . In diesem Sinne erhöht die Dezentralisierung gesellschaftlicher Entscheidungen die soziale Flexibilität und Anpassung, und ein solcherart dezentralisierter Gesellschaftsprozeß kann die sozialen Ressourcen, die individuellen Antriebsmotive 131 und das konkrete Wissen der Individuen besser nutzen als konkurrierende soziale Steuerungssysteme. In der überlegenen ökonomischen Effizienz liegt die historische Berechtigung des Marktes 132 , und Kames formuliert charakteristisch als Pflicht von jedermann, „to do his duty", wodurch „the general good will be promoted much more successfully, than if it were the aim in every single action" 133 . Im Gegensatz zu Hume, der mit der allgemeineren Annahme nicht-intendierter Folgen arbeitet, die sowohl positiv wie negativ von den Handlungsplänen abweichen können, glaubten Kames und Smith an das gesamtgesellschaftlich optimale Zusammenschießen der partikularen Handlungen, und kein Zweifel, daß dieser Glaube letztlich religiös unterfüttert ist134. Dabei ist Kames nicht einfach ein Marktradikaler, denn er befürwortet im Gegensatz zu Smith etwa Exportprämien und Erziehungszölle, um die Inlandsproduktion zu begünstigen und international behauptungsfahig zu machen 135 , ebenso wie auch Miliar nach dem Erscheinen des Wealth of Nations Zweifel an der Richtigkeit von Smiths Vertrauen in den Markt äußerte 136 . Aber Kames verurteilt wie Smith die Monopolisierung des nordamerikanischen Handels durch britische Kaufleute, die „not only unjust but impolitic" ist, „as by it the interest of a whole nation, is sacrificed to that of a few London merchants" 137 . Diese freihändlerische Tendenz hat 129 130 131 132

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Equity, S. 12f.; hierzu interessant J. G. Heineccius: Grundlagen des Natur- und Völkerrechts, §221. Ibid., S. 13. Sketches, Basil, Bd. I, S. 88. Siehe zur Behauptung der Überlegenheit des Marktes gegenüber der staatssozialistischen Ökonomie F. A. Hayek: Sozialistische Wirtschaftsrechnung, 1-3, in: ders.: Individualismus und wirtschaftliche Ordnung; G. K. Chaloupek: The Austrian debate on economic calculation in a socialist economy, ΗΡΕ, 1990: 22, S. 659-75. Essays, Teil I, Essay 2, Kap. 5, S. 91. Siehe ibid., Essay 3: Of Liberty and Necessity, S. 207, S. 372, Teil II, Essay 6 und 7; weiter das Gebet am Ende von Kames': Essays, in: Lehmann: Henry Home, Lord Kames, Appendix, S. 334f. In der Literatur wird angenommen, Hugh Blair habe diese Predigt geschrieben, Ross: Lord Kames, S. 110; siehe weiterhin: Essais, S. 110; Sketches, Edinburgh, Bd. II, S. 203. Sketches, Basil, Bd. I, S. 117; Sketches, Edinburgh, Bd. II, S. 426. Das Erziehungszollargument wurde von James Steuart formuliert und später durch Friedrich List systematisiert, siehe Steuert: Principles of Political Oeconomy, Bd. I, Kap. XIX, sowie A. Skinner: Analytical Introduction, ibid., S. LXXVI; Schumpeter: Geschichte der ökonomischen Analyse, Bd. I, S. 439; F. List: Das natürliche System der politischen Ökonomie (1838), hg. v. G. Bondi, Berlin, 1961; ders.: Das nationale System der politischen Ökonomie (1841), mit Bezug auf Steuart, S. 295. Brief von Miliar an David Hume 1776, in: J. H. Burton (Hg.): Letters from Eminent Persons addressed to David Hume, Nr. LI, auch in: Lehmann: John Millar of Glasgow, Appendix 1. Es gibt gewisse Zweifel, ob dieser Brief an David Hume den Philosophen gerichtet ist, oder an seinen Neffen David Hume, der später ein bedeutender Jurist wurde. Sketches, Edinburgh, Bd. II, S. 433, Note.

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sozialgeschichtlich um die Mitte des 18. Jahrhunderts in Schottland unzweifelhafte Berechtigung, insofern sie die Befreiung der Ökonomie aus traditionalistischen Verkrustungen betreibt, die die Anpassungsfähigkeit der Ökonomie und ihre Dynamik hemmen. Diese Intention wird am deutlichsten an Kames" intensiven, langjährigen Bemühungen, die modo grosso von Steuart138, Smith139, Dalrymple140 und Miliar141 geteilt wurden, das juristische Institut des „entail" - ähnlich dem römisch-rechtlichen „Fideikommiß" abzuschaffen oder zu reformieren, durch das bedeutende Teile des Grundbesitzes dem Markt entzogen wurden, deren Nutzung als ökonomische Ressource daher beeinträchtigt war142. Bei Kames bleiben diese Überlegungen zum Freihandel jedoch deutlich in einen übergreifenden, patriotisch inspirierten Zusammenhang forcierter Modernisierung eingebettet. Die charakteristische Formulierung, jeder möge in seinem Nahbereich seine Pflicht tun, indiziert, daß Dezentralisierung gesellschaftlicher Entscheidungsstrukturen nicht einfach Freisetzung der Individuen zu persönlicher Lebensgestaltung meint - das „pursuit of happiness" als Menschenrecht -, sondern auf die Durchdringung des individuellen Handelns durch das Ethos des Public Spirit abzielt. Kames' zusammenfassende ethische Formel lautet, „Self-love" geht vor Benevolenz, aber Pflicht geht vor Selbstliebe143. Die sozialethisch begründete Zielsetzung nationaler Entwicklung bleibt dabei der individuellen Handlungsfreiheit vor- und der Freihandelsstrategie übergeordnet. Daher kann Kames die dezentrale Entscheidungsstruktur nicht dogmatisch naturrechtlich begründen, als abstraktes Individualrecht, sondern nur unter dem Kriterium sozialen Nutzens, gleichsam als sozialer Vorbehalt. Beziehen wir uns an dieser Stelle zurück auf die Problematik der Trennung von Recht und Moral, dann erweist sich diese als durchaus variabel, denn es unterliegt gesellschaftlicher Entscheidung, welche sozialen Funktionen in den verbindlichen Rechtsbereich gezogen werden und welche nicht. Auch das Verhältnis von Individualrechten und gesellschaftlichen Interessen, von Kames als Konflikt von „Justice" und „Utility"144 formuliert, bleibt letzten Endes eine Abwägungsfrage und ein unaufgelöstes Spannungsverhältnis, so wenn Kames einerseits gegen den utilitaristischen Kalkül schreibt: „...let us not misapprehend the moral system, as if it were our duty, or even lawful, to prosecute what... we reckon the most beneficial to society, balancing ill with good. ...it is not permitted to violate the most trivial right of any one, however beneficial it may be to others", denn „the moral sense... gives no quarter to in-

138 Principles of Political Oeconomy, Bd. I, S. 327, differenzierter S. 331. Steuart betrachtete Vor- und Nachteile von „entails" in Abhängigkeit von der ökonomischen Gesamtentwicklung, sodaß er zu keinem eindeutigen Urteil kam. 139 Siehe in den U sowie im WN im Index unter „entails", im WN ein Originaleintrag von Smith. Wie ernst das Problem war, zeigt Smiths Schätzung, die von den modernen Herausgebern unterstützt wird, 1/5 oder sogar 1/3 des gesamten Landes in Schottland fielen unter die „entail"-Gesetze, WN, Bd. I, S. 385 und Note. 140 J. Dalrymple: Essay towards a General History of Feudal Property, Kap. IV. 141 John Miliar: Notes on Roman Law, Robert Ferguson, Glasgow-University, Bd. IV, Lecture 32: Entails; ders.: Lectures on the institutions of the civil law, George Joseph Bell, 2 Bde., Edinburgh University, Bd. II, S. 51f. 142 Essais, S. 285; Sketches, Basil, Bd. IV, Appendix: Sketches concerning Scotland, Sketch 1; Tytler: Memoirs, Bd. I, S. 296ff., S. 312; Ross: Lord Kames, S. 210ff. Siehe zur Frage der Schaffung eines Marktes fur Grund und Boden: K. Polanyi: The Great Transfonnation. 143 Sketches, Edinburgh, Bd. IV, S. 81 f. 144 Gliederungsprinzip von Kames' Principles of Equity.

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justice, whatever benefit it may produce"145, während wir auf der anderen Seite lesen: „Equity, when it regards the interest of a few individuals only, ought to yield to utility when it regards the whole society"146. Die moderne kommerzielle Gesellschaft erzwingt die Auflösung traditioneller Starrheiten des Gesellschaftsprozesses und begünstigt individuelle Handlungskompetenz, der nach Kames" optimistischer Annahme eine Moralentwicklung parallelläuft, die die Individualisierung der Gesellschaft sozial balanciert und das Individualbewußtsein an die Gesellschaft zurückbindet. Diesen Optimismus basiert er auf die mit der Verdichtung der Sozialität verbundene „Sozialisierung" des Individuums147, der Ausbildung seiner „zweiten Natur". Hume vertrat eine „schwache" Konzeption des „Selbst", das jenseits der fluktuierenden sozialen Einflüsse nur prekäre persönliche Identität gewinnt14 . Diese Skepsis kritisiert Kames, der die Verantwortlichkeit fur das individuelle Handeln auf der Grundlage deutlicher Willensbildung betont149, gesteuert durch ein inneres Zentrum, das die Wahrnehmungen und Eindrücke der äußeren Sinne zur Selbstreflexion einer in unterschiedlichen Situationen in der Zeit über eine Folge von Handlungen hinweg identischen Person integriert150. Dieser selbstreflexive innere Sinn leistet auch die Integration der äußeren Wahrnehmungen zu einem geschlossenen Weltbild151. Bei dieser Kritik geht es Kames zum einen um den ethischen Aspekt der Betonung der individuellen Selbstbestimmung, um die Idee also, daß das Selbst nicht nur eine passive Schnittstelle von Reizen ist, sondern eine aktives Handlungszentrum, das sich selbst stabilisiert und dynamisch entwickelt152, und zum anderen geht es um die auch juristisch handhabbare Zuschreibung von Handlungen und Handlungsfolgen auf verantwortliche, selbstbestimmte Personen, die nicht möglich wäre, wenn generell, und nicht nur in Fällen von Bewußtseinstrübungen, an der Existenz persönlicher Identitäten zu zweifeln wäre. Zuzugeben ist, daß sich Kames auf die philosophische Problematik Humes nicht wirklich einläßt. Kames parallelisiert zivilisatorische Phylogenese und Ontogenese, denn analog zur Bewußtseinsentwicklung des Individuums schreite auch die Menschheit von einfachen Ideen zum Erwerb von „complex and general ideas" fort153. Der kognitiven Seite des Zivilisationsprozesses laufe eine des Moralbewußtseins parallel, die von einfachen Affektbesetzungen anschaulicher Objekte zur Bildung generalisierter Moralprinzipien übergehe154. Und in diesem Zusammenhang erweitert sich auch der soziale Kreis der Wirksamkeit individueller moralischer Bindungsfahigkeit und „love to our country begins to exert itself' 155 . Die Aufwertung der selbständigen sozialen Handlungskompetenz der Individuen kombiniert sich also mit einer zivilisatorisch-moralischen Erweiterung ihres Horizonts 145 146 147 148 149 150 151 152 153 154

Equity, S. 19. Ibid., S. 47, s. a. S. 267ff. ; Ross: Lord Kames, S. 233. Essays, Teil I, Essay 2, Kap. 9: Of the law of nations, S. 142f. Siehe bes. den Appendix zum Treatise, S. 633ff. Enquiry, S. 2. Essays, Teil II, Essay 2. Siehe ibid., Essay 5: Of our knowledge of future events. Ibid., S. 371: „Man is an active being, and is not in his element, but Wien in variety of occupation". Ibid., S. 142f. ; Equity, S. 8: „... nations, like individuals, ripen gradually... ". Siehe im ganzen: Sketches, Edinburgh, Bd. IV, Sketch 2, Teil 2: Progress of morality. Vgl. J. Habermas: Moralentwicklung und Ich-Identität, in: ders.: Zur Rekonstruktion des Historischen Materialismus. 155 Essays, S. 142.

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und die Bornierung der individuellen Handlungsorientierung mit ihrem Kurzschluß an die Nation. Während die Individuen ihr Handeln und seine Folgen nur in einem eng begrenzten Nahbereich übersehen und also nur abstrakt in Beziehung zur Gesellschaft im ganzen setzen können, soll nach Kames gleichzeitig die moralische Bindung an die politische Form der Gesellschaft, die Nation, an Lebhaftigkeit gewinnen. Im unmittelbaren Handlungsfeld der Individuen laufen anschaulich-kognitive und moralisch-emotive Prozesse parallel 156 : aber wie soll die lediglich abstrakte Beziehung der Individuen zur Gesellschaft moralisch-emotiv politische Bindung an die Nation erzeugen, die für den Moral Sense nur unter Zuhilfenahme der Imagination anschauliches Gefühlsobjekt 157 ist? Kames räumt daher ein, „a disinterested love for one"s country can only subsist in small republics. This affection lessens as it is extended; and in a great state vanishes" 158 . „An extensive empire is an object too bulky: national affection is too much diffused; and the mind is not at ease till it find a more contracted society, corresponding to the moderation of its appetite. Hence the numerous orders, associations, fraternities, and divisions, that spring up in every great state". Die aus Gründen der Machtkonkurrenz gebildeten großen Staaten sind für die individuelle Bindungsfahigkeit zu ausgedehnt; sie bedürfen Vermittlungsstufen, an denen die Bindung der Individuen gleichsam „aufgehängt" werden kann, bis sie - in bedeutend abgeschwächter Form - die Nation umfaßt. Eine an dieser Stelle naheliegende Analogie zu Montesquieus „pouvoirs intermediaires" stellt sich als nicht haltbar heraus, denn Montesquieus Konzept steht in dem konservativen Kontext der Vermittlung monarchischer Macht in die Gesellschaft mittels traditionaler ständischer Hierarchien159, während Kames an freie bürgerliche Assoziationen denkt. Dabei kommen verschiedene Assoziationsmotive in Betracht, vom formalen Kriterium sozialer Kreise im Raum über das sozioökonomische Interest bis hin zur „Partei", die konzeptionelle Differenzen eventuell steigert, bevor sie gesamtstaatlich moderiert werden können. Dem Prinzip der Vermittlung zwischen Nation und Individuen durch freie Assoziation inhäriert ein „sozialer" Pluralismus. Herrschaft und Regierung Herrschaft ist für Kames eine soziale Basistatsache, die ihre Grundlage nicht zuletzt darin findet, daß die Masse der Menschen danach verlangt, geführt zu werden, von der Bürde der „Selbstregierung" jedenfalls teilweise entlastet zu werden, während andere geborene Führer sind, die „naturally assume authority without the formality of election, and the rest will as naturally submit" 160 . Damit stellt Kames auf Herrschaftslegitimation durch Persönlichkeitsmerkmale ab 161 , idealiter fielen damit die sozialen Herrschaftspositionen an die persönlich Geeigneten, was voraussetzte, daß die Zuweisung von Führungs156 Sketches, Edinburgh, Bd. II, S. 175. 157 Ibid., Bd. IV, S. 50: „... yet the faculty we have of uniting numberless individuals into one complex object, enlarges greatly the sphere of benevolence. By that faculty our country, our government, our religion, become objects of public spirit, and of a lively affection". 158 Art of thinking, S. 32f., auch das folgende. 159 Esprit des Lois, Bd. I, Buch II, Kap. IV. 160 Sketches, Edinburgh, Bd. II, S. 221; Art of thinking, S. 32: „However desirable authority may appear, yet, considering the weakness of man, and the intricacies of government, it is more agreeable to the nature of most men to follow than to lead". 161 Vgl. J. Tucker: A Treatise concerning Civil Government, Teil II, Kap. I, S. 134f.

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Positionen in einem entsprechenden Verfahren stattfindet, das jene persönlichen Qualitäten zu testen vermag - eine Voraussetzung, die Kames für die zeitgenössische Gesellschaft kaum machen kann. In den archaischen, schriftlosen Gesellschaften, glaubt er, begründeten Alter und Erfahrung Autorität162, während in der modernen Gesellschaft verschiedene Subordinationsbeziehungen nebeneinander existieren, die aber zusammengenommen einen Herrschaftskomplex bilden. „The relations... that imply subordination, make the corner-stone of government, and ripen men gradually for behaving properly in it. The reciprocal duties that arise from the relations of parent and child, of preceptor and scholar, of master and servant, of the high and low, of the rich and poor, &c. pave the way to others that follow, and inure us to the duties both of rulers and of subjects. It is for this reason extremely material, that the reciprocal duties arising from subordination be preserved from incroaching upon each other: to reverse them would reverse the order of nature, and would tend to dissolution of government"163. Die Herrschaftsverhältnisse, auf denen Gesellschaft ruht, verweisen aufeinander, und auch das politische und juristische System sind auf die sozialen Herrschaftsverhältnisse angewiesen. Dabei kommt dem Rechtssystem im wesentlichen nur eine statische, bewahrende Rolle zu, während „With respect to measures for the positive good of society, and for making men still more happy in a social state, these are reserved to the legislature"164, die also eine aktive politische Rolle einnimmt und auch, wie Kames meint, die „manners" und kollektiven Mentalitäten formt165. Damit entfernt er sich von Montesquieu, der vor allem die Abhängigkeit der Gesetze von den „coutumes" betont hatte, und trifft sich mit Bentham, der in seinem „ Fragment on Government" gegen den Common Ζσνν-Traditionalismus Blackstones polemisierte, ähnlich wie bereits hundert Jahre früher Hobbes166. Allerdings hat die Formbarkeit der Sitten durch die Gesetze Grenzen, denn „depravity of manners will render ineffectual the most salutary laws"167. Und daraus leitet er eine gesteigerte Bedeutung der Erziehung ab, indem Konzeptionen sozialer Tugend etwa durch die Beschäftigung mit heroischen Taten berühmter Personen im spontanen Prozeß sympathetischer Imagination imitativ eingeübt und kulturell verankert werden168. Das moralische Potential des Menschen soll durch Erziehung entwickelt werden169, die sich als eine der wichtigsten politischen und sozialen Aufgaben darstellt170. Kames weiß aber, daß die Hauptlast der Erziehung auf die Schultern der Eltern fallt, die normalerweise die erste Autoritätsbeziehung für das heranwachsende Individuum darstellten; hier muß auch die entscheidende charakterliche Formung erfolgen, die wichtiger ist als die materielle Ausstattung der Kinder171. Zu dieser Sozialisation gehört neben der aktiven Erziehung

162 163 164 165 166 167 168 169 170

Sketches, Edinburgh, Bd. II, S. 221 f. Equity, S. 250. Ibid., S. 249. Essais. S. 244. Hobbes: Dialog zwischen einem Philosophen und einem Juristen über das englische Recht (1681). Elements, Bd. I, S. VI, auch das folgende. Siehe ibid., S. 75. Art of thinking, S. 30. Ibid., S. X. Kames' späte „Loose Hints upon Education, chiefly concerning the culture of the heart" von 1781 waren mir nicht zugänglich, siehe jedoch: Tytler: Memoirs, Bd. II, Buch IV, Kap. 2. 171 Art of thinking, S. 15: ,Λ man who gives his children a habit of industry, provides for them better than by giving them a stock of money".

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die einfache Eingewöhnung und Stabilisierung positiver Sozialbeziehungen durch Routine172. Smith behauptete in der Theory of Moral Sentiments, der Bettler und der König unterschieden sich im Grunde wenig in ihren existenziellen Empfindungen173, und diese wohl naturalistisch gemeinte Behauptung wird von Kames mit Blick auf die Gewohnheit aufgegriffen: „Custom is the great leveller. It corrects the inequality of fortune, by lessening equally the pleasures of the Prince, and the pains of the peasant"174, denn jenseits der tatsächlichen materiellen Ungleichheit entspreche das subjektive menschliche Glücksempfinden der Akkommodation an die Umstände; aus sehr verschiedenen Lebenslagen wären also gleiche Quanten an Glück zu gewinnen, das ein schichtenspezifisch relatives sozialpsychologisches Phänomen darstellt. Wenn aber auch eine gewisse soziale Ungleichheit zu Zwecken sozialhierarchischer Strukturierung wünschenswert ist, hält Kames doch auch eine gewisse soziale Homogenität für erforderlich und plädiert daher, wie Hume, für eine breite Mittelschicht als Schwergewicht der Sozialstruktur, die „Oben" und „Unten" miteinander vermittelt. „Gentlemen of a moderate fortune, connected with their superiors and inferiors", schreibt Kames, „improve society, by spreading kindly affection through the whole members of the state. In such only resides the genuine spirit of liberty, abhorrent equally of servility to superiors, and of tyranny to inferiors"175, eine klassische Formulierung normativer Aufwertung der (gehobenen) Mittelklassen im 18. Jahrhundert. Eine „freie Regierung" definiert Kames nicht durch die Idee der Selbstgesetzgebung der Bürger, sondern durch die naturrechtliche Fundierung der Gesetze und die Bindung der Regierung an das Wohl des Volkes176, womit er sich mehr als Liberaler denn als Republikaner erweist. Das britische Parlament repräsentiert nur eine Minderheit der Bevölkerung, weiß Kames - in Schottland waren noch um 1788 nur etwa 2. 700 Männer wahlberechtigt177 -, und er wendet sich deutlich gegen die Bindung der Besteuerung an das Wahlrecht: No Taxation without Representation!, die von den amerikanischen Kolonisten und den englischen Radikalen gefordert wurde178, und die im Falle der Kolonien auf die Beschränkung des Besteuerungsrechts der Legislative, im Falle der englischen Radikalen auf eine Ausweitung des Wahlrechts hinausliefe, keine für Kames akzeptablen Alternativen. Seine Staatsformenlehre ist wenig originell: Die reine Demokratie - Direktdemokratie, „where the mob rules" - betrachtet er als zu turbulent und unberechenbar und analogisiert sie mit despotischer Willkür179. Auf der anderen Seite erscheint ihm die Konzentration der Gesetzgebung in einer Person auch nicht ratsam, da sie von persönlichen Exzentriken und Stimmungen abhängig wäre. Ein „Commonwealth governed by chosen citizens", nach dem Repräsentationsprinzip, schaltet dagegen diese Subjektivitätsfaktoren aus und 172 173 174 175 176 177

Ibid., S. 7; s. a. Elements, Bd. II, S. 81. TMS, S. 185. Art of thinking, S. 7; s. a. ausführlicher in den Elements, Bd. II, S. 107. Sketches, Basil, Bd. IV, S. 332f. Sketches, Edinburgh, Bd. II, S. 233. J. Dwyer/A. Murdoch: Paradigms and Politics: Manners, Morals and the Rise of Henry Dundas, 1770-1784, in: Dwyer et al. (Hg.): New Perspectives on the Politics and Culture of Early Modern Scotland, S. 214. 178 Sketches, Edinburgh, Bd. II, S. 357. 179 Ibid., S. 227ff., S. 413, Note, auch fur das folgende.

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wahrt gleichzeitig politische Kontinuität. Trotzdem glaubt Kames nicht an die Durchführbarkeit republikanischer Regierung in großen Flächenstaaten, die deshalb monarchisch zu organisieren sind. Aber auch fur Monarchien gelten Grenzen der Ausdehnung, jenseits derer der Staat nicht mehr regulär beherrschbar ist und zu einer instabilen Despotie tendiert180, die eventuell zerbricht und damit den Kreislauf der Verfassungen in Gang setzt, den Kames mit dem imperialen Wachstumszyklus von kleinen Staaten zu großen verbindet181. Patriotismus - Kames" Übersetzung für Montesquieus politische Tugend182 - kann es nur in kleinen Staaten geben, die dem Motiv, sich hervorzutun und Prestige zu erwerben, Raum geben183, denn die kurzen Kommunikationswege ermöglichen die Bildung einer flexibel reagierenden öffentlichen Meinung, die der politischen Tätigkeit eine effektive Bühne bietet, auf der sich politische Talente entfalten können. In Monarchien, die dem Ehrgeiz keinen politischen Raum geben, weicht er auf andere Felder aus, in der Moderne vor allem auf den Reichtumserwerb, denn „Wealth being the only remaining pursuit, promotes avarice to be their [der Modernen] ruling passion"184. Aber schon die Geschichte der antiken Republiken Karthago und Rom habe gezeigt, daß Ehrgeiz in Verbindung mit Reichtum einer Republik politisch gefahrlich wird. Die Republik unterscheidet sich vor allem durch die Abhängigkeit des politischen Prozesses von der Volksmeinung von der hierarchisch strukturierten Monarchie, die lediglich in der Spitze abstrakt legitimiert ist. „...in an extensive state... the people, at a distance from the throne..., consider themselves, not as members of a body politic, but as subjects merely,... and as their union is prevented by distance, the monarch can safely employ a part of his subjects against the rest, or a standing army against all"185. Nach Kames" Einsicht ist England zu groß fur die republikanische Form, eine Schwierigkeit, die auch nicht durch ein Agrargesetz zu ändern wäre, das Kames, wie Hume, als undurchführbar oder ineffektiv betrachtet186. Immerhin ist durch die Repräsentation ein republikanisches Moment in die englische Monarchie integriert und Kames plädiert darüber hinaus für Ämterrotation, um den Ehrgeiz politischer Führer in Schranken zu halten. Die römische Republik sei daran zugrunde gegangen, daß die Ämterrotation institutionalisiert, jedoch nicht durchgeführt wurde187. Im ganzen wäre also eine mittelgroße Repräsentativrepublik mit Ämterrotation die beste Form republikanischer Vergesellschaftung und am ehesten geeignet, eine patriotische Kultur zu tragen188. Systematisch und rhetorisch verbleibt die politische Regimediskussion Kames', die charakteristisch auf den Faktor der Größenordnung eines politischen Gebildes orientiert ist, im traditionellen Rahmen republikanischen Denkens - weniger naturrechtlich überformt als bei Hutcheson, was sicher auch in Kames" Ablehnung der radikalen Reformprogrammatik begründet ist. Eine normative Präferenz für eine Staatsform ist, wie bei Montesquieu, auch bei Kames nicht auszumachen, auch wenn beide Autoren so verstan180 181 182 183 184 185 186 187 188

Ibid., Ibid., Ibid., Ibid., Ibid., Ibid., Ibid., Ibid., Ibid.,

S. S. S. S. S. S. S. S. S.

258f.. 265. 246f. 271, auch für das folgende. 247. 273f. 252. 251. 244.

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den werden können, daß die Extreme: Despotie und Demokratie, inhärent instabil und daher abzulehnen sind. Entscheidend ist, daß die politischen Funktionen durch Anpassung der Institutionen an historisch-soziale Bedingungen erfüllt werden. Originell ist Kames' Akzentuierung der Entfaltungschance politischen Ehrgeizes, der unter Kontrolle zu halten ist, der aber wesentlich auch zur Bildung einer politischen Kultur des „Patriotismus" beiträgt. „Patriotismus" ist die politische Basistugend und steht an der Spitze von Kames Liste der „social affections" 189 . „No actions but what proceed from it are termed grand or heroic"; der „Patriotismus" der Bürger bewahrt die bürgerlichen Freiheiten und korrespondiert unterstützend mit anderen Basistugenden 190 und ohne „public spirit" kann kein politisches Regime stabil und machtpolitisch behauptungsfähig sein. Diese republikanische Bindung erodiert jedoch mit der Korruption der Gesellschaft als Folge allgemeinen Wohlstandes und Luxus 191 . Zyklen der Degeneration „To society we owe all the blessings of life" 192 , schreibt Kames, aber wir bezahlen einen Preis dafür, der Teil der Dialektik von Fremdzwang und Selbstzwang ist, denn „Men, in a society so uncomfortable, are taught by dire experience, that they must either renounce society, or qualify themselves for it - the choice is easy, but how difficult the performance! After infinite struggles, appetite for society prevailed; and time, that universal conqueror, perfected men in the art of subduing their passions, or of dissembling them. Finding no enjoyment but in society, they are solicitous about the good-will of others; and adhere to justice and good manners: disorderly passions are suppressed, kindly affections encouraged..." 193 . Damit ist der Zivilisierungsprozeß habitueller Affektkontrolle beschrieben, der Gesellschaft möglich macht. Wenn dieser Selbstzwang vollständig durchgeführt wäre und ideal funktionierte, könnte die Gesellschaft auf Repression verzichten. Diesen Zustand hielt Kames jedoch nicht eigentlich für wünschenswert, denn bei vollständiger Hemmung der Affektantriebe „scarce any motive to action would remain; and man, reduced to a lethargic state, would rival no being above an oyster or a sensitive plant" 194 . Als Gegenpol zur Notwendigkeit der Zivilisierung der Affekte unterstützt Kames daher einen Vitalismus, der auf das Problem reagiert, die affektuellen Ausdrucksformen sozialverträglich zu transformieren, ohne die vitale Affektbasis des sozialen Lebens zu stark zu schwächen. Eine undifferenzierte Affektverdrängung würde insbesondere auch die höheren Fähigkeiten des Menschen verkümmern: „Farewell... to courage, magnanimity, heroism, and to every passion that ennobles human nature!" 195 . Diese würden sich gar nicht bilden, denn sie entstehen nur durch Erfahrung, auch negative Erfahrung, und benötigen sozialen Erprobungsraum. Man kann nicht - hier schließt Kames an Motive Mandevilles an - selektiv nur positive soziale Leidenschaften zulassen, da sich soziale und antisoziale, „edle" und „gemeine" Leidenschaften in gewisser Weise bedin-

189 190 191 192 193 194 195

Ibid., S. 314, auch das folgende. Ibid., S. 317. Ibid., S. 328. Essays, S. 332. Sketches, Edinburgh, Bd. II, S. 203. Ibid., S. 206f., auch für das folgende. Ibid., S. 210.

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gen; der menschliche Affektapparat bildet eine Einheit 196 . Zwischen den vitalen affektuellen Forderungen der menschlichen Natur lind der gesellschaftlichen Forderung der Affektkontrolle muß ein Kompromißgleichgewicht gefunden werden, das jedoch keine endgültige Ruheposition darstellt, schon weil der Mensch als kreatives Wesen nach Abwechselung, nach Neuem verlangt. Die spezifischen Vorzüge geregelten gesellschaftlichen Lebens, „an uniform life of peace, tranquility, and security, would not be long relished. Constant repetition of the same pleasures, would render even a golden age tasteless... Nature has for wise purposes impressed upon us a taste for variety" 197 . Die zivilisierenden Effekte der modernen Gesellschaft sind daher kein unvermischtes Gut, und tatsächlich sieht Kames die Gefahr der „Überzivilisierung" des modernen Menschen, eine kulturkritische Tendenz, die ihn mit Rousseau verbindet. Ein Beispiel für die Dialektik der Unterdrückung ursprünglich-vitaler Affekte bietet der Vergeltungsimpuls, dessen Domestizierung durch Sozialisation und die Gewohnheit der Unterwerfung unter die Autoritäten für die moderne, zivilisierte Gesellschaft notwendig ist198, der jedoch vital zu halten ist für die emotionale Unterstützung vergeltender Rektifizierung von Rechtsverletzungen, denn das Recht ist nicht nur institutonell zu schützen, durch Menschen, die darauf spezialisiert sind, sondern muß im täglichen Leben durch die Masse der Bürger geschützt werden. Nur unter dieser Voraussetzung kann das Rechtssystem funktionieren, denn wenn niemand sich über Verletzungen des Rechts empört, verschwindet auch die Rechtsidee aus der Kultur. Auch in der zivilisierten Moderne ist ein ausgeprägter Impuls der Vergeltung von Ehr- und Rechtsverletzungen nötig 199 , weshalb Kames auch das Duell als Symbol der Bereitschaft zur Verteidigung der Ehre legitimiert200. Im Gegensatz zum utilitaristischen Strafrecht Cesare Beccarias und Benthams 201 reduziert Kames daher das Rechtssystem nicht auf eine soziale Funktion, die Tat und Strafe entkoppelt, sondern hält an dem Grundsatz fest, jede Rechtsübertretung entsprechend der moralischen Verwerflichkeit zu bestrafen. Eine moralisch verwerfliche Tat ist aber nur eine, die auf verwerflichen Motiven beruht, daher kommt es Kames, wie Hutcheson, wesentlich auf die Prüfung der Handlungsintention an 202 . Nach dem Kames-Schüler Alexander Tytler führt der Strafrechtsutilitarismus dagegen zur Zersetzung des individuellen Rechtsempfindens, das letztlich auf dem Moral Sense beruht 203 . Kames' Position zum Strafrecht unterstreicht, daß er, wie die Schotten generell, Gesellschaft wesentlich als moralischen Zusammenhang begreift. Neben der evolutionstheoretischen Verfallsthese durch Überzivilisierung finden wir bei Kames die Reproduktion der republikanischen und in der Country-Rhetorik verankerten Vorstellung des korrumpierenden Zyklus vom „flourishing commerce" zur „opulence; and opulence, inflaming our appetite for pleasure, is commonly vented on lu-

196 197 198 199 200 201

Siehe ibid., S. 214. Ibid., S. 207. Essais, S. 107; ibid., S. 147f. Ibid., S.29f. Sketches, Basil, Bd. I, S. 308ff., Note. Cesare Beccaria: Über Verbrechen und Strafen (1764), Ffm., 1988; J. Bentham: An Introduction to the Principles of Morals and Legislation. 202 Equity, S. 24. 203 Tytler: Memoirs, Bd. I, S. 305, nennt als Vertreter des utilitaristischen Strafrechts Montesquieu, Beccaria, Voltaire und Priestley und diskutiert es in Bd. III, App. Nr. X zu Bd. I, S. 110-53.

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xury and on every sensual gratification: selfishness rears its head; becomes fashionable; and infecting all ranks, extinguishes the amor patriae and every spark of public spirit"204. Wirklich sieht Kames Großbritannien auf dem Wege der Korruption und Selbstzerstörung wie das alte Rom205. Er weist zwar an einer Stelle die These zurück, die kommerzielle Gesellschaft führe notwendig und generell in eine egozentrische Bornierung des Menschen, denn auch in in der Moderne fanden sich Beispiele fur „benevolence, generosity, and disinterestedness"206, aber an seiner Überzeugung, eine erfolgreiche Kommerzialisierung und der resultierende allgemeine gesellschaftliche Reichtum führten unausweichlich zur Korrumption und zum moralischen, politischen, militärischen und letztlich auch ökonomischen Niedergang, gibt es keinen Zweifel207. Verantwortlich dafür ist der „hoarding-appetite", der vor Einführung des Geldes schwach war und positiv wirkte208, der jedoch durch das Geld als universales ökonomisches Medium seine natürlichen Grenzen einbüßt, denn „money is a species of property, so universal in operation, and so permanent in value, as to rouse the appetite for hoarding: love of money excites industry; and the many beautiful productions of industry... inflame the appetite to an extreme"209. Besonders wenn „riches are worshipped as a passport to power as well as to pleasure, they corrupt the heart, eradicate every virtue, and foster every vice"210, wenn also die ökonomische Logik imperial auf andere gesellschaftliche Regelungsbereiche übergreift211. Auf diesem Wege wird der Reichtumserwerb zum Generalschlüssel für gesellschaftliches Ansehen in der kommerziellen Gesellschaft, in der „nothing is relished, but what serves to gratify pride, by an imagined exaltation of the possessor above those he reckons the vulgar. Such a tenor of life contracts the heart and makes every principle give way to self-interest. Benevolence and public spirit, with all their refined emotions, are little felt and less regarded"212, eine Entwicklung, die sich in der Verkehrung von Mitteln (Geld, Macht, Status) in Zwecke zusammenfaßt213, die die eigentliche moralische Perversion ausmacht. Naheliegend daher, daß besonders der Handelssektor moralisch deformiert214. Der Antrieb zum Gelderwerb, der in seiner Schrankenlosigkeit der Vergnügungs- und Spielsucht gleicht - „the more it is indulged the more it is inflamed"215 -, hebt also die moralischen Errungenschaften der modernen Zivilisation partiell auf oder setzt sie zu bloßen Äußerlichkeiten des sozialen Umgangs herab, während die realen Empfindungen vielfach auf die einsinnig-öde Dimension der Habgier zusammenschmelzen. Festigt sich daher auch die äußerlich zivilisierte Verhaltensregulierung als Fassade des Sozialverkehrs, so ist nach Kames „a sad truth, that morality declines in proportion as a

204 Elements, Bd. I, S. V, Widmung an den König, auch das folgende. 205 Sketches, Basil, Bd. I, S. 305; Sketches, Edinburgh, Bd. II, S. 333, Bd. IV, S. 168, Note, u. S. 174. S.a. Η. P. Sturz, in: M. Maurer (Hg.): Ο Britannien, von deiner Freiheit einen Hut voll, S. 183. 206 Equity, S. 3. 207 Sketches, Edinburgh, Bd. II, S. 333, Bd. IV, S. 130. 208 Enquiry, S. 31. 209 Sketches, Edinburgh, Bd. IV, S. 162; Sketches, Basil, Bd. IV, S. 323. 210 Sketches, Edinburgh, Bd. II, S. 259. 211 Siehe kritisch hierzu M. Walzer: Spheres of Justice. 212 Elements, Bd. III, S. 370f. 213 Sketches, Basil, Bd. IV, S. 323. 214 Sketches, Edinburgh, Bd. IV, S. 168f., Note. 215 Sketches, Basil, Bd. I, S. 299.

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nation polishes" 216 . In den Niederlanden hat nach seinem Urteil die kommerzielle Orientierung bereits den Sieg davongetragen und den Patriotismus erstickt217; die positive Wertung Temples ist ins Negative gekippt. Kames sieht weiter, daß die Verbindung von allgemeinem Wohlstand mit innerem und äußerem Frieden zu einer ethisch entscheidenden Transformation der sozialtypischen Persönlichkeitsstruktur fuhrt. Ein starker, kräftiger, vitaler Typus weicht einem schwächlichen, verweichlichten Typus, der die Fähigkeit zur Selbstbehauptung verliert und die freiheitliche Politik, ursprüngliche Voraussetzung des Wohlstands, nicht mehr erhalten kann. Mehr noch: dieser Typus verliert im Laufe der Zeit jene Würde, die den Freien auszeichnet, er erniedrigt sich zum Lakaien der Mächtigen 218 . „In a word, man by constant prosperity and peace degenerates into a mean, impotent, and selfish animal" 219 . Der Krieg, indem er auch die zivilisierten Nationen temporär aus der Sicherheit geregelter Pazifizierung herausreißt, bildet insofern ein Gegenmittel und ist daher nicht nur negativ zu beurteilen 220 . Glücklicherweise, findet Kames, sind die internationalen Beziehungen noch nicht so durchgreifend pazifiziert wie die innergesellschaftlichen und das moderne Individuum kann sich daher „patriotisch" mit der eigenen Nation identifizieren und die fremde als Feind imaginieren, auf den sich atavistische Regungen fixieren. In diesem Rahmen können vitale aggressive Triebe ausgelebt werden 221 . In der relevanten Debatte über das Miliz-System allerdings nimmt Kames eine vermittelnde Position ein222. Stellt nämlich ein stehendes Heer zweifellos eine Bedrohung der Freiheit dar, so würde andererseits eine allgemeine Miliz, die die gesamte wehrfähige männliche Bevölkerung umfaßt, zu viel ökonomisches Potential binden - Hauptargument der Miliz-Gegner in Schottland 223 . Kames schlägt daher ein Rotationssystem vor, das einem militärischen Kader eine rotierende Quote von Wehrpflichtigen zuordnet, und löst auf diese Weise den Zielkonflikt zwwischen ökonomischem „Improvement" und der Idee des „popolo armato", der Miliz als Versammlung freier Bürger. Die ungleiche Reichtumsverteilung verschärft das Problem gesellschaftlicher Integration 224 , denn die sozialen Gegensätze schlagen auf die Lebenslagen und die Gefühlswelt durch, werden intersubjektiv schwieriger zu überbrücken, und den Reichen kommt nach Kames im Laufe der Zeit die Fähigkeit intersubjektiven Einfuhlens jenseits ihrer eigenen sozialen Schicht abhanden, sie werden „hard-hearted" 225 , ein Argument, das mutatis mutandis auch auf die umgekehrten Einfühlungsprozess der Armen angewendet werden kann. Auf den qualitativen Unterschied des Lebensgefuhls hat der deutsch-amerikanische Sozialpsychologe Erich Fromm hingewiesen. Die Einkommen, schreibt er in einer Kritik 216 Sketches, Edinburgh, Bd. IV, S. 150. 217 Ibid., S. 294f. 218 Ibid., S. 336f.: „The strong without control tyrannize over the weak, subjecting them to every servile office, wiping shoes not excepted". 219 Ibid., S. 296ff. 220 Ibid., Bd. II, Sketch 6: War and peace compared. 221 Ibid., Bd. IV, S. 129. 222 Ibid., Bd. III, Sketch 9: Military branch of government; siehe J. Robertson: The Scottish Enlightenment and the Militia Issue, S. 21 Of. 223 Siehe Robertson: Scottish Enlightenment and the Militia, Kap. 8; Sher: Church and University, S. 213-41. 224 Sketches, Edinburgh, Bd. IV, S. 170. 225 Essays, S. 28f.

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der modernen Gesellschaft, sollten „nicht so ungleich sein, daß sie eine unterschiedliche Erfahrung des Lebens bewirken" 226 . Aber abgesehen von der Reichtumsdifferenzierung wird die kommerzielle Gesellschaft durch soziale Arbeitsteilung auch horizontal differenziert. Intersubjektive Einfiihlungsprozesse werden schwieriger, und die Bildung intakter Moralgemeinschaften, die über soziale Fragmente hinausreichen, erscheint in Frage gestellt. Zusammen mit der Tendenz der kommerziellen Gesellschaft zur Verallgemeinerung der „selfishness" führt dies zu einer allgemeinen Schwächung persönlicher Bindungen. Begünstigt daher die Verdichtung der Sozialität die Einfühlung als generalisierten Beziehungsmodus, so erschwert die moderne soziale Differenzierung ihn gleichzeitig. Für Kames überwog wohl die zivilisierende Tendenz, während der Defekt durch Erziehung zu beheben sei. Erziehung zum Ein- und Mitfuhlen in fremde Empfindungswelten muß wesentlich mit Mitteln und nach Art des Theaters arbeiten, denn gerade das Theater kann, indem es die Dynamik menschlicher Empfindungswelten, in existenzieller Dramatik gesteigert, eindringlich vor Augen stellt, die Einfühlung in die Empfindungswelt anderer einüben 227 , eine Idee, die auch zum zeitgenössischen Programm des Theaters als moralische Besserungsanstalt gehört228. Die Großstadt ist einerseits der Ort der Geselligkeit229, andererseits aber der Ort der Korruption, „where pleasure is the ruling passion, and where riches are coveted as instruments of sensuality" 230 . Ihr Lebensmodus ist die Jagd nach Vergnügungen, die nicht befriedigen und die daher unablässig erneuert werden müssen. „Life thus passes like a dream, with no enjoyment but what arises from expectation". Hier findet eine „pestiferous corruption of manners" statt, „selfisheness, ingrossing [sic] the whole soul". „If in that condition men abstain from robbery or from murder, it is not love of justice that restrains them, but dread of punishment". Die Re-Barbarisierung vom Selbstzwang zum Fremdzwang wird zur Tatsache. Aber schon seit je war die Hauptstadt das Zentrum der Macht und des Reichtums, die „never fail to produce luxury, sensuality, and profligacy''; jede Hauptstadt eines großen Reiches gleicht daher einem „Babylon". Dagegen macht die Korruption auf dem Lande nur langsame Fortschritte, weil sie durch die Gewohnheit geregelter Arbeitsaskese, traditionelle, fest verankerte soziale Normen und intakte soziale Kreise, die individuell stark integrieren, gehemmt wird, während demgegenüber in der Großstadt der Reichtumserwerb von der Arbeitsaskese und ihren Normen abgekoppelt erscheint231. Kames hängt insoweit dem kulturellen „Country"-Programm an und er lehnt auch, im Gegensatz zu Hume, die Kultur der Politeness ab, die durch Frankreich repräsentiert wird. Die Franzosen, schreibt er, seien „überzivilisiert", so „soft and delicate as to lose all fortitude in distress" 232 , „tame and submissive" und leicht zu regieren233.

226 Ε. Fromm: Wege aus einer kranken Gesellschaft. Eine sozialpsychologische Untersuchung (1955), Ffm. /Berlin/Wien, 1982, S. 313. 227 Essays, S. 29f. 228 Siehe G. E. Lessing: Briefwechsel über das Trauerspiel, 1756/57, in: ders.: Emilia Galotti und andere Trauerspiele, Herrsching, o. J . ; P. B. Shelley: Eine Verteidigung der Dichtung, in: Η. H. Rudnick (Hg.): Englische Literaturtheorie, bes. S. 221 f. 229 Sketches, Edinburgh, Bd. II, S. 188. 230 Sketches, Basil, Bd. I, S. 299, auch das folgende. 231 Sketches, Edinburgh, Bd. II, S. 328f. 232 Ibid., S. 206. 233 Ibid., S. 254.

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Die hohe Zahl ausgesetzter Kinder in Paris betrachtete er als Index der moralischen ·

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Degeneration . Kames verurteilt explizit den Luxus 235 , der das Bevölkerungswachstum hemme 236 , propagiert aber keine spartanische Lebensweise, sondern eine moderate Wohlhabenheit 237 breiter Schichten. Soweit dieses Maß überschritten wird, denkt er an die Umleitung des Überflusses in die Kultur, „venting opulence upon the fine arts", die dadurch zum Feld der Sublimierung und Raffinierung der expandierenden kommerziellen Gesellschaft werden. „Riehes so employed, instead of encouraging vice, will excite both public and private virtue" 238 . Eine gute Regierung begünstigt die Zivilisierung, ist jedoch gegen korrumpierende Einflüsse des Überflusses machtlos 239 und kann den zyklischen Umschlag des Sozialprozesses vom Wohlstand in die Korruption allenfalls verzögern. Besonders besorgniserregend scheint Kames, daß die Vertragskultur, auf der das elementare gesellschaftliche Vertrauen ruht, durch die Korruption untergraben wird 240 . Und es wäre ein Fehler, Gesetze gegen die Korruption erlassen zu wollen, die weder durchsetzbar sind, noch durch die gesellschaftliche Moral getragen sind, denn dies würde zum Autoritätsverlust der Gesetze führen. Wie paßt Kames" Optimismus hinsichtlich der langfristigen Moralevolution mit seinem Pessimismus über die moderne Korruption zusammen? Auf der Ebene der Texte kann diese Frage mit einem Hinweis auf die Chronologie beantwortet werden, denn während der Moraloptimismus in den früheren Essays on the Principles of Morality and Natural Religion überwiegt, erscheint die Warnung vor der Korruption massiv erst in den Sketches of the History of Man, und diese Abfolge reflektiert einen intellektuellen Klimawechsel, der sich besonders in Fergusons Essay on the History of Civil Society abzeichnet. Es ist aber sinnvoll, im Denken Kames" zwei verschiedene Moralzyklen zu unterscheiden, die er nicht vollständig integriert und die eine gewisse Zwiespältigkeit erzeugen. Er denkt nämlich zum einen an den gattungsgeschichtlichen Zivilisationsprozeß, der im wesentlichen durch die Verdichtung der Sozialität, soziale Differenzierung, technischen Fortschritt und die Verwandlung von Fremdzwang in Selbstzwang gekennzeichnet ist und erst in der Moderne zyklisch wird, in der mit der „Überzivilisierung" die vitalen Antriebskäfte des Menschen gleichsam sozial erstickt zu werden drohen. Die Gesellschaft besiegt gleichsam das Individuum, und dieser Sieg löst die Spannung von individuellen Lebensäußerungen und ihren gesellschaftlichen Einschränkungen auf, deren kulturschaffende Kraft erlischt241. Es ist jedoch nicht klar, daß Kames diese Degeneration

234 Ibid., Bd. III, S. 87. 235 Skurril polemisiert er gar gegen die Verschwendung der Feinschmeckerei - „cookery", ibid., S. 83; Sketches, Edinburgh, Bd. II, S. 118f., S. 144. 236 Sketches, Basil, Bd. I, S. 83: Luxus, „a deadly enemy to population", et seq. 237 Equity, S. 91. 238 Elements, S. V. 239 Sketches, Basil, Bd. I, S. 298. 240 Sketches, Edinburgh, Bd. IV, S. 175, auch das folgende. 241 Diese Interpretation ist in einem weiten Sinne durch die Kulturtheorie Freuds inspiriert, siehe S. Freud: Kulturtheoretische Schriften (1908-39), Ffoi., 1986; dazu: H. Marcuse: Triebstruktur und Gesellschaft. Ein philosophischer Beitrag zu Sigmund Freud (1955), Schriften, Bd. 5, Fftn., 1979;

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für unvermeidlich hielte. Die These der Überzivilisierung ist zur Zeit Kames" verhältnismäßig neu und originell, wobei ich davon ausgehe, daß Kames wesentliche Impulse Ferguson verdankte. Daneben vertritt er die traditionelle Vorstellung von einem Zyklus vom einfachem Leben und Fleiß zu Wohlstand, Luxus, Verschwendung, Verweichlichung, Verlust der Kriegsfahigkeit, Unterwerfung durch weniger verweichlichte Barbaren, Plünderung, Verfall der Kultur, Armut, Katharsis und Neubeginn des Zyklus, möglicherweise auf einem höheren Niveau. Dieser Zyklus, fiir den in erster Linie das antike Rom das historische Vorbild abgab, ist kein gattungsgeschichtlicher Zyklus, sondern ein historisch-kultureller. Welches Verhältnis existiert zwischen den beiden Zyklen? Sie haben unterschiedliche Reichweite, indem der Zyklus des Reichtums gleichsam auf dem gattungsgeschichtlichen Prozeß aufruht, und das analytische Problem besteht darin, die Wirkungen dieser beiden Zyklen voneinander zu trennen, die sich ähneln, auch wenn die Ursachen verschieden sind. Die spätzivilisatorische Degeneration ist radikaler und affiziert die menschliche Affektnatur selbst, die der Reichtumszyklus im wesentlichen unberührt läßt, der aber verschiedene Antriebe anspricht und mobilisiert, gleichsam mit den Affekten spielt und sie aus der Balance wirft. Dieser Zyklus ist nach Kames kaum aufzuhalten; auch die Sublimierung des Überflusses in Kunst kann nur verzögernd wirken, auch wenn sie wichtig ist, um eventuell Ergebnisse einer Hochkultur an eine spätere weiterzugeben. Der andere Zyklus stellt aber ein viel größeres, kaum absolut lösbares Problem: die vitalen Kräfte des Menschen zu erhalten, ohne die Errungenschaften der Zivilisation preiszugeben. Beide Zyklen treffen sich jedoch im Verlust der Wehrhaftigkeit, einmal durch Affektrepression und das andere mal durch Entsublimierung 242 , zeitgenössisch im Begriff der „ E f f e m i n a c y " zusammengefaßt, die sowohl übertriebene Politeness als auch Verweichlichung durch hedonistische Zerstreuung meint; Kames" Vitalismus ist daher auch ein „Virilismus". Von den beiden Wurzeln der Effeminacy erscheint die „Überzivilisierung" als bedrohlicher, weil keine selbstinduzierte Katharsis zu erwarten ist, wie im Zyklus von Reichtum und Größe. Großbritannien schien Kames weit fortgeschritten auf dem Wege moderner Degeneration. „Doth nature afford no means for restoring" eine Nation, so fragte er, „formerly warlike and public-spirited", nun jedoch „depressed by luxury and selfishness"?. Doch leider: „vices generated by opulence are not soon eradicated" 243 . Resümee Kames, der heute wenig rezepiert wird, seinerzeit aber so bekannt war wie Smith oder Ferguson, trägt seine Thesen mit einer gewissen Unbekümmertheit vor, die leicht etwas E. Fromm: Sigmund Freud. Seine Persönlichkeit und seine Wirkung (1959), Ffin. /Berlin/Wien, 1982. 242 Zur gesellschaftstheoretischen Dialektik der Entsublimierung siehe H. Marcuse: Der eindimensionale Mensch; ders.: Trieblehre und Freiheit, in: Sociologica I. FS Max Horkheimer (1955), Ffin. /Köln, 2. Aufl., 1974; dazu: H. Berndt/R. Reiche: Die geschichtliche Dimension des Realitätsprinzips, in: J.Habermas (Hg.): Antworten auf Herbert Marcuse (1968), Ffin., 2. Aufl., 1968, S. 104-32; J. Schülein: Jenseits des Leistungsprinzips - Marcuse und Freud, in: D. Claussen (Hg.): Spuren der Befreiung - Herbert Marcuse. Ein Materialienbuch zur Einfuhrung in sein politisches Denken, Darmstadt/Neuwied, 1981, S. 117-36. 243 Sketches, Edinburgh, Bd. II, S. 337ff.

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Dogmatisches hat, wie sein Schüler und Biograph Alexander Tytler feststellte 244 . Dabei werden praktische Motive des Räsonnements deutlich, die andere Autoren eher verbergen, und im Hintergrund der Theorie bleibt der schottische Oberrichter und „Improver" stets sichtbar. Kames publizierte eine frühe Version der materialistischen Evolutionstheorie der „Vier-Stadien", setzte sich gründlich - doch nicht widerspruchsfrei - mit der Trennung von Recht und Moral auseinander, betonte die Entwicklungsfähigkeit und Erziehbarkeit des Menschen, und bei keinem anderen schottischen Autor wird die zivilisatorische Dialektik von Fremdzwang und Selbstzwang so intensiv thematisch. Kames kommt auch Kants Gedanken der „ungeselligen Geselligkeit" 245 nahe, die die Geschichte und den (moralischen) Fortschritt antreibe. Bezogen auf die moderne kommerzielle Gesellschaft, ergibt sich eine Dialektik sprunghaft verdichteter Vergesellschaftung bei abnehmender Beziehungstiefe und in ungeahnte Dimensionen vorangetriebener sozialer Kooperation. Oberflächlich zivilisiert, reduzieren sich die Sozialbeziehungen schrittweise auf verschwindende Kontakte mit Fremden und bei wachsender gesellschaftlicher Abhängigkeit, zentrales Motiv von Rousseaus Kulturkritik 246 , wächst gleichzeitig, wegen der indirekten und zerstreuten Form der Abhängigkeit, die persönliche Freiheit. Schließlich finden sich bei Kames Gedanken über zwei ungleichartige zivilisatorische Korruptionszyklen: den traditionellen Topos des Kreislaufs von Reichtum und Macht der Staaten und die kritische Diskussion der modernen „Politeness" als repressive Pazifizierung, die Kames mit vitalistischen Motiven konfrontiert. Intellektueller Klimawechsel: „Ossian" John Dwyer hat die These formuliert, seit etwa 1760 habe ein Mentalitätsumbruch im intellektuellen Klima Schottlands eingesetzt, in dem die post-"Union"-Werte des „Improvement" einer kritischeren Haltung zu den kulturellen Folgen der Modernisierung Platz machten 247 ; das läßt sich am Werk Kames' nachvollziehen. Dieser intellektuelle Klimawechsel erklärt sich zum Teil sicher aus der einsetzenden Rezeption der Rousseauschen Kulturkritik, deren Spuren in den späteren Texten Kames' unübersehbar sind. Es gibt jedoch einen genuin schottischen Kontext, der durch Bezug auf die angeblichen Epen des legendären schottischen Barden Ossian ein Stück weit erhellt werden kann. Der junge schottische Literat James MacPherson publizierte 1758 ein Poem in heroischen Versen mit dem Titel „The Highlander", 1760 gefolgt von „Fragments of Ancient Poetry Collected in the Highlands of Scotland and Translated from the Gaelic or Erse

244 Tytler: Memoirs, Bd. I, S. 40. 245 Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht, 4. Satz, in: I. Kant: Schriften zur Geschichtsphilosophie, m. Einl. hg. v. M. Riedel, Stg., 1974, S. 25. 246 J. Starobinski: Rousseau, S. 157ff. 247 J. Dwyer: The Heavenly City of the Eighteenth Century Moderate Divines, in: ders. et al. (Hg.): New Perspectives on the Politics and Culture of Early Modern Scotland, S. 291-318; ders. /A. Murdoch: Paradigms and Politics: Manners, Morals and the Rise of Henry Dundas, 1770-1784, ibid., S. 210-48; ders.: Virtuous Discourse, Kap. 1 u. 2; ders.: Clio and Ethics: Practical Morality in enlightened Scotland, EC, 1989: 30, S. 45-72; ders.: The imperative of sociability: moral culture in the late Scottish enlightenment, BJECS, 1990: 13, S. 169-84; ders.: The Construction of Community in eighteenth century Scotland, HEI, 1992: 15, S. 943-8; G. Streminger spricht im Zusammenhang mit Fergusons „History of Civil Society" von einem „Wertewandel": David Hume, S. 570ff.

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Language", 1762 dann: „Fingal. An Ancient Poem", über einen legendären schottischen König, sowie 1763: „Temora. An Ancient Epic Poem". Schöpfer dieser Epen war angeblich der blinde Sohn Fingais, Ossian, eine an Homer erinnernde Figur, den mythischen Ursprungsdichter der griechisch-abendländischen Kultur. Die Qsii'art-Dichtungen wurden zum bedeutendsten publizistischen Ereignis Schottlands im 18. Jahrhundert und hatten überwältigenden Erfolg in ganz Europa248. Schon bald jedoch kamen Zweifel an der Echtheit dieser Dichtungen auf - publiziert 1775 von dem latent schottenfeindlichen Samuel Johnson249, und zu Beginn des 19. Jahrhunderts gelangte eine schottische Kommission unter dem Vorsitz des Schriftstellers Henry MacKenzie zu dem Schluß, MacPherson habe erhebliche Teile der angeblichen Dichtungen Ossians erfunden, während andere auf überarbeitetem volkstümlichem Material beruhten. Richard Sher hat in seinem Buch über die „Moderate Literati" von Edinburgh nachgewiesen, daß diese - in erster Linie wohl John Home und Hugh Blair - wesentlichen Anteil an der Publikation der „Ossian"-Dichtungen hatten250, indem sie sich mit MacPherson trafen, ihn berieten, finanziell unterstützten und zur Publikation drängten, und Blair publizierte 1763 seine Critical Dissertation on the Poems of Ossian zur Verteidigung ihrer Authentizität251. Wenn wir nicht annehmen wollen, daß die Moderate Literati an einem bewußten literarischen Betrug beteiligt waren, so zeigten sie sich zumindest leichtgläubig, und diese Leichtgläubigkeit wäre erklärungsbedürftig. Die Erklärung muß in ihrem gesteigerten Interesse an den Osi/aH-Dichtungen gesucht werden, deren Grundlage durch die Bezeichnung Ossians als „schottischer Homer" angezeigt ist252. Die Ossian-Epen hatten im schottischen Kontext die Funktion, das durch die Vereinigung gefährdete schottische Nationalbewußtsein mit einer durch Alter gewürdigten, von englischen Quellen unabhängigen und dabei relativ hochstehenden kulturellen Tradition zu unterfüttern, eine leichte Aufgabe, denn die Nachwelt ist, wie MacPherson offen bemerkte, „always ready to believe anything, however fabulous, that reflects honour on their ancestors"253. Dabei war fur aufmerksame Kritiker auffällig, daß die angeblich aus vorschriftlicher Zeit (nach MacPherson aus dem 3. oder 4. Jahrhundert254) stammenden Ossian-Epen eine Kultur offenbarten, die durchaus rückständige äußere Lebensumstände - Hugh Blair siedelte sie im Übergang vom Jäger und Sammler-Stadium zur Viehzucht an255 - mit außerordentlicher emotionaler Differenziertheit verband, von der man ge248 Noch 1773 publizierte Johann Gottfried Herder einen enthusiastischen Briefwechsel über die Ossian-Lieder: Auszug aus einem Briefwechsel über Ossian und die Lieder alter Völker, in: ders.: Von deutscher Art und Kunst und andere Schriften, Herrsching, o. J. Siehe auch das Gemälde von Francois Gerard: Ossian am Ufer des Lora beschwört die Geister beim Klang der Harfe, Farbtafel 51, in: W. Hoflnann (Hg.): Europa 1789. Aufklärung - Verklärung - Verfall, Köln, 1989 (eine Ausstellung der Hamburger Kunsthalle); siehe zum folgenden auch G. Streminger: David Hume, S. 496ff. 249 Siehe den Bericht von James Boswell: Dr. Samuel Johnson. Leben und Meinungen, hg. v. F. Güttinger, Zürich, 1981, S. 314ff. 250 Church and University in the Scottish Enlightenment, S. 242-61. 251 Abgedruckt in: The Poems of Ossian, translated by James MacPherson, Esq., with Dissertations on the Aera and Poems of Ossian; and Dr. Blair's Critical Dissertation, Leipzig (Tauchnitz), 1847, im Literaturverzeichnis unter Macpherson. 252 Dieser Vergleich zieht sich durch Hugh Blairs Critical Dissertation, ibid., bes. S. 60ff. 253 Α Dissertation concerning the Aera of Ossian, ibid., S. 6. 254 Ibid., S . I I . 255 A Critical Dissertation, ibid., S. 54f.

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glaubt hatte, sie sei ein Spezifikum der europäischen Moderne und vielleicht bestimmter Phasen klassisch-antiker Hochkulturen256. Hugh Blair vertrat die Ansicht, Homer schildere fortgeschrittenere gesellschaftliche Zustände als Ossian, der gleichwohl eine höherstehende Gefuhlskultur repräsentiere257. Die beiden hervorstechenden Charakteristika der Osi/aw-Dichtungen seien „tenderness" und „sublimity"258; sie seien „poetry of the heart", „a heart penetrated with noble sentiments, and with sublime and tender passions"259. „Whatever discovers human nature in its greatest elevation; whatever bespeaks a high effort of soul; or shows a mind superior to pleasures, to dangers, and to death, forms what may be called the moral or sentimental sublime. For this Ossian is eminently distinguished. No poet maintains a higher tone of virtuous and noble sentiments throughout all his works"2 Offensichtlich widersprach dies dem von Smith und anderen entwickelten evolutionstheoretischen Ansatz, soweit er von einer Entsprechung zwischen Produktionsweisen und bestimmten Kulturstufen ausging. Dieser Widerspruch war entweder durch die Annahme einer Ausnahmestellung der schottisch-gälischen Tradition auflösbar261, oder durch den Verdacht einer literarischen Täuschung, die Aufklärungsstandards in die Vergangenheit zurückprojezierte. Das Ergebnis, wenn auch vielleicht nicht der Zweck, wäre jedenfalls, der schottischen Identität einen massiven Traditions- und Mythenschub zu verleihen262, der den Kriterien einer „symbolischen Sinnwelt" im Sinne von Peter Berger und Thomas Luckmann entspricht, wenn sie schreiben: „Auch in die Geschichte bringt die symbolische Sinnwelt System. Sie weist allen allgemeinen Ereignissen in einer zusammenhängenden Einheit, die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft umschließt, ihren Platz zu. Für die Vergangenheit hält sie „Erinnerung" bereit, deren alle teilhaftig werden können, die zu der betreffenden Gesellschaft gehören. Für die Zukunft garantiert sie ein gemeinsames Bezugssystem, einen Projektionsrahmen für individuelle Handlungen"263. Der Vergangenheitsbezug ist dabei pragmatisch auf die Zukunft gerichtet und die Projektion nationaler Identität in der Zukunft prägt entscheidend das Bild der Vergangenheit. Im Rahmen dieser sozialintegrativen Funktion des Cta'a«-Mythus ist die Frage der Wahrhaftigkeit des Vergangenheitsbildes an sich zweitrangig. Paradoxerweise ist jedoch der Glaube an die Authentizität die Voraussetzung fur die Wirksamkeit des Mythus. Erst in einer durchgreifend aufgeklärten Welt mag es möglich sein, mit dem Mythus ironisch, distanziert, spielerisch umzugehen, ohne ihn jeder Wirksamkeit zu berauben264. 256 Diesen Einwand formuliert Macpherson selbst in: Α Dissertation concerning the Aera of Ossian, ibid., S. 13; s. a. Hugh Blair: A Critical Dissertation, ibid., S. 49f., S. 11 lf. 257 A Critical Dissertation, ibid., S. 61f.; s. a. Tytler: Memoirs, Bd. II, S. 120. 258 A Critical Dissertation, in: MacPherson: The Poems of Ossian, S. 58. 259 Ibid., S. 59. 260 Ibid., S. 113. 261 Siehe den Brief von Elisabeth Montagu an Kames v. 3. 10. 1771, die rhetorisch fragt: „Does Nature operate in other modes in Scotland, than in the rest of the world?", Tytler: Memoirs, Bd. II, S. 128f. 262 Siehe zur Frage der Kulturbedeutung von Mythen: D. Harth/J. Assmann (Hg.): Revolution und Mythos, Ffm., 1992. 263 Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit, S. 110. 264 Möglich, daß Friedrich Schlegels Forderung nach einer „neuen Mythologie" diesen Gedanken impliziert: Rede über die Mythologie, in: Gespräch über die Poesie, in: Kritische Friedrich Schlegel Ausgabe, hg. v. E. Behler, 2. Bd., hg. v. H. Eichner, München etc., 1967, S. 311-22; siehe dazu Κ. H. Bohrer: Utopie „Kunstwerk". Das Beispiel von Friedrich Schlegels Rede über die Mythologie,

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Inhaltlich interessant ist der klare Widerspruch der Ossian-Epen zu den bürgerlich-nüchternen Werten einer kommerziellen Gesellschaft, wie er sich etwa auch in John Homes Drama „Douglas" 265 abzeichnet 266 , als pathetische Überhöhung der Verbindung sentimentaler mit heroischen Werten im traditionsbetonten national-schottischen Kontext. Wenn Ossian daher als Projektion zu interpretieren ist, dann auch als Ausdruck frühromantisch-rückwärtsgewandter Opposition gegen pazifistische, durch Überfluß enervierende, und rationalistische, den Verstand überbetonende Tendenzen der Moderne. In diesem Interpretationszusammenhang wird die Empfindungsfahigkeit „Sentimentalität" - nicht als Ergebnis modemer Zivilisation gesehen, sondern im Gegenteil die Moderne als Tod wahrer Empfindungsfähigkeit, die selbst in einer mythisch überhöhten Nationalkultur wurzelt. Und Dwyer weist darauf hin, daß seit der kulturellen Wende der 1760ger Jahre zunehmend schärfer differenziert wird zwischen einer „unverfälschten" Gefuhlskultur „männlicher" Willenskraft, heroischer Tugenden und wahrer intersubjektiver Empfindungsfähigkeit einerseits und einer bloß oberflächlichen Politeness andererseits, die den Blick auf die dominanten egozentrischen Affekte der Habgier und depravierter Genußsucht verstellt. Sofern im Begriff und der Theorie der „civilized society", wie sie im Laufe des Jahrhunderts entwickelt wurde, die moderne Zivilisierung als Einheit der Steigerung moralischer Empfindungsfahigkeit und der Habitualisierung äußerlich zivilisierten Verhaltens zusammengedacht wurde, zerbricht diese Einheit nunmehr. Nach Blair zeigen Ossians Helden „refinement of sentiment", jedoch „none of manners" 267 . Als Aufgabe der Kultur wird vielmehr die Vermittlung höherer Kulturformen, die im ganzen die Empfindungsfahigkeit steigern, mit den „unverfälschten", originären affektuellen Antrieben gesehen, die die Dichtungen Ossians - wie auch andere Zeugnisse aus der Frühzeit der Menschheit - aufwiesen 268 . Die Leidenschaften der Menschen jener Zeit hatten „nothing to restrain them, their imagination... nothing to check it. They display themselves to one another without disguise, and converse and act in the uncovered simplicity of nature", schrieb Blair 269 . Ossian enthüllt demnach spezifisch den angeblich über die Jahrunderte hinweg geformten unverdorbenen schottischen Nationalcharakter, „happily compounded of what is noble in barbarity, and virtuous and generous in a polished people" 270 . In dieser Hinsicht gewinnen die schottischen Highlands, die bis dato den Aufklärern als Gebiete kultureller, zivilisatorischer Rückständigkeit galten - verdächtig des Jakobitismus, eine Schande - den einzigartigen Vorzug, den genuin schottischen „Volksgeist" seit den Zeiten der Kelten im wesentlichen unvermischt bewahrt zu haben 271 . „If tradition could be depended upon", schrieb Macin: W. Voßkamp (Hg.): Utopieforschung, 3. Bd., S. 303-32; ich weise in diesem Zusammenhang auf Udo Bermbachs Analyse des Werkes von Richard Wagner hin: Der Wahn des Gesamtkunstwerks. Richard

Wagners politisch-ästhetische

Utopie,

Ffm.,

1994, der Wagners Konzeption

von

Kunstmythen behandelt. 265 266 267 268

Douglas, ein Trauerspiel. Siehe dazu: Sher: Church and University, S. 74-92. A Critical Dissertation, in: MacPherson: The Poems of Ossian, S. 56. Siehe J. MacPherson: Dissertation concerning the Poems of Ossian, in: ders.: The Poems of Ossian, S. 17f., sowie Hugh Blair: A Critical Dissertation, ibid., S. 43. 269 A Critical Dissertation, ibid., S. 44. 270 MacPherson: Α Dissertation concerning the Aera of Ossian, ibid., S. 13f. 271 T. C. Smouts erscheint die plötzliche Begeisterung der Literati „in the Ossianic craze" als „mad fit of pride that Gaeldom after all embodied antique and heroic virtue on the grand scale", wodurch sie ihre

290

Kapitel 4: Schottland

Pherson, „it is only among a people from all time free from intermixture with foreigners... Such are the inhabitants of the mountains of Scotland... Their language is pure and original, and their manners are those of an ancient and unmixed race of men... As they lived in a country only fit for pasture, they were free from that toil and business which engross the attention of a commercial people"272, dessen geistige Einheit, so wird impliziert, verloren zu gehen droht. Dem zu begegnen, erfordert eine reflexive Besinnung auf die Wurzeln der Nationalkultur273. Und dabei kann nach Blair Ossian eine hervorragende Rolle spielen, dessen „writings are remarkably favourable to virtue. They awake the tenderest sympathies, and inspire the most generous emotions. No reader can rise from him without being warmed with the sentiments of humanity, virtue, and honour"274 - drei Begriffe, die zusammengenommen das gegenkulturelle Programm der Moderate Literati zur modernen kommerziellen Gesellschaft beschreiben. Auch Ferguson betonte die populäre Kulturbedeutung einer einheimischen Nationalmythologie, im Gegensatz zur fremden griechisch-römischen, die nur die Gebildeten anspreche275. John Homes Bühnenstück „Douglas" wurde auch von Hume gepriesen, der sich an der Edinburgher Aufführung beteiligte 76, die dahinter stehende Ideologie aber kaum teilte, und auch Smith grenzte sich in einer Anspielung der Theory of Moral Sentiments von der darin zelebrierten mystifizierenden „Gefühlsgemeinschaft des Blutes" ab277. Home war in London durch David Garrick abgewieisen worden, der erst nach dem Erfolg von „Douglas" in Edinburgh und nachdem sich Home politischer Patronage in London versichert hatte von der Bühnenfähigkeit seiner Dichtungen zu überzeugen war. Aber gemessen an Homes Theaterstücken war die literarische Durchsetzungsfahigkeit und identitätstiftende Wirkung der Dichtungen eines angeblichen „schottischen Homer" ungleich größer anzusetzen, daher maß Blair der Authentizität Ossians so hohe Bedeutung bei278. „The Poems of Ossian represented both a culmination and a new departure in the development of national consciousness", faßt John Dwyer zusammen. „No longer was it neccessary to view the nation primarily in political or civil terms. It could now be perceived as a collective and ideal mentality linking an ancient past with a communal present"279. Auch Kames glaubte an die Echtheit Ossians2*0, „the most important discovery that ever was made in the history of literature, as well as of manners"281, und er wie auch

272 273 274 275 276 277 278 279 280

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Unsicherheit im Verhältnis zu den Highlands überwanden: Problems of Nationalism, Identity and Improvement in the later Eighteenth-Century Scotland, in: T. M. Devine (Hg.): Improvement and Enlightenment, Edinburgh, 1989, S. 1-21, hier S. 14. MacPherson: Dissertation concerning the Poems of Ossian, ibid., S. 18. Ibid., S. 26. Critical Dissertation, ibid., S. 118. History of Civil Society, S. 77. R. B. Sher: Curch and University, S. 77; Streminger: David Hume, S. 463. TMS, S. 222. A Critical Dissertation, a. a. O., S. 67. Siehe John Dwyer: The Construction of Community in eighteenth century Scotland, HEI, 1992: 15, S. 947. Tytler: Memoirs, Bd. I, S. 190; Lehmann: Henry Home, Lord Kames, S. 190; Wokler: Apes and races in the Scottish Enlightenment, in: P. Jones (Hg.): Philosophy and Science in the Scottish Enlightenment, S. 153. Brief an Elisabeth Montagu v. 22. 5. 1771, in: Tytler: Memoirs, Bd. II, S. 124.

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Smith und Millar benutzten diese Epen gelegentlich, um angeblich vorzeitliche schottische Sitten zu belegen. Kames' Neigung zum kulturellen Programm der Moderate Literati wird etwa an seiner Stellungnahme zu Fergusons „History of Civil Society" deutlich, die er Elisabeth Montagu mit den Worten empfahl: „This subject, not less beautiful than interesting, employs some vigour in writing, and much original thought. Besides tracing minutely the history of society from its dawn in the savage state to its meridian lustre of civilization, sciences and arts, it has a further aim, which is, to wean us from selfishness and luxury, the reigning characteristics at present of all commercial nations, and to restore the manly passions of heroism, generosity, and love of our species. The aim is noble; but the disease, I doubt, is too far advanced to be cured by any characters that can be formed with ink"284. Kames teilte die Diagnose der Korruption der Moderne, betrachtete jedoch die Erfolgsaussichten einer kulturalistischen Gegenstrategie skeptisch. Von den Moderate Literati und von Smith hebt er sich durch sein intensives praktisches „Improvement"-Engagement ab285.

282 LJ(A), S. 239, Early Draft of Part of the Wealth of Nations, S. 573. 283 Siehe Millar: Vom Ursprung des Unterschieds in den Rangordnungen und Ständen, S. 93f. 284 Tytler: Memoirs, Bd. II, S. 65, Brief v. 6. 3. 1767. 285 Siehe Sher: Church and University in the Scottish Enlightenment, S. 187.

5. James Steuart Sir James Steuart (1713-80) 286 war 2 Jahre jünger als Hume, wurde 1735 als Rechtsanwalt zugelassen und ging danach auf grand tour, auf der er in Rom mit dem jakobitischen Pretender bekannt wurde. Während des Aufstandes 1745 schloß er sich offen den Jakobiten an, als deren politischer Repräsentant er nach Paris ging. Nach der Niederlage als Verräter verurteilt, mußte er 18 Jahre im Exil leben. Die erste Zeit verbrachte er in Südfrankreich und unternahm danach ausgedehnte Reisen durch Europa, nach Spanien, Italien, Deutschland und andere Länder. Das ist ein Grund für seine umfangreiche Kenntnis der wirtschaftlichen Verhältnisse in Europa. Ihm ist vorgeworfen worden, den britischen Geist politischer Freiheit bei seinen Analysen zu verletzen, und er hat darauf mit einem gewissen Stolz - geantwortet: „If, from this work, I have any merit at all, it is by divesting myself of English notions, so far as to be able to expose in a fair light, the sentiments and policy of foreign nations, relatively to their own situation"287; seine Perspektive ist eine selbstbewußt europäische. 1763 konnte Steuart unter der Bedingung, sich politisch loyal zu verhalten, als geduldete Person nach Schottland zurückkehren und wurde 1771 begnadigt. 1767 publizierte er sein Hauptwerk, die hier zugrundegelegte „Inquiry into the Principles of Political Oeconomy", die allerdings zeitgenössisch schwach rezipiert und mit dem Erscheinen von Adam Smiths Wealth of Nations noch mehr in den Hintergrund gedrängt wurde, was auch mit Smiths Strategie zusammenhängt, Steuart mit keinem Wort zu erwähnen, obwohl er Gegenstand seiner Kritik war288. Immerhin kann Steuart das Verdienst nicht abgesprochen werden, etwa 10 Jahre vor Smith die im britischen Kontext erste systematische Abhandlung über politische Ökonomie als eigenständige Wissenschaft vorgelegt zu haben289. Aus Steuarts Biografie ist 286 Die folgenden Angaben nach dem Biographical Sketch von Andrew Skinner in seiner Ausgabe von Steuarts: An Inquiry into the Principles of Political Oeconomy, 2 Bde., Chicago, 1966, Bd. I; eine biographische Skizze enthält der 6. Band der: The Works, Political, Metaphysical, and Chronological, of the Late Sir James Steuart of Coltness, Bart., in 6 Volumes, London, 1805, S. 395ff.; s. a. im Dictionary of National Biography, unter: Denham, Sir James Steuart; den Zunamen Denham erwarb Steuart, als er in das Erbe seiner Frau eintrat. Siehe ansonsten zu Steuart: R. L. Meek: Die Rehabilitation von Sir James Steuart, in: ders.: Ökonomie und Ideologie. Studien zur Entwicklung der Wirtschaftstheorie (1950-62), Ffin., 1973, S. 10-29; T.W.Hutchison: Before Adam Smith, Kap. 19; A. S. Skinner: Sir James Steuart: Economic Theory and Policy, in: P. Jones (Hg.): Philosophy and Science in the Scottish Enlightenment, S. 117-44; eine Reihe interessanter Hinweise finde ich in: N. Waszek: The Scottish Enlightenment and Hegel's Account of „Civil Society", bes. S. 182ff. u. pass. 287 Principles, Bd. I, Preface, S. 5. 288 Siehe den Brief von Smith an William Pulteney v. 3. 9. 1772, Correspondence of Adam Smith, S. 164; T. W. Hutchison: Before Adam Smith, S. 372: „Whether or not it was fully adequate and proper for Adam Smith to make no mention whatsoever in The Wealth of Nations of such predecessors as, for example, Petty, Carl, Tucker, Galiani, Verri, Turgot, Condillac and Steuart - and to refer only once to Cantillon - such treatment of the economists of the seventeenth and eighteenth centuries is completely inadequate and misleading for serious, twentieth century students of the history of political econonmy". Siehe zum Verhältnis von Smith und Steuart die Kontroverse im SEJ: G. M. Anderson/R. D. Tollison: Sir James Steuart as the apotheosis of mercantilism and his relation to Adam Smith, 1984/85: 51, S. 456-67; Salim Rashid: Smith, Steuart and mercantilism: Comment, 1985/86: 52, S. 843-52; G. M. Anderson/R. D. Tollison: Smith, Steuart and mercantilism: Reply, ibid., S. 853-55; s. a. A. S. Skinner: Political Economy: Adam Smith and his Scottish Predecessors, in: P. Jones/A. S. Skinner (Hg.): Adam Smith Reviewed, S. 217-43. 289 Der Untertitel der Principles lautet: „Being an Essay on the Science of Domestic Policy in Free Nations, in which are particularly considered Population, Agriculture, Trade, Industry, Money, Coin,

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wegen seines Jakobitismus und des langen Exils naheliegend, daß er nicht zum Kern der schottischen Aufklärungsbewegung gehörte. Allerdings ist bekannt, daß Hume ihn bei der Publikation der „Principles" beriet, ein Freundschaftsdienst, den er auch anderen Mitgliedern der schottischen Aufklärung leistete, und seit seiner Rückkehr aus dem Exil hielt Steuart mit den Aufklärungszirkeln Kontakt. Politische Ökonomie Steuarts Buch gilt als unübersichtlich arrangiert und schlecht geschrieben. Das hat seinen Grund in erster Linie in seiner kontextualisierenden Argumentation, die die Möglichkeit allgemein gültiger sozialer Gesetze verneint: „According to my way of treating this subject no general rule can be laid down in political matters: every thing there must be considered according to the circumstances and spirit of the nations to which they relate", eine an Montesquieu gemahnende Formulierung 2 „My work resembles the formation of the pure colours for painting", schreibt Steuart, und „it is the artists business to mix them: all I can pretend to, is to reason consequentially from suppositions" 291 . Sachlich grenzt Steuart seinen Gegenstand explizit gegen Moralphilosophie und politische Theorie ab292, und methodisch bedient er sich isolierender Abstraktion zur gedanklichen Hervorhebung jeweils eines bestimmten Aspektes eines komplexen Problems, wobei die anderen Aspekte, gelegentlich unter Verwendung der „ceteris paribus"-Klausel 293 , invariant gesetzt werden. „Did I not begin", sagt er in einer Randbemerkung, „by simplifying ideas as much as possible, and by banishing combinations of them, I should quickly loose my way, and involve myself in perplexities inextricable" 294 . Häufig fuhrt er Falldiskussionen durch, die bestimmte Probleme an konstruierten Konstellationen verdeutlichen, und er bedient sich „idealtypischer" Analysen, zum Beispiel bei der Unterscheidung von drei Typen des Handels, zu der er abschließend anmerkt, „that we are not to suppose the commerce of any nation confined to any one of the three species. I have considered them separately.. .to point out their different principles" 295 . Hinsichtlich methodischer Reflektiertheit braucht Steuart keinen zeitgenössischen Vergleich zu scheuen. Ihm gelingt jeInterest, Circulation, Banks, Exchange, Public Credit, and Taxes", und der Eröffhungssatz: ,Jt is with the greatest diffidence that I present to the public this attempt towards reducing to principles, and forming into a regular science, the complicated interests of domestic policy"; J. A. Schumpeter: Geschichte der ökonomischen Analyse, Bd. I, S. 235: „Mit Ausnahme des Wealth [of Nations, von Smith] kann nur ein Buch streng systematischen Typs angeführt werden, allerdings eines von größter Bedeutung, nämlich Steuarts Principles. Dies Werk war bewußt und mit größter Mühe systematisch abgefaßt: Er beabsichtigte, die analytischen Erkenntnisse und das Tatsachenwissen seiner Zeit in einer „wirklichen Wissenschaft" zu vereinen, was bedeutet, daß er offensichtlich das gleiche vor Augen hatte wie A. Smith", s. a. ibid, S. 321. 290 291 292 293

Ibid., Preface, S. 4f. Ibid., S. 201. Ibid., S. 44, Note. Siehe ζ. B. ibid., S. 48; dazu: J. Buchanan: Ceteris paribus: Einige Bemerkungen zur Methodologie (1958), in: R. Jochimsen/H. Knobel (Hg.): Gegenstand und Methoden der Nationalökonomie, Köln, 1971, sowie andere Beiträge in diesem Band. 294 Principles, Bd. I, S. 44, Note; ähnlich im Zusammenhang der Untersuchung des Verhältnisses von Warenmenge und Geldmenge: „The best way to come at truth, in all questions of this nature, is to simplify them as much as possible, that they may be first clearly understood", Principles, Bd. II, S. 340. 295 Principles, Bd. I, S. 265.

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doch nur unvollkommen, seine Untersuchungen und Resultate zu einer komplexen Analyse zu integrieren, und er ermüdet durch Wiederholungen und unübersichtliche Querverweise. Auch unterbricht er den Ablauf seiner Darstellung zu oft durch Einschübe und Hinweise auf pragmatische Kontexte, denn tatsächlich ist die Emanzipation der Ökonomie als theoretische Wissenschaft bei ihm noch nicht durchgeführt, die er als „Science of Domestic Policy" definiert296. Durch die Fixierung auf praktische Fragestellungen der Wirtschaftspolitik gelingt es Steuart nicht, die analytische Abstraktion bis zur Definition von Kausalgesetzen voranzutreiben, stellt stattdessen einzelne Theoreme heraus und zieht sich gelegentlich auch pragmatisch auf die Idee der Wirtschaftspolitik als Lernprozeß zurück: „The consequences of innovations in political oeconomy admit of an infinite variety, because of the infinite variety of circumstances which attend them: no reasoning, therefore, however refined, can point out a priori, what upon such occasions must indispensably follow. The experiment must be made, circumstances must be allowed to operate; inconveniences must be prevented or rectified as far as possible"297. Pragmatisch sind daher unter Umständen Umwege zu gehen, wenn nämlich eine ideale Lösung nicht direkt realisierbar erscheint298. Andrew Skinner hat ein Hauptverdienst der frühen politischen Ökonomie von Hume, Steuart und Smith in der Entwicklung eines theoretischen Referenzrahmens für die eigentliche technisch-analytische ökonomische Wissenschaft gesehen299. Dazu gehört in erster Linie die Bestimmung ihres Gegenstandes und seine Abgrenzung. Einer einflußreichen Definition von Lionel Robbins aus den 1930ger Jahren zufolge ist die theoretische Ökonomie „the science which studies human behaviour as a relationship between ends and scarce means which have alternative uses"300. Diese Definition sei nicht „klassifikatorisch", wie ältere Definitionen bis hin zu Alfred Marshall, sondern „analytisch": „It does not attempt to pick out certain kinds of behaviour, but focuses attention on a particular aspect of behaviour, the form imposed by the influence of scarcity. It follows from this, therefore, that in so far as it presents this aspect, any kind of human behaviour falls within the scope of economic generalisations". Nach dieser Konzeption handelt die ökonomische Analyse nicht von substantiellen Aspekten sozialen Handelns, sondern nur von Teilaspekten unter dem Blickwinkel der Knappheit. Diese Eigenschaft ist historisch variabel und geht vom 18. Jahrhundert bis heute von bestimmten Gütern auf andere über; werden einige Güter dem Markt entzogen, so bilden andere, abhängig von der technischen und sozialen Entwicklung, neue Märkte. Heute diskutieren Ökonomen über ökonomische Aspekte immaterieller Güter, sozialer Güter, „Positionsgüter" oder von Rechtsansprüchen, die zum Gegenstand ökonomischer Überlegungen werden301. Obwohl

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Untertitel der „Principles". Principles, Bd. I, S. 124. Ibid., S. 125. A. S. Skinner: Political Economy: Adam Smith and his Scottish Predecessors, in: P. Jones/A. S. Skinner (Hg.): Adam Smith Reviewed. 300 An Essay on the Nature and Significance of Economic Science (1932), London, 3. Aufl., 1984, S. 16f., auch das folgende; cf. C. Napoleoni: Grundzüge der modernen ökonomischen Theorie (1963), Ffin., 4. Aufl., 1972, Kap. 2; Ph. Deane: The Scope and Method of Economic Science, EJ, 1983: 93, S. 1-12; B. Biervert/J. Wieland: Gegenstandsbereich und Rationalitätsform der Ökonomie und der Ökonomik, in: Biervert et al (Hg.): Sozialphilosophische Grundlagen ökonomischen Handelns. 301 Siehe F. Hirsch: Die sozialen Grenzen des Wachstums. Eine ökonomische Analyse der Wachstumskrise (1976), Reinbek, 1980; S. Pejovich: Karl Marx, Property rights school and the process of social

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elementare Knappheiten, wie Hunger, in den Industriegesellschaften gegenüber dem 18. Jahrhundert entschärft sind, zeichnet sich kein Marxsches „Reich der Freiheit" ab, im Gegenteil: die Knappheit, die nach Robbins genuin ökonomische Eigenschaft, dehnt sich auf immer neue soziale und lebensweltliche Bereiche aus, und das ist die sozialgeschichtliche Grundlage für den theoretischen „Imperialismus" der Ökonomie, den Kenneth Boulding konstatiert hat 302 , ein Methodenimperialismus, der die heutige sozialwissenschaftliche Diskussion in starkem Maße prägt. Im Zentrum dieser Entwicklungen steht das Paradigma instrumenteller Rationalität, in dem bei gegebenen Zwecken ein optimaler Ressourcengebrauch gesucht wird. Verbindlich für dieses Paradigma ist die Abweisung der Diskussion letzter Zwecke, es geht in ihm um die gedankliche Durchdringung der Probleme rationaler Wahl: Rational Choice303, Stichwort für einen Vereinheitlichungsprozeß der modernen, entsubstantialisierten, „positivistischen" 304 Sozialwissenschaft, die von gesellschaftlichen Zielen nichts weiß und zusammenschrumpft auf eine allgemeine technische Hilfswissenschaft rationaler Wahl. Im Rahmen dieser Tendenz bleibt letzten Endes unklar, wie das Kriterium der Knappheit zur Abgrenzung einer separaten ökonomischen Wissenschaft dienen soll, die ihren Status als Gesellschaftswissenschaft eingebüßt hat 305 . Ich dramatisiere diese Tendenz, um den Kontrast zu Steuart hervorzuheben, dessen Verständnis von „politischer Ökonomie" noch durch antike Traditionen inspiriert ist. Steuart definiert Ökonomie traditionell als „the art of providing for all the wants of a family, with prudence and frugality" 306 . Die Begriffsprägung „politische Ökonomie", als Titel erstmals Anfang des 17. Jahrhunderts benutzt 307 , stellt eine erweiterte Übertragung des O/'fow-Modells auf das Staatswesen dar, in den Worten Steuarts: „What oeconomy is in a family, political oeconomy is in a state" 308 . Demnach erscheint der Fürst als politisch leitender „Hausvater". Ähnlich definierte auch Adam Smith die politische Ökonomie als change, Kyklos, 1982: 35, S. 383-97; G. Gäfgen: Entwicklung und Stand der Theorie der Property Rights: Eine kritische Bestandsaufnahme, in: M. Neumann (Hg.): Ansprüche, Eigentums- und Verfugungsrechte, Berlin, 1984, S. 43-62; Bruce L. Benson: Rent seeking from a property rights perspective, SEJ, 1984/85: 51, S. 388-99; J. Gotthold: Kritische Anmerkungen zum Effizienzbegriff der Property-Rights-Theorie, JB für Sozialökonomie und Gesellschaflstheorie, 1986, S. 71-89; Α. K. Dragun: Property Rights in Economic Theory, JEI, 1987: 21, S. 859-67; M. Ricketts: Rent Seeking, Entrepreneurship, subjectivism and property rights, JITE, 1987: 143, S. 457-66; J. S. Coleman: The problem of order: where are the rights to act located?, JITE, 1988: 144, S. 367-73. 302 Ökonomie als Wissenschaft (1970), S. 136; Μ. Godelier: Rationalität und Irrationalität in der Ökonomie, S. 293; G. J. Stigler: Economics - the imperial science?, Scand. Jourti. of Economics, 1984: 86, S. 301-13; R. Swedberg: Economic Sociology: Past and Present, CS, 1987, S. 121ff.; Η. Β. Schäfer/K. Wehrt (Hg.): Die Ökonomisierung der Sozialwissenschaften. 303 Siehe neben a. a. O. angegebener Literatur (Abrams, Opp, Luke, Lewin, Turner, Ostrom, Esser) A. Carling: Rational choice Marxism, Ν LR, 1986: No. 160, S. 24-62; J.Elster: The Possibility of Rational Politics, AES, 1987: 28, S. 67-103. 304 Siehe T. W. Adorno et al.: Der Positivismusstreit in der deutschen Soziologie (1969), Neuwied/Berlin, Sonderausgabe, 1972. 305 Siehe die kritische Bemerkung von Antonio Gramsci: Philosophie der Praxis. Gefängnishefte 10 und 11, hg. v. W. F. Haug, HH, 1995, S. 1281 (Heft 10, Teil II, §30). 306 Principles, Bd. I, Introduction, S. 15. 307 J. A. Schumpeter: Geschichte der ökonomischen Analyse, Bd. I, S. 225f. 308 Principles, Bd. I, Buch 1, Introduction, S. 19, s. a. Bd. II, S. 357. Blackstone spricht in seinen Commentaries von „the public police and oeconomy" als „the due regulation and domestic order of the kingdom", Bd. IV, S. 162.

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„a branch of the science of a statesman or legislator", deren Ziel sei, „to enrich both the people and the sovereign" 309 . Und noch Marshall betrachtete „political economy or economics" unter dem Gesichtspunkt der Güterausstattung, als „study of mankind in the ordinary business of life", deren Interesse sich richtet auf „that part of individual and social action which is most closely connected with the attainment and with the use of the material requisites of wellbeing" 310 . Er polemisiert gegen theoretisch unfruchtbare „attempts... to construct an abstract science with regard to the actions of an „economic man", who is under no ethical influences and who pursues pecuniary gain warily and energetically, but mechanically and selfishly", denn der Ökonom habe auch „ethical forces" zu berücksichtigen 311 . Bei Marshall, der unter anderem durch die deutsche historische Schule beeinflußt ist, finden wir denn auch umfangreiches historisches und soziologisches Material. Vom antiken Standpunkt aus ist der Begriff der „politischen Ökonomie" paradox, weil er Privates (Oikos) und Öffentliches (Politik) zusammenzwingt. Besonders bedenklich ist die implizierte Idee der Regierung des genuin politischen Bereichs nach Art des Oikos, der im antiken Verständnis der virtuell ungehemmten Gewalt des benevolenten Pater Familias unterworfen war, wie Steuart schreibt: „The whole oeconomy must be directed by the head, who is both lord and steward of the family" 312 . Aber kann die moderne Politik, die moderne Gesellschaft nach Art eines Oikos reguliert werden? 313 Nach Steuart entfallt in der politischen Ökonomie der Unterschied von Familie und Gesinde, alle Angehörigen des politischen Gemeinwesens sind der souveränen Gewalt gleichmäßig unterworfen, als - Kinder 314 . Weist der Begriff der „Politischen Ökonomie" absolutistische Konnotationen auf, so liegt auch Steuarts System die Idee der Leitung des Staatswesens durch eine gesellschaftlich durchgreifend wirkungsvolle Staatsspitze zugrunde, für die er charakteristisch häufig den Begriff „State" verwendet, anstelle des sonst im britischen Kontext üblichen Begriffes „Government" 315 , der für einen „schwachen Staat" steht. Herrschaft Wie andere Schotten bettet Steuart seine Überlegungen zur modernen Gesellschaft in ein universalgeschichtliches Evolutionsschema menschlicher Zivilisation ein. Moderne Zustände und Institutionen werden auf ihre Genese, Geschichte und Legitimität befragt, und er gelangt zu der Einsicht, die moderne Gesellschaft sei nicht nach einheitlichem Plan entstanden, sondern Ergebnis historischer Prozesse, die disparat und zufallig zusammenwirkten. Daraus ergibt sich die Frage: Was ist das Wesen der Moderne, was ist bleibend und was zufallig und verschwindend? Antworten auf diese Frage sucht Steuart im Bereich vergleichender Analyse der Sozialorganisation verschiedener Zeiten und Gesellschaften und fragt: Wovon und wie haben Menschen gelebt?, und wer hat wie geherrscht? Auf diese Weise verbindet Steuart, wie andere schottische Autoren, die Analyse 309 310 311 312 313

WN, Bd. I, Buch IV, Introduction, S. 428. Principles of Economics, Buch 1, erster Satz. Ibid., Vorwort zur 1. Aufl., S. Vf. Principles, Bd. I, Buch 1, Introduction, S. 15. Diese Frage bildet auch den gedanklichen Ausgangspunkt von Rousseaus: Discours sur L'Economie politique. 314 Principles, Bd. I, Buch 1, Introduction, S. 16: „... in a state there are no servants, all are children". 315 Siehe ζ. Β.: Principles, Bd. I, S. 277.

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sozialer Herrschaftsverhältnissen mit jener der sozioökonomischen Beziehungen und schließt sich modo grosso der zu dieser Zeit zu einem Gemeinplatz werdenden „Vier-Stadien-Theorie" an. Soziale Herrschaft ergibt sich aus der Verbindung von „Subordination" und „Dependence": „...by SUBORDINATION is implied an authority which superiors have over inferiors; and by DEPENDENCE, is implied certain advantages which the inferiors draw from their subordination: a servant is under SUBORDINATION to his master, and DEPENDS upon him for his subsistence. Dependence is the only bond of society"316, und „so far as the subordination is in proportion to the dependence, so far it is reasonable and just" 317 . Herrschaft ist legitim als direkt abhängige Variable von (wirtschaftlicher) Abhängigkeit, „and must vary according to circumstances" 318 . Sie erscheint als Folge einer Art Tausch, indem Unterordnung gegen einen Schutz- und Versorgungsanspruch eingetauscht wird 319 . Die Kommandogewalt über andere ist daher gebunden an Verantwortung für sie. Abhängigkeit von anderen bildet den Kern der Vergesellschaftung, die auf Unterordnung (Folgebereitschaft) beruht. Deutlicher als andere Schotten begreift Steuart Gesellschaft fundamental als Ordnungs- bzw. Herrschaftsproblem, und er weist - wie andere - das Modell des politischen Sozialvertrages zurück, weil die Fiktion einer vorpolitischen Gleichheit im Gegensatz zur „common reason" stehe und die Konstruktion der Obligation aus dem Consent als universalistisches Modell müßte, wenn sie realistisch wäre, gleiche Herrschaftsbeziehungen und politische Regimeformen in allen Ländern aufweisen. Die Ableitung politischer Beziehungen aus sozialen Abhängigkeiten und Herrschaftsbeziehungen ist dagegen in der Lage, die Vielfalt politischer Regimeformen zu erklären. Wissenschaftssystematisch dient die politische Ökonomie daher auch der Zurückweisung einer Staatsbegründung aus abstrakten Rechtsprinzipien 320 . Das erste, gleichsam „natürliche" Herrschaftsverhältnis ist das der Eltern über die Kinder, das nicht auf Freiwilligkeit beruht; es bedarf keiner Begründung und gibt auch keine theoretischen Probleme auf 321 . Aber auch Erwachsene sind nicht per se gleich und unabhängig, denn elementare Differenzen zwischen den Menschen fuhren zu realen Abhängigkeiten und freiwilliger Unterordnung der Schwachen unter die Starken, die ihnen im Tausch Schutz und Versorgung gewähren 322 . Diese elementare Dienstbarkeit ist demnach ebenfalls „natürlich" fundiert, aber frei kontrahiert, weshalb Steuart sie als „politisch" bezeichnet. Herrschaft von Eltern über Kinder und Herrschaft von Herren über Knechte sind jene beiden sozialen Relationen, auf denen Gesellschaft und Regierung ursprünglich beruhen. In einem Prozeß der Vertiefung und Verstetigung der Knechtschaft entstand nach Steuart die Sklaverei323. Sie wurde, glaubt er, wesentlich unter dem Einfluß des Christentums abgeschafft, was andere schottische Aufklärer bestritten 324 . An ihre

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Principles, Bd. I, S. 207. Ibid., S. 208. Ibid., S. 209. Vgl. Allan Ramsay (Junior), anon.: Thoughts on the Origin and Nature of Government, S. lOff. Principles, Bd. I, S. 209f. Siehe ibid., S. 34f. Ibid., S. 34f. Ibid., S. 35, auch das folgende. Siehe etwa John Millar: Vom Ursprung des Unterschieds in den Rangordnungen und Ständen der Gesellschaft, S. 253f.

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Stelle trat eine ständisch-feudale Herrschaftsstruktur325. Aber „The last refinement, and that which has brought liberty to be generally extended to the lowest denominations of a people, without destroying that dependence neccessary to serve as a band of society, was the introduction of industry: by this is implied, the circulation of an adequate equivalent for every service"326. Daß jedem Dienst ein Äquivalent gegenübersteht und daß er nur statthat, weil der Dienstleistende ein solches erwartet, ist entscheidendes Signum der Moderne. Denn dadurch werden Tauschverhältnisse konstituiert, die Gleichheit auf beiden Seiten voraussetzen. Es gibt demnach in der Moderne zwar noch Abhängigkeiten, die durch die Verdichtung der Gesellschaft sogar vielfaltiger werden, es gibt aber keine soziale Herrschaft im vormodernen Sinne mehr, die ein pauschales Unterwerfungsverhältnis darstellt. Im Äquivalententausch ist daher die moderne Idee der Freiheit eingeschlossen327, so daß das Individuum inmitten einer Vielzahl einzelner Tauschverhältnissen, die es abstrakt von Gesellschaft im ganzen abhängig machen328, doch persönlich frei ist. Steuart formuliert somit die moderne Dialektik von persönlicher Freiheit und gesellschaftlicher Abhängigkeit: „Mankind are like loadstones, they draw by one pole, and repel by another"329, wobei die moderne Freiheit einem Gleichgewichtszustand zwischen gesellschaftlicher Abhängigkeit und persönlicher Unabhängigkeit entspringt. Als pauschales Unterwerfungsverhältnis gibt es Herrschaft in der Moderne nur noch in der Politik, im Verhältnis: Regierung - Untertan, aber die politische Herrschaft ist, schon wegen der Zahlenverhältnisse, kein persönliches Herrschaftsverhältnis, da sie sachlich beschränkt ist und durch die ökonomische Egalisierung der Moderne moderiert wird. Die Schwäche sozialer Herrschaft bildet nach Steuart ja gerade ein spezifisches Manko moderner Politik330. Zwischen den drei konstitutiven Arten sozialer Abhängigkeit: der „natürlichen" Abhängigkeit der Kinder, der schwachen kommerziellen Abhängigkeit des Äquivalententausches und der sachlich eingeschränkten „politischen" Abhängigkeit, gibt es Übergänge und Mischformen, generell jedoch gilt: Je größer die Abhängigkeit, desto zwingender die Unterordnung, desto zwingender die Herrschaft. „Take-Off' und „Commercial Society" Steuart denkt intensiver als Hume und Smith über Probleme des „Take-ofT zu einer Produktionsweise jenseits agrargesellschaftlicher Subsistenzproduktion nach331. So fragt er nach den Bedingungen der Erzielung, Verstetigung und Abschöpfung eines landwirt325 326 327 328 329 330

Principles, Bd. I, S. 207. Ibid., S. 207. Ibid., S. 310. Vgl. G. W. F. Hegel: Grundlinien der Philsophie des Rechts, §183, S. 340. Principles, Bd. II, S. 394. Siehe Steuarts Text zur geplanten Wahlrechtsänderung: Observations on the new Bill for Altering and Amending the Laws which regulate the Qualifications of Freeholders (1775), Works, Bd. V, S. 267ff. 331 A. S. Skinner: Political Economy: Adam Smith and his Scottish Predecessors, in: Jones/Skinner (Hg.): Adam Smith Reviewed; in einem anderen Aufsatz schreibt Skinner: „Steuart is perhaps the only example in the writings of the Scottish Enlightenment of an attempt to address... the problem of primitive accumulation...", The Shaping of Political Economy in the Enlightenment, in: Mizuta/Sugiyama (Hg.): Adam Smith: International Perspectives, S. 113-39, hier S. 131. Da Steuart v.a. den Ubergang von einer überwiegend agrarischen Produktionsweise zu einer agrarisch-gewerblichen diskutiert - das „Kapital" spielt dabei auch terminologisch keine entscheidende Rolle halte ich meine Formulierung für besser.

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schaftlichen Überschusses, der zunächst unter der methodischen Voraussetzung eines geschlossenen ökonomischen Systems benötigt wird, um die nicht-landwirtschaftliche Bevölkerung zu ernähren. Dazu gehören im wesentlichen drei Kategorien: a) gewerblich arbeitende Bevölkerung, b) nichtarbeitende Oberklassen, und c) Soldaten und andere unproduktive Staatsangehörige. Die vormoderne Methode der Erzielung von Überschüssen war Zwangsarbeit 332 ; der Umfang dieser Überschüsse blieb jedoch begrenzt, weil die Zwangsarbeit weder Anreiz zur Mehrarbeit der unmittelbaren Produzenten über ihren Eigenbedarf hinaus noch zur Steigerung der landwirtschaftlichen Produktivität bietet. Daher kann sich keine Kultur freier, initiativer, erfinderischer Arbeit entwickeln: Industry. Da die moderne „freie Arbeit" jedoch darauf beruht, daß Leistungen für andere in der Regel unter der Voraussetzung einer äquivalenten Gegenleistung erbracht werden, arbeitet im System freier Arbeit jeder für sich und „every head is at work, and every hand is improving in dexterity", während demgegenüber im System der Zwangsarbeit „the head of the master... conducts the labour of the slave, and turns it towards ingenuity"333. In Arbeitsprozessen, in denen rohe, gedankenlose Körperkraft angewandt wird, ist die unfreie Arbeit überlegen, jedoch „where heads are principally neccessary, the advantage lies in favour of the free"334. Der pauschale Zeitlohn entspricht insofern eigentlich dem System unfreier Arbeit, während der Stücklohn die Arbeitsproduktivität und Kreativität der Beschäftigten anregt. Resultat ist das moderne Leistungsprinzip, das den Arbeitseinsatz nach Quantität und Qualität honoriert. „From this I account for the difference between the progress of industry in ancient and modern times" 335 , schreibt Steuart. Kein Wort findet sich, überraschend, in diesem Zusammenhang über die Arbeitsteilung, die Smith als entscheidenden Produktivitätsfaktor betrachtete. Die Subsistenzproduktion wird unter Bedingungen der Moderne nur überschritten, wenn die Landwirte durch attraktive gewerbliche Produkte im Tausch für eigene Überschüsse zu Mehrarbeit angeregt werden. In dem auch von Hume diskutierten Verhältnis von „push" (Landwirtschaft) und „pull" (Gewerbe) hält Steuart das Ansaugen landwirtschaftlicher Überschüsse durch eine attraktive Gewerbeproduktion für das treibende Motiv, und der schwierige Übergang im „Take-off" besteht in der Schaffung adäquater gewerblicher Arbeitsplätze, die eine Nachfrage der Landwirtschaft eigentlich erst erzeugen, indem der traditionelle Umkreis landwirtschaftlicher Konsumtion gesprengt wird. Ist das dynamische Makro-Tauschverhältnis von Landwirtschaft und Gewerbe etabliert, tritt Bevölkerungswachstum ein, die produktiven Potenzen der Landwirtschaft werden entfaltet, und die Gewerbeproduktion wächst - der Weg zur kommerziellen Gesellschaft, die sich gleichsam aus der agrikultureilen Subsistenzproduktion herausschraubt. An die Stelle des Zwangs tritt eine dynamische Bedürfnisbefriedigung als Arbeitsmotivation: „Men were then forced to labour because they were slaves to others; men are now forced to labour because they are slaves to their own wants" 336 . Die Spirale der Erzeugung, Befriedigung und erneuten Erzeugung von Bedürfnissen, die ein Merkmal der modernen Gesellschaft ist, wird in Gang gesetzt, die „must evidently destroy that simplicity of 332 Principles, Bd. I, S. 49. Hinweise dazu im Zusammenhang einer Diskussion der Quellen Hegels bei: N. Waszek: The Scottish Enlightenment and Hegel's Account of „Civil Society", S. 164f. 333 Principles, Bd. I, S. 168. 334 Ibid., S. 168f. 335 Ibid., S. 169. 336 Ibid., S. 51, s.a. S. 67.

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manners which naturally reigns among nations who do not labour"337, womit Steuart offensichtlich nicht meint, daß in Subsistenzwirtschaften nicht gearbeitet wird, aber daß die Arbeitsmotivation auf einen engen, traditionellen Kreis von Bedürfnissen beschränkt ist, während sie im Rahmen der modernen Wachstumsdynamik virtuell unbeschränkt ist. Kennzeichen dieser modernen Dynamik ist der gesellschaftliche Charakter der Bedürfnisse, der sich in der Neigung zur Imitation offenbart338, die wesentlich durch die Prestigekonkurrenz vermittelt ist. Mit der Einführung des Geldes verselbständigten sich die Arbeit und die Arbeitsmotivation gegenüber den konkreten Bedürfnissen und es setzte eine „luxuriöse" Entwicklung ein, womit Steuart einfach die dynamische Bedürfnisentwicklung meint. „When once this imaginary wealth (money) becomes well introduced into a country, luxury will very naturally follow; and when money becomes the object of our wants, mankind become industrious, in turning their labour towards every object which may engage the rich to part with it..." 339 . Damit wird die Arbeit selbst zum Bedürfiiis, weil sie den Schlüssel für die progressive Bedürfnisbefriedigung liefert, die durch die Arbeit für andere und daher durch die Bedürfnisse und den Geschmack anderer vermittelt ist. Während die landwirtschaftliche Bevölkerung sachlich eher an traditionelle Produkte und Arbeitsformen gebunden bleibt, muß sich die gewerbliche Bevölkerung auf wechselnde Bedürfhisse einstellen, und daraus resultieren weniger festgelegte Arbeitsinhalte und -formen. Aus diesem Grunde nennt Steuart die Gewerbepopulation „free hands, because their occupation being to procure themselves subsistence out of the superfluity of the farmers, and by a labour adapted to the wants of society, may vary according to these wants, and these again according to the spirit of the times"340. Dies impliziert begrifflich eine freiere Verfügbarkeit über die Arbeitskraft der „free hands; who may be employed in manufactures, trades, or in any other way, according to the taste of the times", oder, wie Steuart in der ersten Auflage hinzugefugt hatte, „.. .in any other way the state pleases"341, ein Halbsatz, den er unter dem Eindruck des Absolutismus-Vorwurfs der Kritik strich. Der Sache nach entspricht seine Position der Humeschen Idee der Gewerbebevölkerung als Speicher potentieller Arbeits- und Militärkraft, indem die nichtlandwirtschaftlichen Arbeiter in Soldaten verwandelt werden können. Die beiden sozialen Hauptklassen sind nach Steuart „the Farmers and the Free Hands"342, ein sektionales Klassenmodell, das der Problematik des „take-off' verhaftet bleibt. An anderen Stellen spricht er aber auch von den arbeitenden „lower classes", die für die Reichtumsproduktion besonders wichtig seien343, und er kennt auch die Unterscheidung nichtarbeitender Rentiers von Produzenten, die durch Tausch an den Rentierseinkommen partizipieren, ein Klassenmodell, das modo grosso dem physiokratischen Kreislaufmodell entspricht344. 337 338 339 340 341 342 343 344

Ibid., S. 40. Ibid., S. 240. Ibid., S. 45. Ibid., S. 43. Ibid., S. 54. Ibid., Buch 1, Kap. 10, Titel. Siehe ζ. B.: Principles, Bd. II, S. 438. Steuarts Klassenmodell im Zusammenhang mit Hegel diskutiert N. Waszek: The Scottish Enlightenment and Hegel's Account of „Civil Society", S. 176f.; siehe zu den Physiokraten: F. Quesnay:

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Soweit sind jedoch erst grundlegende Charakteristika der modernen „kommerziellen Gesellschaft" beschrieben, während ihre historische Entstehung noch nicht geklärt ist, denn Steuart weiß, daß Geld und Luxus alte Erscheinungen sind345, die aber in vormodernen Zeiten oft auf gesellschaftliche Oberschichten beschränkt waren346. Solange die Subsistenzproduktion überwiegt, „as long as the earth nourishes directly those who are upon her surface, as long as she delivers her fruits into the very hand of him who consumes them, there is no alienation, no occasion for money, consequently no possibility of establishing an extensive taxation"347. Und daher gab es in der „feudal form of government" kein geregeltes Steuerwesen, historische Voraussetzung des modernen Zentralstaates. In dem Prozeß der Transformation der feudalen Gesellschaft in die kommerzielle spielten die Städte eine avantgardistische Rolle, schon weil sie die Orte waren, an denen „the inferior classes of the people enjoyed liberty and ease"348. Momente dieser Transformation sind weiter die Entfaltung monarchischen Hoflebens, eine adlige Luxuskonsumkonkurrenz und die resultierende Umwandlung von Naturairenten in Geldrenten. „Im Anfang des 16. Jahrhunderts, als die Fürsten an der Prachtentfaltung Geschmack gewannen, pflegten sie, da sie in dem eigenen Lande so gut wie keine geeigneten Lieferanten fanden, vielerlei Manufakturerzeugnisse aus Flandern und Venedig, den großen Handelsstaaten jener Zeit bringen zu lassen. Dies ist der Ursprung des auswärtigen Handels in Europa"349. Die Gefolgschaften des Feudaladels wurden aufgelöst, was seine unmittelbare soziale Autorität verminderte, und die bürgerlich geprägten Städte profitierten von der adligen „conspicuous consumption", so daß die Kinder der freigesetzten Gefolgsleute des alten Adels „became easy and independent in the great city, by furnishing to the extravagance of those under whose dominion they were born"350. Mit der Erschließung der Welt und der Verbreitung amerikanischen Silbers und asiatischer Luxusgüter in Europa gewannen Handel und Manufaktur in Westeuropa neue Qualität und Bedeutung, wurden zum Gegenstand der Politik und intensivierten den Prozeß der Kommerzialisierung der spätfeudalen Gesellschaft. Aber Steuart stellt klar, daß „der Reichtum von Amerika nicht die Ursache der Verfeinerung in Europa [war], sondern die Verbreitung der bürgerlichen Freiheit hat die Besitzer von Schätzen, nach denen es zu allen Zeiten die Menschen gelüstet, dazu gezwungen, ihre Schatzkammern zu offenen, um sich die Dienste deijenigen zu verschaffen, die früher einen Teil des Besitzes der Reichsten ausmachten. Dies ist die Grundlage des Handels und der Industrie"351. Und bei der Durchsetzung

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Ökonomische Schriften, hg. v. M. Kuczynski, Bd. II, 2 Teilbde., Berlin, 1976; W. Hofmann (Bearbeiter): Einkommenstheorie, 1. Teil, 2. Abschn.; ders.: Theorie der Wirtschaftsentwicklung, 1. Teil, 2. Abschn.; H. Reichelt: Die Physiokraten, in: Fetscher/Münkler (Hg.): Pipers HB, Bd. III, S. 579-87. Principles, Bd. I, S. 36. Siehe M.Weber: Die sozialen Gründe des Untergangs der antiken Kultur (1896), in: ders.: Gesammelte Aufsätze zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, hg. v. Marianne Weber, Tübingen, 2. Aufl., 1988, S. 292f. Principles, Bd. I, S. 59, auch das folgende. Ibid., S. 60, auch das folgende. Diese Passsage ist in Andrew Skinners Ausgabe der Principles ausgelassen, ich zitiere nach: J. Steuart: Untersuchung über die Grundsätze der Volkswirtschaftslehre, Jena, 3 Bde., 1913, Bd. II, S. 25f. Principles, Bd. I, S. 61. Steuart: Untersuchung über die Grundsätze der Volkswirtschaftslehre, Bd. II, S. 23f.

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der kommerziellen Gesellschaft spielte auch der Staat eine Rolle, indem er die autonom entstandenen Institutionen des Kommerz politisch sanktionierte und in einen staatlichen Rahmen einbaute. Der Statesman „must give a validity to mercantile operations, which have no name in his law-books: he must support the weak against the strong: he must reform the unwieldy procedure of the courts of justice: he must facilitate the sale of property: he must establish the credibility of merchants" books regularly kept: he must discourage frauds, and support fair dealing"352. Umgekehrt verändert die Durchsetzung der kommerziellen Gesellschaft auch die Bedingungen der Politik. „The great alteration in the affairs of Europe, within these three centuries, by the discovery of America and the Indies, the springing up of industry and learning, the introduction of trade and the luxurious arts, the establishment of public credit, and a general system of taxation", so Steuart, „have entirely altered the plan of government every where. From feudal and military, it is become free and commercial. I oppose freedom in government to the feudal system, to mark only that there is not found now that chain of subordination among the subjects, which made the essential part of the feudal form. The head there had little power, and the lower classes of the people little liberty. Now every industrious man, who lives with oeconomy, is free and independent under most forms of government"353. Damit macht Steuart die Kommerzialisierung als Kern der Zivilisationsentwicklung aus, die verschiedene politische Regimeformen erfaßt. Und unter modernen Bedingungen hängt auch die Militärkraft der Staaten von den „consequences and effects of commerce" ab, „that is, from the revenue of the state, proceeding from taxes". Hat die Marktökonomie historisch ihren Ausgangspunkt und ihre Basis in der Manufaktur und im internationalen Handel, so verallgemeinert sie sich im Laufe der Zeit, vermittelt durch Krisen des Außenhandels, die das Kapital in die innere Ökonomie umlenken. Damit erschließen sich dem Landed Interest neue Geldquellen, was nach Steuart auch eine kulturelle Umwälzung zur Folge hat, denn „when once the money usually employed in... foreign markets, comes to fall into the hands of landed men, they begin to acquire a taste for luxury. This taste is soon improved and extended by an infinity of arts, which employ the hands formerly taken up in furnishing the goods for exportation. Thus by degrees we see a rich, industrious, frugal, trading nation, transformed into a rich, ingenious, luxurious, and polite nation"354. Damit schließt der Prozeß der Verbürgerlichung ab. Auf Grundlage der freien Arbeit als ökonomisches Signum der Moderne stellt gesellschaftstheoretisch die persönliche Freiheit der Masse auch der Nichtbesitzenden eine tiefgreifende Umwälzung dar, die jedoch auch negative Seiten hat355. Dennoch ist der nostalgische Blick zurück, etwa auf eine idealisierte Antike, perspektivlos, weil eine Umkehr, „in our degenerate age", nicht praktikabel sei356. Auch ein „Agrargesetz" kann unter modernen Bedingungen nicht greifen, denn das Grundeigentum ist nicht länger die dominante Form des Reichtums, neben die spezifisch das moderne Monied Interest getreten ist357. Auch im Kontext der Einführung von Maschinen in die Manufaktur bekennt

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Principles, Bd. II, S. 438. Ibid., Bd. I, S. 24, auch das folgende. Ibid., S. 303. Ibid., S. 77. Ibid., S. 76. Ibid., S. 126.

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sich Steuart zur Irreversibilität der Moderne 358 . Wenn er an dem spartanischen Lebensmodell Vorzüge sieht359, etwa den eines von frühester Jugend an weitgehend vergemeinschafteten Lebens in kultureller Homogenität und Geselligkeit 360 , und bekennt, daß ein derartiges Leben glücklich genannt werden könne, so weiß er doch, daß dieses Glück für die Modernen unwiederbringlich verloren ist, weil die moderne Arbeitsteilung eine homogene Staatserziehung schlechterdings unmöglich macht. Weist die Moderne individuelle und soziale Freiheitsgewinne auf, so ist auf der anderen Seite die kommerzielle Gesellschaft auf politische Rahmenbedingungen gesteigerter Rationalität und Berechenbarkeit angewiesen, denn „in einem Staate, wo [Handel und Industrie] eingeführt sind, [muß] alles geregelt sein..., wenn nicht alles zugrunde gehen soll" 361 . Auch für die internationale Politik gilt, „keine kleine Provinz, ja nicht einmal eine ansehnliche Stadt", sei „ohne ein allgemeines Übereinkommen zwischen allen europäischen Mächten [zu] erobern", denn „abgesehen von der Ausdehnung ihres Kredits und von den Talenten ihrer Generäle und Räte ist alles, was sich auf die Macht bezieht, zu einem Gegenstande der Berechnung geworden". Die „kalkulierende Vernunft" des Staates wird so zum dominanten kulturellen Muster, ersetzt die traditionelle „Heroik". Der „Statesman" Die zum benevolenten Pater familias analoge politische Figur Steuarts ist der „Statesman", ein abstrakter Begriff für die souveräne Gewalt 362 , der aber sichtbar hält, daß auch noch in entpersonalisierten Regierungsformen das Regierungshandeln von der Persönlichkeit führender Staatsmänner abhängt. Außerdem unterstellt dieser Begriff eine Willenseinheit, die in Wirklichkeit nicht gegeben sein mag, die aber wünschenswert ist für die optimale politische Steuerung - ein idealisierendes Moment der Theorie also, das erlaubt, Steuarts Statesman einfach mit „Staat" zu übersetzen, der als einheitlich handelnder Akteur vorgestellt ist. Ein weiteres idealisierendes Moment dieses normativ angelegten363 Begriffs ist die Annahme der Orientierung des Statesman am Gemeinwohl 364 , an dem er sich auch messen lassen muß und auf das keine andere soziale Instanz zu verpflichten ist. „...a statesman must disregard many... attachments..., such as family, place of birth, and even, in certain cases, his native country. His duty... becomes relative to the general good of society of which he is the head" 365 . Wie aber das Problem der Verpflichtung der Staatsspitze auf das Gemeinwohl zu lösen sei, falle nicht in das Ressort der politischen Ökonomie 366 - eine Auskunft, die der heute verbreiteten Manier entspricht, theoretische Eleganz durch Departementalisierung, aber auf Kosten der Realitätstauglichkeit der Sozialwissenschaften zu erzielen. 358 359 360 361 362 363

Ibid., S. 125. Ibid., Buch 2, Kap. 14. Ibid., S. 222f.. Untersuchung über die Grundsätze der Volkswirtschaftslehre, Bd. II, S. 31, auch das folgende. Principles, Bd. I, Buch 1, Introduction, S. 16. Ibid., Bd. II, S. 708: „In my inquiries, I have constantly in my eye, how man may be governed, and never how he is governed". 364 Ibid., Bd. I, S. 333: „I always suppose his inclinations to be virtuous and benevolent", s. a. Bd. II, S. 708. 365 Ibid., Buch 1, Introduction, S. 11. 366 Ibid., S. 217.

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Der idealisierenden Annahme der Gemeinwohlorientierung des Staatshandelns korrespondiert auf Seiten der Bürger die methodisch generalisierte Annahme absoluter Selbstoder Privatinteressiertheit, die in „free Nations", in denen der Staat nicht mit Zwang regieren kann, sondern auf die freiwillige Mitwirkung der Bürger angewiesen ist, die Basis staatlicher Steuerungstätigkeit sein muß: „The principle of self-interest will serve as a general key to this inquiry; and it may, in one sense, be considered as the ruling principle of my subject, and may therefore be traced throughout the whole. This is the main spring, and only motive which a statesman should make use of, to engage a free people to concur in the plans which he lays down for their government" 367 . Natürlich weiß Steuart, daß das wirkliche Handeln der Menschen kaum je ausschließlich selbstinteressiert ist, fur Zwecke staatlicher Steuerung jedoch, die mit generalisierten Annahmen über Handlungsmotive Privater als Basis kalkulatorischer Prognosen ihres Handelns arbeiten muß, erscheint ihm dies als die sicherste Generalisierung, die einen pessimistisch-kalkulatorischen Sicherheitbereich einschließt. „The best way", demnach, „to govern a society, and to engage every one to conduct himself according to a plan, is for the statesman to form a system of administration, the most consistent possible with the interest of every individual, and never to flatter himself that his people will be brought to act in general, and in matters which purely regard the public, from any other principle than private interest" 368 . Steuart geht aber noch weiter und erklärt für wünschenswert, die wirkliche Motivlage der Bürger der methodisch-skeptischen Fiktion anzupassen, denn „Were public spirit, instead of private utility, to become the spring of action in the individuals of a well-governed state, I apprehend, it would spoil all... Public spirit, in my way of treating this subject, is as superfluous in the governed, as it ought to be all-powerful in the statesman". Demnach sollte eine klare Aufgabenteilung zwischen Privaten und Staat existieren, innerhalb derer die Privaten nur ihr Privatinteresse verfolgen, und ihr Handeln wird eben dadurch politisch kalkulierbar und steuerbar, während der Versuch der Privaten, in ihrem Privathandeln Gemeinwohlziele zu verfolgen, Verwirrung stiftete. Auf diese Art ergänzt Steuart das Gewaltmonopol des Staates durch ein Interpretationsmonopol des Staates bezüglich des Gemeinwohls. „I expect, therefore, that every man is to act for his own interest in what regards the public; and, politically speaking, every one ought to do so. It is the combination of every private interest which forms the public good, and of this the public, that is, the statesman only, can judge" 369 . Weil der Statesman eine institutionell über die Niederungen der Privatheit erhobene Position einnimmt, bildet er jene Instanz, die im Überblick die Privatinteressen zu einem kohärenten Gemeinwohlinteresse integrieren kann. Dieses Steuerungsmodell ist modern, insofern Steuart vom Selbstinteresse als dominanter Motivlage der Bürger ausgeht. Auf der anderen Seite ist es hinsichtlich der Rolle des Staates naiv und, politisch gewichtiger, absolutistisch im Sinne eines aufgeklärten Etatismus 370 . Aber das Modell ist schlüssig: wenn die Prämisse stimmt, daß das eigenwillige Handeln der Individuen sich nicht zum Gemeinwohl ordnet, denn dann ist eine Instanz nötig, die diese Ordnung organisiert, und es liegt nahe, diese Funktion und die Gemeinwohldefinition beim Staat zu konzentrieren. Und die

367 368 369 370

Ibid., Buch 2, Introduction, S. 142. Principles, Bd. I, S. 143, auch das folgende. Ibid., S. 143f. Siehe über zeitgenössische Modelle „aufgeklärten Absolutismus" L.Krieger: Kings and Philosophers, 1689-1789, NY/London, 1970, Kap.8-10.

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Folgefrage: Was ist, wenn der Statesman seiner Gemeinwohlverpflichtung nicht entspricht?, delegiert Steuart an die politische Theorie, weist aber darauf hin, daß in diesem Fall die fehlende Gemeinwohlorientierung des Staates durch eine gesellschaftliche Gemeinwohlorientierung zu kompensieren ist: „The less attentive any government is to do their duty, the more essential it is that every individual be animated by that spirit, which then languishes in the very part where it ought to flourish with the greatest strength and vigour; and on the other hand, the more public spirit is shewn in the administration of public affairs, the less occasion has the state for assistance from individuals. Now as I suppose my statesman to do his duty in the most minute particulars, so I allow every one of his subjects to follow the dictates of his private interest. All I require is an exact obedience to the laws"371. Das Problem dieser Position ist offensichtlich, ob das Umschalten der Privaten von einer prohibitiv privaten Orientierung im Normalfall auf politische Gemeinwohlorientierung im Falle der Korruption der „politischen Klasse" sicher gelingt oder ob nicht bereits im Normalfall realiter eher ein Mischungsverhältnis von Privatorientierung und Gemeinwohlorientierung anzusetzen ist, so daß das Problem lautet, Privatorientierung und Gemeinwohlorientierung gleichzeitig aufzubringen und miteinander zu vereinbaren, ohne die staatliche Steuerung zu durchkreuzen. Moderne Wirtschaftspolitik kann nicht betrieben werden, weiß Steuart, wenn die sozialen Verhältnisse im ganzen noch quasi-feudal überformt sind, denn der Staat riskiert zu scheitern oder die sozialen Verhältnisse zu destabilisieren372; damit sind Grenzen forciert-etatistischer Modernisierung angezeigt. Innerhalb dieser Grenzen sieht Steuart jedoch Handlungsraum für einen aufgeklärten Absolutismus im Dienste der Erweiterung sozialer Freiheit, die auch der Ökonomie zugute kommt. Er glaubt an die Möglichkeit eines modernen Absolutismus, der an seiner eigenen Aufhebung arbeitet. Generell ist der moderne Staat in seinen Interventionsmöglichkeiten durch mehrere, zum Teil widersprüchliche Tendenzen bestimmt: 1) Er ist kein Patrimonialstaat mehr, sondern Steuerstaat, und damit auf eminente Art von der gesellschaftlichen Reichtumsproduktion abhängig, so daß er genuin am Prosperieren der Ökonomie interessiert wird. Schon dieses ökonomische Abhängigkeitsverhältnis des Staates von der Sozialökonomie impliziert seine Subsumtion unter gesellschaftliche Interessen373. 2) Die wachsende gesellschaftliche Komplexität fuhrt nach Steuart - und hier liegt eine fundamentale analytische Differenz zu Smith - zu einer Erhöhung der Krisenanfalligkeit von Ökonomie und Gesellschaft. 3a) Diese erhöhte gesamtgesellschaftliche Komplexität hat weiterhin zur Folge, daß der Staat sich wirtschaftspolitisch in einem schwierigeren Umfeld bewegt374, und gleichzeitig macht sich die Abhängigkeit der Staatstätigkeit von, auch internationalen375, ökonomischen und gesellschaftlichen Prozessen fühlbar 376 . Daher wird der „mechanism of government" selbst ebenfalls komplexer und schwieriger zu handhaben377 sowie an-

371 Principles, Bd. I, S. 144f. 372 Ibid., S. 214, das folgende auf S. 216. 373 Ibid., S. 277. In einer kapitalistischen Gesellschaft daher Interessen des Kapitals, siehe hierzu etwa: J. O'Connor: Die Finanzkrise des Staates (1973), Ffin., 1974. 374 Principles, Bd. I, S. 292. 375 Ibid., S. 231. 376 Ibid., S. 217: Der Statesman „finds himself so bound up by the laws of his politcal oeconomy, that every transgression of them runs him into new difficulties". 377 Ibid., S. 76:,infinitely more difficult", auf S. 217 verwendet Steuart den Begriff der „Komplexität".

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falliger für Störungen, wie Steuart an der Analogie zur wachsenden mechanischen Komplexität von Maschinen verdeutlicht 378 . 3b) Andererseits jedoch stellt die erhöhte Krisenhaftigkeit der Gesellschaft gleichzeitig erhöhte Anforderungen an staatliche Steuerung. 4) Dem entsprechend werden die staatlichen Steuerungsressourcen verbessert, durch die Fundierung des Staates auf eine gesamtgesellschaftliche Steuerbasis, die Zentralisierung der Gemeinwohlkompetenzen beim Staat und die Entwicklung neuer Institutionen zur politischen Feinsteuerung. 5) Andererseits jedoch hemmt die allgemein freiheitliche Gesellschaftskonstitution der Moderne die staatliche Interventionsfahigkeit, und der Staat kann sich (abgesehen von der Familie) nicht mehr auf ein stabiles System gesellschaftlicher Herrschaftsverhältnissen stützen, sondern muß alle Bürger, auch die Masse des Volkes, als Freie behandeln und ihre Interessen respektieren. Für die Steuerungsform folgt daraus, daß der Staat wesentlich nicht nach dem Muster von Befehl und Gehorsam intervenieren kann, sondern von den Bedürfnissen und Interessen der Bürger ausgehen muß; er steuert indirekt, indem er massenhaft interessierte Reaktionen kalkuliert. Und während vormoderne Herrschaft wesentlich Herrschaft über Personen war, avanciert in der Moderne das Geld zum zentralen Steuerungsmedium und das Steuererhebungsrecht zum entscheidenden politischen Machtfaktor: „The prerogative of Princes in former times, was measured by the power they could constitutionally exercise over the persons of their subjects; that of modern princes, by the power they have over their purse" 379 . Die moderne Regierung ist daher im Vergleich zu feudalen Zuständen „milde" und durchrationalisiert. Sie tritt dem einzelnen Bürger nicht despotisch, als Willkürmacht gegenüber, in ihrer interventionistischen Durchdringung der Gesellschaft jedoch übt sie eine gegenüber vormodernen Zuständen bedeutend gesteigerte Eingriffsmacht aus: „So powerful an influence over the operations of a whole people, vests an authority in a modern statesman, which in former ages, even under the most absolute governments, was utterly unknown. The truth of this remark will appear upon reflecting on the force of some states, at present in Europe, where the sovereign power is extremely limited, in every arbitrary exercise of it, and where, at the same time, it is found to operate over the wealth of the inhabitants, in a manner far more efficacious than the most despotic and arbitrary authority possibly can do. It is the order and regularity in the administration of the complicated modern oeconomy, which alone can put a statesman in a capacity to exert the whole force of his people. The more he has their actions under his influence, the easier it is for him to make them concur in advancing the general good" 380 . Auf der anderen Seite jedoch gilt auch, daß „the power of a modern prince, let it be by the constitution of his kingdom, ever so absolute, immediately becomes limited so soon as he establishes the plan of oeconomy which we are endeavouring to explain. If his authority formerly resembled the solidity and force of the wedge..., it will at length come to resemble the delicacy of the watch, which is good for no other purpose than to mark the progression of time, and which is immediately destroyed, if put to any other use, or touched with any but the gentlest hand". Die moderne Ökonomie, „therefore, is the most effectual bridle ever was invented against the folly of despotism...".

378 Ibid., S. 217. 379 Ibid., S. 290, das folgende auf S. 216. 380 Ibid., S. 278f„ auch das folgende.

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Diese Theorie über die moderne Regierung bildet also eine mehrstufige dialektische These der Verschiebung von direkter auf indirekte Steuerung (Abschwächung der Interventionskraft) bei gleichzeitiger interventionistischer Durchdringung der Gesellschaft (Steigerung der Interventionskraft) und Steigerung der Komplexität staatlicher Steuerungsinstitutionen (Abschwächung der Interventionsgenauigkeit) parallel zur Steigerung gesellschaftlicher Komplexität und Krisenhaftigkeit (gesteigerte Anforderungen an die staatliche Steuerung). Die Moderation der politischen Gewalt durch die Einbettung in die moderne Marktökonomie betrachtet Steuart als einen objektiven Zwang 381 , der sich auf alle politischen Regimeformen gleichmäßig auswirkt. Ein moderner Absolutismus wird sich daher in wesentlichen Aspekten nicht von einer durch Marktprozesse getragenen Republik unterscheiden. Die Parallele zu Humes Theorie zivilisatorischer Konvergenz politischer Regime liegt offen. Steuart sieht gesellschaftliche Eingriffsgrenzen des Staates, die, mit Hegel zu sprechen, im Bereich der Sittlichkeit liegen. „The spirit of a people is formed upon a set of received opinions relative to three objects; morals, government, and manners: these once generally adopted by any society, confirmed by long and constant habit, and never called in question, form the basis of all laws, regulate the form of every government, and determine what is commonly called the customs of a country... and nothing is more necessary in government, than an exact attention to every circumstance peculiar to the people to be governed" 382 . Diese Auffassung entspricht modo grosso der Montesquieus, allerdings behauptet Steuart, ein aktiver Statesman könne negative Wirkungen der Geografie überdeterminieren 383 . Die von Hume herausgestellten politischen Institutionen integriert er andererseits in eine umfassendere, soziokulturelle Idee eines „Volksgeistes", wodurch er Einseitigkeiten der Kontroverse zwischen Hume und Montesquieu vermeidet. Der „Volksgeist", als spezifische Sittlichkeit, bildet das Milieu, in dem der Statesman zu wirken hat. Es wandelt sich autonom, aber langsam 384 , mit der Veränderung der Lebensverhältnisse 385 , und ihm gegenüber ist der Statesman das untergeordnete, wenngleich aktive Moment. Muß er sich dem „Volksgeist" anpassen, so kann er ihn doch in Grenzen und über längere Zeiträume hinweg auch modellieren, wobei die Erziehung der Jugend von zentraler Bedeutung ist386. Und für sein erfolgreiches Wirken benötigt der Statesman ein pauschal entgegenkommendes Verständnis auf Seiten der Bürger, die den Staatsaufgaben nicht gleichgültig gegenüberstehen sollen. In diesem Sinne versteht Steuart sein Buch als Beitrag zur Herstellung einer positiven öffentlichen Disposition gegenüber wirtschaftspolitischen Erfordernissen 387 . Fehlt diese Disposition, bestehen Vorurteile gegenüber einer sinnvollen Politik, so rät Steuart von Zwang ab und schlägt vor, jene unpopuläre Politik im Stillen zu verfolgen und an der Auflösung der Vorurteile zu wirken 388 . 381 Ibid., Buch 1, Introduction, S. 16. 382 Ibid., Buch 1,S. 22. 383 Siehe ibid., S. 45f. für die von Montesquieu übernommene These der geografisch bedingten ,.Faulheit" der Südländer; dagegen ibid., S. 238. 384 Ibid., Buch 1,S. 24. 385 „... the spirit of a nation changes according to circumstances", Ibid., S. 302. 386 Ibid., S. 251. 387 Ibid., S. 12. 388 S. a. ibid., S. 25: ,Jn every new step the spirit of the people should be first examined; and if this be not found ripe for the execution of the plan, it ought to be put off, kept entirely secret, and every method used to prepare the people to relish the innovation".

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Eine Beeinflussung Steuarts durch die absolutistische Staatsräson-Lehre389, die auf britischem Boden durchaus fremd wirkt und seiner Rezeption sicher geschadet hat, wird sichtbar, wenn er dem Statesman rät, „to consult the spirit of the people, to give way to it in appearance, and in so doing to give it a turn capable of inspiring those sentiments which may induce them to relish the change, which an alteration of circumstances has rendered neccessary"390. Eine kluge Staatsführung, stößt sie auf Widerstände der Sittlichkeit, treibt das passive Element der Nationalkultur unmerklich und unter Vermeidung von Widerständen und Verhärtungen an - ein gouvernemental-avantgardistisches, dabei nicht autoritäres Politikkonzept, das inhaltlich fortschrittlich gemeint sein kann, wie an verwandten zeitgenössischen Konzeptionen, etwa der Physiokratie, abzulesen ist391. Sicher aber steht es im Gegensatz zum politischen Denken der „Old Whigs" und der „Country"-Opposition, aber auch zur radikalen Bewegung. „Freiheit" definiert Steuart an einer Stelle als „Herrschaft des Gesetzes", als Abwesenheit von Willkür392. Damit ist wenig über den positiven Freiheitsgrad gesagt, da eine weitgehende Reglementierung des Lebens bis in den Privatbereich hinein mit dieser Bestimmung ebenso vereinbar ist wie etwa eine ständisch differenzierte. Konkreter erweist sich die Republik als freiere Regimeform, die die Entfaltung kommerzieller Aktivität begünstigt393, während sich die Monarchie soziopolitisch auf das „landed interest" stützt394 und den „Luxus" begünstigt. Eine dynamische Marktökonomie führt nun nicht nur zur Lockerung sozialer Herrschaft, sondern auch zu ausgeglicheneren Vermögensverhältnissen und schließt daher, nach der Maxime „Power follows Property", eine Tendenz zu republikanisch-demokratischen Regimeformen ein, wobei nach Steuart in erster Linie Immobilien gesellschaftlichen Einfluß verleihen, weniger das zirkulierende Kaufmannskapital395. Die antikisierenden Anhänger eines „Agrargesetzes" sollten jedenfalls eher für eine durch Luxuskonsum intensivierte Tauschwirtschaft eintreten, die unter modernen Bedingungen das geeignete Mittel ökonomischer Egalisierung sei, anstatt gegen Geldwirtschaft und Luxus zu polemisieren396. Die Kunst des Staatsmannes in diesem Prozeß besteht in der Bewahrung des monarchischen Moments als politischem Ruhepunkt einer sozialen Dynamik, die auf die Volksherrschaft verweist397. Dabei kann er sich auf die mit der Prosperität wachsende Steuerbasis stützen, die qua Patronage ein Gegengewicht gegen demokratisierende Tendenzen bildet398 - deutliche Anklänge an Überlegungen Humes. 389 H. Münkler: Im Namen des Staates; ders.: Staatsraison und politische Klugheitslehre, in: Fetscher/Münkler (Hg.): Pipers HB der politischen Ideen, Bd. III, Kap. I. 390 Principles, Bd. I, Buch 1, S. 26. 391 Siehe H. Reichelt: Die Physiokraten, in: Fetscher/Münkler (Hg.): Pipers HB, Bd. III, Kap. XI, S. 587; Schumpeter: Geschichte der ökonomischen Analyse, Bd. I, Teil II, Kap. 4, S. 290ff.; Hutchison: Before Adam Smith, Kap. 16; s.a. den Briefwechsel von Friedrich II mit Voltaire und d'Alembert, in: Friedrich der II von Preußen: Schriften und Briefe, Ffin., 1986, und Diderots Briefe aus Petersburg, in: D. Diderot: Briefe. 1742-1781, hg. v. H. Hinterhäuser, Ffin., 1984, Nrn. 169-177. 392 Principles, Bd. I, S. 206f., auch füür das folgende. 393 Ibid., S. 211, auch das folgende. 394 Principles, Bd. II, S. 601, auch das folgende. 395 Principles, Bd. I, S. 307. 396 Ibid., S. 316. 397 Ibid., S. 304. 398 Ibid., S. 307.

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Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik Erkenntnisziel von Steuarts Untersuchungen sind sozioökonomische Gleichgewichte, so wenn er nach dem richtigen Verhältnis zwischen landwirtschaftlicher Produktivität und Bevölkerungszahl fragt, nach dem zwischen Landwirtschaft und Gewerbe, Bevölkerungsentwicklung und Arbeitsnachfrage, Arbeitsangebot und Güternachfrage, Arbeitern und Rentiers, Binnenhandel und Außenhandel, Güterproduktion und Geldmenge399, Import und Export, Luxusproduktion, -export und Binnenkonsum, et cetera. Auch sein Denken über Gesellschaft und Politik ist an Gleichgewichten orientiert, die er an einer Stelle die „political balances of a modern state" nennt400. Dabei handelt es sich idealiter nicht um statische Gleichgewichte, sondern um dynamische Prozeßgleichgewichte von Wachstumsökonomien, denn „so soon as a state ceases to grow in prosperity, I apprehend it begins to decay both in health and vigour"401. Generell soll der Staat die wichtigsten politischen und ökonomischen Entwicklungen beobachten, ihre Konsequenzen einschätzen und besonders dort aktiv werden, wo wesentliche gesellschaftliche Interessen betroffen sind402, er soll vorausschauendes oder repratives Krisenmanagement betreiben. Generelles Ziel ist die Verstetigung des ökonomischen Prozesses, denn „All sudden revolutions are to be avoided"403. Und die eigentliche Staatskunst besteht nicht darin, einzelne Prozeßrelationen zu kontrollieren, sondern ihre Gesamtheit zu optimieren404. Hinsichtlich des Interventionstypus unterscheidet Steuart aktive, gestattende und schützende Wirtschaftspolitik405, und er geht damit deutlich über die bloß rahmensetzende Wirtschaftspolitik Smiths hinaus - am auffalligsten wohl im Bereich aktiver Industrie- und Beschäftigungspolitik. Betrachten wir Steuarts Behandlung einiger Politikfelder. Zunächst plädiert er nicht für ungehemmte Bevölkerungsvermehrung, denn zusätzliche Bevölkerung, die sich nur selbst reproduziert, kein Mehrprodukt erzeugt, ist „no advantage gained to the society"406, und gar jene Überschußbevölkerung, die keine Beschäftigung findet, schafft nur Probleme. Also denkt Steuart an eine Kontrolle der Bevölkerungsentwicklung, differenziert in bezug auf die verschiedenen Klassen der modernen Gesellschaft407 und auch in bezug auf die Regionen. Um die Reproduktion zu garantieren, kann der Staat nach Steuart ersatzweise auch als Aufzugs- und Erziehungsinstitution anstelle der Familien eintreten, indem er die Verbindung von Paaren ermutigt, die staatlich von der Kinderaufzucht entlastet werden408; es sind dies privilegierte Ehen unter staatlichem Schutz409. Die prima facie naheliegende Parallele zu Piatons Politeia410 trifft hier nicht, weil Steuarts Politik auf eine differenzierte Bevölkerungsreproduktion zielt, nicht auf kulturelle Zwangsvergemeinschaftung. Dennoch wird man sich den Hor399 400 401 402 403 404 405 406 407 408 409 410

Ibid., Buch 2, Kap. 27. Ibid., S. 310. Ibid., S. 110. Ibid., S. 122. Ibid., S. 291; S. 292. Ibid., S. 325. Ibid., Bd. II, S. 365. Ibid., Bd. I, S. 187. Ibid., Kap. 13 und S. 300. Ibid., S. 79. Ibid., S. 80. Sämtliche Werke, hg. v. W. F. Otto et al., Bd. 3, Hamburg, 1983.

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ror britischer Zeitgenossen über eine derartige staatliche Eingriffsmacht in den ideologisch privilegierten Privatraum der Familie vorstellen können, selbst wenn man die Stelle günstig auslegt und annimmt, Steuart unterstelle Freiwilligkeit auf Seiten der Eltern - bei besitzlosen Paaren ohne ökonomische Zukunft. Ein Rezensent der Principles, den Steuart in der zweiten Auflage selbst zitierte, warf ihm vor, „that such oeconomical principles would lead to regulations much too minute to be consistent with a just spirit of manly freedom and self-government in the common affairs of life", worauf Steuart antwortete: „The regulations I have been recommending, regard those only who cannot support their families without the assistance of the state. In vain do we look for self-government of manly freedom among such classes of inhabitants" 411 . Auch angesichts Kritik hielt er an einem staatlichen Paternalismus jedenfalls im Verhältnis zu den Armen fest. Im übrigen vertrat er die Auffassung, eine Bevölkerungsförderung durch staatliche Heiratspolitik sei besser als eine generelle Einbürgerungspolitik, die mit dem spezifischen Problem kultureller Integration konfrontiert ist412. Die Herstellung von Vollbeschäftigung ist für Steuart eine primäre, wenngleich schwierige Staatsaufgabe, und da die Landbevölkerung grundsätzlich als selbstversorgend gedacht ist, betrifft sie vor allem die „free hands" 413 . Diese Aufgabe ist nicht nur global, unter der Annahme absoluter Flexibilität der „freien" Arbeitskräfte zu lösen, sondern auch als regionale Beschäftigungsförderung. Aber die Bedeutung, die Steuart der Vollbeschäftigung beimißt, geht weit über volkswirtschaftliche Aspekte hinaus, denn seine „idea of a free and perfect society" impliziert einen „general tacit contract, from which reciprocal and proportional services result universally between all those who compose it" 414 , eine originelle Variante von Vertragstheorie, die inhaltlich mit den bekannten Vertragstheorien von Hobbes, Locke et altera wenig zu tun hat, denn es geht dabei weder um Staatsbegründung, noch um politischen Konsens, sondern um die Festigung der Gesellschaft durch wechselseitig-allseitige Verpflichtungen. Zwischen Individuum und Gesellschaft soll ein äquivalentes, ausgeglichenes, gerechtes Verhältnis geschaffen werden. „The political oeconomy of government is brought to perfection, when every class in general, and every individual in particular, is made to be aiding and assisting to the community, in proportion to the assistance he receives... Whenever therefore any one is found, upon whom nobody depends, and who depends upon every one, as is the case with him who is willing to work for his bread, but who can find no employment, there is a breach of the contract...". Der Vertragsbruch liegt hier nicht auf Seiten des Arbeitswilligen, sondern auf Seiten der Gesellschaft, die ihm keine Arbeit verschafft und ihm damit verwehrt, sich als gleichberechtigtes Mitglied der Gesellschaft zu erhalten. Und verantwortlich dafür, daß die Arbeit eines jeden nachgefragt wird, ist der Staat. Steuart postuliert daher eine Art „Recht auf Arbeit", das auch gegen den Widerstand und auf Kosten der Reichen zu realisieren ist415. Aktive Beschäftigungspolitik wird etwa nötig im Falle der Freisetzung von Arbeitskräften durch die Einführung von Maschinen 416 , 411 412 413 414 415

Principles, Bd. I, S. 81. Ibid., S. 86: „... to naturalize customs and foreign habits"; das folgende ibid.. Ibid., S. 39. Principles, Bd. I, S. 88, auch das folgende. Ibid., S. 240. Vgl. Hegel: Philosophie des Rechts. Vorlesung von 1819/20, S. 192; Avineri: Hegels Theorie des modernen Staates, S. 178ff. 416 Principles, Bd. I, Buch 1, Kap. 19.

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aber auch die Arbeitslosigkeit im Exportsektor als Folge von Schwankungen im Außenhandel ist interventionistisich aufzufangen 417 , wobei Steuart ebenso die Übergangsphasen zwischen dem Beginn einer Beschäftigungskrise und dem Greifen staatlicher Beschäftigungspolitik berücksichtigt und für begrenzte Zeiträume staatliches Nachfragemanagement akzeptiert - eine durchaus protokeynesianische Politik. Auch der keynesianische Gedanke staatlichen Zwangssparens findet sich bei Steuart, indem der Staat brachliegende Einkommensbestandteile zwecks Nachfragebelebung in die Ökonomie zurückpumpt, denn „taxes promote industry; not in consequence of being raised upon individuals, but in consequence of their being expended by the state; that is, by increasing demand and circulation... Every application of public money implies a want in the state; and every want supplied, implies an encouragement given to industry. In proportion, therefore, as taxes draw money into circulation, which otherwise would not have entered into it at that time, they encourage industry... It is no objection to this representation of the matter, that the persons from whom the money is taken, would have spent it as well as the state. The answer is, that it might be so, or not: whereas when the state gets it, it will be spent undoubtedly" 418 . In diesem Sinne fungiert der Staat als Motor der Zirkulation, indem er eine Nachfrageschwäche der Rentiers qua Besteuerung und Staatsnachfrage kompensiert 419 . Nicht zufallig knüpfte Keynes über die Phase der klassischen politischen Ökonomie hinweg an merkantilistische Ideen an 420 . Die Aufgabe der Beschäftigungssicherung schließt nach Steuart auch den Betrieb staatlich betriebener „Workhouses" ein, die möglichst kostengünstig und bei niedrigen Löhnen Produkte herstellen, die gesellschaftlich nützlich sind, temporär jedoch keine Nachfrage finden421, und hier überschreitet Steuart die Grenze zu einem frühen Staatssozialismus 422 - als untergeordnetes Moment einer dominant marktwirtschaftlichen Ökonomie. Der subsidiären staatlichen Beschäftigungspolitik bleibt dabei die Selbstverwaltung der Gewerbe vorgeordnet 423 , die aber die staatliche Letztverantwortung nicht aufhebt. Für die von der staatlichen Bevölkerungspolitik nicht erfaßte Überschußbevölkerung übernimmt der Staat keine Verantwortung, und sie bleibt daher privater Wohltätigkeit oder dem Elend überlassen424. Dagegen hat der Staat für die regulären Mitglieder der Gesellschaft auch jenseits der Arbeitsfähigkeit eine umfassende soziale Fürsorgepflicht; er soll „provide retreats of all sorts, for the different conditions of her decayed inhabitants: humanity, good policy, and Christianity, require it" 425 . Eine besonders schwierige wirtschaftspolitische Aufgabe ist die Entwicklungsförderung von infant industries, die in der Gründungs- und Entwicklungsphase international 417 418 419 420 421 422

Ibid., S. 240. Ibid., Bd. II, S. 725f. Siehe versch. Beiträge in: W. Weber (Hg.): Konjunktur- und Beschäftigungspolitik. Siehe Keynes: Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes, Kap. 23. Principles, Bd. I, S. 249. Siehe später etwa: Louis Blanc: Organisation der Arbeit, in: J. Höppner/W. Seidel-Höppner: Von Babeuf bis Blanqui. Französischer Sozialismus und Kommunismus vor Marx, 2 Bde., Leipzig, 1975, Bd. II, S. 327ff. 423 Steuart bezieht sich hier positiv auf die deutschen Zunftordnungen, siehe: Principles, Bd. I, S. 288; vgl.zum zeitgenössischen Kontext H. Jaeger: Geschichte der Wirtschaftsordnung in Deutschland, Ffin., 1988, Kap. I, hier S. 30f. 424 Principles, Bd. I, S. 93. 425 Ibid., S. 73.

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nicht konkurrenzfähig sind und deshalb gestützt werden müssen426. Allerdings soll sich kein Industriezweig auf Dauer hinter staatlichen Schutzmauern auf Kosten der Allgemeinheit bereichern; daher ist der Außenwirtschaftsschutz sukzessive im Verhältnis zur Lebensfähigkeit der betreffenden Industrie abzubauen, gemessen etwa an den erzielten Gewinnen, und ist in eine normale Konkurrenzsituation zu überführen. Das erfordert eine genaue staatliche Erfassung von Kostenstrukturen, Preisen und Gewinnraten, was wiederum durchgreifende staatliche Informationsrechte gegenüber Unternehmen und einen ökonomisch sachverständigen Staatsapparat voraussetzt. Ein verwandtes Steuerungsproblem existiert in bezug auf staatlich privilegierte Monopolgesellschaften427, deren volkswirtschaftlicher Nutzen in der leichteren Beschaffung der notwendigen Kapitalsummen fur große wirtschaftliche Projekte liegen kann, wobei das Staatsprivileg der Risikoabsicherung und der Vertrauensbildung für die Kapitalgeber dient. Aus dem Privileg leitet Steuart jedoch weitgehende staatliche Kontrollrechte ab, und sobald diese Gesellschaften aus der Verlustzone und der Phase unterdurchschnittlicher Gewinne in eine Zone überdurchschnittlicher Gewinne eintreten, hat der Statesman ihren volkswirtschaftlichen Nutzen gegen die negativen Folgen für die volkswirtschaftliche Konkurrenzsituation im ganzen abzuwägen sowie extreme Monopolgewinne abzuschöpfen. Bei autonom induzierten ökonomischen Konzentrations- und Monopoltendenzen, die nicht durch direkte Eingriffe aufzulösen sind, schlägt Steuart eine Strategie der Balancierung durch nach einem Begriff John Kenneth Galbraiths - „countervailing power"428 vor, indem die Wirtschaftsmacht der Gegenseite des Monopols staatlich begünstigt wird. Wenn, zum Beispiel, „the weavers oppress the spinners... methods may be fallen upon, if not by incorporating the last, at least by uniting their interests, so as to prevent a hurtful competition among them"429, sodaß an die Stelle der Konkurrenzökonomie sektoral ein Gleichgewicht von Kartellen tritt. Nötigenfalls soll der Staat aber auch selbst als Widerpart und Konkurrent unerwünschter Monopole ökonomisch tätig werden430. Der Luxuskonsum der Rentiers stellt einen bedeutenden Beitrag zur Nachfragestimulierung dar431. Steuart verzichtet auf eine moralische Bewertung des Luxuskonsums, den er ökonomisch einfach als Konsum von Waren oder Dienstleistungen jenseits des - ständisch gestuften und historisch variablen - Existenzminimums definiert432. Während der Luxus jedoch als Nachfrage die Produktion stimuliert, untergräbt er gleichzeitig die Arbeitskultur. Die naheliegende Antwort auf dieses Problem ist die Trennung der reichen Luxuskonsumenten von den arbeitsamen Luxusproduzenten433, die jedoch kaum vollstän-

426 Siehe ibid., Kap. 19, und die Gegenargumente von Smith: WN, Bd. I, S. 458. 427 Siehe: Principles, Bd. II, S. 391. 428 J. K. Galbraith: American Capitalism. The Concept of Countervailing Power (1952), Harmondsworth, 1968. 429 Principles, Bd. II, S. 395. 430 Principles, Bd. II, S. 395f. Siehe i. ü. zur modernen Konzentrations- und Monopolpolitik die Übersichten: J. Gotthold: Macht und Wettbewerb in der Wirtschaft, Köln, 1975; W.M.Breuer: Zur Politischen Ökonomie des Monopols. Einfuhrung in Probleme der Monopoltheorie, Köln, 1975. 431 Siehe Principles, Bd. I, Buch II, Kap. 20, bes. S. 268. 432 Ibid., S. 137. 433 Ideen dazu in einem frühen krisentheoretischen Kontext etwa bei Thomas Robert Malthus: Principles of Political Economy, gekürzt in: The Works and Correspondence of David Ricardo, hg. v. P. Sraffa, Bd. II, Cambridge, 1953, Kap. 7, Abschn. 3, bes. S. 326; vgl. Κ. Marx: Theorien über den Mehrwert, 3. Teil, 19. Kap., MEW, Bd. 26/3, Berlin, 4. Aufl., 1976, bes. S. 35ff.

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dig durchführbar ist und im übrigen das Verschwendungsmoment innergesellschaftlichen Luxuskonsums nicht aufhebt. Optimal wäre daher eine Politik, die die Luxusproduktion im Inland konzentriert, die Produkte und den Konsum in das Ausland verlagert, die Gewinne jedoch im Inland akkumuliert. Steuart sieht aber auch, daß die Nachfrage nach Luxusprodukten extrem instabil ist, weil sie von Moden abhängt, und der Statesman muß die Absatzwege hier besonders aufmerksam beobachten, denn eine nachlassende Auslandsnachfrage wird zur Umleitung der Produkte auf die Inlandsmärkte führen434. Dies ist eine der ökonomischen Ursachen der Korruption einer prosperierenden Gesellschaft, gegen die der Statesman sein Prestige einsetzen kann, um die „manners" in Richtung einer im ganzen sparsamen Lebensweise zu beeinflussen. Denn der ökonomische Prozeß ist eingebettet in eine dynamische Entwicklung der Mentalitäten und Lebensweisen, der „manners", die im Rahmen imitierender Prestigekonkurrenz die Handlungsziele der Individuen bestimmen. „The manners of a people, not their external circumstances as to riches", sagt Steuart, „are that which renders them frugal or extravagant"; und „Every class of a people has their peculiar spirit"435. Sein Beispiel ist die Verwandlung eines sparsamen Kaufmanns in einen standesgemäß verschwenderischen Grundbesitzer, denn es stünde „ten to one but the industrious and frugal merchant will put on the prodigal gentleman, the moment he gets into a fine country seat, and hears himself called Your Honour. In certain countries, the memory of past industry carries a dreg along with it, which nothing but expensive living has power to purge away". Zu dieser Tatsache sozialer Verhaltensregulierung durch schichtenspezifische „manners" (Sitten und Lebensstile) muß sich der Statesman doppelschichtig verhalten, indem er sie einerseits als Datum akzeptiert und seiner manipulativen Gemeinwohlstrategie zugrunde legt, sie andererseits aber auch selbst beeinflußt. Im Falle des Luxus denkt Steuart weniger an traditionelle „sumptuary laws", sondern an eine Strategie der Formung gesellschaftlicher Nonnen sparsamer Lebensführung und Ausgabenpolitik durch das Vorbild des Staates selbst436. Grundsätzlich geht Steuart von einer Marktregulation der Zinsrate aus, gesteht dem Staat jedoch ein Regulationsrecht zu, wenn der Markt unvollständig arbeitet und gesellschaftliche Ressourcen verschwendet werden437, so wie auch Smith unter gewissen Umständen einen Regulationsbedarf der Zinsrate sah438. Zur „Staatsschuld" argumentierte Steuart gelassener als Hume, aber auch er sah die Gefahr eines übergroßen politischen Einflusses des Monied Interest*3,9, der, wie jede sozioökonomische Gruppe, legitimen politischen Einfluß nur „in proportion to its consequence and weight"440 ausübt. Prononcierter als Hume sah Steuart aber auch die ökonomische und soziale Annäherung zwischen „landed" und „monied interest". Der interessanteste Gesichtspunkt von Steuarts Steuerdiskussion ist die Abwesenheit minimalistischer Grenzen der Staatstätigkeit, wenn er den Grundsatz formuliert: „If the money raised be more beneficially employed by the state, than it would have been by 434 435 436 437 438 439 440

Principles, Bd. I, S. 243. Ibid., Bd. II, S. 470, auch das folgende. Ibid., Bd. I, S. 244, s. a. S. 281, S. 298. Ibid., Bd. II, Buch 3, Kap. 5. WN, Bd. I, Buch 2, Kap. 4; D. Levy: Adam Smith's case for usury laws, ΗΡΕ, 1987: 19, S. 387-400. Principles, Bd. II, S. 637. Ibid., S. 638f., auch fur das folgende.

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those who have contributed it, then I say the public has gained, in consequence of the burden laid upon individuals; consequently, the statesman has done his duty, both in imposing taxes, and in rightly expending them" 441 . Die Besteuerung ist damit ausschließlich als ökonomisches Optimierungsproblem gefaßt, eine Position, die in deutlichem Gegensatz zu den durch Smith und später durch John Stuart Mill formulierten Staatsgrenzen steht. Smith kennt grundlegend nur drei begründete Aufgabengebiete des Staates, die gleichzeitig Staatsausgaben und daher Steuern legitimieren442, mit einer vierten Ausgabenart als Ergänzung: erstens Verteidigung, zweitens das Rechtswesen, drittens „publick Works and publick Institutions", die, „though they may be in the highest degree advantageous to a great society, are, however, of such a nature, that the profit could never repay the expence to any individual or small number of individuals should erect or maintain"44 , und viertens die monarchische Zivilliste444. Interessant ist natürlich vor allem die wenig eindeutige dritte Kategorie, aber Smith weist in einer sicher auch gegen Steuart gerichteten Polemik den Anspruch staatlicher Optimierung der Ökonomie eindeutig zurück, wenn er schreibt, daß „every system which endeavours, either, by extraordinary encouragements, to draw towards a particular species of industry a greater share of the capital of the society than what would naturally go to it; or, by extraordinary restraints, to force from a particular species of industry some share of the capital which would otherwise be employed in it; is in reality subversive of the great purpose which it means to promote. It retards, instead of accelerating, the progress of the society towards real wealth and greatness ... The sovereign is completely discharged from a duty, in the attempting to perform which he must always be exposed to innumerable delusions, and for the proper performance of which no human wisdom or knowledge could ever be sufficient; the duty of superintending the industry of private people, and of directing it towards the employments most suitable to the interest of the society"445. Daher räumt er auch dem Staat kein über die minimalen Staatsfunktionen hinausgehendes Besteuerungsrecht ein. John Stuart Mills Diskussion dieser Frage ist differenzierter446, aber auch er formuliert den Grundsatz, „to throw, in every instance, the burthen of making out a strong case, not on those who resist, but on those who recommend, government interference. Laisser-faire... should be the general practice: every departure from it, unless required by some great good, is a certain evil"447. Diese weitreichende Begründungspflicht fur Staatsinterventionen entfallt bei Steuart, der den Staat als Agent des Gemeinwohls und den Staatshaushalt als Motor der Zirkulation versteht. Krisenzyklen Steuart glaubt wie Hume an gesellschaftliche Entwicklungszyklen, die Wachstumsprozesse immanent begrenzen448, und die Kunst des Staatsmannes besteht in der Federung

441 442 443 444 445 446 447 448

Ibid., S. 709. Siehe: WN, Bd. II, Buch 4, Kap. 9, S. 687. WN, Bd. II, Buch 5, Kap. 1, Teil 3, S. 723. WN, Bd. II, Buch 5, Kap. 1, Teil 4, S. 814. WN, Bd. II, Buch 4, S. 687. Siehe: Principles of Political Economy, Buch 5. Ibid., Buch 5, Kap. 11, §7. Siehe etwa: Principles, Bd. I, S. 195f. .

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der Übergänge zwischen den Abschnitten dieser Entwicklungszyklen, im Nutzen der Chancen für Aufwärtsbewegung und in der Milderung der Auswirkungen der Krisen 449 . Dabei korrespondiert dem ökonomischen Zyklus ein Zyklus der Mentalitäten, der Arbeitsmoral sowie der Lebens- und Konsumgewohnheiten, „a kind of circulation of the spirit and manners of a people, who, under the government of able statesmen, may be rendered happy in every situation; and since, from the nature of man, no prosperity can be permanent, the next best thing... is to... yield to the force which cannot be resisted; and, by address and management, to reconduct a people to the height of their former prosperity, after having made them travel (as I may say) with as little inconvenience as possible, through all the stages of decline" 450 . Die Krise ist ebenso unvermeidlich und notwendig wie die Prosperität und ist politisch entsprechend zu behandeln; daher drängt sich ein politisches Denken in Begriffen typischer Zyklen auf. Die moderne Gesellschaft ist ökonomisch und politisch in die internationale arbeitsteilige Ökonomie eingebunden, und auch der Staat selbst bezieht seine Finanzen aus dem gesellschaftlichen Reichtum, der wesentlich aus dem internationalen Austausch gespeist ist. Eine positive Handelsbilanz, „an active foreign trade", wie Steuart spätmerkantilistisch formuliert, erscheint als Grundlage prosperierender Politik451; man muß den anderen mehr verkaufen, als man selbst bei ihnen kauft. Aber diese Politik ist nicht auf Dauer linear fortsetzbar, sondern neigt zu einer zyklischen Verlaufsform, die von einem „decent and comely beginning of industry"452 zu wachsender Prosperität führt, mit den Folgen Bevölkerungszunahme, wachsender sozioökonomischer Verflechtung und der Produktivitätssteigerung der Landwirtschaft. In diesem Stadium ist das Bild des Landes positiv: blühend, ohne Krisen, ohne Schwindelgewinne, ohne übermäßige Luxuskonsumtion, ohne Armut, mit hohem Beschäftigungsgrad, privater Sparsamkeit und einem hohen Exportanteil, der wesentlich auch Luxusprodukte einschließt. Die entscheidende Bedingung dieses Zustandes ist Wachstum, aber nicht einfach Wachstum der Inlandsökonomie, sondern wesentlich auch Wachstum der Auslandsmärkte, die in Steuarts ökonomischem Modell gleichsam als Ventil der inländischen Produktivitätsentwicklung fungieren. Nach Steuarts spätmerkantilistischer Profittheorie 453 findet Kapitalvermehrung durch Austausch statt. Der Produzent macht Gewinne, indem er an einen anderen zu einem Preis verkauft, der oberhalb der eigenen Kosten liegt. Das ist insoweit richtig, als akkumulierbare Gewinne nur erzielt werden können, wenn der Mehrwert durch Verkauf realisiert wird. Steuart überträgt diesen Gedanken auf die Volkswirtschaft als politischen Oikos und schließt, daß ein Land nur Kapital akkumulieren kann, wenn es in der Wertsummenbilanz mehr Produkte an das Ausland verkauft, als es vom Ausland bezieht, wenn es also eine positive Handelsbilanz erzielt. Bei wachsender Produktion muß daher der Auslandsabsatz proportional steigen, wenn die Wachstumsrate gehalten werden soll. Diese einfache Vorstellung beweist ihre Beziehung zur Kapitalakkumulation durch die Trennung von Produktion und Konsumtion, Produzenten und Konsumenten, denn die Produzenten werden als Kapitalakkumulateure vorgestellt, die anderen mehr verkaufen, als sie 449 450 451 452 453

Ibid., S. 196. Ibid., S. 338. Ibid., S. 180. Ibid., S. 180f„ auch flir das folgende. Eine knappe Auseinandersetzung findet sich in den Marxschen: Theorien über den Mehrwert, 1. Teil, 1. Kap.

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selbst konsumieren; sie benötigen Abnehmer, Konsumenten, ohne für diese in gleichem Maße Konsumenten zu sein. Und diese Abnehmer können nur Ausländer sein, wenn die Gesellschaft im ganzen akkumulieren und wachsen soll, denn sonst gingen die Profite des einen auf Kosten des anderen Inländers und würden sich im Ergebnis wechselseitig ausgleichen; es gäbe kein Wachstum. Im Inland muß daher eine Mentalität des Konsumverzichts herrschen, die ermöglicht, für die Konsumtion des Auslandes zu produzieren, während man selbst akkumuliert. Daß diese Überlegungen fehlerhaft sind, ist in interpretativer Perspektive nicht entscheidend. Jedenfalls folgt daraus eine Politik, die den Umschlag von Reichtum in Luxus im Inland zu unterbinden sucht. Das gesellschaftspolitische Globalziel des Statesman besteht daher in der Verbindung der „advantages of ancient simplicity" mit dem „wealth and power which attend upon the luxury of modern states"454. Die Grenzen dieses Wachstumsmodells liegen einerseits in der begrenzten Aufnahmefähigkeit der Auslandsmärkte, sie liegen aber auch in der wachsenden Schwierigkeit, die Inlandsproduzenten zu anhaltender Kapitalakkumulation zu veranlassen, denn mit stetig steigenden Gewinnen und steigendem gesellschaftlichem Reichtum wachsen die Versuchungen, einen größeren Teil der Gewinne für die Inlandskonsumtion abzuzweigen, und hier liegt das soziokulturelle Problem des Statesman. Wenn daher, „by the increase of their riches, luxury and extravagance take place of oeconomy and frugality among the industrious; when the inhabitants themselves foolishly enter into competition with strangers for their own commodities; and when a statesman looks coolly on, with his arms across, or takes it into his head, that it is not his business to interpose, the prices of the dextrous workman will rise above the amount of the mismanagement, loss, and reasonable profits, of the new beginners; and when this comes to be the case, trade will decay where it flourished most, and take root in a new soil"455. Mit anderen Worten: es droht der Verlust der internationalen Konkurrenzfähigkeit, jene Wende des Prozesses ökonomischer Prosperität, die auch Hume als mehr oder weniger unvermeidlich ansah. Mit dem Verlust der internationalen Konkurrenzfähigkeit verlagert sich dann, so Steuart weiter, der Absatz auf den Inlandsmarkt und bildet von dieser Seite her eine Tendenz zu konsumistischer Verfettung der Ökonomie - mit weiteren negativen gesellschaftlichen Folgen: „...cities swell in magnificence of buildings; the face of the country is adorned with palaces, and becomes covered with groves; luxury shines triumphant in every part; inequality becomes more striking to the eye; and want and misery appear more deformed, from the contrast; even fortune grows more whimsical in her inconstancy; the beggar of the other day, now rides in his coach; and he who was born in a bed of state, is seen to die in an alms-house. Such are the effects of great domestic circulation. The statesman looks about with amazement; he, who was wont to consider himself as the first man in the society in every respect, perceives himself eclipsed by the lustre of private wealth, which avoids his grasp when he attempts to seize it. This makes his government more complex and more difficult to be carried on; he must now avail himself of art and address as well as of power and authority"456. Die Stabilität der Sozialstratifikation löst sich auf, die politische Autorität wird in Frage gestellt, gesellschaftliche Gegensätze treten scharf hervor und die fur die moderne Gesellschaft charakteristische Prestigekonkurrenz der

454 Principles, Bd. I, S. 228. 455 Ibid., S. 205. 456 Ibid., S. 181.

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Reichen457 verschärft sich458, eine Abwärtsbewegung, die jedoch nicht unausweichlich ist, wenn die Politik rechtzeitig eingreift und die nicht akkumulierten Gewinne steuerlich abschöpft459, denn damit wird die Umleitung der Luxusproduktion auf die Inlandsmärkte verhindert, und gleichzeitig verstärkt der Staat seine eigenen Ressourcen und seine Stellung als gesellschaftliche Steuerungszentrale. Die Steuereinnahmen kann er für öffentliche Investitionen verwenden460, aber auch für staatliche Manufakturen461, die etwa beschäftigungslose Arbeitskräfte aus der nachfragegeschwächten Luxusproduktion in anderen Produktionszweigen in Arbeit bringen. Ökonomisch kompensiert er damit das Versagen der privaten Spar- und Akkumulationsneigung, und dieses Argument ist gegenüber Hume neu, der konsistent gegen die Appropriation des Sozialprodukts durch den Staat argumentierte. Aber im Kern geht es bei dieser Politik um die Aufrechterhaltung einer produktiven gesellschaftlichen Mentalität und übergeordnet um die Aufrechterhaltung des ökonomischen Wachstumsprozesses. Wenn wir daher diese - fragmentarischen - Überlegungen Steuarts als Krisentheorie interpretieren, einer Krise der Akkumulationsneigung bei anhaltend hohen Gewinnen, dann besteht das politische Problem in der Aufrechterhaltung eines Ethos der Akkumulation gegen die Versuchungen proportional wachsender Konsumneigung. Und an diesem Punkt sieht man, wie die republikanische Rhetorik vom Kreislauf der Verfassungen, der zunächst mit dem Zyklus soziomoralischer Korruption durch den Luxus verbunden wird, ideengeschichtlich in eine politökonomische Krisenanalyse einmündet, in der die politischen Regimeformen praktisch keine Rolle mehr spielen. Schluß Eine Schwierigkeit, Steuart gerecht zu werden, liegt in seiner modernen Manier methodischer Abstraktion, hier vor allem der Kontraposition eines vollständig benevolenten Statesman einerseits und vollständig privatisierter Subjekte andererseits, die in ihrer methodischen Radikalität neu ist. Ebenso charakteristisch ist Steuarts kontinental beeinflußter Staatsinterventionismus, der seine Konzeption „politizistisch" macht. Norbert Waszek hat die Interventionstheorie Steuarts dahingehend zusammengefaßt, „that interventionism only comes on to the scene when the mechanisms of the market have failed; a principle...to which Smith had happily subscribed"462. Diese Aussage mag abstrakt richtig sein, verdeckt jedoch die vitalen Differenzen zwischen Steuart und Smith, die unter „Marktversagen" durchaus anderes verstehen463. Waszek schreibt selbst etwas später, 457 458 459 460

Ibid., S. 184f. Ibid. Ibid., Bd. II, S. 382. Ibid., S. 381: „In order to have industry directed towards the object of public utility, the public, not individuals, must have the equivalent to give". 461 Ibid., S. 383: Der Statesman „then can set public works on foot, and by his example, inspire a taste for industry of a more rational kind, which may advance the public good and procure a lasting benefit to the nation". 462 The Scottish Enlightenment and Hegel's Account of „Civil Society", S. 186. 463 Ibid., S. 220f. argumentiert Waszek, Steuart sowohl als auch Smith und Hegel hätten die Notwendigkeit politischer Intervention zur Vermeidung von Friktionen (Beispiel: Arbeitslosigkeit) bei schnellen Anpassungsprozessen der Ökonomie gesehen. Für Steuart zitiert er ganz zutreffend das Beispiel der Induktion von Arbeitslosigkeit durch die Einfuhrung von Maschinen, für Smith einen Passus aus dem Wealth of Nations, der nicht etwa die Notwendigkeit von Staatsintervention aus Marktversagen

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Steuart „saw market failure everywhere or, at least, its dangerous possibility", und er zitiert seinen Vergleich der Marktökonomie mit einem komplexen Mechanismus, einer Uhr, deren bewegende Teile „are continually going wrong" 4 , woraus folgt, daß der Staat die Ökonomie in allen ihren Teilen minutiös zu überwachen und gegebenenfalls zu justieren hat. Richtig ist, daß Steuart wie Smith den Markt als unverzichtbare Basis der modernen Ökonomie betrachtete, aber welcher bedeutende Autor des 18. Jahrhunderts hätte etwas anderes vertreten? Kein britischer Autor des 18. Jahrhunderts hat, soweit ich sehe, die Alternative: „Staat oder Markt" diskutiert und sich für den Staat entschieden. Aber kaum ein Autor hat, in der zweiten Jahrhunderthälfte, dem Staat eine so weitreichende wirtschaftspolitische Kompetenz zugeordnet wie Steuart. Während Steuart den Staatsinterventionismus virtuell unbeschränkt denkt, begründet Smith einfache, prinzipiengestützte Limitierungen. Für diese Differenz sehe ich vor allem zwei Wurzeln, die im Bereich der Sozialepistemologie und des Naturrechts angesiedelt sind. Während Smith nämlich dem Staat schlicht die Kompetenz abspricht, die Ökonomie optimaler zu steuern als ein dezentrales Entscheidungsregime der Eigentümer und Wirtschaftssubjekte, unterstellt Steuart dagegen eine virtuell unbeschränkte Wissens- und Steuerungskapazität des Staates. Und dieser Differenz korrespondiert die auch von Waszek konstatierte umgekehrte Differenz hinsichtlich der autonomen Selbstordnungsfahigkeit der Marktwirtschaft, die Smith hoch veranschlagt, während Steuart eine krisenhafte Bewegungsform der modernen Ökonomie sieht, die politisch im Detail zu bearbeiten ist. Theoretisch noch gewichtiger scheint mir die Frage nach der Legitimität der Wirtschaftspolitik. Für Smith ist die Gerechtigkeit der gesellschaftliche Basiswert, denn jede Verletzung der Gerechtigkeit bedeute eine Destabilisierung von Gesellschaft. Der Staat legitimiert sich wesentlich als zentrale Institution, mittels derer die Gesellschaft die Gerechtigkeit wahrt. Und sicher stellt sich die Gerechtigkeit in einer bürgerlichen Gesellschaft als bestimmte Eigentumsstruktur dar, an die sich bestimmte Erwerbschancen knüpfen, woraus folgt, daß jeder Staatseingriff, der diese Erwerbschancen tangiert, allenfalls durch ein überragendes öffentliches Gut legitimiert werden könnte. Bei Steuart finden wir keine Reflektion dieser Frage, dafür aber eine Fülle politischer EingrifFsbegründungen in die Eigentumsstruktur, wenn dies zur Steuerung und Optimierung des Wachstumsprozesses opportun erscheint. Zurückhaltung der Politik begründet Steuart mit Klugheitsgründen, nicht mit Rechtsgründen. Eine - interessante - naturrechtliche Reflektion stellt lediglich das „Recht auf Arbeit" dar, das auch als paternalistische Selbstverpflichtung des Staates im Rahmen einer Schutz- und Versorgungsverpflichtung gegenüber den Bürgern aufgefaßt werden kann, die im Gegenzug politischen Gehorsam leisten. Moderne Wirtschaftsliberale könnten bei Steuart die Hybris des Wohlfahrtsstaates feststellen 465 , der aber nicht als demokratischer Staat konzipiert ist466. Gleichwohl kann Steuart unter

begründet, sondern der einen langsamen anstatt eines sprunghaften Rückzugs des Staates aus der Ökonomie vorsieht, eine Differenz, die in Waszeks Schlußfolgerung untergeht, „both Hegel and the Scottish economists thought it necessary that the government should intervene in order to prevent, or at least to mitigate the problem of unemployment". 464 Zit. n. ibid., S. 188. 465 Aspekte dieser Relation beleuchtet Ε. L. Khalil: Sir James Steuart vs. Professor James Buchanan: Critical notes on modern public choice, RSE, 1987: 45, S. 113-31. 466 Indiz dafür ist Steuarts Zurückweisung der These der „virtuellen Repräsentation", siehe: Observations on the new Bill for Altering and Amending the Laws which regulate the Qualifications of Freeholders, in: Works, Vol. V, S. 217 (Druckfehler, soll S. 271 sein).

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dem Gesichtspunkt der politischen Steuerungsform nicht als „Absolutist" gelten, denn er lehnt Zwang ab, der mit „modehier Freiheit" unverträglich sei, die aus der durch Steuart analysierten herrschaftssoziologisch emanzipativen Bedeutung des Äquivalententausches folgt. Also knüpft der Statesman an die Privatzwecke an, um doch Staatszwecke zu verfolgen, eine Steuerungsform, die ich als „manipulativ" bezeichne. Der Staat behält dabei das Monopol der Gemeinwohldefinition und überdeterminiert die Privatzwecke der Bürger. In eigentlich liberalen Staatstheorien setzen dagegen die Bürger die Zwecke, und der Staat fungiert lediglich als zentrale Serviceinstitution. Dem patemalistischen Verhältnis korrespondiert bei Steuart ein „schwacher" Freiheitsbegriff, der sich in der Anrufung der formalen „Herrschaft des Gesetzes" erschöpft. Hinsichtlich der Evolutionstheorie moderner Gesellschaft gehört Steuart zur schottischen Tradition, steht aber dem naturrechtlichen Moment und der Moralphilosophie der schottischen Aufklärung im ganzen fremd gegenüber. Anklänge an den moralischen Diskurs der zivilhumanistischen Tradition finden sich im Kontext der Theorie der Krisenzyklen. Indem er einen starken, wenngleich nicht repressiven Staatsbegriff vertritt, führt er einen kontinentalen politischen Diskurs nach Schottland ein und verhält sich im übrigen als Anhänger der ökonomischen Moderne relativ gleichgültig zur traditionellen Staatsformenlehre - in Nähe zu Hume. Steuart wird selten im Kontext der schottischen Aufklärung analysiert, und doch bilden seine Principles einen bedeutsamen Beitrag innerhalb dieses Spektrums: durch die Zentrierung der Gesellschaftstheorie in politischer Ökonomie, durch die Akzentuierung der gesellschaftlichen Folgen des Äquivalententausches, durch den Aufweis widersprüchlicher Wirkungen der Moderne hinsichtlich des Problems gesellschaftlicher Steuerung und negativ durch die Einführung eines etatistischen Diskurses in die schottische Diskussion. Donald Winch meint, Steuarts Principles „suffered in Smith"s eyes, not as is still sometimes claimed, as a result of its mercantilist tendencies, so much as for having been developed outside the philosophical framework that had come to inform discussions of political economy in Scotland during the second half of the eighteenth century - a framework that did not assume the existence, as Steuart did, of an omnipotent and all-knowing statesman or legislator"467. Mancher Leser Steuarts wird sich gefragt haben, ob nicht, wenn seine Annahme privater Egozentrik eine wirkliche Tendenz der modernen kommerziellen Gesellschaft ausdrückt, der korrespondierende Kryptoabsolutismus die logische Konsequenz darstellt. Wie immer man Steuarts Theorie bewertet, die in mancher Hinsicht aktuell wirkt - sein System mußte eine eminente Herausforderung fiir Smith darstellen, der Jahre vor dem Erscheinen des Buches von Steuart mit Vorarbeiten für den Wealth of Nations begonnen hatte.

467 Adam Smith: Scottish Moral Philosopher as Political Economist, in: Η. Mizuta/Ch. Sugiyama (Hg.): Adam Smith, S. 85-111, hier S. 91.

6. Adam Smith Lange Jahre war die Smith-Rezeption1 nicht nur in Deutschland durch die einseitige Wahrnehmung von Smith als „Begründer der Nationalökonomie" bestimmt2. Josef Schumpeter hat die Zeit von den späten 1790ger Jahren bis zur Komplettierung der Ricardoschen Ökonomie und ihrer Durchsetzung als leitendes Paradigma der englischen Sozialtheorie als klassische Phase der politischen Ökonomie bezeichnet3. Dugald Stewart hielt um 1800 in Edinburgh als einer der ersten Vorlesungen über „Politische Ökonomie"4, Thomas Robert Malthus besetzte zu Beginn des Jahrhunderts den ersten britischen Lehrstuhl für politische Ökonomie (am College der East India Company), 1821 wurde der „Political Economy Club of London" gegründet, in den 1830ger Jahren fand die politische Ökonomie Eingang in die englischen Traditionsuniversitäten und noch John Stuart Mills „Principles of Political Economy" von 1848 gehören in diese klassische Periode, in der das Bild von Adam Smith als ihr Begründer geprägt wurde, nicht ohne den Anspruch, über ihn hinausgekommen zu sein. Aber dieses Bild von Smith ist reduktionistisch und verdankt sich einer retrospektiven Betrachtungsweise, die durch selektive Rezeptionsmuster geprägt ist. Wenn die politische Ökonomie sich erst in ihrer klassischen Phase seit etwa 1800 zu einem eigenständigen, institutionell abgestützten und sozialtheoretisch hegemonialen Diskurs verdichtet hat, dann kann diese Rhetorik das Werk von Smith als ganzes nicht organisieren5. Auf dem Gebiet der ökonomischen Theoriegeschichte hat bereits Schumpeter die Wende vollzogen, Smith eher als Vollender älterer politökonomischer Ansätze zu analysieren denn als ersten Klassiker. „... ungeachtet dessen", schrieb er in seiner „Geschichte der ökonomischen Analyse", „was [Smith] von Vorgängern lernte oder nicht lernte, ist es eine Tatsache, daß der Wealth of Nations keine einzige analytische Idee oder Methode und kein analytisches Prinzip enthält, die im Jahre 1776 völlig neu gewesen wäre"6. Andrew Skinner konzediert diese Bewertung, fahrt je-

1 Eine kleine Rezeptionsgeschichte bietet: H. Mizuta: Conclusion, in: ders. /Ch. Sugiyama (Hg.): Adam Smith, S. 315-21. Siehe einführend: H. Reichelt: Adam Smith, in: Fetscher/Münkler (Hg.): Pipers HB der politischen Ideen, Bd. III, S. 588ff. Ich stütze meine Smith-Interpretation in erster Linie auf: J. M. Clark et al. (Hg.): Adam Smith, 1776-1926. Lectures to commemorate the sesquicentennial of the publication of the „Wealth of Nations" (1928), repr., NY, 1966; A. L. MacFie: The Individual in Society; A. S. Skinner/T. Wilson (Hg.): Essays on Adam Smith; D. Winch: Adam Smith's Politics; A. S. Skinner: A system of social science; K. Haakonssen: The Science of a Legislator; F. X. Kaufinann/H. G. Krüsselberg (Hg.): Markt, Staat und Solidarität bei Adam Smith, Ffin. /NY, 1984; R. F. Teichgraeber III: „Free Trade" and Moral Philosophy; G. Nonnenmacher: Die Ordnung der Gesellschaft, Teil D. 2 Einführend über Smith als Ökonom: P. Thal: Adam Smith (1723-1790), in: Adam Smith: Eine Untersuchung über das Wesen und die Ursachen des Reichtums der Nationen, hg. v. P. Thal, Bd. I, Berlin, 1963; H. C. Recktenwald: Einleitung des Herausgebers, in: A. Smith: Eine Untersuchung über das Wesen und die Ursachen des Wohlstands der Nationen, München, 1974; ders.: Adam Smith, in: J. Starbatty (Hg.): Klassiker des ökonomischen Denkens, 1. Bd., S. 134-55. Siehe zur frühen Rezeption in Deutschland: N. Waszek: Adam Smith in Germany, 1776-1832, in: H. Mizuta/Ch. Sugiyama (Hg.): Adam Smith, S. 163-80. 3 J. A. Schumpeter: Geschichte der ökonomischen Analyse, Bd. 1, Teil III, Kap. 1. Vgl. R. L. Heilbroner: The Worldly Philosophers, Kap. 3 über Smith; W. J. Barber: A History of Economic Thought, Teil 1. 4 Siehe seine „Lectures on Political Economy", CW, Bde. VIII u. IX. 5 Vgl. D. Winch: Adam Smith's Politics, Kap. 1: Introduction: The problem - the liberal capitalist perspective. 6 J. A. Schumpeter: Geschichte der ökonomischen Analyse, Bd. 1, S. 244f; auch W. L. Taylor: Francis Hutcheson and David Hume as predecessors of Adam Smith, betont die komparativen Verdienste von

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doch fort: „But what is important is the presence of a system; the fact that Smith gave political economy a distinctively analytical shape which was a dramatic step forward... Smith's contribution made it possible to proceed from one area of analysis to another in a clear and logical order"7. Auf der anderen Seite ist offensichtlich, daß Smiths ökonomische Theoriebildung nicht ausschließlich analytisch intendiert war. Die „politische Ökonomie" hat nach ihm zwei praktische Zielsetzungen, „first, to provide a plentiful revenue or subsistence for the people, or more properly to enable them to provide such a revenue or subsistence for themselves; and secondly, to supply the state or commonwealth with a revenue sufficient for the publick services. It proposes to enrich both the people and the sovereign"8. Damit gibt er dieser Wissenschaft einen distinkten praktischen Erkenntnisgegenstand, der weit entfernt ist etwa von der formalen Abstraktheit der oben angeführten Definition Lionel Robbins". Und auch in der Durchführung kennt Smith kaum materiale Grenzen, die aus einer Departementalisierung der Sozialwissenschaften resultieren würden, welche es zu seiner Zeit nicht gab. Die politische Ökonomie ist eine Teilwissenschaft in dem weiteren wissenschaftssystematischen Rahmen einer „science of a statesman or legislator"9. Trotz der Hinweise von Smith selbst auf diese wissenschaftssystematische Einbettung findet erst seit einigen Jahrzehnten eine umfassendere Rezeption seiner Theorien statt. Wesentlich inspiriert wurde diese umfassendere Rezeption durch ein „deutsches" Problem, dem auch in englisch so genannten „Adam-Smith-Problem", formuliert durch deutsche Gelehrte gegen Ende des letzten Jahrhunderts als Problematik eines angenommenen Konfliktes zwischen den (ethischen) Positionen des „Wealth of Nations" (WN) und denen der „Theory of Moral Sentiments" (TMS)10. Insofern Smith besonders auch in der deutschen Rezeption des 19. Jahrhunderts als Stammvater des Freihandelsprogramms des sogenannten „Manchester-Liberalismus", oder kurz: „Manchestertums", angesehen wurde", mußte die Entdeckung frappieren, daß dieser angebliche Propagandist rücksichtslos egoistischen Erwerbsstrebens im Rahmen moralentlasteter ökonomischer Konkurrenz eine eigene Moraltheorie publiziert hatte, die ihre Wurzeln unübersehbar in der antiken Ethik, insbesondere der Stoa12, und in der von Shaftesbury und Hutcheson initiierten MoraZ-Se/we-Philosophie hatte. Damit ist Smith in den Kontext älterer Traditionen praktischer Philosophie gerückt, die sich im 18. Jahr-

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Hutcheson und Hume; vgl. i. ü. J. H. Hollander: The dawn of a science, in: J. M. Clark et al. (Hg.): Adam Smith, S. 1 -21; T. W. Hutchisons: Before Adam Smith, ist die Standarddarstellung der ökono mietheoretischen Vorgeschichte des Wealth of Nations und seiner Bewertung im Kontext. A. S. Skinner: Adam Smith and his Scottish predecessors, in: P. Jones/A. S. Skinner (Hg.): Adam Smith Reviewed, S. 233; s. a. ders.: The Shaping of Political Economy in the Enlightenment, in: H. Mizuta/Ch. Sugiyama (Hg.): Adam Smith, S. 113-39. WN, Bd. II, S. 428, Buch IV, Introduction. WN, Bd. II, S. 428; siehe generell Haakonssen: The Science of a Legislator; weiterhin: D. Winch: Science and the Legislator: Adam Smith and after, EJ, 1983: 93, S. 501-20; ders.: Adam Smith: Scottish Moral Philosopher as Political Economist, in: H. Mizuta/Ch. Sugiyama (Hg.): Adam Smith, S. 85-111; A. S. Skinner: Ein System der Sozialwissenschaft, in: Kaufinann/Krüsselberg (Hg.): Markt, Staat und Solidarität bei Adam Smith, S. 74-94. Siehe die Einleitung von Walther Eckstein zur deutschen Ausgabe der Theory of Moral Sentiments: Theorie der ethischen Gefühle, S. LUIff., sowie die Einführung in: TMS, S. 20ff.; D. Lange: Zur sozialphilosophischen Gestalt der Marktwirtschaftstheorie bei Adam Smith, München, 1983, S. 14ff. Siehe Schumpeter: Geschichte der ökonomischen Analyse, Bd. II, S. 935, S. 1083. Siehe die Einfuhrung der Herausgeber, in: TMS, S. 5 ff.; N. Waszek: Two Concepts of Morality. A Distinction of Adam Smith's Ethics and its Stoic Origins, JHI, 1984: 45, S. 591-606.

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hundert schrittweise ausdifferenziert. Schon der Einfluß von Hutcheson als akademischer Lehrer auf Smith zeigt diesen nicht als einsames Genie - wie aus der im übrigen interessanten Smith-Interpretation des Leo-Strauß-Schülers Joseph Cropsey geschlossen werden könnte13, die im ganzen doch dem üblichen Verfahren dieser Schule entspricht, die Geschichte des menschlichen Geistes auf ihre einsamen Gipfelpunkte zu reduzieren14 -, sondern im engen, auch persönlichen Kontext der schottischen Aufklärungsbewegung15, was generell auch monographischen Ansätzen entgegenzuhalten ist16. Die gegenwärtige Diskussion über die Smith-Interpretation, wie ich sie verstehe, handelt wesentlich von der Frage der Verarbeitung und Transformation der zeitgenössischen Diskurse durch die schottische Aufklärung im allgemeinen und in den Smithschen Texten im besonderen. Auf diesem Wege kann man hoffen, der Versuchung von Projektionen α posteriori zu entgehen, der noch heute marktliberale Interpretationen erliegen, die Smith als Kronzeugen gegen den Sozialismus anrufen und damit eine ins Politikphilosophische gewendete ahistorische Freihandelskontroverse am Leben erhalten17. Die Befassung mit dem sogenannten „Adam-Smith-Problem" hat insofern zur Überwindung von Bomierungen des 19. Jahrhunderts beigetragen18, wobei es sich im Grunde um eine Wiederentdeckung zeitgenössischer Rezeptivität handelt, denn Smiths TMS war zeitgenössisch ein internationaler publizistischer Erfolg19, der erst im Laufe einiger Jahrzehnte hinter dem WN ver13 Polity and Economy. An Interpretation of the Principles of Adam Smith, The Hague, 1957; ders.: Adam Smith and political philosophy, in: A. S. Skinner/T. Wilson (Hg.): Essays on Adam Smith, S. 132-53; ders.: Adam Smith, in: History of Political Philosophy, hg. v. L. Strauss/J. Cropsey, Chicago/London, 3. ed., 1987; vgl. A. L. MacFie: Polity and Economy: An Interpretation of the Principles of Adam Smith by Joseph Cropsey, in: ders.: The Individual in Society, S. 126-9. 14 N. Tarcov: Pilosophy and History: Tradition and Interpretation in the work of Leo Strauss, Polity, 1983/4: 16, S. 5-29; B. Süsser: Leo Strauss: The antient as modern, PSt, 1988: 36, S. 497-514; St. Holmes: Wahrheiten fur wenige. Leo Strauss und die Gefährlichkeit der Philosophie, Merkur, 1990: 44, S. 554-69. 15 J. Dwyer: Adam Smith in the Scottish Enlightenment, in: Mizuta/Sugiyama (Hg.): Adam Smith, S. 141-61. 16 Siehe etwa D. Lange: Zur sozialphilosophischen Gestalt der Marktwirtschaftstheorie bei Adam Smith. 17 G. J. Stigler: Smith's Travels on the Ship of State, in: A. S. Skinner/T. Wilson (Hg.): Essays on Adam Smith, S. 237-46. Siehe i.ü. Schriften von Friedrich August Hayek: Individualismus und wirtschaftliche Ordnung; ders.: Freiburger Studien, Tübingen, 1969, dort bes.: Die Ergebnisse menschlichen Handelns, aber nicht menschlichen Entwurfs (1967); einzelne Essays in: K. R. Leube/A. H. Zlabinger (Hg.): The political economy of freedom. Essays in honor of F. A. Hayek, München/Wien, 1985; Schriften von Milton Friedman: Kapitalismus und Freiheit (1962), Ffin. /Berlin/Wien, 1984; ders. /R. Friedman: Chancen, die ich meine. „Free to Choose". Ein persönliches Bekenntnis (1979), Ffin. /Berlin/Wien, 1983; im Kontext analysiert Smith in dieser Perspektive: L. Robbins: The theory of economic policy in English classical Political Economy (1952), Philadelphia, 2. ed., 1978. 18 Beiträge zum sog. „Adam-Smith-Problem" sind: G. R. Morrow: Adam Smith: Moralist and Philosopher, in: J. M. Clark et al. (Hg.): Adam Smith, S. 156-79; H. Medick: Naturzustand und Naturgeschichte der bürgerlichen Gesellschaft, S. 171 ff.; T. Wilson: Sympathy and Self-Interest, in: T. Wilson/A. S. Skinner (Hg.): The Market and the State. Essays in Honour of Adam Smith, Oxford, 1978, S. 73-99; R. Teichgraeber III: Rethinking Das Adam Smith Problem, in: J. Dwyer et al (Hg.): New Perspectives on the Politics and Culture of Early Modern Scotland, S. 249-64; M. L. Myers: The Soul of Modern Economic Man, Kap. 8 und 9; L. Dickey: Historicizing the „Adam Smith problem": conceptual, historiographical, and textual issues, JMH, 1986: 58, S. 579-609; H. G. Nutzinger: Das System der natürlichen Freiheit bei Adam Smith und seine ethischen Grundlagen, Ökonomie und Gesellschaft, 1991; A. S. Skinner: Adam Smith: ethics and self-love, in: P. Jones/A. S. Skinner: Adam Smith reviewed, S. 142-67. 19 Erstausgabe: 1759, 2. Aufl. 1761, frz. Übersetzung 1764, 3. Aufl. 1767, dtsche. Übersetzung (Chr. G. Rautenberg) 1770, 4. Aufl. 1774, 2. frz. Übersetzung 1774/5, 5. Aufl. 1781, am. Ausgabe

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schwand, der keineswegs sofort, sondern erst seit etwa 1790 seine diskursive Kraft entfaltete20. Das Wissenschaftssystem Wenn man Smiths Werk betrachtet, wie es sich seit der Glasgow-Edition vor etwa 20 Jahren darstellt21 - das heißt insbesondere nach der Publikation einer zweiten Vorlesungsmitschrift von Smiths Lectures on Jurisprudence der frühen 1760ger Jahren22 -, dann zerfällt es in drei Schwerpunkte: die Moralphilosophie23, die Rechtslehre24 und die politische Ökonomie25; hinzu kommen Reflektionen über Wissenschaftstheorie26, über Sprache27 und über Literatur28. Im ganzen konvergieren diese theoretischen Bemühungen Smiths in einem Projekt, das mit den essayistischen Ansätzen Humes zu einer Zivilisationsgeschichte verwandt ist und sich an der Leitfrage der Herkunft und Dynamik der „commercial" und „civilized society" orientiert. Dieses Projekt hat Smith jedoch nur in Teilbereichen ausgeführt. Smith, dem eine Neigung zum Dozieren selbst in privater Konversation nachgesagt wurde29, lag offenbar die von Hume bevorzugte literarische Form des Essay nicht, darüber hinaus stellte er sich bewußt in die schottische Tradition akademischer Moralphilosophie, und daraus ergibt sich eine im Vergleich zu Hume im ganzen ungleichgewichtigere Werklage. Dort jedoch, wo Smith die Ausführung seines Wissenschaftsprogramms gelungen ist - insbesondere im Falle des WN - geht er weit über Hume hinaus. Dagegen bleibt die Theory of Moral Sentiments im wesentlichen eine Weiterführung der Dikussionen von Hutcheson, Hume, Kames et altera30.

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1781, 6. Aufl. (letzter Hand) 1790, 2. dtsche. Übersetzung (L. T. Kosegarten) 1791; Angaben nach W. Eckstein, in: A. Smith: Theorie der ethischen Gefühle, S. XXVff., und: TMS, ed. intra., S. 25ff.; s. a. R. F. Teichgraeber III: „Free Trade" and Moral Philosophy, Preface, S. XHf. ; N. Waszek: Adam Smith in Germany, 1776-1832, in: H. Mizuta/Ch. Sugiyama (Hg.): Adam Smith, S. 163-80. Siehe R. F. Teichgraeber III: „Less abused than I had reason to expect": The Reception of the Wealth of Nations in Britain, 1776-90, HJ, 1987: 30, S. 337-66, sowie: Donald Winch: The Burke-Smith Problem and late Eighteenth-Century Political and Economic Thought, HJ, 1985: 28, S. 231-47. The Glasgow Edition of the Works and Correspondence of Adam Smith. LJ(B); siehe Enzo Pesciarelli: On Adam Smith's Lectures on Jurisprudence, Scott. JPE, 1986: 33, S. 74-85, sowie, mit Ausblick auf den Einfluß: John W. Cairns: Adam Smith's Lectures on Jurisprudence: Their Influence on Legal Education, in: H. Mizuta/Ch. Sugiyama (Hg.): Adam Smith, S. 63-83. Smiths Moralphilosophie im engeren Sinne diskutiert V. Hope: Virtue by Consensus. Smith im Kontext der Naturrechtstradition interpretieren: H. Medick: Naturzustand und Naturgeschichte der bürgerlichen Gesellschaft, Kap. 6; K. Haakonssen: The Science of a Legislator; ders.: What might properly be called natural jurisprudence?, in: R. H. Campbell/A. S. Skinner (Hg.): The origins and nature of the scottish enlightenment; Duncan Forbes: Natural law and the Scottish enlightenment, ibid. ; P. Stein: Legal Evolution, S. 29ff. Siehe Jerry Evensky: The evolution of Adam Smith's views on political economy, ΗΡΕ, 1989: 21, S. 123-43. Adam Smith: Essays on Philosophical Subjects, Glasgow Edition, Bd. III; W. P. D. Wightman: Adam Smith and the history of ideas, in: A. S. Skinner/T. Wilson (Hg.): Essays on Adam Smith, S. 44-67. Siehe bes.: A. Smith: Considerations concerning the first Formation of Languages (1761), in: ders.: Lectures on Rhetoric and Belles Lettres, Glasgow Edition, Bd. IV, hg. v. J. C. Bryce, Indianapolis, 1985. Siehe bes. die: Lectures on Rhetoric and Belles Lettres. D. Stewart: Account of the Life and Writings of Adam Smith, in: A. Smith: Essays on Philosophical Subjects, S. 330. Siehe TMS, ed. intro., S. ΙΟίϊ.; siehe zu dieser Kontinuität auch Ν. Waszek: Man's Social Nature, über Smith, Kap. 4.

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Die Frage jedoch nach dem theoretischen Status der einzelnen Werkteile ist damit nicht beantwortet und ist aus der Rekonstruktion des Smithschen Wissenschaftssystems zu gewinnen, die umstritten ist. Eine neuere Kompromißformel ist die von Richard Teichgraeber ΙΠ, der sich auf die Schlußsätze der Theory of Moral Sentiments und ihre Revokation in Smiths Advertisement zur sechsten Auflage von 1790 beruft - sicherlich das letzte Wort Smiths zu seinen Intentionen als Autor: „In the year of his death, Smith stated explicitly that his grand intellectual design was to have fashioned a moral philosophy with three overlapping systems: the Theory [of Moral Sentiments] at one end, the political economy of the Wealth of Nations at the other, and an account of law and government that would pull both ends into one coherent system of thought"31. Diese Formulierung ist ungenau. Eine Rekonstruktion des Smithschen Wissenschaftssystems kann von dem Hinweis auf die wissenschaftssystematische Einbettung der politischen Ökonomie als Teil einer umfassenderen „science of a statesman or legislator" ausgehen32. Welche Gegenstände ordnet Smith dieser Wissenschaft außer der politischen Ökonomie zu? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir uns jenseits des WN umsehen, naheliegend in den Lectures on Jurisprudence. In der Vorlesungsmitschrift von 1762/63 definiert Smith danach „Jurisprudence" als die „theory of the rules by which civil governments ought to be directed"33, und als Aufgaben der Regierung unterscheidet er: 1. „to maintain justice", worunter insbesondere die Wahrung der Eigentumsgrenzen fallt, sowie 2. „promoting the opulence of the state"; diese Aufgabe bezeichnet Smith als „police", sicher analog zur deutschen Bezeichnung „Polizei" im Sinne des 18. Jahrhunderts34. „Whatever regulations are made with respect to the trade, commerce, agriculture, manufactures of the country are considered as belonging to the police". Darunter fällt offenbar die politische Ökonomie als angewandte Staatswissenschaft. In der Einleitung zum zweiten Teil der Lectures über „Police" präzisiert Smith ihren Gegenstand durch die Auflistung von „three things: the attention paid by the public to the cleanlyness of the roads, streets, etc.; 2^, security; and thirdly, cheapness or plenty..."35, was deutlich macht, daß „Police" mehr umfaßt als politische Ökonomie, die aber ihren wesentlichen Teil bildet. An dieser Stelle benennt Smith als Bestandteil der Rechtslehre neben „Justice" und „Police" als dritte Kategorie „Arms", „which comprehends the state of the military force at home, that is, the management of the militias and standing army...". In der 1766 datierten Vorlesungsmitschrift leitet Smith seine Vorlesungen mit einem Abschnitt über Naturrechtssysteme ein und definiert Jurisprudence dort als „that science which inquires into the general principles which ought to be the foundation of the laws of all nations"36, eine For31 „Free Trade" and Moral Philosophy, S. XHIf. Siehe jedoch ibid, S. 4: „The architecture of Smith's thinking was that of „moral philosophy" in the broad classical sense. ... his goal was that of a moral philosopher: to coordinate these systems [Ethik, Ökonomie und Politik] in a unified philosophy". Damit stimme ich überein. 32 Siehe zum folgenden die Beiträge von Skinner und Krüsselberg, in: F. X. Kaufmann/H. G. Krüsselberg (Hg.): Markt, Staat und Solidarität bei Adam Smith. 33 LJ(A), S. 5, auch das folgende; siehe zur Smithschen Jurisprudenz: P. Stein: Adam Smith's Theory of Law and Society, in: R. R. Bolgar (Hg.): Classical Influences on Western Thought A. D. 1650-1870, Cambridge, 1977. 34 Siehe immer noch: Η. Maier: Die ältere deutsche Staats- und Verwaltungslehre. 35 LJ(A), S. 331, auch das folgende. 36 LJ(B), S. 397.

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mel, die nicht auf internationales Recht abhebt, sondern auf einen philosophisch reflexiven Status der Jurisprudenz als Wissenschaft gegenüber den positiven Rechtssystemen. In der Theory of Moral Sentiments wird dazu ausgeführt: „Every system of positive law may be regarded as a more or less imperfect attempt towards a system of natural jurisprudence, or towards an enumeration of the particular rules of justice" 37 . „Natural Jurisprudence" ist demnach eine Wissenschaft, die als historisch informierte normative Rechtsphilosophie zu den positiven Rechtssystemen (wie dem von Blackstone systematisierten englischen Recht) in einem Spannungsverhältnis steht: „Systems of positive law..., though they deserve the greatest authority, as the records of the sentiments of mankind in different ages and nations, yet can never be regarded as accurate systems of the rules of natural justice" 38 . Im zweiten Abschnitt definiert Smith „Jurisprudence" als „theory of the general principles of law and government" und benennt als die vier Gegenstände der Gesetzgebung: „Justice, Police, Revenue, and Arms", eine Auflistung, ie sachlich an der entsprechenden Stelle der Vorlesung von 1762/63 bereits erschien und das dortige Dreierschema, durch „Revenue" ergänzt, zu einem Viererschema umformt. Unter „Police" subsumiert Smith erneut „the opulence of a state". Blickt man nun auf den Inhalt des WN, dann ergibt sich, daß dort „Police" (jedenfalls zum Teil), „Revenue" sowie „Arms" - letzteres als Bestandteil des Staatshaushaltes - behandelt werden. Daraus ergibt sich, daß für Smith das Recht die umfassendere Kategorie gegenüber der Politik ist; es determiniert die Regierungstätigkeit. Sachlich ist daher der WN, die politische Ökonomie, in der Jurisprudenz enthalten. Eine Bestätigung für diese Auffassung bietet das Advertisement zur Ausgabe letzter Hand von 1790 der TMS. Dort bezieht sich Smith auf sein Versprechen vom Schluß der Erstausgabe, „to give an account of the general principles of law and government...; not only in what concerns justice, but in what concerns police, revenue, and arms, and whatever else is the object of law. In the „Enquiry concerning the Nature and Causes of the Wealth of Nations", I have partly executed this promise; at least so far as concerns police, revenue, and arms"39. Von den vier Bestandteilen der Jurisprudence sollen im WN drei zumindest teilweise abgehandelt sein. Es fehlt die „theory of jurisprudence". Smith stimmt mit anderen schottischen Moralphilosophen überein, die Tugend der Gerechtigkeit als soziale Basistugend zu betrachten40 und zivilisatorischen Fortschritt wesentlich am Kriterium der Verwirklichung von Gerechtigkeit zu messen. Insofern kann argumentiert werden - wie Knud Haakonssen, Duncan Forbes et altera tun -, daß die besonders durch Hume entdogmatisierte Naturrechtsrhetorik der sogenannten „natural jurisprudence" das Smithsche Oeuvre trägt. Daneben finden sich jedoch auch Elemente des „civic humanism" 41 , und im ganzen bleibt auch die Rechtslehre in einen übergreifenden Rahmen praktischer Philosophie eingebunden. 37 38 39 40

TMS, S. 340. Ibid., S. 341. Ibid., S. 3. Siehe ibid., S. 86, S. 340. Spätestens seit den Arbeiten von Knud Haakonssen kann die Feststellung im Text als trivial gelten. D. D. Raphael allerdings wendet sich dagegen, aus dieser Feststellung eine Hierarchie der Tugenden bei Smith abzuleiten, siehe ders.: Adam Smith 1790: The man recalled, the philosopher revived, in: P. Jones/A. S. Skinner (Hg.): Adam Smith reviewed, S. 93-118, hier S. 106. 41 Siehe bes.: D. Winch: Adam Smiths Politics; ders.: Adam Smith's „enduring particular result": a political and cosmopolitan perspective, in: Hont/Ignatieff (Hg.): Wealth and Virtue, S. 253-69; ders.: Adam Smith als politischer Theoretiker, in: F. X. Kaufmann/H. G. Krüsselberg (Hg.): Markt, Staat und

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Wie ist also das Verhältnis der Rechtslehre zur Moralphilosophie? Hierzu findet sich am Schluß der Theory of Moral Sentiments die Aussage: „The two useful parts of moral philosophy...are Ethics and Jurisprudence..." 42 . Und nach einer glaubwürdigen Aussage von John Miliar waren Smiths Vorlesungen über Moralphilosophie seit den frühen 1750ger Jahren in die Abteilungen: 1. „Natural Theology", 2. „Ethics", und 3. „...that branch of morality which relates to justice" gegliedert 43 , wofür wir kurz „Jurisprudence" setzen können. Im WN schreibt Smith im Zusammenhang früherer Versuche moralphilosophischer Systematisierung: „The maxims of common life were arranged in some methodical order, and connected together by a few common principles, in the same manner as they had attempted to arrange and connect the phenomena of nature. The science which pretends to investigate and explain those connecting principles, is what is properly called moral philosophy" 44 . Damit liefert er eine allgemeinere Formulierung, die gleichzeitig den Gegensatz zur Naturphilosophie und deren ideengeschichtliche Priorität anzeigt. Schließlich finden wir hier auch eine knappe Charakterisierung der Logik als die „science of the general principles of good and bad reasoning", die selbst wiederum das Ergebnis von Kritikprozessen im Bereich der Natur- und Moralphilosophie sein soll 45 . Mithin konstituieren die oberste Ebene von Smiths Wissenschaftssystem, gleichzeitig eine ideengeschichtliche Abfolge ausdrückend: Naturphilosophie - Moralphilosophie - Logik. Die Moralphilosophie zerfallt in: Natural Theology - Ethik/Moraltheorie - Jurisprudence Die Jurisprudence zerfallt in: Justice - Police - Revenue - Arms, wobei die politische Ökonomie anscheinend Teile von Police, Revenue und Arms umfaßt, jedenfalls wenn man nach dem Inhalt des WN geht, wie Smith selbst ihn charakterisierte. Es scheint, daß hier ein anderes Ordnungsprinzip ins Spiel kommt, das an der praktisch-politischen Zielsetzung der „Opulence" orientiert ist, die Smith durch Wohlfahrtskriterien definiert 46 . Damit ist auch demonstriert, wie wenig verselbständigt die politische Ökonomie im Rahmen des Smithschen Wissenschaftssystems noch war. Die Theory of Moral Sentiments ist deutlich als ethisch-moralphilosophischer (im engen

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Solidarität bei Adam Smith, S. 95-113; ders.: Adam Smith and the liberal tradition, in: K. Haakonssen (Hg.): Traditions of liberalism, S. 83-118; Ν. Phillipson: Adam Smith as Civic Moralist, in: Hont/Ignatieff (Hg.): Wealth and Virtue, S. 179-202; J. Robertson: Scottish political economy beyond the civic tradition: government and economic development in the „Wealth of Nations", HPT, 1983: 4, S. 451-82; John Dwyer: Virtue and improvement: the civic world of Adam Smith, in: P. Jones/A. S. Skinner: Adam Smith reviewed, S. 190-216; dagegen: Ε. J. Harpham: Liberalism, Civic Humanism, and the Case of Adam Smith, APSR, 1984: 78, S. 764-73. TMS, S. 340. Ibid., ed. intro., S. 2. WN, Bd. II, S. 769. Ibid., S. 770. LJ(A), S. 343: „That state is opulent where the necessaries and conveniencies of life are easily come at... ". Zur Abgrenzung von Smiths Position gegen Rousseaus, siehe: Μ. Ignatieff: Smith, Rousseau and the republic of Needs, in: T. C. Smout (Hg.): Scotland and Europe. 1200-1850, Edinburgh, 1986, S. 187-206.

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Sinne) Traktat zu verstehen, auch wenn es durch die Behandlung der Kardinaltugend der „Gerechtigkeit" Übergänge zur Rechtsphilosophie gibt. Eine wissenschaftssystematische Schematisierung, wie die gerade vorgenommene, kann nicht zu weit getrieben werden, da sie pedantisch und absurd wird, wenn die notwendigen Verbindungen zwischen den Wissenschaftsabteilungen zerschnitten werden. Sie kann jedoch im Falle von Smith dazu dienen, die Situierung der beiden publizierten Hauptwerke in seiner Wissenschaftssystematik deutlich zu machen, die nämlich auf bestimmte Weise, an verschiedenen Orten, in ein überliefertes System akademischer praktischer Philosophie eingebunden und fundamental in diesem Kontext zu verstehen sind, an dem Smith offensichtlich von den 1750ger Jahren, vom Beginn seiner akademischen Tätigkeit, bis zu seinem Tode verbindlich festhielt47. Vor diesem Hintergrund kann die Frage nach dem „Adam-Smith-Problem" neu gestellt werden 48 . Dazu gehe ich wie jedermann davon aus, daß Smith - wie Hume, Kames und Steuart - selbstinteressiertes Handeln für grundlegend in modernen kommerziellen Gesellschaften hält: „Every man is, no doubt, by nature, first and principally recommended to his own care; and as he is fitter to take care of himself than of any other person, it is fit and right that it should be so" 49 . Insofern dies Gesellschaften von Fremden sind, die wesentlich nüchterne Geschäftsbeziehungen unterhalten, bilden sich auf der Basis dieser elementaren Selbstinteressiertheit, die einen natürlichen egozentrischen Bias erzeugt, Sozialbeziehungen, die auf den individuellen Nutzen gerichtet sind und sich im Modell des wechselseitig nützlichen Vertrages zusammenfassen, dessen Beteiligte sich jenseits des Vertragsgeschäftes relativ gleichgültig sind. „Society may subsist among different men", schreibt Smith in der TMS, „as among different merchants, from a sense of its utility, without any mutual love or affection; and though no man in it should owe any obligation, or be bound in gratitude to any other, it may still be upheld by a mercenary exchange of good offices according to an agreed valuation" 50 . Das ist der paradigmatische (wenn auch nicht erschöpfende) Fall der staatswissenschaftlichen Perspektive des WN. Anders in der TMS, wo Smith soziales Handeln nicht gleichsam „von oben", von der Politik her betrachtet, sondern „von innen", aus der ethisch-moralischen Perspektive der Individuen, die in eine Vielzahl qualitativ unterschiedlicher, vor allem auch unterschiedlich „starker" oder „naher" Sozialbeziehungen eingebunden sind. Von diesem Standpunkt aus betrachtet, ist der ökonomische Umgang mit Fremden, die paradigmatische ökonomische Beziehung der modernen kommerziellen Gesellschaft, nur ein Fall unter anderen51 - und vom Standpunkt des Individuums sicher nicht der wichtigste. Subjektiv wichtiger sind die sozialen Beziehungen zu den - mit George Herbert Mead zu sprechen - „signifikanten anderen", an denen das Individuum sich orientiert, an deren Vorbild und Einfluß es seine sozialen Normen gewinnt, von deren Zustimmung oder Ablehnung es emotional abhängt52. Verschwindende Beziehungen mit Fremden ko-

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Siehe A. S. Skinner: The development of a system, in: ders.: A System of Social Science, S. 104-29. Siehe Streminger: Markt, Motive, moralische Institutionen. Zur Philosophie Adam Smiths, AGP, 1992. TMS, S. 82. Ibid., S. 86. Siehe schon Alec MacFie 1967: Adam Smith's „Moral Sentiments" as Foundation for his Wealth of Nations, in: ders.: The Individual in Society, S. 75. 52 Siehe: G. H. Mead: Geist, Identität und Gesellschaft; siehe zu Mead: Η. Joas: Praktische Intersubjektivität. Die Entwicklung des Werkes von George Herbert Mead (1979), Ffin., 1989; ders.

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existieren mit intensiven emotionalen Bindungen, wobei der erstere Typus historisch mit der Durchsetzung und Verallgemeinerung der modernen kommerziellen Gesellschaft zunimmt. Dennoch erweist sich die im Rahmen ökonomischer Theoriebildung sinnvolle (und von Steuart methodisch durchgeführte) Abstraktion der Sozialbeziehungen auf einen paradigmatischen Typus sozialer Distanz als homogene Motivation des modernen Menschen aus der ethischen Binnenperspektive als Reduktionismus ausdifferenzierter Sozialbeziehungen im Spektrum von der Intimität starker emotionaler Bindung bis hin zu weitgehender Gleichgültigkeit. Diese Diversität und ihre individuelle Integrierbarkeit bildet ein Zentralproblem der TMS, die Frage nämlich, wie das Individuum die divergenten Ansprüche aus den qualitativ unterschiedlichen Sozialbeziehungen miteinander vereinbaren kann, wie es richtige soziale Normen und moralische Prinzipien - auch: Gewissen - bildet, die für diese qualitativ unterschiedlichen Sozialbeziehungen gültig sind, und wie es letztlich in diesen komplexeren Sozialbeziehungen emotionale Stabilität gewinnt53. Das sogenannte „Adam-Smith-Problem" erweist sich also als Scheinproblem einer asymmetrischen Komplementarität emotional ausdifferenzierter sozialer Beziehungen. Entwicklung moralischer Kompetenz Smith nimmt Hutchesons Idee konzentrischer Kreise von innen nach außen abnehmenden emotionalen Engagements der Individuen auf54. Diese Bindung beruht auf dem sympathetischen Prozeß der Einnahme der Position anderer, ein Vorgang, der durch Reiteration und Dauer intersubjektiv in Emotionen umgeformt wird. „What is called affection", schreibt Smith, „is in reality nothing but habitual sympathy"55. In einer reflexiven Erweiterung wird die gewohnheitsmäßige Übernahme einer fremden Perspektive dann auf das Individuum selbst zurückgewendet und diese distanzierte Selbstbeobachtung fixiert sich schließlich in einem fiktiven durchschnittlichen anderen, dem „impartial spectator"56. In der Ausarbeitung dieses Konzeptes besteht Smiths Hauptbeitrag zur Mora/-Se«se-Philosophie, die das von Knud Haakonssen als „moral realism" bezeichnete57 Überschreiten rationalistischer Ansätze möglich macht, das sich besonders an der Kritik des Sozialvertrages festmacht, die Smith wie andere Schotten im Anschluß an Hume reproduziert58. Die Aufgabe der generalisierten Annahme vernunftkontrollierter Sozialbeziehungen und ihre Ersetzung durch den soziopsychologischen Prozeß der „Moral Senti-

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(Hg.): Das Problem der InterSubjektivität. Neuere Beiträge zum Werk George Herbert Meads, Ffm., 1985; Parallelen zwischen der schottischen Moralphilosophie und dem „symbolischen Interaktionismus" diskutiert: S. Shott: Society, self, and mind in moral philosophy, JHBS, 1976. Vgl. die Diskussion von Hiroshi Mizuta: Moral philosophy and civil society, in: A. S. Skinner/T. Wilson (Hg.): Essays on Adam Smith, S. 114-31. Siehe für Smith: TMS, S. 219ff.; siehe hierzu: R. Nieli: Spheres of Intimacy and the Adam Smith Problem, J W , 1986: 47, S. 611-24. TMS, S. 220. Siehe zum „Impartial Spectator": A. L. MacFie: The Impartial Spectator, in: ders.: The Individual in Society, S. 82ff.; D. D. Raphael: The Impartial Spectator, in: Skinner/Wilson (Hg.): Essays on Adam Smith, S. 83-99; J. T. Young: Natural Morality and the Ideal Impartial Spectator, IJSE, 1992: 19, Nrs. 10/11/12, S. 71-82. K. Haakonssen: Natural Law and Moral realism: The Scottish Synthesis, in: M. A. Stewart (Hg.): Studies in the Philosophy of the Scottish Enlightenment, argumentiert am Beispiel Hutchesons. Siehe bes.: LJ, S. 315ff., S. 402ff.

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ments" ermöglicht insbesondere eine differenziertere Analyse der abgestuften emotionalen Bindungen der Sozialbeziehungen modemer Gesellschaften. Aber Smith ist kein moderner Soziologe und entwickelt daher seine Theorie der Ethik der modernen Gesellschaft im normativen Rahmen der tradierten Tugendlehren. Ich will untersuchen, wie sich dies in der Theory of Moral Sentiments darstellt59. Der Mensch hat einen egozentrischen Bias, was Gesellschaft an sich problematisch macht; die geringste Beeinträchtigung von Ego hat größere Gemütsbewegungen zur Folge als die Nachricht vom Tode Tausender Fremder 60 . Existenziell ist der Mensch daher ursprünglich von allen anderen isoliert, weil sich ihm die Welt so darstellt, als sei er ihr Mittelpunkt; in gewisser Weise arbeitet Smith mit einer ins Psychologische gewendeten Naturzustandsthese. Aber der Mensch ist auch ein soziales Wesen, dessen Sozialität sich wesentlich in seiner Imaginationsfahigkeit manifestiert, also darin, daß er sich spontan imaginativ in die Position eines anderen versetzt. Diese spontane Tendenz, die geschult und ausgebildet werden kann und einem historisch-evolutionären Prozeß unterliegt, nennt Smith - Hume folgend - „Sympathy" (als Begriff im folgenden stets in diesem Sinne zu verstehen) oder „fellow feeling" 61 . In einem reflexiven Akt erweitert der Mensch das „fellow feeling" zur Selbstbetrachtung durch die Augen der anderen 62 , und daraus folgt: er möchte von den anderen geliebt werden, wie er sich selbst liebt. Wenn es in Wirklichkeit niemanden gibt, der es beachtet, existiert gleichsam das Individuum sozialimaginativ nicht und diese Nichtexistenz ist, wenn überhaupt, schwer zu ertragen63. Also strebt der Mensch nach der Aufmerksamkeit der anderen, und nicht wenige soziale Pathologien sind sicher darauf zurückzufuhren, daß Menschen selbst den Haß und die Verachtung anderer in Kauf nehmen, solange sie nur beachtet werden und dem sozialimaginativen Tod entrinnen. Aber der Mensch will nicht nur beachtet werden, sondern er strebt nach Anerkennung und Zuneigung. Dieses Streben nach „approbation", oder nach „general sympathy and attention" 64 bildet den Ausgangspunkt der Überlegungen Smiths, die profund intersubjektiv und empirisch fundiert angelegt sind. Wie aber passen Egozentrik und existenzielle Isolierung mit dem Streben nach Anerkennung durch andere zusammen? Indem die egozentrischen Verzerrungen der Weltwahrnehmung interaktiv wechselseitig abgeschliffen werden und eine mittlere Position erreicht wird.

59 Siehe generell: A. L. MacFie: Adam Smith's Theory of Moral Sentiments, in: ders.: The Individual in Society; K. Haakonssen: Science of a Legislator, Kap. 3; V. Μ. Hope: Virtue by Consensus, Kap. 5; Η. Shinohara: The Practical System of Morality in Adam Smith, in: H. Mizuta/Ch. Sugiyama (Hg.): Adam Smith, S. 27-42. 60 TMS, S. 136f.; s. a. A. S. Skinner: Adam Smith: ethics and self-love, in: Jones/Skinner: Adam Smith reviewed, S. 142-67. 61 T. Wilson: Sympathy and Self-interest, in: ders. /Skinner (Hg.): The Market and the State; Burke: A Philosophical Enquiry, benutzt den Begriff Sympathy identisch, Teil 1, Abschn. XIII. 62 TMS, S. 11 Of. 63 Vgl. Ε. Burke: A Philosophical Enquiry, S. 40. In einer Rundfiinkdiskussion 1953 führte Max Horkheimer aus: „Im neunzehnten Jahrhundert hatten die Menschen eine bestimmte Angst vor allem: die Angst vor der Armut. Im Mittelalter hatten die Menschen eine bestimmte Angst: die Angst vor der Hölle. Heute ist diese Angst... nicht mehr so klar zentriert... Heute haben die Menschen die unbewußte Angst davor, isoliert zu sein, nicht mehr zu irgendeiner Gruppe, zu irgend etwas zu gehören", T. W. Adorno et al.: Die Menschen und der Terror, in: M. Horkheimer: Gesammelte Schriften, Bd. 13: Nachgelassene Schriften. 1949-1972, hg. v. G. SchmidNoerr, Ffin., 1989, S. 144. 64 TMS, S. 57.

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Ein Betroffener und ein bloßer Zuschauer reagieren unterschiedlich auf dieselbe Situation, aber indem der Betrachter sich in die Situation des Betroffenen versetzt65, der andererseits seine Affekte auf ein Maß reduziert, das für den Betrachter nachvollziehbar ist66, können die beiden in ihrer affektuellen Wahrnehmung eine Übereinstimmung erreichen, die eine innere Befriedigung in sich trägt, weil sie die emotionale Isolierung des Individuums überwindet. Diese These der immanenten Befriedigung emotionaler und moralischer Übereinstimmung ist spezifisch für Smiths Moralphilosophie und wurde bereits zeitgenössisch kritisch kommentiert67. „Sympathy" bietet insofern den Weg, die ursprünglichen Affektasymmetrien abzumildern. Aber es wird eine Differenz des Erlebens bestehen bleiben68, denn das Wissen des Betrachters, das er nicht betroffen ist, wird sein Mitempfinden stets abschwächen. Dennoch kann die Übereinstimmung nach Smith so weit reichen, „as is sufficient for the harmony of society"69. Im umgekehrten Fall, wenn dem Betroffenen ein besonderes Glück widerfährt, erfaßt uns dies emotional nicht so stark wie das Leid, weil das Glücksgefühl selbst weniger stark („violent") ist. Auf der anderen Seite jedoch zieht uns das Glück und das Glücksempfinden an, so daß wir uns lieber und leichter imaginativ in den Glücklichen hineinversetzen, an dessen Glück wir ein Stück weit affektuell partizipieren. Beim Leid verhält sich die Sache umgekehrt70; es bedroht daher die soziale Harmonie, als gefühlsmäßige Übereinstimmung gefaßt, stärker. Unter Freunden kann der beschriebene affektuelle Ausgleichungsprozeß leichter stattfinden, während sich der Betroffene in Gegenwart von Fremden stärker zurückhalten muß, um den Ausdruck seiner Affektlage ihrer von vornherein distanzierteren Empfindungslage anzupassen. In einem weiteren Analyseschritt baut Smith die zwei-Personen-Konstellation (Betroffener und Betrachter) in eine drei-Personen-Konstellation um, die sich mit dem Fall der Legitimität einer aggressiven Reaktion auf Rechtsverletzungen befaßt. „Proper resentment for injustice attempted, or actually committed, is the only motive", stellt Smith fest, „which, in the eyes of the impartial spectator, can justify our hurting or disturbing in any respect the happiness of our neighbour"71. In diesem Fall ist der Betrachter gespalten zwischen dem Mitempfinden mit demjenigen, der sich rächt, und mit dem Objekt der Rache. Der Rächer muß sich hier besonders zurückhalten, weil er spontan, d.h. unabhängig von der vorhergehenden Rechtsverletzung, als der Friedenstörer erscheint. „Before resentment... can become graceful and agreeable, it must be more humbled and brought down below that pitch to which it would naturally rise, than almost any other passion" 72 . Denn „too violent a propensity to [hatred and resentment] renders a person the object of universal dread and abhorrence, who, like a wild beast, ought, we think, to be hunted out of all civil society"73. Andererseits aber hat der Betrachter auch 65 TMS, S. 21. 66 Ibid., S. 22. 67 Siehe D. R. Raynor: Hume's Abstract of Adam Smith's THEORY OF MORAL SENTIMENTS, JHP, 1984: 22, S. 51-79; Brief Humes an Smith v. 28. 7. 1759, in: Correspondence, sowie Smiths Antwort in der Note: TMS, S. 46; s. a. die Kritik von Adam Ferguson: Principles, Bd. II, S. 124-6. 68 TMS, S. 22. 69 Ibid. 70 Siehe zu dieser Differenzierung ibid., Teil I, Abschnitt III, Kap. I. 71 Ibid., S. 218. 72 Ibid., S. 34. 73 Ibid., S. 40.

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kein Verständnis für ein Verhalten nach Art der christlichen Bergpredigt 74 , und die zivilisierte Lösung liegt wieder in der reflexiven Selbstbeobachtung durch die Augen der anderen, der Zuschauer: „We should resent more from a sense of the propriety of resentment, from a sense that mankind expect and require it of us, than because we feel in ourselves the furies of that disagreeable passion" 75 , wodurch die ursprüngliche Kraft des Racheaffekts moderiert wird. Den unbeteiligten Zuschauer nennt Smith den „cool", „impartial", oder „indifferent spectator". Er stellt gleichsam die höchste Instanz des sympathetischen Prozesses dar, der in Analogie zu einem Gerichtsverfahren gedacht werden kann, in dem streitende Parteien und Anwälte einem unparteiischen Richter gegenüberstehen. Es sind jedoch nicht immer „real spectators" zugegen, oder ihre Meinungen sind nicht feststellbar, daher sind wir zur sozialen Selbstkontrolle unseres Verhaltens darauf angewiesen, uns einen fiktiven, durchschnittlichen oder idealen „impartial spectator" vorzustellen, eine Gedankenfigur, mittels derer wir unser Verhalten stellvertretend fur unsere soziale Umwelt distanziert beurteilen. Diese Gedankenfigur wird mental als feste Größe installiert, indem wir nicht nur im Einzelfall, sondern habituell imaginativ die Position eines unparteiischen Dritten einnehmen, dessen Urteile wir auf Prinzipien gründen, die im Laufe der Zeit aus dem Vergleich unseres eigenen Urteils mit dem der realen anderen (der „real spectators") gewonnen werden 76 . Zweck ist stets, „to restrain our selfish, and to indulge our benevolent affections" 77 , wie von Hutcheson vorgedacht. So stellt sich Smith die Bildung des elementaren Mechanismus moralischen Urteilens vor. Indem wir uns nicht nur im Urteilen, sondern auch in unserem Handeln durch den prinzipiengestützten „Impartial Spectator" leiten lassen, hoffen wir auf die moralische Zustimmung der anderen, „praise". Da aber die anderen nicht in uns hineinsehen können, sondern unser Handeln nach den äußeren Folgen beurteilen, besteht die Möglichkeit, daß sie uns zu Unrecht preisen oder verurteilen. Wir selbst dagegen betrachten unser Handeln aus den Tiefen der Motivation heraus, womöglich objektiviert in der Position des „Impartial Spectator", und diese Selbstbeobachtung führt unabhängig vom tatsächlichen moralischen Urteil der Umwelt zum Streben nach „praise-worthiness" und zur Gewissensbildung 78 , die eine höhere Stufe moralischer Vergesellschaftung ist, die wohl in allen Menschen angelegt ist, aber nicht allgemein realisiert wird. Erst wenn Ego in Beurteilung des eigenen Verhaltens vom Standpunkt des idealen „Impartial Spectator" das eigene Verhalten vorbehaltlos gutheißen kann, erreicht der gewissenhafte Mensch eine innere Befriedigung, die abgelöst ist vom tatsächlichen Urteil der Umwelt 79 . Dabei ist die Orientierung des Verhaltens an „Praise-worthiness" zwar moralisch wertvoller als die Orientierung an „Praise", sie beinhaltet aber womöglich immer noch ein Moment von „Vanity", dann nämlich, wenn der Ruhm und die Taten, die zu Ruhm führen, aktiv aufgesucht werden. Moralisch einwandfrei und zwingend ist dagegen die negative Vermeidung von „Blame-worthiness" als Bedingung jener „tranquility of the mind", die eine große innere 74 75 76 77 78 79

Ibid., S. 34f. Ibid., S. 38. Ibid., Teil III, Kap. IV. Ibid., S. 25. Vgl. I. Kant: Eine Vorlesung über Ethik, hg. v. G. Gerhardt, Ffin., 1990, S. 64. Siehe: TMS, Teil III, Kap. II und III; zum folgenden: V. Hope: Smith's Demigod, in: ders. (Hg.): Philosophers of the Scottish Enlightenment, S. 157-67.

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Befriedigung in sich trägt80. Mit diesem Übergang zur Gewissensbildung verselbständigt sich unser Verhalten gegenüber dem Urteil unserer unmittelbaren sozialen Umwelt ein Stück weit, und es kann sein, daß wir in einen moralischen Urteilskonflikt zu ihr geraten, der aber zu bestehen ist, wenn unser Gewissen von gefestigten Prinzipien aus unser moralisches Urteil gegen die soziale Umwelt behauptet, sogar „when that of all the real spectators...is unanimously and violently against us"81. David Riesman hat in seiner klassischen Studie über The Lonely Crowd in diesem Sinne einen „außengeleiteten" Typus von einem „innengeleiteten" unterschieden82. Der letztere, dessen Archetypus der Puritaner ist, hat eine erfolgreiche Gewissensbildung vollzogen, während der erstere als „Peer-Group"-Konformist den Forderungen der sozialen Umwelt keinen Widerstand zu leisten vermag. Die Gewissensfunktion nennt Smith „the man within"83, „the representative of the impartial spectator, the man within the breast"84, „This inmate of the breast, this abstract man, the representative of mankind and substitute of the Deity, whom nature has constituted the supreme judge of all their actions...", den „demigod within the breast"85, das „tribunal within our own breast", „the judge within"86. Und seine Theorie der reflexiv-sozialisatorischen Rückwendung des „Impartial Spectator"-Prozesses auf das Individuum selbst, mit der konsequenten Verdoppelung der Ich-Instanzen87, stellt sicher einen der bedeutendsten Beiträge des 18. Jahrhunderts zur Frage der Gewissensbildung dar. Dabei betont Smith die nicht bloß fallweise vollzogene Übernahme der idealen „Impartial Spectator"-Position, sondern ihre Internalisierung. Anders kann die Korrektur des starken spontan-affektuellen egozentrischen Bias nicht bewerkstelligt werden. Ergebnis ist eine gewohnheitsmäßige Haltung, der die Einsicht zugrunde liegt, daß wir außerhalb unserer eigenen Empfindungswelt nur einer unter vielen Menschen ohne besondere Ansprüche sind, „this hardest of all the lessons of morality"88, eine Haltung, die Smith als spezifisch stoisch versteht89. Die Entwicklung des Gewissens vollzieht sich demnach in einem intersubjektiven Prozeß zwischen Individuum und sozialer Umwelt; sie stellt keine einfache Projektion der Normen und Wünsche dieser Umwelt dar. Auf der anderen Seite bildet die soziale Interaktion das Medium der Kontrolle des egozentrischen Bias, auch soweit er bis in die Gewissensbildung hineinreicht. „The man within the breast, the abstract and ideal spectator of our sentiments and conduct, requires often to be awakened and put in mind of his duty, by the presence of the real spectator: and it is always from that spectator, 80 TMS, S. 127f. 81 Ibid., S. 131. 82 D. Riesman, with N. Glazer and R. Denney: The Lonely Crowd. A Study of the changing Amercian character (1948), abr. ed., New Haven/London, 1961; s.a. Bruno Bettelheim: Individual Autonomy and Mass Control, in: Institut fur Sozialforschung (Hg.): Sociologica I, S. 245-62. 83 TMS, S. 130. 84 Ibid., S. 215. 85 Ibid., S. 131. 86 Ibid., S. 129, aus dem Text der 2. Auflage. Siehe: Vincent Hope: Smith's Demigod, in: ders. (Hg.): Philosophers of the Scottish Enlightenment, S. 157-67. 87 TMS, S. 113. 88 Ibid., S. 139. 89 Ibid., S. 136, Entwurf von 1759 (Hinweis auf Epiktet), S. 138, S. 140f. Siehe jedoch die Überlegungen zur Legitimität der Parteilichkeit im Nahbereich, S. 141 ff., mit der Kritik an der Stoa, S. 143.

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from whom we can expect the least sympathy and indulgence, that we are likely to learn the most complete lesson of self-command" 90 . Dabei läßt sich aus Smiths Bemerkungen über die Anonymität der Großstadt im fVN91 schließen, daß er zur Gewissensbildung nicht einfach die Bewegung in Gesellschaft als hinreichend ansah, denn das Individuum wird in der Großstadt zwar beobachtet, jedoch so fragmentarisch und verschwindend, daß sich keine „real spectator"-Position daraus ableitet, die das Verhalten des Individuums im ganzen, seine Kohärenz, gehaltvoll beurteilen würde, und also fehlt die Voraussetzung für die Bildung moralischer Prinzipien. Das Individuum benötigt daher einen sozialen Nahbereich - traditionell die Funktion der Familie - fur den Aufbau von Selbstachtung, die Aneignung moralischer Prinzipien und eine erfolgreiche Gewissensbildung. In den „höheren Ständen" Englands und Frankreichs, so Smith, ist es jedoch üblich, die Kinder nicht in der Familie sondern in speziellen Erziehungsinstitutionen zu erziehen, was den „domestic morals, and consequently the domestic happiness" schade 92 . „Domestic education is the institution of nature; public education, the contrivance of man. It is surely unnecessary to say, which is likely to be the wisest". Auch der Standesdünkel schade der unverstellten Herzlichkeit des spontanen Gefuhlsausdrucks und erschwere die Bildung eines reichen, gewissensgeleiteten Selbst93. In einer rhetorisch elaborierten Passage beschreibt Smith sein Ideal des „man of real constancy and firmness, the wise and just man", der „never dared to forget for one moment the judgement which the impartial spectator would pass upon his sentiments and conduct. He has never dared to suffer the man within the breast to be absent one moment from his attention... This habit has become perfectly familiar to him. He has been in the constant practice, and, indeed, under the constant necessity, of modelling, or of endeavouring to model, not only his outward conduct and behaviour, but, as much as he can, even his inward sentiments and feelings, according to those of this awful and respectable judge. He does not merely affect the sentiments of the impartial spectator. He really adopts them. He almost identifies himself with, he almost becomes himself that impartial spectator..." 94 . Was wird hier anderes ausgedrückt als ein Prozeß intensiver Internalisierung? - in deren Verlauf das moralische Urteil seinen Reflektionscharakter verliert, weil die moralischen Prinzipien eine starke gefühlsmäßige Basis gewinnen und zum Gewissenszwang werden, der mit - emotionalen - „Strafen" verbunden ist, „torments of inward shame and self-condemnation" 95 . Von besonderem gesellschaftlichen Interesse ist die Einsicht in die „deformity of doing the smallest injury to another, in order to obtain the greatest benefit to ourselves" 96 , unerläßlich für die Aufrechterhaltung der Regeln der Gerechtigkeit, „those sacred rules, upon the tolerable observation of which depend the whole security and peace of human society"97. 90 Ibid., S. 153f.; s. a. T. D. Campbell: Scientific explanation and ethical justification in the MORAL SENTIMENTS, in: A. S. Skinner/T. Wilson (Hg.): Essays on Adam Smith, S. 73: „... the „man within" has a propensity towards self-partiality which is constantly requiring correction by the influence of actual spectators". 91 Siehe oben, Kapitel 1, im Abschnitt: „Court" und „Country". 92 TMS, S. 222, auch das folgende. 93 Ibid., S. 223. 94 Ibid., S. Höf. 95 Ibid., S. 166. 96 Ibid., S. 137, s. a. S. 141, Variante, 2. Aufl. 97 Ibid., S. 138.

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Viele Menschen bringen es nach Smith nicht zu einer vollständigen Gewissensbildung, wenn jedoch die moralische Kultur intakt ist, werden sie richtige moralische Prinzipien aus der Imitation und Verallgemeinerung der moralischen Reaktionen ihrer Umgebung gewinnen. Und auf dieser Basis ist jedermann in der Lage, einen handlungsleitenden Begriff moralischer Verpflichtung zu gewinnen und einen jedenfalls konformistischen „sense of duty" auszubilden98. Diese soziomoralische Verpflichtung schließt auch sozial verbindliche Verhaltensmuster ein, die emotional und rational eventuell nicht gedeckt sind, aber sozial wünschenwertes Verhalten erzwingen. Damit reflektiert Smith die Tatsache der Kollektivität soziomoralischer Evolution, daß generell nämlich weniger das einzelne Individuum autonome moralische Prinzipienbestände entwickelt, als daß vielmehr soziale Normen in gesellschaftlichen Evolutionsprozessen geschaffen werden, die tradiert und abgewandelt werden, die aber dem einzelnen Individuum als eine Art äußerer Zwang gegenübertreten und seinen Gehorsam fordern, ohne auf eine rationale Befragung durch das Individuum zu warten. Emile Dürkheim hat das Verhältnis des Individuums zur Gesellschaft als durch „faits social" bestimmt interpretiert und damit auch den Zwangscharakter gesellschaftlicher Normierung gekennzeichnet". Und in dieser Tatsache der wesentlich gesellschaftlichen Entwicklung soziomoralischer Normierung liegt ein weiterer Grund für Smith, wie fur Hume, den moralischen und politischen Rationalismus zurückzuweisen. Sie arbeiten Theorien der Normenentstehung aus, die sich der Reifikation gesellschaftlicher Normen, die den Durkheimschen Ansatz kennzeichnet, entziehen. Soziale Normen sind Produkte der Gesellschaft, deren Zwangscharakter den naiven Rationalismus des Naturrechtssubjektivismus übersteigt. David Raphael hat Aspekte der Gewissenstheorie Smiths in die Nähe der Freudschen „Über-Ich"-Theorie gerückt100, eine Zuordnung, deren Stimmigkeit bezweifelt werden kann, weil die Konzepte der frühkindlich-familialen Charakterformung, der Triebenergie und anderes bei Smith fehlen und weil die Funktion des Freudschen „Über-Ich" deutlich über die psychische Erzwingung sozialer Normen hinausreicht101. Aber der Vergleich trifft doch den mit Sanktionskraft begabten Zwangscharakter des von Smith gemeinten „Sense of Duty". Das einfühlende aufeinander Einstellen bildet ein wesentliches Moment des Zivilisationsprozesses und unterscheidet als Übung den zivilisierten Menschen vom Wilden, ebenso wie es den einsam lebenden Menschen102 vom „Weltmann" unterscheidet, der sich viel in Gesellschaft von Fremden bewegt und daher die Fähigkeit erwirbt, die eigenen Affekte situationsadäquat zu kontrollieren103. Einleuchtend ist, daß die „Sympathie" 98 Ibid., S. 162. 99 E. Dürkheim: Die Regeln der soziologischen Methode (1895), hg. v. R. König, Ffin., 1984; ders.: Soziologie und Philosophie, Ffin., 2. Aufl., 1985, mit kritischer Einleitung von T. W. Adorno; s. a. T. Parsons: The Structure of Social Action, Bd. I, Kap. VIII-XI; F. Jonas: Geschichte der Soziologie, Bd. II, S. 3 I f f . ; Α. Giddens: The „individual" in the writings of Emile Dürkheim, in: ders.: Studies in Social and Political Theory, S. 273-96, und weitere Texte in diesem Band; St. G. Mestrovic: Durkheim's concept of anomie considered as a „total" social fact, BJS, 1987: 38, S. 567-83. 100 D. D. Raphael: The Impartial Spectator, in: Skinner/Wilson (Hg.): Essays on Adam Smith, S. 97. 101 Siehe: S. Freud: Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse. Und Neue Folge, Studienausgabe, hg. v. A. Mitscherlich et al., Bd. I, Ffin., 1982, S. 498ff. 102 Ibid., S. 153. 103 Ibid., S. 146. Auch die französischen philosophes glaubten an die zivilisierende Wirkung von Gesellschaft und Geselligkeit, wie von Diderot in seinem Theaterstück „£e Fils nature/" formuliert: „Der

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unter Bedingungen verdichteter Sozialität umso notwendiger wird für die Verminderung sozialer Reibungen, denn soziale Verdichtung bedeutet rasch wechselnden Umgang mit Menschen durchaus verschiedener sozialer Lage, verschiedenen Schicksals und verschiedener Stimmung. Sie hat aber auch eine „innere" zivilisierende Wirkung auf das Individuum selbst, das sich durch die Augen der anderen erblickt und daher den Anforderungen der sozialen Umwelt gemäß formt 104 . Der zivilisatorische Prozeß differenziert sich in zwei verschiedene Tugenden: die Mitempfindungsfähigkeit (des Betrachters)105 und die Selbstkontrolle (des Betroffenen), die die schwierigere und wichtigere ist, „not only itself a great virtue, but from it all the other virtues seem to derive their principal lustre" 106 . Diese Tugenden müssen nicht in denselben Personen zusammengehen und auch sozioevolutionär fallen sie auseinander. So ist nach Smith der Sozialzwang der Affektkontrolle in „Savage Societies" generell größer als in der modernen, „polite" Zivilisation, denn spezifisch militärische, gefahrverachtende, heroische Tugenden spielen bei Wilden eine größere Rolle als in der pazifizierten, „effeminate" Moderne, die emotional offener und unverstellter sein soll107, jedoch gleichzeitig die starken Leidenschaften herabsetzt. Und, „perhaps, the delicate sensibility required in civilized nations sometimes destroys the masculine firmness of the character" 108 , die spezifisch moderne Sensibilität droht die Selbstkontrolle zu verdrängen, anstatt mit ihr zusammenzuwirken. Die Akzentuierung des stoischen Ideals durch Smith ist daher keine bloße rhetorische Reminiszenz, sondern hat eine präzise kulturkritische Funktion. Ideengeschichtlich erfüllen die Konzepte: „Impartial Spectator", „Man within" und „Sense of Duty" mehrere Anforderungen. Sie verweigern die Regression in ein Naturrecht, das von der These der ursprünglichen moralischen Prinzipienausstattung der Individuen ausgeht. John Locke hatte die Naturrechtsidee der „innate ideas" zurückgewiesen und den Geist des neugeborenen Menschen als „Tabula Rasa" betrachtet, es war ihm jedoch nicht gelungen, die Sozialisierung moralischer Prinzipien plausibel zu machen. Mit Hilfe der Konzepte „Sympathy", reflexive Selbstbeobachtung und Verdichtung des realen zum idealen „Impartial Spectator" wird dieses Problem durch die schottische Moralphilosophie, mit Smiths Theory of Moral Sentiments als theoretische Gipfelleistung, gelöst109. Diese Lösung impliziert zweitens den Bruch mit dem gesellschaftstheoretischen Naturrechtsatomismus, indem der durchgreifend gesellschaftliche Charakter der moralischen gute Mensch lebt in Gesellschaft; nur der böse Mensch lebt allein". Diesen Satz verstand Rousseau als Kritik an seiner Übersiedlung nach Montmorency und er wurde zu einem Auslöser seines Bruches mit den „philosophes ", siehe: J. J. Rousseau: Korrespondenzen, Brief v. 16. 3. 1757 an Diderot, S. 1 lOff. 104 TMS, S. 112. 105 Siehe Alexander und Margarete Mitscherlichs „Minimaldefinition" moderner Moral unter dem Druck globaler Differenzierungsprozesse: „Unsere Minimaldefinition... stellt eine einzige Forderung, die zu erfüllen ist, ehe etwas geschieht: Versuche, den anderen soweit wie möglich zu verstehen, deine Empfindsamkeit fur seine Gefühle zu steigern; vermeide damit vermeidbare Schädigung im Sinne der Kränkung und Demütigung. Bemühe dich um dieses Fremdverständnis besonders dann, wenn du dich ganz im Recht wähnst und wenn der andere schwächer ist als du selbst, Die Unfähigkeit zu trauern. Grundlagen kollektiven Verhaltens, München, 1968, S. 185. 106 107 108 109

TMS, S. 241. Ibid., S. 204ff. Ibid., S. 209. Dieser Lösung widerspricht Kant deontologisch, siehe seine: Vorlesung über Ethik, Vom obersten Principio der Moralität, S. 46ff.

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Prägung der Individuen nachgewiesen wird: die Moralität von Gesellschaft und die Intersubjektivität der Moral. Drittens schließt Smiths Theorie des Gewissens auch eine Abgrenzung zu „utilitaristischen" Momenten bei Hutcheson und Hume ein, denn Hutchesons Forderung universeller „Benevolence" bildet offensichtlich eine Überforderung der Individuen, und bei Hume sieht Smith eine Basierung des moralischen Urteils auf Nützlichkeitserwägungen, von denen er weder glaubt, daß sie in Wirklichkeit das moralische Urteil entscheidend prägen, noch hielte er dies für wünschenswert110. Gegen Hume behauptet Smith die Verankerung genuiner moralischer Prinzipien im Gewissen, die mehr als nur soziale Konventionen sind, auch wenn sie gesellschaftlich generiert sind111. Seine Theorie zeigt aber auch systematische Defekte moralischer Urteilsbildung auf. Defekte der Moralität Eine der Grundintentionen Smiths als moralphilosophischer Autor besteht darin, diese moralischen Defekte aufzuzeigen und gleichzeitig zu zeigen, daß sie von einem übergreifend gesellschaftlichen Standpunkt aus, den Tom Campbell als „kontemplativen Utilitarismus" bezeichnet112, wichtige soziale Funktionen erfüllen und daher gerechtfertigt sind. Aus dieser paradoxen Analyse resultiert ein Dualismus der Smithschen Ethik, die zwischen einem nur für wenige erreichbaren Ideal und einem erreichbaren Durchschnittsmaß von Moralität unterscheidet, das sowohl realistisch den moralischen Möglichkeiten gewöhnlicher Menschen angemessen ist als auch pragmatisch optimierend wirkt. Das Ergebnis ist ein deistisch unterlegter moralphilosophischer Realismus113, der sich an einem Normalmaß zivilisationsbegründender Tugenden orientiert, die, insofern sie lediglich dieses Normalmaß beschreiben, eigentlich nicht verdienen, Tugenden genannt zu werden, denn „as in the common degree of the intellectual qualities, there is no abilities; so in the common degree of the moral, there is no virtue. Virtue is excellence, something uncommonly great and beautiful, which rises far above what is vulgar and ordinary"114. Tugend wird damit auf ein zwar herausgehobenes, jedoch marginales Phänomen reduziert. Das Normalmaß von Empfindungsfahigkeit und affektueller Selbstkontrolle kann nur als „angemessen" (to be approved of) gelten, niemand wird dadurch überfordert, und es dient als leidlich zuverlässige Grundlage der Vergesellschaftung, während das Ideal tugendhaften Lebens, das zwar philosophisch begründbar ist und als Leitbild fungieren mag, nicht zum Maßstab allgemeiner Verhaltensnormierung taugt115. Empfindungsfahig-

110 Siehe: TMS, S. 305f.; siehe zum Verhältnis Smith - Hume: D. D. Raphael: „The true old Humean Philosophy" and its influence on Adam Smith, in: G. P. Morice (Hg.): David Hume. Bicentenary Papers, Edinburgh, 1977, S. 23-38; Marie A. Martin: Utility and morality: Adam Smiths critique of Hume, Hume Studies, 1990: 16, S. 107-20. Aus meiner obigen Darstellung des Humeschen „Utilitarismus" mag entnommen werden, daß Smiths Kritik an Hume eine reduktionistische Rezeption zugrunde liegt, siehe John Dwyer: Virtuous Discourse, S. 53. Smith war jedenfalls konsistenter Anti-Utilitarist. 111 Siehe für einen modernen Beitrag: J. Habermas: Moralentwicklung und Ich-Identität, in: ders.: Zur Rekonstruktion des Historischen Materialismus, S. 63-91. 112 T. D. Campbell: Scientific explanation and ethical justification in the MORAL SENTIMENTS, in: Skinner/Wilson (Hg.): Essays on Adam Smith, S. 76f. 113 Siehe die Darstellung bei M. L. Myers: The Soul of Modern Economic Man, Kap. 8. 114 TMS, S. 25. 115 Siehe Smiths Plädoyer für ein anspruchsvolles stoisches Ideal der Selbstkontrolle, ibid., S. 141, Variante der 2. Aufl.

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keit und Selbstkontrolle sind Tugenden, die erst durch Prüfungen sichtbar werden, und dabei machen wir „very frequently... use of two different standards. The first is the idea of complete propriety and perfection, which, in those difficult situations, no human conduct ever did, or ever can come up to... The second is the idea of that degree of proximity or distance from this complete perfection, which the actions of the greater part of men commonly arrive at. Whatever goes beyond this degree...seems to deserve applause; and whatever falls short of it, to deserve blame"116. Moralisch defekt ist die Asymmetrie der Leichtigkeit spontan-sympathetischen Einfühlung des Betrachters in den Glücklichen, den Reichen und Mächtigen, im Verhältnis zur schwerer vollzogenen Einfühlung in den Unglücklichen, Schwachen, Armen. Diese Asymmetrie liegt an der Wurzel des sympathetischen Prozesses selbst und wirkt daher als radikale Quelle moralischer Fehlleistung. Sie ist die Ursache der Konzentration menschlichen Ehrgeizes auf Reichtum und Macht. „It is because mankind are disposed to sympathize more entirely with our joy than with our sorrow, that we make parade of our riches, and conceal our poverty"117. Dem einfachen Mitglied der Gesellschaft werden die Kränkungen und Freuden „der Großen", nächst den eigenen und denen der unmittelbaren nächsten, zu den wichtigsten emotionalen Erlebnisse. Die Bindung zum sozialen Nahbereich und jene zu den Herrschenden, den „Großen", die für das Individuum den gesellschaftlichen Zusammenhang personal zusammenfassend repräsentieren, werden im emotiven Haushalt des Individuums aneinandergelagert. Heute stellt sich die von Smith gemeinte Mentalität etwa in der sogenannten „Regenbogenpresse" dar, die einfachen Menschen die Möglichkeit gibt, mit den Großen der Welt imaginativ „auf Du und Du" zu stehen, aber auch die idolisierende Pop-Kultur funktioniert nach diesem Schema, das allgemeinere Bedeutung hat. Diese Verdeutlichung verweist darauf, daß Smith ein soziales Bewußtsein für den Normalfall hielt, in dem der abstrakte Vergesellschaftungsmodus durch imaginativ vermittelte personale Identifizierungen kurzgschlossen wird - einer der Gründe, warum er, wie Hume, eine subjektrationale Gesellschaftskonstruktion für unrealistisch hielt. Denn die Ordnung der Gesellschaft beruht nicht auf rational kalkulierten Entscheidungen, sondern auf der emotiven Habitualisierung sympathetischer Hierarchien: „Upon this disposition of mankind, to go along with all the passions of the rich and the powerful, is founded the distinction of ranks, and the order of society"118, darin liegt der unverzichtbare - soziale Nutzen dieser moralischen Asymmetrie. „That kings are the servants of the people, to be obeyed, resisted, deposed, or punished, as the public conveniency may require, is the doctrine of reason and philosophy; but it is not the doctrine of nature"119. Könige können die gröbsten Vergehen gegen die Interessen des Volkes, und wiederholt, begehen, ohne diese gewohnheitsmäßige Unterordnung zu zerbrechen. Und auf Seiten der gesellschaftlichen Elite kreiert die habituelle Unterordnung der Masse die komplementäre Gewohnheit herrschaftlichen Verhaltens. Aber wenn auch der soziale Nutzen dieses moralischen Defekts offenliegt, bleibt er der philosophischen Analyse moralisch korrupt, was Smith 1790 durch ein neues Kapitel der TMS unterstreicht120. Die

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Ibid., S. 26. Ibid., S. 50, vgl. auch S. 212f. Ibid., S. 52. Ibid., S. 53, auch das folgende. Teil I, Abschn. III, Kap. III.

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„disposition to admire, and almost to worship, the rich and the powerful, and to despise, or, at least, to neglect persons of poor and mean condition", schreibt er dort, „though necessary both to establish and to maintain the distinction of ranks and the order of society, is at the same time, the great and most universal cause of the corruption of our 121

moral sentiments" . Wir stehen vor der Alternative, Reichtum und Macht zu verehren oder den Prinzipien zu folgen, die „wisdom and virtue" uns vorschreiben, wir können „vice and folly" verachten oder aber - häufig unverdientermaßen - „poverty and weakness". Und „the great mob of mankind" sei normalerweise „the admirers and worshippers... of wealth and greatness", während nur wenige, aber moralisch hochstehende Menschen den Prinzipien von „wisdom and virtue" folgen - „complaint of moralists in all ages". Daher sind Reichtum und Macht durchaus „natural objects" sozialer Anerkennung122, womit Smith das gewöhnliche Auseinanderfallen der spontan-sympathetischen „Moral Sentiments" einerseits und der reflektierten Urteile auf Basis moralischer Prinzipien andererseits konstatiert. Dabei stellt sich diese Differenz sozialstrukturell unterschiedlich dar, denn während in den Mittelschichten beide Bewertungen häufig zusammenfallen, weil hier gewöhnlich nur derjenige wohlhabend wird, der sich an strikten moralischen Prinzipien orientiert, so daß das „good old proverb, ... That honesty is the best policy" im allgemeinen zutrifft123, sind die Extreme der Gesellschaft: die sehr Reichen und Mächtigen sowie die ganz Armen, problematisch, denn in ihnen fallen moralisches Verdienst und gesellschaftlicher Erfolg auseinander, und das ist ein moralischer Skandal, der selbst zu einem moralischen Problem wird, weil die Gesellschaft im ganzen diese Differenzerfahrung macht. Die übermäßig Ehrgeizigen, die an sich bereits eine moralische Abweichung darstellen, werden dadurch ermutigt, ihre Leidenschaft auf illegitimen Wegen zu befriedigen124. Die zeitgenössisch odiosen Sozialtypen des Finanzspekulanten, des „Stock-jobber", sowie des „Nabob" illustrieren Smiths Behauptung der Entkoppelung von moralischem Verdienst und sozialem Erfolg, die es jedoch auch im Falle ererbten Reichtums oder aristokratischer Privilegierung gibt, wenngleich ihre moralische Anstößigkeit eventuell durch das Bewußtsein alter Traditionen abgeschwächt wird. Smith selbst illustriert seine These jedoch durch den älteren Typus des „Höflings", dessen oberflächliche Raffinesse als „man of fashion" mehr bewundert wird, als „the solid and masculine virtues of a warrior, a statesman, a philosopher, or a legislator"125. Rhetorisch bewegt er sich damit in republikanischer Tradition, und das genannte Kapitel von 1790 kann als Indiz für Smiths im Alter wachsende Besorgnis über die Entwicklung der moralischen Kultur der kommerziellen Gesellschaft angesehen werden126, die sich auch gegen übertriebene „Politeness" und „Sentimentalität" richtete127. David Raphael bestreitet jedoch zu recht die Existenz eines „Bruchs" zwischen verschiedenen Auflagen der TMS128.

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Ibid., S. 61. Ibid., S. 62. Ibid., S. 63, auch das folgende. Ibid., S. 64f. TMS, S. 63. L. Dickey: Historicizing the „Adam Smith Problem", JMH, 1986; Dwyer: Virtuous Discourse, Kap. 7. TMS: Teil VI, Abschn. III: Of Self-Command, S. 245, und Dwyer: Virtuous Discourse, Kap. 7. D. D. Raphael: Adam Smith 1790: The man recalled, the philosopher revived, in: P. Jones/A. S. Skinner (Hg.): Adam Smith reviewed.

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Ein komplementärer moralischer Defekt geht von dem Bedürfiiis nach Anerkennung und Liebe aus, eine nicht nur unvermeidliche, sondern innerhalb gewisser Grenzen auch nützliche Neigung, weil sie, wie Smith zeigt, die Triebkraft zur moralischen Vergesellschaftung und zur Bildung moralischer Urteilskraft und Selbstkontrolle ist. Wenn der Mensch sich im Gleichklang mit den anderen und dem „Man within" fühlt, erreicht er jene „tranquility of the mind", die zu den höchsten Gütern des menschlichen Lebens gehört. Sie besteht wesentlich in der Abwesenheit von heftigen, überwältigenden Leidenschaften und weist daher, offensichtlich stoisch inspiriert, Parallelen zu Hutchesons anspruchsvollerem Ideal einer „calm and just benevolence" auf. Viele Menschen verpassen jedoch das rechte Maß sozialer Anerkennung, das ihnen diese „tranquility of the mind" verschafft, denn sie streben nach Anerkennung und Liebe, ohne ein Ende zu finden. Klassisch handelt es sich um die Sünden der „Vanitas" und der „Superbia", die sich unter den Bedingungen der modernen kommerziellen Gesellschaft als Streben nach Reichtum und Macht darstellen, jenen gesellschaftlichen Gütern, an die hier Prestige geknüpft ist, „that love of distinction so natural to man" 129 . Im Prozeß der „sympathy" ist das begründet durch die Leichtigkeit des imaginären Mitgenusses mit dem Reichen und Mächtigen, den der Betrachter dafür liebt. Die „Vanitas" auf Seiten der Ehrgeizigen ergänzt so die falsche Bewunderung der Reichen und Mächtigen durch die Masse. Auf diese Weise wird der Gesellschaftsprozeß durch das Streben nach Aufmerksamkeit, Anerkennung, Liebe und Ruhm über die materielle Lebenssicherung hinausgetrieben130, negativ durch das Streben, Miß- und Verachtung der anderen zu vermeiden, denn „Compared with the contempt of mankind, all other external evils are easily supported"131. Die Akkumulation von Reichtum hat danach ganz überwiegend den Sinn, entweder sinnfällig als „conspicious consumption" (besonders im Falle Neureicher) oder als reflexiv vermitteltes Bewußtsein von den potentiellen Genüssen und der potentiellen Macht des Reichtums die Bewunderung anderer auf sich zu ziehen132. Jedenfalls ist es nach Smith „not ease or pleasure, but always honour, of one kind or another, though frequently an honour very ill understood, that the ambitious man really pursues"133. Die Teilnehmer dieser Prestigekonkurrenz sind gleichsam beständig damit befaßt, sich an anderen zu messen und imaginativ einen höheren Platz in der Statushierarchie einzunehmen, als ihnen zusteht und als zugestanden wird. Aus dem Aufeinanderprallen dieser egozentrischen Selbst(über)schätzungen resultiert im Prozeß des wechselseitigen Abschleifens in der sozialen Reproduktion eine imaginativ unterstützte soziale Hierarchie, die auch die Führung der Gesellschaft stellt, wobei informelle und institutionell verankerte Führung nicht identisch sein müssen. Wie Kames und generell die schottische Aufklärung geht Smith davon aus, daß Gesellschaft wesentlich in wenige Führer und viele Geführte zerfällt und daß sich in jeder Lage spontane Führungsstrukturen bilden, die sich verfestigen und eventuell institutionalisieren. Aber da diese spontane Bildung von Prestigehierarchien ein fluktuierender Prozeß ist, erscheint ein Spannungsverhältnis zwischen imaginativer Sozialhierarchie und institutionalisierter Führung wahrscheinlich.

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TMS, S. 182. Ibid., Teil I, Abschnitt III, Kap. II. Ibid., S. 61. Siehe ibid., S. 58. Ibid., S. 65.

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Dabei ist Führung keine reine Freude, weil sie große Opfer der „tranquility of the mind" verlangt. Smith glaubt jedoch, daß der Führer sich subjektiv entschädigt fühlen kann, wenn „he has, every moment, an opportunity of interesting mankind, and of rendering himself the object of the observation and fellow-feeling of every body about him. It is this, which, notwithstanding the restraint it imposes, notwithstanding the loss of liberty with which it is attended, renders greatness the object of envy, and compensates, in the opinion of mankind, all that toil, all that anxiety, all that mortifications which must be undergone in the pursuit of it; and what is of yet more consequence, all that leisure, all that ease, all that careless security, which are forfeited for ever by the acquisition"134. Heroische Taten, die die Möglichkeit des Verlustes des Lebens im Tausch gegen „unsterblichen Ruhm" einschließen, beruhen auf dem imaginativ-antezipierenden Genuß dieses zukünftigen Ruhms, der sogar Todesfurcht überwindet135. Einer alten Herrschaftsweisheit zufolge, soll der Herrscher sich entweder geliebt oder gefurchtet machen136. Tatsächlich erfüllen beide affektuelle Modi den Zweck, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und Führung zu affirmieren. Im allgemeinen jedoch wird nur die liebende Aufmerksamkeit gewünscht. Nun ist diese psychosoziale Beziehung, die im kleinen wie im großen stattfindet, nicht statisch, sondern ein Prozeß, der sich reproduziert oder auch abbricht. Emotional gesehen, gibt es in jedem Moment die Möglichkeit des „Liebesentzugs", des Erlöschens und der Verschiebung kollektiver Aufmerksamkeit, die immer wieder bestätigt, erneuert, errungen werden muß und das Aufmerksamkeit heischende Individuum zu prestigeträchtiger Anstrengung herausfordert, die sich in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen unterschiedlich darstellt. Dem reichen Geburtsadligen fallt unabhängig von persönlicher Anstrengung ein gewisses Maß sozialer Beachtung automatisch zu, ähnlich dem auf Lebenszeit installierten Bischof; anders steht es mit Politikern, deren Gunst beim Publikum in einer - im zeitgenössischen Vergleich - so meinungsfreien Gesellschaft wie der englischen starken Schwankungen unterworfen war. Und so könnte analysiert werden, wie sich die Zuteilung sozialer Aufmerksamkeit und Anerkennung in den verschiedenen Bereichen regelt und stabilisiert. Oberflächliche Menschen heften ihren Ehrgeiz an oberflächliche Prestigeobjekte137, aber auch „People of sense" streben nach „rank, distinction, pre-eminence"138. Dabei hat das Verlangen nach sozialer Aufmerksamkeit einen eigentümlich eifersüchtigen Charakter; das Individuum, das davon genossen hat, wird immer wieder danach streben, diesen außergewöhnlichen Genuß zu erneuern, der wie eine Droge von ihm Besitz ergreift139. Es scheint nur einen Weg zu geben, dies zu vermeiden: „Never enter the place from whence so few have been able to return; never come within the circle of ambition; nor ever bring yourself into comparison with those masters of the earth who have already engrossed the attention of half mankind before you"140. Dazu jedoch sind nur wenige in der Lage, die

134 Ibid., S. 51. 135 Ibid., S. 116. 136 Nach Quentin Skinner: Foundations of Modern Political Thought, Bd. I, pass., lautete eine Standardfrage der Fürstenspiegelliteratur, ob es fur den Herrscher besser sei, geliebt oder gefurchtet zu sein; sie wird etwa von Machiavelli diskutiert: II Principe/Der Fürst, Stg., 1993, 17. Kap. 137 TMS, S. 57: „... place, that great object which divides the wives of aldermen... ". 138 Ibid., S. 57. 139 Siehe ibid., S. 57, unter Berufung auf Larochefoucaulds Maximen. 140 TMS, S. 57, auch das folgende.

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entweder weit über oder weit unter dem „ordinary standard of human nature" stehen, die nämlich entweder so „confirmed in wisdom and real philosophy" sind, „as to be satisfied that, while the propriety of his conduct renders him the just object of approbation, it is of little consequence though he be neither attended to, nor approved o f ' , oder die so weit in ihrem Selbstwertgefiihl herabgesunken sind, daß sie keinen Wert mehr auf das Urteil ihrer Umwelt legen. Die letzteren bilden eine gleichsam außergesellschaftliche, rebarbarisierte Kategorie von Menschen, während die ersteren einen höheren, fast übermenschlichen Typus bilden. Diese Position Smiths weist Analogien zu Aristoteles Ansicht auf, daß „der Mensch von Natur ein staatenbildendes Lebewesen ist; derjenige, der auf Grund seiner Natur und nicht bloß aus Zufall außerhalb des Staates lebt, ist entweder schlecht oder höher als der Mensch", er ist „ein wildes Tier oder Gott" 141 . Aristoteles spricht hier vom wirklichen Zusammenleben von Menschen, Smith von ihrer sympathetisch-sozialimaginativen Vergesellschaftung. Wenn auch die Sünde der „Vanitas" weit verbreitet, fast allgemein ist, so sind doch nach Smith die meisten Menschen in der Lage, das Streben nach der Aufmerksamkeit und Liebe anderer in sozialverträglichen Schranken zu halten. Das Verlangen nach Ruhm kann jedoch im Einzelfall so stark werden, der Ehrgeizige so verzweifelt nach Gelegenheiten suchen, sich hervorzutun, daß er „looks forward with satisfaction to the prospect of foreign war, or civil dissension; and, with secret transport and delight, sees through all the confusion and bloodshed which attend them, the probability of those wished-for occasions presenting themselves, in which he may draw upon himself the attention and admiration of mankind" 142 . Da die etablierte Elite in ihrer Prestige-Position befriedigt ist, wird sie die Eigenschaften, die nötig sind, um gefährliche Situationen zu meistern - die eigentlichen Führungsqualitäten - nicht so stark ausbilden, und so kommt es, daß immer wieder homines novi zu den fuhrenden politischen und administrativen Positionen gelangen und sich sodann an die alte Elite assimilieren, die sich auf diese Weise erneuert. Wenn also der übersteigerte Ehrgeiz von einem philosophischen Standpunkt aus unvernünftig ist, so käme doch ohne ihn weder eine geschlossene Führung der Gesellschaft zustande, noch eine nenneswerte Kapitalakkumulation, noch würden herausragende, heroischen Taten vollbracht und Entdeckungen gemacht, soweit dazu große Opfer verlangt sind. Der moralphilosophische Defekt erweist sich daher als gesellschaftlich nützlich, ja, unverzichtbar 143 . Moralisch defekt ist auch, wie die meisten Menschen über moralische Verdienste urteilen. Um das zu erläutern, faltet Smith den Handlungsvorgang in Ablaufaspekte auseinander, erstens das Motiv, zweitens die wirkliche Handlung und drittens die Folgen, ob intendiert oder nicht 144 . Das moralische Urteil über die Handlung, und damit über den Handelnden, muß sich, wie schon nach Meinung Hutchesons und Kames', wesentlich auf das Motiv und die Intention des Handelnden beziehen 145 , denn man kann ihn nur sehr begrenzt für nicht-intendierte Folgen seiner Handlung verantwortlich machen, insoweit er nämlich diese Folgen voraussehen oder jedenfalls als möglich einkalkulieren mußte. 141 142 143 144

Politik, S.49f., Ziff. 1253a. TMS, S. 55. Vgl. D. Winch: Adam Smith's Politics, S. 91. TMS, S. 92; siehe zum folgenden: Luigi Bagolini: The topicality of Adam Smith's notion of sympathy and judicial evaluations, in: A. S. Skinner/T. Wilson (Hg.): Essays on Adam Smith, S. 100-113. 145 Vgl. I. Kant: Eine Vorlesung über Ethik, S. 33, S. 56, und Teil B: Ethica, Abschn. V.

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Aber tatsächlich erzeugen die unabhängig von oder gegen die Intention eingetretenen Effekte der Handlung eine spontane moralische Wirkung, denn der Betrachter fühlt sich spontan-sympathetisch in die glücklichen oder unglücklichen Folgen ein, während die Reflektion auf die Motive später erfolgt und eventuell nicht stark genug ist, um den Eindruck der Folgen zu verdrängen. Hier liegt also eine Art von spontanem „Utilitarismus" vor. Die Zustimmung des Betrachters fallt schwächer aus, wenn der Aktor wohlmeinend, aber erfolglos bleibt, und auf der anderen Seite wird verurteilt, wer Schlechtes anrichtet, das nicht beabsichtigt war 146 . Das eigentliche moralische Urteil und die spontan-sympathetische Einfühlung weisen nicht in dieselbe Richtung. Den spontan-sympathetischen Einfluß der Handlungsfolgen auf die „Moral Sentiments" nennt Smith den Einfluß von „Fortune"147, die moralisch nicht zurechenbar ist. Aber „Fortune...governs the world", und daß „the world judges by the event, and not by the design, has been in all ages the complaint, and is the great discouragement of virtue"148. Das moralische Urteil soll auf die Motive abheben und muß daher den spontanen Einfluß der unmittelbaren „Sympathy" durchstoßen. Dabei kann der „Impartial Spectator"-Prozeß hilfreich sein, weil er dazu anhält, die „direct sympathy" durch eine dritte Perspektive zu reflektieren und auf ein höheres Rationalitätsniveau zu heben, das Smith als „indirect sympathy" bezeichnet149. Das Urteil über „Verdienst" setzt sich als „compounded sentiment" aus der Vermittlung dieser beiden Ebenen zusammen. Bleibt auch der sympathetische Einfluß der Handlungsfolgen auf die „Moral Sentiments" eine systematische Verzerrung des moralischen Urteils, so erscheint sie jedoch beherrschbar und findet ihre Rechtfertigung darin150, daß die moralische Parteinahme sich auf wirklich vollzogene Handlungen konzentriert und nicht in Spekulationen über die wohlmeinenden oder feindseligen Intentionen der sozialen Umwelt verliert. Dem entspricht der Rechtsgrundsatz, nur Handlungen zu sanktionieren, nicht jedoch bloße Intentionen und Absichten. Der moralische Defekt macht daher das moralische Urteil juristisch operationalisierbar, indem er die moralischen Beziehungen auf pragmatische Evidenzen reduziert, und er wirkt handlungsstimulierend, weil zum „praise" durch die anderen - das Normalmotiv nicht die gute Intention genügt, sondern das folgenorientierte Handeln. In den spontan-sympathetischen Prozeß gehen aber auch andere als utilitätsrationale Momente ein, die eventuell ebenfalls moralisch defekt sind. Wir nehmen etwa wahr, argumentiert Smith, wie das Leben der Reichen und Mächtigen durch Einrichtungen angenehm gemacht wird, die zusammen ein System bilden, das eine gewisse Exzellenz aufweist, und das es erstrebenswert erscheinen läßt. Stellen wir uns jedoch philosophisch abgeklärt die Frage, was die Reichen und Mächtigen für einen Nutzen aus ihren Distinktionsgütern ziehen, dann erweist sich dieser als verhältnismäßig klein - gemessen am Aufwand 151 . Generell meinte Smith, der gesunde und arbeitsfähige Arme habe kaum wirklich Grund, den Reichen zu beneiden, weil es essentiell nicht die Distinktionsgüter sind, die glücklich machen152, eine These, die die Jagd nach Distinktionsgütern verwei146 147 148 149 150 151 152

Siehe: TMS, S. 96. Ibid., Teil II, Abschn. III, Einführung. Ibid., S. 104f. Ibid., S. 74. Siehe zum folgenden: Ibid., Teil II, Abschn. III, Kap. III. Ibid., Teil IV. Ibid., S. 185.

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gert und deutlich Smiths stoische Tendenz, hier vor allem an Epiktet orientiert153, zeigt. Die meisten Menschen können sich jedoch zu diesem philosophisch reflektierten Standpunkt nicht erheben, urteilen also in diesem Sinne nicht rational, sondern lassen sich durch die Rafinesse des Lebens der Reichen blenden, eine Verblendung, die sich von einem philosophisch kontemplativen Standpunkt α posteriori aus als nützlich für die Entwicklung der Gesellschaft erweist, denn „It is this deception which rouses and keeps in continual motion the industry of mankind. It is this which first prompted them to cultivate the ground, to build houses, to found cities and commonwealths, and to invent and improve all the sciences and arts, which ennoble and embellish human life; which have entirely changed the whole face of the globe..." 154 . In dieser Argumentation, die die einzige „Invisible Hand"-Passage der Theory of Moral Sentiments einschließt 155 , liegt einer der Übergange zum WN. Ein gleichartiges Argument Smiths behauptet die gleichsam ästhetische Befriedigung einer systematischen Politik, denn nicht (nur), weil wir das Wohl der Mitmenschen wünschen, befriedigt uns eine „wohlgeordnete Polizey", sondern weil wir an ihrer Systematik Wohlgefallen finden, deren Raffinesse, wenn man will: Schönheit künstlicher gesellschaftlicher Selbstordnung wir bewundern. Das sind ungewöhnliche Argumente, die in Smiths Gefühl für die emotionale Kraft der Imagination wurzeln, das sich am klarsten in seiner Wissenschaftstheorie offenbart, die auf den Gedanken der Ökonomie und systematischen Geschlossenheit wissenschaftlicher Erklärungen als mentale Konstrukte aufbaut156. Politische Institutionen sollten nur bewertet werden „in proportion as they tend to promote the happiness of those who live under them. This is their sole use and end. From a certain spirit of system, however, from a certain love of art and contrivance, we sometimes seem to value the means more than the end, and to be eager to promote the happiness of our fellow-creatures, rather from a view to perfect and improve a certain beautiful and orderly system, than from any immediate sense or feeling of what they either suffer or enjoy". „The perfection of police, the extension of trade and manufactures, are noble and magnificent objects. The contemplation of them pleases us, and we are interested in whatever can tend to advance them. They make part of the great system of government, and the wheels of the political machine seem to move with more harmony and ease by means of them. We take pleasure in beholding the perfection of so beautiful and grand a system..." 157 . Die Schlüsselwörter hier sind: „system", „machine", „beauty", mit denen Smith auf ein Moment der imaginativen Verselbständigung instru-

153 Siehe: Epiktet: Handbüchlein der Ethik, Stg., 1987. 154 TMS, S. 183; J. R. Davis: Adam Smith on the providential reconciliation of individual and social interests: is man led by an invisible hand or misled by a sleight of hand?, JHI, 1990: 51, S. 341-52, betont die Reception" als Steuerungsmittel der Vorsehung bei Smith. 155 TMS, S. 184. Siehe dazu: A. L. MacFie: The invisible hand in the_Theory of Moral Sentiments, in: ders.: The Individual in Society, S. 101-25. Eine Auflistung der verschiedenen Stellen bietet: Syed Ahmad: Adam Smith's four invisible hands, ΗΡΕ, 1990: 22, S. 137-44. 156 Siehe bes. seine Schrift über: The Principles which lead and direct Philosophical Enquiries; illustrated by the History of Astronomy, in: Essays on Philosophical Subjects, dort auch die Einführung der Herausgeber; A. S. Skinner: Science and the role of the imagination, in: ders.: A system of social science, Kap. 2; D. D. Raphael: Adam Smith: Philosophy, Science, and social Science, in: S. C. Brown (Hg.): Philosophers of the Enlightenment, S. 77-93; vgl. auch A. Ferguson: Principles, Bd. I, S. 278: „The love of science and the love of system are the same... ". 157 TMS, S. 185.

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menteller Ideen abhebt. Nicht (nur) die Reflektion auf die Zwecke motiviert demnach unser Engagement in res publica, sondern unsere Begeisterung für ihre Systematik, und „public spirit" erscheint damit als Produkt der Ästhetik der Gesellschaftsorganisation158, was streng moralphilosophisch defekt, aber offensichtlich nützlich ist. Eine entsprechende Fehlannahme der Utilitaristen (im Hintergrund der Theory of Moral Sentiments ist stets an Hutcheson und Hume als Repräsentanten zweier Varianten von „Utilitarismus" zu denken) besagt auch, großherzige oder heroische Handlungen würden wegen ihrer Nützlichkeit moralisch geschätzt, während in Wirklichkeit die Bewunderung, die sie auslösen, in der psychologischen Schwierigkeit des durchschnittlichen Betrachters gründet, die starken Leidenschaften des Heros nachzuvollziehen, eine Schwierigkeit, die psychologisch zunächst Verwunderung und dann Bewunderung auslöst. Schließlich wird die utilitätsrationale Motivationsthese auch durch Prozesse der historisch-sozialisatorischen Enkulturation unterlaufen, durch Modeerscheinungen sowie „Custom" - Gewohnheiten, Sitten, Bräuche, die gedankenlos reproduziert werden159. Das 18. Jahrhundert war, man kann sagen, besessen von der Frage der Identität von moralischem Verdienst und sozialem Erfolg. Tatsächlich jedoch werden nicht jene Tugenden am höchsten bewertet, die in der bürgerlichen Gesellschaft zu Erfolg führen, nämlich „industry, prudence, and circumspection"160 als typisch private Mittelklassetugenden, die sowohl von einem moralphilosophisch rigorosen Standpunkt als auch in den Augen des „real spectator" Tugenden minderer Qualität sind, die zu Recht als nicht besonders verdienstvoll gelten. Moralisch hoch bewertet sind dagegen „Magnanimity, generosity, and justice", also spezifisch soziale Tugenden, die „command so high a degree of admiration, that we desire to see them crowned with wealth, and power, and honours of every kind, the natural consequences of prudence, industry, and application"161. Immerhin können die privaten Mittelklassetugenden Respekt beanspruchen, wenn sie konsequent praktiziert werden162. Dennoch führt der Marktprozeß zu einem anderen Ergebnis, als die spontanen „Moral Sentiments" verlangen, die in diesem Fall die Moralphilosophie auf ihrer Seite haben. Angenommen auch, das Verteilungsresultat des Marktprozesses werde nachträglich nach dem Kriterium moralischen Verdienstes im Rahmen „distributiver Gerechtigkeit" ein Stück weit korrigiert, so kann doch „The natural course of things" nicht „be entirely controlled by the impotent endeavours of man"163. Und die übergreifende soziale Nützlichkeit der Verteilung durch den Marktprozeß liegt auf der Hand, wenn gerade die minderen, sagen wir: kommerziellen Tugenden, jene sind, denen sich der Wohlstand der Gesellschaft im ganzen, auch der Armen, auch der Tugendhaften, verdankt. In dieser Argumentation liegt ein weiterer Übergang von der TMS zum WN. Ein moralischer Defekt liegt schließlich in der Versuchung utilitaristischer Orientierung im Handeln, die sich daraus ergibt, daß wir als Betrachter die Handlungen anderer an ihren Folgen messen, denn das legt nahe, auch die eigenen Handlungen durch die 158 Siehe: P. Jones: The Aesthetics of Adam Smith, in: Mizuta/Sugiyama (Hg.): Adam Smith, S. 43-62. 159 Hier schließt Smith offensichtlich an Hume an. Vgl. F. Nietzsche: „Der Mensch ist ein mittelmäßiger Egoist: auch der Klügste nimmt seine Gewohnheit wichtiger als seinen Vorteil", Aus dem Nachlaß der Achtzigerjahre, Werke, Bd. IV, S. 387. 160 TMS, S. 166, auch das folgende; siehe dazu auch: ibid., S. 216. 161 Ibid., S. 167. 162 Ibid., S. 189f. 163 Ibid., S. 168.

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Überlegung zu legitimieren: Weil ich Gutes will (oder mir einrede, es zu wollen), ist meine Handlung eventuell legitim, obwohl sie gegen soziale Normen verstößt. Dieses Verfahren mag in vielen Fällen unschädlich sein, meint Smith, da jedoch der Mensch im allgemeinen die Folgen seiner Handlungen nur begrenzt kontrolliert, ist er verpflichtet, jedenfalls in den Bereichen, die gesellschaftlich verbindlich normiert sind, die Normen einzuhalten. „The most sacred regard" 164 gebührt daher den Regeln der Gerechtigkeit, auf deren strikter Beachtung das für den Sozialverkehr nötige Vertrauen beruht. Wer sie im geringsten verletzt, „is no longer to be trusted, and no man can say what degree of guilt he may not arrive at" 16S . Gegen die Versuchung utilitaristischer Handlungsorientierung muß die Gesellschaft deutlich jene Regeln bezeichnen, die zwingend sind und deren Bruch hart sanktioniert wird. Gegen Steuart stellt Smith fest, daß auch der Staat selbst an die Gerechtigkeit zu binden ist, um die Bürger vor dem ungleich verführerischeren Staats-Utilitarismus zu schützen, der die Rechte Einzelner oder von Minderheiten im Namen eines sogannten „Allgemeininteresses" zurückstellt. Smiths moralphilosophische Diskussion bewegt sich in der Summe im Spannungsfeld von vier Faktoren: dem wirklichen Gesellschaftsprozeß (unter moralischen Gesichtspunkten), dem spontan-sympathetischen Prozeß der „Moral Sentiments", drittens einem philosophisch reflektierten idealen Standpunkt und schließlich einem ideellen Gesamtinteresse der Gesellschaft, das sich der sozialtheoretischen Kontemplation α posteriori eventuell erschließt. Im allgemeinen argumentiert Smith nun in drei Schritten: er beschreibt, wie der Gesellschaftsprozeß und der spontan-sympathetische Prozeß ablaufen, entwickelt zweitens eine Kritik vom moralphilosophisch reflektierten idealen Standpunkt aus und begründet drittens, warum der konstatierte moralische Defekt, innerhalb gewisser Grenzen, gesamtgesellschaftlich nützlich ist. Diese Argumentationsstruktur ist deistisch motiviert, aber Smith vermeidet jeglichen Rekurs auf Metaphysik. Motiviert ist sie durch die wohl durch Hume provozierte Aufgabe der Hutchesonschen harmonistischen Annahme der Identität von spontanen Affekten und idealer Moralphilosophie. Das wesentliche Ergebnis ist ein moralischer Dualismus, der in kontemplativer Perspektive aufgehoben wird. Diese Argumentationsstruktur tritt sehr klar hervor in einer Passage, die von der moralisch defekten Verehrung der Reichen und Mächtigen handelt 166 . „Moralists... warn us against the fascination of greatness", schreibt Smith. Und „This fascination, indeed, is so powerful, that the rich and the great are too often preferred to the wise and the virtuous". Soweit konstatiert er die spontane Moralität und kritisiert sie. Dieser Widerspruch wird aufgelöst unter Rekurs auf die Annahme einer höheren Weisheit: „Nature has wisely judged that the distinction of ranks, the peace and order of society, would rest more securely upon the plain and palpable difference of birth and fortune, than upon the invisible and uncertain difference of wisdom and virtue". Bilden Ordnung und Frieden der Gesellschaft den obersten Wert, dann kann mit der Vorannahme der Notwendigkeit sozialer Hierarchie und Autorität gegen diese Strategie moralischen Realismus, die unter Berufung auf eine höhere Weisheit moralische Ansprüche reduziert, kaum etwas ins Feld geführt werden. „In the order of all those recommendations", die Ergebnis der spontanen 164 Ibid., S. 175. 165 Ibid., S. 175. 166 Ibid., S. 226.

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menschlichen Affektnatur sind, „the benevolent wisdom of nature is equally evident" 167 . In diesem kontemplativen Vertrauen in die spontanen, auf die Schöpfungsnatur gestützten Abläufe, das letzten Endes quietistisch ist, indem es moralische Defekte einem höheren wohltätigen Plan zuschreibt 168 , trifft sich Smith wieder mit Hutcheson. Praktisch bedeutsam ist vor allem die Etablierung eines doppelten moralischen Standards, einen für die Masse der Menschen, die sich in ihrem Alltag nicht um moralphilosophische Raffinesse kümmern, und einen für eine philosophisch geschulte Elite. Dieser Elite sagt Smith, sie möge nach höheren moralischen Standards leben, aber nicht die Welt nach ihren Idealen modeln wollen, denn das würde gegen die höhere Schöpfungsweisheit, gegen die Interessen der Gesellschaft selbst und letzten Endes gegen ihre eigenen Interessen verstoßen. Diesen Fehler begingen etwa jene Anhänger der Stoa - Smith weist besonders auf Marcus Aurelius hin 169 -, die die Unterwerfung des Individuums unter das Glück des Universums forderten, ein Fehler, den Smith - der Tendenz nach - sicher Hutcheson zuschrieb. Dieser moralisch anspruchsvolle Typus „is at all times willing that his own private interest should be sacrificed to the public interest of his own particular order or society. He is at all times willing, too, that the interest of this order or society should be sacrificed to the greater interest of the state or sovereignty, of which it is only a subordinate part. He should, therefore, be equally willing that all those inferior interests should be sacrificed to the greater interest of that great society of all sensible and intelligent beings, of which God himself is the immediate administrator and director" 170 . Diese Haltung sei edel, aber „The administration of the great system of the universe, ... the care of the universal happiness of all rational and sensible beings, is the business of God and not of man. To man is allotted a much humbler department, but one much more suitable to the weakness of his powers, and to the narrowness of his comprehension; the care of his own happiness, of that of his family, his friends, his country..." 171 . Wenn man sich daher auch an dem Glauben an die Benevolenz Gottes, die sich in der „Schönheit" der Schöpfung offenbart, kontemplativ erwärmt 172 , wäre die aktivistische Wendung zu universaler Benevolenz Hybris, weil der Mensch die Pläne Gottes nicht verstehen kann und allenfalls im nachhinein eine Idee seiner höheren Weisheit gewinnen kann - eine Argumentation, die zusammenstimmt mit Hegels Diktum, die Eule der Minerva fliege erst mit Anbruch der Dämmerung 173 , will sagen: die philosophische Erkenntnis der dialektischen Bewegung des Absoluten in der Geschichte ist notwendig Erkenntnis α posteriori. 167 Einen deutschen Idealisten vom Schlage Fichtes mußte derart kleinmütiger moralischer Realismus empören; siehe seine Lösung des Problems, wem in einem unvernünftigen, unsittlichen, unrechtlichen Gesellschaftszustand die Führung zu einem vernünftigen, usw., zusteht - dem höchsten Verstand, der sich beweist durch erfolgreiches Lehren, also die Lehrenden, die als Kollektiv den besten der Ihren aufs Panier heben; und wer sollte das sein? Wohl Herr Fichte, nach Meinung von Herrn Fichte?, Die Staatslehre, oder Über das Verhältnis des Urstaates zum Vernunftreiche (1813), 3. Abschnitt, in: Fichtes Werke, hg. v. I. H. Fichte, Bd. IV, Berlin, 1971, S. 43Iff. 168 Siehe bes.: TMS, S. 292. Vgl. die Kritik Voltaires: Candide, oder Der Optimismus (1758), in: ders.: Erzählungen. 169 Ibid., S. 236; siehe: Marc Aurel: Selbstbetrachtungen. 170 TMS, S. 235. 171 Ibid., S. 237. 172 Siehe zu dieser Smithschen Argumentation: H. G. Nutzinger: Das System der natürlichen Freiheit bei Adam Smith, Ökonomie und Gesellschaft, 1991, bes. S. 91f. ; vgl. E. Burke: Philosophical Enquiry into the Origin of our Ideas of the Sublime and Beautiful, Teil I, Abschn. XIX, S. 48. 173 Grundlinien der Philosophie des Rechts, Ende der Vorrede, S. 28.

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Praktisch mündet diese Position in eine realistische Reduktion der moralischen Ansprüche an das Individuum. Smith rechtfertigt, mit anderen Worten, die moralischen Unzulänglichkeiten der modernen Gesellschaft, und nimmt inhaltlich vor allem gegen rationalistische, insbesondere „utilitaristische" Positionen Stellung, denen er verschiedene nicht-rationale Motive gegenüber stellt. Klugheit, Gerechtigkeit, „Beneficence", „Public Spirit" Ausgehend von dem Theorem konzentrischer emotionaler Kreise, der Trennung von Recht und Moral und dem moralischen Dualismus entwickelt Smith einen Katalog von Tugenden, der den privaten Tugenden Priorität zuschreibt und den öffentlichen Tugenden Exzellenz 174 .Die fundamentale selbstbezügliche Tugend ist die Klugheit („prudence"), die im Laufe der Lebenserfahrung von einer kurzen auf eine lange Sicht ausgedehnt wird. Der kluge Mann wird vor allem sparsam haushalten, so daß er in die Lage kommt, regelmäßig einen Teil seines Einkommens zurückzulegen und seinen Lebensstandard allmählich zu erhöhen 175 . Er wird sich nicht auf gewagte oder unüberlegte Projekte einlassen und bevorzugt einen zurückgezogenen, privaten und zivilen Lebensstil. „When distinctly called upon, he will not decline the service of his country, but he will not cabal in order to force himself into it, and would be much better pleased that the public business were well managed by some other person, than that he himself should have the trouble, and incur the responsibility, of managing it. In the bottom of his heart he would prefer the undisturbed enjoyment of secure tranquility..." 176 . Diese Lebensweise, die Smith deutlich auf die ökonomischen Tugenden der Mittelklassen abstellt, wird als respektable oder angenehm empfunden, aber nicht als edel. Sie „commands a certain cold esteem, but seems not entitled to any very ardent love or admiration". Erst wenn sie sich mit großherzigen, heroischen oder erhabenen Leidenschaften, Zielen und Handlungen verbindet, partizipiert sie an der Bewunderung, die diese auf sich ziehen. Umgekehrt müssen diese aber auch klug ausagiert sein, um Bewunderung zu erregen, so wie auf der anderen Seite die moralische Verurteilung eines klugen Verbrechers weniger scharf ausfallen wird, weil die Klugheit ein Moment des Respekts unter den Abscheu mischt. „As prudence combined with other virtues, constitutes the noblest; so imprudence combined with other vices, constitutes the vilest of all characters" 177 . Im Verhältnis zu anderen ist zu verlangen, daß deren Rechte gewahrt werden, und sodann, ihnen nicht zu schaden. Diese negative Bestimmung hat Vorrang vor positiver Wohltätigkeit 178 . Wohltätigkeit kann im Grundsatz nicht erzwungen werden, und ihr Fehlen ist daher im allgemeinen nicht strafbar 179 . Ebenso kann man den Undankbaren, der eine Wohltat nicht vergilt, zwar verabscheuen, denn „of all the duties of beneficence, 174 175 176 177 178

Vgl. zum folgenden: Κ. Haakonssen: Science of a Legislator, Kap. 4. TMS, S. 215. Ibid., S. 216, auch das folgende. Ibid., S. 217. Von dem französischen Moralisten Nicolas Chamfort stammt der Aphorismus: ,J1 faut etre juste avant etre genereux, comme on a des chemises avant d'avoir des dentelles", Früchte der vollendeten Zivilisation. Maximen, Gedanken, Charakterzüge, Stg., 1977, S. 30. 179 Vgl. I. Kant: Eine Vorlesung über Ethik, S. 69: „... es kann mich keiner zwingen, Wohltaten auszuüben. Also ethische Unterlassungen mit ihren Folgen können mir niemals imputiert werden, wohl aber juridische Unterlassungen".

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those which gratitude recommends to us approach nearest to what is called a perfect and complete obligation" 180 , aber wir können ihm nicht mit „resentment" begegnen, denn „resentment" ist eine Leidenschaft, „which is never properly called forth but by actions which tend to do real and positive hurt to some particular persons". Smith beschreibt die „Gerechtigkeit" als „negative virtue" 181 , als Sicherheitsraum; sie begründet Schutzrechte, denen negative Pflichten (Unterlassungspflichten) entsprechen 182 . Wohltätigkeit dagegen beginnt mit (positiven) freien Gaben, die (schwache, positive) Pflichten begründen, denen (schwache, positive) Rechte entsprechen. Diese Struktur von Pflichten und Rechten ist spiegelbildlich: „Justice" geht von Rechten aus, „Beneficence" von (freien Gaben und) Pflichten. Dem „Resentment" auf Seiten des Opfers und des Betrachters entsprechen auf Seiten des Täters, wenn er nicht moralisch abgestumpft ist, „shame" und „remorse": ein quälendes schlechtes Gewissen 183 . Wie Kames betrachtet Smith den abwehrenden Affekt des „Resentment" als „the safeguard of justice", als Schutzaffekt der grundlegenden gesellschaftlichen Ordnungstugend „Gerechtigkeit", der vital gehalten werden muß. Er bildet auch die Affektbasis der Institutionen, die für den Schutz der Gerechtigkeit existieren - also besonders das Privat- und Strafrechtssystem 184 -, soll aber auch zu unmittelbaren Reaktionen animieren: „When one man attacks, or robs, or attempts to murder another, all the neighbours take the alarm, and think that they do right when they run, either to revenge the person who has been injured, or to defend him who is in danger of being so" 185 . In der schottischen Aufklärung überwiegt die Tendenz, das praktische Funktionieren des Rechts auf die moralischen Empfindungen der Bürger zu basieren, deren juridische Kompetenz nicht an den Staat überwiesen ist, und wie Kames weist Smith die von Grotius (man kann Beccaria und Bentham hinzufügen) vertretene Bindung der Strafe an das „öffentliche Interesse" als unzureichend zurück 186 . Insoweit jeder für sich selbst sorgt, wird er Rechtsverletzungen durch andere abwehren, und selbst gegen andere gerecht zu sein, ist Pflicht, die, als „sacred and religious regard, not to hurt or disturb in any respect the happiness of our neighbour", dem „perfectly innocent and just man" Respekt verleiht 187 . Jeder ist jedoch auch gefordert, gegen Ungerechtigkeiten einzutreten, die anderen widerfahren, was zwei wichtige Implikationen hat: erstens ist die Existenz einer intakten moralischen Kultur unterstellt, die die nötigen verbindlichen Maßstäbe für das individuelle Urteil über die Gerechtigkeit und ihre Verletzung liefert, und zweitens wird die gesellschaftliche Reaktion auf Verletzungen der Gerechtigkeit vom institutionellen Rechtssystem abgehoben, eine radikale Differenz zu Hobbes, der das Gesetz als positivrechtlichen Akt der Souveränität versteht und im Grunde keine autonome gesellschaftliche Urteilskompetenz über Fragen des Rechts akzeptiert. Die einfache Beachtung der Gesetze ist nicht verdienstvoll, so wie Smith auch ein Normalmaß von „Beneficence" annimmt, das weder Lob noch Tadel begründet. Der von 180 181 182 183 184 185 186 187

TMS, S. 79, auch das folgende. Ibid., S. 82. Ibid.: „We may often fulfil all the rules of justice by sitting still and doing nothing". Ibid., S. 84. Eine gründliche Behandlung der Smithschen Theorie des Resentment" K. Haakonssen: Science of a Legislator. LJ(A), S. 104, S. 277. TMS, S. 81, auch das folgende. LJ(A),S. 104. TMS, S. 218.

findet sich bei

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allen zu verlangende Respekt der „Gerechtigkeit" ermöglicht Gesellschaft 188 , aber das erwartbare Normalmaß moralischen Verhaltens schließt auch ein gewisses Maß von Entgegenkommen und Wohlwollen ein. Und es scheint, daß der Staat einige wünschenswerte Pflichterfüllungen der „Wohltätigkeit" auch erzwingen kann: „The civil magistrate is entrusted with the power not only of preserving the public peace by restraining injustice, but of promoting the prosperity of the commonwealth, by establishing good discipline, and by discouraging every sort of vice and impropriety; he may prescribe rules, therefore, which not only prohibit mutual injuries among fellow-citizens, but command mutual good offices to a certain degree" 189 . Und auch im Strafrecht kann es Fälle geben, in denen der Staat über die Bewahrung der „Gerechtigkeit" hinausgeht, wenn nämlich überwiegende öffentliche Güter nach einem strafrechtlichen Schutz verlangen, der den affektuellen Zusammenhang von Motiv, Tat und Strafe auflöst, der im Normalfall die sozialen Moral Sentiments bestimmt 190 . Smith nennt als Beispiel die Todesstrafe für einen Soldaten, der auf der Wache geschlafen hat, denn sein Vergehen, das inhärent kaum strafwürdig ist, gewinnt aus dem Kontext der möglichen Gefahrdung einer ganzen Armee eine politische Dimension, die als intendierte Abschreckung auf die Strafe durchschlägt. Der Impartial Spectator wird diese Strafe spontan nicht gutheißen können, aber er wird durch utilitaristische Überlegungen überdeterminiert, die sich ausnahmsweise weniger an den Motiven der Handelnden als an den Effekten der Handlungen orientieren. Während Smith also „Gerechtigkeit" und „Wohltätigkeit" deutlich abgrenzt, betrachtet er weder das bloß gerechte Verhalten als moralisch hinreichend, noch beschränkt er den Staat absolut auf die Minimalfunktion der Wahrung der Gerechtigkeit. Das Überschreiten dieser Grenze durch den Staat jedoch „requires the greatest delicacy and reserve to execute with propriety and judgement. To neglect it altogether exposes the commonwealth to many gross disorders and shocking enormities, and to push it too far is destructive of all liberty, security, and justice" 191 . Diese Überschreitung der „Gerechtigkeit" ist ein Ausnahmeprivileg des Staates, das nichts daran ändert, daß wir als Privatpersonen niemanden Besonderes zur Wohltätigkeit zwingen können. Offensichtlich hängt indes die Fähigkeit des Staates, entsprechende Vorschriften zu erlassen und durchzusetzen, von den existierenden moralischen Standards der gesellschaftlichen Praxis ab; er kann einer Gesellschaft keine ihrer moralischen Praxis gänzlich äußerliche Regeln aufnötigen, sondern allenfalls Einzelne, die das moralische Normalmaß nicht erfüllen, zur Beachtung gewisser Pflichten oberhalb des Minimums der negativen Regeln der Gerechtigkeit zwingen. Er ist daher auf eine entgegenkommende Kultur der „Moral Sentiments" angewiesen, die, nach Smith, in der menschlichen Natur angelegt sein soll192. Nach „Prudence", „Justice" und „Beneficence" als private und vorpolitische Tugenden nun zum „public spirit", der Bindung der Individuen an die „res publica". „The state or sovereignty in which we have been born and educated, and under the protection of which we continue to live", schreibt Smith, sei gewöhnlich „the greatest society upon whose happiness or misery, our good or bad conduct can have much influence. It is accordingly,

188 189 190 191 192

Ibid., S. 86. Ibid., S. 81. Siehe ibid., S. 90f., und Appendix II, S. 389. Ibid., S. 81. Ibid., S. 218.

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by nature, most strongly recommended to us"193. Denn „Not only we ourselves, but all the objects of our kindest affections, our children, our parents, our relations, our friends, our benefactors, all those whom we naturally love and revere the most, are commonly comprehended within it; and their prosperity and safety depend in some measure upon its prosperity and safety. It is by nature, therefore, endeared to us, not only by all our selfish, but by all our private benevolent affections". Die weiteste emotionale Bindung, die eigentlich politische, wird also durch die engeren vermittelt und gestützt. Wir partizipieren aber als Individuen und Mitglieder eines Staates auch unmittelbar imaginativ an seiner Wohlfahrt und seinem Ruhm, denn Bindung bedeutet wesentlich Identifikation. Starker Patriotismus bis hin zur Selbstaufopferung für das politische Gemeinwesen erscheint bewundernswert, weil sie eine tugendhafte Selbstüberwindung impliziert, der Patriotismus stützt sich jedoch oft auch auf das „mean principle of national prejudice" und wird uns entweder den Fremden näher bringen, den wir reflexiv-sympathetisch als gleiches Mitglieder seiner respektiven Nation identifizieren, oder aber uns von der Humanität entfremden. Ein edler Wettstreit zwischen Nationen, gerichtet auf das Wohl der Menschen, ist hingegen moralisch unproblematisch. Dabei besteht Smith darauf, daß die Vaterlandsliebe nicht von einer allgemeinen Menschenliebe utilitaristisch abgeleitet ist: „We do not love our country merely as a part of the great society of mankind: we love it for its own sake..." 194 . Ist der Mensch so emotional auf seinen Erfahrungsbereich beschränkt, wird damit doch „the interest of the great society of mankind" am besten befördert. In der Summe ergibt sich ein zusammengesetztes ethisches Ideal, das gleichzeitig eine Hierarchie der Pflichten bezeichnet: „The man who acts according to the rules of perfect prudence, of strict justice, and of proper benevolence, may be said to be perfectly virtuous"195. Dieses ideale Individuum ist auf seine Klugheit verwiesen, für sich selbst zu sorgen, es hat die Regeln der Gerechtigkeit zu beachten, um mit anderen leben zu können, und es wird anderen Gutes tun, soweit dies mit den ersten beiden Bestimmungen vereinbar ist. Die politische Bindung der Masse der Bürger erscheint in diesem Zusammenhang als einfacher Ausfluß einer intakten moralischen Vergesellschaftung. Sie braucht im allgemeinen nicht stark zu sein, denn es wird immer Menschen geben, die nicht nur ihre politische Pflicht erfüllen und dem Gemeinwesen in Krisen beistehen, sondern die sich - moralphilosophisch defekt - in der Politik hervorzutun streben, so wie andere im Kommerz, im Krieg, in der Kunst oder Wissenschaft. Smith gründet also die republikanische Vergesellschaftung auf das Gelingen der Privaten. „Jurisprudence" und „Legislator" Jede Gesellschaft benötigt einen verbindlichen Regelungsbereich, der Rechte definiert, die verläßlich in Anspruch genommen werden können, weil sie verläßlich von den anderen respektiert werden196; jenseits dieses Bereiches gibt es kontingente Handlungen. Der spontane „Impartial Spectator"-Prozeß generiert aus sich heraus nur unzulänglich gesell193 Ibid., S. 227f., auch das folgende. Siehe für den Kontext E. Radcliffe: Revolutionary writing, moral philosophy, and universal benevolence in the eighteenth century, JHI, 1993: 54, S. 221-40. 194 Ibid., S. 229, auch das folgende. 195 Ibid., S. 237. 196 Siehe zum folgenden: Κ. Haakonssen: Science of a Legislator, Kap. 5.

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schaftlich verbindliche Regeln und ist noch weniger in der Lage, die Grenzen zwischen jenen Regeln zu fixieren, die unverbrüchlich zwingend sein sollen, und jenen, die als bloße „Maximen" gelten. Smith geht zwar davon aus, daß jeder Mensch im spontan-sympathetischen Prozeß elementare Rechtsverletzungen als solche empfindet, und er behauptet, dieses spontane Rechtsempfinden stimme in allen Gesellschaften im wesentlichen übereinstimmen „with regard to the general style and character of conduct and behaviour" 197 , aber er weist auch auf Handlungen und Bräuche hin, „which shock the plainest principles of right and wrong" 198 , die jedoch durch „Custom" legitimiert sind. Die Festlegung der genauen Grenze zwischen dem Verbindlichen und dem Kontingenten bedarf daher positiver gesellschaftlicher Festlegung, und die Beschreibung des Verbindlichen kann als „Recht" bezeichnet werden. Die Gültigkeit des Rechts hängt jedoch an der Übereinstimmung mit den im verdichteten Moral Sentiments-ProzeR spontan erzeugten sozialen Normen, andernfalls es gesellschaftlich gleichsam „in der Luft" 199 stünde. Die Wahrung der „Gerechtigkeit" als wesentliche, begründende Staatsaufgabe umfaßt den Schutz von Leben und personaler Integrität, Eigentum sowie vertraglich oder anders begründete verbindliche Ansprüche an andere 200 . Hier bewegt sich Smith, wie andere Schotten, im Rahmen der Naturrechtstradition, wobei er der Versuchung widersteht, alle Aspekte der Norm der „Gerechtigkeit" unter einen weiten Eigentumsbegriff zu subsumieren, „Gerechtigkeit" also mit „Eigentum" zu identifizieren, was Locke und Hume tendenziell tun 201 , wogegen Ferguson später explizit protestiert, der auf ursprüngliche Menschen- bzw. Grundrechte hinweist, personale „original rights", die dem Eigentum vorausliegen202. Aber Smith sieht auch, wie Locke und Hume, in der Eigentumssicherung ein treibendes Motiv des Zivilisationsprozesses in der Entwicklung des Rechts und des politischen Systems: „In the age of commerce, as the subjects of property are greatly increasd [sic] the laws must be proportionally multiplied. The more improved any society is and the greater length the severall means of supporting the inhabitants are carried, the greater will be the number of their laws and regulations necessary to maintain justice, and prevent infringements of the right of property" 203 . Und Jurisprudence ist jene übergreifende „Staatswissenschaft", die sich mit der staatlich abzustützenden Regelgebung befaßt. Jedes politische System, selbst nicht ausgenommen die persönliche Willkürherrschaft eines „asiatischen Despoten", beruht auf Regeln, die den politisch-sozialen Prozeß generell mit einem gewissen Minimum berechenbarer Ordnung ausstatten. In einem Regime der „Rule of Law" ist diese Ordnung entpersonalisiert, in bestimmte Verfahren institu-

197 TMS, S. 211. 198 Ibid., S. 209f. 199 Siehe zum folgenden auch: Tom Campbell: Adam Smith and the Economic Analysis of Law, in: V. Hope (Hg.): Philosophers of the Scottish Enlightenment, S. 133-56. 200 TMS, S. 84. Siehe auch: I. Hont/M. Ignatieff: Needs and Justice in the „Wealth of Nations": an introductory essay, in: dies. (Hg.): Wealth and Virtue, S. 1-44. 201 Locke definiert „Eigentum" im weiten Sinne als „life, liberty, and estates", siehe J. Tully: A Discourse on Property; die Kapitel über Locke und Hume in: R. Brandt: Eigentumstheorien von Grotius bis Kant; Hume: Treatise, Buch III, Teil II, Abschn. II, S. 490f.: ,After this convention, concerning abstinence from the possessions of others, is enter'd into, and every one has acquir'd a stability in his possessions, there immediately arise the ideas of justice and injustice; as also those of properly, right, and obligation... The origin of justice explains that of property. The same artifice gives rise to both". 202 Principles, Bd. II, S. 192 und S. 196. 203 LJ(A), S. 16.

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tionalisiert und mit Kontrollen versehen; aber auch hier gibt es souveräne Instanzen gleichgültig, ob einheitlich oder geteilt organisiert -, die die Ordnung, und die Ordnung der Ordnung, ändern können. Soziale Dynamik erzwingt Anpassungen der politischen Ordnung, und je größer die erstere, desto notwendiger die Flexibilität der letzteren. Soweit die Stabilität politischer Ordnung durch Wahrung von Kontinuitäten erhöht werden soll, müssen diese Invarianten daher wachsend abstrakt werden, was gleichzeitig ihre Fähigkeit vermindert, sich legitimatorisch in der kollektiven Imagination zu setzen. In der westeuropäischen Neuzeit wurden zwei Antworten auf das Problem einer flexiblen „Rule of Law" gegeben, mit dem kontinentalen Weg der geschriebenen Verfassung einerseits, der notwendig zu einer relativ autonomen Verfassungsgerichtsbarkeit führt, und der Versammlung der formell ungebundenen Souveränität in einem geteilten, daher idealiter sich selbst begrenzenden Organ andererseits: dem britischen „King in Parliament" („Parliament can do everything", Blackstone204). Weder in dem einen noch in dem anderen Fall gibt es eine absolute Sicherung der Souveränität gegen Einbrüche des Sozialen und seiner Konflikte in die Domäne oberster Regelgebung und -auslegung. Das ist der zutreffende Aspekt an Carl Schmitts zugespitzter These: „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet"205, die aber letztlich unbefriedigend bleibt, weil sie die Komplexität des Zusammenwirkens verschiedener Arten von Machtressourcen (nicht nur in Ausnahmesituationen) in einer reduktionistischen Formel zum Verschwinden bringt. So beruht auch das britische Konzept formeller Ungebundenheit des souveränen Organs auf der staatsrechtlich inartikulierten, praktisch jedoch außerordentlich wichtigen Prämisse des „Government by Consent" im Sinne der globalen Abstützung der Politik auf gesellschaftlich generierte Legitimität. Dabei spielt im Denken des 18. Jahrhunderts die soziale Hierarchie als Träger sozialer Autorität eine entscheidende Rolle, wie an Edmund Burke studiert werden kann; aber auch Smith stellte fest: „Civil government supposes a certain subordination"206. Gleichzeitig impliziert diese Idee die einbettende Abstützung des politischen Prozesses in übergreifende Normen der politischen Kultur, die unter Berufung auf Tradition, Herkommen, „wohlerworbene Rechte" und Präzedenz Stabilität und Kontinuität herbeifuhren soll. Sie wendet sich gegen „Rationalismus in der Politik" (Michael Oakeshott) und diskriminiert revolutionäre Brüche; so war das Aufwühlende der französischen Revolution für Burke ihr Rationalismus und der Bruch mit dem „ancien regime", das sich doch in England - wie Burke befürwortete - auf dem Wege schrittweiser Modernisierung befand. Das britische Konzept des Government by Consent beruht so auf einer unbefragten politisch-kulturellen Tradition und praktisch auf der Kombination von zwei Momenten: einerseits der Trennung von Legislative und Exekutive, bei klarer Überordnung der ersteren, und andererseits der Artikulation gesellschaftlicher Interessen und Meinungen, die in den politischen Prozeß eingehen, ihn transfor-

204 Commentaries, Bd. I, Buch I, Kap. 2, hier S. 156. 205 C. Schmitt: Politische Theologie. Vier Kapitel zur Lehre von der Souveränität (1922), Berlin, 4. Aufl., 1985, erster Satz; siehe zum Kontext: Ch. Müller/I. Staff (Hg.): Staatslehre in der Weimarer Republik. Hermann Heller zu ehren, Ffm., 1985; neuere Kommentare sind: J. Keane: Dictatorship and the Decline of Parliament, in: ders.: Democracy and Civil Society, S. 153-89; Werner v. Simson: Carl Schmitt und der Staat unserer Tage, AöR, 1989: 114, S. 185-220. 206 WN, Bd. II, S. 710. Aspekte des Verhältnisses: Smith - Burke behandelt: D. Winch: The Burke-Smith Problem, HJ, 1985; s. a. J. Conniff: Burke on political economy: the nature and extent of state authority,/?/', 1987:49, S. 490-514.

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miem und ihn orientieren. Auf diese Weise wird die Exekutive gleichsam „in die Zange" genommen, eine der Bedingungen gesellschaftlicher, „bürgerlicher" Freiheit. Von daher gewinnt die Figur des „Legislator" strategische Bedeutung 2 7. Der „Legislator" Smiths ist, trotz der terminologischen Anklänge, keine mythische Figur im Sinne der etwa durch Machiavelli 208 an die Neuzeit vermittelten antiken Tradition, auf die sich noch Hume bezieht 209 . Dieser mythische Gesetzgeber hatte idealiter zwei gedankliche Bedingungen zu erfüllen: erstens sollte er in der Lage sein, ein einheitliches politisches Ordnungssystem zu entwerfen (und durchzusetzen), und zweitens mußte er „fremd" sein, im Sinne der Außerkontextualität der zu regelnden Gesellschaft als Bedingung dafür, daß er in seinem politischen Urteil weder durch Ressentiments der Vergangenheit noch durch Hoffnungen der Zukunft von unparteiischer Regelgebung abgelenkt wird. Dieser Mythus diente den alten Gesellschaften dazu, die Tatsache der Selbstreferentialität der Gesellschaft, die Selbstgesetzgebung, zu verdrängen und als - scheinbar fremden Akt dem gesellschaftlichen Zugriff ein Stück weit zu entziehen, eine Strategie der Selbststabilisierung qua Entfremdung. Außerdem war diese mythisch-ursprüngliche Gesetzgebung als invariant gedacht, weil sie die konkreten Bedingungen der politischen Vergesellschaftung in einem gleichsam übermenschlichen Akt geistiger Durchdringung ein fur allemal optimierend fixiert. Die Abweichung von diesen Ursprungsregeln konnte ins Verderben fuhren und mußte daher durch eine Renovatio, durch die kathartische Rückkehr zu ihnen korrigiert werden. Dieses Modell war realiter kaum zu erfüllen und jedenfalls mit den modernen politischen Strukturen schlechterdings unvereinbar, da in der Moderne weder die Tatsache der Selbstgesetzgebung zu verdrängen ist, noch die Flexibilitätsforderungen der modernen gesellschaftlichen Dynamik abzuweisen sind. Das Bedürfiiis nach einem „fixen" Bezugspunkt der Politik existiert jedoch fort, und der Mythus der „ancient constitution" funktionierte im Ergebnis nach dem gleichen Muster wie der Mythus des ursprünglichen Gesetzgebers. Und auch in heutigen Gesellschaften werden Normenbereiche definiert, die dem politischen Zugriff entzogen sein sollen. Aber grundsätzlich etablierte das moderne Naturrecht mit der Bindung der politischen Obligation an die Zustimmung die Idee gesellschaftlicher Selbstgesetzgebung, und die schottische Theorie gesellschaftlicher Evolution ermöglichte, die Selbstanpassungen moderner gesellschaftlicher Dynamik zu denken. In diesem Problemfeld dient Smiths rechtsphilosophischer Begriff des „Legislator" als normative, abstrakte Gedankenfigur, mit der die an der positiven Gesetzgebung Beteiligten angesprochen sind, unabhängig davon, ob sie im Rahmen eines Regimes der „Rule of Law" tätig sind, ob es geregelte Gesetzgebungsverfahren gibt und ob die Legislative institutionell verselbständigt ist. Und so weit dieses Denken auch vom antiken Mythus entfernt ist, ist beiden gemeinsam, den politischen Prozeß vom Regelgeber aus zu betrachten, dessen Überlegungen, nach Smith, „ought to be governed by general principles which are always the same" 210 . Diese Perspektive setzt daher durchaus eine Orientierung 207 Siehe zum folgenden: E. S. Cohen: Justice and political economy in commercial society: Adam Smith's „science of a legislator", JP, 1989: 51, S. 50-72; D. Winch: Science and the Legislator, EJ, 1983. 208 Siehe: II Principe/Der Fürst, 6. Kap.; Discorsi, 1. und 2. Kap. 209 Siehe den Anfang von: Of Parties in general, Essays, S. 54f. 210 WN, Bd. I, S. 468, auch das folgende; theoretische Überlegungen bei P. Murphy: Moralities, rule choice, and the universal legislator, SR, 1983: 50, S. 757-801.

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an einem überparteilichen Allgemeinwohl oder „public interest" voraus, nach Ferguson „that common sense and opinion of mankind... struggeling with the private views of individuals, and the claims of party"211. Diese Erwartung ist in der politischen Wirklichkeit kaum von einer einzelnen Person oder Institution zu erfüllen, und so erweist sich der Legislator als Gedankenfigur normativ-wissenschaftlicher Durchdringung des politischen Prozesses, eben jener „Science of a legislator". Praktisch können die Nationen selbst, durch „trial and error" und vielfaltige historische Lernprozesse hindurch als die kollektiven Gesetzgeber angesehen werden212. Allerdings schließt Smith nicht aus, daß in Krisensituationen bedeutende Einzelpersönlichkeiten als herausragende Reformatoren und Gesetzgeber eine entscheidend befriedende Rolle spielen, indem sie das aus dem Gleichgewicht gefallene politische Gemeinwesen konstitutionell in einen neuen Gleichgewichtszustand überfuhren213. Aber Duncan Forbes hat sicher im ganzen zu Recht die Destruktion des antiken Mythus des ursprünglichen Gesetzgebers als „perhaps the most original and daring coup of the social science of the Scottish Enlightenment" bezeichnet214. Der Legislator ist abgegrenzt gegen den kurzsichtigen und selbstsüchtigen „Politiker" („statesman or politician")215; jener legt die Regeln fest, die den Rahmen für den politischen Prozeß bilden, der durch den Politiker betrieben wird, welcher weniger „weise" zu sein hat als „klug". Ist der Legislator einerseits gegen den Praktiker der Politik abgegrenzt, so auf der anderen Seite gegen den „Man of System", der seine rationalistischen theoretischen Konstrukte der Gesellschaft auch gegen ihren Willen aufzuzwingen trachtet, die sachlich vor allem daran kranken, nicht nur den politischen Rahmen für den freien gesellschaftlichen Prozeß vorzugeben, sondern ihn en detail regulieren zu wollen216. Absolutistische Herrscher sind von allen „political speculators" die gefahrlichsten, weil sie die Macht dazu haben, wahrscheinlich dachte Smith dabei aber auch an protodemokratische Radikale seiner Zeit217. Seine Haltung in dieser Frage faßt sich gleichsam

211 History of Civil Society, S. 135. 212 Siehe ibid., S. 166: „Rome and England, under their mixed governments..., have proved the great legislators among nations". 213 TMS, S. 232: „The leader of the successful party [in einem staatspolitischen Fundamentalkonflikt]... may re-establish and improve the constitution, and from the very doubtful and ambigious character of the leader of a party, he may assume the greatest and noblest of all characters, that of the reformer and legislator of a great state; and, by the wisdom of his institutions, secure the internal tranquility and happiness of his fellow-citizens for many succeeding generations". Ähnlich lesen wir in Fergusons History: ,Although free constitutions of government seldom or never take their rise from the scheme of any single projector, yet are they often preserved by the vigilance, activity, and zeal, of single men", S. 134; vgl. R. Sher: Church and University, S. 199. 214 Introduction, in: A. Ferguson: History of Civil Society, S. XXIV. 215 Donald Winch: Science and the Legislator, EJ, 1983, schreibt: „... since Smith was nothing if not a realist, the legislator takes on the character of an ideal type in a world in which affairs are chiefly conducted by politicians. In such a world, however, it remained the duty of the philosopher to encourage the development of the public-spirited attitudes of the legislator at the expence of those of the politician by enunciating general principles", S. 503. 216 TMS, S. 233f.; s. a. A. Ferguson: History of Civil Society, Teil III, Abschn. II, S. 122. 217 Diedrich Lange: Zur sozialphilosophischen Gestalt der Marktwirtschaftstheorie bei Adam Smith, S. 63, S. 141, behauptet, unter Hinweis darauf, daß Teil VI der TMS erst 1790 erschien, eine Reaktion auf die französische Revolution. Es gibt jedoch keinen Beweis für ein Eingehen der einsetzenden französische Revolution in diesen Text. Im März 1788 schrieb Smith an seinen Verleger, er arbeite an der Ergänzung der TMS (Correspondence, Brief Nr. 276, S. 31 Of.): „I am a

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symbolisch in der Zustimmung zum überlieferten Prinzip der Solonschen Gesetzgebung zusammen, nicht die absolut besten Gesetze zu geben, sondern die besten, die die Menschen vertragen können 218 . Auch John Miliar, der als militanter Whig politischen Reformen generell positiv gegenüberstand, verurteilte jenen Typus politischer Projektemacher, „who frames a political constitution upon a model of ideal perfection, and attempts to introduce it into any country, without consulting the inclinations of the inhabitants". „Instead of being applauded as a Lycurgus, [he] ought to be chained and confined as a madman" 219 . Und Dugald Stewart formulierte zusammenfassend vor dem Hintergrund der Erfahrung der französischen Revolution, nichts sei „more certain or more evident than this, - that as the form of a government has an influence on the character of the people so there is a certain national character neccessary to support the government, and which while it continues the same, will render all violent innovations impracticable... and any violent attempt to alter it has, in general, produced only a change of masters after a short paroxysm of bloodshed and anarchy" 220 . Die wissenschaftliche Reflektion über die Tätigkeit des Legislator nennt Smith „Natural Jurisprudence", „a particular science, of all sciences by far the most important, but hitherto, perhaps, the least cultivated.. ," 221 , inhaltlich beschrieben als „an inquiry into what were the natural rules of justice independent of all positive institution", oder als „theory of the general principles which ought to run through and be the foundation of the laws of all nations" 222 . Einzelüberlegungen für eine derartige universalgeschichtlichvergleichend arbeitende Rechtsphilosophie, seien, sagt Smith, sehr alt, aber „it was very late in the world before any such general system was thought of, or before the philosophy of law was treated of by itself, and without regard to the particular institutions of any one nation". „Grotius seems to have been the first who attempted to give the world any thing like a system of those principles which ought to run through, and be the foundation of the laws of all nations". Sein Werk „De Jure Belli ac Pacis", „with all its imperfections, is perhaps at this day the most complete work that has yet been given upon this subject". Und in dieser universalgeschichtlich-vergleichend ansetzenden normativen Rechtswisslow, a very slow workman, who do and undo everything I write at least half a dozen of times before I can be tolerably pleased with it; and tho' I have now, I think, brought my work within compass, yet it will be the month of June [17881 before I shall be able to send it to you". Ein Jahr später, März 1789. ibid., Nr. 287, S. 319f., also immer noch vor dem eigentlichen Beginn der französischen Revolution, erklärt er, der Gegenstand sei ihm unter der Hand angewachsen, und er furchte, es werde Sommer (1789). bevor das Manuskript fertig sei. Tatsächlich ging das Manuskript im Dezember 1789 an den Drucker. Aus diesem Ablauf erhellt, daß der Text im wesentlichen vor dem Beginn der französischen Revolution erarbeitet wurde. Tatsächlich gibt es weder in der Korrespondenz, noch, soweit ich weiß, in anderen Quellen einen Hinweis auf eine inhaltliche Reaktion von Smith auf die Revolution. Direkt phantastisch ist der Kontext, in den Lange Smiths Kennzeichnung der Unproduktivität - unter anderem - des Königs rückt (WN, II,iii,2), wo er den ,,schadenfrohe[n] Gestus des Aufklärers" verzeichnet, „der den König wenigstens auf dem Papier guillotinieren will", Zur sozialphilosophischen Gestalt, S. 118f. Die Kritik des Unproduktiven, Verschwenderischen des Hofes war in der republikanischen-, der „Country"- und der protestantischen Rhetorik etabliert und hatte 1776! - sicher nichts mit angeblichen Revolutionsphantasien Smiths zu tun. 218 219 220 221 222

TMS, S. 233; WN, Bd. I, S. 543; eine Parallelstelle bei Hume ist: Of Commerce, Essays, S. 260. Historical View, Bd. III, S. 329. Lectures on Political Economy, CW, Bd. IX, S. 419. TMS, S. 218. Ibid., S. 341f. auch fur das folgende; s. a. K. Haakonssen: Science of a Legislator, Kap. 6; Peter Stein: From Pufendorf to Adam Smith.

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senschaft ist auch die Inspirationsquelle für die Theorie gesellschaftlicher Evolution zu erblicken, die, anknüpfend an Montesquieu, der Erhellung des Zusammenhangs von Rechtssystemen, Regierungsformen und kulturellen Mustern dient, die Smith in die Sozialökonomie hinein erweitert223. Wie denkt' Smith in diesem Kontext den Zusammenhang von Markt und Politik?224 Die Entwicklung der „Commercial Society" Die moderne kommerzielle Gesellschaft existierte zur Zeit Smiths erst in Westeuropa und in Teilen Nordamerikas und hatte noch lange nicht ihren späteren, durch den Industrialismus unterstützten globalen Siegeszug angetreten225. Seine Darstellung ihrer Entwicklung beginnt mit einer idealtypischen Theorie ökonomischer Evolution, die Ähnlichkeiten formaler und inhaltlicher Art mit dem Ansatz Steuarts hat, der von ökonomischen Entwicklungsstadien ausgegangen war, beginnend mit der weitgehend autarken Agrikulturproduktion über den Binnenhandel zwischen Agrikultur und Gewerbe zum Außenhandel und zur arbeitsteiligen Globalisierung der Warenökonomie. Analog erklärt Smith, „According to the natural course of things... the greater part of the capital of every growing society" sei „first, directed to agriculture, afterwards to manufactures, and last of all to foreign commerce"226. Aber Smith verkehrt den argumentativen Sinn dieses Schemas, das Steuart als historische Höherentwicklung auffaßte, mit dem erfolgreichen Außenhandel als Gipfel und der positiven Handelsbilanz als Beweis, wenn Smith argumentiert, die historische Entwicklung der kommerziellen Gesellschaft in Europa habe diesem Schema gerade nicht entsprochen, das pervertiert, ja, geradezu „invertiert" wurde, mit negativen Konsequenzen für die ökonomische Struktur im ganzen. Nach dem „natural Progress of Opulence"227 „The cultivation and improvment of the country..., which affords subsistence, must necessarily, be prior to the increase of the town, which furnishes only the means of conveniency and luxury"228, denn die Städte hängen von der Versorgung durch das Land ab, ein gleichsam „stoffliches" Argument, das die Hierarchie menschlicher Bedürfnisbereiche auf die Gesellschaftsentwicklung überträgt. Darüber hinaus sei die ökonomische Entwicklungsfolge von der Agrikultur zum Gewerbe, vom Land zur Stadt, auch „promoted by the natural inclinations of man", denn „Upon equal, or nearly equal profits, most men will chuse to employ their capitals rather in the improvement and cultivation of land, than either in manufactures or in foreign trade. The man who employs his capital in land, has it more under his view and command, and his fortune is less liable to accidents than that of the trader... The beauty of the country be-

223 Siehe: Κ. Haakonssen: Science of a Legislator, Kap. 7; Peter Stein: Legal Evolution, Kap. 2, über Smith S. 29ff. ; A. S. Skinner: Historical theory, in: ders.: A System of Social Science, S. 68-103; ders. : Adam Smith: an economic interpretation of history, in: ders. /T. Wilson (Hg.): Essays on Adam Smith, S. 154-78. 224 Siehe zum folgenden: D. Winch: Adam Smith's Politics, Kap. 4; G. Nonnenmacher: Die Ordnung der Gesellschaft, Teil D, S. 128-60. 225 Hiram Caton betont den vorindustriellen Charakter der Smithschen Ökonomie: The Preindustrial Economics of Adam Smith, JEH, 1985: 45, S. 833-53. 226 WN, Bd. I, S. 380; siehe zum folgenden: P. Bowles: Adam Smith and the „Natural Progress of Opulence", Economical 1985. 227 WN, Buch III, Kap. I, Titel. 228 Ibid., Bd. I, S. 377f., auch das folgende.

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sides, the pleasures of a country life, the tranquility of mind which it promises, .. .the independency which it really affords, have charms that more or less attract every body; and as to cultivate the ground was the original destination of man, so in every stage of his existence he seems to retain a predilection for this primitive employment". Demnach gibt es eine emotionale Prämie auf Landbesitz und Agrikultur, die unter normalen Bedingungen die Entwicklung der Gewerbe bestimmen. „Had human institution... never disturbed the natural course of things, the progressive wealth and increase of the towns would, in every political society, be consequential, and in proportion to the improvement and cultivation of the territory or country". Ebenso werde die Gewerbeproduktion im Inland normalerweise der Investion in den Außenhandel vorgezogen, und diese Abfolge von der Landwirtschaft zum Außenhandel sei so „natural, that in every society that had any territory, it has always, I believe, been in some degree observed" 229 . Die nordamerikanischen Kolonien, die kein feudales Erbe haben, weisen nach Smith diesen „natürlichen" ökonomischen Entwicklungspfad auf, der sich als erfolgreich erweist, wie vor allem das starke Bevölkerungswachstum zeigt. Die Vitalität der nordamerikanischen Ökonomie „is founded altogether in agriculture" 230 . Das hängt wesentlich mit den Eigentumsstrukturen zusammen, die den „small proprietor" begünstigen, der „generally of all improvers the most industrious, the most intelligent, and the most successful" sei; ihm fehlt gegenüber dem „merchant turned country gentleman" nur das Kapital und die Fläche fur großzügige „improvements". Während in Europa die Anlage eines kleinen Vermögens in Land eine schlechte Investition ist, erweise sich „The purchase and improvement of uncultivated land" in Amerika als „the most profitable employment of the smallest as well as of the greatest capitals". Die kommerziellen Gesellschaften Europas haben sich demgegenüber nach einem umgekehrten Muster entwickelt, nämlich ausgehend vom Außenhandel über die Manufakturen und Gewerbe in die Landwirtschaft hinein. Die Gründe für diese „Inversion"231 sind historischer und politischer Art; jedenfalls betrachtete Smith die englische Entwicklung zur kommerziellen Gesellschaft keineswegs als klassisch oder paradigmatisch - ganz im Gegensatz zu Marx, der den deutschen Lesern des KAPITAL die englische Entwicklung des Kapitalismus als Bild der eigenen Zukunft vorhielt: „De te fabula narratur!" 232 . Für Smith stellt sich die Entwicklungsgeschichte der kommerziellen Gesellschaft als eine Abfolge kontingenter historischer Konstellationen dar: Nach dem Zusammenbruch des römischen Reiches eigneten sich die germanischen Hirtenstämme den Boden an, überwiegend in Form des Großgrundbesitzes der militärischen, später feudalen Führer. Die Teilbarkeit und Handelbarkeit dieser Grundherrschaften wurde durch Gesetze beschränkt („entail", Primogenitur), und das Ergebnis war die Monopolisierung des Bodens durch eine Schicht, die mit dem Grundeigentum auch feudale Familientraditionen erbte und sich generell als unfähig erwies, die produktiven Potenzen des Grundbesitzes zu entwickeln. Komplementär dazu war die Stellung der - mit Marx zu reden „unmittelbaren Produzenten", der wirklichen Bearbeiter des Bodens, schlecht, da sie der weitreichenden Herrschaft der Grundeigentümer unterworfen waren. „They were all or

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Ibid., S. 380. Ibid., S. 423f., auch das folgende. Ibid., S. 380. Das Kapital, 1. Bd., Vorwort zur 1. Aufl., S. 12.

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almost all slaves", auch wenn „their slavery was of a milder kind" als die antike233. Sie waren nicht eigentumsfahig, „could acquire nothing but their daily maintenance"234 und hatten daher „no other interest but to eat as much, and to labour as little as possible". Scheinbar billig erweist sich so die unfreie Arbeit als wenig produktiv. Eine der Bedingungen der Moderne war nun die Verwandlung unfreier in freie Arbeit, historisch durch die Entdeckung der produktiven Überlegenheit freier Arbeit und durch die Einschränkung der Macht der großen Feudalherren durch die Krone verursacht235. Da jede herrschende Schicht wegen der anthropologischen „love to domineer" an ihrer Herrschaft festhält, glaubt Smith nicht an eine freiwillige Aufgabe der Herrschaftsrechte durch die Feudalherren, aber er räumt ein, dies sei „one of the most obscure points in modern history". Jedenfalls aber widerspricht er der These Steuarts, das Christentum oder die Kirche habe einen wesentlichen Anteil daran gehabt, über die sich auch John Miliar skeptisch in seiner Schrift über die „Distinction of ranks in society" äußerte236, während Smith in seinen Lectures on Jurisprudence der Kirche noch eine gewisse Rolle bei der Sklavenbefreiung zugeschrieben hatte237. Auch dort jedoch bestand Smith darauf, die Sklavenemanzipation sei nicht durch den „spirit of Christianity" bewirkt - ein gleichsam idealistisches Moment -, sondern durch die Interessenlage der Kirche, die ihren Einfluß auf Kosten der Feudalherren ausdehnen wollte238. Ein weiterer Faktor, der die Entwicklung der Landwirtschaft in Europa behinderte, waren die Steuern auf das landwirtschaftliche Kapital, eigentlich, wie Smith am Beispiel der französischen Taille erklärt, „a tax upon the supposed profits of the farmer, which they estimate by the stock that he has upon the farm"239. Als Folge dieser Steuerberechnungsart lag es im Interesse des Landwirts, „to appear to have as little [stock] as possible, and consequently to employ as little as possible in its cultivation, and none in its improvement". Auch das in England verbreitete Pacht-System ist der Landwirtschaft ungünstig, weil der traditionelle Pächter nur einen Teil seiner Überschüsse akkumulieren und zur reinvestiven Verbesserung des Betriebes verwenden kann. Die modernen, großflächig produzierenden kapitalistischen „Farmer" sind bessere „Improver", aber auch sie leiden unter dem Nachteil, nicht selbst Grundeigentümer zu sein. Abgesehen davon ist auch der soziale Status der Pächter niedrig im Vergleich „even to the better sort of tradesmen and mechanicks, and in all parts of Europe to the great merchants and master manufacturers". Schließlich ergab sich eine Behinderung der Landwirtschaft aus „merkantilistischen" Politiken: Verbot der Getreideausfuhr, Prämien auf Getreideeinfuhr, unsinnige Regulationen des Handels mit landwirtschaftlichen Produkten, Beschränkungen der Marktrechte und anderes. Die Stadtbewohner waren ursprünglich ebenfalls Unfreie, die in klientelistische Beziehungen zum Adel eingebunden waren. Aber die Städte erlangten einen gewissen Grad von Unabhängigkeit und Selbstverwaltungsrechte als Gegenleistung für die korporative 233 WN, Bd. I, S. 386; siehe J. Salter: Adam Smith on Feudalism, Commerce and Slavery, HPT, 1992; M. Perelman: Adam Smith and dependent social relations, ΗΡΕ, 1989: 21, S. 503-20. 234 WN, Bd. I, S. 387, auch das folgende. 235 Ibid., S. 389, auch das folgende; s. a. D. Winch: Adam Smith's Politics, Kap. 4. 236 Siehe Miliar: Vom Ursprung des Unterschieds in den Rangordnungen und Ständen, S. 253ff. 237 LJ(A), S. 188f. 238 LJ(B), S. 454f. 239 WN, Bd. I, S. 394f., auch das folgende.

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Selbstverpflichtung zur Zahlung eines fixen Steuerbetrages an die Krone. Aus der gemeinsamen Gegnerschaft von Krone und Städten gegen den Adel ergab sich, wie schon Hume gesehen hatte, ein strategisches Bündnis, indem die Krone die Städte als Gegenkraft zum Hochadel instrumentalisiert, um selbst größere Handlungsspielräume zu gewinnen. Ergebnis monarchischer Privilegierung der Städte waren „Order and good government, and along with them the liberty and security of individuals... in cities at a time when the occupiers of land in the country were exposed to every sort of violence" 240 . In den Städten existierten daher die Voraussetzungen, den von Smith angenommenen Trieb „to better our condition" 241 wirksam zu machen. Auf dem Lande akkumuliertes Kapital flöß in die Städte, die unter der Voraussetzung verkehrsgünstiger Situierung - am Meer oder an schiffbaren Flüssen - konnten „grow up to great wealth and splendor, while not only the country in its neighbourhood, but all those to which it traded, were in poverty and wretchedness". Ausgehend von den italienischen Handelsstädten entwickelte sich ein internationaler Handel mit Luxuswaren und Gütern gehobener Qualität, und die hohen Profite dieses Handels induzierten Anfange der Inlandsproduktion für den internationalen und inneren Markt. Diese Fernhandelsproduktion wiederum induzierte die Entstehung von Manufakturen für Güter des täglichen Bedarfs, die von Schichten unterhalb des Adels nachgefragt wurden. Smith besteht aber darauf, daß „In the modern history of Europe, their extension and improvement have generally been posterior to those which were the offspring of foreign commerce" 242 . Komplementär wurde eine landwirtschaftliche Überschußproduktion zur Versorgung dieser Gewerbesektoren angeregt. In den fünfziger Jahren dieses Jahrhunderts entwickelte sich eine Kontroverse zwischen großteils marxistisch inspirierten Ökonomen und Historikern über die historischen Kausalzusammenhänge der Entwicklung der kapitalistischen Ökonomie 243 . Maurice Dobb vertrat die Annahme einer gleichsam immanenten kapitalistischen Umwälzung der Ökonomie 244 , während Paul Sweezy stärker den Faktor des Einflusses des internationalen Handels auf die internen ökonomischen Beziehungen betonte, lose anschließend etwa an Werner Sombart 245 . Diese Kontroverse, die unter veränderten Aspekten andauert 246 , ist ideengeschichtlich bereits in dem analytischen Kontrast von Smith zu Marx präformiert, denn während im WN älteren Einsichten folgend der Einfluß des Außenhandels auf die internen ökonomischen Verhältnisse betont war, vertrat Marx im 24. Kapitel des „Kapital" die entgegengesetzte Auffassung einer im wesentlichen immanenten Kapitalisierung der Ökonomie. Einer der umwälzenden Einflüsse des Handels auf die Ökonomie des Landes liegt nach Smith darin, daß „Merchants are commonly ambitious of becoming country gentlemen, and when they do, they are generally the best of all improvers" 247 . Das hat wesentlich mit der kommerziellen Kultur der Kaufleute zu tun, die gewohnheitsmäßig nach Profitmaximierung streben und risikofreudiger sind. „The

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Ibid., S. 405, auch das folgende. Siehe ζ. B. ibid., S. 540. Ibid., S. 410. Siehe den Sammelband: P. M. Sweezy et al.: Der Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus. Maurice Dobbs: Studies in the Development of Capitalism, von 1942, bildeten den Auslöser der Kontroverse. 245 Siehe: W. Sombart: Liebe, Luxus und Kapitalismus. 246 Siehe den Beitrag von A. McFarlane, in: J. Baechler et al. (Hg.): Europe and the Rise of Capitalism. 247 WN, Bd. I, S. 41 If., auch das folgende.

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habits, besides, of order, oeconomy and attention, to which mercantile business naturally forms a merchant, render him much fitter to execute, with profit and success, any project of improvement". Aber Smith schreibt dem Einfluß der kommerziellen Kultur noch viel weitergehende Wirkungen zu, wenn er behauptet, daß „commerce and manufactures gradually introduced order and good government, and with them, the liberty and security of individuals... This, though it has been the least observed, is by far the most important of all their effects. Mr. Hume is the only writer who, so far as I know, has hitherto taken notice of it". Dieser Bezug auf Hume ist interessant, weil er Smiths Verpflichtung gegenüber der entsprechenden Pionierarbeit Humes anzeigt und auch, wie alt diese Passagen des WN sind, denn wie die Herausgeber feststellen, gab es 1776 mehrere Autoren, die entsprechende Thesen aufgestellt und diskutiert hatten , welche Smith zweifellos bekannt waren248. Dabei entwickelt Smith eine durchaus originelle, bei Hume nur anklingende These über den Kausalzusammenhang von Außenhandel und bürgerlicher Freiheit, die von mir so genannte „Konsumverschiebungsthese", die Smith bereits in den 1760ger Jahren in den Lectures on Jurisprudence seinen Studenten präsentiert hatte249 und die später vor allem von Miliar aufgenommen wurde. Sie geht davon aus, daß in Gesellschaften, die keine raffinierten Konsumgüter („Luxury") kennen, die Reichen ihren Surplus in der Unterhaltung von „retainers" verausgaben werden, die ihnen in verschiedenen, auch militärischen, Funktionen dienen, die aber im ganzen das unproduktive Gefolge des Grundherren bilden, das seine soziale Macht konstituiert und symbolisiert und dessen Größe über den sozialen Rang entschied. Mit der Entstehung eines internationalen Marktes für Luxusgüter verlieren jedoch die Reichen ihr Interesse an der Unterhaltung eines großen Gefolges, da sie ihre Renten jetzt direkt für sich selbst verausgaben können, indem sie hochwertige, künstlerisch raffinierte Luxusgüter erwerben oder teure Dienstleistungen von hochspezialisierten und qualifizierten Kunsthandwerkern in Anspruch nehmen. „All for ourselves, and nothing for other people, seems in every age of the world, to have been the vile maxim of the masters of mankind", kommentiert Smith charakteristisch abwertend im WN250. Herrschaftssoziologisch entscheidend ist, daß die pauschale Abhängigkeit der „retainer" in ein spezifisches Tauschverhältnis mit einem Fernhandelskaufmann oder einem Kunsthandwerker transformiert wird, denn generell gelte, daß „Nothing tends so much to corrupt and enervate and debase the mind as dependency, and nothing gives such noble and generous notions of probity as freedom and independency"251. Hatte Steuart die sozialökonomische Abhängigkeit zum entschei-

248 Steuarts Principles of Political Oeconomy (1767), Fergusons History of Civil Society (1767), der erste Band von William Robertsons History of Charles V (1769), Millars Distinction of Ranks (1771) und Kames' Sketches of the History of Man (1774). Aus diesem Grunde Deshalb halte ich Donald Winchs Aussage fur übertrieben, der Wealth of Nations könne „als die erste bedeutende Abhandlung bezeichnet werden, die sich der Erforschung der moralischen und politischen Konsequenzen der nunmehr bestehenden neuen reziproken Beziehungen zwischen Handel und Freiheit, Freiheit und Handel, widmete", Adam Smith als politischer Theoretiker, in: F. X. Kaufmann/H. G. Krüsselberg (Hg.): Markt, Staat und Solidarität bei Adam Smith, S. 106. 249 LJ(A), S. 50, S. 215ff., S. 261f., LJ(B), S. 410, S. 420. Siehe auch die Hinweise von Hegel in seiner Vorlesung zur: Philosophie des Rechts. Die Vorlesung von 1819/20 in einer Nachschrift, S. 160f. 250 WN, Bd. I, S. 418. 251 LJ(A), S. 333. D. Winch: Adam Smith's Politics, S. 79: „Although independence is only one aspect of the new relationships which come into being in commercial societies, Smith gives it a crucial place in determining the improvement in manners... ".

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denden Gesichtspunkt der Herrschaftssoziologie gemacht, erfahren wir bei Smith mehr darüber, wie ein Verhältnis zwar traditional begrenzter, jedoch umfassender Herrschaft in ein modernes, nüchternes Kundenverhältnis im Rahmen von Marktbeziehungen umgewandelt wird. „The habits of luxury dissipated the immense fortunes of the ancient barons", schrieb bereits Hume, „and as the new methods of expence gave subsistence to mechanics and merchants, who lived in an independent manner on the fruits of their own industry, a nobleman, instead of that unlimited ascendant, which he was wont to assume over those who were maintained at his board, or subsisted by salaries conferred on them, retained only that moderate influence, which customers have over tradesmen, and which can never be dangerous to civil government"252. Ganz ähnlich lesen wir in Smiths Lectures on Jurisprudence 1762/3: „Those tradesmen he [der Reiche] employs do not think themselves any way indebted to him; they have given him their time and labour equivalent to what they have received of him; and tho they may reckon it a small favour that he gives them the preference in his custom, they will not think themselves so greatly indebted to him as if they had received a summ [sic] from him in a gratuitous manner. This manner of laying out ones money is the chief cause that the balance of property conferrs [sic] so small a superiority of power in modern times"253, denn der einzelne Reiche als Kunde „contributes... but a very small proportion to [the maintenance] of each" Arbeiter und Arbeitgeber. „Though he contributes, therefore, to the maintenance of them all, they are all more or less independent of him, because generally they can be maintained without him" 254 . „Each tradesman or artificer derives his subsistence from the employment, not of one, but of a hundred or a thousand different customers. Though in some measure obliged to them all, therefore, he is not absolutely dependent upon any one of them". Nach einer Vorlesungsmitschrift prägte Millar dafür die Formel der ökonomischen und sozialen Unabhängigkeit der selbständigen Produzenten aufgrund der „variety of customers"255. Die Voraussetzung für dieses Modell sind weitgehend dekonzentrierte, funktionierende Wettbewerbsmärkte, und an dieser Stelle sieht man etwas von dem evolutionstheoretisch begründet hohen herrschaftssoziologischen Einsatz der Smithschen Deregulierungspropaganda. Der Markt und die kommerzielle Kultur, mit der er verbunden ist, so

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History of England, Bd. IV, S. 384. LJ(A), S. 50. WN, Bd. I, S. 420, auch das folgende. J. Millar: Lectures on the Publick Law of Great Britain, unbekannter Verfasser, ο. D., Glasgow University, MS Gen. 203, S. 19, ähnlich ders.: Ursprung des Unterschieds in den Rangordnungen und Ständen, S. 222f.: „Sobald aber im Lande die Pflege gewerblicher Tätigkeiten einsetzt, befähigt das den arbeitenden Teil der Einwohner, sich den Lebensunterhalt auf andere Weise zu verschaffen. Sie erlangen allmählich eine Vervollkommnung in den verschiedenen Gewerbe- und Berufszweigen. Statt also in die Dienste anderer zu treten, ist es oft vorteilhafter, wenn sie für eigene Rechnung arbeiten, also die Produkte ihrer Arbeit verkaufen. In dieser Situation hängt nun ihr Gewinn von einer Mehrzahl von Kunden ab, was bedeutet, daß sie nicht mehr viel vom Mißfallen einer einzelnen Person zu fürchten haben... Da aber die einfacheren Menschen hierdurch in zunehmend unabhängige Verhältnisse gelangen, hegen sie auch allmählich jene Gesinnung der Freiheit, die eine natürliche Eigenschaft des menschlichen Geistes ist und die nur äußere Not niederzuhalten vermag. Je weniger sie auf Gunst und Protektion der Großen angewiesen sind, desto weniger bemühen sie sich darum"; s. a. P. E. Bowles: John Millar's Science of Society, S. 194. Auch Georg Simmel betrachtete den Mechanismus der Unabhängigkeit durch Zerstreuung von wirtschaftlichen Abhängigkeiten als grundlegend: Soziologie, S. 211.

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kann seine Position zusammengefaßt werden, erzeugen auf der einen Seite ein weltgeschichtlich neuartiges Niveau allgemeiner persönlicher Unabhängigkeit und Freiheit und bedingen auf der anderen Seite ein Regime der „Herrschaft des Gesetzes", denn „Commerce and manufactures can seldom flourish long in any state which does not enjoy a regular administration of justice, in which the people do not feel themselves secure in the possession of their property, in which the faith of contracts is not supportewd by law, and in which the authority of the state is not supposed to be regularly employed in enforcing the payment of debts from all those who are able to pay. Commerce and manufactures, in short, can seldom flourish in any state in which there is not a certain degree of confidence in the justice of government"256. Aber wenn auch die Marktwirtschaft auf diese gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen angewiesen ist, so bringt sie sie doch nicht autonom hervor. Denn die eigentliche, das Paradigma der „unsichtbaren Hand" und die metatheoretische Position der TMS bestätigende Lehre der historischen „Inversion" des „natural course of opulence" in Europa besagt: „A revolution of the greatest importance to the publick happiness was in this manner brought about by two different orders of people, who had not the least intention to serve the publick"257. Auf der einen Seite die Feudalherren und Großgrundbesitzer: sie verwandelten ihre Herrschaftsrechte in Geldrenten, mit denen sie einen aufwendigen, moralisch minderwertigen Konsum und Lebensstil finanzierten, und büßten dabei ihre soziale Autorität ein. Smiths Rhetorik ist an dieser Stelle auffallig aufwendig, indem er das Verhalten der Grundherren mit dem Biblischen Verkauf des Erstgeburtsrechts durch Esau vergleicht und ihnen vorhält, sie „gradually bartered their whole power and authority" „for the gratification of the most childish, the meanest and the most sordid of all vanities"258. Ihre Nachfrage nach Luxusgütern wurde auf der anderen Seite von Handwerkern und Manufakturisten bedient, die ihren bornierten Profitinteressen folgten, die ein nicht ganz so moralisch minderwertiges Motiv darstellen. Zwei Amoralitäten: die Vanitas auf Seiten der Grundherren und die moralisch eher indifferente Gewinnsucht der Produzenten, wirkten zusammen und befreiten die Gesellschaft nicht-intentional aus der feudalen Anarchie. Die eine Seite dieses Argumentes bildet ein expliziter moralischer Realismus, der das Handeln der Menschen generell als kurzsichtig, selbstsüchtig und affektuell fehlgeleitet darstellt. Auf der anderen Seite impliziert Smith, daß die Freisetzung der kommerziellen Gesellschaft als nicht-intentionaler Prozeß den Glauben an eine höhere, wohltätige Macht zu bestätigen vermag. Kombiniert folgt daraus, daß just die Schwächen der Menschen die höheren Zwecke in der Geschichte realisieren, die erst α posteriori als wohltätig erkannt werden können, und eben diese metatheoretische Struktur organisierte die TMS. In der resultierenden „kommerziellen Gesellschaft" ist jeder bis zu einem gewissen Grade Händler, und „When the greater part of people are merchants they always bring probity and punctuality into fashion, and these therefore are the principal virtues of a commercial nation"259. Eine komplexe Totalität von kulturellen Mustern, „manners", ist durch eine neue Totalität ersetzt worden. Und zweifellos betrachtete Smith die „kommerzielle Kultur" als Fortschritt, was weniger eindeutig von Ferguson gesagt werden kann,

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WN, Bd. II, S. 910. Ibid., Bd. I, S. 422; vgl. D. Winch: Adam Smith's Politics, S. 78. Ibid., S. 419. LJ(B), S. 539.

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der die „Konsumverschiebung" im Gegenteil in den Kontext der moralischen Korruption durch den „Luxus" rückt, wenn er schreibt, „Nations are most exposed to corruption... when the mechanical arts, being greatly advanced, furnish numberless articles, to be applied in ornament in the person, in furniture, entertainment, or equipage; when such articles as the rich alone can procure are admired; and when consideration, precedence, and rank, are accordingly made to depend on fortune" 260 . Vor der Umlenkung des Surplus auf Luxus- und Distinktionsgüter umgeben sich die Reichen mit „friends that espouse their quarrels. Their honours, as well as their safety, consist in the numbers who attend them; and their personal distinctions are taken from their liberality, and supposed elevation of mind. In this manner, the possession of riches serves only to make the owner assume a character of magnanimity, to become the guardian of numbers, or the public object of respect and affection". Aber wenn der Reichtum „can be exchanged for refinements... he may employ the materials of generosity to feed personal vanity, or to indulge a sickly and effeminate fancy, which has learned to enumerate the trappings of weakness or folly among the necessaries of life". Die Bewertung des Gegensatzes spätfeudaler Gefolgschaft und modernen Luxus' wandelt sich von Hume zu Ferguson von einer optimistischen zu einer eher pessimistischen Sicht, in der Smiths Konzept des Fortschritts aus moralischer Defizienz die Mitte hält. Am Beispiel der „Konsumverschiebungsthese" kann daher abgelesen werden, wie das gleiche analytische Konzept innerhalb der schottischen Aufklärung durchaus verschiedenen normativen Perspektiven subsumiert wird. Selbstorganisation, Systemdenken, Herrschaft „Upon the manner in which any state is divided into the different orders and societies which compose it, and upon the particular distribution which has been made of their respective powers, privileges, and immunities, depends, what is called, the constitution of that particular state" 261 . Mit dieser Aussage stellt sich Smith in die Tradition republikanischen Denkens, während die „rational Dissenter" das atomistische Naturrechtsdenken fortsetzten und radikalisierten, das von Josiah Tucker in seinem „Treatise concerning Civil Government" von 1781 kritisiert wurde. Tucker, der sich zum Einfluß der schottischen Moralphilosophie bekannte 262 , ist beileibe kein Reaktionär, sondern hat als Modernist selbst bedeutende Beiträge zur Entwicklung der „politischen Ökonomie" als paradigmatische Wissenschaft der modernen Gesellschaft, geliefert 263 . Er identifiziert Locke als Stammvater der Radikalen 264 , denen er eine politische Theorie gegenüberstellt, die, anstatt auf einem abstrakten Konzept unterschiedsloser subjektiver Rechte, auf einer

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History of Civil Society, S. 251 f., auch das folgende. TMS, S. 230. Treatise concerning Civil Government, S. 377. Siehe über Tucker: J. G. A. Pocock: Josiah Tucker on Burke, Locke, and Price. A Study in the varieties of eighteenth-century conservatism, in: ders.: Virtue, Commerce, and History, S. 157-91, sowie: ders.: The varieties of Whiggism, ibid, S. 262-4; J. A. Schumpeter: Geschichte der ökonomischen Analyse, Bd. I, S. 470, Note; T. W. Hutchison: Before Adam Smith, Kap. 13. 264 Häufiger im Treatise·, siehe zur Rezeption der politischen Theorie Lockes im 18. Jahrhundert John Dunn: The politics of Locke in England and America in the eighteenth century, in: ders.: Political obligation in its historical context, S. 53-77; R. Ashcraft: The radical dimensions of Locke's political thought, HPT, 1992.

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politischen Soziologie aufbaut und damit ältere Traditionen republikanischen Denkens fortsetzt. Aber tatsächlich bezeichnet Tucker die Radikalen pejorativ als „Republikaner" und steht damit nicht allein , was anzeigt, wie heimatlos die republikanische Tradition, mit der die „Commonwealthmen" im ersten Drittel des Jahrhunderts noch klar verbunden waren, im britischen politischen Diskurs wurde. Der Gegensatz von „radikalem" Gleichheits-Diskurs und konservativer Reaktion, die der späte Burke repräsentiert, verdrängte schrittweise die Diskursformen der ersten Jahrhunderthälfte. Die Schotten bewegten sich in einem naturrechtlichen Rahmen, wandten sich jedoch gegen „radikale" Schlußfolgerungen. Dies wird am deutlichsten an ihrer Parteinahme gegen den naturrechtlichen Sozialatomismus und an der Kritik der politischen Vertragstheorie, womit die wichtigsten Punkte des Eindringens zivilhumanistischen Denkens in den Naturrechtsrahmen bezeichnet sind 266 . Ihr theoretisches Problem bestand darin, die Parteinahme fur den Vorrang des Rechts und für eine subjektivrechtliche Minimalausstattung der Individuen mit einem realistischen Denken über die vertikale und horizontale Strukturierung der Gesellschaft zu verbinden, die Voraussetzung für die Stabilität des Staates ist. Kürzer formuliert: die Gesellschaft soll frei sein, aber nicht anarchisch (oder „licentious", wie der späte Hume sagte). Und als Bedingung dafür erschien, daß die Individuen in eine soziale Struktur eingebunden, besser noch: integriert sind, die zwischen den Individuen und dem Staat vermittelt und diese Relation stabilisiert. Wichtige Quelle dieser Überlegungen ist sicher Montesquieus Konzept von „pouvoirs intermediaires", die ihre stabilisierende Rolle nur erfüllen können, wenn sie selbst eine gewisse Festigkeit und Autonomie haben. „Upon the ability of each particular order or society to maintain its own powers, privileges, and immunities, against the encroachments of every other", schreibt Smith 67, „depends the stability of that particular constitution". Die Ausbalancierung der gesellschaftlichen Kräfte unterhalb des levels des Staates ergibt eine Struktur, die durch jede Änderung der Position oder Stärke einer dieser Kräfte im ganzen destabilisiert wird, sich umgestaltet und eventuell erneut Stabilität gewinnt 268 . Aber die Kohäsion und Beharrungskraft der Gesellschaftsteile setzt der Veränderung Widerstand entgegen und entfaltet eine konservative Kraft, die „checks the spirit of innovation". Erst die manifeste Unfähigkeit des Systems, seine fundamentalen Aufgaben zu erfüllen - die Sicherung nach außen, die Wahrung der Gerechtigkeit und die Förderung von „Opulence" führt über diesen Widerstand hinweg, so daß Unruhen entstehen, die sogar den Besonnenen dazu veranlassen „to think some alteration necessary...". Aber das bedeutet nicht, dem „Spirit of System" zu folgen, denn politische Eingriffe in das grundsätzlich sich selbst stabilisierende Gesellschaftssystem sind stets auf ein notwendiges Minimum zu beschränken 269 . Eine bereits weitgehend desintegrierte Gesellschaft allerdings bedarf

265 Eine Grafik von 1780 setzt gleich, „A Petitioning, Remonstrating, Reforming, Republican", der auf den Bischofshut uriniert und auf die Krone kotet. Seine Freiheitsmütze ist bezeichnet durch „Rebellion" anstatt „Liberty", J. Brewer: The Common People and Politics. 1750-1790s, Abb. 44. 266 Vgl. für eine allgemeine Diskussion: J. G. A. Pocock: Cambridge paradigms and Scotch philosophers: a study of the relations between the civic humanist and the civil jurisprudential interpretation of eighteenth century social thought, in: Hont/Ignatieff (Hg.): Wealth and Virtue, S. 235-52. 267 TMS, S. 230f., auch das folgende. 268 „... whenever any of its subordinate parts is either raised above or depressed below whatever had been its former rank and condition [That particular constitution is necessarily more or less altered]". 269 Vgl. A. S. Skinner: Moral Philosophy and Civil Society, in: ders.: A system of social science, S. 42ff., etwa S. 63.

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unter Umständen der Neuordnung durch den „Legislator", dessen Ordnungsinitiative sich jedoch idealiter auf die grundgesetzliche Rahmengebung beschränken sollte, die übrigens strikt im Rahmen des Machbaren zu halten ist, also keine konstitutionelle Wendung eines theoretischen Ideals darstellt. Die Zeitgenossen dürften in erster Linie an die „Glorious Revolution" als Vorbild einer erfolgreichen Neuordnung in einem krisenhaften Machtund Legitimitätsvakuum gedacht haben, deren Interpretation im Rahmen der englischen Geschichte Burkes Auseinandersetzung mit der französischen Revolution bestimmte, die er im Gegensatz dazu als einen weltgeschichtlichen Bruch interpretierte, eine Wertung, in der sein Kontrahent Thomas Paine ausnahmsweise mit ihm übereinstimmte 270 . Es gibt keine Stellungnahme Smiths zur französischen Revolution, deren Anfinge er noch erlebt hat, aber Smith hat in seiner Auseinandersetzung mit der französischen Physiokratie doch eine interpretationsfahige Kritik des rationalistischen Systemdenkens geliefert 271 . Demnach reagieren die Physiokraten auf die merkantilistische Politik Colberts, der „endeavoured to regulate [the industry and commerce of a great country] upon the same model as the departments of a publick office" 272 . Colbert vertrat eine Variante bürokratischer Politik, die spezifisch Handel und Manufakturen bevorzugte, nach Smith ein Grundfehler allen Merkantilismus. Die Physiokraten nun, indem sie auf den Niedergang der französischen Landwirtschaft reagieren, verfallen in einen entgegengesetzten theoretischen Fehler, wenn sie weder Handel noch Manufaktur, sondern ausschließlich die Landwirtschaft für eigentlich produktiv erklären. Smith stimmt wirtschaftspolitisch grundsätzlich ihrer Maxime: Laissez aller, laissez passer, zu, und in diesem Kapitel des WN finden sich einige seiner deutlichsten Bekenntnisse zum Freihandel 273 , er interpretiert jedoch Quesnays Tableau economique274 als ideale Modellrechnung, die auf so weitgehenden und dabei politisch zu gewährleistenden Voraussetzungen fußt, daß die Physiokraten tatsächlich in die Tradition der Colbertschen bürokratischen Politikform geraten. Jede Abweichung von ihrem wirtschaftspolitischen Ideal müsse, versteht Smith, „necessarily degrade more or less, from one year to another, the value and sum total of the annual produce, and must necessarily occasion a gradual declension in the real wealth and revenue of society"275. Dieses Ideal wird daher von den Physiokraten nicht als eine die Politik orientierende Idee verstanden, sondern als conditio sine qua non ökonomi-

270 T. Paine: Rights of Man, Teil 2, Introduction; s. a. I. Kramnick: Republicanism and Bourgeois Radicalism, S. 67, S. 149. 271 Siehe zum folgenden: WN, Buch IV, Kap. IX: Of the agricultural Systems, or of those Systems of political Oeconomy, which represent the Produce of Land as either the sole or the principal Source of the Revenue and Wealth of every Country; Ian Ross: The physiocrats and Adam Smith, BJECS, 1984: 7, S. 177-89. 272 WN, Bd. II, S. 664; siehe zu Colbert: Κ. Ε. Bom: Jean Baptiste Colbert, in: J. Starbatty (Hg.): Klassiker des ökonomischen Denkens, l.Bd., S. 96-113, sowie in der Literatur über Merkantilismus, a. a. O. 273 Siehe zu Smiths Freihandelsposition und ihren Kontext: J. Viner: Adam Smith and Laissez Faire, in: J. M. Clark et al. (Hg.): Adam Smith, S. 116-55; G. J. Stigler: Smith's Travels on the Ship of State, in: A. S. Skinner/T. Wilson (Hg.): Essays on Adam Smith; M. L. Myers: The Soul of Modern Economic Man, Kap. 8 und 9; Ε. Streißler: Zur Vorgeschichte der wwirtschaftspolitischen Vorstellungen Adam Smiths, in: F. X. Kaufmann/H. G. Krüsselberg (Hg.): Markt, Staat und Solidarität bei Adam Smith, S. 15-40. 274 Siehe in: F. Quesnay: Ökonomische Schriften, Bd. II; vgl. K. Marx: Theorien über den Mehrwert, Teil 1, 6. Kap.; W. Hofmann: Theorie der Wirtschaftsentwicklung, 1. Teil, 2. Abschn. 275 WN, Bd. II, S. 673f., auch das folgende.

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scher Prosperität. In einer auf Quesnays Stellung als Hofarzt anspielenden Passage stellt Smith einen erhellenden Vergleich des „body politic" mit dem menschlichen Körper an. „Some speculative physicians seem to have imagined that the health of the human body could be preserved only by a certain precise regimen of diet and exercise, of which every, the smallest, violation necessarily occasioned some degree of disease or disorder proportioned to the degree of the violation. Experience, however, would seem to show that the human body frequently preserves, to all appearance at least, the most perfect state of health under a vast variety of different regimens; even under some which are generally believed to be very far from being perfectly wholesome. But the healthful state of the human body, it would seem, contains in itself some unknown principle of preservation, capable either of preventing or of correcting, in many respects, the bad effects even of a very faulty regimen. Mr. Quesnai [sic], who was himself a physician, and a very speculative physician, seems to have entertained a notion of the same kind concerning the political body, and to have imagined that it would thrive and prosper only under a certain precise regimen, the exact regimen of perfect liberty and perfect justice. He seems not to have considered that in the political body, the natural effort which every man is continually making to better his own condition, is a principle of preservation capable of preventing and correcting, in many respects, the bad effects of a political oeconomy, in some degree, both partial and oppressive". Die Physiokraten unterschätzten demnach die Anpassungsfähigkeit und Flexibilität der vergesellschafteten Individuen und setzten an die Stelle des Vertrauens in soziale Selbststeuerung einen starken Staat, der den „Ordre Naturel" 276 zentral reguliert, und damit erweist sich Quesnay als „man of system", so wie die anderen Mitglieder seiner „Sekte"277. Aber „If a nation could not prosper without the enjoyment of perfect liberty and perfect justice, there is not in the world a nation which could ever have prospered"278, während doch offensichtlich Englands Reichtum nicht wegen, aber trotz der Hemmungen des postfeudalen Erbes und der merkantilistischen Restriktionen erzielt wurde279. Die Rechtssicherheit für jedermann in Großbritannien, „that he shall enjoy the fruits of his own labour, is alone sufficient to make any country flourish... The natural effort of every individual to better his own condition, when suffered to exert itself with freedom and security, is so powerful a principle, that it is alone, and without any assistance, not only capable of carrying on the society to wealth and prosperity, but of surmounting a hundred impertinent obstructions with which the folly of human laws too often incumbers its operations.. ."2S0, denn „the wisdom of nature has fortunately made ample provision for remedying many of the bad effects of the folly and injustice of man..." 81. Es mag demnach sinnvoll sein, ein theoretisches Ideal als praktisch-politische Orientierung zu formulieren; der Versuch jedoch, dieses Ideal direkt zu verwirklichen, ist utopisch, und Smith fordert uns auf, die unvermeidliche Unzuläng-

276 Siehe: Dupont de Nemours: De l'Origine et des Progres d'une Science Nouvelle, in: Physiocrates, hg. v. E. Maire, Bd. I, Paris, 1846; H. Reichelt: Die Physiokraten, in: Fetscher/Münkler (Hg.): Pipers HB der politischen Ideen, Bd. III, S. 579-87. Einige Überlegungen bei S. Latouche: L'ordre naturel comme fondement imaginaire de la science sociale, ARSP, 1985: 71, BH 24, S. 118-28. 277 WN, Bd. II, S. 678f. 278 Ibid., S. 674. 279 Im Zusammenhang der Kolonialpolitik: ibid., S. 610. 280 Ibid., Bd. I, S. 540. 281 Ibid., Bd. II, S. 674.

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lichkeit als Absicht der Schöpfung zu interpretieren und darauf zu vertrauen, daß es natürliche Kompensationen fur diesen scheinbaren Defekt gibt. Aber natürlich bedeutet das nicht, das Ideal aufzugeben, zumal wenn es, wie im Falle des Freihandelsprinzips, auf historische kollektive Erfahrungen gestützt werden kann, die gegen die bürokratische Politik sprechen. Im „obvious and simple system of natural liberty", das entgegen der aktivistischen Annahmen der Physiokraten eine autonome historische Tendenz darstellt, ist der „sovereign... completely discharged from a duty, in the attempting to perform which he must always be exposed to innumerable delusions, and for the proper performance of which no human wisdom or knowledge could ever be sufficient; the duty of superintending the industry of private people, and of directing it towards the employments most suitable to the interest of the society"282, eine Aussage, die säkular ausgelegt besagt: das Komplexitätsgefalle zwischen der hochkomplexen modernen Marktgesellschaft einerseits und dem Staat andererseits ist zu groß, als daß eine staatliche Steuerung der Gesellschaft adäquate Resultate erbringen könnte. Insbesondere bestände die Gefahr, daß die auf dezentraler, autonomer Eigenregulation beruhende gesellschaftliche Komplexität zwangsweise auf ein staatlich handhabbares Niveau herabgesetzt wird und damit wesentlich an Effizienz verliert. Wenn man die Aussage in einem religiösen Kontext interpretiert, weist Smith in ihr die menschlich-soziale Hybris ab, das Walten der „unsichtbaren Hand" durch bewußte Selbstregulation ersetzen zu wollen. Grundsätzlich schließt Smith an die Harringtonsche herrschaftssoziologische Tradition an, die sich in der Maxime: Power follows Property, ausdrückt, die er aber, Hume folgend, als einen Prozeß der „Moral Sentiments" auslegt283. Wird die Ausübung politischer Macht im Rahmen dieses Paradigmas an jene soziale Autorität gekoppelt, die sich auf Eigentum stützen kann, so gibt es nach seiner Einsicht auch andere gesellschaftliche Legitimitätsquellen 284 . Die erste dieser Legitimitätsquellen sozialer Autorität sind persönliche Vorzüge: Stärke, Schönheit, Wendigkeit, Klugheit, Vorzüge des Charakters; die zweite Legitimitätsquelle ist Alter, die dritte Reichtum und die vierte Geburt, Adel, wobei Smith diesen Faktor auf Reichtum (und Macht) zurückfuhrt, der durch Alter geadelt ist; Adel ist daher nur eine eingeschränkt selbständige Legitimitätsquelle. Wenn wir hier einen Blick zurück auf Smiths Moralphilosophie werfen, sehen wir, daß diese Legitimitätsquellen von einem idealen Standpunkt aus moralisch defekt sind, weil danach eigentlich Tugend und Verdienst Kriterien der Herrschaft sein müßten, die aber kaum verbindlich festzustellen sind. Die tatsächlichen Herrschaftsquellen - und darin liegt ihre Rechtfertigung - sind dagegen verhältnismäßig evident und geeignet, gesellschaftliche Leitwerte personal darzustellen. Sie sind dabei historisch unterschiedlich wirksam: während die ersten beiden in primitiven Gesellschaften maßgebend sind, wobei die körperlichen Vorzüge die im allgemeinen weniger evidenten geistigen überwiegen, werden sie im Laufe der gesellschaftlichen Entwicklung durch den Faktor Reichtum überdeterminiert. Dieser Faktor ist aber nach Smith keineswegs in modernen Gesellschaften am stärksten, denn aus der „Konsumverschiebungsthese" folgt, daß die eigentumsbasierte Abhängigkeit durch das Dazwischentreten des Marktes wesentlich vermindert wird. Am stärksten 282 Ibid., S. 687. 283 Siehe meinen Aufsatz: Power follows Property, AES, 1993, S. 301-6. 284 Siehe zum folgenden: WN, Bd. II, Buch V, Kap. I, Teil II: Of the Expence of Justice; siehe auch: die General Introduction, in: WN, Bd. I, S. 1 Iff. ; Lectures on Rhetoric and Belles Lettres, S. 124; LJ(B), S. 40If.

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wirkt das Eigentum als Herrschaftsquelle daher in der „second period of society, that of shephards", welche „admits of very great inequalities of fortune, and there is no period in which the superiority of fortune gives so great authority to those who possess it. There is no period accordingly in which authority and subordination are more perfectly established"285. Generell hält Smith die Begründung sozialer Autorität in primitiven Gesellschaften vor der Bildung des Privateigentums sowie am anderen Ende der Zivilisationsentwicklung, in der modernen Gesellschaft, fur verhältnismäßig schwach. Dennoch bleibt „The authority of fortune... very great even in an opulent and civilized society"286. Diese moderne Gesellschaft schließt die gegenläufigen Tendenzen ein, einerseits die soziale Autorität und daher vermittelt die politische Gewalt zu schwächen, andererseits aber die Eigentumsverhältnisse auszudifferenzieren und erhöhte Ansprüche an den politisch-juridischen Apparat zu erzeugen. Dieser Widerspruch wird deshalb nicht zum Problem, weil der Markt den Reichtum nicht nur eines Teiles seiner sozialen Autorität beraubt, sondern auch fur eine gewisse Zirkulation des Reichtums und Ausgleichung der Eigentumsdifferenzen sorgt, die daher entschärft werden. Durch die Prestigekonkurrenz wird der Reiche verarmt, während andererseits ein breiter Mittelstand entsteht, denn Smith geht davon aus, daß in der kommerziellen Gesellschaft jeder gesunde, fleißige und sparsame Arme die Möglichkeit hat, im Laufe der Zeit Vermögen zu erwerben und in den Mittelstand aufzusteigen. Diese optimistische Annahme über die ausgleichende Tendenz der kommerziellen Gesellschaft findet sich noch prononcierter bei Miliar287, während Ferguson in seinem Spätwerk, den „Principles of Moral and Political Science", die sozialen Ungleichheiten der kapitalistischen Wirtschaftsweise rechtfertigt288. Nach der Annahme Smiths jedenfalls lockert sich die Verbindung von sozialer Autorität und politischer Gewalt, die aber gleichzeitig auf eine breitere soziale Basis gestellt wird. Auf der Grundlage der gesellschaftlichen Reproduktionsweise und der sozial generierten Herrschaft erhebt sich eventuell ein, mit Marx zu sprechen, politischer „Überbau", der sich korrespondierend zu Veränderungen der Basis umstrukturiert289. Die Bauelemente für die Analyse dieser spezifisch politischen Evolutionsgeschichte bilden die drei überlieferten Grundformen politischer Herrschaft: die eines Einzelnen, mehrerer oder aller: Monarchie, Aristokratie und Demokratie - die letzten beiden Republiken290 - und ihre Verfallsformen. Aber diese Elemente kombinieren sich in Smiths universalgeschichtlich angelegter Untersuchung zu einer großen Vielfalt konkreter Formen, und das allgemeine Resultat ist die Einsicht, daß ein Regime am besten gegründet ist, wenn die sozial generierte Autorität mit den politischen Formen korrespondiert. Nur ausnahmsweise kann sich ein Einzelner gegen die Masse der Gesellschaft an der Macht halten, indem er sich auf besondere Machtmittel stützt - wie im Fall von Cromwells „military government"291.

285 WN, Bd. II, S. 713. 286 Ibid., S. 712. 287 Siehe: An Historical View of the English Government, Bd. IV, Essay 3, S. 114; ders.: Lectures on Government, 1787/88, in the hand of James Millar, Bd. I, S. lOlff., siehe jedoch S. 155; ders.: Notes on Roman Law, 1788/89, Robert Ferguson, Bd. 3: Notes on Jurisprudence - 1789, S. 9 6 f . ; M. Ignatieff: John Millar and individualism, in: Hont/Ignatieff (Hg.): Wealth and Virtue, S. 317-43. 288 Principles, Bd. II, Teil II, Kap. VI, Abschn. IV, S. 421 ff. 289 Siehe zum folgenden: LJ(A), S. 200ff. 290 Explizit genannt: ibid., iv,l-3; LJ(B), S. 404. 291 LJ(A),S. 237.

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Soziale Klassen und kollektive Akteure Smith sieht deutlicher als andere schottische Autoren den kapitalistischen Charakter der kommerziellen Gesellschaft, ein wichtiger Faktor für die Anschlußfahigkeit und den langfristigen Erfolg des WN292. Er unterscheidet Grundeigentümer, Kapitalisten und Arbeiter, denn Renten, Profite und Löhne sind die drei ursprünglichen Einkommensquellen, in die „the whole price of any commodity must... finally resolve..." 293 . Diese Unterscheidung ist zunächst analytisch, denn dieselbe Person kann Einkommen aus mehr als einer ursprünglichen Einkommensquelle beziehen, weshalb „they are sometimes confounded with one another...". Dennoch gelte auch im allgemeinen, daß „The whole annual produce of the land and labour of every country... constitutes a revenue to three different orders of people; to those who live by rent, to those who live by wages, and to those who live by profit. These are the three great, original and constituent orders of every civilized society, from whose revenue that of every other order is ultimately derived"294. Den ökonomischen analytischen Kategorien entsprechen also modo grosso drei gesellschaftliche Hauptklassen. Während Miliar nach einer Vorlesungsmitschrift aus den späten 1780ger Jahren davon ausging, in den avancierten kommerziellen Gesellschaften Europas bestünde der „great body of the people" aus „tradesmen" und „artificiers", die ökonomisch und damit politisch „almost entirely independent" seien295, behauptet Smith, „In all arts and manufactures the greater part of the workmen stand in need of a master to advance them the materials of their work, and their wages and maintenance till it be compleated". „It sometimes happens, indeed, that a single independent workman has stock sufficient both to purchase the materials of his work, and to maintain himself till it be compleated... Such cases, however, are not very frequent, and in every part of Europe, twenty workmen serve under a master for one that is independent"296. Diese Feststellungen betreffen zunächst nur den Manufakturbereich, aber Smith erklärt an anderer Stelle, daß „Servants, labourers, and workmen of different kinds, make up the far greater part of every great political society"297, und damit ist die Gesamtgesellschaft gemeint. Dadurch ist die Annahme impliziert, die Masse des Volkes - vermutlich denkt Smith im wesentlichen an die Männer - lebe hauptsächlich von der Bezahlung (körperlicher) Arbeit, „those who live by labour" seien „the great body of the people"298. Nicht eindeutig ist diese Feststellung hinsichtlich der Frage, ob diese Arbeit als abhängige, d.h. Lohn-Arbeit verrichtet wird299. Damit unterscheidet sich Smiths Wahrnehmung der sozialen Wirklichkeit von der Millars, der sich gedanklich im Medium der - mit Marx zu sprechen - „einfachen Warenproduktion" bewegt300, während Smith „capital" (und der

292 Siehe hierzu M. Dobb: Wert- und Verteilungstheorien seit Adam Smith, und die Rezeptionsskizzen, in: H. Mizuta/Ch. Sugiyama (Hg.): Adam Smith: International Perspectives. 293 WN, Bd. I, S. 69f., auch für das folgende. 294 Ibid., S. 265. 295 Notes on Roman Law, 1788/89, Robert Ferguson, Bd. III, S. 96f. 296 WN, Bd. I, S. 83. 297 Ibid., S. 96, auch das folgende. 298 Ibid., Bd. II, S. 781. 299 Siehe zu diesem Begriff: Μ. H. Dobb: Der Lohn, Ffin., 1970. 300 Siehe H. Medick/A. Leppert-Foegen: Frühe Sozialwissenschaft als Ideologie des kleinen Bürgertums: John Millar of Glasgow, 1735-1801, in: H. U. Wehler (Hg.): Sozialgeschichte heute. FS Hans Rosenberg, Göttingen, 1974.

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ältere Begriff „stock") und „wages of labour" zu Grundkategorien werden, die auch Einträge in dem von Smith dem WN1784 beigefugten Index bilden 301 . Smith befürwortet hohe Löhne, denn „what improves the circumstances of the greater part [einer Gesellschaft] can never be regarded as an inconveniency to the whole. No society can surely be flourishing and happy, of which the far greater part of the members are poor and miserable" , „national opulence is the opulence of the whole people..." , und daraus folgt: „The interest of...those who live by wages, is...strictly connected with the interest of the society" 304 . Damit wendet sich Smith gegen zeitgenössische Behauptungen der Kulturunfahigkeit der „labouring poor", repräsentiert etwa durch William Temple (of Trowbridge, nicht zu verwechseln mit dem oben behandelten Sir William Temple) 305 . Angesichts der Erfahrung, daß Arbeiter sich an einem traditionalen Lebensstandard orientierten und Lohnerhöhungen nicht als Anreiz zu Mehrarbeit verstanden, sondern zur Verkürzung der Arbeitszeit nutzten 306 , erklärt Temple: „...our poor cannot only acquire a comfortable support by working only a small part of their time but also the means of debauchery and this is the reason why our common people both in town and country are so wicked, debauched and profligate. The only way to make them temperate and industrious is to lay them under a necessity of labouring all the time they can spare from meals and sleep in order to procure the common necessaries of life" 307 . Die feudale, ineffiziente unfreie Arbeit soll durch den unpersönlichen, aber ungleich härteren Zwang des Arbeitsmarktes ersetzt werden, der die Arbeiter gleichsam in Arbeitsmaschinen verwandelt. Smith vertritt dagegen die Perspektive, die Arbeiter an den Produktivitätsfortschritten der kommerziellen Gesellschaft zu beteiligen, was auch ein Gebot der Gerechtigkeit sei, denn der einfache Arbeiter „supports the whole frame of society and furnishes the means of the convenience and ease of all the rest", besitzt selbst jedoch nur „a very small share and is buried in obscurity. He bears on his shoulders the whole of mankind, and unable to sustain the load is buried by the weight of it..." 3 0 8 . Es ist daher „but equity... that they who feed, cloath and lodge the whole body of the people, should have such a share of the produce of their own labour as to be themselves tolerably well fed, cloathed and lodged" 309 . Diese Politik ist auch geboten durch die Perspektive einer im ganzen zivilisierenden Gesellschaft, die die Arbeiter nicht aus dem Begriff des „common weal" hinausdefiniert und damit den Zivilisationsprozeß verstümmelt. Temples Ideen stellen dagegen eine moderne Zwangs- und Konfrontationsstrategie dar, die auf die Brutalisierung der „hands" und die Klassenunruhen des frühen Industriekapitalismus ver301 Vgl. M. Bowley: Some aspects of the treatment of capital in the Wealth of Nations, in: A. S. Skinner/T. Wilson (Hg.): Essays on Adam Smith, S. 361-76. 302 WN, Bd. I, S. 266. Siehe generell: J. Evensky: The two Voices of Adam Smith, ΗΡΕ, 1987. 303 Early Draft of Part of The Wealth of Nations, in: LJ, Appendix, S. 567. 304 WN, Bd. I, S. 266. 305 William Temple (of Trowbridge): A vindication of commerce and the arts, Wakefield, 1758, repr., NY, o. J. 306 Siehe: Ε. P. Thompson: Zeit, Arbeitsdisziplin und Industriekapitalismus, in: ders.: Plebeische Kultur und moralische Ökonomie, S. 35-66. 307 Vindication of commerce and the arts, S. 56f.; grundsätzlich dieselbe Position nahm B. Mandeville ein, siehe bes. seine: Abhandlung über Barmherzigkeit, Armenpflege und Armenschulen (1723), in: ders.: Die Bienenfabel. 308 LJ(A), S. 341; analog: LJ(B), S. 490. 309 WN, Bd. I, S. 266.

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weist 310 , während Smith demgegenüber eine Position der Inklusion der Arbeiter in den Zivilisationsprozeß vertritt, die er auf lange Sicht auch ökonomisch für überlegen hält. „The liberal reward of labour", schreibt er, „as it encourages the propagation, so it increases the industry of the common people. The wages of labour are the encouragement of industry, which, like every other human quality, improves in proportion to the encouragement it receives...Where wages are high...we shall always find the workman more active, diligent, and expeditious..." 311 . Auch wenn „Some workmen, indeed, when they can earn in four days what will maintain them through the week, will be idle the other three", sei dies „by no means the case with the greater part". Smith warnt auch vor dem Stücklohn-System, das die Arbeiter zu überintensiver und selbstruinöser Arbeit verfuhrt, und denkt an eine steuerliche Entlastung der Arbeit durch Abschaffung oder Senkung der Verbrauchssteuern auf lebensnotwendige Güter und Arbeitsmaterialien 312 . Blicken wir auf Smiths Haltung zu einer zweiten gesellschaftlichen Hauptklasse, die Grundeigentümer. Evolutionstheoretisch stellen Profite und Grundrente Abzüge vom „vollen Arbeitsertrag" dar, den sich der „Arbeiter" unter primitiven gesellschaftlichen Bedingungen (unter denen natürlich kein „Arbeiter" im Sinne einer modernen sozialen Rollenzuschreibung existierte) vollständig aneignet313, eine Argumentationslinie, die später mit kritischer Absicht von den sogenannten „Ricardo-Sozialisten" und dann von Marx entwickelt wird. Unter modernen Bedingungen ist diese Position utopisch, weil die moderne Produktion auf Privateigentum, auch Grundeigentum, und auf der unternehmerischen Energie der Kapitalisten beruht. Das produktive Privateigentum zerfallt in zwei Hauptkategorien: das Land und das Produktivkapital. Die Grundrente, das originäre Einkommen aus Grundeigentum, das von den landwirtschaftlichen Gewinnen analytisch zu trennen ist, ist wirkliches Renteneinkommen, dem keine Leistung gegenübersteht, das ausschließlich aus Eigentumstiteln gezogen wird314. Weiterhin ist es ein Residualeinkommen, nämlich jener Teil des Verkaufsertrages, der übrigbleibt, wenn der Arbeiter entlohnt ist und der Kapitalist seinen Durchschnittsprofit abgezogen hat 315 . Praktisch, weil der Kapitalist derjenige ist, in dessen Verantwortung und auf dessen Rechnung die Produktion stattfindet, mag es umgekehrt so sein, daß nach Abzug von Lohn und Rente der Profit (oder Verlust) übrig bleibt. Aber theoretisch bestimmt sich die Rente aus dem Überschuß der Marktpreise nach Abzug von Löhnen und Durchschnittsprofit. Je intensiver und produktiver nun die landwirtschaftliche Nutzung ist, desto größer ist nach Smith bei gegebener Nachfrage die Rente, absolut und relativ zu Löhnen und Profiten. Und da die Nachfrage ein eher kurzfristiger Einfluß ist, bestimmt generell die Produktivität die Höhe der Grundrente, zwei Faktoren, die zusammen wachsen. Daraus leitet Smith ab, „The interest of [those who live by rent]...is strictly and inseparably connected with the general interest of the society. Whatever either promotes or obstructs the one, necessarily promotes or obstructs the other" 316 . Das findet seine Begründung auch in Smiths An-

310 Siehe dazu die Quellensammlung: I. Kuczynski (Hg.): Den Kopf tragt hoch trotz alledem! Englische Arbeiterautobiographien des 19. Jahrhunderts, Leipzig, 1983. 311 WN, Bd. I, S. 99, auch das folgende. 312 Ibid., Bd. II, S. 938. 313 Siehe ibid., Bd. I, S. 65. 314 Siehe zum folgenden: WN, Bd. I, Buch I, Kap. XI, Einleitung: Of the Rent of Land, S. 160ff. 315 Lange: Zur sozialphilosophischen Gestalt der Marktwirtschaftstheorie, S. 107, S. 110. 316 WN, Bd. I, S. 265.

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nähme, generell führten eher die Grundeigentümer als die Pächter landwirtschaftliche Investitionen und Verbesserungen durch, und dazu benötigten sie reinvestierbare Renteneinnahmen, die daher nicht allzu stark besteuert werden sollten317. Er setzt also voraus, die Gesellschaft habe ein vitales Interesse an der Entwicklung der Landwirtschaft und ihrer Produktivität318, was aus zwei Gesichtspunkten einleuchtet, erstens sozialgeschichtlich aus Smiths Kenntnis der Elendsverhältnisse der schottischen Pächter, denen die materiellen Voraussetzungen zur Teilnahme am Zivilisationsprozeß schlechterdings fehlten, und zweitens aus der schon durch Hume gewonnenen Einsicht in den Zusammenhang von Landwirtschaft und Gewerbe mit der Kulturentwicklung. Diese Position impliziert natürlich, daß sich die Grundeigentümer nur den ihnen im Rahmen des ungestörten Wirkens der ökonomischen Gesetze zustehenden Anteil am Bruttosozialprodukt aneignen. Die Grundrente ist als leistungsloses Einkommen an sich ein moralischer Defekt, der aber - wie so oft bei Smith - durch seine überwiegend positiven gesellschaftlichen Wirkungen überdeterminiert wird. Die „indolence, which is the natural effect of the ease and security of their situation, renders [the proprietors of land] too often, not only ignorant, but incapable of that application of mind which is nececssary in order to foresee and understand the consequences of any publick regulation"319 - dieses wenig schmeichelhafte Bild zeichnet Smith von der tragenden Schicht des britischen Staates, ein Bild, das durch die Integration von Unternehmern aus dem kommerziellen Sektor in die „landed gentry" aufgehellt wird, denn dieser Typus ist sowohl unternehmend als auch vermögend genug, um landwirtschaftliche „improvements" im großen Maßstab durchzuführen. Sie stellen daher eine Vitalitätszufuhr für die Klasse der „landlords" dar, deren Interessen modo grosso mit denen der Gesellschaft zusammenfallen, die jedoch im allgemeinen zu wenig aktiv und organisationsfahig ist, um sie im politischen Diskurs adäquat zu artikulieren. Die amerikanische Situation, das geht aus Smiths Skizze der Entwicklung der kommerziellen Gesellschaft hervor, ist besser, weil dort Landwirte und Grundeigentümer identisch sind320 und weil keine merkantilistischen Hemmnisse die Gewinne in der Landwirtschaft drücken, die sodann auch reinvestiert werden, was eine mit der Manufaktur vergleichbare Produktivitätsentwicklung ermöglicht. Dieser Entwicklungsweg kann aber in England wegen der überkommenen Eigentumsstrukturen und der merkantilistischen Tradition, die die Landwirtschaft benachteiligt, nicht durchgeführt werden. Im britischen Kontext käme es vor allem darauf an, die Organisations- und Diskursfähigkeit der Grundeigentümer gegenüber dem kommerziellen Sektor zu stärken. Gleichzeitig jedoch wendet sich Smith eindeutig gegen feudale Traditionen wie „entail" und Primogenitur, die die Handelbarkeit des Grundeigentums und damit seine Nutzung als wirtschaftliche Basisressource beeinträchtigen. Die Akkumulation von Kapital führt vermittels verstärkter Konkurrenz zu sinkenden Profiten321, während die Löhne aus dem gleichen Grunde steigen. Damit beschreibt Smith einen selbstbegrenzenden Mechanismus ökonomischer Prosperität, der gleichsam „Angebot-und-Nachfrage"-Überlegungen, die am Modell des Marktpreises einer einzel317 318 319 320 321

Ibid., Bd. II, S. 927. Siehe: LJ(B), S. 522. WN, Bd. I, S. 265. S. a. LJ(B), S. 466. WN, Bd. I, S. 105; N. Rosenberg: Adam Smith on profits - paradox lost and regained, in: A. S. Skinner/T. Wilson (Hg.): Essays on Adam Smith, S. 377ff.

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nen Ware gewonnen sind, auf die „Metamärkte" von Kapital und Arbeit überträgt. Smith unterscheidet hier nicht zwischen verschiedenen Phasen eines Wirtschaftszyklus, sondern er betrachtet drei typische Entwicklungstrends: eine aufsteigende, eine stagnative und eine absteigende Entwicklung 322 ; der erste Entwicklungspfad ist selbstverständlich die Norm. Da es natürlich ist, die eigenen Interessen mit denen der Gesellschaft gleichzusetzen oder zu verwechseln, „When profit diminishes, merchants are very apt to complain that trade decays; though the diminution of profit is the natural effect of its prosperity, or of a greater stock being employed in it than before" 323 . Auch klagen die Kapitalisten über die preistreibenden Wirkungen hoher Löhne, schweigen jedoch über „the bad effects of high profits. They are silent with regard to the pernicious effects of their own gains. They complain only of those of other people" 324 . Und ebenso unglaubwürdig wie die parteiische Einseitigkeit dieser Klagen sind die Begründungen der Kapitalisten für staatliche Regulationen der Konkurrenz, die in England eine lange Tradition haben, die aus den Anfangen der kommerziellen Gesellschaft stammt, als die Städte mit Unterstützung der Krone Korporationen zum Zweck der Einschränkung der Konkurrenz bildeten. Die Folge waren Monopolpreisbildungen, die als Abweichungen vom sogenannten „natural price" 325 auf Kosten der Agrikultur gehen 326 , soweit die Städte mit ihrem Umland Handel treiben. Smith analysiert diese Preisverzerrungen als einen „ungleichen Tausch" 327 zwischen Stadt und Land, wenn er schreibt: „Whatever regulations... tend to increase those wages and profits [der städtischen Korporationen] beyond what they otherwise [ohne die Konkurrenzbeschränkungen] would be, tend to enable the town to purchase, with a smaller quantity of its labour, the produce of a greater quantity of the labour of the country... The whole annual produce of the labour of the society is annually divided between those two different sets of people. By means of those regulations a greater share of it is given to the inhabitants of the town than would otherwise fall to them; and a less to those of the country" 328 .

322 Nützlich ist die Tabelle 4, in: D. Lange: Zur sozialphilosophischen Gestalt der Marktwirtschaftstheorie bei Adam Smith, S. 127. Siehe zur Wachstumstheorie von Smith: A. Lowe: Politische Ökonomik. On Economic Knowledge (1965), Königstein/Ts., 1984, Kap. VI; ders.: Adam Smith's System of Equilibrium Growth, in: A. S. Skinner/T. Wilson (Hg.): Essays on Adam Smith, S. 415-25; R. E. Prasch: The ethics of growth in Adam Smiths Wealth of Nations, ΗΡΕ, 1991: 23, S. 337-51. 323 WN,Bd. I, S. 108. 324 Ibid., S. 115. 325 Siehe ibid., Buch I, Kap. VII; J. Τ. Young hat den interessanten, für mich aber nicht sehr überzeugenden, Versuch unternommen, Smiths Konzept des „natural price" mit seiner Moralphilosophie zu verzahnen: Natural Price and the Impartial Spectator: A New Perspective on Adam Smith as a Social Economist, IJSE, 1985: 12, Nr. 6/7, 118-33; ders.: The impartial spectator and natural jurisprudence: an interpretation of Adam Smith's theory of the natural price, ΗΡΕ, 1986: 18, S. 365-82. 326 Ibid., S. 141. 327 Diese Analyse wird heute auf das Verhältnis zwischen erster und dritter Welt angewandt, siehe P. A. Baran: Über die politische Ökonomie unentwickelter Länder (1952), in: ders.: Unterdrückung und Fortschritt. Essays (1952-61), Ffln., 2. Aufl., 1968, S. 99-128; M. Dobb/B. Gustafsson: Wirtschaftliches Wachstum und unterentwickelte Länder. Versuche über den Kolonialismus, S'Gravenhage, 1973; W. Bärtsch/H. D. Jacobsen: Kritische Einführung in die Außenhandelstheorie, Rbk., 1976; W. Schoeller: Unterentwicklung und ungleicher Tausch auf dem Weltmarkt, in: B. Tibi/V. Brandes (Hg.): Handbuch 2: Unterentwicklung, Ffin. /Köln, 1975, S. 140-75; E. Bechler: Internationale Arbeitsteilung und Dritte Welt. Handelsbeziehungen auf Kosten oder im Dienste der Entwicklungsländer, Köln, 1976. 328 WN,Bd. I, S. 142.

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Jedenfalls sieht man hier, daß Smiths sozioökonomisches Klassenmodell nicht einheitlich ist, denn neben die Kategorien von Grundeigentümern, Kapitalisten und Arbeitern tritt der ältere Gegensatz von Stadt und Land, den Smith aber als vital analysiert. Die korporatistisch-merkantilistische Tradition verschafft demnach den „traders and artificers in the town an advantage over the landlords, farmers, and labourers in the country"329, und da „stock and labour naturally seek the most advantageous employment" „They naturally, therefore, resort as much as they can to the town and desert the country". Vom ungleichen Tausch profitieren in der Stadt nicht nur Kapitalisten, sondern auch Handwerker und Arbeiter, und auf der anderen Seite werden auch die kapitalistischen Pächter, die „farmer", geschädigt, so daß der Gegensatz von Stadt und Land quer liegt zum 3-Klassen-Modell. Daraus ergibt sich die Frage, wie Smith diese beiden Modelle miteinander verbindet. Erkennbar ist nun das erste Modell primär analytisch angelegt, während das zweite Modell Relevanz im Rahmen der sozialen Handlungsthorie kollektiver Akteure gewinnt, wenn Smith erklärt, „The inhabitants of the town, being collected into one place, can easily combine together", während „The inhabitants of the country, dispersed in distant places, cannot easily combine together". Dieses kommunikationssoziologische Argument war den Zeitgenossen geläufig, um die Unmöglichkeit republikanischer Vergesellschaftung in Flächenstaaten zu argumentieren - wegen der fehlenden bürgerschaftlichen Verständigungsmöglichkeiten. Marx hat später die französischen Parzellenbauern als eine „ungeheure Masse" beschrieben, „deren Glieder in gleicher Situation leben, aber ohne in mannigfache Beziehung zueinander zu treten. Ihre Produktionsweise isoliert sie voneinander, statt sie in wechselseitigen Verkehr zu bringen. Die Isolierung wird gefordert durch die schlechten französischen Kommunikationsmittel und die Armut der Bauern". Daher „wird die große Masse der französischen Nation gebildet durch einfache Addition gleichnamiger Größen, wie etwa ein Sack von Kartoffeln einen Kartoffelsack bildet"330. Mit dieser Metapher will Marx deutlich machen, warum die Bauern unfähig seien, „ihr Klasseninteresse im eigenen Namen, sei es durch ein Parlament, sei es durch einen Konvent geltend zu machen". Die analoge These Smiths behauptet eine durch die ungleichen Handlungsbedingungen disproportional verzerrte Teilnahme und Darstellungschance der verschiedenen gesellschaftlichen Interessen am gesellschaftspolitischen Diskurs. „Country gentlemen and farmers", präzisiert er, „dispersed in different parts of the country, cannot so easily combine as merchants and manufacturers, who being collected into towns, and accustomed to that exclusive corporation spirit which prevails in them, naturally endeavour to obtain against all their countrymen, the same exclusive privilege which they generally possess against the inhabitants of their respective towns"331. Die „Merchants" und „Master manufacturers", die schon durch ihre Geschäftskontakte eng miteinander verbunden sind und zusammen den kommerziellen Teil des „Kapitals" bilden, zeigen sich auch als sein bedeutendster und handlungsfähigster Teil. „Their superiority over the country gentleman is, not so much in their knowledge of the publick interest, as in their having a better knowledge of their own interest than he has of his"332,

329 330 331 332

WN, Bd. I, S. 142f., auch das folgende. Κ. Marx: Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte, S. 117, auch das folgende. WN, Bd. I, S. 462, s. a. Bd. II, S. 655. Ibid., Bd. I, S. 266.

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eine Beobachtung, die ebenso die politische Handlungsfähigkeit betrifft, die dadurch gesteigert wird, daß „the owners of the great mercantile capitals are necessarily the leaders and conductors of the whole industry of every nation..." 333 , weshalb sie die Wertorientierungen weiterer gesellschaftlicher Kreise prägen. Ihre Propaganda sei so erfolgreich, sagt Smith, daß das Land (als Gegensatz zur Stadt) sich durch ihren „clamour and sophistry" blenden läßt, und glaubt, „the private interest of a part, and of a subordinate part of the society", des kommerziellen Kapitals nämlich, sei „the general interest of the whole" 334 . „Country gentlemen and farmers are, to their great honour, of all people, the least subject to the wretched spirit of monopoly"335 und „generally disposed rather to promote than to obstruct the cultivation and improvement of their neighbours farms and estates", während umgekehrt „The undertaker of a great manufactory is sometimes alarmed if another work of the same kind is established within twenty miles of him". Generell verlangen „merchants and manufacturers... always... a monopoly against their countrymen"33 . Entscheidender noch ist, daß die kommerziellen Kapitalisten einen bestimmenden Einfluß auf die politische Gewalt, insbesondere auf die Legislative ausüben, denn die Privilegierung des Kommerz hat Interessengruppen geschaffen, die sogar für die Regierung eine Bedrohung darstellen „and upon many occasions intimidate the legislature" 37. Soweit etwa der Konflikt zwischen „Kapital" und „Arbeit" politisch ausgetragen wird, setzen sich daher generell die Manufakturisten durch338, so wie die im Verlagssystem arbeitenden Manufakturkapitalisten der Leinenindustrie einerseits Ausfuhrprämien fur ihre Endprodukte sowie Einfuhrbeschränkungen ausländischer Konkurrenzprodukte erreichten und sich so den inneren Markt sicherten, außerdem aber Einfuhrprämien auf ausländische Vorprodukte bewirkten, die den inländischen Webern, die sich als vereinzelt arbeitende Heimarbeiter schlecht organisieren und daher nicht zur Wehr setzen können, Konkurrenz machen und die Preise drücken. Daraus folgert Smith: „It is the industry which is carried on for the benefit of the rich and the powerful, that is principally encouraged by our mercantile system"339. Genauso setzten die englischen Wollmanufakturisten zur Zeit Elisabeths I ein Verbot von Importen ausländischer Wollwaren sowie englischer Wollexporte durch, das mit strengen Strafen belegt war, Gesetze, „which...may be said [Like the laws of Draco] to be all written in blood" 340 . Man sieht, daß Smith Aspekte der ursprünglichen Akkumulation in England moralisch kaum weniger scharf verurteilt als Marx. Aber abgesehen von den innenpolitischen Wirkungen vergiften die kommerziellen Kapitalisten mit ihrer Dominanz der Außenwirtschafts- und Außenpolitik auch die internationalen Beziehungen. „Commerce, which ought naturally to be, among nations, as among individuals, a bond of union and friendship, has become the most fertile source of discord and animosity" durch „the impertinent jealousy of merchants and manufacturers"341. Die inhärent völkerverständigende Kraft des Marktes,

333 334 335 336 337 338 339 340 341

Ibid., Ibid., Ibid., Ibid., Ibid., Ibid., Ibid., Ibid., Ibid.,

Bd. II, S. 612. Bd. I, S. 144, s. a. S. 267. S. 461 f., auch das folgende. S. 467. S. 471. S. 157. Bd. II, S. 644. S. 648. Bd. I, S. 493, auch das folgende.

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der, indem er Nationen und Kulturen in Kontakt bringt, nicht nur nach innen, sondern auch nach außen zivilisierend wirkt, wird durch die „mean rapacity" und den „monopolizing spirit of merchants and manufacturers" in ihr Gegenteil verkehrt. Damit schließt Smith an Gedankengänge in Humes Essay „Of the Jealousy of Trade" an342, dessen Kritik am ökonomisch motivierten englischen Imperialismus seiner Zeit er offenbar teilte, wie er sich besonders in der auch ökonomisch irrationalen Politik gegenüber den amerikanischen Kolonien darstellte, die die politischen Gesamtinteressen den Partialinteressen einer schmalen Schicht von Kaufleuten aufopferte343: „To promote the little interest of one little order of men in one country, it hurts the interest of all other orders of men in that country, and of all men in all other countries"344. In seinem Modell kollektiver sozialer Akteure akzentuiert Smith nicht spezifisch ein „monied interest"345, wie die ältere „Country"-Opposition und noch Hume, aber er identifiziert den Kommerz als jenen sozialen Sektor, der als Geldspeicher und Kreditquelle fungiert346. Seine sozioökonomische Handlungstheorie ist im Ergebnis im Übergang von der vormodernen Trennung von Stadt und Land zur modernen Klassenspaltung angesiedelt, ist aber deutlich sektoral strukturiert. Sie schließt einen „Country"-ßfas· ein, der aber den modernen Sinn hat, durch die Emanzipation der Landwirtschaft die kommerzielle Gesellschaft von den negativen Folgen ihrer korporatistisch-merkantilistischen Vorgeschichte zu befreien347. Smith wendet sich daher praktisch gegen sozialstrukturelle und gesellschaftspolitische Verzerrungen, die als Erbe des „absolutistischen Moments" eine selbstordnende Normalisierung der britischen Ökonomie auf den „natural course of opulence" verhindern. Diese postfeudalen und merkantilistischen Regulierungen wirken, „First, by restraining the competition in some employments to a smaller number than would otherwise be disposed to enter into them; secondly, by increasing it in others beyond what it naturally would be; and, thirdly, by obstructing the free circulation of labour and stock, both from employment to employment and from place to place"348, und fassen sich im „ΜοηοροΓ'-Begriff zusammen, denn „Monopoly of one kind or another, indeed, seems to be the sole engine of the mercantile system"349. Besonders empörend empfindet Smith die Einschränkung der freien Berufswahl und der freien Wahl des Wohnortes, denn - so sein Lockesches Argument - „The property which every man has in his own labour, as it is the original foundation of all other property, so it is the most sacred and inviolable. The patrimony of a poor man lies in the strength and dexterity of

342 Humes Text in den: Essays, siehe dazu: J. Robertson: Universal monarchy and the liberties of Europe, in: N. Phillipson/Q. Skinner (Hg.): Political Discourse in Early Modern Britain. 343 Siehe: WN, Buch IV, Kap. VII. 344 Ibid., Bd. II, S. 612f. 345 Die Kategorie erscheint ibid., Bd. I, S. 351, bleibt aber analytisch. 346 Ibid., Bd. II, S. 910, S. 918. 347 Vgl. A. S. Skinner: A system of social science, S. 179. 348 WN, Bd. I, S. 135; siehe generell: D. C. Coleman: Adam Smith, businessmen, and the mercantile system, HE1, 1988; G. Nonnemacher: Die Ordnung der Gesellschaft, S. 138. 349 WN, Bd. II, S. 630. A. W. Coats: Adam Smith and the Mercantile System, in: A. S. Skinner/T. Wilson (Hg.): Essays on Adam Smith, S. 218-36, S. 233: „In the Wealth of Nations... the polemical driving force behind his attack on the mercantile system was his profound hostility to monopoly", S. 234: „Smith traced the origins of monopoly back to the „corporation spirit" which prevailed in medieval towns, and doubtless regarded exclusive trading companies, like other state-supported monopolies, as a regrettable legacy of the past".

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his hands; and to hinder him from employing this strength and dexterity in what manner he thinks proper without injury to his neighbour, is a plain violation of this most sacred property" 350 . Ein Handwerker, der im Ausland arbeitet, kann nach britischem Gesetz ins Inland zurückbeordert werden und, folgt er diesem Befehl nicht, sämtlicher Rechte verlustig gehen, inklusive seines Eigentums, eine Regulation, die offensichtlich „contrary... to the boasted liberty of the subject" sind, „of which we affect to be so very jealous; but which, in this case, is so plainly sacrificed to the futile interests of our merchants and manufacturers" 351 . Ebenso: „To remove a man who has committed no misdemeanour from the parish where he chuses to reside, is an evident violation of natural liberty and justice" 352 . Reflektiert Smith die Gründe für die Persistenz derart gegen das natürliche Rechtsempfinden verstoßender Regulierungen, so findet er sie in der Interessiertheit eines kleinen, jedoch gut organisierten Teils der Gesellschaft, dem es gelingt, die wirtschaftsund gesellschaftspolitische öffentliche Meinung zu dominieren. Die zentrale propagandistische Wendung des WN richtet sich daher gegen den übergroßen politischen Einfluß des Kommerz. Jeder wirtschaftspolitische Vorschlag von dieser Seite, so fordert Smith, „ought always to be listened to with great precaution, and ought never to be adopted till after having been long and carefully examined, not only with the most scrupluous, but with the most suspicious attention. It comes from an order of men, whose interest is never exactly the same with that of the publick, and who accordingly have, upon many occasions, both deceived and oppressed it" 353 . Gerade der Sektor der Ökonomie mithin, der als der modernste gelten könnte, der in seinem Manufakturzweig auf die Fabrikproduktion verweist und in seinem Handelszweig auf die globale Ausweitung der Warenproduktion, weist nach Smiths Analyse spezifisch obsolete Züge auf, denn dieser Sektor hat zwar historisch in England zur Verbreitung und Verallgemeinerung der kommerziellen Gesellschaft beigetragen, aber in Form einer Inversion der „natürlichen Entwicklung", an der die englische Gesellschaft krankt. Um sich zu normalisieren, muß die kommerzielle Gesellschaft von den Beschränkungen der Konkurrenz befreit werden, die der kommerzielle Sektor durch seine Verbindungen mit dem Staat durchgesetzt hat und aufrecht erhält, eine Zielsetzung, die nach Smiths nüchterner Einsicht nur begrenzt realisierbar erscheint, letzten Endes sogar als utopisch 354 . Klar ist aber, daß dies die Zielsetzung des gemeinwohlorientierten Legislator zu sein hat, einen genuinen Primat der Politik, als Bereich der Gemeinwohlorientierung, zu restituieren. Das ist ebenso Bedingung einer Normalisierung des Verhältnisses von Politik und sozialer Autorität, denn Smith verbindet mit der „Country"-Rhetorik auch die Auffassung, die auf dem Lande generierte soziale Autorität der Grundeigentümer und Farmer sei die wichtigere und zuverlässigere soziale Herrschaftsbasis, während der „merchant" „not necessarily the citizen of any particular country" ist. „It is in a great measure indifferent to him from what place he carries on his trade; and a very trifling disgust will make him remove his capital, and together with it all the industry which it supports, from one country to another. No part of it can be said to belong to any particular country, till it has

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Ibid., Bd. I, S. 138. Ibid., Bd. II, S. 660. Ibid., Bd. I, S. 157. Ibid., S. 267. WN, Bd. I, S. 471, unter Bezug auf Morus' Utopia und Harringtons Oceana.

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been spread as it were over the face of that country, either in buildings, or in the lasting improvement of lands"355. Der Zusammenhang von „wealth" und „virtue" wird entscheidend durch das Land und seine Herrschaftsstruktur vermittelt, und in diesem Zusammenhang appelliert Smith an die Grundeigentümer, ihre Provinzialität, Rückständigkeit und Passivität abzustreifen und politisch die ihnen sozial zustehende Führungsrolle gegen die Anmaßungen des Kommerz einzunehmen, der zur Monopolisierung nicht nur der Ökonomie, sondern auch der Politik neigt. Daraus erhellt, warum Smith, der selbst den protestantischen Werten des Mittelstandes nahestand und die spezifisch aristokratischen Werte ablehnte, gleichwohl die Interessenidentität von Grundeigentümern und Gesellschaft hervorhob - weil, wenn überhaupt, dann (jedenfalls in England) nur die Grundeigentümer das nötige soziale Gewicht in die politischen Diskurse einfuhren konnten, um den Monopoleinfluß des Kommerz auf die Politik zu brechen. Dieses Projekt bedingte jedoch eine innovative Auseinandersetzung des Grundeigentums mit den Erfordernissen der modernen Ökonomie und Politik. Und hierin liegt, scheint mir, die „politische Botschaft" des WN: im Appell an die „Tugend" der „landed gentry", die Führung im Prozeß des „Improvement" und den ihr zustehenden Platz in einer modernen, zivilisierten, kommerziellen Politie einzunehmen356. Arbeitsteilung Adam Ferguson hat zuerst 1767 in seiner History of Civil Society das Konzept der Arbeitsteilung, im weiteren Sinne auch der Ausdifferenzierung sozialer Funktionen und Rollen, in das Zentrum der Überlegungen zur modernen Gesellschaft gerückt. Das hat später Marx verleitet, ein Lehrer-Schüler-Verhältnis zwischen Ferguson und Smith anzunehmen357. Nach dem Bericht Dugald Stewarts358 hatte sich Smith bereits 1755 in einem Papier sein geistiges Eigentum für eine Reihe von Theoremen gesichert, die er im WN publizierte, aber wohl seit etwa 1750 in Kreisen der schottischen Aufklärung vertreten hatte. Aus diesem nicht erhaltenen Papier zitierte Stewart 1793 einige Sätze über den Zusammenhang des „natural course of opulence" mit dem „natural system of liberty". Aber darüber hinaus seien darin „Many of the most important opinions in The Wealth of Nations" aufgeführt, und wenn wir berücksichtigen, wie zentral das Konzept der Arbeitsteilung für den WN ist, erscheint es als wahrscheinlich, daß es zu diesen durch Smith beanspruchten Theoremen zählte. Die Priorität von Smith in dieser Frage kann auch durch den Rekurs auf Smiths Lectures on Jurisprudence belegt werden, denn in beiden Manuskripten, die über Vorlesungen aus den Jahren 1762-64 berichten, finden sich ausführliche Erörterungen der Problematik359. Der härteste Beweis für die Priorität Smiths ist jedoch der Early Draft of Part of THE WEALTH OF NATIONS zusammen mit zwei Fragmenten über Arbeitsteilung, die die Herausgeber wie die Lectures der Periode der

355 Ibid., S. 426f. 356 Ich halte daher ffir falsch, wenn D. Lange Smith als „zynischen Kritiker der Gentry" bezeichnet, Zur sozialphilosophischen Gestalt der Marktwirtschaftstheorie bei Adam Smith, S. 113. 357 K. Marx: Das Elend der Philosophie. Antwort auf Proudhons „Philosophie des Elends", in: MEW, Bd. 4, Berlin, 9. Aufl., 1980, S. 146. 358 Account of the Life and Writings of Adam Smith, L. L. D (1793), in: A. Smith: Essays on Philosophical Subjects, Appendix, hier S. 321 f. 359 Siehe: LJ, im Register unter: Division of labour.

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frühen 1760ger Jahre zuordnen 360 . Das Verhältnis zwischen Ferguson und Smith dürfte daher eher umgekehrt liegen, als Marx annahm 361 . Nach Smith ist die Arbeitsteilung der Motor des ökonomischen Fortschritts, der mit Wohlfahrtsgewinnen verknüpft ist, an denen alle Schichten der Gesellschaft partizipieren362. Diese Produktivitätsgewinne haben mehrere Ursachen, die Smith auf drei reduziert: die größere Schnelligkeit von Arbeitsabläufen durch Routine, die Ersparung von Leerzeiten, die durch den Wechsel zwischen verschiedenen Beschäftigungen entstehen, und drittens die Anregung von Erfindungsgeist, der zur Verbesserung der Arbeitswerkzeuge und zur Einfuhrung von Maschinen führt 363 . Wenn so der technische Fortschritt als Ergebnis der Arbeitsteilung erscheint, unterscheidet Smith doch zwischen den Erfindungen der eigentlichen Arbeiter, derer, die Arbeitsgeräte für andere produzieren, und der „philosophers or men of speculation, whose trade it is, not to do any thing, but to observe every thing; and who, upon that account, are often capable of combining together the powers of the most distant and dissimilar objects". Denn „In the progress of society, philosophy or speculation becomes, like every other employment, the principal or sole trade and occupation of a particular class of citizen", und diese theoretische Beschäftigung „is subdivided into a great number of different branches", wodurch „the quantity of science is considerably increased.. ," 364 ; die Theoriebildung unterliegt also dem gleichen Gesetz der Arbeitsteilung und Ausdifferenzierung wie jede andere Arbeit. Die Arbeitsteilung beruht nach Smith weniger auf natürlichen Unterschieden der Menschen, als vielmehr auf der sozialen Adaption der Individuen. Die „difference of natural talents in different men" sei in Wirklichkeit sehr viel kleiner, als wir annehmen, und der „very different genius which appears to distinguish men of different professions, when grown up to maturity", ist daher weniger die Ursache als vielmehr die Folge der Arbeitsteilung365. Ohne Arbeitsteilung „every man must have procured to himself every necessary and conveniency of life which he wanted. All must have had the same duties to perform, and the same work to do, and there could have been no such difference of employment as could alone give occasion to any great difference of talents" 366 . Nun sind aber die Beschäftigungen nur sehr beschränkt frei gewählt, und sie unterscheiden sich in ihren Auswirkungen auf den Menschen: „In the progress of the division of labour, the employment of the far greater part of those who live by labour, that is, of the great body of the people, comes to be confined to a very few simple operations; frequently to one or two. But the understandings of the greater part of men are necessarily formed by their ordinary employments. The man whose whole life is spent in performing a few simple operations, of which the effects too are, perhaps, always the same, has no occasion to exert his understanding, or to exercise his invention in finding out expedients for remo360 In: LJ, Appendix. 361 Siehe auch Ζ. Batscha/H. Medick, Einleitung zu: Α. Ferguson: Versuch über die Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft, S. 85-7, Note 191. 362 Siehe ideengeschichtl S. Rashid: Adam Smith and the division of labour, Scott. JPE, 1986; zeitgenössisch J. Priestley: An Essay on the First Principles of Government, in: ders.: Political Writings, S. 9f. 363 WN, Bd. I, S. 17; LJ(A), S. 345. 364 WN, Bd. I, S. 21f. ;LJ(A), S. 347. 365 WN, Bd. I, S. 28; LJ(A), S. 348. Siehe generell: Louis Schneider: Adam Smith on human nature and social circumstance (1979), in: The grammar of social relations. The major essays of Louis Schneider, hg. v. J. Weinstein, New Brunswick/London, 1984, S. 49-75. 366 WN, Bd. I, S. 29.

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ving difficulties which nevcer occur. He naturally loses, therefore, the habit of such exertion, and generally becomes as stupid and ignorant as it is possible for a human creature to become. The torpor of his mind renders him, not only incapable of relishing or bearing a part in any rational conversation, but of conceiving any genrous, noble, or tender sentiment, and consequently of forming any just judgement concerning many even of the ordinary duties of private life. Of the great and extensive interests of his country, he is altogether incapable of judging; and unless very particular pains have been taken to render him otherwise, he is equally incapable of defending his country in war. The uniformity of his stationary life naturally corrupts the courage of his mind, and makes him regard with abhorrence the irregular, uncertain, and adventurous life of a soldier. It corrupts even the activity of his body, and renders him incapable of exerting his strength with vigour and perseverance, in any other employment than that to which he has been bred. His dexterity at his own particular trade seems, in this manner, to be acquired at the expence of his intellectual, social, and martial virtues. But in every improved and civilized society this is the state into which the labouring poor, that is, the great body of the people, must necessarily fall, unless government takes some pains to prevent it" 367. Hier wird von Smith ein Prozeß radikaler Degeneration der Manufakturarbeiter beschrieben, zu der er eine spezifische „Country"-Position einnimmt, wenn er feststellt, „The nature of agriculture, indeed, does not admit of so many subdivisions of labour, nor of so complete a separation of one business from another, as manufactures"368, „After what are called the fine arts, and the liberal professions... there is perhaps no trade which requires so great a variety of knowledge and experience" wie husbandry369, und „Not only the art of the farmer, the general direction of the operations of husbandry, but many inferior branches of country labour require much more skill and experience than the greater part of mechanick trades". Daß daher „the lower ranks of people in the country are really superior to those of the town, is well known to every man whom either business or curiosity has led to converse much with both". Und als generelle Regel gelte, daß die Arbeiter „in towns... are not so intelligent as in the country, nor in a rich country as in a poor one"370. Die moderne Arbeitsteilung, während sie die Gesellschaft bereichert, verdummt also die Arbeiter, und eigentümlich die frühe Industrie und die Berufsspezialisierung der städtischen Gewerbe treiben die moderne Degeneration der Arbeiter voran371. In den intellektuell homogenen372 „barbarous societies" von Jägern, Hirten und früher Agrikultur vor der Entstehung von Manufakturen und der Einfuhrung internationalen Handels hat diese Degeneration nicht existiert, die Smith daher als spezifisch modernes Problem betrachtet, nicht der „Rebarbarisierung", sondern als Kosten der Zivilisation, die aber gesellschaftlich ungleich verteilt sind, denn neben der manifesten Degeneration der

372 Ibid., Bd. II, S. 782; s. a. LJ(B), S. 539; vgl. Kames: Sketches, Basil, Bd. I, Sketch IV: Origin and progress of arts, Abschn. I: Useful arts, S. 144f.; J. Millar: Historical View of the English Government, Bd. IV, Essay 4, S. 144ff.; ders.: Lectures on Government, 1787/88, James Millar, Bd. I, S. 83; ders.: Lectures on the Publick Law of Great Britain, unbek. Verfasser, Glasgow University, MS Gen. 203, S. 17. 368 WN, Bd. I, S. 16; s. a. LJ(A), S. 342. 369 WN, Bd. I, S. 143f., auch das folgende. 370 LJ(B), S. 539. 371 E. G. West: Adam Smith and Alienation. Wealth Increases, Men Decay?, in: A. S. Skinner/T. Wilson (Hg.): Essays on Adam Smith, S. 540-52. 372 WN, Bd. II, S. 783f., auch das folgende.

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„labouring poor" steht „that improved and refined understanding, which a few men sometimes possess in a more civilized state". Es handelt sich dabei um eine intellektuelle Elite derer, „who, being attached to no particular occupation themselves, have leisure and inclination to examine the occupations of other people. The contemplation of so great a variety of objects necessarily exercises their minds in endless comparisons and combinations, and renders their understandings, in an extraordinary degree, both acute and comprehensive". Aber diese intellektuelle Elite sieht Smith nicht identisch mit der Führungselite, sondern eher außerhalb des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses stehend. Und sie stellt eine minoritäre Tendenz gegenüber dem Haupttrend der intellektuellen und auch körperlichen Degeneration dar. Auf dem Gebiet der - sagen wir „Geistesbildung" hat jedenfalls die moderne Zivilisation damit im ganzen eine wenig positive Bilanz aufzuweisen. Im deutschen Kontext kann die sogenannte „Bildungsidee" 373 als Reaktion auf diese negativen Seiten der Moderne gelesen werden, eine kritische Ideenbewegung, die in Friedrich Schillers einflußreichen Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschen gipfelt 374 , die zur frühromantischen Kulturkritik überleiten. Smith sieht auch bereits deutlich den dialektischen Zusammenhang zwischen der Verarmung der individuellen Arbeit und der Ausdifferenzierung und Bereicherung der gesellschaftlichen Arbeit: „In a civilized state... there is little variety in the occupations of the greater part of individuals", jedoch „an almost infinite variety in those of the whole society"375. Was folgt daraus? Für Smith vor allem die Nichtbefahigung der modernen Armen, den Staat politisch und militärisch zu unterstützen. „In... barbarous societies", schreibt er, „every man... is a warrior. Every man too is in some measure a statesman and can form a tolerable judgement concerning the interest of the society, and the conduct of those who govern it". Das hängt natürlich mit der Einfachheit der vormodernen politischen Gesellschaften zusammen, und so treffen in der Moderne zwei sich negativ verstärkende Tendenzen zusammen, die wachsende Komplexität der Politik mit der mentalen Degeneration des Volkes, die sich zu einer Konstellation kombinieren, in der die elementare Demokratie der frühen Gesellschaften vor Einfuhrung des Privateigentums 376 definitiv nicht mehr funktionieren kann, nicht weil die Macht der Reichen dem im Wege stünde, sondern weil die deteriorierten personalen Ressourcen der gewachsenen gesellschaftlichen Komplexität nicht mehr gewachsen sind. Das ist eine höchst pessimistische Perspektive 373 GG-Lexikon, Bd. I, Art.: Bildung (R. Vierhaus). 374 F. Schiller: Über die ästhetische Erziehung des Menschen. In einer Reihe von Briefen (1795), Stg., 1984. Schiller schreibt, S. 19 (6. Brief), in der Moderne sehe man ,glicht bloß einzelne Subjekte, sondern ganze Klassen von Menschen nur einen Teil ihrer Anlagen entfalten, während daß die übrigen, wie bei verkrüppelten Gewächsen, kaum mit matter Spur angedeutet sind", S. 20: „Ewig nur an ein einzelnes kleines Bruchstück des Ganzen gefesselt, bildet sich der Mensch selbst nur als Bruchstück aus... ". Siehe K. L. Berghahn: Ästhetische Reflexion als Utopie des Ästhetischen, in: Voßkamp (Hg.): Utopieforschung, Bd. III, S. 146-71. 375 Schiller: Ästhetische Erziehung, S. 19, fragt rhetorisch: „Woher wohl dieses nachteilige Verhältnis der Individuen bei allem Vorteil der Gattung?", und schreibt, S. 20: „Und so wird denn allmählich das einzelne konkrete Leben vertilgt, damit das Abstrakt des Ganzen sein dürftiges Dasein friste... ", sowie, in utopischer Wendung, S. 26: „Es muß also falsch sein, daß die Ausbildung der einzelnen Kräfte das Opfer ihrer Totalität notwendig macht; oder wenn auch das Gesetz der Natur noch so sehr dahin strebte, so muß es bei uns stehen, diese Totalität in unserer Natur, welche die Kunst [meint die moderne Kultur schlechthin] zerstört hat, durch eine höhere Kunst wieder herzustellen". 376 Siehe: LJ(A),S.201ff.,iv,4-13.

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für die Demokratie, in der die emanzipatorische Wirkung der modernen ökonomischen Unabhängigkeit politisch konterkariert erscheint. Wenn die modernen Individuen daher einen höheren Grad ziviler Freiheit genießen, so büßen sie gleichzeitig qualitativ ihren emphatischen Bürgerstatus ein. Ein für Smith gewichtiger, vielleicht der entscheidende Aspekt daran ist der Verlust des „martial spirit"377. Miliz und „standing army" Gehen wir von der idealtypischen vorzivilisierten Gesellschaft aus, in der jeder Mann gleichzeitig Produzent und Krieger ist, „or easily becomes such" 378 , denn die vorzivilisierte Lebensweise entspricht den Anforderungen des Krieges; das beginnt mit der „Körperertüchtigung" und der Gewohnheit eines Lebens unter widrigen Umständen im Freien, betrifft aber auch die relative Abkömmlichkeit des Bauern, der außerhalb von Saat- und Erntezeit periodisch in den Krieg ziehen kann, ohne seine Subsistenzbasis einzubüßen. Anders der im Rahmen fortgeschrittener Arbeitsteilung spezialisierte Handwerker, dessen Einkommen, sobald er zu arbeiten aufhört, versiegt, und der daher vom Staat erhalten werden muß und somit zum „Soldaten" mutiert. In der Moderne greift die arbeitsteilige Warenökonomie auch auf die Landwirtschaft über, und die „improvements in husbandry..., which the progress of arts and manufactures necessarily introduces, leave the husbandman as little leisure as the artificer... and the great body of the people becomes altogether unwarlike" 379 . Den Niedergang der italienischen Republiken fuhrt Smith darauf zurück, daß „as soon as arts, etc. were improvd, there was an intire decradation [sic] and loss of courage in the whole state. This we may ascribe as the cause of the quick decay of Florence, Milan, etc. This naturally must happen, for no state can impose any very great and intollerable hardships, as the military service would be, in a refined state"380. Und generell „The arts and improvement of sciences puts the better sort in such a condition that they will not incline to serve in war. Luxury hinders some and necessary business others" 381 und „By having their minds constantly employed on the arts of luxury, they grow effeminate and dastardly" 382 . Demnach gibt es zwei miteinander verschränkte Motive, die die moderne Bevölkerung kriegsuntüchtig machen, fehlende Abkömmlichkeit durch wachsende Spezialisierung und „Effeminacy", die aus der verweichlichenden modernen Lebensweise resultiert. Im Ergebnis sinkt daher bei Vordringen der gewerblichen Warenproduktion der Anteil der Soldaten an der Gesamtbevölkerung, und diese Relation wird noch verschlechtert durch die in der Moderne wachsenden Rüstungskosten, die einen wachsenden Anteil am Sozialprodukt beanspruchen; mit anderen Worten: eine relativ wachsende Zahl von Bürgern muß beschäftigt werden, um die Ausrüstungskosten für eine sinkende Zahl von Soldaten zu erwirtschaften. Mit der Raffinierung der Kriegführung und der Kriegsgeräte wird auch das Kriegshandwerk kom377 LJ(B), S. 540:, Another bad effect of commerce is that it sinks the courage of mankind... ". 378 WN, Bd. II, S. 690ff., auch fur das folgende; siehe zu diesem Abschnitt auch: D. Winch: Adam Smith's Politics, Kap. 5, und die Bezüge auf Smith in J. Robertson: The Scottish Enlightenment and the Militia Issue, zusammenfassend, S. 212ff.; Richard B. Sher: Adam Ferguson, Adam Smith, and the problem of national defense, JMH, 1989: 61, S. 240-68. 379 WN, Bd. II, S. 697. 380 LJ(A), S. 231. 381 Ibid., S. 265. Analog J. Millar: Vom Ursprung des Unterschieds, S. 239. 382 LJ(B), S. 540. In LJ(A), S. 339 spricht Smith auch vom „present effeminate and puny set of mortals".

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plizierter und erfordert eine Spezialisierung, die schon von daher die Identität von „Bürger" und „Krieger" sprengt, während gleichzeitig mit der Entwicklung von Feuerwaffen der „Kriegsgeist" des vorzivilisierten Einzelkämpfers als militärischer Entscheidungsfaktor hinter die Notwendigkeit strikter Disziplin zurücktritt, mit der die modernen Massenheere gelenkt werden383. Mit dem Reichtum des Staates wächst aber auch die Gefahr, daß er zum Angriffsziel benachbarter, weniger entwickelter Nationen wird384, während gleichzeitig die generelle Verteidigungsfähigkeit und -bereitschaft des Volkes abnimmt, was ihn um so verwundbarer macht. Das ist das moderne militärpolitische Dilemma. In den antiken, Urbanen Republiken, die bereits ein gewisses Niveau der Zivilisierung und Arbeitsteilung erreicht hatten, waren nach Smith die Bürger verpflichtet, eigenständig militärische Übungen durchzufuhren, und dadurch konnte die Trennung des Bürgers vom Krieger vermieden werden385 - das Konzept der antiken Miliz. Smith glaubte aber an die „natural superiority, which the militia of a barbarous, has over that of a civilized nation"386. Das Konzept der Miliz kann daher das moderne militärpolitische Dilemma nicht lösen. Mit dem modernen Berufssoldaten drängt sich nun die Organisationsform einer „Standing Army" auf, die nach Smith einer Miliz gewöhnlich überlegen sein wird387. Wenn daher „the expedient of a standing army... had once been adopted by one civilized nation, it became necessary that all its neighbours should follow the example"388. In der Moderne - „as it can best be maintained by an opulent and civilized nation" - wird so das „stehende Heer" zum vorherrschenden militärpolitischen Modell und schlechterdings zur Bedingung der Aufrechterhaltung der Zivilisation „of any country... for any considerable time" 389 . Allerdings glaubt Smith, daß sich die anfangliche Unterlegenheit einer Miliz im Verhältnis zum stehenden Heer im Laufe mehrerer Feldzüge ausgleichen kann, indem die Milizionäre durch die gesammelte Kriegserfahrung gleichsam zu regulären Soldaten umgeformt werden, wie im aktuellen Konflikt Großbritanniens mit den amerikanischen Kolonien390. Da das „Kriegshandwerk" kein gewöhnlicher ziviler Beruf ist, der sich, angetrieben durch marktvermittelte Nachfrage, sein Angebot schafft, liegt die Schaffung eines hochstehenden Berufssoldatentums im Aufgabenbereich des modernen Staates3 Dabei denkt Smith sicher an die militärischen Kaderpositionen, denn die Mannschaften stehender Heere werden sich in zivilisierten Gesellschaften stets aus dem „Bodensatz" des Volkes rekrutieren, Leuten, die in zivilen Berufen gescheitert sind392. Die interessante Frage ist natürlich, wie Smith auf die in der politischen Rhetorik des 18. Jahrhunderts verankerte Furcht vor „stehenden Heeren" reagiert. Seine Antwort lau383 WN, Bd. II, V,i,a,21-22; vgl. C. von Clausewitz: Vom Kriege (1832). Auswahl, hg. v. U. Marwedel, Stg., 1981, 3. Buch, 5. und 6. Kap. 384 WN, Bd. II, S. 697f. 385 Ibid., V,i,a,12-13. 386 Ibid., S. 705. 387 Ibid., S. 699f. 388 Ibid., S. 705. 389 Ibid., S. 706. 390 Ibid., S. 701: „Should the war in America drag on through another campaign, the American militia may become in every respect a match for that [britische] standing army". 391 Ibid., S. 697: „... it is the wisdom of the state only which can render the trade of a soldier a particular trade separate and distinct from all others". 392 LJ(A), S. 232, s. a. S. 265f.

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tet: „... where the sovereign is himself the general, and the principal nobility and gentry of the country the chief officers of the army; where the military force is placed under the command of those who have the greatest interest in the support of the civil authority, because they have themselves the greatest share of that authority, a standing army can never be dangerous to liberty"393. Innerhalb des modernen Konzepts einer Berufsarmee hält er also bezüglich der militärischen Führungspositionen an einer Identität von „Bürgern" und „Kriegern", anders: von sozialer Autorität und politischer und militärischer Macht fest. Diese Antwort kann im zeitgenössischen Kontext nur im Sinne der vorzugsweisen Offenhaltung der militärischen Laufbahn für die - jüngeren - Söhne der Gentry verstanden werden. Auch Smith gehörte dem „Poker Club" an, Ferguson und andere Mitglieder konnten im WN jedoch lesen, daß er ein Berufsheer der Miliz für überlegen hielt, worüber sich Ferguson in einem Brief an ihn beklagte, worin er Smith vorhielt, er habe „provoked the militia, and there I must be against you"394. Tatsächlich kommt Smith jedoch im Abschnitt über Erziehung als Staatsaufgabe auf die Frage der Miliz zurück, und seine Position erscheint damit in einem anderen Licht. Er schlägt dort nämlich eine allgemeine Volkserziehung mit zwei Schwerpunkten vor, zum einen elementare intellektuelle Bildung, die auf die Kompensation der verdummenden Wirkungen der Manufaktur zielt ein Vorschlag, nebenbei bemerkt, dessen Effektivität von Miliar angezweifelt wurde395 und zweitens militärische Übungen nach dem Vorbild der antiken Republiken, die den „martial spirit" des Volkes vital halten sollen, nach dem Miliz-Prinzip396. Beweist das moderne Europa, daß der Fortschritt die Wehrhaftigkeit untergräbt397, von der „the security of every society... more or less" abhängt, und wird dieser Mangel gegenwärtig durch ein stehendes Heer wettgemacht, das eventuell die politische Freiheit gefährdet, so könnte eine Revitalisierung der allgemeinen Wehrhaftigkeit durch ein Miliz-System jedenfalls die Verkleinerung des Heeres ermöglichen. Aber „Even though the martial spirit of the people were of no use towards the defence of the society, yet to prevent that sort of mental mutilation, deformity and wretchedness, which cowardice necessarily involves in it, from spreading themselves through the great body of the people, would still deserve the most serious attention of government". Daraus geht hervor, daß Smith in der Moderne ein „stehendes Heer" in jedem Fall für unverzichtbar hielt, die damit verbundene politische Gefahr jedoch einerseits durch enge Anbindung in die sozialen Herrschaftsstrukturen und andererseits durch eine komplementäre Bürgermiliz begrenzen will, der darüber hinaus die kulturelle Aufgabe zufallt, im Verein mit einem System allgemeiner Volksbildung der modernen Degeneration durch die Arbeitsteilung entgegenzuwirken. Smith fühlte sich daher mißverstanden, als ein Anonymus ihn wegen seiner angeblichen Abwertung der Miliz angriff. Dieser glaube, schrieb Smith einem Brief393 WN, Bd. II, S. 706f.; LJ(A), S. 269; etwa anders akzentuiert: LJ(B), S. 544. 394 Brief Nr. 154, in: Correspondence of Adam Smith, S. 193f.; siehe R. B. Sher: Church and University, Kap. 6, bes. S. 237ff. 395 Siehe: J. Millar: Historical View, Bd. IV, S. 148f.: „... but whether, upon the whole, the artificial education thus communicated to the lower orders of the people, be sufficient to counterbalance the disadvantages of their natural situation there may be good reason to doubt"; ders.: Lectures on Government, 1787/88, James Millar, Bd. I, S. 83. Das bedeutet nicht, daß Millar sich gegen ein Volksbildungssystem stellte. 396 Siehe: Ian Ross: Adam Smith and Education, SECC, 1984: 13, S. 173-87. 397 WN, Bd. II, S. 786f., auch für das folgende.

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partner, „that because I insist that a Militia is in all cases inferior to a well regulated and well disciplined standing Army, that I disapprove of Militias altogether". „When he wrote his book, he had not read mine to the end" 98 . Aber natürlich macht es einen Unterschied, ob die Miliz als ernsthafte militärpolitische Alternative zum Berufsheer unterstützt wird, oder aus kulturpolitischen Gründen. Schluß Smith ist gegen „benevolente" und rationalistische Überforderungen des Normalmenschen moralischer Realist. Die moralische Natur des Menschen ist nicht perfekt, bevor wir jedoch die Defekte verdammen, sollten wir ihre positiven Wirkungen betrachten. „Gerechtigkeit" allerdings ist jene Tugend, ohne deren strikte Einhaltung menschliches Zusammenleben nicht gelingt399 - Smith vertritt insofern einen eindeutigen Vorrang des „Rechten" vor dem „Guten" 400 . Sie beschreibt unsere minimalen sozialen Pflichten, die im allgemeinen hinreichend genau durch den „Moral Sentiments"-Prozeß bestimmt werden 401 , auch wenn zusätzlich eine positivrechtliche Präzisierung erforderlich ist. Wegen des unvermeidlichen egozentrischen Bias und der moralischen Handlungsschwäche der Menschen muß die „Gerechtigkeit" durch politische Gewalt unterstützt werden. Diese wird zwingend mit der Entstehung von Eigentum und komplexer mit der Ausdifferenzierung der Eigentumsverhältnisse. Die Fixierung von Rechtsregeln und die Schaffung einer gesonderten Legislative sind späte Produkte dieser Entfaltung der politischen Gewalt 402 . Das Rechtssystem bleibt aber in das Rechtsempfinden eingebettet, das sich im Laufe der Zivilisation raffiniert 403 , und der politische Prozeß wird im ganzen durch eine historisch variable Struktur sozial generierter Autorität getragen, die sich mit der Durchsetzung der Marktwirtschaft aus dem Feudalsystem in Europa, als Ergebnis eines eigentümlich inversen Prozesses nichtintendierter Folgen, abschwächte, der traditionelle Formen persönlicher Abhängigkeit durch ein Regime der „Herrschaft des Gesetzes" ersetzte. Folge dieser Inversion ist ein korporatistisch-merkantilistisches Erbe, das Immobilismen, Monopole und Verzerrungen der gesellschaftspolitischen Situation zugunsten kommerzieller, städtischer Sektoren erzeugt und die Allgemeinheit um Freiheits- und Wohlfahrtseffekte des Zivilisationsprozesses bringt. Sie behindert die Normalisierung der kommerziellen Gesellschaft und belliziert die Außenbeziehungen. Smiths Haltung zur ökonomischen Moderne ist positiv. Er sieht jedoch, daß der individuelle „Moral Sentiment"-Prozeß auf verläßliche soziale Nahbeziehungen, ein wirkungsvolles Rechtssystem auf eine intakte moralische Kultur und das politische System auf die autonome soziale Generierung von Autorität angewiesen bleiben. Die moderne, zivilisierte, kommerzielle Gesellschaft erscheint daher in seiner profund humanistischen Konzeption 404 als systematisch voraussetzungsvoll. Bei Smith, und noch mehr bei 398 Briefv. 26. 10. 1780 an Andreas Holt, in: Correspondence, Nr. 208, S. 251. 399 Als zusammenfassende Formulierung am Schluß der TMS, S. 340. 400 J. Cropsey: Polity and Economy, S. 33, formuliert: „Polity or society is for the sake of the preservation of life, rather than, as was once supposed, for the sake of the perfection of life". 401 TMS, S. 175, S. 327. 402 LJ(A),S. 205. 403 TMS, S. 340f. 404 Τ. H. Nielsen: The State, the Market and the Individual. Politics, Economy and the Idea of Man in the Works of Thomas Hobbes, Adam Smith and in Renaissance Humanism, AS, 1986: 29, S. 283-302.

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Ferguson, spitzt sich diese Problematik des moralischen Niedergangs der europäischen Hochkultur auf die am historischen Vorbild des Untergangs der Antike geschulte405 Militärfrage zu, die vom Verlust der Wehrhaftigkeit der europäischen Völker ausgeht. Die französische „Encyclopedie" war von Diderot noch als Flaschenpost fur den Fall des Untergangs der modernen Zivilisation gedacht406 und weder Hume noch Smith noch Ferguson antezipierten das Durchstarten der „civil society" zur Industriegesellschaft. Erst mit Millars positiver Reaktion auf die französische Revolution407 dringt in die schottische Spätaufklärung politischer Fortschrittsglaube ein, der aber immer noch dialektisch positive und negative Seiten des Zivilisationsprozesses reflektiert408. Smiths Fortschrittsskepsis wird an zwei miteinander verbundenen Kritiken deutlich, jener der intellektuellen Degeneration durch die Arbeitsteilung sowie jener der Gefahr der Abtötung vitaler Affekte durch „Überzivilisierung"409. Beide Prozesse sind der Moderne immanent, die auf Affektkontrolle und Spezialisierung beruht. Smith ist jedoch optimistisch hinsichtlich der Kompensierbarkeit dieser Defekte, und er glaubt an die Möglichkeit nicht-linearen Fortschritts, der lose in den Rahmen einer traditionellen ZyklenTheorie eingefugt bleibt410. Der wesentlich nicht-intentionale Evolutionsprozeß der Zivilisation kann demnach an normativ-idealen Entwicklungsverläufen gemessen werden und findet für Smith im Spannungsfeld von vier Ebenen statt: jener der Produktionsweise, der moralischen Kultur (inklusive der Rechtsideen), der Sozialstruktur (inklusive der Strukturen sozialer Autorität) und der politischen Institutionen. Der Trieb „to better our condition" erscheint als antreibendes Element, wobei moralisch defekte Motive wie Ehrgeiz und Ruhmsucht - Vanity - in der Prestigekonkurrenz eine entscheidende Rolle spielen. Bildet die Sozialhierarchie das Ordnungsgerüst der Gesellschaft, so drückt sich Fortschritt vor allem in der Ökonomie und nachhaltig in der Produktivitätsentwicklung aus. Von Einzelheiten abgesehen, sind in Smiths Evolutionstheorie alle Elemente des „historischen Materialismus" vorgedacht, wobei die Zusammenhänge von Produktions-

405 Siehe etwa, mit Bezug auf Rom: WN, Bd. I, S. 427. 1776 erschien der erste Teil von Edward Gibbons: The Decline and Fall of the Roman Empire. 406 D. Diderot: Prospekt der Enzyklopädie (1750), in: ders.: Enzyklopädie, S. 47f.; vgl. A. Ferguson: Principles of Moral and Political Science, Bd. I, S. 281 f. 407 Siehe: J. Millar: Historical view of the English government, Vol. IV, Essay 7, bes. S. 305ff.; ders. [?]: Letters of Crito, 1796; ders.: Lectures on Government, 1787/88, in the hand of James Millar, Bd. II, ein offensichtlicher Nachtrag auf den geraden Seiten 34ff., mit dem Titel: FRENCH GOVERNMENT, 1782, offensichtlich irrtümlich für 1792; ders.: Lectures on Government, 1789, Notes by Wm. Rae, 3 Bde., Glasgow-University, MS Gen. 180/1-3, Bd. II, ein zwischen S. 256 und S. 257 eingefügter Nachtrag, datiert v. 28. 1. 1790, Titel: LATE REVOLUTION IN FRANCE; John Craig: Account of the Life and Writings of John Millar, S. 112ff.; siehe zur politischen Position Millars im Kontext: D. Forbes: „Scientific" Whiggism: Adam Smith and John Millar, Cambridge Journal, 1954; C. Robbins: Eighteenth Century Commonwealthman, S. 21 I f f . ; Fay Ann Sullivan: Art.: Millar, John, in: Biographical Dictionary of Modern British Radicals, Bd. I: 1770-1830, hg. v. J. O. Baylen/N. J. Gossman, Sussex/NY, 1979. 408 Siehe besonders den 4. Band von Millars: Historical View of the English Government. 409 Vgl. Robert L. Heilbroner: The Paradox of Progress: Decline and Decay in the Wealth of Nations, in: A. S. Skinner/T. Wilson (Hg.): Essays on Adam Smith, S. 524-39. 410 Es gibt im Werk Smiths eine Reihe von Hinweisen darauf, z. B.: LJ(B), S. 414, aber keine Ausarbeitung. Das gründet wahrscheinlich darin, daß Smith das zyklische Paradigma der Zivilisationsentwicklung bei seinen Zeitgenossen voraussetzte und i. ü. suchte, darüber hinauszukommen. Siehe zum Thema knapp: H. Mizuta: Two Adams in the Scottish enlightenment: Adam Smith and Adam Ferguson on progress, SVEC, 1980: 191, S. 812-9.

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weise, Klassenstruktur, Institutionen und Kultur sehr beweglich gehandhabt werden411. Das betrifft besonders die Vermittlung durch den sozialpsychologischen „Moral Sentiments"-Prozeß, für den es bei Marx keine Entsprechung gibt412. Ein weiterer wichtiger Unterschied liegt, nach Knud Haakonssen413, in der normativen Dimension der Smithschen Evolutionstheorie, für die in der Marxschen Klassenontologie der Raum fehlt - Ergebnis des selbst auferlegten Moral-Tabus Marx' 414 . Nach vorne hin kann Smiths Theorie in eine Entwicklungsreihe mit Grotius, Montesquieu und Hume gestellt werden, Grotius als Begründer des neuzeitlichen Naturrechts, Montesquieu als deijenige, der die naturrechtliche Dogmatik in einem Ansatz universalgeschichtlich-komparativer Synopsis überholt, die jedoch relativ statisch bleibt, und Hume als Essayist einer politischen Wissenschaft der Moderne, die die Universalien der menschlichen Natur historisch auf die Antike und den Feudalismus bezieht, während Smith die Ergebnisse dieser Autoren in einer lange Zeit unüberholten Evolutionstheorie der Zivilisation integriert. Im Verhältnis zu Hume, der die politischen Institutionen als autonome Variable behandelte, erscheinen sie bei Smith eher als etwas abgeleitetes. Die drei klassischen politischen Regime-Formen Monarchie, Aristokratie und Demokratie - und ihre Verfallsformen - gebraucht er nur noch als analytisches Begriffsraster zur Erklärung des Zusammenwirkens verschiedener Arten von Machtressourcen auf den verschiedenen Ebenen: jener der sozial generierten Autorität, jener der Kommunikationsbedingungen, jener der Institutionen und schließlich jener der Gewalt. Im Konkreten kann dann kaum je eindeutig festgestellt werden: dies ist eine Ein-Personen-Herrschaft, dies ist eine Oligarchie-Aristokratie oder dies eine Demokratie; das antike Schema politischer Formen wird so gesellschaftstheoretisch gesprengt, was Dugald Stewart später expizit reflektiert415. Damit vertieft Smith die Humesche Abwertung der Staatsformen gegenüber der Zivilisationsentwicklung, sieht aber genauer auf die materiell-ökonomischen Bedingungen. Für beide steht die zivile Freiheit im Vordergrund, die wesentlich gesellschaftlich-ökonomische Unabhängigkeit bedeutet und in einem positiven Begründungsverhältnis zur „kommerziellen Kultur" steht. Aber Smith sieht wie Kames auch negative Seiten des „commercial spirit": „The

411 Siehe zum Verhältnis von Smith und Marx: R. L. Meek: Smith and Marx, in: ders.: Smith, Marx and after, S. 3-17. 412 Das Fehlen einer psychologischen Komponente im Marxismus war bekanntlich zentrales Motiv für Max Horkheimers Idee einer „kritischen Theorie", siehe seine Antrittsrede: Die gegenwärtige Lage der Sozialphilosophie und die Aufgaben eines Instituts fur Sozialforschung, in: ders.: Sozialphilosophische Studien. Aufsätze, Reden und Vorträge 1930-1972, hg. v. W.Brede, Ffm., 2. Aufl., 1981; siehe dazu: A. Söllner: Geschichte und Herrschaft. Studien zur materialistischen Sozialwissenschaft. 1929-1942, Fftn., 1979, Teil 2; M. Jay: Dialektische Phantasie. Die Geschichte der Frankfurter Schule und des Instituts fur Sozialforschung (1973), Ffm., 1981, Kap. 2 u. 3. 413 K. Haakonssen: The Science of a Legislator, Kap. 8. 414 Siehe J. Habermas: Einleitung: Historischer Materialismus und die Entwicklung normativer Strukturen, in: ders.: Zur Rekonstruktion des Historischen Materialismus, S. 9-48, und die seit einer Reihe von Jahren laufende Diskussion über das Moralthema bei Marx, siehe: A. P. Simonds: Marxism and morals, Review Essay, Ethics, 1982/83: 93, S. 792-9; N. Geras: The controversy about Marx and justice, NLR, 1985: No. 150, S. 47-85; Otto Kallscheuer: Gerechtigkeit und Freiheit bei Marx. Ethische Probleme bei Marx - Marxens Probleme mit der Ethik, Prokla, 1986: 16, Nr. 65, S. 121-44; Paul Burkett: Instrumental justice and social economics: some comments from a Marxian perspective, RSE, 1987: 45, S. 313-23; Allen E. Buchanan: Marx, morality, and history: an assessment of recent analytical work on Marx, Ethics, 1987/88: 98, S. 104-36; D. R. Sabia Jr.: Rationality, Collective Action, and Karl Marx, AJPS, 1988: 32, S. 50-71. 415 Lectures on Political Economy, CW, Bd. IX, S. 355.

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minds of men are contracted and rendered incapable of elevation.. ." 4I6 . Soweit daher das politische Engagement der Bürger Bedingung ziviler Freiheit ist, wirkt die moderne Gesellschaft widersprüchlich, da sie ihre eigenen Existenzbedingungen417 untergräbt, ein durch Ferguson dramatisiertes Motiv. Trotz des starken Einflusses des modernen Naturrechts und seiner eindeutigen Bestimmung der „Gerechtigkeit" als soziale Basistugend, ist der Denkstil Smiths wesentlich nicht-juridisch, was besonders deutlich wird an dem Ansatz, die Rechtsideen durch den gesellschaftlichen Prozeß zu erklären. Das wird, neben der - an Hume anschließenden Vertragskritik, besonders durch Smiths realistischer Sicht der Begründbarkeit politischen Gehorsams unterstrichen. „In whatever place there is a sovereign", schreibt er, „from the very nature of things the power must be absolute; and no power regularly established of calling the sovereign to account, as the sovereign has an undoubted title to the obedience of the subjects... But... there are certain limits to the power of the sovereign, which if he exceeds, the subject may with justice make resistance", denn „There can be no doubt that one by a certain degree of absurdity and outrage in his conduct may lose his authority altogether", und „there are degrees of absurdity and impropriety in the conduct of a sovereign which... entitle the subjects to resistance in the eyes of every unprejudiced person"418, ein Prozeß, der in den sozialen „Moral Sentiments" stattfindet, die nicht durchgreifend rationalisierbar sind.

416 LJ(B),S. 541. 417 Siehe G. Nonnenmacher: Die Ordnung der Gesellschaft, S. 186ff., und die zusammenfassende Diskussion, S. 279ff. 418 LJ(A), S. 315 und S. 320, s. a. S. 325.

7. Adam Ferguson Adam Ferguson1 war vor der Publikation der History of Civil Society (1767) 2 nur in Schottland bekannt, als Mitglied des Zirkels der Moderate Literati, der nach einer Zeit als Militärgeistlicher bei einem Highlands-Regiment eine akademische Karriere verfolgte, Nachfolger Humes als Bibliothekar der Edinburgher Anwaltsvereinigung wurde (1757), bevor er eine Professur erhielt, für Naturphilosophie (1759) und dann, wie erstrebt, den Lehrstuhl für Moralphilosophie in Edinburgh (1764). Zu dieser Zeit hatte Ferguson erst eine Predigt und zwei Pamphlete publiziert, letztere die Reflections Previous to the Establishment of a Militia von 1756 und die anonyme Schrift: The Morality of Stage Plays considered, 1757 - zur Verteidigung von John Homes Tragödie „Douglas", und wahrscheinlich war er auch Autor der anonymen Satire: The History of the Proceedings in the Case of Margaret, commonly called Peg von 1760, die sich gleichfalls mit der Frage der Miliz und der Ungleichbehandlung Schottlands durch das britische Parlament befaßte3. Damit sind Anliegen Fergusons angezeigt, die er jedoch erst im Essay on the History of Civil Society zu einem eigenständigen gesellschaftstheoretischen Standpunkt ausgebaut und verdichtet. Mit diesem Buch erlangte Ferguson internationales Renommee als ein wichtiger Repräsentant der schottischen Aufklärung; der Essay wurde ebenso wie Fergusons nächste Schrift, die Institutes of Moral Philosophy, tatsächlich nur eine publizistisch aufbereitete Ausgabe seiner moralphilosophischen Vorlesungen, binnen weniger Jahre ins Deutsche übertragen4. Neben dem Essay, der bis heute Fergusons wichtigstes Buch geblieben ist, stütze ich mich hauptsächlich auf die Principles of Moral and Political Science von 1792, erschienen Jahre nach Fergusons Emeritierung im Jahre 1785. Sozialität und Dynamik des Menschen Ferguson betont die soziale Natur des Menschen5 und weist auf die immanente Befriedigung sozialen und benevolenten Handelns6 und auf die von vornherein 1 Siehe Η. H. Jogland: Ursprünge und Grundlagen der Soziologie bei Adam Ferguson, Berlin, 1959; das Standardwerk der Sekundärliteratur ist: D. Kettler: The Social and Political Thought of Adam Ferguson, Ohio State University Press, 1965; ein späterer Kommentar dieses Autors ist: History and Theory in Ferguson's ESSAY ON THE HISTORY OF CIVIL SOCIETY. A Reconsideration, PT, 1977: 5, S. 437-60; siehe zum ideengeschichtlichen Kontext: R. B. Sher: Church and University, über Ferguson bes. Kap. 5; S. Mason: Ferguson and Montesquieu: tacit reproaches?, BJECS, 1988; s. a. G. McDowell: Commerce, Virtue and Politics, RP, 1983. 2 Ich benutze D. Forbes (Hg.), Edinburgh, 1966, paperback, 1978 (im folgenden: Essay), mit Einleitung von Forbes (im folgenden: Forbes: Introduction); eine moderne deutsche Ausgabe ist: Versuch über die Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft, hg. v. Z. Batscha/H. Medick, Ffm., 1988, mit einer interessanten Einleitung der Herausgeber (im folgenden: Batscha/Medick: Einleitung). 3 Siehe: (Adam Ferguson?, anon. ]: The History of the proceedings in the case of Margaret, commonly called Peg, only lawful sister to John Bull, Esq, Edinburgh, 2. ed., 1761, S. 174, leichter zugänglich in der den Text irtümlich David Hume zuschreibenden Ausgabe durch David Raynor (Hg.): Sister Peg. A Pamphlet hitherto unknown by David Hume, Cambridge, 1982. 4 Letztere u. d. T.: „Grundsätze der Moralphilosophie", mit .Anmerkungen" des Übersetzers, des Popularphilosophen Christian Garve. Siehe zur Rezeption der Schriften Fergusons in Deutschland und zur Rolle Garves: N. Waszek: The Scottish Enlightenment and Hegels Account of „Civil Society", pass. 5 Siehe: Essay, Teil I, Abschn. III; Principles, Bd. I, Teil I, Kap. I, Abschn. II-IV; Jogland: Ursprünge und Grundlagen, Kap. 4, S. 67ff.; N. Waszek: Man's Social Nature, Kap. 5.

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mindestens rudimentäre politische Vergesellschaftung7 hin, was ihn sogleich in Gegensatz zum Sozialatomismus des Naturrechts und zur Rousseauschen Idee des „edlen Wilden" bringt. Den „Naturzustand" der vertragstheoretischen Tradition akzeptiert er allenfalls als methodische Fiktion zwecks Analyse von Sozialbeziehungen zwischen Fremden, eigentlich als „Gedankenexperiment", denn selbst Fremde sind de facto stets gleichzeitig in andere, „dichtere" Sozialbeziehungen eingebunden8. Ferguson weist auch nach, daß Sozialität nicht auf Verträgen beruht, die nämlich selbst in originären gesellschaftlichen Prozessen und Moral Sentiments fundiert sind9. Der Übergang von Fremdheit in „Trust"-Beziehungen und in Konventionen im Sinne Humes, implizite und explizite, findet laufend statt, und man kann daher sagen, Ferguson überführe die Problematik der politischen Vertragstheorie in die Allgegenwart von Quasi-Verträgen. Er sieht jedenfalls keine eigentlich politische Vergesellschaftung, Staatwerdung von Gesellschaft, als einen historischen Einschnitt, aber eine Entwicklung des politischen Institutionensystems parallel zur Komplexitätssteigerung der Gesellschaftsorganisation selbst. In einem fundamentalen Sinne sind die politischen Institutionen auf die Unterstützung der Bürger angewiesen, „contributing either by their means or by their personal services to the public defence, or to the arrangements which may be neccessary for public prosperity. In the very nature of political society, therefore, convention to this amount is implied"10, und im Rahmen dieser konsensualen Fundierung politischer Macht kann eine ursprünglich auf Gewalt gegründete Herrschaft im Laufe der Zeit in ein gewohnheitsmäßig akzeptiertes Regime des „Government by Consent" transformiert werden, ebenso wie umgekehrt ein durch „Consent" begründetes Regime seine Konsensbasis einbüßen und zu einer Tyrannis entarten kann. Das bedeutet jedoch nicht, daß Alter an sich ein Regime legitimiert, denn „The oppressed, even after any indefinite period of oppression are free to procure relief by such means as they are enabled to employ for that purpose"11. Jede Generation, und jedes Individuum, definiert daher seine politische Loyalität im Lichte seiner Erfahrungen in einem empirischen Prozeß von „Moral Sentiments" neu, ein letztlich juristisch nicht einzufangender Vorgang12. Die normative Idee jedoch der Begründung politischen Gehorsams auf „Consent" - in welcher Form immer - hält Ferguson fest, denn „this is the only plea upon which the 6 Essay, S. 53. 7 Principles, Bd. II, S. 268f.: „Society is the natural state of man, and political society is the natural result of his experience in that state of society to which he is born... Political establishments, accordingly, which began to be formed in the first and simplest ages, continue in a state of gradual formation, as the experience of every age directs, to the latest period at which states or communities, in the course of things, are allowed to arrive"; s. a. Jogland: Ursprünge und Grundlagen, S. 132f. 8 Siehe: Principles, Bd. II, S. 263ff. 9 Institutes of Moral Philosophy (im folgenden: Institutes), S. 199: „There never was in reality any contract prior to the establishment of society"; s. a. Principles, Bd. II, Teil II, Kap. III, Abschn. Χ. 10 Principles, Bd. II, S. 285. 11 Ibid., S. 234f. 12 Im Kontext Widerstandsrechts verneint Ferguson die Existenz allgemeiner Prinzipien, „that may not be abused. And so far are we left to the powerful instincts of nature, for our direction in matters of the greatest moment. When the storm threatens, the benighted traveller will take shelter wherever he can find it... He need not recur to any maxim of law for this purpose: The power of necessity is superior to law; and the instinct of nature drives to its end, with a force which speculative maxims can neither withstand nor direct", ibid., S. 292.

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right to command can be supported"13. Er vertritt aber auch, wie die anderen schottischen Autoren, einen sittlichen Vorrang des Bestehenden, denn gemäß dem Gesetz nicht-intendierter Folgen sind Eingriffe in das politische System nie vollständig zu berechnen. Und wenn sich auch eine gute Regierung dadurch auszeichnet, Beschwerden eine Plattform zu bieten, durch die Unzufriedenheit ein Ventil findet, so wendet sich Ferguson doch wie Smith gegen politische Systembildnerei, gegen politischen Konstruktivismus14. Erst die erwiesene Nicht-Reformierbarkeit eines unterdrückenden politischen Regimes legitimiert eine radikale Neubildung15, eine der schottischen Aufklärung gemeinsame Position, die Richard Sher als „konservativ" kennzeichnet16. Der Mensch ist wesentlich affektgetriebenes Leidenschaftswesen, und gleichzeitig „active"17 und „progressive being"18. Indem er zu jedem Zeitpunkt nach bestimmten Zielen strebt, beruhigt er sich jedoch nicht bei der Erreichung dieser Ziele, sondern projektiert sogleich neue Ziele, die ihn weiter vorantreiben19. Der Lebensprozeß besteht in der Anwendung, Verausgabung und Erneuerung von Lebensenergie20 im Wechselspiel von innerem Antrieb und äußeren Anlässen. Der entscheidende Unterschied des Menschen zum Tier21 - oder: zu den anderen Tieren, denn für Ferguson ist er selbst wesentlich animalisch22 - ist nämlich, daß der Mensch nicht umfassend instinktmäßig festgelegt ist23, sondern sich an verschiedene Umgebungen und Lagen anpaßt und die Mittel zu seinen Zwecken selbst wählt24; daher, „.. .the defects of instinct must be supplied by reflection"25. Sieht Ferguson einerseits eine elementare natürliche

13 Ibid., S. 245. 14 Ibid., S. 496: „We come with our schemes of what is best for mankind, like an architect with his plan after the house is built, and the lodger fitted to his mind", S. 498f.: „... it may safely be assumed as a maxim under every establishment whatever, That the present order, if tolerable, is to be preferred to innovation, of which, even in very small matters, it may be difficult, and is often above the reach of human wisdom, to foresee all the consequences or effects. Grievances, nevertheless, under the fairest government, may take place, and must be redressed; and whoever has a grievance to plead must be heard; whilst he who, without any complaint of grievance, has gone forth in search of speculative melioration, or improvement, not absolutely required to the safety of his country, is to be dreaded as a most dangerous enemy to the peace of mankind"; s. a. Ferguson: Remarks on a Pamphlet lately published by Dr. Price, S. 14. 15 Principles, Bd. II, S. 497. 16 R. B. Sher: Church and University, S. 195f. 17 Ζ. B.: Principles, Bd. I, S. 176, Bd. II, S. 14, S. 29, S. 37: „Man, in his character of intelligent being, is active in a form, and to an extent, greatly superior to any of the other animals", u. öfter. 18 Siehe ζ. Β. ibid., S. 42. 19 Siehe Essay, S. 41, S. 216; Principles, Bd. I, Teil I, Kap. I, Abschn. I, und S. 175ff. 20 Principles, Bd. II, S. 37: „Every quality of his nature is an energy, not a quiescent mode of existence". 21 Siehe ibid., Bd. I, Teil I, Kap. I, Abschn. V: Of Mans Distinction among the Animals, bes. der Anfang. 22 Essay, S. 46: „Man, it must be confessed, notwithstanding all this activity of his mind, is an animal in the füll extent of that designation", s. a. S. 111. 23 Principles, Bd. II, S. 37: „The lot of man is not, like that of other animals, at once completely furnished by nature... ". Diese Auffassung wurde später etwa von Arnold Gehlen vertreten, siehe: ders.: Anthropologische und sozialpsychologische Untersuchungen (1936-61), Reinbek, 1986; s.a. H. Plessner: Conditio Humana, in: G. Mann/A. Heuß/A. Nitschke (Hg.): Propyläen Weltgeschichte. Eine Universalgeschichte, Berlin/Ffin., Bd. 1,1960, S. 33-86. 24 Principles, Bd. I, S. 61, Bd. II, S. 37. 25 Ibid., Bd. II, S. 38.

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Ungleichheit der Menschen26, so ist doch der Mensch den natürlichen Bedingungen nicht einfach unterworfen und entwickelt im Prozeß der Auseinandersetzung mit der Umwelt Praktiken, mit denen er diese Bedingungen transzendiert, wodurch er sich in der Verschränkung von Zielen, Praxis, Zielerreichung und Projektion neuer Ziele selbst entwickelt, „...the scenes of human affairs perpetually change in his management: his enblem is a passing stream, not a stagnating pool"27. Und „We speak of art as distinguished from nature; but art itself is natural to man. He is in some measure the artificer of his own frame, as well as his fortune, and is destined, from the first age of his being, to invent and contrive"28. Der im 18. Jahrhundert generell geläufigen normativen Rede von der „Natur des Menschen" und einer „natürlichen Lebensweise" begegnet Ferguson daher mit Skepsis29, weil Erfindungen und zivilisatorische Artefakte, die sich zwischen den Menschen und die Natur schieben, zur nicht-stationären Natur des Menschen selbst gehören. Sein Glück liegt daher nicht in einem zu definierenden, statischen „höchsten Gut", das in der Anwendung seiner Fähigkeiten und Kräfte und der konsequenten Selbstentwicklung liegt, ohne daß er im vornhinein wüßte, wohinaus. Die Handlungsenergien selbst erweisen sich so der Reflektion als eigentlicher Zweck der menschlichen Existenz30. „Withdraw the occupations of men, terminate their desires, existence is a burden..." 31 . Aktivität, Praxis, ist das Lebenselement des Menschen und der Rahmen fur Fergusons spezifische Fortschrittsidee32. „In other classes of animals", schreibt er, „the individual advances from infancy to age or maturity; and he attains, in the compass of a single life, to all the perfection his nature can reach: but in the human kind, the species has a progress as well as the individual; they build in every subsequent age on foundations formerly laid; and, in a succession of years, tend to a perfection in the application of their faculties, to which the aid of long experience is required, and to which many generations must have combined their endeavours"33. Daher gibt es einen kollektiven Lernprozeß der menschlichen Gattung. Während Ferguson so die antike Problematik des „guten Lebens" festhält, transformiert er sie auf radikal moderne Art, denn nunmehr erscheinen Praxis, Tätigkeit, Handlungsenergie und Willenskraft als die spezifisch veredelnden menschlichen Elemente, denen gegenüber die Kontemplation abgewertet ist34. Damit wird deutlich, daß Ferguson den Gegensatz zur Antike, der von Hutcheson über Hume zu Smith in dem Vorrang des Rechten vor dem Guten und in der Minimalisierung der Ethik Ausdruck fand, in einer Dynamisierung des Begriffes des Guten überwölbt und zurücknimmt, der deutlich lebensphilosophisch gefärbt ist.

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Siehe: Essay, Teil III, Abschn. I; Institutes: Teil I, Kap. I, Abschn. 2-4. Essay, S. 7. Ibid., S. 6, und Teil III, Abschn. VII; D. Forbes: Introduction, S. XIX. Essay, S. 10. Siehe dazu: W. Lepenies: Historisierung der Natur und Entmoralisierung der Wissenschaften seit dem 18. Jahrhundert, in: ders.: Gefährliche Wahlverwandtschaften. Essays zur Wissenschaftsgeschichte (1978-88), Stg., 1989, S. 7-38. Principles, Bd. II, S. 327. Essay, S. 43, und im ganzen Teil I, Abschnitt VII und VIII: Of Happiness. Siehe Η. Mizuta: Two Adams in the Scottish enlightenment: Adam Smith and Adam Ferguson on progress, SVEC, 1980. Das Moment der Praxis, unter dem Namen ,Arbeit", wird später von Marx betont. Essay, S. 5. Siehe ibid., S. 29ff., S. 177f.; D. Forbes: Introduction, S. XXX; Batscha/Medick: Einleitung, S. 53f.

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In diesem Zusammenhang ist an vitalistische Momente zu erinnern, die sich, außer bei Hume, auch bei anderen schottischen Autoren finden, ein Virilismus, der in einem eigentümlich zwiespältigen Verhältnis zum sentimentalen Diskurs und zur Zivilisation steht, der einerseits starke Gefühle und Leidenschaften positiv bewertet, die in dieser oder jener Form Ausdruck finden und so eine expressive Kultur konstituieren, und der andererseits die Furcht vor dem expressiven Ausleben der Empfindungen einschließt, in dem sich die Individuen gleichsam verlieren. Dagegen wird einer Zucht der expressiven Selbstdisziplin das Wort geredet, die die Superiorität des Willens im Gefühlskomplex affirmiert. Diese Problematik der Bewahrung starker Charaktere in der zivilisierenden Moderne35 rückt Ferguson in das Zentrum seiner Überlegungen, wenn er schreibt: „...nations consist of men; and a nation consisting of vigorous, public-spirited, and resolute men, is strong", während „a nation consisting of degenerate and cowardly men, is weak"36. Die anthropologische Fundierung dieser Norm liegt in Fergusons Annahme eines ursprünglichen, sagen wir, „Kampfgeistes", der die Menschen veranlaßt, sich in Gegensätzen zu definieren, zu den „Barbaren", den Fremden, den Anderen, den Gegnern, den Feinden37. „We are fond of distinctions", schreibt er, „we place ourselves in opposition, and quarrel under the denominations of faction and party, without any material subject of controversy"38. Gegensätze stiften Identität, und äußere Gegensätze schließen daher eine Gruppe oder Nation fester nach innen zusammen. Die Werturteile, die diese Gegensätze fundieren, sind zu wesentlichen Teilen nicht-rational, „...the people have dislikes and antipathies, for which they cannot account"39. So wie Individuen einen spontan egozentrischen Bias haben, so glauben sich Gruppen, Gesellschaften, Nationen anderen überlegen und halten die eigene Kultur, Tradition und Institutionen für die besten40. Selbst für die sozialtheoretische Reflektion ist es schwierig, diese populären Ideologien zu durchdringen, die kaum aufhebbar sind, denn sie sind nicht an Wahrheit orientiert, sondern durch die identitätstiftende ideologische Funktion des Glaubens an den eigenen Wert begründet, der für Kollektive so wichtig ist wie für Individuen. Konflikte zwischen Individuen und Gruppen resultieren aus dem Bedürfiiis, die eigenen Kräfte und Fähigkeiten zu erproben und zu messen. „Man... is disposed to opposition, and to employ the forces of his nature...; he loves to bring his

35 Auch D. Forbes sieht Anklänge an Nietzsche: Introduction, S. XXVIII. Siehe etwa F. Nietzsche: Aus dem Nachlaß der Achtzigeijahre, Werke, Bd. IV, S. 512: „Was würde sich auf... Erden teurer bezahlt machen als gerade das, was wir mit allen Kräften fordern - die Vermenschlichung, die „Verbesserung", die wachsende „Zivilisierung" des Menschen? Nichts wäre kostspieliger als Tugend: denn am Ende hätte man mit ihr die Erde als Hospital: und Jeder jedermanns Krankenpfleger" wäre der Weisheit letzter Schluß. Freilich: man hätte dann auch jenen vielbegehrten „Frieden auf Erden"! Aber auch so wenig „Wohlgefallen aneinander"! So wenig Schönheit, Ubermut, Wagnis, Gefahr! So wenig „Werke", um derentwillen es sich lohnte, auf Erden zu leben! Ach! und ganz und gar keine „Taten" mehr!" 36 Essay, S. 225. Fergusons ideales Menschenbild definiert: „The principal perfections of man's nature are the love of mankind, wisdom and force of mind. The principal defects are malice, folly, sensuality and cowardice. This contrast is commonly expressed in the terms virtue and vice", Institutes, S. 136. 37 Siehe Essay, Teil I, Abschn. IV: Of the principles of War and Dissension, sowie S. 204f.; Batscha/Medick: Einleitung, S. 42ff. 38 Essay, S. 21. Hier liegt natürlich der Hinweis auf Carl Schmitts „Freund-Feind-Denken" nahe, siehe: Der Begriff des Politischen (1927), Berlin, 3. Aufl., 1991. 39 Essay, S. 23. 40 Siehe ibid., S. 204f.

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reason, his eloquence, his courage, even his bodily strength, to the proof. His sports are frequently an image of war...and he who has never struggled with his fellow-creatures, is a stranger to half the sentiments of mankind"41. Nicht nur Körperkräfte, sondern auch intellektuelle Kräfte und Willenskraft werden erprobt, es finden Machtkämpfe im Reiche des Geistes statt, und intellektuelle Gewalt wird ebenso angewandt wie physische. Denn der Mensch nimmt als ganzer an den Konflikten teil, in denen er sich bewegt, und keineswegs ist der Körper Quelle der Aggression, während der Geist die Friedfertigkeit repräsentiert, wie ein traditionelles Christentum vielleicht glaubte. Auch mit dem naiven Aufklärungsglauben an die befriedende Kraft der Vernunft bricht Ferguson, denn die menschliche Zivilisation entwickelt sich durch Konflikte hindurch, und wenn auch ihre Resultate nur unter der Bedingung einer gewissen Binnenpazifizierung der Gesellschaften erhalten werden können, so ist doch die Idee der benevolenten Transformation der Sozialbeziehungen eine schlechte Utopie. Wenn also die Menschen elementar auf Sozialbeziehungen angewiesen sind, so schließt diese Sozialität unvermeidlich eine widersprüchliche Mixtur benevolenter, indifferenter und aggressiver Haltungen ein. In dieser Mixtur bewegen sie sich, und es gibt nicht wenige, fur die „war itself is a pastime, who chuse [sic] the life of a soldier, exposed to dangers and continued fatigues; of a mariner, in conflict with every hardship, and bereft of every conveniency; of a politician, whose sport is the conduct of parties and factions... Such men do not chuse pain as preferable to pleasure, but they are incited by a restless disposition to make continued exertions of capacity and resolution; they triumph in the midst of their struggles...", denn „The most animating occasions of human life, are calls to danger and hardship, not invitations to safety and ease"42. Starke Charaktere sind daher weder zu finden „in the nurseries of affectation, pertness, and vanity, from which fashion is propagated, and the genteel is announced", noch „in great and opulent cities, where men vie with one another in equipage, dress, and the reputation of fortune", noch „within the admired precincts of a court, where we may learn to smile without being pleased, to caress without affection, to wound with the secret weapons of envy and jealousy, and to rest our personal importance on circumstances which we cannot always with honour command", sondern „in a situation where the great sentiments of the heart are awakened; where the characters of men, not their situations and fortunes, are the principal distinction; where the anxieties of interest, or vanity, perish in the blaze of 43

more vigorous emotions... . Essentielle anthropologische Momente, die an Freuds „Aggressionstrieb" gemahnen44, gehen in Fergusons Menschenbild ein. Und seine Idee des Gattungsfortschritts durch Konflikte und Kämpfe hindurch, in denen Einzelne, Gruppen und Nationen aufsteigen, andere besiegt werden, absteigen und untergehen, verbindet ihn bedeutsam mit Hegel45 und Marx46. Der Gegensatz zu Hutchesons ethischem Ideal 41 42 43 44

Ibid., S. 24; s. a. D. Kettler: History and Theory, PT, 1977, S. 450. Essay, S. 44f.; s. a. Principles, Bd. II, S. 502. Essay, S.39f. Siehe: S. Freud: Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, S. 536-43; und ganzen: H. Marcuse: Triebstruktur und Gesellschaft. 45 Siehe: G. W. F. Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte (1837), Stg., 1980; dazu Kojeve: Hegel. Eine Vergegenwärtigung seines Denkens, Kap. V; St. B. Smith: Hegel's Views War, the state, and international relations, APSR, 1983: 77, S. 624-32; Ch. Menke: .Anerkennung

im A. on im

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einer „calm universal benevolence", zu Humes Ideal freundschaftlicher Geselligkeit und zu Smiths idealer „tranquility of the mind" liegt offen47. „Philosophers would variously teach us", schreibt Ferguson, „some to refer our actions, and to limit our views, to private separate gratifications; to court an exemption from care and solicitude on the concerns of other men; and to fill up the moments of life with the least possible trouble or avocation from our own personal state and enjoyments. But nature seems to require that we seek for the interesting scenes of human life; that we consider our own, and the cause of mankind, as common..." 48 . „The habits of a vigorous mind are formed in contending with difficulties, not in enjoying the repose of a pacific station; penetration and wisdom are the fruits of experience, not the lessons of retirement and leisure; ardour and generosity are the qualities of a mind roused and animated in the conduct of scenes that engage the heart, not the gifts of reflection or knowledge"49. Nicht im Privaten liegt daher das Glück, sondern im Engagement, „more in the exercises of freedom, and in the pursuits of a liberal and beneficent soul, than in the possession of mere tranquility, or what is termed exemption from trouble. The trials of ability, which men mutually afford to one another in the collisions of free society, are the lessons of a school which Providence has opened for mankind, and are well known to forward, instead of impeding their progress in any valuable art, whether commercial, elegant, or political"50. „Korruption" läßt sich daher auch nicht an einem äußerlichen, statischen „Luxus"-Begriff festmachen51, sondern ist eine moralische Kategorie52, und „The use of morality on this subject, is not to limit men to any particular species of lodging, diet, or cloths; but to prevent their considering these conveniencies as the principal objects of human life". Eine freie Gesellschaft, die einen mittleren Zustand zwischen despotischer Erstikkung individueller Handlungsenergien einerseits und ihrem anarchischen Leerlauf andererseits darstellt, diese also auf produktive Weise begrenzt, sublimiert und lenkt, benötigt eine starke Regierung, deren Aufgabe jedoch nicht in kleinlicher Detailregulation des gesellschaftlichen Lebens liegt, sondern die die offene Interaktion, Kooperation sowohl als auch Konkurrenz der freien Bürger ermöglicht. Wir haben eine falsche Idee politischer Ordnung, sagt Ferguson, wenn wir sie uns nach der Analogie eines toten Mechanismus vorstellen, denn die Menschen sind lebende, willensbegabte und freie Wesen. „When we seek in society for the order of mere inaction and tranquility, we

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Kampfe". Zu Hegels Jenaer Theorie der Ausdifferenzierung moderner Gesellschaften, ARSP, 1991. Hegel hält an einer „Bürgerarmee" fest, siehe S. Avineri: Hegels Theorie des modernen Staates, S. 89. Siehe besonders die Charakterisierung der Geschichte als einer Geschichte von Klassenkämpfen in: K. Marx/F. Engels: Manifest der Kommunistischen Partei, in: MEW, Bd. 4, Berlin, 9. Aufl., 1980. Essay, Teil VI, Abschn. IV; D. Kettler: History and Theory, PT, 1977, S. 452, betrachtet den Essay als „a sustained polemic against the Epicureans... ", d. h. gegen den Privatismus von Hume und Smith. Principles, Bd. II, S. 329, s. a den letzten Abschnitt, Teil II, Kap. VI, Abschn. XI. Essay, S. 255f. Principles, Bd. II, S. 508f. Siehe Essay, Teil VI, Abschn. II, S. 247: „We must look for the characters of men in the qualities of the mind, not in the species of their food, or in the mode of their apparel". Ibid., Teil VI, Abschn. III, Anfang.

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forget the nature of our subject, and find the order of slaves, not that of free men"53. Eine freie Gesellschaft hat daher negative Begleiterscheinungen des Parteienkonfliktes hinzunehmen, „for the sake of the end to be obtained in free governments, the safety of the people, and the scope which is given to all the respectable faculties of the human mind"54. Daraus ergibt sich ein politischer Pluralismus55, der allerdings in ein Rahmenkonzept politischer Bindung eingefügt ist, denn „The love of the public, and respect to its laws, are the points in which mankind are bound to agree"56. Und daraus folgt auch, daß die politische Bindung an eine Partei dem Gemeinwohl untergeordnet und kompromißfahig bleiben muß. Die Partizipationschance der Bürger am politischen Prozeß ist überhaupt ein wichtiges Kriterium für das Institutionensystem einer freien Gesellschaft57. Nimmt Ferguson einerseits gegen autoritäre „Überregierung" Stellung, so andererseits auch gegen abstrakte Freiheitslosungen, die das Bedingungsverhältnis zwischen Freiheit und „restraint" unterschlagen58 und die übersehen, daß die Herrschaft der Massen nicht in jedem Fall Freiheitsgewinne bringt. „It is of great moment to extend the participation of power and government, as far as the circumstances and character of a people will permit; but extremely dangerous to confound this advantage with civil or political liberty; for it may often happen, that to extend the participation of power, is to destroy liberty"59. Soziale Differenzierung Die Evolutionstheorie verschiedener Stadien der Produktionsweise spielt in Fergusons History of Civil Society eine geringe Rolle60. Seine Diskussion der frühen Gesellschaften, die sich auf das gleiche historische und ethnographische Material bezieht wie die der anderen Schotten, ist differenzierter61, weil Ferguson von einer nicht-determinierten Verschränkung „natürlicher" (Klima etc.) mit kulturellen Faktoren ausgeht, die Unter-

53 Ibid., S. 268f., Note. 54 Principles, Bd. II, S. 508. 55 A. Ferguson: Remarks on a Pamphlet lately published by Dr. Price, S. 16f.: „In the contest of our times, the parties are the pretenders to office and the holders of office. A noble contest, though an ignoble cause. ... it is undoubtable one principle of life in our constitution. It leads one party to watch the motions of administration; and the other to be on their guard because they are watched". 56 Essay, S. 267. 57 Principles, Bd. II, S. 509: „... forms of government may be estimated, not only by the actual wisdom or goodness of their administration, but likewise by the numbers who are made to participate in the service or government of their country, and by the diffusion of political deliberation and function to the greatest extent that is consistent with the wisdom of its administration". 58 Ibid., S. 458f.: „... observe, in the outset, that liberty or freedom is not, as the origin of the name may seem to imply, an exemption from all restraint, but rather the most effectual application of every just restraint to all the members of a free state, whether they be magistrates or subjects... Under this mistake, the vulgar conceive a zeal for liberty to consist in opposition to government; take part with every refractory subject; and seem to think that whatever impairs the power of the magistrate must enlarge the freedom of the people. It is material, then, to remember that... the establishment of a just and effectual government for the repression of crimes, is of all circumstances in civil society, the most essential to freedom". 59 Ferguson: Remarks on a Pamphlet, S. 14. 60 D. Forbes: Introduction, S. XXII. 61 Siehe Batscha/Medick: Einleitung, S. 38ff.

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schiede in der Herausarbeitung der jeweiligen Gesellschaften aus den Naturprozessen erzeugt62. Er teilt jedoch die Auffassung einer generellen Parallelität der Sozialevolution der Anfange Europas mit den primitiven Völkern in Amerika und anderswo, wenn er schreibt: „The suggestions of nature, which directed the policy of nations in the wilds of America, were followed before on the banks of the Eurotas and the Tyber; and Lycurgus and Romulus found the model of their institutions where the members of every rude nation find the earliest mode of uniting their talents, and combining their forces"63. Ferguson geht von einer ursprünglichen asymmetrischen Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen aus, innerhalb derer die Frauen die repetitiven und kultivierenden Arbeiten verrichten, während den Männern die Jagd, der Krieg und die Beratung vorbehalten sind64. Dieses Thema wurde später von Miliar analytisch auf die verschiedenen Evolutionenstufen der Gesellschaft bezogen65. Der erste maßgebliche Evolutionsschritt ist dann nach Ferguson die Einführung des Eigentums, die „rude nations" in eigentumslose „savage" und eigentumsbasierte „barbarous" Gesellschaften trennt. Damit ist noch keine eigentliche Staatsbildung gesetzt, die sich erst als Ergebnis von Erfahrungen mit der Eigentumsdifferenzierung, mit sozialen Herrschaftsverhältnissen jenseits der asymmetrischen Arbeitsteilung der Geschlechter und mit wachsenden sozialen Spannungen ergibt66. Das zentrale Interesse des Essay bildet aber der Übergang von „rude" zu „polished societies" und sodann die Differenz der modernen europäischen Zivilgesellschaften zu den antiken Republiken und Hochkulturen. Insofern erweist er sich als ein Traktat über die Moderne, die begrifflich weder primär an kulturellen Leistungen fixiert ist (wie tendenziell bei Hume), noch an der Warenproduktion (wie bei Steuart, Smith und Miliar), sondern an der „Politeness" als zusammenfassender Terminus gesellschaftlicher Pazifizierung und Affektkontrolle. Der modernen „polished society" liegt nach Ferguson eine abstrakte Staatsidee zugrunde, die sich von dem antiken Konzept der Polis als Gemeinschaft der Bürger abhebt67 und die Beschränkung und Monopolisierung von Gewalt durch den Staat, also Pazifizierung der Gesellschaften nach innen wie nach außen, einschließt. Gewalt gilt nur noch als legitim „for the obtaining of justice, and for the preservation of national rights"68. Damit ist die Idee des modernen Territorialstaates formuliert. Weiterhin ist die Moderne durch ökonomische Prosperität ausgezeichnet69, und hier schließt Ferguson an das Smithsche Konzept der Arbeitsteilung an70, das er jedoch über den Bereich der Produktivitätssteigerung von Arbeitsprozessen hinaus als evolutionäres

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Siehe ibid., S. 47. Essay, S. 85. Siehe ibid., Teil II, Abschn. II, S. 83, S. 94. J. Miliar: Vom Ursprung des Unterschieds in den Rangordnungen und Ständen der Gesellschaft, Kap. I: Rangstufe und Situation der Frau in den verschiedenen Epochen; siehe hierzu: P. Bowles: John Millar, the four-stages theory, and women's position in society, ΗΡΕ, 1984. Siehe Essay, Teil II, Abschn. III. Ibid., S. 228: „In rude ages, under the appelations of a community, a people, or a nation, was understood a number of men; and the state, while its members remained, was accounted entire. ... With polished and mercantile states, the case is sometimes reversed. The nation is a territory... ". Ibid., S. 199f. Siehe ibid., S. 203, Teil IV, Abschn. IV, Ende. Systematisch eingeführt: ibid., Teil IV, Abschn. I: Of the Separation of Arts and Professions.

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Grundmuster begreift und einer allgemeinen Theorie sozialer Differenzierung71 nähert. Zufalle entscheiden demnach über ursprünglich sporadische Arbeitsteilungen, die sich aufgrund ihres Nutzens perpetuieren, und der „progress of commerce" erscheint sodann getragen von einer „continued subdivision of the mechanical arts"72. Die Bevölkerung wächst, und die Stärke des Staates basiert nunmehr auf dem allgemeinen Wohlstand. Die modern erweiterte Fassung des Ideals bürgerschaftlicher Charakterstärke lautet daher: „The strength of nations consists in the wealth, the numbers, and the character, of their people"73. Ferguson glaubt mit Smith, die Ökonomie könne in der entwickelten Moderne ihrem Selbstlauf überlassen bleiben. „Men are tempted to labour, and to practise lucrative arts, by motives of interest. Secure to the workman the fruit of his labour, give him the prospects of independence or freedom, the public has found a faithful minister in the acquisition of wealth, and a faithful steward in hoarding what he has gained. The statesman in this... can do little more than avoid doing mischief' 74 . Aber dieser Selbstlauf ist ein spätes zivilisatorisches Ergebnis der etablierten Warenökonomie, während die Händler „in rude ages...short-sighted" sind, „fraudulent, and mercenary", und erst im fortgeschrittenen Stadium der Kommerzialisierung erweitert sich ihr Horizont, entwikkeln sich feste Maximen kaufmännischen Verkehrs und die sekundären kaufmännischen Tugenden; nunmehr ist keine politische Unterstützung mehr nötig, außer dem staatlichen Schutz, während sich der Kaufmann am besten um nichts kümmert, als um seine Geschäfte75. In der Moderne ist jedoch die ökonomische Prosperität zum beherrschenden gesellschaftlichen Leitwert geworden, der andere, politisch wichtige Werte in den Hintergrund drängt und der alle Schichten, besonders auch den Adel, in seinen Bann gezogen hat76. „The desire of profit stifles the love of perfection. Interest cools the imagination, and hardens the heart; and, recommending employments in proportion as they are lucrative, and certain in their gains, it drives ingenuity, and ambition itself, to the counter and the workshop"77. Bereits in seinem Pamphlet zur Miliz hatte Ferguson komprimiert festgestellt, „we have already gone too far, in the opinion that trade and manufacture are the

71 Klassisch ausgearbeitet durch: G. Simmel: Über sociale Differenzierung; Ε. Dürkheim: Über die Teilung der sozialen Arbeit. 72 Essay, S. 181. 73 Ibid., S. 232. 74 Ibid., S. 143, auch das folgende. Diese Passagen werden mit Vorliebe von heutigen Neoliberalen zitiert, siehe etwa die Publikation der Ludwig-Erhard-Stiftung, Bonn: Grundtexte zur Sozialen Marktwirtschaft, hg. v. W. Stützel et al., S. 209ff., dort S. 210. 75 Essay, S. 144: „... when the merchant forgets his own interest to lay plans for his country, the period of vision and chimera is near... He might be told, perhaps, that while he pursues his advantage, and gives no cause of complaint, the interest of commerce is safe". 76 Ibid., S. 145: „It is... painful in conversation to find the interests of trade give the tone to our reasonings..."; Reflections previous to the Establishment of a Militia, S. 8f.: „Our commerce hath [sic]... affected our manners. It has increased our wealth and wealth has become in a great measure the mark of distinction and honour. Our hands are employed in arts and manufactures, and traders are upon the same level, and mixed with our gentry. That contempt of lucrative arts, which prevailed in former times, has disappeared, and we are now guided in the choice of a profession, by the consideration of its profits and emoluments. Even our gentry have learned to estimate professions in the same manner". 77 Essay, S. 218.

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only requisites in our country. In pursuit of such an idea, we labour to acquire wealth; but neglect the means of defending it. We would turn this nation into a company of manufacturers, where each is confined to a particular branch, and sunk into the habits and peculiarities of his trade. In this we consult the success of manufacture; but slight the honours of the human nature: we furnish good work; but educate men, gross, sordid, void of sentiment and manners..."78. Aber „If that respite from public dangers and troubles which gives a leisure for the practice of commercial arts, be continued, or increased, into a disuse of national efforts; if the individual, not called to unite with his country, be left to pursue his private advantage; we may find him become effeminate, mercenary, and sensual..."79. Ferguson befürchtet eine weitgehende Verschiebung der Prestigekonkurrenz auf den Distinktionskonsum80, und er sieht deutlich die ethisch perverse inhärente Schrankenlosigkeit der Warenökonomie81, die moralisch zur Folge hat, daß „men become either rapacious, deceitful, and violent, ready to trespass on the rights of others; or servile, mercenary, and base, prepared to relinquish their own"82. In dieser Lage, „being exposed to corruption", sind die Menschen „unable to defend their possessions; and... they are, in the end, subject to oppression and ruin"83. Damit klingt der Topos der sittlichen Korruption des Gemeinwesens durch Reichtum an84. Ferguson will nicht hinter die moderne Ökonomie zurückgehen, die er aber auf eine notwendige, wenn auch untergeordnete soziale Funktion begrenzen will. Neben und über dem ökonomischen Diskurs muß es einen davon unabhängigen politischen geben, weil die moderne Gesellschaft neben Politiken der Reichtumsschöpfung auch Politiken gegen Korruption und zur Stärkung des Gemeinsinns benötigt, denn die sittliche Gefährdung der Moderne geht von jener „wretched party" aus, „that refers every object to personal interest, and that cares not for the safety or increase of any stock but its own". Es mag daher angehen, die Reichtumsschöpfung theoretisch als isolierte Wissenschaft zu behandeln, wie Ferguson in der Ausgabe des Essay von 1773 mit Hinweis auf den zu erwartenden Wealth of Nations von Smith konzediert85, aber vom Standpunkt praktischer Philosophie und Politik kann die Frage nach dem „wealth of nations" nur eine untergeordnete unter verschiedenen politischen Problematiken sein86. „In science we consider our objects apart; in practice it were an error not to have them all in our view at once"87. Und so wenig die politische Ökonomie zur gesellschaftlichen Leitwissenschaft taugt, so wenig auch die ökonomische Problematik die gesellschaftlichen und politischen Diskurse dominieren sollte, so wenig taugt der Kaufmann oder Gewerbetreibende als Staatsmann, denn, „How can he who has confined his views to his own subsistence or preservation, be intrusted with the conduct of

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Reflections, S. 12. Essay, S. 250. Zusammenfassend: ibid., S. 254f. Ibid., S. 216f. Ibid., S. 239. Ibid., S. 145f., auch das folgende. Siehe auch ibid., S. 238. Siehe in der deutschen Ausgabe: Versuch über die Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft, S. 287. Siehe J. Robertson: The Scottish Enlightenment and the Militia, S. 208. Essay, S. 287, Variante.

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nations?"88 Bei Ferguson wird daher die in den Schriften anderer Schotten latente Frage nach dem Primat der Politik thematisch, weil er diesen Primat nicht mehr unterstellt. Ferguson konstatiert nämlich, daß das Prinzip der sozialen Differenzierung von der Ökonomie, von den „inferior branches" der Manufakturen, auch auf die „higher departments of policy and war" sowie auf Wissenschaft und Literatur89 übergegriffen hat und diese analog zur kaufmännischen Bornierung in spezifische Bornierungen einkapselt. Der Berufssoldat, der Politiker und der Beamte tragen demnach, jeder in einem engen Bereich, „like the parts of an engine", zu einem übergreifenden Zweck bei, „without any concert of their own..., equally blind with the trader to any general combination..."9 . Damit wird aber der Gesellschaftsprozeß im ganzen in entscheidender Weise subjektlos und richtungslos, schon deshalb, weil die fortschreitenden Differenzierungsprozesse „bring human affairs to a state of complication [die moderne deutsche Ausgabe übersetzt: Komplexität91], which the greatest reach of capacity with which human nature was ever adorned, could not have projected; nor even when the whole is carried into execution, can it be comprehended in its full extent"92. Und daraus folgt, daß „society is made to consist of parts, of which none is animated with the spirit of society"93. Der Gesellschaftsprozeß wird also „blind" nach Art des ungerichteten Marktprozesses; während aber der Marktprozeß die humanen Bornierungen durch Wohlfahrtsgewinne mehr oder weniger kompensiert, fuhrt die arbeitsteilige Aufsplitterung der genuin politischen Prozesse zu radikal negativen Resultaten: „By having separated the arts of the clothier and the tanner, we are the better supplied with shoes and with cloth. But to separate the arts which form the citizen and the statesman, the arts of policy and war, is an attempt to dismember the human character, and to destroy those very arts we mean to improve"94. Demgegenüber hält Ferguson an einem emphatischen Begriff von Politik als Kunst einheitlicher Führung der Gesellschaftsentwicklung fest, der noch auf dem republikanischen Bürgerbegriff als Einheit von Oikos/Privatexistenz, Politik/öffentlicher Existenz und Krieger beruht. Seine These lautet, daß die Politik nicht jenem progressiven Prozeß arbeitsteiliger Ausdifferenzierung ausgesetzt werden kann, wenn sie nicht ihre elementare Qualität, das Ganze zu denken, zu repräsentieren und zu leiten, einbüßen soll. In dieser Hinsicht existiert ein radikaler Hiatus zwischen Ökonomie und Politik, und wenn auch die ökonomische Spezialisierung zum Wesen der Moderne gehört, hat sie doch nur eine begrenzt legitime Reichweite. Gegenüber den von Smith gesehenen negativen Folgen der Arbeitsteilung in dem engen Bereich der Manufakturproduktion95 erscheinen Ferguson die Folgen der Aufspaltung der

88 Ibid., S. 187. 89 Ibid., S. 183. Siehe fiir eine moderne Auseinandersetzung mit diesem Thema: D. Bell: Die kulturellen Widersprüche des Kapitalismus, 1. Teil, Kap. 2: Der Zerfall der kulturellen Gesprächswelt, S. 116ff., etwa S. 128: „Heute sind selbst die Kritiker Spezialisten, und die Aufsplitterung zwischen den Bereichen [der Kultur] nimmt immer stärker hermetische Züge an". 90 Essay, S. 181f. 91 Versuch, S. 339. 92 Essay, S. 182. 93 Ibid., S. 218. 94 Ibid., S. 23Of, auch das folgende. 95 Dazu Ferguson: Ibid., S. 183: „Manufactures... prosper most, where the mind is least consulted, and where the workshop may, without any great effort of imagination, be considered as an engine, the parts of which are men".

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„politischen Klasse" der modernen Gesellschaft von ungleich größerer Tragweite96. Er verallgemeinert und dramatisiert also das Smithsche Thema. Von der modernen Re-Barbarisierung sind nicht alle Individuen und nicht alle gleichmäßig betroffen, denn in den gesellschaftlichen Teilbereichen sieht Ferguson eine Differenzierung leitender Funktionen, die geistig anspruchsvoll sind, von subaltern ausführenden Funktionen, so daß sich modifiziert ein an sich antikes Muster ergibt. Was dort die Sklaven, gemessen an vorzivilisierter Ganzheitlichkeit, verloren, gewannen ihre Herren als persönliche Freiheits- und Entfaltungsgewinne, und „In the midst of our encomiums bestowed on the Greeks and the Romans, we are, by this circumstance, made to remember, that no human institution is perfect"97, ein Satz, der genügt, um zu beweisen, daß Ferguson kein einfacher Nostalgiker der, illusionslos betrachtet, armseligen und barbarischen Antike ist98. Wenn aber in der Antike ein Entsprechungsverhältnis zwischen der Freiheit der wenigen und der Sklaverei der vielen existierte und wenn die Moderne die Sklaverei abgeschafft hat, steht dann zu befürchten, daß sie damit auch die Freiheit abschafft und die Gesellschaft gleichmäßig einer weniger direkt versklavenden Entfremdung unterwirft? „If the pretensions to equal justice and freedom should terminate in rendering every class equally servile and mercenary", prophezeit Ferguson, „we make a nation of helots, and have no free citizens"99. Aber „only where some at least are „citizens",,, interpretiert David Kettler den Essay, „prepared to constitute and will the force of their community can there be national felicity"100. Die Entfremdung der Arbeiter rechtfertigt sich daher zum einen durch die ökonomischen Wohlfahrtsgewinne, die eventuell allen Gesellschaftsteilen zugute kommen, sie rechtfertigt sich jedoch zweitens auch durch die Freiheitsgewinne anderer, das heißt: aus der Notwendigkeit eines Bereiches der Freiheit, des genuin politischen Bereiches, der die Gesellschaft einzig zu steuern vermag. Auch in der Moderne „the exaltation of a few", das heißt: ihre Freisetzung von entfremdeter Arbeit zu politischen Zwecken, „must depress the many"101. In der Moderne werden jedoch Reich wie Arm durch die allgemeine ökonomische Erosion der Ethik, durch die Verschiebung der Prestigekonkurrenz auf den Konsum und durch das Leben in der Großstadt korrumpiert102. Wie Rousseau sieht Ferguson spezifisch moderne moralische Degenerierungen, und im übrigen konstatiert er eine Parallelität vertikaler und horizontaler Inhomogenisierung von Gesellschaft103, die neben der Trennung der Reichen von den Armen horizontale Abscheidungen verschiedener gesellschaftlicher Bezirke und Lebenskreise erzeugt, die die soziale Kommunikation erschwert, so daß sich die gesellschaftlichen Gruppen isolieren. Damit wird die Demokratie unwahrscheinlich, denn ihre wesentliche Bedingung ist die direkte Kommunikation der Bürger auf der Basis von Gleichheit, Homogenität. Diese emphatisch verstandene

96 D. Kettler: History and Theory, PT, 1977, S. 451: „... for Ferguson, the really serious consequences of specialization affects those who should make up the political class". 97 Essay, S. 185. 98 Siehe den fiktiven Reisebericht, ibid., Teil IV, Abschn. IV. 99 Ibid., S. 186, auch das folgende. 100 Kettler: History and Theory, PT, 1977, S. 449. 101 Auch an diesem Punkt gibt es Berührungen mit Nietzsche. 102 Essay, S. 250. 103 Siehe ibid., S. 187 und Teil IV, Abschn. III, bes. den ersten Satz.

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Demokratie sei in der Moderne undurchführbar, schreibt Ferguson, und Ansprüche auf „equal influence and consideration, after the characters of men have ceased to be similar", seien zurückzuweisen104. Wenn daher die moderne Politik schon aufgrund der Größe der Staaten auf das Repräsentationsprinzip verwiesen ist, dann liegt nahe, die verschiedenen Gruppen und Stände separat zu repräsentieren. Jedenfalls sollten die politischen Institutionen jedem Stand ermöglichen, „to take a part in the legislature of their country", „if not collectively, at least by deputation"105. Rechtes, Gutes, Politik Ferguson fuhrt die Trennung des Rechten vom Guten106 in der Form eines negativen und positiven ethischen Gebotes ein: „To abstain from harm, is the great law of natural justice; to diffuse happiness is the law of morality; and... we refer to public utility, as the great object at which the actions of men should be aimed"107. Er teilt die Auffassung von der Priorität der Gerechtigkeit als sozialer Basistugend108 und weist daraufhin, daß das Gute nur freiwillig gegeben werden kann, denn „it would be irrational to employ means which have a tendency adverse to the purpose for which they are employed". „Virtue cannot be forced. It is voluntary, or it does not exist"109. Ferguson weigert sich jedoch, die Anwendung legitimen Zwangs, das Eintreten des Staates in die moralische Problematik, mit einem Unterschied der moralischen Verbindlichkeit in Verbindung zu bringen110; die Frage der Zwangsanwendung ist pragmatisch zu entscheiden, impliziert jedoch kein moralisches Urteil. Wer nur das Rechte tut und damit die Anwendung politischen Zwangs vermeidet, ist deshalb nicht tugendhaft und handelt eventuell doch unmoralisch, insofern er das Gute unterläßt. Das fallt besonders in Fällen ins Auge, in denen das Gute ausnahmsweise moralischen und praktischen Vorrang vor dem Rechten beanspruchen kann, etwa in Situationen extremer Bedürftigkeit, die den Rahmen des freien Vertragsrechts moralisch sprengen. Aber die Integration derartiger moralischer Motive in das zwangsgestützte Rechtssystem (etwa die „unterlassene Hilfeleistung"), ändert nicht, daß Zwang grundsätzlich nur äußeres Verhalten reguliert und keine innere Motivlage mitmenschlichen Wohlwollens schafft 111 . Im Gegenteil, „To bestow the felicity of a willing mind, force is not only inadequate, but, by alienating the affections of those against whom it is employed, would have a contrary tendency". Die Frage der Moralität und Tugend ist daher als eine kulturelle Frage, nicht als staatlich-administrative zu behandeln. „All that the magistrate can do in this matter is, by shutting the door to disorder and vice, to endeavour to stifle the ill dispositions of men; and by securing the paths of integrity, and marking them with considerations of 104 105 106 107 108 109 110

Ibid., S. 188. Principles, Bd. II, S. 468. Siehe zum folgenden bes.: ibid., Teil II, Kap. V, Abschn. I, Anfang. Essay, S. 38. Ibid., S. 155; Institutes, S. 145. Principles, Bd. II, S. 181f. „... it ought not to be implied in any words we employ, that a rule, merely because it may be enforced, is in any degree more binding than the consideration of what is in itself an article of wisdom, as constituent of good to mankind", ibid., S. 316, die folgende Seite für das folgende. 111 „... benevolence is a modification of will, which no application of force can procure", ibid., S. 318, auch für das folgende.

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distinction and honour, to facilitate and encourage the choice of virtue, and to give scope to the best dispositions which nature has furnished, or which the ingenious mind is able to cultivate in itself. Daraus folgt jedoch nicht, daß „Ethik" eine im ganzen weniger exakte Wissenschaft sei als Jurisprudenz oder Politik, und Fergusons Ehrgeiz richtet sich darauf, „to derive the offices or duties of a virtuous life from principles at once so comprehensive and unquestionably evident, as to enable every person to fill up the detail for himself' 112 . Damit wendet er sich von einem theoretisch anspruchvollen Standpunkt aus gegen die unter dem Blickwinkel des Vorrangs des Rechts durch Hume, Kames und Smith vollzogene Relativierung moralischer Forderungen der Benevolenz. Deutlich wird gleichzeitig die hohe praktische Bedeutung, die er der genuinen moralphilosophischen Erziehung beimißt. Auch sein eigenes Amt als Professor fur Moralphilosophie interpretierte er sicher in der moralischen Bildung der zukünftigen gesellschaftlichen Führungselite. Ferguson kritisiert die beschränkte Idee negativer Freiheit. „If national institutions, calculated for the preservation of liberty", schreibt er, „instead of calling upon the citizen to act for himself, and to maintain his rights, should give a security, requiring, on his part, no personal attention or effort; this seeming perfection of government might weaken the bands of society, and, upon maxims of independence, seperate and estrange the different ranks it was meant to reconcile"113. Denn indem die Individuen, Schichten und Gesellschaftskreise aus einer apolitischen Haltung heraus nur vermittels des Staates miteinander in Verbindung stehen, bleiben sie sich fremd, treten nicht in eigentlich gesellschaftskonstitutive Kommunikationen ein. „Neither the parties formed in republics, nor the courtly assemblies which meet in monarchical governments could take place, where the sense of a mutual dependence should cease to summon their members together". Es muß ein lebendiges Bewußtsein der sozialen Zusammengehörigkeit geben, um die politische Vergesellschaftung jenseits systemischer Koexistenz vital zu halten. Für den modernen, gegen die Bürger verselbständigten Territorialstaat114 sind Kriege „an operation of policy, not of popular animosity"115, also nicht Sache des Volkes, sondern umgekehrt das Volk Manövriermasse in den strategischen Plänen des Hofes. Indem Politik und Kriegführung gleichsam entpersonalisiert werden, zu einer Auseinandersetzung zwischen Staaten als abstrakte Entitäten, werden sie auch pazifiziert. „But if nations pursue the plan of enlargement and pacification, till their members can no longer apprehend the common ties of society, nor be engaged by affection in the cause of their country, they must err on the opposite side, and by leaving too little to agitate the spirits of men, bring on ages of languor, if not of decay"116. Und „If to any people it be the avowed object of policy, in all its internal refinements, to secure the person and the property of the subject, without any regard to his political character, the constitution indeed may be free, but its members may likewise become unworthy of the freedom they possess, and unfit to preserve it. The effects of such a constitution may be to immerse all 112 Ibid., S. 322. 113 Essay, S. 191, auch für das folgende. 114 Eine Reflektion über den Zusammenhang von Größe des Staates und Freiheit findet sich ibid., S. 271 f. 115 Ibid., S. 193f., auch für das folgende. 116 Ibid., S. 219.

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orders of men in their separate pursuits of pleasure, which they may now enjoy with little disturbance; or of gain, which they may preserve without any attention to the commonwealth"" 7 . „Korruption" faßt sich für Ferguson daher in der Gleichgültigkeit der Bürger zueinander und zu ihrem politischen Gemeinwesen zusammen; die Politik wird ethisch entleert. Und spezifisch in der Moderne findet dieser Prozeß in der Form der privatistischen Fixierung auf die Ökonomie statt, die sich mit der Tendenz verbindet, die negative Freiheit der „Rule of Law", die die Individuen in ihrer Privatexistenz institutionell sichert, als hinreichenden Schutz der Freiheit zu betrachten. Damit ist ein weiterer Schritt auf dem Wege der Degradation des modernen Charakters getan, der ausschließlich auf seine eigene Sicherheit fixiert ist" 8 . So wie die Freiheit historisch errungen wurde, ist sie auch später aktiv zu schützen. „The dangers to liberty. .. can never be greater from any cause than they are from the supposed remissness of a people, to whose personal vigour every constitution, as it owed its establishment, so must continue to owe its preservation. Nor is this blessing ever less secure than it is in the possession of men who think that they enjoy it in safety..." 119 . Dieses Argument ist eine direkte Umkehrung des Humeschen Arguments der Verselbständigung politischer Institutionen von ihren Ursprüngen als Vorgang der Entlastung der Bürger von politischer Aktivität, als eine Art zivile Komplexitätsreduktion. Denn darin gerade liegt nach Ferguson die Gefahr elaborierter, verselbständigter politischer Institutionensysteme, wenn der Bürger sich im Schutze der Institutionen in Sicherheit glaubt, den Zusammenhang seiner Freiheit mit seiner eigenen politischen Aktivität vergißt und die für Ferguson fundamentale Interaktion der Bürger als Basis ihrer Freiheit verlernt. Diese politische Aktivität ist nicht vollständig an anonyme Instanzen delegierbar. Aber „where-ever the state has", schreibt Ferguson an einer Stelle, „by means that do not preserve the virtue of the subject, effectually guarded his safety; remissness, and neglect of the public, are likely to follow; and polished nations of every description, appear to encounter a danger, on this quarter, proportioned to the degree in which they have, during any continuance, enjoyed the uninterrupted possession of peace and prosperity"120. Gesetze sichern nicht deshalb die Freiheit, weil sie aufgeschrieben sind, sondern weil die Individuen „resolved to be free", und „political establishments, though they appear to be independent of the will and arbitration of men, cannot be relied on for the preservation of freedom; they may nourish, but should not supersede that firm and resolute spirit, with which the liberal mind is always prepared to resist indignities, and to refer its safety to itself' 121 . Entscheidend ist, wo die wirkliche gesellschaftliche Macht liegt, die durch politische Formen oftmals nur verschleiert wird122.

117 Ibid., S. 221f. 118 Institutes, S. 151: „... weak minds are too much occupied with their own safety to entertain any sincere or vigorous affection". 119 Essay, S. 223f. 120 Ibid., S. 263f., auch das folgende. 121 Ibid., S. 266. 122 Siehe Fergusons Bezug auf das Verhältnis Octavians zum römischen Senat, ibid., S. 271. Siehe für Miliar ähnlich: J. Craig: Account of the Life and Writings of John Millar, S. 49. Die Verschleierung realer Unfreiheit durch scheinbar freiheitliche Formen ist ein Zentramotiv des sogenannten „Taciteismus", siehe dazu H. Münkler: Staatsraison und politische Klugheitslehre, in: Fetscher/Münkler (Hg.): Pipers HB der politischen Ideen, Bd. III, S. 59ff.

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Bei Ferguson finden wir also eine explizite Antwort auf die Problematik des Verhältnisses von Tugend und Institutionen. Letztere sind nötig123, bleiben aber untergeordnet, gebunden an den politischen Willen der Bürger. Das Verfuhrerische der Institutionalisierung ist gerade der durch Delegation zu erzielende Entlastungseffekt. Dagegen erinnert Ferguson daran, daß die Politik die allgemeine Sache ist, die auch den einzelnen Bürger jederzeit umfaßt, der daher gefordert ist, das Wirken der Institutionen zu konfirmieren, zu korrigieren oder zu verneinen, und tatsächlich sind Inhalt und Geist des Wirkens der Institutionen in jedem Augenblick mit den Einflüssen der Gesellschaft konfrontiert und verbunden124. Die Selbständigkeit der Institutionen ist weithin nur scheinbar, aber es ist wichtig, daß die Bürger das realisieren, weil ein anderes praktisch-politisches Verhältnis daraus resultiert. „After all", schreibt Ferguson in Wendung gegen die moderne politische Gleichgültigkeit und implizite gegen den Zivilismus von Hume und Smith, „the merit of a man is determined by his candour and generosity to his associates, by his zeal for national objects, and by his vigour in maintaining political rights; not by moderation alone, which proceeds frequently from indifference to national and public interests, and which serves to relax the nerves on which the force of a private as well as a public character depends"125. Diese Differenz charakterisiert David Kettler so: „Ferguson excoriates the mandarin, depreciates the legislator, and vindicates the statesman who is a party politician. In the last analysis, Ferguson differs politically from Hume and Smith because he believes that political life is primarily about power and the assertion of will, and only secondarily about property and the satisfaction of interest"126. Einer „zivilistischen" Aufassung der Politik stellt er eine aktivistische gegenüber. Eine Folge der Entfremdung der Bürger von der Politik ist ihre schwindende Bereitschaft, dem Staat einen Teil ihrer Ressourcen abzutreten, und das hat zur Folge, daß „the public is poor, while its members are rich"127. Die ethische Entleerung der Politik betrifft daher nicht nur die Bürger, auf der einen Seite des politischen Verhältnisses, sondern auch den Staat. Daher unterliegt die Politik einem Irrtum, wenn sie meint, mit der Passivisierung der Bürger in jedem Fall mehr Handlungsraum zu gewinnen, denn das trifft nur prima facie zu. An die Stelle bürgerschaftlichen Engagements können institutionelle Arrangements treten, die politischen Privatismus gleichsam auffangen. Es gibt politische Regime, in denen es genügt, wenn die Bürger „oppose usurpation, and ... repel personal indignities", in anderen „they should be tenacious of their rank, and of their honours"128. Aber jenseits eines gewissen Grades politischer „Korruption" (hier immer im Sinne privatistischer Bornierung zu verstehen) funktionieren auch die normalen gesellschaftlichen interaktiven Vertrauensbeziehungen nicht mehr, und an diesem Punkt muß der Staat seine Ordnungsfunktionen in die Gesellschaft hinein verstärken, indem er

123 Essay, S. 267. 124 Remarks on a Pamphlet, S. 15: „Government, whatever be its origin, must employ various engines, of which force is but one; authority, respect, public confidence, persuasion, are the principal engines to be employed with the body of a well-meaning and innocent people... ". 125 Essay, S. 199. 126 History and Theory, PT, 1977, S. 453. 127 Essay, S. 233; klassisch dazu John Κ. Galbraith: The Affluent Society (1958), Harmondsworth, 1984. 128 Essay, S. 259.

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gleichsam in die Stelle der aussetzenden gesellschaftlichen Selbstordnung einrückt. „The rules of despotism are made for the government of corrupted men"129. Das ist die Untergangsform der Freiheit, wenn nicht eine parallele Mobilisierung des bürgerschaftlichen „public spirit" einsetzt, die die autoritäre Verstärkung staatlicher Ordnungsfunktionen balanciert. Siegt der Despotismus, wird er die gesellschaftliche Entfremdung und Kommunikationslosigkeit vertiefen und in allgemeiner Furcht zementieren130, „...the people can no where, under these circumstances, assume the spirit of a community, nor form any liberal combination for their own defence"131. Jean Starobinski hat in einer interessanten Analyse der Lettres Persanes Montesquieus das Motiv der Isolierung und Kommunikationslosigkeit als Herrschaftsmuster des Harems gekennzeichnet, der dem 18. Jahrhundert als exotisches Symbol orientalischer Despotie galt und Genußsucht, Verweichlichung und Unfreiheit konnotierte132, und natürlich waren die Persischen Briefe eine verschleierte Kritik des französischen Absolutismus. Aber Montesquieu hatte theoretisch die Monarchie von der Despotie gerade abgesetzt, um zu unterstreichen, daß Frankreich - noch - keine Despotie sei. Indem Ferguson die Gleichung von Kommunikationslosigkeit und Despotie in den modernen Kontext der Verallgemeinerung ökonomisch angetriebener sozialer Differenzierung rückt, läßt er die fur Montesquieu noch maßgebende antike Staatsformenlehre hinter sich und erfaßt, der Sache nach, die politische Problematik der modernen Entfremdung133. Aber ist der moralische Verfall zwangsläufig? Gibt es einen notwendigen Zyklus der Korruption? Ferguson weist die bei Hume anklingende organizistische Idee selbstbegrenzender zyklischer Prozesse als Analogie für Gesellschaft zurück, denn es sei „obvious, that the case of nations, and that of individuals, are very different"134. Während das Individuum einem unvermeidlichen Alterungs- und Verfallsprozeß ausgesetzt ist, erneuern sich Gesellschaften beständig, bleiben dadurch jung und akkumulieren gleichzeitig zivilisatorische Erfahrungen; „mere age and length of days" sind keine Gründe gesellschaftlichen Niedergangs. Aber der Niedergang von Zivilisationen, parallel zum Aufstieg anderer135, ist historisch immer wieder zu beobachten und sollte auf Ursachen zurückfuhrbar sein, die in soziologischen Konstellationen wurzeln. „If we would find the causes of final corruption, we must examine those revolutions of state, that remove or with-hold the objects of every ingenious study, or liberal pursuit; that deprive the citizen of occasions to act as the member of a public; that crush his spirit; that debase his sentiments, and disqualify his mind for affairs"136. Dabei sind es in erster Linie Widerstände und Herausforderungen, die Individuen wie Kollektive zur Aktivität anregen, denn „Men do more when they have certain difficulties to surmount, than when they have supposed blessings to

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Ibid., S. 239f. Die „Furcht" war das Prinzip des Despotismus in Montesquieus: Esprit, Bd. I, Buch III, Kap. DC. Essay, S. 278. J. Starobinski: Exil, Satire und Tyrannis; s.a. den Hinweis Fergusons auf „the silence which reigns in the seraglio", das uns Glauben macht, „that speech itself is become unneccessary... ", Essay, S. 276. G. Streminger: David Hume, S. 571. Ibid., S. 209, auch das folgende. Ibid., S. 110. Ibid., S. 213f.

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enjoy..." 137 . Damit ist eine immanent selbstaufhebende Wirkung der Zivilisiation impliziert, denn mit Macht und Reichtum entfallen die Herausforderungen und es entsteht ein Privatismus der Vereinzelung und Bindungslosigkeit, der die Gesellschaft handlungsunfähig, anfallig und antriebslos macht. Herrschaft Bereits in Fergusons anonymer Schrift über die „Moralität des Schauspiels" lesen wir: „It has pleased Providence, for wise purposes, to place men in different stations, and to bestow upon them different degrees of wealth. Without this circumstance there could be no subordination, no government, no order, no industry. Every person does good, and promotes happiness of society, by living agreeable to the rank in which Providence has placed him" 138 . Ebenso zehn Jahre später im Essay: „It is obvious, that some mode of subordination is as necessary to men as society itself; and this, not only to attain the end of government, but to comply with an order established by nature", denn die Menschen sind von Natur aus „fittet for different stations" 139 . Diese Grundüberzeugung wiederholt Ferguson immer wieder nachdrücklich, und eine Differenz zu Smith liegt in seiner Annahme einer bereits frühkindlichen sozialhierarchischen Differenzierung, die sich im weiteren Lauf eines Lebens gleichsam nur offenbart 140 , während Smith demgegenüber die soziologisch realistischere Auffassung vertrat, die Unterschiede zwischen den Erwachsenen seien wesentlich ein Ergebnis ihrer langjährigen sozialisatorischen Adaption an Tätigkeiten und soziale Milieus. Dabei geht es nicht nur um das respektive Gewicht von Erziehung und Sozialisation, sondern für Ferguson auch um die Zurückweisung des radikal-naturrechtlichen Glaubens an die gesellschaftliche Gleichheit der Menschen, die politisch gegen Statusdifferenzen und -Privilegien ins Feld geführt wurde 141 . Wie Kames geht Ferguson davon aus, daß sich in allen sozialen Zusammenhängen spontan informelle Hierarchien bilden 142 , „and it is not till after mankind have committed many errors in the capacities of magistrate and subject, that they think of making government itself a subject of rules" 143 . Herrschaft, auch politische Herrschaft, bleibt aber basiert auf spontane gesellschaftliche Hierarchisierungen und Machtverteilungsprozesse, die sinnvoll einen gewissen Spielraum benötigen, um eine optimale Einregulierung als Selbstorganisation zu erreichen 144 . Da soziale Herrschaft die Grundlage der Politik bildet, kann allenfalls begrenzt umgekehrt die Politik die Sozialhierarchien regulieren. Herrschaft stellt einen Aspekt vertikaler Differenzierung dar, der sich aber mit horizontaler Differenzierung verbindet, da die Notwendigkeit von Hierarchien spezifisch unter modernen Bedingungen aus der Notwendigkeit resultiert, soziale Teilaktivitäten zu integrieren145. Sie bildet gleichzeitig die Basis der politischen Institutionen, die, wenn sie fehlt, instabil bleiben, und Fergusons Position kommt an dieser Stelle einer 137 138 139 140 141 142 143 144 145

Ibid., S. 119. The morality of stage plays, S. 24. Essay, S. 63. Principles, Bd. II, S. 462. Siehe hierzu: I. Kramnick: Republicanism and Bourgeois Radicalism, S. 151ff., S. 185ff., u. ö. Essay, S. 133, S. 135. Ibid., S. 63. Ibid., S. 237. Siehe ibid., Teil IV, Abschn. II.

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Identifikation von Herrschaft („Subordination") und politischen Institutionen nahe146. Selbst wenn es also möglich wäre, die gesellschaftlichen Rangunterschiede einzuebnen, wäre es „far from expedient in the circumstances of human life", denn „In these inequalities we find the first germe of subordination and government so necessary to the safety of individuals and the peace of mankind.. ."14?. Ferguson stützt seine Position auf empirisch konstatierbare Rangdifferenzen, deren Vererbung vielleicht nicht wünschenswert, jedoch nicht völlig zu verhindern sei. Und es sei auch keine Verletzung von Freiheitsrechten, wenn jeder in der Position politisch geschützt werde, die er sich erworben hat, denn „.. .every one has a right to the condition in which, by the ordinary course of human nature, he is fairly placed", und „liberty, in every particular instance, must consist in securing the fairly acquired conditions of men, however unequal". Der Annahme gleichsam ursprünglicher Statusdifferenzen der Menschen korrespondiert also eine Argumentation zur Begründung von Sozialhierarchie aus Gesichtspunkten politischer Klugheit, die im Grunde für Ferguson wohl maßgebend ist. Die Schotten betonten die Notwendigkeit der Legitimation von Sozialhierarchien und sahen in moralischen Kriterien der Fähigkeiten und des Verdienstes die ideale Legitimation. Aber sie wußten, daß in Wirklichkeit die „distinctions of rank" größtenteils auf Geburt oder Eigentum basiert sind, und spezifisch „nations under a high state of the commercial arts, are exposed to corruption, by their admitting wealth, unsupported by personal elevation and virtue, as the great foundation of distinction, and by having their attention turned on the side of interest, as the road to consideration and honour", wie Ferguson feststellt148. „We may censure the rule", bedauert er, „but cannot reverse it"149. Und analog zu Smith sieht auch er den Vorteil dieser Legitimationsart darin, daß „a foundation of subordination is laid, too obvious to be overlooked by the dullest of men, or by those who stand most in need of being governed", denn entscheidend für die Stabilität sozialer Autorität ist ihre Begründung auf evidente Legitimationsquellen, die keine Zweideutigkeiten und Zweifel gestatten. Die wirklichen politischen und militärischen Führungspositionen jedoch, die hohe Anforderungen an die Person stellen, sind tatsächlich durch die Besten zu besetzen. Und es kann angenommen werden, daß Ferguson eher repräsentative Gremien für geeignet hielt, diese aus ihrer Mitte zu ermitteln, als Volksversammlungen, die in Wirklichkeit zufallige Ansammlungen von Menschen sind, die sich nicht kennen und nicht zu beurteilen vermögen. In einem fundamentalen Sinne bildet die Machtverteilung zwischen den verschiedenen „Ständen" das Wesen der Politik150, und freie politische Regime sind dadurch gekennzeichnet, daß „every member of the commonwealth should have access, before the law is enacted, to guard himself against any wrongs to which he may be exposed from the admission of any partial regulation; or, in other words, that the people of every separate order or rank, however distinguished by fortune, should each have an active share in

146 Signifikant ist die Änderung des Titels von Teil III, 2. Abschn. des Essay. The History of Subordination, seit 1773: The History of Political Establishments, ohne substantielle Änderungen im Text. 147 Principles, Bd. II, S. 463f., auch das folgende. 148 Essay, S. 254. 149 Principles, Bd. II, S. 473, Note, auch das folgende. 150 Die „different orders of men are the elements of whose mixture the political body is generally formed... ", Essay, S. 127.

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the legislature of their country"151. Zusammengedacht mit der Tatsache, daß „the members of any community have never been found in such a state of equality as not to have a distinction of ranks"152, ergibt sich daher Fergusons Präferenz für eine politische Repräsentation, in der jeder Stand „should have each a distinct share in the legislature". „Under establishments of this sort, law is literally a treaty, to which the parties concerned have agreed, and have given their opinion in settling its terms"153. Substantiell beruht dieses politische Konsensmodell auf der Idee von Ständevertretungen mit Vetomacht. In der Kriegführung, eine der Quellen politischer Ordnung, sind strikte Befehlsverhältnisse, Hierarchien und eine eindeutige Entscheidungseinheit an der Spitze gefordert; sie begünstigt daher die Monarchie. Aber die Politik dient auch anderen Zwecken, und „experience has taught, that although the conduct of armies requires an absolute and undivided command; yet a national force is best formed, where numbers of men are inured to equality; and where the meanest citizen may consider himself, upon occasion, as destined to command as well as to obey. It is here... that the prosperity of a state is independent of single men, and that a wisdom which never dies, with a system of military arrangements permanent and regular, can, even under the greatest misfortunes, prolong the national struggle"154. Auch fur eine erfolgreiche Kriegführung ist daher neben der absteigenden Befehlsstruktur die Einbettung in Konsensprozesse von unten nötig. Miliz In der Milizfrage laufen Intentionen Fergusons zusammen, weil er den Krieg als herausgehobene Ausdrucksform der kämpferischen und aggressiven Anteile der menschlichen Natur betrachtete und weil er die spezifisch moderne Tendenz der Abwertung des Militärischen und der Pazifizierung von Gesellschaft als Tendenz interpretierte, die moderne „polished society" wehrlos und zur potentiellen Beute kriegerischer Völker zu machen. An sich glaubte Ferguson nicht an eine militärische Überlegenheit primitiver Gesellschaften1 5 , sondern an die zivilisierter Gesellschaften in einem längeren militärischen Konflikt. Aber er betont, daß Reichtum an sich keine Gewähr militärischer Stärke biete, denn diese ist letzten Endes abhängig „from the character, not from the wealth, nor from the multitude of its people. If the treasure of a state can hire numbers of men, erect ramparts, and furnish the implements of war; the possessions of the fearful are easily seized; a timorous multitude falls into rout of itself; ramparts may be scaled were they are not defended by valour; and arms are of consequence only in the hands of the brave"156. Diese Auffassung richtete sich gegen Hume, aber sie beruht auch auf Erfahrungen, die Ferguson und andere „Moderate Literati" machten, als die „Highland-Clans" während des jakobitischen Aufstandes 1745 das schottische Tiefland, Sitz von Handel und Manu-

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Principles, Bd. II, S. 467. Ibid., S. 498, auch das folgende. Essay, S. 165. Ibid., S. 149. Ibid., S. 95; s.a. J.Robertson: The Scottish Enlightenment and the Militia Issue, S. 201ff.; R. B. Sher: Adam Ferguson, Adam Smith, and the problem of national defense, JMH, 1989. 156 Essay, S. 61, s.a. S. 225.

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faktur, praktisch ohne Gegenwehr einnahmen. Nach den Memoiren Alexander Carlyles157 veranstaltete die Hilfstruppe der Edinburgh-University lediglich eine militärische Pro-Forma-Übung, bevor die Stadt kampflos übergeben wurde, woraufhin sich Carlyle mit einigen Freunden dem englischen Heer anschloß, das jedoch in den ersten militärischen Begegnungen unterlag, bevor es im Laufe einiger Monate seine materielle und organisatorische Überlegenheit ausspielen konnte. Und dieses Muster jedenfalls anfanglicher Wehrlosigkeit zivilisierter Gesellschaften gegenüber kriegerischen Barbaren sah Ferguson durch die Geschichte bestätigt. „We have heard at large the advantages of wealth", heißt es in der wahrscheinlich von Ferguson verfaßten Satire Sister Peg. „From this source, say they, your store-houses and your graneries are filled: let them tell us then from what source the defence of our stores are to proceed? Will our wealth deter a rapacious enemy? Are the eagles intimidated, when they are told that the doves are fatter than they? No; but our wealth will hire a protector. Who then will defend us against the protector whom we have hired? But our wealth, we are told, will enable us to maintain a large and a numerous family. But what is it will render that family worth maintaining, or make the company of those numbers that we hear of desirable? For my part, I never thought it a blessing to be placed in a multitude of base, degenerate, and selfish men" 158 . Weder Reichtum noch Bevölkerungszahl sind an sich militärisch entscheidend, sondern die moralische und mentale Wehrhaftigkeit. Charakteristisch für die Moderne ist jedoch, wie schon Hume und Smith gesehen hatten, daß nicht mehr die Masse der Bürger einen Krieg fuhrt, sondern nur noch ein dafür ausgebildeter und bezahlter Teil159. Die zivilhumanistische Bürgeridee der Identität von Wirtschaftsbürger, Staatsbürger und Soldat wird aufgebrochen, und der Kriegsdienst, in diesem Paradigma das ausgezeichnete Feld bürgerschaftlicher Praxis und stolzes Zeichen politischer Identifikation mit dem Gemeinwesen, wird selbst zu einem „Business". In der History of Civil Society referiert Ferguson eine fiktiven Dialog eines Europäers mit einem lateinamerikanischen Häuptling, der nicht verstehen kann, „how much war itself may be made a subject of traffic; what mighty armies may be put in motion from behind the counter; how often human blood is, without any national animosity, bought and sold for bills of exchange; and how often the prince, the nobles and the statesmen, in many a polished nation, might, in [t]his account, be considered as merchants"160. So bemächtigt sich der moderne Kaufmannsgeist auch des Kriegswesens und macht sich das Militär zunutze. Aber ist ein derart - vom Standpunkt der Antike perverses Verhältnis zwischen Kommerz und Militär unausweichlich in der Moderne? Macht sich der kommerzielle Sektor nicht wehrlos, indem er sich eine Kriegsmacht mietet, die anstatt seiner, aber seine Kriege fuhren soll? Kann eine Kriegführung, die auf einer geschäftlichen Transaktion beruht, erfolgreich sein? Diese Fragen sind nicht neu. Machiavelli etwa hatte in seinem II Principe die Alternative Söldnerheer oder patriotische Miliz diskutiert161. Die Condottieri des 16. Jahrhunderts waren wirklich

157 Siehe in A. Carlyle: Anecdotes and Characters of the Times; R. Β. Sher: Church and University, S. 37ff. 158 Ferguson (?, anon.): The history of the proceedings in the case of Margaret, commonly called Peg, S. 177f. 159 Essay, S. 151. 160 Ibid., S. 150, auch das folgende. 161 Der Fürst, Kap. 12 u. 13.

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militärische Unternehmer, die ihr Heer in den Dienst des Meistbietenden stellten, und die Söldner waren wirklich Fremde. Diese Situation ist allerdings nicht ganz identisch mit einem Heer von Berufssoldaten, die sich im Rahmen der modernen Arbeitsteilung fur das Waffenhandwerk entscheiden, das nicht für einen gewöhnlichen Markt produziert, wie Smith gesehen hatte. Ferguson dramatisiert die Konstellation, indem er gedanklich von der politischen Herrschaft der Kaufleute ausgeht, die selbst weder kämpfen können noch wollen und die sich daher, ob vermittelt über den Staatshaushalt oder nicht, Soldaten mieten, die für sie kämpfen. Er stellt sich das moderne Berufsheer unter dem Bild des Söldnerhaufens der Renaissance vor, und er kann dies machen, weil der für ihn wesentliche Gesichtspunkt identisch ist: der Soldat kämpft für fremde Leben und Interessen, und das ist ethisch pervers - nicht nur auf Seiten der Soldaten, sondern wesentlich auch auf Seiten der pazifizierten Wirtschaftsbürger, denn diese Pazifizierung bildet den Ausgangspunkt der Perversion. An dieser Stelle wird deutlich, warum Ferguson die „polished society" wesentlich als pazifizierte Gesellschaft kennzeichnete. Dabei geht es weniger vordergründig darum, ob die Modernen, wie Steuart glaubte, körperlich degenerieren 162 , was Ferguson bestreitet163, als um Willens- und Charakterstärke, um die essentielle Bereitschaft, sich gegen Angriffe zu verteidigen. Wenn der Kommerz zum beherrschenden gesellschaftlichen Sektor geworden ist, verliert die Gesellschaft diese Bereitschaft, und das Militär schwingt sich womöglich eines Tages zum Herren deijenigen auf, deren Diener und bloßes Instrument es sein sollte, „and... the pacific citizen, however distinguished by privilege and rank, must one day bow to the person with whom he has intrusted his sword" - eine der Lehren, die Ferguson aus dem Untergang der römischen Republik zieht. Und wenn es dazu kommt, wird die Folge kaum eine Rückkehr zu einer Ethik militärischer Ehre sein, denn der moderne Soldat ist selbst bereits durch Kommerz und Arbeitsteilung degeneriert; auch auf den Sturz des Kaisertums durch die Prätorianer folgte keine Rückkehr zur Republik 164 . Wie sieht also Fergusons pessimistisches Szenarium für die kommerzialistisch pervertierte Moderne aus? Er sieht, kurz gesagt, daß sie überlegene Ressourcenmobilisierung und Wohlfahrtsentwicklung aufweist, daß sie in der Arbeitsteilung zwischen Kommerz, Politik und Militär möglicherweise auch effizient ist, daß sie aber Gefahr läuft, die politischen Bindungen aufzulösen, die Gesellschaft charakterlich zu degenerieren, militärisch wehrlos zu machen und damit entweder der militärischen Herrschaft einer entpolitisierten Soldateska oder kriegerischen Nachbarn auszuliefern. Wie erinnerlich, entwarf Hume ein ähnliches Szenarium für den Fall der sozioökonomischen Dominanz des vaterlandslosen „monied interest", das entweder politisch autoritär zu entmachten ist oder das Land dem feindlichen Ausland preisgibt. Die Einkapselung der Kritik politischer Bindungslosigkeit des Kommerz im „monied interest" wird von Ferguson in einer fortgeschrittenen Diskussionslage aufgehoben. Er sieht die kommerzialistische Durchdringung der gesamten modernen Gesellschaft, hegt jedoch die Hoffnung, entscheidende genuin politische Leitungssektoren seien gegen den Prozeß fortschreitender Differenzierung abzuschirmen. Damit plädiert er eindeutig für ein kulturelles Programm der Entdifferenzierung im Rahmen eines Primats der Politik, der eine starke militärpolitische

162 Steuart: Untersuchung über die Grundsätze der Volkswirtschaftslehre, Bd. II, S. 36. 163 Essay, S. 228. 164 Ibid., S. 151.

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Komponente einschließt und am Modell des popolo armato festhält, in dem die soziale Elite, praktisch der Adel und die führenden Strata des Bürgertums, auch politisch und militärisch führen, „...it will appear", schrieb er in seinem Miliz-Pamphlet, „that none ever possest [sic] a permanent military force lodged in the nerves and sinews of a people, where they, who carried the arms of the public, were not the most respectable part of the nation"165. Und rhetorisch fragt er: „Can men born to titles of nobility, derived from honourable ancestors, born to affluence and a liberal education, give up their minds to the views of profit and interest alone? The ideas of their station are those of distinction and honour..." 166 . Der Adel sowie jene Schichten, die ökonomisch unabhängig sind, erscheinen als soziales Substrat einer die moderne Gesellschaft noch als „politische Klasse" im antiken Sinne integrierenden Führungselite167, und man kann annehmen, daß diese Schicht den Ansprechpartner von Fergusons Essay bildete, an die er appelliert168, die ihr zufallende Führungsfunktion wahrzunehmen, denn „the pretended moderation assumed by the higher orders of men, has a fatal effect in the state"169. Kritisch sah Ferguson, nach Kettler, besonders die Tendenz der oberen Klassen, „to become... specialists in consumption"170. Insofern daher in Fergusons Analyse die gesellschaftliche Korruption zu einer allgemeinen Erscheinung geworden ist, fallt daher seine Diskussion im ganzen deutlich kritischer aus als die Humes171. Schluß Die differenzierte, ja, in Teilen pessimistische Bewertung der Moderne in Fergusons Essay112, die in offenem Gegensatz steht zu der eindeutigen Stellungnahme Humes für die moderne „Politeness", bildet einen der Gründe für den Rezeptionserfolg des Essay in einer etwa durch Rousseau veränderten Diskurslage, ein Erfolg, den Hume nicht erwartet hatte173. Und wenn der Essay ein Traktat über die Moderne ist, so ist er auch ein ethischer Traktat, denn seine organisierende Problematik ist Fergusons Befürchtung der arbeitsteiligen Bornierung des modernen Individuums, die ihn zu einem minderen Charaktertypus macht. Innerhalb dieser Entfremdungsproblematik174, der die antik inspirierte Norm eines vollen Bürgertums entgegengehalten wird, die in einem dynamischen Menschenbild nach vorne projeziert ist, greift Ferguson in der Analyse allgemeiner sozialer Differenzierung analytisch tiefer als andere schottische Autoren. 165 166 167 168 169 170 171

Reflections, S. 34. Ibid., S. 13. So auch: Batscha/Medick: Einleitung, S. 76f. Siehe D. Kettler: History and Theory, PT, 1977, S. 452. Essay, S. 258. D. Kettler: History and Theory, PT, 1977, S. 451. J. Robertson: The Scottish Enlightenment and the Militia Issue, S. 207: „... the intellectual target of Ferguson's discussion of national defence was David Hume. What really provoked Ferguson... was the moral optimism underlying Hume's treatment of the issue... By contrast, Ferguson was convinced that commercial society lived under the mounting threat of a confusion of ranks and subversion of values: in abandoning arms and disowning the martial spirit, the higher ranks were hastening the onset of corruption". 172 Siehe Batscha/Medick: Einleitung, S. 48. 173 Hume hatte von der Publikation abgeraten, siehe ibid., S. 19 und S. 21; J. Robertson: Scottish Enlightenment and the Militia Issue, S. 201; vgl. zur Differenz von Hume und Ferguson auch R. B. Sher: Church and University, S. 196f. 174 Vgl. Batscha/Medick: Einleitung, S. 85.

7. Adam Ferguson

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Wichtig ist weiterhin seine Kritik der politischen Verselbständigung der Institutionen, die die Individuen zur Delegation sozialer und politischer Verantwortung und zum Verlust politischen Bewußtseins fuhrt. Die Frage, wie sich Charakterentwicklung und gesellschaftliche Effizienz zueinander verhalten, in der Reichtumsschöpfung und im Krieg, vermag Ferguson nicht generell zu beantworten. Denn wenn auch in der Moderne der Charakter leidet, so stehen dem unzweifelhaft Wohlfahrtsgewinne gegenüber, deren emanzipatorische Potentiale Ferguson nicht leugnet, und er weiß die moderne Ökonomie als Bedingung der Behauptung im Machtkampf der Staaten. Den Punkt jedoch des Umschlages der emanzpatorischen Wirkung in eine überwiegend ethisch verstümmelnde hält er für bestimmbar und sucht nach einem optimalen gesellschaftlichen Entwicklungspfad, der bei möglichst freier Entwicklung der Individuen die Gewinne der Differenzierung mit einem Minimum moralischer Degeneration verbindet175. Diese ethische Abwägung bezieht sich nicht nur auf die Individuen, sondern auf die Gesellschaft im ganzen, auf die Nation, so daß der Entfremdung der Arbeiter Freiheitsgewinne der sozial, politisch und militärisch fuhrenden „politischen Klasse" gegenüberstehen, die für die Ordnung, Integration und Verteidigimg der Gesellschaft entscheidend ist. Diese nach dem Bild der Antike gedachte integrierte Elite ist gegen die ethischen Bornierungen der Moderne abzuschirmen. Nach John Robertson war für Ferguson „essential..., that the political be marked off from the economic, and that the integrity of citizenship as the single role of a political class be preserved"176. Der Essay sprengt insofern den individualethischen Rahmen und bildet einen Versuch in Gesellschaftsethik. Diese Idee erscheint als praktisches Hauptresultat des Essay, das jedoch eine „second best solution"177 bleibt. Das hängt nach Zwi Batscha und Hans Medick178 auch damit zusammen, daß Ferguson „die Probleme der „polished society" keineswegs an ihren sozial-ökonomischen Wurzeln, sondern an ihren sittlichpolitischen Auswirkungen [faßt]", und daraus ergebe sich „keine andere Möglichkeit praktischen Handelns als die des Warnens und Vorbeugens in Form des moralischen Appells...". Aber sollte man von einem Moralphilosophen des 18. Jahrhunderts anderes erwarten? Die gesamte schottische Moralphilosophie beweist, nicht nur, daß Institutionen (im weiten Sinne von Regelungen gesellschaftlichen Zusammenlebens) nötig sind, sondern auch und vor allem: daß sie auf moralischen Ressourcen beruhen. Der Punkt jedoch, an dem sich Ferguson abhebt, ist seine dynamische Auffassung des Menschen, die ihn zur Betonung der Freiheit und Nicht-Berechenbarkeit des Menschen fuhrt, so daß die Idee einer stabilen institutionellen Ordnung, die sich auf realistische Annahmen über die menschliche Affektstruktur stützt und ein Ordnungsideal der Aufklärung darstellte, als schlechte Utopie erscheint, da sie die moralische Freiheit des Menschen negiert179. Der Mensch ist ein soziales und geschichtlich durch Konflikte hindurch progressierendes 175 Auszüge aus einem unveröffentlichten Text Fergusons, in: Batscha/Medick: Einleitung, S. 88-90. 176 Scottish Enlightenment and the Militia, S. 205; David Kettler: History and Theory, PT, 1977, S. 454, rückt das Rechtssystem an die Seite des ökonomischen. 177 Batscha/Medick sehen ebenfalls diesen gedanklichen Zugriff bei Ferguson, Einleitung, S. 64f. 178 Ibid., S. 74ff. 179 Siehe dazu den Schluß des „Essay" Christian Garve kommentiert, meines Erachtens durchaus im Sinne Fergusons: „Will ich die Wirkung der Maschine ändern, so muß ich ihr einen anderen Stoß geben; will ich die Handlung des Tieres ändern, so muß ich ihm andere Objekte darstellen, oder in ihm andere Gefühle erregen; will ich die Handlung des Menschen ändern, so muß ich ihn anders denken lehren", Anmerkungen, zu: A. Ferguson: Grundsätze der Moralphilosophie, Leipzig, 1772.

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Wesen, das sich selbst im Rahmen seiner schöpferischen Praxis erschafft und entwickelt, so daß Institutionen stets nur transitorische Entlastungsfunktion haben können, durch den schöpferischen gesellschaftlichen Lebensprozeß jedoch stets wieder gesprengt werden. Und in diesem Rahmen kann die primäre Aufgabe der Moralphilosophie für Ferguson nicht in der Ausarbeitung optimaler gesellschaftlicher Steuerungsinstitutionen liegen, sondern in genuiner moralphilosophischer Erziehung. Er „rejects what he believes to be the view of Hume and Smith, a view he is inclined to associate with Epicureanism, that civilized society as a whole forms a system of neccessary relations whose benign operations can only be a matter for speculative and aesthetic appreciation"180. Die Modernität Fergusons liegt im Denken der Dialektik von Freiheit und Differenzierung als moderne Entfremdung, deren politische Gefahr im Zusammenspiel der Bornierung der Individuen mit einer blind vergesellschafteten ökonomischen Dynamik liegt, die jene lebensweltlich kommunikationsunfahig macht und daher einem systemisch abstrakten Staat ausliefert: die moderne Despotie.

180 D. Kettler: History and Theory, PT, 1977, S. 450.

Teil 3: Schluß

Kapitel 5: Resümee

Die von mir behandelten Autoren zerfallen in drei Gruppen: William Temple und John Locke aus der Zeit der späten Stuart-Könige, Davenant bis Fletcher aus der Zeit der Bildung der „Country-Party" und ihrer Diskurshegemonie, und die sozialtheoretisch wichtigsten Autoren der schottischen Aufklärung. Dabei vertieft sich das Verständnis der modernen kommerziellen Gesellschaft, deren politische Gefahren ebenfalls klarer hervortreten. Temple ist einer der ersten englischen Autoren, der versteht, daß die wachsende geopolitische Bedeutung von Handel und Manufaktur zu einer Transformation der Gesellschaft führt; das macht er am Beispiel der Niederlande klar. Der bürgerliche Egalitarismus, die Toleranzpolitik und die Weltoffenheit der Niederländer beeindruckten Temple, bei dem wir bereits das Motiv finden, die antike Staatsformenlehre auf der Basis der Umwertung des Staates in eine effiziente Zentralinstitution der Gesellschaftssteuerung abzuwerten; damit verliert die antike Idee der Polis als Bürgergemeinschaft ihre Bedeutung, denn der Bourgeois will vor allem unbehelligt den Geschäften nachgehen, und diese negative Freiheitskonzeption bildet den modernen politischen Konsensus. Der Beitrag Lockes zu meinem Thema liegt in seiner nur als Skizze ausgearbeiteten, theoriesystematisch jedoch bedeutsamen Evolutionstheorie bürgerlicher Gesellschaft, die im Rahmen des göttlichen Kolonisationsauftrages ein naturrechtliches Telos beschreibt, das soziale Differenzierung, bedeutende Produktivitätsentwicklung und die fortschreitende Institutionalisierung politischer Funktionen einschließt. Diese nach Locke wesentlich von der Einführung des Geldes angestoßene Dynamik denkt er zusammen mit der Möglichkeit der Verselbständigung der Politik, der durch Balancierung institutioneller Funktionen zu begegnen sei, die aber letzten Endes im Bewußtsein der ursprünglich souveränen Individuen wurzelt. In dieser Rückbindung der politischen Institutionen an den bürgerschaftlichen „consent im Rahmen einer politischen Vertragskonzeption erblicken die schottischen Autoren später eine unrealistische rationalistische Überforderung - sowohl der Individuen, als auch der Politik. Nach der Glorious Revolution, die den erfolgreichen Abschluß der Auseinandersetzung mit absolutistischen Tendenzen der Krone markiert, strukturiert sich die Diskurslage im ganzen um. Während die Whigs an der Macht die Modernisierung der englischen Gesellschaft betreiben, die fur viele Engländer in Gestalt des Finanzmarktes, der Börse, der Staatsschuld und der Spekulation ins Bewußtsein tritt, bildet sich ein Oppositionslager, das republikanische Motive mit dem Mißtrauen der „landed gentry" gegenüber der sozialen und politischen Macht des Zentrums kombiniert: die wiederbelebte „Country-Party". Davenant beschuldigt die Modern Whigs der Komplizenschaft mit dem Monied Interest, die die Politik amoralisch infiziere und ihrer fuhrenden Rolle als Agentur des Gemeinwohls beraube. Am Grunde der wiederbelebten „Country-Party" liegt ein anti-moderner Affekt, gegen das Monied Interest, gegen die Metropole und ge-

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Kapitel 5:Resümee

nerell gegen den kommerzialistischen Werteverfall. Damit hat sich ein traditioneller Gegensatz von Zentrum und Peripherie modern transformiert. Aber das Country-Lager ist nicht generell anti-modern, wenn es der fuhrenden Rolle der „landed gentry" und ihrer Kultur anhängt, die einen Prozeß der Verklärung durchmachen. Denn im Rahmen eines Primats der Politik wird ein machtstaatspolitisch als unverzichtbar akzeptiertes Bündnis der Gentry mit produktiven Sektoren von Manufaktur und Handel angestrebt abgehoben von dem „vaterlandslosen", das heißt: politisch relativ ungebundenen, Monied Interest. Kennzeichen dieser Strategie ist ein emphatischer politischer Tugendbegriff, der rhetorisch aus der republikanischen Tradition gespeist ist und den Widerstand gegen die Verengung politischer Kompetenz auf das Zentrum und die Metropole bezeichnet, dabei jedoch nicht demokratisch intendiert ist. Er geht in die politische Kultur ein und prägt das Selbstverständnis der politischen Eliten. Im schottischen Kontext wird die Frage der Modernisierung im Rahmen der Union mit England relevant. Fletcher verweigert von „Old Whig"-Positionen aus die Zustimmung zum Tausch der politischen Unabhängigkeit Schottlands fur die Integration in die englische Ökonomie. Wenn auch sein politisches Programm vorliberal, ökonomisch wenig erfolgversprechend und kaum durchsetzbar erscheint, gehen von ihm doch Anstöße aus, die Commonwealth-Topoi in der schottischen Aufklärung tradieren, vor allem in der Frage der Miliz. In der schottischen Aufklärung laufen naturrechtliche und zivilhumanistische Motive zusammen und bilden eine - im einzelnen unterschiedliche - Synthese, die sich etwa in den Jahren 1770-1780 zu einem eigenständigen sozialtheoretischen Paradigma verdichtet und nach ganz Europa ausstrahlt. Als Grundproblem der schottischen Autoren kann die Vereinbarkeit einer beschleunigten gesellschaftlichen Modernisierung, deren Herzstück die Marktvergesellschaftung ist, mit einer starken Position der Politik auf Basis stabiler sozialhierarchischer Elitenbildung gelten. In der Ethik werden subjektivrechtliche mit zivilhumanistischen Motiven unter Rückgriff auf antike Traditionsbestände vor allem der Stoa - im Rahmen einer durch Shaftesbury inspirierten non-rationalistischen Moral Sewse-Philosophie verschmolzen. Bei Hutcheson ist diese Synthese noch im Prozeß begriffen, was besonders in seiner politischen Theorie sichtbar wird, in der naturrechtliche und republikanische Motive nebeneinander stehen. Er ist, soweit ich sehe, einer der ersten britischen Autoren, der den Bruch der Akkumulationslogik der kommerziellen Gesellschaft mit den vormodernen ethischen Traditionen reflektiert. Bei Hume finden wir eine im ganzen optimistische Haltung zur Moderne, besonders zur modernen Kultur, die er im diskursiven Rahmen der „Politeness" gegen antikisierenden Republikanismus, gegen dogmatisches Naturrechtsdenken und gegen die politischen Ideologien des Sozialvertrages und der „Ancient Constitution" absetzt. Damit hebt er die politische Diskussion auf ein neues Reflektionsniveau, auf dem die Tatsache der Moderne, ihre Fragilität und ihr künstlicher - „konventioneller" - Charakter thematisch wird. Inhaltlich arbeitet Hume die Mehrdimensionalität der Zivilisationsentwicklung am Paradigma der „Rule of Law" heraus und überschreitet die antike Staatsformenlehre, deren Relativität zur Zivilisationsentwicklung und zu de factoMachtressourcen, wie der Patronage der Exekutive, herausgestellt wird. An zwei Themen machen sich für Hume jedoch Zweifel an der Moderne fest, an der explodierenden Staatsschuld, die als Symptom protodemokratischer Politik zur Transformation

Kapitel 5. Resümee

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und Destabilisierung der Gesellschaft führt, und am ideologisch verblendeten Radikalismus, der das notwendige Spannungsverhältnis von „Freiheit" und „Autorität" zugunsten der „Freiheit" auflöst. Von einem reflektierteren Standpunkt aus gelangt Hume so zu Positionen, die ihn mit dem Country-Lager in Verbindung bringen, und sucht man den praktischen Kern seines politischen Programms auf, stößt man auf einen durchgreifend konzipierten Föderalismus, der die modemisierungswillige Peripherie stärkt. Henry Home-Lord Kames publizierte eine frühe Version der Evolutionstheorie von vier Stadien menschlicher Produktionsweise, die vor allem der historisch-gesellschaftstheoretischen Fundierung der Rechtstheorie dienen soll, womit die Naturrechtsdogmatik, im Anschluß an Montesquieu, empirisch und sozialtheoretisch gewendet und vertieft wird. In diesem Rahmen begründet Kames eine im ganzen optimistische Theorie der Moralentwicklung auf Grundlage verdichteter Sozialität, der Trennung von Recht und Moral und der Durchsetzung der Marktvergesellschaftung. In Kames" Spätwerk erscheint jedoch der Optimismus über die Zivilisationsentwicklung doppelt gebrochen, zum einen durch „Überzivilisierung", das heißt: übermäßige Affektkontrolle, und zum anderen durch - eher traditionell gedachte - „Verweichlichung" durch ökonomischen Überfluß: „Luxus". In der Verbindung dieser moralischen Degenerationsformen sieht er die Gefahr des Verlustes von Wehrhaftigkeit auf individueller wie politischer Ebene. Steuart arbeitet ein erstes System der politischen Ökonomie als selbständige Wissenschaft aus, das aber, wie bei Smith, in den Rahmen einer übergreifenden Staatswissenschaft eingebunden bleibt. Zur Erkenntnis der modernen Gesellschaft trägt er eine Analyse der herrschaftssoziologischen Bedeutung des Äquivalententauschs bei, bedeutender ist aber sein wirtschaftspolitisches Steuerungsmodell, in dem der Masse borniert Privater der fiktiv benevolente Staat gegenübersteht. Mit der Komplexität modemer Gesellschaft wachsen nach Steuart die Steuerungsanforderungen an die Politik, die gleichzeitig schwieriger zu bewältigen sind, wesentlich weil die moderne Steuerungsform ein Anknüpfen an subjektive Interessenlagen verlangt. Mit seinen Ideen eines aufgeklärten Absolutismus steht er außerhalb der schottischen Tradition, was besonders am Fehlen einer subjektivrechtlichen Fundierung deutlich wird. Die traditionelle Zyklentheorie gesellschaftlicher Korruption arbeitet er in eine außenwirtschaftsorientierte ökonomische Krisentheorie um. Smith verbleibt wissenschaftssystematisch in der schottischen Tradition akademischer Moralphilosophie. Unter dem Einfluß Humes, dessen angeblichen „Utilitarismus" er kritisiert, transformiert er die ,Moral 1S,erae"-Philosophie in eine der ,Moral Sentiments'" und arbeitet die Konzepte des „Impartial Spectator" und des „Man within" als Gewissensbildung aus, eingefügt in den Rahmen einer Begründung doppelter moralischer Standards, die auf die Moralentlastung gesellschaftlich aktiver Individuen hinausläuft. Dies verbindet er mit der Betonung der Trennung von Recht und Moral im Rahmen einer universalgeschichtlich-evolutionär fundierten normativen „Natural Jurisprudence", die, orientiert an der gesamtgesellschaftlich idealen Gedankenfigur des „Legislator", gegen rationalistische, absolutistische und interventionistische Politikmodelle gerichtet ist. In der Analyse der Entwicklung der kommerziellen Gesellschaft zeigt seine „Konsumverschiebungsthese", wie ein nicht-intentionaler historischer Prozeß zur ökonomischen Emanzipation führt, die aber korporatistisch-merkantilistische Verzerrungen mitführt, die sich primär in einem vorherrschenden politischen Einfluß des kommerziellen Sektors darstellen, ein Zentralproblem der britischen Ökonomie und

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zentrales Thema des Wealth of Nations. Smiths Appell an die „landed gentry", die politische Führung bei der gesellschaftlichen Modernisierung zu übernehmen, offenbart seine vermittelnde Position zwischen Moderne und „Country". Inhaltlich radikaler ist seine Analyse der modernen Arbeitsteilung und ihrer entfremdenden Folgen, gleichwohl verbleibt Smith in seinen Schlußfolgerungen im optimistischen Rahmen einer kulturellen Kompensationsstrategie, wie sich vor allem an seinen Vorschlägen zur Erziehimg und zur zivilhumanistischen Einbettung einer modernen Berufsarmee zeigt. Ferguson kann als der schärfste schottische Kritiker der modernen Gesellschaft gelten, die er vorzugsweise als „polished society" bezeichnet, womit grundbegrifflich kritische Aspekte von Affektkontrolle, Pazifizierung und Verlust von Wehrhaftigkeit thematisiert sind. Auf der Basis eines dynamischen, lebensphilosophisch gefärbten Menschenbildes verallgemeinert und dramatisiert Ferguson die Smithsche Analyse entfremdender Wirkungen der modernen Arbeitsteilung und überträgt sie als Prinzip der Spezialisierung und funktionalen Differenzierung vom Arbeitsbereich auf die Gesellschaft im ganzen. Sein Einwand lautet sodann, daß dieses in der Ökonomie wurzelnde Prinzip illegitim auf die genuin politischen Sektoren der Gesellschaft übertragen wird, wo es zerstörerisch wirkt, so daß die gesellschaftlichen Führungsfunktionen eines auch in der Moderne notwendigen Primats der Politik verlorengehen. Systemtheoretisch formuliert, kritisiert er die nicht-legitime Überdeterminierung des politischen Code, der durch Macht und „public spirit" definiert ist, durch den ökonomischen Code von Wert, Geld und Konsum. Ferguson insistiert demgegenüber auf der Notwendigkeit einer genuinen „politischen Klasse", in der der emphatische antike Bürgerbegriff, inklusive der Orientierung am Ideal des popolo armato, normativen Status behält. Diese Führungselite bildet den Kader einer im ganzen wehrhaften Nation, und in diesem Zusammenhang gewinnt das Milizkonzept für Ferguson zentrale kulturelle - ethische und erzieherische Bedeutung, die weit über die Frage militärischer Effizienz im Verhältnis zur Berufsarmee hinausreicht. Jenseits seines Programms der Balance moderner Korruption sieht Ferguson die Gefahr einer systemisch geschlossenen Despotie, die die Bürger auf eine entpolitisierte Privatexistenz zurückwirft. Nach dem Vorlauf einzelner Autoren des 17. Jahrhunderts, die Aspekte der „Kommerziellen Gesellschaft" theoretisch erfassen, wird der Commerce im frühen 18. Jahrhundert zu einem zentralen Thema gesellschaftlicher Diskurse. Die schottische Aufklärung bewegt sich, wissenssoziologisch aus reflektierter Distanz, in einem Feld der Überschneidung verschiedenster Diskurse: dem kalvinistisch-presbyterianischen Protestantismus, dem „civic humanism", dem modernen Naturrecht und der „Politeness", und aus diesem Material entsteht unter dem Druck einer angestrebten nachholenden Modernisierung ein neues gesellschaftstheoretisches Paradigma, durch das die britische politische Debatte in der Folge nachhaltig auf ein neues Reflexionsniveau gehoben wird. Nach den Schotten gab es weder einen Weg zurück zu einfachen, quasi-juridischen Sozialvertragsmodellen noch zu nostalgischen Berufungen auf die Republiken der Antike oder der Renaissance noch auf eine mythische „ancient constitution". Die Gültigkeit des Interpretationsrahmens der antiken Staatsformenlehre wird radikal untergraben, indem die politische und staatsrechtliche Analyse, an Montesquieu anknüpfend gesellschaftstheoretisch vertieft wird, in Dimensionen der politischen Ökonomie, der Herrschaftssoziologie und der Sozialpsychologie. Dabei entwickeln die

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Schotten zeitgenössisch einmalige Ansätze zu einer universalgeschichtlichen, non-rationalistischen Evolutionstheorie von Gesellschaft, die in der Anlage, wie mir scheint, nicht wirklich überholt ist. Ausgehend von einem akzentuiert gesellschaftlichen Menschenbild, vertreten die schottischen Autoren einen auf Affektanthropologie basierten moralischen Realismus, der die Idee egozentrisch-konzentrischer Kreise spontaner Affektualität mit der Trennung von Recht und Moral und der Priorität des Rechten vor dem Guten verbindet, die in eine moralische Stufenlehre mündet, in der sich private Klugheit mit sozialisatorisch zwingend internalisierten Normen der Gerechtigkeit und eher beliebiger Wohltätigkeit kombiniert. Damit stellten die Schotten die überlieferte Ethik auf elementare Erfordernisse anonymer Marktvergesellschaftung um. Der daran anknüpfende Zweifel an der Spontaneität republikanischer Bindung unter modernen Bedingungen wurde unterschiedlich akzentuiert. Während Hume hier kaum ein Problem sieht und Smith auf eine spontane minimale politische Bindung einfacher Bürger und auf den politischen Ehrgeiz einer Führungselite vertraut, erblickt Ferguson in der dominant privaten Handlungsorientierung der kommerziellen Gesellschaft die Gefahr der Austrocknung republikanischer Bindungsfahigkeit mit der Folge politischer Führungs- und Wehrlosigkeit der Gesellschaft. Kommentiert Hume die moderne kommerzielle Gesellschaft kritisch im Rahmen der von Commonwealth- und Country-Autoren entwickelten Analyse sozioökonomischer Sektoren auf das „Monied Interest" konzentriert, dem mangelnde soziale Verankerung und fehlende politische Bindung zugeschrieben werden, analysieren die späteren Schotten den Kommerz als allgemeineres gesellschaftliches Entwicklungsmuster, das in der Durchsetzung der Warenproduktion elementare emanzipatorische Wirkungen entfaltet, dessen Kehrseite jedoch überzivilisierte Affektkontrolle und mentale Degenerationen durch Arbeitsteilung bilden. Damit wird der traditionelle Topos zyklischer Korruption durch gesellschaftlichen Reichtum und Luxuskonsumtion, der noch bei Hutcheson und Kames eine Rolle spielt, theoretisch überholt, indem Hume, Steuart, Smith und Ferguson - wohl unter dem Eindruck Mandevilles - einen unspezifischen Begriff von „Luxus" entwickeln. Moralische Korruption macht sich sodann nicht mehr an Überflußkonsumtion fest, sondern an Übertreibungen der „Politeness" und Sentimentalität und an privatistischer Bornierung, die eventuell in den Verlust von Wehrhaftigkeit mündet. Damit bleibt das republikanische Paradigma eines zyklischen Geschichtsverlaufs im Wechsel von Barbarei und Zivilisation - transformiert - im Hintergrund der schottischen Gesellschaftstheorie präsent. Merkwürdig unberücksichtigt bleibt in der Sekundärliteratur der von James Harrington her tradierte herrschafts- und politiksoziologische Ansatz der Basierung der politischen und juristischen Institutionen auf eine hierarchisch differenzierte Sozialstruktur, auf soziale Herrschaft, der nicht nur die Theorien von Country- Autoren des ersten Jahrhundertdrittels verpflichtet sind, sondern - in sozialpsychologisch modifizierter Form auch das Denken der schottischen Aufklärung. Der Grund dieses Schweigens liegt wohl in dem Bruch dieser Tradition mit den heutigen demokratischen Dogmen staatsbürgerlicher Gleichheit, eine moderne Abscheidung des politischen Systems von den sozialen Herrschaftsverhältnissen, die das politische Denken des 18. Jahrhunderts nicht kannte, in dem eine allgemeine Anerkennung naturrechtlich fundamentaler Gleichheit, die Basisrechte „negativer Freiheit" gewährleistet, mit einer zivilhumanistisch inspirierten

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politischen Herrschaftssoziologie zusammengeht, die positive, politische Freiheitsrechte soziologisch differenziert zuweist. Die Differenz der Schotten zu Burke liegt hier in der normativen Idee der „natural aristocracy" als Meritokratie, wobei sie aber sahen, daß Eigentum und Adel (Geburt) evidentere und zuverlässigere Herrschaftslegitimationen darstellen, ein Vorzug, der ihre moralische Defizienz überdeterminiert. Dabei traten alle Schotten für eine breite Mittelschicht als Schwergewicht der Gesellschaft und soziale Basis freiheitlicher Politik ein, die sie, von Reminiszenzen an ein „Agrargesetz" bei Hutcheson abgesehen, vom spontanen Wirken des Marktes erhofften. Bei allen hier untersuchten Autoren des 18. Jahrhunderts finden sich positive Bezüge auf die „Country"-Position, vor allem eine durchgängige Präferenz für die - „landed" - Gentry, was die Adaptabilität der „Country"-Ideologie an wesentlich moderne Politiken demonstriert. Damit kann eine einseitig anti-modernistische Interpretation des Country-Lagers als widerlegt gelten. Auf die neue radikale Bewegung reagierte nur John Miliar positiv. Der wichtige theoretische Hintergrund dazu ist eine bislang, soweit ich sehe, wenig untersuchte Kritik der Schotten am Rationalismus, die sich politisch als Kritik der politischen Vertragstheorie und generell abstrakt theoretischer, der Ästhetik des Systemdenkens verfallener (Smith) politischer Modelle darstellt1. Dagegen beziehen sie pragmatische Positionen, die sich nicht an Universalien, sondern an begrenzten, bewußt auch als „second best" konzipierten Lösungen unmittelbarer Probleme orientieren und, ausgehend von einem sittlichen Vorrang des Bestehenden, Brüche im gesellschaftlich-politischen System vermeiden. Denn sie wissen nach den eingehenden Analysen Humes, daß das politische System auf einem Legitimationsglauben beruht, der letztlich nicht rational zwingend begründbar ist und daher vor Zweifeln geschützt werden muß. Auf dieser Grundlage wandte sich Hume gegen die abstrakte Freiheitspropaganda der Radikalen und Smith gegen die politische Theorie der Physiokraten. Wenn Miliar später die produktive Kraft der gesellschaftlichen „Utility" als Kriterium des Politischen akzentuierte, so kritisiert auch er abstrakt theoretischen politischen Konstruktivismus2, und bei Dugald Stewart, dem letzten genuinen Repräsentanten der schottischen Aufklärung, finden wir diesen Non-Rationalismus explizit formuliert3, der theoriesystematisch auf die Handlungstheorie „nicht-intendierter Folgen" und in der politischen Theorie auf den offenbar von Hume entwickelten nicht-monistischen Kern der Begründung gesellschaftlicher Ordnung auf ein transhistorisches Spannungsverhältnis von „Autorität" und „Freiheit" zurückgeht. Ideengeschichtlich knüpfen die Schotten damit an Montesquieus Reflektionen über die wesentlich auch soziokulturelle Bedingtheit des juridischpolitischen Systems an. Dieses Thema ist nicht ausgeschöpft. Als unterbelichtet in der Sekundärliteratur kann auch nach der wichtigen Arbeit John Robertsons4 das Thema „Militär" gelten, das sich dem 18. Jahrhundert als Dilemma der Freiheitsbedrohung durch ein „stehendes Heer" und der Einsicht in die Ineffizienz eines 1 Siehe zu Hume immerhin Donald Livingston: Hume's Philosophy of Common Life, bes. Kap. 10; s. a. generell Texte von Isaiah Berlin, hier bes.: Hume und die Quellen des deutschen Antirationalismus, in: ders.: Wider das Geläufige, S. 259-90. 2 Siehe: J. Craig: Account of the Life and Writings of John Millar, S. 34, S. 39. 3 Lectures on Political Economy, CW, Bd. IX, S. 419ff. 4 The Scottish Enlightenment and the Militia-Issue; s.a.: D. Winch: Adam Smith's Politics, Kap. 5; die Militärfrage findet seit dem Band von Hont/Ignatieff (Hg.): Wealth and Virtue, mehr Beachtung.

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Milizsystems unter Bedingungen moderner Territorialstaaten darstellte, welche mit wachsendem Wohlstand, der eventuell die Gesellschaft wehrlos machte, gleichzeitig fremder Aggression einen erhöhten Anreiz bieten. In Analogie zum Untergang Roms, der den Zeitgenossen gegenwärtig war, laufen in der Militärfrage Überlegungen zur kommerziellen Gesellschaft und zur Tugendfahigkeit der Moderne zusammen. Noch Hume stand die Inkompatibilität des „stehenden Heeres" mit politischer Freiheit fest, und auch Smith, der wohl am deutlichsten die Überlegenheit einer modernen Berufsarmee sah, war gleichzeitig von der Notwendigkeit überzeugt, diese durch erzieherische Anstrengungen, die Koppelung der militärischen Führung mit der sozialen Elite und durch ein komplementäres Milizsystem zu balancieren. Die Idee des Popolo Armato bleibt daher in dieser oder jener Form für alle Autoren von Fletcher und Cato bis Ferguson und Miliar verbindlich. Damit wird auch unterstrichen, daß die „Country"-Autoren und die Schotten an einem Primat der Politik festhielten, der sich bei Smith als zurückgenommener Rahmen weithin autonomer gesellschaftlicher Selbstordnung darstellt, welcher jedoch deutlich über den Minimal State hinausweist. In der Frage der Relation von „Tugend" und Institutionen zieht sich ein Spannungsbogen durch die schottische Aufklärung von Hume, der nicht nur die Gesellschaftsprozesse auf „Konventionen" verschiedenster Art und Festigkeit abgestützt sieht, sondern der auch explizit den politischen Institutionen eine autonome, wenngleich soziokulturell modifizierte Wirkung zuschreibt, bis zur expliziten Kritik der Delegation politischer Kompetenz an Institutionen durch Ferguson. Während Hume eine persönliche Emanzipation durch die Entlastung des individuellen Lebensprozesses von politischer Komplexität sieht, so Ferguson essentiell eine politische Verarmung. Diese Differenz kann in den erhellenden Gegensatz der Präsenz divergenter Motive der republikanischen Tradition gestellt werden, die zum einen, vermittelt über die politische Prudence, zu einem reflektierten Denken über balancierte politische Institutionensysteme beiträgt, und die zum anderen das Motiv politischer Fortitude, als starker Freiheitswille der Bürgerschaft - individuell und kollektiv -, in das Denken der schottischen Aufklärung einbringt, welche jenseits aller Differenzen übereinstimmte, daß die „Civil Society" in Prozessen von,Moral Sentiments " wurzelt. Auf einer sehr allgemeinen Ebene unterstreicht dieses Ergebnis, daß es in der Ideengeschichte absolute Brüche nicht gibt, denn die zitierten Autoren sind Innovateure, die die weltgeschichtliche Neuartigkeit der modernen, kommerziellen Gesellschaft begreifen, und bleiben doch vielfaltig in traditionelle Diskurse verwoben. So kann vielleicht als Gesetzmäßigkeit der Ideengeschichte formuliert werden, daß, je stärker das Dynamische der historischen Entwicklung empfunden wird, desto stärker das Bedürfiiis nach kontrapunktischen Ruhelagen des Denkens wird, nach traditionellen Bezugspunkten. Tradition und Moderne werden so ineinander verwoben und bei jedem Schritt ins Unbekannte tastet das Denken nach Vertrautem, an dem es sich festhalten kann 5 . Dabei interessiert weniger, daß Traditionen fortleben, als vielmehr, wie sie im Angesicht historischer Herausforderungen transformiert werden.

5 Siehe etwa K. Marx: Der Achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte, Anfang.

Kapitel 6: Ausblick

Die französische Revolution stellt als weltgeschichtlicher Epochenbruch natürlich auch ideengeschichtlich einen tiefen Einschnitt dar; sie beendet das ,finden Regime", auch wenn auf dem Kontinent noch fur längere Zeit restaurative Politik betrieben wird1. Amerika und das amerikanische politische Denken bleiben von diesen Umwälzungen relativ unberührt, was sich etwa an der Kontinuität der politischen Führerschaft von Männern wie Thomas Jefferson und John Adams von der Unabhängigkeitserklärung bis in das 19. Jahrhundert hinein zeigt2. Die spezifische Verbindung eines naturrechtlich fundierten und begrenzt „radikal" ausgelegten Republikanismus, die die politische Debatte der amerikanischen Kolonisten seit den 1770ger Jahren prägte3, bleibt dort über die Verfassungsdiskussion hinweg vorherrschend, mit sich verschiebenden Akzenten4. Neuere Texte zeigen auf, daß die amerikanische Verfassungsdebatte weder einseitig, wie die ältere Interpretation will, auf einen Lockeschen Liberalismus zu reduzieren ist, noch, wie John Pocock einflußreich nahegelegt hat5, auf einen späten „civic humanism"6. Auch die Konnotation der Federalists und der Anti-Federalists mit bestimmten politischen Rhetoriken erscheint kaum möglich, da sich beide Seiten in verschiedenen Diskursen bewegten. Daß das schottische Aufklärungsdenken auf diese Diskussionen Einfluß ausübte, kann als etabliert gelten7, die Rezeption zeigt jedoch auch Differenzen auf, am deutlichsten vielleicht im Kontrast der positiven Bezugnahme auf Hume in den Federalist Papers gegenüber der Ablehnung konservativer Tendenzen in Humes History durch Jefferson8. Deutlich scheint mir, daß der „moralische Realismus" der Schotten die 1 Siehe etwa Benedetto Croces: Geschichte Europas im 19. Jahrhundert (1932), Ffin., 1993. 2 Paul Nolte: Die amerikanische Revolution, ZHF, 1991, S. 438, betont den Bruch zwischen der Vorherrschaft der Federalists und dem Sieg der „Jeffersonians" 1800 liegt; gemessen jedoch an dem Einschnitt, den die französische Revolution für viele europäische Länder bedeutete, kann die nordamerikanische Entwicklung sicher als relativ kontinuierlich betrachtet werden. S. a. Noltes Literaturbericht: Der Durchbruch der amerikanischen Marktgesellschaft. Wirtschaft, Politik und Kultur in der frühen Republik (1790-1850), HZ, 1994: 259, S. 695-716. 3 Siehe W. P. Adams: Republikanische Verfassung und Bürgerliche Freiheit. 4 Siehe a. a. O. angeführte Texte von John Pocock, Paul Nolte und Hans Vorländer, sowie: J. N. Shklar: Alexander Hamilton and the language of political science, in: A. Pagden (Hg.): The Languages of Political Theory, S. 339-55, sowie versch. Aufsätze in J. Appleby: Liberalism and Republicanism. 5 Machiavellian Moment, Kap. XV; s. a. Jean-Claude Lamberti: Montesquieu in America, AES, 1991. 6 Siehe kritisch I. Kramnick: Republicanism and Bourgeois Radicalism, S. 293-5. 7 P. Nolte: Ideen und Interessen, GG, 1991, S. 123, weist besonders auf Forschungen Garry Wills' hin, der den Einfluß Hutchesons, insbesondere auf Jefferson betont. In einem Brief an Thomas Law von 1814 diskutiert Jefferson das Konzept des Moral Sense positiv und erwähnt dort namentlich Kames: The portable Thomas Jefferson, S. 540-4, Nennung von Kames (im Original: Kaims), S. 543. 8 Siehe im Index unter „Hume" in: J. Madison et al.: The Federalist Papers; Jeffersons Brief v. 14. 6. 1807 an John Norvell, in: The Portable Thomas Jefferson, S. 504f., worin Jefferson gleichzeitig Smiths Wealth of Nations empfiehlt; D. W. Livingston: Hume's Philosophy of Common Life, S. 264.

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Federalists besonders ansprach, ebenso wie ihre Theorie der Balance von Freiheit/Utility zu Autorität, denn den Federalists, die in der amerikanischen Verfassungsdebatte das Zentrum gegen die Peripherie vertraten, kam es darauf an, den einseitig gegen die Autorität gerichteten Diskurs des Unabhängigkeitskrieges zu korrigieren9. Beide Seiten jedoch wußten um die Grenzen des Tugenddiskurses (sowohl des antiken, als auch des protestantischen) in einer kommerzialistisch modernisierenden Gesellschaft, denn auch die Anti-Federalists akzeptierten die Warenökonomie10, so daß die Differenz eher in der stärkeren Akzentuierung der politischen Funktionen durch die Federalists zu liegen scheint11. Im politischen Denken Großbritanniens vollzog sich im Verlaufe der 1780ger Jahre und dann verstärkt seit dem Beginn der Revolution, mit Steigerungen nach dem Einsetzen des revolutionären „terreur" und dem Beginn des Krieges gegen Frankreich, eine konservative Wende, die innenpolitisch die patriotische Einheit unter der Führung von Krone und Kirche („King and Church") forderte. Die Whigs verloren Einfluß und Anhänger; und der prominenteste Abtrünnige, der sich jedoch als Repräsentant alter Whig-Prinzipien darstellte, ist Edmund Burke. Aber wenn sich Burke auch mit dem anti-revolutionären Zeitgeist einig wußte, hatte er doch ein Gefühl für die Unwiederbringlichkeit des ,.finden Regime ". Was Kant an der Revolution feierte, den politischen Ausgang des Menschen aus „selbstverschuldeter Unmündigkeit"12, erschien Burke als Sündenfall intellektualistischer Hybris und als die moderne politische Krankheit par excellence. Damit spitzt er ein Thema zu, das es, wie gezeigt, als Kritik politischen Konstruktivismus auch bei den Schotten gibt, und Donald Livingston weist zu Recht auf die auch rhetorische Nähe zu den Ausfallen Humes gegen die Radikalen in seiner späten Korrespondenz hin13. Die schottische Aufklärungsbewegung wurde in dieser Zeit vor allem durch zwei Autoren fortgesetzt, durch John Miliar und Dugald Stewart. Der 1735 geborene Miliar gelangte 1761, nach einer Zeit als Rechtsanwalt, mit Unterstützung von Kames und Smith auf den Lehrstuhl für Zivilrecht in Glasgow. So wie Smith unterlegte er aber seine juristischen Vorlesungen mit moralphilosophischen, politischen und historischen Überlegungen14; er hielt spätestens seit Anfang der 1770ger Jahre spezielle Lectures on 9 In diesem Sinne verstehe ich Kramnick: Republicanism and Bourgeois Radicalism, Kap. 8. 10 Siehe: J. Appleby: The „Agrarian Myth" in the Early Republic, in: Liberalism and Republicanism, S. 253-76; J. Ε Crowley: Commerce and the Philadelphia Constitution: Neo-Mercantilism in Federalist and Anti-Federalist Political Economy, HPT, 1992. 11 P. Nolte: Die amerikanische Revolution, ZHF, 1991, S. 448. Siehe zur nordamerikanischen Sozialgeschichte dieser Zeit und ihrer Vermittlung mit dem politiischen Denken auch den klassischen Text von Charles Beard: Eine ökonomische Interpretation der amerikanischen Verfassung (1913), Ffm., 1974; außerdem: H. Gerstenberger: Zur politischen Ökonomie der bürgerlichen Gesellschaft. Die historischen Bedingungen ihrer Konstitution in den USA, Ffm., 1973; S. Meuschel: Kapitalismus oder Sklaverei. Die langwierige Durchsetzung der bürgerlichen Gesellschaft in den USA, Ffm., 1981, Kap. I-III. 12 Siehe die Beiträge von Peter Burg, Iring Fetscher und Dieter Henrich, in: Z. Batscha (Hg.): Materialien zu Kants Rechtsphilosophie, Ffm., 1976. 13 D. W. Livingston: Hume's Philosophy of Common Life, S. 323f. 14 Siehe außer den bereits angeführten Vorlesungsmitschriften: Mr. Millar upon Heineccius Institutes, 3 Bde., Glasgow University, MS Murray 96-98, die Datierung dieser Aufzeichnungen von David Boyle und Alexander Boswell beginnt mit November 1789; John Millar: Lectures on Government, 1789/90, by David Boyle, 3 Bde., Glasgow-University: MS Murray 88-90; Notes from Professor Millar's

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Government15 und dürfte damit einer der ersten britischen akademischen Lehrer politischer Wissenschaft sein16. Er systematisierte und dogmatisierte17 die von Smith, Kames und Hume erarbeitete Sozialtheorie18 und ist im ganzen wenig originell19, abgesehen von der Einarbeitung des Geschlechterverhältnisses als Variable der universalgeschichtlichen Evolutionstheorie von Herrschaft in seiner ersten Schrift20. Miliar verteidigte Humes skeptische Philosophie gegen Thomas Reids „Common Sense"2\ kritisierte aber politische Implikationen von Humes History von einem linken Whig-Standpunkt aus. Gemessen besonders an Fergusons Kulturkritik ist Miliar deutlich fortschrittsoptimistisch, aber auch er sieht eine privatistische Entzweiung der Bürger durch die Konkurrenz, „...which contractfs] the heart, and set[s] mankind at variance"22, und die Gefahr der Entfremdung der Bürger von der Politik23. Politisch bedeutsamer erscheinen Millars Affinitäten zum „Radikalismus", die schon während des amerikanischen Krieges sichtbar wurden24. Hume hatte bereits 1775 seinem Neffen, der im Hause Millars ausgebildet wurde, auf dessen Zweifel bezüglich Millars republikanischer Tendenzen geantwortet25, und 1784 mußte Miliar auf Vorwürfe reagieren, er lehre republikanische Grundsätze26. Er reagierte positiv auf die französische Revolution und hielt an seiner

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lectures upon the Law of England, 1800/1801, ohne Name, Glasgow University: MS Gen. 243; Ders.: Lectures on Civil law, National Library of Scotland, MS 2743, unklare Datierung, unbekannter Verfasser, mit ergänzenden Noten von zweiter Hand; siehe zu Millars „Lectures": W. C. Lehmann: John Millar, professor of civil law at Glasgow (1761-1801), The Juridical Review, 1961: 6, S. 218-33; ders.: Some observations on the law lectures of professor Millar at the University of Glasgow (1761-1801), ibid., 1970: 15, S. 56-77. J. Millar: Lectures on government, delivered by Mr. Millar, Prof, of Law in the University of Glasgow, apr. 1771-1772, extended by George Skene, 2 Bde. Das Standardwerk über Millar ist wohl noch immer: W. C. Lehmann: John Millar of Glasgow; s. a. vom selben Verfasser die Einleitung zu: J. Miliar: Vom Ursprung des Unterschieds in den Rangordnungen und Ständen. Siehe K. Haakonssen: John Millar and the science of a legislator, The Juridical Review, 1985: 30, S. 41-68. In der Rezension der Edinburgh Review über die posthume Ausgabe von Millars Historical View heißt es: „His greatest admirers must admit, that he has sometimes cut the knot which he could not untie, and disregarded difficulties which he was not prepared to overcome; that he has asserted where he ought to have proved; advanced a conjecture for a certainty... ", Vol. 3, Oct. 1803-Jan. 1804, No. 5, Art. 13, S. 154-81, hier S. 157. Siehe P. Bowles: John Millar's Scince of Society, PhD-Thesis; ders.: John Millar, the legislator and the mode of subsistence, HEI, 1986. S.a. die Diskussion von Louis Schneider und William C. Lehmann: Tension in the thought of John Millar, Studies in Burke and his Time, 1971/72. Siehe P. Bowles: John Millar, the four-stages theory, and women's position in society, ΗΡΕ, 1984. J. Craig: Account of the Life and Writings of John Millar, S. 61; s. a. Lehmann: John Millar, S. 53. Historical View, Bd. IV, S. 246. Siehe den 6. Essay in Millars: Historical View; J. Craig: Account of the Life and Writings of John Millar, S. 48f.: „In none of those causes usually assigned for the decay of opulent states, did he see any reason for believing that there are fixed impassable limits to the improvement of man. But, in examining the changes produced by wealth on the national character, he was struck with that sordid love of gain, that exclusive attention to individual interests, which debase the character of man, and undermine the generous enthusiasm for the public welfare, on which alone public Liberty can securely rest". Siehe J. Craig: Account of the Life and Writings of John Millar, S. 107ff.; D. Forbes: „Scientific" Whiggism: Adam Smith and John Millar, Cambridge Journal, 1954. Hume: Letters, Bd. II, Nr. 512, an David Hume the Younger, 8. 12. 1775. Brief an Edmund Burke v. 16. 8. 1784, Glasgow-University, MS Gen. 502/36, Fotokopie.

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Unterstützung für Charles James Fox und die linken Whigs fest 27 , wodurch er sich in Gegensatz zu Repräsentanten der älteren Generation der schottischen Aufklärungsbewegung 28 brachte, zog es aber vor, die Friedenspolitik der linken Whigs gegenüber Frankreich publizistisch nur anonym zu vertreten29. Und wenn auch die 1796 anonym publizierten Letters of Sidney, On Inequality of property, von Millar stammen, wie angenommen wird30, dann zeigt dies darüber hinaus eine gewisse Nähe zu plebejischen Strömungen des Radikalismus, die die später so genannte „soziale Frage" thematisierten31 und zur frühen britischen Arbeiterbewegung überleiten32. Legte Miliar so die schottische Sozialtheorie nach links aus33, wird sie auf der anderen Seite von einem Radikalen wie John Thelwall adaptiert34. An dem Gegensatz von Burke einerseits, soweit er Themen der schottischen Sozialtheorie zuspitzt, und Miliar andererseits, die vor der französischen Revolution Parteifreunde waren und noch im amerikanischen Konflikt auf der gleichen Seite standen, wird auch personell deutlich, wie die Politik der schottischen Aufklärung unter dem Druck der Revolutionszeit und des Krieges gleichsam zerrissen wird. Dugald Stewart35 wurde 1785 Nachfolger Fergusons auf dem Lehrstuhl für Moralphilosophie in Edinburgh. Er fuhrt, über Smith hinausgehend, das Thema der Maschinerie als primärer Produktivitätsfaktor in die Politökonomie ein 36 und entwickelt in diesem Zusammenhang den später von Hegel und Marx aufgegriffenen Gedanken des Umschlags der menschlichen Arbeitsteilung in Mechanisierung37 - in Perspektive: Automa-

27 J. Craig: Account of the Life and Writings of John Millar, S. 91ff. 28 Siehe etwa: H. Blair: Sermons, 3 Bde., new ed., Bury St. Edmunds, 1820, 3. Bd., Sermon XVIII: On the love of our country (Preached 18th. April, 1793, on the day of a national fast appointed by government, on occasion ot the war with the French republic), S. 216ff. 29 J. Millar (?, Pseudon.: Crito): Letters of Crito on the causes, objects, and consequences of the present war, zuerst als Artikelserie. 30 [John Millar?]: Letters of Sidney: On Inequality of property, Scots Chronicle, 5. 8. -30. 9. 1796, ich danke der City-Library, Edinburgh für die Beschaffung dieser Artikelserie. Siehe dazu K. Haakonssen: John Millar and the Science of a Legislator, Juridical Review, 1985, Anfang. 31 Siehe W. Hofinann: Ideengeschichte der sozialen Bewegung, Berlin/NY, 5. Aufl., 1974, bis S. 39. 32 Siehe die ersten Kapitel in: Ε. P. Thompson: Making of the English Working Class. 33 Der Rezensent der posthumen Ausgabe von Millars Historical View in der The Edinburgh Review, Vol.3, 1803/1804, schrieb, S. 158: „In his politics Mr. Millar was a decided whig, and did not perhaps bear any great antipathy to the name of a republican... ", eine zu dieser Zeit gewiß nicht positiv besetzte Bezeichnung; C. Robbins: Eighteenth Century Commonwealthman, S. 21 Iff., bringt Miliar mit anderen schottischen Radikalen der Revolutionszeit in Verbindung. 34 Ian Hampsher-Monk: John Thelwall and the Eighteenth-Century Radical Response to Political Economy, HJ, 1991:34, S. 1-20. 35 Siehe zu Stewart: Ν. Τ. Phillipson: The pursuit of virtue in scottish university education: Dugald Stewart and scottish moral philosophy, in: ders. (Hg.): Universities, society, and the future, Edinburgh, 1983, S. 82-101; K. Haakonssen: From Moral Philosophy to Political Economy: The Contribution of Dugald Stewart, in: V. Hope (Hg.): Philosophers of the Scottish Enlightenment, S. 21 I f f . ; S. Rashid: Dugald Stewart, „Baconian" Methodology, and Political Economy, JHI, 1985: 46, S. 245-57. 36 D.Stewart: Lectures on Political Economy, CW, Bd. VIII, Teil 1, Buch 1, Kap. 2, Abschn. 3, S. 188ff., Buch 2, Kap. 1, Abschn. 1, Unterabschn. 2, S. 316ff., s. a. Bd. IX, Buch 4, S. 339; I. Hont: The „rich country - poor country" debate in Scottish classical political economy, in: ders. /Ignatieff (Hg.): Wealth and Virtue, S. 271-315, hier S. 312. 37 Lectures on Political Economy, ibid., Bd. VIII, S. 331: „... the division of labour leads to the invention of machines. When the simplification has been carried so far as to convert, according to

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tion38. Und Stewart wird durch seine Lehrtätigkeit zum Vermittler des schottischen Denkens an das 19. Jahrhundert39. Im letzten Drittel des 18. Jahrhundert hatte die Reputation der schottischen Aufklärung Studenten aus ganz Europa nach Edinburgh und Glasgow gezogen 40 , und fuhrende Intellektuelle der sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts erneuernden fVhig-Partei sind durch die schottischen Universitäten geprägt, darunter vor allem die Gründer der Edinburgh Review41 und James Mackintosh, der die französische Revolution zunächst, wie Miliar, verteidigte42, bevor er sich mit Burke aussöhnte43 und zum Theoretiker eines moderaten Liberalismus wurde44. Auch James Mill ist durch die schottische Sozialtheorie geprägt45, wird aber später ein Hauptvertreter des konkurrierenden Paradigmas des Benthamschen „Utilitarismus" der sogenannten „philosophical radicals"46. In dieser Zeit der Debatten um die „Poor Laws", die „Corn Laws" und die erste „Reform-Bill" sprengen die Probleme der Industrialisierung die schottische Moralphilosophie, in deren Begriffen die scharfen Konflikte zwischen der nunmehr mächtigen Industriebourgeosie, die einen starken Mittelstand anführt, dem rückwärtsgewandten „landed interest" und den in Industrieregionen zusammengeballten Arbeiter/innen/massen, die eine frühe, latent militante Arbeiterbewegung bilden47, nicht mehr

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Dr. Ferguson's metaphor, a workshop into an engine, the parts of which are men, the next step is that, which converts it into an engine, literally so called, where the place of men is supplied by mechanical contrivances. The ultimate tendency, therefore, of this process, is to substitute mechanical contrivances for manufacturing work, and to open a field for human genius in the nobler departments of industry and talent". Siehe F. Pollock: Automation in USA. Betrachtungen zur ,.zweiten industriellen Revolution", in: Institut für Sozialforschung (Hg.): Sociologica I; F. Haug (Ltg.): Projektgruppe Automation und Qualifikation, Bd. IV: Automationsarbeit. Empirische Untersuchungen, Teil 1, Berlin, 1980; A. Gorz: Wege ins Paradies. Thesen zur Krise, Automation und Zukunft der Arbeit (1983), Berlin, 1984. Siehe hierzu D. Winch: The System of the North: Dugald Stewart and his pupils, in: St. Collini et al.: That noble science of politics, S. 23-61; Β. Fontana: Rethinking the politics of commercial society: the Edinburgh Review 1802-1832, Cambridge, 1985, pass. Siehe etwa Andrei Anikin: Adam Smith in Russia, in: H. Mizuta/Ch. Sugiyama (Hg.): Adam Smith, S. 251-60, über russische Studenten von Adam Smith. Siehe: B. Fontana: Rethinking the politics of commercial society; D. Winch: The System of the North, in: St. Collini et al.: That Noble Science, S. 44ff. u. pass.; A. Bell: Sidney Smith, a Biography, Oxford, 1980. Vindiciae Gallicae, 1791, deutsch: Verteidigung der französischen Revolution und ihrer Bewunderer in England, gegen die Anschuldigungen des Herrn Burke, nebst abgerissenen Bemerkungen über das letzte Werk des Herrn von Calonne, n. d. 2. Aufl., Hamburg, 1793. Angebahnt Ende 1796, siehe den Briefwechsel in: Burke: Selected Letters, S. 119-23. Siehe K. Haakonssen: The Science of a Legislator in James Mackintosh's Moral Philosophy, HPT, 1984: 5, S. 245-80; D. Winch: The System of the North, in: St. Collini et al: That Noble Science, S. 45ff. u. pass.; B. Fontana: Rethinking, pass. Knud Haakonssen: James Mill and Scottish moral philosophy, PSt, 1985: 33, S. 628-41; Β. Fontana: Rethinking, bes. S. 160ff. u. pass.; St. Collini et al.: That noble Science, pass, in den ersten Kapiteln von Donald Winch. Siehe die Textsammlung J. Mill: Essays on Government, Jurisprudence, Liberty of the Press and Law of Nations; C. Β. MacPherson: Nachruf auf die liberale Demokratie, Kap. 2, und den Beitrag von Udo Bermbach über „Liberalismus", in: Fetscher/Münkler (Hg.): Pipers HB der politischen Ideen, Bd. IV. Ε. P. Thompson: The Making of the English Working Class; E. J. Hobsbawm: The Age of Revolution, 1789-1848 (1962), London, 1986; ders.: Industry and Empire; I. Kuczynski (Hg.): Den Kopf tragt hoch trotz alledem!; Κ. Η. Metz: Liberalismus und soziale Frage. Liberales Denken und die Auswirkungen der Industrialisierung im Großbritannien des 19. Jahrhunderts, ZfP, 1985: 32, S. 375-92; ders.: Armut und Arbeit. Armenhilfe und Arbeitslosigkeit in Großbritannien während der

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hinreichend zu thematisieren sind48. Die dem 18. Jahrhundert geläufige Rede vom „monied interest", das als sektionale Klassenspaltung den politischen Diskurs konfiguriert, ist obsolet, weil die City als Zentrum des britischen Finanzkapitals zu einem respektablen Bestandteil der Kultur des „gentlemanly capitalism" geworden ist. Die Ernüchterung über die Politik der französischen Revolution begünstigt eine Hinwendung zu genuin gesellschaftstheoretischen Fragestellungen, die vor allem der jungen politischen Ökonomie zugute kommt49. Während der Wealth of Nations daher zu Beginn des Jahrhundert neu herausgegeben und intensiv diskutiert wird, gehen andere, konstitutive Bestandteile des „schottischen Paradigmas" verloren - entscheidend die eigentümlich dialektisch-kritische Kraft der schottischen Aufklärung, die Moderne einerseits zu begründen und andererseits zu kritisieren, zusammengebunden durch eine sensualistische Anthropologie und eine normative Moralphilosophie. Der Modernismus wird durch die „Edinburgh Review" politökonomisch reduziert fortgesetzt, während sich die Kritik der Moderne abspaltet und, vermittelt etwa durch Walter Scott, der zur gleichen Generation wie die „Reviewer" gehört50, der kapitalismuskritischen Romantik assimiliert51. Dennoch bezieht sich das 19. Jahrhundert in vielem - bewußt oder unbewußt - auf Ideen der schottischen Aufklärung52. Ein Einfluß der schottischen Aufklärung nach Frankreich verläuft über Benjamin Constant, der 1783-85 in Edinburgh studierte53 und der 1819 in einem Vortrag die Differenz zwischen dem emphatischen politischen Freiheitsbegriff der Antike und der modernen negativen Freiheit hervorhob54. In seinem Werk De L 'Esprit de Conquete et de L 'Usurpation, dans leur rapports avec la civilisation europeenne, betonte Constant die

Differenz der modernen „Epoche des Kommerz" zur vormodernen „Epoche des Krieges"55. Kommerz und Krieg sind demnach letzten Endes nichts anders als „deux moyens differents d'arriver au meme but, celui de posseder ce que Ton desire... L'une est l'impulsion sauvage, l'autre le calcul civilise". In der Moderne wird alles nach seinem Nutzen bewertet, und die „sterile" Ehre der Alten, die nichts hervorbringt, nicht als Mittel zu anderem dient und nicht akkumuliert werden kann, gilt in der Moderne nichts mehr. „A la place de cette gloire, il faudrait mettre le plaisir, ä la place du triomphe, le pillage"56. Rousseau, der die Liebe zur Freiheit geweckt habe, habe nichtsdestoweniger

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industriellen Revolution, Archiv für Sozialgeschichte, 1987: Bd. 27, S. 1-23; für Schottland: W. Hamish Fräser: Patterns of Protest, in: Τ. M. Devine/R. Mitchison (Hg.): People and Society in Scotland, Bd. I, S. 268-91. Siehe bes. B. Fontana: Rethinking; die Rezension der Edinburgh Review von D. Stewarts: Account of the life and writings of William Robertson, Vol. 2, April-July 1803, No. 3, Art. 26, S. 229-49. Siehe Β. Fontana: Rethinking, Kap. 1-3. Siehe zu Walter Scott: ibdi., S. 160ff. u. pass. Etwa eines ehemaligen Radikalen wie Samuel Taylor Coleridge: On the constitution of the church and state (1830), ed. J. Barrell, London, 1972; siehe zur Kapitalismus- und Kulturkritik der englischen Romantik R. Williams: Culture and Society; auch Thomas Carlyle gehört in diesen Kontext, siehe seine: Selected Writings. Siehe zur Kontinuität von Themen der schottischen Aufklärung im 19. Jahrhundert John Burrow: Whigs and Liberals, sowie im ganzen: St. Collini et al.: That Noble Science of Politics. Ε. Harpaz: Introduction, in: B. Constant: De L'Esprit de Conquete et de L'Usurpation, dans leurs rapports avec la civilisation europeenne (1814), Paris, 1986, S. 9f. De la Liberte des Anciens comparee a celle des Modernes, ibid., hier S. 276. Ibid., 1. Teil, Kap. 2, S. 87, auch das folgende. Ibid., Kap. 3, S. 90.

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mit seinen Ideen einer „pouvoir social, de souverainete collective qui appartenait ä d'autres siecles" „fourni... de funestes pretextes a plus d'un genre de tyrannie"57. Denn er hat die fundamentale Differenz der Moderne zur Antike nicht realisiert, die darin liegt, daß die Antiken die Polis an die erste Stelle setzten, während moderne Gesellschaften nur regiert werden können, wenn sie sich auf das Selbstinteresse der Individuen stützen. Beide Methoden haben, nach Constants Einsicht, negative, die Freiheit bedrohende Seiten: „Le danger de la liberte antique etait qu'attentifs uniquement ä s'assurer le partage du pouvoir social, les hommes ne fissent trop bon marche des droits et des jouissances individuelles. Le danger de la liberte moderne, c'est qu"absorbes dans la jouissance de notre independance privee, et dans la poursuite de nos interets particuliers, nous ne renoncions trop facilement a notre droit de partage dans le pouvoir politique". Diese Problematik ist identisch mit der der Schotten, und von Constant verläuft eine Verbindungslinie zu Tocqueville, die wahrscheinlich bedeutender ist, als der in der Literatur gelegentlich herausgestellte direkte Einfluß von Montesquieu, der das Problem der Moderne: den Individualismus/Privatismus, tatsächlich noch kaum thematisiert, das sowohl Constant wie Tocqueville beschäftigt, die beide den Ausweg in eine mehr oder weniger idealisierte Vergangenheit verweigern. Es ist bekannt, daß Kant die schottische Aufklärung rezepiert hat58, nicht selten mag ein Einfluß nachweisbar sein, und doch trennen Kant Welten von den Schotten, wenn auch im Konzept der „unsichtbaren Hand" Nähe zu Kants „Geschichte in weltbürgerlicher Absicht" impliziert ist59. Die Schotten kennen jedoch nicht jenen fundamentalen Dualismus der Aufspaltung des Menschen in ein Vernunftwesen und ein Sinnenwesen, und daher stellen sie sich nicht die Aufgabe der Begründung universeller Prinzipien a priori60. Kant arbeitet besonders die Trennung von Recht und Moral aus, der jedoch die gesellschaftstheoretische Fundierung der Schotten fehlt. Eine Durchsicht seiner Schrift über den „geschloßnen Handelsstaat" (1800) genügt, um zu sehen, daß sich Johann Gottlieb Fichte gedanklich deutlich im Vorfeld der modernen Problematik bewegt. Die Idee der Freisetzung individueller Handlungsenergien in einer nur als Rahmengebung geregelten Gesellschaft und die Einsicht in die notwendige Unterkomplexität politischer Regelungen für weite Bereiche von Ökonomie und Gesellschaft fehlen, und auch in den Details - etwa der Idee der Abschaffung des Geldes im gesellschaftlich-politischen Binnenverkehr - demonstriert Fichte seine Verhaftetheit in obsoleten Ständestaatsvorstellungen, die er plebejisch-frühsozialistisch wendet und rhetorisch in einen ausgeprägten Tugenddiskurs einbettet61. 57 Ibid., S. 278. 58 Siehe zur Rezeption der schottischen Aufklärung in Deutschland außer dem Buch von Waszek knapp: Hans Erich Bödeker: Staatswissenschaften and political econonmy at the University of Göttingen: The Scottish influence, SVEC, 1992: 305, S. 1881-4. 59 Siehe fur eine vergleichende Diskussion der schottischen und kantischen Geschichtsphilosophie: H. D. Kittsteiner: Naturabsicht und unsichtbare Hand. Zur Kritik des geschichtsphilosophischen Denkens, Ffin./Berlin/Wien, 1980; über Hume und Kant: Livingston: Hume's Philosophy of Common Life, Kap. 11. 60 Siehe zu politischen Aspekten der Kantschen Theorie den Sammelband: Z. Batscha (Hg.): Materialien zu Kants Rechtsphilosophie. 61 J. G. Fichte: Der geschloßne Handelsstaat, in: ders.: Ausgewählte Politische Schriften, hg. v. Z. Batscha/R. Saage, Ffin., 1977; siehe dagegen, mit Bezug auf Kant: F. Gentz: Über den ewigen Frieden (1800), in: I. Kant: Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf. Texte zur Rezeption,

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Erst mit Hegel erreicht die deutsche Diskussion das schottische Problembewußtsein, und Norbert Waszek hat in einer neuen, gründlichen Untersuchung die bedeutenden Einflüsse der Schotten auf Hegel im einzelnen offengelegt62. Hegels Ständetheorie ist in der Unterscheidung des „substantiellen Standes" der Landwirtschaft vom Gewerbe noch der Problematik des take-off verhaftet, und an der Klassifizierung der Beamten als „alleemeiner Stand" ist charakteristisch seine preußisch-kontinentale Prägung abzulesen 3. Zur Arbeitsteilung und Maschinerie lehrte er, was auf der einen Seite als Produktivitätsgewinn durch die Arbeitsteilung gewonnen werde, gehe „auf der anderen weder verloren", denn „Bei der Teilung der Arbeit werden die Arbeiter immer stumpfer und abhängiger... Indem nun aber die Arbeit so einfach wird, so ist kein konkreter Geist dafür mehr notwendig. Der Mensch kann selbst davon abtreten und eine Maschine an seine Stelle setzen. Die letzte Spitze des höchst Mechanischen enthält so gleich wieder das Umschlagen"64. Daran konnte Marx, der aber auch direkt mindestens Steuart, Smith und Ferguson rezipiert hat, seine Perspektive der Überwindung der modernen Entfremdung in einem revolutionären Sprung in das „Reich der Freiheit" anknüpfen65. Wenn auch diese Perspektive heute utopisch erscheint, so kann uns doch die Befassung mit dem politischen Denken des 18. Jahrhunderts helfen, in zwei Fragen klarer zu sehen: bezüglich der Bedingungen der „Zivilgesellschaft" und hinsichtlich der geistigen Verarmung des marktradikalen Liberalismus unserer Zeit, der zu recht „kommunitaristisch" kritisiert wird, denn die schottische Aufklärung zeigt, wie Individualismus und Kommunitarismus in zivilisationsevolutionärer Perspektive zusammengehen können..

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Anhang

Personenregister Aufgeführt werden die im laufenden Text genannten Personen und Gruppen

Adams, John 423 Addison, Joseph 97-99; 151; 164; 175 Alberti, Leon B. 31-32 Anti-Federalists 423 Argyll, Earl of 137 Aristoteles 41; 95; 173; 341 Bacon, Francis 213 Bagehot, Walter 232 Baier, Annette 191 Barbon, Nicholas 18 Baron, Hans 92 Batscha, Zwi 413 Beccaria, Cesare 280; 348 Bendix, Reinhard 55 Bentham, Jeremy 160; 190-191; 235; 276; 280; 348; 427 Berger, Peter L. 214; 288 Berkeley, George 258 Berlin, Isaiah 48 Blackstone, William 49; 71; 83; 92; 276; 325; 352 Blair, Hugh 152-53; 287-90 Boesche, Roger 145 Bolingbroke, Henry St.John, Viscount 28; 59; 68; 73; 79; 130 Boulding, Kenneth Ε. 163; 295 Boullainvilliers, Henry de 221 Brewer, John 76; 80 Brunner, Otto 13 Burgh, James 103 Burke, Edmund 56; 65; 71; 74; 352; 364; 420; 424; 426 Burke, Peter 13 Butler, Joseph 267 Campbell, Tom 336 Carlyle, Alexander 152; 154; 410 Carmichael, Gershom 159 Cato, siehe Trenchard Charles I 92; 226 Charles II 204; 233; 236 Cicero, Marcus T. 27-29; 41; 140 Clarke, Samuel 164 Colbert, Jean-Baptiste 365 Comte, Auguste 100

Condorcet, Marie-Jean-Antoine-Nicolas Caritat, Marquis de 197 Constant, Benjamin 428-29 „Country-Party" 74; 75; 81-84; 102-3; 12526; 135; 141; 182; 185; 193; 213; 215-16; 226; 236; 238; 240; 247; 283; 308; 376-77; 415;417-21 „Court-Party" 74-82; 84; 135; 143; 213; 215; 240; 247 Craig, Thomas 220 Cromwell, Oliver 15; 214; 224; 239; 368 Cropsey, Joseph 322 Dalrymple, John 219; 221; 223; 262; 273 Davenant, Charles 67; 122-27; 129; 131; 415 Defoe, Daniel 16-17; 30; 130 Diderot, Denis 386 Dobb, Maurice 359 Dundas, Henry 148 Dürkheim, Emile 334 Dwyer, John 286; 289; 290 Edinburgh Reviewer 427-428 Edward III 222 Elias, Norbert 156 Elisabeth I 218; 225; 230-31 Elwert, Georg 17-18 Epiktet 343 Epikur 414 Federalists 96; 228; 423 Ferguson, Adam 30; 33; 35; 39; 51; 58; 71; 152-53; 197-98; 208; 210; 219-20; 227; 284-286; 290-91; 351; 354; 362; 368; 378; 384; 386; 388; 389-414; 418-19; 421; 425; 430 Fichte, Johann G. 429 Filmer, Sir Robert 113 Fletcher, Andrew (of Saltoun) 148; 151; 15658; 180; 223; 415-16; 421 Forbes, Duncan 61; 201; 255; 325; 354 Fortescue, Sir John 92 Fox, Charles J. 183; 426 Frankfurter Schule, siehe Kritische Theorie Freud, Sigmund 394 Fromm, Erich 282

Personenverzeichnis Galbraith, John Κ. 312 Garrick, David 290 Georg I 77 Georg II 77 Georg III 73; 84 Ghibellinen 75 Goethe, Johann W. 99 Gordon, Thomas siehe Trenchard Gordon, Lord George 241 Grotius, Hugo 45-47; 91; 110; 348; 355; 387 Guelfen 75 Gunn, John W. 48; 58; 73; 142 Haakonssen, Knud 161; 325; 328; 387 Habermas, Jürgen 9 Hall, John 23 Hamilton, Alexander 64 Hamowy, Ronald 137 Hannoveraner-Dynastie 77-78; 215; 235 Harrington, James 20; 22; 55; 62; 95; 103; 128; 135; 182; 184; 252; 367; 419 Hazard, Paul 25 Hegel, Georg W.F. 10; 307; 346; 394; 426; 430 Henry VII 225 Henry VIII 225; 231 Hill, Christopher 76 Hirschman, Albert O. 70 Hobbes, Thomas 20; 29; 32-35; 45; 50; 66; 110; 118; 161; 163; 165; 167-69; 178; 232; 276; 310; 348 Holbach, Paul Thierry, Baron d' 153 Home, John 152; 154; 208; 287; 289; 290; 389 Hont, Istvan 265 Hotman, Francois 127 Houston, Alan C. 18; 59 Hume, David 47; 60; 63-64; 68; 74; 80; 129; 140; 149; 152-53; 161-62; 165; 167-68; 186; 189-260; 262; 264; 266; 268-70; 272; 274; 284; 290; 292; 294; 298-300; 307-8; 313-14; 316-17; 319; 323; 327; 329; 334; 336; 337; 344-45; 351; 353; 359; 360-61; 367; 372; 376; 386-87; 389; 392; 395; 397; 403-6; 409-14; 416-17; 419-21; 423-25 Hutcheson, Francis 47; 127; 153; 159-88; 18991; 193; 197; 205-6; 209; 223; 259-60; 264; 266; 271; 278; 280; 321-23; 328; 331; 336; 339; 341; 344-46; 392; 394; 416; 419-20 James I 106; 226 James II 137 Jardine, John 154 Jefferson, Thomas 423 Jenyns, Soame 40 Johnson, Samuel 287 Junius 73

457 Kames, Henry Home, Lord 31; 47; 148; 15253; 174; 189; 191; 196; 204; 219; 258-86; 290; 323; 327; 339; 341; 348; 387; 403; 407; 417; 419; 424 Kant, Immanuel 72; 238; 286; 424; 429 Keane, John 10 Kettler, David 401; 405; 412 Keynes, John M. 240; 311 Kondylis, Panajotis 168 Kramnick, Isaac 91; 103 Kritische Theorie 43; 91 Langford, Paul 18; 30; 40-41; 96; 188 Laslett. Peter 78 Law, John 20 Leibniz, Gottfried W. 128 Leidhold, Wolfgang 165 Levellers 15; 53; 102-3 Livingston, Donald W. 190; 424 Livius, Titus 140 Locke, John 10; 18; 20; 22; 91-92; 100; 10921; 137; 159; 161; 165; 173-74; 176-77; 182; 192; 216; 235; 264; 310; 351; 363; 376; 415; 423 Louis XIV 23; 212 Luckmann, Thomas siehe Berger Luhmann, Niklas 74-75; 190 Luther, Martin 17; 44 Lykurg 65; 123; 175; 355; 397 Macaulay, Thomas B. 109; 162 Machiavelli, Niccolo 21; 57; 162; 353; 410 MacKenzie, Henry 154; 287 Mackintosh, James 427 MacPherson, Crawford Β. 38 MacPherson, James 150; 287-90 Malthus, Thomas R. 320 Manchester-Liberale 321 Mandeville, Bernard 69-70; 129; 137; 160; 163; 174-76; 179; 209; 279; 419 Marcus Aurelius 346 Marshall, Alfred 294; 296 Marx, Karl 10; 17; 37; 39; 116-17; 177; 198; 295; 357; 359; 368-69; 371; 374-75; 378; 387; 394; 426; 430 McDowell, Gary 155 Mead, George H. 266; 327 Medick, Hans 413 Merkantilisten 37; 95; 142; 311 Mill, John St. 10; 162; 314; 320 Mill, James 162; 235; 427 Miliar, John 47; 153; 164; 180; 183; 219; 22324; 237; 246; 258; 264; 272-73; 291; 326; 355; 358; 360-61; 368-69; 384; 386; 397; 420-21; 424-27

458 Miller, Eugene 221 Milton, John 22; 128 Moderate Literati 153; 245-46; 287; 290-91; 409 Molesworth, Sir Robert 68; 127; 160 Monboddo, James Burnett, Lord 154 Montagu, Elisabeth 291 Montesquieu, Charles-Louis de Secondat, Baron de la Brede et de 34; 47-48; 50; 64; 70; 92; 101; 144—45; 193; 202; 211; 217; 219; 221; 224-25; 248; 251-53; 262; 275-76; 278; 307; 356; 364; 387; 406; 417-18; 420; 429 Moore, James 160; 185 Morus, Thomas 252 Moyle, Walter 62; 132 Neville, Henry 15 Newton, Sir Isaac 161 North, Sir Dudley 18 Oakeshott, Michael 352 Oswald, James 196 Paine, Thomas 102; 365 Palmer, Robert 101 Parsons, Talcot 35 Penn, William 137 Petty, Sir William 18; 176 Phillipson, Nicholas 98; 150-51 Physiokratie 154; 300; 308; 365-67; 420 Pitt, William d.Ä., Lord Chatham 84; 246; 250 Plato 252; 309 Pocock, John G.A. 20; 64; 87; 92-93; 95; 122; 134; 423 Politiques 44 Postlethwayt, Malachy 82; 244 Price, Richard 48; 90-91; 103; 197 Priestley, Joseph 4 8 ^ 9 ; 90-91; 103; 197 Pufendorf, Samuel 34; 47; 159-60; 162; 172; 265 Queen Anne 123 Quesnay, Francois 154; 365 Radikale 53; 90-91; 130; 217; 230; 247-50; 254; 277; 308; 364; 423-24; 426 Raphael, David D. 334; 338 Rational Dissenter, siehe Priestley, Price Raynor, David 227 Reid, Thomas 153; 159; 425 Ricardo, David 95; 154; 320 Ricardo-Sozialisten 371 Richard II 222 Riesman, David 332 Robbins, Caroline 102 Robbins, Lord Lionel 294; 321 Robertson, William 152-53; 219; 221-22

Anhang Robertson, John 254; 413 Rochester, Earl of 204 Rousseau, Jean-Jacques 34; 63; 65; 70; 99; 101; 180; 206; 215; 265; 280; 286; 390; 401; 412 Sallust 140 Schiller, Friedrich 381 Schmitt, Carl 352 Schottische Aufklärung 101; 149-55; 423 Schumpeter, Joseph A. 154; 163; 320 Scott, Jonathan 62 Scott, Sir Walter 428 Shaftesbury, Anthony Ashley Cooper, First Earl of 137 Shaftesbury, Anthony Ashley Cooper, Third Earl of 97-99; 127; 153; 164-65; 168; 17071; 321; 416 Sher, Richard 152-53; 287; 391 Sidney, Algernon 22; 58-59; 109; 137 Silver, Allan 42 Skinner, Andrew S. 294; 320 Skinner, Quentin 87 Smith, Adam 34; 37; 54; 63-65; 69-70; 78; 112; 141; 148; 153-54; 159; 167; 172; 174; 176-77; 182; 189; 191-92; 197; 210; 212; 219; 223-25; 229; 237; 245; 251; 258; 261; 264; 267; 272-73; 277; 285; 288; 290-92; 294-95; 298-99; 305; 309; 317-18; 320-88; 391-92; 395; 397-98; 400; 403; 405; 40711; 414; 417; 419-21; 424; 426; 430 Smith, Melancton 59 Smollett, Tobias 41; 78 Sokrates 175 Solon 251; 355 Sombart, Werner 13; 181; 359 Spelman, Henry 220 Spinoza, Benedikt 58; 60; 162; 168 Starobinski, Jean 406 Steele, Richard 97-99 Stein, Peter 270 Sterne, Laurence 248 Steuart, James 35; 38; 70; 148; 154; 203; 207; 273; 292-319; 327-28; 345; 356; 358; 360; 397; 411; 417; 419; 430 Stewart, Dugald 320; 355; 378; 387; 420; 424; 426 Stoa 29; 321; 332; 339; 346; 416 Strahan, William 245; 248 Strauß, Leo 322 Stuart-Dynastie 46; 77; 137; 147; 215; 218; 226; 230; 249; 415 Sweezy, Paul Μ. 359 Symbolischer Interaktionismus, siehe Mead Tacitus 140 Teichgraeber III, Richard 155; 324

Personenverzeichnis Temple, Sir William 105-9; 282; 415 Temple, William of Trowbridge 370 Thelwall, John 426 Thomas von Aquin 167 Thomasius, Christian 46-47 Tiryakian, Edward A. 154 Tocqueville, Alexis de 10; 429 Toland, John 22; 127-31; 133; 242 Tories 75; 77-80; 84; 141; 214-15; 247 Trenchard, John 80; 132-42; 242; 421 Trevor-Roper, Hugh 149 Tucker, Josiah 91; 363 Tudor-Dynastie 218; 225-26; 230 Tully, James 119 Turgot, Anne-Robert-Jacques 197 Tytler, Alexander, Lord Woodhouselee 280; 286

459 Vaughn, Karen 112 Vehlen, Thorstein B. 40; 180 Venturi. Franco 94; 128 Voltaire 153 Wallerstein, Immanuel 76-77 Walpole. Sir Robert 73; 76-77; 79; 240 Walpole, Horace 192 Waszek. Norbert 317; 430 Weber. Max 30; 53; 90; 108; 181 Weisbrod, Bemd 76 Whigs 18; 75; 84; 137; 141; 202; 214-16; 230; 234,247; 308; 415; 424; 427 Wildman, John 137 Wilkes, John 74; 84; 102; 247 William III 122 Winch, Donald 319

Lieferbare Titel in dieser Reihe: MATTHIAS BOHLENDER

Die Rhetorik des Politischen Zur Kritik der politischen Theorie 257 Seiten - DM/sFr 74,- / öS 577,ISBN 3-05-002656-1 A u s d e m Inhalt: • Einleitung: W a s leistet Rhetorik f ü r die politische Theoriegeschichte? • Zur Grundlegung eines Rhetorikbegriffs: Sprecher, Sprache, Auditorium - Der Affekt gegen die Rhetorik - Ein anthropologischer Begriff der Rhetorik - Ein argumentationstheoretischer Begriff der Rhetorik Ein dekonstruktivistischer Begriff der Rhetorik Z u s a m m e n f a s s u n g und Ergebnisse • T h o m a s Hobbes oder die Geburt der Politischen Theorie aus ihrer Rhetorik - Die historische Situierung der politischen Theorie - Die Rhetorik des „Leviathan" - „Behemoth" und/oder „Leviathan" • Die Rhetorik des Politischen: Antworten auf den „Leviathan" - Das Problem: Politische Theorie oder das Verhältnis von Philosophie, Staat und Intellektuellen - Die Auseinandersetzung: Carl Schmitt und Leo Strauss - Die Antworten: Zwei Rhetoriken des Politischen • Schlußbetrachtung: Politische Theorie als soziale Redepraxis THOMAS M Ö H R S

Vom Weltstaat Hobbes' Sozialphilosophie · Soziobiologie · Realpolitik XXXVI, 464 Seiten - DM/ sFr 84,- / öS 655,ISBN 3-05-002681-2 A u s d e m Inhalt: • Die anthropologische Grundlagentheorie des englischen Staatsphilosophen T h o m a s Hobbes wird aus der Sicht der modernen anthropologischen Theorien der Soziobiologie kritisch reflektiert. Ergebnis: Mit einigen wichtigen Korrekturen ist die Hobbessche Lehre auch heute noch höchst aktuell und kann sehr wohl als Basis staatsphilosophischer Überlegungen dienen. • Die staatsphilosophischen Konsequenzen (Gesellschaftsvertrag, E r s c h a f f u n g des Leviathan), die Hobbes aus seiner Grundlagentheorie zieht, werden im Lichte kongruenter moderner T h e o r e m e der „bio-

politics" untersucht und kritisch reformuliert. Auch hier erweist sich Hobbes' Philosophie als nach wie vor diskussionswürdig und - zumal in krisenhaften Situationen - außerordentlich plausibel. • Die Hobbessche „Logik des Leviathan", die sich in den ersten beiden Teilen als „ m o d e r n " erwiesen hat, wird auf die heutige Situation der „Leviathane unter sich" angewandt, wobei davon ausgegangen wird, daß sich die Situation der Staaten heute als analog d e m Hobbesschen „ N a t u r z u s t a n d " darstellen läßt. D e r Ausgang aus diesem Naturzustand (u. die Vermeidung eines „heißen" Kriegs aller gegen alle) ist nur auf der Basis eines „Weltstaates" möglich. SIDONIA BLÄTTLER

Der Pöbel, die Frauen usf. Zum Diskurs der Massen und der Massengesellschaft in der politischen Philosophie des 19. Jahrhunderts 258 Seiten - DM/sFr 84,-/ öS 655,ISBN 3-05-002892-0 A u s d e m Inhalt: • Der Eintritt der Massen in die geschichtliche Welt. Proletarisierung des vierten Standes, d i e D r o h u n g klassenantagonistischer A u s e i n a n d e r s e t z u n g e n und Integrationskonzepte • Die aufgeklärte Persönlichkeits- und Freiheitsidee im Widerspruch zur bürgerlich-kapitalistischen Vergesellschaftungsform. Zur Kritik der bürgerlichen Gesellschaft als Massengesellschaft bei G. W. F. Hegel, Alexis de Tocqueville und John Stuart Mill • Kontroversen um das Gleichheitspostulat und den Begriff der Volkssouveränität in der liberalen, radikalen und sozialistischen Publizistik von 1848/49. • Argumente f ü r und gegen den politischen Ausschluß der Frauen und subbürgerlichen Schichten • Auf dem Weg zur Massenpolitik. Abschied v o m Vernunftethos. Willensmetaphysik, Patriarchalismus und Demokratiefeindschaft bei Arthur Schopenhauer, Eduard von Hartmann u n d Friedrich Nietzsche • Das Zeitalter der Masse. Weiblichkeitsdiskurs und Massenpolitik

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